Reparationen am Internationalen Strafgerichtshof [1 ed.] 9783428583065, 9783428183067

Seit der Errichtung des Internationalen Strafgerichtshofs wurde sein Mandat wiederholt mit der Schaffung von Opfergerech

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Reparationen am Internationalen Strafgerichtshof [1 ed.]
 9783428583065, 9783428183067

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Beiträge zum Internationalen und Europäischen Strafrecht Studies in International and European Criminal Law and Procedure Band / Volume 46

Reparationen am Internationalen Strafgerichtshof Von

Mareike Feiler

Duncker & Humblot · Berlin

MAREIKE FEILER

Reparationen am Internationalen Strafgerichtshof

Beiträge zum Internationalen und Europäischen Strafrecht Studies in International and European Criminal Law and Procedure Herausgegeben von / Edited by Prof. Dr. Dr. h.c. Kai Ambos, Richter am Kosovo Sondertribunal Berater (amicus curiae) Sondergerichtsbarkeit für den Frieden, Bogotá, Kolumbien

Band / Volume 46

Reparationen am Internationalen Strafgerichtshof

Von

Mareike Feiler

Duncker & Humblot · Berlin

Die Juristische Fakultät der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg hat diese Arbeit im Jahre 2020 als Dissertation angenommen

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2021 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: 3w+p GmbH, Rimpar Druck: CPI buchbücher.de GmbH, Birkach Printed in Germany ISSN 1867-5271 ISBN 978-3-428-18306-7 (Print) ISBN 978-3-428-58306-5 (E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Herbst 2020 von der Friedrich-AlexanderUniversität Erlangen-Nürnberg als Dissertation angenommen. Diese Arbeit habe ich berufsbegleitend verfasst, in vielen Abendstunden, an Wochenenden und Urlauben. Dass ich mit dieser Arbeit überhaupt erst begonnen habe, habe ich meinem weitsichtigen Chef im Bundespresseamt zu verdanken, Dr. Tilman Seeger, der mich stets unterstützt und mit dem notwendigen Quäntchen Druck ermutigt hat, diese Arbeit zu beginnen und auch zu beenden. Dafür danke ich ihm sehr. Aus tiefem Herzen danke ich meinem Doktorvater, Prof. Dr. Christoph Safferling. Die interessanten Gespräche sowie seine klugen und konstruktiven Anmerkungen haben maßgeblich zum Gelingen dieses Projektes beigetragen. Seit ich mich vertieft mit Fragen der Opferentschädigung und Opferbeteiligung befasst habe, hat er mich auf diesem Weg wissenschaftlich begleitet. Opferentschädigungen im Kontext der Makrokriminalität haben mich als Thema zunächst fasziniert bei der Mitarbeit an einer Studie zur Civil Party Participation an den ECCC in Kambodscha. Für dieses Projekt hat Prof. Safferling uns am Forschungs- und Dokumentationszentrum für Kriegsverbrecherprozesse (ICWC) an der Universität Marburg einen passenden Rahmen gegeben. Sowohl am ICWC in Marburg als auch in Cambridge, Massachusetts, konnte ich die Studie im Rahmen meiner Außenprobezeit mit auswerten und mich dabei mit den Entschädigungsanordnungen an den ECCC befassen. Für die Unterstützung unserer Arbeit am ICWC in Marburg danke ich Prof. Dr. Christoph Safferling, für das warme Willkommen an der Harvard Humanitarian Initiative danke ich Dr. Vincenzo Bollettino. Großer Dank gilt auch meinem Zweitkorrektor Prof. Dr. Hans Kudlich, für seine Anmerkungen in seinem Gutachten und das interessante Gespräch im Rahmen meiner Verteidigung. Prof. Dr. Thomas Weigend danke ich für die frühzeitige Lektüre meiner Arbeit und seine sehr hilfreichen Anmerkungen. Ohne meine Freunde und Unterstützer, die sich gefragt und ungefragt Kurzvorträge zu Opferentschädigung angehört, meine Ideen mitgedacht und meine Arbeit Korrektur gelesen haben, hätte ich meine Gedanken wohl nicht strukturiert zu Papier bringen können. Getragen durch die Zeit der Erstellung der Arbeit, mit allen dazugehörigen Höhen und Tiefen, haben mich meine Geschwister und meine liebsten Freundinnen Elisa und Saskia, die immer ein offenes Ohr hatten und immer wussten, was zu tun ist.

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Vorwort

Auf diesem Wege widmen möchte ich diese Arbeit den beiden Menschen, denen ich am meisten zu verdanken habe: meinen Eltern. Ohne meine großartige Mutter und ihre liebevolle Betreuung meines kleinen Sohnes hätte ich diese Arbeit so nicht zu Ende gebracht. Berlin, im Mai 2021

Mareike Feiler

Inhaltsverzeichnis I.

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13

II. Die Genese des Rechts der Reparationen bis zur Reparationsstruktur des IStGH 16 1. Staatenberechtigung im Völkerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 2. Mittelbarer internationaler Schutz – humanitäres Völkerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . 18 3. Menschenrechte – Staatenverantwortlichkeit zum Schutz des Individuums . . . . . . 20 4. Völkerstrafrecht – der Täter als Völkerrechtssubjekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 a) Reparationen in internationalen/-isierten Gerichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 aa) Die Stellung der Opfer im System der Ad-hoc-Strafgerichtshöfe für Ruanda und das ehemalige Jugoslawien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 bb) Die Stellung der Opfer im System der hybriden Gerichte . . . . . . . . . . . . . . 29 (1) Reparationen an den ECCC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 (2) Die Bedeutung von Reparationen am ECCC – Ergebnisse empirischer Studien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 b) Reparationen am IStGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 aa) Die Struktur des Reparationsmandats in Art. 75 IStGH-Statut . . . . . . . . . . 43 (1) Anordnung von Reparationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 (2) Aufstellen von Reparation Principles . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 (3) Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 bb) Der Treuhandfond nach Art. 79 Abs. 1 IStGH-Statut . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 (1) Reparationen (Reparations) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 (2) General Assistance/humanitäres Mandat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 cc) Entschädigungsgrundsätze vor dem IStGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 (1) Der „Do No Harm“-Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 (2) „Dignity, non-discrimination and non-stigmatisation“ . . . . . . . . . . . . . . 51 (3) „Accessibility and consultation with victims: gender-inclusive approach and child victims“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 5. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 III. Zweck von Reparationen im Völkerstrafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 1. Kein durch Definition festgelegter Zweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54

8

Inhaltsverzeichnis 2. Reparationen im Völker(straf)recht – strukturell inadequat? . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 3. Zweck von Reparationen – Ein straftheoretischer Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 a) Retributive Gerechtigkeit – Der Vergeltungsgedanke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 b) Präventionsorientierte Gerechtigkeit – die abschreckende Wirkung von Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 c) Reparative/Restorative Gerechtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 d) Expressive Gerechtigkeit – die kommunikative Kraft von Unwerturteilen . . . . 69 e) Transitional Justice – Gerechtigkeit als Teil des gesellschaftlichen Wandels 70 f) Diskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 4. Charakterisierung der Rechtsnatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 5. Zweckbestimmung der unterschiedlichen Formen von Reparationen am IStGH

77

a) Wiedergutmachungsarten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 aa) Restitution . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 bb) Kompensation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 cc) Rehabilitation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 dd) Genugtuung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 ee) Garantie der Nichtwiederholung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 b) Exkurs – der zweigeteilte Zweckbegriff von de Greiff und Wierda . . . . . . . . . . 85 c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 d) Kollektive und individuelle Wiedergutmachung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 e) Diskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 6. Ziel und Zweck des Reparationsregimes am IStGH: Diskussion . . . . . . . . . . . . . . 89 IV. Gerichtliche Reparationen nach Art. 75 Abs. 2 IStGH-Statut . . . . . . . . . . . . . . . 93 1. Anspruchsvoraussetzungen und Anspruchsinhalt von Art. 75 Abs. 2 IStGH-Statut 93 a) Adressat der Reparationsanordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 aa) Der verurteilte Täter als Adressat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 bb) Mittellosigkeit als Anordnungshindernis? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 cc) Diskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 b) Destinatäre der Reparationsanordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 aa) Mittelbare und unmittelbare Opfer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 bb) Selektivität der Anklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 cc) Diskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 c) Der Schadensbegriff des IStGH-Statuts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 aa) Definition des Schadensbegriffs im IStGH-Statut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 bb) Inhalt des Schadensbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 (1) Materielle Schäden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111

Inhaltsverzeichnis

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(2) Physische Schäden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 (3) Psychische Schäden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 (4) Andere Schäden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 cc) Diskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 d) Kausalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 aa) Kausalitätsstandard am IStGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 bb) Diskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 e) Beweisgrad und Beweislast . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 aa) Beweislast . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 bb) Beweisgrad . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 cc) Diskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 f) Anordnungsmodi – Reparationen auf individueller oder kollektiver Basis . . . . 126 aa) Möglichkeiten des IStGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 bb) Kollektive Reparationen als Anordnungsmodus der Wahl? . . . . . . . . . . . . . 129 cc) Die Wahl der Anordnungsmodi in der Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 dd) Angemessene Reparationsmodi am IStGH – Diskussion . . . . . . . . . . . . . . 135 g) Reparationsarten am IStGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 aa) Reparationsarten in Statut und Praxis des IStGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 bb) Diskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 h) Feststellung des Schadens- und Haftungsumfangs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 aa) Individuelle Feststellung der Entschädigungsberechtigung . . . . . . . . . . . . 139 bb) Individuelle Feststellung der Eligibility in den drei Entscheidungen . . . . . 140 (1) Lubanga . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 (2) Katanga . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 (3) Al Mahdi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 (4) Diskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 cc) Berechtigungsprüfung abhängig von den Reparationsmodi? . . . . . . . . . . . . 145 (1) Lubanga . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 (2) Katanga . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 (3) Al Mahdi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 (4) Diskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 i) Haftungsumfang des Reparationsschuldners . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 aa) Konkrete Schadensfeststellung – die summierte Verantwortlichkeit für einzelne Schäden? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 (1) Lubanga – Summierte Schätzung durch die Kammer . . . . . . . . . . . . . . 149 (2) Summierte Verantwortlichkeit in Katanga . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 (3) Al Mahdi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 (4) Diskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 bb) Berücksichtigung des Tatbeitrags des Reparationsschuldners . . . . . . . . . . . 153 cc) Diskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155

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Inhaltsverzeichnis j) Prinzip der Angemessenheit und Verhältnismäßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 aa) Doppelte Verhältnismäßigkeit am IStGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 bb) Angleichung durch praktische Konkordanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 2. Implementierung von Reparationsanordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 a) Implementierung durch den Gerichtshof – direkte Leistung durch den Schädiger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 b) Implementierung durch den TFV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 aa) Besondere Zuständigkeitsfragen im Lubanga-Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . 161 bb) Individuelle Feststellung der Reparationsberechtigung . . . . . . . . . . . . . . . . 162 cc) Die Herrin der Implementierungsstage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 dd) Diskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 c) Vollstreckung (Zusammenspiel von TFV und Verurteiltem) . . . . . . . . . . . . . . . 171 aa) Vollstreckung in das Vermögen des Verurteilten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 bb) Schutzbeschlagnahmung von Vermögen des Verurteilten . . . . . . . . . . . . . . 175 cc) Vollstreckung des Regressanspruchs des TFV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 dd) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 3. Gesamtdiskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180

V. Gesamtbetrachtung und Kriminalpolitische Schlussfolgerungen . . . . . . . . . . . . . 186 1. Das Reparationsmandat am IStGH – Wie es zustande kam und wie es sich heute darstellt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 2. Zweck und Grenzen des Mandats – Wunsch und Realität am IStGH . . . . . . . . . . . 187 a) Erfolg des Reparationssystems? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 b) Die zweigeteilte Zweckbestimmung von Reparationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 c) Die Rechtsprechung am IStGH – unterschiedliche Aussagen aufgrund unterschiedlicher Reparationsverständnisse? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 d) Zweck erreicht oder Ziel verfehlt? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 3. Fortentwicklung des IStGH-Systems auf materieller, prozessualer und struktueller Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 a) Materriellrechtlicher und prozessualer Vorschlag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 b) Strukturelle Veränderungen am IStGH oder auch: Individuelle Verantwortlichkeit anstelle von Staatenverantwortlichkeit – Trostpreis für die Opferentschädigung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 aa) Schaffung von zivilrechtlichen Reparationskammern – einer Reparations Section . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 bb) Auffangen durch den TFV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 cc) Der große politische Wurf: eine Claims Commission am IStGH . . . . . . . . . 198 4. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200

Inhaltsverzeichnis

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Annex I . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214

I. Einleitung Vor über 20 Jahren, am 17. Juli 1999, wurde das Römische Statut des Internationalen Strafgerichtshofes (IStGH-Statut) unterzeichnet;1 am 1. Juli 2002 traten seine Regelungen in Kraft. Damit gelten nun seit mehr als 17 Jahren die Regelungen zur Opferentschädigung vor dem Internationalen Strafgerichtshof (im Folgenden: IStGH oder Gerichtshof) in Den Haag. Als Existenzbegründung des Gerichtshofes wird immer wieder die Forderung nach Gerechtigkeit für Opfer angeführt, teilweise wird der Erfolg des Reparationsmodells als Gradmesser für den Erfolg des Gerichtshofes herausgestellt: „[It] is the victims and affected communities who are the ones to determine whether or not justice has been done. Victims are the Court’s raison d’être.“2 (Silvana Arbia, Registrar of the International Criminal Court)

Der stellvertretende Ankläger in Prosecutor v. Katanga and Chui sagte in seinem Eröffnungsstatement: „Our mandate is justice, justice for the victims: the victims of Bogoro; the victims of crimes in Ituri; and the victims in the DRC“.3

Die Entscheidung, Opfern der erdenklich grausamsten Verbrechen eigene Rechte zu geben und neben nationalen Gerichten ein Forum zu bieten, um Wiedergutmachung zu erlangen, ist nicht nur richtig, sondern wirkt – moralisch argumentiert – geradezu alternativlos. Das Recht erwartet, dass Unrecht wiedergutgemacht wird: „It is a basic maxim of law that harms should be remedied. All legal systems allow for redress of wrongs, in some form.“4

1 Rome Statute of the International Criminal Court, https://www.icc-cpi.int/resource-lib rary/Documents/RS-Eng.pdf (abgerufen am 15. September 2019). 2 Arbia, Remarks to the 11th session of the Assembly of States Parties, 14. November 2012, http://www.google.com/url?sa=t&rct=j&q=&esrc=s&source=web&cd=2&ved=0CDkQFjA B&url=http%3A%2F%2Fwww.icc-cpi.int%2FNR%2Frdonlyres%2FF1E2BCA9-4F55-4C1C938B-2107233D0A98%2F0%2FASP11OpeningREGSA1ENG.pdf&ei=ZtxVUYPAJ87B4 AO8tYHwBg&usg=AFQjCNHw8WFZIlG9mI07E4fFgm3vUMCQdw&bvm=bv.44442042,d. dmg (abgerufen 10. Dezember 2015). 3 IStGH, Press Release ICC-OTP-20080627-PR332, 17. 06. 2008, https://www.icc-cpi.int/ Pages/item.aspx ?name=icc+cases+an+opportunity+for+communities+in+itur i+to+come+together+and+move+forward&ln=en (abgerufen am 09. Januar 2020). 4 Roht-Arriaza, Reparations, Decisions and Dilemmas, Hastings Int’l & Comp LR 27 (2004), 157 (157).

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I. Einleitung

Vor der Schaffung des IStGH wurde viele Jahrzehnte mit dem Für und Wider, dem Ob und Wie gerungen. In diesen letzten Dekaden war ein Trend zu verzeichnen, der die Geschädigten nicht nur vermehrt in den Fokus von Aufarbeitungsmaßnahmen rückte, sondern subjektive Rechte für individuelle Opfer auf internationaler Ebene hervorbrachte.5 Die Integration von Reparationsregelungen in das IStGH-Statut ist nur ein Teil dieses Prozesses, aber ein maßgeblicher. Über die konkrete Ausgestaltung eines sinnvollen Reparationsregimes bestehen jedoch unterschiedliche Ansichten. Das Inkrafttreten des gemeinsam in Rom verfassten Systems der Opferentschädigung hat nicht zu einem Verstummen der Diskussionen geführt. Erfolg oder Misserfolg des Reparationsregimes am IStGH ist eng mit den Erwartungen an eben dieses Regime auf der einen Seite und den Möglichkeiten und Limitationen des Gerichtshofes auf der anderen Seite verknüpft. Gibt es einen Schiefstand zwischen Erwartungen und Ergebnissen, ist es auch dem modernsten und ambitioniertesten System unmöglich, allgemein positiv bewertete Resultate zu liefern. Neben den verschiedenen rechtlichen und tatsächlichen Herausforderungen, die klar zu benennen sind, scheinen unterschiedliche Auffassungen zu der Frage zu herrschen, was der Gerichtshof in Bezug auf Opferwiedergutmachung leisten muss. Es entwickelten sich auch am Gerichtshof verschiedene Sichtweisen, teilweise klar erkennbar in uneinheitlicher Rechtsprechung. Es scheint als bestünde ein grundlegend divergierendes Verständnis von Aufgaben, Ziel und Rechtsnatur des Reparationsanspruches und den rechtlichen Limitationen des Gerichtshofes. Eine solche Divergenz kann wiederum Auswirkungen auf vorgetragene Rechtsauffassungen und Erwartungen verschiedener Akteure auf verschiedenen Ebenen haben. Diese Arbeit soll herausarbeiten, wo die Gründe für das unterschiedliche Verständnis und die sich zeigenden Schwierigkeiten in der Praxis des Reparationsregimes liegen. Dafür ist zum einen eine Bestandsaufnahme des Rechts der Reparationen notwendig. Anspruch dieser Arbeit ist es nicht, diejenigen Herausforderungen einmal mehr zu beleuchten, die sich schon bei der Schaffung des Statuts abzeichneten. Die Schwerpunkte sollen vielmehr auf den Aspekten liegen, die sich in der Praxis des Gerichtshofes als nicht trivial herausgestellt haben. Dabei soll versucht werden, die sich zeigende Meinungspluralität bei Gericht dadurch zu erklären, dass sie grob in zwei Strömungen unterteilbar ist: Während die einen ein umfassendes, aus der Staatenverantwortlichkeit stammendes Verständnis von Reparationen haben, sehen die anderen in dem Entschädigungsanspruch ein restriktives zivilrechtliches Recht sui generis. Daneben soll besprochen werden, wie das Recht der Reparationen am IStGH generell konzeptualisiert werden kann, welche Rechtsnatur ihm innewohnt und welche Ziel- und Zweckbestimmungen man dem Wiedergutmachungsregime zuschreiben kann. Dies in der Hoffnung, dass eine intensivere Debatte darüber geführt 5

Siehe zu der Genese des Rechts der Reparationen unten unter II.

I. Einleitung

15

wird, was der Reparationsanspruch am IStGH seinem Kern nach sein kann. Im Ergebnis soll in dieser Arbeit versucht werden, mit einer Analyse dieser Gegenüberstellung von Theorie und Praxis einen Vorschlag für die Weiterentwicklung des Reparationsregimes am IStGH zu formulieren. Übergeordnetes Ziel ist es, den rechtlichen Rahmen derart zu gestalten, dass er den geweckten Erwartungen der Geschädigten gerecht werden kann, ohne ein internationales Strafgericht zu überfordern. Durch ein besseres Verständnis all dieser Punkte soll ein Beitrag dazu geleistet werden, dass notwendige rechtliche und tatsächliche Veränderungen diskutiert und umgesetzt werden und nicht veränderbare Aspekte hingenommen, kommuniziert und, so weit wie möglich, aufgefangen werden. Um die besonders relevante Sicht der Praktiker in die Arbeit einzuführen, wurden am Gerichtshof in Den Haag im Juni 2016 Expertengespräche in Form von semistrukturierten Interviews mit Mitarbeitern der Bereiche Verfahrenskammer, Victims Participation and Reparations Section (VPRS), Opfervertretung und Trust Fund for Victims (TFV) geführt. Die Erkenntnisse aus den Gesprächen werden in der Arbeit anonymisiert wiedergegeben; der Fragenbogen der Ausgangsfragen ist jedoch als Annex I beigefügt.

II. Die Genese des Rechts der Reparationen bis zur Reparationsstruktur des IStGH Das Recht der Reparationen für Opfer von Makrokriminalität steht noch ganz am Anfang seiner Entwicklung. Es hat in den letzten 20 Jahren jedoch insbesondere durch die Möglichkeit der Opferbeteiligung am IStGH in Den Haag und des dort gleichzeitig geschaffenen Forums für die Durchsetzung von Wiedergutmachungsansprüchen der Opfer rasant an Tempo gewonnen.1 Der rechtliche Rahmen von Wiedergutmachungsansprüchen entstand nicht isoliert auf der Ebene des Völkerstrafrechts, sondern wurde über Jahre hinweg in verschiedenen Bereichen des Völkerrechts und durch verschiedene Institutionen und Ebenen der internationalen Politik geprägt. Internationale Instrumente mit verschiedenen Schutzrichtungen und Gerichte mit nicht vergleichbaren Jurisdiktionen haben sich mit der Frage der Opferentschädigung beschäftigt. Die Geschichte des Rechts der Reparationen entwickelte sich dementsprechend nicht gradlinig – es ist vielmehr Stückwerk in verschiedenen Bereichen und damit geprägt von unterschiedlichen Schutzrichtungen und Parteien. Folglich wäre es zu kurz gegriffen, die Genese des Rechts der Wiedergutmachung im Völkerstrafrecht isoliert zu betrachten. Für ein Verständnis der sich am IStGH herauskristallisierenden Herausforderungen ist es notwendig, sich die Entwicklung auch in den anderen Bereichen kurz vor Augen zu führen: Ausgehend von dem klassischen Verständnis des Völkerrechts, in dem Staaten alleinige Akteure und Einzelne keine Völkerrechtssubjekte mit Rechten und Pflichten sind, erfolgte die notwendige Entwicklung weg vom rein staatszentrierten Völkerrecht hin zum Anspruch der Opfer von Makrokriminalität auf Reparationen gegen einen einzelnen Täter in einem völkerstrafrechtlichen Verfahren auf mehreren Ebenen. Auf der einen Ebene verschob sich die rein staatliche völkerrechtliche Verantwortlichkeit hin zu einer auch individuellen Verantwortlichkeit; der einzelne Täter wurde Adressat strafbewehrter Handlungs- und Unterlassungspflichten und Wiedergutmachungsforderungen. Auf der anderen Ebene wandelte sich zudem das Verständnis vom Staat als einzig völkerrechtlich Verletzten, Kläger und Anspruchsteller hin zum völkerrechtlich verletzten Individuum und Anspruchsberechtigten.

1 Vgl. Buxbaum, A Legal History of International Reparations, Berkeley J. Int’l Law 23 (2005), 314.

1. Staatenberechtigung im Völkerrecht

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Diese Genese fand in mehreren Bereichen statt, beginnend im allgemeinen Völkerrecht und dem humanitären Völkerrecht, fortgesetzt im allgemeinen Menschenrechtsschutz bis hin zum Völkerstrafrecht.

1. Staatenberechtigung im Völkerrecht Die Anerkennung eines Rechts auf Wiedergutmachung ist dem allgemeinen Völkerrecht nicht neu. Schon im Jahre 1928 erklärte der Ständige Internationale Gerichtshof (StIGH) in seiner vielzitierten Entscheidung „Factory of Chorzow“, es sei ein Grundprinzip des Völkerrechts und eine Grundkonzeption des Rechts, dass einer Verletzung eine Pflicht zur Wiedergutmachung folge: „… it is a principle in international law, and even a general conception of law, that any breach of an engagement involves an obligation to make reparation.“2

Die Entscheidung erging in einem Streit zwischen zwei Staaten, ihr lag ein Disput zwischen dem Deutschen Reich und Polen zugrunde, allein das zwischenstaatliche Verhältnis war entscheidend. Das einzelne Opfer, der Mensch als Individuum, hat nach dem Grundsatz der Objekttheorie des klassischen Völkerrechts keine Völkerrechtssubjektivität, sondern wird nur über das Medium des Staates mit dem Völkerrecht verbunden.3 Lag eine Rechtsverletzung eines Staatsangehörigen vor, die einem anderen Staat zuzurechnen war, war es einzig dem Heimatstaat möglich, den Schaden seines Bürgers als eigenes Recht gegen den Verletzerstaat geltend zu machen.4 Diesem Grundsatz folgend, wurden auch nach dem Zweiten Weltkrieg die Reparationsverhandlungen zwischen dem Deutschen Reich und den Siegermächten mit dem Blick auf zwischenstaatliche Reparationen geführt;5 das Pariser Reparationsabkommen vom 14. Januar 1946 zur Aufteilung von Reparationsansprüchen gegen das Deutsche Reich sah keine Entschädigungsansprüche einzelner Opfer vor, sondern nannte lediglich Staaten als Begünstigte.6 Die Stellung des Individuums hat sich im Bereich des allgemeinen Völkerrechts auch seitdem nicht bemerkenswert verändert: Weder aus Völkergewohnheitsrecht noch in völkerrechtlichen Verträgen haben Individuen durchsetzbare Ansprüche 2

Ständiger Internationaler Gerichtshof (StIGH), Chorzo´w (Germany v. Poland), Urt. v. 13. 09. 1928, P.C.I.J. 1928, Serie A, Nr. 17, Seite 29. 3 Ipsen, Völkerrecht, S. 308. 4 de Vattel, The Law of Nations – Volume II, Chapter IV, § 51; StIGH, Mavrommatis Palestine Concessions (Greece v. United Kingdom), Urt. v. 30. 08. 1924, P.C.I.J. 1924, Serie A, Nr. 2, Seite 12; zu dem Konzept der sog. „Mediatisierung des Individuums“ auch Ipsen, Völkerrecht, S. 308. 5 Siehe dazu: Buxbaum, From Paris to London: The Legal History of European Reparation Claims: 1946 – 1953, Berkeley J. Int’l Law 31 (2013), 323 (323). 6 Siehe: Buxbaum, Berkeley J. Int’l Law 23 (2005), 314 (323).

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II. Die Genese des Rechts der Reparationen bis zur Reparationsstruktur

gegen Staaten, solche sind weiterhin lediglich auf der Ebene des nationalen Rechts möglich.7

2. Mittelbarer internationaler Schutz – humanitäres Völkerrecht Im humanitären Völkerrecht, einem Rechtsgebiet, in dem es anders als im klassischen Völkerrecht um den Schutz von Menschen – insbesondere von Zivilisten in bewaffneten Konflikten – geht, ist die Verletzung der Rechte eines Individuums durch den Verstoß gegen Kriegsvölkerrecht Grundlage für einen Ausgleichsanspruch. Trotzdem entwickelte sich die Anerkennung der Rechte Einzelner und die Anerkennung einer rechtlich bedeutsamen Opferstellung im humanitären Völkerrecht verglichen mit anderen Bereichen besonders langsam. Auch hier gilt der klassische Grundsatz, dass die Geltendmachung von Wiedergutmachung auf einer zwischenstaatlichen Ebene geschieht.8 Das Abkommen betreffend die Gesetze und Gebräuche des Landkriegs vom 18. Oktober 1907 (Haager Landkriegsordnung, HLKO) findet „nur zwischen den Vertragsmächten Anwendung“ und sieht mithin lediglich die Möglichkeit vor, dass eine Kriegspartei der anderen Kriegspartei Schadensersatz schuldet.9 In dem Genfer Abkommen von 1949 wird dem Einzelnen zwar vorsichtig Kompensation wegen eines Arbeitsunfalls oder einer durch die Arbeit verursachten Invalidität zugesprochen, aber auch hier liegt es an dem Staat als Schutzmacht, den Schaden geltend zu machen.10 In Art. 91 des Zusatzprotokolls zur Genfer Konvention wird die Verpflichtung zur Wiedergutmachung erneut festgeschrieben.11 Die Rechte des einzelnen Opfers werden indes nicht ausgeweitet; es ist weiterhin allein die Schutzmacht, die Entschädigung wegen illegalen Verhaltens als verletzte Vertragsmacht geltend machen kann.12 7

Siehe dazu: Randelzhofer, in: Randelzhofer/Tomuschat (Hrsg.), State Responsibility and the Individual Reparation, S. 231. 8 BVerfG, Beschl. v. 15. 2. 2006 – 2 BvR 1476/03 (NJW 2006, 2542 [2543]). 9 Art. 3 des Haager Übereinkommens vom 18. 10. 1907: „A belligerent party which violates the provisions of the said Regulations shall, if the case demands, be liable to pay compensation. It shall be responsible for all acts committed by persons forming part of its armed forces.“ 10 Genfer Abkommen vom 12. August 1949 über die Behandlung der Kriegsgefangenen.“ 11 Art. 91: „A Party to the conflict which violates the provisions of the Conventions or of this Protocol shall, if the case demands, be liable to pay compensation. It shall be responsible for all acts committed by persons forming part of its armed forces.“ 12 Vgl. International Committee of the Red Cross, Commentary of 1987 zu Art. 91, https:// ihl-databases.icrc.org/applic/ihl/ihl.nsf/1a13044f3bbb5b8ec12563fb0066f226/1066af25ed6694 09c12563cd00438071, abgerufen am 15. Dezember 2015. Teilweise wird vertreten, dass Art. 3 der Genfer Konvention IV and Art. 91 des Zusatzprotokolls eine Pflicht zur Wiedergutmachung gegenüber individuellen Opfern wegen der Verletzung von Regelungen des humanitären Völkerrechts in internationalen bewaffneten

2. Mittelbarer internationaler Schutz – humanitäres Völkerrecht

19

Auch bei der Verletzung von Menschenrechten konnte der Einzelne zum Zeitpunkt des zweiten Weltkriegs „weder die Feststellung des Unrechts noch einen Unrechtsausgleich verlangen.“13 Das verletzte Individuum hatte nach dem Völkerrecht auch keinen subjektiven, durchsetzbaren Anspruch darauf, dass sein Heimatstaat den diplomatischen Schutz ausübt und dem Opfer so mittelbaren Schutz zukommen lässt.14 Ob Opfern heutzutage ein individuelles Recht auf Wiedergutmachung aus den Instrumenten des Völkergewohnheitsrechts zusteht, ist sehr fraglich. Bekanntermaßen ist für die Entstehung einer Regel im Völkergewohnheitsrecht notwendig, dass eine gemeinsame Übung aufgrund einer übereinstimmenden gemeinsamen Rechtsüberzeugung (opinio iuris sive necessitatis) der Staaten vorliegt.15 Bei der Bestimmung der Staatenpraxis als objektiver Entstehungskomponente ist das gesamte offizielle Verhalten des Staates heranzuziehen, soweit das Verhalten einen völkerrechtlichen Bezug aufweist.16 Einzubeziehen sind mithin sämtliche Maßnahmen des Gesetzgebers, Gerichtsentscheidungen, offizielle Erklärungen von staatlichen Vertretern, aber auch die Vertragspraxis. Die Übung muss einheitlich, verbreitet und dauerhaft sein. Die zusätzlich notwendige entsprechende Überzeugung als subjektive Entstehungskomponente ist nicht immer scharf von der StaaKonflikten, siehe Greenwood, in: Fleck (Hrsg.), The Handbook of International Humanitarian Law, S. 250; Kalshoven, State Responsibility for Warlike Acts of the Armed Forces, International and Comparative Law Quarterly 40 (1991), 827 (830); Pisillo Mazzeschi, Reparations Claims by Individuals for State Breaches of Humanitarian Law and Human Rights: An Overview, JICJ 1 (2003), 339 (341). Die Entscheidung „Advisory Opinion Wall“ wird teilweise herangezogen, um diese Meinung zu untermauern, da Israel veruteilt wurde, Reparationen an natürliche und juristische Personen im Palästinensergebiet zu zahlen. O’Keefe legt überzeugend dar, dass das Argument auch das Gegenteil bedeuten kann, da das Gericht in der Entscheidung gerade mit der Schwierigkeit konfrontiert war, dass kein Staat als Völkerrechtssubjekt Partei war, der Begünstigter der Reparationsentscheidung hätte sein können, siehe O’Keefe, Legal Consequences of the Construction of a Wall in the Occupied Palestinian Territory: A Commentary, RBDI 37 (2004), 92 (136 – 140). Im Ergebnis spricht nichts dafür, dass Art. 91 des Zusatzprotokolls über Art. 3 der Haager Landkriegsordnung und damit nach ihrem Inhalt über den Wortlaut des StIGH in der Entscheidung zu Chorzów hinausgehen sollte, so auch BGH, Urt. v. 02. 11. 2006 – III ZR 190/05 Rn. 12 (BGHZ 169, 348), unter Berufung auf die Official Records der Konferenz, die das Zusatzprotokoll erarbeitet hat. 13 BGH, Urt. v. 26. 06. 2003 – III ZR 245/98 („Distomo“) (BGHZ 155, 279). 14 BGH, Urt. v. 26. 06. 2003 – III ZR 245/98 („Distomo“) (BGHZ 155, 279). 15 § 38 Abs. 1 lit. b) IGH Statut: „general practice accepted as law“; der IGH führt in North Sea Continental Shelf (Federal Republic of Germany v. Denmark and Federal Republic of Germany v. the Netherlands), 1969 IGH Report 3, 44, Rn. 77 aus: „Not only must the acts concerned amount to a settled practice, but they must also be such, or be carried out in such a way, as to be evidence of a belief that this practice is rendered obligatory by the existence of a rule of law requiring it.“ 16 Einzubeziehen sind sämtliche Maßnahmen, wie solche des Gesetzgebers, Gerichtsentscheidungen, offizielle Erklärungen von staatlichen Vertretern, aber auch Vertragspraxis kann ein Hinweis sein. Die Übung muss einheitlich, verbreitet und dauerhaft sein, siehe Werle, Völkerstrafrecht, S. 141 unter Veweis auf Crawford, Brownlie’s Principles of Public International Law, S. 6 ff.

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II. Die Genese des Rechts der Reparationen bis zur Reparationsstruktur

tenpraxis zu trennen, da ein Verhalten eines Staates durchaus als Ausdruck einer Staatenpraxis mit der entsprechenden opinio juris verstanden werden kann.17 In einer Studie des International Committee of the Red Cross (ICRC) von 2005 wird vertreten, dass ein „Trend“ zur Entwicklung eines gewohnheitsrechtlichen Anspruchs des Individuums auf Reparationen für Verletzungen von Regeln des humanitären Völkerrechts gegen den rechtwidrig handelnden Staat besteht. „There is an increasing trend in favour of enabling individual victims of violations of international humanitarian law to seek reparation directly from the responsible State.“18

Dieser Meinung kann entgegengehalten werden, dass reichlich wenig Staatenpraxis besteht, um eine solche gewohnheitsrechtliche Regel zu begründen. Generell zeigt sich eher eine große Zurückhaltung von Staaten, wenn ausländische Opfer Ansprüche wegen illegaler Akte der eigenen Truppen in bewaffneten Konflikten zu erstreiten versuchen.19 Bessere Aussichten auf Erfolg hat ein Anspruch eines Einzelnen auf Entschädigung nach heutigem Völkergewohnheitsrecht nach weit überwiegender Ansicht nur dann, wenn auch gleichzeitig eine Verletzung der Menschenrechte des Anspruchstellers gegeben ist.20

3. Menschenrechte – Staatenverantwortlichkeit zum Schutz des Individuums Die Entwicklung zur Anerkennung des Individuums als Völkerrechtssubjekt im Bereich des Internationalen Menschenrechtsschutzes ist zuletzt verhältnismäßig 17

Siehe Evans, The Right to Reparation, S. 39 f. Henckaerts/Doswald-Beck, Customary International Humanitarian Law, S. 541, die sich in der zitierten Staatenpraxis allerdings in erster Linie auf Reparationen aufgrund zwischenstaatlicher Verhältnisse oder anderer Vereinbarungen beziehen. 19 So Entscheidungen deutscher Gerichte: BGH, Urt. v. 26. 06. 2003 – III ZR 245/98 (BGHZ 155, 279); LG Bonn, Urt. v. 10. 12. 2003 – 1 O 361/02 (NJW 2004, 525); OLG Köln, Urt. v. 28. 07. 2005, 7 U 8/04 (NJW 2005, 2860); BVerfG, Beschl. v. 15. 2. 2006 – 2 BvR 1476/03 (NJW 2006, 2542), aber auch japanischer Gerichte, siehe Shin, Compensation for Victims of Wartime Atrocities: Recent Developments in Japan’s Case Law, JICJ 3 (2005), 187. Üblicher ist dagegen die Einsetzung von Schiedsgerichten und Claims Commissions auf der zwischenstaatlichen Ebene, die aber nur für die Abwicklungen von Ansprüchen wegen Verlust und Beschädigungen eingesetzt wurden, sobald die entstandenen Schäden von einer andern Autorität bereits festgestellt wurden, z. B. die US-Germany Mixed Claims Commission, die im Berliner Vertrag 1921 errichtet wurde, die UN Claims Commission (UNCC) zu der Invasion Kuwaits durch den Irak 1990 – 1991, die Eritrea-Ethiopia Claims Commission für Ansprüche aus dem Krieg zwischen 1989 und 2000. Generell zu Claims Commissions: Wühler, The Different Contexts in Which International Arbitration is Being Used – International claims Tribunals and Commissions, The Journal of World Investment & Trade 4 (2003), 379. 20 Siehe beispielsweise Bottigliero, Redress for Victims, S. 111 ff. 18

3. Menschenrechte – Staatenverantwortlichkeit zum Schutz des Individuums

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rasant vorangeschritten. Auf dieser Ebene nahm – angestoßen durch die Grauen des Zweiten Weltkriegs – in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts die Anerkennung der Völkerrechtssubjektivität des verletzten Individuums stetig zu. Insbesondere durch die Verabschiedung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (AEMR) durch die UN-Generalversammlung 1948 rückte der Einzelne und die Wiedergutmachung von Menschenrechtsverletzungen in den Fokus; Art. 8 der AEMR lautet: „Everyone has the right to an effective remedy by the competent national tribunals for acts violating the fundamental rights granted him by the constitution or by law.“21

Auch im Folgenden wurden universale und regionale Menschenrechtsinstrumente verabschiedet, deren Ziel es ist, Menschenrechtsverletzungen zu vermeiden.22 Adressat der Verpflichtung sind keine einzelnen Personen, sondern die Vertragsstaaten, die dafür Sorge zu tragen haben, dass die Rechte der Menschen geachtet werden, die sich auf ihren jeweiligen Hoheitsgebieten aufhalten und ihrer Gerichtsbarkeit unterstehen. Daraus erwächst dem Individuum eine Stellung, aus der es die Achtung seiner Rechte und Schutz durch den verpflichteten Staat verlangen kann. Verletzt der Staat seine Pflicht zum Schutz vor Rechtsverletzungen, steht dem Geschädigten ein Anspruch auf Entschädigung gegen den Staat zu.23 Mangels einer allgemeinen internationalen Instanz zur Durchsetzung von Menschenrechten fehlt aber häufig die Möglichkeit, effektiven Rechtsschutz zu erlangen. Dieser Umstand ist nach Ipsen bei der Prüfung der Völkerrechtssubjektivität aber ausschlaggebend: Es sei streng zu unterscheiden, ob eine Norm des Völkerrechts dem Individuum eine echte völkerrechtliche Berechtigung oder lediglich eine Begünstigung als Reflex der völkerrechtlichen Rechte und Pflichten eines Staates zuspricht.24 Nur dann, wenn dem Einzelnen ein Forum für die prozessuale Durchsetzung seines Rechts in einem völkerrechtlichen Verfahren gegen den rechtswidrig handelnden Staat eröffnet wird, kann von einer partiellen Völkerrechtssubjektivität gesprochen werden.25 Im Bereich der Menschenrechte hat die Mediatisierung des Einzelnen durch den Staat allerdings insoweit Korrekturen erfahren, als dass dem 21

Zum Status der AEMR als Völkergewohnheitsrecht siehe Hannum, The Status of the Universal Declaration of Human Rights in National and International Law, Ga. J. Int’l & Comp. L. 25 (1996), 316. Generell siehe die Studie des Sonderberichterstatters der UN-Menschenrechtskommission van Boven, Sub-Commission on Prevention of Discrimination and Protection of Minorities, Review of Further Developments in Fields Which The Sub-Commission has been Concerned, in: UN-Dok. E/CN.4/Sub.2/1993/8, III. 22 Siehe z. B. Universal Declaration of Human Rights (Art. 8), the International Covenant on Civil and Political Rights (Art. 2), the International Convention on the Elimination of All Forms of Racial Discrimination (Art. 6), the Convention against Torture and other Cruel, Inhuman or Degrading Treatment or Punishment (Art. 14) and the Convention on the Rights of the Child (Art. 39), zu finden unter: http://treaties.un.org/ (abgerufen am 27. Juli 2018). 23 Bassiouni, International Recognition of Victims’s Rights, Human Rights Law Review 6 (2006), 203 (216). 24 Ipsen, Völkerrecht, S. 309. 25 Ipsen, Völkerrecht, S. 309.

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II. Die Genese des Rechts der Reparationen bis zur Reparationsstruktur

Individuum eine partielle Völkerrechtssubjektivität auch schon dann zugesprochen werden kann, wenn es keine Möglichkeit der Durchsetzung seines Rechts vor einem internationalen Gericht hat, da die Menschenrechte als „genuine Begünstigung des Einzelnen aufzufassen“ sind.26 Mit dem Inkrafttreten der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) im Jahr 1953 wurde Opfern von Menschenrechtsverletzungen durch das in Art. 34 EMRK verbürgte Recht zur Anrufung des Gerichts und zur Geltendmachung von Reparationen zum ersten Mal der Status eines Geschädigten mit eigenen – auch prozessualen – Rechten gegeben.27 Auf dem Weg zur Anerkennung von völkerrechtlichen Ansprüchen eines Individuums gegen einen Staat und Schaffung eines Forums zur Geltendmachung derselben wurde mit diesem Schritt ein wichtiger Durchbruch der Mediatisierung erreicht. Auch die Amerikanische Menschenrechtskonvention (AMRK) sieht ein Recht auf Individualbeschwerde an die Inter-Amerikanische Menschenrechtskommission vor, die sodann den Inter-Amerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte (IAGMR) anrufen kann.28 In der Afrikanischen Charta der Rechte der Menschen und der Völker (Banjul-Charta)29 war zunächst lediglich die Einsetzung einer Menschenrechtskommission vorgesehen; mit Inkrafttreten des Protokolls wurde jedoch die Schaffung des Afrikanischen Gerichtshofes für Menschen- und Völkerrechte ermöglicht, der im Jahre 2006 zusammentrat.30 Auf regionaler Ebene sind für einzelne Opfern von Menschenrechtsverletzungen somit auch prozessuale Möglichkeiten geschaffen worden, ihre Rechte geltend zu machen. Neben der prozessualen Durchsetzbarkeit der Ansprüche Einzelner sind die regionalen Gerichtshöfe für Menschenrechte für die Formung des Rechts der Reparationen interessant: Die weitreichendsten und kreativsten Entscheidungen zu Re-

26 So BGH, Urt. v. 02. 11. 2006 – III ZR 190/05 (BGHZ 169, 348) unter Verweis auf BVerfG, Beschl. v. 15. 02. 2006 – 2 BvR 1476/03 (NJW 2006, 2542 [2543]). 27 Art. 41 der EMRK: „Stellt der Gerichtshof fest, dass diese Konvention oder die Protokolle dazu verletzt worden sind, und gestattet das innerstaatliche Recht der Hohen Vertragspartei nur eine unvollkommene Wiedergutmachung fu¨ r die Folgen dieser Verletzung, so spricht der Gerichtshof der verletzten Partei eine gerechte Entscha¨ digung zu, wenn dies notwendig ist.“ 28 Art. 25 der AMRK v. 18. 07. 1978 schreibt das Recht auf legal remedy fest, Art. 63 konkretisiert das Recht auf legal remedy und Kompensation, für eine allgemeine Übersicht: Davidson, The Inter-American Human Rights System, 1997. 29 African Charter on Human And Peoples’ Rights v. 27. 06. 1981. 30 Nach Art. 5 Abs. 3, 34 Abs. 6 des Protocol to the African Charter on Human And Peoples’ Rights on the Establishment of an African Court on Human And Peoples’ Rights ist eine Individualbeschwerde zum Gerichtshof nur dann möglich, wenn der jeweilige Staat bei der Ratifizierung eine Unterwerfungserklärung abgegeben hat. Zu Reparationen siehe Art. 27 des Protocol: „If the Court finds that there has been violation of a human or peoples’ rights, it shall make appropriate orders to remedy the violation, including the payment of fair compensation or reparation.“

3. Menschenrechte – Staatenverantwortlichkeit zum Schutz des Individuums

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parationen für Menschenrechtsverletzungen sind in diesen Foren ergangen.31 Der IAGMR hat in seiner Jurisprudenz über die Jahre die großzügigste Entwicklung hinsichtlich der Rechte der Einzelnen erkennen lassen.32 So stellte das Gericht einen Bezug zum berühmten dictum in Chorzow her und führte aus, der Inhalt des Art. 63 der AMRK kodifiziere eine Regel des Völkergewohnheitsrechts.33 Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat sich in einer Vielzahl seiner Entscheidungen mit Reparationsfragen beschäftigt, war in seiner Rechtsprechung aber zurückhaltender als der IAGMR.34 Das Gericht bezog sich auf Art. 13 EMRK und sprach Kompensation dort zu „where appropriate“,35 nicht jedes illegale Verhalten berechtigt mithin zu Entschädigung. Doch auch der EGMR erkennt eine gewohnheitsrechtliche Entschädigungspflicht des Staates gegenüber den verletzten Individuen an.36 Der EGMR hat bereits Reparationen aus bewaffneten Konflikten in Tschetschenien, der Türkei, Zypern und Georgien zugesprochen.37 Die opferfreundliche Interpretation der Reparationsverpflichtungen durch die regionalen Menschenrechtsgerichte, insbesondere durch den IAGMR, wurde von den Interessenvertretungen der Opfer hoffnungsvoll zur Kenntnis genommen und als Vorbild für Reparationen in völkerstrafrechtlichen Verfahren deklariert.38 Aus Opfersicht wäre eine pauschalisierte Übertragung von Annahmen des IAGMR auf den IStGH sicher mehr als verständlich. Nicht aus den Augen zu verlieren ist jedoch die Tatsache, dass die Menschenrechtsgerichte ein Mandat für die Verurteilung von Staaten zu Reparationsleistungen haben – nicht einzelner Täter. Dieser Unterschied ist für die rechtlichen Möglichkeiten und deren Inhalt und Umfang wichtig,39 worauf vertieft unter IV. eingegangen werden wird. Neben der Jurisprudenz der regionalen menschenrechtlichen Gerichte wurde die Verschriftlichung der Staatenverantwortlichkeit hinsichtlich der Völkerrechtssubjektivität des Individuums und eines sekundärrechtlichen Anspruchs auf Repara-

31 Zum IAGMR: Evans, The Right to Reparation, S. 66 ff.; Cassel, in: de Feyter et al. (Hrsg.), Out of the Ashes – Reparation for Victims of Gross and Systematic Human Rights Violations, S. 191 – 223; zum EGMR siehe Evans, S. 57 ff. 32 Vgl. Evans, The Right to Reparation, S. 66 ff. 33 IAGMR, Baldeón-García v. Peru, Merits Reps and Costs, Urt. v. 6. April 2006, Rn. 175. 34 Vgl. dazu: McCarthy, Reparations and Victim Support, S. 15. 35 EGMR, Tanrikulu v. Turkey, Merits, Grand Chamber, Urt. v. 8 Juli 1999, 30 EHRR 950, Rn. 117. 36 Die Sprache ist ähnlich wie in der Chorzów-Entscheidung: EGMR, Tanrikulu v. Turkey, Merits, Grand Chamber, Urt. v. 8 Juli 1999, 30 EHRR 950, Rn. 117. 37 McCarthy, Reparations and Victim Support, S. 16, mit Verweis auf unveröffentlichte Entscheidungen. 38 Differenziert dazu: Cohen, Reparations at the International Criminal Court: Lessons from the Inter-American Court of Human Rights, Journal of the Brazilian Institute of Human Rights 12 (2013), 295. 39 So auch Cohen, Journal of the Brazilian Institute of Human Rights 12 (2013), 295 (297).

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II. Die Genese des Rechts der Reparationen bis zur Reparationsstruktur

tionen auch in verschiedenen nicht rechtsverbindlichen UN-Instrumenten (sogenannten Soft Laws) fortgesetzt. Im Jahr 2001 legte die Völkerrechtskommission der United Nations (UN), die International Law Commission (ILC)40, einen Entwurf zum Recht der Staatenverantwortlichkeit, die ILC Draft Articles for State Reponsibility (Draft Articles), vor.41 Die Thematik entpuppte sich als so umstritten, dass die ILC 50 Jahre brauchte, um den Entwurf zu erarbeiten und darüber abzustimmen.42 Nach den Draft Articles liegt eine Verantwortlichkeit der Staaten43 bei einem durch Handeln oder Unterlassen (Art. 2) verursachten Bruch einer primären Pflicht des Völkerrechts vor. Die Draft Articles kodifizieren jedoch lediglich die sekundärrechtliche Ebene; verletzten Individuen werden in den Draft Articles keine individuellen Ansprüche zugeschrieben: Art. 42 ff. beziehen sich lediglich auf den zwischenstaatlichen Ausgleich für den Verstoß gegen völkerrechtliche Regelungen. Die offizielle Kommentierung zu Art. 33 der Draft Articles erwähnt zwar, dass Ansprüche aufgrund von Menschenrechtsverletzungen auch bestehen können, wenn der primär Begünstigte kein Staat ist; Art. 33 Abs. 2 zeigt diese Möglichlkeit jedoch nur äußerst zurückhaltend auf.44 Bindenden Charakter haben die Draft Articles nur insoweit, als sie bestehendes Völkergewohnheitsrecht kodifizieren, gleichwohl werden sie bereits in ihrem aktuellen Entwurfstatus in der Rechtsprechung zitiert.45 Inhaltlich werden die Draft Articles beschrieben als eine Kombination von Kodifikation und progressiver Entwicklung der Staatenverantwortlichkeit.46 Hinsichtlich der Anerkennung der Rechte des Individuums sind zudem die ebenfalls nicht rechtlich bindenden Grundprinzipien und Leitlinien betreffend das Recht der Opfer von Verletzungen internationaler Menschenrechtsnormen oder des 40 Die International Law Commission (ILC) ist eine durch die UN im Jahre 1948 eingerichtete Kommission mit dem Auftrag zur Kodifizierung und Fortentwicklung des Völkerrechts, siehe die Webseite: https://legal.un.org/ilc/ (abgerufen am 15. Juli 2019). 41 Vgl. Anlage zur Resolution 56/83 der Generalversammlung der UN v. 12. 12. 2001; siehe dazu grundsätzlich: Crawford, The International Law Commission’s Articles on State Responsibility – Introduction, Text and Commentaries, Cambridge 2002; Shelton, Righting Wrongs: Reparation in the Articles on State Responsibility, The American Journal of International Law 96 (2002), 833. 42 Siehe dazu auch: Echeverria, in: The International Bureau of the Permanent Court of Arbitration (Hrsg.), Redressing Injustices Through Mass Claim Processes, S. 299 – 322. 43 ILC, Draft articles on Responsibility of States for Internationally Wrongful Acts, with commentaries, Art. 33, http://legal.un.org/ilc/texts/instruments/english/commentaries/9_6_2 001.pdf (abgerufen am 24. März 2019). 44 ILC, Draft articles on Responsibility of States for Internationally Wrongful Acts, with commentaries, Art. 33. 45 Siehe dazu: Shelton, The American Journal of International Law 96 (2002), 833 (834). 46 Evans, The Right to Reparation, S. 27; ILC, Draft articles on Responsibility of States for Internationally Wrongful Acts, with commentaries, S. 31.

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humanitären Völkerrechtes auf Rechtsschutz und Wiedergutmachung, die Basic Principles and Guidelines on the Right to a Remedy and Reparations47 (Basic Principles), hervorzuheben, die die UN-Generalversammlung am 16. Dezember 2005 (Resolution 60/147) verabschiedete, nachdem sie über einen Zeitraum von 15 Jahren entwickelt worden waren. Vom BGH wurden diese Artikel als „zukunftsgerichtete Bestrebungen“ bezeichnet,48 was im Hinblick auf Absatz 8 der Präambel auch nicht anders verstanden werden kann.49 Die Artikel sind sehr allgemein gehalten, werden aber als Benchmark in der Rechtsentwicklung bezeichnet, da sie die Modalitäten von Reparationen, inklusive Restitution, Rehabilitation, Satisfaktion und der Garantie der Nicht-Wiederholung, festschreiben.50 An anderer Stelle wird herausgestellt, dass die Basic Principles das individuenzentrierte Recht der Reparationen strukturieren und so für Staaten und andere Institutionen als Richtlinie wichtigen Input geben können.51 Die Frage, ob einzelne Opfer von schweren Menschenrechtsverletzungen einen völkergewohnheitsrechtlichen Anspruch auf Wiedergutmachung haben, wird in der Literatur überwiegend positiv beantwortet, wobei dieser Anspruch teilweise als in der Entstehung befindlich, teilweise schon als etabliert angesehen wird.52

4. Völkerstrafrecht – der Täter als Völkerrechtssubjekt Nachdem die Anerkennung des individuellen Opfers als Völkerrechtssubjekt auf der Ebene des Internationalen Menschenrechtsschutzes nach dem Zweiten Weltkrieg vorangeschritten war, erfolgte auch die Individualisierung von völkerstrafrechtlicher Verantwortung. Hans Kelsen fasste im Jahre 1943 noch die traditionelle Sicht auf die Verantwortlichkeit für die Verstöße gegen das Kriegsrecht zusammen.53 Er führte aus, der Unterschied zwischen einer Bestrafung unter nationalem Recht und der 47

Grundprinzipien und Leitlinien betreffen das Recht der Opfer von groben Verletzungen der Internationalen Menschenrechtsnormen und schweren Verstößen gegen das humanitäre Völkerrecht auf Rechtsschutz und Wiedergutmachung. 48 BGH, Urt. v. 02. 11. 2006 – III ZR 190/05 (BGHZ 169, 348 – 364). 49 Absatz 7 der Präambel: „Emphasizing that the Basic Principles and Guidelines contained herein do not entail new international or domestic legal obligations but identify mechanisms, modalities, procedures and methods for the implementation of existing legal obligations under international human rights law and international humanitarian law which are complementary though different as to their norms, (…).“ 50 Siehe: van Boven, in: Ferstman et al. (Hrsg.), Reparations for Victims of Genocide, War Crimes and Crimes against Humanity, S. 19 – 40; Bassiouni, Human Rights Law Review 6 (2006), 203. 51 Zwangenburg, The van Boven/Bassiouni Principles: An Appraisal, Netherlands Quarterly of Human Rights 24 (2006), S. 641. 52 Evans, The Right to Reparation, S. 39. 53 Kelsen, Collective and Individual Responsibility in International Law with Particular Regard to the Punishment of War Criminals, California Law Review 31 (1943), S. 530.

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Sanktionierung im Völkerrecht liege darin, dass die Bestrafung im nationalen Strafrecht eine individuelle, die speziellen Sanktionen im Völkerrecht hingegen eine kollektive Verantwortung begründen würde.54 Da jedoch das Bedürfnis der Bestrafung von Kriegsverbrechen auf eine individuelle Verantwortlichkeit ziele, sei es unmöglich, dies mit Mitteln des Völkerrechts durchzusetzen.55 Andere argumentierten, lediglich ein Individuum, welches als Organ eines Staates handele, könne sich hinter dem abstrakten Konstrukt des Staates verstecken und forderten daher eine Individualisierung der Verantwortlichkeit für Kriegsverbrechen. Schließlich seien die Regeln des Krieges bindend für Menschen, nicht für unpersönliche Körperschaften.56 Durch das Londoner Viermächte-Abkommen vom 8. August 1945, das den Internationalen Militärgerichtshof (IMG) in Nürnberg zur Verurteilung der sog. Hauptkriegsverbrecher hervorbrachte, wurde die Individualisierung von Verantwortung für internationale Verbrechen erstmalig beschlossen und festgeschrieben. Der IMG kann als erstes völkerstrafrechtliches Gericht betrachtet werden.57 Der amerikanische Chefankläger Robert H. Jackson fasste die Individualisierung in Worte: „Crimes always are committed only by persons. While it is quite proper to employ the fiction of responsibility of a state or corporation for the purpose of imposing a collective liability, it is quite intolerable to let such a legalism become the basis of personal immunity.“58

Damit war der Grundstein für die Anerkennung der persönlichen Verantwortlichkeit einzelner Täter im Völker(straf)recht gelegt. Die Pflicht der Täter von Makroverbrechen zur Opferentschädigung sollte allerdings erst später nachfolgen.

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Kelsen, California Law Review 31 (1943), S. 530. Kelsen, California Law Review 31 (1943), 530. 56 Lauterpacht, The Law of Nations and the Punishment of War Crimes, BYIL 21 (1945), 58; siehe auch: Koskenniemi, Hersch Lauterpacht and the Development of International Criminal Law, JICJ 2 (2004), 810; Schneeberger, The responsibility of the individual under international law, The Georgetown Law Journal 35 (1947), 481. 57 Der amerikanische Chefankläger Robert Jackson in seiner Eröffnungsrede am 21. November 1945: „Dass vier große Nationen, erfüllt von ihrem Siege und schmerzlich gepeinigt von dem geschehenen Unrecht, nicht Rache üben, sondern ihre gefangenen Feinde freiwillig dem Richtspruch des Gesetzes übergeben, ist eines der bedeutsamsten Zugeständnisse, das die Macht jemals der Vernunft eingeräumt hat.“ 58 Eröffnungsrede in Nürnberg am 21. November 1945: Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Militärgerichtshof Nürnberg 14. November 1945 – 1. Oktober 1946, S. 223; in deutscher Version lautet es: „Verbrechen werden immer nur von Einzelpersonen begangen. Während es nun aber durchaus zulässig ist, die Verantwortlichkeit eines Staates oder einer Körperschaft anzunehmen, um eine gemeinsame Haftung zu schaffen, ist es völlig unerträglich, aus einem solchen Denken nach dem Buchstaben des Gesetzes eine persönliche Straffreiheit abzuleiten.“ 55

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a) Reparationen in internationalen/-isierten Gerichten Nach der Anerkennung der völkerrechtlichen Verantwortlichkeit Einzelner durch den IMG und anschließend auch den Internationalen Militärgerichtshof für den Fernen Osten in Tokio folgte nicht automatisch die Schaffung von Foren für die Geltendmachung von Wiedergutmachungsansprüchen einzelner Geschädigter. Die Entwicklung im Völkerstrafrecht pausierte zunächst für einige Jahrzehnte, setzte sich aber dann in den internationalen/-isierten Gerichten Ende des 20. Jahrhunderts fort und brachte auch die Opfer – langsam, aber stetig –zunehmend in den Fokus. aa) Die Stellung der Opfer im System der Ad-hoc-Strafgerichtshöfe für Ruanda und das ehemalige Jugoslawien Nachdem die Militärtribunale in Nürnberg59 und Tokio Opfer nicht einmal erwähnten,60 wurde die Debatte durch die Gründung des Internationalen Strafgerichtshofs für das ehemalige Jugoslawien (International Criminal Tribunal for the former Yugoslavia, ICTY) im Jahre 199361 und des Internationalen Strafgerichtshof für Ruanda (International Criminal Tribunal for Rwanda, ICTR) im Jahre 199462 wiederbelebt. Beide Ad-hoc-Gerichte wiesen zwar keine Regime zur Opferentschädigung auf, die Statute erwähnten jedoch die Belange von Opfern. In den die Gerichte zum Leben erweckenden Resolutionen des UN-Sicherheitsrates wurden die verfolgten Ziele nicht eindeutig formuliert; es scheint aber als sei eine Opferentschädigung vor ihnen nicht gewollt gewesen. So hieß es in der Resolution 827 zum ICTY, der alleinige Zweck der Errichtung des Gerichtshofes sei: „prosecuting persons responsible for serious violations of international humanitarian law.“63

In der Gründungsresolution 955 für den ICTR wiederholte sich der Sicherheitsrat, fügte aber noch hinzu, dass „contribution to the process of national reconciliation“ ebenfalls eines der Ziele sei.64 Anfänglich war das Statut des ICTY (Statute of the International Criminal Tribunal for the former Yugoslavia, ICTY-Statut) – wie traditionell in Fällen internationaler hybrider Strafgerichte65 – bezüglich des Verfahrensrechts in weiten Teilen an

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Siehe dazu Garkawe, in: Reginbogin et al. (Hrsg.), The Nuremberg Trials, S. 86 – 94. Zappalà, Human Rights in International Criminal Proceedings, S. 220. 61 Geschaffen wurde der ICTY durch Resolution 827 des UN-Sicherheitsrates (S/Res/827 [1993]) und ist zuständig für die Verfolgung der Verbrechen des Jugoslawienkrieges seit 1991. 62 Der ICTR wurde durch Resolution des UN-Sicherheitsrates am 8. November 1994 geschaffen mit der Zuständigkeit, die Verbrechen während des Völkermordes in Ruanda im Jahr 1994 aufzuarbeiten. 63 S/Res/827 (1993). 64 S/Res/955 (1994). 65 Vgl. Cassese, Cassese’s Interational Criminal Law, S. 366 – 388. 60

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den im Common Law üblichen adversatorischen Parteiprozess angelehnt.66 Vor dem Hintergrund ist das sehr restriktive Verständnis hinsichtlich der Opferrechte im Prozess verständlich, denn dem Common Law ist es fremd, Opferpartizipation und Schadensersatzansprüche von Opfern im Strafprozess zuzulassen; Opfer treten mithin lediglich als Zeugen auf.67 Zwar flossen in das ICTY-Statut zwischenzeitlich auch Elemente des inquisitorischen Verfahrens ein – eine Erweiterung der Opferrechte wurde trotzdem nicht durchgeführt. Die inhaltliche Ausgestaltung der Statute und der Rules of Procedure and Evidence (RPE) des ICTYund des ICTR waren weitgehend gleich. In beiden Statuten trugen Opfer lediglich passiv zum Verfahren bei und konnten als Zeugen gehört werden. Eine Referenz zu Reparationen sucht man hingegen vergeblich. Die Gerichte hatten nur das Recht, rechtswidrig erlangten Grund und Boden an den wahren Eigentümer zurückzugeben. Art. 24 Abs. 3 des ICTY-Statuts und Art. 23 Abs. 3 des Statute of the International Criminal Tribunal for Rwanda (ICTR-Statut) regelten dazu: „In addition to imprisonment, the Trial Chamber may order the return of any property and proceeds acquired by criminal conduct, including by means of duress, to their rightful owner.“68 Darüber hinaus konnten sie keine Wiedergutmachung zusprechen. Gemäß Regel 105 der RPE, die für beide Gerichte gleich lautete, konnte die Restitution von Grund und Boden jedoch nicht durch die Opfer selbst, sondern nur entweder durch den Ankläger oder durch die Hauptverfahrenskammer angestoßen werden. Der Erfolg dieser Möglichkeit spricht nicht für sich – von ihr wurde kein Gebrauch gemacht.69 Neben der abstrakten Regelung in Regel 105 sahen die RPE vor, dass Opfer vor nationalen Gerichten Entschädigung suchen sollten. Nach Regel 106 der RPE sollte der Registrar das durch die Gerichte gesprochene Urteil an die „relevant national authorities“ übersenden. Der in dem Urteil durch den ICTY/ICTR festgestellte haftungsbegründende Tatbestand für Schäden der Opfer sollte insoweit bindend für die nationalen Gerichte sein, die sodann über den Inhalt und Umfang des Schadensersatzes zu befinden hatten. Die nur sehr limitierten Kompetenzen des ICTR und ICTY im Hinblick auf die Opferentschädigung wurde an den Gerichten selbst kontrovers diskutiert. In den 90er Jahren fand ein entsprechender formaler Austausch zwischen den Richtern des ICTY und ICTR und dem UN-Sicherheitsrat zu der Frage statt, ob die Statute des ICTR und 66

Bottigliero, Redress for Victims, S. 194 – 246. Heikkilä, International Criminal Tribunals and Victims of Crime, S. 46 ff.; Safferling, Die Rolle des Opfers im Strafverfahren: Paradigmenwechsel im nationalen und internationalen Recht?, ZStW 122 (2010), 87. 68 Kritisch aufgrund der fehlenden Prioritisierung der Opfer am ICTY und ICTR: Zegveld, Victims Reparation Claims and International Criminal Courts – Incompatible Values, JICJ 8 (2010), 79 und Evans, The Right to Reparation. 69 Malmström, in: May (Hrsg.), Essays on ICTY Procedure and Evidence, S. 373 – 384. 67

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des ICTY um ein Reparationsmandat für Geschädigte erweitert werden sollten.70 Hintergrund der Überlegungen waren Anträge der Anklage, sowohl in die Regeln des ICTY als auch des ICTR ein System der Opferentschädigung aufzunehmen.71 In einem Schreiben an den UN-Generalsekretär legte Richter am ICTY, Claude Jorda, dar, er erkenne ein Recht der Opfer auf Wiedergutmachung an, spreche sich aber im Ergebnis gegen eine Veränderung der Statute aus. Als maßgebliche Gründe für seine Einschätzung führte er die auf die Gerichte zusätzlich zukommende Arbeit bei der Behandlung von Reparationsansprüchen und die damit zwingend einhergehende Verlängerung der Verfahren an. Darüber hinaus gebe es aufgrund der Mittellosigkeit der Angeklagten keine Finanzierung etwaiger Entschädigungsprojekte. Zudem sei ein weiteres Problem, dass in Strafverfahren nicht alle Opfer gleichbehandelt werden könnten. Aufgrund der Selektion der Anklagepunkte könnten nämlich nur die wenigen Opfer potentiell Reparationen erhalten, die durch Taten geschädigt wurden, deren Täter wegen gerade dieser Taten angeklagt und verurteilt wurden. Das ließe große Teile der Opfer unberücksichtigt.72 Im Ergebnis regte Richter Jorda an, der Sicherheitsrat könne erwägen, eine Claims Commission einzurichten. Diese Anregung griff der UN-Sicherheitsrat allerdings nicht auf. Die durch Richter Jorda vorgebrachten Argumente stellen die grundlegenden Herausforderungen heraus, denen internationale/-isierte Gerichte mit Reparationsmandat begegnen. Vor dem Hintergrund der deutlichen Meinung der Richter der Gerichte zu Reparationen überrascht es daher nicht, dass in den Urteilen häufiger auf die in den Gründungsresolutionen des Sicherheitsrates genannten Ziele Bezug genommen wurde – namentlich Abschreckung und Retribution (durch Strafe ausgleichende Gerechtigkeit) –, während die Opferbelange im Hinblick auf Entschädigung auch dort keine große Rolle spielten.73 bb) Die Stellung der Opfer im System der hybriden Gerichte Die Reichweite der Geschädigtenrechte an hybriden Gerichten ist sehr unterschiedlich.74 Die größte Ähnlichkeit zu den Ad-hoc-Gerichtshöfen der UN weist der Sondergerichtshof für Sierra Leone (Special Court for Sierra Leone, SCSL) auf.75 70 Siehe Brief des UN-Generalsekretärs an den Präsidenten des Sicherheitsrates v. 02. 11. 2000 sowie den angehängten „Report on Victims Compensation and Participation“, S/2000/ 1063. 71 So auch die Ansprache des Sicherheitsrates durch OTP Carla del Ponte am 21. November 2000 in New York, zu finden unter: http://www.icty.org/en/press/address-security-council-carladel-ponte-prosecutor-international-criminal-tribunals-former (abgerufen am 9. Januar 2016). 72 Diese Punkte sind in der Tat auch diejenigen, mit denen der IStGH zu kämpfen hat, siehe unten. 73 ICTY, Prosecutor v. Tadic, Case No. IT-96 – 21-Y, Urteil v. 16. 11. 1998, Rn. 21; ICTR, Prosecutor v. Kayishema and Ruzindana, Case No. ICTR-95 – 1-T, Urteil v. 21. 06. 1999, Rn. 2. 74 Generell zu der Stellung von Opfern an international/isierten Gerichten siehe: Pérez León Acevedo, Victims’ Status at International and Hybrid Criminal Courts: Victims’ Status as Witnesses, Victims Participants/Civil Parties and Reparations Claimants, Åbo 2014.

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In Art. 16 des Statuts des SCSL (Statute of the Special Court for Sierra Leone, SCSL-Statut)76 wurde geregelt, dass die Kanzlei bei sich eine Victims and Witnesses Unit einzurichten hatte. Art. 19 sah auch die mögliche Restitution von Grund und Boden vor,77 vergleichbar mit den Regelungen der Ad-hoc-Gerichte: „The Trial Chamber may order the forfeiture of the property, proceeds and any assets aquired unlawfully or by criminal conduct, and their return to their rightful owner or to the State of Sierra Leone.“

Ein darüber hinausgehendes Mandat für Opferentschädigungen hatte der SCSL nicht. Auch die im Mai 2000 von dem Übergangsverwalter der UN in Osttimor eingerichteten78 Sonderkammern im Bezirksgericht von Dili (Special Panels of the Dili District Court), die damit unmittelbar in die timoresische Gerichtsbarkeit eingebunden sind, hatten kein Mandat für Reparationen.79 Neben dem IStGH haben nur zwei Gerichte ein Mandat im Hinblick auf Opferpartizipation: Die Außerordentlichen Kammern in Kambodscha (Extraordinary Chambers in the Courts of Cambodia, ECCC) und das Sondertribunal für Libanon (Special Tribunal for Lebanon, STL). Am STL80 besteht die Möglichkeit der Opferbeteiligung am Verfahren – jedoch in einem sehr eingeschränkten Umfang;81 ein Mandat für die Zuerkennung von Wie75

Der SCSL wurde aufgrund einer Vereinbarung zwischen der UN und Sierra Leone im Jahre 2002 eingerichtet und nicht, wie in den Fällen der Ad-hoc-Tribunale, durch den UNSicherheitsrat unter Berufung auf Kapitel 7 der UN-Charta ins Leben gerufen: Security Council Resolution, S/RES/1315, 14. 08. 2000, „(…), requests the Secretary-General to negotiate an agreement with the Government of Sierra Leone to create an independent special court (…)“. 76 Zu finden auf der offiziellen Webseite des Gerichts: http://www.rscsl.org/documents.html (abgerufen am18. Januar 2016). 77 Auch im Falle des Sondertribunals von Sierra Leone hat es keinen Fall von Restitution durch das Gerichtl gegeben. 78 In der Resolution des UN-Sicherheitsrates S/RES/1272 richtete der Sicherheitsrat die United Nations Transitional Administration in East Timor (UNTAET) ein und stattete UNTAET mit adminsitrativer und exekutiver Autorität aus, inklusive der „adminstration of justice“. 79 Die Special Panels wurden ins Leben gerufen zur Aburteilung von Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und einiger schwerer Straftaten nach dem nationalen Recht von Timor, soweit die Taten zwischen dem 1. Januar und 25. Oktober 1999 geschehen waren. Insbesondere sind Taten von proindonesischen Milizen nach dem Unabhängigkeitsreferendum im August 1999 erfasst. Die Special Panels haben ihre Arbeit im Mai 2004 beendet. Die Frage der Reparationen wurden der Truth Commission überlassen. 80 Das STL wurde auf Ersuchen der libanesischen Regierung durch Vereinbarung zwischen UN und der libanesischen Regierung geschaffen mit dem Ziel Aufarbeitung und Strafverfolgung der Verantwortlichen für das Attentat auf den früheren Ministerpräsidenten Rafiq al-Hariri am 14. Februar 2005. Mit seinem engen, auf ein Attentat begrenzten Mandat bildet das STL ein völkerstrafrechtliches Novum. 81 Siehe Art. 17 des STL-Statuts, nach dem betroffene Opfer ihre „views and concerns“ nach Zulassung durch das Gericht vortragen dürfen, solange der Vortrag nicht „inconsistent“

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dergutmachungen hat das STL nicht. Art. 25 des Statuts des STL (Statute of the Special Tribunal for Lebanon, STL-Statut) enthält wieder den Verweis auf nationale Gerichte.82 Das Gericht identifiziert die Opfer in seiner Gerichtsbarkeit, stellt den haftungsbegründenden Tatbestand der Opferentschädigung fest und übergibt die Fälle sodann an die nationalen Gerichte mit der Maßgabe, dass die Feststellungen des STL für das nationale Gericht bindend sind, Art. 25 Abs. 4 STL-Statut.83 Obwohl das STL erst 2005 gegründet wurde, treten die Belange der Opfer ungleich weiter in den Hintergrund als in den Statuten des IStGH und der ECCC: Wieder einmal sind Opfer am STL in erster Linie Zeugen; die Fragen der Kompensation wurde in sehr begrenztem Umfang an nationale Gerichte delegiert. Vor dem Hintergrund der Sonderstellung des STL, das gerade durch die Konzentration auf lediglich ein Attentat keine kollektive Viktimisierung und die üblicherweise im Völkerstrafrecht damit einhergehende Vielzahl von zu entschädigenden Opfern zu bewältigen hat, erschließt sich dieser Ansatz nicht. (1) Reparationen an den ECCC Ein prozessuales Forum für die Durchsetzung von Wiedergutmachungsansprüchen gegen völkerstrafrechtliche Täter wurde an einem internationalen Gericht erstmals an den ECCC geschaffen. Die ECCC wurden nach langjährigen Verhandlungen zwischen den UN und der Regierung Kambodschas84 im Juni 2003 durch ein bilaterales Abkommen85 mit dem mit dem Recht des Angeklagten ist. Weitere Ausgestaltung der Opferbeteiligung: siehe Art. 89 ff. der Rules of Procedure and Evidence. 82 Art. 25 STL-Statut lautet: „Compensation to victims 1. The Special Tribunal may identify victims who have suffered harm as a result of the commission of crimes by an accused convicted by the Tribunal. 2. The Registrar shall transmit to the competent authorities of the State concerned the judgement finding the accused guilty of a crime that has caused harm to a victim. 3. Based on the decision of the Special Tribunal and pursuant to the relevant national legislation, a victim or persons claiming through the victim, whether or not such victim had been identified as such by the Tribunal under paragraph 1 of this article, may bring an action in a national court or other competent body to obtain compensation. 4. For the purposes of a claim made under paragraph 3 of this article, the judgement of the Special Tribunal shall be final and binding as to the criminal responsibility of the convicted person.“ 83 Art. 25 Abs. 4 STL-Statut: „4. For the purposes of a claim made under paragraph 3 of this article, the judgement of the Special Tribunalshall be final and binding as to the criminal responsibility of the convicted person.“ 84 Die Regierung Kambodschas ersuchte die UN im Jahr 1997 um Unterstützung bei der Gründung eines Khmer Rouge-Tribunals. 85 Agreement between the United Nations and the Royal Governemnt of Cambodia Concerning the Prosecution under Cambodian Law of Crimes Committed during the Period of

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Mandat gegründet, die Verbrechen des Pol Pot Regimes zwischen April 1975 und Januar 1979 aufzuarbeiten.86 Die ECCC wurden als hybrides Gericht ausgestaltet und als eigenständige Sonderkammern in dem kambodschanischen Gerichtssystem verankert. Besetzt sind sie mit sowohl kambodschanischem als auch internationalem Personal. Anders als in den Sonderkammern in Osttimor und im Sondergericht für Sierra Leone87 sind die nationalen Richter in der Mehrheit. Allerdings ergeben die Abstimmungsregeln, dass immer mindestens ein internationaler Richter für eine Entscheidung stimmen muss.88 Die ECCC nahmen am 1. Juli 2006 ihre Arbeit auf. Das erste Verfahren (Case 001) wurde gegen Kaing Guek Eav alias Duch geführt, den Leiter des berüchtigten Foltergefängnisses Tuol Sleng und der Killing Fields, der sich für die Folterung und den Tod von 12.000 Menschen verantworten musste. Das Verfahren endete im Juli 2010 mit einer Verurteilung zu 35 Jahren Freiheitsstrafe wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und schweren Verstößen gegen die Genfer Konvention von 1949.89 In der Berufungsinstanz wurde das Urteil der Hauptverfahrenskammer aufgehoben; Duch wurde zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt.

Democratic Kampuchea, Agreement v. 06. 06. 2003: http://www.eccc.gov.kh/en/documents/le gal/united-nations-documents-related-extraordinary-chambers-courts-cambodia (abgerufen am 20. Januar 2016). Die Inhalte des Vertrages wurden in das nationale Recht durch das Gründungsgesetz des Gerichts implementiert: Law on the Establishment of the Extraordinary Chambers in the Courts of Cambodia for the Prosecution of Crimes committed during the Period of Democratic Kampuchea, Errichtungsstatut v. 27. 10. 2004, abrufbar unter: https://www.eccc. gov.kh/sites/default/files/legal-documents/KR_Law_as_amended_27_Oct_2004_Eng.pdf (abgerufen am 22. Juni 2020). 86 In der Zeit der brutalen Herrschaft der Roten Khmer vom 17. April 1975 und 7. Januar 1979 wurde in Kambodscha ein kommunistischer Agrarstaat geschaffen, in dem Bildung, Kultur und Religion verboten waren. Millionen Kambodschaner wurden aus den Städten auf das Land in Arbeitslager umgesiedelt. Krankenhäuser, Universitäten, Schulen und Geschäfte wurden geschlossen und in Gefängnisse und Camps umgewandelt, siehe: Gottesman, Cambodia After The Khmer Rouge – Inside the Politics of Nation Building, S. 25. Intellektuelle sowie Angehörige und Mitarbeiter der früheren Regierung galten als Gefahr für die Vision der Roten Khmer, Tausende wurden verhaftet und getötet. Siehe dazu Chandler, A History of Cambodia, S. 213 ff. Insgesamt kamen unter der Schreckensherrschaft der Roten Khmer nach Schätzungen der UN ca. 1,7 Millionen Kambodschaner durch Gewalt, Unterernährung und Zwangsarbeit ums Leben; die Zahlen der Todesopfer stehen nicht eindeutig fest und schwanken in den Darstellungen, siehe dazu Fawthrop/Jarvis, Getting Away with Genocide? Elusive Justice and the Khmer Rouge Tribunal, Sydney 2005. 87 Art. 11 des Status des Sondergerichtshofes für Sierra Leone. 88 Zu dem Charakter und den Besonderheiten der ECCC siehe: Kaufmann/Marschner, Eine kritische Bestandsaufnahme aktueller Entwicklungen der Außerordentlichen Kammern an den Gerichten von Kambodscha, ZIS 2001, S. 811 – 821. 89 Das Strafmaß wurde durch die Hauptverfahrenskammer jedoch wegen unzulässiger Inhaftierung durch den Cambodian Military Court auf 30 Jahre reduziert, unter Anrechnung der Untersuchungshaft wäre zum Zeitpunkt des Urteilsspruchs noch eine Freiheitsstrafe von 19 Jahren abzuleisten.

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Im zweiten Verfahren (Case 002) wurden hochrangige Funktionsträger unter den Roten Khmer zur Verantwortung gezogen: Ieng Sary (Außenminister unter Pol Pot), Ieng Thirith (Sozialministerin), Nuon Chea (ehemaliger Präsident der Nationalversammlung und „Brother Number 2“ in der Partei) und Kieu Samphan (Staatsoberhaupt in Kambodscha von 1976 bis 1979). Ieng Thirith wurde wegen ihrer Demenzerkrankung für verhandlungsunfähig erklärt und aus der Untersuchungshaft entlassen, ihr Ehemann Ieng Sary starb im März 2013; das Verfahren gegen ihn wurde daraufhin eingestellt. Case 002 wurde schließlich durch eine Severance Order in separate Verfahren unterteilt: Zunächst wurde die Zwangsumsiedlung der Bevölkerung verhandelt; das Verfahren endete für Nuon Chea und Kieu Samphan am 7. August 2014 mit jeweils lebenslangen Freiheitsstrafen. Andere Verbrechen sollten im Anschluss verhandelt werden. Opfer von Verbrechen innerhalb der Gerichtsbarkeit der ECCC können als Partei an Verfahren teilnehmen und als solche Reparationen beanspruchen.90 Die eigentlichen Rechtsgrundlagen des Gerichts91 enthalten jedoch noch keine selbstständigen Regelungen zur Opferbeteiligung und Entschädigungszahlungen; das Agreement enthält lediglich eine allgemeine Regelung zum Schutz von Opfern und Zeugen.92 Auch das Gründungsstatut enthält keine konkreten Regelungen zur Geschädigtenpartizipation; Art. 36 berechtigt Opfer jedoch zur Einlegung von Rechtsmitteln. Nach dem Willen der Parteien sollte das am französischen Recht angelehnte kambodschanische Prozessrecht gelten,93 welches wiederum die Möglichkeit der Nebenklägerbeteiligung als Civil Parties kennt. In den Internal Rules (IR) gestaltete das Gericht den Status der Civil Parties als grundlegende Form prozessualer Opferbeteiligung aus.

90 Die ECCC haben persönliche Zuständigkeiten für „senior leaders of Democratic Kampuchea and those who were most responsible for the crimes“, die zeitliche Zuständigkeit des ECCC wurde auf dem Zeitraum vom 17. April 1975 bis zum 6. Januar 1979 festgelegt, für unter anderem Genozid, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen. 91 Agreement between the United Nations and the Royal Government of Cambodia Concerning the Prosecution under Cambodian Law of Crimes Committed during the Period of Democratic Kampuchea, Agreement v. 06. 06. 2003. Die Inhalte des Vertrages wurden in das nationale Recht durch das Gründungsgesetz des Gerichts implementiert: Law on the Establishment of the Extraordinary Chambers in the Courts of Cambodia for the Prosecution of Crimes committed during the Period of Democratic Kampuchea, Errichtungsstatut v. 27. 10. 2004. 92 Art. 23 des Agreements. Dies ist nicht überraschend, da die Frage der Partizipationsrechte der Geschädigten während der Verhandlungen kaum diskutiert wurde, Kroker, Transitional Justice Policy in Practice: Victim Participation in the Khmer Rouge Tribunal, GYIL 53 (2010), 753 (763). 93 Art. 12 des Agreements liest sich: „The procedure shall be in accordance with Cambodian law. Where Cambodian law does not deal with a particular matter, or where there is uncertainty regarding the interpretation or application of a relevant rule of Cambodian law, or where there is a question regarding the consistency of such a rule with international standards, guidance may also be sought in procedural rules established at the international level.“

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II. Die Genese des Rechts der Reparationen bis zur Reparationsstruktur

In Regel 23 Abs. 1 der IR94 wird festgelegt: „The purpose of Civil Party action before the ECCC is to: a) Participate in criminal proceedings against those responsible for crimes within the jurisdiction of the ECCC by supporting the prosecution and b) Seek collective and moral reparations, as provided in this Rule“.95

Durch die im Errichtungsprozess des Gerichts verhältnismäßig späte Einführung der konkreten Opferrechte waren die ECCC völlig unvorbereitet, weder Personal noch ein Budget war für Opferpartizipation und Reparationsleistungen vorgesehen.96 An den ECCC ist – anders als am IStGH – die Geltendmachung von Reparationen nur für die Opfer möglich, die auch als Civil Parties am Verfahren teilnehmen.97 Die Partizipationsrechte der Opfer wurden zunächst relativ weitreichend ausgestaltet; so hatten die Civil Parties das Recht auf Akteneinsicht (Regel 86), das Recht, schriftliche Stellungnahmen abzugeben (Regel 92), und Angeklagte und Zeugen (Regel 90 und 91) zu befragen.98 Mit der Zeit legte die Kammer die Rechte der Civil Parties allerdings immer restriktiver aus.99

94 In der Fassung vom 11. September 2009 (Rev.4); die IR der ECCC sind zu finden unter: http://www.eccc.gov.kh/en/document/legal/internal-rules. 95 Regel 23 Abs. 11 und 12 führen darüber hinaus aus: „11. Subject to Article 39 of the ECCC Law, the Chambers may award only collective and moral reparations to Civil Parties. These shall be awarded against, and be borne by convicted persons. 12. Such awards may take the following forms: a) An order to publish the judgment in any appropriate news or other media at the convicted person’s expense; b) An order to fund any non-profit activity or service that is intended for the benefit of Victims; or c) Other appropriate and comparable forms of reparation.“ 96 Jarvis, Genocide Studies and Prevention: An International Journal 8 (2014), 19 (21). 97 Regel 23 IR der ECCC. 98 Die Opfer nutzten diese Rechte auch intensiv und hielten teilweise längere, nicht weiterführende Vorträge im Gerichtssaal, was das Gericht zum Anlass nahm, nur noch Anwälten das Rederecht zuzustehen, siehe Kroker, Zivilparteien im Völkerstrafverfahren – Eine Analyse der Opferbeteiligung an den Extraordinary Chambers in the Courts of Cambodia, S. 233; Hoven, Opfer im Völkerstrafrecht – Probleme der Nebenklägerbeteiligung am Rote-KhmerTribunal, ZStW 122 (2010), 706 (717 f.). 99 Die Hauptverfahrenskammer entschied z. B., dass das Partizipationsrecht der Civil Parties nicht beinhaltet, zum Strafmaß und Charakterzeugen für den Angeklagten vorzutragen, siehe Decision on Civil Party Co-Lawyers’ Joint Request for a Ruling on the Standing of Civil Party Lawyers to Make Submissions on Sentencing and Directions Concerning the Questioning of the Accused, Experts and Witnesses Testifying on Character, Kaing Guek Eav (0001/ 18-072007/ECCC/TC), Hauptverfahrenskammer, Entscheidung v. 09. 10. 2009. Darüber hinaus wurde ein faktischer Anwaltszwang eingeführt mit dem Ziel, Verfahrensverzögerungen zu minimieren, siehe dazu McGonigle, Victim Oriented Measures at International Criminal Institutions: Participation and its Pitfalls, ICLR 12 (2012), 375; Hoven, ZStW 122 (2010), 706.

4. Völkerstrafrecht – der Täter als Völkerrechtssubjekt

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Bei der Frage der Reparationen blieb undefiniert, welche Modalitäten für Entschädigungsanträge gelten und welchen Inhalt sie haben können. Die IR definieren „collective and moral reparations“ nicht, weswegen im Hauptverfahren des Case 001 die konkreten Voraussetzungen noch völlig unklar waren. Die Nebenklägervertreter forderten den Bau von Pagoden, Bildungsprogramme sowie psychologische und medizinische Behandlung für die Opfer.100 Diese Reparationsmaßnahmen lehnte die Kammer unter Verweis auf die mangelnde Spezifizierung sowie die fehlende Finanzierbarkeit ab.101 Als Reparationen wurde den Opfern in Case 001 lediglich eine Zusammenstellung ihrer Namen im Urteil gegen den Angeklagten und eine Zusammenstellung der öffentlichen Entschuldigungen des Angeklagten zugesprochen. Dieses Ergebnis des ersten völkerstrafrechtlichen Verfahrens mit Reparationen wurde teilweise stark kritisiert.102 Die Berufungskammer bestätigte trotz alledem das Urteil der Hauptverfahrenskammer hinsichtlich der Reparationen.103 Mit den Erfahrungen aus dem Hauptverfahren des Case 001 modifizierte die 7. und 8. Plenary Session des Gerichts 2010 die IR und veränderte das Modell der Nebenkläger grundlegend: Civil Parties wurden von nun an in einer „consolidated group“ zusammengefasst und im Gerichtssaal durch die sog. Lead-Co-Lawyer vertreten, einem internationalen und einem kambodschanischen Anwalt. Auch die Regelungen zu Reparationen wurden überarbeitet: Nunmehr sind lediglich „collective and moral reparations“ möglich. Die neu eingefügte Regel 23 konkretisiert die Voraussetzungen von Reparationen: „Rule 23 quinquies. Civil Party Claim 1. If an Accused is convicted, the Chambers may award only collective and moral reparations to Civil Parties. Collective and moral reparations for the purpose of these Rules are measures that: a) acknowledge the harm suffered by Civil Parties as a result of the commission of the crimes for which an Accused is convicted and b) provide benefits to the Civil Parties which address this harm. These benefits shall not take the form of monetary payments to Civil Parties. 2. Reparations shall be requested in a single submission, which may seek a limited number of awards. This submission shall provide: a) a description of the awards sought;

100 Joint Submission der Co-Lawyers der Civil Parties v. 14. 09. 2009, https://www.eccc.gov. kh/sites/default/files/documents/courtdoc/E159_3_EN.pdf (abgerufen am 15. Dezember 2015). 101 ECCC (Trial Chamber), Urt. v. 26. 7. 2010 – 001/18-07-2007/ECCC/TC (Kaing Guek Eav). 102 Siehe Sperfeld, Collective Reparations at the Extraordinary Chambers in the Courts of Cambodia, ICLR 12 (2012), 457 (464); Gee-kin Ip, Fullfilling the Mandate of National Resoncoliation in the Extraordinary Chambres in the Courts of Cambodia (ECCC) – An Evaluation though the Prism of Victims’ Rights, ICLR 13 (2013), 865. 103 ECCC (Appeals Chamber), Urt. v. 3. 2. 2012 – 001/18-07-2007/ECCC/SC (Kaing Guek Eav).

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II. Die Genese des Rechts der Reparationen bis zur Reparationsstruktur b) reasoned argument as to how they address the harm suffered and specify, where applicable, the Civil Party group within the consolidated group to which they pertain; and c) in relation to each award, the single, specific mode of implementation described in Rule 23 quinquies(3)(a)-(b) sought. 3. In deciding the modes of implementation of the awards, the Chamber may, in respect of each award, either: a) order that the costs of the award shall be borne by the convicted person; or b) recognise that a specific project appropriately gives effect to the award sought by the Lead Co-Lawyers and may be implemented. Such project shall have been designed or identified in cooperation with the Victims Support Section and have secured sufficient external funding.“

Mit der Änderung der IR strebten die Richter an, in Case 001 bestehende Missverständnisse durch Klarstellungen aus dem Weg zu räumen. Nunmehr ist ausdrücklich klargestellt, dass eine individuelle finanzielle Leistung nicht unter den Begriff der „collective and moral reparations“ fällt.104 Dies wurde im Initial Hearing von Case 002 von den Richtern klargestellt.105 Um dem Problem der Spezifizierung und der Implementierung zu begegnen, müssen die Civil Parties nun konkrete Projekte vorlegen, die ohne weiteren Abstimmungsbedarf umgesetzt werden können. Da die Hauptverfahrenskammer die schwer nachvollziehbare Auffassung vertrat, eine Verurteilung des Angeklagten zur Reparationsleistung würde durch seine Mittellosigkeit unmöglich, wurde die Victims Support Section eingerichtet, welche auch durch externes Fundraising eine alternative Finanzierung der Reparationsprojekte anbieten kann. In Case 002 beantragten die Vertreter der Nebenkläger dementsprechend konkret vorbereitete Projekte;106 elf Projekte sprach die Kammer den Opfern zu.107 (2) Die Bedeutung von Reparationen am ECCC – Ergebnisse empirischer Studien Die Reparationsentscheidungen des ECCC zeigten eine Reihe an Herausforderungen auf, mit denen die Kammer selbst, die Vertreter der Civil Parties und die Opfer umgehen mussten. Auch in der Literatur ist das Ergebnis der ECCC alles andere als unumstritten. Kritisiert wird zum einen, dass die Erwartungen der Opfer nicht erfüllt wurden.108 Auch wird die Frage aufgeworfen, ob ein Gericht wie die 104

Siehe zu den Änderungen der IR Sperfeld, ICLR 12 (2012), 457, 467. Siehe KRT Trial Monitor, Initial Hearing Case 002, 27. bis 30. Juni 2011, zu finden unter: http://krtmonitor.org/2011/06/30/krt-trial-monitor-issue-no-1-2/ (abgerufen am 24. Januar 2016). 106 Demande de´finitive de re´parations des co-avocats principaux pour les parties civiles en application de la re`gle 80bis du re`glement inte´rieur et annexes confidentielles, E218/7/6, 08. 10. 2013. 107 ECCC (Appeals Chamber), Urt. v. 3. 2. 2012 – 001/18-07-2007/ECCC/SC (Kaing Guek Eav), S. 622. 108 Generell dazu: Sperfeld, ICLR 12 (2012), 457, 457 ff. 105

4. Völkerstrafrecht – der Täter als Völkerrechtssubjekt

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ECCC, dessen Mandat die Aufarbeitung der strafrechtlichen Verantwortung und Verurteilung einzelner Täter ist, mit der Aufgabe der Opferentschädigung und den daran geknüpften Erwartungen nicht überfordert und somit von vornherein zum Scheitern verurteilt sein muss.109 Vor diesem Hintergrund ist ein Blick auf die Ergebnisse empirischer Studien zu den ECCC interessant. In den ersten Jahren haben sich empirische Studien allgemein mit den Wünschen und Erfahrungen von Opfern im internationalen Strafprozess auseinandergesetzt,110 in erster Linie jedoch mit Geschädigten als Zeugen im Verfahren.111 Nachdem die ECCC ihre Arbeit aufgenommen hatten, wurde eine Vielzahl von empirischen Untersuchungen zu der Situation der Geschädigten in Kambodscha durchgeführt. Dabei wurde die Frage nach Reparationen nicht isoliert in einzelnen Studien erhoben, die entsprechenden Erwartungen und Wünsche der Opfer aber jeweils mit abgefragt. Im Jahr 2008 befragten Forscher landesweit 1000 Kambodschaner zu den ECCC und ihren Erwartungen an das Gericht; dabei war es für die Studie unerheblich, ob die Befragten Opfer der Khmer Rouge waren.112 Hierbei wurden auch Erkenntnisse zu den erwarteten Opferentschädigungen erlangt. Auf die Frage, ob die Befragten es akzeptieren würden, wenn das Gericht Opfern und deren Familien keine Wiedergutmachung zusprechen würde, antworteten nur 26 % mit „ja“. Gefragt, welche Arten von Reparationen zugestanden werden sollten, antworteten 20 % mit dem Wunsch nach sozialen Diensten wie Gesundheitsdiensten, Bildungseinrichtungen oder psychologischer Unterstützung, 15 % nannten Infrastrukturmaßnahmen und 12 % andere wirtschaftliche Maßnahmen, 10 % wünschten sich Maßnahmen wie einen Gedenkfeiertag, Denkmale oder andere symbolische Ansätze.113 Interessanterweise gaben 64 % der Befragten an, der kambodschanische Staat solle für die Kosten der Reparationsmaßnahmen aufkommen, nur 22 % sahen die Verantwortlichen der Khmer Rouge als richtigen Schuldner an, 10 % wollten die internationale Gemeinschaft in die finanzielle Verantwortung für Opferentschädigungsleistungen nehmen.114 Im Jahr 2010 wurde nach Abschluss der Hauptverhandlungen in Case 001 eine Folgestudie unter dem Titel „After the First Trial“ erhoben.115 Zwei Jahre später fanden es nur noch 20 % der Befragten akzeptabel, wenn keine Reparationen zu109

Sperfeld, ICLR 12 (2012), 457 (457 ff.); McGonigle, ICLR 12 (2012), 375, 405. Siehe dazu: Hoven, Ideal und Wirklichkeit der Opferbeteiligung im Völkerstrafverfahren, ZIS 2014, 679. 111 Siehe dazu z. B. Stover, The Witnesses: War-Crimes and the Promise of Justice in The Hague. 112 Pham et al., So We Will Never Forget: A Population-Based Survey on Attitudes about Social Reconstruction and the Extraordinary Chambers in the Courts of Cambodia. 113 Pham et al., So We Will Never Forget, S. 44. 114 Pham et al., So We Will Never Forget, S. 44. 115 Pham et al., After the First Trial: A population-based Survey on the Knowledge and Perception of Justice and the Extraordinary Chambers in the Courts of Cambodia. 110

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gesprochen würden116 (in 2008 waren es noch 26 %, s. o.). Fast 50 % der Studienteilnehmer gab nun zu konkreten Wiedergutmachungsmaßnahmen gefragt die Errichtung von Denkmalen als wünschenswert an und 75 % empfanden die kambodschanische Regierung als richtigen Reparationsschuldner.117 Im Jahr 2011 stellte eine Studie den Ergebnissen der bevölkerungsbasierten Studien eine qualitative Befragung der 75 Civil Parties aus dem Duch-Verfahren gegenüber.118 Die Ergebnisse hinsichtlich der Erfahrungen der Civil Parties in Case 001 waren eher ernüchternd. Es schien so, als würden die gewünschten Reparationen (vor dem Hintergrund der Tatsache, dass die Hauptverfahrenskammer alle Projekte abgewiesen und lediglich eine Liste der Opfernamen sowie die gesammelten Entschuldigungen des Angeklagten Duch dem Urteil als Reparationen beifügt hatte) auf den ersten Blick keine allzu große Rolle spielen: Nur 9 % der Civil Parties gaben an, sich als Nebenkläger/in beworben zu haben, um individuelle Reparationen zu erhalten.119 Darüber, ob Opfer als Partei am Verfahren teilnahmen, um kollektive Reparationen zugesprochen zu bekommen, gibt die Studie indes keinen Aufschluss. Nur 21 % erwarteten von der Berufungskammer eine Veränderung des Entschädigungsanspruchs zugunsten der Opfer.120 Auf die Frage nach den negativen Aspekten des Verfahrensausgangs nannten nur 12 %, dass das Gericht keine Reparationen für die Opfer angeordnet hatte.121 Ablesen lässt sich daraus zunächst, dass 12 % der Civil Parties in Case 001 die Maßnahmen der Kammer nicht als Reparationen verstanden; wie viele Opfer die Anhänge zu dem Urteil zwar als Reparationen wahrnahmen, jedoch inhaltlich kritisierten, ist aus der Studie hingegen nicht ersichtlich. Bemerkenswert ist jedoch, dass insgesamt 68 % der Befragten zu ihrer Motivation zur Teilnahme am Verfahren als Civil Party angaben „[t]o obtain justice for me and my relative who died“.122 Was genau die Nebenkläger unter „justice“ verstanden, wurde nicht näher abgefragt. Insgesamt waren die Ergebnisse zur Opferpartizipation aus „After the First Trial“ somit desillusionierend. Die Forscher fassten zusammen, dass „none of the Cambodian civil parties describes a catharsis or healing effect.“123 116

Pham et al., After the First Trial, S. 36. Pham et al., After the First Trial, S. 36. 118 Pham et al., Victim Participation and the Trial of Duch at the Extraordinary Chambers in the Courts of Cambodia, Journal of Human Rights Practice 3 (2011), 264. 119 Pham et al., Journal of Human Rights Practice 3 (2011), 264, 273. 120 Pham et al., Journal of Human Rights Practice 3 (2011), 264, 280. 121 Pham et al., Journal of Human Rights Practice 3 (2011), 264 (281). 122 Pham et al., Journal of Human Rights Practice 3 (2011), 264 (273). 123 Pham et al., Journal of Human Rights Practice 3 (2011), 264 (284). Im Jahr 2011 wurden in einer weiteren Studie noch die Nebenkläger befragt, die als Zeugen vernommen wurden; die Frage der Reparationen spielte hier nur eine sehr untergeordnete Rolle. In einer weiteren quantitativen Befragung der Nichtregierungsorgansation ADHOC, die sich mit der Betreuung und Vertretung der Civil Parties beschäftigt, wurden einige Daten zu Reparationen erhoben, siehe: Kirchenbauer et al., Victims’ participation before the Extraordinary Chambers in the 117

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Eine multiperspektivische qualitative Untersuchung erhob nicht nur die Erkenntnisse der Opfer, sondern die aller am Prozess des Case 001 Beteiligten.124 Die Ergebnisse dieser Studie zeichnen ein differenziertes Bild der Erfahrungen der Verfahrensbeteiligten im Hinblick auf Reparationen. Die interviewten Opfer zeigten große Unzufriedenheit mit den durch die ECCC zugestandenen Entschädigungen.125 Obwohl vielen Civil Parties bewusst war, dass die ECCC keine individuellen Reparationsleistungen zusprechen können,126 hielten viele bis zuletzt die Hoffnung auf individuelle (finanzielle) Kompensation aufrecht und wurden – wenig überraschend – enttäuscht.127 Indes überrascht die große Enttäuschung der Civil Parties über die Reparationsentscheidung, da in den bisherigen Studien die Geltendmachung von Wiedergutmachung nicht als wesentlicher Beweggrund für die Teilnahme am ECCC-Verfahren genannt wurde; die Befragten gaben als Hauptmotivation schließlich lediglich „justice“ an.128 Auch in der qualitativen Studie von Hoven u. a., an der auch die Autorin mitgewirkt hat, zeigte sich die Motivation „justice“ stark überwiegend. Ein Hinterfragen des Begriffs zeigte jedoch auf, dass „justice“ für die Opfer kein abstraktes Konzept war, sondern vielmehr von ganz konkreten Erwartungen getragen wurde.129 Der Begriff „justice“ beinhaltet nach den Ergebnissen der Studie vier Dimensionen: Entschädigung der Opfer, Bestrafung des Angeklagten, Wahrheitsfindung und Anerkennung als Opfer, wobei die Erwartung von Entschädigung am stärksten ausgeprägt war.130 Vor dem Hintergrund dieses Verständnisses von „justice“ lässt sich die Enttäuschung der Civil Parties in Case 001 am ECCC besser nachvollziehen. Zu der Frage, ob und welche Formen der Reparationen im Ergebnis zugesprochen worden waren, herrschte Verwirrung bei den Civil Parties. Dies zeigen Zitate wie z. B.: „Nowadays, I do not realize whether the collective compensation is rewarded or not […].“131 Als wichtige Maßnahmen kollektiver Wiedergutmachung wurden – wie auch in den zuvor genannten Studien – Denkmäler, Zeremonien für die Verstorbenen und eine bessere Gesundheitsversorgung genannt. Courts of Cambodia, https://www.eccc.gov.kh/sites/default/files/Victims-participation-beforeECCC-Baseline-Study-Jan-2013.pdf (abgerufen am 15. Dezember 2015). 124 Hoven/Feiler/Scheibel, Victims in Trials of Mass Crimes – A Multi-Perspective Study of Civil Party Participation at the Extraordinary Chambers in the Courts of Cambodia, Köln 2013. 125 Hoven/Feiler/Scheibel, Victims in Trials of Mass Crimes, S. 59 ff. 126 Wie oben dargestellt, enthält Regel 23 der IR lediglich das Mandat für „collective and moral“ reparations. 127 Hoven/Feiler/Scheibel, Victims in Trials of Mass Crimes, S. 59. 128 Siehe wieder Pham et al., Journal of Human Rights Practice 3 (2011), 264 (273): nur 9 % der befragten Civil Parties forderten individuelle Reparationen, 4 % lebenslange Freiheitsstrafe für Duch, aber 68 % nannten „justice“ als Motivation. 129 Hoven, ZIS 2014, 679 (685). 130 Im Durchschnitt erwähnten die befragten Opfer den Begriff „reparations“ zwölfmal pro Interview, siehe Hoven/Feiler/Scheibel, Victims in Trials of Mass Crimes, S. 27. 131 Hoven/Feiler/ Scheibel, Victims in Trials of Mass Crimes, S. 61.

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Die übrigen Verfahrensbeteiligten sahen andere Herausforderungen als die Civil Parties, insbesondere die Frage der Interpretation der Reparationsregelungen an den ECCC, nach dem richtigen Entschädigungsschuldner und die Sorge einer Überforderung des Gerichts durch das Reparationsmandat.132 Insbesondere das unbestimmt gehaltene Regelwerk in den IR wurde kritisiert: „I don’t altogether know what moral reparation actually is … I never knew; No one could ever actually articulate it … We were offering something that we didn’t even fully understand the definition of, so it could mean something different to everyone.“133

Die interviewten „legal professionals“ – an dieser Stelle in erster Linie die Richter, Ankläger und Verteidiger – waren sich weitgehend einig, dass die Entscheidung in den IR für ausschließlich kollektive und moralische – nicht aber individuelle – Kompensation richtig sei: Eine individuelle Wiedergutmachung sei aufgrund der hohen Opferzahl der vor den ECCC verhandelten kollektiven Verbrechen aus tatsächlichen und finanziellen Gründen schlicht nicht machbar.134 Hinsichtlich der geforderten Dichte der Spezifikation der Anträge der Nebenklägervertreter zeigte sich bei den „legal professionals“ ein uneinheitliches Bild: Während interviewte Richter aufgrund des zivilrechtlichen Charakters des Entschädigungsanspruchs ein wie im Zivilverfahren gefordertes hohes Maß an Spezifikation forderten, kritisierten Ankläger diesen Ansatz der Richter als zu eng und „conservative“.135 Als weiteres Problem wurde die Mittellosigkeit der Angeklagten und die Weigerung der Kammer gesehen, vor dem Hintergrund des Grundsatzes der „effective reparations“ einen Titel in die Welt zu setzen, der in der Durchsetzbarkeit tatsächlich „void“ sei. Zudem wurde die mangelnde finanzielle Ausstattung der ECCC für Reparationen problematisiert und auf die Möglichkeit der Schaffung eines Treuhandfonds wie am IStGH hingewiesen. 136 Die sehr unterschiedliche Ausgestaltung der Opferrechte an den internationalen/isierten Gerichten zeigt auf, dass noch kein allgemein gültiger Standard erkennbar ist – obschon ein Trend hin zur Integration von Opferrechten in die Statuten der völkerstrafrechtlichen Gerichte geht. An den ECCC kamen nicht zu vernachlässigende Probleme ans Licht. Sicherlich war an den ECCC besonders herausfordernd, dass dort das nationale Strafprozessrecht Anwendung fand, das für Fälle geschaffen wurde, in denen üblicherweise ein Täter einem Opfer gegenübersteht und – anders als in Verfahren der Makrokriminalität – besondere (Finanzierungs-) Vorkehrungen nicht notwendig sind. Zugleich wurden an den ECCC jedoch auch systemimmanente

132 133 134 135 136

Hoven/Feiler/Scheibel, S. 61. Hoven/Feiler/Scheibel, S. 61. Hoven/Feiler/Scheibel, S. 63 f. Hoven/Feiler/Scheibel, S. 65. Hoven/Feiler/Scheibel, S. 65 ff.

4. Völkerstrafrecht – der Täter als Völkerrechtssubjekt

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grundlegende Herausforderungen aufgezeigt, die ebenso bei zukünftigen völkerstrafrechtlichen Gerichten und dem IStGH auftreten können und werden.

b) Reparationen am IStGH In der aufgezeigten Entwicklung zu einer Individualisierung von Rechten und Pflichten auf der Ebene des Völkerstrafrechts bildet die Errichtung des IStGH zunächst den letzten Meilenstein und Höhepunkt.137 Die Errichtung des IStGH in Den Haag ist das Ergebnis der langjährigen Bemühungen um die Schaffung eines internationalen Strafgerichts, die noch weit in die Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg zurückreichen.138 Von der UN-Generalversammlung wurde schon kurz nach der Gründung der UN die Schaffung eines internationalen Strafgerichtshofs angestrebt.139 Mit Erarbeitung eines Entwurfes für einen internationalen Strafgerichtshof betraute die Generalversammlung die ILC. In den Entwürfen der ILC war das System der Opferentschädigung weitaus zurückhaltender ausgestaltet als im letztendlich verabschiedeten IStGH-Statut.140 In dem 1994 von der ILC vorgelegten Entwurf war kein Reparationsmandat enthalten. Die Idee eines Treuhandfonds „for the benefits of victims of crimes“ war jedoch in Art. 47 Abs. 3 lit. c) des Entwurfes festgehalten.141 In früheren Versionen des Vertragsentwurfes war noch vorgesehen, dass der Gerichtshof zur Rückübertragung von Grund und Boden sowie Einnahmen berechtigt sein sollte, die vom Verurteilten während der Begehung seiner Verbrechen erlangt wurden.142 Die ILC entschied sich jedoch gegen diese Kompetenz und beschränkte sich auf eine allgemeine Pflicht der Vertragsstaaten, die Entscheidungen des Gerichtshofes anzuerkennen, so dass Opfer unter Bezugnahme auf die Entscheidung des internationalen Gerichts auf nationaler Ebene Schadensersatz verlangen könnten.143 Die ILC Working Group begründete ihre Entscheidung damit, dass die Regelungen zu Einziehung und Kompensation zu 137 Nennenswertes Schrifttum zum IStGH: Ferstman/Goetz, Reparations before the International Criminal Court: The Early Jurisprudence on Victims Participation and its Impact on Future Reparations Proceedings, in: Ferstman et al. (Hrsg.), Reparations for Victims of Genocide, War Crimes and Crimes against Humanity, S. 313 – 350; Safferling/Petrossian, Victims before the International Criminal Court (im Erscheinen). 138 Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 56; ausführlich zur Genese des IStGH: Schabas, The Internationale Court: A Commentary on the Rome Statute, S. 2 ff.; Zegveld, Victims Reparation Claims and International Criminal Courts, JICJ 8 (2010), 79; Ferstman, The Reparation Regime of the International Criminal Court, Leiden JIL 15 (2002), 667; Safferling/Petrossian, Victims before the International Criminal Court (im Erscheinen), S. 110 ff. 139 Dies zunächst im Zusammenhang mit der Verabschiedung der Genocide Convention. 140 McCarthy, Reparations and Victim Support, S. 49. 141 In Art. 47 wurden „Applicable penalties“ geregelt. 142 Siehe Report of the Working Group on the Draft Statute for an International criminal Court, 1993, Art. 52 Abs. 3 lit. a), A/CN.4/L.488/Add.3, S. 8. 143 McCarthy, Reparations and Victim Support, S. 50.

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komplex seien und, da es sich in erste Linie um Eigentum an Grund und Boden handele, besser auf nationaler Ebene gelöst würden.144 In der Folge blieb die Aufnahme eines Opferentschädigungsregimes umstritten; einige Staaten legten konkrete Vorschläge zur Inkludierung von Wiedergutmachungsregelungen vor, andere Delegationen fürchteten, mit der Aufnahme eines Mandats zur Anordnung von Reparationen würde der zu gründende Gerichtshof sich auf Grundsätze der Staatenverantwortlichkeit stützen und so Reparationen gegen die Staaten selbst anordnen.145 Erst spät im Prozess wurden aufgrund einflussreicher Delegationen wie der Frankreichs146 sowie der Lobbyarbeit von NGOs vor und während der Verhandlungen am 16. und 17. Juni 1998 in Rom147 im Ergebnis die Regelungen des Reparationsmandats in Art. 75 und die Errichtung des Treuhandfonds in Art. 79 des IStGH-Statuts beschlossen.148 Das IStGH-Statut wurde schließlich am 17. Juli 1998 im Plenum mit 120 Stimmen angenommen, sieben Staaten (USA, China, Israel, Irak, Libyen, Jemen und Katar) lehnten ab, 21 Staaten enthielten sich. Am 11. April 2002 waren die nach Art. 26 IStGH-Statut notwendigen 60 Ratifikationen erreicht; am 11. März 2003 nahm der Gerichtshof seine Arbeit auf.149 Die Gerichtsbarkeit des einzigen dauerhaften internationalen Strafgerichtshofs erstreckt sich gemäß Art. 5 Abs. 1 i. V. m. Art. 6, 7 und 8 IStGH-Statut auf Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen. Die sachliche Zuständigkeit ist begrenzt auf Straftaten, die auf dem Territorium eines Mitgliedsstaates oder durch einen Staatsangehörigen eines Mitgliedsstaates bzw. eines Staates, der die Zuständigkeit des IStGH akzeptiert hat, begangen wurden. Darüber hinaus kann der UN-Sicherheitsrat unter Bezugnahme auf Kapitel VII der UN-Charta Situationen an den Gerichtshof überweisen.150

144 Report of the Working Group on the Draft Statute for an International criminal Court, 1993, Art 52 Abs. 3 lit.a), A/CN.4/L.488/Add.3, S. 8. 145 Muttukumuru, in: Lee (Hrsg.), The ICC – The Making of the Rome Statute, S. 267 ff. 146 Vgl. den französischen Antrag zu PrepCom hinsichtlich Art. 45 bis (die Vorgängerregelung von Art. 75), A/AC.249/1997/WG.4/DP.3. 147 Die Einberufung der UN in UN Doc. A/RES/52/160; in Rom versammelten sich 160 Staaten und viele Organisationen, um über den erarbeiteten Textentwurf zu beraten. Zu den Verhandlungen, siehe: Kirsch/Robinson, in: Cassese/Gaeta/Jones (Hrsg.), Bd. 1, S. 67 ff. 148 Die Ausgestaltung des materiellen Rechts war weniger kontrovers, da die Verhandlungen frühzeitig auf die Kernverbrechen beschränkt wurden. Hingegen waren die Fragen nach Strafbefugnis des Gerichts, die Rolle des Anklägers sowie das Verhältnis des Gerichts zu den UN stark umstritten, insbesondere Staaten, die um ihre eigene Souveränität und ihre eigenen Staatsangehörigen fürchten (wie z. B. die Vereinigten Staaten, China und Indien), verfolgten die Idee eines schwachen und eher symbolischen Gerichtshofes, siehe Schabas, The International Criminal Court: A Commentary on the Rome Statute, 1. Auflage, S. 881. 149 Siehe zum jeweils aktuellen Stand: https://treaties.un.org/Pages/ViewDetails.aspx?src= TREATY&mtdsg_no=XVIII-10&chapter=18&lang=en (abgerufen am 30. Juli 2018). 150 Im März 2005 hat der Sicherheitsrat unter Rückgriff auf diese Regelung bereits die Darfur-Situation im Sudan an den IStGH überwiesen, UN Doc. S/RES/1593(2005).

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In zeitlicher Hinsicht hat der IStGH grundsätzlich Jurisdiktion über Verbrechen, die seit dem Inkrafttreten des IStGH-Statuts am 1. Juli 2002 begangen worden sind. Seit seiner Gründung151 hat der IStGH drei Urteile – unter Einschluss der Berufungsinstanz – zur Opferentschädigung gesprochen. Die erste Reparationsentscheidung erging gegen Thomas Lubanga Dyilo152, es folgten Entscheidungen gegen Germain Katanga153 und Ahmad Al Faqi Al Mahdi154. aa) Die Struktur des Reparationsmandats in Art. 75 IStGH-Statut Das Regime der Opferentschädigung des IStGH beinhaltet neben den weitreichenden Opferpartizipationsrechten ein Reparationsmandat und mit diesem die Möglichkeit des Gerichtshofes, Wiedergutmachungsleistungen zugunsten der Opfer anzuordnen. Darüber hinaus wurde ein Treuhandfond (Trust Fund for Victims, TFV) mit einem dualen Mandat155 errichtet sowie eine Victims and Witnesses Unit mit weiteren Kompetenzen zur Unterstützung der Geschädigten. Im Folgenden soll es im Kern um das Entschädigungsregime im engeren Sinne gehen: das Mandat des IStGH, gerichtliche Reparationen zuzusprechen, sowie die Unterstützung des TFV. (1) Anordnung von Reparationen Die zentrale Vorschrift der Opferentschädigung im IStGH-Statut ist Art. 75; in ihr wird das zweispurige Wiedergutmachungssystem festgeschrieben. Aufgabe und Kompetenz des Gerichtshofes ist es danach, Anordnungen angemessener Wiedergutmachungsleistungen gegen den Verurteilten zugunsten der Opfer zu erlassen, 151 Stand dieser Arbeit ist August 2019. Alles danach Kommende konnte leider nicht berücksichtigt werden. 152 IStGH (Verfahrenskammer I), Urt. v. 7. 8. 2012 – ICC-01/04-01/06-2904 (Prosecutor v. Lubanga, Decision Establishing Principles and Procedures to be applied to Reparations), im Weiteren: IStGH, Lubanga, Entschädigungsanordnung; IStGH (Berufungskammer), Urt. v. 3. 3. 2015 – ICC-01/04-01/06 A A2 A3, Amended Order for reparations, im Weiteren: IStGH, Lubanga, Berufungsentscheidung. 153 IStGH (Verfahrenskammer II), Urt. v. 24. 3. 2017 – ICC-01/04-01/07 (Prosecutor v. Germain Katanga, Order for Reparations pursuant to Article 75 of the Statute), im Weiteren: IStGH, Katanga, Entschädigungsanordnung; IStGH (Berufungskammer), Urt. v. 8. 3. 2018 – ICC-01/04-01/07 A3 A4 A5 (Prosecutor v. Germain Katanga, Judgment on the appeals against the order of Trial Chamber II of 24 March 2017 entitled „Order for Reparations pursuant to Article 75 of the Statute“), im Weiteren: IStGH, Katanga, Berufungsentscheidung. 154 IStGH (Verfahrenskammer), Urt. v. 8. 3. 2018, ICC-01/12-01/15 A (Prosecutor v. Ahman Al Faqi Al Mahdi, Judgment on the appeal of the victims against the „Reparations Order“), im Weiteren: IStGH, Al Mahdi, Entschädigungsanordnung; IStGH (Berufungskammer), Urt. v. 8. 3. 2018 – ICC-01/12-01/15 A (Prosecutor v. Ahman Al Faqi Al Mahdi, Judgment on the appeal of the victims against the „Reparations Order“), im Weiteren: IStGH, Al Mahdi, Berufungsentscheidung. 155 Der TFV setzt zum einen gerichtlich angeordnete Reparationen um, zum anderen hat er ein davon unabhängiges Mandat für sog. „General Assistance“.

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II. Die Genese des Rechts der Reparationen bis zur Reparationsstruktur

Art. 75 Abs. 2 S. 1 IStGH-Statut. Gegebenenfalls („where appropriate“) kann der Gerichtshof auch anordnen, dass die Wiedergutmachung über den Treuhandfond erfolgt, Art. 75 Abs. 2 S. 2 IStGH-Statut.156 Verpflichteter der Entschädigungsanordnung ist mithin zunächst der Verurteilte. Da dessen finanzielle Mittel häufig aber nicht für angemessene Reparationen ausreichen werden, haben die Vertragsstaaten basierend auf Art. 79 IStGH-Statut den TFV zugunsten der Opfer völkerrechtlicher Verbrechen errichtet.157 Die Entscheidung, ob Reparationen angeordnet werden, liegt im Ermessen des Gerichtshofes; er ist also nicht verpflichtet, eine Wiedergutmachungsanordnung zu erlassen.158 Hinsichtlich der Ausgestaltung der möglichen Entschädigungsleistung ist Art. 75 wenig konkret: Das Statut definiert nicht, welche Arten von Reparationen möglich sind. Art. 75 Abs. 2 IStGH-Statut nennt Rückerstattung, Entschädigung und Rehabilitierung (restitution, compensation and rehabilitation) als Formen der Wiedergutmachung, allerdings ohne den Gerichtshof darauf zu beschränken.159 Daraus kann der Schluss gezogen werden, dass einem breiten Verständnis folgend alle Reparationsmaßnahmen ideeller oder materieller Art unter das Mandat fallen, die psychische, physische, emotionale und materielle Schäden der Opfer wiedergutmachen sollen.160 Die Verfahrens- und Beweisordnung (Rules of Procedure and Evidence, RPE) sind hinsichtlich der Art der Wiedergutmachung ähnlich unspezifisch gehalten. Nach Regel 97 Abs. 1 kann der Gerichtshof individuelle Reparationen oder – „where appropriate“ – kollektive Reparationen zusprechen oder beides. Regel 98 Abs. 1 konkretisiert, dass individuelle Reparationsanordnungen gegen den Verurteilten gerichtet sein müssen; sie können auf den Treuhandfond übertragen werden, Regel 98 Abs. 2 RPE.

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Der Wortlaut des Art. 75 Abs. 2 lautet: „The Court may make an order directly against a convicted person specifying appropriate reparations to, or in respect of, victims, including restitution, compensation and rehabilitation. Where appropriate, the Court may order that the award for reparations be made through the Trust Fund provided for in article 79.“ Wie genau das „through“ zu verstehen ist, war in Lubanga streitig, s. unten in Kapitel IV. 1. a) aa). 157 Siehe Establishment of a fund for the benefit of victims of crimes within the jurisdiction of the Court, and of the families of such victims, ICC-ASP/1/Res. 6, 09. 09. 2002; Establishment of the Secretariat of the Trust Fund for Victims, ICC-ASP/3/Res. 7, 10. 09. 2004. 158 TFV, Observations v. 08. 04. 2013 – ICC-01/04-01/06-3009 (Prosecutor v. Lubanga, Observations of the Trust Fund for Victims on the appeals against Trial Chamber I’s ,Decision establishing the principles and procedures to be applied to reparations‘), Rn. 49. 159 Vgl. den Wortlaut des Abs. 2 in Fn. 15; das Gericht kann „appropriate reparations“ anordnen „including restitution, compensation and rehabilitation“. Ausführlich dazu in Kapitel IV. 160 Bock, Wiedergutmachung im Völkerstrafverfahren vor dem Internationalen Strafgerichtshof nach Lubanga, ZIS 2013, 297 (299).

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(2) Aufstellen von Reparation Principles Art. 75 IStGH-Statut weist keine sonderlich hohe Regelungsdichte auf.161 Das Füllen der Lücken des fragmentarischen IStGH-Statuts162 haben die Vertragsstaaten dem Gerichtshof überlassen: Art. 75 Abs. 1 IStGH-Statut normiert die Aufgabe des IStGH, Grundsätze für die Wiedergutmachung aufzustellen, einschließlich Rückerstattung, Entschädigung und Rehabilitation, die als Grundlage für Reparationsanordnungen herangezogen werden können, Art. 75 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 IStGHStatut. Die Wiedergutmachungsgrundsätze sind mithin zunächst und in erster Linie gerichtsinterne Richtlinien und haben keine externe Wirkung.163 Welches Organ des Gerichtshofes jedoch diese Grundsätze aufstellen soll, regeln Statut und RPE nicht. Zunächst wurde das Committee of Judges mit dieser Aufgabe betraut.164 Ziel war, allgemein gültige und für alle Entscheidungen des Gerichtshofes anwendbare Regeln aufzustellen.165 Bedauerlicherweise wurde dieses Ziel nicht erreicht; das Committee of Judges hat seine Arbeit nicht beendet.166 Die Versammlung der Vertragsstaaten behandelte die Frage der Wiedergutmachungsprinzipien im Dezember 2011 und verabschiedete übereinstimmend eine Resolution, in der der Gerichtshof aufgefordert wurde zu handeln: „Noting with concern that the Court has not yet established principles relating to reparations, on which any determination of the extent and scope of any damage, loss and injury to, or in respect of, victims is to be based, in accordance with article 75, paragraph 1, and that in the absence of such principles pre-established by the Court practical inconsistency and unequal treatment of victims may occur, […] Requests the Court to ensure that Court-wide coherent principles relating to reparations shall be established in accordance with article 75, paragraph 1, based on which the Court may issue individual orders for reparations, and further requests the Court to report back to the Assembly at its eleventh session […].“167

In einem aus dem November 2013 stammenden Bericht legte der Gerichtshof dar, nach einer Plenarversammlung der Richter in 2006 und 2008 sei man zu dem Er-

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Ausführlich dazu in Kapitel IV. So auch TFV, Observations v. 08. 04. 2013 – ICC-01/04-01/06-3009 (Prosecutor v. Lubanga, Observations of the Trust Fund for Victims on the appeals against Trial Chamber I’s ,Decision establishing the principles and procedures to be applied to reparations‘), Rn. 50 f.; Ferstman, Leiden JIL 15 (2002), 667 (669). 163 Bock, ZIS 2013, 297 (304). 164 Schabas, The International Criminal Court: A Commentary on the Rome Statute, 1. Auflage, S. 881. 165 Bock, ZIS 2013, 297 (304). 166 Schabas, The International Criminal Court: A Commentary on the Rome Statute, 1. Auflage, S. 881. 167 ICC-ASP/10/Res.3 v. 20. 12. 2011. 162

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II. Die Genese des Rechts der Reparationen bis zur Reparationsstruktur

gebnis gekommen, diese Aufgabe der jeweils zuständigen Kammer zu übertragen.168 Die Study Group on Governance der Versammlung der Vertragsstaaten äußerte Bedenken, die erste Wiedergutmachungsentscheidung des Gerichtshofes ohne einheitliche Prinzipien zu erlassen. Das Präsidium des IStGH verwies jedoch auf die Auffassung der Richter, die Prinzipien würden durch die Rechtsprechung des Gerichtshofes entstehen und im Ergebnis durch die Berufungskammer vereinheitlicht. Zudem sei es aus Sicht der Richter problematisch, außerhalb einer Entscheidung solche Grundsätze quasi rechtsetzend aufzustellen.169 Die Bedenken der Vertragsstaaten konnten sich nicht durchsetzen; die Hauptverfahrenskammer stellte folglich in ihrer Lubanga-Entscheidung Grundsätze auf, die sie jedoch nur auf den konkret zu entscheidenden Fall für anwendbar erklärte. Die Berufungskammer hielt in ihrer Entscheidung fest, dass auch sie das Aufstellen von Grundsätzen als verpflichtend ansieht, änderte die Entscheidung der Hauptverfahrenskammer jedoch dahingehend ab, dass die Grundsätze nicht Teil der Entschädigungsanordnung, sondern davon getrennt in einem Annex zu veröffentlichen sind.170 Zudem bestätigte sie die Entscheidung der Hauptverfahrenskammer, die aufgestellten Grundsätze als nur auf das vorliegende Verfahren anwendbar zu erklären – mithin in jedem einzelnen Verfahren individuell Grundsätze bestimmen zu müssen. Die Kammer hat folglich keine Kompetenz, allgemein gültige Reparationsgrundsätze für den gesamten Gerichtshof aufzustellen.171 Die Verfahrenskammern II und VIII schlossen sich diesen Grundsätzen in den Verfahren Katanga und Al Mahdi mutatis mutandis an.172 Vor dem Hintergrund, dass die Hauptverfahrenskammer auch ohne die Pflicht zur Aufstellung von Grundsätzen nicht daran gehindert wäre, für den konkret zu entscheidenden Fall darzulegen, von welchen Erwägungen und Sätzen sie sich in ihrer Entscheidung leiten lässt, ist mehr als zweifelhaft, dass die Idee hinter Art. 75 Abs. 1 IStGH-Statut die Aufstellung von Grundsätzen für den Einzelfall durch die Kammern war. Die Aufstellung von Reparationsgrundsätzen durch die einzelnen Kammern ist unglücklich, da dadurch gerade keine allgemein gültigen und auf alle Entschei168

Damit sollen die Reparations Principles jeweils in den laufenden Verfahren entwickelt werden, ICC-ASP/12/39 v. 08. 10. 2013. 169 Report of the Bureau on the Study Group of Governance, ICC-ASP/10/30 v. 22. 11. 2011, Rn. 26. 170 Appeal Chamber, Principles on Reparations, CC-01/04 – 01/06 – 3129-AnxA 03-032015 1. 171 Aus diesen Grund war die Einsetzung eines Committee of Judges auch sinnvoll. 172 IStGH, Lubanga, Berufungsentscheidung, Annex A, Rn 5. Die Verfahrenskammer II hat diese Elemente in Katanga bestätigt, IStGH, Katanga, Entschädigungsanordnung, Rn. 30, sie finden mutatis mutandis Anwendung. Die Verfahrenskammer VIII hat die Reparations Principles auch für die Wiedergutmachung von Verbrechen gegen die Kulturgüter für anwendbar erklärt, Al Mahdi, Entschädigungsanordnung, Rn. 25 f.

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dungen des IStGH anwendbaren Regeln erarbeitet werden können.173 Auch aus Gründen der Rechtssicherheit und -klarheit sowie der Notwendigkeit, die Erwartungen der Opfer handzuhaben, ist die aktuelle Situation misslich, wenn sie auch zu höherer Einzelfallgerechtigkeit für die jeweiligen am Reparationsverfahren beteiligten Parteien führen kann. Es wäre vielmehr notwendig, dass ein Gremium am IStGH die Arbeit des Committee of Judges wieder aufnimmt und beendet.174 Ohne am IStGH allgemeingültige Grundsätze für Wiedergutmachungsentscheidungen bleibt eine höhere Verantwortung bei der Berufungskammer, die durch die Beachtung des Gleichheitsgrundsatzes und des Willkürverbotes eine dringend notwendige Mindestharmonisierung herbeiführen muss.175 Ob die Berufungskammer dieser Aufgabe gerecht wird, bleibt abzuwarten. (3) Verfahren Anders als vor den ECCC ist ein Antrag auf Entschädigung vor dem IStGH nicht an eine Partizipation im Verfahren gekoppelt. Notwendig ist nach Regel 94 der RPE lediglich ein schriftlicher Antrag bei der Kanzlei des IStGH;176 Vordrucke sind auf der Webseite des IStGH sowohl für natürliche als auch für juristische Personen zu finden.177 Reparationen beatragen können diejenigen Geschädigten, die Opfer gemäß Rule 85 RPE sind und deren Täter sich für die völkerstrafrechtlichen Verbrechen vor dem IStGH verantworten muss, durch die die Schäden der Antragssteller verursacht wurden.178 Nicht immer ist ein Antrag zwingend, in besonderen Umständen („exeptional circumstances“) sieht Art. 75 Abs. 1 S. 2 IStGH-Statut vor, dass der Gerichtshof auch auf eigene Initiative (proprio motu) Reparationen zusprechen kann. Damit soll der Herausforderung begegnet werden, dass nicht alle Opfer, die Reparationen verdienen, diese auch beantragen können.179 Will der Gerichtshof von sich 173

Eine Wirkung der Grundsätze über den Bereich des IStGH hinaus kommt nicht in Betracht, da der IStGH nicht die Kompetenz hat, Staaten und andere Gerichte zu binden oder Festlegungen für deren Reparationsprogramme zu treffen. Angedacht jedoch von Bitti/Gonzales Rivas in: The International Bureau of the Permanent Court of Arbitration (Hrsg.), Redressing Injustices through Mass Claims Processes, S. 310; siehe dazu auch kurz unten unter IV. 1. a). 174 Zu den bei der Aufstellung allgemeiner „Reparations Principles“ siehe McCarthy, Reparations and Victim Support, S. 132 ff. 175 Dwertmann, Reparation System, S. 48. 176 Vgl. Art. 75 Abs. 1 S. 2 IStGH-Statut, Regel 94 RPE. 177 https://www.icc-cpi.int/about/victims# (abgerufen am 15. September 2019); Darin müssen die Geschädigten Angaben zur Person und zum schädigenden Ereignis beantworten und idealer Weise Beweismaterial beifügen. 178 Vertieft werden die Tatbestandsvoraussetzungen von Reparationsansprüchen in Kapitel IV. dargestellt. 179 Ferstman/Goetz, in: Ferstman et al. (Hrsg.), Reparations for Victims of Genocide, War Crimes and Crimes against Humanity, S. 333.

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II. Die Genese des Rechts der Reparationen bis zur Reparationsstruktur

aus tätig werden, ersucht er die Kanzlei, den/die Angeklagte/n und soweit möglich auch Opfer und andere interessierte Personen oder Staaten darüber zu informieren.180 bb) Der Treuhandfond nach Art. 79 Abs. 1 IStGH-Statut Der Treuhandfond hat – ohne selbst ein Organ des Gerichtshofes zu sein – im System des IStGH-Statuts ein Doppelmandat: Zum einen unterstützt der TFV die Opfer und implementiert die Anordnungen gerichtlicher Reparationen, zum anderen hat er darüber hinaus ein von Urteilssprüchen völlig unabhängiges humanitäres Mandat, die sog. General Assistance. Finanziert werden diese Wiedergutmachungsmaßnahmen durch mittels Geldstrafen oder Einziehung erlangte Gelder und sonstiges Eigentum, die auf Anordnung des Gerichtshofes an den Treuhandfond überwiesen werden, Art. 79 Abs. 2 IStGH-Statut, Nr. 43 – 46 der Geschäftsordnung des TFV (Regulations of the Trust Fund for Victims, GeschOTFV). Daneben hat der TFV „other resources“ zur Verfügung (Regel 98 Abs. 5 RPE, Nr. 47, 48 GeschOTFV): freiwillige Spenden von Staaten, Organisationen oder Individuen. (1) Reparationen (Reparations) Die wichtigste Aufgabe des Treuhandfonds hinsichtlich der Reparationen ist die Unterstützung des Gerichtshofes bei der Umsetzung von Wiedergutmachungsanordnungen (Regel 98 Abs. 2 der RPE, Nr. 59 ff. GeschOTFV). Übersteigt die Reparationsanordnung die Mittel des Verurteilten, kann der TFV durch eigene Mittel aushelfen.181 Im Lubanga-Verfahren war noch unklar, wie die Kompetenzen zwischen Gerichtshof und Treuhandfond aufgeteilt sind bzw. was die administrative Unterstützung des TFV alles beinhaltet. Die Hauptverfahrenskammer delegierte das Reparationsmandat weitreichend auf den Treuhandfond: Durch Zustimmung zu dem vom TFV vorgeschlagenen fünfstufigen Implementierungsplan wurde dem TFV aufgegeben, gemeinsam mit der Kanzlei, der in der Kanzlei angesiedelten Office of Public Counsel for Victims und Experten zusammenzuarbeiten, um Örtlichkeiten für die Reparationsmaßnahmen festzulegen sowie die entstandenen Schäden (harm) zu beurteilen.182 Im Anschluss daran sollten die Opfer in öffentlichen Debatten informiert und so deren Erwartungen gehandhabt werden; danach sollten kollektive Wiedergutmachungsmaßnahmen entwickelt werden.183 Auch mit der Identifikation der Opfer betraute die Kammer den Treuhandfond und wies die Kanzlei an, die Anträge der Opfer an den Treuhandfond zu übergeben.184 Von der Seite des Ge180

Siehe Regel 95 RPE; interessierte Personen können beispielsweise Gläubiger des Angeklagten sein, interessierte Staaten solche, in denen Verletzungen und Schäden aufgetreten sind. 181 Kompensationsfunktion, Nr. 56 GeschOTFV. 182 IStGH, Lubanga, Entschädigungsanordnung, Rn. 281 f. 183 IStGH, Lubanga, Entschädigungsanordnung, Rn. 282. 184 IStGH, Lubanga, Entschädigungsanordnung, Rn. 283 f.

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richtshofes sollte eine neu zu gründende Verfahrenskammer II die Maßnahmen und Entscheidungen des TFV regelmäßig überprüfen.185 Die Berufungskammer in Lubanga erhielt diese Übertragung der Aufgaben aufrecht.186 Dem TFV wurde aufgegeben, einen Draft Implementation Plan innerhalb von sechs Monaten aufzustellen, dem die neue Verfahrenskammer vor Beginn der Implementierungskontrolle zustimmen musste.187 Die Hauptverfahrenskammer vertrat in Lubanga die Auffassung, dass die administrative Unterstützung des Gerichtshofes durch den Treuhandfonds auch eine Zugriffsmöglichkeit der Kammer auf die eigenen Gelder des Treuhandfonds inklusive einer Weisungsbefugnis beinhalte.188 Dieser Auffassung schloss sich die Berufungskammer in Lubanga indes nicht an und argumentierte zu Recht mit dem eindeutigen Wortlaut der Nr. 50 GeschOTFV, nach der die Autorität über die „other resources“ des Treuhandfonds allein bei dem Board of Directors desselben liegt.189 In den folgenden Entscheidungen Katanga und Al Mahdi war die Rollenverteilung offenbar schon geklärt; diese Frage wurde nicht noch einmal angesprochen. (2) General Assistance/humanitäres Mandat Im Rahmen seines humanitären Mandats mit der Aufgabe der General Assistance kann der Treuhandfond seine Mittel allgemein und unabhängig von der rechtlichen Verfolgung der Taten für Opfer völkerrechtlicher Verbrechen einsetzen (Nr. 27 GeschOTFV). Dabei leistet der Treuhandfond auch im Rahmen seiner General Assistance keine völlig vom Gerichtshof losgelöste humanitäre Hilfe, sondern unterstützt nur Opfer von Verbrechen innerhalb der Jurisdiktion des Gerichtshofes, Nr. 42 GeschOTFV, Regel 85 RPE. Die Vorteile des Unterstützungsmandats liegen darin, dass der Treuhandfond schneller handeln und Opfer auch ohne Vorliegen des

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IStGH, Lubanga, Entschädigungsanordnung, Rn. 286. Mit der Klarstellung, dass zwischen der Feststellung der Schädigungen durch Verbrechen des Verurteilten und der Festlegung von Inhalt und Umfang der zu leistenden Reparationen zu unterscheiden ist; die Feststellung der Schädigungen muss durch die Verfahrenskammer geschehen und in der Entschädigungsanordnung enthalten sein; IStGH, Lubanga, Berufungsentscheidung, Rn. 181. 187 IStGH, Lubanga, Berufungsentscheidung, Annex A, Nr. 75. 188 Die Hauptverfahrenskammer argumentierte, „through“ in Art. 75 Abs. 2 wird üblicherweise als „by means of“ (mittels, durch) verstanden. Somit sei es nur logisch, dass das Gericht sich der logistischen und finanziellen Mittel des Treuhandfonds bedienen kann, IStGH, Lubanga, Entschädigungsanordnung Rn. 270. 189 IStGH, Lubanga, Berufungsentscheidung, Rn. 114. 186

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II. Die Genese des Rechts der Reparationen bis zur Reparationsstruktur

für gerichtliche Reparationen notwendigen Kausalzusammenhangs zwischen abgeurteiltem Verbrechen und Schaden unterstützen kann.190 cc) Entschädigungsgrundsätze vor dem IStGH Für Wiedergutmachungsverfahren vor dem IStGH gelten allgemeine, aus dem Bereich der Menschenrechte und des allgemeinen Völkerrechts stammende Entschädigungsgrundsätze, die der Strafgerichtshof nach Art. 21 Abs. 3 IStGH-Statut191 bei der Auslegung des Rechts der Reparationen zu berücksichtigen hat.192 (1) Der „Do No Harm“-Grundsatz Das „Do No Harm Principle“ ist eines der grundlegendenden Prinzipien der Wiedergutmachung und ihrer Umsetzung.193 Es wurde von der Amerikanerin Mary B. Anderson entwickelt und ist ein analytisches Konzept für eine konfliktsensible Planung und Durchführung von Hilfsmaßnahmen in kritischen Bereichen wie Kriegs- oder Bürgerkriegsgebieten.194 Übertragen auf den Bereich der Reparationen bedeutet dieses Prinzip, dass Opferentschädigung nicht zur Entstehung neuer Schädigungen beitragen darf – weder für die Destinatäre selbst noch für die Gesellschaft, der sie angehören.195 Jede Reparationsmaßnahme – die ja ihrem Wesen nach immer in einem aufgrund der verübten Massenverbrechen fragilen Umfeld zugesprochen wird – muss sich an diesem Maßstab messen lassen, um soweit wie möglich die Vermeidung weiterer Schädigungen sicherstellen zu können. Zwar ist der IStGH in seinen Entscheidungen nicht konkret auf diesen Grundsatz eingegangen; der Treuhandfond hat indes überzeugend dargelegt, dass jedes Wiedergutmachungssystem vom „Do No Harm“-Grundsatz

190 Website des Treuhandfonds, die auch die drei Formen der Unterstützung vorstellt: physische Rehabilitation, psychische Rehabilitation sowie materielle Unterstützung der Opfer, siehe: http://www.trustfundforvictims.org/two-roles-tfv (aberufen am 8. Februar 2016). 191 Der Wortlauf des § 21 Abs. 3 IStGH-Statut lautet: „(3) Die Anwendung und Auslegung des Rechts nach diesem Artikel muss mit den international anerkannten Menschenrechten vereinbar sein und darf keine benachteiligende Unterscheidung etwa aufgrund des Geschlechts im Sinne des Artikels 7 Absatz 3, des Alters, der Rasse, der Hautfarbe, der Sprache, der Religion oder Weltanschauung, der politischen oder sonstigen Anschauung, der nationalen, ethnischen oder sozialen Herkunft, des Vermögens, der Geburt oder des sonstigen Status machen.“ 192 Dies ist unstreitg, siehe z. B. IStGH, Lubanga, Entschädigungsanordnung, Rn. 184 ff. 193 TFV, Draft Implementation Plan v. 3. 11. 2015 – ICC-01/04-01/06; Bock, ZIS 2013, 297 (304). 194 Anderson, Do No Harm: How Aid Can Support Peace – Or War, Colorado 1999. 195 TFV, Draft Implementation Plan v. 3. 11. 2015 – ICC-01/04-01/06, Rn. 16.

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getragen sein müsse.196 Eine andere Sichtweise ist gerade im Hinblick auf die Situationsländer schwer vertretbar. (2) „Dignity, non-discrimination and non-stigmatisation“ Die Grundsätze „dignity, non-discrimination and non-stigmatisation“ beinhalten, dass alle Opfer in fairer und gleicher Art und Weise zu behandeln sind, unabhängig davon, ob sie ihre Partizipationsrechte in dem Verfahren wahrgenommen haben. Dabei muss besondere Rücksicht auf die Bedürfnisse der Opfer genommen werden, insbesondere in Fällen von besonders verletzlichen Situationen bei Kindern und Opfern sexueller oder geschlechtsbezogener Gewalt. Die Opfer müssen unter Achtung ihrer Würde und Menschenrechte respektvoll behandelt werden. Reparationen müssen in der Art und Weise geleistet werden, dass sie keine weitere Stigmatisierung oder Diskriminierung der Opfer und ihrer Gemeinschaften nach sich ziehen.197 (3) „Accessibility and consultation with victims: gender-inclusive approach and child victims“ Besondere Bedeutung kommt den Outreach-Aktivitäten des IStGH zu; nur eine informierte Entscheidung der Geschädigten für die Geltendmachung von Reparationsansprüchen kann Wiedergutmachung bedeutungsvoll machen. Der gewählte Wiedergutmachungsansatz soll für alle Geschlechter bestimmt und von dem Ziel getragen sein, die Maßnahme für alle Geschädigten zugänglich zu gestalten. Mithin ist auch Gleichstellung und die paritätische Besetzung bei allen Aspekten der Entschädigung ein wichtiges Ziel des Gerichtshofes.198 Darüber hinaus wurde für das Lubanga-Verfahren notwendigerweise auf die besonderen Belange minderjähriger Opfer eingegangen: Die Schädigungen dieser sowie die unterschiedlichen Auswirkungen der Verbrechen auf Jungen und Mädchen müssten Berücksichtigung finden und Wiedergutmachungsentscheidungen in Bezug auf Kinder sich an der Convention on the Rights of the Child orientieren.199 Besondere Maßnahmen sollten die Entwicklung, die Rehabilitation und die Reintegration der Kindersoldaten zum Ziel haben; auch die notwendigen Informationen müssten auf die Minderjährigen und deren Betreuer ausgerichtet sein.200 196 TFV, Observations v. 25. 04. 2012 – ICC-01/04-01/06-2872 (Prosecutor v. Lubanga, Observations on Reparations in Response to the Scheduling Order of 14 March 2012), Rn. 65 ff.; Bock, ZIS 2013, 297 (304). 197 IStGH, Lubanga, Entschädigungsanordnung, Rn. 187 – 193. 198 IStGH, Lubanga, Entschädigungsanordnung, Rn. 202 – 206. 199 Convention on the Rights of the Child, UN General Assembly resolution 44/25 vom 20. 11. 1989, in Kraft getreten am 02. 09. 1990; IStGH, Lubanga, Entschädigungsanordnung, Rn. 210 – 216. 200 IStGH, Lubanga, Entschädigungsanordnung, Rn. 210 – 216.

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II. Die Genese des Rechts der Reparationen bis zur Reparationsstruktur

5. Fazit Das Recht der Reparationen hat sich in den unterschiedlichen Bereichen des Völkerrechts alles andere als gradlinig und zügig entwickelt. Zunächst veränderte sich die reine Staatenzentriertheit des Völkerrechts dahingehend, dass im humanitären Völkerrecht ein Individuum als Verletzter auftaucht, dessen Heimatstaat als Schutzmacht den Anspruch gegen den verletzenden Staat geltend machen kann. Individuelle Rechte gegen Staaten wurden sodann im Rahmen des Menschenrechtsschutzes anerkannt. Neben der Entwicklung der Anerkennung eines Individuums als Geschädigten auf internationaler Ebene wurde durch die Nürnberger Prozesse angefangen, individuelle Täter als völkerstrafrechtlich Verantwortliche zu sehen. Zunächst an den ECCC in Kambodscha und nun am IStGH wurde schließlich individuellen Opfern die Möglichkeit eingeräumt, Wiedergutmachungsansprüche gegen individuelle völkerstrafrechtlich Verurteilte geltend zu machen und ein entsprechendes Forum geschaffen. Das Reparationssystem des IStGH basiert grundsätzlich auf dem Antragsprinzip und lässt individuelle und kollektive Reparationen zu.201 Eine Wiedergutmachungsanordnung des Gerichtshofes kann direkt gegen den verurteilten Reparationsschuldner ergehen oder an den Treuhandfond übertragen werden. Eine parallele Staatenverantwortlichkeit ist nicht vorgesehen; die Opfer von Massenverbrechen können allein gegen den individuellen Täter vorgehen und das auch nur für Schäden, die aus den Taten folgen, für die der Täter durch den IStGH verurteilt wurde.202 Diese Voraussetzungen limitieren das Forum des IStGH für Reparationen stark und fordern dem Gerichtshof dadurch Einiges ab. In den Entscheidungen der Berufungskammern wurde mehrfach diskutiert, wie eng dieses Erfordernis gesehen werden darf, s. u. in Kapitel IV. Im Folgenden wird in Kapitel III. zunächst der theoretische Hintergrund der Wiedergutmachungsregeln dargestellt werden. Zu fragen ist in diesem Zusammenhang, welche Zielsetzungen und Zwecke durch das Reparationsregime des Gerichtshofes erfüllt werden sollen. Mit dieser Feststellung vor Augen soll sodann in Kapitel IV. geprüft werden, wie das Regelwerk des Art. 75 IStGH-Statut in der Praxis umgesetzt wird und ob bzw. wie der IStGH den dort festgeschriebenen Aufgaben gerecht werden kann.

201

Im Rahmen der Rechtsprechung wurde das grundsätzliche Antragserfordernis jedoch stark aufgeweicht, siehe dazu unten unten, Kapitel IV. 1. h). 202 Wie streng dies auch für die Anordnung kollektiver Wiedergutmachung gilt, ist nicht unumstritten am IStGH, siehe unten unter IV. 1. h) cc).

III. Zweck von Reparationen im Völkerstrafrecht Die Berufungskammer in Lubanga führte aus, der Erfolg des gesamten Gerichtshofes hänge zumindest teilweise von dem Erfolg des Wiedergutmachungssystems ab: „The reparation scheme provided for in the Statute is not only one of the Statute’s unique features. It is also a key feature. The success of the Court is, to some extent, linked to the success of its system of reparations.“1

Nun stellt sich zunächst die Frage, wie sich der „Erfolg“ des Reparationssystems darstellen kann. Ein rein numerischer Ansatz, die Zahl der Entschädigungsanordnungen oder der entschädigten Opfer zu zählen, greift zu kurz; diese Zahlen besagen nichts, wenn die Beteiligten unzufrieden sind. Gewünscht sind gerechte, qualitativ hochwertige, also „gute“ Reparationsentscheidungen. Wie aber lassen sich gerichtliche Entscheidungen als „gut“ qualifizieren? Einzelne Beteiligte haben gewiss unterschiedliche Sichtweisen darauf, was erstrebenswert und „gut“ ist. Notwendig wäre mithin eine abstrakte und – so weit wie möglich – vereinheitlichte Definition dessen, was der Zweck des Reparationsmandats ist und welche konzeptionellen Ziele mit dem Reparationssystem am IStGH erreicht werden sollen. Erst eine Bestimmung der Ziele hinter dem System der Wiedergutmachung erlaubt deren Spiegelung an den tatsächlichen Ergebnissen der Praxis. Eine ehrliche Gegenüberstellung und Bewertung der Übereinstimmungen und Diskrepanzen ist notwendig, um das Regime zu bewerten und etwaige Schwachstellen zu identifizieren. Die Frage nach dem Zweck und den verfolgten Zielen des Reparationsregimes zu beantworten, ist nicht einfach; die Ziele von Opferentschädigung werden häufig allgemein gehalten, wie beispielsweise: „Reparation aims to restore the victims and make them whole again.“2

Opferentschädigung soll mithin wiedergutmachen, im Idealfall die Opfer so stellen, als sei die Schädigung nie eingetreten. Diesen noblen und sehr umfassenden Ansatz in die Praxis der Internationalen Strafgerichtsbarkeit zu übertragen, ist eine nicht zu unterschätzende Herausforderung. Wie häufig liegen die Schwierigkeiten im Detail: Bemühungen bei der Schaffung des Rechts, bei dessen Anwendung und Implementierung können nicht ernstlich erfolgreich sein, wenn noch offen ist, was 1

IStGH, Lubanga, Berufungsentscheidung, Principles on Reparations, Nr. 3. Ein Beispiel statt vieler: Wemmers, in: dies. (Hrsg.), Reparation for Victims of Crimes against Humanity, Introduction, S. 1. 2

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III. Zweck von Reparationen im Völkerstrafrecht

konkret durch das dem völkerstrafrechtlichen Verfahren nachfolgende Reparationsmandat erreicht werden soll. Die dogmatische Herleitung und theoretische Unterfütterung des Reparationsanspruches muss über die programmatische Forderung nach „justice for victims“ hinausgehen. Daher ist es sinnvoll, 1. Ziel und Zweck von Reparationen zunächst sprachlich anzusehen und die Frage nach der Rolle von Reparationen mit Blick auf die Straftheorien zu stellen. 2. In einem weiteren Schritt zu versuchen, die Rechtsnatur von Wiedergutmachungsleistungen dogmatisch zu erfassen und daraus Schlüsse im Hinblick auf ihre übergeordneten Ziele zu ziehen. 3. Schließlich werden die unterschiedlichen durch das Statut bereitgehaltenen Formen und Modalitäten von Entschädigungsleistungen dahingehend geprüft, ob aus ihnen konkrete Folgerungen zu den dem Reparationsmandat zugrundeliegenden Zielen und Zwecken abgeleitet werden können.

1. Kein durch Definition festgelegter Zweck Eine Definition von Reparationen sowie eine ausdrückliche Aussage zu dem konzeptionellen Zweck des Wiedergutmachungsregimes sucht man im IStGH-Statut, den RPE und den Regularien des IStGH vergeblich. Art. 75 Abs. 1 S. 1 des IStGH-Statuts beschränkt sich darauf, dem Gerichtshof das Aufstellen von Grundsätzen für die Wiedergutmachung aufzuerlegen.3 Damit wird eine weitgehende Gestaltungsbefugnis auf den Gerichtshof übertragen, was jedoch nicht nur in Art. 75 IStGH-Statut zu beobachten ist. Handwerklich weist das IStGH-Statut an verschiedenen Stellen eine wohl diplomatisch notwendige „constructive ambiguity“4 auf. Wie oben5 dargelegt, hat sich der IStGH entschieden, dieser Aufgabe nicht durch die Schaffung einer einheitlichen Regelung nachzukommen, sondern sie von den jeweils im Einzelfall zuständigen Kammern erfüllen zu lassen. Damit ruht nun eine schwere Bürde auf den Schultern der Strafrichter, die sich grundlegende Gedanken nicht nur zur prozessualen Seite des Reparationsanspruchs machen, sondern auch das materielle Recht konkretisieren müssen.6 3

Siehe oben unter II. 4. b) aa) (2). So charakterisiert von Kreß, The Procedural Law of the International Criminal Court in Outline: Anatomy of a Unique Compromise, JICJ 1 (2003), 603. 5 Siehe oben unter II. 4. b) aa) (2). 6 So auch Van den Wyngaert, Victims before International Criminal Courts – Some Views and Concerns of an ICC Trial Judge, Case Western Reserve JIL 44 (2011), 475 (486). 4

2. Reparationen im Völker(straf)recht – strukturell inadequat?

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In Ermangelung einer wegweisenden konkreten Definition im IStGH-Statut bleibt als erster Schritt nur, sich die allgemeine sprachliche Definition von Wiedergutmachung in Erinnerung zu rufen: Laut Duden bedeutet das Wort „Wiedergutmachung“ schlicht, dass etwas wieder gut gemacht werden soll. Synonyme in der deutschen Sprache sind „Abfindung, Ausgleich, Entschädigung, Ersatz, Gegenwert, Genugtuung, Kompensation, Satisfaktion, Schadensersatz“.7 Daraus lässt sich für den Zweck von Reparationen in einem Rechtssystem nicht viel entnehmen, abgesehen von dem Hinweis, dass in der Bedeutung des Wortes „Wiedergutmachung“ auch die „Genugtuung“ vorkommt. In der englischen Sprache wird „reparation“ vom Oxford English Dictionary definiert als „The action of making amends for a wrong one has done, by providing payment or other assistance to those who have been wronged.“8 Als Beispielsatz wird genannt: „the courts required a convicted offender to make financial reparation to his victim“.9

Die angegebenen Synonyme wie auch der Beispielssatz legen den Schluss nahe, dass „reparation“ in der englischen Sprache mehr an dem direkten (finanziellen) Ausgleich ausgerichtet ist und Aspekte wie Genugtuung des Geschädigten nicht zwingend davon umfasst werden. Das Wort „Reparationen“ hat – parallel zur der Entwicklung des Völkerrechts – seit dem Zweiten Weltkrieg eine Entwicklung erfahren. Ursprünglich waren Reparationen ausschließlich Kriegsreparationen und damit Wiedergutmachung, die die unterlegene Kriegspartei zwischenstaatlich an den Sieger leisten musste.10 Eine Aussage zu den Zielen hinter Reparationen im Völkerstrafprozess kann aus diesen dünnen Erkenntnissen aus der Interpretation des Wortes nicht getroffen werden.

2. Reparationen im Völker(straf)recht – strukturell inadequat? Mangels eines ausdrücklich definierten Zwecks von Reparationsaussprüchen im Regime des IStGH bleibt nun zunächst erneut ein Blick auf die allgemeine Regel des

7

http://www.duden.de/rechtschreibung/Wiedergutmachung (abgerufen am 10. April 2016). http://www.oxforddictionaries.com/de/definition/englisch/reparation (abgerufen am 10. April 2016) unter Angabe der Synonyme: amends, restitution, redress, compensation, recompense, repayment, atonement; indemnification, indemnity, damages und des Ursprungs des Wortes aus dem Lateinischen: reparare, „make ready again“. 9 http://www.oxforddictionaries.com/de/definition/englisch/reparation (abgerufen am 10. April 2016). 10 Vgl. dazu: Tropey, in: de Feyter et al. (Hrsg.), Out of the Ashes – Reparation für Victims of Gross and Systematic Human Rights Violations, S. 36 f. 8

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III. Zweck von Reparationen im Völkerstrafrecht

Völkerrechts aus der vielfach zitierten Factory of Chorzow-Entscheidung, der „Geburtsstunde“ der Reparationen.11 Der PCIJ führte dort zu Reparationen aus: „[R]eparation must, as far as possible, wipe out all the consequences of the illegal act and reestablish the situation which would, in all probability, have existed if that act had not been committed.“12

Damit formulierte der Gerichtshof die allgemein anerkannte Grundregel der Schadenswiedergutmachung, mit der der status quo ante wiederhergestellt werden soll; das Opfer also in die Situation versetzt werden soll, die bestünde, wenn das schädigende Ereignis nicht eingetreten wäre.13 Dieser Grundsatz gilt auch bei Schädigugnen hervorgerufe durch Völkerstraftaten. Aufgrund der besonderen Schwere der Verletzungen durch völkerrechtliche Verbrechen kann dieser Grundsatz jedoch nicht einfach auf die Wiedergutmachung solcher Verbrechen übertragen werden. Nur in Einzelfällen dürfte es möglich sein, durch Völkerstraftaten erlittenes Unrecht wieder ungeschehen zu machen.14 Die „core crimes“, für die der IStGH Jurisdiktion hat, sind in der Regel so unvorstellbar grausam und die Verletzungen so schwerwiegend, dass eine Wiederherstellung des status quo ante nicht möglich ist. Ein genommenes Leben kann nicht wiederhergestellt werden, es gibt auch keine Wiedergutmachung für einen Genozid oder andere Massenverbrechen.15 Der sonst im nationalen und internationalen Recht geltende Ansatz des Schadensersatzes funktioniert also im Völkerstrafrecht nicht. Die Sehnsucht nach einer solch umfassenden Wiedergutmachung im wörtlichen Sinne scheint aber dennoch zu bestehen. Martha Minow fasst das allgemeine menschliche Bedürfnis nach Opferentschädigung als Kernidee für Reparationen treffend zusammen und zeigt gleichzeitig deren Grenzen auf: „The core idea behind reparation stems from the compensatory theory of justice. Injuries can and must be compensated. Wrongdoers should pay victims for losses. Afterwards, the slate can be wiped clean. Or at least a kind of justice has been done. This is a commonplace notion of justice in the context of bankruptcy, contracts and even personal injury law.“16

Schäden an Gegenständen, finanzielle Verluste oder frustrierte Aufwendungen können ausgeglichen oder wiedergutgemacht werden. Wie Minow darlegt, haben wir 11

Siehe oben. StIGH, Chorzo´w (Germany v. Poland), Urt. v. 13. September 1928, P.C.I.J. 1928, Serie A, Nr. 17, S. 29. 13 Siehe statt vieler: Coester-Waltjen, Die Naturalrestitution im Deliktsrecht, Jura 1996, 270 – 272. 14 Denkbar ist dies vielleicht bei der Rückgabe von entwendetem Grund und Boden oder der Ermöglichung einer Heimkehr nach Vertreibung. 15 So auch Roht-Arriaza, Hastings Int’l and Comp LR 27 (2004), 157 (158); so auch der TFV, Observations v. 25. 04. 2012 – ICC-01/04-01/06-2872 (Prosecutor v. Lubanga, Observations on Reparations in Response to the Scheduling Order of 14 March 2012), Rn. 83. 16 Minow, Between Vengeance and Forgiveness, S. 104. 12

2. Reparationen im Völker(straf)recht – strukturell inadequat?

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uns auch im Bereich von Körperverletzungen daran gewöhnt, dass Schmerzen oder sogar fehlende Extremitäten durch umfassende, von Versicherungen aufgestellte Listen bezifferbar sind.17 Monatelange Folter, Morde vor den Augen von Familienmitgliedern, Massenvergewaltigungen und systematische Brandschatzungen und Entführungen erzeugen jedoch solch ein physisches und psychisches Leid, dass keine Geldsumme als Ausgleich angemessen erscheint. Irreparables kann nicht repariert werden. Gary Bass fasst das Dilemma knapp zusammen: „But the bottom line is that reparation can never be adequate if measured against the depth of the wounds.“18 Diese ernüchternden Feststellungen könnten nun dazu verleiten, die Wiedergutmachung von völkerstrafrechtlichen Verbrechen gar nicht erst versuchen zu wollen und den Ansatz gleich für gescheitert zu erklären. Auch die Tatsache, dass in der Viktimologie immer wieder vor einer zweiten Viktimisierung durch ungerechte oder unzureichende Reparationssysteme19 gewarnt wird, kann abschrecken. Einer solchen Herausforderung wie dem Bestreben, das Irreparable reparieren zu wollen, mit der „Vogel-Strauß-Taktik“ zu begegnen, ist jedoch – bei allem Verständnis für die Sorgen – keine Alternative. Bock ermahnt zu Recht dazu, nicht vor den Schwierigkeiten eines Wiedergutmachungssystems für die „core crimes“ zu kapitulieren, sondern zu versuchen, die Rechtsverletzungen der Geschädigten soweit wie eben möglich auszugleichen.20 Doch wie gelingt ein so überwältigendes Unterfangen? Hilfreich kann hier der Ansatz von Gary Bass sein: Bass argumentiert, dass obschon Massenverbrechen nicht ungeschehen gemacht werden können, die überlebenden Menschen in den Situationsländern doch die Chance bekommen müssen, ihr Leben in einer wieder funktionierenden Gesellschaft weiterzuleben. Dafür sei es politisch notwendig „[…] to provide some tokenistic measure of justice or reparation in order to mollify the victims enough that they will participate in the normal political life. […] It will not really be justice, but that is what we will call it“.21 Erforderlich sei es mithin, zumindest ein Zeichen zu setzen, auch niedrigschwellige individuelle Mittel und Wiedergutmachung zu liefern, um die Opfer so weit zu befriedigen, dass sie wieder ein normalisiertes gesellschaftliches Leben führen können. Doch auch diese Form der „justice“ muss erst einmal erreicht werden. Es kann an dieser Stelle zunächst dahingestellt bleiben, ob Reparationen in der Praxis vollständige Gerechtigkeit wiederherstellen können oder lediglich „some tokenistic measure of justice“22 sind. Denn ganz generell herrscht das Verständnis 17 18 19 20 21 22

Minow, Between Vengeance and Forgiveness, S. 104. Bass, in: Williams et al. (Hrsg.), Transitional Justice, S. 171. Bock, Das Opfer vor dem Internationalen Strafgericht, S. 589 m. w. N. Bock, Das Opfer vor dem Internationalen Strafgericht, S. 562. Bass, in: Williams et al. (Hrsg.), Transitional Justice, S. 167. Bass, in: Williams et al. (Hrsg.), Transitional Justice, S. 167.

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III. Zweck von Reparationen im Völkerstrafrecht

vor, dass die Opferentschädigung zumindest ein notwendiger Teil des Konzepts „justice“ ist.23 Nach Dwertmann haben Reparationen im Internationalen Strafverfahren einen zweifachen Zweck: Zunächst bedienen sie das klassische Konzept von „justice“, nach dem eine Bestrafung der für die Verbrechen Verantwortlichen nicht ausreiche, sondern auch eine Verpflichtung zur Wiedergutmachung erfolgen müsse.24 Darüber hinaus komplementierten Reparationsaussprüche die Aufgabe des IStGH, die einzelnen Täter für die Begehung von Straftaten in der Jurisdiktion des Gerichtshofes zur Verantwortung zu ziehen.25 In seinen Lubanga-Entscheidungen äußerte sich der IStGH kurz zu dem Zweck von Reparationen und schloss sich den von Dwertmann herausgearbeiteten zwei Hauptzwecken an: „Reparations fulfil two main purposes that are enshrined in the Statute: they oblige those responsible for serious crimes to repair the harm they caused to the victims and they enable the Court to ensure that offenders account for their acts.“26

Dadurch wird der Täter neben der Feststellung der individuellen Schuld und Verhängung einer Strafe auch durch Reparationen individuell zur Verantwortung gezogen.27 Bemüht sich der Täter um einen Schadensausgleich oder wird er hierzu verpflichtet, so impliziert dies, dass er kein Recht zur Vornahme der schädigenden Handlung hatte. Dadurch wird unterstrichen, dass den Betroffenen kein schicksalhaftes oder selbst zu verantwortendes Unglück ereilte, sondern ihm ein von Menschen verursachtes Unrecht widerfahren ist und sein Status des Opfers anerkannt wird.28 Durch diese Manifestation nach außen, dass es die Verpflichtung zur Wie23

Siehe Nr. VII der UN Basic Principles/van-Boven-Principles, A/RES/60/147, http:// www.un.org/ga/search/view_doc.asp?symbol=A/RES/60/147 (abgerufen am 31. Juli 2018); Bock, Das Opfer vor dem Internationalen Strafgericht, S. 599 ff.; Heikkilä, International Criminal Tribunals and Victims of Crime, S. 166. 24 Dwertmann, Reparation System, S. 43. 25 Dwertmann, Reparation System, S. 43 f., mit der Auffassung, dass das Reparations Regime die Zwecke von International Criminal Justice komplementiert und ihnen nicht entgegensteht, S. 44. 26 IStGH, Lubanga, Entschädigungsanordnung, Rn. 179; IStGH, Lubanga, Berufungsentscheidung, Annex A, Rn. 2. 27 Bock, Das Opfer vor dem Internationalen Strafgericht, S. 578; Rombouts/Sardaro/Vandeginste, in: de Feyter et al. (Hrsg.), Out of the Ashes – Reparation for Victims of Gross and Systematic Human Rights Violations, S. 466, Rn. 166; allgemein zum Verha¨ ltnis zwischen Wiedergutmachung und Solidarita¨ t: de Greiff, in: ders. (Hrsg.), The Handbook of Reparations, S. 451, S. 446 ff. 28 IStGH (International Center for Transitional Justice), Submission v. 10. 5. 2012 – ICC-01/ 0401/06-2879, Rn. 63; Sierra Leone Truth & Reconciliation Commission, Report of the Sierra Leone Truth & Reonciliation Commission, Bd. 2, 2004, Kapitel 4, Rn. 22, http://www.sierra leonetrc.org/index.php/view-the-final-report/download-table-of-contents/volume-two/item/wit ness?category_id=12 (abgerufen am 31. Juli 2018); Ferstman, Leiden JIL 15 (2002), 667 (668); de Greiff/Wierda, in: de Feyter et al. (Hrsg.), Out of the Ashes – Reparation for Victims of Gross

2. Reparationen im Völker(straf)recht – strukturell inadequat?

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dergutmachung gibt und ein Gerichtshof existiert, um das Recht auf Wiedergutmachung zuzusprechen, wird versucht, die aus dem Lot geratene Balance der Gerechtigkeit wieder ein Stück weit auszutarieren. In diesem Streben kann durchaus eine Zweckbestimmung des Reparationsregimes am IStGH gesehen werden. In diesem Sinne erklärten die Verfahrenskammer und Berufungskammer in Lubanga übereinstimmend: „Reparations in the present case must – to the extent achievable – relieve the suffering caused by the serious crimes committed; afford justice to the victims by alleviating the consequences of the wrongful acts; deter future violations; and contribute to the effective reintegration of former child soldiers. Reparations can assist in promoting reconciliation between the convicted person, the victims of the crimes and the affected communities. Reparations should secure, whenever possible, reconciliation between the convicted person, the victims of the crimes and the affected communities.“29

Die Richter erkannten – und zeigten dies durch den Einschub „to the extend achievable“ – die limitierte Wirkung von Reparationen an, postulierten dennoch richtigerweise den höheren Zweck der Wiedergutmachung: Das Leiden der Opfer durch die Taten zu mildern und so den Opfern Gerechtigkeit – „justice“ – zu gewähren.30 Darüber hinaus wurde vertreten, dass Wiedergutmachungsaussprüche abschreckende Wirkung für zukünftige Verbrechen haben können; dieser Punkt scheint jedoch eher unwahrscheinlich, denn die Vermutung des Gerichtshofes kann nicht auf die Ergebnisse der Forschung gestützt werden.31 Im Bereich der Staatenverantwortlichkeit mag dieser Gedanke nicht abwegig sein; im Völkerstrafrecht, wo bereits die abschreckende Wirkung der angedrohten Strafbarkeit des Einzelnen umstritten ist, kann bezweifelt werden, dass sich potentielle Täter aufgrund der drohenden Reparationsansprüche gegen die Begehung von Völkerrechtsverbrechen entscheiden.32

and Systematic Human Rights Violations, S. 235; de Greiff, in: ders. (Hrsg.), The Handbook of Reparations, S. 460; Rombouts/Sardaro/Vandeginste, in: de Feyter et al. (Hrsg.), Out of the Ahes, S. 465, Rn. 160 f.; McCarthy, JICJ 10 (2012), 351 (366 f.). Siehe zu diesem expressivistischen Gerechtigkeitsgedanken auch unten unter III. 3. d). 29 IStGH, Lubanga, Entschädigungsanordnung, Rn. 179; IStGH, Lubanga, Berufungsentscheidung, Annex A, Rn. 71 f. 30 In Katanga erklärte die Berufungskammer: „The Appeals Chamber considers that focusing on the cost to repair is appropriate, in light of the overall purpose of reparations, which is indeed to repair.“, IStGH, Katanga, Berufungsentscheidung, Rn. 2. 31 IStGH, Lubanga, Entschädigungsanordnung, Rn. 179; siehe kurz zu der Frage, ob das Reparationsregime abschreckende Wirkung haben kann Muttukumuru, in: Lee (Hrsg.), The ICC – The Making of the Rome Statute, S. 264; Dwertmann, Reparation System, S. 41; Bock, ZIS 2013, 297 (301). Eingeräumt werden sollte jedoch, dass sich abschreckende Wirkungen im Rahmen dieser Fragestellung empirisch schlecht untersuchen lassen. Bei den zuletzt im Raum stehenden Millionenbeträgen an Reparationen sollten sie jedoch auch nicht grundlegend ausgeschlossen werden. 32 Dwertmann, Reparation System, S. 41.

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III. Zweck von Reparationen im Völkerstrafrecht

Als weiteren möglichen Zweck von Reparationen sprachen die Kammern die Versöhnung zwischen Tätern, Opfern und der betroffenen Gesellschaft an und forderten, wenn möglich, einen gesamtgesellschaftlichen Versöhnungsprozess.33 Die Richter griffen häufig auf die Aussagen der van Boven-Principles34 zurück und zogen diese bei der Auslegung des Art. 75 IStGH-Statut heran.35 Die van Boven-Principles setzen sich als allgemeine Grundsätze nicht vertieft mit dem Zweck der Opferentschädigung im internationalen Strafverfahren auseinander, vielmehr behandeln sie Grundsätze und Modalitäten für Reparationen. Prinzip 15 enthält jedoch einen – allgemeinen – Hinweis auf den allumfassenden Zweck – der Förderung von „Gerechtigkeit“: „Adequate, effective and prompt reparation is intended to promote justice.“36

Die Sprache der Kammern zeigt auf, dass sie sich durchaus bewusst waren, dass einige Aspekte Möglichkeiten sind, die angestrebt und erreicht werden sollen, aber nicht garantiert werden können.37 Dennoch ist aus den Zielen insgesamt eine optimistische Haltung der Kammern zu lesen. Die angesprochenen Ziele und Zwecke sind breit gefächert und durchaus ehrgeizig. Wenn auch noch reichlich unkonkret, liefern sie dennoch einen Ansatz dafür, ihre Umsetzbarkeit bei der Behandlung des rechtlichen Rahmens von Art. 75 IStGH-Statut für Anspruchsvoraussetzungen und Anspruchsinhalt gegenzuprüfen.

3. Zweck von Reparationen – Ein straftheoretischer Ansatz Neben den oben angeführten Zielrichtungen ist der Zweck von Reparationen im Völkerstrafrecht schwer greifbar. Der konkrete Inhalt von „Gerechtigkeit“ bleibt in Bezug auf Reparationen sehr weit gefächert. Die Bedürfnisse der Opfer sind der zentrale Aspekt, der in der Literatur zu Recht ausgiebig diskutiert wird.38 Die Er-

33 IStGH, Lubanga, Entschädigungsanordnung, Rn. 179: „Reparations can assist in promoting reconciliation between the convicted person, the victims of the crimes and the affected communities (without making Mr Lubanga’s participation in this process mandatory).“ 34 UN Basic Principles and Guidelines on Reparation. 35 Dies ist aufgrund des engen Zusammenhangs zwischen dem IStGH-Statut und den Principles sowohl in Hinblick auf Inhalt als auch auf die Entstehungsgeschichten angemessen, Rombouts/Sardaro/Vandeginste, in: de Feyter et al. (Hrsg.), Out of the Ashes – Reparation for Victims of Gross and Systematic Human Rights Violations, S. 451, Rn. 135. 36 Prinzip 15. 37 IStGH, Lubanga, Entschädigungsanordnung, Rn. 193: „Reparations should secure, whenever possible, reconciliation between the convicted person, the victims of the crimes and the affected communities“. 38 Ein Ansatz ist beispielsweise Maslow’s Pyramide of Needs, vgl. Bock, Das Opfer vor dem Internationalen Strafgericht, S. 55 f. unter Verweis auf Abraham Maslow, Motivation and

3. Zweck von Reparationen – Ein straftheoretischer Ansatz

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gebnisse viktimologischer Forschung sollen an dieser Stelle indes nicht dargelegt werden. Vielmehr soll geprüft werden, ob aus einer dogmatischen Verwurzelung von Opferentschädigung in den bestehenden Straftheorien Schlüsse für die Beantwortung der Frage nach der konzeptionellen Rolle von Reparationen im internationalen materiellen Strafrecht und ihrem Zweck gezogen werden können. Auch die verschiedenen Ansätze zu den Strafzwecken sollen hier nicht im Detail besprochen und bewertet werden. Es soll vielmehr vereinfacht gefragt werden: Richten wir bei der Sanktionierung des Täters den Blick in die Vergangenheit, um Vergeltung oder Schuldausgleich zu bewirken? Oder blicken wir in die Zukunft und arbeiten an der Verhütung künftiger Taten?39 Können Reparationen nach den jeweiligen Ansätzen einen konzeptionellen Sinn haben? Diese Art der Betrachtung bringt strukturelle Herausforderungen mit sich, da die in erster Linie für das nationale Strafrecht entwickelten Theorien auf die internationale Ebene gehoben werden müssen.40 Außerdem beschäftigen sich die Theorien vornehmlich mit der Rechtfertigung und Zwecksetzung von Strafe, nicht mit der Begründung von Opferentschädigung.41 Daher werden im Folgenden nun die Begründungs- und Erklärungsansätze der gängigen Straftheorien zunächst daraufhin untersucht, ob Opferentschädigung in ihnen sinnvoll verwurzelt werden kann.

a) Retributive Gerechtigkeit – Der Vergeltungsgedanke Bei dem Ansatz der retributiven, ausgleichenden Gerechtigkeit42 geht es nicht um Rache; die Strafe soll vielmehr Gerechtigkeit wiederherstellen, die Schuld des Täters vergelten und einen Ausgleich für die Störung der öffentlichen Ordnung schaffen. Diese Form der Gerechtigkeit baut auf der Prämisse auf, dass der Täter Bestrafung verdient hat.43 Dieses Zweckverständnis von Strafe blickt zurück und zielt nicht Personality; so auch Wemmers, in: dies. (Hrsg.), Reparation for Victims of Crimes against Humanity, S. 227 f. 39 So fragt Neubacher, Strafzweck und Völkerstrafrecht, NJW 2006, 966 (968). 40 Siehe dazu Safferling, ARIEL 4 (1999), S. 146 ff. 41 Eine ganzheitliche Theorie zu Criminal Justice findet sich bei McGonigle, Procedural Justice?, S. 36. 42 Anders als die in den deutschen Straftheorien übliche Zweiteilung in „absolute“ und „relative“ Theorien soll hier ein weiterer Ansatz gewählt werden. Anders als die für diesen Zweck zu undifferenzierte Herangehensweise (vgl. Hörnle, Straftheorien, S. 3) soll hier jeweils auf die inhaltliche Zielrichtung der einzelnen Ansätze der strafrechtlichen Gerechtigkeit eingegangen werden. 43 Vgl. McCarthy, Reparations and Victim Support, S. 56, der zu der Begründung für die Frage, warum Bestrafung verdient ist, auf Literatur verweist: Nozick, Philosophical Explanations, Cambridge 1981, S. 374 – 384; Cooper, Hegel’s Theory of Punishment, in: Pelcynski (Hrsg.), Hegel’s Philosophy: Problems and Perspectives, Cambridge 1971, S. 151; von Hirsch,

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III. Zweck von Reparationen im Völkerstrafrecht

darauf ab, präventive Wirkung in der Zukunft zu entfalten. Traditionell werden Kant und Hegel als berühmte Vertreter dieser Sichtweise genannt, regelmäßig mit Hinweis auf Kants vielzitierte Sätze über Vergeltung aus der „Metaphysik der Sitten“: „Selbst wenn sich die bürgerliche Gesellschaft mit allen Gliedern in Einstimmung auflöste […], müsste der letzte im Gefängnis befindliche Mörder vorher hingerichtet werden, damit Jedermann das widerfahre, was seine Taten wert sind, und die Blutschuld nicht auf dem Volke hafte, das auf die Bestrafung nicht gedrungen hat: weil es als Teilnehmer an dieser öffentlichen Verletzung der Gerechtigkeit betrachtet werden kann.“44

Bestrafung wird von Vertretern des retributiven Ansatzes konzeptualisiert als „just deserts“.45 Der Ansatz der retributiven Gerechtigkeit hat ausschließlich das Verhältnis des regelverstoßenden Täters zur Gesellschaft zum Inhalt; dies ist ausreichend zur Wiederherstellung der Gerechtigkeit. Belange der Opfer hingegen sind – mit Ausnahme von der Ebene der Strafzumessung – weitgehend irrelevant.46 Eine konzeptionelle Rolle für Opferentschädigung im (internationalen) Strafrecht kann aus dem retributiven Ansatz grundsätzlich nicht abgeleitet werden.47 Möglich wäre dies nur, wenn Reparationen als Teil der Strafe verstanden werden könnten. Gegen eine solche Annahme spricht im Rahmen des IStGH-Statuts jedoch sowohl der Wortlaut als auch die Systematik. Die anwendbaren Strafen sind enumerativ aufgelistet in Art. 77 des Statuts; Wiedergutmachung hingegen ist ausschließlich in Art. 75 geregelt und zwar nicht in „Teil 7: Strafen“, sondern in „Teil 6: Hauptverfahren“. Dies zeigt eindeutig, dass Wiedergutmachung im Sinne des IStGH-Statuts einen völlig anderen Charakter als den einer Strafe hat. Sie wurde aus Verlegenheit und aus Praktikabilitätsgründen im 6. Teil untergebracht, der sich eigentlich mit dem Verfahren beschäftigt. Diese Lesart wird durch die Genese des IStGH-Statuts bestätigt. Das Vereinigte Königreich hatte 1997 dem Preparatory Committee vorgeschlagen, Entschädigung solle ein „monetary award“ sein, der „a punitive element, a compensatory element or both“ enthalten solle.48 Der 1998 von Frankreich und dem Vereinigten Königreich gemeinsam dem Preparatory Committee vorgelegte Entwurf enthielt ebenfalls einen Vorschlag für punitive Reparationen.49 Der kurz vor der Konferenz veröffentlichte Vertragsentwurf des Preparatory Committee beinhaltete Punishment, Penance and the State, in: Matravers (Hrsg.), Punishment and Political Theory, Oxford/Portland 1999, S. 69. 44 Kant, Metaphysik der Sitten, 2. Aufl. Ko¨ nigsberg 1798, Erster Teil: Metaphysische Anfangsgru¨ nde der Rechtslehre. 45 So kritisch dargestellt von Braithwaite/Pettit, Not Just Deserts, S. 6. 46 Hörnle, Straftheorien, S. 39. 47 So auch McCarthy, Reparations and Victim Support, S. 55 f.; generell hinsichtlich der Stellung von Opfern im internationalen Strafverfahren im Ergebnis auch McGonigle, Procedural Justice?, S. 41. 48 Proposal by the United Kingdom to the Preparatory Committee, 10. 12. 1997, A/AC.249/ 1997/WG.4/DP.13. 49 Proposal by France and the United Kingdom to the Preparatory Committee, 10. 02. 1998, A/AC.249/1998/WG.4/DP19.

3. Zweck von Reparationen – Ein straftheoretischer Ansatz

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die Möglichkeit, Wiedergutmachung als eine Art der Strafe zu verhängen.50 In Rom legte sodann die Working Group on Penalties eine Empfehlung vor, in der Wiedergutmachung als eine Strafe aufgenommen war.51 Nachdem Großbritannien und Frankreich in einem folgenden Vorschlag Reparationen nicht mehr als Element der Strafe vorgesehen hatten,52 überarbeitete die Working Group on Penalties ihren Entwurf und strich den Absatz zur Wiedergutmachung. Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass die Entscheidung auf der Konferenz in Rom, Wiedergutmachung nicht als Art der Strafe vorzusehen, wohl überlegt und kein redaktioneller Flüchtigkeitsfehler war. Auch in den Entscheidungen des IStGH wurde an keiner Stelle angedeutet, Wiedergutmachung könne einen Teil der Strafe darstellen. Da aus dem retributiven Strafzweck schon keine konzeptionelle Rolle für Reparationen im Internationalen Strafrecht abgeleitet werden kann, kann sich aus diesem Ansatz folglich auch kein Zweck der Wiedergutmachung ergeben.

b) Präventionsorientierte Gerechtigkeit – die abschreckende Wirkung von Maßnahmen Präventionsorientierte Zwecktheorien richten sich nicht auf die Vergeltung vergangener Taten, sondern zielen auf die Verhütung zukünftiger Rechtsgutsverletzungen ab. Die Verhängung von Strafe ist nach dieser Sicht ein angemessenes Mittel zur Erreichung der Zwecke Abschreckung, Prävention, Unschädlichmachung oder Besserung.53 Mit dem Ziel, die Begehung von Straftaten zu verhindern, ist die Zwecktheorie ein in die Zukunft gerichteter Ansatz.54 Die Zielrichtung hat verschiedene Ausprägungen. Unter dem Schlagwort der „Spezialprävention“ wird der Zweck verstanden, einen konkreten Täter durch die Strafverhängung und Strafvollstreckung zu bessern und so von der Begehung zukünftiger Taten abzuhalten.55 Kriminologische Untersuchungen haben allerdings gezeigt, dass eine mögliche abschreckende Wirkung des Strafrechts auf potentielle Täter nicht von Art und Höhe der angedrohten Sanktion abhängt,

50 Draft Statute for the International Criminal Court, Preparatory Committee, 14. 04. 1998, A/CONF.183/C.1/WGP/L.14. 51 Chairman’s Working Paper on Article 75, Committee of the Whole Working Group on Penalties, 30. 06. 1998, AA/CONF. 183/C.1/WPG/L.3. 52 Proposal by France and the United Kingdom, Committee of the Whole Working Group on Penalties, Rome Conference, 26. 06. 1998, AA/CONF.183/C.1/WGPM/L.28. 53 Hörnle, Straftheorien, S. 20; Heikkilä, International Criminal Tribunals and Victims of Crime, S. 29. 54 McGonigle, Procedural Justice?, S. 40. 55 Hörnle, Straftheorien, S. 20.

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sondern davon, wie hoch der Täter sein Entdeckungs- und Sanktionierungsrisiko einschätzt.56 Der Ansatz der „Generalprävention“ hingegen zielt darauf ab, andere von der zukünftigen Begehung von Straftaten abzuhalten. Dabei kommt es – anders als bei dem retributiven Ansatz – nicht auf das persönliche Leid des Täters an, sondern dieses wird lediglich zum Zwecke der Prävention in Kauf genommen; es ist nicht Selbstzweck des generalpräventiven Strafens.57 Der Unterschied zwischen „negativer“ und „positiver“ Generalprävention liegt in der Festlegung des Personenkreises, auf dessen Verhalten Einfluss genommen werden soll.58 Die Theorie der „negativen Generalprävention“ geht davon aus, dass Strafzweck die Abschreckung tatgeneigter Personen ist, die sich durch eine hohe Anzahl aufgeklärter Taten und Verurteilungen davon abhalten lassen, Straftaten zu begehen.59 Die These der „positiven Generalprävention“ nimmt demgegenüber an, dass strafrechtliche Verurteilungen Menschen ansprechen, die sich grundsätzlich normtreu verhalten.60 Da deren rechtstreues Verhalten unterminiert würde, wenn Regelverstöße nicht geahndet würden, ist der Zweck der Strafe auch die Prävention der Begehung von Straftaten durch eigentlich rechtstreue Bürger.61 Die Rolle des Opfers ist auch in der utilitaristischen Theorie sehr begrenzt.62 Tatopfer ist nicht nur der Betroffene, sondern alle Bürger als verletzte Gesellschaft.63 Obwohl das IStGH-Statut keine Aussage zu den Strafzwecken trifft, ist der Gedanke der Generalprävention durchaus darin angelegt.64 In der Präambel bekennen sich die Vertragsstaaten zu der Zielsetzung „der Straflosigkeit der Täter ein Ende zu setzen und so zur Verhütung solcher Verbrechen beizutragen“.65 Dass allein die drohende Gefahr einer Reparationsanordnung zukünftige Täter von der Begehung völkerrechtlicher Verbrechen abhält, ist allerdings sehr unwahrscheinlich.66 Die Perspektive einer möglichen Wiedergutmachungspflicht kann daher allenfalls marginal zur Abschreckung beitragen.

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Dölling, Generalprävention durch Strafrecht: Realität oder Illusion? ZStW 102 (1990), 1. Vgl. McGonigle, Procedural Justice?, S. 44. 58 Hörnle, Straftheorien, S. 25. 59 Hörnle, Straftheorien, S. 24, mit dem Hinweis darauf, dass es (auf nationaler Ebene) empirisch nachgewiesen ist, dass sich Personen durch die Wahrscheinlichkeit entdeckt und verurteilt zu werden durchaus in ihrem Verhalten beeinflussen lassen. 60 Hörnle, Straftheorien, S. 25. 61 Hörnle, Straftheorien, S. 26, die den Nachweis der behaupteten Zusammenhänge bezweifelt. 62 McGonigle, Procedural Justice?, S. 44. 63 Heikkilä, International Criminal Tribunals and Victims of Crime, S. 31. 64 Neubacher, NJW 2006, 966 (968). 65 IStGH-Statut, Präambel, Spiegelstrich 5. 66 Dwertmann, Reparation System, S. 41; Bock, ZIS 2013, 297 (301). 57

3. Zweck von Reparationen – Ein straftheoretischer Ansatz

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c) Reparative/Restorative Gerechtigkeit67 Ein weiterer Ansatz68 zur Rechtfertigung staatlichen Strafrechts ist die Theorie der Reparative/Restorative Justice.69 Die Idee der wiedergutmachenden Gerechtigkeit ist weitreichend und facettenreich; eine einheitliche und klar umgrenzbare Vision existiert nicht.70 Eine weithin akzeptierte und international gebräuchliche Definition von Restorative Justice lautet: „a process whereby parties with a stake in a specific offence collectively resolve how to deal with the aftermath of the offence and its implications for the future.“71 Ein Charakteristikum des Ansatzes der restorativen Gerechtigkeit ist die Inklusion aller von einem Konflikt betroffenen Personen und Personengruppen: Täter, Opfer und die weitere Gesellschaft.72 Auf der internationalen Ebene hat die Theorie der Restorative Justice in erster Linie zur Schaffung von Truth and Reconciliation Commissions sowie von International Claims Commissions geführt.73 Später wurde diese Theorie auch für den Bereich der (internationalen) Strafgerichtsbarkeit fruchtbar gemacht. Hier bestand die Besorgnis, dass der Staat und seine Institutionen die Antwort auf Straftaten monopolisierten und zu einer rein öffentlichen Angelegenheit machten.74 Kritiker der traditionellen retributiven Theorie beklagten, dass den Interessen des Täters und der Gesellschaft zu viel Bedeutung zugeschrieben und den Belangen der Opfer zu wenig Beachtung geschenkt werde.75 Dadurch werde man der Komplexität der Folgen einer Straftat nicht gerecht.76 Die Bestrafung des Täters sei eine unzureichende Antwort auf den durch das Verbrechen 67 Siehe dazu: Eser/Walther (Hrsg.), Reparation in Criminal Law – International Perspectives; Davis, Making Amends – Mediation and Reparation in Criminal Justice; Zedner, Reparation and Retribution: Are they Reconcilable?, Modern Law Review 57 (1994), 228; Clamp, Restorative Justice in Transition; Danielli, in: Sullivan/Tifft (Hrsg.), Handbook of Restorative Justice, 337. 68 In der deutschen Literatur wird zum Teil bestritten, dass restorative Gerechtigkeit eine eigenständige Theorie (und nicht nur eine soziale Bewegung) sei; Kinzig, in: Schönke/ Schröder, StGB, vor § 38 Rn. 25 („bisher keine eigenständige Ergänzung zum bestehenden Sanktionensystem“). Gerade im Bereich der internationalen Strafgerichtsbarkeit, die straftheoretisch kaum untermauert ist, kann aber der Ansatz der Restorative Justice als eigenständige Straftheorie von Bedeutung sein; McGonigle, Procedural Justice?, S. 51 mit Verweis auf Luna, Punishment Theory, Holism, and the Procedural Conception of Restorative Justice, Utah Law Review 2003, 205 (227). 69 Teilweise wird zwischen restorativer und reparativer Gerechtigkeit unterschieden. Reparative Gerechtigkeit stellt allein die Erfahrungen des Opfers in den Mittelpunkt. 70 Zedner, Modern Law Review 57 (1994), 228 (234 f.). 71 Marshall, Restorative Justice: An Overview, S. 5. 72 McGonigle, Procedural Justice?, S. 62. 73 McGonigle, Procedural Justice?, S. 62. 74 McCarthy, Reparations and Victim Support, S. 57 m. w. N. 75 Heikkilä, International Criminal Tribunasl and Victims of Crime, S. 31. 76 McCarthy, Reparations and Victim Support, S. 57 m. w. N.

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III. Zweck von Reparationen im Völkerstrafrecht

entstandenen Schaden.77 Die Verhängung einer Freiheitsstrafe entspreche allein dem Bedürfnis der Gesellschaft, den Täter unschädlich zu machen und zukünftige Täter abzuschrecken; die Bedürfnisse des Opfers blieben dabei außer Betracht. Deshalb sei die Kriminalstrafe allein keine angemessene Reaktion auf die Folgen der Tat für das Opfer und den Zusammenhalt der Gesellschaft.78 Um die Bedürfnisse der Opfer angemessen einzubeziehen, soll nach der Theorie der Restorative Justice ein Verbrechen nicht nur als Unrecht gegen eine abstrakte Gesellschaft behandelt werden, das einer gesellschaftlichen Sanktion bedarf.79 Vielmehr soll auch der Konflikt zwischen Täter und Opfer als Teil des Prozesses verstanden werden, durch den die Beziehung zwischen Opfern, Tätern und der Gesellschaft wiederhergestellt und das „social fabric“ repariert wird.80 Restorative Justice ist mithin darauf ausgerichtet, die individuellen Beziehungen und die sozialen Bindungen wieder instand zu setzen, die durch die Straftat beschädigt wurden.81 Marshall nennt fünf Dimensionen als „primary objectives“: - Den materiellen, finanziellen, emotionalen und sozialen Bedürfnissen der Opfer und eventuell ihrer mitbetroffenen Angehörigen dienen. - Wiederholungstaten durch Re-Integration des Täters verhindern. - Dem Täter die Möglichkeit geben, aktiv Verantwortung für seine Taten zu übernehmen. - Eine funktionierende Gesellschaft wiederherstellen, die die Rehabilitation von Tätern und Opfern unterstützt und aktiv Verbrechensprävention betreibt. - Gerechtigkeit durch Justizverfahren herstellen und überlange Verfahrensdauer und Kostenexplosionen vermeiden.82 Auf den ersten Blick bietet die Theorie der restorativen Gerechtigkeit einen modernen Ansatz für die Zweckbestimmung von Reparationen im internationalen Strafverfahren: Die Interessen der Opfer an Wiedergutmachung und Anerkennung ihrer Opferstellung bekommen so eine wichtige Rolle. In diesem Sinne formuliert auch Zedner die weitreichende Zielbestimmung von Reparationen: Der Zweck von Opferentschädigung sei weit mehr, als Schäden an Eigentum, Körper oder Psyche wiedergutzumachen. Er müsse darüber hinaus auch die Anerkennung der Verletzungen der sozialen Beziehung zwischen Tätern und 77

McCarthy, Reparations and Victim Support, S. 57 ff. McCarthy, Reparations and Victim Support, S. 57 ff. 79 Heikkilä, International Criminal Tribunals and Victims of Crime, S. 36 ff. 80 Reparative Gerechtigkeit und Retribution gehen auch nebeneinander, siehe Zedner, Modern Law Review 57 (1994), 228 (247 ff.). 81 Wemmers in der Conclusion ihres Buches: „is a process that is primarily oriented towards repairing the indidividual, relational and social harm that was caused by the commission of crimes“, in: Wemmers (Hrsg.), Reparation for Victims of Crimes against Humanity, S. 222. 82 Marshall, Restorative Justice: An Overview, S. 6. 78

3. Zweck von Reparationen – Ein straftheoretischer Ansatz

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Opfern in den Blick nehmen.83 Sie stützt ihre Gedanken auch auf Davis, die für einen weiteren Zweck von Reparationen argumentiert, sie „should not be seen as residing solely in the offer of restitution; adequate reparation must also include some attempts to make amends for the victim’s loss of the presumption of security in his or her rights.“84 Braithwaite und Petit denken in eine ähnliche Richtung und argumentieren in ihrer auf Prinzipien der restorativen Gerechtigkeit basierenden Theorie für weniger Einflussnahme des Staates auf das Leben und den persönlichen Herrschaftsbereich („dominion“)85 des Einzelnen:86 Der durch die Tat zerstörte persönliche Herrschaftsbereich müsse wiederhergestellt werden; beim Täter müsse eine Veränderung der Haltung eintreten, der zum Ausdruck bringt, dass er die Rechte Anderer in Zukunft respektieren werde. Ein wichtiger Aspekt der restorativen Gerechtigkeit soll sein, dass alle Maßnahmen auf Freiwilligkeit basieren. Eine aufgezwungene Entscheidung, etwa die Verpflichtung zu einer Geldzahlung durch das Gericht, kann vor diesem Hintergrund für eine ernsthafte Veränderung der Haltung des Täters sogar kontraproduktiv sein.87 Daneben wird argumentiert, Wiedergutmachung dürfe nicht zu billig sein; so sollten symbolische Reparationen durch ernstzunehmende finanzielle Kompensation unterfüttert sein.88 In der Restorative Justice Theory verwischen sich die Unterschiede zwischen Straf- und Zivilrecht.89 Der Begriff der Reparation ist im Rahmen der Restorative Justice kein Synonym für zivilrechtlichen Schadensersatz.90 Wollte man den Zweck von Reparationen im Verfahren vor dem IStGH nach dem Gedanken der restorativen Gerechtigkeit bestimmen, so müsste das Verfahren einschließlich der Reparationsstage und der Implementierung ein dialogisch angelegter Prozess zwischen Tätern, Opfern und der lokalen Gesellschaft sein, die gemeinsam zu einer auf Übernahme von Verantwortung basierenden freiwilligen Ausgleichsvereinbarung kommen. Durchführung und Abschluss dieses Prozesses sollte dann einen kathartischen Charakter haben, basierend auf Verständnis, Wiedergutmachung und Vertrauen in die sozialen Bindungen und kollektive Sicherheit.91 83

Zedner, Modern Law Review 57 (1994), 228 (234). Zedner, Modern Law Review 57 (1994), 228 (234) unter Verweis auf Davis et al, Preliminary Study of Victim-Offender Mediation and Reparation Schemes in England and Wales, S. 7. Allgemeinere Gedanken von Davis zu dem Thema: Davis, Making Amends: Mediation and Reparation in Criminal Justice. 85 „An Agent enjoys negative liberty… if and only if he is exempt from the constraints imposed by the intentional or at least blameworthy actions of others in choosing certain options“, Braithwaite/Pettit, Not Just Deserts, S. 61. 86 Definition des Dominion, Braithwaite/Pettit, Not Just Deserts, S. 9. 87 Zedner, Modern Law Review 57 (1994), 228 (234). 88 So Braithwaite, Crime, Shame and Reintegration. 89 Heikkilä, International Criminal Tribunals and Victims of Crime, S. 36 ff. 90 Zedner, Modern Law Review 57 (1994), 228 (234). 91 UN Basic Principles on the Use of Restorative Justice Programmes in Criminal Matters, https://www.un.org/ruleoflaw/blog/document/basic-principles-on-the-use-of-restorative-justice84

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III. Zweck von Reparationen im Völkerstrafrecht

Inwieweit das System der Wiedergutmachung am IStGH solchen weitreichenden und hehren Zielen gerecht werden kann, soll an dieser Stelle noch nicht abschließend besprochen werden. Doch auch ohne die rechtlichen und faktischen Limitationen des IStGH-Systems bereits im Detail geprüft zu haben, wäre es vermessen, den Zweck von Reparationen am IStGH mit der Erreichung der in der Theorie der restorativen Gerechtigkeit formulierten Zielvorstellungen zu bestimmen. McCarthy analysiert zutreffend, dass ein System des Strafverfahrens mit der Möglichkeit, Opferentschädigung zu beantragen, nicht zwingend restorativen Charakter hat.92 Allenfalls unter der Prämisse, dass man es als restorativ verstehen wollte, könnte es die Beziehung zwischen Opfern, Tätern und der Gesellschaft transformieren. Selbst wenn man dies annimmt, müsste man sich aber die Frage stellen, welche Gesellschaft an dem restorativen Prozess teilnehmen soll, da Opferentschädigung am IStGH nicht von den Gerichten des Heimatlandes angeordnet wird.93 Ein auf Dialog und Freiwilligkeit angelegter Prozess ist ein Straf- und Entschädigungsverfahren nicht. Die Festsetzung individueller Schuld auf internationaler Ebene ist bereits eine Herausforderung. Im Bereich der Makrokriminalität gehen die Opfer in die Zigtausende, die Täterzahlen können ähnlich hoch sein, nur eine Handvoll wird aber tatsächlich angeklagt. Auch wird kaum ein Täter der Massenkriminalität die finanziellen Mittel aufweisen, um die verursachten Schäden angemessen ausgleichen zu können.94 Es ist durchaus denkbar, das System des IStGH so zu verändern, dass es die Ziele der wiedergutmachenden Gerechtigkeit anstrebt.95 An das Wiedergutmachungsregime des IStGH die Anforderungen eines therapeutischen Systems mit sozialer Katharsis96 zu stellen, wäre aber eine unrealistische Zielvorstellung;97 sie würde bei den Betroffenen lediglich Erwartungen wecken, die das Verfahren keinesfalls erfüllen kann. Aus dem Gedanken der restorativen Gerechtigkeit können aber immerhin einzelne Leitgedanken für die Wiedergutmachung vor dem IStGH abgeleitet werden: Man sollte bei den Tätern darauf hinwirken, dass sie ihre Verantwortlichkeit anerkennen; der Zustand der Straflosigkeit sollte beendet werden und es sollte ein Forum für Entschädigungsansprüche der Opfer geschaffen werden. programmes-in-criminal-matters/ (abgerufen am 31. Juli 2018); Dwertmann, Reparation System, S. 39. 92 McCarthy, Reparations and Victim Support, S. 58. 93 McCarthy, Reparations and Victim Support, S. 58. 94 McCarthy, Reparations and Victim Support, S. 58; dann müsste der TFVaushelfen, doch auch dessen finanzielle Mittel sind limitiert. 95 McCarthy, Reparations and Victim Support, S. 58. 96 McCarthy, Reparations and Victim Support, S. 58. 97 McCarthy kommt dementsprechend in seiner Analyse zu dem Ergebnis, dass die Restorative Justice-Theorie nicht als „principled justification“ für die Inkorporation des Wiedergutmachungssystems in das IStGH-Regime angeführt werden kann, siehe McCarthy, Reparations and Victim Support, S. 60.

3. Zweck von Reparationen – Ein straftheoretischer Ansatz

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d) Expressive Gerechtigkeit – die kommunikative Kraft von Unwerturteilen Ein weiterer Ansatz zur Konzeptualisierung von Opferentschädigung ist die Theorie der expressiven Gerechtigkeit. Dieser Ansatz ist nicht präventiv orientiert, sondern zielt auf das Interesse der Menschen ab, angemessen mit vergangenen Regelverstößen umzugehen.98 Kernaspekt dieses Ansatzes ist die kommunikative Funktion von Strafurteilen: Zum einen findet durch die Verurteilung eine tadelnde Kommunikation mit dem Täter statt, zum anderen wird mit dem Opfer der Straftat kommuniziert.99 Die Idee, dass Strafjustiz einen kommunikativen Zweck verfolgen kann, geht auf den Sozialphilosophen Joel Feinberg zurück: „To say that the physical treatment [of punishment] itself expresses condemnation is simply to say that certain forms of hard treatment have become the conventional symbol of public reprobation“.100

Damit denkt Feinberg den Gedanken Henry Harts weiter, der schon in den 1950er Jahren zum symbolischen Gehalt von Strafurteilen ausführte: „crime is […] conduct which, if duly shown to have taken place, will incur a formal and solemn pronouncement of the moral condemnation of the community.“101 Für die Opfer hat die strafrechtliche Verurteilung die Bedeutung, dass explizit und deutlich die Trennlinie zwischen Recht und Unrecht gezogen wird. Das Opfer erhält eine öffentliche und eindeutige Aussage, dass das, was ihm geschehen ist, nicht auf ein Unglück oder einen Unfall zurückzuführen ist, sondern dass ihm Unrecht geschehen ist.102 Bei einer gravierenden Rechtsverletzung kann das Ausbleiben einer staatlichen Reaktion so interpretiert werden, dass die Belange des Opfers nicht wichtig genug für eine öffentliche Ächtung seien.103 Obwohl die Verurteilung zu einer Strafe das konventionelle Mittel zum Ausdruck des Tadels gegenüber dem Täter ist, kommen dafür auch andere Maßnahmen in Frage. Auch durch die Anordnung von Opferentschädigung kann das Gericht das strafrechtlich relevante Verhalten tadeln.104 Auch durch die Anordnung von Wiedergutmachung an ein Opfer kann das Gericht zum Ausdruck bringen, dass dem

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Vgl. Hörnle, Straftheorien, S. 29. Hörnle, Straftheorien, S. 32 ff. 100 Feinberg, in: ders. (Hrsg.), Doing and Deserving – Essays in the Theory of Responsibility, S. 100. 101 Hart, The Aims of Criminal Law, Law and Contemporary Problems 23 (1958), 401. 102 Hörnle, Straftheorien, S. 39, mit weiteren Nachweisen zur expressivistischen Theorie auf nationaler Ebene. 103 Hörnle, Straftheorien, S. 40, mit Verweis auf Weigend, RW 2010, 39 (50 ff.), der darin eine Kollision mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Opfers sieht. 104 So auch McCarthy, Reparations and Victim Support, S. 61 f. 99

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III. Zweck von Reparationen im Völkerstrafrecht

Opfer Unrecht widerfahren ist und es nicht bloß durch ein Unglück betroffen wurde.105 Obwohl diesem Ansatz im Völkerstrafrecht nicht die gleiche Aufmerksamkeit gewidmet wird wie der retributiven Erklärung von Strafe, hat sich in jüngerer Zeit eine Debatte über die Frage entwickelt, wie Bestrafung durch internationale Strafgerichte in einer expressiven oder kommunikativen Funktion verstanden werden kann.106 Der IStGH kann Wiedergutmachung nur Opfern der im Statut aufgeführten Verbrechen zusprechen. Damit wird klargestellt, dass die Schäden der Opfer durch die Begehung internationaler Verbrechen verursacht wurden.107 Der Ausspruch des Tadels durch einen internationalen Strafgerichtshof erfolgt nicht aufgrund einer staatlichen Autorität, sondern auf einer supranationalen Ebene, da der Gerichtshof allenfalls einen Teil der „Weltgesellschaft“ repräsentieren kann. Daraus kann man jedoch nicht schließen, dass der internationale Gerichtshof weniger legitimiert sei und sein Ausspruch geringeres Gewicht habe. Die konzeptionelle Rolle von Reparationen kann mithin durchaus im Einklang mit der Theorie der expressiven Gerechtigkeit gesehen werden.108 Der Zweck der Opferentschädigung kann darin liegen, die Verwerflichkeit des Täterverhaltens zum Ausdruck zu bringen und die Stellung des Verletzten als Opfer von Unrecht anzuerkennen. Offen bleibt dabei jedoch, welche Größenordnung die Entschädigung haben muss, um von den Opfern auch als kommunikativer Akt mit dieser Bedeutung verstanden werden zu können.

e) Transitional Justice – Gerechtigkeit als Teil des gesellschaftlichen Wandels Möglicherweise kann ein Zweck von Reparationen im internationalen Strafrecht aus einer konzeptionellen Verankerung von Opferentschädigung im Prozess der Transitional Justice109 abgeleitet werden.110

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So reflektiert in der Definition von „Victim“ im IStGH-Statut, Regel 85 lit. A. McCarthy, JICJ 10 (2012), 351. 107 McCarthy, Reparations and Victim Support, S. 62. 108 So im Ergebnis auch McCarthy in seiner Prüfung einer „principled justification“, siehe McCarthy, Reparations and Victim Support, S. 72 ff. 109 Der Begriff „transitional justice“ hat sich zu einem Terminus technicus entwickelt, der in seiner Komplexität nicht in die deutsche Sprache zu übersetzen ist. Teilweise wird der Begriff „Übergangsjustiz“ verwandt, der jedoch missverständlich wirkt. Angemessener wären Begriffe wie „gesellschaftlicher Wandel“ oder „Gerechtigkeit in dem Prozess und durch den Prozess gesellschaftlichen Wandels.“ 110 Zu Transitional Justice in der Völkerstrafrechtspolitik siehe Bonacker, in: Safferling/ Kirsch (Hrsg.), Völkerstrafrechtspolitik, S. 85 – 111; Chinedu, IJTJ 9 (2015), 90. 106

3. Zweck von Reparationen – Ein straftheoretischer Ansatz

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Dabei ist zunächst zu betonen, dass keine einheitliche Definition und kein einheitliches Verständnis von Transitional Justice besteht. Der UN Sicherheitsrat hat Transitional Justice wie folgt definiert: „For the United Nations System, transitional justice is the full range of processes and mechanisms associated with a society’s attempt to come to terms with a legacy of large-scale past abuses, in order to ensure accountability, serve justice and achieve reconciliation.“111

Erfasst ist damit eine Vielzahl an juristischen und nichtjuristischen Maßnahmen, rechtlichen und sozialen Einrichtungen. Transitional Justice enthält die Möglichkeit, systematische oder massive Menschenrechtsverletzungen aufzugreifen, wodurch Wiedergutmachung an die Opfer geleistet und gleichzeitig die Möglichkeit geschaffen oder verstärkt werden soll, das politische System zu transformieren, Konflikte und Umstände zu beseitigen, die weitere Verletzungen fördern.112 In dem Transitionsland sollen Mechanismen und Einrichtungen geschaffen werden, um „justice in the aftermath“ in angemessener Weise herbeizuführen.113 Dieser sehr umfassende Ansatz ist keine eigene Form der Gerechtigkeit,114 sondern beinhaltet verschiedene Ausprägungen und Gerechtigkeitskonzepte, unter anderem retributive und reparative Gerechtigkeit sowie andere Formen der Wahrheitsfindung, Feststellung von Verantwortlichkeit, Wiedergutmachung und Versöhnung.115 Im Folgenden soll geprüft werden, ob – und wenn ja, in welchem Umfang – Opferentschädigung im Rahmen dieses Ansatzes eine Rolle spielen kann. Im Grundgedanken der Transitional Justice tauchen Reparationen als staatliche Programme auf, die als effektive Ergänzung zu Truth Commissions oder Gerichten gesehen werden.116 Da im Rahmen eines so weitreichenden Prozesses wie dem des gesellschaftlichen Wandels keine Form der Wiedergutmachung für sich allein zufriedenstellend für die Opfer sein kann, sollen angemessene Kombinationen von

111 United Nations Security Council, The rule of law and transitional justice in conflict and post-conflict societies, Report of the Secretary General, 23. 08. 2004, S/2004/616, Rn. 8. 112 UN, What is transitional justice? A Backgrounder, S.1, abrufbar unter: https://www.un. org/peacebuilding/sites/www.un.org.peacebuilding/files/documents/26_02_2008_background_ note.pdf (zuletzt abgerufen am 8. Juni 2016). 113 Kerr/Mobekk, Peace and Justice: Seeking Accountability After War. 114 UN, What is transitional justice? A Backgrounder, S. 1, abrufbar unter: https://www.un. org/peacebuilding/sites/www.un.org.peacebuilding/files/documents/26_02_2008_background_ note.pdf (zuletzt abgerufen am 8. Juni 2016). 115 Weitekamp et al., in: Ewald/Turkovic (Hrsg.), Large-Scale Victimisation as a Potential Source of Terrorist Activities, S. 218. 116 United Nations Security Council, The rule of law and transitional justice in conflict and post-conflict societies, Report of the Secretary General, 23. 08. 2004, S/2004/616, Rn. 54.

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III. Zweck von Reparationen im Völkerstrafrecht

Entschädigungsmaßnahmen gefunden werden, die sich ergänzen.117 Als erfolgreich angesehen werden die nach dem Genozid in Ruanda durch die Gacaca Prozesse geschaffenen Reparationsprogramme.118 Internationale Strafverfahren selbst stellen nur ein Puzzleteil des Prozesses der Transitional Justice dar. Opferentschädigungen können folglich auch nur eine sehr kleine Rolle in solch einem transformativen Prozess des gesellschaftlichen Wandels spielen. Es lohnt sich dennoch, die Rolle der Reparationen im Licht eines Transitional Justice Prozesses zu diskutieren. Das Reparationsregime des IStGH kann als ein die strafrechtliche Verurteilung einzelner Täter komplementierendes Instrumentarium im Sinne der Transitional Justice angesehen werden. Durch die duale Rolle des Treuhandfonds119 – nicht nur gerichtlich angeordnete Reparationen seitens der Verurteilten umzusetzen, sondern auch General Assistance120 zu leisten – kann dafür Sorge getragen werden, dass Reparationen in verschiedenen Formen und für die Situation im Transitionsland angemessen implementiert werden.121 Um als sinnvolle Maßnahme im Rahmen der Transitional Justice eine Rolle zu spielen, muss jedoch sowohl die Arbeit des Gerichtshofes in den konkreten Fällen als auch die des TFV in den größeren Prozess des gesellschaftlichen Wandels im Transitionsland eingefügt sein. Die UN mahnen in ihrem Report an, Strategien der Transitional Justice müssten ganzheitlich sein und Aspekte der individuellen Strafverfolgung, Reparationen, Wahrheitsfindung, institutionelle Reformen, die Überprüfung und Amtsenthebung von Verantwortlichen oder eine angemessene Kombination dieser Maßnahmen beinhalten.122 Die Messlatte für eine erfolgreiche Strategie liegt mithin extrem hoch. Die Arbeit des Gerichtshofes und des Treuhandfonds sinnvoll in die Transitional Justice in den verschiedenen Situationsländern zu integrieren, ist eine höchst anspruchsvolle Herausforderung. Wollte man die Opferentschädigung am IStGH als sinnvolle Maßnahme innerhalb von Transitional Justice Prozessen verstehen, müsste das Ziel sein, verschiedene Formen von materiellen und symbolischen Reparationen so in den unterschiedlichen Situationsländern zuzusprechen und zu implementieren, dass dadurch in der gesamten betroffenen Gesellschaft versöhnende Wiedergutmachung geleistet wird.

117 United Nations Security Council, The rule of law and transitional justice in conflict and post-conflict societies, Report of the Secretary General, 23. 08. 2004, S/2004/616, Rn. 54. 118 Kirkby, Rwanda’s GACACA Courts: A Preliminary Critique, Journal of African Law 50 (2006), 94. 119 Siehe dazu unter II. 4. b) bb) und unter IV. 2. b). 120 Das humanitäre Mandat des TFV. 121 Diese Annahme wird durch die sehr geringe finanzielle Ausstattung des TFV faktisch begrenzt. 122 United Nations Security Council, The rule of law and transitional justice in conflict and post-conflict societies, Report of the Secretary General, 23. 08. 2004, S/2004/616, Rn. 26.

3. Zweck von Reparationen – Ein straftheoretischer Ansatz

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Dass dies innerhalb der rechtlichen und faktischen Grenzen des IStGH praktisch durchführbar ist, ist schwer vorstellbar.

f) Diskussion Die verschiedenen theoretischen Ansätze zur Rechtfertigung völkerstrafrechtlicher Sanktionierung können die Rolle von Reparationen im Völkerstrafrecht nur teilweise konzeptualisieren. Aus den unterschiedlichen denkbaren Funktionen von Opferentschädigung folgen auch unterschiedliche denkbare Ziele. Eine Funktion von Wiedergutmachung im Rahmen retributiver Straftheorien ist nur dann denkbar, wenn man Wiedergutmachung als eine Form der Strafe versteht; dies soll Wiedergutmachung jedoch gerade nicht sein.123 Im Rahmen von präventionsorientierten Theorien hätten Reparationen eine eigene Rolle, wenn man ihnen eine abschreckende Wirkung zuschreiben könnte. Auch für eine solche Annahme gibt es jedoch wenig Anhaltspunkte; es ist kaum davon auszugehen, dass tatgeneigte Personen durch die Androhung einer Reparationsanordnung von der Begehung von Völkerstraftaten Abstand nehmen.124 Auf den ersten Blick scheint die Theorie der restorativen Gerechtigkeit am vielversprechendsten, um Opferentschädigung eine konzeptuelle Funktion zuzuschreiben und mit einem konkreten Zweck zu versehen. Ein internationales Strafverfahren hat zwar nicht per se restorativen Charakter, kann aber nach den hohen Zielen der restorativen Gerechtigkeit streben. Dann müssten die Ziele des Reparationsregimes transformierend sein und auf eine soziale Katharsis nicht nur für die individuellen Opfer und Personengruppen, sondern auch in der gesamten betroffenen Gesellschaft hinstreben, da restorative Gerechtigkeit das Individuum und die Gruppe in einem multidimensionalen Konzept zu heilen sucht.125 Für wiedergutmachende Gerechtigkeit müssten nach Wemmers distributive Gerechtigkeit, prozedurale Gerechtigkeit, interaktionale Gerechtigkeit und informative Gerechtigkeit zusammenkommen.126 Dies trägt bereits eine Aussage zu Umfang und Vielschichtigkeit von Reparationen im System der restorativen Gerechtigkeit in sich. Zurückhaltend formuliert müssten die transformativen Ziele als Anerkennung der (rechtlichen) Verantwortlichkeit durch den Täter sowie Versöhnung zwischen Täter, Opfer und Gesellschaft durch Wiedergutmachung auf verschiedenen notwendigen Ebenen verstanden werden. Zweckbestimmung von Reparationen aus Sicht eines Transitional Justice Prozesses würde ergeben, ein vielschichtiges und weitgestreutes Regime an Repara123 124 125 126

So im Ergebnis auch McCarthy, Reparations and Victim Support, S. 55 f. Siehe Dwertmann, Reparation System, S. 41. Wemmers, in: dies. (Hrsg.), Reparation for Victims of Crimes against Humanity, S. 227 f. Wemmers, in: dies. (Hrsg.), Reparation for Victims of Crimes against Humanity, S. 226 f.

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III. Zweck von Reparationen im Völkerstrafrecht

tionen zuzubilligen, das die betroffene Gesellschaft versöhnt und das Vertrauen in die Rechtsstaatlichkeit und Gesellschaft wiederherstellt. Dem Reparationsmandat des IStGH diese weitreichenden Ziele der Transitional Justice aufzugeben, ist aufgrund der Begrenztheit des Mandats nicht angemessen. Die Zweckbestimmmung von Reparationen aufgrund einer (straf)theoretischen Betrachtungsweise ist mithin auch nicht eindeutig. McCarthy kam dementsprechend in seiner Untersuchung zu dem Ergebnis: „The Rome Statute‘s Regime of Redress has no meaningful principled role in the wider system of criminal justice that was brought into the Rome Statute.“

Traditionelle Strafzwecktheorien können den Zweck von Reparationen im internationalen Strafverfahren nicht vollständig umreißen. Die Rolle von Reparationen passt nur in kleineren Teilaspekten. Im Rahmen von internationalen Gerechtigkeitskonzepten wird Wiedergutmachung hingegen eine sehr umfängliche, transformative Rolle zugeschrieben, die wiederum die Positionierung am IStGH als weiteren Teil eines umfangreichen Gerechtigkeitsprozesses schwierig erscheinen lässt. Daher sollte noch als zusätzlicher Ansatzpunkt für die Zweckbestimmung von Reparationen am IStGH gefragt werden, wie das Entschädigungsregime rechtlich charakterisiert werden kann.

4. Charakterisierung der Rechtsnatur Ein weiterer Ansatz, sich der Frage nach der Rolle von Reparationen im Völkerstrafprozess zu nähern, ist der Versuch, aus einer dogmatischen Einordnung der Rechtsnatur von Reparationsansprüchen am IStGH Schlüsse für den möglichen Inhalt der Ansprüche zu ziehen. Eine vertiefte dogmatische Auseinandersetzung mit dem Charakter des Entschädigungsanspruches am Gerichtshof findet bisher nicht statt. Ansätze werden zwar diskutiert, häufig jedoch nicht auf die Besonderheiten von Reparationen in einem internationalen Strafverfahren zugeschnitten. Schon hier liegt die Wurzel der ersten grundlegenden Herausforderung: Reparationen auf internationaler Ebene sind im Vergleich zu zivilrechtlichem Schadensersatz auf nationaler Ebene schon relativ neu, Reparationen im Rahmen eines Völkerstrafverfahrens im Vergleich dazu noch blutjung. Gedanken zu Reparationen stammen mithin in erster Linie aus dem nationalen Deliktsrecht sowie der Staatenverantwortlichkeit. Beide Ansätze weisen grundlegende Unterschiede auf. Im nationalen Zivilrecht wird ein deliktischer Anspruch als private Sache angesehen, Ansprüche müssen von dem Geschädigten selbst gegen den Schädiger geltend gemacht werden. Im Bereich der Staatenverantwortlichkeit hingegen ist der rechtsverletzende Staat Adressat der

4. Charakterisierung der Rechtsnatur

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Wiedergutmachungsverfügung und kann durch das urteilende Gericht zu weitreichenden Maßnahmen verpflichtet werden. Im Zusammenhang mit dem IStGH ist nun unstreitig, dass seine primäre Aufgabe die Feststellung der persönlichen völkerstrafrechtlichen Verantwortlichkeit ist. Aufgrund der Inkorporation des Reparationsmandats des Gerichtshofes wird vertreten, der IStGH markiere „the shift away from a retributive judicial system to a more restorative, justice-oriented model“.127 Was genau der Inhalt der restorativen Ansprüche ist, bleibt jedoch weiterhin offen. Eine einheitliche Kategorisierung der Rechtsnatur erweist sich als schwierig. Die naheliegendste Möglichkeit der Qualifikation ist die eines deliktischen Anspruchs. Im nationalen Recht sind es in der Regel zivilrechtliche Ansprüche, die in einem Adhäsionsverfahren im Rahmen eines strafrechtlichen Verfahrens geltend gemacht werden können. Dem Opfer wird mithin ein weiteres Forum eröffnet, um seinen Deliktsanspruch verfolgen zu können. Auch an den ECCC ließen die Richter der Verfahrenskammer keinen Zweifel an der Einordnung des Entschädigungsanspruchs als Deliktsrecht und wiesen in erster Instanz die Ansprüche der Zivilparteien auch aus Gründen ab, die in ihrer zivilrechtlichen Natur verankert waren.128 Nun sind die Erwägungen der Richter an den ECCC nicht einfach auf den IStGH übertragbar. Das Prozessrecht der ECCC baut auf dem Prozessrecht Kambodschas auf, was wiederum auf dem Prozessrecht Frankreichs basiert. Dem französischen Vorbild folgend, wurde eine Beteiligung der Geschädigten als „Partie Civile“ eingeführt, die als solche auch Entschädigung fordern können.129 Sowohl die Opferbeteiligung als auch das Reparationsmandat am IStGH ist anders ausgestaltet als an den ECCC. Dennoch, auch für den IStGH wird nachvollziehbar vertreten, die Reparationsansprüche seien als zivilrechtliche Ansprüche zu qualifizieren.130 Gary Bass bringt den internationalen Aspekt mit ein: „Reparations are the civil accompaniment to war crimes trials: in other words, war tort trials“.131

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War Crimes Research Office (American University Washington College of Law), Victim Participation before the International Criminal Court, Washington 2007, https://www.wcl.ameri can.edu/impact/initiatives-programs/warcrimes/our-projects/icc-legal-analysis-and-educationproject/reports/report-1-victim-participation-before-the-international-criminal-court/, abgerufen am 1. September 2019. 128 Beispielsweise die Verletzung des Bestimmtheitsgrundsatz, vgl. ECCC, Trial Chamber, Case 001, Rn. 669 und 672. 129 Dies wurde im Laufe der Zeit geändert, siehe oben. 130 Vgl. Van den Wyngaert, Western Reserve JIL 44 (2012), 475 (487). 131 Bass, in: Williams et al. (Hrsg.), Transitional Justice, S. 169.

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III. Zweck von Reparationen im Völkerstrafrecht

Roht-Arriza weist hingegen ein weiteres Verständnis der Rechtsnatur auf und möchte Reparationen als Anspruch sui generis verstehen, mit Elementen aus dem Deliktsrecht und dem Recht der Staatenverantwortlichkeit. „The classical view of reparations is rooted in both tort law and the law of state responsibility.“132

Ein Anspruch einzelner Opfer oder Opfergruppen wegen Schäden, die gegen einen individuellen Täter geltend gemacht werden, sind von ihrer allgemeinen Rechtsnatur her deliktischer Art. Ein Strafgericht als Forum für solche Ansprüche zu bieten, steht dieser Qualifikation nicht entgegen, vielmehr ist dies ein bekanntes Konzept aus nationalen Rechtssystemen und den ECCC. Die Problematik des Reparationsregimes liegt jedoch darin, dass durch die Integration in ein Völkerstrafverfahren tatsächlich ein internationalisierter Deliktsanspruch kreiert wurde, ohne die daraus folgenden Implikationen zu bedenken. Vor dem Hintergrund, dass Völkerrecht primär zwischenstaatliches Recht und die Individualisierung von Pflichten und Ansprüchen eine Ausnahme darstellt, ist ein internationalisierter zivilrechtlicher Anspruch an sich systemfremd. Das wird auch dadurch sichtbar, dass für die Begründung eines Reparationsregimes sowie im Rahmen der Auslegung in erster Linie Instrumentarien und Entscheidungen herangezogen werden, die im Rahmen der Staatenverantwortlichkeit entstanden sind. Da der IStGH aber keine Jurisdiktion über Staaten hat und es ihm dementsprechend verwehrt ist, Staaten für ihre eigenen Rechtsverletzungen zur Verantwortung zu ziehen, müssen die Auslegungsmittel entsprechend angepasst werden. Entstanden ist diese Situation erneut dadurch, dass das Rom-Statut ein gnadenloser Kompromiss war;133 gefordert wurde zunächst ein Forum zur Aburteilung von Staatenverantwortlichkeit.134 Da die Vertragsstaaten dies vehement ablehnten, wurde als Kompromiss ein Reparationsregime eingefügt, das die Geltendmachung von Entschädigungsansprüchen aus Massenkriminalität gegen Einzelne ermöglicht. Die Idee von Reparationen stammt mithin aus dem Bereich der Staatenverantwortlichkeit; die kompromisshafte Umsetzung hatte letztlich aber zur Folge, dass die Entschädigungsansprüche am IStGH deliktsähnlich sind. Das hat für die Behandlung von Reparationen weitreichende Auswirkungen. Denn nicht nur die Unterschiede zwischen einem zivilrechtlichen und einem strafrechtlichen Verfahren sind eklatant, auch die Unterschiede zwischen einem deliktischen Anspruch und dem aus Staatenverantwortlichkeit sind enorm. Ein Staat kann zu wesentlich weitreichenderen Reparationen verurteilt werden, wie der IAGMR immer wieder bewiesen hat. In einem zivilrechtlichen Urteil müssen Fragen der Kausalität, Beweislast und Bestimmtheit notwendigerweise strenger beurteilt werden, da der Verurteilte ein Individuum ist, dem selbst Abwehrrechte zustehen. So ist 132 133 134

Roht-Arriaza, Hastings Int’l and Comp LR 27 (2004), 157 (160). Kreß, JICJ 1 (2003), 603. Kreß, JICJ 1 (2003), 603.

5. Zweckbestimmung der unterschiedlichen Formen von Reparationen am IStGH

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es zwar möglich, die rechtlichen Anforderungen an zivilrechtliche Ansprüche vorsichtig an die Besonderheit anzupassen, dass sie in einem völkerstrafrechtlichen Forum verhandelt und zugesprochen werden; schlussendlich muss das Recht der Reparationen aber dennoch als internationalisiertes Zivilrecht, als „Völkerdeliktsrecht“ qualifiziert werden und ist damit durchaus eine Rechtform sui generis. Reparationsmaßnahmen des Treuhandfonds aus dem humanitären Mandat hingegen ähneln im Hinblick auf ihre Rechtsnatur mehr den aus dem Bereich der Staatenverantwortlichkeit bekannten Maßnahmen. Einziger – und doch eklatanter – Unterschied ist, dass kein Staat zu seiner rechtlichen Verantwortung steht, sondern dass der TFV mit sehr begrenzten, freiwillig überlassenen finanziellen Mitteln allgemeine Maßnahmen umsetzt, die eher als Wiedergutmachung für das Fehlen eines Forums für Staatenverantwortlichkeit wirken und deren Natur mehr Maßnahmen der Entwicklungshilfe oder der Transitional Justice ist. Versucht wird, den Maßnahmen des TFV durch den gerichtlichen Stempel eine besondere Legitimierung und Bedeutsamkeit zuzumessen. Das endgültige Bekenntnis jedoch, dass die Weltengemeinschaft anstelle des verpflichteten Staates die Wiedergutmachung leistet, fehlt. Politische Bekenntnisse gibt es reichlich, die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen, kaum.

5. Zweckbestimmung der unterschiedlichen Formen von Reparationen am IStGH Bislang zeigt sich, dass Reparationen keinen einheitlichen Zweck innerhalb des internationalen Strafverfahrens erfüllen. Der kleinste und gleichzeitig doch denkbar breiteste gemeinsame Nenner ist das Ziel, den Opfern eine Annäherung an Gerechtigkeit zukommen zu lassen.135 Dem Gerichtshof stehen zur Erreichung dieses Zwecks verschiedene Formen und Modalitäten für den Inhalt von Reparationsaussprüchen zur Verfügung. Diese verschiedenen Anordnungsmöglichkeiten können wiederum auch unterschiedliche Zweckbestimmungen von Reparationen beinhalten.136 Vor dem Hintergrund der Zweckkonkretisierung sollen daher die am IStGH möglichen Ausgestaltungen von Reparationen im folgenden Abschnitt untersucht werden.

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Wie oben bereits dargestellt, kann das Streben nach Gerechtigkeit hier nicht dahingehend verstanden werden, dass durch sie das Geschehene ungeschehen gemacht wird; das ist im Bereich der schwersten Makrokriminalität kaum denkbar. Wenn hier von „Gerechtigkeit“ gesprochen wird, dann soll es um ein graduelles Streben nach Ausgleich gehen, um ein „etwas mehr“ an Ausgleich als zuvor. 136 Dwertmann, Reparation System, S. 43 l.

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a) Wiedergutmachungsarten Ausdrücklich nennt das IStGH-Statut als Arten von Reparationen lediglich Restitution, Kompensation und Rehabilitation, Art. 75 Abs. 1 S. 1. Diese Aufzählung ist jedoch nicht abschließend, wie der Wortlaut des Art. 75 Abs. 1 S. 1 zeigt, der von „[…]including restitution, compensation and rehabilitation“ spricht. Die Berufungskammer stellte in ihrer Lubanga-Entscheidung dementsprechend explizit fest, dass auch andere als die drei ausdrücklich genannten Reparationsarten möglich sind, beispielsweise solche mit einem symbolischen, präventiven oder transformativen Charakter.137 aa) Restitution Restitution ist die im IStGH-Statut als erste genannte Form von Wiedergutmachung. Dabei handelt es sich um die im Schadensersatzrecht auf nationaler und internationalen Ebene bekannte Naturalrestitution; mit ihr soll der ursprüngliche Zustand wiederhergestellt werden (restitutio in integrum).138 Das Opfer soll wieder in die Lage versetzt werden, die bestünde, wenn die rechtswidrige Tat nicht verübt worden wäre.139 Die Verfahrenskammer in Lubanga führte dazu aus, dass verschiedene Anwendungsbereiche für Restitution denkbar seien, wie die Wiedergutmachung von Eigentums- und Vermögensdelikten, indem entzogene oder verlorene Güter zurückgewährt werden.140 Der Zweck von Restitution umfasst aber mehr als die reine Rückgabe von entwendetem Eigentum. Restitution soll das Leben des einzelnen Individuums wiederherstellen, inklusive der Heimkehr zur Familie, in das eigene Zuhause und in das 137

„Other types of reparations, for instance those with a symbolic, preventative or transformative value, may also be appropriate“, IStGH, Lubanga, Berufungsentscheidung, Annex A, Rn. 34. 138 Die Verfahrenskammer führt dazu mit Hinweis auf ein Präzedent des IAGMR im Bereich der Staatenverantwortlichkeit in Fußnote 407 aus: „The Chamber notes that in the context of State responsibility, the IACtHR established that „the concept of „integral reparation“ (restitutio in integrum) entails the re-establishment of the previous situation and the elimination of the effects produced by the violation, as well as the payment of compensation for the damage caused. However, bearing in mind the context of structural discrimination in which the facts of this case occurred, which was acknowledged by the State […] reparations must be designed to change this situation, so that their effect is not only of restitution, but also of rectification. In this regard, re-establishment of the same structural context of violence and discrimination is not acceptable“. Case of Gonzalez et al v. Mexico (Cotton Field Case), Preliminary Objection, Merits, Reparations, and Costs, Judgment of 16 November 2009, para. 450. 139 Bock, Das Opfer vor dem Internationalen Strafgericht, Rn. 560, mit Verweis auf u. a. Prinzip 19 der van-Boven-Principles. IStGH, Lubanga, Entschädigungsanordnung, Rn. 223. 140 IStGH, Lubanga, Entschädigungsanordnung, Rn. 223.

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ehemalige Beschäftigungsverhältnis.141 Mithin sind theoretisch nicht nur materielle Schäden im Wege der Restitution auszugleichen, sondern beispielsweise auch die Rückkehr von Vertreibungsopfern zu ermöglichen.142 Dabei kann Restitution nicht nur an Individuen geleistet werden, auch juristische Personen wie Schulen oder andere Institutionen, die durch die abgeurteilten Taten in ihren Rechten verletzt wurden, können so entschädigt werden.143 Es ist jedoch schwer vorstellbar, dass ein einzelner Täter das frühere Leben des geschädigten Individuums durch Reparationsleistungen wiederherstellen kann. So musste der IStGH im Fall Lubanga auch feststellen, dass Restitution in Form der Wiederherstellung des früheren Zustandes für die von dem Verurteilten rekrutierten Kindersoldaten nicht erreichbar ist.144 Die van Boven-Principles enthalten neben den vom IStGH genannten Formen noch weitere Beispiele für Restitution: die Wiederherstellung von Freiheit, den Genuss von Menschenrechten, Identität, Familienleben und Staatsangehörigkeit.145 Es ist aber mehr als zweifelhaft, dass solche Maßnahmen von einem Internationalen Strafgerichtshof angeordnet werden können. Es wird deutlich, dass die van Boven-Principles primär für Fälle der Staatenverantwortlichkeit verfasst wurden.146 Schließlich wird es kaum einem einzelnen Verurteilten möglich sein, Staatsangehörigkeiten zurückzugeben und den Genuss von Menschenrechten wieder zu garantieren. bb) Kompensation Die Kompensation ist Wiedergutmachung durch Zahlung einer Geldsumme mit dem Ziel, durch rein ökonomische Entlastung die zugefügten Schäden auszuglei-

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IStGH, Lubanga, Entschädigungsanordnung, Rn. 408, mit Verweis auf Prinzip 19 der van-Boven-Principles und die Guidelines on Justice in Matters involving Child Victims and Witnesses of Crime, Rn. 37. 142 Dwertmann, Reparation System, S. 132, mit dem zutreffenden Hinweis, dass diese Reparationsanordung sich typischerweise an Staaten richten müsste. 143 IStGH, Lubanga, Entschädigungsanordnung, Rn. 225. 144 IStGH, Lubanga, Entschädigungsanordnung, Rn. 223. Die Berufungskammer stellte noch einmal klar, dass dieser Hinweis nicht per se ein Ausschluss sein soll, sondern überträgt es dem TFV zu entscheiden, ob Restitution für die Kindersoldaten im vorliegenden Plan erreichbar sein kann, und wenn ja, dies im aufgegebenen Draft Implementation Plan zu begründen, IStGH, Lubanga, Berufungsentscheidung, Rn. 204. 145 Prinzip 19 der van-Boven-Principles. 146 Van Boven, The United Nations Basic Principles and Guidelines on the Right to a Remedy and Reparations for Victims of Gross Violations of International Human Rights Law and Serious Violations of International Humanitarian Law, United Nations Audiovisual Library of International Law, United Nations, 2010, www.un.org/law/avl (abgerufen am 3. März 2016).

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chen.147Durch Kompensation sollen grundsätzlich alle Formen von Schäden, Verlusten und Verletzungen adressierbar sein.148 Voraussetzung für eine Anordnung von Kompensation ist jedoch, dass die Schäden finanziell wieder beseitigt werden können, was nach Ansicht der Kammern nicht immer der Fall ist.149 Kompensation soll in Betracht gezogen werden, wenn - die finanziellen Schäden hinreichend quantifizierbar sind, - finanzielle Kompensation angemessen und verhältnismäßig ist, insbesondere vor dem Hintergrund der Schwere der Verbrechen und der Umstände des Einzelfalles und - die notwendigen Mittel zur Verfügung stehen, das Kompensationsvorhaben mithin realisierbar ist.150 Darüber hinaus soll Kompensation auf einer geschlechtsinkludierenden Basis zugesprochen werden; zuvor bestehende strukturelle Ungleichheiten und diskriminierende Praktiken sollen bei der Entschädigung vermieden werden.151 Unter Hinweis auf die van Boven-Principles führte der IStGH in Lubanga Beispiele für denkbare kompensierbare Schäden auf: physische Schäden, darunter auch die Möglichkeit, keine Kinder mehr bekommen zu können,152 sowie immaterielle und „moralische“ Schäden, die physisches, mentales oder emotionales Leid nach sich ziehen.153 Auch materielle Schäden wie Verdienstausfall, der Verlust der Ar147

IStGH, Lubanga, Berufungsentscheidung, Rn. 40; IStGH, Al Mahdi, Entschädigungsanordnung, Rn. 47; IStGH, Katanga, Entschädigungsanordnung, S. 118. 148 IStGH, Lubanga, Berufungsentscheidung, Rn. 39; IStGH, Lubanga, Entschädigungsanordnung, Rn. 229, mit dem Hinweis darauf, dass dieses breite Verständnis des Anwendungsbereichs der Kompensation aus dem international anerkannten Internationalen Menschenrechtsschutz stammt, siehe UN Basic Principles on Reparation for Victims, Prinzip 20. Siehe auch ECCC Internal Rules, rule 23 bis (l) (b); „Las Dos Erres“, Massacre v. Guatemala, Rn. 226, wo der IAGRM festhielt: „[I]t is evident that the victims of prolonged impunity suffer different infringements in their search for justice, not only materially, but also other suffering and damages of a psychological and physical nature and in their life projects, as well as other potential alterations of their social relations and to the dynamics of their families and communities.“ 149 IStGH, Lubanga, Berufungsentscheidung, Rn. 40. 150 IStGH, Lubanga, Entschädigungsanordnung, Rn. 226; IStGH, Lubanga, Berufungsentscheidung, Rn. 37, beide mit Verweis auf Prinzip 20. 151 IStGH, Lubanga, Berufungsentscheidung, Rn. 38; IStGH, Lubanga, Entschädigungsanordnung, Rn. 227. 152 IStGH, Lubanga, Berufungsentscheidung, Rn. 40, mit Verweis auf Prinzip 20; IStGH, Lubanga, Entschädigungsanordnung, Rn. 230, unter Verweis auf IAGMR, Velásquez Rodríguez v. Honduras (Merits), Rn. 156, 175, 187; EGMR, X and Y v. the Netherlands, Rn. 22. 153 IStGH, Lubanga, Berufungsentscheidung, Rn. 40 und IStGH, Lubanga, Entschädigungsanordnung, Rn. 230 mit exemplarischem Verweis auf Jurisprudenz des IAGMR (beispielsweise Garrido and Baigorria v. Argentina, Rn. 49; Plan de Sánchez Massacre v. Guatemala, Rn. 80 f., 117; The „Juvenile Reeducation Institute“ v. Paraguay, Rn. 295) und des EGMR (beispielsweise Selmouni v. France, Rn. 92, 98, 105; Aksoy v. Turkey, Rn. 113); Pre-

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beitsfähigkeit oder -möglichkeit, von Ansprüchen oder Erspartem und Verlust von oder Schäden an Eigentum zählen dazu.154 Ebenfalls umfasst sein können verlorene Möglichkeiten verschiedenster Art, die im Zusammenhang mit einem Arbeitsverhältnis, Bildung, Sozialleistungen, Status und individuellen Rechten stehen.155 Darüber hinaus können Kosten für juristischen Rat oder den anderer relevanter Experten, medizinische Versorgung, psychologische und soziale Hilfestellung ersetzt werden.156 cc) Rehabilitation Maßnahmen der Rehabilitation sind solche, die dem Opfer bei der Überwindung der Folgen der Straftat helfen, z. B. medizinische, psychologische und rechtliche Beratung sowie Hilfe beim Umgang mit Trauer und Traumata.157 Die Verfahrenskammer in Lubanga hob die Wichtigkeit der medizinischen Behandlung von HIV und Aids hervor und das Ziel, Kindersoldaten wieder in die Gesellschaft zu integrieren und ihnen durch Bildung oder Beschäftigungsmöglichkeiten eine sinnvolle Rolle in der Gesellschaft zu verschaffen.158 Ziel der Rehabilitationsmaßnahmen sollte auch sein, die Scham der Kindersoldaten zu mildern und weitere Viktimisierung zu vermeiden.159 Selbst Rehabilitationsprogramme mit beschränkten transformativen Zielen könnten nach Ansicht der Verfahrenskammer dabei helfen, zukünftige Viktimisierung zu vermeiden; symbolische Reparationen wie Denkmäler oder Ehrungen könnten zu dem Prozess der Rehabilitation beitragen.160 In Al Mahdi wurde festgehalten, dass unter dem Modus der Rehabilitation der durch den Angriff auf die geschützten Kulturgüter ausgelöste emotionale Stress mit kollektiven Maßnahmen adressiert werden sollte.161 Trial Decision on Applications for Participation, S. 11; Fourth Decision on Victims’ Participation, Rn. 51, 70 – 73. 154 Verweis auf Jurisprudenz des IAGMR (beispielsweise El Amparo v. Venezuela, Rn. 28 – 30) und EGMR (Ayder and Others v. Turkey, Rn. 141 – 152). 155 IStGH, Lubanga, Berufungsentscheidung, Rn. 40, mit Verweis auf die Rechtsprechung des IAGMR (beispielsweise Loayza Tamayo v. Peru, Rn. 147 f.; Cantoral-Benavides v. Peru, Rn. 80) und EGMR (beispielsweise Campbell and Cosans v. the United Kingdom (Article 50), Rn. 26; T.P. and K.M. v. the United Kingdom, Rn. 115; Thlimmenos v. Greece, Rn. 70) mit dem einschränkenden Hinweis: „It must be noted that that the concept of „damage to a life plan“, adopted in the context of State responsibility at the IACtHR, may be relevant to reparations at the Court.“ 156 IStGH, Lubanga, Berufungsentscheidung, Rn. 40, mit Verweis auf Rechtsprechung des IAGMR (Loayza-Tamayo v. Peru, Rn. 129 (d); Barrios Altos v. Peru, Rn. 42). 157 IStGH, Lubanga, Berufungsentscheidung, Rn. 41, mit Verweis auf Prinzip 21; Shelton, Remedies in International Human Rights Law, S. 275. 158 IStGH, Lubanga, Entschädigungsanordnung, Rn. 233 f. 159 IStGH, Lubanga, Entschädigungsanordnung, Rn. 235. 160 IStGH, Lubanga, Entschädigungsanordnung, Rn. 236. 161 IStGH, Al Mahdi, Entschädigungsanordnung, Rn. 90.

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Ziel und Zweck von Rehabilitationsmaßnahmen sind folglich weitreichend.162 Allerdings handelt es sich hierbei in erster Linie um Maßnahmen, die ein individueller Reparationsschuldner mangels staatlicher Rechtssetzungs- und Exekutivbefugnisse in der Regel nicht durchführen kann.163 dd) Genugtuung Die bislang ergangenen Entscheidungen des IStGH enthalten keine Maßnahmen der Genugtuung („satisfaction“). Da, wie oben unter III. 5. a) gezeigt, die drei im IStGH-Statut genannten Arten der Wiedergutmachung nicht abschließend sind und die Kammer ausdrücklich auch andere Maßnahmen zugelassen hat, sind Maßnahmen der Genugtuung aber durchaus denkbar. Genugtuung ist eine immaterielle Form der Wiedergutmachung. Roht-Arriaza versteht darunter das, was an anderer Stelle auch „moral reparations“ genannt wird, und argumentiert, dass diese Wiedergutmachungsart für Opfer wichtiger sei als materielle Kompensation.164 Die von Roht-Arriaza und Prinzip 22 der van BovenPrinciples aufgezählten Beispiele für Maßnahmen der Genugtuung reichen von Maßnahmen zur Beendigung andauernder Verletzungen über die Bestätigung von Fakten und Veröffentlichung der Wahrheit bis hin zur Auffindung verschwundener Personen und der Identifizierung entführter Kinder. Auch genannt werden offizielle, das Geschehene verurteilende Erklärungen und Gerichtsurteile, Entschuldigungen und ähnliche, von staatlicher Seite stammende Maßnahmen.165 Darüber hinaus werden darunter symbolische Wiedergutmachungsleistungen wie Gedenkfeierlich162

Dwertmann, Reparation System, S. 146. Dwertmann, Reparation System, S. 148 f. 164 Roht-Arriaza, Hastings Int’l and Comp LR 27 (2004), 157 (159). 165 Vgl. Prinzip 22 der van-Boven-Principles: „22. Satisfaction should include, where applicable, any or all of the following: (a) Effective measures aimed at the cessation of continuing violations; (b) Verification of the facts and full and public disclosure of the truth to the extent that such disclosure does not cause further harm or threaten the safety and interests of the victim, the victim’s relatives, witnesses, or persons who have intervened to assist the victim or prevent the occurrence of further violations; (c) The search for the whereabouts of the disappeared, for the identities of the children abducted, and for the bodies of those killed, and assistance in the recovery, identification and reburial of the bodies in accordance with the expressed or presumed wish of the victims, or the cultural practices of the families and communities; (d) An official declaration or a judicial decision restoring the dignity, the reputation and the rights of the victim and of persons closely connected with the victim; (e) Public apology, including acknowledgement of the facts and acceptance of responsibility; (f) Judicial and administrative sanctions against persons liable for the violations; (g) Commemorations and tributes to the victims; (h) Inclusion of an accurate account of the violations that occurred in international human rights law and international humanitarian law training and in educational material at all levels.“ 163

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keiten oder die Errichtung von Denkmälern verstanden, mit denen den Opfern gedacht werden soll.166 Die Berufungskammer in Lubanga nannte neben Restitution, Kompensation und Rehabilitation unter „other modalities of reparations“ noch die Veröffentlichung und weite Verbreitung ihres Urteils als Entschädigungsmaßnahme mit dem Ziel, Bewusstsein und Kenntnis über die abgeurteilten Verbrechen zu stärken und von der Begehung zukünftiger Verbrechen solcher Art abzuschrecken.167 Neben diesem in die Zukunft gerichteten Zweck nannten die Lubanga-Kammern als Ziel von Reparationen die Versöhnung der Opfer mit ihren Familien und den betroffenen Gesellschaftsteilen.168 Auch Leistungen des Täters könnten Genugtuungsmaßnahmen sein; so kann er – freiwillig – um Entschuldigung bitten und Verantwortung für seine Taten übernehmen.169 Die erstrebten positiven Auswirkungen der Reparationen sollen nicht beim einzelnen betroffenen Opfer oder der betroffenen Opfergruppe haltmachen, sondern – soweit möglich – einen gesamtgesellschaftlichen Versöhnungsprozess mit sich bringen.170 Gerade im Bereich der Genugtuung wird erneut sichtbar, dass die van BovenPrinciples zunächst primär an staatliche Wiedergutmachungsakteure gerichtet waren. Ein einzelner verurteilter Täter kann keine staatlichen Erklärungen abgeben, staatliche Ermittlungen durchführen oder breit angelegte Maßnahmen der Wahrheitsfindung leisten. Unabhängig davon, dass die angemessenen Maßnahmen jeweils unter Berücksichtigung des Einzelfalls festgelegt werden, bleibt festzuhalten, dass der Zweck von Genugtuungsmaßnahmen in einem Umfang verstanden wird, der für ein internationales Strafgericht vermutlich nur schwer erreichbar sein wird. ee) Garantie der Nichtwiederholung Die Garantie der Nichtwiederholung („guarantee of non-repetition“) ist als weitere Wiedergutmachungsform in den van Boven-Principles enthalten, Prinzip 23.171 Durch sie soll nicht nur das einzelne Opfer anerkannt und entschädigt werden, 166 Siehe Cassel, in: de Feyter et al. (Hrsg.), Out of the Ashes – Reparation for Victims of Gross and Systematic Human Rights Violations, S. 191 – 223 m. w. N. 167 IStGH, Lubanga, Entschädigungsanordnung, Rn. 240 f. 168 IStGH, Lubanga, Entschädigungsanordnung, Rn. 244, jedoch mit dem Hinweis, dass eine Versöhnung mit dem Täter sexueller Gewalt häufig durch die Opfer nicht erwünscht ist. 169 Safferling, ZStW 2003, 352 (379); Shelton, in: de Feyter et al. (Hrsg.), Out of the Ashes – Reparation for Victims of Gross and Systematic Human Rights Violations, S. 23. 170 Vgl. auch Bock, Das Opfer vor dem Internationalen Strafgericht, S. 563. 171 „23. Guarantees of non-repetition should include, where applicable, any or all of the following measures, which will also contribute to prevention: (a) Ensuring effective civilian control of military and security forces; (b) Ensuring that all civilian and military proceedings abide by international standards of due process, fairness and impartiality;

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vielmehr soll die (Wieder)Herstellung eines Rechtsstaates, staatsbürgerliches Vertrauen und soziale Solidarität innerhalb der betroffenen Gesellschaft angestrebt werden.172 Opfer von Massenkriminalität haben häufig das Vertrauen in den Staat verloren, da völkerrechtliche Verbrechen üblicherweise durch den Staat, zumindest aber mit seiner Unterstützung und Billigung, geschehen.173 Es ist aber für den gesamtgesellschaftlichen Versöhnungsprozess notwendig, dass die Opfer wieder Zutrauen fassen und darauf vertrauen, dass die staatlichen Einrichtungen in Zukunft die Begehung von völkerrechtlichen Verbrechen vermeiden werden.174 Zweck von Reparationen ist nach diesem, aus dem Bereich der Transitional Justice175 folgenden Gedanken, die Förderung bürgerlichen Vertrauens.176 Dieses Vertrauen wird als „thin but basic trust among citizens, and especially, among citizens and the institutions under which they live“ beschrieben.177 Durch die Wiedergutmachungsleistung erhalten Opfer die materielle Manifestation der Tatsache, dass sie nunmehr gemeinschaftlich als Bürger/-innen in einer Gesellschaft und Staatsform leben, die auf Vertrauen aufgebaut ist.178 Dieser Zweck (c) Strengthening the independence of the judiciary; (d) Protecting persons in the legal, medical and health-care professions, the media and other related professions, and human rights defenders; (e) Providing, on a priority and continued basis, human rights and international humanitarian law education to all sectors of society and training for law enforcement officials as well as military and security forces; (f) Promoting the observance of codes of conduct and ethical norms, in particular international standards, by public servants, including law enforcement, correctional, media, medical, psychological, social service and military personnel, as well as by economic enterprises; (g) Promoting mechanisms for preventing and monitoring social conflicts and their resolution; (h) Reviewing and reforming laws contributing to or allowing gross violations of international human rights law and serious violations of international humanitarian law.“ 172 Siehe de Greiff/Wierda, in: de Feyter et al. (Hrsg.), Out of the Ashes – Reparation for Victims of Gross and Systematic Human Rights Violations, S. 235. 173 Bock, Das Opfer vor dem Internationalen Strafgericht, S. 566, mit Verweis auf Shelton, in: Shelton/Ingadottir (Hrsg.), The International Criminal Court: Reparations to Victims of Crime (Article 75 of the Rome Statute) And the Trust Fund (Article 79), S. 7 und den Report der Sierra Leone Truth Commission, Volume 2, 2004, Chapter 4, Rn. 47. 174 Greiff/Wierda, in: de Feyter et al. (Hrsg.), Out of the Ashes – Reparation for Victims of Gross and Systematic Human Rights Violations, S. 235; Bock, Das Opfer vor dem Internationalen Strafgericht, S. 566; Report der Sierra Leone Truth Commission, Volume 2, 2004, Chapter 4, Rn. 49. 175 Mehr dazu siehe unter III. 3. e). 176 de Greiff/Wierda, in: de Feyter et al. (Hrsg.), Out of the Ashes – Reparation for Victims of Gross and Systematic Human Rights Violations, S. 235. 177 de Greiff/Wierda, in: de Feyter et al. (Hrsg.), Out of the Ashes – Reparation for Victims of Gross and Systematic Human Rights Violations, S. 235. 178 de Greiff/Wierda, in: de Feyter et al. (Hrsg.), Out of the Ashes – Reparation for Victims of Gross and Systematic Human Rights Violations, S. 235.

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der Wiedergutmachung hat kathartischen Charakter, der schwerlich durch Einzelne zu leisten ist. Dementsprechend ergibt sich aus den Beispielen in Prinzip 23, dass Adressat der vorgeschlagenen Maßnahmen ein Staat ist. Auch wenn teilweise angenommen wird, dass das IStGH-Statut auch diese Form der Wiedergutmachung beinhaltet, sind diesbezüglich Zweifel angebracht.179 Primäre Aufgabe des IStGH ist die Feststellung individueller Verantwortlichkeit; der Gerichtshof hat keine Möglichkeit, die Vertragsstaaten zu Maßnahmen zu verpflichten.180 Für Maßnahmen zur Prävention zukünftiger Völkerrechtsverbrechen sind typischerweise die Einrichtung einer funktionierenden Justiz und die Befehlsgewalt über das Militär von Nöten. Auch die Einführung und Unterstützung von Programmen zum Schutz gefährdeter Personengruppen und Sensibilisierungstraining für öffentliche Amtsträger sind grundsätzlich nicht von dem einzelnen verurteilten Täter leistbar, selbst wenn er in der Vergangenheit eine leitende staatliche Funktion innehatte. Denkbar wäre es, die – durchaus umstrittene – Abschreckungsfunktion der Verurteilung zu Reparationen181 per se als eine Maßnahme der Garantie der Nichtwiederholung zu verstehen. Da eine abschreckende Wirkung des Urteils jedoch allenfalls angenommen werden kann, wenn die Bürger davon, dass auch zukünftige Verbrechen uneingeschränkt geahndet werden, überzeugt sind, wäre dafür Vertrauen in den nationalen Rechtsstaat und die internationale Gemeinschaft notwendigerweise vorauszusetzen.

b) Exkurs – der zweigeteilte Zweckbegriff von de Greiff und Wierda Unter Berücksichtigung des oben Gesagten scheint es erforderlich, hinsichtlich der Zweckbestimmung von Reparationen nicht nur eindimensional zu denken. So wurde die Frage nach dem Zweck von Wiedergutmachung durch de Greiff/Wierda mit einem zweigeteilten Zweck beantwortet und mehrere Ziele herausgearbeitet, die in Reparationsmaßnahmen enthalten sein können:182 1. Zunächst die Wiederherstellung der Würde des einzelnen Opfers durch die Anerkennung als verletztes Individuum und/oder verletztes Kollektiv.183 179

Bock, Das Opfer vor dem Internationalen Strafgericht, S. 566. Kurz dazu unten unter Verweis auf: Bitti/Gonzáles Rivas, in: The International Bureau of the Permanent Court of Arbitration (Hrsg.), Redressing Injustices Through Mass Claims Processes, S. 310. 181 Siehe Bock, ZIS 2013, 297 (301); Dwertmann, Reparation System, S. 41. 182 de Greiff/Wierda, in: de Feyter et al. (Hrsg.), Out of the Ashes – Reparation for Victims of Gross and Systematic Human Rights Violations, S. 35 f.; Ansatzpunkt war der Kontext von Ländern in transition. 183 de Greiff/Wierda, in: de Feyter et al. (Hrsg.), Out of the Ashes – Reparation for Victims of Gross and System-atic Human Rights Violations, S. 235. 180

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2. Darüber hinaus können Reparationen durch den Wiederaufbau von bürgerschaftlichem Vertrauen und sozialer Solidarität zur Wiedereinrichtung eines Rechtsstaates beitragen.184 De Greiff und Wierda weisen jedoch einschränkend darauf hin, dass sich diese beiden Ziele auf nationale Entschädigungsprogramme beziehen. Das Ziel der Anerkennung (Ziffer 1) allerdings könne ausgedehnt werden, so dass es auch auf Programme des TFV anwendbar werde. Die Anerkennung könne die Rechtsverletzung zwar nicht vollständig kompensieren, aber immerhin den Status des Opfers als Träger von Menschenrechten, und das Bestehen des damit einhergehenden Schutzes bekräftigen.185 Die Stärkung des bürgerschaftlichen Vertrauens ist aus Sicht von de Greiff/Wierda hingegen schwieriger zu internationalisieren,186 da ein international finanziertes und von der internationalen Gesellschaft eingesetztes Reparationsprogramm wenig dazu beitragen kann, das Vertrauen in den eigenen Rechtsstaat wiederaufzubauen. Ganz aufgeben wollen de Greiff und Wierda den Gedanken dennoch nicht; auch das Vertrauen in eine internationale Institution zu stärken sei ein erstrebenswertes Ziel.187

c) Zwischenergebnis Die durch das IStGH-Statut ausdrücklich erwähnten sowie die darüber hinaus möglichen Arten der Wiedergutmachung haben unterschiedliche Zielrichtungen und decken eine weite Bandbreite ab. Nur einen einheitlichen Zweck von Entschädigungsleistungen des IStGH zu bestimmen, ist folglich nicht möglich. Trotz der Gefahr der Pauschalisierung können aber möglicherweise die Zielrichtungen der verschiedenen Maßnahmen gebündelt werden. Restitution und Kompensation kommt in erster Linie den einzelnen Opfern oder Opfergruppen zugute; es geht um Rückgabe oder die Wiedergutmachung von materiell greifbaren Schäden. Auch mit Maßnahmen der Rehabilitation soll den einzelnen Menschen und Menschengruppen medizinische und psychologische Behandlung oder Beratung zukommen; adressiert werden mit diesen Maßnahmen eher immaterielle Schäden. Satisfaktion hat neben dem Aspekt der Anerkennung der Schuld oft Maßnahmen der Wahrheitsfindung und gemeinschaftliche Aufarbeitung mit dem/n Täter/n zum Gegenstand. Diese Maßnahmen sind häufig nicht von einzelnen Tätern zu leisten und betreffen oft auch größere Gefüge. Die Garantie der Nichtwiederholung setzt eine gewisse Macht über Strukturen voraus. 184 185 186 187

de Greiff/Wierda, in: de Feyter et al. (Hrsg.), S. 235. de Greiff/Wierda, in: de Feyter et al. (Hrsg.), S. 236. de Greiff/Wierda, in: de Feyter et al. (Hrsg.), S. 236. de Greiff/Wierda, in: de Feyter et al. (Hrsg.), S. 236.

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Daneben stehen – oft auch gleichzeitig – Ziele, die weniger das Verhältnis zwischen individuellen Tätern und Opfern betreffen, sondern vielmehr auf gesamtgesellschaftliche Aussöhnung und Stärkung des Vertrauens in die Gesellschaft gerichtet sind. Erreicht werden soll ein reinigendes Umdenken, das einen gesellschaftlichen Neuanfang ermöglicht. Maßnahmen der Garantie der Nichtwiederholung fallen häufig hierunter, teilweise auch Maßnahmen der Genugtuung. Auch hier zeigt sich, dass Maßnahmen der Entschädigung aber häufig nicht nur eine Zweckbestimmung haben. So kann die symbolische Funktion der Kompensation in Kombination mit der Genugtuung besser bei der Bewältigung der Tatfolgen helfen als eindimensionale Maßnahmen.188 Auch wenn eine trennscharfe Unterscheidung der jeweils hinter den Reparationsarten stehenden Zweckbestimmungen nicht möglich ist – da häufig auch mehrere Aspekte gesammelt auftreten –, scheint doch eine grobe Zweiteilung der Zweckbestimmungen im Sinne von de Greifs/Wierda möglich. Der Zweck von Entschädigungsansprüchen vor dem IStGH, „justice“ für die Opfer zu erreichen, spielt sich mithin auf verschiedenen Ebenen und in unterschiedlichen Formen ab. Die Tatsache, dass Inhalt und Ausgestaltung der Arten von Reparationen auf der Ebene der Staatenverantwortlichkeit entwickelt und in erster Linie bislang auch dort diskutiert wurden, ist bei der Bestimmung des Zwecks der verschiedenen Formen im internationalen Strafverfahren eher hinderlich. Dem Ansatz de Greifs und Wierdas folgend könnte aber geprüft werden, ob die grobe Zweiteilung des Zwecks von Wiedergutmachung am IStGH angemessen sein kann.

d) Kollektive und individuelle Wiedergutmachung Ein weiterer Aspekt bei der Herausarbeitung der angemessensten und gerechtesten Möglichkeit, Opfern von Massenkriminalität Gerechtigkeit durch Entschädigung zukommen zu lassen, ist die Entscheidung, ob dies auf individueller oder kollektiver Ebene geschehen soll. Dem IStGH stehen beide Wege offen.189 Je nach Art und Ausmaß der Schäden kann der Gerichtshof Wiedergutmachung auf individueller Basis oder „where it deems appropriate“ auf kollektiver Basis zusprechen, Regel 97 Abs. 1 S. 1 der RPE. Möglich ist auch, dass sowohl individuelle als auch kollektive Reparationen zugesprochen werden.190 Der Charakter der beiden Entschädigungsarten ist sehr unterschiedlich. Individuelle Reparationen kommen direkt dem einzelnen Opfer zugute; von dem Grundsatz der Naturalrestitution ausgehend, soll der Zustand wiederhergestellt werden, der vor der Tat bestand. Damit sind individuelle Reparationen vergleichbar 188 189 190

Bock, Das Opfer vor dem Internationalen Strafgericht, S. 562. Regel 97 Abs. 1 RPE. Siehe zu dem Aspekt unten unter IV. 1. f).

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mit zivilrechtlichem Schadensersatz auf nationaler Ebene.191 Primäres Ziel ist die weitgehende Herstellung von Einzelfallgerechtigkeit.192 Die Wiedergutmachungsleistungen auf kollektiver Basis sollen eine Opfergruppe, die auch die Größe einer gesamten Gemeinschaft haben kann,193 entschädigen. Je nach Art der Verletzungen sind Projekte denkbar wie der Wiederaufbau von Gemeinden, religiösen Zentren, die Errichtung und Finanzierung von Krankenhäusern, Zentren zur Behandlung von Traumata, die Einrichtung von Schulen oder auch Dokumentationsprojekten sowie die Errichtung von Denkmälern und Stupas zum Gedenken der Opfer.194 Zielrichtung der kollektiven Reparationen ist die Entschädigung einer als Kollektiv verletzten Personengruppe.195 Dies hat den Hintergrund, dass gerade in bürgerkriegsähnlichen Situationen die Täter oft darauf abzielen, gesellschaftliche Verbindungen und Strukturen einer Gemeinschaft zu zerstören, um organisierte Gegenwehr auszuschließen und die Einwohner in die Flucht zu treiben.196 Teilweise ist erklärtes Ziel der Täter, die Opfer zu isolieren, zu terrorisieren und Misstrauen gegen andere zu verbreiten.197 Die Verbrechen richten sich in diesen Fällen mehr gegen die Gruppe an sich als gegen Individuen; der einzelne Mensch wird lediglich als Teil einer Gruppe viktimisiert.198 Da Schäden solchen Ausmaßes häufig nicht ausreichend durch individuelle Entschädigung adressiert werden können, entsprechen Leistungen, die sich an das Kollektiv richten, in diesen Konstellationen eher dem Ziel der Wiedergutmachung.199 Neben diesen Aspekten spielen auch praktische Erwägungen eine Rolle: Es ist oft nicht möglich, in Fällen der Makrokriminalität große Opfergruppen auf individueller Basis zu entschädigen, ohne Einzelne ungleich zu behandeln oder an die wirtschaftlichen Grenzen der Täter oder sogar des Treuhandfonds zu stoßen.

e) Diskussion Die Zwecke von individueller und kollektiver Wiedergutmachung sind sehr unterschiedlich: die Schaffung von Einzelfallgerechtigkeit auf der einen Seite, die 191

Dwertmann, Reparation System, S. 120. Bock, Das Opfer vor dem Internationalen Strafgericht, S. 568 f. 193 IStGH, Lubanga, Berufungsentscheidung, Rn. 212; IStGH, Katanga, Entschädigungsanordnung, Rn. 288. 194 IStGH, Katanga, Entschädigungsanordnung, Rn. 304; IStGH, Al Mahdi, Entschädigungsanordnung, Rn. 90. 195 Roht-Arriaza, Hastings Int’l and Comp LR 27 (2004), 157(169). 196 Roht-Arriaza, Hastings Int’l and Comp LR 27 (2004), 157 (169). 197 Roht-Arriaza, Hastings Int’l and Comp LR 27 (2003), 157 (169). 198 Dwertmann, Reparation System, S. 122, mit weiteren Nachweisen und dem Hinweis, dass dies am offenkundigsten bei dem Verbrechen des Genozids denkbar ist, aber auch bei Formen von Kriegsverbrechen und von Verbrechen gegen die Menschlichkeit. 199 TFV, Observations on Reparations, 25. April 2012, Rn. 155. 192

6. Ziel und Zweck des Reparationsregimes am IStGH: Diskussion

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Wiedergutmachung einer kollektiven Viktimisierung mit der Hoffnung auf Wiederherstellung einer Gemeinschaft auf der anderen Seite. Die möglichen Arten von Reparationen haben mannigfaltige Zwecke und Zielrichtungen, die bei dem Streben nach Gerechtigkeit in die Reparationsentscheidungen einbezogen werden können.

6. Ziel und Zweck des Reparationsregimes am IStGH: Diskussion Die verschiedenen Ansätze für die Konzeptualisierung einer Rolle von Reparationen im System des IStGH zeichnen ein sehr uneinheitliches Bild mit verschiedenen Facetten. Zur Orientierung ist es daher sinnvoll, sich zunächst noch einmal den Zweck eines internationalen Strafverfahrens in Erinnerung zu rufen: Dieser ist in erster Linie die Feststellung von individueller strafrechtlicher Verantwortlichkeit; die Verfahrenskammer des ICTY fasste dies im Urteil zu Obrenovic erneut in Worte: „Individual accountability for the crimes committed and commensurate punishment is the aim of criminal proceedings involving such grave crimes.“200

Dieser Ansatz ist seit dem Militärgerichtshof in Nürnberg gleichgeblieben und wurde nun am IStGH mit dem dualen Reparationsmandat angereichert.201 McCarthy kommt in seiner Analyse zu dem Ergebnis, eine Kombination des aus der Staatenverantwortlichkeit stammenden Gedankens der Reparationen mit dem strafrechtlichen Grundsatz der individuellen Verantwortlichkeit sei „not an obvious extension of international criminal law but rather represents an appreciable shift in the way in which criminal justice at the international level is conceptualized.“202 Sein Blick richtet sich mithin mehr auf die Veränderung des Begriffs strafrechtlicher Gerechtigkeit auf internationaler Ebene und weniger auf die Rolle des Reparationsmandats innerhalb des strafrechtlichen Systems.203 Auch von anderer Seite aus betrachtet, fällt eine Konzeptualisierung aber schwer. Einigkeit besteht darin, dass Reparationen als erstes grundlegendes Ziel die Rückerstattung haben, also den schon in der Chorzow-Entscheidung dargelegten Zweck der Naturalrestitution. Wo also Eigentum entzogen oder zerstört wurde, wird dieses schlicht zurückgegeben oder wiederaufgebaut. Da es in der Natur der schwersten Verbrechen der Massenkriminalität liegt, dass Naturalrestitution in der Regel nicht möglich ist, kann dies jedoch nicht die allgemeine Zielsetzung des Reparationsregimes am IStGH sein. Dies erkennend, ist das Reparationsmandat auch nicht allein auf Maßnahmen der Rückerstattung ausgerichtet. 200

ICTY, Obrenovic (IT-02 – 60/2-S), Verfahrenskammer I, Urt. v. 10. 12. 2003. So auch McCarthy, JICJ 10 (2012), 351. 202 McCarthy, Reparations and Victim Support, S. 37. 203 McCarthy plaziert den Reparationsanspruch gedanklich eher im Bereich der Staatenverantwortlichkeit, eine Zuordnung als deliktsähnlich nimmt er nicht vor. 201

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III. Zweck von Reparationen im Völkerstrafrecht

Die Konzepte der Ziele und Zwecke der Reparationen am IStGH lassen sich grob in zwei Ansätze unterteilen204. Ausgehend von dem Prinzip der Naturalrestitution kann die Zielsetzung am IStGH sein, Wiedergutmachung im Sinne eines deliktsähnlichen Anspruchs zu leisten, eines „Völkerdelikts“. Ein anderes, weitaus umfangreicheres Verständnis der Zielvorstellung von Reparationen hat seine Wurzeln in dem Bereich der Staatenverantwortlichkeit und eine mehr transformierende Wirkung von Reparationen auf der gesellschaftlichen Ebene zum Ziel. So führt Roht-Arriaza – begrifflich etwas zu nah an der Strafzwecklehre – aus, Reparationen seien die Verkörperung einer gesellschaftlichen Anerkennung, Reue und Sühne für die zugefügten Schäden.205 Diese Qualität dieser Abbitte unterscheide Reparationen von einer einfachen Schadensbegleichung nach einem Konflikt.206 Auch wenn die von ihr verwandten Begriffe „remorse and atonement“207 im Zusammenhang mit Reparationen nicht unproblematisch sind, festzuhalten bleibt das weite Verständnis vom Reparationszweck Roht-Arriazas, das inhaltlich jedoch keine sich verbietend großen Überschneidungen zu Strafzwecklehren aufweist. Sie stellt indes darauf ab, dass es nicht nur um die Wiedergutmachung des in der Vergangenheit liegenden Unrechts geht, sondern auch darum, die Balance im gesellschaftlichen Vorangehen wiederzuherstellen.208 Der Zweck von Reparationen sei zweigeteilt: zunächst die Wiedergutmachung für den Schaden und Wiederherstellung des „good names“ der durch die Tatbegehung diffamierten Opfer. Zum anderen die durch die Taten marginalisierten und isolierten Opfer wieder in die Gesellschaft einzufügen und ihnen zu erlauben, Teil im Wiederaufbau des Landes zu sein.209 Diese Zweiteilung beinhaltet in dem einen Teil grob das deliktische Verständnis, in dem das Leid der Opfer in erster Linie durch Restitution, Kompensation und Rehabilitation wiedergutgemacht wird. Im zweiten Teil wird durch Wiedereingliederung und Wiederaufbau der gesellschaftliche Versöhnungsprozess vorangetrieben, was eher einem umfassenderen Ansatz der Staatenverantwortlichkeit entspricht. 204 Safferling und Petrossian beschreiben im Reparationssystem am IStGH indes drei Ebenen: der Verantwortlichkeit des Individuums, des Staates und der internationalen Gemeinschaft, Safferling/Petrossian, Victims before the International Criminal Court (im Erscheinen), S. 233 ff. 205 Roht-Arriaza, Hastings Int’l and Comp LR 27 (2004), 157 (159). 206 Roht-Arriaza, Hastings Int’l and Comp LR 27 (2004), 157 (159) zitiert Brooks, Reflections on Reparations, in: Torpey (Hrsg.), Politics and the Past: On Repairing Historical Injustices, Lanham (Maryland) 2003, S. 117. 207 Roht-Arriaza, Hastings Int’l and Comp LR 27 (2004), 157 (159). 208 Roht-Arriaza, Hastings Int’l and Comp LR 27 (2004), 157 (160). 209 Roht-Arriaza, Hastings Int’l and Comp LR 27 (2004), 157 (160), die die klassischen Wurzeln von Reparationen sowohl im Bereich des Deliktsrechts als auch im Recht der Staatenverantwortlichkeit sieht.

6. Ziel und Zweck des Reparationsregimes am IStGH: Diskussion

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Eine zweigeteilte Zweckbestimmung haben – wie bereits dargestellt – auch de Greiff/Wierda aufgegriffen.210 Zunächst sei Zweck von Reparationen die Wiederherstellung der Würde des einzelnen Opfers durch die Anerkennung der Opfer als verletzte Individuen und/oder ein verletztes Kollektiv. Dies sei jedenfalls dann möglich, wenn die Reparationsmaßnahmen den notwendigen Grundsätzen folgend eine zweite Viktimisierung, beispielsweise durch Ungleichbehandlung, vermeiden.211 Darüber hinaus haben Reparationen zum Ziel der Wiedereinrichtung eines Rechtsstaates beizutragen, was durch den Wiederaufbau von bürgerschaftlichem Vertrauen und sozialer Solidarität zu erreichen sei. Bringt man in diese Zweiteilung noch die Herkunft der verschiedenen Aspekte der Opferentschädigung ein – die deliktische Opferentschädigung im nationalen Recht und die auf Staatenverantwortlichkeit beruhende Opferentschädigung im Völkerrecht – kann auch in dieser Zweiteilung zum einen eine engere deliktsähnliche Zielvorstellung erkannt werden, zum anderen die transformierende Zweckbestimmung aus dem Bereich der Staatenverantwortlichkeit. So kann durch ein zusprechendes deliktrechtliches Urteil sui generis und rasche Umsetzung desselben neben der Kommunikation des Unwerturteils durch Reparationsanordnungen den Opfern Anerkennung und Wiedergutmachung zuteil werden, was dem erstgenannten Zweck entspricht. Die (Wieder)Herstellung von Rechtsstaatlichkeit, bürgerschaftlichem Vertrauen und sozialer Solidarität spielt sich auf der Ebene des gesellschaftlichen Wiederaufbaus und des gesellschaftlichen Versöhnungsprozesses ab.212. Vor dem Hintergrund der Einflüsse aus dem nationalen Deliktsrecht und der völkerrechtlichen Staatenverantwortlichkeit lassen sich die unterschiedlichen Zielrichtungen von Reparationen also in jedenfalls zwei Dimensionen einteilen. 1) Opferentschädigung im engeren Sinne – vertikale Reparation

Die eine Dimension ist Wiedergutmachung im engeren Sinn. Adressiert wird darin die Viktimisierung des einzelnen Opfers und der Opfergruppe, oft durch Maßnahmen der Restitution, Kompensation und teilweise auch der Rehabilitation. In dieser Dimension findet auch die Wahrnehmung der Opferstellung und Kommunikation des Unwerturteils statt. Diese Maßnahmen und dahinterstehenden Zwecke finden sich wieder in einer Art völkerdeliktischem Anspruch. Einem von der Rechtsnatur her besonderem Deliktsanspruch, der auf der völkerrechtlichen Ebene in erster Linie bilateral zwischen zwei Individuen Ausgleich schafft. Der Täter, der sich durch die Tatbegehung über 210 Siehe oben, und de Greiff/Wierda, in: de Feyter et al. (Hrsg.), Out of the Ashes – Reparation for Victims of Gross and Systematic Human Rights Violations, S. 235, die die zwei Aspekte jedenfalls bei Gesellschaften in transition sehen. 211 Bock, Das Opfer vor dem Internationalen Strafgericht, S. 589. 212 Der zweite Zweck, auch bei de Greiff/Wierda, in: de Feyter et al. (Hrsg.), Out of the Ashes – Reparation for Victims of Gross and Systematic Human Rights Violations, S. 235 f.

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III. Zweck von Reparationen im Völkerstrafrecht

die Opfer gestellt hat, leistet Entschädigung gegenüber den individuellen Opfern oder einer aus Individuen bestehenden Opfergruppe; die Wiedergutmachung erfolgt mithin in einem vertikalen Verhältnis und soll hier als sog. vertikale Reparationen verstanden werden. 2) Opferentschädigung im weiteren Sinne – horizontale Wiedergutmachung

Daneben stehen Reparationen im weiteren Sinne. Diese Wiedergutmachungsdimension hat gesellschaftlich reinigende und transformative Ziele, die in Überlegungen zu Transitional Justice und einem restorativen Gerechtigkeitsbegriff zu finden sind. Der Ansatz, dass auch gesellschaftlich versöhnende, kathartische Aspekte Zielbestimmung von Opferentschädigung sind, die auf einen Vertrauensaufbau in staatliche Strukturen und den Rechtsstaat abzielen, stammt aus dem Bereich der Staatenverantwortlichkeit oder anderen ganzheitlichen Versöhnungskonzepten wie Truth and Reconciliation Commissions. Auch Aufarbeitung, Wahrheitsfindung und Garantien der Nichtwiederholung sind Aspekte dieser Art der Wiedergutmachung. Diese Pflichten und Berechtigungen aus der Staatenverantwortlichkeit sind Aufgaben, die sich der Situationsstaat, allenfalls die internationale Gemeinschaft, auferlegen kann; sie sind jedoch nicht erfüllbar durch den einzelnen verurteilten Völkerstraftäter.213 Diese zweite Dimension soll hier als horizontale Wiedergutmachung verstanden werden. Nicht nur die individuellen Opfer oder die aus Individuen bestehenden Opfergruppen sollen mit den Reparationsmaßnahmen adressiert, sondern auch die gesellschaftliche Versöhnung unterstützt und gemeinschaftliche Strukturen wiederhergestellt werden. Der Täter ist dabei ein Teil der Gesellschaft und reiht sich daher auf horizontaler Ebene ein. Die Maßnahme bewegt sich somit nicht nur zwischen dem obenstehenden Schädiger und dem Opfer (vertikal), sondern soll die gesamte Gemeinschaft, in der das Opfer lebt, mit einbinden und verbinden. Dabei schließen sich die beiden Dimensionen der Wiedergutmachung nicht aus; sowohl die vertikale individualistische Entschädigung als auch die versöhnende horizontale Wiedergutmachung können nebeneinander auftreten und tun dies häufig auch.214 Es stellt sich jedoch die Frage, inwieweit es innerhalb des Reparationssystems des IStGH möglich ist, beide Dimensionen mit ihren jeweiligen Zweckbestimmungen für die Opfer angemessen zu berücksichtigen. Dafür ist es notwendig, das Reparationsregime am IStGH etwas genauer zu beleuchten.

213 Erfolge des IAGMR sind weitgehend auch daran geknüpft, dass der Gerichtshof aufgrund seines Mandats sehr flexibel Maßnahmen gegenüber Staaten anordnen konnte: Wahrheitsfindung, Rehabilitation durch Gesetzgebung, Verbesserung der Rechtsstaatlichkeit. 214 Vgl. die Rechtsprechung des IAGMR, wo häufig mehrere Aspekte nebeneinander angeordnet wurden.

IV. Gerichtliche Reparationen nach Art. 75 Abs. 2 IStGH-Statut Die zentrale Vorschrift für Opferentschädigung findet sich im IStGH-Statut in Art. 75. In Art. 75 Abs. 1 IStGH-Statut wird dem Gerichtshof aufgegeben, allgemein gültige Reparationsprinzipien aufzustellen.1 Die Normierung der Anordnung von Reparationen gegen den verurteilten Täter findet sich in Art. 75 Abs. 2 IStGH-Statut. Nach dieser Vorschrift werden die gerichtlichen Reparationen den Opfern zugesprochen. Das folgende Kapitel beleuchtet die maßgeblichen Punkte der Anspruchsvoraussetzungen und des Anspruchsinhaltes so, wie sie sich gut 17 Jahre nach Inkrafttreten des Römischen Statuts darstellen und bezieht dabei die Reparationsentscheidungen des IStGH als maßgebliche Konkretisierung der Tatbestandsvoraussetzungen mit ein. Dabei sollen nicht sämtliche Fragen dargestellt werden, die im Zusammenhang des Rechts der Reparationen auch vor anderen Gerichten erörtert wurden. Vielmehr soll in dieser Darstellung der Schwerpunkt auf die Aspekte gesetzt werden, die am IStGH als nicht trivial angesehen und in den drei Reparationsentscheidungen Lubanga, Katanga und Al Mahdi kontrovers diskutiert wurden.2

1. Anspruchsvoraussetzungen und Anspruchsinhalt von Art. 75 Abs. 2 IStGH-Statut Der Wortlaut des für Reparationsanordnungen zentralen Absatzes lautet: „(2) Der Gerichtshof kann eine Anordnung unmittelbar gegen den Verurteilten erlassen, in der er die den Opfern oder in Bezug auf die Opfer zu leistende angemessene Wiedergutmachung, wie Rückerstattung, Entschädigung und Rehabilitierung, im einzelnen festlegt.“3

In der englischen Originalversion lautet der Absatz: „The Court may make an order directly against a convicted person specifying appropriate reparations to, or in respect of, victims, including restitution, compensation and rehabilitation.“

1

Siehe dazu oben unter II. 4. b) aa) (2). Stand dieser Arbeit ist September 2019. Die bis dahin ergangenen maßgeblichen Entscheidungen in den drei Fällen wurden einbezogen. 3 Art. 75 Abs. 2 IStGH-Statut. 2

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IV. Gerichtliche Reparationen nach Art. 75 Abs. 2 IStGH-Statut

Schon aus der Kürze der Regelung ist erkennbar, dass das Statut keine sonderliche Regelungsdichte im Hinblick auf die Voraussetzungen, den Inhalt und Umfang von Entschädigungen aufweist. Konkretisierungen nahm die Berufungskammer im Lubanga-Verfahren4 dadurch vor, dass sie fünf Elemente definierte, die eine Reparationsanordnung des IStGH enthalten muss: „1) it must be directed against the convicted person; 2) it must establish and inform the convicted person of his or her liability with respect to the reparations awarded in the order; 3) it must specify, and provide reasons for, the type of reparations ordered, either collective, individual or both, pursuant to rules 97 (1) and 98 of the Rules of Procedure and Evidence; 4) it must define the harm caused to direct and indirect victims as a result of the crimes for which the person was convicted, as well as identify the modalities of reparations that the Trial Chamber considers appropriate based on the circumstances of the specific case before it; and 5) it must identify the victims eligible to benefit from the awards for reparations or set out the criteria of eligibility based on the link between the harm suffered by the victims and the crimes for which the person was convicted.“

Die fünf essentiellen Elemente wurden in Katanga und Al Mahdi bestätigt: Die Verfahrenskammer in Katanga erklärte, sie wende die Elemente mutatis mutandis an;5 in Al Mahdi hielt die Kammer die Elemente auch für Verbrechen gegen Kulturgüter anwendbar.6

a) Adressat der Reparationsanordnung Die Bestimmung des Adressaten einer Entschädigungsanordnung ist in einem Reparationssystem jeweils von zentraler Bedeutung. Es wird für das Regime des IStGH nicht ernsthaft vertreten, dass der Gerichtshof die Möglichkeit hat, auch Anordnungen im Rahmen der Staatenverantwortlichkeit zu treffen.7 Der Gerichtshof hat die Aufgabe, die strafrechtliche Verantwortlichkeit von Individuen8 sowie die individuelle Pflicht zur Leistung von Wiedergutmachung des verurteilten Täters9 festzustellen. Das Reparationsmandat des IStGH folgt insoweit seinem strafrechtlichen Mandat. 4

IStGH, Lubanga, Berufungsentscheidung, S. 7. IStGH, Katanga, Entschädigungsanordnung, Rn. 30 f. 6 IStGH, Al Mahdi, Entschädigungsanordnung, Rn. 26 ff. 7 Siehe dazu knapp unten unter II. 4. b) aa) (2) mit Hinweis auf Bitti/Gonzáles Rivas, in: The International Bureau of the Permanent Court of Arbitration (Hrsg.), Redressing Injustices Through Mass Claims Processes, S. 310. 8 Art. 25 Abs. 2 IStGH-Statut. 9 Art. 75 Abs. 2 IStGH-Statut. 5

1. Anspruchsvoraussetzungen und -inhalt von Art. 75 Abs. 2 IStGH-Statut

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aa) Der verurteilte Täter als Adressat Die Anordnung von Reparationen für die Opfer der Verbrechen erfolgt nach dem IStGH-Statut grundsätzlich gegen den Verurteilten; das Statut hält jedoch zwei Varianten der Umsetzung bereit: Anordnungen „directly against a convicted person“ (Art. 75 Abs. 2 S. 1) und Entschädigungsanordnungen, bei denen der „award“10 der Entschädigung „through the Trust Fund“ erfolgen soll.11 Die Anordnung der Reparation durch den Treuhandfond soll erfolgen „when appropriate“, Art. 75 Abs. 2 S. 2. Was genau die Folge von Anordnungen nach Art. 75 Abs. 2 S. 2 IStGH-Statut ist, wurde in Lubanga kontrovers diskutiert,12 da die Formulierung im Statut nicht eindeutig ist. Die Frage war, ob die Kammer mit einer Anordnung „through the Trust Fund“ die Anordnung gegen den TFV als Adressaten richten kann. Oder, ob sich eine Anordnung in jedem Fall gegen den Angeklagten zu richten hat und der TFV lediglich Mittler sein kann. Den TFVals direkten Adressaten zu verstehen hätte zur Folge, dass die Anordnung den TFV unmittelbar verpflichten würde.13 Die Verfahrenskammer I im Lubanga-Verfahren verstand die Bedeutung des Wortes „through“ als „by means of“ und vertrat die Auffassung, es sei der Kammer möglich, Anordnungen direkt gegen den TFV zu erlassen und diesen dadurch zu konkreten Maßnahmen zu verpflichten.14 Diese Auffassung unterstützte auch die Verteidigung Lubangas.15 Sie argumentierte, Art. 75 Abs. 2 IStGH-Statut gebe der Kammer Ermessenspielraums („may“) dahingehend, dass sie Reparationen direkt gegen die verurteilte Person oder durch den TFV zusprechen könne. Sollte die Kammer sich jedoch als Anordnungsmodus für kollektive Reparationen entscheiden, könne sie diese nicht direkt gegen den Verurteilten anordnen. Aus Sicht der Verteidigung Lubangas ist durch Regel 98 Abs. 1 RPE16 festgeschrieben, dass lediglich individuelle Reparationen unmittelbar gegen den Verurteilten verhängt werden können.17 Der Verteidigung zufolge sind kollektive Reparationen mithin durch den TFV zu tragen.18 10 „Award“ lässt sich nicht direkt übersetzen, es kann Preis/Auszeichnung bedeuten, aber auch Entschädigung/Schadensersatz und im rechtlichen Kontext Urteil/Schiedsspruch, vgl. http://de.pons.com/übersetzung?q=award&l=deen&in=&lf=de (abgerufen am 12. November 2015). 11 Art. 75 Abs. 2 S. 2 IStGH-Statut. 12 IStGH, Lubanga, Entschädigungsanordnung, Rn. 137 ff. 13 IStGH, Lubanga, Entschädigungsanordnung, Rn. 270. 14 IStGH, Lubanga, Entschädigungsanordnung, Rn. 271. 15 Response of the Defense for Mr Thomas Lubanga to the documents filed by the victims of their appeal against the Trial Chambers’s Decision, 08. 04. 2013, Rn. 6 f. 16 Der Wortlaut der Regel 98 Abs. 1 RPE lautet: „Individual awards for reparations shall be made directly against a convicted person.“ 17 Response of the Defense for Mr Thomas Lubanga to the documents filed by the victims of their appeal against the Trial Chambers’s Decision, 08. 04. 2013, Rn. 5.

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IV. Gerichtliche Reparationen nach Art. 75 Abs. 2 IStGH-Statut

Der TFV vertrat indes die Auffassung, die Verfahrenskammer könne den TFV nicht verpflichten19 und stützte seine Argumentation auf den französischen Wortlaut des Art. 75 Abs. 2 IStGH-Statut. Statt des Wortes „durch“ ist in der französischen Fassung von „par l’interme´diaire du Fonds“ die Rede.20 Der TFV führte im Wesentlichen aus, er sei mithin bei einer Anordnung durch ihn lediglich ein Mittler und trete nicht an die Stelle des Verurteilten als Adressat der Maßnahme.21 Dieser Auffassung schloss sich die Berufungskammer an. Sie führte neben dem auf der französischen Textversion basierenden Argument aus, das Englische „through“ schließe eine Anordnung gegenüber dem Verurteilten nicht aus, sondern beziehe sich darauf, dass die Umsetzung nicht unmittelbar durch den Verurteilten erfolgt, was aber nichts daran ändere, dass der verurteilte Täter der Reparationsschuldner sei.22 Es solle damit lediglich der in Art. 75 IStGH-Statut angelegte Unterschied aufgezeigt werden, dass eine Anordnung entweder direkt gegen den Angeklagten erfolgen könne oder – „where appropriate“ – indirekt gegen den Angeklagten, nämlich durch den TFV als Mittler.23 Im Hinblick auf die Adressaten einer Entschädigungsanordnung ist diese Argumentation überzeugend und wird zudem auch von den Regularien der RPE unterstützt: Regel 98 Abs. 1 RPE ordnet zwar ausdrücklich an, dass individuelle Reparationen gegen den Verurteilten zu richten sind. Daraus zog die Verteidigung nun den Umkehrschluss, dass kollektive oder kombinierte Arten der Wiedergutmachung auch von anderen Adressaten getragen werden können.24 Diese Lesart klammert jedoch fälschlicherweise die weiteren Absätze der Regel 98 RPE aus. Die Regel spricht an keiner Stelle von anderen Adressaten, sondern ausschließlich von Reparationsanordnungen, die gegen den Verurteilten erlassen wurden. Im Hinblick auf den TFVerlaubt sie zum einen, die individuellen Reparationen so lange beim TFV zu hinterlegen, wie die Auszahlung nicht möglich oder nicht praktikabel ist (Abs. 2). Zum anderen eröffnet sie die Möglichkeit, die kollektiven Entschädigungen gegen den Verurteilten „through the Trust Fund“ (Abs. 3) zu machen. Die Konzeption der Regel 98 RPE stützt daher insgesamt den französischen Wortlaut des Art. 75 Abs. 2 IStGH-Statut, nach dem richtiger Adressat der Wiedergutmachungsanordnung allein der Verurteilte ist und der TFV lediglich als Mittler herangezogen werden kann.25 18

Response of the Defense for Mr Thomas Lubanga to the documents filed by the victims of their appeal against the Trial Chambers’s Decision, 08. 04. 2013, Rn. 6 ff. 19 TFV, Observations v. 08. 04. 2013, Rn. 107 f. 20 TFV, Observations v. 08. 04. 2013, Rn. 107 f., aufgegriffen bei IStGH, Lubanga, Berufungsentscheidung, Rn. 74. 21 TFV, Observations v. 08. 04. 2013, Rn. 108. 22 TFV, Observations v. 08. 04. 2013, Rn. 108, aufgegriffen durch die Berufungskammer in IStGH, Lubanga, Berufungsentscheidung, Rn. 71. 23 IStGH, Lubanga, Berufungsentscheidung, Rn. 71. 24 Siehe oben mit Verweis auf: Defence Response v. 08. 04. 2013, Rn. 5. 25 Vgl. IStGH, Lubanga, Berufungsentscheidung, Rn. 72.

1. Anspruchsvoraussetzungen und -inhalt von Art. 75 Abs. 2 IStGH-Statut

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Bestärkt wird diese Sichtweise zudem durch einen Beschluss der Vertragsstaaten. Darin unterschieden die Vertragsstaaten nicht nach der Art der Reparationen, als sie feststellten: „a reparations order may be made directly against a convicted person while the award for reparations may be made through the Trust Fund for Victims“.26

Dieser Beschluss ist gem. Art. 75 Abs. 2 i. V. m. Art. 79 Abs. 3 IStGH-Statut für die Auslegung des Art. 75 Abs. 2 IStGH-Statut beachtlich.27 Ein weiteres Argument dafür, dass der verurteilte Täter in jedem Fall der Adressat einer Entschädigungsanordnung ist, ist die Tatsache, dass Reparationen am IStGH nur im Falle einer Verurteilung möglich sind.28 Würden sich Anordnungen unmittelbar an andere Adressaten als den Verurteilten richten können, wäre diese Beschränkung nicht aus sich heraus verständlich.29 Denn in diesem Fall müsste die Verpflichtung eines Dritten nicht mit der Feststellung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit des Täters einhergehen, sondern könnte unabhängig davon erfolgen. Zudem wäre das weit ausgestaltete uneingeschränkte Berufungsrecht des Angeklagten gegen jegliche Reparationsanordnungen nicht erklärbar, wenn die Anordnungen auch gegen andere Adressaten erlassen werden könnten mit der Folge, dass diese an die Stelle des Verurteilten treten.30 Darüber hinaus stellte die Berufungskammer in Lubanga in ihren Erwägungen neben einem Hinweis auf die Fußnote 22 des Zutphen-Entwurfs des Preparatory Committee31 überzeugend auf das Grundprinzip und den Zweck des Reparationsregimes des IStGH-Statuts ab.32 Zielsetzung ist danach, sicherzustellen, dass Täter für ihre Taten Verantwortung übernehmen („ensure that offenders account for their acts“).33 Reparationsanordnungen sollten zudem den Kontext der gerichtlichen Entscheidung über individuelle strafrechtliche Verantwortlichkeit, in dem sie ergangen sind, wiedergeben. Die Berufungskammer zog daraus den naheliegenden Schluss, dass Wiedergutmachungsanordnungen eine starke intrinsische Verbindung zu dem Individuum haben müssen, dessen Verantwortlichkeit und Schuld in der Verurteilung festgestellt 26

ASP, res. on reparations, Präambel, S. 4. IStGH, Lubanga, Berufungsentscheidung, Rn. 46 – 48. 28 Art. 75 Abs. 2 IStGH-Statut 29 TFV, Observations v. 08. 04. 2013, Rn. 109. 30 Art. 82, 83 IStGH-Statut. 31 Der wiederum verweist auf die Declaration of Basic Principles of Justice for Victims of Crime and Abuse of power: „[o]ffenders or third parties responsible for their behaviour should, where appropriate, make fair restitution to victims, their families or dependants“, Annex to the Declaration of Basic Principles of Justice for Victims of Crime and Abuse of Power, Rn. 8. 32 IStGH, Lubanga, Berufungsentscheidung, Rn. 65, 58. 33 IStGH, Lubanga, Berufungsentscheidung, Rn. 65, 58. 27

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IV. Gerichtliche Reparationen nach Art. 75 Abs. 2 IStGH-Statut

wurde.34 Dem folgend muss auch die Anordnung der Opferentschädigung das verurteilte Individuum adressieren; ein anderer Adressat kann nicht an die Stelle des Verurteilten treten, da letzterer ansonsten gerade nicht die Verantwortung (in Bezug auf Wiedergutmachung) für seine Taten tragen muss.35 Dies hat die Berufungskammer nun auch unzweideutig als erstes ihrer fünf essentiellen Elemente einer Reparationsanordnung nach Art. 75 aufgenommen: „1) it must be directed against the convicted person.“36

bb) Mittellosigkeit als Anordnungshindernis? Die Frage nach dem richtigen Adressaten war in der Verfahrensstage von Lubanga besonders wichtig, da nach Auffassung der Verfahrenskammer eine Anordnung gegen den verurteilten Lubanga schon allein deswegen ausschied, da dieser als mittellos eingestuft wurde und keinerlei weitere Vermögensgüter von ihm für Entschädigungsleistungen sichergestellt werden konnten.37 Aus diesem Grund war aus Sicht der Kammer nur eine Beteiligung Lubangas an symbolischen Reparationen denkbar, wie eine Entschuldigung, die aber freiwillig38 erfolgen müsse und dementsprechend auch nicht gerichtlich anzuordnen sei.39 Ob Mittellosigkeit des Angeklagten bei der Anordnung von Reparationen relevant sein kann, wurde auch von der in Case 001 zuständigen Verfahrenskammer der ECCC und der dortigen Berufungskammer diskutiert.40 Die Kammern der ECCC führten in ihren Entscheidungen aus, dass eine Anordnung dann nicht angemessen sei, wenn die Vollstreckbarkeit der Anordnung faktisch aussichtslos ist.41 Zwar würde die festgestellte Mittellosigkeit der Kammer nicht aus rechtlichen Gründen unter dem Strafverfahrensrecht der ECCC von 2007 die Möglichkeit nehmen, den mittellosen Angeklagten zu Opferentschädigung zu verurteilen.42 Dennoch sei unter 34

IStGH, Lubanga, Berufungsentscheidung, Rn. 99, zustimmend Verfahrenskammer II in Katanga: IStGH, Katanga, Entschädigungsanordnung, Rn. 251. 35 Die Kammer argumentiert auch mit den UN Basic Principles on Reparations for Victims, nach denen auch u. a. verantwortliche natürliche Personen die Pflicht zur Opferentschädigung tragen können, IStGH, Lubanga, Berufungsentscheidung, Rn. 99 mit Verweis auf Rn. 15. 36 IStGH, Lubanga, Berufungsentscheidung, S. 7. 37 IStGH, Lubanga, Entschädigungsanordnung, Rn. 269. 38 Die notwendige Freiwilligkeit wurde bestätigt in: IStGH, Katanga, Entschädigungsanordnung, Rn. 315. 39 IStGH, Lubanga, Entschädigungsanordnung, Rn. 269; Die IStGH-Berufungskammer ging davon aus, dass die Verfahrenskammer auch aus dem Grund den TFV im Ergebnis als zu verurteilenden Anordnungsadressaten angesehen hat, IStGH, Lubanga, Berufungsentscheidung, z. B. Rn. 70. 40 Auch hier war die Verfahrenskammer der Auffassung, Duch könne aufgrund seiner Mittellosigkeit nicht verurteilt werden, die Berufungskammer änderte die Entscheidung ab. 41 ECCC, Berufungsentscheidung, Rn. 668. 42 ECCC, Berufungsentscheidung, Rn. 666.

1. Anspruchsvoraussetzungen und -inhalt von Art. 75 Abs. 2 IStGH-Statut

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Berücksichtigung der sui generis-Rechtsnatur des ECCC Reparationsregimes, welches sowohl privatrechtliche als auch völkerrechtliche Züge innehat, zu bedenken, dass eine faktisch nicht durchsetzbare Reparationsanordnung dem Grundsatz der effektiven Reparationen widersprechen würde und zudem verwirrend und frustrierend für die Opfer sei.43 Anders als am IStGH habe der ECCC auch keine dem TFV vergleichbaren externen Finanzierungsmechanismen, die im Falle der Mittellosigkeit eines zu Reparationen Verurteilten einspringen könnten.44 Mithin entschied auch die Berufungskammer der ECCC in Case 001, dass es vorzugswürdig sei, nicht die beantragten oder wünschenswerten, sondern die den tatsächlichen Gegebenheiten angemessenen Reparationen zuzusprechen. Im Ergebnis hatte dies zur Folge, dass die Mittellosigkeit des Angeklagten in Case 001 als Anordnungshindernis angesehen wurde.45 Das IStGH-Statut enthält jedoch an keiner Stelle einen Hinweis darauf, dass eine Reparationsanordnung nicht auch gegen einen mittellosen Verurteilten erfolgen kann. Im Gegenteil, das System des IStGH sieht vor, dass der Gerichtshof Maßnahmen ergreifen kann, durch die Vermögen des beschuldigten und auch des verurteilten Täters aufgespürt und beschlagnahmt werden können.46 Nach Art. 75 Abs. 4 i. V. m. Art. 93 Abs. 1 lit. k) IStGH-Statut kann der IStGH die Vertragsstaaten um Hilfe ersuchen für „[t]he identification, tracing and freezing or seizure of proceeds, property and assets and instrumentalities of crimes for the purpose of eventual forfeiture, without prejudice to the rights of bona fide third parties“. Damit soll zwar primär sichergestellt werden, dass die Vermögensgüter des Täters zu einem frühen Zeitpunkt gesichert werden, so dass der Täter nicht als mittellos gelten kann. Das für sich spricht noch nicht dagegen, Mittellosigkeit als Anordnungshindernis zu verstehen. Allerdings sehen die Regelungen des Gerichtshofes in Regulation 11747 vor, dass das Präsidium zu einer Überwachung der finanziellen Situation eines Verurteilten „on an ongoing basis, even following completion of a sentence of imprisonment, in order to enforce fines, forfeiture orders or reparation orders“ verpflichtet ist.48 Aus dieser Regelung ist ersichtlich, dass Mittellosigkeit beim Urteilsspruch kein Hindernis für die Verurteilung zu Reparationen sein soll.49 43

ECCC, Berufungsentscheidung, Rn. 667 mit Verweis auf Pham et al., Victim Participation and the Trial of Duch at the Extraordinary Chambers in the Courts of Cambodia, Journal of Human Rights Practice 3 (2011), 264. 44 ECCC, Berufungsentscheidung, Rn. 668. 45 ECCC, Berufungsentscheidung, Rn. 668, mit dem Hinweis, es stehe den Opfern ja frei, volle Wiedergutmachung ihrer Schäden geltend zu machen, wenn ein zukünftiges Verfahren dies leisten könne. 46 Siehe dazu ausführlich unten unter IV. 2. c). 47 Regulations of the Court, ICC-BD/01-01-04. 48 IStGH, Lubanga, Berufungsentscheidung, Rn. 103. 49 IStGH, Lubanga, Berufungsentscheidung, Rn. 104; in Katanga wies die entscheidende Verfahrenskammer das Präsidium auch an, die finanzielle Situation des Reparationsschuldners

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IV. Gerichtliche Reparationen nach Art. 75 Abs. 2 IStGH-Statut

Darüber hinaus ist auch ein rechtlicher Weg geschaffen worden, den das begünstigte Opfer mit Hilfe des IStGH beschreiten kann, um seinen Anspruch durchzusetzen. Gemäß Art. 109 des IStGH-Statuts und Regel 217 der RPE können die Vertragsstaaten jede Reparationsanordnung durchsetzen, auch wenn für den IStGH der direkte Zugriff auf Vermögensgüter des Reparationsschuldners nicht möglich ist.50 Auch daraus folgt, dass das Regime des IStGH nicht davon ausgeht, dass die Mittellosigkeit des Entschädigungsschuldners ein Anordnungshindernis darstellt. Die Auffassung, dass die Mittellosigkeit eines Täters der Anordnung von Opferentschädigung entgegensteht, ist somit nicht überzeugend. Die IStGH-Berufungskammer entschied in Lubanga zu Recht, dass die Mittellosigkeit des Verurteilten bei der Frage der Anordnung keine Rolle spielt.51 Die Entscheidung wurde in Katanga52 und Al Mahdi53 bestätigt. Neben den eindeutigen rechtlichen Regelungen ist die Annahme, dass zur Vermeidung von Frustration bei den Opfern die nicht absehbare Durchsetzbarkeit einer Reparationsanordnung ein Hindernis darstellt, auch im Hinblick auf die Opferinteressen bedenklich. Zunächst lässt sich anführen, dass allein die ausdrückliche Verurteilung zu Reparationen für die Opfer positive Wirkungen haben kann, sogar unabhängig von ihrer Durchsetzung.54 Folgt man dem Ansatz von expressiver Gerechtigkeit als Zweck von Reparationen am IStGH mit dem Gedanken, dass schon die gerichtliche Anordnung von Reparationen eine Trennlinie zwischen Recht und Unrecht zieht, wäre dies eine logische Folge: Allein die gerichtliche Feststellung der Schadensersatzpflicht kann für die Opfer einen Wert haben. Das Opfer erhält dadurch die öffentliche und eindeutige Aussage, dass das, was ihm geschehen ist, nicht auf ein Unglück oder einen Unfall zurückzuführen ist, sondern dass ihm Unrecht widerfahren ist.55 Dass hingegen allein die Verhängung des strafrechtlichen Urteils für die Geschädigten tatsächlich so wichtig ist, dass sie darüber hinweghelfen könnte, dass Katanga dauerhaft zu überwachen und erinnerte bei dieser Gelegenheit noch einmal an die Pflicht zur umfassenden Kooperation der Vertragsstaaten mit dem Gerichtshof. Sollte die Kammer an dieser Kooperation Zweifel bekommen, hält sie sich die Anrufung der Versammlung der Vertragsstaaten um Unterstützung vor, IStGH, Katanga, Entschädigungsanordnung, Rn. 329. In Al Mahdi wurde bestätigt, dass die Mittellosgkeit des Reparationsschuldners kein Anordnungshindernis darstellt, IStGH, Al Mahdi, Entschädigungsanordnung, Rn. 114. 50 Siehe zu den Fragen der Vollstreckung von Reparationsmaßnahmen unten unter IV. 2. c). 51 IStGH, Lubanga, Berufungsentscheidung, z. B. Rn. 102. Dieser Entscheidung schloss sich die Verfahrenskammer in Katanga an, IStGH, Katanga, Entschädigungsanordnung, Rn. 246. 52 Katanga, Entschädigungsanordnung, Rn. 329. 53 Al Mahdi, Entschädigungsanordnung, Rn. 114. 54 So statt vieler die Einlassung der Anwälte der Opfergruppe V01, ICC-01/04-01/06-2864, Rn. 33 – 35. 55 Siehe oben unter III. 3. d).

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der verurteilte Täter nicht auch Adressat der Reparationen ist – sollten sie auch zur Zeit nicht erfüllbar sein –, darf stark bezweifelt werden. Darüber hinaus ist es auch nicht abwegig oder zumindest nicht ausgeschlossen, dass der Verurteilte später wieder zu finanziellen Mitteln kommt, die dann für Wiedergutmachung genutzt werden könnten.56 Und auch die Möglichkeit, in der Zukunft aus dem Urteil einmal konkrete Entschädigungen erhalten zu können, ist ein Wert in sich, der den Opfern vor dem IStGH nicht vorenthalten werden sollte. Weder aus rechtlichen noch aus Gründen des Opferschutzes ist mithin eine Sichtweise überzeugend, nach der die Mittellosigkeit des Täters ein Anordnungshindernis für Opferentschädigung ist. cc) Diskussion Der Verurteilte ist für Reparationsanordnungen nach Art. 75 Abs. 2 IStGH-Statut der einzig richtige Adressat. Dort, wo die Kammer es als angemessen ansieht, die Entschädigungsleistungen „through“, also über den TFV anzuordnen,57 bleibt der individuelle Schädiger Adressat der Maßnahme, den TFV trifft lediglich die Aufgabe des Mittlers. Im Falle eines mittellosen Angeklagten befindet sich der IStGH in der Tat in der praktischen Position, dass Reparationsanordnungen über den TFV angeordnet werden können. Entscheidet dessen Board of Directors, dass der TFV seine „other resources“ für die Umsetzung von Reparationsmaßnahmen nutzen soll,58 so bleibt dennoch der mittellose Verurteilte letztendlich der Verpflichtete: Der TFV hat gegen den verurteilten Reparationsschuldner einen Regressanspruch. Das zweite der fünf von der Berufungskammer aufgestellten essentiellen Elemente einer Reparationsanordnung nach Art. 75 IStGH-Statut enthält mithin auch die Feststellung der Verantwortlichkeit der verurteilten Person: „2) it must establish and inform the convicted person of his or her liability with respect to the reparations awarded in the order.“59

56 Einlassung der Anwälte der Opfergruppe V01, ICC-01/04-01/06-2864, Rn. 37 f.; so auch OPCV in ICC-01/04-01/06-2863, Rn. 127. 57 Was nach der hier vertretenen Auffassung der Regelfall sein sollte, siehe unten unter IV. 1. a). 58 Dieser Punkt war in der Lubanga-Entscheidung auch umstritten. Die Verfahrenskammer vertrat die Auffassung, dass sie durch Anordnung auf die Mittel des TFV zugreifen kann. Hiergegen hat der TFV empört mit dem Argument angeschrieben, er sei für den Einsatz der Mittel selbst verantwortlich und müsse seine Entscheidungen auch gegenüber der Versammlung der Vertragsstaaten vertreten. Die Berufungskammer hat schließlich entschieden, dass der TFV selbstständig entscheiden muss, ob er seine „other resources“ einsetzt. Aktuell hat der TFV die Hälfte der freiwilligen Spenden für Reparationsmaßnahmen eingefroren, insgesamt 5 Mio. Euro. 59 IStGH, Lubanga, Berufungsentscheidung, S. 7.

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IV. Gerichtliche Reparationen nach Art. 75 Abs. 2 IStGH-Statut

b) Destinatäre der Reparationsanordnung Der Opferbegriff und die damit einhergehende Frage der Reparationsberechtigung ist in der Zuständigkeit des IStGH für Makrokriminalität nicht einfach zu beantworten, für das Recht der Reparationen aber ein sehr maßgeblicher Baustein.60 Denn gemäß Art. 75 IStGH-Statut können Reparationen nur „Opfern“ zugesprochen werden; es ist mithin notwendig, den Opferbegriff zu bestimmen. Für das Statut und die RPE hält Regel 85 der RPE eine Definition für „Opfer“ bereit: „,Victim‘ means natural persons who have suffered harm as a result of the commission of any crime within the jurisdiction of the Court“, Regel 85 lit. a) RPE.

Gemäß Regel 85 lit. a) RPE sind Opfer mithin natürliche Personen, die infolge einer Tathandlung innerhalb der Jurisdiktion des Gerichtshofes geschädigt wurden. Wichtig dabei ist, dass die Schädigung durch die natürliche Person persönlich erlitten wurde.61 Neben natürlichen Personen können nach Regel 85 lit. b) RPE auch Organisationen oder Institutionen, deren Eigentum direkt geschädigt wurde, unter den Opferbegriff fallen, wenn das Eigentum einen der privilegierten Zwecke hatte: Religion, Bildung, künstlerische, wissenschaftliche, gemeinnützige oder humanitäre Zwecke. Mithin reicht jegliche Schädigung einer natürlichen Person für die Qualifikation als Opfer aus, juristische Personen hingegen müssen Schäden an Eigentum mit privilegierter Zweckbestimmung erfahren haben. Al Mahdi war die erste Entscheidung, die sich mit den internationalen Besonderheiten des Kulturerbes beschäftigte.62 Dieser Opferbegriff der RPE wird für die entschädigungsberechtigten Opfer in Art. 75 Abs. 2 IStGH-Statut wiederum eingegrenzt. Da Reparationsanordnungen nur gegen den verurteilten Täter ergehen dürfen, können Reparationsberechtigte nur solche Opfer im Sinne der Regel 85 RPE sein, die durch eine Tathandlung geschädigt worden waren, für die der Reparationsschuldner verurteilt wurde.63 In diesem Zusammenhang ergeben sich die Fragen, inwieweit neben unmittelbaren auch mittelbare Opfer Berechtigte sein können, und das Erfordernis einer genaueren Betrach-

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Grundsätzlich zum Opferbegriff am IStGH, Safferling, ZStW 115 (2003), 352; Safferling, ZStW 122 (2010), 87; Safferling, International Criminal Procedure, S. 164 – 179. 61 IStGH, Katanga, Entschädigungsanordnung, Rn. 39; IStGH, Al Mahdi, Entschädigungsanordnung, Rn. 40. 62 Al Mahdi wurde als Mittäter nach Art. 8 Abs. 2 lit. e, iv) i. V. m. Art. 25 Abs. 3 lit. a IStGH-Statut für die Zerstörung von 10 geschützten Gebäuden in Timbuktu, Mali verurteilt, IStGH, Al Mahdi, Judgment and Sentence, ICC-01/12-01/15-171. 63 Zwar ergibt sich dies nicht aus dem Wortlaut des Art. 75 Abs. 2 IStGH-Statut, jedoch aus der Systematik der Regeln und wird von den Richtern auch übereinstimmend so gesehen, zuletzt in der Berufungsentscheidung Lubanga 2019, IStGH, Lubanga, Berufungsentscheidung, S. 5, Key Finding 3.

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tung der Auswirkungen, die die Selektion der Anklagepunkte auf den Kreis der Berechtigten in Reparationsverfahren hat. aa) Mittelbare und unmittelbare Opfer Wie auch in der Rechtsprechung anderer internationaler Gerichte64 sind vom Opferbegriff am IStGH sowohl direkte als auch indirekte Opfer umfasst.65 In den Principles on Reparations führte der Gerichtshof aus, wie weit er den Kreis der indirekten Opfer ziehen möchte.66 Danach könnten indirekte Opfer Familienangehörige direkter Opfer sein,67 Dritte, die die Begehung einer oder mehrerer Taten verhindern wollten,68 Individuen, die Schäden erlitten, als sie direkten Opfern helfen oder einschreiten wollten,69 oder andere Personen, die als Resultat der „offences“ Schäden erlitten haben.70 Der Gerichtshof bemühte sich um eine Konkretisierung des Begriffs „Familie“ und bezog sich auf den Grundsatz, dass Individuen im Allgemeinen durch ihre Ehepartner und Kinder beerbt werden.71 Dennoch stellte die Kammer klar, dass kulturelle Variationen sowie soziale und familiäre Strukturen möglicherweise Berücksichtigung finden müssen.72 Hinsichtlich der juristischen Personen, die nach Regel 85 lit. b) RPE als direkte Opfer73 Berechtigte sein können, führte der Gerichtshof aus, diese könnten NGOs, gemeinnützige oder Non-Profit-Organisationen sein sowie staatliche Einrichtungen wie Krankenhäuser, Schulen und Universitäten, Gesellschaften und Telekommunikationsfirmen. Darüber hinaus kämen auch Institutionen, die für Teile der Gesellschaft Unterstützungsleistungen erbringen, wie Baugewerbe oder Institutionen aus dem Bereich der Mikrokredite sowie andere Partnerschaften, in Betracht.74 Insgesamt war der Gerichtshof bestrebt, den Kreis der Opfer unter dem IStGHStatut möglichst weit zu fassen und wies noch einmal darauf hin, dass eine Entscheidung des Gerichtshofes keine andere Entscheidung nationaler oder interna-

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Siehe Shelton, in: dies. (Hrsg.), The Role of the International Criminal Court, S. 137. Notwendig ist lediglich, dass der Schaden persönlich erlitten wurde, der Schaden muss jedoch nicht direkt sein, IStGH, Katanga, Entschädigungsanordnung, Rn. 39. 66 IStGH, Lubanga, Berufungsentscheidung, Annex A (Reparations Principles); ebenso IStGH, Katanga, Entschädigungsanordnung, Rn. 36 ff. und IStGH, Al Mahdi, Entschädigungsanordnung, Rn. 41. 67 IStGH, Lubanga, Berufungsentscheidung, Annex A (Reparations Principles), Rn. 6. 68 IStGH, Lubanga, Berufungsentscheidung, Annex A (Reparations Principles), Rn. 6. 69 IStGH, Lubanga, Berufungsentscheidung, Annex A (Reparations Principles), Rn. 6. 70 IStGH, Lubanga, Berufungsentscheidung, Annex A (Reparations Principles), Rn. 6. 71 IStGH, Lubanga, Berufungsentscheidung, Annex A (Reparations Principles), Rn. 7. 72 IStGH, Lubanga, Berufungsentscheidung, Annex A (Reparations Principles), Rn. 7. 73 IStGH, Al Mahdi, Entschädigungsanordnung, Rn. 40. 74 IStGH, Lubanga, Berufungsentscheidung, Annex A (Reparations Principles), Rn. 8. 65

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IV. Gerichtliche Reparationen nach Art. 75 Abs. 2 IStGH-Statut

tionaler Gerichte hindern dürfe.75 In Al Mahdi ging die Verfahrenskammer sogar so weit, die Einwohner Timbuktus, Malis und die internationale Gemeinschaft als viktimisiert anzusehen.76 Der Gerichtshof wies richtigerweise darauf hin, dass die konkrete Auslegung der Regel 85 RPE jeweils im Lichte des Einzelfalls geschehen müsse.77 Das ist vor dem Hintergrund, dass die vor dem IStGH verhandelten Verbrechen in ihrer Art und Begehungsweise sehr unterschiedlich sind und in unterschiedlichen Gesellschaften mit kulturellen und sozialen Besonderheiten auftreten, völlig sachgerecht. Der Ansatz des Gerichtshofes, die sehr offen gestaltete Regel 85 RPE zugunsten der Opfer weit auszulegen, ist zu begrüßen. Nur so kann sichergestellt werden, dass eine angemessene Reparationsentscheidung ergehen kann. Es ist an dieser Stelle nicht zu befürchten, dass die Haftung des Verurteilten zu weit gehen könnte. Durch die Erfordernisse der Kausalität und des Schadensbegriffs können die berechtigten Opfer78 zweckmäßiger eingegrenzt werden als auf der Ebene des Opferbegriffs. In diesem Sinne hielt die Berufungskammer in Katanga ausdrücklich fest, dass das Vorliegen eines konkreten Schadens wesentlich wichtiger sei, als die Beantwortung der Frage, wie nah ein indirekt Geschädigter zum direkten Opfer sein muss, um Opfer im Sinne des IStGH-Statuts zu sein.79 bb) Selektivität der Anklage Der Beschluss auf der Konferenz von Rom, Reparationen gemäß Art. 75 Abs. 2 IStGH-Statut an die Verurteilung des einzelnen Täters zu knüpfen, hat weitreichende Folgen für die Opfer, die Reparationen vor dem IStGH erlangen können. Dadurch, dass eine strafrechtliche Verurteilung des Täters Voraussetzung für die Reparationsansprüche der Opfer ist, haben Entscheidungen der Anklage auch Auswirkungen darauf, welche Geschädigten als Destinatäre von Entschädigungen berechtigt sind: Wenn die Anklage entscheidet, welche Täter sie wegen welcher Taten anklagt, trifft sie mittelbar auch eine Entscheidung darüber, welche Opfer in diesem Verfahren potentiell Reparationen geltend machen können. Dies kann für die betroffenen Opfer zu schwer zu ertragenden Ungleichbehandlungen führen. Diese Gefahr einer Benachteiligung oder gar zu befürchtenden zweiten Viktimisierung muss der Gerichtshof weitestgehend vermeiden.80 Relevant ist hier, dass im Bereich der Wiedergutmachung von schwersten Verbrechen und Menschenrechtsverletzungen eines der wichtigsten Prinzipien der „Do No Harm“-Grundsatz 75 76 77 78 79 80

IStGH, Lubanga, Berufungsentscheidung, Annex A (Reparations Principles), Rn. 8. IStGH, Al Mahdi, Entschädigungsanordnung, Rn. 51. IStGH, Lubanga, Berufungsentscheidung, Rn. 79 f. Zu der schwierigen Frage der Festlegung der Berechtigung einzelner Opfer, siehe unten. IStGH, Katanga, Berufungsentscheidung, Rn. 5. Bock, Das Opfer vor dem Internationalen Strafgericht, S. 589.

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ist.81 Durch die Wiedergutmachungsbestrebungen darf die Situation für die Opfer in keiner Weise nachteiliger werden als sie ohne die Entschädigungsbemühungen wäre, beispielsweise durch Ungleichbehandlungen, die in der Gesellschaft oder Gemeinschaft, auf deren Versöhnung hingewirkt werden soll, Neid und Zwietracht sähen könnten.82 Die Entscheidung der Anklage fußt jedoch ihrem Mandat folgend83 nicht auf der primären Beachtung des „Do No Harm“-Grundsatzes bezüglich potentieller Opfer, sondern auf anderen Erwägungen. Die Anklage wird diese Täter und Taten anklagen, die für sie beweisbar sind und eine hohe Aussicht auf eine Verurteilung haben. Mithin können zwei Familien eines Dorfes, die beide in einem Konflikt Schäden erlitten haben, in unterschiedlichem Maße Reparationsgläubiger im Sinne des Art. 75 Abs. 2 IStGH-Statut sein, je nachdem, ob der Täter ihrer Verletzungen angeklagt und verurteilt wurde oder nicht. Diese von den Geschädigten aus nachvollziehbaren Gründen als Ungleichbehandlung empfundene Unterscheidung wird zu Recht beklagt, ist dem System des IStGH jedoch inhärent. Eine strafrechtliche Verurteilung nach rechtsstaatlichen Grundsätzen ist einzig darauf gegründet, ob die Begehung der Taten vor Gericht „beyond reasonable doubt“ von der Anklage dargelegt und bewiesen werden kann, nicht, ob es gerechter für die Opfer wäre, den Angeklagten auch für die Begehung der Straftaten im Nachbardorf zur Verantwortung zu ziehen. Hier wird einmal mehr der fragmentarische Charakter des IStGH-Statuts sichtbar: Es konnte und kann nie erwartet werden, dass sämtliche Verbrechen in der Jurisdiktion des Gerichtshofes angeklagt werden und dass es auch zur Verurteilung kommt. Das strafrechtliche Mandat ist mithin naturgemäß schon bruchstückhafter Natur, was auf das Reparationsmandat durchschlägt. Um dem Phänomen etwas zu begegnen, hatte unter anderem die Anklage im Lubanga-Verfahren angeregt, die Kammer möge in Betracht ziehen, den Opferbegriff in der Reparationsstage breiter zu fassen und auf diese Weise die restriktive Anklage aufzufangen.84 Dieser breiteren Opfergruppe könnte nach dem Vorschlag der Anklage Wiedergutmachung aus Mitteln zugesprochen werden, die aus Strafen, eingezogenen Vermögensgütern oder anderweitig durch den TFV erworbenen Quellen stammen.85 Die vorgeschlagene breitere Definition des Opferbegriffs begegne aus Sicht der Anklage auch keiner prinzipiellen Besorgnis einer Verletzung der Rechte des Verurteilten, da Strafen einen punitiven Charakter haben sollen und die 81

Vgl. in Bezug auf den IStGH Bock, ZIS 2013, 297 (304); TFV, Draft Implementation Plan v. 3. 11. 2015 – ICC-01/04-01/06. 82 TFV, Draft Implementation Plan v. 3. 11. 2015 – ICC-01/04-01/06, Rn. 16. 83 In ihrem „Policy Paper on Victims’ Participation“ hat die Anklage ihre policy of focused investigations and prosecutions dargelegt, OTP, Policy Paper on Victims’ Participation, April 2010, S. 7. 84 Prosecution, Submission on Reparations v. 18. 4. 2012 – ICC-01/04-01/06, Rn. 18. Den Ansatz vertritt auch Stahn und stützt sich auf Art. 75 Abs. 1 IStGH-Statut als Auslegungsansatz („or in respect of victims“), in JICJ 13 (2015), 801 (809). 85 Prosecution, Submission on Reparations v. 18. 4. 2012 – ICC-01/04-01/06, Rn. 19.

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Verwendung der Strafen irrelevant sei. Auch die Einziehung habe einzig den Zweck, dem Täter die Früchte seines rechtswidrigen Verhaltens zu entziehen; mithin sei auch hier die Verwendung der Vermögensgüter irrelevant.86 Der Ansatz, den Opferbegriff auf der Reparationsstage breiter zu fassen und in einer zweiten Kategorie Opfern Reparationen aus Einziehungen oder „other resources“ des TFV zuzusprechen, ist aus Gleichheitsgesichtspunkten gut nachvollziehbar, widerspricht jedoch der Dogmatik des Reparationsregimes am IStGH. Der IStGH als Institution hat das Mandat, individuelle strafrechtliche Verantwortlichkeit festzustellen; dieser folgt der Reparationsanspruch nach. Würde man eine Entschädigungsanordnung der Kammer über mehr Sachverhalte zulassen als in dem Strafprozess behandelt wurden, wäre es nicht verständlich, als Voraussetzung von Reparationsmaßnahmen eine Verurteilung zu fordern.87 Die Reparationsanordnung des Gerichtshofes in gerichtliche Reparationen zu teilen, die der strafrechtlichen Verantwortlichkeit des Täters folgen, und Billigkeitsreparationen, die ohne besondere rechtliche Grundlage ergehen, ist nicht angemessen. Neben dem rein tatsächlichen Problem, dass es häufig kaum zu leisten sein würde festzustellen, welche Opfer in die Kategorie der „Billigkeitsentschädigungen“ fallen sollen, ist es für den Gerichtshof notwendig, die Reparationsanordnung rechtlich zu begründen. Es ist nicht ersichtlich, auf welcher Grundlage der Gerichtshof eine Art Billigkeitsentschädigung zusprechen sollte, die nicht auf einer strafrechtlichen Verurteilung beruht und dann möglicherweise auch dem Kausalitätserfordernis der Regel 85 RPE nicht genügt. Eine rechtliche Grundlage für eine solche Zweiteilung der gerichtlichen Entschädigung findet sich in dem Statut und den Regelungen des IStGH jedenfalls nicht. Zudem hat der IStGH nicht die Kompetenz, den TFV anzuweisen, welche Maßnahmen mit seinen „other resources“ umzusetzen sind.88 cc) Diskussion Das System des IStGH ist auf verschiedenen Ebenen fragmentarischer Natur. Der Opferbegriff des IStGH ist weit ausgestaltet, die konkret Berechtigten sind jedoch im Ergebnis nur eine limitierte Anzahl an Geschädigten.89 Genauso wie es dem Gerichtshof nicht gelingen kann, jeden möglichen Verstoß zu ahnden, bezüglich dessen er die geografische, sachliche und persönliche Gerichtsbarkeit hat und schon aus 86

Prosecution, Submission on Reparations v. 18. 4. 2012 – ICC-01/04-01/06, Rn. 19. Stahn, JICJ 13 (2015), 801 (809). 88 IStGH, Lubanga, Berufungsentscheidung, Rn. 106 – 117. 89 Ungeklärt war zwischen den verschiedenen Spruchkörpern des IStGH in der vergangenen Dekade, wie streng die Anforderungen sein dürfen, die an die Antragstellung und die Berechtigkeitsprüfung der Opfer zu stellen sind. Die Berufungskammer hatte im Sommer 2019 im Fall Lubanga dazu entscheiden. Siehe dazu unten und unter: IStGH, Lubanga, Berufungsentscheidung, Rn. 86, 88. 87

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diesem Grund Opfern von schwersten Verbrechen potentielle Entschädigungsleistungen vorenthalten werden, wird es der Anklage nicht gelingen, sämtliche Taten eines Verbrechers vor dem IStGH anzuklagen und eine Verurteilung zu erreichen. Diese Limitation wohnt dem IStGH und seinem Reparationssystem inne. Abmildern könnte diesen Missstand der TFV: Sollte er bei der Implementierung von gerichtlichen Reparationen merken, dass daraus für die Gemeinschaft unhaltbare Ungleichbehandlungen entstehen, könnte er entscheiden, gleiche Maßnahmen in dem durch die gerichtliche Reparationsanordnung unbeachteten Nachbarort zu implementieren. So könnte der TFV in enger Zusammenarbeit mit den Kammern sicherstellen, dass gerichtliche Maßnahmen trotz der notwendigen Selektivität der Anklage nicht Gefahr laufen, gegen den „Do No Harm“-Grundsatz zu verstoßen. Diese Maßnahmen wären dann keine gerichtlichen Reparationen, sondern vielmehr Maßnahmen des TFV aus seinem zweiten Mandat, der General Assistance.90

c) Der Schadensbegriff des IStGH-Statuts Aus der Tathandlung des Verurteilten muss den Opfern im Sinne von Art. 75 Abs. 2 IStGH-Statut, Regel 85 RPE „harm“, also ein Schaden entstanden sein.91 Fraglich ist, wie dieser zu konturieren ist. Bei der Schaffung des völkerrechtlichen Regelwerks des IStGH wären zwei Ansatzpunkte bei der Konkretisierung des anzuwendenden Schadensbegriffs möglich gewesen. Zum einen der Verweis auf den Schadensbegriff des jeweiligen komplementär zuständigen Landes. Dies hätte den Vorteil, dass dadurch ein möglicher Gleichlauf zu den Entschädigungsleistungen erreicht werden könnte, die Opfern von einem nationalen Gericht zugesprochen würden.92 Die andere Möglichkeit ist die Schaffung eines eigenständigen völkerstrafrechtlichen Schadensbegriffes. Attraktiv an diesem Ansatz ist, einen breiten Gleichlauf zwischen Opfern verschiedener Situationen vor dem IStGH sicherstellen zu können.93 Die Versammlung von Rom entschied sich für den eigenen Schadensbegriff. Vor dem Hintergrund, dass Fragen der Opferentschädigung in unterschiedlichen nationalen Rechtsordnungen auch sehr unterschiedlich behandelt werden können – sowohl im Hinblick auf die Frage, welche Schäden ersatzfähig sind, als auch hinsichtlich der Definition des Opferbegriffes – ist es richtig, dass der IStGH einen eigenen autonomen Schadensbegriff hat und nicht an das Verständnis im jeweiligen Situationsland anknüpft.94 90

Zu dem zweiten Mandat des TFV siehe oben, II. 4. b) bb) (2). IStGH, Lubanga, Berufungsentscheidung, Annex A (Reparations Principles), Rn. 2. 92 McCarthy, Reparations and Victim Support, S. 98. 93 McCarthy, Reparations and Victim Support, S. 98. 94 McCarthy, Reparations and Victim Support, S. 98 f., mit Hinweisen auf die Rechtsprechung von Menschenrechtsgerichten und Internationalen Claims Commissions. Darüber hinaus 91

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IV. Gerichtliche Reparationen nach Art. 75 Abs. 2 IStGH-Statut

aa) Definition des Schadensbegriffs im IStGH-Statut Wie oben95 dargestellt, ist die Definition von „harm“ eng mit der des „Opfers“ verbunden. Der Opferbegriff der Regel 85 lit. a) RPE stellt darauf ab, ob ein Schaden bei dem in Frage stehenden Opfer eingetreten ist; Opfer sind natürliche Personen, „who have suffered harm as a result of the commission of any crime within the jurisdiction of the Court“.96 Somit muss nicht nur bei der Prüfung der Ersatzfähigkeit der Begriff des „harm“ besprochen werden, sondern auch an anderen Stellen, wie bei der Feststellung der Destinatäre.97 Der Schadensbegriff kann mithin ein wichtiges Mittel sein, eine ausufernde Verantwortlichkeit des Reparationsschuldners zu begrenzen.98 Das Konzept des „harm“ ist weder im Statut noch in den RPE ausdrücklich definiert.99 Art. 75 Abs. 1 IStGH spricht von der gerichtlichen Feststellung von „damage, loss and injury“, ebenso wie der Wortlaut der Regel 97 Abs. 1 RPE.100 Die konkrete Bestimmung des Inhaltes jedoch wurde der Rechtsprechung überlassen.101 Dementsprechend haben sich die Kammern relativ eingehend mit dem Schadensbegriff beschäftigt.102 wäre es auch denkbar, dass mehrere Staaten für die Aburteilung zuständig sein könnten, was die Definition des anwendbaren Schadensbegriffes auch noch erschweren würde. 95 Siehe IV. 1. b). 96 Regel 85 lit. a) RPE, Hervorhebung durch die Autorin. Das Verhältnis des Opferbegriffs und des Schadensbegriffs wirkt in seiner Anlage durchaus zirkulär; daher ist es an den Richtern, den Schadensbegriff sinnvoller zu konturieren. 97 McCarthy, Reparations and Victim Support, S. 94 f., mit dem Hinweis darauf, dass sich bereits verschiedene internationale Tribun hilfreich mit der Definition verschiedener Schäden auseinandergesetzt haben und deren Entscheidungen bei der Auslegung herangezogen werden können. 98 McCarthy, Reparations and Victim Support, S. 94 f. 99 Das IStGH-Statut selbst spricht von „harm“/„Schaden“ nur im Zusammenhang mit Völkermord, da dieses Verbrechen begangen werden kann durch die Verursachung von schwerem körperlichem oder seelischem Schaden an Mitgliedern der Gruppe, vgl. Dwertmann, Reparation System, S. 79. 100 IStGH, Lubanga, Berufungsentscheidung, Annex A (Reparations Principles), Rn. 10; IStGH, Katanga, Berufungsentscheidung, Rn. 74; Regel 97 RPE spricht von „any damage, loss or injury“. Mit dieser Konkretisierung des Schadensbegriffes schafft das IStGH-Statut Gleichlauf mit der 1985 Victims Declaration. 101 Donat Cattin, in: Triffterer/Ambos, Art. 75 Rn. 17, mit dem Hinweis, dass der Gerichtshof sich den in Art. 21 IStGH für anwendbar erklärte Rechtsquellen für die konkretisierende Auslegung bedient. 102 Dabei machten die Kammern deutlich, die Erwägungen und Limitationen bezüglich des Schadensbegriffs seien jeweils von der Situation des Einzelfalls abhängig. Mithin bezögen sich die Erwägungen im Lubanga-Verfahren auch lediglich auf diesen Fall und seien nicht allgemeingültig. In Al Mahdi beruft sich die Verfahrenskammer auf den Schadensbegriff in Lubanga, IStGH, Al Mahdi, Entschädigungsanordnung, Rn. 43; In Katanga entwickelte die Verfahrenskammer II den konkreten Inhalt der ersatzfähigen Schäden stark fort, IStGH, Katanga, Entschädigungsanordnung, Rn. 79 – 161.

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bb) Inhalt des Schadensbegriffs Der IStGH hat verschiedene Schadensarten als möglich angesehen, die Opfer durch Straftaten innerhalb seiner Zuständigkeit erlitten haben können.103 Inhaltlich schließt der völkerstrafrechtliche Schadensbegriff des IStGH zunächst materielle Schäden ein (sowohl in Bezug auf das negative104 als auch auf das positive105 Interesse).106 Darüber hinaus sind immaterielle Schäden jedenfalls für Verletzungen, die auch unter § 253 Abs. 2 BGB fallen würden, vom Schadensbegriff umfasst.107 Diesbezüglich sind insbesondere physische oder seelische Schäden relevant.108 Im Rahmen des Opferbegriffes ist im IStGH-Statut nicht ausdrücklich festgeschrieben, dass auch indirekte Schäden unter den Begriff der Regel 85 lit. a) RPE fallen.109 Indirekte Schäden werden dennoch als ersatzfähig angesehen: In Katanga führte die Verfahrenskammer II aus, dass es bei den Schäden natürlicher Personen nicht darauf ankomme, ob der Schaden direkt oder indirekt bzw. mittelbar sei, sondern ob der Schaden persönlich erlitten wurde.110 In der Lubanga-Entscheidung unterschied die Berufungskammer für die Schadensarten zwischen mittelbaren und unmittelbaren Opfern. Für mittelbare Opfer als ersatzfähig angesehen wurde: psychologisches Leid, das durch den plötzlichen Verlust eines Familienmitglieds hervorgerufen wurde, materieller Verlust, der durch den Verlust des Beitrags des verlorenen Familienmitglieds entstanden ist, Verlust, Verletzung oder Schäden einer intervenierenden Person, die bei dem Versuch entstanden sind, ein Kind vor weiteren Schäden durch die relevanten Verbrechen zu schützen, psychologische und/oder materielle Leiden als Folge von Aggressivität von ehemaligen Kindersoldaten, die zu ihren Familien und Gemeinden zurückge103

Dwertmann, Reparation System, S. 80, mit Verweis auf das „Standard Application Form“ des Gerichtshofes für Opfer, das verschiedene Kategorien an Schäden aufführt, welche durch die Verbrechen entstanden sein können. 104 Vgl. McCarthy, Reparations and Victim Support, S. 101 ff., 106 ff., 109. 105 Vgl. McCarthy, Reparations and Victim Support, S. 104 ff. 106 McCarthy, Reparations and Victim Support, S. 100 – 109 spricht diese Begrifflichkeiten zwar an (S. 100 f. „damnum emergens“ und „lucrum cessans“), differenziert dann aber zwischen „actual pecuniar loss“ und „consequential pecuniar loss“ anhand der (Un-)Mittelbarkeit des kausalen Zusammenhangs zwischen Tat und Schaden. 107 Vgl. McCarthy, Reparations and Victim Support, S. 111 ff. 108 IStGH, Lubanga, Berufungsentscheidung, Rn. 10. So auch sonstiges Völkerrecht, vgl. Dwertmann, Reparation System, S. 82 m. w. N., insbesondere ist die internationale Rechtsprechung relativ weitreichend in Bezug auf seelische Verletzungen und Schockschäden, vgl. McCarthy, Reparations and Victim Support, S. 100 – 127. In Katanga haben die Opfer Wiedergutmachung für von der Verfahrenskammer II in vier Kategorien zusammengefasste Schadensarten beantragt: materielle Schäden, körperliche Schäden, psychologische Schäden und andere (sui generis), IStGH, Katanga, Entschädigungsanordnung, Rn. 75. Primär haben die Geschädigten in Katanga jedoch materielle Schäden geltend gemacht, IStGH, Katanga, Entschädigungsanordnung, Rn. 76. 109 Dwertmann, Reparation System, S. 84. 110 IStGH, Katanga, Entschädigungsanordnung, Rn. 39, mit Verweis auf Lubanga.

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bracht wurden.111 Für unmittelbare Opfer wurden als ersatzfähig erachtet: physische Verletzungen und Gewalteinwirkungen, psychologische Traumata und die Entwicklung psychologischer Störungen wie unter anderem suizidale Tendenzen, Depressionen und dissoziative Störungen, Unterbrechung und Verlust von Schulbildung, Trennung von Familien, Aussetzen einer Umgebung von Gewalt und Angst, Schwierigkeiten der Sozialisierung in Familien und Gemeinschaften, Schwierigkeiten bei der Kontrolle von aggressiven Impulsen und die Nichtentwicklung von sog. „civilian life skills“, was als Folge eine Schlechterstellung der Opfer mit sich bringt, insbesondere im Hinblick auf das Finden eines Arbeitsplatzes.112 Die von der Berufungskammer im Lubanga-Verfahren zugelassenen Formen der Schäden bewegen sich in den bereits in anderen internationalen Verfahren zugelassenen Schadensarten, sowohl für direkte als auch indirekte Opfer.113 Die Verfahrenskammer II schlug in ihrer Entschädigungsanordnung im KatangaVerfahren keine abweichende Linie ein, näherte sich aber dem Schadensbegriff anders. Sie wurde dabei wesentlich konkreter und prüfte und beschied den Schaden eines jeden einzelnen Geschädigten.114 Dies lag auch an dem Umstand, dass Verfahrenskammer und Berufungskammer in Lubanga die Feststellung der konkreten Schäden auf den TFV delegiert hatten.115 In Al Mahdi wählte die Verfahrenskammer wieder einen wesentlich pauschaleren Ansatz: Zur Bestimmung verschiedener Schadensarten beschäftigte sie sich mit den Entschädigungsanträgen, erklärte die Antragstellung jedoch nicht für zwingend und delegierte die konkrete Schadensfeststellung auf den TFV.116 Konkret können am IStGH also vier Schadenskategorien auftreten: Materielle Schäden, physische, psychische und andere Schäden.117 In Katanga beschäftigte sich die Verfahrenskammer am ausführlichsten mit den Schadensarten, auch in Al Mahdi fanden sich diesbezüglich Erwägungen. Anders als in Katanga, wo die Kammer für die jeweiligen Schadensarten unterschiedliche Prüfungsvoraussetzungen anwandte, prüfte die Verfahrenskammer in Al Mahdi jeweils: „(i) summarise the relevant views of the victim applicants; (ii) summarise any other relevant information received (above all that contained in the reports of the appointed experts); (iii) conclude whether the crime committed by Mr Al Mahdi is the actual and proximate cause of the harm; 111

IStGH, Lubanga, Berufungsentscheidung, Rn. 191. IStGH, Lubanga, Berufungsentscheidung, Rn. 191. 113 Vgl. dazu auch Wiersing, Lubanga and its Implication for Victims Seeking Reparations at the International Criminal Court, Amsterdam Law Forum 4 (3/2012), 21 (26). 114 Siehe unten unter d). 115 Siehe unten unter c). 116 IStGH, Al Mahdi, Berufungsentscheidung, Rn. 42 ff. 117 IStGH, Katanga, Entschädigungsanordnung, Rn. 76 – 161. 112

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(iv) consider any submissions from the parties which diverge from how the Chamber intends to specify the reparation types and modalities; (v) specify the reparation types and modalities, if any, it considers appropriate for the harm in question.“118

(1) Materielle Schäden In Katanga gaben die meisten Opfer in ihren Anträgen an, durch den Angriff auf Bogoro materielle Schäden erlitten zu haben.119 Für die Feststellung solch materieller Schäden wandte die Kammer folgende Prüfungsschritte an: 1. Feststellung, dass die Art der Schäden durch ein Verbrechen entstanden sein kann, für das der Reparationsschuldner verurteilt wurde; 2. Prüfung der Beweisantritte der jeweiligen Geschädigten; 3. Prüfung unter Heranziehung des Schuldspruches des Verurteilten und der Frage, ob die Schäden den einzelnen Geschädigten konkret in diesem Einzelfall entstanden sind.120 Geltend gemachte wirtschaftliche Schäden waren beispielsweise die Zerstörung von Häusern, Nebengebäuden oder Geschäftslokalen, die Zerstörung und das Plündern von Waren und persönlichen Gegenständen, Vieh, Feldern und Ernten.121 In Al Mahdi wurde als primärer materieller Schaden die Zerstörung der geschützten Gebäude/Mausoleen angesehen, für die Al Mahdi verurteilt wurde.122 Dabei machte es aus Sicht der Kammer richigerweise keinen Unterschied, ob die Gebäude zwischenzeitlich von der UNESCO und anderen wiederaufgebaut worden waren und die Kosten dafür nicht im Entschädigungsverfahren vor dem IStGH geltend gemacht wurden.123 Es kann für die Feststellung des Schadens an dieser Stelle keinen Unterschied machen, ob ein bona fide Dritter eingesprungen ist, um schnell abzuhelfen.124 Andernfalls würde man das ungewollte Resultat hervorrufen, dass nach schweren Verbrechen hilfsbereite Dritte nicht tätig werden, um eine vermutlich weit in der Zukunft liegende gerichtliche Wiedergutmachung nicht zu gefährden. Darüber hinaus ordnete die Kammer als Reparationen Schutzmaßnahmen an, um die Wiederholungsgefahr einzudämmen.125 Auch wirtschaftliche Folgeschäden ließ 118 119 120 121 122 123 124 125

IStGH, Al Mahdi, Entschädigungsanordnung, Rn. 57. IStGH, Katanga, Entschädigungsanordnung, Rn. 76. IStGH, Katanga, Entschädigungsanordnung, Rn. 77. IStGH, Katanga, Entschädigungsanordnung, Rn. 76 – 107. IStGH, Al Mahdi, Entschädigungsanordnung, Rn. 60 ff. IStGH, Al Mahdi, Entschädigungsanordnung, Rn. 63, 65. IStGH, Al Mahdi, Entschädigungsanordnung, Rn. 65. IStGH, Al Mahdi, Entschädigungsanordnung, Rn. 67.

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die Kammer zu, jedoch nur dann, wenn der Lebensunterhalt der Geschädigten ausschließlich auf den zerstörten Gebäuden beruhte.126 Daneben sollte der wirtschaftliche Schaden der Gemeinschaft von Timbuktu kollektiv ausgeglichen werden.127 (2) Physische Schäden Die vorgelegten Beweismittel in Katanga waren in erster Linie ärztliche Gutachten,128 die jedoch nicht konkret wiedergaben, dass die Wunden bei dem Angriff auf Bogoro erlitten wurden.129 Richtigerweise konnte die Kammer in diesen Fällen das Vorliegen der Kausalität nicht bejahen.130 Da Al Mahdi mangels entsprechender Beweise schon nicht für Verbrechen verurteilt worden war, die mit Körperverletzungen oder Tötungen einhergingen, sprach die Kammer keinen Schadensersatz für physische Schäden zu.131 (3) Psychische Schäden Für die Opfer Katangas war die Geltendmachung von psychischen Schäden relevanter als die körperlicher Schäden. Vorgebracht wurde in erster Linie die psychische Belastung durch den Tod eines Angehörigen,132 durch das Erleben des Angriffs selbst133 und generationsübergreifende Schäden durch die Weitergabe von sozialer Gewalt zwischen den Generationen.134 Psychologische Schäden aufgrund des Todes eines Angehörigen wurden von der Kammer angenommen, wenn folgende Voraussetzungen vorlagen:

126 IStGH, Al Mahdi, Entschädigungsanordnung, Rn. 74, 81. Hiergegen haben die Opfervertreter Berufung eingelegt, da dadurch nicht diejenigen erfasst würden, die ihre Hauser verloren haben, weil sie Timbuktu verlassen haben. Die Berufungskammer hielt die Entscheidung aufrecht, dass diesen Opfern keine individuelle Entschädigung zusteht, IStGH, Al Mahdi, Berufungsentscheidung, Rn. 37. 127 IStGH, Al Mahdi, Entschädigungsanordnung, Rn. 83; die Maßnahmen sollen Bildungsund Aufklärungskampagnen umfassen, Programme für Rückkehrer oder andere MikrokreditSysteme. 128 Aber auch medizinische Gutachten einer NGO und eines Krankenhauses, IStGH, Katanga, Entschädigungsanordnung, Rn. 111. 129 IStGH, Katanga, Entschädigungsanordnung, Rn. 111. 130 IStGH, Katanga, Entschädigungsanordnung, Rn. 111. 131 IStGH, Al Mahdi, Entschädigungsanordnung, Rn. 99. 132 IStGH, Katanga, Entschädigungsanordnung, Rn. 112. 133 IStGH, Katanga, Entschädigungsanordnung, Rn. 123. 134 IStGH, Katanga, Entschädigungsanordnung, Rn. 132 ff.

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- Die Art der Schäden können von den Verbrechen stammen, für die der Reparationsschuldner verurteilt wurde;135 - Tod eines direkten Opfers;136 - familiäre Beziehung zwischen dem direkten Opfer und indirekten Antragsteller.137 Im Hinblick auf Schäden durch das Erleben des Angriffs auf Bogoro kam die Kammer unter der Heranziehung von Feststellungen des IAGMR zu dem Ergebnis, dass psychologische Schäden aufgrund der besonderen Grauen des Angriffs bereits dann angenommen werden könnten, wenn der Antragsteller den Angriff persönlich miterlebt hatte. Dies gelte sogar dann, wenn das Opfer den psychischen Schaden aufgrund des Miterlebens nicht ausdrücklich geltend gemacht habe.138 Transgenerationale Schäden, die von Nachkommen direkter Opfer geltend gemacht wurden, sah die Kammer nicht per se als unzulässige Schadensart an, jedoch fehlte es an Darlegung und Beweis von kausalen Schäden der Antragsteller.139 Die Kammer folgte hier der Argumentation der Verteidigung140 und wies die Anträge ab, empfahl jedoch zugleich dem TFV, den Kindern direkter Opfer im Rahmen des humanitären Mandats besondere Beachtung zu schenken.141 In dem Fall Al Mahdi wurde das Vorliegen von „moral harm“ bejaht und individuelle Wiedergutmachung für psychische Schäden derjenigen angeordnet, die eine Grabschändung ihrer Vorfahren erleben mussten; kollektive Maßnahmen für die Qualen der Gemeinschaft Timbuktus wurden in Form von einem Denkmal oder einer Gedenkveranstaltung aufgegeben.142

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IStGH, Katanga, Entschädigungsanordnung, Rn. 115 f.; der Mord an mindestens 60 Menschen wurde in dem Schuldspruch festgestellt, der Katanga auch für Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilt. Mithin ist der Tod eines Menschen der Art nach ein Schaden, der durch die Verbrechen Katangas entstanden ist. 136 Wobei die Kammer bei der Sichtung der vorgelegten Totenscheine pragmatische Großzügigkeit walten ließ, IStGH, Katanga, Entschädigungsanordnung, Rn. 117 – 119. 137 Hier legte die Kammer einen weiteren Verwandtschaftsbegriff an. Nicht nur enge Familienverhältnisse können Ansprüche begründen, mit Verweis auf den Familienbegriff im Kongo und der Ituri-Region, dass in diesem Fall der Verlust eines Familienmitglieds traumatisch sein kann, IStGH, Katanga, Entschädigungsanordnung, Rn. 121 f. 138 IStGH, Katanga, Entschädigungsanordnung, Rn. 129. Sollte ein Opfer den Angriff miterlebt haben und ein Familienmitglied durch den Angriff verloren haben, behandelt das Gericht dies als zwei unterschiedliche psychische Schäden, Rn. 131. 139 IStGH, Katanga, Entschädigungsanordnung, Rn. 134. 140 Defense, Observations vom 22. Juni 2016, ICC-01/04-01/07-3699-Conf, Rn. 11, 13. 141 IStGH, Katanga, Entschädigungsanordnung, Rn. 135; hier wird deutlich, wie die Kammer versucht, im Rahmen ihrer Möglichkeiten zwar innerhalb der Grenzen eines besonderen internationalen zivilrechtlichen Entschädigungsverfahren zu bleiben, dennoch aber die dem Reparationssystem inhärenten Ungerechtigkeiten durch das General Assistance-Mandat des TFV aufzufangen. 142 IStGH, Al Mahdi, Entschädigungsanordnung, Rn. 90.

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(4) Andere Schäden Auch Vorträge zu anderen Schäden sui generis143 prüfte die Kammer in Katanga einzeln anhand der für andere Schäden entwickelten Grundsätze. Der Verlust von Lebensstandard, von Bildung und Chancen durch Vertreibung scheiterte an einem Beweis des kausalen Zusammenhangs zwischen einem möglichen Schaden und dem Angriff auf Bogoro;144 die Richter stellten aber klar, dass diese anderen Schäden nach Ansicht der Kammer in dem psychologischen Schaden der Opfer aufgehen würden, den sie durch das Erleben des Angriffs erlitten hatten.145 Wieder andere Schäden waren nicht ersatzfähig, da sie auf Taten zurückgingen, für die Katanga nicht verurteilt wurde, insbesondere Schäden aufgrund sexueller und geschlechtsspezifischer Gewalt und durch die Benutzung von Kindersoldaten.146 cc) Diskussion Da das Statut und die Regularien des IStGH keine Aussage dazu treffen, welche Schadensarten in Reparationsverfahren des IStGH ersatzfähig sein können, wird es weiterhin den Richtern obliegen, diese Frage zu beantworten. Die Entscheidungen Lubanga, Katanga und Al Mahdi legen nahe, dass die Schadensarten auch in Zukunft sehr breit gefächert sein können. Die grundlegend unterschiedlichen Sachverhalte dieser drei ersten Entscheidungen zeigen aber auch, dass es richtig ist, die in Frage kommenden Schadensarten nicht einzuschränken. Die notwendigen Begrenzungen werden im Rahmen der Prüfung der Kausalität und der Berechtigungsprüfung der Opfer von selbst geschehen, was sachgerecht erscheint.

d) Kausalität Wie in nationalen Rechtsordnungen besteht grundsätzlich auch im Völkerrecht das Erfordernis der Kausalität zwischen der Tathandlung, für die der Schädiger als verantwortlich befunden wurde, und dem eingetretenen Schaden.147 Für das System des IStGH ergibt sich das Kausalitätserfordernis aus dem Opferbegriff von Regel 85 lit. a) RPE, nach dem Opfer natürliche Personen sind „who have suffered harm as a result of the commission of any crime within the jurisdiction of the court.“148 143

IStGH, Katanga, Entschädigungsanordnung, Rn. 136 ff. IStGH, Katanga, Entschädigungsanordnung, Rn. 138. 145 IStGH, Katanga, Entschädigungsanordnung, Rn. 139. 146 IStGH, Katanga, Entschädigungsanordnung, Rn. 146 – 152, lud aber wieder den TFV ein, den Opfern im Rahmen seines General Assistance-Mandats Hilfe zukommen zulassen, Rn. 154, 161. 147 Dwertmann, Reparation System, S. 93. 148 Hervorhebung durch die Autorin. 144

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Fraglich ist jedoch, wie direkt die erforderliche Verbindung zwischen Tathandlung und Schaden sein muss. Das Statut und die Regeln des IStGH enthalten keine Definition hinsichtlich der Enge des geforderten kausalen Links. Auch der Rückgriff auf einen etablierten Kausalitätsmaßstab aus der Jurisprudenz anderer Völkerrechtsgerichte ist nicht hilfreich: Die Gerichte haben unterschiedliche Maßstäbe angewandt, so dass kein einheitlicher Kausalitätsbegriff im Völkerrecht festgestellt werden kann.149 Die United Nations Claims Commission hat weitreichende Rechtsprechung zu der notwendigen Kausalität produziert und darin gefordert, dass die Schäden direkt sind („direct loss“).150 Der EGMR hat das Erfordernis einer „a clear causal connection between the damage claimed by the applicant and the violation“ im Falle von finanziellen und materiellen Schäden angenommen.151 Hingegen haben EGMR und IAGMR das Vorliegen von Nichtvermögensschäden oder „moral damage“ bejaht, sobald festgestellt wurde, dass ein Individuum Opfer von schweren menschenrechtlichen Verletzungen geworden war.152 In diesen Fällen reichte dann das Vorliegen der Verletzung aus, ohne dass eine Kausalität zwischen der Tathandlung und dem eingetretenen Schaden festgestellt werden musste; diese wurde praktisch durch die Feststellung der schweren Menschenrechtsverletzung verbunden mit der Art des Schadens als feststehend angenommen. Die ECCC haben in der Duch-Entscheidung eine direkte kausale Verbindung zwischen Tathandlungen und eingetretenem Schaden gefordert.153 Mangels einer Definition in Statut und Regeln des IStGH sind die Richter gefordert, die notwendige Enge der Verbindung zu konkretisieren. Dabei ist zu bedenken, dass das Merkmal der Kausalität gerade für den IStGH, der Sachverhalte der Massenkriminalität zu beurteilen hat, die häufig unübersichtliche und z. B. im Fall von Lubanga bereits lang zurückliegende Tathergänge zum Gegenstand haben, faktisch nicht einfach festzustellen ist.154 149 IStGH, Lubanga, Entschädigungsanordnung, Rn. 248; Wühler, in: Lillich (Hrsg.), The United Nations CompensationCommission, S. 207 – 234; et al., Reparations to Victims Before the International Criminal Court: Lessons from International Mass Claims Processes, Criminal Law Forum 17 (2006), S. 325. 150 Siehe zur kritischen Debatte: Gattini, The UN Compensation Commission: Old Rules, New Procedures on War Reparations, European Journal of International Law 13 (2002), 161. 151 EGMR, Cakici v. Turkey, Urt. v. 8. Juli 1999, 23657/94, Rn. 127. 152 Dwertmann, Reparation System, S. 144, mit Verweis auf EGMR, Mori v. Italy, Urt. v. 9. Februar 1991, 13552/88, Rn. 20; EGMR, Wiesinger v. Austria, Urt. v. 30. Oktober 1991, 11796/85, Rn. 85; IAGMR, Velásquez Rodríguez v. Honduras, Compensatory Damages, Urt. v. 21. Juli 1989, Ser. C, No. 7, Rn. 51; IAGMR, Godínez Cruz v. Honduras, Compensatory Damages, Urt. v. 21. Juli 1989, Rn. 49. 153 ECCC, Case 001, Supreme Court Chamber, Appeal Judgement, Urt. v. 3. Februar 2012, Rn. 522. 154 Dwertmann weist darauf hin, dass in den relativ wenigen Jahren, in denen der Gerichtshof existiert, schon viele Geschädigte versucht haben, als Opfer im Sinne von Regel 85 RPE anerkannt zu werden, deren Schäden jedoch keinen Zusammenhang zu den Taten aufwiesen, die angeklagt wurden, siehe Dwertman, Reparation System, S. 93.

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aa) Kausalitätsstandard am IStGH Denkbar wäre es, lediglich unmittelbare und direkte Kausalität als ausreichend anzusehen.155 Das hätte zur Folge, dass die Zahl der Geschädigten notwendig geringer werden würde, da es den wenigsten Opfern gelingen wird, nachzuweisen, dass ihre Schäden unmittelbar durch die angeklagten Taten des Reparationsschuldners entstanden sind. Gegen diese Auffassung spricht neben Bedenken aus Gründen des Opferschutzes, dass in Regel 85 lit. b) RPE festgeschrieben ist, dass Organisationen und Institutionen nur dann als Opfer im Sinne des Statuts betrachtet werden können, wenn sie direkte Schäden („direct harm“) an ihrem Eigentum erlitten haben. Dieses Unmittelbarkeitserfordernis der Schäden ist indes in der hier maßgeblichen Regel 85 lit. a) RPE nicht enthalten, wo Schäden nur „[…]as a result of the commission of any crime […]“ entstanden sein müssen. Dies legt nahe, dass im Umkehrschluss zu der ausdrücklichen Regelung in Regel 85 lit. b) RPE für die kausale Verbindung in Regel 85 lit. a) RPE gerade keine unmittelbare Verbindung zwischen Tathandlung und Schaden bestehen muss.156 Eine weitere Definitionsmöglichkeit ist die Anwendung des „but/for“-Tests, verbunden mit dem eingrenzenden „proximate cause“-Standard. Der Inhalt des „but/ for“-Tests ist vergleichbar mit der im deutschen Recht bekannten „conditio sine qua non“-Formel: Die Tathandlung ist nicht wegzudenken, ohne dass das schädigende Ereignis entfallen würde.157 Gegen den Ansatz wird teilweise angeführt, er würde von zu abstrakten und hypothetischen Überlegungen abgeleitet und sei daher von den Gedanken des Anwenders abhängig.158 Unangemessen kann dieser Kausalitätsstandard im Völkerstrafrecht auch daher sein, dass es in dem Fall, dass viele Täter maßgebliche Tatbeiträge geleistet haben, nicht möglich sein wird festzustellen, ob der Schaden ohne den Tatbeitrag des verurteilten Täters nicht eingetreten wäre.159

155

So vertreten von der Anklagevertretung Lubanga in Mr Lubanga’s Document in Support of the Appeal A3, Rn. 173 – 179, wobei kritisch anzumerken ist, dass Wörter wie „unmittelbar“, „direkt“ und „nah“ in der Debatte um den Kausalitätsbegriff am IStGH häufig als eine Näherungsgröße gennant werden, ohne dass sie jedoch einen fassbaren Inhalt hätten. 156 Siehe zu der Debatte der geforderten Kausalität auch McCarthy, Reparations and Victim Support, S. 140, S. 135 – 158. 157 Der Test fragt: „but for the existence of X, would Y have occurred?“ Dieser Standard wurde von dem Internationalen Gerichtshof angewandt in Bosnia Genocide, Merits, Rn. 46 oder der Trial Smelter Arbitration (United States v. Canada), 3 RIAA 1905, S1925. 158 Anklagevertretung Lubanga in Mr Lubanga’s Document in Support of the Appeal A3, Rn. 173. 159 McCarthy, Reparations and Victim Support, S. 140.

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Darüber hinaus ist es möglich, den Kausalitätsstandard als „directness, proximate cause, and reasonable foreseeability of the harm“ festzulegen.160 Dadurch würde dann zwar ein weiterer Kausalitätsmaßstab als die direkten Schäden zugelassen, der eingetretene Schaden dürfte allerdings nicht so weit von dem allgemein zu Erwartenden abweichen, dass er nicht vorhersehbar gewesen wäre. Zudem ist anzumerken, dass das Merkmal „reasonable foreseeablity of the harm“ nicht die Kausalität als objektives Kriterium konturiert, sondern eher die Zurechnungsfrage betrifft. Diese Unschärfen wurden durch den Gerichtshof jedoch nicht näher beleuchtet. In den Entscheidungen des IStGH wurde in erster Linie im Rahmen von Beweisfragen erörtert, ob die Schäden der Geschädigten durch die Tathandlung des Angeklagten verursacht worden waren.161 Die Vorverfahrenskammer I hielt in Lubanga im Jahr 2006 lediglich allgemein fest, dass die Schäden der Opfer aus Taten resultieren müssen, für die der oder die Täter angeklagt sind und sich der notwendige Standard der Kausalität je nach Verfahrensstage auch verändern müsse.162 Ob nun die notwendige kausale Verbindung den Standard der „directness, proximate cause and reasonable foreseeability“ oder einen anderen Standard aufweisen muss, ließ die Vorverfahrenskammer dementsprechend offen.163 Bei der Auslegung des geforderten Kausalitätserfordernisses vor dem IStGH wurden naturgemäß stark divergierende Meinungen vorgetragen; die Ansichten der Parteien waren ihrem Auftrag entsprechend teilweise diametral entgegengesetzt: Wo Opfervertreter ein möglichst flexibles und weites Verständnis der Kausalität anstrebten, um auch untypisch gelagerte Fälle und Schäden als ersatzfähig feststellen lassen zu können,164 war der Verurteilte daran interessiert, den notwendigen Grad der Kausalität sehr hoch anzusetzen mit der Folge, dass ihm weniger Schäden zurechenbar sein würden.165 Der Gerichtshof wandte vor dem Hintergrund, dass die Reparationsanordnung direkt gegen die verurteilte Person ergeht, als Minimalstandard des kausalen Links den „but/for“-Test an und fragte darüber hinaus, ob eine „proximate cause“ zwischen der Tathandlung, für die der Reparationsschuldner verurteilt wurde, und den Schäden 160 So der TFV in Observations of the Trust Fund for Victims on the Appeals Against Trial Chamber I’s „Decision Establishing the Principles and Procedures to be Applied to Reparations“, Rn. 204, jedoch aufzeigend, dass es keine einheitliche Praxis internationaler und internationalisierter Spruchkörper gibt. 161 Dwertmann, Reparation System, S. 93. 162 Situation in the Democratic Republic of Congo (Case No. ICC-OI/04), Decision on the Applications for Participation in the Proceedings of VPRS 1, VPRS 2, VPRS 3, VPRS 4, VPRS 5 and VPRS 6, 07. 01. 2006, Rn. 94, 98. 163 Heiskanen et al., Criminal Law Forum 17 (2006), 317 (325). 164 Siehe IStGH, Lubanga, Berufungsentscheidung, Rn. 123, wo die Opfervertreter zitiert werden, die anregen, den Standard auf „proximate cause“ festzulegen. 165 Dementsprechend argumentierte die Verteidigung dafür, dass eine direkte und unmittelbare Verbindung zwischen den Verbrechen von Lubanga und den wiedergutzumachenden Schäden bestehen muss, Defence, Submission on the principles and the procedure to be applied with regard to reparations, ICC-01/04-01/06, 18. April 2012, Rn. 58.

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besteht.166 Diesen Kausalitätsstandard bestätigte die Berufungskammer in Lubanga.167 Sie sah es darüber hinaus als angemessen an, die Anforderungen an den kausalen Link zwischen der Tathandlung, für die der Täter verurteilt wurde, und den Schäden immer im Lichte des jeweiligen Einzelfalls zu bestimmen.168 In Katanga reichte es der Verfahrenskammer nicht, dass die Opfer Krankenakten von einer NGO in Uganda oder einem Krankenhaus vorlegten, da die Dokumente keine Aussage dazu enthielten, dass die Verletzungen bei dem Angriff auf Bogoro erlitten worden waren.169 Mithin war aus Sicht der Kammer die notwendige kausale Verbindung nicht in ausreichendem Maße erkennbar.170

bb) Diskussion Die Frage, welchen Kausalitätsstandard der IStGH im Recht der Reparationen fordert, wird nur unzureichend besprochen. Offen bleibt, was der objektive Inhalt des Kausalitätsbegriffs sein soll. Die Kammern des Gerichtshofes haben einen schwer greifbaren Kausalitätsstandard angewandt, aber zu Recht Spielraum zwischen Tathandlung und Schaden zugelassen. Dennoch ist – anders als in Fällen der Staatenverantwortlichkeit, wo ein sehr weites Verständnis der Kausalität angemessen sein kann – im Reparationsregime des IStGH unbedingt zu beachten, dass nicht nur auf der Seite der Opfer die Rechte von Individuen betroffen sind, sondern auch auf der Seite des Reparationsschuldners. Aus diesem Grund weist Dwertmann zu Recht darauf hin, dass die divergierenden Interessen der Opfer und des Angeklagten in Einklang gebracht werden müssen, wobei die angewandten Maßstäbe zudem so praktikabel zu sein haben, dass sie für den Gerichtshof auch bei großen Opferzahlen anwendbar sind.171 Aus Gründen der Rechtssicherheit und Objektivität wäre sicher die Forderung von direkter Kausalität zu bevorzugen;172 dies würde jedoch vermutlich eine große Gruppe an Geschädigten leer ausgehen lassen. Der „but/for“-Test, begrenzt durch das weiche Erfordernis der „proximate cause“, scheint vor diesem Hintergrund die bestmögliche Lösung zu sein, da er die notwendige Flexibilität mit der ebenso notwendigen Begrenzung der Verantwortlichkeit vereint. Dennoch sind bei der 166

IStGH, Lubanga, Entschädigungsanordnung, Rn. 250; IStGH, Katanga, Entschädigungsanordnung, Rn. 162; IStGH, Al Mahdi, Entschädigungsanordnung, Rn. 44. 167 IStGH, Lubanga, Berufungsentscheidung, Rn. 129. Die Berufungskammer hat die Entscheidung der Verfahrenskammer lediglich insoweit abgeändert, wie sie darlegt: „reparations are ordered against the convicted person to a certain extent“, siehe IStGH, Lubanga, Berufungsentscheidung, Rn. 82. 168 IStGH, Lubanga, Berufungsentscheidung, Rn. 11. 169 IStGH, Katanga, Entschädigungsanordnung, Rn. 111. 170 IStGH, Katanga, Entschädigungsanordnung, Rn. 111. 171 Dwertmann, Reparation System, S. 95. 172 Dwertmann, Reparation System, S. 96, ohne jedoch eine konkrete Definition des Inhalts des Begriffs zu liefern.

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Anwendung des Tests die Besonderheiten eines jeden Einzelfalles sorgfältig zu beachten. Wie konkret der Inhalt des Kausalitätsbegriffs in der Praxis des IStGH bestimmt werden kann, bleibt abzuwarten; die aktuell bestehenden Unschärfen der genutzten Definitionen sollten beseitigt werden. Möglich wäre hier eine Anlehnung an die im deutschen Recht herrschende Aquivalenztheorie mit der „conditio sine qua non“Formel, deren teilweise Uferlosigkeit jedoch durch die Erfordernisse der objektiven Zurechenbarkeit korrigiert werden müsste. Unabhängig davon legen die Natur der jeweiligen Verbrechen und die Erfahrungen anderer Gerichte aber nahe, dass die größere Herausforderung bei der hinreichend bestimmten Festlegung des notwendigen Beweisgrades liegen wird.

e) Beweisgrad und Beweislast aa) Beweislast Die Rechtsnatur des Reparationsanspruches ist die eines besonderen internationalisierten Deliktsanspruchs.173 Durch die Charakterisierung als besonderer zivilrechtlicher Anspruch ist es angemessen, dass die Opfer grundsätzlich die Beweislast für die Reparationsansprüche tragen.174 Fraglich ist dabei aber, was die Opfer beibringen müssen, um die Beweislast zu erfüllen, also welche Anforderungen an den Beweisgrad zu stellen sind. bb) Beweisgrad Zu bestimmen ist, zu welchem Grad der Gerichtshof davon überzeugt sein muss, dass der Anspruchsteller ein Opfer im Sinne der Regel 85 RPE ist, dem aufgrund von Taten des verurteilten Täters ein Schaden entstanden ist, der unter dem Reparationsregime des IStGH ersatzfähig ist. Im Statut selbst ist keine Regelung zu der Frage des Beweisgrades zu finden.175 Regel 94 der RPE schreibt für die Antragstellung eines Opfers auf Reparationen vor, dass dieser neben Angaben zur Person des Verletzten, der Schädigungshandlung und dem eingetreten Schaden auch – soweit möglich – sämtliche den Antrag unterstützende Dokumente sowie Namen und 173 So auch IStGH, Katanga, Entschädigungsanordnung, Rn. 15; siehe zu der Debatte der Rechtsnatur ausführlich oben unter III. 4. 174 IStGH, Katanga, Entschädigungsanordnung, Rn. 45; Zegveld, JICJ 8 (2010), 79 (104); Dwertmann, Reparation System, S. 593. 175 Anders in den RPE von ICTY und ICTR, wo im Hinblick auf die Restitution von Grundeigentum in jeweils Regel 105 lit. b) „balance of probabilities“ gefordert wird: „Should the Trial Chamber be able to determine the rightful owner on the balance of probabilities, it shall order the restitution either of the property or the proceeds or make such other order as it may deem appropriate.“

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IV. Gerichtliche Reparationen nach Art. 75 Abs. 2 IStGH-Statut

Adressen von Zeugen beinhalten soll, Regel 94 Abs. 1 lit. g). Daraus kann noch kein Schluss gezogen werden, wie konkret die Angaben des Antragstellers sein müssen, um als Beweis auszureichen. Wieder einmal wurde es im System des IStGH den Richtern überlassen, konkrete Anforderungen zu entwickeln und Voraussetzungen aufzustellen. Da es sich bei der Anordnung von Reparationen nicht um die Feststellung der persönlichen strafrechtlichen Verantwortlichkeit und Festlegung von Strafen handelt, besteht in Literatur und internationaler Rechtsprechung weitgehende Übereinstimmung176 darin, dass im Hinblick auf Wiedergutmachungsansprüche ein geringerer Beweisgrad ausreicht als im Strafverfahren.177 Dem haben sich zu Recht auch die Richter des IStGH angeschlossen178 und ausgeführt, dass während im Strafverfahren die Tatsachen zu dem hohen Beweisgrad „proof beyond reasonable doubt“ feststehen müssten, auf der zivilrechtlichen Ebene des Reparationsanspruchs der Standard der „balance of probabilities“179 ausreiche: Nach diesem muss es wahrscheinlicher sein, dass die vorgebrachten Tatsachen zutreffend sind als dass sie unzutreffend sind.180 Dabei kommt es nicht darauf an, dass zwingend eine größere Anzahl an Zeugen in diesem Sinne aussagt, sondern darauf, dass die insgesamt vorgebrachten Beweis-

176 Nicht einmal die Verteidigung hat in Lubanga den Beweisstandard durch Berufung angegriffen. Es wurde zwar arguementiert, dass Minimalstandard im Reparationsverfahren „preponderance of probabilties“ sein, siehe Mr Lubanga’s Document in Support of the Appeal A3, Rn. 79 – 88, 98. Das AC konnte darin nicht erkennen, dass die Verteidigung „balance of probabilities“ damit als rechtlich falsch angeht, siehe IStGH, Lubanga, Berufungsentscheidung, Rn. 84, zumal die Verfahrenskammer in ihrer Entscheidung in Fußnote 439 ausführt, „balance of probabilities“ und „preponderance of probabilities“ würden den gleichen Test beschreiben. 177 Wobei eine systematische Auslegung des Statuts nahelegt, dass eine Anwendung des Beweisgrades „beyond reasonable doubt“ nicht ausgeschlossen ist: Art. 66 Abs. 3 IStGHStatut, welcher für die Feststellung der strafrechtlichen Verantwortung des Angeklagten „beyond reasonable doubt“ festschreibt, steht in Teil 6 des Statuts mit dem Titel „Hauptverfahren“, in dem auch der für Reparationen relevante Art. 75 IStGH-Statut verortet ist. Allein im Hinblick darauf könnte vertreten werden, dass auch für die Entschädigungsanordnung der Beweisgrad des „beyond reasonable doubt“ gelten kann, siehe auch Dwertmann, Reparation System, S. 238. 178 IStGH, Katanga, Entschädigungsanordnung, Rn. 50; IStGH, Lubanga, Berufungsentscheidung, Rn. 81. 179 Die Verfahrenskammer Lubanga hatte in ihrer Entscheidung, soweit sie den TFV zu Reparationen verurteilt hatte, in schlüssiger Weise einen „wholly flexible approach“ zugelassen und keinerlei Beschränkungen hinsichtlich der Beweisbarkeit aufgestellt, IStGH, Lubanga, Entschädigungsanordnung, Rn. 254. Da die Berufungskammer festgestellt hat, dass Reparationsanordnungen ausschließlich gegenüber den Verurteilten ergehen können und die Entscheidung der Verfahrenskammer abgeändert hat, soweit sie den TFVals Reparationsschuldner behandelt hat, hat die Berufungskammer auch diesen Teil der Entscheidung zum Beweisgrad abgeändert. 180 Siehe dazu auch Donat Cattin, in: Triffterer/Ambos, Art. 75, Rn. 18.

1. Anspruchsvoraussetzungen und -inhalt von Art. 75 Abs. 2 IStGH-Statut

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mittel den höheren Beweiswert aufweisen. Dabei ist nicht erforderlich, dass sämtliche berechtigte Zweifel ausgeräumt sind.181 Die Herabsetzung der Beweisschwelle ist neben dem überzeugenden Argument der Rechtsnatur des Entschädigungsanspruchs182 auch im Hinblick auf die teilweise erheblichen Beweisschwierigkeiten der Opfer sinnvoll.183 Es wird den Geschädigten teilweise schlichtweg nicht möglich sein, die üblicherweise beizubringenden Beweise vorzulegen.184 In Fällen von Massenkriminalität sind die Opfer häufig ohne Papiere oder sonstige Beweise zurückgelassen, Zeugen getötet oder in der ganzen Welt verteilt worden.185 Einen zu strengen Beweismaßstab anzulegen, würde die Geltendmachung von Reparationen faktisch unmöglich werden lassen. Auch um diesen tatsächlichen Schwierigkeiten zu begegnen, kommt am IStGH ein jeweils an die Besonderheiten des Einzelfalls angepasster Beweisgrad zum Einsatz.186 Die Berufungskammer führte dazu in Lubanga187 aus: „In the reparation proceedings, the applicant shall provide sufficient proof of the causal link between the crime and the harm suffered, based on the specific circumstances of the case. In this sense, what is the ,appropriate‘ standard of proof and what is ,sufficient‘ for purposes of an applicant meeting the burden of proof will depend upon the circumstances of the specific case. For purposes of determining what is sufficient, Trial Chambers should take into account any difficulties that are present from the circumstances of the case at hand.“188 181 Vgl. die Beschreibung in Black’s Law Dictionary: „the greater the weight of the evidence, not necessarily established by the greater number of witnesses testifying to a fact but by evidence that has the most convincing for superior evidentiary weight that, though not sufficient to free the mind wholly from all reasonable doubt, is still sufficient to incline a fair and impartial mind to one side of the issue rather than the other“, Blacks Law Dictionary, S. 1220. 182 IStGH, Lubanga, Entschädigungsanordnung, Rn. 251; IStGH, Lubanga, Berufungsentscheidung, Rn. 59. 183 Die Verfahrenskammer in Katanga ordnete daher an, dass die Opfer die Beweismittel „[t]o the extent possible“ beibringen müssen, IStGH, Katanga, Entschädigungsanordnung, Rn. 59; siehe auch Manirabona/Wemmers, Specific Reparation for Specific Victimization: A Case for Suitable Reparation Strategies for War Crimes in the DRC, ICLR 13 (2013), 977 (999 ff.). 184 Vgl. Niebergall, in: Ferstmann et al. (Hrsg.), Reparations for Victims of Genocide, War Crimes and Crimes against Humanity S. 149, S. 156 – 158; van Haersolte-van Hof, in: The International Bureau of the Permanent Court of Arbitration (Hrsg.), Redressing Injustices Through Mass Claims Processes, S. 14 – 22. 185 Dwertmann, Reparation System, S. 227. 186 IStGH, Lubanga, Berufungsentscheidung, Rn. 81; Entschädigungsanordnung, Rn. 22. Ähnlich auch Zappalà, JICJ 8 (2010), 137 (152), der aber davor warnt, derartige Gedanken auf die strafrechtliche Beweisschwelle zu übertragen. 187 Die Verfahrenskammer in Katanga schloss sich diesem Beweisstandard an, IStGH, Katanga, Entschädigungsanordnung, Rn. 49 f. Auch in Al Mahdi wandte die Kammer den Beweisgrad der „balance of probabilities“, IStGH, Al Mahdi, Entschädigungsanordnung, Rn. 44, 108, an. 188 IStGH, Lubanga, Berufungsentscheidung, Rn. 81; wobei anzumerken ist, dass ohne eine Regel für die Beweislast auch die Umstände des Einzelfalles nicht sehr weiterhelfen, die gerade im Lichte einer Beweislastregel gewürdigt werden müssten.

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IV. Gerichtliche Reparationen nach Art. 75 Abs. 2 IStGH-Statut

Die Anwendung einer herabgesetzten Beweisschwelle für die Entschädigungsanordnung wurde auch bei der Erarbeitung des IStGH-Statuts besprochen. Der Kommentar zu einer Regelung in dem „Paris-Entwurf“189 enthielt den Vorschlag der Arbeitsgruppe 4, Reparations, am Ende der Vorschrift ausdrücklich den Beweisgrad „balance of probabilities“ aufzunehmen, um klarzustellen, dass für die Entschädigungsanordnung ein geringerer Beweisstandard gelten soll als bei der Feststellung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit.190 Verschiedene Beweisstandards wurden diskutiert, letztendlich wurde eine ausdrückliche Regelung für Reparationen aber nicht aufgenommen. Geeinigt wurde sich letztendlich zumindest darauf, dass ein geringerer Beweisgrad ausreichen soll als für die Verurteilung.191 Damit befindet sich der IStGH in guter Gesellschaft mit anderen Reparationsprogrammen im Zusammenhang mit Mass Claims; auch dort wurden flexiblere Beweisstandards angewandt wie der Plausibility Test, um der besonderen Situation der Opfer, die häufig Beweisschwierigkeiten haben, Rechnung zu tragen.192 Die herabgesetzte Beweisschwelle wurde im Lubanga-Urteil der Berufungskammer ausdrücklich nur in Bezug auf die Kausalität zwischen Schaden und Tathandlung vertreten.193 Möglicherweise könnte das Urteil aber dahingehend missverstanden werden, dass Reparationsanordnungen auch im Hinblick auf Tathandlungen erlassen werden könnten, die nicht „beyond reasonable doubt“ nachgewiesen werden konnten.194 Diese Annahme ist aber unbegründet. Wiedergutmachungsanordnungen können nur für Schäden ausgesprochen werden, die aufgrund von Tathandlungen entstanden sind, für die der Täter verurteilt wurde, Art. 75 Abs. 2 IStGHStatut. Die Notwendigkeit des Beweisgrades „beyond reasonable doubt“ für die Voraussetzungen der strafrechtlichen Verantwortlichkeit wird durch die herabgesetzte Beweisschwelle für Reparationen nicht berührt. Dies auch gerade aus dem Grund, dass die Verfahrensstage nach Art. 74 IStGH-Statut bereits abgeschlossen ist. Mithin ist es sowohl ausreichend als auch angemessen, für die Reparationsstage den geringeren Beweisstandard zuzulassen.195 189 Erarbeitet auf dem International Seminar on Victims’ Access to the International Criminal Court in Paris vom 27. bis 29. April 1999 im Kleber International Conference Centre, siehe Report on the international seminar on victims’ access to the International Criminal Court, UN Doc. PCNICC/1999/WGRPE/INF/2. 190 Report on the international seminar on victims’ access to the International Criminal Court, UN Doc. PCNICC/1999/WGRPE/INF/2, S. 7, 9. 191 Lewis/Friman, in: Lee (Hrsg.), The International Criminal Court: Elements of Crimes and Rules of Procedure and Evidence, S. 484 – 486. 192 Siehe Lewis/Friman, in: Lee (Hrsg.), The International Criminal Court: Elements of Crimes and Rules of Procedure and Evidence, S. 486. 193 IStGH, Lubanga, Berufungsentscheidung, Rn. 79 läuft unter „Conclusions of the 1st merit“ und dieses etabliert Verantwortlichkeit einer verurteilten Person, vgl. Rn. 32. Vgl. auch IStGH, Lubanga, Berufungsentscheidung, Rn. 59. 194 Stahn, JICJ 13 (2015), 801 (809). 195 Mit diesem Ansatz steht der IStGH auch im Vergleich mit Entschädigungsanordnungen anderer Gerichte auf einer Line. Auch in nationalen Gerichten ist in der Regel die Beweis-

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In der Entschädigungsanordnung zu Katanga ließ die Verfahrenskammer II in einigen Fällen Indizienbeweise und Beweisvermutungen zu.196 Die Kammer stützte dieses Vorgehen auf Regel 94 Abs. 1 lit. g) RPE, nach der die Opfer Beweismittel „[t] o the extent possible“ beibringen müssen.197 Diese Regel eröffne die notwendige Flexibilität, die Beweismittel der Opfer im Einzelfall und unter Einbeziehung der Argumente der Verteidigung zu betrachten, um dann – sofern angemessen und erforderlich – auch Indizienbeweise und Beweisvermutungen zuzulassen.198 Wenn festgestellt werden konnte, dass die Zerstörung von Eigentum und Plünderungen während des Angriffs in Bogoro stattgefunden hatte und dieser nach dem Grundsatz der „balance of probabilities“ auch bewiesenermaßen kausal199 für die konkreten Schäden durch die Zerstörung von Häusern, Nebengebäuden und Geschäftslokalen gewesen war, wurde die Verursachung weiterer Schäden in der von Landwirtschaft geprägten Gegend200 durch das Zerstören von persönlichen Gegenständen und Waren,201 Vieh, Feldern und Ernten202 vermutet.203 Der IStGH legte hier also einen eher großzügigen Maßstab für die Feststellung der Schadensarten an. Auch bei der Festlegung des Schadensumfangs wählte der Gerichtshof eine entgegenkommende und pragmatische Lösung. In der Regel konnten die Antragsteller nicht darlegen und beweisen, welche Art und Menge an Vieh und Ernten geschädigt worden waren. Der Gerichtshof stellte hier wieder eine Vermutung an: Die Schäden, die die Kammer als eingetreten ansah, bemaß sie an dem durchschnittlichen Verbrauch per capita. Letzterer wurde vermutet als die Art und Menge an Vieh und Ernten, die die jeweiligen Antragsteller besessen und durch die Taten des Verurteilten verloren hatten.204 Die Berufungskammer bestätigte die Entscheidung der Verfahrenskammer. Zwar müsse die Verfahrenskammer sowohl die Rechte der

schwelle für Entschädigungen geringer als für eine strafrechtliche Verurteilung, siehe Heikkilä, International Criminal Tribunals and Victims of Crime, S. 182. Im Bereich der Staatenverantwortlichkeit wurde der Beweisgrad teilweise an die Art der Schäden angepasst, siehe dazu ausführlich: Dwertmann, Reparation System, S. 226 – 245. 196 Dies beispielsweise im Rahmen der Schadensfeststellung, siehe unter IV. 1. i) aa) (2). 197 IStGH, Katanga, Entschädigungsanordnung, Rn. 60. 198 IStGH, Katanga, Entschädigungsanordnung, Rn. 62. 199 IStGH, Katanga, Entschädigungsanordnung, Rn. 79. 200 Jedenfalls für den Eigenbedarf, IStGH, Katanga, Entschädigungsanordnung, Rn. 98. 201 IStGH, Katanga, Entschädigungsanordnung, Rn. 91; dies gilt zu Recht auch dann, wenn der Anspruchsteller nicht Eigentümer des Hauses war, sondern zur Miete wohnte, Rn. 92. 202 IStGH, Katanga, Entschädigungsanordnung, Rn. 99; dies gilt zu Recht auch dann, wenn der Anspruchsteller nicht Eigentümer des Hauses war, sondern zur Miete wohnte, Rn. 100. 203 Dies gilt zu Recht auch dann, wenn der Anspruchsteller nicht Eigentümer des Hauses war, sonders zur Miete wohnte, Rn. 106 f. In der Regel wurden Beweismittel vorgelegt, aus denen die Berechtigung ihrer Vorfahren hervorging, nicht jedoch die der Antragsteller selbst. 204 Dies gilt zu Recht auch dann, wenn der Anspruchsteller nicht Eigentümer des Hauses war, sondern zur Miete wohnte, Rn. 101. Konkret legte die Kammer eine Kuh, zwei Ziegen und zehn Hennen fest, sowie 10 piquets der üblichsten Ackerfrüchte in Bogoro.

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Opfer als auch der verurteilten Person respektieren,205 hier habe die Kammer jedoch in dem ihr gesteckten Rahmen und angemessen gehandelt.206 Hervorzuheben ist noch ein weiterer Aspekt: Teilweise konnten die Antragsteller Eigentumszertifikate vorlegen. Ging daraus hervor, dass sie mehr Vieh besaßen als der Verbrauch per capita, wurde die höhere Zahl zugrunde gelegt.207 Wies das Beweisstück oder die Zeugenaussagen jedoch eine geringere Anzahl an Vieh als der durch die Kammer ermittelte durchschnittliche Verbrauch aus, nahm die Kammer dennoch aus Fairnessgesichtspunkten die höhere Menge des zugrunde gelegten per capita-Verbrauches an.208 Aus Gründen der Gleichbehandlung und dem zentralen Grundsatz des „Do No Harm“ sind die Erwägungen der Kammer nachvollziehbar. Auch aufgrund der Komplexität des Falles scheint es der Sache nach angemessen, an einigen Stellen mit Vermutungen zu arbeiten. Im Hinblick auf die notwendigen Anforderungen der Rechtsstaatlichkeit in einem besonderen zivilrechtlichen Verfahren hingegen begegnet eine solche Herangehensweise Bedenken. Einen konkreten Beweisantritt der Geschädigten zulasten des Verurteilten zu ignorieren, ist schließlich rechtlich nicht einfach zu begründen. Es wäre konsequent gewesen, den Schaden anhand der bewiesenen Menge von Vieh und Ernte zu beziffern. Gegen die Entscheidung legte Katanga schließlich auch Berufung ein und argumentierte, die Verfahrenskammer habe unzulässigerweise ultra petita entscheiden.209 Die Berufungskammer wies die Berufung in diesem Punkt zurück und führte aus, Art. 75 IStGH-Statut gebe dem Gerichtshof die Freiheit, auch über die Anträge der Geschädigten hinauszugehen.210 Sicherlich muss hier beachtet werden, dass das Antragsprinzip nicht in demselben Umfang gelten muss wie im nationalen Zivilrecht. Das Reparationssystem des IStGH ist darauf nicht ausgelegt, die Kammer kann auch – in außergewöhnlichen Umständen – proprio motu über Entschädigungsanträge hinausgehen, Art. 75 Abs. 1 IStGH-Statut. Hier wäre sogar zu überlegen, ob das Regel-/Ausnahmeverhältnis vor dem Hintergrund des „Do No Harm“-Grundsatzes angepasst werden könnte. Zu bedenken ist dabei aber weiterhin, dass sich die Anordnung gegen ein Individuum mit eigenen rechtsstaatlichen Rechten richtet.

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IStGH, Katanga, Berufungsentscheidung, Rn. 75. IStGH, Katanga, Berufungsentscheidung, Rn. 92, wobei es sich die Berufungskammer nicht nehmen ließ, erneut auf ihre Zweifel ob der individuellen Feststellung der Eligibility hinzuweisen. 207 Dies gilt zu Recht auch dann, wenn der Anspruchsteller nicht Eigentümer des Hauses war, sondern zur Miete wohnte, Rn. 104. 208 IStGH, Katanga, Entschädigungsanordnung, Rn. 105. 209 IStGH, Katanga, Berufungsentscheidung, Rn. 128, 136; Mr Katanga’s Appeal Brief, Rn. 63. 210 IStGH, Katanga, Berufungsentscheidung, Rn. 146, 147, 148. 206

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cc) Diskussion Mangels konkreter Regelungen im IStGH-Statut und den RPE sowie aufgrund der ersten Äußerungen der Kammern ist davon auszugehen, dass – wie es auch in nationalen Verfahren und vor internationalen Gerichten Praxis ist211 – ein unterschiedlicher Maßstab Anwendung finden wird, je nachdem, in welcher Stage des Verfahrens die Frage des Beweisgrades beurteilt werden muss und welche Arten von Schäden vorliegen.212 Mögliche Beweiserleichterungen, wie im Verfahren gegen Katanga angenommen, müssen sich jedoch am IStGH an besonderen rechtsstaatlichen Anforderungen messen lassen. Einmal mehr ist darauf zu achten, dass der IStGH Anordnungen gegen einen individuellen Täter ausspricht, dessen Rechte geachtet werden müssen, Regel 97 Abs. 3 RPE. Auch hier müssen die Interessen der Geschädigten und die des Täters und Reparationsschuldners in einen sinnvollen Ausgleich gebracht werden. Dwertmann ist darin zuzustimmen, dass daher die Aussagen von Menschenrechtsgerichten nicht pauschal auf die Verfahren des IStGH angewandt werden können.213 Eine Anordnung gegen einen Staat oder eine Institution in Verfahren der Staatenverantwortlichkeit hat eine andere Qualität als die gegen einen individuellen Täter.214 Erstere können schließlich durchaus einen humanitären Charakter haben oder auch aus sozialer Fürsorge ergehen; dies ist hingegen gegenüber einem individuellen Reparationsschuldner nicht möglich.215 Andererseits ist jedoch auch den berechtigten Interessen der Opfer von Massenkriminalität Rechnung zu tragen, die Ausgleich für die erlittenen Schäden ersuchen.216 Vor dem Hintergrund, dass eine strafrechtliche Verurteilung des Täters bereits vorliegt – beurteilt nach dem strengen Maßstab des „proof beyond reasonable doubt“ – ist die Anwendung des in Zivilverfahren üblichen niedrigeren Beweisgrads grundsätzlich richtig. Die richterliche Beurteilung dieser Frage im Einzelfall wird jedoch nicht trivial sein.217 Die Zulässigkeit von Indizienbeweisen und Beweiserleichterungen wirkt zunächst für einen besonderen zivilrechtlichen Anspruch schwierig, kann aber in Verfahren der Makrokriminalität und speziell seinen besonders gelagerten Fällen durchaus angemessen sein. Die Verfahrenskammer in Katanga legte teils ein restriktives Verständnis im Rahmen der Feststellung einzelner 211

Vgl. dazu Dwertmann, Reparations System S. 233 – 244. So kann es angemessen sein, einen weniger strengen Beweisgrad zu fordern, wenn es um den Ausgleich von Nichtvermögensschäden wie Schmerzensgeld geht, anders ist es wiederum bei dem Vorliegen von Vermögensschäden, Dwertmann, Reparation System, S. 243. 213 Dwertmann, Reparation System, S. 243. 214 Dwertmann, Reparation System, S. 243. 215 So auch Dwertmann, Reparation System, S. 243. 216 Dwertmann, Reparation System, S. 243. 217 Gerade in Verfahren wie dem gegen Lubanga, wo ein längerer Zeitraum abgeurteilt wird, oder dem gegen Katanga, wo die zu beurteilenden Taten bereits viele Jahre zurückliegen. 212

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Schäden und der Berechtigung einzelner Opfer an den Tag.218 In Teilbereichen, wie beispielsweise dem Beweisantritt für Schäden an Vieh, Ernten, Wohnungseinrichtung und durch das Miterleben des Angriffs verursachten psychischen Schäden, wählte die Kammer aber zu Recht einen flexibleren Ansatz, um der speziellen Situation und den Opfern gerecht zu werden. Der Gerichtshof bemüht sich sichtbar darum, einen Ausgleich zwischen den Rechten des verurteilten Reparationsschuldners und dem berechtigten Anliegen der Opfer, auch in naturgemäß schwieriger Beweislage Entschädigungen zu bekommen, zu finden.

f) Anordnungsmodi – Reparationen auf individueller oder kollektiver Basis Einer der zentralen Punkte in einem Entschädigungsverfahren von Massenverbrechen ist jeweils die Frage, ob Entschädigungen den einzelnen Individuen oder gebündelt einer Opfergruppe zugesprochen werden. aa) Möglichkeiten des IStGH Der Gerichtshof kann Wiedergutmachung auf individueller oder, wenn er dies für angemessen hält, auch auf kollektiver Basis zusprechen, Regel 97 Abs. 1 S. 1 der RPE: „Taking into account the scope and extent of any damage, loss or injury, the Court may award reparations on an individualized basis or, where it deems appropriate, on a collective basis or both.“219

Es können sowohl individuelle als auch kollektive Reparationen zuerkannt werden.220 Eine Definition dessen, was kollektive und individuelle Reparationen jeweils sind, hält das IStGH-Statut nicht bereit.221 Der Gerichtshof hat bislang Entschädigungen auf kollektiver und individueller Basis zugesprochen.222 Individuelle Reparationen sind dem zivilrechtlichen Schadensersatz auf nationaler Ebene am nächsten.223 Im Rahmen von individuellen Reparationen werden Entschädigungen direkt an das einzelne Opfer geleistet; die Wiedergutmachung soll 218 IStGH, Katanga, Entschädigungsanordnung, Rn. 168, 237 – 239; ausführlicher zur Eligibility-Prüfung siehe unten unter IV. 7. 219 Regel 97 Abs. 1 RPE. 220 IStGH, Katanga, Entschädigungsanordnung, Rn. 265; allgemein zu dem Konzept von kollektiven und individuellen Reparationen siehe oben. 221 IStGH, Katanga, Entschädigungsanordnung, Rn. 270. 222 In Lubanga wurden ausschließlich kollektive Reparationen zugesprochen, in Katanga sowohl individuelle als auch kollektive, in Al Mahdi ebenfalls beides. 223 Dwertmann, Reparation System, S. 120.

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direkt und nicht über einen Mittler oder eine Agentur erfolgen.224 Ziel ist es, den Zustand wiederherzustellen, der vor der Tat bestand.225 Auch wenn finanzieller Ausgleich nur dann zu leisten ist, wenn restitutio in integrum nicht möglich ist,226 scheint es sich bei individueller Wiedergutmachung häufig um finanzielle Wiedergutmachung zu handeln.227 Das einzelne Opfer wird in seiner Individualität und die Besonderheiten des Einzelfalls anerkannt.228 Bei dem individualisierten Ansatz wird jedoch nicht berücksichtigt, dass der Täter das Opfer häufig in erster Linie wegen dessen Zugehörigkeit zu einer Gruppe oder Gemeinschaft schädigte – nicht aus individuellen Gründen.229 Kollektive Entschädigungen sind ihrem Wesen nach ein offeneres Konzept230 und beinhalten im Kern – wie der Name schon sagt – Leistungen, die einer Gruppe von Opfern zugutekommen.231 In dieser Gruppe werden Geschädigte zusammengefasst, die ähnliche Schäden durch beispielsweise die Taten des gleichen Täters erlitten haben, und als Gruppe gemeinsam entschädigt.232 Notwendig ist ein gemeinsam erlittenes Leid, das die Gruppe der Viktimisierten zusammenhält.233 In Katanga führte die Kammer dazu aus, das Verbrechen an sich sei noch kein ausreichend verbindendes Kriterium.234 Es sei vielmehr notwendig, dass die betroffenen Opfer der Gruppierung auch selbst empfinden, dass sie gemeinsames Leid teilen.235 Das hieße nicht, dass die Verletzung eines gemeinsamen Rechts vorliegen müsse, es könne auch die Verletzung einer Reihe von individuellen Rechten des Kollektivs ausreichen.236 Kollektive Reparationen können in zwei Formen auftreten, in Gemeinschaftsreparationen, die eine Gemeinschaft als Ganzes erreichen sollen, wie eine Gedenkstätte, der Bau einer Schule oder eines Krankenhauses.237

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IStGH, Katanga, Entschädigungsanordnung, Rn. 271. Siehe oben bei Sinn und Zweck von Reparationen; Bock, Das Opfer vor dem Internationalen Strafgericht, S. 568. 226 Bock, Das Opfer vor dem Internationalen Strafgericht, S. 568. 227 Dwertmann, Reparation System, S. 120, so auch das Beispiel der Verfahrenskammer II in Katanga, Entschädigungsanordnung, Rn. 271. 228 Bock, Das Opfer vor dem Internationalen Strafgericht, S. 571. 229 Vgl. Bock, Das Opfer vor dem Internationalen Strafgericht, S. 571. 230 IStGH, Katanga, Entschädigungsanordnung, Rn. 278. 231 Dwertmann, Reparation System, S. 121. 232 Dwertmann, Reparation System, S. 121. 233 IStGH, Katanga, Entschädigungsanordnung, Rn. 274. 234 IStGH, Katanga, Entschädigungsanordnung, Rn. 275. 235 IStGH, Katanga, Entschädigungsanordnung Rn. 275. 236 IStGH, Katanga, Entschädigungsanordnung, Rn. 276. 237 IStGH, Katanga, Entschädigungsanordnung, Rn. 279. 225

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Die andere Form sind individualisierte kollektive Entschädigungen, die individuellen Nutzen zur Folge haben, da sie an die Bedürfnisse des Einzelnen angepasst werden können. Als Beispiel nennt die Kammer Gesundheitsversorgung, die einer Gruppe an Opfern kollektiv zugesprochen, aber in der Umsetzung an die konkreten Bedürfnissen der einzelnen Opfer angepasst werden kann.238 Anders als bei individuellen Reparationen sind die einzelnen Opfer allein aber nicht forderungsberechtigt.239 Das IStGH-Statut und die RPE beantworten nicht die Frage, in welchen Fällen kollektive Reparationen angemessener sind als individuelle Wiedergutmachung. Etwas konkreter ist lediglich die Geschäftsordnung des TFV in Kapitel 5, welches sich mit der Auskehrung von Reparationen beschäftigt, wenn diese nach Regel 98 Abs. 3 RPE durch den TFVerfolgen soll. In Nr. 69 sind einige Aspekte enthalten, die Hinweise geben, welche Aspekte bei der Beurteilung der Angemessenheit kollektiver Reparationen eine Rolle spielen können: „[…]where the number of the victims and the scope, forms and modalities of reparations makes a collective award more appropriate […]“.240

Danach sollen also Art und Umfang der Schäden sowie die Anzahl der Opfer dabei eine Rolle spielen, ob Reparationen auf kollektiver Ebene angemessen sind.241 Entscheidend bei der Frage nach dem Reparationsmodus sollten zwei – nicht ganz einfach miteinander zu verbindende – Aspekte sein: Einmal ist zu fragen, welcher Anordnungsmodus den Schäden der Opfer am besten begegnet.242 So wohnt es kollektiven Maßnahmen inne, dass damit Schädigungshandlungen, die nicht nur beliebige Individuen zum Ziel hatten, sondern eine Gruppe an Menschen gezielt als Gemeinschaft viktimisierten, besser wiedergutgemacht werden können.243 Zum anderen sind die rein faktischen Limitationen des Gerichtshofes zu bedenken: Individuelle Entschädigungsleistungen sind häufig ungleich teurer und aufwendiger. Die begrenzten Ressourcen des Gerichtshofes (finanzieller und personeller Art) können bei der Umsetzung von kollektiven Reparationen mehr Geschädigte erreichen.244 238

IStGH, Katanga, Entschädigungsanordnung, Rn. 280. IStGH, Katanga, Entschädigungsanordnung, Rn. 277. 240 Nr. 69 GeschOTFV. 241 Nr. 69 GeschOTFV gilt zwar nicht unmittelbar für den Gerichtshof, kann aber nach Art. 21 IStGH-Statut als Auslegungshilfe herangezogen werden. 242 IStGH, Katanga, Entschädigungsanordnung, Rn. 15. 243 In diesem Zusammenhang verweist die Verfahrenskammer II auch darauf, dass kollektive Reparationen durchaus zur Versöhnung beitragen können, IStGH, Katanga, Entschädigungsanordnung, Rn. 289. 244 IStGH, Katanga, Entschädigungsanordnung, Rn. 289, mit Verweis auf die Eingaben von HRC und TIJ. 239

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bb) Kollektive Reparationen als Anordnungsmodus der Wahl? Für den IStGH nennt Regel 97 RPE individuelle Entschädigung an erster Stelle; kollektive Reparationen sollen indes dort angeordnet werden, wo der Gerichtshof es für angemessen hält. Daraus könnte man ablesen, dass individuelle Reparationen als Grundsatz und kollektive Wiedergutmachung nachgeordnet, bei Vorliegen weiterer Voraussetzungen („wo angemessen“), verhangen werden sollen.245 Diese Lesart sollte allerdings einschränkend ausgelegt werden. Individuelle Wiedergutmachung ist in einem völkerstrafrechtlichen Verfahren schließlich nicht immer vorstellbar. Wenn restitutio in integrum jedoch möglich ist, sollte der Gerichtshof individuelle Reparationen tatsächlich vorrangig anordnen. Dies wird in erster Linie bei der Rückgabe und Rückübereignung von beweglichen Sachen oder Grundstücken der Fall sein.246 Während somit nicht ausgeschlossen werden soll, dass es Einzelfälle geben kann, in denen individuelle Anordnungen sinnvoller sind als kollektive, erscheint es doch zweifelhaft, dass diese Fälle so häufig auftreten werden, dass ein allgemeiner Vorrang der individuellen Wiedergutmachung nach Regel 97 RPE dadurch gerechtfertigt werden kann. Im Gegenteil, in den allermeisten Fällen wird die Anordnung von kollektiven Reparationen sachgerechter und vorteilhafter sein.247 Zunächst spricht für Wiedergutmachung auf kollektiver Basis der rein praktische und ressourcensparende Aspekt, da eine Vielzahl von Opfern gleichzeitig und mit den gleichen Maßnahmen entschädigt werden kann. Darüber hinaus liegt in der kollektiven Wiedergutmachung der Vorteil, dass damit die Reparationen für Taten, die sich gegen eine Gruppe von Menschen richteten und die mithin durch die intendierte kollektive Schädigung selbst einen kollektiven Charakter hatten, auch an diese gesamte Opfergemeinschaft adressiert werden können.248 Das heißt nicht, dass kollektive Maßnahmen lediglich zur Wiedergutmachung von Verletzungen kollektiver Rechte eingesetzt werden können. Vielmehr kann auch eine Vielzahl an Reparationsgläubigern aufgrund der Verletzung ihrer individuellen Rechte gemeinsam entschädigt werden.249 Die kollektiven Reparationen sind dann durchaus Maßnahmen, die sich an das erlittene Unrecht des Einzelnen wenden, deren Auswirkungen aber kollektiv sind und damit auch auf gemeinschaftlicher Ebene 245

Dwertmann, Reparation System, S. 121; Bock, Das Opfer vor dem Internationalen Strafgericht, S. 571. 246 Das setzt voraus, dass es zuvor gelungen ist, die Rechtsgüter zu sichern, siehe unten unter IV. 2. c). 247 So auch IStGH, Al Mahdi, Entschädigungsanordnung, Rn. 59, die sich allerdings auf das Kolletkiv der Gemeinschaft Timbuktus bezog. 248 Roht-Arriaza, Hastings Int’l and Comp LR 27 (2004), 157 (181); de Greiff/Wierda, in: de Feyter et al. (Hrsg.), Out of the Ashes – Reparation for Victims of Gross and Systematic Human Rights Violations, S. 236. 249 Siehe z. B. IStGH, NGO Observations on the reparations regime, Rn. 43 – 46.

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Effekte haben.250 So konzeptualisiert, können die Maßnahmen einem breit gestreuten Unrecht besser begegnen, als dies die individualisierte Wiedergutmachung von Schäden kann, die viele, häufig miteinander bekannte und in unmittelbarer Nachbarschaft lebende Opfer unterschiedlich behandeln wird. In der Umsetzung muss folglich der kollektive Charakter der Entschädigung beibehalten werden, auch wenn die Maßnahme individualisiert sein kann.251 Die Berufungskammer in Lubanga ging in ihrer Entscheidung aus dem Juli 2019 sogar so weit, auch die Zahlung einer Geldsumme an Individuen als kollektive Reparationen auszugestalten.252 Neben dem Vorteil, an einer Opfergruppe begangene Verbrechen auch einheitlich in der Opfergruppe wiedergutzumachen, sprechen faktische Limitationen des Gerichtshofes gegen eine individuelle Wiedergutmachung. Der im nationalen Deliktsrecht übliche monetäre Schadensersatz ist auf internationaler Ebene häufig nicht umsetzbar, was gegen seine Anordnung spricht. Gegen diese Annahme sprechen zwar die Anordnungen in Katanga, wo den Opfern individuelle Reparationen in Höhe von 250 E zugesprochen wurden, und Al Mahdi, in denen einigen Opfern ebenfalls individuelle Reparationen zuteil werden sollten.253 Dennoch: Gerade in Fällen der Massenkriminalität, in denen die Opferzahlen häufig in die Tausende gehen, müsste der IStGH von einzelnen Tätern extreme Ressourcen gesichert haben, um finanzielle Entschädigungen oder auch Schadensersatz durch Sachleistungen zahlen zu können. Die Höhe der Summe würde den Gerichtshof vor eine weitere Herausforderung stellen: Die erlittenen Verbrechen sind häufig so undenkbar grausam und die Schäden nicht wiedergutzumachen, dass eine Bezifferung des Leids kaum möglich ist.254 Gepaart mit dem Problem der Finanzierbarkeit würden die Opfer im besten Falle vielleicht 100 USD Schadensersatz erhalten, gegebenenfalls eine Handvoll Vieh. Bei so einer geringen Entschädigungssumme besteht die Gefahr, dass das Opfer dies als Bagatellisierung des erlittenen Unrechts empfindet und Erwartungen enttäuscht werden, so dass eine sekundäre Viktimisierung zu befürchten

250

Vgl. IStGH, NGO Observations on the reparations regime, Rn. 40. IStGH, Lubanga, Reparationskammer II, Corrected version of the „Decision Setting the Size of the Reparations Award for which Thomas Lubanga Dyilo is Liable“, Rn. 40. 252 Reparationskammer II, Lubanga, Corrected version of the „Decision Setting the Size of the Reparations Award for which Thomas Lubanga Dyilo is Liable“, Rn. 40. Sollte es dem Gericht darum gehen, dass die Geschädigten mit der Geldsumme an einem Programm teilnehmen können, das ihnen bei der Verarbeitung des Geschehenen hilft, wäre es womöglich ratsamer, unmittelbar Plätze in dem Programm zuzusprechen. 253 Denjenigen, deren Lebensunterhalt von den zerstörten Gebäuden abhing und denjenigen, die verstorbene Verwandte haben, deren Grabstätten zerstört wurden, s. o. 254 Auch die im nationalen Recht üblichen Tabellen von Versicherungen haben keine Antwort darauf. Menschenrechtsgerichtshöfe hingegen haben teilweise Versuche unternommen und den Betrag für ein genommenes Menschenleben für die Verwandten beziffert und als Schadensersatz zugesprochen. Selbst wenn man grundlegende Bedenken gegen finanzielle Wiedergutmachung in Sachverhalten vor dem IStGH verwirft, muss ein solcher Ansatz aus praktischen und finanziellen Gründen ausscheiden. 251

1. Anspruchsvoraussetzungen und -inhalt von Art. 75 Abs. 2 IStGH-Statut

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ist.255 Auch vor dem Hintergrund, dass Reparationen jeweils proportional zu dem erlittenen Leid und Schaden sein sollen,256 ist dieser Weg nicht in jedem Fall sinnvoll. Dem wird zwar entgegengehalten, dass Geschädigte häufig angeben, individuelle Reparationen hätten für sie einen besonders hohen Wert, sie würden sich dadurch besonders anerkannt fühlen.257 Gerade in armen Gebieten wird durch die Geschädigten auch angegeben, die Zahlung von 100 USD pro Opfer258 sei teilweise konkret hilfreicher als die Errichtung einer Stupa.259 Dagegen lässt sich aber wiederum anführen, dass ein individueller Ansatz in den meisten Fällen zu einer Ungleichbehandlung der Geschädigten führt. Gerade angesichts des zentralen „Do No Harm“-Grundsatzes ist das problematisch: Gefühle wie Ungleichbehandlung, Neid oder Missgunst anderer können den Entschädigungsgläubigern schaden oder zumindest dazu führen, dass keine Versöhnung in der Gemeinschaft eintritt.260 cc) Die Wahl der Anordnungsmodi in der Praxis Die Debatte, welcher Anordnungsmodus von Entschädigungsleistungen in Fällen der Massenkriminalität angemessen ist, wurde vor der Verfahrenskammer I in Lubanga geführt; die meisten Parteien bzw. auf Einladung des Gerichtshofes abgegebenen Eingaben befürworteten eine Kombination aus individuellen und kollektiven Reparationen.261 Der TFV sprach sich in seiner Eingabe gegen einen breiten Ansatz hinsichtlich individueller Wiedergutmachung aus.262 Neben dem Argument der Umsetzbarkeit im Falle von tausenden Opfern führte der TFV an, individuelle

255

Bock, Das Opfer vor dem Internationalen Strafgericht, S. 571. Grundsatz der Angemessenheit und Verhältnismäßigkeit, siehe unten unter IV. 1. j). 257 Siehe Prosecution’s Submissions on the principles and procedures to be applied in reparations, Rn. 9, mit Verweis auf Maggarell for ICTJ, Reparations in Theory and Practice, S. 5. 258 Ein Konzept, das mit unserem westlich geprägten Verständnis von Wiedergutmachung und Gerechtigkeit doch kaum vereinbar ist. 259 Siehe Hoven/Feiler/ Scheibel, Victims in Trials of Mass Crimes, S. 27. 260 Dwertmann, Reparation System, S. 123, 124; Minow, Between Vengeance and Forgiveness, S. 104. 261 Siehe die Vertreter der Opfergruppen V01 und V02. Die Vertreter der Opfergruppen V01 sprachen sich für individuelle (finanzielle) Wiedergutmachung aus, selbst wenn diese limitiert sei. Die Vertreter der Opfergruppe V02 sprachen sich jedenfalls für individuelle Reparationen für direkte Opfer Lubangas aus, da diese persönlich geschädigt wurden. Mithin soll individuelle Wiedergutmachung im Hinblick auf Rehabilitation und Kompensation geleistet werden, im Hinblick auf die Rehabilitation der Gemeinschaft indes kollektive Reparationen. Auch die OPCV sprach sich für eine Kombination von individuellen und kollektiven Maßnahmen aus, ebenso wie UNICEF und weitere NGOs. 262 TFV, Observations on Reparations in Response to the Scheduling Order of 14 March 2012, Eingabe v. 25. 04. 2012. 256

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IV. Gerichtliche Reparationen nach Art. 75 Abs. 2 IStGH-Statut

Wiedergutmachung könne den „Do No Harm“-Grundsatz verletzen und damit den Versöhnungsprozess unterminieren.263 Solch grundlegende Bedenken wurden gegen die Anordnung kollektiver Wiedergutmachung nicht vorgebracht. Abgesehen von – aufgrund der Besonderheiten des Falles Lubanga264 bestehenden – Sorgen hinsichtlich der Realisierbarkeit wurde die Debatte praktisch durchgehend zugunsten der kollektiven Reparationen geführt: Die begrenzten finanziellen Ressourcen könnten bestmöglich genutzt werden;265 zudem seien kollektive Maßnahmen der richtige Modus, da durch sie kommunaler Zusammenhalt und Versöhnung gefördert würden.266 Der TFV sprach sich weiterhin vehement für kollektive Maßnahmen aus, da diese es möglich machen könnten, zu „re-establish social solidarity if designed together with victim communities“, sowie Maßnahmen mit dem Ziel der Versöhnung enthalten könnten.267 Die Verfahrenskammer in Lubanga blieb in ihrem Urteil im Hinblick auf die Entschädigungsmodi jedoch vage. Sie führte aus, dass aufgrund der noch nicht feststehenden Opferzahlen ein kollektiver Ansatz gewählt werden solle;268 dass sich kollektive und individuelle Reparationen jedoch nicht ausschließen würden.269 Schließlich unterstützte die Kammer den Plan des TFV,270 nach dem auf der Implementierungsebene Vorschläge für kollektive Programme entwickelt und dem Gerichtshof zur Billigung vorgelegt werden sollten.271 Die Berufungskammer bekräftigte in ihrer Entscheidung aus dem Juli 2019 erneut, dass die vorzulegenden Maßnahmen kollektiven Charakter haben sollten, gab aber zusätzlich noch einige

263 TFV, Observations on Reparations in Response to the Scheduling Order of 14 March 2012, Eingabe v. 25. 04. 2012, Rn. 136 – 141. 264 Vertreter der Opfer sowie OPCV führten an, dass Kindersoldaten keine einheitliche Gruppe seien und zudem im Gebiet der Republik Kongo verstreut, so dass die Implementierung von kollektiven Maßnahmen schwierig werden, siehe IStGH, OPCV, Observations on issues concerning reparations, Eingabe v. 18. 04. 2012, Rn. 13. 265 Vgl. Prosecution’s Submissions on the principles and procedures to be applied in reparations, Eingabe v. 18. 04. 2012, Rn. 15. 266 Vgl. Prosecution’s Submissions on the principles and procedures to be applied in reparations, Eingabe v. 18. 04. 2012, Rn. 14. 267 TFV, Observations on Reparations in Response to the Scheduling Order of 14 March 2012, Eingabe v. 25. 04. 2012, Rn. 102. Zu bedenken ist hierbei jedoch, dass der TFV davon ausgeht, dass in Fällen von kollektiven Reparationen keine individuelle Feststellung der Eligibilty erfolgen muss. 268 IStGH, Lubanga, Entschädigungsanordnung, Rn. 219. 269 IStGH, Lubanga, Entschädigungsanordnung, Rn. 220, bestätigt zuletzt auch erneut in Lubanga, Reparationskammer II, Corrected version of the „Decision Setting the Size of the Reparations Award for which Thomas Lubanga Dyilo is Liable“, Rn. 40. 270 IStGH, Lubanga, Entschädigungsanordnung, Rn. 281. 271 IStGH, Lubanga, Entschädigungsanordnung, Rn. 282.

1. Anspruchsvoraussetzungen und -inhalt von Art. 75 Abs. 2 IStGH-Statut

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konkretisierende Hinweise,272 die jedoch auch erst im Rahmen der Implementierung umgesetzt werden können. Zum Inhalt und Umfang der Reparationen äußerten sich die Richter der Verfahrenskammer in Lubanga allerdings nicht. Diese Vagheit hatte schließlich auch zur Folge, dass ein unterschiedliches Verständnis der Verfahrensbeteiligten und amici curiae darüber herrschte, welchen Anordnungsmodus der Gerichtshof nun gewählt hatte. Die Berufungskammer führte die Konfusion darauf zurück, dass sich die Erwägungen der Verfahrenskammer zu den richtigen Modalitäten in dem Abschnitt zu den Reparationsprinzipien befinden.273 Wohl auch aufgrund des missverständlichen Urteils der Verfahrenskammer hielt die Berufungskammer als fünftes notwendiges Element einer Reparationsanordnung fest: „it must specify, and provide reasons for, the type of reparations ordered, either collective, individual or both, pursuant to rules 97 (1) and 98 of the Rules of Procedure and Evidence“.274

Darüber hinaus hielt die Kammer in ihrer „Order for Reparations amended“ fest: „The present order is for collective reparations against Mr Lubanga to be made through the Trust Fund pursuant to rules 97 (1) and 98 (3) of the Rules of Procedure and Evidence“.275

In der Berufungsentscheidung vom 18. Juli 2019 276 wurden die Anordnungsmodi ansonsten nicht vertieft besprochen; Schwerpunkt der Entscheidung war die durch die Verteidigung und die Opfergruppe V01 eingelegte Berufung bezüglich des festgestellten Umfangs der Verantwortlichkeit Lubangas. In Katanga waren die Ausführungen der Richter eindeutiger. Die Kammer war – ebenso wie die UN277 – der Auffassung, dass kollektive Reparationen Stigmatisierungen aufgrund von empfundenen Ungleichbehandlungen verhindern könnten, während individuelle Reparationen den Opfern das Gefühl geben könnten, nicht ausgeschlossen, marginalisiert sowie weiter stigmatisiert zu werden und zudem verdeutlichen könnten, dass ihr Leid anerkannt wird.278

272

Reparationskammer II, Lubanga, Corrected version of the „Decision Setting the Size of the Reparations Award for which Thomas Lubanga Dyilo is Liable“, Rn. 40. 273 IStGH, Lubanga, Berufungsentscheidung, Rn. 202. 274 IStGH, Lubanga, Berufungsentscheidung, S. 7. 275 IStGH, Lubanga, Berufungsentscheidung, Rn. 53. 276 IStGH, Lubanga, Berufungsentscheidung über den Umfang der Reparationen, für die Lubanga verantwortlich ist. 277 United Nations, Eingabe v. 14. 05. 2015, ICC-01/04-01/07-3550, Rn. 19 zu Katanga. 278 IStGH, Katanga, Entschädigungsanordnung, Rn. 285; zudem ist die Teilhabe an kollektiven Reparationen für diese Opfer schwierig, die nicht mehr in Bogoro leben. Diese Zwickmühle hofft die Kammer durch die Anordnung beider Reparationenarten zulösen, Rn. 286.

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IV. Gerichtliche Reparationen nach Art. 75 Abs. 2 IStGH-Statut

Im Verfahren sprachen sich daher die UN279, aber auch die Opfer280, die Verteidigung281, die Kanzlei282, die Anklage283, REDRESS284 und andere eingabeberechtigte Organisationen285 für eine Kombination von individuellen und kollektiven Reparationen aus.286 Der TFV tat dies indes nicht.287 Die Kammer hob hervor, dass Opfervertreter und die Verteidigung sich darin einig waren, dass neben vier kollektiven Maßnahmen eine individuelle symbolische Entschädigung in Form von Kompensation in Höhe von 1 USD geleistet werden sollte.288 Im Ergebnis ordnete die Verfahrenskammer II neben kollektiven auch individuelle finanzielle Wiedergutmachung mit einem symbolischen Wert von 250 USD in 297 Fällen an.289 Sie argumentierte mit den Wünschen der Opfer, die einzelne Modalitäten kollektiver Reparationen, wie Gedenkveranstaltungen, die Ausstrahlung des Verfahrens, das Errichten von Gedenkstätten oder das Aufspüren vermisster Personen, ablehnten.290 Daneben zog die Kammer Entscheidungen des IAGMR und anderer heran, die auch schon parallel individuelle und kollektive Entschädigungen angeordnet hatten, auch bei größeren Opferzahlen.291 Zur Bestimmung der Höhe des Betrages zog die Kammer auch die Erwägungen der Prozessbeteiligten heran:292 Die Opfervertreter293 und die Verteidigung294 hatten individuelle Reparationen in Höhe eines symbolischen Wertes von 1 USD vorgeschlagen. Die Kammer stimmte zu, dass Kompensation in symbolischer Höhe durchaus geeignet sei, den Opfern das Gefühl der Anerkennung für die erlittenen Schäden und das Leid zu geben und somit be-

279

United Nations, Eingabe v. 14. 05. 2015, ICC-01/04-01/07-3550, Rn. 21 – 24. Victims’ Observations v. 15. 05. 2015, ICC-01/04-01/07-3555-tENG, Rn. 9 f.; Victims’ Consolidated Response v. 16. 06. 2015, ICC-01/04-01/07-3565, Rn. 62. 281 Defence Observations v.14. 05. 2015, ICC-01/04-01/07-3549, Rn. 86; Defence Consolidated Response v. 16. 06. 2015, ICC-01/04-01/07-3564, Rn. 120 – 128. 282 Registry Observations v.15. 05. 2015, ICC-01/04-01/07-3553, Rn. 13. 283 Prosecution’s Observations v. 30. 04. 2015, ICC-01/04-01/07-3544, Rn. 22. 284 Redress Trust Observations v. 15. 05. 2015, ICC-01/04-01/06-3554, Rn. 35. 285 Defence Consolidated Response v. 16. 05. 2015, ICC-01/04-01/07-3564, Rn. 17; HRC und TIJ, Eingabe v. 14. 05. 2015, ICC-01/0401/07-3551, Rn. 28 f. 286 IStGH, Katanga, Entschädigungsanordnung, Rn. 282. 287 TFV, Observations v. 13. 05. 2015, ICC-01/04-01/07-3548, Rn. 134. 288 IStGH, Katanga, Entschädigungsanordnung, Rn. 282, mit Verweis auf Victims\9 Proposals v. 08. 12. 2016, ICC-01/04-01/07-3720, Rn. 10 – 19; Defence Response v. 30. 12. 2016, ICC-01/04-01/07-3722, Rn. 4 – 6. 289 IStGH, Katanga, Entschädigungsanordnung, S. 118 f. 290 IStGH, Katanga, Entschädigungsanordnung, Rn. 301, mit Verweis auf Victims\9 Observations v. 08. 01. 2015, ICC-01/04-01/07-3514, Rn. 14. 291 IStGH, Katanga, Entschädigungsanordnung, Rn. 283 f. 292 IStGH, Katanga, Entschädigungsanordnung, Rn. 298. 293 Victims’ Proposals v. 08. 12. 2016, ICC-01/04-01/07-3720, Rn. 80 – 82. 294 Defence Response v. 30. 12. 2016, ICC-01/04-01/07-3722, Rn. 4 – 6. 280

1. Anspruchsvoraussetzungen und -inhalt von Art. 75 Abs. 2 IStGH-Statut

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deutsam sein könne.295 Dennoch entschied sich die Kammer dazu, einen höheren Betrag von 250 USD zuzusprechen. Dieser sei bedeutsamer für die Opfer, jedoch nicht so hoch, dass es in der Gemeinschaft zu Spannungen führen könne.296 In Al Mahdi legte die Verfahrenskammer ein großzügiges Verständnis von kollektiven Reparationen an den Tag und ordnete Wiedergutmachung für die gesamte Gemeinschaft Timbuktus mit dem Hinweis an, „collective reparations should be aimed at rehabilitating the community of Timbuktu in order to address the economic harm caused.“297 dd) Angemessene Reparationsmodi am IStGH – Diskussion Die in Katanga angeführten Argumente der Verfahrenskammer II zugunsten individueller monetärer Entschädigung sind nicht leicht zu entkräftigen; dennoch sind sie nicht automatisch auf andere Verfahren übertragbar. In Katanga wurde ein Angriff auf ein einziges Dorf an einem Tag abgeurteilt. Die Anzahl von 297 Entschädigungsberechtigten ist für den Bereich der Makrokriminalität, in dem Opferzahlen häufig in die Tausende gehen, gering. Jedenfalls in den typischen Fällen der Makrokriminalität wird die Anordnung von kollektiven Reparationen der häufig sachgerechtere Modus sein. Mit Reparationsmaßnahmen an eine Opfergruppe298 kann der Charakter von Verbrechen gegen Gruppen besser adressiert und damit auch teilweise Ziele der horizontal versöhnenden Wiedergutmachung angestrebt werden. Individuelle Reparationen sind außerdem aufgrund der finanziellen Limitationen des Gerichtshofes bei den üblichen hohen Opferzahlen häufig nicht möglich. Daher liegt es zunächst nahe, eine Änderung von Regel 97 RPE zu fordern und festzuschreiben, dass kollektive Wiedergutmachung der primäre Reparationsmodus sein sollte. Dagegen spricht jedoch gewichtig, dass sowohl auf nationaler Ebene als auch auf internationaler Ebene das Primat der Naturalrestitution gilt; wo möglich, muss zunächst resitutio in integrum geleistet werden.299 Selbst wenn dies in völkerstraf295 IStGH, Katanga, Entschädigungsanordnung, Rn. 298; die Kammer erhofft sich, dass die Opfer mit dem Geld etwas unabhängiger werden und selbstbestimmt z. B. Werkzeug und Vieh kaufen können. Eine gänzliche Wiedergutmachung des Leides soll indes nicht durch den Betrag erreicht werden, Rn. 300. 296 IStGH, Katanga, Entschädigungsanordnung, Rn. 299. 297 IStGH, Al Mahdi, Entschädigungsanordnung, Rn. 83. 298 Zu der Frage, ob im Rahmen der kollektiven Entschädigung alle begünstigten Personen „Opfer“ der veruteilten Tat sein müssen, siehe ausführlich unten unter IV. 1. h) cc). 299 Im Rahmen der EMRK wird vertreten, dass aufgrund von Art. 41 EMRK eine Abkehr vom Vorrang der Naturalresitution erkennbar ist, Zwach, Die Leistungsurteile des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte, S. 48. Dies ist allerdings abzulehnen, vgl. Schilling, Deutscher Grundrechtsschutz zwischen staatlicher Souveränität und menschenrechtlicher Europäisierung, S. 114.

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IV. Gerichtliche Reparationen nach Art. 75 Abs. 2 IStGH-Statut

rechtlichen Verfahren nicht häufig möglich sein sollte, gilt dieser Grundsatz auch hier; dem sollten die RPE daher auch Rechnung tragen. Mithin sollte die Regel 97 RPE dahingehend einschränkend ausgelegt werden, dass die dort primär genannten Reparationen auf individualisierter Basis nur dann vorrangig angeordnet werden sollten, wenn es sich um – umsetzbare – Maßnahmen der Naturalrestitution handelt. Andere Reparationen sollten grundsätzlich auf kollektiver Basis zugesprochen werden, wobei aufgrund allgemeiner Erwägungen davon ausgegangen werden darf, dass diese kollektiven Maßnahmen angemessen sind. Damit entfällt jedoch nicht die vorgelagerte Prüfung der Kammer dahingehend, welche Entschädigungsmodi angemessen sind; sie muss ihre Erwägungen auch in ihrer Entscheidung darlegen und die Art der angeordneten Reparationen benennen.300 Dringend zu vermeiden ist auch die Anordnung von kollektiven Reparationen aus Sorge vor dem mit individuellen Reparationen einhergehenden Aufwand: Reparationen sind besondere zivilrechtliche Ansprüche; pauschal eine ganze Stadt als Gemeinschaft aufzunehmen, wie in Al Mahdi geschehen, widerspricht der Rechtsnatur und den rechtsstaatlich garantierten Rechten des Reparationsschuldners. Hier sollte sich der IStGH möglichst schnell wieder auf sein besonderes Mandat besinnen und nicht zu sehr die Unterschiede zu einem Verfahren der Staatenverantwortlichkeit verwischen.

g) Reparationsarten am IStGH aa) Reparationsarten in Statut und Praxis des IStGH Neben dem Problem, ob Opferentschädigung am IStGH auf individuelle oder kollektive Weise angeordnet werden sollte, stellt sich die Frage, welche Reparationsarten am Gerichtshof angeordnet werden können. Je nach Reparationsart soll ein besonderer Zweck mit der Maßnahme verfolgt werden,301 eine Methode, die die eingetretenen Schäden bestmöglich adressiert.302 Wie oben303 dargestellt, enthält Art. 75 Abs. 2 des IStGH-Statuts als Reparationsarten ausdrücklich Restitution, Kompensation304 und Rehabilitation305. Das Wort „inklusive“ davor indiziert jedoch,

300

IStGH, Lubanga, Berufungsentscheidung, Rn. 1. Wie Resitution, Kompensation, Rehabilitation, Garante der Nichtwiederholung. 302 IStGH, Al Mahdi, Entschädigungsanordnung, Rn. 46. 303 In Kapitel „Zweck von Reparationen“, III. 5. a). 304 „Compensation is something, typically money, awarded to one or more victims in recognition of the harm they suffered.“, IStGH, Al Mahdi, Entschädigungsanordnung, Rn. 47. 305 „Rehabilitation is aimed at restoring the victims and their communities to their former condition. Rehabilitation may include, for instance, economic development or social, medical or legal services“, IStGH, Al Mahdi, Entschädigungsanordnung, Rn. 48. 301

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dass die Liste nicht abschließend ist,306 sondern auch andere Arten der Wiedergutmachung vor dem IStGH möglich sind, wie solche symbolischen307, präventiven oder transformativen Charakters.308 Die Verfahrenskammer in Katanga berief sich auf die Lubanga-Entscheidung und hielt fest, die Kammer müsse die angemessensten Reparationsarten anordnen, jeweils in Hinblick auf die eingetretenen Schäden und die Bedürfnisse der Geschädigten.309 Die Möglichkeiten des IStGH sind mithin weit gefasst; die Vertragsstaaten haben dem Gerichtshof bei der Auswahl der jeweils sinnvollen Maßnahmen einen gewissen Spielraum gelassen. Dieser Spielraum wurde von den Kammern bisher auch nicht weiter eingegrenzt. In seinem Draft Implementation Plan vom 3. November 2015 legte der TFV in Lubanga für die Wiedergutmachung der Taten einen Schwerpunkt auf Rehabilitation und gesellschaftlich transformative Maßnahmen. Der Draft Implementation Plan sah verschiedene Maßnahmen vor. Schäden sollten zum einen dadurch wiedergutgemacht werden, dass durch die Tat verletzten Opfern ärztliche Behandlungen im Rahmen der bereits bestehenden medizinischen Infrastruktur der Region ermöglicht würden,310 zum anderen durch sozio-ökonomische Entschädigungsmaßnahmen wie dem Bereitstellen von landwirtschaftlichen Produktionsmitteln wie Werkzeugen und Gerätschaften, teilweise auch durch Zurverfügungstellung von Grundlagen für die Viehzucht311 sowie Berufsausbildungen312 und durch die Gründung von sog. Village Savings and Loan Associations (VSLAs), lokalen Mikrokreditfinanzierungsgesellschaften313. Die neu gegründete Verfahrenskammer II in ihrer Rolle als Implementierungskammer314 kritisierte in ihrer Anordnung vom 9. Februar 2016 lediglich den Grad der Detailliertheit, nicht jedoch die Arten der vorgeschlagenen Maßnahmen. Dazu erklärte die Kammer:

306 So auch klarstellend die Verfahrenskammer Al Mahdi, IStGH, Al Mahdi, Entschädigungsanordnung, Rn. 46. 307 Die Verfahrenskammer in Al Mahdi führte dazu aus: „Reparations can also be symbolic in character. Symbolic reparations may be particularly appropriate to repair harm caused to a community“, IStGH, Al Mahdi, Entschädigungsanordnung, Rn. 49. 308 IStGH, Lubanga, Berufungsentscheidung, Rn. 34. Allgemein zu den Inhalten der verschiedenen Reparationsarten sowie deren Zweck, siehe oben. 309 IStGH, Katanga, Entschädigungsanordnung, Rn. 296. 310 TFV, Annex A Draft Implementation Plan v. 03. 11. 2015, Rn. 157 – 159. 311 TFV, Annex A Draft Implementation Plan v. 03. 11. 2015, Rn. 161. 312 TFV, Annex A Draft Implementation Plan v. 03. 11. 2015, Rn. 167 – 169. 313 TFV, Annex A Draft Implementation Plan v. 03. 11. 2015, Rn. 162 – 166. 314 Wie in der Entschädigungsanordnung bestimmt, siehe IStGH, Lubanga, Entschädigungsanordnung, Rn. 260 – 262, 267, 286, 289 und von der Berufungskammer bestätigt, IStGH, Lubanga, Berufungsentscheidung, Rn. 232 – 236.

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IV. Gerichtliche Reparationen nach Art. 75 Abs. 2 IStGH-Statut

„The Chamber generally considers that the TFV’s proposals are in line with the modalities of reparations ordered by the Appeals Chamber. The Chamber is of the view, however, that the TFV has presented only a summary description of the prospective programmes and how they will be developed and managed. This information is insufficient for the Chamber to approve the implementation of the Proposed Plan.“315

In Katanga legte die Verfahrenskammer fest, dass die angeordneten kollektiven Reparationen die vier Punkte Unterstützung bei Wohnmöglichkeiten, Unterstützung bei Einkommen, Bildung und Psychologische Unterstützung adressieren sollten.316 In der Entscheidung Al Mahdi befand die Kammer kollektive Maßnahmen für angemessen, die die Gemeinschaft Timbuktus rehabilitieren und den entstandenen wirtschaftlichen Schaden adressieren sollten.317 Der TFV sah dementsprechend in seinem Draft Implementation Plan ebensolche Maßnahmen vor.318 bb) Diskussion Obschon zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht viele Reparationsprogramme konkretisiert319 wurden, zeichnet sich ein Bild von sehr breit angelegten Maßnahmen. Die Kammern – aber auch die Parteien – zeigten bisher kein zurückhaltendes Verständnis der Reparationsarten. Rechtlich ist das nicht zu beanstanden; die angeordneten Maßnahmen können unter die Reparationsarten subsumiert werden, die dem IStGH von den Vertragsstaaten als Möglichkeiten zur Verfügung gestellt wurden. Grundsätzlich ist es gut und richtig, Maßnahmen unterschiedlicher Methoden zu streuen, auch mit dem Ziel der horizontalen Versöhnung. Die Tatsache, dass sich die Maßnahmen häufig mit der Rehabilitation und zu großen Teilen mit der Versöhnung der lokalen Gesellschaft beschäftigen sollten, ist hier auffällig. Insbesondere wenn die Schwerpunkte bei den kommenden Verfahren vor dem IStGH auch auf diese Reparationsarten gesetzt werden, könnte nach vollständiger Implementierung in einer Evaluation gefragt werden 1. wie erfolgreich die gesellschaftliche Versöhnung und die Rehabilitation durch gerichtliche Reparationen tatsächlich waren und 2. ob unter diesen Voraussetzungen ein breit angelegtes und umfassendes Programm für Reparationsanordnungen des IStGH tatsächlich angemessen ist. 315

IStGH, Lubanga, Verfahrenskammer II, Anordnung v. 09. 02. 2016, Rn. 20. IStGH, Katanga, Entschädigungsanordnung, Rn. 304. 317 IStGH, Al Mahdi, Entschädigungsanordnung, Rn. 83. 318 TFV, Public redacted version of „Corrected version of Draft Implementation Plan for Reparations, With public redacted Annex I, 20 April 2018, ICC-01/12-01/15-265-Conf“ v. 30. 04. 2018, ICC-01/12-01/15-265-Conf-Corr+Corr-Anx, Rn. 240 ff. 319 Die Reparationsmaßnahmen für die Opfer Lubangas sind noch nicht abschließend festgelegt. 316

1. Anspruchsvoraussetzungen und -inhalt von Art. 75 Abs. 2 IStGH-Statut

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Auf dieser Grundlage könnte eine aussagekräftigere Feststellung dazu getroffen werden, wie sinnvoll der weite Spielraum des IStGH hinsichtlich der Wahl der Reparationsarten wirklich ist.

h) Feststellung des Schadens- und Haftungsumfangs Die wohl umstrittensten Komplexe des Rechts der Reparationen am IStGH betreffen zum einen die Frage, wer die konkret berechtigten Reparationsgläubiger sind und dabei insbesondere, wie und durch wen diese Gruppe festgelegt wird. Zum anderen, wie der konkrete Umfang der Verpflichtung des Reparationsschuldners bestimmt wird. Obwohl es sich um selbstständige Rechtsfragen handelt, sollen beide Punkte aufgrund ihres inneren Konnexes hier im Sachzusammenhang dargestellt werden. Verbindendes Element ist die Tatsache, dass das Verhältnis zwischen den Kammern des Strafgerichtshof einerseits, und dem TFV als Verwaltungsbehörde des Gerichtshofes andererseits noch nicht klar konturiert ist. Daher entbrannnte in den ersten, hier besprochenen Reparationsentscheidungen ein erbitterter Abgrenzungskonflikt zwischen den Kompetenzen der Kammern und den Kompetenzen des TFV. Ausgehend von einem unterschiedlichen Verständnis des Rechts der Reparationen am IStGH wurde der Kompetenzkampf anhand verschiedener Rechtsfragen ausgetragen, die hier dargestellt werden sollen. Zunächst soll die Frage zur Entschädigungsberechtigung einzelner Opfer besprochen werden, im Anschluss daran die Frage bezüglich des Haftungsumfangs des Reparationsschuldners. aa) Individuelle Feststellung der Entschädigungsberechtigung Fraglich ist, ob die individuelle Entschädigungsberechtigung der einzelnen Opfer jeweils in einem gerichtlichen Verfahren festgestellt werden muss. Das Statut und auch die Regularien des IStGH treffen dazu keine Aussage. Vor dem Hintergrund des grundsätzlichen Antragserfordernisses der Regel 94 RPE320 und der besonderen zivilrechtlichen Rechtsnatur des Reparationsanspruches als Kriegsdelikt321 drängt sich grundsätzlich das Erfordernis einer Feststellung der individuellen Entschädigungsberechtigung auf. Es ist am Gerichtshof dennoch umstritten, ob individuelle Prüfungen und Feststellungen notwendig sind und wenn ja, auf welcher Ebene und in welcher Prüfungstiefe sie zu erfolgen haben. Es überrascht nicht, dass wieder einmal die unterschiedliche Konzeptualisierung des Reparationsanspruchs am IStGH zu grund320

Welches durch die Entscheidung der Berufungskammer im Juli 2019 allerdings empfindlich aufgeweicht wurde, siehe IStGH, Lubanga, Berufungsentscheidung über den Umfang der Reparationen, für die Lubanga verantwortlich ist, Key Findings, S. 5. 321 Siehe dazu ausführlich oben in Kapitel III. 5.

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legend unterschiedlichen Verständnissen und damit zu Unsicherheiten für alle Beteiligten geführt hat. Sichtbar wurden mindestens zwei grundverschiedene Denkweisen: Auf der einen Seite die eher zivilrechtliche Sichtweise der Verfahrenskammer II, die als Implementierungskammer im Fall Lubanga und als Verfahrenskammer in Katanga entschied. Auf der anderen Seite das Verständnis des TFV, das auf Grundsätzen der Staatenverantwortlichkeit basiert. Die Auffassung des TFVerklärt sich wohl aus Gründen des Opferschutzes, aber auch damit, dass er sich selbst ein möglichst selbstständiges Agieren ermöglichen wollte. Die Verfahrenskammer in Al Mahdi und die Berufungskammer in Katanga und Al Mahdi teilten das pauschalere Verständnis des TFV; allerdings nicht aus dogmatischen Erwägungen heraus, sondern aus Gründen der Praktikabilität und zur Sicherstellung eines zügigen Verfahrens. In ihrer Entscheidung aus dem Juli 2019 schloss sich die Berufungskammer in Lubanga dieser großzügigeren Sichtweise an.322 Spätestens mit dieser letzten Entscheidung der Berufungskammer liegt der Schluss nahe, dass sich die Abkehr vom zivilrechtlich geprägten Verständnis am IStGH verstetigen wird.Bei der Lektüre der bisher ergangenen Reparationsentscheidungen ergibt sich somit ein völlig uneinheitliches Bild am IStGH, das es zu entwirren gilt. bb) Individuelle Feststellung der Eligibility in den drei Entscheidungen (1) Lubanga Im Lubanga-Verfahren tauchte die Debatte um die konkrete Schadensfeststellung der jeweiligen Opfer – die anders als in der Reparationsanordnung zu Katanga nicht bereits in der Verfahrensstage erfolgte – in der Implementierungsphase auf. Die Verfahrenskammer I war in ihrer Reparationsentscheidung dem Vorschlag des TFV323 gefolgt und hatte es für zulässig gehalten, die Feststellung bzw. Identifizierung der Schäden von direkten und indirekten Opfern auf den TFV zu delegieren.324 Der TFV hatte vorgeschlagen, diese Identifikation der Schäden in der Kon322

IStGH, Lubanga, Berufungsentscheidung über den Umfang der Reparationen, für die Lubanga verantwortlich ist, Key Findings, S. 5. 323 TFV, Observations on Reparations in Response to the Scheduling Order of 14 March 2012, 25. 04. 2012, Rn. 202 – 206. 324 IStGH, Lubanga, Entschädigungsanordnung, Rn. 282 f. Sicherlich ist in diesem Zusammenhang zu berücksichtigen, dass der Fall von Thomas Lubanga Dylo besonders schwierige Umstände hatte: Die Situation in der Demokratischen Republik Kongo und die Verbrechen des Herrn Lubanga sind extrem komplex, der zu beurteilende Zeitraum ist mit einem ganzen Jahr sehr lang, zudem ist bereits viel Zeit vergangen. Dies erschwert die konkrete Feststellung der in dem Reparationsverfahren berechtigten Opfer Lubangas erheblich. In Katanga war die Situation für solche Feststellungen einfacher, abgeurteilt wurde ein Angriff, geografisch eingegrenzt auf das Dorf Bogoro.Vermutlich aus Zeit- und Praktikabilitätsgründen hat sich die Verfahrenskammer darauf beschränkt, die konkrete Identifizierung der berechtigten Opfer dem TFV zu überlassen und lediglich auf einige Charakteristika von Opfergruppen hinzuweisen, um die Feststellung durch den TFV zu ermöglichen.

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sultationsphase des TFV nach Nr. 55 der GeschOTFV vorzunehmen. Anders als die Berufungskammer sprachen der TFV und die Verfahrenskammer I in diesem Zusammenhang von dem „assessment of harm“; sie unterschieden dabei nicht zwischen der Identifizierung der Schäden der individuellen Opfer einerseits und der Bestimmung des konkreten Inhalts und Umfangs der Schäden andererseits.325 Dieser gesamte Komplex sollte nach Ansicht von TFV und Verfahrenskammer I in der Umsetzungsphase durch den TFV erfolgen. Diese vollumfängliche Delegation der Schadensfeststellung auf den TFV änderte die Berufungskammer in Lubanga326 mit dem Hinweis ab, dass sie gegen die Rechte des Verurteilten und der Opfer verstoße.327 Dabei stellte die Kammer zunächst grundlegend fest,328 dass unterschieden werden müsse zwischen der Feststellung des Schadens der direkten und indirekten Opfer.329 Diese Feststellung müsse durch die Verfahrenskammer geschehen und in der Order for Reparations festgeschrieben werden.330 Ohne diesen Inhalt würden weder die Opfer noch der Verurteilte ausreichend über die Reparationsentscheidung des Gerichtshofes informiert, um die Anordnung des Gerichtshofes nach Art. 82 Abs. 4 IStGH-Statut durch das Rechtmittel der Berufung angreifen zu können, was eine Verletzung der Rechte der beiden genannten Parteien wäre.331 In einem weiteren Schritt sollte aus Sicht der Berufungskammer in Lubanga im Jahr 2015 sodann das Ausmaß der Schädigung beurteilt werden, um einschätzen zu können, welche Art und welcher Umfang an Wiedergutmachung angemessen ist.332 Dieser zweite Schritt könne aber auf den TFV übertragen werden. Die Berufungskammer argumentierte hier mit Regel 97 Abs. 2 der RPE,333 die besagt, dass eine Verfahrenskammer zwei Optionen hat bei der Beurteilung des Ausmaßes des Schadens: Entweder stellt die Verfahrenskammer selbst den Umfang und das Aus325 IStGH, Lubanga, Entschädigungsanordnung, Rn. 283; TFV, Observations on Reparations in Response to the Scheduling Order of 14 March 2012, 25. 04. 2012, Rn. 202 – 206. 326 in der Zusammensetzung März 2015. 327 IStGH, Lubanga, Berufungsentscheidung, Rn. 184. 328 Bei der Feststellung soll auch die Entscheidung zum Strafmaß einbezogen werden, da nach Regel 145 Abs. 1 RPE zwingend auch der Faktor „extent of the damage caused, an in particular the harm caused to the victims and their families“ bei der Bestimmung des Strafmaßes ist; siehe auch IStGH, Lubanga, Berufungsentscheidung, Rn. 187. 329 IStGH, Lubanga, Berufungsentscheidung, Rn. 181. 330 IStGH, Lubanga, Berufungsentscheidung, Rn. 181. Dementsprechend stellt die Berufungskammer als notwendiges viertes Kriterium auf: „it must define the harm caused to direct and indirect victims as a result of the crimes for which the person was convicted, as well as identify the modalities of reparations that the Trial Chamber considers appropriate based on the circumstances of the specific case before it“. 331 IStGH, Lubanga, Berufungsentscheidung, Rn. 181. 332 IStGH, Lubanga, Berufungsentscheidung, Rn. 181. 333 Wonach eine Verfahrenskammer „may appoint experts to assist it in determining the scope, extent of any damage, loss and injury to, or in respect of victims“ und nach der GeschOTFV diese Beurteilung stattdessen in der Implementierungsphase ausgeführt werden kann.

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maß der Schäden, Verluste und Verletzungen von Opfern oder in Bezug auf die Opfer selbst in der Order for Reparations fest.334 Alternativ dazu kann die Verfahrenskammer die Schäden der Opfer aber auch ohne weitere Erläuterungen feststellen und lediglich Kriterien bestimmen, nach denen der TFV im Nachgang den konkreten Ausmaß der Schäden ermitteln und darauf aufbauend die dem Schadensumfang angemessene Größe und Art von Wiedergutmachungsleistungen in seinen Draft Implementation Plan aufnehmen muss.335 Dementsprechend stellte die Berufungskammer in Lubanga im Jahr 2015 fünf notwendige Kriterien auf, die eine Reparationsanordnung ihrer Meinung nach enthalten müsse und schrieb fest, dass die Auswahlprüfung der berechtigten Opfer allerdings bereits in der Reparationsanordnung enthalten sein müsse:336 „it must identify the victims eligible to benefit from the awards for reparations or set out the criteria of eligibility based on the link between the harm suffered by the victims and the crimes for which the person was convicted“.

Mit dieser Festlegung entschied die Kammer auch, dass die individuelle Berechtigungsprüfung eine gerichtliche Entscheidung ist.337 Trotz dieser Feststellungen hielt sich die Berufungskammer jedoch nicht an ihre eigens aufgestellten Anforderungen an eine Reparationsanordnung. Wie schon die Verfahrenskammer stellte auch die Berufungskammer die einzelnen berechtigten Opfer nicht fest, sondern verschob diese Aufgabe auf die Implementierungsphase und übertrug sie dem TFV;338 ein Umstand, der im Rahmen der Implementierungsphase in Lubanga noch für regen Schriftwechsel zwischen dem TFV und der Implementierungskammer sorgte.339 Erst Ende 2017, am 21. Dezember, prüfte die Kammer im Rahmen der Reparationsstage die 473 eingegangenen Victim Dossiers einzeln und befand davon 425 direkte und indirekte Opfer als reparationsberechtigt.340 Die Kammer gestand jedoch zu, dass neben diesen einzeln festgestellten Geschädigten noch darüber hinaus eine große Zahl junger Menschen Opfer von Lubangas Taten wurde.341 Je nach Art der Berechnung waren aus Sicht der Kammer Zahlen von zwischen 2.451 und 5.938 zusätzlichen Opfern möglich.342 Die Berufungskammer bestätigte in ihrer 334

IStGH, Lubanga, Berufungsentscheidung, Rn. 183. IStGH, Lubanga, Berufungsentscheidung, Rn. 183. 336 IStGH, Lubanga, Berufungsentscheidung, Rn. 205 ff. 337 Demnach wären die Urteile nach den eigenen Anforderungen der Berufungskammer in Lubanga als unvollständig zu qualifizieren. 338 In Bezug auf die Entscheidung der Verfahrenskammer ausdrücklich IStGH, Lubanga, Berufungsentscheidung, Rn. 205. 339 Siehe dazu unten IV. 1. h) bb) (1). 340 IStGH, Lubanga, Corrected version of the „Decision Setting the Size of the Reparations Award for which Thomas Lubanga Dyilo is Liable“, Rn. 190. 341 Die Kammer stellte Berechnungen an (Rn. 229 und Annex III). 342 IStGH, Lubanga, Corrected version of the „Decision Setting the Size of the Reparations Award for which Thomas Lubanga Dyilo is Liable“, Rn. 230. 335

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Entscheidung aus dem Juli 2019 den von der Verfahrenskammer II festgelegten Umfang der Verantwortlichkeit in Höhe von 10.000.000 USD für die 425 Opfer, die sie als Berechtigte angesehen hatte sowie für „any other victims who may be identified“.343 Die Kammer änderte die Entscheidung der Verfahrenskammer II aber dahingehend ab, dass „[…] the victims whom Trial Chamber II found ineligible to receive reparations, and who consider that their failure to sufficiently substantiate their allegations, including by supporting documentation, resulted from insufficient notice of the requirements for eligibility, may seek a new assessment of their eligibility by the Trust Fund for Victims, together with other victims who may come forward in the course of the implementation stage and as envisaged by Trial Chamber II in paragraphs 292 – 297 and the disposition of the aforementioned decision; any recommendations as to eligibility made by the Trust Fund for Victims shall be subject to the approval of Trial Chamber II.“344

In der Entscheidung beschäftigte sich die Berufungskammer also primär mit der Frage, ob eine individuelle Feststellung der Opfer erforderlich ist für die Festlegung des vom Verurteilten zu verantwortenden Schadensumfangs und hingegen nicht ausdrücklich damit, ob eine individuelle Feststellung der Opferberechtigung grundsätzlich immer notwendig ist. Da die Berufungskammer jedoch in ihrer Entscheidung zu Katanga eine zwingend individuelle Feststellung der Opferberechtigung für nicht notwendig erachtete (s. u.),345 war eine ausdrückliche Befassung an dieser Stelle auch nicht notwendig. (2) Katanga Die Auffassung der Berufungskammer in Lubanga im Jahr 2015, dass eine Entschädigungsanordnung auch die individuelle Feststellung der konkreten Schäden enthalten müsse, teilte die Verfahrenskammer II in Katanga.346 Da es der Kammer nicht selbst möglich war, konkrete Aussagen zu den Schäden zu treffen, die auf Taten beruhten, für die Germain Katanga verurteilt worden war, wies die zuständige Verfahrenskammer II die Kanzlei an, die Opfer zu kontaktieren und Informationen zu den Schäden, der zugrundeliegenden Handlung des Täters und den angestrebten Reparationsmodi zusammenzutragen.347 In ihrer Reparationsanordnung prüfte die 343

IStGH, Lubanga, Berufungsentscheidung über den Umfang der Reparationen, für die Lubanga verantwortlich ist, Rn. 7. 344 IStGH, Lubanga, Berufungsentscheidung über den Umfang der Reparationen, für die Lubanga verantwortlich ist, S. 4. 345 Zwar nicht in personengleicher Zusammensetzung, personelle Kontinuität gab es nur bei den Richtern Howard Morrison (Richter in der Berufungsentscheidung Juli 2019 Lubanga und Vorsitzender Richter in der Berufungsentscheidung Katanga) und Piotr Hofman´ski (Richter in der Berufungskammer Katanga, Vorsitzender Richter in der Berufungsentscheidung Juli 2019 Lubanga). 346 IStGH, Katanga, Entschädigungsanordnung, Rn. 64 ff. 347 IStGH, Lubanga, Verfahrenskammer II, Order instructing the Registry to report on applications for reparations, ICC-01/04-01/07, 27. 08. 2014, Rn. 7 – 11.

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Verfahrenskammer II sodann die einzelnen beantragen Schäden auf ihre Ersatzfähigkeit und beschied sie.348 Diese Vorgehensweise beanstandete die Berufungskammer in Katanga mit der Begründung, es sei nicht „appropriate“ und würde zu unnötigen Verlängerungen im Reparationsprozess führen.349 Nach ihrer Ansicht könne es aber in Einzelfällen vertretbar sein, die individuelle Opferberechtigung festzustellen, etwa dann, wenn nur eine besonders kleine Anzahl an Opfern in Frage stehe, denen individuelle oder personalisierte Reparationen zugesprochen werden sollen.350 (3) Al Mahdi Die Verfahrenskammer in Al Mahdi prüfte die Anträge der Opfer zwar im Hinblick auf das Vorliegen des eingetretenen „harm“, vertrat jedoch die Auffassung, dass die jeweilige Feststellung der individuellen Opfereigenschaft auf Verfahrenseben nicht notwendig sei351 und übertrug diese Aufgabe auf den TFV – mit dem Hinweis, welche Personengruppen aus Sicht der Kammer individuelle Reparationen bekommen sollten352 – und stellte daneben einige Grundsätze für den Screening Process353 auf. Die Berufungskammer korrigierte diese Entscheidung nicht, sondern stellte fest, es liege durchaus im Ermessen der Verfahrenskammer, den administrativen Screening Process auf z. B. den TFV zu übertragen.354 Dieses Ermessen bestünde jedenfalls dann, wenn dem TFV nicht – wie von Opfervertretern kritisiert – eine quasi-legislative Macht355 eingeräumt, sondern nur in limitiertem Umfang die Aufgabe einer administrativen Prüfung der 139 bereits eingegangenen – und gegebenenfalls noch weiterer – Anträge übermittelt werde.356 Dabei müsse heraus- und sichergestellt sein, dass es sich weiterhin um ein gerichtliches Verfahren handelt, mit der Kammer als Herrin des Verfahrens, die die Vorschläge des TFV überprüfen und abändern kann.357 Individuelle Geschädigte, die nicht berücksichtigt werden, sollten nämlich gegen die Entscheidung vor der Verfahrenskammer vorgehen dürfen.358 Daraus ist aber ersichtlich, dass dies nicht für Gläubiger kollektiver Reparationen gelten soll. 348

IStGH, Katanga, Entschädigungsanordnung, Rn. 64 ff.; Annex II zu der Entscheidung. IStGH, Katanga, Berufungsentscheidung, Rn. 1. 350 IStGH, Katanga, Berufungsentscheidung, Rn. 3. Aus welchem Grund – außer Praktikabilitätserwägugnen – die Kammer diese Aussage macht, bleibt unklar. Rechtlich ist die Unterscheidung nicht nachvollziehbar. 351 IStGH, Al Mahdi, Entschädigungsanordnung, Rn. 59. 352 IStGH, Al Mahdi, Entschädigungsanordnung, Rn. 145. 353 IStGH, Al Mahdi, Entschädigungsanordnung, Rn. 146. 354 IStGH, Al Mahdi, Berufungsentscheidung, Rn. 1. 355 IStGH, Al Mahdi, LRV’s Appeal Brief, Rn. 38. 356 IStGH, Al Mahdi, Berufungsentscheidung, Rn. 57, 59. 357 IStGH, Al Mahdi, Berufungsentscheidung, Rn. 66, 69. 358 IStGH, Al Mahdi, Berufungsentscheidung, Rn. 98. 349

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Um die Rechte des Verurteilten zu wahren, soll er sich zu den Feststellungen der Opfereigenschaft äußern dürfen. Der Reparationsschuldner soll „(…) be afforded an opportunity to present informed views and concerns regarding the individuals claiming from him“, nicht jedoch volle Verfahrensrechte haben.359 Grund dafür ist, dass die Berufungskammer die Auffassung vertrat, dass die Feststellung der Anspruchsberechtigung der Opfer den Haftungsumfang des Reparationsschuldners nicht berühre.360 (4) Diskussion Die Kammern taten sich zu recht schwer mit der Frage, wie konkret die einzelnen Schäden und die einzelne Gläubigerberechtigung festgestellt werden müssen. Der Reparationsanspruch am IStGH – mit seiner Rechtsnatur als internationaler zivilrechtlicher Anspruch – erfordert an sich eine individuelle Feststellung der Gläubigerberechtigung in einem gerichtlichen Verfahren. Da der Reparationsschuldner als Individuum für die festgestellten Schäden der Opfer haftet, muss die Feststellung der Gläubigerberechtigung durch ein Gericht erfolgen und für den verurteilten Täter auch nachvollziehbar und mit Rechtsmitteln angreifbar sein. Dagegen kann verständlicherweise angebracht werden, dass die Geschädigten ein Interesse an einem raschen Verfahren und auch einen Anspruch darauf haben. Hier könnte der Gerichtshof allerdings auch andere Maßnahmen ergreifen, z. B. die Kanzlei mit weiterem Personal ausstatten, so dass eine gute Aufarbeitung der Opfer und ihrer Schäden ermöglicht wird, die durch die Kammern dann rasch beschieden werden kann. Aber selbst bei guter Vorbereitung bleibt nicht von der Hand zu weisen, dass die Bescheidung einer Vielzahl von Ansprüchen zeitintensiv ist. Dieser Aspekt sollte jedoch nicht dazu führen, dass der Gerichtshof durch das Bilden von Pauschalen womöglich zulasten der Rechte des Reparationsschuldners dogmatisch unsauber und somit für seine Kritiker angreifbarer wird. Bedauernswerter Weise entwickelt sich die Rechtsprechung des IStGH jedoch gerade in Hinsicht auf diese Frage in die pauschalere Richtung. cc) Berechtigungsprüfung abhängig von den Reparationsmodi? Die Frage der Berechtigungsprüfung tauchte noch an weiteren Stellen auf. Fraglich ist nämlich, ob das Erfordernis einer individuellen Berechtigungsprüfung davon abhängen kann, welche Reparationsmodi angeordnet werden, kollektive oder individuelle. Auch zu dieser Möglichkeit schweigen Statut und Regularien des IStGH.

359

IStGH, Al Mahdi, Entschädigungsanordnung, Rn. 146, (iv). IStGH, Al Mahdi, Entschädigungsanordnung, Rn. 146, (v); IStGH, Al Mahdi, Berufungsentscheidung, Rn. 54 ff. 360

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(1) Lubanga Die Diskussion der Frage kam im und nach dem Lubanga-Berufungsverfahren aus dem Jahr 2015 aufgrund des von der Verfahrenskammer teilweise übernommenen „commmunity-based approach“ für kollektive Reparationen auf. Im Rahmen der Feststellung angemessener Maßnahmen enthielt das Urteil den Satz: „The Court should assess whether it is appropriate to provide compensation for any of the detrimental consequences of child recruitment for the individuals directly affected, along with their families and communities“.361

Mithin bezog die Kammer unter anderem die „communities“, also die Gemeinden und Gemeinschaften von direkten Opfern Lubangas mit ein. Hiergegen brachte der Verurteilte in seiner Berufungsbegründung vor, die Kammer vermische damit das Konzept von kollektiven Reparationen und solchen auf Ebene einer Gemeinde und ginge mit der Einbeziehung der Gemeinden über die von Art. 75 IStGH-Statut vorgesehenen Reparationsmodi hinaus.362 Es gebe keine „Gemeinde-Reparationen“, sondern nur kollektive und individuelle. Denn auch im Rahmen von kollektiven Reparationen müsse eine konkrete Berechtigung jedes einzelnen, von den kollektiv angeordneten Reparationen profitierenden Opfers nach Regel 85 RPE festgestellt werden. Dies folge daraus, dass sowohl für individuelle als auch für kollektive Reparationen das Erfordernis der Kausalität zwischen verurteilter Tat und Schädigung besteht.363 Der TFV sowie die Vertreter der Opferinteressen argumentierten hingegen, eine individuelle Feststellung der berechtigten Opfer sei generell nur dann von Nöten, wenn die Kammer individuelle Reparationen anordnet.364 Die Einbeziehung von „broader communities“ sei der einzige Weg, wie Entschädigungen in Fällen von Massenkriminalität bedeutsam Wirkung entfalten können.365 Dies sei schließlich der Hintergrund von kollektiven Reparationen und somit deren Sinn und Zweck. Zudem seien die Rechte des Angeklagten nicht verletzt, da er lediglich die Kosten für Entschädigungsleistungen für diejenigen Opfer tragen solle, die unter den Opferbegriff der Regel 85 RPE fallen.366 Darüber hinaus missverstehe die Verteidigung den Begriff der „communities“.367 361

IStGH, Lubanga, Entschädigungsanordnung, Rn. 231. Mr Lubanga’s Document in Support of the Appeal A3, Rn. 138 – 152. 363 Mr Lubanga’s Document in Support of the Appeal A3, Rn. 142 – 145. 364 Legal Representatives of Victims V01’s Response to Mr Lubanga’s Document in Support of the Appeal A3, Rn. 66. 365 TFV, Observations of the Trust Fund for Victims on the appeals against Trial Chamber I’s „Decision establishing the principles and procedures to be applied to reparations“, 08. April 2013, Rn. 171. 366 TFV, TFV, Observations of the Trust Fund for Victims on the appeals against Trial Chamber I’s „Decision establishing the principles and procedures to be applied to reparations“, 08. April 2013, Rn. 172. Wie genau die Kosten dann unterteilt werden sollen und wer die Kosten 362

1. Anspruchsvoraussetzungen und -inhalt von Art. 75 Abs. 2 IStGH-Statut

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Der letzten Erwägung schloss sich die Berufungskammer an und führte dazu aus, „communities“ heiße nicht zwingend „Gemeinden“, sondern auch „Gemeinschaft“, und meine damit lediglich eine Gruppe von Menschen, die besondere Charakteristika gemein haben, wie die gemeinsame Opfereigenschaft.368 Daher sei aus dem „community based approach“ nicht zu schließen, dass der berechtigten Gemeinschaft auch Menschen angehören würden, die rechtlich nicht als Opfer im Sinne der Regel 85 RPE zu qualifizieren sind. Die Berufungskammer stellte somit klar, dass die Nennung von „communities“ als Reparationsberechtigte nicht so zu verstehen ist, dass eine einzelne Feststellung der Berechtigung ausbleiben kann. Vielmehr kann nach Feststellung der Berechtigung der einzelnen Opfer nach Regel 85 lit. a) RPE, Nr. 46 der GeschOTFV der Schluss möglich sein, dass eine Opfergemeinschaft reparationsberechtigt ist und somit auf dieser Basis Maßnahmen implementiert werden können.369 Eine Ausnahme von der individuellen Feststellung der persönlichen Berechtigung erlaubte die Verfahrenskammer II als Implementierungskammer in Lubanga für rein symbolische Reparationsmaßnahmen, wie die Errichtung eines Denkmals oder einer Statue für die Kindersoldaten, die unter den Taten Lubangas gelitten hatten.370 Hier sollte durch den TFV geprüft werden, ob so eine Maßnahme zeitnah umgesetzt werden könnte. Die Unterscheidung zwischen den Reparationsmaßnahmen erschließt sich nicht. Auch symbolische Maßnahmen, die Versöhnung und Nichtwiederholung zum Ziel haben,371 müssen finanziert werden. Solange sie nicht von dem TFV unter dem General Assistance-Mandat umgesetzt werden, fallen die Kosten auch dieser Maßnahmen im Ergebnis dem Verurteilten zur Last. Rechtliche Aspekte, die eine Andersbehandlung dieser Maßnahmen rechtfertigen, sind nicht ersichtlich. Vielmehr scheint dies ein politisch motivierte Taktik der Verfahrenskammer II gewesen zu sein, die damit darüber hinweghelfen wollte, dass sie sich völlig zu Recht dem Prinzip der „Wiedergutmachung mit der Gießkanne“ verwehrt, das mit einem zivilrechtlichen Wiedergutmachungsanspruch nicht viel gemein hat. (2) Katanga In Katanga machte die Kammer die individuelle Feststellung der Gläubigereigenschaft nicht von den Anordnungsmodi abhängig. für Maßnahmen für nicht unter den Opferbegriff fallende Geschädigte übernehmen soll, ließ der TFV allerdings offen. 367 OPCV and Legal Representatives of Victims V02’s Joint Response to Mr Lubanga’s Document in Support of the Appeal A3, Rn. 108 – 111. 368 IStGH, Lubanga, Berufungsentscheidung, Rn. 211. Zu der Frage, inwieweit eine Gemeinschaft Berechtigte von kollektiven Reparationen sein kann, siehe oben unter III. 5. d). 369 IStGH, Lubanga, Berufungsentscheidung, Rn. 214. 370 IStGH, Lubanga, Verfahrenskammer II, Request Concerning the Feasibility of Applying Symbolic Collective Reparations, Ersuchen v. 15. 07. 2016, Rn. 11. 371 IStGH, Lubanga, Verfahrenskammer II, Request Concerning the Feasibility of Applying Symbolic Collective Reparations, Ersuchen v. 15. 07.2016, Rn. 11.

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(3) Al Mahdi In Al Mahdi wurde erörtert, ob – wie vom TFV in Lubanga vertreten – eine individuelle Feststellung der Opfereigenschaft nur bei individuellen Reparationen erfolgen muss.372 Ausdrücklich hatte die Kammer dem TFV einen gerichtlich überprüfbaren Screening Process nämlich nur bei individuellen Reparationen aufgetragen.373 Die Berufungskammer in Al Mahdi bejahte dies, indem sie die Entscheidung, dass eine individuelle Berechtigungsprüfung nur bei denjenigen Reparationsgläubigern zu erfolgen habe, die individuelle Reparationen erhalten sollten, aufrechterhielt: „The Appeals Chamber has found that the Trial Chamber should maintain judicial control over the entire reparations proceedings, including the screening process that will be undertaken by the TFV. Applicants for individual reparations should be able to contest before the Trial Chamber the decision taken by the TFV on their eligibility for individual reparations, and it is for the Trial Chamber to make the final determination in this respect. The Trial Chamber may also review the assessment by the TFV proprio motu. The Impugned Decision is amended to this extent.“374

(4) Diskussion Grundsätzlich sollte es keinen Unterschied machen, ob individuelle oder kollektive Reparationen angeordnet werden. Wenn der individuelle Täter für die Kosten der Maßnahmen aufkommen soll, kann er an sich nur mit den Kosten für die Entschädigung der Opfer belastet werden, wenn die Entschädigungsberechtigung des Einzelnen feststeht. Es ist jedoch richtig, dass es gerade bei kollektiven Reparationen schwierig sein wird zu garantieren, dass ausschließlich Entschädigungsberechtigte davon profitieren. Wird beispielsweise physische oder psychische Betreuung angeboten, so kann der Zugang theoretisch nur für gerichtlich anerkannte Opfer erlaubt werden. Schon bei dem Bau eines Krankenhauses oder einer Schule wird die Regelung des Zugangs aber schwieriger. Umso mehr, als bei der Entschädigungsberechtigung die Selektion der Anklagepunkte und auch die Anforderungen an den Beweisgrad durchschlagen, was wiederum zu starken Ungleichbehandlungen führen kann.375 Diese von den Opfern wahrgenommenen Ungleichheiten können schließlich den Grundsatz des „Do No Harm“ verletzen. Durch Abwägung der rechtsstaatlichen Interessen des verurteilten Täters mit dem Grundsatz des „Do No Harm“ zugunsten der Opfer muss erneut ein Ausgleich gefunden werden. Möglicherweise könnte völlig außerhalb jeder dogmatischen Begründung eine Regelung angenommen werden, nach der bei kollektiven Maßnahmen eine Partizipation von bis zu 10 % nicht 372 Legal Representatives of Victims V01’s Response to Mr Lubanga’s Document in Support of the Appeal A3, Rn. 66. 373 IStGH, Al Mahdi, Berufungsentscheidung, Rn. 144. 374 IStGH, Al Mahdi, Berufungsentscheidung, Rn. 98; Hervorhebung durch die Autorin. 375 Siehe dazu oben unter IV. 1. b) bb).

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gerichtlich festgestellter Reparationsberechtigter noch hingenommen werden kann. Sollten mehr als 10 % der Profiteure der Maßnahme nicht durch den Gerichtshof anerkannt worden sein, müsste der TFV die Maßnahme im Rahmen seines General Assistance-Mandats mitfinanzieren. Letztendlich ist diese Debatte aber auch davon abhängig, wie der Haftungsumfang des Reparationsschuldners festgelegt wird.

i) Haftungsumfang des Reparationsschuldners aa) Konkrete Schadensfeststellung – die summierte Verantwortlichkeit für einzelne Schäden? Fraglich ist, nach welchen Kriterien die konkrete Höhe der Gesamtverantwortlichkeit des Reparationsschuldners festgelegt werden soll. Umstritten ist, ob die Verantwortlichkeit durch eine Summierung aller zuvor individuell festgestellten Schäden der einzeln festgestellten Geschädigten errechnet werden muss oder durch Schätzung festgelegt werden kann. Das Statut und die RPE treffen dazu keine Aussagen, sondern schreiben nur den allgemeinen Grundsatz fest, dass der Gerichtshof den Umfang und das Ausmaß des Schadens, Verlustes oder Nachteils festzustellen hat, der den Opfern oder in Bezug auf die Opfer entstanden ist, Art. 75 Abs. 1 S. 2 IStGH-Statut. Somit fällt es wieder in den Zuständigkeitsbereich der Kammern, diesen Punkt zu konkretisieren. Auch in diesem Punkt sind die Urteile nicht einheitlich ergangen; die Verfahrenskammer in Katanga ging den zivilrechtlichen Weg, die Kammern in Al Mahdi den der groben Schätzung. In Lubanga erfolgte eine Übertragung der Festlegung der Schäden auf den TFV, deren Rechtmäßigkeit in der Implementierungsphase von diesem bestritten wurde. (1) Lubanga – Summierte Schätzung durch die Kammer Der Haftungsumfang Lubangas wurde zunächst durch den Treuhandfond in Höhe von 1 Mio. USD angesetzt. Im Rahmen der Reparationsphase beschäftigte sich die Verfahrenskammer II jedoch noch einmal konkreter mit dem Haftungsumfang Lubangas. Der Kammer waren 473 Victim Dossiers zugeleitet worden.376 Von diesen 473 Opfern erkannte sie 425 als reparationsberechtigte Geschädigte an.377 Für diese 425 direkten und indirekten Opfer legte die Kammer die persönliche Verantwortlichkeit Lubangas auf 8.000 USD pro Opfer fest.378 Den Betrag be376 IStGH, Lubanga, Corrected version of the „Decision Setting the Size of the Reparations Award for which Thomas Lubanga Dyilo is Liable“, Rn. 190. 377 IStGH, Lubanga, Corrected version of the „Decision Setting the Size of the Reparations Award for which Thomas Lubanga Dyilo is Liable“, Rn. 190. 378 IStGH, Lubanga, Corrected version of the „Decision Setting the Size of the Reparations Award for which Thomas Lubanga Dyilo is Liable“, Rn. 259.

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stimmte die Kammer nach Billigkeitsgesichtspunkten (ex aequo et bono), nachdem sie Parteien konsultiert, Vergleichsfälle nach kongolesischem Recht herangezogen und ausgerechnet hatte, dass in Katanga pro Opfer ein Schaden von im Durchschnitt 12.635 USD angesetzt worden war.379 Durch eine Multiplikation der 425 als reparationsberechtigt befundenen Opfer mit der nach Billigkeitsgesichtspunkten festgelegten Summe von 8.000 USD kam die Kammer zu einer summierten Verantwortlichkeit Lubangas in Höhe von 3.400.000 USD.380 Darüber hinaus kam die Kammer nach Konsultationen zu dem Schluss, dass noch weitere hunderte bis möglicherweise tausende Opfer im Rahmen der Implementierung der Reparationen zu Tage treten würden.381 Um diesen Geschädigten Rechnung tragen zu können, legte die Kammer – erneut nach Billigkeitsgesichtspunkten – eine weitere persönliche Verantwortlichkeit Lubangas mit 6.600.000 USD fest. Summiert ergab dies eine individuelle Verantwortlichkeit Thomas Lubangas für 10.000.000 USD.382 Die Berufungskammer bestägte diese Summe in ihrer Entscheidung vom Juli 2019.383 (2) Summierte Verantwortlichkeit in Katanga Einen gänzlich anderen Ansatz wählte die Verfahrenskammer in Katanga. Sie ermittelte die Höhe der Schäden, für die der Schuldner Katanga verantwortlich war, durch konkrete Bezifferung und Addierung der einzelnen Schadensposten, die durch die Verbrechen verursacht worden waren, für die Katanga verurteilt wurde. Die Summe der als ersatzfähig anerkannten Schäden ergab die summierte Verantwortlichkeit, die nach Berücksichtigung des Tatbeitrages die Gesamtsumme des Haftungsumfangs Katangas ergab.384 Von den 341 Opfern, die Anträge auf Reparationen gestellt hatten, befand die Kammer 297 als anspruchsberechtigt.385

379

IStGH, Lubanga, Corrected version of the „Decision Setting the Size of the Reparations Award for which Thomas Lubanga Dyilo is Liable“, Rn. 257 f. 380 IStGH, Lubanga, Corrected version of the „Decision Setting the Size of the Reparations Award for which Thomas Lubanga Dyilo is Liable“, Rn. 279. 381 IStGH, Lubanga, Corrected version of the „Decision Setting the Size of the Reparations Award for which Thomas Lubanga Dyilo is Liable“, Rn. 230. 382 IStGH, Lubanga, Corrected version of the „Decision Setting the Size of the Reparations Award for which Thomas Lubanga Dyilo is Liable“, Rn. 281. 383 IStGH, Lubanga, Berufungsentscheidung über den Umfang der Reparationen, für die Lubanga verantwortlich ist, S. 4. 384 IStGH, Katanga, Berufungsentscheidung, Rn. 181. 385 IStGH, Katanga, Entschädigungsanordnung, Rn. 168.

1. Anspruchsvoraussetzungen und -inhalt von Art. 75 Abs. 2 IStGH-Statut

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In detaillierten Aufstellungen bezifferte die Kammer die jeweiligen Schadensarten nach billigem Ermessen auf Grundlage von Observationen der Parteien und amici curiae, nicht aber unter Heranziehung von Expertenmeinungen.386 Die Kammer legte folgende Berechnung zugrunde:387

Abbildung 1 Quelle: IStGH, Katanga, Entschädigungsanordnung, S. 81

386 387

IStGH, Katanga, Entschädigungsanordnung, Rn. 191. IStGH, Katanga, Entschädigungsanordnung, S. 81.

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IV. Gerichtliche Reparationen nach Art. 75 Abs. 2 IStGH-Statut

Die Berufungskammer in Katanga erklärte hingegen, anstatt eine Gesamtsumme der Verantwortlichkeit des Reparationsschuldner aus den einzelnen Schadenspositionen seiner Gläubiger zu berechnen, sei es angemessener, den „harm“ zu betrachten sowie sich angemessene Modalitäten zur Wiederherstellung zu überlegen und anhand dessen die Summe der Verantwortlichkeit des Reparationsschuldners festzulegen.388 Die Herangehensweise der Verfahrenskammer sei nicht überzeugend und im Übrigen umso mehr zu kritisieren, wenn die errechnete Summe lediglich die Veranstwortlichkeit des Schuldners bestimmen soll und nicht als Basis dafür genutzt werde, was jedes Opfer als konkrete Wiedergutmachung erhalten soll.389 (3) Al Mahdi Die Verfahrenskammer in Al Mahdi legte die Verantwortlichkeit des Schuldners auf 2,7 Mio. Euro fest,390 ohne die Geschädigten einzeln beschieden zu haben und sogar mit dem Hinweis, dass zu den 139 Anträgen in der Implementierungsphase noch weitere hinzukommen würden. Die Kammer vertrat die Auffassung, der Haftungsumfang sei ausschließlich aus der Höhe des eingetretenen Schadens zu berechnen. Die Summe errechnete die Kammer mithin aus Schäden für die zerstörten Gebäude in Höhe von 97.000 Euro,391 Folgeschäden in Timbuktu in Höhe von 2,12 Mio. Euro 392 und Entschädigung für „moral harm“ in Höhe von 483.000 Euro.393 Dieser auf groben Schätzungen beruhende Ansatz wurde durch die Berufungskammer bestätigt. (4) Diskussion Aus Gründen der Rechtsstaatlichkeit begegnet die Sicht in Al Mahdi und der Berufungskammer in Katanga, wonach die Gesamtverantwortlichkeit sich nicht konkret aus den einzelnen Schadenspositionen bestimmen muss, großen Bedenken. Die aufwendige Prüfung der Verfahrenskammer in Katanga – immerhin in einem 1.000-seitigen Annex – mag vor dem Ziel, die Geschädigten zeitnah zu entschädigen, zu komplex wirken. Dennoch, das imperfekte Reparationssystem des IStGH durch Untergrabung der rechtsstaatlich verbrieften Rechte des Reparationsgläubigers zu heilen, ist zu vermeiden. Mithin ist der Verfahrenskammer in Katanga darin zuzu388

IStGH, Katanga, Berufungsentscheidung, Rn. 2. IStGH, Katanga, Berufungsentscheidung, Rn. 68. Die Verfahrenskammer hatte den Geschädigten 250 Euro individuelle Reparationen zugesprochen und bei der Feststellung der Verantwortlichkeit Katangas seinen Tatbeitrag mit einberechnet, was die Berufungskammer kritisiert, siehe unten unter IV. 1. i) bb). 390 IStGH, Al Mahdi, Entschädigungsanordnung, Rn. 134. 391 IStGH, Al Mahdi, Entschädigungsanordnung, Rn. 118. 392 IStGH, Al Mahdi, Entschädigungsanordnung, Rn. 128. 393 Unter Bezugnahme auf Größenordnungen der Eritrea-Äthiopien Claims Commission, IStGH, Al Mahdi, Entschädigungsanordnung, Rn. 133. 389

1. Anspruchsvoraussetzungen und -inhalt von Art. 75 Abs. 2 IStGH-Statut

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stimmen, dass die Verantwortlichkeit des Gläubigers die Summe der einzeln festgestellten Ansprüche der Geschädigten sein sollte. Aufgrund der Entscheidungen der Berufungskammern in Katanga, Al Mahdi und Lubanga ist aber davon auszugehen, dass in Zukunft am IStGH die Festlegung des für die Wiedergutmachung geschuldeten Betrags nicht immer, aber doch häufig, primär durch Hochrechnungen und Schätzungen erfolgen wird. bb) Berücksichtigung des Tatbeitrags des Reparationsschuldners Fraglich ist, wie sich der Tatbeitrag auf den Haftungsumfang des Reparationsschuldners auswirkt.394 Auch zu diesem Punkt treffen weder Statut noch die RPE eine Aussage. Sollte der Reparationsschuldner nicht Alleintäter gewesen sein, sondern Mittäter oder gegebenenfalls nur Teilnehmer, ist dies bei der Festlegung seiner Verantwortlichkeit zu berücksichtigen. Der einzelne Reparationsschuldner dürfte dann nur für einen Anteil des entstandenen Gesamtschadens verantwortlich sein, in einer Bandbreite von 1 – 99 %. Relevant vor dem IStGH wurde diese Frage in Katanga, hier hatte die Verfahrenskammer eine summierte Verantwortlichkeit in Höhe von 3.752.620 USD festgelegt.395 Da Katanga nach Art. 25 Abs. 3 lit. d) IStGH-Statut als Teilnehmer für seinen Tatbeitrag396 verurteilt worden war, hielt die Verfahrenskammer fest, dass in jedem Einzelfall betrachtet werden müsse, wie sich dieser Aspekt auf den Haftungsumfang des Täters auswirkt.397 Die Verantwortlichkeit des Schuldners müsse proportional zu den Schädigungen festgesetzt werden und – inter alia – seine Beteiligung bei der Tatbegehung, inklusive aller anderen Faktoren, beachten.398 In diesem Fall sah es die Kammer als angemessen an, die Verantwortlichkeit Katangas auf eine Höhe von 1 Mio. USD zu begrenzen.399 Der Ansatz der Kammer wirkt überzeugend. Sind mehrere Täter an der Entstehung des Gesamtschadens beteiligt, kann einem einzelnen Mitbeteiligten nicht die gesamte Summe zur Wiedergutmachung auferlegt werden. Wie genau jedoch die Reduktion von 3,7 Mio. USD auf 1 Mio. USD konkret zustande kam, ist nicht nachvollziehbar. Hier hätte die Kammer ihre Entscheidung genauer begründen sollen.

394 Diskutiert wird dieser Punkt als Ausprägung des Erfordernisses der Angemessenheit und Verhältnismäßigkeit. 395 IStGH, Katanga, Entschädigungsanordnung, Rn. 239. 396 IStGH, Katanga, Verurteilung, ICC-01/04-01/07-3436-tENG, Rn. 658 f. 397 IStGH, Katanga, Entschädigungsanordnung, Rn. 252, 257. 398 IStGH, Katanga, Entschädigungsanordnung, Rn. 264. 399 IStGH, Katanga, Entschädigungsanordnung, Rn. 264.

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Die Berufungskammer in Katanga vertrat indes die Auffassung, die Frage der Teilnehmerschaft sei allgemein irrelevant bei der Feststellung des Schadensumfangs.400 Entschädigungsanordnungen sollten zwar nicht das übersteigen, was die Wiederherstellung insgesamt koste, es sei aber aus Sicht der Berufungskammer nicht unangemessen, eine einzelne Person für den gesamten Schaden haften zu lassen, auch wenn die Verurteilung des Täters nicht als Alleinverursacher erfolgte.401 Es könne aus Sicht der Berufungskammer nur dann sinnvoll sein, Tatbeiträge anderer bei der Festsetzung des Haftungsumfangs zu berücksichtigen, wenn mehr als eine Person durch den Gerichtshof für das gleiche Verbrechen zur gleichen Zeit verurteilt worden war.402 Denn: „[T]he focus in all cases should be the extent of the harm and cost to repair such harm, rather than the role of the convicted person.“403 In Al Mahdi führte die Verfahrenskammer wie die Verfahrenskammer in Katanga aus, der Haftungsumfang müsse proportional zu den verursachten Schäden sein und – inter alia – die Beteiligung an den Verbrechen und die Umstände des Einzelfalls berücksichtigen.404 Die Kammer bedachte, dass Al Mahdi als Mittäter nach Art. 25 Abs. 3 lit. a) des IStGH-Statuts verurteilt worden war, die Angriffe organisiert und bei fünf Angriffen selbst teilgenommen hatte.405 Bei der Festlegung der pauschal errechneten Verantwortlichkeit in Höhe von 2,7 Mio. Euro (s. o.) berücksichtigte die Kammer den Tatbeitrag von Al Mahdi daher nicht reduzierend. Es scheint notwendig, im Rahmen der Verantwortlichkeit des Reparationsschuldners auch den Umfang des Tatbeitrags mit einfließen zu lassen. Das gebietet der Grundsatz der Angemessenheit und Verhältnismäßigkeit.406 Der Reparationsanspruch ist ein besonderer internationaler zivilrechtlicher Anspruch und muss sich an – auf das Völkerrecht angepassten – deliktischen Maßstäben messen lassen. War der Täter und Reparationsschuldner bei der Tatbegehung nur teilweise für den Erfolg verantwortlich, so darf auch die Verpflichtung zur Wiedergutmachung nur entsprechend anteilig ausfallen. Dem könnte entgegengehalten werden, dass das Völkerstrafrecht nie alle Verursacher rechtlich zur Verantwortung zieht, sondern nur „those most repsonsible“, so dass eine Haftung für fremde Tatbeiträge von dem System vorgesehen ist.407 Dagegen lässt sich aber anführen, dass die Entschädigungsanordnung intrinsisch an den strafrechtlichen Schuldspruch gebunden ist. Der Umfang der zivilrechtlichen Verantwortung ist somit durchaus mit dem Modus der 400

IStGH, Katanga, Berufungsentscheidung, Rn. 6. IStGH, Katanga, Berufungsentscheidung, Rn. 6. 402 IStGH, Katanga, Berufungsentscheidung, Rn. 180. 403 IStGH, Katanga, Berufungsentscheidung, Rn. 180. 404 IStGH, Al Mahdi, Entschädigungsanordnung, Rn. 110, mit Bezug auf IStGH, Lubanga, Berufungsentscheidung, Rn. 118. 405 IStGH, Al Mahdi, Entschädigungsanordnung, Rn. 110. 406 Siehe dazu unten im Detail. 407 Katanga argumentierte aber zu Recht, dass seine persönliche Verantwortlichkeit nicht deswegen höher ausfallen könne, da gerade kein weiterer Tatverantwortlicher angeklagt und verurteilt wurde, Mr Katanga’s Appeal Brief, Rn. 80. 401

1. Anspruchsvoraussetzungen und -inhalt von Art. 75 Abs. 2 IStGH-Statut

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festgestellten individuellen strafrechtlichen Verantwortlichkeit verknüpft.408 Aus Billigkeitsgesichtspunkten einzig die Bedürfnisse der Opfer in den Mittelpunkt zu stellen, wie durch die Berufungskammer in Katanga geschehen, ist in Reparationsverfahren vor dem IStGH mithin nicht angemessen. cc) Diskussion Unter den Begriffen der Eligibility bzw. Entschädigungsberechtigung und des Haftungsumfangs werden am IStGH komplexe Rechtsfragen diskutiert, die die Schwierigkeiten des Opferbegriffs, des Schadensbegriffs, der Kausalität, der Reparationsmodi und des konkreten Haftungsumfangs zusammenführen. Zu der Frage, „ob“ und „wie“ die Festlegung der Entschädigungsberechtigung und des Haftungsumfangs am IStGH geschehen soll, werden sehr unterschiedliche Meinungen vertreten. Kern der Divergenz ist erneut die Einordnung des Reparationsanspruchs als im engeren Sinne zivilrechtlicher Anspruch oder als Anspruch, der auf Grundsätzen der Staatenverantwortlichkeit basiert. Wird – wie hier – ersterem gefolgt, ist es aus rechtsstaatlichen Erwägungen geboten, dass die einzelnen Gläubiger konkret festgestellt werden, sowohl für individuelle als auch für kollektive Maßnahmen. Es ist für den Schuldner irrelevant, welche Art von Maßnahmen zugesprochen wird. Wichtig ist indes, dass der Schädiger Wiedergutmachung jeweils nur an die Individuen leisten muss, die kausal und zurechenbar durch Taten geschädigt wurden, für die er auch verurteilt worden ist. Erforderlich ist auch, dass diese Festsetzung in einem gerichtlichen und justiziablen Verfahren erfolgt. Ob die administrative Zuarbeit durch die Kanzlei oder den TFV vorgenommen wird, ist dabei nicht relevant. Die Berufungskammer sah in Lubanga richtigerweise in der vollständigen Delegation der Schadensfeststellung auf den TFV eine Verletzung der Rechte des Angeklagten und der Opfer. Es muss aus Gründen der Rechtsstaatlichkeit eine gerichtliche Feststellung sein, dass ein ersatzfähiger Schaden vorliegt. Der Reparationsschuldner muss die Möglichkeit haben, diese Feststellung gerichtlich überprüfen zu lassen. Darüber hinaus ist auch die Befürchtung der Berufungskammer zu teilen, dass die Delegation der Schadensfeststellung auf den TFV die Grenzen der beiden Mandate des TFV, des Mandats der General Assistance und des Mandats der Implementierung von gerichtlichen Reparationen zu Lasten des Reparationsschuldners, ungenau werden lässt.409 Doch auch die Feststellung des Schadensumfangs nach bereits festgelegten Kriterien auf den TFV zu delegieren, ist rechtlich problematisch. Die Frage, in welchem Umfang der Schuldner für einen dem Grunde nach zu verantwortenden Schaden Wiedergutmachung leisten soll, ist für ihn rechtlich relevant und er muss die 408 So IStGH, Katanga, Entschädigungsanordnung, Rn. 252, mit Verweis auf IStGH, Lubanga, Berufungsentscheidung, Rn. 118. 409 IStGH, Lubanga, Berufungsentscheidung, Rn. 182.

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IV. Gerichtliche Reparationen nach Art. 75 Abs. 2 IStGH-Statut

Gelegenheit bekommen, sich gegen die Festsetzung des ersatzfähigen Schadens zur Wehr setzen zu können. Nach Regel 150 Abs. 1 RPE ist eine Entschädigungsanordnung nach Art. 75 IStGH-Statut berufungsfähig. Bei einer Bestimmung des TFV ist die Ausübung dieses Rechts hingegen nur eingeschränkt möglich.410 Insoweit ist die Vorgehensweise der Verfahrenskammer II in Katanga zu begrüßen. Durch die konkrete Feststellung der Schäden durch die Prüfung der einzelnen Anträge wurden die Rechte des Angeklagten in diesem internationalisierten zivilrechtlichen Entschädigungsverfahren gewahrt. Die Abkehr davon durch die Berufskammer in Katanga, die Entscheidungen in Al Mahdi und die Berufungskammer in Lubanga im Jahr 2019 gibt Grund zur Sorge. So sehr der Wunsch nach Praktikabilität und zügigen Verfahren nachvollziehbar ist, sollte das Fehlen eines Forums der Staatenverantwortlichkeit nicht zu Lasten des Reparationsschuldners ausgeglichen werden. Es zeigt sich hier erneut, dass die Anwendung von zivilrechtlichen Grundsätzen auf Verfahren der Massenkriminalität nicht trivial ist. Nicht überraschend tritt in diesem Spannungsfeld zwischen zivilrechtlichen Grundsätzen und Massenverbrechen erneut die Glaubensfrage an die Oberfläche, ob der IStGH rechtlich in der Lage ist, sowohl vertikalen Schadensersatz als auch horizontal versöhnende Wiedergutmachung zuzusprechen.411

j) Prinzip der Angemessenheit und Verhältnismäßigkeit Neben der Art der Reparationen und der Wahl der Reparationsmodi ist zu beachten, dass Wiedergutmachungsmaßnahmen allgemeinen Grundsätzen entsprechen müssen, die nicht ausdrücklich in Statut und Regularien des IStGH auftauchen. Eines dieser Grundprinzipien des Rechts der Reparationen ist der Grundsatz der Angemessenheit und Verhältnismäßigkeit/Principle of Proportionality. aa) Doppelte Verhältnismäßigkeit am IStGH Besonders herausfordernd ist hier, dass Maßnahmen des IStGH einer doppelten Verhältnismäßigkeit genügen müssen, sie müssen danach sowohl für den verurteilten Reparationsschuldner als auch für die Destinatäre in einer angemessenen und verhältnismäßigen Art angeordnet werden. Für den verurteilten Täter muss das Prinzip auf der Ebene des Umfangs der Verantwortlichkeit eine Rolle spielen, bei der Prüfung der Opfereigenschaft und im 410

Regel 150 RPE nennt nur einen Freispruch nach Art. 74 IStGH-Statut, eine Verurteilung nach Art. 76 IStGH-Statut und eine Entschädigungsanordnung nach Art. 75 IStGH-Statut. 411 Zu den aufgrund unterschiedlicher Zielrichtungen hier verwendeten Begrifflichkeiten, siehe oben unter III. 6.

1. Anspruchsvoraussetzungen und -inhalt von Art. 75 Abs. 2 IStGH-Statut

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Rahmen der Kausalität bei der Prüfung des ersatzfähigen Schadens. Die Einhaltung des Prinzips der Angemessenheit stellt in Wiedergutmachungsverfahren von Völkerrechtsverbrechen eine besondere Herausforderung dar, da ein einzelner Reparationsschuldner – beispielsweise durch die Ausnutzung von Strukturen staatlicher Kriminalität – schwere Schäden bei einer Vielzahl von Opfern zu verantworten haben kann. Die Schwere der Verbrechen und der Schäden sind regelmäßig so groß, dass die angemessene Wiedergutmachung zugunsten einer geschädigten Einzelperson bereits sehr aufwendig ist. Dies auf die Ebene der Massenkriminalität zu übersetzen, übersteigt regelmäßig das tatsächlich Machbare; in erster Linie gilt dies in finanzieller Hinsicht. Ungeachtet dieser tatsächlichen Limitationen ist aus Sicht der Opfer der Grundsatz der Angemessenheit vom IStGH ebenfalls bei der Schadensfessetzung zu beachten. Die Berufungskammer in Lubanga nahm unter Verweis auf die Reparations Principles der UN folgende Bestimmungen in ihre Principles on Reparations auf: „Victims should receive appropriate, adequate and prompt reparations.“412

und „The awards ought to be proportionate to the harm, injury, loss and damage as established by the Court.“413

Die Angemessenheit der Reparationen muss sich mithin an den verursachten Schäden orientieren, für die der Gerichtshof den Reparationsschuldner verurteilt hat; darüber hinaus sind weitere Aspekte zu berücksichtigen wie der Umfang des Tatbeitrags.414 Hier zeigt sich ein großes Dilemma auf. Das Erfordernis der Angemessenheit von Reparationen ist im Reparationssystem des IStGH mit einer Doppelgliedrigkeit angelegt, dabei haben beide Parteien in der Regel sich diametral gegenüberstehende Interessen, die in Ausgleich zu bringen sind: Auf Opferseite hat das Prinziep der Angemessenheit den Zweck, sicherzustellen, dass die Geschädigten sich und die erlebten Grausamkeiten ernst genommen fühlen, sowohl durch den verurteilten Reparationsschuldner als auch durch den Gerichtshof.415 Eine Wiedergutmachungsleistung, die wegen faktischer Limitationen in keiner Weise im Verhältnis zu dem erlittenen Schaden steht, kann negative Auswirkungen auf die Opfer haben. Gefühle der Hilflosigkeit und Hoffnungslosigkeit können wieder aufflammen, die

412 IStGH, Lubanga, Berufungsentscheidung, Rn. 44; so auch IStGH, Katanga, Entschädigungsanordnung, Rn. 264. 413 IStGH, Lubanga, Berufungsentscheidung, Berufungsentscheidung, AnnexA (Reparations Principles), Rn. 45. 414 IStGH, Lubanga, Entschädigungsanordnung, S. 8; IStGH, Katanga, Entschädigungsanordnung, Rn. 251 ff.; IStGH, Al Mahdi, Entschädigungsanordnung, Rn. 110. 415 Siehe zum Zweck von Reparationen ausführlich oben unter III.

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IV. Gerichtliche Reparationen nach Art. 75 Abs. 2 IStGH-Statut

bis zur Reviktimisierung reichen können.416 Dieses Ergebnis würde dem absoluten Grundsatz des „Do No Harm“ widersprechen. Gleizeitig muss auch die Reparationsanordnung gegenüber dem verurteilten Täter dem Prizip der Angemessenheit genüge tun, indem beispielsweise sein ggf. geringer Tatbeitrag Berücksichtigung findet. Einmal mehr wird der IStGH durch ein Aufeinandertreffen von zwingenden Grundsätzen und Realitäten, die ersteren nicht gerecht werden können, vor eine Herausforderung gestellt. Eine vollständige Auflösung des Dilemmas ist bisher nicht ersichtlich. bb) Angleichung durch praktische Konkordanz Ein Ansatz könnte sein, das Prinzip der Angemessenheit im Verhältnis zu den Opfern in Reparationsverfahren des IStGH restriktiv auszulegen; so weit möglich sollen die Geschädigten ihren Schäden angemessene Reparationen erhalten. Denkbar wäre, die widerstreitenden Interessen der Parteien im Rahmen einer praktischen Konkordanz anzunähern. Bislang hat es den Anschein, als verfolge der Gerichtshof diesen Ansatz bereits stillschweigend. Die Berufungskammer in Lubanga erklärte das Prinzip der Angemessenehit/Principle of Proportionality für anwendbar,417 traf jedoch keine Aussagen dazu, wie die Anforderung im Verfahren umgesetzt werden könnte. In Katanga und Al Mahdi begrenzten die Kammern sich darauf, das Prinzip der Angemessenheit aus Sicht des Reparationsschuldners zu prüfen, in beiden Fällen wurde der Umfang der Verantwortlichkeit des Täters mit seinem Tatbeitrag abgewogen.418 Für eine ernstzunehmende Einhaltung des Prinzips der Angemessenheit und Verhältnismäßigkeit muss die Doppelgliedrigkeit des Verhältnismäßigkeitserfordernisses klar benannt und von den Richtern abgewogen werden. Um die Beachtung des Prinzips der Angemessenheit so weit wie möglich sicherzustellen, sollte es insbesondere bei der Anordnung der Reparationsart als auch der Planung und Implementierung der einzelnen Reparationsmaßnahmen Berücksichtigung finden. 416 Siehe z. B. Hoven/Feiler/Scheibel, Victims in Trials of Mass Crimes, S. 29, das Wort „hopeless“ fällt mehrfach. 417 Siehe IStGH, Lubanga, Berufungsentscheidung, S. 8, Key.Finding Nr. 6 und Rn. 118. 418 Zitiert als: IStGH, Katanga, Entschädigungsanordnung, Rn. 264; die Kammer sagte in Al Mahdi ausdrücklich: „The Chamber recalls that a convicted person’s liability for reparations must be proportionate to the harm caused and, inter alia, his or her participation in the commission of the crimes for which he or she was found guilty, in the specific circumstances of the case. In the present case, the Chamber has taken into consideration that: (i) Mr Al Mahdi is convicted as a co-perpetrator, pursuant to Article 25(3)(a) of the Statute; (ii) Mr Al Mahdi organised the attack on the Protected Buildings and (iii) Mr Al Mahdi directly participated in the attacks on five of the Protected Buildings. These considerations must be weighed while bearing in mind the fact that Mr Al Mahdi can be held liable only for harm stemming from the attack on the Protected Buildings.“, IStGH, Al Mahdi, Entschädigungsanordnung, Rn. 110.

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Bereits bei der Festsetzung der Art der angeordneten Reparationen sollte geprüft werden, wie dem Prinzip der Angemessenheit auch unter den limitierenden Umständen am IStGH am besten Rechnung getragen werden kann. Bei der Entscheidung für kollektive und gegen individuelle Maßnahmen kann die Angemessenheit eine maßgebliche Rolle spielen. Die Hauptargumente für kollektive Maßnahmen sind die Art der zu adressierenden Schäden, die auch kollektiv sein können, die Beachtung des „Do No Harm“-Grundsatzes durch die Vermeidung von Ungleichbehandlungen und die effektivere Nutzung der nur begrenzten finanziellen Mittel bei einer Vielzahl von Destinatären.419 Diese Aspekte spielen wiederum auch im Rahmen der Angemessenheit eine Rolle. Es spricht viel dafür, dass das Principle of Proportionality ein generelles Argument gegen die Anordnung individueller und für die Anordnung kollektiver Reparationen ist. Wie oben dargestellt, würden individuelle Reparationen – und dabei insbesondere individuelle monetäre Anordnungen – in Verfahren der Massenkriminalität in der Regel so gering ausfallen, dass Verluste eines Menschenlebens oder unvorstellbares Leid einen zweistelligen oder niedrigen dreistelligen Betrag nach sich ziehen würden, was in einem krassen Widerspruch zu dem Grundsatz der Angemessenheit stehen würde. Kollektive Maßnahmen hingegen sind häufig günstiger und zudem ist der konkrete pro Destinatär dahinterstehende aufgewandte Betrag nicht so leicht erkennbar. Mithin könnte schon durch die Wahl der Reparationsart der Grundsatz der Angemessenheit Berücksichtigung finden. Auch bei der Festlegung der konkreten Reparationsmaßnahmen sollte jeweils der Grundsatz der Angemessenheit geprüft werden. Bei besonders geringen zur Verfügung stehenden Mitteln ist die Heranziehung von symbolischen Maßnahmen der Wiedergutmachung zu überlegen. Betroffene Opfer gaben in Studien420 zwar an, dass sie sich in erster Linie individuell merkbare Reparationen wünschen, dennoch wurde der Wunsch nach Maßnahmen wie Denkmälern oder einem nationalen Gedenktag durchaus auch geäußert. Diese Maßnahmen sind verhältnismäßig kostengünstig und sollten bei der Auswahl der Reparationsprojekte mitberücksichtigt werden.421 Im vorgelegten Draft Implementation Plan des TFV in Lubanga spielte das Prinzip der Angemessenheit/Principle of Proportionality keine nennenswerte Rolle. Der TFV stellte bei der Planung seiner Maßnahmen die Bedürfnisse der Opfer in den Mittelpunkt und versuchte, je nach Art der Schädigungen die angemessenen Maß419

Siehe oben unter IV. 1. f) bb). Siehe Pham et al., So We Will Never Forget: A Population-Based Survey on Attitudes about Social Reconstruction and the Extraordinary Chambers in the Courts of Cambodia, 2009; Pham et al., After the First Trial: A population-based Survey on the Knowledge and Perception of Justice and the Extraordinary Chambers in the Courts of Cambodia, 2011; Kirchenbauer et al., Victims’ Participation before the Extraordinary Chambers in the Courts of Cambodia – Baseline Study of the Cambodian Human Rights and Development Association’s Civil Party Scheme for Case 002, 2013. 421 Symbolische Reparationsmaßnahmen ziehen freilich das Problem nach sich, dass davon auch Menschen profitieren, die nicht als individuelle Destinatäre des verurteilten Täters festgestellt wurden. Hier hat die Verfahrenskammer II im Lubanga-Verfahren einen flexibleren Ansatz erkennen lassen, konkreter dazu oben unter IV. 420

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IV. Gerichtliche Reparationen nach Art. 75 Abs. 2 IStGH-Statut

nahmen auszuwählen. Neben dieser konkreten Angemessenheitsprüfung in Bezug auf die einzelne Art der Schädigung sollte jedoch auch die umfassende Verhältnismäßigkeit der gesamten Maßnahmen geprüft werden, indem die Schwere der Verletzungen mit den für die Wiedergutmachung aufgewendeten Mitteln und der Gesamtanzahl der Opfer in Relation gesetzt wird. Hierzu sollte der TFV dann spätestens in der Konkretisierung der vorgeschlagenen Reparationsmaßnahmen Ausführungen machen. Gerecht werden kann der IStGH dem Grundsatz der Angemessenheit gerade im Hinblick auf die Opfer kaum; dafür ist sein Mandat zu begrenzt und die in Reparationsverfahren verfolgten Interessen zu divers. Daneben sind auch die Belange der Täter angemessen zu berücksichtigen, wenn es auch aufgrund der Schwere der verurteilten Verbrechen schwerfallen mag. Der Gerichtshof ist aber in der Pflicht, den Grundsatz der doppelten Verhältnismäßigkeit ernsthaft umzusetzen, soweit ihm dies möglich ist. Um dieser Pflicht zu genügen, ist insbesondere auch die ausdrückliche Aufnahme von Erwägungen in die Entscheidungen und Anordnungen notwendig.

2. Implementierung von Reparationsanordnungen Für die Implementierung von Reparationsentscheidungen sind am IStGH zwei Wege vorgesehen. Zum einen kann der Gerichtshof den verurteilten Täter anweisen, eine direkte Entschädigungsleistung an das Opfer vorzunehmen, Art. 75 Abs. 2 S. 1 IStGH-Statut i. V. m. Regel 98 Abs. 1 RPE. Zum anderen können die Reparationsmaßnahmen durch den TFV als Mittler ausgekehrt werden, Art. 75 Abs. 2 S. 2 IStGH-Statut i. V. m. Regel 98 Abs. 2 und 3 RPE.

a) Implementierung durch den Gerichtshof – direkte Leistung durch den Schädiger Als Grundsatz ist im IStGH-Statut eine Anordnung vorgesehen, nach der der Schädiger direkt an den oder die Geschädigten zu leisten hat, Art. 75 Abs. 2 S. 1 IStGH-Statut i. V. m. Regel 98 Abs. 1 RPE. Danach wäre also in der Regel durch den Gerichtshof ein direkter Ausgleich auszusprechen, jedenfalls bei individuellen Reparationen.422 Diese Art der Implementierung unterscheidet sich nicht von einem deliktischen Schadensausgleich zwischen zwei Individuen auf nationaler Ebene. Direkten Ausgleich anordnen zu können, ist eine der grundlegenden Neuerungen, die

422

Dwertmann, Reparation System, S. 267.

2. Implementierung von Reparationsanordnungen

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der IStGH gebracht hat, und wurde bei den Verhandlungen des Statuts kontrovers diskutiert.423 Bei den bislang ergangenen Entscheidungen ordnete der Gerichtshof jedoch in keinem Fall eine direkte Wiedergutmachung zwischen Täter und Geschädigten an; in allen Fällen sollten die Reparationen durch den TFV implementiert werden. Sicherlich waren die Fälle Lubanga, Katanga und Al Mahdi allesamt solche, in denen die Verurteilten als mittellos angesehen wurden. Dennoch ist es unwahrscheinlich, dass die Kammern in Zukunft von der direkten Anordnung Gebrauch machen werden.

b) Implementierung durch den TFV Die zweite Möglichkeit des IStGH, die Entschädigungsleistung durch den TFV nach Art. 75 Abs. 2 S. 2 IStGH-Statut i. V. m. Regel 98 Abs. 2 und 3 RPE anzuordnen, wird in der Praxis wohl in den meisten Fällen zur Anwendung kommen. Nach Regel 98 Abs. 2 RPE kann veranlasst werden, dass die Reparationssumme des Täters bei dem TFV hinterlegt und durch diesen ausgekehrt wird, „where at the time of making the order it is impossible or impracticable to make individual awards directly to each victim.“424 Die andere Möglichkeit betrifft ausdrücklich die Anordnung von kollektiven Reparationen: „The Court may order that an award for reparations against a convicted person be made through the Trust Fund where the number of the victims and the scope, forms and modalities of reparations makes a collective award more appropriate.“425

Es ist wahrscheinlich, dass der IStGH auch künftige Reparationsschuldner entweder als mittellos anerkennen wird oder dass die Situation oder die Reparationen einen solchen Charakter haben werden, der eine Anordnung direkt von Täter zu Opfer nicht angemessen erscheinen lassen wird. aa) Besondere Zuständigkeitsfragen im Lubanga-Verfahren Im Lubanga-Verfahren intensivierte sich in der Implementierungsstage der grundlegende Streit über die Notwendigkeit der Feststellung individueller Berechtigung.426 Da die verschiedenen Ansichten und ihre Argumente wieder den Kern des Reparationsanspruches und seinen Sinn und Zweck betreffen, soll er an dieser Stelle 423 Dwertmann, Reparation System, S. 267, mit Verweis auf Bottigliero, Redress for Victims, S. 222 f. 424 Regel 98 Abs. 2 S. 1 RPE. 425 Regel 98 Abs. 3 RPE. 426 Siehe unter IV. 1. h).

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IV. Gerichtliche Reparationen nach Art. 75 Abs. 2 IStGH-Statut

erneut dargestellt werden. Vorausgeschickt sei, dass weder das Statut noch die RPE des Gerichtshofes ausdrücklich regeln, welche Zuständigkeiten in der Implementierungsphase bei einer Umsetzung „through“ den TFV an diesen übergehen und welche bei der Kammer verbleiben. Die Berufungskammer in Lubanga hatte dem TFV aufgegeben, einen Draft Implementation Plan zu erarbeiten, in dem konkrete Wiedergutmachungsmaßnahmen und deren Umsetzung vorgeschlagen werden sollten, und die Aufgabe der Billigung dieses Plans einer neu zu bildenden Verfahrenskammer II/Reparationskammer übertragen.427 Im Anschluss an die gerichtliche Zustimmung zu dem Draft Implementation Plan sollten die Maßnahmen dann umgesetzt werden.428

bb) Individuelle Feststellung der Reparationsberechtigung Der durch den TFV eingereichte Draft Implementation Plan zeigte ein von der Kammer deutlich abweichendes Verständnis auf. Der TFV vertrat, dass eine Liste der berechtigten Opfer nicht notwendig sei, da die Kammer lediglich kollektive Reparationen angeordnet habe. Dementsprechend sah der TFV in seinem Draft Implementation Plan vom 3. November 2015 zwar ein Opferscreeningverfahren in der Implementierungsphase vor,429 welches jedoch nach der Billigung des Plans erfolgen und gänzlich in der Hand des TFV liegen sollte. Der TFV bot an, der Verteidigung freiwillig die Möglichkeit einzuräumen, die Methode der Opferverifikation des Treuhandfonds zu prüfen.430 Nicht überprüfbar und rechtlich angreifbar bliebe dann aber das Ergebnis des Screeningverfahrens zu den reparationsberechtigten Individuen. Diese Rechtsaufassung des TFV teilte die Verfahrenskammer II/Reparationskammer nicht. Mit Beschluss vom 9. Februar 2016 stellte sie fest, dass der 427 Die Verfahrenskammer II nahm ihre Aufgabe gewissenhaft auf und nutzte ihre Entscheidung über die Stattgabe der Fristverlängerungsbitte des TFV dazu, am 14. August 2015 noch einmal zu bekräftigen, welche Inhalte der vorzulegende Draft Implementation Plan enthalten muss: „1. A list of the victims potentially eligible to benefit from the reparations, including the requests for reparations and the supporting material; 2. An evaluation of the extent of the harm caused to the victims; 3. Proposals for the modalities and forms of reparations; 4. The anticipated monetary amount [of Mr Lubanga’s liability]; and 5. The monetary amount which could potentially be advanced [by the TFV].“ Mit diesen Anforderungen legt die Verfahrenskammer II das Verständnis der Berufungskammer zugrunde, nach der eine individuelle gerichtliche Feststellung der Berechtigung eines jeden Opfers erfolgen soll. Da das Urteil der Berufungskammer jedoch unvollständig war und eben diese Informationen nicht enthielt, sollten diese nun im Draft Implementation Plan zur Billigung vorgelegt werden. 428 In Lubanga hat die Verfahrenskammer II bislang lediglich Vorschläge zu symbolischen Reparationen gebilligt, ICC-01/04-01/06, IStGH, Lubanga, Verfahrenskammer II, Entscheidung v. 21. 10. 2016. 429 TFV, Filing on Reparations and Draft Implementation Plan v. 03. 11. 2015, Rn. 142. 430 TFV, Filing on Reparations and Draft Implementation Plan v. 03. 11. 2015, Rn. 142.

2. Implementierung von Reparationsanordnungen

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vorgelegte Draft Implementation Plan unvollständig sei und nicht den Kriterien entspräche, die die Kammer dafür aufgestellt habe.431 Obwohl auch die Kammer anerkannte, dass die Berechtigungsprüfung eines jeden Opfers faktisch herausfordernd ist, weigerte sie sich zu Recht, eine Verantwortlichkeit Lubangas festzulegen, ohne zuvor eine Liste aller einzelnen Entschädigungsberechtigten vorliegen zu haben.432 Die Kammer forderte den TFV auf, für jedes einzelne Opfer eine Berechtigungsprüfung vorzunehmen und diese dem Gerichtshof inklusive der Einwilligungserklärung des jeweiligen Opfers zu unterbreiten.433 Um in der Sache voranzukommen, erlaubte die Kammer einen flexiblen Ansatz: Der TFV sollte die Opferakten in drei Lieferungen vorlegen dürfen.434 Da vor der Feststellung der Schäden aller einzelnen berechtigten Opfer noch keine Festlegung der genauen Gesamtsumme möglich war, für die der Verurteilte Lubanga verantwortlich sein sollte, bat die Kammer um Vorlage der geschätzten Gesamtsumme der Reparationen bis zum 31. Dezember 2016.435 Gegen diese Entscheidung stellte der TFV einen Antrag auf Zulassung der Berufung bei der Verfahrenskammer II.436 Inhaltlich brachte der TFV zwei Punkte vor: Zum einen verkenne die Kammer durch die Forderung der Liste der individuellen Entschädigungsberechtigten die rechtlichen Erfordernisse an die angeordneten kollektiven Reparationen.437 Zum anderen wehrte sich der TFV gegen die Auffassung der Kammer, die finanzielle Gesamtverantwortlichkeit des Verurteilten ergebe sich aus der errechneten Gesamtsumme der einzelnen festgestellten ersatzfähigen Schäden.438 Die Verfahrenskammer II wies den Antrag auf Berufungszulassung mit Hinweis auf die fehlende Parteieigenschaft nach Art. 82 IStGH-Statut a limine ab.439 Da im Reparationsverfahren lediglich die Verteidigung und die Opfer Parteien sind,440 fehle es dem TFV an der notwendigen Antragsbefugnis.441 431

IStGH, Lubanga, Verfahrenskammer II, Entscheidung v. 09. 02. 2016, Rn. 10. IStGH, Lubanga, Verfahrenskammer II, Entscheidung v. 09. 02. 2016, Rn. 14; was interessant ist, wenn man bedenkt, dass die Kammer im Ergebnis zwar die 475 victim dossiers geprüft, jedoch pauschal 6.400.000 USD für bislang nicht individuell festgestellte Opfer bereitstellte, IStGH, Lubanga, Corrected version of the „Decision Setting the Size of the Reparations Award for which Thomas Lubanga Dyilo is Liable“, S. 111 f. 433 IStGH, Lubanga, Verfahrenskammer II, Entscheidung v. 09. 02. 2016, Rn. 17. 434 IStGH, Lubanga, Verfahrenskammer II, Entscheidung v. 09. 02. 2016, Rn. 18; Experteninterview im Juni 2016 in Den Haag. 435 IStGH, Lubanga, Verfahrenskammer II, Entscheidung v. 09. 02. 2016, S. 12. 436 TFV, Request to Leave for Appeal v. 15. 02. 2016. 437 TFV, Request to Leave for Appeal v. 15. 02. 2016, Rn. 14. 438 TFV, Request to Leave for Appeal v. 15. 02. 2016, Rn. 16. 439 IStGH, Lubanga, Verfahrenskammer II, Decision on the request of the Trust Fund for Victims for leave to appeal against the order of 9 February 2016, Entscheidung v. 04. 03. 2016. 440 IStGH, Lubanga, Verfahrenskammer II, Decision on the request of the Trust Fund for Victims for leave to appeal against the order of 9 February 2016, Entscheidung v. 04. 03. 2016, Rn. 12. 432

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IV. Gerichtliche Reparationen nach Art. 75 Abs. 2 IStGH-Statut

Der TFV reichte mit Eingabe vom 31. Mai 2016 den ersten Teil der Victim Dossiers ein442 und merkte an, dass die individuelle Berechtigungsprüfung zu Retraumatisierung und weiterer Schädigung der jeweiligen Opfer führe.443 Der TFV sei eine unabhängige Entität, die bei der Ausführung seines Mandats zu allererst dem „Do No Harm“-Grundsatz verschrieben sei.444 In Ausführung der Anordnung des Gerichtshofes habe der TFV eine NGO als technische Unterstützerin beauftragt und die Kosten in Höhe von 111.380 USD aus den Mitteln des TFV für Reparationen gezahlt. Mithin habe die erste Lieferung an Victim Dossiers ca. 10 % der gesamten Mittel gekostet, die der TFV komplementär für Reparationen des Lubanga aufwenden könne.445 Durch diese Mittel sei es lediglich gelungen, 31 Opfer zu beurteilen, von denen 29 bereits in dem Verfahren rechtlich vertreten und mithin bekannt waren. Von diesen nur 31 Victim Dossiers seien zudem lediglich 13 Dossiers vollständig, teilweise würden Informationen fehlen, teilweise würden sich die Opfer aus Angst, ihre Identität dem Täter gegenüber preiszugeben, weigern.446 Weiterhin seien insgesamt nur 12 überprüfte Opfer Berechtigte nach den von der Verfahrenskammer II festgelegten Kriterien.447 Der TFV bat eindringlich, die Kammer möge ihren prozessualen Ansatz überdenken.448 Mit Eingabe vom 7. Juni 2016 reagierte der TFV auf die Anordnung der Kammer, den Draft Implementation Plan zu vervollständigen.449 Neben Ausfüh441

IStGH, Lubanga, Verfahrenskammer II, Decision on the request of the Trust Fund for Victims for leave to appeal against the order of 9 February 2016, Entscheidung v. 04. 03. 2016, Rn. 16. 442 TFV, First submission of victim dossiers With Twelve confidential, ex parte annexes, available to the Registrar, and Legal Representatives of Victims V01 only, Eingabe v. 31. 05. 2016. 443 TFV, First submission of victim dossiers With Twelve confidential, ex parte annexes, available to the Registrar, and Legal Representatives of Victims V01 only, Eingabe v. 31. 05. 2016, Rn. 8. 444 TFV, First submission of victim dossiers With Twelve confidential, ex parte annexes, available to the Registrar, and Legal Representatives of Victims V01 only, Eingabe v. 31. 05. 2016, Rn. 9. 445 TFV, First submission of victim dossiers With Twelve confidential, ex parte annexes, available to the Registrar, and Legal Representatives of Victims V01 only, Eingabe v. 31. 05. 2016, Rn. 15. 446 TFV, First submission of victim dossiers With Twelve confidential, ex parte annexes, available to the Registrar, and Legal Representatives of Victims V01 only, Eingabe v. 31. 05. 2016, Rn. 42. 447 TFV, First submission of victim dossiers With Twelve confidential, ex parte annexes, available to the Registrar, and Legal Representatives of Victims V01 only, Eingabe v. 31. 05. 2016, Rn. 193. 448 TFV, First submission of victim dossiers With Twelve confidential, ex parte annexes, available to the Registrar, and Legal Representatives of Victims V01 only, Eingabe v. 31. 05. 2016, Rn. 210. 449 TFV, Additional Programme Filing, ICC-01/0401/06, Eingabe v. 07. 06. 2016. Der TFV sollte Informationen zu den vorgeschalgenen Programmen hinzufügen, jedes kollektive Reparationsprogramm muss beinhalten:

2. Implementierung von Reparationsanordnungen

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rungen zu den von der Kammer geforderten Konkretisierungen der vorgelegten Programme450 bezog er sich erneut auf seine bereits im Rahmen der Einreichung der Victims Dossiers gemachten Angaben, dass die individuelle Prüfung der Berechtigung sehr zeit- und ressourcenintensiv wäre.451 Der prozessuale Ansatz der Verfahrenskammer II sei ein grundlegendes methodisches Hindernis und halte den TFV davon ab, die Kernelemente des Draft Implementation Plan umzusetzen sowie die geplante komplementäre Finanzierung weiterzuverfolgen.452 Der TFV ersuchte die Kammer erneut, von ihrem rechtlichen Ansatz Abstand zu nehmen und den Draft Implementation Plan wie vorgelegt zu billigen.453 Die Kammer reagierte auf die Eingaben des TFV in mehrfacher Hinsicht: Mit Bitte vom 15. Juli 2016 ersuchte sie den TFV, die Umsetzbarkeit von symbolischen Reparationen zu prüfen, wie beispielsweise ein Denkmal oder eine Statue für die Kindersoldaten, die unter den Verbrechen Lubangas gelitten hatten.454 Für diese symbolischen Maßnahmen, die parallel zu den anderen Projekten für Opfer entwickelt werden sollten, sah die Kammer es nicht als erforderlich an, die Berechtigung zwingend im Einzelfall festzustellen.455 Daneben wies die Kammer in einer Mehrheitsentscheidung456 mit Verfügung vom 15. Juli 2016 die Kanzlei an, die Verfahrensvertreter der Opfer und den TFV bei der Identifikation von möglichen Entschädigungsberechtigten zu unterstützen: „[…] that the Registry must provide the TFVand the Legal Representatives of victims with all the assistance necessary for this purpose“.457 „1) the specific terms of reference for each programme for which the Trust Fund is considering issuing a request for proposals or entering into a contract; 2) a „precise evaluation“ of the cost of each programme; and 3) the time limits for each programme’s implementation.“, Entscheidung der Verfahrenskammer II v. 09. 02. 2016, Rn. 21 f. 450 Die aus Sicht des TFV weder rechtlich notwendig noch faktisch möglich sind. 451 TFV, Additional Programme Filing, Eingabe v. 07. 06. 2016, Rn. 94. 452 TFV, Additional Programme Information Filing, Eingabe v. 07. 06. 2016, Rn. 95. Weiter oben in seiner Eingabe hat der TFV erläutert, er sehe sich gezwungen von der komplementären Zurverfügungstellung in Höhe von 1 Mio. Euro Abstand zu nehmen, sollte die Kammer an ihrer rechtlichen Auffassung der individualisierten Berechtigungsprüfung festhalten, Rn. 16. 453 TFV, Additional Programme Information Filing, Eingabe v. 07. 06. 2016, Rn. 97. 454 IStGH, Lubanga, Verfahrenskammer II, Request Concerning the Feasibility of Applying Symbolic Collective Reparations, Ersuchen v. 15. 07. 2016, Rn. 12. 455 IStGH, Lubanga, Verfahrenskammer II, Request Concerning the Feasibility of Applying Symbolic Collective Reparations, Ersuchen v. 15. 07. 2016, Rn. 11. 456 In ihrer dissention opinion erklärte Richterin Olga Herrera Carbuccia im Kern, die Kammer hätte eine praktikabele Lösung finden müssen, die Reparationen nicht als Fata Morgana erscheinen lassen. Zudem sei ihr die Unterscheidung zwischen symbolischen Reparationen und anderen kollektiven Reparationen nicht verständlich, https://www.legal-tools. org/doc/518503/pdf/, abgerufen am 15. 12. 2019. 457 IStGH, Lubanga, Verfahrenskammer II, Order instructing the Registry to provide aid and assistance to the Legal Representatives and the Trust Fund for Victims to identify victims potentially eligible for reparations, Verfügung v. 15. 07. 2016, Rn. 8.

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IV. Gerichtliche Reparationen nach Art. 75 Abs. 2 IStGH-Statut

cc) Die Herrin der Implementierungsstage Der TFV führte neben den inhaltlichen Bedenken (s. o.) aus, in der Implementierungsphase sei vorrangig die GeschOTFV anwendbar, die in den Nr. 62 – 65 einen notwendigen Verifikationsprozess nur vorsehe, wenn individuelle Entschädigungen nach Regel 98 Abs. 2 der RPE angeordnet werden, nicht jedoch, wenn kollektive Reparationen nach Regel 98 RPE Abs. 3 verhangen werden.458 Nach Auffassung des TFV hatte die Reparationsanordnung der Verfahrenskammer, abgeändert durch die Berufungskammer, die Implementierungsphase ausgelöst. In dem Moment, in dem der TFV nach Nr. 50 lit. b) GeschOTFV mit der Implementierung von Reparationen als Mittler beauftragt werde, gelte die GeschOTFV vorrangig.459 Diese weise auch keine Lücken auf, sondern beinhalte die vollständigen Regelungen, unter denen sowohl der Gerichtshof als auch der TFV ihre jeweiligen Funktionen in der Implementierungsphase auszuüben haben.460 Es sei auch nicht so, dass die Implementierungsphase erst nach Billigung des Draft Implementation Plan mit der konkreten Umsetzung beginne. Diese Erwägungen entsprechen keinem allgemeinen Grundsatz; die GeschOTFV gilt nicht automatisch nach Ausspruch der Reparationsanordnung vorrangig. Nach Art. 21 Abs. 1 lit. a) IStGH-Statut ist das anwendbare Recht am IStGH in erster Linie das Statut, die „Verbrechenselemente“ und die RPE. Die GeschOTFV wird nicht ausdrücklich genannt. Nach Art. 21 Abs. 1 lit. b) IStGH-Statut sind – sofern angemessen – andere Verträge und Prinzipien des Völkerrechts anwendbar. Da die GeschOTFV weit weniger allgemein ist als die in lit. b) genannten allgemeinen Regeln und Prinzipien, ist davon auszugehen, dass sie zwar nach dem Statut, aber noch vor den allgemeinen Regularien des Völkerrechts Anwendung finden soll. Einen Hinweis darauf, dass die GeschOTFV teilweise – namentlich im Implementierungsverfahren – vor dem Statut und den RPE gelten soll, ist in Art. 21 IStGH-Statut jedoch nicht enthalten. Anderes könnte gelten, wenn der Vorrang der GeschOTFV vor dem Statut unmittelbar von der Versammlung der Vertragsstaaten vorgegeben wurde und dadurch legitimiert ist. Anknüpfungspunkt könnte Art. 79 IStGH-Statut sein, nach dessen Absatz 3 der TFV nach den von der Versammlung der Vertragsstaaten festgelegten Kriterien geleitet wird. Entsprechend nahm die Versammlung der Vertragsstaaten am

458 TFV, First submission of victim dossiers With Twelve confidential, ex parte annexes, available to the Registrar, and Legal Representatives of Victims V01 only, Eingabe v. 31. 05. 2016, Rn. 130 – 134. 459 TFV, First submission of victim dossiers With Twelve confidential, ex parte annexes, available to the Registrar, and Legal Representatives of Victims V01 only, Eingabe v. 31. 05. 2016, Rn. 101. 460 TFV, First submission of victim dossiers With Twelve confidential, ex parte annexes, available to the Registrar, and Legal Representatives of Victims V01 only, Eingabe v. 31. 05. 2016, Rn. 101.

2. Implementierung von Reparationsanordnungen

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3. Dezember 2005 die GeschOTFV an.461 In deren Präambel wird auf die Art. 75, 79 IStGH-Statut und Regel 98 RPE Bezug genommen: „Bearing in mind the provisions of articles 75 and 79 of the Rome Statute and rule 98 of the Rules of Procedure and Evidence“. Damit ist jedoch noch nicht gesagt, dass die GeschOTFV nach der Reparationsanordnung dann vorrangig gelten soll. Auch im weiteren Text der GeschOTFV wird nicht deutlich, dass die Versammlung der Vertragsstaaten intendierte, das Implementierungsverfahren vollständig und vorrangig darin zu regeln mit der Folge, dass das Umsetzungsverfahren kein gerichtliches Verfahren mehr wäre. Auch eine Anwendung der GeschOTFV auf ein gerichtliches Verfahren ist kein gangbarer Weg. Der TFV ist kein Organ des Gerichtshofes, sondern eine eigenständige Struktur, die mit einem eigenen Doppelmandat an den Gerichtshof angedockt ist. Die GeschOTFV ist schon strukturell nicht für ein gerichtliches Verfahren angelegt; die für die Kammern geltenden Regelungen ergeben sich aus dem IStGHStatut und den RPE. Selbst wenn bei Verabschiedung der GeschOTFV durch die Versammlung der Vertragsstaaten beabsichtigt gewesen wäre, dem TFV eine größere Rolle im Umsetzungsverfahren durch flexiblere Regularien zu geben, müsste dies im Lichte der zwingenden rechtstaatlichen Grundsätze gesehen und ausgelegt werden. Die grundlegende Maxime des Gerichtshofes ist die Einhaltung der notwendigen Bestimmtheit und der Wahrung der Rechte der Parteien – der Reparationsgläubiger und des Schuldners der Entschädigungsleistungen. Mithin kann eine Auslegung nur ein Ergebnis hervorbringen, mit dem sich der Gerichtshof innerhalb der Rechtsstaatlichkeit bewegt. Die Festlegung der entscheidenden verfahrensrechtlichen Vorschriften muss hier im Hinblick darauf geschehen, dass es um die Implementierung einer gerichtlichen Reparationsanordnung geht. Je nach Lage des Falles können Herausforderungen auftreten und die Entscheidungen müssen die Wahrung der Rechte der Parteien beachten. Dies ist die Aufgabe der Verfahrenskammer II; der TFV ist im Rahmen seines Umsetzungsmandats von gerichtlichen Reparationen mithin nicht unabhängig. Die Kammer muss zwingend die Herrin der Implementierungsstage sein. Andernfalls würde die Einsetzung der Kammer schon keinen Sinn machen; eine Reparationskammer kann nicht lediglich eine formale Mitzeichnungsbefugnis haben, sie muss vielmehr dafür Sorge tragen, dass alle rechtlich notwendigen Voraussetzungen eingehalten werden. Die Berufungskammer führte in ihrer Entscheidung über die Berufungszulassung im Lubanga-Verfahren aus, das Reparationsverfahren gliedere sich in zwei Teile.462

461

Resolution ICC-ASP/4/Res.3 v. 03. 12. 2005. IStGH, Lubanga, Decision on the admissibility of the appeals against Trial Chamber I’s ,Decision establishing the principles and procedures to be applied to reparations‘ and directions on the further conduct of proceedings, Entscheidung v. 12. 12. 2012, Rn. 53. 462

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IV. Gerichtliche Reparationen nach Art. 75 Abs. 2 IStGH-Statut

Zunächst das Verfahren vor der Verfahrenskammer, welches in der Anordnung von Reparationen nach Art. 75 Abs. 2 IStGH-Statut oder durch die Entscheidung der Kammer endet, keine Reparationen zuzusprechen. Dieser Teil des Verfahrens fände seine Regelung primär in Art. 75 und 76 Abs. 3 IStGH-Statut und den Regeln 94, 95, 97 und 143 RPE. Der zweite Teil ist der Kammer zufolge die Implementierungsphase. Sie werde zum Teil in Art. 75 Abs. 2 S. 2 des IStGH-Statut geregelt,463der jedoch lediglich aussagt: „Where appropriate, the Court may order that the award for reparations be made through the Trust Fund provided for in article 79.“

Darüber hinaus bestünden Regeln für die Implementierungsphase in Regel 98 RPE. Soweit die Verfahrenskammer angeordnet habe, dass Reparationen nach Regel 98 Abs. 3 und Abs. 4 RPE gemacht werden sollen, spiele der TFV eine wichtige Rolle; im Rahmen der Implementierung könne auch die GeschOTFV Anwendung finden.464 dd) Diskussion Die Debatte im Rahmen des Implementierungsverfahrens wurde von den Akteuren in Lubanga aus verschiedenen Gründen intensiv geführt. Zunächst einmal zeigte sich an dieser Stelle erneut, dass das Lubanga-Verfahren das erste Reparationsverfahren vor dem IStGH war; die Regelungen waren noch nicht erprobt worden und die verschiedenen Beteiligten hatten bisher nur teilweise ihre jeweiligen Rollen gefunden. Festzuhalten bleibt nun, dass die Frage, wie eng die Kammer die gerichtliche Anordnung führen und begleiten muss, jeweils im Einzelfall entschieden wird und die zwei Phasen – Verfahrensphase und Implementierungsphase – dementsprechend angepasst werden sollten. Sobald alle prozessual notwendigen Bestimmtheitserfordernisse erfüllt sind, kann die Implementierung nach der GeschOTFVerfolgen; dies jedoch stets unter Aufsicht der Kammer als Herrin der Implementierungsstage. Sollte sich die Zusammenarbeit aufgrund des unterschiedlichen Verständnisses von Kammer und TFV schwierig gestalten, ist die Kammer nicht gezwungen, den TFV mit der Implementierung zu beauftragen. So wie sie dem TFV in Lubanga die Kanzlei an die Seite stellte und in Katanga die Feststellung der berechtigten Opfer vollständig durch die VPRS der Kanzlei durchführen ließ, könnten auch in Zukunft andere Wege beschritten werden. In diesem Falle sollten sich sowohl die Versammlung der Vertragsstaaten als auch die 463

IStGH, Lubanga, Decision on the admissibility of the appeals against Trial Chamber I’s ,Decision establishing the principles and procedures to be applied to reparations‘ and directions on the further conduct of proceedings, Entscheidung v. 12. 12. 2012, Rn. 54. 464 IStGH, Lubanga, Decision on the admissibility of the appeals against Trial Chamber I’s ,Decision establishing the principles and procedures to be applied to reparations‘ and directions on the further conduct of proceedings, Entscheidung v. 12. 12. 2012, Rn. 55.

2. Implementierung von Reparationsanordnungen

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Organe des Gerichtshofes und der TFV gemeinsam Gedanken machen, wie die Rolle des TFV dann anders zugeschnitten werden kann.465 Selbst wenn man - anders als hier argumentiert – die Meinung vertreten wollte, dass der TFV im Rahmen der Implementierungsphase zumindest insofern „Herr des Verfahrens“ sein könne als dass er die Verfahrenskammer lediglich über seine Maßnahmen unterrichten muss, folgt daraus nicht automatisch, dass eine individuelle Feststellung der Opferberechtigung nicht notwendig ist.466 Auch wenn – der Argumentation des TFV in Lubanga folgend – ein Übergang der Hoheit des Verfahrens von der Kammer hin zum TFV im Moment der Reparationsanordnung erfolgen sollte, müsste die Opferberechtigung nach der hier vertretenden Ansicht zuvor gerichtlich auf der Verfahrensstage festgestellt worden sein. Es zeigt sich somit auch im Bereich der Feststellung der Opferberechtigung, dass die Probleme am IStGH ganz grundlegender Natur sind und immer wieder in verschiedenen Ausprägungen hervortreten. Das besondere zivilrechtliche Reparationsverfahren hat die Verpflichtung eines Individuums zu Entschädigungsleistungen zur Folge. Der verurteilte Täter – so grauenhaft seine Taten auch gewesen sein mögen – hat eigene Rechte in diesem rechtsstaatlichen Verfahren, von denen nicht abgewichen werden darf. Darunter fällt auch der Grundsatz, dass er gerichtlich nur zur Verantwortung gezogen werden kann, soweit dies innerhalb der geltenden rechtsstaatlichen Grundsätze möglich ist. Regel 85 lit. a) RPE schreibt den Grundsatz der Kausalität fest, s. o., das Vorliegen dieser Voraussetzung muss bei jedem einzelnen Anspruchsteller festgestellt werden. Wo gegen Staaten, die gegen alle Menschen auf ihrem Staatsgebiet eine Schutzpflicht haben und diese bei staatlicher Kriminalität auch gegenüber all diesen Menschen verletzt haben, zu breiter gestreuten Entschädigungsmaßnahmen verurteilt werden können,467 ist bei der Verurteilung eines Individuums eine Eingrenzung der Verantwortlichkeit aus rechtsstaatlichen Gründen zwingend geboten. Das Erfordernis der kausalen Verbindung zwischen Tathandlung des einzelnen Täters und Schädigung der Opfer kann nicht aus Opferschutzgesichtspunkten bis zur faktischen Abschaffung des Kausalitätserfordernisses vernachlässigt werden. Die rechtsstaatlichen Grundsätze müssen vor dem IStGH beachtet werden; ansonsten würden die Reparationsverfahren so diskreditiert werden, dass der Gerichtshof an Glaubwürdigkeit verliert. Richtig ist sicherlich, dass die notwendigen Voraussetzungen teilweise an die Besonderheiten von Reparationsverfahren in Fällen von Makrokriminalität angepasst werden müssen. Dabei ist aber jeweils sorgfältig darauf zu achten, dass die Rechte der Parteien nicht vor dem Hintergrund der „most serious crimes of concern to the international community“468 zu Lasten des Täters angepasst werden. So eine 465

Zur Rolle des TFV siehe unten. Dies unter dem Vorbehalt, dass die Berufungskammer die individuelle Feststellung der Berechtigung nicht als zwingend ansieht. 467 In diese Richtung auch Dwertmann, Reparation System, S. 95. 468 Aus der Präambel des IStGH-Statuts. 466

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IV. Gerichtliche Reparationen nach Art. 75 Abs. 2 IStGH-Statut

Anpassung versuchte die Verfahrenskammer II in ihrer Entscheidung vom 16. Oktober 2016: Indem sie der Implementierung von symbolischen Reparationen ohne eine individuelle Feststellung der Opferberechtigung zustimmte, wollte sie einen flexiblen Ansatz zeigen, der die Tatsache erträglicher machen sollte, dass die Opfer der Verbrechen Lubangas nach Jahren immer noch keine Reparationsleistungen erhalten hatten. Aus rechtlichen Gründen ist diese Entscheidung jedoch nicht nachvollziehbar. Das Argument, die Bedürfnisse der Opfer stünden im Vordergrund und die Erreichung bedeutsamer Maßnahmen für die Gemeinschaften seien das wichtigste Kriterium, ist aus emotionalen Gesichtspunkten nachzuvollziehen, rechtlich jedoch nicht haltbar. Diese Herangehensweise ist zu stark dem Vorbild der Behandlung der Staatenverantwortlichkeit verhaftet und verkennt, dass die dort angewandten Grundsätze nicht ohne weiteres auf Verfahren zur Feststellung individueller Verantwortlichkeit übertragen werden können. Die Aufgabenverteilung zwischen dem Gerichtshof und dem TFV war auch in den im Juni 2016 geführten Experteninterviews ein wichtiger Aspekt. Dabei war – wie auch schon in den schriftlichen Einlassungen der Kammer und des TFV – wiederholt ein fundamental unterschiedliches Verständnis des Charakters der Wiedergutmachung und darauf basierend auch Meinungsverschiedenheiten hinsichtlich der rechtlichen Anforderungen an Reparationen sowie der Zuständigkeitsverteilung zwischen Gerichtshof und TFV zu erkennen. Der TFV verstand sich als völlig unabhängige Organisation, die der Versammlung der Vertragsstaaten verpflichtet sei und auch bei der Aufgabe der Umsetzung gerichtlicher Reparationen extrem flexibel agieren könne. Wie bei aus Verletzung der Staatenverantwortlichkeit folgenden Reparationen stünden die Opfer im Mittelpunkt des Mandats. Würde diesem Verständnis des TFV von Reparationen gefolgt, wären die Rechte des einzelnen Entschädigungsschuldners in der Implementierungsphase sehr begrenzt. Sollte bei einer Wahrung der Rechte des Täters zu befürchten sein, dass es zu einer Ungleichbehandlung von Opfern kommt und damit der „Do No Harm“-Grundsatz verletzt wird, hat der Gerichtshof bereits einen sinnvollen Lösungsansatz aufgezeigt: Der TFV könne in diesen Fällen die Ungleichheit durch Maßnahmen im Rahmen seines General Assistance-Mandats auffangen.469 Genau an dieser Stelle zeigt sich der Vorteil des dualen Mandats des TFV: In enger Zusammenarbeit mit dem Gerichtshof kann so dafür Sorge getragen werden, dass trotz des durch rechtliche Zwänge limitierten Reparationsmandats des Gerichtshofes den Opfern bedeutsame und nicht reviktimisierende Unterstützung zuteil wird.

469 Diese Anregung hat auch die Berufungskammer gegeben, IStGH, Lubanga, Berufungsentscheidung, Rn. 215.

2. Implementierung von Reparationsanordnungen

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c) Vollstreckung (Zusammenspiel von TFV und Verurteiltem) Die Rolle des Verurteilten in der Phase der Implementierung und Vollstreckung ist in Statut und Regularien des IStGH nicht festgeschrieben, sie folgt aus rechtsstaatlichen Grundsätzen. aa) Vollstreckung in das Vermögen des Verurteilten Als durch völkerrechtliche Verträge errichtete Institution verfügt der IStGH nicht über die Möglichkeit, seine Entscheidungen und Anordnungen durch eigene Zwangsmaßnahmen durchzusetzen, wie es nationale Gerichte zu tun vermögen. Daher ist der IStGH in diesem Bereich darauf angewiesen, dass Staaten, in erster Linie seine Vertragsstaaten, die Maßnahmen für ihn umsetzen. Eigenständige Regelungen für die Durchsetzbarkeit der Opferentschädigung hält das IStGH-Statut nicht bereit.470 Durch den Querverweis in Art. 75 Abs. 5 auf Art. 109 IStGH-Statut erfolgt die Vollstreckung von Reparationsanordnungen nach den Grundsätzen, die das IStGH-Statut für die Vollstreckung von Geldbußen und Einziehungen vorsieht.471 Hieraus folgt – der Ansicht McCarthys folgend – für den IStGH die Möglichkeit, die Vollstreckung der Reparationsanordnung in das Vermögen des verurteilten Reparationsschuldners durch die Mitgliedsstaaten anzuordnen.472 Der IStGH muss sich dabei auf die Kooperationsbereitschaft der jeweiligen Vertragsstaaten oder gegebenenfalls sogar der Drittstaaten und das dort geltende nationale Recht verlassen. Nicht ausdrücklich im IStGH-Statut geregelt ist jedoch, ob die Vertragsstaaten verpflichtet sind, adäquate Regelungen für die Umsetzung von Kooperationsanforderungen des IStGH bereit zu halten.473 Nach Art. 88 IStGH-Statut sind Vertragsstaaten lediglich gehalten, sicherzustellen („ensure“), dass nach ihrem nationalen Recht überhaupt entsprechende Verfahren zur Verfügung stehen.474 Ausdrücklich bezieht sich diese Verpflichtung der Mitgliedsstaaten allerdings auch nur auf Verfahren für alle Formen der Zusammenarbeit, die in demselben Teil des Statuts („this part“), und damit Teil 9 („Internationale Zusammenarbeit und Rechtshilfe“), geregelt sind.475 Der für die Vollstreckung maßgebliche Art. 109 befindet sich indes in Teil 10 („Vollstreckung“) und wäre damit nach dem Wortlaut des Art. 88 IStGHStatut nicht von der in ihm statutierten Verpflichtung umfasst. Der Wortlaut des 470 Auch wenn auf der Rom-Konferenz zunächst die Meinung herrschte, dass die Durchsetzung von Opferentschädigungen am besten in den Regelungen zu Reparationen direkt geregelt wird, siehe Kreß/Sluiter, in: Cassese/Gaeta/Jones, S. 1834. 471 Siehe auch Regeln 217 – 222 RPE. 472 Vgl. dazu McCarthy, Reparations and Victim Support, S. 210 ff. 473 Vgl. dazu McCarthy, Reparations and Victim Support, S. 318. 474 Art. 88 IStGH-Statut. 475 So auch McCarthy, Reparations and Victim Support, S. 318.

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IV. Gerichtliche Reparationen nach Art. 75 Abs. 2 IStGH-Statut

Art. 109 IStGH-Statut selbst lautet jedoch: „States Parties shall give effect to fines or forfeitures ordered …“. Das bringt zum Ausdruck, dass Art. 109 IStGH-Statut von dem Bestehen eines entsprechenden Verfahrensrechts auf innerstaatlicher Ebene ausgeht und die Vollstreckung von Geldstrafen und Einziehung danach möglich sein muss.476 Darüber hinaus bezieht sich die Verpflichtung aus Art. 88 IStGH-Statut auf die ebenfalls in Teil 9 des Statuts befindliche Regelung des Art. 93 Abs. 1 lit. k) IStGHStatut, wonach die Vertragsstaaten verpflichtet sind, nationale Regelungen vorzusehen, durch die die Möglichkeit des Identifizierens, Aufspürens, Einfrierens oder der Beschlagnahme von Vermögensgegenständen zum Zweck der späteren Einziehung sichergestellt sein muss.477 Aus der Tatsache, dass Schutzmaßnahmen zum Zweck der späteren Einziehung vorgehalten werden müssen, kann der logische Schluss gezogen werden, dass auch grundsätzliche Regelungen für die Einziehung vorliegen müssen.478 McCarthy stützt seine überzeugende Analyse schlussendlich auf die Travaux Préparatoires.479 Aus den Verhandlungen des Römischen Status geht hervor, dass ein Kernproblem der Regelungen zur Vollstreckung war, ob die Vertragsstaaten verpflichtet sein sollten, die Anordnungen des Gerichtshofes zu vollstrecken („enforce“) oder lediglich die Weisungen des Gerichtshofes auszuführen („give effect to“).480 Die Debatte zwischen den Delegationen481 endete schließlich mit der Einigung, der Regelung den Wortlaut „to give effect“ zu geben.482 Daraus folgert McCarthy für die Verpflichtung nach Art. 109 IStGH-Statut schlüssig, dass die Vertragsstaaten verpflichtet sind, den Weisungen des Gerichtshofes bei der Vollstreckung von Geldstrafen und Einziehung Folge zu leisten, jedoch die Entscheidung über die genaue Ausgestaltung des entsprechenden Verfahrens nach nationalem Recht bei den Staaten liegt.483 Bei der Ausführung der Weisungen des Gerichtshofes ist es den Vertragsstaaten allerdings verwehrt, die Reparationsanordnungen des Gerichtshofes in irgendeiner Form zu verändern, weder im Hinblick auf die spezifisch angeordneten Reparationsarten noch hinsichtlich des Inhalts und Umfangs des gerichtlich festgestellten 476

So auch McCarthy, Reparations and Victim Support, S. 319. Zu Schutzmaßnahmen siehe unten unter IV. 2. c) bb). 478 So McCarthy, Reparations and Victim Support, S. 319. 479 Die nach Art. 32 der Wiener Verträge als ergänzendes Auslegungsmittel herangezogen werden dürfen. 480 Siehe zu der Entstehung: Draft Article 93, Draft Statute for an internationale Criminal Court, Report of the Preparatory Committee v. 14. 04. 1998, A/CONF.183/2/Add.1. 481 Die einen hatten das Ziel, die Rolle des innerstaatlichen Rechts zu stärken, wohingegen die anderen eine effiziente und gleichbleibende Umsetzung der Entscheidungen des Gerichtshofes sicherstellen wollten. 482 Draft Report of the Working Group on Enforcement v. 04. 07. 1998, A/CONF/.183/C.1/ WGE/L.13, S. 5. 483 McCarthy, Reparations and Victim Support, S. 320. 477

2. Implementierung von Reparationsanordnungen

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Schadens.484 Auch die festgeschriebenen Grundsätze der Reparationen müssen durch die Vertragsstaaten so wie niedergelegt auf die Vollstreckung der Reparationsanordnung angewandt werden.485 Eine offene Frage des Vollstreckungsregimes des IStGH ist, ob die Vollstreckungsverfahren sich unterscheiden, je nachdem, ob individuelle oder kollektive Reparationen angeordnet wurden486 oder ob in beiden Fällen die Bitte des Präsidiums um Kooperation nach Regel 217 RPE den Vollstreckungsprozess in Gang setzt.487 Denkbar wäre, dass der individuell Begünstigte die Vollstreckung durch den Vertragsstaat selbst beantragen muss. Dieser Ansatz basiert auf dem Gedanken, dass ein (individueller) Entschädigungsanspruch ein rein zivilrechtlicher Anspruch ist, der auch (rein) zivilrechtlichen Verfahrensregeln unterworfen sein muss.488 Neben dem Erfordernis der Antragstellung durch das anspruchsberechtigte Individuum hätte dies auch zur Folge, dass die vollstreckten Gelder oder Vermögenswerte nicht über den Gerichtshof, sondern durch den vollstreckenden Staat direkt an das begünstigte Opfer ausgekehrt würden.489 Abgesehen von dieser auf der Rechtsnatur des individuellen Entschädigungsanspruchs basierenden Überlegung findet sich nur ein Aspekt in den Regeln und Regularien des Gerichtshofes, der diesen Ansatz unterstützt: Nach Regel 218 Abs. 4 RPE ist dem betroffenen Opfer eine Kopie der Reparationsanordnung zu übermitteln. Daraus könnte geschlossen werden, dass dies das Opfer in die Lage versetzen soll, die Vollstreckung selbst zu betreiben.490 Dagegen lässt sich aber anführen, dass mit der Übermittlung der Reparationsanordnung das persönlich betroffene Opfer schlicht über den Ausgang des Verfahrens informiert werden soll. Gegen die Annahme, dass individuelle und kollektive Anordnungen unterschiedlich zu behandeln sein könnten, spricht zudem, dass nach Art. 109 Abs. 3 IStGH-Statut sämtliches Eigentum und sämtliche Erlöse, die durch die Vollstreckung eines Urteils des Gerichtshofes erlangt werden, an den Gerichtshof zu übertragen sind.491 Mithin soll nach dem Willen der Verfasser des IStGH-Statuts die Vollstreckung verschiedener Ansprüche gleich behandelt werden. Dies steht auch mit der Regelungstechnik des IStGH-Statuts im Einklang, ein einheitliches Vollstreckungsverfahren auf sämtliche vom Gerichtshof festgestellten vollstreckbaren Ansprüche anzuwenden. Es wäre auch nicht nachvollziehbar, warum ein Gläubiger eines individuellen Reparationsanspruches – anders als ein Gläubiger kollektiver 484 485 486 487 488 489 490 491

Regel 219 RPE. Regel 219 RPE. Dwertmann, Reparation System, S. 279. Kreß/Sluiter, in: Cassese/Gaeta/Jones, Bd. 1, S. 1835 f. Kreß/Sluiter, in: Cassese/Gaeta/Jones, Bd. 1, S. 1835 f. Kreß/Sluiter, in: Cassese/Gaeta/Jones, Bd. 1, S. 1835. So der Gedanke von Kreß/Sluiter, in: Cassese/Gaeta/Jones, Bd. 1, S. 1835. Kreß/Sluiter, in: Cassese/Gaeta/Jones, Bd. 1, S. 1835.

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IV. Gerichtliche Reparationen nach Art. 75 Abs. 2 IStGH-Statut

Reparationen – ein für ihn selbst ungleich aufwendigeres Vollstreckungsverfahren eigenständig durchführen müsste, für das er gegebenenfalls sogar noch die Kosten tragen müsste. Es sprechen mithin die überwiegenden Argumente dafür, dass das Vollstreckungsverfahren am IStGH einheitlich ausgestaltet ist und nicht danach unterscheidet, ob es sich um die Durchsetzung von individuellen oder kollektiven Entschädigungsansprüchen handelt.492 Folglich wird die Vollstreckung eines Reparationsanspruches nach Regel 217 RPE auch in beiden Fällen durch das Kooperationsersuchen des Präsidiums in Gang gesetzt. Ist es einem Staat nicht möglich, eine gerichtliche Reparationsanordnung zu vollstrecken, trifft ihn nach Art. 109 Abs. 2 IStGH-Statut die Pflicht, Maßnahmen zur Eintreibung des Gegenwertes des Erlöses, des Eigentums oder der Vermögensgegenstände anzuordnen, deren Einziehung der Gerichtshof angeordnet hatte, unbeschadet der Rechte gutgläubiger Dritter.493 Welcher Personenkreis als geschützte „gutgläubige Dritte“ im Sinne der Vorschrift zu verstehen ist, bestimmt das IStGH-Statut nicht. Es ist daher anzunehmen, dass dies auch durch das auf das Vollstreckungsverfahren anwendbare nationale Recht des Vertragsstaates bestimmt wird.494 Es gibt nach Ansicht von Kress/Sluiter Hinweise darauf, dass das Präsidium zumindest festlegen muss, wann das Konzept des „gutgläubigen Dritten“ konkret rechtsmissbräuchlich verstanden und angewandt wird.495 Dies wäre folgerichtig, da den betroffenen Destinatären durch das Regelwerk des IStGH keine rechtliche Möglichkeit gegeben wird, etwaige Vollstreckungsvereitelungen von Vertragsstaaten durch eine missbräuchliche Auslegung des Begriffs des „gutgläubigen Dritten“ zu ahnden. Dem Präsidium muss hier die Aufgabe und das Recht zukommen, für die 492

So im Ergebnis aus Kreß/Sluiter, in: Cassese/Gaeta/Jones, Bd. 1, S. 1835, die noch die berechtigte Frage aufwerfen, wie mit der Durchsetzung von kollektiven Reparationsforderungen umgegangen werden soll, die in vielen nationalen Rechtsordnungen unbekannt sind, ebenso wie die Vollstreckung von nicht monetären Wiedergutmachungsanordnungen, die teilweise unmöglich durchzusetzen sein werden, Kreß/Sluiter, in: Cassese/Gaeta/Jones, Bd. 1, S. 1836. In Bezug auf symbolische Reparationen, die der Mitwirkung des Reparationsschuldners bedürfen, könnte bei dessen Weigerung mitzuwirken an Strafmaßnahmen nach Art. 71 IStGH-Statut gedacht werden, McCarthy, Reparations and Victim Support, S. 181. 493 Art. 109 Abs. 2 IStGH-Statut. Dwertmann verweist auf Bantekas/Nash, International Criminal Law, 2. Auflage, S. 137, die aufgrund ihrer Auslegung von Art. 75 Abs. 4 und Art. 93 Abs. 1 lit. k) in Frage gestellt hatten, ob monetäre Reparationen aus solchen Eigentumsgütern, Vermögen und Mitteln beglichen werden müssen, die aus den Verbrechen des Reparationsschuldners stammen. 494 Kreß/Sluiter, in: Cassese/Gaeta/Jones, Bd. 1, S. 1830, mit dem Hinweis, dass das Präsidium zumindest festlegen muss, wann das Konzept des „gutgläubigen Dritten“ konkret rechtsmissbräuchlich verstanden und angewandt wird. 495 Kreß/Sluiter, mit dem Hinweis, dass das Präsidium zumindest festlegen muss, wann das Konzept des „gutgläubigen Dritten“ konkret rechtsmissbräuchlich verstanden und angewandt wird, in: Cassese/Gaeta/Jones Bd. 1, S. 1823 f., 1830.

2. Implementierung von Reparationsanordnungen

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Berechtigten die Einhaltung eines rechtsstaatlichen Verfahrens nach nationalem Recht überprüfen zu können. Hat der Vertragsstaat durch erfolgreiche Vollstreckung der Reparationsanordnung Eigentum oder den Erlös von Grundeigentum oder anderem Eigentum erlangt, so wird dies nach Art. 109 Abs. 3 IStGH-Statut an den Gerichtshof übertragen. Das Präsidium hat die Aufgabe, nach Konsultation der Parteien über die Verteilung der durch die Vollstreckung erlangten finanziellen Mittel und Eigentumsgüter zu entscheiden, Regel 221 Abs. 1 RPE. Darüber hinaus muss das Präsidium die finanzielle Situation des Verurteilten beobachten, auch noch nach Vollstreckung der Gefängnisstrafe, um so gegebenenfalls die weitere Vollstreckung von Reparationen zu ermöglichen.496 Auch an dieser Stelle wird die Funktion des Präsidiums als letztlich für die Durchsetzung der Vollstreckung von Reparationsanordnungen verantwortliche Stelle sichtbar.497 Aus den Vollstreckungsregularien wird deutlich, dass die Vollstreckung und Implementierung von Reparationsanordnungen schlussendlich davon abhängt, wie gut die Vertragsstaaten und gegebenenfalls auch Drittstaaten mit dem IStGH kooperieren und ihren Verpflichtungen nachkommen. Da der IStGH bekanntermaßen keine Zwangsmittel an der Hand hat um die Kooperation der Staaten sicherzustellen, ist an dieser Stelle einmal mehr der Erfolg von Reparationen an die (Gut)Willigkeit der betroffenen Staaten gebunden. Das IStGH-Statut versucht, die Opfer zumindest insoweit zu privilegieren, dass die Vollstreckung von Entschädigungsanordnungen vom Präsidium prioritär gegenüber anderen Ansprüchen zu behandeln ist.498 Ob dies allerdings ausreicht, um die Vollstreckung von Reparationsanordnungen immer sicherzustellen, darf bezweifelt werden. bb) Schutzbeschlagnahmung von Vermögen des Verurteilten Die Vollstreckung einer Reparationsanordnung ist denklogisch erst sehr spät im Prozess möglich, nachdem eine rechtskräftige Verurteilung und eine rechtskräftige Reparationsanordnung ergangen sind. Die Erfahrungen an den internationalen/isierten Gerichte haben gezeigt, dass es viele Jahre dauern kann, bis ein solches Stadium im Verfahren erreicht ist.499 Dieser zeitliche Verzug bringt die große Gefahr mit sich, dass die Beschuldigten ausreichend Zeit haben, ihr Vermögen zu verstecken 496 Regulation 117 der Court Regulation; dabei darf die Unterstützung der Kanzlei herangezogen werden. 497 Bitti/Gonzáles Rivas, in: The International Bureau of the Permanent Court of Arbitration (Hrsg.), Redressing Injustices through Mass Claims Processes, S. 299, 317. 498 Siehe Regel 221 Abs. 2 RPE. 499 Beispielsweise wurde Thomas Lubanga Dylo am 14. März 2012 für schuldig befunden, die erste Implementierungsanordnung von Reparationen (begrenzt auf sympolische Reparationen) erging erst am 21. Oktober 2016, IStGH, Lubanga,Verfahrenskammer II, Order approving the proposed plan of the Trust Fund for Victims in relation to symbolic collective reparations, Urt. v. 16. 10. 2016.

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IV. Gerichtliche Reparationen nach Art. 75 Abs. 2 IStGH-Statut

oder zumindest dem Zugriff der jeweiligen hoheitlichen Stellen zu entziehen.500 Um sicherzustellen, dass im relevanten späten Zeitpunkt der Gerichtshof mit Hilfe der jeweiligen Staaten überhaupt auf Vermögensgüter des Reparationsschuldners zugreifen kann, sind die Rückverfolgung und das Einfrieren von Vermögen sowie die Schutzbeschlagnahme von Vermögensgütern des Beschuldigten bereits im Ermittlungsverfahren und damit zu einem frühen Verfahrensstadium möglich, Art. 57 Abs. 3 lit. e) IStGH-Statut i. V. m. Regel 99 RPE.501 Voraussetzung dafür ist, dass nach Art. 58 IStGH-Statut ein Haftbefehl oder eine Ladung ergangen ist, die vorsorglichen Schutzmaßnahmen insbesondere im Interesse der Opfer geschehen und die Beweiskraft der Beweismittel sowie die Rechte der betroffenen Parteien bei der Entscheidung für die Anordnung der Schutzmaßnahme gebührende Berücksichtigung gefunden haben.502 Im Ermittlungsverfahren ist die Vorverfahrenskammer für die Beantragung der Schutzmaßnahmen zuständig, entweder aus eigenem Antrieb, auf Antrag der Anklage oder Bitte der Opfer bzw. Opfervertreter.503 Nach Verurteilung des Täters kann die Verfahrenskammer solche Anordnungen treffen, Art. 75 Abs. 4 IStGH-Statut. Wegen des Umstands, dass der klare Wortlaut der zentralen Reparationsvorschrift Art. 75 IStGH-Statut die Verfahrenskammer nur ermächtigt, Maßnahmen zur Sicherstellung nach der Verurteilung des jeweiligen Täters anzuordnen, wird vertreten, dass sämtliche Schutzmaßnahmen für Reparationsanordnungen erst nach Verurteilung des Täters angeordnet werden dürfen.504 Dies hätte aber zur Folge, dass die Befugnisse der Vorverfahrenskammer nach Art. 57 Abs. 3 lit. e) IStGH-Statut sich nicht auf Schutzmaßnahmen zugunsten von Reparationsmaßnahmen beziehen würden.505 Gestützt wird diese Ansicht allerdings dadurch, dass in der Entstehungsgeschichte des Art. 75 IStGH-Statut ein Vorschlag scheiterte, der die Anordnung von Schutzmaßnahmen im Vorverfahren vorsah.506 Die Vorverfahrenskammer I im Lubanga-Verfahren stellte sich dieser Ansicht dennoch zu Recht entgegen. Bereits zum Zeitpunkt der Übermittlung des Haftbefehls 500

Garkawe, ICLR 3 (2003), 345 (364); Ferstman, Leiden JIL 15 (2002), 667 (678 ff.). Genetisch war das eine bewusste Entscheidung der Vertragsstaaten, getroffen im Hinblick auf die Unschuldsvermutung des Angeklagten (und damit verbundene nationale Hindernisse gegenüber Beschlagnahmen von Vermögen vor einer Verurteilung), vgl. Donat Cattin, in Triffterer’s Commentary 2, Art. 75, Rn. 23. 501 Donat Cattin, in Triffterer’s Commentary 2, Art. 75, Rn. 23 f. 502 Art. 57 Abs. 3 lit. e) IStGH-Statut. 503 Regel 99 Abs. 1 RPE. 504 Vgl. Dwertmann, Reparation System, S. 278. 505 Donat Cattin, in Triffterer’s Commentary 2, Art. 75, Rn. 23 ff. 506 Kreß/Sluiter, in: Cassese/Gaeta/Jones Bd. 1, S. 1826, 1834, mit dem Hinweis, dass die Staaten sich darum sorgten, dass die Anordnung von Schutzmaßnahmen als Vorveruteiltung gelten könnte und auch Eigentum beschlagnahmt werden könnte, welches mit den Verbrechen in keinem Zusammenhang steht und damit gegen das nationale Sachenrecht des jeweiligen Staates verstoßen könnte, vgl. auch Donat Cattin, in: Triffterer/Ambos, Art. 75 Rn. 24.

2. Implementierung von Reparationsanordnungen

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und der Bitte um Kooperation bei der Festsetzung des Täters sollte das Ersuchen um Anordnung von Schutzmaßnahmen nach Art. 57 Abs. 3 lit. e) und Art. 93 Abs. 1 lit. k) IStGH-Statut übermittelt werden.507 Die Vorverfahrenskammer führte nachvollziehbar aus, dass moderne Kommunikationsmittel es ermöglichen würden, binnen weniger Tage große Teile von Vermögen und beweglichen Sachen so zu verbringen, dass sie außerhalb des Zugriffs durch den Gerichtshof liegen. Mithin bestehe die hohe Wahrscheinlichkeit, dass die Bemühungen der Vorverfahrenskammer, der Anklage oder der betroffenen Opfer keinen Erfolg haben würden, wenn die Schutzmaßnahmen nicht früh genug angestrengt würden.508 Darüber hinaus spricht für eine frühe Anordnung von Schutzmaßnahmen, dass die Schutzmaßnahmen lediglich eine spätere Einziehung ermöglichen sollen, Art. 93 Abs. 1 lit. k) IStGH-Statut – mithin noch keine endgültigen Tatsachen schaffen. Da nach Art. 77 Abs. 2 lit. b) IStGH-Statut lediglich der Erlös, das Eigentum und Vermögensgegenstände eingezogen werden können – jeweils unbeschadet der Rechte gutgläubiger Dritter –, die unmittelbar oder mittelbar aus den Verbrechen stammen, für die der Täter verurteilt wurde, wird die Einschränkung vertreten, dass die Schutzmaßnahmen sich auch nur auf Vermögensgüter beschränken dürfen, die mittelbar oder unmittelbar aus abgeurteilten Verbrechen stammen.509 Diese Ansicht ist zu restriktiv. Die Vollstreckung von Reparationsanordnungen kann auch in Vermögen des Reparationsschuldners geschehen, welches keinen Zusammenhang zu den der Verurteilung zugrundeliegenden Verbrechen aufweist; der Reparationsschuldner haftet aus seinem gesamten Vermögen. cc) Vollstreckung des Regressanspruchs des TFV In den bereits entschiedenen Fällen Lubanga, Katanga und Al Mahdi sollte die Umsetzung der Reparationsanordnung durch den TFV erfolgen. Da die Verurteilten allesamt für mittellos erklärt worden waren, war der TFV gefragt, durch seine Mittel in Vorleistung zu treten. Eine Vorfinanzierung bedeutet jedoch nicht, dass der TFV endgültig die Kosten für die Reparationsmaßnahmen übernimmt und den Reparationsschuldner in diesem Rahmen von seiner Verpflichtung befreit. Vielmehr hilft der TFV dem Reparationsschuldner über dessen Mittellosigkeit hinweg, um trotz alledem zu ermöglichen, dass Reparationsprojekte für die Opfer umgesetzt werden. Der TFV erwirbt dann einen Anspruch gegen den Täter als rechtlichen Reparationsschuldner in der Höhe, in der er die Kosten für angeordnete Reparationen über507 IStGH, Lubanga, Vorverfahrenskammer I, Decision on the Prosecutors’ Application for a Warrant of Arrest, Para/Art. 58, Entscheidung v. 10. 02. 2006, ICC-01/04-01/06 (annexed to ACC-01/04-01/06, 24 Februar 2006), Rn. 139. 508 IStGH, Lubanga, Vorverfahrenskammer, Decision on the Prosecutors’ Application for a Warrant of Arrest, Para/Art. 58, Entscheidung vom 10. 02. 2006, ICC-01/04-01/06 (annexed to ACC-01/04-01/06, 24 Februar 2006), Rn. 137. 509 Dwertmann, Reparation System, S. 279.

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nommen hat. Dem Gerichtshof, namentlich dem Präsidium – wenn notwendig mit Hilfe der Kanzlei–, kommt dann die Aufgabe zu, die finanzielle Situation des Verurteilten zu überwachen, um eine Vollstreckung zumindest des Regressanspruchs sicherzustellen.510 dd) Fazit Die Sicherstellung der Durchsetzbarkeit von Reparationsforderungen gegen den verurteilten Täter ist eine der tragenden Säulen für den Erfolg des Reparationsregimes des IStGH. Die dafür vorgesehenen Regelungen zeigen jedoch Reformbedarf. Noch verhältnismäßig stark gestaltet das Statut das Recht des Gerichtshofes aus, von den Vertragsstaaten Kooperation bei der Vollstreckung von Reparationen zu verlangen. Diese Pflicht zur Kooperation normiert das IStGH-Statut jedoch nicht für Drittstaaten. Der Gerichtshof kann Drittstaaten zwar um Kooperation ersuchen, das Fehlen einer völkerrechtlichen Verpflichtung dazu macht es Drittstaaten allerdings wesentlich einfacher, sich dieser Bitte zu entziehen.511 Aufgrund der Tatsache, dass das Verschieben von Geld und anderen beweglichen Gütern zwischen verschiedenen Staaten und damit auch Zuständigkeiten relativ einfach ist, ist der Zugriff des Gerichtshofes auf das Vermögen des Täters erheblich erschwert.512 Darüber hinaus wird die Arbeit des Gerichtshofes dadurch behindert, dass er die Kooperation nicht direkt von Individuen, Organisationen oder bewaffneten Gruppierungen verlangen kann, sondern ausschließlich von Staaten.513 Es kann für die Sicherstellung von vollstreckbaren Gütern aber durchaus sinnvoll bis notwendig sein, zeitnah die Kooperation eines international tätigen Geldinstitutes sicherzustellen, ohne zuvor die Kooperation des Staates anfragen zu müssen, in dem das Geldinstitut seinen Sitz hat.514 Ein weiterer Aspekt ist die Tatsache, dass aufgrund der vermehrt auftretenden asymmetrischen Kriegsführung häufig nichtstaatliche Akteure und Splittergruppen weite Gebiete und Institutionen kontrollieren, deren Kooperation für die Durchsetzung von Opferentschädigung notwendig ist. Dass der Gerichtshof diese Gruppen weder um Kooperation ersuchen oder aufgrund einer völkerrechtlichen Obligation in die Pflicht nehmen kann, schwächt die Position des IStGH deutlich.515

510

Regulation 117 der Court Regulation. McCarthy weist richtigerweise darauf hin, dass der UN-Sicherheitsrat, wenn er eine Situation an den IStGH verweist, auch einem Drittstaat eine Kooperationspflicht auferlegen könnte, McCarthy, Reparations and Victim Support, S. 322. 512 McCarthy, Reparations and Victim Support, S. 322. 513 Vgl. Ciampi, in: Cassese/Gaeta/Jones, Bd. 2, S. 1607 – 1638; McCarthy, Reparations and Victim Support, S. 322. 514 McCarthy, Reparations and Victim Support, S. 322. 515 McCarthy, Reparations and Victim Support, S. 322 f. 511

2. Implementierung von Reparationsanordnungen

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Neben diesen rechtlichen Erwägungen lassen auch die Erfahrungen der Ad-hocGerichte berechtigte Zweifel an der Kooperationsbereitschaft der jeweiligen Vertragsstaaten aufkommen. Die meisten Angeklagten, die sich vor dem ICTY und dem ICTR auf Mittellosigkeit berufen hatten, waren damit erfolgreich und erhielten Prozesskostenhilfe.516 Auf nationaler Ebene blieben Entschädigungsanordnungen zugunsten von Opfern von Völkerrechtsverbrechen häufig nicht vollstreckt.517 Auf internationaler Ebene gab es aber auch positive Entwicklungen. Charles Taylors Vermögen wurde auf Initiative des Sondergerichtshofes von Sierra Leone eingefroren und die EU fror das Vermögen der Angeklagten vor dem ICTYein.518 Vor dem Hintergrund, dass das frühzeitige Aufspüren und Einfrieren von Vermögen zwingend notwendig für die Vollstreckung von Reparationsanordnungen ist, sollte dieser Trend der Positivbeispiele dringend beibehalten werden. Schließlich ist auch die Limitation des IStGH zu beachten, dass die generelle Obligation zur Kooperation von Vertragsstaaten nach Art. 86 IStGH-Statut sowie die freiwillige Kooperation von Drittstaaten nach Art. 87 Abs. 5 IStGH-Statut allein aus dem völkerrechtlichen Vertrag folgt; Zwangsmaßnahmen bei rechtswidriger Verweigerung der Kooperation stehen dem Gerichtshof indes nicht zur Verfügung. Möglich ist nach Art. 87 Abs. 7 IStGH-Statut nur der Verweis der Sache an die Versammlung der Vertragsstaaten oder den UN-Sicherheitsrat, wenn dieser die Situation an den Gerichtshof verwiesen hatte. Häufig kann eine politische Motivation hinter der Nichtkooperation gesehen werden, mithin sollte der Weigerung auch auf der politischen Ebene begegnet werden.519 Dafür muss sich der Gerichtshof aber wiederum auf das Engagement seiner Vertragsstaaten verlassen, die Staaten auf diplomatischem Wege unter Druck zu setzen, was in einigen Fällen nationalen politischen Interessen entgegenlaufen kann. Zudem wird das bloße „naming and shaming“ häufig wenig Eindruck auf die jeweiligen Machthaber haben; zu drastischeren politischen Maßnahmen werden die wenigsten Staaten bereit sein. Im Ergebnis ist für die erfolgreiche Vollstreckung von Reparationsanordnungen am wichtigsten, zu einem möglichst frühen Zeitpunkt Schutzmaßnahmen wie Schutzbeschlagnahmen oder das Einfrieren von Geldern zu erwirken, um eine spätere Vereitelung der Reparationsmaßnahmen zu verhindern. Der liberale Ansatz der Vorverfahrenskammer I in Lubanga bei der Auslegung der geltenden Regelungen ist hier sehr zu begrüßen. Sollten sich die Schutzmaßnahmen im Ergebnis doch als rechtswidrig herausstellen, wäre der dadurch Geschädigte dann zu entschädigen; Vorbild können hier die schon lang erprobten Regelungen des nationalen Rechts sein. 516 Dwertmann, Reparation System, S. 281, mit Verweis auf Ferstman, Yearbook of International Humanitarian Law 6 (2003), 424 (430). 517 Dwertmann, Reparation System, S. 282, mit Verweis auf Ruanda und weiteren Nachweisen. 518 Ferstmann, Yearbook of International Humanitarian Law 6 (2003), 424 (430). 519 Ciampi, in: Cassese/Gaeta/Jones, Bd. 2, S. 1633; Dwertmann, Reparation System, S. 282.

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IV. Gerichtliche Reparationen nach Art. 75 Abs. 2 IStGH-Statut

Solche Fälle der rechtswidrigen Anordnung von Schutzmaßnahmen sind bislang vor dem IStGH jedoch noch nicht vorgekommen.

3. Gesamtdiskussion Die Voraussetzungen des Reparationsanspruches am IStGH haben sich noch nicht alle deutlich herauskristallisiert; einiges bleibt streitig. Bei einigen Tatbestandsmerkmalen sind jetzt, über 17 Jahre nach Inkrafttreten des IStGH-Statuts, zwei grobe Entwicklungsrichtungen des Verständnisses zu erkennen, mit dem die Merkmale ausgelegt werden. Die eine Herangehensweise behandelt den Reparationsanspruch relativ strikt als besonderen zivilrechtlichen Anspruch und errechnet beispielsweise die Höhe des Anspruches anhand der einzeln festgestellten Schäden; teilweise Härten werden durch Beweisvermutungen oder die Annahme von noch weiteren, höheren Opferzahlen auszugleichen versucht. Die andere Herangehensweise betrachtet die Reparationsansprüche mehr als Ansprüche der Staatenverantwortlichkeit, was großzügigere Festlegungen des Schadensumfangs, die auf dem eingetretenen Gesamtschaden beruhen, zur Folge hat. Ganz grob lässt sich festhalten, dass eine rechtliche Konturierung einfacher gelingt, wo nicht gleichzeitig mittelbar die Debatte um die vertikale Reparation oder die horizontale Versöhnung geführt werden muss. Der Opferbegriff, der richtige Adressat der Reparationsanordnung, der Beweisgrad und die Frage nach den Anforderungen an die Kausalität werden zwar nicht einheitlich gesehen, es tun sich jedoch keine übermäßig schwer zu überwindenden Hindernisse auf. Streitiger sind die Aspekte, die die grundlegend unterschiedlichen Herangehensweisen und Auffassungen hinsichtlich der Rechtsnatur des Anspruches direkt an die Oberfläche bringen. Das sind die Punkte, die in einem Ausgleichsverfahren zwischen einem individuellen Täter und einer Vielzahl individueller Opfer besonders schwierig sind, weil an sie – zumindest nach der ersten Herangehensweise – nicht mit dem großzügigen Maßstab der Staatenverantwortlichkeit herangegangen werden kann. Darunter fallen der Schadensbegriff, der Inhalt und Umfang des Schadens und die Fragen, ob eine individuelle Berechtigtenprüfung (Eligibility) nur bei individuellen Reparationen oder immer notwendig ist und ob sich die individuelle Verantwortlichkeit aus den summierten Schäden aller reparationsberechtigten Opfer ergibt oder aus einer (geschätzten) Festsetzung des Gesamtschadens. Daraus folgt auch die Frage, wie weit der Tatbeitrag des Schuldners Auswirkungen auf seine gesamte Verantwortlichkeit haben kann. Vereinfachend lässt sich sagen, dass das Maß des den Reparationsschuldner schützenden zivilrechtlichen Rechtsstaatsprinzips, das oft im

3. Gesamtdiskussion

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Spannungsverhältnis zu den Interessen der Opfer an möglichst großzügigen und breit gestreuten Reparationsmaßnahmen steht, streitig ist. Die Gründe für das Hervortreten dieser Streitfragen sind mannigfaltig. Die Entscheidung der Vertragsstaaten, die Aufgabe eines Reparationsmandates einem internationalen Strafgerichtshof zu übertragen und die Gewährung von Opferentschädigungen an eine strafrechtliche Verurteilung eines individuellen Täters zu knüpfen, stellt den Gerichtshof vor eine Aufgabe, die er kaum zur allseitigen Zufriedenheit erfüllen kann. Durch die Selektivität der Anklage können nur diejenigen Opfer Wiedergutmachungen beantragen, deren Schäden nachgewiesenermaßen auf Taten eines Täters beruhen, für die er auch verurteilt wurde. Es ist mithin für den Gerichtshof unmöglich, im Rahmen seines Mandats Opfer eines komplexen Konflikts in Fragen der Wiedergutmachung gleich (genug) zu behandeln. Der fragmentarische Charakter des IStGH-Statuts im Rahmen der völkerstrafrechtlichen Anklage setzt sich somit auf der Ebene der Reparationen fort. Verstärkt wird dies durch die Entscheidung der Vertragsstaaten, als Reparationsschuldner nicht den jeweiligen Situationsstaat oder die Staatengemeinschaft, sondern die individuellen Täter zu bestimmen. Mit dem politischen Ziel vor Augen, die Staaten vor der auch nur theoretischen Möglichkeit der Inanspruchnahme zu bewahren,520 wurde der individuelle Völkerrechtsverbrecher als eine Art Kompromisslösung als Schuldner nominiert und festgesetzt. Dem Druck der NGOs und einiger Staaten, die sich für eine Verpflichtung von Staaten und Staatengemeinschaft eingesetzt hatten, wurde so in Rom mit einer Lösung begegnet, die sich vordergründig zwar gut liest, aber zu kurz greift.521 Durch die Wahl des Adressaten ist der Entschädigungsanspruch eines berechtigen Opfers ein Anspruch zivilrechtlicher Natur, der den Besonderheiten der Massenkriminalität und dem Opferschutz Rechnung tragen muss. Dennoch schlagen die limitierenden Regelungen deliktischer Ansprüche durch. Der Opferbegriff des IStGH in Regel 85 lit. a) RPE knüpft daran an, dass dem Opfer ein Schaden entstanden ist, für den eine Tat kausal war, für die der Täter durch den IStGH verurteilt wurde, Art. 75 IStGH-Statut i. V. m. Regel 85 lit. a) RPE. Zwar ist der Schadensbegriff am Gerichtshof zu Recht weit gefasst, er wird jedoch stark eingegrenzt durch das Erfordernis der Kausalität. Eine kausale Verbindung zwischen einem Schaden und einer Tat, die durch den IStGH abgeurteilt wurde, darzulegen, wird nur wenigen Opfern eines Konfliktes gelingen. Es zeigt sich, dass das Entschädigungsmandat des IStGH aus Opferschutzgesichtspunkten aufgrund seiner zivilrechtlichen Natur viel zu eng gefasst ist. Der Nachbar beispielsweise, der Opfer eines nicht beweisbaren und damit nicht verurteilten Verbrechens wurde, erhält keine Wiedergutmachung. Diese Ungleichbehandlung ist den Betroffenen schwer zu vermitteln und lässt Be520

Siehe oben unter II. 4. b). Im Hinblick auf den Täter völkerstrafrechtlicher Verbrechen sind die Regelungen des Römischen Statuts keineswegs unbillig, sie haben jedoch direkte Auswirkungen auf die Opfer des Konflikts und ihre Möglichkeiten, Wiedergutmachung zu erlangen. 521

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IV. Gerichtliche Reparationen nach Art. 75 Abs. 2 IStGH-Statut

denken aufkommen, ob es dem Gerichthof überhaupt möglich ist, den „Do No Harm“-Grundsatz einzuhalten, wie es ihm aufgegeben wurde. Darüber hinaus hat die Tatsache, dass ein Individuum Schuldner der Reparationsanordnung ist, zur Folge, dass nach der hier vertretenden Auffassung grundsätzlich die Berechtigung eines jeden Opfers gerichtlich festgestellt werden muss. Anders als teilweise vertreten,522 sollte dies überwiegend auch dann gelten, wenn als Reparationsmodus kollektive Reparationen angeordnet wurden. Auch wenn es aus Opferschutzgesichtspunkten wünschenswert wäre, dass zur Heilung ganzer Gemeinschaften das Erfordernis der gerichtlichen Feststellung der Eligibility bei kollektiver Opferentschädigung entfallen könnte, würde das gegen die Rechte des persönlichen Schuldners der Reparationsleistungen verstoßen. Die Feststellung der Berechtigung kann entgegen der Auffassung der Verfahrenskammer I und der Berufungskammer in Lubanga aus dem Jahr 2015 auch nicht durch den TFV erfolgen, da diese Feststellung notwendiger Teil einer Reparationsanordnung ist, die gerichtlich entschieden und für den beschwerten Schuldner durch Rechtsmittel angreifbar sein muss. Die Lubanga-Urteile enthielten nicht die von der Berufungskammer geforderte Liste der berechtigten Opfer, sie waren in diesem Punkt unvollständig. Die oben angesprochene Debatte darüber, ob eine individuelle Feststellung der Opferberechtigung auch dann erfolgen muss, wenn kollektive Reparationen angeordnet wurden, wurde mithin erst auf der Implementierungsebene durch die Verfahrenskammer II geführt. Damit versuchte die Verfahrenskammer II, den Makel der Unvollständigkeit der Urteile der Verfahrenskammer I und der Berufungskammer zu heilen. Richtigerweise wurde im Fall Katanga bereits im Verfahren durch die Kanzlei in Zusammenarbeit mit den Opfervertretern eine Liste der Opfer erstellt, um die Verfahrenskammer in die Lage zu versetzen, in ihrem Urteil die berechtigten Opfer zu nennen.523 Die Berufungskammer in Katanga kritisierte gerade dieses Vorgehen jedoch. Zwar sei es nicht per se rechtsfehlerhaft, jedoch unangemessen aufwendig. In Al Mahdi erklärte die Berufungskammer die Feststellung der einzelnen Opfer zu Recht zu einem gerichtlichen Verfahren. Allerdings setzte die Kammer den Schadensumfang unabhängig von den einzelnen Schadenspositionen der Opfer fest, sie betrachtete aus Praktikabilitätsgesichtspunkten schlicht die eingetretenen Schäden und legte den Inhalt und Umfang der Verantwortlichkeit Al Mahdis nur auf Grundlage dieser fest. Diese Entwicklung am IStGH ist problematisch. Die notwendige individuelle Feststellung der Opferberechtigung ist eine direkte Folge der deliktischen Ausgestaltung des Reparationsanspruchs am IStGH. Sie kann Geschädigten die Geltendmachung ihrer Rechte stark erschweren und gegebenenfalls den gesamten Prozess (Verfahrens- und Implementierungsphase) erheblich verlängern. So wird der Ge522 Z. B. in IStGH, Katanga, Berufungsentscheidung; IStGH, Al Mahdi, Berufungsentscheidung. 523 Dies wurde in Gesprächen am Gerichtshof berichtet.

3. Gesamtdiskussion

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richtshof häufig Schwierigkeiten haben, den Grundsatz eines zügigen Verfahrens und den „Do No Harm“-Grundsatz einzuhalten. Dennoch sollte an dieser Stelle aufgrund der entgegenstehenden Rechte des verurteilten Täters keine andere Lesart der Regeln am IStGH zugelassen werden. Die vorgenommene Ausnahme von dem Grundsatz der individuellen Feststellung der Verfahrenskammer II in Katanga für Maßnahmen symbolischer Reparationen ist ebenfalls rechtlich nicht überzeugend. An der Debatte wird erneut sichtbar, dass Teile der Streitigkeiten auf ein grundlegend anderes Verständnis der Rechtsnatur von Reparationen und dessen zurückgehen, was Reparationen eines individuellen Täters im Rahmen von internationalen Strafverfahren leisten können oder müssen. Schließlich ist es, selbst wenn eine Reparationsanordnung gegen einen verurteilten Täter zugunsten seiner Opfers ergangen ist, häufig noch fraglich, ob die Opfer tatsächlich jemals die Leistungen des verurteilten Täters erhalten werden. In der Vergangenheit sind die Wiedergutmachungsanordnungen gegen mittellose Schuldner verhängt worden;524 in den Fällen Lubanga, Katanga und Al Mahdi konnte der IStGH keine Vermögensgüter sichern, die er an die Gläubiger hätte verteilen können. Erschwerend ist hier zudem, dass der IStGH die Vertragsstaaten ersuchen muss, das Sicherungs- und Vollstreckungsverfahren zu betreiben und keine Möglichkeit hat, die Rechtspflicht der Staaten durchzusetzen. Noch wichtiger als die Vollstreckung nach Anordnung der Entschädigung ist das Aufspüren von Vermögensgütern des Beschuldigten und das Anordnen von beispielsweise Schutzbeschlagnahmen zu einem frühen Verfahrensstadium. Nur so kann sichergestellt werden, dass die Opfer zumindest eine Chance auf Entschädigungsleistungen des Schuldners haben. Hier liegt es am Gerichtshof, so früh wie möglich im Rahmen seiner Möglichkeiten tätig zu werden. Die Hauptverantwortung liegt jedoch erneut bei den Vertragsstaaten, aber auch Drittstaaten. Ohne ihr Zutun ist der Gerichtshof mangels Exekutivbefugnisse nicht in der Lage, sein Mandat zu erfüllen. Insgesamt ist das Reparationsmandat des IStGH zu eng gefasst, um einen ernsthaften Versuch zu ermöglichen, Verbrechen der Makrokriminalität wiedergutzumachen. Ohne eine – zumindest subsidiäre – Haftung der jeweiligen Situationsstaaten, ist dieses Dilemma nicht lösbar. So wäre es denkbar, eine Haftung des Situationsstaates festzuschreiben, wenn der verurteilte Täter keine Vermögensgüter aufweist. Mit einer solchen Regelung wäre der notwendige Anreiz für die Staaten gesetzt, effektiv bei den Schutzmaßnahmen mitzuwirken. Für eine solche Haftung des Situationsstaates wäre jedoch wahrscheinlich eine Änderung des IStGH-Statuts notwendig. Es könnte allerdings angedacht werden, dass der Gerichtshof bereits jetzt die Möglichkeit hat, Vertragsstaaten und andere 524

In Case 001 hatte die Kammer der ECCC die Unmöglichkeit der Vollstreckung einer Reparationsanordnung gegen einen mittellosen Täter noch als Anordnungshindernis für Reparationen gesehen und sich geweigert, den Opfern von Duch einen „leeren“ Titel zuzusprechen. Zu Recht teilte die Berufungskammer der ECCC diese Rechtsauffassung nicht, ebenso wenig wie der IStGH im Lubanga-Verfahren.

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IV. Gerichtliche Reparationen nach Art. 75 Abs. 2 IStGH-Statut

Rechtsträger direkt zu adressieren und deren rechtliche Verantwortung festzustellen.525 Dann müsste der Gerichtshof seine Berechtigung zum Aufstellen von Wiedergutmachungsgrundsätzen aus Art. 75 Abs. 1 IStGH-Statut dahingehend verstehen, dass davon auch die Befugnis umfasst ist, die Verantwortlichkeit eines Staates festzustellen.526 Für ein solches Verständnis spricht, dass der Text des Art. 75 Abs. 1 IStGH-Statut gerade keine Aussage dazu enthält, wem gegenüber die Grundsätze aufgestellt werden können. Mithin könnte der Gerichtshof im Rahmen der Grundsätze festlegen, dass den Heimatstaat des Verurteilten auch eine Verantwortlichkeit – nämlich aus seiner Staatenverantwortlichkeit für Menschenrechtsverletzungen – trifft und zwar beispielsweise dann, wenn der Staat die Taten des Verurteilten unterstützt oder nicht verhindert hat. Eine Entscheidung des IStGH würde bei einem solchen Verständnis drei Aussagen beinhalten: - Eine strafrechtliche Verurteilung des individuellen Täters, - eine kriegsdeliktische Entschädigungsanordnung gegen den Verurteilten und - eine Feststellung der Staatenverantwortlichkeit des verantwortlichen Heimatstaates. Die Feststellung des Gerichtshofes nach Art. 75 Abs. 1 IStGH-Statut wäre für ihn jedoch mangels Exekutivbefugnissen wiederum nicht gegenüber dem Staat durchsetzbar. Denkbar wäre lediglich eine Durchsetzung durch die nationalen Gerichte des jeweils betroffenen Staates. Nach Regel 219 RPE527 dürfen nationale Gerichte die Reparationsanordnungen des Gerichtshofes nicht modifizieren. Somit könnte vertreten werden, dass die Feststellung der Verantwortung als Reparationsprinzip nach Art. 75 Abs. 1 IStGH-Statut, soweit sie in der Reparationsanordnung steht, für die Gerichte des Heimatstaates bindend sind. Die Bindungswirkung der nationalen Gerichte der Vertragsstaaten sollte aber nur so weit gehen, wie die Jurisdiktion des IStGH reicht. Nach Art. 25 Abs. 1 IStGHStatut hat der Gerichtshof nur Gerichtsbarkeit über natürliche Personen.528

525 Vgl. Bitti/Gonzáles Rivas, in: The International Bureau of the Permanent Court of Arbitration (Hrsg.), Redressing Injustices through Mass Claims Processes, S. 310. 526 Vgl. Bitti/Gonzáles Rivas, in: The International Bureau of the Permanent Court of Arbitration (Hrsg.), Redressing Injustices through Mass Claims Processes, S. 310. 527 Der Wortlaut der Regel 219 lautet: „The Presidency shall, when transmitting copies of orders for reparations to States Parties under rule 217, inform them that, in giving effect to an order for reparations, the national authorities shall not modify the reparations specified by the Court, the scope or the extent of any damage, loss or injury determined by the Court or the principles stated in the order, and shall facilitate the enforcement of such order.“ 528 Art. 25 Abs. 1 IStGH-Statut.

3. Gesamtdiskussion

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Der Reparationsartikel enthält zudem die Aussage, dass der Gerichtshof Anordnungen gegenüber einer verurteilten Person trifft.529 Diese Vorschriften scheinen eine Feststellung von Verantwortlichkeit gegenüber Staaten also auszuschließen.530 Darüber hinaus findet die Staatenverantwortlichkeit, deren Umfang und Feststellung an keiner anderen Stelle des Statuts, der RPE oder der Regularien Erwähnung. Auch vor dem Hintergrund, dass die Frage der Staatenverantwortlichkeit in der Vorbereitung der Konferenz von Rom kontrovers diskutiert wurde, die Verhandlungspartner sich in verschiedenen Situationen dagegen aussprachen, sie festzuschreiben531 und eine Aufnahme in das IStGH-Statut sodann auch nicht erfolgte, ist eine Befugnis des IStGH zur Feststellung von menschenrechtlicher Staatenverantwortlichkeit nicht vertretbar. Es könnte dem Gerichtshof auch schaden, in seinen Urteilen die Vertragsstaaten mahnend daran zu erinnern, ihre Verpflichtungen aus Menschenrechtskonventionen einzuhalten. Der Gerichtshof, der auf die Unterstützung der Staaten angewiesen ist, täte schlecht daran, die Kooperationsbereitschaft der Staaten dadurch zu riskieren, dass er sich außerhalb seiner klar formulierten Befugnisse bewegt.532 Mithin bleibt es dabei, dass für eine Befugnis des Gerichtshofes, auch in Fragen der Staatenverantwortlichkeit zu urteilen, eine Anpassung des IStGH-Statuts notwendig wäre. Aus Sicht der Opfer wäre eine solche Änderung sehr zu begrüßen. Eine Zustimmung der Staaten dazu scheint im Hinblick auf deren bisher zum Ausdruck gebrachte deutliche Ablehnung jedoch völlig ausgeschlossen. Die Auswirkungen des limitierten Mandats des IStGH und der geltenden Rechtslage könnte der TFV abmildern: So wäre es möglich, dass er die gerichtlichen Reparationsmaßnahmen durch sein General Assistance-Mandat dort komplementiert, wo sonst ungleiche Behandlungen der Opfer eines Konflikts entstehen und damit eine Verletzung des „Do No Harm“-Grundsatzes drohen würden.533

529 Art. 75 Abs. 2 IStGH enthält die Aussage „[ …] makes an order diretly against a convicted person“. 530 So wohl auch Bitti/Gonzáles Rivas, in: The International Bureau of the Permanent Court of Arbitration (Hrsg.), Redressing Injustices through Mass Claims Processes, S. 310. 531 Muttukumuru, in: Lee (Hrsg.), The ICC – The Making of the Rome Statute, S. 268. 532 So auch Dwertmann, Reparation System, S. 55. 533 Nicht einen komplementierend sondern gänzlich vom IStGH unabhängig zugunsten der Opfer tätigen TFV fordern Safferling/Petrossian, Victims before the International Criminal Court (im Erscheinen), S. 329.

V. Gesamtbetrachtung und Kriminalpolitische Schlussfolgerungen Gut 17 Jahre nach Inkrafttreten des IStGH-Statuts hat der Gerichtshof drei Reparationsentscheidungen getroffen, gegen die Verurteilten Lubanga, Katanga und Al Mahdi. Alle drei Entscheidungen wurden auch durch die Berufungskammer überprüft; der Fall Lubanga mit unterschiedlichem Entscheidungsgegenstand sogar zweimal.1 Hervorzuheben ist, dass im Fall Lubanga, in dem die Entschädigungsanordnung im Jahr 2012 erging, bis auf symbolische Reparationen noch keine konkreten Reparationsmaßnahmen positiv beschieden wurden. Die Umsetzung der Reparationsanordnung ist dementsprechend auch noch nicht geschehen. Was sagt dies über das Reparationssystem des IStGH aus? Die eingangs zitierte Erwartung, dass mit der Schaffung des IStGH nebst Reparationsregime „justice for victims“ erreicht wird, war und ist sehr hoch gegriffen. Trotz aller Ernüchterung bleibt das Inkrafttreten des IStGH-Statuts dennoch ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einem Mehr an individueller Verantwortung und führt durchaus bereits zu größerer individueller Gerechtigkeit in Fällen von Massenkriminalität. Angesichts des langen Zeitraums, den es brauchte, bis das individuelle Opfer in das Bewusstsein internationaler Gerichte gelangte, sollte hinsichtlich der an das Reparationsregime des IStGH geknüpften Hoffnungen etwas Langmut an den Tag gelegt werden. Nichtsdestotrotz sollten bestehende Schwierigkeiten klar benannt werden, um dort verbessernde Änderungen anzustoßen, wo sie möglich und notwendig sind.

1. Das Reparationsmandat am IStGH – Wie es zustande kam und wie es sich heute darstellt Das Reparationsregime und seine Art der Ausgestaltung sind unter anderem der Tatsache geschuldet, dass die Vertragsstaaten sich in Rom scheuten, ein Forum für die Wiedergutmachung von Menschenrechtsverletzungen im Rahmen der Staatenverantwortlichkeit zu schaffen. Die durch staatliche Macht oder mit staatlicher Billigung begangenen Verbrechen und Menschenrechtsverletzungen der letzten

1 Im Jahr 2015 entschied die Berufungskammer über die Entschädigungsanordnung, im Jahr 2019 über die Berufung gegen die Enscheidung der Verfahrenskammer II als Reparationskammer II über den Umfang der Reparationen, für die Thomas Lubanga verantwortlich ist.

2. Zweck und Grenzen des Mandats – Wunsch und Realität am IStGH

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100 Jahre noch vor Augen,2 scheuten die verhandelnden Staaten die Schaffung einer Institution, die sie dann potentiell selbst zur Verantwortung ziehen könnte. Ein Reparationsregime gegen einen einzelnen Straftäter zu unterstützen, erwies sich politisch indes als wesentlich einfacher. Doch obwohl der einzelne Täter zur Verantwortung gezogen werden muss, ist ein Reparationsmandat ohne die Möglichkeit, Verbrechen auch auf der Ebene der Staatenverantwortlichkeit aufzuarbeiten und zu ahnden, zu klein geraten, um die hehren Ziele der „justice for victims“ zu erreichen. Die Berufungskammer in Lubanga beschrieb das Reparationsmandat nicht grundlos als „key feature“ des Gerichtshofes, von dessen Erfolg in gewissen Teilen auch der Erfolg des gesamten Gerichtshof abhängt.3

2. Zweck und Grenzen des Mandats – Wunsch und Realität am IStGH Den Zweck des Reparationsmandats einzig durch den Wunsch nach Gerechtigkeit zu bestimmen, ist zu allgemein und zu kurz gegriffen, um den Erfolg des Gerichtshofes und seines Mandats daran messen zu können. Bei einer konkreteren Festlegung des Zwecks wäre es möglich, die theoretischen Wünsche und die Realität übereinanderzulegen und so das Reparationsregime des IStGH zu bewerten.

a) Erfolg des Reparationssystems? Wann genau kann von einem Erfolg des Reparationsprogramms des IStGH gesprochen werden? Wenn in einer gewissen Anzahl an Fällen Reparationen zugesprochen wurden? Wenn eine gewisse Anzahl an Reparationsmaßnahmen umgesetzt wurde? Wenn eine gewisse Anzahl entschädigter Opfer dankbare Briefe an den Gerichtshof geschrieben hat? Wenn „justice for victims“ erreicht wurde? Was genau ist das und wann ist es erreicht? Diese etwas plakativen Fragen sollen aufzeigen, dass die behandelte Fragestellung alles andere als trivial ist. Aus diesem Grund wurde in Kapitel III erörtert, welchen Sinn und Zweck Reparationen haben, um darauf aufbauend beurteilen zu können, ob dieser Zweck bereits erreicht wird oder zumindest erreicht werden kann und das Reparationsprogramm des IStGH mithin erfolgreich ist oder jedenfalls erfolgreich sein kann. 2 Nur beispielhaft sei erwähnt, dass Deutschland sich immer noch gegen Reparationsbegehren griechischer Opfer wegen Verbrechen aus dem zweiten Weltkrieg sträubt (BGH, Urt. v. 26. 06. 2003 – III ZR 245/98 „Distomo“, BGHZ 155, 279), Japan weigert sich, die Verantwortung für die Verbrechen aus den Comfort Woman aus dem zweiten Weltkrieg zu übernehmen, siehe Hae Bong, Compensation for Victims of Watime Atrocities, 3 J. Int’l Crim. Just. 187 (2005), 187 – 206. 3 IStGH, Lubanga, Berufungsentscheidung, Rn. 3.

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V. Gesamtbetrachtung und Kriminalpolitische Schlussfolgerungen

b) Die zweigeteilte Zweckbestimmung von Reparationen Eine einheitliche Zweckbestimmung für Reparationen existiert bislang nicht. Je nach Interesse, Aufgabe und Hintergrund offenbaren Wissenschaftler wie Praktiker ein unterschiedliches Verständnis dessen, was das Reparationsmandat des IStGH leisten kann und muss. Die divergierenden Auffassungen haben auch Folgen für die Arbeit des IStGH und führen teilweise zu Streit oder Unzufriedenheit. Festzuhalten ist nach genauem Blick auf die Möglichkeiten, dass der Zweck von Reparationen allgemein in verschiedene, zumindest jedoch zwei Ebenen zerlegt werden kann. Auch wenn kleinere Teilaspekte dabei möglicherweise zu wenig Berücksichtigung finden, wird hier vorgeschlagen, die Zweckbestimmung von Reparationen nicht einheitlich, sondern zweigeteilt zu verstehen. Zweck der ersten Ebene ist die konkret individuelle Wiedergutmachung. Es ist der Ausgleich eines „War Tort“4 zwischen dem Täter und den Opfern; die Wiedergutmachung findet auf der vertikalen Ebene statt. Daher wird in dieser Arbeit dieser Zweck der Reparationen auch mit „vertikaler Wiedergutmachung“ beschrieben. Zweck der zweiten Ebene ist eine versöhnende und aussöhnende Wiedergutmachung auf einer gemeinschaftlichen Basis. Wo der Zweck vertikaler Wiedergutmachung darin liegt, einen Ausgleich zwischen individuellen Tätern und ihren Opfern zu schaffen, geht es hier darum, die durch Massenverbrechen zerstörte Gemeinschaft und Gesellschaft, in der die Opfer leben, wieder zu versöhnen und zu heilen. Aufgrund dieser gemeinschaftsbasierten Zielsetzung5 kommt hier ein horizontaler Ansatz zum Zug: Obschon Wiedergutmachung auch zwischen den Tätern und den Opfern konkret stattfinden soll, sind die Reparationen der zweiten Ebene auch erfolgreich, wenn die Gesellschaft gelernt hat, mit dem Geschehenen umzugehen, zu vergeben und nach vorne zu sehen. Dieser Zweck der Reparationen wird als „horizontale Wiedergutmachung“ beschrieben. Vertikale Wiedergutmachung wird üblicherweise durch deliktischen Schadensersatz erreicht. Die durch die Tat erlittenen materiellen und immateriellen Schäden des Opfers werden konkret wieder ausgeglichen, soweit sie dargelegt und bewiesen sind. Hierbei handelt es sich um das, was der besondere zivilrechtliche Reparationsanspruch als Annex eines internationalen Strafverfahrens6 leisten kann. Horizontale Wiedergutmachung hingegen spielt vor Gerichten der Staatenverantwortlichkeit7 eine große Rolle; hier werden Reparationen breiter angelegt, um die Versöhnung der betroffenen Gesellschaft zu erreichen. 4

Bass, in: Williams et al. (Hrsg.), Transitional Justice, S. 169. Darunter fallen nach dem hiesigen Verständnis auch Formen der Wiedergutmachung, die einem Individuum oder einer Gemeinschaft zugutekommen, jedoch nur durch einen Staat zu leisten sind. Auch diese Maßnahmen fördern das Vertrauen in eine funktionierende Rechtsstaatlichkeit und damit einer horizontal-versöhnenden Ebene. 6 Siehe zu der Rechtsnatur von Reparationen oben unter III. 4. 7 Auch in Truth Commissions, siehe z. B. die Commissions in Südafrika. 5

2. Zweck und Grenzen des Mandats – Wunsch und Realität am IStGH

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c) Die Rechtsprechung am IStGH – unterschiedliche Aussagen aufgrund unterschiedlicher Reparationsverständnisse? In den drei bislang ergangenen Entscheidungen sind ebenfalls zumindest zwei grobe Strömungen bei der richterlichen Auslegung des Wiedergutmachungsregimes am IStGH erkennbar. Die mit den Entscheidungen betrauten Kammern wiesen in einigen Punkten ein sehr unterschiedliches Verständnis des materiellen Rechts der Reparationen auf. Vor allem anhand von Tatbestandsmerkmalen, die die Rechtsnatur eines besonderen zivilrechtlichen Anspruches besonders zutage treten lassen, kam es zu Auslegungsdivergenzen. Insbesondere die Fragen, ob und wie die reparationsberechtigten Opfer festgestellt werden müssen und wie der Umfang der durch den verurteilten Schädiger zu leistenden Wiedergutmachung ermittelt werden soll, wurden unterschiedlich entschieden. Die Verfahrenskammer in Lubanga fällte im Jahr 2012 die erste Reparationsentscheidung des IStGH; die Kammer sprach verschiedene Punkte an, blieb aber doch ungenau. In der Entscheidung war die Feststellung enthalten, dass Lubanga seinen Opfern Reparationen schulde, indes aber nicht, welchen Opfern und in welcher Gesamthöhe.8 Die Berufungskammer in Lubanga legte dar, dass eine Reparationsentscheidung die berechtigten Opfer identifizieren oder zumindest die Kriterien enthalten müsse, nach denen die Opferberechtigung festzustellen ist.9 Die neu eingesetzte Verfahrenskammer II behandelte als Reparationskammer den Reparationsanspruch strikt als besonderen zivilrechtlichen Anspruch. Trotz der Bedenken des TFV, der mit der Erstellung des Draft Implementation Plan beauftragt war und den Reparationsanspruch vor dem Hintergrund der Entscheidungen zur Staatenverantwortlichkeit sah und mithin als horizontale Wiedergutmachung verstand,10 forderte die Verfahrenskammer II, dass die berechtigten Opfer individuell festgestellt werden.11 Eine Ausnahme davon ließ die Kammer lediglich bei symbolischen Reparationen zu.12 Die Festlegung des Umfangs der durch den Verurteilten geschuldeten Reparationen sollte durch eine konkrete Summierung der einzelnen festgelegten Schäden erfolgen. Deswegen nahm die Kammer auch das Erfordernis eines Antrages an und ging davon aus, Regel 94 RPE stelle den Regelfall dar. Die Verfahrenskammer in Katanga schloss sich dieser Sichtweise an. Auch sie sah eine individuelle Feststellung aller berechtigten Opfer als erforderlich an und fügte 8

IStGH, Lubanga, Entschädigungsanordnung. IStGH, Lubanga, Berufungsentscheidung, Rn. 1. 10 Siehe zu den Meinungsverschiedenheiten zwischen TFV und Reparationskammer II ausführlich oben unter IV. 1. h). 11 IStGH, Lubanga, Reparationskammer II, Order instructing the Trust Fund for Victims to supplement the draft implementation plan, Rn. 12 – 18. 12 IStGH, Lubanga, Reparationskammer II, Order approving the proposed plan of the Trust Fund for Victims in relation to symbolic collective reparations. 9

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V. Gesamtbetrachtung und Kriminalpolitische Schlussfolgerungen

ihrem Urteil eine namentliche Aufstellung der Opfer bei. Den Umfang der geschuldeten Reparationen ermittelte sie durch Summierung der einzelnen dargelegten und bewiesenen Schadensposten und kam dadurch zu einer Höhe von 1 Mio. USD.13 Diese zivilrechtliche Vorgehensweise führte dazu, dass die Kammer nur 297 der 341 Antragsteller als berechtigte Opfer anerkannte und die anderen Anträge auf Reparationsleistungen abwies. Die Berufungskammer in Katanga, die Verfahrenskammer14 und Berufungskammer in Al Mahdi15 sowie die Berufungskammer in Lubanga aus dem Jahr 2019 hatten ein anderes Verständnis des Rechts der Reparationen, das eine Nähe zu den Urteilen zur Staatenverantwortlichkeit aufzeigt. Eine einzelne Feststellung der Berechtigteneigenschaft wurde nicht gefordert16 und auch bei der Festlegung des geschuldeten Schadensumfangs waren die Kammern großzügig. Anstatt sich die einzelnen beweisbaren Schäden anzusehen, betrachteten sie den eingetretenen Gesamtschaden, der durch die Taten, für die der Reparationsschuldner verurteilt wurde, verursacht worden war und richteten den Umfang der geschuldeten Wiedergutmachung daran aus. Durch diese Herangehensweise wurde ein kausaler Link zwischen dem verursachten Schaden und den konkreten Opfern für die Festlegung des Haftungsumfangs nicht mehr gefordert. Die Berufungskammer in Lubanga aus dem Jahr 2019 nahm zudem von dem strengen Antragserfordernis Abstand.17 Sobald ein Antrag auf Reparationen beim Gerichtshof eingegangen sei, würde das Verfahren nach Regel 94 RPE ausgelöst. Wollte die Kammer den Schaden weiterer Opfer in ihre Entscheidung einbeziehen, würde sie damit nicht aus eigener Initiative (proprio motu) handeln; die besonderen Voraussetzungen nach Art. 75 Abs. 1 S. 2 IStGH-Statut, Regel 95 RPE – das Vorliegen „außergewöhnlicher Umstände“ – müssten mithin nicht gegeben sein. Darüber hinaus wies die Berufungskammer den Vorwurf Lubangas zurück, die Verfahrenskammer habe rechtsfehlerhaft ultra petita entschieden, als sie den von Lubanga zu leistenden Wiedergutmachungsumfang auf 10 Mio. USD festlegte, obschon von den

13

Dies jedenfalls nach der Berücksichtigung seines Tatbeitrages; insgesamt sind nach Feststellung der Kammer Schäden in Höhe von 3.752.620 USD entstanden. 14 In IStGH, Al Mahdi, Entschädigungsanordnung, Rn. 134, beispielsweise wurde die Höhe des geschätzten eingetretenen Schadens schlicht addiert, ohne zunächst eine individuelle Schadensaufstellung vorzunehmen. 15 IStGH, Al Mahdi, Berufungsentscheidung, S. 4. Abgeändert wurde durch die Berufungskammer, dass auch diejenigen Opfer individuelle Reparationen bekommen können, die ihre Identität nicht gegenüber dem Schuldner Al Mahdi offengelegt haben wollen, die Offenlegung der persönlichen Daten findet nur gegenüber dem TFV statt. Antragsteller, die der TFV im Screening als nicht berechtigt feststellt, haben ein Recht darauf, dass die Verfahrenskammer diese Entscheidung noch einmal überprüft, diese Überprüfung ist auch proprio motu möglich. 16 IStGH, Katanga, Berufungsentscheidung, Key Findings Nr. 1, S. 4. 17 So auch die Verfahrenskammer VIII in IStGH, Al Mahdi, Entschädigungsanordnung, Rn. 78 ff., wo die Kammer einen Antrag auch nicht als zwingend voraussetzte.

2. Zweck und Grenzen des Mandats – Wunsch und Realität am IStGH

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Parteien nicht mehr als 6 Mio. USD gefordert worden waren.18 Mit Verweis auf die Reparationsentscheidung in Katanga19 erklärte die Kammer, das Non Ultra PetitaPrinzip sei innerhalb der Geltung des IStGH-Statuts nicht anwendbar, da: „Such an award, by its nature, cannot stay within the confines of any requests that are submitted.“20 Auch mit diesen Aussagen entfernte sich die Berufungskammer von einem zivilrechtlichen Verständnis der Wiedergutmachung, wobei der Kammer zuzugestehen ist, dass das IStGH-Statut oder die RPE an keiner Stelle bereithalten, dass die Kammer nicht über die beantragten Beträge hinausgehen darf. Die für die großzügige Herangehensweise genannten Gründe waren jedoch undogmatischer Natur. Die Begründung der Berufungskammer in Katanga war, dass eine individuelle Feststellung der Opferberechtigung nicht angemessen sei, da es zu unnötigen Verzögerungen des Reparationsverfahrens führen würde.21 Die Feststellung des geschuldeten Reparationsumfangs durch den Blick auf die angemessenen Reparationsmodalitäten und die daraus entstehenden Kosten sei indes angemessen, da hier der Blick auf die reine Wiedergutmachung gelenkt würde, was der „overall“Zweck der Reparationen sei, „which is indeed to repair“.22 Die Verfahrenskammer in Al Mahdi erklärte, es seien bei ihr nur 139 Anträge auf Wiedergutmachung eingegangen, obwohl die Kammer bereits festgestellt hatte, dass eine kollektive Schädigung im Großraum Timbuktu eingetreten sei, einer Stadt mit ca. 70.000 Einwohnern zum Zeitpunkt des Angriffs.23 Mithin wäre die Kammer der Auffassung „[…] that the names of all the victims meeting its parameters for individual reparations are simply not known and […] that it would be impracticable for the Chamber to attempt to identify and assess them all itself“.24 Die Berufungskammer in Lubanga aus dem Jahr 2019 begründete ihre Entscheidung, den Schadensumfang nicht aufgrund einer aufschlüsselbaren Einzelaufstellung der Schäden festzulegen, damit, dass „[…] the trial chamber must bear in

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IStGH, Lubanga, Berufungsentscheidung über den Umfang der Reparationen, für die Lubanga verantwortlich ist, Rn. 327 ff. 19 IStGH, Katanga, Entschädigungsanordnung, Rn. 46 – 48. 20 IStGH, Lubanga, Berufungsentscheidung über den Umfang der Reparationen, für die Lubanga verantwortlich ist, Rn. 330. 21 IStGH, Katanga, Berufungsentscheidung, Key Findings Nr. 1, S. 4. 22 IStGH, Katanga, Berufungsentscheidung, Key Findings Nr. 2, S. 5, mit dem Hinweis in Key Finding 5, dass es Fälle geben kann, in denen eine individuelle Festsetzung des Berechtigten oder der Schäden notwendig ist, diese sei aber jedenfalls dann nicht wünschenswert oder angemessen, wenn es sich nicht nur um eine kleine Anzahl an Opfern handelt. 23 IStGH, Al Mahdi, Entschädigungsanordnung, Rn. 141. 24 IStGH, Al Mahdi, Entschädigungsanordnung, Rn. 141.

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V. Gesamtbetrachtung und Kriminalpolitische Schlussfolgerungen

mind the overall purpose of reparations, which is to repair the harm caused and to achieve, to the extent possible, restitutio in integrum.“25 Die Argumente der Kammern mit den großzügigen und den Entscheidungen der Staatenverantwortlichkeit zugeneigten Ansätzen sind mithin nicht dogmatischer Natur, sondern stützen sich vage gehaltende Argumente wie Verfahrensbeschleunigung, Praktikabilitätsgesichtspunkte und das höchste, aber gleichzeitig auch nichtssagendste Ziel von Reparationen: zu reparieren. Die Berufungskammer in Lubanga erklärte zwar, dass bei der Prüfung der Angemessenheit von Reparationen die Rechte der verurteilten Person Beachtung finden müssten; Reparationen dürften nicht über die Verbrechen hinausgehen, für die der Täter verurteilt wurde.26 Der Verurteilte müsste genügend Gelegenheit erhalten, zu dem Umfang der Reparationsanordnungen, dem Umfang der „victimhood“, zu den Arten der Reparationen und dem „requirement of fairness“ Stellung zu beziehen.27 An dieser Stelle scheint es, als stufe die Berufungskammer die rechtsstaatlichen Rechte eines individuellen Schuldners auf ein bloßes Recht auf Fairness ab, was der rechtlichen Stellung des Reparationsschuldners jedoch nicht gerecht werden kann. Es ist nachvollziehbar, dass die Kammern mit ihren vagen Begründungen möglichst großzügige Reparationen für die Opfer der Massenverbrechen erreichen wollten. Dies jedoch durch die Beschneidung rechtsstaatlicher Rechte des Verurteilten und Pflichten des Gerichtshofes zu erreichen, sollte dringend vermieden werden.

d) Zweck erreicht oder Ziel verfehlt? Das Recht der Reparationen am IStGH als besonderes „War Tort Law“28 findet seine Grenzen in dem Statut und den Regularien des IStGH, aber auch darin, dass die Erwägungen aus Verfahren der Staatenverantwortlichkeit nur sehr eingeschränkt übernommen werden können. Letzteres liegt daran, dass der IStGH ausschließlich Jurisdiktion über natürliche Personen hat, die für Straftaten innerhalb der Jurisdiktion des IStGH verurteilt wurden. Diese Individuen haben eigene Abwehrrechte, die in einem rechtsstaatlichen Verfahren gewahrt werden müssen. Den Schwierigkeiten, die sich für den Gerichtshof durch die Schaffung dieses sehr eng umrissenen Reparationsmandats ergeben, wollten einige Kammern durch einen großzügigen und horizontal ausgerichteten Ansatz begegnen. Hierdurch sollten die limitierenden, zivilrechtlich geprägten Vorgaben umgangen und so eine größere Zufriedenheit bei 25 IStGH, Lubanga, Berufungsentscheidung über den Umfang der Reparationen, für die Lubanga verantwortlich ist, Rn. 107. 26 IStGH, Lubanga, Berufungsentscheidung über den Umfang der Reparationen, für die Lubanga verantwortlich ist, Rn. 3. 27 IStGH, Lubanga, Berufungsentscheidung über den Umfang der Reparationen, für die Lubanga verantwortlich ist, Rn. 3. 28 Siehe dazu ausführlichen oben unter III. 4.

3. Fortentwicklung des IStGH-Systems

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den Opfern erreicht werden. Für eine großzügige horizontale Auslegung des Rechts der Reparationen ist das Reparationsregime des IStGH jedoch nicht gemacht. Der Gerichtshof wird sein Wiedergutmachungsmandat selbst schwächen, wenn er durch dogmatisch unsaubere Argumentationsmuster in einer Rechtsprechung mündet, die schlimmstenfalls rechtswidrig ist. Zu fragen ist daher, ob die Probleme der überlangen Verfahrensdauer und der durch den fragmentarischen Charakter des Reparationsregimes verursachten Ungerechtigkeiten nicht anders adressiert werden können.

3. Fortentwicklung des IStGH-Systems auf materieller, prozessualer und struktueller Ebene Denkbar sind materiellrechtliche, prozessuale und strukturelle Verbesserungen.

a) Materriellrechtlicher und prozessualer Vorschlag Die ersten Urteile des IStGH haben aufgezeigt, dass dem Reparationsregime als zivilrechtlich ausgestaltetem Verfahren zahlreiche Grenzen inhärent sind. Dies hat immer wieder bei denjenigen, deren Reparationsverständnis auf Entscheidungen zur Staatenverantwortlichkeit basierte, für Irritation gesorgt. Konkret beginnen die Limitationen bereits damit, dass das IStGH-Statut fragmentarischen Charakter hat: Nicht alle Taten innerhalb seiner Jurisdiktion können durch den IStGH geahndet werden. Dazu kommt die Selektivität der Anklage. Da der Reparationsanspruch der strafrechtlichen Anklage folgt, setzt sich die Selektivität an dieser Stelle fort. Die Anklage entscheidet bei der Frage, welchen Fall sie zur Anklage bringt, mittelbar auch darüber, welche Opfer Reparationen beantragen können. Schwer zu ertragende Ungleichbehandlungen können dadurch entstehen, dass beispielsweise nur Opfer des Dorfes A Reparationen bekommen, da diese Tat für die Anklage beweisbar war, wohingegen Opfer des Nachbardorfes B, die einem Angriff mit gleicher Grausamkeit ausgesetzt waren, der für die Anklage aber nicht beweisbar war, keine Wiedergutmachung vor dem IStGH beantragen können. Hier aber allein wegen des Grundsatzes des „Do No Harm“ und des Verständnisses horizontaler Wiedergutmachung Opfern des Dorfes B auch Reparationen zuzusprechen, ist mit der Regelung des Art. 75 Abs. 2 IStGH-Statut nicht vereinbar. Danach sind nur die Opfer reparationsberechtigt, die Schäden erlitten haben, die durch eine Tathandlung des Täters entstanden sind, für die dieser vor dem IStGH verurteilt wurde. Der IStGH ist ein Strafgerichtshof, welches die individuelle strafrechtliche und im Rahmen von Reparationsanordnungen die besondere zivilrechtliche Verantwortlichkeit eines Täters feststellt. Der IStGH ist seinem Mandat entsprechend primär in

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der Lage, den Zweck der vertikalen Wiedergutmachung zu erreichen. In besonders gelagerten Fällen können mit Reparationsmaßnahmen auch Aspekte der horizontalen Wiedergutmachung erreicht werden, dies wird aber meist die Ausnahme und nicht die Regel sein. Erwartungen, die darauf zielen, dass der IStGH diesen Teilzweck erfüllt, werden fast ausschließlich enttäuscht werden. Festzuhalten bleibt daher, dass durch den Gerichtshof angestrebt werden sollte, möglichst gerechte und durchdachte vertikale Wiedergutmachung zu leisten. Die Erreichung horizontaler Wiedergutmachung sollte hingegen nicht von ihm erwartet werden; hier sollte der TFV in seinem humanitären Mandat jeweils prüfen, wie weit er diesen bedeutenden Aspekt bedienen kann. Fraglich ist nun, wie das Reparationsregime des IStGH angepasst werden kann, um möglichst zeitnahe Anordnungen von Reparationen zu ermöglichen, die – soweit möglich – dem Grundsatz des „Do No Harm“ gerecht werden. Ausgeglichen werden könnten Unbilligkeiten auf materiellrechtlicher Ebene dadurch, dass eine intelligente Feststellung der Opferberechtigung stattfindet.29 Dieser Punkt stellte sich in den ersten drei Verfahren als äußerst komplex und umstritten heraus. Den Berufungskammern in Katanga und Al Mahdi ist in dem Punkt zuzustimmen, dass Reparationsverfahren relativ zügig gehen sollten. Dies kann nach der hier vertretenen Auffassung jedoch nicht zu Lasten der Rechte des Reparationsschuldners gehen. Die Voraussetzungen der Eligibility, der individuellen Opferberechtigung, sollten hier noch einmal durchdacht werden. Der Reparationsanspruch als besonderer zivilrechtlicher Anspruch macht es erforderlich, die Berechtigung jedes einzelnen Opfers festzustellen. Der hiergegen zuletzt von der Berufungskammer in Lubanga im Jahr 2019 angeführte Grund, so könnten Reparationen nicht ihrem Ziel gerecht werden, zu reparieren, schlägt nicht durch, da der vorgeschlagene Lösungsweg einer fundierten Argumentation entbehrt und rechtsstaatlichen Bedenken ausgesetzt ist. Aus der Summe der Ansprüche ergibt sich – unter Berücksichtigung des Tatbeitrags des Täters als Ausprägung des Erfordernisses der Angemessenheit und Verhältnismäßigkeit – der Betrag, für den er verantwortlich ist.30 Es ist jedoch zu zeitintensiv, die Opfer und ihre Schäden erst in der Reparationsstage zu ermitteln; dadurch zieht sich das Verfahren außerordentlich in die Länge. Das Ausfindigmachen der potentiell berechtigten Opfer durch Outreach-Maßnahmen sollte daher bereits im Rahmen des laufenden völkerstrafrechtlichen Verfahrens vorbereitet werden, auch wenn die Gefahr besteht, dass der Täter nicht verurteilt wird. In einem solchen Fall können die Erkenntnisse gegebenenfalls noch durch den TFV oder andere humanitäre NGOs genutzt werden. 29 Dies vor dem Hintergrund der hier vertretenen Meinung, dass eine individuelle Feststellung der Opferberechtigung notwendig ist, anders entschieden jedoch von der Berufungskammer in Lubanga 2019. 30 Auch hier hat die Berufungskammer in Lubanga 2019 vertreten, eine pauschalisierte Festsetzung des Schadensumfanges sei angemessen.

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Die Vorbereitung der Berechtigungsprüfung könnte beispielsweise durch eine gut aufgestellte VPRS erfolgen, so dass die notwendigen Informationen bereits bei Eröffnung der Reparationsstage vorliegen würden. Alternativ könnte diese Aufgabe auch durch den TFV wahrgenommen werden, solange sichergestellt ist, dass die Anforderungen an ein gerichtliches Verfahren gewahrt bleiben und der Verurteilte seine Rechte vor der Verfahrenskammer geltend machen kann. Im Rahmen der Berechtigungsprüfung sollte ein praktikabler Maßstab angelegt werden; wie auch durch die Verfahrenskammer in Katanga geschehen, kann es angemessen sein, mit Beweisvermutungen zu arbeiten. Eine Berechtigungsprüfung ist sowohl bei individuellen als auch kollektiven Reparationen notwendig. Um die Härte der Berechtigungsfeststellung auszugleichen, könnte – je nach Modi – toleriert werden, bis zu 10 % der Leistungen kollektiver Reparationen Menschen zugutekommen zu lassen, die nicht als reparationsberechtigt festgestellt wurden. Um alle berechtigten Opfer zu erreichen und etwaige Ungerechtigkeiten so weit wie möglich zu vermeiden, erscheint es allerdings sachgemäß, dass der Grundsatz des Antragserfordernisses aufgeweicht wird. Als prozessuale Anpassung sollte der Gerichtshof – wie in den Entscheidungen schon angeklungen und ausdrücklich von der Berufungskammer in Lubanga aus dem Jahr 2019 entschieden – auch Reparationsberechtigten, die keinen Antrag gestellt haben, Entschädigungen zusprechen können. Das zivilrechtliche Antragserfordernis ist nach dem IStGH-Statut nicht zwingend erforderlich. Der Gerichtshof hat in seinen Entscheidungen auch bereits klargestellt, dass er sich an dieses Erfordernis nicht zwingend durch Art. 75 Abs. 1 S. 2 IStGH-Statut, Regel 94 der RPE gebunden fühlt. Zudem sollte der Gerichtshof schon sehr früh im Verfahren Vermögensgüter eines beschuldigten Täters aufspüren und einfrieren lassen, um zu verhindern, dass sie dem Zugriff des Gerichtshofes entzogen werden.

b) Strukturelle Veränderungen am IStGH oder auch: Individuelle Verantwortlichkeit anstelle von Staatenverantwortlichkeit – Trostpreis für die Opferentschädigung? Verbessert werden könnte schließlich noch der Spruchkörper, der die Reparationen prüft und zuspricht. Der Text des Statuts und der RPE stünde strukturellen Veränderungen nicht im Weg; er ist größtenteils so weit gefasst, dass er in weiten Teilen richterlich ausgelegt und so näher bestimmt werden kann. Vorgeschlagen wird einmal als kleine Lösung (siehe unten) die Schaffung von spezialisierten Reparationskammern, einer Reparations Section, die unter Heranziehung von zivilrechtlichen Erfahrungen die Fälle der Kriegsdelikte am IStGH behandelt. Für die Besetzung der Richter würde nicht nur internationaler straf-

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rechtlicher Sachverstand maßgeblich sein, sondern auch Expertise im zivilrechtlichen Entschädigungsrecht. Damit würde am Gerichtshof die Kompetenz vorhanden sein, die dringend für Reparationsentscheidungen benötigt wird. Noch zweckmäßiger, aber politisch voraussichtlich nicht umsetzbar, wäre die Schaffung einer Claims Commission am IStGH, die neben der Aufgabe der individuellen Wiedergutmachung von Kriegsdelikten auch die Rechtsprechungsbefugnis über die Vertragsstaaten hat und diese im Rahmen der Staatenverantwortlichkeit zu Opferentschädigungen und weiteren Maßnahmen mit dem Ziel der horizontalen Wiedergutmachung verurteilen kann. aa) Schaffung von zivilrechtlichen Reparationskammern – einer Reparations Section Als Vorausstezung für diesen Vorschlag wäre ein klares Bekenntnis des Gerichtshofes zu der zivilrechtlichen Rechtsnatur und dem Charakter von Reparationen notwendig. Die Behandlung der internationalisierten zivilrechtlichen Entschädigungsansprüche bedarf einer speziellen Expertise der Richter. Die besonderen zivilrechtlichen Ansprüche sui generis sind keine automatische Ergänzung des strafrechtlichen Mandats.31 Sie sind aus Opferschutzgesichtspunkten am Gerichtshof angegliedert, was die bereits bestehenden Herausforderungen des IStGH noch komplexer werden lässt. Der Gerichtshof sollte darauf reagieren und eine Reparations Section schaffen, bestehend aus zwei Reparationskammern (Reparations Units), die mit zivilrechtlichen Spezialisten besetzt sind – sowohl mit Zivilrichtern als auch mit weiterem Personal, das ausgewiesene Erfahrungen mit zivilrechtlichen Massenprozessen vorweisen kann. Die Reparationskammern würden bereits parallel zu dem strafrechtlichen Verfahren die Ermittlung der potentiell Entschädigungsberechtigten anstoßen und nach Verurteilung des Täters sofort das Reparationsverfahren eröffnen. Organisatorisch müsste dieses Vorhaben in die Haushaltsplanung aufgenommen, begründet und den Vertragsstaaten vorgelegt werden.32 Zusätzlich wäre eine starke und personell gut ausgestattete VPRS notwendig, die die Geschädigten ausfindig macht und während dem Verfahren betreut. Kammern und VPRS müssten eng zusammenarbeiten und verschiedene prozessuale Ansätze erarbeiten, wie sie auch mit numerisch schwer handhabbaren Fällen, mit Opferzahlen, die in die Tausende gehen, umgehen können. Trotz dieser Maßnahmen könnte aber die ungleiche Behandlung der Opfer durch das rechtlich extrem limitierte Reparationsmandat nicht vollständig aufgefangen werden. 31

So das Ergebnis von McCarthy, JICJ 10 (2012), S. 351 – 372. Siehe beispielsweise den Haushaltsentwurf für 2020, https://asp.icc-cpi.int/iccdocs/asp_ docs/ASP18/ICC-ASP-18-10-ENG.pdf, abgerufen im September 2019. 32

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Möglicherweise könnte durch gute Vorbereitungsarbeit und Information der Opfer zumindest vermieden werden, dass die Geschädigten sich Hoffnungen machen, die durch den Gerichtshof nicht erfüllbar sind. Weiterhin könnten entstehende Ungleichbehandlungen teilweise durch Maßnahmen des Treuhandfonds aufgefangen werden. Notwendig dafür wäre jedoch, dass der TFV sein Mandat der General Assistance anders versteht als bislang.

bb) Auffangen durch den TFV Wie oben gesehen, ist neben den faktischen Limitationen eines der schwierigsten – weil nicht lösbaren – Probleme des Reparationsmandats am IStGH die mögliche Verletzung des „Do No Harm“-Grundsatzes. Diese Gefahr besteht aufgrund von Ungleichbehandlungen, die durch den fragmentarischen Charakter des IStGHStatut und die zivilrechtliche Rechtsnatur der Reparationsansprüche vorgegeben sind. Ziel des TFV sollte es gemeinsam mit den Kammern sein, die Ungleichbehandlungen auszugleichen. Bislang ist es allerdings die Auffassung des TFV, dass er mit seinem General Assistance-Mandat gerade nicht die fragmentarische Natur der Maßnahmen des Gerichtshofes ausgleichen soll. Konzept des TFV war es bislang vielmehr, durch politischen und rechtlichen Druck die Kammern dazu zu drängen, Reparationsansprüche weniger wie zivilrechtliche Ansprüche zu verstehen, sondern vielmehr horizontale Maßnahmen, wie sie aus Verfahren der Staatenverantwortlichkeit bekannt sind, anzuordnen. Diese Auffassung des TFV ist jedoch nach hiesiger Meinung aus dringlichen rechtlichen Erwägungen nur schwer vertretbar. Im Lichte des notwendigen Opferschutzes bleibt dann nur, dass der TFV seine „other resources“ nutzt, um die gerichtlichen Reparationen zu komplementieren und so durch eine Gleichbehandlung der Opfer eine Atmosphäre der gemeinschaftlichen Versöhnung zu ermöglichen. Solange die gerichtlichen Reparationsmaßnahmen durch den TFV umgesetzt werden, ist diese Aufgabe einfach zu erfüllen. Der TFV würde bei der Erstellung des Draft Implementation Plans erheben, welche Mittel des Verurteilten zur Verfügung stehen und in welchem Umfang er die gerichtlichen Maßnahmen komplementieren möchte. Der Verurteilte würde dann die Maßnahmen im Rahmen seiner kriegsdeliktischen Verantwortlichkeit zahlen und der TFV die restlichen Kosten aus seinen „other resources“ tragen. Dafür wären die folgenden Anpassungen notwendig: Zunächst ist die Herstellung des absoluten Schulterschlusses zwischen den Institutionen Gerichtshof und TFV notwendig.33 Der TFV ist institutionell zwar un33 A. A. Safferling/Petrossian, Victims before the International Criminal Court (im Erscheinen), S. 329, die einen gänzlich vom IStGH unabhängige operierenden TFV fordern um ein höheres Maß an Opfergerechtigkeit herzustellen.

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abhängig, aber dennoch faktisch vom Gerichtshof abhängig, denn ohne den IStGH wäre der Treuhandfond lediglich eine NGO ohne Finanzausstattung. Für den Erfolg des Reparationsregimes spielt der TFV jedoch eine zentrale Rolle; mithin liegt es im Interesse beider Institutionen, weniger über die Abgrenzung ihrer Kompetenzen zu streiten und stattdessen zu einer konstruktiveren Zusammenarbeit zu finden. Eine Möglichkeit, dieses Ziel zu erreichen, wäre die Festlegung von klaren Befugnissen und Pflichten in den RPE und Regularien sowie eine personelle Rotation zwischen Kanzlei, Kammern und TFV. Daneben wäre es notwendig, dass die Vertragsstaaten den TFV mit mehr finanziellen Mitteln und mehr Personal ausstatten. Mit mehr Ressourcen könnte der TFV Aufgaben selbst und in eigener Zuständigkeit wahrnehmen, für die er im LubangaVerfahren eine Partnerorganisation beauftragen musste.34 Darüber hinaus handelt es sich um Aufgaben, die der TFV als ureigene Kompetenz selbst erfüllen sollte, das Outsourcing dieser Aufgaben ist nicht angebracht. Durch diese Anpassungen könnte der TFV in die Lage versetzt werden, seinen wichtigen Aufgaben gerecht zu werden und so die Limitationen des Reparationsmandats des IStGH so weit wie möglich aufzufangen. cc) Der große politische Wurf: eine Claims Commission am IStGH Als Alternative zu einer Verbesserung innerhalb des Regimes des IStGH ist die große politische Lösung anzusprechen: die Schaffung eines komplett neuen Forums für Reparationen, einer Claims Commission (CC). Auch wenn so eine politische Vision nicht in nächster Zeit vorstellbar ist, könnte eine zukünftige Entscheidung der Vertragsstaaten, eine entsprechende Änderung des Römischen Statutes vorzunehmen, doch Abhilfe schaffen. Die Schaffung einer Claims Commission würde für die Opfer dann einen merklichen Unterschied machen, wenn die CC auch die Rechtsprechungsgewalt gegenüber Staaten wegen Ansprüchen aus der Staatenverantwortlichkeit hätte. Mit einer solchen Ausweitung des Mandats wären die besten Voraussetzungen geschaffen, um vollumfänglich „justice for victims“ zu erreichen. Nach der strafrechtlichen Verurteilung des Täters würde der IStGH den Fall an die Claims Commission übergeben. Die CC würde ein Reparationsverfahren gegen den verurteilten Täter führen und über „War Torts“ von Individualopfern und Opfergruppen der enumerativ aufgezählten Verbrechenstatbestände des IStGH-Statuts entscheiden. Im Anspruchsverhältnis Opfer – Täter wären die Befugnisse vergleichbar mit dem Mandat der Kammern aus Art. 75 Abs. 2 IStGH-Statut. Daneben würde die Claims Commission auch über Ansprüche gegen die Vertragsstaaten wegen Menschenrechtsverletzungen entscheiden. Sie wäre somit eine 34 Es ist sehr fraglich, ob die Beauftragung der Erstellung der Victims Dossier Filings in Lubanga durch die beauftragte NGO wirtschaftlich richtig war.

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Menschenrechtskommission für die im IStGH-Statut normierten Verbrechenstatbestände. Innerhalb dieses Mandats könnte die CC weitergehende Reparationsanordnungen treffen, dem Charakter nach auch horizontale Versöhnungsmaßnahmen, die vergleichbar mit dem Mandat des IAGMR oder des EGMR wären. Es könnte die Möglichkeit vorgesehen werden, dass direkt und parallel zum Verfahren des Beschuldigten ein Reparationsverfahren gegen den jeweiligen Heimatstaat des Täters geführt wird, der wegen Völkerstraftatbeständen angeklagt ist. Dann könnte allerdings zu befürchten sein, dass die jeweiligen Staaten noch weniger bereitwillig sein werden, die Verdächtigen auszuliefern, da durch die Auslieferung ihre eigene Verurteilung wahrscheinlicher würde. Dem könnte zu einem gewissen Maß dadurch begegnet werden, dass der jeweilige individuelle Täter vorrangig haften müsste, die Staaten somit ein Interesse an seiner Festsetzung hätten und einen Anreiz, möglich effizient das Aufspüren und Einfrieren der Vermögenswerte des Täters zu betreiben. Schwierig ist die Frage, ob der jeweilige Staat im Wiedergutmachungsverfahren nur für Menschenrechtsverletzungen in solchen Situationen zu Reparationen verurteilt werden sollte, in denen der individuelle Täter auch verurteilt wurde. Dies würde die Möglichkeit der Opfer erheblich beschränken, Reparationen zu erlangen, da wieder einmal das Reparationsverfahren an ein völkerstrafrechtliches Verfahren geknüpft würde. Zu überlegen wäre auch, ob sich die CC auf die Feststellungen aus dem Strafverfahren stützen könnte. Dann müssten die Verfahrenskammern im Hauptsacheverfahren jedoch Feststellungen zu den Rechtsverletzungen der Staaten getroffen haben. Fraglich ist, ob eine solche Koppelung sinnvoll wäre. Synergien könnten allenfalls dann gebildet werden, wenn schon aufgrund der Tatsache, dass ein Tatbestand des Völkerstrafrechts auf dem Staatsgebiet eines Mitgliedsstaates begangen wurde, ein Verschulden desselben angenommen werden wollte. Dafür könnte sprechen, dass bei Verbrechen, für die der IStGH Jurisdiktion hat, grundsätzlich davon ausgegangen werden kann, dass der Staat seine Schutzpflichten gegenüber den Menschen auf seinem Hoheitsgebiet verletzt hat. Dagegen kann allerdings angeführt werden, dass ein Staat teilweise nicht die notwendige Kontrolle über Gebiete hat, um seiner Verpflichtung aus Menschenrechtsinstrumenten angemessen nachzukommen, es mithin also Situationen geben kann, in denen die Annahme eines solchen Grundsatzes nicht gerechtfertigt wäre. Dem jeweiligen Staat sollte im Rahmen einer Beweislastumkehr zumindest die Gelegenheit gegeben werden, zu seiner Verantwortlichkeit vorzutragen und sich im Einzelfall zu exkulpieren. Eine Annahme, nach der eine individuelle Verurteilung eines Individuums immer auch dem Grunde nach einen Anspruch gegen den Staat nach sich zieht, würde also zu einer zu weitreichenden Staatenverantwortlichkeit führen. Vor diesem Hintergrund scheint es notwendig, dass die CC eigene Feststellungen zu dem Verschulden des Staates in der jeweiligen Situation trifft, jedenfalls im Rahmen einer verkürzten Beweisaufnahme. Inwieweit Beweisvermutungen zugunsten der Opfer hier zum

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Tragen kommen können, sollte kritisch, aber wohlwollend im Einzelfall geprüft werden. Um die Haftung der Vertragsstaaten nicht allzu sehr ausufern zu lassen, wäre auch eine Aufteilung nach der Art der Wiedergutmachung denkbar. Die finanzielle Last der Wiedergutmachung für Kompensation und Restitution müsste das verurteilte Individuum tragen.35 Die Vertragsstaaten könnten nur für solche Reparationsarten in Anspruch genommen werden, die für ein Individuum mangels Staatsgewalt unmöglich zu erfüllen wären: Aufarbeitung, Wahrheitsfindung, Verabschiedung von Schutzgesetzen zugunsten der Opfer oder zur Verhinderung von weiteren Verbrechen dieser Art. Als mögliches Vorbild könnten hier die Anordnungen des IAGMR gegenüber Kolumbien dienen. Welche der – momentan noch utopisch erscheinenden – Varianten durch die Vertragsstaaten auch vereinbart würde, eines hätten alle gemein: Die Stellung der Geschädigten würde deutlich aufgewertet.

4. Fazit Das Rom-Statut ist nunmehr seit gut 17 Jahren in Kraft, nach den drei ergangenen Reparationsentscheidungen steckt das Entschädigungsregime des IStGH allerdings noch in den Kinderschuhen. Es ist limitiert und wurde durch die Rechtsprechung noch nicht gänzlich konturiert. Dennoch war es unter Opferschutzgesichtspunkten richtig, das Reparationsmandat in das IStGH-Statut zu integrieren. Auch wenn es alles andere als ideal ist, rückt es doch die Opfer stärker in den Fokus der internationalen Gemeinschaft. Dadurch werden internationale Standards geschaffen, die sich – wenn auch langsam – immer weiterentwickeln und verbessern. Aus diesen Gründen sollte das Reparationsmandat des IStGH nicht unter dem Schlachtruf „das Beste oder Nichts“ zur Disposition gestellt werden, sondern im Sinne von „besser als Nichts“ als Erfolg durch Progress verstanden werden. Sicher, in Lubanga verlief viel falsch, es gab zu viele Unsicherheiten und Kompetenzgerangel und es dauerte zu lange, bis die Opfer spürbare Erfolge verzeichnen konnten. Dies als Maßstab zu nehmen und den IStGH als Reparationsforum abzuschreiben, würde eine sehr voreilige Reaktion sein. In Katanga verhandelte und entschied der Gerichtshof den – zugegebenen einfacheren – Sachverhalt schließlich schon geradliniger, auch wenn vor der Berufungskammer in Katanga und in dem Verfahren Al Mahdi letztlich deutlich wurde, dass sich zwei verschiedene Linien des Reparationsverständnisses am Gerichtshof entwickelten.

35 Auch um den Preis, dass die Geschädigten dann weiterhin mit der drohenden Mittellosigkeit oder zumindest den begrenzten Ressourcen eines individuellen Täters zu leben hätten.

4. Fazit

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Nun ist es wichtig, an den entscheidenden Angelpunkten anzuknüpfen und – soweit wie möglich – dafür zu sorgen, dass das Reparationsregime einheitlicher verstanden wird und die systemischen Limitationen dennoch Beachtung finden. Dafür sind einige Veränderungen am Gerichtshof unabdingbar. Auf struktureller, finanzieller und rechtlicher Ebene muss das uniforme Verständnis des Reparationsregimes wiedergefunden werden. Nur so kann der Gerichtshof seinem Anspruch gerecht werden, auch auf der Ebene der Opferentschädigung einen bedeutsamen Beitrag zu mehr „justice for victims“ zu leisten.

Annex I Fragen für die Interviews am IStGH

1. Have you had previous experiences with a civil party system? What role do victims play in your national legal system? 2. In your personal and professional view: should a reparation mandate be incorporated in an international criminal tribunal? 3. In your own professional opinion, what should be the major aim or aims of a reparation mandate of an international criminal trial? (victim redress in a narrower sense or should it aim to reconciliate/transformative aims? 4. What is the legal nature of a reparation claim? Is it more a tort claim? The nature of claims of state responsibility? 5. In your opinion, what are the most challenging aspects of material and procedural law in the Romes Statue? (causation, addressee, scope of reparations)? 6. What are the biggest challenges the Reparations mandate of the ICC is facing? 7. In you opinion, was is – and should the – the mandate of the Trust Fund for Victims? How could the task of the Trust Fund be? 8. How would you amend the reparation mandate at the ICC? How would you create a perfect regime of victims redress? And what particular limitations should we have to take into consideration when contemplating amending the law of reparations at the ICC? 9. Is there anything you would like to add to this interview that might be beneficial to our research?

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Sachwortverzeichnis Abschreckung 63 ff., 85 Ad-hoc-Strafgerichte 27 – Ruanda 27 – Jugoslawien 27 Al Mahdi 144, 148, 152 Anordnungsmodi 126

– Reparation Principles – Verfahren 47 Katanga 143, 147, 150 Kausalität 114 ff. – but/for-Test 117 f. Kompensation 79 ff.

Beweis 119 – Beweisgrad 119 – Beweislast 119 Claims Commission

Lubanga

140, 146, 149

Menschenrechte 29, 65, 115, 198 f.

Destinäre 102 Do No Harm Grundsatz

45

50, 104, 105, 107

ECCC 31 ff., 75, 98 f. Eligibility 140, 180, 182, 194 – Al Mahdi 144 – Katanga 143 – Lubanga 140 Entschädigungsgrundätze 50 ff. Expressive Gerechtigkeit 69 f. Garantie der Nichtwiederholung 83, 86 f. General Assistance 49, 72, 107, 147, 170 Genugtuung 82 Haftungsumfang 139 – Al Mahdi 144 – Katanga 143 – Lubanga 140 Implementierung 160 – Implementierungsstage 166 – durch Gerichtshof 160 – durch TFV 161 IStGH 41 ff. – Reparationsmandat 43, 53, 74, 75, 94, 105, 181, 183, 186 ff., 200

20 ff., 50, 79

Opfer 53 ff. – Stellung in Ad-hoc-Strafgerichten 27 – Stellung in hybriden Gerichten 29 Präventionsorientierte Gerechtigkeit 63 Prinzip der Angemessenheit und Verhältnismäßigkeit 156 Propriu motu 47, 124 Rechtsnatur 74 ff. Rehabilitation 81 Reparationen – Arten 136 ff. – Individuell 87 ff., 126, 139 f., 145 ff., 162 – Kollektive 44, 48, 87 ff., 95, 126 ff., 129, 131 ff. 145 ff. – Reparation Principles 45 – Zweck 53 f. Reparationsschuldner 149 ff. Reparative Gerechtigkeit 65 ff. Restitution 78 Retributive Gerechtigkeit 61 Schadensbegriff 109 ff. – Immaterielle Schäden 114 – Materielle Schäden 111 – Physische Schäden 112 – Psychische Schäden 112 Selektivität der Anklage 104 ff.

Sachwortverzeichnis Staatenverantwortlichkeit 20 ff., 75, 76, 91, 92, 180 ff., 195 Straftheorien 60 ff. Tatbeitrag 150, 153 Täter 25 ff., 95 ff. Transitional Justice 70 ff. 84, 92 Treuhandfond siehe Trust Fund For Victims Trust Fund for Victims 161 ff., 171, 177, 97 Verfahrens- und Beweisordnung Verhältnismäßigkeit 156 ff.

44 f., 47

215

Viktimisierung 57, 81, 89, 105 Völkerrecht 16 ff. – Humanitäres Völkerrecht 18 ff. Völkerstrafrecht 25 ff. Vollstreckung 171 – Schutzbeschlagnahmung 175 ff. Zwangsmaßnahmen 171 ff. Zweckbestimmung 53 ff. – Zweigeteilter Zweckbegriff

85 ff.