Regulierte Selbstregulierung im Ordnungsverwaltungsrecht [1 ed.] 9783428526253, 9783428126255

Anselm Thoma befasst sich in der vorliegenden Veröffentlichung mit rechtlichen und tatsächlichen Voraussetzungen und Gre

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Regulierte Selbstregulierung im Ordnungsverwaltungsrecht [1 ed.]
 9783428526253, 9783428126255

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Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1087

Regulierte Selbstregulierung im Ordnungsverwaltungsrecht Von

Anselm Christian Thoma

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

ANSELM CHRISTIAN THOMA

Regulierte Selbstregulierung im Ordnungsverwaltungsrecht

Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1087

Regulierte Selbstregulierung im Ordnungsverwaltungsrecht

Von

Anselm Christian Thoma

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

Die Rechtswissenschaftliche Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg im Breisgau hat diese Arbeit im Jahre 2007 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten # 2008 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: werksatz, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0200 ISBN 978-3-428-12625-5 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg im Sommersemester 2007 als Dissertation angenommen. Rechtsprechung und Literatur wurden bis April 2007 berücksichtigt. Eine Doktorarbeit, wie auch jede andere juristische Tätigkeit, lebt und profitiert vom Austausch mit anderen Menschen, von Diskussionen und kritischen Vorschlägen, kurz von einem intensiven und anregenden juristischen Umfeld. Das Institut für Öffentliches Recht IV, an dem diese Arbeit entstanden ist, war mir für sieben Jahre ein solch perfektes Umfeld, sowohl in juristischer als auch in menschlicher Hinsicht. Mein besonderer Dank gilt deshalb meinem sehr verehrten Doktorvater, Herrn Professor Dr. Friedrich Schoch, nicht nur für die Betreuung meiner Promotion, sondern auch dafür, dass er mich an seinem Lehrstuhl in den letzten Jahren zu einem – hoffentlich – guten Juristen (aus)gebildet hat und dass er als Institutsleiter dieses hervorragende Team geschaffen hat und zusammenhält. Für die einmalige Atmosphäre am Institut möchte ich all meinen derzeitigen und ehemaligen Kolleginnen und Kollegen ganz herzlich danken, wobei ich besonders meinen guten Freund, Herrn Dr. Holger Weiß, LL.M., hervorheben möchte; die zahlreichen Diskussionen mit ihm haben meinen juristischen Verstand ungemein geschärft und sowohl meine Doktorarbeit als auch meine allgemeinen juristischen Fähigkeiten haben sehr von ihm profitiert (und tun es noch). Auch außerhalb des Lehrstuhls habe ich viel Unterstützung erfahren. Insbesondere danke ich Herrn Professor Dr. Andreas Voßkuhle für die Erstellung des Zweitgutachtens inklusive seiner instruktiven und wertvollen Anregungen. Daneben gilt mein Dank auch den zahlreichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern anderer Lehrstühle, mit denen zusammen ich in den letzten Jahren das soziale und wissenschaftliche Leben an unserer Fakultät ein wenig mitprägen durfte. Nicht zu vergessen schließlich Herr Dr. Florian R. Simon, der sich freundlicherweise bereit erklärt hat, meine Dissertation in die Schriftenreihe zum Öffentlichen Recht aufzunehmen. Zu guter Letzt gilt mein besonderer Dank meiner Familie, die mich nicht nur während der Promotion unterstützt hat, sondern der ich ohnehin alles verdanke. Freiburg im Breisgau, im November 2007

Anselm Thoma

Inhaltsverzeichnis 1. Teil Grundlagen

23

§ 1 Einleitung und Begriffsklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Thematik der Regulierten Selbstregulierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Allgemeiner Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Konkrete Anwendungsbeispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Jugendmedienschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Produktsicherheitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Umweltrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Kapitalmarktrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Aufgabenstellung der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Regulierte Selbstregulierung – Begriffsbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Selbstregulierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Regulierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Regulierung in den Netzwirtschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Soziologischer Regulierungsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Regulierung im Sinne der Regulierten Selbstregulierung . . . . . . . 3. Abstrakte Definitionen Regulierter Selbstregulierung in der Literatur V. Gang der Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

23 23 25 25 26 26 27 28 29 29 30 32 35 35 36 37 39 41

§ 2 Konzept der Regulierten Selbstregulierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Spannungsfeld der Regulierten Selbstregulierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Aktivierung Privater für öffentliche Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Aufgabenbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Staatsaufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Zulässige Staatsaufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Notwendige Staatsaufgaben als Grenze für Privatisierungen . b) Öffentliche Aufgaben (im weiteren Sinne) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Überforderung des Staates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Wege zur Staatsentlastung: Aktivierung Privater . . . . . . . . . . . . . . . a) Privatisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Liberalisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

42 42 42 43 43 43 44 45 47 50 50 53

8

Inhaltsverzeichnis

B.

C.

D. E.

c) Deregulierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Ergebnis dieser Lösungsansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Gewährleistungsstaat und Regulierte Selbstregulierung . . . . . . . . . . a) Staatliche Verantwortung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Staatliche Gewährleistung durch Regulierte Selbstregulierung . . . II. Strukturierung der Aktivierung Privater . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Beteiligung Privater im Bereich der Leistungs-, Planungs- und Ordnungsverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Normsetzung oder Vollzug und Überwachung . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Anwendungsbereiche und Funktionsweisen Regulierter Selbstregulierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gründe für den Einsatz Regulierter Selbstregulierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Wissensdefizit des Staates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Technischer Fortschritt, Entwicklungsfortschritt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Globalisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. (Finanzielle) Überforderung des Staates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Politisch gewollte Begrenzung staatlichen Handelns . . . . . . . . . . . . . . . . Erwartungen an Regulierte Selbstregulierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Vorteile von Selbstregulierung und Regulierter Selbstregulierung aus Sicht des Staates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Verbesserte Einbeziehung privaten Sachverstands . . . . . . . . . . . . . . 2. Erstellung besserer Gesetze und Regeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Verbesserter Gesetzesvollzug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Staatsentlastung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Reaktion auf Europäisierung und Globalisierung . . . . . . . . . . . . . . . 6. Reaktion auf Wertewandel und Wertepluralismus . . . . . . . . . . . . . . . 7. Erfüllung verfassungsrechtlicher Gebote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Arbeitsplatzschaffung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Vorteile für die Wirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Risiken von Selbstregulierung und Regulierter Selbstregulierung . . . . . . . . . Auswahl der Referenzbereiche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Weitere Anwendungsfelder Regulierter Selbstregulierung . . . . . . . . . . . II. Kriterien für die Auswahl der herangezogenen Referenzgebiete . . . . . . .

55 56 57 58 61 62 62 63 64 66 66 68 68 69 69 70 70 70 71 72 72 73 73 74 74 74 75 77 77 81

2. Teil Referenzbereiche

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§ 3 Jugend- und Menschenwürdeschutz im Medienrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 A. Überblick und Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 B. Rechtsgrundlagen und Akteure . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84

Inhaltsverzeichnis I.

9

Rechtsgrundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 1. Geltungs- und Anwendungsbereich des JMStV . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 a) Betroffene Medien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 b) Betroffene Inhalte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 c) Räumlicher Geltungsbereich und Durchsetzbarkeit des deutschen Jugendmedienschutzrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 aa) Strafrechtliche Verantwortlichkeit für ausländische Telemedien 88 bb) Polizeirechtliche Verantwortlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 d) Vereinbarkeit des JMStV mit primärem und sekundärem Gemeinschaftsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 2. Gesetzgebungs- und Verwaltungskompetenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 II. Akteure . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 1. Hoheitliche Akteure . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 a) Die Landesmedienanstalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 b) Die Kommission für Jugendmedienschutz (KJM) . . . . . . . . . . . . . 96 c) Aufgaben von Landesmedienanstalten und KJM . . . . . . . . . . . . . 98 d) Die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM) . . 100 2. Private Akteure . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 a) Private Anbieter von Rundfunk und Telemedien . . . . . . . . . . . . . 100 b) (Anerkannte) Einrichtungen der Freiwilligen Selbstkontrolle . . . 100 aa) Freiwillige Selbstkontrolle Fernsehen – FSF . . . . . . . . . . . . 101 bb) Freiwillige Selbstkontrolle Multimedia – FSM . . . . . . . . . . 104 c) Einbindung der Konsumenten und der Öffentlichkeit . . . . . . . . . 107 C. Regulierte Selbstregulierung im Rundfunk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 I. Recht des Jugend- und Menschenwürdeschutzes im Rundfunk . . . . . . . 108 1. Materielles Recht zum Schutz der Jugend und der Menschenwürde 108 2. Hoheitliche Durchsetzung des materiellen Jugendschutzrechts; Konsequenz von Rechtsverstößen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 a) Überwachung des Fernsehprogramms . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 b) Vorgehen bei Rechtsverstößen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 II. Öffentlichrechtliche Wirkungen von Entscheidungen der Freiwilligen Selbstkontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 1. Freigabewirkung der FSF-Entscheidung für den Anbieter . . . . . . . 113 2. Wirkung der FSF-Entscheidung in Bezug auf Aufsichtsmaßnahmen der KJM . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 a) Vorlagefähige Sendungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 b) Nicht vorlagefähige Sendungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 c) Grund für die Privilegierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 3. Wirkungen von Einzelfallentscheidungen der Selbstkontrolle nach § 8 Abs. 1, § 9 Abs. 1 JMStV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 4. Wirkung der FSF-Entscheidung bei Ordnungswidrigkeiten . . . . . . 119

10

Inhaltsverzeichnis 5. Sperrwirkung der FSF-Entscheidung auch in Strafverfahren? . . . . 6. Erlass von allgemeinen Richtlinien durch die FSF und ihre Wirkung a) Setzung von Richtlinien nach § 8 Abs. 1, § 9 Abs. 1 JMStV . . . . b) Allgemeine Vorgaben für Sendeformate . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Prüf- und Verfahrensordnung der Selbstkontrolleinrichtung . . . . d) Verhaltenskodex der FSF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Generelle Bedeutung der Normsetzung durch die Anerkannte Stelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Grenzen der öffentlichrechtlichen Wirkung der Prüfentscheidung einer Selbstkontrolleinrichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Bedeutung der Einräumung eines Beurteilungsspielraums an die Selbstkontrolleinrichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Voraussetzungen und Grenzen des Beurteilungsspielraums . . . . . . a) Begrenzungen aus dem Allgemeinen Verwaltungsrecht . . . . . . . b) Zulässigkeit des Beurteilungsspielraums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Durchführung der Prüfung durch die Selbstkontrolleinrichtung . . . . . . 1. Prüfungsmaßstab der Selbstkontrolleinrichtungen . . . . . . . . . . . . . 2. Entscheidungsinhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Vorabkontrolle einer vorgelegten Sendung . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Entscheidung über Ausnahmen nach § 8 Abs. 1, § 9 Abs. 1 JMStV c) Nachträgliche Kontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Vereinsinterne Wirkung der Entscheidungen einer Selbstkontrolleinrichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Konkrete Prüfaufgabe der FSF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Subsumtion unter unbestimmte Rechtsbegriffe . . . . . . . . . . . . . . b) Sachverständige Beurteilung tatsächlicher Wirkungen . . . . . . . . c) Ausgleich zwischen verschiedenen geschützten Rechtsgütern . . 5. Verfahren der Prüfung durch die FSF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Kontrolle vorlagefähiger Sendungen durch die Selbstkontrolle . . aa) Regelung der Vorlagepflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Prüfungsablauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Nachträgliche Beurteilung einer Sendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Rechtsverhältnis zwischen Rundfunkveranstaltern und der Selbstkontrolleinrichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Befugnisse der FSF bei der Prüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Sanktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Regulierte Selbstregulierung des Jugendschutzes in Telemedien . . . . . . . . . I. Unterschiede im Realbereich zwischen Telemedien und Rundfunk . . . II. Recht des Jugend- und Menschenwürdeschutzes in den Telemedien . .

119 121 121 123 123 124 124 124 125 125 126 126 127 128 128 130 130 130 130 131 131 131 132 132 133 133 133 135 136 137 137 138 139 140 141

Inhaltsverzeichnis III. Öffentlichrechtliche Wirkungen der Entscheidungen der Freiwilligen Selbstkontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Freigabewirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Wirkung der Entscheidung der Selbstkontrolle auf Aufsichtsmaßnahmen und Ordnungswidrigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Wirkung präventiver Entscheidungen der FSM . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Wirkungen im Strafverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Sonstige Zuständigkeiten der FSM . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Grenze der öffentlichrechtlichen Wirkung einer Entscheidung der FSM V. Durchführung der Prüfung durch die Selbstkontrolleinrichtung . . . . . . 1. Prüfungsmaßstab der Selbstkontrolleinrichtung . . . . . . . . . . . . . . . a) Vorgaben des JMStV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Prüfung der Einhaltung sonstiger Anforderungen . . . . . . . . . . . . 2. Entscheidungsinhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Prüfverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Laufende Kontrolle des Angebots . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Prüfung eines Angebots auf Vorlage der KJM . . . . . . . . . . . . . . . c) Informationsgewinnung und -weitergabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Einbindung der Nutzer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Rechtsverhältnis zwischen FSM und Anbietern von Telemedien . . a) Befugnisse der FSM bei der Prüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Sanktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . E. Jugend- und Menschenwürdeschutz im Pressewesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Gesetzlicher Rahmen des Pressewesens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Selbstregulierung im Pressewesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Aufgabe und Arbeitsweise des Deutschen Presserates . . . . . . . . . . 2. Regulierung der Presseselbstkontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . F. Staatliche Gewährleistung des Jugendschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Materielles Jugendschutzrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Durchsetzung des materiellen Jugendschutzrechts durch Hoheitsträger III. Hoheitliche Einwirkung auf das System der Regulierten Selbstregulierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Anerkennung der Selbstkontrolleinrichtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Aufsicht über die Anerkannten Stellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Aufsicht über die FSF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Aufsicht über die FSM . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Repressive Aufsichtsmittel und Sanktionen der KJM . . . . . . . . . 3. Widerruf der Anerkennung – Reservekompetenz der KJM . . . . . . . 4. Evaluation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Einbindung der Zuschauer und der Öffentlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . G. Zusammenfassung: Funktionsweise der Regulierten Selbstregulierung im Jugendmedienschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Aufgabe und Stellung der Selbstkontrolleinrichtungen . . . . . . . . . . . . .

11 143 143 144 146 146 147 148 148 148 148 149 149 150 150 151 152 152 153 153 153 154 154 155 155 157 158 158 158 159 159 161 161 165 165 166 168 168 169 170 170

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Inhaltsverzeichnis II. Funktionsweise, Strukturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zweigleisigkeit des Gesetzesvollzugs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verbindung öffentlichrechtlicher und zivilrechtlicher Instrumente . 3. Präventive und repressive Aufsicht durch die Selbstkontrolleinrichtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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§ 4 Produktzertifizierung im Produktsicherheitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Problemlage und Funktionsweise der Produktzertifizierung . . . . . . . . . . . . . I. Problemlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Obligatorische Produktzertifizierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Neue Konzeption der Normung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Globales Konzept für Zertifizierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Freiwillige Zertifizierung; GS-Zeichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Rechtsgrundlagen und Akteure . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Rechtsgrundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Akteure . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Hoheitliche Akteure . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Gemeinschaftsorgane . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Nationale Behörden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Anerkennungsstellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Nachgängige Marktüberwachung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Hersteller . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Benannte Stellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Formelle Anforderungen an Benannte Stellen . . . . . . . . . . . . . . . b) Materielle Anforderungen an Benannte Stellen . . . . . . . . . . . . . . c) Finanzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Aufgaben der Benannten Stellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Produktzertifizierungen im Vollzug des Produktsicherheitsrechts . . . . . . . . I. Einbindung der Konformitätsbewertung durch Benannte Stellen in das Produktsicherheitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Funktion des CE-Zeichens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Auswirkungen auf hoheitliche Kontrollverfahren . . . . . . . . . . . . . . 3. Wirtschaftliche Wirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Voraussetzungen der CE-Kennzeichnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Kennzeichnung durch den Hersteller . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Konformitätserklärung durch eine Benannte Stelle . . . . . . . . . . . . . a) Konformitätsbewertungsverfahren unter Einbeziehung von Qualitätssicherungssystemen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Konformitätsbewertungsverfahren durch Produktprüfungen . . . . III. Rechtliche Ausgestaltung des Prüfverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Rechtsnatur des Verhältnisses zwischen Hersteller und Benannter Stelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

172 172 172 174 174 176 177 178 178 180 180 180 180 181 182 183 183 184 186 188 188 189

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189 189 190 192 193 193 193 196 198 200 200

Inhaltsverzeichnis

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a) Ausgangslage: Beleihung oder privatrechtliche Ausgestaltung . . b) Gemeinschaftsrechtliche Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Ausgestaltung durch das deutsche Gesetzesrecht . . . . . . . . . . . . aa) Übertragung von Hoheitsgewalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Terminologie in der Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Verfahrensausgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rechtsnatur des Zertifikats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Befugnisse der Benannten Stelle im Prüfverfahren . . . . . . . . . . . . . 4. Ergebnis: Rechtsnatur des Prüfverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Staatliche Gewährleistung der Produktsicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Interessen- und Problemlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Rechtliche Lösungsansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Regulierung der Benannten Stellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Anerkennung und Aufhebung derselben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Aufsicht über die Benannten Stellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Aufgaben und Ziele der Aufsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Durchführung der Aufsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Indirekte Steuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gründe des Herstellers für ordnungsgemäße Konformitätsbewertungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Rechtliche Gestaltung des Verhältnisses zwischen Hersteller und Benannter Stelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Sicherung der nötigen Befugnisse der Benannten Stelle . . . . . . . b) Sicherung der (Verfahrens-)Rechte des Herstellers gegenüber der Benannten Stelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Anspruch auf Erteilung der Zertifizierung . . . . . . . . . . . . . . bb) Sicherung der Verfahrensrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . E. Zusammenfassung: Struktur der Regulierten Selbstregulierung im Produktsicherheitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Rechtlicher Zwang zur Durchführung eines Konformitätsbewertungsverfahrens unter Einbeziehung einer Benannten Stelle . . . . . . . . . . . . . . . II. Produktsicherheitsgewährleistung auch bei privatrechtlicher Ausgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Normsetzung und Normvollzug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

200 200 201 202 203 204 206 207 208 209 209 210 210 211 212 213 213 214 215

§ 5 Umweltrecht: Öko-Audit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Funktionsweise und Ziele von EMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Rechtsgrundlagen und Akteure . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Rechtsgrundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Europäisches Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

226 226 229 229 229

215 218 218 220 220 222 224 224 224 225 225

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Inhaltsverzeichnis 2. Nationales Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Akteure . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. DAU GmbH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Umweltgutachterausschuss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Bundesumweltministerium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Aufsicht über die DAU GmbH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Aufsicht über den UGA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Private zertifizierte Umweltgutachter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Industrie- und Handelskammern, Handwerkskammern . . . . . . . . . C. Das Umweltaudit im Vollzug des öffentlichen Umweltrechts . . . . . . . . . . . . I. Wirkungen des Umweltaudits . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Öffentlichrechtliche Wirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Alte Rechtslage unter EMAS I . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) EMAS II und EMAS-PrivilegV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Erleichterungen im (Genehmigungs-)Verfahren . . . . . . . . . . bb) Erleichterungen bei der Überwachung . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Keine Auswirkungen auf Genehmigungserfordernisse und materielle Standards . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Art und Weise der Berücksichtigung von EMAS . . . . . . . . . . . . e) EMAS und Vergabe öffentlicher Aufträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vollzug und Durchsetzung des Umweltrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Voraussetzungen der öffentlichrechtlichen Wirkungen . . . . . . . . . . . . . 1. Eintragung in das EMAS-Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Voraussetzungen der Eintragung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Formelle Eintragungsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Materielle Voraussetzungen der Validierung der Umwelterklärung aa) Unternehmensinterner Verfahrensablauf . . . . . . . . . . . . . . . bb) Unternehmensexterner Verfahrensablauf . . . . . . . . . . . . . . . (1) Erstellung und Veröffentlichung einer Umwelterklärung (2) Prüfung und Validierung durch den Umweltgutachter . . III. Prüfung der Erfüllung der EMAS-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Inhalt der Prüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Durchführung der Prüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Staatliche Gewährleistung des Umweltschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Optimale Umsetzung von EMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Anerkennung und Aufsicht über die Umweltgutachter . . . . . . . . . . a) Anforderungen an die Umweltgutachter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Vorgaben der EMAS-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

229 230 230 231 232 232 233 233 235 235 236 236 236 236 237 237 238 239 240 240 241 241 242 242 243 243 244 244 246 246 247 248 248 249 250 250 251 251 251

Inhaltsverzeichnis

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bb) Umsetzung und weitergehende Anforderungen im deutschen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zulassung der Umweltgutachter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Aufsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Kontrollkette . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kontrolle durch die Öffentlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Indirekte Anreize zur optimalen Durchführung von EMAS . . . . . . a) Teilnehmende Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Umweltgutachter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Informationsaustausch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Allgemeine Befugnisse der Umweltschutzbehörden . . . . . . . . . . . . . . . E. Struktur der Regulierten Selbstregulierung beim Umweltaudit . . . . . . . . . .

252 252 253 255 255 256 256 257 258 258 259

§ 6 Wirtschaftsrecht: Jahres- und Konzernabschlussprüfung nach § 342b HGB, §§ 37n ff. WpHG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Überblick über die Kontrolle der Rechnungslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Rechtsgrundlagen und Akteure . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Rechtsgrundlagen der Rechnungslegung und ihrer Kontrolle . . . . . . . . 1. Staatliches Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Regeln der Prüfstelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Verantwortliche für Rechnungslegung und Rechnungslegungsprüfung 1. Hoheitliche Akteure . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Private Akteure . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Rechnungslegungspflichtige Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Abschlussprüfer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Private Prüfstelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Durchsetzung der Rechnungslegungsvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Öffentlichrechtliche Pflicht zur Rechnungslegung und unternehmensinterne Prüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Handelsrechtliche Ausgestaltung der Rechnungslegung . . . . . . . . . 2. Erzwingung der Rechnungslegungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Kontrolle der Rechnungslegung im Wege der Regulierten Selbstregulierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Hoheitliche Kontrolle der Rechnungslegung durch die BaFin . . . . a) Prüfauftrag der BaFin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Rechtsfolgen des Prüfergebnisses der BaFin . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zurücknahme der hoheitlichen Kontrolle durch Einschaltung einer privaten Prüfstelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Rechnungslegungsprüfung durch die private Prüfstelle . . . . . . . . . . . . . 1. Prüfaufgabe der DPR und Prüfungsanlass . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rechtsverhältnis zwischen DPR und geprüftem Unternehmen . . . . 3. Durchführung der Prüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

261 261 264 264 265 265 265 265 266 266 266 267 269 269 269 271 272 272 272 273 274 275 276 278 280

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Inhaltsverzeichnis 4. Ergebnisse und Rechtsfolgen der Prüfung durch die Private Prüfstelle a) Rechtmäßigkeit der Rechnungslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Einvernehmliche Feststellung eines Rechtsverstoßes in der Rechnungslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Korrekturen bestehender Abschlüsse . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Bindungen in einer zivilgerichtlichen Nichtigkeitsklage . . . cc) Bindung bei zukünftigen Bilanzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Fehlende Einigung über festgestellte Fehler . . . . . . . . . . . . . . . . D. Staatliche Gewährleistung ordnungsgemäßer Rechnungslegung . . . . . . . . . I. Reservekompetenz der BaFin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Sicherung der Qualität der Prüfstelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gesetzliche Vorgaben für Besetzung und Organisation der Prüfstelle 2. Anerkennung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Anerkennungsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Anerkennungsvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Staatliche Aufsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Selbstkontrolle der Prüfstelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Haftung der Prüfstelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . E. Weitere Mittel zur Gewährleistung einer ordnungsgemäßen Rechnungslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Gesellschaftsrechtliche Vorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Unternehmenshaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Sanktionen der BaFin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . F. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

282 283 283 284 285 286 286 287 288 289 289 290 290 291 292 294 294 295 296 296 297 297 297

3. Teil Europa- und verfassungsrechtlicher Rahmen § 7 Staatliche Schutzpflichten und Handlungsgebote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Grundlagen hoheitlicher Handlungsgebote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Grundrechtliche Schutzpflichten aus dem Grundgesetz . . . . . . . . . . . . II. Schutzpflichten im europäischen Primärrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Schutzpflichten und Handlungsgebote im Jugendmedienschutz . . . . . . . . . . I. Grundlage der Schutzpflichten und Handlungsgebote . . . . . . . . . . . . . . 1. Jugendschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rundfunkordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Menschenwürdeschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Umsetzung der Schutzpflicht im materiellen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . III. Schutzpflichten im Gesetzesvollzug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

299 299 299 299 303 304 304 304 306 307 307 308

Inhaltsverzeichnis

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1. Vorgaben des Grundgesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vorgaben des Sekundärrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schutzpflichten und Handlungsgebote im Produktsicherheitsrecht . . . . . . . I. Grundlagen der Schutzpflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Umsetzung der Schutzpflicht im materiellen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . III. Schutzpflichten im Gesetzesvollzug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Staatliche Handlungsgebote im Umweltrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Grundlagen der Handlungsgebote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Umsetzung der Handlungsgebote im materiellen Recht . . . . . . . . . . . . III. Durchsetzung der materiellen Umweltschutznormen . . . . . . . . . . . . . . Schutzpflichten im Bilanzierungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Grundlage der Schutzpflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Umsetzung im materiellen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Schutzpflichten im Gesetzesvollzug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

308 311 312 312 313 314 316 316 316 318 319 319 319 320 321

§ 8 Grundrechte und Grundfreiheiten als Grenze der Regulierung . . . . . . . . . . . . . A. Grundrechte als Grenze für die materiellen Anforderungen . . . . . . . . . . . . . I. Jugendmedienschutz als Eingriff in die Grundrechte der Anbieter von Rundfunk und Telemedien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Grundrechte des Grundgesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Art. 10 EMRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Grundrechtsschutz im Produktsicherheits-, Bilanz- und Umweltrecht . B. Freiheitsrechte im Gesetzesvollzug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Jugendmedienschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Umweltaudit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Bilanzkontrollrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Produktsicherheitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Ergebnis zu den Grundrechten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Grundfreiheiten als Eingriffsgrenze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Jugendmedienschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Produktsicherheitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Umweltaudit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Bilanzkontrollrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Fazit zu den Freiheitsrechten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Ergebnis der primär- und verfassungsrechtlichen Prüfung . . . . . . . . . . . . . .

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§ 9 Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Normativer Gehalt des Demokratieprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Verankerung des Demokratieprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Anforderungen des Demokratieprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Neuere Entwicklungen (Funktionale Selbstverwaltung) . . . . . . . . . . . .

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C.

D.

E.

F.

322 322 324 325 325 327 329 329 330 332 332 333 334 335 336 336 337

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Inhaltsverzeichnis B. Demokratieprinzip im öffentlichrechtlichen Teil der Regulierten Selbstregulierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Geltung des Demokratieprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Demokratieprinzip und Normsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Demokratieprinzip und Normdurchsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Demokratieprinzip und Anerkannte Stellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Geltung des Demokratieprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ausübung von Staatsgewalt durch Anerkannte Stellen . . . . . . . . . . 2. Vorbehalt des Gesetzes für die Einführung Regulierter Selbstregulierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Verwirklichung des Demokratieprinzips bei Regulierter Selbstregulierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Forderungen in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Realisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Ergebnis zum Demokratieprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . E. Rechtsstaatsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

§10 Staatliche Pflichten zum Schutz der Anbieter gegen Selbstregulierung

340 340 341 341 342 342 342 343 344 344 345 348 349

. . . . . . 351

§11 Ergebnis des Dritten Teils: Verfassungs- und europarechtliche Anforderungen an Regulierte Selbstregulierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 352 4. Teil Strukturen der Regulierten Selbstregulierung §12 Stellung und Aufgabe der Anerkannten Stellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Öffentlichrechtliche Wirkungen der Tätigkeit Anerkannter Stellen . . . . . . . I. Wirkungen der Entscheidung einer Anerkannten Stelle (präventiv) . . . II. Ersatz staatlicher Sanktionen oder Aufsichtsmittel durch Vereinsstrafen (repressiv) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Erfüllung gesetzlicher Anforderungen durch die Tätigkeit Anerkannter Stellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Auswirkungen der Selbstregulierung auf die hoheitliche Tätigkeit von Behörden – staatliche Rückholoption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Anerkannte Stellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Existenz einer Anerkannten Stelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Erscheinungsformen, Besetzung, Qualifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Repräsentanz durch Anerkannte Stellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Gesellschaftliche Repräsentanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Repräsentanz der Wirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Rolle der Verbraucher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Sachkunde und Unabhängigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Rolle der Anbieter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

355 357 357 357 359 359 360 362 363 363 363 364 364 366 366 368

Inhaltsverzeichnis

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2. Pflicht zur Beteiligung an der Regulierten Selbstregulierung . . . . . 3. Pluralistische Besetzung der Gremien der Anerkannten Stellen . . . a) Fehlende gesetzliche Regelungen zur Bildung und Besetzung Anerkannter Stellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Fehlende Notwendigkeit einer pluralistischen Besetzung . . . . . . III. Anforderungen an die Anerkennung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gesetzliche Anerkennungsvoraussetzungen für Anerkannte Stellen 2. Administrative Kontrolle der Anerkennungsvoraussetzungen . . . . . IV. Konkrete Tätigkeit der Anerkannten Stellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Form der Anerkennung der Privaten Stelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Ausgestaltung der Anerkennung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Rechtsverhältnis zwischen Anerkannten Stellen und Anbietern . . . . . . . . . . I. Öffentliches Recht oder Privatrecht – Stellung der Anerkannten Stellen zwischen Staat und Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Vertragliche Ausgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Freiwillige oder obligatorische Teilnahme an der Regulierten Selbstregulierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Zivilrechtliche Wirkungen der Entscheidungen der Anerkannten Stelle 1. Entscheidungen der Anerkannten Stellen gegenüber den Anbietern 2. Ansprüche der Anbieter gegen die Anerkannte Stelle auf Durchführung der Prüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Grundrechtsbindung der Anerkannten Stellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Grundrechtsbindung der Anerkannten Stellen gegenüber den Anbietern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Unmittelbare Grundrechtsbindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Mittelbare Grundrechtsbindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Schutzpflichtendimension der Grundrechte der Anbieter . . . . . . . . VI. Rechtsschutz gegen Entscheidungen der Anerkannten Stelle . . . . . . . . VII. Haftungsfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Haftung der Anerkannten Stelle gegenüber den Anbietern . . . . . . . a) Staatshaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zivilrechtliche Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Haftung der Anerkannten Stelle gegenüber dem Verbraucher . . . . . D. Mittel der Rechtsdurchsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Zivilrechtliche Durchsetzung öffentlichrechtlicher Normen . . . . . . . . . 1. Durchsetzung der Entscheidungen der Anerkannten Stelle durch Hoheitsträger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verlust öffentlichrechtlicher Privilegierungen durch Verweigerung einer Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zivilrechtliche Zwangsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis 4. Vereinsinterne Zwangsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Information der Öffentlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Öffentlichkeitswirkung der konkreten Tätigkeit Anerkannter Stellen 2. (Verfassungs-)Rechtliche Grenzen der Informationstätigkeit . . . . . III. Einsicht der Anbieter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

400 401 401 403 404 405

§13 Staatliche Gewährleistungsverantwortung in Bezug auf die Anerkannten Stellen A. Behördenbeteiligung an der Regulierten Selbstregulierung . . . . . . . . . . . . . I. Anerkennende Behörden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Aufsichtsbehörden für die Anerkannten Stellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. „Auffang“behörden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Marktüberwachungsbehörden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Rechtsverhältnis zwischen Anerkannter Stelle und hoheitlichen Stellen . . . I. Bedeutung der Ausgestaltung des Rechtsverhältnisses . . . . . . . . . . . . . II. Staatliche Aufsicht über die Anerkannten Stellen . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zum Begriff der Aufsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Staats- und Wirtschaftsaufsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Gewährleistungsaufsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Bedeutung der Aufsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Kooperativer Staat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Grundrechtsbindung und -berechtigung der Anerkannten Stellen . . . . . 1. Grundrechtsbindung der Aufsichtsbehörden . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Grundrechtsberechtigung der Anerkannten Stellen . . . . . . . . . . . . . a) Einschlägige Grundrechte und ihre Anwendbarkeit auf juristische Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Grundrechtsberechtigung in Organisationsfragen . . . . . . . . . . . . c) Grundrechtsberechtigung gegenüber der Aufsicht bei der Prüftätigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Staatshaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Haftung hoheitlicher Stellen gegenüber Verbrauchern und Anbietern a) Staatshaftung für Fehler der hoheitlichen Wirtschaftsaufsicht . . b) Staatshaftung für Fehler der Anerkannten Stelle . . . . . . . . . . . . . c) Staatshaftung für eigene Fehler der hoheitlichen Aufsicht über die Anerkannten Stellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Haftung gegenüber den Anbietern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Haftung gegenüber Verbrauchern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Haftungsbeziehungen zwischen Staat und Anerkannter Stelle . . . . a) Haftung des Staates gegenüber der Anerkannten Stelle . . . . . . . b) Ansprüche des Staates gegen die Anerkannte Stelle . . . . . . . . . .

405 406 406 406 406 408 408 409 409 409 409 411 412 415 415 415 416 416 417 418 419 420 420 420 421 422 424 424 424 425

Inhaltsverzeichnis §14 Stellung des Verbrauchers in einem System Regulierter Selbstregulierung . . . A. Rechtsverhältnis der Anerkannten Stelle zum Verbraucher . . . . . . . . . . . . . I. Anspruch auf Tätigwerden der Anerkannten Stelle . . . . . . . . . . . . . . . . II. Schadensersatzansprüche von Verbrauchern gegen die Anerkannte Stelle III. Gütesiegel der Anerkannten Stellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Einbindung der Verbraucher für die Informationsgewinnung . . . . . . . . . . . . I. Informationsbedarf der Anerkannten Stellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Informationsbedarf der hoheitlichen Aufsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

21 426 426 426 428 428 429 429 429

5. Teil Funktionsanalyse und Fazit §15 Funktionsanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Vorzüge Regulierter Selbstregulierung im Jugendmedienschutz . . . . . . . . . I. Vorteile und Fähigkeiten Regulierter Selbstregulierung . . . . . . . . . . . . 1. Gründe des Gesetzgebers und der Öffentlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . a) Reaktion auf das Wissensdefizit des Staates und den technischen Fortschritt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Wahrnehmung gesellschaftlicher Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . c) Internationalisierung der Bekämpfung unzulässiger Angebote . . d) Anforderungen an die Medienaufsicht aus Art. 5 GG . . . . . . . . . e) Spezieller Sachverstand, Fachkunde, Erfahrung . . . . . . . . . . . . . f) Entlastung der Aufsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vorteile der (Medien-)Wirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Nachteile und Verbesserungsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ausführlichere gesetzliche Regelung der Aufsicht über die Selbstkontrollen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Öffnung des Gesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Einbindung der Access-Provider, Portal- und Suchmaschinenbetreiber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Gründe für die Einführung Regulierter Selbstregulierung im Produktsicherheitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Vorteile und Fähigkeiten Regulierter Selbstregulierung . . . . . . . . . . . . 1. Gründe des (europäischen) Gesetzgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Einbindung privaten Sachverstands und Staatsentlastung . . . . . . b) Europaweite Harmonisierung von Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . c) Qualitätswettbewerb unter Benannten Stellen und zwischen Prüfverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Erleichterte Implementation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Arbeitsplatzschaffung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis 2. Vorteile für die Wirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Nachteile und Verbesserungsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Gründe für die Einführung Regulierter Selbstregulierung im Umweltrecht . I. Vorteile und Fähigkeiten Regulierter Selbstregulierung in Form des Umweltaudits . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vom Gesetzgeber verfolgte Ziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vorteile aus Sicht der Wirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Gründe für die Einführung Regulierter Selbstregulierung im Bilanzkontrollrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Vorteile und Fähigkeiten Regulierter Selbstregulierung im Bilanzkontrollrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gründe des Gesetzgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Vertrauensgewinn nach Bilanzskandalen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Einbindung von Sachverstand und Staatsentlastung . . . . . . . . . . c) Wissens- und Informationsdefizit des Staates . . . . . . . . . . . . . . . d) Globalisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vorteile aus Sicht der Wirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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§16 Zusammenfassung und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Warum Regulierte Selbstregulierung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Strukturelle Voraussetzungen für den Einsatz Regulierter Selbstregulierung I. Anforderungen an den zu regulierenden Wirtschaftssektor . . . . . . . . . . 1. Struktur des Wirtschaftssektors . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Interesse der Öffentlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Anforderungen an die Regulierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Was Regulierte Selbstregulierung nicht leisten kann . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

465 465 467 467 467 469 470 471 476

454 454 457 459 462

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 478 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 495

1. Teil

Grundlagen § 1 Einleitung und Begriffsklärung A. Einleitung Die vorliegende Arbeit widmet sich der Untersuchung Regulierter Selbstregulierung als eines neuen Steuerungsinstruments zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben. Die Verwirklichung des Gemeinwohls ist nach wie vor zentrale Aufgabe und Daseinsberechtigung des Staates (bzw. in zunehmendem Maße auch der Europäischen Gemeinschaft). Zu diesem Zwecke erfüllt er eine Vielzahl öffentlicher Aufgaben 1, die ihm entweder von der Verfassung vorgegeben sind (Staatszielbestimmungen, grundrechtliche Schutzpflichten) oder die durch Parlamentsgesetz vom Gesetzgeber festgelegt werden. Gleichzeitig ist zu konstatieren, dass auf diese Weise der öffentlichen Verwaltung immer mehr Aufgaben übertragen wurden und werden 2, ohne dass damit auch eine entsprechende Aufstockung der der Aufgabenerfüllung dienenden öffentlichen Ressourcen einherginge 3. Da die staatlichen Mittel nicht beliebig vermehrbar sind, der Staat gleichzeitig aber nicht auf Aufgaben verzichten kann oder will 4, müssen neue Wege der Aufgabenerfüllung gefunden werden, die die öffentlichen Kassen weniger belasten. Einen Ausweg soll dabei unter anderem die verstärkte Einbindung Privater bei der Erfüllung öffentlicher Aufgaben darstellen. Privatpersonen haben den Vorteil, dass sie unter Umständen früher, flexibler und sachgerechter (re)agieren können als die staatliche Gesetzgebung (im weiteren Sinne) und Verwaltung, weil sie geringeren verfassungsrechtlichen und gesetzlichen Bindungen unterliegen.

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Zum Aufgabenbegriff und den verschiedenen Einteilungen s. u. § 2 A. I. 1. Schoch, DVBl 1994, 962 (967). 3 Hoffmann-Riem, in: Schuppert (Hrsg.), Jenseits von Privatisierung, S. 159; Faber, Selbstregulierungssysteme, S. 69; Lackner, Gewährleistungsverwaltung, S. 18 f. Im Gegenteil ist der Staat völlig überschuldet, s. Göke, ZG 2006, 1 (2) und liegen seine Ausgaben weit über den Einnahmen (Haushaltsplan für das Jahr 2006, BGBl I S. 1650); zur Überforderungen des Staates ausführlicher unten § 2 A. I. 2. 4 Kupfer, Verteilung knapper Ressourcen, S. 125: „Nicht hinreichende Bereitschaft der Politik, Aufgaben freizugeben“. 2

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1. Teil: Grundlagen

Zwei Möglichkeiten dieser Erfüllung öffentlicher Aufgaben durch Private sind die Selbstregulierung und die Regulierte Selbstregulierung 5. Diese sind in den letzten Jahren immer weiter im Vordringen begriffen 6 und stoßen in einen „Zwischenraum zwischen Staat und Gesellschaft“ 7 vor, der wegen der immer schwieriger und undeutlicher werdenden Abgrenzungen zwischen diesen beiden Bereichen ständig wächst. Auf Grund der in diesem Bereich vielfach nicht mehr eindeutigen Zuordnung zu Staat oder Gesellschaft, zum Öffentlichen Recht oder zum Zivilrecht, ergeben sich Probleme der rechtlichen Beurteilung und Ausgestaltung, die eine Herausforderungen an die Dogmatik stellen und einer Klärung bedürfen, soll sich Regulierte Selbstregulierung als Steuerungsinstrument durchsetzen können. Oder in den Worten von Rainer Wahl: Aufgabe ist es „den Phänomenen des Zwischenraums den Makel des Undeutlichen, Unentschiedenen und Vermischten zu nehmen, sie statt dessen in ihren Eigenarten explizit zu umschreiben und letztlich neue Typisierungen zu entwickeln“ 8. Da Regulierte Selbstregulierung noch kein feststehender etablierter Begriff des Allgemeinen oder Besonderen Verwaltungsrechts ist und daher auch noch keine klaren gesetzlichen Tatbestandsvoraussetzungen oder dogmatischen Strukturmerkmale aufweist, ist eine allgemeine oder abstrakte Untersuchung Regulierter Selbstregulierung (noch) nicht möglich. Allgemeine Ideen oder Vorstellungen dessen, was Regulierte Selbstregulierung sein soll, gibt es zwar einige (s. u. § 1 B. IV.), diese bleiben jedoch meist unverbindlich oder unterscheiden sich stark in den Details. Zudem gibt es mittlerweile zahlreiche Anwendungsfelder für Regulierte Selbstregulierung, die nicht nur in wissenschaftlichen Beiträgen aufgezeigt werden, sondern vom Gesetzgeber (auf nationaler und gemeinschaftsrechtlicher Ebene) in der Praxis installiert worden sind. Es erscheint daher lohnenswerter, sich mit diesen realen Anwendungsbeispielen auseinander zu setzen und die allgemeinen Lehren dabei als Reflexionsebene zu verwenden. Dabei ist es vorteilhaft, sich nicht auf ein einziges Referenzgebiet zu stützen, um den Systematisierungsversuchen eine breitere Basis zu verschaffen 9. Untersucht und vergleicht man mehrere, im Tatsächlichen durchaus unterschiedliche, Anwendungsfelder, so kann dies ein tragfähiges Fundament für allgemeine Schlussfolgerungen und das Aufdecken gemeinsamer Strukturen ergeben, die wiederum einen Beitrag zur Entwicklung einer 5 Weil die herkömmlichen Formen, Beleihung und Verwaltungshilfe, nicht mehr ausreichend sein sollen, Trute, in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem, Verwaltungsorganisationsrecht, S. 249 (261). 6 Knauff, Gewährleistungsstaat, S. 62; Puppis, Künzler u. a., Selbstregulierung, S. 10 f. 7 Wahl, in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem, Verwaltungsorganisationsrecht, S. 301 (319). 8 Wahl, in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem, Verwaltungsorganisationsrecht, S. 301 (319). 9 Zum Arbeiten mit Referenzgebieten vgl. Schmidt-Aßmann, in: Hoffmann-Riem/ Schmidt-Aßmann/Schuppert, Reform des AllgVerwR, S. 11 (14 ff.).

§ 1 Einleitung und Begriffsklärung

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allgemeinen (verwaltungsrechtlichen) Lehre von der Regulierten Selbstregulierung leisten könnten. Insofern bewegt sich die Arbeit zwar zunächst in Bereichen des Besonderen Verwaltungsrechts, soll aber auch einen Beitrag zum Allgemeinen Verwaltungsrecht leisten.

B. Thematik der Regulierten Selbstregulierung I. Allgemeiner Anwendungsbereich Öffentliche Aufgabe ist nicht nur die staatliche Versorgung der Bevölkerung mit Leistungen (vor allem solchen der Daseinsvorsorge), auch wenn sich die Diskussionen um staatliche Aufgabenüberlastung und Privatisierung meist auf diese Bereiche konzentriert. Zentrale Aufgabe ist daneben auch der Schutz der Bevölkerung oder besonders schutzbedürftiger Gruppen vor Gefahren, die aus der Umwelt oder dem Verhalten von Mitmenschen drohen. Zu diesem Zweck stellt der Staat (oder die Europäische Gemeinschaft) Verbots- und Schutznormen auf, die bestimmte Verhaltensweisen verbieten, Mindeststandards an Produkte oder Dienstleistungen vorgeben oder bestimmte Handlungen zum Schutz eines Rechtsguts verpflichtend vorschreiben. Die betroffenen Produkte, Dienstleistungen oder Verhaltensweisen werden durch die Verwaltung überwacht und auf ihre Normkonformität hin geprüft und kontrolliert. Wird dabei ein Normverstoß festgestellt, wird entweder die Einhaltung der Vorgaben erzwungen oder eine Sanktion verhängt. Auch dieser klassische öffentliche Schutzauftrag wird inzwischen unter Einbindung privater Beiträge erfüllt. Der Staat greift längst nicht mehr nur bei der Erbringung von Dienstleistungen oder Leistungen der Daseinsvorsorge auf Private zurück (also in der Leistungsdimension), sondern auch in der „Eingriffsdimension“, bei der Überwachung und Sanktionierung privaten (vor allem wirtschaftlichen) Verhaltens. Regulierte Selbstregulierung findet sich also auch in der Ordnungsverwaltung 10. Dabei kommt die Mitwirkung von Wirtschaft, Gesellschaft oder anderen privaten Akteuren auf allen Ebenen zum Tragen, sowohl bei der Setzung der materiellen Standards als auch bei der Kontrolle und Durchsetzung gesetzlicher Vorgaben sowie bei der Sanktionierung von Rechtsverstößen. Mittel dazu sind Selbstkontroll- oder Selbstregulierungseinrichtungen, die von Marktteilnehmern oder gesellschaftlichen Kräften gegründet und getragen werden und die zum Teil Aufgaben staatlicher Verwaltungsbehörden übernehmen. Der Staat beschränkt sich dabei in der Regel auf eine Kontrolle dieser privaten Kontrolleure. Dies kann anhand einiger Anwendungsfelder veranschaulicht werden.

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Eifert, GVwR I, § 19 Rdn. 55.

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1. Teil: Grundlagen

II. Konkrete Anwendungsbeispiele 1. Jugendmedienschutz Angesichts der Komplexität, Wandelbarkeit und Globalisierung der modernen Medienlandschaft und vor allem der Herausforderungen durch das Internet, versucht der Staat, privaten Sachverstand und private Ressourcen zu aktivieren, um den Schutz der Jugend und der Menschenwürde in den elektronischen Medien (Rundfunk und Internet) weiterhin gewährleisten zu können. Der Landesgesetzgeber hat mit dem Jugendmedienschutzstaatsvertrag (JMStV) jugendgefährdende und menschenverachtende Sendungen und Angebote im Rundfunk und im Internet (zum Beispiel Pornographie oder rechtsextremistische Propaganda) verboten oder zumindest Sendezeitbeschränkungen unterworfen (§§ 4, 5 JMStV). Die Überwachung und Durchsetzung der Vorgaben des JMStV gegenüber den Fernsehsendern und Internet-Anbietern erfolgt grundsätzlich durch hoheitliche Stellen der Rundfunkaufsicht (§§ 16 f., 20 JMStV) mittels Aufsichtsmaßnahmen oder Bußgeldern. Allerdings sieht das Gesetz auch die Möglichkeit vor, dass Rundfunksender oder Anbieter von Telemedien Freiwillige Selbstkontrolleinrichtungen gründen können (§ 19 Abs. 1 JMStV). Diese Selbstkontrolleinrichtungen sind private Vereine, getragen von den Sendern und Internet-Anbietern, besetzt mit Fachleuten für Jugendschutz und Repräsentanten gesellschaftlicher Kräfte. Sie prüfen an Stelle der staatlichen Aufsicht, ob Sendungen kinder- oder jugendgefährdend sind oder zur beantragten Sendezeit ausgestrahlt bzw. ins Netz gestellt werden dürfen. Stellen sie Verstöße gegen den JMStV fest, fordern sie den Anbieter zu Änderungen oder zur Unterlassung der Verbreitung des Angebots auf; kommt der Anbieter dem nicht nach, kann die Selbstkontrolle satzungsrechtliche Sanktionen gegen ihn verhängen; hält die Selbstkontrolle Inhalt und Sendezeit der Fernsehsendung oder des Telemediums für mit dem JMStV vereinbar, gibt sie das Angebot frei. Diese Entscheidungen der nicht hoheitlich agierenden privaten Selbstkontrolle binden (in gewissen Grenzen) auch die hoheitliche Rundfunkaufsicht; wenn diese ein Angebot anders beurteilt als die Selbstkontrolle und einen Verstoß gegen den JMStV annimmt, so kann sie dennoch nicht gegen den Anbieter vorgehen (§ 20 Abs. 3, 5 JMStV). Die Beteiligung der Anbieter an der privaten Selbstkontrolle führt somit zu einer Aufsichtsprivilegierung. Um sicherzustellen, dass die Selbstkontrolleinrichtungen der Anbieter ihre Aufgabe ordnungsgemäß und dem öffentlichen Interesse entsprechend erfüllen, müssen sie von der Rundfunkaufsicht anerkannt werden, wobei eine solche Anerkennung nur erfolgt, wenn die Selbstkontrollen den in § 19 Abs. 3 JMStV statuierten Anforderungen an Unabhängigkeit, Fachkunde, ausreichender Ausstattung und ordnungsgemäßem Verfahren genügen. Außerdem stehen sie unter Überwachung durch eine hoheitliche Aufsichtsbehörde, welche bei andauerndem

§ 1 Einleitung und Begriffsklärung

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Versagen der Selbstkontrolle die Anerkennung auch wieder entziehen und die Aufsichtsprivilegierung der Anbieter damit beenden kann. 2. Produktsicherheitsrecht Ähnliches gilt im Produktsicherheitsrecht. Der rasante technische Fortschritt und die grenzüberschreitenden Warenströme setzen die Verbraucher zunehmend neuen Waren und Gegenständen aus, die entweder schon von ihrer Anlage her riskant sind oder bei denen Fehler in der Konstruktion oder Produktion zu hohen Gefahren für Leben, Gesundheit und Eigentum der Verbraucher führen können. Gleichzeitig drängen die Vertiefung des EG-Binnenmarkts und der weltweite Freihandel auf einen Abbau von „Markthemmnissen“, wozu unter anderem auch (zu) hohe nationalstaatliche Sicherheitsstandards gehören. In diesem Spannungsfeld bewegt sich das weitgehend europäisierte Produktsicherheitsrecht. Dieses stellt in EG-Richtlinien in erster Linie Sicherheitsanforderungen an potenziell gefährliche Erzeugnisse auf, wobei es sich um so unterschiedliche Produkte wie Lebensmittel, Chemikalien und Arzneimittel, aber auch Fahrzeuge oder Maschinen handeln kann (zum Beispiel Sportboote-RL, Maschinen-RL, Aufzug-RL, Druckgeräte-RL, Spielzeug-RL, etc.). Die Sicherheitsanforderungen der Richtlinien werden durch Europäische Normen (EN) konkretisiert. Die Durchsetzung und Kontrolle dieser Sicherheitsanforderungen erfolgt nach dem „Globalen Konzept“ der EG-Kommission im Wege Regulierter Selbstregulierung, wie es im deutschen Geräte- und Produktsicherheitsgesetz (GPSG) sowie in produktspezifischen Gesetzen und Rechtsverordnungen, die die EG-Richtlinien umsetzen, seinen Niederschlag gefunden hat. Der Schutz der Verbraucher vor Gesundheits- oder Eigentumsschäden verlangt, dass bestimmte Produkte nur in Verkehr gebracht werden dürfen, wenn sie vorher auf ihre Sicherheit, das heißt auf die Einhaltung der gesetzlichen Produktanforderungen, überprüft wurden (§ 4 Abs. 1 GPSG). Eine staatliche Behörde, die alle in Frage kommenden Produkte vor dem Inverkehrbringen prüfen müsste, wäre hoffnungslos überfordert. Daher erfolgt die Produktprüfung nicht durch eine Behörde, sondern durch staatlich anerkannte private Prüfstellen, die gegenüber dem Produkthersteller auf zivilvertraglicher Basis agieren. Kommt die Prüfstelle bei der Prüfung des Produkts zu dem Ergebnis, dass dieses die Sicherheitsanforderungen erfüllt, gestattet sie dem Hersteller das Anbringen eines Kennzeichens (das CEZeichen), welches Voraussetzung für das Inverkehrbringen des Produkts ist (§§ 4, 6 GPSG) und gleichzeitig Bindungswirkung gegenüber staatlichen Produktsicherheitsbehörden entfaltet. Präventive öffentlichrechtliche Sicherheitsprüfungen bei derart gekennzeichneten Produkten sind weitgehend unzulässig; die staatliche Kontrolle ist darauf beschränkt sicherzustellen, dass nur Produkte mit dem entsprechenden Kennzeichen auf den Markt gelangen (§ 8 Abs. 4 S. 2 Nr. 2, 6 GPSG i. V. m. § 3 Abs. 1 GPSG i. V. m. den entsprechenden GPSG-Verordnungen).

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1. Teil: Grundlagen

Auch an diese privaten Prüfstellen stellen das europäische und deutsche Recht spezifische Anforderungen in Bezug auf Qualität und Neutralität sowie das Prüfverfahren, welche im Rahmen der Anerkennung nachgewiesen werden müssen. Sie unterliegen der staatlichen Überwachung und können im Falle unsachgemäßer Arbeit ihre Anerkennung auch wieder verlieren (§§ 3 Abs. 3, 11 GPSG). 3. Umweltrecht Um dem im Umweltrecht schon seit längerem beklagten Vollzugsdefizit zu begegnen, andererseits aber die Wirtschaft nicht mit noch mehr Bürokratie zu belasten, setzt der europäische Gesetzgeber in diesem Bereich ebenfalls auf Regulierte Selbstregulierung, auch wenn diese hier – noch – nicht stark ausgeprägt ist. Mit dem auf einer europäischen Verordnung beruhenden Umweltaudit soll dem Gedanken verstärkter Einbindung Privater auch im Umweltrecht Rechnung getragen werden. Das Umweltaudit hat keinen Einfluss auf die materiellen Standards des (nationalen) Umweltrechts; auch wird dessen Einhaltung nach wie vor vorrangig von den staatlichen Umweltbehörden kontrolliert und durchgesetzt. Das Umweltaudit soll primär der freiwilligen internen Verbesserung der Umweltleistung eines Unternehmens dienen, wozu in Form eines externen, staatlich anerkannten Umweltgutachters zusätzlicher Sachverstand und Expertise herangezogen wird. Allerdings führt das Umweltaudit bei auditierten Unternehmen zu einer Reduzierung der staatlichen Überwachungstätigkeit. Das Umweltauditsystem sieht für Unternehmen, die entsprechende interne Management- und Kontrollsysteme installiert haben und dadurch die Einhaltung des staatlichen Umweltrechts gewährleisten, Verfahrens- und Überwachungserleichterungen vor (s. die EMAS-Privilegierungs-VO). Ob diese internen Systeme tatsächlich installiert sind, funktionieren und den gesetzlichen Vorgaben entsprechen, wird nicht von den Umweltbehörden kontrolliert, sondern im Rahmen einer externen neutralen Auditierung wiederum von privaten Stellen, den Umweltgutachtern (Ziff. 5.4 Anhang V EMAS-VO). Diese sind nicht mit Hoheitsgewalt ausgestattet und handeln auf Grund eines privatrechtlichen Vertrages mit den Unternehmen. Hat der Umweltgutachter die Einhaltung der Voraussetzungen der EMAS-VO festgestellt, ist die staatliche Umweltverwaltung weitgehend an diese Beurteilung gebunden und hat gewisse Aufsichtsprivilegierungen zu gewähren. Um trotz dieser teilweisen Bindung der Umweltbehörden die Einhaltung des Umweltschutzes zu gewährleisten, müssen die Umweltgutachter hoheitlich anerkannt werden, speziellen, in der EMAS-VO und dem deutschen Umweltauditgesetz genannten, Anforderungen an Fachkunde und Neutralität genügen und unterliegen hoheitlicher Überwachung (Art. 4 EMAS-VO, §§ 4 ff. UAG).

§ 1 Einleitung und Begriffsklärung

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4. Kapitalmarktrecht Schließlich kennt auch das deutsche Kapitalmarktrecht Formen der Regulierten Selbstregulierung und zwar unter anderem bei der Rechnungslegungskontrolle. Ein zentraler Baustein des Gläubiger- und Anlegerschutzes und damit auch der Funktionsfähigkeit des deutschen Kapitalmarkts ist die Pflicht börsennotierter Unternehmen zur Erstellung (wahrheitsgemäßer) Jahres- und Konzernabschlüsse, aus denen sich die aktuelle Lage und die Zukunftschancen eines Unternehmens ergeben sollen. Daher enthält das HGB (teilweise in Umsetzung von EG-Recht) zahlreiche detaillierte Vorschriften zu Form und Inhalt einer Bilanz (§§ 238 ff. HGB). Wurde die Einhaltung dieser Vorschriften bei börsennotierten Unternehmen jahrzehntelang nur von den Abschlussprüfern im Auftrag der Unternehmen kontrolliert (§§ 316 ff. HGB), hat der deutsche Gesetzgeber mittlerweile – als Reaktion auf zahlreiche Bilanzskandale in den USA, aber auch in Deutschland – grundsätzlich eine Kontrolle durch eine staatliche Wirtschaftsaufsichtsbehörde vorgesehen (§ 37n WpHG). Die hoheitliche Bilanzkontrolle wird allerdings ausgesetzt, wenn die Wirtschaft eine eigene Prüfstelle gründet und mit der Rechnungslegungskontrolle beauftragt (§ 37p WpHG). Wirtschaftliche Interessenverbände haben als Reaktion darauf die Deutsche Prüfstelle für Rechnungslegung (DPR) gegründet; diese wird von einem Verein getragen. Ihre Prüfungen binden die hoheitliche Finanzaufsicht dergestalt, dass diese grundsätzlich keine eigenen Bilanzkontrollen mehr durchführen darf, sondern nur noch nach Abgabe eines Falles durch die private Prüfstelle oder bei offensichtlich unzureichender Prüfung der DPR tätig wird. Die private Prüfstelle agiert nicht hoheitlich; sie ist auf die freiwillige Kooperation der zu prüfenden Unternehmen angewiesen und kann zur „Erzwingung“ der Kooperation nur mit der Abgabe des Falles an die staatliche Aufsicht drohen. Auch diese private Kontrollstelle muss staatlich anerkannt werden und den gesetzlichen Anforderungen an eine neutrale und kompetente Besetzung genügen (§ 342b Abs. 1 HGB). III. Aufgabenstellung der Untersuchung Die vorliegende Arbeit will die Anwendungsmöglichkeiten und Ausgestaltung Regulierter Selbstregulierung in den vier genannten Referenzgebieten untersuchen. Wie deren kurze einleitende Darstellung gezeigt hat, geht es dabei nicht primär um private Normsetzung oder Standardsetzung im Wege der Selbstregulierung (mit Ausnahme des Produktsicherheitsrechts, wo auch die private Normsetzung eine zentrale Rolle spielt). Vielmehr erfolgt die Selbstregulierung hier jeweils durch private Implementationsinstanzen 11, die Privaten werden also bei der Anwendung bzw. Durchsetzung von (staatlich gesetzten) Normen tätig. Untersu-

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1. Teil: Grundlagen

chungsgegenstand ist somit Regulierte Selbstregulierung zur Gesetzesumsetzung und -durchsetzung. Angewendet werden durch die Privaten dabei keine Leistungsgesetze, das heißt der Vollzug erfolgt nicht durch die Erbringung einer Dienstleistung für den Bürger. Stattdessen werden die Privaten im Bereich der Kontrolle und Überwachung staatlicher Ge- und Verbote tätig, also in einer klassischen Eingriffskonstellation gegenüber dem Normadressaten (die gleichzeitig der Erfüllung eines staatlichen Schutzauftrags gegenüber Dritten dient). Zu untersuchen ist folglich, wie genau Private bei der Überwachung und Durchsetzung der Normkonformität tätig werden, welche Anforderungen an diese Kontrolltätigkeit zu stellen sind, welchen europa- und verfassungsrechtlichen Vorgaben und Grenzen sie zu genügen hat und welche Vor- und Nachteile mit dem Einsatz Regulierter Selbstregulierung im Vergleich zum verwaltungsrechtlichen Gesetzesvollzug verbunden sind. Ergebnis soll der Versuch einer Struktur- und Systembildung im Bereich der Regulierten Selbstregulierung sein. IV. Regulierte Selbstregulierung – Begriffsbestimmung „Regulierte Selbstregulierung“ 12 oder auch nur die Teilbegriffe „Regulierung“ und „Selbstregulierung“ sind (noch) keine allgemein anerkannten und mit eindeutigem Inhalt belegten rechtswissenschaftlichen Begriffe. Legaldefinitionen von Selbstregulierung oder Regulierter Selbstregulierung existieren (derzeit) nicht; auch werden sie durch den deutschen Gesetzgeber – soweit ersichtlich – nicht als Gesetzesbegriffe verwendet 13. Im verbindlichen europäischen Sekundärrecht kommen „Regulierte Selbstregulierung“ oder „Selbstregulierung“ ebenfalls nicht vor; lediglich in unverbindlichen Empfehlungen und Stellungnahmen werden die Bezeichnungen verwendet, haben dort allerdings auch nur beschreibenden und keinen normativen Charakter 14. Das Weißbuch der EG-Kommission vom 25. 7. 2001 verwendet den Begriff der Koregulierung und versteht darunter, dass der Staat verbindliche Rahmen setzt und deren Einhaltung 11

Schmidt-Aßmann, Beiheft 4 DV 2001, 253 (259). Auch als „Co-Regulierung“ bezeichnet, z. B. von Mynarik, Jugendschutz, S. 30. 13 Weder im hier untersuchten Jugendmedienschutzstaatsvertrag, Umweltauditgesetz, in den Produktsicherheitsverordnungen oder den §§ 37n ff. WpHG; auch in den jeweiligen Begründungen tauchen die Begriffe nicht auf. 14 Empfehlung des Rates vom 24. 09. 1998, ABlEG L 270/48, Empfehlung I 1., spricht von „Systemen der Selbstkontrolle“ und der Erstellung von Verhaltenskodizes (Empfehlung II. 1.); Grünbuch der EG-Kommission zum Verbraucherschutz, KOM (2001), 531 endg., S. 5 f. und 16 f.: Selbstregulierung allein in Form von Verhaltenskodizes; Art. 3 1. u. 2. Spstr. sowie Anhang I. 1.2. der Entscheidung 276/1999/EG, ABlEG L 33/1: BranchenSelbstkontrollen und Verhaltenskodizes. 12

§ 1 Einleitung und Begriffsklärung

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überwacht, während die Ausfüllung im Detail Organisationen der Betroffenen überlassen werden kann, wenn diese repräsentativ und „in der Lage sind, sich in offenen Verfahren an vereinbarte Regeln zu halten“ 15. Die Empfehlung des Europarats vom 5. 9. 2001 16 verwendet Selbstregulierung als Beschreibung für Organisationen, die die Anbieter eines Wirtschaftssektors repräsentieren, Verhaltenskodizes erlassen und deren Einhaltung durch ihre Mitglieder überwachen. Präzise Abgrenzungen oder rechtliche Folgerungen ermöglichen derart allgemeine Umschreibungen nicht. Regulierte Selbstregulierung ist auch kein anerkannter dogmatischer Begriff des (deutschen) Allgemeinen Verwaltungsrechts. Letztlich handelt es sich um nicht mehr als eine Beschreibung für mehr oder weniger ähnliche Phänomene der Rechtswirklichkeit. Die Konsequenz dieser heuristischen Herangehensweise ist, dass Regulierte Selbstregulierung vielfach eher schlagwortartig, aber mit unterschiedlichem Verständnis verwendet wird und dass es daneben noch eine Reihe ähnlicher Bezeichnungen für dieselben oder ähnliche Phänomene gibt 17. Deshalb ist es unentbehrlich, für diese Arbeit zunächst eine gewisse Klärung des Schlüsselbegriffs 18 „Regulierte Selbstregulierung“ vorzunehmen. Es gibt in der Literatur sehr weite und abstrakte Vorstellungen, die weniger eine Definition liefern als vielmehr das Umfeld und die Spannungslagen verdeutlichen, so wenn von der „Austarierung zwischen den Polen der spontanen, ungeplanten Selbstorganisation des Marktes und der zentralen Steuerung durch Hierarchie, einer Ausbalancierung zwischen hierarchischer politischer Steuerung, informalen Politiknetzwerken und korporatistisch institutionalisierter gesellschaftlicher Selbstregelung“ 19 die Rede ist oder davon, dass es sich um eine Verantwortungsteilung zwischen Staat und Gesellschaft handelt, bei der Private innerhalb eines staatlich vorgegeben Rahmens agieren 20.

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KOM (2001), 428 endg., S. 28. Ministerkomitee des Europarats, Rec (2001), 8. 17 Eine Übersicht über die verschiedenen Ansätze und Definitionen geben z. B. Schulz/ Held, Regulierte Selbstregulierung, A-4 oder der Final Report der Study on Co-Regulation Measures in the Media Sector des Hans-Bredow-Instituts vom 13. 1. 2006, S. 18 ff. 18 Zum Ertrag von Schlüsselbegriffen Voßkuhle, VVDStRL 62 (2003), 266 (284); gegen den Schlüsselbegriff „Regulierte Selbstregulierung“ Bethge, FS Schmitt Glaeser, S. 465 (466): „ein Paradoxon . . . , ein Wortungetüm, das nur zur . . . Karikatur seiner Verfechter geraten kann“; krit. zum Begriff auch Kühling, Sektorspezifische Regulierung, S. 29 f. 19 Brandt, Beiheft 4 DV 2001, 123 (126 f.). 20 Calliess, AfP 2002, 465 (466). 16

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1. Teil: Grundlagen

1. Selbstregulierung Erster Ansatzpunkt für eine nähere Umschreibung Regulierter Selbstregulierung muss die „Selbstregulierung“ sein 21; das Adjektiv „Regulierte“ zeigt bereits, dass es sich bei der Regulierten Selbstregulierung nur um einen Sonderfall der Selbstregulierung handelt. Da Selbstregulierung weder gesetzlich definiert noch dogmatisch klar strukturiert ist, sind die Ansätze zur Definition von Selbstregulierung mannigfaltig und zum Teil wenig brauchbar. Nach der weitesten Ansicht handelt es sich dabei um die „individuelle oder kollektive Verfolgung von Privatinteressen in Wahrnehmung grundrechtlicher Freiheiten zum legitimen Eigennutz“ 22. Danach wäre praktisch jedes menschliche Verhalten Selbstregulierung 23, der Begriff somit zur Abgrenzung untauglich. Konkreter sind Ansichten, die eine vom Staat unbeeinflusste Verständigung der Akteure zur Erreichung eines bestimmten Regelungsziels verlangen 24; diese Verständigung soll zum einen durch explizite Absprachen (beispielsweise Selbstverpflichtungen oder Kodizes) erfolgen können, zum anderen aber auch durch reine Marktkräfte, das heißt Angebot und Nachfrage 25. Damit wäre jedes wirtschaftliche Verhalten Selbstregulierung, was angesichts der umfassenden Kommerzialisierung beinahe aller Lebensbereiche auch nicht zur Prägnanz des Begriffs Selbstregulierung beiträgt. Soll der Begriff der Selbstregulierung Substanz haben, muss eine Abgrenzung zum alltäglichen üblichen Marktgeschehen vorgenommen werden 26, denn ansonsten müsste jedes marktsteuernde Verhalten Regulierte Selbstregulierung sein 27. Das Kartellrecht und das UWG steuern und regulieren den Wettbewerb der 21

Schwetzler, Presseselbstkontrolle, S. 147 f. Schmidt-Preuß, VVDStRL 56 (1997), 160 (162); ders., in: Kirchhof, Gemeinwohl, S. 19 (20); Schwetzler, Presseselbstkontrolle, S. 147; ähnlich Faber, Selbstregulierungssysteme, S. 49 f. 23 Auch wer beim Bäcker Semmeln kauft, verfolgt seine Privatinteressen in Wahrnehmung seiner grundrechtlichen Freiheit und handelt aus legitimem Eigennutz. 24 Schulz, Beiheft 4 DV 2001, 101 (103); Hoffmann-Riem/Schulz/Held, Konvergenz und Regulierung, S. 50; Schwetzler, Presseselbstkontrolle, S. 146 f. 25 Hoffmann-Riem/Schulz/Held, Konvergenz und Regulierung, S. 50; Schwetzler, Presseselbstkontrolle, S. 147. 26 Calliess, AfP 2002, 465 (466): Bei der Selbstregulierung geht es nicht um die autonome Selbstregulierung in Form der Vertragsfreiheit; Kühling, Sektorspezifische Regulierung, S. 27: nur „quasi-staatliche“ Regulierungstätigkeit, nicht jede vertragsautonome Einigung; Schuppert, in: ders., Governance-Forschung, S. 371 (404): Selbstregulierung als der Bereich sozialen Lebens, der nicht dem freien Spiel der Marktkräfte überlassen bleiben soll; ähnlich Bachmann, Private Ordnung, S. 27. A. A. Faber, Selbstregulierungssysteme, S. 9: „Der Abschluss eines beliebigen Vertrages ist nichts anderes als ein Akt gesellschaftlicher Selbstregulierung“; für den TK-Bereich Hoffmann-Riem/Schulz/Held, Konvergenz und Regulierung, S. 51. 22

§ 1 Einleitung und Begriffsklärung

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Anbieter, und das sich immer mehr ausdehnende zwingende Privatrecht (AGBRecht, Verbraucherschutzrecht, Mietrecht, §§ 134, 138 BGB) reguliert das wirtschaftliche Verhalten zwischen Anbieter und Nachfrager 28. Auch das klassische Gewerberecht wie HandwO oder GewO reguliert die Leistungserbringung, also letztlich den Markt. Zudem erscheint für das Marktgeschehen schon der Begriff „Selbstregulierung“ unpassend: Dass ein Produzent eine Ware oder Dienstleistung anbietet, weil Nachfrage besteht und er damit Geld verdienen kann, und dass ein anderer sie nachfragt, weil er daran Bedarf hat, ist keine Selbstregulierung. Soll Selbstregulierung ein Pendant (mit Substanz) zur Regulierung sein, muss sie einen ähnlichen Ansatz verfolgen, nämlich einen steuernden, gerichtet auf Erreichung eines bestimmten gemeinschaftlichen Ziels. Zwar werden durch den Markt viele Ziele erreicht, die auch Steuerungsziel des Staates oder der Gesellschaft sein können (Versorgung der Bevölkerung mit fast allen benötigten Gütern und Dienstleistungen), es gibt aber kein Subjekt, das dies absichtlich als Ziel verfolgt. Die Marktakteure – Anbieter und Nachfrager – handeln nicht, um dieses allgemeine Ziel zu erreichen, sondern um ihre persönlichen Interessen zu befriedigen. Kommerzielle Anbieter und Nachfrager von Telekommunikationsdienstleistungen agieren nicht mit dem Ziel, eine angemessene und flächendeckende Versorgung der Bevölkerung mit TK-Dienstleistungen zu erreichen, sondern weil jeder (legitimerweise) auf seine eigenen wirtschaftlichen Vorteile bedacht ist. Dass dadurch gleichzeitig das Gemeinwohl befördert wird, ist positiver Nebeneffekt (und Absicht des Staates, der die Leistungen nicht selber erbringen muss), aber nicht primäre Motivation der TKAnbieter.

Selbstregulierung (wie auch der Begriff der Regulierung) bedeutet intentionales Handeln, also ein zielgerichtetes, steuerndes Agieren 29. Das Marktgeschehen als solches wird hingegen von Angebot und Nachfrage bestimmt. Selbstregulierung muss daher mehr sein als die Verfolgung eigener wirtschaftlicher Interessen, die im Zusammenwirken mit anderen wirtschaftlichen Interessen „zufällig“ zur Steigerung des Gemeinwohls beiträgt. Vielmehr muss es der Selbstregulierung gerade um die Verfolgung von Zielen gehen, die der einzelne Anbieter allein von sich aus nicht ohne weiteres einhalten würde oder erreichen könnte (weil sie von der Nachfragerseite nicht entsprechend honoriert würden oder erzwungen werden können). Dabei kann es sich um nicht-wirtschaftliche Ziele handeln (Umweltschutz, Jugendschutz), aber durchaus auch um Ziele, die im wirtschaftlichen Interesse anderer Marktteilnehmer, aber nicht des Anbieters, liegen; dass Produkte sicher sind oder Bilanzen korrekt, liegt auch im wirtschaftlichen Interesse der 27

Eifert, GVwR I, § 19 Rdn. 15. S. z. B. Kühling, Sektorspezifische Regulierung, S. 27: bei einem weiten Begriffsverständnis wäre jeder Vertrag, der nicht gegen § 138 BGB verstößt, schon Selbstregulierung. 29 Di Fabio, VVDStRL 56 (1997), 235 (238 Fn. 6): Auch Selbstregulierung heißt absichtsvolle Gestaltung. 28

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1. Teil: Grundlagen

Verwender oder der Nutzer, nur ist deren Verhandlungsposition zu schwach, um ihre Interessen auch zu denen des Anbieters zu machen. Spezifischere Definitionen bestimmen daher, dass bei Selbstregulierung die Privaten den (materiellen) Maßstab ihres Verhaltens weitgehend autonom setzen 30, also beispielsweise selbst bindende Regeln für ihre Branche aufstellen und diese auch durchsetzen 31. Selbstregulierung soll in der Substitution staatlicher Regelsetzung oder des staatlichen Vollzugs durch gesellschaftliche Regelungen und den gesellschaftlichen Vollzug bestehen 32. Abgestellt wird damit vor allem auf die selbstregulative Normsetzung 33. Selbstkontrolle als Teil der Selbstregulierung sei die eigenbestimmte Durchsetzung eigen- oder fremdbestimmter Regelungen 34 beziehungsweise die interne oder externe Kontrolle anhand eines selbst erstellten Verhaltenskodex durch eine organisatorische Einheit, die aus Vertretern der betroffenen Unternehmen besteht 35. Ein klassisches Beispiel für (reine) Selbstregulierung ist der Deutsche Presserat 36, in dem sich Journalisten und Presseunternehmen (das heißt eine bestimmte Branche) zusammengeschlossen haben, sich eigene Regeln gegeben haben (den Pressekodex) und diese auch selbst durchsetzen 37. Wichtig ist dabei, dass das „selbst“ der Selbstregulierung nicht nur durch die „unsichtbare Hand des Marktes“ erfolgt, sondern durch eine abgrenzbare Gruppe (eine Branche, einen Interessenverband), die für sich selbst branchenspezifische Regeln aufstellen kann (die sich von allgemeinverbindlichen staatlichen Normen unterscheiden). Selbstregulierung impliziert daher immer eine gewisse Institutionalisierung, eine verselbständigte Organisation, die zwischen die hoheitlichen Stellen und den einzelnen Gesetzesadressaten tritt 38. Selbstregulierung sollte daher als Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe durch gesellschaftliche Kräfte in organisierter Form verstanden werden 39. 30

Calliess, AfP 2002, 465 (466). Schmidt-Aßmann, Beiheft 4 DV 2001, 253 (255); Puppis, Künzler u. a., Selbstregulierung, S. 10. 32 Faber, Selbstregulierungssysteme, S. 50. 33 Palzer, ZUM 2002, 875 (877); Puppis, Künzler u. a., Selbstregulierung, S. 54. 34 Calliess, AfP 2002, 465 (467); Palzer, ZUM 2002, 875 (877); Puppis, Künzler u. a., Selbstregulierung, S. 47. 35 Schwetzler, Presseselbstkontrolle, S. 153. 36 Zum Deutschen Presserat s. u. 2. Teil § 3 E. 37 Mit der neuen Aufgabe des Redaktionsdatenschutzes wird der Presserat aber auch in Regulierte Selbstregulierung eingebunden, vgl. z. B. § 12 LPresseG BW; Art. 10a BayPresseG; § 11a HambPresseG; § 12 LPresseG NW; näher dazu Schwetzler, Presseselbstkontrolle, S. 200 f. Selbiges gilt für den neuen § 20a Abs. 6 WpHG und der dazu ergangenen Änderung des Pressekodex (Ziff. 7.4) bzgl. Wirtschafts- und Finanzmarktberichterstattung. 38 Di Fabio, VVDStRL 56 (1997), 235 (238): organisierte gesellschaftliche Kräfte; auf eine organisatorische „Zwischen“einheit abstellend auch Schwetzler, Presseselbstkontrolle, S. 153. 31

§ 1 Einleitung und Begriffsklärung

35

2. Regulierung Der erste Teil des Begriffs Regulierte Selbstregulierung betrifft den staatlichen, den öffentlichrechtlichen Teil. Man könnte daher annehmen, dass es sich um einen Begriff des klassischen Verwaltungsrechts handelt, dessen Bedeutung dogmatisch geklärt ist. Der Begriff der Regulierung ist jedoch eher schillernd und entbehrt eines eindeutigen Inhalts 40. Grundsätzlich gibt es zwei Ansätze zur Bestimmung von Regulierung, eine engere wirtschaftswissenschaftliche Definition und eine weitere politikwissenschaftliche bzw. steuerungswissenschaftliche Definition 41. a) Regulierung in den Netzwirtschaften Am häufigsten taucht der Begriff der Regulierung im Zusammenhang mit Netzwirtschaften auf 42. Diese zeichnen sich dadurch aus, dass ehemalige (Staats-) Monopole und Oligopole aufgebrochen wurden und Wettbewerb in den entsprechenden Sektoren jetzt politisch gewollt ist. Allein durch die Freigabe einer Dienstleistung stellt sich in Netzwirtschaften Wettbewerb jedoch wegen der natürlichen Monopole 43 der Netzinhaber nicht ein. Deshalb muss der Staat mittels speziellen Wettbewerbsrechts, vollzogen durch besondere Behörden, den Wettbewerb etablieren und absichern 44, wobei es im Kern um die Sicherung der Netznutzungen zu fairen Wettbewerbsbedingungen geht 45. Gleichzeitig muss der Staat dafür sorgen, dass die Dienstleistung in ihrem bisherigen Umfang weiter erbracht wird 46 und auch unrentable Bereiche weiter versorgt werden. Der Staat steuert also durch bestimmte Rechtsnormen und durch Verwaltungshandeln die 39

Di Fabio, VVDStRL 56 (1997), 235 (241). Ruffert, AöR 124 (1999), 237 (241); Eifert, GVwR I, § 19 Rdn. 1; Knauff , Gewährleistungsstaat, S. 88. 41 Kühling, Sektorspezifische Regulierung, S. 11 ff.; auch S. 14 zur Unterscheidung von social und economic regulation in den USA. 42 Wohl über den Einfluss der US-amerikanischen „Regulation“, die zwar ebenfalls aus dem Bereich der Steuerung von Netzwirtschaften stammt, aber ganz anders funktioniert als in Deutschland, vgl. Hoffmann-Riem/Schulz/Held, Konvergenz und Regulierung, S. 186 f. 43 Dazu Kühling, Sektorspezifische Regulierung, S. 37 ff. 44 Ruffert, AöR 124 (1999), 237 (247); Schuppert, Beiheft 4 DV 2001, 201 (222); Röhl, JZ 2006, 831 (832): „Ermöglichung und Sicherung von Wettbewerb in prekären Marktsituationen“; weitere Nachw. bei Voßkuhle, VVDStRL 62 (2003), 266 (304 Fn. 156). Regulierung als „Infrastruktur- und Zugangsregulierung“: Hoffmann-Riem, in: SchmidtAßmann/Hoffmann-Riem, Strukturen d. Europ. Verwaltungsrechts, S. 191 (209); Lackner, Gewährleistungsverwaltung, S. 146 f. 45 Röhl, JZ 2006, 831. 46 Ruffert, AöR 124 (1999), 237 (246 f.); Schoch, in: Schuppert (Hrsg.), Jenseits von Privatisierung, S. 221 (235). Zu den Zielen der Regulierung einer Netzwirtschaft vgl. z. B. den Katalog des § 2 Abs. 2 TKG, § 2 Abs. 2 PostG, § 1 Abs. 2 EnWG. Grande, 40

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1. Teil: Grundlagen

Erbringung wirtschaftlicher Dienstleistungen durch Private 47, vor allem im Bereich von Leistungen der Daseinsvorsorge 48. In diesem Zusammenhang mit den Netzwirtschaften wird der Regulierungsbegriff auch vom Gesetzgeber verwendet, wenn auch nicht einheitlich 49. Dort wird Regulierung auf spezifische Maßnahmen beschränkt und etwa Universaldienste, Lizenzen, Entgeltregulierung oder Netzzugangsregulierung als typische Regulierungsinstrumente bezeichnet 50; das Ziel von Regulierung ist die flächendeckende und angemessene Versorgung der Bevölkerung mit Leistungen der Daseinsvorsorge 51. b) Soziologischer Regulierungsbegriff Abstrakter als die konkrete wirtschaftliche Betrachtungsweise von Regulierung, sieht ein eher soziologischer Regulierungsbegriff die Struktur von Regulierung darin, dass ein bestimmtes Steuerungssubjekt (meist der Staat) mittels spezifischer Steuerungsinstrumente auf ein Steuerungsobjekt (Wirtschaft oder Gesellschaft) einwirkt, um ein bestimmtes Steuerungsziel zu erreichen 52. Dem weitesten Verständnis zufolge ist daher jede staatliche Einflussnahme auf die Gesellschaft zur Erreichung eines bestimmten Zieles, also jede politische Steuerung, Regulierung 53. Da weder beim Steuerungssubjekt noch beim Steuerungsobjekt viel weiter differenziert werden kann, setzen die meisten engeren Definitionen bei den spezifischen Steuerungsinstrumenten oder beim Steuerungsziel an. Die Autoren, die unter Regulierung nicht jede staatliche Steuerung der Gesellschaft oder Wirtschaft verstehen, bezeichnen meist auch spezifische Handlungsformen oder Strukturen der Regulierung. Die meisten Ansichten stimmen darin überein, dass es sich

in: König/Benz, Privatisierung, S. 576 (586): Der Staat wird vom „Leistungsstaat“ zum „Regulierungsstaat“. 47 Kühling, Sektorspezifische Regulierung, S. 14; Röhl, JZ 2006, 831 (832): „Staatliche Interventionen in marktwirtschaftliche Produktions- und Allokationsprozesse“; Schebstadt, WuW 2005, 6 (9): „marktgestaltende Eingriffe“. 48 Zu diesem Verständnis von Regulierung v. Danwitz, DÖV 2004, 977 (984); Storr, DVBl 2006, 1017 (1019). 49 Nachweise bei Röhl, JZ 2006, 831. 50 Ruffert, AöR 124 (1999), 237 (266 ff.; 269 ff.; 274 ff.; 277); Schuppert, Beiheft 4 DV 2001, 201 (222); Schmidt-Aßmann, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann, VerwR in der Informationsgesellschaft, S. 405 (427 f.). 51 S. §§ 1, 2 Abs. 2 Nr. 5 TKG; § 36 EnWG; allg. Storr, DVBl 2006, 1017 (1020). Dazu, dass die formulierten Ziele oft unpräzise oder gar widersprüchlich sind Grande, in: König/ Benz, Privatisierung, S. 576 (588 f.). 52 Schuppert, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Schuppert, Reform des AllgVwR, S. 65 (68); ders., Beiheft 4 DV 2001, 201 (222); Finckh, Regulierte Selbstregulierung im DSD, S. 32. 53 Ruffert, AöR 124 (1999), 237 (242); Eifert, GVwR I, § 19 Rdn. 2.

§ 1 Einleitung und Begriffsklärung

37

bei dem Instrument der Steuerung mindestens um Recht handeln muss 54. Durch den Einsatz von Recht sollen bestimmte Ziele erreicht bzw. bestimmte Erfolge verhindert werden 55. Dazu muss Recht gesetzt und vollzogen werden 56. Insofern wäre jedes rechtliche staatliche Handeln Regulierung. In einem engeren Sinne wird nicht jeder Rechtssatz, sondern nur spezifisch administrative Steuerung eines Lebensbereichs als Regulierung verstanden 57. Danach ist Regulierung das Verwaltungshandeln, das auf die Verwirklichung eines bestimmten Ziels gerichtet ist 58 oder ganz klassisch: Die staatliche Gestaltung von Lebensverhältnissen in den traditionellen Formen der imperativen Steuerung 59. Allerdings soll sich das Gesetzeswerk, auf dem die Regulierung beruht, von „klassischen“ Normen mit Konditionalstruktur unterscheiden. Vielmehr überwögen Finalsätze und Programmnormen sowie konkretisierungsbedürftige Rahmenvorschriften 60. Um die mangelnde inhaltliche Bestimmtheit auszugleichen, bestünden dafür andererseits strengere Vorgaben für Verfahren, Transparenz und Struktur der handelnden Akteure 61. c) Regulierung im Sinne der Regulierten Selbstregulierung Sobald Regulierung auf ganz spezifische Maßnahmen beschränkt wird, wird der Regulierungsbegriff auf ein Spezialproblem verengt, das mit Regulierter Selbstregulierung nichts mehr zu tun hat. Keiner der ausgewählten Referenzbereiche – Jugendmedienschutz, Produktsicherheitsrecht, Umweltaudit, Rechnungslegungsprüfung – ist Teil einer Netzwirtschaft, es geht nicht um Leistungen der Daseinsvorsorge oder sonstige wirtschaftliche Dienstleistungen für den Bürger. Netzzugang, Entgeltregulierung, Lizenzen und Universaldienste oder flächendeckende Versorgungen spielen hier keine Rolle. Dennoch ist in allen zu untersuchenden Gebieten der Begriff der Regulierten Selbstregulierung geläufig; daraus folgt, dass Regulierung im Sinne der Regulierten Selbstregulierung auf jeden Fall 54

Ruffert, AöR 124 (1999), 237 (241). Schulz, Beiheft 4 DV 2001, 101 (103); Schuler-Harms, Beiheft 4 DV 2001, 159 (160); Calliess, AfP 2002, 465 (466); Finckh, Regulierte Selbstregulierung im DSD, S. 32; Hoffmann-Riem/Schulz/Held, Konvergenz und Regulierung, S. 48. 56 Puppis, Künzler u. a., Selbstregulierung, S. 50. 57 Schuppert, Beiheft 4 DV 2001, 201 (222); noch enger Finckh, Regulierte Selbstregulierung im DSD, S. 42: jede direkte Steuerung durch imperatives, einseitig-hoheitliches Handeln; zum noch engeren Verständnis im US-amerikanischen Recht, aus dem der Begriff „Regulation“ stammt, Ruge, Gewährleistungsverantwortung, S. 32 f. 58 Ruffert, AöR 124 (1999), 237 (244). 59 Schwetzler, Presseselbstkontrolle, S. 147. 60 Hoffmann-Riem, DÖV 1997, 433 (434); ders., Duale Rundfunkordnung, S. 155. 61 Hoffmann-Riem, in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem, Strukturen d. Europ. Verwaltungsrechts, S. 317 (371 f.); Puppis, Künzler u. a., Selbstregulierung, S. 52. 55

38

1. Teil: Grundlagen

nicht mit dem engen wirtschaftlichen Regulierungsbegriff gleichgesetzt werden darf 62. Andererseits ist nicht jedes staatliche Recht, das (auch) für Selbstregulierung gilt, schon Regulierung im Sinne Regulierter Selbstregulierung. Jede Art von Selbstregulierung ist zwangsläufig in staatliches Recht eingebunden, denn Bereiche ohne eine mehr oder weniger weit reichende rechtliche Ausgestaltung gibt es nicht (mehr). Auch Beispiele „reiner“ Selbstregulierung wie zum Beispiel der Deutsche Presserat und sein Pressekodex bewegen sich in einem rechtlichen Rahmen, gebildet aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 und S. 2 GG, Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG, Art. 12 Abs. 1 und 14 Abs. 1 GG, §§ 823 Abs. 1, 1004 BGB, dem UWG und vielen anderen Normen mehr.

Auch muss Regulierung mehr sein als die bloße Anregung von Selbstregulierung; dass staatliche Instanzen (oder vielmehr die Politik) den Anstoß zur Selbstregulierung geben, dafür Anreize setzen oder auch nur der äußere Anlass sind, macht eine Selbstregulierung noch nicht zur Regulierten Selbstregulierung. Regulierung im Sinne Regulierter Selbstregulierung muss vielmehr „selbstregulierungsspezifisch“ sein, das heißt sich gerade und nur auf Vorgaben, Ziele, Rahmen etc. für die Selbstregulierung beziehen und nicht nur einen allgemeinen Rahmen für alles privatautonome Handeln darstellen (wie die Grundrechte oder das BGB, UWG, die ZPO, aber auch das allgemeine Ordnungsrecht, Steuerrecht, Strafrecht). Der Gesetzgeber muss gerade das selbstregulierende Verhalten Privater erkennen (oder zumindest die Möglichkeit dazu) und dieses gezielt in seine Regelung eines bestimmten Sachbereichs einbinden. Mit Selbstregulierung verfolgen die privaten Kräfte eigene – meist wirtschaftliche – Ziele. Soll diese Selbstregulierung zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben beitragen, muss der Staat dafür sorgen, dass beide Zielsetzungen kompatibel sind, das heißt er muss die Privaten entweder dazu zwingen, bestimmte Ziele zu verfolgen, oder er muss ihnen Anreize dafür setzen, so dass schon wegen der Eigenrationalitäten der betroffenen Privaten die Erfüllung einer bestimmten Aufgabe erwartet werden kann 63. Werden daraufhin private Beiträge für die Erfüllung öffentlicher Aufgaben erbracht, muss der Staat des Weiteren dafür sorgen, dass diese Beiträge auch tatsächlich die beabsichtigten Resultate erbringen und nicht zu unerwünschten Nebenwirkungen führen 64.

62 S. auch Schmidt-Aßmann, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann, VerwR in der Informationsgesellschaft, S. 405 (425): Regulierung muss „nicht notwendig aus vorangegangenem Tun, d. h. aus der Privatisierung früherer Verwaltungsleistungen folgen“. 63 Schmidt-Preuß, in: Kirchhof, Gemeinwohl, S. 19 (25); daher ist auch die Rede vom „aktivierenden“ Staat, Schuppert, Beiheft 4 DV 2001, 201 (248).

§ 1 Einleitung und Begriffsklärung

39

Aus der selbstregulierungsspezifischen Regulierung ergibt sich auch die Abgrenzung zur reinen Selbstregulierung, beispielsweise durch Selbstverpflichtungen oder auch in Form von Selbstkontrolleinrichtungen, die keiner staatlichen Aufsicht unterstehen und deren Entscheidungen in kein staatliches Kontrollsystem einfließen. Regulierung der Selbstregulierung ist somit umfassend zu verstehen als diejenigen rechtlichen Instrumente des Staates, mit dem dieser private Beiträge zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben bewirkt und steuert 65 und damit seiner Gewährleistungsverantwortung nachkommt. Dabei stehen, wie sich aus der vorliegenden Untersuchung ergeben wird, unterschiedlichste Instrumente zu Verfügung, die zum Teil mit denen der Regulierung von Netzwirtschaften übereinstimmen, weitestgehend aber davon losgelöst sind. 3. Abstrakte Definitionen Regulierter Selbstregulierung in der Literatur Regulierte Selbstregulierung 66 wird in einem ersten Zugriff oft als Steuerungsform zwischen direkter imperativer staatlicher Steuerung und reiner Selbstregulierung betrachtet 67. Regulierte Selbstregulierung muss also mehr sein, als ein (öffentlichrechtlich) unverbindliches Handeln Privater und weniger als die unmittelbare Ausübung staatlicher Hoheitsgewalt (auch wenn diese ausnahmsweise durch Private, etwa im Wege der Beleihung, erfolgt). Vielmehr verbinden sich bei der Regulierten Selbstregulierung die hoheitlichen, ordnungsrechtlichen Instrumente mit der reinen Selbstregulierung 68, wodurch idealerweise die Vorteile beider Instrumente zur Geltung gebracht werden sollen 69.

64

Schuppert, Beiheft 4 DV 2001, 201 (240): Recht hat Strukturierungsfunktion für die Zulassung von Gemeinwohlbeiträgen nicht-staatlicher Akteure; Rossen-Stadtfeld, AfP 2004, 1 (3): Bändigung und produktive Aktivierung systemischen Eigensinns. 65 Gusy, in: Schuppert (Hrsg.), Jenseits von Privatisierung, S. 115 (127 f.). 66 Oder auch Regulierte Selbstregulation oder Co-Regulation / Ko-Regulierung, Nikles/Roll/Spürck/Umbach, Jugendschutzrecht, § 16 JMStV Rdn. 1; Puppis, Künzler u. a., Selbstregulierung, S. 61. 67 Grundlegend Hoffmann-Riem, in: ders./Schmidt-Aßmann, Öffentl. Recht und PrivatR als wechselseitige Auffangordnungen, S. 261 (300 ff.); Hoffmann-Riem/Schulz/Held, Konvergenz und Regulierung, S. 48; Schmidt-Preuß, VVDStRL 56 (1997), 160 (221); Palzer, ZUM 2002, 875 (876); Schuppert, in: ders. (Hrsg.), Jenseits von Privatisierung, S. 299 (316); Schwetzler, Presseselbstkontrolle, S. 147; ähnlich schon, wenn auch noch ohne Verwendung des Begriffs „Regulierte Selbstregulierung“ Schmidt-Aßmann, in: HoffmannRiem/Schmidt-Aßmann/Schuppert, Reform des AllgVwR, S. 11 (44). 68 Hans-Bredow-Institut, Study on Co-Regulation, Final Report S. 35; Schwetzler, Presseselbstkontrolle, S. 147. 69 Palzer, ZUM 2002, 875 (877); Mynarik, Jugendschutz, S. 30.

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1. Teil: Grundlagen

Die Verbindung soll dergestalt erfolgen, dass der Staat die Ziele und den Rahmen vorgibt, für die Privaten eine Struktur zur Verfügung stellt, sie zur Ausfüllung des Rahmens „motiviert“ und flankierend eine Kontrolle aufbaut, um bei Fehlentwicklungen eingreifen zu können 70. Innerhalb dieses vorgegebenen Rahmens sollen die Privaten ihre Initiative und ihren Sachverstand einbringen können 71. Ressourcen (seien es Personal, Geld, Material, Sachverstand, technisches Know-How, Beziehungen) werden von Privaten – vor allem, wenn es sich um Wirtschaftsteilnehmer handelt – grundsätzlich nur zur Verfolgung eigener Interessen (Gewinnerzielung, Steigerung des Ansehens der eigenen Person oder des Images des Unternehmens) eingesetzt 72 (was eine freiheitliche Gesellschaft und Marktwirtschaft gerade ausmacht). Grundidee der freien Marktwirtschaft ist es, dass die Verfolgung der eigenen Interessen dazu führt, dass damit auch die Bedürfnisse Anderer befriedigt werden (zum Beispiel die Versorgung mit wichtigen Gütern oder Dienstleistungen) 73. Dies kann jedoch nicht oder nur sehr begrenzt funktionieren bei Gütern oder Interessen, die keinen Marktwert haben, wie beispielsweise Umweltschutz oder Jugendschutz. Auch wenn es um die Schaffung der Voraussetzungen eines funktionierenden Wettbewerbs geht, wird dies vom „Markt“ allein oft nicht erreicht 74. Will oder muss der Staat bestimmte Gemeinwohlziele verwirklichen, kann er also nicht allein auf die „invisible hand“ des Marktes vertrauen. Er kann entweder versuchen, mit eigenen Mitteln durch imperative Steuerung die Privaten zur Zielerreichung zu verpflichten; oder er versucht, die privaten Interessen so zu beeinflussen und zu steuern, dass sie mit den Gemeinwohlinteressen gleichlaufen.

Bei Regulierter Selbstregulierung wird also das private Handeln durch die staatliche Steuerung auf Gemeinwohlverträglichkeit hin gelenkt. Dabei ist auch oft von indirekter 75, reflexiver oder Kontextsteuerung 76 die Rede. Dies stellt vor allem auf die Frage der Motivation der Privaten zur Ausfüllung des staatlich vorgegebenen Rahmens ab. Der wirtschaftliche Kontext – also der Druck der Nachfrager, der Imagegewinn, Wettbewerbsvorteile – soll die Privaten zur Erfüllung der Gemeinwohlinteressen bewegen. Oder aber Vorgaben zur Untersuchung des eigenen Unternehmens (zum Beispiel Auditierungen im Bereich Produktsicherheit, Umweltschutz, Datenschutz) sollen die Selbsterkenntnis des Unternehmens über die internen Abläufe

70

Schwetzler, Presseselbstkontrolle, S. 148. Trute, DVBl 1996, 950; Palzer, ZUM 2002, 875 (877); Rossen-Stadtfeld, AfP 2004, 1 (2); Finckh, Regulierte Selbstregulierung im DSD, S. 45 ff. 72 Schoch, DVBl 1994, 962 (968). 73 Hoffmann-Riem, Duale Rundfunkordnung, S. 259: „Dem Markt wird zugetraut, auf Grund seiner Mechanismen reflexhaft auch Gemeinwohlziele zu verwirklichen“. 74 So zum Beispiel die wahrheitsgemäße Bilanzierung von Unternehmen. 75 Finckh, Regulierte Selbstregulierung im DSD, S. 45. 76 Schneider, Öko-Audit, S. 97 f. 71

§ 1 Einleitung und Begriffsklärung

41

und damit Optimierungs- und Sparpotenziale fördern und die Untersuchungen daher im eigenen Interesse des Unternehmens nahe legen. Der Staat muss aber – mittels Regulierung – den wirtschaftlichen Kontext erst erzeugen beziehungsweise die Unternehmen zur Reflexion zwingen.

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass bei Regulierter Selbstregulierung zwar die Eigenverantwortung, Motivation und Innovation der Privaten so weit als möglich erhalten bleiben soll, gleichzeitig aber der Staat einen Rahmen setzt, der der Sicherung der Gemeinwohlbelange dient. Dieser Rahmen besteht aus staatlichen Zielsetzungen und Verfahrensregeln, die für Transparenz, Fairness und eine ausreichende Versorgung des Staates und der Öffentlichkeit mit den nötigen Informationen sorgen sollen. Zur Absicherung des Rahmens bestehen Qualitätsanforderungen an die privaten Stellen und eine staatliche Aufsicht, die für den Fall der Schlechterfüllung die nötige Interventionsmacht hat 77. Ist die ordnungsgemäße Aufgabenerfüllung durch die Privaten derart abgesichert, kann sich der Staat aus der unmittelbaren Aufgabenerfüllung zurückziehen und sie den Privaten überlassen 78. V. Gang der Darstellung Die vorliegende Arbeit will den Einsatz Regulierter Selbstregulierung auf der Ebene der Gesetzesdurchsetzung in vier Referenzgebieten untersuchen. Im zweiten Teil der Untersuchung werden daher die Arbeit Anerkannter Selbstkontrolleinrichtungen für Fernsehen und Internet zum Zwecke des Jugendmedienschutzes (§ 3), die Produktzertifizierung durch Benannte Stellen im Produktsicherheitsrecht (§ 4), die Erteilung des Umweltaudits durch Umweltgutachter im Rahmen von EMAS (§ 5) und die Kontrolle der Rechnungslegung börsennotierter Unternehmen durch eine anerkannte Prüfstelle (§ 6) näher beleuchtet. Dabei wird jeweils zunächst einleitend der Realbereich mit den materiellen öffentlichrechtlichen Vorgaben für Produkte oder Dienstleistungen (also die Gesetze, um deren Durchsetzung es geht) und den hoheitlichen und privaten Akteuren dargestellt. Anschließend werden die öffentlichrechtlichen Wirkungen der Entscheidungen der privaten Stellen aufgezeigt sowie das jeweilige Verfahren. Abschließend wird auf die Vorkehrungen eingegangen, mit denen der Staat seiner Gewährleistungsverantwortung nachkommt. An die einzelnen Referenzbereiche anschließend dient der Dritte Teil der Darstellung der europa- und verfassungsrechtlichen Grenzen und Vorgaben, die sich vor allem aus den Grundrechten (§§ 7, 8) – sowohl als Abwehrrechte, als auch in Form der Schutzpflichten –, den europäischen Grundfreiheiten und dem Demokratieund Rechtsstaatsgebot (§§ 9, 10) ergeben. Im Vierten Teil wird versucht, durch 77

Schulz/Held, Regulierte Selbstregulierung, D-1. Hoffmann-Riem, in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem, Strukturen d. Europ. Verwaltungsrechts, S. 317 (372). 78

42

1. Teil: Grundlagen

eine zusammenfassende Darstellung und den Vergleich der untersuchten Gebiete Gemeinsamkeiten und Unterschiede in der jeweiligen Ausgestaltung Regulierter Selbstregulierung aufzuzeigen, um dadurch verallgemeinerungsfähige Strukturen verdeutlichen zu können (§§ 12–14). Die Arbeit endet mit einem Fünften Teil, der sich in einer Funktionsanalyse den Vorteilen Regulierter Selbstregulierung, den Schwächen der derzeitigen konkreten Ausgestaltungen und den möglichen Verbesserungen widmet.

§ 2 Konzept der Regulierten Selbstregulierung A. Spannungsfeld der Regulierten Selbstregulierung Selbstregulierung und Regulierte Selbstregulierung sind kein neues, quasi „aus der Luft gegriffenes“ Konzept, sondern sind Teil einer allgemeinen, schon zwei bis drei Jahrzehnte andauernden Entwicklung, deren gemeinsamer Kern darin besteht, Private in verschiedenen Handlungs- und Organisationsformen verstärkt in die Erfüllung gemeinwohlfördernder Aufgaben einzubeziehen. Regulierte Selbstregulierung ist eine neuere Form der Beteiligung Privater an der Erfüllung öffentlicher Aufgaben, aber bei weitem nicht die einzige. Um die Hintergründe und das Spannungsfeld Regulierter Selbstregulierung zu verdeutlichen, soll deshalb im Folgenden kurz die Entwicklung und das Aufgabenspektrum bei der Aktivierung Privater für öffentliche Aufgaben dargestellt werden. I. Aktivierung Privater für öffentliche Aufgaben Sollen Private für die Erfüllung von Aufgaben herangezogen werden, die bisher im weitesten Sinne dem Staat oblagen, muss man sich zuerst Klarheit über das Spektrum der Aufgaben, die der Staat erfüllt und/oder erfüllen muss, verschaffen; dieses lässt sich mit den Stichworten „öffentliche Aufgaben“ und (notwendige) „Staatsaufgaben“ umreißen. Von Aufgaben zu unterscheiden sind Ziele. Ein Ziel ist ein (anzustrebender) allgemeiner Endzustand, der durch die Erfüllung einer oder mehrerer konkreter Aufgaben erreicht werden soll 79. Die Aufgabe hat hingegen eine zukunftsgerichtete Handlungstendenz 80. Ziele können zum Teil nie „erreicht“ werden, man kann nur versuchen, einen ihnen möglichst nahe kommenden Zustand zu erreichen und die aktuelle Situation stets im Hinblick auf das angestrebte Ziel zu optimieren. Insofern sind eine saubere Umwelt, ungefährdete Kinder, transparente Kapitalmärkte oder der Schutz von Leben und Gesundheit der Verbraucher übergeordnete Ziele,

79 80

Baer, GVwR I, § 11 Rdn. 11. Baer, GVwR I, § 11 Rdn. 11.

§ 2 Konzept der Regulierten Selbstregulierung

43

die durch eine Vielzahl bestimmter Maßnahmen erreicht werden (sollen). Ziele können nicht dem Staat oder der Gesellschaft zugeordnet werden, sie können nicht privatisiert oder verstaatlicht werden 81. Eine Privatisierung „des Umweltschutzes“ oder „des Jugendschutzes“ beispielsweise ist nicht möglich. Lediglich die Auswahl, welche Ziele angestrebt werden, und die Aufgaben, die der Erfüllung eines Zieles dienen, können grundsätzlich dem Staat, der Gesellschaft oder auch beiden zugeordnet werden. Nur bezüglich der Aufgaben kann sich daher die Frage stellen, ob es sich um (notwendige) Staatsaufgaben handelt oder ob eine Verlagerung auf Private in Frage kommt. 1. Der Aufgabenbegriff Im Folgenden soll es deshalb um die Systematisierung der zu erfüllenden Aufgaben gehen. Das Feld wird durch die Staatsaufgaben und die öffentlichen Aufgaben umrissen. Ausdrückliche verfassungsrechtliche oder gesetzliche Bestimmungen zur allgemeinen Definition von zulässigen und notwendigen Staatsaufgaben oder öffentlichen Aufgaben existieren nicht, so dass die Begriffe durch Rechtsprechung und Literatur geklärt werden müssen. a) Staatsaufgaben Staatsaufgaben sind alle Aufgaben, die vom Staat, das heißt von einem Träger öffentlicher Gewalt, von Verfassungs oder Gesetzes wegen zulässigerweise wahrgenommen werden 82. Die Zuweisung der Aufgabe erfolgt entweder unmittelbar durch die Verfassung oder durch Parlamentsgesetz. Der Begriff der Staatsaufgabe hat insofern nur beschreibenden Charakter, weil er allein darauf abstellt, dass eine Aufgabe durch Träger öffentlicher Gewalt erfüllt wird, ohne daran Rechtsfolgen zu knüpfen. aa) Zulässige Staatsaufgaben Welche Aufgaben vom Staat wahrgenommen werden, ergibt sich teilweise direkt aus der Verfassung (beispielsweise aus Art. 87 Abs. 1 GG – Auswärtiger Dienst, Finanzverwaltung, Art. 87a, b GG – Streitkräfte, Art. 87d GG – Luftverkehrsverwaltung, Art. 92 GG – Rechtsprechung); der größte Teil staatlicher Aufgaben wird allerdings durch Gesetz vom Parlament bestimmt. Insofern stellt

81 S. Kämmerer, Privatisierung, S. 40: Ganz grundlegende „Aufgaben“ wie Umweltoder Jugendschutz können nicht privatisiert werden. 82 Schoch, DVBl 1994, 962; Schliesky, Der Landkreis 2004, 487; Schulze-Fielitz, in: Grimm (Hrsg.), Wachsende Staatsaufgaben, S. 11 (16); Baer, GVwR I, § 11 Rdn. 13; Gramm, Privatisierung, S. 31.

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1. Teil: Grundlagen

sich die Frage, welche Aufgaben dem Staat zulässigerweise übertragen werden dürfen, das heißt ob dem Gesetzgeber Grenzen bei der Aufgabenbestimmung gesetzt sind. Grundsätzlich besitzt der Staat eine „latente Allzuständigkeit“ 83, das heißt der demokratisch legitimierte Gesetzgeber kann jede Aufgabe zu einer Staatsaufgabe machen 84, wenn daran ein öffentliches Interesse besteht und die Erfüllung durch die öffentliche Gewalt zweckmäßig ist 85. Der Katalog der (zulässigen) Staatsaufgaben ist demnach offen und wandelbar 86. bb) Notwendige Staatsaufgaben als Grenze für Privatisierungen Im Zusammenhang mit der Heranziehung Privater bei der Erfüllung bestimmter Aufgaben besteht die Problematik darin, ob der Staat diese Aufgaben als Staatsaufgaben, das heißt durch Träger öffentlicher Gewalt, erfüllen muss oder ob auch ein Rückzug des Staates und eine Übertragung der Aufgabe auf Private möglich ist. Es stellt sich daher die Frage nach den notwendigen Staatsaufgaben, zu deren „eigenhändiger“ Erfüllung der Staat verpflichtet ist. Nicht alle zulässigen Staatsaufgaben sind notwendige Staatsaufgaben 87. Sofern der Gesetzgeber auf Grund einer politischen Entscheidung eine Aufgabe durch Gesetz zur Staatsaufgabe gemacht hat, steht es ihm frei, dieses Gesetz zu ändern und die staatliche Aufgabenerfüllung zu beenden, Private in die Erfüllung einzubeziehen oder die Aufgabe vollständig auf Private zu übertragen 88. Sofern einzelne Verfassungsbestimmungen die Erfüllung einer Aufgabe durch die Staatsverwaltung ausdrücklich vorsehen, können diese Bestimmungen grundsätzlich durch eine Verfassungsänderung revidiert werden (wie bei der Privatisierung von Bahn, Post und Telekom in Bezug auf Art. 87 Abs. 1 GG a. F., 87e, 87f GG geschehen). Einen änderungsfesten, privatisierungsresistenten Katalog von Aufgaben, die dem modernen demokratischen Staat notwendig zustehen, enthält die Verfassung nicht und konnte auch von der Staatslehre bisher nicht entwickelt werden 89. Grundrechtliche Schutzpflichten oder das Sozialstaatsprinzip gebieten keine konkreten Aufgaben und erst recht nicht die Art und Weise ihrer Wahrnehmung 90. Allein der

83

Schulze-Fielitz, in: Grimm (Hrsg.), Wachsende Staatsaufgaben, S. 11 (30). Schoch, DVBl 1994, 962; Schliesky, Der Landkreis 2004, 487. 85 Schulze-Fielitz, in: Grimm (Hrsg.), Wachsende Staatsaufgaben, S. 11 (30); Kupfer, Verteilung knapper Ressourcen, S. 122. 86 Schoch, DVBl 1994, 962; Kupfer, Verteilung knapper Ressourcen, S. 125. 87 Gramm, Privatisierung, S. 32. 88 Schoch, DVBl 1994, 962: „Der Staat kann sich von Aufgaben, die er übernommen hat, auch wieder trennen“. 89 Kupfer, Verteilung knapper Ressourcen, S. 117. 84

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Umstand, dass eine Aufgabe von wesentlicher Bedeutung für das Gemeinwohl ist, bedingt nicht, dass sie deshalb notwendig vom Staat zu erfüllen ist 91. Auch aus dem „Wesen des Staates“ lassen sich praktisch keine spezifischen Staatsaufgaben ableiten 92. Lediglich Kernelemente der Staatlichkeit wie Polizei, Militär, Justiz oder Finanzverwaltung werden immer Staatsaufgaben bleiben 93, womit nicht gesagt ist, dass alle Tätigkeiten in diesen Bereichen von Hoheitsträgern erfüllt werden müssten; auch hier ist eine mehr oder weniger weit gehende Einbeziehung Privater durchaus möglich 94. b) Öffentliche Aufgaben (im weiteren Sinne) Das Verhältnis von öffentlichen Aufgaben zu Staatsaufgaben und damit auch die Definition öffentlicher Aufgaben ist umstritten 95. Teilweise werden öffentliche Aufgaben und Staatsaufgaben gleichgesetzt 96. Überwiegend jedoch werden die Staatsaufgaben nur als eine Teilmenge der öffentlichen Aufgaben angesehen 97: Öffentliche Aufgaben sind alle Aufgaben, die im öffentlichen Interesse liegen, das heißt die von Bedeutung für die Gesellschaft und das Gemeinwohl sind 98; Staatsaufgaben sind diejenigen öffentlichen Aufgaben, die durch den Staat selbst erfüllt werden. Dies bedeutet umgekehrt, dass öffentliche Aufgaben auch durch ein Zusammenwirken von Staat und Privaten oder allein durch Private erfüllt werden können 99. Es ist Ausfluss grundrechtlicher Freiheit, dass sich Private auch öffentlicher Aufgaben annehmen dürfen 100. Allein die Qualifikation einer 90

So zum Sozialstaatsprinzip Schoch, DVBl 1994, 962 (970). BVerfGE 107, 59 (93); Schmidt-Preuß, VVDStRL 56 (1997), 160 (165 Fn. 9); Voßkuhle, VVDStRL 62 (2002), 266 (273); Schoch, in: Leipold (Hrsg.), Rechtsfragen des Internet, S. 83 (89); Kühling, Sektorspezifische Regulierung, S. 447 f. m. Nachw. auch zu anderen Auffassungen in der älteren Literatur. 92 Kühling, Sektorspezifische Regulierung, S. 447. 93 S. Schoch, DVBl 1994, 962 (963); Schuppert, in: ders. (Hrsg.), Jenseits von Privatisierung, S. 299 (313); Knauff, Gewährleistungsstaat, S. 174 f. 94 Wallerath, JZ 2001, 209 (216); Gramm, Privatisierung, S. 392: „Selbst bei notwendigen Staatsaufgaben ist eine Heranziehung Privater zulässig, nur eine vollständige Verlagerung in den gesellschaftlichen Bereich wäre unzulässig“. 95 Schliesky, Der Landkreis 2004, 487. 96 Di Fabio, JZ 1999, 585 (586). 97 Gramm, Privatisierung, S. 32; Knauff, Gewährleistungsstaat, S. 172. 98 Schulze-Fielitz, in: Grimm (Hrsg.), Wachsende Staatsaufgaben, S. 11 (16 f.); Baer, GVwR I, § 11 Rdn. 13; Gramm, Privatisierung, S. 56. 99 Schulze-Fielitz, in: Grimm (Hrsg.), Wachsende Staatsaufgaben, S. 11 (16 f.); Schoch, in: Leipold (Hrsg.), Rechtsfragen des Internet, S. 83 (92); Baer, GVwR I, § 11 Rdn. 13: kein Gemeinwohlmonopol des Staates; Gemeinwohl liegt in der arbeitsteiligen Verantwortung von Staat und Gesellschaft. 100 Gramm, Privatisierung, S. 57. 91

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1. Teil: Grundlagen

Aufgabe als „öffentliche“ bedeutet somit noch keine Zuordnung zu (notwendiger) staatlicher oder (möglicher) privater Aufgabenerfüllung 101. Das Bundesverfassungsgericht verwendet die Begriffe Staatsaufgaben und öffentliche Aufgaben nicht immer konsistent und hat sich – soweit ersichtlich – noch nicht um eine Abgrenzung bemüht oder bemühen müssen. Überwiegend scheint es aber auch davon auszugehen, dass „öffentliche Aufgaben“ der weitere Begriff ist und diese teilweise auch von Privaten wahrgenommen werden können, während es sich bei den Staatsaufgaben um Aufgaben handelt, die der Staat selbst erfüllt 102. Zum Teil ist auch die Rede von „Staatsaufgaben im engeren Sinne“ als Bezeichnung für die nicht auf Private übertragbaren Aufgaben 103 (was dem hier verwendeten Begriff der notwendigen Staatsaufgaben entsprechen würde 104). Die Bestimmung einer öffentlichen Aufgabe allein durch das öffentliche Interesse oder die Gemeinwohlförderlichkeit birgt die Schwierigkeit, dieses öffentliche Interesse zu bestimmen. Allein die – objektiv zu bestimmende – Wichtigkeit oder Grundrechtsrelevanz einer Aufgabe oder Leistung kann es nicht sein; es gibt zahlreiche Güter oder Dienstleistungen, die in einer modernen Gesellschaft von eminenter Bedeutung sind, ohne dass ihre Erbringung jemals als öffentliche Aufgabe bezeichnet worden wäre 105. Wenn nicht die Verfassung ein öffentliches Interesse an einer Aufgabe statuiert, kann es in einer repräsentativen Demokratie nur der Gesetzgeber sein, der das öffentliche Interesse festlegt. Öffentliche Aufgabe ist daher jede Aufgabe, derer sich der Gesetzgeber in irgendeiner Weise angenommen hat, sei es, dass er ihre Erfüllung durch den Staat anordnet (also zur Staatsaufgabe erklärt), sei es, dass er die Erfüllung der Gesellschaft überlässt und nur Rahmenbedingungen oder Verfahrensrechte festlegt. Ist der Gesetzgeber schon berechtigt, jegliche Aufgabe zur Staatsaufgabe zu erklären, so kann er erst recht an der Erfüllung jeder Aufgabe ein öffentliches Interesse bekunden 106. Haben

101 Finckh, Regulierte Selbstregulierung im DSD, S. 103; Gramm, Privatisierung, S. 59; Kühling, Sektorspezifische Regulierung, S. 450. 102 BVerfGE 12, 205 (243): „Aufgaben, die öffentliche Aufgaben sind und – wenn der Staat sie an sich zieht – zu Staatsaufgaben werden“; BVerfGE 30, 292 (311): „eine öffentliche, ja im engeren Sinne staatliche Aufgabe“; BVerfGE 107, 59 (93): „diejenigen öffentlichen Aufgaben, die der Staat durch seine eigenen Behörden als Staatsaufgaben im engeren Sinne wahrnehmen muss“. 103 BVerfGE 107, 59 (93). 104 S. aber auch BVerfGE 95, 250 (265): Energieversorgung ist „keine notwendige Staatsaufgabe“. 105 Prägnant Ellwein/Hesse, Der überforderte Staat, S. 140: „Dass die Wasserversorgung eine öffentliche Aufgabe sein soll, die Brotversorgung dagegen nicht, ist dem unbefangenen Beobachter nicht eben leicht zu erklären“. 106 Ähnliches gilt für die Europäische Union: EGV (z. B. Art. 32 ff., 88 Abs. 1, 89, 105 ff., 146, 160 EGV) und EUV (z. B. Art. 17, 30 Abs. 2, 31 Abs. 2 EUV) sehen eine Reihe von Aufgaben vor, die die Gemeinschaft zu erfüllen hat; ansonsten kann sich der

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sich hingegen weder Gesetzgeber noch Verwaltung einer bestimmten Aufgabe angenommen, handelt es sich um keine öffentliche Aufgabe; ist diese Aufgabe von zentraler gesellschaftlicher Bedeutung, so obliegt es dem politischen Prozess, diese Aufgabe dem Gesetzgeber anzutragen und damit zur öffentlichen Aufgabe zu machen. Das öffentliche Interesse ist dabei zugleich Rechtfertigungsgrund für ein Handeln des Staates, wenn es zur Erfüllung der öffentlichen Aufgabe einen Eingriff in Freiheitsrechte erfordert. Der Kreis der öffentlichen Aufgaben ist demnach ebenso unbestimmt und offen wie der der Staatsaufgaben. Auch über die Art und Weise der Aufgabenwahrnehmung sagt die Qualifikation als öffentliche Aufgabe noch nichts aus. Das Ergebnis der Aufgabendiskussion lässt sich wie folgt zusammenfassen: Der Gesetzgeber kann das „Ob“ und die Art und Weise der Erfüllung beinahe jeder Aufgabe bestimmen und er ist frei in seiner Entscheidung, ob er eine Aufgabe alleine durch Träger öffentlicher Gewalt, alleine durch Private oder durch den Staat unter Einbeziehung Privater (oder gar nicht) erfüllt wissen will. Die Staatsaufgabenlehre trägt zu dieser Entscheidung wenig bei 107. Rechtliche Grenzen für das „ob“ der Aktivierung Privater zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben lassen sich der Verfassung nur wenige entnehmen. Es ist vielmehr eine politische Entscheidung, ob und wie Private zur Erfüllung bestimmter Aufgaben herangezogen werden. Das Verfassungsrecht in Form grundrechtlicher Schutzpflichten oder des Sozialstaatsprinzips bedingt in manchen Bereichen die Gewährleistung gewisser Mindest(leistungs)niveaus in Form von Rahmenvorgaben und staatliche Überwachung der privaten Aufgabenerfüllung, nicht aber eine unmittelbare Leistungserbringung durch den Staat 108. Dies wirkt sich auch auf die verfassungsrechtliche Zulässigkeit des Einsatzes Regulierter Selbstregulierung aus (s. u. § 7 F.): Wenn für die Erfüllung einer bestimmten Aufgabe keine Form vorgeschrieben ist, kann auch die Erfüllung mittels Regulierter Selbstregulierung nicht schon allein deshalb unzulässig sein, weil eine Aufgabe nicht Privaten übertragen werden oder diese nicht in die Erfüllung miteinbezogen werden dürften. 2. Die Überforderung des Staates Lässt es die Verfassung demnach weitgehend unbegrenzt zu, dass Private in die Erfüllung gemeinwohlfördernder Aufgaben eingebunden werden, stellt sich die

Gemeinschaftsgesetzgeber – allerdings nur im Rahmen der (sehr weitgehenden) Kompetenzen der Gemeinschaft und des (relativ wirkungslosen) Subsidiaritätsprinzips – aller anderen Aufgaben annehmen, wenn dies sein politischer Wille ist. 107 Kühling, Sektorspezifische Regulierung, S. 448: Die Qualifikation einer Aufgabe als Staatsaufgabe hat nur heuristischen und kaum normativen Wert. 108 So zum Sozialstaatsprinzip Kühling, Sektorspezifische Regulierung, S. 465 f.

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1. Teil: Grundlagen

Frage, warum der Staat auf eine eigene Aufgabenerfüllung verzichten und sich Privater bedienen sollte. War die Grundidee des liberalen Rechtsstaats noch gewesen, dass die bürgerliche Gesellschaft selbst zur Gemeinwohlverwirklichung und zu einem gerechten Interessenausgleich in der Lage ist und der Staat nur die Freiheit der Gesellschaft abzusichern hat, so entwickelte sich – nachdem die Grenzen dieser Idee sichtbar wurden – der soziale Wohlfahrtsstaat, in dem vermehrt der Staat zur Gemeinwohlverwirklichung berufen war 109. Da wie gezeigt das staatliche Aufgabenzugriffsrecht praktisch unbegrenzt ist, schöpfte der moderne Staat dieses Potenzial aus und übernahm – auf Drängen des Wählers und aus Eigennutz der Politiker 110 – immer mehr Aufgaben, so dass die Entwicklung hin zu einer „umfassenden Verantwortung [des Staates] für Bestand und Entwicklung der Gesellschaft in sozialer, ökonomischer und kultureller Hinsicht“ ging 111. Spätestens Mitte der 1980er Jahre musste allerdings konstatiert werden, dass der (deutsche) Staat damit überfordert und an die Grenzen seiner Leistungsfähigkeit gelangt war 112. Ausdruck findet diese Überforderung in der „historischen Rekordhöhe“ von Staatsquote, Staatsverschuldung und Steuerbelastung 113. Die enorm hohe Zinsbelastung auf Grund der übermäßigen Verschuldung reduziert die finanziellen Handlungsspielräume der Politik, weil kaum noch freie Mittel zur politischen Gestaltung zur Verfügung stehen 114. Die fehlenden finanziellen, personellen und intellektuellen Ressourcen beeinträchtigen die staatlichen Kontroll- und Steuerungsmöglichkeiten 115 und im Verbund mit der „staatlichen Aufgabenexplosion“ führt dies dazu, dass die Differenz zwischen staatlichem Steuerungsanspruch und tatsächlicher Problemlösungs- und Steuerungsfähigkeit immer größer wird 116.

109 Zur Entwicklung Günther, in: Grimm (Hrsg.), Wachsende Staatsaufgaben, S. 51 f.; Grimm, ebenda, S. 291 (296 f.); Kupfer, Verteilung knapper Ressourcen, S. 123 f. 110 So der niedersächs. Ministerpräsident Chr. Wulff , ZSE 2006, 181: „Politik hat sich allzu lange allein an dem orientiert, was populär erschien. Sie gewährte öffentliche Leistungen, ohne sogleich die Rechnung zu präsentieren“. 111 Grimm, in: ders. (Hrsg.), Wachsende Staatsaufgaben, S. 291 (297). 112 Meyer-Teschendorf/Hofmann, DÖV 1997, 268 (274); Gramm, Privatisierung, S. 14; Stohrer, Informationspflichten Privater, S. 76 ff.; ausf. Ellwein/Hesse, Der überforderte Staat, passim. 113 Gramm, Privatisierung, S. 102; die derzeitige Staatsverschuldung von Bund, Ländern und Kommunen beträgt ca. 1,4 Bill. € (Göke, ZG 2006, 1 [2]), nach anderer Rechnung sogar fast 5 Bill. € (Wulff, ZSE 2006, 181). Zum Vergleich: Das deutsche BIP betrug 2005 ca. 2,3 Bill. €. Weiteres Zahlenmaterial bei Wallerath, JZ 2001, 209 (210 f.). 114 Wulff, ZSE 2006, 181; zur enormen Zinsbelastung durch die Staatsverschuldung auch Wieland, JZ 2006, 751 f. 115 Ritter, in: Grimm (Hrsg.), Wachsende Steuerungsaufgaben, S. 69 (73). 116 Wulff, ZSE 2006, 181; von Brünneck, in: Grimm (Hrsg.), Wachsende Staatsaufgaben, S. 253 (255); Grimm, ebenda, S. 291 (297); Gramm, Privatisierung, S. 14 f.

§ 2 Konzept der Regulierten Selbstregulierung

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Die Überforderung des Staates soll indes nicht nur finanzielle Ursachen haben; auch eine Krise des zweiten wichtigen staatlichen Aufgabenerfüllungsinstruments, des Rechts, wird behauptet, vor allem in Bezug auf das imperative Recht 117. Dieses sei zur Steuerung wichtiger Teilbereiche der Gesellschaft kaum mehr in der Lage. Trotzdem ist in Deutschland eine zunehmende Verrechtlichung bzw. Überregulierung festzustellen 118: Immer mehr Lebensbereiche sollen mit immer mehr Gesetzen bis ins Detail gesteuert werden 119. Wurde im Wohlfahrtsstaat der Industriegesellschaft eine staatliche Wirtschaftsintervention mit einem (tatsächlichen oder angeblichen) Marktversagen 120 begründet, so muss mittlerweile stattdessen ein „Staatsversagen“ angenommen werden 121. Insgesamt will der Staat immer mehr Aufgaben erfüllen, während er immer weniger tatsächlich leisten kann. Ursachen dafür sind (ohne Anspruch auf Vollständigkeit) jahrzehntelanges Missmanagement in Politik und Verwaltung 122, die Globalisierung und die deutsche Wiedervereinigung sowie eine überzogene Versorgungsmentalität und Erwartungshaltung vieler Bürger und Interessengruppen gegenüber dem Staat 123: Jedes Problem, das in der Gesellschaft auftaucht, soll entweder durch neue Gesetze oder durch Geld gelöst werden. Die Folgen der Staatsüberlastung sind unter anderem ein riesiger Schuldenberg, der zukünftige Haushalte noch lange enorm belasten wird, Investitionsrückstände bei der öffentlichen Infrastruktur und Zwang zum Personalabbau (wodurch der öffentlichen Verwaltung das nötige und qualifizierte Personal zur Erfüllung ihrer Aufgaben fehlt). Die Verrechtlichung führt zu Inflexibilität und Komplexität staatlicher Regelungen, die wiederum zu überlangen Verfahrensdauern bei Genehmigungen führen oder Hindernisse für Forschung und Entwicklung darstellen 124. Besondere Nachteile ergeben sich dadurch für den Wirtschaftsstandort Deutschland und dessen Wettbewerbsfähigkeit in einer globalisierten Welt.

117 Wallerath, JZ 2001, 209 (217); Calliess, AfP 2002, 465; Ritter, in: Grimm (Hrsg.), Wachsende Staatsaufgaben, S. 69 (82); Schuppert, ebenda, S. 217 (218); Schwetzler, Presseselbstkontrolle, S. 145. 118 Wallerath, JZ 2001, 209 (217): „Wohlfahrtsstaatliche Übersteuerung”. 119 Gramm, Privatisierung, S. 103 ff. 120 Zu den Gründen eines Marktversagens Kühling, Sektorspezifische Regulierung, S. 36 ff. 121 Benz, DV 28 (1995), 337 (340). 122 Beispiele bei Ellwein/Hesse, Der überforderte Staat, S. 67 ff. 123 Fortschrittsbericht zum Bericht der Bundesregierung zur Zukunftssicherung des Standorts Deutschland, 1994, BT-Drs. 12/8090 S. 1, 3. 124 Benz, DV 28 (1995), 337; Stohrer, Informationspflichten Privater, S. 77.

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1. Teil: Grundlagen

3. Wege zur Staatsentlastung: Aktivierung Privater Als die Grenzen des Wohlfahrtsstaates erkannt wurden, setzte ein Umdenken ein und es begann die Suche nach Wegen aus der staatlichen Überforderung. Das Pendel schwang vom Glauben an die umfassende Problemlösungskapazität des Staates wieder zurück zur liberalen Gesellschaft und der Dominanz des Marktes. Die Grundtendenz dieser Entwicklung war und ist, dass gesellschaftliche Kräfte bzw. der Markt zur Lösung eines Problems und zur Erfüllung einer Aufgabe grundsätzlich besser oder mindestens genauso gut in der Lage sind wie der Staat 125. Der Staat soll sich entlasten, indem er sich auf seine Kernaufgaben zurückzieht und alle anderen Aufgaben an die Gesellschaft (zurück)gibt; es sollen verstärkt Private aktiviert und zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben herangezogen werden. Die Mittel zur Verwirklichung dieses „schlanken Staates“ sind vor allem Privatisierung, Liberalisierung und Deregulierung. a) Privatisierung Der Terminus „Privatisierung“ ist kein präziser Rechtsbegriff, sondern eine Sammelbezeichnung für verschiedene Erscheinungen der Rechtswirklichkeit, dessen genaue Grenzen strittig sind 126. Zwar verwendet mittlerweile auch § 7 Abs. 1 S. 2 BHO den Ausdruck „Privatisierung“, ohne ihn allerdings zu definieren; Privatisierung ist demnach nur ein heuristischer Begriff, der keiner abschließenden Definition, sondern nur einer Beschreibung und Typisierung zugänglich ist 127. Im Grundsatz geht es um eine Verlagerung vom Staat hin zu Privaten, um eine Ersetzung von Staatlichkeit durch privates Handeln 128. Die Idee hinter der Privatisierung 129 ist eine Begrenzung des staatlichen Ausund Aufgabenwachstums und damit einhergehend eine Entlastung des Staates 130. Überwiegend werden vier Privatisierungsformen unterschieden 131: Bei der Vermögensprivatisierung wird staatliches Vermögen an Private verkauft 132; bei der

125

Gramm, Privatisierung, S. 20. S. Schoch, DVBl 1994, 962; Gramm, Privatisierung, S. 27. 127 Kämmerer, Privatisierung, S. 11; a. A. Stober, in: Wolff/Bachof/Stober, VerwR, Bd. 3, Vor § 90 Rdn. 6: unbestimmter Rechtsbegriff wegen der Verwendung in § 7 Abs. 1 S. 2 BHO und § 123a BRRG (dort allerdings nur in der – nicht amtlichen – Paragraphenüberschrift). 128 Stohrer, Informationspflichten Privater, S. 79 f. 129 Zur Entwicklung der Privatisierungsbestrebungen seit den 1950er Jahren Schneider, Öko-Audit, S. 107 ff.; Kämmerer, Privatisierung, S. 74 ff. 130 Gramm, Privatisierung, S. 18. 131 S. z. B. Schoch, DVBl 1994, 962 ff.; Stohrer, Informationspflichten Privater, S. 80 ff., wobei die Einteilung und Zuordnung umstritten ist, Kämmerer, Privatisierung, S. 17. 132 Schoch, DVBl 1994, 962 (964); Kämmerer, Privatisierung, S. 19 ff. 126

§ 2 Konzept der Regulierten Selbstregulierung

51

Organisationsprivatisierung handelt es sich nur um einen Rechtsformwechsel des öffentlichrechtlichen Leistungserbringers 133, während staatliche Vermögenslage und Aufgabenverantwortung unverändert bleiben 134. Die Vermögensprivatisierung bringt dem Staat finanzielle Vorteile in Form (einmaliger 135) Veräußerungserlöse; Grund für die Organisationsprivatisierung ist meist eine „Flucht“ aus dem als zu effizienzhemmend und teuer empfundenen öffentlichen Dienst-, Organisationsund Haushaltsrecht 136. Beide Privatisierungsformen führen allerdings nicht zu einer Verringerung staatlicher Aufgaben oder zu einer Aufgabenverlagerung in die Gesellschaft. Für die vorliegende Untersuchung relevanter sind die funktionale Privatisierung und die Aufgabenprivatisierung. Bei der funktionalen Privatisierung verbleibt zwar die Aufgabe beim Staat, dieser bedient sich jedoch zu ihrer Erfüllung Privater als Verwaltungshelfer 137. Die öffentliche Hand behält umfangreiche Steuerungsund Einwirkungsmöglichkeiten und damit die volle Verantwortung für die Aufgabenerfüllung. Die Aufgabenprivatisierung schließlich – auch als materielle Privatisierung bezeichnet – zieht eine echte Aufgabenverlagerung in die Gesellschaft nach sich. Der Staat beendet die eigenhändige Erfüllung und Verantwortung für eine Aufgabe und überlässt es der Gesellschaft, ob und wie sie sich dieser Aufgabe annimmt 138. Diese Unterscheidung von funktionaler und Aufgabenprivatisierung liegt offenbar auch dem Konzept z. B. der §§ 13 ff. KrW-/AbfG zugrunde. Während § 16 Abs. 1 KrW-/AbfG die Beauftragung Dritter (Privater) durch den öffentlichrechtlichen Entsorgungsträger mit der Abfallentsorgung ermöglicht und dabei in § 16 Abs. 1 S. 2 KrW-/AbfG ausdrücklich statuiert, dass davon die Verantwortung des öffentlichrechtlichen Entsorgungsträgers unberührt bleibt (Private als bloße Verwaltungshelfer, funktionale Privatisierung), erlaubt § 16 Abs. 2 KrW-/AbfG die Aufgabenprivatisierung, indem die Aufgabe der Entsorgung vollständig (ohne Verbleiben der Verantwortung beim öffentlichrechtlichen Entsorgungsträger) auf Dritte übertragen werden kann.

133 S. z. B. die ausdrücklichen Bestimmungen in Art. 87d Abs. 1 S. 2, Art. 87e Abs. 3 S. 1, Art. 87f Abs. 2 S. 1 GG. 134 Schoch, DVBl 1994, 962 (973 f.); Schneider, Öko-Audit, S. 101 f.; Stohrer, Informationspflichten Privater, S. 81 f. 135 Wobei dieser einmalige Veräußerungserlös durchaus dauernde Entlastungseffekte haben kann, wenn damit Schulden abgebaut und dadurch die jährlichen Schuldzinszahlungen verringert werden können; zur enormen Belastung allein durch die Zinsen auf die Staatsverschuldung s. o. Fn. 114. 136 Eifert, GVwR I, § 19 Rdn. 47; krit. zur Tragfähigkeit dieser Gründe Schoch, DVBl 1994, 962 (973). 137 Schoch, DVBl 1994, 962 (963); Schneider, Öko-Audit, S. 102 f.; Stohrer, Informationspflichten Privater, S. 83. 138 Schoch, DVBl 1994, 962 f.; Schneider, Öko-Audit, S. 101; Kämmerer, Privatisierung, S. 22 ff.

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1. Teil: Grundlagen

Diese Privatisierungsformen kommen in Mischtypen vor oder werden zeitlich aufeinander folgend verwirklicht (siehe zum Beispiel die Privatisierung von Post und Telekom, bei der zuerst eine Organisationsprivatisierung und dann eine teilweise Aufgabenprivatisierung erfolgte). Auch sind bei allen Formen bloße Teilprivatisierungen möglich 139. Beinahe alle Bereiche staatlicher Tätigkeit sind – in unterschiedlicher Intensität – von Privatisierung oder zumindest von Privatisierungsbestrebungen betroffen; prominenteste Beispiele sind die Privatisierung von Telekom und Post oder der geplante Börsengang der Deutschen Bahn. Beim Bau und der Finanzierung von Autobahnen und Fernstraßen werden Private beteiligt, ebenso wie bei der Bundeswehr schon seit längerem die Bewachung von Kasernen durch private Sicherheitsdienste erfolgt und das Beschaffungswesen von einer GmbH (der GEBB) gemanagt wird. Vor allem auf kommunaler Ebene ist eine Privatisierung der Infrastruktur im Bereich der Daseinsvorsorge erfolgt oder geplant, wie bei der Energie- und Wasserversorgung oder Abfallentsorgung 140. Regulierte Selbstregulierung kann nicht ohne weiteres einer Form der Privatisierung zugeordnet werden. Allein schon der Umstand, dass zum Beispiel im Bereich der Bilanzkontrolle und auch in Teilen des Produktsicherheitsrechts eine hoheitliche Kontrolle bisher überhaupt nicht stattgefunden hat, verbietet es, die Einführung einer privaten Kontrolle immer als „Privatisierung“ zu bezeichnen, weil damit stets die Vorstellung von einer ursprünglichen staatlichen Tätigkeit verbunden ist. Wird allerdings durch den Einsatz Regulierter Selbstregulierung tatsächlich hoheitliche Tätigkeit ersetzt, so handelt es sich dabei um eine funktionale Privatisierung: Dass es nicht um Vermögens- oder Organisationsprivatisierung geht, ist offensichtlich; aber auch eine Aufgabenprivatisierung liegt gerade nicht vor, weil sich der Staat durch die Regulierung der Selbstregulierung der Verantwortung für die ordnungsgemäße Aufgabenerfüllung durch die Privaten nicht begibt. Zwar sind die Privaten im Falle Regulierter Selbstregulierung keine bloßen Verwaltungshelfer, wie im klassischen Fall der funktionalen Privatisierung, aber dennoch liegt eine strukturelle Vergleichbarkeit vor, weil auch hier der Staat sich Privater bedient und dabei einen steuernden und kontrollierenden Einfluss ausübt. Grund für Privatisierungen ist die Einsicht, dass staatliche Leistungen häufig mit Ineffizienzen und daher mit gesamtgesellschaftlichem Wohlfahrtsverlust verbunden sind 141; ordnungs- und wirtschaftspolitisch erscheint es sinnvoller, die Leistungen marktmäßig erbringen zu lassen 142. Auch das Europäische Recht, das 139

Schoch, DVBl 1994, 962 (963); Schneider, Öko-Audit, S. 104. Schulze-Fielitz, GVwR I, § 12 Rdn. 97 ff.; zur Privatisierung der Abfallentsorgung Kämmerer, Privatisierung, S. 378 ff.; zu den Gründen Beckmann, VerwArch 94 (2003), 371 (385). 141 Kupfer, Verteilung knapper Ressourcen, S. 51. 142 Schulze-Fielitz, GVwR I, § 12 Rdn. 94: „Privatisierungen erlauben offenbar effizientere Steuerungsformen, die durch die öffentlichrechtlichen Handlungsformen des Verwaltungsrechts weniger aufgabenangemessen erbracht werden können“. 140

§ 2 Konzept der Regulierten Selbstregulierung

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schon von seiner Verankerung im EGV her dezidiert marktwirtschaftlich ausgerichtet ist (Art. 4 Abs. 1, Art. 98 S. 2, Art. 157 Abs. 1 EGV), hat einen starken Privatisierungsdruck erzeugt: Zum einen über sekundärrechtlich eingeforderte Privatisierungen, wie in den Bereichen Post und Telekom, zum anderen auch über Art. 86 i. V. m. Art. 81 ff. EGV, die Vorrang- und Monopolstellungen öffentlicher Unternehmen stark beschneiden 143. Verfassungsrechtlich sind der Privatisierung kaum Grenzen gesetzt 144. Ausdrückliche Privatisierungsverbote gibt es nur wenige 145 und selbst ausdrückliche Verfassungsbestimmungen wie beispielsweise Art. 87 Abs. 1 GG a. F. konnten (und können) geändert werden, da sie nicht zum änderungsfesten Kern nach Art. 79 Abs. 3 GG gehören. Andererseits enthält die Verfassung auch keine Privatisierungsgebote. Es ist die Entscheidung des Gesetzgebers (im Rahmen der Vorgaben des Gemeinschaftsrechts), ob und wie eine Privatisierung erfolgt. b) Liberalisierung Liberalisierung wird in einem engeren Sinne verstanden als die Öffnung von Märkten durch den Abbau staatlicher oder privater Monopole 146 (zum Beispiel die Zulassung privater Anbieter auf dem Post- oder Telekommunikationsmarkt, das Aufbrechen der Gebietsmonopole bei der Energieversorgung oder neuerdings vielleicht die Zulassung privater Sportwettenanbieter und Lotterievermittler). Monopole eines öffentlichen Unternehmens oder gesetzlich angeordnete oder erlaubte private Monopole oder Gebietskartelle verhindern den Markteintritt neuer Anbieter und damit den Wettbewerb insgesamt. Damit werden zugleich die wirtschaftlichen Vorteile des Wettbewerbs – optimale Ressourcenallokation 147, Innovationsdruck auf die Anbieter, Bemühen um Kundenfreundlichkeit und -orientierung Kostensenkung – ausgeschaltet; in einem wettbewerblichen Umfeld würden Private das optimale(re) Angebot erzeugen 148. Liberalisierung bedeutet allerdings nicht, dass die Aufgabenerfüllung allein dem freien Markt überlassen wird; stattdessen führt sie häufig zu verstärkter

143

Schliesky, Der Landkreis 2004, 487 (490); Stohrer, Informationspflichten Privater, S. 103 ff. 144 S. oben zur geringen Determinationskraft der notwendigen Staatsaufgaben § 2 A. I. 1. a) bb). 145 Gramm, Privatisierung, S. 59. 146 Hoffmann-Riem/Eifert, in: Hoffmann-Riem (Hrsg.), Innovation und Telekommunikation, S. 9 (13); Kupfer, Verteilung knapper Ressourcen, S. 51 Fn. 116. 147 Kühling, Sektorspezifische Regulierung, S. 35; ausf. Kupfer, Verteilung knapper Ressourcen, S. 37 f. 148 Kupfer, Verteilung knapper Ressourcen, S. 51.

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1. Teil: Grundlagen

Regulierung 149, weil auf den neuen Märkten Wettbewerb erst geschaffen werden muss und vor allem die Ex-Monopolisten der Kontrolle bedürfen. Liberalisierung und Privatisierung sind eng miteinander verknüpft. Staatliche Monopole dienen der Erfüllung von Staatsaufgaben (s. o. § 2 A. I. a) aa); wird in Folge einer Liberalisierungsmaßnahme Wettbewerb durch private Anbieter und damit auch eine Aufgabenerfüllung durch Private zugelassen, handelt es sich zumindest um eine Teilprivatisierung oder – wenn der ehemalige staatliche Monopolist sich ganz aus der Aufgabenerfüllung zurückzieht – um eine vollständige funktionale oder Aufgabenprivatisierung. Der Druck zum Abbau staatlicher Monopole erwächst nicht nur aus ordnungsund wirtschaftspolitischen Vorstellungen. Auch das Verfassungsrecht – zumindest in der neueren Auslegung durch das BVerfG – engt staatliche Monopole mehr und mehr ein. Da spätestens seit der Sportwettenentscheidung des BVerfG vom 28. 03. 2006 150 auch wirtschaftliche Tätigkeiten, die staatlich monopolisiert sind, als Beruf im Sinne des Art. 12 Abs. 1 GG zu verstehen sind, gerät jedes staatliche Monopol unter Rechtfertigungszwang und muss vor allem verhältnismäßig sein. Und Gründe dafür, dass zwar öffentliche Unternehmen in einem bestimmten Bereich mit primär wirtschaftlicher Zwecksetzung agieren dürfen, Private aber nicht, lassen sich kaum finden 151. Genauso können Monopole mit den Grundfreiheiten des EG-Vertrags und Art. 86 EGV in Konflikt geraten, weil dadurch der Marktzutritt ausländischer Anbieter unmöglich gemacht wird und diese in ihrer Dienstleistungs- oder Niederlassungsfreiheit beeinträchtigt werden 152. Mit dem Gemeinschaftsrecht ist die zweite, internationale Ebene der Liberalisierung angesprochen 153: Die Freihandelsbewegung und die WTO, die den Abbau von Marktzutrittsschranken für ausländische Produkte erreichen wollen, und speziell in Europa das Europäische Gemeinschaftsrecht, das der Verwirklichung des Binnenmarkts und damit der vollständigen Liberalisierung des grenzüberschreitenden Handels in Europa verpflichtet ist. Das WTO-Recht, die EG-Grundfreiheiten, Art. 81 ff. und Art. 86 EGV und vor allem das europäische Sekundärrecht drängen 149

Kühling, Sektorspezifische Regulierung, S. 34. NJW 2006, 833 = JZ 2006, 783. 151 Die „Heuchelei“ in Bezug auf staatliche Monopole haben der EuGH (EuGHE 2003, 13031 – Gambelli, Tz. 69) und das BVerfG (NJW 2006, 833) in Bezug auf die Sportwettenvermittlung angesprochen: Es drängt sich der Verdacht auf, dass das Monopol nicht der Bekämpfung und Eindämmung der Spielsucht dient, sondern, wie die aggressiven und flächendeckenden Werbekampagnen der staatlichen Wettanbieter zeigen, der Erzielung höherer Einnahmen für die Staatskasse. Erhöhte Staatseinnahmen rechtfertigen aber keinen Eingriff in Grundrechte oder Grundfreiheiten. 152 Weswegen z. B. das teilweise Arbeitsvermittlungsmonopol der Bundesanstalt für Arbeit vom EuGH für mit Art. 86 EGV unvereinbar erklärt wurde, EuGHE 1991, 1979. 153 Dazu Stohrer, Informationspflichten Privater, S. 105 ff. 150

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das nationale Recht zum immer weiteren Abbau von Marktzutrittsschranken und damit vor allem von staatlichen Monopolen, um den freien Handel zu befördern. c) Deregulierung Wie schon der Terminus „Privatisierung“ ist auch der Begriff der Deregulierung kein – gesetzlich oder rechtsdogmatisch – eindeutig geklärter Begriff 154. Auch die Gegenüberstellung zum Begriff der Regulierung trägt zur Begriffsschärfung kaum bei, weil dieser Begriff ebenso uneinheitlich verstanden wird (s. o. § 1 B. IV. 2.). Einem weiten Begriffsverständnis zufolge stellt Deregulierung einen Oberbegriff für Privatisierung, Liberalisierung und den Abbau marktspezifischer Regulierung dar 155; Deregulierung wäre danach jede Erweiterung wirtschaftlicher Freiheit privater Unternehmen. Nach anderer Auffassung ist Deregulierung in einem engeren Sinne, nicht als Oberbegriff, sondern als „tertium“ neben Privatisierung und Liberalisierung, zu verstehen. Deregulierung hat danach eine quantitative Komponente und bezieht sich vor allem auf die Reduzierung und Ausdünnung staatlicher Normen und Regulierungen 156 sowie auf den Abbau von Anforderungen an wirtschaftliche Tätigkeiten 157. Im Zusammenhang damit stehen auch Entbürokratisierung, Flexibilisierung, Rechts- und Verwaltungsvereinfachung, Verfahrensbeschleunigung 158. Privatisierung und Liberalisierung führen zwar zu einem mehr an wirtschaftlicher Freiheit Privater, weil diese sich nun Aufgaben annehmen dürfen, die ihnen vorher versperrt waren. Gleichzeitig können sie mit einer Erhöhung der normativen Regelungsdichte einhergehen, so dass von einem Normenabbau nicht die Rede sein kann 159. Deregulierung als Oberbegriff passt daher nicht so recht, was sich auch an dem Paradoxon zeigt, dass „Deregulierung zu Re-Regulierung“ führt 160. Versteht man Liberalisierung nicht als Deregulierung, ist die rechtliche Regelung des neu geschaffenen Marktes schlicht 154

Schneider, Öko-Audit, S. 93. So Benz, DV 28 (1995), 337 (341); Schneider, Öko-Audit, S. 93; Stohrer, Informationspflichten Privater, S. 97. 156 S. z. B. das Gesetz über die Bereinigung von Bundesrecht im Zuständigkeitsbereich des BM f. Arbeit und Soziales und des BM für Gesundheit vom 14. 8. 2006, BGBl I S. 1869 ff., das ca. 220 überflüssige Gesetze und Verordnungen aufhebt oder das Erste Gesetz über die Bereinigung von Bundesrecht im Zuständigkeitsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung vom 19. 09. 2006, BGBl I S. 2146 ff., das 72 Rechtsvorschriften aufhebt. 157 Kühling, Sektorspezifische Regulierung, S. 31; s. z. B. das Erste Gesetz zum Abbau bürokratischer Hemmnisse insbesondere in der mittelständischen Wirtschaft vom 22. 08. 2006, BGBl I S. 1970 ff. 158 Dolde, NVwZ 2006, 857 (863); Schneider, Öko-Audit, S. 115. 159 Grande, in: König/Benz, Privatisierung, S. 576 (584). 160 Dolde, NVwZ 2006, 857 (863); Voßkuhle, GVwR I, § 1 Rdn. 57. 155

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1. Teil: Grundlagen eine (erstmalige) Regulierung und keine Re-Regulierung. Erst wenn auf einem liberalisierten regulierten Markt die Regulierungsintensität verringert wird, handelt es sich um Deregulierung.

Grundsätzlich sollen staatliche Eingriffe in das marktwirtschaftliche Geschehen 161 zurückgenommen oder – dort, wo staatliche Eingriffe nach wie vor nötig sind – zumindest vereinfacht werden. Ziel ist die Ermöglichung und Verbesserung von Wettbewerb 162. d) Ergebnis dieser Lösungsansätze Die „Verschlankung“ des Staates und die verstärkte Aktivierung Privater sind noch in vollem Gange, so dass eine Aussage über Erfolg oder Misserfolg dieser Maßnahmen verfrüht erscheint. Andererseits lassen sich doch schon Tendenzen erkennen, die eher auf ihre begrenzte Wirksamkeit zur Staatsentlastung schließen lassen. Selbst bei einer Aufgabenprivatisierung, die per definitionem eigentlich zu einer vollen Aufgabenverlagerung in die Gesellschaft führen soll, muss doch festgestellt werden, dass eine vollständige Befreiung des Staates aus seiner Verantwortlichkeit selten möglich ist 163. Auch wenn er Aufgaben nicht mehr eigenhändig wahrnimmt, so kommt ihm doch auch und gerade als Folge einer Aufgabenprivatisierung nach wie vor eine umfassende Verantwortung zu, die sich in komplexen Regulierungsgesetzen und neuen Großbehörden wie zum Beispiel der Bundesnetzagentur äußert 164. Privatisierungen sind daher meist nur eine Veränderung der Art und Weise der Aufgabenwahrnehmung, reduzieren jedoch selten den tatsächlichen Aufgabenbestand des Staates 165. Darüber hinaus können Privatisierungsmaßnahmen auch zu hohen Transaktionskosten führen, die die erwartete finanzielle Entlastung der öffentlichen Haushalte wieder aufheben 166. Schließlich zeigen Beispiele aus dem Ausland (siehe die Schwierigkeiten in Großbritannien nach der Privatisierung der Eisenbahnen), dass private Unternehmen keineswegs immer effizienter arbeiten als die öffentliche Hand. Die Liberalisierung ist als Gewinn an wirtschaft161 Beispiele bei Stohrer, Informationspflichten Privater, S. 94: Hoheitliche Preisfestsetzungen, Ladenschlussregelungen, Werbeverbote, präventive Kontrollmaßnahmen und Zulassungsbeschränkungen. 162 Voßkuhle, GVwR I, § 1 Rdn. 57. 163 Grande, in: König/Benz, Privatisierung, S. 576 (586): Privatisierung bedeutet eben keinen Rückzug des Staates, sondern nur einen Funktionswandel. 164 Benz, DV 28 (1995), 337 (353): Staatsaufgaben werden nicht abgebaut, wenn eine konkrete Einzelleistung nicht mehr vom Staat erbracht wird, weil sie meist durch eine andersartige Aufgabe (Kontrolle, Regulierung) ersetzt wird. 165 Gramm, Privatisierung, S. 19; Kämmerer, Privatisierung, S. 426 f. 166 Voßkuhle, GVwR I, § 1 Rdn. 61; Gramm, Privatisierung, S. 179.

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licher Freiheit für die Unternehmen zu begrüßen und hat auch für den Kunden zum Teil große Vorteile gebracht (zum Beispiel im Telekommunikationsbereich), aber sie hat auch neue Behörden und neue, hoch komplexe Gesetze für die neuen Märkte überhaupt erst nötig gemacht 167 und damit nicht zu einer Entlastung von Gesetzgeber und Verwaltung beigetragen. Und die Streichung einiger seit Jahrzehnten nicht mehr angewendeter Verordnungen in nicht unbedingt zentralen Sektoren oder der Abbau einiger Statistikführungspflichten für Unternehmen verdienen nicht den Namen Deregulierung oder Entbürokratisierung, wenn im Gegenzug mit „Hartz IV“, dem Allgemeinen Gleichstellungsgesetz oder dem so genannten „Gesundheitsfonds“ neue Gesetzesungetüme, Behördenapparate und Mitwirkungspflichten der Unternehmen geschaffen werden; Deregulierung dürfte nicht nur in Parteiprogrammen und Parteitagsreden eine Rolle spielen, sondern müsste auch konsequent umgesetzt werden, wofür aber ein politischer Verzicht auf Detailsteuerung und Einzelfallgerechtigkeit notwendig wäre. Eine – wie auch immer geartete – „Selbst“-Beschränkung des Staates auf seine Kernaufgaben wird zwar immer wieder gefordert und auch von beinahe allen politischen Richtungen propagiert, scheitert aber konsequent daran, dass es weder eine rechtliche Vorgabe noch politische Einigkeit darüber gibt, was diese Kernaufgaben des Staates sind und vor allem, welche Aufgaben nicht dazu gehören 168. Politik und Gesellschaft scheinen danach nur bedingt in der Lage zu sein, den überforderten Staat zu entlasten und zu ersetzen 169. 4. Gewährleistungsstaat und Regulierte Selbstregulierung Von den konkreten Bemühungen um Staatsentlastung durch Privatisierung, Liberalisierung oder Deregulierung abstrahierend, wird versucht, den Wandel des Staates durch eine Abstufung in der staatlichen Verantwortung 170 zu umschreiben. Der überlastete Staat soll sich seiner Leistungs- oder Erfüllungsverantwortung in bestimmten Aufgabenbereichen entledigen und nur eine Gewährleistungs- und Auffangverantwortung behalten.

167 Dolde, NVwZ 2006, 857 (863); Voßkuhle, GVwR I, § 1 Rdn. 57; Kühling, Sektorspezifische Regulierung, S. 31. 168 Wallerath, JZ 2001, 209 (215). 169 Pointiert Ellwein/Hesse, Der überforderte Staat, S. 231: „Nicht der Staat ist dabei das Problem, sondern die in ihm Handelnden und die ihn Fordernden“. 170 Zum Verantwortungsbegriff Voßkuhle, in: Schuppert (Hrsg.), Jenseits von Privatisierung, S. 47 (53 ff.); Ruge, Gewährleistungsverantwortung, S. 160 ff.

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1. Teil: Grundlagen

a) Staatliche Verantwortung Ein Teil der Lehre zieht aus der relativ fruchtlosen Diskussion um notwendige Staatsaufgaben und Grenzen der Privatisierung die Konsequenz, dass nicht mehr danach gefragt wird, ob der Staat eine Aufgabe auf Private übertragen darf oder nicht, sondern wenn ja, welche Konsequenzen dies nach sich zu ziehen hat, vor allem, welche Regulierungsverantwortung dem Staat nach erfolgter Aufgabenübertragung verbleibt oder neu zuwächst 171. Je nach Reichweite der Privatisierung und Bedeutung der Aufgabe kann dies zu unterschiedlichen Intensitäten staatlicher Verantwortung für die Erfüllung einer Aufgabe durch Private führen 172; Folge ist ein Modell abgestufter staatlicher Verantwortung 173. Verantwortung ist dabei allerdings ein heuristischer Begriff, der Besonderheiten der Aufgabenwahrnehmung charakterisieren soll 174; rechtliche Folgen ergeben sich aus ihm nicht. Rechtlich gesehen ist Verantwortung nur das, was das Grundgesetz und das Gesetzesrecht als Aufgaben und Befugnisse der Verwaltung vorsehen 175. Die Frage, ob der Staat eine bestimmte Aufgabe erfüllen muss und wenn ja in welcher Form, ergibt sich nicht aus den Begriffen Erfüllungs- oder Gewährleistungsverantwortung, sondern ausschließlich aus den normativen Grundlagen (im Grundgesetz oder auf Gesetzesebene beziehungsweise inzwischen häufig auch im Europarecht).

Die oberste Stufe ist durch eine staatliche Leistungs- oder Erfüllungsverantwortung gekennzeichnet und beschreibt die eigenhändige Wahrnehmung einer Staatsaufgabe durch die öffentliche Hand, das heißt, dass der Staat selbst durch Träger der unmittelbaren oder mittelbaren Staatsverwaltung den Vollzug der Gesetze und die Erbringung von Leistungen übernimmt 176. Erbringt der Staat die Leistungen nicht mehr selbst (wurde die Aufgabe also privatisiert), soll sich seine Verantwortung in eine Gewährleistungsverantwortung umwandeln. Diese beinhaltet eine Pflicht zur (normativen) Rahmensetzung und eine Überwachungs- oder Beobachtungsverantwortung, welche sicherstellt, dass Private die Aufgabenerfüllung ausreichend übernehmen 177. Sofern es sich um Privatisierungen im Bereich 171 Schuppert, DÖV 1995, 761 (768); Schulze-Fielitz, in: Grimm, Wachsende Staatsaufgaben, S. 11 (17): „Der Kern der Staatsaufgabendiskussion liegt in den Abstufungen der öffentlich-rechtlichen Organisationsrahmen für die private Freiheitsbetätigung im öffentlichen Interesse“. 172 Schuppert, DÖV 1995, 761 (768). 173 Schmidt-Aßmann, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Schuppert, Reform des AllgVerwR, S. 11 (43 f.); Wallerath, JZ 2001, 209 (216). 174 Schulze-Fielitz, GVwR I, § 12 Rdn. 148. 175 Schulze-Fielitz, GVwR I, § 12 Rdn. 148. 176 Hoffmann-Riem, in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem, Verwaltungsorganisationsrecht, S. 355 (365); Ruge, Gewährleistungsverantwortung, S. 173. 177 Der Staat muss ein „Auffang- und Sicherheitsnetz für den Fall des Versagens privatwirtschaftlicher Selbstregulierung aufziehen“, Hoffmann-Riem, in: Schmidt-Aßmann/ Hoffmann-Riem, Strukturen d. Europ. Verwaltungsrechts, S. 191 (194).

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von Leistungen der Daseinsvorsorge handelt, muss der Staat sicherstellen, dass die Bevölkerung nach wie vor mit den wichtigen Bedarfsgütern versorgt wird 178. Anders als manche Stimmen in der Literatur 179 verstanden werden könnten, geht es aber nicht nur um die Gewährleistung der ausreichenden Versorgung der Bevölkerung mit Daseinsvorsorgeleistungen; privatisiert werden können auch andere Verwaltungsaufgaben, wie zum Beispiel Kontrollen oder Prüfungen 180. Auch hier muss der Staat gewährleisten, dass diese von den Privaten ordnungsgemäß durchgeführt werden. Außerdem besteht auch für die Versorgung mit wichtigen Gütern, die nie vom Staat selbst erbracht wurden, eine latente Gewährleistungsverantwortung für den Fall, dass die Wirtschaft – zum Beispiel in Kriegs- oder Krisenzeiten – zur Bedarfsdeckung dauerhaft nicht in der Lage sein sollte 181; Gewährleistungsverantwortung ist deshalb nicht nur Ausdruck eines Privatisierungsfolgenrechts. Die Frage nach staatlicher Gewährleistung zielt allgemeiner darauf ab, wie der Staat bestimmte Ziele erreichen kann 182, wie er die Erreichung gewünschter Ergebnisse sichern kann (und zieht damit die Verbindung zu steuerungswissenschaftlichen Ansätzen), und zwar vor allem in Bereichen, in denen er nicht oder nicht mehr alleine tätig wird. Staatliche Gewährleistungsverantwortung wird daher meist im Kontext mit der Einbindung privater Erfüllungsbeiträge diskutiert; sie erfordert staatliche Vorkehrungen zur Sicherung der Verfolgung oder Erreichung gemeinwohlorientierter Ziele im Zusammenwirken des Staates mit Privaten oder nur durch Private, wenn der Staat eine Aufgabe nicht mehr selbst erfüllt 183 (was nicht nur eine Reaktion auf Fehlentwicklungen des Marktes beinhaltet, sondern auch eine präventive Vorsorge gegen solche Fehlentwicklungen 184).

178 Gewährleistung ist damit unter anderem Teil des Privatisierungsfolgenrechts, Schoch, in: Schuppert (Hrsg.), Jenseits von Privatisierung, S. 221 (235); Hoffmann-Riem/Schulz/ Held, Konvergenz und Regulierung, S. 51; Knauff, Gewährleistungsstaat, S. 66; zur Gewährleistung im Telekommunikationsbereich ausf. Eifert, Grundversorgung, passim. 179 Z. B. Schuppert, Beiheft 4 DV 2001, 201 (222); Hoffmann-Riem, in: SchmidtAßmann/Hoffmann-Riem, Strukturen d. Europ. Verwaltungsrechts, S. 191 (195): Gewährleistung bedeutet die Sicherstellung einer Grundversorgung und die Wahrnehmung einer Infrastrukturverantwortung durch den vormals selbst „produzierenden“ Staat. 180 Bzgl. des Vollzugs des Öffentlichen Rechts im Wege der Ordnungsverwaltung Ritter, in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem, Verwaltungsorganisationsrecht, S. 207 (231 f.). 181 S. Kirchhof, FS Schmitt Glaeser, S. 3 (18): Auch bzgl. der Versorgung der Menschen mit Nahrung, Kleidung und Wohnung trifft den Staat im Endeffekt eine Gewährleistungsverantwortung, auch wenn er diese „Dienstleistungen“ nie selbst erbracht hat. S. z. B. auch Art. 12a Abs. 3 S. 2, Abs. 4 S. 1, Abs. 6 S. 1 GG; § 1 Abs. 1 S. 1 Zivilschutzgesetz. 182 Knauff, Gewährleistungsstaat, S. 66. 183 Calliess, AfP 2002, 465 (467); Hoffmann-Riem, AöR 130 (2005), 5 (9); Ritter, in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem, Verwaltungsorganisationsrecht, S. 207 (232); Schuppert, in: ders. (Hrsg.), Jenseits von Privatisierung, S. 299 (314). 184 Franzius, Der Staat 42 (2003), 493 (497).

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1. Teil: Grundlagen Will oder muss der Staat das Ziel der ausreichenden Versorgung der Bevölkerung mit Telefonanschlüssen sicherstellen (und will er diese nicht mehr selbst bereitstellen), muss er gewährleisten, dass die privaten Telekommunikationsunternehmen ihre Leistungen ausreichend und ordnungsgemäß erbringen (Art. 87f Abs. 1 GG). Der Staat muss auch sicherstellen, dass die Jugend oder die Umwelt geschützt werden (Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG, Art. 20a GG); er muss gewährleisten, dass auch die Beiträge der Privaten dazu wirklich der Erreichung des angestrebten Ziels dienen. Je weniger eigene direkte „Erfüllungshandlungen“ durch staatliche Stellen vorgenommen werden und je mehr sich der Staat auf private Beiträge verlässt, desto stärker wird seine Gewährleistungsverantwortung 185.

Wird in Ausübung dieser Gewährleistungsverantwortung offenbar, dass die angestrebten Gemeinwohlziele nicht (mehr) erreicht werden, trifft den Staat nach dem heuristischen Modell der Gewährleistungsverantwortung schließlich eine Auffangverantwortung 186, die dazu führt, dass der Staat selbst wieder die Aufgabenerfüllung übernehmen muss 187. Der moderne Staat wird demzufolge in eine Entwicklungslinie vom Ordnungsstaat über den Leistungs- oder Erfüllungsstaat zum Gewährleistungsstaat gestellt 188. Im Gewährleistungsstaat 189 ist „Regulierung“ ein Zentralbegriff 190. Im Wege der Regulierung setzt der Staat im Rahmen seiner Gewährleistungsverantwortung materielle Ziele, regelt die Tätigkeitsvoraussetzungen und -bedingungen für die Privaten, beaufsichtigt diese und schafft die Voraussetzungen, damit die privaten Akteure wirksam agieren können 191. Nicht verwechselt werden darf die Frage staatlicher Gewährleistung mit dem Problem des Gewährleistungsgehalts von Grundrechten, der in neueren Entscheidungen des BVerfG 192 – womöglich als Teil einer neuen Grundrechtsdogmatik 193 – entwickelt wurde.

185

Kirchhof, FS Schmitt Glaeser, S. 3 (18). Ruge, Gewährleistungsverantwortung, S. 166, 173. 187 So weit dies tatsächlich möglich ist. Leistungen der Daseinsvorsorge kann der Staat nicht mehr selbst erbringen, wenn er die dafür notwendigen Einrichtungen „verkauft“ hat; kritisch zu den Vorstellungen einer Erfüllungs- oder Auffangverantwortung im Informationssektor Schoch, in: Schuppert (Hrsg.), Jenseits von Privatisierung, S. 221 (237). 188 Ladeur, Beiheft 4 DV 2001, 59; Schoch, in: Leipold (Hrsg.), Rechtsfragen des Internet, S. 83 (88); kritisch zu diesen Behauptungen „linearer“ Entwicklungen Schulte, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann, VerwR in der Informationsgesellschaft, S. 333 (342 f.). 189 Franzius, Der Staat 42 (2003), 493 (494); kritisch zum Konzept des Gewährleistungsstaates Vesting, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann, VerwR in der Informationsgesellschaft, S. 101 (113). Zu dessen Definition Eifert, Grundversorgung, S. 18. 190 Schuppert, Beiheft 4 DV 2001, 201 (221); Eifert, Grundversorgung, S. 19: Der Gewährleistungsstaat ist Regulierungsstaat. 191 Ritter, in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem, Verwaltungsorganisationsrecht, S. 207 (232); Schoch, in: Leipold (Hrsg.), Rechtsfragen des Internet, S. 83 (87 f.). 192 BVerfGE 105, 252 u. 279 – Osho und Glykol; dazu Volkmann, JZ 2005, 261 (264 f.). 186

§ 2 Konzept der Regulierten Selbstregulierung

61

Der Gewährleistungsgehalt von Grundrechten bezieht sich auf das, was klassischerweise als Schutzbereich und darauf bezogener Eingriff bezeichnet wurde und hat nichts mit der Erfüllung bestimmter Aufgaben und Ziele durch Staat und/oder Private zu tun.

Der Gewährleistungsstaat zeichnet sich nicht nur durch seine Orientierung auf die Erreichung bestimmter Ziele aus, sondern auch durch den Einsatz spezifischer Instrumente 194: So sollen beispielsweise die privaten Akteure bestimmten Qualifikationen genügen müssen, was durch Prüfungen – etwa in Form von Akkreditierungen – sichergestellt wird; es soll eine Gewährleistungsaufsicht bestehen, die die Privaten überwacht und gleichzeitig dafür sorgt, dass die Qualität der Aufgabenerfüllung evaluiert werden kann. Außerdem muss der Staat dafür sorgen, dass die privaten Akteure auch gegenüber den betroffenen Wirtschaftsteilnehmern wirksam agieren können (in Form von Mitwirkungspflichten, Zutrittsrechten, Einsichtsrechte in Unterlagen 195). Auf Grund der sich vom Staat vorzubehaltenden Rückholoption (als Teil der Auffangverantwortung) kann dann als Folge der Evaluierung die Einbindung der Beiträge Privater verringert oder verändert werden, wenn sie die gesteckten Ziele nicht erreicht. Im weiteren Verlauf der Arbeit wird auch zu untersuchen sein, ob diese spezifischen Instrumente im Rahmen der konkreten Ausgestaltung der Regulierten Selbstregulierung verwirklicht wurden oder zumindest verwirklicht werden müssten. b) Staatliche Gewährleistung durch Regulierte Selbstregulierung Regulierte Selbstregulierung ist eine zentrale Erscheinungsform des Gewährleistungsstaates 196, ein mögliches Instrument zur Erreichung der vorgegebenen Ziele. Der Staat kann Aufgaben mittels Selbstregulierung erfüllen lassen 197, gleichzeitig verpflichtet die Gewährleistungsverantwortung ihn, die Selbstregulierung zu regulieren. Während die Gewährleistungsverantwortung also danach fragt, ob und warum ein bestimmtes Ziel erreicht, eine Aufgabe erfüllt werden muss, beschäftigt sich Regulierte Selbstregulierung mit dem wie. Geht es – wie im Rahmen der vorliegenden Untersuchung – nicht um selbstregulative Normsetzung, sondern um die Gesetzesanwendung durch private Stellen, bezieht sich die staatliche Gewährleistungsverantwortung darauf, dass das Gesetz ordnungsgemäß durchgesetzt 193

Volkmann, JZ 2005, 261. Zum Folgenden Ritter, in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem, Verwaltungsorganisationsrecht, S. 207 (232); ausf. Voßkuhle, VVDStRL 62 (2003), 266 (312 ff.). 195 Ritter, in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem, Verwaltungsorganisationsrecht, S. 207 (232). 196 Schuppert, Beiheft 4 DV 2001, 201 (222); Knauff, Gewährleistungsstaat, S. 67: gesellschaftliche Selbstregulierung als „Ideal des Gewährleistungsstaats“. 197 Hoffmann-Riem, AöR 130 (2005), 5 (9). 194

62

1. Teil: Grundlagen

wird und damit die Vorgaben des Gesetzgebers korrekt umgesetzt werden. Vor allem die möglichen Nachteile einer Aufgabenwahrnehmung durch Private (z. B. unzureichende Leistungen, Qualitätsmängel, fehlende Neutralität) sollen durch Regulierung der Selbstregulierung verhindert werden. Es stellt sich also die Frage, wie es dem Staat gelingen kann, privatautonomes Handeln in einen Rahmen zu stellen, der gemeinwohlverträgliche Ergebnisse erwarten lässt 198. II. Strukturierung der Aktivierung Privater Der Staat und seine Verwaltungsträger nehmen oder nahmen eine Vielzahl verschiedenster Tätigkeiten wahr. Da wie oben gezeigt kein Bereich staatlichen Handelns prinzipiell von der zumindest teilweisen Verlagerung auf Private ausgenommen ist, sind die Möglichkeiten der Aktivierung Privater ebenso vielfältig 199. 1. Beteiligung Privater im Bereich der Leistungs-, Planungs- und Ordnungsverwaltung Private können – so der klassische Ausgangspunkt der Privatisierungen – in die Erbringung von Leistungen der Daseinsvorsorge, das heißt die Versorgung mit Bedarfsgütern, eingebunden werden (Wasser, Gas, Strom, etc.). Zu dieser Leistung kann auch die Schaffung und Unterhaltung von Infrastruktur gehören (Straßenbau und -unterhaltung [s. § 1 FStrPrivFinG], Bau und Betrieb öffentlicher – vor allem kommunaler – Einrichtungen). Der Bau von Schulen, Krankenhäusern, Theatern, Stadthallen, Verwaltungsgebäuden ist ohnehin schon immer von privaten Baufirmen übernommen worden. Aber auch Betrieb und Unterhaltung, wie zum Beispiel das so genannte „Facility-Management“, werden auf private ServiceUnternehmen übertragen; entweder nur teilweise, beispielsweise in Bezug auf Reinigungsdienstleistungen oder Wartungen, oder komplett 200. Zu den Daseinsvorsorgeleistungen kann man neben den Bedarfsgütern auch im weiteren Sinne kulturelle Leistungen zählen (Theater, Museen, Bibliotheken), ebenso wie soziale Dienste und Leistungen (Bildungsangebote, Beratungen, Hilfsangebote). Die Leistungen der Privaten können dabei entweder direkt dem Bürger zu Gute kommen (Abwasser- und Abfallentsorgung, Straßenbau) oder „verwaltungsintern“ bleiben, also Leistungen für den Staat darstellen (Betrieb von Rechenzentren, Fuhrparkmanagement, Gebäudemanagement).

198 199

Franzius, GVwR I, § 4 Rdn. 57: „Strategie der Regulierten Selbstregulierung”. Einen detaillierten Überblick gibt Stober, in: Wolff/Bachof/Stober, VerwR, Bd. 3,

§ 91. 200

Zu Details und unterschiedlichen Modellen Stober, in: Wolff/Bachof/Stober, VerwR, Bd. 3, § 92 Rdn. 24 ff.

§ 2 Konzept der Regulierten Selbstregulierung

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Neben dieser leistungsbezogenen Betätigung sind auch weitere behördliche Tätigkeiten der Erfüllung durch Private zugänglich. Auch die staatliche Planungstätigkeit wird teilweise auf Private übertragen. Im Kleinen geht es um den Einsatz privater Architekten und Bauingenieure anstelle des Stadtbauamtes, wenn Verwaltungsgebäude errichtet oder renoviert werden sollen. Aber selbst bei Großvorhaben wie der Fernstraßenplanung, anderen Fachplanungen oder auch der Aufstellung von Flächennutzungs- und Bebauungsplänen 201 wird die Planausarbeitung privaten Spezialisten überlassen oder diese zumindest mit einbezogen 202. Auch im Planaufstellungsverfahren werden Private beteiligt, so wenn private „Moderatoren“ Veranstaltungen zur Bürgerbeteiligung und -anhörung organisieren und durchführen 203. Die verbindliche Entscheidung über den Planinhalt trifft nach wie vor die staatliche Verwaltung, was aber den nicht unbedeutenden Einfluss Privater in Folge von deren Einwirkungsmöglichkeiten bei der Erstellung des Plans nicht mindert. Schließlich kann sogar bei der klassischen Eingriffs- und Ordnungsverwaltung eine Aktivierung Privater erfolgen, also etwa bei Prüfungen, Kontrollen und Überwachungsmaßnahmen. Zwar werden Kontrollen üblicherweise vom Staat, das heißt von der Verwaltung mit ihren Beamten, durchgeführt. Wie die Referenzbereiche dieser Arbeit zeigen sollen, sind neben dieses traditionelle Grundmodell staatlicher Kontrolle inzwischen aber auch Modelle getreten, in denen Private die Erfüllung rechtlicher Vorgaben überwachen 204. 2. Normsetzung oder Vollzug und Überwachung Bei der Erfüllung einer Aufgabe sind in der Regel zwei Ebenen zu unterscheiden: Vorrangig muss eine abstrakt-generelle Regelung zur Steuerung der Aufgabenerfüllung bestehen. Es muss allgemein bestimmt werden, an wen welche Leistungen zu erbringen sind, welchen Inhalt Pläne haben dürfen oder welche materiellen Standards, Sicherheitsvorschriften und Verhaltensbestimmungen für bestimmte Produkte, Dienstleistungen oder Personen gelten. Wenn dies allgemeinverbindlich festgelegt ist, muss zweitens die Umsetzung im Einzelfall, das heißt die tatsächliche Erbringung der Leistung, die Aufstellung des Plans, die konkrete Kontrollmaßnahme erfolgen.

201 Ganz deutlich wird dies bei privaten Vorhaben- und Erschließungsplänen, die Teil des gemeindlichen vorhabenbezogenen Bebauungsplans werden (§ 12 Abs. 3 S. 1 BauGB). 202 Stohrer, Informationspflichten Privater, S. 84. 203 § 4b BauGB; dazu Battis, in: ders./Krautzberger/Löhr, BauGB, 9. Aufl. 2005, § 4b Rdn. 2 ff. 204 Eifert, DV 39 (2006), 309.

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1. Teil: Grundlagen

Private können auf beiden Ebenen aktiviert werden. Auf der Normsetzungsebene können sie entweder allein mit der Erstellung von Regelungen betraut sein (die zum Teil auch nur staatliche 205 Rahmenvorschriften ausfüllen) 206 oder bei deren Schaffung mitwirken (zum Beispiel als Sachverständige oder Betroffene mit Anhörungsrechten 207). Die Umsetzung der – entweder staatlichen oder auch von Privaten erstellten – Normen im Einzelfall, das heißt Vollzug und Überwachung, kann ebenfalls unter Beteiligung Privater erfolgen. Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich nicht mit der privaten Normsetzung, sondern nur mit der Durchsetzung hoheitlich gesetzter Normen (europäisches Sekundärrecht oder deutsche Gesetze und Verordnungen) durch private Stellen 208. Dabei handeln die Privaten nicht in öffentlichrechtlicher Form, nicht als Beliehene oder Verwaltungshelfer, sondern in den Formen des Privatrechts und in erster Linie auf Grund ihrer eigenen Rationalitäten; soweit sie öffentliche Belange berücksichtigen sollen, muss dies deshalb durch Gesetz oder staatliche Aufsichtstätigkeit vorgeschrieben und durchgesetzt werden. 3. Anwendungsbereiche und Funktionsweisen Regulierter Selbstregulierung Regulierte Selbstregulierung kann – wie sich schon aus den oben dargestellten Definitionen zum Teil ergibt – auf zwei Ebenen eingesetzt werden 209. Die rechtswissenschaftliche Diskussion konzentriert sich vor allem auf die Problematik der Normsetzung im Wege Regulierter Selbstregulierung 210. Die private Normsetzung soll dabei vor allem der Ausfüllung der vom Gesetzgeber nur allgemein vorgegebenen Ziele und Rahmenbedingungen dienen 211. Prominentestes Beispiel ist dabei die Setzung technischer Standards im Umwelt- und Technikrecht 212. 205 Oder europarechtliche Rahmen, wie die technische Normung zur Konkretisierung der in Produktsicherheitsrichtlinien aufgestellten Sicherheitsanforderungen, s. u. § 4 A. II. 1. 206 Z. B. § 24 GWB; § 342 HGB, § 36 Abs. 1 S. 1 UrhG oder der Deutsche Corporate Governance Kodex (vgl. § 161 AktG). Weitere Beispiele bei Bachmann, Private Ordnung, S. 34 f. 207 Z. B. § 5 Abs. 2 TVG, § 25 GWB. 208 Zum selbstregulativen Gesetzesvollzug Di Fabio, VVDStRL 56 (1997), 235 (241 ff.). 209 Talidou, Regulierte Selbstregulierung im Datenschutz, S. 24. Vgl. auch Voßkuhle, in: Schuppert (Hrsg.), Jenseits von Privatisierung, S. 47 (69), der sogar noch mehr Ebenen unterscheidet: Maßstabsetzung, Vorbereitung, Verfahrensleitung, Implementation, Kontrolle, Folgenverantwortung und damit zusammenhängend die „Verteilungsmodi der Verantwortung“: Beteiligungs-, Rezeptions-, Delegations-, Kompensations- und Anreizmodell (S. 78 ff.). 210 Schmidt-Preuß, VVDStRL 56 (1997), 160 (202 ff.); Puppis, Künzler u. a., Selbstregulierung, S. 17; auch als kooperative Rechtsetzung bezeichnet, Schuppert, Beiheft 4 DV 2001, 201 (216). 211 Calliess, AfP 2002, 465 (466).

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Auf diese Weise funktioniert etwa die Neue Konzeption der EG im Produktsicherheitsrecht. Der europäische Gesetzgeber erlässt Richtlinien, die nur allgemeine Sicherheitsanforderungen für Produkte statuieren; die konkreten technischen Vorschriften erlassen dann die privaten Normungsgremien (zum Ganzen ausführlicher s. u. § 4 A. II. 1.).

Im Zusammenhang damit ergeben sich die bekannten Probleme privater Normsetzung 213, etwa in Bezug auf das Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip. Auf der Normsetzungsebene sind Mechanismen Regulierter Selbstregulierung – neben der Standardsetzung in Normierungsausschüssen – vor allem Selbstverpflichtungen 214, Kodizes oder Verhaltensregeln von Verbänden oder einzelnen Unternehmen, die zum Teil sogar gesetzlich gefordert 215 oder wenigstens ausdrücklich erwünscht 216 sind. Bei anderen Kodizes, die nicht gesetzlich vorgesehen, sondern aus Initiativen der betroffenen Unternehmen oder der Politik entstanden und gesetzlich nicht rezipiert sind 217, handelt es sich hingegen um reine Selbstregulierung, die nicht öffentlichrechtlich „reguliert“ ist 218. Neben der Regelsetzung kann Regulierte Selbstregulierung (oder Regulierte Selbstkontrolle) auch zur Anwendung und Durchsetzung von Regeln dienen. Mittels Regulierter Selbstregulierung kann beispielsweise überwacht werden, ob staatliche Normen eingehalten werden 219 oder auch, ob Normen, die vom Selbstregulierungsgremium selbst oder einer anderen privaten Stelle erstellt wurden, beachtet werden. Dem Normvollzug dienen zum einen verschiedene Audits (Datenschutzaudit, Öko-Audit 220), bei denen eine Selbstregulierungseinrichtung prüft, ob ein Unternehmen die gesetzlichen Vorschriften einhält und dem Unternehmen darüber ein Zertifikat ausstellt. Daneben existieren Selbstkontrollen 221, die zwar ebenfalls die Einhaltung gesetzlicher Vorschriften prüfen, darüber aber kein Zerti212

Zum Umweltrecht s. z. B. § 32 UGB-KomE. Dazu z. B. UGB-KomE Begründung vor §§ 31 –33, S. 491 ff.; Bachmann, Private Ordnung, S. 58 ff; 186 ff. 214 Dazu Schmidt-Preuß, VVDStRL 56 (1997), 160 (214 ff.) mit einer Aufzählung zahlreicher Selbstverpflichtungen auf S. 215 Fn. 211; Talidou, Regulierte Selbstregulierung im Datenschutz, S. 139 ff. speziell zum Datenschutz. 215 Z. B. die Selbstverpflichtungen des Öffentlichen Rundfunks; s. § 11 Abs. 4 RStV, § 4a WDR-G. Abdruck der ersten Selbstverpflichtungen von ARD, ZDF und DeutschlandRadio z. B. in epd medien 79/2004. 216 S. z. B. § 38a BDSG, beruhend auf Art. 27 der EG-Datenschutzrichtlinie. 217 Z. B. die Satzung des Dt. Presserats, der Unabhängigkeitskodex der ZDF-Journalisten, der Verhaltenskodex der Suchmaschinenbetreiber oder die Wettbewerbsregeln des Verbandes Deutscher Zeitschriftenverleger (VDZ). 218 S. aber zu einer allgemeinen Regulierung von Selbstverpflichtungen und normersetzenden Absprachen §§ 35, 36 UGB-KomE und die dazu gehörige Begründung UGBKomE S. 501 ff. 219 Puppis, Künzler u. a., Selbstregulierung, S. 61. 220 Dazu unten § 5. 213

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1. Teil: Grundlagen

fikat ausstellen, sondern nur im Fall der Nichteinhaltung Sanktionen (im weitesten Sinne) verhängen.

B. Gründe für den Einsatz Regulierter Selbstregulierung Der Einsatz Regulierter Selbstregulierung zur Ausführung von Gesetzen setzt eine bewusste Entscheidung des Gesetzgebers für diese Option voraus 222. Entscheidet sich der Gesetzgeber gegen den „klassischen“ Vollzug durch staatliche Behörden im Wege der Ordnungsverwaltung und für die Einbindung Privater, muss es dafür (aus Sicht des Gesetzgebers) gute Gründe geben 223. Ausgangspunkt sind die Zweifel an der Wirksamkeit der bisherigen staatlichen Gesetzgebung und Verwaltung. Das „klassische“ Staatshandeln in Form der Ordnungsverwaltung, also die gesetzliche Festlegung bestimmter Anforderungen und deren Durchsetzung mittels Ge- und Verboten, funktioniere nicht mehr 224, es bestünden häufig Vollzugsdefizite (prominentestes Beispiel ist hierbei das Umweltrecht 225). Hauptgründe dafür seien das Wissens- oder Informationsdefizit des Staates, dessen (vor allem finanzielle) Überlastung, der rasante technische Fortschritt, die Globalisierung oder der Machtzuwachs privater Akteure (vor allem der Wirtschaft) 226. I. Wissensdefizit des Staates Wir befinden uns auf dem Weg in eine Informations- und Wissensgesellschaft. Information und Wissen haben in allen Lebensbereichen größere Bedeutung erlangt, woraus sich die Konsequenz ergibt, dass auch der Staat mehr Information und Wissen benötigt, vor allem zur Steuerung der immer komplexer werdenden Wirtschaft und Gesellschaft 227. Die Diskussion geht dabei oft von der Prämisse

221 Z. B. Freiwillige Selbstkontrolle Film (FSK), Automaten-Selbst-Kontrolle (ASK), UnterhaltungssoftwareSelbstkontrolle (USK); zur Frw. Selbstkontrolle Fernsehen (FSF) und zur Frw. Selbstkontrolle der Multimediadiensteanbieter (FSM) unten § 3. Zur Deutschen Prüfstelle für Rechnungslegung unten § 6. 222 Eifert, DV 39 (2006), 309 (334) äußert allerdings Zweifel daran, ob der Gesetzgeber sich bewusst und reflektiert entscheidet. 223 S. Gemeinsame Geschäftsordnung (GGO) der Bundesregierung, Anlage 7 zu § 43 I Nr. 3: Bei Gesetzentwürfen ist zu prüfen, ob nicht zur Ausführung gesellschaftliche Selbstregulierung angemessener wäre als staatliche Verwaltung. 224 Calliess, AfP 2002, 465; Schwetzler, Presseselbstkontrolle, S. 145. 225 UGB-KomE, S. 457 (zu § 7 UGB); Laskowski, in: Schuppert (Hrsg.), Jenseits von Privatisierung, S. 93 (96); Groß, Öko-Audit-System, S. 26. 226 Schulz/Held, Regulierte Selbstregulierung, A-9.

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aus, dem Staat fehle dieses nötige Steuerungswissen 228; die Einbindung Privater sei eine (oder sogar die einzige) Möglichkeit, das fehlende Wissen zu erlangen oder das Defizit wenigstens zu kompensieren 229. Das Defizit kann dabei noch näher aufgeschlüsselt werden: Zum einen kann das gestiegene „Angebot“ von rechtserheblichen Gegenständen (Waren, Dienstleistungen, Informationen, sonstiges Tun 230) zu einem Informationsdefizit bei staatlichen Stellen, die für die Gesetzeskonformität dieser Gegenstände zu sorgen haben, führen; dies ist zum Beispiel beim Vergleich des Internets mit dem Rundfunk offensichtlich 231. Konnte der Staat bei letzterem noch umfassend informiert darüber sein 232, wer was wann anbietet, ist eine solche umfassende Kenntnis im Internet unmöglich. Selbst wenn der Staat aber Kenntnis eines bestimmten Sachverhalts hat (also die Information vorliegt), kann ihm das zu dessen Beurteilung nötige Wissen fehlen, etwa das nötige Fachwissen zur Beurteilung der Sicherheit eines Produkts oder der Auswirkung pornographischen Materials auf die Entwicklung Jugendlicher. Schließlich kann das Defizit des Staates auch darin bestehen, dass er die Funktionsweise und -bedingungen eines bestimmten Marktes oder gesellschaftlicher Teilsysteme nicht versteht und daher nicht absehen kann, welche Konsequenzen ein Eingriff haben würde, wie sich zum Beispiel eine bestimmte Marktintervention auswirkt 233.

227 Calliess, AfP 2002, 465; Hoffmann-Riem, in: ders./Schmidt-Aßmann, VerwR in der Informationsgesellschaft, S. 9 (11); Voßkuhle, HStR III, § 43 Rdn. 1; Puppis, Künzler u. a., Selbstregulierung, S. 9. 228 Rossen-Stadtfeld, AfP 2004, 1 (3); Finckh, Regulierte Selbstregulierung im DSD, S. 40; Lackner, Gewährleistungsverwaltung, S. 19 f.; Schwetzler, Presseselbstkontrolle, S. 145. 229 Eifert, Beiheft 4 DV 2001, 137 (138); Voßkuhle, HStR III, § 43 Rdn. 6; Finckh, Regulierte Selbstregulierung im DSD, S. 390; allerdings weist Ladeur, in: Hoffmann-Riem/ Schmidt-Aßmann, VerwR in der Informationsgesellschaft, S. 225 (229) richtig darauf hin, dass dies keine unbedingt neue Entwicklung ist, weil der Staat schon immer wesentlich auf privates Wissen angewiesen war. 230 In unserer Gesellschaft ist eigentlich fast jedes menschliche Handeln (Tun oder Unterlassen) und seine Erzeugnisse rechtserheblich. Auf jeden Fall muss man sich von der Vorstellung lösen, es ginge bei gesellschaftlicher Selbstregulierung nur um Waren und Dienstleistungen, also Wirtschaftsgüter im weitesten Sinne; die Bilanz eines Unternehmens ist kein Handelsgut und das Verbot der Verbreitung kinderpornographischen Materials im Internet gilt auch und gerade im nicht-kommerziellen Bereich. 231 Holznagel, NJW 2002, 2351 (2353): Keine staatliche Instanz kann auch nur annähernd die Flut von Informationen, die im Internet oder in den Kabelnetzen verbreitet wird, auf mögliche Rechtsverletzungen hin ‚überwachen’“. 232 Auf jeden Fall in Zeiten des rein öffentlichrechtlichen Rundfunks; aber auch noch, als nur 15 oder 20 private Fernsehkanäle existierten; s. aber die Aussage der Landesmedienanstalten, dass sie (vor Einführung des JMStV) im Digitalfernsehen auf Grund der Programmfülle zur Gewährleistung des Jugendschutzes nicht mehr in der Lage seien; zit. nach Schoch, in: Schuppert (Hrsg.), Jenseits von Privatisierung, S. 221 (244).

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1. Teil: Grundlagen

II. Technischer Fortschritt, Entwicklungsfortschritt Grund für das fehlende Wissen oder die mangelnde Information des Staates ist in vielen Bereichen der (rasante) technische Fortschritt, vor allem im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologien, wo die Konvergenz der Medien überkommene Regulierungsansätze zum Teil unbrauchbar erscheinen lässt 234. Aber auch bei der Entwicklung neuer Produkte und Techniken, die große Chancen aber auch hohe Risiken bergen (können) – etwa im Bereich der Gentechnik, Atomtechnik, Arzneimittel –, bedarf die Beurteilung der Wirkungen und Gefahren dieser Produkte enorm viel Fach- und Erfahrungswissen, im Produktsicherheitsebenso wie im Umweltrecht 235. Auch darf man bei „Fortschritt“ nicht nur an die technische Entwicklung denken; die Entwicklung neuer, höchst komplizierter Finanzinstrumente und -dienstleistungen beispielsweise stellt die staatliche Aufsicht ebenfalls vor große Herausforderungen. III. Globalisierung Globalisierung und Internationalisierung sind inzwischen Realität und werden sich in Zukunft eher noch verstärken. Personen, Produkte und Kapital können sich weitgehend frei auf der ganzen Welt bewegen, was zum einen dazu führt, dass sich Personen (natürliche und juristische) dem Zugriff eines Nationalstaates relativ leicht entziehen können 236 (nicht nur der Strafverfolgung; auch hohe Umweltschutzanforderungen können durch Produktionsverlagerung ins Ausland in manchen Wirtschaftsbereichen relativ leicht umgangen werden), und zum anderen, dass Produkte und Dienstleistungen aus den unterschiedlichsten Rechtsordnungen relativ unproblematisch in das Hoheitsgebiet eines Staates gelangen können 237; wenn es sich bei diesen „Produkten“ noch dazu um unkörperliche Gegenstände – wie Informationen – handelt, können nicht einmal mehr verstärkte Grenzkontrollen die Durchsetzung staatlicher Anforderungen gewährleisten. Im Zusammenhang damit wird auch ein Machtzuwachs der Wirtschaft konstatiert 238, die das zur Zeit politisch höchste Gut – nämlich Arbeitsplätze – anbietet, und 233 So z. B. Rossen-Stadtfeld, AfP 2004, 1 (7): faktische Steuerungsprobleme wegen des komplexen und weltweit vernetzten Mediensystems. 234 Gounalakis, ZUM 2003, 180; zur Konvergenz der Medien allg. Holznagel, NJW 2002, 2351 ff. 235 Schoch, DVBl 1994, 962 (968). 236 Calliess, AfP 2002, 465; Lackner, Gewährleistungsverwaltung, S. 21: nationales Recht läuft zwangsläufig immer mehr ins Leere; Puppis, Künzler u. a., Selbstregulierung, S. 9: Staatliche Regulierung kann leicht umgangen werden; Schwetzler, Presseselbstkontrolle, S. 146. 237 So für Informationen Holznagel, NJW 2002, 2351 (2353). 238 Rossen-Stadtfeld, AfP 2004, 1 (2).

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schon von daher zu rigide staatliche Vorgaben durch die Drohung mit geringeren Investitionen oder Arbeitsplatzabbau (durch Verlagerung ins Ausland) abwehren kann. Gleichzeitig erhöht die Globalisierung wiederum auch das Wissensdefizit des Staates, weil immer mehr neue Produkte und Dienstleistungen auf den deutschen Markt drängen 239, deren Existenz deutschen staatlichen Stellen entweder unbekannt bleibt oder deren potenzielle Risiken sie nicht kennen. IV. (Finanzielle) Überforderung des Staates Als weitere fundamentale Steuerungsschwäche des Staates muss die finanzielle Überforderung konstatiert werden. Der Staat hat immer mehr Aufgaben an sich gezogen (beziehungsweise die Gesellschaft hat ihm immer mehr Aufgaben aufgedrängt), gleichzeitig ist der Staat schon seit langem nicht mehr in der Lage, die dafür benötigten Mittel aufzubringen und er wird es auch in Zukunft nicht sein 240. Der Staat hat nicht mehr genug Ressourcen, eigenes Personal und eigene Sachmittel zur Verfolgung aller Aufgaben zu finanzieren 241 und er kann auch keine Privaten bezahlen, die Aufgabe für ihn zu übernehmen. Und die finanziellen Probleme können sich noch dadurch erhöhen, dass (auf Grund fehlenden Steuerungswissens) durch falsch ansetzende oder fehlgehende Steuerung in sensiblen Marktbereichen hohe Kosten oder gar Schäden (die der Staat womöglich im Wege der Staatshaftung ersetzen muss) entstehen 242. Der Staat müsste also entweder Aufgaben (und damit Einfluss und Gestaltungsmacht der Politik) reduzieren oder kostengünstigere Wege der Aufgabenerfüllung finden (zum Beispiel eben die Einbindung von Selbstregulierung). V. Politisch gewollte Begrenzung staatlichen Handelns Zu guter letzt ist – um auf die oben § 2 A. I. 3. a) bereits dargestellte Privatisierungsdebatte zurückzukommen – zu berücksichtigen, dass eine zu intensive staatliche Regulierung zum Teil auch politisch unerwünscht und daher nicht durchsetzbar ist 243. Manche Parteien oder politische Strömungen setzen vorrangig auf den Markt, ihnen ist jede Art staatlicher Intervention deshalb ohnehin suspekt 244.

239

So für den Medienbereich Holznagel, NJW 2002, 2351 (2353). Hoffmann-Riem, in: Schuppert (Hrsg.), Jenseits von Privatisierung, S. 159; Faber, Selbstregulierungssysteme, S. 69; Lackner, Gewährleistungsverwaltung, S. 18 f. 241 Daneben kann er zum Beispiel auch nicht mehr ausreichend in Forschung investieren, was wiederum das Wissens- und Informationsdefizit vergrößert. 242 Rossen-Stadtfeld, AfP 2004, 1 (3). 243 Lackner, Gewährleistungsverwaltung, S. 22 ff.; Puppis, Künzler u. a., Selbstregulierung, S. 9. 244 Eifert, DV 39 (2006), 309 (314): „Böen des Zeitgeistes“. 240

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1. Teil: Grundlagen

Auf Grund eines bestimmten Menschenbildes und Staatsverständnisses ist nach diesen Ansichten ein Rückzug des Staates und verstärkte Selbstregulierung der Wirtschaft an sich schon erstrebenswert 245.

C. Erwartungen an Regulierte Selbstregulierung Aus alledem folgt, dass herkömmliche staatliche Mittel in vielen Bereichen an ihre Grenzen stoßen und daher nicht mehr unbedingt die politisch gewünschten oder verfassungsrechtlich geforderten Resultate garantieren können. All diese soeben dargestellten Probleme sollen neue Formen der Regulierung wünschenswert und sogar unumgänglich machen 246. Welche Gründe tatsächlich für Regulierte Selbstregulierung sprechen beziehungsweise welche Probleme damit wirklich gelöst oder vermieden werden können, kann nur nach einer Analyse der konkreten Ausgestaltung und Wirkungsweise festgestellt werden (dazu unten 5. Teil § 15). An dieser Stelle sollen lediglich die an (Regulierte) Selbstregulierung gestellten Erwartungen benannt werden, um diese im Verlauf der Untersuchung immer wieder kritisch anhand der gewonnenen Ergebnisse reflektieren und am Ende feststellen zu können, ob sie in der Rechtswirklichkeit erfüllt werden. I. Vorteile von Selbstregulierung und Regulierter Selbstregulierung aus Sicht des Staates Selbstregulierung und Regulierte Selbstregulierung sollen dazu beitragen, die oben dargestellten Steuerungsschwächen und andere Nachteile imperativer staatlicher Steuerung zu überwinden oder wenigstens teilweise zu kompensieren 247. 1. Verbesserte Einbeziehung privaten Sachverstands Der Weg in die Informationsgesellschaft und das daher in immer größerem Umfang benötigte Steuerungswissen bedeuten einen stetig wachsenden Bedarf an Fachwissen und Erfahrung, sowohl in der Politik als auch in der Verwaltung 248.

245

Zur Privatisierungsdebatte s. Schoch, DVBl 1994, 962 u. 965 f.: „Ideologie . . . beherrscht weithin die Szene“. 246 Puppis, Künzler u. a., Selbstregulierung, S. 10. 247 Krit. aber Ellwein/Hesse, Der überforderte Staat, S. 101: „Zerfall [auch] der gesellschaftlichen Selbststeuerung“, so dass diese kein Ersatz für den versagenden Staat sein kann. 248 Ritter, in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem, Verwaltungsorganisationsrecht, S. 207 (209; 226): „Expertifizierung“.

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Größter Vorteil der Aktivierung selbstregulativer Kräfte ist daher der erleichterte Zugriff auf Sachverstand und Erfahrungswissen 249. Das Know-How der privaten Wirtschaft aber auch der privaten Forschung und die Erfahrung gesellschaftlicher Gruppen im Umgang mit bestimmten Problemen kann durch Selbstregulierung eingebunden werden: Zum einen auf der Regelsetzungsebene, wo die betroffenen Kreise am sachnächsten sind und auf Grund ihrer Beobachtungs- und Problemlösungskapazitäten die sinnvollste Regelung entwickeln können sollen 250. Zum anderen bei der Regelanwendung, wo der notwendige Sachverstand zur Beurteilung komplexer Problemlagen ebenfalls eher bei den Betroffenen als bei der Ministerialverwaltung zu finden sein soll. 2. Erstellung besserer Gesetze und Regeln Ein Ausdruck der Steuerungsschwäche des Staates soll es auch sein, dass er nicht mehr in der Lage ist, zeitnah sachangemessene Gesetze zur Regelung eines bestimmten komplexen Problembereichs zu erlassen. Die Vorteile einer Regelsetzung durch die betroffenen Kreise oder allgemein durch Subjekte der Wirtschaft oder Gesellschaft bestünden demgegenüber darin, dass hier der nötige Sachverstand und das Erfahrungswissen im Umgang mit den zu regelnden Problemen (s. soeben 1. a) ) vorhanden seien, dass aber vor allem die Betroffenen näher „am Puls der Zeit“ seien und Veränderungen im Realbereich weit schneller als der staatliche Gesetzgeber bemerkten und dank der geringeren formalen und verfahrensrechtlichen Bindungen deutlich rascher und flexibler die Regelungen der geänderten Lebenswirklichkeit anpassen könnten 251. Gerade in der modernen, durch ständigen Wandel und rasanten technischen Fortschritt geprägten Zeit bestehe ein besonderer Bedarf an Anpassungsfähigkeit und Flexibilität, den das umständliche staatliche Gesetzgebungsverfahren nicht mehr befriedigen könne. Auch sei durch die Übertragung der Regelsetzung auf Private eine andere Herangehensweise an die Normsetzung möglich: Private Normen müssten nicht demselben Anspruch

249 Ritter, in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem, Verwaltungsorganisationsrecht, S. 207 (226); Schmidt-Preuß, in: Kirchhof, Gemeinwohl, S. 19 (21); Finckh, Regulierte Selbstregulierung im DSD, S. 390; Ukrow, Jugendschutzrecht, Rdn. 659; Bangert, Durchsetzungssysteme, S. 78. 250 Rossen-Stadtfeld, AfP 2004, 1 (2); Voßkuhle, in: Schuppert (Hrsg.), Jenseits von Privatisierung, S. 47 (50); Talidou, Regulierte Selbstregulierung im Datenschutz, S. 126. 251 Rossen-Stadtfeld, AfP 2004, 1 (2); Voßkuhle, in: Schuppert (Hrsg.), Jenseits von Privatisierung, S. 47 (50); Schwetzler, Presseselbstkontrolle, S. 150; dabei ist allerdings zu beachten, dass Regulierte Selbstregulierung keineswegs zu einem Abbau staatlicher Normen führt, vielmehr erfordert auch dieses Instrument komplexe und anspruchsvolle staatliche Regeln (Faber, Selbstregulierungssysteme, S. 126); wenn man von einer generellen Steuerungsschwäche des Rechts oder einer Unfähigkeit des Gesetzgebers ausgeht, kann Regulierte Selbstregulierung also auch nicht der Ausweg sein.

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1. Teil: Grundlagen an Perfektion und Ausgewogenheit wie staatliche Gesetze genügen und wären daher eher offen für ein „Trial and Error“-Verfahren, bei dem die Regelungen erst einmal mehr Experimentiercharakter hätten und durch rasche und flexible Anpassung optimiert werden könnten 252.

3. Verbesserter Gesetzesvollzug Nicht nur die Regelungen als solche sollen durch die Beteiligung Privater verbessert werden, auch die Implementation soll optimiert und vereinfacht, ein Vollzugsdefizit verringert werden. Erreicht werden soll dies einmal auf Grund der bereits erwähnten Einbindung des für die Anwendung von Gesetzen vor allem im Umwelt- und Technikbereich notwendigen Sachverstands, der bei den Privaten eher zu finden sein soll, aber vor allem auch wegen der größeren Professionalität und Effizienz privater Aufgabenerledigung 253 im Vergleich zur bürokratischen und ineffizienten Staatsverwaltung 254. Daneben soll die Normloyalität der Betroffenen gegenüber Regelungen, die sie selbst (oder ihre Vertreter) erstellen und durchsetzen, größer sein; die verbesserte Akzeptanz dieser Normen 255 soll auf diese Weise der Entstehung von Vollzugsdefiziten entgegenwirken 256. Des Weiteren ist auch zu bedenken, dass die Hersteller oder Anbieter als erste die notwendigen Informationen über die Eigenschaften eines Produkts oder die Abläufe einer Dienstleistung, die an den gesetzlichen Vorgaben zu messen sind, haben 257; diese Informationen könnten im Rahmen einer Selbstregulierung oder Selbstkontrolle genutzt werden, ohne dass sich der Staat selbst diese Informationen verschaffen muss. 4. Staatsentlastung Der Staat hat schon zu viele Aufgaben an sich gezogen, gleichzeitig wird die Gesellschaft und die Technik immer komplexer, das heißt der Steuerungsbedarf steigt; Konsequenz ist eine Überlastung des Staates 258. Angesichts leerer Kassen auf allen staatlichen Ebenen und der damit verbundenen Unmöglichkeit der 252

Augsberg, Rechtsetzung, S. 48. Schmidt-Preuß, in: Kirchhof, Gemeinwohl, S. 19 (21). 254 Puppis, Künzler u. a., Selbstregulierung, S. 10. 255 Voßkuhle, in: Schuppert (Hrsg.), Jenseits von Privatisierung, S. 47 (51); Bangert, Durchsetzungssysteme, S 80; Talidou, Regulierte Selbstregulierung im Datenschutz, S. 126. 256 Calliess, AfP 2002, 465 (466); Rossen-Stadtfeld, AfP 2004, 1 (2); Puppis, Künzler u. a., Selbstregulierung, S. 58; Schwetzler, Presseselbstkontrolle, S. 150. 257 Bangert, Durchsetzungssysteme, S. 79. 258 Di Fabio, VVDStRL 56 (1997), 235 (239); Ritter, in: Schmidt-Aßmann /HoffmannRiem, Verwaltungsorganisationsrecht, S. 207 (208). 253

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Ausweitung bzw. der Notwendigkeit der Reduktion staatlicher Überwachungsund Verwaltungstätigkeit, stellt eine mögliche Entlastung der Staates durch die Einbindung privater Tätigkeiten ein gewichtiges Argument für Regulierte Selbstregulierung dar 259. Die zu beteiligenden Privatrechtssubjekte verfügen – anders als der Staat – zum Teil noch über ausreichende Finanzmittel und Personalressourcen 260 und sollen die Aufgaben zudem noch kostengünstiger erledigen 261. Deshalb versucht der überlastete Staat, diese Ressourcen zu „aktivieren“, etwa indem er vermehrt bestimmte kostenträchtige Aufgaben der Selbstregulierung überlässt. 5. Reaktion auf Europäisierung und Globalisierung Des Weiteren soll Selbstregulierung und Regulierte Selbstregulierung ein geeignetes Steuerungsmittel sein, um den Herausforderungen von Europäisierung, Internationalisierung und Globalisierung Rechnung zu tragen. Anders als der Nationalstaat, dessen Hoheitsgewalt an seinen Staatsgrenzen endet, soll Selbstregulierung Grenzen überwinden und international agieren können 262. Die Reaktion auf die Globalisierung der Wirtschaft sei die Internationalisierung der Aufsicht, die angesichts der Begrenztheit hoheitlicher Mittel nur im Wege des Privatrechts, also der Selbstregulierung, funktionieren könne. 6. Reaktion auf Wertewandel und Wertepluralismus In der modernen, offenen Gesellschaft fällt es dem Staat beziehungsweise dem Gesetzgeber auf Grund des Wertewandels und der Wertepluralität immer schwerer, allgemeingültige Werte und Ansichten festzustellen 263 und durchzusetzen; lassen sich beispielsweise „Gemeinwohl“ oder „öffentliche Ordnung“ nicht mehr mit Aussicht auf allgemeine Akzeptanz verbindlich definieren, können diese Rechtsgüter auch nicht mehr zur Rechtfertigung von Freiheitsbeschränkungen herangezogen werden. So soll gerade im Medien- und Informationsbereich auf Grund der Veränderung gesellschaftlicher Wertmaßstäbe eine hoheitliche Einflussnahme auf die Inhalte nicht mehr zeitgemäß sein 264. Eine Einbindung der Gesellschaft im 259 Di Fabio, VVDStRL 56 (1997), 235 (239); Voßkuhle, in: Schuppert (Hrsg.), Jenseits von Privatisierung, S. 47 (50); Schmidt-Preuß, in: Kirchhof, Gemeinwohl, S. 19 (20); Ukrow, Jugendschutzrecht, Rdn. 659; Schwetzler, Presseselbstkontrolle, S. 150: Entlastungsidee als „fruchtbarster aller Böden“ für die Selbstregulierung. 260 Bangert, Durchsetzungssysteme, S. 79. 261 Ritter, in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem, Verwaltungsorganisationsrecht, S. 207 (208); Puppis, Künzler u. a., Selbstregulierung, S. 58. 262 Di Fabio, VVDStRL 56 (1997), 235 (238); Puppis, Künzler u. a., Selbstregulierung, S. 58; Ukrow, Jugendschutzrecht, Rdn. 659: Der Staat muss deshalb in den Medien „notgedrungen“ auf freiwillige Selbstkontrolle setzen. 263 So z. B. für den Jugendschutz Ladeur, Beiheft 4 DV 2001, 59 (65).

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1. Teil: Grundlagen

Wege der Selbstregulierung soll eine bessere Vermittlung und Berücksichtigung der sich rasch wandelnden Vorstellungen und Anschauungen ermöglichen. 7. Erfüllung verfassungsrechtlicher Gebote Zum Teil soll Selbstregulierung nicht nur rechtspolitisch wünschenswert, sondern sogar aus verfassungsrechtlicher Sicht gegenüber imperativer staatlicher Steuerung vorzugswürdig sein. Besonders im Rundfunkrecht, wo Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG eine staatsferne Aufsicht zwingend vorschreibt, ist Selbstregulierung eine Möglichkeit, dieses Gebot optimal zu verwirklichen. Aber auch in sonstigen Bereichen grundrechtlich geschützter Freiheitsbetätigung kann Regulierte Selbstregulierung weniger eingriffsintensiv und damit verhältnismäßiger als imperative Steuerung sein 265. 8. Arbeitsplatzschaffung Ein letzter, selten angesprochener aber derzeit doch bedeutsamer, positiver Aspekt von Selbstregulierung ist die Schaffung von Arbeitsplätzen 266. Selbstregulierung kann zur Etablierung neuer Dienstleistungen und Wirtschaftszweige führen (siehe zum Beispiel das Öko-Audit oder vor allem das Qualitätsmanagement im Produktsicherheitsrecht), in denen Tätigkeitsbereiche für hochqualifiziertes Personal geschaffen werden. Auf Grund des weltweiten Trends zum Einsatz selbstregulativer Elemente besteht darüber hinaus die Möglichkeit, durch die Schaffung eines günstigen Umfelds für die Bildung spezialisierter Selbstkontrolleinrichtungen im nationalen Bereich, diesen den „Export“ ihrer Tätigkeit zu ermöglichen und damit die internationale Wettbewerbsfähigkeit eines neuen Wirtschaftszweigs zu steigern. II. Vorteile für die Wirtschaft Selbstregulierung wird oft in den Kontext der indirekten Steuerung gestellt, die über Anreizwirkungen funktioniert. Daher muss auch die Wirtschaft aus der Selbstregulierung Vorteile ziehen können, die sie zur Beteiligung an der Erfüllung der öffentlichen Aufgaben motivieren kann. Verbreitet wird allerdings argumentiert, dass Selbstregulierung nicht zustande komme, weil diese für die eigenen Interessen der Beteiligten förderlich sei, sondern weil dadurch staatliche Interventionen mit strikteren Regelungen verhindert werden sollen 267. Letztlich 264

Hoffmann-Riem/Schulz/Held, Konvergenz und Regulierung, S. 49. Ukrow, Jugendschutzrecht, Rdn. 659: Vermeidung hoheitlicher Eingriffe in grundrechtssensible Bereiche. 266 Voßkuhle, in: Schuppert (Hrsg.), Jenseits von Privatisierung, S. 47 (51). 265

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erzwinge der Staat also durch die Androhung einer imperativen direkten Steuerung die Selbstregulierung. Daneben sollen sich aber tatsächlich auch Vorteile für die Wirtschaft aus der Selbstregulierung ergeben, zum Beispiel aus Imagegründen und aus mit der Selbstregulierung verbundenen Werbemöglichkeiten: Gütesiegel und Audits sollen zusätzliche Kaufanreize für den Kunden bringen, die Selbstregulierung aber auch generell den guten Ruf eines Unternehmens oder einer Branche fördern 268, nicht nur in Bezug auf Kunden, sondern auch auf sonstige Geschäftspartner (Investoren, Kreditgeber, Lieferanten, etc.). Außerdem dienen manche Selbstregulierungsmaßnahmen, vor allem wiederum Audits und Qualitätskontrollen, auch dem Erkenntnisgewinn über das eigene Unternehmen: Schwachstellen im Produktionsprozess, Ressourcenverschwendung oder Sicherheitsrisiken (die zu Haftungsrisiken führen können) können durch organisierte Selbstkontrolle oder mit Hilfe externer Sachverständiger besser aufgespürt und beseitigt werden. Mit der besseren Kontrolle über das eigene Unternehmen sollen zugleich auch Haftungs- und Strafbarkeitsrisiken ausgeschlossen oder zumindest verringert werden 269. Schließlich wird mit den neuen Steuerungsansätzen des Staates und der veränderten Aufgabenübernahme und -wahrnehmung auch die Hoffnung auf Deregulierung und Bürokratieabbau verbunden. Besonders deutlich wurde dies beim Umweltaudit, von dem sich viele Unternehmen und Wirtschaftsverbände Erleichterungen bei den hohen Anforderungen des Umweltordnungsrechts erhofften 270.

D. Risiken von Selbstregulierung und Regulierter Selbstregulierung Kritische Stimmen sehen in Selbstregulierung und Regulierter Selbstregulierung keinen adäquaten Ersatz für staatliches Handeln und führen dafür eine Reihe von Gründen auf. Diese sollen hier kurz vorgestellt werden, um im Folgenden untersuchen zu können, ob diese Nachteile in den gewählten Referenzbereichen tatsächlich auftreten beziehungsweise ob und welche Vorkehrungen getroffen wurden, um sie zu beseitigen. Vorrangiger Kritikpunkt an privater Normsetzung ist, dass diese häufig zu unzureichenden Standards führt, die unterhalb des Gewünschten und auch des Notwendigen bleiben 271, da die Interessenvertreter der Wirtschaft sich selbst kei-

267 Hoffmann-Riem, Duale Rundfunkordnung, S. 264 f.; Puppis, Künzler u. a., Selbstregulierung, S. 56. 268 Hoffmann-Riem, Duale Rundfunkordnung, S. 264 f.; Ukrow, Jugendschutzrecht, Rdn. 659. 269 Ukrow, Jugendschutzrecht, Rdn. 659. 270 Schickert, Der Umweltgutachter, S. 86 ff.; Ensthaler u. a., UAG/EMAS-VO, S. 42.

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1. Teil: Grundlagen

ne zu harten Vorgaben auferlegen. Bei den festgelegten Standards fehlt oft die Durchsetzbarkeit 272, weil die Selbstregulierungsinstrumente zu sehr auf die freiwillige Befolgung und zu wenig auf Aufsicht und Sanktion setzen. In die andere Richtung geht Kritik an der fehlenden Rechtsschutzmöglichkeit Betroffener 273 beziehungsweise an dem im Vergleich zum Verwaltungsrechtsweg verschlechterten Rechtsschutz. Für Betroffene von Nachteil kann auch eine Abschottung der Selbstregulierungseinrichtungen sein, die zur Kartellbildung führt und bestimmten Unternehmen die Teilnahme an der Selbstregulierung und damit vielleicht am Markt insgesamt verweigert 274. Schließlich seien die meisten Selbstregulierungseinrichtungen und ihre Standards und Maßnahmen nicht ausreichend demokratisch legitimiert 275 und die Verfahren insgesamt zu intransparent 276. Die Selbstregulierungsgremien wären so weniger ein Ausdruck gesellschaftlicher Freiheit als vielmehr selbst eine Gefahr für die Freiheit 277. Aus funktionaler Sicht wird geltend gemacht, dass Selbstregulierung eher zur Durchsetzung eigennütziger Interessen 278 als zur Wahrung der Gemeinwohlziele führen kann. Ihre Ziele könne Selbstregulierung aber auch verfehlen, weil es ihr an Autorität, Glaubwürdigkeit und Anerkennung fehlt, sowohl beim Verbraucher oder Kunden 279 als auch bei ausländischen Regulierungsinstanzen 280; Selbstregulierung kann aber ihre Aufgabe nicht erfüllen beziehungsweise kann staatliche Regulierung nicht ersetzen, wenn die Teilnahme mangels Attraktivität zu gering ist 281. Und schließlich werde das Ziel der Überwindung des staatlichen Wissens- und Informationsdefizits eher in sein Gegenteil verkehrt, denn bei den Aufsichtsbehörden schwinden Sachnähe und Fachwissen, der Rückzug des Staates aus der Regulierung führt zu mehr Distanz und damit zu noch weniger Erfahrung und Information 282. Regulierte Selbstregulierung führe nämlich keineswegs dazu, dass 271

Schmidt-Preuß, VVDStRL 56 (1997), 160 (219); Bachmann, Private Ordnung, S. 54. Schmidt-Preuß, VVDStRL 56 (1997), 160 (219); Bachmann, Private Ordnung, S. 54. 273 Puppis, Künzler u. a., Selbstregulierung, S. 59 f.; Bachmann, Private Ordnung, S. 54. 274 Puppis, Künzler u. a., Selbstregulierung, S. 59 f.; Bachmann, Private Ordnung, S. 54. 275 Puppis, Künzler u. a., Selbstregulierung, S. 59 f. 276 Schwetzler, Presseselbstkontrolle, S. 150. 277 Schwetzler, Presseselbstkontrolle, S. 150. 278 Puppis, Künzler u. a., Selbstregulierung, S. 59 f.; Talidou, Regulierte Selbstregulierung im Datenschutz, S. 127. 279 Puppis, Künzler u. a., Selbstregulierung, S. 59 f.; Bangert, Durchsetzungssysteme, S. 58 f. 280 Bangert, Durchsetzungssysteme, S. 58 f. 281 Puppis, Künzler u. a., Selbstregulierung, S. 59 f. 282 Gusy, in: Schuppert (Hrsg.), Jenseits von Privatisierung, S. 115 (128); Puppis, Künzler u. a., Selbstregulierung, S. 59 f.; Schwetzler, Presseselbstkontrolle, S. 150. 272

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der Staat weniger Wissen oder Information brauche; vielmehr ändere sich nur der Charakter des Wissens, weg vom sachbereichsbezogenen Interventionswissen hin zum instrumentenbezogenen Steuerungswissen 283.

E. Auswahl der Referenzbereiche Die Konzentration der Arbeit auf die vier oben genannten Referenzbereiche ist begründungsbedürftig, denn neben diesen vier Gebieten werden (zutreffenderoder unzutreffenderweise) noch zahlreiche weitere Beispiele für Regulierte Selbstregulierung genannt. I. Weitere Anwendungsfelder Regulierter Selbstregulierung Ausgehend von den oben dargestellten, zum Teil sehr weiten Definitionen von Selbstregulierung und Regulierter Selbstregulierung, kann es nicht verwundern, dass viele Verfahren darunter subsumiert werden, auch aus solchen Bereichen, bei denen ein Rekurs auf Regulierte Selbstregulierung eher für Verwirrung und Unklarheiten als für den Gewinn neuer Erkenntnisse sorgen dürfte. So wird zum Beispiel sogar im klassischen Gefahrenabwehrrecht das Versammlungsrecht als Ausdruck Regulierter Selbstregulierung gedeutet 284. Die Versammlung sei Selbstregulierung, das Versammlungsrecht und das Verwaltungshandeln der Versammlungsbehörden Regulierung und das vom BVerfG konstruierte Kooperationsgebot zwischen Veranstalter und Polizei die Verbindung zwischen beidem und damit die Regulierte Selbstregulierung. Eine größere Versammlung bedarf sicher einer gewissen Selbstorganisation und diese wird durch das VersG „reguliert“ (Versammlungsleiter, Ordner). Jedoch darf nicht jeder halbwegs organisierte Freiheitsgebrauch bereits als Selbstregulierung bezeichnet werden und nicht alles öffentlichrechtliche Handeln, das Freiheitsgebrauch regelt, als Regulierte Selbstregulierung. Aus demselben Ansatz heraus wird auch das Kartellrecht als Regulierte Selbstregulierung bezeichnet 285, weil es u. a. auch die Selbstorganisation von Marktteilnehmern, etwa durch private Regelsetzung, begrenzt und kontrolliert. Die Bestimmungen der ZPO für das Schiedsverfahrensrecht, über die Vollstreckbarkeit des Anwaltsvergleichs oder die Einrichtung von Gütestellen und -verfahren werden als Beispiele für Regulierte Selbstregulierung genannt 286, weil sie jeweils 283

Eifert, Beiheft 4 DV 2001, 137 (140). Schuler-Harms, Beiheft 4 DV 2001, 159 ff. 285 Bachmann, Private Ordnung, S. 155, 157: „Kartellrecht als Muster dessen, was heute als regulierte Selbstregulierung begriffen wird“. 286 Hoffmann-Riem, in: Schuppert (Hrsg.), Jenseits von Privatisierung, S. 159 (173 f.). 284

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1. Teil: Grundlagen

einen gesetzlichen Rahmen für private Verhandlungen geben. Warum dann allerdings nicht die gesamte ZPO oder die zwingenden Vorschriften des BGB (AGBRecht, Verbraucherschutzrecht, Mietrecht) als gesetzliche Umhegung von Freiheitsgebrauch und damit als Regulierte Selbstregulierung angesehen werden, ist unter dieser Prämisse nicht ganz verständlich 287. Als zentrales Anwendungsfeld für Selbstregulierung und Regulierte Selbstregulierung wird häufig das Telekommunikationsrecht bezeichnet 288. Das staatliche Telekommunikationsrecht sei Ausdruck der Rechtsetzungsverantwortung des Staates, der damit nur einen Rahmen für die Selbstregulierung ermöglicht 289. Die Selbstregulierung erschöpft sich dabei aber in den Verträgen zwischen den verschiedenen Anbietern, das heißt in der Praxis zwischen der Deutschen Telekom AG und einem Wettbewerber ohne eigenes Netz. Die DTAG und die anderen TKAnbieter regulieren oder organisieren sich allerdings nicht selbst. Sie agieren als Marktteilnehmer nach den Gesetzen von Angebot und Nachfrage als Konkurrenten und müssen mittels staatlicher Regulierung zur Einhaltung gewisser staatlich gesetzter Regeln angehalten werden 290. Dass in Deutschland eine flächendeckende und angemessene Versorgung der Bevölkerung mit KFZ existiert, ist allein eine Folge des Marktes; wenn dabei zum Beispiel Porsche, VW und Audi kooperieren oder bestimmte Zulieferer zentrale Bauteile für mehrere Marken liefern, hat das nichts mit Selbstregulierung zu tun.

Das TK-Recht ist (sektorspezifisches) Wettbewerbsrecht, das einen vorher nicht existenten Markt erst schafft und am Leben erhält; Hauptaufgabe ist die Regulierung der DTAG, das heißt der Schutz der Wettbewerber gegen deren Marktmacht. Insofern ist das TK-Recht genauso sehr oder genauso wenig Regulierte Selbstregulierung wie das GWB oder das UWG 291. Neben diesen Beispielen, bei denen die Verwendung des Begriffs Regulierte Selbstregulierung eher unpassend ist, gibt es aber Bereiche, in denen die Bezeichnung als Regulierte Selbstregulierung weiterführend ist.

287 In diese Richtung Faber, Selbstregulierungssysteme, S. 9: Jeder Vertragsschluss ist Selbstregulierung und das zwingende Privatrecht sind dessen Grenzen. 288 Schulz, Beiheft 4 DV 2001, 101 ff.; Schmidt-Aßmann, Beiheft 4 DV 2001, 258; Hoffmann-Riem, in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem, Strukturen d. Europ. Verwaltungsrechts, S. 191 (196 f., 211); allg. Schmidt-Preuß, VVDStRL 56 (1997), 160 (223 f.): Überführung von Monopolen in die Marktwirtschaft als Bereich gesteuerter Selbstregulierung. 289 Hoffmann-Riem, in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem, Strukturen d. Europ. Verwaltungsrechts, S. 191 (196 f., 211). 290 Kühling, Sektorspezifische Regulierung, S. 30. 291 Gegen die Verwendung des Begriffs „Regulierte Selbstregulierung“ im TK-Recht Kühling, Sektorspezifische Regulierung, S. 30.

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Im Tarifvertragsrecht, wo privat ausgehandelte Normen durch einen staatlichen Rechtsakt für allgemeinverbindlich erklärt werden, oder im Bauplanungsrecht, wo § 12 BauGB Regelungen für die Erstellung eines Vorhabens- und Erschließungsplans durch Private trifft, wird private „Normsetzung“ im weitesten Sinne öffentlichrechtlich anerkannt, diese beiden Topoi werden daher als gesellschaftliche Selbstregulierung mit staatlichem Rahmen bezeichnet 292. Regulierte Selbstregulierung kann nicht nur staatliche Normsetzung oder die staatliche Eingriffsverwaltung ersetzen oder unterstützen, auch die Leistungserbringung kann unter Einsatz Privater erfolgen. So zum Beispiel bei der staatlichen Kunstförderung durch private Institutionen, die die staatlichen Gelder unter Verwendung privatrechtlicher Instrumente verteilen 293. Anderes prominentes Beispiel ist im Wissenschaftsrecht die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) 294, die ebenfalls als privatrechtliche Institution unter Einbeziehung der Wissenschaft staatliche Gelder zur Förderung von im öffentlichen Interesse liegenden Forschungsvorhaben verteilt. Die DFG wird daher als „Schnittstelle“ zwischen der Selbstorganisation der Wissenschaftler und der staatlichen Regulierung der Forschung bezeichnet 295. Ähnliches gilt im Bereich der Sozial- und Jugendhilfe, wo der Gesetzgeber die freien Wohlfahrtsverbände in die Leistungserbringung eingebunden hat 296. Eine Einbeziehung privater Normen (in Form einer dynamischen Verweisung) im Sinne einer Vermutung der Einhaltung gesetzlicher Erfordernisse bei Beachtung der privaten Normen erfolgt oder erfolgte zum Beispiel im Wirtschaftsrecht, etwa bezüglich Firmenübernahmen, dem Insiderhandel oder der Corporate Governance generell 297. Aber auch der Pressekodex des Deutschen Presserats wird derart über § 20a Abs. 6 WpHG in die öffentlichrechtliche Regelung des Insiderhandels einbezogen. Auch im Bereich des Medizinrechts sind Private in die Erfüllung öffentlicher Aufgaben eingebunden. So schreiben die gesetzlichen Bestimmungen im Medizinund Forschungsbereich vor bestimmten Experimenten oder Operationen oft eine Freigabe durch eine mit Privaten besetzte Ethikkommission vor 298. Noch deutli-

292 Faber, Selbstregulierungssysteme, S. 9 f., 172; Talidou, Regulierte Selbstregulierung im Datenschutz, S. 38 ff. 293 Voßkuhle, in: Schuppert (Hrsg.), Jenseits von Privatisierung, S. 47 (73). 294 Voßkuhle, in: Schuppert (Hrsg.), Jenseits von Privatisierung, S. 47 (73). 295 Schmidt-Aßmann, Beiheft 4 DV 2001, 253 (258). 296 § 17 Abs. 3 SGB I, § 5 Abs. 5 SGB XII; dazu Di Fabio, VVDStRL 56 (1997), 235 (250 f.); Geis, Die öffentliche Förderung sozialer Selbsthilfe, S. 126 ff. 297 Schmidt-Aßmann, Beiheft 4 DV 2001, 253 (258). 298 Zu diesen Kommissionen als gesellschaftlicher Selbstregulierung Faber, Selbstregulierungssysteme, S. 28 ff.

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1. Teil: Grundlagen

cher wird die Regulierte Selbstregulierung im Transplantationsrecht 299. Nach den §§ 11, 12 TPG gründen Krankenkassen, Bundesärztekammer und Vertreter der Krankenhäuser durch Vertrag eine Koordinierungs- und eine Vermittlungsstelle zur Abwicklung der Organentnahme und -vermittlung und damit zum Vollzug des TPG. Das TPG regelt detailliert den Inhalt dieses Vertrags und die Anforderungen an die Stellen. Die so gegründeten Stellen sind privatrechtlich organisiert und agieren auf Grund von Privatrecht, wodurch sie international handlungsfähig sind, das Know-How der Fachleute besser eingebunden werden kann und vor allem verwaltungsrechtliche „Konkurrentenklagen“ nicht berücksichtigter potenzieller Organempfänger ausgeschlossen sind 300. Ebenfalls im Medizinbereich beheimatet ist die Freiwillige Selbstkontrolle für die Arzneimittelindustrie e. V., die sich vor allem der Kontrolle der Werbung und Vermarktung von Arzneimitteln widmet 301. Weite Verbreitung hat Regulierte Selbstregulierung daneben auch im Abfallrecht gefunden. Prominentestes Beispiel ist das auf Grund der VerpackungsV errichtete Duale System Deutschland 302, das als private Einrichtung staatlich anerkannt und im Vollzug des KrW-/AbfG und der VerpackungsV tätig ist. Die gesetzlich eigentlich bestehende Rücknahmepflicht des einzelnen Herstellers kann hier durch die Einschaltung einer Selbstregulierungsorganisation, die bestimmten Anforderungen entsprechen und staatlich anerkannt sein muss, ersetzt werden. Des Weiteren gibt es im Bereich der Altautoverwertung eine Selbstverpflichtung der Hersteller, die von der AltautoverwertungsVO reguliert wird 303. Schließlich kennt auch das neue Elektro- und Elektronikgerätegesetze 304 eine ähnliche Regelung wie die VerpackungsV, wonach die Hersteller die Altgeräteentsorgung selbst organisieren können und damit einen staatlichen Vollzug ersetzen. Ein weiteres Hauptanwendungsfeld von Selbstregulierung und Regulierter Selbstregulierung ist das Informationsrecht. Das Datenschutzrecht kennt ein Datenschutzaudit in § 9a BDSG 305, das dem Umweltaudit nachgebildet ist (allerdings fehlt nach wie vor das Ausführungsgesetz und somit die Anwendbarkeit in der Praxis). Auch die Verknüpfung des BSDG mit dem Pressekodex im Rahmen des Redaktionsdatenschutzes ist eine Form der Regulierten Selbstregulierung. Außerhalb des Datenschutzes enthält außerdem das Signaturgesetz Regulierte Selbstregulierung. Auch hier existieren Anerkannte Stellen in Form von Prüfund Anerkennungsstellen (§ 18 SigG), die Zertifizierungsdienste akkreditieren

299 300 301 302 303 304 305

Schmidt-Aßmann, Beiheft 4 DV 2001, 253 (258). Holznagel, DVBl 1997, 393 (396). S. epd medien 30/2006, 19 f. Schmidt-Preuß, in: Kirchhof, Gemeinwohl, S. 19 (22 f.). Dazu Faber, Selbstregulierungssysteme, S. 199 ff. ElektroG vom 16. 3. 2005, BGBl I S. 762. Dazu Talidou, Regulierte Selbstregulierung im Datenschutz, S. 171 ff.

§ 2 Konzept der Regulierten Selbstregulierung

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können 306. Die privaten Prüf- und Anerkennungsstellen müssen bestimmten Anforderungen genügen (Zuverlässigkeit, Fachkunde, Unabhängigkeit), dann können sie von der BNetzA anerkannt werden (§ 18 SigG) und mit verbindlicher Wirkung die Erfüllung der Anforderungen des SigG durch private Zertifizierungsdienste attestieren. Daneben gibt es zahlreiche Selbstkontrollen im Unterhaltungs- und Medienbereich, zum Beispiel die Unterhaltungssoftware-Kontrolle USK, die Automatenselbstkontrolle ASK, die Selbstkontrolle der Meinungsforschungsinstitute, der Direktmarketingverbände, der Telefonmehrwertdienste. Die Selbstkontrolle Film (FSK) und die USK sind in den Vollzug des JuSchG eingebunden 307. Der Deutsche Werberat erlässt Verhaltensregeln in Bezug auf Werbung für Alkohol, die von den Landesmedienanstalten bei der Beurteilung angewendet werden 308. Diese Auswahl ist nicht erschöpfend und soll nur einen Eindruck von der Fülle und Vielgestaltigkeit möglicher Formen Regulierter Selbstregulierung bieten. II. Kriterien für die Auswahl der herangezogenen Referenzgebiete Für die vorliegende Arbeit werden Referenzbereiche ausgewählt, bei denen Regulierte Selbstregulierung auf der Ebene der Gesetzesdurchsetzung eingesetzt wird, und zwar im Vollzug von Eingriffs-, nicht von Leistungsgesetzen. Zur privaten Normsetzung vor allem im Umwelt- und Technikbereich, aber auch im Wirtschaftsrecht gibt es bereits umfangreiche Untersuchungen 309. Ein Eingehen auf die dort zahlreich vorhandenen Probleme würde den Rahmen dieser Arbeit bei weitem sprengen. Des Weiteren werden keine Gebiete ausgewählt, bei denen die „Selbstregulierung“ nur über den Markt funktioniert. Von Interesse sind daher von vornherein nur Gebiete, in denen der (europäische oder deutsche) Gesetzgeber gezielt auf Private zur Durchsetzung seiner eigenen öffentlichrechtlichen Gesetze gesetzt hat. Gleichzeitig sollten die Gebiete nicht alle demselben Realbereich entstammen oder verwandte Rechtsgebiete betreffen, um Spezialprobleme und -lösungen bestimmter Bereiche besser ausscheiden und verallgemeinerungsfähige Strukturen erkennen zu können.

306 Zur Zertifizierung nach dem SiG Voßkuhle, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann, Verwaltungsverfahren und VwVfG, S. 277 (314 ff.). 307 Kurze Zusammenfassung in Hans-Bredow-Institut, Study on Co-Regulation, Final Report S. 53 ff. 308 Dazu Hans-Bredow-Institut, Study on Co-Regulation, Final Report S. 56 ff. 309 Z. B. Augsberg, Rechtsetzung zwischen Staat und Gesellschaft; Bachmann, Private Ordnung.

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1. Teil: Grundlagen

Regulierte Selbstregulierung im Produktsicherheits- und Umweltrecht entstammt der europäischen Ebene, wohingegen sie im Jugendmedienschutz und im Bilanzkontrollrecht allein auf deutschen Rechtsgrundlagen beruht; das Bilanzkontrollrecht ist dabei eine Bundesregelung, während der Jugendmedienschutz auf Landesrecht beruht. Jugendmedienschutz und Bilanzkontrolle kennen nur eine einzige zentrale Anerkannte Stelle, während Produktsicherheitsrecht und Umweltaudit von der Konkurrenz einer Vielzahl kommerzieller Anerkannter Stellen ausgehen. Jugendmedienschutz und Produktsicherheitsrecht dienen der Umsetzung grundrechtlicher Schutzpflichten, die Rechnungslegungsprüfung ist verfassungsrechtlich nicht vorgeschrieben, sondern „nur“ politisch motiviert. Jugendmedienschutz und Produktsicherheit dienen dem Schutz von Individualrechtsgütern, Umweltaudit und Bilanzkontrolle dem von Kollektivrechtsgütern. Das Produktsicherheitsrecht und das Umweltaudit dienen der Umsetzung von klassischem öffentlichem (Gefahrenabwehr-)Recht, während die Rechnungslegungsprüfung zum Wirtschaftsrecht und damit im weiteren Sinne zum Zivilrecht (HGB) 310 gehört. Verschiedene Gesetzgeber haben also in verschiedenen Rechtsgebieten und bei unterschiedlichen Voraussetzungen im Realbereich zu einem – zumindest dem Namen nach – ähnlichen Steuerungsansatz gegriffen. Der Verlauf der Arbeit soll zeigen, ob sich die Mechanismen der Gesetzesdurchsetzung gleichen und daher ein allgemeines „Substrat“ der Regulierten Selbstregulierung aus ihren verschiedenen Einsatzgebieten gewonnen werden kann.

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Auch wenn die Bilanzierungsvorschriften des HGB selbst Öffentliches Recht sind.

2. Teil

Referenzbereiche § 3 Jugend- und Menschenwürdeschutz im Medienrecht Der Schutz der Jugend und der Menschenwürde in den Medien, vor allem in Rundfunk und Internet, ist – neuerdings verstärkt – ein Einsatzfeld der Regulierten Selbstregulierung.

A. Überblick und Anwendungsbereich Der Erlass des Jugendmedienschutzstaatsvertrags (JMStV) 1 ist Ausdruck des Bemühens der Bundesländer, in allen Online-Medien (vor allem Rundfunk und Internet) ein einheitliches und hohes Niveau des Schutzes der Jugend und der Menschenwürde zu erreichen. Die bisherige dienstespezifische 2 Regulierung im Rundfunkstaatsvertrag (RStV) 3 für das Fernsehen, dem Mediendienstestaatsvertrag (MDStV) 4 für Mediendienste und dem Gesetz über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften und Medieninhalte (GjSM) 5 für (unter anderem) Teledienste, wird durch den JMStV zu einer bereichsspezifischen Regulierung 6 vereinheitlicht. Neben der präziseren und jetzt für alle Online-Medien einheitlich geltenden gesetzlichen Festlegung unzulässiger Inhalte und der Schaffung einer einheitlichen hoheitlichen Aufsicht in Form der Kommission für Jugendmedienschutz (KJM) (§ 16 JMStV) als gemeinsamer Stelle der Landesmedienanstalten soll vor allem

1

Vom 10. 09. 2002; zuletzt geändert durch Art. 3 des 9. RÄStV vom 31. 07. 2006; veröffentlicht z. B. in GBl BW S. 93 am 23. 07. 2003, BayGVBl S. 147 am 28. 02. 2003. 2 Oder medienspezifische Regulierung, Hoffmann-Riem/Schulz/Held, Konvergenz und Regulierung, S. 44. 3 Rundfunkstaatsvertrag vom 31. 08. 1991, GBl BW S. 747, zuletzt geändert durch den 9. RÄStV vom 1. 3. 2007, GBl BW S. 111. 4 MDStV vom 27. 07. 2001, veröffentlicht z. B. in BayGVBl S. 540; der MDStV wurde zum 01. 03. 2007 durch das Telemediengesetz (TMG) des Bundes abgelöst. 5 GjSM vom 12. 07. 1985, BGBl I S. 1502. 6 Blaue, ZUM 2005, 30 (35).

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2. Teil: Referenzbereiche

die Einbindung der Freiwilligen Selbstkontrolleinrichtungen der Medienanbieter verstärkt werden (§ 20 Abs. 3, 5 JMStV), um das Verfahren zur Durchsetzung der gesetzlichen Vorgaben zu verbessern. Ein Vorgehen gegen Pornographie, extremistische Propaganda oder menschenunwürdige Darstellungen in den Medien wird durch die staatlichen Schutzpflichten für die Jugend und die Menschenwürde 7 gefordert. Allerdings begrenzen die Freiheitsrechte der Anbieter – vor allem die durch Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG garantierte Staatsferne des Rundfunks, aber auch die Meinungs- (Art. 5 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 GG) und Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 GG) 8 – und die beschränkten Ressourcen jedes Hoheitsträgers die Möglichkeiten der hoheitlichen Aufsicht. Der Gesetzgeber setzt zur Gewährleistung des Jugend- und Menschenwürdeschutzes in den Medien verstärkt auf Regulierte Selbstregulierung, um damit zugleich auf die vielen gesellschaftlichen Gruppen und Institutionen zurückgreifen zu können, in denen sich für den Jugendschutz besonders wichtige Fachkunde und Sachverstand konzentrieren. Anbieter von Rundfunk oder Telemedien können ihre Angebote einer anerkannten Einrichtung der Freiwilligen Selbstkontrolle vorlegen und von ihr auf die Vereinbarkeit mit dem JMStV prüfen lassen. Das Prüfergebnis ist für die hoheitliche Medienaufsicht grundsätzlich verbindlich (§ 20 Abs. 3, 5 JMStV), so dass Aufsichtsmaßnahmen oder Bußgelder gegen den Anbieter bei einer Freigabe durch die anerkannte Stelle ausscheiden. Nicht mehr bindend ist das Ergebnis hingegen, wenn die Selbstkontrolle den ihr eingeräumten Beurteilungsspielraum überschreitet.

B. Rechtsgrundlagen und Akteure I. Rechtsgrundlagen Zentrale Rechtsgrundlage für den Jugend- und Menschenwürdeschutz in den Medien ist der Staatsvertrag über den Schutz der Menschenwürde und den Jugendschutz im Rundfunk und den Telemedien – JMStV der Länder vom 01. 04. 2003. Daneben erfolgt der Schutz durch das neue Jugendschutzgesetz (JuSchG) 9 des

7

Sowohl aus dem Grundgesetz (Art. 2 Abs. 1 i. V. m. 1 Abs. 1 GG) als auch aus dem europäischen Sekundärrecht (Art. 3 Abs. 1 ECRL, Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 2, Art. 22 FernsehRL); dazu s. u. 4. Teil § 7. 8 Pornographie und Kunst schließen sich nicht aus, BVerfGE 83, 130 (138) – Mutzenbacher; politische Propaganda ist von der Meinungsfreiheit geschützt und ein berechtigtes Interesse an Berichterstattung kann z. B. auch an Bildern bestehen, die die Würde der Abgebildeten beeinträchtigen (bspw. Kriegsreportagen). 9 JuSchG vom 23. 07. 2002, BGBl I S. 2730, in Kraft getreten ebenfalls am 01. 04. 2003; zum neuen JuSchG Liesching, NJW 2002, 3281.

§ 3 Jugend- und Menschenwürdeschutz im Medienrecht

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Bundes und wie bisher durch die Straftatbestände der §§ 86, 86a, 130, 131 Abs. 1 Nr. 3, 184, 184a, 184b, 184c StGB. Während JMStV und JuSchG das ordnungsrechtliche Vorgehen gegen unzulässige Inhalte von Online- und Offline-Medien (zur Abgrenzung sogleich unter 1. a) ) regeln, sanktioniert das Strafrecht einige besonders schwere (und vor allem vorsätzlich begangene) Verstöße gegen das Verbot unzulässiger Inhalte. 1. Geltungs- und Anwendungsbereich des JMStV a) Betroffene Medien Der Geltungsbereich des JMStV erstreckt sich nach dessen § 2 auf Rundfunk und Telemedien. Der Rundfunkbegriff ist der des § 2 Abs. 1 RStV und umfasst sowohl den Öffentlichrechtlichen als auch den Privaten Rundfunk. Die bisherigen Regelungen zum Jugendschutz im RStV (§ 3 RStV a. F.) werden durch den JMStV ersetzt 10. Der Begriff der Telemedien ist hingegen neu und wird durch § 2 JMStV und § 1 Abs. 3 JuSchG erstmals eingeführt 11. Wie sich aus § 2 Abs. 1, 2 i. V. m. § 3 Abs. 2 Nr. 1 JMStV ergibt, sind Telemedien alle elektronischen Informationsund Kommunikationsdienste außer Rundfunk und Telekommunikationsdiensten 12. Telemedien umfassen also die früheren Mediendienste im Sinne des § 2 Abs. 2 MDStV a. F. und die früheren Teledienste nach § 2 Teledienstegesetz (TDG) a. F. 13. Da eine trennscharfe Abgrenzung zwischen Tele- und Mediendiensten bisher nicht überzeugend gelungen ist 14, wollte der Gesetzgeber mit der Zusammenfassung beider Dienste in der neuen Kategorie der Telemedien diese Rechtsunsicherheit beseitigen. Auf Grund der weiten Definition des Begriffs Telemedien gilt der JMStV somit für alle Inhaltsangebote im Internet. Die zum Teil überaus problematische Abgrenzung zwischen Rundfunk und Mediendiensten 15 und zwischen Medien10 § 4 RStV n. F. verweist bzgl. der Jugendschutzregelungen im Rundfunk auf den JMStV. 11 Inzwischen wurde der Begriff der Telemedien auch durch das Telemediengesetz (TMG) des Bundes vom 27. 02. 2007, BGBl I S. 179, und durch den 9. RÄStV (§§ 54 ff. RStV n. F.) vom 31. 07. 2006 übernommen; dazu Bender/Kahlen, MMR 2006, 590 ff. 12 Die Definition des § 1 Abs. 3 JuSchG weicht vom Wortlaut des JMStV leicht ab, meint aber nichts anderes, vgl. Bornemann, NJW 2003, 787. 13 TDG vom 22. 07. 1997, BGBl I S. 1870; ersetzt durch das TMG vom 27. 02. 2007, BGBl I S. 179. 14 Erdemir, CR 2005, 275; Borges, in: Roßnagel (Hrsg.), Neuordnung des Medienrechts, S. 53 (58); Hoffmann-Riem/Schulz/Held, Konvergenz und Regulierung, S. 56 f.; Dörr/Cole, Jugendschutz in den elektronischen Medien, S. 45. 15 Borges, in: Roßnagel (Hrsg.), Neuordnung des Medienrechts, S. 53 (60 f.); Mynarik, Jugendschutz, S. 61 ff.

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2. Teil: Referenzbereiche

diensten und Telediensten spielen für die Eröffnung des Anwendungsbereichs des JMStV daher keine Rolle mehr 16, wodurch auch der postulierten Konvergenz der Medien Rechnung getragen werden soll 17. Zum 01. 03. 2007 sind MDStV und TDG außer Kraft getreten und durch das Telemediengesetz des Bundes (TMG) vom 27. 02. 2007 (BGBl I S. 179) ersetzt worden. Auch das TMG kennt – wie schon der Name sagt – nur noch Telemedien und unterscheidet grundsätzlich nicht mehr zwischen Tele- und Mediendiensten. Das TMG trifft nun Regelungen zur Verantwortlichkeit (§§ 8–11 TDG a. F., §§ 6–9 MDStV a. F.) von Telemedienanbietern und zum Datenschutz. Durch den 9. RÄStV vom 31. 07. 2006 wurden zudem in den RStV (§ 54 ff. RStV n. F.) Vorschriften für Telemedien aufgenommen, die zum einen die Aufsicht regeln (§ 59 Abs. 3 – 5 RStV n. F. = § 22 Abs. 2–4 MDStV a. F.) und daneben besondere Anforderungen für journalistisch-redaktionell gestaltete Telemedien aufstellen. Inhaltlich haben sich jedoch nur sehr geringfügige Änderungen ergeben, die auf die Thematik der vorliegenden Untersuchung keine Auswirkungen haben.

Reine Telekommunikationsdienste im Sinne des § 3 Telekommunikationsgesetz (TKG) 18 unterfallen nicht dem JMStV, können allerdings, soweit es nur um den technischen Vorgang der Übertragung geht, mangels Inhalts auch keine „sittliche“ Jugendgefährdung verursachen 19. Ebenfalls nicht vom JMStV erfasst werden Off-line-Medien – in der Terminologie des JuSchG: Trägermedien (§ 1 Abs. 2 JuSchG). Schriften, CD-Rom, DVD, Videokassetten und Ähnliches unterfallen dem JuSchG. Der Jugendschutz wird hier durch die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM) bzw. Jugendschutz-, Polizei- und Strafverfolgungsbehörden gewährleistet. b) Betroffene Inhalte Aus der Kurzbezeichnung des Staatsvertrags als Jugendmedienschutz-Staatsvertrag ist bereits ersichtlich, dass sein Schwerpunkt auf dem Jugendschutz in den Medien liegt. Dieses – mit Verfassungsrang ausgestattete (Art. 2 Abs. 1 i. V. m. 1

16 Da allerdings im Realbereich und auch in der (grund)rechtlichen Bewertung erhebliche Unterschiede zwischen Rundfunk und Telemedien bestehen, muss im Folgenden bei der Anwendung des JMStV und seiner Bewertung weiterhin zwischen Rundfunk und Telemedien differenziert werden. 17 Zur Konvergenz der Medien ausf. Hoffmann-Riem/Schulz/Held, Konvergenz und Regulierung, S. 19 ff.; zu den technologischen Aspekten Neumann, in: Roßnagel (Hrsg.), Neuordnung des Medienrechts, S. 29 (31 f.). 18 Telekommunikationsgesetz vom 22. 06. 2004, BGBl I S. 1190. 19 Sobald Telekommunikationsanbieter eigene Content-Portale, z. B. für WAP- oder UMTS-Handys, anbieten und dort Videos oder Spiele zum Download bereithalten, sind sie Inhalteanbieter von Telemedien (oder sogar Rundfunk) und unterliegen dem JMStV, Mynarik, ZUM 2006, 183 (185 f.). Seit Juli 2006 sind daher auch vier Mobilfunkanbieter Mitglied der FSM, s. u. § 3 B. II. 2. b) bb).

§ 3 Jugend- und Menschenwürdeschutz im Medienrecht

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Abs. 1, 5 Abs. 2, 6 Abs. 2 GG) – Ziel ist jedoch nicht das einzige. Daneben bezweckt der JMStV auch – und zwar gleichermaßen für Minderjährige wie für Erwachsene – den Schutz der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) und sogar ganz allgemein den Schutz vor solchen Angeboten, die strafrechtlich geschützte Rechtsgüter verletzen (§ 1 JMStV). Eine Umsetzung dieser letzten Schutzrichtung ist allerdings nur zum Teil erfolgt. Der JMStV enthält keine Befugnis für ein Einschreiten der Aufsichtsbehörden gegen alle strafrechtlich relevanten Angebote in Rundfunk oder Telemedien, sondern beschränkt sich auf das Verbot von Angeboten, die mit Straftaten gegen den demokratischen Rechtsstaat (§§ 86, 86a StGB), gegen die öffentliche Ordnung (§§ 126, 130, 130a StGB) 20 oder gegen die sexuelle Selbstbestimmung (§§ 174 ff., 184 StGB) in Zusammenhang stehen 21 (vgl. § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 1– 4, 6, 9, 10 JMStV). Der Staatsvertrag stellt somit kein allgemeines Polizeirecht dar 22. c) Räumlicher Geltungsbereich und Durchsetzbarkeit des deutschen Jugendmedienschutzrechts Eine besondere Problematik – vor allem im Hinblick auf die Telemedien – birgt die Frage nach dem räumlichen Geltungsbereich des JMStV. Auf Grund des Territorialprinzips 23 gelten deutsche Gesetze und somit auch der JMStV grundsätzlich nur in der Bundesrepublik Deutschland. Die Dienste von Rundfunk und Telemedien sind jedoch unkörperliche Produkte, die an den Grenzen nicht halt machen. Ausländische Rundfunksender sind auch in Deutschland empfangbar, InternetAngebote aus dem Ausland können ohne weiteres hierzulande abgerufen werden. Bezüglich des räumlichen Geltungsbereichs müssen deshalb zwei Fragen unterschieden werden. Zum einen ist zu klären, welches materielle Recht für in Deutschland empfang- oder abrufbare 24 Angebote gilt (Regelungskompetenz des 20 Anwendungsfälle sind dabei nicht nur rechtsextremistische Angebote; auch religiöse Hass- und Hetzseiten, etwa Aufrufe islamistischer Hassprediger oder Terrorgruppen, sind davon erfasst. 21 So dient der JMStV z. B. nicht dem Schutz der persönlichen Ehre im Zusammenhang mit beleidigenden Angeboten (Nikles/Roll/Spürck/Umbach, Jugendschutzrecht, § 1 JMStV Rdn. 6). Auch einen Schutz des Vermögens (betrügerische Angebote, Dialerprogramme) will er nicht leisten, ebenso wenig wie eine Rechtsgrundlage zum Vorgehen gegen kriminelle Urheberrechtsverletzungen (z. B. durch File-Tauschbörsen) oder gegen Spam-Mails bieten. 22 Eine solche Ausweitung ist auch nicht nötig, weil die jeweils zuständigen Aufsichtsbehörden nach § 59 Abs. 3 RStV i. V. m. § 7 Abs. 1 TMG gegen alle Angebote, die gegen die allgemeinen Gesetze verstoßen, vorgehen können. 23 Determann, Kommunikationsfreiheit im Internet, S. 139. 24 Wenn und soweit es technisch möglich ist, ausländische Angebote nicht nach Deutschland gelangen zu lassen, z. B. wenn ausländische Fernsehsender nicht ins deutsche Kabelnetz eingespeist werden, erübrigt sich diese Problematik.

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2. Teil: Referenzbereiche

Staates 25), was sich auf die Frage reduziert, ob das Recht des „Sendestaates“ (der Staat, in dem der Anbieter seine Niederlassung hat) oder das des „Empfangsstaates“ gilt. Ist die Frage des anwendbaren Rechts geklärt, bleibt noch die Durchsetzbarkeit desselben (Ausübungskompetenz 26) zu klären. Dabei können grenzüberschreitende Angebote aus EU-Staaten vorerst außer Betracht bleiben, weil die Problematik hier durch europäisches Primär- und Sekundärrecht geregelt ist (dazu sogleich d) ). aa) Strafrechtliche Verantwortlichkeit für ausländische Telemedien Nähere Beachtung gefunden hat die Problematik in der strafrechtlichen Diskussion über die Verantwortlichkeit für ausländische Internetinhalte 27. Das Recht eines Staates gilt für alle Personen und Sachverhalte in seinem Hoheitsgebiet 28; die Erstreckung der Geltung seiner Gesetze auf Sachverhalte mit Auslandsbezug unterliegt hingegen den Grenzen des allgemeinen Völkerrechts 29. Für die Regelung von Auslandssachverhalten wird ein hinreichender innerstaatlicher Anknüpfungspunkt verlangt („genuine link“) 30. Ein solcher Anknüpfungspunkt ist beispielsweise die Staatsangehörigkeit des Täters 31 oder der spezielle Bezug einer Homepage auf ein bestimmtes Land (Sprache, Bezug zu aktuellen Geschehen in diesem Land) 32. Daneben darf ein Staat auch Sachverhalte regeln, die ihn und seine Staatsangehörigen besonders betreffen. Eine solche Betroffenheit wird unter anderem allgemein angenommen, wenn es um den Schutz der eigenen Staatsordnung geht 33.

25 Hölscheidt/Riedinger/Zitterbart, Jura 2005, 83 (87); Determann, Kommunikationsfreiheit im Internet, S. 144. 26 Determann, Kommunikationsfreiheit im Internet, S. 144. 27 Zusammenfassend Bosbach/Pfordte, Beiheft 1 K&R 2006, 1 ff. 28 S. z. B. § 3 StGB; Determann, Kommunikationsfreiheit im Internet, S. 139. Vgl. das Urteil des BVerfG zum Europäischen Haftbefehl (NJW 2005, 2289): Die Grundrechte fordern einen Inlandsbezug; eine Person muss sich nur mit der Rechtsordnung auseinandersetzen, in der wesentliche Teile des Handlungs- oder Erfolgsortes liegen; dazu Kretschmer, Jura 2005, 780 (784). 29 VG Düsseldorf, CR 2005, 885 (886); Determann, Kommunikationsfreiheit im Internet, S. 134. 30 Hölscheidt/Riedinger/Zitterbart, Jura 2005, 83 (87); Eser, in: Leipold (Hrsg.), Rechtsfragen des Internet, S. 303 (306 f.); Determann, Kommunikationsfreiheit im Internet, S. 153; s. auch das Urteil BGHSt 46, 212 zur Strafbarkeit rechtsextremistischer Aussagen eines Australiers, die auf einem australischen Server gespeichert waren. 31 § 7 Abs. 2 Nr. 1 StGB; Hölscheidt/Riedinger/Zitterbart, Jura 2005, 83 (87); Eser, in: Leipold (Hrsg.), Rechtsfragen des Internet, S. 303 (307). 32 Vgl. die Begründung des VG Köln, MMR 2005, 399 (401) und des VG Düsseldorf, CR 2005, 885 (886) für die Geltung deutschen Strafrechts für US-amerikanische Homepages.

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Eine Regelungszuständigkeit ergibt sich auch aus dem – im Grundsatz völkerrechtlich anerkannten und weltweit üblichen – Tatortprinzip. Ein Staat darf bestimmen, welche Verhaltensweisen (auf seinem Hoheitsgebiet) einen Straftatbestand darstellen und er darf die auf seinem Territorium begangenen Straftaten ahnden. Begehungsort ist dabei auch der Ort des Erfolgseintritts (§ 9 Abs. 1 StGB). Für Straftaten, die sich des Internets bedienen, wird in Deutschland allerdings das Ubiquitätsprinzip 34 statuiert, das heißt der Erfolg tritt überall dort ein, wo beispielsweise die unzulässige Meinung abrufbar ist 35. Da so gut wie alle Internetinhalte auch in Deutschland abrufbar sind, würde das deutsche Strafrecht damit für Täter auf der ganzen Welt gelten, gleichgültig, wo sie sich aufhalten und ob sie oder ihre Tat irgendeinen Bezug zu Deutschland haben 36. Um dieser überdehnten Anwendung deutschen (Straf-)Rechts entgegenzuwirken, verlangt der BGH einen legitimierenden Inlandsbezug des Internetangebots (inhaltlich ausschließlicher Bezug der Tat auf Deutschland oder der Tatbestand der verletzten Norm hat einen besonderen Bezug zu Deutschland) 37, auch wenn er dies noch nicht näher systematisiert und konkretisiert hat. Nicht nötig ist ein inländischer Anknüpfungspunkt bei Sachverhalten, die dem Weltrechtsprinzip unterliegen, deren Rechtswidrigkeit also weltweit anerkannt ist 38. Im Jugendmedienschutz betrifft dies vor allem das Verbot der Kinderpornographie (§ 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 10 JMStV; vgl. auch § 6 Nr. 6 StGB). In Bezug auf einfache Pornographie oder rechtsextremistische Propaganda besteht eine solche weltweite Einigkeit jedoch gerade nicht 39.

33 § 5 StGB; Eser, in: Leipold (Hrsg.), Rechtsfragen des Internet, S. 303 (307); Determann, Kommunikationsfreiheit im Internet, S. 156. 34 Dazu Eser, in: Leipold (Hrsg.), Rechtsfragen des Internet, S. 303 (308 f.). 35 Wobei „Erfolg“ nicht nur eine physische Veränderung der Außenwelt, sondern auch schon eine bloße abstrakte Gefährdung sein kann und die typischen Internetstraftaten im Bereich Pornographie und Propagandadelikte vorwiegend abstrakte Gefährdungsdelikte sind. 36 So Determann, Kommunikationsfreiheit im Internet, S. 166; dagegen Engel, MMR Beilage 4/2003, 1 (11). Im Gegenzug gilt jedes andere Strafrecht auch in Deutschland, d. h. deutsche Internetangebote müssten auch mit dem Strafrecht Saudi-Arabiens oder Chinas vereinbar sein; s. Eser, in: Leipold (Hrsg.), Rechtsfragen des Internet, S. 303 (321): „Globale Strafrechtskonkurrenz“. 37 So für § 130 Abs. 3, 4 StGB BGHSt 46, 212 (219, 224); dem folgend VG Köln, MMR 2005, 399 (400): Anwendbarkeit deutschen Strafrechts auf US-Homepages, weil diese einen „deutlich erkennbaren Bezug zu Deutschland“ haben. Zum Urteil des BGH auch Eser, in: Leipold (Hrsg.), Rechtsfragen des Internet, S. 303 (316 f.). 38 S. § 6 StGB; Hölscheidt/Riedinger/Zitterbart, Jura 2005, 83 (87); Eser, in: Leipold (Hrsg.), Rechtsfragen des Internet, S. 303 (307, 315 f.). 39 Vgl. Holznagel, Beiheft 4 DV 2001, 81 (93 f.) zur Erlaubtheit des Verkaufs von Hitlers „Mein Kampf“ in den USA und dem Verkaufsverbot in Deutschland und den Gründen für den Unterschied.

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2. Teil: Referenzbereiche Praktisch relevant wird die Problematik nur, wenn der „Täter“ sich auf deutsches Hoheitsgebiet begibt und dort von den Strafverfolgungsbehörden belangt wird oder wenn an den „Sitzstaat“ ein Auslieferungsersuchen gestellt wird. Solange der australische Betreiber einer Homepage in Australien bleibt und Australien ihn nicht ausliefert (weil rechtsextremistische Aussagen dort nicht strafbar sind), ist die ganze Diskussion rein theoretisch.

bb) Polizeirechtliche Verantwortlichkeit Die Bußgeldtatbestände des JMStV greifen nach den strafrechtlichen Grundsätzen also nicht für ausländische Anbieter von Telemedien, die zwar auch in Deutschland empfangbar sind und vom Inhalt her eigentlich gegen § 4 JMStV verstoßen würden, die jedoch keinen legitimierenden Inlandsbezug im Sinne der eben genannten BGH-Rechtsprechung aufweisen, also nicht in deutscher Sprache gestaltet sind oder einen Bezug auf deutsche Besonderheiten (vor allem historischer Art) nehmen. Das Hauptaugenmerk des JMStV liegt allerdings nicht auf der repressiven Ahndung von Verstößen gegen den Jugendschutz, sondern auf der gefahrenabwehrrechtlichen Perspektive 40. Da im Gefahrenabwehrrecht nicht einer einzelnen Person ein persönlicher Schuldvorwurf gemacht werden soll, sondern konkrete Bedrohungen von (inländischen) Rechtsgütern abgewendet werden sollen, kann die Anwendung deutschen Rechts hier zum Teil anderen Grundsätzen als im strafrechtlichen Bereich folgen. Zu den polizeilichen Schutzgütern zählen auch der Schutz der Jugend und der Menschenwürde (als grundrechtlich geschützte Individualrechtsgüter). Harte Pornographie, unmenschliche Gewaltdarstellungen oder rechtsextremistische Propaganda beeinträchtigen – wenn sie in Deutschland empfangbar sind – die Entwicklung hier lebender Jugendlicher und die Würde von Inländern; es ist der Bundesrepublik Deutschland (beziehungsweise den Ländern) daher nicht verwehrt, diese Beeinträchtigungen im Inland soweit wie möglich zu verhindern 41. Anders als im Strafrecht wird damit kein Unwerturteil über eine Handlung im Ausland ausgesprochen, sondern nur die Wirkungen im Inland zu beseitigen versucht. Gleichzeitig kann die Durchsetzung der polizeirechtlichen Verantwortlichkeit ohnehin nur gegenüber Personen auf deutschem Hoheitsgebiet erfolgen. 40

Zwar hat auch das Strafrecht durch seine Abschreckungswirkung grds. eine präventive Funktion, jedoch wirkt diese bei einem Ausländer, der im Ausland Internet-Angebote ohne besonderen Bezug zu Deutschland erstellt, nicht, weil dieser im Zweifelsfall von der Existenz deutscher Verbotstatbestände keine Kenntnis hat. 41 VG Düsseldorf, CR 2005, 885 (886): Wenn die ausländische Homepage im Inland zu „greifbaren ordnungsrechtlichen Gefahren“ führt, besteht im Bereich der präventiven Gefahrenabwehr ein hinreichender Inlandsbezug, der ein Einschreiten deutscher Behörden legitimiert.

§ 3 Jugend- und Menschenwürdeschutz im Medienrecht

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Im Gegensatz zum Straf- oder Ordnungswidrigkeitenrecht besteht im Gefahrenabwehrrecht nicht die Möglichkeit, ein Auslieferungsersuchen zu stellen oder den „Störer“ noch Jahre nach der Tat zu belangen, wenn er sich zufällig in Deutschland aufhält. Relevant geworden ist die Frage beim Vorgehen gegen inländische AccessProvider, um den Zugang zu ausländischen Internetangeboten zu sperren 42. Inländische Anbieter von Telemedien unterliegen den § 20 Abs. 4 JMStV, § 59 Abs. 4 RStV (= § 22 Abs. 3 MDStV a. F.) und damit der deutschen Ausübungsgewalt; völkerrechtlich sind Sperrungsverfügungen gegen deutsche Access-Provider daher kein Problem. Auf der Gesetzesebene erlaubt § 59 Abs. 4 RStV jedoch nur ein subsidiäres Vorgehen gegen den Zugangsvermittler, wenn ein Verstoß des Inhalteanbieters gegen den RStV (bzw. den JMStV) vorliegt, dieser aber nicht erreichbar ist. Wenn der JMStV jedoch nicht für ausländische Angebote gilt, liegt kein Verstoß des Verantwortlichen im Sinne des § 7 TMG gegen den JMStV vor, so dass auch ein subsidiäres Vorgehen gegen deutsche Access-Provider unzulässig wäre 43. Es ist aber nicht auf den Rechtsverstoß des ausländischen Anbieters, sondern auf die Störung durch dessen Angebot im Inland abzustellen. Wenn das Angebot inhaltlich mit den §§ 4 ff. JMStV unvereinbar ist und der Inhalteanbieter für die deutsche Hoheitsgewalt nicht erreichbar ist, muss ein subsidiäres Vorgehen gegen die Access-Provider möglich sein, unabhängig davon, ob dem ausländischen Inhalteanbieter selbst ein Rechtsverstoß zur Last gelegt werden kann. Wenn also ein US-Amerikaner in den USA (nach US-amerikanischem Recht) legalerweise eine englischsprachige pornographische Seite ins Internet stellt, verstößt er damit nicht gegen § 4 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 JMStV, weil die Bundesrepublik Deutschland nicht befugt ist, diesen Sachverhalt zu regeln. Bußgelder nach § 24 Abs. 1 Nr. 2 JMStV oder gar ein Strafverfahren nach §§ 184, 184c StGB kommen nicht in Betracht 44. Wenn aber der Inhalt des Angebots (unterstellt, es käme aus Deutschland) gegen den JMStV verstößt und es eine technische Möglichkeit gibt, den Zugang zu dieser Homepage in Deutschland zu verhindern, begegnet dies keinen völkerrechtlichen Bedenken, weil sich die Wirkungen auf Deutschland beschränken.

d) Vereinbarkeit des JMStV mit primärem und sekundärem Gemeinschaftsrecht Innerhalb der Europäischen Union könnte die Anwendung des JMStV auf Angebote aus dem EG-Ausland nicht nur mit allgemeinen völkerrechtlichen Grundsätzen, sondern auch mit der Dienstleistungsfreiheit (Art. 49 EGV) 45 in Konflikt

42 43 44

Dazu z. B. VG Arnsberg, CR 2005, 301 (303); VG Düsseldorf, CR 2005, 885 ff. A. A. VG Arnsberg, CR 2005, 201 (303). Die Straflosigkeit ist str., s. Bosbach/Pfordte, Beiheft 1 K&R 2006, 1 (4).

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2. Teil: Referenzbereiche

geraten 46. Allerdings finden sich für diese Probleme ausdrückliche Regelungen im sekundären Gemeinschaftsrecht. Sowohl nach der E-Commerce-Richtlinie (ECRL) 47 als auch nach der EG-Fernsehrichtlinie (FernsehRL) 48 gilt grundsätzlich das Herkunftslandsprinzip (Erwägungsgrund 22 der ECRL; Erwägungsgrund 10 und Art. 2a Abs. 1 FernsehRL 49). Rundfunk- und Internetangebote aus dem EG-Ausland müssen also grundsätzlich nur dem Recht des Sendestaates entsprechen und unterliegen nur der Aufsicht seiner Behörden. Jeder Mitgliedstaat muss deshalb dafür Sorge tragen, dass die in seinem Hoheitsgebiet niedergelassenen Anbieter die innerstaatlichen Vorschriften einhalten (Art. 3 Abs. 1 ECRL, Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 2 FernsehRL), wobei nach Art. 22 FernsehRL jeder Mitgliedstaat Regelungen erlassen muss, um zu verhindern, dass Anbieter, die seiner Rechtshoheit unterworfen sind, schwer jugendbeeinträchtigende Programme zeigen (was in Deutschland durch §§ 4, 5 JMStV umgesetzt wird). Maßnahmen gegen Anbieter von Diensten der Informationsgesellschaft (also Telemedien) aus anderen Mitgliedstaaten sind nach Art. 3 Abs. 2 ECRL grundsätzlich unzulässig, es sei denn, sie sind erforderlich zum Schutz der öffentlichen Ordnung (im engeren europarechtlichen Sinne), insbesondere zur Bekämpfung von Straftaten im Bereich Jugend- und Menschenwürdeschutz, aber auch bei rassistischer Propaganda (Art. 3 Abs. 4 lit. a Ziff. i ECRL). Auch gegen ausländische Fernsehsender darf der Empfangsstaat nicht vorgehen (Art. 2a Abs. 1 FernsehRL), außer bei einem „offensichtlichen, ernsten und schwerwiegenden“ Verstoß gegen Jugendschutz oder Menschenwürde (Art. 2a Abs. 2 i. V. m. Art. 22, 22a FernsehRL). Das Sekundärrecht erlaubt also Regelungen des Empfangsstaates zum Schutz Minderjähriger vor Beeinträchtigung ihrer geistigen und sittlichen Entwicklung, vor Pornographie 50 und Darstellungen grundloser Gewalttätigkeit und zur Verhinderung von Sendungen, die zu Hass auf Grund von Rasse, Geschlecht oder Nationalität aufstacheln. Der JMStV ist eine solche Regelung zum Schutz 45

Zur Einschlägigkeit des Art. 49 EGV für Rundfunk s. EuGHE 1974, 409; E 1997,

3843. 46 Z. B. bei Angeboten aus den als „liberaler“ geltenden Niederlanden oder den skandinavischen Ländern; so in Bezug auf „pornographische“ Inhalte Hartstein/Ring/Kreile/ Dörr/Stettner, JMStV, § 1 Rdn. 5. 47 Richtlinie 2000/31/EG vom 08. 06. 2000, ABlEG L 178/1. 48 Richtlinie 89/552/EWG vom 03. 10. 1989, ABlEG L 298/23, in der Fassung der Richtlinie 97/36/EG vom 30. 06. 1997, ABlEG L 202/60; zukünftig die Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste; dazu Kleist/Scheuer, MMR 2006, 206 ff.; Mückl, DVBl 2006, 1201 ff. 49 Zum rundfunkrechtlichen Herkunftslands- oder Sendestaatsprinzip Faßbender, AfP 2006, 505 ff. 50 Zum britischen Vorgehen gegen Fernsehsendungen mit Erotik und Pornographie aus dem EG-Ausland s. Faßbender, AfP 2006, 505 (510).

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der Jugend, der Menschenwürde und des friedlichen Zusammenlebens. Insoweit findet er auch auf in Deutschland empfangbare Angebote aus dem EG-Ausland grundsätzlich Anwendung (siehe auch § 3 Abs. 5 TMG). Im Einzelfall müsste allerdings die konkrete Verbotsnorm des JMStV genauer geprüft werden. § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 3, 9, 10, Abs. 2 S. 1 JMStV entsprechen den Vorgaben von ECRL und FernsehRL. Zweifelhaft ist dies bei § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 5, 8 JMStV, weil der Schutz der Menschenwürde nur von der ECRL, nicht hingegen von der FernsehRL erwähnt wird. Das Verbot der Verwendung von Symbolen verbotener Organisationen bzw. der Verherrlichung des Krieges (§ 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, 2, 7 JMStV) dürfte hingegen nicht mehr unter die Ausnahmen vom Sendestaatsprinzip zu subsumieren sein. §§ 5, 6 JMStV, die nur dem Jugendschutz dienen, sind wiederum unproblematisch, wobei die Werberegelungen in § 6 JMStV ohnehin zum Teil auf europarechtlichen Vorgaben beruhen (s. Art. 15, 16 FernsehRL).

Das Sekundärrecht regelt jedoch nicht nur, welche materiellen Anforderungen an Angebote aus dem EG-Ausland gestellt werden dürfen. Selbst wenn die Bereichsausnahme der Richtlinien für den Jugend- und Menschenwürdeschutz greift, statuiert das Gemeinschaftsrecht Vorgaben für das Verfahren der nationalen Aufsichtsinstanzen. Nach Art. 3 Abs. 4 lit. b ECRL besteht die Zuständigkeit der Aufsichtsbehörden im Empfangsstaat nur subsidiär, wenn die Aufsichtsstellen am Niederlassungsort trotz Aufforderungen nicht oder nur unzureichend gegen das Angebot vorgegangen sind. Auch dann ist als Verfahrenserfordernis weiter zu beachten, dass vor den beabsichtigten Maßnahmen der nationalen Medienaufsicht die EG-Kommission und der Mitgliedstaat, in dem der Anbieter seinen Sitz hat, informiert werden müssen. Auch im Rundfunk dürfen die Behörden des Empfangsstaates nur „vorübergehend“ einschreiten (Art. 2a Abs. 2 FernsehRL) und auch nur nach einer vorherigen Information der EG-Kommission, der Konsultation mit dem Sendestaat und dem Scheitern einer einvernehmlichen Regelung zwischen Sendeund Empfangsstaat (Art. 2a Abs. 2 lit. c, d FernsehRL) 51. Diese Verfahrensanforderungen gelten auch für die Landesmedienanstalten bzw. die KJM. Zwar sprechen die Richtlinien von Maßnahmen der Mitgliedstaaten, während Landesmedienanstalten und KJM keine staatlichen Behörden darstellen (dürfen). Doch werden die Landesmedienanstalten und die KJM durch staatliche Gesetze eingerichtet und mit hoheitlichen Befugnissen ausgestattet; für einen ausländischen Anbieter stellen sich Maßnahmen der KJM als Ausübung deutscher Hoheitsgewalt dar, mag die Entscheidung auch nicht von Staatsbediensteten, sondern von Repräsentanten gesellschaftlicher Kräfte getroffen worden sein. Bei der Anwendung des JMStV auf Angebote aus dem EG-Ausland muss die KJM bzw. die zuständige Landesmedienanstalt daher beachten, ob sich der

51

Das erinnert an das Schutzklauselverfahren im Produktsicherheitsrecht im Rahmen der „Neuen Konzeption“, s. u. § 4 A. II. 1.

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2. Teil: Referenzbereiche

JMStV an die von FernsehRL und ECRL eröffneten Spielräume hält; außerdem muss sie zuerst die Aufsichtsbehörden im zuständigen Sendestaat informieren und zum Einschreiten auffordern. Erst wenn diese untätig bleiben oder den Verstoß unzulänglich bekämpfen, ist die KJM zu eigenen Maßnahmen befugt 52. Für die anerkannten Einrichtungen der Freiwilligen Selbstkontrolle gelten diese Einschränkungen nicht. Zum einen rein praktisch nicht, weil zurzeit weder bei der FSF noch bei der FSM ausländische Anbieter Mitglied werden können, so dass das System der Regulierten Selbstregulierung nach § 20 Abs. 3, 5 JMStV für diese ohnehin nicht einschlägig ist 53. Außerdem sind die Selbstkontrollen keine hoheitlichen oder dem Staat sonst zurechenbare Stellen, so dass sie nicht Adressaten von ECRL oder FernsehRL sind. Da die Mitwirkung am System der Regulierten Selbstregulierung freiwillig ist, wird die Dienstleistungsfreiheit ausländischer Anbieter durch FSF oder FSM nicht beeinträchtigt. 2. Gesetzgebungs- und Verwaltungskompetenzen Die Gesetzgebungskompetenz der Länder für den Schutz der Jugend und der Menschenwürde in den Online-Medien ergibt sich aus Art. 70 GG. Da der Bund ausdrücklich auf eine eigene Regelung verzichtet hat (§ 1 Abs. 2, § 16 JuSchG), kommen auch keine etwaigen konkurrierenden Kompetenzen des Bundes, etwa aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 (Recht der öffentlichen Fürsorge) oder Nr. 11 (Recht der Wirtschaft) GG in Betracht. Die ausschließliche Bundeskompetenz aus Art. 73 Abs. 1 Nr. 7 GG – auf die der Bund nicht verzichten könnte – betrifft nur die technische Seite der Übertragung und nicht die Inhalte 54. Allein die Regelungen des Bundes in den § 1 Abs. 3, §§ 16, 18, 22 ff. JuSchG zu den Telemedien werfen im hier interessierenden Zusammenhang die Fragen auf, ob der Bund für den Jugendschutz überhaupt und – wenn ja – auch für Jugendschutz in den Telemedien zuständig ist. Das JuSchG wird auf Art. 74 Abs. 1 Nr. 1, 7 und 11 GG gestützt 55. Auf Grund dieser Kompetenznormen regelte früher der Bund mit dem GjSM auch den Jugendschutz bei Telediensten, nicht aber für Mediendienste. Bzgl. der Teledienste hat somit der Bund inzwischen auf seine Kompetenz „verzichtet“ (d. h. er übt sie nicht mehr aus), so dass die Länder für den Jugendschutz in den Telemedien insgesamt zuständig wurden 56. Weil aber Bund und Länder „die jahrzehntelange Erfahrung der BPjM im Umgang mit jugendgefährdenden Inhalten“ nutzen wollten 57, sollte der Bund

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S. dazu auch Spindler/Volkmann, K&R 2002, 398 (400). Dazu näher unten § 3 B. II. 2. b). BVerfGE 12, 205 (225); Herrmann/Lausen, Rundfunkrecht, § 6 Rdn. 18. Gesetzentwurf zum JuSchG, BT-Drs. 14/9013 S. 17. Amtliche Begründung zum JMStV, Abschn. A., LT BW Drs. 13/1551 S. 19. BT-Drs. 14/9013 S. 24.

§ 3 Jugend- und Menschenwürdeschutz im Medienrecht

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die Gesetzgebungskompetenz für die Regelung des Indizierungsverfahrens (§§ 16 ff. JuSchG) behalten.

Die Vollzugskompetenz für den JMStV als Landesrecht liegt bei den Ländern. Das JuSchG kennt im Bereich der Telemedien keinen Vollzug außer der Indizierung. Diese ist nach § 18 JuSchG der BPjM als bundesunmittelbarer Oberbehörde nach Art. 87 Abs. 3 GG zugewiesen. Die Landesverwaltung wird durch die Landesmedienanstalten und durch die KJM ausgeübt 58. Diese kooperiert mit der BPjM; außerdem besteht der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung von Entscheidungen (§§ 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 11, Abs. 2 S. 1 Nr. 2 JMStV, § 18 Abs. 6 JuSchG). Dabei handelt es sich um zulässige Kooperation im Bundesstaat, nicht um verbotene Mischverwaltung 59. II. Akteure Die Gewährleistung des Jugendmedienschutzes obliegt nach dem System des JMStV hoheitlichen Stellen und privaten Akteuren. 1. Hoheitliche Akteure Eine hoheitliche Aufsicht muss nach der Rechtsprechung des BVerfG zumindest im Rundfunk bestehen, um der Rundfunkordnung aus Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG gerecht zu werden 60. Aber auch im Bereich der Telemedien kann sich der Staat wegen seiner Schutzpflichten für Jugend und Menschenwürde nicht vollständig zurückziehen. Die Aufsicht im privaten Rundfunk und für Jugendschutz in Telemedien obliegt den Landesmedienanstalten und der Kommission für Jugendmedienschutz (KJM). a) Die Landesmedienanstalten Die derzeit 14 Landesmedienanstalten sind Anstalten des Öffentlichen Rechts mit dem Recht zur Selbstverwaltung 61, die nur einer begrenzten staatlichen Rechtsaufsicht unterliegen 62. Sie haben grundsätzlich zwei Organe, zum einen die Ver-

58 Auch die Mitwirkung zweier unabhängiger Vertreter von Bundesbehörden im Zwölfergremium der „Landesverwaltung“ KJM ist verfassungsrechtlich zulässig, Mynarik, Jugendschutz, S. 195 f. 59 Langenfeld, MMR 2003, 303 (307); a. A. Mynarik, Jugendschutz, S. 197 ff. 60 BVerfGE 57, 295 (326); E 73, 118 (153); Hartstein/Ring/Kreile/Dörr/Stettner, JMStV, § 20 Rdn. 5. 61 S. z. B. § 29 Abs. 1 MedienG BW; Art. 10 Abs. 1 BayMG; § 87 MedienG NW. 62 S. z. B. § 48 MedienG BW; Art. 19 BayMG.

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2. Teil: Referenzbereiche

sammlung (Medienrat), zum anderen den Vorstand (Intendant, Präsident). Die Versammlung besteht aus Repräsentanten gesellschaftlicher Gruppen und den im Landtag vertretenen Parteien, wobei die Vertreter unabhängig und nicht weisungsgebunden sein sollen. Sie werden zum Teil von den Landtagen gewählt, meist jedoch von den gesellschaftlichen Gruppen selbst bestimmt. Die Versammlung ist grundsätzlich für die Kontrolle des Programmangebots zuständig. Durch diese staatsferne gesellschaftliche Kontrolle soll ein Mindestmaß an Ausgewogenheit und Sachlichkeit garantiert werden 63. Zwar sind die Medienanstalten mit dem Recht auf Selbstverwaltung ausgestattet und – wegen Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG zwingend – staatsfern ausgerichtet und nicht mit staatlichen Beamten, sondern mit Vertretern gesellschaftlicher Gruppen besetzt 64; dennoch handelt es sich bei den öffentlichrechtlichen Anstalten um mit Hoheitsbefugnissen ausgestattete 65 Aufsichtsbehörden, die gegenüber Rundfunkund Telemedienanbietern Verwaltungsakte erlassen können. Im Verhältnis zu den privaten Anbietern unterliegen die Landesmedienanstalten daher denselben öffentlichrechtlichen Bindungen wie die sonstige staatliche Verwaltung auch, insbesondere der Grundrechtsbindung und Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG. b) Die Kommission für Jugendmedienschutz (KJM) Die Kommission für Jugendmedienschutz (KJM) soll der Überwindung der zersplitterten Aufsichtsstrukturen im Jugendmedienschutz dienen 66. Die KJM hat keine eigenständige Rechtspersönlichkeit, sondern ist ein Organ der jeweils zuständigen Landesmedienanstalt 67 (§ 14 Abs. 2 S. 2 JMStV). Trotzdem tritt die KJM selbst nach außen gegenüber den Anbietern oder den Selbstkontrolleinrichtungen auf 68; ihr Handeln wird jedoch immer einer Landesmedienanstalt zugerechnet 69. Die KJM besteht aus zwölf Sachverständigen: Sechs von ihnen sind Direktoren der Landesmedienanstalten, zwei Mitglieder werden von der für den Jugendschutz

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Dörr/Cole, Jugendschutz in den elektronischen Medien, S. 75. Weswegen sie Dörr/Cole, Jugendschutz in den elektronischen Medien, S. 57, nicht als staatliche Behörden betrachten. 65 Birkert, in: ders./Reiter/Scherer, LMG BW, § 29 Rdn. 2 für die Landesanstalt für Kommunikation BW. 66 Amtl. Begründung zu § 14 JMStV, LT BW Drs. 13/1551 S. 34. 67 Ein „Wanderorgan“, nachgebildet der KEK nach § 35 Abs. 2 S. 2 RStV. 68 Kreile/Diesbach, ZUM 2002, 849 (853), wenn auch mit unzutreffender Beschränkung auf Rundfunkanbieter. 69 Was nicht immer funktioniert, wie der Fall des VG Berlin, ZUM 2006, 779 (783), zeigt: Rechtswidrige Äußerungen der KJM als solcher, die nicht anhand eines konkreten Falles geschahen, lassen sich eigentlich keiner speziellen Landesmedienanstalt zurechnen. 64

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zuständigen obersten Bundesbehörde und vier Mitglieder von den für den Jugendschutz zuständigen obersten Landesbehörden benannt (§ 14 Abs. 3 JMStV) 70,71. Fraglich ist, ob die KJM den von Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG aufgestellten Anforderungen an Aufsichtsgremien im Rundfunk, vor allem der gebotenen Staatsferne und Unabhängigkeit, entspricht 72. Die Direktoren der Landesmedienanstalten werden zwar von den pluralistisch besetzten Versammlungen der Medienanstalten gewählt 73, allerdings sind sie als Mitglieder der KJM weisungsunabhängig. Ein Einfluss der in den Landesmedienanstalten repräsentierten Gruppen auf die Arbeit der KJM ist daher kaum vorhanden, erst recht nicht auf die Vertreter der Jugendschutzbehörden. Dennoch ist die notwendige Staatsferne gegeben. Die Direktoren der Landesmedienanstalten sind zwar keine Repräsentanten gesellschaftlicher Gruppierungen, Staatsvertreter sind sie jedoch ebenfalls nicht 74. Auch die Vertreter der Jugendschutzbehörden sind weisungsunabhängig (§ 14 Abs. 6 JMStV) und da sie außerdem sowohl vom Bund als auch aus verschiedenen Ländern kommen, ist eine einheitliche Beeinflussung durch den Staat oder eine bestimmte politische Richtung eher unwahrscheinlich 75. Zudem hat die KJM nur einen sehr begrenzten Aufgabenbereich. Anders als die Landesmedienanstalten (oder die Rundfunkräte) kann sie nicht über die Ausrichtung oder die „Politik“ eines Senders mitbestimmen; stattdessen ist sie nur für den Spezialbereich Jugendschutz zuständig. In der KJM dominieren die Aspekte Fachwissen, Sachverstand, Erfahrung 76 über das Erfordernis der möglichst repräsentativen Abbildung der Gesellschaft. Außerdem hat bei Entscheidungen in der KJM die Stimme des Vorsitzenden, der immer ein Direktor einer Landesmedienanstalt sein muss (§ 14 Abs. 3 S. 7 JMStV), im Falle einer Stimmengleichheit doppel70 Die derzeitigen Vertreter (Stand: 21. 09. 2007) sind: Der Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung und die Vorsitzende der BPjM; ein Professor aus dem Fachbereich Erziehungs- und Humanwissenschaft; der Ständige Vertreter der Obersten Landesjugendbehörden bei der FSK; ein Richter am SG; der Leiter eines Landes-Jugendinformationszentrums, sowie sechs Direktoren von Landesmedienanstalten. 71 Krit. dazu Stettner, ZUM 2003, 425 (433 f.); Mynarik, Jugendschutz, S. 236: Wegen der notwendigen Staatsferne dürften die von den Jugendschutzbehörden benannten Vertreter nicht selber diesen Behörden angehören, § 14 JMStV müsse dementsprechend verfassungskonform ausgelegt werden. Die derzeitige Zusammensetzung der KJM (s. vorherige Fn.) entspricht dieser Forderung weitestgehend. 72 Dazu ausf. Mynarik, Jugendschutz, S. 233 ff. 73 Weswegen sie nach Stettner, ZUM 2003, 425 (433 f.) noch als Vertreter gesellschaftlicher Gruppen angesehen werden können. 74 Die Landesmedienanstalten sind unabhängig und unterliegen nur der Rechtsaufsicht. 75 So auch die Gesetzesbegründung zu § 14 Abs. 3 JMStV: „föderalistisch gebrochene Staatsgewalt“. Außerdem verhindert die Inkompatibilitätsregelung des § 14 Abs. 4 JMStV die Beteiligung von Mitgliedern der Verfassungsorgane, also vor allem von Regierungen und Parlamenten. 76 Wie auch bei den Selbstkontrolleinrichtungen, s. u. § 3 B. II. 2. b).

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tes Gewicht (§ 17 Abs. 1 S. 2 JMStV), so dass die „Bank“ der unabhängigen Vertreter sich gegen die „Staatsbank“ durchsetzen kann. Damit kann auch ein Übergewicht der Behördenvertreter in den Prüfausschüssen der KJM ausgeglichen werden (die mit jeweils einem Direktor einer Landesmedienanstalt, einem Vertreter einer Bundes- und einem Vertreter einer Landesbehörde besetzt sind), denn wenn die Prüfausschüsse nicht einstimmig entscheiden, muss sich das „Plenum“ der KJM mit dem Fall befassen (§ 14 Abs. 5 S. 3 JMStV). Insgesamt genügt die KJM den Anforderungen aus Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG an eine staatsferne Zusammensetzung noch 77. Die KJM agiert deshalb zwar hoheitlich und in öffentlichrechtlichen Formen, jedoch nicht als staatliche Aufsichtsstelle 78. c) Aufgaben von Landesmedienanstalten und KJM Zwar hat die KJM keine eigene Rechtspersönlichkeit und handelt nur für die jeweils zuständige Landesmedienanstalt. Trotzdem müssen die Aufgabenbereiche von Landesmedienanstalten und KJM klar getrennt werden. Aufgabe der Landesmedienanstalten ist die – auf Grund von Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG gebotene 79 – externe Kontrolle privater Rundfunkveranstalter, das heißt die Überwachung der Einhaltung des Rundfunkstaatsvertrags, der Landesmediengesetze und auch des JMStV (§ 38 Abs. 1 RStV, § 14 JMStV und die entsprechenden Vorschriften der Landesmediengesetze 80). Mit der Überwachung der Einhaltung des JMStV hat sich der Zuständigkeitsbereich der Medienanstalten erweitert, da sie seitdem nicht mehr nur die privaten Rundfunkveranstalter, sondern auch Anbieter von Telemedien überwachen (was früher den Jugendschutz- bzw. den allgemeinen Polizeibehörden oblag 81). Für die tatsächliche Kontrolle der Einhaltung der Jugendschutzvorschriften ist nach dem JMStV jedoch allein die KJM zuständig (§ 14 Abs. 2, § 16 S. 1 JMStV); die Landesmedienanstalten können den Jugendschutz nur dadurch regeln, dass sie für Rundfunkanbieter verbindliche Satzungen und Richtlinien erlassen, so zum Beispiel die Jugendschutzrichtlinie vom 08. 03. 2005 82, gestützt auf § 15 Abs. 2, § 8 77

So auch Stettner, ZUM 2003, 425 (433 f.); a. A. Rossen-Stadtfeld, AfP 2004, 1 (8). Cole, ZUM 2005, 462 (466). 79 BVerfGE 57, 295 (326); E 73, 118 (153). 80 Auf die Einhaltung des JMStV verweisen z. B. ausdrücklich Art. 11 Nr. 1 BayMG; § 34 Abs. 1 S. 2 HambMedienG; § 39 Nr. 2 NdsMedienG. 81 Sofern es sich bei den Telemedien nicht um Rundfunk i. S. d. Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG handelte, war dies verfassungsrechtlich unbedenklich; allerdings fordert zukünftig Art. 23b Abs. 1 der RL über audiovisuelle Mediendienste eine unabhängige staatsferne Aufsicht auch für Telemedien. 82 Abrufbar auf der Homepage der KJM (www.kjm-online.de) unter „Rechtsgrundlagen“. 78

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Abs. 1 und § 9 Abs. 1 JMStV, und die Jugendschutzsatzung für digital verbreitete Fernsehangebote vom 05. 01. 2004, basierend auf § 9 Abs. 2 S. 1 JMStV. Dafür ist bei den Landesmedienanstalten meist die pluralistisch besetzte Versammlung zuständig 83, wodurch sichergestellt ist, dass nur ein staatsfernes und unabhängiges Organ Einfluss auf die inhaltliche Programmgestaltung bekommt. Einzelfallentscheidungen werden nach außen ebenfalls der Landesmedienanstalt zugerechnet. Entscheidungen über Verstöße gegen den JMStV und die Reaktionen darauf trifft intern jedoch die KJM. Ihr Aufgabenbereich ist die Überwachung der Einhaltung des JMStV bei privaten Rundfunkveranstaltern und den Anbietern von Telemedien (§ 14 Abs. 2 S. 1 JMStV). Die Aufgaben und Zuständigkeiten der KJM sind – nicht abschließend – in § 16 JMStV aufgezählt 84. Wichtig sind im vorliegenden Zusammenhang vor allem die Anerkennung von Einrichtungen der Freiwilligen Selbstkontrolle nach § 19 Abs. 3 JMStV, die Beschränkungen (im Einzelfall oder durch Richtlinien) von Sendezeiten nach § 8 Abs. 1, 2 JMStV und Einzelfallentscheidungen oder Richtlinien für Sendezeitausnahmen nach § 9 Abs. 1 JMStV. Die KJM überwacht das laufende Fernsehprogramm, zum Teil im Wege einer (formalen) Vorabkontrolle, vor allem bei von der FSK (Freiwillige Selbstkontrolle Filmwirtschaft) gekennzeichneten Filmen. Andere Filme oder sonstige Sendungen werden nach der Ausstrahlung überprüft. Daneben nimmt die KJM Zuschauerbeschwerden entgegen und geht diesen nach. Die KJM steht außerdem in einem Informations- und Kooperationsverhältnis mit den Landesmedienanstalten (§ 15 JMStV), der BPjM 85 und auch den Selbstkontrolleinrichtungen 86. Schließlich ist die KJM im Rahmen der Regulierten Selbstregulierung auch die Institution, mit der der Staat seiner Gewährleistungsverantwortung gerecht wird: Wenn keine Selbstkontrolleinrichtungen gebildet würden, bestehende Einrichtungen nicht anerkannt würden oder ihre Anerkennung widerrufen würde, übernimmt die KJM allein die Aufgabe des Jugendmedienschutzes (Auffangverantwortung).

83 S. z. B. § 42 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 3, Abs. 5 MedienG BW; Art. 12 Abs. 1, Abs. 2 S. 2 Nr. 5, 8 BayMG; § 35 Abs. 2 Nr. 3 HambMedienG; § 44 Abs. 1 Nr. 4 NdsMedienG; § 57 Nr. 2 SaarlPRG; § 17 Abs. 1 Nr. 11–14 MedienG LSA. In Sachsen ist die Bewertung durch die Versammlung (§ 30 Abs. 8 SächsMedienG) allerdings nicht verbindlich, die eigentliche Entscheidung trifft der Medienrat (§ 32 Abs. 6, Abs. 7 Nr. 4 SächsMedienG), ein mit vom Landtag gewählten Fachleuten besetztes Gremium. 84 Entgegen Kreile/Diesbach, ZUM 2002, 849 (853) und Hartstein/Ring/Kreile/Dörr/ Stettner, JMStV, Überblick Rdn. 16 vermengt § 16 JMStV keineswegs Aufgaben und Befugnisse, weil er eindeutig keine Befugnisse enthält. Die von Kreile/Diesbach als Beispiel genannte Befugnis aus § 16 JMStV („Festlegung der Sendezeit nach § 8“) ergibt sich aus § 8 JMStV und nicht aus § 16 JMStV. 85 Die Vorsitzende der BPjM ist zugleich ein – vom Bund entsandtes – Mitglied der KJM. 86 So nimmt ein Sachverständiger der FSF an den Sitzungen der KJM teil, Ring, AfP 2004, 9 (10).

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Die KJM überwacht auch neben bestehenden und anerkannten Selbstkontrolleinrichtungen weiterhin die Anbieter und zusätzlich die Selbstkontrolleinrichtungen selbst. d) Die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM) Aufgabe der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM) 87 ist die Indizierung von Träger- und Telemedien und die Führung der Liste indizierter Medien nach § 18 JuSchG. Indizierungen können von der KJM angeregt werden; vor einer Aufnahme von Telemedien in die Liste nach § 18 JuSchG ist die KJM anzuhören (§ 21 Abs. 2 JuSchG) und ihre Stellungnahme maßgeblich zu berücksichtigen (§ 21 Abs. 6 JuSchG). 2. Private Akteure a) Private Anbieter von Rundfunk und Telemedien Vorrangig verantwortlich für die Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen sind die Anbieter von Rundfunk und Telemedien. Bei der Ausstrahlung von Sendungen bzw. dem Ins-Netz-Stellen von Telemedien haben die Anbieter vorher zu prüfen, ob zum Beispiel die konkrete Sendezeit oder die Zugangssicherung zum Internetangebot den Vorgaben des JMStV entspricht. Bei schwierigen Bewertungen muss notfalls die Auskunft von Juristen oder Jugendschutzfachleuten eingeholt werden. Erste Anlaufstelle ist dabei der gesetzlich vorgeschriebene betriebsinterne Jugendschutzbeauftragte (§ 7 Abs. 3 S. 1 JMStV). b) (Anerkannte) Einrichtungen der Freiwilligen Selbstkontrolle Private Anbieter von Rundfunk und Telemedien können nach § 19 Abs. 1 JMStV Selbstkontrolleinrichtungen gründen (Gründung und Teilnahme sind also nicht obligatorisch). Die öffentliche 88 Aufgabe dieser Selbstkontrolleinrichtungen ist nach § 19 Abs. 1 JMStV die Überwachung der Einhaltung der Vorschriften des JMStV und der von den Landesmedienanstalten und der KJM dazu erlassenen Richtlinien und Satzungen. Einrichtungen der Freiwilligen Selbstkontrolle müssen nicht anerkannt sein. Nach § 7 Abs. 2 JMStV ersetzt der Anschluss an eine Selbstkontrolleinrichtung (bei kleineren Anbietern von Telemedien) auch dann den Jugendschutzbeauftragten, wenn diese Selbstkontrolleinrichtung nicht nach § 19 Abs. 3 JMStV anerkannt ist. 87 88

Näher zur BPjM Mynarik, Jugendschutz, S. 117 ff. Nach Kreile/Diesbach, ZUM 2002, 849 (854) sogar eine „staatliche“ Aufgabe.

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Wollen die Anbieter jedoch in den Genuss der aufsichtsrechtlichen Privilegierung des § 20 Abs. 3, 5 JMStV kommen oder soll die Selbstkontrolleinrichtung auch über Sendezeitbeschränkungen bzw. -ausnahmen nach §§ 8, 9 JMStV entscheiden können, so muss die Selbstkontrolleinrichtung von der nach § 19 Abs. 4 JMStV zuständigen Landesmedienanstalt durch die KJM nach § 19 Abs. 3 JMStV anerkannt worden sein. aa) Freiwillige Selbstkontrolle Fernsehen – FSF Die erste anerkannte Einrichtung der Freiwilligen Selbstkontrolle im Jugendmedienschutz ist die „Freiwillige Selbstkontrolle Fernsehen e. V. (FSF)“ mit Sitz in Berlin. Seit dem 01. 08. 2003 ist die FSF von der Kommission für Jugendmedienschutz nach § 19 Abs. 3 JMStV anerkannt 89. Die FSF beschränkt sich auf die Prüfung von Angeboten im privaten (Fernseh-)Rundfunk (§ 2 Abs. 1 FSFSatzung), ist also für Telemedien, Hörrundfunk oder den öffentlichrechtlichen Rundfunk nicht zuständig. Mitglieder sind beinahe alle privaten überregionalen Fernsehsender in Deutschland 90, womit der Forderung des § 19 Abs. 3 Nr. 2 JMStV nach der Ausstattung der Selbstkontrolleinrichtung durch eine Vielzahl von Veranstaltern Genüge getan ist. Nach § 4 Abs. 2 der FSF-Satzung kann jeder deutsche Fernsehveranstalter Mitglied werden, das heißt die Gefahr einer Abschottung oder Ausgrenzung gegenüber kleineren Anbietern besteht nicht. Eine Einbindung (EG-)ausländischer Sender, die in Deutschland empfangbar sind und daher ebenfalls in Konflikt mit dem JMStV kommen können (s. o. § 2 B. I. 1. d), in die FSF und damit in das System der Regulierten Selbstregulierung ist deswegen jedoch (noch) nicht möglich. Nicht-Mitglieder, darunter wohl auch ausländische Sender, können zwar nach § 2 Abs. 5 b) FSF-Satzung ihre Sendungen ebenfalls von der FSF prüfen lassen; zum einen wird das kaum ein Anbieter tun, wenn seine Sendung nicht speziell auf Deutschland ausgerichtet ist. Zum anderen gilt die Privilegierung bei nicht vorlagefähigen Sendungen nur für Mitglieder der FSF (§ 20 Abs. 3 S. 2 JMStV). Allerdings könnte eine einfache Satzungsänderung ausländischen Sendern den Beitritt zur FSF ermöglichen. Der JMStV steht dem nicht entgegen, im Gegenteil scheint § 20 Abs. 6 S. 2 JMStV davon auszugehen, dass Maßnahmen nach § 20 Abs. 1, 3 JMStV auch gegen Anbieter ergehen können, die ihren Sitz nicht in Deutschland haben.

89 Gegründet wurde sie bereits 1994, ohne dass damals eine gesetzliche Anerkennung oder Aufgabenzuweisung bestand, mit Ausnahme von § 3 Abs. 6 RStV a. F., der eine unverbindliche „Einbeziehung“ der Gutachten von Freiwilligen Selbstkontrollen vorschrieb. 90 RTL, SuperRTL, RTL II, Pro7, Sat.1, Kabel1, VOX, n-tv, n24, DSF, Tele5, Premiere, MTV, MGM Networks Deutschland, BeateUhseTV, 13th Street, Discovery Channel, NBC Giga.

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Auch stellt sich die Frage, ob § 4 Abs. 2 FSF-Satzung mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar ist. Die Regulierte Selbstregulierung soll eine Privilegierung und Erleichterung für Rundfunksender sein; von diesem Vorteil werden ausländische Sender ausgeschlossen. Eine gesetzliche Regelung (etwa im JMStV), wonach ausländische, in Deutschland empfangbare Sender nicht in den Genuss des § 20 Abs. 3 JMStV kommen dürfen, wäre vor Art. 49 EGV nicht zu rechtfertigen. Da die FSF in Deutschland ein Quasi-Monopol für die Selbstkontrolle im Rundfunk hat, wäre sie nach den Grundsätzen des EuGH 91 ebenfalls durch das aus Art. 49 Abs. 1 EGV folgende Diskriminierungsverbot gebunden und dürfte ausländische Sender, die Mitglied werden wollen, nicht abweisen 92.

Die FSF hat eine eigene Satzung und eine Prüfordnung erlassen, sowie Richtlinien zur Anwendung der Prüfordnung und Beurteilungskriterien 93. Gremien der FSF sind die Mitgliederversammlung, das Kuratorium, die Prüfausschüsse und Berufungsausschüsse und der Vorstand (vgl. § 9 FSF-Satzung). Im Vorstand und in der Mitgliederversammlung sitzen nur Vertreter der privaten Fernsehsender. Die Prüfungs- und Berufungsausschüsse sind hingegen ausschließlich mit externen, unabhängigen Fachleuten besetzt. Dazwischen steht das Kuratorium, das sowohl mit Vertretern der Anbieter als auch mit fachkundigen Repräsentanten gesellschaftlicher Gruppen besetzt ist und von den Mitgliedern gewählt wird. Die Mitgliederversammlung ist nur für die Finanzierung des Vereins, die Wahl des Kuratoriums (wobei das Vorschlagsrecht für neue Kuratoren dem Kuratorium zusteht) und den Beschluss der (vom Kuratorium erstellten) Prüfordnung zuständig; mit der Kontrolle von Sendungen beschäftigt sie sich ebenso wenig wie der Vorstand. Das von der Mitgliederversammlung gewählte Kuratorium erstellt zwar die Prüfordnung, bestimmt die Prüfer (§ 12 Abs. 5 FSF-Satzung) und ist „Revisionsinstanz“ gegen Beschlüsse der Berufungsausschüsse (§ 25 FSF-Satzung); Vertreter der Fernsehsender können jedoch höchstens ein Drittel der 10 –18 Kuratoriumsmitglieder stellen, die restlichen Kuratoren sind Repräsentanten aus Wissenschaft, Kultur, Medienpädagogik und Institutionen des Jugendmedienschutzes 94. Ein Einfluss der Anbieter auf die Arbeit der FSF kann also nur über die Mitwirkung bei der Prüfordnung und bei der Auswahl der Prüfer erfolgen, ist jedoch schon dadurch stark begrenzt, dass der JMStV detaillierte Vorgaben für beides macht und außerdem die Sendervertreter höchstens ein Drittel der Kurato-

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Vgl. EuGHE 1995, 4921 – Bosman und E 2000, 4139 – Angonese. So auch Hans-Bredow-Institut, Study on Co-Regulation, Final Report S. 151. S. außerdem unten § 8 C. I. 93 Abrufbar auf der Homepage der FSF (www.fsf.de) unter der Rubrik „Download“. 94 Aktuell (23. 06. 2007) sind folgende Fachleute im Kuratorium vertreten: vier Jugendschutzbeauftragte der Sender, drei Medienwissenschaftler, zwei Psychologieprofessoren, der Vorsitzende der Katholischen Filmkommission, ein Oberkirchenrat, zwei Vertreter von Jugendschutzbehörden, ein Medienrechtsspezialist und ein Vertreter des Adolf-GrimmeInstituts. 92

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ren stellen. Im Rahmen der Zuständigkeit des Kuratoriums als Revisionsinstanz bei Prüfungen dürfen die Sendervertreter im Kuratorium nicht mitwirken (§ 25 Abs. 2 FSF-Prüfordnung). Die eigentlichen Prüfer sind Fachleute für Jugendschutz, die zum Teil auch für die Bundesprüfstelle oder die Freiwillige Selbstkontrolle Filmwirtschaft (FSK) 95 arbeiten 96. In § 13 FSF-Satzung und § 6 FSF-Prüfordnung ist festgelegt, dass die Prüfer die notwendige Fachkunde besitzen müssen und bei ihrer Auswahl auch gesellschaftliche Gruppen, die sich mit Jugendschutz befassen, berücksichtigt werden müssen 97; Sachverstand in Bezug auf Jugendschutz ist allein jedoch nicht ausreichend, da die FSF auch nicht-jugendschutzrelevante Aspekte beurteilen soll, vor allem im Hinblick auf § 4 Abs. 1 JMStV. Daher sieht § 15 FSF-Prüfordnung für die Beurteilung dieser (strafrechtlichen) Aspekte auch juristische Sachverständige vor 98. Zudem muss die Unabhängigkeit der Prüfer gewährleistet sein. Dies wird auch dadurch erreicht, dass die Kuratoren, die die Prüfer bestimmen, nach § 12 Abs. 2 FSF-Satzung ebenfalls unabhängig sein müssen und die Prüfer nach § 6 Abs. 2 FSF-Prüfordnung keine Angestellten von Mitgliedern der FSF, deren Anteilseignern oder Programmlieferanten sein dürfen. Der Einfluss der Sender auf die Auswahl der Prüfer vermittels des Kuratoriums ist, wie gezeigt, sehr gering; die unabhängigen Fachleute im Kuratorium, die ebenfalls unabhängige Prüfer wählen und die Überwachung der KJM tragen dafür Sorge, dass die Prüftätigkeit tatsächlich nicht ungebührend durch die Anbieter beeinflusst wird. Den Anforderungen des § 19 Abs. 3 Nr. 1 JMStV genügt die FSF damit 99. Auch Unabhängigkeit vom Staat ist gegeben: Staatliche Vertreter, beispielsweise aus Jugendschutzbehörden, bilden im Kuratorium nur eine kleine Gruppe, Parteien werden überhaupt nicht berücksichtigt. Die Vorsitzenden der Prüfausschüsse sind Angestellte der FSF, können also ebenfalls keine Staatsdiener sein, und auch wenn

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Zur Arbeit der FSK s. z. B. Faber, Selbstregulierungssysteme, S. 13 ff. Im Januar 2005 arbeiteten 98 Prüfer für die FSF, fünf davon hauptamtlich (Schulz/ Scheuer, Länderreport Deutschland für die Study on Co-Regulation, S. 7). 97 Es sollen keineswegs alle gesellschaftlich relevanten Gruppierungen berücksichtigt werden, wie etwa in den Medien- und Rundfunkräten, wo auch die Gewerkschaften, Parteien, Beamtenverbände, kommunale Verbände, IHKs, Bauernverbände etc. vertreten sind (vgl. z. B. § 41 Abs. 1 MedienG BW, Art. 12 Abs. 1 BayMG; § 14 SWR-Staatsvertrag, § 17 NDRStaatsvertrag). Wichtiger als die gesellschaftliche Kontrolle ist also die Kontrolle durch Fachleute. 98 Verstöße gegen den JMStV werden also nicht mehr von staatlich beauftragten Juristen (in Staatsanwaltschaften oder speziellen Behörden), sondern von privat beauftragten Juristen geprüft. Dies zeigt, dass es nicht nur um die Einbeziehung besonderen Sachverstandes geht, der in der staatlichen Verwaltung nicht vorhanden wäre. 99 Ladeur, ZUM 2002, 859: Die Prüfausschüsse der FSF seien „in hohem Maß vom Sachverstand der Mitglieder bestimmt“. An der Unabhängigkeit zweifelnd Storr, DÖV 2007, 133 (135 f.). 96

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Behördenvertreter in den Prüfausschüssen mitwirken, sind diese doch unabhängig und nicht weisungsgebunden. Selbstkontrolle bedeutet also keine Kontrolle durch die Anbieter; auch nicht maßgeblich für die Bestimmung der Prüfer ist eine Abbildung und Repräsentation gesellschaftlicher Gruppen, sondern die fachliche Qualifikation. Letztendlich wird mit der FSF ein Gremium unabhängiger externer Sachverständiger installiert. Es liegt auch im Interesse der Anbieter selbst, Vertreter gesellschaftlicher Gruppen mit einzubeziehen (wie dies auch schon vor Anerkennung der FSF und FSM auf freiwilliger Basis geschah), denn für das Bild in der Öffentlichkeit ist es besser, wenn die Entscheidung der Selbstkontrolleinrichtung als die eines unabhängigen, mit Vertretern von Jugendeinrichtungen oder Kirchen besetzten Gremiums erscheint als die einer Gruppe von Interessenvertretern der Medienwirtschaft.

bb) Freiwillige Selbstkontrolle Multimedia – FSM Die „Freiwillige Selbstkontrolle der Multimedia-Diensteanbieter FSM e. V.“ mit Sitz ebenfalls in Berlin wurde 1997 von Telekommunikations- und Medienunternehmen gegründet und im Oktober 2005 endgültig von der KJM als Freiwillige Selbstkontrolleinrichtung nach § 19 Abs. 3 JMStV anerkannt. Derzeit hat die FSM nur 24 ordentliche Mitglieder 100, für die sie die Rolle einer anerkannten Selbstkontrolleinrichtung im Sinne des § 20 Abs. 5 JMStV übernimmt (§ 5 FSM-Satzung). Angeschlossen sind nicht nur Inhalteanbieter (Content-Provider), sondern auch Host- und Access-Provider und seit neuestem auch Mobilfunkanbieter. Derzeit (Stand: 23. 06. 2007) sind an bedeutenden Mitgliedern nur die Deutsche Telekom mit ihrer Tochter T-Online (als Content-, Host- und Accessprovider), AOL, Yahoo und Kabel Deutschland (als Access- und Content-Provider) vertreten 101. Wichtig sind daneben auch die Online-Sparten von ProSiebenSat1 und RTL sowie das StudiVZ als Content-Provider und Betreiber von Internet-Portalen. Zwar sind mit Google und Lycos auch große Suchmaschinenbetreiber Mitglied, diese sind jedoch keine Verantwortlichen im Sinne der §§ 7 ff. TMG und können daher kaum gegen den JMStV verstoßen (weswegen es auch einen eigenen SuchmaschinenbetreiberKodex gibt, der aber öffentlichrechtlich nicht rezipiert wird). Die weiteren Mitglieder sind ein Hersteller von Jugendschutzsoftware (der mit dem JMStV auch nicht in Konflikt kommen dürfte), ein Online-TV-Recorder, ein Online-Handyshop und ein Unternehmen für Online-Werbung (das zwar § 6 JMStV beachten müsste, der jedoch gerade nicht zum Aufgabenbereich der FSM gehört). Eher zur „Zielgruppe“ gehören die restlichen

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Stand: 23. 06. 2007. Laut Neumann, in: Roßnagel (Hrsg.), Neuordnung des Medienrechts, S. 29 (33 f.) gibt es aber selbst bei den größten Internet Service Providern kaum ein Inhaltegeschäft; der JMStV wendet sich aber vorrangig an die Inhalteanbieter, die Access-Provider sind von den materiellen Standards nicht betroffen. 101

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Mitglieder, ein Betreiber eines Erotik-Portals, ein Hersteller von Erotik-Portalen und ein Online-DVD-Versand (letzterer allerdings nur in Bezug auf den Internetauftritt; der Versand als solcher unterfällt dem JuSchG). Da die FSM nur die Vereinbarkeit mit § 4 Abs. 2 JMStV prüfen darf, besteht ihre einzige Aufgabe in der Prüfung von Erotik-Angeboten und deren Abgrenzung zur einfachen Pornographie. Relevant ist die Selbstregulierung daher nur für Erotik-Anbieter, von denen (zurzeit) nur sehr wenige Mitglied der FSM sind. Seit Juli 2006 sind Vodafone, T-Mobile, E-Plus und O2 ordentliche Mitglieder der FSM, so dass die Selbstkontrolle auch für den so genannten „Mobile Content“ greift, also soweit die Mobilfunkanbieter Telemedien für das Handy anbieten, sei es in Form von Download-Möglichkeiten aus dem Internet (Videos, Spiele), Werbung oder Chatrooms.

Mitglied der FSM können allerdings nur Anbieter mit Sitz in Deutschland werden (§ 3 FSM-Satzung). Nach § 4 Nr. 1 a) FSM-Beschwerdeordnung prüft die FSM auch nur Beschwerden gegen deutsche Angebote 102. Zuständig ist die FSM für die Beurteilung von Telemedien (§ 2 Nr. 1 der FSMSatzung) 103. Neben der inhaltlichen Beurteilung von Telemedien-Angeboten auf ihre Vereinbarkeit mit dem JMStV und dem Betrieb einer Beschwerdestelle unterhält die FSM auch eine Arbeitsgruppe zu Altersverifikationssystemen und eine zu Filtertechnologien und Ratings. Entgegen mancher Konzeption in der Entstehungsgeschichte des JMStV ist die Selbstkontrolleinrichtung jedoch nicht für die Anerkennung von (technischen) Jugendschutzprogrammen zuständig. Dies obliegt allein der KJM; eine Einbindung der FSM ist im JMStV insoweit nicht vorgesehen (vgl. § 11 Abs. 2 – 4, 6 JMStV). Da es bei Angeboten im Internet keinen Ausstrahlungstermin gibt, sondern diese dauerhaft im Netz stehen, spielt eine präventive Kontrolle auf Grund einer Vorlage eine geringere Rolle als im Fernsehen. Stattdessen liegt die Hauptaufgabe bei der Bewertung von Angeboten durch die Beschwerdestelle.

102 Zur Möglichkeit und vielleicht sogar Gebotenheit der Öffnung für Anbieter aus dem EG-Ausland gilt das oben zur FSF Gesagte entsprechend. Unabhängig von der nationalen Begrenztheit der FSM haben 16 große europäische Mobilfunkanbieter eine eigene Rahmenvereinbarung zum Jugendschutz im Mobilfunk abgeschlossen (Meldung in MMR 4/2007, XV); im Rahmen dieser Vereinbarung verpflichten sich die Anbieter aber auch nur zur Kontrolle eigener Angebote. 103 Auch die sog. elektronische Presse stellt einen Telemediendienst dar (Löffler/Ricker HdbPresseR, 12. Kap. Rdn. 6a; Fechner, Medienrecht, Rdn. 634 f.; a. A. noch Bullinger, JZ 1996, 385 [388]), wie es sich inzwischen auch aus §§ 54 Abs. 2, 55 Abs. 2, 56, 57, 59 Abs. 1, 3 RStV ergibt, die Parallelregelungen zu den Landespressegesetzen enthalten; die entsprechenden Anbieter – d. h. die Zeitschriftenverlage – sind aber Mitglieder des Presserates und nicht der FSM, vgl. Schwetzler, Presseselbstkontrolle, S. 180. Nach der Begründung zu § 1 des Telemediengesetzes soll die elektronische Presse vom TMG erfasst sein, s. Weiner/Schmelz, K&R 2006, 453 (454).

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Die FSM hat sich eine Satzung gegeben und den FSM-Verhaltenskodex (einschließlich etwaiger Subkodizes, z. B. für Suchmaschinenbetreiber), die FSMBeschwerdeordnung und das Statut der FSM-Gutachterkommission erlassen. Anders als die FSF hat die FSM mit dem Verhaltenskodex nicht nur das Verfahren oder das Verhältnis zwischen Selbstkontrolle und Anbietern geregelt, sondern auch eigene inhaltliche Standards gesetzt, die zum Teil die Anforderungen des JMStV konkretisieren (was die FSF in ihren Prüfgrundsätzen auch getan hat), die darüber hinaus aber noch weitergehende Anforderungen statuieren. So muss auf den Einsatz von Dialern besonders hingewiesen werden (Ziff. 6, 7 FSM-Verhaltenskodex), an journalistisch-redaktionell gestaltete Angebote werden besondere Sorgfaltsanforderungen gestellt (Wahrheitsprüfung, Trennung von Information und Kommentar, Einhaltung anerkannter journalistischer Grundsätze; Ziff. 8 FSM-Verhaltenskodex), die Mitglieder werden zur Entwicklung von Jugendschutzsoftware verpflichtet (Ziff. 9 FSM-Verhaltenskodex). Zur Entwicklung eines solchen Verhaltenskodex zum Zwecke des Jugendschutzes und des Schutzes der Menschenwürde sollte nach Art. 16 Abs. 1 lit. e der E-Commerce-Richtlinie auch ermutigt werden. Eine öffentlichrechtliche Rezeption des Verhaltenskodex ist jedoch nicht erfolgt.

Organe der FSM sind die Mitgliederversammlung (§ 11 FSM-Satzung) und der Vorstand (§ 10 FSM-Satzung); zusätzlich bestehen eine Beschwerdestelle (§ 12 FSM-Satzung, § 1 Nr. 3 FSM-BeschwO) und die Beschwerdeausschüsse. Aufgabe der Mitgliederversammlung ist der Erlass der Satzung, des Verhaltenskodex und der Beschwerdeordnung (§ 11 Nr. 3 FSM-Satzung) und der Vorschlag der Prüfer für die Beschwerdestelle und die Beschwerdeausschüsse. Die für die Regulierte Selbstregulierung relevante Arbeit wird in den Beschwerdeausschüssen geleistet, für die insgesamt circa 30 Prüfer zur Verfügung stehen. An sie wendet sich die KJM nach § 20 Abs. 5 JMStV, bevor sie gegen ein FSM-Mitglied Aufsichtsmaßnahmen erlässt. Die Beschwerdeausschüsse bestehen nach § 12 Nr. 2 der FSM-Satzung aus qualifizierten sachkundigen Prüfern und aus Vertretern gesellschaftlicher Gruppen, die sich mit dem Jugendschutz befassen 104. Auch Mitarbeiter der FSM-Mitglieder können Prüfer in den Beschwerdeausschüssen sein, allerdings dürfen sie nicht Angebote ihres eigenen Unternehmens begutachten (§ 12 Nr. 2 FSM-Satzung). Sie sind weisungsunabhängig und nur an den JMStV und die FSM-Vorschriften gebunden (§ 12 Nr. 3 FSM-Satzung). Die Beschwerdestelle (§ 12 Nr. 3 FSM-Satzung) dient der Umsetzung des § 19 Abs. 3 Nr. 6 JMStV (§ 1 Nr. 2 FSM-BeschwO). Sie wird nicht nur auf Veranlassung der KJM im Rahmen des § 20 Abs. 5 JMStV tätig, sondern auch von sich aus; so überprüft sie stichprobenartig in bestimmten Zeitabständen die Ange-

104 Laut FSM-Homepage (www.fsm.de): „Juristen, Medienpädagogen, Kommunikationswissenschaftler und sonstige Experten aus den unterschiedlichsten gesellschaftlichen Gruppen“.

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bote der ordentlichen Mitglieder (§ 1 Nr. 2 FSM-BeschwO). Außerdem erarbeitet sie die FSM-Prüfgrundsätze. Bei der Selbstkontrolle im Telemedienbereich ist der Einfluss der Anbieter größer als im Rundfunk. Da ein neutrales, sachverständiges Gremium wie das Kuratorium der FSF bei der FSM fehlt, werden Prüfer und Verhaltenskodex allein von den Anbietern bestimmt. Lediglich dadurch, dass für die Qualifikation der Prüfer im JMStV Vorgaben gemacht werden und für die Anerkennung durch die KJM relevant sind, werden die Einwirkungsmöglichkeiten der Anbieter auf die Prüfer begrenzt. Auch der Verhaltenskodex, an dem die Angebote zu messen sind, wird allein von den Anbietern bestimmt. Dabei sind sie jedoch an den JMStV gebunden (und der aktuelle Verhaltenskodex setzt im Bereich Jugendschutz nur den JMStV eins zu eins um); die konkreten Prüfgrundsätze werden hingegen wieder von den unabhängigen Prüfern erstellt. Auch bei der FSM überwiegt somit das Element der Unabhängigkeit und des Sachverstands über die echte „Selbst“kontrolle. c) Einbindung der Konsumenten und der Öffentlichkeit Zuschauer, Konsumenten und Konkurrenten sind ebenfalls Akteure im System der Regulierten Selbstregulierung. Sowohl bei den Landesmedienanstalten 105 als auch bei den Selbstkontrolleinrichtungen (§ 12 FSM-Satzung, FSM-Beschwerdeordnung; § 2 Abs. 5 h) FSF-Satzung) bestehen Beschwerdestellen, an die diese sich wenden können. Bei der FSM setzt die (Zuschauer-)Beschwerde das eigentliche Prüfverfahren überhaupt erst in Gang. Darüber hinaus ist es eine der grundlegenden Ideen der Regulierten Selbstregulierung (zumindest solange die Teilnahme nicht obligatorisch ist), dass die Öffentlichkeit politischen und wirtschaftlichen Druck auf die Anbieter ausübt, sich den Selbstkontrolleinrichtungen anzuschließen und deren Vorgaben zu beachten.

C. Regulierte Selbstregulierung im Rundfunk Zwar ist es ein Ziel des JMStV, die Abgrenzung zwischen Rundfunk und Telemedien wenigstens für den Bereich des Jugendschutzes entbehrlich zu machen. Die rechtlichen und tatsächlichen Unterschiede zwischen den Medien sind jedoch so groß, dass eine differenzierende Betrachtung weiterhin notwendig ist 106. Im Folgenden soll daher zunächst die Regulierte Selbstregulierung im Rundfunk (und zwar ausschließlich im Fernsehrundfunk) dargestellt werden.

105 106

Z. B. § 30 Abs. 3 MedienG BW; Art. 17 BayMG. Mynarik, Jugendschutz, S. 58.

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2. Teil: Referenzbereiche

I. Recht des Jugend- und Menschenwürdeschutzes im Rundfunk Die Bestimmung des materiellen Jugendschutzrechts und damit der diesbezüglichen inhaltlichen Vorgaben für Rundfunksendungen ist in der Bundesrepublik Deutschland ausschließlich eine Angelegenheit des Bundes- bzw. der Landesgesetzgeber; private Normsetzung existiert nicht. Da zudem die Gründung einer Freiwilligen Selbstkontrolle und deren Beauftragung mit der Prüfung einzelner Sendungen durch die Rundfunkveranstalter gesetzlich nicht verpflichtend vorgeschrieben ist, muss die staatliche Rechtsordnung ein System des Jugendmedienschutzes bereithalten, das grundsätzlich auch ohne private Beteiligung funktioniert. 1. Materielles Recht zum Schutz der Jugend und der Menschenwürde Das Jugendschutzrecht im Rundfunk speist sich aus mehreren Quellen. In erster Linie entstammt es dem JMStV. Daneben sind auch die Landesmediengesetze und der Rundfunkstaatsvertrag sowie das StGB zu berücksichtigen. Schließlich können auch Richtlinien der Landesmedienanstalten und der KJM bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Sendung eine Rolle spielen 107. Die materiellen Anforderungen an Rundfunksendungen, deren Einhaltung von KJM und Selbstkontrolleinrichtungen überwacht wird, finden sich in den §§ 4– 6, 10 JMStV. § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 1–11 JMStV enthalten absolut unzulässige Angebote. Diese Angebote dürfen weder im Rundfunk noch in Telemedien verbreitet werden. Irrelevant ist auch, ob Kinder oder Jugendliche überhaupt mit den Angeboten in Kontakt kommen; § 4 Abs. 1 JMStV ist deshalb keine Bestimmung speziell zum Schutz der Jugend. Ein Großteil der Verbote entspricht Tatbeständen des StGB. Es geht um Propagandamittel und Kennzeichen verfassungsfeindlicher Organisationen, Volksverhetzung, Leugnung von NS-Verbrechen, Gewaltverherrlichung, Anleitung zu Straftaten und harte Pornographie. Dabei kommt es – anders als früher – nicht mehr darauf an, dass der komplette objektive und subjektive Tatbestand der StGB-Norm erfüllt ist. Der subjektive Tatbestand ist insofern irrelevant, als es sich bei § 4 JMStV um Gefahrenabwehrrecht handelt, bei dem generell die Erfüllung oder drohende Erfüllung des objektiven Tatbestandes ausreicht. Auch der objektive Tatbestand ist in § 4 Abs. 1 JMStV eigenständig beschrieben, so dass es auf dessen Erfüllung und nicht auf die Verwirklichung des Tatbestandes der StGBNorm ankommt. Da die (objektiven) Tatbestände in § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 –5, 10 JMStV nahezu identisch mit denen der §§ 86, 86a, 130 Abs. 2, 3, §§ 130a, 131, 184a und 184b

107

Kritisch zur Verfassungsmäßigkeit solcher Richtlinien Ullrich, ZUM 2005, 452 (455 f.).

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StGB sind, kann bei der Bestimmung der unzulässigen Angebote dennoch auf die (strafund verfassungsrechtliche) Rechtsprechung und Literatur zum StGB zurückgegriffen werden.

Ohne Entsprechung im StGB sind die Kriegsverherrlichung, die Darstellung schwerer Menschenwürdeverletzungen, die Darstellung Minderjähriger in unnatürlich geschlechtsbetonten Posen (ohne pornographisch zu sein) und die Verbreitung (nach § 18 JuSchG) indizierter Inhalte verboten. § 4 Abs. 2 S. 1 Nr. 1–3 JMStV enthalten ebenfalls grundsätzlich unzulässige Angebote, die aber in Telemedien im Rahmen geschlossener Benutzergruppen verbreitet werden dürfen (§ 4 Abs. 2 S. 2 JMStV). Darunter fallen die einfache Pornographie und offensichtlich schwer jugendgefährdende Angebote. § 5 Abs. 1 JMStV erfasst entwicklungsbeeinträchtigende Angebote, wobei die Kategorie der Entwicklungsbeeinträchtigung eine Abmilderung gegenüber der schweren Entwicklungsgefährdung im Sinne des § 4 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 JMStV darstellt. Solche Angebote dürfen verbreitet werden, wenn Kinder und Jugendliche sie nicht wahrnehmen können, was entweder durch technische Schutzvorkehrungen (§ 5 Abs. 3 Nr. 1 JMStV) oder entsprechende Sendezeiten (§ 5 Abs. 3 Nr. 2, Abs. 4 JMStV) gewährleistet werden kann 108. § 5 JMStV ist demnach eine reine Jugendschutzvorschrift; Angebote, die unter § 5 JMStV fallen, können – anders als Angebote nach § 4 JMStV – Erwachsenen ohne weiteres zugänglich gemacht werden. § 6 JMStV schließlich regelt Werbung: Zum einen darf nicht für indizierte Angebote geworben werden, zum anderen darf Werbung die geringere Erfahrung oder leichtere Beeinflussbarkeit von Minderjährigen nicht ausnutzen; Alkoholund Tabakwerbung darf sich nicht gezielt an Minderjährige richten. Des Weiteren kann nach § 8 Abs. 1, § 9 Abs. 1 JMStV die KJM Richtlinien zu Sendezeitbeschränkungen und -ausnahmen erlassen. Nach überwiegender Ansicht handelt es sich dabei um normkonkretisierende Verwaltungsvorschriften 109. Diese Richtlinien sind allerdings für die Anbieter verbindlich (§ 19 Abs. 2 JMStV), es handelt sich daher nicht nur um verwaltungsinterne Vorschriften. Richtlinien zur inhaltlichen Konkretisierung des JMStV können nur die Landesmedienanstalten, allerdings im Benehmen mit der KJM, erlassen (§ 15 Abs. 2 JMStV) 110.

108

Ausführlich zum Verhältnis von § 5 zu § 4 JMStV und zur Definition der Entwicklungsgefährdung VG München, ZUM 2005, 252 (254 ff.) und Liesching, ZUM 2005, 224 ff. 109 Schuppert, DV 5 (2001), 230; Ladeur, ZUM 2002, 859 (867); Ukrow, Jugendschutzrecht, Rdn. 653. 110 Z. B. die „Gemeinsamen Richtlinien der Landesmedienanstalten zur Gewährleistung des Schutzes der Menschenwürde und des Jugendschutzes“, in denen z. B. der neue Begriff der unnatürlich geschlechtsbetonten Körperhaltung (§ 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 9 JMStV) konkretisiert wird, vgl. epd medien 13/2005, 17 (18).

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2. Teil: Referenzbereiche

Das Verhältnis der Zuständigkeiten von Landesmedienanstalten und KJM ist im JMStV nicht ganz geklärt 111. So sind die „Gemeinsamen Richtlinien der Landesmedienanstalten zur Gewährleistung der Menschenwürde und des Jugendschutzes“ vom 08. 03. 2005 112 auf die § 8 Abs. 1, § 9 Abs. 1 und § 15 Abs. 2 JMStV gestützt, obwohl die § 8 Abs. 1, § 9 Abs. 1 JMStV nur der KJM und nicht den Landesmedienanstalten eine Richtlinienkompetenz einräumen. In den Richtlinien werden unter Ziff. 4.3.4 zum Beispiel ausdrücklich allgemeine Ausnahmen von § 5 Abs. 2 JMStV für Filme, deren Altersfreigabe mehr als 15 Jahre zurückliegt, vorgesehen. Zwar sind die Landesmedienanstalten nach § 15 Abs. 2 JMStV zum Erlass von konkretisierenden Richtlinien befugt, was auch nähere Erläuterungen zu § 5 Abs. 2 JMStV beinhalten würde. § 9 Abs. 1 JMStV ist dafür jedoch die speziellere Regelung, die nur die KJM (und die Selbstkontrolleinrichtungen) und nicht die Landesmedienanstalten ermächtigt 113. 2. Hoheitliche Durchsetzung des materiellen Jugendschutzrechts; Konsequenz von Rechtsverstößen Verstöße gegen dieses materielle Jugendschutzrecht der §§ 4 – 10 JMStV können aufsichtsrechtliche und strafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen. Den Landesmedienanstalten obliegt die Aufsicht darüber, ob Rundfunkveranstalter die für sie geltenden Rechtsvorschriften einhalten. Für die Überwachung der Einhaltung des Jugendschutzrechts ist die gemeinsame Stelle der Landesmedienanstalten, die KJM, zuständig (§ 14 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 2, § 20 Abs. 1 JMStV). Sie wird von Amts wegen tätig (§ 17 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 JMStV). a) Überwachung des Fernsehprogramms Die KJM führt zum Teil eine formale Vorabkontrolle der Fernsehprogramme durch, die sich auf Spielfilme, die bereits von der FSK bewertet wurden, beschränkt. Anhand der Programmvorschauen überprüft die KJM, ob die vorgesehene Platzierung mit der auf Grund der FSK-Bewertung nach § 5 Abs. 2 i. V. m. Abs. 4 JMStV vorgegebenen Sendezeit übereinstimmt. Ist eine frühere Sendezeit beabsichtigt, wirkt die KJM auf die Beantragung einer Ausnahmegenehmigung 111 Vgl. Kreile/Diesbach, ZUM 2002, 849 (854): „Dieses Durcheinander [bzgl. der Zuständigkeiten nach § 8, § 9, § 15 Abs. 2 JMStV] ist schwer vermittelbar“. 112 Abgedr. z. B. in epd medien 29/2005, 29. 113 Scholz/Liesching, JMStV, § 15 Rdn. 3; a. A. anscheinend Nikles/Roll/Spürck/Umbach, Jugendschutzrecht, § 15 JMStV Rdn. 3, wonach im Bereich der § 8 Abs. 1, § 9 Abs. 1 JMStV auch die KJM und die Selbstkontrolleinrichtungen Richtlinien erlassen dürfen. Laut VG Berlin, ZUM 2006, 779 (784), ist zumindest die Richtlinienkompetenz des § 8 JMStV lex specialis zu § 15 Abs. 2 JMStV und verdrängt letzteren.

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nach § 9 Abs. 1 JMStV bei ihr hin oder überprüft, ob eine solche Ausnahme durch die FSF bewilligt wurde 114. Andere Filme oder sonstige Sendungen werden nach der Ausstrahlung überprüft. Eine eigene inhaltliche Bewertung der Sendungen durch die KJM findet vor Ausstrahlung also in keinem Fall statt und wäre auch mit dem Verbot der staatlichen Vorzensur (Art. 5 Abs. 1 S. 3 GG) nicht vereinbar 115. Stattdessen wird eine laufende Programmkontrolle durchgeführt, das heißt die Sendungen werden aufgezeichnet und anschließend unter Jugendschutzgesichtspunkten bewertet 116. Auch die Rundfunkveranstalter selbst müssen ihre Sendungen aufzeichnen und aufbewahren 117; die Landesmedienanstalt kann Einsicht in die Aufzeichnungen oder deren Übersendung verlangen 118, wenn ihr mögliche Verstöße gegen den JMStV bekannt werden. Die „Gemeinsamen Richtlinien“ der Landesmedienanstalten sehen zudem in Ziff. 4.3.4 Begründungs- und Dokumentationspflichten des Fernsehsenders vor, wenn er von den in dieser Richtlinie zugelassenen Ausnahmen von § 5 Abs. 2 JMStV Gebrauch machen will 119. Außerdem nehmen KJM und die Landesmedienanstalten Zuschauerbeschwerden entgegen. Um weitere Sachverhaltsaufklärung zu ermöglichen, stehen den Landesmedienanstalten umfassende Informationsrechte, die vor allem in Vorlage- und Auskunftspflichten der Anbieter und Einsichtsrechten der Landesmedienanstalten bestehen, zu 120. Ergibt sich aus dieser Programmüberwachung ein Verdacht auf einen Verstoß gegen den JMStV, wird die Sendung der KJM zur Prüfung vorgelegt. b) Vorgehen bei Rechtsverstößen Die Bewertung eines Verstoßes gegen die Bestimmungen des JMStV obliegt der KJM. Etwaige sich daran anschließende Maßnahmen gegen den Anbieter trifft die zuständige Landesmedienanstalt, allerdings wiederum durch die KJM (§ 20 114 Selbstauskunft der KJM auf ihrer Homepage (www.kjm-online.de) unter der Rubrik „Jugendschutz im Rundfunk/Programmbeobachtung“. 115 Ullrich, ZUM 2005, 452 (454). 116 Laut Auskunft des Vorsitzenden der KJM, Wolf-Dieter Ring, in epd medien 81/2004, 11, führt die KJM diese Programmbeobachtung selbst durch, was dem § 17 Abs. 1 JMStV entspricht, wonach die KJM von Amts wegen tätig wird. 117 S. z. B. § 8 MedienG BW (die Verfassungsmäßigkeit der Vorgängervorschrift, § 38 MedienG BW a. F., ist durch BVerfGE 95, 220 bestätigt worden); § 9 HambMedienG; § 43 MedienG NW; § 17 SächsPRG. 118 Z. B. § 9 Abs. 3 HambMedienG; § 43 Abs. 3 MedienG NW. 119 Allerdings sind die Landesmedienanstalten zum Erlass dieser auf § 8 Abs. 1, § 9 Abs. 1 JMStV gestützten Richtlinien nicht zuständig (s. o. § 3 C. I. 1.). 120 § 22 RStV; aus den Landesmediengesetzen z. B. § 31 MedienG BW; Art. 29 BayMG; § 13 MedienG MV; § 65 MedienG LSA.

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2. Teil: Referenzbereiche

Abs. 1, 2 JMStV). Die Aufsichtsmaßnahmen bestimmen sich nach dem jeweiligen Landesmediengesetz. Die Landesmediengesetze sehen zumeist zuerst eine förmliche Feststellung des Verstoßes, dann eine Beanstandung mit der Aufforderung zum Abstellen bzw. Unterlassen des Verstoßes und schließlich als schärfste Mittel das Ruhen der Sendeerlaubnis und ihren Widerruf vor 121. Gegen Aufsichtsmaßnahmen der KJM kann bei den Verwaltungsgerichten Anfechtungsklage erhoben werden, wobei die Gerichte den Verstoß gegen den JMStV voll nachprüfen – der KJM steht kein Beurteilungsspielraum zu 122. Verstöße gegen das materielle Jugendschutzrecht sind außerdem in § 24 JMStV weitestgehend bußgeldbewehrt, wobei ein fahrlässiger Verstoß meist schon ausreichend ist. Die Landesmedienanstalt als nach § 36 Abs. 1 Nr. 1 OWiG, § 24 Abs. 4 S. 1 JMStV zuständige Ordnungswidrigkeitenbehörde kann durch die KJM in diesem Fall einen Bußgeldbescheid erlassen. Schließlich kann sich der Anbieter, dessen Sendung gegen die §§ 4–10 JMStV verstößt, sogar strafbar machen. Verstöße gegen § 4 Abs. 2 JMStV, die zu einer schweren Jugendgefährdung führen, sind in § 23 JMStV selbst unter Strafe gestellt. Ansonsten greifen die Normen des StGB, deren objektive Tatbestände im Katalog des § 4 Abs. 1 JMStV übernommen werden, also vor allem die §§ 184–184c StGB und die §§ 86, 86a, 130, 130a, 131 StGB. Diese Straftaten sind allerdings nur vorsätzlich begehbar. II. Öffentlichrechtliche Wirkungen von Entscheidungen der Freiwilligen Selbstkontrolle Bestehen anerkannte Einrichtungen der Freiwilligen Selbstkontrolle, so hat deren Tätigkeit (öffentlichrechtliche) Rechtswirkungen auf die hoheitliche Überwachung und Durchsetzung des Jugendschutzrechts. Insbesondere wird die hoheitliche Überwachung zum Teil zurückgenommen. Die (Einzelfall-)Entscheidungen der FSF haben im System des JMStV eine sehr viel weitergehende Wirkung als unter dem früheren § 3 Abs. 6 RStV a. F., wonach ihre Gutachten bei der Entscheidung der Landesmedienanstalt nur einzubeziehen waren. Das verlangte eine Würdigung, eine Auseinandersetzung mit den Argumenten der Selbstkontrolleinrichtung, eine bindende Wirkung kam ihnen nicht zu 123. Erklärtes Ziel der Neuregelung durch den JMStV ist die Stärkung der Regulierten Selbstregulierung,

121 Befugnisnormen z. B. § 32 MedienG BW; §§ 14 ff. BremMedienG; § 36 HambMedienG; § 11 HessMedienG; § 10 ThürMedienG (Auflistung bei Hartstein/Ring/Kreile/Dörr/ Stettner, Rundfunkrecht, Bd. II, § 38 RStV Rdn. 8). 122 VG München, ZUM 2005, 252 (253); Liesching, ZUM 2005, 224. 123 Ladeur, ZUM 2002, 859 (863 ff.); Hartstein/Ring/Kreile/Dörr/Stettner, RStV, 2. Aufl. 1995, § 3 Rdn. 58.

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wozu auch eine deutliche Aufwertung der Entscheidungen der Selbstkontrolleinrichtungen gehört 124. Im Folgenden sind daher die Wirkungen der Entscheidungen der FSF im Rahmen des JMStV zu untersuchen. Gesetzlicher Ausdruck dieser Einbindung privater Entscheidungen in ein öffentlichrechtliches Aufsichtssystem sind die § 8, § 9 Abs. 1, § 19 Abs. 3 und § 20 Abs. 3 JMStV. Entscheidungen der Anerkannten Stelle spielen also eine Rolle, wenn es um die Beurteilung der Vereinbarkeit einer konkreten Sendung mit den Vorgaben des JMStV bzw. um die Erteilung von Ausnahmen von Vorschriften des JMStV geht. 1. Freigabewirkung der FSF-Entscheidung für den Anbieter In Parallele zu Entscheidungen der FSK 125 wird zum Teil davon gesprochen, dass die FSF eine Sendung „freigibt“ 126. Eine Prüfung und Freigabe durch die Selbstkontrolleinrichtung ist allerdings nicht Voraussetzung für eine Ausstrahlung der Sendung. Eine obligatorische Vorabkontrolle von Programmen wird weder durch die FSF noch durch die KJM vorgenommen. Ein präventives Verbot mit Erlaubnisvorbehalt existiert im Rundfunkrecht nicht, so dass eine positive Entscheidung der FSF keine Freigabewirkung im Rechtssinne haben kann. Wenn im Folgenden von einer „Freigabe“ durch die Selbstkontrolle die Rede ist, soll dies als Erteilung einer „privaten“ Unbedenklichkeitsbescheinigung zu verstehen sein. Die Verweigerung der Freigabe durch die FSF führt demzufolge auch nicht zu einem (öffentlichrechtlichen) Verbot der Ausstrahlung. Die Nichtfreigabe bedeutet nur, dass nach Ansicht der FSF die Sendung mit dem JMStV nicht vereinbar ist und der Sender sie auf eigenes Risiko ausstrahlt, weil er sich Aufsichtsmaßnahmen bzw. Bußgeldern der KJM aussetzt (und möglicherweise vereinsinternen Sanktionen der FSF). 2. Wirkung der FSF-Entscheidung in Bezug auf Aufsichtsmaßnahmen der KJM Rechtswirkungen zeitigt die FSF-Prüfentscheidung im repressiven Bereich. Zentrale Norm dafür ist § 20 Abs. 3 JMStV. Dieser unterscheidet in seinen Sätzen 1 und 2 zwischen vorlagefähigen und nicht vorlagefähigen Sendungen. Nicht vorlagefähige Sendungen sind solche, die nicht vor der Ausstrahlung aufgezeichnet werden (was zum Beispiel Live-Unterhaltungsshows, Übertragung von Sporter-

124 Amtliche Begründung zum JMStV unter „A. Allgemeines“, z. B. LT BW Drs. 13/ 1551 S. 19 f. 125 Vgl. z. B. § 14 Abs. 1, 6 JuSchG. 126 Z. B. §§ 11, 12 der FSF-Prüfordnung.

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2. Teil: Referenzbereiche

eignissen, aber auch Nachrichtensendungen umfasst) und deshalb zwangsläufig vor der Ausstrahlung auch nicht von der FSF beurteilt werden können. a) Vorlagefähige Sendungen § 20 Abs. 3 S. 1 JMStV enthält eine aufsichtsrechtliche Privilegierung für vorlagefähige und auch tatsächlich vorgelegte Sendungen 127. Hat eine anerkannte Selbstkontrolleinrichtung die vorgelegte Sendung sowie ihre beabsichtigte Platzierung im Rahmen einer präventiven Kontrolle anhand der Vorgaben des JMStV geprüft und mit diesen für vereinbar erklärt und hat sich der Fernsehsender an die Vorgaben der FSF (zum Beispiel Auflagen bezüglich der Schnittfassung oder des Sendetermins) gehalten, so sind aufsichtsrechtliche Maßnahmen der KJM gegen den Fernsehsender wegen eines (angeblichen) Verstoßes der Sendung gegen den JMStV grundsätzlich unzulässig. Die KJM kann somit nicht etwa einen Verstoß förmlich feststellen, zukünftige Ausstrahlungen untersagen oder gar das Ruhen oder den Entzug der Sendeerlaubnis anordnen, wenn sie die Sendung anders beurteilt als die FSF. Ihre Grenze findet diese Sperrwirkung der Entscheidung der Anerkannten Stelle allerdings, wenn die Selbstkontrolleinrichtung ihren Beurteilungsspielraum überschreitet. So hat beispielsweise die FSF im April 2006 die umstrittene Sendung „Popetown“ von MTV für das Hauptabendprogramm (ab 20:00 Uhr) freigegeben, die KJM war jedoch der Meinung, dass eine Ausstrahlung erst ab 22:00 Uhr zulässig war. MTV war dennoch – auch nach Ansicht der KJM – die Ausstrahlung ab 20:00 Uhr erlaubt, weil die FSF bei der Beurteilung die Grenzen ihres Beurteilungsspielraums nicht überschritten hatte 128.

§ 20 Abs. 3 S. 1 JMStV kennt eine solche Sperrwirkung außerdem bei einem „Unterlassen einer Entscheidung“. Damit ist nicht gemeint, dass die Privilegierung des § 20 Abs. 3 S. 1 JMStV auch dann greift, wenn die FSF über eine vorgelegte Sendung nicht entschieden hat, sondern wenn die FSF nach der Prüfung eines Angebots zu dem Ergebnis kommt, dass es ohne weitere Auflagen in Bezug auf Schnittfassung oder Platzierung so wie vorgelegt mit dem JMStV vereinbar ist. Nicht gebunden ist hingegen der Sender 129: Hält die FSF die Ausstrahlung der Sendung zwar für grundsätzlich zulässig, verlangt sie aber eine spätere Sendezeit oder zusätzliche Schnitte, so sind diese Auflagen keine Nebenbestimmungen zu einem Verwaltungsakt, die den Sender verpflichten würden. Strahlt er die Sendung trotzdem ungeschnitten oder zum früheren Zeitpunkt aus, ist die Folge dieses Verstoßes nur, dass sich der Sender gegenüber der KJM nicht mehr auf die 127 128 129

Hartstein/Ring/Kreile/Dörr/Stettner, JMStV, § 20 Rdn. 10. S. Meldung in epd medien 37/2006, 17 f. Ullrich, ZUM 2005, 452 (456).

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Privilegierung des § 20 Abs. 3 S. 1 JMStV berufen kann 130. Die KJM muss eine eigene Prüfung und Bewertung vornehmen und darf nicht alleine den Verstoß gegen die Auflagen der Selbstkontrolleinrichtung sanktionieren. Allerdings kann sie sich inhaltlich der Beurteilung der FSF anschließen, trifft in diesem Fall jedoch trotzdem eine eigene Entscheidung. Kommt die KJM zu dem Ergebnis, dass die Sendung auf der konkreten Platzierung zulässig war, die Auflagen der FSF also nicht erforderlich waren, bleibt der Verstoß gegen die Entscheidung der FSF (öffentlichrechtlich) folgenlos. Zu beachten ist, dass keine öffentlichrechtliche Vorlagepflicht besteht (satzungsrechtlich sind die Mitglieder der FSF allerdings weitgehend zur Vorlage verpflichtet). Allein die Nichtvorlage einer vorlagefähigen Sendung darf deshalb nicht zum Anlass für Aufsichtsmaßnahmen der KJM genommen werden. Andererseits ist eine schärfere und genauere Prüfung nicht vorgelegter Sendungen keine unzulässige Bestrafung des Anbieters, sondern der im Gesetz angelegte Anreiz zur Teilnahme an der Regulierten Selbstregulierung; von der FSF beurteilte Sendungen sind immerhin bereits von einer unabhängigen Stelle geprüft worden, so dass die KJM ihre begrenzten Kontrollressourcen ermessensfehlerfrei auf noch nicht geprüfte Sendungen konzentrieren darf. b) Nicht vorlagefähige Sendungen Bei Live-Sendungen ist eine präventive Kontrolle des Inhalts nicht durchführbar 131. Eine Zurücknahme hoheitlicher repressiver Aufsichtsmaßnahmen als Ausgleich für eine freiwillige Vorabkontrolle durch eine Anerkannte Stelle ist deshalb nicht möglich. Trotzdem kommen auch nicht vorlagefähige Sendungen in den Genuss der aufsichtsrechtlichen Privilegierung nach § 20 Abs. 3 JMStV. Auch wenn sowohl eine hoheitliche Kontrolle als auch eine freiwillige Selbstkontrolle nur nach der Ausstrahlung (und damit nach dem Eintritt einer möglichen Jugendgefährdung oder Menschenwürdeverletzung) stattfinden kann, hat nach § 20 Abs. 3 S. 2 JMStV die Prüfentscheidung der FSF den Vorrang. Aufsichtsrechtliche Maßnahmen der KJM sind wiederum unzulässig, wenn die FSF die ausgestrahlte Sendung im Nachhinein billigt 132. Allerdings führt nicht nur die vollumfängliche

130

Zu den vereinsinternen Konsequenzen s. u. § 3 C. IV. 3. Wobei auch Live-Sendungen insoweit vorlagefähig sind, als eine Beurteilung des Formats i. S. d. § 8 Abs. 2 JMStV auch bei Talkshows oder Nachrichtensendungen möglich ist. Fraglich ist daher, ob die Grundsätze des § 20 Abs. 3 S. 1 JMStV nicht auch dann gelten müssen, wenn z. B. die FSF für eine Talkshow eine generelle Sendezeitbeschränkung nach § 8 Abs. 2 JMStV getroffen hat, etwa weil immer wieder für Kinder ungeeignete Beiträge gesendet wurden. 132 Die FSF kann hier keine Auflagen mehr erteilen, etwa das Herausschneiden problematischer Szenen oder eine spätere Sendezeit verlangen. Sie kann nur noch beurteilen, ob 131

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2. Teil: Referenzbereiche

Billigung der nicht vorlagefähigen Sendung zur Aufsichtsprivilegierung. Laut der Gesetzesbegründung zu § 20 Abs. 3 S. 2 JMStV soll es „staatlicher“ Maßnahmen auch dann nicht bedürfen, wenn „eine angemessene Ahndung auf Grund des eigenen Sanktionenkataloges [der Selbstkontrolle] erfolgt“. Ruft die KJM wegen eines vermeintlichen Verstoßes einer Live-Sendung gegen den JMStV die FSF an und bejaht die FSF ebenfalls einen Verstoß, ist die KJM daher auch dann wegen § 20 Abs. 3 S. 2 JMStV nicht zu Sanktionen gegen den Anbieter berechtigt, wenn die FSF eigene Sanktionen (zum Beispiel eine Vereinsstrafe, s. u. § 3 C. IV. 6. b) verhängt und sich diese Sanktionen unter Berücksichtigung des Beurteilungsspielraums der Anerkannten Stelle als angemessene Reaktion auf den Verstoß des Senders darstellen 133 (auch wenn die KJM noch weitergehende Sanktionen für angebracht hält 134). Anlass für die nachträgliche Prüfung einer Sendung durch die FSF ist nicht eine Vorlage des Senders oder ein Tätigwerden der FSF „von Amts wegen“, sondern nach dem Zweck des § 20 Abs. 3 JMStV eine Vorlage durch die KJM, wenn dieser (bei der laufenden Programmkontrolle oder durch Zuschauerbeschwerden) ein möglicher Verstoß gegen den JMStV auffällt 135. Daneben ist zu berücksichtigen, dass die FSF auch auf Grund von Zuschauerbeschwerden nachträgliche Kontrollen vornimmt. Auch das Ergebnis dieser Entscheidungen (Feststellung der Vereinbarkeit mit dem JMStV oder Verhängung einer Vereinsstrafe) muss zur Aufsichtsprivilegierung nach § 20 Abs. 3 JMStV führen. Es wäre ein reiner Formalismus, wenn die KJM das bereits vorliegende Prüfergebnis ignorieren und die FSF erneut befassen würde, die im Zweifelsfall zu demselben Ergebnis wie bei der ersten Prüfung kommen würde. Der Unterschied zur präventiven Kontrolle vorlagefähiger Sendungen liegt darin, dass bei der nachträglichen Prüfung die FSF keine (bindende) Entscheidung in Bezug auf Verstöße gegen § 4 Abs. 1 JMStV treffen kann (§ 20 Abs. 3 S. 2 JMStV); hierfür ist ausschließlich die KJM zuständig. Nimmt die KJM einen Verstoß der Sendung gegen § 4 Abs. 1 JMStV an, schaltet sie daher nicht die FSF ein, sondern geht direkt gegen den Anbieter vor (bzw. gibt die Sache an die Staatsanwaltschaft ab). die ausgestrahlte Sendung in ihrer konkreten Fassung mit dem JMStV vereinbar war oder nicht. 133 A. A. Ullrich, ZUM 2005, 452 (460). 134 Ist die FSF selbst der Meinung, dass ihre Sanktionen nicht ausreichen, muss sie den Anbieter ausschließen, um ihm die Privilegierung nach § 20 Abs. 3 S. 2 JMStV zu nehmen und Sanktionen der KJM zu ermöglichen. 135 Was eine vorherige Prüfung durch die KJM voraussetzt, denn sie muss sich zumindest einen Überblick darüber verschaffen, ob ein Verstoß überhaupt denkbar ist und wenn ja, ob der Verstoß in einer Verletzung des § 4 Abs. 1 JMStV besteht. Ist ein Verstoß offensichtlich ausgeschlossen, wird die KJM die FSF nicht mit einer Prüfung behelligen, bei Verstößen gegen § 4 Abs. 1 JMStV ist die FSF unzuständig.

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Der unterschiedliche Prüfungsumfang beruht auf den unterschiedlichen Reaktionsmöglichkeiten bei Vorabkontrollen bzw. nachträglichen Prüfungen: Bei einer Prüfung vor Ausstrahlung kann ein Verstoß gegen § 4 Abs. 1 JMStV durch die FSF verhindert werden, indem diese die Freigabe der Sendung verweigert oder Schnittauflagen macht. Bei der nachträglichen Prüfung kann hingegen nur noch der Verstoß festgestellt und sanktioniert werden. Offensichtlich ist der Gesetzgeber der Meinung, dass bei einem Verstoß gegen § 4 Abs. 1 JMStV die Sanktionen der Selbstkontrolle niemals ausreichend sind und die Schärfe der hoheitlichen Sanktionen (vor allem Bußgelder) greifen muss.

Weiterer Unterschied zur Privilegierung vorlagefähiger Sendungen ist der Umstand, dass in den Genuss der Privilegierungen bei nicht vorlagefähigen Sendungen nur Mitglieder einer anerkannten Selbstkontrolle kommen (§ 20 Abs. 3 S. 2 JMStV). Ein Fernsehsender, der nicht Mitglied der FSF ist, kann also vor der Ausstrahlung einen Vertrag mit der FSF schließen und die vorlagefähige Sendung von dieser prüfen lassen und ist damit nach § 20 Abs. 3 S. 1 JMStV gegen Aufsichtsmaßnahmen der KJM geschützt; bei nicht vorlagefähigen Sendungen kann dies nicht funktionieren, weil FSF und Nichtmitglied keinen nachträglichen Prüfungsvertrag schließen und die FSF daher keine Möglichkeiten hat, Sanktionen gegen den Anbieter zu verhängen. c) Grund für die Privilegierung Aufsichtsrechtliche Maßnahmen der KJM sind somit nur in folgenden Fällen zulässig: Wenn der Sender eine vorlagefähige Sendung der FSF nicht zur Beurteilung vorgelegt hat, wenn der Sender die Auflagen der FSF, zum Beispiel bezüglich Schnittfassung oder Sendezeit, nicht beachtet hat, wenn eine nicht vorlagefähige Sendung gegen § 4 Abs. 1 JMStV verstieß oder wenn die FSF ihren Beurteilungsspielraum überschritten hat, entweder bei der Beurteilung vorlagefähiger Sendungen oder bei der Beurteilung oder Sanktionierung nicht vorlagefähiger Sendungen. Die aufsichtsrechtliche Privilegierung der Anbieter beruht vor allem auf drei Gesichtspunkten. Zum einen darf der Anbieter auf die Entscheidung der FSF vertrauen; bei dieser handelt es sich um eine staatlich anerkannte und überwachte Stelle, so dass grundsätzlich Gewähr für die Richtigkeit ihrer Entscheidungen bestehen sollte 136. Des Weiteren ist die Privilegierung im System der Regulierten Selbstregulierung angelegt. Der der FSF gewährte Beurteilungsspielraum ist Ausdruck des gesetzgeberischen Konzeptes, dass eine inhaltliche Beurteilung der Angebote besser durch Fachleute aus der Gesellschaft unter Einbeziehung 136 Problematisch ist daher der Fall, in dem der Anbieter weiß, dass die FSF ihren Beurteilungsspielraum überschritten hat; hier ist fraglich, ob die Privilegierung dann immer noch greifen soll. Dazu Rossen-Stadtfeld, AfP 2004, 1 (8); Hartstein/Ring/Kreile/ Dörr/Stettner, JMStV, § 20 Rdn. 16.

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2. Teil: Referenzbereiche

der Anbieter erfolgen kann als durch die hoheitliche KJM. Eine Entlastung der Landesmedienanstalten findet nur statt, wenn die Selbstkontrolleinrichtungen eigene Entscheidungskompetenzen haben. Auch muss für die Anbieter ein Anreiz bestehen, sich der Selbstkontrolleinrichtung anzuschließen. Würde die KJM ohne Rücksicht auf ein Votum der FSF die Sendungen der Anbieter überprüfen, würde eine Vorlage bei der FSF nur eine unnötige Verdoppelung der Prüfung darstellen und für die Anbieter keinen Vorteil bringen. 3. Wirkungen von Einzelfallentscheidungen der Selbstkontrolle nach § 8 Abs. 1, § 9 Abs. 1 JMStV 137 Eine Privilegierung gegen präventive Maßnahmen der KJM enthält § 20 Abs. 3 S. 3 i. V. m. § 8 Abs. 1 JMStV. Hat die FSF eine beantragte Sendezeit gebilligt oder selbst eine spätere Sendezeit angeordnet, ist es der KJM verwehrt, im Falle von Filmen, die sie einer Vorabkontrolle (s. o. § 3 C. I. 2. a) unterzieht, eine noch spätere Sendezeit nach § 8 Abs. 1 JMStV anzuordnen (sofern sich die Sendezeitfestlegung durch die FSF im Rahmen ihres Beurteilungsspielraums hält) 138. Mit einer Einzelfallentscheidung nach § 9 Abs. 1 JMStV kann die FSF von einer Vermutung nach § 5 Abs. 2 JMStV abweichen. In Verbindung mit § 5 Abs. 4 JMStV gibt eine Altersfreigabe nach § 14 Abs. 2 JuSchG („FSK 16“ oder „FSK 18“) für die Ausstrahlung eines Trägermediums die Sendezeit vor. Hält die FSF die Bewertung der FSK nicht (mehr) für berechtigt, kann sie die Entwicklungsgefährdung abweichend beurteilen und damit auch die Freigabe für eine frühere Platzierung (d. h. Sendezeit) erteilen. Hält die FSK beispielsweise einen Film nur für Jugendliche ab 16 Jahren geeignet, ergibt sich aus § 5 Abs. 2 i. V. m. Abs. 4 JMStV eine Sendezeit zwischen 22:00 und 06:00 Uhr. Von der Bewertung der FSK kann die FSF nach § 9 Abs. 1 JMStV abweichen und eine Sendezeitfreigabe schon ab 20:00 Uhr erteilen, etwa weil sie den Film auch schon für 12-Jährige für geeignet hält. Hält sich die FSF dabei an ihren Beurteilungsspielraum, kann die KJM nicht repressiv gegen den Sender vorgehen, weil seine Sendung nicht die eigentlich vorgeschriebenen Sendezeiten eingehalten hat.

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Zum Folgenden ausf. Ullrich, MMR 2006, 743 ff. Kreile/Diesbach, ZUM 2002, 849 (855); Scholz/Liesching, JMStV, § 16 Rdn. 4; nach Hartstein/Ring/Kreile/Dörr/Stettner, JMStV, § 20 Rdn. 27 ist die KJM zum Erlass von Einzelentscheidungen im Rahmen der § 8 Abs. 1, § 9 Abs. 1 JMStV überhaupt nicht mehr befugt, weil dafür allein die Selbstkontrolleinrichtung zuständig sei. 138

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4. Wirkung der FSF-Entscheidung bei Ordnungswidrigkeiten Nach der Amtlichen Begründung zu § 20 Abs. 3 JMStV gilt die aufsichtsrechtliche Privilegierung des § 20 Abs. 3 JMStV auch für die Ordnungswidrigkeitentatbestände des § 24 JMStV 139, auch wenn dies weder im Wortlaut des § 20 Abs. 3 noch des § 24 JMStV zum Ausdruck kommt. Allerdings ist die Landesmedienanstalt in Gestalt der KJM für die Verhängung sowohl von Aufsichtsmaßnahmen als auch von Bußgeldern zuständig. Es wäre widersprüchlich, wenn die KJM bei ein und demselben Sachverhalt zwar in Bezug auf Aufsichtsmittel an die Verneinung eines Rechtsverstoßes durch die FSF gebunden wäre, in Bezug auf Bußgelder diese Bindung hingegen nicht bestünde. Hat die FSF also beispielsweise bei ihrer Beurteilung einer Sendung (ohne Überschreitung ihres Beurteilungsspielraums) festgestellt, dass diese nicht gegen § 4 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 JMStV verstößt, kann die KJM nicht nur keine Beanstandungen oder Rügen nach den Landesmediengesetzen wegen eines Verstoßes gegen § 4 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 JMStV erteilen, sondern auch kein Bußgeld nach § 24 Abs. 1 Nr. 2 JMStV gegen den Sender verhängen. 5. Sperrwirkung der FSF-Entscheidung auch in Strafverfahren? Komplizierter ist die Wirkung von FSF-Entscheidungen in Strafverfahren. Dabei ist zwischen Straftaten nach dem JMStV (§ 23) und solchen nach dem StGB (z. B. §§ 86 f., 130, 184 ff.) zu unterscheiden. In Bezug auf Straftaten nach dem StGB fehlt es den Landesgesetzgebern des JMStV schon an der Gesetzgebungskompetenz zur Normierung von Rechtfertigungs- oder Strafausschließungsgründen (Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG) 140. Die Strafbarkeit nach dem Landesstrafrecht des § 23 JMStV hingegen kann der Landesgesetzgeber auch wieder einschränken. So spricht die Amtliche Begründung zu § 20 Abs. 5 JMStV bei den Telemedien von einer Privilegierung auch im Hinblick „auf eine mögliche Ahndung als Straftat“ 141; bei § 20 Abs. 3 JMStV – also in Bezug auf Fernsehsendungen – werden jedoch nur die Ordnungswidrigkeitentatbestände, nicht die Straftatbestände, erwähnt. Andererseits gibt es bei den Telemedien gar keine Befassung der Selbstkontrolle mit Verstößen gegen § 4 Abs. 1 JMStV, der die strafrechtlich relevanten

139 So auch Hartstein/Ring/Kreile/Dörr/Stettner, JMStV, § 20 Rdn. 17; Mynarik, Jugendschutz, S. 155. 140 Hartstein/Ring/Kreile/Dörr/Stettner, JMStV, § 20 Rdn. 19; zur parallelen Problematik in Bezug auf die §§ 6–9 MDStV a. F. Borges, in: Roßnagel (Hrsg.), Neuordnung des Medienrechts, S. 53 (65) m. w. Nachw. 141 LT BW Drs. 13/1551 S. 43.

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2. Teil: Referenzbereiche

Verstöße enthält. Die unsinnige und widersprüchliche Gesetzesbegründung kann somit zur Lösung des Problems kaum beitragen. Der Wortlaut des § 20 Abs. 3 JMStV spricht nur von Maßnahmen der KJM zur Einhaltung der Jugendschutzbestimmungen. Darunter kann man – wie von der Amtlichen Begründung vorgesehen – auch noch die Verfolgung als Ordnungswidrigkeit verstehen, denn auch diese erfolgt durch die KJM als Organ der Ordnungswidrigkeitenbehörde Landesmedienanstalt (§ 20 Abs. 4 S. 6 JMStV). Die Verfolgung von Straftaten – auch nach § 23 JMStV – obliegt jedoch allein den Strafverfolgungsbehörden, nicht der KJM. Ein Strafverfahren kann also keinesfalls als „Maßnahme der KJM“ angesehen werden 142. Die Privilegierung des § 20 JMStV erstreckt sich somit nicht auf Straftaten. Sollte der Gesetzgeber etwas anderes gewollt haben, hätte er dies im Wortlaut des Gesetzes zum Ausdruck bringen müssen und nicht nur in der Gesetzesbegründung (teilweise) andeuten dürfen. Bei nicht vorlagefähigen Sendungen ist eine – nachträgliche – positive Beurteilung durch die FSF ohne unmittelbare Auswirkung auf ein Strafverfahren, denn das Gesetz sieht eine Beteiligung der FSF nicht vor. Nach dem insoweit eindeutigen Wortlaut des § 20 Abs. 3 S. 2 JMStV ist nur vor Maßnahmen der KJM ein „Vorverfahren“ bei der FSF durchzuführen. Dies kann nicht so ausgelegt werden, dass auch eine Staatsanwaltschaft oder ein Strafgericht vor einem Strafverfahren eine Beurteilung durch die FSF einholen müssten. Damit ist jedoch nicht gesagt, dass die positive Beurteilung eines Angebots durch die FSF im Rahmen eines Strafverfahrens nicht doch von Bedeutung sein kann. Nach zum Teil vertretener Ansicht führt eine (falsche) Freigabe durch die FSF beim Anbieter zu einem unvermeidbaren Verbotsirrtum im Sinn des § 17 StGB 143. Eine solche Zwangsläufigkeit besteht jedoch rechtlich nicht. Bei den stark von Wertungen geprägten Tatbeständen zum Beispiel des § 130 Abs. 1, 2 oder § 184 StGB ist allerdings das Fehlen des Rechtswidrigkeitsbewusststeins durchaus vorstellbar und dieser Verbotsirrtum kann unvermeidbar sein, wenn der Täter vorher sachkundigen Rat eingeholt hat. Auch ein Tatbestandsirrtum, das heißt fehlender Vorsatz, ist in Betracht zu ziehen 144, etwa weil der Täter in seiner „Parallelwertung in der Laiensphäre“ die unmenschliche Gewaltdarstellung im Sinne des § 131 Abs. 1 StGB oder die Bewertung eines Angebots als pornographisch im Sinne des § 184 StGB nicht erkennen kann. Kommen die Fachleute

142 So auch Hartstein/Ring/Kreile/Dörr/Stettner, JMStV, § 20 Rdn. 20; a. A. Kreile/ Diesbach, ZUM 2002, 849 (855 f.). 143 Liesching, tv-diskurs 25/2003, 48 (51); Scholz/Liesching, JMStV, § 20 Rdn. 9; dagegen Ukrow, Jugendschutzrecht, Rdn. 640. 144 Bornemann, NJW 2003, 787 (791); Hartstein/Ring/Kreile/Dörr/Stettner, JMStV, Überblick Rdn. 23.

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der FSF bei einer – vorherigen oder nachträglichen – Prüfung zu dem Ergebnis, dass kein Verstoß gegen den JMStV vorliegt, so wäre dies ein starkes Indiz dafür, dass auch der Rundfunkveranstalter die Tatbestandsmäßigkeit oder die Rechtswidrigkeit seines Verhaltens nicht erkennen konnte (§§ 16 Abs. 1, 17 StGB). Die Strafverfolgungsbehörden und die Strafgerichte sind daher bei der Beurteilung der Straftaten an das Votum der FSF nicht gebunden, Berücksichtigung finden kann es indes im Einzelfall schon. 6. Erlass von allgemeinen Richtlinien durch die FSF und ihre Wirkung a) Setzung von Richtlinien nach § 8 Abs. 1, § 9 Abs. 1 JMStV Nach den § 8 Abs. 1, § 9 Abs. 1 JMStV können sowohl die KJM als auch die Selbstkontrolleinrichtung (nicht aber die Landesmedienanstalten, s. o. § 3 C. I. 1.) allgemeine Richtlinien (im Gegensatz zu den Einzelfallentscheidungen nach § 8 Abs. 1, § 9 Abs. 1 JMStV, s. o. § 3 C. II. 3.) für Sendezeitbeschränkungen und -ausnahmen erlassen. Nach überwiegender Ansicht kommt den KJM-Richtlinien grundsätzlich Vorrang vor Richtlinien oder Einzelfallentscheidungen der Selbstkontrolleinrichtungen zu, allerdings darf die KJM keine Regelungen treffen, die derart detailliert sind, dass der Selbstkontrolleinrichtung kein Beurteilungsspielraum mehr verbleibt 145. Im Streit um die Ausstrahlung von Sendungen über Schönheitsoperationen hat die KJM – obwohl die FSF eine solche Sendung ohne Einschränkungen freigegeben hatte – per Grundsatzbeschluss festgelegt, dass Schönheits-OP-Sendungen nur noch ab 23:00 Uhr ausgestrahlt werden dürfen 146 – ein Beurteilungsspielraum der FSF verbleibt dabei kaum 147.

Erlässt die Selbstkontrolleinrichtung nach § 8 Abs. 1, § 9 Abs. 1 JMStV Richtlinien, soll hierfür nach § 20 Abs. 3 S. 3 JMStV ebenfalls die gestufte Aufsicht gelten 148. Sie sind nur dann von rechtlicher Bedeutung, wenn sich ein Sender nur auf eine Richtlinie und nicht auf eine zusätzliche Einzelfallfreigabe der FSF berufen kann. Hat die FSF eine vorgelegte Sendung anhand ihrer eigenen Richt145 Kreile/Diesbach, ZUM 2002, 849 (855); Scholz/Liesching, JMStV, § 9 Rdn. 5; Hartstein/Ring/Kreile/Dörr/Stettner, JMStV, § 20 Rdn. 27; a. A. Ladeur, ZUM 2002, 859 (867): Die Selbstkontrolleinrichtungen dürften nur Einzelfallentscheidungen erlassen, für Richtlinien seien allein die Landesmedienanstalten oder die KJM zuständig. 146 Cole, ZUM 2005, 462 (470 f.); Schütz, MMR 2005, XVII (XVIII). 147 Allerdings hat auch das VG Berlin, ZUM 2006, 779 (m. Anm. Liesching, S. 785), der Klage der FSF gegen diesen Grundsatzbeschluss stattgegeben, weil die KJM dafür keine gesetzliche Grundlage hatte. 148 Amtl. Begründung zu § 20 Abs. 3 JMStV; der Verweis in § 20 Abs. 3 S. 3 JMStV auf „Entscheidungen“ nach §§ 8, 9 JMStV könnte allerdings auch als Verweis ausschließlich auf Einzelfallentscheidungen nach §§ 8, 9 JMStV und nicht auf Richtlinien zu verstehen sein.

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2. Teil: Referenzbereiche

linien geprüft (und damit eine Einzelfallentscheidung getroffen), richten sich die Rechtsfolgen allein nach § 20 Abs. 3 S. 1 und nicht nach § 20 Abs. 3 S. 3 JMStV. Hat der Rundfunkveranstalter seine Sendung der FSF hingegen nicht zur Prüfung vorgelegt, sondern beruft er sich darauf, dass sich seine Sendung im Rahmen der Richtlinie hält, scheidet ein Vorgehen der KJM gegen einen Anbieter aus 149. Hält sich beispielsweise eine ausgestrahlte Sendung an eine allgemein beschränkende Sendezeitrichtlinie im Sinne des § 8 Abs. 1 JMStV, sind Maßnahmen der KJM gegen den Sender unzulässig, auch wenn sie etwa einen noch späteren Sendetermin für richtig hält. Etwas anderes ergibt sich für den Fall, dass die Richtlinie der FSF ihren Beurteilungsspielraum überschreitet (was die KJM zu beurteilen hat). Gleichzeitig muss die KJM (bzw. ein danach möglicherweise angerufenes Verwaltungsgericht) auch beurteilen, ob die konkrete Sendung tatsächlich den Vorgaben der FSF-Richtlinie entsprach 150; eine Pflicht zur Befassung der FSF mit dieser Beurteilung ist in § 20 Abs. 3 S. 3 JMStV nicht vorgesehen 151, allerdings müsste es der KJM möglich sein, analog § 20 Abs. 3 S. 2 JMStV die Prüfung der FSF zu überlassen, bevor sie selber einen Verstoß gegen die von der Selbstkontrolle gesetzte Richtlinie feststellt. Insgesamt ist die Bedeutung der auf den § 8 Abs. 1, § 9 Abs. 1 JMStV beruhenden Befugnis zum Erlass von allgemeinen Standards sehr begrenzt. Zum einen wegen der detaillierten Vorgaben des JMStV und der Richtlinien der Landesmedienanstalten und der KJM, zum anderen, weil es nur um einen kleinen Anwendungsbereich geht, nämlich um spätere Sendezeiten für nicht dem JuSchG unterfallende Fernsehfilme und -serien oder um frühere Sendezeiten für Filme, deren FSK-Bewertung schon länger als 15 Jahre zurück liegt. Noch dazu hat die FSF von der Kompetenz nach § 8 Abs. 1, § 9 Abs. 1 JMStV nicht Gebrauch gemacht: Nur eine Zuständigkeit für Ausnahmen von Sendezeitbeschränkungen nach § 9 Abs. 1 JMStV sehen die Richtlinien der FSF zur Konkretisierung der FSFPrüfordnung in § 4 vor; die Ausnahmen werden allerdings nur auf Antrag erteilt, das heißt letztlich verbindlich ist wiederum nur eine Einzelfallentscheidung der FSF, nicht ihre Richtlinie. Zudem stellt auch diese Richtlinie keine inhaltlichen Vorgaben für Ausnahmen auf, sondern knüpft allein an formale Gesichtspunkte (vor allem Zeitablauf seit der Bewertung durch die FSK) an.

149 Kreile/Diesbach, ZUM 2002, 849 (855); Hartstein/Ring/Kreile/Dörr/Stettner, JMStV, Überblick Rdn. 21. 150 Ullrich, MMR 2006, 743 (748). 151 § 20 Abs. 3 S. 3 verweist gerade nur auf § 20 Abs. 3 S. 1, nicht auf § 20 Abs. 3 S. 2 JMStV, der eine nachträgliche Befassung der Selbstkontrolle vorsieht.

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b) Allgemeine Vorgaben für Sendeformate Auch § 8 Abs. 2 JMStV gehört zu den Vorschriften, die der Selbstkontrolle die Setzung von allgemeinen Normen und Standards eröffnet. Zwar handelt es sich dem Wortlaut nach nicht um Richtlinien, sondern ausdrücklich nur um Einzelfallentscheidungen. Da es um die Bewertung eines ganzen Formats geht, hat eine Entscheidung über die Sendezeit für ein konkretes Format aber womöglich größere Breitenwirkung als Ausnahmerichtlinien für Filme, deren FSK-Bewertung länger als 15 Jahre zurückliegt (§ 9 Abs. 1 JMStV). Die Selbstkontrolleinrichtungen könnten also Sendezeiten und damit Standards für bestimmte Talkshows, RealityShows, Schönheits-OP-Sendungen etc. festlegen. Auch von dieser Möglichkeit hat die FSF jedoch bislang laut Satzung keinen Gebrauch gemacht; sie bewertet nach § 32 FSF-PrüfO zwar ganze Sendereihen, erlässt jedoch keine allgemeinen Standards für bestimmte Arten von Sendungen nach § 8 Abs. 2 JMStV 152. c) Prüf- und Verfahrensordnung der Selbstkontrolleinrichtung Auch § 19 Abs. 3 Nr. 3 JMStV erwähnt die Standardsetzung durch die Selbstkontrolle; diese Vorschrift verlangt von der FSF, allgemeine Vorgaben für die Prüfer zu erlassen, also eine Prüfordnung zu erstellen. Dieser Vorgabe ist die FSF mit dem Erlass der FSF-Prüfordnung und den Richtlinien zur Anwendung der Prüfordnung (FSF-PrüfO-RL) nachgekommen. Die Prüfordnung füllt den Beurteilungsspielraum der Selbstkontrolleinrichtung aus. Eine Bestimmung oder Konkretisierung der unbestimmten Rechtsbegriffe des JMStV obliegt ihr nicht, denn diese Befugnis steht nur dem Gesetzgeber und der Rechtsprechung zu und ist vom Beurteilungsspielraum gerade nicht umfasst (s. u. § 3 C. III. 2. a). Die Prüfordnung kann allerdings konkretisieren, welche Lebenssachverhalte (typischerweise) der abstrakten Definition eines unbestimmten Rechtsbegriffs unterfallen. Außerdem kann sie das Prüfprogramm beschreiben und bestimmen, welche Gesichtspunkte bei einer Prüfung zu berücksichtigen sind 153. Rechtlicher Anknüpfungspunkt des JMStV sind jedoch allein die Einzelfallentscheidungen der Selbstkontrolleinrichtung. Eine Außenwirkung erlangen die Prüfgrundsätze der Selbstkontrolleinrichtungen nur mittelbar über ihre Steuerung der einzelnen Prüfungsergebnisse. Die Anerkannte Stelle erlässt im Grunde „Verwaltungsvorschriften“, die zur alltäglichen Orientierung der Anbieter und zur leichteren Handhabung der Prüfungen dienen. Ausdruck grundsätzlicher gesell152

Zur Bedeutungslosigkeit von § 8 Abs. 2 JMStV auch Ullrich, MMR 2006, 743 (746). S. z. B. § 28 FSF-Prüfordnung: Allgemeine Prüfgrundsätze; § 31 FSF-Prüfordnung: Kriterien für Sendezeiten; § 32 FSF-Prüfordnung: Beurteilung von Serien; § 8 FSF-PrüfORL: Umgang mit Gewaltdarstellungen; § 10 FSF-PrüfO-RL: Umgang mit Darstellung von Sexualität; § 12 FSF-PrüfO-RL: Bewertung von Reality-Shows, Talkshows, etc. 153

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2. Teil: Referenzbereiche

schaftlicher oder wissenschaftlicher Wertungen, etwa über die Akzeptanz von Gewaltdarstellungen im Fernsehen, die Auswirkungen von Pornographie auf Heranwachsende oder das Verhältnis von Kunstfreiheit zum Schutz der persönlichen Ehre, sind sie nicht. Bindungswirkung entfalten sie weder für die Sender noch für die hoheitliche Aufsicht. d) Verhaltenskodex der FSF Der Verhaltenskodex der FSF ist im (derzeitigen) System der Regulierten Selbstregulierung im Jugendmedienschutz irrelevant. Zwar bleibt es der FSF unbenommen, Verhaltensstandards oder Kodizes für ihre Mitglieder zu erstellen und diese auch durchzusetzen. Da der JMStV nicht an diesen Kodex anknüpft, etwa seine Einhaltung vorschreibt oder Privilegierungen bei seiner freiwilligen Einhaltung gewährt, ist er öffentlichrechtlich ohne Bedeutung. Insoweit handelt es sich bei dem Verhaltenskodex um reine Selbstregulierung. e) Generelle Bedeutung der Normsetzung durch die Anerkannte Stelle Insgesamt zeigt der Befund, dass Aufgabe der Anerkannten Stelle die Durchsetzung der staatlichen Gesetze (d. h. des JMStV) ist und nicht die Setzung eigener Standards. Die Selbstkontrolle soll nach dem Willen des Gesetzgebers keine legislativen, sondern exekutivische Aufgaben übernehmen. 7. Zusammenfassung Die FSF übernimmt (im Nachhinein) an Stelle der KJM die Beurteilung von Sendungen und die Ahndung von Verstößen gegen den JMStV und verhindert von vornherein ein Tätigwerden der KJM, wenn schon eine positive Beurteilung einer Sendung durch die FSF vorliegt. Die KJM kann im Rundfunk also teilweise gar nicht erst tätig werden beziehungsweise kann nur die Initiative ergreifen, muss die Entscheidung dann jedoch der FSF überlassen. Die Selbstkontrolle übernimmt Aufgaben der hoheitlichen Aufsicht und verengt damit den Zuständigkeitsbereich von Landesmedienanstalten und KJM in Bezug auf die hoheitliche Durchsetzung des materiellen Jugendschutzrechts (s. o. § 3 C. I. 2.). Nicht berührt durch die Tätigkeit der FSF ist hingegen die Aufgabe des Gesetzgebers und auch der KJM zur Setzung abstrakt-genereller Normen und Richtlinien für den Jugendmedienschutz.

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III. Grenzen der öffentlichrechtlichen Wirkung der Prüfentscheidung einer Selbstkontrolleinrichtung Wie oben dargestellt, entfalten positive Beurteilungen einer Sendung durch die FSF gegenüber aufsichtsrechtlichen Maßnahmen und Bußgeldern der KJM grundsätzlich eine Sperrwirkung. Diese Wirkung der Entscheidung einer privaten Stelle soll nach dem Willen des Gesetzgebers nicht unbegrenzt sein. § 20 Abs. 3 JMStV gewährt die aufsichtsrechtliche Privilegierung nur dann, wenn sich die Anerkannte Stelle bei ihrer Entscheidung im Rahmen ihres Beurteilungsspielraums bewegt. Wird dieser überschritten, ist die KJM nicht mehr an die FSF-Beurteilung der Sendung gebunden und kann eine eigene Beurteilung vornehmen und die entsprechenden Maßnahmen daran anknüpfen. Die öffentlichrechtliche Wirkung einer Entscheidung der Selbstkontrolleinrichtung hängt also entscheidend von Bedeutung und Umfang ihres Beurteilungsspielraums ab. 1. Bedeutung der Einräumung eines Beurteilungsspielraums an die Selbstkontrolleinrichtung Der Gesetzgeber hat den Anerkannten Stellen in § 20 Abs. 3 JMStV ausdrücklich einen Beurteilungsspielraum zuerkannt (normative Ermächtigung 154). Mit diesem Begriff greift der Gesetzgeber auf eine Figur des Allgemeinen Verwaltungsrechts zurück 155. Bei einem Beurteilungsspielraum geht es grundsätzlich darum, wer die Kompetenz hat, letztverbindlich zu entscheiden, ob ein Sachverhalt einem unbestimmten Rechtsbegriff unterfällt oder nicht. In den ersten Entwürfen des JMStV war eine bloße Rechtmäßigkeitskontrolle der Entscheidungen der Anerkannten Stelle vorgesehen. Gegenbegriff dazu ist die Zweckmäßigkeitskontrolle (entsprechend dem Verhältnis zwischen Ausgangs- und Widerspruchsbehörde oder Gemeinde und Kommunalaufsicht). Spätere Entwürfe sprachen von einer Vertretbarkeitskontrolle; der Begriff „Beurteilungsspielraum“ soll nichts anderes bedeuten 156. Wenn die Subsumtion der FSF unter die vorgegebene Definition vertretbar ist, hat sie ihren Beurteilungsspielraum eingehalten. Eine vertretbare Subsumtion ist nicht rechtswidrig und daher zu akzeptieren, auch wenn die KJM eine andere Entscheidung für angemessener hält 157.

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Dazu Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 19 Abs. 4 Rdn. 185 ff. Kreile/Diesbach, ZUM 2002, 849 (855); Cole, ZUM 2005, 462 (468); a. A. Ullrich, ZUM 2005, 452 (458). 156 Zur Entstehungsgeschichte des JMStV und den Entwurfsbegründungen s. Hartstein/ Ring/Kreile/Dörr/Stettner, JMStV, C 2. 157 Mit diesem Verständnis von „Beurteilungsspielraum“ auch Ullrich, ZUM 2005, 452 (458). 155

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2. Teil: Referenzbereiche

Damit wird das Vertrauen des Anbieters, dass er bei Einhaltung der Vorgaben der FSF vor Sanktionen geschützt ist, gewahrt und die KJM bzw. die Landesmedienanstalten in ihrer Aufsichtstätigkeit entlastet, weil sie nicht mehr alle Einzelfälle en détail prüfen müssen. Der FSF soll dadurch die Entwicklung einer fallübergreifenden Entscheidungsstrategie ermöglicht werden, die sich aus dem Sachverstand der FSF und ihren Erfahrungen speist 158. 2. Voraussetzungen und Grenzen des Beurteilungsspielraums Die Problematik des Beurteilungsspielraums stellt sich normalerweise im Verhältnis zwischen Verwaltung und der diese kontrollierenden Gerichtsbarkeit. Die Rechtsfigur als solche lässt sich aber durchaus auch auf das Verhältnis zwischen einer Selbstkontrolleinrichtung und der hoheitlichen Aufsicht übertragen 159, die Probleme und Streitfragen dürfen jedoch nicht unbesehen übernommen werden. a) Begrenzungen aus dem Allgemeinen Verwaltungsrecht Auch wenn einer Stelle ein Beurteilungsspielraum eingeräumt ist, sind ihre Entscheidungen doch nicht von jeder Kontrolle freigestellt. So muss die zur Entscheidung berufene Stelle von einem richtigen Sachverhalt ausgehen, sie muss die Zuständigkeits- und Verfahrensordnungen einhalten und sie darf sich nicht von sachfremden Erwägungen leiten lassen 160. Auch muss sie sich an die abstrakte Auslegung der unbestimmten Rechtsbegriffe durch die Rechtsprechung halten und darf den gesetzlichen Rahmen und die relevanten Gesetzesbestimmungen nicht verkennen 161. Diese Vorgaben des Allgemeinen Verwaltungsrechts gelten auch im Verhältnis zwischen Selbstkontrolle und KJM. Da der zu beurteilende Lebenssachverhalt als solcher relativ einfach ist – ein Film eines bekannten Inhalts der zu einem bestimmten Zeitpunkt ausgestrahlt wird – dürften Fehler in der Sachverhaltsermittlung bei der FSF eher selten sein 162. Dass die FSM nicht willkürlich entscheiden darf und

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Ladeur, ZUM 2002, 859 (864). Cole, ZUM 2005, 462 (468 f.). 160 Kreile/Diesbach, ZUM 2002, 849 (855); Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 19 Abs. 4 Rdn. 192; Maurer, AllgVwR, § 7 Rdn. 43. 161 Kreile/Diesbach, ZUM 2002, 849 (855); Maurer, AllgVwR, § 7 Rdn. 43. 162 S. aber zum Streitfall der Schönheitsoperationen im Tagesprogramm Cole, ZUM 2005, 462 (471), laut dem die FSF andere als die tatsächlich ausgestrahlten Sendungen überprüfte. Des Weiteren VG Köln, NJW 1989, 3171, zur mangelnden Sachverhaltsaufklärung der damaligen BPjS (Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften) bei Telemedien, weil die Prüfer ein Computerspiel nur nach der Beschreibung beurteilten, ohne es selber gespielt zu haben. 159

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ihre Zuständigkeit und Verfahrensordnung einhalten muss, ist ebenfalls selbstverständlich. Relevanter ist die Frage der Reichweite des Beurteilungsspielraums bei den unbestimmten Rechtsbegriffen des JMStV; deren abstrakte Definition ist vom Beurteilungsspielraum gerade nicht umfasst 163 und daher nicht Aufgabe der Selbstkontrolle. b) Zulässigkeit des Beurteilungsspielraums Zumindest im Allgemeinen Verwaltungsrecht ist auch ein gesetzlich eingeräumter Beurteilungsspielraum nicht unbegrenzt zulässig. Vor allem die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG beschränkt die Entscheidungsfreiheit des Gesetzgebers, weil der gerichtliche Rechtsschutz des Betroffenen gegen hoheitliche Eingriffe verringert wird, wenn die Gerichte nicht befugt sind, die Verwaltungsentscheidung voll zu überprüfen. In der Rechtsprechung – vor allem des BVerfG – haben sich deshalb nur einzelne begrenzte Fallgruppen gebildet, in denen ein Beurteilungsspielraum anerkannt wird. Der Konstellation des § 20 Abs. 3 JMStV am nächsten kommt die Fallgruppe der Entscheidungen wertender Art durch weisungsfreie, mit Sachverständigen und Interessenvertretern besetzte Gremien 164. Paradebeispiel für diese Gremien ist die BPjM; für diese haben BVerfG 165 und BVerwG 166 den Beurteilungsspielraum allerdings schon stark beschränkt, um die Kunstfreiheit zu schützen.

Anders als bei der Einräumung eines Beurteilungsspielraums an Behörden, geht es bei § 20 Abs. 3 JMStV nicht um belastende Entscheidungen der Eingriffsverwaltung 167, sondern um eine Genehmigung, welche die Eingriffsverwaltung binden soll. Je weiter der Beurteilungsspielraum gezogen wird und je umfassender die Eingriffsverwaltung dadurch gebunden wird, desto geringer sind ihre Eingriffsmöglichkeiten in die Grundrechte der Anbieter. Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG (als individuelle Rundfunkfreiheit) oder Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG streiten also in diesem Fall für die Zulässigkeit eines Beurteilungsspielraums und da Rechte nicht be-

163 Die FSF darf also nicht selbst definieren, was „Pornographie“ oder „Entwicklungsbeeinträchtigung“ bedeutet. 164 Dazu Maurer, AllgVwR, § 7 Rdn. 40. 165 BVerfGE 83, 130 (148). 166 BVerwGE 91, 211. 167 Die FSF-Entscheidung kann für den Anbieter auch belastend sein, etwa weil eine Schnittauflage erlassen oder der Antrag auf eine Sendezeitausnahme nach § 9 Abs. 1 JMStV abgelehnt wird. Diese Entscheidung ist jedoch für den Anbieter nicht (öffentlichrechtlich) verbindlich. Der Anbieter kann die Entscheidung ignorieren, sich dann mit der KJM auseinandersetzen und deren Entscheidung vor den Verwaltungsgerichten angreifen, die die KJM-Entscheidung voll nachprüfen.

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2. Teil: Referenzbereiche

schnitten, sondern im Gegenteil erweitert werden sollen, kann auch Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG nicht gegen einen Beurteilungsspielraum ins Feld geführt werden. Diese Art von Beurteilungsspielraum wird daher nur durch (Schutz-)Pflichten des Staates beschränkt, derer er sich nicht durch Begrenzung seiner Entscheidungsmacht begeben darf. Vorliegend sind dies die Anforderungen aus der (objektiven) Rundfunkordnung gemäß Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG und die staatlichen Schutzpflichten für die Jugend und die Menschenwürde 168. Schutzpflichten – anders als grundrechtliche Eingriffsverbote – enthalten keine derart strikten Handlungsanweisungen an den Gesetzgeber, als dass sie die Einräumung eines Beurteilungsspielraums, der letztlich dem Ausgleich mit den Freiheitsrechten der Anbieter dient, grundsätzlich ausschließen würden. Die Einräumung eines Beurteilungsspielraums der Selbstkontrolleinrichtungen ist daher verfassungsrechtlich zulässig 169. IV. Durchführung der Prüfung durch die Selbstkontrolleinrichtung 1. Prüfungsmaßstab der Selbstkontrolleinrichtungen Nach § 20 Abs. 3 S. 1 JMStV prüft die Anerkannte Stelle, ob eine Sendung gegen Bestimmungen des JMStV verstößt. Die Selbstkontrolleinrichtung nimmt dabei grundsätzlich eine umfassende Prüfung an allen Normen des JMStV vor, die den Inhalt oder die Platzierung einer Sendung regeln. Die Formulierung des § 20 Abs. 3 S. 1, 2, Abs. 5 S. 1 JMStV, wonach die Selbstkontrolleinrichtungen nur bei Verstößen gegen Bestimmungen des Jugendschutzes zu befassen sind 170, ist insofern äußerst missverständlich, denn es behandeln keineswegs alle Vorgaben des JMStV nur den Jugendschutz; vor allem § 4 Abs. 1 JMStV enthält überwiegend Bestimmungen betreffend den Schutz der Menschenwürde, der freiheitlich-demokratischen Grundordnung und der öffentlichen Ordnung (weshalb es bei diesen Angeboten auch gerade nicht darauf ankommt, ob die Empfänger minderjährig oder erwachsen sind). Wenn die KJM eine Aufsichtsmaßnahme gegen einen Rundfunkanbieter ergreifen will, weil dieser zum Beispiel volksverhetzende Aussagen sendet oder (was in der Praxis eher vorkommen könnte) sterbende oder schwer verletzte Menschen in einer ihre Würde verletzenden Weise darstellt (etwa in einer Reportage aus Kriegsgebieten), so handelt 168 So lehnen Scholz/Liesching, JMStV, § 20 Rdn. 10 einen Beurteilungsspielraum bei der Anwendung des § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 8 JMStV – Verstoß gegen die Menschenwürde – ab, weil die staatliche Schutzpflicht für die Menschenwürde es verbiete, dass der Staat sich hier auf eine Vertretbarkeitskontrolle zurückziehe. 169 Mynarik, Jugendschutz, S. 131. 170 Auch laut Amtlicher Begründung zu § 20 Abs. 3 JMStV soll dieser Paragraph nur zur Anwendung kommen, wenn Hinweise bestehen, „dass ein Angebot nicht den Jugendschutzbestimmungen dieses Staatsvertrags entspricht“.

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es sich dabei nicht um „Maßnahmen . . . im Hinblick auf die Einhaltung der Bestimmungen zum Jugendschutz“ (§ 20 Abs. 3 S. 1 JMStV). Es erscheint nahe liegend, dass der Gesetzgeber sich von seiner eigenen „Verkürzung“ auf einen „Jugendmedienschutz“-Staatsvertrag hat leiten lassen und davon ausgegangen war, dass der JMStV an sich nur Jugendschutz-Fragen behandelt (vgl. auch die Inkonsequenz, dass die Kommission für Jugendmedienschutz über Volksverhetzung, Ausschwitz-Lüge, NS-Propaganda, Kriegsverherrlichung etc. entscheidet). § 20 Abs. 3 S. 2 JMStV, der bei nicht vorlagefähigen Sendungen die nachträgliche Beurteilung durch eine Selbstkontrolleinrichtung vor Maßnahmen der KJM vorschreibt, nimmt die unzulässigen Angebote nach § 4 Abs. 1 JMStV (die überwiegend nichts mit Jugendschutz zu tun haben) ausdrücklich vom Prüfumfang der Selbstkontrolleinrichtungen aus. Das spricht dafür, dass bei einer Prüfung der Sendung vor Ausstrahlung die FSF auch die Vereinbarkeit mit § 4 Abs. 1 JMStV und damit mit nicht jugendschutzrelevanten Vorgaben zu beurteilen hat. Auch die Amtliche Begründung zum JMStV stellt bei nachträglichen Prüfungen darauf ab, „dass es in solchen Fällen [das heißt bei absolut unzulässigen Angeboten im Sinne des § 4 Abs. 1 JMStV] auf die Beurteilung der Selbstkontrolle nicht mehr ankommen kann“ 171, bei vorherigen Kontrollen also offensichtlich schon. Entgegen dem Wortlaut des § 20 Abs. 3 S. 1 JMStV erstreckt sich die Beurteilung der Selbstkontrolle also nicht nur auf Verstöße gegen Jugendschutzbestimmungen, sondern auf alle Verstöße gegen den JMStV. Allerdings legt § 3 FSF-Prüfordnung fest, dass Programme nur auf ihre Vereinbarkeit mit den §§ 4, 5 JMStV geprüft werden. Die Kontrolle der Einhaltung der Werbevorschriften des § 6 JMStV, der Ankündigungen und Kenntlichmachungen nach § 10 JMStV oder den Erlass von Sendezeitbeschränkungen nach § 8 Abs. 1, 2 JMStV nimmt die FSF (derzeit) nicht vor. Die konkrete Tätigkeit eines privaten Vereins kann der Gesetzgeber nicht regeln, der Inhalt der Satzung, die den Vereinszweck festlegt, kann nur von den Mitgliedern bestimmt werden. Allenfalls über die Anerkennung nach § 19 Abs. 3 JMStV könnte der Gesetzgeber steuern, welche Aufgaben von einer Anerkannten Stelle wahrgenommen werden (müssen). § 19 Abs. 3 JMStV enthält aber keine Vorgabe, dass Selbstkontrolleinrichtungen nur anerkannt werden, wenn sie umfassende Prüfungen vornehmen oder alle ihnen vom JMStV zugedachten Aufgaben übernehmen. So lange sich die FSF nicht von sich aus (oder nach Verhandlungen mit der KJM) bereit erklärt, weitere Aufgaben zu übernehmen, obliegt die Durchsetzung der §§ 6, 8, 9, 10 JMStV allein der KJM und findet eine Regulierte Selbstregulierung hier nicht statt.

171

Amtl. Begründung zu § 20 Abs. 3 JMStV, abgedr. z. B. in LT BW Drs. 13/1551 S. 41; Hervorhebung durch den Verf.

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2. Teil: Referenzbereiche

2. Entscheidungsinhalt a) Vorabkontrolle einer vorgelegten Sendung Legt ein Anbieter der FSF eine Sendung vor, können die Prüfausschüsse verschiedene Entscheidungen treffen. Bei Verstößen gegen § 4 Abs. 1, 2 JMStV spielt die Sendezeit keine Rolle; die FSF kann die Ausstrahlung dieser Angebote nur insgesamt ablehnen oder – wenn dies möglich ist – durch Schnittauflagen eine Vereinbarkeit der Angebote mit § 4 Abs. 1, 2 JMStV herbeiführen. Bei lediglich entwicklungsgefährdenden Angeboten im Sinne des § 5 Abs. 1 JMStV hat die FSF mehr Spielraum: Sie kann entweder für die Sendung in der vorgelegten Fassung eine spätere Platzierung anordnen oder Schnitte verlangen, um die Sendung für den gewünschten Sendetermin akzeptabel zu machen. Die FSF entscheidet somit, ob eine Sendung überhaupt ausgestrahlt werden darf und wenn ja, in welcher Fassung und zu welcher Sendezeit dies geschehen kann. b) Entscheidung über Ausnahmen nach § 8 Abs. 1, § 9 Abs. 1 JMStV Die § 8 Abs. 1, § 9 Abs. 1 JMStV sehen vor, dass die Selbstkontrolleinrichtung im Einzelfall Entscheidungen über Sendezeitbeschränkungen oder -ausnahmen treffen kann. Im Rahmen ihrer Entscheidung über die zulässige Sendezeit der vorgelegten Sendung könnte die Selbstkontrolleinrichtung von der gewünschten Platzierung abweichen und einen späteren Sendetermin festlegen. Diese Festlegung eines späteren Sendezeitpunkts stellt jedoch keinen hoheitlichen Verwaltungsakt, gestützt auf eine etwaige Befugnisnorm aus § 8 Abs. 1 JMStV, dar. Die Festlegung einer späteren Sendezeit ist für den Anbieter öffentlichrechtlich nicht bindend, weswegen auch keine Ermächtigung dazu notwendig ist. Die Befugnis zur Bestimmung der Sendezeit durch die FSF folgt vielmehr aus den §§ 11, 12 und 31 der FSF-Prüfordnung, an die der Anbieter als Mitglied der FSF auf Grund der Satzung gebunden ist. Ausnahmen von Sendezeitbeschränkungen nimmt die FSF hingegen ausdrücklich nach § 9 Abs. 1 JMStV vor, denn für die Erteilung von Befreiungen vom JMStV bedarf sie einer gesetzlichen Ermächtigung. c) Nachträgliche Kontrolle Eine nachträgliche Kontrolle ausgestrahlter Sendungen kann auf Antrag der KJM oder auf Grund einer Zuschauerbeschwerde stattfinden. §§ 33, 34 FSF-Prüfordnung lassen eine solche Prüfung immer dann zu, wenn eine FSF-Entscheidung noch nicht vorliegt. Bedeutung für § 20 Abs. 3 S. 2 JMStV hat eine nachträgliche Prüfung nur bei nicht vorlagefähigen Sendungen. Wurde eine vorlagefähige Sendung nicht vorgelegt, ist nach § 34 FSF-Prüfordnung noch eine nachträgliche Prüfung möglich, in den Genuss der aufsichtsrechtlichen Privilegierung nach § 20 Abs. 3 JMStV kommt der Anbieter jedoch nicht mehr.

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Bei der nachträglichen Prüfung spricht die Prüfentscheidung aus, ob die Ausstrahlung des Programms zulässig war (§ 35 Abs. 3 S. 1 FSF-Prüfordnung), das heißt, ob sie mit § 4 Abs. 1, 2, § 5 JMStV vereinbar war. Dieser „Tenor“ ist für § 20 Abs. 3 S. 2 JMStV relevant. War die Sendung in der ausgestrahlten Art und Weise unzulässig, legt die Prüfentscheidung zusätzlich fest, auf welcher Platzierung und mit welchen Auflagen eine eventuelle Wiederholung der Sendung zulässig wäre. Dieser Zusatz hat bei einer tatsächlichen Wiederholung Bedeutung im Rahmen des § 20 Abs. 3 S. 1 JMStV. 3. Vereinsinterne Wirkung der Entscheidungen einer Selbstkontrolleinrichtung Die Einhaltung der Prüfentscheidung kann verwaltungsrechtlich nicht durchgesetzt werden, da der FSF keine Hoheitsmittel zur Verfügung stehen und die KJM nicht befugt ist, die Entscheidungen der FSF zu erzwingen. Die FSF hat allerdings privatrechtliche Möglichkeiten, ihre Entscheidungen durchzusetzen. Die Fernsehsender, die Mitglieder des Vereins FSF e. V. sind, haben sich in der Satzung verpflichtet, die Entscheidungen der FSF zu beachten, also etwa die Untersagung der Ausstrahlung, Schnittauflagen oder die Anordnung späterer Sendezeiten (§ 7 Abs. 3 FSF-Satzung). Beauftragt ein Nichtmitglied die FSF mit einer Programmprüfung, muss es sich im Antrag zur Beachtung der FSF-Entscheidung verpflichten (§ 2 Abs. 5 b) FSF-Satzung). Hält sich ein Sender nicht an die Entscheidung, verstößt er gegen die Vereinssatzung und setzt sich den dort vorgesehenen zivilrechtlichen Sanktionen (Vereinsstrafe, Vereinsausschluss, s. u. § 3 C. IV. 6. b) aus. Die zivilrechtlichen Wirkungen können auch bei einer nachträglichen Kontrolle einer Sendung im Rahmen des § 20 Abs. 3 S. 2 JMStV greifen. Die Sanktionen werden nicht für eine Missachtung der Prüfentscheidung der FSF verhängt, sondern für den unzulässigen Inhalt der Sendung als solchen, mit dem der Sender ebenfalls gegen die Satzung verstoßen hat. 4. Konkrete Prüfaufgabe der FSF Die FSF prüft im Einzelfall, ob der Inhalt und der vorgesehene Ausstrahlungstermin einer Sendung mit den §§ 4, 5 JMStV vereinbar ist. a) Subsumtion unter unbestimmte Rechtsbegriffe Die Prüfung, ob eine Sendung die Tatbestandsmerkmale des § 4 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 Nr. 1, 2 JMStV erfüllt, stellt eine schlichte juristische Subsumtion unter die von der Rechtsprechung aufgestellten Definitionen der Tatbestandsmerkmale dar 172. Besondere Fähigkeiten in Bezug auf den Jugendschutz sind hier nicht erforderlich,

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2. Teil: Referenzbereiche

ebenso wenig wie ein Beurteilungsspielraum, um die Freiheitsrechte der Anbieter zu schützen oder gesellschaftliche Wertvorstellungen einfließen zu lassen 173. Nur insoweit, als auch die Definitionen der Rechtsprechung selbst wiederum sehr unbestimmt sind, können eigene Wertungen der Selbstkontrolle eine Rolle spielen. b) Sachverständige Beurteilung tatsächlicher Wirkungen Bei den Tatbeständen des § 4 Abs. 2 S. 1 Nr. 3, § 5 Abs. 1 JMStV hingegen, vor allem dem Merkmal der Jugendgefährdung bzw. -beeinträchtigung, ist eine bloße Subsumtion nicht mehr ausreichend. Stattdessen ist auch die Kausalitätsfrage zu klären, für die es nicht mehr nur auf juristische Fähigkeiten, sondern vor allem auf Kenntnisse zum Beispiel in Medienwirkung, Jugendpsychologie oder Soziologie ankommt. Auch wenn gesetzlich klar bestimmt wäre, wann die Entwicklung eines Kindes beeinträchtigt ist, muss noch entschieden werden, auf Grund welcher Wirkmechanismen ein konkretes Angebot zu einer solchen Beeinträchtigung führen kann. Wie Werbung auf Jugendliche wirkt oder wann Kinder üblicherweise fernsehen, sind ebenfalls keine Rechtsfragen, sondern muss durch Forschung oder Erfahrungswerte geklärt werden. Diese Fragen könnten in einem Gerichts- oder Verwaltungsverfahren nur durch ein Sachverständigengutachten geklärt werden. Dieses Gutachten erfolgt nun durch die FSF, die aber zusätzlich auch die sonst dem Richter zustehende Anwendung des Sachverstandes bei der Subsumtion des Sachverhalts unter die gesetzliche Definition übernimmt. Der Beurteilungsspielraum der Anerkannten Stelle kann sich dabei zum Beispiel auf die wissenschaftliche Methode beziehen oder die Bewertung wissenschaftlicher Ergebnisse, das heißt, auch wenn die KJM eine Studie zur Wirkung von Werbung auf Kinder anders versteht als die FSF, muss die KJM die Bewertung der FSF akzeptieren, so lange sich diese an allgemein anerkannte wissenschaftliche Grundsätze zur Auswertung von Studien hält. c) Ausgleich zwischen verschiedenen geschützten Rechtsgütern Die Selbstkontrolleinrichtung hat des Weiteren nicht nur zu prüfen, ob ein Angebot die Definition der bestimmten oder unbestimmten Rechtsbegriffe erfüllt;

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Ullrich, ZUM 2005, 452 (454). Weswegen nach § 20 Abs. 3 S. 2 JMStV bei nachträglicher Kontrolle durch die FSF eine Prüfung bzgl. § 4 Abs. 1 JMStV nicht stattfindet. Selbst bei vorheriger Prüfung führt bei der FSF die Kontrolle auf die Vereinbarkeit mit § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 1–6, 8, 9 JMStV ein juristischer Sachverständiger als Einzelprüfer durch, nicht die üblichen Prüfausschüsse mit Sachverständigen für Jugendschutz aus den gesellschaftlichen Gruppen. Die Selbstkontrolle nähert sich hier der Kontrolle durch einen Rechtsberater aus der eigenen Rechtsabteilung des Senders an. 173

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zusätzlich müssen bei Verstößen gegen § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 – 6 JMStV die besonderen Interessen von Kunst, Wissenschaft und Berichterstattung berücksichtigt werden (§ 4 Abs. 1 S. 2 JMStV). Das führt allerdings nicht dazu, dass die FSF eine Wertung oder Abwägung durchführen darf, ob sie im Einzelfall die Kunstfreiheit oder den Schutz der freiheitlich-demokratischen Grundordnung für wichtiger hält. Diese Wertung hat der Gesetzgeber bereits vorgenommen, indem er § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 – 6 JMStV für nicht einschlägig erklärt, wenn die Angebote der Kunst, Wissenschaft oder Berichterstattung dienen; die FSF hat nur noch nachzuvollziehen, ob ein konkretes Angebot Kunst ist oder für die Forschung verwendet wird. 5. Verfahren der Prüfung durch die FSF Wirkung und Funktionsfähigkeit eines Kontrollsystems hängen nicht nur von den rechtlichen Grundlagen und Entscheidungsmöglichkeiten, sondern vor allem auch von der konkreten Ausgestaltung des Prüfungsverfahrens ab. a) Kontrolle vorlagefähiger Sendungen durch die Selbstkontrolle aa) Regelung der Vorlagepflicht Voraussetzung einer präventiven Kontrolle ist eine Vorlage der Sendung an die FSF mit genügend Zeitabstand zur Ausstrahlung, um eine sorgfältige Prüfung zu ermöglichen. Das setzt zum einen voraus, dass eine Vorlage zeitlich möglich ist; Live-Sendungen oder Live-Einspielungen können nicht vorab geprüft werden, hier bleibt nur eine nachträgliche Beurteilung. Bei vor Ausstrahlung aufgezeichneten Sendungen hingegen, ist der Kern die Pflicht zur Vorlage von Sendungen an die FSF und der Umfang dieser Pflicht. Eine Vorlage und Prüfung des gesamten auszustrahlenden Programms würde die FSF überfordern; zudem wäre sie größtenteils überflüssig, weil weite Teile des Programms keinerlei Bedenken im Hinblick auf die Anforderungen des JMStV unterliegen. Der JMStV enthält keine Regelungen zur Vorlagepflicht. Das ist insofern auch nicht nötig, als die Vorteile der Regulierten Selbstregulierung nur bei vorgelegten Sendungen greifen. Ist ein Fernsehsender der Meinung, ein Angebot verstoße nicht gegen den JMStV und eine Prüfung durch die FSF sei deshalb nicht notwendig, so kommt ihm die aufsichtsrechtliche Privilegierung des § 20 Abs. 3 S. 1 JMStV auch nicht zugute und die KJM kann das Angebot vollumfänglich selbst beurteilen und Aufsichtsmaßnahmen oder Bußgelder verhängen. Eine staatliche Regelung der Vorlagepflicht oder hoheitliche Richtlinien, welche Sendungen grundsätzlich vorzulegen sind, sind deshalb nicht zwingend erforderlich.

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2. Teil: Referenzbereiche

Unerlässlich ist es jedoch, dass Anbieter und Selbstkontrolleinrichtung die Vorlagefrage regeln. Deshalb macht § 19 Abs. 3 Nr. 4 JMStV die Regelung der Vorlagepflicht zu einer Voraussetzung für die Anerkennung. Die FSF ist diesem Auftrag nachgekommen. Nach § 2 Abs. 5 b) FSF-Satzung sind alle nicht offensichtlich unbedenklichen Sendungen vorzulegen. Aus der Beschränkung des Prüfumfangs auf die §§ 4, 5 und 9 Abs. 1 JMStV durch die FSF-Prüfordnung ergibt sich, dass die FSF jeweils nur eine einzelne konkrete Sendung prüft und nicht die gesamte Programmgestaltung eines Senders im Hinblick auf den Jugendschutz, etwa in Bezug auf Werbung, Kenntlichmachung jugendgefährdender Sendungen oder auch nur allgemeiner Richtlinien für Filme und sonstige TV-Formate. In der von der FSF-Mitgliederversammlung erlassenen Vorlagesatzung 174 wird die Vorlagepflicht noch erweitert auf alle eigenproduzierten Spielfilme und „TVMovies“; nur bei sonstigen Programmen entfällt bei offensichtlicher Unbedenklichkeit die Vorlagepflicht (§ 1 Abs. 1 FSF-Vorlagesatzung). Zur Beurteilung der Unbedenklichkeit stellt die FSF-Vorlagesatzung wiederum auf die FSK-Bewertung bzw. die Freigabe nach § 14 Abs. 2 JuSchG ab. Detaillierte Vorgaben enthält die Vorlagesatzung vor allem für Serien und Formate. Kommt ein Mitglied der Vorlagepflicht nicht nach, sind nach § 7 Abs. 4 FSFSatzung Sanktionen bis hin zu Vereinsstrafen in Höhe von 100.000 € oder einem Vereinsausschluss möglich. Näheres wird in der Vorlagesatzung geregelt. Die Verletzung der Vorlagepflicht muss dafür allerdings überhaupt aufgedeckt werden 175. Eine eigenständige laufende Programmüberwachung ist nach § 2 Abs. 5 i) FSF-Satzung an sich vorgesehen; davon sieht die FSF jedoch ab, wenn eine laufende Programmkontrolle durch die KJM stattfindet. In diesem Fall soll ein Informationsaustausch mit der KJM erfolgen, um festzustellen, ob Prüfvorgaben und Auflagen von den Sendern eingehalten werden. Daneben können auch die Jugendschutzbeauftragten der Sender eine wichtige Kontrollfunktion ausüben 176: Da diese Angestellte des Senders und vom Anbieter immer rechtzeitig (§ 7 Abs. 3 S. 2 JMStV) zu informieren sind, hat der Jugendschutzbeauftragte einen Überblick darüber, ob im eigenen Hause alle vorlagepflichtigen Sendungen

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Abgedruckt bei Hartstein/Ring/Kreile/Dörr/Stettner, JMStV, § 19 Rdn. 27. An der Wirksamkeit der Vorlagepflicht können Zweifel aufkommen, wenn das Hans-Bredow-Institut, Study on Co-Regulation, Final Report S. 127, feststellt, dass nach Ansicht der FSF 80% aller vorlagepflichtigen Sendungen vorgelegt werden, nach Ansicht der KJM hingegen eher nur 25%. Konkret kritisierte die KJM z. B. den Sender RTL, weil dieser einige offensichtlich bedenkliche und von der KJM schließlich auch beanstandete Folgen der Sendung „Deutschland sucht den Superstar“ nicht vor der Ausstrahlung der FSF vorgelegt hatte, vgl. Meldung in epd medien 19/2007, 8. 176 Zur Tätigkeit des Jugendschutzbeauftragten unter dem JMStV Erdemir, K&R 2006, 500 ff. 175

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auch tatsächlich vorgelegt werden; bei Nichtbefolgung kann der Beauftragte die FSF benachrichtigen. bb) Prüfungsablauf Beabsichtigt ein Sender die Ausstrahlung eines Angebots, das im Hinblick auf die Anforderungen des JMStV nicht offensichtlich unbedenklich ist, so beantragt er bei der Geschäftsstelle der FSF eine Prüfung der Sendung (§§ 2, 3 FSFPrüfordnung); dabei beantragt er auch eine bestimmte Platzierung, das heißt Sendezeit. Die Prüfung soll innerhalb einer Woche erfolgen (§ 4 Abs. 1 FSF-Prüfordnung). Der Antrag wird an den zuständigen Prüfausschuss weitergeleitet 177. Anzahl und konkrete Auswahl der Prüfer sind in § 6 FSF-Prüfordnung detailliert geregelt. Die Prüfer begutachten die vorgelegte Sendung und können sie für die beantragte Platzierung freigeben, sie können sie für die Platzierung mit Schnitt- oder sonstigen Auflagen freigeben, sie können sie für eine spätere Sendezeit freigeben oder gar nicht freigeben (§§ 11, 12, 31 FSF-Prüfordnung). Die Entscheidung ist schriftlich zu fassen und zu begründen (§ 13 FSF-Prüfordnung). Gegen die Entscheidung des Prüfausschusses kann der Antragsteller Berufung einlegen (§ 19 FSF-Prüfordnung); dieses Berufungsrecht haben auch bestimmte Träger der Jugendhilfe, wie von § 19 Abs. 3 Nr. 4 JMStV gefordert. Allerdings sind diese Träger weder selbst antragsberechtigt noch Verfahrensbeteiligte. Mangels Information über eingeleitete Prüfungen werden sie dieses Berufungsrecht also nicht ausüben können 178; nur bei nachträglicher Prüfung einer Sendung auf Initiative der KJM könnten sich auch die Jugendhilfe-Träger einschalten. Nach der Berufung bleibt schließlich noch die Anrufung des Kuratoriums der FSF (§ 25 FSF-Prüfordnung). Auch dadurch wird die FSF jedoch nicht zu einer echten „Selbst“kontrolle. Zwar sitzen im Kuratorium auch Vertreter der Sender; der Kuratoriumsausschuss, der für die Prüfung der Entscheidung gebildet wird, darf jedoch gerade keine Sendervertreter enthalten (§ 25 Abs. 2 FSF-Prüfordnung). Das Kuratorium kann nur angerufen werden, wenn es für die Sicherung einer einheitlichen Spruchpraxis oder die Fortbildung der Prüfgrundsätze erforderlich ist, und entspricht somit einer Revisionsinstanz (vgl. § 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 ZPO).

177 Die Besetzung der Prüfausschüsse ist bereits oben § 3 B. II. 2. b) dd) dargestellt worden. 178 Weswegen zum Teil eine freiwillige Selbstverpflichtung der Fernsehsender gefordert wird, die Jugendhilfeträger über Entscheidungen zu informieren, s. Mynarik, Jugendschutz, S. 108.

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b) Nachträgliche Beurteilung einer Sendung Die FSF unterhält eine eigene Beschwerdestelle für Zuschauerbeschwerden (Jugendschutz-Hotline). Über diese oder über einen Antrag der KJM erhält die FSF Kenntnis von möglichen Verstößen: Zum einen, dass vorlagefähige und vorlagepflichtige Filme nicht vorgelegt wurden, dass der Sender eine Entscheidung der FSF nicht respektiert hat, indem er etwa Sendezeitvorgaben nicht einhielt, Schnitte nicht vorgenommen hat oder eine Ausstrahlung trotz fehlender Freigabe vorgenommen hat. Zum anderen erhält die FSF so Kenntnis von nicht vorlagefähigen Sendungen, deren Inhalt möglicherweise gegen den JMStV verstieß; die FSF muss dann in eine nachträgliche Beurteilung der Sendung eintreten. Beide Fälle sind für das Konzept der Regulierten Selbstregulierung relevant: (1) Im ersten Fall hat die Selbstkontrolle nicht funktioniert und es müssen vereinsinterne Sicherungen bestehen, dass diese Verstöße gegen die Vereinssatzungen bemerkt und behoben oder zumindest sanktioniert werden. (2) Der andere Bezugspunkt der nachfolgenden Kontrolle sind nicht vorlagefähige Sendungen (§ 20 Abs. 3 S. 2 JMStV). Eine Vorlagepflicht oder eine vorherige Kontrolle sind hier rein technisch nicht möglich, weder durch eine hoheitliche Stelle noch durch Selbstkontrolleinrichtungen. Eine präventive Wirkung kann hier nur durch Abschreckung mittels Sanktionen und durch die Entwicklung von klaren Vorgaben für Live-Sendungen durch Entscheidungen zu „Präzedenzfällen“ erreicht werden. Nach der Amtlichen Begründung liegt der Sinn und Zweck von § 20 Abs. 3 S. 2 JMStV darin, dass es einer staatlichen Maßnahme nicht bedarf, wenn durch die Selbstkontrolleinrichtung „eine angemessene Ahndung auf Grund des eigenen Sanktionskatalogs erfolgt“. Die Sanktionen der Selbstkontrolleinrichtung können durchaus schärfer sein als hoheitliche Maßnahmen, schneller wirken, an geringere Voraussetzungen geknüpft sein. Außerdem findet eine Entlastung der KJM statt, weil diese nicht mit einem Verwaltungsverfahren, Widerspruchsverfahren und vielleicht sogar Ordnungswidrigkeitenverfahren belastet wird. Zudem ermöglicht erst die nachträgliche Einschaltung der FSF auch bei nicht vorlagefähigen Sendungen die Entwicklung von allgemeinen Standards und Vorgaben für diese Art von Sendungen 179. Die nachträgliche Prüfung einer Sendung nach Ausstrahlung ist in den §§ 33–37 FSF-Prüfordnung eigens geregelt. Das Verfahren gleicht dem der Vorabkontrolle. Nach § 35 Abs. 3 FSF-Prüfordnung bestimmt die FSF sogar die zulässige Platzierung für eine eventuelle Wiederholung der Sendung.

179

So die Amtl. Begründung zu § 20 Abs. 3 JMStV.

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6. Rechtsverhältnis zwischen Rundfunkveranstaltern und der Selbstkontrolleinrichtung Die FSF ist ein privater Verein, bei dem praktisch alle überregionalen deutschen Fernsehsender Mitglied sind. Das Rechtsverhältnis zwischen den Mitgliedern und der FSF wird durch das Vereinsrecht (§§ 21 ff. BGB), vor allem aber durch die Satzung und die sonstigen Rechtsakte des Vereins (Prüfordnung, Vorlagesatzung) bestimmt. Die FSF agiert somit gegenüber den Fernsehsendern nicht in einem Subordinationsverhältnis, sondern in einem privatrechtlichen Gleichordnungsverhältnis. Auch Sender, die nicht Mitglied der FSF sind, können diese mit einer Prüfung beauftragen und schließen zu diesem Zweck einen Vertrag mit der FSF ab. Zwar nimmt die FSF mit dem Schutz der Jugend und der Menschenwürde Aufgaben wahr, die auch öffentliche Aufgaben sind; eine Beleihung der FSF mit Hoheitsgewalt und ein daraus folgendes öffentlichrechtlich geprägtes Rechtsverhältnis zu den Sendern besteht jedoch nicht 180. Zum Teil wird zwar eine solche Beleihung für Entscheidungen nach den § 8 Abs. 1, § 9 Abs. 1 JMStV angenommen 181. Der Amtlichen Begründung zu den §§ 8, 9 JMStV lässt sich allerdings nicht entnehmen, dass der Gesetzgeber der Selbstkontrolle Hoheitsgewalt übertragen wollte. Außerdem wäre es inkonsequent, wenn nur für den Randbereich der Sendezeitbeschränkungen und -ausnahmen eine Übertragung von Hoheitsgewalt stattgefunden hätte, die gesamte sonstige – viel bedeutsamere – Tätigkeit der FSF hingegen auf zivilrechtlicher Basis beruhte. Das Rechtsverhältnis zwischen Selbstkontrolleinrichtung und Anbieter sowie die Grundlagen der Arbeit der FSF ergeben sich folglich aus dem vereinsinternen oder dem Vertragsrecht. Auf dieses stützen sich die Befugnisse und die Sanktionsmöglichkeiten der FSF. a) Befugnisse der FSF bei der Prüfung Kontroll- und Prüfbefugnisse wie Zutrittsrechte, Einsicht in Akten oder Auskunftsrechte benötigt die Anerkannte Stelle im Rundfunkbereich zur Erfüllung ihrer Prüfaufgabe nicht. Eine Beleihung mit Hoheitsbefugnissen oder eine vertragliche Festlegung solcher Befugnisse sind daher nicht erforderlich.

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Mynarik, Jugendschutz, S. 141 ff.; a. A. Storr, DÖV 2007, 133 (139). Ullrich, MMR 2006, 743 (745) und Scholz/Liesching, JMStV, § 8 Rdn. 5, § 9 Rdn. 4, jeweils unter unzutreffendem Verweis auf Kreile/Diesbach, ZUM 2002, 849 (854); für die Befugnis zum Erlass von Richtlinien nach § 8 Abs. 1, § 9 Abs. 1 JMStV eine Beleihung annehmend Mynarik, Jugendschutz, S. 142. Sogar für die gesamte Tätigkeit der FSF eine Beleihung annehmend Storr, DÖV 2007, 133 (139). 181

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2. Teil: Referenzbereiche

Allerdings benötigt die Selbstkontrolle Informationen. Weil aber die FSF nur die Vereinbarkeit einer konkreten Sendung mit dem JMStV überprüft und keine Kontrolle der allgemeinen Programmgestaltung im Hinblick auf Jugendschutzfragen vornimmt, hält sich auch das Informationsbedürfnis in Grenzen. Bei Prüfanträgen werden die Sendung und die Platzierung vorgelegt, so dass die FSF hier die notwendigen Informationen besitzt 182. Die Informationsbeschaffung für die Kontrolle ist nur in Bezug auf zwei Fragen problematisch: Legen die Anbieter alle Sendungen vor, zu deren Vorlage sie durch die FSF-Vorlagesatzung verpflichtet sind und halten die Sender die Sendezeit- und Schnittvorgaben der FSF bei der Ausstrahlung tatsächlich ein? Bei beiden Problemen ist die FSF jedoch nicht auf Information durch die Sender angewiesen, denn eine laufende Programmkontrolle durch die FSF würde für beides ausreichen. Durch Zuschauerbeschwerden kann die FSF von Verstößen erfahren. Auch der Jugendschutzbeauftragte der Sender kommt als Informationsquelle in Betracht. Schließlich besteht der Informationsaustausch mit der KJM, über den die FSF ebenfalls Informationen über die Einhaltung der Vorlagepflicht und der Einhaltung ihrer Auflagen erhält. b) Sanktionen Um die Funktionsfähigkeit des Systems der Privaten Selbstkontrolle zu gewährleisten und die Entscheidungen der Selbstkontrolleinrichtungen von unverbindlichen Empfehlungen oder Rechtsgutachten abzuheben, muss die Selbstkontrolle neben der reinen Prüftätigkeit auch Möglichkeiten zur Durchsetzung ihrer Vorgaben haben. Auch die gemeinschafts- und völkerrechtlichen Vorschriften, die wie oben gezeigt (§ 3 B. I. 1. d) effektive Maßnahmen gegen Rechtsverstöße fordern, verlangen effektive Sanktionsmöglichkeiten. Sanktionen der Selbstkontrolleinrichtungen haben darüber hinaus noch eine weitere Funktion. Bisher wurden Sanktionen durch die hoheitliche Aufsicht verhängt, was öffentliche Ressourcen bei der Verhängung und Durchsetzung, vor allem aber in den Rechtsschutzverfahren band. Erfolgt die Sanktion jedoch durch eine Selbstkontrolleinrichtung, sind nur die Vereinsgremien und vereinsinternen Beschwerdeinstanzen damit befasst und müssen diese die Ressourcen für die Verfahren und die Durchsetzung aufbringen.

182 Allerdings könnte auch für die Beurteilung einer einzelnen Sendung das „Umfeld“ wichtig sein, etwa wenn eine jugendgefährdende Sendung zwar zu einer Sendezeit ausgestrahlt wird, zu der Minderjährige normalerweise nicht mehr fernsehen, aber dafür direkt im Anschluss an eine Sendung, die gerade auf Kinder ausgerichtet ist, so dass zu erwarten ist, dass viele Kinder „hängen bleiben“.

§ 3 Jugend- und Menschenwürdeschutz im Medienrecht

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Die notwendige Durchsetzungsfähigkeit der FSF soll daher durch die Sanktionsmechanismen der FSF-Satzung sichergestellt werden. Erfährt die FSF davon, dass ein Sender gegen die Satzung der FSF oder die Vorlagesatzung verstoßen hat, kann sie nach § 7 Abs. 4 FSF-Satzung gegen das entsprechende Mitglied vorgehen: Zuerst erfolgt ein schriftlicher Hinweis auf den Verstoß oder auch eine Veröffentlichung des Verstoßes; bei schweren oder wiederholten Verstößen kann eine Vereinsstrafe von bis zu 100.000 € verhängt werden. Bei Fortsetzung der Verstöße wird schließlich ein Vereinsausschluss angedroht und letztendlich auch vollzogen. Mit dem Ausschluss aus dem FSF e. V. verliert der Sender zum einen die mögliche Aufsichtsprivilegierung nach § 20 Abs. 3 JMStV; zum anderen dürfte auch der Ansehensverlust in der Öffentlichkeit nicht zu unterschätzen sein 183. Rechtsschutz gegen die Verhängung von Vereinsstrafen kann ein Mitglied nur vor den Zivilgerichten erhalten. Vereinsstrafen unterliegen der gerichtlichen Kontrolle 184, wobei die staatlichen Gerichte nur ein sehr begrenztes Prüfungsrecht haben: Sie kontrollieren nur das Verfahren, auf offensichtliche Unrichtigkeiten im Sachverhalt, Willkür, grobe Unbilligkeit und die Vereinbarkeit der Strafe mit der Satzung 185. Interne Rechtsschutzverfahren oder die Einschaltung eines Schiedsgerichts sieht die FSF-Satzung nicht vor. Zwar gibt es Berufung und „Revision“ gegen Entscheidungen der Prüfausschüsse; diese beziehen sich aber nur auf die Bewertung einer Sendung, nicht auf Sanktionen gegen Mitglieder. Ein Mitglied muss also „Primärrechtsschutz“ suchen, das heißt schon die negative Bewertung einer Sendung durch die Prüfausschüsse in allen „Instanzen“ der FSF angreifen.

D. Regulierte Selbstregulierung des Jugendschutzes in Telemedien Nicht nur im Rundfunk, auch bei Telemedien besteht die gesetzliche Möglichkeit zur Einführung Regulierter Selbstregulierung. Wurde in den ersten Entwürfen des JMStV noch vor allem auf einen technischen Jugendschutz (Jugendschutzsoftware der Anbieter, Selbstschutz der Konsumenten) gesetzt, sieht der geltende JMStV nur eine Selbstkontrolleinrichtung zur inhaltlichen Beurteilung und notfalls auch Bekämpfung von unzulässigen Online-Angeboten vor 186.

183 Immerhin handelt es sich um bundesweit agierende, sehr bekannte Unternehmen, die oft gerade mit ihrem sozialen Engagement und der Familienfreundlichkeit werben; es wäre ein gravierender Schaden für Pro7 oder RTL, wenn sie öffentlichkeitswirksam wegen wiederholter schwerer Verstöße gegen den Jugendschutz aus der FSF ausgeschlossen würden. 184 Hadding, in: Soergel, BGB, § 25 Rdn. 57; Reuter, in: MükoBGB, § 25 Rdn. 37 ff. 185 Hadding, in: Soergel, BGB, § 25 Rdn. 59. 186 Was daran liegen mag, dass technische Schutzmechanismen nicht vorhanden oder nicht ausgereift sind; laut einer Umfrage setzen aber auch nur ein Drittel aller Eltern

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2. Teil: Referenzbereiche

I. Unterschiede im Realbereich zwischen Telemedien und Rundfunk Auch wenn der JMStV einheitliche Maßstäbe und eine einheitliche Aufsicht für Rundfunk und Telemedien schaffen will, kommt man nicht umhin, zwischen beiden Bereichen deutliche Unterschiede im Realbereich zu konstatieren, die eine unterschiedliche Arbeitsweise von Selbstkontrolle und Aufsicht bedingen. Eine Rundfunksendung wird zu einer bestimmten Sendezeit einmalig deutschlandweit ausgestrahlt. Eine präventive Kontrolle durch die hoheitliche Aufsicht ist wegen Art. 5 Abs. 1 S. 3 GG begrenzt; hat sich ein Anbieter bei der Ausstrahlung einer Sendung nicht an die Vorgaben des JMStV gehalten, kann der Verstoß nicht mehr behoben werden, es kann nur noch mit Sanktionen reagiert werden. Allenfalls bei der Beurteilung von Serien (§ 8 Abs. 1 JMStV) und Formaten (§ 8 Abs. 2 JMStV) sowie für eine mögliche zukünftige Wiederholung der Sendung in derselben Fassung zur selben Zeit kann auch nach einem festgestellten Verstoß noch auf die zukünftige Präsentation des Angebots eingewirkt werden. Im Unterschied dazu bleibt es bei Telemedien häufig nicht bei einer einmaligen Ausstrahlung. Ein Angebot, das ins Netz gestellt wird, bleibt dort, bis es vom Anbieter zurückgezogen wird 187. Auch geht es möglicherweise nicht um ein einzelnes Angebot (Bilder oder Beiträge auf einer Homepage, postings in einem chat room, Online-Spiele), sondern um die gesamte Gestaltung eines InternetAuftritts (Zugang zur Homepage, Einbindung von Werbung oder eine Seite, die ausschließlich unzulässige Angebote vorhalten oder Zugang zu ihnen vermitteln will); mit dem Entfernen oder Sanktionieren eines einzelnen Angebots ist es dann nicht getan, statt dessen muss der Internet-Auftritt entweder komplett umgestellt oder ganz beendet werden. Das führt zu einem zusätzlichen Aufgabenbereich, den es so im Rundfunk nicht gibt. Sowohl die Selbstkontrolle als auch die Aufsicht können und müssen an den Anbieter herantreten und ihn zu einem Abstellen des Verstoßes auffordern; ihre Arbeit endet nicht bei der Feststellung, dass der Anbieter gegen den JMStV verstoßen hat (wie beim Rundfunk), sondern erfordert zusätzlich die Abstellung des andauernden Verstoßes. Außerdem ist die Art und Weise der Rechtsverstöße in Rundfunk und Telemedien sehr unterschiedlich: Im Internet sind die Hauptprobleme die Verbreitung kinderpornographischen Materials und rechtsextremistischer Propaganda 188, das

auf spezielle Kinderschutz-Software, der Rest hält die Anbieter für verantwortlich, den Jugendschutz einzuhalten (MediaPerspektiven 2004, 358). 187 Mynarik, Jugendschutz, S. 184: Größere Persistenz der Jugendschutzverstöße im Internet. 188 Daten und Beispielsfälle für den Missbrauch des Internets bei Vassilaki, MMR 2006, 212 (213).

§ 3 Jugend- und Menschenwürdeschutz im Medienrecht

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heißt teilweise schwere Straftaten. Im Fernsehen kommen solche Verstöße nicht vor, hier geht es eher um Würdeverletzungen und Geschmacklosigkeiten. Des Weiteren ist die öffentliche Wahrnehmung bei Rundfunk und Telemedien jeweils verschieden: Gibt es beim Rundfunk einige Dutzend Anbieter, die jeweils von Hunderttausenden oder Millionen gesehen werden, gibt es im Internet hunderttausende Anbieter, die aber zum Teil vielleicht nur von einigen Dutzend Surfern aufgesucht werden. Einen Überblick über das gesamte Angebot im Rundfunk kann man sich verschaffen, im Internet ist dies unmöglich. Im Rundfunk sind die Anbieter bekannt, weil sie eine Zulassung benötigen, im Online-Bereich ist dies nicht der Fall 189. II. Recht des Jugend- und Menschenwürdeschutzes in den Telemedien Die materiellrechtlichen Anforderungen an den Schutz der Jugend und der Menschenwürde sind für Telemedien grundsätzlich dieselben wie im Rundfunk und ergeben sich aus den §§ 4–6 JMStV und dem StGB 190. Lediglich § 4 Abs. 2 S. 2 JMStV erlaubt ausnahmsweise auch nach § 4 Abs. 2 S. 1 JMStV eigentlich unzulässige Angebote, wenn sie nur in geschlossenen Benutzergruppen angeboten werden und Minderjährige deshalb keinen Zugriff darauf haben. Die Durchsetzung des JMStV gegenüber den Anbietern von Telemedien erfolgt durch die Landesmedienanstalten in Gestalt der KJM (§ 14 Abs. 1 S. 1, § 20 Abs. 1 JMStV) 191, auch wenn die Telemedien keinen Rundfunk darstellen und die Landesmedienanstalten ansonsten für Internet-Anbieter grundsätzlich nicht zuständig sind. Das Aufsichtsinstrumentarium unterscheidet sich dabei grundlegend von dem im Rundfunkbereich, vor allem wegen der Zulassungs- und Anmeldefreiheit von Telemedien (§ 4 TMG, § 54 Abs. 1 S. 1 RStV) und der daraus resultierenden Informationslücken in Bezug auf die Anbieter. Die notwendigen Informationen erlangt die KJM vor allem durch die Stelle „jugendschutz.net“ 192. Diese wurde von den Jugendschutzministern der Länder gegründet und durch § 18 JMStV organisatorisch an die KJM angebunden. Jugendschutz.net überprüft Angebote in Telemedien (§ 18 Abs. 3 S. 1 JMStV), das heißt sie sucht von sich aus im Internet gezielt nach jugendschutzrelevanten Angeboten. Stellt sie einen Verstoß gegen den JMStV fest, stehen ihr jedoch keine eigenen

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Mynarik, Jugendschutz, S. 185. Zu den Inhalten und Verbreitungsformen „problematischer“ Angebote im Internet s. Greiner, Verhinderung verbotener Internetinhalte, S. 8 f. 191 Zur Rechtslage im „Internet“ vor Erlass des JMStV s. Walter, Inhalteregulierung im Internet, S. 63 ff. 192 Zu dieser Mynarik, Jugendschutz, S. 121 ff. 190

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2. Teil: Referenzbereiche

Hoheitsbefugnisse zur Verfügung; statt dessen kann sie die Anbieter nur unverbindlich auf den Verstoß hinweisen und zur Abstellung auffordern 193. Kommt der Anbieter dem nicht nach, muss jugendschutz.net das Verfahren an die KJM abgeben, die mit Aufsichtsmitteln gegen den Anbieter vorgehen 194 bzw. Bußgelder verhängen kann. Dabei kann es schwierig sein, den richtigen Adressaten zu ermitteln. Während im Rundfunk nur ein einziger Anbieter für ein bestimmtes Angebot verantwortlich ist, unterscheiden TMG und RStV (die insoweit nach § 2 Abs. 3 JMStV unberührt bleiben) danach, ob eigene Inhalte angeboten werden (Content-Provider), ob nur Zugang zu diesen Inhalten verschafft wird (Access-Provider), ob fremde Inhalte zwischengespeichert werden (Caching) oder ob fremde Inhalte gespeichert werden (Host-Provider) (§§ 7–10 TMG 195). Da der JMStV vor allem Vorgaben für die Inhalte von Angeboten (§§ 4, 5 JMStV) enthält, ist eine differenzierte Anwendung des JMStV auf die verschiedenen Anbieter notwendig 196. Bußgelder oder andere Sanktionen als Ausdruck rechtlicher Missbilligung dürfen nur gegen den Verantwortlichen für den Inhalt verhängt werden, also den Anbieter eigener Inhalte oder denjenigen, der rechtswidrige fremde Inhalte bereit hält und dies weiß oder wissen müsste (§§ 7 Abs. 1, 10 TMG). Einem Host-Provider hingegen, der Angebote speichert, die gegen den JMStV verstoßen, der von diesem Verstoß aber nichts weiß und auch nichts wissen muss, kann kein rechtlicher Vorwurf gemacht werden (§ 10 S. 1 Nr. 1 TMG). Die repressiven Instrumente sind aber ohnehin nur einsetzbar, wenn der Anbieter sowohl bekannt als auch erreichbar ist. Da Anbieter von Telemedien keine Erlaubnis benötigen (§ 4 TMG, § 54 Abs. 1 S. 1 RStV), ist der Widerruf einer „Sendeerlaubnis“ hier nicht möglich. Stattdessen stehen die Aufsichtsmittel des § 59 RStV zur Verfügung (§ 20 Abs. 4 JMStV), das heißt vor allem die Untersagung von Angeboten und die Sperrungsverfügung nach § 59 Abs. 3 RStV. Da ein Großteil der unzulässigen Angebote aus dem Ausland kommt, sind Bußgelder und Untersagungsverfügungen hier in der Regel nutzlos. Der einzige Ansatzpunkt für die KJM ist ein Vorgehen gegen deutsche Access- oder HostProvider, die zwar für den Inhalt nicht verantwortlich sind, gegen die aber trotzdem Sperrungs- oder Löschungsverfügungen ergehen können (§ 59 Abs. 4 RStV) 197.

193 Laut Auskunft des Leiters, Friedemann Schindler, in epd medien 36/2006, 10, kann jugendschutz.net aber in 65 bis 70 % der Fälle erfolgreich gegen beanstandete Seiten in Zusammenarbeit mit den Anbietern vorgehen. 194 Weigand, epd medien 51/2005, 9. 195 Die auf den Art. 12 – 14 E-Commerce-Richtlinie beruhen. 196 Zur Verantwortlichkeit – auch bei Hyperlinks und Suchmaschinen – ausführlich Mynarik, Jugendschutz, S. 82 ff.

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III. Öffentlichrechtliche Wirkungen der Entscheidungen der Freiwilligen Selbstkontrolle Die Relevanz einer Entscheidung einer anerkannten Einrichtung der Freiwilligen Selbstkontrolle für Telemedien für das öffentlichrechtliche System des Jugendund Menschenwürdeschutzes kommt in der zentralen Norm des § 20 Abs. 5 JMStV zum Ausdruck. Die FSM ist danach in die Beurteilung, ob ein Telemedium gegen die § 4 Abs. 2, § 5 JMStV verstößt, einzubeziehen. Damit kommt aber zugleich auch zum Ausdruck, welche Aufgaben der Selbstkontrolle von Seiten des Staates nicht zugedacht sind: Weder erfolgt eine Einbindung der Selbstkontrolle in die technische Ausgestaltung des Jugendschutzes (Entwicklung, Prüfung, Anerkennung von Jugendschutz- oder Filtersoftware), noch ist die FSM für Verstöße gegen § 4 Abs. 1 JMStV zuständig. § 4 Abs. 1 JMStV enthält aber gerade die unzulässigen Angebote, die im Internet die größten Probleme bereiten (rechtsradikale Propaganda und harte Pornographie). Letztlich beschränkt sich der (öffentlichrechtliche) Aufgabenbereich der Selbstkontrolle im Internet auf die Prüfung, ob ein Angebot einfache Pornographie darstellt oder nicht. 1. Freigabewirkung Wie im Rundfunk besteht auch bei Telemedien kein präventives Verbot mit Erlaubnisvorbehalt; eine öffentlichrechtliche Freigabeentscheidung muss daher nicht ergehen. § 20 Abs. 5 JMStV geht aber davon aus, dass eine Vorabkontrolle durch die Anerkannte Stelle überhaupt nicht stattfindet 198. Zwar gibt es bei Telemedien keine Sendezeit, ein erstmaliger Zeitpunkt des Ins-Netz-Stellens, vor dem eine präventive Prüfung stattfinden könnte, existiert jedoch sehr wohl. Anders als im Rundfunk (§ 20 Abs. 3 S. 1 JMStV) gibt es bei Telemedien auf den ersten Blick aber keine öffentlichrechtliche Privilegierung auf Grund einer präventiven Vorlage an eine Selbstkontrolleinrichtung.

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Im Endeffekt ist man damit wieder in derselben Situation wie die – zum Teil in der Literatur belächelte – Bezirksregierung Düsseldorf mit ihren im Februar 2002 erlassenen Sperrungsverfügungen gegen 90 (!) Internet-Anbieter (allein in Nordrhein-Westfalen), um den Zugang zu zwei in den USA gehosteten Seiten mit rechtsradikalen Inhalten zu untersagen; allg. zu den technischen Möglichkeiten der Verhinderung der Verbreitung unzulässiger Inhalte Greiner, Verhinderung verbotener Internetinhalte, S. 44 ff. 198 Ebenso Hartstein/Ring/Kreile/Dörr/Stettner, JMStV, § 20 Rdn. 35; Ukrow, Jugendschutzrecht, Rdn. 649; Mynarik, Jugendschutz, S. 169; anders aber Scholz/Liesching, JMStV, § 20 Rdn. 22, die eine präventive Kontrolle durch die Anerkannte Stelle auch bei Telemedien annehmen.

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2. Teil: Referenzbereiche

2. Wirkung der Entscheidung der Selbstkontrolle auf Aufsichtsmaßnahmen und Ordnungswidrigkeiten § 20 Abs. 5 JMStV behandelt alle Telemedien wie nicht vorlagefähige Rundfunksendungen nach § 20 Abs. 3 S. 2 JMStV (s. o. § 3 C II. 2. b). Bevor die KJM als hoheitliche Aufsicht Sanktionen gegen einen Anbieter von Telemedien verhängen will, hat sie eine Bewertung der Selbstkontrolleinrichtung einzuholen. Hält die FSM das Angebot doch für mit dem JMStV vereinbar und überschreitet sie dabei ihren Beurteilungsspielraum nicht, kann die KJM weder Aufsichtsmaßnahmen noch Bußgelder verhängen. Nimmt die FSM ebenfalls einen Verstoß an und verhängt dafür eine eigene angemessene Sanktion, sind weitergehende Sanktionen der KJM ebenfalls unzulässig. § 20 Abs. 5 JMStV spricht dabei undifferenziert von Anbietern von Telemedien. Bei den Anbietern muss jedoch wie oben gezeigt, zwischen Content-, Host- und Accessprovidern unterschieden werden. Vor Maßnahmen gegen Inhalteanbieter, vor allem wenn sie ein Unwerturteil beinhalten (wie beispielsweise die Verhängung eines Bußgeldes), fordert § 20 Abs. 5 JMStV eine Beurteilung des Inhalts durch die FSM. Access-Provider sind jedoch für den Inhalt der Telemedien, zu denen sie Zugang vermitteln, nicht verantwortlich, weswegen sie auch nicht gegen den JMStV verstoßen können. Deshalb sind auch Sanktionen, vor denen sie durch eine Teilnahme an der Selbstkontrolle geschützt werden könnten, gegen sie nicht zulässig. Eine Privilegierung gewährt der JMStV den Access-Providern insofern trotzdem, wenn auch Sperrungsanordnungen nach § 59 Abs. 4 RStV gegen Access-Provider nicht zulässig sind, falls die FSM den Inhalt des Telemediums, zu dem Zugang vermittelt wird, für mit dem JMStV vereinbar hält 199. Allerdings ist eine Inanspruchnahme der Access-Provider nach § 59 Abs. 4 RStV nur zulässig, wenn der Inhalteanbieter nicht bekannt oder nicht greifbar ist, vor allem also bei der Vermittlung zu Inhalten aus dem Ausland; ausländische Angebote werden aber von der FSM nicht geprüft, es sei denn, sie sind speziell auf Deutschland ausgerichtet (§ 4 FSM-BeschwO). Bei diesen geht es nicht um eine Privilegierung für den Inhalteanbieter (weil eine solche Privilegierung nach § 20 Abs. 5 JMStV nur FSM-Mitgliedern zu gute kommt, ausländische Inhalteanbieter aber nicht Mitglied sein können), sondern um die Prüfung, ob das Angebot als solches gegen den JMStV verstößt und ein Access-Provider deshalb nach § 59 Abs. 4 RStV in Anspruch genommen werden kann.

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Die Literatur zum JMStV geht – soweit ersichtlich – auf dieses Problem nicht ein; Rspr. gibt es noch nicht.

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Will die KJM den Access-Provider T-Online verpflichten, den Zugang zu einer USamerikanischen Homepage mit pornographischem Inhalt zu sperren, kann nicht zuerst die FSM damit befasst werden; zwar ist T-Online Mitglied der FSM, aber die FSM hat sich für ausländische Angebote für unzuständig erklärt.

Im Unterschied zur einmaligen Ausstrahlung im Rundfunk können Telemedien auf dauernde Präsenz angelegt sein; anders als bei Rundfunksendungen ist mit der Ausstrahlung der Verstoß noch nicht beendet. Die Selbstkontrolle urteilt also nicht über bereits erfolgte, nicht mehr abänderbare Verstöße gegen den Jugendschutz; stattdessen besteht die Möglichkeit, das umstrittene Angebot so zu verändern bzw. zu entschärfen, dass es dem JMStV (noch) entspricht. Die FSM kann den Anbieter zu bestimmten Maßnahmen verpflichten, mit denen der Verstoß abgestellt wird (§ 11 Abs. 5 FSM-Beschwerdeordnung). Auch wenn der JMStV es nicht vorsieht, kann der FSM somit doch eine präventive, gestaltende Funktion zukommen, indem sie bei der Beurteilung eines Angebots zwar einen Verstoß feststellt, dem Anbieter gleichzeitig aber Auflagen macht, bei deren Einhaltung der Verstoß abgestellt wird. Ist auch nach Meinung der KJM durch die Änderungen des Anbieters dem Verstoß abgeholfen, wird sie von sich aus von weiteren Maßnahmen absehen. Andererseits kann die KJM die Änderungen auch für ungenügend halten; hat der Anbieter aber die Vorgaben der FSM eingehalten und hat die FSM dabei ihren Beurteilungsspielraum nicht überschritten, darf die KJM nicht weiter gegen den Anbieter vorgehen 200. Eine Prüfung durch die FSM kann des Weiteren bei Host-Providern auch außerhalb des § 20 Abs. 5 JMStV indirekt öffentlichrechtliche Wirkung entfalten. Diese Provider sind für die bei ihnen gespeicherten Inhalte nur verantwortlich, wenn sie von deren Rechtswidrigkeit Kenntnis haben; wird ein Host-Provider also etwa durch eine Nutzerbeschwerde auf einen möglicherweise unzulässigen Inhalt hingewiesen, muss er diesen unverzüglich und auf eigene Kosten prüfen, um dem Risiko einer Verantwortlichkeit nach § 10 S. 1 Nr. 2 TMG zu entgehen. Diese Prüfung – für die die Anbieter eigene, Kosten verursachende Fachleute bräuchten – nimmt die FSM den Anbietern ab 201.

200 § 20 Abs. 4 JMStV verweist auch auf § 59 Abs. 3 S. 3–5 RStV, die das Verhältnismäßigkeitsprinzip ausdrücklich festschreiben. Eine Maßnahme der KJM wäre hier aber nicht nur unverhältnismäßig, sondern mit dem System der Regulierten Selbstregulierung nicht vereinbar, demzufolge vorrangig die Selbstkontrolle für eine Einhaltung der Jugendschutzbestimmungen sorgen soll und die KJM nur eingreift, wenn die Selbstkontrolle ihre Aufgabe nicht ordnungsgemäß erfüllt. 201 Holznagel, Beiheft 4 DV 2001, 81 (97).

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2. Teil: Referenzbereiche

3. Wirkung präventiver Entscheidungen der FSM Der JMStV sieht nur Entscheidungen der FSM auf Initiative der KJM vor, das heißt, nachdem die Aufsicht einen möglichen Verstoß bereits entdeckt hat. Die FSM prüft jedoch Telemedien nicht nur auf Vorlage durch die KJM, sondern auch von sich aus (stichprobenartig) 202 bzw. auf Grund von Nutzerbeschwerden. Da § 19 Abs. 3 Nr. 6 JMStV ausdrücklich die Einrichtung einer Beschwerdestelle fordert, ist die Prüfung auf Grund von Nutzerbeschwerden sogar indirekt öffentlichrechtlich anerkannt. Auch Prüfungen aus diesen Anlässen führen zu einer Entscheidung über die Vereinbarkeit des Telemediums mit dem JMStV. Fraglich ist, inwieweit auch diese „präventiven“, das heißt ohne Veranlassung durch die KJM entstandenen, Entscheidungen die KJM binden. Der Wortlaut des § 20 Abs. 5 JMStV verhält sich dazu nicht, ebenso wenig wie die Gesetzesbegründung. Für eine Bindungswirkung spricht, dass es rein zufällig ist, ob die FSM zuerst durch eine Nutzerbeschwerde oder eine Beschwerde der KJM auf ein Angebot aufmerksam wird und der Prüfungsmaßstab danach derselbe ist. Die FSM muss laut Anerkennungsakt die KJM über alle laufenden Verfahren und Maßnahmen unterrichten, so dass die KJM auch von Prüfungen auf Grund von Nutzerbeschwerden erfährt und sich diesen anschließen kann, das heißt ihre eigene Sicht darlegen und auf weitergehende Verstöße hinweisen kann, sowie gegen Entscheidungen der Prüfausschüsse „Berufung“ und „Revision“ bei der FSM einlegen kann. Diese Beteiligungsmöglichkeit rechtfertigt es, die KJM auch an Entscheidungen der FSM zu binden, die nicht auf Vorlage durch die KJM zustande gekommen sind. Die andere Möglichkeit wäre, dass die KJM das erste Votum ignoriert und die FSM vor eigenen Maßnahmen erneut mit der Prüfung des Telemediums befasst; das Prüfergebnis der FSM dürfte in diesem Fall aber meist mit ihrer ersten Entscheidung übereinstimmen. 4. Wirkungen im Strafverfahren Grundsätzlich gilt für die Wirkung einer positiven Beurteilung durch die FSM in einem Strafverfahren dasselbe wie bei Entscheidungen der FSF im Rundfunk. Eine Vorabkontrolle eines Angebots (die zwar öffentlichrechtlich nicht privilegiert ist, aber trotzdem von der FSM vorgenommen wird) kann, ähnlich wie eine

202 Nach § 4 Nr. 3 FSM-Satzung verpflichten sich die Mitglieder bei einem Beitritt zur FSM, ihr gesamtes Angebot im Vorhinein von der FSM beurteilen zu lassen. Auch führt die FSM nach § 1 Nr. 2 FSM-Beschwerdeordnung stichprobenartige Prüfungen der Angebote ihrer Mitglieder durch. Wie im Rundfunk findet daher auch bei Telemedien zum Teil eine vorherige Kontrolle statt, wobei die FSM auch die Vereinbarkeit mit § 4 Abs. 1 JMStV prüft.

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positive Vorabentscheidung der FSF, Auswirkungen auf den Vorsatz oder das Rechtswidrigkeitsbewusstsein (§§ 16, 17 StGB) des Anbieters haben. Ansonsten ist der Wortlaut des § 20 Abs. 5 JMStV eindeutig: „Maßnahmen nach Absatz 1 sind unzulässig“, wenn die FSM im Rahmen ihres Beurteilungsspielraums einen Verstoß gegen den JMStV verneint. Maßnahmen nach § 20 Abs. 1 JMStV sind aufsichtsrechtliche Maßnahmen der Landesmedienanstalten. Eine Privilegierung in Strafverfahren ist mit dem Wortlaut noch weniger vereinbar als bei § 20 Abs. 3 S. 1 JMStV (s. o. § 3 C. II. 5.). Trotzdem behauptet die Gesetzesbegründung zu § 20 Abs. 5 JMStV, die Privilegierung erstrecke sich auch auf Strafverfahren. Dabei ist zu beachten, dass Prüfungsmaßstab der FSM ohnehin nur § 4 Abs. 2, § 5 JMStV ist. Verstöße gegen § 4 Abs. 1 JMStV, der mit den objektiven Tatbeständen der §§ 86, 86a, 130, 130a, 184 ff. StGB übereinstimmt, kann die FSM (mit öffentlichrechtlicher Wirkung) nicht beurteilen, eine Auswirkung auf Strafverfahren nach diesen Normen kommt also nicht in Betracht. Übrig bleibt nur der Straftatbestand des § 184 i. V. m. § 184c StGB (einfache Pornographie), der sich weitestgehend mit dem § 4 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 JMStV überschneidet und der Tatbestand des § 23 JMStV. Zur Regelung der Strafbarkeit nach §§ 184, 184c StGB fehlt den Landesgesetzgebern die Kompetenz (s. o. § 3 C II. 5.); einen Strafbarkeitsausschluss für Taten nach § 23 JMStV dürften sie allerdings regeln. Da eine solche Absicht im Wortlaut des § 20 Abs. 5 i. V. m. Abs. 1 JMStV aber keinen Anhaltspunkt gefunden hat, besteht auch hier keine privilegierende Wirkung einer Entscheidung der Selbstkontrolleinrichtung im Strafverfahren. 5. Sonstige Zuständigkeiten der FSM Die Befugnis zum Erlass allgemeiner Richtlinien in den § 8 Abs. 1, § 9 Abs. 1 JMStV gilt nur für den Rundfunk 203. Die Regelungen des JMStV zu den Telemedien enthalten keine entsprechenden Befugnisse. Die FSM kann hingegen ebenfalls Prüfordnungen aufstellen, die im Rahmen ihres Beurteilungsspielraums allgemeine Vorgaben für die Prüfer bei der Beurteilung konkreter Angebote machen. Der Verhaltenskodex der FSM (wie auch etwaige Subkodizes wie zum Beispiel der der Suchmaschinenbetreiber) wird vom JMStV nicht rezipiert. Nur in den Telemedien und nicht im Rundfunk besteht hingegen die Wirkung der Mitgliedschaft in der FSM in Bezug auf die Bestellung eines Jugendschutzbe-

203 Dies mag auf den ersten Blick einleuchtend erscheinen. Da aber § 5 Abs. 2 JMStV, von dessen Sendezeiten nach § 8, § 9 Abs. 1 JMStV abgewichen werden kann, auch für Telemedien „Sendezeiten“ festlegt, stellt sich die Frage, warum nicht auch wie im Rundfunk nach §§ 8, 9 Abs. 1 JMStV für Telemedien durch Richtlinien weitergehende Beschränkungen oder Ausnahmen in Bezug auf die Sendezeit zulässig sind.

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2. Teil: Referenzbereiche

auftragten 204. Nach § 7 Abs. 2 JMStV müssen kleinere Anbieter von Telemedien keinen eigenen Jugendschutzbeauftragten bestellen, wenn sie Mitglied einer Selbstkontrolleinrichtung sind (die nicht notwendig anerkannt im Sinne des § 19 Abs. 3 JMStV sein muss) und diese für den Anbieter die Aufgabe des Jugendschutzbeauftragten übernimmt. IV. Grenze der öffentlichrechtlichen Wirkung einer Entscheidung der FSM Wie § 20 Abs. 3 S. 1 JMStV im Rundfunk bei Entscheidungen der FSF begrenzt auch § 20 Abs. 5 S. 2 JMStV bei Entscheidungen der FSM deren Wirkung für den Fall einer Überschreitung des Beurteilungsspielraums. Besonderheiten im Vergleich zur Situation im Rundfunk ergeben sich nicht, so dass zu Umfang und Begrenzung des Beurteilungsspielraums auf die obigen Ausführungen verwiesen werden kann (§ 3 C. III.). V. Durchführung der Prüfung durch die Selbstkontrolleinrichtung 1. Prüfungsmaßstab der Selbstkontrolleinrichtung a) Vorgaben des JMStV § 20 Abs. 5 JMStV sieht eine Befassung der FSM bei allen Verstößen gegen den JMStV mit Ausnahme des § 4 Abs. 1 vor. Die Begrenzung auf Verstöße gegen den Jugendschutz durch den Wortlaut des § 20 Abs. 5 S. 1 JMStV ist wie bei § 20 Abs. 3 JMStV wohl eher ein Redaktionsversehen (s. o. § 3 C. IV. 1.); auf Grund des Ausschlusses des § 4 Abs. 1 JMStV vom Prüfungsumfang dürfte sich die Tätigkeit der FSM allerdings wirklich auf Verstöße gegen den Jugendschutz konzentrieren. Der eindeutige Ausschluss des § 4 Abs. 1 JMStV vom Prüfungsauftrag gerade bei der Selbstkontrolle für Telemedien überrascht, denn Verstöße gegen § 4 Abs. 1 JMStV dürften nur bei Telemedien Bedeutung erlangen. Dass im Rundfunk rechtsextremistische Propaganda 205 oder Kinderpornographie ausgestrahlt werden, ist wenig wahrscheinlich, wohingegen gerade im Internet solche Verstöße verbreitet sind. Auch § 5 JMStV gilt insgesamt für Telemedien. Zwar könnte man davon ausgehen, dass die Sendezeitbeschränkungen nur für den Rundfunk gelten und die

204

Zu diesem näher Mynarik, Jugendschutz, S. 94 ff. Allenfalls bei Live-Sendungen kann es zu verbalen „Ausfällen“ von Teilnehmern oder Interviewpartnern kommen; gerade bei Live-Sendungen prüft die FSF nach § 20 Abs. 3 S. 2 JMStV aber auch nicht auf Verstöße gegen § 4 Abs. 1 JMStV. 205

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technischen Beschränkungen, zum Beispiel durch Jugendschutzsoftware, eher für Telemedien 206. Nach der Amtlichen Begründung gilt § 5 Abs. 3 Nr. 2 und damit auch § 5 Abs. 4 JMStV aber auch für Telemedien 207. Ob ein Telemedium in Deutschland vor oder nur nach 23:00 Uhr zugänglich ist, ist daher von der FSM ebenfalls zu berücksichtigen. b) Prüfung der Einhaltung sonstiger Anforderungen Der Aufgabenbereich der FSM beschränkt sich nicht auf die Überprüfung der Einhaltung des JMStV. Der nach § 4 Abs. 2 FSM-Satzung für alle FSM-Mitglieder verbindliche FSM-Verhaltenskodex ist zwar weitestgehend dem JMStV nachgebildet 208 bzw. bleibt in seinen Anforderungen noch unspezifischer als dieser; daneben führt der Verhaltenskodex unabhängig vom JMStV aber noch zusätzliche Pflichten ein, die auch Grundlage der Prüftätigkeit der Beschwerdestelle und -ausschüsse sind (§ 1 Abs. 4 FSM-Beschwerdeordnung). Zudem konkretisiert er auch jugendschutzunabhängige gesetzliche Vorgaben für Anbieter von Telemedien. Zum Beispiel entspricht Ziff. 8 FSM-Verhaltenskodex (Einhaltung anerkannter journalistischer Grundsätze) dem § 54 Abs. 2 RStV, Ziff. 11 FSM-Verhaltenskodex (Anbieterkennzeichnung) den §§ 5, 6 TMG, 55 RStV. Auch zur Einhaltung über den JMStV hinausgehender Vorgaben findet somit eine Selbstkontrolle statt; diese ist jedoch weder vom Gesetzgeber gefordert noch wird sie hoheitlich beaufsichtigt, so dass es sich hierbei um eine reine Selbstkontrolle und keinen Fall der Regulierten Selbstregulierung handelt. Öffentlichrechtliche Wirkung hat eine solche Selbstkontrolle nicht. 2. Entscheidungsinhalt Die FSM entscheidet, ob das ihr vorgelegte Telemedium in seiner konkreten Form gegen den JMStV verstößt oder nicht. Stellt sie einen Verstoß fest, kann sie den Anbieter zur Abstellung auffordern und für den Fall der Nichtbefolgung vereinsinterne Sanktionen verhängen. Wird ein Verstoß verneint, bindet diese Entscheidung die KJM und verhindert hoheitliche Sanktionen gegen den Anbieter.

206

Ebenso wie für den Rundfunk, z. B. bei digitalem, verschlüsseltem Rundfunk. Durch spezielle Software soll es möglich sein, Online-Angebote nur zu bestimmten Tageszeiten zugänglich zu machen und den Zugang auch auf bestimmte Zeitzonen zu beschränken. S. Bericht in epd medien 71/2006, 25 f. und Hoeren, MMR 2007, 3 ff. zum sog. „Geotargeting“, wonach die geographische Herkunft eines Nutzers anhand seiner IPAdresse bestimmt und somit das Angebot für Nutzer eines bestimmten Landes gesperrt werden kann. 208 Kritisch dazu schon Holznagel, Beiheft 4 DV 2001, 81 (98 f.). 207

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2. Teil: Referenzbereiche

Zu unterscheiden sind dabei Prüfungen auf Veranlassung der KJM nach § 20 Abs. 5 JMStV, die sich nicht auf die Vereinbarkeit mit § 4 Abs. 1 JMStV erstrecken und für den Anbieter aufsichtsrechtliche Privilegierungen zur Folge haben können, und die vereinsinterne Prüfung, die auf Vorlage der Anbieter bzw. durch Stichproben der FSM-Prüfstelle erfolgt und die die in der Satzung vorgesehenen zivilrechtlichen Wirkungen (Rüge, Vereinsstrafe, Vereinsausschluss) haben kann. 3. Prüfverfahren Die FSM prüft Angebote, bevor sie ins Netz gestellt werden (§ 4 Nr. 3 FSMSatzung) und auch danach nimmt sie von sich aus stichprobenartige Kontrollen vor (§ 1 Nr. 2 FSM-Beschwerdeordnung). Die vorherige Prüfung ist eine Dienstleistung für Anbieter, die sich über die Vereinbarkeit ihres Angebots mit dem JMStV vergewissern möchten. Die Stichproben dienen der Entlastung der hoheitlichen Aufsicht, die bei dem unübersichtlichen Angebot im Internet auf jede Unterstützung angewiesen ist. Hauptsächlicher Anlass für ein Prüfverfahren ist allerdings eine Vorlage der KJM nach § 20 Abs. 5 JMStV. a) Laufende Kontrolle des Angebots Anders als die FSF nimmt die FSM ausdrücklich eine stichprobenartige Kontrolle der Angebote ihrer Mitglieder vor (§ 1 Nr. 2 FSM-Beschwerdeordnung). Auch verlangt sie, dass sie bei Änderungen des Angebots informiert wird (§ 4 Nr. 3 FSM-Satzung). Hartstein/Ring/Kreile/Dörr/Stettner 209 gehen sogar davon aus, dass die Selbstkontrolleinrichtung verpflichtet sei, alle Angebote zu prüfen, weil nach § 20 Abs. 5 JMStV auch das Unterlassen einer Entscheidung der FSM durch die KJM geprüft werde. Aus § 20 Abs. 5 JMStV lässt sich eine solche Pflicht jedoch nicht herleiten: Er regelt nicht die Aufsicht über die Selbstkontrolleinrichtungen, sondern über die Anbieter (§ 20 Abs. 1 JMStV). Nicht das Unterlassen der FSM wird also geprüft, sondern das Angebot eines Anbieters. Und gegen diesen sind Maßnahmen nur nach einer vorherigen Befassung der FSM zulässig, wobei die Entscheidung der FSM auch darin bestehen kann, dass sie das Angebot für mit dem JMStV vereinbar hält und es unterlässt, Sanktionen gegen den Anbieter zu verhängen. Die KJM prüft nur, ob sich die FSM durch das Unterlassen einer Maßnahme an ihren Beurteilungsspielraum hält; ist dies nicht der Fall, geht sie nicht gegen die FSM vor, sondern gegen den Anbieter 210.

209

Hartstein/Ring/Kreile/Dörr/Stettner, JMStV, § 20 Rdn. 38. Allerdings ist zuzugeben, dass die Formulierung des Gesetzes unsinnig ist, weil eine Entscheidung der Selbstkontrolle nicht unterlassen wird. Auch eine Entscheidung, nichts zu unternehmen, ist eine Entscheidung und kein Unterlassen. 210

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Die laufende Programmkontrolle wird öffentlichrechtlich nicht gefordert. Auch findet keine Rezeption der Kontrolle durch den JMStV statt; im Gegenteil erteilt § 20 Abs. 5 JMStV nur eine aufsichtsrechtliche Privilegierung bei der nachträglichen Prüfung, das heißt wenn der KJM das Angebot bereits aufgefallen ist. Nimmt ein Anbieter auf Grund der Stichproben der FSM sein Angebot aus dem Netz, wird ein öffentlichrechtliches Einschreiten von vornherein unterbunden. Erfolgt aber nur eine Modifizierung, um Auflagen der FSM zu genügen, muss auch dieser Entscheidung der FSM Bindungswirkung zukommen (s. o. § 3 D. III. 3.). b) Prüfung eines Angebots auf Vorlage der KJM Wichtigster Aufgabenbereich der FSM – nicht nur wie vom JMStV vorgesehen, sondern auch nach eigener Aufstellung 211 – ist allerdings die nachträgliche Kontrolle von Angeboten, vor allem auf Grund von Beschwerden von Internetnutzern oder Anträgen der KJM. Anders als bei der FSF sind auch Träger der Jugendhilfe antragsberechtigt 212; erst dadurch ergibt auch das von § 19 Abs. 3 Nr. 4 JMStV geforderte Berufungsrecht dieser Stellen einen Sinn. Bei Beschwerden leitet die Beschwerdestelle der FSM ein Vorverfahren ein, in dem offensichtlich unbegründete Beschwerden ausgeschieden werden 213; über die restlichen Beschwerden wird der jeweilige Anbieter informiert und zu einer Stellungnahme aufgefordert. Außerdem wird der Inhalteanbieter und der Betreiber des Servers, auf dem das Angebot gespeichert ist, ermittelt (im Hinblick auf deren subsidiäre Inanspruchnahme; s. u. § 3 D. V. 4. b). Nach Abschluss des Vorverfahrens wird der Prüfantrag an den Beschwerdeausschuss weitergeleitet, der das beanstandete Angebot auf seine Vereinbarkeit mit dem JMStV und den dazu erlassenen Richtlinien und Satzungen von KJM und Landesmedienanstalten prüft (§ 10 Nr. 3 FSM-Beschwerdeordnung). Wird kein Verstoß festgestellt, wird die Beschwerde als unbegründet zurückgewiesen (§ 11 Nr. 2 FSM-Beschwerdeordnung); ansonsten können Maßnahmen nach § 11 Nr. 4 – 9 FSM-Beschwerdeordnung ergriffen werden. Gegen die Entscheidung des Beschwerdeausschusses können der Beschwerdegegner (also der Anbieter), der Beschwerdeführer (also z. B. die KJM) oder ein Träger der Jugendhilfe Berufung einlegen (§ 14 Nr. 1 FSM-Beschwerdeordnung).

211

FSM Jahresbericht 2003, S. 12. Im Rundfunk können die Träger der Jugendhilfe nur Berufung gegen die Entscheidung der FSF einlegen (wie von § 19 Abs. 3 Nr. 4 JMStV vorgesehen), können aber die Entscheidung selbst nicht beantragen (vgl. zur Antragsberechtigung § 2 FSF-Prüfordnung) und sind auch über die Entscheidung nicht zu informieren. 213 Wobei Anträge der KJM nie im Vorverfahren ausgeschieden werden, § 6 Nr. 4 FSMBeschwerdeordnung. 212

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2. Teil: Referenzbereiche

Zur Sicherung der Einheitlichkeit der Entscheidungspraxis und bei grundlegenden Fragen kann danach noch ein Gemeinsamer Ausschuss als „Revisionsinstanz“ angerufen werden (§ 15 Nr. 1, 2 FSM-Beschwerdeordnung). c) Informationsgewinnung und -weitergabe Die Regelung des Informationsflusses ist zwar keine Angelegenheit des JMStV, trotzdem ist gerade wegen der Fülle und Unübersichtlichkeit des Angebots im Internet die Informationsgewinnung und -weitergabe von zentraler Bedeutung. Durch die Einrichtung der Beschwerdestelle und die laufende Kontrolle der Angebote ihrer Mitglieder gewinnt die FSM Informationen über das Angebot im Netz. Aber auch Prüfanträge der KJM und Beschwerden von Trägern der Jugendhilfe tragen zur Informationsgewinnung bei. Die so gewonnenen Informationen werden von der FSM an zahlreiche Stellen weitergegeben. Zum einen werden bei strafrechtlich relevanten Inhalten die Strafverfolgungsbehörden informiert (in Bezug auf Kinderpornographie z. B. das Bundeskriminalamt), bei Angeboten aus dem Ausland werden die Beschwerden an die zuständige ausländische Selbstkontrolleinrichtung weitergeleitet, Beschwerden gegen Nicht-Mitglieder werden an die KJM weitergeleitet, die BPjM und jugendschutz.net werden informiert. Vor allem aber werden Beschwerden gegen die Inhalte von Nicht-Mitgliedern an die Access- und Host-Provider weitergeleitet. Host-Provider im Sinne des § 10 TMG sind grundsätzlich für Angebote nicht verantwortlich; erhalten sie jedoch Kenntnis vom Inhalt rechtswidriger Angebote auf ihrem Server, sind sie verpflichtet, diese unverzüglich zu sperren oder zu entfernen. Kommen sie dem nicht nach, verlieren sie ihre Privilegierung nach § 10 TMG. Durch die Mitteilung der FSM erlangen die Host-Provider zuverlässige Kenntnis von unzulässigen Angeboten. Unabhängig vom JMStV werden die Host-Provider somit indirekt gezwungen, gegen die Angebote vorzugehen, weil im Falle eines Untätigbleibens die Betreiber selbst straf- oder zivilrechtlicher Haftung ausgesetzt sein können 214. d) Einbindung der Nutzer Gerade wegen der Unübersichtlichkeit und Überfülle des Angebots im Internet, an der jede hoheitliche oder private Aufsicht an ihre Kapazitätsgrenzen stoßen muss, ist eine Einbindung der Internetnutzer in die Überwachung unverzichtbar. Die FSM räumt der Regelung der Beschwerdestelle und der Beschwerdeausschüsse 214 Ein Host-Provider, auf dessen Server sich z. B. kinderpornographisches Material befindet, macht sich nach § 184b StGB strafbar, wenn er davon weiß und nichts dagegen unternimmt.

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daher einen hohen Stellenwert ein (anders als bei der FSF, wo die Beschwerdestelle nur kurz erwähnt, aber nicht näher geregelt wird). In § 12 FSM-Satzung und der FSM-Beschwerdeordnung findet das Beschwerdeverfahren eine ausführliche Regelung; auch die Prüftätigkeit als solche wird auf die Beschwerdeausschüsse verlagert, was die enge Verzahnung zwischen der Entgegennahme von Beschwerden und der inhaltlichen Kontrolle von Angeboten zeigt. 4. Rechtsverhältnis zwischen FSM und Anbietern von Telemedien Ebenso wie die FSF ist die FSM ein privater Verein, bei dem im Gegensatz zum Rundfunk aber nur ein geringer Bruchteil aller (deutschen) Anbieter von Telemedien Mitglied ist. Das Rechtsverhältnis zwischen FSM und den Anbietern basiert ebenso wie im Rundfunk auf dem vereinsinternen Recht, also vor allem auf der Satzung der FSM und der Beschwerdeordnung. Eine Beleihung der FSM ist nicht erfolgt. a) Befugnisse der FSM bei der Prüfung Die KJM legt der FSM einen Sachverhalt zur Beurteilung vor; eigene Ermittlungen und dafür nötige Befugnisse der FSM sind daher nicht erforderlich. Aber auch eine eigenständige Überwachung des Angebots von Telemedien durch die FSM – die unabhängig vom JMStV erfolgt – bedarf in den meisten Fällen keiner speziellen Ermächtigung, weil die Angebote ohnehin für jeden zugänglich sind. Bei nicht frei zugänglichen Angeboten sieht § 21 JMStV vor, dass der KJM ungehindert und unentgeltlich Zugang zu allen Angeboten gewährt werden muss. Denselben Anspruch hat nach § 4 Abs. 2 FSM-Satzung i. V. m. Ziff. 13 des FSM-Verhaltenskodexes auch die FSM gegenüber ihren Mitgliedern. Informationen kann die FSM des Weiteren auch dadurch erhalten, dass sie nach § 7 Abs. 2 JMStV für manche Anbieter von Telemedien als Jugendschutzbeauftragte fungieren darf. Nach § 7 Abs. 3 JMStV und § 4 Nr. 3, 4 FSM-Satzung bestehen umfassende Mitteilungs- und Auskunftspflichten, sowie Pflichten zur Vorabkontrolle und Vorlage. Eine Beleihung mit Hoheitsbefugnissen ist demnach für die Arbeit der FSM nicht erforderlich. b) Sanktionen Sanktionsmöglichkeiten der FSM ergeben sich aus § 8 Abs. 6, § 7 FSM-Satzung und § 11 Nr. 4 FSM-Beschwerdeordnung. Danach können Hinweise mit Abhilfeaufforderung, Rügen, Vereinsstrafen oder ein Vereinsausschluss erfolgen. Rügen müssen im Online-Auftritt des betroffenen Anbieters veröffentlicht werden. Die Wirkung eines Vereinsausschlusses beschränkt sich bei Telemedien nicht auf den Entzug der Aufsichtsprivilegierung und den Ansehensverlust in der Öffentlichkeit;

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2. Teil: Referenzbereiche

gleichzeitig entfällt damit eine Stellung der FSM als Jugendschutzbeauftragte im Sinne des § 7 Abs. 2 JMStV, so dass der ausgeschlossene Anbieter einen eigenen Beauftragten bestellen muss. Sollte ein Inhalteanbieter die Entscheidung der FSM nicht befolgen, sind nach § 13 FSM-Beschwerdeordnung nachrangige Diensteanbieter (Access-, Cache-, Host-Provider) zur Sperrung des beanstandeten Angebots verpflichtet, wenn sie Mitglieder der FSM sind 215.

E. Jugend- und Menschenwürdeschutz im Pressewesen Im Folgenden soll neben den Online-Medien (Rundfunk und Internet) auch kurz die Rechtslage im Hinblick auf den Schutz der Jugend und der Menschenwürde im Pressewesen (also den auf Trägermedien verkörperten Druckerzeugnissen oder „Offline-Medien“ 216) dargestellt werden, allerdings beschränkt auf die praktisch relevante periodisch erscheinende Presse, das heißt vor allem Zeitschriften und Zeitungen. Die Presseselbstkontrolle ist der Paradefall der reinen Selbstregulierung im Medienbereich und soll hier als Vergleichsmodell für die Regulierte Selbstregulierung in anderen Medienbereichen vorgestellt werden. I. Gesetzlicher Rahmen des Pressewesens Der JMStV gilt nur für Rundfunk und Telemedien, nicht für die Presse. Das Pressewesen unterliegt keiner verwaltungsrechtlichen Regulierung, auch nicht im Hinblick auf den Schutz der Jugend oder der Menschenwürde. Verwaltungsbehörden, die ein Druckwerk vor Erscheinen auf die Vereinbarkeit mit gesetzlichen Bestimmungen überprüfen, wären mit dem Vorzensurverbot des Art. 5 Abs. 1 S. 3 GG nicht vereinbar. Aber auch sonst besteht keine Behörde, die systematisch Presseunternehmen oder erschienene Druckwerke in Bezug auf die Einhaltung gesetzlicher Vorgaben kontrolliert (anders als im Rundfunk, wo Landesmedienanstalten und KJM das laufende Programm überwachen, s. o. § 3 C. I. 2. a). Der gesetzliche Rahmen für die Inhalte von Presseerzeugnissen ist sehr weit. Die Landespressegesetze enthalten nur eine allgemeine Verpflichtung zur Beachtung

215 Kommt der nachrangige Diensteanbieter dieser Verpflichtung nicht nach, kann gegen ihn wiederum ein Beschwerdeverfahren eingeleitet werden (§ 13 Nr. 3 FSM-Beschwerdeordnung). 216 Presse i. S. d. Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG umfasst alle gedruckten und zur Verbreitung geeigneten Publikationen (BVerfGE 95, 28 [35]). S. u. a. auch § 7 Abs. 1 LPresseG BW, Art. 6 Abs. 1 BayPresseG, § 7 Abs. 1 LPresseG NW: Alle mittels eines Vervielfältigungsverfahrens hergestellten und zur Verbreitung bestimmten Schriften, auch Ton- oder Bildträger.

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der notwendigen Sorgfalt bei der Prüfung von Nachrichten und zur Einhaltung des geltenden Strafrechts 217. Das Jugendschutzgesetz (JuSchG) des Bundes verbietet in § 15 die Zugänglichmachung von indizierten (§ 18 JuSchG) oder schwer jugendgefährdenden Trägermedien (wozu auch Druckwerke gehören, vgl. § 1 Abs. 2 JuSchG) an Kinder und Jugendliche, womit die Unzulässigkeitstatbestände weitgehend § 4 Abs. 1, 2 JMStV (dazu s. o. § 3 C. I. 1.) entsprechen; Verstöße gegen § 15 JuSchG stellen eine Straftat dar (§ 27 JuSchG). Der Inhalt als solcher und der Verkauf an Erwachsene werden durch das JuSchG nicht verboten. Die Durchsetzung dieser Normen und die Beseitigung von Rechtsverstößen ist keiner besonderen „Presse“-Behörde zugewiesen. Die Verletzung privater Rechte durch die Presse, etwa Menschenwürde- oder Persönlichkeitsrechtsverletzungen, müssen vom Betroffenen selbst im Wege zivilgerichtlichen Rechtsschutzes beseitigt werden (mittels Klagen nach §§ 12, 864, 1004 BGB analog, §§ 22, 23 KUG oder § 823 Abs. 1 BGB [analog] 218); Gegendarstellungsrechte ergeben sich zusätzlich aus den Landespressegesetzen. Verstöße gegen die Straftatbestände des Jugendschutzgesetzes (oder auch der §§ 86, 86a, §§ 90 ff., §§ 93 ff., §§ 102 ff., §§ 130 ff., §§ 184 ff., §§ 185 ff., § 201a StGB) werden von Polizei und Staatsanwaltschaft ermittelt und von den Strafgerichten geahndet. II. Selbstregulierung im Pressewesen Neben diesen eher begrenzten Möglichkeiten staatlicher Kontrolle der Presse kennt das Pressewesen eines der prominentesten und ältesten Beispiele für (reine) Selbstregulierung in Form des Deutschen Presserates und seines Pressekodexes 219. Jugendschutz im Pressewesen wird darüber hinaus auch vom Bundesverband PresseGrosso und dessen „Freiwilliger Überprüfungsstelle für elektronische Datenträger (DTControl)“ wahrgenommen, die sich vor allem mit dem Vertrieb von Druckerzeugnissen und elektronischen Datenträgern im Zeitschriftenhandel beschäftigen 220.

1. Aufgabe und Arbeitsweise des Deutschen Presserates Der Deutsche Presserat ist ein Gremium des Deutschen Presserat e. V. mit Sitz in Bonn, dem die vier wichtigsten Berufsorganisationen des Pressewesens (BDZV,

217 S. z. B. § 6 LPresseG BW; § 6 LPresseG NW; dazu Gottzmann, Frw. Selbstkontrolle der Presse, S. 113 f. 218 Zu den zivilrechtlichen Rechtsschutzmöglichkeiten Gottzmann, Frw. Selbstkontrolle der Presse, S. 157 ff. 219 In der Fassung vom 2. 3. 2006, abrufbar unter www.presserat. de. 220 Schwetzler, Presseselbstkontrolle, S. 154 f. S. auch www.bvpg.pressegrosso.de in der Rubrik „Sonderprojekte“ – „Jugendmedienschutz“.

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2. Teil: Referenzbereiche

VDZ, dju in ver.di, DJV) angehören (siehe § 2 der Satzung 221). Er ist zuständig für alle periodischen Druckerzeugnisse (also zum Beispiel nicht für Bücher) und auch für Online-Publikationen von Texten, die auch als Druckwerke erschienen sind („elektronische Presse“); damit ist der Zuständigkeitsbereich des Presserates zum einen enger als der verfassungsrechtliche Begriff der Presse im Sinne des Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG (weil nur periodische Druckschriften umfassend), andererseits weiter (weil teilweise auch nicht verkörperte Texte erfassend) 222. Aufgabe des Presserates ist die Kontrolle der deutschen Presse, genauer die Beseitigung von Missständen im Pressewesen und die Bearbeitung von Beschwerden (§ 9 der Satzung). Prüfungsmaßstab des Presserates ist allerdings nicht das Gesetzesrecht (es erfolgt also keine Kontrolle etwa der Einhaltung der Landespressegesetze oder des § 15 JuSchG), sondern der vom Presserat aufgestellte Pressekodex. Dieser Kodex, inklusive der dazu erlassenen erläuternden Richtlinien, hat keinen Rechtsnormcharakter, sondern nur einen „sozialen Geltungsanspruch“ 223, da er lediglich ethische Standesregeln wiedergibt 224. Der Presserat versteht sich als „moralische Instanz“, die auf die Kraft der Überzeugung vertraut und nicht auf rechtlichen Zwang 225. Auch ist der Pressekodex als Regelwerk des Deutschen Presserat e. V. für Journalisten und Verlage nicht verbindlich 226, da diese nicht Mitglied des Trägervereins sein können (verbindliche Normen kann ein Verein nur für seine Mitglieder setzen) und auch der Gesetzgeber keine allgemeine Verbindlichkeit des Kodex angeordnet oder in einer gesetzlichen Regelung auf diesen verwiesen hat. Der Pressekodex enthält keine dem JMStV oder JuSchG vergleichbare detaillierte und differenzierte Regelung zum Schutz der Jugend und der Menschenwürde. Ziffer 11 verbietet lediglich unangemessene Gewaltdarstellungen und verlangt allgemein die Berücksichtigung des Jugendschutzes, während Ziffer 1 die Wahrung der Menschenwürde und Ziffer 8 die Achtung von Privatleben und Intimsphäre fordert und Ziffer 10 Diskriminierung aus rassischen, religiösen o. ä. Kriterien verbietet. Die Kontrolle der Einhaltung des Pressekodex erfolgt durch Beschwerden von Lesern 227. Jeder kann – ohne Geltendmachung der Verletzung in eigenen Rech-

221

Abrufbar unter www.presserat.de, Rubrik: „Wir über uns“. Gottzmann, Frw. Selbstkontrolle der Presse, S. 128 f.; Schwetzler, Presseselbstkontrolle, S. 180. 223 Gottzmann, Frw. Selbstkontrolle der Presse, S. 98. 224 Gottzmann, Frw. Selbstkontrolle der Presse, S. 98. 225 Gottzmann, Frw. Selbstkontrolle der Presse, S. 104; Schwetzler, Presseselbstkontrolle, S. 168. 226 Gottzmann, Frw. Selbstkontrolle der Presse, S. 104; Schwetzler, Presseselbstkontrolle, S. 186 f. 222

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ten – eine Beschwerde an den Deutschen Presserat richten 228, der daraufhin das beanstandete Druckerzeugnis auf Verstöße gegen den Pressekodex überprüft. Der Deutsche Presserat besteht aus 28 unabhängigen und weisungsungebundenen Mitgliedern, je zur Hälfte Journalisten und leitende Angestellte von Verlagsunternehmen (§ 7 der Satzung); zwölf dieser Mitglieder entscheiden in zwei Kammern à sechs Personen über die Beschwerden. Anlassunabhängige Kontrollen nimmt der Presserat nicht vor 229, ebenso wenig wie eine Prüfung der Gesetzeskonformität von Presseerzeugnissen vor deren Erscheinen erfolgt (anders als im Rundfunk, wo die FSF Sendungen vor ihrer Ausstrahlung beurteilt, s. o. § 3 C. IV. 5. a). Stellt der Presserat einen Verstoß gegen den Pressekodex fest, sind seine Sanktionsmöglichkeiten begrenzt. Er kann Hinweise, Missbilligungen und Rügen aussprechen 230. Rügen sind vom gerügten Presseunternehmen grundsätzlich abzudrucken. Weitergehende Sanktionen, etwa Vertragsstrafen, stehen nicht zur Verfügung. 2. Regulierung der Presseselbstkontrolle Aufgabe und Tätigkeit des Deutschen Presserates, vor allem im Hinblick auf das Beschwerdeverfahren, erscheinen denen der Selbstkontrollen in den OnlineMedien (FSF und FSM) vergleichbar. Während jedoch die Selbstkontrollen der Anbieter von Rundfunk und Telemedien eine gesetzliche Regelung erfahren haben und vor allem behördlicher Aufsicht unterstehen, existiert ein ähnlicher Rahmen für den Deutschen Presserat nicht 231. Weder stellt ein Gesetz Anforderungen an die Prüfer des Vereins oder an das Prüfverfahren, noch gibt es eine Aufsichtsbehörde für den Presserat, noch ist der Presserat rechtlich anerkannt 232. Auch sind keine staatlichen Vertreter Mitglied des Presserats. Die Selbstkontrolle im Pressewesen 227

Zum Beschwerdeverfahren Schwetzler, Presseselbstkontrolle, S. 177 ff. § 1 Abs. 1 der Beschwerdeordnung, abrufbar auf www.presserat.de, unter der Rubrik „Beschwerde“. 229 Gottzmann, Frw. Selbstkontrolle der Presse, S. 124 f.; Schwetzler, Presseselbstkontrolle, S. 178. 230 § 12 Abs. 3 der Beschwerdeordnung. Zur Zulässigkeit der Sanktionen zuletzt OLG Köln, AfP 2006, 374 ff. 231 Schwetzler, Presseselbstkontrolle, S. 169. Nicht berücksichtigt werden soll im Folgenden die – neue – Aufgabe des Redaktionsdatenschutzes, die dem Presserat durch § 38a BDSG und die Landespressegesetze zugewiesen wurde. Dabei geht es allerdings nicht um die Inhalteebene. 232 Ausnahme ist das „Gesetz zur Gewährleistung der Unabhängigkeit des vom Deutschen Presserat eingesetzten Beschwerdeausschusses“, BGBl I 1976, S. 2215, das aber lediglich den jährlichen Finanzzuschuss des Bundes an den Presserat regelt. Inzwischen enthält auch § 20a Abs. 6 WpHG einen Verweis auf die „berufsständischen Regeln“ von Journalisten bzgl. der Zulässigkeit von Finanzberichterstattung. Diese Regeln sind durch Ziffer 7.4. des Pressekodex und den dazu ergangenen „Journalistischen Verhaltensgrundsätzen“ des Presserats konkretisiert. 228

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2. Teil: Referenzbereiche

ist demnach nicht öffentlichrechtlich reguliert; es handelt sich daher um keine Regulierte Selbstregulierung, sondern um einen Fall reiner Selbstregulierung 233. Demzufolge ist die Arbeit des Presserates auch rechtlich nicht mit der staatlicher Organe verzahnt. Entscheidungen des Presserates haben keine Bindungswirkung für staatliche Behörden (anders als Entscheidungen der FSF oder FSM, siehe § 20 Abs. 3, 5 JMStV), sie ersetzen auch kein zivil- oder strafrechtliches Gerichtsverfahren. Das Beschwerdeverfahren vor dem Presserat entlastet den Staat insofern höchstens faktisch, wenn ein Betroffener auf Strafanzeigen oder zivilgerichtliche Klagen verzichtet, weil ihm eine Rüge des Presserates als Sanktion ausreicht.

F. Staatliche Gewährleistung des Jugendschutzes Die verfassungsrechtliche Schutzpflicht für die Jugend und die Menschenwürde (dazu unten § 7 B.) hindert den Staat, sich vollständig aus dem Jugendmedienschutz zurückzuziehen. Überlässt der Gesetzgeber es vorrangig der Selbstkontrolle der Anbieter, für den Schutz der Jugend und der Menschenwürde in den Medien zu sorgen, muss er gewährleisten, dass diese Aufgabe auch ordnungsgemäß wahrgenommen wird. I. Materielles Jugendschutzrecht Für die Gewährleistung des Schutzes der Jugend und der Menschenwürde in den Medien von großer Bedeutung ist, dass ein partieller Rückzug des Staates, eine „Privatisierung“, ausschließlich auf der Vollzugsebene erfolgt ist. Das geltende materielle Recht, das die Anforderungen an Medieninhalte regelt und die Austarierung mit den Grundrechten der Anbieter vornimmt, wird nach wie vor ausschließlich vom staatlichen Gesetzgeber (und den staatlichen Gerichten) gesetzt. Dadurch ist ein bestimmender Einfluss des Staates gesichert. II. Durchsetzung des materiellen Jugendschutzrechts durch Hoheitsträger Des Weiteren obliegt nicht nur die Normsetzung weiterhin dem Staat, auch die Durchsetzung des materiellen Rechts erfolgt in weiten Teilen noch durch Hoheitsträger. Zum einen bestehen mit den Landesmedienanstalten und der KJM öffentlichrechtliche Institutionen, die die Angebote in den Medien überwachen und gegebenenfalls gegen unzulässige Inhalte einschreiten (s. o. § 3 C. I. 2.). Daneben existieren mit der Polizei und den Staatsanwaltschaften schlagkräftige

233

Schwetzler, Presseselbstkontrolle, S. 199.

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Einrichtungen, die zumindest die schlimmsten Verstöße gegen Jugendschutz und Menschenwürde verfolgen. Vor allem die KJM ist auf Grund ihrer Aufsicht sowohl über die Anbieter als auch über die Selbstkontrolleinrichtungen von zentraler Bedeutung für die Erfüllung der staatlichen Schutzpflicht. Sie nimmt die staatliche Auffangverantwortung wahr, wenn eine Selbstkontrolleinrichtung nicht bestünde oder ein Anbieter sich ihr nicht anschließt. Außerdem sichert sie das Funktionieren der Regulierten Selbstregulierung, indem sie die Programmkontrolle vornimmt und die FSF über Verstöße gegen die Vorlagepflicht der Anbieter informiert. Zudem stellt sie das „Drohpotenzial“ dar, das Anbieter zur Vorlage an die FSF und zur Einhaltung von deren Vorgaben bewegen soll. III. Hoheitliche Einwirkung auf das System der Regulierten Selbstregulierung Da sich der Gesetzgeber mit der Einführung der Regulierten Selbstregulierung für ein neues Instrument im Jugendmedienschutz entschieden hat, bedarf es zusätzlicher neuer Ansätze, um speziell auf dieses System zugeschnitten die staatliche Verantwortung zu wahren 234. Erster Ansatzpunkt dafür sind die Selbstkontrolleinrichtungen. Da sie nicht vom Staat selbst gegründet werden und nicht Teil der staatlichen Verwaltung werden, hat dieser nur mittelbare Einwirkungsmöglichkeiten auf sie; steuern kann er sie vor allem über die Anerkennungsbedingungen und die Aufsicht. 1. Anerkennung der Selbstkontrolleinrichtungen Weil die Selbstkontrolleinrichtung öffentliche Aufgaben übernimmt (Durchsetzung des Jugendschutzrechts) und ihre Entscheidungen teilweise auch die staatliche Aufsicht (im Rahmen des § 20 Abs. 3, 5 JMStV) binden, sind an sie wegen der staatlichen Gewährleistungsverantwortung erhöhte Anforderungen zu stellen. Nach § 19 Abs. 3 JMStV darf eine Freiwillige Selbstkontrolleinrichtung daher nur anerkannt und die staatliche Kontrolle damit nur dann zurückgenommen werden, wenn Besetzung, Organisation und Verfahren der Selbstkontrolleinrichtung einerseits rechtsstaatlichen Vorgaben genügen und andererseits einen effektiven Jugendschutz gewährleisten. Um effektiven Jugendschutz zu erreichen, müssen die Einrichtungen mit unabhängigen und fachkundigen Prüfern besetzt sein; § 19 Abs. 3 Nr. 1 JMStV verlangt zudem, dass sie gesellschaftliche Gruppen repräsentieren, die sich mit Jugend-

234

Mynarik, Jugendschutz, S. 263 f.

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2. Teil: Referenzbereiche

schutz befassen. Hier sind Sachkunde und Erfahrung vorhanden und die Gefahr eines zu starken Einflusses der Anbieter auf das Prüfergebnis wird verringert. Finanziell und organisatorisch wird die Effektivität des Jugendschutzes abgesichert durch die Pflicht zur ausreichenden Ausstattung und der Teilnahme einer großen Zahl von Anbietern (§ 19 Abs. 3 Nr. 2 JMStV). Diese große Zahl von beteiligten Anbietern soll ebenso wie die Einrichtung einer Beschwerdestelle (§ 19 Abs. 3 Nr. 6 JMStV) und die Pflicht zur Vorgabe von Entscheidungsleitlinien für eine (einheitliche) Spruchpraxis der Prüfer (§ 19 Abs. 3 Nr. 3 JMStV) sicherstellen, dass die Selbstkontrolleinrichtung möglichst viele Informationen erhält, diese einheitlich „verarbeiten“ und gegen möglichst viele Anbieter vorgehen kann und damit ein umfassender einheitlicher Jugendschutz durch die Selbstkontrolleinrichtung gewährleistet wird. Rechtsstaatlichen Sicherungen dienen vor allem die Verfahrensvorgaben. Die Selbstkontrolleinrichtung muss eine Verfahrensordnung erhalten, die betroffenen Anbieter vor einer Entscheidung anhören und ihre Entscheidungen gegenüber den Betroffenen begründen (§ 19 Abs. 3 Nr. 4, 5 JMStV). Wenn eine Selbstkontrolleinrichtung diesen Anforderungen an effektiven Jugendschutz und ein ordentliches Verfahren genügt, so ist sie von der zuständigen Landesmedienanstalt bzw. der KJM anzuerkennen; diese hat also keinen Ermessensspielraum. Bei Erfüllung der Voraussetzungen besteht ein subjektiv-öffentliches Recht 235, ein Anspruch auf Anerkennung, der vor den Verwaltungsgerichten mittels Verpflichtungsklage eingefordert werden kann 236. Daraus ergibt sich, dass (rechtlich) kein Monopol einer Selbstkontrolleinrichtung bestehen kann. Auch wenn der Gesetzgeber davon ausging, dass (für einen bestimmten Medienbereich) nur jeweils eine einzige Selbstkontrolleinrichtung existieren solle – auch um die angestrebte Vereinheitlichung des Jugendschutzes zu erreichen –, so hat er dies im Gesetz nicht zum Ausdruck gebracht 237. Die Anerkennung ist auf vier Jahre befristet, wobei Verlängerungen möglich sind (§ 19 Abs. 4 S. 5, 6 JMStV). Auch die zeitliche Befristung soll der Sicherung der Anforderungen an die Selbstkontrolleinrichtung dienen, weil diese bei Stellung des Verlängerungsantrags wiederum nachweisen muss, dass sie den Anforderungen des § 19 Abs. 3 JMStV noch entspricht. Ist dies nicht (mehr) der Fall, so kann nach § 19 Abs. 5 S. 1 JMStV zwar auch die Anerkennung widerrufen werden, allerdings dürfte die Nichterneuerung der Anerkennung einfacher sein 235

Nikles/Roll/Spürck/Umbach, Jugendschutzrecht, § 19 JMStV Rdn. 4. Scholz/Liesching, JMStV, § 19 Rdn. 5. 237 Zumindest im Rundfunk kann es de facto nur eine Einrichtung geben, weil nahezu alle deutschen Fernsehsender Mitglied des FSF e. V. sind. Auch ist beim Jugendmedienschutz – anders als z. B. im Produktsicherheitsrecht, s. u. § 4 – ein potenzieller Wettbewerb zwischen verschiedenen Kontrolleinrichtungen nicht erwünscht. 236

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als der durch § 19 Abs. 5 S. 1 JMStV, § 49 VwVfG begrenzte Widerruf. Beide Mechanismen stellen sicher, dass sich der Staat nicht endgültig aus der Aufgabe Jugendmedienschutz zurückzieht, sondern im Falle der Schlechterfüllung durch die Selbstregulierungseinrichtungen die aufsichtsrechtliche Privilegierung der Mitglieder entfällt. 2. Aufsicht über die Anerkannten Stellen Die Anerkennung ist zum einen nur eine Entscheidung über die Qualität der Selbstkontrolle zu einem bestimmten Zeitpunkt, zum anderen ergeht sie vor Aufnahme der eigentlichen Prüftätigkeit, das heißt, sie kann nur die „Papierform“ der Selbstkontrolleinrichtung, nicht aber ihre tatsächliche Arbeit beurteilen. Deshalb ist die laufende Aufsicht und Kontrolle der Arbeit der Selbstkontrolleinrichtungen von entscheidender Bedeutung 238. a) Aufsicht über die FSF Die Überwachung findet eine – dürftige 239 – gesetzliche Verankerung in § 16 S. 2 Nr. 1, 2, § 19 Abs. 5 S. 1 JMStV, nach denen die KJM zum Widerruf der Anerkennung der Selbstkontrolleinrichtung befugt ist, wenn deren Spruchpraxis sich nicht im Einklang mit geltendem Jugendschutzrecht befindet. Das setzt eine vorherige Kontrolle der Spruchpraxis voraus 240. Fraglich ist, wie diese durchgeführt werden soll. Aufsichtsbefugnisse in Form von Einsichtsrechten oder Vorlagepflichten stehen der KJM nicht zu 241, ein verlässlicher Einblick in die Arbeit der FSF wird der KJM somit erschwert 242. Eine gesetzliche Pflicht der FSF zur Mitteilung an die KJM, welche Entscheidungen sie in Bezug auf welche Sendungen getroffen hat, also zur Darstellung ihrer Spruchpraxis, besteht nur indirekt und in sehr geringem Umfang 243: Im Falle einer Ausnahmegenehmigung nach § 9 Abs. 1 JMStV muss

238 Wobei man diese als Gewährleistungsaufsicht bezeichnen kann, so Voßkuhle, VVDStRL 62 (2003), 266 (321). 239 Kreile/Diesbach, ZUM 2002, 849 (852): „Zum Teil inkonsequent durchgeführte Neuregelung und Überlappung verschiedener Aufsichtsfragen“. 240 Cole, ZUM 2005, 462 (467 f.). 241 Zu deren Unentbehrlichkeit Schulz/Held, epd medien 58/2002, 27 (30); kritisch zur bestehenden Regelung auch Scholz/Liesching, JMStV, § 19 Rdn. 18; Nikles/Roll/Spürck/ Umbach, Jugendschutzrecht, § 19 JMStV Rdn. 8. 242 Bornemann, NJW 2003, 787 (791); Storr, DÖV 2007, 133 (137). 243 Wie Rossen-Stadtfeld, AfP 2004, 1 (7) zu dem Ergebnis kommt, dass die Kommunikationszusammenhänge zwischen der KJM und der Selbstkontrolleinrichtung ausreichend geregelt sind, ist nicht recht verständlich. Seine Hinweise auf §§ 15 und 17 Abs. 2, 3 JMStV gehen fehl, weil darin nur der Informationsaustausch zwischen KJM, den Landesmedienanstalten, der BPjM, der ARD, dem ZDF, den Landes- und Bundesjugendschutzbehörden

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die FSF die obersten Landesjugendbehörden unterrichten 244, die wiederum vier Vertreter in die KJM entsenden. Will die KJM gegen einen Anbieter vorgehen, weil sie der Ansicht ist, eine ausgestrahlte Sendung habe gegen die Bestimmungen des JMStV verstoßen, so wird sich der Anbieter möglicherweise unter Hinweis auf § 20 Abs. 3 S. 1 JMStV mit einer Freigabe durch die FSF verteidigen 245; erst dadurch erhält die KJM Kenntnis von einer erfolgten Prüfung durch die FSF und von deren Ergebnis. Die gesetzliche Regelung des „Informationsflusses“ zwischen der KJM und den Selbstkontrolleinrichtungen ist eindeutig unzureichend. Zumindest in der Praxis ist dies besser ausgestaltet. Die KJM ermöglicht einem Mitglied der FSF die Teilnahme an den Sitzungen der KJM 246. Die FSF sieht in § 2 Abs. 5 i) FSF-Satzung einen Verzicht auf eine eigene laufende Programmkontrolle nur vor, wenn stattdessen ein Informationsaustausch mit der KJM herbeigeführt wird. In dessen Rahmen könnte eine Übermittlung der der FSF vorgelegten Sendungen und der dazu ergangenen Entscheidungen von der FSF an die KJM erfolgen, so dass die KJM überprüfen kann, ob alle relevanten Sendungen vorgelegt wurden und ob die Auflagen der FSF eingehalten wurden; im Falle eines Verstoßes würde die KJM wiederum die FSF informieren 247. Auch räumt § 17 Abs. 1 FSF-Prüfordnung der KJM das Recht ein, Prüfgutachten der FSF anzufordern 248; fällt der KJM bzw. den Landesmedienanstalten im Rahmen der laufenden Programmkontrolle ein bedenklicher Film auf, können sie bei der FSF anfragen, ob diese die Sendung geprüft hat und die Entscheidung anfordern. Auch über personelle Verflechtungen (beispielsweise sind die Landesjugendschutzbehörden sowohl im Kuratorium der FSF als auch in der KJM vertreten, Prüfer arbeiten sowohl für die FSF als auch für die BPjM, mit der wiederum nach § 17 Abs. 2 JMStV ein Informationsaustausch besteht) kann eine Informationsweitergabe erfolgen. Laut Auskunft der FSF funktioniert der Dialog zwischen FSF und KJM allerdings noch nicht zufrieden stellend 249. Die Informationsbeziehungen beruhen auf freiwilligen einseitigen Entscheidungen der Selbstkontrolleinrichtung, könnten algeregelt ist; die Selbstkontrolleinrichtungen werden als einzige nicht erwähnt. Auch die Anerkennungsvoraussetzungen in § 19 Abs. 3 JMStV enthalten keine Pflicht zur Installierung eines Informationsaustauschs mit der KJM. 244 Dadurch soll laut der Gesetzesbegründung zu § 9 JMStV eine Information der FSK erreicht werden, die in der Praxis die Freigabe erteilt hat, von der nach § 9 Abs. 1 JMStV abgewichen werden soll. 245 Mynarik, Jugendschutz, S. 145. 246 So die Auskunft des Vorsitzenden der KJM Ring in AfP 2004, 9 (10). 247 In dieser Ausgestaltung würde sich die private Selbstkontrolle also einer hoheitlichen Stelle zur Durchsetzung ihrer Vereinsziele bedienen, weil sie nicht selbst Verstöße gegen die Vereinssatzung ermittelt, sondern die Hinweise auf Verstöße von der KJM erhält. 248 Eine gesetzliche Befugnis der KJM, die Entscheidungen anzufordern, fehlt. Gäbe es § 17 Abs. 2 FSF-Prüfordnung nicht, bestünde kein durchsetzbarer Anspruch der KJM auf Einblick in die Entscheidungen der FSF.

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so von dieser auch jederzeit wieder einseitig beendet werden. Mangels gesetzlicher Verpflichtungen ist die hoheitliche Aufsicht zur Erfüllung ihrer Aufgaben auf die „Großzügigkeit“ und Kooperationsbereitschaft der Beaufsichtigten angewiesen. Allerdings könnte zumindest per Verwaltungsakt eine Pflicht zur Schaffung eines institutionalisierten Informationsaustauschs geschaffen werden, wenn die KJM eine Anerkennung nach § 19 Abs. 3 JMStV nur unter dieser Voraussetzung erteilen würde oder mit einer dementsprechenden Auflage versähe 250. § 19 Abs. 3 JMStV enthält dafür jedoch keine Grundlage. Die sechs genannten Voraussetzungen müssen zwar kumulativ erfüllt sein, aber eine Informationsweitergabe an die KJM ist darin nicht vorgesehen: Nr. 3 regelt nur das Verhältnis zwischen der Selbstkontrolle und den Prüfern, denen Vorgaben für die Entscheidung gegeben werden müssen 251, Nr. 4 regelt das Verhältnis zwischen der Selbstkontrolle und den Anbietern (und sogar ein Antrags-, wenn auch kein Informationsrecht von Trägern der Jugendhilfe) – das Verhältnis Selbstkontrolleinrichtung zu KJM wird von § 19 Abs. 3 JMStV ausgeblendet. Weitergehende Anforderungen lässt die abschließende Regelung des § 19 Abs. 3 JMStV nicht zu. Die Erteilung der Anerkennung steht auch nicht im Ermessen der KJM 252. Eine Nebenbestimmung darf somit nach § 36 Abs. 1 Alt. 2 VwVfG nur hinzugefügt werden, um die Einhaltung der Voraussetzungen des § 19 Abs. 3 JMStV sicherzustellen, da Nebenbestimmungen nicht durch Rechtsvorschrift zugelassen sind. Ein ausreichendes Informationsmanagement ist jedoch gerade keine von § 19 Abs. 3 JMStV geforderte Voraussetzung 253. Hartstein/Ring/Kreile/Dörr/Stettner wollen ein Informationsrecht der KJM aus ihrer Aufsichtsfunktion ableiten 254, weil dieses ein originäres Instrument jeder Aufsicht sei. Dass die KJM die Selbstkontrollen beaufsichtigen darf, ist jedoch gerade begründungsbedürftig; § 20 JMStV regelt nach dem eindeutigen Wortlaut nur die Aufsicht über die 249 Epd medien 54/2005, 17 (18); so auch die Studie des Hans-Bredow-Instituts, Study on Co-Regulation, Final Report S. 127. 250 So ist eine Anerkennung der FSM im Bereich der Telemedien nur unter der Auflage erteilt worden, dass die FSM ihre Prüfungen dokumentiert und sicherstellt, dass die KJM über laufende Verfahren und Maßnahmen informiert wird; vgl. Pressemitteilung der KJM vom 01. 12. 2004, abrufbar auf der Homepage der KJM (www.kjm-online.de) unter der Rubrik „Service – Presseservice – Pressemitteilungen – Archiv“. 251 Also eine Prüfordnung zur Vornahme der Prüfung, keine Regelung dessen, was nach der Prüfung geschieht; a. A. Rossen-Stadtfeld, AfP 2004, 1 (7), der in §§ 19 Abs. 3 Nr. 3 i. V. m. 15 Abs. 2 JMStV ohne nähere Begründung einen Erfahrungsaustausch zwischen KJM und Selbstkontrolleinrichtung installiert sieht. § 15 Abs. 2 JMStV erwähnt die Selbstkontrolleinrichtungen aber überhaupt nicht. 252 „Die Einrichtung ist . . . anzuerkennen, wenn . . . “. 253 An der Vereinbarkeit der „Informations“-Auflagen mit § 36 VwVfG ebenfalls zweifelnd Storr, DÖV 2007, 133 (137). 254 Hartstein/Ring/Kreile/Dörr/Stettner, JMStV, § 19 Rdn. 21; ihnen folgend Mynarik, Jugendschutz, S. 145 f., die zudem noch Aufsichtsbefugnisse aus §§ 24, 26 Abs. 2 VwVfG ableiten will.

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Anbieter, nicht über die Selbstkontrolleinrichtungen 255. Und auch allein die Stellung als Aufsichtsbehörde verschafft der KJM keine Befugnisse 256; diese bedürfen als Eingriffe in die Rechte der FSF bzw. FSM 257 einer gesetzlichen bzw. staatsvertraglichen Grundlage. An anderer Stelle 258 entnehmen Hartstein/Ring/Kreile/Dörr/Stettner § 22 RStV eine Befugnis der KJM zur Sachverhaltsermittlung. Abgesehen davon, dass sich § 22 RStV nur an die Rundfunkanbieter und nicht an die Selbstkontrollen richtet und dies das entsprechende Problem im Bereich der Telemedien (für die § 22 RStV nicht gilt) nicht lösen würde, ermächtigt § 22 RStV nur die jeweils zuständige Landesmedienanstalt und nicht die KJM. Es bleibt der KJM unbenommen, an die zuständige Landesmedienanstalt mit der Bitte um nähere Aufklärungsmaßnahmen heranzutreten, die die Medienanstalt gegenüber dem Anbieter – gestützt auf § 22 RStV – durchführen kann. Der JMStV sieht aber nur Pflichten zur Weitergabe von Informationen von der KJM an die Landesmedienanstalten vor (§ 15 Abs. 1, § 17 Abs. 3 JMStV) und nicht umgekehrt.

Die Sicherung des Informationsflusses beruht also allein auf der freiwilligen Kooperation der Selbstkontrolleinrichtungen. Es ist überraschend, dass der Gesetzgeber zwar den Austausch der KJM sogar mit ARD und ZDF für regelungsbedürftig hielt (§ 15 Abs. 2 JMStV), zum Informationsaustausch zwischen den Selbstkontrolleinrichtungen und der Aufsicht – immerhin das Kernstück der Regulierten Selbstregulierung – aber kein Wort verliert 259. Schulz/Held hatten in ihren „Anregungen für verbesserten Jugendmedienschutz“ 260 zum Beispiel vorgeschlagen, eine Auskunftspflicht der Selbstkontrolleinrichtungen, eine halbjährliche Berichtspflicht und eine Pflicht zur Vorlage der Prüfungsunterlagen in den JMStV einzufügen. Als Vorbild zur Verbesserung der suboptimalen gesetzlichen Ausgestaltung der Aufsicht über die Selbstkontrolleinrichtungen könnten auch die detaillierten und abgestuften Regelungen zur Aufsicht über anerkannte Umweltgutachter im Rahmen des Umweltaudits (dazu unten § 5 D. I. 1. c) dienen.

255 Dies zu Scholz/Liesching, JMStV, § 19 Rdn. 18, die Aufsichtsmaßnahmen gegenüber der FSF auf § 20 Abs. 1 JMStV stützen wollen. 256 Der Verweis bei Hartstein/Ring/Kreile/Dörr/Stettner, JMStV, § 19 Rdn. 21 Fn. 75 auf Maurer, AllgVwR, § 23 Rdn. 19 geht fehl, weil dort nur die Aufsicht über die Gemeinden beschrieben wird und selbst dort ergeben sich die Befugnisse der staatlichen Aufsichtsbehörden nicht aus ihrer Stellung, sondern sind die Informationspflichten ausdrücklich in den Gemeindeordnungen festgelegt, vgl. z. B. § 120 GO BW, Art. 111 BayGO, § 118 GO NW. 257 Zur Grundrechtsträgerschaft der Anerkannten Stellen s. u. 4. Teil § 13 B. IV. 2. 258 Hartstein/Ring/Kreile/Dörr/Stettner, JMStV, Überblick Rdn. 14. 259 Vgl. dazu im Gegensatz z. B. die umfassenden und detaillierten Befugnisse in § 11 Abs. 5 GPSG, § 15 Abs. 2 MPG zur Überwachung der benannten Stellen im Produktsicherheitsrecht (Auskunft, Unterstützung, Betretens- und Besichtigungsrechte, Vorlage von Unterlagen); näher dazu unten § 4 D. II. 1. b). 260 Epd medien 58/2002, 27.

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b) Aufsicht über die FSM Auch die Aufsicht der KJM über die FSM ist – wie bei der FSF – gesetzlich nicht näher geregelt. Im JMStV finden sich keine Mitteilungs- oder Auskunftspflichten. Allerdings ist die FSM nur anerkannt worden unter der Voraussetzung, dass sie ihre Prüftätigkeit dokumentiert und der KJM alle notwendigen Informationen zur Verfügung stellt, das heißt die KJM über laufende Verfahren und Maßnahmen informiert 261. In § 2 Abs. 2 FSM-Satzung ist deshalb ein kontinuierlicher Dialog mit KJM und Landesmedienanstalten vorgesehen. Auch hat das Informationsproblem bei der FSM eine ganz andere Dimension als bei der FSF, weil die (für die KJM relevante) Spruchpraxis ohnehin nur durch Prüfvorlagen der KJM entsteht. Nur nachträgliche Prüfentscheidungen im Rahmen des § 20 Abs. 5 JMStV, die die KJM von der FSM anfordert, sind für die Spruchpraxis im Sinne des § 19 Abs. 5 JMStV von Bedeutung und das Ergebnis dieser Entscheidungen wird der KJM als „Beschwerdeführerin“ mitgeteilt. Da der JMStV der Selbstkontrolle in den Telemedien nur einen sehr begrenzten Aufgabenbereich zuweist, ist auch eine umfassende, detaillierte Aufsicht nicht notwendig. c) Repressive Aufsichtsmittel und Sanktionen der KJM Mit hoheitlicher Aufsicht sind typischerweise auch repressive Maßnahmen oder Sanktionsmechanismen der Aufsichtsbehörde verbunden. Verbindliche Feststellungen von Fehlern, öffentliche Rügen, im schärfsten Fall sogar Ersatzvornahmen wären denkbar. In der Literatur wird auch für das Verhältnis zwischen KJM und Selbstkontrolleinrichtungen ein abgestuftes Sanktionsinstrumentarium gefordert, beispielsweise Beanstandungen, öffentliche Anhörungen, Bußgelder, Entzug von Teilprivilegierungen der Selbstkontrolleinrichtung, Erlass von Verfahrensoder materiellen Regeln für die Selbstkontrolle durch die KJM 262 oder zumindest Abmahnung und Aufforderung zur Konkretisierung der eigenen Prüfordnung 263. Der JMStV sieht all das nicht vor 264. Mangels Ermächtigungsgrundlage sind daher die KJM oder die Landesmedienanstalten zu ihrer Vornahme auch nicht befugt. Eine – nicht öffentliche – Abmahnung kann als Vorwarnung vor einem Widerruf noch zulässig sein, öffentliche Rügen, die Ersetzung von Regeln der 261 Zur Problematik dieser Auflage s. soeben § 3 E. III. 2. a). Die FSM hatte gegen die Auflagen geklagt, sich dann aber mit der KJM außergerichtlich geeinigt, vgl. Meldung in MMR 1/2006, XV. 262 Schulz/Held, epd medien 58/2002, 27 (29); Mynarik, Jugendschutz, S. 147. 263 Scholz/Liesching, JMStV, § 19 Rdn. 18. 264 Anders hingegen das Aufsichtsinstrumentarium beim Umweltaudit gegenüber den Umweltgutachtern; s. u. § 5 D. I. 1. c).

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Selbstkontrolle durch die KJM oder gar Bußgelder gegenüber der FSF sind ausgeschlossen. Einzig die Aufforderung zur Konkretisierung der Prüfordnung 265 könnte weiterführen. Darin läge ein unverbindlicher Hinweis darauf, dass die KJM die Voraussetzung des § 19 Abs. 3 Nr. 3 JMStV nicht mehr für gegeben hält, weswegen sie nach § 19 Abs. 5 S. 1 Alt. 1 JMStV zum Widerruf der Anerkennung berechtigt wäre. Kommt die Anerkannte Stelle der Aufforderung zur Konkretisierung jedoch nicht nach oder halten sich die Prüfer nicht an die Vorgaben der Prüfordnung, bleibt trotzdem als einziges Aufsichtsmittel der Widerruf der Anerkennung. Dies ist Ausdruck dessen, dass die Anerkannten Stellen nicht Teil der staatlichen Verwaltung sind, sondern eine privatrechtliche Vereinigung der Wirtschaft 266; ihre Arbeit wird ausschließlich von den Mitgliedern selbst geregelt. Der Staat kann das konkrete Angebot der Wirtschaft bei der Mitwirkung am Jugendschutz nur akzeptieren oder ablehnen (in Form der Anerkennung bzw. des Widerrufs der Anerkennung). Wollte er die Arbeit der Prüfstelle detailliert bestimmen und lenken, müsste er eine eigene Stelle gründen und mit weisungsgebundenen öffentlichen Bediensteten besetzen. Eine Ersatzvornahme, das heißt eine hoheitliche Ersetzung oder Ergänzung der Prüfordnung, ist mit dem Charakter einer Selbstregulierung nicht vereinbar 267. Zwar bleibt es dem Gesetzgeber unbenommen, den JMStV zu ändern und die Anforderungen an eine Anerkannte Stelle zu verschärfen; dies schlägt jedoch nicht unmittelbar auf die Anerkannten Stellen durch. Entweder passen diese von sich aus ihre Satzung an oder aber ihre Anerkennung muss widerrufen werden (weil sie jetzt die gesetzlichen Voraussetzungen nicht mehr erfüllen). Eine direkte, unmittelbare Beeinflussung der Ausgestaltung und Organisation einer Anerkannten Stelle bleibt auch dem Gesetzgeber verschlossen. 3. Widerruf der Anerkennung – Reservekompetenz der KJM Mangels gesetzlich vorgesehener Sanktions- oder Steuerungsmaßnahmen der hoheitlichen Aufsicht bleibt als Reaktionsmöglichkeit für den Fall der Schlechterfüllung 268 der Aufgaben der Selbstkontrolleinrichtungen nur der in § 19 Abs. 5 S. 1 JMStV vorgesehene Widerruf der Anerkennung. Mit diesem hält sich der Staat das (unverzichtbare) Zugriffsrecht offen, den Jugendschutz wieder allein auf die hoheitliche Aufsicht zu übertragen, wenn die Selbstregulierung zur Gewähr-

265 266 267 268

Scholz/Liesching, JMStV, § 19 Rdn. 18. Mynarik, Jugendschutz, S. 147. Mynarik, Jugendschutz, S. 148. Schmidt-Preuß, VVDStRL 56 (1997), 160 (174).

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leistung des Jugendschutzes nicht (mehr) in der Lage ist (Auffangverantwortung des Staates). § 19 Abs. 5 S. 1 JMStV stellt keine abschließende Regelung für die Aufhebung der Anerkennung dar, sondern füllt § 49 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 VwVfG aus, nach dem der Widerruf eines Verwaltungsakts durch Rechtsvorschrift zugelassen werden kann. Da eine Regelung zur Rücknahme einer rechtswidrig erteilten Anerkennung fehlt, muss zumindest in diesem Fall auf § 48 VwVfG zurückgegriffen werden 269. Aber auch § 49 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 VwVfG sollte anwendbar sein, denn die Anerkennung der FSF und der FSM sind beide nur unter Auflagen erfolgt, um die Einhaltung des § 19 Abs. 3 JMStV sicherzustellen, so dass eine Nichteinhaltung der Auflagen (ihre Zulässigkeit unterstellt) zum Widerruf der Anerkennung berechtigen müsste.

Die Aufhebung der Anerkennung erfolgt wie die Anerkennung selbst nach § 19 Abs. 4 S. 1 JMStV durch die jeweils zuständige Landesmedienanstalt, die durch die KJM handelt. Der Widerruf ist nicht schon nach einer einzelnen Fehlentscheidung der Anerkannten Stelle möglich, sondern erst, wenn die Spruchpraxis den Anforderungen des JMStV nicht mehr genügt, wenn es also mehrfach zu falschen Entscheidungen kam und dies auch für die Zukunft zu befürchten ist. Ein Widerruf schon wegen einer einmaligen oder wenigen Fehlentscheidungen wäre unverhältnismäßig 270. Außerdem ist die Widerrufsmöglichkeit faktisch dadurch eingeschränkt, dass es jeweils nur eine einzige Selbstkontrolleinrichtung gibt. Widerruft die KJM die Anerkennung der FSF oder FSM ist das – politisch gewollte – System der Regulierten Selbstregulierung gescheitert, denn es ist nicht zu erwarten, dass an Stelle der FSF oder FSM eine andere Selbstkontrolleinrichtung gegründet würde. Das ist eine weitere Konsequenz aus der beabsichtigten, wenn auch im Gesetz nicht zum Ausdruck kommenden, Konzentration auf eine einzige zentrale Selbstkontrolleinrichtung: Es wird nicht nur ein Wettbewerb zwischen verschiedenen Einrichtungen verhindert, auch eine Kompensation des Wegfalls einer Einrichtung durch die Konkurrenz kann nicht erfolgen.

Gegen den Widerruf der Anerkennung, der als actus contrarius zur Anerkennung ebenfalls einen Verwaltungsakt darstellt, kann sich die Anerkannte Stelle mittels Anfechtungsklage vor den Verwaltungsgerichten wehren. Mit dem Widerruf wird der Stelle ein subjektiv-öffentliches Recht aus der Anerkennung entzogen (und daneben in die Berufsfreiheit der Stelle eingegriffen), so dass die Selbstkontrolleinrichtung klagebefugt wäre.

269 § 16 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 JMStV bestimmt zwar die Zuständigkeit der KJM für Rücknahme und Widerruf der Anerkennung, ist aber nur eine Zuständigkeitsnorm und keine Befugnisnorm. 270 So auch die Amtliche Begründung zu § 19 Abs. 5 JMStV.

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2. Teil: Referenzbereiche

4. Evaluation Ein Strukturmerkmal der Regulierten Selbstregulierung im JMStV ist schließlich der schon im Gesetz angelegte „Experimentiercharakter“ 271; anders als übliche Gesetze und Aufsichtsmodelle, die auf grundsätzlich unbegrenzte Geltung angelegt sind, sieht der JMStV an drei Stellen die Überprüfung der Regulierten Selbstregulierung vor. So soll der JMStV nach der Protokollerklärung der Länder bis zum 31. 03. 2008 insgesamt evaluiert werden, auch im Hinblick auf die Leistungsfähigkeit der Aufsichtsstruktur und die Einbeziehung der Selbstkontrolleinrichtungen. Die zentrale Vorschrift des § 20 Abs. 3, 5 JMStV muss sich nach § 20 Abs. 7 JMStV sogar schon zum 01. 04. 2006 bewährt haben 272. Versteckter ist die Beendigung der Regulierten Selbstregulierung in § 19 Abs. 5 JMStV geregelt. Danach muss nicht nur das System der Regulierten Selbstregulierung als solches bewertet werden; auch die Spruchpraxis der bestehenden Selbstkontrolleinrichtungen ist zu evaluieren und im Falle der Insuffizienz ihre Anerkennung zu widerrufen. Da es aber nur jeweils eine Selbstkontrolleinrichtung gibt (und geben soll), würde mit dem Widerruf der Anerkennung von FSF oder FSM die Regulierte Selbstregulierung im Rundfunk oder in den Telemedien beendet 273. Gesetzgeber und hoheitliche Aufsicht haben also mehrere Möglichkeiten, das „Experiment“ der Regulierten Selbstregulierung im Jugendmedienschutz vorübergehend oder dauerhaft zu beenden. IV. Einbindung der Zuschauer und der Öffentlichkeit Der Staat greift auch auf das erhebliche Interesse der Öffentlichkeit und der Zuschauer bzw. Nutzer der Medien am Jugend- und Menschenwürdeschutz zurück, um deren Durchsetzung zu garantieren. Zum einen wird die Kontrolltätigkeit von KJM und den Selbstkontrolleinrichtungen erleichtert, weil durch Zuschauerbeschwerden den Kontrollorganen mögliche Verstöße zur Kenntnis gebracht werden. Keine noch so hervorragend ausgestattete hoheitliche oder private Aufsicht könnte eine derart umfassende „Kontrolle“ ausüben, wie es die Millionen von 271

Hartstein/Ring/Kreile/Dörr/Stettner, JMStV, § 1 Rdn. 11 ff. Eine Kündigung des JMStV und damit eine gesetzliche Abschaffung der Regulierten Selbstregulierung ist allerdings frühestens zum 31. 12. 2008 möglich, vgl. § 26 Abs. 1 S. 3, 4 JMStV i. d. F. des 8. RÄStV. 273 Damit könnte darauf reagiert werden, wenn die Regulierte Selbstregulierung nur in einem Bereich – entweder im Rundfunk oder bei den Telemedien – nicht funktioniert. Dann muss nicht der JMStV gekündigt oder umfassend geändert werden; stattdessen kann durch den Widerruf (bzw. die Nichtverlängerung) der Anerkennung der entsprechenden Selbstkontrolleinrichtung dasselbe Ziel erreicht werden. 272

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Fernsehzuschauern und Internetnutzern tun. Sowohl die Landesmedienanstalten als auch die FSF und die FSM haben daher eine Beschwerdestelle eingerichtet. Die Selbstkontrollen sind dazu durch § 19 Abs. 3 Nr. 6 JMStV ausdrücklich verpflichtet, wodurch deutlich wird, dass auch der Gesetzgeber die Zuschauer für eine unverzichtbare Größe im System der Regulierten Selbstregulierung hält. Zuschauerbeschwerden ermöglichen auch gerade der FSF die Kontrolle, ob die Anbieter ihrer vereinsinternen Vorlagepflicht nachkommen und ob sie die Vorgaben der FSF einhalten. Zum anderen soll der Druck der Öffentlichkeit die Anbieter zur Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben und zur Teilnahme an der Regulierten Selbstregulierung zwingen. Positiv dadurch, dass sich die Anbieter mit dem Gütesiegel „Mitglied der FSF/FSM“ schmücken können, negativ indem eine Rüge der Selbstkontrolle oder ein Vereinsausschluss zu Ansehensverlust und negativem Image des Anbieters führen. Mögliche Konsequenz wäre, dass Zuschauer einen Sender nicht mehr einschalten (oder, was wirkungsvoller und wahrscheinlicher ist, dass Werbekunden ihre Werbung nicht bei Sendern mit negativem Image platzieren wollen 274) oder den Internetauftritt eines Telemedienanbieters nicht mehr aufsuchen. V. Ergebnis Der Schutz der Jugend und der Menschenwürde in den Medien ist nach wie vor ausreichend gewährleistet, auch wenn sich im Zuge der Einführung Regulierter Selbstregulierung die hoheitliche Aufsicht teilweise aus der Überwachung der Anbieter zurückgezogen hat. Die Verbotsnormen und damit die Prüfungsmaßstäbe einer Medienkontrolle – gleichgültig ob hoheitlich oder privat – sind nach wie vor durch Gesetzesrecht bestimmt; die materiellen Standards des Jugend- und Menschenwürdeschutzes werden somit immer noch vom Staat festgelegt. Des Weiteren sorgt der Staat mit den gesetzlichen Vorgaben für die private Selbstkontrolle und der hoheitlichen Kontrolle der privaten Kontrolleure für ein hohes Niveau der privaten Akteure und ihrer Arbeit. Außerdem hat sich der Staat seiner eigenen Einwirkungsmöglichkeiten auf die Anbieter nicht begeben: Zum einen existiert mit der KJM eine Aufsichtsbehörde auch über die Anbieter, die im Falle des Versagens der privaten Kontrolle deren Aufgabe übernehmen kann, zum anderen behält sich der Gesetzgeber die Evaluierung und nötigenfalls Ersetzung des Systems der Regulierten Selbstregulierung im Jugendmedienschutz ausdrücklich vor, um auf Fehlentwicklungen reagieren zu können. Der Staat hat deshalb ausreichend Möglichkeiten, um seiner Verantwortung für den Jugend- und Menschenwürdeschutz in den Medien gerecht zu werden 275.

274

Zu diesem Aspekt Schulz, in: Roßnagel (Hrsg.), Neuordnung des Medienrechts, S. 37 (48 f.); Mynarik, Jugendschutz, S. 128.

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2. Teil: Referenzbereiche

G. Zusammenfassung: Funktionsweise der Regulierten Selbstregulierung im Jugendmedienschutz Abschließend soll eine kurze zusammenfassende Wiederholung Aufgabe und Stellung der Anerkannten Stellen im Jugendmedienschutz noch einmal verdeutlichen. I. Aufgabe und Stellung der Selbstkontrolleinrichtungen Die Analyse des Regelwerks des JMStV hat deutlich gemacht, dass die Anerkannten Stellen – wären sie Hoheitsträger – dem exekutivischen Bereich und nicht dem legislativen Bereich zuzuordnen wären. Das materielle Recht zum Schutz der Jugend und der Menschenwürde wird nach wie vor durch den Gesetzgeber erlassen. Die Regulierte Selbstregulierung nach dem JMStV kennt eine Selbstregulierung in Form der eigenständigen Setzung materieller Standards so gut wie nicht. Der Gesetzgeber des JMStV hat sich nicht auf die Vorgabe von Zielen und allgemeiner Leitlinien beschränkt (keine bloßen Finalprogramme), er hat im Gegenteil eine sehr detaillierte Regelung (in Form der herkömmlichen Konditionalstruktur) getroffen, zu deren inhaltlicher Konkretisierung in erster Linie die Gerichte und die hoheitlichen Aufsichtsinstanzen (Landesmedienanstalten und KJM, § 15 Abs. 2 JMStV) und nicht die Selbstkontrolleinrichtungen berufen sind 276. Die Selbstkontrollen sind „nur“ in die Durchsetzung des Gesetzes eingebunden. Die trotzdem erlassenen Verhaltenskodizes der Selbstkontrolleinrichtungen haben keine öffentlichrechtliche Anerkennung erlangt und spielen nur vereinsintern eine Rolle. Auch bringen diese Standards keineswegs immer eine Konkretisierung des JMStV (vgl. z. B. den Verhaltenskodex der FSM, der die gesetzlichen Anforderungen einfach übernimmt). Allein im Rahmen des Beurteilungsspielraums können und sollen die Selbstkontrolleinrichtungen allgemeine Standards setzen. Verbindliche Wirkung haben dabei dennoch nur die Einzelentscheidungen der Selbstkontrolle und nicht ihre Standards.

275

Ullrich, ZUM 2005, 452 (453); Mynarik, Jugendschutz, S. 264. So sind die neuen gesetzlichen Vorgaben sogar noch ausführlicher als die Jugendschutzbestimmungen in § 3 RStV a. F., § 8 MDStV a. F., obwohl gerade mit der Neufassung die Regulierte Selbstregulierung eingeführt wurde. 276

§ 3 Jugend- und Menschenwürdeschutz im Medienrecht

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II. Funktionsweise, Strukturen 1. Zweigleisigkeit des Gesetzesvollzugs Die Adressaten des materiellen Jugendschutzrechts und deren Pflichten haben sich nicht geändert. Die Durchsetzung des Gesetzes ihnen gegenüber kann allerdings entweder durch die hoheitliche Aufsicht, das heißt durch die KJM, oder – vermittels der zivilrechtlichen Bindungen – durch die private Selbstkontrolle erfolgen. Damit wird zugleich deutlich, dass die anerkannten Einrichtungen der Freiwilligen Selbstkontrolle die hoheitliche Aufsicht nicht ganz ersetzen können, sondern zu der grundsätzlich in vollem Umfang weiter bestehenden hoheitlichen Aufsicht hinzutreten. Sollte eine vollständige Ersetzung der hoheitlichen Aufsicht durch Selbstkontrolleinrichtungen erfolgen, dürfte die Bildung von Selbstkontrolleinrichtungen und die Beteiligung daran nicht mehr freiwillig sein. 2. Verbindung öffentlichrechtlicher und zivilrechtlicher Instrumente Zur Durchsetzung des materiellen Jugendschutzrechts stehen nicht mehr nur die öffentlichrechtlichen Mittel (Entzug der Sendeerlaubnis, Sperrungsverfügung, Bußgeld) zur Verfügung; nicht nur die hoheitliche Aufsicht, auch die privaten Selbstkontrolleinrichtungen können Sanktionen verhängen, die allerdings nicht auf übertragener Hoheitsgewalt (Beleihung), sondern auf der Vereinssatzung oder einem schuldrechtlichen Vertrag beruhen. Über die Vereinsgewalt der Selbstkontrollen und den sich aus der Satzung (bzw. einem Vertrag) ergebenden Sanktionen, kann eine private Stelle mit zivilrechtlichen Mitteln Öffentliches Recht durchsetzen. Die Regulierte Selbstregulierung in dieser Ausgestaltung verwirklicht beispielhaft den Gedanken von Öffentlichem Recht und Zivilrecht als wechselseitige Auffangordnungen 277. Zwar hat zum Beispiel eine Vereinsstrafe in Form einer Geldstrafe dieselbe Wirkung wie ein (öffentlichrechtliches) Bußgeld, Rechtsschutz dagegen wird jedoch durch die Zivilgerichte gewährt und die gerichtliche Kontrolldichte bei Vereinsstrafen ist geringer als bei Ordnungswidrigkeiten. 3. Präventive und repressive Aufsicht durch die Selbstkontrolleinrichtungen Die Rolle der privaten Selbstkontrolleinrichtungen lässt sich nicht einseitig dem gefahrenabwehrrechtlichen (präventiven) oder repressiven Bereich zuordnen. Auf Grund der Vorlagepflichten der Anbieter und der Vorabprüfung durch die

277

Dazu ausf. Hoffmann-Riem, in: ders./Schmidt-Aßmann, Öffentl. Recht und PrivatR als wechselseitige Auffangordnungen, S. 261 ff.

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2. Teil: Referenzbereiche

Selbstkontrolleinrichtungen ist das präventive Element gegenüber der bisherigen (nachträglichen) Aufsicht durch die Landesmedienanstalten deutlich gestärkt. Ein weiterer Schwerpunkt der Tätigkeit der Selbstkontrolleinrichtungen ist jedoch auch die nachträgliche Sanktionierung von Verstößen gegen den JMStV. Bei den Telemedien und bei nicht vorlagefähigen Sendungen im Rundfunk ist dies sogar Hauptzweck der Selbstkontrolle. Gleichzeitig ist zu beachten, dass eine präventive hoheitliche Aufsicht (obwohl unter Jugendschutzgesichtspunkten vorzugswürdig) nicht ohne weiteres zulässig wäre. Die Freigabe einer Sendung oder eines Angebots nur nach vorheriger staatlicher Prüfung – wie etwa bei gefährlichen Produkten (s. u. § 4) – ist wegen Art. 5 Abs. 1 S. 3 GG nicht möglich. Statt des verfassungsrechtlich unzulässigen Zwangs zur Vorabkontrolle setzt der JMStV daher auf Anreize zur freiwilligen Vorabkontrolle, indem er Privilegierungen für vor Ausstrahlung geprüfte Sendungen gewährt.

§ 4 Produktzertifizierung im Produktsicherheitsrecht Regulierte Selbstregulierung ist auch im Produktsicherheitsrecht ein wichtiges Steuerungsinstrument. Dies beruht vor allem auf der „Neuen Konzeption auf dem Gebiet der technischen Harmonisierung und der Normung“ 278 und dem „Globalen Konzept für Zertifizierung und Prüfwesen“ 279 der Europäischen Gemeinschaft. Die Einbindung privater Stellen in die hoheitliche Gewährleistung sicherer Produkte erfolgt dabei auf zwei Ebenen: Private Normungsinstitutionen sind dazu berufen, konkrete technische Spezifikationen für Produkte zu entwickeln; die Einhaltung dieser Vorgaben durch den Produkthersteller wird wiederum durch (vorwiegend private) Benannte Stellen überwacht.

A. Problemlage und Funktionsweise der Produktzertifizierung I. Problemlage Von zahlreichen Produkten können mehr oder weniger schwerwiegende Gefahren für Leben, Gesundheit oder Eigentum der Benutzer oder Dritter ausgehen 280. Die grundrechtlichen Schutzpflichten 281 verpflichten die hoheitliche Gewalt – auf 278 Entschließung des Rates vom 07. 05. 1985, ABlEG C 136/1 vom 04. 06. 1995 („Modellrichtlinie“); Entschließung des Rates vom 21. 12. 1989, ABlEG C 10/1 vom 16. 01. 1990. 279 KOM 89 (209) endg., ABlEG C 267/3 vom 19. 10. 1989. 280 Vgl. Gausepohl, Freier Warenverkehr, S. 1: In der EG jedes Jahr 30.000 Tote und 40 Millionen Verletzte durch die Verwendung von Konsumgütern.

§ 4 Produktzertifizierung im Produktsicherheitsrecht

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nationaler und europäischer Ebene –, die Sicherheit von Produkten so weit als möglich zu gewährleisten. Das Produktsicherheitsrecht stellt zu diesem Zweck Anforderungen an die Gestaltung von Produkten und gibt den Behörden Befugnisse zur Überwachung ihrer Einhaltung an die Hand. Zwei neuere Entwicklungen haben jedoch zu einer Umgestaltung dieser „klassischen“ Vorgehensweise geführt. Zum einen ist es im Zeitalter des weltweiten Warenaustauschs im Rahmen der Globalisierung und des rasanten technischen Fortschritts dem Nationalstaat kaum noch möglich, im Rahmen seiner Gesetzund Verordnungsgebung ausreichende und aktuelle rechtliche Vorgaben für die Gestaltung aller potenziell gefährlichen Produkte zu machen, weil es der hoheitlichen Normgebung an Übersicht, Wissen, Sachverstand und Flexibilität fehlt 282. Gleichzeitig wachsen die Gefahren, die von neuen Produkten ausgehen bzw. ist der Sicherheitsanspruch in der Bevölkerung gestiegen. Überfordert sind vielfach aber nicht nur die Normgeber, sondern auch die hoheitlichen Überwachungsbehörden. Die Überprüfung einer stetig wachsenden Menge von immer komplizierteren Produkten auf ihre Vereinbarkeit mit nicht weniger komplexen rechtlichen Vorgaben bedürfte einer großen Anzahl spezialisierter Fachbehörden mit hoch qualifiziertem Personal und umfangreicher technischer Ausstattung. Die dafür nötigen Ressourcen hat der Staat nicht. Die zweite relevante Entwicklung ist die Entstehung des Binnenmarktes in der Europäischen Union. Der freie Verkehr von Produkten ist ein zentraler Teil des freien Warenverkehrs (Art. 14 Abs. 2, Art. 28 EGV) und unterschiedliche nationale Sicherheitsanforderungen an ein und dasselbe Produkt – die jede für sich wegen Art. 30 EGV (Schutz des Lebens und der Gesundheit von Menschen) gerechtfertigt sein können 283 – sind geradezu der Inbegriff unerwünschter Handelshemmnisse 284. Ein Produkt kann in Europa nur dann frei zirkulieren, wenn die (Sicherheits-)Anforderungen an die Produktgestaltung vereinheitlicht sind 285. Es wurde daher ursprünglich versucht, eine Detailharmonisierung nationaler Sicherheitsanforderungen für bestimmte Produkte über europäische Richtlinien zu erreichen 286. Dabei zeigte sich aber auch auf europäischer Ebene das oben genannte Problem der Vervielfachung und raschen Veränderung des Warenangebots und des

281 Dazu 3. Teil § 7 C. Dass der Staat sich um die Produktsicherheit kümmert, liegt allerdings nicht nur an seinen rechtlichen Pflichten, sondern auch am Sicherheitsbedürfnis der Bürger, das die Politik nicht ignorieren kann. 282 Weiß, Produktsicherheit, S. 327 f. 283 Röhl, in: Schmidt-Aßmann/Schöndorf-Haubold (Hrsg.), Europ. Verwaltungsverbund, S. 153 (154 f.). 284 Gausepohl, Freier Warenverkehr, S. 2; vgl. z. B. Erwägungsgrund 2 Sportboote-RL. 285 Vgl. Erwägungsgründe 2 und 3 Druckgeräte-RL; Erwägungsgrund 3 Aufzug-RL; Erwägungsgrund 3 Sportboote-RL. 286 Gausepohl, Freier Warenverkehr, S. 14 ff.; z. B. im Kfz-Bereich: Röhl, in: SchmidtAßmann/Schöndorf-Haubold (Hrsg.), Europ. Verwaltungsverbund, S. 153 (155).

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2. Teil: Referenzbereiche

technischen Wissens, das jede hoheitliche Standardisierung – sei es auf nationaler, sei es auf Gemeinschaftsebene – vor enorme Kapazitätsprobleme stellt 287. Die Europäische Gemeinschaft änderte daher ihre Vorgehensweise und begann 1985 den Umstieg auf die „Neue Konzeption“ (auch „Neues Harmonisierungskonzept“, „New Approach“ genannt 288), seit 1989 in Verbindung mit dem „Globalen Konzept für Zertifizierung und Prüfwesen“. II. Obligatorische Produktzertifizierung 1. Neue Konzeption der Normung Die Neue Konzeption führt zu einer gemeinschaftsweiten Harmonisierung der Sicherheitsanforderungen an bestimmte Produktgruppen, wodurch ein Teil der Binnenmarkthindernisse entfällt. Um die Sicherheitsanforderungen zu vereinheitlichen, erlässt der Rat (unter Mitentscheidung des Europäischen Parlaments), gestützt auf Art. 95 EGV, sektorale Richtlinien für bestimmte Produktgruppen 289. In diesen Richtlinien werden verbindliche grundlegende Sicherheitsanforderungen an die Produkte festgelegt 290. Die Einhaltung dieser grundlegenden Anforderungen kann in zweifacher Weise nachgewiesen werden. Der einfachere und deshalb in der Praxis wohl häufigste Weg 291 ist die Einhaltung europäischer harmonisierter technischer Normen, die der Konkretisierung der grundlegenden Anforderungen dienen 292. Die europäischen Normen werden durch europaweit agierende private Normungsgremien, vor allem CEN (Comité Européen de Normalisation), CENELEC (Comité Européen de Normalisation Electrotechnique) und ETSI (European Telecommunications Standards Institute), erarbeitet und anschließend von der Kommission angenommen und im 287 von Danwitz, in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem, Strukturen d. Europ. Verwaltungsrechts, S. 171 (180); Gausepohl, Freier Warenverkehr, S. 16. 288 Röhl, in: Schmidt-Aßmann/Schöndorf-Haubold (Hrsg.), Europ. Verwaltungsverbund, S. 153 (154). 289 Z. B. für Maschinen, Medizinprodukte, Sportboote, Spielzeug, Aufzüge, Gasverbrauchseinrichtungen; Überblick über alle sektoralen Richtlinien nach der Neuen Konzeption im „Leitfaden für die Umsetzung der nach dem neuen Konzept und dem Gesamtkonzept verfassten Richtlinien“ (Blueguide) der EG-Kommission, S. 13 (abrufbar unter http://ec.europa.eu/enterprise/newapproach/legislation /guide/index.htm). 290 Jörissen, Produktbezogener Umweltschutz, S. 19; s. z. B. Art. 3 i. V. m. Anhang I Medizinprodukte-RL; Art. 3 Abs. 1 i. V. m. Anhang I Druckgeräte-RL; Art. 3 i. V. m. Anhang I Aufzug-RL; Art. 3 i. V. m. Anhang I Sportboote-RL. 291 Gausepohl, Freier Warenverkehr, S. 33, spricht sogar von einem faktischen Zwang zur Einhaltung der europäischen Normen. 292 Anhang II B. V. Ziff. 1 der Entschließung des Rates vom 07. 05. 1985; Art. 3 Abs. 2 ProdS-RL; Erwägungsgrund 8 Aufzug-RL.

§ 4 Produktzertifizierung im Produktsicherheitsrecht

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Amtsblatt veröffentlicht 293. Die Normungseinrichtungen bestehen aus Vertretern der nationalen Normungsgremien (wie DIN oder VDE aus der Bundesrepublik Deutschland) und erlassen auf Grund von Normungsaufträgen der EG-Kommission europäische Normen (EN), die von den nationalen Normungsorganisationen als nationale Normen übernommen werden (z. B. DIN EN) 294. Bei Einhaltung nationaler technischer Normen, die der Umsetzung harmonisierter europäischer Normen dienen, wird die Erfüllung der grundlegenden Anforderungen zugunsten des Herstellers vermutet 295. Die Einhaltung der harmonisierten technischen Normen bzw. der nationalen Normen ist jedoch freiwillig 296; der Hersteller kann von ihnen abweichen, muss dann der Benannten Stelle, die seine Produkte prüft und ihn zur Führung des CEZeichens berechtigt, aber im Einzelfall nachweisen, dass sein Produkt trotzdem den grundlegenden Anforderungen der sektoralen Richtlinie entspricht 297. Auch wenn eine Marktüberwachungsbehörde den Hersteller nach § 8 Abs. 4 S. 1 oder S. 2 Nr. 2, 6 oder 7 GPSG in Anspruch nimmt, weil sie das Produkt trotz CEKennzeichnung für unsicher hält, kann ein Hersteller trotz Nichteinhaltung der harmonisierten Normen die Sicherheit seines Produkts nachweisen. Durch die harmonisierten technischen Normen wird eine europaweite Vereinheitlichung erreicht und zugleich der Gesetzgeber entlastet, weil Sachkunde und Erfahrung der privaten Normungsinstitutionen in Anspruch genommen werden. Die privaten Normungsinstitutionen haben sich auf den Erlass technischer Normen spezialisiert, halten engen Kontakt zu Wirtschaft und Wissenschaft, unterliegen nicht den Verfahrens- und Formvorschriften wie der Gesetzgeber und können damit flexibler reagieren. Außerdem wird der europäische Gesetzgeber dadurch entlastet, dass er in einer einzigen Richtlinie die grundlegenden Sicherheitsanforderungen für eine Vielzahl von Produkten statuieren kann, und die Einzelnormierung für jedes Produkt den Normungsgremien überlassen bleibt 298. Ist ein Mitgliedstaat der Auffassung, dass die harmonisierten Normen der Umsetzung der grundlegenden Anforderungen der Richtlinie nicht genügen und die danach konstruierten Produkte deshalb unsicher sind, hat er dies gegenüber der

293

Gausepohl, Freier Warenverkehr, S. 29. Gausepohl, Freier Warenverkehr, S. 28 f. 295 Vgl. z. B. Art. 5 Abs. 2 Druckgeräte-RL; auch § 4 Abs. 1 S. 2 und Abs. 2 S. 4 GPSG; Röhl, in: Schmidt-Aßmann/Schöndorf-Haubold (Hrsg.), Europ. Verwaltungsverbund, S. 153 (156). 296 Jörissen, Produktbezogener Umweltschutz, S. 19; Gausepohl, Freier Warenverkehr, S. 30; s. z. B. Erwägungsgrund 16 Druckgeräte-RL; Erwägungsgrund 6 Sportboote-RL. 297 Jörissen, Produktbezogener Umweltschutz, S. 19. 298 Vgl. Erwägungsgrund 10 Druckgeräte-RL: „ . . . , um häufige Änderungen und eine Flut von Richtlinien zu vermeiden“. 294

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2. Teil: Referenzbereiche

Kommission in einem Schutzklauselverfahren zu beanstanden. Die Kommission schaltet den Ausschuss nach der Richtlinie 98/34/EG 299 ein, auf Grund dessen Stellungnahme darüber entschieden wird, ob die technische Norm gestrichen bzw. geändert wird 300. 2. Globales Konzept für Zertifizierung Das Gemeinschaftsrecht begnügt sich nicht mit einer Vereinheitlichung der materiellen Anforderungen an Produkte; das „Globale Konzept für Zertifizierung und Prüfwesen“ regelt zusätzlich auch die Ebene des Marktzugangs 301 und der Produktüberwachung. Die Konformität eines Produkts mit den grundlegenden Anforderungen der jeweiligen Richtlinie wird nicht systematisch – etwa im Rahmen einer Marktzulassung – durch staatliche Behörden kontrolliert. Stattdessen hat der Hersteller ein Konformitätsbewertungsverfahren durchzuführen 302, bei dem entweder nur er selbst oder auch (überwiegend private) Benannte Stellen, aber keine staatlichen Marktaufsichtsbehörden tätig werden. Entschließt sich ein Hersteller für eine Konstruktion entsprechend harmonisierter technischer Normen, wird im Konformitätsbewertungsverfahren die Einhaltung dieser Normen geprüft; will der Hersteller von den harmonisierten Normen abweichen, muss im Konformitätsbewertungsverfahren die dennoch bestehende Vereinbarkeit mit den grundlegenden Sicherheitsanforderungen nachgewiesen werden. Die Art und Weise der Konformitätsbewertung wird durch die jeweilige sektorale Produkt-Richtlinie bestimmt, die dabei auf den „Modulbaukasten“ des Ratsbeschlusses vom 22. 07. 1993 303 zurückgreift. Dieser enthält im Anhang acht Verfahrensmodule (Modul A – Modul H), die von einer sektoralen Richtlinie einzeln oder in Kombinationen als Konformitätsbewertungsverfahren für ein konkretes Produkt vorgeschrieben werden können. Welche Module der Hersteller zu verwenden hat, bestimmt die Richtlinie je nach dem Grad der Gefährlichkeit des Produkts und der zumutbaren Belastung für den Hersteller, weswegen sie zum Teil auch dem Hersteller die Wahl zwischen verschiedenen Modulen überlässt 304.

299

ABlEG L 204/37 vom 21. 07. 1998; zu dieser RL ausf. von Bogdandy, in: HoffmannRiem/Schmidt-Aßmann, VerwR in der Informationsgesellschaft, S. 133 (151 ff.). 300 Art. 8 Abs. 1, 2 i. V. m. Art. 6 Medizinprodukte-RL; Art. 8 Abs. 1, 2 i. V. m. Art. 6 Druckgeräte-RL; Art. 7 Abs. 1, 2 i. V. m. Art. 6 Aufzug-RL; Art. 7 Abs. 1, 2 i. V. m. Art. 6 Sportboote-RL. 301 Röhl, in: Schmidt-Aßmann/Schöndorf-Haubold (Hrsg.), Europ. Verwaltungsverbund, S. 153 (156). 302 S. z. B. Art. 10 Abs. 1 Druckgeräte-RL. 303 93/465/EWG, ABlEG L 220/23 vom 30. 08. 1993. 304 Z. B. Art. 10 Abs. 1 Druckgeräte-RL.

§ 4 Produktzertifizierung im Produktsicherheitsrecht

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Ist die Konformität eines Produkts mit den grundlegenden Anforderungen der sektoralen Richtlinie in einem dieser Verfahren geprüft worden, versieht der Hersteller sein Produkt mit dem CE-Zeichen, das Voraussetzung für das Inverkehrbringen eines (von den sektoralen Richtlinien erfassten) Produkts ist 305. Das CE-Zeichen ist ein Verwaltungszeichen 306, das den Produktsicherheitsbehörden signalisiert, dass dieses Produkt den grundlegenden Sicherheitsanforderungen einer europäischen Richtlinie entspricht. III. Freiwillige Zertifizierung; GS-Zeichen Schon vor der Zertifizierung im gesetzlich geregelten Bereich der Neuen Konzeption gab es die freiwillige Zertifizierung. Als Selbstkontrolle der Wirtschaft sollen die Zertifikate und Gütesiegel privater Organisationen das Vertrauen der Kunden in die Sicherheit und Qualität der Produkte stärken und das Image des zertifizierten Unternehmens fördern 307. Zwischen der CE-Zertifizierung und der rein freiwilligen Zertifizierung steht das GS-Zeichen (GS = Geprüfte Sicherheit, § 7 Abs. 1 S. 1 Geräte- und Produktsicherheitsgesetz [GPSG]). Das GS-Zeichen beruht ausschließlich auf deutschem Recht, wird aber vom Gemeinschaftsrecht erlaubt 308. Es ist nicht Voraussetzung für das Inverkehrbringen eines Produkts (und darf es auch nicht sein, weil diese Funktion ausschließlich dem CE-Zeichen vorbehalten ist 309), die Zertifizierung ist für den Hersteller also nicht verpflichtend. Andererseits darf das GS-Zeichen nicht von jeder privaten Zertifizierungsstelle vergeben werden. GS-Stellen müssen denselben Anforderungen entsprechen wie Benannte Stellen 310 und müssen von den zuständigen Behörden anerkannt werden. Insofern ist die Selbstregulierung hier ebenfalls hoheitlich reguliert. Auch das Prüfprogramm und der zu prüfende Sicherheitsstandard sind den GS-Stellen vorgeschrieben (§ 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 GPSG). Das GS-Zeichen bestätigt die Übereinstimmung des gekennzeichneten Produkts mit den grundlegenden Sicherheitsanforderungen. Anders als beim CE-Zeichen gibt es dafür aber nicht acht Module, sondern nur eine Variante des Konformitätsbewertungsverfahrens. Die GS-Stelle führt eine Baumusterprüfung durch

305

Vgl. z. B. Art. 10 Abs. 1 Sportboote-RL, § 3 Abs. 1 10. GPSGV (Sportboote). Di Fabio, Produktharmonisierung, S. 49. 307 Beispiele sind das QS-Zeichen, TÜV-geprüft, etc. 308 Anhang I. A. j) Modulbeschluss; vgl. Art. 17 Abs. 3 S. 2 Medizinprodukte-RL; Art. 10 Abs. 3 S. 2 Sportboote-RL; Art. 10 Abs. 3 S. 2 Aufzug-RL; Art. 15 Abs. 5 S. 2 Druckgeräte-RL. 309 S. z. B. Art. 4 Abs. 1 Ziff. 1.1 i. V. m. Art. 5 Abs. 1 Druckgeräte-RL. 310 § 11 Abs. 2 GPSG i. V. m. der Verordnung nach § 3 Abs. 3 GPSG bzw. i. V. m. § 9 Abs. 2. S. 2 Gerätesicherheitsgesetz (GSG), § 21 Abs. 1 GPSG. 306

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2. Teil: Referenzbereiche

(§ 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 GPSG; entspricht Modul B des Modulbeschlusses). Zudem muss der Hersteller der GS-Stelle nachweisen, dass er Voraussetzungen schafft und einhält, um die Übereinstimmung der Endprodukte mit dem Baumuster zu gewährleisten (§ 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2, Abs. 3 S. 1 GPSG). Die Rechtsfolgen einer GS-Kennzeichnung ergeben sich aus § 8 Abs. 2 S. 4 GPSG. Danach haben die Marktüberwachungsbehörden davon auszugehen, dass gekennzeichnete Produkte den Anforderungen an Sicherheit und Gesundheit genügen. Bei Produkten, die ohnehin zusätzlich mit dem CE-Zeichen versehen werden müssen, spielt das GS-Zeichen gegenüber der Marktüberwachung keine Rolle. Lediglich der Verbraucher kann sich darauf verlassen, dass zumindest der Produktentwurf von einer unabhängigen kompetenten Stelle geprüft wurde (was dem CE-Zeichen nicht entnommen werden kann, da dieses – je nach vorgeschriebenem Modul – auch ohne Beteiligung einer Benannten Stelle vergeben werden kann).

B. Rechtsgrundlagen und Akteure Im Gegensatz zum Jugendmedienschutzrecht gibt es im Produktsicherheitsrecht kein zentrales Gesetzeswerk, sondern stattdessen eine nahezu unüberschaubare Vielzahl von Richtlinien, Beschlüssen und Empfehlungen der EG-Organe und deutscher Umsetzungsgesetze bzw. -verordnungen. I. Rechtsgrundlagen Da es nicht Ziel der vorliegenden Arbeit ist, einen umfassenden Überblick über das komplette Produktsicherheitsrecht zu geben 311, sondern nach den Erträgen für das Allgemeine Verwaltungsrecht gefragt werden soll, beschränken sich die folgenden Ausführungen auf einige repräsentative Anwendungsfelder der Regulierten Selbstregulierung im Produktsicherheitsrecht; herausgegriffen werden dazu die Bereiche Medizinprodukte, Druckgeräte, Aufzüge und Sportboote 312, in denen das Globale Konzept sehr systemgetreu umgesetzt wurde. In allen vier Bereichen – auch wenn sie in der Lebenswirklichkeit sehr unterschiedliche Produkte betreffen – ist die Systematik und Funktionsweise des Globalen Konzepts der Zertifizierung und damit der Regulierten Selbstregulierung sehr gut erkennbar; es handelt sich daher um typische Anwendungsbeispiele. Das Konzept ist auch 311 Dazu Weiß, Produktsicherheit, passim; einen aktuellen, umfassenden Überblick über alle EG-Richtlinien der „Neuen Konzeption“ gibt die Homepage des VDI e. V. (www.vdinachrichten.com/ce-richtlinien/basics). 312 Die Regelungen zu Gasverbrauchseinrichtungen, Seilbahnen und Geräten in explosionsgefährdeten Bereichen folgen genau demselben Aufbau; ebenfalls im Wege der Neuen Konzeption geregelt, aber nicht der Produktsicherheit, sondern Umwelt- oder Verbraucherschutz dienend sind z. B. die Richtlinien für Heizkessel, Kühlgeräte oder Vorschaltgeräte.

§ 4 Produktzertifizierung im Produktsicherheitsrecht

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ohne weiteres auf andere Produkte übertragbar, da es ihm nicht um die Regelung spezifischer Risiken eines besonderen Produkts geht 313. Relevante Rechtsnormen für die hier ausgewählten Produkte sind die Medizinprodukte-RL 314 und das dazu erlassene Medizinproduktegesetz (MPG) 315, die Druckgeräte-RL 316 und die dazu ergangene 14. GPSGV 317, die Aufzug-RL 318 und die dazu ergangene 12. GPSGV 319 sowie die Sportboote-RL 320 und die dazu erlassene 10. GPSGV 321. Die (deutschen) GPSG-Verordnungen dienen der Umsetzung der jeweiligen sektoralen EG-Richtlinie. Allerdings enthalten die GPSGV kaum eigene Bestimmungen, sondern verweisen größtenteils auf die einschlägige Richtlinie, so auch in Bezug auf die Anforderungen an die beteiligten Akteure und das Verfahren. Deshalb werden im Folgenden auch jeweils nur die Richtlinien als Beleg zitiert.

Das Globale Konzept für Zertifizierung ist auch im Geräte- und Produktsicherheitsgesetz (GPSG) 322, das die EG-Produktsicherheitsrichtlinie (ProdS-RL) 323 umsetzt, enthalten. Die Kompetenz der Europäischen Gemeinschaft zum Erlass der sektoralen Richtlinien mit den grundlegenden Sicherheitsanforderungen ergibt sich aus Art. 95 EGV; die technische Harmonisierung von Produktbeschaffenheitsanforderungen dient unstreitig der Verwirklichung des Binnenmarkts im Sinne des Art. 14 Abs. 2 EGV. Die Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes zur Umsetzung der EG-Richtlinien folgt in den hier interessierenden Bereichen aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG (Recht der Wirtschaft) 324. Die Ausführung der Bundesgesetze bzw.

313 Dazu bedarf es im Grunde nur der Ersetzung des Begriffs „Sportboote“ oder „Aufzüge“ durch die Bezeichnung eines anderen Produkts. 314 Richtlinie 93/42/EWG vom 14. 06. 1993, ABlEG L 169/1 vom 12. 07. 1993. 315 BGBl I 2002, S. 3146. 316 Richtlinie 97/23/EG vom 29. 05. 1997, ABlEG L 181/1 vom 09. 07. 1997. 317 BGBl I 2002, S. 3777. 318 Richtlinie 95/16/EG vom 29. 06. 1995, ABlEG L 213/1 vom 07. 09. 1995. 319 BGBl I 1998, S. 1393. 320 Richtlinie 94/25/EG vom 16. 06. 1994, ABlEG L 164/15 vom 30. 06. 1994. 321 BGBl I 1995, S. 1936. 322 BGBl I 2004, S. 2. 323 Richtlinie 2001/95/EG vom 03. 12. 2001 über die allgemeine Produktsicherheit, ABlEG L 11/4 vom 15. 01. 2002; die ProdS-RL selbst stellt hingegen weder auf die Neue Konzeption noch auf das Globale Konzept für Zertifizierung ab. 324 Bei anderen Produkten kommen z. B. auch Art. 73 Abs. 1 Nr. 6 (Flugzeuge), Nr. 6a (Eisenbahnen), Nr. 7 (Telekommunikationsendgeräte), Nr. 12 (Waffen und Sprengstoff), Art. 74 Abs. 1 Nr. 20 (Lebensmittel, Futtermittel, Bedarfsgegenstände, Pestizide), Nr. 22 (KFZ) GG in Betracht.

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2. Teil: Referenzbereiche

-verordnungen und die Bestimmung der zuständigen Behörden obliegt hingegen den Bundesländern (Art. 83 GG). II. Akteure In Erweiterung des Verhältnisses zwischen nationaler staatlicher Überwachungsbehörde und Hersteller sind durch die Europäisierung und die Neue Konzeption weitere Akteure zur Gewährleistung des Produktsicherheitsrechts hinzugetreten. 1. Hoheitliche Akteure a) Gemeinschaftsorgane Zentraler Akteur der Neuen Konzeption ist die EG-Kommission. Zum einen erstellt sie Vorschläge für die sektoralen Richtlinien der Neuen Konzeption, in denen die grundlegenden Sicherheitsanforderungen festgelegt werden; zum anderen erteilt sie die Normungsaufträge an die europäischen Normungsinstitutionen. Im Bereich der Überwachung der Einhaltung der Vorgaben wird die Kommission (mit Ausnahme von Eil- und Notfallbefugnissen nach Art. 13 ProdS-RL) nicht selbst vollziehend tätig. Stattdessen nimmt die Kommission die Informationen der nationalen Behörden über deren Maßnahmen zur Umsetzung der Neuen Konzeption und des Globalen Konzepts entgegen und leitet sie an die anderen Mitgliedstaaten weiter. Schließlich obliegt es der Kommission, gegen einen Mitgliedstaat ein Vertragsverletzungsverfahren nach Art. 226 EGV einzuleiten, wenn dieser seinen Verpflichtungen im Rahmen der Neuen Konzeption nicht nachkommt, etwa die sektoralen Richtlinien nicht umsetzt, keine Zertifizierungsstellen benennt oder die benannten Stellen nicht ausreichend überwacht. Der Rat der Europäischen Gemeinschaft erlässt – unter Mitentscheidung des Europäischen Parlaments (Art. 95 Abs. 1 i. V. m. Art. 251 EGV) – die sektoralen Richtlinien und entscheidet damit über die Anwendung der Neuen Konzeption und über die grundlegenden Sicherheitsanforderungen an die betroffenen Produkte. b) Nationale Behörden In die Neue Konzeption ist eine Vielzahl von staatlichen Behörden eingebunden. Diese müssen die Benannten Stellen anerkennen und kontrollieren sowie Hersteller und Produkte überwachen.

§ 4 Produktzertifizierung im Produktsicherheitsrecht

181

aa) Anerkennungsstellen Die Bestimmung der für die Anerkennung und Benennung 325 der Benannten Stellen zuständigen Behörden wird meist nicht in den produktspezifischen Bundesgesetzen getroffen, sondern obliegt in Ausführung der Bundesgesetze den Ländern. Die Bundesländer haben durch Staatsvertrag die Zentralstelle der Länder für Sicherheitstechnik (ZLS) in München 326 und die Zentralstelle der Länder für Gesundheitsschutz bei Arzneimitteln und Medizinprodukten (ZLG 327) mit Sitz in Bonn gegründet. Die ZLS ist Teil des Bayerischen Umwelt- und Verbraucherschutzministeriums, die ZLG ist dem nordrhein-westfälischen Gesundheitsministerium eingegliedert. Die ZLS wird im Bereich des GPSG und des MPG tätig. Sie ist zuständige Behörde für die Anerkennung und Überwachung Benannter Stellen nach § 11 GPSG in allen Bereichen von auf das GPSG gestützten Rechtsverordnungen (also auch für die Bereiche Druckgeräte, Aufzüge und Sportboote) 328. Für den Bereich Medizinprodukte sind sowohl die ZLS als auch die ZLG zuständig, wobei erstere aktive Medizinprodukte (Art. 2 Abs. 2 ZLS-Staatsvertrag), letztere nicht aktive Medizinprodukte (Art. 2 Abs. 3 Nr. 1 ZLG-Staatsvertrag) überwacht. Beide Stellen sind einem Landesministerium zugeordnet und somit Teil der staatlichen Verwaltung. Zwar können in Arbeitsgruppen auch Sachverständige aus Wirtschaft, Wissenschaft und von Verbraucherverbänden zur Mitwirkung an der Erstellung von Anforderungen an Zertifizierungsstellen eingebunden werden; bei der Tätigkeit der Stellen nach außen, das heißt gegenüber den Benannten Stellen, wird jedoch Staatsgewalt ausgeübt. Die Tätigkeit der Anerkennungsstellen kann nicht auf Private übertragen werden, weil nach der Neuen Konzeption der Mitgliedstaat die Benennungen vorzunehmen hat 329.

325 Die zuständigen Stellen verwenden den Begriff „Akkreditierung“, ebenso wie das MPG (§ 15 Abs. 1, § 16 Abs. 1, 2) und auch § 9 Abs. 2 Gerätesicherheitsgesetz, der nach § 21 Abs. 1 GPSG bis zum Erlass einer Rechtsverordnung nach § 3 Abs. 3 GPSG weiter anzuwenden ist; § 11 Abs. 1 S. 1 GPSG spricht allerdings von Anerkennung und differenziert in S. 2 zur Akkreditierung. Da das GPSG einen „Allgemeinen Teil“ für das Produktsicherheitsrecht bilden soll, wird hier auch der Terminologie des GPSG gefolgt. 326 Abkommen über die Zentralstelle der Länder für Sicherheitstechnik und über die Akkreditierungsstelle der Länder für Meß- und Prüfstellen zum Vollzug des Gefahrstoffrechts (ZLS/AKMP) vom 16. 12. 1993, GBl BW 1994, S. 553; aktuelle Version abrufbar unter www.zls-muenchen.de, „Wir über uns – Staatsvertrag“. 327 Abkommen über die Zentralstelle der Länder für Gesundheitsschutz bei Arzneimitteln und Medizinprodukten vom 30. 06. 1994, GVBl NW 1994, S. 972; aktuelle Version abrufbar unter www.zlg.de, „Wir über uns – Staatsvertrag“. 328 S. z. B. Geräte- und Produktsicherheitszuständigkeitsverordnung Baden-Württemberg Anhang Ziff. 1.2.12, 1.2.13, 1.3.4, 1.3.5, 1.3.6; GBl BW 2005, S. 86.

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2. Teil: Referenzbereiche

Auch die Anforderungen der EG-Richtlinien an die Benannten Stellen binden nur den Mitgliedstaat, so dass dieser die Letztverantwortung dafür übernehmen muss, dass die Benannten Stellen diesen Vorgaben genügen.

Aufgabe von ZLS und ZLG ist die Anerkennung bzw. Akkreditierung von Zertifizierungsstellen, die Überwachung der Stellen und gegebenenfalls Widerruf oder Rücknahme der Anerkennung (Art. 2 Abs. 2 ZLS-Staatsvertrag, Art. 2 Abs. 3 ZLGStaatsvertrag). Durch Richtlinien und Einzelfallentscheidungen konkretisieren sie die Anforderungen an Benannte Stellen aus den sektoralen EG-Richtlinien und dem GPSG bzw. MPG. Zudem üben sie die Aufsicht über die Benannten Stellen aus 330. Neben dem konkreten Tätigwerden gegenüber der Benannten Stelle geben die hoheitlichen Stellen auch Informationen über die Benannte Stelle an die EGKommission und die anderen Mitgliedstaaten weiter 331, so die Benennung oder den Widerruf derselben. Für die öffentliche Bekanntmachung der Aufhebung der Benennung nach dem MPG besteht eine gesetzliche Grundlage in § 16 Abs. 4 MPG. bb) Nachgängige Marktüberwachung Die nachgängige Marktüberwachung 332 konzentriert sich auf die Sicherheit der schon in Verkehr gebrachten Produkte. Zur Erfüllung dieser Aufgabe können die zuständigen Behörden 333 nach § 11 Abs. 6 GPSG auch von den Benannten Stellen die erforderlichen Unterlagen anfordern. Des Weiteren kontrolliert die Marktüberwachung mit den Produkten „inzident“ auch die Benannten Stellen, denn das Auftreten eines mit dem CE-Zeichen versehenen Produktes am Markt, das den grundlegenden Sicherheitsanforderungen nicht entspricht, kann ein Indiz dafür sein, dass das Konformitätsbewertungsverfahren nicht korrekt durchgeführt wurde. Da eine beteiligte Benannte Stelle hinter das CE-Zeichen ihre Kennnummer setzen muss, kann die Marktüberwachungsbehörde auch feststellen, welche Benannte Stelle bei der Konformitätsbewertung möglicherweise versagt hat und diese Information an die für die Überwachung der Benannten Stellen zuständige Behörde (also meist die ZLS oder ZLG) weiterleiten.

329 S. z. B. Art. 16 Abs. 1 Medizinprodukte-RL; Art. 12 Abs. 1 Druckgeräte-RL; Art. 9 Abs. 1 Aufzug-RL; Art. 9 Abs. 1 Sportboote-RL. 330 Wozu die Mitgliedstaaten durch Anhang I. A. lit. k Modulbeschluss verpflichtet sind. 331 Art. 16 Abs. 3 Medizinprodukte-RL, Art. 12 Abs. 3 Druckgeräte-RL, Art. 9 Abs. 3 Aufzug-RL, Art. 9 Abs. 3 Sportboote-RL. 332 Zu den verschiedenen Formen der Marktüberwachung und -kontrolle s. Weiß, Produktsicherheit, S. 334 ff.; 374 ff. 333 Z. B. die allgemeinen Verwaltungsbehörden oder die Gewerbeaufsichtsämter.

§ 4 Produktzertifizierung im Produktsicherheitsrecht

183

2. Hersteller Der Hersteller eines Produkts, das einer sektoralen Richtlinie der Neuen Konzeption unterfällt, ist dafür verantwortlich, dass sein Produkt deren Vorgaben einhält 334. Um dies zu bestätigen, versieht er sein Produkt mit dem CE-Zeichen, das Voraussetzung für das Inverkehrbringen ist. Sofern das Konformitätsbewertungsverfahren, das die sektorale Richtlinie vorsieht, die Einschaltung einer Benannten Stelle fordert, liegt es am Hersteller, eine solche Stelle mit der Konformitätsbewertung zu beauftragen. Er kann sich dabei an eine Benannte Stelle seiner Wahl wenden, was Stellen aus sämtlichen EG-Mitgliedstaaten umfasst. 3. Benannte Stellen Weitere Akteure sind die Benannten Stellen (auch: zugelassene Stellen, akkreditierte Stellen). Benannte Stellen sind fachkundige, staatlich anerkannte Institutionen, die in Konformitätsbewertungsverfahren des Herstellers eingeschaltet werden, um die Übereinstimmung des Produkts mit den grundlegenden Sicherheitsanforderungen der sektoralen Richtlinien sicher zu stellen. Während die sektoralen Richtlinien (in der deutschen Fassung) von „Benannten Stellen“ sprechen (und damit auf die Benennung durch die Mitgliedstaaten gegenüber der Europäischen Gemeinschaft abstellen), sprechen das GPSG und die GPSG-Verordnungen (GPSGV) von „Zugelassenen Stellen“ (§ 2 Abs. 15 GPSG), die benannt werden können. Das MPG wiederum spricht ebenfalls von „Benannten Stellen“ (§ 3 Nr. 20 MPG). Im Folgenden wird ausschließlich der Begriff „Benannte Stelle“ verwendet, aus Gründen der Einheitlichkeit und weil dies die Terminologie des Gemeinschaftsrechts ist. Die Bezeichnung als „Benannte“ Stelle rührt daher, dass eine Zertifizierungsstelle, nachdem sie staatlich anerkannt wurde, der EG gegenüber als anerkannte Zertifizierungsstelle benannt, das heißt gemeldet werden muss.

Diese grundsätzlich privaten 335, staatlich anerkannten Benannten Stellen übernehmen zum Teil die Überwachung des Herstellers und seiner Produkte und unterliegen ihrerseits wiederum der Überwachung durch staatliche Aufsichtsbehörden. Anders als zum Beispiel im Jugendmedienschutz (s. o. § 3 B II. 2.), wo für Rundfunk und Internet jeweils nur eine einzige private Stelle existiert (und existieren soll), ist im Produktsicherheitsrecht ein Wettbewerb zwischen einer Vielzahl 336 von Benannten Stellen gerade erwünscht 337. Benannte Stellen in Deutschland

334

S. z. B. Anhang III Modul G Ziff. 1 Druckgeräte-RL. Mitgliedstaaten können allerdings auch öffentlichrechtliche Stellen benennen; in Deutschland z. B. die Bundesanstalt für Materialprüfung (für Explosivstoffe) oder die Physikalisch-Technische Bundesanstalt (für nicht-selbsttätige Waagen). 335

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2. Teil: Referenzbereiche

stammen aus den unterschiedlichsten Bereichen und kommen in fast allen Rechtsformen vor 338, so beispielsweise TÜV und DEKRA, Landesmessanstalten und Materialprüfungsämter, Berufsgenossenschaften, VDE, Universitätsinstitute und eine Vielzahl von GmbHs, Aktiengesellschaften und eingetragenen Vereinen, die zum Teil Ausgründungen öffentlichrechtlicher Körperschaften sind 339. Die Nationalstaaten haben grundsätzlich die Wahl, welche Stellen sie benennen. Vereinzelt hat die Bundesrepublik Deutschland nur eine Behörde oder öffentlichrechtliche Körperschaft anerkannt und benannt und dieser damit ein Monopol verschafft 340. Überwiegend (und so auch in den hier als Beispiel gewählten Produktsektoren) sind in Deutschland jedoch mehrere Stellen für einen Bereich anerkannt, wobei jeweils sowohl öffentliche als auch private Stellen beteiligt sind; letztere bilden allerdings die Mehrheit. Im Folgenden sind daher auch nur die Benannten Stellen in Privatrechtsform von Interesse, weil nur hier Regulierte Selbstregulierung vorliegt. Weil der Staat private Anerkannte Stellen nicht selbst schaffen oder erzwingen kann, die Existenz Anerkannter Stellen aber durch das Gemeinschaftsrecht zwingend vorgegeben und außerdem für das System der Produktsicherheitskontrolle durch Regulierte Selbstregulierung unentbehrlich ist, benannte der Staat zuerst einmal „eigene“ Stellen um das System funktionsfähig zu machen und konnte es dann der Eigeninitiative und den wirtschaftlichen Überlegungen der Industrie überlassen, ob und in welchem Umfang diese ebenfalls Benannte Stellen gründen würde.

a) Formelle Anforderungen an Benannte Stellen Private Zertifizierungsstellen können ohne weiteres Zertifizierungen anbieten und bei Herstellern Qualitätssicherungssysteme installieren oder Produkte prüfen, damit der Hersteller seine Produkte im Anschluss zum Beispiel mit einem privaten Qualitätssiegel oder Gütezeichen versehen kann 341. Insofern handelt 336 Vgl. die Bekanntmachung der von den Mitgliedstaaten benannten Stellen durch die EG-Kommission im ABlEG C 302 vom 12. 12. 2003. 337 Außer in den Bereichen, wo ein Monopol einer öffentlichen Stelle als Benannte Stelle besteht, s. Fn. 335. 338 Eine Liste aller Benannten Stellen für die jeweilige Richtlinie veröffentlicht die EGKommission unter http://ec.europa.eu/enterprise/newapproach/nando. 339 Z. B. die LGA (Landesgewerbeanstalt Bayern). 340 In Deutschland besteht soweit ersichtlich nur in den Bereichen Explosivstoffe, Hochgeschwindigkeitsbahnen-Interoperabilität und Schiffsausrüstung (§ 9 SchSV) ein Monopol öffentlichrechtlicher Stellen. Dieses Monopol besteht auch nur auf der Anbieter-Seite, denn deutsche Nachfrager können sich auch an ausländische Benannte Stelle wenden und damit das Monopol der deutschen Behörde umgehen. 341 S. o. § 4 A. III. Zu einem Überblick über diese freiwilligen Zeichen (die neben dem CE-Zeichen zulässig sind, so lange sie nicht mit diesem zu verwechseln sind, Art. 17 Abs. 3

§ 4 Produktzertifizierung im Produktsicherheitsrecht

185

es sich aber bei der freiwilligen Zertifizierung um reine Selbstregulierung oder Selbstkontrolle, weil dies im gesetzlich nicht geregelten Bereich geschieht und keine öffentlichrechtlichen Konsequenzen, sondern nur Wettbewerbsvorteile und Effizienzgewinne im Unternehmen nach sich ziehen kann. Zur Regulierten Selbstregulierung wird die Einschaltung privater Zertifizierungsstellen erst durch deren Einbindung in einen öffentlichrechtlichen Rahmen. Deshalb kann nicht jedes Unternehmen die Dienstleistung „Zertifizierung“, deren Wirkung im Öffentlichen Recht anerkannt wird, anbieten. Vielmehr bedarf es einer öffentlichrechtlichen Anerkennung der Zertifizierungsstellen, wenn diese in das System des Globalen Konzepts eingebunden werden sollen. Nur derart anerkannte und benannte Zertifizierungsstellen können Konformitätsbewertungsverfahren im Sinne des „Globalen Konzepts“ vornehmen und die Voraussetzungen für die CEKennzeichnung eines Produkts schaffen. Die Anerkennung ist ein Verwaltungsakt, auf den jede Zertifizierungsstelle einen Anspruch hat, wenn sie die Voraussetzungen (s. u. § 4 B. II. 3. b) erfüllt 342. Die Anerkennung erfolgt durch nationale Akkreditierungs- bzw. Anerkennungsstellen (s. o. § 4 B. II. 1. b) aa) und hat gemeinschaftsweite Wirkung 343. Sie wird der EGKommission mitgeteilt (= „Benennung“) und von dieser im Amtsblatt bekannt gemacht 344. Dabei erhält jede Benannte Stelle eine eigene Kennnummer, mit der auch die Produkte versehen werden, bei deren Herstellung die Benannte Stelle Prüfaufgaben übernommen hat 345.

S. 2 Medizinprodukte-RL; Art. 15 Abs. 5 S. 2 Druckgeräte-RL; § 6 Abs. 5 S. 2 GPSG) Weiß, Produktsicherheit, S. 361 f. 342 § 11 Abs. 1 S. 4 GPSG; ähnlich wie im Jugendmedienschutz bei Erfüllung der Anforderungen aus § 19 Abs. 3 JMStV, nur dass im Produktsicherheitsrecht daraus die richtige Konsequenz gezogen wird, nämlich dass es mehrere Benannte Stellen geben kann und muss; s. o. § 3 F. III. 1. 343 So sind nach § 2 Abs. 15 Nr. 2 GPSG Benannte Stellen i. S. d. GPSG auch Stellen aus anderen Mitgliedstaaten; § 3 Nr. 20 MPG fasst unter Benannte Stellen alle Stellen, die von irgendeinem Mitgliedstaat der EG benannt wurden. Die Anerkennung ist deshalb ein transnationaler Verwaltungsakt, Röhl, in: Schmidt-Aßmann/Schöndorf-Haubold (Hrsg.), Europ. Verwaltungsverbund, S. 153 (167). Zur gemeinschaftsweiten Anerkennung nationaler Verwaltungsakte von Danwitz, in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem, Strukturen d. Europ. Verwaltungsrechts, S. 171 (185 ff.). 344 Anhang I. A. lit. n Modulbeschluss; s. z. B. Art. 16 Abs. 1, 2 Medizinprodukte-RL; Art. 12 Abs. 1, 2 Druckgeräte-RL; Art. 9 Abs. 1, 2 Aufzug-RL; Art. 9 Abs. 1, 2 SportbooteRL. 345 Anhang I. B. lit. g Modulbeschluss.

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2. Teil: Referenzbereiche

b) Materielle Anforderungen an Benannte Stellen Welchen Anforderungen die Benannten Stellen genügen müssen, wird in den sektoralen Richtlinien und im Anhang I. A. lit. m des Modulbeschlusses festgelegt und in § 11 Abs. 1 S. 1, 2 GPSG 346, § 15 Abs. 1 S. 2 MPG 347 umgesetzt. Die Mindestkriterien der Richtlinien sind dabei zum Teil sehr detailliert. Zur Sicherung der Neutralität und Unabhängigkeit der Benannten Stellen bestehen Inkompatibilitätsvorschriften 348, die Stellen bzw. ihr Personal dürfen nicht an Herstellung, Vertrieb oder Instandhaltung der zu prüfenden Produkte beteiligt sein 349 und sie müssen „unabhängig von jeder möglichen Einflussnahme“ auf ihre Beurteilungen und Prüfergebnisse sein 350. Neben der Unabhängigkeit ist die fachliche Kompetenz der Stellen von entscheidender Bedeutung. So wird „höchste berufliche Zuverlässigkeit und größte erforderliche Sachkenntnis“ verlangt 351. Dazu muss die Stelle das nötige Personal und die erforderlichen Mittel für die technischen und verwaltungsmäßigen Aufgaben besitzen 352. Es muss ausreichend wissenschaftliches Personal mit entsprechenden

346 Die dort erwähnte Rechtsverordnung nach § 3 Abs. 3 GPSG ist noch nicht erlassen. Bis zu ihrem Erlass werden die Voraussetzungen noch dem weiter geltenden § 9 Abs. 2 S. 2, 3 Gerätesicherheitsgesetz (GSG) entnommen (§ 21 Abs. 1 GPSG). 347 § 15 Abs. 1 S. 2 MPG verweist auf die Kriterien in Anhang XI MedizinprodukteRL. 348 Die Benannten Stellen, ihre Leiter und ihr Personal dürfen nicht mit dem Konstrukteur, Hersteller, Lieferanten oder Verwender des zu prüfenden Produkts identisch sein oder für diese arbeiten, vgl. z. B. Art. 16 Abs. 2 i. V. m. Anhang XI Ziff. 1 Medizinprodukte-RL; Art. 12 Abs. 2 i. V. m. Anhang IV Ziff. 1 Druckgeräte-RL; Art. 9 Abs. 2 i. V. m. Anhang VII Ziff. 1 Aufzug-RL; Art. 9 Abs. 2 i. V. m. Anhang XIV Ziff. 1 Sportboote-RL; § 21 Abs. 1 GPSG i. V. m. § 9 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 GSG; die Zertifizierung nach der ISO 45012:1997 verlangt das Vier-Augen-Prinzip, das heißt derjenige, der das Zertifikat erteilt, darf nicht mit dem Auditor identisch sein, um ein kollusives Zusammenwirken von Prüfer und Geprüftem zu verhindern. 349 Art. 16 Abs. 2 i. V. m. Anhang XI Ziff. 1 Medizinprodukte-RL; Art. 12 Abs. 2 i. V. m. Anhang IV Ziff. 1 Druckgeräte-RL; Art. 9 Abs. 2 i. V. m. Anhang VII Ziff. 1 Aufzug-RL; Art. 9 Abs. 2 i. V. m. Anhang XIV Ziff. 1 Sportboote-RL. 350 Art. 16 Abs. 2 i. V. m. Anhang XI Ziff. 2, 5 Medizinprodukte-RL; Art. 12 Abs. 2 i. V. m. Anhang IV Ziff. 2, 5 Druckgeräte-RL; Art. 9 Abs. 2 i. V. m. Anhang VII Ziff. 1 Aufzug-RL; Art. 9 Abs. 2 i. V. m. Anhang XIV Ziff. 1 Sportboote-RL. 351 Art. 16 Abs. 2 i. V. m. Anhang XI Ziff. 1 Medizinprodukte-RL; Art. 12 Abs. 2 i. V. m. Anhang IV Ziff. 1 Druckgeräte-RL; Art. 9 Abs. 2 i. V. m. Anhang VII Ziff. 1 Aufzug-RL; Art. 9 Abs. 2 i. V. m. Anhang XIV Ziff. 1 Sportboote-RL; § 21 Abs. 1 GPSG i. V. m. § 9 Abs. 2 S. 2 Nr. 3 GSG. 352 Art. 16 Abs. 2 i. V. m. Anhang XI Ziff. 3 Medizinprodukte-RL; Art. 12 Abs. 2 i. V. m. Anhang IV Ziff. 3 Druckgeräte-RL; Art. 9 Abs. 2 i. V. m. Anhang VII Ziff. 1 Aufzug-RL; Art. 9 Abs. 2 i. V. m. Anhang XIV Ziff. 1 Sportboote-RL; § 21 Abs. 1 GPSG i. V. m. § 9 Abs. 2 S. 2 Nr. 2 GSG.

§ 4 Produktzertifizierung im Produktsicherheitsrecht

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Kenntnissen und Erfahrungen vorhanden sein 353, das heißt, es muss eine gute berufliche Ausbildung genossen und eine ausreichende Kenntnis der Vorschriften haben 354. Speziell im Rahmen der einzelnen Konformitätsbewertungsverfahren verlangen beispielsweise die Module mit Qualitätssicherungssystemen, dass mindestens ein Mitglied des Bewertungsteams der Benannten Stelle über Erfahrungen mit der zu prüfenden Produkttechnik haben soll. Die Benannte Stelle muss eine Haftpflichtversicherung abschließen 355 und hat die Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse ihrer Kunden zu wahren 356. Letzteres ist vor allem vor dem Hintergrund bedeutsam, dass Benannte Stellen für bestimmte, relativ eng begrenzte Produktbereiche benannt sind (z. B. für Sportboote oder Aufzüge); daher ist es nahe liegend, dass eine Benannte Stelle auch für Konkurrenten ihres Auftraggebers tätig wird. Nachdem sie nahezu unbegrenzten Zugang zu allen Konstruktionsunterlagen hat, muss verhindert werden, dass sie dieses Wissen dem Konkurrenten zugänglich macht. Harmonisierte Normen bestehen nicht nur für die Gestaltung technischer Produkte; auch die Anforderungen an Zertifizierungsstellen sind normiert (DIN EN 45000 ff., DIN EN ISO/IEC 17000 ff.) und private Akkreditierungsstellen können Zertifizierungsstellen auf Grund dieser Normen akkreditieren. Bei zu benennenden Stellen, die den Kriterien der einschlägigen harmonisierten Normen entsprechen, ist nach den sektoralen Richtlinien davon auszugehen, dass sie die Anforderungen der Richtlinien erfüllen 357. Bei der Prüfung, ob eine Stelle diese Normen erfüllt, ist eine etwaige private Akkreditierung zu berücksichtigen (§ 11 Abs. 2 S. 2 GPSG). Der Modulbeschluss verleiht der (privaten) Akkreditierung eine Vermutungswirkung, wohingegen die sektoralen Richtlinien auf die Einhaltung der harmonisierten Normen und nicht auf die erteilte Akkreditierung abstellen 358. 353 Art. 16 Abs. 2 i. V. m. Anhang XI Ziff. 3 Medizinprodukte-RL; Art. 12 Abs. 2 i. V. m. Anhang IV Ziff. 4 Druckgeräte-RL; Art. 9 Abs. 2 i. V. m. Anhang VII Ziff. 1 Aufzug-RL; Art. 9 Abs. 2 i. V. m. Anhang XIV Ziff. 1 Sportboote-RL; die ZLS fordert für die Anerkennung z. B., dass der Leiter der Benannten Stelle ein ingenieur- oder naturwissenschaftliches Studium abgeschlossen, mindestens fünf Jahre Berufserfahrung und mindestens zwei Jahre Erfahrung mit Zertifizierungen haben muss (www.zls-muenchen.de/FAQ). 354 Art. 16 Abs. 2 i. V. m. Anhang XI Ziff. 4 Medizinprodukte-RL; Art. 12 Abs. 2 i. V. m. Anhang IV Ziff. 4 Druckgeräte-RL; Art. 9 Abs. 2 i. V. m. Anhang VII Ziff. 1 Aufzug-RL; Art. 9 Abs. 2 i. V. m. Anhang XIV Ziff. 1 Sportboote-RL. 355 Art. 16 Abs. 2 i. V. m. Anhang XI Ziff. 6 Medizinprodukte-RL; Art. 12 Abs. 2 i. V. m. Anhang IV Ziff. 6 Druckgeräte-RL; Art. 9 Abs. 2 i. V. m. Anhang VII Ziff. 1 Aufzug-RL; Art. 9 Abs. 2 i. V. m. Anhang XIV Ziff. 1 Sportboote-RL; § 21 Abs. 1 GPSG i. V. m. § 9 Abs. 2 S. 2 Nr. 4 GSG. 356 Art. 16 Abs. 2 i. V. m. Anhang XI Ziff. 7 Medizinprodukte-RL; Art. 12 Abs. 2 i. V. m. Anhang IV Ziff. 7 Druckgeräte-RL; Art. 9 Abs. 2 i. V. m. Anhang VII Ziff. 1 Aufzug-RL; Art. 9 Abs. 2 i. V. m. Anhang XIV Ziff. 1 Sportboote-RL; § 21 Abs. 1 GPSG i. V. m. § 9 Abs. 2 S. 2 Nr. 5 GSG. 357 Art. 16 Abs. 2 Medizinprodukte-RL; Art. 12 Abs. 2 Druckgeräte-RL; Art. 9 Abs. 2 Aufzug-RL; Art. 9 Abs. 2 Sportboote-RL.

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2. Teil: Referenzbereiche

c) Finanzierung Ein weiterer wichtiger Punkt bei der Ausgestaltung der Benannten Stellen ist deren Finanzierung. Da sie nicht Teil der Staatsverwaltung sind, müssen sie sich selbst finanzieren. Staatliche Finanzzuweisungen sind nicht vorgesehen. Zwar sind die Hersteller gezwungen, bei der Produkteinführung am Markt Benannte Stellen zu beteiligen, so dass der Markt an sich gesichert ist. Weil die Benannten Stellen aber keine Monopole für einen Produktbereich haben, müssen sie sich gegen Wettbewerber durchsetzen. Ihre Finanzierung ist also keineswegs gesichert, die Stellen sind vielmehr von der Auftragslage abhängig. Dies kann zur Folge haben, dass die Benannten Stellen sich um effiziente, rasche und kostengünstige Leistungen bemühen müssen, es kann aber gleichzeitig auch zu einer gewissen Abhängigkeit vom Auftraggeber und damit zu einem Verlust an Unabhängigkeit führen. d) Aufgaben der Benannten Stellen Die Benannten Stellen müssen an Konformitätsbewertungsverfahren beteiligt werden, wenn diese – wie die Module B, D, E, F, G und H – nicht allein die Bewertung des Herstellers genügen lassen. Die Aufgaben nach diesen Modulen lassen sich in zwei Gruppen einteilen: Zum einen die Installation und Überwachung von Qualitätssicherungssystemen, zum anderen die Prüfung einzelner Produkte (näher dazu s. u. § 4 C. II. 2.). Qualitätssicherungssysteme sehen die Module D (Qualitätssicherung Produktion), E (Qualitätssicherung Produkt) und H (umfassende Qualitätssicherung) vor. Die Qualitätssicherung kann sich dabei auf Konstruktion/Entwurf, Herstellung, Endabnahme und Prüfung beziehen. Zwar wird nicht geprüft, ob jedes einzelne Produkt sicher ist, aber durch die Kontrolle aller Phasen der Produktentstehung soll indirekt sichergestellt werden, dass jedes einzelne Produkt, das die Fabrik verlässt, die grundlegenden Sicherheitsanforderungen erfüllt. Verantwortlich für die Einrichtung, die Durchführung und den Unterhalt des Qualitätssicherungssystems ist der Hersteller 359. Die Aufgabe der Benannten Stellen besteht darin, das Qualitätssicherungssystem zu bewerten und zu überwachen. Dadurch wird gewährleistet, dass das Qualitätssicherungssystem des Herstellers entweder die Übereinstimmung der Produkte mit dem geprüften Baumuster (Modul D) 360, die korrekte Endabnahme und Prüfung jedes Produkts (Modul E) 361 oder

358 Röhl, in: Schmidt-Aßmann/Schöndorf-Haubold (Hrsg.), Europ. Verwaltungsverbund, S. 153 (177). 359 Anhang II Modul D Ziff. 2, Modul E Ziff. 2, Modul H Ziff. 2 Modulbeschluss; s. z. B. Anhang V Ziff. 1 Medizinprodukte-RL; Anhang VIII Ziff. 2 Aufzug-RL.

§ 4 Produktzertifizierung im Produktsicherheitsrecht

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die Übereinstimmung eines jeden Produkts mit den grundlegenden Sicherheitsanforderungen (Modul H) 362 sicherstellt. Entspricht das Qualitätssicherungssystem nach Ansicht der Benannten Stelle den Anforderungen der Richtlinie, erteilt sie die Zulassung. Kommt sie im Rahmen der Überwachung zu dem Ergebnis, dass die Voraussetzungen nicht mehr erfüllt sind, zieht sie die Zulassung zurück. Die Entscheidung der Benannten Stelle über die Zulassung des Qualitätssicherungssystems ist dem Hersteller mitzuteilen und zu begründen. Neben der Betreuung von Qualitätssicherungssystemen ist ein weiteres Einsatzfeld für Benannte Stellen die Einzelprüfung von Baumustern oder Produkten (Module B, F und G, zum Teil auch A und C). Anders als bei den soeben beschriebenen Qualitätssicherungssystemen, bei denen der Hersteller selbst die Übereinstimmung der Produkte mit den grundlegenden Sicherheitsanforderungen kontrollieren muss (und nur diese Kontrolle von den Benannten Stellen kontrolliert wird), prüfen bei den Modulen B, F und G die Benannten Stellen die Produkte auf die Übereinstimmung mit den Vorgaben der sektoralen Richtlinien. Die Prüftätigkeit kann dabei unterschiedlichen Umfang haben: Entweder nur die Prüfung eines einzelnen Baumusters (Modul B), Stichproben bei den Serienprodukten (Module Aa, Ca, F) oder die Prüfung aller Endprodukte (Module F, G).

C. Produktzertifizierungen im Vollzug des Produktsicherheitsrechts I. Einbindung der Konformitätsbewertung durch Benannte Stellen in das Produktsicherheitsrecht 1. Funktion des CE-Zeichens Für zahlreiche Produkte bestehen gesetzliche Anforderungen an Herstellung, Gestaltung oder Zusammensetzung. Für bestimmte Produktgruppen werden in europäischen Richtlinien grundlegende Sicherheitsanforderungen festgelegt, die ein Produkt erfüllen muss, soll es in Europa in Verkehr gebracht werden. Diese grundlegenden Sicherheitsanforderungen sind jedoch nicht nur ein Mindeststandard für auf dem Markt befindliche Produkte. Vielmehr untersagen es diese gemeinschaftsrechtlichen Sicherheitsanforderungen den Mitgliedstaaten, eigene abweichende (nach oben oder nach unten) Sicherheitsstandards von Produkten zu verlangen 363.

360 Anhang II Modul D Ziff. 3.2 Modulbeschluss; s. z. B. Anhang XIV Ziff. 3.2 AufzugRL; Anhang IX Ziff. 3.2 Sportboote-RL. 361 Anhang II Modul E Ziff. 3.2 Modulbeschluss; s. z. B. Anhang III Modul E Ziff. 3.2 Druckgeräte-RL; Anhang VI Ziff. 3.2 Medizinprodukte-RL. 362 Anhang II Modul H Ziff. 3.2 Modulbeschluss; s. z. B. Anhang II Ziff. 3.2 Medizinprodukte-RL; Anhang XII Ziff. 3.2 Sportboote-RL.

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2. Teil: Referenzbereiche

Sind die Sicherheitsanforderungen an ein Produkt abstrakt festgelegt, bedarf es noch ihrer konkreten Umsetzung und vor allem der Kontrolle und Überwachung ihrer Einhaltung. Auf dieser Ebene könnten die Mitgliedstaaten die gemeinschaftsweite Vereinheitlichung der Standards durch besonders scharfe oder besonders nachsichtige Kontrollen wieder unterlaufen 364. Der Gemeinschaftsgesetzgeber hat deshalb auch das Marktzugangsverfahren vereinheitlicht 365. Formelle Voraussetzung für das Inverkehrbringen eines von einer Richtlinie der Neuen Konzeption erfassten Produkts ist europaweit dessen Kennzeichnung mit dem CE-Zeichen 366. Fehlt dieses, darf das Produkt nicht auf den Markt gebracht werden. 2. Auswirkungen auf hoheitliche Kontrollverfahren Die staatliche Pflicht zur Gewährleistung sicherer Produkte ergibt sich nicht nur aus grundrechtlichen Schutzpflichten. Auch die Produktsicherheitsrichtlinien der Neuen Konzeption verlangen von den Mitgliedstaaten, dafür Sorge zu tragen, dass kein von einer Richtlinie erfasstes Produkt in Verkehr gebracht wird, das nicht die (Sicherheits-)Anforderungen der entsprechenden Richtlinie erfüllt 367 (umgesetzt in § 8 Abs. 2 GPSG). Gleichzeitig ist es den Mitgliedstaaten verwehrt, mit „CE“ gekennzeichneten Produkten den Marktzutritt zu versagen, zu beschränken oder zu behindern 368; generelle ex ante-Kontrollen eines Produkts vor dem Inverkehrbringen sind ausgeschlossen 369, behördliche Genehmigungen zum Inverkehrbringen eines Produkts dürfen nicht mehr verlangt werden 370. Denn das nach einer Konformitätsbewertung vom Hersteller angebrachte CE-Zeichen ist ein Verwaltungszeichen 371, welches

363

Vgl. z. B. Art. 4 Abs. 1 Druckgeräte-RL; Art. 4 Abs. 1 Aufzug-RL; § 2 10. GPSGV (Sportboote). 364 Röhl, in: Schmidt-Aßmann/Schöndorf-Haubold (Hrsg.), Europ. Verwaltungsverbund, S. 153 (154): Der Vollzug determiniert wesentlich die Verwirklichung des Normzwecks. 365 Röhl, in: Schmidt-Aßmann/Schöndorf-Haubold (Hrsg.), Europ. Verwaltungsverbund, S. 153 (156). 366 Vgl. z. B. Art. 10 Abs. 1 Sportboote-RL, § 3 Abs. 1 10. GPSGV (Sportboote). 367 Art. 2 Medizinprodukte-RL; Art. 2 Abs. 1 Aufzug-RL; Art. 2 Abs. 1 DruckgeräteRL; Art. 2 Abs. 1 Sportboote-RL. 368 Vgl. z. B. Art. 4 Abs. 1 Sportboote-RL; Art. 4 Abs. 1 Ziff. 1.1 Druckgeräte-RL; Art. 4 Abs. 1 Aufzug-RL; Art. 4 Abs. 1 Medizinprodukte-RL; Gausepohl, Freier Warenverkehr, S. 34. 369 Schmidt-Preuß, VVDStRL 56 (1997), 160 (210). 370 Eifert, DV 39 (2006), 309 (311). 371 Di Fabio, Produktharmonisierung, S. 49.

§ 4 Produktzertifizierung im Produktsicherheitsrecht

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den Produktsicherheitsbehörden signalisiert, dass dieses Produkt den grundlegenden Sicherheitsanforderungen einer europäischen Richtlinie entspricht. Es begründet für das gekennzeichnete Produkt die (durch die Marktaufsicht widerlegbare 372) Vermutung der Einhaltung der grundlegenden Sicherheitsanforderungen zugunsten des Herstellers 373. Präventive Verbote mit Erlaubnisvorbehalt, Markteröffnungskontrollen oder ähnliche allgemeine Marktzugangsschranken (staatliche Zulassungen, Produktgenehmigungen, Unbedenklichkeitsbescheinigungen, etc.) dürfen daher für Produkte, die unter eine sektorale Richtlinie fallen, nicht bestehen. Auch systematische und umfassende Kontrollen von im Markt befindlichen Produkten, die einer Zulassungskontrolle gleichkommen, sind unzulässig 374. Nach der Neuen Konzeption ist die Prüfung der Produkte oder des Herstellungsvorgangs ausreichend, um sichere Produkte zu gewährleisten, so dass eine zusätzliche hoheitliche Eröffnungskontrolle unnötig ist. Die Ausgestaltung der Voraussetzungen für die Berechtigung zur Führung des CE-Zeichens und die Überwachung von deren Einhaltung sind daher der hauptsächliche Ansatzpunkt des Staates, um sicherzustellen, dass nur sichere Produkte in Verkehr gelangen. Damit ist jedoch die hoheitliche Kontrolle der Produktsicherheit nicht vollständig ausgeschaltet. Die Richtlinien lassen voraussetzungslose, aufgrund eines Überwachungskonzepts erfolgende stichprobenartige nachträgliche Kontrollen zu, in deren Rahmen der Staat weiterhin kontrollieren kann, ob beispielsweise Produkte, die unter eine sektorale Richtlinie fallen, auch tatsächlich (berechtigterweise) mit dem CE-Zeichen versehen sind 375; des Weiteren kann im Rahmen der Marktüberwachung bei auftretenden Schäden oder gefährlichen Situationen das konkrete Produkt auf seine Gefährlichkeit untersucht werden 376; repressive Kontrollen bleiben also zulässig 377. Will eine nationale Marktüberwachungsbehörde deswegen im Einzelfall gegen ein mit dem CE-Zeichen versehenes Produkt oder seinen Hersteller vorgehen, gelten trotzdem strengere Eingriffsvoraussetzungen, weil wegen des CE-Zeichens die Einhaltung der grundlegenden Sicherheitsan-

372 Di Fabio, Produktharmonisierung, S. 47; Jörissen, Produktbezogener Umweltschutz, S. 19; Gausepohl, Freier Warenverkehr, S. 34. 373 Jörissen, Produktbezogener Umweltschutz, S. 19; vgl. z. B. Art. 5 Abs. 1 Druckgeräte-RL; Art. 5 Abs. 1 Aufzug-RL; Art. 5 Sportboote-RL. 374 Röhl, in: Schmidt-Aßmann/Schöndorf-Haubold (Hrsg.), Europ. Verwaltungsverbund, S. 153 (156); Jörissen, Produktbezogener Umweltschutz, S. 19; Weiß, Produktsicherheit, S. 349. 375 Röhl, in: Schmidt-Aßmann/Schöndorf-Haubold (Hrsg.), Europ. Verwaltungsverbund, S. 153 (157); umgesetzt in § 8 Abs. 2 S. 2 Nr. 2 GPSG. 376 Zum Folgenden ausführlich Weiß, Produktsicherheit, S. 381 ff. 377 Schmidt-Preuß, VVDStRL 56 (1997), 160 (210 f.); Eifert, DV 39 (2006), 309 (311).

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2. Teil: Referenzbereiche

forderungen vermutet wird. Die Marktüberwachung muss diese Vermutung erst widerlegen. Ein Verbot nach § 8 Abs. 4 S. 2 Nr. 6 GPSG oder Rücknahme und Rückruf eines Produkts nach § 8 Abs. 4 S. 2 Nr. 7 GPSG setzen voraus, dass dieses Produkt nicht den Anforderungen des § 4 Abs. 1 GPSG entspricht. Solange aber die Vermutung des § 8 Abs. 2 S. 3 GPSG auf Grund des CE-Zeichens greift, ist von der Einhaltung des § 4 Abs. 1 GPSG auszugehen, die Tatbestandsvoraussetzungen der Eingriffsnormen sind so lange nicht erfüllt.

Außerdem unterliegt die Behörde beim Einschreiten gegen CE-gekennzeichnete Produkte erweiterten Begründungs- und Verfahrenspflichten. So ist bei jedem Einschreiten ein Schutzklauselverfahren durchzuführen. In dessen Rahmen muss die EG-Kommission informiert werden, wobei der Mitgliedstaat begründen muss, ob er gegen das Produkt vorgeht, weil dieses die technischen Normen nicht richtig umsetzt, weil die technischen Normen selbst fehlerhaft sind oder weil das Produkt sonst gegen die grundlegenden Anforderungen verstößt. Die Kommission hört den betroffenen Hersteller und den Mitgliedstaat an und informiert die anderen Mitgliedstaaten. Hält die Kommission die Maßnahme des Mitgliedstaats nicht für gerechtfertigt, unterrichtet sie ihn darüber. Dabei ist strittig, ob diese Stellungnahme eine verbindliche Entscheidung nach Art. 249 Abs. 4 EGV darstellt oder ob die Kommission darauf verwiesen ist, gegen den Mitgliedstaat ein Vertragsverletzungsverfahren nach Art. 226 EGV wegen des Verstoßes gegen die sektoralen Richtlinien einzuleiten 378.

Ein Hersteller muss also sein Produkt mit dem CE-Zeichen versehen, weil er es ansonsten nicht in Verkehr bringen darf; gleichzeitig schützt ihn das CE-Zeichen gegen Marktzutrittskontrollen. 3. Wirtschaftliche Wirkungen Da das CE-Zeichen vom Hersteller und nicht von einer unabhängigen Benannten Stelle angebracht wird, eine solche nicht einmal bei allen Produkten zu beteiligen ist, bietet das CE-Zeichen dem Verbraucher keine Gewähr für eine neutrale Prüfung und Kontrolle der Produkte oder des Herstellungsprozesses. Es kann daher nicht als Qualitätszeichen oder Gütesiegel betrachtet werden und sollte dem Hersteller daher (eigentlich) keinen Werbevorteil bringen 379.

378 Während für die Kommissions-Entscheidung die Vermutung der Richtigkeit spricht und diese rechtskräftig werden kann, müsste im Rahmen eines Vertragsverletzungsverfahrens die Kommission nachweisen, dass der Mitgliedstaat gegen seine Pflichten verstoßen hat. 379 Im Gegensatz zur Auditierung nach EMAS, s. u. § 5 C. I. 1. a).

§ 4 Produktzertifizierung im Produktsicherheitsrecht

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II. Voraussetzungen der CE-Kennzeichnung 1. Kennzeichnung durch den Hersteller Nachdem die CE-Kennzeichnung allein durch den Hersteller in eigener Verantwortung und ohne Beteiligung von Behörden erfolgt, ist die Kennzeichnung eines Produkts ohne weiteres möglich. Formelle oder Verfahrensvoraussetzungen sind dabei nicht zu erfüllen, mit Ausnahme der Vorschriften, die besagen, wie das CE-Zeichen zu gestalten ist. Außerdem dürfen nicht alle Produkte mit dem CE-Zeichen versehen werden, sondern nur solche, für die die Kennzeichnung in einer Richtlinie ausdrücklich vorgesehen ist. Da eine generelle Vorabkontrolle von CE-zertifizierten Produkten nicht zulässig ist, der Staat aber dennoch nur sichere Produkte in Verkehr gelangen lassen darf, müssen dafür an die materiellen Voraussetzungen der CE-Kennzeichnung und deren Überwachung umso höhere Anforderungen gestellt werden. 2. Konformitätserklärung durch eine Benannte Stelle Materiell ist eine CE-Kennzeichnung nur zulässig, wenn das Produkt die grundlegenden Sicherheitsanforderungen der entsprechenden Richtlinie erfüllt. Dies wird in Konformitätsbewertungsverfahren entsprechend dem „Modulbaukasten“ (s. o. § 4 A. II. 2.) festgestellt 380. Die Neue Konzeption unterscheidet zwischen der Entwurfs-(Konstruktions-) und der Herstellungsphase (Fertigung); ein Modul bezieht sich daher entweder auf beide Phasen oder es müssen zwei Module – eines für jede Phase – kombiniert werden. Im Rahmen des Modul A (Herstellererklärung, Konformitätserklärung) bewertet der Hersteller selbst die Übereinstimmung seiner Produkte mit den grundlegenden Anforderungen der sektoralen Richtlinie (und gegebenenfalls den harmonisierten technischen Normen) 381. Zum Teil wird das Modul A noch erweitert (Modul Aa) durch stichprobenartige Kontrollen unter Verantwortung einer Benannten Stelle 382. Das Modul B (EG-Baumusterprüfung) bezieht sich nur auf die Entwurfsphase und muss daher mit einem der Module C – F für die Produktionsphase ver-

380 Dazu näher Voßkuhle, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann, Verwaltungsverfahren und VwVfG, S. 277 (311 ff.). 381 S. z. B. Art. 11 Abs. 5 i. V. m. Anhang VII Ziff. 1 Medizinprodukte-RL; § 6 Abs. 4 Medizinprodukteverordnung (MPV); Art. 10 Abs. 1 i. V. m. Anhang III Modul A Druckgeräte-RL; Art. 8 Nr. 2 lit. a tir. 1, Nr. 3 i. V. m. Anhang V Sportboote-RL. 382 Z. B. Art. 8 Nr. 1 tir. 1, Nr. 2 lit. a tir. 2 i. V. m. Anhang VI Sportboote-RL.

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2. Teil: Referenzbereiche

bunden werden. Bei der Baumusterprüfung prüft eine Benannte Stelle anhand eines repräsentativen Produktmusters, ob der Produktentwurf den grundlegenden Anforderungen der Richtlinie entspricht 383. Vor allem wenn der Hersteller nicht gemäß harmonisierter Normen konstruiert, ist vielfach eine Baumusterprüfung vorgeschrieben. Die Gewährleistung der Übereinstimmung der Serienproduktion mit dem geprüften Baumuster erfolgt dann im Rahmen der Module C – F. Modul C (Hersteller-, Konformitätserklärung) lässt dafür die Erklärung des Herstellers genügen 384; allerdings wird das Modul C zum Teil noch dadurch erweitert, dass eine Benannte Stelle zumindest stichprobenartig prüfen muss, ob die Produkte tatsächlich dem Baumuster entsprechen 385. Nach Modul D (Qualitätssicherung Produktion) wird die Übereinstimmung der Serienprodukte mit dem geprüften Baumuster durch ein Qualitätssicherungssystem für die gesamte Produktion, also Herstellung, Endabnahme und Prüfung, zu erreichen versucht 386. Das Qualitätssicherungssystem des Herstellers stellt sicher, dass Herstellung und Endkontrolle so organisiert sind, dass alle Produkte mit dem Baumuster übereinstimmen. Es muss von einer Benannten Stelle zugelassen und überwacht werden. Modul E (Qualitätssicherung Produkt) stimmt weitestgehend mit Modul D überein, nur dass sich das Qualitätssicherungssystem lediglich auf die Endabnahme und Prüfung 387 und nicht auf die Herstellung bezieht. Nach Modul F schließlich wird die Übereinstimmung mit dem Baumuster durch Prüfung der Produkte (entweder alle oder in Stichproben) durch die Benannte Stelle gewährleistet 388. Die Module G und H beziehen sich wiederum sowohl auf die Entwurfs- als auch auf die Herstellungsphase. Bei Modul G wird jedes einzelne Produkt durch eine Benannte Stelle auf die Vereinbarkeit mit den grundlegenden Anforderungen 383

S. z. B. Art. 11 Abs. 3 lit. b und Art. 11 Abs. 1 lit. b i. V. m. Anhang III Ziff. 4 Medizinprodukte-RL; § 6 Abs. 2 Nr. 2 MPV; Art. 10 Abs. 1 i. V. m. Anhang III Modul B Ziff. 1 Druckgeräte-RL; Art. 8 Abs. 2 i), ii) i. V. m. Anhang V Aufzug-RL; Art. 8 Nr. 1 tir. 2, Nr. 2 lit. b i. V. m. Anhang VII Sportboote-RL. 384 S. z. B. Art. 10 Abs. 1 i. V. m. Anhang III Modul C Druckgeräte-RL; Art. 8 Nr. 1 tir. 2 Alt. 1, Nr. 2 lit. b Alt. 1 i. V. m. Anhang VIII Sportboote-RL. 385 S. z. B. Art. 11 Abs. 3 lit. b i) und Art. 11 Abs. 1 lit. b i) i. V. m. Anhang IV Ziff. 4 Medizinprodukte-RL; § 6 Abs. 2 Nr. 2 MPV; Art. 10 i. V. m. Anhang III Modul C Ziff. 4 Druckgeräte-RL. 386 S. z. B. Art. 11 Abs. 3 lit. b ii) und Art. 11 Abs. 1 lit. b ii) i. V. m. Anhang V Ziff. 3.2 Medizinprodukte-RL; § 6 Abs. 2 Nr. 2 MPV; Art. 10 i. V. m. Anhang III Modul D Druckgeräte-RL; Art. 8 Abs. 2 i) tir. 3, ii) tir. 3 i. V. m. Anhang XIV Aufzug-RL; Art. 8 Nr. 1 tir. 2 Alt. 2, Nr. 2 lit. b Alt. 2 i. V. m. Anhang IX Sportboote-RL. 387 S. z. B. Art. 11 Abs. 3 lit. b iii) i. V. m. Anhang VI Ziff. 1 Medizinprodukte-RL; § 6 Abs. 2 Nr. 2 MPV; Art. 10 Abs. 1 i. V. m. Anhang III Modul E Ziff. 1 Druckgeräte-RL; Art. 8 Abs. 2 i) tir. 2, ii) tir. 2 i. V. m. Anhang XII Aufzug-RL. 388 S. z. B. Art. 10 Abs. 1 i. V. m. Anhang III Modul F Druckgeräte-RL; Art. 8 Abs. 2 i) tir. 1 i. V. m. Anhang VI Aufzug-RL; Art. 8 Nr. 1 tir. 2 Alt. 3, Nr. 2 lit. b Alt. 3 i. V. m. Anhang X Sportboote-RL.

§ 4 Produktzertifizierung im Produktsicherheitsrecht

195

der Richtlinie (und nicht auf Übereinstimmung mit einem Baumuster wie bei den Modulen C und E) geprüft 389. Modul H schreibt ein umfassendes Qualitätssicherungssystem für Entwurf, Herstellung, Endabnahme und Prüfung vor, welches von einer Benannten Stelle zugelassen und überwacht wird 390. Die Benannten Stellen sind also zum einen für die konkrete Prüfung einzelner Produkte bzw. Produktmuster (entweder umfassend oder in Stichproben – Module B, F und G, zum Teil auch Module A und C) oder für die Zulassung und Überwachung eines Qualitätssicherungssystems des Herstellers zuständig (Module D, E, H). Zur Durchführung dieser Konformitätsbewertungsverfahren kann der Hersteller mit einer Benannten Stelle seiner Wahl einen zivilrechtlichen Geschäftsbesorgungsvertrag abschließen, worin sich die Benannte Stelle entweder zur Abnahme und Überwachung eines Qualitätssicherungssystems oder zur Einzelprüfung von Baumustern oder Produkten verpflichtet. Auf Grund der Vertragsfreiheit bleibt es der Vereinbarung zwischen Hersteller und Zertifizierungsstelle überlassen, wie die Konformitätsbewertung ausgestaltet ist. Will die Zertifizierungsstelle aber als Benannte Stelle handeln und soll das Konformitätsbewertungsverfahren die Berechtigung des Herstellers zum Anbringen des CE-Zeichens vermitteln und somit das Inverkehrbringen des Produkts ermöglichen, hat das Verfahren die Vorgaben der Richtlinien und Gesetze einzuhalten 391. Der Hersteller darf sein Produkt nur in Verkehr bringen, wenn er es mit einer Konformitätserklärung versieht, die bestätigt, dass die in der entsprechenden Richtlinie geforderten Konformitätsbewertungsverfahren ordnungsgemäß durchgeführt wurden 392. Die öffentlichrechtlichen Wirkungen des vertraglichen Konformitätsbewertungsverfahrens durch private Stellen treten nur bei Einhaltung der öffentlichrechtlichen Vorgaben ein. Halten sich die Benannte Stelle und der Hersteller nicht an das vorgeschriebene Verfahren bzw. versieht der Hersteller sein Produkt mit dem CE-Zeichen, obwohl er seine Verpflichtungen gegenüber der Benannten Stelle nicht erfüllt, führt das Produkt das CE-Zeichen zu Unrecht und die zuständige Marktaufsichtsbehörde

389 S. z. B. Art. 10 Abs. 1 i. V. m. Anhang III Modul G Druckgeräte-RL; Art. 8 Abs. 2 iv) i. V. m. Anhang X Aufzug-RL; Art. 8 Nr. 1 tir. 2 Alt. 4, Nr. 2 lit. b Alt. 4 i. V. m. Anhang XI Sportboote-RL. 390 S. z. B. Art. 11 Abs. 1 lit. a i. V. m. Anhang II Ziff. 1 Medizinprodukte-RL; § 6 Abs. 1 Nr. 1 MPV; Art. 10 Abs. 1 i. V. m. Anhang III Modul H Druckgeräte-RL; Art. 8 Abs. 2 v) i. V. m. Anhang XIII Aufzug-RL; Art. 8 Nr. 1 tir. 2 Alt. 5, Nr. 2 lit. b Alt. 5 i. V. m. Anhang XII Sportboote-RL. 391 § 6 Abs. 2 MPG. 392 § 3 Abs. 1 Nr. 1 b) bb) 10. GPSGV (Sportboote); noch ausdrücklicher § 4 Abs. 1 Nr. 1 c) 14. GPSGV (Druckgeräte) und § 4 Abs. 1 Nr. 1 c) 12. GPSGV (Aufzüge), wonach die Herstellerkonformitätserklärung bestätigen muss, dass der Hersteller seine Verpflichtungen gegenüber der Benannten Stelle erfüllt hat.

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2. Teil: Referenzbereiche

kann gegen das Produkt einschreiten, etwa durch ein Verbot des Inverkehrbringens 393. a) Konformitätsbewertungsverfahren unter Einbeziehung von Qualitätssicherungssystemen Drei der acht Module für Konformitätsbewertungsverfahren sehen den Einsatz von Qualitätssicherungssystemen vor. Benannte Stellen haben dabei zwei Aufgaben. Sie beurteilen das System und bewerten, ob es den Anforderungen der Richtlinie entspricht. Nach der Zulassung eines Qualitätssicherungssystems müssen die Benannten Stellen eine dauerhafte Kontrolle desselben durchführen. Welchen Anforderungen ein Qualitätssicherungssystem genügen muss und wie die Bewertung zu erfolgen hat, geben die Richtlinien nicht im Einzelnen vor. Mit dem Qualitätssicherungssystem soll sichergestellt werden, dass die Endprodukte dem Baumuster und/oder den grundlegenden Sicherheitsanforderungen entsprechen. Wie das geschehen soll, bleibt dem Hersteller überlassen; verwendet er allerdings Qualitätssicherungssysteme, die harmonisierten Normen entsprechen, ist von der Übereinstimmung seines Systems mit den Anforderungen der Richtlinie auszugehen 394. Hier kommen zum dritten Mal harmonisierte Normen zum tragen: Nicht nur die Produkte und die Benannten Stellen können durch die Einhaltung harmonisierter Normen die Einhaltung von Vorgaben der Richtlinien nachweisen, auch bei den Qualitätssicherungssystemen wird bei Erfüllung der entsprechenden Normen (vor allem DIN EN ISO 9000 ff. 395) davon ausgegangen, dass die Qualitätssicherungssysteme den Anforderungen der einzelnen Module genügen (auch hier könnte sich ein Hersteller sein Qualitätssicherungssystem zuvor freiwillig von einer privaten Zertifizierungsgesellschaft zertifizieren lassen). In den Richtlinien wird bestimmt, dass der Hersteller eine umfassende und systematische Dokumentation des Qualitätssicherungssystems erstellen muss (berücksichtigte Grundlagen, gestellte Anforderungen, Vorschriften, Anweisungen etc.). Diese Qualitätssicherungsprogramme, -handbücher oder -berichte müssen Aufschluss geben über die verfolgten Qualitätsziele, den organisatorischen Aufbau und die Zuständigkeiten im Betrieb, die Prüfungen der Produkte nach der Herstellung und die Maßnahmen zur Prüfung des Qualitätssicherungssystems selbst 396.

393

§ 8 Abs. 4 S. 1 GPSG; § 27 Abs. 1 S. 2 MPG. Anhang II Modul D Ziff. 3.3, Modul E Ziff. 3.3, Modul H Ziff. 3.3 Modulbeschluss; s. z. B. Anhang II Ziff. 3.3 Medizinprodukte-RL; Anhang III Modul D Ziff. 3.3 DruckgeräteRL; Anhang VIII Ziff. 3.3 Aufzug-RL. 395 Zu diesen Qualitätsmanagementsystemen Ensthaler u. a., UAG/EMAS-VO, S. 201 ff. 396 Anhang II Modul D Ziff. 3.2, Modul E Ziff. 3.2, Modul H Ziff. 3.2 Modulbeschluss; s. z. B. Anhang VIII Ziff. 3.2 Aufzug-RL; Anhang II Ziff. 3.2 Medizinprodukte-RL; Anhang 394

§ 4 Produktzertifizierung im Produktsicherheitsrecht

197

Dadurch soll zum einen der Hersteller veranlasst werden, sich selbst Klarheit zu verschaffen über ein möglichst effektives Qualitätssicherungssystem, zum anderen wird dadurch die Bewertung und Kontrolle des Qualitätssicherungssystems durch die Benannte Stelle erst ermöglicht. Bei der Bewertung des Qualitätssicherungssystems muss die Benannte Stelle prüfen, ob das System dafür sorgt, dass die Endprodukte den Sicherheitsanforderungen entsprechen und ob die oben genannte Dokumentation korrekt durchgeführt wird. Im Rahmen dieses Audits hat mindestens ein Besuch im Herstellerwerk zu erfolgen 397. Außerdem muss wenigstens ein Mitglied des Prüfteams Erfahrung mit der zu begutachtenden Technik haben. Bei einer positiven Bewertung durch die Benannte Stelle erhält der Hersteller die Zulassung und darf seine Produkte mit dem CE-Zeichen versehen und damit in Verkehr bringen. Da eine einmalige positive Beurteilung des Qualitätssicherungssystems nicht dauerhaft die Sicherheit der Produkte gewährleisten kann, muss die Benannte Stelle das positiv bewertete Qualitätssicherungssystem auch dauerhaft kontrollieren 398. Dazu sehen die Richtlinien regelmäßige Inspektionen 399 oder Qualitätsaudits 400 durch die Benannte Stelle vor. Zudem sollen auch unangemeldete Prüfbesuche vorgenommen werden 401. Zur Durchführung der Kontrolle muss der Hersteller der Benannten Stelle Zugang zu den Produktionsstätten gewähren und alle erforderlichen Unterlagen zur Verfügung stellen 402. Diese Unterlagen umfassen nicht nur technische Dokumente zum Produkt wie Konstruktionspläne und technische Daten, sondern auch Unterlagen zur Qualifikation und Zulassung des Personals und Ergebnisse von Kontrolluntersuchungen und Prüfungen 403; sie müssen für einen gewissen Mindestzeitraum aufbewahrt werden 404. Der Hersteller muss die IX Ziff. 3.3 Sportboote-RL; s. zu den ähnlichen Vorgaben für Umweltmanagementsysteme unten § 5 C. II. 2. b) aa). 397 Anhang II Modul D Ziff. 3.3 Modulbeschluss; s. z. B. Anhang II Ziff. 3.2 Medizinprodukte-RL. 398 Anhang II Modul D Ziff. 4, Modul E Ziff. 4, Modul H Ziff. 4 Modulbeschluss; s. z. B. Anhang IX Ziff. 4 Aufzug-RL; Anhang VI Ziff. 4 Medizinprodukte-RL. 399 Anhang II Modul D Ziff. 4.3 Modulbeschluss; s. z. B. Anhang VI Ziff. 4.3 Medizinprodukte-RL; Anhang IX Ziff. 4.3 Sportboote-RL. 400 Anhang II Modul E Ziff. 4.3, Modul H Ziff. 4.3 Modulbeschluss; s. z. B. Anhang XII Ziff. 4.3 Sportboote-RL; Anhang IX Ziff. 4.3 Aufzug-RL. 401 Anhang II Modul D Ziff. 4.4, Modul E Ziff. 4.4, Modul H Ziff. 4.4 Modulbeschluss; s. z. B. Anhang XII Ziff. 4.4 Aufzug-RL; Anhang IX Ziff. 4.4 Sportboote-RL. 402 Anhang II Modul D Ziff. 4.2, Modul E Ziff. 4.2, Modul H Ziff. 4.2 Modulbeschluss; s. z. B. Anhang III Modul E Ziff. 4.2 Druckgeräte-RL; Anhang XII Ziff. 4.2 SportbooteRL. 403 S. z. B. Anhang III Modul E Ziff. 4.2 Druckgeräte-RL. 404 Anhang II Modul D Ziff. 5, Modul E Ziff. 5, Modul H Ziff. 5 Modulbeschluss: 10 Jahre; s. z. B. Anhang V Ziff. 5 Medizinprodukte-RL: 5 Jahre; Anhang XII Ziff. 5 Sportboote-RL: 10 Jahre; Anhang VIII Ziff. 5 Aufzug-RL: 10 Jahre.

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2. Teil: Referenzbereiche

Benannte Stelle über alle Änderungen am Qualitätssicherungssystem informieren 405, um ihr die Möglichkeit zu geben, eine neue Bewertung vorzunehmen. Gleichzeitig informiert die Benannte Stelle alle anderen Benannten Stellen über ausgestellte und zurückgezogene (nicht aber verweigerte) Zulassungen 406. b) Konformitätsbewertungsverfahren durch Produktprüfungen Andere Module sehen eine Einzelprüfung durch Benannte Stellen vor, wobei sich diese auf ein repräsentatives Baumuster und/oder die einzelnen Endprodukte beziehen kann. Die Baumusterprüfung ist vom Hersteller bei einer Benannten Stelle seiner Wahl zu beantragen 407, die ein repräsentatives Muster des Produkts auf die Vereinbarkeit mit den Vorschriften der einschlägigen Richtlinie prüft 408. Der Hersteller muss der Benannten Stelle die erforderlichen technischen Unterlagen zur Konstruktion des Produkts, aber auch zum Fertigungsverfahren und zum eingesetzten Personal zur Verfügung stellen 409. Hat sich der Hersteller für eine Konstruktion gemäß harmonisierter Normen entschieden, prüft die Benannte Stelle, ob das Baumuster diese Normen einhält 410; sofern der Hersteller von harmonisierten Normen abweichen will, prüft die Benannte Stelle, ob die grundlegenden Sicherheitsanforderungen trotzdem eingehalten werden 411. Die Vorgehensweise der Benannten Stellen bei den Prüfungen soll sich an harmonisierten Normen für Produktprüfverfahren orientieren bzw. soll diesen gleichwertig sein 412. Die Prüfung beschränkt sich dabei nicht nur darauf, ob das konkrete Produkt sicher ist, sondern es wird auch kontrolliert, ob die verwendeten Materialien den Vorschriften entsprechen und ob das Personal die nötigen 405

Anhang II Modul D Ziff. 3.4, Modul E Ziff. 3.4, Modul H Ziff. 3.4 Modulbeschluss; s. z. B. Anhang III Modul D Ziff. 3.4; Anhang VIII Ziff. 3.4 Aufzug-RL. 406 Anhang II Modul D Ziff. 6, Modul E Ziff. 6, Modul H Ziff. 6 Modulbeschluss; s. z. B. Art. 16 Abs. 5 Medizinprodukte-RL; Anhang VIII Ziff. 6 Aufzug-RL; Anhang III Modul D Ziff. 6 Druckgeräte-RL. 407 Anhang II Modul B Ziff. 2 Modulbeschluss; s. z. B. Anhang VII Ziff. 2 SportbooteRL; Anhang III Modul B Ziff. 2 Druckgeräte-RL. 408 Anhang II Modul B Ziff. 1 Modulbeschluss; s. z. B. Anhang III Ziff. 1 Medizinprodukte-RL. 409 S. z. B. Anhang III Modul B Ziff. 3 Druckgeräte-RL; Anhang V B. Ziff. 2 AufzugRL. 410 Anhang II Modul B Ziff. 4.3 Modulbeschluss; s. z. B. Anhang III Ziff. 4.3 Medizinprodukte-RL. 411 Anhang II Modul B Ziff. 4.2 Modulbeschluss; s. z. B. Anhang III Ziff. 4.2 Medizinprodukte-RL. 412 S. z. B. Anhang III Modul F Ziff. 4.1 Druckgeräte-RL; Anhang VI Ziff. 4 AufzugRL.

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Qualifikationen hat 413. Zum Teil schreiben die Richtlinien sogar Einzelheiten des Prüfverfahrens vor 414. Im Anschluss an die Prüfung entscheidet die Benannte Stelle über die Erteilung oder Verweigerung einer EG-Baumusterprüfbescheinigung; letzterenfalls hat sie dem Hersteller eine ausführliche Begründung zu geben 415. Außerdem muss teilweise ein Einspruchsverfahren bei Ablehnung der Erteilung bestehen 416. Die Dauer der Wirksamkeit einer Bescheinigung ist begrenzt 417. Über Änderungen an der Konstruktion des geprüften Produkts ist die Benannte Stelle zu informieren 418. Die Benannte Stelle informiert alle anderen Benannten Stellen und die Mitgliedstaaten über ausgestellte und zurückgezogene Baumusterprüfbescheinigungen, die anderen Stellen können Kopien der Bescheinigungen verlangen 419. Auch die Prüfbescheinigungen und sonstigen Unterlagen sind für einen bestimmten Zeitraum aufzubewahren 420. Bei der Einzelprüfung wird nicht ein repräsentatives Muster, sondern werden die in Verkehr zu bringenden Serienendprodukte geprüft. Die Prüfung erfolgt entweder auf die Übereinstimmung der Produkte mit den grundlegenden Sicherheitsanforderungen (Modul Aa, G) 421 oder auf die Übereinstimmung mit Baumuster und grundlegenden Sicherheitsanforderungen (Modul Ca, F) 422. Sie ist entweder für jedes einzelne Produkt oder stichprobenartig durchzuführen (Modul Aa, Ca) 423. Einspruchsverfahren oder Gültigkeitsbestimmungen sind bei der Einzelprüfung nicht mehr vorgesehen, weil allgemeine Fragen nicht bei den Serienendprodukten, sondern schon beim Baumuster zu klären sind.

413

S. z. B. Anhang III Modul G Ziff. 4 Druckgeräte-RL. S. z. B. Anhang VI Ziff. 4 lit. b Aufzug-RL: Probebetrieb im Leerzustand und mit Höchstlast bei Simulation des Ausfalls der Energieversorgung; statische Prüfung mit 1,25facher Nennlast. 415 Anhang II Modul B Ziff. 5 Modulbeschluss; s. z. B. Anhang III Modul B Ziff. 5 Druckgeräte-RL. 416 Anhang II Modul B Ziff. 5 Modulbeschluss; s. z. B. Anhang III Modul B Ziff. 5 Druckgeräte-RL. 417 Anhang III Modul B Ziff. 5 Druckgeräte-RL: 10 Jahre. 418 S. z. B. Anhang III Modul B Ziff. 6 Druckgeräte-RL; Anhang V B. Ziff. 6 AufzugRL. 419 Anhang II Modul B Ziff. 7, 8 Modulbeschluss; s. z. B. Anhang III Modul B Ziff. 7, 8 Druckgeräte-RL; Anhang V B. Ziff. 7 Aufzug-RL. 420 Anhang II Modul B Ziff. 9 Modulbeschluss: 10 Jahre; Anhang III Modul B Ziff. 9 Druckgeräte-RL: 10 Jahre. 421 S. z. B. Anhang III Modul G Ziff. 4 Druckgeräte-RL; Anhang VI Sportboote-RL. 422 S. z. B. Anhang IV. Ziff. 5.1 Medizinprodukte-RL; Anhang III Modul F Ziff. 4.1 Druckgeräte-RL; Anhang X Ziff. 2 Sportboote-RL. 423 S. z. B. Anhang IV Ziff. 6 Medizinprodukte-RL. 414

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2. Teil: Referenzbereiche

III. Rechtliche Ausgestaltung des Prüfverfahrens 1. Rechtsnatur des Verhältnisses zwischen Hersteller und Benannter Stelle a) Ausgangslage: Beleihung oder privatrechtliche Ausgestaltung Die rechtliche Beurteilung des Konformitätsbewertungsverfahrens muss an der Ausgestaltung des Verhältnisses zwischen Hersteller und Benannter Stelle ansetzen. Produktsicherheit ist eine öffentliche Aufgabe, die grundsätzlich von staatlichen Hoheitsträgern in öffentlichrechtlicher Form wahrgenommen wird (Produktzulassung, Produktverbote, Warnungen, etc.). Nach dem Globalen Konzept wird diese öffentliche Aufgabe zumindest zum Teil auch von (juristischen) Personen des Privatrechts erfüllt. Benannte Stellen als juristische Personen des Privatrechts könnten durch das GPSG, die GPSG-Verordnungen (GPSGV) oder das MPG mit Hoheitsgewalt beliehen sein und dem Hersteller gegenüber daher als Teil der Verwaltung öffentlichrechtlich agieren. Wären die Benannten Stellen hingegen keine Beliehenen, verblieben sie im gesellschaftlichen Bereich und würden ihre Aufgaben auf Grund privatrechtlicher Verträge mit dem Hersteller wahrnehmen. b) Gemeinschaftsrechtliche Vorgaben Vorrangig zu beurteilen ist das Verhältnis zwischen Benannter Stelle und Hersteller nach den gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben. Eine ausdrückliche Beleihung der Benannten Stellen erfolgt aber weder durch die sektoralen Richtlinien noch durch den Modulbeschluss oder das Globale Konzept 424. Dies wäre auch kaum möglich, weil die spezifisch deutsche Konstruktion der Beleihung dem europäischen Recht und den Rechtsordnungen der meisten anderen Mitgliedstaaten unbekannt sein dürfte. Das Gemeinschaftsrecht schreibt lediglich vor, dass die Mitgliedstaaten sowohl private als auch öffentliche Stellen benennen können 425. Zum Rechtsverhältnis zwischen Hersteller und Benannter Stelle trifft das Gemeinschaftsrecht keine Aussage, außer dass der Hersteller zwischen den Benannten Stellen wählen und mit diesen bestimmte Vereinbarungen treffen kann 426, was eher für eine vertragliche Ausgestaltung spricht. Andererseits enthalten die Richtlinien Bestimmungen, die wie die Übertragung von Hoheitsbefugnissen an die Benannten Stellen klingen 427. Auch die Einspruchsverfahren gegen verweigerte Zertifizierungen, die die Richtlinien zum Teil verlangen 428, scheinen für 424 425 426

Scheel, DVBl 1999, 442 (445 f.). Scheel, DVBl 1999, 442 (445 f.). Art. 16 Abs. 4 Medizinprodukte-RL.

§ 4 Produktzertifizierung im Produktsicherheitsrecht

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ein Verwaltungsverfahren zu sprechen 429. Eine Übertragung von Hoheitsrechten unmittelbar durch die Richtlinien ist allerdings auf Grund der fehlenden unmittelbaren Anwendbarkeit von Richtlinien nicht möglich 430; die eigentliche Beleihung kann nur das nationale Recht vornehmen. Aus Sicht des Gemeinschaftsrechts wäre eine Beleihung der Benannten Stellen durch das deutsche Recht also möglich 431, eine zwingende Vorgabe für eine öffentlichrechtliche oder zivilrechtliche Ausgestaltung enthält es jedoch nicht. c) Ausgestaltung durch das deutsche Gesetzesrecht Überlässt das Gemeinschaftsrecht die Ausgestaltung der Position der Benannten Stelle dem nationalen Recht, so ist zu untersuchen, ob im deutschen Recht eine Beleihung vorgenommen wird 432. Die Benannten Stellen übernehmen Aufgaben, die funktional einer behördlichen Produktzulassung entsprechen. Das Öffentliche Recht macht das Inverkehrbringen von Produkten von einer positiven Zertifizierung durch Benannte Stellen abhängig, wodurch letztere gegenüber dem Hersteller eine dem Staat vergleichbare Machtposition erlangen und darüber entscheiden können, ob dieser von seinen Wirtschaftsgrundrechten Gebrauch machen kann 433. Allein die Wahrnehmung einer öffentlichen Aufgabe lässt jedoch noch nicht zwingend den Schluss auf eine Beleihung zu 434. Ursprünglich stammt die Idee der 427 Vgl. z. B. Anhang III Modul D Ziff. 4.4 Druckgeräte-RL: „Darüber hinaus kann die Benannte Stelle dem Hersteller unangemeldete Besuche abstatten“. 428 Anhang I. A. Ziff. 5 Modulbeschluss; Anhang III Modul B Ziff. 5 Druckgeräte-RL. 429 S. aber auch die Regelung im ebenfalls auf einer EG-Richtlinie beruhenden Umweltinformationsgesetz: Bei Informationsansprüchen gegen private Stellen wurde ein dem Widerspruchsverfahren paralleles Selbstüberprüfungsverfahren sui generis in § 6 Abs. 4 UIG installiert (dazu Guckelberger, UPR 2006, 89 [93]). 430 Auch eine ausnahmsweise unmittelbare Anwendbarkeit kommt wegen der Belastung Privater nicht in Betracht. 431 Dies ergibt sich z. B. aus Anhang XI Ziff. 6 Medizinprodukte-RL; Anhang IV Ziff. 6 Druckgeräte-RL; Anhang VII Ziff. 6 Aufzug-RL; Anhang XIV Ziff. 6 Sportboote-RL, wonach eine Stelle keine Haftpflichtversicherung abschließen muss, wenn der Staat für sie haftet; eine solche Haftungsverlagerung auf den Staat würde in Deutschland vor allem bei einer Beleihung greifen. 432 Wobei beim Einsatz privater Sachverständiger grds. das Problem besteht, dass schwer auszumachen ist, ob diese als Beliehene handeln oder auf Grund privatrechtlicher Auftragsverhältnisse agieren sollen, weil der Gesetzeswortlaut oft sehr uneindeutig ist, Ritter, in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem, Verwaltungsorganisationsrecht, S. 207 (239). 433 Röhl, in: Schmidt-Aßmann/Schöndorf-Haubold (Hrsg.), Europ. Verwaltungsverbund, S. 153 (154); aus diesem Grund für eine Qualifikation der Benannten Stellen als Beliehene Scheel, DVBl 1999, 442 (445 f.).

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2. Teil: Referenzbereiche

Zertifizierung aus dem privaten Sektor. In den USA entwickelte sich die „third party certification“ als Instrument zur Vertrauensgewinnung und Imageförderung beim Kunden. Sie wurde und wird noch heute allein auf privatrechtlicher Basis durchgeführt. Auch deutsche Benannte Stellen werden nicht nur im gesetzlich geregelten Bereich tätig, sondern bieten die identische Dienstleistung auch im freiwilligen Bereich an. Da der Gesetzgeber vor dem Hintergrund der Idee der Selbstregulierung auf in der Wirtschaft vorhandene Strukturen zurückgreifen wollte 435, läge es nahe, dass er das Modell inklusive der zivilrechtlichen Ausgestaltung übernommen hat. Dafür spräche auch, dass ansonsten ein grenzüberschreitendes Handeln deutscher Benannter Stellen nicht möglich wäre 436, weil die Ausübung deutscher Hoheitsgewalt bei Produktprüfungen im Ausland unzulässig ist. Ausländische Benannte Stellen, die privatrechtlich handeln, könnten hingegen ohne weiteres auch in Deutschland bei Konformitätsbewertungsverfahren tätig werden. aa) Übertragung von Hoheitsgewalt Beliehene definieren sich dadurch, dass sie im eigenen Namen hoheitliche Aufgaben auf Grund öffentlichrechtlicher Befugnisse wahrnehmen 437. Vereinzelt nehmen Produktsicherheitsgesetze zwar eine ausdrückliche Beleihung bzw. Übertragung von Hoheitsaufgaben vor 438; fraglich ist aber, ob auch das GPSG, die GPSG-Verordnungen oder das MPG den Benannten Stellen Hoheitsgewalt übertragen. In Frage käme dafür § 18 Abs. 1 MPG, wonach die Benannte Stelle gegenüber dem Hersteller das Zertifikat einschränkt, aussetzt oder zurückzieht 439. Die Bestimmungen des § 18 MPG müssen aber nicht unbedingt hoheitliche Befugnisnormen sein. Die zwingende Aussage, dass das Zertifikat zurückzuziehen ist, kann auch einen Befehl an die Benannte Stelle darstellen bzw. eine Mindestvoraussetzung für die vertragliche Ausgestaltung des Verhältnisses zwischen Hersteller und Benannter Stelle. Auch wäre § 18 MPG allein für eine Beleihung nicht ausreichend. Weder enthält das MPG Befugnisnormen für die Benannten 434 Zumindest solange man die Beleihung im „klassischen“ Sinne versteht, und nicht erweitert auf „Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben mit nur faktischer Hoheitsgewalt“ wie Di Fabio, VVDStRL 56 (1997), 237 (271 ff.); dagegen Schmidt-Aßmann, Beiheft 4 DV 2001, 253 (265). 435 Scholl, Sachverständige, S. 112: „Die neue staatliche Regulierung kann sich folglich diesem existierenden Markt für private Sachverständigendienstleistungen nicht mehr verschließen“. 436 Röhl, in: Schmidt-Aßmann/Schöndorf-Haubold (Hrsg.), Europ. Verwaltungsverbund, S. 153 (166 f.); Eifert, GVwR I, § 19 Rdn. 84. 437 Schmidt-Preuß, VVDStRL 56 (1997), 160 (167 Fn. 18); Stober, in: Wolff/Bachof/ Stober, VerwR, Bd. 3, § 90 Rdn. 4; Burgi, FS Maurer, S. 581 (585). 438 S. z. B. § 7 Abs. 4 S. 2 EMVG i. V. m. § 5 BAnerkV. 439 Röhl, in: Schmidt-Aßmann/Schöndorf-Haubold (Hrsg.), Europ. Verwaltungsverbund, S. 153 (165) spricht von einer gesetzlichen Verleihung einseitiger Befugnisse.

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Stellen für eine Überwachung der Hersteller (Zutrittsrechte, Auskunftspflichten, etc.) 440, noch enthält es Vorgaben, unter welchen Bedingungen ein Zertifikat erteilt werden muss oder verweigert werden darf (wofür es wegen des Eingriffs in Art. 12 Abs. 1 GG ebenfalls einer Ermächtigungsgrundlage bedürfte). Das GPSG und die darauf basierenden GPSGV enthalten überhaupt keine Bestimmungen, die in Bezug auf die Benannten Stellen als Befugnisnormen und Übertragung von Hoheitsgewalt gegenüber dem Hersteller verstanden werden könnten. Die in § 18 Abs. 2 MPG vorgesehene Anhörung vor Aufhebung der Zertifizierung muss keine Spezialregelung zu § 28 Abs. 1 VwVfG sein. Das Zivilrecht kennt ebenso die Pflicht, vor einseitigen Reaktionen auf Pflichtverletzungen des Vertragspartners diesen erst auf die Pflichtverletzung hinzuweisen und zur Abstellung aufzufordern (s. im Allgemeinen Schuldrecht §§ 281 Abs. 1, 286 Abs. 1 BGB). Auch sind die Benannten Stellen nicht derart mit Hoheitsgewalt beliehen worden, dass ihre Entscheidungen andere Behörden unmittelbar binden (Tatbestandswirkung eines Verwaltungsakts). Die öffentlichrechtlichen Wirkungen knüpfen nicht an die Zertifizierung eines Qualitätssicherungssystems oder die Einzelprüfung eines Produkts durch die Benannte Stelle an, sondern allein an das vom Hersteller angebracht CE-Zeichen. Ob dabei eine Benannte Stelle beteiligt war oder nicht, ist für die Behördenentscheidung grundsätzlich ohne Belang. bb) Terminologie in der Praxis Die konkrete Ausgestaltung von Zertifizierungen in der Praxis lässt ebenfalls eher auf eine vertragliche Konstruktion schließen 441. Die Benannten Stellen bezeichnen sich als „Dienstleister“ 442 (sogar zum Teil die öffentlichrechtlichen Stellen 443), die einen umfassenden „Service“ anbieten (und zwar immer sowohl im gesetzlich geregelten als auch im freiwilligen Bereich) 444 und die Hersteller als ihre „Kunden“ 445; dies erweckt nicht den Eindruck eines Subordinationsverhältnisses oder einseitig hoheitlichen Handelns, wie es Tatbestandsvoraussetzung 440 Röhl, in: Schmidt-Aßmann/Schöndorf-Haubold (Hrsg.), Europ. Verwaltungsverbund, S. 153 (166 Fn. 67). 441 Die Recherche auf den Homepages einiger deutscher Benannter Stellen zeigt, dass diese Verträge mit den Herstellern schließen, denen AGB bzw. Zertifizierungsordnungen zugrunde liegen, in denen sich der Hersteller verpflichtet, der Benannten Stelle Zutrittsrechte zu gewähren, Unterlagen vorzulegen, etc. Das Zertifikat kann gekündigt werden. 442 TÜV Nord Cert GmbH, www.tuev-nord.de, unter der Rubrik „Kompetenzfelder – Zertifizierung und Produktprüfung – Produktzertifizierung“. 443 S. die Homepage des Materialprüfungsamts NRW (www.mpanrw.de) unter der Rubrik „Unser Dienstleistungsangebot“. 444 TÜV Süd, www.tuev-sued.de, Rubrik „Produkte-TÜV – Unsere Branchenlösung – Medizinische Produkte“; Medcert GmbH (www.medcert.de, Rubrik „Zertifizierung – QM-Systeme“).

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2. Teil: Referenzbereiche

eines Verwaltungsaktes (§ 35 Satz 1 VwVfG) ist. Ausdrücklich verweisen die Benannten Stellen darauf, dass sie auf Grund eines „Vertrags“ mit dem Hersteller handeln, dieser wird als „Auftraggeber“ bezeichnet, dem Vertrag liegen als solche bezeichnete „Allgemeine Geschäftsbedingungen“ zugrunde 446. Bei Erteilung eines Auftrags durch einen Hersteller wird dieser zum „Partner im System“ der Benannten Stelle. Für den Fall des Verstoßes des Herstellers gegen die Prüfordnungen sehen diese „Vertragsstrafen“ vor. Streitigkeiten werden zum Teil einem Schlichtungsverfahren unterworfen. Auch erfolgt die Vergütung der Konformitätsbewertungen nicht nach öffentlichrechtlichen Gebührentabellen; stattdessen haben die Benannten Stellen ihre eigenen individuellen Preistabellen und unterbreiten dem Hersteller Kostenvoranschläge 447, wonach die Preise nach Zeit und Aufwand berechnet werden, ohne dass dabei zwischen Zertifizierungen im gesetzlich geregelten oder freiwilligen Bereich unterschieden wird. Die gesamte Terminologie der Praxis spricht daher für ein zivilvertragliches Verhältnis zwischen Benannter Stelle und Hersteller. cc) Verfahrensausgestaltung Das Auditierungsverfahren entspricht auch nicht dem herkömmlichen Verwaltungsverfahren. Wären die Benannten Stellen Beliehene, so wäre die abschließende Erteilung des Zertifikats ein Verwaltungsakt, das Prüfverfahren somit ein Verwaltungsverfahren im Sinne des § 9 VwVfG. Im Rahmen eines Verwaltungsverfahrens würde geprüft, ob die Produkte oder die Qualitätssicherungssysteme des Herstellers die gesetzlichen Anforderungen erfüllen. Wäre dies nicht der Fall, würde der beantragte Verwaltungsakt abgelehnt. In der Praxis können die Benannten Stellen schon beim Aufbau des Qualitätssicherungssystems als solchem beteiligt sein, wenn dem Hersteller dafür das nötige Know-How fehlt. Am Beginn erfolgt eine ausführliche Absprache mit dem Hersteller über den Ablauf des Verfahrens; es kann eine Vorprüfung (Voraudit) erfolgen, ob das Unternehmen im derzeitigen Zustand die Zertifizierung erhalten würde 448; falls nicht, wird aufgezeigt, welche Änderungen vorgenommen werden müssen, um das eigentliche Audit zu bestehen. Führt das Audit trotzdem nicht 445

Internet-Auftritt der Medcert GmbH (www.medcert.de); MDC GmbH (www.mdcce.de, Rubrik „Unser Unternehmen“). Wobei allerdings zuzugeben ist, dass im Rahmen der immer stärkeren wirtschaftlichen Ausrichtung der Verwaltung auch diese sich als „Dienstleister“ und den Bürger als „Kunden“ versteht, s. Wallerath, JZ 2001, 209. 446 S. z. B. AGB der DQS Deutschland GmbH, www.dqscert.com, Rubrik „Dienstleistungen“. 447 Z. B. Preis- und Leistungsverzeichnis des VDE (abrufbar unter www.vde.com/ vde_pi, Rubrik „Über Uns“). 448 Z. B. Zertifizierungsablauf bei der Materialprüfungsanstalt NRW, www.mpanrw.de, Rubrik „Unser Dienstleistungsangebot – Zertifizierung – Systemzertifizierungen“.

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zum gewünschten Ergebnis, wird nicht die Erteilung des Zertifikats verweigert; stattdessen berät die Benannte Stelle den Hersteller und wirkt mit diesem gemeinsam darauf hin, dass er die Voraussetzungen doch noch erfüllt 449. Im Wege eines Nachaudits können diese Änderungen berücksichtigt und das Zertifikat doch noch erteilt werden. Das ganze Verfahren ist nicht auf einseitig-hoheitliches Handeln der Benannten Stelle angelegt, sondern auf Kooperation und gemeinsame Zielerreichung. Daher stellt sich auch nicht unbedingt das Problem der Verweigerung des Zertifikats und der Einspruchsmöglichkeit dagegen. Es ist nicht Ziel der Benannten Stelle, das Zertifikat zu verweigern; stattdessen wird gemeinsam mit dem Hersteller darauf hingewirkt, dass dieser sein Zertifikat erhält. Auch das Zertifizierungsverfahren entspricht somit eher dem Bild des Privatrechts als dem des Öffentlichen Rechts 450. Um den Richtlinien und den deutschen Gesetzen zu genügen, müssen die Benannten Stellen über bestimmte Befugnisse (Kontrollrechte, Rücknahme der Zertifizierung) gegenüber dem Hersteller verfügen. Diese können der Benannten Stelle aber nicht nur durch eine Beleihung übertragen werden. Stattdessen lassen sie sich unproblematisch auch vertraglich konstruieren 451. Benannte Stellen haben Prüf- und Zertifizierungsordnungen erlassen, die als Allgemeine Geschäftsbedingungen dem jeweiligen Vertrag mit dem Hersteller beigefügt sind. Darin werden beispielsweise ausdrückliche Verpflichtungen des Herstellers formuliert, der Benannten Stelle Zugang zu gewähren, Unterlagen zu übergeben, Änderungen mitzuteilen etc 452. Die Rücknahme der Zertifizierungen ist ebenfalls vertraglich geregelt und erfolgt durch „Kündigungen“ oder Ungültigerklärungen seitens der Benannten Stelle bei Vertragsverletzungen des Herstellers. Die besonderen Vorteile der Hoheitsgewalt wie zwangsweise Durchsetzung der Befugnisse etwa mit unmittelbarem Zwang oder die sofortige Vollstreckbarkeit sind im Zertifizierungsverfahren nicht vonnöten. Gewährt der Hersteller der Benannten Stelle nicht den erforderlichen Zugang zum Werk, erhält der Hersteller kein Zertifikat und kann 449 S. z. B. LGA Intercert (www.lga-intercert.com), unter „Dienstleistungen – Zertifizierungsstelle Medizinprodukte – Ablauf eines Konformitätsbewertungsverfahrens“: Erstellen eines individuellen Angebots, auf Wunsch Vorgespräche, nach dem Audit Hinweis auf Verbesserungspotenziale, Kontrolle auf Grund eines Überwachungsvertrags. 450 Auch wenn im Verwaltungsrecht Kooperation immer mehr zur Verfahrensmaxime wird. Andererseits ist „kooperative Aufgabenwahrnehmung . . . nicht gerade das prägende Charakteristikum der Ordnungsverwaltung“ (Schulze-Fielitz, GVwR I, § 12 Rdn. 4). 451 Dass dies so sein muss, ergibt sich aus der Entstehungsgeschichte der Zertifizierung, da diese ursprünglich auf der freiwilligen „third party certification“ beruht und auch heute noch zahlreiche private Gütesiegel vergeben werden; hier steht kein anderes Instrument als der zivilrechtliche Vertrag zur Verfügung. 452 Vgl. z. B. Ziff. 3.2 Prüf- und Zertifizierungsordnung des VDE (abrufbar unter www.vde.com/vde_pi, Rubrik „Über Uns“); Homepage der LGA Intercert (www.lga-intercert.com), unter „Dienstleistungen – Zertifizierungsstelle Medizinprodukte – Ablauf eines Konformitätsbewertungsverfahrens“: Kontrolle auf Grund eines Überwachungsvertrags.

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sein Produkt nicht auf den Markt bringen; eine unmittelbare Erzwingung des Zugangs ist nicht erforderlich. dd) Ergebnis Hersteller und Benannte Stelle agieren demnach auf vertraglicher Basis. Dabei stellt sich die Frage, ob es sich um einen öffentlichrechtlichen oder einen zivilrechtlichen Vertrag handelt. Öffentlichrechtliche Verträge können auch zwischen Privatrechtssubjekten geschlossen werden (auch wenn keines von ihnen mit Hoheitsgewalt beliehen ist) 453. Allerdings bedürfen öffentlichrechtliche Verträge zwischen Privatpersonen einer spezialgesetzlichen Ermächtigung, weil die Beteiligten damit über – grundsätzlich nicht ihrer Verfügung unterstehende – öffentlichrechtliche Pflichten oder Rechte entscheiden 454. Derartige Ermächtigungen sind für den vorliegenden Bereich schon nicht vorhanden. Zudem liegt auch gar kein öffentlichrechtlicher Vertrag vor. Ob ein Vertrag öffentlichrechtlicher oder privatrechtlicher Natur ist, richtet sich nach Gegenstand und Rechtsnatur des zugrunde liegenden Rechtsverhältnisses 455. Allein dass es um die Erfüllung öffentlicher Aufgaben geht oder um eine Tätigkeit, die im öffentlichen Interesse liegt, reicht zur Annahme eines öffentlichrechtlichen Rechtsverhältnisses nicht aus 456. Vielmehr muss es um die Übernahme von oder Verfügung über öffentlichrechtliche Rechte oder Pflichten gehen. Gegenstand des Vertrages zwischen Unternehmen und Benannter Stelle ist die Prüfung einzelner Produkte oder die Kontrolle eines Qualitätssicherungssystems im Unternehmen. Es besteht keine (öffentlichrechtliche) Pflicht zur Produktprüfung oder zum Unterhalt eines Qualitätssicherungssystems (etwa im GPSG). Der Hersteller ist lediglich verpflichtet, seine Produkte nur in Verkehr zu bringen, wenn sie den Sicherheitsanforderungen entsprechen und er dies mit dem CE-Zeichen nachweisen kann. Die Benannte Stelle hilft dem Hersteller beim Nachweis dieser Produktsicherheit, sie übernimmt keine öffentlichrechtliche Verpflichtung für ihn. Vertragsgegenstand ist ein privatrechtliches Leistungsverhältnis. Der Vertrag zwischen Hersteller und Benannter Stelle ist daher zivilrechtlicher Natur.

453 Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 54 Rdn. 65; Maurer, AllgVwR, § 14 Rdn. 10; a. A. BGH, NJW 2000, 1042. Dabei handelt es sich nicht um Verträge im Sinne des § 54 Satz 1 VwVfG, weil keine Behörde beteiligt ist (BVerwG, NJW 1992, 2908; Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 54 Rdn. 65). 454 Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 54 Rdn. 66; Gurlit, in: Erichsen/Ehlers, AllgVwR, § 28 Rdn. 9. 455 BVerwGE 96, 326 (329 f.); E 97, 331 (335); Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 54 Rdn. 75 f. 456 Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 54 Rdn. 76.

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Zusammenfassend ist festzuhalten, dass Benannte Stellen grundsätzlich keine Beliehenen sind 457. Sie agieren auf Grund zivilrechtlicher Verträge mit dem Hersteller 458, unabhängig davon, ob die Benannten Stellen privatrechtlich oder öffentlichrechtlich konstituiert sind. Das Rechtsverhältnis zwischen der Benannten Stelle und dem Hersteller ist daher dem Privatrecht zuzuordnen. Dieses Ergebnis wird zusätzlich dadurch gestützt, dass beim Umweltaudit, das mit dem Globalen Konzept im Produktsicherheitsrecht zahlreiche strukturelle Parallelen aufweist, die Umweltgutachter unstreitig nicht als Beliehene, sondern auf Grund eines zivilrechtlichen Vertrags mit dem Unternehmen agieren (s. u. § 5 B. II. 4.). 2. Rechtsnatur des Zertifikats Den Abschluss eines Konformitätsbewertungsverfahrens bildet eine Entscheidung der Benannten Stelle 459. Handelt es sich bei dem Konformitätsbewertungsverfahren um eine Einzelprüfung (entweder eines Baumusters oder der einzelnen Endprodukte), so stellt die Benannte Stelle eine Konformitätsbescheinigung oder -erklärung aus 460. Bei der Bewertung der Qualitätssicherungssysteme ist hingegen von Zulassungen die Rede. Diese Abschlussentscheidung der Benannten Stelle wird in der Praxis oft als Zertifikat bezeichnet. Das Zertifikat ist kein Verwaltungsakt, sondern wird auf Grund eines zivilrechtlichen Vertrags vergeben. Seine Rechtsnatur muss sich also aus dem Zivilrecht ergeben. Es stellt kein absolutes Recht und auch keine Forderung dar. Tatsächlich ist das Zertifikat nichts weiter als eine (förmliche) Mitteilung, dass die Benannte Stelle auftragsgemäß eine Konformitätsprüfung durchgeführt hat und zu dem Ergebnis gekommen ist, dass der Hersteller die rechtlichen Vorgaben einhält 461. Der Hersteller ist berechtigt, sich gegenüber der Marktüberwachung auf diese Aussage der Benannten Stelle zu berufen, um darzulegen, dass das vorgeschriebene Konformitätsbewertungsverfahren ordnungsgemäß durchgeführt wurde und sein Produkt deshalb den grundsätzlichen Sicherheitsanforderungen genügt. 457 Röhl, in: Schmidt-Aßmann/Schöndorf-Haubold (Hrsg.), Europ. Verwaltungsverbund, S. 153 (167); Eifert, GVwR I, § 19 Rdn. 84. 458 Winter, EuR 2005, 255 (275); Voßkuhle, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann, Verwaltungsverfahren und VwVfG, S. 277 (313); Röhl, in: Schmidt-Aßmann/SchöndorfHaubold (Hrsg.), Europ. Verwaltungsverbund, S. 153 (164). 459 Vgl. z. B. Anhang VIII Ziff. 3.3 Aufzug-RL; Anhang III Modul D Ziff. 3.3 Druckgeräte-RL; Anhang II Ziff. 3.3 Medizinprodukte-RL. 460 Z. B. Anhang X Ziff. 4 Aufzug-RL; Anhang III Modul B Ziff. 5 Druckgeräte-RL. 461 Entsprechend etwa einer einseitigen Garantieerklärung nach § 443 Abs. 1 BGB, nur nicht an den Käufer, sondern mittelbar an die Produktsicherheitsbehörden gerichtet.

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Die Bestätigung der Benannten Stelle kann beschränkt oder zurückgezogen werden, indem die Benannte Stelle eine neue Aussage trifft, nach der sie an ihrer früheren Bestätigung nicht oder teilweise nicht mehr festhält. Außerdem ist es dem Hersteller vertraglich untersagt, sich auf die Bestätigung der Benannten Stelle zu berufen, wenn diese sie widerrufen hat. 3. Befugnisse der Benannten Stelle im Prüfverfahren Lässt sich nach dem oben Gesagten festhalten, dass die Benannten Stellen keine Beliehenen sind und ihnen keine Hoheitsbefugnisse übertragen wurden, kommt man trotzdem nicht umhin festzustellen, dass die Benannten Stellen zur Erfüllung ihrer Aufgabe bestimmter Befugnisse bedürfen und diese auch von den Richtlinien gefordert werden. Einzige Grundlage dieser Befugnisse kann der zwischen Hersteller und Benannter Stelle geschlossene Vertrag bzw. daraus sich ergebende Nebenpflichten sein. Ein solcher Vertrag ist dafür auch ausreichend: So ergeben sich Mitwirkungspflichten des Auftraggebers zum Teil schon aus dem Allgemeinen und Besonderen Schuldrecht (z. B. § 642 BGB). Daneben kann im Vertrag festgelegt werden, dass der Hersteller der Benannten Stelle den Zutritt gewährt, ihr Unterlagen vorzulegen hat oder Gespräche mit seinen Angestellten erlaubt 462. Des Weiteren verlangen die Richtlinien, dass die Benannte Stelle Zertifikate zurücknimmt. Wie soeben dargestellt ist das Zertifikat lediglich eine bestätigende Aussage, zu deren Tätigung die Benannte Stelle auf Grund des Vertrags mit dem Hersteller verpflichtet ist. Diese Verpflichtung besteht aber nur, wenn der Hersteller tatsächlich die rechtlichen Vorgaben erfüllt. Ist dies nicht (mehr) der Fall, ist die Benannte Stelle nicht gehindert, ihre Aussage an die neuen Erkenntnisse anzupassen und ihre frühere, als falsch erwiesene, Aussage zurückzuziehen oder zu ändern 463. Anhörungs- und Begründungspflichten wie sie im Allgemeinen Verwaltungsrecht (§§ 28, 39 VwVfG) und auch in den EG-Richtlinien und in § 18 Abs. 2 MPG gefordert sind, können ebenfalls vertraglich konstruiert werden. Besteht der Auftrag der Benannten Stelle zum Beispiel darin, das Qualitätssicherungssystem des Herstellers zu bewerten und zu beurteilen, ergibt sich ohne weiteres aus der Vertragsauslegung, dass zur Erfüllung des Auftrags allein die Feststellung, dass das System den Vorgaben der Richtlinien nicht genügt, nicht ausreichen kann; der Hersteller muss auch erfahren, warum dies so ist und was er zu verbessern hat. 462 Röhl, in: Schmidt-Aßmann/Schöndorf-Haubold (Hrsg.), Europ. Verwaltungsverbund, S. 153 (165 f.). 463 Vgl. Scherzberg, NVwZ 2006, 377 (381): Dem Vertrag ist im Zweifel die Befugnis des Sachverständigen zu entnehmen, die Bescheinigung zu widerrufen.

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Die Begründung eines negativen Prüfungsergebnisses ist daher auch vertraglich geschuldet 464. Auch Anhörungen des Herstellers vor einer möglichen Ablehnung gehören wie oben dargestellt in weit größerem Umfang als gesetzlich vorgeschrieben zum Standard in Konformitätsbewertungsverträgen. Schließlich ist bei versagten Bescheinigungen ein Einspruchsverfahren vorzusehen. Wäre die Zertifizierung ein Verwaltungsakt, ergäbe sich dies schon aus den §§ 68 ff. VwGO 465. Einspruchs- oder interne Rechtsschutzverfahren sind indes keine ausschließliche Angelegenheit des Öffentlichen Rechts. Auch vertraglich kann vereinbart werden, dass der Auftraggeber bei einer Nichterteilung der Zertifizierung den Antrag stellen kann, dass die Zertifizierungsstelle ihre Entscheidung noch einmal überprüft und überdenkt. Angesichts dessen, dass der Hersteller ein zahlender Kunde ist und die Benannte Stelle von ihm möglicherweise erneut beauftragt werden will, wird sie dem auch nachkommen. 4. Ergebnis: Rechtsnatur des Prüfverfahrens Das Rechtsverhältnis zwischen Hersteller und Benannter Stelle wird durch Zivilrecht bestimmt; die Benannte Stelle nimmt keine Hoheitsbefugnisse in Anspruch (das heißt ist keine Beliehene), sondern agiert auf vertraglicher Basis. Ihre Entscheidung beruht auf Privatrecht, hat jedoch – vermittelt durch die CEKennzeichnung durch den Hersteller – öffentlichrechtliche Wirkungen.

D. Staatliche Gewährleistung der Produktsicherheit Die Kontrolle der Produkte und Produktionsprozesse wird nicht durch staatliche Behörden vorgenommen. Es erfolgt daher keine Durchsetzung öffentlichrechtlicher Sicherheitsvorgaben durch staatliche Behörden im Verwaltungsverfahren mittels Hoheitsgewalt. Stattdessen ist diese Aufgabe auf private Stellen übertragen worden, die auf der Basis zivilrechtlicher Verträge in Kooperation mit den Herstellern für sichere Produkte sorgen sollen. Zwei private Akteure (Hersteller und Benannte Stelle), die nicht primär dem öffentlichen Ziel „Produktsicherheit“ verpflichtet sind, sollen also die Verbraucher vor gefährlichen Produkten schützen. Die gesetzliche Regulierung muss sich auf diese Aufgabenerfüllung durch Private einstellen und dafür sorgen, dass sich Hersteller und Benannte Stelle (auch) am Ziel der Produktsicherheit orientieren.

464 Bei einer positiven Beurteilung ist eine Begründung hingegen unnötig; vgl. auch § 39 Abs. 2 Nr. 1 VwVfG. 465 Wobei Widerspruchsbehörde nicht die Aufsichtsbehörde sein würde, sondern entsprechend § 73 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 VwGO die Benannte Stelle selbst, vgl. Maurer, AllgVwR, § 23 Rdn. 59.

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2. Teil: Referenzbereiche

I. Interessen- und Problemlage Das öffentlichrechtliche Produktsicherheitsrecht nimmt den Hersteller in die Pflicht. Dieser hat jedoch oft – gerade auch vor dem Hintergrund der globalisierten Wirtschaft – vorrangig ein Interesse an einer möglichst kostengünstigen und effizienten Produktion. Die Beteiligung einer Benannten Stelle bedeutet auf jeden Fall zusätzliche Kosten (allein für die Konformitätsbewertungsverfahren), die Einführung von Qualitätssicherungssystemen oder Endkontrollen stellen einen erhöhten Aufwand dar. Lehnt die Benannte Stelle ein Produkt ab oder fordert sie Nachbesserungen, entgeht dem Hersteller Umsatz. Daraus ergibt sich die Gefahr, dass der Hersteller bei der Benannten Stelle darauf hinzuwirken versucht, eine möglichst nachsichtige und rasche Kontrolle durchzuführen oder sich von vornherein eine Stelle aussucht, die es mit der Überprüfung nicht allzu genau nimmt (der Wettbewerb unter den Benannten Stellen könnte also zu einem „race to the bottom“ führen). Zudem besteht die Möglichkeit, dass der Hersteller die Arbeit der Benannten Stelle behindert, ihr zum Beispiel nicht uneingeschränkt Zutritt zum Betrieb oder Zugang zu den notwendigen Unterlagen gewährt, um etwa Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse zu wahren. Bei der Benannten Stelle hingegen können sich zwei unterschiedliche Problemkreise ergeben. Würde die Zulassung durch staatliche Behörden vorgenommen oder agierten die Benannten Stellen als Beliehene, müsste man danach fragen, ob die Verfahrensrechte und Rechtsschutzmöglichkeiten des Herstellers gewahrt sind, wie er etwa seinen Anspruch auf Erteilung der Zertifizierung durchsetzen kann oder ob Anhörungen und Begründungen erforderlich sind. Die privatrechtliche Ausgestaltung des Zertifizierungsverhältnisses und vor allem der Wettbewerb unter den Benannten Stellen weist aber auf eine ganz andere Problemlage hin: Da die Benannten Stellen nicht vom Staat finanziert sind oder sonst gesicherte Einkünfte haben, besteht die Gefahr einer Beeinträchtigung ihrer Unabhängigkeit und Neutralität. Die Interessen des Herstellers als Auftraggeber 466 (s. o. § 5 B. II. 3. c) erlangen möglicherweise mehr Gewicht als das öffentliche Interesse an sicheren Produkten. Die Regulierung muss daher nicht nur bemüht sein, die Rechte des Herstellers gegenüber der Benannten Stelle zu schützen; vielmehr ist auch die Unabhängigkeit der Benannten Stelle gegenüber dem Hersteller sicherzustellen. II. Rechtliche Lösungsansätze Die Durchführung der Konformitätsbewertungen ist kein Verwaltungshandeln, auf das der Staat unmittelbaren Einfluss hätte. Da auch am Ende der Konformitätsbewertung keine Behördenentscheidung steht, die etwa bei nicht ordnungs-

466

„Wer zahlt, schafft an“.

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gemäßer Verfahrensdurchführung verweigert werden könnte, hat der Staat kaum Möglichkeiten der direkten Einflussnahme auf die Konformitätsbewertungsverfahren. Andererseits ist der Staat nicht aus seiner Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG für Leben und Gesundheit seiner Bürger (dazu unten 3. Teil § 7 C.) entlassen. Der Staat ist daher grundsätzlich verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, dass seine Bürger nicht durch unsichere Produkte geschädigt werden. Wenn er nicht selbst die Herstellung von Produkten kontrolliert und das Inverkehrbringen schadhafter oder zu gefährlicher Produkte verhindert, muss er zumindest dafür sorgen, dass diese Aufgabe effektiv durch andere Stellen erfüllt wird. Nachfolgend soll deshalb dargestellt werden, ob und wie der Staat seinen grundrechtlichen Schutzpflichten für Leben und Gesundheit seiner Bürger in einem System Regulierter Selbstregulierung nachkommt. Die Regulierung der Selbstregulierung muss für eine Umhegung des zivilvertraglichen Verhältnisses zwischen Hersteller und Benannter Stelle sorgen, die den öffentlichen Interessen zur Durchsetzung verhilft, das heißt, die Benannten Stellen in die Lage versetzt, gefährliche Produkte zu erkennen und den Hersteller an ihrem Vertrieb zu hindern. Das Recht kann dabei bei der Benannten Stelle selbst ansetzen, beim Hersteller oder bei dem Vertrag zwischen beiden. 1. Regulierung der Benannten Stellen Die sektoralen Richtlinien stellen Mindestanforderungen an Benannte Stellen, sind selbst jedoch diesen gegenüber nicht verbindlich. Auch die Vorgaben für die Durchführung der Konformitätsbewertungsverfahren sind insofern nicht zwingend, als keine Behörde mittels staatlicher Zwangsmittel die Einhaltung bestimmter Verfahrensvorschriften durch die Benannte Stelle erzwingen kann. Würden die Benannten Stellen durch das Öffentliche Recht als juristische Personen oder Behörden erst geschaffen, könnte die Ausgestaltung der Stellen öffentlichrechtlich unmittelbar festgelegt werden. Da es sich bei den Benannten Stellen aber um juristische Personen des Privatrechts handelt, die sich unabhängig von öffentlichrechtlichen Vorgaben bilden, kann der Staat nicht per Gesetz vorschreiben, wie die interne Organisation der Stelle auszusehen hat. Kann die europäische oder nationale Hoheitsgewalt die Organisation und Struktur der privaten Akteure nicht selbst unmittelbar bestimmen, obliegt es der hoheitlichen Verwaltung, darauf hinzuwirken, dass sich die privaten Stellen so organisieren, dass sie den öffentlichrechtlichen Vorstellungen entsprechen 467.

467 Röhl, in: Schmidt-Aßmann/Schöndorf-Haubold (Hrsg.), Europ. Verwaltungsverbund, S. 153 (154): staatliche Verwaltung als „Ankerpunkt“ für die Benannten Stellen, „der ihre Gemeinwohlausrichtung garantiert“.

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2. Teil: Referenzbereiche

a) Anerkennung und Aufhebung derselben Die sekundärrechtlichen Anforderungen an die Benannten Stellen lassen sich dadurch umsetzen 468, dass die Mitgliedstaaten nur solche Stellen anerkennen und benennen (dürfen), die den Vorgaben des Gemeinschaftsrechts entsprechen 469. Hier kann auch eine private Akkreditierung nach § 11 Abs. 1 S. 2 GPSG (die von der staatlichen Anerkennung zu unterscheiden ist) eine Rolle spielen. Bei dieser Akkreditierung handelt es sich um die freiwillige und unverbindliche Unterwerfung unter eine Konformitätsbewertung durch eine private Akkreditierungsstelle 470. Eine solche Akkreditierung soll die Einhaltung harmonisierter Normen durch die Benannte Stelle bestätigen und ist deshalb bei der staatlichen Anerkennung zu berücksichtigen.

Die korrekte Durchführung der Konformitätsbewertungsverfahren ist Teil der Anerkennungsvoraussetzungen 471. Sind die Verträge zwischen Hersteller und Benannter Stelle (die überwiegend auf von der Benannten Stelle gestellten Formularverträgen bzw. AGB beruhen) nicht so ausgestaltet, dass Hersteller und Benannte Stelle die nötigen Verpflichtungen übernehmen bzw. der Benannten Stelle die erforderlichen Befugnisse eingeräumt werden, so kann auch dies ein Grund sein, die Anerkennung zu versagen bzw. zu widerrufen. Im Rahmen der Aufsicht über die Benannten Stellen müssen die Zulassungsbehörden auch überprüfen, ob die Anerkennungsvoraussetzungen noch vorliegen; ist dies nicht mehr der Fall, so muss die Anerkennung aufgehoben werden 472 – das Ermessen im Rahmen der Art. 48, 49 BayVwVfG 473 wird dabei durch Gemein-

468

Die Pflicht zur Umsetzung der Vorgaben der Richtlinien folgt aus Art. 249 Abs. 3

EGV. 469 Rechtstechnisch dadurch umzusetzen, dass das deutsche Gesetzesrecht dieselben Anforderungen aufstellt (§ 9 Abs. 2 S. 2 GSG) oder auf die gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben verweist (§ 15 Abs. 1 S. 2 MPG). 470 So nehmen in Deutschland z. B. die TGA GmbH, der DATech e. V. und die DAP GmbH Akkreditierungen von Zertifizierungsstellen nach den DIN EN 45.000 ff. im „gesetzlich nicht geregelten Bereich“ vor. Das bedeutet allerdings nicht, dass Akkreditierungen nur in Produktbereichen erteilt werden, die von einer gesetzlichen Regelung oder der Neuen Konzeption nicht erfasst sind (so werden auch frw. Akkreditierungen für Zertifizierungsstellen im Bereich Medizintechnik, Elektrotechnik, Maschinen erteilt); der gesetzlich nicht geregelte Bereich bezieht sich vielmehr darauf, dass die Akkreditierung nicht dazu führt, dass die Zertifizierungsstelle zur Benannten Stelle wird. 471 Nach Anhang IX Ziff. 3 S. 1 Medizinprodukte-RL muss eine Benannte Stelle „in der Lage sein, alle . . . Aufgaben, die einer solchen Stelle zugewiesen werden . . . wahrzunehmen“. Darunter ist zwar insbesondere die personelle und technische Ausstattung zu verstehen, auch die Einräumung der erforderlichen Befugnisse und Rechte lassen sich aber darunter fassen. 472 Art. 16 Abs. 3 Medizinprodukte-RL; Art. 12 Abs. 3 Druckgeräte-RL; Art. 9 Abs. 3 Aufzug-RL; Art. 9 Abs. 3 Sportboote-RL.

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schaftsrecht auf Null reduziert. Beim Widerruf einer Anerkennung nach dem MPG sieht § 16 Abs. 2 MPG ohnehin kein Ermessen vor. b) Aufsicht über die Benannten Stellen Die hoheitliche Aufsicht über die Benannten Stellen ist von entscheidender Bedeutung für die Umsetzung der gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben, für den Schutz der Verbraucher vor gefährlichen Produkten und schließlich auch zur Durchsetzung der Rechte des Herstellers gegenüber der Benannten Stelle. aa) Aufgaben und Ziele der Aufsicht Hoheitliche Aufsicht im Produktsicherheitsrecht setzt an mehreren Stellen an. Die Marktüberwachung kontrolliert die auf dem Markt befindlichen Produkte und damit auch die Hersteller. Im vorliegenden Zusammenhang interessiert allerdings nur die Überwachung der Benannten Stellen, die ihrerseits wiederum nur vor dem bzw. beim Inverkehrbringen der Produkte tätig werden und mit den Produkten, die die Fabrik verlassen haben, grundsätzlich nicht mehr befasst sind 474. Eine hoheitliche Aufsicht über die Benannten Stellen wird von den (für die Mitgliedstaaten unmittelbar verbindlichen) Richtlinien verpflichtend vorgesehen 475. § 11 Abs. 5 S. 1 GPSG, § 15 Abs. 2 S. 1 MPG weisen daher der Behörde die Aufgabe zu, zu überwachen, ob die Benannte Stelle die Anerkennungsvoraussetzungen weiterhin erfüllt. Damit leistet die staatliche Aufsicht auch einen Beitrag zur Durchsetzung und Sicherung der Rechte der Hersteller gegenüber den Benannten Stellen. Da letztere nicht Teil der hoheitlichen Verwaltung sind, kann sich der Hersteller ihnen 473 Da die Anerkennung durch eine bayerische Verwaltungsbehörde (die ZLS als Teil des Bayerischen Umweltministeriums) erfolgt, beruht auch ihr Widerruf auf dem BayVwVfG. Sonderregelungen zur Aufhebung der Anerkennung bestehen im GPSG nicht. 474 Eine Ausnahme macht die Medizinprodukte-RL, die in den Konformitätsbewertungsverfahren nach Anhang II Ziff. 3.1 tir. 7, Anhang IV Ziff. 3, Anhang V Ziff. 3.1 tir. 8, Anhang VI Ziff. 3.1 tir. 8 vorsieht, dass der Hersteller auch ein systematisches Verfahren einrichten muss, um Erfahrungen mit den Produkten (in Bezug auf Funktionsstörungen, unsachgemäße Kennzeichnung oder Gebrauchsanweisung) nach der Herstellung zu erfassen und auszuwerten, die Fehler zu korrigieren und die Behörden zu informieren; die Benannte Stelle muss dann prüfen, ob dieses Verfahren ordnungsgemäß eingerichtet wurde. 475 Anhang I. A. lit. k Modulbeschluss. Art. 16 Abs. 3 Medizinprodukte-RL; Art. 12 Abs. 3 Druckgeräte-RL; Art. 9 Abs. 3 Aufzug-RL; Art. 9 Abs. 3 Sportboote-RL verpflichten den Mitgliedstaat, die Anerkennung der Benannten Stelle aufzuheben, wenn diese die Mindestanforderungen der Richtlinien nicht mehr erfüllt; daraus ergibt sich inzident eine Aufsichtspflicht. Nach Röhl, in: Schmidt-Aßmann/Schöndorf-Haubold (Hrsg.), Europ. Verwaltungsverbund, S. 153 (177) findet eine ständige und wirksame Überwachung der Benannten Stellen jedoch nicht statt.

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2. Teil: Referenzbereiche

gegenüber weder unmittelbar auf die Grundrechte (dazu unten 4. Teil § 12 C. V. 1.) noch auf die Verfahrenssicherungen etwa des VwVfG berufen. Die Möglichkeiten der Vertragsgestaltung zwischen Hersteller und Benannter Stelle können diesem Manko zum Teil abhelfen, das Drohpotential einer Aufsichtsmaßnahme bzw. sogar der Rücknahme der Anerkennung durch staatliche Behörden, z. B. bei unberechtigter Verweigerung der Zertifizierung oder bei Setzung zu strenger Anforderungen, hat jedoch einen nicht zu unterschätzenden disziplinierenden Effekt auf die Benannten Stellen. bb) Durchführung der Aufsicht Da es sich bei den Benannten Stellen um private Wirtschaftsteilnehmer handelt und die Anerkennungsstellen ihnen gegenüber bei der Aufsicht Hoheitsgewalt ausüben, bedürfen letztere dafür gesetzlicher Ermächtigungsgrundlagen 476. Nähere Vorgaben für die Aufsicht – außer der allgemeinen Forderung nach Effektivität – macht das Gemeinschaftsrecht nicht; die konkrete Ausgestaltung richtet sich deshalb nach nationalem Recht. Die Überwachungsbefugnisse gegenüber den Zertifizierungsstellen ergeben sich aus dem GPSG bzw. dem MPG. § 11 Abs. 5 GPSG benennt ausführlich die Befugnisse der zuständigen Behörden für die Überwachung der Benannten Stellen. Die Anerkennungsstelle kann von der Benannten Stelle die erforderlichen Auskünfte und die nötige Unterstützung (§ 11 Abs. 5 S. 2 GPSG) und insbesondere die Vorlage von Unterlagen verlangen (§ 11 Abs. 5 S. 3 GPSG). Sie hat Betretens- und Besichtigungsrechte (§ 11 Abs. 5 S. 3 GPSG) 477. Auch § 15 Abs. 2 MPG enthält Befugnisse der anerkennenden Stelle für die Überwachung der Benannten Stelle: Auskünfte und sonstige Unterstützung (§ 15 Abs. 2 S. 4 MPG), Begleitung der Benannten Stelle bei Überprüfungen bei Herstellern (§ 15 Abs. 2 S. 5 MPG), Betretens- und Besichtigungsrechte (§ 15 Abs. 2 S. 6 MPG), Vorlage von Unterlagen und Bescheinigungen (§ 15 Abs. 2 S. 6 MPG). § 11 Abs. 5 S. 2 Hs. 2 GPSG, § 15 Abs. 2 S. 2 MPG geben der Aufsicht schließlich in einer Art Generalklausel die Befugnis, alle erforderlichen Anordnungen zu treffen. Wichtig sind darüber hinaus die Befugnisse, die Arbeit der Benannten Stellen auch bei deren Auftraggeber, also beim Hersteller, zu überwachen. Da das Bewertungsverfahren selbst ohne Beteiligung einer Behörde abläuft und auch das Ergebnis oder die Unterlagen keiner Behörde mitgeteilt werden, hat die Aufsicht keine Information darüber, ob die Benannte Stelle entsprechend den gesetzlichen Vorgaben handelt. Die von der Benannten Stelle vorzulegenden Unterlagen bieten möglicherweise keine ganz unverzerrte Darstellung des Ablaufs. Deshalb sollte 476

Dazu s. u. 4. Teil § 13 B. IV. 2. Auch die Marktüberwachung kann nach § 11 Abs. 6 GPSG von der Benannten Stelle die erforderlichen Unterlagen und Auskünfte verlangen. 477

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die Aufsicht auch Zugang zum bewerteten Unternehmen selbst haben, um sich dort vom korrekten Ablauf der Konformitätsbewertungen überzeugen zu können; derartige Befugnisse sieht allerdings nur § 15 Abs. 2 S. 4 Hs. 2 und S. 6 MPG vor. Mangels entsprechender Befugnisnormen im GPSG kann die Aufsicht in dessen Anwendungsbereich die Benannte Stelle nur mit Einverständnis des Herstellers in dessen Betrieb begleiten. Die Aufsicht erfolgt des Weiteren indirekt auch dadurch, dass hinter alle CEZeichen die Kennnummer der prüfenden Benannten Stelle zu setzen ist. Erweist sich ein Produkt im Rahmen der Marktüberwachung als unsicher, kann anhand der Kennnummer festgestellt werden, welche Benannte Stelle in die Konformitätsbewertung eingebunden war. Zwar besagt die Fehlerhaftigkeit eines Produkts noch nichts über einen Fehler der Benannten Stelle (vor allem bei Qualitätssicherungssystemen, anders eher bei Einzelprüfung von Produkten). Bei einer Häufung von Produktfehlern oder bei offensichtlichen Fehlern, die bei jeder Kontrolle hätten auffallen müssen, liegt es jedoch nahe, dass auch die Benannte Stelle ihrer Aufgabe nicht ausreichend nachgekommen ist. c) Indirekte Steuerung Eine Überwachung der Benannten Stellen und ein Zwang zur Einhaltung der einschlägigen Vorschriften erfolgt nicht nur durch direkte Aufsichtsmaßnahmen staatlicher Behörden gegenüber den Benannten Stellen; daneben kann Regulierung auch indirekte Steuerungsmechanismen in Betracht ziehen. So können auch die übrigen Marktteilnehmer – Konkurrenten der Benannten Stelle, der Hersteller und dessen Konkurrenten – für ein ordnungsgemäßes Vorgehen bei der Konformitätsbewertung sorgen: Auf Grund des Wettbewerbs unter den Benannten Stellen und des allgemeinen Interesses der Zertifizierungsindustrie an einem guten Ruf ihrer „Dienstleistung“ dürfte damit zu rechnen sein, dass ein Konkurrent ein „schwarzes Schaf“ unter den Benannten Stellen an die Aufsicht melden würde. Selbiges gilt auch für die Hersteller, die kein Interesse daran haben, dass ein Konkurrent Wettbewerbsvorteile durch unzulässig milde Konformitätsbewertungsverfahren erlangt. 2. Gründe des Herstellers für ordnungsgemäße Konformitätsbewertungsverfahren Die Regulierung kann auch beim Hersteller ansetzen und ihn mit verschiedenen Mitteln dazu bewegen, ein ordnungsgemäßes Konformitätsbewertungsverfahren durchführen zu lassen. An erster Stelle steht dabei die Vorgabe, dass ein Produkt nur in Verkehr gebracht werden darf, wenn es rechtmäßig mit dem CE-Zeichen versehen ist. Erfüllt der

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Hersteller seine vertraglichen Verpflichtungen gegenüber der Benannten Stelle 478 nicht (Bereitstellung von Unterlagen, Gewährung von Zutritt), verweigert die Benannte Stelle die Zertifizierung und damit dem Hersteller die Möglichkeit, sein Produkt mit dem CE-Zeichen zu versehen. Bedenklich ist dabei der Umstand, dass der Hersteller sich die Benannte Stelle aussuchen kann. Verweigert ihm die erste das Zertifikat, kann er sich an eine andere Stelle wenden, in der Hoffnung, dort günstiger bewertet zu werden 479. Zwar besagt z. B. Anhang VI Ziff. 6, Anhang X Ziff. 4 Aufzug-RL, dass nach Verweigerung einer Endabnahme durch eine Benannte Stelle eine erneute Prüfung nur durch dieselbe Benannte Stelle erfolgen darf. Fraglich ist jedoch, wie erreicht werden soll, dass der Hersteller nicht trotzdem unter Verstoß gegen diese Vorschriften einen neuen Antrag bei einer anderen Stelle einreicht. Der Hersteller muss in seinem Antrag angeben, noch bei keiner anderen Stelle einen Antrag eingereicht zu haben. Verstößt er gegen diese Pflicht, ist diese arglistige Täuschung ein Grund für die Benannte Stelle, den Vertrag anzufechten (§ 123 BGB) und somit das Zertifikat zum Erlöschen zu bringen; zumindest eine Vertragsverletzung, die die Benannte Stelle zum Rücktritt berechtigt, ist die mehrfache Antragstellung auf jeden Fall. Problematisch ist nur die Möglichkeit der Benannten Stelle, von früheren Anträgen Kenntnis zu erlangen (dasselbe Problem würde sich aber auch bei einer Beleihung der Benannten Stelle und der Vergabe des Zertifikats als Verwaltungsakt stellen). Zwar haben Benannte Stellen alle anderen Benannten Stellen über alle widerrufenen Bescheinigungen 480 zu unterrichten, nicht aber über abgelehnte Erteilungen. In Bezug auf diese haben die anderen Benannten Stellen nur Auskunftsrechte auf Anfrage. Da die zweite beauftragte Benannte Stelle aber von der ersten nichts weiß und auch keinen Anlass zur Nachforschung hat, hilft dieses Auskunftsrecht nicht unbedingt weiter 481. Solange ein Konformitätsbewertungsverfahren andauert und die Benannte Stelle Zutritt zum Unternehmen und Zugang zu allen Unterlagen hat, würde sie es wahrscheinlich bemerken, wenn der Hersteller noch eine weitere Benannte Stelle einschaltete. Nach einer endgültigen Verweigerung der Zertifizierung und nach Beendigung des Vertragsverhältnisses hat die verweigernde Benannte Stelle jedoch keine Informationsmöglichkeiten mehr. Die Anerkennung und Überwachung der Benannten Stellen muss deshalb für möglichst gleich hohe Standards sorgen, damit ein „forum shopping“ in Bezug auf die Benannte Stelle von vornherein keinen Sinn macht, weil alle Stellen zum selben (in diesem Fall negativen) Ergebnis kommen würden.

478 S. Anhang II Modul D Ziff. 3.4, Modul E Ziff. 3.4, Modul H Ziff. 3.4 Modulbeschluss; s. z. B. Anhang III Modul D Ziff. 3.4, Anhang VIII Ziff. 3.4 Aufzug-RL: Der Hersteller verpflichtet sich, die Verpflichtungen aus dem Qualitätssicherungssystem in seiner zugelassenen Form zu erfüllen. 479 Vgl. Scholl, Sachverständige, S. 119. 480 § 16 Abs. 5 Medizinprodukte-RL. 481 Anders nur nach Anhang III Modul B Ziff. 7, Modul D Ziff. 6, Modul E Ziff. 6, Modul H Ziff. 6 Druckgeräte-RL, wonach die Benannte Stelle den anderen Stellen von sich aus Informationen über verweigerte Zulassungen mitzuteilen hat.

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Versieht der Hersteller sein Produkt mit einem CE-Zeichen, obwohl ein vorgeschriebenes Konformitätsbewertungsverfahren überhaupt nicht oder nur mangelhaft durchgeführt wurde, ist der Hersteller dem Risiko ausgesetzt, dass die staatliche Marktaufsicht allein aus diesem Grund gegen sein Produkt vorgeht. Das Gemeinschaftsrecht 482 verlangt von den Mitgliedstaaten bei unrechtmäßiger CE-Kennzeichnung ein Einschreiten gegen den Hersteller; dieser ist entweder zu veranlassen, die Anforderungen an ordnungsgemäße Konformitätsbewertungen einzuhalten oder das Inverkehrbringen seiner Produkte muss untersagt werden. Nach § 8 Abs. 4 S. 2 Nr. 2, 3, 5–7 GPSG können bei Produkten, die nicht den Anforderungen des § 4 Abs. 1 GPSG entsprechen, das Inverkehrbringen untersagt und Prüfungen oder Rückrufaktionen angeordnet werden. Zu den Anforderungen des § 4 Abs. 1 GPSG („sonstige Voraussetzungen für [das] Inverkehrbringen“) gehört – bei europarechtskonformer Auslegung – auch die ordnungsgemäße Durchführung des Konformitätsbewertungsverfahrens. § 27 Abs. 1 MPG besagt ausdrücklich, dass bei unrechtmäßiger CE-Kennzeichnung die zuständige Behörde den Hersteller zur Einhaltung der Anforderungen verpflichtet oder das Produkt vom Markt genommen werden muss. Dabei kommt es allein auf den „Verfahrensfehler“ des Herstellers bei der Konformitätsbewertung an, die tatsächliche Fehlerhaftigkeit oder Gefährlichkeit des Produkts ist irrelevant. Daneben erfolgt eine Disziplinierung des Herstellers auch über das Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht. Ein Hersteller ist nur dann berechtigt, sein Produkt mit dem CE-Zeichen zu versehen, wenn das Konformitätsbewertungsverfahren ordnungsgemäß durchgeführt wurde. Hat daher die Benannte Stelle eine Prüfung nicht entsprechend den Vorgaben der Richtlinien durchgeführt, verwendet der Hersteller das Zeichen zu Unrecht, was nach §§ 41, 42 MPG einen Bußgeldbzw. Straftatbestand darstellt. Das GPSG oder die GPSGV kennen einen solchen Bußgeldtatbestand allerdings nicht. Zwar darf auch danach ein Produkt nur in Verkehr gebracht werden, wenn eine Bestätigung des Herstellers vorliegt, dass das vorgeschriebene Konformitätsbewertungsverfahren ordnungsgemäß durchgeführt wurde; der Fall einer falschen Bestätigung ist jedoch nicht geregelt und nicht mit Sanktionen bewehrt. Hingegen stellt das vorsätzliche oder fahrlässige Inverkehrbringen eines Produkts, das nicht den grundlegenden Sicherheitsanforderungen entspricht, eine Ordnungswidrigkeit dar (§ 5 10. GPSGV; § 6 12. GPSGV; § 8 14. GPSGV). Trifft den Hersteller an der Unsicherheit des Produkts selber kein Verschulden, weiß er aber, dass die Benannte Stelle ihre Konformitätsbewertung nicht ordentlich durchgeführt hat, liegt darin die Vorwerfbarkeit, denn das Konformitätsbewertungsverfahren ist gerade installiert worden, um sicherzustellen, dass ein Produkt den Sicherheitsanforderungen entspricht.

482

Art. 18 Medizinprodukte-RL; Art. 16 Druckgeräte-RL; Art. 10 Abs. 4 Aufzug-RL; Art. 10 Abs. 4 Sportboote-RL.

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2. Teil: Referenzbereiche

Darüber hinaus sind die Qualität und Sicherheit von Produkten wichtige Produktmerkmale und viele Hersteller unternehmen ohnehin große Anstrengungen zu ihrer Verbesserung; glaubwürdige Zertifizierungen sind dabei ein Wettbewerbsvorteil. Auch kann eine gute Zertifizierungsstelle dem Unternehmen produktionstechnische Vorteile bringen, wenn zum Beispiel bei der Installation und Überwachung umfassender Qualitätssicherungssysteme und der dafür nötigen Dokumentation und Planung Möglichkeiten zur Effizienzsteigerung oder Produktionsverschlankung erkannt werden. Es liegt also durchaus im Interesse des Herstellers, dass die Konformitätsbewertungsverfahren ordnungsgemäß durchgeführt werden, um vor der Inanspruchnahme durch die Marktüberwachung oder gar vor straf- und ordnungswidrigkeitenrechtlichen Maßnahmen geschützt zu sein. Deswegen sollte er darauf hinwirken, dass die Benannte Stelle nicht nur seine Interessen an kostengünstiger und einfacher Produktion berücksichtigt, sondern tatsächlich auch für sichere Produkte sorgt. 3. Rechtliche Gestaltung des Verhältnisses zwischen Hersteller und Benannter Stelle Die Sicherheitsanforderungen für Produkte des Herstellers kann das Öffentliche Recht selbst unmittelbar und zwingend festlegen. Da das Verhältnis zwischen Hersteller und Benannter Stelle jedoch auf einem zivilrechtlichen Vertrag beruht, kann der Gesetzgeber hier nur indirekt einwirken. Die Art und Weise der Durchführung von Konformitätsbewertungsverfahren wird zwar von den sektoralen EGRichtlinien vorgegeben; diese sind jedoch für Hersteller und Benannte Stelle nicht verbindlich. Auch das deutsche Recht enthält keine unmittelbar durch die Verwaltung durchsetzbaren Vorgaben für das Konformitätsbewertungsverfahren. Da auch am Ende des Bewertungsverfahrens keine Verwaltungsentscheidung steht, kann auch nicht einfach bei Missachtung der Vorgaben eine Genehmigung oder Zulassung verweigert werden. Trotzdem muss die Rechtsordnung gewährleisten, dass die Benannten Stellen ihre Arbeit so verrichten können, wie es das Gemeinschaftsrecht und letztlich das öffentliche Interesse an sicheren Produkten verlangen, und dass die Benannte Stelle die Rechte des Herstellers wahrt. a) Sicherung der nötigen Befugnisse der Benannten Stelle Die Benannte Stelle hat zu bewerten, ob entweder die Qualitätssicherungssysteme des Herstellers dafür sorgen, dass nur sichere Produkte in Verkehr gelangen, oder sie hat die Sicherheit der Produkte selbst zu prüfen. Die dafür nötigen Befugnisse werden ihr weder durch Gemeinschaftsrecht noch durch deutsches Gesetzesrecht übertragen.

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Das Gemeinschaftsrecht fordert allerdings, dass die Benannten Stellen über die entsprechenden Befugnisse verfügen. Dazu ist es jedoch nicht notwendig, dass der deutsche Gesetzgeber eine demgemäße Übertragung von Hoheitsgewalt vornimmt. Stattdessen können die nötigen Befugnisse auch vertraglich vereinbart werden (s. o. § 4 C. III. 3.) 483. Ein Hersteller, der die Formularverträge oder AGB der Benannten Stelle nicht akzeptiert, erhält keine Zertifizierung. Unterwirft er sich den vertraglichen Bedingungen der Benannten Stelle, kommt er seinen Verpflichtungen aber nicht nach, verweigert die Benannte Stelle die Erteilung des Zertifikats. Möglich wäre auch ein Einklagen etwa der vertraglichen Zutrittsoder Unterlageneinsichtsrechte bei den Zivilgerichten, in der Praxis wird eine Benannte Stelle diesen mühsamen Weg aber kaum wählen. Schließt der Hersteller zwar einen Vertrag mit einer Benannten Stelle, enthält dieser aber nicht die notwendigen Befugnisse, kann das Konformitätsbewertungsverfahren nicht ordnungsgemäß durchgeführt werden und der Hersteller erhält nicht die Berechtigung zur Verwendung des CE-Zeichens bzw. zum Inverkehrbringen des Produkts 484. Stattdessen wäre auch denkbar, die Befugnisse der Benannten Stellen als zwingendes Privatrecht zu verstehen und damit als Rechte, die der Benannten Stelle auch dann zustehen, wenn sie nicht ausdrücklich im Vertrag vereinbart sind 485.

483 Vgl. z. B. Ziff. 3.2.1 und 3.2.2 der Prüf- und Zertifizierordnung der TÜV Süd Gruppe: „Der Auftraggeber stellt der Zertifizierstelle alle Unterlagen . . . zur Verfügung. . . . Der Auftraggeber gewährt den Auditoren Zugang zu den entsprechenden Stellen im Unternehmen und Einsicht in alle . . . Aufzeichnungen“; Ziff. 10.3, 11.3 Prüf- und Zertifizierungsordnung BG-Prüfzert: „Der Inhaber des Zertifikats hat . . . sicherzustellen, dass die Prüfer jederzeit und ohne Voranmeldung . . . Zugang zu den entsprechenden Betriebsbereichen haben . . . Der Auftraggeber hat der Prüf- und Zertifizierungsstelle die erforderlichen Unterlagen . . . zur Verfügung zu stellen“; Ziff. 5.2 der AGB der DQS GmbH: „Der Auftraggeber stellt sicher, dass der DQS alle für die Erfüllung ihres Auftrags notwendigen Informationen und die erforderlichen Räumlichkeiten zugänglich sind“; Ziff. 5.1 Prüf- und Zertifizierungsordnung des VDE: „Das VDE-Institut ist berechtigt, jederzeit ohne vorherige Anmeldung die . . . Fertigungs- und Betriebsstätten . . . im Rahmen der allgemein üblichen Überprüfungen zu besichtigen . . . und auch selbst Überprüfungen in den Fertigungsstätten vorzunehmen“. 484 Nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 b) bb) 10. GPSGV, § 4 Abs. 1 Nr. 1 b) 12. GPSGV, § 4 Abs. 1 Nr. 1 b) 14. GPSGV darf ein Produkt nur in Verkehr gebracht werden, wenn die in den entsprechenden Richtlinien vorgeschriebenen Konformitätsbewertungsverfahren eingehalten wurden. 485 Dafür Weiß, Produktsicherheit, S. 354 f.; ebenso für die Konstruktion beim parallel gestalteten Umweltaudit s. u. § 5 C. III. 2.

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2. Teil: Referenzbereiche

b) Sicherung der (Verfahrens-)Rechte des Herstellers gegenüber der Benannten Stelle Des Weiteren muss sichergestellt sein, dass der Hersteller seine Zertifizierung tatsächlich erhält, wenn er die Voraussetzungen erfüllt, und dass er seine Rechte auch im Zertifizierungsverfahren wahrnehmen kann. aa) Anspruch auf Erteilung der Zertifizierung Wäre die Benannte Stelle eine Beliehene und die Zertifizierung somit ein Verwaltungsakt, würde sich – bei Erfüllung der gesetzlichen Anforderungen – ein öffentlichrechtlicher Anspruch des Herstellers auf Erteilung des Zertifikats ergeben. Der Anspruch könnte mit einer Verpflichtungsklage vor den Verwaltungsgerichten durchgesetzt werden. Da die Benannten Stellen aber wie oben gezeigt weit überwiegend keine Beliehenen sind, muss der Anspruch auf das Zertifikat mit anderen Mitteln durchsetzbar sein. Hersteller und Benannte Stelle haben einen zivilrechtlichen Vertrag geschlossen, in dem sich die Benannte Stelle verpflichtet, dem Hersteller die Zertifizierung zu erteilen, wenn er die gesetzlichen Anforderungen erfüllt 486. Die Vertragsgestaltungen sehen in der Praxis – auf Grund der Vorgaben der EG-Richtlinien – Einspruchsverfahren für den Hersteller vor; der Hersteller kann sich an seinen Vertragspartner wenden und dessen Begründung für die Verweigerung des Zertifikats bestreiten. Weigert sich die Benannte Stelle danach immer noch, die Zertifizierung zu erteilen, kann der Hersteller Leistungsklage bei den Zivilgerichten auf Erteilung des Zertifikats aus dem Vertrag erheben. Ein obsiegendes Urteil wäre nach § 894 ZPO vollstreckbar. Zudem würde eine unrechtmäßig verweigerte oder verzögerte Zertifizierung Schadensersatzansprüche nach § 280 Abs. 1, 3, §§ 281, 286 BGB auslösen 487. Außerdem stehen die Benannten Stellen zueinander in Wettbewerb, so dass es sich schon aus diesem Grund keine Stelle leisten kann, berechtigte Zertifizierungen zu verweigern. Als letztes Sicherungsmittel bleibt die staatliche Aufsicht über die Benannten Stellen, die bei wiederholten Weigerungen zur Vertragserfüllung die Anerkennung der Benannten Stelle widerrufen könnte. Die vertragliche Lösung führt nicht zum Ziel, wenn ein Hersteller keine Benannte Stelle findet, die einen Zertifizierungsvertrag mit ihm abschließen will. Im Rahmen eines funktionierenden Wettbewerbs zwischen den Benannten Stellen

486 Allg. Scherzberg, NVwZ 2006, 377 (381). Verwendet die Benannte Stelle Verträge, in denen eine solche Verpflichtung nicht enthalten ist, darf sie nicht anerkannt werden. Außerdem liegt es am Hersteller, sich nicht auf einen solchen Vertrag einzulassen. 487 Der Verzögerungsschaden nach §§ 280 Abs. 1 u. 3, 286 BGB würde z. B. auch den Schaden umfassen, der dadurch entsteht, dass ein Produkt verspätet auf den Markt gebracht werden kann, also entgangener Gewinn, Lagerkosten, etc.

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sollte ein solcher Fall nicht auftreten. Außerdem wäre die staatliche Aufsicht gefordert, dafür zu sorgen, dass die Benannten Stellen nicht ohne Grund Vertragsangebote von Herstellern nicht annehmen. Daneben bliebe noch die Möglichkeit, generell einen Kontrahierungszwang für Benannte Stellen anzunehmen 488. Grundsätzlich enthält die verfassungsrechtlich gewährleistete (Art. 2 Abs. 1 GG) Privatautonomie auch das Recht der Vertragsfreiheit, wozu auch die Abschlussfreiheit gehört, das heißt das Recht, frei zu entscheiden, ob und mit wem Verträge abgeschlossen werden 489. In einigen Bereichen – vor allem bei Leistungen der Daseinsvorsorge – bestehen jedoch als Ausfluss des Sozialstaatsprinzips gesetzliche Abschlusspflichten 490. Daneben werden aus § 20 Abs. 1 i. V. m. § 33 GWB Kontrahierungszwänge für Monopoloder marktbeherrschende Unternehmen abgeleitet, sofern diese andere Unternehmen ungleich behandeln und sie dadurch unbillig benachteiligen 491. Als letztes Mittel bleibt § 826 BGB, der im Falle von Monopolstellungen in Bezug auf lebenswichtige Dienstleistungen ebenfalls Abschlusspflichten begründen kann 492. Voraussetzungen für einen Kontrahierungszwang sind demnach zusammenfassend das Angewiesensein des Interessenten auf eine bestimmte Dienstleistung, das Fehlen einer zumutbaren Ausweichmöglichkeit für den Interessenten und die fehlende sachliche Begründung der Ablehnung seines Angebots 493. Vor allem wenn der Leistungserbringer mit gemeinwohlverpflichteten Aufgaben betraut ist, soll ein Abschlusszwang nahe liegen 494. Ein anderer, ebenso wichtiger, Aspekt wird bei der Kfz-Pflichthaftpflichtversicherung deutlich: Da der Gesetzgeber jeden Autohalter zur Haftpflichtversicherung seines Fahrzeugs zwingt, muss er im Gegenzug dafür Sorge tragen, dass auch jeder Halter von einer Versicherung als Vertragspartner akzeptiert wird; daher der Kontrahierungszwang in §§ 1, 5 Abs. 2 PflVG 495.

Hersteller bestimmter Produkte dürfen diese nur in Verkehr bringen, wenn sie eine Benannte Stelle beteiligen und diese die Sicherheit des Produkts oder die Funktionsfähigkeit des Qualitätssicherungssystems zertifiziert. Die Hersteller sind damit elementar auf den Vertrag mit einer Benannten Stelle angewiesen, weil sie ohne diesen keine Produkte auf den Markt bringen können. Wenn in einer

488

So Weiß, Produktsicherheit, S. 354 f. Larenz/Wolf , BGB AT, § 34 Rdn. 22, 24. 490 Überblick dazu und über die entspr. Normen bei Larenz/Wolf , BGB AT, § 34 Rdn. 31 f. und Bork, in: Staudinger, BGB, Vorbem zu §§ 145 –156 Rdn. 17. 491 Larenz/Wolf , BGB AT, § 34 Rdn. 36. 492 Medicus, SchuldR AT, § 11 Rdn. 81; Wolf, in: Soergel, BGB, Vor § 145 Rdn. 53. Kramer, in: MüKoBGB, Vorbem §§ 145 ff. Rdn. 13, spricht – moderner – davon, dass es um Leistungen gehen muss, bei denen das Interesse der Gesamtheit verlangt, dass jeder Zugang zu ihnen hat. 493 Larenz/Wolf , BGB AT, § 34 Rdn. 33; Medicus, SchuldR AT, § 11 Rdn. 84; Bork, in: Staudinger, BGB, Vorbem zu §§ 145 – 156 Rdn. 22. 494 Wolf, in: Soergel, BGB, Vor § 145 Rdn. 53. 495 Zu diesem Gedanken Medicus, SchuldR AT, § 11 Rdn. 81. 489

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2. Teil: Referenzbereiche

bestimmten Branche oder einer Region nur ein oder wenige Zertifizierer anerkannt sein sollten, haben diese ein Monopol beziehungsweise eine marktbeherrschende Stellung; für den Hersteller bestünde keine Ausweichmöglichkeit. Die Benannte Stelle darf daher Interessenten nicht ungleich behandeln und sie dadurch unbillig behindern, das heißt sie darf nicht die Angebote einzelner Hersteller ablehnen und diesen dadurch den Marktzugang versperren. Daher bestünde schon aus §§ 20 Abs. 1, 33 GWB eine Pflicht zum Abschluss eines Vertrages mit dem Hersteller. Aber auch wenn eine Benannte Stelle keine marktbeherrschende Position inne hat, bietet sie doch eine Leistung von allgemeinem Interesse (Produktsicherheit) an; der Gesetzgeber hat ihre Beteiligung für Hersteller verpflichtend vorgeschrieben (und damit den Benannten Stellen einen Markt, das heißt Umsatz und Gewinn, garantiert), so dass im Gegenzug auch eine Verpflichtung der Benannten Stellen zum Abschluss von Verträgen beziehungsweise ein Verbot der Ablehnung von Angeboten ohne sachlichen Grund anerkannt werden muss. Dafür spricht auch, dass die Benannten Stellen öffentliche Aufgaben übernehmen und in gewissem Sinne die Funktion einer Behörde wahrnehmen, welche die Anträge auch nicht ohne weiteres ablehnen könnte. Schließlich würde auch die Vorgabe der Produktsicherheitsrichtlinien, wonach der Hersteller seine Benannte Stelle frei wählen kann, konterkariert, wenn dem Hersteller keine Benannten Stellen zur Auswahl zur Verfügung stünden. Sollte demnach trotz des (europaweiten) Wettbewerbs unter Benannten Stellen einem Hersteller ohne sachlichen Grund der Abschluss eines Vertrages verweigert werden, kann dieser gegenüber der Benannten Stelle einen Kontrahierungszwang geltend machen. bb) Sicherung der Verfahrensrechte Als Folge der vertraglichen Ausgestaltung des Rechtsverhältnisses zwischen Benannter Stelle und Hersteller stehen letzterem nicht die Schutzbestimmungen des VwVfG (z. B. §§ 24, 25, 28, 30 VwVfG) und auch nicht die Rechtsschutzmöglichkeiten der VwGO zur Verfügung. Zieht sich der Staat aus der Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe zurück und überlässt er diese privaten Stellen, muss er zumindest dafür sorgen, dass die „Verfahren“ der Privaten grundlegenden Anforderungen an Fairness, Neutralität und Offenheit ebenso genügen wie staatliche Verwaltungsverfahren. Würden staatliche Behörden die Konformitätsbewertung durchführen, wären sie verpflichtet, ihre Entscheidungen zu begründen, Rechtsschutzmöglichkeiten gegen nachteilige Entscheidungen vorzusehen, die Betriebsund Geschäftsgeheimnisse zu wahren, keine unverhältnismäßigen Kontrollmaßnahmen durchzuführen, etc. Beratung, Auskunft und Anhörung finden jedoch in der Praxis weit ausführlicher statt, als dies die §§ 25, 28 VwVfG vorschreiben würden, denn die Auditierung eines Unternehmens beruht geradezu auf ausführlichen Gesprächen, Kooperati-

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on und der gemeinsamen Suche nach Lösungen. Von daher ist es auch kaum erforderlich, dass § 18 Abs. 2 MPG eine Anhörungspflicht bei Aufhebung der Zertifizierung statuiert, denn die Benannte Stelle entscheidet nicht als unabhängiger Amtsträger, sondern als Vertragspartner, der auf weitere Aufträge hofft und schon deshalb keine überraschenden Entscheidungen ohne vorherige Information seines Auftraggebers erlassen wird. Der Amtsermittlungsgrundsatz des § 24 VwVfG würde auch bei einer Beleihung durch umfangreiche Mitwirkungspflichten des Herstellers (Beibringung von Dokumenten) stark beschränkt. Schließlich sind Benannte Stellen auf Grund vertraglicher Neben- und Sorgfaltspflichten genauso wie die Verwaltung zur Geheimhaltung verpflichtet, wie es von den EG-Richtlinien und dem Modulbeschluss verlangt wird 496. Dies wird bei Einzelprüfungen dadurch abgesichert, dass die Pflicht des Herstellers zur Vorlage von Informationen beschränkt wird auf die Informationen, welche die Benannte Stelle zur Bewertung der Übereinstimmung des Produkts mit dem Baumuster benötigt 497. Sofern aber die Benannte Stelle bei Qualitätssicherungssystemen umfassende Informationen benötigt, kann der Vertraulichkeitsschutz letztendlich nur durch Schadensersatzansprüche bei Verstößen gewährleistet werden. Die Herausgabe vertraulicher Informationen stellt eine Vertragsverletzung dar (§ 280 Abs. 1 BGB) und berechtigt den Hersteller zu Schadensersatz, genauso wie er gegenüber dem Träger eines Beliehenen Amtshaftungsansprüche hätte. Schließlich sehen die Anerkennungsbestimmungen vor, dass nur solche Zertifizierungsstellen anerkannt werden, die Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse wahren, haftpflichtversichert sind und die vorgeschriebenen Verfahren einhalten 498. Im Rahmen der Anerkennung kann somit der Schutz der Rechte des Herstellers gewährleistet werden. Die Rechtsschutzmöglichkeiten des Herstellers gegen die Benannte Stelle entstammen zwar nicht der VwGO, sind aber dennoch ausreichend. Mittels Leistungsoder Unterlassungsklagen können die vertraglichen Rechte durchgesetzt werden (auch im Wege einstweiligen Rechtsschutzes). Ein Widerspruchsverfahren im Sinne der §§ 68 ff. VwGO findet im Zivilrecht zwar kein Äquivalent; würde über den Widerspruch aber nur der Beliehene selbst entscheiden (s. o. § 4 C. III. 3.), wäre für den Rechtsschutz ohnehin nicht viel gewonnen. Auch kann vertraglich ein Einspruchsrecht des Herstellers vorgesehen sein bzw. eine vorherige Konsultation der Benannten Stelle mit dem Hersteller bei geplanten Aufhebungen des Zertifikats ohnehin geboten sein, um Schadensersatzprozesse zu vermeiden.

496 497 498

Anhang I. A. lit. j Modulbeschluss. Anhang I. A. lit. j Modulbeschluss; Anhang VI Ziff. 5 Aufzug-RL. § 9 Abs. 2 S. 2 Nr. 4 – 6 GSG i. V. m. § 21 Abs. 1 GPSG.

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2. Teil: Referenzbereiche

c) Ergebnis Das Konformitätsbewertungsverfahren muss nach dem soeben Dargestellten nicht öffentlichrechtlich ausgestaltet sein. Das zivilrechtliche Vertragsrecht ist ausreichend, um die nötigen Befugnisse der Benannten Stelle gegenüber dem Hersteller und die Rechte der Herstellers gegenüber der Benannten Stelle zu gewährleisten.

E. Zusammenfassung: Struktur der Regulierten Selbstregulierung im Produktsicherheitsrecht I. Rechtlicher Zwang zur Durchführung eines Konformitätsbewertungsverfahrens unter Einbeziehung einer Benannten Stelle Das Inverkehrbringen von bestimmten Produkten ist nicht völlig verfahrensfrei gestellt; es muss eine „Freigabe“ des Produkts erfolgen. Anders als im klassischen Sicherheitsrecht handelt es sich bei dieser Freigabe aber nicht um ein präventives Verbot mit Erlaubnisvorbehalt 499. Die Freigabe erfolgt nicht durch eine Genehmigung in Form eines Verwaltungsakts, sondern durch das CE-Zeichen, das der Hersteller selbst anbringt. Dieses CE-Zeichen soll dokumentieren, dass das gekennzeichnete Produkt den gesetzlichen Sicherheitsanforderungen entspricht. Da es der Hersteller selbst ist, der sein Produkt mit dem CE-Zeichen versieht, besteht die Gefahr, dass er auch unsichere Produkte, die den gesetzlichen Sicherheitsanforderungen nicht entsprechen, damit kennzeichnet. Deswegen trägt bei Produkten mit höherem Schadenspotential neben dem Hersteller auch noch eine Benannte Stelle die Verantwortung für die rechtmäßige Verwendung des CEZeichens. Nur wenn diese im Unternehmen oder an den Produkten die vorgeschriebenen Konformitätsbewertungsverfahren durchgeführt hat, ist der Hersteller zur Verwendung des CE-Zeichens berechtigt. Will ein Hersteller seine Produkte in Verkehr bringen, muss er also oft eine Benannte Stelle einschalten. Eine Prüfung durch eine Benannte Stelle ist demnach (bei bestimmten Produkten) obligatorisch.

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Dazu Maurer, AllgVwR, § 9 Rdn. 51.

§ 4 Produktzertifizierung im Produktsicherheitsrecht

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II. Produktsicherheitsgewährleistung auch bei privatrechtlicher Ausgestaltung Die Benannten Stellen sind überwiegend Privatrechtssubjekte, die nicht mit Hoheitsgewalt beliehen sind. Das Verhältnis zum Hersteller stellt sich als zivilrechtliches Vertragsverhältnis dar. Die obligatorische Einschaltung einer Benannten Stelle erfolgt über einen privatrechtlichen Auftrag. Da die Benannten Stellen zueinander in Wettbewerb stehen und auf eine Beauftragung durch einen Hersteller angewiesen sind, besteht die Gefahr, dass die Stellen die Konformitätsbewertung nicht neutral und unabhängig durchführen, sondern entsprechend dem Willen ihres Auftraggebers. Um die Sicherheit der Produkte zu gewährleisten, muss daher dafür gesorgt werden, dass die Bewertung der Benannten Stellen strikt an den gesetzlichen Sicherheitsanforderungen ausgerichtet ist. Die Konformität darf deshalb nicht von jedem privaten Zertifizierungsdienstleister bewertet werden. Diejenigen Zertifizierungsstellen, die dem Hersteller zu einem CE-Zeichen verhelfen können, müssen bestimmten rechtlichen Anforderungen genügen, staatlich anerkannt sein und unterliegen der hoheitlichen Aufsicht. Auch das Zertifizierungsverfahren ist den Vertragsparteien nicht freigestellt, sondern muss sich am gesetzlichen Leitbild orientieren. Ist derart sichergestellt, dass die Benannten Stellen befähigt und willens sind, für die Einhaltung der Sicherheitsstandards durch den Hersteller zu sorgen, kann sich der Staat auf eine Kontrolle der privaten Kontrolleure zurückziehen. Eine hoheitliche Produktzulassung oder Markteröffnungskontrolle findet deshalb für die von der Neuen Konzeption erfassten Produkte nicht statt. III. Normsetzung und Normvollzug Wie schon im Jugendmedienschutz begegnet auch im Produktsicherheitsrecht die Trennung zwischen Normsetzung und Normvollzug, wobei hier bei der Normsetzung noch zwischen der hoheitlichen Setzung der grundlegenden Sicherheitsanforderungen und der Detailnormierung durch die Privaten zu unterscheiden ist. Die Neue Konzeption basiert auf der Normung durch private Organisationen. Allerdings ist der Vollzug der Normen von ihrer Setzung getrennt. Selbstregulierung erfolgt nicht in der Form, dass ein Wirtschaftsverband, der für seine Mitglieder Regeln erstellt, deren Einhaltung auch überprüft und durchsetzt. Zum einen sind die Normungsgremien zur sachlich-neutralen Normsetzung in technischen Fragen berufen und nicht als Vertreter der Wirtschaft zur Setzung von Verhaltensregeln. Zum anderen stehen die Normungsinstitutionen in keiner Beziehung zu den Benannten Stellen, welche die Einhaltung der Normen kontrollieren; für letztere besteht im Grunde kein Unterschied, ob sie die Übereinstimmung eines Produkts

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2. Teil: Referenzbereiche

mit staatlich gesetzten Normen oder mit Normen von CEN, CENELEC oder ETSI überprüfen. Wie bei den Selbstkontrolleinrichtungen im Jugendmedienschutz sind auch die Benannten Stellen somit ausschließlich für die Normsetzung zuständig.

§ 5 Umweltrecht: Öko-Audit Auch das Umweltrecht kennt in Form des Umwelt- oder Öko-Audits einen Anwendungsbereich für Regulierte Selbstregulierung 500. Die ursprünglich von der Privatwirtschaft in den USA entwickelten, an betriebswirtschaftlichen Betriebsprüfungen (Audits) ausgerichteten Umweltaudits 501 werden inzwischen in Europa durch die EMAS-VO der Europäischen Gemeinschaft und in Deutschland durch das Umweltauditgesetz (UAG) aufgegriffen und öffentlichrechtlich umrahmt.

A. Funktionsweise und Ziele von EMAS Mit der EMAS-VO (EMAS = Eco-Management and Audit Scheme) führt die Europäische Gemeinschaft unionsweit ein freiwilliges System für Umweltmanagement und Umweltbetriebsprüfungen zur Verbesserung des betrieblichen Umweltschutzes ein; damit wird ein Zertifizierungssystem wie im Produktsicherheitsrecht etabliert 502. Im Gegensatz zum Produktsicherheitsrecht (das zum Teil auch den produktbezogenen Umweltschutz 503 beinhaltet), ist die Teilnahme von Unternehmen am Umweltaudit aber nicht verpflichtend (Art. 1 Abs. 1 EMAS-VO). Dennoch bestehen zwischen dem System der EMAS-VO und dem System des Globalen Konzepts im Produktsicherheitsrecht (s. o. § 4 A. II. 2.) zahlreiche strukturelle Parallelen. Das Umweltauditrecht verfolgt mehrere Ziele. Zum einen soll der Umweltschutz verbessert werden, indem die Eigenverantwortung der Unternehmen gestärkt wird und diese im Rahmen einer gründlichen Analyse (Art. 1 Abs. 2 EMAS-VO) ihrer Umweltleistungen (Ressourcenverbrauch, Emissionen, Energieverbrauch, etc.) – schon aus Kostengründen – Optimierungspotenziale aufdecken und mittels eines geeigneten Umweltmanagementsystems für eine kontinuierliche Überwachung und Verbesserung der Umweltbilanz des Unternehmens sorgen. Das Audit ist somit ein Instrument zur systematischen Erfassung und Überprüfung der unternehmensinternen Stoffkreisläufe, des Risikopotenzials und der Aufbau- und Ablauforganisation im Unternehmen 504.

500

Schneider, Öko-Audit, S. 97; Schickert, Der Umweltgutachter, S. 99. Zur Entstehungsgeschichte Lechelt, Hdbuch Umweltaudit, A Rdn. 65; Groß, ÖkoAudit-System, S. 28 ff. 502 Lübbe-Wolff , DVBl 1994, 361. 503 S. Jörissen, Produktbezogener Umweltschutz, passim. 501

§ 5 Umweltrecht: Öko-Audit

227

Daneben ist das Umweltaudit aber auch ein Instrument zur verbesserten Durchsetzung des staatlichen Umweltrechts und zur Verringerung eines etwaigen Vollzugsdefizits 505. Bei der Durchführung von EMAS müssen sich die Unternehmen darüber klar werden, welche Vorschriften für sie gelten und ob sie diese einhalten. Das Umweltmanagementsystem muss für die Erfüllung der Umweltvorschriften sorgen. Und die Aufgabe des externen Umweltgutachters ist zwar nicht primär die Kontrolle der Rechtskonformität des Unternehmens, trotzdem führt er entsprechende Prüfungen durch und entlastet damit teilweise die behördliche Überwachung. Schließlich soll EMAS mittels der zu veröffentlichenden Umwelterklärung auch zu einer verbesserten Kommunikation und einem Informationsaustausch zwischen Unternehmen und der Öffentlichkeit führen 506; die Öffentlichkeit kann dabei zugleich dazu beitragen, das Vollzugsdefizit zu verringern, indem Bürger oder Konkurrenten bei den staatlichen Aufsichtsbehörden oder den Gerichten auf Grund der erlangten Informationen auf etwaige Defizite hinweisen und deren Beseitigung einfordern 507. Was EMAS hingegen nicht beinhaltet, ist die Setzung materieller Umweltstandards, also zum Beispiel bestimmter Grenzwerte oder Verbote bestimmter Produktionsweisen oder Stoffe. Das Umweltaudit setzt vollständig auf einen „Umweltschutz durch Verfahren“. Formaler Anknüpfungspunkt des EMAS 508-Systems ist die Registrierung eines Unternehmens, das heißt dessen Eintragung in das EMAS-Verzeichnis. Nur registrierte Unternehmen können sich auf die unten darzustellenden Verfahrenserleichterungen berufen. Die Registrierung (die in Deutschland von den Industrieund Handelskammern vorgenommen wird) erfolgt aber nur, wenn das Unternehmen eine Umwelterklärung nach der EMAS-VO erstellt hat und diese von einem privaten unabhängigen Umweltgutachter für gültig erklärt (validiert) worden ist. Die Umwelterklärung und ihre Validierung ist daher der entscheidende Faktor des Umweltauditsystems 509. Bei der Prüfung der Umwelterklärung beurteilt der Umweltgutachter allerdings nicht nur die Einhaltung der Vorschriften der EMAS-VO für die Umwelterklärungen, sondern auch, ob die anderen Anforderungen der EMAS-VO erfüllt werden: Die Unternehmen müssen eine betriebliche Umweltpolitik entwickeln, die eine (Selbst-)Verpflichtung zur Einhaltung aller gesetzlichen Vorschriften und zur

504

Groß, Öko-Audit-System, S. 28. Schneider, DV 28 (1995), 361; Lechelt, Hdbuch Umweltaudit, A Rdn. 121; Schneider, Öko-Audit, S. 116. 506 Lübbe-Wolff , DVBl 1994, 361 (362). 507 Zur Mobilisierung des Bürgers zur Durchsetzung des Rechts durch EMAS Masing, Mobilisierung des Bürgers, S. 26 ff. 508 Zum Begriff „EMAS“ als Schlüsselbegriff Jarass, DVBl 2003, 298. 509 Schottelius, BB-Beil. 2/1997, 3. 505

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2. Teil: Referenzbereiche

kontinuierlichen Verbesserung des betrieblichen Umweltschutzes enthält 510. Aus dieser Umweltpolitik werden Umweltziele (die konkret und quantifizierbar sein müssen) ermittelt und Umweltprogramme, das heißt konkrete Maßnahmen zur Erreichung dieser Ziele, erstellt. Im Rahmen einer einmaligen Umweltprüfung muss das Unternehmen zu Beginn einer EMAS-Teilnahme den eigenen Status (Umweltstatus und Umweltrechtsstatus = Ist-Zustand) und den Soll-Zustand ermitteln. Anschließend muss ein Umweltmanagementsystem installiert werden und regelmäßig interne Umweltbetriebsprüfungen durchgeführt werden, die zeigen sollen, ob die Umweltprogramme durchgeführt werden und das Umweltmanagementsystem funktioniert. Die Ergebnisse dieser unternehmensinternen Umweltbetriebsprüfungen fließen in die Umwelterklärung ein, die der Umweltgutachter als Grundlage für die Eintragung ins EMAS-Verzeichnis im Rahmen einer unternehmensexternen Prüfung validieren muss. Die Prüfung und Validierung durch den Umweltgutachter muss in regelmäßigen Abständen wiederholt werden; geschieht dies nicht oder erfüllt ein Unternehmen die Anforderungen nicht mehr, erfolgt eine Streichung aus dem EMAS-Register. Von entscheidender Bedeutung im EMAS-System ist, wie daraus ersichtlich wird, der Umweltgutachter, der die Einhaltung der EMAS-VO durch das Unternehmen prüfen und bestätigen muss. Umweltgutachter sind natürliche Personen oder juristische Personen des Privatrechts, die auf der Grundlage eines Werkvertrags mit dem Unternehmen agieren. Allerdings müssen sie vorher öffentlichrechtlich zugelassen werden und unterliegen der Aufsicht durch die Zulassungsstelle. Die Teilnahme an diesem System ist nicht verbindlich 511; die Mitgliedstaaten können in ihren Rechtsordnungen rechtliche Anreize für eine Teilnahme schaffen 512, müssen dies aber nicht tun. Aus gemeinschaftsrechtlicher Sicht kann die Teilnahme „nur“ zu Kosteneinsparungen und gesteigertem Ansehen in der Öffentlichkeit 513 führen. In der Bundesrepublik Deutschland sehen manche umweltrechtlichen Gesetze und die EMAS-Privilegierungsverordnung (EMAS-PrivilegV) gewisse Erleichterungen bei umweltrechtlichen Verfahren für eingetragene Unternehmen vor, jedoch keine Absenkung materieller Standards oder Ersetzung von Behördenentscheidungen. Trotz dieser relativ geringen Anknüpfung des staatlichen Umweltrechts an private Entscheidungen und Bewertungen ist auch die Selbstkontrolle durch private Umweltgutachter öffentlichrechtlich reguliert 514.

510

Dazu ausf. Schickert, Der Umweltgutachter, S. 293 ff. Anfang 2006 waren in Deutschland rund 1.500 Unternehmen registriert (Quelle: Statistik des Umweltgutachterausschusses, www.uga.de). 512 Erwägungsgrund 15 EMAS-VO. 513 Erwägungsgrund 9 EMAS-VO. 511

§ 5 Umweltrecht: Öko-Audit

229

B. Rechtsgrundlagen und Akteure I. Rechtsgrundlagen 1. Europäisches Recht Grundlage des Umweltaudits ist die VO 761/2001/EG 515 über die freiwillige Beteiligung von Organisationen an einem Gemeinschaftssystem für das Umweltmanagement und die Umweltbetriebsprüfung (EMAS II) vom 19. 03. 2001, die die VO 1836/93/EWG vom 29. 06. 1993 (EMAS I) ersetzt. Obwohl es sich dabei um eine Verordnung handelt, die nach Art. 249 Abs. 2 EGV unmittelbare Geltung erlangt und keiner Umsetzung durch nationale Gesetze bedürfte, ist die EMAS-VO nicht als abschließende und vollzugsfähige Regelung konzipiert 516, sondern auf Ausfüllung durch die Mitgliedstaaten angelegt 517. Die Kompetenz der Europäischen Gemeinschaft zum Erlass der EMAS-VO ergibt sich aus der Umweltkompetenz in Art. 175 Abs. 1 EGV 518. 2. Nationales Recht Die EMAS-VO überlässt die Regelungen zur Zulassung von und Aufsicht über Umweltgutachter den Mitgliedstaaten 519. Die Bundesrepublik Deutschland hat hierzu das Umweltauditgesetz (UAG) vom 7. 12. 1995 erlassen 520, sowie darauf gestützt die UAG-Beleihungsverordnung und die UAG-Zulassungsverfahrensverordnung. Nach der Revision der ersten EMAS-VO erließ die Bundesrepublik des Weiteren die EMAS-Privilegierungsverordnung (EMAS-PrivilegV) 521. Die Gesetzgebungskompetenz des Bundes ergibt sich dafür aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 1, 11, 11a, 18, 24 und Art. 75 Abs. 1 S. 1 Nr. 3, 4 GG a. F. 522 i. V. m. Art. 125a 514 Weswegen EMAS insgesamt auch ein öffentlichrechtliches Regelwerk ist (Langerfeldt, NVwZ 2002, 1156) und nicht nur privatrechtliche Normen für die interne organisatorische Ausgestaltung von Unternehmen aufstellt. 515 ABlEG L 114/1 vom 24. 04. 2001. 516 Lechelt, Hdbuch Umweltaudit, A Rdn. 1, 77 ff. 517 Langerfeldt, NVwZ 2002, 1156 (1157): nationales „Ergänzungsrecht“. 518 Lechelt, Hdbuch Umweltaudit, A Rdn. 74 noch zu Art. 130s EGV a. F. 519 Lübbe-Wolff , NuR 1996, 217 (218); Lechelt, Hdbuch Umweltaudit, A Rdn. 83. 520 BGBl I S. 1591. 521 Vom 24. 6. 2002, BGBl I S. 2247, zuletzt geändert durch Art. 6 des Gesetzes zur Umsetzung von Vorschlägen zu Bürokratieabbau und Deregulierung aus den Regionen vom 21. 6. 2005, BGBl I S. 1666. 522 In der Fassung bis zum Inkrafttreten der „Föderalismusreform“ (Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 28. 08. 2006, BGBl I S. 2034) am 01. 09. 2006. Langerfeldt, NVwZ 2002, 1156 (1158); Lechelt, Hdbuch Umweltaudit, A Rdn. 83.

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2. Teil: Referenzbereiche

Abs. 1 GG n. F.; auch die Erforderlichkeit im Sinne des Art. 72 Abs. 2 GG a. F. war gegeben 523. Die Verwaltungskompetenz zur Einrichtung des Umweltgutachterausschusses beim Bundesumweltministerium folgt aus Art. 87 Abs. 3, Art. 86 GG. II. Akteure Fand in den bisher dargestellten Referenzgebieten nur eine Erweiterung der Zweierbeziehung zwischen Aufsicht und Unternehmen um die private (anerkannte) Stelle statt, ist das Beziehungsgeflecht beim Umweltaudit bedeutend komplexer 524. An die Stelle einer einheitlichen Zulassungs- und Aufsichtsbehörde treten hier das Bundesumweltministerium (BMU) als oberste Aufsichtsbehörde, die beliehene DAU GmbH als Zulassungs- und Aufsichtsstelle und der Umweltgutachterausschuss beim BMU, der verbindliche Richtlinien für Zulassung und Aufsicht erlässt. 1. DAU GmbH Die Deutsche Akkreditierungs- und Zulassungsgesellschaft für Umweltgutachter mbH (DAU) wirkt als nationale Zulassungs- und Aufsichtsstelle für Umweltgutachter im EMAS-System. Zwar handelt es sich bei ihr um eine juristische Person des Privatrechts, hinter der als Gesellschafter auch nicht die öffentliche Hand, sondern (allein) die Wirtschaftsverbände 525 stehen; allerdings ist die DAU GmbH durch die UAG-Beleihungsverordnung mit hoheitlichen Befugnissen ausgestattet worden (§ 1 UAG-BeleihungsVO), so dass sie bei der Zulassung von und Aufsicht über Umweltgutachter in Ausübung von Hoheitsgewalt handelt. Die Zulassung der Umweltgutachter ist daher ein Verwaltungsakt, gegen dessen Versagung als Rechtsbehelf der Widerspruch zur Verfügung steht, über den das Bundesverwaltungsamt entscheidet (§ 24 UAG). Im Anschluss daran bleibt die Verpflichtungsklage nach § 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO möglich. Neben der Zulassung liegt die Hauptaufgabe der DAU in der Überwachung der zugelassenen Umweltgutachter. Im Rahmen des Umweltaudits erfolgt die „Kontrolle der Kontrolleure“ also nicht durch staatliche Stellen, sondern im Grunde wiederum durch die Wirtschaft selbst. Um allerdings der staatlichen Letztverantwortung gerecht zu werden,

523

Langerfeldt, NVwZ 2002, 1156 (1158). Graphische Übersicht bei Bohne (Hrsg.), Umweltaudit-Erfahrungen, S. 12. 525 Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI), Deutscher Industrie- und Handelskammertag (DIHK), Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) und der Bundesverband der freien Berufe (BfB). 524

§ 5 Umweltrecht: Öko-Audit

231

werden die inhaltlichen Anforderungen an die Aufsicht durch verbindliche Richtlinien des – auch mit Behördenvertretern besetzten – Umweltgutachterausschusses festgelegt und unterliegt die DAU der Aufsicht durch das BMU. 2. Umweltgutachterausschuss Der Umweltgutachterausschuss (UGA) 526 ist eine teilrechtsfähige Körperschaft des Öffentlichen Rechts 527, die beim Bundesumweltministerium eingerichtet ist. Er ist pluralistisch besetzt mit Vertretern der Wirtschaft, der Umweltgutachter, der staatlichen Wirtschafts- und Umweltbehörden, Umweltverbände und Gewerkschaften 528 und deshalb gewissermaßen das „Scharnier zwischen Verwaltung und privater Selbstorganisation“ 529; die 25 ehrenamtlichen Mitglieder wechseln alle drei Jahre. Der UGA nimmt keine unmittelbar nach außen wirkenden Maßnahmen vor. Stattdessen berät er das BMU in Fragen des Umweltaudits. Seine Hauptaufgabe besteht darin, für die Zulassungsstelle (das heißt die DAU GmbH) verbindliche Richtlinien in Bezug auf die Zulassung und Überwachung der Umweltgutachter zu erlassen. Der Ausschuss ist damit Teil der Gewährleistungsaufsicht 530. Die Richtlinien stellen Verwaltungsvorschriften im Sinne des Art. 86 GG dar 531. Bereits ergangen sind unter anderem die UAG-Aufsichtsrichtlinie 532 und die FachkundeRichtlinie 533. Die EMAS-VO macht in Art. 4 Vorgaben für die nationalen Zulassungssysteme. Art. 4 Abs. 1 UAbs. 2 EMAS-VO verlangt vor allem eine Zusammensetzung der Zulassungsstelle, die eine neutrale und unabhängige Aufgabenwahrnehmung gewährleistet. Die Zuweisung der Aufgabe an eine weisungsgebundene Behörde hätte diese Voraussetzung nicht erfüllt; und auch die Übertragung der Aufgabe in die Selbstregulierung der Wirtschaft wäre nicht ausreichend gewesen. Vor allem der Wortlaut des Art. 4 Abs. 1 EMAS-VO, der speziell an die Besetzung bestimmte Anforderungen stellt, um die Unabhängigkeit zu gewährleisten, spricht für das Erfordernis einer pluralistischen Besetzung, die bei der DAU GmbH naturgemäß 526

Zum UGA umfassend Ewer, Umweltgutachterausschuß, passim. Ewer, Umweltgutachterausschuß, S. 66, 137. 528 Sechs Vertreter der Wirtschaft, vier der Umweltgutachter, neun der staatlichen Behörden (Bund und Länder), drei der Gewerkschaften und drei der Umweltverbände; zur Zusammensetzung und den Qualifikationserfordernissen für die Mitgliedschaft Ewer, Umweltgutachterausschuß, S. 139 f. 529 Schneider, DV 28 (1995), 361 (371). 530 Voßkuhle, VVDStRL 62 (2003), 266 (322 Fn. 243). 531 Ewer, Umweltgutachterausschuß, S. 79 ff. 532 Vom 22. 06. 2004, BAnz Nr. 155 vom 19. 08. 2004, S. 18570. 533 Vom 22. 06. 2004, BAnz Nr. 155 vom 19. 08. 2004, S. 25532. 527

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2. Teil: Referenzbereiche

nicht erfüllt ist, jedoch beim UGA. Da die Zulassung und Überwachung im Zusammenwirken von DAU und UGA erfolgt, dürfte den Anforderungen des Art. 4 Abs. 1 EMAS-VO Genüge getan sein. Auch ist der Umweltgutachterausschuss weisungsfrei, sowohl vom BMU als auch von den Behörden und Verbänden, deren Vertreter im UGA sitzen 534. Daraus ergeben sich auch die Bedenken bezüglich der Verfassungsmäßigkeit des UGA, die zum Teil geltend gemacht werden 535. Der Umweltgutachterausschuss agiert in einem ministerialfreien Raum und damit ohne direkte sachlich-inhaltliche demokratische Legitimation. Auf Grund der immerhin vorhandenen organisatorisch-personellen Legitimation 536 (alle Mitglieder des Umweltgutachterausschusses müssen vom BMU ernannt werden), der Vorgaben des Art. 4 Abs. 1 EMASVO, weil dem Ausschuss keine Aufgaben von politischer Tragweite übertragen wurden 537 (sondern „nur“ der Verwaltungsvollzug) und weil der Ausschuss nur als internes Beratungsgremium ohne Außenwirkung agiert, ist er noch mit dem GG vereinbar 538. 3. Bundesumweltministerium Das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU) ist die oberste Aufsichtsbehörde im Umweltauditsystem. Seiner Aufsicht unterstehen sowohl die DAU GmbH als auch der Umweltgutachterausschuss (§§ 27–29 UAG), hingegen nicht die Umweltgutachter selbst (die der Aufsicht der DAU GmbH unterstehen). a) Aufsicht über die DAU GmbH Die DAU GmbH als Zulassungs- und Aufsichtsstelle für die Umweltgutachter unterliegt ihrerseits wiederum der Aufsicht durch das BMU 539. Dabei handelt es sich grundsätzlich nur um eine Rechtsaufsicht (§ 29 S. 2 Hs. 1 UAG); in Bezug auf die besonders bedeutsamen Entscheidungen der Zulassungsstelle nach den § 16 Abs. 2 (Untersagung der Tätigkeit als Umweltgutachter), § 17 Abs. 3 (Widerruf einer Zulassung als Umweltgutachter) und § 18 Abs. 2 UAG (Prüfung

534

Mayen, Hdbuch Umweltaudit, G Rdn. 53. Lübbe-Wolff , NuR 1996, 217 (220). 536 Schneider, Öko-Audit, S. 80; Ewer, Umweltgutachterausschuß, S. 301. 537 Schneider, Öko-Audit, S. 81 f.; Ewer, Umweltgutachterausschuß, S. 299; Schickert, Der Umweltgutachter, S. 268. 538 Mayen, Hdbuch Umweltaudit, G Rdn. 19; Schneider, Öko-Audit, S. 81 f.; Ewer, Umweltgutachterausschuß, S. 322 f.; Schickert, Der Umweltgutachter, S. 268. 539 Dazu Schickert, Der Umweltgutachter, S. 240 ff. 535

§ 5 Umweltrecht: Öko-Audit

233

der Zulassung von Gutachtern aus anderen EG-Mitgliedstaaten) übt das BMU hingegen auch die Fachaufsicht über Entscheidungen der DAU GmbH aus 540. Die Aufsichtsbefugnisse ergeben sich aus dem Beleihungsvertrag, der UAGZVV 541 und der UAGBV 542. b) Aufsicht über den UGA Über den Umweltgutachterausschuss übt das BMU nur die Rechtsaufsicht aus (§ 27 UAG). Dabei stehen ihm (nur) die im UAG abschließend aufgezählten präventiven und repressiven Aufsichtsmittel zur Verfügung 543: Entsendung eines Vertreters zu Sitzungen des UGA, Anforderung von Berichten und Akten, Anordnung bestimmter Maßnahmen des UGA und Ersatzvornahme und schließlich sogar die Auflösung des UGA. 4. Private zertifizierte Umweltgutachter Zur Regulierten Selbstregulierung wird das Umweltauditsystem durch den Umweltgutachter bzw. die Umweltgutachterorganisation – das Äquivalent zur anerkannten Einrichtung der Freiwilligen Selbstkontrolle im Jugendmedienschutz und zur Benannten Stelle im Produktsicherheitsrecht; dieser Beruf ist dem Leitbild des Wirtschaftsprüfers nachempfunden worden 544, weil auch das Umweltaudit der Wirtschaftsprüferpraxis entstammt. Umweltgutachter sind natürliche Personen, Umweltgutachterorganisationen juristische Personen des Privatrechts, die die Aufgabe der Validierung der Umwelterklärung übernehmen und damit die Voraussetzung für die Eintragung von Unternehmen in das EMAS-Register schaffen. Wenn im Folgenden von „Umweltgutachter“ die Rede ist, sind sowohl die Einzelperson als auch die Gutachterorganisation gemeint, weil zwischen beiden keine wesentlichen Unterschiede bestehen 545.

540 Schickert, Der Umweltgutachter, S. 240; a. A. Lübbe-Wolff , NuR 1996, 217 (220): insgesamt nur Rechtsaufsicht. 541 UAG-Zulassungsverfahrensverordnung i. d. F. der Bek. vom 12. 09. 2002 (BGBl I S. 3654). 542 UAG-Beleihungsverordnung vom 18. 12. 1995 (BGBl I S. 2013), geändert durch Art. 1 der Verordnung vom 13. 09. 2001 (BGBl I S 2427). 543 Ausf. Ewer, Umweltgutachterausschuß, S. 211 ff. 544 Lütkes, Hdbuch Umweltaudit, F Rdn. 7. 545 Außerdem überwiegt in Deutschland die Zahl der Einzelgutachter die der Organisationen bei weitem, vgl. www.dihk.de/inhalt/themen/innovationundumwelt/umweltberatung/umweltgutachter.pdf: Von 200 zugelassenen Umweltgutachtern sind lediglich 19 Umweltgutachterorganisationen.

234

2. Teil: Referenzbereiche

Ähnlich wie im Produktsicherheitsrecht geht das System von einer Vielzahl von Gutachtern aus, die zueinander in Wettbewerb stehen und unter denen ein Unternehmen die freie Auswahl hat. Jeder, der die Anforderungen der §§ 4–9 UAG erfüllt, hat einen Anspruch auf Zulassung als Umweltgutachter. Die Umweltgutachter sind – ebenso wie die Benannten Stellen – keine Beliehenen 546; dies ergibt sich daraus, dass ihnen per Gesetz keine Hoheitsbefugnisse übertragen wurden, nur die DAU GmbH per Verordnung ausdrücklich beliehen worden ist und schon die EMAS-VO selbst vorsieht, dass der Umweltgutachter zum Unternehmen in einer Vertragsbeziehung steht (Anhang V Ziff. 5.5.1 EMASVO). Vorrangig validiert der Umweltgutachter die Umwelterklärung der Unternehmen. Bevor er jedoch diese für gültig erklärt, prüft er auch, ob das Unternehmen eine Umweltpolitik und Umweltprogramme aufgestellt, die Umweltprüfung durchgeführt und ein funktionierendes Umweltmanagementsystem installiert hat; die Durchführung der Umweltprüfung und Umweltbetriebsprüfung selbst hingegen ist nicht Aufgabe des Umweltgutachters. Mit der Prüfung des „ob“ ist es allerdings nicht getan. Auch die Einhaltung der Anforderungen der EMAS-VO an Umweltpolitik, Umweltprüfung und Umweltmanagementsystem werden kontrolliert, so zum Beispiel ob die Umweltprogramme hinreichend konkrete und quantifizierbare Vorgaben enthalten, ob die Prüfer für die Umweltprüfung die nötige Qualifikation aufweisen oder ob das Umweltmanagementsystem schnell und zuverlässig genug auf auftretende Probleme reagiert 547. Zentraler Prüfungspunkt ist die Kontrolle der Umweltpolitik. Diese muss nach Anhang I-A Ziff. 2 EMAS-VO nicht nur eine Verpflichtung zur kontinuierlichen Verbesserung der Umweltleistungen enthalten, sondern vor allem auch eine (Selbst-)Verpflichtung zur Einhaltung aller relevanten Umweltgesetze und -vorschriften. Neben der Aufgabe der Validierung von Umwelterklärungen und den damit verbundenen Prüfungen sind nach deutscher Rechtslage Umweltgutachter auch berechtigt, Zertifikate nach Art. 9 Abs. 1 EMAS-VO zu erteilen (§ 9 Abs. 3 UAG). Für ein Unternehmen, das eine von der Kommission anerkannte Umweltnorm (zur Zeit vor allem die Reihe ISO 14000 ff.) erfüllt, dies in einem anerkannten Verfahren nachweist und ein Zertifikat von einem Umweltgutachter erhält, wird vermutet, dass es die entsprechenden Vorschriften der EMAS-VO erfüllt 548; soweit die Vorschriften der EMAS-VO in der Norm kein Äquivalent finden, muss das Unternehmen diese Vorschriften der EMAS-VO zusätzlich erfüllen. Das Unternehmen kann auf diese Weise die Eintragung in das EMAS-Register erreichen.

546

Röhl, Akkreditierung, S. 28 Fn. 26. Scholl, Sachverständige, S. 279 ff., v. a. S. 281 und ihm folgend Scherzberg, NVwZ 2006, 377 (379) bezeichnen den Umweltgutachter daher als „Verifikateur“. 548 Näher dazu Mittelstaedt, Hdbuch Umweltaudit, K Rdn. 24–30. 547

§ 5 Umweltrecht: Öko-Audit

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5. Unternehmen Der Großteil der Arbeit liegt bei den Unternehmen, die Umweltpolitik und Umweltprogramm aufstellen, Umweltmanagementsysteme installieren, Umweltbetriebsprüfungen durchführen und Umwelterklärungen abgeben. Zum Umweltmanagementsystem gehört eine interne Selbstkontrolle, die das umweltrelevante Verhalten des Unternehmens überwacht, aber auch die interne Auditierung des eigenen Umweltmanagementsystems. „Unternehmen“ ist dabei nicht auf die Privatwirtschaft zu reduzieren. Zwar sah noch die Vorgängerverordnung (VO 1836/ 93/EWG) die Anwendung des Öko-Audits nur für gewerbliche Betriebe vor; die EMAS-II-VO ist jedoch nun auf alle Wirtschaftszweige und auch auf öffentliche Unternehmen und Einrichtungen anwendbar 549. 6. Industrie- und Handelskammern, Handwerkskammern Die Industrie- und Handelskammern bzw. die Handwerkskammern führen das EMAS-Register und nehmen die Eintragungen bzw. Streichungen von Unternehmen vor (§ 32 UAG). Ein eigenes materielles Prüfungsrecht, ob ein Unternehmen die Vorgaben der EMAS-VO erfüllt, steht ihnen nicht zu; im Gegenzug besteht für die Zulassungsstelle (DAU) die Pflicht, die Eintragungsstelle über negative Ergebnisse der Aufsicht zu informieren (§ 15 Abs. 5 UAG). Auch richten die registerführenden Stellen eine Regelanfrage an die Umweltbehörden, ob diesen Rechtsverstöße des einzutragenden Unternehmens bekannt sind; bejahen die Behörden solche Verstöße, wird die Eintragung (trotz validierter Umwelterklärung) verweigert (§ 33 Abs. 3 S. 3 UAG) 550.

549 Langerfeldt, NVwZ 2002, 1156 (1158). Sogar einmalige Veranstaltungen können sich auditieren lassen; so wurde z. B. der katholische Weltjugendtag 2005 in Köln EMASzertifiziert! Das deutsche EMAS-Register ist unter www.emas-register.de einsehbar, die europaweite Liste auf der Homepage der Generaldirektion Umwelt der EG-Kommission (http://ec.europa.eu/environment/emas). 550 Näheres zum Eintragungsverfahren s. u. § 5 C. II. 1.

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2. Teil: Referenzbereiche

C. Das Umweltaudit im Vollzug des öffentlichen Umweltrechts I. Wirkungen des Umweltaudits 1. Öffentlichrechtliche Wirkungen a) Alte Rechtslage unter EMAS I Das Umweltaudit hat keine öffentlichrechtliche Bindungswirkung wie ein Gutachten der Freiwilligen Selbstkontrolleinrichtungen im Jugendmedienschutz oder wie das CE-Zeichen im Produktsicherheitsrecht. Das gemeinschaftsrechtliche und nationale Umweltrecht bleiben grundsätzlich unberührt (Art. 10 Abs. 1 EMASVO). Im Rahmen eines Umweltaudits erfolgt keine einer behördlichen Entscheidung vergleichbare umfassende Konformitätserklärung (wie etwa bezüglich der Sicherheit eines Produkts oder der Eignung einer Fernsehsendung für Jugendliche), die privaten Stellen führen keine Vorprüfung oder gar alleinige Beurteilung in Bezug auf die Einhaltung umweltrechtlicher Vorschriften durch. Der Unterschied des Umweltaudits zu den bisher dargestellten Formen der Regulierten Selbstregulierung im Jugendmedienschutz und im Produktsicherheitsrecht liegt also darin, dass die hoheitliche Kontrolle nicht etwa auf eine Kontrolle der Grenzen des Beurteilungsspielraums zurückgenommen oder eine hoheitliche Eröffnungskontrolle ganz ersetzt wird, sondern dass eine Kontrolle durch private Stellen neben die hoheitliche Kontrolle tritt. Solange das Umweltaudit eine Maßnahme der reinen Selbstkontrolle war, die allein von der Privatwirtschaft verantwortet wurde, berücksichtigte das staatliche Umweltrecht eine erfolgreiche Auditierung nicht. Aber auch nachdem mit der ersten EMAS-VO und den deutschen Ausführungsgesetzen ein öffentlichrechtlicher Rahmen für das Umweltaudit geschaffen wurde, hatte dies zunächst keine Auswirkungen auf das öffentliche Umweltrecht. Die EMAS-Teilnahme sollte zwar ebenso wie das staatliche materielle Umweltrecht zu verbessertem Umweltschutz führen, eine Verbindung der beiden Ansätze war jedoch nicht vorgesehen; statt dessen sollte EMAS allein über Marktkräfte wie Image und Wettbewerb wirken (indirekte Steuerung 551) und daneben das hoheitliche materielle Umweltrecht „klassisch“ Regeln aufstellen und diese mittels Ge- oder Verboten durchsetzen (direkte Steuerung). Da die Teilnahme an EMAS allerdings freiwillig ist und sich die Image- und Wettbewerbsvorteile nicht im erhofften Ausmaß realisiert haben 552, hat der deutsche Gesetzgeber auch im öffentlichrechtlichen Bereich versucht, die Teilnahme 551

Bohne, in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem, Strukturen d. Europ. Verwaltungsrechts, S. 217 (266 f.).

§ 5 Umweltrecht: Öko-Audit

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attraktiver zu machen (was die Europäische Gemeinschaft laut Erwägungsgrund 15 und Art. 11 EMAS-VO auch erlaubt bzw. sogar fordert). Neben der Privilegierung als Anreiz zur Teilnahme steht auch noch der Gedanke des Art. 10 Abs. 2 EMAS-VO, wonach beim Vollzug des Umweltrechts unnötige Doppelarbeit für die Unternehmen, die auch an EMAS teilnehmen, vermieden werden soll – Strukturen, Verfahren oder Dokumentationen, die sowohl vom hoheitlichen Umweltrecht als auch von EMAS vorgeschrieben werden, sollten daher soweit wie möglich gegenseitig anerkannt werden. b) EMAS II und EMAS-PrivilegV Aus den beiden oben genannten Gesichtspunkten – Vermeidung von Doppelarbeit und Anreizschaffung für teilnehmende Unternehmen – hat der Bund die EMAS-Privilegierungsverordnung (EMAS-PrivilegV) 553, gestützt auf § 58e BImSchG und § 19 Abs. 4, § 55a KrW-/AbfG, erlassen und einige immissionsschutz- und abfallrechtliche 554 Gesetze und Verordnungen direkt geändert. Die EMAS-Teilnahme hat daher nicht mehr nur Werbewirkung und Imagevorteile; statt dessen werden die Teilnahme oder einzelne Elemente des Umweltaudits dergestalt in das öffentliche Umweltrecht eingebunden, dass sich aus ihnen Konsequenzen für die Durchsetzung des Umweltordnungsrechts ergeben. aa) Erleichterungen im (Genehmigungs-)Verfahren Schon im Genehmigungsverfahren mancher Anlagen sind nach § 4 Abs. 1 der 9. BImSchV die Unterlagen aus der Umwelterklärung zu berücksichtigen, das heißt ein Unternehmen kann mit den EMAS-Unterlagen die Erfüllung der Genehmigungsvoraussetzungen darlegen 555. Beim Betrieb eines Unternehmens kann die detaillierte Information der Behörden über die Betriebsorganisation nach § 52a BImSchG, § 53 KrW-/AbfG durch Bereitstellung des Eintragungsbescheids ersetzt werden (§ 2 EMAS-PrivilegV), die organisatorischen Mitteilungen zu den Betriebsbeauftragten nach § 55 Abs. 1, § 58c Abs. 1 BImSchG, § 55 Abs. 3 KrW-/AbfG können durch Weiterleitung der EMAS-Unterlagen erfüllt werden (§ 3 Abs. 3 EMAS-PrivilegV). Zum

552

Außerdem verursacht eine Auditierung nach Schneider, Öko-Audit, S. 20 Fn. 79, immerhin Kosten von (damals) im Schnitt 100.000 DM; s. auch Ensthaler u. a., UAG/ EMAS-VO, S. 173: Kosten in einzelnen Unternehmen von bis zu 1,35 Mio. DM. 553 Vom 24. 6. 2002, BGBl I S. 2247, zuletzt geändert durch Art. 6 des Gesetzes zur Umsetzung von Vorschlägen zu Bürokratieabbau und Deregulierung aus den Regionen vom 21. 6. 2005, BGBl I S. 1666. 554 Dazu ausf. Jarass, DVBl 2003, 298. 555 Dazu näher Groß, Öko-Audit-System, S. 116 f.

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2. Teil: Referenzbereiche

Teil kann auf die Bestellung von Betriebsbeauftragten nach § 53 Abs. 2, § 58a Abs. 2 BImSchG, § 54 Abs. 2 KrW-/AbfG verzichtet werden (§ 3 Abs. 1 EMASPrivilegV). Ein jährlicher Bericht nach § 54 Abs. 2, § 58b Abs. 2 BImSchG, § 55 Abs. 2 KrW-/AbfG ist unter bestimmten Umständen nicht erforderlich, wenn der Bericht zur Umweltbetriebsprüfung entsprechende Angaben enthält (§ 3 Abs. 2 EMASPrivilegV; ebenso § 21b Abs. 3 S. 2 WHG). Andere Berichte, die grundsätzlich von sich aus den Behörden vorgelegt werden müssen, müssen nach § 7 EMAS-PrivilegV nur noch auf ausdrückliche behördliche Anforderung übermittelt werden. Auch die Nachweispflichten bei der Beseitigung von Abfällen nach § 42 Abs. 1 KrW-/AbfG können beschränkt werden, wenn sich die Angaben auch aus den EMAS-Unterlagen ergeben (§ 42 Abs. 1 S. 2, 3 KrW-/AbfG); bei der Prüfung der Geeignetheit der Entsorgungsanlage für die Abfallentsorgung ist ebenfalls eine eventuell vorhandene Umwelterklärung zu berücksichtigen (§ 5 Abs. 2 S. 3 NachweisV, beruhend auf § 48 KrW-/AbfG). Einer verordnungsrechtlich vorgesehenen Pflicht zur Unterrichtung der Öffentlichkeit kann durch die Umwelterklärung nachgekommen werden (§ 9 EMAS-PrivilegV). Eine vor allem Zeit und Geld sparende Verfahrenserleichterung bietet schließlich § 13 Abs. 1a der 9. BImSchV, laut dem bei der Entscheidung über die Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Prüfung der Genehmigungsvoraussetzungen die EMAS-Registrierung zu berücksichtigen ist 556. Schließlich wurde auch eine entsprechende Umwelterklärung nach § 8 Abs. 6 Abfallwirtschaftskonzept- und Bilanzverordnung 557 als Abfallwirtschaftskonzept und als Abfallbilanz im Sinne der §§ 19, 20 KrW-/AbfG anerkannt.

bb) Erleichterungen bei der Überwachung Neben diesen Verfahrenserleichterungen sind auch Erleichterungen bei der Überwachung vorgesehen. So sollen bei registrierten Unternehmen anlassunabhängige Immissionsmessungen in längeren als in § 28 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG vorgesehenen Intervallen stattfinden und außerdem nicht durch die Behörde, sondern durch das Unternehmen selbst durchgeführt werden (§ 4 EMAS-PrivilegV; zur Verlängerung von Messintervallen auch § 8 EMAS-PrivilegV). Ebenso können in einigen speziellen Rechtsverordnungen vorgesehene wiederkehrende Messungen und Funktionsprüfungen von den Unternehmen selbst vorgenommen werden (§ 5 EMAS-PrivilegV). Auch sicherheitstechnische Prüfungen nach § 29a Abs. 2 BImSchG können bei eingetragenen Unternehmen unter bestimmten Vorausset-

556

Dazu Groß, Öko-Audit-System, S. 120. Aufgehoben durch Art. 2 des Gesetzes zur Vereinfachung der abfallrechtlichen Überwachung vom 15. 07. 2006, BGBl I S. 1619. 557

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zungen vom Unternehmen selbst durchgeführt werden (§ 6 EMAS-PrivilegV). Das Umweltaudit ersetzt somit teilweise die behördliche Überwachung durch eine Kombination von Eigenüberwachung 558 und Überwachung durch Sachverständige. Eine Verknüpfung zu einer anderen Form der Selbstkontrolle bringt schließlich § 13 Abs. 4 Entsorgungsfachbetriebeverordnung (beruhend auf § 52 KrW-/AbfG): Entsorgungsfachbetriebe müssen einen Überwachungsvertrag mit einer technischen Überwachungsorganisation schließen, auf Grund dessen letztere die Qualität des Fachbetriebs kontrolliert. Bei dieser Überprüfung hat die (private) Überwachungsorganisation die Ergebnisse der Umwelterklärung zu berücksichtigen.

Des Weiteren ermöglicht § 21h WHG den Bundesländern, in ihren Wassergesetzen ähnliche Kontroll- und Überwachungserleichterungen vorzusehen; umgesetzt wurde dies zum Beispiel in Thüringen (§ 3 Abs. 1 Nr. 6, § 23 Abs. 3 VO über Anlagen zum Umgang mit wassergefährdenden Stoffen), Rheinland-Pfalz (§ 123b WG, § 6 Abs. 2 Abwasser-EigenüberwachungsVO) und Sachsen (§ 128a WG, § 3 Nr. 6, § 9 Abs. 3, § 11 Abs. 7, § 21 Abs. 4 u. 5, § 23 Nr. 5 VO über Anlagen zum Umgang mit wassergefährdenden Stoffen); in Baden-Württemberg (§ 83 Abs. 5 S. 2 WG), Berlin (§ 71a WG), Bremen (§ 46a WG), Hessen (§ 59 WG), Mecklenburg-Vorpommern (§ 129a WG), Niedersachsen (§ 63 WG), Nordrhein-Westfalen (§ 116a WG) und Sachsen-Anhalt (§ 46a WG) sehen die Landeswassergesetze jeweils eine Verordnungsermächtigung für Verfahrenserleichterungen vor, die § 21h WHG nachempfunden ist. Schließlich sehen einige Landesrechte auch Gebührenermäßigungen für auditierte Unternehmen in Genehmigungs- und Aufsichtsverfahren vor 559. c) Keine Auswirkungen auf Genehmigungserfordernisse und materielle Standards Nicht erfasst von den Privilegierungen sind die materiellen Standards 560 oder die Genehmigungserfordernisse (Präventivkontrolle). Dies wäre wegen der EG-Richtlinie über integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung (IVU-RL) auch weitestgehend unmöglich 561, weil nach deren Art. 4 zahlreiche umweltbelastende Anlagen zwingend einer Genehmigung bedürfen; Art. 6 IVURL macht Vorgaben für den Inhalt des Genehmigungsantrags und Art. 9 Abs. 5 IVU-RL enthält Anforderungen an das Überwachungsverfahren in Bezug auf die Häufigkeit von Überwachungsmessungen, sodass hierdurch der Spielraum

558 Zur Eigenüberwachung im Umweltrecht s. auch UGB-KomE, S. 716 ff. zu den §§ 133 ff. 559 Schmidt-Räntsch, EurUP 2006, 2 (5). 560 Jarass, DVBl 2003, 298 (302). 561 Ewer, in: Dolde (Hrsg.), Umweltrecht im Wandel, S. 353 (364).

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2. Teil: Referenzbereiche

für Privilegierungen bei einem Großteil des potenziellen Adressatenkreises stark verringert wird. Die IVU-RL enthält auch selbst keinerlei Ausnahmen oder Privilegierungen für EMAS-Teilnehmer. d) Art und Weise der Berücksichtigung von EMAS Hinsichtlich der konkreten Auswirkungen einer EMAS-Registrierung auf das Umweltordnungsrecht ist zu differenzieren: Zum Teil sind die Auditierung oder die dabei erstellten Unterlagen nur zu „berücksichtigen“ (§ 4 Abs. 1 S. 2 9. BImSchV; § 42 Abs. 1 S. 2 KrW-/AbfG; § 5 Abs. 2 S. 3 NachweisV; § 3 Abs. 1 S. 3 EMASPrivilegV) bzw. heranzuziehen, reichen aber allein nicht unbedingt aus. Im Falle einer Registrierung „soll“ auf bestimmte behördliche Anordnungen verzichtet werden (§ 3 Abs. 1 S. 1, §§ 4–6, 8 EMAS-PrivilegV). Nur zum Teil ersetzen Unterlagen aus dem Umweltauditverfahren eine öffentlichrechtliche Mitteilung vollständig bzw. werden als solche anerkannt (§ 2, § 3 Abs. 2, 3, § 7 Abs. 1 EMASPrivilegV); dabei ist allerdings jeweils Voraussetzung, dass sich aus den Unterlagen gleichwertige Angaben ergeben. Die Behörde muss also zumindest prüfen, ob die eingereichten Unterlagen die erforderlichen Angaben enthalten (die Umwelterklärung beispielsweise hinreichend substantiiert ist). Auch die Soll- und KannBestimmungen belassen den Umweltbehörden Prüfungsmöglichkeiten und Ermessen, so dass nicht bei beispielsweise völlig unzureichenden Umwelterklärungen oder offensichtlich fehlerhaften Auditierungen automatisch die öffentlichrechtlichen Privilegierungswirkungen eintreten. Unterhalb der Gesetzesebene kann (und muss) schließlich beim Normvollzug ein Anwendungsspielraum für die Einbeziehung der EMAS-Teilnahme gegeben sein („Substitution“ 562). Sofern den Umweltbehörden bei der Anwendung von Umweltrecht auf ein registriertes Unternehmen Beurteilungsspielräume oder Ermessen eingeräumt sind, können bzw. müssen sie dabei die Einhaltung der EMASVO als einen Ermessensaspekt berücksichtigen 563. e) EMAS und Vergabe öffentlicher Aufträge Neben diesen insgesamt eher bescheidenen verfahrensrechtlichen Vorteilen viel interessanter könnte eine Bevorzugung von eingetragenen Unternehmen bei der öffentlichen Auftragsvergabe sein. Einen ersten Schritt in diese Richtung macht § 16 Abs. 2 S. 3 KrW-/AbfG, wonach bei der Auswahl von Unternehmen, die für den an sich pflichtigen öffentlichrechtlichen Träger der Abfallentsorgung die

562 Schneider, Öko-Audit, S. 122; zur Substitution in Brandenburg Beck/Weichelt, EurUP 2006, 22 (27). 563 Jarass, DVBl 2003, 298 (305).

§ 5 Umweltrecht: Öko-Audit

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Entsorgung und Verwertung von Abfällen übernehmen sollen, deren Registrierung bei der Entscheidung der zuständigen Behörde (positiv) zu berücksichtigen ist. Art. 11 Abs. 2 EMAS-VO verpflichtet Kommission und Mitgliedstaaten zur Prüfung, inwieweit der Eintragung bei der öffentlichen Beschaffungspolitik Rechnung getragen werden kann, was die Kommission mit ihrem „Anreizbericht“ getan hat, in dem zum Beispiel auch Steuernachlässe für EMAS-Teilnehmer vorgeschlagen werden. In einem „Gemeinsamen Schreiben des BMWA und des BMU zur Berücksichtigung von EMAS bei öffentlichen Aufträgen“ wird die Registrierung zwar nicht als eigenes Vergabekriterium anerkannt, die zuständigen Stellen können jedoch bei der Prüfung der Leistungsfähigkeit eines Bewerbers die EMASTeilnahme als einen Nachweis derselbigen akzeptieren 564. Die Vergaberichtlinien der EG (Art. 52 Abs. 3 RL 2004/17/EG; Art. 48 Abs. 2f RL 2004/18/EG) stellen selbst klar, dass die EMAS-Zertifizierung als Nachweis der technischen Leistungsfähigkeit eines Unternehmens verwendet werden darf 565. f) Fazit Zusammenfassend kann gesagt werden, dass das öffentliche (Umwelt-)Recht an die Eintragung in das EMAS-Verzeichnis und damit an die Validierung durch die privaten Umweltgutachter anknüpft; die Konsequenzen bestehen aber – ganz anders als im Produktsicherheitsrecht – nur in Verfahrenserleichterungen, nicht jedoch in einer substanziellen Reduktion der behördlichen Kontrolldichte. 2. Vollzug und Durchsetzung des Umweltrechts Ob das geltende staatliche Umweltrecht eingehalten wird, ist nach wie vor grundsätzlich von den staatlichen Umweltbehörden zu überwachen. EMAS will sie dabei allerdings unterstützen. So müssen sich die teilnehmenden Unternehmen verpflichten, das geltende Recht einzuhalten und sich zu diesem Zweck erst einmal über das für sie geltende Recht zu informieren. Die Unternehmen müssen Umweltmanagementsysteme installieren, die intern auf die Einhaltung der Gesetze hinwirken und sie müssen Betriebsprüfungen durch (umwelttechnisch und -rechtlich versierte) Fachleute vornehmen lassen, die die Gesetzeskonformität der Abläufe im Unternehmen systematisch bewerten und dokumentieren. Zum Umweltmanagementsystem gehört auch die regelmäßige Kontrolle der vom Unternehmen ausgehenden Umweltauswirkungen, das heißt zum Beispiel regelmäßige Messungen der Emissionen in Luft, Boden und Wasser 566. Die Umweltgutach-

564 Zur – insgesamt geringen – Bedeutung der EMAS-Zertifizierung für das öffentliche Vergabewesen Huber/Wollenschläger, WiVerw 2005, 212 ff. 565 Schmidt-Räntsch, EurUP 2006, 2 (6).

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2. Teil: Referenzbereiche

ter als staatlich anerkannte neutrale Sachverständige müssen bewerten, ob das Unternehmen seinen Verpflichtungen wirksam nachkommt. Sie selbst sind nicht primär zur Kontrolle der Einhaltung der umweltrechtlichen Rechtsvorschriften berufen, aber eine zumindest stichprobenartige Kontrolle werden sie vornehmen müssen, um die Wirksamkeit von betrieblichem Umweltmanagementsystem und Betriebsprüfung bewerten zu können. Das Öko-Audit-System installiert also mehrere Schichten privater Kontrolle und Überwachung, die alle die Einhaltung des Umweltrechts sicherstellen sollen. Allerdings fehlen diesen die Zwangsmittel zur Durchsetzung des Umweltrechts; schärfste Reaktion auf einen Gesetzesverstoß ist die Nichterteilung des Umweltaudits. Letztendlich können nur die staatlichen Umweltbehörden die Einhaltung der Rechtsvorschriften wirklich durchsetzen. II. Voraussetzungen der öffentlichrechtlichen Wirkungen 1. Eintragung in das EMAS-Register Voraussetzung der Privilegierungen (s. o. § 5 C. I. 1.) ist immer die Eintragung eines Unternehmens in das EMAS-Register (EMAS-Verzeichnis). Dabei wird rein formal daran angeknüpft, ob eine solche Eintragung vorliegt, ohne weitere Prüfung, ob die Eintragung zu Recht erfolgte oder zu Recht noch fortbesteht. Auch sonstige weitere Voraussetzungen müssen vom Unternehmen nicht erfüllt werden. Dies vereinfacht die Anwendung der Privilegierungen, weil das EMAS-Register für jedermann einsehbar und auch im Internet veröffentlicht ist, so dass eine Umweltbehörde sich ohne Aufwand davon überzeugen kann, ob ein Unternehmen registriert ist. Die Führung des EMAS-Registers und die Eintragungen werden von den Industrie- und Handelskammern vorgenommen. Die Eintragung ist in den §§ 32– 34 UAG geregelt. Sie stellt einen Verwaltungsakt dar und ist deshalb auch bei rechtswidriger Eintragung wirksam, bis sie wieder gestrichen (das heißt aufgehoben) wird 567. Die Registerstelle hat vor einer Eintragung der zuständigen Umweltbehörde Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben (§ 33 Abs. 3 UAG). Stellt die Umweltbehörde einen Verstoß gegen Umweltvorschriften fest, informiert sie die Registerstelle darüber, woraufhin diese die Eintragung des Unternehmens bis zur Beseitigung des Rechtsverstoßes verweigert (§ 33 Abs. 3 S. 3 UAG). Erlangt die Umweltbehörde nach der Eintragung von einem Umweltverstoß Kenntnis, unterrichtet sie wiederum die Registerstelle, die die Eintragung vorübergehend aufheben oder endgültig streichen kann (§ 34 UAG). Diese Einwirkungsmöglichkeiten der staatlichen Umweltbehörden stellen eine wichtige institutionelle Sicherung der Gewährleistung des Umweltschutzes dar 568 (s. u. § 5 D.). 566 567

Groß, Öko-Audit-System, S. 124 f. Jarass, DVBl 2003, 298 (303).

§ 5 Umweltrecht: Öko-Audit

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Neben diese Mitteilung über Unzulänglichkeiten des Unternehmens muss nach Art. 6 Nr. 2 EMAS-VO auch eine Mitteilung der Zulassungsstelle über nicht ausreichend gründlich durchgeführte Arbeiten des Umweltgutachters, die im Rahmen der Aufsicht auffallen, treten. Auch dann ist die Eintragung des Unternehmens, das von dem betroffenen Gutachter geprüft wurde, zu verweigern. 2. Voraussetzungen der Eintragung a) Formelle Eintragungsvoraussetzungen Zwar knüpfen die Privilegierungen an die Eintragung und damit rein formal an einen (öffentlichrechtlichen) Verwaltungsakt an; die Eintragung beruht aber ebenso formal allein auf der privaten Umwelterklärung des Unternehmens. Nach Art. 6 Nr. 1 EMAS-VO wird ein Unternehmen in das EMAS-Register eingetragen, wenn es alle Anforderungen der EMAS-VO erfüllt. Die Einhaltung der einzelnen Vorgaben wird von der Registerstelle jedoch nicht eigens geprüft 569. Das ergibt sich auch aus § 34 Abs. 2 UAG, wonach die Registerstelle bei Anhaltspunkten für Rechtsverstöße eingetragener Unternehmen sich bei der Umweltbehörde erkundigt, ob ein Rechtsverstoß vorliegt. Der Gesetzgeber scheint – wie diese Formulierung zeigt – davon auszugehen, dass die Registerstelle zu einer eigenen Feststellung eines Rechtsverstoßes nicht in der Lage ist 570. Stattdessen hat sie von der Erfüllung der Anforderungen auszugehen, wenn eine validierte Umwelterklärung vorliegt (sowie ein Antrag gestellt und die Gebühren bezahlt wurden und kein Verstoß gegen Umweltvorschriften bekannt ist); dadurch hat das einzutragende Unternehmen im Sinne des § 33 Abs. 1 UAG glaubhaft gemacht, dass es die Voraussetzungen der EMAS-VO erfüllt 571. Vordergründig ist für die Registrierung also nur die Umwelterklärung relevant; Umweltpolitik, Umweltziele, Umweltbetriebsprüfung oder Umweltmanagementsystem spielen für die Eintragung auf den ersten Blick keine Rolle. Eine einfache Umwelterklärung reicht aber nicht aus (und kann auch nicht ausreichen, da sie von dem Unternehmen, das die Privilegierungen erlangen will, selbst erstellt wird). Vielmehr muss die Umwelterklärung von einem privaten, unabhängigen Umweltgutachter für gültig erklärt (validiert) werden. Der Umweltgutachter hat nach Art. 3 Abs. 2 lit. d EMAS-VO das Umweltmanagementsystem, die Umwelt-

568

Lübbe-Wolff , NuR 1996, 217 (224). Schneider, Öko-Audit, S. 61 f.; a. A. Lübbe-Wolff , DVBl 1994, 361 (371). 570 Was auch nahe liegt, da das Register von den IHKs oder Handwerkskammern geführt wird, die ansonsten mit Umweltrecht nicht viel zu tun haben und nicht über das erforderliche Personal und die nötige Ausstattung verfügen. 571 Schneider, Öko-Audit, S. 61. 569

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2. Teil: Referenzbereiche

prüfung bzw. -betriebsprüfung und die Umwelterklärung des Unternehmens zu begutachten und danach die Umwelterklärung für gültig zu erklären. Es erfolgt also eine Prüfung und Bewertung der Umweltpolitik, Umweltbetriebsprüfung und Umweltmanagementsysteme auf ihre Einhaltung der Vorgaben der EMAS-VO (Anhang V Ziff. 5.4.1 lit. a EMAS-VO). Auch die Umwelterklärung selbst muss zum Beispiel daraufhin begutachtet werden, ob die Daten zuverlässig, glaubwürdig und richtig sind (Anhang V Ziff. 5.4.1 lit. b EMAS-VO). Der Umweltgutachter gibt jedoch keine außenwirksamen Gutachten zu den einzelnen Punkten ab; stattdessen fließen die Bewertungen der einzelnen Punkte in die Validierung der Umwelterklärung ein. Deren Gültigerklärung kann also nicht nur verweigert werden, weil die Umwelterklärung selbst die EMAS-Vorgaben nicht einhält, sondern auch dann, wenn zwar die Umwelterklärung in Ordnung ist, dafür aber beispielsweise beim Umweltmanagementsystem Mängel bestehen 572. Die Validierung der Umwelterklärung ist somit zwar die einzige Entscheidung des Umweltgutachters mit Außenwirkung, trotzdem erfolgt eine umfassende Prüfung des Unternehmens auf die Einhaltung aller Vorschriften der EMAS-VO (Konformitätsprüfung). b) Materielle Voraussetzungen der Validierung der Umwelterklärung Die Eintragung darf somit nur erfolgen, wenn ein Unternehmen das Umweltaudit vollständig und ordnungsgemäß durchlaufen hat. Die Durchführung des Umweltaudits unterteilt sich in eine unternehmensinterne und eine unternehmensexterne Prüfung. aa) Unternehmensinterner Verfahrensablauf Die erste Phase des Umweltaudits spielt sich nur unternehmensintern ab. Das Unternehmen bzw. die Unternehmensleitung muss eine Umweltpolitik (Art. 2 lit. a EMAS-VO) formulieren. Die Umweltpolitik umfasst eine Selbstverpflichtung zur kontinuierlichen Verbesserung der Umweltleistung und zur Einhaltung aller einschlägigen Umweltvorschriften 573. Welche Aspekte bei einer Umweltpolitik zu berücksichtigen sind, wird in Anhang VI EMAS-VO aufgezählt (u. a. Emissionen, Abfälle, Verbrauch von Energie und sonstigen Ressourcen, Lärm, Verkehr, Gefahr von Unfällen); diese Aspekte sind nicht nur bei der Produktion von Waren oder Dienstleistungen, sondern auch bei Transport oder Recycling

572 Vgl. Anhang V Ziff. 5.4.3 EMAS-VO, wonach die Umwelterklärung nicht für gültig erklärt wird, wenn der Gutachter feststellt, dass das Unternehmen Rechtsvorschriften nicht einhält. 573 Schneider, DV 28 (1995), 361 (365 f.); Schickert, Der Umweltgutachter, S. 293 ff.

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der Produkte, bei der Beschaffung von Kapital, bei Planungs- und Verwaltungsentscheidungen und vor allem auch bei Auftragnehmern und Zulieferern zu berücksichtigen.

Aus der Umweltpolitik ergeben sich die Umweltziele (Art. 2 lit. i EMAS-VO), die das Unternehmen erreichen will. Diese müssen quantifizierbar und mit Zeitvorgaben versehen sein, um ihre Erreichung verifizieren zu können 574. Die konkreten Mittel und Maßnahmen zur Erreichung der Umweltziele werden im Umweltprogramm (Art. 2 lit. h EMAS-VO) festgelegt und mit Fristen versehen, binnen derer das Programm umgesetzt werden soll 575. Um Umweltpolitik, -ziele und -programm bestimmen zu können, muss das Unternehmen beim erstmaligen Durchlauf des Umweltaudits eine Umweltprüfung (Art. 2 lit. e i. V. m. Anhang VII EMAS-VO) als erste Bestandsaufnahme durchführen, die eine Ermittlung des Ist-Zustandes in Bezug auf Umweltauswirkungen und auf Einhaltung der einschlägigen Vorschriften vornimmt und gleichzeitig den Soll-Zustand ermittelt, das heißt vor allem die einzuhaltenden, aber noch nicht erfüllten Vorschriften. Die Umweltprüfung wird bei weiteren Durchläufen durch die Umweltbetriebsprüfung (Art. 2 lit. l i. V. m. Anhang II EMAS-VO), das eigentliche Umweltaudit, ersetzt, die jeweils die Erreichung der Umweltziele, die Umsetzung des Umweltprogramms und die Funktionsfähigkeit des Umweltmanagementsystems, das heißt vor allem die Einhaltung der vorgeschriebenen Verfahren, überprüft 576 und mindestens alle drei Jahre stattzufinden hat (Anhang II Ziff. 2.9 EMAS-VO). Neben diesen eher punktuellen Prüfungen muss das Unternehmen auch dauerhaft seine Strukturen an die EMAS-VO anpassen. Dazu muss es ein Umweltmanagementsystem (Art. 2 lit. k i. V. m. Anhang I EMAS-VO) 577 einrichten, das in das allgemeine Management des Unternehmens eingebaut wird und die Verantwortlichkeiten, Verfahren und Mittel festlegt, mit denen das Unternehmen für die Verwirklichung der Umweltpolitik, also die kontinuierliche Verbesserung des Umweltschutzes und vor allem die Einhaltung aller Umweltvorschriften sorgt (Aufbau- und Ablauforganisation). Das Umweltmanagementsystem ist das „Herzstück“ des Umweltaudits 578 und soll ein selbst lernendes und sich selbst verbesserndes System, eine Art Regelkreislauf, bilden, mit dem das Unternehmen immer neue Anregungen und Informationen über Umweltauswirkungen von außen oder aus dem internen Bereich aufnimmt und verarbeitet und zum Ziele verbesserten Umweltschutzes umsetzt 579. Die Organisation des Umweltmanagementsystems 574 575 576 577 578 579

Theuer, Hdbuch Umweltaudit, B Rdn. 49. Lübbe-Wolff , DVBl 1994, 361 (362). Langerfeldt, NVwZ 2002, 1156. Dazu ausf. Schickert, Der Umweltgutachter, S. 337 ff. Schneider, Öko-Audit, S. 30. Theuer, Hdbuch Umweltaudit, B Rdn. 2.

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2. Teil: Referenzbereiche

muss dafür Gewähr bieten, dass die Umweltaspekte des Unternehmens ermittelt (Anhang I-A Ziff. 3.1 EMAS-VO), für jede einzelne betriebliche Funktion deren Umweltziele bestimmt (Anhang I-A Ziff. 3.3 EMAS-VO) und die Mitarbeiter entsprechend geschult werden (Anhang I-A Ziff. 4.2 EMAS-VO). Das Umweltmanagementsystem muss die interne Kommunikation und die Kommunikation mit der Öffentlichkeit organisieren (Anhang I-A Ziff. 4.3 EMAS-VO), stellt also ein betriebliches Umweltinformationssystem dar 580. Insbesondere muss ein Umweltmanagementsystem Vorsorge für Notfälle treffen und Verfahren entwickeln, mit denen Unfälle festgestellt und geeignete Reaktionen eingeleitet werden können (Anhang I-A Ziff. 4.7 EMAS-VO). Hinzu kommt eine interne Selbstkontrolle, unabhängig von der Prüfung durch die Umweltgutachter: Das Umweltmanagementsystem muss Verfahren zur Eigenüberwachung installieren und Maßnahmen zur Abhilfe bei festgestellten Abweichungen (Anhang I-A Ziff. 5.1, 5.2 EMASVO). Die Anforderungen der EMAS-VO an das Umweltmanagementsystem sind identisch mit denen des 4. Kapitels der DIN EN ISO 14001, so dass ein Unternehmen sich nach dem weltweit gültigen Standard organisieren kann und damit zugleich die EMASAnforderungen (in Bezug auf das Umweltmanagementsystem) erfüllt 581.

Um die Funktionsfähigkeit des Umweltmanagementsystems prüfen zu können, muss die Organisation umfassend dokumentiert werden; gleichzeitig muss das Umweltmanagementsystem dafür sorgen, dass die entsprechende Dokumentation zuverlässig, aktuell und vollständig geführt wird (Anhang I-A Ziff. 4.4, 4.5 EMASVO). Auch wird das Umweltmanagementsystem nicht nur vom Umweltgutachter auditiert; das Unternehmen muss – im Sinne einer „Eigenkontrolle der Eigenkontrolle“ – sein eigenes Umweltmanagementsystem regelmäßig auditieren und durch die oberste Leitung bewerten lassen (Anhang I-A Ziff. 5.4, 6 EMAS-VO). Insgesamt setzt das Umweltaudit also keine eigenen materiellen Standards (außer der Verpflichtung zur Einhaltung der öffentlichrechtlichen Standards), sondern bildet eine Organisationsstruktur zur Umsetzung anderweitig gesetzter Standards; darin liegt auch der große Unterschied zum sonstigen deutschen Umweltrecht, das eher auf Ordnungsrecht und materielle Standards (Grenzwerte) setzt. bb) Unternehmensexterner Verfahrensablauf (1) Erstellung und Veröffentlichung einer Umwelterklärung Zwar auch noch vom Unternehmen in eigener Verantwortung erstellt, aber nicht mehr nur unternehmensintern verbleibend, ist die Umwelterklärung (Art. 2 580 581

Schickert, Der Umweltgutachter, S. 340. Ensthaler u. a., UAG/EMAS-VO, S. 64, 101.

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lit. o EMAS-VO) 582. In der Umwelterklärung werden das Unternehmen und seine Tätigkeiten, Produkte oder Dienstleistungen beschrieben, alle wesentlichen Umweltaspekte und -auswirkungen dargestellt (auch mit konkreten Daten, um die jährlichen Veränderungen feststellen zu können) und die Umweltpolitik und das Umweltmanagementsystem des Unternehmens vorgestellt. Die Umwelterklärung ist keine Mitteilung an die (Umwelt-)Behörden, sondern an die Öffentlichkeit gerichtet, die auf diese Weise Umweltinformationen von Unternehmen erhält (vgl. Anhang III Ziff. 3.2 EMAS-VO). Sie soll „klar und kompakt“ geschrieben sein (Anhang I Ziff. 1.2 der Empfehlung der Kommission vom 7. 9. 2001, 2001/680/EG). Die Umwelterklärung ist deshalb ein flankierendes Informationsinstrument zum Informationszugang nach dem Umweltinformationsgesetz (UIG) 583. Aus dem UIG ergeben sich für den Bürger nur Ansprüche auf Zugang zu Umweltinformationen, die bei Behörden vorhanden sind. Über die Umwelterklärung erhält er zumindest begrenzt Zugang zu Umweltinformationen, die in Unternehmen vorhanden sind. Um zu erfahren, bei welchen Unternehmen Informationen im Wege von EMAS erhältlich sind, ist das EMASRegister wiederum nach UIG für jeden einsehbar (§ 32 Abs. 4 UAG). Der UGB-KomE hatte daneben in den §§ 170 f. einen obligatorischen betrieblichen Umweltbericht in Anknüpfung an die handelsrechtliche Verpflichtung zur Erstellung eines Lageberichts (§§ 264 Abs. 1, 289 HGB, dazu unten § 6 C. I. 1.) vorgesehen.

Die Umwelterklärung muss deshalb die Umweltleistungen des Unternehmens unverfälscht, verständlich und unzweideutig präsentieren (Anhang III Ziff. 3.3 lit. a und b EMAS-VO) und einen Vergleich sowohl mit den Vorjahren als auch mit anderen Unternehmen derselben Branche ermöglichen (Anhang III Ziff. 3.3 lit. c und d EMAS-VO; Anhang I Ziff. 1.2 der Empfehlung 2001/680/EG). (2) Prüfung und Validierung durch den Umweltgutachter Die Umwelterklärung wird vom Unternehmen erstellt und veröffentlicht, letzteres darf jedoch erst geschehen, wenn ein Umweltgutachter die Umwelterklärung für gültig erklärt hat. Damit wird der rein unternehmensinterne Bereich der Selbstkontrolle verlassen (und damit geht die EMAS-VO auch über die ISO 14000 hinaus, die nur Unternehmensinternes regelt) und eine externe, unabhängige Stelle eingeschaltet. Diese Prüfung durch den Umweltgutachter, die das Kernstück der Regulierten Selbstregulierung darstellt, soll im Folgenden näher beleuchtet werden.

582 583

Dazu Schickert, Der Umweltgutachter, S. 358 ff. Schmid, Jura 1997, 11 (13).

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2. Teil: Referenzbereiche

III. Prüfung der Erfüllung der EMAS-VO 1. Inhalt der Prüfung Wie schon oben betont, validiert der Umweltgutachter nach außen zwar nur die Umwelterklärung; dem vorauszugehen hat aber eine umfassende Prüfung der Vorgaben der EMAS-VO auch für Umweltpolitik, Umweltbetriebsprüfung und Umweltmanagementsystem. Dies bezieht sich vor allem darauf, dass der Gutachter die technische Eignung der Umweltprüfung und Umweltbetriebsprüfung kontrolliert und deren Ergebnisse zumindest stichprobenartig auf ihre Richtigkeit testet. Außerdem muss er untersuchen, ob ein funktionsfähiges Umweltmanagementsystem existiert. Was die Einhaltung von Umweltvorschriften betrifft, ist es grundsätzlich Aufgabe des Unternehmens selbst, sich über alle einschlägigen Rechtsvorschriften zu informieren, die eigene Tätigkeit im Hinblick auf mögliche Rechtsverstöße zu kontrollieren und sich selbst so zu organisieren, dass Rechtsverstöße abgestellt werden. Problematisch ist aber die Frage, wer eventuelle Rechtsverstöße aufzudecken hat bzw. ob der Umweltgutachter verpflichtet ist, die Einhaltung aller Rechtsvorschriften zu überprüfen. In Bezug auf die Tätigkeit der Umweltgutachter spricht Ziff. 5.4.3 des Anhangs V der EMAS-VO unter der Überschrift „Einhaltung der Rechtsvorschriften“ nur davon, dass dieser sicherzustellen hat, dass das Unternehmen die nötige Managementstruktur besitzt, um auf Rechtsverstöße zu reagieren und für die Rechtskonformität zu sorgen (interne Selbstkontrolle). Über die Kontrolle der richtigen Strukturen und Verfahren soll indirekt die Einhaltung des materiellen Umweltrechts gewährleistet werden 584. Es ist deshalb nicht primäre Aufgabe des Umweltgutachters, zu kontrollieren, ob das Unternehmen das geltende Recht vollständig einhält 585. Die Funktionsfähigkeit der erforderlichen Managementstruktur kann der Umweltgutachter allerdings am besten dergestalt prüfen, dass er stichprobenartig kontrolliert, ob das Unternehmen rechtskonform agiert (Anhang V Ziff. 5.4.3 EMAS-VO). Aufgedeckte Rechtsverstöße sind ein Indiz für das Versagen des Umweltmanagementsystems und damit ein Grund für die Versagung der Validierung. Allerdings kommt es auf die Indizwirkung letztlich nicht mehr an, denn wenn der Umweltgutachter einen Rechtsverstoß feststellt, hat er die Validierung zu verweigern (Ziff. 5.4.3 Anhang V EMAS-VO), unabhängig davon, ob das Umweltmanagementsystem ansons-

584

Ewer, Hdbuch Umweltaudit, E Rdn. 16. Unter EMAS I war Prüfumfang und -tiefe des Umweltgutachters stark umstritten, vgl. Kämmerer, Umsetzung des Umwelt-Audit-Rechts, S. 87 ff. 585

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ten funktioniert. Die Prüfung der Funktionsfähigkeit des Umweltmanagementsystems ist also nur der Anlass für die Rechtskontrolle.

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass der Umweltgutachter keine umfassende Kontrolle in Bezug auf die Einhaltung aller Rechtsvorschriften im Unternehmen durchführen muss 586; er kann es bei stichprobenartigen Prüfungen belassen und ansonsten nur bei Auffälligkeiten, Lücken oder Unplausibilitäten in den ihm vorgelegten Dokumentationen in tiefere rechtliche Prüfungen einsteigen. Stellt er dabei Rechtsverstöße fest, hat er die Validierung zu verweigern. 2. Durchführung der Prüfung EMAS-VO und UAG machen dem Umweltgutachter Vorgaben, wie Prüfung und Validierung der Umwelterklärung abzulaufen haben. Grundlage ist nach Anhang V Ziff. 5.5.1 EMAS-VO eine schriftliche Vereinbarung zwischen Unternehmen und Umweltgutachter, also ein zivilrechtlicher 587 Vertrag (Werkvertrag 588, Dienstvertrag oder Geschäftsbesorgungsvertrag 589). Die Vorschriften der EMAS-VO sind als zwingendes Privatrecht Bestandteil dieses Vertrags 590. So muss sich der Unternehmer verpflichten, alle notwendigen Mitwirkungshandlungen vorzunehmen 591 und dem Umweltgutachter alle nötigen Befugnisse einzuräumen (Anhang V Ziff. 5.5.1 EMAS-VO). Der Unternehmer kann den Vertrag mit einem Umweltgutachter seiner Wahl abschließen 592. Der Umweltgutachter darf das Unternehmen nicht nur anhand von Daten und Unterlagen bewerten, sondern muss mindestens einmal persönlich das Unternehmen besichtigen und auch Gespräche mit den Mitarbeitern führen 593. Anders als im Produktsicherheitsrecht (s. o. § 4 C. III. 1. c) cc) sind Voraudits oder vorherige Beratungen unzulässig, weil der Umweltgutachter danach nicht mehr die geforderte Unabhängigkeit aufweisen würde 594. Nach Durchführung der Prüfung erstellt

586 Ewer, in: Dolde (Hrsg.), Umweltrecht im Wandel, S. 353 (368). Fachlich und zeitlich wäre er dazu vermutlich auch nicht in der Lage, vgl. Rehbinder/Heuvels, DVBl 1998, 1245 (1249). 587 Ritter, in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem, Verwaltungsorganisationsrecht, S. 207 (219 f.); Lechelt, Hdbuch Umweltaudit, A Rdn. 35. 588 So Schottelius, BB-Beil. 2/1997, 19; Ewer, Hdbuch Umweltaudit, E Rdn. 40. 589 So Schickert, Der Umweltgutachter, S. 477. 590 Schottelius, BB-Beil. 2/1997, 3; Moormann, Umweltaudit-Erfahrungen, S. 139; Schneider, Öko-Audit, S. 55. 591 Was sich allerdings auch schon aus § 642 BGB ergeben würde, Ewer, Hdbuch Umweltaudit, E Rdn. 40. 592 Lübbe-Wolff , NuR 1996, 217 (223). 593 Zum genauen Ablauf der Prüfung durch den Umweltgutachter ausf. Schickert, Der Umweltgutachter, S. 135 ff.

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2. Teil: Referenzbereiche

der Umweltgutachter einen Bericht an die Unternehmensleitung, in dem etwaige Mängel und Nachbesserungsmöglichkeiten angesprochen werden. Kommt das Unternehmen den Rügen nach und stellt die Mängel ab, kann der Umweltgutachter die Validierung doch noch vornehmen. Die Umwelterklärung soll grundsätzlich jährlich aktualisiert und neu validiert werden (Anhang III Ziff. 3.4 EMAS-VO), so dass auch die oben genannte Prüfung jährlich erfolgt. Nach dem Leitfaden der EG-Kommission zur Begutachtung und Gültigkeitserklärung sowie zur Häufigkeit der Umweltbetriebsprüfung (Anhang II zur Entscheidung vom 7. 9. 2001, 2001/681/EG) soll ein Umweltgutachter innerhalb des Drei-Jahres-Zyklus jedes Jahr ein Drittel der Tätigkeiten der Organisation überprüfen, so dass der Betrieb ständig überwacht wird und der Gutachter dauerhaft in den Betrieb eingebunden ist.

D. Staatliche Gewährleistung des Umweltschutzes Immissionsschutz-, Abfall- oder Wasserrecht sind staatliches Umweltschutzrecht, mit dem der Staat seinen Verpflichtungen aus den grundrechtlichen Schutzpflichten und Art. 20a GG nachkommt. Die materiellen Umweltschutzstandards dieser Gesetze werden durch das Umweltaudit nicht berührt; lediglich das Verfahren ihrer Umsetzung und Überwachung wird durch EMAS modifiziert. Um seiner Gewährleistungsverantwortung für den Umweltschutz nachzukommen, muss der Staat dafür Sorge tragen, dass diese von privater Seite durchgeführten Verfahren den hoheitlichen – soweit sie sie ersetzen – funktional äquivalent sind und auch ansonsten zu einer Verbesserung des Umweltschutzes führen. Diese Pflicht trifft sowohl die EG (wegen Art. 174 EGV) als auch die Nationalstaaten. I. Optimale Umsetzung von EMAS Erster Ansatzpunkt ist die Durchführung des Umweltaudits selbst. Der europäische Gesetzgeber geht davon aus, dass mit Hilfe bestimmter Verfahrensausgestaltungen (Selbstkontrolle, Umweltmanagementsysteme) die Einhaltung materieller Standards erreicht oder sogar verbessert werden kann. Unter dieser Prämisse muss die optimale Umsetzung und Durchführung dieses Verfahrens sichergestellt werden. EMAS installiert unternehmensinterne Verfahren und Strukturen, die für eine Einhaltung des materiellen Umweltrechts sorgen sollen und regelt die (interne und externe) Kontrolle dieser Verfahren und Strukturen. Hoheitliche Steuerungsund Einwirkungsmöglichkeiten bestehen dabei vorrangig bei den Umweltgutach-

594

Ziff. II. 1 UAG-Aufsichtsrichtlinie.

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tern und ihrer Tätigkeit. Der ordnungsgemäße Ablauf ihrer Prüfungen und ihre Sachkunde und Unabhängigkeit müssen gewährleistet sein. 1. Anerkennung und Aufsicht über die Umweltgutachter Die Verantwortung für den Umweltschutz verpflichtet den Gesetzgeber, bei der Einbindung Privater deren private Beiträge spezifischen Anforderungen zu unterwerfen 595. Weil es vor allem an den privaten Umweltgutachtern liegt, dass die Begutachtungen und Kontrollen in den Unternehmen einen Wert haben, müssen an sie besondere fachlich-qualitative Maßstäbe angelegt werden. Da es nicht ausreicht, diese Anforderungen ins Gesetz zu schreiben und auf ihre freiwillige Einhaltung durch die Gutachter zu vertrauen, muss die Erfüllung der gesetzlichen Anforderungen im Rahmen eines hoheitlichen Verfahrens geprüft werden 596. Umweltgutachter, deren Tätigkeit öffentlichrechtliche Wirkungen haben soll, müssen daher zugelassen werden 597; mit anderen Worten handelt es sich auch bei Umweltgutachtern nach der EMAS-VO um Anerkannte Stellen. a) Anforderungen an die Umweltgutachter aa) Vorgaben der EMAS-VO Die EMAS-VO enthält Mindestanforderungen für Umweltgutachter, gestattet dem nationalen Recht aber, höhere Anforderungen zu stellen 598. Die EMASVO legt Wert auf die fachliche Qualifikation, zu der vor allem „Kenntnis und Verständnis“ der EMAS-VO und der sonstigen einschlägigen Rechts- und Verwaltungsvorschriften gehören. Neben diesen rechtlichen Fragen muss der Gutachter auch Kenntnisse über umweltbezogene technische Aspekte und über „betriebswirtschaftliche“ Qualitäten in Bezug auf Managementsysteme, Betriebsprüfungen und Informationsbegutachtungen verfügen. Zusätzlich zu dieser fachlichen Qualifikation kommt es entscheidend auf seine Unabhängigkeit an.

595

Schickert, Der Umweltgutachter, S. 204. Schickert, Der Umweltgutachter, S. 204. 597 Umweltfachleute können Unternehmen in Bezug auf Umweltmanagementsysteme, Umweltbetriebsprüfungen etc. selbstverständlich auch dann beraten, wenn sie die gesetzlichen Anforderungen nicht erfüllen und auch nicht anerkannt sind. Nur dürfen sie sich dann nicht „Umweltgutachter“ nennen und die Unternehmen können dadurch keine EMASRegistrierung erlangen. 598 Anhang V Ziff. 5.2.1 EMAS-VO; Langerfeldt, NVwZ 2002, 1156 (1158). 596

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2. Teil: Referenzbereiche

bb) Umsetzung und weitergehende Anforderungen im deutschen Recht Das deutsche UAG konkretisiert und erweitert die gemeinschaftsrechtlichen Anforderungen an Umweltgutachter in den §§ 4–7 599; hinzukommen weitere Ausdifferenzierungen und Regelbeispiele in der UAG-Fachkunderichtlinie 600. Als Grundsatz fordert § 4 Abs. 1 UAG die Zuverlässigkeit, Unabhängigkeit und Fachkunde des Gutachters 601. Die fachliche Qualifikation wird nach § 7 UAG durch den Abschluss eines einschlägigen Studiums und eine mindestens dreijährige Berufserfahrung nachgewiesen sowie durch eine mündliche Prüfung zu den notwendigen Kenntnissen. Außerdem verlangt § 15 Abs. 7 UAG eine dauerhafte Fortbildung der Umweltgutachter. Zur Wahrung der Unabhängigkeit enthält § 6 UAG einen Verweis auf den Anhang V der EMAS-VO und zusätzlich eine Reihe von einleuchtenden Inkompatibilitätsvorschriften; insbesondere darf keine Tätigkeit für oder Beteiligung an Konkurrenten des zu begutachtenden Unternehmens vorliegen. Zulässig ist jedoch der Fall, dass ein Unternehmen an einer Umweltgutachterorganisation beteiligt ist und diese mit der Validierung der eigenen Umwelterklärung beauftragt, wenn nur eine Einflussnahme auf die Aufgabenwahrnehmung durch den Umweltgutachter ausgeschlossen ist 602. Dem Gemeinschaftsrecht unbekannt ist das Erfordernis der Zuverlässigkeit (§ 5 UAG). Die Regelbeispiele für Unzuverlässigkeit, die sich praktisch nur auf einschlägige Vorstrafen beziehen, sind aber auch so eng begrenzt, dass sie kaum einen Anwendungsspielraum haben werden. § 5 Abs. 2 Nr. 4 UAG dient ohnehin eher dem Schutz der Unabhängigkeit, denn ein Gutachter, der sich „nicht in geordneten wirtschaftlichen Verhältnissen“ befindet, ist erstens dem Wettbewerbsdruck noch stärker ausgesetzt und zweitens für finanzielle Beeinflussungen leichter empfänglich 603. b) Zulassung der Umweltgutachter Die Tätigkeit eines Umweltgutachters als solche ist eine freie Dienstleistung, die jeder am Markt anbieten kann 604. Eine Einbindung in das Umweltauditsystem

599

Dazu ausf. Schickert, Der Umweltgutachter, S. 172 ff. Dazu Ewer, Umweltgutachterausschuß, S. 89 ff. 601 Vgl. die Parallelen zu den § 19 Abs. 3 JMStV; §§ 11 Abs. 1 GPSG, 15 Abs. 1 MPG. 602 Kritisch zu den Unabhängigkeitsvorschriften Lübbe-Wolff , NuR 1996, 217 (222); Glatzner, Umweltaudit-Erfahrungen, S. 60 f. 603 Dazu Schickert, Der Umweltgutachter, S. 174 f. 604 Allerdings nicht unter der Berufsbezeichnung „Umweltgutachter“ (§ 4 Abs. 4 UAG). 600

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und die damit verbundenen Rechtswirkungen kann jedoch nur erfolgen, wenn der Umweltgutachter zugelassen worden ist (vgl. § 19 UAG). Die Zulassung (Akkreditierung) erfolgt durch die DAU GmbH per Verwaltungsakt 605. Erfüllt ein Umweltgutachter die oben genannten Voraussetzungen, kann er bei der DAU GmbH einen Antrag auf Zulassung stellen 606. Nach erfolgter Zulassung wird der Gutachter in die Gutachterliste aufgenommen, die der EG-Kommission mitgeteilt und veröffentlicht wird 607. Danach ist der Umweltgutachter berechtigt, Validierungen von Umwelterklärungen nach der EMAS-VO vorzunehmen. c) Aufsicht Die Umweltgutachter einer Aufsicht zu unterstellen, um ordnungsgemäße Validierungen und Prüfungen sicherzustellen, ist unentbehrlich, damit der Umweltschutz gewährleistet werden kann, aber auch damit Anerkennung und Vertrauen der Öffentlichkeit in das Umweltaudit gewonnen werden 608. Art. 4 Abs. 1 EMASVO verlangt daher von den Mitgliedstaaten, ein System für die Beaufsichtigung der Tätigkeiten der Umweltgutachter zu schaffen; europarechtlich konkretisiert wird dieses System durch Art. 4 Abs. 4 EMAS-VO i. V. m. Anhang V EMAS-VO. Die Aufsicht über die Umweltgutachter wird in Deutschland von der Zulassungsstelle, also der DAU GmbH, und damit von einer privaten Stelle wahrgenommen. Allerdings ist diese private Aufsichtsstelle per Rechtsverordnung beliehen und untersteht der Aufsicht des Bundesumweltministeriums und des öffentlichrechtlichen Umweltgutachterausschusses; außerdem sind Intensität und Art und Weise der Aufsicht durch die Richtlinien des Umweltgutachterausschusses verbindlich festgelegt 609. Es besteht also durchaus staatlicher Einfluss auf die Aufsichtstätigkeit. Bei der Aufsicht ist zwischen der Regelaufsicht und der Anlassaufsicht, die nur bei konkreten Anhaltspunkten, vor allem auf Grund von Beschwerden, tätig wird 610, zu unterscheiden. Im Rahmen der Aufsicht prüft die DAU GmbH bei den 605

Schickert, Der Umweltgutachter, S. 212. Laut Schneider, Öko-Audit, S. 75, betrug die Durchfallquote bei der Zulassung 1998 58,7 %. Laskowski, in: Schuppert (Hrsg.), Jenseits von Privatisierung, S. 93 (106), erwähnt eine Durchfallquote von 40%. 607 Die aktualisierte Liste aller deutschen Umweltgutachter findet sich auf der Homepage des DIHK (www.dihk.de) unter der Rubrik „Innovation und Umwelt/Umweltberatung/ÖkoAudit“. 608 Schneider, Öko-Audit, S. 76 f.; Schickert, Der Umweltgutachter, S. 216. 609 UAG-Aufsichtsrichtlinie vom 22. 06. 2004, BAnz Nr. 155 vom 19. 08. 2004, S. 18570; zum Inhalt und zur Wirkung diese Richtlinien, die Verwaltungsvorschriften darstellen, s. Ewer, Umweltgutachterausschuß, S. 86 ff., 91 ff. 610 Müller-Tappe, Umweltaudit-Erfahrungen, S. 49; Ziff. II. 3 UAG-Aufsichtsrichtlinie. 606

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2. Teil: Referenzbereiche

Umweltgutachtern zum einen, ob sie nach wie vor die Zulassungsvoraussetzungen (Unabhängigkeit, Fachkunde [hier vor allem die Erfüllung der Fortbildungspflicht, § 15 Abs. 7 UAG], Zuverlässigkeit; § 9 UAG) erfüllen, zum anderen, ob auch die Qualität ihrer Gutachten den Anforderungen der EMAS-VO in Prüfungstiefe, -inhalt und -umfang entspricht 611 (ähnlich der Kontrolle der Spruchpraxis der anerkannten Einrichtungen der Freiwilligen Selbstkontrolle im Jugendmedienschutz, s. o. § 3 F. III. 2. a); auch wird kontrolliert, ob die Gutachter-Verträge mit den Unternehmen den zulässigen und notwendigen Inhalt haben 612. Die Regelaufsicht erfolgt dergestalt, dass die Zulassungsstelle die schriftlichen Unterlagen der Umweltgutachter prüft; dazu müssen die Umweltgutachter nach § 15 Abs. 2 Nr. 4 UAG alle notwendigen Unterlagen, zum Beispiel die GutachterVereinbarungen mit den Unternehmen, Prüfprotokolle oder die Berichte an die Geschäftsleitung, bei der Zulassungsstelle vorlegen 613. Mindestens alle sechs Jahre werden so genannte „witness audits“ und „office audits“ durchgeführt, das heißt der Umweltgutachter bei einer seiner Prüfungen begleitet und seine Geschäftsstelle geprüft 614, wobei der Umweltgutachter nach § 15 Abs. 6 UAG zur Mitwirkung verpflichtet ist. Werden bei der Aufsichtstätigkeit Verstöße festgestellt, steht der DAU GmbH ein abgestuftes Instrumentarium an Aufsichtsmaßnahmen zur Verfügung 615, das von schriftlichen Hinweisen, Beanstandungen und Verwarnungen über eine Intensivierung der Überwachung bis hin zu vorläufigen Untersagungen der gutachterlichen Tätigkeit oder der teilweisen oder vollständigen Aufhebung der Zulassung reicht 616. Neben der Zulassung und Überwachung der deutschen Umweltgutachter ist auch die Überwachung aller in der Bundesrepublik Deutschland vorgenommener Begutachtungen Aufgabe der DAU GmbH (§ 18 UAG). Umweltgutachter dürfen im gesamten EG-Gebiet tätig werden, das heißt auch Umweltgutachter aus dem EG-Ausland dürfen ohne weitere Zulassung in Deutschland Prüfungen durchführen. Allerdings müssen sie diese Tätigkeit vorher bei der nationalen Zulassungsstelle anzeigen (notifizieren) und unterliegen der Überwachung durch diese.

611 Einführung zur UAG-Aufsichtsrichtlinie; Waskow, Umweltaudit-Erfahrungen, S. 80; Ewer, Umweltgutachterausschuß, S. 92. 612 S. Ziff. II. 2 b) 1. Spstr. UAG-Aufsichtsrichtlinie; Moormann, Umweltaudit-Erfahrungen, S. 139. 613 Ziff. II. 2 b) UAG-Aufsichtsrichtlinie; Ewer, Hdbuch Umweltaudit, E Rdn. 54. 614 Langerfeldt, NVwZ 2002, 1156 (1160). 615 Damit unterscheidet sich das Umweltaudit deutlich von der Regulierten Selbstregulierung im Jugendmedienschutz, Produktsicherheitsrecht und Bilanzkontrollrecht, wo jeweils die einzige mögliche Sanktion der Aufsicht die Aufhebung der Anerkennung ist. 616 §§ 16, 17 UAG, Ziff. II. 4 UAG-Aufsichtsrichtlinie; dazu Schickert, Der Umweltgutachter, S. 218 f., 225 f.

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Über ihre Aufsichtstätigkeit muss die DAU halbjährlich einen Bericht an den Umweltgutachterausschuss beim Bundesumweltministerium vorlegen (§ 21 Abs. 2 UAG); darin ist vor allem auf die gegenüber den Umweltgutachtern getroffenen Aufsichtsmaßnahmen einzugehen. Bei Bedarf kann der Umweltgutachterausschuss auch von sich aus von der DAU Berichte zu speziellen Fragen anfordern (§ 21 Abs. 2 S. 3 UAG). d) Kontrollkette Insgesamt ergibt sich damit für das Umweltaudit ein Bild der mehrfach gestuften Aufsicht und Kontrolle der teilnehmenden Unternehmen. Das Unternehmen selbst muss intern auf der Managementebene einen Verantwortlichen bestellen, der die Einhaltung der Umweltvorschriften und das Funktionieren der Eigenüberwachung sicherstellt; außerdem muss das Unternehmen selbst Umweltbetriebsprüfungen vornehmen. Diese Selbstüberwachung der Unternehmen wird vom Umweltgutachter geprüft und kontrolliert. Der Umweltgutachter selbst wird wiederum von der Zulassungsstelle, der DAU GmbH, beaufsichtigt. Die DAU untersteht der Aufsicht des Umweltgutachterausschusses, der wiederum der Rechtsaufsicht des Bundesumweltministeriums untersteht. 2. Kontrolle durch die Öffentlichkeit Der Öffentlichkeit beziehungsweise nicht-staatlichen Institutionen (wie Umweltschutzverbänden) werden im Rahmen von EMAS wichtige Kontrollaufgaben eingeräumt 617, vor allem in Bezug auf die Selbstverpflichtung der Unternehmen zur kontinuierlichen Verbesserung des Umweltschutzes (die mit behördlichen Mitteln nicht erzwungen werden kann). Grundlage für diese „Kontrolle“ soll die Umwelterklärung sein. Über das Ansehen des Unternehmens in der Öffentlichkeit und die durch das umweltbezogene Verhalten des Unternehmens beeinflusste Kaufentscheidung der Verbraucher sollen die Unternehmen zur Teilnahme an und zur Einhaltung der Vorgaben von EMAS faktisch gezwungen werden 618. Voraussetzung dafür wäre allerdings, dass sich „die Öffentlichkeit“, das heißt Anwohner, Umweltschutzverbände, Medien, Kunden oder Lieferanten, tatsächlich für die Umwelterklärungen der Unternehmen interessieren, was wiederum voraussetzt, dass die Erklärung interessante Informationen enthält. Laut einer Umfrage des UBA aus dem Jahre 1999 ist das Interesse dieser Kreise an den Umwelterklärungen jedoch weit hinter den ursprünglichen Erwartungen zurückgeblieben 619.

617 618 619

Schickert, Der Umweltgutachter, S. 113. Schickert, Der Umweltgutachter, S. 113 f. Zit. nach Ensthaler u. a., UAG/EMAS-VO, S. 44.

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3. Indirekte Anreize zur optimalen Durchführung von EMAS Das Umweltaudit ist ein Instrument der indirekten Steuerung; es soll also nicht durch rechtlichen Zwang, sondern durch rechtliche und wirtschaftliche Anreize zur Einhaltung der Umweltvorschriften beitragen. Aber auch die optimale Implementation des Umweltaudits selbst kann auf diesem indirekten Wege gefördert werden. a) Teilnehmende Unternehmen Die Unternehmen erhalten eine EMAS-Registrierung und die damit verbundenen rechtlichen und wirtschaftlichen Vorteile nur, wenn der beauftragte Umweltgutachter seine Arbeit vorschriftsmäßig macht. Arbeitet der Umweltgutachter nicht ausreichend gründlich, wird nach Art. 6 Nr. 2 EMAS-VO die Registrierung des Unternehmens verweigert oder ausgesetzt. Der Inanspruchnahme auf Schadensersatz nach dem BGB oder dem Umwelthaftungsgesetz (UmwHG) und der Verfolgung wegen Umweltstraftaten kann ein Unternehmen am besten entgehen, wenn Risiken und Gefahren unternehmensintern frühzeitig erkannt, gemeldet und behoben werden. Diese Funktion kann das Umwelt-Audit-System aber nur übernehmen, wenn es ordnungsgemäß implementiert wird. Es ist Sinn und Zweck einer korrekten Umweltbetriebsprüfung und eines funktionsfähigen Umweltmanagementsystems, dazu beizutragen, (Umwelt-) Haftungsrisiken frühzeitig zu erkennen und zu verringern. Der externe Umweltgutachter bringt dabei seinen Sachverstand zur Umsetzung der EMAS-Vorgaben ein. In einem dennoch stattfindenden Gerichtsprozess kann eine ordnungsgemäße, zuverlässige und vertrauenswürdige Dokumentation der Unternehmensinterna als Beweismittel eine wichtige Rolle spielen; wenn die unternehmensinternen Dokumente zusätzlich durch einen externen unabhängigen Sachverständigen im Rahmen des Umweltaudits validiert sind, dürfte sich ihre Glaubwürdigkeit noch erhöhen. Die korrekte Arbeit der Umweltgutachter ist auch Voraussetzung für das Vertrauen der interessierten Kreise in das Umweltaudit. Der Imagegewinn beim Kunden oder die besseren Konditionen bei Banken und Versicherung durch eine EMASRegistrierung sind – wenn überhaupt – nur erreichbar, wenn diese davon überzeugt sind, dass die Unternehmen EMAS grundsätzlich ordnungsgemäß anwenden und dass die Umweltgutachter ihren Prüf- und Kontrollaufgaben nachkommen. Es liegt also insgesamt auch im eigenen Interesse der teilnahmewilligen Unternehmen, qualifizierte und unabhängige Umweltgutachter zu beauftragen, deren Arbeit im Unternehmen zu fördern und bei Fehlern und Mängeln diese nicht in kollusivem Zusammenwirken mit Gutachtern zu vertuschen.

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b) Umweltgutachter Auch der Umweltgutachter selbst sollte ein Interesse daran haben, seine Arbeit lege artis durchzuführen und sich nicht etwa beispielsweise durch hohe Honorare oder die Aussicht auf weitere Aufträge zu „Gefälligkeitsgutachten“ verleiten zu lassen. Immerhin haftet ein Umweltgutachter unter Umständen für falsche Gutachten auf Schadensersatz 620. Davon geht zumindest § 30 UAG aus, der die Haftung bei Fahrlässigkeit entsprechend der Haftung eines Wirtschaftsprüfers nach § 323 Abs. 2 HGB auf eine bzw. vier Millionen € begrenzt. Umweltgutachter und Unternehmen stehen in vertraglichen Beziehungen (Werk- oder Geschäftsbesorgungsvertrag, s. o. § 5 C. III. 2.), auf die die allgemeinen vertraglichen Haftungstatbestände anwendbar sind. Wenn dem Unternehmen ein Schaden entsteht, der durch sorgfältige Arbeit des Umweltgutachters hätte verhindert werden können, kann es den Gutachter in Anspruch nehmen. Eine Inanspruchnahme des Gutachters durch das Unternehmen ist rein theoretisch auch denkbar, wenn der Umweltgutachter die Validierung unberechtigterweise verzögert oder ganz verweigert. Dies ist eine Vertragsverletzung, allerdings dürfte es dem Unternehmen schwer fallen, die konkreten Kosten und Schäden, die durch ein Unterbleiben der Registrierung entstehen, zu beziffern. Aber auch eine Schadensersatzhaftung gegenüber Dritten wegen mangelhafter Arbeit des Umweltgutachters kommt in Betracht. Zwar wird eine Haftung gegenüber Dritten aus § 823 Abs. 1 BGB regelmäßig ausscheiden, auch wenn Fälle denkbar sind, in denen es der Gutachter unterlässt, auf Mängel hinzuweisen, die zu Schäden an Rechtsgütern Dritter führen. Umweltgutachter sind Dritten gegenüber aber nicht verpflichtet, solche Mängel aufzudecken 621. Denkbar ist jedoch eine Haftung aus Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter, wenn das auditierte Unternehmen die Umwelterklärung bestimmungsgemäß gegenüber Investoren, Kreditgebern, Versicherungen etc. verwendet und diese auf Grund falscher Angaben in der Umwelterklärung Vermögensschäden erleiden 622 (dazu unten § 15 C. I. 2.). Neben diesen Haftungsrisiken besteht für den unsorgfältig arbeitenden Umweltgutachter die Gefahr, dass ihm von der Aufsichtsstelle die Zulassung und damit seine wirtschaftliche Grundlage entzogen wird. Und schließlich sieht § 37 Abs. 1 Nr. 12 UAG einen Bußgeldtatbestand vor, wenn ein Umweltgutachter eine Umwelterklärung validiert, obwohl er im Unternehmen Rechtsverstöße festgestellt hat (so dass nach Anhang V Ziff. 5.4.3 EMAS-VO eine Gültigerklärung zwingend 620 621 622

Dazu Schickert, Der Umweltgutachter, S. 477 ff. Schickert, Der Umweltgutachter, S. 483. Schickert, Der Umweltgutachter, S. 485 f.

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2. Teil: Referenzbereiche

zu versagen gewesen wäre). Auch für Umweltgutachter bestehen somit Anreize, die Vorgaben der EMAS-VO und des UAG einzuhalten. II. Informationsaustausch Folge der staatlichen Verantwortung für den Umweltschutz ist nicht nur, dass dafür Sorge zu tragen ist, dass das Umweltauditverfahren möglichst optimal umgesetzt wird, sondern auch, dass wenn die Selbstregulierung fehlerhaft arbeitet, diese Fehler aufgedeckt werden und der Staat das Verfahren wieder an sich zieht. Voraussetzung dafür ist ein umfassender Informationsaustausch. Die Regelanfrage der Registerstellen bei den zuständigen Umweltbehörden in Bezug auf etwaige Umweltrechtsverstöße des einzutragenden Unternehmens wurde oben bereits erwähnt. Aber auch nach einer Eintragung ins EMAS-Register wird die Eintragung ausgesetzt oder zurückgenommen, wenn Rechtsverstöße des auditierten Unternehmens bekannt werden; auf diese Weise ist dafür gesorgt, dass die EMAS-Privilegierungen jederzeit kurzfristig beendet werden können. Ebenso muss die Registerstelle die zuständigen Umweltbehörden über das Ergebnis der Registrierung und damit auch über eine Versagung derselben informieren (§ 33 Abs. 5 UAG); die Versagung der Registrierung kann für die Behörde ein Anlass sein, das Unternehmen verstärkt zu kontrollieren. Des Weiteren muss der Umweltgutachter der Zulassungsstelle Bericht erstatten und Dokumente vorlegen, die Zulassungsstelle muss dem Umweltgutachterausschuss Bericht erstatten. Insofern ist der Informationsfluss zwischen Selbstregulierung und Behörden in ausreichendem Maße gewährleistet. III. Allgemeine Befugnisse der Umweltschutzbehörden Auch wenn das Umweltaudit einen Fall der Regulierten Selbstregulierung darstellt und der Schwerpunkt der Verantwortung bei den Umweltgutachtern und deren Überwachung durch die DAU GmbH liegt, ändert dies nichts daran, dass das staatliche Umweltrecht nach wie vor in vollem Umfang gilt und von den staatlichen Umweltbehörden vollzogen wird. Die Umweltbehörden behalten den vollen Zugriff auf die Unternehmen, anders als im Jugendmedienschutz, Produktsicherheitsrecht oder Bilanzkontrollrecht. Die präventive Kontrolle, also das Genehmigungserfordernis für besonders umweltrelevante Vorhaben, wird durch EMAS nicht verringert. Die meisten der Privilegierungen „können“ oder „sollen“ gewährt werden, sind aber nicht verpflichtend vorgeschrieben; andere greifen nur, wenn das Verfahren nach EMAS dem behördlichen Verfahren gleichwertig ist. Eine Behörde, die Zweifel an der Arbeit eines Umweltgutachters oder an der korrekten Umsetzung von EMAS in einem Unternehmen hat, kann das volle ordnungsrechtliche

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Instrumentarium zum Einsatz bringen. Insofern kann der Staat seiner Gewährleistungsverantwortung nach wie vor nachkommen.

E. Struktur der Regulierten Selbstregulierung beim Umweltaudit Das Umweltauditsystem funktioniert zweistufig. Auf der ersten Stufe muss sich ein Unternehmen – aus eigenem Antrieb – dazu entschließen, sich selbst entsprechend den Vorgaben von EMAS-VO und UAG zu organisieren, das heißt vor allem ein Umweltmanagementsystem zu installieren, Umweltbetriebsprüfungen durchzuführen und Umwelterklärungen herauszugeben. Das Umweltauditsystem setzt also vorrangig beim Unternehmen an und setzt auf Selbstkontrolle und Eigenverantwortung. Um an EMAS teilnehmen zu können, sollen die Unternehmen ihren Betrieb im Hinblick auf Umweltaspekte gründlich analysieren und so organisieren, dass das geltende Umweltrecht eingehalten und eine ständige Verbesserung der Umweltleistung erreicht wird. Auf der zweiten Stufe schließt das Unternehmen mit einem privaten, nicht beliehenen Umweltgutachter einen privatrechtlichen Vertrag. Auf Grund dieses Vertrags kontrolliert und prüft der Gutachter, ob die interne Organisation des Unternehmens den gesetzlichen Anforderungen (aus EMAS-VO und UAG) entspricht. Die Kontrolle der Gesetzeskonformität eines Unternehmens wird also nicht durch die Umweltbehörden, sondern durch private Sachverständige vorgenommen; es handelt sich insoweit um eine Form der Verfahrensprivatisierung 623. Der Umweltgutachter trägt dazu bei, dass im Unternehmen die Rechtsvorschriften beachtet werden und er übernimmt – neben den hoheitlichen Umweltbehörden – zum Teil auch die Überwachung der Einhaltung des geltenden Rechts. Kommt der Gutachter zu einem positiven Ergebnis, gibt er eine (private) Validierungserklärung ab. Auf Grund dieser privaten Erklärung trägt die hoheitliche Registerstelle ohne weitere eigene Prüfung das Unternehmen in ein Register ein (Verwaltungsakt), woran sich öffentlichrechtliche Privilegierungen anschließen (innerbetriebliche Vorteile entstünden nicht nur bei der Teilnahme an EMAS, sondern auch bei Umweltmanagementsystemen nach anderen Normen, zum Beispiel der ISO 14.000). Auf Grund der Eintragung werden gesetzliche Verfahrenserfordernisse teilweise ersetzt oder zurückgenommen, weil das Verfahren nach EMAS vom Gesetzgeber als gleichwertig angesehen wird. Der Umweltgutachter ist ein privater Sachverständiger, der einen freien Beruf betreibt. Damit der Umweltgutachter diese private Erklärung über die Gesetzeskonformität abgeben darf, muss der Umweltgutachter selbst bestimmten gesetzlichen 623

(217).

Ritter, in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem, Verwaltungsorganisationsrecht, S. 207

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2. Teil: Referenzbereiche

Anforderungen entsprechen, öffentlichrechtlich zugelassen sein und beaufsichtigt werden. Das Umweltaudit ist insofern Selbstregulierung, als es die Unternehmen selbst sind, die sich freiwillig entsprechend den gesetzlichen Vorgaben der EMAS-VO und des UAG organisieren und selbst kontrollieren. Regulierte Selbstregulierung wird daraus aber erst durch die zweite Stufe der Selbstregulierung, die Kontrolle durch die privaten Umweltgutachter, die einerseits die Selbstregulierung der Unternehmen kontrollieren und andererseits selbst wiederum durch die hoheitliche Aufsicht kontrolliert und reguliert werden. Bei der ersten Stufe handelt es sich um echte Selbstkontrolle, weil die Normadressaten identisch mit den Kontrolleuren sind; die Umweltgutachter hingegen bilden keine „Selbst“kontrolle mehr, ebenso wenig wie die Anerkannten Stellen im Jugendmedienschutz, Produktsicherheitsrecht oder Bilanzkontrollrecht. Die Umweltgutachter repräsentieren nicht diejenigen Unternehmen und Wirtschaftsteilnehmer, die ihre Dienste in Anspruch nehmen; stattdessen greifen die Unternehmen auf die Dienstleistung anderer, unabhängiger Wirtschaftsteilnehmer zurück. Anreize für die Unternehmen zur Teilnahme liegen darin, dass der Verbrauch von Ressourcen und damit Kosten gesenkt werden und die internen Abläufe verbessert werden. Insoweit ist der Ansatz des Umweltaudits vergleichbar mit der Einrichtung von Qualitätssicherungssystemen im Produktsicherheitsrecht 624. Neben dieser internen Wirkung soll das Umweltaudit für eine verbesserte Kommunikation mit der Öffentlichkeit und damit für eine verbesserte Außendarstellung sorgen. Zum einen soll das Vertrauen der Öffentlichkeit gestärkt werden, weil das Informationsbedürfnis befriedigt wird. Vor allem aber dient das Umweltaudit der Imagepflege; ganz im Gegensatz zum CE-Zeichen soll das Umweltaudit als „Gütesiegel“ für das Unternehmen dienen und dem Verbraucher und anderen interessierten Kreisen signalisieren, dass im auditierten Unternehmen funktionsfähige Umweltmanagementsysteme bestehen. Zusätzlich zu diesen wirtschaftlichen und Wettbewerbsvorteilen kommen registrierte Unternehmen mittlerweile – zumindest in der Bundesrepublik Deutschland – auch in den Genuss von Vorteilen bei umweltrechtlichen Verfahren.

624

Zur analogen Struktur von EMAS und der Zertifizierung nach der Neuen Konzeption auch Ensthaler u. a., UAG/EMAS-VO, S. 21 f.

§ 6 Wirtschaftsrecht

261

§ 6 Wirtschaftsrecht: Jahres- und Konzernabschlussprüfung nach § 342b HGB, §§ 37n ff. WpHG Die bisher dargestellten Referenzbereiche (Jugendmedienschutz, Produktsicherheit, Umweltschutz) gehören dem Öffentlichen (Verwaltungs-)Recht an; auch im Wirtschaftsrecht gibt es jedoch Beispiele für Regulierte Selbstregulierung. So kennt das Kapitalmarktrecht 625 eine zweistufige Kontrolle der Rechnungslegung börsennotierter Unternehmen durch eine öffentlichrechtlich regulierte private Prüfstelle und durch die (hoheitliche) Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht 626.

A. Überblick über die Kontrolle der Rechnungslegung In einer Marktwirtschaft kann – und sollte – der Staat nicht bestimmen, wie und wann bestimmte Investitionsentscheidungen getroffen werden. Der optimale Einsatz von Ressourcen soll durch den Markt und nicht durch staatliche Steuerung erfolgen. Allerdings kann die Rechtsordnung das Verhalten der Marktteilnehmer indirekt steuern, indem sie die Voraussetzungen dafür schafft, dass der Wettbewerb nicht verfälscht wird und die Marktkräfte ihre Wirkung tatsächlich entfalten können 627. Unabdingbar für einen funktionierenden Markt ist der Zugang aller Marktteilnehmer zu möglichst wahrheitsgetreuen und aktuellen Informationen 628. Eine bedeutsame Informationsquelle ist die Rechnungslegung der Unternehmen 629. Alle Unternehmen – vom Einzelkaufmann bis zum Großkonzern – sind nach den §§ 242 ff. HGB zu einer Rechnungslegung verpflichtet, die einen Einblick in den Zustand des Unternehmens ermöglichen soll. Bilanzen, Gewinnund Verlustrechnungen, Lageberichte etc. dienen (unter anderem) Investoren bei ihren Anlageentscheidungen, potenziellen Lieferanten und Kunden bei der Frage der Absicherung der eigenen Forderungen und Kreditgebern bei der Vergabeent625 Das Kapitalmarktrecht wird vor allem vom WpHG und vom BörsenG gebildet. Zur genaueren Definition und Abgrenzung Merkt/Binder, Jura 2006, 683 f. 626 Nach Jahn, ZRP 2004, 68 (69) ein „Mittelweg zwischen Staatsaufsicht und Selbstregulierung“. 627 Zur Bedeutung und Schutzwürdigkeit sowie -bedürftigkeit der Kapitalmärkte Merkt/ Binder, Jura 2006, 683 (687 f.). 628 Hommelhoff/Mattheus, BB 2004, 93; Merkt/Binder, Jura 2006, 683 (688); Teichmann, JuS 2006, 953: „Informationen sind das Lebenselixier des Kapitalmarkts“. S. auch Vogel, Anlegerschutz, passim. 629 Daneben bestehen speziell für börsennotierte Unternehmen eine Vielzahl weiterer Informationspflichten (Prospekte, Regelberichterstattung, Ad Hoc-Publizität, Beteiligungsmeldungen); dazu ausf. Vogel, Anlegerschutz, S. 43 ff.

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2. Teil: Referenzbereiche

scheidung 630. Eine ordnungs- und wahrheitsgemäße Rechnungslegung ist daher unentbehrlich für eine sinnvolle Anlageentscheidung und damit für eine optimale Ressourcenallokation 631. Besondere Bedeutung erlangt die Rechnungslegung bei den börsennotierten Kapitalgesellschaften, weil sie im Regelfall die größten Unternehmen einer Volkswirtschaft bilden und sich die „Stimmung“ an der Börse leicht auf die allgemeine wirtschaftliche Lage auswirkt 632. Verantwortlich für eine Rechnungslegung, die den gesetzlichen Vorschriften entspricht und ein möglichst wahrheitsgemäßes Bild der finanziellen Situation des Unternehmens abgibt, sind die Unternehmen bzw. das jeweils zuständige Organ des Unternehmens. Allerdings haben zahlreiche Bilanzskandale, vor allem in den USA aber auch in der Bundesrepublik Deutschland, gezeigt, dass einige Unternehmen ihren gesetzlichen Verpflichtungen nicht nachkommen, mit gravierenden Folgen für Anleger und Mitarbeiter aber auch für die Kapitalmärkte insgesamt 633. Auch wenn nur ein geringer Teil der Unternehmen seine Bilanzen fälscht, so fördert dies doch das allgemeine Misstrauen in die Ehrlichkeit von Unternehmen und damit in die Wirtschaft insgesamt. Angesichts der existenziellen Angewiesenheit der Kapitalmärkte auf das Vertrauen von Investoren – seien es Privatanleger oder institutionelle Großinvestoren – beeinträchtigen auch wenige schwarze Schafe die Funktionsfähigkeit der Kapitalmärkte enorm. Und selbst wenn ein Unternehmen nicht vorsätzlich Rechtsverstöße bei der Rechnungslegung begeht, mag es doch sein, dass die stetig steigenden Anforderungen an die Rechnungslegung und die weit reichende Einführung internationaler Rechnungslegungsstandards (zum Beispiel durch Art. 3 IAS-VO) die Unternehmen „schlichtweg überfordert“ 634. Das Vertrauen der Kapitalmärkte in die Bilanzen eines Unternehmens wird dadurch ebenfalls nicht gestärkt. Als Konsequenz aus den Skandalen um „WorldCom“, „Enron“, „Comroad“, „Flowtex“ und andere hat die Bundesregierung deshalb im Frühjahr 2003 ein Zehn-Punkte-Programm zur Stärkung des Vertrauens der Öffentlichkeit in die Kapitalmärkte vorgelegt. Aus diesem Programm ging das Bilanzkontrollgesetz (BilKoG) 635 hervor, das die §§ 342b – 342e in das HGB und die §§ 37n – 37u in das Wertpapierhandelsgesetz (WpHG) einfügte.

630

Schnorr, ZHR 170 (2006), 9 (15); nach Basel II hängen die Konditionen der Kreditvergabe vom Rating des Unternehmens ab, in das wiederum die Rechnungslegungsunterlagen einfließen. 631 Müßig, NZG 2004, 796; Teichmann, JuS 2006, 953 f. 632 Eindrucksvoll illustriert durch die Interneteuphorie und den folgenden Crash Ende der 1990er Jahre. 633 BT-Drs. 15/3421 S. 11. Wolf, DStR 2004, 244: Schäden von 100 Mrd. € bzw. 30 Mrd. € allein bei den Zusammenbrüchen von Worldcom und Enron. 634 Hommelhoff/Mattheus, BB 2004, 93.

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Damit wurde zum 1. Juli 2005 ein zweistufiges „Enforcement“-Verfahren 636 zur Kontrolle der Rechnungslegung eingeführt, das durch eine unabhängige und objektive Prüfung der Rechnungslegung deren Richtigkeit gewährleisten soll. Durchgeführt wird die Prüfung an den §§ 242 ff. HGB in erster Linie von einer privaten, staatlich anerkannten Prüfstelle 637 als Teil einer Selbstregulierung der Wirtschaft 638. Weigert sich ein Unternehmen, mit dieser zu kooperieren oder wird die Prüfung durch die private Prüfstelle nicht ordnungsgemäß durchgeführt, greift die hoheitliche Kapitalmarktaufsicht ein und übernimmt die Bilanzprüfung. Diese Zweistufigkeit soll sowohl die Nachteile einer rein privatwirtschaftlichen Kontrolle als auch die einer rein bilanzpolizeilichen Aufsicht vermeiden 639. Entdeckte Unregelmäßigkeiten werden veröffentlicht; daneben greifen die gesellschaftsrechtlichen Folgen, wie etwa die Möglichkeit einer Nichtigkeitsklage gegen den Jahresabschluss, der damit nicht mehr als Grundlage für Gewinnausschüttungen dienen kann. Zudem sind Pflichtverletzungen bei der Rechnungslegung durch Bußgeld- und Straftatbestände bewehrt. Allein die Möglichkeit, dass die Rechnungslegung eines Unternehmens von Außenstehenden geprüft und etwaige Fehler öffentlich bekannt gemacht werden, soll mittels Abschreckung präventiv der Erstellung falscher Bilanzen entgegenwirken 640. Der Gesetzgeber hat sich damit von der bisherigen Selbstkontrolle allein durch die Wirtschaftsprüfer verabschiedet und im Interesse des Anlegerschutzes eine ordnungspolitische Absicherung der Funktionsfähigkeit der Kapitalmärkte eingeführt.

635 Gesetz zur Kontrolle von Unternehmensabschlüssen vom 15. 12. 2004, BGBl I S. 3408. 636 Großfeld, NZG 2004, 105. „Enforcement“ bedeutet dabei nichts anderes als die Überwachung der Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften und die Ergreifung geeigneter Maßnahmen bei der Entdeckung von Verstößen (CESR Standard No. 1 on Financial Information, B [Definition of Enforcement]). 637 Die Einrichtung einer solchen Prüfstelle geht auf den Vorschlag der „Corporate Governance“-Kommission der Bundesregierung zurück und orientiert sich am Vorbild des britischen Financial Reporting Review Panel (FRRP), vgl. Baetge/Lienau, DB 2004, 2277 (2278); Großfeld, NZG 2004, 105; Hommelhoff/Mattheus, BB 2004, 93; Bangert, Durchsetzungssysteme, S. 48; auch die Commission of European Securities Regulators (CESR) hat einen ähnlichen Vorschlag unterbreitet; zur Tätigkeit des FRRP s. Bangert, Durchsetzungssysteme, S. 41 ff. 638 Hennrichs, ZHR 168 (2004), 383 (400). 639 Hommelhoff/Mattheus, BB 2004, 93 (94). 640 Baetge/Lienau, DB 2004, 2277 (2278).

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2. Teil: Referenzbereiche

B. Rechtsgrundlagen und Akteure I. Rechtsgrundlagen der Rechnungslegung und ihrer Kontrolle Das Wirtschafts-, Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht ist bereits seit langem durch Gemeinschaftsrecht geprägt 641 und gerade die Rechnungslegung wird entscheidend durch EG-Richtlinien bestimmt 642. Auf die Globalisierung und die damit einhergehende (gewünschte) Vereinheitlichung und Internationalisierung der Wirtschaftsstandards hat die Europäische Gemeinschaft unter anderem mit der VO 1606/2002/EG (IAS-VO) zur Bilanzierung nach IAS/IFRS (International Accounting Standards/International Financial Reporting Standards) 643 reagiert, deren Art. 4 für alle börsennotierten Konzerne in der Gemeinschaft einen Konzernabschluss nach den IAS verpflichtend vorschreibt (vgl. auch § 315a HGB). Die §§ 342b ff. HGB, §§ 37n ff. WpHG beruhen allerdings nicht auf gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben. Zur Kontrolle und Durchsetzung der – auch europarechtlich vorgegebenen – Rechnungslegungsstandards trifft das Gemeinschaftsrecht (noch) keine Regelungen. Zwar verlangt Erwägungsgrund 16 der erwähnten VO 1606/2002/EG von den Mitgliedstaaten „angemessene und strenge Durchsetzungsregelungen“ für die Rechnungslegungsvorschriften; das Modell des zweistufigen Rechnungslegungsenforcements ist aber ein „genuin deutscher Ansatz“ 644. Die EG-Wertpapieremittenten-Transparenzrichtlinie (WpTranspRL) 645 verpflichtet Wertpapieremittenten (also auch börsennotierte Aktiengesellschaften) zu regelmäßiger und laufender Information (Art. 1 Abs. 1). So muss ein Jahresfinanzbericht veröffentlicht werden, der den geprüften Jahresabschluss und den Lagebericht enthält (Art. 4 Abs. 2), bei Aktienemittenten sogar Halbjahresfinanzberichte mit einem verkürzten Jahresabschluss (Art. 5 Abs. 2). Die Bundesregierung hatte sich in der Gesetzesbegründung zum BilKoG vorbehalten, das Rechnungslegungsenforcement auch auf diese Berichte auszudehnen 646, was durch die Einfügung der §§ 37v – 37z WpHG und eine Änderung der §§ 37n, 37o WpHG zum 20. 01. 2007 bzgl. der Halbjahresfinanzberichte inzwischen auch geschehen ist.

641

Vogel, Anlegerschutz, S. 17. RL 78/660/EWG (Jahresabschlüsse von AG, KGaA, GmbH), RL 83/349/EWG (konsolidierte Abschlüsse in Konzernen), RL 86/635/EWG (Abschlüsse von Banken und Finanzinstituten); RL 90/605/EWG (Kapitalgesellschaften&Co) und RL 91/674/EWG (Abschlüsse von Versicherungsunternehmen), geänd. durch die RL 2001/65/EG und RL 2003/51/EG. 643 Vom 19. 07. 2002, ABlEG L 243/1. 644 Hommelhoff/Mattheus, BB 2004, 93 (94). 645 RL 2004/109/EG vom 15. 12. 2004; ABlEG L 390/38. 646 BT-Drs. 15/3421 S. 12; Hommelhoff/Mattheus, BB 2004, 93 (95 f.). 642

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1. Staatliches Recht Rechtsgrundlage für die Regulierte Selbstregulierung in der Rechnungslegungskontrolle sind die §§ 342b – 342e HGB und der Elfte Abschnitt des Wertpapierhandelsgesetzes (§§ 37n – 37u WpHG). Das materielle Recht, an dem die Rechnungslegung zu messen ist, ergibt sich aus dem Dritten Buch des HGB (Handelsbücher, §§ 238– 342e HGB), aus den §§ 150 ff. AktG, aus den §§ 37v ff. WpHG und aus dem unmittelbar anwendbaren Gemeinschaftsrecht wie der VO 1606/2002/EG und damit auch aus den IAS/IFRS. Das BörsenG enthält hingegen keine inhaltlichen Vorgaben für die Rechnungslegung und bleibt deshalb bei der Prüfung durch die private Prüfstelle außer Betracht. Die Organisation der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht und ihre Finanzierung sowie auch die Finanzierung der privaten Prüfstelle ergeben sich aus dem Finanzdienstleistungsaufsichtsgesetz (FinDAG) 647. 2. Regeln der Prüfstelle Neben dem staatlich gesetzten Recht sind bei Regulierter Selbstregulierung auch die von der Anerkannten Stelle verwendeten sonstigen Regeln von Bedeutung. Im Falle der Rechnungslegungsprüfung ergeben sich diese zum einen aus dem Anerkennungsvertrag der Prüfstelle mit dem Bundesjustizministerium vom 30. 3. 2005, zum anderen aus der Satzung des Trägervereins und der Verfahrensordnung der Prüfstelle 648. II. Verantwortliche für Rechnungslegung und Rechnungslegungsprüfung 1. Hoheitliche Akteure Die Kontrolle der Rechnungslegung börsennotierter Unternehmen obliegt grundsätzlich der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin), die durch die Zusammenlegung der früheren Bundesaufsichtsämter für das Kreditwesen (BAKred), das Versicherungswesen (BAV) und den Wertpapierhandel (BAWe) gebildet wurde (§ 1 FinDAG). Die BaFin ist eine bundesunmittelbare, rechtsfähige Anstalt des Öffentlichen Rechts im Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen (§ 1 FinDAG). Trotz der rechtlichen Selbstständigkeit unterliegt die BaFin der Rechts- und Fachaufsicht des BMF (§ 2 FinDAG). Die Kompetenzen und Befugnisse der BaFin ergeben sich nicht aus dem FinDAG,

647

Vom 22. 04. 2002, BGBl I S. 1310. Alle drei abrufbar auf der Homepage der Deutschen Prüfstelle für Rechnungslegung, www.frep.info. 648

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2. Teil: Referenzbereiche

sondern aus dem jeweiligen materiellen Recht (HGB, WpHG, BörsenG, VAG, KWG etc.). Sie handelt dabei als Hoheitsträger in öffentlichrechtlicher Form. Weitere hoheitliche Akteure sind das Bundesministerium der Justiz (BMJ), das den Anerkennungsvertrag mit der privaten Prüfstelle schließt, und das Bundesministerium der Finanzen (BMF), das die BaFin beaufsichtigt und dem Anerkennungsvertrag zustimmen muss (§ 342b HGB). 2. Private Akteure a) Rechnungslegungspflichtige Unternehmen Vorrangig verantwortlich für die korrekte Rechnungslegung sind die verpflichteten Unternehmen. Diese Verpflichtung betrifft nach § 242 HGB alle Kaufleute 649. Der Bilanzkontrolle durch Prüfstelle und BaFin unterliegen allerdings nach § 342b Abs. 2 S. 2 HGB, § 37n WpHG nur börsennotierte Unternehmen, das heißt solche Unternehmen, deren Wertpapiere im Sinne des § 2 Abs. 1 S. 1 WpHG an einer inländischen Börse zum Handel zugelassen sind. Nur an deutschen Börsen notierte Aktiengesellschaften (oder Kommanditgesellschaften auf Aktien) sind also vom neuen Rechnungslegungsenforcement betroffen 650. Intern zuständig für Buchführung und Rechnungslegung ist nach § 77 Abs. 1, § 91 Abs. 1 AktG der Vorstand. Jahresabschluss und Lagebericht werden dann vom Aufsichtsrat geprüft (§ 171 Abs. 1 S. 1 AktG) und der Hauptversammlung darüber berichtet, die auf Grund des Jahresabschlusses über die Gewinnverwendung entscheidet (§ 174 Abs. 1 S. 2 AktG). b) Abschlussprüfer Zusätzlich zu der unternehmensinternen Kontrolle durch Vorstand und Aufsichtsrat ist für börsennotierte Kapitalgesellschaften eine Prüfung durch einen Abschlussprüfer nach den §§ 316 ff. HGB obligatorisch. Der Abschlussprüfer ist kein Angestellter oder Organ des Unternehmens, sondern ein gesellschaftsexterner, unabhängiger Sachverständiger 651, der auf Grund eines zivilrechtlichen Vertrags mit dem Unternehmen (Werk-, Dienst- oder Geschäftsbesorgungsvertrag 652) tätig

649 Zu denen nach § 6 Abs. 2 HGB, § 3 Abs. 1 AktG auch die AG und nach §§ 278 Abs. 3 i. V. m. 3 Abs. 1 AktG die KGaA gehören. 650 Dabei kommt es nur auf die Nationalität der Börse, nicht auf den Sitz des Unternehmens an. Auch ein Unternehmen mit Sitz im Ausland, das z. B. an der Frankfurter Börse gelistet ist, unterliegt der Bilanzkontrolle nach §§ 37n ff. WpHG. 651 Ebke, in: MüKoHGB, § 316 Rdn. 32. 652 Ebke, in: MüKoHGB, § 318 Rdn. 19.

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wird. Er prüft (unter anderem), ob der Jahresabschluss des Unternehmens die gesetzlichen Vorschriften einhält (§ 317 Abs. 1 S. 2 HGB). Als Abschlussprüfer dürfen sich (zumindest bei börsennotierten Kapitalgesellschaften) nur Wirtschaftsprüfer bzw. Wirtschaftsprüfungsgesellschaften betätigen (§ 319 Abs. 1 S. 1 HGB). Die Wirtschaftsprüfer sind in der (öffentlichrechtlichen) Wirtschaftsprüferkammer (WPK) organisiert und unterliegen dem Gesetz über eine Berufsordnung der Wirtschaftsprüfer (WPO). Die Sicherung der Unabhängigkeit der Wirtschaftsprüfer und die Verbesserung ihrer Qualifikation ist ein weiterer Teil des oben erwähnten 10-Punkte-Programms der Bundesregierung zur Stärkung des Vertrauens in den Finanzplatz Deutschland. So wurden in § 319 Abs. 2–4, § 319a HGB weitere Unvereinbarkeitsgründe eingeführt und in §§ 57a ff. WPO Qualitätsmanagement- und -sicherungssysteme für Wirtschaftsprüfer vorgeschrieben. Außerdem wird die Wirtschaftsprüferkammer, welche die Abschlussprüfer beaufsichtigt, selbst wiederum von einer unabhängigen Abschlussprüferaufsichtskommission (§ 66a WPO) kontrolliert 653.

c) Private Prüfstelle Neu im System der Rechnungslegungskontrolle ist der Verein „Deutsche Prüfstelle für Rechnungslegung e. V. (DPR)“, der international auch unter der englischen Bezeichnung „Financial Reporting Enforcement Panel (FREP)“ auftritt (§ 1 Abs. 2 der Satzung). Er wurde am 14. Mai 2004 von 15 Berufs- und Interessenvertretungen aus dem Bereich der Rechnungslegung gegründet 654. Im DPR e. V. ist eine große Bandbreite an Interessen vertreten: Der DGB als Arbeitnehmervertreter, das Institut der Wirtschaftsprüfer (IDW) als Vertreter der Abschlussprüfer, die Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz und die Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger als Vertreter der (Klein-)Anleger, die Bankenverbände als Vertreter derjenigen, die selbst Bilanzen erstellen, Bilanzen anderer Unternehmen als Grundlage beispielsweise für Kreditgewährung anfordern und den Anlegern auf Grund der Bilanzen Empfehlungen erteilen, sind Mitglied. Die Vereinigung für Finanzanalyse und Asset Management vertritt die Investmentbanker, die eine der wichtigsten Zielgruppen der Bilanzen sind. BDI, DIHK und Deutsches Aktieninstitut schließlich repräsentieren die rechnungslegungspflichtigen Unternehmen. Bis auf die Wissenschaft und die Wirtschaftspresse sind alle an der Rechnungslegung interessierten Kreise in der DPR vertreten. Integriert in die (öffentlichrechtliche) Kontrolle der Rechnungslegung wurde die DPR durch den Anerkennungsvertrag mit dem Bundesministerium der Justiz 653

Zum Ganzen Baetge/Lienau, DB 2004, 2277 (2279 ff.). Z. B. Bundessteuerberaterkammer, WPK, DGB, BDI, DIHK, Institut der Wirtschaftsprüfer, DRSC und zahlreiche Bankenverbände. Übersicht über die aktuellen Mitglieder unter www.frep.info unter der Rubrik „Personenverzeichnis/Vereinsmitglieder“. 654

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2. Teil: Referenzbereiche

vom 30. März 2005, der auf § 342b Abs. 1 S. 1 HGB beruht und zu dem das Bundesfinanzministerium sein Einvernehmen erklärt hat. Wie im Jugendmedienschutz und im Gegensatz zum Produktsicherheits- und Umweltrecht ist nur eine einzige anerkannte Stelle vorgesehen. Mehrere Prüfstellen erschienen „weder erforderlich noch sinnvoll“ 655. Der DPR e. V. wird ausschließlich getragen von Berufs- und Interessenvertretungen von Rechnungslegern und Rechnungslegungsnutzern (§ 4 Abs. 1 der Satzung). Einzelne rechnungslegungspflichtige Unternehmen oder Wirtschaftsprüfer / Wirtschaftsprüfergesellschaften sind von der Mitgliedschaft ausgeschlossen (§ 4 Abs. 3 der Satzung). Auf Grund der zahlreichen Mitglieder, die selber wiederum schlagkräftige Interessenvertretungen (DGB, BDI, Bankenverbände) darstellen, ist ein einseitiges Übergewicht einer bestimmten Branche oder Industrie oder gar eines einzelnen Unternehmens nicht zu befürchten; gleichzeitig ist aber die DPR auch nicht Repräsentant der rechnungslegungspflichtigen Unternehmen selbst. Eine echte Selbstkontrolle in dem Sinne, dass die Adressaten der ordnungsrechtlichen Pflichten deren Einhaltung selbst oder durch von ihnen beherrschte Einrichtungen kontrollieren, findet nicht statt. Die eigentliche Prüftätigkeit in der DPR wird von der Prüfstelle (§ 9 der Satzung) wahrgenommen. Ihre Mitglieder müssen selbst „Rechnungsleger“ (§ 4 Abs. 2 der Satzung) sein, das heißt Wirtschaftsprüfer oder vereidigte Buchprüfer, aber auch Steuerberater, Rechtsanwälte oder Hochschullehrer, die auf dem Gebiet der Rechnungslegung tätig sind. Auch Angestellte, die im Unternehmen mit der Rechnungslegung, also der Erstellung der Bilanzen, betraut sind, sind Rechnungsleger im Sinne der Satzung. Damit werden die Qualifikation und auch die Repräsentanz von Theorie und Praxis sowie der Unternehmensinteressen gesichert. Die Mitglieder der Prüfstelle werden vom Nominierungsausschuss gewählt, der wiederum von der Mitgliederversammlung gewählt wird. Die notwendige Zwei-Drittel-Mehrheit im Nominierungsausschuss (§ 9 Abs. 6 der Satzung) und die Zustimmung des BMJ im Einvernehmen mit dem BMF zur Wahl der Prüfstellenmitglieder (§ 9 Abs. 5 der Satzung) sichert deren Neutralität und Qualifikation. Auch sind die Prüfer unabhängig von jeglicher Weisung, sowohl von Vorstand oder Mitgliederversammlung der DPR als auch der Verbände oder Unternehmen, denen die Prüfer angehören. Schließlich enthalten die §§ 13 –16 der Verfahrensordnung der Prüfstelle weitere Vorschriften zur Sicherung der Unabhängigkeit der Prüfer: § 14 enthält einen Katalog von Ausschlussgründen, vergleichbar den §§ 319, 319a HGB für Abschlussprüfer. Prüfer müssen eine Unabhängigkeitserklärung abgeben, wonach bei ihnen keiner der Ausschlussgründe vorliegt 656; der ComplianceAusschuss der Prüfstelle überwacht die Unabhängigkeit.

655

BR-Drs. 325/04 S. 25; BT-Drs. 15/3421 S. 13.

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Daraus wird ersichtlich, dass der Einfluss der Mitglieder bzw. der Mitgliederversammlung auf die Prüftätigkeit der DPR sehr begrenzt ist. Außer der Vereinssatzung erlassen sie keine Regeln und die Satzung (zumindest zum derzeitigen Stand) enthält zur Prüftätigkeit und den dabei zu beachtenden Grundsätzen keine Aussagen. Ihre Interessen können die Mitglieder also nur über die Wahl von Vertretern in den Nominierungsausschuss, die wiederum möglichst „genehme“ Mitglieder der Prüfstelle wählen sollen, durchsetzen. Diese mittelbare Wahl und die Notwendigkeit der Bestätigung der Wahl der Prüfer durch das BMJ sowie die Unabhängigkeit der einmal gewählten Prüfer bei ihrer Prüftätigkeit sind Ausdruck dessen, dass die Prüfstelle der DPR keine Interessenrepräsentanz der betroffenen Kreise, sondern eine Gruppe unabhängiger Fachleute darstellt.

Streng zu unterscheiden ist die DPR vom Deutschen Rechnungslegungs Standards Comittee (DRSC), das auf Grund des § 342 HGB vom BMJ per Vertrag anerkannt wurde. Anders als die DPR übernimmt das DRSC „legislative“ Tätigkeiten bei der Erstellung von Rechnungslegungsgrundsätzen, während die DPR „exekutivische“ Tätigkeiten bei deren Durchsetzung wahrnimmt 657. Durch die Mitgliedschaft des DRSC im DPR e. V. ist die Verzahnung beider Bereiche gesichert.

C. Durchsetzung der Rechnungslegungsvorschriften I. Öffentlichrechtliche Pflicht zur Rechnungslegung und unternehmensinterne Prüfung 1. Handelsrechtliche Ausgestaltung der Rechnungslegung Die Rechnungslegung börsennotierter Unternehmen (das heißt vor allem von Aktiengesellschaften) verfolgt im hier interessierenden Zusammenhang zwei Hauptziele. Zum einen dient sie der Information von aktuellen Gläubigern und Investoren sowie potenzieller Anleger über den derzeitigen Zustand und die Verhältnisse des Unternehmens. Die Geldgeber können auf dieser Informationsgrundlage entscheiden, ob sich zum Beispiel (weitere) Investitionen lohnen oder bestehende Forderungen abgesichert werden müssen. Des Weiteren ist die Rechnungslegung einer Aktiengesellschaft aber auch Zahlungsbemessungsgrundlage. Dividenden oder Gewinnrücklagen setzen einen festgestellten Jahresabschluss voraus (§§ 58, 174 AktG). Die Richtigkeit und Ordnungsgemäßheit der Rechnungslegung ist daher sehr wichtig.

656 Die Folgen einer unzutreffenden Unabhängigkeitserklärung sind allerdings nicht geregelt. Zu denken wäre etwa an arbeitsrechtliche Konsequenzen (erleichterte Kündigung) oder auch Schadensersatzpflichten, wenn der DPR durch befangene Prüfer ein Schaden entsteht. 657 Hommelhoff/Mattheus, BB 2004, 93 (96).

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2. Teil: Referenzbereiche

Die Pflicht zur Rechnungslegung folgt aus § 242 Abs. 1 HGB, wonach der Jahresabschluss aus der Jahresabschlussbilanz (§§ 246 ff., §§ 266 ff. HGB) und der Gewinn- und Verlustrechnung (GuV, §§ 275 ff. HGB) besteht. Nach § 264 HGB gehört bei Kapitalgesellschaften auch noch der Anhang (§§ 284 ff. HGB) zum Jahresabschluss. Außerdem verlangt § 264 HGB bei Kapitalgesellschaften die Aufstellung eines Lageberichts (§ 289 HGB; dieser ist nicht Teil des Jahresabschlusses) 658. Börsennotierte Kapitalgesellschaften, die ein oder mehrere Tochterunternehmen haben (Konzerne), sind nach § 290 HGB verpflichtet, zusätzlich einen Konzern(jahres)abschluss (§§ 297 ff., §§ 313 f. HGB) und einen Konzernlagebericht (§ 315 HGB) vorzulegen, wobei zum Jahresabschluss neben Bilanz, GuV und Anhang auch noch Kapitalflussrechnung, Segmentberichterstattung und Eigenkapitalspiegel gehören (§ 297 Abs. 1 S. 2 HGB). § 37w WpHG verlangt bei bestimmten Unternehmen die Erstellung und Veröffentlichung von Halbjahresfinanzberichten, die einen verkürzten Jahresabschluss und einen Zwischenlagebericht enthalten. Art. 4 IAS-VO schreibt den börsennotierten Konzernen zudem die Bilanzierung nach IAS vor. (Konzern-)Jahresabschluss und (Konzern-)Lagebericht bilden zusammen die Rechnungslegung des Unternehmens. Die Rechtmäßigkeit der Rechnungslegung ergibt sich aus der Einhaltung der §§ 242 ff. HGB und §§ 37v ff. WpHG (bzw. der IAS/IFRS), wozu vor allem auch die Übereinstimmung mit den Grundsätzen ordnungsgemäßer Buchführung (GoB, §§ 243 Abs. 1, 264 Abs. 2 HGB) gehört. Der Jahresabschluss wird vom Vorstand erstellt und vom Aufsichtsrat geprüft. Zudem bestellt die Hauptversammlung einen Abschlussprüfer, dem der Aufsichtsrat einen Prüfauftrag erteilt. Der Abschlussprüfer untersucht, ob der Jahresabschluss den gesetzlichen Anforderungen (und etwaiger weitergehender Vorgaben in der Satzung) entspricht (§ 317 Abs. 1 S. 2 HGB). Die Wirtschaftsprüfer haben dazu Einsichts- und Vorlagerechte in Bezug auf alle Schriften und Bücher des Unternehmens (§ 320 HGB). Die Abschlussprüfung endet mit dem Bestätigungsvermerk (§ 322 HGB), der verweigert oder beschränkt wird, wenn nicht alle rechtlichen Anforderungen erfüllt sind. Der Abschlussprüfer hat weitestgehend denselben Prüfungsgegenstand und -maßstab wie die private Prüfstelle; auch seine Tätigkeit ist gesetzlich geregelt und wird überwacht und stellt damit eine Form der Regulierten Selbstregulierung dar 659. Jahresabschluss und Lagebericht müssen beim Betreiber des elektronischen Bundesanzeigers eingereicht werden und werden direkt im Anschluss daran dort bekannt gemacht (Offenlegung; § 325 Abs. 1 HGB i. V. m. § 9 Abs. 1 HGB) 660.

658 S. auch zur Idee eines obligatorischen Umweltberichts (analog zum Lagebericht) publizitätspflichtiger Unternehmen §§ 170 f. UGB-KomE und oben § 5 C II. 2. b) bb) aaa). 659 Müßig, NZG 2004, 796: „kontrollierte Selbstkontrolle“. 660 Dazu Liebscher/Scharff , NJW 2006, 3745 (3749 f.).

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Durch das Gesetz über elektronische Handelsregister und Genossenschaftsregister sowie das Unternehmensregister (EHUG) 661 erfolgt eine vollständige Digitalisierung aller publikationspflichtigen Unternehmensdaten und deren Abrufbarkeit in einem elektronischen Online-Register zum 01. 01. 2007 (§ 8 Abs. 1 HGB n. F.) 662. Die Rechnungslegungsunterlagen sind zudem im elektronisch geführten Unternehmensregister zu veröffentlichen (§ 8b Abs. 2 Nr. 4 HGB n. F.). Die gesamte Rechnungslegung ist dadurch für jedermann ohne weiteres per Mausklick sofort zugänglich (§ 9 Abs. 1 S. 2 HGB n. F.).

2. Erzwingung der Rechnungslegungspflicht Die Mittel zur Gewährleistung der Einhaltung der Rechnungslegungsvorschriften unterscheiden zwischen dem „ob“ der Rechnungslegung, ob also überhaupt – rein formal – Dokumente vorliegen, die als Jahresabschluss bzw. Lagebericht bezeichnet werden können, und dem „wie“, das heißt der inhaltlichen Richtigkeit der vorgelegten Bilanzen. Dass überhaupt Abschlüsse aufgestellt und diese veröffentlicht werden, kann nach § 335 HGB von Amts wegen 663 vom Bundesamt für Justiz per Ordnungsgeld gegen den Vorstand durchgesetzt werden (§ 335 Abs. 1 HGB n. F.). Geprüft wird dabei allerdings nur das Vorliegen bzw. die Vollständigkeit der Unterlagen; es erfolgt keine inhaltliche Prüfung (§ 329 Abs. 1 HGB n. F.) 664. Noch bedeutsamer ist die Tatsache, dass bei börsennotierten Gesellschaften (also AG und KGaA) der vom Abschlussprüfer bestätigte Jahresabschluss Voraussetzung für die Gewinnverwendung ist (§ 174 Abs. 1 S. 2 AktG), das heißt vor allem für Dividendenausschüttung (§§ 57 Abs. 3, 58 Abs. 4 AktG), Gewinnrücklagen und Gewinnvorträge. Ein festgestellter Jahresabschluss liegt somit im Interesse von Aktionären und der Gesellschaft. Diese beiden Punkte können aber nur bewirken, dass die Gesellschaft überhaupt einen Jahresabschluss aufstellt. Dessen inhaltliche Richtigkeit wird dadurch nicht gewährleistet. Da die Betreiber des Handelsregisters mit einer inhaltlichen Prüfung der bei ihnen eingereichten Abschlüsse überfordert und dazu fachlich auch nicht in der Lage wären, müssen andere Kontrollmechanismen bestehen.

661

Vom 10. 11. 2006, BGBl I S. 2553; dazu Grashoff, DB 2006, 513 ff. Grashoff, DB 2006, 513. 663 Grashoff, DB 2006, 513. 664 Zur Durchsetzung der Offenlegungspflichten nach neuem Recht Liebscher/Scharff , NJW 2006, 3745 (3750 f.). 662

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2. Teil: Referenzbereiche

II. Kontrolle der Rechnungslegung im Wege der Regulierten Selbstregulierung 1. Hoheitliche Kontrolle der Rechnungslegung durch die BaFin a) Prüfauftrag der BaFin Mit der (Selbst-)Kontrolle der Rechnungslegung durch Aufsichtsrat und Abschlussprüfer sowie der Sanktionierung der Rechnungslegungspflichten hatte es bis 2005 sein Bewenden. Eine hoheitliche inhaltliche Kontrolle der Rechnungslegung fand nicht statt. Die Bilanzskandale zeigten jedoch, dass vor allem die Unabhängigkeit der Abschlussprüfer häufig nicht gegeben war und deshalb die Selbstkontrolle durch die Wirtschaft nicht hinreichend funktionierte. Der deutsche Gesetzgeber hat deshalb bei den – für den Wirtschaftsstandort Deutschland besonders bedeutsamen – börsennotierten Kapitalgesellschaften eine behördliche Prüfung der Rechnungslegung eingeführt. § 37n WpHG weist der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) die Aufgabe zu, Jahresabschlüsse und Lageberichte in Deutschland börsennotierter Kapitalgesellschaften darauf zu prüfen, ob die gesetzlichen Vorschriften (einschließlich der Grundsätze ordnungsgemäßer Buchführung) eingehalten sind. Wichtig ist dabei, dass die BaFin keine präventive Kontrolle (im Sinne einer „Bilanzpolizei“) vornimmt; es müssen also nicht etwa die Abschlüsse eines Unternehmens vor ihrer Feststellung auf der Hauptversammlung oder vor der Einreichung beim Handelsregister und Veröffentlichung im Bundesanzeiger der BaFin vorgelegt oder gar von dieser genehmigt werden. Die Verbreitung einer Fehlinformation auf den Kapitalmärkten kann die BaFin daher zunächst einmal nicht unterbinden, sie kann nur danach das Unternehmen zur Offenlegung der Fehlinformation verpflichten. Da die BaFin mit ihren ca. 1.500 Mitarbeitern nicht in der Lage ist, alle Jahresabschlüsse börsennotierter Aktiengesellschaften (ca. 1.000 an der Zahl) zu prüfen, begrenzt § 37o Abs. 1 WpHG den Prüfauftrag. Zum einen soll die BaFin eine Prüfung bei konkreten Anhaltspunkten für Rechtsverstöße vornehmen (S. 1). Abschlüsse, die auf Grund einer Nichtigkeitsklage (§ 256 AktG) oder einer Sonderprüfung (§§ 142, 258 AktG) ohnehin durch ein Gericht oder den Sonderprüfer näher untersucht werden, werden durch die BaFin nicht geprüft (§ 37o Abs. 2 WpHG). Nicht beanstandete Abschlüsse, bei denen auch keine Anhaltspunkte für Verstöße vorliegen, werden nach § 37o Abs. 1 S. 2 WpHG nur stichprobenartig 665

665 Von der stichprobenartigen Überprüfung sind allerdings die Halbjahresfinanzberichte ausgenommen; diese werden nur anlassbezogen kontrolliert, s. § 37o Abs. 1 S. 6 WpHG; dazu Hutter/Kaulamo, NJW 2007, 550 (554).

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von der BaFin kontrolliert 666. Zu dieser hoheitlichen Prüfung kann sich die BaFin auch der privaten Prüfstelle als Verwaltungshelferin bedienen (§ 37n Abs. 3 WpHG) 667. Der BaFin stehen nach § 37o Abs. 4 WpHG Auskunfts- und Einsichtsrechte gegenüber den betroffenen Unternehmen zu. Auch die Abschlussprüfer sind gegenüber der BaFin (nicht aber gegenüber der DPR) auskunftspflichtig. § 37o Abs. 5 WpHG gewährt der BaFin Zutritt zu den Grundstücken und Geschäftsräumen des geprüften Unternehmens. b) Rechtsfolgen des Prüfergebnisses der BaFin Ergibt die Prüfung einen Rechtsverstoß, so wird dieser von der BaFin durch Verwaltungsakt festgestellt (§ 37q Abs. 1 WpHG) und dem Unternehmen aufgegeben, diese Feststellung zusammen mit ihrer Begründung im Bundesanzeiger zu veröffentlichen. Die Hauptstoßrichtung dieser Vorgehensweise zeigt sich vor allem in § 37q Abs. 2 S. 4 Alt. 2 WpHG: Die Feststellung des Verstoßes des Jahresabschlusses gegen gesetzliche Vorschriften muss in einem überregionalen Börsenpflichtblatt oder in einem Informationsverbreitungssystem, das bei Kreditinstituten, Finanzdienstleistern und Versicherungsunternehmen weit verbreitet ist, veröffentlicht werden. Institutionelle Anleger, Großinvestoren, Anlegerberatungsstellen und die Wirtschaftspresse erhalten somit fast zwangsläufig Kenntnis von Bilanzverstößen eines Unternehmens. Aktionäre können auf Grund dieser Informationen eine Nichtigkeitsklage gegen den Gewinnverwendungsbeschluss erheben, potenzielle Investoren können ihre Anlageentscheidung noch einmal überdenken, Kapitalgeber können zusätzliche Sicherheiten einfordern oder höhere Zinsen wegen des größeren Risikos verlangen. Zum Schutz des Vertrauens der Kapitalmärkte ist eine Veröffentlichung und gezielte Verbreitung der entdeckten Bilanzfehler durchaus ausreichend 668. Der Verwaltungsakt der BaFin hat keine rechtsgestaltende Wirkung, vor allem nicht in Bezug auf den Jahresabschluss oder einen darauf beruhenden Gewinnverwendungsbeschluss 669. Es bleibt den Aktionären überlassen, ob sie gegen den fehlerhaft festgestellten Jahresabschluss mittels Nichtigkeitsklage (§ 256 AktG)

666

Dieselbe Vorgehensweise hat(te) auch die US-amerikanische SEC (vgl. Bangert, Durchsetzungssysteme, S. 40) und gilt auch für die DPR, vgl. unten § 6 C. III. 1. 667 Biener, Bilanzrechtsreform, Rdn. 357. Diese Prüfung durch die Prüfstelle ist aber streng von der Prüfung zu unterscheiden, bei der die Prüfstelle an Stelle der BaFin und unabhängig von dieser tätig wird. 668 Kleinanleger, die sog. „Volksaktien“ kaufen und kaum Zugang zu diesen Informationssystemen haben, müssten dann durch ihre Banken, Anlageberater oder die Wirtschaftspresse aufgeklärt werden. 669 Gesetzesbegründung zu § 37q Abs. 1 WpHG – BT-Drs. 15/3421 S. 18; Ernst, BB 2004, 936 (937).

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2. Teil: Referenzbereiche

vor den Zivilgerichten vorgehen. Ist die Feststellung der BaFin allerdings bestandskräftig, müssen bei einer Nichtigkeitsklage alle Beteiligten von der Fehlerhaftigkeit des Jahresabschlusses ausgehen 670. Außerdem übermittelt die BaFin Tatsachen, die auf eine Straftat (etwa nach § 331 HGB oder auch §§ 263 [Betrug], 264a [Kapitalanlagebetrug], 265b [Kreditbetrug], 266 [Untreue], 283 ff. StGB [Insolvenzstraftaten]) hindeuten, an die Strafverfolgungsbehörden (§ 37r Abs. 1 WpHG). Die betroffenen Unternehmen können gegen den feststellenden Verwaltungsakt bei der BaFin Widerspruch einlegen (§ 37t WpHG i. V. m. § 73 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 VwGO); wird dem Widerspruch nicht abgeholfen, ist dagegen nicht die Anfechtungsklage zu den Verwaltungsgerichten statthaft, sondern die Beschwerde zum OLG Frankfurt/Main (§ 37u WpHG) 671. 2. Zurücknahme der hoheitlichen Kontrolle durch Einschaltung einer privaten Prüfstelle Zentrale Norm der Regulierten Selbstregulierung im Bilanzkontrollrecht ist § 37p Abs. 1 WpHG. Dieser enthält die ausdrückliche Zurücknahme der in § 37o WpHG zuvor angeordneten umfassenden behördlichen Kontrolle für den Fall, dass eine private Rechnungslegungsprüfstelle existiert und öffentlichrechtlich anerkannt ist. Diese private Rechnungslegungsprüfstelle muss bestimmten, in § 342b Abs. 1 S. 2 HGB genannten Anforderungen entsprechen (s. dazu unten § 6 D. II.). Gleichzeitig zeigt § 37p WpHG aber auch, dass die Rechnungslegungskontrolle so konzipiert ist, dass ein Enforcement auch allein durch die BaFin erfolgen kann 672, wenn keine private Prüfstelle gegründet worden wäre oder der Anerkennungsvertrag mit der DPR wieder gekündigt wird. Die in § 37o Abs. 1 S. 2 WpHG angeordnete stichprobenartige und verdachtsunabhängige Kontrolle der Unternehmensbilanzen durch die BaFin findet im Falle der Anerkennung einer privaten Prüfstelle nicht mehr statt (§ 37p Abs. 1 S. 1 WpHG). Sie wird allein von der privaten Prüfstelle vorgenommen. Auch bei Anhaltspunkten für Rechtsverstöße wird nur die DPR tätig (§ 37p Abs. 1 S. 2 WpHG); sollte die DPR nicht aktiv werden, obwohl nach Ansicht der BaFin ein konkreter Tatverdacht gegeben ist, kann die BaFin trotzdem nicht selbst einschreiten (kein „Selbsteintrittsrecht“ der BaFin), sondern muss die DPR zu einer Prüfung auffordern (§ 342b Abs. 2 S. 3 Nr. 2 HGB; § 37p Abs. 2 WpHG). Die BaFin hat nur

670

Mattheus/Schwab, BB 2004, 1099 (1106). Weil sich ein oberinstanzliches Zivilgericht – noch dazu am Bankenstandort Frankfurt/M. – besser mit dem Gesellschafts- und Bilanzrecht auskennen dürfte, als die Verwaltungsgerichte. 672 Ernst, BB 2004, 936 (937); Hommelhoff/Mattheus, BB 2004, 93 (94). 671

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noch eine Reservekompetenz, die sie in zwei Fällen zum Einschreiten ermächtigt (§ 37p Abs. 1 S. 2 WpHG): Wenn das zu prüfende Unternehmen die Kooperation mit der privaten Prüfstelle verweigert oder wenn die BaFin erhebliche Zweifel an der Richtigkeit und Ordnungsgemäßheit der Prüfung durch die DPR hat. In beiden Fällen ist aber zuerst die DPR am Zuge. Die hoheitliche Prüfung wird also nicht nur in Bezug auf eine konkrete Bilanz zurückgenommen, weil diese bereits von einer privaten Prüfstelle geprüft wurde 673; statt dessen nimmt die BaFin insgesamt keine Rechnungslegungsprüfung von Amts wegen mehr vor, auch nicht bei Unternehmen, deren Bilanzen von der DPR nicht kontrolliert wurden. III. Rechnungslegungsprüfung durch die private Prüfstelle Wie soeben dargestellt, wird die hoheitliche Bilanzprüfung zurückgenommen, weil eine private Prüfstelle existiert und anerkannt ist. Der Grund für diese Rücknahme liegt allerdings nicht darin, dass die private Prüfstelle eine umfassende Kontrolle aller Bilanzen durchführen würde und eine Prüfung durch die BaFin nur unnötiger doppelter Aufwand wäre. Auch die DPR hat nicht die Ressourcen 674, jährlich alle Bilanzen aller in Deutschland börsennotierten Unternehmen zu prüfen 675. § 342b Abs. 2 S. 3 HGB sieht daher ebenfalls nur eine stichprobenartige Prüfung durch die Prüfstelle vor und Untersuchungen bei Anhaltspunkten für Rechtsverstößen (entsprechend der Vorgehensweise der BaFin, s. o. § 5 C. II. 1. a). Viele Unternehmen werden in einem Jahr daher weder von der DPR noch von der BaFin geprüft werden 676. Eine umfassende Rechnungslegungskontrolle findet in der Bundesrepublik Deutschland also weiterhin nur durch Aufsichtsräte und Abschlussprüfer statt.

673 Ganz anders als im Jugendmedienschutz, wo nicht allein die Existenz von FSM und FSF die Kontrolle durch die KJM verringert, sondern nur bei konkret geprüften Sendungen die hoheitliche Kontrolle auf eine Kontrolle der Grenzen des Beurteilungsspielraums der Selbstkontrolle zurückgenommen wird. 674 Die Prüfstelle der DPR hat derzeit ganze 15 (!) hauptamtliche Prüfer, aber immerhin einen Pool von 180 externen Prüfern, die im Bedarfsfall hinzugezogen werden können (Tätigkeitsbericht 2005, S. 4). Zum Vergleich: In Deutschland gibt es zurzeit (Stand: 01. 07. 2006) ca. 13.000 Wirtschaftsprüfer und 2.300 Wirtschaftsprüfungsgesellschaften (Zahlen der Wirtschaftsprüferkammer, www.wpk.de, Rubrik „Berufe WP/vBP – Statistiken“). 675 BT-Drs. 15/3421 S. 14: „eine flächendeckende . . . Überprüfung aller Abschlüsse soll und kann die Prüfstelle nicht leisten“. 676 Die DPR rechnet mit einer Untersuchung von jährlich ca. 5 % der rund 1.000 AGs als Stichprobe sowie ca. 20 Anlassuntersuchungen. Insgesamt würden also jedes Jahr ungefähr 70 der 1.000 börsennotierten Unternehmen kontrolliert (Hennrichs, ZHR 168 [2004], 383 [400 Fn. 80]).

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2. Teil: Referenzbereiche

Da eine behördliche Prüfung einer Bilanz nicht stattfindet, unabhängig davon ob diese auch von der DPR geprüft wurde oder nicht, gibt es keinen Anreiz für ein Unternehmen, die DPR mit einer Prüfung seiner Bilanzen zu beauftragen. Die DPR wird deshalb nicht auf Grund einer Beauftragung durch ein Unternehmen tätig 677. Auch agiert die DPR nicht auf Grund behördlicher Beauftragung mit einer konkreten Prüfung (eine solche ist zwar möglich [§ 342b Abs. 2 S. 3 Nr. 2 HGB], stellt aber nicht den Regelfall der Tätigkeit der DPR dar). Schließlich können auch sonstige Kreise mit berechtigten Interessen – etwa die Hauptversammlung, der Aufsichtsrat, einzelne Aktionäre, Großkapitalgeber – keinen Prüfauftrag an die DPR richten. Vielmehr entscheidet die Prüfstelle von sich aus, welches Unternehmen und welche Rechnungslegung sie kontrolliert. Die Initiative zur Kontrolle geht also – anders als in den bisher untersuchten Referenzgebieten – von der privaten Prüfstelle aus (die sich bei der Stichprobenprüfung aber an die mit dem BMJ vereinbarte Vorgehensweise halten muss). 1. Prüfaufgabe der DPR und Prüfungsanlass Entschließt sich die DPR zu einer Prüfung der Rechnungslegung eines Unternehmens, gilt für sie grundsätzlich derselbe Prüfungsmaßstab wie für den Abschlussprüfer 678 oder auch die BaFin. Zu prüfen ist, ob die Rechnungslegung den gesetzlichen Vorschriften entspricht (§ 342b Abs. 2 S. 1 HGB). Allerdings leistet die DPR keine Prüfung der Abschlussprüfung 679 (ergeben sich bei der Rechnungslegungsprüfung allerdings Hinweise auf Pflichtverletzungen des Abschlussprüfers, hat die DPR diese an die Wirtschaftsprüferkammer zu übermitteln, § 342b Abs. 8 S. 2 HGB). Eine Rechnungslegungsprüfung durch die DPR erfolgt – genauso wie durch die BaFin – erst nach Aufstellung und Veröffentlichung der Abschlüsse. Anders als der Abschlussprüfer, der die Bilanzen zu kontrollieren hat, bevor sie dem Kapitalmarkt zugänglich gemacht werden, erfolgt die Prüfung durch die DPR nicht präventiv. Die Rechnungslegung muss nicht erst von der DPR geprüft und genehmigt werden, bevor auf der Hauptversammlung die Abschlüsse festgestellt oder bevor sie beim Handelsregister eingereicht werden. Eine zumindest anfängliche Fehlinformation der Kapitalmärkte durch falsche Bilanzen kann somit auch durch die DPR nicht verhindert werden.

677 Ganz anders als im Jugendmedienschutz, Produktsicherheitsrecht oder Umweltaudit, wo die Prüfung jeweils auf einer Vorlage oder Beauftragung durch den Anbieter oder Produzenten beruht. 678 Hommelhoff/Mattheus, BB 2004, 93 (96). 679 Ernst, BB 2004, 936 (937); Biener, Bilanzrechtsreform, Rdn. 329. Auch ist die Abschlussprüfung umfassender, weil sie auch das interne Überwachungssystem i. S. d. § 317 Abs. 4 HGB überprüft, was die DPR nicht tut, vgl. BT-Drs. 15/3421 S. 14.

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Die DPR prüft stichprobenartig die Rechnungslegung aller börsennotierten Unternehmen 680. Wie die Stichprobenkontrolle zu erfolgen hat, ist in gemeinsamen Grundsätzen von DPR, BMJ und BMF festgelegt (§ 342b Abs. 2 S. 5 HGB). Diese Stichprobenkontrolle wird auch als „proaktive Kontrolle“ bezeichnet (im Gegensatz zur Verdachtskontrolle als „reaktiver Kontrolle“) 681; allein sie soll die nötige Präventivwirkung entfalten 682. Jedoch sind beide Kontrollen insofern nur reaktiv, als sie erst eingreifen, wenn die Abschlüsse aufgestellt und veröffentlicht sind. Die präventive Wirkung besteht allein darin, dass ein Unternehmen damit rechnen muss, dass Fehler aufgedeckt und veröffentlicht werden; dabei spielt es aber keine Rolle, ob dies im Rahmen einer Stichprobenkontrolle oder einer Verdachtskontrolle geschieht. Lediglich der Aspekt, dass selbst bei Rechtsverstößen, die so gut getarnt sind, dass auf den ersten Blick keine Anhaltspunkte für ihr Vorliegen existieren, durch eine Stichprobenkontrolle der Schwindel trotzdem auffliegen kann, mag eine zusätzliche Präventivwirkung der anlassunabhängigen Kontrolle begründen 683. Des Weiteren geht die DPR konkreten Anhaltspunkten für Rechtsverstöße nach 684. Die Anhaltspunkte kann sie zum Beispiel durch eine Information der BaFin erhalten, aber auch durch Hinweise in der (Wirtschafts-)Presse 685, von Aktionären, Mitarbeitern des Unternehmens („Whistleblower“), Analysten oder von Konkurrenten 686. Lediglich die Abschlussprüfer scheiden als Informanten aus, da deren Schweigepflicht zwar gegenüber der BaFin, nicht aber gegenüber der DPR aufgehoben ist 687; allerdings kann die Einschränkung oder Versagung des Testats (§ 322 HGB) durch einen Abschlussprüfer ebenfalls ein Aufgreifkriterium für die Prüfstelle sein 688.

680 Wie auch bei der Prüfung durch die BaFin sind die Halbjahresfinanzberichte von der stichprobenartigen Kontrolle ausgenommen, § 342b Abs. 2 S. 4 Hs. 2 HGB. 681 Hommelhoff/Mattheus, BB 2004, 93 (95). 682 Hennrichs, ZHR 168 (2004), 383 (399). 683 Auf die Disziplinierungswirkung der Stichproben abstellend Hennrichs, ZHR 168 (2004), 383 (403). 684 S. z. B. die Meldung im SPIEGEL Nr. 47 v. 20. 11. 2006, S. 92: Prüfung der DPR wegen Anhaltspunkten für Bilanzmanipulationen beim Flugzeugmotorenhersteller Thielert. 685 Die Prüfstelle der DPR hat einen eigenen Medienanalyse-Ausschuss eingesetzt (§ 3 Abs. 1 Nr. 5 der Verfahrensordnung), der nur Berichte in der Wirtschaftspresse und anderen Medien analysiert. 686 Hennrichs, ZHR 168 (2004), 383 (402). 687 Das übersieht Bangert, Durchsetzungssysteme, S. 115. 688 W. Müller, ZHR 168 (2004), 414 (417).

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2. Teil: Referenzbereiche

2. Rechtsverhältnis zwischen DPR und geprüftem Unternehmen Die Mitwirkung der Unternehmen bei der Rechnungslegungsprüfung durch die private Prüfstelle ist freiwillig 689. Die DPR kann nur mit einem Prüfbegehren an ein Unternehmen herantreten; aber selbst wenn dies geschieht, weil sie Anhaltspunkte für Rechtsverstöße in der Bilanz für gegeben erachtet, hat sie keinerlei Möglichkeit, ihre Prüfung durchzusetzen, wenn das betreffende Unternehmen nicht kooperiert. Das kooperationsunwillige Unternehmen muss auch nicht mit Sanktionen (der DPR) rechnen. Hält das Unternehmen eine Prüfung durch die DPR für unzulässig, weil weder Anhaltspunkte für Rechtsverstöße vorliegen noch die Grundsätze für die Stichprobenkontrolle eingehalten sind, stehen dem Unternehmen keine Rechtsmittel gegen das Prüfbegehren zu. Stattdessen kann es schlicht die Mitwirkung verweigern und damit eine Prüfung der DPR ausschließen. Der Gesetzgeber rechnet aber damit, dass die meisten Unternehmen sich einer Mitwirkung nicht verweigern werden 690 und die Kooperation mit der DPR auch Bestandteil einer guten Corporate Governance ist, den die Kapitalmärkte von einem Unternehmen erwarten. So gehen auch Hommelhoff/Mattheus davon aus, dass der Vorstand auf Grund seiner Pflicht zur ordnungsgemäßen Geschäftsleitung (§ 93 Abs. 1 S. 1 AktG) die Mitwirkung nicht wird verweigern können 691. Die Freiwilligkeit der Teilnahme besteht nicht nur von Gesetzes wegen. Auch der DPR e. V. selbst zwingt niemanden zur Teilnahme. Anders als zum Beispiel im Jugendmedienschutz, wo zwar gesetzlich keine Vorlagepflicht besteht, schon indes nach der Satzung des FSF e. V. für seine Mitglieder, gibt es im Bilanzkontrollrecht auch keinen vereinsinternen Zwang zur Mitwirkung. Zum einen können einzelne Unternehmen nicht Mitglied des DPR e. V. werden; aber auch vermittels der Verbände, die Mitglied der DPR sind, besteht keine vereins- oder satzungsrechtliche Pflicht für die Verbandsmitglieder, an der Prüfung durch die DPR mitzuwirken. Dies führt andererseits allerdings auch dazu, dass ein Unternehmen einem Prüfbegehren der DPR nicht entgegenhalten kann, es sei nicht Mitglied des DPR e. V. (auch nicht mittelbar) und die DPR sei deshalb nicht „zuständig“. Auch wenn sich das Unternehmen grundsätzlich zur Mitwirkung bereit erklärt, dann aber konkrete Mitwirkungsakte (Vorlage von Unterlagen, Zugang zu Geschäftsräumen, Gespräche mit Mitarbeitern) verweigert, kann die DPR diese nicht erzwingen. Eine Beleihung der DPR mit Hoheitsbefugnissen ist nach dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers 692 nicht erfolgt 693, auch wenn § 342b Abs. 4

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Hommelhoff/Mattheus, BB 2004, 93 (97). Hommelhoff/Mattheus, BB 2004, 93 (96). 691 Hommelhoff/Mattheus, BB 2004, 93 (97). 692 Nur die BaFin soll auf der zweiten Stufe des Enforcements über Hoheitsbefugnisse verfügen; Gesetzesbegründung zum BilKoG, BR-Drs. 325/04 S. 29. 690

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S. 1 HGB Auskunfts- und Vorlagerechte der Prüfstelle normiert 694. Der DPR sind aber keine Möglichkeiten eingeräumt, diese Rechte durchzusetzen. Stattdessen muss bei verweigerter Kooperation die Prüfung an die BaFin verwiesen werden. Wegen der Freiwilligkeit der Mitwirkung und der Ausrichtung der Prüfung auf Kooperation, kann das Verhältnis zwischen DPR und Unternehmen nicht als öffentlichrechtliches Subordinationsverhältnis verstanden werden. Denkbar wäre aber ein privatrechtliches Vertragsverhältnis, wie im Produktsicherheitsrecht und beim Umweltaudit. Ein Auftrag der Unternehmen an die DPR liegt zwar wie gezeigt nicht vor. Allerdings soll die Bereiterklärung der Unternehmen zur Teilnahme an der Prüfung eine rechtsgeschäftliche Willenserklärung sein 695. Sieht man in dem Prüfbegehren der DPR einen Antrag und in der Bereiterklärung des Unternehmens eine Annahme dieses Antrags, wäre ein zivilrechtlicher Vertrag konstruierbar. Auch dem Kooperationsgedanken würde eine vertragliche Ausgestaltung entsprechen. Der Gesetzgeber hat jedoch ausdrücklich „eine vertragliche Beziehung zwischen Prüfstelle und betroffenem Unternehmen nicht vorgesehen“ 696. Ein Vertragsverhältnis ist auch nicht erforderlich. Vertragliche Rechte der DPR, die diese notfalls auch gegen den Willen des Unternehmens durchsetzen kann, soll es gerade nicht geben. Das Unternehmen ist auch nicht verpflichtet, die Prüfleistung der DPR zu vergüten. Von Bedeutung könnte eine vertragliche Grundlage bei Pflichtverletzungen der DPR und daraus resultierenden Schäden sein. Der Gesetzgeber hat aber den wichtigsten Fall – die Verletzung der Geheimhaltungspflicht durch Mitarbeiter der DPR – in § 342c HGB offensichtlich als deliktsrechtlichen Tatbestand ausgestaltet und ging daher nicht davon aus, dass sich eine Schadensersatzpflicht schon aus der Verletzung vertraglicher Nebenpflichten (§§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB) ergibt. Insgesamt ist es durchaus möglich, das Verhältnis zwischen DPR und geprüftem Unternehmen allein durch einseitige Gestattungen und Einverständnisse, durch das Hausrecht und die arbeits- und aktienrechtlichen Befugnisse des Vorstands und das Deliktsrecht ausreichend zu regeln. Ein „Prüfvertrag“ zwischen DPR und zu kontrollierendem Unternehmen ist nicht vorgesehen und auch nicht erforderlich; dass die DPR mit Unternehmen auf Grund der Privatautonomie trotzdem Verträge abschließt, ist dadurch nicht ausgeschlossen.

693 Ernst, BB 2004, 936; Hommelhoff/Mattheus, BB 2004, 93 (94); Biener, Bilanzrechtsreform, Rdn. 352. 694 Scherzberg, NVwZ 2006, 377 (381): Gesetzliche Duldungs- und Auskunftspflichten beinhalten nicht zwangsläufig eine Beleihung. 695 Biener, Bilanzrechtsreform, Anm. zu § 342e HGB. 696 Gesetzesbegründung zu § 342b Abs. 7; BT-Drs. 15/3421 S. 15.

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2. Teil: Referenzbereiche

3. Durchführung der Prüfung Der konkrete Ablauf der Prüfung wird durch § 342b Abs. 4, 5 und 7 HGB und die – vom BMJ genehmigte – Verfahrensordnung der Prüfstelle der DPR nur sehr punktuell geregelt. Eine detaillierte (gesetzliche) Regelung ist aber auch weder nötig noch hilfreich. Da die Prüfung auf die Kooperation des Unternehmens setzt und dieses die Mitwirkung jederzeit verweigern kann, muss der genaue Prüfungsablauf im Zusammenwirken mit den einzelnen Unternehmen erarbeitet werden. Bereits die Absicht, eine Prüfung durchzuführen, ist der BaFin mitzuteilen (§ 342b Abs. 6 S. 1 Nr. 1 HGB). Das Gesetz sieht allerdings nicht vor, dass auch das betroffene Unternehmen informiert werden muss; dieses erlangt auch nicht notwendig Kenntnis von der Prüfung, so lange zum Beispiel nur die öffentlich zugänglichen Dokumente geprüft werden 697. Nach § 17 Abs. 2 der Verfahrensordnung der Prüfstelle gibt die Prüfstelle aber dem Unternehmen – nachdem die BaFin informiert wurde und keine Hindernisse für die Prüfung gesehen hat – „Gelegenheit, an der Prüfung mitzuwirken“, was eine Information des Unternehmens über die Durchführung der Prüfung voraussetzt. § 342b Abs. 4 HGB sieht vor, dass die Vertreter des geprüften Unternehmens richtige und vollständige Auskünfte erteilen und alle benötigten Unterlagen vorlegen müssen. Erklärt sich das Unternehmen allerdings zur Mitwirkung bereit, ist eine gesetzliche Bestimmung der Befugnisse der DPR nicht notwendig. Die DPR nimmt Einblick in die Bücher und sonstige Unterlagen des Unternehmens, verlangt Zutritt zu den Geschäftsräumen und befragt möglicherweise Organe und Mitarbeiter. Die dafür nötigen Befugnisse ergeben sich aus der Gestattung durch das Unternehmen. Auf Seiten des Unternehmens machen §§ 93 Abs. 1 S. 3, 116 AktG diese Gestattungen möglich: Sie entbinden Vorstand und Aufsichtsrat gegenüber der Prüfstelle von ihrer Schweigepflicht, so dass sie alle nötigen Auskünfte erteilen können. Jahresabschlüsse und Lageberichte sind ohnehin öffentlich, so dass deren formale Richtigkeit (zum Beispiel die Gliederung der Bilanz [§ 266 HGB] oder der GuV [§ 275 HGB] oder die Pflichtangaben im Anhang [§ 285 HGB]) ganz ohne Mitwirkung des Unternehmens oder Inanspruchnahme besonderer Befugnisse geprüft werden kann. Erklärt sich das Unternehmen zwar grundsätzlich zur Kooperation bereit, verweigert es aber Auskünfte oder die Vorlage von Unterlagen, hilft § 342b Abs. 4 HGB der DPR nicht weiter, denn diese Verpflichtungen sind nicht als gerichtlich erzwingbare Rechte ausgestaltet. Die Systematik des Bilanzkontrollgesetzes mit der Verzahnung von hoheitlicher Kontrolle und pri697 Bangert, Durchsetzungssysteme, S. 117 f., fordert deshalb eine Benachrichtigung des betroffenen Unternehmens vor dem Beginn einer Prüfung und die Gewährung „rechtlichen Gehörs“ durch die DPR sowie auch das Recht des Unternehmens zur Mitwirkung an der Prüfung von Anfang an; z. T. ebenso Hommelhoff/Mattheus, BB 2004, 93 (97).

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vater Prüfung geht davon aus, dass im Falle verweigerter Mitwirkung durch die Unternehmen nicht die Zivilgerichte eine solche erzwingen sollen, sondern die BaFin mit ihren Hoheitsbefugnissen 698. § 342b Abs. 4 HGB beschreibt also nur die Mitwirkungslast der Unternehmen; eine Verweigerung der Kooperation und damit die Möglichkeit der Verweisung des Falles an die BaFin liegt nur vor, wenn ein Unternehmen diesen in § 342b Abs. 4 HGB vorgesehenen Verpflichtungen nicht nachkommt (es sei denn, die Ausnahme des § 342b Abs. 4 S. 2 HGB greift ein). Eine „verdeckte“ Verweigerung der Kooperation durch die Erteilung oder Vorlage unrichtiger oder unvollständiger Auskünfte oder Unterlagen ist nach § 342e HGB bußgeldbewehrt. Verweigert das vom Prüfbegehren der DPR betroffene Unternehmen generell die Mitwirkung oder kommt es trotz einer grundsätzlichen Kooperationsbereitschaft seinen Pflichten aus § 342b Abs. 4 S. 1 HGB (Auskunfts- und Vorlagepflichten) nicht vollständig und rechtzeitig nach, kann die Prüfstelle dem nicht selbst abhelfen. Stattdessen meldet sie die Weigerung an die BaFin, die aber auch nicht eine Rechnungslegungsprüfung durch die DPR durchsetzt, sondern in eine eigene Prüfung eintritt. Schon die Anordnung einer solchen Prüfung und deren Beruhen auf der mangelnden Kooperationsbereitschaft des Unternehmens kann nach § 37o Abs. 1 S. 5 WpHG im Bundesanzeiger bekannt gemacht werden. Zwar hat allein das Prüfbegehren der DPR noch keine Aussagekraft, denn da auch Stichproben vorgenommen werden, ist die Prüfung noch kein Hinweis auf das Vorliegen von Anhaltspunkten für Rechtsverstöße. Wenn ein Unternehmen die Prüfung aber verweigert, dürfte der Eindruck aufkommen, es habe „etwas zu verbergen“. Diese negative Publizität könnte dafür sorgen, dass sich die Zahl der mitwirkungsunwilligen Unternehmen in Grenzen hält. Die DPR führt – anders als ein Abschlussprüfer – keine Vollprüfung der gesamten Rechnungslegung durch. Handelt sie auf Grund konkreter Anhaltspunkte für bestimmte Rechtsverstöße, so prüft sie grundsätzlich auch nur diese potenziell verletzten Rechtsvorschriften 699. Auch ansonsten soll sie sich auf die Ermittlung wesentlicher Verstöße beschränken, welche die Darstellung des Unternehmens in der Bilanz erheblich verzerren können 700. Bei den anlassunabhängigen Kontrollen prüft die DPR nach den mit dem BMJ und BMF vereinbarten Grundsätzen. Hier wäre eine themenbezogene Systematisierung nach bestimmten Bilanzpositionen möglich, das heißt zum Beispiel die Konzentration auf die Bilanzierung von Rückstellungen in einer Prüfungsperiode, auf die Bewertungen immaterieller Rechtsgüter in der nächsten, usw. 701.

698

Im Ergebnis so auch Bangert, Durchsetzungssysteme, S. 118. Kämpfer, BB-Beil. 3/2005, 13 (14). Ergeben sich dabei Hinweise auf weitere Rechtsverstöße, kann die Untersuchung ausgedehnt werden. 700 Biener, Bilanzrechtsreform, Rdn. 329. 699

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2. Teil: Referenzbereiche

Die konkrete Prüfung wird letztlich durch eine der (derzeit) sieben Kammern der Prüfstelle der DPR verantwortet 702. Die Durchführung der Prüfung erfolgt aber durch einen einzelnen fallverantwortlichen Prüfer (§ 6 der Verfahrensordnung), der von der Kammer bestellt wird, ihr aber nicht angehört. Die Auswahl dieses Prüfers soll sich vor allem nach den fallspezifisch erforderlichen Fach- und Branchenkenntnissen richten. Erkennt dieser fallverantwortliche Prüfer, dass seine Kapazitäten oder seine Kenntnisse zur Prüfung des Falles nicht ausreichen, kann er um die Beiziehung weiterer Prüfer nachsuchen, die entweder ebenfalls Mitglieder der Prüfstelle oder externe Honorarkräfte sind und das nötige Fachwissen mitbringen. Der abschließende Prüfbericht des fallverantwortlichen Prüfers wird von einem von der Kammer zu bestellenden Berichtskritiker – einem Mitglied der Prüfstelle, das ebenfalls nicht der Kammer angehört – kritisch durchgesehen (§ 8 der Verfahrensordnung). Der Abschlussbericht des fallverantwortlichen Prüfers wird anschließend zusammen mit der Stellungnahme des Berichtskritikers der Kammer zugeleitet, die über das Ergebnis entscheidet. Die Kontrolle der Rechnungslegung durch die DPR wird also intern wiederum zweifach überprüft (durch den Berichtskritiker und die Kammer). Auch dass Untersuchung und Entscheidung getrennt sind, trägt zur Sicherstellung der Objektivität bei: Der fallverantwortliche Prüfer, der in Kontakt zum Unternehmen tritt, sich mit dem Vorstand bespricht und einer unzulässigen Einflussnahme des Unternehmens vielleicht am ehesten ausgesetzt ist, entscheidet nicht selbst über das Ergebnis seiner Arbeit; dies geschieht durch die Kammer, die durch den Prüfvorgang nicht voreingenommen sein kann, sondern nur das Ergebnis zu beurteilen hat 703. 4. Ergebnisse und Rechtsfolgen der Prüfung durch die Private Prüfstelle Die Rechnungslegungsprüfung der DPR endet nicht mit einem formellen „Abschlussakt“ 704. Die Prüfstelle erlässt keinen Verwaltungsakt, etwa des Inhalts, 701

BT-Drs. 15/3421 S. 14; Hommelhoff/Mattheus, BB 2004, 93 (95). Eine Kammer besteht aus drei Prüfern (§ 4 der Verfahrensordnung). Die genaue Zuweisung einer Prüfung erfolgt nach einem detaillierten Geschäftsverteilungsplan (§ 5 der Verfahrensordnung). 703 In staatlichen Prüfverfahren (bei Behörden oder Gerichten) ist eine solche Trennung selten; vgl. z. B. die Kritik daran, dass im Strafverfahren das Gericht, das über die Eröffnung des Verfahrens (§ 211 StPO) entscheidet, identisch ist mit dem Gericht, das nachher die Hauptverhandlung durchführt. Darin wird eine Vorbeeinflussung des Gerichts gesehen, denn wenn ein Gericht das Verfahren eröffnet, weil eine Verurteilungswahrscheinlichkeit gegeben ist, wird dasselbe Gericht nachher diese Verurteilung auch eher vornehmen. Roxin z. B. (StrafprozessR, 15. Aufl. 1997, § 40 Rdn. 3) schlägt vor, die Eröffnung einem anderen Spruchkörper als dem erkennenden Gericht zu übertragen. 702

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dass ein Bilanzfehler festgestellt wird oder gar, dass eine Korrektur der Bilanz verbindlich angeordnet wird. Stattdessen wird dem Unternehmen nur das Ergebnis mitgeteilt, im Falle von Beanstandungen mit einer schriftlichen Begründung. Ebenso wird die BaFin – unabhängig vom Ausgang der Prüfung – über das Ergebnis informiert (§ 342b Abs. 6 S. 1 Nr. 3 HGB). Hingegen tritt die DPR mit ihrem Prüfergebnis in keinem Fall (gleichgültig ob es für das Unternehmen positiv oder negativ ist) an die Öffentlichkeit; weder veröffentlicht die DPR Bilanzunrichtigkeiten in Börsenpflichtblättern oder auf ihrer Homepage, noch gibt sie Pressekonferenzen oder -erklärungen zu bestimmten Prüfungen. a) Rechtmäßigkeit der Rechnungslegung Kommt die DPR zu dem Ergebnis, dass keine Verstöße vorliegen, so teilt sie dies dem Unternehmen formlos mit. Dieses Ergebnis bindet die BaFin insoweit, als sie in eine eigene Rechnungslegungsprüfung nur eintreten kann, wenn sie erhebliche Zweifel an der Richtigkeit und Ordnungsgemäßheit der Prüfung durch die DPR hat (§ 37p Abs. 1 S. 2 Nr. 2 WpHG); hingegen ist ein Zivilgericht bei einer etwaigen Nichtigkeitsklage eines Aktionärs gegen den Jahresabschluss (§ 256 AktG) nicht gebunden 705, da keine bestands- oder rechtskräftige Entscheidung im Verhältnis zwischen Aktionären und Unternehmen vorliegt. b) Einvernehmliche Feststellung eines Rechtsverstoßes in der Rechnungslegung Stellt die DPR hingegen einen Fehler fest, so fragt sie beim Unternehmen an, ob dieses den Fehler akzeptiert und berichtigt. Ziel ist also die Einigung auf die Fehlerbeseitigung 706. Die Tätigkeit der DPR beschränkt sich allerdings auf die Fehlerfeststellung; die Korrektur ist allein Sache des Unternehmens. Die Hoffnung des Gesetzgebers ist jedoch, dass es in den meisten Fällen zu einer einvernehmlichen und freiwilligen Fehlerkorrektur kommt 707. Sanktionsmittel wie etwa Vertrags- oder Vereinsstrafen oder Bußgelder stehen der DPR nicht zur Verfügung. Das Prüfergebnis der DPR wird der BaFin mitgeteilt. Hat die DPR einen Rechtsverstoß festgestellt und sich das Unternehmen damit einverstanden erklärt, ordnet die BaFin an, dass dieser einvernehmlich festgestellte Fehler vom Unternehmen 704

BT-Drs. 15/3421 S. 15. Hennrichs, ZHR 168 (2004), 383 (407); Mattheus/Schwab, BB 2004, 1099 (1106). 706 Ernst, BB 2004, 936. 707 Baetge/Lienau, DB 2004, 2277 (2278). Beim britischen Vorbild FRRP ist dies wohl in 80% der Fälle eingetreten; eine ähnliche Quote erhofft sich auch der deutsche Gesetzgeber, Hommelhoff/Mattheus, BB 2004, 93 (94). 705

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2. Teil: Referenzbereiche

zusammen mit der Begründung der DPR zu veröffentlichen ist (§ 37q Abs. 2 S. 1 Alt. 2 WpHG) 708. Im Hinblick auf die Publizität macht es also keinen Unterschied, ob der Fehler von der BaFin oder von der privaten Prüfstelle festgestellt wird. Da das Unternehmen den Fehler anerkannt hat, dürfte auch das Vertrauen der Kapitalmärkte in die Richtigkeit des Ergebnisses nicht geringer sein, als wenn eine Behörde den Fehler per Verwaltungsakt feststellt. Die weiteren Rechtswirkungen einer Fehlerfeststellung im gegenseitigen Einvernehmen sind nicht vollends geklärt 709; dem Gesetzgeber kam es allein auf die Information des Kapitalmarkts durch die Fehlerveröffentlichung an, das Übrige sollte sich aus den materiellen Rechnungslegungsvorschriften (also den §§ 238 ff. HGB) ergeben 710. Zum einen stellt sich daher die Frage, ob und wie die geprüfte und als fehlerhaft festgestellte Bilanz zu korrigieren ist (sogleich unter aa) ). Zum zweiten ist zu klären, ob im Rahmen einer Nichtigkeitsklage nach § 256 AktG das Gericht den Jahresabschluss trotzdem als wirksam ansehen kann (Bindungswirkung; sogleich bb) ). Schließlich sind die Folgen unklar, wenn das Unternehmen in zukünftigen Abschlüssen den Rechtsverstoß (etwa die falsche Bewertung eines bestimmten Postens) erneut begeht (unten cc) ). aa) Korrekturen bestehender Abschlüsse Unternehmen sind gesetzlich verpflichtet, aktuell und in Zukunft korrekte Abschlüsse vorzulegen (also bestehende Abschlüsse zu korrigieren und in zukünftigen eine Wiederholung des Fehlers zu unterlassen 711); diese Feststellung sagt allerdings noch nichts über die Konsequenzen eines Verstoßes aus. Fest steht, dass weder der einvernehmlichen Fehlerfeststellung durch DPR und Unternehmen noch der hoheitlichen Feststellung durch die BaFin eine unmittelbar rechtsgestaltende Wirkung zukommt 712. Allein durch das Anerkenntnis des Fehlers durch das Unternehmen wird die Bilanz nicht automatisch berichtigt. Auch stehen der BaFin nach geltender Rechtslage keine Hoheitsbefugnisse zu, mittels derer sie das Unternehmen zur Vornahme der Korrektur zwingen kann. Auch das Bundesamt 708 Von dieser regelmäßigen Veröffentlichung können Ausnahmen gemacht werden bei fehlendem öffentlichen Interesse (geringe Verstöße) oder – unverhältnismäßigen – Schäden für berechtigte Unternehmensinteressen (§ 37q Abs. 1 S. 2, 3 WpHG). 709 Rechtsprechung, noch dazu obergerichtliche, kann es dazu noch nicht geben, da die DPR erst zum 01. 07. 2005 ihre Arbeit aufgenommen und bis Juni 2006 erst 49 Verfahren abgeschlossen hat, wobei nur in fünf Fällen ein Bilanzfehler festgestellt wurde (Pressemitteilung der DPR vom 08. 08. 2006). 710 Gesetzentwurf für das BilKoG, Begründung zu § 37q Abs. 1 WpHG, BT-Drs. 15/ 3421 S. 18. 711 Mattheus/Schwab, BB 2004, 1099 (1101 f.). 712 Mattheus/Schwab, BB 2004, 1099 (1100).

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für Justiz kann Ordnungsgelder nach § 335 HGB nur verhängen, wenn überhaupt kein Abschluss aufgestellt oder dieser nicht offen gelegt wird; die inhaltliche Richtigkeit kann nicht erzwungen werden. Wäre das Verhältnis zwischen Unternehmen und DPR als Vertrag ausgestaltet 713, könnte sich das Unternehmen zusammen mit der Anerkenntnis des Fehlers auch vertraglich zur Korrektur verpflichten; diese Pflicht wäre dann gerichtlich einklagbar. Das würde jedoch der Systematik des BilKoG widersprechen. Zum einen stellt dieses darauf ab, dass nur der BaFin Zwangsmittel zur Verfügung stehen und das Verhältnis zwischen Unternehmen und Prüfstelle allein auf freiwilliger Kooperation beruht; dem würde es widersprechen, wenn zwar nicht die BaFin, wohl aber die DPR eine Korrektur erzwingen könnte. Außerdem hatte noch der Entwurf des BilKoG vorgesehen, dass die BaFin einen Rechnungslegungsfehler nicht nur feststellen, sondern das Unternehmen auch zur Korrektur verpflichten können sollte 714. Diese Norm wurde wieder gestrichen, weil der Gesetzgeber die Folgen eines Rechtsverstoßes allein den handels- und aktienrechtlichen Vorschriften überlassen wollte, also vor allem der Möglichkeit der Nichtigkeitsklage gegen den (fehlerhaften) Jahresabschluss (§ 256 AktG). Eine Erzwingung der Korrektur durch die DPR passt dazu nicht. Außerdem besteht auch kein Interesse an einer Korrektur, das von der DPR durchgesetzt werden müsste. Die Aktionäre können sich durch die Nichtigkeitsklage behelfen und potenzielle Investoren sind durch die Veröffentlichung des Rechtsverstoßes gewarnt. Wenn das Unternehmen, das den Fehler zuerst anerkannt hat, nun die Korrektur seiner Abschlüsse verweigert, ist dies für Anleger ein weiteres Warnsignal. bb) Bindungen in einer zivilgerichtlichen Nichtigkeitsklage Bei einem feststellenden Verwaltungsakt der BaFin kann sich das Unternehmen in einem Nichtigkeitsprozess gegen den Jahresabschluss nicht mehr darauf berufen, dass der Abschluss doch fehlerfrei sei 715. Fraglich ist, ob eine einvernehmliche Fehlerfeststellung eine ähnliche Bindungswirkung hat. Mattheus/Schwab nehmen eine solche auf Grund einer einseitigen Selbstbindung des anerkennenden Unternehmens an; dieses sei wegen des Anerkenntnisses des Fehlers gegenüber der Öffentlichkeit nicht mehr berechtigt, sich irgend wem (also auch den Aktionären) gegenüber auf das Nichtvorliegen des Fehlers zu berufen 716. Das Zivilgericht, das von einem Aktionär mit dem Ziel der Feststellung der Nichtigkeit des Jahresab713 Nach W. Müller, ZHR 168 (2004), 414 (421) handelt es sich bei dem Einvernehmen um ein „privatrechtliches Schuldverhältnis nach § 341 BGB“ mit Bindungswirkung. 714 Mattheus/Schwab, BB 2004, 1099 f.; Gelhausen/Hönsch, AG 2005, 511 (527). 715 Mattheus/Schwab, BB 2004, 1099 (1106); a. A. – ohne Begründung – Gelhausen/ Hönsch, AG 2005, 511 (525). 716 Mattheus/Schwab, BB 2004, 1099 (1103, 1106); a. A. Hennrichs, ZHR 168 (2004), 383 (407).

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2. Teil: Referenzbereiche

schlusses bzw. des Gewinnverwendungsbeschlusses nach § 256 AktG angerufen wird, hat die Fehlerhaftigkeit der Rechnungslegung also vorauszusetzen. Die Nichtigkeit der Beschlüsse ist damit allerdings nicht zwangsläufig verbunden, denn ein Beschluss kann trotz Fehlers wirksam sein, entweder weil der Fehler nicht gravierend genug ist oder inzwischen geheilt wurde (§ 256 Abs. 6 AktG). Ein Aktionär kann also das Prüfergebnis der DPR abwarten und dann gestützt auf das Fehlereingeständnis des Unternehmens mit relativ hohen Erfolgschancen gegen den Jahresabschluss vorgehen. cc) Bindung bei zukünftigen Bilanzen Eine Bindung für zukünftige Bilanzen macht wenig Sinn 717. Dass das Unternehmen einen Rechtsverstoß nicht wiederholen darf, ergibt sich schon aus der gesetzlichen Pflicht zu rechtmäßiger Rechnungslegung. Eine Bindung könnte sich lediglich dahin auswirken, dass das Unternehmen bei einer erneuten Fehlerfeststellung durch die DPR dieser Feststellung nicht mehr widersprechen darf, sondern ihn wiederum anerkennen muss. Die Veröffentlichung des Rechtsverstoßes könnte ohne weiteres wieder durch die BaFin angeordnet werden. Nimmt man eine solche Bindung nicht an, wird der Streitfall an die BaFin abgegeben. Dieser ist bekannt, dass es sich um einen wiederholten Rechtsverstoß handelt und das Unternehmen diesen Verstoß früher bereits anerkannt hatte. Die Prüfung der BaFin wird dann ergeben, dass entweder doch kein Rechtsverstoß vorliegt (sich die DPR in ihrer Beurteilung also geirrt hat) oder dass die Rechnungslegung in der Tat nicht ordnungsgemäß erfolgt ist. Die Veröffentlichung dieser wiederholten und zumindest beim zweiten Mal vorsätzlichen Rechtsverletzung dürfte für ein kapitalmarktorientiertes Unternehmen, das auf das Vertrauen von Investoren angewiesen ist, so gravierende Folgen haben, dass sich kein Unternehmen dieser Gefahr aussetzen wird und deshalb einen anerkannten Rechtsverstoß tunlichst kein zweites Mal begehen wird. Dies auch aus dem Grund, dass die vorsätzliche 718 Wiederholung eines Verstoßes eine Ordnungswidrigkeit oder gar eine Straftat nach §§ 331, 334 HGB nahe legt. c) Fehlende Einigung über festgestellte Fehler Auch wenn sich das Unternehmen zur Mitwirkung bereit erklärt und auch tatsächlich kooperiert hat, muss es dennoch von der Prüfstelle festgestellte Fehler 717

A. A. W. Müller, ZHR 168 (2004), 414 (421). Bei erstmaligen Verstößen kommen Straftat- und Bußgeldtatbestände wegen der schwierigen Nachweisbarkeit des subjektiven Tatbestands kaum zur Anwendung (Hennrichs, ZHR 168 [2004], 383 [385]); wird ein Verstoß wiederholt, den das Unternehmen vorher als Verstoß anerkannt hat, ist alles andere als eine vorsätzliche Begehung hingegen schwer vorstellbar. 718

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nicht akzeptieren. Eine solche Bindungswirkung sieht das HGB oder das WpHG nicht vor und mangels vertraglicher Bindung des geprüften Unternehmens gegenüber der DPR kann auch daraus keine Verpflichtung folgen. Kommt die Prüfstelle demnach im Rahmen ihrer Prüfung zur Rechtswidrigkeit der Rechnungslegung, schließt sich das geprüfte Unternehmen dieser Einschätzung aber nicht an, kann die DPR den Fehler nicht der BaFin vorlegen, damit diese nach § 37q Abs. 2 S. 1 WpHG die Veröffentlichung anordnet. Stattdessen gibt die Prüfstelle den Streitfall an die BaFin ab, die ihrerseits eine eigene Prüfung der Rechnungslegung des widersprechenden Unternehmens durchführt (§ 37p Abs. 1 S. 2 Nr. 1 Alt. 2 WpHG). Bei dieser Prüfung hat die BaFin den Sachverhalt selbst von Amts wegen zu ermitteln (§ 24 VwVfG), wird dabei aber zumeist auf die Erkenntnisse der privaten Prüfstelle zurückgreifen 719. Gegen die Vorlage des Falles an die BaFin durch die DPR stehen dem Unternehmen keine Rechtsmittel zur Verfügung (§ 342b Abs. 6 S. 2 HGB), weil das Unternehmen gegen die Endentscheidung der BaFin vorgehen kann 720. Die Prüfung durch die BaFin entspricht dabei der oben unter § 6 C. II. 1. dargestellten behördlichen Kontrolle bei Nichtexistenz einer privaten Prüfstelle. Kommt die BaFin zu demselben Ergebnis wie die DPR und sieht den Fehler ebenfalls als gegeben an, erlässt sie einen entsprechenden feststellenden Verwaltungsakt (§ 37q Abs. 1 WpHG) und ordnet die Veröffentlichung des Fehlers an (§ 37q Abs. 2 S. 1 Alt. 1 WpHG). Dagegen kann das betroffene Unternehmen Widerspruch einlegen und Beschwerde erheben. Folgt die BaFin der Auffassung des Unternehmens und hält die Rechnungslegung für rechtmäßig, ist das Verfahren abgeschlossen. Die Prüfung durch die DPR oder gar deren Annahme einer rechtswidrigen Rechnungslegung wird nicht veröffentlicht, so dass das Unternehmen dadurch nicht belastet ist. Die positive Entscheidung der BaFin beschwert das Unternehmen nicht. Der DPR stehen keine Rechtsbehelfe gegen Entscheidungen der BaFin zu 721.

D. Staatliche Gewährleistung ordnungsgemäßer Rechnungslegung Wie auch schon im Jugendmedienschutz und zum Teil im Produktsicherheitsrecht, ist es bei der Rechnungslegungskontrolle keineswegs so, dass sich der Staat aus der Erfüllung einer Aufgabe zurückzieht und diese privatisiert 722. Eine hoheitliche Kontrolle der Bilanzen hat früher nie stattgefunden und ist erst durch

719

Gesetzesbegründung zu § 37p Abs. 1 WpHG; BT-Drs. 15/3421 S. 18. Gelhausen/Hönsch, AG 2005, 511 (524). 721 Gelhausen/Hönsch, AG 2005, 511 (524). 722 A. A. Hommelhoff/Mattheus, BB 2004, 93 (96), die von einer „Privatisierung hoheitlicher Aufgaben“ sprechen und daher eine staatliche „Rest“verantwortung annehmen. 720

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2. Teil: Referenzbereiche

§ 37n WpHG dem Grunde nach eingeführt, durch § 37o WpHG aber gleich wieder zurückgenommen worden. Die staatliche Verantwortung für eine effektive Kontrolle der Rechnungslegung kann also nicht als „Privatisierungsfolgenrecht“ verstanden werden. Auch sind grundrechtliche Schutzpflichten nicht der (zwingende) Grund für das Tätigwerden des Gesetzgebers 723 (ansonsten müsste man die jahrzehntelang nicht vorhandene hoheitliche Rechnungslegungsprüfung als dauernden Verfassungsverstoß betrachten). Stattdessen handelt es sich um eine politische Entscheidung auf Grund der Bedürfnisse der Wirtschaftsteilnehmer an funktionsfähigen (Kapital-)Märkten. Dennoch ist von Interesse, wie der Gesetzgeber die ordnungsgemäße Aufgabenerfüllung durch die Privaten gewährleisten will (auch wenn er sie – verfassungsoder europarechtlich – nicht gewährleisten muss). I. Reservekompetenz der BaFin Nach § 37p Abs. 1 WpHG wird die BaFin allein auf Grund der Existenz einer privaten Prüfstelle nicht mehr von Amts wegen bei der Kontrolle von Bilanzen tätig. Ihr Einschreiten ist nur noch vorgesehen, wenn die DPR sie wegen verweigerter Mitwirkung eines Unternehmens dazu auffordert. Begnügt sich die DPR aber mit einer mangelhaften Kooperation des Unternehmens oder hat ihre Arbeit – auch bei voller Mitwirkung des Unternehmens – schlechte Qualität, bleibt der BaFin immer noch die Reservekompetenz des § 37p Abs. 1 S. 2 Nr. 2 WpHG vorbehalten, wonach sie trotz der grundsätzlichen Zurücknahme der hoheitlichen Prüfung einschreiten kann, wenn sie erhebliche Zweifel an der Richtigkeit oder Ordnungsgemäßheit der Prüfung durch die private Prüfstelle hat. Da die DPR der BaFin jedes Prüfergebnis mitteilen und gegebenenfalls erläutern muss, ist die BaFin auch in der Lage, die Qualität der Arbeit der Prüfstelle zu beurteilen. Die Konsequenz der Reservekompetenz ist allerdings kein Vorgehen gegen die Prüfstelle; weder ist die BaFin Aufsichtsbehörde über die DPR noch kann sie ihr die Anerkennung entziehen (sie kann lediglich beim BMJ darauf hinwirken, dass dieses den Anerkennungsvertrag mit der DPR kündigt). Stattdessen führt die Reservekompetenz dazu, dass die BaFin selbst die Bilanzen prüft, mit deren Prüfung durch die DPR sie nicht einverstanden war. Der BaFin stehen in diesem Fall wieder alle Befugnisse nach § 37o WpHG zu. Ein Unternehmen, das versucht, auf die Prüfer der DPR Einfluss zu nehmen und diese zu einer ungenaueren Prüfung oder einem günstigeren Prüfergebnis zu bewegen, 723 A. A. Bangert, Durchsetzungssysteme, S. 32 ff., der aus dem Sozialstaatsprinzip eine verfassungsrechtliche staatliche Pflicht zur Kontrolle der Rechnungslegung der Unternehmen herleiten will. Dass staatliche Maßnahmen für die Funktionsfähigkeit der Kapitalmärkte und der Wirtschaft sehr wichtig sind, ist unbestritten, nur entsteht daraus nicht ohne weiteres eine verfassungsrechtliche Handlungspflicht.

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setzt sich dem Risiko aus, dass die BaFin diese Prüfung nicht akzeptiert und in eine eigene Prüfung eintritt. II. Sicherung der Qualität der Prüfstelle Allein ein Vertrauen auf die Reservekompetenz der BaFin kann für die Funktionsfähigkeit des zweistufigen Enforcementverfahrens jedoch nicht ausreichen, denn in diesem Fall hätte es der Gesetzgeber gleich bei der Betrauung der BaFin mit der Rechnungslegungskontrolle belassen können. Eine sachkundige und neutrale Prüfstelle ist daher – im System der Regulierten Selbstregulierung – unentbehrlich. 1. Gesetzliche Vorgaben für Besetzung und Organisation der Prüfstelle § 342b Abs. 1 S. 2 HGB verlangt, dass die Prüfer sachverständig und unabhängig sind. Genauere Vorgaben, wann dies der Fall ist, macht das Gesetz nicht. Dabei ist zu beachten, dass die DPR vollkommen auf die freiwillige Kooperation der Unternehmen angewiesen ist. Sollte ein Unternehmen also mit der Verfahrensordnung der DPR, der Zusammensetzung der Mitgliederversammlung, der Qualität der Prüfer oder Ähnlichem nicht einverstanden sein, kann es die Mitwirkung schlicht verweigern. Würde diese Einstellung von einem Großteil der Unternehmen geteilt, wäre die zweistufige Rechnungslegungsprüfung faktisch gescheitert, weil die Prüfung stets sofort an die BaFin verwiesen werden müsste. Der Staat ist also nicht gezwungen, der privaten Prüfstelle detaillierte gesetzliche Vorgaben zu machen oder deren Einhaltung zu garantieren, um die Unternehmen zu schützen. Insofern regelt tatsächlich der „Markt“, ob die „Leistung“ der DPR angenommen wird. Vielmehr muss der Staat die Durchsetzung der öffentlichen Interessen gewährleisten, also vor allem die Qualität der Prüfer und ihre Unabhängigkeit von den geprüften Unternehmen. Dazu sind aber ebenfalls keine detaillierten Gesetzesvorgaben erforderlich, da der Staat ohnehin nicht die Mittel hätte, diese Vorgaben durchzusetzen. Wenn Prüfer nicht die nötige Qualität und Unabhängigkeit haben, kann die BaFin oder das BMJ nicht selbst die Prüfer austauschen oder eine Weiterbildung erzwingen; dem BMJ bleibt nur die Möglichkeit, den Anerkennungsvertrag mit der DPR zu kündigen. Da nur eine einzige Prüfstelle vorgesehen ist, kann das BMJ auch nicht zwischen mehreren Konkurrenten denjenigen auswählen, der den Anforderungen am besten entspricht. Außerdem ist es nach Ansicht des Gesetzgebers ausreichend, wenn die erforderliche ausgewogene Zusammensetzung und Unabhängigkeit im Rahmen der Anerkennung erreicht wird 724; so hat die Prüfstelle der DPR in ihre Verfahrensordnung einen Katalog 724

Gesetzesbegründung zu § 342b Abs. 1 HGB; BT-Drs. 15/3421 S. 13.

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2. Teil: Referenzbereiche

von Ausschluss- und Befangenheitsgründen aufgenommen, der den gesetzlichen Vorgaben für Abschlussprüfer entspricht (§§ 319, 319a HGB). Veränderungen im Finanzwesen und neue Gefahren für die Unabhängigkeit können durch die Fachleute der DPR schneller erkannt und die Verfahrensordnung flexibler angepasst werden als der Gesetzgeber eine detaillierte Regelung in § 342b HGB ändern könnte. Das Erfordernis der Genehmigung der Verfahrensordnungsänderungen sichert gleichzeitig die Beachtung der öffentlichen Interessen. 2. Anerkennung Die einzige Möglichkeit des Staates, auf die Zusammensetzung der Prüfstelle und die Qualität ihrer Prüfer direkt Einfluss zu nehmen, führt über die Anerkennung. Eine private Prüfstelle darf nach § 342b Abs. 1 S. 2 HGB nur anerkannt werden, wenn ihre personelle Zusammensetzung und ihre Satzung und Verfahrensordnung eine unabhängige, sachverständige und vertrauliche Prüfung gewährleisten. Da das Enforcementverfahren derart konzipiert ist, dass es auch von der BaFin allein durchgeführt werden kann, kann das BMJ auf der Einhaltung der Qualitätsvoraussetzungen bestehen und muss nicht unter allen Umständen eine private Stelle anerkennen, nur damit das Kontrollsystem arbeitsfähig ist. a) Anerkennungsvoraussetzungen Dem Gesetzgeber wird vorgeworfen, er habe die Ausgestaltung der Prüfstelle nicht detailliert genug geregelt, obwohl er dazu verfassungsrechtlich verpflichtet gewesen sei 725. Dabei wird übersehen, an wen sich diese gesetzliche Regelung richtet: Der DPR e. V. entscheidet als private Vereinigung selbst über seine Mitglieder, seine interne Organisation und die Verfahrensordnung. Gesetze, die Vereinsinterna regeln, wären ein Eingriff in den Schutzbereich des Art. 9 Abs. 1 GG, für den eine Rechtfertigung kaum zu finden sein dürfte; weder besteht im Bereich der Interessenvertretung von Rechnungslegern ein Monopol der DPR, noch erbringt sie irgend welche überragend wichtigen Leistungen von allgemeinem Interesse. Erst dadurch, dass sich der DPR e. V. um die öffentlichrechtliche Anerkennung „bewirbt“, kann die anerkennende Stelle Anforderungen an seine innere Organisation stellen. Ein Gesetz könnte also nur regeln, welche Anforderungen eine öffentliche Stelle zu stellen hat, um die private Stelle anerkennen zu dürfen. Gesetzesadressat ist vorliegend also nicht der DPR e. V., sondern das BMJ. Die Errichtung des zweistufigen Enforcements geht auf die Bundesregierung zurück; daher ist ihr auch zuzutrauen, dass sie durch das BMJ nur solche privaten Prüfstel725

Hommelhoff/Mattheus, BB 2004, 93 (96 f.).

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len anerkennt, mit denen das System funktionieren wird, die also eine ausreichende Sachkunde und Neutralität aufweisen. Außerdem ist zu berücksichtigen, dass ein Verstoß gegen diese detaillierten gesetzlichen Vorschriften folgenlos bliebe. Der Anerkennungsvertrag kann von niemandem angefochten werden (höchstens von einem Konkurrenten der DPR, der nicht anerkannt wurde, weil es nur eine einzige Prüfstelle geben soll; eine solche Konkurrenzorganisation existiert aber nicht). Die betroffenen Unternehmen können die Kooperation mit der DPR verweigern, wenn sie deren Sachkunde oder Neutralität bezweifeln; ein Vorgehen gegen die DPR selber ist daher aus ihrer Sicht nicht nötig. Es wird also kein Gericht und keine Verwaltungsbehörde darüber zu entscheiden haben, ob die DPR den gesetzlichen Anforderungen genügt; letztlich obliegt diese Prüfung ausschließlich dem BMJ. b) Anerkennungsvertrag Die hoheitliche Anerkennung der privaten Stelle erfolgt im Wirtschaftsrecht – anders als im Jugendmedienschutz, Produktsicherheits- und Umweltrecht – nicht durch Verwaltungsakt, sondern durch Vertrag (s. § 342b Abs. 1 S. 1 HGB im Vergleich zu § 19 Abs. 3 JMStV, § 11 Abs. 1 S. 4 GPSG, § 19 UAG). Das BMJ „kann“ einen solchen Vertrag abschließen (§ 342b Abs. 1 S. 1 HGB); damit dürfte nicht ein Ermessen des BMJ gemeint sein, sondern nur eine Zuweisung der Vertragsschlusskompetenz an das BMJ. Einen Anspruch auf Abschluss eines Anerkennungsvertrags hat eine private Prüfstelle nicht 726. Auch wenn sich die Grundlage des Vertrags in einem Zivilgesetz (dem HGB) befindet, handelt es sich um einen öffentlichrechtlichen Vertrag im Sinne der §§ 54 ff. VwVfG. Vertragsgegenstand ist die Einbindung der Prüfstelle in ein System der öffentlichrechtlich Regulierten Selbstregulierung und gehört damit dem Öffentlichen Recht an 727. Die vertragliche Konstruktion bedingt Unterschiede in der „Rücknahme“ der Anerkennung. Der anerkennende Verwaltungsakt kann aufgehoben werden, wobei als Rechtsgrundlagen entweder die §§ 48, 49 VwVfG oder spezialgesetzliche Regelungen zur Verfügung stehen. Die vertragliche Anerkennung kann nur durch Kündigung des Vertrags aufgehoben werden. Eine solche ist in § 342b HGB nicht vorgesehen; der Anerkennungsvertrag zwischen BMJ und DPR sieht in § 5 allerdings die Möglichkeit der jederzeitigen Kündigung ohne Angabe von Gründen 726 Im Gegensatz zum Jugendmedienschutz, wo zumindest dem Wortlaut des § 19 Abs. 3 JMStV nach jede Stelle, die die Voraussetzungen erfüllt, anzuerkennen ist. 727 Vgl. Di Fabio, VVDStRL 56 (1997), 235 (273): Verträge zwischen dem Staat und Privaten über die Rahmenbedingungen selbstregulierender öffentlicher Aufgabenerfüllung gehören dem Öffentlichen Recht an.

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2. Teil: Referenzbereiche

mit einer 18-monatigen Kündigungsfrist sowie die außerordentliche fristlose Kündigung vor. Letztlich dürfte auch eine Kündigung nach § 60 Abs. 1 VwVfG in Betracht kommen: Wenn die Prüfstelle nicht mehr den Anerkennungsvoraussetzungen entspricht oder ihre Arbeit nicht mehr zufrieden stellend ausübt, liegt eine wesentliche Änderung der Verhältnisse vor, die dem BMJ ein Festhalten am Vertrag unzumutbar macht. Schließlich könnte auch gegenüber einer privaten Prüfstelle, die nicht mehr in der Lage ist, die öffentlichen Interessen zu wahren, eine Kündigung zur Verhütung schwerer Nachteil für das Gemeinwohl in Betracht kommen (§ 60 Abs. 1 S. 2 VwVfG). 3. Staatliche Aufsicht Die unterschiedliche Stellung der DPR im Vergleich zu den Anerkannten Stellen im Jugendmedienschutz, Produktsicherheitsrecht oder Umweltauditverfahren zeigt sich auch daran, dass sie keiner hoheitlichen Aufsicht untersteht. Weder der BaFin als hoheitlichem Teil der Regulierten Selbstregulierung noch dem BMJ als anerkennende Stelle stehen gegenüber der DPR Aufsichts- oder Weisungsbefugnisse zu. Da die DPR als private Vereinigung, die nicht formal Teil der hoheitlichen Verwaltung ist (etwa durch Beleihung), sich gegenüber allen staatlichen Stellen auf ihre Grundrechte berufen kann, besteht für eine hoheitliche Aufsicht die Notwendigkeit einer ausdrücklichen gesetzlichen Grundlage. Weder § 342b HGB noch die §§ 37n ff. WpHG enthalten eine solche Befugnisnorm. Zwar wäre es grundsätzlich möglich, dem BMJ oder der BaFin im Anerkennungsvertrag Aufsichts- oder Weisungsbefugnisse einzuräumen 728, der am 30. 3. 2005 zwischen BMJ und DPR abgeschlossene Anerkennungsvertrag enthält derartige Bestimmungen jedoch nicht. Gewisse Kontrollmöglichkeiten staatlicher Stellen ergeben sich dennoch aus den § 342b HGB, §§ 37n ff. WpHG und dem Anerkennungsvertrag; ob diese zur Gewährleistung der Einhaltung der öffentlichen Interessen durch die DPR ausreichend sind, soll im Folgenden näher beleuchtet werden. Zuerst einmal hat das BMJ vor Abschluss des Anerkennungsvertrags Gelegenheit, sich umfassend über die Prüfstelle zu informieren. Da sich diese um die Anerkennung „bewirbt“ und dafür ihre Eignung beweisen muss, kann sich das BMJ auch ohne Ermächtigungsgrundlage einen detaillierten Überblick über die Anerkennungsvoraussetzungen, also die geplante Organisation der Prüfstelle, ihr Verfahren und ihr Personal, verschaffen. So müssen auch Satzung und Verfahrensordnung vor Vertragsschluss vorgelegt werden; alle nachträglichen Änderungen dieser Bestimmungen müssen mit dem BMJ abgestimmt und von diesem geneh728

Die dann im Streitfall aber nicht mit hoheitlichen Zwangsmitteln, sondern mittels Leistungsklage vor Gericht durchgesetzt werden müssten.

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migt werden (§ 342b Abs. 1 S. 3 HGB; § 2 Abs. 1 Anerkennungsvertrag). Über die Organisation und den Rahmen der Prüftätigkeit der Prüfstelle ist das BMJ also immer informiert; da das BMJ zudem stets im Einvernehmen mit dem BMF handelt, liegen auch dort diese Informationen vor und kann für eine Weiterleitung an die dem BMF unterstehende BaFin gesorgt werden. Von ebenso großer Bedeutung für die Funktionsfähigkeit der Regulierten Selbstregulierung ist aber auch die konkrete Prüftätigkeit der Prüfstelle. Von ihr hängt es ab, ob in einem konkreten Einzelfall die BaFin die Prüfung an sich zieht, weil sie erhebliche Zweifel an der Prüfung durch die Prüfstelle hat (§ 37p Abs. 1 S. 2 Nr. 2 WpHG), und ob generell das BMJ den Anerkennungsvertrag mit der DPR wieder kündigt, wenn diese ihre Leistung dauerhaft schlecht erbringt. Zur Beurteilung der Arbeit der DPR bestehen Berichtspflichten. So muss die Prüfstelle die BaFin in jedem Einzelfall darüber informieren, wenn sie die Absicht hat, eine Prüfung einzuleiten (§ 342b Abs. 6 S. 1 Nr. 1 HGB); diese Vorschrift wird man so weit verstehen dürfen, dass nicht nur die bloße Absicht mitgeteilt werden muss, sondern zumindest auch eine kurze Begründung (also ob die Prüfung eine Stichprobe darstellt oder auf Grund konkreter Anhaltspunkte für Rechtsverstöße erfolgt und im zweiten Fall auch, woraus genau sich der Tatverdacht ergibt). Die Vorgehensweise bei den Stichproben ist ohnehin mit dem BMJ bzw. der BaFin abzustimmen (§ 342b Abs. 2 S. 5, 6 HGB; § 2 Abs. 2 Anerkennungsvertrag). Nachdem die DPR mit einem Prüfbegehren an ein Unternehmen herangetreten ist, muss sie die BaFin in jedem Fall über das Ergebnis unterrichten (§ 342b Abs. 6 S. 1 Nr. 2, 3 HGB). Auf Verlangen der BaFin muss die DPR dabei zusätzlich das Prüfergebnis und die Durchführung der Prüfung erläutern und der BaFin den Prüfbericht vorlegen (§ 37p Abs. 1 S. 3 WpHG). Durch diese konkrete Berichtspflicht erhält die BaFin einen Einblick in die Vorgehensweise der DPR und kann die Qualität ihrer Prüfungen beurteilen 729. Eine weitere Kontrollmöglichkeit ergibt sich, wenn ein Unternehmen zwar mit der DPR kooperiert, das Ergebnis aber nicht anerkennt. Der Streit ist der BaFin vorzulegen, die in eine eigene Prüfung eintritt. Dabei wird sie zwar überwiegend auf den Prüfbericht der DPR zurückgreifen, kann jedoch auch eigene Sachverhaltsermittlungen anstellen. Des Weiteren kann sie auch, selbst wenn sie den Sachverhalt der DPR übernimmt, eine abweichende rechtliche Beurteilung vornehmen. Im Rahmen dieser doppelten Kontrolle kann die BaFin feststellen, ob der von der Prüfstelle ermittelte Sachverhalt oder die daraus gezogenen rechtlichen Schlüsse unrichtig sind, was auf eine mangelhafte Prüfung durch die DPR schließen ließe. Schließlich sieht

729 Schwerer kontrollieren kann die BaFin hingegen, wann die DPR nicht einschreitet, ob sie also z. B. konkrete Anhaltspunkte für Rechtsverstöße übersieht; nur wenn sich solche Anhaltspunkte etwa aus der Wirtschaftspresse eindeutig ergeben und die DPR trotzdem nicht einschreitet, kann die BaFin erkennen, dass das Kontrollsystem der DPR nicht funktioniert.

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2. Teil: Referenzbereiche

§ 3 des Anerkennungsvertrags vor, dass sich die DPR und die BaFin bei allen inhaltlichen und organisatorischen Fragen ins Benehmen setzen; dazu soll eine eigene Vereinbarung zwischen beiden Institutionen geschlossen werden. Die gesetzlichen und vertraglichen Regelungen sind danach insgesamt ausreichend, um eine Beurteilung der Arbeit der DPR durch die BaFin zu ermöglichen. Es ist eine Frage der staatsinternen organisatorischen Ausgestaltung des Informationsaustauschs zwischen BMJ, BMF und BaFin, dass auch das BMJ als anerkennende Stelle über die nötigen Informationen verfügt. 4. Selbstkontrolle der Prüfstelle Die Prüfstelle der DPR unterhält einen Compliance-Ausschuss zur Sicherstellung der Integritätsanforderungen an die Prüfer (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 der Verfahrensordnung). Dieser Ausschuss prüft, ob die Prüfer die in den §§ 10–16 der Verfahrensordnung aufgestellten Verschwiegenheits- und Neutralitätsgebote einhalten. Außerdem besteht ein Beschwerdeausschuss (§ 3 Abs. 1 Nr. 7 der Verfahrensordnung), der Beschwerden gegen Prüfer oder beigezogene Hilfspersonen entgegennimmt und untersucht (§ 21 der Verfahrensordnung). Auf diese Weise hat die Prüfstelle selbst interne organisatorische Vorkehrungen getroffen, um die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben abzusichern. 5. Haftung der Prüfstelle Die Rechnungslegung und die Rechnungslegungsprüfung können große Auswirkungen auf die Bewertung eines Unternehmens an der Börse haben. Die Information der Börse durch die Bilanzen des Unternehmens kann den Börsenkurs in die Höhe treiben, Informationen über Fehler in der Bilanz können zu Kursstürzen führen und das Unternehmen Millionen kosten. Die Gefahr einer Haftung der Prüfstelle für solch enorme Schäden durch (möglicherweise falsche) Informationen könnte einen großen Anreiz zu sorgfältiger Prüfung darstellen. Offen ist aber, ob für die DPR überhaupt ein Haftungsrisiko besteht. Die vorsätzliche oder fahrlässige Verletzung der Verschwiegenheitspflicht führt zu einer Schadensersatzpflicht (§ 342c Abs. 1 S. 4 HGB), die allerdings nach § 342c Abs. 2 S. 1, § 323 Abs. 2 S. 2 HGB auf eine bzw. vier Millionen Euro begrenzt ist. Dabei ist es jedoch unerheblich, ob die unter Bruch der Verschwiegenheit mitgeteilte Tatsache richtig oder falsch ist, auf einer korrekten Prüfung beruht oder nicht. Einen Anreiz zu einer sorgfältigen Prüfung durch die DPR stellt § 342c HGB demnach nicht dar. Eine Veröffentlichung des Prüfergebnisses durch die DPR ist nicht vorgesehen; die DPR hält weder Pressekonferenzen ab noch gibt sie auf ihrer Homepage regelmäßig Informationen über Unternehmen preis. Gelangen Informationen von der DPR an die Öffentlichkeit, beruht dies stets auf einer Verletzung der Verschwiegenheitspflicht. Eine Haftung für eine Falschmitteilung

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an die Öffentlichkeit (etwa im Rahmen einer Pressekonferenz) ist daher nicht nötig. Die einzige negative Konsequenz, die eine nicht ordnungsgemäße Prüfung durch die Prüfstelle für das Unternehmen haben kann, ist die Weitergabe des Falles an die BaFin und deren Eintritt in eine eigene Prüfung. Zwar ist eine Prüfung durch die BaFin auf der zweiten Stufe grundsätzlich für das Unternehmen kostenpflichtig; stellt sich dabei allerdings heraus, dass das Prüfergebnis der DPR falsch war (das Unternehmen also zu Recht widersprochen hat), werden dem Unternehmen die Kosten erlassen (§ 17b Abs. 1 S. 2 FinDAG). Eine berechtigte Verweigerung des Einverständnisses in die Fehlerfeststellung führt daher zu keinem Schaden. Erklärt sich das Unternehmen mit dem Ergebnis der (falschen) Prüfung der DPR einverstanden, so veröffentlicht es selbst das Ergebnis (auf Grund einer Anordnung der BaFin); zwar trägt die DPR eine Mitverantwortung an der Veröffentlichung dieses falschen Ergebnisses, aber das Unternehmen war nicht verpflichtet, das Ergebnis der DPR anzuerkennen. Vielmehr hätte es – gerade wenn das Bekanntwerden des Ergebnisses gravierende Auswirkungen, zum Beispiel auf den Aktienkurs, hätte – die Prüfung der DPR (mit Hilfe des eigenen Abschlussprüfers) noch einmal kritisch kontrollieren können. Selbst wenn es sich mit dem Fehler einverstanden erklärt, bliebe dem Unternehmen immer noch die Möglichkeit, bei der BaFin den Antrag zu stellen, dass die Feststellung des Fehlers ausnahmsweise nicht veröffentlicht wird, weil es berechtigten Unternehmensinteressen schadet (§ 37q Abs. 2 S. 3 WpHG). Ein solcher Fall dürfte – schon aus Gründen der Verhältnismäßigkeit – vorliegen, wenn zum einen das Prüfergebnis der DPR nicht ganz unumstritten ist (eine konkrete rechtliche Bewertung zum Beispiel durchaus strittig ist), das Bekanntwerden des Fehlers in der Rechnungslegung auf der anderen Seite aber zu erheblichen Verlusten des Unternehmens führen würde. Wenn eine unrichtige Information über Fehler bei der Rechnungslegung eines Unternehmens diesem einen Schaden zufügt, sind dafür also entweder die BaFin oder auch das Unternehmen selbst verantwortlich. Eine Haftung der DPR hingegen ist eher unwahrscheinlich; das Haftungsrecht bietet somit auch keinen Anreiz und damit keine Gewähr für eine korrekte Prüftätigkeit.

E. Weitere Mittel zur Gewährleistung einer ordnungsgemäßen Rechnungslegung Neben der Rechnungslegungskontrolle durch Regulierte Selbstregulierung stehen dem Staat noch weitere Mittel zur Verfügung, die Unternehmen zur Einhaltung der Rechnungslegungsvorschriften anzuhalten und damit die Regulierte Selbstregulierung zu flankieren.

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2. Teil: Referenzbereiche

I. Gesellschaftsrechtliche Vorschriften Jeder Aktionär kann Nichtigkeitsklage gegen die Feststellung des Jahresabschlusses erheben, wenn dieser gegen gläubigerschützende Vorschriften verstößt (§ 256 Abs. 1 Nr. 1 AktG). Die Nichtigkeit des Jahresabschlusses zieht die Nichtigkeit des Gewinnverwendungsbeschlusses nach sich (§ 253 Abs. 1 AktG). Da zahlreiche Rechnungslegungsvorschriften (zumindest auch) dem Gläubigerinteresse dienen, ist der Jahresabschluss bei fehlerhafter Rechnungslegung grundsätzlich nichtig, wenn die Fehler zu einer wesentlichen Beeinträchtigung der Darstellung der Verhältnisse des Unternehmens führen 730. So lange der Fehler nicht behoben ist, kann der Abschluss jederzeit beseitigt werden, wodurch das Unternehmen weder Dividenden ausschütten noch Gewinnrücklagen für die Zukunft bilden kann. Es liegt daher im wirtschaftlichen Interesse von Aktionären und Gesellschaft, dass der aufgestellte Jahresabschluss auch den Rechtsvorschriften entspricht. Verstöße gegen die Rechnungslegungsvorschriften können zudem nach §§ 93 Abs. 1, 116 AktG auch zu Schadensersatzansprüchen gegen Vorstand und Aufsichtsrat führen 731. II. Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht §§ 331, 334 HGB, 400 AktG schützen das Vertrauen der Allgemeinheit in die Richtigkeit und Vollständigkeit bestimmter Informationen über die Verhältnisse von Kapitalgesellschaften 732. § 331 HGB enthält einen Straftatbestand für unrichtige Darstellungen in der Rechnungslegung. Es handelt sich dabei um ein reines Tätigkeitsdelikt und damit um ein abstraktes Gefährdungsdelikt. Allein die (vorsätzliche) falsche Darstellung reicht daher für die Strafbarkeit aus, es braucht nicht zu einem Irrtum oder gar zu einem Vermögensschaden bei einem Aktionär oder Anleger gekommen zu sein. Eine Darstellung ist falsch, wenn sie nicht den objektiven Gegebenheiten entspricht, also zum Beispiel falsche Bewertungen enthält, bestimmte Posten nicht aufnimmt, Prognosen oder Beurteilungen nicht nach den Grundsätzen ordnungsgemäßer Buchführung (GoB) vornimmt 733. Strafbar sind dabei aber nur falsche Darstellungen, die sich auf die wirtschaftliche Situation des Unternehmens beziehen und die eine erhebliche Verletzung darstellen 734. Die Strafbarkeit nach § 400 AktG ist, soweit es sich um falsche Rechnungslegung handelt, subsidiär zu § 331 Nr. 1 HGB. Außerdem sind zahlreiche Verstöße gegen Rechnungslegungsvorschriften der §§ 242 ff. HGB in § 334 Abs. 1 HGB bußgeld730 731 732 733 734

Zum Ganzen s. Gelhausen/Hönsch, AG 2005, 511 (526). Hennrichs, ZHR 168 (2004), 383 (385, 391). Quedenfeld, in: MüKoHGB, § 331 Rdn. 1. Quedenfeld, in: MüKoHGB, § 331 Rdn. 33 f. Quedenfeld, in: MüKoHGB, § 331 Rdn. 40, 42.

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bewehrt. Täter sowohl des § 334 Abs. 1 als auch des § 331 Nr. 1 HGB können Vorstand und Aufsichtsrat sein. III. Unternehmenshaftung Auch eine Schadensersatzhaftung des Unternehmens oder seiner Organe für falsche Bilanzen würde einen Anreiz zur Einhaltung der Rechnungslegungsvorschriften darstellen. Bis dato besteht allerdings keine spezialgesetzliche Haftungsgrundlage. Die Rechnungslegungsvorschriften werden von Rechtsprechung 735 und herrschender Lehre 736 nicht als Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB anerkannt und bei § 826 BGB dürfte der Vorsatz selten nachweisbar sein. Das deshalb geplante Kapitalmarktsinformationshaftungsgesetz (KapInHaG) 737, das auch eine Haftung für grobe Fahrlässigkeit und Beweiserleichterungen bei der Kausalität der Fehlinformation für den Schaden vorsah, wird derzeit nicht weiter verfolgt. IV. Sanktionen der BaFin Denkbar – und zum Beispiel bei der Securities and Exchange Commission (SEC) in den USA vorgesehen – wären auch eigene Sanktionen der BaFin. In Betracht kämen etwa Geldstrafen, eine Aussetzung des Börsenhandels oder gar ein „De-Listing“ 738. Weder das WpHG noch das BörsenG sehen aber entsprechende Befugnisse der BaFin oder der (Länder-)Börsenaufsichtsbehörden bei Verstößen gegen Rechnungslegungsvorschriften vor.

F. Zusammenfassung Auch bei der Regulierten Selbstregulierung im Bilanzkontrollrecht geht es allein um die Durchsetzung staatlichen Rechts, nicht um die Setzung von Rechnungslegungsstandards durch die Wirtschaft. Die Einhaltung der Rechnungslegungsvorschriften des HGB wird grundsätzlich durch eine staatliche Behörde kontrolliert und etwaige Verstöße werden per Verwaltungsakt festgestellt und veröffentlicht. Diese behördliche Kontrolle wird aber zurückgenommen, wenn eine Selbstkontrolle der Wirtschaft erfolgt; die Zurücknahme der hoheitlichen Prüfung erfolgt dabei ganz generell und nicht nur in Bezug auf eine konkrete, schon von der DPR geprüfte, Bilanz.

735

BGH, BB 1964, 1273; LG Bonn, AG 2001, 484 (485). Schnorr, ZHR 170 (2006), 9 (19); weitere Nachw. bei LG Bonn, AG 2001, 484 (485) und Fleischer, AG 2006, 2 (8), der selbst anderer Ansicht ist. 737 Dazu Schnorr, ZHR 170 (2006), 9 (31); Teichmann, JuS 2006, 953 (959). 738 So der Vorschlag des CESR Standard No. 1 on Financial Information, F (Actions). 736

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2. Teil: Referenzbereiche

Die „Selbstkontrolle“ erfolgt durch eine private, staatlich anerkannte Prüfstelle, die von den Wirtschaftsverbänden getragen wird. Die private Prüfstelle soll Unabhängigkeit und Sachverstand garantieren und die hoheitliche Aufsicht entlasten. Die Mitwirkung der Unternehmen an der Selbstkontrolle ist freiwillig, der privaten Prüfstelle stehen keinerlei Hoheitsbefugnisse oder auch nur vertragliche Rechte gegenüber den zu prüfenden Unternehmen zu. Auch kann sie das Prüfergebnis nicht selbst verbindlich feststellen, sondern ist auf die Anerkennung durch das geprüfte Unternehmen angewiesen. Verweigert das Unternehmen auf einer Stufe die Kooperation oder Anerkennung, muss die DPR den Fall an die Aufsichtsbehörde abgeben, die mit Hoheitsmitteln eine eigene Prüfung durchführt.

3. Teil

Europa- und verfassungsrechtlicher Rahmen Nachdem die Mechanismen der Regulierten Selbstregulierung in den einzelnen Referenzbereichen und deren Strukturen dargestellt wurden, sollen im Folgenden die europa- und verfassungsrechtlichen Vorgaben für den Gesetzgeber, der die Regulierte Selbstregulierung anordnet, untersucht werden. Anforderungen an die konkrete Ausgestaltung der Regulierten Selbstregulierung können sich sowohl aus dem europäischen Primär- und Sekundärrecht als auch aus dem deutschen Verfassungsrecht ergeben. Diese Vorgaben beschränken den (europäischen oder deutschen) Gesetzgeber in zwei Richtungen: Zum einen begrenzen sie, wie weit der Gesetzgeber mit seinen Regelungen in die Rechte der Anbieter eingreifen darf; auf der anderen Seite stellen sie Mindestanforderungen auf, die gerade auch gegenüber den Anbietern durchgesetzt werden müssen und die der Gesetzgeber nicht unterschreiten darf. Die Position der Anerkannten Stelle wechselt dabei je nach Perspektive. Ist nach den Eingriffen in die Rechte der Anbieter gefragt, steht die Anerkannte Stelle funktional auf Seiten des eingreifenden Staates. In Bezug auf die staatlichen Schutzpflichten muss hingegen darauf geachtet werden, dass die Anerkannte Stelle nicht im Zusammenwirken mit dem Anbieter die Mindeststandards vernachlässigt.

§ 7 Staatliche Schutzpflichten und Handlungsgebote A. Grundlagen hoheitlicher Handlungsgebote I. Grundrechtliche Schutzpflichten aus dem Grundgesetz Mindestanforderungen für staatliches Tätigwerden und damit gleichzeitig eine Grenze für den Rückzug des Staates aus der Erfüllung einer Aufgabe ergeben sich aus den grundrechtlichen Schutzpflichten. Die Grundrechte sind nicht nur Abwehrrechte gegenüber staatlichem Tätigwerden, sondern auch Handlungsgebote für den Staat. Hintergrund ist, dass grundrechtlich geschützte Rechtsgüter nicht nur durch staatliche Eingriffe, sondern auch von nichtstaatlicher Seite beeinträchtigt oder gefährdet werden können. Leben oder Gesundheit der Bürger können nicht nur

300

3. Teil: Europa- und verfassungsrechtlicher Rahmen

durch staatliche Maßnahmen, sondern auch durch unsichere Produkte oder stark emittierende Fabriken verletzt werden; die Persönlichkeitsentwicklung von Kindern kann auch durch das Zeigen extremer Gewalt in den (privaten) Medien beeinträchtigt werden. In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist deshalb – vor allem in Bezug auf die Pflicht zum Schutz von Leben und Gesundheit aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG 1, aber ohne prinzipielle Beschränkung auf dieses Grundrecht – aus der objektiven Wertordnung der Grundrechte 2 und aus dem expliziten Auftrag zum Schutz der Menschenwürde (und damit auch des in jedem Grundrecht enthaltenen Menschenwürdekerns) in Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG eine neben die klassische Abwehrdimension tretende neue Grundrechtsfunktion entwickelt worden, die alle Grundrechtsverpflichteten (Art. 1 Abs. 3 GG) zur Gewährung von Schutz verpflichtet 3. Folge dieses Begründungsansatzes ist es, dass grundsätzlich alle Grundrechte eine solche Schutzdimension aufweisen 4, nicht nur das in Rechtsprechung und Literatur am häufigsten genannte Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG; dazu näher unten § 7 C. I.). In der Literatur wird als zusätzliche Herleitung für staatliche Schutzpflichten auch das staatliche Gewaltmonopol und die damit zusammenhängende Staatsaufgabe zur Gewährleistung von Sicherheit und Frieden, die in der Bundesrepublik Deutschland am Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG festgemacht wird, bemüht 5. Wenn ein Bürger sich grds. nicht selbst vor Rechtsgutsverletzungen durch Dritte schützen darf, muss der Staat im Gegenzug verpflichtet sein, diesen Schutz zu übernehmen.

Sofern eine grundrechtliche Schutzpflicht in Bezug auf ein bestimmtes Grundrecht zu bejahen ist, hat sich der Staat „fördernd und schützend“ vor dieses Grundrecht zu stellen und es vor allem auch gegenüber rechtswidrigen Eingriffen (privater) Dritter zu verteidigen 6, wenn eine Gefährdung dieses Rechtsguts durch Dritte droht und der Grundrechtsträger zur Abwehr der Gefahren gerade auf den Staat angewiesen ist 7. 1 BVerfGE 39, 1 (49); E 46, 160 (164); E 53, 30 (57); E 88, 203 (251); BVerfG, NJW 2006, 1939 (1942). 2 Dazu BVerfGE 39, 1 (41). 3 BVerfGE 39, 1 (41); E 49, 89 (142). Selbe Herleitung bei Calliess, JZ 2006, 321 (327); Unruh, Schutzpflichten, S. 31. 4 BVerfGE 92, 26 (46); Unruh, Schutzpflichten, S. 75; Szczekalla, Schutzpflichten, S. 149. 5 Calliess, JZ 2006, 321. 6 BVerfGE 39, 1 (42); E 46, 160 (164); E 53, 30 (57); E 88, 203 (251); BVerfG, NJW 1996, 651; BVerfG, NJW 2006, 751 (757); BVerfG, NJW 2006, 1939 (1942); Isensee, HStR V, § 111 Rdn. 89, 97 ff. 7 Zur Subsidiarität staatlichen Handelns, wenn der Betroffene sich selbst schützen kann Isensee, HStR V, § 111 Rdn. 90, 142 f. S. auch z. B. die Subsidiarität des staatlichen

§ 7 Staatliche Schutzpflichten und Handlungsgebote

301

Wie der Staat seine Schutzpflicht erfüllt, ist eine vom „Ob“ der Schutzpflicht zu trennende und im Einzelnen noch relativ ungeklärte Frage 8; die Rechtsfolge der Bejahung einer Schutzpflicht kann kaum abstrakt-generell bestimmt werden 9. Die Schwierigkeit besteht darin, dass die Schutzpflicht in den meisten Fällen nicht nur durch ein einziges bestimmtes Handeln erfüllt werden kann 10, sondern eine Vielzahl unterschiedlicher Lösungskonzepte und Handlungsmöglichkeiten besteht, unter denen der Gesetzgeber auswählen kann. Die Schutzpflichten geben nicht vor, auf welche Art und Weise der Staat ihnen zu genügen hat 11; das „Wie“ der Schutzgewährung bestimmt jedes staatliche Organ selbst 12. Ein konkretes Mittel wird durch die Grundrechte so gut wie nie geboten sein 13; nur ausnahmsweise könnte sich unter ganz besonderen Umständen die Gestaltungsbefugnis des Gesetzgebers derart verengen, dass allein durch eine bestimmte Maßnahme der Schutzpflicht Genüge getan ist 14. Das BVerfG verlangt lediglich, dass die staatlichen Maßnahmen effektiv 15 bzw. angemessen und wirksam sind 16, um den Schutz des betreffenden Grundrechts zu gewährleisten. Das Schutzniveau richtet sich nach der Art und Weise der Rechtsgutsgefährdung und der Bedeutung und Schutzbedürftigkeit des betroffenen Grundrechts 17; je größer und konkreter die Gefahr und je wichtiger das Rechtsgut (hier vor allem das Recht auf Leben), desto strenger sind die Anforderungen an das staatliche Tätigwerden. Auf der anderen Seite ist zu berücksichtigen, dass dem Staat ein optimaler Schutz bestimmter Rechtsgüter verwehrt sein kann, weil er dazu in Freiheitsrechte Dritter eingreifen müsste und ihm dies auf Grund der Abwehrfunktion der Grundrechte dieser Dritten verboten ist 18. Die Bestimmung des ausreichenden Schutzniveaus und der Angemessenheit und Wirksamkeit einer Maßnahme obliegt auf Grund des Demokratieprinzips und der Gefahrenabwehrrechts in Bezug auf den Schutz privater Rechte (u. a. § 2 Abs. 2 PolG BW; Art. 2 Abs. 2 BayPAG; § 1 Abs. 3 HessSOG; § 1 Abs. 2 PolG NW; § 2 Abs. 2 SächsPolG; § 1 Abs. 4 BPolG). 8 Möstl, DÖV 1998, 1029 (1035); Szczekalla, Schutzpflichten, S. 93: Es existiert noch kein bewährtes und strukturiertes Prüfprogramm. 9 BVerfG, NJW 2006, 751 (757); Calliess, JZ 2006, 321 (328). 10 Calliess, JZ 2006, 321 (328); Unruh, Schutzpflichten, S. 79. 11 BVerwGE 95, 188 (197). 12 BVerfGE 39, 1 (44); E 46, 160 (164 f.); E 96, 56 (64). 13 So in Bezug auf Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG BVerfGE 46, 160 (164 f.). 14 BVerfGE 77, 170 (215); BVerfG, UPR 1998, 341 (342). 15 BVerfGE 39, 1 (44); E 46, 160 (164 f.). 16 BVerfGE 88, 203 (254); BVerfG, NJW 1995, 2343; BVerfG, NJW 1996, 651; Finckh, Regulierte Selbstregulierung im DSD, S. 401. 17 BVerfGE 49, 89 (142); E 88, 203 (262); Isensee, HStR V, § 111 Rdn. 141. 18 Szczekalla, Schutzpflichten, S. 176: Grundrechte Dritter als Grenze der Schutzpflichten.

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3. Teil: Europa- und verfassungsrechtlicher Rahmen

Gewaltenteilung in erster Linie dem Gesetzgeber 19; dieser hat einen sehr weiten Gestaltungs-, Beurteilungs- und Ermessensspielraum, wie er seiner Schutzpflicht nachkommen will 20. Dadurch wird er auch in die Lage versetzt, andere betroffene private und öffentliche Belange und Interessen zu berücksichtigen und in die Abwägung mit der Schutzpflicht einzustellen 21. (Untere) Ermessensgrenze des legislativen Spielraums ist das Untermaßverbot 22, das einen gewissen (aber ebenfalls noch nie abstrakt bestimmten) Mindeststandard an Schutznormen verlangt 23. Das Bundesverfassungsgericht sieht diesen Mindeststandard allerdings nur unterschritten, wenn der Gesetzgeber trotz grundsätzlich bestehender Schutzpflicht überhaupt nicht tätig geworden ist oder sein Schutzkonzept offensichtlich völlig ungenügend ist; es beschränkt sich bei der Frage, ob die Mindeststandards ausreichend sind, demnach auf eine Evidenzkontrolle 24 und prüft nicht im Detail, welche Schutzvorkehrungen nötig wären und welche der Gesetzgeber getroffen hat. Grundrechtliche Schutzpflichten treffen zwar den Staat (Art. 1 Abs. 3 GG); dies bedeutet jedoch nicht, dass die Erfüllung der Schutzaufgabe notwendig unmittelbar durch den Staat selbst zu erfolgen hat 25. Nimmt dieser nicht selbst eine öffentliche Aufgabe wahr, sondern überlässt er ihre Erfüllung Privaten, ist er bestimmten Anforderungen ausgesetzt, will er seinen Schutzpflichten genügen 26: Zum einen trifft den Staat die Pflicht, die Aufgabenerfüllung durch die Privaten zu beobachten und zu überwachen. Zudem muss er sich eine Zugriffsoption offen halten 27, um im Falle einer Schlechterfüllung selbst wieder zum Schutz der Betroffenen tätig werden zu können 28.

19

BVerfG, UPR 1998, 341 (343). BVerfGE 79, 174 (202); E 85, 191 (212); E 88, 203 (262); E 92, 26 (46); E 96, 56 (64); BVerfG, NJW 1995, 2343; BVerfG, NJW 1996, 651; Isensee, HStR V, § 111 Rdn. 162. 21 BVerfGE 77, 170 (214 f.); E 79, 174 (202); E 85, 191 (212). 22 BVerfGE 88, 203 (254); BVerfG, NJW 1995, 2343; Calliess, JZ 2006, 321 (328). Zum Untermaßverbot auch Möstl, DÖV 1998, 1029 (1038 f.); Klein, JuS 2006, 960 ff.; Jaeckel, Schutzpflichten, S. 92 ff. 23 Isensee, HStR V, § 111 Rdn. 165; krit. zum Untermaßverbot Sparwasser/Engel/ Voßkuhle, Umweltrecht, § 1 Rdn. 157: begrenzte Tragweite, liefert über die Gewährleistung eines unabdingbaren Mindestschutzes hinaus keine operationalisierbaren Kriterien. 24 BVerfGE 77, 170 (215); E 85, 191 (212); E 92, 26 (46); BVerfG, NJW 1995, 2343; BVerfG, NJW 1996, 651; Isensee, HStR V, § 111 Rdn. 162. 25 BVerwGE 95, 188 (197). 26 S. Szczekalla, Schutzpflichten, S. 169, im Anschluss an BVerwGE 95, 188 (204 f.): Erfüllung der Schutzpflicht durch staatliche Organisation privater Schutzgewährung. 27 Schmidt-Preuß, VVDStRL 56 (1997), 160 (197); ders., in: Kirchhof, Gemeinwohl, S. 19 (21). 28 So für das Umweltrecht Schmidt-Preuß, in: Dolde (Hrsg.), Umweltrecht im Wandel, S. 309 (311). 20

§ 7 Staatliche Schutzpflichten und Handlungsgebote

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II. Schutzpflichten im europäischen Primärrecht Auch in Bezug auf die Grundfreiheiten des EGV, die (ungeschriebenen) europäischen Grundrechte und die Grundrechte der EMRK wird jeweils eine Schutzpflichtdimension diskutiert 29 und ist diese – zumindest der Sache nach – in Einzelfällen auch von EuGH und EGMR anerkannt worden. Durch die Rechtsprechung abgesicherte allgemeine Grundrechtstheorien im Hinblick auf Schutzpflichten existieren aber nicht 30. Die Grundrechte aus der EMRK binden die Bundesrepublik Deutschland umfassend, die Grundfreiheiten und europäischen Grundrechte verlangen von Deutschland Beachtung bei der Umsetzung von Sekundärrecht und bei Handlungsfeldern mit Bezug zum Binnenmarkt. Soweit die Europäische Gemeinschaft selbst tätig wird (im Rahmen der vorliegenden Untersuchung in Bezug auf das Produktsicherheits- und das Umweltrecht), ist sie ebenfalls an die Grundfreiheiten und die europäischen Grundrechte gebunden.

Nach Art. 2 Abs. 1 EMRK wird das Recht auf Leben „gesetzlich geschützt“, womit schon im Wortlaut eine staatliche Pflicht zum Ausdruck kommt 31. Für das Recht auf Achtung des Privatlebens aus Art. 8 Abs. 1 EMRK hat der EGMR anerkannt, dass dieses auch positive Pflichten des Staates begründet, das Privatleben im Verhältnis von Privatpersonen untereinander zu schützen 32. Die Vertragsstaaten haben „vernünftige und angemessene Maßnahmen“ zu treffen 33, die einen „tatsächlichen und effektiven“ 34 bzw. „wirkungsvollen“ 35 Schutz gewährleisten. Ebenso wie bei den Schutzpflichten aus dem GG haben die Staaten auch bei Schutzpflichten aus der EMRK einen weiten Gestaltungs- und Ermessensspielraum 36. In Bezug auf die Warenverkehrsfreiheit nach Art. 28 EGV (i. V. m. Art. 10 EGV) hat der EuGH Schutzpflichten der Mitgliedstaaten ausdrücklich anerkannt 37. Eine

29 Jaeckel, Schutzpflichten, S. 103 ff.; Szczekalla, Schutzpflichten, S. 562; Ehlers, in: ders., Europ. Grundrechte und Grundfreiheiten, § 14 Rdn. 24. 30 Vgl. EGMR, EuGRZ 1989, 522 (5249): „Es ist nicht Aufgabe des Gerichtshofs, eine generelle Theorie der positiven Verpflichtungen, die sich aus der Natur der Konvention ergeben, zu erarbeiten“. 31 Jaeckel, Schutzpflichten, S. 112 f.; Weiß, Produktsicherheit, S, 65. 32 EGMR, EuGRZ 1985, 297 (298); EGMR, EuGRZ 1995, 530 (533); EGMR, NVwZ 1999, 57 (58); auch für das Versammlungsrecht wurde eine Schutzpflicht anerkannt, EGMR, EuGRZ 1989, 522 (524). 33 EGMR, EuGRZ 1989, 522 (524). 34 EGMR, EuGRZ 1985, 297 (299). 35 EGMR, NVwZ 1999, 57 (58). 36 EGMR, EuGRZ 1989, 522 (524); EGMR, EuGRZ 1995, 530 (533); Jaeckel, Schutzpflichten, S. 169. 37 EuGHE 1997, 6959, Tz. 32; EuGHE 2003, 5659, Tz. 59.

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3. Teil: Europa- und verfassungsrechtlicher Rahmen

allgemeine Dogmatik diesbezüglich hat er allerdings nicht entwickelt; ob die Schutzpflichten auch die Gemeinschaftsorgane treffen und ob sie bei allen Grundfreiheiten gelten, ist in der Rechtsprechung noch ungeklärt. Zur Gewährleistung der Warenverkehrsfreiheit fordert der EuGH von den Mitgliedstaaten „ausreichende, erforderliche und geeignete“ Maßnahmen, wobei er ihnen bezüglich konkreter Maßnahmen Ermessen einräumt 38. Ob aus den ungeschriebenen europäischen Grundrechten auch Schutzpflichten der Mitgliedstaaten und der Gemeinschaft selbst folgen, ist in der Rechtsprechung des EuGH noch nicht verbindlich geklärt. Pflichten zum Schutz von Leben und Gesundheit sind wohl anerkannt 39. Verpflichtungen zum Schutz der Umwelt ergeben sich aus Art. 174 Abs. 1 u. 2 EGV (wobei Art. 174 Abs. 1 EGV auch den Gesundheitsschutz durch Umweltschutz enthält); Art. 174 Abs. 2 EGV verpflichtet die Gemeinschaft auf ein hohes Umweltschutzniveau, ohne aber Maßstäbe dafür anzubieten, wann ein Schutzniveau „hoch“ ist und welche konkreten Maßnahmen dafür ergriffen werden müssen. Bezüglich der Schutzverpflichtung der Europäischen Gemeinschaft und des europäischen Gesetzgebers ist zu berücksichtigen, dass die Gemeinschaft nur begrenzte und grundsätzlich subsidiäre Kompetenzen hat (Art. 5 EGV), also nicht Adressat umfassender Schutzpflichten sein kann, weil es ihr an den Möglichkeiten zur Gewährung dieses Schutzes fehlt. In Bezug auf die Bundesrepublik Deutschland sind die Anforderungen, die aus Schutzpflichten der EMRK und der europäischen Grundrechte erwachsen, nicht strenger als die wegen der ohnehin schon bestehenden grundgesetzlichen Schutzpflichten 40.

B. Schutzpflichten und Handlungsgebote im Jugendmedienschutz I. Grundlage der Schutzpflichten und Handlungsgebote 1. Jugendschutz Auch wenn – sogar im Gesetz selber – verkürzend von Jugendmedienschutz gesprochen wird, hat der JMStV doch zwei Schutzgüter, den Jugendschutz und den Schutz der Menschenwürde. Jugendschutz ist ein Verfassungsgebot und eine Staatsaufgabe 41. Die Pflicht des Gesetzgebers zum Jugendschutz ergibt sich aus 38

EuGHE 1997, 6959, Tz. 32 f.; bestätigt in EuGHE 2003, 5659, Tz. 59. Szczekalla, Schutzpflichten, S. 563; Weiß, Produktsicherheit, S. 67. 40 Jaeckel, Schutzpflichten, S. 170 f.: Untermaßverbot und Mindestanforderungen aus GG und EMRK sind weitgehend identisch, die Rechtsprechung von BVerfG und EGMR stimmen weitgehend überein. 41 Engels, AöR 122 (1997), 212 (231); Erdemir, CR 2005, 275. 39

§ 7 Staatliche Schutzpflichten und Handlungsgebote

305

dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht der Heranwachsenden (Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG) 42. Davon umfasst ist das Recht auf eine ungestörte Entwicklung und Reifung der eigenen Persönlichkeit. Dies kann auch von privater Seite beeinträchtigt werden, wenn beispielsweise in den von Jugendlichen konsumierten Medien (Rundfunk und Internet) übermäßige Gewalt oder Pornographie gezeigt werden. Diese staatliche Schutzpflicht ist aber nicht absolut. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht und das Recht auf ungestörte Entwicklung sind vorrangig ein Abwehrrecht gegen den Staat. Die Persönlichkeit soll sich in erster Linie nach den eigenen Maßstäben entwickeln 43, in zweiter Linie sind die Eltern auf Grund ihres Erziehungsrechts (Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG) zur Förderung der Entwicklung berufen. Der Staat darf (außer in der Schule, Art. 7 Abs. 1 GG) nicht selbst erziehen, er muss vielmehr für eine unbelastete Entwicklung sorgen 44. Vor allem darf der Staat nicht unter dem Deckmantel des Jugendschutzes die Erziehung der Eltern „korrigieren“ 45; wenn Eltern es für richtig halten, dass ihre Kinder auch Zugang zu freizügigerem Material haben sollen, darf das durch zu restriktiven Jugendschutz nicht verhindert werden. Jugendmedienschutz kann nur ein Angebot an die Eltern sein, ihnen bei der Erziehung behilflich zu sein und eine eigene Erziehung nicht durch die faktische Macht der Medien unmöglich zu machen 46, aber er darf auch den Eltern nichts unmöglich machen 47.

Materielle Vorgaben für den JMStV erwachsen aber auch aus der EG-Fernsehrichtlinie (FernsehRL) und der E-Commerce-Richtlinie (ECRL) 48. Beide statuieren das Herkunftslandsprinzip / Sendestaatsprinzip für grenzüberschreitende Fernsehsendungen und Dienste der Informationsgesellschaft (= Telemedien). Dieses Prinzip kann im EG-Binnenmarkt nur funktionieren, wenn der Sendestaat verpflichtet ist, bei den von seinem Hoheitsgebiet ausgehenden Angeboten auf die Einhaltung des Jugendschutzes und der Menschenwürde zu achten. Art. 22, 22a FernsehRL verpflichten die Mitgliedstaaten deshalb dazu, dafür Sorge zu tragen, dass keine jugendbeeinträchtigenden oder zu Hass wegen Rasse, Geschlecht oder Religion aufrufenden Programme gesendet werden. Art. 16 FernsehRL 49 macht Vorgaben für Werbung (die in § 6 JMStV umgesetzt werden). 42 Engels, AöR 122 (1997), 212 (237); Langenfeld, MMR 2003, 303 (305); Erdemir, CR 2005, 275; nach a. A. (auch) aus Art. 5 Abs. 2 i. V. m. Art. 6 GG, so BVerfGE 83, 130 (139 f.); Dörr/Cole, Jugendschutz in den elektronischen Medien, S. 20, oder nur aus Art. 5 Abs. 2 GG, so Mynarik, Jugendschutz, S. 37. 43 Rossen-Stadtfeld, AfP 2004, 1 (6 f.): „Die sich selbst bildende Persönlichkeit muss auch mit Gefahren konfrontiert werden, um sich zu prägen“. 44 Erdemir, CR 2005, 275. 45 Langenfeld, MMR 2003, 303 (305). 46 Engels, AöR 122 (1997), 212 (236, 239). 47 Gegen eine zu starke Beschränkung des elterlichen Erziehungsrechts durch den staatlichen Jugendschutz Köhne, NJW 2005, 794. 48 Zu diesen beiden Richtlinien s. o. 2. Teil § 3 B. I. 1. d).

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3. Teil: Europa- und verfassungsrechtlicher Rahmen

Daneben enthält auch das internationale Recht eine Vielzahl von Verpflichtungen zum Schutz der Jugend: So das UN-Übereinkommen über das Recht des Kindes vom 20. 11. 1989 50, vor allem dessen Art. 3 Abs. 2 und Art. 4, oder das Übereinkommen über das grenzüberschreitende Fernsehen des Europarats vom 5. 5. 1989 51. Dessen Art. 7 Abs. 1 bestimmt, dass alle Sendungen die Menschenwürde und die Grundrechte anderer zu achten haben und insbesondere keine Pornographie enthalten, Gewalt herausstellen oder zum Rassenhass aufstacheln dürfen. Art. 7 Abs. 2 des Fernsehübereinkommens enthält spezielle Regelungen zum Jugendschutz, wonach entwicklungsbeeinträchtigende Sendungen nicht verbreitet werden dürfen. Art. 5 Abs. 1 des Fernsehübereinkommens statuiert die Pflicht der Vertragsstaaten, für die Einhaltung dieser Grundsätze bei den ihrer Hoheitsgewalt unterliegenden Anbietern zu sorgen. Neben dem Fernsehübereinkommen haben die Staaten des Europarates die Cybercrime-Konvention abgeschlossen 52. Die Konvention, die sich, wie schon der Name sagt, mit zahlreichen Formen von Kriminalität im Internet befasst, enthält in Art. 9 Abs. 1 ein Verbot der Verbreitung von Kinderpornographie im Netz. Nach Art. 13 der Konvention muss jeder Vertragsstaat wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Strafen vorsehen, um die Durchsetzung der Verbote sicherzustellen. Insgesamt regelt die Cybercrime-Konvention nur die Strafbewehrung und die Strafverfolgung, nicht aber präventive Maßnahmen. Die Bundesrepublik Deutschland ist diesen Anforderungen schon durch die §§ 184b, 184c StGB nachgekommen. § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 9, 10, § 24 Abs. 1 Nr. 1 i), j) JMStV sehen ebenfalls entsprechende Verbote und Sanktionen vor. 2. Rundfunkordnung Die grundgesetzliche Rundfunkfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG verpflichtet den Staat zur Errichtung einer positiven Rundfunkordnung 53. Teil dieser Rund-

49

In Zukunft Art. 3g lit. f RL über audiovisuelle Mediendienste. United Nations Treaty Series, vol. 1577, S. 3; angenommen durch UN-Res. 44/25 vom 20. 11. 1989 (A/44/49, S. 166); BGBl II 1992, S. 122. 51 European Treaty Series ETS No. 132; geändert durch Protokoll vom 1. 10. 1998, ETS No. 171; in Deutschland in Kraft gesetzt durch Gesetz vom 27. 05. 1994, BGBl II S. 638. Art. 27 Abs. 1 des Fernsehübereinkommens enthält allerdings einen Vorbehalt zugunsten der EG-Fernsehrichtlinie: Zwischen den EG-Mitgliedstaaten verdrängt die Fernsehrichtlinie das Übereinkommen, soweit der Anwendungsbereich ersterer reicht; da die Fernsehrichtlinie in Art. 22, 22a Regelungen zum Schutz der Jugend und der Menschenwürde enthält, gilt in Deutschland das Fernsehübereinkommen des Europarats nur subsidiär zur Fernsehrichtlinie der Europäischen Gemeinschaft, vgl. Palzer, ZUM 2002, 875 (883). 52 Vom 23. 11. 2001, European Treaty Series ETS No. 185; von Deutschland noch nicht ratifiziert. Zur Umsetzung durch das „Strafrechtsänderungsgesetz zur Bekämpfung der Computerkriminalität“ BR-Drs. 676/06 u. NJW 2006, Heft 40, S. VI. 50

§ 7 Staatliche Schutzpflichten und Handlungsgebote

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funkordnung muss auch der Jugendschutz sein 54. Damit wird die Pflicht zum generellen Jugendschutz dahingehend verstärkt, dass gerade im Rundfunk Jugendschutz bestehen und dieser auch den besonderen Umständen der Jugendgefährdung durch Rundfunk Rechnung tragen muss. 3. Menschenwürdeschutz Die Pflicht des Staates zum Schutz der Menschenwürde ergibt sich für Deutschland schon aus Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG. Aber auch die FernsehRL verpflichtet neben dem Jugendschutz auch zum Verbot von zum Hass wegen Rasse, Geschlecht, Religion aufrufender Inhalte und damit zum Schutz zumindest von wichtigen Teilaspekten der Menschenwürde (Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 2 i. V. m. Art. 12, Art. 22a FernsehRL). II. Umsetzung der Schutzpflicht im materiellen Recht Aus dem oben Genannten ergibt sich, dass der Staat zum Schutz von Jugend und Menschenwürde gegen Übergriffe Dritter in den privaten Medien verpflichtet ist; wie diese Pflicht zu erfüllen ist, ist damit jedoch noch nicht vorgegeben. Die grundrechtlichen Schutzpflichten fordern vom Staat angemessenen und wirksamen Schutz, vor allem gegen rechtswidrige Beeinträchtigungen durch (private) Dritte (s. o. § 7 A. I.). Allgemeingültige Aussagen oder generelle Maßstäbe lassen sich den grundrechtlichen Schutzpflichten nicht entnehmen (nicht einmal in Bezug auf Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG – das einzige Grundrecht, mit dem sich BVerfG und Literatur in dieser Hinsicht vertieft auseinander gesetzt haben – konnten abstrakt-generelle Vorgaben erarbeitet werden). Schutzmaßnahmen müssen effektiv und wirksam sein; ob eine Maßnahme allerdings wirksam ist und wie wirksam sie sein muss, liegt im weiten, nur durch das Untermaßverbot begrenzten, Einschätzungs- und Beurteilungsspielraum des Gesetzgebers. Zu berücksichtigen hat er dabei Ausmaß und Wahrscheinlichkeit möglicher Gefährdungen sowie die Bedeutung des Schutzgutes und den Ausgleich mit anderen Interessen. Die Menschenwürde und die ungestörte Entwicklung Jugendlicher sind von hohem Rang; andererseits sind die beeinträchtigenden Angebote in Rundfunk und Telemedien zum Teil selbst grundrechtsgeschützt, etwa durch Art. 5 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 GG, Art. 5 Abs. 3 GG oder Art. 12 Abs. 1 GG 55. Zudem ist der Staat nicht alleine in der Verantwortung; auch die Erziehungsberechtigten sind nach Art. 6 53

Holznagel, Beiheft 4 DV 2001, 81 (82). BVerfGE 57, 295 (326). 55 So kann auch Pornographie Kunst sein (BVerfGE 83, 130 [138]), die Meinungsfreiheit umfasst auch rechtsextremistische Propaganda. 54

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3. Teil: Europa- und verfassungsrechtlicher Rahmen

Abs. 2 S. 1 GG dazu verpflichtet und auch faktisch in der Lage, ihre Kinder vor den Gefährdungen durch Fernsehen und Internet zu schützen. Angesichts des weiten gesetzgeberischen Einschätzungs- und Gestaltungsspielraums, der auch dazu dient, die unterschiedlichen, zum Teil einander widerstreitenden Grundrechtspositionen zum Ausgleich zu bringen, würde der Gesetzgeber nur dann gegen das Untermaßverbot verstoßen, wenn er überhaupt keine Maßnahmen zum Schutz der Jugend und der Menschenwürde ergriffen hätte oder diese offensichtlich völlig unzureichend wären. Der Gesetzgeber hat die oben genannten Schutzpflichten und Handlungsgebote im JMStV (und im StGB) umgesetzt, vor allem in den Unzulässigkeitstatbeständen der § 4 Abs. 1, 2, § 5 JMStV. Es hätte noch mehr oder noch weitergehend verboten werden können, aber zum einen sind die Verbotsmöglichkeiten durch die Grundrechte der Anbieter beschränkt und zum anderen kann ein Verstoß gegen Schutzpflichten nicht schon allein deshalb angenommen werden, weil der Staat noch mehr hätte tun können. Der Gesetzgeber ist auf jeden Fall nicht untätig geblieben und hat mit JMStV und StGB die gravierendsten Verstöße abgedeckt. Dass dieses normative Schutzsystem des Gesetzgebers völlig ungeeignet wäre, kann man nicht behaupten. Das materielle Recht genügt daher den Anforderungen aus den Pflichten zum Schutz von Jugend und Menschenwürde 56. III. Schutzpflichten im Gesetzesvollzug 1. Vorgaben des Grundgesetzes Schutzpflichten erschöpfen sich nicht darin, dass der Gesetzgeber Ver- oder Gebotsnormen erlässt, die abstrakt das Grundrecht vor Beeinträchtigungen durch Dritte schützen; ein wirksamer Schutz wird nur gewährleistet, wenn diese Normen in der Rechtspraxis auch angewendet und durchgesetzt werden. Ob dies durch repressive strafrechtliche Sanktionen, im Wege des Polizei- oder Vollstreckungsrechts oder auch durch zivilrechtliche Abwehr- oder Schadensersatzansprüche erfolgt, ist wiederum dem legislativen Gestaltungsspielraum überlassen 57. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob der Staat, obwohl der JMStV zum Teil von Selbstkontrolleinrichtungen und nicht (mehr) von Hoheitsträgern vollzogen wird, seinem Handlungsauftrag noch gerecht wird. Eine eigenhändige Erfüllung des Schutzauftrags durch staatliche Stellen ist nicht notwendig (s. o. § 7 A. I.). Wenn der Grundrechtsschutz durch Private ebenfalls ausreichend und wirk56 Vorliegend stellt sich auch nicht das Problem, ob ein Rückzug des Staates oder Deregulierung mit den Schutzpflichten vereinbar ist, denn der Gesetzgeber hat nicht dereguliert, sondern im Gegenteil im Vergleich zum RStV a. F. und zum MDStV a. F. detailliertere Regelungen getroffen. 57 Calliess, JZ 2006, 321 (326).

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sam ist, hat der Staat seine Schutzpflicht nicht verletzt. Der Staat wäre also seiner Schutzpflicht aus Art. 1 Abs. 1 GG bzw. Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG nachgekommen, wenn die Gewährleistung des Jugend- und Menschenwürdeschutzes im Wege Regulierter Selbstregulierung nicht unter die durch das Untermaßverbot geforderten Mindeststandards absinkt. Was diese Mindeststandards sind, ist allerdings unklar. Dass die staatlich gesetzten Normen durchgesetzt werden müssen, ist zwingend. Jedoch lässt sich den Grundrechten nicht entnehmen, ob dies notwendig durch staatliche Stellen erfolgen muss, ob unbedingt eine präventive Kontrolle erfolgen muss oder wie streng die repressiven Maßnahmen sein müssen. Auch hier hat der Gesetzgeber einen weiten Gestaltungsspielraum. Zu berücksichtigen ist auch, dass vom Staat nichts verlangt werden kann, was ihm rechtlich oder faktisch unmöglich ist. Zwar wäre eine präventive Kontrolle aller Rundfunksendungen vor ihrer Ausstrahlung auf ihre Vereinbarkeit mit dem JMStV der effektivste Jugendschutz; allein wäre dies mit Art. 5 Abs. 1 S. 3 GG nicht vereinbar 58. Eine Pflicht zur Vorlage von Rundfunksendungen oder Telemedien an staatliche Aufsichtsstellen und eine Notwendigkeit der Freigabe durch diese, verstieße gegen das Vorzensurverbot. Eine – auf Freiwilligkeit beruhende – Vorabkontrolle durch Selbstregulierungseinrichtungen ist hingegen verfassungsrechtlich unbedenklich, aus Jugendschutzgesichtspunkten jedoch effektiver, weil nicht erst nach erfolgter Ausstrahlung (und damit nach der eingetretenen Jugendgefährdung) agiert werden kann. Ein Vorgehen gegen die zahlreichen jugend- und menschenwürdegefährdenden Angebote im Internet ist dem Staat nicht immer möglich, weil er entweder von ihnen keine vollständige Kenntnis haben kann oder an die ausländischen Anbieter nicht herankommt. Insofern ist die Durchsetzung der staatlichen Schutzpflicht von vornherein begrenzt; wenn Regulierte Selbstregulierung diese begrenzten Möglichkeiten nicht weiter reduziert, sondern im Gegenteil sogar effektiveren Schutz verspricht, hat der Gesetzgeber mit der Einführung Regulierter Selbstregulierung im Jugendmedienschutz seine Schutzpflichten nicht verletzt. Des Weiteren ist zu berücksichtigen, dass kein vollständiger Rückzug der Hoheitsgewalt stattgefunden hat. Mit der KJM wurde im Gegenteil sogar eine verbesserte Aufsicht geschaffen. Schwerwiegende Verstöße werden auch von den Selbstkontrollen geahndet; falls dies unterbleibt, kann die KJM immer noch einschreiten. Dass in Streitfällen die Selbstkontrollen etwas weniger restriktiv entscheiden und die KJM daran gebunden ist, ändert am grundsätzlichen Niveau

58 Weswegen im bisherigen Jugendmedienschutz allein repressive Maßnahmen (Beanstandungen, Bußgelder) nach erfolgter Ausstrahlung einer jugendgefährdenden Sendung ergriffen werden konnten. Zum Zensurverbot, das auch für Maßnahmen zum Schutz der Jugend gilt, § 15 A. I. 1. d).

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3. Teil: Europa- und verfassungsrechtlicher Rahmen

des Jugendschutzes nichts. Außerdem sieht der JMStV vor, dass das System der Regulierten Selbstregulierung insgesamt wieder aufgehoben wird, wenn es nicht funktioniert. Die Pflichten zum Schutz von Jugend und Menschenwürde stehen somit der konkreten Ausgestaltung der Regulierten Selbstregulierung nicht entgegen 59. Die Einbindung der Selbstkontrolleinrichtungen ist nicht völlig ungeeignet, um Jugendschutz zu gewährleisten. Selbst eine reine Selbstkontrolle (und staatliche Sanktionierung nur über das Strafrecht) – wie im Presserecht – kann (unter Jugendschutzgesichtspunkten) ausreichend sein 60. Den Staat trifft nur eine Pflicht zu beobachten, ob die Selbstkontrolle funktioniert, und die Auffangverantwortung, im Fall eines Versagens der Selbstkontrolle selbst tätig zu werden. Speziell für den Rundfunk wird aus der objektiven Rundfunkordnung des Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG nach herrschender Meinung eine Pflicht des Staates zur Regelung der Rundfunkordnung und zur Beaufsichtigung derselben abgeleitet. Eine völlige Deregulierung des Rundfunks ist danach unzulässig 61. Die Notwendigkeit einer Rundfunkaufsicht dient vor allem der Verhinderung unzulässiger Konzentrationen, der Bildung einseitiger Meinungsmacht, der Sicherung der pluralistischen Meinungsbildung, dem Ausschluss heteronom-sachfremder Lenkungen des Rundfunks 62. Dies sind allerdings keine Aufgaben, die der Regulierten Selbstregulierung übertragen wurden. Die staatliche Pflicht, sich auch im Rundfunk nicht vollständig aus der Aufsicht über den Jugendschutz zurückzuziehen, folgt nicht aus der objektiven Rundfunkordnung, sondern aus der Pflicht zum Jugendschutz. Im Übrigen ist der Notwendigkeit einer Aufsicht mit der KJM und ihren Überwachungsmöglichkeiten Genüge getan. Zudem verlangt die objektive Rundfunkordnung aus Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG gleichzeitig auch noch eine möglichst staatsferne Aufsicht (ebenso jetzt Art. 23b Abs. 1 der RL über audiovisuelle Mediendienste); diesem Postulat kann durch Regulierte Selbstregulierung am besten Rechnung getragen werden. 59 Ladeur, ZUM 2002, 859 (867); Mynarik, Jugendschutz, S. 264: System des JMStV genügt der Schutzpflicht, wenn es richtig ausgeübt wird; a. A. Dörr/Cole, Jugendschutz in den elektronischen Medien, S. 72 f.: Diese nehmen an, dass die „fast vollständige Abschaffung der repressiven Kontrollmöglichkeiten . . . ein klarer Verfassungsverstoß [sei], weil Jugendschutz nicht mehr vollständig, effektiv und sinnvoll gewährleistet wäre“. Beide geben aber zu, dass eine Vorabkontrolle sogar effektiver wäre, halten diese aber wegen Art. 5 Abs. 1 S. 3 GG für unzulässig (was bei einer Selbstkontrolle der Rundfunkanbieter eben gerade nicht richtig ist). Auch behaupten sie, dass eine präventive Kontrolle nicht effektiv sein könne, ohne dafür tragfähige Gründe anzugeben. Auf die Sicherung der Qualität der präventiven Kontrolle durch die FSF und die weiterhin bestehen bleibende repressive Aufsicht gehen sie nicht ein. 60 A. A. Dörr/Cole, Jugendschutz in den elektronischen Medien, S. 107: Der Regulierungsaspekt bei der Regulierten Selbstregulierung müsse schon stark betont werden, solle sie mit der Pflicht zum Jugendschutz vereinbar sein. 61 Dörr/Cole, Jugendschutz in den elektronischen Medien, S. 77. 62 Rossen-Stadtfeld, AfP 2004, 1 (6).

§ 7 Staatliche Schutzpflichten und Handlungsgebote

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2. Vorgaben des Sekundärrechts Das Konzept der Fernseh- und der E-Commerce-Richtlinie bedingt ebenfalls staatliche Handlungspflichten. Soll das Herkunftslandsprinzip gelten und den Behörden in den Empfangsstaaten deshalb die Kontrolle von Sendungen und Angeboten grundsätzlich verwehrt sein, muss im Gegenzug der Sendestaat dafür sorgen, dass die Sendung grundlegende Anforderungen einhält 63. Dazu gehören nach FernsehRL und ECRL auch der Schutz der Jugend und der Menschenwürde (Art. 22, 22a FernsehRL; Erwägungsgrund 22 i. V. m. Art. 3 Abs. 1, Abs. 4 lit. a ECRL). Deshalb fordert Art. 3 Abs. 2 FernsehRL geeignete Mittel, um sicherzustellen, dass die Sender die Richtlinie tatsächlich einhalten. Konkret sieht die FernsehRL in Art. 3 Abs. 3 dafür vor allem ein Beschwerdeverfahren vor. Ob Zuschauerbeschwerden allerdings von den Landesmedienanstalten oder Selbstkontrolleinrichtungen entgegengenommen werden, ist dadurch nicht festgelegt. Ansonsten ist zu bedenken, dass das Sekundärrecht selbst den verstärkten Einsatz von Ko- und Selbstregulierungsmechanismen verlangt und empfiehlt 64. Es kann somit nicht davon ausgegangen werden, dass ein System der Regulierten Selbstregulierung wie im JMStV im Sinne des Gemeinschaftsrechts grundsätzlich ungeeignet ist 65. Allerdings stellt das Gemeinschaftsrecht daran gewisse Anforderungen 66: So muss einerseits ein gesetzlicher Rahmen bestehen, der die verfolgten Ziele und die Mittel zur Durchsetzung und Überwachung festlegt. Die staatliche Auffangverantwortung muss anerkannt sein. Schließlich muss die Selbstkontrolleinrichtung repräsentativ und zuverlässig sein. Diesen Anforderungen genügen der JMStV und die Selbstkontrolleinrichtungen in Deutschland: Den gesetzlichen Rahmen bildet der JMStV, die Qualität der Selbstkontrolleinrichtung soll durch § 19 Abs. 3 JMStV und die Anerkennung gewährleistet werden und die Selbstkontrolleinrichtungen sind auch repräsentativ besetzt. Auch aus europarechtlicher Sicht bestehen daher keine Bedenken gegen den Einsatz Regulierter Selbstregulierung im Jugendmedienschutz.

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Groß, NVwZ 2004, 1393. Z. B. die Empfehlung des Europäischen Parlaments und Rats vom 20. 12. 2006, 2006/952/EG, ABlEU L 378/72, Erwägungsgründe 12, 14 und Empfehlungen I. 3. lit. c, 4. lit. a, II. 1.; Miller/Schmittmann, AfP 2004, 422; Kleist/Scheuer, MMR 2006, 206 (210); ausdrücklich die neue RL über audiovisuelle Mediendienste in Art. 3 Abs. 2. 65 Palzer, ZUM 2002, 875 (885). 66 Weißbuch der Kommission: Europäisches Regieren, 2001; zum Folgenden: Palzer, ZUM 2002, 875 (882 ff.). 64

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3. Teil: Europa- und verfassungsrechtlicher Rahmen

C. Schutzpflichten und Handlungsgebote im Produktsicherheitsrecht I. Grundlagen der Schutzpflichten Das Produktsicherheitsrecht dient dem Schutz von Verbrauchern und sonstigen Produktbenutzern vor Schädigungen an Leben, Gesundheit oder Eigentum. Leben und Gesundheit der Verbraucher, die nicht nur durch den Staat, sondern auch durch Produkte Privater gefährdet werden können, sind nach Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG geschützt. Grundrechtliche Schutzpflichten für Leben und Gesundheit sind – auch wegen der hohen Bedeutung des Rechtsguts Leben – in Rechtsprechung und Literatur seit langem anerkannt 67. Der Staat ist grundsätzlich verpflichtet, sich schützend und fördernd für das Leben und die körperliche Unversehrtheit seiner Bürger einzusetzen und sie gegen rechtswidrige Eingriffe vonseiten Dritter zu schützen 68. Die Schutzpflichten sind dabei vor allem auch in Bezug auf mögliche Gefahren durch (neue) technische Anwendungen entwickelt worden 69. Der Staat ist demnach grundsätzlich verpflichtet, die Bürger vor Schäden an Leben oder Gesundheit durch gefährliche Produkte zu schützen. Unsichere Produkte können außerdem nicht nur Gesundheitsschäden, sondern auch Schäden an anderen Gegenständen im Eigentum des Benutzers verursachen. Auch in Bezug auf das durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützte Eigentum trifft den Staat prinzipiell eine grundrechtliche Schutzpflicht 70. Da die materiellen Sicherheitsanforderungen an Produkte mittlerweile vorwiegend durch das europäische Sekundärrecht festgelegt werden, sind auch die Handlungsgebote für den europäischen Gesetzgeber in den Blick zu nehmen. Auch die europäischen Grundrechte kennen eine Schutzpflichtdimension 71, das heißt auch der europäische Gesetzgeber muss – soweit er zuständig ist – Leben, Gesundheit und Eigentum schützen. Ein weiterer Impuls für den europäischen Gesetzgeber kommt aus der Pflicht zur Verwirklichung des Binnenmarkts (Art. 2, 14 EGV); durch die Festlegung europaweit einheitlicher Produktanforderungen werden Handelsschranken abgebaut und der freie Warenverkehr (Art. 28 EGV) erleichtert.

67 BVerfGE 38, 1 (41); E 46, 160 (146); E 53, 30 (57); E 88, 203 (251); BVerfG, NJW 2006, 1939 (1942); Isensee, HStR V, § 111 Rdn. 98. 68 BVerfGE 88, 203 (251); BVerfG, NJW 2006, 1939 (1942). 69 BVerfGE 49, 89; E 53, 30; E 81, 310 – Atomkraft; BVerfGE 56, 54 – Flugverkehr; BVerfGE 79, 174 – Kraftverkehr. 70 BVerfG, UPR 1998, 341 (342); Calliess, JZ 2006, 231 (322); Isensee, HStR V, § 111 Rdn. 93; a. A. Ehlers, Jura 1997, 85 (87). 71 S. o. § 7 A. II.

§ 7 Staatliche Schutzpflichten und Handlungsgebote

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II. Umsetzung der Schutzpflicht im materiellen Recht Die Erfüllung der grundsätzlich bestehenden Schutzpflichten erfolgt durch das Produktsicherheitsrecht (im weiteren Sinne). Das Produktsicherheitsrecht muss angemessenen und wirksamen Schutz der Verbraucher vor gefährlichen Produkten bieten. Vor allem wenn es um die Abwehr von Gefahren für das Leben geht, sind an die staatliche Schutzpflicht strengere Anforderungen zu stellen 72. Auf der anderen Seite beeinträchtigen strenge staatliche Sicherheitsstandards die Berufsund Eigentumsfreiheit der Hersteller, Importeure und Händler. Zudem sind die Risiken und Gefahren teilweise unbekannt oder zumindest in ihrer Reichweite ungeklärt, so dass vielleicht von einem Produkt doch keine Gefahr ausgeht und die staatliche Schutzpflicht eigentlich nicht aktiviert werden müsste. Außerdem kann der technische Fortschritt gehemmt werden, der zu neuen Erkenntnissen und Produkten führen könnte, die ihrerseits Risiken für Leben und Gesundheit minimieren 73. Welches Schutzniveau angemessen ist und welche Mittel zur Erreichung dieses Niveaus erforderlich sind, liegt deshalb weitgehend im Ermessen des Gesetzgebers 74. Auch die Bestimmung, welche Produkte so gefährlich sind, dass für sie Mindeststandards bestehen müssen, obliegt der Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers. Das Untermaßverbot als Ermessensgrenze gebietet lediglich die Erstellung von Mindeststandards für eindeutig gefährliche Produkte 75. Staatliche Vorgaben für alle Produkte sind undenkbar, obwohl so gut wie jedes Produkt missbraucht werden und bei praktisch jedem Produkt gravierende Konstruktionsoder Fabrikationsmängel zu Gesundheitsschäden führen können. Allerdings folgt für den Staat aus den Schutzpflichten auch eine Beobachtungs- und Nachbesserungspflicht 76. Zeigen sich bei einer bestimmten Produktart häufige Missbrauchsgefahren oder sind die Produktstandards einer ganzen Branche offensichtlich ungeeignet, ist der Gesetz- oder Verordnungsgeber verpflichtet, sich dieses Produkts anzunehmen und Schutzmaßnahmen zu ergreifen. Ansonsten müssen allgemeine Befugnisnormen bestehen, die das Ergreifen von Schutzmaßnahmen in Einzelfällen und bei neu auftretenden Gefahren ermöglichen (in der Art einer polizeilichen Generalklausel; s. § 8 GPSG). Der (europäische und/oder nationale) Gesetzgeber hat sich offensichtlich gefährlicher Produkte wie Arzneimittel, Chemikalien oder Lebensmittel angenommen 72

Weiß, Produktsicherheit, S. 76 f. S. zu diesen Erwägungen in Bezug auf Arzneimittel und Chemikalien Weiß, Produktsicherheit, S. 77 f. 74 BVerfGE 77, 170 (214 f.); E 79, 174 (202); E 85, 191 (212); BVerfG, NJW 1996, 651. 75 Zum Untermaßverbot und den daraus folgenden Mindeststandards s. o. Fn. 22, 23. 76 Unruh, Schutzpflichten, S. 24 f. 73

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und für diese detaillierte Regelwerke erlassen oder dafür gesorgt, dass fachlich qualifiziertere Stellen entsprechende Standards und Normen erstellen. Ob für alle gefährlichen Produkte Regelungen bestehen und ob die jeweiligen Standards und Normen ausreichend sind, kann im Rahmen der vorliegenden Arbeit nicht beurteilt werden. Zum einen handelt es sich dabei um politische Entscheidungen, die eine Abwägung zwischen Freiheit und Sicherheit treffen müssen, zum anderen handelt es sich um Fragen, die sich nicht juristisch, sondern nur mit naturwissenschaftlichmedizinischen Kenntnissen beantworten lassen. Die vorliegend untersuchten Bereiche des Produktsicherheitsrechts wurden gerade als Referenzgebiet gewählt, weil es Regelungen zum Schutz des Verbrauchers gibt. Ob die von den Normungsgremien erlassenen Standards genügend Schutz bieten, kann hier nicht untersucht werden. Auf jeden Fall ist der Staat (bzw. die EG) nicht völlig untätig geblieben und kann auch ein offensichtlich unzureichendes Vorgehen nicht konstatiert werden, so dass das Untermaßverbot in Bezug auf die Sicherheit von Aufzügen, Sportbooten, Medizinprodukten oder Druckgeräten nicht verletzt ist. Dass der europäische Gesetzgeber nur grundlegende Sicherheitsanforderungen festgelegt hat und die konkrete Ausarbeitung den europäischen Normungsorganisationen überlässt, ist mit etwaigen Schutzpflichten vereinbar: Die Normierung wird von der EG-Kommission in Auftrag gegeben und muss von dieser angenommen werden; die Nationalstaaten können, wenn sich die Normen als ungenügend herausstellen, das Schutzklauselverfahren und damit die Verschärfung der Normen anstrengen. Der europäischen und deutschen Hoheitsgewalt verbleiben somit ausreichende Einflussmöglichkeiten, um auf sichere Produkte hinzuwirken. III. Schutzpflichten im Gesetzesvollzug Angesichts der großen Vielzahl von Produkten unterschiedlichster Hersteller, mit der quasi alle Bürger ständig in Berührung kommen, ist es unmittelbar einsichtig, dass allgemeine Produktstandards wenig nützen, wenn ein Hersteller sie für seine Produkte nicht einhält. Die grundrechtlichen Schutzpflichten für Leben und Gesundheit verlangen deshalb notwendig die Durchsetzung und Kontrolle der Produktnormen. Aus den Schutzpflichten lassen sich daher Anhaltspunkte dafür entnehmen, ob ein Produkt voraussetzungslos auf den Markt gebracht werden darf oder ob präventive Maßnahmen (zum Beispiel eine Kontrolle vor dem Inverkehrbringen) erfolgen müssen, um irreversible Schäden durch das einmal in Verkehr befindliche Produkt zu verhindern 77. Welche Produkte derart gefährlich sind, dass sie einer 77

Zur grundsätzlichen Notwendigkeit präventiver (Produkt-)Schadensvermeidung Weiß, Produktsicherheit, S. 73.

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präventiven Kontrolle bedürfen, lässt sich nicht allgemein festlegen 78, sondern muss durch den Gesetzgeber bestimmt werden (den aber eine Nachbesserungspflicht trifft, wenn sich bei einem Produkt gehäuft Gefahren oder Schäden durch Mängel zeigen). Außerdem ist zu beachten, dass der Staat Produktschäden auch durch zahlreiche weitere Maßnahmen und Regelungen, wie etwa der laufenden Marktüberwachung, des Produkthaftungs- oder Produktstrafrechts, zu verhindern sucht 79. Die Durchsetzung der bestehenden Standards und die Reaktion auf auftretende Gefahren müssen angemessen und wirksam sein, um Schäden für Leib und Leben abzuwehren. Diese Aufgabe muss der Staat nicht notwendig durch eigenes Personal erfüllen, sofern Private einen ebenso wirksamen Schutz gewährleisten können. Wie oben dargestellt haben die Benannten Stellen die nötige Fachkunde und die notwendigen Befugnisse, um die Sicherheitsanforderungen für die jeweiligen Produkte durchzusetzen. Die Anerkannten Stellen müssen strikten und hohen Anforderungen genügen. Sie werden staatlich überwacht und der Staat hat mit den Marktüberwachungsbehörden ein zweites Kontrollnetz aufgebaut, das beim Versagen der (privaten) Marktzutrittskontrolle immer noch eingreifen und die größten Schäden verhindern kann. Dabei ist zu berücksichtigen, dass eine umfassende Vorabkontrolle aller unter die Neue Konzeption fallenden Produkte durch staatliche Behörden nie stattgefunden hat und wegen des immensen Aufwands auch in Zukunft nicht eingeführt werden könnte. Insofern lautet die Alternative also nicht: Staatliche Kontrolle oder Prüfung durch Anerkannte Stellen, sondern Prüfung durch Anerkannte Stellen oder überhaupt keine Prüfung. Dass insoweit die erste Alternative der staatlichen Schutzpflicht eher gerecht wird, versteht sich von selbst.

Erst wenn sich herausstellen sollte, dass die Anerkannten Stellen massiv und umfassend Zertifizierungen ohne vorherige Prüfungen erteilen, bestechlich sind oder nicht über das nötige Fachwissen verfügen, müsste der europäische Gesetzgeber diesen Weg der Regulierten Selbstregulierung als gescheitert akzeptieren und seiner Schutzpflicht anders nachkommen. Dafür ist aber derzeit nichts ersichtlich. Insofern ist auch die Durchsetzung des Produktsicherheitsrechts im Wege der Regulierten Selbstregulierung mit den grundgesetzlichen und europarechtlichen Handlungsgeboten vereinbar.

78 Weiß, Produktsicherheit, S. 74 f.: Keine allgemeingültige Bestimmung der Risikoschwelle, ab der eine staatliche Handlungspflicht besteht, möglich. 79 Zu den umfassenden staatlichen Tätigkeiten in Bezug auf die Produktsicherheit s. Weiß, Produktsicherheit, S. 78 ff. und passim.

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D. Staatliche Handlungsgebote im Umweltrecht I. Grundlagen der Handlungsgebote Die Pflicht des Staates zum Umweltschutz ergibt sich zum einen aus der Staatszielbestimmung des Art. 20a GG 80, zum anderen aus den grundrechtlichen Schutzpflichten für Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG) 81 (vor allem im Immissionsschutzrecht, Wasser- oder Abfallrecht). Der Staat kann den Umweltschutz deswegen nicht völlig Wirtschaft oder Gesellschaft überlassen, sondern muss nach wie vor selbst für dessen Beachtung sorgen. Die Staatsaufgabe, die natürlichen Lebensgrundlagen zu schützen, enthält einen Handlungsauftrag und ein Optimierungsgebot 82. Art. 20a GG fordert ein umweltschützendes Tätigwerden des Staates in legislativer, planender und vollziehender Form 83. In Parallele zu den grundrechtlichen Schutzpflichten soll auch Art. 20a GG zum staatlichen Einschreiten gegen rechtswidriges umweltbelastendes Handeln Dritter verpflichten 84 (auch wenn Art. 20a GG – anders als die grundrechtlichen Schutzpflichten – kein subjektiv-öffentliches Recht und damit keinen Anspruch eines Bürgers auf staatliches Tätigwerden gibt 85). Vorliegend geht es nicht um die Schutzpflichten des europäischen Gesetzgebers, denn die EMAS-VO führt nicht dazu, dass (europäisches oder nationales) Umweltrecht reduziert oder ersetzt wird; die Reduktion von Genehmigungsvoraussetzungen und behördlicher Überwachung erfolgt allein durch den deutschen Gesetzgeber, so dass nur zu untersuchen ist, ob dieser damit noch seinen Handlungspflichten genügt.

II. Umsetzung der Handlungsgebote im materiellen Recht Das Umweltaudit kommt zum Tragen bei der Durchsetzung nationalen Umweltrechts, also etwa beim deutschen BImSchG oder Abfallrecht; hier zeigen sich seine öffentlichrechtlichen Wirkungen. Die Frage ist also, ob diese vom nationalen Gesetzgeber bestimmten Wirkungen des Umweltaudits im deutschen Recht mit Art. 20a GG und den Schutzpflichten vereinbar sind, die der Staat durch das Umweltrecht und dessen Durchsetzung erfüllt.

80

Dazu BVerwG, NVwZ 2006, 595 (597); BVerwG, NVwZ 2006, 690 (692). Ewer, in: Dolde (Hrsg.), Umweltrecht im Wandel, S. 353 (366); Sparwasser/Engel/ Voßkuhle, Umweltrecht, § 1 Rdn. 157. Zu den Schutzpflichten aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG s. soeben § 7 C. I. 82 BVerwG, NVwZ 2006, 690 (692). 83 Kloepfer, Umweltrecht, § 3 Rdn. 17. 84 Kloepfer, Umweltrecht, § 3 Rdn. 17. 85 BVerfG, NVwZ 2001, 1148 (1149); Kloepfer, Umweltrecht, § 3 Rdn. 9. 81

§ 7 Staatliche Schutzpflichten und Handlungsgebote

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Art. 20a GG gebietet keine bestimmten Maßnahmen 86 oder Schutzniveaus in Bezug auf bestimmte Umweltgefährdungen. Der Gesetzgeber darf punktuell sogar gänzlich untätig bleiben, weil einzig messbare Verstöße gegen Art. 20a GG relevant sein sollen, die nur vorliegen, wenn der Gesetzgeber den Umweltschutz insgesamt offenkundig missachtet 87. Das Staatsziel Umweltschutz – wie auch die grundrechtlichen Schutzpflichten – belässt dem Gesetzgeber somit einen weiten Einschätzungs- und Gestaltungsspielraum 88. Der deutsche Gesetzgeber ist nicht untätig geblieben, sondern hat zahlreiche umweltschutzrechtliche Regelwerke erlassen (KrW-/AbfG, WHG, BNatSchG, etc.) und reagiert auch auf neue Entwicklungen. Eine offenkundige und generelle Missachtung des Umweltschutzes kann man ihm somit nicht vorwerfen. Das Umweltauditsystem ist eine gesetzgeberische Reaktion auf umweltrechtliche Probleme und neue Entwicklungen und hat den Anspruch, zu einer besseren Verwirklichung des Art. 20a GG beizutragen. Die Anforderungen aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG entsprechen den oben beim Produktsicherheitsrecht (§ 7 C. I.) dargestellten. Soweit umweltbelastende Handlungen auch Leben oder Gesundheit gefährden können (etwa durch Immissionen, gefährliche Abfälle, Verunreinigungen des Grundwassers), ist der Staat gefordert, mittels des Umweltrechts angemessene und wirksame Schutzstandards zu etablieren und durchzusetzen. Staatliche Untätigkeit wäre mit den Schutzpflichten nicht vereinbar. Das Einbringen besonders gefährlicher Stoffe in Umweltmedien (Luft, Boden, Wasser) muss verboten oder stark begrenzt werden, für besonders umweltgefährdende Anlagen müssen Sicherheitsstandards gesetzt werden. Ob die Schutzstandards des Abfall-, Wasser- oder Immissionsschutzrechts einen ausreichenden Schutz im Sinne des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG gewähren, ob also beispielsweise die Grenzwerte der TA Luft oder TA Lärm niedrig genug sind, kann und soll im Rahmen dieser Arbeit nicht untersucht werden.

Durch das UAG wurden keine bestehenden umweltrechtlichen Standards beseitigt oder abgeschwächt, das heißt in concreto keine Grenzwerte abgesenkt oder neue Emissionen zugelassen. Das Umweltaudit wirkt sich ausschließlich auf die Durchsetzung der materiellrechtlichen Standards aus. In Bezug auf die materiellen Umweltstandards kann das Umweltaudit daher auch mit den grundrechtlichen Schutzpflichten nicht in Konflikt geraten.

86 BVerwG, Beschl. v. 10. 9. 1999 – 11 B 22/99 – nicht veröffentlicht; BVerwG, NVwZ -RR 2002, 217. 87 Kloepfer, Umweltrecht, § 3 Rdn. 22. 88 BVerwG, Beschl. v. 10. 9. 1999 – 11 B 22/99 – nicht veröffentlicht; BVerwG, NVwZ -RR 2002, 217; Sparwasser/Engel/Voßkuhle, Umweltrecht, § 1 Rdn. 154; Kloepfer, Umweltrecht, § 3 Rdn. 22.

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3. Teil: Europa- und verfassungsrechtlicher Rahmen

III. Durchsetzung der materiellen Umweltschutznormen Die materiellen Umweltstandards, beispielsweise in Bezug auf Emissionsgrenzwerte, sind unabhängig davon, ob ein Unternehmen auditiert ist oder nicht. Von Relevanz ist das Umweltaudit nur insofern, als bei auditierten Unternehmen Überwachungs- und Verfahrenserleichterungen bestehen, also die Durchsetzung der Standards betroffen ist. Würden die Umweltbehörden das Umweltrecht unangewendet lassen, wäre dies mit Art. 20a GG, aber vor allem auch mit den Schutzpflichten aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG nicht vereinbar. Das Umweltaudit führt jedoch nur dazu, dass repressive behördliche Überwachungsmaßnahmen zum Teil zurückgenommen werden können, weil sie durch private Kontrollen ersetzt werden. Das Umweltordnungsrecht muss nach wie vor so durchgesetzt werden, dass ein effektiver und angemessener Schutz sowohl der Umwelt als auch von Leben und Gesundheit Betroffener gewährleistet ist (s. o. § 7 A. I., § 7 C. I.). Grundsätzlich findet – trotz des Umweltauditsystems – nach wie vor ein Vollzug des Umweltrechts durch die Umweltbehörden statt. Auch die wichtigsten Verfahrensvorschriften, vor allem in Bezug auf Genehmigungserfordernisse, bleiben unberührt. Damit werden auch die Nachbarrechte – also die Rechte der durch die umweltbelastenden Handlungen der Unternehmen am unmittelbarsten Betroffenen – gewahrt und eine Beachtung ihrer schutzwürdigen Interessen (wozu auch das Recht auf Leben und Gesundheit gehört) sichergestellt. Zudem müssen die Behörden auditierten Unternehmen die Vergünstigungen nicht gewähren, etwa wenn sie von der Qualität des Auditierungsverfahrens nicht überzeugt sind. Der Staat behält also eine Zugriffsoption und ein Letztentscheidungsrecht. Die behördliche Überwachung wird nur teilweise durch eine Überwachung mittels unabhängiger, staatlich anerkannter und überwachter Fachleute ersetzt, die grundsätzlich ebenfalls Gewähr für einen ordnungsgemäßen Betrieb des Unternehmens leisten; angesichts dessen, dass die unzureichende personelle und sachliche Ausstattung der Umweltbehörden dazu führt, dass ohnehin keine flächendeckende Kontrolle vorgenommen wird, ist es auch nicht bedenklich, wenn die knappen staatlichen Ressourcen nicht vorrangig bei Unternehmen eingesetzt werden, die immerhin der privaten Kontrolle unterliegen 89. Außerdem greifen die öffentlichrechtlichen Wirkungen des Umweltaudits nur im Abfall-, Wasser- und Immissionsschutzrecht, nicht aber in hochriskanten Bereichen wie im Chemikalien- oder gar Atomrecht. Der Staat hat somit keine offensichtlich unzureichenden Durchsetzungsmaßnahmen in Bezug auf das materielle Umweltschutzrecht angeordnet; auch das Umweltauditsystem ist – in seinem begrenzten Anwendungsbereich – geeignet, einen effektiven und ausreichenden Schutz der Umwelt und der menschlichen Gesundheit zu gewährleisten. Art. 20a GG oder die grundrechtlichen Schutzpflichten stellen somit kein Hindernis für 89

Ewer, in: Dolde (Hrsg.), Umweltrecht im Wandel, S. 353 (370 f.).

§ 7 Staatliche Schutzpflichten und Handlungsgebote

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die derzeitige Ausgestaltung der Regulierten Selbstregulierung im Umweltrecht dar 90. Eine viel wirksamere Grenze ist die IVU-RL der EG, wonach in vielen Bereichen präventive behördliche Genehmigungen nicht ersetzt werden können 91. Solange bei der Zulassung und beim weiteren Betrieb eines Unternehmens eine öffentlichrechtliche Erlaubnis erteilt werden muss, in deren Rahmen die materiellen Anforderungen des Umweltrechts geprüft werden müssen, ist der Spielraum für Regulierte Selbstregulierung im Umweltrecht eher begrenzt.

E. Schutzpflichten im Bilanzierungsrecht I. Grundlage der Schutzpflichten Bei der Rechnungslegung ist „nur“ das Vermögen der Investoren und Gläubiger betroffen, das von Art. 2 Abs. 1 GG erfasst wird 92. Eine staatliche Schutzpflicht für das Vermögen ist soweit ersichtlich noch nicht anerkannt worden. Daneben dient die Bilanzkontrolle allgemein der Attraktivität und Funktionsfähigkeit des Finanzstandorts Deutschland, der sich jedoch nicht grundrechtlich verorten lässt. Allenfalls aus dem Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG) könnte man eine Pflicht des Staates ableiten, für die Sicherheit von Anlagen und Investitionen gerade kleinerer Anleger, etwa zur Altersvorsorge, zu sorgen 93. Grundrechtliche Schutzpflichten oder sonstige verfassungsrechtliche Verpflichtungen des Staates zur Bilanzkontrolle bestehen somit nicht. II. Umsetzung im materiellen Recht Auch wenn keine verfassungsrechtliche Pflicht zur Aufstellung von Bilanzierungsvorschriften besteht, existiert ein fein ausdifferenziertes und detailliertes

90 Groß, Öko-Audit-System, S. 82 f.; Ewer, in: Dolde (Hrsg.), Umweltrecht im Wandel, S. 353 (371). Die Übertragung der Überwachung auf private Sachverständige für aus Sicht der Schutzpflichten unproblematisch hält auch Ladeur, in: Hoffmann-Riem/SchmidtAßmann, VerwR in der Informationsgesellschaft, S. 225 (237 f.). Für mit der staatl. Gewährleistungsverantwortung grds. vereinbar hält das Öko-Audit auch Laskowski, in: Schuppert (Hrsg.), Jenseits von Privatisierung, S. 93 (108). 91 Schmidt-Preuß, in: Dolde (Hrsg.), Umweltrecht im Wandel, S. 309 (324). 92 In einer neuen Entscheidung (BVerfGE 115, 97) hat das BVerfG zwar angedeutet, auch das Vermögen als solches könne nach Art. 14 Abs. 1 GG geschützt sein; in concreto ging es jedoch um die steuerliche Belastung von Vorgängen, denen der Erwerb vermögenswerter Rechte zugrunde lag, die selbst unstreitig von Art. 14 Abs. 1 GG erfasst sind. Vorliegend geht es um die Dispositionsfreiheit, so dass gerade nicht an einzelne vermögenswerte Rechte angeknüpft werden kann. 93 Bangert, Durchsetzungssysteme, S. 32 ff.

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3. Teil: Europa- und verfassungsrechtlicher Rahmen

Regelwerk für die Rechnungslegung. Ob dieses mehr den Interessen des bilanzierenden Unternehmens oder denen der Gläubiger Rechnung tragen soll, ob eher sehr vorsichtig zu bilanzieren ist oder der Abbildung des wahren Zustands des Unternehmens der Vorrang einzuräumen ist, ist eine rechtspolitische und keine verfassungsrechtliche Frage. Die Bilanzierungsstandards werden hauptsächlich durch politische Entscheidungen und vor allem wirtschaftliche Notwendigkeiten geprägt. Die globalisierte Wirtschaft verlangt bestimmte, einheitliche Standards und die Unternehmen geben diesen Druck an die Politik weiter. Verfassungsrecht spielt bei der Beurteilung der Bilanzierungsstandards keine Rolle. Dass der deutsche bzw. der europäische Gesetzgeber sich für die bestehenden Regelungen entschieden haben, ist daher aus Sicht des Untermaßverbots verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. III. Schutzpflichten im Gesetzesvollzug Eine grundgesetzliche Pflicht zur hoheitlichen Überwachung von Bilanzen existiert nicht. Weder bestehen grundrechtliche Schutzpflichten für das Vermögen von Anlegern, die den Staat verpflichten würden, die Bilanzen von Aktiengesellschaften zu prüfen, noch sieht das Grundgesetz sonstige Handlungsgebote in Bezug auf die Rechnungslegung von Unternehmen vor. Somit können auch der „Rückzug“ der BaFin aus der Bilanzkontrolle und die Verlagerung auf die private Prüfstelle kein verfassungswidriges Unterlassen des Staates sein. Bis jetzt wurden Bilanzen nur durch die Abschlussprüfer kontrolliert, ohne dass dies verfassungsrechtlichen Bedenken begegnete. Die Einführung der Regulierten Selbstregulierung führt daher sogar zu einer Erweiterung der Kontrolle, so dass von einem Verstoß gegen das Untermaßverbot nicht die Rede sein kann. Mit der Einführung der Bilanzkontrolle will der Staat eine wahrheitsgemäße Rechnungslegung gewährleisten, ohne sie selbst vorzunehmen oder zu kontrollieren. Insoweit ist also auch das Rechnungslegungsenforcement eine Erscheinungsform des Gewährleistungsstaates. Die Gewährleistungsverantwortung resultiert allerdings nicht aus verfassungsrechtlichen Pflichten, sondern aus einer rechtspolitischen Entscheidung. Dennoch kann man auch in diesem Fall von Gewährleistung sprechen, denn dieser heuristische Begriff (s. o. § 2 A. I. 4. a) beschreibt nur eine Aufgabenwahrnehmungsform im Realbereich (kurz gesagt: Der Gewährleistungsstaat beschäftigt sich mit dem „Wie“ der Aufgabenwahrnehmung, nicht dem „Ob“). Zudem könnte sich der Befund noch ändern: Auch die Europäische Union ist im Bereich des Rechts der Rechnungslegung aktiv und es wäre durchaus denkbar, dass das Gemeinschaftsrecht nicht mehr nur – wie bisher – materielle Standards für Bilanzen vorgibt, sondern auch die Kontrolle von deren Einhaltung vorschreibt, wodurch die Bundesrepublik Deutschland durch höherrangiges Recht zur Installation einer Bilanzkontrolle verpflichtet wäre.

§ 8 Grundrechte und Grundfreiheiten als Grenze der Regulierung

321

F. Ergebnis Wie die oben stehenden Ausführungen gezeigt haben, ist die Relevanz verfassungsrechtlicher Handlungsgebote in Bezug auf die Um- und Durchsetzung zumindest in den untersuchten Referenzbereichen sehr gering. Mit den Schutzpflichten unvereinbar wäre es nur, wenn sich Hoheitsträger überhaupt nicht mehr mit der Überwachung und Kontrolle eines bestimmten, grundrechtssensiblen Bereichs befassten 94. Derartige Überlegungen einer vollständigen Deregulierung sind aber nicht erkennbar. Eine völlige staatliche Untätigkeit ist in keinem Bereich gegeben, schließlich hat der Gesetzgeber jeweils immerhin die Regulierte Selbstregulierung installiert. Außerdem bestehen nach wie vor überall hoheitliche Stellen, die auf die Sicherheit der Produkte und deren Gesetzeskonformität achten. Dass sie möglicherweise nicht mehr jeden Gesetzesverstoß entdecken oder ahnden können, mag zu rechtspolitischer Kritik führen, verfassungsrechtlich bedenklich ist es nicht. Darüber hinaus bieten die Schutzpflichten kaum weitere Anleitungen, da nur völlig ungeeignete und unzureichende Mittel einen Verfassungsverstoß begründen 95. Angesichts dessen, dass in so komplexen Bereichen wie Jugendschutz, Umweltschutz oder Produktsicherheit sowohl die schädlichen Wirkungen als auch die Wirksamkeit von Gegenmaßnahmen insgesamt in weiten Bereichen unbekannt oder umstritten sind, wird man kaum in der Lage sein, einer konkreten Maßnahme völlige Wirkungslosigkeit nachweisen zu können. Die staatlichen Schutzpflichten sind insgesamt kein verfassungsrechtlicher Maßstab, aus dem sich von vornherein die Zulässigkeit oder Unzulässigkeit einer bestimmten Regulierungsform ergäbe 96. Relevant sind die Schutzpflichten vor allem im Hinblick darauf, dass sie dem Staat auferlegen, die Wirksamkeit seiner Regulierung zu überwachen, zu kontrollieren und sie notfalls zu ändern, das heißt Grund seiner Gewährleistungsverantwortung (s. o. 1. Teil § 2 A. I. 4.) sind 97.

§ 8 Grundrechte und Grundfreiheiten als Grenze der Regulierung Für den deutschen Gesetzgeber stellen die Grundrechte des Grundgesetzes Grenzen für Eingriffe in die Rechte der Anbieter dar. Sofern ein Bereich einen engen Gemeinschaftsrechtsbezug aufweist, muss der nationale Gesetzgeber zudem 94

Lackner, Gewährleistungsverwaltung, S. 174 f. Vgl. Szczekalla, Grundrechtliche Schutzpflichten, S. 226 f. 96 Voßkuhle, in: Schuppert (Hrsg.), Jenseits von Privatisierung, S. 47 (66 f.). 97 Groß, Öko-Audit-System, S. 89; Faber, Selbstregulierungssysteme, S. 282 f.; Talidou, Regulierte Selbstregulierung im Datenschutz, S. 124 f. 95

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3. Teil: Europa- und verfassungsrechtlicher Rahmen

die europäischen Grundrechte und die Grundfreiheiten des EGV beachten; dies ist vor allem dann der Fall, wenn es sich um die Aus- oder Durchführung von Sekundärrecht oder die Beschränkung der Grundfreiheiten handelt 98. Da es bei allen Referenzgebieten um wirtschaftliche Tätigkeiten geht und beinahe immer bereichsspezifisches Sekundärrecht besteht, sind hier also stets auch die europäischen Grundrechte und Grundfreiheiten zu beachten. Soweit der europäische Gesetzgeber selbst durch Sekundärrecht ein Referenzgebiet geprägt hat, ist er ebenfalls an die europäischen Grundrechte und Grundfreiheiten gebunden. In den untersuchten Referenzgebieten sind aus dem Grundgesetz Art. 5 Abs. 1 S. 1 u. 2, Abs. 3, Art. 12 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 einschlägig und auf europäischer Ebene die entsprechenden Vorschriften der EMRK und die (ungeschriebenen) europäischen Grundrechte. Bezüglich des „Ob“ der Beeinträchtigung dieser Rechte muss wiederum zwischen den materiellen Anforderungen an die Produkte und Angebote und dem Gesetzesvollzug unterschieden werden.

A. Grundrechte als Grenze für die materiellen Anforderungen Der (europäische oder deutsche) Gesetzgeber hat in allen Referenzbereichen materielle Mindestanforderungen an die Produkte der Unternehmen aufgestellt bzw. Verbots- und Unzulässigkeitstatbestände normiert. Diese stellen Eingriffe in die Grundrechte der Anbieter dar und sind daher rechtfertigungsbedürftig. I. Jugendmedienschutz als Eingriff in die Grundrechte der Anbieter von Rundfunk und Telemedien 1. Grundrechte des Grundgesetzes Rundfunkveranstalter können sich auf die Rundfunkfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG berufen. Das Verbot bestimmter Inhalte von Sendungen in den § 4 Abs. 1, 2, § 5 JMStV stellt einen Eingriff in diese Freiheit dar, der aber grundsätzlich verfassungsrechtlich gerechtfertigt werden kann. Dem Vorbehalt des Gesetzes ist durch den JMStV Genüge getan. Dieser kann sich auf den speziellen Schrankenvorbehalt zugunsten des Schutzes der Jugend und der persönlichen Ehre in Art. 5 Abs. 2 GG berufen. Soweit es nicht um die persönliche Ehre, sondern den Schutz der Menschenwürde im Allgemeinen geht, liegt mit Art. 1 Abs. 1 GG ein Verfassungsrechtsgut vor, das eine Einschränkung der Rundfunkfreiheit ermöglicht. Ob die jeweiligen konkreten Verbotstatbestände im Einzelnen verhältnismäßig sind, vor allem ob einzelne Inhalte wirklich schädlich für Jugendliche sind, liegt zum

98

Scheuing, EuR 2005, 162 (163).

§ 8 Grundrechte und Grundfreiheiten als Grenze der Regulierung

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einen im weiten Ermessen des Gesetzgebers und ist zum anderen nicht Gegenstand der vorliegenden Untersuchung. Müsste eine Nummer aus dem Katalog des § 4 Abs. 1 JMStV umformuliert oder gestrichen werden 99, würde dies am System der Regulierten Selbstregulierung nichts ändern. Im Rahmen der Erforderlichkeit ist dem Gesetzgeber zugute zu halten, dass er nicht alle Angebote einem Totalverbot unterworfen hat, sondern differenziert und manche Angebote erlaubt und nur die Ausstrahlung zeitlich begrenzt. Auch an der Angemessenheit im engeren Sinn kann angesichts der hohen Bedeutung des Jugend- und Menschenwürdeschutzes nicht gezweifelt werden 100. Die Anbieter von Telemedien können sich ebenfalls auf Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG berufen, sofern das Telemedium einen rundfunkähnlichen Kommunikationsdienst darstellt und damit die Funktion des Rundfunks übernimmt 101. Dies kann allerdings nur auf Mediendienste zutreffen 102, denn die Teledienste dienen nur der Individualkommunikation und haben daher keine ähnliche Breitenwirkung wie der klassische Rundfunk 103. Nur redaktionell gestaltete, auf die allgemeine Meinungsbildung ausgerichtete Dienste haben rundfunkähnliche Funktion. Andere Dienste können sich „nur“ auf die Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG und – sofern die Dienste einen kommerziellen Zweck verfolgen – auf Art. 12 Abs. 1 GG berufen. Da allerdings die materiellen Anforderungen des JMStV an Rundfunk, rundfunkähnliche Mediendienste und Teledienste weitestgehend identisch sind, spielt die konkrete Zuordnung eines Dienstes keine Rolle. Der Eingriff in die Meinungsfreiheit durch die Verbotstatbestände der §§ 4, 5 JMStV kann ebenso gerechtfertigt werden wie der Eingriff in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG; dasselbe gilt für die Vereinbarkeit mit Art. 12 Abs. 1 GG, da auch dieser keine höheren Anforderungen als Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG stellt. Soweit es sich bei den unzulässigen Angeboten um Kunstwerke im Sinne des Art. 5 Abs. 3 GG handelt 104, stellen die §§ 4, 5 JMStV einen Eingriff in die Kunstfreiheit dar, der aber auf einem Gesetz beruht, das dem Schutz höchster Verfassungsgüter (Schutz der Jugend und der Menschenwürde) dient; der Eingriff kann daher durch kollidierendes Verfassungsrecht gerechtfertigt werden. Außerdem ist über § 4 Abs. 1 S. 2 JMStV die Beachtung der Kunst- und Wissenschaftsfreiheit bei der Beurteilung von Sendungen gewährleistet.

99 So z. B. Schumann, ZUM 2004, 697 (701), der das Pornographieverbot in § 4 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 JMStV für unverhältnismäßig hält. 100 Positiv zur Vereinbarkeit des JMStV mit Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG Degenhart, in: BK, Art. 5 Abs. 1 und 2 Rdn. 892. 101 BVerfGE 74, 297 (351); E 83, 238 (301). 102 Blaue, ZUM 2005, 30 (33). 103 Zum Streit um die Abgrenzung Hoffmann-Riem, Duale Rundfunkordnung, S. 229 ff. 104 Kunst und Pornographie schließen sich nicht aus, vgl. BVerfGE 83, 130 (138) – Josephine Mutzenbacher.

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3. Teil: Europa- und verfassungsrechtlicher Rahmen

2. Art. 10 EMRK Neben der Rundfunk- und Meinungsfreiheit aus dem Grundgesetz ist auch die Europäische Menschenrechtskonvention zur Beurteilung des JMStV heranzuziehen. Die EMRK kennt einen umfassenden Schutz der Kommunikationsfreiheiten in Art. 10 Abs. 1; die Rundfunkfreiheit wird ausdrücklich erwähnt, aber auch der Schutz der „Neuen Medien“ wird von Art. 10 Abs. 1 ERMK gewährleistet, entweder über die Meinungsäußerungs- und Informationsfreiheit 105, oder – wenn es sich um dem Rundfunk vergleichbare Massenkommunikation handelt – über die Rundfunkfreiheit 106. Sowohl die privaten Rundfunkveranstalter als auch die Anbieter von Telemedien können sich somit gegenüber dem JMStV auf Art. 10 Abs. 1 EMRK berufen 107. Die Kommunikationsfreiheiten unterliegen einem „qualifizierten Gesetzesvorbehalt“ aus Art. 10 Abs. 2 EMRK 108. Eine Beschränkung der Kommunikationsfreiheiten ist durch Gesetz und nur aus bestimmten, in Art. 10 Abs. 2 EMRK enumerativ aufgezählten Gründen zulässig; dazu zählt auch der Schutz der „Moral“. Unabhängig von der Schwierigkeit, das „Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden“ oder die öffentliche Ordnung in einer pluralistischen Gesellschaft zu bestimmen, dürfte zumindest Konsens darüber bestehen, dass der Jugendschutz und die Bekämpfung menschenwürdewidriger Äußerungen darunter zu fassen sind 109. Im Hinblick auf die Verhältnismäßigkeit der Regelungen ergeben sich keine Unterschiede zu Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG. Auch die EMRK steht somit der Regelung des JMStV nicht entgegen.

105

Grabenwarter, EMRK, § 23 Rdn. 9. A. A. Marauhn, in: Ehlers, Europ. Grundrechte und Grundfreiheiten, § 4 Rdn. 22, der bei Individualkommunikation Art. 8 EMRK für einschlägig hält; Massenkommunikation über das Internet wie auch die Präsentation einer Homepage sieht aber auch er von Art. 10 Abs. 1 EMRK geschützt. Grabenwarter, EMRK, § 23 Rdn. 9, beschränkt die Rundfunkfreiheit allein auf Hörfunk und Fernsehen. 107 Str. ist, ob auch rassistische Äußerungen vom Schutzbereich des Art. 10 Abs. 1 EMRK erfasst sind, vgl. Grabenwarter, EMRK, § 23 Rdn. 4. Die Verbote des § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 1–4 JMStV würden verneinendenfalls keinen Eingriff in die Kommunikationsfreiheiten darstellen. 108 Die für den Rundfunk zusätzlich noch geltende Schrankenregelung in Art. 10 Abs. 1 S. 3 EMRK spielt bei der Zulassung von Sendern, Frequenzzuteilungen und Pluralismussicherung eine Rolle (Grabenwarter, EMRK, § 23 Rdn. 49 ff.), nicht aber im vorliegenden Kontext des Jugend- und Menschenwürdeschutzes. Auch Art. 6 Abs. 1 S. 2 Hs. 2 EMRK erlaubt Beschränkungen der Rundfunkfreiheit aus Gründen des Jugendschutzes, aber nur für die hier nicht interessierende Berichterstattung über Gerichtsverfahren. 109 Grabenwarter, EMRK, § 23 Rdn. 22. 106

§ 8 Grundrechte und Grundfreiheiten als Grenze der Regulierung

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II. Grundrechtsschutz im Produktsicherheits-, Bilanz- und Umweltrecht Produktsicherheitsrecht, Bilanzrecht und Umweltrecht haben gemeinsam, dass sie unmittelbar die wirtschaftliche Tätigkeit von Unternehmen betreffen und nur an der Berufsfreiheit und möglicherweise noch an der Eigentumsgarantie zu messen sind. Die Sicherheitsanforderungen für Produkte, die Bilanzierungsvorschriften und die Regelungen von BImSchG, KrW-/AbfG oder WHG stellen – soweit sie nicht vollständig durch Sekundärrecht vorgegeben sind – Berufsausübungsregelungen im Sinne des Art. 12 Abs. 1 GG dar, die auf einem Gesetz beruhen und durch vernünftige Gründe des Allgemeinwohls gerechtfertigt sind: Schutz von Leben, Gesundheit und Eigentum der Verbraucher, Schutz der Investoren und Gläubiger eines Unternehmens, Gesundheits- und Umweltschutz. Ob die jeweiligen konkreten Anforderungen verhältnismäßig sind, insbesondere ob sie erforderlich sind, kann hier nicht untersucht werden. Angesichts des sehr weiten Ermessens- und Einschätzungsspielraums des Gesetzgebers gerade im Wirtschaftsrecht wird eine Maßnahme daran aber kaum scheitern. Im Grunde dasselbe gilt für die europäische Berufs- und Eigentumsfreiheit. Eingriffe sind ebenso wie im deutschen Verfassungsrecht gerechtfertigt, wenn sie auf Grund eines Gesetzes geschehen, das dem Allgemeinwohl dient und verhältnismäßig ist 110. Die EMRK kennt kein eigenständiges Wirtschaftsgrundrecht 111; Eingriffe in das durch Art. 1 des 1. Zusatzprotokolls der EMRK geschützte Eigentum – etwa nutzungsregelnde Maßnahmen 112 – können durch Gesetz geschehen, wenn es dem Allgemeinwohl dient und verhältnismäßig ist. Die europäischen Grundrechte stellen somit keine strengeren Anforderungen als die Grundrechte des Grundgesetzes und können daher auch zu keiner anderen Beurteilung führen. Von Bedeutung sind sie allein deshalb, weil die materiellen „Produkt“anforderungen (Sicherheitsanforderungen an Produkte, Umweltvorschriften für Unternehmen, Bilanzierungsvorschriften) teilweise auf europarechtlichen Vorgaben beruhen, so dass eine Prüfung an den Grundrechten des Grundgesetzes nicht in Betracht kommt.

B. Freiheitsrechte im Gesetzesvollzug Der Gesetzgeber muss die Grundrechte auch bei den Regelungen zur Durchsetzung der materiellen Anforderungen beachten. So darf er keine unverhältnismäßigen Kontrollvorbehalte anordnen oder den Behörden exzessive Überwachungs-

110 Für die europäische Berufsfreiheit Ruffert, in: Ehlers, Europ. Grundrechte und Grundfreiheiten, § 16 Rdn. 33; für die europäische Eigentumsgarantie Jarass, NVwZ 2006, 1089 ff.; Calliess, in: Ehlers, Europ. Grundrechte und Grundfreiheiten, § 17 Rdn. 28. 111 Wegener, in: Ehlers, Europ. Grundrechte und Grundfreiheiten, § 5 Rdn. 1. 112 Dazu Wegener, in: Ehlers, Europ. Grundrechte und Grundfreiheiten, § 5 Rdn. 27 ff.

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3. Teil: Europa- und verfassungsrechtlicher Rahmen

rechte einräumen. Auch die Inpflichtnahme der Anbieter und Produzenten, die Auferlegung von Eigenverantwortung (beispielsweise die Bestellung von Betriebsbeauftragten, die Aufstellung von Plänen, die Einhaltung bestimmter Organisationsstrukturen) sind rechtfertigungsbedürftige Grundrechtseingriffe 113. Zu untersuchen bleibt, inwieweit die Grundrechte als Abwehrrechte den Gesetzgeber beschränken, Gesetze mittels Regulierter Selbstregulierung durchzusetzen. An die Stelle der klassischen Eingriffssituation, die dem Anbieter oder Produzenten den Staat als Eingreifer in der Abwehrkonstellation gegenüberstellt, entstehen bei Regulierter Selbstregulierung und Einbindung einer privaten Anerkannten Stelle mehrpolige Grundrechtsbeziehungen in Form eines Dreiecksverhältnisses 114. Die Grundrechte der Anbieter können in dieser Konstellation nur eine Grenze Regulierter Selbstregulierung darstellen, wenn es sich bei der vom Gesetzgeber angeordneten Tätigkeit der Anerkannten Stellen um Eingriffe in Rechte der Anbieter handelt. Sofern es sich um eine rein freiwillige Maßnahme im Wege der Selbstregulierung handelt, sind die Anbieter in ihren Rechten nicht beeinträchtigt. Ein Rundfunksender, der (vor Erlass des JMStV) seine Sendung der FSF vorlegte, war nicht in Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG betroffen. Ein Unternehmen, das seine Produkte oder sich selbst auf seine Qualität testen und zertifizieren lässt, um ein Gütesiegel zu erhalten, ist weder in Art. 12 Abs. 1 noch in Art. 14 Abs. 1 GG betroffen. So lange die Teilnahme an der (Regulierten) Selbstregulierung tatsächlich freiwillig ist, kann das entsprechende Gesetz kein Eingriff in Rechte des Anbieters sein. Die Ausgestaltung des Systems „Regulierte Selbstregulierung“ könnte aber einen faktischen Grundrechtseingriff darstellen, der ebenso rechtfertigungsbedürftig ist wie ein „klassischer“ Eingriff 115. Rechtsförmliche Verpflichtungen zur Gründung Regulierter Selbstregulierung (etwa durch Gesetz, Rechtsverordnung oder Einzelanordnung) existieren wie gezeigt nicht; die Teilnahme an der Regulierten Selbstregulierung ist nur im Produktsicherheitsrecht vorgeschrieben (zur Rechtfertigung dieses Eingriffs s. sogleich IV.). Grundrechtseingriffe setzen aber kein rechtsförmliches staatliches Handeln voraus; unmittelbar beeinträchtigendes finales Staatshandeln zur Erreichung eines bestimmten Zwecks stellt ebenfalls einen Eingriff dar 116, auch wenn es nicht rechtsförmlich (durch Gesetz) geschieht 117. Eine staatliche Veranlassung der Gründung von und Beteiligung an Selbstregulierung durch Druck oder Zwang auf die Anbieter wäre ein sol-

113

Di Fabio, VVDStRL 56 (1997), 235 (258 f.). Di Fabio, VVDStRL 56 (1997), 235 (255 f.). 115 Zu dessen Definition zuletzt BVerfGE 105, 279 (300). 116 BVerwGE 71, 183 (190, 193 f.); E 90, 112 (120). Sogar mittelbar faktisches Handeln, das nicht final ist, kann eine Grundrechtsbeeinträchtigung darstellen, vgl. z. B. BVerfGE 105, 279 (300 f.); BVerwGE 87, 37 (42). 114

§ 8 Grundrechte und Grundfreiheiten als Grenze der Regulierung

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cher finaler und unmittelbarer 118 Eingriff. Derart nicht-rechtsförmlicher Druck könnte etwa durch die (informelle) Androhung negativer Konsequenzen (Erlass schärferer Gesetze, Einführung schärferer Kontrollen, Entzug finanzieller oder wettbewerblicher Vorteile) für den Fall der Nichtkooperation ausgeübt werden 119. Das bloße Fehlen rechtlichen Zwangs ist somit nicht zwangsläufig gleichbedeutend mit Freiwilligkeit 120, wenn ein vernünftig handelnder Unternehmer sich dem zum Beispiel auf Marktdruck oder ähnlichen Wirkmechanismen beruhenden vom Staat ausgehenden Zwängen beugen muss 121. I. Jugendmedienschutz Der JMStV zwingt die Anbieter weder zur Gründung einer Anerkannten Stelle noch zur Vorlage von Sendungen; es besteht also kein gesetzlicher Zwang zur Teilnahme an der Regulierten Selbstregulierung. Auch sind die Anerkannten Stellen nicht mit Hoheitsgewalt beliehen worden, die sie gegenüber den Anbietern ausüben könnten. Ein rechtsförmlicher staatlicher Eingriff in Rechte der Anbieter liegt somit nicht vor. Die Selbstregulierung und die Gründung von Selbstkontrollen ist Ausübung von (grundrechtlicher) Freiheit. Der Staat hat die Anbieter von Rundfunk oder Telemedien auch nicht faktisch zu dieser „Freiheitsausübung“ gezwungen: Auf die Anbieter wurde kein Druck ausgeübt, es wurden ihnen keine Nachteile, etwa schärfere Gesetze oder Sanktionen, für den Fall der Nichtgründung von Selbstkontrollen angedroht. Die Gründung einer Anerkannten Stelle im Rundfunkbereich musste der Gesetzgeber nicht erzwingen, weil die FSF schon vor Erlass des JMStV gegründet worden war. Im Bereich der Telemedien bestand zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des JMStV noch keine Selbstkontrolleinrichtung; die Politik wirkte zwar auf die Gründung einer solchen hin, ein Zwang zur Gründung bestand aber nicht. Der Gesetzgeber hatte auch nicht angedroht, für

117 BVerfGE 46, 120 (137 f.); BVerfG, NJW 2006, 1939 (1940); Dreier, in: ders., GG, Bd. I, Vorb. Rdn. 125. 118 Ein nur mittelbarer Zwang zur Selbstregulierung läge vor, wenn der Staat beispielsweise Fernsehzuschauern empfehlen würde, nur noch Sendungen von Mitgliedern der FSF anzuschauen oder vor Sendungen von Nichtmitgliedern warnen würde oder wenn er Anlegern raten würde, nur in mit der DPR kooperierende Unternehmen zu investieren. Zu final-mittelbaren Eingriffen BVerwG, DVBl 2006, 387 (389). 119 Zur „Freiwilligkeit“ bzw. zu Grundrechtseingriffen bei Selbstverpflichtungen der Industrie und normvermeidenden Absprachen Schoch, HStR III, § 37 Rdn. 133; Helberg, Normabwendende Selbstverpflichtungen, S. 188 ff., 196 f. 120 Finckh, Regulierte Selbstregulierung im DSD, S. 205 f. 121 BVerwGE 71, 183 (194 f.); Helberg, Normabwendende Selbstverpflichtungen, S. 197.

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3. Teil: Europa- und verfassungsrechtlicher Rahmen

den Fall, dass sich die Telemedienanbieter nicht freiwillig zusammenschließen würden, eine gesetzliche Pflicht zur Teilnahme an einer Selbstkontrolleinrichtung zu statuieren 122.

Die Gründung von FSF e. V. und FSM e. V. beruhte demnach nicht auf einem (faktischen) Grundrechtseingriff, sondern war im Gegenteil die Ausübung grundrechtlicher Freiheiten der Anbieter von Rundfunk und Telemedien; dasselbe gilt für den Beitritt zu den Selbstkontrolleinrichtungen. Des Weiteren besteht auch keine gesetzliche Pflicht zur Vorlage von Sendungen oder Telemedien an die Selbstkontrolleinrichtungen. Wenn ein Anbieter die Kontrolle durch die Anerkannten Stellen als „Eingriff“ in seine Freiheiten ansehen sollte, steht es ihm frei, die Selbstkontrolleinrichtungen nicht einzuschalten. Dass ihm dadurch die Aufsichtsprivilegierung des § 20 Abs. 3, 5 JMStV entgeht, ist auch kein indirekter Zwang zur Teilnahme, denn mit der Nichteinschaltung der Anerkannten Stellen ist keine gleichzeitige Pflicht zur Vorlage an die KJM, also kein automatisch eingreifender Nachteil, verbunden; die KJM prüft auch nicht von sich aus nicht vorgelegte Sendungen strenger als solche, die schon von der FSF geprüft wurden, weil sie bei Beginn der Prüfung keine Kenntnis davon hat, ob diese Sendung vorgelegt worden war oder nicht. Die Nichtvorlage bringt deshalb keine faktischen Nachteile mit sich. Eine Prüfung durch die FSF gewährt einem Sender auch keinen – staatlich veranlassten – Wettbewerbsvorteil, der so bedeutend ist, dass er auf ihn nicht verzichten kann, denn der Zuschauer erfährt nicht, ob eine Sendung von der FSF oder der FSM geprüft wurde oder nicht; diese verleihen keine Auszeichnungen oder Prüfsiegel 123. Prinzipiell sieht der JMStV eine Kontrolle durch die KJM vor (was einen Eingriff in Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG darstellen würde); diese Eingriffsmöglichkeit wird durch die Regulierte Selbstregulierung zurückgenommen, gibt den Anbietern also ein mehr an Freiheit und ist nicht selbst ein Eingriff. Dass ein Anbieter, der dem FSF e. V. oder dem FSM e. V. beigetreten ist, sich durch die Satzung selbst verpflichtet, Sendungen oder Telemedien vorzulegen und mögliche Auflagen der Selbstkontrolle zu akzeptieren und umzusetzen, beruht auf freiwilliger Selbstbindung in Ausübung seiner Grundrechte und kann deshalb ebenfalls keinen Grundrechtseingriff darstellen. Mangels gesetzlichen Vorlagezwangs besteht auch kein Konflikt mit dem Vorzensurverbot des Art. 5 Abs. 1 S. 3 GG 124. 122 Die echte Freiwilligkeit des Beitritts zur FSM zeigt sich auch an deren sehr begrenzter Mitgliederzahl; da die allermeisten Telemedienanbieter keine FSM-Mitglieder sind, kann kein erheblicher staatlicher Zwang zur Teilnahme existieren. 123 Dies ist der Unterschied zum Transparenzlisten-Fall des BVerwG, wo eine staatliche Auszeichnung, die im Wettbewerb unverzichtbar war, nur an „freiwillig“ kooperierende Unternehmen vergeben wurde (BVerwGE 71, 183 [198 f.]). 124 Mynarik, Jugendschutz, S. 222. An der Freiwilligkeit zweifelnd und deshalb kritisch zur Vereinbarkeit mit Art. 5 Abs. 1 S. 3 GG Enders, ZUM 2006, 353 (355).

§ 8 Grundrechte und Grundfreiheiten als Grenze der Regulierung

329

Die Regulierte Selbstregulierung im Jugendmedienschutz beruht insgesamt auf Freiwilligkeit und der Ausübung von grundrechtlicher Freiheit. Das derzeit geltende System stellt somit keinen staatlichen Eingriff in Grundrechte dar, so dass weder Art. 5 Abs. 1 oder 3, Art. 12 Abs. 1 noch Art. 14 Abs. 1 GG verletzt sein können. Erst wenn der Gesetzgeber den Beitritt zu einer Selbstkontrolleinrichtung oder die Vorlage einer Sendung verpflichtend vorschreiben würde, müssten diese Verpflichtungen an den Grundrechten der Anbieter gemessen werden. II. Umweltaudit Das Umweltaudit stellt noch weniger einen Grundrechtseingriff dar. Grundrechtsrelevant sind die umweltrechtlichen Vorschriften, die ein Unternehmen beachten muss, also beispielsweise immissionsrechtliche Genehmigungspflichten, die Pflicht zur Erstellung abfallrechtlicher Pläne, wasserrechtliche Überwachungen etc. Diese Pflichten werden durch eine erfolgreiche Auditierung teilweise gelockert und geben dem Unternehmen dadurch mehr Freiheit. Eine Pflicht zur Auditierung besteht nicht. Nur wenn öffentliche Ausschreibungen davon abhängig gemacht würden, dass ein Bewerber auditiert ist, würde die öffentliche Gewalt indirekten Zwang zur Auditierung ausüben. Die EMAS-Zertifizierung darf aber gerade kein ausschreibungsrelevantes Kriterium sein; mit ihrer Hilfe können nur andere ausschreibungsrelevante Kriterien leichter nachgewiesen werden. Der Vorteil auditierter Unternehmen bei Ausschreibungen ist also keineswegs derart groß, dass andere Unternehmen aus Wettbewerbsgründen nicht auf die EMASZertifizierung verzichten können 125. Auch das Umweltaudit ist daher nicht an den Grundrechten der Anbieter zu messen. Erst eine Pflicht zur Auditierung wäre ein Grundrechtseingriff. Da eine solche Pflicht nur durch den europäischen Gesetzgeber angeordnet werden könnte, wären allerdings die Grundrechte des Grundgesetzes nicht einschlägig; stattdessen müsste sich die (geänderte) EMASVO an den europäischen Grundrechten auf Eigentum und Berufsfreiheit messen lassen. III. Bilanzkontrollrecht Auch die Gründung des DPR e. V. geschah auf freiwilliger Basis. Ein Zwang zur Mitgliedschaft besteht nicht. Die Vorlage von Bilanzen an die DPR ist ohnehin nicht vorgesehen, so dass auch keine Vorlagepflicht bestehen kann. Die gesetzliche Anordnung, dass die Prüfstelle von sich aus Prüfbegehren an Unternehmen richtet, könnte jedoch einen Eingriff in die Berufsfreiheit der Unternehmen darstellen. Die Mitwirkung der Unternehmen ist allerdings freiwillig. Erklärt sich ein Unter125

Wenn die Auditierung einen solchen Vorteil böte, wäre die Anzahl der auditierten Unternehmen wahrscheinlich auch größer.

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3. Teil: Europa- und verfassungsrechtlicher Rahmen

nehmen mit dem Prüfbegehren der DPR nicht einverstanden, kann eine Prüfung durch die DPR nicht aufgenommen werden. Ein Grundrechtseingriff kann darin noch nicht gesehen werden. Anders beurteilen müsste man das Prüfbegehren der DPR, wenn sich aus der gesetzlichen Pflicht zur ordnungsgemäßen Geschäftsleitung (§ 93 Abs. 1 S. 1 AktG) eine Pflicht zur Mitwirkung an Prüfungen der DPR ergäbe 126. Des Weiteren kann die verweigerte Kooperation des Unternehmens – wenn diese zu einer Prüfung durch die BaFin führt – öffentlich bekannt gemacht werden (§ 37o Abs. 1 S. 5 WpHG). Der daraus resultierende öffentliche Druck soll die Unternehmen zur Mitwirkung zwingen. Insofern besteht also schon von Gesetzes wegen ein zumindest indirekter Zwang zur Mitwirkung an Prüfungen durch die DPR, der einen Eingriff in Grundrechte des betroffenen Unternehmens darstellt. Die Rechtfertigung ist allerdings unproblematisch. In Bezug auf Art. 12 Abs. 1 GG handelt es sich um eine Berufsausübungsregelung, die durch vernünftige Gründe des Allgemeinwohls – die Zuverlässigkeit und Attraktivität des Finanzmarktes Deutschland – legitimiert ist. Zusätzliche Kontrollen, auch durch private Stellen, sind geeignet, die Einhaltung bestehender Gesetze besser zu verwirklichen. Ein milderes Mittel wäre zwar die Beibehaltung des bisherigen Systems der Kontrolle ausschließlich durch die Abschlussprüfer; dass dieses Mittel nicht genauso geeignet ist, haben aber die Bilanzskandale der letzten Jahre gezeigt. Eine Kontrolle nur durch die BaFin wäre im Vergleich zur Kontrolle durch die private DPR kein die Unternehmen weniger belastendes Mittel. Angesichts dessen, dass die Kontrolle nur börsennotierte Unternehmen trifft und auch hier nur stichprobenartig oder bei Verdacht auf Unregelmäßigkeiten, kann auch die Angemessenheit der Bilanzkontrolle im Wege der Regulierten Selbstregulierung nicht bezweifelt werden. Andere Grundrechte sind nicht betroffen. Die Bedeutung der Grundrechte als Eingriffsgrenze ist somit auch beim Bilanzkontrollrecht sehr gering. IV. Produktsicherheitsrecht Das Produktsicherheitsrecht unterscheidet sich von den vorgenannten Bereichen grundlegend dadurch, dass die Beteiligung einer Anerkannten Stelle verpflichtend vorgeschrieben ist. Dieser gesetzliche Zwang stellt einen Grundrechtseingriff dar. Vordergründig beruht dieser Zwang auf den Normen der GPSGV oder des MPG, wonach Produkte ohne die CE-Kennzeichnung nicht in Verkehr gebracht werden dürfen. Diese Normen wären an Art. 12 Abs. 1 GG, möglicherweise sogar an Art. 14 Abs. 1 GG zu messen. Allerdings beruhen diese deutschen Normen auf europarechtlichen Vorgaben. Das Verbot des Inverkehrbringens von Produkten ohne CE-Zeichen ist in allen europäischen Richtlinien der Neuen Konzeption 126

Dazu s. o. § 6 C. III. 2.

§ 8 Grundrechte und Grundfreiheiten als Grenze der Regulierung

331

vorgegeben, ohne dass der deutsche Gesetzgeber bei ihrer Umsetzung Spielraum gehabt hätte. Eine Überprüfung am Maßstab deutschen Verfassungsrechts scheidet somit grundsätzlich aus 127; stattdessen ist das Gebot an den europäischen Grundrechten auf Eigentum und Berufsfreiheit zu messen. Das europäische Grundrecht der Berufsfreiheit schützt die freie wirtschaftliche Betätigung in allen ihren Ausprägungen 128. Es kann auf Grund eines Gesetzes zu Zwecken des Gemeinwohls beschränkt werden, wenn dieses verhältnismäßig ist 129. Die materiellen Sicherheitsanforderungen an die Produkte dienen dem Schutz der Verbraucher vor Schäden an Leben, Gesundheit oder Eigentum und damit einem legitimen Zweck. Ob gerade die konkreten Anforderungen erforderlich sind oder auch andere Grenzwerte ausreichen würden, liegt zum einen in dem sehr weiten Einschätzungsspielraum des Richtliniengebers, zum anderen sind die materiellen Anforderungen kein Problem der Regulierten Selbstregulierung und können deshalb hier außer Betracht bleiben. Dass die Einhaltung der materiellen Anforderungen überwacht wird, ist ebenfalls gerechtfertigt. Allerdings sieht die Neue Konzeption umfassend präventive Kontrollen vor. Der Anbieter ist daher insofern stärker belastet, als er nicht nur damit rechnen muss, dass seine in Verkehr befindlichen Produkte kontrolliert werden, sondern dass er selbst eine „Freigabe“ seiner Produkte vor dem Inverkehrbringen erwirken muss. Diese zusätzliche Belastung kann aber dadurch gerechtfertigt werden, dass bei gefährlichen Produkten mit großem Schadenspotenzial nicht abgewartet werden kann, bis Fehler und damit Schäden beim Verbraucher auftauchen. Ein wirksamer Schutz (zu dem der Gesetzgeber grundrechtlich verpflichtet sein kann, s. o. § 7 C. I.) erfordert präventive Kontrollen. Die Durchführung der präventiven Kontrollen betrifft die Unternehmen in ihrer Berufsfreiheit, bei Betriebsbesichtigungen auch in ihrem „Wohnungs“grundrecht 130. Ob die Kontrolle der Produkte durch Behörden oder durch private Anerkannte Stellen erfolgt, bedeutet für das Unternehmen keine zusätzliche Beeinträchtigung. Im Gegenteil, da das Unternehmen zwischen verschiedenen Benannten Stellen wählen kann und einen Vertrag mit der Anerkannten Stelle schließen muss, hat das Unternehmen sogar mehr Freiheiten und Einflussmöglichkeiten als bei der Überwachung durch Behörden. Exzessive Kontrollen, die etwa zu 127 EuGHE 1990, 2433 Tz. 18, 20; BVerfGE 102, 147 (164); Ehlers, in: ders., Europ. Grundrechte und Grundfreiheiten, § 14 Rdn. 16. 128 EuGHE 1989, 2237 Tz. 15; E 1994, 4973 Tz. 78; Ruffert, in: Ehlers, Europ. Grundrechte und Grundfreiheiten, § 16 Rdn. 13. 129 Ruffert, in: Ehlers, Europ. Grundrechte und Grundfreiheiten, § 16 Rdn. 33. 130 Zu „Wirtschaftskontrollen“ und den dadurch verursachten Eingriffen in Art. 13 Abs. 1 GG BVerfGE 32, 54; BVerwGE 78, 251. Vgl. aber auch zur Nichtgeltung des europäischen Grundrechts auf Schutz des Wohnraums für Unternehmen EuGHE 1989, 2859 Tz. 17.

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3. Teil: Europa- und verfassungsrechtlicher Rahmen

einer tagelangen Stilllegung einer Fabrik im Rahmen einer Betriebsbesichtigung oder zur Beschlagnahme wichtiger Unterlagen zu Prüfungszwecken führen, wären unverhältnismäßig und daher mit der Berufsfreiheit der Unternehmen nicht vereinbar. Die Gefahr, dass solche unverhältnismäßigen Kontrollmaßnahmen ergriffen werden, ist aber bei den vertraglich gebundenen, an der Gewinnerwirtschaftung orientierten und daher auf das Wohlwollen ihrer Auftraggeber angewiesenen privaten Anerkannten Stellen geringer als bei öffentlichen Stellen. Die Berufsfreiheit spricht deshalb eher für als gegen Regulierte Selbstregulierung. Die Berufsfreiheit stellt damit keine wirkliche Schranke für Regulierte Selbstregulierung im Produktsicherheitsrecht dar. V. Ergebnis zu den Grundrechten Die Grundrechte des Grundgesetzes und die europäischen Grundrechte haben nach dem oben Dargestellten nur eine sehr schwache Determinationskraft. So lange der Gesetzgeber die Regulierte Selbstregulierung als freiwilliges Modell ausgestaltet, bieten die Grundrechte keine Grenze. Obligatorische Modelle gibt es nur im Wirtschaftsrecht, wo die Wirtschaftsfreiheiten letztlich nur eine äußerste Grenze darstellen, aber keine echte Steuerungswirkung entfalten. Im Gegenteil streiten die Grundrechte als Abwehrrecht eher für Regulierte Selbstregulierung, weil diese Vorrang vor staatlichem Handeln hat; sie ist eine geringere Belastung und daher verhältnismäßiger 131.

C. Grundfreiheiten als Eingriffsgrenze Da es sich bei allen untersuchten Referenzbereichen um Wirtschaftstätigkeit im weiteren Sinn handelt und moderne Wirtschaftstätigkeit beinahe immer einen grenzüberschreitenden Bezug hat, ist auch jeweils die Wirkung der Grundfreiheiten des EGV zu beachten. Ob allerdings die materiellen Anforderungen an ein Produkt oder Unternehmen mit den Grundfreiheiten vereinbar sind, ist vorliegend nicht von vorrangigem Interesse. Interessanter ist vielmehr die Frage der Vereinbarkeit der Durchsetzung der materiellen Vorgaben durch Regulierte Selbstregulierung mit den Grundfreiheiten.

131 Schmidt-Preuß, VVDStRL 56 (1997), 160 (170 f.); Greiner, Verhinderung verbotener Internetinhalte, S. 41 f.: Wirtschaftliche Freiheitsrechte als Postulat größtmöglicher Aktivierung selbstregulativer Beiträge.

§ 8 Grundrechte und Grundfreiheiten als Grenze der Regulierung

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I. Jugendmedienschutz Rundfunk und Telemedien stellen Dienstleistungen im Sinne des Art. 50 EGV dar. Rundfunkveranstalter und Anbieter von Telemedien können sich sowohl gegenüber dem europäischen Gesetzgeber der FernsehRL und der ECRL als auch gegenüber dem deutschen Gesetzgeber des JMStV auf die Dienstleistungsfreiheit berufen. Die materiellen Bestimmungen zur Unzulässigkeit bestimmter Inhalte (im europäischen und nationalen Recht) sind an Art. 49 EGV zu messen, dürften aber nach Art. 55 i. V. m. Art. 46 EGV zu rechtfertigen sein. Zur Umsetzung dieser materiellen Vorgaben im Wege der Regulierten Selbstregulierung verhält sich das Sekundärrecht nicht; der JMStV beeinträchtigt die Dienstleistungsfreiheit nicht, weil die Einschaltung von Selbstkontrolleinrichtungen die Anbieter nur begünstigt, nicht beeinträchtigt. Außerdem hat die Europäische Gemeinschaft Empfehlungen für die Regulierung der Dienste der Informationsgesellschaft abgegeben. Darin wird grundsätzlich die Errichtung von Selbstregulierungs- und Koregulierungssystemen im Bereich der neuen Medien empfohlen 132. Nach Empfehlung I. 1. Spstr. 2 sollen Selbstkontrollsysteme der Anbieter unter Einbindung von Behörden und Verbrauchern geschaffen werden. Empfehlung II. 2. schlägt das gemeinsame Erstellen von Verhaltenskodizes durch Unternehmen und Behörden vor. Insgesamt beruhen die europäischen Vorgaben auf der Idee, dass Selbstkontrolleinrichtungen in einen rechtlichen Rahmen eingebaut werden, vor allem zur Erstellung von Verhaltenskodizes, zur Definition des verfolgten Ziels und des Schutzumfangs und dass Vorkehrungen zur Überwachung der Funktionsfähigkeit des Systems bestehen müssen 133. Die Europäische Union betrachtet Ko-Regulierung oder Regulierte Selbstregulierung in Form der verstärkten Einbindung Privater ganz generell als Steuerungsmodell der Zukunft 134. Da Rat und Kommission auch speziell für den Rundfunk selbstregulative Konzepte befürworten 135, dürfte Regulierte Selbstregulierung auch aus Sicht der Warenverkehrsfreiheit auf jeden Fall nicht ausgeschlossen sein 136. Lediglich die Umsetzung in den Satzungen von FSF e. V. und FSM e. V. könnte einen Verstoß gegen Art. 49 EGV darstellen. Beide Einrichtungen schließen eine Mitgliedschaft ausländischer Anbieter aus (offene Diskriminierung), diese kön132

Zum Beispiel in der Empfehlung des Rates 98/560/EG vom 24. 09. 1998 zum Schutz der Jugend und der Menschenwürde in audiovisuellen Diensten und Informationsdiensten, ABlEG L 270/48; dazu Palzer, ZUM 2002, 875 (878). Auch bzgl. der Mobilkommunikation setzt die EG auf Selbstregulierung, s. epd medien 59/2006, 24. 133 Palzer, ZUM 2002, 875 (879). 134 Vgl. Weißbuch „Europäisches Regieren“ vom 25. 07. 2001, KOM (2001) 428 endg. 135 KOM (2002), 778 endg., S. 38 f.; Empfehlung 98/560/EG, ABlEG L 270/48; vgl. auch Thaenert, MMR 2005, 279 (281). 136 Palzer, ZUM 2002, 875 (883).

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3. Teil: Europa- und verfassungsrechtlicher Rahmen

nen also rein praktisch nicht in den Genuss der Aufsichtsprivilegierung kommen, obwohl – vor allem bei den Telemedien – auch ihre Angebote in Deutschland empfangbar sind und FernsehRL und ECRL gerade bei Verstößen gegen Jugendund Menschenwürdeschutz nicht ausschließlich das Herkunftslandsprinzip gelten lassen. Zwar beruht dieser Ausschluss ausländischer Anbieter nicht auf dem JMStV – dieser trifft keine Aussage zur Mitgliedschaft –, so dass der deutsche Gesetzgeber bei der Ausgestaltung der Regulierten Selbstregulierung nicht gegen die Dienstleistungsfreiheit verstoßen hat. Da die Selbstkontrolleinrichtungen allerdings öffentliche Aufgaben wahrnehmen und darauf in Deutschland ein Monopol haben, ist nach der Rechtsprechung des EuGH (s. o. 2. Teil § 3 B. II. 2. b) aa) eine unmittelbare Bindung auch der Privatrechtssubjekte FSF e. V. und FSM e. V. an Art. 49 EGV zu bejahen; die Selbstkontrolleinrichtungen dürften eine Aufnahme ausländischer Fernsehsender oder Telemedienanbieter, die ihre Produkte (auch) auf dem deutschen Markt anbieten wollen, nicht verweigern. Im Ernstfall müsste die Satzung geändert werden, wenn die Anerkannten Stellen nicht mit den Grundfreiheiten der Anbieter in Konflikt kommen wollen 137. Daneben müsste man auch von der KJM als hoheitlicher Stelle verlangen, dass sie bei der Anerkennung bzw. bei der Aufrechterhaltung der Anerkennung von FSF und FSM auf eine Satzungsänderung hinwirkt, welche die Aufnahme ausländischer Anbieter ermöglicht, sofern dafür ein tatsächlicher Bedarf besteht 138. Aus Art. 10 EGV sind alle staatlichen Stellen – also auch die KJM – verpflichtet, dem Gemeinschaftsrecht und damit auch den Grundfreiheiten zur Durchsetzung und effektiven Wirksamkeit zu verhelfen. Aufgabe der KJM als anerkennender Stelle und Aufsicht ist nicht nur die Gewährleistung der Erfüllung der öffentlichen Aufgabe und der Verfassungskonformität des Systems der Regulierten Selbstregulierung, sondern auch der Einhaltung sonstiger rechtlicher Vorgaben, zu denen auch das Gemeinschaftsrecht zählt. II. Produktsicherheitsrecht Die Richtlinien der Neuen Konzeption, die es verbieten, Produkte ohne CEZeichen in Verkehr zu bringen, beeinträchtigen die Warenverkehrsfreiheit aus Art. 28 EGV. Da sie dem Schutz von Gesundheit und Leben von Menschen dienen, können sie grundsätzlich nach Art. 30 EGV gerechtfertigt werden. 137

Eine pragmatische Einzelfalllösung läge darin, nicht die Satzung zu ändern, sondern wegen Art. 12, 49 EGV das „deutsch“ in der Satzung von FSM und FSF ggf. als „deutsch oder aus dem EG-Ausland“ auszulegen, wie dies z. T. für die Deutschen-Grundrechte (Art. 8, 9, 11, 12 GG) vertreten wird, vgl. Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 19 Rdn. 12. 138 Vgl. allgemein Finckh, Regulierte Selbstregulierung im DSD, S. 400 f.: „Um die daraus [d. h. aus dem Europarecht] resultierenden Risiken für staatliche Steuerung durch regulierte Selbstregulierung zu minimieren, ist streng auf eine rechtlich wie faktisch nichtdiskriminierende Ausgestaltung derartiger Instrumente zu achten.“

§ 8 Grundrechte und Grundfreiheiten als Grenze der Regulierung

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Die Durchsetzung mittels Regulierter Selbstregulierung, die durch den Gemeinschaftsgesetzgeber zwingend vorgeschrieben wird, stellt ebenfalls eine Beeinträchtigung des freien Warenverkehrs dar. Die Warenverkehrsfreiheit fordert deshalb ein einfaches, leicht handhabbares Verfahren zur Konformitätsbewertung 139. Für den Anbieter stellt es sich genauso dar, als ob er vor dem Inverkehrbringen seines Produkts eine behördliche Genehmigung einholen müsste. Dies ist gerechtfertigt, wenn dem Produkt tatsächlich ein hohes Gefahrenpotenzial innewohnt. Dass ein Hersteller europaweit unter Anerkannten Stellen auswählen kann und ihm die Prüfung durch eine Anerkannte Stelle vermittels des CE-Zeichens europaweit das Recht gibt, sein Produkt ohne weitere Kontrollen durch verschiedene nationale Behörden in Verkehr zu bringen, dient gerade der Herstellung und Verwirklichung des Binnenmarkts und der Warenverkehrsfreiheit (und in Bezug auf die Anerkannten Stellen der Dienstleistungsfreiheit), so dass keine Konflikte mit den Grundfreiheiten bestehen. Die Grundfreiheiten des EGV bieten hauptsächlich Schutz gegen diskriminierende nationale Vorschriften. Beschränkungen für den Gemeinschaftsgesetzgeber hingegen bewirken sie kaum.

Die nationalen Vorschriften, in Deutschland das GPSG und seine Verordnungen sowie das MPG, setzen die EG-Richtlinien der Neuen Konzeption um. Soweit sie die Richtlinienvorgaben einhalten, kommt ein Verstoß gegen die Warenverkehrsfreiheit nicht in Betracht. Das System der Regulierten Selbstregulierung ist ohnehin durch das Sekundärrecht vorgegeben, so dass der deutsche Gesetzgeber mit seiner Einführung nicht gegen Art. 28 EGV verstößt. III. Umweltaudit Das Umweltaudit beruht auf einer EG-Verordnung und ist deshalb ebenfalls an den Grundfreiheiten zu messen. Fraglich ist allerdings schon, welche Freiheit einschlägig ist. Da es nicht um ein Gütezeichen für Waren, sondern um die Bewertung eines ganzen Unternehmens geht, dürfte die Warenverkehrsfreiheit der falsche Anknüpfungspunkt sein. Dienstleistungs- oder Niederlassungsfreiheit passen auch nicht, weil kein grenzüberschreitendes Element gegeben ist. Außerdem ist die Teilnahme freiwillig und bringt den Unternehmen nur Vorteile, so dass eine Beeinträchtigung auf jeden Fall ausscheidet. Die Grundfreiheiten spielen deshalb beim Umweltaudit keine Rolle.

139

Gausepohl, Freier Warenverkehr, S. 33.

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3. Teil: Europa- und verfassungsrechtlicher Rahmen

IV. Bilanzkontrollrecht Die Prüfung durch BaFin und DPR betrifft nur an einer deutschen Börse notierte Unternehmen. Da es sich dabei jedoch auch um Unternehmen mit Sitz im EGAusland handeln kann, könnten die Grundfreiheiten dennoch einschlägig sein. Lässt sich ein ausländisches Unternehmen an einer deutschen Börse notieren, wird es darin von der Kapitalverkehrsfreiheit des Art. 56 EGV geschützt. Art. 58 Abs. 1 lit. b EGV erlaubt aber die unerlässlichen nationalen Maßnahmen zur Durchsetzung innerstaatlicher Rechtsvorschriften, insbesondere aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung. Die Bilanzierungsvorschriften entstammen ohnehin zum großen Teil dem (mit dem Primärrecht vereinbaren) europäischen Sekundärrecht (s. o. 2. Teil § 6 B. I.), so dass auch ihre Durchsetzung nicht gegen die Grundfreiheiten verstößt. Die Durchsetzung mittels Regulierter Selbstregulierung ist weder unverhältnismäßig noch führt sie zu einer offenen oder verdeckten Diskriminierung ausländischer Gesellschaften. Ein Verstoß gegen die Grundfreiheiten durch die Bilanzkontrolle ist somit nicht ersichtlich. V. Fazit zu den Freiheitsrechten Die Grundrechte hindern die Einführung der Regulierten Selbstregulierung nicht. In den meisten Bereichen steht den Betroffenen „nur“ die Berufsfreiheit zur Seite, die keine gesteigerten Anforderungen an die Rechtfertigung von Eingriffen stellt. Letztlich ist jede verhältnismäßige Maßnahme, die in einem Gesetz begründet ist, gerechtfertigt. An der Verhältnismäßigkeitsprüfung kann die Regulierte Selbstregulierung aber kaum scheitern: Die Verfolgung eines legitimen Ziels ist in allen Bereichen unzweifelhaft gegeben. Die Beurteilung, ob die Durchsetzung von Gesetzen durch Anerkannte Stellen statt durch Behörden geeignet und erforderlich ist, obliegt vorrangig dem Gesetzgeber, der dafür einen sehr weiten Prognose- und Einschätzungsspielraum hat. Im Rahmen der Erforderlichkeit ist außerdem zu berücksichtigen, dass Regulierte Selbstregulierung das mildere Mittel gegenüber staatlicher Kontrolle ist 140. Überwiegend ist die Einschaltung Anerkannter Stellen freiwillig und bringt dem Anbieter hauptsächlich Vorteile. Der Anerkannten Stelle stehen keine Hoheitsmittel oder Zwangsbefugnisse zur Verfügung; soweit sie Vereinsstrafen oder sonstige Sanktionen gegen die Anbieter verhängen kann, beruht dies jeweils auf einer freiwilligen Unterwerfung des Anbieters. An der Angemessenheit kann angesichts der weitgehenden Freiwilligkeit der Teilnahme und der hohen Schutzgüter (Jugendschutz, Schutz von Leben und Gesundheit, Umweltschutz) nicht gezweifelt werden.

140

So Calliess, AfP 2002, 465 (473 f.).

§ 9 Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip

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D. Ergebnis der primär- und verfassungsrechtlichen Prüfung Die vorstehenden knappen Ausführungen haben gezeigt, dass die Grundfreiheiten und Grundrechte für die Regulierte Selbstregulierung – zumindest in ihrer derzeitigen Ausgestaltung – praktisch keine Determinations- oder Direktionskraft besitzen 141. So lange die Teilnahme auf Freiwilligkeit beruht, muss ein Eingriff oder eine Beeinträchtigung bereits verneint werden. Aber auch ansonsten bieten die Wirtschaftsgrundrechte nicht allzu viel Schutz: Da ausreichende gesetzliche Grundlagen vorhanden sind und auch jeweils hochrangige legitime Ziele verfolgt werden, können dennoch vorkommende Beeinträchtigungen immer gerechtfertigt werden. Ähnliches gilt für die Grundfreiheiten, die gegenüber dem europäischen Gesetzgeber – solange der EuGH bei seiner sehr großzügigen Rechtsprechung bleibt – ohnehin kaum Schutz bieten, die aber auch den nationalen Gesetzgeber nicht allzu sehr beschränken, solange das System nur offen und nichtdiskriminierend ausgestaltet ist. Die Grundrechte führen lediglich dazu, dass eine obligatorische Regulierte Selbstregulierung wegen des damit verbundenen Eingriffs in Grundrechte zwingend einer gesetzlichen Grundlage bedarf; die Verwaltung könnte nicht von sich aus private Stellen mit der Durchsetzung öffentlichrechtlicher Normen betrauen und die Anbieter zur Kooperation verpflichten.

§ 9 Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip Werden Private an der Erfüllung öffentlicher Aufgaben beteiligt, wird meist auch das Demokratieprinzip problematisiert. Zu untersuchen bleibt, wie sich das Demokratieprinzip auf die Regulierte Selbstregulierung, das heißt auf die Aufgabenerfüllung durch private statt öffentliche Stellen, auswirkt.

A. Normativer Gehalt des Demokratieprinzips I. Verankerung des Demokratieprinzips Art. 20 Abs. 1 GG bestimmt, dass die Bundesrepublik Deutschland ein demokratischer Staat ist, was in Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG dahingehend konkretisiert wird, dass alle Staatsgewalt vom Volk auszugehen hat. Das Demokratieprinzip ist also ein Organisationsprinzip für die Ausübung der deutschen Staatsgewalt 142. Auch auf europäischer Ebene gilt das Demokratieprinzip 143. Dies ergibt sich ausdrücklich

141 142

So zum deutschen Verfassungsrecht auch Voßkuhle, VVDStRL 62 (2003), 266 (299). Böckenförde, HStR II, § 24 Rdn. 9.

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3. Teil: Europa- und verfassungsrechtlicher Rahmen

aus Art. 6 Abs. 1 EUV und wird auch vom EuGH in ständiger Rechtsprechung anerkannt 144. Auch Art. 23 Abs. 1 GG verlangt, dass die Bundesrepublik Deutschland nur an einem demokratischen Europa mitwirken darf und im Rahmen ihrer Beteiligung darauf hinzuwirken hat, dass dem Demokratieprinzip auch auf europäischer Ebene Rechnung getragen wird. II. Anforderungen des Demokratieprinzips Die von Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG geforderte Ausübung der Staatsgewalt durch das Volk kann nach Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG unter anderem durch die besonderen Organe der Gesetzgebung und der vollziehenden Gewalt geschehen. Das Handeln der Exekutive kann dem Volk nur zugerechnet werden, wenn ein hinreichend enger Legitimationszusammenhang besteht 145. Demokratische Legitimation kann auf unterschiedliche Weise erreicht werden: Zum einen werden die drei Staatsfunktionen durch ihre Konstituierung im Grundgesetz selbst institutionell bzw. funktionell legitimiert 146. Dass es eine Exekutive gibt und dass diese – neben der Legislative – eigenständig Staatsgewalt ausübt, ist daher mit dem Demokratieprinzip vereinbar. Die beiden wichtigsten Zweige der demokratischen Legitimation sind jedoch die organisatorisch-personelle und die sachlich-inhaltliche 147. Die personelle Legitimation verlangt eine Legitimationskette vom konkreten, Staatsgewalt ausübenden Amtswalter bis zum Parlament 148, die über den jeweiligen Ernennungsakt gewährleistet wird. Die sachlich-inhaltliche Legitimation wird durch die Gesetze und die Weisungsbefugnisse innerhalb der hierarchischen Ministerialverwaltung vermittelt 149. Jegliche Ausübung von Staatsgewalt muss so ein bestimmtes Legitimationsniveau erreichen 150, wobei eine geringere sachliche Legitimation durch eine stärkere personelle Legitimation ausgeglichen werden kann und umgekehrt 151. Insgesamt richtet sich das notwendige Legitimationsniveau auch nach dem Gehalt und der Bedeutung der Entscheidung 152. 143

Dreier, in: ders., GG, Bd. II, Art. 20 (Demokratie) Rdn. 33 ff. Z. B. EuGHE 1980, 3333, Rdn. 33; EuGHE 1995, 1827, Rdn. 17. 145 Sachs, in: ders., GG, Art. 20 Rdn. 13, 35. 146 Böckenförde, HStR II, § 24 Rdn. 15. 147 BVerfGE 107, 59 (87 f.); Jestaedt, JuS 2004, 649 (650). 148 BVerfGE 83, 60 (72 f.); E 93, 37 (67); E 107, 59 (87); Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 20 Rdn. 53; Böckenförde, HStR II, § 24 Rdn. 16. 149 BVerfGE 83, 60 (72); E 93, 37 (67); Jestaedt, JuS 2004, 649 (650); Böckenförde, HStR II, § 24 Rdn. 21 f. 150 BVerfGE 107, 59 (87); Jestaedt, JuS 2004, 649 (650). 151 BVerfGE 83, 60 (72); E 93, 37 (66 f.); Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, S. 283; ders., JuS 2004, 649 (650). 152 Schmidt-Aßmann, AöR 116 (1991), 329 (367); Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, S. 253. 144

§ 9 Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip

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Auf die europäische Ebene können diese Anforderungen wegen der andersartigen Struktur der Europäischen Union nicht ohne weiteres übertragen werden 153. Die demokratische Legitimation von Entscheidungen der europäischen Hoheitsgewalt erfolgt deshalb durch zwei komplementäre Legitimationsstränge 154: Zum einen über die nationalen Staatsvölker und ihre Parlamente, die den Vertragsgesetzen zugestimmt haben und Änderungen zustimmen müssen und denen gegenüber sich die Regierungsmitglieder, die als Mitglieder des Europäischen Rates agieren, verantworten müssen; zum anderen über das inzwischen direkt gewählte Europäische Parlament, dessen Einfluss auf die europäische Gesetzgebung stetig zunimmt 155. III. Neuere Entwicklungen (Funktionale Selbstverwaltung) Bei der Ausübung von Staatsgewalt durch die öffentlichrechtlich handelnde unmittelbare Staatsverwaltung sind die Anforderungen aus dem Demokratieprinzip relativ eindeutig und unproblematisch 156. Neuere Entwicklungen ergeben sich aber vor allem im Bereich der funktionalen Selbstverwaltung 157. Dabei handelt es sich um öffentlichrechtliche Selbstverwaltungskörperschaften der Betroffenen, die mit der eigenverantwortlichen Erfüllung einer bestimmten öffentlichen Aufgabe betraut sind 158. In der Literatur wird diese Selbstverwaltung – im Hinblick auf das Demokratieprinzip – damit gerechtfertigt, dass gerade die Betroffenen an der dezentralen Erledigung der sie betreffenden Aufgaben eigenverantwortlich beteiligt werden 159. Diese autonome Legitimation 160, zusammen mit strikter Gesetzesbindung und Rechtsaufsicht, soll zu einer ausreichenden Legitimation der Selbstverwaltungseinrichtungen führen 161. Das Bundesverfassungsgericht hält außerhalb der unmittelbaren Staatsverwaltung und der kommunalen Selbstverwaltung auch andere Formen der Legitimation als Ersatz für die demokratische personelle Legitimation denkbar, gerade auch in Form der funktionalen Selbstverwaltung. Diese könne dazu dienen, verwaltungsexternen Sachverstand zu aktivieren, ein wirk153

BVerfGE 89, 155 (182); Dreier, in: ders., GG, Bd. II, Art. 20 (Demokratie) Rdn. 45. Dreier, in: ders., GG, Bd. II, Art. 20 (Demokratie) Rdn. 47. 155 BVerfGE 89, 155 (185 f.); Streinz, in: Sachs, GG, Art. 23 Rdn. 25. 156 Dazu und auch zu neueren Entwicklungen umfassend Trute, GVwR I, § 6. 157 Dazu ausführlich Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, S. 490 ff., v. a. S. 537 ff.; ders., JuS 2004, 649 (651 ff.). 158 Jestaedt, JuS 2004, 649. 159 Böckenförde, HStR II, § 24 Rdn. 33. 160 Böckenförde, HStR II, § 24 Rdn. 34. 161 Dreier, in: ders., GG, Bd. II, Art. 20 (Demokratie) Rdn. 132; Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, S. 547 f. 154

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3. Teil: Europa- und verfassungsrechtlicher Rahmen

sames Mitspracherecht der Betroffenen zu schaffen und damit die betroffenen Interessen sachgerecht auszugleichen und auch eine effektivere Verwirklichung der Gesetzesziele zu erreichen 162. Neben der funktionalen Selbstverwaltung werden auch verstärkt andere Möglichkeiten und Aspekte der Legitimation herausgestellt, die die klassischen Formen der personellen und sachlichen Legitimation nicht völlig ersetzen, aber doch zumindest verstärken oder teilweise kompensieren können. So wird zum Teil darauf abgestellt, dass auch Maßnahmen, die die Richtigkeit von Entscheidungen gewähren und gleichzeitig die Effizienz der Ausübung von Staatsgewalt fördern und damit insgesamt für mehr Akzeptanz der staatlichen Entscheidungen sorgen, die Legitimation einer Entscheidung erhöhen 163. Vor allem bei Entscheidungen weisungsunabhängiger Gremien soll demokratische Legitimation – als Ersatz für die fehlende Einbindung in die hierarchische Ministerialverwaltung – durch die Gewährleistung einer sachgerechten Aufgabenwahrnehmung, einer gleichmäßigen Berücksichtigung aller Interessen, einer institutionellen Absicherung der Neutralität und vor allem durch Publizität und Transparenz der Entscheidungsverfahren und -ergebnisse erreicht werden 164.

B. Demokratieprinzip im öffentlichrechtlichen Teil der Regulierten Selbstregulierung I. Geltung des Demokratieprinzips Jegliche staatliche Aufgabenwahrnehmung muss demokratisch legitimiert werden. Dies gilt auch für den öffentlichrechtlichen Teil der Regulierten Selbstregulierung, das heißt also für die Regulierung. Diese besteht aus den Gesetzen und Normen, auf denen die Regulierte Selbstregulierung basiert, und aus dem Handeln der hoheitlichen Aufsichtsstellen, die sich jeweils am Demokratieprinzip (aus Art. 20 Abs. 2 GG oder Art. 6 Abs. 1 EUV) messen lassen müssen 165.

162

BVerfGE 107, 59 (91 f.) m. (z. T. krit.) Bespr. Jestaedt, JuS 2004, 649 ff. Hoffmann-Riem, DÖV 1997, 433 (438); ders., in: Schmidt-Aßmann/HoffmannRiem, Verwaltungsorganisationsrecht, S. 355 (376); Dreier, in: ders., GG, Bd. II, Art. 20 (Demokratie) Rdn. 117. 164 Trute, DVBl 1996, 950 (956). 165 Faber, Selbstregulierungssysteme, S. 248 f.: Nur die staatliche Induzierung der Selbstregulierung muss sich am Demokratieprinzip messen lassen, nicht die Selbstregulierung. 163

§ 9 Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip

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II. Demokratieprinzip und Normsetzung JMStV, UAG, WpHG, GPSG und MPG sind deutsche Gesetze, die vom Bundestag oder den Landtagen erlassen wurden. Die demokratische Legitimation von Parlamentsgesetzen ist unproblematisch. Die EMAS-VO und die Richtlinien der Neuen Konzeption sind vom europäischen Gesetzgeber erlassen worden, dessen demokratische Legitimation sich wie oben unter § 9 A. II. ergibt. Private Normsetzung benötigt keine demokratische Legitimation, so lange sie rein im gesellschaftlichen Bereich verbleibt und nicht staatlich rezipiert wird 166 (wie zum Beispiel die Verhaltenskodizes von FSF und FSM). Vorliegend spielt private Normsetzung nur im Produktsicherheitsrecht bei der Erstellung der harmonisierten technischen Normen zur Ausfüllung der grundlegenden Sicherheitsanforderungen der Richtlinien der Neuen Konzeption eine Rolle. Diese werden im Rahmen einer dynamischen Verweisung von den Richtlinien in Bezug genommen, sind allerdings nur einseitig verbindlich: Bei ihrer Einhaltung wird die Erfüllung der Richtlinienanforderungen vermutet; auch werden die harmonisierten technischen Normen im Auftrag der Kommission erlassen und müssen von dieser anerkannt 167 und veröffentlicht werden, was ebenso für Änderungen gilt, so dass stets ein hoheitliches Organ das letzte Wort über die – öffentlichrechtliche – Gültigkeit der privaten Normen hat. Dynamische Verweisungen auf nur normkonkretisierende Vorschriften, denen bloße Vermutungswirkung zukommt und deren Erlass in einem transparenten Verfahren durch ausgewogen besetzte Gremien erfolgt, sind mit dem Demokratieprinzip vereinbar 168. Insgesamt verstößt danach die Neue Konzeption nicht gegen das (europäische) Demokratieprinzip. III. Demokratieprinzip und Normdurchsetzung Die Tätigkeit der hoheitlichen Aufsichtsstellen muss ebenfalls demokratisch legitimiert sein. Die Marktaufsichtsbehörden im Produktsicherheitsrecht sind Verwaltungsbehörden und Teil der unmittelbaren Staatsverwaltung, also der Ministerialbürokratie, und daher ausreichend legitimiert. Selbiges gilt für die BaFin, eine öffentlichrechtliche Körperschaft, die der Rechts- und Fachaufsicht des Bundesfinanzministeriums unterliegt. In den anderen Bereichen hingegen sind Besonderheiten zu beachten: Im Jugendmedienschutz muss die KJM als Teil der Rundfunkaufsicht wegen Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG notwendig staatsfrei sein, weswegen die 166 Schmidt-Aßmann, AöR 116 (1991), 329 (342); Faber, Selbstregulierungssysteme, S. 248. 167 Die Kommission prüft die Normen auch und lehnt sie ab, wenn sie mit den grundlegenden Sicherheitsanforderungen der entsprechenden Richtlinie nicht übereinstimmen, s. z. B. Entscheidung der Kommission vom 21. 06. 2001, ABlEG L 190/21. 168 So für das GG Voßkuhle, HStR III, § 43 Rdn. 59 m. w. Nachw.

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Mitglieder der KJM weisungsfrei sind und außerdem zur Hälfte aus Direktoren der Landesmedienanstalten bestehen, die als Vorsitzende eines gruppenpluralistisch besetzten, staatsfreien Gremiums kein Teil der Ministerialverwaltung sind. Da die Staatsfreiheit des Rundfunks aber ebenfalls Verfassungsrang hat, rechtfertigt sie die Durchbrechung des Demokratieprinzips für die Rundfunkaufsicht. Durch die Bindung an die Rundfunkgesetze und die Rechtsaufsicht über die Landesmedienanstalten wird zudem eine gewisse demokratische Legitimation vermittelt. Die Tätigkeit der KJM als Aufsichtsstelle im Jugendmedienschutz ist deshalb mit Art. 20 Abs. 2 GG vereinbar. Beim Umweltaudit besteht die hoheitliche Aufsicht zum einen aus einer beliehenen privaten Stelle (der DAU GmbH) und darüber aus einem gruppenpluralistisch besetzten und weisungsfreien Ausschuss (dem Umweltgutachterausschuss beim BMU). Auch die Tätigkeit eines Beliehenen kann demokratisch legitimiert werden; zwar fehlt es weitgehend an der personellen Legitimation, eine strikte Gesetzesbindung und Aufsichts- bzw. Einwirkungsbefugnisse können diesen Mangel jedoch kompensieren 169. Die DAU GmbH ist deshalb durch ihre Bindung an das UAG und die Rechts- und Fachaufsicht durch das BMU ausreichend demokratisch legitimiert. Auch beim Umweltgutachterausschuss wird die demokratische Legitimation bejaht, weil die Mitglieder vom BMU ernannt werden müssen und nur Aufgaben von geringer politischer Bedeutung wahrnehmen (s. o. § 5 B. II. 2.). Die Tätigkeit der Umweltgutachter ist keine Ausübung von Staatsgewalt und muss daher nicht demokratisch legitimiert sein 170.

C. Demokratieprinzip und Anerkannte Stellen I. Geltung des Demokratieprinzips Die Frage nach der Vereinbarkeit Regulierter Selbstregulierung mit dem Demokratieprinzip im Hinblick auf die Tätigkeit Anerkannter Stellen stellt sich nur, wenn das Demokratieprinzip für diese Tätigkeit überhaupt gilt. 1. Ausübung von Staatsgewalt durch Anerkannte Stellen Handelte es sich bei den Anerkannten Stellen um staatliche Behörden, deren Prüfentscheidungen Verwaltungsakte darstellen, wäre die Geltung des Art. 20 Abs. 2 GG unzweifelhaft. Die Anerkannten Stellen sind jedoch privatrechtlich organisiert und handeln auch in Form des Privatrechts; sie sind wie oben gezeigt kein Teil der Staatsverwaltung.

169 170

Böckenförde, HStR II, § 24 Rdn. 23; Sachs, in: ders., GG, Art. 20 Rdn. 39, 41. Ewer, in: Dolde (Hrsg.), Umweltrecht im Wandel, S. 353 (376).

§ 9 Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip

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Staatsgewalt im Sinne des Art. 20 Abs. 2 GG wird zwar sehr weit verstanden und erfasst jedes dem Staat zurechenbare Handeln 171, jede rechtsverbindliche Entscheidung der öffentlichen Gewalt 172. Das umfasst auch staatliches Handeln in Privatrechtsform oder das Agieren privatrechtlicher Subjekte, die vom Staat gegründet und beherrscht werden. Für sonstige Privatpersonen aber – auch wenn sie öffentliche Aufgaben wahrnehmen 173 – gilt Art. 20 Abs. 2 GG nicht, im Gegenteil darf nicht durch das Demokratieprinzip die Ausübung grundrechtlich geschützter individueller und gesellschaftlicher Freiheit zu Lasten eines staatlichen Zugriffsrechts beschränkt werden 174. Die Anerkannten Stellen sind Einrichtungen privater Selbstregulierung, die weder von staatlichen Stellen gegründet noch finanziert werden und an denen der Staat auch nicht beteiligt ist. Ihre Gründung und Organisation ist vielmehr Ausdruck der grundrechtlichen Freiheit ihrer Träger oder Mitglieder. Zwar wenden auch die Anerkannten Stellen Gesetze an, sie sind jedoch kein Teil der Exekutive. So lange die Teilnahme an der Regulierten Selbstregulierung freiwillig geschieht, handelt es sich um Selbstregulierung, das heißt Grundrechtsausübung der Anbieter, nicht um Staatsgewalt. Dass das Handeln der Anerkannten Stellen öffentlichrechtliche Wirkungen hat, hat der demokratisch legitimierte Gesetzgeber so entschieden. Ob der Gesetzgeber eine solche Ersetzung öffentlichrechtlichen Handelns durch privates Handeln anordnen durfte, ist eine Frage der staatlichen Handlungspflichten (vor allem aus den grundrechtlichen Schutzpflichten), nicht aber des Demokratieprinzips. Ein weiteres Argument gegen die Ausübung von Staatsgewalt durch die Anerkannten Stellen ergibt sich aus der Definition von Jestaedt. Nach ihm decken sich die Reichweite der Grundrechtsbindung und der Ausübung von Staatsgewalt 175; da wie noch zu zeigen sein wird (s. u. 4. Teil § 13 C. V. 1.) die Anerkannten Stellen nicht an die Grundrechte gebunden sind, üben sie nach dieser Argumentation auch keine Staatsgewalt aus.

2. Vorbehalt des Gesetzes für die Einführung Regulierter Selbstregulierung Ausprägung des Demokratieprinzips ist es, dass Regulierte Selbstregulierung nur durch den Gesetzgeber eingeführt werden kann 176. Eine zum Vollzug von 171 Böckenförde, HStR II, § 24 Rdn. 13; Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, S. 257. 172 Sachs, in: ders., GG, Art. 20 Rdn. 29; Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, S. 257. 173 Di Fabio, VVDStRL 56 (1997), 235 (264): Von der öffentlichen Aufgabe darf nicht auf die Ausübung von Staatsgewalt i. S. d. Demokratieprinzips geschlossen werden. 174 Schmidt-Aßmann, AöR 116 (1991), 329 (339). 175 Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, S. 236 f.

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3. Teil: Europa- und verfassungsrechtlicher Rahmen

Gesetzen berufene Behörde kann nicht von sich aus bestimmen, dass sie Gesetze nicht mehr anwendet, sondern dies Privaten überlässt. Sofern der Gesetzgeber die Vollzugszuständigkeit geregelt hat, steht dem schon die Bindung der Verwaltung an das Gesetz (Art. 20 Abs. 3 GG) entgegen. Aber auch, wenn keine Vollzugsregelung besteht, kann eine so wesentliche Angelegenheit wie die Einführung Regulierter Selbstregulierung nur durch den Gesetzgeber getroffen werden 177. II. Verwirklichung des Demokratieprinzips bei Regulierter Selbstregulierung Sofern sich die Tätigkeit Anerkannter Stellen im Rahmen der Regulierten Selbstregulierung darauf beschränkt, staatlich gesetztes Recht zu vollziehen, hat das Demokratieprinzip wie soeben gezeigt für ihre konkrete Funktion keine Geltung. In der Literatur wird allerdings – in verallgemeinernder Form und ohne Berücksichtigung der exakten Aufgaben und Ausgestaltungen – die Vereinbarkeit der Regulierten Selbstregulierung mit dem Demokratieprinzip problematisiert. 1. Forderungen in der Literatur In der Literatur werden einige grundlegende Anforderungen an Selbstregulierungseinrichtungen gestellt, sollen diese mit dem Demokratieprinzip vereinbar sein. Besonderer Wert wird dabei auf die Zusammensetzung der Gremien und die Verfahren gelegt. Vor allem sollen die Selbstkontrolleinrichtungen pluralistisch besetzt sein, alle gesellschaftlichen Gruppen widerspiegeln 178 und intern eine demokratische Willensbildung ermöglichen 179. Die Vertretung von Verbrauchern oder Betroffenen in den Gremien soll verfassungsrechtlich geboten sein 180. Auf der Verfahrensebene seien Öffentlichkeit und Transparenz vonnöten, das heißt Berichts- und Informationspflichten der Selbstregulierungseinrichtungen und Beteiligungsmöglichkeiten Dritter 181. Wenn dann noch Auffangregelungen bestünden, die im Falle eines Versagens der Selbstregulierungseinrichtungen griffen, seien auch Selbstkontrol176

Di Fabio, JZ 1999, 585 (589 f.). Talidou, Regulierte Selbstregulierung im Datenschutz, S. 116. 178 Schmidt-Preuß, VVDStRL 56 (1997), 160 (205); Rossen-Stadtfeld, AfP 2004, 1 (6); Talidou, Regulierte Selbstregulierung im Datenschutz, S. 131. 179 Talidou, Regulierte Selbstregulierung im Datenschutz, S. 28. 180 Vgl. Eifert, GVwR I, § 19 Rdn. 68; Talidou, Regulierte Selbstregulierung im Datenschutz, S. 28, 117 allgemein und S. 69 f. bzgl. des Werberats. 181 Schmidt-Aßmann, Beiheft 4 DV 2001, 253 (267); Rossen-Stadtfeld, AfP 2004, 1 (6); Hoffmann-Riem, AöR 130 (2005), 5 (35); Talidou, Regulierte Selbstregulierung im Datenschutz, S. 117. 177

§ 9 Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip

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len mit dem Demokratieprinzip vereinbar 182. Andere Ansätze fordern, dass im Falle Regulierter Selbstregulierung eine staatliche Letztentscheidungsverantwortung und damit verbunden eine Beobachtungspflicht und eine Zugriffsoption des Staates bestehen müssen 183. Bei hinreichenden Mindeststandards an staatlichen Steuerungs-, Überwachungs- und Kontrollinstrumenten sei ein der hierarchischbürokratischen Ministerialverwaltung funktionsadäquates Legitimationsniveau gegeben 184. 2. Realisierung Was die pluralistische Besetzung betrifft, entsprechen die Anerkannten Stellen in den untersuchten Referenzgebieten kaum den so eben dargestellten Anforderungen der Literatur. Wie bereits gezeigt, sind die Anerkannten Stellen im Grundsatz Sachverständige, die einen Sachverhalt festzustellen, zu prüfen und unter eine staatliche Rechtsvorschrift zu subsumieren haben (es geht also um Rechtsanwendung, nicht um Rechtssetzung, was ganz andere Anforderungen hinsichtlich der demokratischen Legitimation mit sich bringt). Bei den Umweltgutachtern und den Benannten Stellen des Produktsicherheitsrechts als Erbringern einer wirtschaftlichen Dienstleistung ist eine pluralistische Besetzung nicht möglich; allenfalls die Auswahlmöglichkeit unter einer Vielzahl von Anerkannten Stellen führt zu einem gewissen Pluralismus. Im Jugendmedienschutz stellen die Selbstkontrollen Einrichtungen der Veranstalter dar; Vereinsmitglieder sind die Fernsehsender oder die Anbieter von Telemedien. Ein gesellschaftlicher Pluralismus wird nur über das Kuratorium erreicht, das als eine Art Revisionsinstanz bei Entscheidungen der Prüfer wirkt und die Prüfordnung ausarbeitet. Öffentlichrechtliche Wirkung hat jedoch nur die Tätigkeit der Prüfer in Bezug auf eine konkrete Sendung oder ein bestimmtes Telemedium; die Prüfer repräsentieren aber in erster Linie den Sachverstand und nicht die Gesellschaft. Bei Einzelprüfern und auch bei Dreierprüfausschüssen wäre es auch seltsam, von einer „Abbildung der Gesellschaft“ zu sprechen. Ähnliches gilt für die Rechnungslegungsprüfstelle. Hier ist schon der Trägerverein der Selbstkontrolle pluralistisch besetzt; die Mitglieder haben aber (außer bei der Wahl) keine Einflussmöglichkeit auf die Tätigkeit der Prüfer, die wiederum als neutrale objektive Sachverständige agieren.

182

Hoffmann-Riem, AöR 130 (2005), 5 (35); Puppis, Künzler u. a., Selbstregulierung,

S. 70. 183 Ritter, in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem, Verwaltungsorganisationsrecht, S. 207 (231); Schmidt-Preuß, Gemeinwohl, 19 (21). 184 Lackner, Gewährleistungsverwaltung, S. 172.

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3. Teil: Europa- und verfassungsrechtlicher Rahmen

Der pluralistischen Besetzung von Selbstregulierungseinrichtungen wird ohnehin zum Teil die Fähigkeit abgesprochen, zur Verwirklichung des Demokratieprinzips beizutragen. Die Vertreter der verschiedenen Gruppen würden nur die Interessen ihrer Gruppe vertreten und nicht das Allgemeinwohl 185. Auf jeden Fall muss darauf geachtet werden, in welchen Fällen der Selbstregulierung eine pluralistische Besetzung der Selbstregulierungseinrichtung der ihr vom Gesetzgeber übertragenen Aufgabe angemessen ist. Soweit es sich um die Setzung von Normen handelt, die auf Wertungen, Kompromissen, dem Ausgleich von Interessen beruhen, ist die Beteiligung einer Vielzahl verschiedener, auch gegensätzlicher Interessen sinnvoll. In den vorliegend untersuchten Gebieten verfolgt die Regulierte Selbstregulierung jedoch einen ganz anderen Zweck: Hier hat der staatliche Gesetzgeber bzw. der Gemeinschaftsgesetzgeber jeweils detaillierte gesetzliche Standards geschaffen und allein deren Durchsetzung der Regulierten Selbstregulierung überlassen. Geht es demnach um Fragen der Anwendung von (inhaltlich bestimmten und detaillierten) Gesetzen, die von einem demokratisch legitimierten und in erster Linie zu Wertungen, Kompromissen und dem Ausgleich von Interessen berufenen Parlament erlassen wurden, bleibt bei der Gesetzesanwendung durch die Anerkannten Stellen für eigene Wertungen und Kompromisse eines Gremiums, das nur einzelne Sonderinteressen vertritt, kein Raum mehr. Damit soll nicht bestritten werden, dass auch die Subsumtion eines Sachverhalts unter eine Rechtsvorschrift oft noch Wertungen enthält. Diese Wertung dient aber nicht mehr dazu, Interessen der Betroffenen zu ermitteln und durchzusetzen, sondern dazu, zu ermitteln, welcher Wille des Gesetzgebers sich in der Norm, unter die zu subsumieren ist, ausdrückt 186. Schließlich wird auch bei gesetzesvollziehenden Behörden keine pluralistische Binnenstruktur oder demokratische interne Willensbildungen verlangt. Hat das Parlament beispielsweise bestimmt, welchen Anforderungen eine Bilanz zu genügen hat, darf ein Prüfer bei der Subsumtion unter die HGB-Vorschriften nicht darauf abstellen, welche Interessen die Banken, Gewerkschaften oder Wirtschaftsprüfer dabei haben. Daraus ergibt sich aber gleichzeitig, dass auch die Selbstregulierungseinrichtungen durch die detaillierten Gesetze, die sie durchzusetzen haben, eine ähnliche sachlich-inhaltliche demokratische Legitimation besitzen, wie die staatliche Ministerialverwaltung. Zwar kann eine übergeordnete staatliche Stelle die Anerkannten Stellen nicht anweisen, wie ein Gesetz anzuwenden ist oder im Falle der „Schlechterfüllung“ eine Änderung der Entscheidung anordnen; sind die Entscheidungen 185

Di Fabio, Produktharmonisierung, S. 116 ff. Ähnlich Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, S. 423: Demokratieprinzip und Beteiligung gesellschaftlicher Gruppen sind nicht miteinander vereinbar, denn die Vertreter der Gruppen sind personell nicht legitimiert und eine sachlich-inhaltliche Legitimation per Gesetz und Weisung ist erst recht nicht möglich. Die Beteiligung gesellschaftlicher Gruppen mache keinen Sinn, wenn deren Vertreter dann Weisungen oder einer strikten Gesetzesbindung unterlägen. 186

§ 9 Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip

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allerdings unvertretbar, können staatliche Stellen immer noch eigene Entscheidungen treffen und müssen daher nicht die Anerkannten Stellen anweisen, ihre Entscheidungen zu ändern. Zu dieser in Ansätzen bestehenden sachlichen Legitimation kommt immerhin eine gewisse personelle Legitimation hinzu. Zum einen ist für alle Selbstregulierungseinrichtungen die staatliche Anerkennung konstitutiv. Im Bilanzkontrollrecht müssen sogar noch die einzelnen Prüfer vom Bundesjustizministerium bestätigt werden. Eine „Ernennung“ durch demokratisch legitimierte Stellen ist daher in gewissem Sinne gegeben. Außerdem wird die Tätigkeit der Anerkannten Stellen überwacht und die „Ernennung“ kann bei schlechter Leistung, das heißt einer solchen, die den Willen des Gesetzgebers nicht ausreichend umsetzt, rückgängig gemacht werden. Am deutlichsten zeigt sich diese Art der personellen Legitimation bei der Prüfstelle für Rechnungslegung; diese muss vom Bundesjustizministerium selbst anerkannt werden, das heißt der dem Parlament direkt verantwortliche Minister ist auch unmittelbar für die Ernennung und die „Entlassung“ der Stelle verantwortlich, die das Gesetz umsetzt. Stellt man auf die Letztentscheidungskompetenz und das Zugriffsrecht des Staates ab, sind diese Anforderungen in den meisten Referenzbereichen umgesetzt worden. Im Jugendmedienschutz, Bilanzkontrollrecht und beim Umweltaudit bestehen staatliche Behörden, die bei groben Fehlentscheidungen oder beim Ausfall der Selbstregulierungseinrichtungen eigene Entscheidungen treffen können; gleichzeitig werden die Anerkannten Stellen beaufsichtigt und ihre Anerkennung im Falle der Schlechterfüllung aufgehoben. Auch im Produktsicherheitsrecht können die Marktüberwachungsbehörden das Prüfergebnis der Benannten Stellen widerlegen; vor allem aber besteht ebenfalls eine Aufsicht über die Stellen und kann ihre Anerkennung aufgehoben werden. Ein Problem, das sich bei der Selbstregulierung immerhin nicht stellt, ist das der demokratischen Mitwirkungsgleichheit 187: Soweit der Gesetzgeber selbst bestimmt, welche gesellschaftlichen Gruppen in einem Gremium oder Beirat vertreten sein sollen, kommt es beinahe zwangsläufig zu einer Diskriminierung entweder ganzer Interessengruppen, die nicht vertreten sind, oder von einzelnen Verbänden, die nicht berücksichtigt wurden. Wenn sich die Betroffenen und Interessierten selbst organisieren, kommt zumindest der Staat nicht in Gefahr, Ungleichbehandlungen vorzunehmen.

Die Transparenz und Öffentlichkeit der Verfahren ist ebenfalls nicht umfassend gewährleistet, kann und braucht dies aber auch nicht zu sein. Die Prüf- und Beschwerdeordnungen der Anerkannten Stellen sind alle öffentlich zugänglich, meist auch im Internet veröffentlicht. Beteiligungsrechte der direkt Betroffenen (das heißt der Anbieter) sind immer vorgesehen, schon allein, weil die Initiative meist von diesen ausgeht (außer im Bilanzkontrollrecht). Für die Anbieter ist das Prüfverfahren auch transparent, entweder weil sie es selbst durch Satzung 187

Dazu Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, S. 396 ff.

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3. Teil: Europa- und verfassungsrechtlicher Rahmen

oder Vertrag mitbestimmt haben (so haben die Fernsehsender selbst die FSFPrüfordnung beschlossen) oder weil die Anerkannte Stelle ohne Mitwirkung der Anbieter nicht agieren kann und diese daher auf Transparenz bestehen können. Öffentlichkeit oder Beteiligung Dritter macht hingegen in den untersuchten Bereichen wenig Sinn. Drittbetroffene im engeren Sinn gibt es nicht: Die Ausstrahlung von Fernsehsendungen oder Telemedien trifft niemanden speziell, ebenso wenig wie die Veröffentlichung von Bilanzen. Das Inverkehrbringen eines gefährlichen Produkts betrifft alle Verbraucher gleichermaßen. Lediglich beim Umweltaudit eines bestimmten Unternehmensstandorts könnte man eine besondere Betroffenheit von Nachbarn oder Anwohnern annehmen. Das Umweltaudit ändert aber nichts an nachbarschützenden Verfahrens- oder materiellen Vorschriften, so dass die Anwohner ihre Rechte gegenüber den Umweltbehörden nach wie vor ungeschmälert geltend machen können. Eine generelle Beteiligung der Öffentlichkeit oder der Gesellschaft hingegen wäre übertrieben. Ob ein bestimmter Film um 20:00 Uhr oder um 21:00 Uhr ausgestrahlt werden darf, ob eine bestimmte Bilanzposition in der Rechnungslegung eines Unternehmens um eine bestimmte Summe zu hoch angesetzt ist oder nicht, ist keine Frage von grundsätzlicher Tragweite, die im Rahmen einer öffentlichen Debatte geklärt werden müsste. Bei Regulierter Selbstregulierung zur Durchsetzung staatlicher Gesetze hat die Beteiligung der Öffentlichkeit schon zu einem viel früheren Zeitpunkt statt gefunden, nämlich bei der Entscheidung des Gesetzgebers über die Standards, die die Anerkannte Stelle vollziehen soll. Wenn eine Behörde Gesetze anwendet, ist schließlich eine Öffentlichkeitsbeteiligung auch nicht durch das Demokratieprinzip geboten.

D. Ergebnis zum Demokratieprinzip Vereinzelt wird angenommen, Regulierte Selbstregulierung sei sogar eine Möglichkeit, das Demokratieprinzip besser zu verwirklichen als durch die traditionelle Ministerialverwaltung: Staatlich gesetzte Konditionalnormen würden ohnehin nicht mehr funktionieren, so dass der Gesetzgeber immer mehr Finalprogramme und Generalklauseln erlassen müsse, die der Verwaltung alle Freiheit bei der Erfüllung ließen; die Beteiligung der Betroffenen könnte diese Lücken in der demokratischen Legitimation wenigstens etwas mildern 188. Die untersuchten Referenzgebiete zeigen, dass Regulierte Selbstregulierung jedoch keineswegs darin bestehen muss, dass der Gesetzgeber nur Finalprogramme und Generalklauseln erlässt; die ausdifferenzierten materiellen Anforderungen im JMStV oder HGB beweisen das Gegenteil. Insofern bestehen auch keine Lücken in der demokratischen Legitimation, die durch die Betroffenen ausgefüllt werden müssten oder könnten.

188

Rossen-Stadtfeld, AfP 2004, 1 (3).

§ 9 Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip

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Das Demokratieprinzip stellt in den Bereichen Jugendmedienschutz, Bilanzkontrollrecht und Umweltaudit kein Hindernis für die konkrete Ausgestaltung der Regulierten Selbstregulierung dar. Der demokratisch legitimierte Gesetzgeber hat die Gebiete durch detaillierte materielle Anforderungen ausreichend geregelt. Die Anerkannten Stellen werden hoheitlich überwacht und für den Fall dauerhafter Schlechterfüllung kann die Anerkennung wieder entzogen werden. Unvertretbare Entscheidungen entfalten keine öffentlichrechtliche Wirkung bzw. berechtigen die Behörden, eigene Entscheidungen zu treffen. Außerdem ist kein Anbieter verpflichtet, sich der Selbstkontrolle zu unterwerfen. Etwas abweichend stellt sich die Situation im Produktsicherheitsrecht dar. Zum einen hat der (europäische) Gesetzgeber nur die grundlegenden Sicherheitsanforderungen an Produkte festgelegt und überlässt die detaillierte Ausgestaltung den privaten Normungsorganisationen. Gleichzeitig ist die Beteiligung einer Anerkannten Stelle für den Anbieter obligatorisch. Die Problematik der Normsetzung wurde bereits oben unter § 9 B. II. behandelt. In Bezug auf die Pflicht zur Beteiligung einer Anerkannten Stelle trägt zur demokratischen Legitimation bei, dass eine Anerkennung, Überwachung und mögliche „Entlassung“ der Anerkannten Stellen durch demokratisch legitimierte staatliche Stellen statt findet. Abschließend noch ein weiterer Aspekt, mit dem dem Demokratieprinzip in allen Referenzgebieten Rechnung getragen wird: Dem (deutschen oder europäischen) Gesetzgeber obliegt jeweils eine Beobachtungspflicht, ob das von ihm installierte System der Regulierten Selbstregulierung ordnungsgemäß und zufrieden stellend funktioniert; erfüllt es die Erwartungen nicht, kann der Gesetzgeber das System ändern und zum Beispiel (wieder) auf einen rein staatlichen Gesetzesvollzug umschwenken. Dieser Beobachtungspflicht kommt der Gesetzgeber auch nach, wie zum Beispiel die gesetzlich verankerte Evaluierung in § 20 Abs. 7 JMStV zeigt oder auch Untersuchungen der Europäischen Kommission zur Wirksamkeit der Neuen Konzeption oder des Umweltaudits 189. Der Gesetzgeber hat sich seiner Verantwortung nicht entledigt, die Aufgaben sind dem Zugriff des Staates nicht endgültig entzogen worden; sollte der „Wille des Volkes“ dahingehen, dass Filme oder Bilanzen zukünftig allein durch Beamte der Ministerialverwaltung geprüft werden, steht einer entsprechenden Gesetzesänderung (rechtlich) nichts entgegen.

E. Rechtsstaatsprinzip Wie bei all seinem Handeln hat der Staat auch bei der Einführung der Regulierten Selbstregulierung das Rechtsstaatsprinzip zu beachten. Hauptsächlich werden unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten dieselben Aspekte problematisiert wie beim Demokratieprinzip, so etwa die ausgewogene Besetzung der privaten Stel189

S. z. B. Bericht der Kommission KOM (2004), 745 endg. zum Umweltaudit.

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3. Teil: Europa- und verfassungsrechtlicher Rahmen

len oder die staatliche Beobachtungs-, Zugriffs- und Nachbesserungspflicht 190 (dazu schon oben § 9 C. II.). Besondere Betonung wird aber meist auf die Verfahrensaspekte gelegt 191; die Prozeduralisierung soll der rechtsstaatlichen Sicherung dienen 192, transparente Entscheidungsfindung unter Beteiligung möglichst aller Betroffenen sei daher geboten (dazu schon oben § 9 C. II.). Transparenz und Offenheit müsse aber nicht nur gegenüber den Betroffenen bestehen; auch der Staat sei in das Verfahren einzubinden. Vor allem bei Entscheidungen sachverständiger oder „wertpluralistisch“ besetzter Gremien, deren Entscheidungen die Verwaltung nicht ohne weiteres nachvollziehen könne, müsse der Staat umfassend informiert werden, vor allem durch Beteiligung staatlicher Vertreter in den Gremien oder umfangreiche Dokumentationspflichten 193. Zu Transparenz und Öffentlichkeit ist oben bereits das Nötige gesagt worden. Die unerlässliche Information des Staates müsste eigentlich im Rahmen der Aufsicht über die Anerkannten Stellen erfolgen; dass dies zum Teil unzureichend geregelt wurde, ist bereits mehrfach kritisiert worden. Eine weitere Problematik der Regulierten Selbstregulierung in Bezug auf das Rechtsstaatsprinzip wird im Bestimmtheitsgebot gesehen. Regulierte Selbstregulierung bedinge geradezu eine größere Unbestimmtheit der gesetzlichen Regelungen 194. Allerdings könne diese größere Unbestimmtheit hingenommen werden, wenn dadurch neue Handlungsmöglichkeiten und bessere Problemlösungen erreicht werden könnten 195. Dazu ist zu bemerken, dass Regulierte Selbstregulierung keineswegs zwangsläufig „unbestimmtere“ Gesetze nach sich zieht. Bestes Beispiel ist der Jugendmedienschutz, wo zwar mit dem JMStV die Regulierte Selbstregulierung neu eingeführt, gleichzeitig aber ein ganzer Staatsvertrag mit detaillierten und differenzierenden Vorschriften an die Stelle der alten Regelung in einem einzigen Paragraphen (§ 3 RStV a. F.) tritt. Auch den sehr ausführlichen europäischen Richtlinien der Neuen Konzeption mit seitenlangen Legaldefinitionen und zahlreichen Anhängen kann man große Unbestimmtheit kaum vorwerfen. Die Bilanzvorschriften im HGB werden ebenfalls immer ausführlicher. Dies erklärt sich auch dadurch, dass in den untersuchten Gebieten Regulierte Selbstregulierung nicht dazu dient, gesellschaftliche Wertungen zu übernehmen, sondern den in Wirtschaft und Gesellschaft vorhandenen Sachverstand zu aktivieren. Sach-

190

Eifert, DV 4 (2001), 141; Rossen-Stadtfeld, AfP 2004, 1 (5); Schmidt-Preuß, Gemeinwohl, 19 (21). 191 Ladeur, ZUM 2002, 859 (866); Voßkuhle, in: Schuppert (Hrsg.), Jenseits von Privatisierung, S. 47 (65 f.). 192 Hoffmann-Riem, AöR 130 (2005), 5 (36). 193 Trute, DVBl 1996, 950 (961). 194 Hoffmann-Riem, AöR 130 (2005), 5 (40). 195 Hoffmann-Riem, AöR 130 (2005), 5 (40).

§ 10 Staatliche Pflichten zum Schutz der Anbieter

351

verstand braucht aber relativ klare und eindeutige Vorgaben, anhand derer ein bestimmter „Gegenstand“ geprüft werden kann. Zur Rechtfertigung der Regulierten Selbstregulierung vor dem Hintergrund des Rechtsstaatsprinzips ist aber auch festzustellen, dass eine zweckmäßige und effektive Aufgabenerfüllung, vor allem ein wirksamer Gesetzesvollzug, rechtsstaatlich gerade geboten ist 196. Wenn Regulierte Selbstregulierung zu einer solchen effektiven Gesetzesdurchsetzung beiträgt, ist sie daher nicht nur rechtsstaatlich unbedenklich, sondern trägt sogar zu einer besseren Verwirklichung des Rechtsstaatsprinzips bei.

§ 10 Staatliche Pflichten zum Schutz der Anbieter gegen Selbstregulierung Das Risiko der Selbstregulierung liegt nicht nur darin begründet, dass sie zu ineffektiv oder gar nicht ausgeübt wird, sondern es kann auch die Gefahr bestehen, dass die Selbstkontrolle zu intensiv wird und die Beteiligten durch diese private Macht unverhältnismäßig in ihren Freiheiten beschränkt werden; der Staat ist daher auf Grund der Schutzpflichten aus den betroffenen Grundrechten der Anbieter gehalten, die Selbstkontrolle nicht nur auf ein Unterschreiten, sondern auch auf ein Überschreiten ihrer Befugnisse zu kontrollieren 197. Keine Rolle spielt dies, so lange die Beteiligung freiwillig ist bzw. die Anbieter nicht an das Urteil der Anerkannten Stelle gebunden sind. Fernsehsender müssen ihre Sendungen der FSF nicht vorlegen und auch wenn sie es getan haben, müssen sie eine ihrer Meinung nach zu strenge Entscheidung der FSF nicht befolgen. Auch die vereinsinterne Pflicht zur Vorlage und Befolgung der Entscheidung kann durch einen – ohne weiteres möglichen – Vereinsaustritt beseitigt werden. Setzte die FSF generell zu strenge Maßstäbe oder erließe sie des Öfteren unverhältnismäßige Entscheidungen, würden die Fernsehsender nicht mehr mitwirken (wozu sie gesetzlich auch nicht verpflichtet sind) und die Selbstregulierung wäre damit beendet. Selbiges gilt für das Umweltaudit, wo zu strenge Umweltgutachter keine Aufträge mehr erhalten würden. Im Bilanzkontrollrecht ist die DPR ohnehin bei jeder einzelnen Prüfung auf die Kooperation der Anbieter angewiesen. Bedeutung erlangt der Schutz der Anbieter gegen die Anerkannte Stelle daher nur im Produktsicherheitsrecht, wo die Unternehmer eine Zertifizierung durch eine Benannte Stelle beantragen müssen, wenn sie ihr Produkt in Verkehr bringen wollen. Staatliche Stellen, die ein Produkt genehmigen müssten, wären an 196

Trute, DVBl 1996, 950 (956); Di Fabio, Produktharmonisierung, S. 104 f. Schmidt-Aßmann, Beiheft 4 DV 2001, 253 (263): staatliche Regulierung muss der Selbstregulierung um des Schutzes ihrer eigenen Mitglieder willen Grenzen setzen. 197

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3. Teil: Europa- und verfassungsrechtlicher Rahmen

die gesetzlichen Vorgaben der Richtlinien und der Umsetzungsgesetze gebunden; würden sie schärfere Anforderungen an ein Produkt stellen als gesetzlich vorgeschrieben, könnte der Hersteller Verpflichtungsklage auf Erteilung der Genehmigung zu den vorgeschriebenen Voraussetzungen erheben. Sollte eine private Benannte Stelle zu hohe Anforderungen stellen, ist dieser Weg versperrt. Allerdings hat sich die Benannte Stelle vertraglich verpflichtet, ein Zertifikat zu erteilen, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind; der Unternehmer kann also eine dementsprechende Leistungsklage bei den Zivilgerichten erheben. Außerdem kann er Schadensersatz wegen Vertragsverletzung geltend machen, wenn die Benannte Stelle ihren Verpflichtungen nicht nachkommt. Schließlich kann er dieses Vorgehen der Benannten Stelle an die staatliche Aufsicht melden, die daraufhin über einen Entzug der Anerkennung entscheiden kann, weil die Benannte Stelle nicht die Gewähr dafür bietet, dass sie ihre Aufgaben ordnungsgemäß erfüllt. Mit der Bereitstellung des Zivilvertrags- und Schadensersatzrechts, der Zivilgerichtsbarkeit und der staatlichen Aufsicht über die Benannten Stellen bestehen somit ausreichende staatliche Vorkehrungen, um die Freiheit der Hersteller auch gegenüber den Anerkannten Stellen zu sichern. Im weitesten Sinne zum Schutz der eigenen Rechte taugt auch die Beteiligung der Betroffenen an der Anerkannten Stelle. Auch wenn die Mitgliederversammlungen nur einen sehr geringen Einfluss auf die Prüftätigkeit ausüben, kann doch damit den gröbsten Fehlentwicklungen entgegengesteuert werden. Dann muss aber auch jedem potenziell betroffenen Anbieter die Beteiligung an den Anerkannten Stellen offen stehen. Dies funktioniert naturgemäß nicht bei den Anerkannten Stellen im Umweltaudit- und Produktsicherheitsrecht, die als eigenständige Wirtschaftssubjekte agieren; dafür existiert hier eine Vielzahl Anerkannter Stellen, die zueinander in Wettbewerb stehen, so dass eine Abschottung gegenüber einem bestimmten Anbieter nicht möglich ist. Die Prüfstelle für Rechnungslegung wird von Berufs- und Interessenverbänden getragen, die wiederum den entsprechenden Unternehmen offen stehen. Auch FSF e. V. und FSM e. V. sind – zumindest für deutsche Anbieter – offen. Jeder Anbieter kann somit in gewissem Umfang entweder als Mitglied der Anerkannten Stelle oder durch Auswahl zwischen verschiedenen Anerkannten Stellen auf deren Arbeit Einfluss nehmen und krasses Fehlverhalten sanktionieren oder abstellen und damit seine Rechte wahren.

§ 11 Ergebnis des Dritten Teils: Verfassungs- und europarechtliche Anforderungen an Regulierte Selbstregulierung Zusammenfassend kann festgestellt werden: Regulierte Selbstregulierung ist in der derzeitigen Ausgestaltung in den untersuchten Referenzbereichen verfassungsrechtlich und europarechtlich weitgehend unbedenklich. Solange kein Anbieter

§ 11 Ergebnis des Dritten Teils

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gezwungen ist, seine Produkte der Prüfung durch Anerkannte Stellen zu unterwerfen, sind seine Freiheitsrechte (sowohl aus dem GG, aus der EMRK, aus den Grundfreiheiten des EGV als auch aus den europäischen Grundrechten) nicht tangiert. Und selbst bei zwangsweiser Einbindung Anerkannter Stellen ist deren Beteiligung grundsätzlich rechtfertigungsfähig und zudem generell ein geringerer Eingriff als eine Kontrolle durch staatliche Behörden. Aus Sicht des Rechtsstaats- und Demokratieprinzips aber auch zum Schutz der Grundrechte der Betroffenen ist durchgängig die Beteiligung und Aufsicht des Staates erforderlich aber auch vorhanden. Zum einen erlässt der Gesetzgeber die materiellen Anforderungen, zu deren Kontrolle private Stellen eingeschaltet werden 198; daneben bestehen hoheitliche Aufsichtsstellen, die die privaten Stellen anerkennen und überwachen müssen und deren Anerkennung entziehen können sowie im Falle des Versagens der Anerkannten Stelle selbst den Gesetzesvollzug übernehmen. Vorsicht ist geboten bei zu strengen und detaillierten Anforderungen an die Ausgestaltung und Arbeit der Selbstregulierungseinrichtungen. Selbstregulierung besteht gerade daraus, dass die Betroffenen oder andere Wirtschaftsteilnehmer ihre grundrechtlichen Freiheiten ausüben. Dem Staat beziehungsweise der Europäischen Gemeinschaft ist es daher verwehrt, interne Gremienbesetzungen, Verfahrensvorschriften oder Beteiligungsrechte festzulegen. Sie können nur festlegen, unter welchen Voraussetzungen Entscheidungen dieser Selbstregulierungseinrichtungen als für sie (bzw. ihre Behörden) verbindlich zu akzeptieren sind. Auch diese Voraussetzungen dürfen aber nicht so streng sein, dass im Endeffekt die Selbstregulierungseinrichtungen wie staatliche Stellen behandelt werden, denn diese Republifizierung würde die Vorteile der Selbstregulierung zunichte machen und vor allem den Anreiz zur Selbstregulierung beseitigen. Grundrechte und Verfassungsprinzipien lassen dem Gesetzgeber grundsätzlich einen sehr weiten Spielraum (gleiches gilt für die Anforderungen des europäischen Primärrechts und der europäischen Grundrechte für den europäischen Gesetzgeber), welche Gesetze er erlässt und wie er sie durchsetzt. Regulierte Selbstregulierung ist Teil dieses weiten Gestaltungsspielraums. Lediglich wenn der nationale oder europäische Gesetzgeber beispielsweise in besonders grundrechtssensiblen Bereichen die Entscheidungen privater Stellen als unbedingt verbindlich bezeichnen würde, ohne dass diese privaten Stellen zuvor anerkannt worden wären oder staatlicher Aufsicht unterliegen würden, hätte er diesen Gestaltungsspielraum überschritten und wäre die konkrete Ausgestaltung der Regulierten Selbstregulierung mit europäischen und/oder deutschen Grundrechten unvereinbar. 198 S. Voßkuhle, in: Schuppert (Hrsg.), Jenseits von Privatisierung, S. 47 (84): Private Kontrollverantwortung ist bei ausgeprägter staatlicher Maßstabsverantwortung eher akzeptabel.

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3. Teil: Europa- und verfassungsrechtlicher Rahmen

Auch das europäische Recht steht Regulierter Selbstregulierung nicht entgegen. Die europäischen Grundrechte (bzw. die der EMRK) und Grundfreiheiten als Schutzrechte der von Selbstregulierung betroffenen Anbieter bieten keinen weitergehenden Schutz als die Grundrechte des GG. Selbstregulierung auf freiwilliger Basis stellt schon keine Beeinträchtigung dar, obligatorische Selbstregulierung kann auch vor den europäischen Freiheitsrechten prinzipiell gerechtfertigt werden. Einen zusätzlichen Aspekt bringen nur die europäischen Diskriminierungsverbote, wie sie beispielsweise den Grundfreiheiten des EGV zu entnehmen sind: Abgeschottete nationale Systeme Regulierter Selbstregulierung, die Anbietern oder Anerkannten Stellen aus dem europäischen Ausland keinen Zugang gewähren, sind europarechtswidrig 199. Die Schutzpflichten und Handlungsaufträge aus europäischem Primärrecht stellen ebenfalls keine weitergehenden Anforderungen als das nationale Recht. Ob europäisches Sekundärrecht derart umgesetzt werden kann, dass eine Rechtsdurchsetzung im Wege Regulierter Selbstregulierung erfolgt, hängt von der konkreten Ausgestaltung des Sekundärrechts ab. Wie die Einführung Regulierter Selbstregulierung durch das Globale Konzept der EG-Kommission im Produktsicherheitsrecht oder durch die EMAS-VO zeigt, ist Regulierte Selbstregulierung im Bereich von EG-Richtlinien oder EG-Verordnungen aber nicht prinzipiell ausgeschlossen. Bei richtiger Ausgestaltung kommt Regulierte Selbstregulierung demnach grundsätzlich nicht in Konflikt mit dem Grundgesetz oder dem europäischen Primärrecht.

199

Zur deshalb bedenklichen Rechtslage im Jugendmedienschutz s. o. § 3 B. II. 2. b) aa), § 8 C. I.

4. Teil

Strukturen der Regulierten Selbstregulierung Die oben dargestellten Referenzgebiete entstammen sehr unterschiedlichen Bereichen. Trotzdem lassen sich beim jeweiligen Einsatz der Regulierten Selbstregulierung Gemeinsamkeiten erkennen, die zur Frage nach gemeinsamen Strukturen und Typen führen 1. Von Interesse sind allerdings auch gerade die Unterschiede: Sind diese durch den unterschiedlichen Realbereich bedingt, durch verschiedene verfassungs- und europarechtliche Vorgaben, hat der Gesetzgeber nur unsystematisch und ohne übergreifendes Konzept agiert oder wollte er verschiedene Formen Regulierter Selbstregulierung und ihre Wirksamkeit ausprobieren? Um die Gemeinsamkeiten und Unterschiede besser darstellen zu können, soll im Folgenden eine einheitliche Terminologie verwendet werden. Mit dem Begriff „Anbieter“ werden sowohl die Rundfunksender, die Anbieter von Telemedien, die Hersteller von Produkten, die unter das Neue Konzept fallen, Betreiber von Unternehmen mit Umweltauswirkungen und rechnungslegungspflichtige Unternehmen bezeichnet. Die Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften durch ihr jeweiliges Produkt oder ihre jeweilige Dienstleistung ist es, die im Wege Regulierter Selbstregulierung sichergestellt werden soll. Die Überwachung und Prüfung wird von „Anerkannten Stellen“ durchgeführt, was die anerkannten Einrichtungen der Freiwilligen Selbstkontrolle, die Benannten Stellen des Globalen Konzepts, die Umweltgutachter und die Prüfstelle für Rechnungslegung umfasst. Wenn nachfolgend von „Produkt“ die Rede ist, so ist damit jeweils das gemeint, was von den Anerkannten Stellen geprüft wird, also Fernsehsendungen, Telemedien und Produkte, die unter das Neue Konzept fallen, aber auch das Unternehmen selbst (beim Umweltaudit) bzw. dessen Bilanzen. „Verbraucher“ schließlich ist derjenige, für den das Produkt bestimmt ist, also der Fernsehzuschauer, derjenige, der Telemedien in Anspruch nimmt, der Käufer von gefährlichen Produkten und derjenige, der Bilanzen in irgend einer Weise verwendet (als Anleger, Berater, Investor, Kreditgeber etc.). Lediglich beim Umweltaudit, wo nur das Unternehmen selbst bewertet wird, gibt es keinen direkten Kunden, der die Leistung „Umweltfreundlichkeit des Unternehmens“ in Anspruch nimmt.

1

Rossen-Stadtfeld, AfP 2004, 1 (3).

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4. Teil: Strukturen der Regulierten Selbstregulierung

Die folgenden Ausführungen könnten ein Beitrag zur Entwicklung eines „Gewährleistungsverwaltungsrechts“ sein, enthalten sie doch Hinweise auf allgemeine Strukturen und Vorkehrungen, die der Staat (vor allem der Gesetzgeber) trifft und treffen muss, um Selbstregulierung für die Erfüllung öffentlicher Aufgaben nutzbar zu machen. Verdeutlicht werden sollen gemeinsame Strukturen Regulierter Selbstregulierung in den untersuchten Referenzgebieten und darüber hinaus sowie Mindestbedingungen und Grenzen für das Funktionieren dieses Systems (5. Teil). Aufgezeigt werden sollen verallgemeinerungsfähige Konzepte und Prinzipien, die auf andere Bereiche Regulierter Selbstregulierung übertragbar sind und Anhaltspunkte für die Möglichkeit und die Ausgestaltung bei der Einführung neuer Anwendungsfälle Regulierter Selbstregulierung liefern. Zu diesem Zwecke sollen im Vierten Teil zusammenfassend und von der jeweiligen Einzelausgestaltung abstrahierend diejenigen Punkte noch einmal hervorgehoben und vergleichend dargestellt werden, die das Wesen Regulierter Selbstregulierung ausmachen. Diese Punkte sollten sich in derselben oder ähnlicher Form in allen Bereichen Regulierter Selbstregulierung finden; sie können deshalb als allgemeines Beurteilungsschema oder -muster dienen. An erster Stelle zu untersuchen sind dabei die beteiligten Akteure, das heißt vor allem die Anerkannte Stelle und die hoheitliche Aufsicht. Ihre jeweilige rechtliche Stellung, ihre Aufgaben und Befugnisse sowie die interne Organisation der Anerkannten Stellen sind wichtige Funktionsbedingungen der rechtlichen Ordnung des zu regelnden Lebensbereichs. Gleichzeitig soll die Multipolarität in den betroffenen Realbereichen deutlich werden. Regulierte Selbstregulierung bildet (mindestens) ein Beziehungsviereck zwischen Staat, Anerkannter Stelle, Anbieter und Verbraucher, wobei die Rechtsbeziehung zwischen zweien dieser Akteure Aus- und Rückwirkungen auf die jeweils anderen Beziehungen hat. So gilt es vor allem, Fragen des Rechtsschutzes und der Haftung für Fehlverhalten der Beteiligten nachzugehen. Des Weiteren soll auf Aspekte des Verhältnisses von Staat und Gesellschaft beziehungsweise Wirtschaft eingegangen werden, die in Tätigkeit und Position der Anerkannten Stellen besonders deutlich zum Ausdruck kommen. Dabei geht es zum einen um die gezielte Einbindung der Tätigkeit privater Stellen in öffentlichrechtliche Normkomplexe und die Reichweite ihrer Entscheidungen. Als notwendiges Korrelat und als Ausgleich für die Einbeziehung Privater in die Durchsetzung öffentlichrechtlicher Normen folgt eine hoheitliche Überwachung der Privaten; Befugnisse und Kooperationen in diesem Überwachungsverhältnis sind ebenfalls zu analysieren. Auf Grund der oben dargestellten Handlungspflichten des Staats aus europa- und verfassungsrechtlichen Gründen stellt sich des Weiteren die Frage nach den Mitteln und Methoden der staatlichen Gewährleistung der ordnungsgemäßen Aufgabenerfüllung durch die privaten Stellen. Qualitätsvorgaben für Anerkannte Stellen

§ 12 Stellung und Aufgabe der Anerkannten Stellen

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sowie Anerkennung und Überwachung durch Hoheitsträger sind Möglichkeiten des Staates sicherzustellen, dass privates Handeln ein funktionales Äquivalent zum Gesetzesvollzug durch staatliche Behörden bildet. Überlegungen zu Stärken und Schwächen Regulierter Selbstregulierung in den untersuchten Referenzgebieten und die grundsätzlichen Vorteile und Fähigkeiten sowie auch Nachteile dieses Steuerungsmechanismus sollen schlussendlich im Fünften Teil dargestellt werden.

§ 12 Stellung und Aufgabe der Anerkannten Stellen A. Öffentlichrechtliche Wirkungen der Tätigkeit Anerkannter Stellen Bei den privaten Akteuren der Regulierten Selbstregulierung ergänzen sich das Zivilrecht und das Öffentliche Recht. Ersteres regelt das Verhältnis der Anerkannten Stellen zu den an der Selbstregulierung teilnehmenden Anbietern und die Grundlage auf Grund derer die private Anerkannte Stelle ihre (privatrechtliche) Entscheidung trifft. Interessant und zur Regulierten Selbstregulierung wird das System aber erst durch die Einbindung dieser Selbstregulierung in das Öffentliche Recht. Diese kann entweder über öffentlichrechtliche Wirkungen ihrer Entscheidungen erfolgen oder über die Einbindung in ein öffentlichrechtliches Verfahren. I. Wirkungen der Entscheidung einer Anerkannten Stelle (präventiv) Die Anerkannten Stellen führen ein Prüf- oder Kontrollverfahren durch, das mit einer (privatrechtlichen) Entscheidung endet, die eine Feststellung darüber enthält, ob das Produkt die zu prüfenden gesetzlichen Vorgaben einhält. Diese Entscheidung kann die Erteilung des Umweltaudits, die Zertifizierung eines Produkts, die Freigabe einer Sendung für eine bestimmte Sendezeit oder die Bestätigung der Richtigkeit einer Bilanz sein. Diese privaten Entscheidungen bilden ein Äquivalent zu öffentlichrechtlichen Entscheidungen über die Gesetzeskonformität wie zum Beispiel Baugenehmigung, Gaststättenerlaubnis oder Gewerbekonzession. Diese verwaltungsrechtlichen Genehmigungen sind im jeweiligen Rechtsgebiet (Baurecht, Gaststättenrecht, Gewerberecht) gesetzlich verpflichtend vorgeschrieben, will der Private die entsprechende Tätigkeit ausüben (präventives Verbot mit Erlaubnisvorbehalt). Diese Struktur kann auf die privaten Entscheidungen der Selbstregulierungseinrichtungen nicht ohne weiteres übertragen werden. Lediglich im Produktsicherheitsrecht kommt ihnen eine echte Freigabewirkung in dem Sinne zu, dass es einer positiven Entschei-

358

4. Teil: Strukturen der Regulierten Selbstregulierung

dung der Anerkannten Stelle bedarf, bevor das Produkt auf den Markt gebracht werden darf. Ansonsten dürfen Unternehmen auch ohne Umweltaudit betrieben werden, Sendungen ohne Prüfung durch die FSF ausgestrahlt werden, Bilanzen ohne Testat der DPR veröffentlicht werden. Der Gesetzgeber hat die Regulierte Selbstregulierung also nicht durchgehend so ausgestaltet, dass eine Prüfung durch die Selbstregulierungseinrichtung vor dem Inverkehrbringen des Produkts und damit vor einer möglichen Gefährdung zwingend vorgeschrieben wäre. Wäre eine solche Befassung obligatorisch, könnte der Gesetzgeber die Tätigkeit der hoheitlichen Aufsicht beispielsweise darauf beschränken, bei allen Produkten rein formal zu kontrollieren, ob sie von einer Anerkannten Stelle freigegeben wurden; eine eigene Prüfung oder Bewertung des Produkts wäre nicht notwendig (beziehungsweise nur in Fällen erheblicher Zweifel an der ordnungsgemäßen Arbeit der Anerkannten Stelle). Da eine dementsprechende gesetzgeberische Ausgestaltung jedoch nicht erfolgt ist, muss die hoheitliche Aufsicht nach wie vor die Kapazitäten vorhalten, um selbst ein Produkt auf seine Gesetzeskonformität prüfen zu können. Im Bilanzkontrollrecht würde eine obligatorische Prüfung durch eine Anerkannte Stelle vor Veröffentlichung der Bilanz entweder eine Vielzahl von Anerkannten Stellen oder eine enorm ausgeweitete Prüfkapazität der DPR erfordern. Außerdem besteht bereits eine präventive generelle Kontrolle durch die Abschlussprüfer. Im Jugendmedienschutz könnte eine gesetzliche Pflicht zur Einholung einer Freigabeentscheidung mit dem Zensurverbot des Art. 5 Abs. 1 S. 3 GG in Konflikt geraten.

Hat der Gesetzgeber demnach überwiegend keine öffentlichrechtliche Freigabewirkung der privaten Entscheidungen vorgesehen, müssen diese andere Wirkungen haben, wenn die Anerkannten Stellen in den Gesetzesvollzug eingebunden werden sollen. Erlässt die Anerkannte Stelle eine Entscheidung, kann diese Bindungswirkung für staatliche Stellen bzw. eine Sperrwirkung gegenüber deren eigenen Entscheidungen entfalten (so im Jugendmedienschutz, im Bilanzkontrollrecht und im Produktsicherheitsrecht). Die private Entscheidung kann schon eine detaillierte hoheitliche Prüfung unterbinden. Zwar können auch die hoheitlichen Stellen von den zu prüfenden Produkten ohne weiteres Kenntnis erlangen (die KJM kann sich ausgestrahlte Sendungen ansehen, die BaFin kann Einsicht in veröffentlichte Bilanzen nehmen), weitergehende Untersuchungen dürfen sie aber nicht durchführen. Wo ein Produkt auch ohne weitere Untersuchungen beurteilt werden kann (wie Sendungen in Bezug auf ihre Vereinbarkeit mit dem JMStV), kann den Behörden auch eine eigene Beurteilung nicht verwehrt werden; rechtliche Konsequenzen aus dieser eigenen Beurteilung darf die Aufsicht dann aber grundsätzlich nicht mehr ziehen. Diese Bindungs- bzw. Sperrwirkung ist allerdings keine absolute, sondern wird begrenzt durch im Grunde immer dieselben Prämissen: Ob dies vom Gesetz als Vertretbarkeitskontrolle in Bezug auf die Grenzen eines Beurteilungsspielraums

§ 12 Stellung und Aufgabe der Anerkannten Stellen

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(§ 20 Abs. 3, 5 JMStV) oder als Prüfung bei erheblichen Zweifeln an der Richtigkeit der privaten Entscheidung (§ 37p Abs. 1 S. 2 Nr. 2 WpHG) ausgestaltet ist, ist dabei mehr ein gradueller Unterschied als ein qualitativer. Im Produktsicherheitsrecht sind die Marktaufsichtsbehörden wegen der Vermutungswirkung des CE-Zeichens so lange an die Unbedenklichkeitsbescheinigung der Anerkannten Stelle gebunden, bis sie den (naturwissenschaftlich vielleicht schwer zu erbringenden) Beweis der Gefährlichkeit des Produkts und damit der Unrichtigkeit der privaten Entscheidung erbracht haben. Im Umweltrecht soll eine Zurücknahme der hoheitlichen Kontrolle bei EMAS-zertifizierten Unternehmen erfolgen; dieses intendierte Ermessen kann aber wiederum anders ausgeübt werden, wenn die Umweltbehörden Anhaltspunkte für eine ungenügende Arbeit der Anerkannten Stelle haben. Die Bindungswirkung entfällt generell, wenn die Entscheidungen willkürlich ergehen, ohne Ermittlung des richtigen Sachverhalts, unter Nichtbeachtung eines ordnungsgemäßen Verfahrens oder bei Missachtung allgemeiner Prüfgrundsätze. II. Ersatz staatlicher Sanktionen oder Aufsichtsmittel durch Vereinsstrafen (repressiv) Eine weitere Wirkung der Einbindung Anerkannter Stellen kann die Ersetzung hoheitlicher Sanktionen oder Aufsichtsmittel durch Sanktionen der Anerkannten Stelle sein. Zu diesem Instrument hat der Gesetzgeber allerdings nur im Jugendmedienschutz gegriffen. Möglich ist diese Wirkung ohnehin nur, wenn zwischen Anerkannter Stelle und Anbieter vertragliche oder satzungsrechtliche Beziehungen bestehen, auf die die Sanktionen gestützt werden können; damit scheidet das Bilanzkontrollrecht bereits aus. Im Produktsicherheitsrecht ist die Verweigerung der Zertifizierung die schärfste Sanktion, weil ohne sie das Produkt nicht in Verkehr gebracht werden kann; weitere Vertragsstrafen sind deshalb nicht nötig. Beim Umweltaudit wäre denkbar, dass ein Unternehmen, welches die Vorgaben des Umweltgutachters nicht einhält, nicht nur die öffentlichrechtlichen Privilegierungen verliert, sondern auch noch Vertragsstrafen ausgesetzt ist. Allerdings könnten auch diese keine staatlichen Sanktionen ersetzen, weil die Erfüllung der EMAS-VO freiwillig und daher nicht sanktionierbar ist; der Staat konnte somit nicht zugunsten privater Sanktionen auf eigene verzichten. III. Erfüllung gesetzlicher Anforderungen durch die Tätigkeit Anerkannter Stellen Die öffentlichrechtliche Wirkung der Tätigkeit Anerkannter Stellen beschränkt sich nicht auf Entscheidungen der Behörden; darüber hinaus kann sie auch unmittelbar der Erfüllung gesetzlicher Anforderungen dienen.

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4. Teil: Strukturen der Regulierten Selbstregulierung

Vor allem beim Umweltaudit hat sich der Gesetzgeber für diese Variante entschieden, indem im Falle einer EMAS-Zertifizierung bestimmte Antragsunterlagen ersetzt werden können oder auf eigene Pläne und Nachweise verzichtet werden kann. Dies ist deshalb möglich, weil die private Entscheidung nur der zusammenfassende Ausdruck für ein umfassendes und dauerhaftes Kontroll- und Prüfverfahren darstellt und damit die Erfüllung der Verfahrensanforderungen auf andere Weise signalisiert. Daneben besteht im Jugendmedienschutz die Möglichkeit, die gesetzliche Pflicht zur Bestellung eines betrieblichen Jugendschutzbeauftragten dadurch zu erfüllen, dass diese Tätigkeit von der Anerkannten Stelle übernommen wird; im Umweltrecht kann bei einer Auditierung zum Teil sogar ganz auf bestimmte betriebliche Beauftragte verzichtet werden. IV. Auswirkungen der Selbstregulierung auf die hoheitliche Tätigkeit von Behörden – staatliche Rückholoption Die oben dargestellten Anwendungsfelder haben gezeigt, dass die Tätigkeit oder auch nur die bloße Existenz einer Anerkannten Stelle unterschiedliche Auswirkungen auf den Vollzug des entsprechenden Gesetzes durch die Verwaltungsbehörden hat. Beim Umweltaudit wird das jeweilige Umwelt- oder Immissionsschutzrecht nach wie vor von den entsprechenden Behörden vollzogen, aber immerhin manche behördliche Kontrolle durch Eigenüberwachung auditierter Unternehmen ersetzt. Im Jugendmedienschutz wird die hoheitliche Aufsicht auf eine Vertretbarkeitskontrolle zurückgenommen. Im Bilanzkontrollrecht kontrolliert die Aufsicht ebenfalls nur, wenn die Arbeit der Anerkannten Stelle fehlerhaft ist. Im Produktsicherheitsrecht erfolgt die präventive Durchsetzung der Produktsicherheitsanforderungen allein durch die Anerkannten Stellen; die staatliche Marktaufsicht kann allerdings nachträglich einschreiten und die Sicherheitsvermutung des CE-Zeichens widerlegen, wenn sich das Produkt als unsicher erweist. Eine Ersetzung der staatlichen bzw. hoheitlichen Aufsicht durch private Stellen erfolgt also nicht oder nur zum Teil. Zu berücksichtigen ist des Weiteren, dass im Bilanzkontrollrecht die staatliche Aufsicht unabhängig vom Einzelfall allein wegen der Existenz einer Anerkannten Stelle reduziert wird, wohingegen in den anderen Bereichen nur für die konkret geprüften Produkte eine Rücknahme der hoheitlichen Kontrolle erfolgt. Der Unterschied beruht darauf, dass bei der Rechnungslegungsprüfung die Prüfstelle von sich aus tätig wird, wohingegen ansonsten die Initiative von den Anbietern ausgehen muss, die eine Anerkannte Stelle mit der Prüfung beauftragen können oder müssen. Damit einher geht der unterschiedliche Umfang einer staatlichen Auffangverantwortung. Während im Jugendmedienschutz und im Bilanzkontrollrecht der

§ 12 Stellung und Aufgabe der Anerkannten Stellen

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Auftrag der hoheitlichen Behörden zur Übernahme der Aufgaben im Falle einer Schlechterfüllung durch die Anerkannte Stelle klar zu Tage tritt, kann man im Umweltrecht eigentlich nicht von einer bloßen Auffangverantwortung sprechen; es wird nach wie vor hauptsächlich von den staatlichen Umweltbehörden vollzogen und die möglichen Kontroll- und Überwachungsreduktionen stehen meist in ihrem Ermessen. Die Behörden treffen die letzte Entscheidung, die Anerkannte Stelle ist nur in das Verfahren eingebunden. Im Produktsicherheitsrecht hingegen liegt die Verantwortung allein bei den Anerkannten Stellen und eine „Rück“-Übertragung der Aufgabe auf staatliche Stellen ist weder vorgesehen noch möglich. Dies bedingt für das Produktsicherheitsrecht auch eine obligatorische Gründung Anerkannter Stellen und die obligatorische Teilnahme aller Anbieter, denn es existieren keine staatlichen Behörden, die bei nicht angeschlossenen Anbietern die Prüfung für die Anerkannte Stellen übernehmen könnten. In den drei anderen Bereichen hingegen, bei denen noch hoheitliche Stellen neben den Anerkannten Stellen existieren, ist die Teilnahme freiwillig (und kann es auch sein); wird keine Anerkannte Stelle gegründet oder beteiligt sich ein Anbieter nicht daran, bleibt er der direkten Aufsicht der hoheitlichen Stellen ausgesetzt. Diese Ausführungen zeigen, dass es sich in den dargestellten Fällen nicht um eine zweistufige Prüfung handelt in dem Sinne, dass einer hoheitlichen Kontrolle immer eine private Prüfung vorzuschalten wäre. Ergeht eine private Entscheidung, ist eine hoheitliche Entscheidung weitgehend ausgeschlossen; es entscheiden also nicht beide Stellen nacheinander, sondern entweder die private Stelle oder (für den Fall der Nichtanrufung der Anerkannten Stelle) die staatliche Behörde. Daher erfolgt im Grunde auch keine Nachprüfung der privaten Entscheidung durch eine staatliche Stelle. Die Aufsichtsbehörden prüfen nicht die Entscheidung der Anerkannten Stelle, sondern den zugrunde liegenden Sachverhalt, den auch die Anerkannte Stelle geprüft hat. Erst wenn sich dabei Abweichungen ergeben, muss die Behörde die Entscheidung der Anerkannten Stelle überprüfen (auf die Einhaltung des Beurteilungsspielraums oder offensichtliche Fehler), um festzustellen, welche Entscheidung sich im Endergebnis „durchsetzt“. Erweist sich das Ergebnis der Anerkannten Stelle als fehlerhaft, erfolgt daraufhin auch keine Korrektur der privaten Entscheidung oder eine „Ersatzvornahme“; die Behörde weist nicht die Anerkannte Stelle an, ihre Entscheidung zu revidieren oder zurückzunehmen. Auch eine Aufhebung der Entscheidung durch die staatliche Stelle erfolgt nicht. Die private Entscheidung bleibt nach wie vor in der Welt, nur zeitigt sie keine öffentlichrechtlichen Wirkungen mehr (wohl aber möglicherweise zivilrechtliche Wirkungen, zum Beispiel in Form von Vereinssanktionen oder Vertragsstrafen). Es ergeht keine Entscheidung gegenüber der Anerkannten Stelle (höchstens ein Widerruf der Anerkennung, die aber keine Reaktion auf eine einzelne, konkrete Fehlentscheidung darstellt). Stattdessen ergeht eine eigene neue Entscheidung der hoheitlichen Aufsicht gegenüber dem Anbieter.

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4. Teil: Strukturen der Regulierten Selbstregulierung

Aus diesen Erkenntnissen ergibt sich zugleich, dass sich die Einbindung der Anerkannten Stellen nicht mit den bekannten Kategorien des Verwaltungshelfers 2 oder der Indienstnahme Privater bezeichnen lässt. Die herkömmlichen Fälle der Verwaltungshilfe, bei denen Private als unselbständige Hilfsorgane im Auftrag und nach Weisung einer Behörde bei der Vorbereitung von Entscheidungen ohne unmittelbare Rechtsbeziehung zu Dritten tätig werden 3, passt auf die Fälle der Regulierten Selbstregulierung ersichtlich nicht. Aber auch die neuere Figur der selbstständigen Verwaltungshilfe geht immer noch davon aus, dass der Verwaltungshelfer nur bei der Vorbereitung von Entscheidungen tätig wird und die Letztentscheidungsverantwortung und Zuständigkeit bei der Behörde verbleibt 4. Private Unternehmen sind nur dann Verwaltungshelfer, wenn ihnen allenfalls geringe Entscheidungsmöglichkeiten eingeräumt sind 5. Die Anerkannten Stellen bereiten keine Entscheidungen der Behörde vor, sie treffen eigene Entscheidungen gegenüber den Anbietern, die zum Teil sogar die hoheitliche Aufsicht binden. Über die Verwaltungshilfe geht dies weit hinaus. Bei der Indienst- oder Inpflichtnahme geht es um die zwangsweise Erbringung persönlicher oder sachlicher Dienstleistungen eines Unternehmens oder Betriebs zugunsten eines Hoheitsträgers 6. Die Dienstleistung, um die es bei der Regulierten Selbstregulierung geht, wird aber nicht von den Anbietern erbracht, sondern von der Anerkannten Stelle. Außerdem wird diese Leistung nicht im Auftrag und unter Anleitung eines Hoheitsträgers (KJM, BaFin oder Marktaufsichtsbehörden) erbracht, sondern anstelle der Hoheitsträger, das heißt die Hoheitsträger haben wenig Einfluss auf die Aufgabenerfüllung (sie entscheiden nicht über das „Ob“ und „Wie“ der Aufgabenerfüllung, da dies durch den Gesetzgeber festgelegt ist).

B. Anerkannte Stellen Größte Gemeinsamkeit aller dargestellten Referenzbereiche und zentrales Element der Beteiligung Privater an der Erfüllung öffentlicher Aufgaben in Form der Regulierten Selbstregulierung ist die Existenz und Einbindung einer privaten Stelle in die Gesetzesdurchsetzung.

2 Anders aber Stober, in: Wolff/Bachof/Stober, VwR, Bd. 3, § 90a Rdn. 29; zu seiner Definition des Verwaltungshelfers in Rdn. 1 ff. passt dies allerdings nicht. 3 Stober, in: Wolff/Bachof/Stober, VwR, Bd. 3, § 90a Rdn. 1. 4 Stober, in: Wolff/Bachof/Stober, VwR, Bd. 3, § 90a Rdn. 14; Maurer, AllgVwR, § 23 Rdn. 62. 5 BGHZ 161, 6 (14). 6 Stober, in: Wolff/Bachof/Stober, VwR, Bd. 3, § 90a Rdn. 61.

§ 12 Stellung und Aufgabe der Anerkannten Stellen

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I. Existenz einer Anerkannten Stelle Zentrales Merkmal der Regulierten Selbstregulierung zur Durchsetzung von Gesetzen ist die Existenz einer staatlich anerkannten privaten Stelle (und damit notwendig verbunden einer anerkennenden Stelle). Diese führt zwar in den jeweiligen Gesetzen unterschiedliche Bezeichnungen (Einrichtung der Freiwilligen Selbstkontrolle, Benannte Stelle, Umweltgutachter, Prüfstelle), da jedoch allen eine hoheitliche Anerkennung gemein ist und diese sie gerade von Einrichtungen der reinen Selbstregulierung unterscheidet, soll im Folgenden die Bezeichnung „Anerkannte Stelle“ als Oberbegriff verwendet werden. Die Anerkannten Stellen in den untersuchten Referenzbereichen verfolgen unterschiedliche Aufgaben und sind dementsprechend auch unterschiedlich konzipiert. Dennoch zeigen sich deutliche Gemeinsamkeiten, die nachfolgend zusammenfassend dargestellt werden sollen. II. Erscheinungsformen, Besetzung, Qualifikation 1. Repräsentanz durch Anerkannte Stellen Die Anerkannten Stellen sind keine Behörden oder sonst ein Teil der Staatsverwaltung; sie entstammen dem privaten Bereich. Es handelt sich überwiegend um juristische Personen des Privatrechts wie Vereine (im Jugendmedienschutz und Bilanzkontrollrecht), GmbHs, AGs (im Produktsicherheitsrecht und Umweltaudit) oder natürliche Personen (Umweltgutachter) 7. Es handelt sich daher um eine Beteiligung Privater an der Erfüllung öffentlicher Aufgaben, wobei zu prüfen bleibt, ob diese Privaten als Betroffene der Regulierung, als neutrale Sachverständige oder als Repräsentanten der Gesellschaft beteiligt werden 8. Entstammen die Anerkannten Stellen alle dem privaten Bereich, so ist ihre konkrete Ausgestaltung dennoch unterschiedlich und zeigt, dass eine einfache Gegenüberstellung Staat – Gesellschaft der viel komplexeren Lebenswirklichkeit nicht gerecht wird. Ist schon „der“ Staat bei weitem nicht monolithisch, ist sein Gegenpart, der „nicht-staatliche“ Bereich, noch viel differenzierter 9. Die Seite der „Privaten“ kann in mindestens fünf verschiedene Kategorien unterteilt werden. 7 Nur im Produktsicherheitsrecht werden zum Teil auch juristische Personen des Öffentlichen Rechts anerkannt, die aber auch auf zivilrechtlicher Basis agieren und in Wettbewerb zu privaten Anerkannten Stellen stehen. 8 Zu dieser Unterscheidung Voßkuhle, VVDStRL 62 (2003), 266 (281 f.). 9 Zur Notwendigkeit einer Unterscheidung auf der Seite, auf die die Verantwortung vom Staat übertragen werden soll, Voßkuhle, in: Schuppert (Hrsg.), Jenseits von Privatisierung, S. 47 (81 ff.): Nicht nur die Gesellschaft als solche, sondern Betroffene, Interessenvertreter, pluralistische Gremien, neutrale Dritte.

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4. Teil: Strukturen der Regulierten Selbstregulierung

a) Gesellschaftliche Repräsentanz Zum einen wäre eine Einrichtungen denkbar, die „die Gesellschaft“ als solche repräsentieren soll. Ausgestaltet werden könnte dies wie bei der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien oder den Landesmedienanstalten, bei denen die Gremien sich aus Vertretern unterschiedlichster gesellschaftlicher Gruppierungen zusammensetzen (Parteien, Kirchen, Gewerkschaften, Sportverbände, Bauernverbände, Unternehmerverbände, etc.). Interessanterweise findet sich eine solche Besetzung der Selbstregulierungseinrichtungen in den untersuchten Bereichen nirgends. Nur im Jugendmedienschutz sollen die Prüfer der Selbstkontrolleinrichtungen auch gesellschaftliche Gruppen repräsentieren, die sich besonders mit dem Jugendschutz beschäftigen; Sinn und Zweck dieser Bestimmung ist aber nicht die Abbildung gesellschaftlicher Wertungen, sondern der Zugriff auf bei bestimmten gesellschaftlichen Gruppen vorhandenen Sachverstand. Beim Umweltaudit findet eine gesellschaftliche Repräsentation über den Umweltgutachterausschuss statt, der Vertreter aus der Wirtschaft, der Verwaltung, Umweltschutzverbänden und Gewerkschaften versammelt. Der Ausschuss hat jedoch nur eine beratende Tätigkeit und keinen direkten Einfluss auf die Erteilung des Umweltaudits durch die unabhängigen Umweltgutachter. Eine gesellschaftliche Selbstregulierung in dem Sinne, dass die Gesellschaft (als Gegensatz zum Staat) sich selbst reguliert, hat der Gesetzgeber in den untersuchten Bereichen nicht vorgesehen. b) Repräsentanz der Wirtschaft Da die Einsatzfelder der Regulierten Selbstregulierung alle mit wirtschaftlichen Tätigkeiten, das heißt dem Angebot von Waren oder Dienstleistungen, in Zusammenhang stehen, könnte man auch an eine Selbstregulierung der Wirtschaft denken. Selbst „die Wirtschaft“ muss aber noch einmal unterteilt werden. (1) Zum einen könnte an eine Selbstkontrolle oder Selbstregulierung derjenigen Wirtschaftsteilnehmer gedacht werden, die das betreffende Produkt anbieten; schon der Begriff „Selbst“kontrolle legt dieses Verständnis nahe 10. Die Träger der Selbstregulierungseinrichtungen, die diese überhaupt erst ins Leben rufen, sie finanzieren und auch wieder abschaffen können, sind entweder die Anbieter selber (im Jugendmedienschutz) oder alle an der Aufgabenerfüllung interessierten Wirtschaftskreise (im Bilanzkontrollrecht sowohl die Vertreter der rechnungslegungspflichtigen Unternehmen als auch der Unternehmen, die fremde Bilanzen als Entscheidungsgrundlage benötigen). Beim Umweltaudit gibt es zwar keinen eigentlichen Träger der Umweltgutachter, aber die Anerkennende Stelle (die DAU GmbH) wird getragen von den Wirtschaftsverbänden. Nur im Produktsicher10

S. z. B. Schwetzler, Presseselbstkontrolle, S. 152, die von Selbstkontrolle nur bei (wenigstens) Teilidentität von Kontrolleur und Kontrolliertem sprechen will.

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heitsrecht sind die betroffenen Wirtschaftszweige vollkommen unbeteiligt. Die Benannten Stellen sind ohne ihre Mitwirkung gebildet und auch auf ihre Anerkennung haben die Anbieter keinen Einfluss. Könnte man in den Bereichen Jugendmedienschutz, Umweltaudit, Bilanzkontrolle immerhin noch insoweit von einer Selbstregulierung der Wirtschaft sprechen, als das System ohne die Beteiligung der Anbieter nicht funktioniert, haben im Produktsicherheitsrecht die Anbieter nicht einmal mehr die Möglichkeit, durch eine Auflösung der Anerkannten Stellen die Regulierte Selbstregulierung zu beenden. Im Bilanzkontrollrecht zeigt sich aber schon an der Mitgliedschaft des Trägervereins, dass es nicht um eine echte Selbstkontrolle der Anbieter geht. Die Anbieter bilden nur einen Teil der Mitglieder; gleichzeitig hat die Mitgliedschaft eines Unternehmens in einem Verband, der Mitglied des DPR e. V. ist, keine Auswirkungen auf die Tätigkeit der Prüfstelle. Weder ist ein Mitgliedsunternehmen verpflichtet, bei der Bilanzprüfung durch die DPR mitzuwirken, noch kann ein Unternehmen allein durch seinen Hinweis auf die Nichtmitgliedschaft im DPR e. V. ein Prüfbegehren der DPR verhindern. Auch fehlt es am gestaltenden Einfluss der betroffenen Wirtschaftsteilnehmer. Die Ausgestaltung des DPR e. V. sorgt für eine Unabhängigkeit der Prüfer, so dass die rechnungslegungspflichtigen Unternehmen nicht selbst Prüfanforderungen oder -umfang bestimmen können. Im Jugendmedienschutz dagegen besteht eine Selbstregulierung der Anbieter nicht nur in der Gründung und Finanzierung der FSF bzw. FSM. Darüber hinaus haben sich die Anbieter, die auch Mitglied des entsprechenden Vereins sind, in der Satzung verpflichtet, zumindest bestimmte Produkte der Anerkannten Stelle zur Prüfung vorzulegen. Das Gesetz enthält eine solche Vorlagepflicht nicht, die Anbieter übernehmen daher freiwillig weitere, über das Gesetz hinausgehende Pflichten. Auf die konkrete Prüf- und Kontrolltätigkeit der FSF oder FSM haben die Mitglieder – also die Anbieter – aber kaum Einfluss. Die Prüfer selbst sind unabhängige Fachleute, die keine Repräsentanten der Fernsehsender sind. Auch die Prüfordnung wird nicht von den Mitgliedern erstellt. Letztlich erfolgt also auch im Jugendmedienschutz – wie im Produktsicherheitsrecht und beim Umweltaudit – die Selbstkontrolle durch unabhängige Fachleute und nicht die betroffenen Wirtschaftsteilnehmer selbst. Es besteht eine Selbstregulierung, die keine inhaltlichen Maßstäbe setzt und auch nicht die Prüfverantwortung trägt, aber immerhin die Selbstkontrolle durch unabhängige Fachleute ermöglicht und fördert, indem sie die Ausstattung übernimmt und die Einbindung der Anerkannten Stelle verbindlich vorschreibt. (2) Daneben ist bei einer Selbstregulierung durch die Wirtschaft aber auch an eine Kontrolle durch einen dritten Wirtschaftsteilnehmer zu denken, der nicht selbst das zu kontrollierende Produkt anbietet, sondern dessen „Produkt“ in der Kontrolle anderer Produkte oder Hersteller besteht. Letzteres findet sich im Produktsicherheitsrecht und beim Umweltaudit: Die Sicherheit der Produkte wird nicht durch die Hersteller selbst oder durch von diesen getragene Selbstkontrollen

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überwacht. Stattdessen erfolgt die „Selbstregulierung“ mittels dritter, unabhängiger Benannter Stellen. Diese sind selbst unzweifelhaft Wirtschaftsteilnehmer (sie bieten am Markt eine Dienstleistung an, mit der sie Geld verdienen wollen), aber sie stellen einen anderen Wirtschaftssektor als denjenigen dar, um dessen „Selbstregulierung“ es geht. Ähnlich ist die Lage beim Umweltaudit. Zwar sind hier die potenziell umweltbelastenden Unternehmen über ihre Verbände an der DAU GmbH beteiligt, die die Umweltgutachter anerkennt und überwacht. Die konkrete Überwachungs- und Prüftätigkeit wird aber ebenfalls von unabhängigen Dritten, die einen eigenen Wirtschaftszweig darstellen, übernommen. Von einer Selbstregulierung „der“ Wirtschaft zu sprechen, ist daher irreführend, denn es erweckt den Eindruck, dass der Wirtschaftssektor, um dessen Produkte es geht, sich selbst reguliert. In Wahrheit wird aber ein Wirtschaftssektor von einem anderen Wirtschaftssektor überwacht 11. c) Rolle der Verbraucher Im privaten Bereich wird oftmals noch zwischen Wirtschaft und Verbraucher differenziert. Angelehnt an die Unterteilung in den §§ 13, 14 BGB 12 soll damit verdeutlicht werden, dass – zumindest bei wirtschaftlichen Sachverhalten – auch die Gesellschaft nicht als einheitlicher Block betrachtet werden kann. Für die untersuchten Beispiele der Regulierten Selbstregulierung bringt diese Unterscheidung allerdings wenig. Zwar werden zum Beispiel im Jugendmedienschutz auch die Zuschauer als „Verbraucher“ in die Gewährleistung des Jugendschutzes eingebunden, indem sie über die einzurichtenden Beschwerdestellen Verstöße gegen den JMStV melden können. Denkbar wäre auch eine Einbeziehung der Verbraucher im Produktsicherheitsrecht, etwa indem auch Verbraucherschutzverbände eigene Kontrolleinrichtungen gründen. Eine eigene gesetzliche Anerkennung im Verhältnis zu den Anbietern oder den Anerkannten Stellen haben die Verbraucher jedoch in den untersuchten Gebieten nicht erfahren. d) Sachkunde und Unabhängigkeit Die vorangegangenen Ausführungen haben deutlich gemacht, dass in allen Bereichen und unabhängig von der konkreten Ausgestaltung des Trägers der Selbstre11

Faber, Selbstregulierungssysteme, S. 150: Private Fremdkontrolle im Gegensatz zur privaten Eigenkontrolle. Auch Eifert, DV 39 (2006), 309 (310), verwendet den Begriff der privaten Fremdkontrolle für die Bereiche des Produktsicherheitsrechts und des Jugendmedienschutzes. 12 Die aber nur einen Spezialfall, nämlich schuldvertragliche Verhältnisse regeln, deshalb im Allgemeinen Teil des BGB falsch platziert sind und darum auch keine allgemeinen Aussagen zum Verhältnis Unternehmen – Verbraucher regeln; zur Kritik auch K. Schmidt, JuS 2006, 1 ff.

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gulierungseinrichtung zwei Aspekte klar im Vordergrund stehen: Die Sachkunde und die Unabhängigkeit der Institution. Die verbindlichen und öffentlichrechtliche Wirkungen entfaltenden Entscheidungen werden von einzelnen Fachleuten oder kleinen Ausschüssen getroffen, deren Mitglieder sich durch Sachkunde im betreffenden Gebiet auszeichnen müssen. Im Jugendmedienschutz zeigt sich dies deutlich daran, dass die Prüfer zwar gesellschaftliche Gruppen repräsentieren sollen, aber nur solche, die besondere Erfahrungen mit Jugendschutz haben. Es geht also nicht um die Abbildung der Gesellschaft, sondern der Gesetzgeber geht davon aus, dass gerade in bestimmten gesellschaftlichen Gruppen besonders viel Erfahrung und Sachverstand in Bezug auf Jugendschutz vorhanden ist. Bei den externen Prüfern im Produktsicherheitsrecht, beim Umweltaudit und bei der Rechnungslegungsprüfung ist die Sachkunde ohnehin das einzige Kriterium für die Prüfer. Wenn die Prüfer und Kontrolleure überhaupt jemanden repräsentieren sollen, dann die sozusagen „objektive“ Fach- und Sachkunde. Gleichzeitig fordern die Gesetze stets die Unabhängigkeit der Prüfer. Dies bringt es mit sich, dass Vertreter der Anbieter als Prüfer ungeeignet sind, eine Selbstkontrolle durch die Anbieter also nicht vorgesehen ist. Mit der Einbeziehung unabhängiger fachkundiger Prüfer erfolgt eine Verantwortungsverteilung nicht nur zwischen Staat und Gesellschaft oder Staat und Wirtschaft, sondern die Verteilung auf drei Säulen. Zum einen die hauptsächliche Verantwortlichkeit der Anbieter, daneben die Kontroll- und Auffangverantwortung des Staates und schließlich als neues Element die Prüfung durch einen unabhängigen privaten Dritten, der Wirtschaft oder Wissenschaft angehört, aber mit dem Anbieter nicht identisch ist. Die Regulierte Selbstregulierung durch neutrale Fachleute ist in allen Referenzbereichen vor dem Hintergrund zu sehen, dass es nur um die Durchsetzung staatlichen Rechts geht, nicht um (private) Normsetzung. Der Gesetzgeber hat das materielle Prüfprogramm bereits festgelegt und damit für ausgewogene, alle Interessen berücksichtigende Anforderungen gesorgt. Bei der Umsetzung der detaillierten Normen im konkreten Einzelfall ist Sachverstand gefragt; Platz für gesellschaftliche Wertungen oder die eigenen Interessen der Wirtschaft ist hier nicht mehr. Die Tätigkeit der Anerkannten Stellen wird somit ausschließlich durch unabhängige und spezialisierte Fachleute, die gerade auf dem zu prüfenden Gebiet besondere Erfahrung und Fachkenntnis haben, wahrgenommen. Diese Fachleute sind dabei weder Vertreter der Anbieter noch der Gesellschaft, sondern allein dem Vollzug der vom Gesetzgeber gesetzten Normen verpflichtet. Insofern gehört die Regulierte Selbstregulierung im Gesetzesvollzug in den größeren Zusammenhang der Debatte um die Aufgabenverlagerung auf Sachverständige im weitesten Sinne 13. Sie ist eine Möglichkeit des Staates – neben dem Einsatz von Verwal13 Zur Expertifizierung Ritter, in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem, Verwaltungsorganisationsrecht, S. 207 (209); zum Sachverständigenwesen ausf. Scholl, Die Beteiligung privater Sachverständiger, passim.

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tungshelfern oder Beliehenen – nichtstaatliches Fachwissen und Sachverstand für den Gesetzesvollzug heranzuziehen und damit den eigenen Behördenapparat zu entlasten 14. e) Rolle der Anbieter Von einer Selbstregulierung der Anbieter kann nach dem soeben gesagten daher nur insofern gesprochen werden, als sich die Anbieter immerhin an der Finanzierung der unabhängigen sachverständigen Kontrollstelle beteiligen und ihre „Produkte“ von dieser Stelle prüfen lassen. Beide Aspekte zugleich greifen aber nur im Jugendmedienschutz und im Bilanzkontrollrecht; auch im Umweltaudit ist die Teilnahme freiwillig, das heißt die Unternehmen müssen sich aus eigenem Antrieb der Prüfung durch einen Umweltgutachter unterwerfen; Träger der Anerkannten Stellen sind sie aber nicht. Eine weitergehende Selbstregulierung wäre hier insofern denkbar, als Anbieter- oder Unternehmensverbände eine Selbstverpflichtung zur Teilnahme an der Selbstregulierung eingehen könnten, wie dies im Jugendmedienschutz für die Mitglieder von FSF e. V. und FSM e. V. geschehen ist (beispielsweise könnten auch alle Mitglieder des Vereins der Chemischen Industrie VCI sich verpflichten, ihre Unternehmen nach EMAS auditieren zu lassen). Im Produktsicherheitsrecht hingegen ist die Teilnahme nicht freiwillig und die Anbieter sind auch nicht Träger der Anerkannten Stellen. Selbstregulierung liegt hier nur insoweit vor, als dass es keine staatlichen Stellen sind, die das Produktsicherheitsrecht durchsetzen, sondern private Wirtschaftsteilnehmer auf Grund privaten Rechts; eine Einbeziehung etwa von Verbraucherschutzverbänden, Umweltschützern, unabhängigen Wissenschaftlern ist bei der Produktsicherheitsbewertung nicht vorgesehen. Die Kontrolle erfolgt durch private Dienstleister; dabei handelt es sich zwar zum Teil um Einrichtungen, die von den betroffenen Wirtschaftskreisen gegründet und getragen werden (wie z. B. das Prüfinstitut des VDE), zahlreiche Benannte Stellen sind aber eigenständige, von vornherein nur zur Gewinnerzielung gegründete Unternehmen. Sie sind keine Einrichtungen der Hersteller (so wie FSF und FSM Einrichtungen der Sender sind). Eine Selbstregulierung im engeren Sinne, also eine Regulierung und Kontrolle durch die betroffenen Wirtschaftsteilnehmer selbst, liegt deshalb nicht vor 15.

14 Ritter, in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem, Verwaltungsorganisationsrecht, S. 207 (209). 15 Röhl, in: Schmidt-Aßmann/Schöndorf-Haubold (Hrsg.), Europ. Verwaltungsverbund, S. 153 (164).

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2. Pflicht zur Beteiligung an der Regulierten Selbstregulierung Von entscheidender Bedeutung ist die Frage, ob die Teilnahme an der Regulierten Selbstregulierung für die Anbieter freiwillig oder obligatorisch 16 ist. Worauf genau sich die Freiwilligkeit oder der Zwang zur Teilnahme bezieht, muss aber ebenfalls noch einmal unterschieden werden. So ist im Jugendmedienschutz sowohl die Gründung von Selbstkontrolleinrichtungen der Wirtschaft frei gestellt als auch – für den Fall der generellen Einführung der Selbstkontrolle – die Vorlage einer konkreten Sendung. Im Produktsicherheitsrecht hingegen müssen bestimmte Hersteller Benannte Stellen einschalten (quasi eine „Vorlage“pflicht); die Gründung Benannter Stellen ist allerdings nicht zwingend vorgeschrieben. Da aber nicht die betroffenen Wirtschaftsteilnehmer selbst solche Stellen gründen sollen, sondern diese einen eigenen Wirtschaftszweig darstellen, wird sich immer ein Unternehmen finden, das die Dienstleistung „Zertifizierung“ (die die Produzenten in Anspruch nehmen müssen) anbietet. Ähnliches gilt für das Umweltaudit, wo die Schaffung von Umweltgutachtern ebenfalls nicht gesetzlich vorgeschrieben ist. Allerdings besteht hier auch keine Teilnahmepflicht für betroffene Unternehmen. Im Bilanzkontrollrecht ist wie im Jugendmedienschutz sowohl die Gründung einer Selbstkontrolleinrichtung als auch die Durchführung einer Prüfung freiwillig. Zwar erfolgt hier keine Vorlage an die Prüfstelle, aber ein Unternehmen kann ohne weiteres die Mitwirkung an der Prüfung durch die DPR verweigern. Die Gründung einer Anerkannten Stelle ist also in keinem Fall gesetzlich vorgeschrieben. Die Einschaltung der Anerkannten Stelle ist im Jugendmedienschutz, beim Umweltaudit und im Bilanzkontrollrecht ebenfalls freiwillig. Nur im Produktsicherheitsrecht sind die Anbieter verpflichtet, sich der Anerkannten Stellen zu bedienen. Sowohl die Freiwilligkeit der Gründung als auch die Freiwilligkeit der Teilnahme sind im System der Regulierten Selbstregulierung vom Gesetzgeber zu bedenken und entsprechend zu flankieren. Die freiwillige Gründung einer Selbstregulierungseinrichtung stellt dabei weniger ein Problem dar, denn entweder bestehen schon Selbstregulierungseinrichtungen für den betroffenen Wirtschaftszweig (so im Produktsicherheitsrecht und Jugendmedienschutz) oder dem Erlass eines entsprechenden Gesetzes gingen Verhandlungen und Sondierungen des Gesetzgebers voraus, in denen die Bereitschaft zur Gründung einer Selbstregulierungseinrichtung ausgelotet wurden (so im Bilanzkontrollrecht und beim Umweltaudit). Die Unsicherheit bestand nur darin, ob (vor allem die schon bestehenden) Einrichtungen auch die Anerkennung beantragen und sich möglicherweise neu organisieren würden, um den Anerkennungsbedingungen zu genügen.

16

S. zur Unterteilung in freiwillige, zwangsweise, genehmigte oder angeordnete Selbstregulierung Puppis, Künzler u. a., Selbstregulierung, S. 56 f.

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Eine andere Frage ist hingegen, ob sich einzelne Unternehmen mit ihren jeweiligen „Produkten“ an der Regulierten Selbstregulierung beteiligen, das heißt eine Überwachung und Prüfung durch die Anerkannte Stelle akzeptieren. Hier kann der Gesetzgeber entweder die Vorlage von Produkten anordnen, das heißt eine obligatorische Einschaltung der Anerkannten Stelle vorsehen (so im Produktsicherheitsrecht). Ist ein Unternehmen hingegen nicht gesetzlich verpflichtet, müssen sonstige Anreize für Unternehmen bestehen, sich mit ihren konkreten Produkten an der Regulierten Selbstregulierung zu beteiligen 17. Am deutlichsten kommt dies beim Umweltaudit zum Ausdruck, wo sich schon aus dem Namen des Gesetzes – der EMAS-Privilegierungs-VO – die gesetzlich vorgesehenen Vorteile für die Wirtschaft ergeben. Auch im Jugendmedienschutz ist von der „Aufsichtsprivilegierung“ die Rede. Bei der Bilanzkontrolle hingegen bestehen die Vorteile eher in der Vermeidung von Nachteilen. Bei Verweigerung der Kooperation mit der DPR müssen die Unternehmen gewärtigen, einer öffentlichkeitswirksam angeordneten hoheitlichen Kontrolle durch die BaFin ausgesetzt zu sein. In allen Bereichen bestehen also Anreize für Unternehmen, die Anerkannte Stelle einzuschalten bzw. mit ihr zusammen zu arbeiten. Im Jugendmedienschutz und im Bilanzkontrollrecht liegen die Anreize in der Vermeidung hoheitlicher Interventionen, JMStV und BilKoG sind somit so etwas wie „Androhungsgesetze“ 18, die im Falle der Selbstregulierung allerdings nicht die primäre Ordnungspflicht außer Kraft setzen, sondern nur die vollziehende Stelle austauschen. 3. Pluralistische Besetzung der Gremien der Anerkannten Stellen Bei der Aufgabenübertragung auf Private werden in der Literatur oftmals besondere Anforderungen an die Zusammensetzung der beteiligten Privaten gestellt. Der Gesetzgeber soll vor allem verfassungsrechtlich verpflichtet sein, eine ausgewogene, umfassende, alle betroffenen Interessen repräsentierende Zusammensetzung der privaten Stellen vorzuschreiben 19.

17 Die Teilnahme an der Selbstregulierung muss also induziert werden; wegen des Verzichts auf hoheitlichen Zwang wird z. T. auch von Kontextsteuerung gesprochen, s. z. B. Schmidt-Preuß, VVDStRL 56 (1997), 160 (185 ff.). 18 Zum Begriff Schmidt-Preuß, VVDStRL 56 (1997), 160 (215): Private werden „erfüllungshalber“ für den Staat tätig. 19 Rossen-Stadtfeld, AfP 2004, 1 (6): wegen des Demokratieprinzips; Eifert, GVwR I, § 19 Rdn. 68.

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a) Fehlende gesetzliche Regelungen zur Bildung und Besetzung Anerkannter Stellen Die Bildung und Besetzung Anerkannter Stellen in den untersuchten Referenzbereichen erfolgt grundsätzlich im Wege der Selbstregulierung, das heißt es ist nicht der Staat, der durch Gesetz die Organe, die Mitglieder oder die vertretenen Gruppen vorschreibt 20. Anders als etwa bei den Rundfunkräten, der BPjM oder anderen Verwaltungs- und Beiräten 21 bestimmt kein Gesetz, dass eine bestimmte Anzahl von Vertretern von einer bestimmten Vereinigung, Religionsgemeinschaft, Gewerkschaft, Industrieverband etc. stammen muss. Wesentliches Merkmal der Selbstregulierung ist es gerade, dass diejenigen betroffenen und interessierten Kreise, die mitwirken wollen, sich beteiligen können. Eine staatliche Festlegung der Mitgliedschaft kann und darf deshalb nicht erfolgen 22; damit entgeht der Staat aber gleichzeitig dem Problem, dass er beinahe zwangsläufig eine Ungleichbehandlung vornehmen müsste, weil er nur bestimmte Gruppierungen berücksichtigt und andere damit ausschließt, ohne dass sich vernünftige Gründe dafür finden ließen, warum der eine Verband sich beteiligen darf, ein anderer nicht 23. Über die Frage, welche Gruppierung wie viele Vertreter in welche Gremien entsendet und welche Gremien überhaupt bestehen, hat der Staat nicht zu entscheiden; dies bestimmen die Mitglieder, die den Trägerverein gründen, in der Satzung. Der Gesetzgeber kann hier nur ganz allgemeine Vorgaben aufstellen, die er für eine Anerkennung fordert. Außerdem kann schon nicht auf „die Besetzung“ einer privaten Stelle abgestellt werden. Vielmehr muss teilweise zwischen der Mitgliedschaft des Trägervereins und der konkreten Prüfstelle unterschieden werden (Jugendmedienschutz, Bilanzkontrolle). Da aber wie gezeigt die Mitgliederversammlung in keinem Fall Einfluss auf die konkrete Arbeit der Prüfstelle hat, kommt es auch nicht entscheidend auf ihre Zusammensetzung an. Im Produktsicherheitsrecht ist eine pluralistische Besetzung ohnehin nicht denkbar, weil die Anerkannten Stellen Wirtschaftsteilnehmer sind, die zueinander in Wettbewerb stehen. Auch die Umweltgutachter müssen bzw. können nicht pluralistisch besetzt sein (schon weil auch natürliche Personen Umweltgutachter sein können) 24. 20 Lediglich die Besetzung des Umweltgutachterausschusses ist in § 22 Abs. 1 UAG geregelt; dieser ist aber Teil der staatlichen Aufsicht und keine Anerkannte Stelle. 21 Z. B. bei der Börse (§§ 9 f. BörsenG). 22 Zur Unvereinbarkeit gesetzlicher Vorgaben für die Beteiligung bestimmter Gruppen mit dem Konzept der Selbstregulierung im Bereich des Jugendmedienschutzes Mynarik, Jugendschutz, S. 105. 23 Zum damit verbundenen Problem der demokratischen Mitwirkungsgleichheit vgl. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, S. 396 ff. 24 Beim Umweltaudit erfüllt immerhin der Umweltgutachterausschuss, der interne Leitlinien für die Aufsicht über die Umweltgutachter erstellt, die Anforderungen an ei-

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b) Fehlende Notwendigkeit einer pluralistischen Besetzung Wo die Aufgabe der Anerkannten Stelle allein in der Durchsetzung staatlichen Rechts besteht, das heißt der Anwendung einer Norm auf einen konkreten Einzelfall, ist eine Berücksichtigung aller gesellschaftlichen Kräfte oder interessierten Kreise auch wenig sinnvoll 25. Zur Feststellung, ob ein Sachverhalt einer Norm unterfällt oder nicht, bedarf es Sachverstandes beispielsweise in technischen Fragen oder in Jugendpsychologie, nicht jedoch einer Abbildung aller in der Gesellschaft vorhandenen Meinungen und Wertungen dazu. Die Feststellung und Austarierung aller betroffenen Interessen und Probleme ist Aufgabe des dazu umfassend legitimierten Gesetzgebers; sein Wille darf nicht durch eigene Entscheidungen pluraler Gremien darüber, was dem Gemeinwohl am besten dient oder den gesellschaftlichen Wertvorstellungen am ehesten entspricht, übergangen werden. Eine ganz andere Frage ist, wie die gesetzgeberische Entscheidung zustande kommt. So braucht auch der parlamentarische Gesetzgeber sicher sachverständige Hilfe, um materielle Standards festlegen zu können, etwa bzgl. der Fragen, welche Gefahren von Produkten ausgehen können und welche grundlegenden Sicherheitsanforderungen zu stellen sind oder welche Informationen für den Kapitalmarkt notwendig sind und in einer Bilanz stehen müssen. Auch durch welche Angebote und in welchem Alter Kinder und Jugendliche in ihrer Entwicklung gefährdet sind, kann der einzelne Abgeordnete nicht aus eigener Expertise entscheiden. Die aus diesen „technischen“ Vorfragen resultierende Entscheidung, wie viel Risiko in Kauf genommen wird oder wie viel Sicherheit nötig ist, ist jedoch wiederum eine Entscheidung allein des Gesetzgebers. Auch hat die Frage der Einbindung von Sachverstand bei der Normsetzung mit der vorliegenden Untersuchung nichts zu tun, denn in den untersuchten Referenzgebieten hat der Gesetzgeber gerade darauf verzichtet, die Anerkannten Stellen an der Standardsetzung zu beteiligen und hat sie allein zur Durchsetzung „seiner“ Gesetze berufen.

Nur sofern die Anerkannte Stelle selbst Normen setzen und materielle Anforderungen an ein Produkt aufstellen würde, ist nicht allein der Sachverstand ausschlaggebend. Ein verfassungsrechtliches Gebot ausgewogener Besetzung und Berücksichtigung aller Interessen besteht dabei aber nur dann, wenn diese privaten Normen öffentlichrechtliche Wirkungen aufweisen. Solange sich zum Beispiel die Fernsehsender durch einen Verhaltenskodex selbst beschränken, können sie über diesen Kodex auch selbst entscheiden, ohne Jugendschützer, Zuschauervertreter oder die Kirchen oder Gewerkschaften hinzuziehen zu müssen. Erst wenn der JMStV solchen Verhaltenskodizes verbindliche Wirkungen zuerkennen würde, müsste die Richtigkeit und Angemessenheit dieser Normen sichergestellt werden. ne ausgewogene Zusammensetzung aus Wirtschaftsvertretern, Gewerkschaftern, Umweltschutzverbänden. Direkten Einfluss auf die Auditierung hat er aber nicht. 25 Vgl. Di Fabio, VVDStRL 56 (1997), 235 (265 f.): Das (Parlaments-)Gesetz leistet den Ausgleich aller Interessen und muss deshalb streng und exakt befolgt werden.

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Da aber eine solche öffentlichrechtliche Rezeption von Normen der Anerkannten Stelle (die nur im Jugendmedienschutz überhaupt existieren) nicht erfolgt, besteht auch keine verfassungsrechtliche Pflicht, die Anerkannten Stellen möglichst ausgewogen zu besetzen. III. Anforderungen an die Anerkennung Private Selbstregulierungseinrichtungen können durch die Wirtschaft frei gegründet und ausgestaltet werden. Sind ihre Unparteilichkeit oder ihre Sachkunde nicht gewährleistet, so kann die Wirtschaft ihre mit der Gründung verfolgten Ziele (Imagevorteile, sachkundiger Rat) nicht erreichen. Ein Problem des Gesetzgebers ist dies nicht. Sollen hingegen die privaten Stellen Entscheidungen treffen, die öffentlichrechtliche Wirkungen nach sich ziehen, muss sichergestellt sein, dass diese Entscheidungen die gesetzlichen Anforderungen erfüllen. Dies könnte erreicht werden durch eine behördliche Nachprüfung jeder einzelnen Entscheidung der privaten Stelle. Die mit der Regulierten Selbstregulierung verfolgten Vorteile der Entlastung der hoheitlichen Aufsicht wären damit jedoch zunichte gemacht. Die Gewährleistung der ordnungsgemäßen Aufgabenerfüllung muss deshalb über die Ausgestaltung der ausführenden Einrichtungen erfolgen. Über die Vorgaben für die Organisation des entscheidenden Akteurs soll – so weit wie möglich – die Richtigkeit der Entscheidungsergebnisse garantiert werden 26. Da aber gleichzeitig der Staat nicht unmittelbar die Ausgestaltung und Organisation der privaten Akteure festlegen kann, müssen die notwendigen Anforderungen über die Anerkennungsvoraussetzungen durchgesetzt werden. 1. Gesetzliche Anerkennungsvoraussetzungen für Anerkannte Stellen Alle Gesetze in den untersuchten Referenzbereichen stellen daher mehr oder minder detaillierte Anerkennungsvoraussetzungen für die privaten Stellen auf 27. Dort, wo die Anerkennung ins Ermessen der anerkennenden Stelle gestellt ist, können außerdem im Zuge der konkreten Anerkennung noch weitergehende Anforderungen gestellt werden.

26 Zum Organisationsrecht als Mittel zur Steuerung der Entscheidungsergebnisse und zu seinen Grenzen Wahl, in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem, Verwaltungsorganisationsrecht, S. 301 (306). 27 Allgemein zur Anerkennung privater sachverständiger Stellen und ihren Voraussetzungen Ritter, in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem, Verwaltungsorganisationsrecht, S. 207 (235 ff.): Fachkunde, Zuverlässigkeit, Objektivität, Verfahrensfairness, geregeltes Entgelt (kein Preisdumping), Einstandspflicht für Schäden.

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Als Schnittmenge der Anerkennungsvoraussetzungen der § 19 Abs. 3 JMStV, § 11 Abs. 1 GPSG, § 15 Abs. 2 MPG, §§ 4 ff. UAG, § 342b HGB ergibt sich vor allem die Sach- und Fachkunde und Erfahrung der Prüfer sowie deren Unabhängigkeit. Für alle Anerkannten Stellen kommt hinzu, dass sie über die notwendige finanzielle, sachliche und personelle Ausstattung verfügen müssen, um ihre Aufgabe dauerhaft wahrnehmen zu können. Im Produktsicherheitsrecht wird zusätzlich eine Haftpflichtversicherung der Anerkannten Stelle gefordert. Hier ist auch das Schadenspotenzial am größten, wohingegen im Jugendmedienschutz oder beim Umweltaudit Schäden in vergleichbarer Größenordnung kaum denkbar sind. Im Bilanzkontrollrecht sind zwar ebenfalls große Schäden denkbar, eine Haftung der Prüfstelle scheidet jedoch nach geltendem Recht aus (s. o. § 6 D. II. 5.), so dass auch eine Versicherung nicht erforderlich ist. Hingegen ist die Pflicht zur Wahrung von Geheimnissen im Produktsicherheitsrecht und bei der Bilanzkontrolle für die Anerkennung von Bedeutung. Bei der Prüfung einer Fernsehsendung gibt es keine zu wahrenden Geschäftsgeheimnisse, aber bei den Prüfungen für das Umweltaudit erhält ein Umweltgutachter Einblick in schutzwürdige Betriebsinterna. Die Wahrung von Vertraulichkeit ist somit auch für Umweltgutachter bedeutsam, allerdings keine der in den §§ 4 ff. UAG vorgesehenen Anerkennungsbedingungen 28. 2. Administrative Kontrolle der Anerkennungsvoraussetzungen Ob die Anerkannten Stellen beziehungsweise ihre Organisation und ihr Personal den gesetzlichen Voraussetzungen genügen, wird im Rahmen des Anerkennungsverfahrens von der anerkennenden Behörde geprüft. Aber auch nach einer erfolgten Anerkennung muss die Aufsichtsbehörde weiterhin die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben überwachen; erfüllt eine Anerkannte Stelle die Anerkennungsvoraussetzungen nicht mehr, hat die Aufsicht die Anerkennung aufzuheben. IV. Konkrete Tätigkeit der Anerkannten Stellen Die konkrete Tätigkeit der Anerkannten Stelle unterscheidet sich naturgemäß schon auf Grund der verschiedenen Anbieter und ihrer „Produkte“. Eine tatsächliche Prüfung der Produkte der Anbieter durch die Anerkannte Stelle erfolgt zum Teil im Produktsicherheitsrecht, wenn das neue Konzept eine Einzelprüfung durch die Benannte Stelle vorsieht. Auch im Jugendmedienschutz prüfen FSF oder FSM, 28 Denkbar wäre allenfalls, die Wahrung der Geheimhaltung als Teil der „Zuverlässigkeit“ i. S. d. § 5 UAG zu verstehen. Die Beispiele des § 5 Abs. 2 Nr. 1 UAG nehmen eine Unzuverlässigkeit allerdings nur bei Eigentums- und Vermögensdelikten an, nicht aber bei Verstößen gegen die Straftaten zum Schutz des persönlichen Lebens- und Geheimbereichs (§§ 201 ff. StGB).

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ob das Produkt des Anbieters – eine Rundfunksendung oder ein Telemedium – mit den gesetzlichen Anforderungen übereinstimmt. Die Rechnungslegung eines Unternehmens ist nicht direkt ein Produkt; allerdings gibt es auch für die Bilanzen Nachfrager (Kreditgeber, Investoren, Anleger), die die Richtigkeit dieses „Produkts“ gewährleistet wissen wollen. Das Umweltaudit hingegen ist gerade nicht produktbezogen; hier wird vielmehr der Anbieter selbst geprüft. Das „Produkt“ ist somit das Unternehmen selbst. Die Anerkannte Stelle stellt fest, ob das Produkt den gesetzlichen Vorgaben entspricht, ob also eine Sendung mit dem JMStV vereinbar ist, ob ein Produkt die Sicherheitsanforderungen einer Richtlinie des Neuen Konzepts erfüllt, ob eine Bilanz die Vorschriften des HGB erfüllt oder ob ein Unternehmen die Vorgaben der EMAS-VO einhält. Dazu können technisch-naturwissenschaftliche Prüfungen notwendig sein (Produktsicherheitsrecht, Umweltaudit), aber auch betriebswirtschaftliche, jugend- oder medienpsychologische und zusätzlich immer rechtliche Prüfungen. Neben Einzelprüfungen tritt zudem noch die Organisationskontrolle. Im Produktsicherheitsrecht und im Umweltaudit fordert das Gesetz gewisse strukturelle Vorkehrungen im Unternehmen (Installation von Qualitätssicherungssystemen oder Umweltmanagementsystemen), deren Einhaltung von den Anerkannten Stellen überwacht werden muss 29. Die Kontrolle kann sich insofern nicht auf einen Einzelakt beschränken, sondern erfordert eine dauerhafte und umfassende Präsenz im überwachten Unternehmen. V. Form der Anerkennung der Privaten Stelle Ist die hoheitliche Anerkennung das verbindende Merkmal der Privaten Stellen, so müssen doch auch bei ihr Unterschiede konstatiert werden. Zum einen ist die anerkennende Stelle nicht immer eine Staatsbehörde (im engeren Sinne). Im Jugendmedienschutz erfolgt die Anerkennung durch die KJM, die Organ der Landesmedienanstalten und damit einer staatsfernen öffentlichrechtlichen Einrichtung ist. Beim Umweltaudit erfolgt die Anerkennung sogar durch eine juristische Person des Privatrechts, die DAU GmbH. Diese ist dazu allerdings eigens beliehen worden. Sowohl KJM als auch DAU GmbH handeln deshalb öffentlichrechtlich. Beim Bilanzkontrollrecht erfolgt die Anerkennung durch das Bundesministerium der Justiz, im Produktsicherheitsrecht durch Stellen bayerischer bzw. nordrhein-westfälischer Ministerien. Insgesamt erfolgt die Anerken-

29 Vorstellbar wäre dies zum Beispiel auch im Jugendmedienschutz, indem den Selbstkontrolleinrichtungen aufgegeben wird, die Verpflichtung zur Bestellung von Jugendschutzbeauftragten und deren ungehinderte Arbeit zu überwachen.

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nung also immer durch öffentlichrechtlich agierende Stellen und ist auch selbst nach Öffentlichem Recht zu beurteilen 30. Zum zweiten weist auch der konkrete Akt der Anerkennung Unterschiede auf. Bei den Benannten Stellen des Produktsicherheitsrechts, bei den Umweltgutachtern und bei Einrichtungen der Selbstkontrolle im Jugendmedienschutz erfolgt die Anerkennung durch Verwaltungsakt. Nur im Bilanzkontrollrecht wird die Prüfstelle durch öffentlichrechtlichen Vertrag anerkannt. Konsequenzen dieser Unterschiede ergeben sich sowohl bei der Pflicht zur Anerkennung als auch bei der Aufhebung der Anerkennung. Die Voraussetzungen für den Erlass eines Anerkennungsverwaltungsakts und seiner Rücknahme bzw. seines Widerrufs sind im Gesetz geregelt (siehe § 19 Abs. 3 JMStV, § 11 Abs. 1 GPSG, § 15 Abs. 1 MPG, §§ 48, 49 VwVfG). Auch für den Abschluss des Anerkennungsvertrags nach § 342b HGB sieht das Gesetz Anforderungen – wenn auch sehr geringe – vor. Eine Kündigungsmöglichkeit oder gar -pflicht ist hingegen gesetzlich nicht geregelt. Hier muss im Vertrag selbst dessen Beendigungsmöglichkeit geregelt werden. Der Anspruch auf Anerkennung müsste in den ersten drei Fällen durch Verpflichtungsklage geltend gemacht werden, wohingegen im Bilanzkontrollrecht eine Leistungsklage auf Vertragsabschluss vor den Verwaltungsgerichten zu erheben wäre. Gegen die Aufhebung der Anerkennung wären dementsprechend Anfechtungsklagen bzw. eine Feststellungsklage gerichtet auf Unwirksamkeit der Kündigung statthaft. Unabhängig von der Ausgestaltung als Verwaltungsakt oder Vertrag ergeben sich Unterschiede bei der Anerkennung auch aus der unterschiedlichen Ausgestaltung der Anerkennungspflicht. Während im Produktsicherheitsrecht und beim Umweltaudit jede Stelle, die die Voraussetzungen erfüllt, anerkannt werden muss (und auch anerkannt wird, weil ohnehin eine Vielzahl von Anerkannten Stellen vorgesehen ist), ist im Bilanzkontrollrecht der Abschluss des Anerkennungsvertrags in das Ermessen des Justizministeriums gestellt. Der Gesetzgeber ging davon aus, dass nur eine einzige Prüfstelle anerkannt wird, so dass das Ministerium dementsprechend von seinem Ermessen Gebrauch machen wird. Im Jugendmedienschutz ging der Gesetzgeber ebenfalls nur von der Anerkennung einer einzigen Stelle für einen Medienbereich aus. Im Gesetz niedergeschlagen hat sich dies jedoch nicht. Nach § 19 Abs. 3 JMStV ist die Anerkennung eine gebundene Entscheidung. Sollte eine weitere Stelle ihre Anerkennung beantragen 31, so könnte die KJM die Anerkennung nicht ablehnen.

30 Schmidt-Aßmann, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann, VerwR in der Informationsgesellschaft, S. 405 (429 ff.): „Akkreditierende Verwaltung“. 31 Was im Rundfunkbereich kaum denkbar ist, weil so gut wie alle deutschen Fernsehsender Mitglied der FSF sind, im Telemedienbereich angesichts der sehr geringen Mitgliederzahl der FSM hingegen durchaus möglich wäre.

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VI. Ausgestaltung der Anerkennung Die Anerkennung ist das zentrale Element der Sicherstellung der Gemeinwohlverantwortung des Staates. Dies ist auch beim Anerkennungsverfahren zu berücksichtigen. Zum einen nimmt die anerkennende Stelle nicht eine bloße Prüfung der Anerkennungsvoraussetzungen vor und erlässt eine dementsprechende positive oder negative Entscheidung; statt dessen erfolgt die Anerkennung häufig im Zusammenwirken mit der anerkennenden Stelle, oft nach einem langen Verhandlungsprozess 32. Außerdem werden im Anerkennungsakt noch zahlreiche notwendige Festlegungen durch die anerkennende Stelle getroffen, die der Gesetzgeber nicht erlassen konnte oder wollte. Auf die Bildung und interne Organisation einer Anerkannten Stelle kann der Staat keinen direkten Einfluss nehmen. Es würde den Staat auch überfordern und wäre mit dem Gedanken der Selbstregulierung unvereinbar, wenn der Gesetzgeber selbst bestimmen würde, welche konkreten Fachleute beispielsweise in einer Selbstkontrolleinrichtung arbeiten sollen, oder deren Verfahrensordnung detailliert vorgeben würde. Die Detailsteuerung kann nur durch die anerkennende Stelle im Rahmen des Anerkennungsverfahrens erfolgen. Daneben kann die Anerkennung vor allem für das weitere Verhältnis zwischen Aufsicht und Anerkannter Stelle von Bedeutung sein. Hat der Gesetzgeber – wie im Jugendmedienschutz und im Bilanzkontrollrecht – diesen wichtigen Teil der Regulierten Selbstregulierung nicht geregelt, bleibt nur die Möglichkeit, der Aufsicht die notwendigen Befugnisse im Anerkennungsakt einzuräumen, zum Beispiel wie die Aufsicht ausgestaltet ist, welche Informations- und Kooperationsbeziehungen bestehen und wann und unter welchen Voraussetzungen die Anerkennung beendet werden kann 33.

C. Rechtsverhältnis zwischen Anerkannten Stellen und Anbietern I. Öffentliches Recht oder Privatrecht – Stellung der Anerkannten Stellen zwischen Staat und Gesellschaft Bei der Regulierten Selbstregulierung geht es um die Beteiligung Privater an der Erfüllung öffentlicher Aufgaben. Darin ist schon die Verbindung zwischen Zivilrecht und Öffentlichem Recht angelegt. In den untersuchten Gebieten besteht die

32 S. das Beispiel der langwierigen und komplizierten Anerkennung der FSM, vgl. Pressemitteilung der KJM vom 28. 11. 2005 auf www.kjm-online. de. 33 Zu diesen Elementen im Rahmen eines „Gewährleistungsvertrags“ s. Lackner, Gewährleistungsverwaltung, S. 156.

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öffentliche Aufgabe, die die Anerkannten Stellen erfüllen, in der Durchsetzung staatlicher Normen. Die durchzusetzenden Gesetze sind Teil des Öffentlichen Rechts (JMStV, Umweltrecht, Produktsicherheitsrecht; auch die §§ 342b ff. HGB und §§ 37n ff. WpHG sind Öffentliches Recht). Die Anerkannten Stellen hingegen sind natürliche Personen oder juristische Personen des Privatrechts; der Staat ist an ihnen weder personell noch gesellschaftsrechtlich beteiligt und kann ihnen auch keine inhaltlichen Weisungen im Hinblick auf ihre Arbeit erteilen. Die klassischen Formen der Beteiligung Privater an der Erfüllung öffentlicher Aufgaben stellen die Beleihung, die Verwaltungshilfe oder die Indienstnahme dar 34. Wie in den dargestellten Referenzbereichen aufgezeigt, ist keine dieser Kategorien für die Anerkannten Stellen einschlägig 35. Insbesondere findet keine Beleihung der Anerkannten Stellen statt (sehr wohl aber der anerkennenden Stellen, zum Beispiel beim Umweltaudit). Die Anerkannten Stellen sind also kein Teil der Staatsverwaltung. Das Rechtsverhältnis zwischen Anerkannter Stelle und Anbieter hat sich vielmehr als auf Zivilrecht beruhend erwiesen. Im Jugendmedienschutz ergibt sich das Rechtsverhältnis zwischen FSF bzw. FSM und den Anbietern hauptsächlich aus der Vereinssatzung und den auf Grund dieser Satzung ergangenen Prüf- und Vorlageordnungen. Wenden sich Nichtmitglieder an die Selbstkontrolleinrichtungen, so erfolgt die Prüfung auf Grund eines (zivilrechtlichen) Vertrages. Auch im Produktsicherheitsrecht und beim Umweltaudit agieren die Anerkannten Stellen auf Grund eines zivilrechtlichen Vertrags mit den Anbietern. Satzungen oder sonstiges Vereinsrecht spielen hier hingegen keine Rolle, weil die Anerkannten Stellen keinen Trägerverein haben, in dem sich Anbieter eines Wirtschaftszweiges zusammenschließen. Bei der Rechnungslegungsprüfung schließlich gibt es nicht einmal mehr einen Vertrag zwischen Anerkannter Stelle und Anbieter; das Rechtsverhältnis untersteht trotzdem dem Zivilrecht, denn es beruht auf freiwilliger Kooperation und zivilrechtlichen Gestattungen und Einwilligungen des Unternehmens in Bezug auf Einsicht in Unterlagen, Gespräche mit Mitarbeitern oder Betretensrechte. Insgesamt hat sich gezeigt, dass das Zivilrecht für die Erfüllung der öffentlichen Aufgaben und die Durchsetzung der öffentlichrechtlichen Normen durch die Anerkannten Stellen ausreichend ist. Vertraglich vereinbarte Rechte und Pflichten, Vertragsstrafen oder Schadensersatzpflichten können so gestaltet und instrumentalisiert werden, dass Prüfverfahren durchgeführt und private Entscheidungen durchgesetzt werden können. Im Produktsicherheitsrecht zum Beispiel müssen sich die Unternehmen vertraglich verpflichten, den Prüfern der Anerkannten Stel-

34 35

Schmidt-Preuß, VVDStRL 56 (1997), 160 (166 ff.). So auch Schmidt-Preuß, VVDStRL 56 (1997), 160 (173 Fn. 38).

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len Zugang und Einsicht in Unterlagen zu gewähren, im Jugendmedienschutz verpflichtet die Satzung der FSF die Mitglieder zur Vorlage von Sendungen. All diese vertraglichen Pflichten ließen sich vor Gericht einklagen. Allerdings sind solche Durchsetzungsmechanismen meist nicht notwendig. Soweit der Anbieter eine Zertifizierung durch die Anerkannte Stelle erlangen will oder muss (Produktsicherheitsrecht, Umweltaudit), kann die Anerkannte Stelle bei Nichterfüllung der Pflichten durch den Anbieter die Erteilung der Zertifizierung verweigern. Der Anbieter kann entweder sein Produkt nicht in Verkehr bringen oder er kommt nicht in den Genuss der EMAS-Privilegien. Damit ist dem öffentlichen Interesse Genüge getan. Ein Zwang zur Durchführung der Prüfungen besteht nicht. Bei der Bilanzkontrolle ist eine Durchsetzung zivilrechtlicher Pflichten nicht möglich, aber auch nicht nötig, weil bei Verweigerung der Kooperation eine Übernahme der Prüfung durch die BaFin erfolgt und dies auch noch öffentlich bekannt gemacht wird. Im Jugendmedienschutz schließlich spielen Prüfbefugnisse ohnehin keine Rolle. Legt ein Anbieter seine Sendung nicht vor, kommt er nicht in den Genuss der Aufsichtsprivilegierung. Aus diesen Ausführungen ergibt sich die Notwendigkeit des Zusammenwirkens von Öffentlichem Recht und Zivilrecht 36. Das Öffentliche Recht setzt einen Rahmen, zu dessen Ausfüllung auf das Zivilrecht zurückgegriffen werden kann. Das Öffentliche Recht erkennt die Wirkungen der privaten Entscheidung nur an, wenn das zivilrechtliche Rechtsverhältnis zwischen Anbieter und Anerkannter Stelle im Sinne öffentlichrechtlicher Vorgaben ordnungsgemäß ausgestaltet ist. Auf der anderen Seite gewährleistet das Zivilrecht auch die Rechte des Anbieters gegenüber der Anerkannten Stelle. Der Wettbewerb zwischen den Anerkannten Stellen und die Möglichkeit der Nichtzusammenarbeit mit einer Anerkannten Stelle ermöglichen es den Anbietern, ihre eigenen Interessen bei der Anerkannten Stelle durchzusetzen bzw. wenn dies nicht möglich ist, sich nur mit der hoheitlichen Aufsicht auseinander zu setzen, die allen öffentlichrechtlichen Bindungen (Grundrechte, Verfahrensanforderungen) unterliegt. Dass die Anbieter vor Entscheidungen angehört werden, die Entscheidungen begründet werden und nicht willkürlich sein dürfen und auch die wirtschaftlichen oder aus Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG folgenden Interessen zu berücksichtigen sind, muss nicht durch eine Republifizierung der Anerkannten Stellen oder eine sonstige Einwirkung des Öffentlichen Rechts auf das zivilrechtliche Rechtsverhältnis erreicht werden, sondern kann der Selbstregulierung überlassen werden.

36 Schmidt-Preuß, VVDStRL 56 (1997), 160 (164): Kein Gegenpol von privatem und öffentlichem Recht, sondern Verzahnung und Durchmischung. Ähnlich auch SchmidtAßmann, Beiheft 4 DV 2001, 253 (255): „Die nähere Ausgestaltung des Ordnungskonzepts [d. h. der Regulierten Selbstregulierung] erfolgt durch Öffentliches Recht und Privatrecht gemeinsam“ (Hervorhebung im Original).

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Die bisherigen Ausführungen machen deutlich, dass sich bei der Organisation und Tätigkeit der Anerkannten Stellen Öffentliches Recht und Zivilrecht verbinden. Die Anerkannten Stellen und ihre Tätigkeit können daher nicht ausschließlich dem staatlichen oder dem gesellschaftlichen Bereich zugeordnet werden. Das bedeutet jedoch nicht, dass deshalb die Schaffung einer neue Kategorie eines „tertiären Sektors“ 37 zwischen Staat und Gesellschaft nötig wäre. Dass öffentliche Stellen nicht nur öffentlichrechtlich handeln und dass auch das Handeln Privater im Öffentlichen Recht Auswirkungen hat, ist kein neues Phänomen und auch mit den herkömmlichen Mitteln des Öffentlichen Rechts und des Zivilrechts zu bewältigen. Rechtsweg- und Rechtsschutzfragen, die Reichweite öffentlichrechtlicher Bindungen oder die Wirkungen einzelner Entscheidungen bei Regulierter Selbstregulierung müssen im jeweiligen Einzelfall genau untersucht werden. II. Vertragliche Ausgestaltung Bestimmt sich das Rechtsverhältnis zwischen Anerkannter Stelle und Anbieter nach dem soeben Dargestellten nicht nach Öffentlichem Recht, sondern nach Zivilrecht, ist das einfachste Mittel zur konkreten Ausgestaltung ein privatrechtlicher Vertrag zwischen Anerkannter Stelle und Anbieter. Im Produktsicherheitsrecht und beim Umweltaudit werden diese Verträge von den Anerkannten Stellen vorformuliert bzw. werden Prüfordnungen der Anerkannten Stellen als Allgemeine Geschäftsbedingungen im Sinne der §§ 305 ff. BGB in den Vertrag einbezogen. Auch soweit Nichtmitglieder von FSM oder FSF diese mit der Prüfung von Angeboten beauftragen, müssen die Anbieter im Vertrag die Prüfordnung der Selbstkontrolle akzeptieren. Das Gestaltungsmittel Vertrag ist vor allem sinnvoll, wenn eine große Vielzahl von Anbietern, die sich nicht straff organisiert haben, betroffen ist. Die Gründung eines Vereins oder eines Verbandes, in dem alle Produzenten von Waren, die unter eine sektorale Richtlinie des Neuen Konzepts fallen (noch dazu europaweit), Mitglied sind oder eines Vereins aller Betreiber eines Unternehmens mit Umweltauswirkungen, ist nicht realisierbar. Selbiges gilt für die Rechnungslegungsprüfung; zwar gibt es einen Trägerverein der Prüfstelle, dessen Mitglieder sind aber nicht die zu prüfenden Unternehmen. Da in Deutschland circa 1.000 börsennotierte Unternehmen existieren, wäre eine umfassende Mitgliedschaft und handlungsfähige Vereinsstruktur kaum denkbar (anders als im Rundfunk, wo es nur knapp zwei Dutzend deutschlandweiter privater Sender gibt). Vereins- oder satzungsrechtliche Mittel können hier deswegen kaum funktionieren. Ein standardisierter Vertrag mit Anerkannten Stellen bedeutet hingegen keinen übermäßigen Aufwand. Zur Selbstregulierung passt der Vertrag allerdings insoweit nicht, als 37

Dazu Kahl, Jura 2002, 721 ff.; Wahl, in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem, Verwaltungsorganisationsrecht, S. 301 (318 ff.).

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er einseitig durch die Anerkannte Stelle gestellt wird und der Anbieter kaum Einfluss auf seinen Inhalt hat. Da die Anbieter auch nicht an den Anerkannten Stellen beteiligt sind, können sie auch über diesen Weg den Vertragsinhalt nicht mitbestimmen. Da jedoch das Gesetz Prüfprogramm und -inhalt weitestgehend vorgibt und der Standardvertrag von der anerkennenden Stelle kontrolliert wird, ist eine Mitwirkung der Anbieter auch nicht zwingend nötig. Eine andere Art und Weise der Realisierung der Selbstregulierung ist das Vereinsmodell, das vor allem im Rundfunk verwirklicht ist. Auf Grund der begrenzten Zahl der Rundfunksender ist hier eine Mitgliedschaft aller Anbieter in einem Verein möglich. Der Vorteil besteht darin, dass die Satzung für alle gleich gilt und keine vertraglichen Abweichungen ausgehandelt werden können, dafür aber auch jeder Anbieter Einfluss auf die Ausgestaltung der Satzung hat. III. Freiwillige oder obligatorische Teilnahme an der Regulierten Selbstregulierung Die Unternehmen, deren Produkte von der Anerkannten Stelle geprüft und überwacht werden sollen, sind nie einer einzigen Anerkannten Stelle „ausgeliefert“. Entweder ist schon die Einschaltung der Anerkannten Stelle (aus öffentlichrechtlicher Sicht) freiwillig (Jugendmedienschutz, Umweltaudit, Bilanzkontrolle), das heißt der Anbieter hat auch immer die Option, nicht mit der Anerkannten Stelle zu kooperieren und sich statt dessen mit der hoheitlichen Aufsicht auseinander zusetzen, oder – wenn die Beteiligung einer Anerkannten Stelle Pflicht ist – besteht immerhin die freie Wahlmöglichkeit zwischen verschiedenen Stellen (so im Produktsicherheitsrecht; auch beim Umweltaudit besteht diese Auswahlmöglichkeit neben der Freiwilligkeit der Einschaltung der Anerkannten Stelle). Dies hat Auswirkungen auf die öffentlichrechtlichen Anforderungen an das Rechtsverhältnis zwischen Anbieter und Anerkannter Stelle. Während normalerweise ein Anbieter sich nur an eine einzige Behörde wenden kann und das Öffentliche Recht deshalb dafür sorgen muss, dass diese Behörde ihre Machtstellung nicht ausnutzt, kann ein Teil dieser Regelungen bei der Regulierten Selbstregulierung dem Wettbewerb bzw. dem freien Markt überlassen bleiben (s. o. § 12 C. I.). IV. Zivilrechtliche Wirkungen der Entscheidungen der Anerkannten Stelle 1. Entscheidungen der Anerkannten Stellen gegenüber den Anbietern Der Gesetzgeber, der die Regulierte Selbstregulierung eingeführt hat, hat den Entscheidungen der Anerkannten Stellen öffentlichrechtliche Wirkungen zuerkannt. Kennzeichen einer weitergehenden Selbstregulierung wäre es aber, wenn nicht der Gesetzgeber allein alle Rechtswirkungen festlegen würde, sondern auch

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die betroffenen Wirtschaftsteilnehmer selbst sich Verpflichtungen auferlegen würden. Instrument dafür können allein zivilrechtliche Mittel sein, also Verträge oder Vereins- und Verbandssatzungen. Eine solche über die öffentlichrechtliche Aufgabenstellung hinausgehende Selbstregulierung existiert aber nur im Jugendmedienschutz. Die Vereinssatzungen von FSF und FSM sehen eine über den JMStV hinausgehende Vorlagepflicht vor bzw. stellen über den JMStV hinausgehende Anforderungen an den Inhalt von Angeboten. Gleichzeitig sind die Anbieter auch vereinsinternen Sanktionen ausgesetzt, wenn sie ihre satzungsrechtlichen Pflichten verletzen bzw. der Entscheidung der Anerkannten Stelle nicht Folge leisten. Dabei ist das vereinsinterne Vorgehen von einer eventuellen Entscheidung der hoheitlichen Aufsicht unabhängig. Weder das Produktsicherheitsrecht noch das Umweltaudit noch das Bilanzkontrollrecht kennen eine vergleichbare Selbstregulierung. Falls im Bilanzkontrollrecht ein Unternehmen mit der DPR nicht kooperiert bzw. nachher das Ergebnis nicht anerkennt, hat dies ausschließlich öffentlichrechtliche Folgen, nämlich die Übernahme der Prüfung durch die BaFin. Beim Umweltaudit und im Produktsicherheitsrecht gibt es ohnehin keine Vereine oder Verbände, die ihre Mitglieder zu einer Beteiligung der Anerkannten Stellen zwingen oder die Nichtbeachtung einer Entscheidung ahnden könnten. Die Verträge zwischen den einzelnen Unternehmen und den Anerkannten Stellen sind nicht darauf ausgerichtet, ein Verhalten zu erzwingen, das intern durch die Anbieter aufgestellten Normen entspricht. In diesen drei Bereichen beschränkt sich die Beteiligung Anerkannter Stellen somit auf öffentlichrechtliche Wirkungen (auch wenn diese auf zivilrechtlicher Grundlage beruhen). 2. Ansprüche der Anbieter gegen die Anerkannte Stelle auf Durchführung der Prüfung Umgekehrt bedeutet dies allerdings nicht, dass die Anbieter keine Ansprüche gegen die Anerkannten Stellen hätten. Zwar haben Entscheidungen der Anerkannten Stelle öffentlichrechtliche Wirkungen, trotzdem ergehen die Entscheidungen auf Grund von Zivilrecht, weswegen auch die Ansprüche der Anbieter auf den Erlass einer Entscheidung dem Zivilrecht angehören 38. Als Vereinsmitglieder haben die Rundfunksender oder Anbieter von Telemedien einen Anspruch gegen FSF bzw. FSM, dass diese ihre Angebote prüfen und eine Entscheidung treffen (die die Aufsichtsprivilegierung nach sich zieht). Dieser Anspruch wäre per Leistungsklage vor den Zivilgerichten durchsetzbar bzw. wenn diese nicht mehr rechtzeitig entscheiden können, kämen nachträgliche Schadenser38

Eifert, DV 39 (2006), 309 (327): Gegen negative Prüfergebnisse des privaten Kontrolleurs muss der Kontrollierte auf dem Zivilrechtsweg klagen.

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satzansprüche in Frage. Allerdings ist es auch nicht wahrscheinlich, dass FSF oder FSM eine Prüfung nicht durchführen. Ist ein Sender der Meinung, die FSF hätte eine andere Freigabe, beispielsweise zu einem früheren Sendetermin, erteilen müssen, so muss er dies nicht gerichtlich durchsetzen. Der Sender kann das Angebot zu dem von ihm für richtig gehaltenen Zeitpunkt senden und die Entscheidung der FSF ignorieren. Ergreift die KJM aufsichtsrechtliche Maßnahmen, dann nicht wegen der Missachtung der Entscheidung der FSF, sondern wegen des Verstoßes gegen den JMStV. Gegen zivilrechtliche Sanktionen der FSF wegen Missachtung ihrer Entscheidung kann sich der Sender vor den Zivilgerichten verteidigen. Der JMStV sieht allerdings auch die Möglichkeit von Ausnahmegenehmigungen durch die Selbstkontrolleinrichtungen vor. In diesem Fall müsste der Anspruch eines Senders auf eine positive Entscheidung der FSF tatsächlich durchgesetzt werden können, wenn die FSF die Ausnahmegenehmigung unberechtigterweise verweigert. In Betracht käme dafür eine einstweilige Verfügung nach § 935 ZPO oder ein Schadensersatzanspruch wegen Verletzung satzungsrechtlicher Pflichten. Im Produktsicherheitsrecht und beim Umweltaudit haben die Unternehmen einen vertraglichen Anspruch auf Erteilung des Zertifikats, wenn sie den gesetzlichen Anforderungen genügen. Verweigert die Anerkannte Stelle die Erteilung, kann vor den Zivilgerichten Leistungsklage erhoben werden bzw. Schadensersatz wegen der unrechtmäßigen Verweigerung geltend gemacht werden. Dies führt dazu, dass Zivilgerichte letztlich prüfen müssten, ob ein Unternehmen die EMASVO erfüllt oder die Produkte eines Unternehmens den Sicherheitsanforderungen einer sektoralen Richtlinie entsprechen 39. Bei der Rechnungslegungsprüfung gibt es ohnehin keine zivilrechtlichen Ansprüche zwischen Unternehmen und Anerkannter Stelle. Unternehmen können keine Prüfung durch die DPR verlangen, andererseits besteht auch kein Grund für die Unternehmen, sich um eine solche zu bemühen. Da die hoheitliche Kontrolle allein wegen der Existenz der DPR schon zurückgenommen ist, profitiert ein Unternehmen von dieser Privilegierung nicht erst, wenn es selbst geprüft worden ist. Eine Prüfung durch die DPR bringt keine Vorteile, so dass auch kein Mechanismus vorgesehen werden muss, eine solche Prüfung von Unternehmensseite her durchzusetzen. 3. Ergebnis Im Ergebnis zeigt sich, dass ein zivilrechtliches Rechtsverhältnis zwischen Anbieter und Anerkannter Stelle zur Erreichung der öffentlichrechtlichen Vorgaben

39 Eifert, DV 39 (2006), 309 (327): Die Zivilgerichte müssen hier nicht nur öffentlichrechtliche Vorfragen, sondern zivilrechtlich verkleidete öffentlichrechtliche Hauptfragen klären.

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vollkommen ausreichend ist. Es bedarf keiner Konstruktion öffentlichrechtlicher Beziehungen und Ansprüche, um die gewünschten Ziele zu erreichen. Das Zivilrecht ist hinreichend flexibel und kann sehr differenziert ausgestaltet werden, so dass Beleihungen oder andere Formen der Republifizierung nicht vonnöten sind. V. Grundrechtsbindung der Anerkannten Stellen 1. Grundrechtsbindung der Anerkannten Stellen gegenüber den Anbietern Da die Anerkannte Stelle öffentliche Aufgaben wahrnimmt, in den Gesetzesvollzug eingebunden ist und funktional an die Stelle staatlicher Behörden tritt, könnte man annehmen, dass sie die Grundrechte der Anbieter (vor allem Art. 12 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 GG und im Jugendmedienschutz Art. 5 Abs. 1 und Abs. 3 GG) beachten muss. Erst recht würde dies gelten, hielte man die Anerkannten Stellen für Beliehene 40. a) Unmittelbare Grundrechtsbindung In erster Linie sind die Anerkannten Stellen aber Privatrechtssubjekte und daher nach Art. 1 Abs. 3 GG nicht an Grundrechte gebunden. Eine Übertragung von Hoheitsgewalt auf sie ist nicht erfolgt. Es muss genau differenziert werden, worauf sich die Grundrechtsbindung beziehen soll. Die gesetzlichen Anforderungen – ob vom europäischen oder deutschen Gesetzgeber gestellt – müssen mit den Grundrechten, vor allem den Wirtschafts- und Eigentumsfreiheiten, aber auch der Rundfunk-, Meinungs- und Kunstfreiheit, vereinbar sein. Auch bei der Auslegung der gesetzlichen Vorgaben sind die Grundrechte zu beachten. Dies betrifft vor allem die – verbindliche – Auslegung durch die Gerichte. Aber auch bei der Anwendung der Normen durch die Anerkannten Stellen müssen diese das Recht, das sie vollziehen, so auslegen, wie es die Grundrechte erfordern. Die Anerkannten Stellen kontrollieren die Einhaltung öffentlichrechtlicher Normen und setzen diese notfalls durch. Der Prüfungsmaßstab ist somit durch den grundrechtsgebundenen Gesetzgeber vorgegeben und er ist derselbe für hoheitliche Stellen wie für die privaten Anerkannten Stellen. Die Unzulässigkeitstatbestände der §§ 4, 5 JMStV variieren nicht danach, ob sie von der KJM oder der FSF durchgesetzt werden; die Normen müssen als solche mit Art. 5 Abs. 1 S. 1, Abs. 1 S. 2, Abs. 3 GG vereinbar sein oder dementsprechend ausgelegt werden und in der entsprechenden Auslegung sind sie auch durch die Anerkannten Stellen anzuwenden. Die Bilanzierungsvorschriften des HGB oder die Umweltschutzstandards

40

Wie es für die Selbstkontrolleinrichtungen im Jugendmedienschutz zum Teil vertreten wird, s. Scholz/Liesching, JMStV, § 16 Rdn. 4.

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müssen im Hinblick auf Art. 12 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1 GG ausgelegt werden und sind in dieser Auslegung von den Anerkannten Stellen anzuwenden.

Daneben ist aber noch zu klären, ob auch beim Prüfvorgang als solchem Grundrechte der Anbieter eine Rolle spielen. Im Jugendmedienschutz sind die Anerkannten Stellen Einrichtungen, die von den Anbietern selbst gegründet und ausgestattet werden. Die Vorlage einer Sendung an sie ist freiwillig und stellt für die Sender eine Dienstleistung dar, weil eine Rechtmäßigkeitskontrolle vor Ausstrahlung durchgeführt wird, die auch noch zu einer aufsichtsrechtlichen Privilegierung führt. Eine Grundrechtsbindung macht in diesem Verhältnis keinen Sinn. Beim Umweltaudit ist die Beteiligung der Anerkannten Stelle ebenfalls eine freiwillige Dienstleistung, Grundrechtsschutz für den Anbieter daher nicht notwendig. Bei der Rechnungslegungsprüfung ergeht ein Prüfungsersuchen der DPR zwar unabhängig vom Willen des Anbieters, es besteht aber kein Zwang zur Kooperation. Außerdem haben bei der Gründung der DPR auch die Verbände der geprüften Unternehmen mitgewirkt, so dass die Betroffenen sich selbst der Prüfung ausgesetzt haben. Etwas anders ist die Rechtslage im Produktsicherheitsrecht, wo die Beteiligung einer Anerkannten Stelle zwingend vorgeschrieben ist. Trotzdem kann sich der Hersteller „seine“ Anerkannte Stelle selbst aussuchen und ihr Verhältnis ist durch einen zivilrechtlichen Vertrag geregelt. Außerdem wäre durch eine Grundrechtsbindung der Benannten Stelle nichts gewonnen. Die Anforderungen, die Art. 12 Abs. 1 GG stellen würde, sind nicht sehr hoch und die Tatsache, dass die Anbieter zahlende Kunden der Anerkannten Stellen sind, dürfte für einen besseren Schutz der Anbieter sorgen als die Grundrechte. Eine unmittelbare Grundrechtsbindung der Anerkannten Stellen besteht also in keinem der untersuchten Bereiche. Sie würde allerdings auch keine Konsequenzen haben. Einer Ermächtigungsgrundlage wegen des Gesetzesvorbehalts bedarf es nicht, weil die Anerkannte Stelle keine Hoheitsgewalt ausübt und nur die Rechte hat, die ihr vom Anbieter vertraglich eingeräumt wurden. Auch die Geltung des Verhältnismäßigkeitsprinzips ist nicht erforderlich. Die Prüftätigkeit als solche (zum Beispiel die Geltendmachung von Einsichts- und Auskunftsrechten) könnte zu einer übermäßigen Belastung führen; dies würde aber schon gegen die vertraglichen Rücksichtnahme- und Treuepflichten (vgl. § 241 Abs. 2 BGB) verstoßen, so dass ein Rückgriff auf Grundrechte keinen weitergehenden Nutzen bringt. Soweit ein Zwang zur Beteiligung einer Anerkannten Stelle besteht, ist dies ein Eingriff in die Grundrechte der Anbieter. Dieser Eingriff erfolgt allerdings nicht durch die Anerkannte Stelle, sondern durch den Gesetzgeber, der die Beteiligung angeordnet hat. Der Gesetzgeber muss bei dieser Entscheidung die Grundrechte der Anbieter beachten.

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b) Mittelbare Grundrechtsbindung Stellt sich das Verhältnis zwischen Anerkannter Stelle und Anbieter als ein Verhältnis zwischen zwei gleichrangigen Privatrechtssubjekten dar, das durch das Zivilrecht bestimmt wird, könnte trotzdem eine mittelbare Grundrechtsbindung greifen. Allerdings ist dabei die Situation in der Regulierten Selbstregulierung nicht mit den üblichen Fällen mittelbarer Drittwirkung vergleichbar. Normalerweise besteht ein Streit zwischen zwei Zivilrechtssubjekten, die beide in Ausübung grundrechtlicher Freiheiten handeln und deren Interessen konfligieren. Erst zur Lösung des Rechtsstreits muss von den Gerichten auf staatliche zivilrechtliche Normen zurückgegriffen werden. Die Anerkannten Stellen handeln jedoch nicht (nur) in Ausübung grundrechtlicher Freiheiten, sondern sie setzen öffentlichrechtliche Gesetze durch, bei deren Erlass der Gesetzgeber unmittelbar an die Grundrechte gebunden war (Art. 1 Abs. 3 GG). Wie die Gesetzesdurchsetzung erfolgt, ist durch das Öffentliche Recht aber nicht vorgegeben und bestimmt sich nach Zivilrecht. Erst wenn es also nicht mehr um den Inhalt der Gesetze, sondern um die Art und Weise der zivilrechtlichen Durchsetzung geht, kann die mittelbare Grundrechtswirkung eine Rolle spielen. In Betracht kommen drei Konfliktsituationen, die von den Gerichten unter Beachtung der Grundrechte gelöst werden müssten: Der erste Fall wären unverhältnismäßige Kontroll- oder Prüfmaßnahmen der Anerkannten Stelle. Die Anerkannte Stelle hat aber keine Zwangsmittel, solche Eingriffe durchzusetzen; sie agiert nur auf Grund vertraglicher Gestattung, der Anbieter kann sich dem unverhältnismäßigen Ansinnen der Anerkannten Stelle berechtigterweise verweigern. Außerdem ist eine Verletzung von Art. 12 Abs. 1 GG durch eine Anerkannte Stelle schwer vorstellbar: Die Anerkannten Stellen bieten eine Dienstleistung an, mit der sie Gewinn erwirtschaften wollen. Sie arbeiten auf vertraglicher Grundlage. Anhörungen, Beteiligungs- und Verfahrensrechte der Anbieter sind damit automatisch gewährleistet. Missachtet eine Benannte Stelle massiv die Rechte und Interessen des Anbieters, kann sich der Anbieter an eine andere Stelle wenden. Gleichzeitig wird die rechtswidrig handelnde Stelle kaum weitere Aufträge von anderen Anbietern erhalten und damit vom Markt verschwinden. Hier sorgt somit der Wettbewerb für die Einhaltung der Rechte der Anbieter. Zudem kann sich der Hersteller an die Aufsicht bzw. anerkennende Stelle wenden, die zwar weder an Stelle der Anerkannten Stelle das Zertifikat erteilen noch die Erteilung des Zertifikats durch die Anerkannte Stelle anordnen kann, aber die unberechtigte Verweigerung zum Anlass nehmen kann, der Anerkannten Stelle die Anerkennung und damit deren Geschäftsmodell die Grundlage zu entziehen. Die zweite Konstellation betrifft zivilgerichtliche Leistungsklagen der Anbieter auf Erteilung des Zertifikats, wenn die Anerkannte Stelle dieses verweigert, obwohl die gesetzlichen Anforderungen erfüllt sind. Das Gericht muss prüfen,

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ob die gesetzlichen Anforderungen erfüllt sind (die ihrerseits wiederum mit den Grundrechten vereinbar sein müssen). Der Anspruch ergibt sich aber schon aus dem Zivilrecht, die Grundrechte bringen hier keinen zusätzlichen Ertrag. Im Jugendmedienschutz schließlich könnte sich ein Anbieter gegen Vereinsstrafen wehren, die von der FSF wegen Verstoßes gegen die Satzung verhängt wurden. Wenn ein Zivilgericht die Vereinssanktionen überprüft, müssten zumindest dabei die Einwirkungen von Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG berücksichtigt werden. Auf der anderen Seite haben sich die Anbieter freiwillig der FSF angeschlossen und sich der Vorlagepflicht und Sanktionsmöglichkeit unterworfen. Zudem bleibt ihnen jederzeit die Möglichkeit, wieder aus der FSF auszutreten. Da des Weiteren vereinsinterne Sanktionen ohnehin nur einer Vertretbarkeitsprüfung durch die ordentlichen Gerichte unterliegen, müsste es sich schon um extreme Fälle handeln, bei denen die FSF bei der Auslegung der Satzungsbestimmungen die Bedeutung der Kunst- oder Rundfunkfreiheit der Anbieter völlig verkannt hat 41, soll ein Verstoß gegen Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG feststellbar sein. Letztlich sind die Wirtschaftsgrundrechte – ob auf europäischer oder deutscher Ebene – zu unspezifisch, um im Verhältnis zwischen Wirtschaftsteilnehmern große Wirkung zu entfalten. Vorrangig bleibt es dem Gesetzesrecht überlassen, das Verhältnis zwischen den Wirtschaftsteilnehmern zu regeln und deren Interessen auszugleichen. 2. Schutzpflichtendimension der Grundrechte der Anbieter Die Anerkannten Stellen sind – wie soeben dargestellt – nicht grundrechtsgebunden. Die Anbieter können daher von diesen im Prüfverfahren und bei der Entscheidung nicht direkt die Beachtung ihrer Grundrechte (Art. 5 Abs. 1 S. 2, Art. 12 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1 GG) verlangen (wie sie es gegenüber staatlichen Kontrollen könnten). Als Ausgleich für die Verlagerung der Prüf- und Entscheidungskompetenz auf Private könnte man den Staat für verpflichtet halten, dafür Sorge zu tragen, dass die Rechte der Anbieter auch gegenüber den Anerkannten Stellen gewahrt bleiben 42. Zu verankern wäre diese Verpflichtung unter anderem in den grundrechtlichen Schutzpflichten des Staates zugunsten der Rechte der Anbieter. Wie oben dargestellt (§ 7 A. I.), verpflichtet die objektive Wertordnung des Grundgesetzes den Staat prinzipiell zum Schutz aller Grundrechte, also auch von

41 Angesichts dessen, dass sich die Bedenken bei der Regulierten Selbstregulierung vor allem dagegen richten, dass die Selbstkontrolle die Anbieter eher zu großzügig kontrollieren würde, scheint dieser Fall erst recht nicht wahrscheinlich. 42 Eifert, DV 39 (2006), 309 (320).

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Art. 5 Abs. 1 S. 2 43, Art. 12 Abs. 1 44 und Art. 14 Abs. 1 GG 45 sowie der Privatautonomie aus Art. 2 Abs. 1 GG 46. Der Staat hat nicht nur rechtswidrige eigene Eingriffe in diese Rechte zu unterlassen, sondern auch rechtswidrige Übergriffe (privater) Dritter zu verhindern. Träger hoheitlicher Gewalt müssen sich daher schützend und fördernd vor die Rechte der Anbieter stellen, soweit diese Beeinträchtigungen nicht selbst begegnen können. Ob die staatliche Schutzpflicht aktiviert wird und zu welchen Maßnahmen der Staat dadurch gezwungen wird, ist unter anderem von Art und Wahrscheinlichkeit der Gefahr und von der Bedeutung des Schutzgutes abhängig; außerdem sind auch entgegenstehende Freiheitsrechte Dritter zu berücksichtigen. Im Falle rechtswidrigen Handelns Anerkannter Stellen gegenüber den Anbietern im System der Regulierten Selbstregulierung sind keine höchstpersönlichen Rechtsgüter wie Leben, körperliche Unversehrtheit oder Freiheit betroffen, sondern „nur“ wirtschaftliche Interessen. Andererseits schreibt der Gesetzgeber zum Teil eine Beteiligung Anerkannter Stellen vor (im Produktsicherheitsrecht); wenn er die Anbieter zwingt, diese Privaten zu beauftragen, muss er als Ausgleich dafür Sorge tragen, dass diese Privaten nicht rechtswidrig die Rechte der Anbieter beeinträchtigen. Solange die Beteiligung Anerkannter Stellen freiwillig ist (wie zum Beispiel im Jugendmedienschutzrecht, beim Umweltaudit und bei der Rechnungslegungsprüfung), sind die Anbieter nicht auf den Staat angewiesen, um ihre Rechte zu schützen. Wenn die Anbieter zudem selbst Einfluss auf die Anerkannte Stelle haben (wie im Jugendmedienschutz über die Trägerschaft von FSM und FSF), sind sie selbst in der Lage, Rechtsverstöße der Anerkannten Stellen abzustellen. Auch sind die Anbieter keine geschäftsunerfahrenen Verbraucher, die schon strukturell in einer schwachen Verhandlungsposition stehen 47, sondern selbst Unternehmen und marktmächtige Nachfrager von Dienstleistungen der Anerkannten Stellen. Schon das „ob“ einer staatlichen Schutzpflicht (für die Anbieter) ist demnach hier zu verneinen. Sind die Anbieter allerdings durch den Staat gezwungen, eine Anerkannte Stelle zu beteiligen, können sie dieser also nicht ausweichen, und haben sie gleichzei43

Für die Presse BVerfGE 80, 124 (133). BVerfGE 92, 26 (46); BVerfGE 97, 169 (176 f.); BVerfG, NJW 2003, 2815; BVerfG, GewArch 2005, 253 (254); BVerfG, NZA 2005, 41 (42); BVerwGE 116, 49 (52); Isensee, HStR V, § 111 Rdn. 93. 45 BVerfG, UPR 1998, 341 (342); BVerfG, NJW 2006, 1783 (1784); Calliess, JZ 2006, 321 (322); Isensee, HStR V, § 111 Rdn. 93; a. A. Ehlers, Jura 1997, 85 (87). 46 BVerfGE 89, 214 (231 f.); BVerfG, NJW 1994, 2749 (2750); BVerfG, NJW 2005, 2363 (2365 f.); BVerfG, NJW 2006, 1783 (1784). 47 So bei den Bürgschaftsfällen in Bezug auf Art. 2 Abs. 1 GG BVerfGE 89, 214 (232); BVerfG, NJW 1994, 2749 (2750). 44

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tig keine vereins- oder gesellschaftsrechtliche Einwirkungsmöglichkeit auf die Tätigkeit der Anerkannten Stelle (so die Situation im Produktsicherheitsrecht), verlangen die Berufs- und Eigentumsfreiheit der Anbieter vom Staat Schutz gegenüber den Anerkannten Stellen. Wie der Staat seiner Schutzpflicht nachkommt, steht weitgehend in seinem Ermessen. Da es vorliegend nicht um Gesundheitsoder Lebensgefahren geht, sondern um Vertragsverletzungen und wirtschaftliche Schäden, ist der Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers umso größer. Der Staat beaufsichtigt die Anerkannten Stellen und kann darauf hinwirken, dass sie die Rechte der Anbieter achten bzw. ihnen im Falle einer Rechtsverletzung die Anerkennung entziehen; der Staat ist also nicht nur auf Grund seiner Pflichten zum Schutz der Rechtsgüter der Verbraucher zur Aufsicht über die Anerkannten Stellen gezwungen, sondern auch im Interesse der Anbieter. Die Schutzpflichten in Bezug auf die Anbieter führen dazu, dass die Aufsichtsstellen bei der Entscheidung über eine Aufsichtsmaßnahme oder einen Entzug der Anerkennung nicht nur das öffentliche Interesse an einer ordnungsgemäßen Arbeit der Anerkannten Stelle und die Rechte der Anerkannten Stelle zu berücksichtigen haben, sondern auch die Rechte der Anbieter in die Abwägung mit einzustellen haben. Neben der Aufsicht hat der Staat auch die allgemeine Zivilrechtsordnung bereitgestellt: Da zwischen Anbieter und Anerkannter Stelle kein strukturelles Ungleichgewicht besteht, genügt die Vertragsfreiheit weitgehend zur Wahrung der jeweiligen Belange, vor allem auf Grund des Wettbewerbs zwischen verschiedenen Anerkannten Stellen 48. Der Anbieter kann seine vertraglichen Rechte gegenüber der Anerkannten Stelle einklagen; das Haftungsrecht ist eine ausreichende Sanktion für Vertragsverletzungen. VI. Rechtsschutz gegen Entscheidungen der Anerkannten Stelle Das Ergebnis der Prüfung durch die Anerkannte Stelle kann im Erlass einer bestimmten Entscheidung oder auch im Unterlassen einer Entscheidung bestehen. Das Unterlassen einer Entscheidung ist dann nachteilig für den Anbieter, wenn er damit nicht in den Genuss einer Privilegierung gelangt. Am deutlichsten ist dies im Produktsicherheitsrecht: Der Anbieter benötigt eine Zertifizierung, um sein Produkt in Verkehr bringen zu können. Beim Umweltaudit ist das Zertifikat Voraussetzung für die Erleichterungen bei Genehmigungs- und Aufsichtsverfahren. Im Jugendmedienschutz führt eine präventive Entscheidung der FSF immerhin zu aufsichtsrechtlichen Privilegierungen. Rechtsschutz für die Anbieter führt hier über einen einklagbaren Anspruch auf Erteilung der Entscheidung 49 (wenn deren gesetzliche Anforderungen erfüllt sind); dessen Ausgestaltung ist oben unter § 12 C. IV. 2. dargestellt. 48 Eifert, DV 39 (2006), 309 (328): Der Wettbewerb zwischen den privaten Kontrollstellen dürfte groben Missbrauch verhindern. 49 Eifert, DV 39 (2006), 309 (327).

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Rechtsschutz gegen eine ergangene Entscheidung der Anerkannten Stelle muss nur gegeben sein, wenn diese Entscheidung den Anbieter tatsächlich belastet. So führen negative Prüfentscheidungen der Prüfstelle im Bilanzkontrollrecht allein zu (möglichen) Belastungen durch die BaFin – Rechtsschutz muss nur gegen die Entscheidung der BaFin gegeben sein. Negative Entscheidungen im Produktsicherheitsrecht oder beim Umweltaudit gibt es nur in der Form, dass ein Zertifikat nicht erteilt wird, sonstige Auflagen oder Anordnungen kann die Anerkannte Stelle nicht treffen. Eine Anfechtung einer Entscheidung ist daher nicht nötig. Im Jugendmedienschutz kann die Anerkannte Stelle belastende Entscheidungen treffen, etwa indem sie eine Schnittauflage oder eine spätere Sendezeit anordnet. Diese Entscheidungen sind aber öffentlichrechtlich nicht verbindlich, aus Sicht des Rundfunkrechts und des JMStV darf der Anbieter die Sendung trotzdem nach seinen Vorstellungen ausstrahlen (und muss sich dann möglicherweise mit der KJM vor den Verwaltungsgerichten auseinandersetzen). Anfechtungs- oder sonstige Klagen gegen die FSF vor den Verwaltungsgerichten sind also weder möglich noch nötig. Allerdings ist der Sender zivilrechtlichen Sanktionen (Vereinsstrafen) der FSF ausgesetzt, wenn er ihren Entscheidungen nicht Folge leistet. Gegen diese Vereinsstrafen ist jedoch wiederum der Zivilrechtsweg eröffnet. Bevor die Zivilgerichte angerufen werden müssen, bestehen Rechtsschutzmöglichkeiten innerhalb der Anerkannten Stelle. Vor der Verweigerung der Zertifizierung im Produktsicherheitsrecht und beim Umweltaudit wird der Anbieter angehört und kann eine interne Überprüfung der Entscheidung verlangen. Im Produktsicherheitsrecht ist meist ein Einspruchsverfahren innerhalb der Benannten Stelle vorgesehen. Bei der FSF ist das interne Rechtsschutzverfahren am ausgeprägtesten: Gegen eine Entscheidung des Prüfungsausschusses kann „Berufung“ zum Berufungsausschuss eingelegt werden, gegen dessen Entscheidung schließlich das Kuratorium angerufen werden kann. Bei der Rechnungslegungsprüfung schließlich besteht der interne Rechtsschutz darin, dass das Unternehmen mit der DPR nicht kooperieren bzw. nach erfolgter Prüfung das Ergebnis nicht anerkennen muss. Rechtsschutz gegen belastende Entscheidungen der Anerkannten Stellen ist damit durch „Vorverfahren“ und anschließende Zivilgerichtsverfahren sichergestellt; in den meisten Fällen ist gerichtlicher Rechtsschutz aber nicht nötig, weil die eigentlich belastende Entscheidung durch die hoheitliche Aufsicht erfolgt, gegen die eigene Rechtsmittel bestehen. VII. Haftungsfragen Ein nicht zu unterschätzendes Element der Steuerung eines Lebensbereichs ist die (Schadensersatz-)Haftung. In Bereichen der Regulierten Selbstregulierung kommen dabei grundsätzlich zwei Haftungssubjekte in Betracht: Die Anerkannte Stelle als Anspruchsgegner für Anbieter und Verbraucher (dazu sogleich) oder

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der Staat als Anspruchsgegner sowohl der Anerkannten Stelle, der Anbieter als auch der Verbraucher (dazu unten § 13 B. V.). 1. Haftung der Anerkannten Stelle gegenüber den Anbietern Die Haftung der Privaten ist nötig, denn sie stellt einen Baustein der staatlichen Gewährleistungsverantwortung dar 50. Das Risiko der eigenen Haftung diszipliniert die Anerkannten Stellen und zwingt sie zu ordnungsgemäßer Aufgabenerfüllung. Die Anerkannten Stellen können die Haftung vermeiden, wenn sie den Gesetzen, die sie vollziehen, entsprechend handeln. Dies führt dazu, dass die Anerkannten Stellen die gesetzlichen Vorgaben einhalten, auch wenn diese nicht zwangsweise durchsetzbar sind. Würde hingegen primär der Staat haften, entfiele dieser Anreiz für die Anerkannten Stellen 51. Wo mehrere Anerkannte Stellen zur Auswahl stehen, würde eine Haftungsübernahme durch den Staat zudem den Wettbewerb verfälschen. Der Anbieter müsste nicht auf die Seriosität oder Kompetenz der Anerkannten Stelle achten, weil im Falle einer Schlechterfüllung oder gar der Insolvenz der Anerkannten Stelle der Staat als Haftungsschuldner bliebe. Die Haftung der Anerkannten Stelle ist somit ein bedeutsames Steuerungsinstrument, das nicht durch eine Haftungsverlagerung auf den Staat unterlaufen werden sollte. Dem Interesse der Anbieter an einem solventen Haftungsschuldner kann durch eine obligatorische Haftpflichtversicherung der Anerkannten Stellen Rechnung getragen werden (wie im Produktsicherheitsrecht geschehen, s. o. § 4 B. II. 3. b). a) Staatshaftung Anerkannte Stellen nehmen öffentliche Aufgaben wahr, die üblicherweise von staatlichen Behörden erfüllt wurden. Würde eine Behörde rechtswidrig die Zertifizierung eines Anbieters verweigern und so die Ausstrahlung eines Filmes, das Inverkehrbringen eines Produktes oder den Internetauftritt eines Unternehmens verbieten, kämen Haftungsansprüche aus Amtshaftung (Art. 34 Satz 1 GG i. V. m. § 839 Abs. 1 BGB) und aus enteignungsgleichem Eingriff in Betracht. Im System der Regulierten Selbstregulierung kommen jedoch die Behörden mit den Anbietern nicht direkt in Kontakt; Zertifizierungen und Kontrollen werden durch die (privaten) Anerkannten Stellen vorgenommen, nicht durch staatliche Stellen. Staatshaftung kann durch das Handeln einer privaten Stelle ausgelöst werden, wenn diese Privaten ein öffentliches Amt im Sinne des Art. 34 Satz 1 GG ausüben. Dies kann zum einen bei einer Beleihung der Fall sein 52. Amtspflichtverletzungen 50 51

Scherzberg, NVwZ 2006, 377 (382). Zu diesem Aspekt vertiefend Weiß, Produktsicherheit, S. 357.

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4. Teil: Strukturen der Regulierten Selbstregulierung

Beliehener lösen allerdings nur einen Amtshaftungsanspruch gegen die beleihende staatliche Stelle, nicht gegen den Beliehenen selbst aus 53. Des Weiteren ist eine Amtshaftung für das Handeln eines privaten Verwaltungshelfers möglich: Unternehmen, die vom Staat mit Hilfstätigkeiten im Rahmen öffentlicher Verwaltung betraut wurden, sind ebenfalls „Beamte“ im Sinne des Art. 34 Satz 1 GG 54. Voraussetzung einer Haftung bei Verwaltungshilfe ist, dass im Bereich der Eingriffsverwaltung 55 die Durchführung einer Maßnahme von der Verwaltung auf einen Privaten übertragen wird, die übertragene Aufgabe mit der hoheitlichen Tätigkeit der Behörde in enger Verbindung steht und der Entscheidungsspielraum des Unternehmens begrenzt ist 56. Auch bei Verwaltungshelfern haftet jedoch nicht der Verwaltungshelfer, sondern ausschließlich die öffentlichrechtliche Körperschaft, die dem Verwaltungshelfer die konkrete Aufgabe anvertraut hat 57. Die Anerkannten Stellen sind weder Beliehene noch Verwaltungshelfer (s. o. § 12 A. IV.); es wurde bereits dargestellt, dass die Anerkannten Stellen zwar öffentliche Aufgaben erfüllen, jedoch zivilrechtlich verfasst sind und zivilrechtlich handeln. Sie sind deshalb keine Beamten im haftungsrechtlichen Sinn und üben auch kein öffentliches Amt aus. Amtshaftungsansprüche 58 oder sonstige öffentlichrechtliche Ersatzansprüche kommen gegen sie deswegen nicht in Betracht. Auch nach der vom BGH vertretenen erweiterten Werkzeugtheorie 59 kann eine Amtshaftung nicht begründet werden, weil die Anerkannten Stellen nicht als Erfüllungsgehilfen einer hoheitlich handelnden Behörde tätig werden. Zudem würde selbst bei einer Beleihung oder Verwaltungshilfe die Amtshaftung die anvertrauende staatliche Stelle treffen und nicht die Anerkannte Stelle 60. Für eine eigene öffentlichrechtliche Haftung der Anerkannten Stellen gibt es im derzeitigen System des deutschen Staatshaftungsrechts keine gesetzliche Grundlage. Als Haftungssubjekte einer öffentlichrechtlichen Haftung kommen somit nur die Rechtsträger der im jeweiligen System der Regulierten Selbstregulierung

52

BGHZ 161, 6 (10). Grzeszick, in: Erichsen/Ehlers, AllgVwR, § 43 Rdn. 11. 54 So zuletzt für private BSE-Testlabors BGHZ 161, 6 (10); BGH, NVwZ 2006, 966. Allg. zur Haftung für Verwaltungshelfer Stelkens, JZ 2004, 656 ff.; Petersen, Jura 2006, 411 ff. 55 Für eine Haftung auch im Bereich der Leistungsverwaltung Stelkens, JZ 2004, 656 (658). 56 BGHZ 121, 161 (165 f.); Z 161, 6 (11); Grzeszick, in: Erichsen/Ehlers, AllgVwR, § 43 Rdn. 12. 57 BGHZ 99, 326 (330); BGHZ 121, 161 (163); BGH, NVwZ 2006, 966. 58 Dieser setzt öffentlichrechtliches Handeln voraus, Detterbeck/Windthorst/Sproll, Staatshaftungsrecht, § 8 Rdn. 11; Grzeszick, in: Erichsen/Ehlers, AllgVwR, § 43 Rdn. 6. 59 BGHZ 121, 161 ff.; Z 161, 6 (10 f.); BGH, JZ 2006, 920 (922). 60 Grzeszick, in: Erichsen/Ehlers, AllgVwR, § 43 Rdn. 12. 53

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beteiligten öffentlichrechtlichen Stellen in Betracht. Deren Haftung wird unten unter § 13 B. V. dargestellt. b) Zivilrechtliche Haftung Ist ein Privater „Beamter“ im Sinne des Art. 34 Satz 1 GG (also im Falle einer Beleihung oder Verwaltungshilfe), kommen verschuldensabhängige zivilrechtliche Haftungsansprüche gegen ihn nicht in Betracht; das Staatshaftungsrecht ist insofern spezieller 61. Da die Anerkannten Stellen jedoch wie oben gezeigt keine Beamten im haftungsrechtlichen Sinne sind, ihr Handeln daher keine Staatshaftungsansprüche auslöst, bleibt der Rückgriff auf das zivilrechtliche Haftungsrecht möglich. Auf Grund des zivilrechtlichen Verhältnisses zwischen Anerkannter Stelle und Anbieter greift das zivilrechtliche Schadensersatzrecht. Bei der Verletzung von Pflichten aus dem Vertrag oder der Satzung kommen Schadensersatzansprüche aus §§ 280, 281, 286 BGB in Betracht; daneben ist an Ersatzansprüche aus §§ 823 Abs. 1, 826 BGB zu denken. Im Produktsicherheitsrecht kann ein Haftungsfall entstehen, wenn die Anerkannte Stelle die Zertifizierung unberechtigt verweigert oder zu spät erteilt. Da das Unternehmen seine Produkte ohne Zertifizierung nicht in Verkehr bringen kann, sind dadurch entstandene Schäden, vor allem der entgangene Gewinn, als Verzugsschäden nach § 280 Abs. 1, 3, § 286 BGB zu ersetzen (Verschulden der Anerkannten Stelle für die Verzögerung vorausgesetzt), weil zwischen Anerkannter Stelle und Anbieter ein vertragliches Schuldverhältnis im Sinne des § 280 Abs. 1 BGB besteht. Beim Umweltaudit behindert eine Verweigerung oder Verzögerung der Auditierung nicht den Betrieb des Unternehmens als solchen. Die entgangenen Privilegierungen können allerdings zu erhöhtem Aufwand beim Unternehmen, zum Beispiel in Genehmigungsverfahren oder bei Kontrollen führen; diese Aufwendungen können nach § 280 Abs. 1, 3, § 286 BGB ersetzt verlangt werden. Im Jugendmedienschutz sind die Rundfunkanbieter vereinsintern an die Entscheidung der FSF gebunden. Obwohl diese keine öffentlichrechtliche Bindung nach sich zieht, wird ein Sender wahrscheinlich von der Ausstrahlung einer beanstandeten Sendung absehen, um der vereinsinternen Haftung und dem Risiko von hoheitlichen Aufsichtsmaßnahmen zu entgehen. Eine rechtswidrige NichtFreigabe einer Sendung kann somit zu einem Schaden führen, etwa zu entgangenen Werbeeinnahmen. Da auch die Mitgliedschaft in einer Personenvereinigung ein Schuldverhältnis mit Treue- und Rücksichtnahmepflichten begründet, können den Vereinsmitgliedern der FSF Schadensersatzansprüche gegen diese aus § 280 61

BGHZ 118, 304 (311); Z 121, 161 (167); Grzeszick, in: Erichsen/Ehlers, AllgVwR, § 43 Rdn. 4.

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Abs. 1 BGB zustehen. Sofern ein Nichtmitglied der FSF eine Sendung zur Prüfung vorlegt, geschieht dies auf Grund eines Vertrages, so dass die Haftung wiederum aus § 280 Abs. 1 BGB folgt. Das Fehlverhalten ihrer Vereinsorgane wird FSF und FSM nach § 31 BGB zugerechnet; zwar stellen die Prüfausschüsse keine Vereinsorgane i. e. S. dar, da sie gerade nicht den Verein und seine Mitglieder (die Fernsehsender) repräsentieren, sondern von diesen unabhängig und weisungsungebunden sein sollen. Der BGH erkennt in st. Rspr. aber auch solche Personen als verfassungsmäßige Vertreter i. S. d. § 31 BGB an, denen „durch die allgemeine Betriebsregelung und Handhabung bedeutsame, wesensmäßige Funktionen der juristischen Person zur selbständigen, eigenverantwortlichen Erfüllung zugewiesen sind“, so dass sie „die juristische Person auf diese Weise repräsentieren“ 62.

Bei der Rechnungslegungsprüfung wurde oben (§ 6 D. II. 5.) bereits dargestellt, dass eine fehlerhafte Prüfung der Prüfstelle grundsätzlich keine Schäden verursachen und daher keine Haftung auslösen kann. Grundsätzliche Voraussetzung aller Schadensersatzansprüche ist die Verursachung eines Schadens bei einem Anbieter durch das Verhalten einer Anerkannten Stelle. Sofern eine positive Entscheidung einer Anerkannten Stelle notwendige Voraussetzung für die Aufnahme oder Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit ist, ist die rechtswidrige Verweigerung oder Verzögerung dieser Entscheidung unproblematisch schadensverursachend (in Form von entgangenem Gewinn, § 252 BGB, oder verdorbener oder veralteter Ware). Weniger eindeutig ist die Rechtslage bei entgangenen Privilegierungen; haben diese einen wirtschaftlich messbaren Wert, ist die Versagung dieser Privilegierung ein Schaden, etwa wenn ein Unternehmen Betriebsausfälle durch hoheitliche Prüfungen in der Fabrik hinnehmen oder kostspielige Genehmigungsunterlagen erstellen muss. Schützt die Privilegierung lediglich vor dem Risiko einer hoheitlichen Kontrolle, die als solche keine Kosten verursacht (zum Beispiel die nachträgliche Beurteilung eines Filmes auf seine Vereinbarkeit mit dem JMStV), stellt die entgangene Privilegierung keinen wirtschaftlichen Schaden dar. Ob durch eine verweigerte oder verzögerte Zertifizierung ein Schaden entstehen kann, hängt demnach maßgeblich von der konkreten gesetzlichen Ausgestaltung der öffentlichrechtlichen Wirkung der Zertifizierung ab. Allgemeine Aussagen zur Haftung Anerkannter Stellen oder zu strukturellen Problemen ihrer Haftung lassen sich demnach kaum machen. Daneben kommt eine Haftung für die Verletzung von Nebenpflichten beziehungsweise für Schäden an sonstigen Rechtsgütern des Anbieters in Betracht. Beschädigen Prüfer der Anerkannten Stelle bei Betriebsbesichtigungen Einrichtungen des Anbieters, muss die Anerkannte Stelle diesen Schaden nach § 280 Abs. 1, § 241 Abs. 2, § 276 BGB und nach § 823 Abs. 1, § 831 BGB ersetzen. Verrät ein Prüfer der DPR Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse des geprüften 62

BGHZ 49, 19 (21).

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Unternehmens, ergibt sich die Haftung der Prüfstelle aus der deliktsrechtlichen Norm des § 342c HGB. Die Regulierte Selbstregulierung führt hier zu keinen Besonderheiten. 2. Haftung der Anerkannten Stelle gegenüber dem Verbraucher Wie oben dargestellt, agieren die Anerkannten Stellen nicht hoheitlich und unterfallen nicht der Staatshaftung. Haftungsansprüche von Verbrauchern gegen sie können sich daher – wenn überhaupt – nur aus dem Zivilrecht, das heißt vor allem aus vertraglicher oder deliktischer Haftung, ergeben. Vertragliche Ansprüche scheitern daran, dass in keinem Bereich zwischen den Anerkannten Stellen und den Verbrauchern rechtsgeschäftliche Beziehungen bestehen. Eindeutig ist dieses Ergebnis im Jugendmedienschutz. Im Produktsicherheitsrecht könnte man den Vertrag zwischen Anbieter und Anerkannter Stelle immerhin als einen Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter (das heißt der Verbraucher) verstehen. Voraussetzung dafür wäre aber, dass die in den Schutz miteinbezogenen Dritten für den Vertragspartner erkennbar sind. Angesichts der Massenprodukte, die auch unter das Neue Konzept fallen und der daher für die Anerkannten Stellen unüberschaubaren Zahl von Personen, die mit den Produkten in Kontakt kommen, ist diese Voraussetzung aber nicht erfüllt. Außerdem hat der Verbraucher normalerweise eigene vertragliche Ansprüche gegen den Verkäufer, so dass auf Grund der Subsidiarität des Vertrages mit Schutzwirkung zugunsten Dritter eine Haftung auch aus diesem Grund ausscheidet. Anders kann dies beim Umweltaudit sein: Das Audit soll gerade auch dazu dienen, gegenüber Lieferanten, Investoren und Kreditgebern positive Wirkungen entfalten (s. u. § 15 C. I. 2.); fordert beispielsweise ein Investor oder Kreditgeber vor seiner Anlageentscheidung vom Unternehmen die Erstellung eines Umweltgutachtens an, wird vom Umweltgutachter in Kenntnis dessen eine unrichtige Umwelterklärung schuldhaft validiert, wird diese Erklärung dann bestimmungsgemäß verwendet und erleiden die Dritten auf Grund der falschen Erklärung Schäden, kommt auch ein Anspruch dieser Anleger gegenüber dem Umweltgutachter aus einem Vertrag mit Schutzwirkung zu Gunsten Dritter in Betracht. Im Bilanzkontrollrecht hingegen fehlt es schon an einem Vertrag zwischen Anerkannter Stelle und Anbieter, der Schutzwirkungen entfalten könnte. Andererseits ist die Rechtsprechung bei der Erstellung von Gutachten im Wirtschaftsverkehr sehr großzügig mit der Annahme von Auskunfts- oder Beratungsverträgen oder der Schutzwirkung dieser vertraglichen Tätigkeit gegenüber Dritten 63. Da die Rechnungslegungskontrolle durch die Prüfstelle jedoch nicht nach außen bekannt wird, kann auch kein Dritter auf das Prüfergebnis vertrauen und dies zur Grundlage für seine Entscheidung machen. 63

BGHZ 138, 257 (260 f.); Z 145, 187 (197 f.); BGH, NJW 2001, 3115 (3116); Emmerich, in: MüKoBGB, § 311 Rdn. 228 f.

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Auch eine deliktische Haftung gegenüber den Verbrauchern scheidet weitestgehend aus. Beim Jugendmedienschutz sind schon Verletzungen der in § 823 Abs. 1 GG geschützten Rechtsgüter schwer vorstellbar. Lediglich wenn eine Sendung oder ein Telemedium das Allgemeine Persönlichkeitsrecht einer bestimmten Person und damit gleichzeitig den JMStV verletzt (etwa, indem dadurch gegen § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 8 JMStV verstoßen wird, dass über ein Opfer schwerer körperlicher Leiden auch noch in einer die Menschenwürde verletzenden Weise in den Medien berichtet wird), ist zumindest eine Haftung des Senders aus § 823 Abs. 1 BGB denkbar. Ist die Sendung der FSF nicht vorgelegt worden, kann diese nicht verantwortlich gemacht werden; hat sie sie allerdings geprüft und unbeanstandet gelassen, ist trotzdem fraglich, ob die Rechtsgutsverletzung auch der FSF zurechenbar ist. Den Rechtsverstoß begangen hat der Sender, die FSF hat es nur unterlassen, ihn zu verhindern. Dazu ist sie aber dem Zuschauer gegenüber auch nicht verpflichtet. Die FSF verteilt keine Gütesiegel oder ähnliche Kennzeichnungen geprüfter Sendungen (etwa des Inhalts: „Wir, die FSF, versichern, dass nachfolgende Sendung für Jugendliche unbedenklich ist.“), aus denen sich eine Garantieübernahme der FSF gegenüber dem Publikum ableiten lassen könnte. Für den Zuschauer ist nicht ersichtlich, ob eine Sendung von der FSF freigegeben oder ihr nicht zur Prüfung vorgelegt wurde. Eine eigene Haftung der FSF scheidet daher aus.

Im Produktsicherheitsrecht können Schäden an Leben, körperlicher Unversehrtheit oder Eigentum eintreten, die von § 823 Abs. 1 BGB erfasst sind. Primär verantwortlich für diese Schäden ist der Hersteller. Eine eigene deliktische Haftung der Anerkannten Stellen wegen der unrechtmäßigen Erteilung eines Zertifikats für ein nicht den Vorschriften entsprechendes Produkt wäre daneben aber ebenfalls denkbar. Die Kausalität im Sinne einer conditio sine qua non wäre zu bejahen, denn ohne Erteilung des Zertifikats hätte das Produkt nicht in Verkehr gebracht werden dürfen; aber auch die adäquate Kausalität ist gegeben, weil es vorhersehbar und vermeidbar ist, wenn Verbraucher auf Grund unterlassener Kontrollen durch schadhafte Produkte verletzt werden. Diese dienen dazu, fehlerhafte Produkte zu erkennen, auszusondern und zu verhindern, dass sie in den Verkehr gelangen, wo sie Verbraucher schädigen können. Hätte die Anerkannte Stelle ihre Arbeit ordentlich gemacht, wäre das fehlerhafte Produkt erkannt und nicht verkauft worden. Es ist auch Schutzzweck der Normen des Neuen Konzepts, die Verbraucher vor Schäden durch unsichere Produkte zu schützen. Die Benannten Stellen sollen nicht nur eine Dienstleistung für den Hersteller erbringen und dessen internes Qualitätsmanagementsystem betreuen; ihre Aufgabe ist es, für sichere Produkte zu sorgen, das heißt, sie dienen nicht nur dem Interesse der Hersteller, sondern gerade auch dem der Verbraucher. Rechtswidrig ist der Verstoß gegen die Richtlinien beziehungsweise das MPG oder GPSG ebenfalls. Falls der Anerkannten Stelle ein Verschulden nachgewiesen werden kann (oder falls – wie im sonstigen Produkthaftungsrecht auch – eine Beweislastumkehr greift, weil es für einen Außenstehenden nicht möglich ist, Einblick in den internen Ablauf bei der Produktkontrolle zu erlangen), haftet die Anerkannte Stelle neben dem Hersteller für Schäden durch mangelhafte Produkte 64.

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Das Umweltaudit stellt im Gegensatz zum CE-Zeichen ein Gütesiegel dar. Allerdings garantiert der Umweltgutachter nur, dass das auditierte Unternehmen die Vorgaben der EMAS-VO erfüllt, welche ihrerseits keine materiellen Vorgaben enthalten, sondern nur Anforderungen an die Organisation und Verfahren im Unternehmen. Ein Geschädigter müsste nachweisen können, durch Umweltauswirkungen des Unternehmens geschädigt worden zu sein, die dadurch entstanden sind, dass zum Beispiel das Umweltmanagementsystem des Unternehmens nicht funktioniert hat und dass des Weiteren dieses fehlerhafte Funktionieren vom Umweltgutachter fahrlässigerweise nicht erkannt wurde. Angesichts dessen, dass der Geschädigte von dieser Kausalität selten Kenntnis haben können wird bzw. er es noch seltener beweisen kann und es sich bei den Umweltgutachtern überwiegend um natürliche Personen (ohne Pflichthaftpflichtversicherung) handelt, wird sich ein Geschädigter ohnehin an das schädigende Unternehmen und nicht an den Umweltgutachter halten wollen. Insgesamt werden die Anerkannten Stellen – mit Ausnahme des Umweltaudits – nicht nach außen tätig. Sie agieren lediglich im Verhältnis zum Anbieter, der Verbraucher erlangt meist keine Kenntnis vom Tätigwerden der Anerkannten Stelle (so auf jeden Fall im Jugendmedienschutz und bei der Bilanzkontrolle; im Produktsicherheitsrecht ergibt sich aus dem CE-Zeichen und der sich daran anschließenden Kennnummer der Benannten Stelle, dass eine Anerkannte Stelle in die Produktprüfung involviert war, allerdings wird diese Tatsache kaum einem Verbraucher bekannt sein). Die zivilrechtliche Inanspruchnahme Anerkannter Stellen ist daher schon aus praktischen Gründen eher fern liegend.

D. Mittel der Rechtsdurchsetzung Die Anerkannten Stellen übernehmen unter anderem die Erledigung von Verwaltungsaufgaben. Eine ihrer Aufgaben ist letztlich – in einem gewissen Umfang – die Rechtsdurchsetzung. Allerdings stehen ihnen dafür nicht die Hoheitsmittel einer Behörde wie Rechtsverordnungen, Satzungen oder Verwaltungsakte inklusive deren Vollstreckung im Verwaltungszwang zur Verfügung. Die Anerkannten Stellen müssen auf andere Weise dafür sorgen, dass sich die Anbieter an die Gesetze halten, in deren Vollzug die Anerkannten Stellen eingebunden sind. Da sie als private Stellen agieren, können dies nur Mittel des Zivilrechts oder Mittel, die nicht rechtlicher Natur sind, sein. Dabei muss zwischen zwei Bereichen der Normdurchsetzung unterschieden werden. Der erste Komplex besteht in den öffentlichrechtlichen Wirkungen einer Entscheidung der Anerkannten Stelle. Die Anerkannte Stelle steuert damit zum 64

S. dazu ausführlich Weiß, Produktsicherheit, S. 443 ff. Relevant könnte dies vor allem werden, wenn der Hersteller insolvent ist.

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Beispiel die Durchsetzung der materiellen Anforderungen der §§ 4, 5 JMStV, die Erfüllung der grundlegenden Sicherheitsanforderungen einer sektoralen Richtlinie im Produktsicherheitsrecht, die Erfüllung von Verfahrens- und Überwachungsvorschriften im Immissionsschutz- und Abfallrecht beim Umweltaudit und die Einhaltung der HGB-Vorschriften zur Rechnungslegung. Diese Normen stellen materielle Anforderungen an das „Produkt“ des Anbieters. Der zweite Bereich wird von den Normen gebildet, die die Prüfung durch die Anerkannte Stelle selbst ausgestalten. Vor allem bei den Auditierungsverfahren im Umweltaudit oder Produktsicherheitsrecht bestehen zum Teil detaillierte gesetzliche Vorgaben für den Ablauf der Prüfung. Auch im WpHG bestehen Vorschriften über die Befugnisse der Prüfstelle bei der Bilanzkontrolle. Insgesamt handelt es sich um Verfahrensvorschriften für das Prüfverfahren. Es ist daher zu differenzieren, ob die Anerkannte Stelle ihre Prüfbefugnisse und damit ein ordnungsgemäßes Prüfverfahren durchsetzen will oder ob sie erreichen will, dass der Anbieter die öffentlichrechtlichen Anforderungen an sein Produkt erfüllt. I. Zivilrechtliche Durchsetzung öffentlichrechtlicher Normen 1. Durchsetzung der Entscheidungen der Anerkannten Stelle durch Hoheitsträger Die Mittel zur Rechtsdurchsetzung müssen nicht notwendig den Anerkannten Stellen selbst zur Verfügung stehen. Möglich ist auch eine „subsidiäre“ Zuständigkeit eines Hoheitsträgers für den Fall, dass der Anbieter der Entscheidung der Anerkannten Stelle nicht folgt. Die Anerkannte Stelle kann ihre eigene Entscheidung nicht zwangsweise durchsetzen, aber sie hat das „Drohpotenzial“, den Fall ansonsten an die zuständige Behörde weiterzuleiten, die dann ihrerseits mittels Hoheitsgewalt vorgehen kann. Verwirklicht ist diese Möglichkeit vor allem im Bilanzkontrollrecht; allerdings setzt auch die Behörde keine klassische Hoheitsgewalt ein, sondern veröffentlicht nur die Prüfung und die Prüfergebnisse (was prinzipiell auch durch die Prüfstelle erfolgen könnte). Auch im Jugendmedienschutz kann ein Hoheitsträger an Stelle der Anerkannten Stelle entscheiden. Die Zuständigkeit des Hoheitsträgers besteht dabei allerdings nicht subsidiär nur für den Fall, dass der Anbieter die Entscheidung der Anerkannten Stelle nicht befolgt; statt dessen ist die KJM immer zuständig, bei einer Nichtbefolgung der Entscheidung der FSF erweitert sich jedoch ihr Entscheidungsspielraum, weil sie nicht mehr an den Beurteilungsspielraum der Selbstkontrolleinrichtung gebunden ist. Beim Umweltaudit und im Produktsicherheitsrecht hingegen gibt es keine Behörde, welche die Prüfung an Stelle der Anerkannten Stelle übernehmen könnte. Eine „Abgabe“ des Falles an einen Hoheitsträger kommt daher nicht in Frage.

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2. Verlust öffentlichrechtlicher Privilegierungen durch Verweigerung einer Entscheidung Wenn die Entscheidung der Anerkannten Stelle dem Anbieter einen Vorteil bringt, wird er sich von sich aus – ohne den Einsatz von Druckmitteln – bemühen, die Voraussetzungen für die Erteilung der positiven Entscheidung zu erfüllen. Ist die Normkonformität Erteilungsvoraussetzung, so wird der Anbieter sein Produkt dementsprechend gestalten, ohne dass dies mit rechtlichen Mitteln erzwungen werden müsste. Dies ist der Fall beim Umweltaudit und bei der Produktzertifizierung. Zur Erteilung dieser Zertifikate hat sich die Anerkannte Stelle verpflichtet, wenn der Anbieter die Voraussetzungen der einschlägigen Normen erfüllt. Kommt der Anbieter dem nicht nach, kann die Anerkannte Stelle die Erteilung des Zertifikats verweigern. Dem Anbieter entgehen dadurch die Vorteile, die das Zertifikat mit sich bringt, beim Umweltaudit die Verfahrens- und Überwachungserleichterungen, im Produktsicherheitsrecht das Recht, seine Produkte in Verkehr zu bringen. Auch im Jugendmedienschutz kann die Anerkannte Stelle eine Entscheidung verweigern, indem sie eine Freigabe für eine Sendung ablehnt. Dem Anbieter geht dadurch ebenfalls eine Privilegierung verloren; strahlt er die Sendung trotzdem aus, besteht gegenüber Maßnahmen der KJM keine aufsichtsrechtliche Privilegierung mehr, weil er die Entscheidung der Selbstkontrolle nicht befolgt hat. Die berechtigte Verweigerung der Erteilung einer positiven Entscheidung in Kombination mit dem dadurch bewirkten Verlust öffentlichrechtlicher Privilegierungen kann den Anbieter allerdings nicht dazu zwingen, bestimmte gesetzliche Pflichten zu erfüllen (anders als zum Beispiel ein gefahrenabwehrrechtlicher Verwaltungsakt, der eine bestimmte Handlung vorschreibt und notfalls zwangsweise durchgesetzt werden kann); erfüllt ein Unternehmen im Umweltauditverfahren die Vorgaben der Umweltgutachter nicht oder ändert ein Hersteller seine Produktion nicht, um Vorgaben der Benannten Stelle zu entsprechen, so kann er dazu nicht gezwungen werden (weder von der Anerkannten Stelle noch von einer staatlichen Behörde). Der Anreiz zur Kooperation mit der Anerkannten Stelle muss also entweder so stark sein, dass ein Unternehmen ihm nicht ausweichen kann (etwa weil ein Produkt oder eine Dienstleistung nur mit einer Zertifizierung angeboten werden dürfen) oder aber das Ordnungsverwaltungs- und Gefahrenabwehrrecht muss ausreichende Möglichkeiten staatlicher Stellen zur Rechtsdurchsetzung für die Fälle der Nichtbeteiligung einer Anerkannten Stelle vorsehen (wie im Jugendmedienschutz oder Umweltrecht, wo den Behörden das volle Aufsichtsinstrumentarium zur Verfügung steht, wenn der Anbieter sich nicht an die Vorgaben der Anerkannten Stelle hält). Der Gesetzgeber hat es durch die Wahl der Reichweite der öffentlichrechtlichen Wirkung der Entscheidung der Anerkannten Stelle in der Hand, wie stark die Anreize zur Beteiligung einer Anerkannten Stelle sind. Er kann diese entweder

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obligatorisch vorschreiben (so dass von „Anreiz“ eigentlich nicht mehr die Rede sein kann, weil dies Freiwilligkeit impliziert) oder er kann verschiedene, mehr oder weniger weit reichende Vergünstigungen bei einer freiwilligen Beteiligung vorsehen. Je stärker er die Anreize setzt, desto mehr entlastet er die staatlichen Aufsichtsbehörden. 3. Zivilrechtliche Zwangsmittel Neben diesen eher indirekten Mechanismen kennt auch das Zivilrecht Zwangsmittel zur Durchsetzung einer Pflicht. Erfüllt ein Anbieter seine Pflichten aus dem Vertrag mit der Anerkannten Stelle oder aus der Vereinssatzung nicht, könnte er dazu mittels gerichtlicher Leistungsklage (und Vollstreckung) gezwungen werden. Im Jugendmedienschutz könnte so die FSM oder FSF die Einhaltung der Satzung und ihrer Verhaltenskodizes durchsetzen. Die FSF könnte die Vorlage einer bestimmten Sendung auf Grund der Vorlagesatzung einklagen, die FSM die Entfernung einer bestimmten Homepage wegen Verstoßes gegen die FSMSatzung gerichtlich durchsetzen. Dies wird jedoch in der Praxis nicht geschehen. Bei Nichtbeachtung der Satzung stehen Vereinsstrafen und als letztes Mittel der Vereinsausschluss zur Verfügung, die für FSM und FSF mit weit weniger Risiko und Aufwand verbunden sind. In den anderen drei Bereichen sind solche Mechanismen ebenfalls nicht vorgesehen. Zwar wäre beim Umweltaudit und im Produktsicherheitsrecht immerhin denkbar, die Mitwirkung des Anbieters an der Prüfung durch die Anerkannte Stelle durch Leistungsklage oder Schadensersatz zu erzwingen. Die Anerkannte Stelle wird den Anbieter aber kaum per Gerichtsverfahren dazu zwingen, etwa bestimmte Unterlagen zugänglich zu machen; statt dessen wird sie bei mangelhafter Kooperation schlicht die Erteilung des Zertifikats verweigern. Bei der Bilanzkontrolle schließlich stehen der Prüfstelle keine zivilrechtlichen Zwangsmittel zur Verfügung. 4. Vereinsinterne Zwangsmittel Sofern die Anbieter Mitglieder im Trägerverein der Anerkannten Stelle sind – in den untersuchten Gebieten also nur im Jugendmedienschutz – können die öffentlichrechtlichen Normen, die die Anerkannte Stelle durchsetzen soll, mittels vereinsinterner Zwangsmittel durchgesetzt werden. Wenn die Verhaltenskodizes die öffentlichrechtlichen Normen übernehmen oder die Einhaltung der öffentlichrechtlichen Standards vorschreiben, ist jeder Verstoß zum Beispiel gegen den JMStV auch ein Verstoß gegen die Vereinssatzung und kann deshalb auch durch die Selbstkontrolleinrichtung mit Hilfe einer

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Vertragsstrafe (Rüge, Bußgeld, Vereinsausschluss) sanktioniert werden, wodurch der Anbieter angehalten wird, diese Verstöße in Zukunft zu unterlassen. II. Information der Öffentlichkeit Ein mögliches Mittel zur Erzwingung normkonformen Verhaltens ohne Hoheitsgewalt ist der öffentliche Druck oder als dessen Kehrseite die Möglichkeit einer positiven Öffentlichkeit als Anreiz zur Einhaltung der Gesetze. Öffentlichkeitswirkung kann dabei erreicht werden über die Information der Öffentlichkeit durch öffentliche Feststellungen oder Rügen in Einzelfällen, Lageberichte, Presseinformationen oder aber auch über die Verteilung von Gütezeichen, mit denen das ausgezeichnete Unternehmen werben kann. Auch in den untersuchten Referenzbereichen finden sich solche Mittel 65. 1. Öffentlichkeitswirkung der konkreten Tätigkeit Anerkannter Stellen Im Jugendmedienschutz veröffentlichen FSM und FSF Tätigkeitsberichte, deren öffentlicher Bekanntheitsgrad allerdings noch gering sein dürfte 66. Außerdem werden in diesen Berichten vor allem Statistiken und Gesamtübersichten gegeben und konkrete Sendungen und Sender nur als einzelne Beispielsfälle genannt. Mehr Öffentlichkeitswirkung dürften einzelne Entscheidungen der Selbstkontrolle haben, wie zum Beispiel die Kontroverse über die Schönheits-OP-Sendungen im Jahr 2004. Auch ein Vereinsausschluss dürfte vor allem über die Öffentlichkeit wirken, denn den Ausschluss aus der FSF wegen wiederholten schweren Verstoßes gegen den Jugendschutz kann sich kein deutscher Rundfunkveranstalter leisten. Die weniger weitgehende Sanktion der öffentlichen Feststellung eines Verstoßes wirkt ebenfalls über die Öffentlichkeit. Die „Öffentlichkeit“ besteht dabei zum einen aus den Zuschauern, die einen bestimmten Sender vielleicht nicht mehr einschalten, vor allem aber aus den Unternehmen, die ihre Werbung nicht mehr bei Sendern platzieren, die ein schlechtes „Image“ haben. Da sich der private Rundfunk allein über Werbung finanziert, sind unzufriedene Werbekunden das stärkste Druckmittel überhaupt 67.

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Gemeint ist hier die Information der Öffentlichkeit durch die Anerkannte Stelle über das „Produkt“ des Anbieters. Eine andere Frage ist die Transparenz der Tätigkeit der Anerkannten Stelle selbst: Diese ist nur für die Anbieter gegeben, die Öffentlichkeit hat keinen Einblick in die Tätigkeit der Anerkannten Stellen (keine öffentlichen Sitzungen der Prüfausschüsse o. Ä.). 66 FSM und FSF und v. a. auch die sie tragenden Sender und Internetunternehmen müssen daher gezielte Öffentlichkeitsarbeit und Werbung machen – was z. T. auch schon geschieht –, um ihre Arbeit einer breiteren Öffentlichkeit nahe zu bringen. 67 Mynarik, Jugendschutz, S. 128.

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4. Teil: Strukturen der Regulierten Selbstregulierung

Das Umweltaudit sollte in seiner ursprünglichen Form allein über das positive öffentliche Image für das Unternehmen wirken. Dass das Umweltaudit in seiner alten Form kaum angenommen wurde und immer der Ruf nach weiteren, auch rechtlichen Vorteilen für teilnehmende Unternehmen bestand, zeigt, dass die Öffentlichkeitswirkung des Audits nicht allzu hoch eingeschätzt werden darf. Auf den einzelnen Produkten eines zertifizierten Unternehmens darf ohnehin nicht mit dem Umweltaudit geworben werden (auch um Verwechslungen und Konkurrenz mit produktbezogenen Gütesiegeln wie dem Blauen Engel zu vermeiden), so dass dieses weniger die „Kunden-Öffentlichkeit“ erreicht, als vielmehr die interessierten wirtschaftlichen Kreise (Investoren, Kreditgeber, Umweltverbände). Beim Umweltaudit erfolgt die Information der Öffentlichkeit nicht durch die Anerkannte Stelle, die als Prüfer etwaige Fehler bekannt macht, sondern das Unternehmen selbst ist zur Information verpflichtet. Durch die obligatorische Umwelterklärung sollen interessierte Kreise über die Umweltaspekte und das Umweltmanagementsystem des Unternehmens informiert werden. Dass eine vom Unternehmen selbst abgegebene Erklärung eher die positiven Seiten betonen wird und nicht zu einem nachhaltig negativen Image führen wird, ist nahe liegend. Im Produktsicherheitsrecht wird die Öffentlichkeit im Rahmen der Regulierten Selbstregulierung nicht mit einbezogen. Das CE-Zeichen ist gerade kein Qualitätszeichen oder Gütesiegel (und kann es auch nicht sein, weil seine Voraussetzungen teilweise alleine vom Hersteller ohne Beteiligung einer Anerkannten Stelle geprüft werden dürfen). Veröffentlichungen über die Erteilung oder den Entzug eines Zertifikats sind gesetzlich derzeit nicht vorgesehen, aber auch nicht notwendig, da mit dem Entzug des Zertifikats das Produkt ohnehin nicht mehr in Verkehr gebracht werden darf. Erst die hoheitliche Marktaufsicht kann zum Beispiel über öffentliche Warnungen auf die Öffentlichkeit einwirken (§ 8 Abs. 4 S. 2 Nr. 8, S. 3 GPSG). Eine eigene Informationstätigkeit der Anerkannten Stellen ist rechtlich nicht vorgesehen, im Gegenteil sind sie sogar gemeinschaftsrechtlich verpflichtet, die Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse der geprüften Unternehmen zu wahren. Veröffentlichungen etwa über Testergebnisse oder die Inhaltsstoffe geprüfter Produkte sind deshalb unzulässig. Die Produktsicherheitsrichtlinie und ihr folgend das GPSG sehen dafür eine verstärkte Informationstätigkeit des Herstellers selbst und der Aufsichtsbehörden vor (vgl. § 8 Abs. 4 S. 2 Nr. 4, 7, 8, S. 3, 4, § 10 GPSG). Das Bilanzkontrollrecht wirkt hingegen nur über die Information der Öffentlichkeit bzw. der interessierten Kreise. Da der BaFin keine Zwangsmittel zustehen, die Unternehmen zur Korrektur ihrer Bilanz zu zwingen, bleibt nur der Weg über die Bekanntmachung der Fehler in den einschlägigen Medien (§ 37q Abs. 2 WpHG); diese Maßnahme dürfte allerdings sehr wirkungsvoll sein. Das Mittel der Veröffentlichung wird aber nicht von der Anerkannten Stelle, sondern allein von der BaFin eingesetzt. Stellt die DPR einen Fehler in der Rechnungslegung fest, veröffentlicht sie dies nicht selbst; selbst wenn das Unternehmen den Fehler anerkennt, muss der Fall an die BaFin abgegeben werden, die dem Unternehmen

§ 12 Stellung und Aufgabe der Anerkannten Stellen

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aufgibt, den Fehler bekannt zu machen. Eine zusätzliche Veröffentlichung von Fehlern durch die DPR ist dabei nicht notwendig. Im Übrigen ist die Anordnung einer Fehlerveröffentlichung unabhängig von der Einschaltung der Anerkannten Stelle; auch wenn die BaFin selbst die Bilanzen prüft und Fehler findet, kann sie die Veröffentlichung anordnen. Die Veröffentlichung durch die BaFin ist allerdings nicht die einzig denkbare Variante: Genauso könnte das WpHG vorsehen, dass von der DPR aufgedeckte Fehler auch von dieser veröffentlicht werden. Die Entscheidung darüber obliegt dem Gesetzgeber, verfassungsrechtliche Vorgaben gibt es dafür nicht. Sowohl der Gesetzgeber (im Bereich der Rechnungslegungsprüfung) als auch die Anerkannten Stellen selbst (im Jugendmedienschutz) setzen gezielt auf eine Information der Öffentlichkeit, um die Anbieter zu Normkonformität anzuhalten. In anderen Bereichen wird eher auf positives „Image“ gesetzt (Umweltaudit), um den Anbietern einen Anreiz zu bieten. Sofern öffentlichkeitswirksame Maßnahmen von den Anerkannten Stellen selbst getroffen werden, ist deren Bekanntheit und Glaubwürdigkeit Voraussetzung für die Wirksamkeit; diese lassen sich nicht gesetzlich vorschreiben, sondern müssen durch Öffentlichkeitsarbeit und Werbung sowie dauerhaftes fachlich hohes Niveau der Tätigkeit erarbeitet werden. Ähnliches gilt für das Interesse der Öffentlichkeit: Der Gesetzgeber kann nicht vorschreiben, dass sich die Nachbarn für die Umwelterklärung eines Unternehmens zu interessieren haben; hier bleibt nur die Sensibilisierung der Öffentlichkeit durch die Politik für gesellschaftlich bedeutsame Themen wie Jugend- oder Umweltschutz. 2. (Verfassungs-)Rechtliche Grenzen der Informationstätigkeit Die Vergabe von Gütesiegeln durch Anerkannte Stellen ist kein verfassungsrechtliches Problem; Rechte der Anbieter sind nicht beeinträchtigt; allenfalls aus Sicht des Wettbewerbsrechts und des Verbraucherschutzes ist darauf zu achten, dass keine inhaltlich falschen oder übertriebenen positiven Aussagen getroffen werden. Die Veröffentlichung von Gesetzesverstößen durch staatliche Stellen würde einen Eingriff in Rechte der Anbieter darstellen und bedürfte einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage (s. § 8 Abs. 4 S. 2 Nr. 4, 7, 8, S. 3, 4, § 10 GPSG oder § 37q Abs. 2 WpHG). Wenn der Gesetzgeber für die Anerkannten Stellen Veröffentlichungspflichten oder -befugnisse vorsehen würde (was in den untersuchten Referenzgebieten derzeit nicht der Fall ist), wären diese Normen rechtfertigungsbedürftige Eingriffe in die Rechte der Anbieter. Eine Rechtfertigung wäre grundsätzlich auch ohne weiteres möglich: Wenn die Anerkannten Stellen etwa gesetzlich dazu verpflichtet würden, unsichere Produkte zu benennen, vor Umweltschäden zu warnen oder Eltern auf Webseiten hinzuweisen, die häufig von Kindern besucht werden, für diese aber entwicklungsbeeinträchtigend sind, würde damit der Schutz

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4. Teil: Strukturen der Regulierten Selbstregulierung

hochrangiger Güter bezweckt und auch tatsächlich gefördert, d. h. die Maßnahme wäre verhältnismäßig. Die Anerkannten Stellen sind allerdings kein Teil der Staatsgewalt und auch nicht grundrechtsgebunden (s. o. § 12 C. V.), eine normative Befugnis zur Informationstätigkeit benötigen sie daher nicht. Da das Rechtsverhältnis zwischen Anerkannter Stelle und Anbieter durch das Zivilrecht geprägt ist (s. o. § 12 C. I.), ist auch die Frage der Zulässigkeit öffentlicher Äußerungen zivilrechtlich (allerdings unter Beachtung der Drittwirkung der Grundrechte) zu beurteilen. Kritische Beurteilungen von Anbietern oder Produkten können in das Allgemeine Persönlichkeitsrecht oder das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb eingreifen. Unerlaubte oder falsche Berichte können zudem – dort wo der Anbieter mit der Anerkannten Stelle einen Vertrag schließt – eine Vertragsverletzung sein. Ein Zivilgericht müsste den Streit dann nach § 280 Abs. 1 BGB oder §§ 823 Abs. 1, 1004 BGB unter Abwägung der Rechte der Anerkannten Stelle aus Art. 5 Abs. 1 S. 1, Art. 12 Abs. 1 GG 68 und der Anbieter aus Art. 2 Abs. 1, 12 Abs. 1, 14 Abs. 1 GG lösen. Soweit die Informationen zutreffend sind, daran ein öffentliches Interesse besteht und keine überwiegenden Geheimhaltungsinteressen der Anbieter vorliegen, wird diese Abwägung zugunsten der Anerkannten Stelle ausgehen. Entschieden wurden diese Fälle schon für die Arbeit des Deutschen Presserates (zu dessen Tätigkeit s. o. § 3 E.): Die öffentliche Mitteilung, dass und warum ein Presseunternehmen gegen den Pressekodex verstoßen habe, wird als eine durch Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG geschützte Meinungsäußerung angesehen, die das betroffene Unternehmen grundsätzlich hinnehmen muss 69. Auch gegen die Veröffentlichung eines Warentests kann das betroffene Unternehmen nicht erfolgreich vorgehen, wenn die dem Bericht zugrunde liegenden Untersuchungen neutral, objektiv und sachkundig durchgeführt worden sind und sowohl die Art des Vorgehens bei der Prüfung als auch die aus den Untersuchungen gezogenen Schlüsse vertretbar, das heißt diskutabel, erscheinen 70.

Soweit sich die Anbieter freiwillig der Kontrolle und Bewertung unterworfen haben – etwa durch Beitritt zu einer Anerkannten Stelle oder durch den Abschluss eines Vertrags mit dieser – ist der Eingriff auf jeden Fall gerechtfertigt (unter der Voraussetzung, dass die öffentliche kritische Bewertung inhaltlich zutreffend und die Form der Äußerung nicht übertrieben ist). III. Einsicht der Anbieter Der Gesetzgeber geht darüber hinaus teilweise davon aus, dass die Adressaten aus eigenem Interesse eine ordnungsgemäße Umsetzung der Selbstregulierung 68 69 70

Die Anerkannten Stellen sind grundrechtsberechtigt, s. u. § 13 B. IV. 2. OLG Köln, ZUM 2006, 929 ff. BGH, NJW 1997, 2593 (2594).

§ 13 Staatliche Gewährleistungsverantwortung

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und der Vorgaben der Anerkannten Stellen anstreben, weil sie erkannt haben, dass ihnen dies Vorteile bringt 71. Dies ist etwa die Idee hinter dem Umweltaudit und auch beim Produktsicherheitsrecht, wo die Installation von bestimmten Managementsystemen nicht nur gesetzliche Anforderung zur Sicherung von Umweltund Verbraucherschutz, sondern auch Hilfestellung für das Unternehmen bei der Verbesserung der internen Strukturen sein soll. Die „Hoffnung“ auf die Einsicht der Anbieter und freiwillige Normbefolgung entbindet den Gesetzgeber jedoch nicht von seiner Pflicht, ausreichende gesetzliche Regelungen bereit zu stellen, denn auf die freiwillige Einhaltung der Gesetze kann nicht stets vertraut werden; zudem muss gerade auch für die „schwarzen Schafe“ Vorsorge getroffen werden. Bei Normen, die (auch) den Interessen der Anbieter entsprechen, ist mit weniger Widerstand bei der Durchsetzung und höherer Befolgungsbereitschaft zu rechnen, Mechanismen zu Kontrolle und Durchsetzung sind deshalb aber nicht entbehrlich. IV. Ergebnis Die vorstehenden Ausführungen haben gezeigt, dass die Anerkannten Stellen keine (zivilrechtlichen oder öffentlichrechtlichen) Zwangsmittel zur Durchsetzung ihrer Prüfbefugnisse oder zur Einhaltung der Verfahrensvorschriften einsetzen, ebenso wenig wie zur Erzwingung der Normkonformität der „Produkte“ des Anbieters. Mittel zur Erzwingung der Prüfung existieren teilweise nicht und sind auch nicht nötig, soweit die Anbieter auf eine Entscheidung der Anerkannten Stelle angewiesen sind, die ihnen im Falle verweigerter Kooperation nicht erteilt wird. Die Einhaltung der materiellen Anforderungen an das Produkt wird vor allem durch die Möglichkeit der Verweigerung einer zivilrechtlichen Entscheidung erreicht, die den Verlust öffentlichrechtlicher Anreize und Privilegierungen nach sich ziehen würde. Sofern die Anbieter allerdings nicht auf eine positive Entscheidung einer Anerkannten Stelle angewiesen sind und ihnen diese auch keinen Vorteil bringt (wie im Bilanzkontrollrecht), muss eine staatliche Stelle mit Hoheitsbefugnissen vorhanden sein, die entweder die Prüfungsbefugnisse der Anerkannten Stelle durchsetzt oder eine eigene Prüfung durchführt.

§ 13 Staatliche Gewährleistungsverantwortung in Bezug auf die Anerkannten Stellen Die Anerkannten Stellen allein bieten noch keine Gewähr dafür, dass die öffentlichen Aufgaben tatsächlich ordnungsgemäß erfüllt werden. Sie sind deshalb in ein öffentlichrechtliches System von Normen und Behörden eingebunden, mit dem der Staat seiner Gewährleistungsverantwortung nachkommen will. 71

Sog. reflexives Recht; dazu Schmidt-Preuß, VVDStRL 56 (1997), 160 (192 ff.).

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4. Teil: Strukturen der Regulierten Selbstregulierung

A. Behördenbeteiligung an der Regulierten Selbstregulierung Die untersuchten Felder der Regulierten Selbstregulierung zeichnen sich dadurch aus, dass ein vollständiger Rückzug des Staates nirgends statt gefunden hat. Staatlicher Einfluss erfolgt nicht nur über Gesetzes- und Regelwerke für die Anbieter und die Anerkannten Stellen, sondern auch über Behörden oder hoheitliche Stellen, die nach wie vor in die Erfüllung der öffentlichen Aufgabe eingebunden sind. I. Anerkennende Behörden Da alle privaten Stellen anerkannt werden müssen, muss es als Gegenpart immer eine Behörde geben, die die Anerkennung vornimmt. Ist die anerkennende Stelle selbst eine private beliehene Stelle, wie beim Umweltaudit, besteht immerhin eine Rechts- und Fachaufsicht der beleihenden Stelle über die anerkennende Stelle und damit indirekt auch über die Anerkannten Stellen. Die Anerkennung setzt die Überprüfung der Erfüllung der Anerkennungsvoraussetzungen voraus und damit zumindest eine Anfangskontrolle der Arbeit der Anerkannten Stelle. Die anerkennende Behörde hat die Möglichkeit, die Anerkennung wieder aufzuheben und damit gravierende Verstöße der Anerkannten Stellen abzustellen. II. Aufsichtsbehörden für die Anerkannten Stellen Zum Teil nehmen die anerkennenden Behörden auch Aufsichtsfunktionen in Bezug auf die Anerkannte Stelle wahr. Im Produktsicherheitsrecht werden die Benannten Stellen derart überwacht, ebenso wie die Jugendmedienschutz-Selbstkontrolleinrichtungen durch die KJM. Beim Umweltaudit erfolgt eine Aufsicht über die Umweltgutachter durch die beliehene DAU GmbH. Die inhaltlichen Vorgaben für die Aufsicht werden allerdings durch Richtlinien des pluralistisch besetzten Umweltgutachterausschusses beim Bundesumweltministerium erstellt; zudem übt das BMU die Rechts- und Fachaufsicht über die DAU GmbH und damit indirekt auch über die Umweltgutachter aus. Nur bei der Rechnungslegungsprüfung sieht das Gesetz keine hoheitliche Aufsicht über die Anerkannte Stelle vor. Lediglich indirekt, über das Mittel der Kündigung des Anerkennungsvertrags, kann das Bundesministerium der Justiz Einfluss auf die Arbeit der Prüfstelle nehmen. III. „Auffang“behörden Sollte die Qualität der Prüftätigkeit einer Anerkannten Stelle nicht den gesetzlichen Erwartungen entsprechen oder bedient sich ein Anbieter nicht der

§ 13 Staatliche Gewährleistungsverantwortung

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Dienste einer Anerkannten Stelle, bestehen zum Teil „Auffangbehörden“, die eine Reservekompetenz an Stelle der Anerkannten Stelle wahrnehmen. Im Jugendmedienschutz liegt diese Funktion bei der KJM, die zur Durchsetzung des JMStV auch dann berufen ist, wenn keine anerkannte Selbstkontrolleinrichtung besteht oder ein Anbieter seine Sendung nicht vorlegt. Beim Umweltaudit besteht die Reservekompetenz darin, dass die Umwelt- und Immissionsschutzbehörden bei den Unternehmen, die sich nicht auditieren lassen, mehr Unterlagen, Pläne und Informationen verlangen und selbst mehr Überwachungen und Kontrollen vornehmen. Die Rechnungslegungsprüfung ist sogar vom Gesetz her so angelegt, dass eigentlich die Kontrolle durch die BaFin erfolgt, die sich nur bei Bestehen einer privaten Prüfstelle und bei deren ordnungsgemäßer Arbeit aus der Kontrolle zurückzieht. In allen drei Bereichen bestehen also nach wie vor hoheitliche Stellen, die die Arbeit der Anerkannten Stelle übernehmen könnten. Diese hoheitlichen Stellen benötigen daher dasselbe Know-How und dieselben Informationen wie die Anerkannten Stellen. Deshalb sind ein weit reichender Abbau von Behörden und die damit verbundenen staatlichen Einsparungen hier nicht realisierbar. Die Auffangbehörden sind gerade im Jugendmedienschutz und bei der Rechnungslegungsprüfung auch deshalb unentbehrlich, weil es zum einen für die Anbieter keinen Zwang zur Beteiligung einer Anerkannten Stelle gibt, zum anderen nur jeweils eine Anerkannte Stelle existiert. Ist die Beteiligung an der Regulierten Selbstregulierung freiwillig, bestünde für Anbieter kein Anreiz zur Teilnahme, wenn ansonsten auch keine hoheitliche Stelle bestünde, die an Stelle der Anerkannten Stelle die Einhaltung der Gesetze überwacht. Selbst bei einem Zwang zur Teilnahme kann sich der Staat aus seiner Auffangverantwortung aber nicht zurückziehen, wenn es nur eine einzige Anerkannte Stelle gibt. Die Aufsicht funktioniert wie oben gezeigt letztendlich nur über die Aufhebung der Anerkennung; dieses Drohpotenzial fällt aber weg, wenn einer Stelle die Anerkennung faktisch nicht entzogen werden kann, weil es keinen Ersatz für sie gibt, weder von privater noch von staatlicher Seite. Der Staat müsste entweder nach dem Motto: „Eine schlechte Prüfung ist besser als keine Prüfung“ die mangelhafte Arbeit der Anerkannten Stelle hinnehmen oder er müsste, wenn er die Anerkennung doch entzieht, hinnehmen, dass keine Stelle die Normkonformität der „Produkte“ der Anbieter prüft. Im Produktsicherheitsrecht hingegen bestehen keine Auffangbehörden 72. Wenn keine Anerkannten Stellen bestünden oder allen die Anerkennung entzogen werden müsste, gäbe es keine Behörde, die stattdessen präventiv die Sicherheit von Produkten oder die Einhaltung der grundlegenden Sicherheitsanforderungen einer 72 Zumindest nicht als „Behörden“ im engeren Sinne. Zum Teil gibt es öffentliche Stellen, die benannt wurden; dies geschah vor allem zu Beginn der Neuen Konzeption, als sich noch keine oder wenige private Stellen gebildet hatten und die öffentlichen Stellen insofern doch eine Auffangfunktion hatten.

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sektoralen Richtlinie prüfen könnte. Da allerdings für die Anbieter ein Zwang zur Beteiligung einer Anerkannten Stelle besteht und gleichzeitig eine Vielzahl von Anerkannten Stellen zugelassen ist, besteht auch kein Bedarf für eine Auffangbehörde, weil nicht die Gefahr besteht, dass ein Produzent sein Produkt ohne Prüfung auf den Markt bringt oder keine Anerkannte Stelle findet, die sein Produkt prüft. IV. Marktüberwachungsbehörden Eine dritte Kategorie von Behörden existiert eigentlich nur im Produktsicherheitsrecht. Hier gibt es keine staatlichen Auffangbehörden, die an Stelle einer Anerkannten Stelle eine umfassende und systematische präventive Produktsicherheitsprüfung durchführen könnten. Stattdessen müssen die Marktaufsichts- oder Marktüberwachungsbehörden 73 dafür Sorge tragen, dass der gesetzliche Zwang zur Beteiligung einer Anerkannten Stelle durchgesetzt wird (das heißt nur rechtmäßig mit dem CE-Zeichen versehene Produkte auf den Markt kommen). Die Marktüberwachungsbehörden sind spezielle Polizeibehörden, die die Normkonformität der Produkte überwachen (§ 8 Abs. 2 GPSG). Sofern sich Verstöße gegen das GPSG oder eine darauf basierende Verordnung oder zumindest ein entsprechender Verdacht herausstellt, müssen sie gegen den Hersteller vorgehen (nach § 8 Abs. 4 GPSG). In diesem Sinne stellt auch die KJM eine Marktüberwachungsbehörde dar, weil sie – unabhängig von der Arbeit einer Anerkannten Stelle – die „auf den Markt gebrachten Produkte“ (das heißt die ausgestrahlten Fernsehsendungen und Telemedien) überwacht und bei entdeckten Verstößen gegen die Anbieter vorgeht (§§ 16, 20 JMStV). Die BaFin hingegen kann bei Verstößen in veröffentlichten Bilanzen nicht selbst aktiv werden, sondern muss die Prüfstelle informieren (§ 37n Abs. 1 WpHG).

B. Rechtsverhältnis zwischen Anerkannter Stelle und hoheitlichen Stellen Staat und Anerkannte Stellen stehen nicht beziehungslos nebeneinander. Die gesetzlichen Regelungen zur Regulierten Selbstregulierung, zur Anerkennung und Überwachung bilden ein spezielles Rechtsverhältnis zwischen ihnen. Dieses Rechtsverhältnis wird durch zwei Pole bestimmt: Einerseits sind die Anerkannten Stellen private Einrichtungen und stehen dem Staat daher wie ein beliebiger Wirtschaftsteilnehmer und Träger von Freiheitsrechten gegenüber; andererseits sind sie in den Gesetzesvollzug eingebunden und nehmen in gewissem Sinne

73

Zu ihnen näher Weiß, Produktsicherheit, S. 334 ff., S. 374 ff.

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Behördenaufgaben wahr, so dass auch an eine Parallele zur hierarchischen Behördenorganisation gedacht werden könnte. I. Bedeutung der Ausgestaltung des Rechtsverhältnisses Von dieser Unterscheidung hängt ab, unter welchen Voraussetzungen und mit welchen Mitteln die hoheitlichen Stellen die Tätigkeit der Anerkannten Stellen steuern können und ob beziehungsweise wie sich Anerkannte Stellen gegen Maßnahmen von Hoheitsträgern zur Wehr setzen können. Handelte es sich bei den Anerkannten Stellen um einen Teil der Staatsverwaltung, würden sie der Rechtsund Fachaufsicht unterliegen und könnten sich nicht auf eigene subjektive Rechte berufen. Eine Grundrechtsberechtigung käme ebenfalls nicht in Frage. Zumindest in den untersuchten Bereichen kann eine solche Stellung der Anerkannten Stellen jedoch nicht konstatiert werden. Die Anerkannten Stellen sind rechtlich eigenständig, unabhängig und unterliegen weder Rechts- noch Fachaufsicht. Sie bieten als private Akteure wirtschaftliche Dienstleistungen nach Zivilrecht an, mit denen sie Geld verdienen wollen (Produktsicherheits- und Umweltzertifizierungen). Besonders deutlich ist auch die Lage im Bilanzkontrollrecht, wo die Prüfstelle auf Grund eines Vertrags mit dem Bundesjustizministerium agiert – von einem verlängerten Arm der Wirtschaftsaufsicht kann in diesem Fall nicht die Rede sein. Die Anerkannte Stelle steht somit als rechtlich eigenständiger Akteur zwischen hoheitlicher Aufsicht und den privatwirtschaftlichen Anbietern. Auch wenn sie funktional staatliche Aufgaben wahrnimmt, ist sie doch rechtlich Teil der Wirtschaft beziehungsweise Gesellschaft. II. Staatliche Aufsicht über die Anerkannten Stellen 1. Zum Begriff der Aufsicht a) Staats- und Wirtschaftsaufsicht Das Verständnis von „Aufsicht“ ist nicht einheitlich, weder beim Gesetzgeber noch in der wissenschaftlichen Literatur 74. Überwiegend wird unterschieden zwischen der verwaltungs- oder behördeninternen Kontrolle und der Überwachung der Wirtschaft durch den Staat 75. Der erste Fall wird meist als Staats- oder Verwaltungsaufsicht bezeichnet, während im zweiten Fall von Wirtschaftsaufsicht

74 Kahl, Staatsaufsicht, S. 362: „systemlos und ungeordnet, anarchisches Nebeneinander und eine Gemengelage der Begriffe“. 75 Schuppert, DÖV 1998, 831 (838); Jestaedt, GVwR I, § 14 Rdn. 59; Kahl, Staatsaufsicht, S. 364.

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oder Wirtschaftsüberwachung 76 die Rede ist. Als Oberbegriff für beide Arten der Überwachung fungiert teilweise die Bezeichnung „Aufsicht“ 77. Das Grundgesetz und der Gesetzgeber sprechen von Aufsicht (Art. 84 Abs. 3 S. 1, Art. 85 Abs. 4 S. 1 GG; §§ 118 ff. GemO BW; § 139b GewO; § 6 Abs. 1 KWG; §§ 87 ff. SGB IV; das Versicherungsaufsichtsgesetz) oder Überwachung (§ 22 Abs. 2 S. 1 GaststG, § 66 LBO BW), ohne dass damit systematische Unterschiede zum Ausdruck kämen. Die Begriffe Wirtschafts- oder Staatsaufsicht werden nicht verwendet; worum es sich jeweils handelt, muss aus dem Kontext erschlossen werden. So meinen beispielsweise Art 84, 85 GG die Aufsichtsbeziehungen zwischen Bund und Ländern, also den staatsinternen Bereich, ebenso wie die Kommunalaufsicht (z. B. §§ 118 ff. GemO BW) oder die Aufsicht über die öffentlichrechtlichen Sozialversicherungsträger (z. B. §§ 87 ff. SGB IV), während die Gewerbeaufsicht des § 139b GewO, die Bankenaufsicht des § 6 Abs. 1 KWG oder das VAG die Wirtschaftsaufsicht betreffen.

In den untersuchten Referenzbereichen sind die Bezeichnungen ebenso uneinheitlich. Im Jugendmedienschutz und Bilanzkontrollrecht 78 besteht für die Überwachung der Anerkannten Stellen keine gesetzliche Regelung, mithin auch keine gesetzliche Bezeichnung der Überwachung; im Umweltauditrecht ist von der Aufsicht über die Umweltgutachter die Rede (Anhang V EMAS-VO, Aufsichtsrichtlinie des Umweltgutachterausschusses), während die Gesetze im Produktsicherheitsrecht von der Überwachung der Benannten Stellen sprechen (§ 11 Abs. 5 S. 1 GPSG, § 15 Abs. 2 S. 1 MPG). Aufsicht ist allgemein ein einseitiges, das heißt subordinationsrechtliches Mittel, um auf eine Organisation einzuwirken, damit diese bestimmte Ziele erreicht 79. Staatsaufsicht (im engeren Sinne) betrifft verwaltungsorganisationsrechtliche Binnenbeziehungen 80 oder Aufsichtsverhältnisse zwischen öffentlichrechtlichen Rechtsträgern (vor allem im Bereich der mittelbaren Staatsverwaltung). Staatsaufsicht über Private findet nur im Rahmen eines Beleihungsverhältnisses statt 81. Wirtschaftsaufsicht hingegen ist überwiegend (noch) klassische Gewerbeaufsicht 82. Durch die staatliche Überwachung privater (wirtschaftlicher) Freiheitsbetätigung soll die Schädigung von Rechten Dritter verhindert werden 83. Staatsaufsicht soll 76

Badura/Huber, in: Schmidt-Aßmann, BesVwR, 3. Kap. Rdn. 80. Kahl, Staatsaufsicht, S. 364. 78 Die zuständige Behörde heißt zwar Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, was sich aber auf die Wirtschaftsaufsicht über die Banken und Finanzdienstleister bezieht. 79 Jestaedt, GVwR I, § 14 Rdn. 59. 80 Jestaedt, GVwR I, § 14 Rdn. 59. 81 Jestaedt, GVwR I, § 14 Rdn. 59. 82 Badura/Huber, in: Schmidt-Aßmann, BesVwR, 3. Kap. Rdn. 80; Kahl, Staatsaufsicht, S. 378. 77

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auf die Erfüllung öffentlicher Aufgaben hinwirken und den Beaufsichtigten zu einem positiven Tun anhalten, während die Wirtschaftsaufsicht eher die Vermeidung von Beeinträchtigungen und damit ein Unterlassen bezweckt 84. Die Überwachung der Anerkannten Stellen durch hoheitliche Stellen passt sich nicht bruchlos in dieses Schema ein. Anerkannte Stellen sind kein Teil der öffentlichen Verwaltung (auch nicht als Beliehene) und fallen deshalb nicht unter die Staatsaufsicht. Andererseits sind sie auch keine beliebigen Wirtschaftsteilnehmer, die vom Staat unbehelligt ihrer Tätigkeit nachgehen sollen, so lange sie keinen Dritten schädigen. Zum Teil sind die Anerkannten Stellen nicht einmal gewinnorientierte Wirtschaftsteilnehmer, sondern nicht-wirtschaftliche Vereine (FSF, FSM, DPR). Sie nehmen selbst Aufgaben der Wirtschafts„aufsicht“ wahr, indem sie bei Wirtschaftsunternehmen auf die Wahrung von Jugendschutz, Umweltschutz, Produktsicherheit oder Bilanzwahrheit und damit den Schutz der Rechte Dritter achten. Die Überwachung Anerkannter Stellen ist daher weder Staatsnoch reine Wirtschaftsaufsicht, wobei zwischen Wirtschafts- und Staatsaufsicht ohnehin Überschneidungen und wechselseitige Durchdringungen bestehen 85. b) Gewährleistungsaufsicht Zum Teil werden auch weitere Aufsichtskategorien neben Wirtschafts- und Staatsaufsicht gebildet, zum Beispiel für den hier interessierenden Bereich die der Gewährleistungsaufsicht 86. Prägende Elemente dieses Aufsichtstypus sollen präventive und begleitende Aufsichtselemente, verstärkter Einsatz von Eigenüberwachung und Qualitätsmanagementsystemen, Ausweitung von Informations- und Berichtspflichten sowie die organisatorische Verselbständigung der Aufsichtseinheiten (in Form spezieller Regulierungsbehörden) sein 87. Dieser Ansatz bezieht sich allerdings auf die Form der Aufsicht über die Anbieter: Für die Anbieter bestimmter Produkte oder Dienstleistungen gibt es spezielle Regulierungsbehörden (BNetzA), die Anbieter müssen Eigenüberwachung und Qualitätsmanagement einführen oder besonderen Informations- und Berichtspflichten nachkommen. Derartige Elemente finden sich auch in den untersuchten Referenzgebieten: BaFin oder KJM zum Beispiel sind weitgehend unabhängige, spezielle Verwaltungsbehörden, denen die Kontrolle eines bestimmten Wirtschaftsbereichs anvertraut ist. Besondere Managementsysteme sind im Produktsicherheits- und Umweltrecht installiert, mit der Selbstkontrolle im Jugendmedienschutz sollten gerade erstmals präventive Aufsichtselemente eingeführt werden, das Umweltaudit setzt vor allem auf 83 84 85 86 87

Kahl, Staatsaufsicht, S. 378. Kahl, Staatsaufsicht, S. 379 f. Kahl, Staatsaufsicht, S. 380. Schuppert, DÖV 1998, 831 (837). Voßkuhle, VVDStRL 62 (2003), 266 (321 ff.).

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Informations- und Berichtspflichten. Insofern kann man die Gesetzesdurchsetzung mittels Regulierter Selbstregulierung als eine Form der Gewährleistungsaufsicht bezeichnen. Das Verhältnis zwischen staatlicher Aufsicht und Anerkannter Stelle findet sich in diesen Charakterisierungen hingegen nicht wieder. Die Aufsicht über die Anerkannten Stellen findet nicht in Form der Gewährleistungsaufsicht statt, sie ist auch keine besondere Ausprägung derselben. Gewährleistung und Regulierte Selbstregulierung sind nicht notwendig miteinander verbunden: So stellt z. B. die BNetzA wohl den Paradefall der Gewährleistungsaufsicht dar, Regulierte Selbstregulierung oder Anerkannte Stellen gibt es in den regulierten Bereichen (Telekommunikation, Post, Gas, Elektrizität, Bahn) aber nicht. Vielmehr ist die Aufsicht über die Anerkannten Stellen ein notwendiger Teil der Gewährleistungsaufsicht, wenn der Staat seiner Gewährleistungsverantwortung mittels Regulierter Selbstregulierung nachkommen will. Die Aufsicht über die Anerkannten Stellen ist ein Element einer besonderen Ausprägung der Gewährleistungsaufsicht, sie entspricht selbst aber nicht dem Typus der Gewährleistungsaufsicht. Aus der Zuordnung der Überwachung zu einem der Typen (mit der Anerkennung von Überschneidungen zum jeweils anderen Typus) oder der Kreation einer neuen Kategorie ergeben sich allerdings noch keine konkreten Voraussetzungen oder Rechtsfolgen für das Überwachungsrechtsverhältnis. Anerkannte Stellen sind selbstständige, nicht in den Behördenaufbau integrierte Privatrechtssubjekte, so dass jede Art von Aufsicht, Überwachung oder Kontrolle konkreter gesetzlicher Aufgabenzuweisungen an eine Behörde und der normativen Einräumung von Überwachungsbefugnissen bedarf. Im Folgenden soll deshalb weiterhin von „Aufsicht“ über die Anerkannten Stellen die Rede sein, in dem Bewusstsein, dass es sich dabei um eine Überwachungsform zwischen Wirtschafts- und Staatsaufsicht handelt und sich alleine aus der Bezeichnung als Aufsicht noch keine Rechtsfolgen ergeben 88, sondern deren konkrete gesetzliche und praktische Ausgestaltung im jeweiligen Einzelfall untersucht werden muss. 2. Bedeutung der Aufsicht Die Aufsicht des Staates über den privaten „Leistungserbringer“ ist zentrales Element des Gewährleistungsstaates und ermöglicht es diesem, seiner „Verantwortung“ nach wie vor gerecht zu werden. Insbesondere muss die Aufsicht den Staat in die Lage versetzen, feststellen zu können, ob die Aufgabe von den Privaten 88 Anders Hartstein/Ring/Kreile/Dörr/Stettner, JMStV, § 19 Rdn. 21, die alleine aus der – gesetzlich nicht einmal verankerten – Aufsichtsstellung als solcher Kontrollbefugnisse der KJM gegenüber der FSF ableiten wollen (s. § 3 F. III. 2. a).

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zufriedenstellend und ordnungsgemäß erfüllt wird oder ob es zu einer „Schlechterfüllung“ kommt und sich deshalb die staatliche Auffangverantwortung aktiviert. Gefordert sind deshalb ein regelmäßiger, umfassender und institutionalisierter Informationsaustausch, Berichtspflichten und Kontrollrechte zwischen Aufsicht und privater Stelle 89. Im Jugendmedienschutz sind Aufsichtsrechte der KJM, etwa Mitteilungs- und Vorlagepflichten der Anerkannten Stellen, nicht vorgesehen. Der Informationsfluss zwischen KJM und Selbstkontrolleinrichtungen ist gesetzlich unzureichend geregelt (s. o. § 3 F. III. 2.). Weitergehende Rechte der Aufsicht wie etwa Zutritts- oder Einsichtsrechte sind hingegen nicht nötig. Im Produktsicherheitsrecht sehen MPG und GPSG die „klassischen“ Aufsichtsbefugnisse wie Zutritts- und Einsichtsrechte, Auskunftspflichten etc. vor. Auch bei der Aufsicht über die Umweltgutachter kann die DAU GmbH die Vorlage von Unterlagen und Auskunft verlangen (§ 15 UAG). Bei der Rechnungslegungsprüfung wiederum besteht keine Aufsicht über die Prüfstelle, hat also auch keine Behörde Aufsichtsbefugnisse. Was in keinem Bereich existiert, sind gestaltende Elemente der Aufsicht. Die einzig mögliche Reaktion der Aufsicht auf Fehler Anerkannter Stellen ist der Entzug der Anerkennung (bzw. unterhalb dieser Schwelle deren Androhung). Es existieren keine Befugnisse der Aufsicht, die einzelnen Entscheidungen der Anerkannten Stelle abzuändern oder aufzuheben (wie bei einer Widerspruchsbehörde im Verhältnis zur Ausgangsbehörde). Eine Überprüfung der einzelnen Entscheidungen der Anerkannten Stelle auf ihre Recht- oder Zweckmäßigkeit wird an sich nicht durchgeführt. Da die Anerkennung meist aufzuheben ist, wenn die Tätigkeit der Anerkannten Stelle insgesamt nicht den gestellten Anforderungen entspricht und dies an einzelnen Entscheidungen fest gemacht werden muss, erfolgt zwar zwangsläufig doch eine Prüfung der einzelnen Entscheidungen; stellt sich eine Entscheidung dabei aber als rechtswidrig oder unzweckmäßig heraus, kann die Aufsicht diese Entscheidung nicht aufheben oder abändern. Gegen eine einzelne „falsche“ Entscheidung kann sie nichts tun, nur bei einer Häufung von Fehlentscheidungen kann sie der Anerkannten Stelle die Anerkennung entziehen. Auch hat die Aufsicht nicht die Möglichkeit, der Anerkannten Stelle Weisungen zu erteilen oder an ihrer Stelle Entscheidungen zu erlassen (kein Recht zur Ersatzvornahme). Dies ist die Konsequenz des Einsatzes Regulierter Selbstregulierung. Würde eine staatliche Stelle jede Einzelentscheidung nachprüfen und notfalls korrigieren, wäre keine Entlastung des Staates erreicht. Auch liegt der Anreiz zur Teilnahme an der Regulierten Selbstregulierung gerade darin, vor der vielleicht abweichenden Bewertung staatlicher Stellen in gewissem Rahmen geschützt zu sein; müssten die Anbieter damit rechnen, dass die Entscheidungen der Anerkannten Stellen jederzeit vom Staat korrigiert werden könnten, gäbe es für sie keinen Grund mehr, sich

89

Knauff, Gewährleistungsstaat, S. 290.

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an der Regulierten Selbstregulierung zu beteiligen. Und schließlich soll Regulierte Selbstregulierung dazu dienen, privaten Sachverstand nutzbar zu machen; wollte eine staatliche Behörde die sachverständig getroffene Entscheidung der Anerkannten Stelle korrigieren, müsste sie selbst wiederum Sachverstand in Anspruch nehmen, um die richtige Entscheidung treffen zu können. Dieser Sachverstand ist in der Behörde aber nicht vorhanden, so dass die Behörde externe private Sachverständige heranziehen müsste, um die Entscheidung anderer Privater zu korrigieren (siehe dazu auch unten § 13 B. IV. 2. c). Aufsicht im Sinne der Regulierten Selbstregulierung meint also nicht das Äquivalent zur Rechts- und Fachaufsicht in der Verwaltungsorganisation wie zwischen Ausgangs- und Widerspruchsbehörde oder zwischen Gemeinde und Gemeindeaufsicht, auch wenn die Anerkannten Stellen in den Gesetzesvollzug eingebunden sind und funktional Behördenaufgaben übernehmen. Stattdessen entspricht die Form der Aufsicht weitgehend der Wirtschafts- und Gewerbeaufsicht 90, bei der die Qualität der Arbeit des Beaufsichtigten insgesamt geprüft wird. Die hoheitliche Aufsicht kann daher nicht in jedem Einzelfall für „richtige“ Entscheidungen sorgen, sondern nur andauernde oder häufige Fehlentscheidungen unterbinden. Eine Einzelfallsteuerung würde auch der Idee der Regulierten Selbstregulierung widersprechen, denn die Anerkannten Stellen sind kein verlängerter Arm der staatlichen Verwaltung; stattdessen sollen sie die spezifischen Vorteile privater Aufgabenerfüllung zum Tragen bringen. Eine Republifizierung, sei es auch nur durch inhaltliche Lenkung nach dem Willen einer Behörde, ist nicht erwünscht. Dass ein Dienstleister vor Aufnahme seiner Tätigkeit eine behördliche Genehmigung benötigt und diese im Falle von Pflichtverletzungen wieder aufgehoben werden kann, dass der Dienstleister der Behörde Unterlagen vorlegen und regelmäßig Bericht erstatten muss sowie dass die Behörde Kontroll- und Einsichtsrechte hat, gibt es auch im Rahmen der Wirtschaftsaufsicht (siehe zum Beispiel §§ 29, 38 Abs. 3 GewO, §§ 26, 36 f., 44 KWG, §§ 5, 59, 81 ff. VAG). Gerade die Aufsicht über Banken und Versicherungen ist noch sehr viel intensiver, vielgestaltiger und detaillierter geregelt als die Aufsicht über die Anerkannten Stellen in den untersuchten Bereichen. Zwischen Gewährleistungsaufsicht und Wirtschaftsaufsicht besteht demnach kein qualitativer, sondern allenfalls ein gradueller Unterschied 91, es sei denn, man will die modernen Formen der Wirtschaftsaufsicht auch schon als Gewährleistungsaufsicht qualifizieren und nur die klassische Gewerbeaufsicht mit ihrer Beschränkung auf Anzeige- und Genehmigungspflichten als Wirtschaftsaufsicht bezeichnen.

90 Was auch nahe liegt, schließlich sind Benannte Stellen und Umweltgutachter nichts anders als Erbringer von Dienstleistungen auf dem Zertifizierungsmarkt. 91 Dies zur Forderung von Voßkuhle, VVDStRL 62 (2003), 266 (321), dass Gewährleistungsaufsicht mehr sein müsse als bloße Wirtschaftsaufsicht.

§ 13 Staatliche Gewährleistungsverantwortung

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III. Kooperativer Staat Merkmal des Gewährleistungsstaates und der neuen Steuerungsformen soll auch ein Strategie- und Perspektivenwandel hin zum kooperativen Staat sein 92. In den untersuchten Referenzgebieten kommt dies am deutlichsten im Bilanzkontrollrecht zum Ausdruck, wo die Regulierte Selbstregulierung auf einem Vertrag zwischen Anerkannter Stelle und dem Bundesministerium der Justiz beruht. Aber auch in allen anderen Bereichen (in denen die Anerkennung durch Verwaltungsakt erfolgt) ist der Staat auf die Kooperation der Wirtschaft angewiesen, denn wenn diese keine Anerkannten Stellen gründet, kann das vom Gesetzgeber vorgesehene System nicht funktionieren. Selbst im Produktsicherheitsrecht ist zwar die Einschaltung einer Anerkannten Stelle obligatorisch, nicht jedoch die Gründung einer solchen. Im Jugendmedienschutz und im Bilanzkontrollrecht sind der Einführung der Regulierten Selbstregulierung daher auch Verhandlungen mit den interessierten Kreisen vorangegangen, auf Grund derer der Gesetzgeber sicher sein konnte, dass private Stellen gegründet und um Anerkennung nachsuchen würden. Die Anerkannten Stellen und die hoheitliche Aufsicht sollen auch nach der Anerkennung ein Kooperations- und Informationsaustauschverhältnis pflegen, eingebettet in das Aufsichtsverhältnis. Dies dürfte zumindest im Jugendmedienschutz und im Bilanzkontrollrecht zutreffen, wo es jeweils nur eine Anerkannte Stelle gibt, deren Anerkennung deshalb kaum zurückgenommen werden kann. Im Produktsicherheitsrecht und beim Umweltaudit mit der großen Vielzahl von Anerkannten Stellen dürfte eine dauerhafte und vertiefte Kooperation mit der Aufsicht hingegen eher selten sein. IV. Grundrechtsbindung und -berechtigung der Anerkannten Stellen Auch wenn die Anerkannten Stellen privatrechtlich verfasst und damit organisatorisch eindeutig dem privaten Sektor zuzuordnen sind, nehmen sie doch öffentliche Aufgaben wahr und erscheinen funktional als Äquivalent staatlicher Behörden. Die Grundrechtsberechtigung oder -verpflichtung Anerkannter Stellen bedarf daher näherer Untersuchung. Dabei ist ebenfalls zwischen dem Verhältnis zur hoheitlichen Aufsicht und dem zu den privaten Anbietern zu differenzieren. 1. Grundrechtsbindung der Aufsichtsbehörden Die Aufsichtsbehörden sind öffentlichrechtliche Träger von Hoheitsgewalt und nach Art. 1 Abs. 3 GG an die Grundrechte gebunden. Dies gilt auch für die KJM. Zwar sind die Landesmedienanstalten, deren Organ die KJM ist, staatsfern organisiert; das ändert jedoch nichts am öffentlichrechtlichen Charakter der KJM und 92

Lackner, Gewährleistungsverwaltung, S. 147.

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4. Teil: Strukturen der Regulierten Selbstregulierung

daran, dass sie bzw. die Landesmedienanstalten gegenüber den Rundfunkanbietern Hoheitsgewalt ausüben, wenn sie beispielsweise öffentliche Rügen erteilen, Bußgelder verhängen oder gar die Sendelizenz entziehen. Ebenso sind auch die DAU GmbH und der Umweltgutachterausschuss an die Grundrechte gebunden. Der Umweltgutachterausschuss ist zwar auch mit Wirtschafts- und Interessenvertretern besetzt, trotzdem ist er als Einrichtung des Bundesumweltministeriums Teil der durch Art. 1 Abs. 3 GG gebundenen öffentlichen Verwaltung. Die DAU GmbH ist formal eine juristische Person des Privatrechts; durch ihre Beleihung mit Aufsichtsbefugnissen über die Umweltgutachter und der Befugnis zur Erteilung bzw. Entziehung der Anerkennung übt auch die DAU GmbH Hoheitsgewalt aus und unterliegt deswegen der Grundrechtsbindung. 2. Grundrechtsberechtigung der Anerkannten Stellen Zu untersuchen bleibt, ob dieser generellen Grundrechtsbindung der Aufsichtsbehörden eine Grundrechtsberechtigung der Anerkannten Stellen gegenüber steht. Wären die Anerkannten Stellen selbst Teil der Verwaltung, könnten sie sich gegenüber anderen Behörden nicht auf Grundrechte berufen. Die Anerkannten Stellen sind allerdings überwiegend juristische Personen des Privatrechts. Als solche können sie sich grundsätzlich nach Art. 19 Abs. 3 GG auf die dem Wesen nach auf sie anwendbaren Grundrechte berufen (sofern es sich bei Umweltgutachtern um natürliche Personen handelt, besteht die Grundrechtsberechtigung direkt). a) Einschlägige Grundrechte und ihre Anwendbarkeit auf juristische Personen Für die Umweltgutachter und die Benannten Stellen, die mit ihren Zertifizierungen Geld verdienen wollen, greift der Schutz der Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG); an die Eigentumsgarantie aus Art. 14 Abs. 1 GG wäre dann zu denken, wenn einer Anerkannten Stelle die Anerkennung entzogen und damit ihr Geschäftsmodell unmöglich gemacht wird. Für die Selbstbestimmung der internen Angelegenheiten einer Anerkannten Stelle greift Art. 9 Abs. 1 GG. Ansonsten kann speziell bei den Selbstkontrolleinrichtungen im Jugendmedienschutz die Rundfunkfreiheit, Meinungs- oder Kunstfreiheit eine Rolle spielen. Des Weiteren ist Art. 3 Abs. 1 GG immer zu berücksichtigen, ebenso wie Art. 19 Abs. 4 GG oder Art. 103 Abs. 1 GG. Die Betretensrechte der Aufsichtsbehörden im Produktsicherheits- oder Umweltauditrecht sind an Art. 13 Abs. 1 GG zu messen. Als Auffanggrundrecht greift schließlich die Allgemeine Handlungsfreiheit des Art. 2 Abs. 1 GG. Art. 9 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 GG sind ihrem Wesen nach auf juristische Personen anwendbar, ebenso wie der allgemeine Gleichheitssatz 93.

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Auch auf die Verfahrensgrundrechte des Art. 19 Abs. 4 und des Art. 103 Abs. 1 GG können sich juristische Personen berufen 94 (sogar, wenn es sich um solche des Öffentlichen Rechts handelt) 95. Die allgemeine Handlungsfreiheit berechtigt juristische Personen ebenfalls 96. Meinungs-, Rundfunk- und Kunstfreiheit sind auf juristische Personen anwendbar 97. Sofern man Betriebs- und Geschäftsräume in den Schutzbereich des Art. 13 Abs. 1 GG mit einbezieht, muss man konsequenterweise den Schutzbereich auch auf juristische Personen ausdehnen 98. Den Anerkannten Stellen als juristischen Personen des Privatrechts stehen demnach zahlreiche Grundrechte zur Seite; ein Ausschluss von der grundsätzlich bestehenden Grundrechtsberechtigung wegen der besonderen Stellung oder Aufgaben der Anerkannten Stellen im System der Regulierten Selbstregulierung müsste besonders begründet werden 99. b) Grundrechtsberechtigung in Organisationsfragen Die Anerkannten Stellen sind nicht vom Staat gegründet worden; stattdessen handelt es sich um freiwillige Gründungen privater Akteure zum Zwecke der Selbstregulierung. So lange die Selbstregulierungseinrichtungen in der privaten Sphäre verbleiben (wie etwa die Selbstkontrolle im Rundfunk vor Erlass des JMStV oder die freiwilligen Zertifizierungen durch Umweltgutachter oder Benannte Stellen), können sie sich unbeschränkt auf die Grundrechte berufen. Auch bei einer Einbindung der Selbstregulierungseinrichtungen in die Regulierte Selbstregulierung ist aber zumindest die Gründung und Auflösung einer solchen Einrichtung die Ausübung grundrechtlicher Freiheit. Auch die Regelung der Vereinsinterna, die mit der Erfüllung der öffentlichen Aufgabe in keinem direkten Zusammenhang stehen (zum Beispiel Fragen der Finanzierung des FSF e. V., die Regelung der Vertretungsmacht oder des Abstimmungsverhaltens im DPR e. V., etc.), steht unter dem Schutz der Grundrechte. Eine Anordnung der Aufsicht an die Anerkannte Stelle, einen bestimmten Vorsitzenden zu wählen, eine bestimmte Geschäftsordnung anzunehmen oder bestimmte Verträge abzuschließen, müsste 93 Krüger/Sachs, in: Sachs, GG, Art. 19 Rdn. 71; Dreier, in: ders., GG, Bd. I, Art. 19 Abs. 3 Rdn. 36. 94 Krüger/Sachs, in: Sachs, GG, Art. 19 Rdn. 86, 88. 95 Dreier, in: ders., GG, Bd. I, Art. 19 Abs. 3 Rdn. 36, 39. 96 Krüger/Sachs, in: Sachs, GG, Art. 19 Rdn. 70; Dreier, in: ders., GG, Bd. I, Art. 19 Abs. 3 Rdn. 36. 97 Krüger/Sachs, in: Sachs, GG, Art. 19 Rdn. 74; Dreier, in: ders., GG, Bd. I, Art. 19 Abs. 3 Rdn. 36. 98 Kühne, in: Sachs, GG, Art. 13 Rdn. 20; dagegen Hermes, in: Dreier, GG, Bd. I, Art. 13 Rdn. 20. 99 Die Grundrechtsträgerschaft der FSF als juristischer Person des Privatrechts ausdrücklich bejahend VG Berlin, ZUM 2006, 779 (782).

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4. Teil: Strukturen der Regulierten Selbstregulierung

an Art. 9 Abs. 1 GG gemessen werden. In gewissem Umfang können sich die Anerkannten Stellen gegenüber der hoheitlichen Aufsicht daher auf jeden Fall auf Grundrechte berufen 100. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass der Staat nicht verpflichtet ist, private Stellen anzuerkennen. Deshalb kann er die Anerkennungsbedingungen auch frei festlegen. Wenn nur solche Stellen anerkannt werden, die bestimmten organisatorischen Anforderungen genügen, eine bestimmte Struktur aufweisen oder wenn im Anerkennungsverfahren Informationen offen gelegt werden müssen, stellt dies keinen Grundrechtseingriff dar 101. Private haben keinen Anspruch darauf, dass sie in die Regulierte Selbstregulierung einbezogen werden 102; dass der Staat ihren Entscheidungen öffentlichrechtliche Wirkungen zumisst, ist vom Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG oder des Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG nicht umfasst. Mit den Anerkennungsvoraussetzungen für Anerkannte Stellen trifft der Staat deshalb keine Berufszugangs- oder -ausübungsregelungen, sondern bestimmt, wie eine Privatperson organisiert sein müsste, damit ihre Entscheidungen öffentlichrechtlich anerkannt werden können. Der Gesetzgeber schafft dadurch erst den „Beruf“ der Anerkannten Stelle. Wenn der Gesetzgeber allerdings einen neuen Beruf schafft, dann muss er auch die wesentlichen Aspekte dieses Berufs selbst festlegen und darf dies nicht vollständig der Verwaltung (konkret der anerkennenden Stelle) überlassen. Durch die gesetzlichen Regelungen der Anerkennungsvoraussetzungen in den § 19 Abs. 3 JMStV, § 11 Abs. 1 GPSG, § 15 Abs. 2 MPG, §§ 4 ff. UAG, § 342b HGB ist der deutsche Gesetzgeber diesen Anforderungen nachgekommen. c) Grundrechtsberechtigung gegenüber der Aufsicht bei der Prüftätigkeit Hat eine Anerkannte Stelle ihre Arbeit aufgenommen, stellt sich die Frage, ob sie sich gegenüber Aufsichtsmaßnahmen auf Grundrechte berufen kann. Dies könnte zum einen bei der Ausgestaltung der Prüfung eines konkreten Angebots, zum anderen bei der allgemeinen Aufsicht über die Arbeit der Anerkannten Stelle eine Rolle spielen. Die Durchführung einer Prüfung bei einem Anbieter beruht nicht auf übertragener Hoheitsgewalt. Die Anerkannten Stellen sind nicht in die Verwaltungsorganisation integriert, sind kein Teil der behördlichen Hierarchie 103. Stattdessen ist 100

Di Fabio, VVDStRL 56 (1997), 235 (256). Di Fabio, VVDStRL 56 (1997), 235 (256): Grundrechtsverzicht der privaten Stelle. 102 Voßkuhle, HStR III, § 43 Rdn. 64: Kein Anspruch aus Art. 12 Abs. 1 GG auf Beteiligung an der staatlichen Aufgabenwahrnehmung. Nur dann, wenn bestimmte private Stellen anerkannt werden, haben andere Private, die denselben Anforderungen genügen und dieselben Voraussetzungen erfüllen, einen Anspruch auf Gleichbehandlung (Art. 3 Abs. 1 GG bzw. Art. 12 Abs. 1 GG, wenn es um wirtschaftliche Tätigkeiten geht), d. h. grds. auf Anerkennung. 101

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die Tätigkeit der Anerkannten Stellen Ausdruck der grundrechtlich geschützten Selbstregulierung Privater. Zwar nehmen diese eine öffentliche Aufgabe wahr; das allein reicht jedoch nicht aus, um ihnen die Grundrechtsberechtigung abzusprechen. Daher wäre die Erteilung einer Weisung an die Anerkannte Stelle, eine Ersetzung ihrer Entscheidung oder eine Ersatzvornahme ein Eingriff in ihre Rechte und nicht nur ein Verwaltungsinternum. Mit der Selbstregulierung sollen gerade die Fähigkeiten und Ressourcen Privater nutzbar gemacht werden und die Verwaltung von sie überfordernden Entscheidungen befreit werden. Deshalb sehen die Gesetze in den untersuchten Bereichen solche Einzelweisungen oder Entscheidungsersetzungen auch nicht vor. Berichts- und Auskunftspflichten oder Betretensrechte im Rahmen der Aufsicht über die allgemeine Arbeit der Anerkannten Stellen sind erst recht ein Grundrechtseingriff. Hierbei geht es nicht mehr um eine konkrete Prüfung, die die Anerkannte Stelle an Stelle einer Behörde vornimmt, sondern um den internen Ablauf und die Organisation der Tätigkeit einer juristischen Person des Privatrechts. Die Anerkannten Stellen sind somit umfassend grundrechtsberechtigt. Sie können sich gegenüber den Aufsichtsbehörden immer auf die Grundrechte berufen, das heißt vor allem auch gegen jeden belastenden Akt mindestens auf Art. 2 Abs. 1 GG. Gleichzeitig gilt deshalb auch der grundrechtliche Vorbehalt des Gesetzes, das heißt, die Aufsicht bedarf für jede belastende Maßnahme einer Ermächtigungsgrundlage (oder der freiwilligen Kooperation der Anerkannten Stellen). Aufsichts- und Weisungsbefugnisse, die nicht im Gesetz vorgesehen oder im Anerkennungsakt vorbehalten sind, stehen der Aufsicht daher nicht zu. Keinesfalls ergeben sich solche Rechte allein aus der Struktur der Regulierten Selbstregulierung, Aufgabe und Stellung der Anerkannten Stelle oder allgemein aus dem Aufsichtsverhältnis. Hält der Gesetzgeber eine umfassende und detaillierte Aufsicht mit auch gestaltendem Einfluss für erforderlich (oder ist eine solche Aufsicht wegen der staatlichen Gewährleistungsverantwortung geboten), so muss er dafür die notwendigen gesetzlichen Grundlagen schaffen. V. Staatshaftung Als Anknüpfungspunkt für die Haftung staatlicher Stellen im System der Regulierten Selbstregulierung kommt dreierlei in Frage: Denkbar wäre zum einen eine Zurechnung des Handelns der Anerkannten Stelle, zweitens die Aufsichtstätigkeit über die Anerkannte Stelle und drittens die Aufsichtstätigkeit über die Anbieter. Gläubiger von Staatshaftungsansprüchen können demnach die Anerkannten Stellen, Anbieter oder Verbraucher sein.

103

So für dis FSF ausdrücklich VG Berlin, ZUM 2006, 779 (782 f.).

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1. Haftung hoheitlicher Stellen gegenüber Verbrauchern und Anbietern a) Staatshaftung für Fehler der hoheitlichen Wirtschaftsaufsicht Zum einen besteht eine Haftung für rechtswidriges Handeln der staatlichen Aufsicht gegenüber den Anbietern. Veröffentlicht die BaFin unrichtigerweise angebliche Bilanzfehler eines Unternehmens oder zieht eine Marktaufsichtsbehörde ein Produkt aus dem Verkehr 104, obwohl es sicher ist, widerspricht dies der Amtspflicht zu rechtmäßigem Verhalten 105 und schädigt die Anbieter unmittelbar in eigenen subjektiven Rechten. Der betroffene Anbieter kann – Verschulden der Aufsicht vorausgesetzt – seinen Schaden nach Amtshaftungsgrundsätzen ersetzt verlangen. Diese Haftung bleibt von der Regulierten Selbstregulierung unberührt. Ebenso wenig von der Regulierten Selbstregulierung betroffen ist die Staatshaftung für unterlassene Aufsichtsmaßnahmen gegenüber Anbietern und dadurch verursachten Schäden bei Verbrauchern 106. Die Aufsichtspflichten müssen drittschützend sein, das heißt sie dürfen nicht nur im allgemeinen öffentlichen Interesse bestehen, sondern müssen gerade auch dem Schutz von Interessen des einzelnen Verbrauchers zu dienen bestimmt sein 107. Dazu muss das im Einzelfall berührte Interesse nach dem Zweck und der rechtlichen Bestimmung des (unterlassenen) Amtsgeschäfts geschützt sein, wobei eine besondere Beziehung zwischen der Amtspflicht und dem Betroffenen erforderlich ist 108. b) Staatshaftung für Fehler der Anerkannten Stelle Öffentliche Stellen müssten den Anbietern oder den Verbrauchern nach § 839 BGB i. V. m. Art. 34 GG haften, wenn ihnen das schädigende Verhalten der Anerkannten Stelle zugerechnet werden könnte. Die Anerkannten Stellen sind nicht beliehen worden, so dass eine Haftung als beleihende Stelle ausscheidet. Unselbständige Verwaltungshelfer, die von Hoheitsträgern nur als verlängerter Arm oder Werkzeug eingesetzt werden, sind sie ebenfalls nicht; selbst wenn man

104 Zur Amtshaftung bei rechtswidrigen Produktwarnungen OLG Stuttgart, NJW 1990, 2690 ff. 105 BGHZ 76, 16 (29 f.); Z 84, 285 (287). 106 Besonders häufig wurde diese Problematik bei der Aufsicht über Finanzdienstleistungsunternehmen relevant. Ursprünglich bejahte der BGH eine Drittgerichtetheit der Amtspflichten aus dem KWG (BGHZ 74, 144 [148 ff.]; Z 75, 120 [122]; a. A. BVerwGE 61, 59 [63 ff.]); daraufhin bestimmte der Gesetzgeber u. a. in § 4 Abs. 4 FinDAG, dass die Tätigkeit der BaFin nicht drittschützender Natur ist (Verfassungsmäßigkeit und Gemeinschaftsrechtskonformität des § 4 Abs. 4 FinDAG bestätigt durch BGHZ 162, 49 ff. m. Anm. von Danwitz, JZ 2005, 729 ff.). 107 BGHZ 129, 23 (25); Z 134, 268 (278); Z 162, 49 (55 f.). 108 BGHZ 129, 23 (25); Z 134, 268 (276, 278).

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der erweiterten Werkzeugtheorie der neueren Rechtsprechung des BGH folgt 109, kommt eine Zurechnung nicht in Betracht (s. o. § 12 C. VII. 1. a). Zwar erfüllen die Benannten Stellen eine öffentliche Aufgabe, sie werden dazu jedoch nicht durch die Verwaltung beauftragt, sondern durch den Gesetzgeber. Die Anerkannten Stellen sind nicht in den Pflichtenkreis der Behörde eingebunden, sondern nehmen eigene Pflichten wahr. Schließlich ist der Entscheidungsspielraum der Anerkannten Stelle auch nicht durch behördliche Vorgaben beschränkt. Des Weiteren gebieten auch Sinn und Zweck der Regulierten Selbstregulierung keine Haftung des Staates für die Anerkannten Stellen. Soweit bei diesen die Gefahr besteht, dass ihr Handeln größere Schäden verursacht, kann eine Haftpflichtversicherung gesetzlich vorgeschrieben werden (wie im Produktsicherheitsrecht geschehen). Sofern der Anbieter sich die Anerkannte Stelle aussuchen kann (wie im Produktsicherheitsrecht und beim Umweltaudit), kann die Solvenz der Anerkannten Stelle oder das Bestehen einer Versicherung ein Auswahlkriterium für den Anbieter sein. Im Jugendmedienschutz sind größere Schäden nicht denkbar; außerdem sind die Geschädigten selbst Mitglied der FSF und es würde seltsam anmuten, wenn die Sender für Fehler „ihrer“ FSF Haftungsansprüche gegen den Staat geltend machen könnten. Bei der Rechnungslegungsprüfung schließlich sind Schäden eigentlich nur durch Verletzungen der Verschwiegenheitspflicht denkbar, die vom Gesetzgeber aber ausdrücklich im Sinne einer Haftung der Prüfstelle geregelt sind (§ 342c HGB). Öffentlichrechtliche Stellen haften somit nur für Fehler bei ihren eigenen Aufgaben in der Regulierten Selbstregulierung, nicht jedoch für Fehler der Anerkannten Stellen. c) Staatshaftung für eigene Fehler der hoheitlichen Aufsicht über die Anerkannten Stellen Die staatlichen Aufsichtsstellen begehen eigene Rechtsverstöße, wenn sie private Stellen anerkennen, die die gesetzlichen Anerkennungsvoraussetzungen nicht erfüllen, Anerkannten Stellen die Anerkennung nicht entziehen, wenn diese die Voraussetzungen nicht mehr erfüllen oder generell die Tätigkeit der Anerkannten Stellen nicht hinreichend beaufsichtigen. Führt ein Fehlverhalten Anerkannter Stellen, das auf diesen Rechtsverstößen der Aufsicht beruht (oder von dieser amtspflichtwidrig nicht verhindert wird), zu Schäden bei Anbietern oder Verbrauchern, könnten sich daraus Amtshaftungsansprüche gegen die hoheitliche Aufsicht ergeben.

109

BGHZ 121, 161 ff. Zu den Kriterien Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 20 ff.; Detterbeck/Windthorst/Sproll, Staatshaftungsrecht, § 8 Rdn. 18 ff.

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aa) Haftung gegenüber den Anbietern Werden Unternehmen, die eine Anerkannte Stelle beauftragen (müssen), durch deren Fehlverhalten geschädigt (zu denkbaren Fallkonstellationen s. o. § 12 C. VII. 1. b), könnten diese auch bestrebt sein, Amtshaftungsansprüche wegen der Anerkennung einer ungeeigneten Stelle beziehungsweise wegen des unterlassenen Entzugs der Anerkennung oder wegen unterlassener oder unzureichender Aufsicht über die Anerkannte Stelle gegen den Staat geltend zu machen. Haftungsvoraussetzung wäre aber jeweils, dass das konkrete Fehlverhalten der staatlichen Aufsichtsbehörden kausal für den Schaden des Anbieters geworden ist und dass den Staat eine drittgerichtete Amtspflicht zur ordnungsgemäßen Auswahl und Beaufsichtigung der Anerkannten Stellen trifft. Die hoheitliche Aufsicht ist nicht zu Anordnungen und Weisungen (genereller Art oder im Einzelfall) befugt (s. o. § 13 B. II. 2.), es ist ihr also nicht möglich, konkrete schädigende Handlungen einer Anerkannten Stelle zu untersagen. Die Aufsicht kann demnach nicht etwa verzögerte oder rechtswidrig versagte Erteilungen von Zertifikaten durch Anerkannte Stellen beschleunigen oder anordnen. Insofern ist für diese Schadenskonstellationen bereits eine Amtspflichtverletzung zu verneinen. Der Staat ist allerdings verpflichtet, nur solche Stellen anzuerkennen, die den gesetzlichen Anerkennungsvoraussetzungen genügen beziehungsweise die Anerkennung wieder zu entziehen, wenn diese Voraussetzungen nicht (mehr) vorliegen. Die Pflicht zu rechtmäßigem Handeln ist auch Amtspflicht im Sinne von Art. 34 Satz 1 GG i. V. m. § 839 Abs. 1 BGB 110. Die Anerkennung als solche kann noch keine Schäden verursachen, denn diese resultieren erst aus dem konkreten Fehlverhalten einer bereits anerkannten und von einem Anbieter eingeschalteten privaten Stelle. Aus der fehlerhaften Anerkennung ergeben sich aber Ingerenzpflichten des Staates, die Anerkennung wieder zu entziehen, wenn die Fehlerhaftigkeit entdeckt wird und zu Schäden führt. Dann muss der Schaden aber auch gerade auf der Nichterfüllung der Anerkennungsvoraussetzungen beruhen. Fraglich ist aber, ob die Überwachung der Einhaltung der Anerkennungsvoraussetzungen nur im allgemeinen öffentlichen Interesse (etwa Interessen an Umweltschutz, Jugendschutz, Vertrauen in den Wirtschaftsstandort Deutschland, etc.) besteht oder ob sie auch konkreten schutzwürdigen Interessen der Anbieter zu dienen bestimmt ist. Den gesetzlichen Anerkennungsvoraussetzungen ist zu entnehmen, ob sie – neben dem Schutz des Interesses, zu dem Regulierte Selbstregulierung installiert wurde (also Jugendschutz, Umweltschutz, Produktsicherheit, etc.) – zumindest auch Rechte und Interessen der Unternehmen berücksichtigen, die die Anerkannten Stellen einschalten sollen. Demnach lassen sich für die

110

BGHZ 76, 16 (29 f.); Z 84, 285 (287); Papier, in: MüKoBGB, § 839 Rdn. 193.

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Drittgerichtetheit der Amtspflichten im System der Regulierten Selbstregulierung keine allgemeingültigen Aussagen machen; es kommt auf die konkrete gesetzliche Ausgestaltung an. Im Jugendmedienschutz verlangt § 19 Abs. 3 Nr. 5 JMStV, dass eine Selbstkontrolle nur anerkannt wird, wenn sie Anhörungs- und Begründungspflichten gegenüber den Sendern oder Anbietern von Telemedien vorsieht. Dies dient der Wahrung der Rechte der Anbieter und ist damit drittschützend; allerdings kann eine unterlassene Anhörung oder Begründung keinen Schaden verursachen, zumal die Entscheidungen der Selbstkontrolle für die Anbieter nicht bindend sind. Bei den Anforderungen an eine Benannte Stelle im Produktsicherheitsrecht steht eindeutig das öffentliche Interesse an sicheren Produkten im Vordergrund, weswegen von den Benannten Stellen Fachkenntnis und Qualifikationen gefordert werden sowie Neutralität und Unabhängigkeit vom Hersteller, das heißt Interessen des Herstellers werden gerade nicht berücksichtigt. Drittschützende Anerkennungsvoraussetzungen sind allerdings das Erfordernis einer Haftpflichtversicherung und die Pflicht zur Wahrung der Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse des Herstellers. Umweltgutachter müssen ebenfalls fachlich geeignet und unabhängig sein, woraus ein Unternehmen keine Beachtung eigener Interessen herleiten kann. Allenfalls das Zuverlässigkeitserfordernis, welches Umweltgutachter mit bestimmten Vorstrafen ausschließt, könnte drittschützend sein. Vor allem die Unzuverlässigkeit von Umweltgutachtern, die sich wegen Vermögens- oder Eigentumsdelikten strafbar gemacht haben, dient zumindest auch dem Schutz der die Umweltgutachter beauftragenden Unternehmen. Wenn also ein einschlägig vorbestrafter aber trotzdem anerkannter Umweltgutachter bei Betriebsbesichtigungen wiederholt Diebstähle begeht und der anerkennenden Stelle dies bekannt war und sie trotzdem die Anerkennung nicht aufhebt, ist die Verletzung einer drittgerichteten Amtspflicht gegeben; praktische Relevanz hat der Fall nicht. Im Bilanzkontrollrecht schließlich ist die Vertraulichkeit der Prüfungen durch die Prüfstelle Anerkennungsvoraussetzung. Einer Prüfstelle, die bekanntermaßen Interna des geprüften Unternehmens veröffentlicht, müsste die Anerkennung auch im Interesse der Unternehmen wieder entzogen werden. Allerdings ist eine Prüfung durch die Prüfstelle nur bei Kooperation der Unternehmen möglich; diese werden aber einer bekannt unzuverlässigen Prüfstelle die Kooperation verweigern, so dass auch hier Schäden durch Untätigbleiben der Aufsicht eher unwahrscheinlich sind.

Sind die denkbaren Möglichkeiten der Verletzung einer drittgerichteten Amtspflicht durch die anerkennenden hoheitlichen Stellen danach schon begrenzt, gilt es außerdem zu beachten, dass in all diesen Fällen schon eine eigene Haftung der Anerkannten Stelle besteht (s. o. § 12 C. VII. 1. b). Auf Grund der Subsidiarität der Amtshaftung (§ 839 Abs. 1 S. 2 BGB) scheidet eine Staatshaftung wegen Aufsichtspflichtverletzung damit ohnehin aus.

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4. Teil: Strukturen der Regulierten Selbstregulierung

bb) Haftung gegenüber Verbrauchern Verbraucher werden nicht durch die staatliche Aufsicht oder die Anerkannten Stellen geschädigt, sondern allenfalls durch das „Produkt“ des Anbieters. Adressat von Schadensersatzansprüchen (aus Delikt oder Vertrag) ist daher vorrangig der Anbieter. Eine Haftung Anerkannter Stellen ist daneben wie oben (§ 12 C. VII. 2.) dargestellt – wenn überhaupt – nur im Produktsicherheitsrecht möglich. Ein darüber hinaus bestehender Amtshaftungsanspruch wegen Fehlern der staatlichen Aufsicht wäre demnach nur konstruierbar, wenn die Schädigung durch den Anbieter (auch) auf einem Fehlverhalten der Anerkannten Stelle beruht, welches wiederum auf einer fehlerhaften Anerkennung oder unzureichenden Aufsicht durch den Staat zurückzuführen ist. Der Nachweis der Kausalität wird in diesem Stufenverhältnis für den Verbraucher kaum zu führen sein. Die Subsidiarität der Amtshaftung (§ 839 Abs. 1 S. 2 BGB) schließt aber ohnehin alle Ansprüche von Verbrauchern gegen den Staat aus. Diese können (und müssen) primär den Anbieter in Anspruch nehmen und daneben – sofern möglich – die Anerkannte Stelle. 2. Haftungsbeziehungen zwischen Staat und Anerkannter Stelle a) Haftung des Staates gegenüber der Anerkannten Stelle Der Staat kann den Anerkannten Stellen wegen Fehlern im Rahmen seiner Aufsichtstätigkeit haften. Zu denken wäre an Schadensersatzansprüche einer privaten Stelle, die rechtswidrig nicht anerkannt wurde und deshalb eine geldwerte Dienstleistung nicht anbieten kann. Gleiches gilt im Falle eines rechtswidrigen Entzugs der Anerkennung. Anspruchsgrundlage wäre jeweils § 839 BGB i. V. m. Art. 34 GG. Auf die Anerkennung besteht überwiegend ein Rechtsanspruch (s. o. § 3 F. III. 1., § 4 B. II. 3. a), § 5 B. II. 4.), so dass die Nichtanerkennung oder der Entzug eine Verletzung in subjektiv-öffentlichen Rechten und damit die Verletzung einer drittgerichteten Amtspflicht darstellen 111. Im Produktsicherheitsrecht und beim Umweltaudit, wo Wettbewerb zwischen verschiedenen Anerkannten Stellen besteht, könnten rechtswidrige öffentliche Rügen oder die unberechtigte Veröffentlichung von Pflichtverstößen der Anerkannten Stellen durch die Aufsicht zu Vermögensschäden führen. Solche Maßnahmen wären aber ohnehin nicht Teil der Aufsicht, weil sie gesetzlich nicht vorgesehen sind. Sie würden ohne jede Rechtsgrundlage erfolgen und ebenfalls Amtshaftungsansprüche auslösen.

111

BGHZ 125, 258 (268); Papier, in: MüKoBGB, § 839 Rdn. 228, 231.

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b) Ansprüche des Staates gegen die Anerkannte Stelle Würde der Staat (etwa im Wege der Amtshaftung) für Fehler und rechtswidriges Verhalten der Anerkannten Stellen haften, wäre zu untersuchen, ob er bei der Anerkannten Stelle Regress nehmen kann, wenn er von Anbietern oder Verbrauchern in Anspruch genommen wird. Zwar sieht Art. 34 Satz 2 GG grundsätzlich die Möglichkeit eines Regresses des haftenden Staates beim fehlerhaft handelnden „Amtsträger“ vor. Weder Art. 34 Satz 2 GG noch § 839 BGB bieten jedoch eine Anspruchsgrundlage dafür. Diese ergibt sich normalerweise aus dem Beamtenrecht oder Anstellungsvertrag oder dem privatrechtlichen Werk- oder Dienstvertrag, mit dem die private Stelle beauftragt wird 112. Daneben ist auch das Beleihungsverhältnis als verwaltungsrechtliches Schuldverhältnis anerkannt 113, aus dem sich Schadensersatzansprüche wegen Pflichtverletzungen und Rückgriffsansprüche ergeben können 114. Bei der Einschaltung privater Unternehmen in die Erfüllung öffentlicher Aufgaben soll außerdem die Haftungsbeschränkung des Art. 34 Satz 2 GG auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit nicht greifen 115. Sofern eine Anerkannte Stelle durch öffentlichrechtlichen Vertrag anerkannt ist (wie zum Beispiel im Bilanzkontrollrecht), ergibt sich das verwaltungsrechtliche Schuldverhältnis unmittelbar aus dem Vertrag; aber auch die Anerkennung durch Verwaltungsakt und das durch öffentlichrechtliche Normen geregelte Verhältnis zwischen Anerkannter Stelle und Aufsichtsbehörde stellt nach der oben genannten Rechtsprechung des BGH ein verwaltungsrechtliches Schuldverhältnis dar, so dass Pflichtverletzungen der Anerkannten Stelle zu einem Schadensersatzanspruch des Staates aus § 280 Abs. 1 BGB analog führen könnten. Allerdings haftet der Staat wie oben gezeigt nicht für rechtswidriges Verhalten der Anerkannten Stellen; deren Fehler sind nicht im Rahmen eines Amtshaftungsanspruchs von Anbietern oder Verbrauchern dem Staat zuzurechnen. Kann der Staat somit durch das Verhalten der Anerkannten Stellen keine Schäden erleiden (weil diese selbst unmittelbar haften), bleibt auch für Regressansprüche oder sonstige Schadensersatzansprüche kein Raum.

112

Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 119. S. z. B. auch § 10 Abs. 4 Kraftfahrsachverständigengesetz, wonach eine Technische Prüfstelle für den Kraftfahrzeugverkehr das nach außen haftende Bundesland von allen Schadensersatzansprüchen Dritter freizustellen hat, die aus der amtlichen Tätigkeit von Sachverständigen und Prüfern entstehen. 113 BGHZ 135, 341 (344). 114 Zur Haftung einer anerkannten Zivildienststelle gegenüber der Bundesrepublik Deutschland BGHZ 135, 341 (346 f.), zum Rückgriff a. a. O., S. 350. 115 BGHZ 161, 6 (9 ff.); Stelkens, JZ 2004, 656 (660 f.).

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4. Teil: Strukturen der Regulierten Selbstregulierung

§ 14 Stellung des Verbrauchers in einem System Regulierter Selbstregulierung Beim Vollzug öffentlichrechtlicher Gesetze steht üblicherweise das Verhältnis zwischen Normadressat – hier also den Anbietern – und den staatlichen Vollzugsbehörden im Mittelpunkt des Interesses. Diese Zweierbeziehung wird durch die Einschaltung der Anerkannten Stellen zu einer Dreiecksbeziehung erweitert. Neben diesen drei Akteuren müssen aber auch noch die „Verbraucher“ berücksichtigt werden, die mit den kontrollierten Produkten in Kontakt gelangen und deren Schutz der Hauptzweck der von den Anerkannten Stellen durchzusetzenden Gesetze ist. Verbraucher in diesem Sinne sind die Zuschauer oder Nutzer von Telemedien, Verwender von Produkten, die unter das Neue Konzept fallen oder Personen, die an den Bilanzen börsennotierter Unternehmen ein berechtigtes Interesse haben.

A. Rechtsverhältnis der Anerkannten Stelle zum Verbraucher Das Verhältnis zwischen Anbieter und Verbraucher bestimmt sich unverändert vorrangig nach Zivilrecht (Vertragsrecht, Deliktsrecht). Entstehen durch unsichere Produkte Schäden, kann der Verbraucher Schadensersatz nach §§ 280 Abs. 1 u. 3, 281 BGB oder § 823 Abs. 1 BGB verlangen. Falsche Bilanzen können eine Ersatzpflicht nach § 826 BGB oder auch §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB auslösen. Die Existenz Regulierter Selbstregulierung hat darauf keinen Einfluss 116. Möglicherweise können die Verbraucher aber auch gegenüber der Anerkannten Stelle direkt Rechte geltend machen. In Betracht kämen Ansprüche auf Einschreiten der Anerkannten Stelle oder Schadensersatzansprüche bei fehlerhafter oder unterlassener Kontrolle. I. Anspruch auf Tätigwerden der Anerkannten Stelle Ein Tätigwerden der Anerkannten Stelle auf Grund einer Beschwerde eines Verbrauchers über die mangelnde Gesetzeskonformität eines Produkts kann unterschiedlich aussehen. Vorrangig ist an eine – möglicherweise erneute – Prüfung des Produkts durch die Anerkannte Stelle zu denken. Darüber hinaus könnte man in Parallele zum Gefahrenabwehrrecht aber auch an einen Anspruch auf Einschrei116 Man könnte nur davon ausgehen, dass im Rahmen einer Verschuldensprüfung die Tatsache, dass auch die Fachleute der Anerkannten Stelle den Fehler übersehen haben, ein Indiz für fehlendes Verschulden des Anbieters ist, weil deshalb auch für diesen der Fehler nicht erkennbar war.

§ 14 Stellung des Verbrauchers

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ten der Anerkannten Stelle denken, das heißt auf das Ergreifen von Maßnahmen gegenüber den Anbietern, die die Gefahren, die von der fehlenden Vereinbarkeit des Produkts mit dem Gesetz ausgehen, beseitigen. Im Jugendmedienschutz kann der Zuschauer eine Beschwerde bei FSM oder FSF einreichen, die zu einer Prüfung der beanstandeten Sendung oder des Telemediums führen. In Bezug auf Telemedien könnte die FSM anordnen, eine beanstandete Seite vom Netz zu nehmen. Kommen FSF oder FSM bei der Prüfung zu einem anderen Ergebnis als der Beschwerdeführer oder lehnen sie Maßnahmen ab, kann der Beschwerdeführer „Berufung“ gegen diese Entscheidung bei Gremien der Selbstkontrolleinrichtungen einlegen. Was hingegen nicht möglich ist, ist eine gerichtliche Erzwingung des Einschreitens der Selbstkontrollen (in Parallele zu einer Verpflichtungs- oder Leistungsklage vor den Verwaltungsgerichten auf Einschreiten der Gefahrenabwehrbehörden). Ein gesetzlicher Anspruch des Bürgers, der vor Gericht durchgesetzt werden könnte, ist nicht gegeben. Zwar verlangt § 19 Abs. 3 Nr. 6 JMStV, dass die Anerkannten Stellen eine Beschwerdestelle unterhalten, woraus man noch folgern könnte, dass diese Beschwerdestelle – um ihren Namen zu verdienen – auch tatsächlich Beschwerden von Zuschauern oder Nutzern behandeln muss; nähme die Beschwerdestelle keine Beschwerde entgegen oder würde sie sie ignorieren, wäre das allerdings nur ein Grund für den Entzug der Anerkennung – ein subjektiv-öffentliches Recht der Verbraucher auf Tätigwerden der Beschwerdestelle ergibt sich aus § 19 Abs. 3 Nr. 6 JMStV nicht. Zivilrechtliche Ansprüche können den Verbrauchern nur insoweit zustehen, wie die Satzungen von FSF oder FSM dies vorsehen. Die Satzungen geben Verbrauchern das Recht, Beschwerde einzulegen und damit eine Prüfung des beanstandeten Angebots einzuleiten. Gegen eine Entscheidung der Prüfausschüsse können sie „Berufung“ einlegen. Das gibt den Verbrauchern zwar Verfahrensrechte, zivilrechtliche Ansprüche auf bestimmte Prüfergebnisse oder Sanktionen und Maßnahmen sehen die Satzungen nicht vor. Im Produktsicherheitsrecht muss sich ohnehin eine Anerkannte Stelle mit den Produkten befassen, das heißt die Einleitung eines Prüfverfahren muss durch die Verbraucher nicht angeregt oder erzwungen werden. Vereins- oder Vertragsstrafen oder sonstige Auflagen gegenüber dem Anbieter sind nicht vorgesehen, so dass ein weiteres Einschreiten der Anerkannten Stellen nicht möglich ist. Wird das Zertifikat erteilt, kann der Verbraucher bei der Anerkannten Stelle seine Bedenken vortragen und diese zu einer Überprüfung ihrer Entscheidung veranlassen. Gerichtlich durchsetzbare Rechte sieht das Gesetz dafür nicht vor. Ansonsten muss sich der Verbraucher an die Marktüberwachungsbehörden wenden, um sie zur Überprüfung des seiner Meinung nach unsicheren Produkts zu veranlassen. Beim Umweltaudit gibt es keine Verbraucher im engeren Sinne. Selbst wenn man aber Umwelt- oder Naturschutzverbände oder Anwohner von Fabriken darunter verstehen wollte, könnten diese keine Prüfung durch Umweltgutachter erzwingen oder auch nur anregen, weil die Teilnahme am Umweltaudit freiwillig ist und

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4. Teil: Strukturen der Regulierten Selbstregulierung

nur auf Initiative der Unternehmen stattfindet. Bei einem bereits auditierten Unternehmen kommen allerdings wieder Meldungen an die Umweltgutachter in Frage, die diese zu einer Rücknahme des Audits veranlassen könnten. Rechtsansprüche bestehen hierauf wiederum nicht. Im Bilanzkontrollrecht sind die Meldungen der „Verbraucher“ von zentraler Bedeutung, weil auf ihrer Grundlage die Verdachtsprüfungen durchgeführt werden. Da jedoch andererseits nicht einmal die Prüfstelle gegenüber den Unternehmen eine Prüfung erzwingen kann, können erst recht nicht Verbraucher die Prüfstelle zu einer Kontrolle zwingen. Zusammenfassend besteht in allen Bereichen die Möglichkeit der Verbraucher, sich an die Anerkannte Stelle zu wenden, um diese zu einer (erneuten) Überprüfung des Produkts zu bewegen 117. Nur im Jugendschutz ist diese Möglichkeit allerdings in Form der Beschwerdestellen und Beschwerdeordnungen institutionalisiert. Öffentlichrechtliche oder zivilrechtliche Ansprüche auf ein bestimmtes Prüfergebnis oder auf das Ergreifen bestimmter Maßnahmen bestehen hingegen nirgends. II. Schadensersatzansprüche von Verbrauchern gegen die Anerkannte Stelle Die zivilrechtliche Haftung der Anerkannten Stellen gegenüber den Verbrauchern ist bereits oben (§ 12 C. VII. 2.) dargestellt worden. III. Gütesiegel der Anerkannten Stellen Ein inzwischen weit verbreitetes Mittel der Selbstregulierung ist die Kennzeichnung von Produkten, Dienstleistungen oder Unternehmen mit Gütesiegeln, Qualitätszeichen oder Ähnlichem. Eine vom Anbieter verschiedene unabhängige und sachverständige Stelle führt eine Bewertung durch und macht dies dem Verbraucher gegenüber kenntlich. Dies war auch die ursprüngliche Idee hinter dem Umweltaudit. Da aber gerade bei der Auditierung ganzer Unternehmen der Verbraucher fehlt und das Umweltaudit keine hinreichende Bekanntheit erreichte, ist dieser Effekt beim Umweltaudit inzwischen mehr ein Nebeneffekt. Das CE-Zeichen soll gerade kein Gütesiegel sein, weil es in manchen Fällen berechtigterweise auch vom Hersteller selbst angebracht werden darf und daher nicht die Prüfung durch eine unabhängige Stel117 Ob Verbraucher dies im Produktsicherheitsrecht und beim Umweltaudit auch tatsächlich tun werden, ist eine andere Frage, denn angesichts der Vielzahl Anerkannter Stellen in diesen Bereichen müsste der Verbraucher erst ermitteln, welche konkrete Anerkannte Stelle gehandelt hat.

§ 14 Stellung des Verbrauchers

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le signalisiert. Bei der Rechnungslegungsprüfung und im Jugendmedienschutz ergeht keine öffentliche Entscheidung der Anerkannten Stellen in Bezug auf eine Bilanz oder eine Sendung. Der Verbraucher kann nicht herausfinden, ob eine Prüfung stattfand, irgendein sichtbares Gütezeichen fehlt ohnehin. Die Einbindung des Verbrauchers über Qualitätszeichen wird in den untersuchten Referenzgebieten somit so gut wie nicht verwendet.

B. Einbindung der Verbraucher für die Informationsgewinnung I. Informationsbedarf der Anerkannten Stellen Sofern die Anerkannte Stelle für ihre Prüfung Informationen benötigt, kann auf den Verbraucher als eine bedeutsame Informationsquelle zurückgegriffen werden. Am deutlichsten wird dies im Jugendmedienschutz, wo sowohl der Gesetzgeber als auch die Anerkannten Stellen darauf setzen, dass Zuschauer oder Nutzer Beschwerden bei FSF oder FSM erheben und der Gesetzgeber daneben auch noch Beschwerden an die KJM bzw. Landesmedienanstalten vorsieht. Bei der Rechnungslegungsprüfung erfolgt ein Teil der Prüfung auf Grund konkreter Hinweise auf Verstöße gegen die Bilanzvorschriften. Diese konkreten Hinweise kann die Prüfstelle auch von dritter Seite erlangen, also auch von den „Nutzern“ von Bilanzen. Die Einbeziehung der Verbraucher ist dementsprechend schon im Gesetz angelegt. Beim Umweltaudit und im Produktsicherheitsrecht ist eine Einbindung der Verbraucher weder durch das Gesetz noch durch die Anerkannten Stellen selbst vorgesehen. II. Informationsbedarf der hoheitlichen Aufsicht Aber nicht nur die Anerkannten Stellen erhalten notwendige Informationen von den Nutzern und Verbrauchern. Auch die hoheitliche Aufsicht ist zum Teil auf die Mitwirkung der Öffentlichkeit angewiesen, wenn sie die Anbieter und die Anerkannten Stellen kontrollieren will und ihr diese die nötigen Informationen nicht ohne weiteres zukommen lassen 118. Bestes Beispiel dafür ist der Jugendmedienschutz im Rundfunk. Die Landesmedienanstalten erhalten über die Beschwerden der Zuschauer Informationen über Rechtsverstöße der Anbieter, die Rückschlüsse darauf zulassen, ob sich die Anbieter an den JMStV halten und ob die Selbstkontrolle durch die FSF funktioniert; von den Anbietern selbst erhält die Aufsicht keine Informationen und die Berichte der FSF über ihre eigene Tätigkeit

118 S. Hoffmann-Riem, in: Schuppert, Governance-Forschung, S. 195 (206): Der Staat muss sich „Verbündete“ suchen, um zur Regulierung unverzichtbare Informationen zu erlangen, die dem Staat nicht freiwillig zugänglich gemacht werden.

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4. Teil: Strukturen der Regulierten Selbstregulierung

mögen nicht immer ganz objektiv sein. Die Meldungen der Zuschauer bieten hier eine zusätzliche neutrale Kontrollmöglichkeit. Auch im Produktsicherheitsrecht erfahren die Marktüberwachungsbehörden am ehesten über Schadensmeldungen von Verbrauchern von unsicheren Produkten.

5. Teil

Funktionsanalyse und Fazit § 15 Funktionsanalyse Soll der konkrete Einsatz Regulierter Selbstregulierung umfassend beleuchtet werden, darf man nicht bei einer Untersuchung der rechtlichen Ausgestaltung und der rechtlichen Vorgaben und Grenzen stehen bleiben; vielmehr müssen auch die Vor- und Nachteile im Hinblick auf das vom Gesetzgeber mit der Einführung Regulierter Selbstregulierung verfolgte Ziel berücksichtigt werden. Nachdem die konkrete Ausgestaltung der Regulierten Selbstregulierung in den verschiedenen Referenzbereichen untersucht (2. Teil §§ 3–6) und die allgemeinen dogmatischen Strukturen dargestellt worden sind (4. Teil §§ 12–14), soll im Folgenden noch einmal auf die eingangs bereits erwähnten Gründe für und gegen die Einführung Regulierter Selbstregulierung (1. Teil § 2 B.–D.) eingegangen werden und die dort noch sehr allgemein gehaltenen Ausführungen im Hinblick auf die gewonnenen Erkenntnisse konkretisiert werden. Wo bei der derzeitigen Ausgestaltung noch Defizite im Hinblick auf die erstrebten Ziele bestehen, sind – rechtspolitische – Verbesserungen in den Blick zu nehmen.

A. Vorzüge Regulierter Selbstregulierung im Jugendmedienschutz I. Vorteile und Fähigkeiten Regulierter Selbstregulierung Regulierte Selbstregulierung soll gerade im Informations- und Medienrecht auf eine Reihe von Problemen reagieren und Vorteile gegenüber der herkömmlichen Regulierung mit sich bringen. Da der Gesetzgeber die Regulierte Selbstregulierung im Jugendmedienschutz eingeführt hat, müssen aus seiner, das heißt aus Sicht des Staates, gute Gründe für diese Steuerungsform sprechen (1.). Weil die Teilnahme an der Freiwilligen Selbstkontrolle, wie der Name schon sagt, auf Freiwilligkeit basiert, müssen daneben auch für die Anbieter, das heißt die Medienwirtschaft, Anreize bestehen, dem FSF e. V. und FSM e. V. beizutreten und ihre Angebote der Selbstkontrolle vorzulegen (2.).

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5. Teil: Funktionsanalyse und Fazit

1. Gründe des Gesetzgebers und der Öffentlichkeit a) Reaktion auf das Wissensdefizit des Staates und den technischen Fortschritt Als Grund für die zurückgehende Steuerungsfähigkeit herkömmlicher staatlicher Mittel wird oft ein staatliches Informations- oder Wissensdefizit genannt 1. Mit dem Wissens- oder Informationsdefizit zusammenhängend sind faktische Steuerungsprobleme. Entweder soll der Staat nicht die nötigen Mittel haben, um ein Marktgeschehen zu steuern oder der Markt soll so komplex sein, dass nicht absehbar ist, welche Konsequenzen staatliche Eingriffe haben. Aus diesem Grund sollen die Anbieter die Selbstkontrolle übernehmen, da diese über das nötige Fachwissen verfügen und den Markt besser kennen. Dieses Argument greift beim Jugendschutz im Rundfunk allerdings nicht. Das Angebot ist vergleichsweise überschaubar, die Anbieter benötigen eine Zulassung (§§ 20 ff. RStV) und sind daher immer bekannt und greifbar 2. Zwar wissen nur die Anbieter, welche Sendung sie wann ausstrahlen werden; aber jede staatliche Aufsichtsstelle kann sich alle Sendungen anschauen und auf unzulässige Inhalte reagieren (ein präventives Vorgehen kommt wegen Art. 5 Abs. 1 S. 3 GG ohnehin nicht in Betracht, dazu sogleich unter d) ); zudem richten sich die Sendungen an ein Millionenpublikum, das sich über Zuschauerbeschwerden an die staatlichen Stellen wenden und diesen die notwendigen Informationen über Gesetzesverstöße mitteilen kann. Auch auf das dem Staat fehlende Know-How oder Fachwissen kann es nicht ankommen. Im Jugendmedienschutz geht es nicht um den Erlass von technischen Standards oder Grenzwerten. Wissen oder Informationen der Anbieter sind nach der Ausgestaltung der Regulierten Selbstregulierung durch den JMStV ohnehin weitgehend irrelevant, da nicht die Anbieter die Selbstkontrolle vornehmen, sondern von diesen unabhängige Fachleute. Außerdem stehen dem Staat in Fragen von Jugendschutz, Jugendpsychologie, Medienwirkungsforschung etc. zahlreiche spezialisierte staatliche Stellen (Jugendschutzbehörden, Forschungseinrichtungen, Universitäten) zur Verfügung, bei denen sich das nötige Fachwissen finden lässt (wohingegen die Anbieter solches Fachwissen nicht haben und sich deshalb externer Fachleute – zum Teil aus dem öffentlichen Sektor – bedienen müssen). Probleme der Auswirkung auf den Markt stellen sich ohnehin nicht. Dass das 1

S. o. 1. Teil § 2 B. I. Selbst wenn auf Grund der Digitalisierung bis zu 100 Fernsehprogramme ausgestrahlt werden können, sollte eine Kontrolle doch möglich sein. Erstens existieren immerhin 15 Landesmedienanstalten, die Aufgaben suchen; zweitens sind die Anbieter bekannt und ihre Angebote können aufgezeichnet werden, so dass einer Zuschauerbeschwerde auch im Nachhinein noch nachgegangen und der „Übeltäter“ festgestellt werden kann. 2

§ 15 Funktionsanalyse

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Verbot der Ausstrahlung einer Fernsehsendung vor 24:00 Uhr auf den globalen Medienmarkt keine Auswirkungen hat, kann auch eine staatliche Stelle ohne weiteres erkennen. Spielt ein Wissens- oder Informationsdefizit bei der Rundfunkaufsicht noch keine Rolle, stellt sich die Sachlage im Telemedien-Bereich ganz anders dar. Zwar bedarf es auch hier keines technischen Sachverstandes, denn es geht allein um die Beurteilung von Inhalten und nicht der technischen Machbarkeit oder Durchsetzbarkeit 3. Auf Grund der Unübersichtlichkeit und schnellen Veränderung des Angebots im Internet fehlen dem Staat hier aber der Überblick und die nötigen Informationen über das Angebot 4; auch sind die Anbieter auf Grund der Zulassungsfreiheit (§ 4 TMG, § 54 Abs. 1 S. 1 RStV) nicht vorher überprüft oder auch nur bekannt. Diese Probleme treffen aber jede Überwachungsinstanz im Internet 5, auch Selbstkontrolleinrichtungen der Anbieter 6. Ein Zusammenschluss aller Anbieter ist utopisch 7, da jeder, der eine eigene Homepage hat, Anbieter sein kann und deren Zahl und Zusammensetzung genauso rasch wechselt wie alles andere im Netz. Und gerade die Anbieter problematischer Inhalte werden sich einer freiwilligen Selbstkontrolle nicht anschließen 8; anders als im Rundfunk bleiben diese Anbieter auch gerne im Verborgenen, das heißt Druck über Imageverluste oder negative Reaktionen von Werbekunden kann nicht ausgeübt werden. Eine umfassende Vorabkontrolle von Angeboten aller oder auch nur der meisten Anbieter ist unmöglich, das heißt die einzigen Kontrollmöglichkeiten bestehen darin, im World Wide Web gezielt oder nach dem Zufallsprinzip zu surfen, um unzulässige Angebote zu finden und vor allem Beschwerden von Nutzern nachzugehen. Beides kann von einer staatlichen Stelle genauso gut erledigt werden wie von privaten Selbstkontrolleinrichtungen 9; im Gegenteil dürften staatliche 3

A. A. Hartstein/Ring/Kreile/Dörr/Stettner, JMStV, § 19 Rdn. 1. Langenfeld, MMR 2003, 303 (309): Überfülle des Angebots im Internet, weswegen eine staatliche Aufsicht zwangsläufig kapitulieren müsste; warum das für private Aufsichtsinstanzen nicht gelten soll, wird allerdings nicht gesagt. Behrens/Schindler, epd medien 51/ 2005, 17 ff.: Aufsicht von außen ist unmöglich, nur die Anbieter bzw. vor allem die Betreiber von Plattformen können in reiner Selbstregulierung den Jugendschutz gewährleisten. 5 Grzeszick, AöR 123 (1998), 173 (193). 6 So kann z. B. nach Weigand, epd medien 51/2005, 9 (12) das Prinzip der Regulierten Selbstregulierung im Internet schon von seiner Systematik her nur begrenzte Wirkung erzielen. 7 Weigand, epd medien 51/2005, 9 (12). 8 Vec, NJW 2002, 1535 (1539); Weigand, epd medien 51/2005, 9 (11). 9 S. Meldungen in MMR 7/2006, XIV f.: Die öffentliche Stelle jugendschutz.net beanstandete 2005 fast 2.000 Internetangebote wegen Pornographie, Rechtsextremismus oder Gewaltverherrlichung; von diesen Beanstandungen konnte sie 870 in Kooperation mit den Anbietern abstellen, 180 wurden an die KJM weitergeleitet und 250 an das BKA. Das LKA Baden-Württemberg hat eine „virtuelle Streife“ im Internet eingerichtet und dabei allein 2006 schon 2.200 Verdächtige im Zusammenhang mit Kinderpornographie ermittelt. 4

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5. Teil: Funktionsanalyse und Fazit

Behörden (Polizei, Jugendschutzbehörden) mehr Fachwissen, beispielsweise in Bezug auf NS-Propaganda, Volksverhetzung oder Kinderpornographie, haben als die Anbieter oder Repräsentanten gesellschaftlicher Gruppen. Der rasante technische Fortschritt wird von der Regulierten Selbstregulierung durch den JMStV kaum beachtet. Für den Jugendmedienschutz von großer Bedeutung sind technische Hilfen und positive und negative Ratings 10. Die Entwicklung und Anerkennung von Jugendschutzsoftware und die Erstellung von Ratings wäre das Paradefeld für den Einsatz von Selbstkontrolleinrichtungen. Die FSM ist auf diesem Gebiet auch tätig. Eine Einbindung in die Regulierte Selbstregulierung, etwa über Vorgaben für die Ratings oder die Einbeziehung der Selbstkontrolle in die Anerkennung von Jugendschutzprogrammen, durch den JMStV erfolgte jedoch nicht. Für die Anerkennung von Jugendschutzsoftware ist gerade nicht die Selbstkontrolle, sondern allein die hoheitliche Aufsicht zuständig (§ 11 Abs. 2 JMStV). Der Konvergenz der Medien wird insofern Rechnung getragen, als durch den JMStV Teledienste und Mediendienste zu Telemedien zusammengefasst werden und für Telemedien und Rundfunk weitestgehend dieselben Standards gelten; die grundsätzliche Unterscheidung von Rundfunk und Telemedien wird aber aufrechterhalten und der Bereich der Telekommunikation wird ohnehin nicht mitgeregelt. Besonders auffällig ist jedoch, dass die Trennung gerade bei den Selbstkontrolleinrichtungen, also bei der Selbstregulierung der Medienwirtschaft, bestehen bleibt 11. Während der Staat immerhin ein einheitliches Gesetzeswerk und eine einzige Aufsichtsinstanz für alle Online-Medien geschaffen hat, unterscheidet die Selbstregulierung nach wie vor kategorisch zwischen Fernsehen und Internetdiensten (obwohl der JMStV getrennte Selbstkontrollen zwar zulässt, aber nicht fordert). Immerhin traten inzwischen einige Fernsehsender bzw. ihre Internet-Sparten der FSM bei 12. Außerdem sind im Juli 2006 vier Mobilfunkanbieter der FSM beigetreten, um den Jugendschutz im so genannten „Mobile Content“ zu verbessern 13.

b) Wahrnehmung gesellschaftlicher Aufgaben Gerade im Medienbereich wird zum Teil einer Übertragung von Aufgaben auf die Gesellschaft das Wort geredet (s. o. 1. Teil § 2 C. I. 6.). In Zeiten raschen

10

Grzeszick, AöR 123 (1998), 173 (194). Kritik daran auch von Hans-Joachim Otto (FDP), Vorsitzender des Bundestagsausschusses für Kultur und Medien, laut epd medien 38/2006, 12. 12 SevenOne Intermedia als „Multimediaunternehmen“ der ProSiebenSat1-Gruppe und RTL interactive für die RTL-Gruppe. 13 Meldung in epd medien 19/2006, 18. 11

§ 15 Funktionsanalyse

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Wertewandels und eines generellen Wertepluralismus sei eine hoheitliche Regulierung von Inhalten nicht mehr zeitgemäß und bei der Gesellschaft viel besser aufgehoben. Diesen angeblichen Schwierigkeiten des Staates, in der modernen Gesellschaft noch allgemeingültige Werte festlegen zu können, tritt der JMStV deutlich entgegen. Gerade im Medienbereich hat sich der Staat nicht zurückgezogen, sondern die materiellen Regelungen im Vergleich zum RStV a. F. ausgebaut und konkretisiert. Die Festlegung dessen, was in unserer Gesellschaft akzeptabel ist und was nicht, hat eben doch der Gesetzgeber getroffen und nicht „gesellschaftlichen Kräften“ überlassen. Auch bei der Durchsetzung des Gesetzes ist eine Einbindung der „Gesellschaft“ kaum erfolgt. Die Gesellschaft soll in den Prüfgremien der Selbstkontrolleinrichtungen zwar durch Repräsentanten vertreten sein (§ 19 Abs. 3 Nr. 1 JMStV), der eigentliche Schwerpunkt liegt aber auf dem Fachwissen und der Unabhängigkeit der Prüfer. Gesellschaftliche Gruppen werden nur berücksichtigt, weil sich bei ihnen besonderer Sachverstand und Erfahrung im Jugendmedienschutz finden; außerdem wird nur ein schmaler Bereich gesellschaftlicher Gruppen berücksichtigt und keineswegs ein Abbild der gesamten Gesellschaft. Dies ist auch nur konsequent, denn es ist vorrangig die Aufgabe des Gesetzgebers, divergierende gesellschaftliche Interessen festzustellen und zum Ausgleich zu bringen. Niemand ist mehr dazu legitimiert als das Parlament, allgemeinverbindliche Werte und Vorgaben zu setzen. Nimmt man das Demokratieprinzip ernst, so ist das Parlament der Repräsentant der gesamten Gesellschaft, die Parteien bündeln und kanalisieren die Wünsche und Ideen in der Bevölkerung. Daneben besteht kein Bedarf für pluralistisch besetzte „Neben“-Parlamente, in denen Vertreter von Parteien, Kirchen, Gewerkschaften, Unternehmensverbänden auch noch mitreden und für sich geltend machen, die Interessen der Gesellschaft besser zu vertreten. c) Internationalisierung der Bekämpfung unzulässiger Angebote Eine Selbstkontrolle ist auch keine Lösung für die Problematik unzulässiger Angebote aus dem Ausland. Solange das materielle Recht (und damit letztlich das Verständnis von Menschenwürde, Meinungsfreiheit, politischer Betätigung, etc.) nicht global vereinheitlicht ist, ist auch eine grenzüberschreitende Bekämpfung nicht möglich. Die Problematik von NS-Propaganda, die auf US-amerikanischen Servern liegt, besteht nicht darin, dass deutsche Behörden an diese nicht herankommen (das wäre über Rechtshilfeersuchen möglich), sondern dass diese Angebote in den USA rechtlich zulässig sind 14. Auch eine deutsche Selbstkontrolleinrichtung 14 S. Holznagel, Beiheft 4 DV 2001, 81 (93). Sehr anschaulich der Sachverhalt der Urteile des VG Düsseldorf, CR 2005, 885 und des VG Köln, CR 2006, 201: Im Kampf gegen in den USA gehostete rechtsextremistische Homepages hatte sich die Bezirksregierung Düsseldorf an den US-Generalkonsul und an die FCC (die US-amerikanische

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5. Teil: Funktionsanalyse und Fazit

hat keine „Macht“, Angebote von US-Servern zu entfernen und eine Kooperation mit amerikanischen Selbstkontrolleinrichtungen ist meist fruchtlos: Anbieter unzulässiger Inhalte werden sich auch im Ausland nicht an einer Selbstkontrolle beteiligen und eine Selbstregulierungseinrichtung wird kaum gegen Angebote vorgehen, die im eigenen Land zulässig sind, nur weil die Selbstkontrolle eines anderen Staates sie nach dem dortigen Recht für unzulässig hält. Bei Angeboten, die nach internationaler Übereinkunft überall unzulässig sind (zum Beispiel Kinderpornographie), können auch staatliche Behörden agieren. Da außerdem die aktuellen deutschen Selbstkontrollen rein national organisiert sind, ist eine grenzüberschreitende Tätigkeit nicht vorgesehen; die FSM hat deshalb genauso wenig Zugriff auf ausländische Angebote wie die KJM 15. Bleibt somit nur der Weg der internationalen Kooperation, haben private Stellen gegenüber hoheitlichen Stellen dabei keinen Vorteil. Eine Kooperation des Bundeskriminalamts mit dem FBI ist auch nicht komplizierter als die Kooperation zwischen der FSM und einer etwaigen amerikanischen Selbstkontrolleinrichtung. So hat beispielsweise die hoheitliche Stelle jugendschutz.net, die der KJM angegliedert ist, im Jahr 2005 zahlreiche – auch ausländische – Provider überzeugen können, mehr als 250 rechtsextremistische Internet-Foren zu schließen 16. Gleichzeitig beabsichtigt auch die derzeitige Ausgestaltung des JMStV nicht, die deutschen Selbstkontrollen gegen die problematischen ausländischen Internetinhalte in Stellung zu bringen. Da die FSM Verstöße gegen § 4 Abs. 1 JMStV – also rechtsextremistische Propaganda und harte Pornographie – nicht prüfen soll, obliegt die Bekämpfung dieser Inhalte ohnehin nach wie vor allein der KJM bzw. den Staatsanwaltschaften. Die FSM ist nur zur Bekämpfung „einfacher“ Pornographie berufen, wobei gerade hier keine internationale Übereinstimmung bezüglich der Unzulässigkeit solcher Angebote besteht. Die FSM wird sich mit Selbstkontrollen aus „liberaleren“ Staaten wie zum Beispiel den Niederlanden oder skandinavischen Staaten kaum darauf verständigen können, was „pornographisch“ und damit jugendgefährdend ist und deshalb aus dem Netz genommen werden muss. d) Anforderungen an die Medienaufsicht aus Art. 5 GG Da es nicht um Kontrolle der Medienangebote durch die Anbieter selbst oder durch die „Gesellschaft“ geht, kann auch die von Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG für den Rundfunk geforderte Staatsferne nicht als zwingender Grund für die Regulierte Selbstregulierung in der konkreten Form des JMStV angeführt werden. Die Regulierungsbehörde für Telekommunikation) gewandt; die US-Behörden teilten nur mit, dass die freie Meinungsäußerung nach US-Verfassungsrecht nicht eingeschränkt werden kann und die Behörden daher nichts gegen die Homepages unternehmen könnten. 15 Weigand, epd medien 51/2005, 9 (12). 16 Meldung in epd medien 38/2006, 11 f.

§ 15 Funktionsanalyse

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Einbindung der privaten Selbstkontrolleinrichtungen verstärkt den staatsfernen Anteil der Rundfunkaufsicht, so dass dieser Aspekt für die Regulierte Selbstregulierung spricht 17. Nach Rossen-Stadtfeld 18 drängt sich die indirekte, mittelbare, aktivierende Steuerung im Bereich des Jugendmedienschutzes geradezu auf. Eine staatsferne und die Meinungsvielfalt sichernde Aufsicht fand allerdings bis jetzt auch schon statt, und zwar durch die Landesmedienanstalten, die vor Erlass des JMStV die Einhaltung der Jugendschutzvorschriften kontrollierten 19. Die Meinungspluralität ist in den Gremien der Landesmedienanstalten vermutlich ausgeprägter als bei FSF oder FSM 20. Zudem überwachen auch in der gegenwärtigen Ausgestaltung der Rundfunkaufsicht die Landesmedienanstalten die Einhaltung der Werbevorschriften, die Sicherung der Meinungsvielfalt und die Verhinderung von unzulässigen Konzentrationen. Wenn diese Elemente, die für die Ausgestaltung der Rundfunkfreiheit wichtiger sind als der Jugendschutz, ohne Verstoß gegen Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG von den Landesmedienanstalten durchgesetzt werden dürfen, so zwingt die Rundfunkfreiheit auch nicht zu einer staatsferneren Aufsicht beim Jugendschutz. Das Gebot der Staatsferne der Rundfunkaufsicht wird zwar durch die Regulierte Selbstregulierung verwirklicht 21, ein zwingender Grund ihrer Einführung ist es jedoch nicht. Sofern Mediendienste dem verfassungsrechtlichen Rundfunkbegriff unterfallen, gilt für sie dieselbe Argumentation 22; durch die Übertragung der Aufsicht auf die Landesmedienanstalten und die Selbstkontrolleinrichtungen wird allerdings das Gebot der Staatsferne im Bereich der Telemedien tatsächlich erstmals umgesetzt, weil früher die Aufsicht über Tele- und Mediendienste bei den staatlichen Jugendschutz- bzw. allgemeinen Polizeibehörden lag 23.

17 Kreile/Diesbach, ZUM 2002, 849 (854); Blaue, ZUM 2005, 30 (36 f.); Scholz/ Liesching, JMStV, § 19 Rdn. 1; Degenhart, in: BK, Art. 5 Abs. 1 und 2, Rdn. 894. 18 Rossen-Stadtfeld, AfP 2004, 1 (7). 19 Und zumindest hat – soweit ersichtlich – niemand gegen die Kontrolle des Jugendschutzes durch die Medienanstalten verfassungsrechtliche Bedenken erhoben. 20 Im Gegensatz zu den Landesmedienanstalten, in denen Vertreter aller gesellschaftlich relevanten Gruppierungen vertreten sind (z. B. auch Parteien, Gewerkschaften, Sport- und Wirtschaftsverbände), sitzen in den Gremien und Prüfausschüssen der Selbstkontrolleinrichtungen nur Vertreter derjenigen Gruppierungen, die sich speziell mit dem Jugendschutz befassen. 21 Obwohl die konkrete Ausgestaltung des JMStV daran zweifeln lassen könnte, denn die neue KJM ist eine viel „staatsnähere“ Aufsichtsinstanz als die Landesmedienanstalten. 22 Mynarik, Jugendschutz, S. 232; auch wenn die Anforderungen an die Regulierung wegen der geringeren Relevanz für die öffentliche Meinungsbildung geringer sind, vgl. Schulz, in: Beck’scher Kommentar zum Rundfunkrecht, § 2 RStV Rdn. 13. 23 Mynarik, Jugendschutz, S. 232 f.; dies war nach Engel, MMR Beilage 4/2003, 1 (2 f.) mit Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG unvereinbar.

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5. Teil: Funktionsanalyse und Fazit

Die Einführung der Regulierten Selbstregulierung ermöglicht aber immerhin erstmals eine Präventivkontrolle von Rundfunksendungen 24. Während Art. 5 Abs. 1 S. 3 GG nach herrschender Meinung eine Vorzensur auch aus Gründen des Jugend- und Menschenwürdeschutzes verbietet 25 und eine Vorlage von Sendungen an KJM oder Landesmedienanstalten vor der Ausstrahlung verfassungsrechtlich ausgeschlossen ist 26, scheitert eine Vorabkontrolle durch Private – also etwa die FSF – nicht an Art. 5 Abs. 1 S. 3 GG; gleichzeitig ist dem Zweck des Jugend- und Menschenwürdeschutzes weitaus besser gedient, wenn unzulässige Sendungen schon vor der Ausstrahlung entschärft oder untersagt werden, als wenn nach der Ausstrahlung und der damit bereits erfolgten Entwicklungsgefährdung oder Menschenwürdeverletzung nur noch repressive Maßnahmen ergriffen werden können. e) Spezieller Sachverstand, Fachkunde, Erfahrung Sinnvoll ist die Einbindung der FSF und FSM bei den Tatbeständen, bei denen es auf Fachwissen, Sachverstand und Erfahrung in Bezug auf Kinder und Jugendliche ankommt. Insofern ist es richtig, dass der JMStV bei der Zusammensetzung der Selbstkontrolleinrichtungen in erster Linie Wert auf den Sachverstand und nicht auf die Abbildung der Gesellschaft legt. Dieser Sachverstand findet sich bei gesellschaftlichen Gruppen, die sich mit Jugendschutz befassen, bei staatlichen Behörden und bei den Fernsehsendern. FSF und FSM bündeln Sachverstand und Erfahrung, um die Medienwirkung auf Jugendliche zu beurteilen und die Gefährlichkeit einer konkreten Sendung bestimmen zu können. Der JMStV statuiert im Grunde also weder eine Kontrolle der Anbieter (und damit der Wirtschaft) noch der Gesellschaft, sondern vielmehr der „Wissenschaft“, er zapft nicht den Sachverstand der Anbieter an, sondern den von Forschungseinrichtungen und gesellschaftlichen Gruppen. Dazu bedürfte es allerdings nicht der Regulierten Selbstregulierung, die Fachleute könnten auch direkt für die KJM oder die Landesmedienanstalten arbeiten. Noch deutlicher wird dies bei Prüfungen von Verstößen gegen § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 1– 6, 8, 9 JMStV durch die FSF, die dort von einem juristischen Sachverständigen durchgeführt werden; Juristen beschäftigt der Staat allerdings selbst genug, für die Einholung juristischen Sachverstands ist kein Rückgriff auf die Anbieter oder die Gesellschaft nötig. Wenn die Prüfer allerdings nicht für die Selbstkontrolle, sondern für den Staat arbeiten würden, müsste die hoheitliche Aufsicht die organisatorische Infrastruk24

Mynarik, Jugendschutz, S. 127. Hopf, ZUM 2000, 739 (741); Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Bd. I, Art. 5 I, II Rdn. 173; Degenhart, in: BK, Art. 5 Abs. 1 und 2, Rdn. 921; a. A. Stettner, ZUM 2003, 425 (435). 26 Degenhart, in: BK, Art. 5 Abs. 1 und 2, Rdn. 918, 920 f.; Dörr/Cole, Jugendschutz, S. 53. 25

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tur vorhalten und diese Fachleute bezahlen (was über Prüfgebühren vielleicht nicht vollständig wieder hereingeholt werden könnte); in der gegenwärtigen Ausgestaltung müssen hingegen die Anbieter als Träger der Selbstkontrolleinrichtungen den Sachverstand finanzieren. Die finanzielle Entlastung könnte also der eigentliche Beweggrund für die Einbindung der Anbieter sein. f) Entlastung der Aufsicht Weitere Aufgabe ist die Entlastung der hoheitlichen Aufsicht. Hat die FSF eine Sendung auf Grund ihres Fachwissens beurteilt, muss sich die Rundfunkaufsicht kein eigenes Urteil mehr bilden und gegen die Anbieter vorgehen 27. Die Aufsicht muss somit nicht selbst den Sachverstand (in Form von Fachleuten) bezahlen, der die Angebote beurteilt, und sie muss weniger Ressourcen für Verwaltungsverfahren, Widerspruchsverfahren, Ordnungswidrigkeitenverfahren und die Teilnahme an einem etwaigen Gerichtsverfahren bereit halten, denn mit dem Anbieter (und potenziellen „Beschwerdeführer“) hat nur die Selbstkontrolle und nicht die hoheitliche Aufsicht zu tun. Im Internet kommt eine hoheitliche Aufsicht außerdem tatsächlich an ihre Kapazitätsgrenzen. Eine Überwachung des ganzen in Deutschland abrufbaren Angebots ist unmöglich. Eine private Selbstkontrolle als zusätzliche Überwachungsinstanz steuert immerhin zusätzliche Ressourcen bei und gerade große Host- oder AccessProvider könnten versuchen, die bei ihnen zugänglichen Angebote zu überprüfen. Der JMStV greift diese Möglichkeit jedoch nicht auf. Er sieht ein Tätigwerden der FSM nur auf Veranlassung der KJM vor, das heißt nur dann, wenn der hoheitlichen Aufsicht ein Verstoß gegen den JMStV bereits aufgefallen ist. Außerdem wird die KJM den Verstoß zuerst selbst beurteilen und begründen, weil nur dann eine Einschaltung der Selbstkontrolle von § 20 Abs. 5 JMStV überhaupt vorgesehen ist. Eine Arbeitsentlastung der KJM erfolgt in diesem Fall erst auf der Sanktionsebene, denn wenn die FSM ihrerseits Vereinsstrafen gegen den Anbieter verhängt, muss die KJM bzw. die Landesmedienanstalt kein Aufsichts- oder Bußgeldverfahren durchführen. 2. Vorteile der (Medien-)Wirtschaft Vorrangiger, vom JMStV ausdrücklich statuierter, Vorteil der Medienwirtschaft soll die Aufsichtsprivilegierung sein, das heißt, dass sich für die Anbieter die Gefahr verringert, Aufsichtsmaßnahmen oder Bußgeldbescheiden der Landesmedi27 Die hoheitliche Aufsicht muss eine solche Entlastung aber auch wollen. Erlässt sie trotzdem sehr detaillierte Richtlinien und Prüfvorgaben, erkennt sie einen Beurteilungsspielraum kaum an und überprüft sie jede Entscheidung der Selbstkontrolleinrichtung auf die Einhaltung des Beurteilungsspielraums, wird der Arbeitsaufwand nicht verringert.

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enanstalten ausgesetzt zu sein, wenn sie sich an der Regulierten Selbstregulierung beteiligen und ihre Angebote von den Selbstkontrolleinrichtungen prüfen lassen 28. Die FSF bietet daher für die Sender vor der Ausstrahlung die Dienstleistung der Erstellung eines Rechtsgutachtens bezüglich der Vereinbarkeit einer Sendung mit dem JMStV an 29. Der Sender muss keine eigenen Juristen und Fachleute für Jugendschutz beschäftigen, um die Rechtmäßigkeit seines Programms feststellen zu lassen, bevor es gesendet wird und sich der Anbieter möglicherweise strafbar macht oder seine Sendelizenz verliert. Das Vertrauen der Sender auf die Bewertung der FSF wird zumindest so lange geschützt, wie diese nicht ihren Beurteilungsspielraum überschreitet. Die Sender erlangen durch die Vorlagemöglichkeit Rechtssicherheit 30. Eine nachträgliche Entscheidung der Selbstkontrolleinrichtung (§ 20 Abs. 3 S. 2 JMStV) nach Ausstrahlung der Sendung bringt den Sendern insofern allerdings wenig, weil sie die Sendung ohnehin nicht mehr zurückziehen können. Ein Vorteil der Sender wäre die Selbstkontrolle in diesem Fall nur, wenn sie weniger streng prüft als die KJM (was vom Gesetz nicht vorgesehen ist, denn die Prüfungsmaßstäbe sind dieselben) oder wenn sie schwächere Sanktionen verhängt als die KJM. Soweit die FSM ebenfalls eine (vom JMStV nicht vorgesehene) Vorabkontrolle durchführt, erfüllt sie diese Aufgabe für Anbieter von Telemedien im Grunde genauso, weil zwar die KJM nicht an die frühere Entscheidung der FSM gebunden, dafür aber zu einer Vorlage an die FSM verpflichtet ist, die im Rahmen dieser zweiten Prüfung wahrscheinlich genauso wie bei der ersten Prüfung entscheiden wird und die KJM an die zweite Beurteilung der FSM gebunden ist. Die Vorteile der Anbieter können des Weiteren auch in einem Imagegewinn im weiteren Sinn gesehen werden. Zwar erhalten sie kein Gütesiegel für ihre geprüften Sendungen, aber schon der Eindruck beim Zuschauer, dass die Sender tatsächlich etwas für den Jugend- und Menschenwürdeschutz tun, kann positive Auswirkungen haben, für die Akzeptanz eines Programms beim Zuschauer und im Zusammenhang damit auch auf die Bereitschaft von Unternehmen, Werbung in einem Programm oder im Umfeld einer bestimmten Sendung zu platzieren. Und vor allem im Internet, in dem viele Anbieter noch unter mangelndem Vertrauen der Nutzer (und potenziellen Kunden) in die Sicherheit und Zuverlässigkeit der Onlinewirtschaft leiden, kann sich jede Maßnahme zur Schaffung von Vertrauen für kommerzielle Anbieter positiv auswirken.

28 Der Studie des Hans-Bredow-Instituts, Study on Co-Regulation, Final Report S. 126, zufolge reicht dieser Anreiz allerdings nicht aus und ist das Interesse der Anbieter an der Teilnahme gering. 29 Ullrich, ZUM 2005, 452 (456). 30 Weigand, epd medien 51/2005, 9 (10); Mynarik, Jugendschutz, S. 167.

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Des Weiteren soll Selbstregulierung allein schon oft deshalb im Interesse der Anbieter liegen, weil sie dadurch noch striktere staatliche Regulierung verhindern wollen. Da der JMStV Regulierte Selbstregulierung nur auf der Ebene des Gesetzesvollzugs vorsieht, konnte eine Selbstregulierung der Anbieter zwar nicht zu einer Verhinderung schärferer Standards beitragen; aber immerhin können sie Aufsichtsmaßnahmen hoheitlicher Stellen verhindern, wenn sie sich an der Regulierten Selbstregulierung beteiligen. Der Gesetzgeber ging bei der Einführung des Vorrangs nachträglicher Beurteilungen durch die Selbstkontrolleinrichtungen offenbar selbst davon aus, dass diese weniger streng bewerten oder schwächere Sanktionen verhängen als hoheitliche Stellen, so dass dieses Ziel der Vermeidung härterer hoheitlicher Maßnahmen sogar offiziell anerkannt wurde. II. Nachteile und Verbesserungsmöglichkeiten Unabhängig von der generellen Eignung und den grundsätzlichen Vor- und Nachteilen Regulierter Selbstregulierung können doch zumindest einige Vorschläge gemacht werden, um wenigstens das konkrete System der Regulierten Selbstregulierung im JMStV zu verbessern. Zum einen geht es dabei darum, Unvollständigkeiten und Inkonsequenzen des Gesetzes zu beseitigen, zum anderen um Erweiterungen und Neuerungen in der Anlage des JMStV. 1. Ausführlichere gesetzliche Regelung der Aufsicht über die Selbstkontrollen Ein gravierender Mangel des JMStV besteht in der fehlenden Regelung der Aufsicht der KJM über die Selbstkontrolleinrichtungen und damit verbunden des Informationsflusses. Gesetzliche Ermächtigungsgrundlagen für Aufsichtsbefugnisse, Sanktionen bei nicht ordnungsgemäßer Arbeit der Selbstkontrollen unterhalb des Widerrufs der Anerkennung und vor allem Auskunfts-, Informationsund Einsichtsrechte der KJM oder Berichtspflichten der Selbstkontrollen gegenüber der KJM oder den Landesparlamenten sollten in den JMStV aufgenommen werden. Die „Kontrolle der Kontrolleure“ ist schließlich ein zentrales Element der Regulierten Selbstregulierung, im geltenden Gesetz wird sie hingegen fast völlig vernachlässigt. 2. Öffnung des Gesetzes Wenn man Regulierte Selbstregulierung im Bereich der Telemedien ernsthaft will, wäre eine Ausweitung des Aufgabenbereichs vonnöten. Der JMStV sollte anerkennen, dass auch hier eine präventive Überwachung möglich ist und sollte die FSM nicht nur als „Gehilfe“ der KJM bei der Beurteilung möglicher Verstöße, sondern als eigene Aufsichtsinstanz anerkennen. In Parallele zum Jugendschutz

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im Rundfunk könnten Telemedien, die vor dem Ins-Netz-Stellen von der FSM freigegeben wurden 31, einer ähnlichen Aufsichtsprivilegierung unterliegen wie vor der Ausstrahlung beurteilte Fernsehsendungen. Dies würde einen Anreiz für Anbieter von Telemedien darstellen, ihr Angebot von einer Selbstkontrolleinrichtung begutachten zu lassen, ohne dass eine hoheitliche Stelle involviert werden muss. Einem solchen Konzept entspricht das positive Rating, bei dem für Kinder und Jugendliche besonders geeignete Homepages und Internetauftritte von den Anbietern selbst (wie im Rahmen der Internet Content Rating Association ICRA, siehe www.fosi.org) oder von privaten Jugendschutzvereinigungen (wie der Verein „Erfurter Netcode“, siehe www.erfurter-netcode.de) beurteilt und mit einem Gütesiegel versehen werden. Dies ist zwar nicht Teil des öffentlichrechtlichen Jugendmedienschutzes, aber ein Hilfsangebot für die Eltern. Ansonsten müsste das Konzept im Internet aber umgestellt werden und kann nicht parallel zum Rundfunk laufen. Jugendschutz im Internet darf nicht nur bei Anbietern problematischer Inhalte, sondern muss vor allem beim Nutzer (das heißt den Jugendlichen und ihren Eltern) ansetzen. Die Überwachung des Angebots ist ein wichtiger Pfeiler bei der Regulierung des Internets, vor allem im Hinblick auf schwere Straftaten (Kinderpornographie, rechtsextremistische Hetze), aber für den Jugendschutz sehr viel wirksamer dürften technische Mittel wie Filter und positive Ratings von Seiten sein, die für Minderjährige besonders geeignet sind. Letztlich können nur die Erziehungsberechtigten hier für Schutz sorgen und private oder öffentliche Stellen können diesen nur unterstützend zur Seite stehen. Derartige Software gibt es bereits (siehe die Liste auf der Homepage von klicksafe.de [www.klicksafe.de, Rubrik „Technische Filter“], einer Initiative der Landesmedienanstalten und der Europäischen Kommission) und wird dauernd fortentwickelt und verfeinert. Sie wird auch von verschiedenen Stellen und Verbänden gefördert, darunter auch von der FSM. Ob die Software eingesetzt wird, kann aber nur der Verfügungsberechtigte in Bezug auf den Internetzugang bestimmen. Bei öffentlichen Zugängen in Schulen, Universitäten, etc. könnte man den Betreiber verpflichten, derartige Software zu installieren und aktivieren (sofern Jugendliche dort überhaupt Zugang haben); beim privaten Internetzugang von zu Hause aus können aber nur die Erziehungsberechtigten diese Aufgabe wahrnehmen. Wenn diese sich nicht dafür interessieren, was ihre Kinder mit dem PC machen, können technische Lösungen nicht funktionieren.

31 Anders als im Rundfunk, wo es nur um eine einzelne Sendung geht, könnte im Telemedienbereich auch viel umfassender geprüft werden, ob der gesamte Internetauftritt eines Unternehmens oder ein Portal jugendschutzgerecht ist, ob versteckte Dialer eingebaut sind, ob Links und Weiterleitungen zu bedenklichen Sites bestehen, ob Werbung auf der Homepage für Kinder geeignet ist, etc. Auch ganze Geschäftsideen im Online-Bereich könnten geprüft werden, z. B. im Bereich des Medienangebots auf Handys, Werbung und Vertrieb von Klingeltönen u. Ä.

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Jugendschutzsoftware ist schwierig zu entwickeln 32, weil sie einerseits akkurat genug sein muss, um so gut wie alle unzulässigen Angebote (und nicht nur z. B. 60 %) auszufiltern, andererseits „liberal“ genug sein muss, damit keine übermäßige Zensur betrieben und auch völlig unbedenkliche Angebote nur wegen der Verwendung einiger Schlüsselwörter (bestes Beispiel: „Sex“) gesperrt werden. Der JMStV könnte daher vorsehen, dass auch die FSM zur Anerkennung von Jugendschutzsoftware zuständig ist (wobei das Gesetz oder die KJM gewisse Mindestanforderungen an diese stellen könnte), weil und wenn die FSM sich besondere Fähigkeiten und Kenntnisse im Bereich von Jugendschutzsoftware aneignet; auch die Bewertung und Kennzeichnung besonders für Minderjährige geeigneter Seiten (positives Rating) könnte von der FSM vorgenommen werden, beruhend auf gesetzlich oder von der KJM vorgegebenen Standards. Nur dies ist eine sinnvolle Einsatzmöglichkeit für Regulierte Selbstregulierung, und nicht die inhaltliche Beurteilung von Angeboten, die der KJM schon aufgefallen sind (§ 20 Abs. 5 JMStV). 3. Einbindung der Access-Provider, Portal- und Suchmaschinenbetreiber Wie bereits mehrfach erwähnt, ist es im Telemedienbereich zum Teil sinnlos, die Inhalteanbieter zur Selbstregulierung bewegen zu wollen. Dies mag funktionieren bei wirtschaftlich denkenden Akteuren, etwa Anbietern von Erotik-Seiten, die damit Geld verdienen wollen und die an rechtlich klaren Rahmenbedingungen interessiert sind. Gerade für die problematische „harte“ Pornographie gilt dies aber nicht, ebenso wenig wie für menschenverachtende oder rechtsradikale Inhalte; hier ist den Anbietern der Rechtsverstoß meist bekannt und entweder gleichgültig oder sogar erwünscht. Eine Kontrollfunktion könnten nur andere Onlineakteure übernehmen, die durch rechtliche und wirtschaftliche Anreize erreichbar sind, also vor allem die großen Access-Provider 33, Serverbetreiber und die Betreiber von Portalen und Suchmaschinen. Wollten diese Betreiber durch Selbstregulierung einen Beitrag zum Schutz der Jugend und der Menschenwürde leisten, müssten sie sich Kenntnis von den Inhalten der Homepages verschaffen, zu denen sie den Zugang vermitteln oder sie müssten technische Mittel (Filter) einsetzen, die beispielsweise die Suche nach oder den Zugang zu unzulässigen Inhalten von vornherein unterbinden. Auch die Moderatoren von newsgroups und chat rooms, die den Kommunikationsfluss in einem kleinen Teilbereich des Internets steuern, könnten Akteure einer Selbstregulierung sein. Dabei ist aber immer auch die große Gefahr der Zensur mitzubedenken. Wenn etwa ein Filter alle „heiklen“ Suchwörter sperrt, wären 32 S. Meldung in epd medien 18/2007, 17 über von der KJM aufgedeckte Defizite bei Jugendschutzfiltern. 33 Holznagel, NJW 2002, 2351 (2355 f.).

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gerade im politisch-gesellschaftlichen Bereich vermutlich viele Inhalte nicht mehr erreichbar. Problematisch ist allerdings die rechtliche Steuerung dieser Onlineakteure, das heißt deren gezielte Aktivierung durch den Gesetzgeber im Wege einer Regulierung der Selbstregulierung. Die ECRL und ihr folgend TMG und RStV begrenzen die Verantwortlichkeit für Inhalte sehr stark. Wenn die Betreiber von AccessDiensten, Portalen oder Suchmaschinen aber für die Inhalte, zu denen man durch sie Zugang erhält, nicht verantwortlich gemacht werden können, ist eine rechtliche Erzwingung ihrer Selbstregulierung nicht möglich; auch rechtliche Anreize können ihnen kaum geboten werden, weil keine rechtlichen Belastungen existieren, von denen sie im Falle einer Selbstregulierung befreit werden könnten. Dementsprechende Änderungen von TMG und RStV sind europarechtlich nicht möglich, solange die ECRL die Privilegierungen der Anbieter gebietet. Da der Erlass der ECRL gerade dem Ziel diente, die Verantwortlichkeit der Anbieter zu begrenzen und Internetdienstleistungen zu fördern, ist es eher unwahrscheinlich, dass der europäische Gesetzgeber die Anforderungen an diese demnächst wieder erhöhen wird. Nicht funktionieren kann externe Aufsicht im Bereich der Individualkommunikation (also der Teledienste). Ob eine E-Mail unzulässige Inhalte hat oder ob ein E-Mail-Anhang verbotene Bilder enthält (beispielsweise der massenhafte Austausch kinderpornographischen Materials in den einschlägigen Kreisen oder der Austausch von Gewalt- und Sexvideos auf Schüler-Handys), kann – wenn überhaupt – nur der Betreiber des E-Mail-Dienstes kontrollieren. Diesem ist es auf Grund des Fernmeldegeheimnisses aber gerade verwehrt, Kenntnis vom Inhalt der Individualkommunikation zu nehmen 34. Hier bleibt wiederum nur das Mittel des Strafrechts und seine Durchsetzung durch Polizei und Staatsanwaltschaften. III. Bewertung Die Einführung der Regulierten Selbstregulierung im Jugendmedienschutz als solche wurde im Vorhinein grundsätzlich begrüßt 35, wobei die meisten Stimmen darauf hinwiesen, dass die konkrete Ausgestaltung in der Praxis abgewartet werden müsse 36.

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Mynarik, ZUM 2006, 183 (185). Ladeur, ZUM 2002, 859 (868): „nicht nur [ . . . ] verfassungsrechtlich zulässig, sondern sogar [ . . . ] sachlich optimal“; Kreile/Diesbach, ZUM 2002, 849 (852); Bornemann, NJW 2003, 787 (791); a. A. Langenfeld, MMR 2003, 303 (309); Dörr/Cole, Jugendschutz in den elektronischen Medien, S. 72. 36 Laut Koalitionsvertrag zwischen SPD und CDU/CSU für die 16. Wahlperiode (Punkt 6.3.) hält die Bundesregierung das geltende Jugendschutzrecht nicht für ausreichend und 35

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Es stellt sich aber die Frage, wie bestimmt werden soll, ob sich das System in der Praxis bewährt, ob es also ein „mehr“ an Jugend- und Menschenwürdeschutz gibt 37. Die Zahl der Verstöße im Internet ist ohnehin nicht messbar, so dass eine Zuoder Abnahme von Verstößen nicht ermittelt werden kann. Die Beurteilung des Fernsehangebots im Allgemeinen ist stark von subjektiven Wertungen abhängig. Die Veränderung der Anzahl von Beschwerden oder Aufsichtsmaßnahmen ist nicht sehr aussagekräftig, weil dies auch auf strengerer Aufsicht oder erhöhtem Problembewusstsein beruhen kann 38. Auch hier ist wiederum zwischen Rundfunk und Telemedien zu unterscheiden. Im Rundfunkbereich ist ein Erfolg oder das Funktionieren der Regulierten Selbstregulierung vielleicht noch eher überprüfbar. Immerhin ist festzustellen, dass die Fernsehsender der FSF in zunehmendem Maße Sendungen vorlegen 39 und damit zugleich eine Verstärkung der präventiven Kontrolle einhergeht, da eine Vorabkontrolle durch hoheitliche Stellen vorher nicht stattfand. Dabei wäre allerdings interessant, ob auch gerade die problematischen Sendungen vorgelegt werden. Zudem ist es mit der Vorlage alleine nicht getan; hinzukommen muss, dass die darauf folgende Beurteilung durch die Selbstkontrolle auch wirklich den Maßstäben des JMStV entspricht 40 und sich die Anbieter auch an die Entscheidung der Selbstkontrolle halten. Schwer messbar ist, ob weniger Gewalt, Sex, etc. im Fernsehen tatsächlich etwas für den Jugendschutz bewirkt 41. Immerhin wird das System nach einer ersten Untersuchung von Experten für effektiv gehalten 42. Genau dieselben Probleme existieren bei den Telemedien auch, nur noch in viel größerem Umfang. Die Problematik der Regulierten Selbstregulierung im OnlineBereich soll noch einmal abschließend am Beispiel rechtsradikaler Inhalte im Netz

will mit den Ländern auch über die Wirksamkeit des „Konstrukts Regulierte Selbstkontrolle“ diskutieren. 37 Zur Problematik der Messung des Erfolgs von Regulierungsmaßnahmen HansBredow-Institut, Study on Co-Regulation, Final Report S. 108 ff., speziell zu Messkriterien S. 112. 38 Und selbst die bloße Zahl der Beschwerden scheint schwer messbar zu sein: Laut Studie des Hans-Bredow-Instituts, Study on Co-Regulation, Final Report S. 127, nehmen einige Landesmedienanstalten und die FSF einen Rückgang der Beschwerden an, während die KJM und eine andere Landesmedienanstalt eine Zunahme an Beschwerden behaupten. 39 epd medien 54/2005, 17. 40 Immerhin soll die Bewertung von Sendungen durch Landesmedienanstalten und Selbstkontrolleinrichtungen zu ca. einem Drittel voneinander abweichen (Ladeur, ZUM 2002, 859); ob das bedeutet, dass in den allermeisten Fällen die Selbstkontrolle dieselben Maßstäbe anlegt wie die hoheitliche Aufsicht oder dass es in einer nicht unbedeutenden Zahl von Fällen zu Unterschieden kommt, liegt im Auge des Betrachters. 41 Zum Forschungsstand bzgl. der Wirkung von Gewalt und Pornographie in den Medien auf Jugendliche s. Mynarik, Jugendschutz, S. 40 ff. 42 Hans-Bredow-Institut, Study on Co-Regulation, Final Report S. 126.

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deutlich gemacht werden: Das Internet ist zu einem Hauptverbreitungsmedium rechtsradikaler Propaganda geworden, aber auch zu einem Organisations- und Kontaktmittel für Anhänger dieser Ideologie 43. Dass sich die Verbreiter dieser Inhalte nicht an einer wie auch immer gearteten Selbstregulierung beteiligen werden, ist nahe liegend. Die rechtsradikale Individualkommunikation, etwa auch durch Massenrundmails, kann nicht extern kontrolliert werden. Die entsprechenden Homepages werden auf ausländischen Servern gehostet 44. Content- und Serverbetreiber fallen damit für die Selbstregulierung aus. Auch andere Onlineakteure haben kaum bessere Zugriffsmöglichkeiten. So wird etwa rechtsradikales Gedankengut wie vor allem Musik auch über File-Sharing-Programme ausgetauscht 45. Diese Programme konnten schon beim Austausch – an sich legaler – Musiktitel nicht in den Griff bekommen werden, weil es keinen zentralen, steuernden Akteur mehr gibt. Auch betreiben Rechtsradikale eigene Internet-Foren 46; dass hier der Moderator oder Foren-Betreiber gegen extremistisches Gedankengut nicht einschreiten wird, versteht sich von selbst. Nur am Rande sei angemerkt, dass sich ausgerechnet die Rechtsradikalen „Selbstregulierungsmaßnahmen“ bedienen. Als das Internet aufkam, wurde dieses oft als staatsfreie Sphäre betrachtet und jegliche Einmischung der Staatsgewalt kategorisch abgelehnt, sogar als unmöglich erachtet 47. Für die Einhaltung der notwendigen Regeln würde die „Nutzer-Community“ selbst sorgen, das Netz sollte das herausragendste Beispiel gesellschaftlicher Selbstregulierung sein. Verwiesen wurde auf die so genannte „Netiquette“, die ein Verhaltenskodex für die Bürger der virtuellen Welt sein sollte 48. Vor allem sollte es sogar „Zwangsmittel“ geben, die Nutzer, welche gegen die Netiquette verstießen, zur Einhaltung derselben bewegen sollten. Als Beispiele genannt wurden Mail-Bomben oder denial-of-service-Attacken gegen den Server des Störers. Dass diese rein theoretisch vielleicht existierenden Mittel nichts zur Eindämmung von Spam, Pornographie oder rechtsradikalem Gedankengut beigetragen haben, ist heute nicht zu übersehen 49. Im Gegenteil werden diese Mittel immer mehr von den Störern selbst verwendet. Auch Rechtsradikale verbreiten ihr Gedankengut mit Spammails, senden gezielt provozierende Mails an Personen und Institutionen, die solche Mails nicht empfangen wollen, und setzen Viren und Würmer als Angriffsmittel ein 50. 43

Vassilaki, MMR 2006, 212 (213). Jahresbericht 2005 des Bundesamtes für Verfassungsschutz, S. 135. 45 Jahresbericht 2004 des Bundesamtes für Verfassungsschutz, S. 119. 46 Jahresbericht 2005 des Bundesamtes für Verfassungsschutz, S. 135. 47 S. Hofmann, in: Schuppert, Governance-Forschung, S. 277 (282 f.). 48 Dazu Talidou, Regulierte Selbstregulierung im Datenschutz, S. 133 ff. 49 Sehr deutlich und ausführlich zum schon „radikal“ zu nennenden Bewusstseinswandel in Bezug auf die Regulierung des Internets Hofmann, in: Schuppert, Governance-Forschung, S. 277 ff.: Wurde anfänglich jede staatliche Einmischung aus Prinzip abgelehnt oder gar für unmöglich gehalten, wird inzwischen anerkannt, dass ohne Nationalstaaten und ihre Hoheitsmittel die notwendige Regulierung unmöglich ist. 50 Jahresbericht 2005 des Bundesamtes für Verfassungsschutz, S. 135 f. 44

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Letzten Endes führt somit kein Weg daran vorbei, auf die klassischen staatlichen Hoheitsmittel zurückzugreifen. Strafrechtliche Ahndung sowie „altmodische“ Polizeiarbeit und staatsanwaltschaftliche Ermittlungen sind juristisch das einzige Mittel, rechtsradikales Gedankengut gezielt zu bekämpfen (neben der politischen Auseinandersetzung und der Erziehung und Bildung der Jugend 51). Dass die Regulierte Selbstregulierung in der konkreten Ausgestaltung durch den JMStV etwas dazu beiträgt, ist wenig wahrscheinlich. Andererseits ist auch schwer vorstellbar, wie festgestellt werden sollte, ob und wenn ja wie Regulierte Selbstregulierung oder irgendeine andere Form spezifischer hoheitlicher Regulierung des Internets Auswirkungen auf das Angebot und den Zugang zu unzulässigen Inhalten haben sollte.

B. Gründe für die Einführung Regulierter Selbstregulierung im Produktsicherheitsrecht Anders als der Jugendmedienschutz liegen die Probleme des Produktsicherheitsrechts nicht in der virtuellen Welt oder in den Veränderungen durch die Informationsgesellschaft. Das Grundanliegen ist auch keineswegs eine neue Herausforderung, im Gegenteil, existiert das Produktsicherheitsrecht doch schon seit Jahrhunderten, vielleicht sogar seit Jahrtausenden. Doch auch im Produktsicherheitsrecht sind mit dem rasanten technischen Fortschritt und der Globalisierung zwei Herausforderungen angesprochen, die allgemein als Grund für die relative Wirkungslosigkeit klassischer staatlicher Mittel und als Gründe für die Einführung von Selbstregulierung genannt werden (s. o. 1. Teil § 2 B. III.). I. Vorteile und Fähigkeiten Regulierter Selbstregulierung Da die Regulierte Selbstregulierung bzw. die Einschaltung privater Zertifizierungsstellen im Produktsicherheitsrecht – anders als zum Beispiel im Jugendmedienschutz – ausdrücklich durch Gemeinschaftsrecht vorgegeben ist, sind die Gründe dafür auch vorrangig auf Gemeinschaftsebene zu suchen. 1. Gründe des (europäischen) Gesetzgebers Ziel des Produktsicherheitsrechts ist der Schutz von Leben, Gesundheit und Eigentum der Benutzer. Dieses Ziel könnte aus folgenden Gründen durch Regulierte Selbstregulierung besser erreichbar sein als mit Hilfe staatlicher Produktüberwachung:

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Zur Bedeutung der Stärkung der Medienkompetenz Jugendlicher s. die Beiträge in epd medien 2006 Heft 47.

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a) Einbindung privaten Sachverstands und Staatsentlastung Zentraler Grund für die Einbindung der privaten Stellen – sei es durch den europäischen, sei es durch den nationalen Gesetzgeber – sind die Kapazitätsgrenzen der hoheitlichen Überwachung. Betrachtet man die Aufgaben der Benannten Stellen (s. o. § 4 B. II. 3. d), so wird deutlich, welchen Personalbedarf es für den Staat bedeuten würde, wenn er in allen Unternehmen, die entsprechende Produkte produzieren, Qualitätssicherungssysteme installieren oder jedes einzelne Produkt prüfen müsste. Zudem müsste dieses Personal über hohe Qualifikation und Erfahrung verfügen (was die entsprechende höhere Bezahlung nach sich zieht, die nach öffentlichem Dienstrecht nicht zu erzielen ist). Auch eine Spezialisierung ist bei Unternehmen, die sich auf diese Aufgabe konzentrieren, leichter zu erreichen, als in der hoheitlichen Verwaltung, die sich kaum auf einzelne Produktgruppen spezialisieren kann und deren Personal (wegen Beförderungen oder Versetzungen) eher fluktuiert. In den meisten Fällen stünde ohnehin kein ausreichend qualifiziertes staatliches Personal zur Beurteilung neuer oder spezieller Techniken und Produkte zur Verfügung, so dass auf das in der Privatwirtschaft vorhandene Know-How zurückgegriffen werden müsste 52. Die „Beauftragung“ privater sachverständiger Stellen mit der Beurteilung eines Produkts ist dafür ein geeignetes Mittel. Im Produktsicherheitsrecht bestehen tatsächlich Wissens- und Informationsdefizite des Staates. Zum einen kann der Staat keine umfassenden Informationen darüber haben, welche Produkte wo und wann auf den Markt gelangen (es sei denn, es gäbe für jedes Produkt eine staatliche Marktzulassung, was die Verwaltung wiederum überfordern würde). Und auch die (technischen, chemischen, physikalischen, biologischen etc.) Eigenschaften eines Produkts kennt er nicht. An Wissen kann es ihm vor allem in Bezug auf Gefährdungen durch das Produkt fehlen (naturwissenschaftlicher Art, aber auch zum Beispiel um typische Verwendungs- und Missbrauchsarten). Das erforderliche Fachwissen findet sich dafür eher bei Spezialisten aus der freien Wirtschaft. Die nötigen Informationen über das Inverkehrbringen von Produkten liefern die Benannten Stellen allerdings nicht. Versieht ein Hersteller seine Produkte unzulässigerweise ohne Einschaltung einer Benannten Stelle mit dem CE-Zeichen oder lässt er das Zeichen ganz weg, muss doch wieder die staatliche Marktaufsicht selbst den Missbrauch ermitteln und bekämpfen, das heißt, sie muss ihn vor allem bemerken. Und auch bei neuartigen Produkten, Inhaltsstoffen oder Produktionsarten fehlt den Benannten Stellen womöglich das notwendige Spezialwissen. Dieses hat (wenn überhaupt) nur der Hersteller, der es den Benannten Stellen zur Verfügung stellen muss 53.

52

Scherzberg, NVwZ 2006, 377 (383). Daran zeigt sich, dass der Begriff „Selbst“regulierung auch hier missverständlich sein kann, denn die Hersteller kontrollieren sich nicht selbst, sondern sie werden von einer 53

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Diese Verpflichtung könnte ihm zwar auch gegenüber staatlichen Aufsichtsstellen auferlegt werden, die höhere Qualifikation des bei den Benannten Stellen vorhandenen Personals befähigt diese jedoch eher, neue Informationen und neues Wissen aufzunehmen, zu verarbeiten und zu bewerten.

Der Einsatz Benannter Stellen ist aber kein Mittel, auf das Wissen und die Informationen der Hersteller zuzugreifen. Es müssen nach wie vor Regelungen bestehen, unter welchen Voraussetzungen und in welchem Umfang die Hersteller Informationen an Dritte (staatliche Aufsichtsbehörden oder eben Benannte Stellen) weitergeben müssen. b) Europaweite Harmonisierung von Verfahren Nicht nur die unterschiedlichen inhaltlichen Anforderungen an die Produktgestaltung stellen ein Binnenmarkthindernis dar, auch die verschiedenen nationalen Zertifizierungs- und Kontrollverfahren behindern den grenzüberschreitenden Warenverkehr 54. Allerdings könnte auch die gemeinschaftsweite Anerkennung einer behördlichen Entscheidung eines Nationalstaates dieses Hindernis beseitigen 55. Der Hersteller müsste aber immer das Verfahren am Ort seiner Produktionsstätte wählen, weil eine nationale Behörde nicht beispielsweise ein Qualitätssicherungssystem in einem anderen Staat einrichten und überwachen kann. Unterhält ein Unternehmen Produktionsstätten in mehreren EG-Staaten, unterläge jede wieder einer anderen Überwachung. Bei der Beauftragung einer privaten Zertifizierungsstelle ist grenzüberschreitendes Agieren hingegen sehr viel einfacher. Ein deutsches Unternehmen kann zum Beispiel eine deutsche Benannte Stelle auch mit der Unterhaltung und Überwachung von Qualitätssicherungssystemen oder der Endkontrolle von Produkten an Produktionsstätten in Tschechien oder Spanien beauftragen und kann dadurch ein europaweit einheitliches Qualitätssicherungssystem in seinen Fabriken aufbauen. Da die Benannten Stellen nicht hoheitlich agieren (s. o. 2. Teil § 4 C. III. 1.), steht einer Überwachung und Kontrolle des Herstellers durch ausländische Benannte Stellen im Inland nichts entgegen. Zudem sind auch die Anforderungen an die Überwachungsstellen leichter steuerbar und harmonisierbar. Die nationalen Verwaltungsbehörden sind dem Zugriff des Gemeinschaftsgesetzgebers entzogen; dieser kann nur die materiellen Anforderungen und das Verfahren regeln, nicht aber die „Qualität“ der Überwachungsbehörden. Hingegen kann die Europäische Gemeinschaft für die Ausgestaltung externen Stelle geprüft, bei der es aus Sicht des Herstellers keinen großen Unterschied macht, ob es sich dabei um eine staatliche oder eine private Stelle handelt. 54 Erwägungsgrund 2 Medizinprodukte-RL; Erwägungsgrund 2 Druckgeräte-RL; Gausepohl, Freier Warenverkehr, S. 33. 55 Nach Erwägungsgrund 12 Druckgeräte-RL hat sich in diesem Bereich jedoch die gegenseitige Anerkennung als unzulänglich erwiesen.

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der Benannten Stellen detaillierte Kataloge aufstellen (s. o. § 4 B. II. 3. b) und sie sogar mit der europäischen Normung verknüpfen 56. c) Qualitätswettbewerb unter Benannten Stellen und zwischen Prüfverfahren Die Vielzahl der Benannten Stellen und das Wahlrecht des Herstellers zwischen diesen führen zu Wettbewerb zwischen den Stellen. Dieser Wettbewerb könnte den unerwünschten Effekt eines „race to the bottom“ haben, wenn sich die Hersteller an die Benannte Stelle wenden würden, welche die geringsten Anforderungen stellt oder die oberflächlichsten Kontrollen durchführt und gleichzeitig der geringsten Aufsicht durch ihre nationale Anerkennungsstelle untersteht 57. Andererseits sind die Qualität und Sicherheit von Produkten wichtige Produktmerkmale und viele Hersteller unternehmen ohnehin große Anstrengungen zu ihrer Verbesserung; glaubwürdige Zertifizierungen sind dabei ein Wettbewerbsvorteil. Auch kann eine gute Zertifizierungsstelle dem Unternehmen produktionstechnische Vorteile bringen, wenn zum Beispiel bei der Installation und Überwachung umfassender Qualitätssicherungssysteme und der dafür nötigen Dokumentation und Planung Effizienzsteigerungen, Produktionsverschlankungen, Ressourcenverschwendungen, etc. erkannt werden. Zudem werden Zertifizierungsstellen ihre Dienstleistungen zum Teil auch im gesetzlich nicht geregelten Bereich anbieten, wo sie für den Hersteller nur Imagegewinne bringen; ein schlechter Ruf eines Zertifizierers als zu lasch oder nachsichtig würde auch den Marktwert eines privaten Siegels oder Gütezeichens verringern. Der Wettbewerb könnte somit dazu führen, dass sich nicht nur die besten Benannten Stellen europaweit durchsetzen, sondern auch die besten Qualitätssicherungssysteme oder Prüfverfahren. Gleichzeitig zwingt der Wettbewerb die Benannten Stellen, wirtschaftlich zu arbeiten 58, was wiederum die Belastung für den Hersteller, der letztlich die Kosten der Produktprüfung zu tragen hat, senkt. d) Erleichterte Implementation Einen weiteren Vorteil verspricht die möglicherweise erhöhte Befolgungsbereitschaft bei den Unternehmen. Während hoheitliche Kontrollen als Eingriffe von außen betrachtet werden, können die Benannten Stellen dauerhaft in das 56 Eine Regelung dergestalt, dass die nationalen Behörden der EN ISO 45.000 entsprechen müssen, wenn der Nationalstaat ihnen die Aufgabe der Produktüberwachung übertragen will, ist schwer vorstellbar; für die Benannten Stellen ist genau das aber geschehen. 57 Zum Sachverständigenwettbewerb ausf. Scholl, Sachverständige, S. 117 ff. 58 Ein Druck, dem staatliche Stellen nicht in gleichem Maße unterliegen.

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Unternehmen eingebunden werden und ein Vertrauens- oder Kooperationsverhältnis zum Hersteller leichter aufbauen. Auch kennt die Benannte Stelle das Unternehmen, die richtigen Ansprechpartner und die Firmenphilosophie besser und kann möglicherweise bei Problemen gezielter ansetzen. Zudem ist das System der Produktzertifizierung nichts völlig Neues. Auf Grund der vorhandenen freiwilligen Zertifizierungen konnte der europäische Gesetzgeber auf vorhandene funktionierende Strukturen zurückgreifen und musste diese nur rechtlichen Vorgaben unterwerfen. e) Arbeitsplatzschaffung Mittlerweile hat sich eine Zertifizierungsdienstleistungsindustrie entwickelt, die angesichts der hohen Kosten einer Zertifizierung hohe Umsätze machen dürfte und hochqualifizierte Arbeitsplätze bietet. Der verbreitete Einsatz von Zertifizierungen durch den Gesetzgeber führt zu einer Spezialisierung und Professionalisierung der Benannten Stellen, die ihre Dienste auch mit entsprechenden Wettbewerbsvorteilen in Staaten außerhalb der EG oder in Produktsektoren, die keiner gesetzlichen Regulierung unterliegen, anbieten können. 2. Vorteile für die Wirtschaft Da die Regulierte Selbstregulierung im Produktsicherheitsrecht obligatorisch ist und die Hersteller sich somit ohnehin beteiligen müssen, ist die Vorteilhaftigkeit der Regulierten Selbstregulierung für die Wirtschaft nicht so zwingend erforderlich wie bei einer freiwilligen Selbstregulierung. Trotzdem setzt auch eine obligatorische Regulierte Selbstregulierung auf die Einbindung der Wirtschaft und sie ist einfacher und erfolgreicher, wenn auch die Unternehmen davon profitieren. Das CE-Zeichen ist kein Qualitätszeichen 59. Zwar fügt die Benannte Stelle – so denn eine beteiligt werden muss – dem CE-Zeichen ihre Kennnummer an, so dass man dem Produkt ansehen kann, ob es einer unabhängigen Kontrolle unterworfen war. Das dürfte den meisten Verbrauchern aber unbekannt sein; außerdem ist der Hinweis nicht sehr auffällig und da die Hersteller mit dem CE-Zeichen auch nicht werben dürfen, kann es ohnehin nicht gezielt als Marketinginstrument verwendet werden (anders als echte Gütesiegel oder Qualitätszeichen). Die Benannten Stellen können aber für das Unternehmen des Herstellers neben der reinen Berechtigung zum Verwenden des CE-Zeichens auch noch interne Vorteile bringen. Die Beratung bei Qualitätssicherungssystemen kann zu einer Verbesserung der Produktqualität, von Produktionswegen und Managementstrategien führen. Auch kann der geforderte Zwang zur systematischen Darstellung 59

Weil bei den Modulen A und C nur der Hersteller selbst sein eigenes Produkt bewertet.

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5. Teil: Funktionsanalyse und Fazit

und Dokumentation der eigenen Qualitätsziele und Produktionsprozesse zu Effizienzsteigerungen bei Unternehmen führen. Die Beteiligung einer unabhängigen, außenstehenden Stelle und der Zwang zur Dokumentation können außerdem bei Produkthaftungsprozessen hilfreich sein. Da nach der Rechtsprechung des BGH 60 die Beweislast für ein nicht vorhandenes Verschulden in Bezug auf Konstruktionsund Fabrikationsfehler vollständig beim Hersteller liegt, können ihm die Qualitätssicherungsnachweise möglicherweise im Prozess helfen. Gerade in Bereichen, wo die Rechtsprechung dem Hersteller – will er sein fehlendes Verschulden beweisen – umfangreiche Dokumentationspflichten auferlegt 61, kann eine systematische und beweissichernde Überwachung des Produktionsprozesses im Rahmen eines Qualitätssicherungssystems vorteilhaft sein. Der europäische Gesetzgeber scheint des Weiteren davon auszugehen, dass die Beteiligung Benannter Stellen für den Hersteller eine geringere Belastung als die hoheitliche Aufsicht darstellt. Allerdings bestand zumindest in Deutschland für zahlreiche Produkte, die jetzt von der Neuen Konzeption erfasst werden, überhaupt keine (staatliche) Zugangskontrolle oder schon eine Kontrolle durch Freiwillige Selbstkontrolleinrichtungen 62. Eine hoheitliche Aufsicht ist (auf Grund der oben genannten Kapazitätsprobleme) allenfalls zu einer begrenzten stichprobenartigen Kontrolle einzelner Unternehmen in der Lage, während die laufende Kontrolle eines Qualitätssicherungssystems oder der gesamten Produktion durch eine Benannte Stelle für den Unternehmer einiges an Aufwand darstellt (nicht zuletzt finanzieller Art 63). Insofern bringt die Neue Konzeption also keine Reduzierung der hoheitlichen Überwachung oder Kontrollerleichterungen bei den Unternehmen, eher im Gegenteil. „Insgesamt ergibt sich eine Steigerung der Verfahrenspflichten für die Hersteller“ 64. II. Nachteile und Verbesserungsmöglichkeiten Ist der Einsatz der Benannten Stellen also an sich begrüßenswert, muss versucht werden, noch bestehende Schwachstellen zu korrigieren. Ein verbesserungswürdiger Aspekt ist der Informationsaustausch in Bezug auf verweigerte Zertifizierungen (s. o. 2. Teil § 4 D. II. 2.). Hat eine Benannte Stelle

60 St. Rspr. seit BGHZ 51, 91 (102) – Hühnerpest; Wagner, in: MükoBGB, § 823 Rdn. 608. 61 S. z. B. BGHZ 104, 323; Z 129, 353 (Mineralwasserflaschen). 62 Röhl, in: Schmidt-Aßmann/Schöndorf-Haubold (Hrsg.), Europ. Verwaltungsverbund, S. 153 (160 ff.). 63 Bei der DQS z. B. kosteten Zertifizierungen zwischen 9.000 und 30.000 DM. 64 Röhl, in: Schmidt-Aßmann/Schöndorf-Haubold (Hrsg.), Europ. Verwaltungsverbund, S. 153 (163).

§ 15 Funktionsanalyse

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dem Hersteller das Zertifikat endgültig verweigert (das heißt, sind auch keine Nachbesserungen mehr möglich bzw. will der Hersteller sie nicht vornehmen), besteht die Gefahr, dass der Hersteller eine andere Benannte Stelle beauftragt, in der Hoffnung, von dieser „gnädiger“ bewertet zu werden. Zwar ist dies nicht erlaubt und der Hersteller muss in seinem Antrag auch versichern, dass er keine weiteren Anträge gestellt hat; das Recht muss aber gewährleisten, dass diese Pflicht in der Praxis auch durchgesetzt wird. Solange außer dem Hersteller und der betroffenen Benannten Stellen niemand weiß, dass der Hersteller einen Antrag gestellt hat, ist ein Aufdecken mehrfacher Antragstellungen eher unwahrscheinlich bzw. zufällig. Es müsste und könnte daher eine europaweite Datenbank eingeführt werden, in die Benannte Stellen auch endgültig abgelehnte Zertifizierungen eintragen bzw. neutral alle durchgeführten Zertifizierungsverfahren 65. Eine Benannte Stelle, bei der ein Antrag gestellt wird, könnte dann überprüfen, ob der beantragende Hersteller bereits bei einer anderen Stelle einen Antrag gestellt hatte und gezielt bei dieser nachfragen, zu welchem Ergebnis das Zertifizierungsverfahren dort geführt hat und ob der Hersteller jetzt berechtigterweise einen neuen Antrag stellt (etwa, weil es sich um ein anderes Produkt handelt oder die Zertifikatsdauer der anderen Benannten Stelle abgelaufen ist). Diese Datenbank müsste auch nicht der Öffentlichkeit zugänglich sein, so dass die negative Wirkung einer verweigerten Zertifizierung nicht allgemein bekannt wird; eine Zugänglichkeit nur für Benannte Stellen würde ausreichen. III. Bewertung Bei der Bewertung der Produktsicherheitsgewährleistung in Form der Regulierten Selbstregulierung ist zwischen den Ebenen der Normsetzung und der Normdurchsetzung zu unterscheiden. Die Standardisierung ist anders als durch die Einbindung der privaten Normungsgremien nicht durchführbar. Die Frage ist lediglich, ob eine Normierung überhaupt wünschenswert ist. Letztlich geht es dabei um die Frage, wie viel Risiko eine Gesellschaft zu akzeptieren bereit ist. Absolute Produktsicherheit ist ohnehin nicht erreichbar, aber solange bei jedem (möglichen) Produktschaden der Ruf nach gesetzlichen Vorgaben für Produkte laut wird, werden Sicherheitsnormen für Produkte erlassen werden und solange jeder Staat für seine Produkte eigene Normen festlegt, solange ist – unter der Prämisse der Verwirklichung des Binnenmarkts – eine europaweite Vereinheitlichung notwendig. Auf der Ebene der Prüfung der Produkte auf ihre Vereinbarkeit mit diesen Standards gilt es bei der Bewertung immer zu beachten, dass die Alternativen nicht die – theoretisch zwar mögliche – Produktbewertung durch Behörden in Ver65

So wie Benannte Stellen die erteilten Zertifikate auch veröffentlichen müssen.

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5. Teil: Funktionsanalyse und Fazit

waltungsverfahren oder die Regulierte Selbstregulierung sind, sondern entweder Regulierte Selbstregulierung oder weitestgehend keine (präventive) Kontrolle. Eine Überwachung jedes einzelnen Herstellers oder eine Prüfung aller Produkte ist mit staatlichen Mitteln und Ressourcen praktisch nicht machbar. Daher ist es auch nicht so, dass bestehende staatliche Kontrollen zurückgenommen und durch private Kontrollen ersetzt werden. Vielmehr ist die Überwachung durch die Benannten Stellen in weiten Teilen die Einführung einer Überwachung in Bereichen, die vorher nicht (präventiv) kontrolliert wurden. Insofern bringt das Globale Konzept auf jeden Fall eine Verbesserung der Produktsicherheit. Außerdem müssen zur Rechtsetzung und Schaffung von Anerkennungs- und Aufsichtsinstanzen nur relativ geringe öffentliche Mittel eingesetzt werden, was angesichts der beschränkten staatlichen Ressourcen schon ein Wert an sich ist. Aber auch unabhängig davon hat das Konzept seine Vorteile. Der Staat greift im Wirtschaftsleben vorhandene Ideen und Strukturen auf, die erprobt sind und sich dort in gewissem Umfang schon bewährt haben. Außerdem kann sich der Staat sicher sein, dass öffentliche Interessen und die Interessen der Wirtschaft hier zumindest zum Teil parallel verlaufen und daher eine größere Befolgungswilligkeit zu erwarten ist.

C. Gründe für die Einführung Regulierter Selbstregulierung im Umweltrecht Auch im Umweltrecht wird beklagt, dass der Staat kaum mehr in der Lage sei, durch Gesetzgebung und Gesetzesvollzug den Umweltschutz zu verbessern. Der technische Fortschritt, das fehlende Wissen und die mangelnden Ressourcen führten zu einem hohen Vollzugsdefizit gerade im Umweltrecht. Der europäische Gesetzgeber erhofft sich durch die Einführung des Öko-Audits daher eine Verbesserung des Umweltschutzes durch stärkere Eigenverantwortung der Unternehmen. I. Vorteile und Fähigkeiten Regulierter Selbstregulierung in Form des Umweltaudits 1. Vom Gesetzgeber verfolgte Ziele Auch das Umweltaudit kann als Beitrag zur Verringerung des Wissens- und Informationsdefizits verstanden werden. Es ist darauf angelegt, dass ein Unternehmen sich selbst schärfer analysiert und mit Hilfe der Umweltmanagementsysteme und der Dokumentationspflichten Wissen für die Zukunft innerhalb der eigenen Organisation generiert wird 66. Die Versorgung staatlicher Aufsichtsstellen mit 66

Ladeur, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann, VerwR in der Informationsgesellschaft, S. 225 (229); Schickert, Der Umweltgutachter, S. 96. Weil das Unternehmen über

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Information wird dadurch allerdings nicht verbessert. Die Unterlagen aus dem Umweltauditverfahren können nur andere Dokumentationen ersetzen, die das Unternehmen ohnehin bei den Umweltbehörden einreichen müsste. Aus Sicht der Verwaltung ist es irrelevant, ob diese Informationen vom Unternehmen selbst zusammengestellt werden oder von einem Umweltgutachter im Auftrag des Unternehmens. Immerhin könnten die zusätzlichen Informationen im Unternehmen zu einer verbesserten Befolgung des staatlichen Umweltrechts führen, weil sich die Unternehmen darüber klar werden müssen, welches Recht für sie gilt und welche Vorgänge im Unternehmen unter Umweltgesichtspunkten problematisch sind 67. Damit sollten zumindest die Fälle des unbewussten oder „fahrlässigen“ Verstoßes gegen das Umweltrecht verringert werden 68. Zusätzliche Informationspflichten statuiert das Umweltaudit nur mit der Umwelterklärung. Da diese auch den Umweltbehörden zugänglich ist, könnten diese daraus weitergehende Informationen erlangen. Auf diese Weise wäre das Umweltaudit auch ein Weg zur Verbesserung der Kommunikation und des Informationsaustausches zwischen den Unternehmen und betroffenen und interessierten Kreisen (Umweltverbände, Nachbarn, Kunden) 69. Die Öffentlichkeit kann dabei zugleich dazu beitragen, das Vollzugsdefizit zu verringern, indem Bürger oder Konkurrenten bei den staatlichen Aufsichtsbehörden oder den Gerichten auf Grund der erlangten Informationen auf etwaige Defizite hinweisen und deren Beseitigung einfordern 70. Voraussetzung ist aber jeweils, dass die Umwelterklärungen bestimmt, detailliert und gehaltvoll sind 71. Da die EMAS-VO und auch das UAG aber kaum inhaltliche Anforderungen an den Umweltbericht stellen, ist dies sich selbst „nachdenkt“, wird das Umweltaudit von Schmidt-Preuß, VVDStRL 56 (1997), 160 (194) als Paradefall des reflexiven Rechts bezeichnet. 67 Rehbinder/Heuvels, DVBl 1998, 1245 (1252). 68 Laut Ensthaler u. a., UAG/EMAS-VO, S. 38 lässt sich dies auch empirisch belegen. 69 Nach einer Umfrage des UBA bleibt das Interesse von Anwohnern, Kunden, Banken und Versicherungen und Lieferanten an den Umwelterklärungen allerdings weit hinter den ursprünglichen Erwartungen zurück (zit. nach Ensthaler u. a., UAG/EMAS-VO, S. 44). So auch Rehbinder/Heuvels, DVBl 1998, 1245 (1246): Interesse an den Umwelterklärungen nur bei Konkurrenten und fachlich Interessierten, nicht aber bei Nachbarn oder Bürgern. 70 Schmidt-Preuß, VVDStRL 56 (1997), 160 (187); zur Mobilisierung des Bürgers zur Durchsetzung des Rechts durch EMAS Masing, Mobilisierung des Bürgers, S. 26 ff.; zur Rechtswirklichkeit Rehbinder/Heuvels, DVBl 1998, 1245 (1246): „Die Erwartung . . . , die Öffentlichkeit sei auf Grund eines breiten gesellschaftlichen Interesses an einem konsequent betriebenen Umweltschutz für ein Wächteramt . . . besonders prädestiniert, hat sich . . . als Fehlvorstellung erwiesen“. 71 S. zu den Mindestanforderungen Schickert, Der Umweltgutachter, S. 360 ff., insb. S. 366: Größe des Standorts, Produktionsverfahren, Bedarf an Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffen, Emissionen, Abfälle. Als beispielhafte und sehr detaillierte Umwelterklärung mit umfangreichen Zahlenangaben s. z. B. die Umwelterklärungen des Heizungsherstellers Viessmann (www.viessmann.de/de/portrait/umweltschutz.html), der MTU (www.mtu.de) oder der Bayer Schering Pharma AG (www.schering.de).

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keineswegs gesichert 72. Außerdem soll der Umweltbericht so gefasst sein, dass er für die Öffentlichkeit – das heißt für Laien – verständlich ist. Für eine detaillierte Analyse durch die Umweltbehörden dürfte der Bericht daher meist nicht konkret genug sein 73. Eine Entlastung der staatlichen Aufsicht findet – wenn auch in geringem Umfang – ebenfalls statt, und zwar durch die Ersetzung von Kontrollen und Messungen durch betriebliche Eigenüberwachung. Zwar handelt es sich dabei um Tätigkeiten, die vom Fachwissen und der technischen Expertise her ohne weiteres auch von den Umweltbehörden vorgenommen werden könnten. Allein der Rückgang der Anzahl der Überwachungsmaßnahmen ermöglicht aber immerhin die Einsparung von Personal und Sachmitteln. Weil aber die Entscheidungen (Genehmigungen, Auflagen, etc.) nach wie vor allein von den Behörden getroffen werden und auch die Anzahl der Entscheidungen durch EMAS nicht reduziert wurde, müssen die staatlichen Behörden nach wie vor umfangreiche Überwachungsressourcen und vor allem den nötigen Sachverstand und das Fachwissen zur Beurteilung der Umweltwirkungen eines Betriebs selbst vorhalten. Ein Hauptproblem der staatlichen Aufsicht und Grund für das Vollzugsdefizit ist die rapide wachsende Zahl von zu kontrollierenden Umweltvorschriften 74; durch EMAS wird diese Zahl nicht verringert. Auf jeden Fall soll das Umweltaudit zu einer verbesserten Durchsetzung des staatlichen Umweltrechts und zu einer Verringerung des Vollzugsdefizits führen 75. Allerdings ist es nicht primäre Aufgabe des Umweltgutachters, die Einhaltung der staatlichen Rechtsvorschriften zu kontrollieren; der Gutachter prüft nur, ob das Unternehmen ein Umweltmanagementsystem besitzt, welches das Unternehmen zur Beachtung des Umweltrechts anhält. Den meisten Unternehmen wird man unterstellen dürfen, dass sie sich ohnehin an geltendes Recht halten wollen. Und sofern die Schwierigkeiten darin bestehen, dass wegen der Vielzahl, Unübersichtlichkeit und Unbestimmtheit des geltenden Umweltrechts kaum erkennbar ist, welche Anforderungen an ein Unternehmen gestellt werden 76, hilft auch ein Umweltgutachter nicht viel weiter (der das Umweltrecht kaum besser kennen dürfte als die Fachleute der staatlichen Umweltbehörden). Immerhin ist es insoweit sinnvoll, bei den Unternehmen anzusetzen und auf deren interne Organisation zu 72

Groß, Öko-Audit-System, S. 128: bisherige Umweltberichte sind „nach Form, Umfang und Inhalt äußerst unterschiedlich“; s. allerdings auch den Anhang I zum EMASLeitfaden II der EG-Kommission vom 7. 9. 2001 zur Ausgestaltung der Umwelterklärung. 73 Groß, Öko-Audit-System, S. 125 f. 74 Groß, Öko-Audit-System, S. 26. 75 Schneider, DV 28 (1995), 361; Lechelt, Hdbuch Umweltaudit, A Rdn. 121; Schneider, Öko-Audit, S. 116. 76 Ensthaler u. a., UAG/EMAS-VO, S. 34 Fn. 29 verweist auf die Zahl von allein 4.600 nationalen Umweltvorschriften, die Unternehmen einzuhalten haben!

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setzen, weil diese am besten wissen, welche Vorgänge im Unternehmen unter Umweltschutzgesichtspunkten relevant oder problematisch sind und gezielter prüfen können, welche Rechtsvorschriften für diese Vorgänge gelten 77. Außerdem ist eine private Überwachung der Unternehmen immer noch besser als gar keine. Nach einer Untersuchung in Baden-Württemberg wurden dort Unternehmen nach ihrer Genehmigung im Schnitt nur noch alle 10,6 Jahre überhaupt von den Umweltbehörden kontrolliert 78. Eine Auditierung durch Umweltgutachter, die alle drei Jahre wiederholt werden muss, ist da schon ein Fortschritt. 2. Vorteile aus Sicht der Wirtschaft Die Teilnahme am Umweltauditverfahren ist freiwillig. Die oben genannten Vorteile für den Staat können daher nur eintreten, wenn auch die Unternehmen von der Auditierung profitieren und sich deshalb rege an EMAS beteiligen. Primärer Vorteil für die Unternehmen sind die umweltrechtlichen Privilegierungen (dazu näher oben § 5 C. I. 1.), die in Genehmigungs- und Überwachungsverfahren Erleichterungen mit sich bringen. Weitere Anreize für die Unternehmen liegen darin, dass der Verbrauch von Ressourcen und damit Kosten gesenkt werden und die internen Abläufe verbessert werden 79. Insoweit ist der Ansatz des Umweltaudits vergleichbar mit der Einrichtung von Qualitätssicherungssystemen im Produktsicherheitsrecht. Neben dieser internen Wirkung soll das Umweltaudit für eine verbesserte Kommunikation mit der Öffentlichkeit und damit für eine verbesserte Außendarstellung sorgen. Zum einen soll das Vertrauen der Öffentlichkeit gestärkt werden, weil das Informationsbedürfnis befriedigt wird. Vor allem aber dient das Umweltaudit der Imagepflege; im Gegensatz zum CE-Zeichen soll das Umweltaudit als „Gütesiegel“ für das Unternehmen dienen und kann beim Internetauftritt, in Broschüren oder auf Briefköpfen verwendet werden 80. Nach Erwägungsgrund 12 der EMASVO soll das EMAS-Zeichen die Glaubwürdigkeit und Transparenz der Unternehmen verstärken, weil das EMAS-Zeichen dafür steht, dass das Unternehmen ein

77 Laut Groß, Öko-Audit-System, S. 38 kann die vom Gutachter zu prüfende Verpflichtung aus der EMAS-VO, alle Umweltvorschriften einzuhalten, einen wesentlichen Beitrag zum Abbau des Vollzugsdefizits leisten. 78 Zit. nach Scherzberg, NVwZ 2006, 377 (378). 79 Schneider, Öko-Audit, S. 19; Groß, Öko-Audit-System, S. 29, 51; Kämmerer, Umsetzung des Umwelt-Audit-Rechts, S. 96; Schickert, Der Umweltgutachter, S. 54 ff. 80 Vgl. Anhang III Ziff. 3.1 der Entscheidung der Kommission 2001/681/EG. Nur die Produktwerbung, das heißt die Kennzeichnung eines konkreten Produkts mit dem EMASZeichen, ist verboten, weil EMAS nur etwas über das Unternehmen aussagt, nichts zu dem bestimmten Produkt; außerdem besteht als Umweltgütesiegel für Produkte bereits das europäische Zeichen der „Blauen Blume“.

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5. Teil: Funktionsanalyse und Fazit

Umweltmanagementsystem unterhält, das regelmäßig kontrolliert wird und das für eine Einhaltung der Umweltschutzvorschriften sorgt (Anhang III Ziff. 1.1 der Entscheidung der Kommission 2001/681/EG). Ebenso wie im Produktsicherheitsrecht soll auch das Umweltaudit dem Unternehmen Rechtssicherheit in Bezug auf Umwelthaftungsrisiken und Vorteile in Haftungsprozessen bringen 81. Unternehmen sind Haftungsrisiken durch Störfälle und Umweltschäden ausgesetzt. Anspruchsgrundlagen gegen das Unternehmen sind dabei vor allem § 823 Abs. 1 BGB und § 1 UmwHG. Im Rahmen der allgemeinen Deliktshaftung muss das Unternehmen nachweisen, dass eine ausreichende Organisation bestand, die Mitarbeiter korrekt ausgewählt, angeleitet und überwacht wurden und die Zuständigkeiten und Ablaufpläne für den ordnungsgemäßen Betrieb festgelegt waren. Nach § 6 Abs. 2 UmwHG kann die vermutete Kausalität des Anlagenbetriebs für den Schaden durch den Nachweis des bestimmungsgemäßen Betriebs widerlegt werden. In beiden Fällen kommt es daher auf ein funktionsfähiges Umweltmanagementsystem an, welches durch das Umweltaudit nachgewiesen werden soll 82. Die EMAS-Teilnahme zwingt die Unternehmen dazu, sich so zu organisieren, dass zumindest aus betriebsorganisatorischen Gründen keine Schäden entstehen 83 und ermöglicht zugleich den Nachweis der ausreichenden Betriebsorganisation durch die ausführliche Dokumentation. Der Grund für die Entwicklung des Umweltaudits als reine Selbstregulierung in der Privatwirtschaft in den USA in den Siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts war vor allem die Vermeidung von Haftungsrisiken. Auf Grund der zum Teil exorbitant hohen Schadensersatzzahlungen bei Umweltunfällen hatten die Unternehmen eine vitales Eigeninteresse daran, Haftungsrisiken im eigenen Betrieb zu erkennen und abzusichern bzw. für den Fall eines Prozesses ausführliche Dokumentationen und Unterlagen zur Verteidigung zu haben 84. Wenn das neue Umweltschadensgesetz zur Umsetzung der EG-Umwelthaftungsrichtlinie 85 kommt 86, werden dem Risikomanagement der Unternehmen neue Aufgaben zuwachsen, vor allem in Bezug auf die Erstellung von Informationen über mögliche

81 Ensthaler u. a., UAG/EMAS-VO, S. 168; dies war Hauptgrund für die Einführung von Auditierungen in den USA, wo ein Umweltaudit sogar von der Börsenaufsicht im Rahmen einer Bilanzprüfung gefordert wurde, weil nur unter Einbeziehung von Haftungsrisiken der Wert des Unternehmens wahrheitsgemäß bilanzierbar ist, vgl. Groß, Öko-Audit-System, S. 29; Schickert, Der Umweltgutachter, S. 34. 82 Förschle/Hermann/Mandler, DB 1994, 1093 (1094); Schneider, DV 28 (1995), 361 (367); Dombert, Hdbuch Umweltaudit, L Rdn. 52. 83 Schneider, Öko-Audit, S. 20. 84 Lecheler, Hdbuch Umweltaudit, A Rdn. 65; Schickert, Der Umweltgutachter, S. 32 ff. 85 RL 2004/35/EG vom 21. 04. 2004, ABlEG L 143/56. 86 S. BR-Drs. 678/06 v. 22. 09. 2006.

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Umweltschäden durch das Unternehmen. Auditierte Unternehmen könnten auf diese neue Herausforderung besonders gut vorbereitet sein 87.

Ähnliches gilt im Umweltstrafrecht, wo eine Verantwortung der Unternehmensleitung gegeben sein kann, wenn die Organisation so undurchsichtig ist, dass am Ende niemand für das strafbare Handeln verantwortlich zu sein scheint. Auf Grund des Umweltmanagementsystems sollte immerhin der Verantwortliche eindeutig zu identifizieren sein und die übrige Unternehmensleitung damit entlastet werden 88. Kosten für Verteidigung, Gerichts- und Sachverständigenkosten in Umweltstrafverfahren können durch Umweltmanagementsysteme reduziert werden 89. Außerdem sorgt das Umweltmanagementsystem dafür, dass alle erforderlichen Genehmigungen eingeholt werden und dass alle umweltrechtlichen Vorschriften eingehalten werden; auf Grund der Verwaltungs- und Verwaltungsaktsakzessorietät des Umweltstrafrechts kann das Strafbarkeitsrisiko somit deutlich verringert werden 90. Daneben wurde erhofft, dass institutionelle Marktakteure wie Kreditgeber, Großkunden, Investoren, Banken oder Versicherungen von Unternehmen, mit denen sie Geschäfte machen, eine EMAS-Teilnahme verlangen würden 91, entweder um das eigene Image zu verbessern oder weil ein registriertes Unternehmen weniger Risiken birgt. Im Gegenzug sollten vor allem die Versicherungen die Prämien für eingetragene Unternehmen senken, weil durch die ausführliche Analyse des Unternehmens mögliche Schwachstellen und potenzielle Versicherungsfälle aufgedeckt würden 92. Laut einer Studie des Umweltbundesamtes aus dem Jahr 1999 stellen diese genannten Gründe – Rechtssicherheit, Minimierung von Haftungsrisiken, Organisationsoptimierung, Verbesserung von Energie- und Ressourceneinsatz, Imagegewinn – tatsächlich die Hauptmotivation der teilnehmenden Unternehmen dar 93. II. Bewertung EMAS ändert weder etwas an der zunehmenden Komplexität und Interdependenz moderner Wirtschaftssysteme oder den Herausforderungen durch den rasanten technischen Fortschritt. Auch ist es kein Beitrag zur Reduzierung oder 87

Muth/Heinze, UPR 2005, 367 (369). Strate/Wohlers, Hdbuch Umweltaudit, M Rdn. 34. 89 Schickert, Der Umweltgutachter, S. 54. 90 Ensthaler u. a., UAG/EMAS-VO, S. 38. 91 Schneider, Öko-Audit, S. 19; Kämmerer, Umsetzung des Umwelt-Audit-Rechts, S. 93. 92 Förschle/Hermann/Mandler, DB 1994, 1093 (1094); Dombert, Hdbuch Umweltaudit, L Rdn. 3. 93 Zit. nach Ensthaler u. a., UAG/EMAS-VO, S. 43. 88

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5. Teil: Funktionsanalyse und Fazit

Systematisierung der überbordenden und unstrukturierten Gesetzesflut im Umweltrecht. Die wichtigsten Ursachen für das überall beklagte Vollzugsdefizit im Umweltrecht werden damit nicht beseitigt. Das EMAS-System beschränkt sich von vornherein darauf, nur ein ergänzendes und entlastendes Element neben der staatlichen Regulierung zu sein 94. Soweit allerdings als Privilegierung für registrierte Unternehmen ordnungsrechtliche Vorgaben abgebaut werden und damit staatliche Regulierung doch zum Teil ersetzt wird, muss sich EMAS einer kritischen Bewertung stellen. Die Beurteilungen von EMAS sind größtenteils nicht sehr positiv 95. Abgesehen von Kritik an der konkreten Ausgestaltung durch den deutschen Gesetzgeber 96, wird das Umweltaudit zum Teil als mit dem deutschen Umweltrecht für inkompatibel und insgesamt überflüssig gehalten 97. Im Einzelnen ist zu bemerken, dass die europaweite Zahl der teilnehmenden Unternehmen sehr gering ist 98 und sich diese geringe Anzahl von Teilnehmern in Deutschland konzentriert 99. Noch dazu ist die Zahl der teilnehmenden Unternehmen deutlich rückläufig 100. Als Gründe dafür werden vor allem genannt, dass speziell für kleinere und mittelständische Unternehmen zu geringe Anreize für die Teilnahme bestehen; außerdem sei das Umweltaudit in der Öffentlichkeit nahezu unbekannt, so dass sich keine Image- oder Werbevorteile ergeben 101. Dies liege auch daran, dass die Umwelterklärungen von sehr unterschiedlicher Qualität seien 102. Nicht nur die Qualität von Umwelterklärungen ist unterschiedlich, auch die 94

Schneider, DV 28 (1995), 361 (363). Schmidt-Räntsch, EurUP 2006, 2 (7): EMAS nicht der erhoffte Durchbruch. 96 Lübbe-Wolff , NuR 1996, 217 ff. 97 Schottelius, BB-Beil. 2/1997, 6 f. 98 Nach Knopp/Ebermann-Finken, EWS 2000, 329 (331) waren in Deutschland 1999 von 1 Mio. Standorte ganze 2085 registriert (was immer noch besser ist als in Frankreich, wo 2006 ganze 17 [!] Standorte registriert waren). Laut Stellungnahme des UGA waren es 2005 immer noch nicht mehr; registrierte Unternehmen beschäftigen nur 2,5 % aller deutschen Erwerbstätigen (Stellungnahme des UGA vom 29. 9. 2005). Europaweit waren im Dezember 2006 ganze 5.088 Standorte registriert (http://ec.europa.eu/environment/emas). Andere Akzentuierung noch bei Bohne, in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem, Strukturen d. Europ. Verwaltungsrechts, S. 217 (261): Deutschland als „EMAS-Europameister“ (1999), und Groß, Öko-Audit-System, S. 50: „hervorragende Akzeptanz bei den deutschen Unternehmen“. Dies bezieht sich allerdings nur auf die relativen Zahlen im Vergleich zu den anderen EG-Mitgliedstaaten, nicht auf die absolute Zahl der Teilnehmer. 99 Anreizbericht der EG-Kommission: 75% aller Teilnehmer sind deutsche Unternehmen. 100 So Langerfeldt, NVwZ 2002, 1156 (1164) für das Jahr 2002; bestätigt durch den Anreizbericht der EG-Kommission 2004. 101 Schmidt-Räntsch, EurUP 2006, 2 (7); Schneider, Öko-Audit, S. 275. 102 Schottelius, BB-Beil. 2/1997, 3. 95

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Bandbreite der teilnehmenden Organisationen ist so breit 103, dass ein einheitliches Gütezeichen für diese verschiedensten Betriebe in der öffentlichen Wahrnehmung nicht viel Sinn machen kann. Daher hat auch zum Teil das Umweltmanagementsystem nach der ISO 14000, die ohne externe Validierung und Umwelterklärung auskommt, EMAS den Rang abgelaufen 104, weil auch damit Kosteneinsparungen und Managementdefizite erkannt werden können, ohne dass externe Prüfer und verwaltungsrechtliche Eintragungsverfahren nötig wären. Ohnehin darf nicht allein auf die absolute Zahl zertifizierter Unternehmen geschaut werden. Wichtig wäre vor allem, dass die Unternehmen zertifiziert werden, bei denen Probleme für die Umwelt auftauchen können. Die Auditierung eines Schreibwarengeschäfts oder einer Kirchengemeinde lässt vor diesem Hintergrund Zweifel an der Sinnhaftigkeit aufkommen. Vor allem bewirkt dies keine Entlastung der hoheitlichen Aufsicht und keine Verringerung des Vollzugsdefizits, weil diese Unternehmen sowieso nie (von Umweltbehörden) kontrolliert werden und für sie auch keine speziellen Umweltvorschriften gelten (außer den für alle Bürger geltenden); ähnlich liegt die Problematik bei der Zertifizierung öffentlichrechtlicher Einrichtungen. Städtische Tiefbauämter, Schulen oder staatliche Autobahnmeistereien bedürfen keiner umweltrechtlichen Genehmigungen und unterliegen keiner umweltrechtlichen Überwachung. Das Umweltaudit kann hier zwar zu einem verbesserten Umweltbewusstsein beitragen; dazu bedürfte es aber keiner öffentlichrechtlich anerkannten Umweltgutachter. Regulierte Selbstregulierung ist hier überflüssig. Das Öko-Audit funktioniert ohnehin nur bei Unternehmen, die grundsätzlich bereit sind, das staatliche Umweltrecht einzuhalten und die womöglich nur aus Bequemlichkeit, Unwissenheit oder schlechter Organisation Rechtsverstöße begehen. Es hilft allerdings auch das beste Umweltmanagementsystem nichts, wenn Unternehmensmanager oder -mitarbeiter bewusst und zielgerichtet Umweltverstöße begehen (zum Beispiel heimliche Müllbeseitigung, Fälschung von Kontrollaufzeichnungen). Auch unter Umweltschutzgesichtspunkten muss festgestellt werden, dass sich die Umweltleistung von Unternehmen durch die Einführung von Umweltmanage103 Aus dem EMAS-Register ergibt sich z. B., dass im Jahr 2005 in Baden-Württemberg so – vor allem unter Umweltaspekten – extrem unterschiedliche Organisationen wie Werke von Audi (13.700 Mitarbeiter) oder DaimlerChrysler (5.000 Mitarbeiter), Hoffmann-LaRoche (1.400 Mitarbeiter), die Bodensee-Schifffahrtsbetriebe, aber auch das Tiefbauamt der Gemeinde Albstadt (13 Mitarbeiter), das Gymnasium St. Dominikus (48 Mitarbeiter), die Evang. Kirchengemeinde Gaildorf (22 Mitarbeiter) oder der Schreibwarenbedarf Elke Stengel e. K. (1 Mitarbeiterin) registriert waren. Was soll der Verbraucher mit einem einheitlichen Ökosiegel für Kirchengemeinden und Unternehmen der Pharmabranche anfangen? 104 Bohne, in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem, Strukturen d. Europ. Verwaltungsrechts, S. 217 (262): in Deutschland mehr Zertifizierungen nach EMAS als nach ISO 14001, im Rest von Europa umgekehrt.

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mentsystemen nicht offensichtlich verbessert 105. Andererseits kann EMAS auch nicht schaden, da die materiellen Anforderungen nicht abgesenkt und die hoheitliche Aufsicht nicht in nennenswertem Umfang reduziert wird. EMAS ist nur ein zusätzliches Instrument, das selbst bei völliger Wirkungslosigkeit schlimmstenfalls auf den status quo ante zurückführt.

D. Gründe für die Einführung Regulierter Selbstregulierung im Bilanzkontrollrecht I. Vorteile und Fähigkeiten Regulierter Selbstregulierung im Bilanzkontrollrecht 1. Gründe des Gesetzgebers a) Vertrauensgewinn nach Bilanzskandalen Anlass für die Installation verstärkter Bilanzprüfungen – zusätzlich zu den Abschlussprüfungen – waren die Bilanzskandale in den USA und Deutschland. Das Vertrauen der Investoren in die Kapitalmärkte war dadurch stark beeinträchtigt worden, was sich allgemein negativ auf den Finanz- und Wirtschaftsstandort Deutschland ausgewirkt hatte. Die Bundesregierung verabschiedete deshalb ein Maßnahmenprogramm, mit dem verlorenes Vertrauen zurückgewonnen und der Wirtschaftsstandort gestärkt werden sollte 106. Dieser Anlass erklärt allerdings nur, warum überhaupt verstärkt die Rechnungslegung von Unternehmen geprüft werden muss; er ist noch kein Grund für die Einführung Regulierter Selbstregulierung, denn die verschärfte Bilanzkontrolle hätte auch durch staatliche Behörden (wie die BaFin) durchgeführt werden können (wie dies § 37n WpHG im Grundsatz vorsieht). b) Einbindung von Sachverstand und Staatsentlastung Die Deutsche Prüfstelle für Rechnungslegung (DPR) soll ein privates „unabhängiges Know-How-Zentrum“ 107 sein, mit dem sich für den Staat der in den betroffenen Kreisen vorhandene Sachverstand relativ leicht aktivieren lässt. Die die DPR tragenden Verbände können auf umfangreiche finanzielle und vor allem personelle Ressourcen (Wirtschaftsprüfer, Rechnungsleger, Steuerberater, Anwälte, Professoren) zurückgreifen 108, die sich in staatlichen Verwaltungen so nicht 105 106 107 108

Demmke, ZAU 15/16 (2003/2004), 94 (110). BR-Drs. 325/04 S. 18 f. Großfeld, NZG 2004, 105 (107). Bangert, Durchsetzungssysteme, S. 79.

§ 15 Funktionsanalyse

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(mehr) finden. In den Worten von Hommelhoff/Mattheus: „Sachverstand und Expertise müssen hoch spezialisiert, breit gelagert und permanent fortgebildet werden und das lässt sich nicht bezahlbar in das deutsche Behördensystem inkorporieren“ 109. c) Wissens- und Informationsdefizit des Staates Eng verbunden mit dem Topos „Einbindung privaten Sachverstands und Staatsentlastung“ ist das oft beklagte staatliche Wissens- und Informationsdefizit. Dies ist auch im Bilanzkontrollrecht allerdings wiederum – wie schon in den anderen untersuchten Referenzgebieten – kein Grund für die Einführung Regulierter Selbstregulierung, zumindest nicht in der derzeitigen Form. Die DPR verfügt über keine Informationen, die der BaFin nicht auch zugänglich sind. Die Informationen über die tatsächlichen Zustände im Unternehmen hat nur das Unternehmen selbst; wenn ein Unternehmen absichtlich seine Bilanzen fälscht (wie in den zahlreichen Bilanzskandalen geschehen), wird es diese Informationen nicht von sich aus herausgeben, auch nicht an eine Selbstkontrolle oder Selbstregulierungseinrichtung. Das heißt sowohl DPR als auch BaFin sind gezwungen, diese tatsächlichen Zustände im Unternehmen als Externe zu ermitteln. Dafür stehen der BaFin sogar Zwangsmittel (Auskunfts- und Einsichtsrechte) zur Verfügung, die die DPR nicht hat. Verfügt die DPR nicht über mehr Informationen als die BaFin, so könnte bei ihr immerhin mehr Wissen – in Form von Fachwissen und Sachkunde – vorhanden sein. Die DPR beschäftigt spezialisierte Prüfer; dies ist allerdings kein struktureller Vorteil Regulierter Selbstregulierung, denn auch die BaFin könnte Wirtschaftsprüfer, Steuerberater oder andere Rechnungsleger einstellen – der Staat kann sich dies nur (finanziell) nicht leisten. d) Globalisierung Zwar ist gerade das Wirtschaftsrecht der Globalisierung am stärksten ausgesetzt und die Rechnungslegung ist durchaus von internationalem Interesse, was auch die zahlreichen internationalen Gremien und Abkommen zum Bilanzwesen belegen. Allerdings existieren nach wie vor die nationalen Rechnungslegungsvorschriften des HGB, die für Unternehmen mit Sitz in Deutschland verbindlich sind und die von der DPR genauso wie von der BaFin geprüft werden; da sich die Selbstregulierung nur auf Unternehmen bezieht, die an der deutschen Börse notiert sind, ist die Globalisierung auch kein größeres Problem, denn diese Unternehmen können sich

109

BB 2004, 93 (94).

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5. Teil: Funktionsanalyse und Fazit

auch den Hoheitsmitteln der BaFin nicht entziehen (es sei denn, sie „de-listen“ und ziehen sich aus Deutschland zurück). Gerade im Wirtschaftsrecht zeigt sich auch, dass Globalisierung und Internationalisierung keineswegs Gründe sind, die per se für Regulierte Selbstregulierung oder Privatisierung sprechen. Die Reaktion der Staaten auf die Globalisierung besteht im Kapitalmarktrecht in einer verstärkten Zusammenarbeit der nationalen Aufsichtsbehörden. Private Selbstkontrollen, die nicht dieselbe Gewähr für Zuverlässigkeit, Durchsetzungsfähigkeit und Unabhängigkeit bieten, werden international eher skeptisch aufgenommen 110. 2. Vorteile aus Sicht der Wirtschaft Die Wirtschaft bzw. die Verbände, die sich am DPR e. V. beteiligen, verfolgen im Grunde dasselbe Interesse wie die Bundesregierung (s. soeben 1. a) ): Die Rückgewinnung des Vertrauens von Anlegern und Investoren und die Stärkung des Finanzplatzes Deutschland, indem sie beweisen, dass sie etwas für die Gewährleistung der Richtigkeit von Bilanzen tun. Gleichzeitig kann die Wirtschaft nur dann, wenn sie eine private Prüfstelle gründet und trägt, die eigentlich vorgesehene hoheitliche Bilanzprüfung durch die BaFin (§ 37n WpHG) vermeiden. II. Bewertung In der Literatur findet das neue Enforcementverfahren überwiegend positive Bewertungen 111. Angesichts dessen, dass früher keine Bilanzkontrolle (außer der Abschlussprüfung) bestand, ist jegliche Form von weiterer Prüfung schon ein Fortschritt, unabhängig davon, ob dies durch staatliche Behörden oder im Wege Regulierter Selbstregulierung geschieht. Spezifische Vorteile gerade Regulierter Selbstregulierung lassen sich allerdings in der derzeitigen Ausgestaltung nicht wirklich erkennen. Von den oben genannten Gründen trägt ohnehin nur der Gedanke der Einbindung privaten Sachverstands in Verbindung mit der Entlastung des Staates. Ob eine DPR mit ganzen 15 (!) Prüfern den Staat allerdings wirklich entlastet, erscheint doch mehr als fraglich. Die BaFin hat über 1.600 zum Teil hochqualifizierte Mitarbeiter 112, die Banken oder Versicherungen überwachen, da wäre auch die Einstellung von 15 zusätzlichen Wirtschaftsprüfern oder Steuerberatern finanziell verkraftbar. Auch die 70 Prüfungen, die die DPR jährlich durchführen 110

Wolf, DStR 2004, 244 (248); Bangert, Durchsetzungssysteme, S. 58 f. Großfeld, NZG 2004, 105 (107): „Die Idee überzeugt.“ Hommelhoff/Mattheus, BB 2004, 93: Generell in hohem Maße begrüßenswert und nachdrückliche Unterstützung verdienend. Eher kritisch: Müßig, NZG 2004, 796 (800 f.). 112 Stand: 31. 12. 2006, Quelle: Jahresbericht 2006 der BaFin, www.bafin.de/jahresbericht/2006/kapitel_IX.pdf. 111

§ 16 Zusammenfassung und Ausblick

465

will, haben keinen so immensen Umfang, dass sie staatliche Ressourcen strukturell überfordern würden. Der Gesetzgeber hat als weiteren Vorteil angegeben, dass mit der privaten Prüfstelle den Unternehmen die Möglichkeit gegeben sei, bei Unstimmigkeiten in Bilanzierungsfragen diese auf privatrechtlicher Ebene mit qualifizierten Fachleuten zu bereinigen 113. Auch die BaFin beschäftigt allerdings qualifizierte Fachleute und warum die privatrechtliche Ebene als solche schon gegenüber der öffentlichrechtlichen Ebene vorteilhaft sein soll, ist nicht ganz ersichtlich. Allenfalls könnte man „psychologische“ Vorteile erkennen, wenn und weil rechnungslegungspflichtige Unternehmen ungern mit Behörden und lieber mit privaten Prüfern zusammen arbeiteten und deswegen gegenüber der DPR mehr Kooperation zeigten als gegenüber der BaFin. Bei börsennotierten Unternehmen dürfte allerdings mehr Professionalität zu erwarten sein; außerdem könnten Unternehmen gerade bei privaten Prüfern größere Zweifel an Neutralität und Verschwiegenheit haben als bei Beamten (weswegen auch bei der internationalen Zusammenarbeit private Kontrollgremien skeptisch beurteilt und hoheitliche Stellen bevorzugt werden, s. o. 5. Teil Fn. 110). Auch die BaFin würde bei der Rechnungslegung einer großen deutschen Aktiengesellschaft nicht unbesehen angebliche Bilanzfehler veröffentlichen, sondern in Streitfragen eine Einigung mit dem Unternehmen herbeizuführen versuchen (schon um dem Staatshaftungsrisiko zu entgehen). Schließlich funktioniert bei der Banken- oder Versicherungsaufsicht die Kooperation zwischen Privatwirtschaft und BaFin auch ohne größere Probleme.

§ 16 Zusammenfassung und Ausblick A. Warum Regulierte Selbstregulierung? Die konkrete Ausgestaltung der Regulierten Selbstregulierung in den vier untersuchten Referenzgebieten und die Ausführungen zu dem, was sie jeweils leisten kann, haben zu einer Verdeutlichung ihres Anwendungsfelds geführt. Es hat sich gezeigt, dass im vorliegenden Zusammenhang Aufgabe der Regulierten Selbstregulierung weder eine Bestimmung materieller Anforderungen (in Form von abstrakt-generellen Standards oder Normen) noch eine Selbstkontrolle von Produkten durch die Anbieter selbst ist. Auch eine Übertragung dieser Aufgaben auf gesellschaftliche Kräfte ist nicht erfolgt. Stattdessen ist die hinter der Selbstregulierung stehende Idee die Einbindung unabhängigen Sachverstands, weswegen auch alle Gesetze vorrangig auf die Qualifikation und Neutralität der Prüfer abstellen. Die Gründe für Regulierte Selbstregulierung können deshalb nicht in

113

BT-Drs. 15/3421 S. 11.

466

5. Teil: Funktionsanalyse und Fazit

besonderen Fähigkeiten der Wirtschaft oder besonderen Nachteilen staatlichen Handelns gesucht werden. Die Einbindung neutraler Wissenschaftler ist zum Beispiel auch dem Staat möglich; gerade im Jugendmedienschutz wird deutlich, dass sich der Sachverstand sogar eher in der staatlichen Sphäre (Universitäten, öffentliche Forschungseinrichtungen, Jugendschutzbehörden) als in der gesellschaftlichen oder wirtschaftlichen findet. Das Problem bei der Beschäftigung spezialisierten unabhängigen Personals ist vielmehr dessen Bezahlung und Ausstattung. Zum Jugendmedienschutz wurde deshalb ausdrücklich festgestellt, dass die Regulierte Selbstregulierung ein „Angebot an die Wirtschaft ist, sich über die Finanzierung der FSF an den steigenden Kosten der Medienaufsicht zu beteiligen“ 114. Gesetzesvollzug durch Regulierte Selbstregulierung kann daher den Staat insofern entlasten, als neue „Verwaltungstätigkeiten“ (beispielsweise die Kontrolle neuer oder erst jetzt als risikoreich erkannter Produkte) nur eingeführt werden können, weil man dafür keine zusätzlichen staatlichen Ressourcen aufwenden muss. Ganz deutlich wird dies, wenn auch die Selbstregulierung keinen eigenen branchenspezifischen Sachverstand einbringt, sondern ihre Aufgabe allein in der Rechtsanwendung durch schlichte Subsumtion unter die gesetzlichen Vorgaben besteht. So zum Beispiel im Jugendschutz im Fernsehen: Die Prüfung, ob eine Sendung mit § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, 2, 3 u. 6 JMStV vereinbar ist, richtet sich allein nach (straf)rechtlichen Kriterien und kann nur von einem (Straf-)Juristen beantwortet werden (weswegen auch die FSF die Prüfung durch einen Juristen vornehmen lässt). Juristen beschäftigt aber auch der Staat und müsste dafür nicht auf die Fernsehsender zurückgreifen. Allerdings muss so die FSF das Honorar des Juristen bezahlen und nicht der Staat.

Außerdem bietet die Beteiligung Privater die Möglichkeit, von diesen zusätzliche unabhängige Kontrollstellen bilden zu lassen, die von sich aus – quasi „von Amts wegen“ – tätig werden und durch Stichproben, Zufallskontrollen und eigene Ermittlungen Rechtsverstöße aufdecken, damit das Entdeckungsrisiko für die Anbieter erhöhen und diese dadurch zu mehr Normkonformität zwingen. Beispiele dafür sind die DPR, die aus eigener Initiative Bilanzen kontrolliert, oder auch die FSM, die die im Netz befindlichen Angebote ihrer Mitglieder stichprobenartig überprüft. Die Selbstkontrollen übernehmen dabei dieselben Aufgaben wie staatliche Kontroll- oder Ermittlungsbehörden (zum Beispiel Landesmedienanstalten, Staatsanwaltschaften oder die BaFin); sie sind dafür nicht besser qualifiziert und haben auch keine strukturellen Vorteile gegenüber staatlichen Behörden, aber sie bringen zusätzliche Überwachungsressourcen ein. Jede weitere Stelle mehr, die im Internet nach verbotenen Inhalten sucht, jeder zusätzliche Fachmann, der Fehler in Bilanzen aufspürt, ist für die Sicherung der Normeinhaltung schon ein Gewinn. Der verstärkte Zugriff auf private Ressourcen und die Entlastung der staatlichen

114

Ullrich, ZUM 2005, 452 (453).

§ 16 Zusammenfassung und Ausblick

467

Verwaltung und Gerichte setzt sich noch fort, wenn nach der Feststellung von Rechtsverstößen auch die Sanktionierung durch die privaten Selbstkontrollen erfolgt, das heißt der Normverstoß durch Vereinsstrafen oder den Entzug von Vergünstigungen bestraft wird und kein staatliches Bußgeld- oder Strafverfahren durchgeführt werden muss. Dabei gilt es aber zu berücksichtigen, dass die private Selbstkontrolle nicht viel mehr als eine Überwachungs„behörde“ ohne hoheitliche Machtbefugnisse ist. Sie steht daher vor denselben Problemen wie der Staat (Begrenzung auf einen bestimmten Staat, Unübersichtlichkeit des Internet, Auslegungsprobleme bei der Rechtsanwendung, geringe Kooperation der Überwachten) und hat zugleich sehr viel weniger Mittel an der Hand: Zum einen stehen ihr keinerlei Hoheitsbefugnisse zu, um die Überwachung zu erzwingen, zum anderen hat sie auch weit weniger materielle Ressourcen (die DPR hat 15 Prüfer, die BaFin 1.600 Mitarbeiter um Bilanzen zu kontrollieren; die FSM hat 30 Prüfer um Rechtsverstöße im Internet aufzuspüren, Staatsanwaltschaften, Landesmedienanstalten und Jugendschutzbehörden haben Hunderte von Mitarbeitern).

B. Strukturelle Voraussetzungen für den Einsatz Regulierter Selbstregulierung Damit Regulierte Selbstregulierung überhaupt tatsächlich praktikabel ist, müssen im zu regulierenden Sektor einige strukturelle Voraussetzungen erfüllt sein. I. Anforderungen an den zu regulierenden Wirtschaftssektor 1. Struktur des Wirtschaftssektors Nicht alle Wirtschaftssektoren oder Gesellschaftsbereiche eignen sich für Selbstregulierung oder Regulierte Selbstregulierung. Sollen tatsächlich Elemente echter Selbstregulierung eingebracht werden, müssen industrieweite Entscheidungsfindungssysteme (starke Branchenverbände oder Interessengemeinschaften) bestehen und darf der Wirtschaftssektor nicht zu fragmentiert sein 115. Der Wirtschaftszweig muss organisiert genug sein, damit zum einen der Staat als Regulierer einen Ansprechpartner für die Einführung Regulierter Selbstregulierung hat und damit zum anderen die berechtigte Erwartung bestehen kann, dass eine hinreichend große Anzahl der betroffenen Unternehmen Selbstregulierungseinrichtungen gründet und sich daran beteiligt.

115

Eifert, GVwR I, § 19 Rdn. 79; Finckh, Regulierte Selbstregulierung im DSD, S. 47, 391 f.; Puppis, Künzler u. a., Selbstregulierung, S. 70.

468

5. Teil: Funktionsanalyse und Fazit

Die Extreme finden sich in den beiden Sektoren des Jugendmedienschutzes: Während im Rundfunkbereich alle überregionalen Fernsehsender Mitglied des FSF e. V. sind und sich damit geschlossen an der Selbstregulierung beteiligen (und dadurch gemeinsame Regeln aufstellen können, beispielsweise in Bezug auf Vorlagepflichten), existiert im Telemedienbereich nichts vergleichbares; eine Beteiligung aller Anbieter wäre angesichts der riesigen Zahl auch nicht möglich. Die Unübersichtlichkeit der Anbieter und das Fehlen einer branchenweiten Organisationsstruktur führen dazu, dass von den Hunderten oder mehr Anbieter, die mit dem JMStV in Konflikt kommen könnten, ganze 21 sich im FSM e. V. organisiert haben.

Diese Voraussetzung zeigt auch, warum Regulierte Selbstregulierung nicht unbedingt ein taugliches Mittel als Reaktion auf Globalisierung und Internationalisierung ist. Wenn schon in einer nationalen Wirtschaftsbranche kein koordiniertes gemeinsames Vorgehen möglich ist und keine umfassenden Strukturen und Organisationen bestehen, ist dies in grenzüberschreitenden Wirtschaftssektoren noch viel weniger der Fall. Internationale Wirtschaftsverbände, die ihre Mitglieder verpflichten könnten, Selbstregulierungseinrichtungen aufzubauen und zu unterstützen, sind noch nicht sehr verbreitet. Grenzüberschreitende Selbstregulierung kann daher (bis jetzt) auch nur über die Kooperation und „Amtshilfe“ zwischen nationalen Selbstregulierungseinrichtungen erfolgen, die vor denselben Problemen stehen wie die Kooperation nationaler Behörden (unterschiedliche Rechtssysteme, Sprachbarrieren, etc.). Ist der zu regulierende Wirtschaftssektor unüberschaubar und bestehen keine industrieweiten Strukturen, sollte sich der Staat mit seinem Regulierungsansatz besser an andere Steuerungsadressaten wenden. Wenn auf einer vor- oder nachgelagerten Stufe Akteure bestehen, die einen umfassenden Zugriff auf den gesamten Wirtschaftssektor haben, könnte auch bei diesen „Gatekeepern“ angesetzt werden 116. Zur Verdeutlichung mag wieder das Internet dienen: Eine Selbstregulierung aller Anbieter ist nicht möglich. Vielversprechender wäre ein Ansetzen bei den großen Access-Providern, den Betreibern der großen Internet-Portale und der Suchmaschinen. Ohne sie ist ein Zugang zum unüberschaubaren Inhalt des World Wide Web kaum möglich, so dass eine Selbstregulierung dieser Akteure (etwa bestimmte Suchbegriffe nicht mehr anzunehmen, bestimmte Angebote nicht mehr in Portale einzubinden, Verbindung zu bestimmten Seiten nicht mehr herzustellen) weitaus sinnvoller erscheint als eine (Selbst-)Kontrolle der Inhalteanbieter. Ein anderer Ansatz bei fehlender Selbstorganisation eines Wirtschaftssektors ist ein Absehen von Selbstkontrolle im engeren Sinn und stattdessen eine Verlagerung der Gesetzesdurchsetzung auf selbstständige Wirtschaftsakteure, die auf dem Markt die Normkonformitätsprüfung als Dienstleistung für andere Unternehmen anbieten. Da sich mit dieser Dienstleistung Geld verdienen lässt, wird sich immer

116

Hoffmann-Riem/Schulz/Held, Konvergenz und Regulierung, S. 60 f.

§ 16 Zusammenfassung und Ausblick

469

ein Unternehmen finden, das sie anbietet. Voraussetzung ist allerdings, dass die betroffenen Unternehmen diese Dienstleistung auch nachfragen; da sie Kosten verursacht, müssen sie dazu entweder gesetzlich gezwungen werden oder der Staat muss andere Anreize schaffen. Regulierte Selbstregulierung im Gesetzesvollzug kann somit in zwei Grundformen auftreten: Als branchenweite Lösung durch die Selbstorganisation eines ganzen Industriezweigs (wie zum Beispiel im Jugendmedienschutz im Fernsehen oder beim Bilanzkontrollrecht) oder als Dienstleistung spezialisierter Unternehmen für andere Unternehmen (wie im Produktsicherheitsrecht und beim Umweltaudit) 117. Die erste Form hat den Vorteil, dass die Unternehmen, die die Selbstkontrolle betreiben, selbst ein Interesse am Erfolg der Selbstregulierung haben und der Staat sie dazu nicht zwingen und auch keine Anreize schaffen muss. Die zweite Form hat den Vorteil, dass sie auch in zersplitterten und unübersichtlichen Branchen funktioniert, wo eine Selbstregulierung im engeren Sinne nicht möglich ist. Für Regulierte Selbstregulierung eignen sich grundsätzlich alle Tätigkeiten, das heißt alle „Produkte“, für die öffentlichrechtliche Anforderungen bestehen. So können personelle Anforderungen zertifiziert werden (bei Handwerkern, Gastwirten, Bankbetreibern, Fluglotsen, Notaren, Wirtschaftsprüfern etc.). Sofern Anforderungen an Betriebsstätten bestehen, können diese von Selbstkontrolleinrichtungen inspiziert werden (Gaststätten, Krankenhäuser, Alten- oder Jugendheime). Auch außerhalb des Ordnungsverwaltungsrechts, im Leistungsrecht, können in öffentlichem Interesse erbrachte Leistungen geprüft und bewertet werden (zum Beispiel bei Schulen und Hochschulen); Daten- und Verbraucherschutzkonzepte könnten in vielen Branchen und Bereichen auditiert werden. Jede Tätigkeit eines privaten oder staatlichen Subjekts, die bestimmten gesetzlichen Anforderungen oder Qualitätsmerkmalen genügen muss, ist der Bewertung und Prüfung durch private Anerkannte Stellen zugänglich, unabhängig davon, ob es sich um eine wirtschaftliche Tätigkeit handelt oder es um die Erbringung einer öffentlichen Leistung ohne Gewinnerzielungsinteresse geht. 2. Interesse der Öffentlichkeit Soll die Selbstregulierungseinrichtung auch in der Öffentlichkeit wirken, muss sie derselben auch hinreichend bekannt sein. Ein Ausschluss eines Fernsehsenders aus der FSF hat nur dann eine negative Auswirkung auf das Image des Senders, wenn den Zuschauern überhaupt bekannt ist, wer die FSF ist und was sie macht.

117 Eifert, GVwR I, § 19 Rdn. 80: „regulierter Markt privater Überwachungsstellen“. Die Selbstregulierungseinrichtungen sind hier nichts anderes als Sachverständige, die die Normkonformität verbindlich beurteilen, und damit exakt dem von Scholl, Sachverständige, S. 279 ff. geschaffenen Sachverständigen-Typus des Verifikateurs entsprechen.

470

5. Teil: Funktionsanalyse und Fazit

Auch die Werbewirkungen des Umweltaudits können nur greifen, wenn dieses Instrument der Selbstregulierung den Adressaten vertraut ist. Mit der Neugründung einer Selbstregulierungseinrichtung ist es daher nicht getan; diese muss auch einige Zeit arbeiten und sich etablieren, außerdem muss sie selbst Öffentlichkeitsarbeit betreiben, um auf sich aufmerksam zu machen. Auch der Staat ist hier gefordert, etwa in einschlägigen Publikationen und Leitfäden der Verwaltung auf die Selbstregulierung hinzuweisen, schließlich hat er selbst ein Interesse am Funktionieren der Selbstregulierung. Die Öffentlichkeit, das heißt vor allem die Verbraucher (seien sie Käufer von Produkten, Fernsehzuschauer, Nachbarn eines Betriebs mit Umweltauswirkungen), müssen aber auch Selbstregulierung in einem bestimmten Sektor überhaupt akzeptieren 118. Wenn es um Bereiche mit hohem Risikopotenzial geht, für die klassischerweise der Staat zuständig ist, wird Regulierte Selbstregulierung nicht durchzusetzen sein: Würde der Staat beispielsweise die Überwachung von Atomkraftwerken der Selbstregulierung der Kraftwerksbetreiber überlassen, könnte das der Öffentlichkeit niemals vermittelt werden. II. Anforderungen an die Regulierung Will der Gesetzgeber steuernd tätig werden – unabhängig davon, ob durch Regulierte Selbstregulierung oder in anderer Form –, muss er hinreichend substantiierte normative Zielvorgaben machen 119. Nur wenn klar ist, welche Ziele genau erreicht werden sollen und wie sich diese Ziele zu anderen verfolgten Zielen verhalten (also etwa wie kollidierende Grundrechtspositionen ausgeglichen werden sollen oder ob mehr Freiheit oder mehr Sicherheit gewollt ist), können die Normanwender – staatliche Verwaltung oder anerkannte private Stellen – auf diese Ziele hinwirken. Würde der Gesetzgeber der Wirtschaft einfach auftragen, für „mehr Jugendschutz in den Medien“ oder „besseren Umweltschutz“ zu sorgen, dürfte er sich nicht wundern, wenn dabei nichts herauskäme oder zumindest nicht das, was er sich vorgestellt hat. Die Setzung eines gesetzlichen Rahmens und gewisser Mindestvorgaben ist daher unentbehrlich; auch könnte andernfalls nicht festgestellt werden, ob das angestrebte Ziel (durch die Privaten) überhaupt erreicht wird. Gleichzeitig darf die Setzung staatlicher Vorgaben aber nicht zu einer Republifizierung der privaten Stellen und ihrer Arbeit führen. Die Unterschiede zwischen Staat und Wirtschaft bzw. Gesellschaft dürfen nicht nivelliert werden, die jeweiligen Eigenrationalitäten müssen erhalten bleiben 120. Ansonsten würden 118 119

Schulz/Held, Regulierte Selbstregulierung, D-2. Grande, in: König/Benz, Privatisierung, S. 576 (588); Rossen-Stadtfeld, AfP 2004,

1 (4). 120

Schmidt-Aßmann, Beiheft 4 DV 2001, 253 (264); Voßkuhle, VVDStRL 62 (2003), 266 (307).

§ 16 Zusammenfassung und Ausblick

471

die Vorteile, wegen derer der Einsatz der Privaten gerade erfolgt, wieder zunichte gemacht und vor allem wäre die Bereitschaft der privaten Akteure zum Aufbau und zur Beteiligung an Selbstregulierung oder Regulierter Selbstregulierung kaum gegeben, wenn ihre Eigeninteressen keine Berücksichtigung fänden 121. Des Weiteren ist Regulierte Selbstregulierung nur sinnvoll, wenn die Motive und Ziele des Gesetzgebers auch in das Eigensystem der Selbstregulierung einpassbar sind 122. Jugendschutz, Umweltschutz oder Bilanzrichtigkeit sind gesellschaftliche Anliegen, an denen auch die Unternehmen ein eigenes Interesse haben, weil ihre Kunden bzw. der Markt danach verlangen und ihre Missachtung zu einem negativen Image (und damit zu Umsatzeinbußen) führen würde 123. Es kann daher grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass sich die meisten der betroffenen Unternehmen auch ohne staatlichen Zwang und ohne dauernde Überwachung freiwillig und ordnungsgemäß an der Selbstregulierung beteiligen werden, wenn sie sich wenigstens teilweise mit den Zielen identifizieren können. Sollte der Gesetzgeber hingegen Ziele erzwingen wollen, die mit den Vorstellungen der Wirtschaft nicht kompatibel sind – etwa der Einsatz Regulierter Selbstregulierung bei der Steuereinziehung –, müsste der Staat sowohl die Gründung von Selbstregulierungseinrichtungen als auch die Teilnahme der Unternehmen erzwingen. Weil dann kaum Bereitschaft der Unternehmen zur Kooperation mit den Anerkannten Stellen bestünde, müsste eine hoheitliche Aufsicht die Kooperation erzwingen und ständig kontrollieren. Vorteile würde der Staat aus dieser Form Regulierter Selbstregulierung nicht mehr ziehen. Gegen den Willen zumindest eines Großteils der betroffenen Wirtschaftsteilnehmer ist Regulierte Selbstregulierung daher nicht einführbar. Dazu gehört auch, dass in einem Sektor überhaupt grundsätzliche Bereitschaft zur Selbstregulierung besteht. Die Akteure der Selbstregulierung – Anbieter, Zugangsvermittler – müssen generell bereit sein, sich selbst zu beschränken und grundsätzlich normkonformes Verhalten anstreben; einzelne schwarze Schafe können dabei von den anderen Unternehmen der Branche diszipliniert werden.

C. Was Regulierte Selbstregulierung nicht leisten kann Die Probleme des modernen Staates werden oft darin gesehen, dass es ihm am nötigen Wissen fehlt. Das mag in einigen Bereichen tatsächlich der Fall sein und es kann private Einrichtungen geben, die dort auf Grund ihrer Spezialisierung und der besseren Bezahlung ihrer Angestellten mehr Fach- und Erfahrungswissen sammeln können. Zwei Aspekte sind jedoch zu beachten: Erstens gibt es 121

Finckh, Regulierte Selbstregulierung im DSD, S. 392. Rossen-Stadtfeld, AfP 2004, 1 (5). 123 Und vielleicht auch, weil einigen Unternehmern Umwelt- oder Jugendschutz unabhängig von der Gewinnkalkulation tatsächlich ein echtes Anliegen sind. 122

472

5. Teil: Funktionsanalyse und Fazit

(wichtige) Bereiche, in denen das nötige Wissen (noch) nicht vorhanden ist; wenn nicht einmal der Staat – mit all seinen Forschungsinstituten, Fachbeamten und Universitäten – dieses nötige Wissen hat, ist es mehr als zweifelhaft, dass es bei Privaten vorhanden ist. Im Umweltrecht zeigt zum Beispiel die Debatte um den Klimaschutz, dass auch die besten Wissenschaftler mit den leistungsfähigsten Computern keine präzisen Aussagen zur Klimaentwicklung treffen können, und das ist unabhängig davon, ob diese Wissenschaftler vom Staat oder der Privatwirtschaft bezahlt werden. Und im Bereich der Telekommunikation weiß niemand, wie sich die Märkte entwickeln oder welches die Technologie der Zukunft sein wird – nicht der Bundestag oder die BNetzA, aber auch nicht die Vorstände von Microsoft oder der Deutschen Telekom. Wie sich das Internet entwickeln wird, welche Gefahren es noch birgt und wie es reguliert werden kann, ist weder dem Staat noch der Wirtschaft oder der Gesellschaft bekannt. Wenn der Staat sich auch noch aus der direkten Regulierung zurückzieht und diese Privaten überlässt, verstärkt sich das Wissensdefizit sogar noch, denn der Staat verliert den unmittelbaren Zugang zu den Informationen, benötigt diese aber nach wie vor zur Regulierung der Selbstregulierung und zur Wahrnehmung seiner Überwachungsund Auffangverantwortung 124. Der zweite Aspekt besteht darin, dass es oft nicht um Wissensprobleme geht. Wie wichtig man den Umweltschutz im Vergleich zur Wirtschaftsfreiheit oder wie wichtig man den Jugendschutz im Vergleich zur Meinungsfreiheit sieht, ist allein eine Frage grundrechtlicher Vorgaben und letztlich politischer Entscheidungen. Die „Steuerungsschwäche“ des Staates beruht häufig mehr darauf, dass er nicht weiß, welches Ziel er ansteuern soll, weil in der Gesellschaft – und das heißt auch in der Politik – kein Konsens über die angestrebten Ziele mehr besteht oder über die dafür notwendigen Opfer. Beste Beispiele liefern die Diskussionen über die so genannten „Mohammed“-Karikaturen und nachfolgend, wenn auch deutlich abgeschwächt, über die Vatikan-kritische Zeichentrickserie „Popetown“ auf MTV. Der Staat bzw. der Gesetzgeber kann ohne weiteres klare und scharfe Gesetze zum Schutz der religiösen Gefühle erlassen und diese auch durchsetzen oder er kann einen klaren Vorrang der Meinungs-, Presse- und Kunstfreiheit propagieren. Das Problem ist nur, dass in der Gesellschaft und den Parteien keine Einigkeit (mehr) darüber herrscht, welche der betroffenen Güter unter welchen Umständen vorrangig sind oder zurückzutreten haben. Dieses Problem kann aber niemand lösen bzw. auf keinen Fall kann es durch eine Handvoll von Vertretern der einschlägigen Wirtschaftsverbände und Religionsgruppen in kleinen Diskussionsrunden im Rahmen einer Selbstregulierungseinrichtung gelöst werden.

Politische Entscheidungen können und müssen nicht privatisiert werden. Beiräte, plurale Gremien, Betroffenenverbände können diese Entscheidungen auch

124

Eifert, Beiheft 4 DV 2001, 137 (138, 142).

§ 16 Zusammenfassung und Ausblick

473

nicht „besser“ treffen als das Parlament und sind zudem weit weniger legitimiert dafür. Eine „Privatisierung“ ist hier schon deshalb fehl am Platze, weil es nicht um die Gegenüberstellung von Staat und Gesellschaft geht: Auch wenn die rechtliche Unterscheidung von Staat und Gesellschaft nicht in Frage gestellt und auch keinem „tertiären Sektor“ das Wort geredet werden soll, so muss doch klar festgestellt werden, dass sich Staat und Gesellschaft schon immer in einer „Institution“ überschnitten haben, nämlich in der Politik. Der Staat kann keinen eigenen Willen bilden, der Wille, die Ziele werden von der Politik bestimmt. Und die Politik wird nicht vom Staat, sondern von der Gesellschaft gelenkt. Der politische Prozess ist es, in dem alle gesellschaftlichen Gruppierungen und wirtschaftlichen Kräfte ihre Vorstellungen von notwendigem Umwelt- oder Jugendschutz, wirtschaftlicher Freiheit oder erforderlicher Anlegerinformation einbringen; insofern werden viele Gesetze mit den Betroffenen bzw. deren Lobbies mehr oder weniger ausgehandelt. Der Bundestag (bzw. jedes andere Parlament) ist schon ein pluralistisches Gremium, eine Vertretung der Betroffenen, ein privat-öffentliches Netzwerk, das Zentrum von Kooperation und Konsensfindung – ohne dass es einer Verlagerung in die Gesellschaft, einer Privatisierung oder Regulierter Selbstregulierung bedürfte. Zudem ist die Orientierung am Gemeinwohl und die Achtung der Freiheit in korporativen pluralisierten Gremien kaum besser verwirklicht als in der traditionellen Staatsverwaltung 125. Erst wenn es um die Umsetzung der Ziele, um die Mittel und Wege zu ihrer Erreichung und vor allem um die Gefahren für die Zielerreichung geht, schlägt ein mögliches Wissensdefizit des Staates durch: Sowohl der Gesetzgeber als auch die ausführende Verwaltung können womöglich nicht einschätzen, welche Mittel eingesetzt werden können, wie sich diese auswirken und welche Kosten (im weitesten Sinne) sie verursachen oder durch welche Entwicklungen einem gesetzten Ziel Gefahr droht 126 (etwa welche neuen Produkte Gesundheitsrisiken hervorrufen können). Und erst hier können (müssen aber nicht) Private ein überlegenes Wissen haben, das „angezapft“ werden kann; wenigstens können Private verpflichtet werden, das bis jetzt noch bei keinem vorhandene Wissen so weit als möglich zu beschaffen (und vor allem, die Kosten dafür zu tragen). Ein weiterer behaupteter Vorteil, der sich zumindest in den untersuchten Referenzbereichen nicht realisiert hat, ist die Deregulierung. Dies ist auch nicht weiter verwunderlich bei Regulierter Selbstregulierung nur auf der Ebene der Gesetzesdurchsetzung. Die eigentlichen Hemmnisse für die Wirtschaft resultieren aus den materiellen Vorgaben, also zum Beispiel den hohen Umweltstandards im Immissionsschutzrecht, den Sicherheitsanforderungen an Produkte oder den

125 Di Fabio, VVDStRL 56 (1997), 235 (258 Fn. 91); sehr skeptisch zur „neoständischen Pluralisierung” in Bezug auf das Demokratieprinzip ders., a. a. O., S. 265. 126 Schwetzler, Presseselbstkontrolle, S. 145.

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Vorgaben für den Inhalt einer Bilanz. Diese materiellen Vorgaben sind durch die Einführung Regulierter Selbstregulierung nicht verringert worden, im Gegenteil sind zum Beispiel im Jugendschutzrecht die gesetzlichen Anforderungen ausdifferenziert worden und konnten im Produktsicherheitsrecht mit dem „Neuen Konzept“ überhaupt erst umfassende Produktanforderungen für eine Vielzahl von Produkten verbindlich vorgeschrieben werden. Und auch das Umweltaudit hat nicht dazu geführt, dass die Unternehmen weniger staatliches Umweltrecht zu beachten haben, sondern dass zusätzlich die EMAS-VO und das UAG noch weitere Anforderungen und Standards für die Unternehmensorganisation und den internen Ablauf aufstellen. Aber auch beim Gesetzesvollzug fand eine Entlastung der Unternehmen von Bürokratie und Verfahrensaufwand kaum statt. Eine Befreiung von ex ante-Regulierung wie Zulassungsverfahren und Genehmigungspflichten wird nicht erreicht. Im Jugendmedienschutz war dem Staat eine ex anteKontrolle wegen Art. 5 Abs. 1 S. 2 u. S. 3 GG nicht möglich und konnte erst durch die Regulierte Selbstregulierung eingeführt werden. Im Umweltrecht verhindert die IVU-RL eine Reduzierung der ex ante-Kontrolle. Im Produktsicherheitsrecht gab es in weitem Umfang keine staatlichen Prüf- oder Zulassungsverfahren, so dass die jetzt notwendige Einschaltung Benannter Stellen für die Unternehmen zusätzlichen Aufwand bedeutet. Noch deutlicher wird dies im Bilanzkontrollrecht: Hier gab es bislang keine staatliche Kontrolle der Bilanzen; dass die jetzt theoretisch eingeführte hoheitliche Bilanzkontrolle zugunsten der Kontrolle durch die DPR gleich wieder zurück genommen wird, kann daher kaum als Beitrag zur Unternehmensentlastung und zum Bürokratieabbau verstanden werden. Außerdem gilt es zu bedenken, dass die Privaten womöglich kein Interesse an einer Deregulierung haben, wenn sich diese nur auf das Verfahren, nicht aber auf die materiellen Standards bezieht 127. Das eigentliche Interesse der Unternehmen am Umweltaudit beruhte auf der Hoffnung, die hohen Umweltstandards absenken zu können und nicht darauf, Genehmigungsunterlagen ersetzen oder Eigenüberwachungen durchführen zu können. Auch ein Beispiel aus dem Baurecht ist in diesem Zusammenhang sehr aufschlussreich: Mit der Einführung des Kenntnisgabeverfahrens (§ 51 LBO BW) wurde zwar das Verfahren vor Baubeginn stark vereinfacht, die materiellen Anforderungen an die baulichen Anlagen jedoch nicht reduziert. Inzwischen ist ein stark abnehmendes Interesse an diesem Verfahren zu beobachten 128, weil die Bauherren dadurch keine materielle Entlastung erfahren, gleichzeitig aber der Vorteile eines Baugenehmigungsverfahrens (Bestandskraft, Rechtsschutz, Vertrauensschutz) verlustig gehen.

Das Gegenstück zur Deregulierung und damit zur Entlastung der Wirtschaft wäre die Entlastung des Staates. Auch sie kann durch Regulierte Selbstregulierung nicht immer in relevantem Umfang erreicht werden 129. Ein Rückzug des Staates hat wie gezeigt in den untersuchten Referenzbereichen nirgends statt gefunden. 127 128

Lübbe-Wolff , NuR 1996, 217 (226). Meldung in VBlBW 7/2005, II.

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Im Jugendmedienschutz ist mit der KJM eine neue „Behörde“ gegründet worden, der BaFin sind neue Aufgaben im Bilanzkontrollrecht zugewiesen worden. Stets muss eine hoheitliche Aufsicht bestehen, die die privaten Stellen anerkennt und überwacht und vor allem muss immer (zumindest solange die Beteiligung an der Regulierten Selbstregulierung freiwillig ist) der komplette Hoheitsapparat zur Verfügung stehen, um die Anbieter zu kontrollieren, die sich an der Selbstregulierung nicht beteiligen oder um einspringen zu können, wenn der Selbstregulierungseinrichtung die Anerkennung wieder entzogen wird. Nur wenn die Teilnahme aller Anbieter an der Selbstregulierung obligatorisch ist (wie im Produktsicherheitsrecht) und gleichzeitig eine Vielzahl Anerkannter Stellen besteht (so dass nicht durch die Aufhebung einer Anerkennung das ganze System beendet wird), kann sich der Staat tatsächlich auf eine Kontrolle der Kontrolleure zurückziehen, wozu er zwar nicht unbedingt weniger Wissen und Sachverstand, vermutlich aber immerhin deutlich weniger Personal benötigt. Regulierte Selbstregulierung ist auch kein Ausgleich oder Ersatz für die konstatierte Schwäche staatlicher Gesetze oder des Rechts allgemein. Detailliertes, spezifisches, „hartes“ Recht hat seine Funktion und Bedeutung nicht verloren, es wird in den untersuchten Bereichen sogar verstärkt. Entgegen den Aussagen von einem Wirkungsverlust des Rechts und den Steuerungsgrenzen desselben muss festgestellt werden, dass der Gesetzgeber (auf europäischer, Bundes- und Landesebene) am Steuerungsmittel Gesetz (in Form der Konditionalnorm) festhält. Dies ist auch nötig, denn die Effekte und Effektivität von indirekter Steuerung, reflexiver Steuerung oder reiner Selbstregulierung werden oft überschätzt. Diese setzen stark auf die Beteiligung und Information der Öffentlichkeit; das setzt aber voraus, dass es überhaupt eine (interessierte) Öffentlichkeit gibt und die Informationen für diese verständlich und verarbeitbar sind. In vielen Bereichen ist „die Öffentlichkeit“ sehr indifferent und außerdem mit einem kurzen Gedächtnis ausgestattet. Mehr Information wird nicht gewünscht bzw. wird nicht verarbeitet. Gerade wenn Selbstregulierung und Regulierte Selbstregulierung als Reaktion auf die Überforderungen des Staates durch die zunehmende Komplexität und Unübersichtlichkeit eines Realbereichs propagiert wird, ist zu berücksichtigen, dass die allgemeine Öffentlichkeit noch viel weniger in der Lage ist, komplizierte Sachverhalte und schwierige rechtliche Fragen zu verarbeiten. Vorrangiges und oft einziges Kriterium für den Verbraucher ist der Preis eines Produkts. Bestes Beispiel ist das Umweltaudit, das sich nicht durchsetzt, weil es keine wirtschaftlichen Vorteile mit sich bringt – dem Kunden ist das Umweltverhalten der Unternehmen ziemlich gleichgültig 130, Hauptsache die Produkte sind billig. Seit Jahren wird 129 Zweifelnd zur Staatsentlastung schon Voßkuhle, in: Schuppert (Hrsg.), Jenseits von Privatisierung, S. 47 (84 ff.). 130 Rehbinder/Heuvels, DVBl 1998, 1245 (1246): Es habe sich beim Umweltaudit als eine Fehlvorstellung erwiesen, dass die Öffentlichkeit für ein Wächteramt prädestiniert sei.

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5. Teil: Funktionsanalyse und Fazit

über die Verschlechterung des Fernsehprogramms und die Verrohung der Sitten in den Medien geklagt, trotzdem steigt der Fernsehkonsum; und die Einschaltquoten der Sender, bei denen viel Sex zu sehen ist, oder die Geschmacklosigkeiten an der Grenze zur Menschenwürdeverletzung zeigen, sinkt nicht unbedingt. Lediglich dort, wo es eine „professionelle“ Öffentlichkeit gibt, kann diese einen gewissen Einfluss erlangen. So im Bilanzkontrollrecht: Mitteilungen über Bilanzverstöße können von Kleinanlegern vielleicht nicht richtig bewertet werden bzw. kommen diesen nicht zur Kenntnis; institutionelle Anleger, Banken, Fonds etc. hingegen haben den nötigen Sachverstand, um die Bilanzverstöße aus- und bewerten zu können und werden diese auch bei ihren Anlage- oder Kreditvergabestrategien berücksichtigen.

D. Fazit „Neue Formen der Regulierung erscheinen . . . unumgänglich und zugleich auch wünschenswert, um auf die neuen Herausforderungen effizient reagieren zu können“ 131 – ob allerdings Regulierte Selbstregulierung eine solche effiziente Reaktionsmöglichkeit darstellt, erscheint zweifelhaft. Sie ist kein Patentrezept, kein Allheilmittel für die – tatsächlichen oder angeblichen – Probleme des modernen Staates, sondern nur eines von vielen Steuerungsmitteln, das selbst sehr voraussetzungsvoll ist und bei dem sich wiederum einige der Probleme stellen, zu deren Lösung es eigentlich beitragen soll (Wissensdefizite, Kosten der Überwachung, Steuerungsschwäche des Rechts). Auf keinen Fall kann Regulierte Selbstregulierung die klassische staatliche Regulierung ersetzen, die imperative Steuerung wird ihre Bedeutung behalten, trotz Informationsgesellschaft und Globalisierung. Der Gesetzgeber kann sich für einen Verbund aus verschiedenen Regulierungs- und Steuerungsmechanismen entscheiden, bei dem auch Regulierte Selbstregulierung zum Einsatz kommen kann 132; eine Aufgabe nur mittels Regulierter Selbstregulierung zu bewältigen wird hingegen nicht möglich sein. Die Existenzberechtigung Regulierter Selbstregulierung ergibt sich vor allem aus der dadurch bewirkten Zuführung neuer Finanzquellen. Die staatlichen Ressourcen sind erschöpft und werden sich auf absehbare Zeit auch nicht mehr erholen. Dadurch wird die Erfüllung bestehender staatlicher Aufgaben erschwert und die Übernahme neuer Aufgaben unmöglich gemacht. Da aber die Politik (auf deutscher und europäischer Ebene) nicht bereit ist, öffentliche Aufgaben zu reduzieren, muss sich der Staat um die Erschließung neuer Ressourcen bemühen. Eine Möglichkeit dazu ist die Indienstnahme Privater 133. Allerdings kann eine solche Instrumentalisierung Privater einen Eingriff in deren Grundrechte darstellen und 131 132

Puppis, Künzler u. a., Selbstregulierung, S. 10. Zur Regulatory Choice des Staates Eifert, GVwR I, § 19 Rdn. 153 ff.

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ist daher auch nur in begrenztem Umfang zulässig 134. Regulierte Selbstregulierung ist eine Möglichkeit der Indienstnahme Privater 135, die nicht mit Grundrechtseingriffen verbunden ist und daher auch nicht durch die Freiheitsrechte der Privaten beschränkt wird. Wenn die Anreize und Vorteile bzw. die Eigeninteressen der Regulierten groß genug sind, muss der Staat sie nicht zur Aufgabenübernahme zwingen und gerät nicht mit ihren Freiheitsrechten in Konflikt. Die freiwillige Aufgabenübernahme durch Private und deren Zurverfügungstellung eigener Ressourcen wird nur durch staatliche Schutzpflichten und Handlungsgebote begrenzt, die es dem Staat verwehren, auf eine hoheitliche Aufgabenerfüllung zu verzichten. Regulierte Selbstregulierung kann daher ein nützliches Instrument sein, wenn es um die Einbindung (vor allem) technischen Sachverstands in die Prüfung von Gesetzeskonformitäten (bei Kostentragung durch die Geprüften) geht. Sie ist hier – bei richtiger Ausgestaltung – ein gleichwertiger Ersatz für verwaltungsrechtliche Prüfungen durch Behörden 136 und trägt damit insgesamt zu einer Ausweitung der Prüfund Kontrollkapazitäten bei. Dies sind auch durchaus legitime und begrüßenswerte Zwecke; große strukturelle Vorteile oder qualitative Verbesserungen gegenüber der klassischen staatlichen Verwaltung bringt Regulierte Selbstregulierung dabei aber nicht. Wenn sich der Gesetzgeber dieser (begrenzten) Funktion bewusst ist und von der Regulierten Selbstregulierung auch nicht mehr erwartet, spricht aber nichts gegen ihren Einsatz und ihre Ausweitung auf andere Anwendungsbereiche.

133 Zur Bedeutung der Indienstnahme Privater z. B. im Informationsverwaltungsrecht Schoch, VVDStRL 57 (1998), 158 (209). 134 Schoch, VVDStRL 57 (1998), 158 (209). 135 Schoch, VVDStRL 57 (1998), 158 (209). 136 Zur strukturellen Ähnlichkeit von Regulierter Selbstregulierung und behördlicher Verwaltung im Bereich der Ordnungsverwaltung s. Eifert, GVwR I, § 19 Rdn. 55.

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Sachwortverzeichnis Abfallrecht 51 f., 80, 238, 240 f. Abschlussprüfer 266 ff., 270 f., 276 f., 330, Siehe auch Wirtschaftsprüfer Access-Provider 91, 104, 144 f., 152 ff., 443 f., 468 Akkreditierte Stellen Siehe Benannte Stellen Akkreditierung 61, 181 ff., 253, 376 – Private Akkreditierung 187, 212 Aktienrechtliche Nichtigkeitsklage 263, 272 ff., 283 ff., 296 Aktivierung Privater 26, 42 f., 50, 62 f., 71, 332, 350 f., 437, 462 Akzeptanz staatlicher Entscheidungen 72 f., 340 Allgemeine Geschäftsbedingungen 203 ff., 212, 380 Allgemeines Persönlichkeitsrecht 155, 305, 396, 404 Amtshaftung 391 f., 420 ff. Androhungsgesetz 75, 327, 370 Anerkannte Stellen 27 f., 80, 315, 342 ff., 357 ff., Siehe auch Benannte Stellen Anerkennung 99, 129, 159 ff., 181 f., 212 f., 251 ff., 290, 347 ff., 373 ff., 422 – Anerkennungsstellen 181 f., 214, 406 – Anspruch auf Anerkennung 160, 291, 376, 418 – Form der Anerkennung 185, 265 ff., 291 f., 375 f. – Voraussetzungen 134, 159 ff., 186 ff., 212 f., 223, 251 f., 290 f., 373 ff., 418 – Widerruf, Aufhebung, Entzug 160 ff, 212 ff., 232, 288 ff., 374 ff., 386, 407, 424, 475 Anreiz, -steuerung, -wirkung 38, 74, 115 ff., 172, 228, 256, 370, 399 f., 439 ff., 457, 469

Anspruch auf Einschreiten der Anerkannten Stelle 426 ff. Audits, Auditierung 65, 80, 204 f., 226 ff., 458 Auffangordnungen 39, 171 Auffangverantwortung 57 ff., 99, 159, 167, 288, 310 f., 344, 360 f., 406 ff., 472 Aufgaben 50 f., 57 – öffentliche Aufgaben 45 ff. – Staatsaufgaben 42, 43 ff. – notwendige Staatsaufgaben 44 Aufsicht 60, 359 ff., 409 ff., 439 f. – Ersetzung staatlicher Aufsicht 360, 441 – Gewährleistungsaufsicht 61, 161, 231, 411 ff. – im Rundfunk und Internet 92 ff., 110 ff., 141 f., 310, 341 f., 436 f. – über Anerkannte Stellen 161 ff., 181 f., 212 ff., 230 ff., 253 ff., 274 f., 292 ff., 409 ff., 441 Aufsichtsmaßnahmen 106, 112 ff., 130 f., 254 Aufsichtspflichtverletzung 422 ff. Aufsichtsprivilegierung 101 f., 114 ff., 143 ff., 237 ff., 258 f., 370, 399 f., 439 ff. Befugnisse der Anerkannten Stellen 153, 202 ff., 218 f., 278 ff. Beleihung, Beliehener 24, 64, 137, 153, 200 ff., 220, 230, 278 f., 378, 391 f. Benannte Stellen 175 f., 183 ff., 315, 345, 385 f., Siehe auch Anerkannte Stellen Beschwerden von Nutzern, Beschwerdestellen 99, 105 ff., 136, 151 ff., 156 ff., 168 f., 253, 294, 311, 366, 426 ff. Beteiligung Privater an der Erfüllung öffentlicher Aufgaben 42, 62 ff., 362 ff., 377 f.

496

Sachwortverzeichnis

Betriebsbeauftragte – für Jugendschutz 100, 134, 147 f., 153 f., 360 – für Umweltschutz 237 f., 360 Beurteilungsspielraum der Anerkannten Stellen 116 ff., 121 ff., 125 ff., 144 ff., 170, 358 f. Bilanzkontrollgesetz (BilKoG) 262 ff., 285 Bilanzkorrektur 283 ff. Bindungswirkung von Entscheidungen der Anerkannten Stellen 114, 124, 144 ff., 158, 236, 285 ff., 358 f., 393 Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) 265 f. Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM) 86, 94 f., 100, 127 CE-Zeichen 27, 175 ff., 183, 189 ff., 224, 334 f., 451 Compliance 268, 294 Content-Provider 86, 91, 104, 142 ff., 151, 443, 468 Corporate Governance 64, 79, 263, 278 Cybercrime-Konvention 306 Datenschutz 34, 65, 80, 157 Demokratieprinzip 46, 232, 337 ff., 435, 473 Deregulierung 55 ff., 75, 229, 237, 310, 473 f. Deutsche Akkreditierungs- und Zulassungsgesellschaft für Umweltgutachter (DAU) 230 f. Deutsche Prüfstelle für Rechnungslegung (DPR) 267 ff. Deutsches Rechnungslegungs Standards Committee (DRSC) 269 Diskriminierungsverbote bei Selbstregulierung 333 f., 354 Durchsetzung von Gesetzen mittels Regulierter Selbstregulierung 41, 64 f., 81 f., 112 f., 170 f., 241 f., 269, 326 ff., 335 f., 362 ff., 378 f., 397 ff.

Eco Management and Audit Scheme (EMAS) 226 ff. E-Commerce-Richtlinie (ECRL) 84, 92 ff., 106, 142, 305, 311, 333 f., 444 Eigenüberwachung 239, 246, 255, 360, 411, 456, 474 Elektronische Presse 105, 156 EMAS-Privilegierungsverordnung 228 f., 237 f. Enforcement, Rechnungslegungsenforcement 263 ff. Entlastung des Staates Siehe Staatsentlastung Entwicklungsbeeinträchtigung Jugendlicher 67, 90 ff., 109, 118, 127 ff., 305 ff. Evaluation, Bewertung, Beobachtungspflicht des Gesetzgebers 58, 168, 310, 313 f., 345, 349 f. Expertifizierung 70, 367 Faktischer Grundrechtseingriff 326 ff. Fernseh-Richtlinie (Fernseh-RL) 84, 92 ff., 305 ff., 311, 333 f. Fernseh-Übereinkommen des Europarats 306 Financial Reporting Enforcement Panel (FREP) Siehe Deutsche Prüfstelle für Rechnungslegung Financial Reporting Review Panel (FRRP) 263, 283 Finanzdienstleitungsaufsichtsgesetz (FinDAG) 265, 295, 420 Freigabe 113, 118, 143, 224, 357 f. Freiwillige Selbstkontrolle Fernsehen (FSF) 101 ff. Freiwillige Selbstkontrolle Filmwirtschaft (FSK) 66, 81, 99, 103, 110, 118, 162 Freiwillige Selbstkontrolle MultimediaDiensteanbieter (FSM) 104 ff. Freiwilligkeit der Selbstregulierung 94, 104, 171 f., 185, 236 f., 278 f., 326 ff., 343, 351 ff., 368 ff., 388, 404 ff., 417 Fremdkontrolle 366 Funktionale Äquivalenz der Selbstregulierung zu staatlichem Handeln 357, 415

Sachwortverzeichnis Gatekeeper 468 Gefahrenabwehrrecht im Internet 90 f. Geheimhaltung, Verschwiegenheit 223, 279, 294, 374, 421 ff., 465 Gemeinwohl(verwirklichung) 23, 33, 40 ff., 59 ff., 76, 221, 372, 473 Geräte- und Produktsicherheitsgesetz (GPSG) 27 f., 177, 179 ff. Gesellschaftliche Gruppen und Kräfte 34, 50 f., 71, 96, 102 ff., 344 ff., 363 ff., 434 ff., 465 Gesetzesvollzug und Selbstregulierung 34, 64 ff., 80 f., 189 ff., 236 ff., 343 f., 358, 367 f., 466 Gewährleistung 47, 59 ff., 158 ff., 209 ff., 250 ff., 287 ff., 320, 356, 373, 405 ff. Gewährleistungsaufsicht 61, 161, 231, 411 ff. Gewährleistungsstaat 57 ff., 320, 412 ff. Gewährleistungsverantwortung 39, 57 ff., 99, 158 ff., 250, 320 f., 391, 405 ff. Gewährleistungsvertrag 377 Gewährleistungsverwaltungsrecht 356 Globales Konzept 172, 176 ff. Globalisierung 49, 68 f., 73, 173, 264, 435 f., 463 f. Grenzüberschreitende Selbstregulierung 80, 202, 435 f., 449, 463 ff. GS-Zeichen 177 f. Gütesiegel, Qualitätssiegel 75, 177 f., 192, 260, 326, 397, 428 f., 442, 450 ff. Haftpflichtversicherung der Anerkannten Stelle 187, 201, 374, 391, 421 Haftung – der Anbieter 75, 152, 256, 297, 452, 458 f. – der Anerkannten Stellen 223, 257, 294 f., 382 f., 391 ff., 425 – des Staates Siehe Staatshaftung Harmonisierte Normen 174 ff., 187, 196, 212, 341 Harmonisierung 173 f., 179, 187, 449

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Herkunftslandsprinzip 92 ff., 305, 311, 334 Host Provider 104, 142 ff., 152 ff., 439 IAS/IFRS 264 f. IAS-Verordnung der EG 264 f., 270 Imagevorteile, -werbung 40, 75, 169, 236 f., 260, 401 ff., 433, 457 ff., 469 ff. Indirekte Steuerung 40, 74, 152, 215, 236, 248, 328 ff., 370, 475 Indizierung jugendgefährdender Schriften 95, 100 Informationsaustausch, Informationsverschaffung 66 f., 76 f., 161 ff., 245 ff., 261 ff., 272 f., 283 f., 294 ff., 401 ff., 411 ff., 429 ff., 448 ff., 472 ff. Informationsdefizit Siehe Wissensdefizit Informationsrecht 80, 261 f. Inhalteanbieter Siehe Content-Provider Inpflichtnahme, Indienstnahme Privater 326, 362, 476 f. Interessenausgleich 346 f., 370 ff., 435 Internet 67, 87 ff., 140 ff., 306, 433 ff., 442 ff., 468 IVU-Richtlinie 239 f., 319 Jahresabschluss 264, 266 f., 269 ff., Siehe auch Rechnungslegung Jugendgefährdung Siehe Entwicklungsgefährdung Jugendmedienschutzstaatsvertrag (JMStV) 84 f., 108 f. Jugendschutz 83 ff., 108 f., 304 ff., 432, 442 f. Jugendschutzgesetz 84, 94 f., 100, 155 Jugendschutzsoftware 105 f., 139, 434, 442 f. jugendschutz.net 141 f., 433, 436 Kommission für Jugendmedienschutz (KJM) 96 ff. Konformitätsbewertung, Konformitätsprüfung 176 f., 188 ff., 210 ff., 244 Kontextsteuerung 40 f., 370

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Sachwortverzeichnis

Kontrahierungszwang für Anerkannte Stellen 221 f. Kontrolle der Kontrolleure 169, 225, 230, 441, 475 Kontrolle durch die Wissenschaft 367, 438 f. Konvergenz der Medien 68, 86, 434 Kooperation, kooperativer Staat 64, 205, 415 Kunstfreiheit 84, 133, 307, 323 Landesmedienanstalten 95 f., 110 ff. Liberalisierung 53 ff. Managementsysteme 375, 405, 411 – Qualität 184, 188 f., 194 ff., 411 – Umwelt 227 f., 234 f., 245 ff., 458 f. Marktzugang, Marktzulassung 176, 190 f. Medizinproduktegesetz, -richtlinie 179 Medizinrecht 79 f. Mittelbare Drittwirkung von Grundrechten 386 f. Mitwirkungspflichten der Hersteller 61, 208, 249, 278 ff., 330 Modulbeschluss 177, 188 f., 193 ff. Monopole, staatliche 35, 53 ff., 184 Multipolarität 356 Netiquette 446 Netzwirtschaften 35 ff. Neues Konzept, Neue Konzeption 172, 174 ff. Normung 174 f., 180, 225, 314, 453 Obligatorische Selbstregulierung 361, 369, 381, 388 Öffentliche Aufgaben 38 f., 42, 45 ff. Öffentliches Recht und Zivilrecht (als Auffangordnungen) 379 f. Öffentlichkeit 168 f., 255 f., 263, 283 f., 294 f., 340, 347 f., 401 ff., 469 f., 475 f. Ordnungsverwaltung 25, 63, 66

Pluralistische Gremien 344 ff., 370 ff., 435, 472 f. Portale, Portalbetreiber, Internet-Portale 443 f., 468 Präventives Verbot mit Erlaubnisvorbehalt 113, 143, 191, 224, 357 f. Präventivkontrolle, -wirkung 99, 113 ff., 130, 143, 172, 258, 276 f., 309, 314 f., 331, 438, 454 Presse 34, 79, 105, 154 ff., Siehe auch elektronische Presse Presserat, Pressekodex 34, 38, 79 f., 155 ff., 404 Private Norm-, Standardsetzung 29, 34, 64 f., 71 f., 75 f., 106, 174 f., 225 f., 269, 314, 341, 372, 453 Privatisierung 44 f., 50 ff., 287 f., 473 – Aufgabenprivatisierung 51 f., 56 – Funktionale Privatisierung 51 f. Privatisierungsfolgenrecht 59, 288 Proaktive Kontrolle 277 Produkthaftung 396, 452 Produktsicherheit 172 ff., 179, 190 f., 312 ff. Programmkontrolle, -überwachung 96, 110 f., 133 f., 150 f., 162, 305, 432 Prüfordnungen der Selbstkontrollen 102 f., 123, 165 f. Publizität Siehe Öffentlichkeit Qualitätsmanagement, -sicherungssysteme Siehe Managementsysteme Rating 105, 434, 442 f. Rechnungslegung 261 ff., 266, 269 ff., 274 ff. Rechtsextremismus in den Medien 89 f., 143, 433 ff., 445 ff. Redaktionsdatenschutz 34, 80, 157 Reflexives Recht, reflexive Steuerung 40, 405, 455, 475 Regulierung 30, 35 ff., 60 Reine Selbstregulierung 34, 38 f., 65, 124, 154 ff., 177 f., 236, 310, 326, 341, 433, 458, 475

Sachwortverzeichnis Republifizierung 353, 379, 414, 470 f. Reservekompetenz 166 ff., 288 f., 406 ff. Rückholoption des Staates 61, 360 f. Rundfunkfreiheit 127, 306 f., 322 ff., 437 Rundfunkordnung 95, 128, 306 f., 310 Sachverstand und Fachwissen 40, 70 f., 97, 107, 132, 186 f., 251 f., 289, 350 f., 363 ff., 414, 432 ff., 438 f., 462 ff. Sachverständige, private 104, 201 f., 241 f., 256, 345, 363, 450, 469 Schadensersatz, -ansprüche Siehe Haftung Schlechterfüllung durch die Anerkannten Stellen 41, 161, 302, 346 ff., 361 Schutzklauselverfahren 93, 175 f., 192, 314 Schutzpflichten 84, 128, 299 ff., 387 f. Sektorale Richtlinien 174, 176 f., 179 f. Selbstverpflichtung 32, 65, 227 f., 244, 327, 368 Selbstverwaltung, funktionale 339 f. Sendestaat Siehe Herkunftslandsprinzip Sendezeitbestimmung 99, 101, 110 f., 121 f., 130 Signaturrecht 80 f. Sozialstaatsprinzip 44 f., 288, 319 Sperrungsverfügung 91, 142 f. Sperrwirkung einer Entscheidung einer Anerkannten Stelle 114, 119, 358 f. Staatsaufgaben Siehe Aufgaben Staatsentlastung 50 ff., 72 f., 118, 373, 413, 438 f., 461 f., 474 f. Staatsferne der Rundfunkaufsicht 74, 84, 96 ff., 310, 436 f. Staatshaftung 391 ff., 419 ff., 422 f. Standardsetzung Siehe private Normsetzung Steuerung 36, 49, 59, 67 ff., 236, 333, 475 f. – Indirekte Steuerung 40 f., 74 f., 215, 236, 256 f., 475 – Kontextsteuerung 370 – Steuerungsinstrumente 35 ff., 391

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Steuerungsschwäche, -defizit 69 ff., 472, 475 f. Suchmaschinen 65, 104, 443 f., 468 Technische Normen / Normung Siehe Normung Technische Schutzvorkehrungen, Filter 105, 109, 139, 434, 442 Telemedien 85 f., 92, 140 f. Telemediengesetz 86 Territorialitätsprinzip 87 Tertiärer Sektor 380, 473 Trägermedien 86 Transparenz 340, 347 f., 350, 401 Überforderung des Staates 47 ff., 69, 72 f. Ubiquitätsprinzip 89 Umweltauditgesetz (UAG) 229 f. Umwelterklärung 243 f., 455, 460 Umweltgutachter 28, 233 f. Umweltgutachterausschuss (UGA) 231 f. Umwelthaftung 256, 458 f. Umweltmanagementsystem Siehe Managementsysteme Unabhängigkeit (der Selbstkontrolle) 102 ff., 159 f., 186, 210, 231, 251 f., 268 f., 289 f., 365 ff., 465 f. UN-Abkommen über das Recht des Kindes 306 Untermaßverbot 302, 307 ff., 313 f. Validierung 227 f., 243 ff., 259 Verantwortlichkeit von Anbietern / Providern 86 ff., 104, 142 ff., 444 Verantwortung 51, 57 ff., 64, 353 – Auffangverantwortung Siehe dort – Aufgaben(erfüllungs)verantwortung 51 f., 57 f., 167, 360 f. – Gewährleistungsverantwortung Siehe dort Verantwortungsverteilung, Verantwortungsteilung 31, 367 Verbände 65, 103, 230 ff., 267 f., 364 ff., 467 f.

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Sachwortverzeichnis

Verein – Regelung der Vereinsinterna 129, 136 f., 149 f., 170 f., 269, 290, 351, 365 ff., 380 ff., 393 f., 417 – Vereinsstrafen 134, 149 f., 171, 283, 336, 359, 387, 400 f. Vergaberecht 240 f. Verhaltenskodizes 30 ff., 65, 106 f., 124, 155 ff., 170, 333, 372, 446 Verhältnismäßigkeit 74, 145, 167, 295, 332, 351, 385 f. Verifikateur 234, 469 Vertrag, Vertragsverhältnis zwischen Anerkannter Steller und Anbieter 206 f., 220 f., 249, 278 ff., 380 ff. Verwaltungshelfer 51 f., 273, 362, 392 Vollzug von Gesetzen Siehe Gesetzesvollzug und Selbstregulierung Vollzugsdefizit 66, 72, 227, 455 ff. Vorabkontrolle Siehe Präventivkontrolle Vorbehalt des Gesetzes, Gesetzesvorbehalt 343 f., 385, 404, 419 Vorlagepflicht 115, 133 ff., 159, 169, 328

Vorzensur(verbot) 111, 154, 309, 328, 358, 438 Werkzeugtheorie 392, 420 f. Wettbewerb der Anerkannten Stellen 450 Wirtschaftsprüfer 267 f., 270, 275, Siehe auch Abschlussprüfer Wissensdefizit des Staates 66 f., 76 f., 432 ff., 454 f., 472 f. Zentralstelle der Länder für Gesundheitsschutz bei Arzneimitteln und Medizinprodukten (ZLG) 181 f. Zentralstelle der Länder für Sicherheitstechnik (ZLS) 181 f. Zertifizierung 80 f., 172 ff., 185 ff., 203 ff., 220 ff., 399, 416 f. – freiwillige Zertifizierung 177 f., 184 f., 201 f., 212, 451 Zugelassene Stellen Siehe Benannte Stellen Zugriffsrecht, -option des Staates 48, 166, 258, 302, 318, 347 ff., 360 f.