Regulierte Selbstregulierung als Steuerungskonzept des Gewährleistungsstaates: Ergebnisse des Symposiums aus Anlaß des 60. Geburtstages von Wolfgang Hoffmann-Riem [1 ed.] 9783428505296, 9783428105298

Die Ordnungs- und Steuerungsfunktion des Rechts unterliegt in Zeiten umfassender Privatisierungen einem starken Wandel.

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Regulierte Selbstregulierung als Steuerungskonzept des Gewährleistungsstaates: Ergebnisse des Symposiums aus Anlaß des 60. Geburtstages von Wolfgang Hoffmann-Riem [1 ed.]
 9783428505296, 9783428105298

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Regulierte Selbstregulierung als Steuerungskonzept des Gewährleistungsstaates

DIE VERWALTUNG Zeitschrift für Verwaltungsrecht und Verwaltungswissenschaften

Herausgegeben von Wilfried Berg, Stefan Fisch Walter Schmitt Glaeser, Friedrich Schoch Helmuth Schulze-Fielitz

Beiheft 4

Regulierte Selbstregulierung als Steuerungskonzept des Gewährleistungsstaates Ergebnisse des Symposiums aus Anlaß des 60. Geburtstages von Wolfgang Hoffmann-Riem

Duncker & Humblot · Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Regulierte Selbstregulierung als Steuerungskonzept des Gewährleistungsstaates : Ergebnisse des Symposiums aus Anlaß des 60. Geburtstages von Wolfgang Hoffmann-Riem. Berlin : Duncker und Humblot, 2001 (Die Verwaltung : Beiheft ; 4) ISBN 3-428-10529-X

Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten © 2001 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0946-1892 ISBN 3-428-10529-X Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 Θ

Inhaltsverzeichnis

I. Historische und theoretische Grundlagen

Dieter Grimm Regulierte Selbstregulierung in der Tradition des Verfassungsstaats

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Thomas Vesting Subjektive Freiheitsrechte als Elemente von Selbstorganisations- und Selbstregulierungsprozessen in der liberalen Gesellschaft. Dargestellt am Beispiel der Bedeutung der Intellectual Property Rights in der neuen Netzwerkökonomie

Karl-Heinz

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Ladeur

Die Regulierung von Selbstregulierung und die Herausbildung einer „Logik der Netzwerke". Rechtliche Steuerung und die beschleunigte Selbsttransformation der postmodernen Gesellschaft

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I I . Referenzbereiche

Bernd Holznagel Regulierte Selbstregulierung im Medienrecht

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Wolfgang Schulz Regulierte Selbstregulierung im Telekommunikationsrecht. Die informationale Beteiligung Dritter bei der Regelsetzung des Regulierers i n Deutschland und den Vereinigten Staaten 101

Edmund Brandt Regulierte Selbstregulierung im Umweltrecht

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Martin Eifert Regulierte Selbstregulierung und die lernende Verwaltung

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Inhaltsverzeichnis

Margarete Schuler-Harms Regulierte Selbstregulierung im Polizei- und Versammlungsrecht

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Jens-Peter Schneider Regulierung staatsinterner Selbstregulierung am Beispiel des Haushaltswesens 177

Heike Jung Regulierte Selbstregulierung - eine Diskussionsbemerkung aus strafrechtlicher Sicht

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I I I . Regulierte Selbstregulierung und Verwaltungswissenschaft

Andreas Voßkuhle „Regulierte Selbstregulierung" - Zur Karriere eines Schlüsselbegriffs

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Gunnar Folke Schuppert Das Konzept der regulierten Selbstregulierung als Bestandteil einer als Regelungswissenschaft verstandenen Rechtswissenschaft 201

Eberhard Schmidt-Aßmann Regulierte Selbstregulierung als Element verwaltungsrechtlicher Systembildung 253

Verzeichnis der Mitarbeiter

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I. Historische und theoretische Grundlagen

Regulierte Selbstregulierung in der Tradition des Verfassungsstaats Von Dieter Grimm, Berlin Das Konzept regulierter Selbstregulierung als jüngste Antwort auf die seit längerem sichtbaren Defizite imperativer staatlicher Steuerung gesellschaftlicher Abläufe hat die Forschung bisher nicht dazu inspiriert, nach einer Tradition dieser Regelungsform in der Geschichte des Verfassungsstaats zu suchen. Begibt man sich auf die Suche, wie es die Veranstalter dieses Symposiums von mir erwarten, so tut man sich schwer, dort verkappte Vorläufer ausfindig zu machen. Dagegen ist es durchaus möglich, den Verfassungsstaat, wie er aus den Revolutionen des späten 18. Jahrhunderts hervorging und sich mittlerweile zum prägenden Ordnungsmodell entwickelt hat, unter dem Gesichtspunkt der Regulierung zu betrachten und so die Genese des neuen Konzepts aufzuklären und zu fragen, wie es sich in die Tradition des Verfassungsstaats einfügt.

I. Das Regulierungsprogramm des Frühkonstitutionalismus

Die Entstehung des modernen Verfassungsstaats bildet einen der großen Wendepunkte in der Geschichte rechtlicher Regulierung. Indem er mit der Jahrhunderte lang maßgeblichen Vorstellung eines material definierten Gemeinwohls brach, das der Staat aus seiner überlegenen Einsicht zu formulieren und ohne Rücksicht auf individuelle Lebensentwürfe durchzusetzen hatte, und das Gemeinwohl gerade umgekehrt aus der Freisetzung der Individuen zur Verfolgung ihrer eigenen Vorstellungen und Interessen, freilich im Rahmen der gleichen Freiheit jedes anderen, erwartete, entzog er zugleich dem herrschenden Regulierungsmuster den Boden und setzte ein neues an dessen Stelle.

1. Das vorkonstitutionelle Regulierungsverhältnis

Das vorkonstitutionelle Regulierungsmuster beruhte auf der Überzeugung von der Existenz und Erkennbarkeit eines objektiven Gemeinwohls, das sowohl für die soziale Ordnung als auch für die individuelle Lebensfüh-

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rung bestimmend war und nicht nur das irdische Zusammenleben der Menschen betraf, sondern auf ihr ewiges Heil zielte. Mit diesem Gemeinwohlkonzept verband sich ein als naturgegeben betrachteter hierarchischer Aufbau der Gesellschaft, in dem jeder einen durch Geburt zugewiesenen Platz einnahm, um dort eine vorwegbestimmte Aufgabe nach ebenfalls vorwegbestimmten Maßgaben zu erfüllen. Sache des Rechts war es, diese Ordnung samt ihren ökonomischen Grundlagen zu befestigen und das Tugendideal in konkrete Verhaltensmaßstäbe umzusetzen. Recht und Moral traten dabei noch nicht auseinander. Grundsätzlich wurde, was moralisch galt, auch von Rechts wegen erzwungen. Die Aufgabe, zu bestimmen und durchzusetzen, was das Gemeinwohl im einzelnen erforderte, oblag dem Fürsten, der im Gefolge der konfessionellen Bürgerkriege zum Souverän aufgestiegen war und aus dieser Stellung einen Regelungsanspruch ableitete, der grundsätzlich alles, was überhaupt rechtlicher Regelung zugänglich erschien, umfaßte. Die rechtlichen Regeln, die diesen Vorgaben entsprachen, waren ihrer Art nach materiell und imperativ. Das Recht ermöglichte nicht Wahlfreiheit, sondern setzte selbst inhaltliche Verhaltensmaßstäbe und ordnete deren Einhaltung an, verliess sich also nicht auf indirekt wirkende Mittel zur Erreichung des Normziels. Den Einzelnen wie den Korporationen und Assoziationen, in die sie eingebunden waren und von denen sie ihre Rechtsposition ableiteten, trat es grundsätzlich als Pflichtenordnung entgegen. Rechte kamen dagegen nur als Voraussetzung zur Erfüllung eigener oder zur Durchsetzung fremder Pflichten oder als im Gemeinwohlinteresse gewährte Befreiungen von allgemein geltenden Geboten vor. Auch das Privatrecht hatte noch nicht die Funktion, der Selbstbestimmung der Individuen Raum zu geben und ihre Freiheitssphären gegeneinander abzugrenzen und miteinander zu vermitteln. Es bezeichnete lediglich denjenigen Teil des Rechts, welcher die Beziehungen der Privatleute untereinander, im Unterschied zu denjenigen gegenüber der Obrigkeit, regelte, wich aber nicht qualitativ von dem herrschenden Regelungsmuster ab. Unter dem Gesichtspunkt von (Fremd-)Regulierung, Selbstregulierung und regulierter Selbstregulierung betrachtet, fiel das vorkonstitutionelle Rechtssystem also in die Kategorie der Regulierung. Dieser Befund bedarf allerdings einiger Ergänzungen. Daß der Fürst einen umfassenden Regelungsanspruch erhob, heißt nicht, dieser sei auch durchweg eingelöst worden. Das hat zum einen mit der Durchsetzungsschwäche der absolutistischen Herrschaft zu tun, die noch nicht auf durchgängige administrative Strukturen zurückgreifen konnte. Die Fülle von Einschärfungs- und Wiederholungsgesetzen, die sich in den älteren Gesetzbüchern findet, gibt davon Zeugnis. Zum anderen ist es dadurch bedingt, daß sich in allen Ländern, wenn auch mit erheblichen Unterschieden im

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einzelnen, Bereiche erhalten hatten, die relativ staatsfern blieben, darunter etwa das grundherrlich-bäuerliche Verhältnis, das zünftisch organisierte städtische Handwerk und die mannigfachen relativ autonomen Korporationen wie zum Beispiel die Universitäten. Obgleich von unmittelbarem staatlichen Zugriff vielfach frei, waren sie doch keineswegs regelfrei. Insofern gab es auch in der vorkonstitutionellen Ordnung Elemente von Selbstregulierung. Indessen sollten sie nicht überschätzt werden. Da die meisten dieser Bereiche traditionellen Ordnungsmustern folgten, die als vorgegeben und änderungsfest erlebt wurden, ist es näherliegend, hier von Selbstverwaltung statt Selbstregulierung zu sprechen. Im Gegensatz zur Gesellschaftsordnung und zum Untertanenverhalten waren die Staatsorganisation und die Herrschaftsausübung des Souveräns der rechtlichen Regulierung entzogen. Es gab keine Rechtsquelle oberhalb des von ihm gesetzten Rechts, und freiwillige Selbstbindungen, etwa zugunsten einer unabhängigen Rechtspflege, finden sich erst in der kurzen Spanne des aufgeklärten Absolutismus. Die Absolutheit des Monarchen bestand gerade darin, daß er - durch göttliche Belehnung und Gemeinwohleinsicht legitimiert - Recht für seine Untertanen setzen durfte, ohne dabei selber rechtlichen Bindungen zu unterliegen. Dementsprechend fremd waren der Rechtsordnung subjektive öffentliche Rechte gegenüber dem Staat. Ebensowenig wie der umfassende Regulierungsanspruch vollständig eingelöst wurde, war allerdings auch die Befreiung der Fürsten von rechtlichen Bindungen keine lückenlose. Trotz des Absolutheitsanspruchs, den sie erhoben, überlebten verschiedene Begrenzungen der fürstlichen Macht aus der vorabsolutistischen Epoche, und andere traten hinzu, die dem Monarchen meist vom Adel, dessen Kooperationsbereitschaft er benötigte, abgerungen und in Vertragsform niedergelegt worden waren und folglich keine einseitige Auflösung erlaubten.

2. Die Umkehrung i m liberalen Verfassungsstaat

Im modernen Verfassungsstaat kehrte sich das alte Grundverhältnis um, und zwar schnell und radikal dort, wo es dem Bürgertum gelang wie in Frankreich, die liberalen Ordnungsvorstellungen revolutionär durchzusetzen, schrittweise und gebrochen, wo die neue Ordnung aus mühsamen Kompromissen zwischen Monarch und Bürgertum hervorging wie in Deutschland. Unter der nunmehr herrschenden Prämisse, daß die Gesellschaft über Selbststeuerungskräfte verfüge, die, wenn sie nur freigesetzt würden, das Gemeinwohl zuverlässiger hervorbrächten als staatliche Lenkung, kam es darauf an, die gesellschaftliche Sphäre von den feudalen und absolutistischen Bindungen zu befreien, die bisher die Selbstbestimmung des Einzel-

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nen gehindert und damit das Entwicklungspotential der Gesellschaft beschränkt hatten. Dieses Programm war in der Tradition der Aufklärung individualistisch formuliert worden. Auf einer höheren Abstraktionsebene betrachtet, hatte es jedoch die überindividuelle Wirkung, daß die verschiedenen gesellschaftlichen Funktionsbereiche von politischer Lenkung entkoppelt wurden und ihrer je eigenen Logik folgen konnten, und legte damit den Grund für den Übergang von der hierarchischen zur funktionalen Differenzierung der Gesellschaft. Umgekehrt mußte nun aber die bis dahin weithin regelungsfreie Staatsgewalt Beschränkungen unterworfen werden, die es dem Staat unmöglich machten, seine paternalistische Attitüde beizubehalten und eigene Steuerungsambitionen zu entfalten, die die gemeinwohlverbürgende Selbstkoordination durchkreuzt hätten. Zwar war er auch in der neuen Ordnung nicht entbehrlich, weil die atomistisch aufgespaltene und aller Herrschaftsbefugnisse entkleidete Gesellschaft die Voraussetzungen ihrer Selbststeuerungsfähigkeit: Freiheit und Gleichheit aller Individuen, nicht aus eigener Kraft zu sichern vermochte, sondern diese Fähigkeit außerhalb ihrer selbst rekonstruieren mußte - eben als Staat. Dazu bedurfte der Staat weiterhin der Macht, ja sein im Absolutismus noch uneingelöster Anspruch auf das Gewaltmonopol vollendete sich erst jetzt mit der Auflösung jener feudalen Herrschaftsrechte, die die absoluten Herrscher nicht angetastet hatten. Doch durfte er die Macht nicht mehr zur Bewirkung eines gerade ihm einsichtigen, umfassenden Gemeinwohls einsetzen, sondern mußte sie in den Dienst der unabhängig von ihm bestehenden quasi-natürlichen Ordnung stellen, die automatisch zum Gemeinwohl führen sollte. Die Folge dieses Paradigmenwechsels war, bezogen auf die Gesellschaft, ein beispielloser Prozeß der Deregulierung, in dem ganze Rechtsmaterien wie das Lehnrecht und das Zunftrecht mitsamt den dazugehörigen Institutionen der sozialen Sicherung verschwanden und die verbleibenden Rechtsgebiete von objektiven Pflichten auf subjektive Rechte umgestellt wurden. Ins Zentrum der neuen Rechtsordnung rückte unter diesen Umständen das Privatrecht, das sich nun in ein Recht verwandelte, welches der Privatautonomie der Individuen Ausdruck gab und die gesellschaftliche Kooperation auf der Basis der Individualfreiheit organisierte. Zu diesem Zweck wurde es zum einen weitgehend entmaterialisiert, weil die Bestimmung des Inhalts ihrer rechtlichen Beziehungen der Übereinkunft der Privatleute überlassen war. Zum anderen enthielt es im Kern nicht mehr imperative, sondern dispositive Regeln, die den Einzelnen bewährte Regelungsmuster an die Hand gaben, die beim Fehlen privater Vereinbarungen einsprangen, aber nicht zwingend vorgeschrieben waren. Indessen wäre es unzutreffend, darin bereits den Übergang zur Selbstregulierung zu sehen. Versteht man unter Regulierung die Setzung von Normen, die nicht nur ihre Urheber binden, so

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war dazu auch weiterhin allein der Staat befugt, während die gesellschaftliche Selbststeuerung sich im Wege freiwilliger Koordinierung einzelner Rechtssubjekte mittels Verträgen vollzog. Bezogen auf den Staat fand dagegen eine durchgängige Regulierung statt, die garantieren sollte, daß er seine weiterhin benötigte Macht ausschließlich im Interesse des reduzierten Staatszwecks einsetzte. Dazu diente die Verfassung, die nun die Politik verrechtlichte und, da es weiterhin die Politik war, von der das für die Gesellschaft geltende Recht ausging, diesem gegenüber den Vorrang beanspruchte. Hinsichtlich des Privatrechts wurde dem Staat lediglich zugestanden, die vernunftrechtlich vorgegebenen Grundsätze zu positivieren. Das Öffentliche Recht schrumpfte angesichts der vorausgesetzten Selbststeuerungsfähigkeit der Gesellschaft zu einem Recht der Gefahrenabwehr und wies alle Gestaltungselemente ab. Die verbliebene Aufgabe verlangte nach imperativem Recht, das in seiner Begrenzung auf die Wahrung einer vorgegebenen Ordnung inhaltlich determinationskräftig und verhältnismäßig effektiv durchsetzbar war. In seiner ursprünglichen Anlage war der Verfassungsstaat daher kein Vorläufer regulierter Selbstregulierung, sondern zielte auf einen Dualismus von Regulierung, soweit es um die öffentliche Gewalt ging, und Deregulierung, soweit die gesellschaftliche Sphäre betroffen war.

I I . Die Krise des Liberalismus und die sozialstaatliche Wende

Das liberale Sozialmodell hat die in es gesetzten Erwartungen nur begrenzt einzulösen vermocht. Die Selbststeuerungsfähigkeit der Gesellschaft, der die Deregulierung Raum verschaffen sollte, erwies sich als voraussetzungsvoller als angenommen, schon bevor die Industrielle Revolution die Realisierungsbedingungen nachhaltig veränderte. Zwar kam es durch die Befreiung der verschiedenen gesellschaftlichen Funktionsbereiche, namentlich der Wirtschaft, aus ihren älteren Bindungen zu einer erheblichen Steigerung des Wohlstands. Doch hatten daran keineswegs alle gleichen Anteil. Vielmehr konnten sich in der von staatlicher Lenkung befreiten Sphäre der Marktsteuerung aufgrund des gesellschaftlichen Machtgefälles neue Abhängigkeiten ausbreiten, die nicht weniger drückend waren als diejenigen der ständischen Gesellschaft, aber nicht mehr von den traditionellen Institutionen der sozialen Sicherung aufgefangen wurden, weil diese der Liberalisierung zum Opfer gefallen waren. Armut und Not ließen sich unter diesen Umständen auch nicht mehr, wie der Liberalismus in vorindustriellem Optimismus angenommen hatte, auf individuelles Versagen zurückführen und damit politisch neutralisieren. Sie verlangten nach Abhilfe.

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Die Folgeprobleme der Liberalisierung wurden von den Zeitgenossen zunächst als „Soziale Frage" wahrgenommen und erörtert. Ihre Entstehung materialisierte das Gerechtigkeitsproblem wieder, das der Liberalismus formalisieren zu können geglaubt hatte. Die Konsequenz war eine Reaktivierung des Staates, der seine Garantenstellung für eine von ihm unabhängige Gesellschaftsordnung verließ und wieder zur Gestaltung dieser Ordnung überging. Das gelang freilich dort leichter, wo der bürgerliche Sieg über Absolutismus und Feudalismus kein vollständiger gewesen war, so daß an die nicht gänzlich abgerissene Tradition staatlicher Wohlfahrtspflege angeknüpft werden konnte. Anfangs griff der Staat dort korrigierend ein, wo die Individualfreiheit zum Nachteil Dritter mißbraucht wurde und die Marktsteuerung ihr Ziel eines gerechten Interessenausgleichs kraß verfehlte. In einem weiteren Schritt stellte er öffentliche Leistungen für Notlagen und Arbeitsrisiken bereit. Nach und nach wuchs er aber wieder in eine umfassende Verantwortung für die Entwicklung der Gesellschaft auf bestimmte Gerechtigkeitsziele hinein, wobei es, wie im Absolutismus, bald kein Gebiet mehr gab, das der staatlichen Einwirkung völlig entzogen gewesen wäre. Vom Absolutismus unterschied sich der moderne Wohlfahrtsstaat allerdings dadurch, daß die Errungenschaften des Konstitutionalismus nicht, wie in den totalitären Regimen des 20. Jahrhunderts, preisgegeben wurden. Der Verfassungsstaat nahm die Entwicklung vielmehr in sich auf, sei es, daß er der Sozialpolitik im Zeichen des demokratischen Massenwahlrechts keine Hindernisse entgegenstellte, sei es, daß er sie durch die Ergänzung der klassischen Freiheitsrechte um soziale Grundrechte oder soziale Staatsziele selbst vorantrieb. Das bedeutete insbesondere, daß sich an der Prämisse individueller Selbstbestimmung und vermittels ihrer an der Autonomie der verschiedenen gesellschaftlichen Subsysteme nichts änderte. Weiterhin verfassungsrechtlich gebändigt, konnte der Staat nicht zu jener Machtvollkommenheit zurückkehren, die er im Absolutismus besessen hatte. Jede Intervention mußte vielmehr als Beitrag zur Herstellung und Aufrechterhaltung einer - jetzt freilich materiell verstandenen, die Voraussetzungen ihres Gebrauchs für alle einschließenden - Freiheit legitimiert werden. Für die rechtliche Regulierung hatte das sowohl quantitative wie qualitative Folgen. In quantitativer Hinsicht setzte eine schon im 19. Jahrhundert beginnende und das gesamte 20. Jahrhundert durchziehende Gesetzgebungswelle ein, die sowohl die bestehenden Rechtsgebiete umgestaltete oder ausweitete als auch neue wie das Arbeits- und das Sozialrecht hervorbrachte. In qualitativer Hinsicht unterschied sich die neue Regulierung von dem liberalen Muster dadurch, daß ihr Zweck nicht mehr in der Organisation und Sicherung gesellschaftlicher Selbststeuerung, sondern in der

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Bewirkung sozialer Gerechtigkeit bestand. Das sozialstaatlich motivierte Recht war daher materiales Recht. Materiales Recht eroberte auch im Privatrecht wieder Terrain zurück, das im Liberalismus dem Formalrecht zugefallen war. Dasselbe gilt für das Verhältnis von imperativem und dispositivem Recht. Im selben Maß, wie das Vertrauen in die Marktsteuerung sank, trat im Privatrecht wieder imperatives Recht an die Stelle des dispositiven und zog dessen Bereich enger. Im Öffentlichen Recht wurde das traditionelle Ordnungsrecht durch ein soziales Leistungsrecht ergänzt. Am Ende blieb es also bei der Regulierung der Staatsgewalt, die der Verfassungsstaat eingeleitet hatte. Aber auch die Gesellschaft fand sich wieder weitgehend reguliert, wenngleich diesmal unter Freiheits- statt Tugendprämissen.

I I I . Regulierung unter den Bedingungen funktionaler Differenzierung

Für das Regulierungsthema ist es allerdings aufschlußreich, daß dieser Prozeß nach der Lösung der Sozialen Frage nicht zum Abschluß gekommen ist. Er speist sich heute vielmehr aus anderen Quellen, vor allem dem Bedürfnis nach Zukunftssicherheit und Kontrolle derjenigen Risiken, die mit dem wissenschaftlich-technischen Fortschritt und der kommerziellen Nutzung seiner Ergebnisse verbunden sind. Erst in jüngster Zeit tritt dem wieder eine Deregulierungswelle entgegen, die auf die Verkehrsfreiheiten der Europäischen Verträge und die Internationalisierung zahlreicher Wirtschaftszweige zurückgeht, während die gleichzeitig angelaufene, vor allem durch die Finanznot des Staates geförderte Privatisierungswelle eher von vermehrter Regulierung begleitet wird. Allerdings stößt die Regulierung zusehends an die Grenzen materialer und imperativer Steuerung und wirft deswegen abermals die Frage nach einer Neuorientierung auf.

1. Die Schwäche des regulativen Rechts

Um dafür die richtige Ausgangsbasis zu gewinnen, empfiehlt es sich, auch hier eine höhere Abstraktionsebene zu betreten und das Regulierungsproblem von konkreten Anlässen zu lösen und allgemeiner als Reaktion auf die zunehmende funktionale Differenzierung der Gesellschaft zu beschreiben. Dieser Vorgang ist nicht schon damit ausreichend erfaßt, daß sich relativ autonome Teilsysteme für bestimmte gesellschaftliche Aufgaben herausbilden, auf deren Erfüllung sie spezialisiert sind. Vielmehr wird er auch durch den Umstand charakterisiert, daß die spezialisierten Teilsysteme bei der Aufgabenerfüllung einem Rationalitätskriterium folgen, das gerade ihnen

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eigen ist, während es für die anderen Systeme keine handlungsleitende Bedeutung hat. Dieses Rationalitätskriterium diktiert jedem System einen Code, der innerhalb des Systems gebieterisch wirkt, außerhalb aber irrelevant ist. Er kann von den Akteuren im System zwar verschieden interpretiert, aber nur um den Preis des Scheiterns ignoriert werden. Mit diesem Code verständigt man sich im System. Impulse aus der Umwelt werden nur wahrgenommen, soweit sie in den eigenen Code übersetzbar sind. Am Code bemessen sich schließlich Erfolg und Mißerfolg im System. Die Codierung resultiert folglich in einer hohen Sensibilität jedes Systems für seine eigenen Belange bei weitgehender Indifferenz für die Belange der anderen Systeme. Zwar sind alle Systeme aufeinander angewiesen, aber nur an sich selbst interessiert. Nachteilige Auswirkungen des eigenen systemrationalen Handelns auf andere Systeme bilden als solche noch keinen Gesichtspunkt, der im System handlungsbestimmend würde. Erst wenn die externen Folgen mit Rückwirkungen auf die eigene Funktion verbunden sind, verlangen sie Aufmerksamkeit im System. Einerseits erwächst gerade aus dieser Rücksichtslosigkeit die Leistungskraft der Systeme in ihrem jeweiligen Sektor. Andererseits ist damit nicht gesagt, daß die Gesellschaft die Konsequenzen der Systemegoismen unbeschränkt verträgt. Vielmehr müssen Folgeschäden begrenzt und Kompatibilitäten gesichert werden, wenn nicht die Nutzenmaximierung der einzelnen Systeme in eine Senkung des Gesamtstandards umschlagen soll. Dafür ist das politische System verantwortlich, dessen Hauptaufgabe in funktional differenzierten Gesellschaften in der Abarbeitung der Folgeprobleme der Systemdifferenzierung besteht. Sein wichtigstes Mittel ist die rechtliche Regulierung. Allerdings sind es gerade die Bedingungen funktional differenzierter Gesellschaften, die die Effektivität dieses Mittels in Frage stellen. Das hängt damit zusammen, daß das ordnungsgestaltende Recht, das sich nach der wohlfahrtsstaatlichen Wende ausgebreitet hat, ressourcenabhängiger ist als das ordnungsbewahrende Recht, auf das sich der liberale Staat beschränkte. Gegenstand der Steuerung sind komplexe Gestaltungsprozesse in der Zeit, bei denen die Zielerreichung von vielen Faktoren abhängt, die nur zum kleineren Teil in der Verfügungsbefähigung oder -befugnis des Staates liegen. Insbesondere stoßen die regulativen Normen auf die Codes der zweckrational handelnden Subsysteme und können daher nicht darauf hoffen, allein deswegen ihre Wirkung zu tun, weil sie mit rechtlicher Geltung ausgestattet sind. Zwar sind die Subsysteme ihrerseits auf das Funktionieren der Rechtsordnung angewiesen. Deswegen w i r d Recht aber noch nicht notwendig ein maßgeblicher Faktor für Handeln im System. Diesem erscheint es vielmehr weitgehend als Verfälschung der systemeigenen Rationalitätskriterien und wird nicht um seiner selbst willen, sondern zur Vermeidung der Kosten seiner Mißachtung befolgt. Insofern hängt die Wirk-

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samkeit des regulativen Rechts in hohem Maß von effektiven Steuerungsprogrammen und spürbaren Sanktionen im Fall der Nichtbefolgung ab. An diesen Voraussetzungen fehlt es indessen in erheblichem Umfang, ohne daß dafür stets gesetzgeberisches Versagen verantwortlich gemacht werden könnte. Es gibt vielmehr verschiedene Ursachen, die sich dem Einfluß des Gesetzgebers weitgehend entziehen. Zum einen fehlen dem Staat häufig diejenigen Informationen, die zur Formulierung eines effektiven Steuerungsprogramms für komplexe Prozesse erforderlich sind. Die steuerungsrelevanten Informationen besitzt vielfach nur das zu steuernde System, das freilich nicht ohne weiteres zu ihrer Preisgabe bereit ist. Zum anderen gibt es eine Reihe von Aufgaben, die der Staat an sich gezogen hat und im Interesse seiner Legitimität erfüllen muß, aber nicht mittels imperativer Steuerung bewältigen kann wie etwa Wirtschaftswachstum, Bildungsniveau, Mentalitätsänderungen etc. Ferner verfügen die Steuerungsadressaten vielfach über Vetopositionen, etwa indem sie mit Investitionsverweigerung oder Produktionsverlagerung in Länder mit geringeren Produktkosten oder niedrigeren Lenkungsstandards drohen. Die derzeitigen Globalisierungstendenzen kommen ihnen dabei entgegen. Schließlich sind in vielen Bereichen die Implementationskosten für regulatives Recht so angewachsen, daß der Staat sie nicht aufbringen kann oder will.

2. Ursprung und Problematik regulierter Selbstregulierung

Damit ist die Problematik, auf die das Symposium zielt, beschrieben. Rechtliche Steuerung wird vermehrt benötigt und ist gleichzeitig schwerer zu bekommen. In denjenigen Bereichen, wo die traditionelle rechtliche Steuerung versagt, muß entweder dereguliert oder anders reguliert werden. Die Deregulierung hat derzeit starke Befürworter. Die konsequente, nicht nur punktuelle Beschreitung dieses Weges würde aber voraussetzen, daß diejenigen Erfahrungen, die seinerzeit zur Abkehr vom Liberalismus führten, historisch einmalig waren. Dafür spricht nichts, womit nicht gesagt sein soll, daß jeder heute staatlich regulierte Bereich für eine Steuerung durch den Markt ungeeignet wäre. Als durchgängige Strategie zur Behebung der Steuerungsprobleme gerät der Liberalismus aber in Konflikt mit einer Verfassungsordnung, die gerade in Reaktion auf seine Defizite formuliert wurde und sich auch in ihrer Interpretation durch Staatsrechtslehre und Verfassungsrechtsprechung, namentlich im Bereich der Grundrechte, von diesen Prämissen emanzipiert hat. Selbstkontrolle, die heute oft empfohlen wird, verspricht ebenfalls keine Lösung, weil sie stets Kontrolle im Interesse der Systemziele, nicht der Verfassungsziele ist. Beide können eine 2 Die Verwaltung, Beiheft 4

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Strecke weit konvergieren, treten dann aber auseinander und vermögen externe Kontrollen daher nicht zu ersetzen. Damit tritt die Frage nach einem anderen Recht für diejenigen Bereiche in den Vordergrund, in denen die traditionelle rechtliche Steuerung an ihre Grenzen stößt. Die Notwendigkeit ist seit längerem erkannt und hat die Welle der Prozeduralisierung des Rechts in Gang gesetzt, die bis heute anhält. An die Stelle materiellrechtlicher Anordnungen treten dann Verfahren und Strukturen, die das erwünschte, aber imperativ nicht erreichbare Ergebnis begünstigen, ohne es freilich gewährleisten zu können. Regulierte Selbstregulierung scheint die fortgeschrittenste Form der Prozeduralisierung zu sein, weil sie sich präziser auf die veränderten Steuerungsbedingungen einzustellen verspricht und die Informationskapazitäten der Steuerungsadressaten sowie die Eigenlogik der Teilsysteme besser ausnutzen möchte. Darüber wird im Verlauf der Veranstaltung gesprochen. Hier soll aber schon auf eine Konsequenz dieses Steuerungsmodells hingewiesen werden, die im weiteren Programm keinen Ort hat. Das Projekt der regulierten Selbstregulierung ist in erheblichem Umfang auf Kooperation zwischen dem steuernden Staat und den zu steuernden gesellschaftlichen Akteuren angewiesen. Vor allem am Verhandlungstisch kann der Staat sein Informationsdefizit decken, die Folgebereitschaft der Steuerungsadressaten ausloten und die Implementationskosten abschätzen. Verhandlungen über Steuerungsprogramme sind daher zu einem neuen Instrument staatlicher Aufgabenerfüllung geworden, ohne daß dies in seiner ganzen Bedeutung schon hinreichend gewürdigt würde. Mit der Verwendung des Konzepts regulierter Selbstregulierung wird sich paktiertes Recht weiter ausbreiten. Paktieren ist freilich mehr als Einflußnahme von Interessenten auf den staatlichen Gesetzgebungsprozeß. Es geht dabei um das Aushandeln von Regelungsinhalten als Voraussetzung des Zustandekommens effektiver Regelungen. Das ist ein Vorgang, der sich nicht mit Einflußkategorien, sondern nur mit Partizipationskategorien erfassen läßt. Die Verfassung sieht freilich Pakte als Form der Rechtsentstehung nicht vor, verbietet sie allerdings auch nicht ausdrücklich. Sie ist auf diese Form der Rechtssetzung nicht eingestellt, wird davon aber gleichwohl in ihrem Geltungsanspruch tief berührt. Einerseits gibt es nun Teilnehmer am staatlichen Entscheidungsprozeß, die nicht in den demokratischen Legitimationsund Verantwortungszusammenhang einbezogen sind. Andererseits werden die verfassungsrechtlich vorgesehenen Entscheidungsorgane und -verfahren entwertet. Demgegenüber darf man sich nicht mit der Feststellung beruhigen, daß ohne parlamentarisches Verfahren nach wie vor kein Gesetz Zustandekommen kann. Bei ausgehandelten Gesetzesinhalten hat das Parlament an der

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Bestimmung des Regelungsinhalts noch weniger Anteil als ohnehin schon. Verhandlungspartner ist auf der staatlichen Seite stets die Exekutive. Bei der abschließenden Entscheidung gerät das Parlament in eine Ratifikationssituation, weil jede Veränderung des Inhalts das Verhandlungsergebnis insgesamt gefährden würde. Dort wo die Absprachen informell bleiben und gleichwohl gesetzesvertretend wirken, weil beide Seiten sich für gebunden halten, fällt das parlamentarische Verfahren völlig aus. Damit geraten aber gerade die von ihm vermittelten Werte der Öffentlichkeit und Transparenz, der Betroffenenpartizipation und Oppositionskontrolle auf die Verlustliste. Denn verhandelt wird nur mit den mächtigen Steuerungsadressaten, die nicht identisch mit sämtlichen Betroffenen sein müssen, wobei die NichtÖffentlichkeit der Verhandlungen Erfolgs Voraussetzung ist. Auch ein gerichtlicher Interessenausgleich kann dann nicht mehr korrigierend einspringen, wenn das Aushandlungsergebnis in einem Regelungsverzicht der staatlichen Seite bei gleichzeitiger Wohlverhaltenszusage der privaten besteht.

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Die Verfassung unterscheidet zwischen Staat und Gesellschaft. Ihre Regelungsstruktur beruht auf dieser Unterscheidung. Für den Staat gilt im Grundsatz die Bindung, für die Gesellschaft die Freiheit. Einzelne staatlich auferlegte Freiheitsbeschränkungen müssen sich an der Freiheitlichkeit im Ganzen legitimieren. Auf ein Mixtum aus Staat und Gesellschaft ist die Verfassung dagegen nicht eingerichtet. Dieses Mixtum wird sich aber infolge des Steuerungsmusters regulierter Selbstregulierung weiter ausbreiten. Dahinter steht einerseits eine gewisse Zwangsläufigkeit. Das Ausweichen in diese Regulierungsform hat strukturelle Gründe. Andererseits hinterläßt es erhebliche verfassungsrechtliche Defizite. Wer sich diesem Konzept verschreibt, muß daher auch Anstrengungen unternehmen, die Verfassung darauf einzustellen. Die Frage, welche Möglichkeiten dafür bestehen, ist bisher ungelöst. Noch hat das Problem kaum Aufmerksamkeit gefunden.

Subjektive Freiheitsrechte als Elemente von Selbstorganisations- und Selbstregulierungsprozessen in der liberalen Gesellschaft Dargestellt am Beispiel der Bedeutung der Intellectual Property Rights in der neuen Netzwerkökonomie

Von Thomas Vesting, Augsburg I. Vorbemerkung zum Zusammenhang von subjektiven Rechten, Grundrechten und liberaler Gesellschaft

Eine der wohl bedeutendsten Errungenschaften des modernen Rechts ist die Rechtsfigur der „subjektiven Rechte". Trotz aller Debatten über die Bedeutung der Grundrechte für die Konturierung des subjektiv-öffentlichen Rechts1 werden subjektive Rechte in der Perspektive des deutschen Öffentlichen Rechts regelmäßig auf ihre Funktion der Gewährleistung institutioneller Rechtsschutzmöglichkeiten reduziert. Das subjektive Recht wird im Anschluß an Georg Jellinek als rechtlich anerkannte und geschaffene „Willensmacht" konstruiert, die ausschließlich im „individuellen Interesse" besteht 2 . Diese Reduktion der Funktion subjektiver Rechte auf Aspekte des gegen staatliches Handeln gerichteten Individualrechtsschutzes, die in der grundrechtlichen Figur der Eingriffsabwehr noch einmal abgebildet wird 3 , hat sich in einer theoretischen Verarmung der verfassungs- und verwaltungsrechtlichen Diskussion niedergeschlagen, die der Bedeutung subjektiver Freiheitsrechte in einer liberalen Gesellschaftsordnung kaum angemessen erscheint. Insbesondere die dem Positivismus des späten 19. Jahrhunderts noch vertraute Einsicht, daß sich der Sinn subjektiver Rechte nur unter Berücksichtigung der historischen Entgegensetzung der liberalen 1 Dazu ζ. B. einerseits Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 13. Aufl. 2000, § 8 Rn. 10 ff.; andererseits ζ. B. Wahl, DVB1. 1996, S. 642 (645); Schmidt-Aßmann, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, 1998, S. 67 (71); zur Genese der Diskussion, ob Grundrechte subjektive öffentliche Rechte sein können vgl. Bühler, Die subjektiven Rechte und ihr Schutz in der deutschen Verwaltungsrechtsprechung, 1914, S. 61 ff. 2 Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte, 2. Aufl. 1905, S. 44 (51). Aus neuerer Zeit vgl. nur Schock, NVwZ 1999, S. 457 ff. („rechtlich zuerkannte Willensmacht" zur Verfolgung ausschließlich „personaler Interessen und Positionen"); Schmidt-Aßmann (FN 1), S. 67 (75) („Willensmacht, die Rechtsordnung zur Verfolgung eigener Interessen einzusetzen"); Maurer (FN 1), § 8 Rn. 2 („verliehene Rechtsmacht" zur „Verfolgung eigener Interessen"). 3 Vgl. nur Schlink, EuGRZ 1984, S. 457 ff.; Lübbe-Wolff, Die Grundrechte als Eingriffsabwehrrechte, 1988.

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Freiheitsrechte gegen die untergehende „alteuropäische" Ordnung der ständischen Gesellschaft erschließt 4 , ist in der gegenwärtigen Dogmatik erstaunlich wenig präsent. Diese theoretische Verarmung muß um so mehr verwundern, als die theoretische und praktische Durchsetzung subjektiver Rechte die Umstellung auf eine neue Logik kollektiver Ordnungsbildung eingeleitet hat, die auf der Dezentralisation der Rechtsproduktion beruht, deren Träger ihrerseits an keine vorgegebene substantielle Gemeinschaft mehr gebunden sind. Mit dieser einleitenden Überlegung soll zunächst daran erinnert werden, daß die Rechtsfigur der subjektiven Rechte von Anfang an eng mit der Vorstellung individueller Grund- und Freiheitsrechte verknüpft gewesen ist, die die frühen liberalen Autoren wie Hobbes und Locke bekanntlich als vorstaatlich (also „natürlich") gedacht haben. Die Auflösung sozialer Bindungen der ständischen Ordnung und die unter anderem in der Rechtsfigur der subjektiven Rechte zum Ausdruck kommende „Personalisierung von Rechtslagen" kann deshalb nicht vom Aufkommen der modernen liberalen Gesellschaft getrennt werden 5 . Im Gegenteil, die allmähliche Dekomposition der alten Formen der traditionellen statischen Ordnung durch eine neuartige distribuierte Form der dynamischen Ordnungsbildung zeigt gerade, daß mit dem Siegeszug des Liberalismus nicht einfach ein „entfesselter Kapitalismus", der ohne Regeln und Gesetze funktionieren würde, neben den alten Staat getreten ist. Vielmehr hat sich allmählich eine Wirtschaftsordnung herausgebildet, die auf der Vorstellung der Privatautonomie und ihr entsprechenden Regeln und Gesetzen aufbaut; dazu gehören vor allem Vertragsfreiheit, frei verfügbares Eigentum und Anerkennung der Rechtsfähigkeit von Korporationen 6 . Die Rechtsfigur der subjektiven Rechte ist also keineswegs Produkt eines asozialen Individualismus, adressiert an private Subjekte, die, einmal aus der Vormundschaft der traditionalen Ordnung befreit, endlich tun und lassen könnten, was sie wollen - und die ihren „Gegensatz" in einem davon scharf zu trennenden Bereich des Öffentlichen und ihre „Schranke" in einem das Gemeinwohl definierenden und verwaltenden Staat finden würden 7 . Subjektive Freiheitsrechte sind vielmehr das Resultat 4 Vgl. nur Jellinek (FN 2), S. 94 ff. Die Forderungen nach individueller Freiheit richtete sich also vor allem gegen die in der alten Welt üblichen Beschränkungen, die Pressefreiheit z.B. gegen die Zensur. 5 Luhmann, Das Recht der Gesellschaft, 2. Aufl. 1997, S. 275, 291; Ladeur, Negative Freiheitsrechte und gesellschaftliche Selbstorganisation, 2000, S. 15 f. 6 Zu diesen Zusammenhängen vgl. nur Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 1967, S. 249 (254, 352). Auf die zentrale Bedeutung der Vertragsfreiheit für die liberalen Freiheitsrechte hat ζ. B. auch Max Weber immer wieder hingewiesen. Vgl. nur dens., Wirtschaft und Gesellschaft (5. Aufl. 1922), 1980, z. B. S. 398 f. (498). 7 Diese strikte Trennung des Privaten und des Öffentlichen entspricht allerdings der deutschen Tradition. Vgl. nur Jellinek (FN 2), S. 6; aus neuerer Zeit ζ. B. Böckenförde, Recht, Staat, Freiheit, 2. Aufl. 1992, insb. S. 209 ff.

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der Emergenz eines neuen transsubjektiven Beziehungsnetzwerks, innerhalb dessen der Aufbau und die Stabilisierung von Beziehungen zwischen Individuen und Organisationen durch dezentrale privatautonome Entscheidungen und eine anschließende „spontane" Verknüpfung der daran gebundenen Effekte erfolgt, d. h. über eine Form der „nachträglichen" Ordnungsbildung, die gegebenenfalls sekundär durch staatliche und öffentliche Rechtsentscheidungen modelliert werden muß 8 . Die Erhaltung der Produktivität und Innovationsfähigkeit der kollektiven Beziehungsnetzwerke der modernen Gesellschaft wird damit an höchst voraussetzungsvolle rechtliche Institutionen geknüpft. Dies auch deshalb, weil die neue Ordnung von verteilten Entscheidungsrechten so offen, flexibel und lernfähig angelegt sein muß, daß die unablässige Produktion des Neuen in rechtlichen Formen bearbeitet werden kann; das Recht muß also normative Erwartungen, die sich in der Praxis bewährt haben, gegenüber Enttäuschungen sichern und gleichzeitig Veränderung zulassen. Gerade weil sich die moderne Gesellschaft nicht länger an der Vergangenheit orientieren kann, sondern sich zwangsläufig auf das Unbekanntsein der Zukunft einlassen muß, ist eine liberale Rechtsordnung auf den Einbau von Selbstrevisions- und Lernfähigkeit angewiesen. Dem dient einmal die Rückbindung des liberalen Rechts an demokratisch legitimierte Verfahren, in denen das geltende Recht jederzeit geändert werden kann. Diesem Zweck dienen aber auch die subjektiven Freiheitsrechte, die gerade deshalb abstrakt und zweckfrei als negative Grenzen (und nicht: als positive Ziele) formuliert werden, weil die beständige Selbständerung der Gesellschaft juristisch nur durch die Höherlegung des Abstraktionsgrades bewältigt werden kann. Diese Höherlegung des Abstraktionsgrades des liberalen Rechts, bei dem die Frage des „wie" bewußt ausgeklammert wird, führt aber nicht zu beliebiger Freiheit, sondern paradoxerweise zur Abhängigkeit des Rechts von den Praxisformen anderer Funktionsbereiche der Gesellschaft, insbesondere denen der Wirtschaft und den in diese Praxisformen eingeschriebenen, impliziten Wissensbestände und Regelwerke (Konventionen) 9 .

I I . Präzisierung der hier verfolgten Fragestellung

Zu den wichtigsten liberalen Freiheitsrechten gehören die Wirtschaftsfreiheiten, die im Grundgesetz insbesondere in Art. 14, 12 und 2 Abs. 1 GG 8 Ladeur, RabelsZ 64 (2000), S. 63 (65); ders. (FN 5), S. 17, 115 ff.; zum theoretischen Hintergrund vgl. auch Bouillon, Ordnung, Evolution und Erkenntnis, 1991. 9 Vgl. Sudgen, Journal of Economic Perspectives 3 (1989), S. 85 ff.; Vanberg, Kulturelle Evolution und die Gestaltung von Regeln, 1994; Ladeur (FN 5), S. 72 ff.; vgl. allg. auch Scott, Seeing like a State, 1998, insb. S. 309 ff.; Ellickson, Order without Law, 1991.

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fixiert sind und im anglo-amerikanisehen Sprachraum in einem weiter verstandenen Sinn als „property rights" bezeichnet werden 10 . Obwohl die Bedeutung der Wirtschaftsfreiheiten im Allgemeinen und der Eigentumsfreiheit im Besonderen für die Selbstorganisations- und Selbstregulierungsprozesse der modernen Gesellschaft kaum zu unterschätzen sein dürfte, ist die deutsche verfassungs- und verwaltungsrechtliche Literatur zur Eigentumsfreiheit wiederum sehr stark auf die Relation der Eingriffsabwehr zugeschnitten bzw. darauf, die gesetzgeberischen Ausgestaltungsmöglichkeiten des Eigentums zu akzentuieren („Inhaltsbestimmung") 11 , also durch Perspektiven, die so oder so eine ausgesprochene Staatsfixierung erkennen lassen. Hinzu kommt, daß sich die Diskussion über Eigentumsrechte primär an stationären, bestenfalls frühliberalen Vorstellungen des Grund- und Sacheigentums orientiert 1 2 . Zwar wird der für die neue Netzwerkökonomie zentrale Eigentumsschutz immaterieller Güter, der Schutz von Wissen und Informationen, schon lange durch Urheberrechte, Patentrechte, Markenrechte und verwandte Schutzrechte einfachgesetzlich und auch verfassungsrechtlich garantiert 13 . Dieser Schutz der kognitiven Aspekte des Eigentums wird aber bis heute als nachrangig gegenüber dem Grund- und Sacheigentumsschutz eingestuft - und überdies eher individualistisch mit einer deutlichen Annäherung an persönlichkeitsrechtliche Vorstellungen konzipiert. So basiert gerade das deutsche Urheberrecht auf einer im Grunde romantischen Konzeption des schöpferischen Genies, dessen überdurchschnittliche eigene Kreativität eine besondere Schutzwürdigkeit impliziert. Dieses Modell mußte zwar schon mit dem Aufkommen der typischen Produkte der Massengüterproduktion relativiert werden („kleine Münze"), die grundsätzlich idealistische Fassung des Gesamtkonzepts ist aber bis heute insofern erhalten geblieben, als die Innovationsergebnisse gegenständlich einem als Person gedachten Urheber, dem Stiftersubjekt des Neuen zugerechnet werden 1 4 . 10 Zu den Differenzen vgl. ζ. B. Heuchert, in: Bauer (Hrsg.), Das Eigentum, 1989, S. 125 ff.; Häberle, AöR 109 (1984), S. 36 ff.; zur Genese des Begriffs der „property rights" bei Locke vgl. Riedel, in: Schwartländer/ Willoweit (Hrsg.), Das Recht des Menschen auf Eigentum, 1983, S. 129 (136 ff.); vgl. auch Sieckmann, Modelle des Eigentumsschutzes, 1998, S. 199 ff.; zur amerikanischen Tradition vgl. nur Gaus, Property Rights and Freedom, Social Philosophy and Policy Foundation, 1994, S. 209 ff. 11 Vgl. exemplarisch nur einerseits Depenheuer, in: v. Mangoldt / Klein / Starck (Hrsg.), GG, Bd. 1, 1999, Art. 14, insb. Rn. 34; und andererseits Wieland, in: Dreier (Hrsg.), GG, Bd. 1, 1996 Art. 14, insb. Rn. 22. Umfangreiche Aufarbeitungen der (neueren) Eigentumsdogmatik finden sich bei Sieckmann (FN 10); Rozek, Die Unterscheidung zwischen Eigentumsbindung und Enteignung, 1998, und Voßkuhle, Das Kompensationsprinzip, 1999, S. 261 ff. 12 Kritisch dazu Child, The Monist 1990, S. 578 ff. 13 Zum Urheberrecht BVerfGE 81, 12 (16); 79, 29 (40 f.); 31, 229 (239); zum Patentrecht BVerfGE 36, 281 (290 ff.); w. Nachw. in Teil 6. 14 Zu diesen Wurzeln vgl. nur Rehbinder, Urheberrecht, 10. Aufl. 1998, S. 7 ff., 13 ff.; zur neueren Entwicklung vgl. nur Köhn, Z U M 38 (1994), S. 278 ff.

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Entgegen einiger Stimmen insbesondere des amerikanischen Schrifttums wird das in die intellectual property rights eingelassene personalistisch-individualistische Moment auch in der neuen Netzwerkökonomie nicht bedeutungslos 15 . Aufgrund der sich in der neuen Ökonomie mehr und mehr durchsetzenden „Logik der Vernetzung" wird es künftig aber mehr denn je darauf ankommen, die kognitive wissenserzeugende Bedeutung des Eigentums in den Vordergrund der rechtswissenschaftlichen Aufmerksamkeit zu rücken. Aus dieser Perspektive wäre dann eine neue - oder die Vorstellung des Grund- und Sacheigentums zumindest ergänzende - Bestimmung der Eigentumsrechte zu entwickeln, eine Beschreibung, die darauf angelegt sein müßte, einen Beitrag zur Erhaltung und Förderung der Produktivität der transsubjektiven Beziehungsnetzwerke der neuen Ökonomie zu leisten 16 . Vor dem Hintergrund dieser einleitenden Thesen soll im folgenden versucht werden, einige Grundannahmen des (deutschen) Öffentlichen Rechts am Beispiel der intellectual property rights neu zu arrangieren. In einem ersten Schritt wird die Funktion liberaler Freiheitsrechte auf der Grundlage der Theorie autonomer sozialer Systeme reformuliert (III. und IV.). Anschließend wird die juristische Beschreibung des Eigentums so modifiziert, daß daran eine stärker netzwerkartige Vorstellung immaterieller Eigentumsrechte anschließen kann (V.). Schließlich sollen daraus einige vorläufige Folgerungen für den Eigentumsschutz in der neuen Ökonomie gezogen werden (VI.).

I I I . Z u r Stellung des Individuums in der teleologischen Ordnung der Tradition

Wenn man die Beschreibung der modernen Gesellschaft, wie sie Niklas Luhmann 1997 in „Die Gesellschaft der Gesellschaft" vorgelegt hat, grundsätzlich akzeptiert, kann der Ausgangspunkt für eine Bestimmung der Funktion subjektiver Freiheitsrechte nicht der Staat oder die Geschichte des modernen Nationalstaats sein. Mit der Wahl eines solchen Zugriffs soll nicht bestritten werden, daß etwa die Erklärung der Menschenrechte von 1789 für die politische Geschichte Frankreichs ein bedeutender Einschnitt war 1 7 , der weitreichende Auswirkungen auf das europäische Staatensystem hatte und sich u. a. in der Übernahme französischer Institutionen und Geis Z. B. Negroponte, Total Digital, 1997, S. 77 ff.; Reeves , University of Chicago Law Review 63 (1996), S. 761 ff. 16 Vgl. Allen, in: Eliasson/ Karlson (Hrsg.), The Limits of Government, 1998, S. 99 (112); Ladeur, in: Hoffmann-Riem (Hrsg.), Innovation und Telekommunikation, 2000, S. 57 (68). 17 Vgl. nur Gauchet, Die Erklärung der Menschenrechte, 1991; Breuer, Bürokratie und Charisma, 1994, S. 33 (51 ff.).

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setze im rheinischen und westfälischen Deutschland niederschlug 18 . Ausgangspunkt einer rechtstheoretischen Rekonstruktion liberaler Freiheitsrechte müssen aber Sinn und Funktion sein, die subjektive Rechte für die Selbstorganisations- und Selbstregulierungsprozesse der modernen liberalen Gesellschaft übernehmen. Dabei kommt es für eine Theorie subjektiver Freiheitsrechte, also für eine Theorie in normativer Absicht, entscheidend darauf an, den Akzent auf die Veränderung der Selbstbeschreibung der Gesellschaft im Übergang zur modernen (funktional differenzierten) Gesellschaft zu legen. Eine sich theoretisch absichernde Beschreibung kann also nicht nur die abwehrrechtlichen oder noch enger: rechtsschutzbezogenen Aspekte subjektiver Rechte thematisieren. Sie muß vor allem den Bruch des Liberalismus mit der semantischen Tradition der aristotelisch-christlichen Welt- und Gesellschaftsbeschreibung herausstellen, wie er erstmalig in der Sozialphilosophie von Hobbes, später von Locke und der Schottischen Aufklärung reflektiert wird. Das erfordert vorab einige Bemerkungen zu den semantischen Beständen des traditionellen „alteuropäischen" Welt- und Gesellschaftsbildes. Sehr grob vereinfachend kann man sagen, daß die traditionelle politische Philosophie (und eine andere „praktische" Philosophie gab es nicht) seit Aristoteles dem Inhalt nach auf einer metaphysischen Grundüberzeugung beruhte. Diese metaphysische Grundüberzeugung ist zugleich die Grundüberzeugung jeder Metaphysik überhaupt, und sie artikulierte sich im aristotelisch-christlichen Weltbild in der zentralen Annahme, daß es über und neben der diesseitigen empirischen Natur der Dinge eine jenseitige unveränderliche wirkliche Wirklichkeit gab, die zugleich Grund oder Quelle der normativen Prinzipien der diesseitigen empirischen Wirklichkeit bildete 1 9 . Infolgedessen waren Natur und Gesellschaft in der „alteuropäischen" Semantik zu einer letztlich untrennbaren „naturalen Einheit" (Luhmann) verknüpft, deren Anfangsursache der menschlichen Erkenntnis nicht oder nur schwer zugänglich war. Das strukturierende Prinzip dieser naturalen Einheit ging nicht aus lediglich innerweltlich gültigen, der Mathematik nachgebildeten rationalen Gesetzmäßigkeiten hervor (wie später im geometrischen Weltbild ζ. B. bei Galilei und Descartes), sondern entsprang eben jener jenseitigen transzendenten unveränderlichen wirklichen Wirklichkeit, die als ewig und unveränderlich gedacht wurde, als die ewigen Zwecke in der Natur, das Ziel und Ende („telos"), zu dem alles Seiende strebte, die Perfektion, die den Menschen trotz aller existierenden Unvollkommenheiten unverrückbar vorgeordnet war. Diese Weltbeschreibung führte - bezo18 Vgl. dazu nur Grimm, Recht und Staat der bürgerlichen Gesellschaft, 1987, S. 192 ff., 206 f. 19 Aristoteles, Metaphysik, 1526 a 10-23; vgl. auch, aus der Perspektive der Metaphysikkritik Kondylis, Die neuzeitliche Metaphysikkritik, 1990, S. 12 ff.

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gen auf die Gesellschaft oder das Politische (beides war nicht zu trennen) zu einem stationären Gesellschaftsbild, einem Schichtenmodell von unterschiedlichen Seinsebenen, die hierarchisch von oben nach unten gegliedert waren. Es handelte sich um ein stabiles stratifiziertes „Top-Down-System", das in der Autorität Gottes und seinen weltlichen Stellvertretern, König und Adel, sein Zentrum und seine Einheit hatte. „Über dem Ganzen", so hat der deutsche Religionssoziologie Ernst Troeltsch den Grundzug der teleologischen Ordnung der Tradition zu Beginn des letzten Jahrhunderts charakterisiert, erhob sich „mit dem religiösen Zentralzweck die religiöse Autorität als die eigentliche Seele der ganzen menschlichen Gesellschaft in all ihren Stufen und Gruppen, die ... das Ganze selber in seinen Grundverhältnissen leitet und bedingt, um jeden auf seine Weise und an seinem Ort an dem ewigen Zwecke seinen entsprechenden Anteil finden zu lassen" 20 . In dieser, an ewige Zwecke gebundenen, naturalen Einheit war für ein modernes Verständnis von Personalismus oder Individualismus und damit von Rechtssubjektivität kein Platz. Die berühmte Bemerkung von Michel Foucault (am Ende seines Buches über die Ordnung der Dinge), daß der Mensch eine relativ junge Erfindung der Geschichte sei, kann auch in rechts- und verfassungstheoretischen Zusammenhängen nicht oft genug wiederholt werden. In der alten traditionellen Welt der Status Verhältnisse und der ihr korrespondierenden patriarchalischen und patrimonialen Vorstellungen von Schutz- und Fürsorgepflichten gab es keine subjektiven Rechte. Jedenfalls waren diese Rechte nicht unabhängig von räumlich und sachlich stark variierenden Reziprozitätsbeziehungen; sie waren also, positiv formuliert, unmittelbar in konkrete (Rechts-)Verhältnisse eingelassen, die auf Gegenseitigkeit beruhten wie z. B. das Gutsrecht zwischen Grundherr und Bauer 21 . Die Umdeutung des altrömischen Begriffs des „ius" in ein abstrakt personen- und subjektbezogenes Recht im Sinne von „facultas" mag, wie z. B. Brian Tierney und Niklas Luhmann meinen 22 , bereits zwischen dem 12. und 16. Jahrhundert eingeleitet worden sein. Es mag auch sein, daß in den „jura quaesita" gewisse begriffliche Anschlußmöglichkeiten für die Konstruktion der Rechtsfigur des subjektiven Rechts zur Verfügung standen 23 . Dennoch müssen Thesen, die die Anfänge subjektiver (Ei20

Troeltsch, Die Soziallehren der christlichen Kirchen und Gruppen, Bd. 1 (1912), 1994, S. 320. 21 Vgl. dazu nur Berman, Recht und Revolution, 2. Aufl. 1991, S. 503 ff.; Brunner, Land und Herrschaft, 5. Aufl. 1965, insb. S. 240 ff. 22 Luhmann, Gesellschaftsstruktur und Semantik, Bd. 2, 1981, S. 45 (48 ff.); ders. (FN 5), S. 457 (484); Tierney, Journal of Law and Religion 5 (1987), S. 163 (165 f.). Tierney führt subjektive Rechte letztlich auf den christlichen Humanismus (vgl. S. 175) zurück, eine Position, wie sie in Deutschland z. B. Wolfgang Schlucht er teilt. 23 Diese Abhängigkeiten diskutieren z. B. Bauer, Geschichtliche Grundlagen der Lehre vom subjektiv öffentlichen Recht, 1986, S. 32 (38); Masing, Die Mobilisierung des Bürgers für die Durchsetzung des Rechts, 1997, S. 56 ff.

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gentums-)Rechte bis in das 12. Jahrhundert vordatieren wollen, schon angesichts der vor 1800 kaum ausgebildeten Geldwirtschaft wohl eher als überspitzt eingestuft werden 24 . Für eine solche Einschätzung spricht nicht zuletzt die Architektur der alten politischen Standesgesellschaft. Wenn man die Semantik der „alteuropäischen" Welt- und Gesellschaftsbeschreibungen ernst nimmt, war der Mensch kein Individuum (im Sinne der älteren Wortbedeutung von unteilbar). Die einzelne Seele und der einzelne Körper hatten unmittelbar Anteil am göttlichen Wesen und partizipierten an der Hierarchie der vorgegebenen Zwecke des Gemeinwesens. Der Mensch hatte in der alten Ordnung seinen festen, unveränderlichen Platz, er war ein nicht zu isolierender Teil des Ganzen, ein normatives und nicht, wie dann bei Hobbes, ein empirisch-analytisches Konstrukt. Als normatives Konstrukt war er vor allem über das Medium seiner Seele unmittelbar mit der transzendenten Quelle des Gemeinwesens, dem fremden Willen Gottes verbunden. Der Mensch war, etwas anders formuliert, Teil eines „Gemeinwesens", das mit seiner religiös-moralisch-rechtlichen Ordnung identisch w a r 2 5 , während das Verhältnis des Individuums zur liberalen Gesellschaft eben nur noch negativ bestimmt werden konnte. In dieser alten Welt stand ζ. B. der König als Rechtssubjekt nicht anderen, prinzipiell gleichwertigen Rechts Subjekten gegenüber, sondern der König war der Repräsentant Gottes auf Erden, und seine Souveränität gründete gerade darin, weltliches Recht schöpfen zu können, ohne selbst an dieses Recht gebunden zu sein. Gott und der König hatten das Privileg, wie Jakob I. die royalistische Position in der berühmten Auseinandersetzung mit Edward Coke um 1600 ausgedrückt hat, ihre Untertanen zu schaffen und zu vernichten, „die Gewalt zu erheben und niederzuwerfen, die Gewalt des Lebens und des Todes, sie sind Richter über alle Untertanen, und in Rechtsfällen nur Gott allein verantwortlich" 2 6 .

IV. Z u r Genese und Funktion subjektiver Freiheitsrechte 1. Z u r funktionalen Differenzierung der modernen Gesellschaft

Es ist oft beschrieben worden, wie die naturale Einheit der teleologischen Ordnung der Tradition seit dem 17. Jahrhundert zunächst auf theoretischer 24 Bedenken in diese Richtung z. B. bei Bauer (FN 23), S. 22 ff., 26 f., 38 f. u.ö. A l lerdings mag England auch im Hinblick auf das Grundeigentum eine Ausnahme gewesen sein. So z. B. Palmer, Law and History Review Vol. 3 (1985), S. 1 ff. 25 Zur Rechtsauffassung der „societas civilis" vgl. nur Brunner (FN 21), S. 133 ff.; Bauer (FN 23), S. 26 ff. 26 The political Works of James I, 1616, hier zitiert nach Brandt, in: Schwartländer / Willoweit (Hrsg.) (FN 10), S. 19 f.

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Ebene aufgelöst wird. In Ansätzen wird dieser Prozeß schon im Nominalismus des Spätmittelalters vorbereitet, mit größerer Deutlichkeit tritt das neue Weltbild aber erst bei Autoren wie Bacon, Descartes und Hobbes in Erscheinung (um nur diese drei zu nennen) 27 . Mit der praktischen Durchsetzung der modernen Gesellschaft, die erstmalig in England um 1800 erkennbare Gestalt annimmt 2 8 , entsteht, wie man heute wissen kann, ein von den Menschen und ihren natürlichen Lebensräumen losgelöstes, künstliches Beziehungsnetzwerk autonomer Kommunikationssysteme. Dieses artifizielle Beziehungsnetzwerk autonomer Kommunikationssysteme, welche ihrerseits selbst Netzwerke sind, werden in der Soziologie des späten 19. Jahrhunderts zunächst als Erscheinungen der „sachlichen Kultur", als „elementare Formen", „Wertsphären" oder „Kulturprovinzen" beschrieben, das aristotelische Weltbild - in der Sprache Max Webers - durch die Vorstellung der „inneren Eigengesetzlichkeiten der einzelnen Sphären" der „okzidentalen Kultur" abgelöst 29 . Es werden mit anderen Worten in der modernen Gesellschaft unterschiedliche kollektive (nicht nur: individuelle) Rationalitätssphären ausdifferenziert, auf die Soziologie und Staatslehre erst ganz allmählich mit einer neuen Semantik reagieren 30 . Das metaphysisch determinierte hierarchische Schichtenmodell Alteuropas weicht einer, wie es Hermann Heller dann in der Staatslehre von 1934 ausgedrückt hat, „objektiven, nichtpsychologischen Gliederung der gesellschaftlichen Totalität" 3 1 . Systemtheoretisch wird diese Entwicklung als Veränderung der Differenzierungsform der Gesellschaft beschrieben, als Umstellung von „stratifikatorischer" auf „funktionale Differenzierung" 32 . Der Kerngedanke ist also, daß in der modernen (funktional differenzierten) Gesellschaft die laufende Kommunikation nicht mehr in einem metaphysischen Weltbild integriert werden kann und der Begriff der Gesellschaft selbst prekär wird. Die Einheit der sozialen Kommunikation zerfällt in unterschiedliche Versionen von Welt- und Gesellschaftsbeschreibungen. Die laufende Kommunikation w i r d jetzt nach bestimmten „binären Codierungen" (z. B. Recht / Unrecht) selektiert und in den unendlichen Schleifen einer Mehrheit von autopoietischen Kommunikations27 Vgl. dazu etwa Cohen, Revolutionen i n der Naturwissenschaft, S. 167 ff.; Kondylis (FN 19), S. 147 ff.; vgl. auch Gerschlager, Konturen der Entgrenzung, 1996. 28 Zur wirtschaftlichen Seite dieser Entwicklung (und zum Einfluß des „fiscal-military state" auf diese) vgl. Brewer, The Sinews of Power. War, Money and the English State, 1688-1783,1989, S. 178 ff. 29 Weber, Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie (1920), 1986, S. 11, 541. 30 Das Moment der Herausbildung unterschiedlicher „sozialer Erscheinungen" und „Äußerungen des Gemeinlebens" wird z. B. bei G. Jellinek, insbesondere in der Allgemeinen Staatslehre, stark betont. 31 Heller, Staatslehre (1934), in: Drath u. a. (Hrsg.), Gesammelte Schriften, Bd. 3, 1971, S. 196. 32 Luhmann, Die Gesellschaft der Gesellschaft, Bd. 2, 2. Aufl. 1999, S. 709.

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systemen weitergeschrieben, d. h. in nie endenden Rück- und Vorgriffen auf vorangegangene oder noch folgende kommunikative Ereignisse. Zur Stabilisierung dieser dauernden Vor- und Rückgriffe trägt ganz maßgeblich die Erfindung des Buchdrucks bei und die daran anschließende Ausbildung eines akademischen Buchmarktes, dessen Produkte u. a. in Universitätsbibliotheken archiviert und damit einem wachsenden Publikum zur laufenden Wiederverwendung zur Verfügung gestellt werden können. So entstehen nach und nach eigenständige, aus der Gesellschaft ausdifferenzierte Kommunikationsnetzwerke, die ganz spezifischen Sinn verarbeiten, autonome soziale Systeme, von denen heute die primären Funktionssysteme der modernen Gesellschaft - Wirtschaft, Wissenschaft, Recht, Pol i t i k und Massenmedien - die wichtigsten sind. Diese autonomen Funktionssysteme sind - kausal gesehen - wechselseitig voneinander abhängig (ζ. B. kein Buchdruck ohne Lesefähigkeit), aber aufgrund ihrer operativen Geschlossenheit, die sich auf Strukturen und Elemente bezieht, sind soziale Systeme für ihre Umwelten (wie ζ. B. psychische Bewußtseinssysteme) nicht unmittelbar und vor allem nicht: in ihrer „ganzen Fülle" zugänglich. Es handelt sich um eine immaterielle Welt von Relationen und Verknüpfungen, eine nicht-empirische und dennoch reale emergente Ebene kollektiver Ordnungen, an deren Produktion und Reproduktion die Menschen qua „struktureller Kopplung" von Kommunikations- und Bewußtseinssystemen, also über Sprache und Schrift, beteiligt sind 3 3 . Ob ihrer Menge und Spezialisiertheit kann die Gesamtheit aller gleichzeitig laufenden Kommunikationen aber nicht mehr auf den Menschen zurückgeführt werden, so wenig wie ein einzelnes Individuum ein Verhältnis zur Gesellschaft als Ganzer gewinnen könnte. Entgegen aller vordergründig aufklärerischen Beschwörungen ist der Mensch mit dem Untergang der alten Gesellschaft der Tradition nicht „Bauherr" der Gesellschaft geworden 3 4 . „Diese Idee des Humanismus kann nicht kontinuieren" 3 5 . Paradoxerweise liegt aber gerade in dem Umstand, daß die moderne Gesellschaft für Interaktion unzugänglich geworden ist, die Möglichkeit der Steigerung der wechselseitigen Freiheitsgrade von System (Gesellschaft) und Umwelt (Individuen) und damit auch die Bedingung der Möglichkeit der individuellen Freiheit. Das zeigt sich vielleicht nirgends deutlicher als im Bereich der sexuellen Freiheit, die in der traditionalen Gesellschaft undenkbar war, weil der Körper in die Sphäre der von Gott und daher fremdbe33 Vgl. dazu Luhmann, Die Gesellschaft der Gesellschaft, Bd. 1, 2. Aufl. 1999, S. 100 (103). 34 Dies zu Lepsius, Steuerungsdiskussion, Systemtheorie und Parlamentarismuskritik, 1999, S. 45. Anders als Lepsius meint, ist der Mensch noch nicht einmal „Baustein" sozialer Systeme. Deren „Basiselement" ist sinnhafte Kommunikation, nicht aber durchblutete Gehirne oder menschliche Körper. 35 Luhmann,

Soziale Systeme, 4. A u f l . 1994, S. 289.

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stimmten Natur gehörte und nicht, wie heute, in den Bereich der sexuellen „ Selbstverwirklichung".

2. Z u r Umstellung der modernen Gesellschaft auf Zukunftsorientierung

Dieser evolutionäre Dezentrierungseffekt, der die Subjektivität der Grundrechte überhaupt erst möglich gemacht hat (und zugleich in ihnen abgebildet wird), wird noch etwas deutlicher, wenn man eine weitere Eigenschaft der modernen Gesellschaft akzentuiert, die für ihre Funktionsweise eine vielleicht noch größere Bedeutung hat, als ihre sachliche Unterteilung in Funktionsbereiche: nämlich das Verhältnis der modernen Gesellschaft zur Zeit. In der Zeitdimension ist die liberale Gesellschaft eine zukunftsorientierte Gesellschaft, die sich fortwährend „ i n Richtung auf einen Weltzustand bewegt, „den es noch gar nicht gibt" 36. Die liberale Gesellschaft lernt und muß lernen, daß die Herkunft der Dinge keinen Halt mehr bietet und die Tradition ihre Gewißheit verliert. Dies wird vor allem daran deutlich, daß sich seit dem Mittelalter eine ganz neue Zeitbegrifflichkeit herausbildet, mit deren Implementation die Orientierungsgrundlagen der Kommunikationsnetzwerke allmählich von Vergangenheit auf Zukunft bzw. von Erfahrung auf Erwartung umgestellt werden konnten. Ein Beleg dafür ist, daß das Neue und die an das Neue geknüpften supplementären Begriffe wie Genie, Kreativität, Erfinden, Innovation usw. seit dem 17. Jahrhundert ganz allmählich positiv bewertet und dann auch in politischen Zusammenhängen gegen die Tradition gewendet werden können 3 7 ; man denke nur an die Französische Revolution. Mit dieser Wertschätzung des Neuen läßt sich die liberale Gesellschaft aber gezwungenermaßen auf das Unbekanntsein der Zukunft ein, denn die Zukunft ist jetzt nicht mehr die Wiederholung des Vergangenen, sondern ein Horizont ungewisser Möglichkeiten, der zugleich Chancen wie Gefährdungen eröffnet. Damit wird eine neuartige Zeitvorstellung relevant, die Helga Nowotny in ihrem Buch Eigenzeit mit der theoretischen Figur einer „erstreckten Gegenwart" zu erfassen versucht hat; danach wird die moderne Gesellschaft durch eine lineare Zeitauffassung beherrscht, die auf die Abschaffung der Zukunft hinausläuft 38 . Wenn man die moderne abstrakte Zeit als „erstreckte Gegenwart" beschreibt, bleibt man m.E. jedoch zu sehr der Ebene der geschichtsphilosophischen Entwürfe verhaftet, wie sie sich insbesondere in der Fortschrittsphilosophie der Aufklärung artikuliert, zum Beispiel 36 37

28).

Luhmann (FN 32), S. 998 (Hervorhebung von Luhmann). Vgl. Luhmann (FN 32), S. 997 ff.; Groys, Über das Neue, 1992; Gerschlager (FN

ss Nowotny, Eigenzeit, 1989, S. 47 ff.

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im Entwurf einer historischen Darstellung der Fortschritte des menschlichen Geistes von Condorcet. Die Vereinnahmung der Zukunft durch die Gegenwart ist aber heute mit nicht hintergehbaren Risiken verbunden. So kann etwa durch Geld Zukunft in unbestimmter Form gebunden werden, aber es bleibt immer das Risiko der Inflation oder anderer unvorhersehbarer wirtschaftlicher Entwicklungen. Wenn man diese am Wirtschaftssystem gewonnene Erfahrung generalisiert, kann man die These formulieren, daß die moderne Gesellschaft nicht unter einem ideologischen, sondern unter einem außerideologischen Innovationszwang steht 39 . In der liberalen Gesellschaft wird also die Gegenwart nicht ausgedehnt, wie Helga Nowotny meint, sondern verdichtet und die neuzeitlich-aufklärerische Vorstellung von der neuen Zeit als einem zielgerichteten Progreß eingeholt „von der permanent sich erneuernden ,Neuheit der Gegenwart'" 40 . Das Zeitkontinuum der Gesellschaft der Tradition wird mit anderen Worten in Kurzlebigkeit, Augenblicklichkeit und Flüchtigkeit zerstückelt, die historische Zeit der Erfahrung und der Dauer zu einer permanenten Wiederholung der Differenz von Vergangenheit und Zukunft zusammengezogen, zu einer „zeitlosen Zeit" des beständigen Vergehens von Zeit 4 1 . Diese einschneidenden Veränderungen im Zeiterleben zeigen sich heute ζ. B. in den unglaublich kurzlebigen Produktzyklen der Mode. Sie manifestieren sich ferner in der ganz der Augenblicklichkeit verpflichteten Popkultur, aber auch in den Halbwertzeiten der Produkte der Computerindustrie oder in der hohen Volatilität der Finanzmärkte. Das beste Beispiel für den Beleg der These der Vorherrschaft der Zeitproblematik sind aber vielleicht die Massenmedien. So muß unter der Bedingung des Informationsüberflusses z.B. auch das Fernsehen Aufmerksamkeit binden. Es ist deshalb darauf angewiesen, beständig neue, aktuelle, „brandheiße" Informationen zu erzeugen, denn „wo nichts Neues entsteht, entsteht auch keine Informat i o n " 4 2 . Im Bereich der „Sportberichterstattung" - um diesen etwas verstaubten Begriff zu benutzen - führt das ζ. B. dazu, daß das Fernsehen die neuen und aktuellen Ereignisse, über die es live berichtet, in zunehmenden Maße selbst erzeugt oder doch zumindest die Zeittakte der Ereignisse medial und real modifiziert; man denke nur an die Aufrüstung der Formel 1. Abstrakter gesprochen bedeutet dies, daß die autonomen Systeme der modernen Gesellschaft die Zeit erzeugen, die sie zur Stabilisierung ihrer dynamischen Produktions- und Reproduktionsfähigkeit benötigen. Deshalb ist 39 Groys (FN 37), S. 10. 40 Gerschlager (FN 27), S. 110. 41 Mehr dazu bei Castells , The Rise of the Network Society, Vol. I, S. 429 ff. Daher das „Dunkel des gelebten Augenblicks" (Bloch). 42 Franck, Ökonomie der Aufmerksamkeit, 1998, S. 195; vgl. auch Luhmann (FN 32), S. 1001 („Information ist aber nur Information, wenn sie neu ist.").

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auch die unaufhörliche Schaffung des Neuen nicht Ausdruck der menschlichen Freiheit, sondern lediglich Anpassung an die Regeln und Regelmäßigkeiten, die das Funktionieren der autonomen Kommunikationsnetzwerke der modernen Gesellschaft bestimmen 43 .

3. Z u m Zusammenhang von subjektiven Freiheitsrechten und „nachträglicher" Ordnungsbildung

Aus diesen Überlegungen folgt für die hier zu behandelnde Fragestellung zunächst, daß die moderne Gesellschaft von der Rechts- und Verfassungstheorie nicht mehr sinnvoll auf der Grundlage als stabil gedachter Personensubjekte wie „Staat", „Volk" oder „Nation" konzipiert werden kann. Die moderne Gesellschaft hat sich auf einen umfassenden Dezentrierungsund Mobilisierungsschub eingelassen, auf eine Pluralisierung ihrer Kommunikationsnetzwerke und einen Umbau der sie konstituierenden zeitlichen Muster der Ordnungsbildung, in der Zeitbeständigkeit nur noch durch Vernetzung von Kommunikationen und durch Stabilisierung dieser rekursiven Relationierungsmuster erreicht werden kann 4 4 . Der damit erreichte Grad der Temporalisierung von Komplexität läßt es nicht mehr zu, ein Subjekt, das unabhängig von diesen material heterogenen Teilordnungen existieren könnte, zum „Souverän" zu erklären; also zu einer ordnungsstiftenden Kraft, die autonom von den verschiedenen, der beständigen (Selbst-) Veränderung unterliegenden Funktionsbereichen der modernen Gesellschaft existieren könnte. „Keine Sprache kann wohl in dieser Zivilisation mehr monarchisch, souverän, legislativ und im traditionellen Sinn auktorial sein" 4 5 . Diese Bewegung der „Desaggregation" der Gesellschaft (und des Subjekts), die der Philosoph Boris Groys hier treffend beschreibt, muß auch Auswirkungen auf die Rechtswissenschaft haben, insbesondere auf ihre Vorstellung von der „Einheit" der Verfassung, des Staates, der Nation, des Volkes etc. Gerade auf dem Kontinent, besonders in Frankreich und Deutschland, verweist diese „Einheitssemantik" eher auf Restbestände politischer Theologie („Corpus-Mysticum-Tradition") 46 , während es heute darauf ankäme, die historischen Bedingtheiten eines derartigen Vorrangs der Identität vor der Differenz zu reflektieren und den Primat der Differenz gegenüber der Einheit in einer komplexitätsadäquaten Modellierung des l i beralen Rechtsmodells (wieder-)herzusteilen. 43 Groys (FN 37), S. 11. 44 Vgl. dazu nochmals zusammenfassend Luhmann, Die Politik der Gesellschaft, 2000, S. 15 f. 45 Groys (FN 37), S. 156; vgl. auch Guéhenno, Das Ende der Demokratie, 1994, S. 57. 46 Vgl. dazu den Überblick bei Breuer, Der Staat 38 (1998), S. 189 ff.; zu den theologischen Wurzeln vgl. Kantorowicz, Die zwei Körper des Königs (2. Aufl. 1957), 1994. 3 Die Verwaltung, Beiheft 4

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Ersetzt man die frühliberalen Vorstellungen von vorgegebener Einheit und Allgemeinheit durch ein „postmodernes" Modell der heterarchischen relationalen Ordnungsbildung im Fluß der Zeit, wird des weiteren deutlich, daß mit der Rechtsfigur subjektiver Rechte kein neues kompaktes „System" der Grundrechte an die Stelle der alten normativen Einheit des traditionalen Gemeinwesens getreten ist 4 7 . Mit der Auflösung der naturalen Einheit der „alteuropäischen" Gesellschaft wird gerade das relativ starre Gefüge von festen, vorgegebenen Positionen, die Einbindung der Individuen in eine vorgeordnete ewige Hierarchie der Zwecke, aufgelöst. An die Stelle der naturalen Einheit tritt also keine neue „Einheit" oder „Wertordnung" 4 8 , sondern dem Charakter einer offenen Gesellschaft entsprechend - eine mehr Flexibilität, Variabilität und Veränderung ermöglichende Rechtsordnung, die mit artifiziellen Konstruktionen wie der Zuerkennung einer abstrakten juristischen Persönlichkeit und frei verfügbaren subjektiven Rechten operiert. Die tradierte Ordnung innerhalb eines stabilen „Gemeinwesens" wird durch eine, wie Karl-Heinz Ladeur sie nennt, „distribuierte Ordnung privater Entscheidungsrechte" ersetzt, und diese dient der Ermöglichung der Kooperation von Fremden (und nicht der von Brüdern) 49 . Die moderne liberale Gesellschaft stattet das Individuum gewissermaßen zur Entschädigung seiner Statusrechte mit subjektiven Rechten aus 5 0 , allen voran mit property rights (im weiten englischen Sinn). Die liberalen Grundrechte und die Rechtsfigur des subjektiven Rechts sind infolgedessen Ausdruck des Verselbständigungseffekts der modernen Gesellschaft gegenüber dem Menschen. Das heißt umgekehrt gesehen aber nichts anderes, als daß sich in der Negativität der Freiheitsrechte zugleich die Unmöglichkeit der Individuen manifestiert, ein unmittelbar „positives" Verhältnis zur Gesellschaft aufzubauen. Eine historisch informierte Lektüre könnte diese Herauslösung der Individuen aus der naturgegebenen Ordnung der adeligen Standesgesellschaft bereits im Leviathan von Thomas Hobbes nachweisen. Ernst Forsthoff bemerkt in seinem Lehrbuch des Verwaltungsrechts zu Recht, daß das subjektive Recht eine umfassende „Rationalisierung" des Rechtsdenkens voraussetze, zu der neben der Negation der patriarchalischen und patrimonialen Vorstellungen von Berechtigungen, Verpflichtungen, Schutz- und Fürsorgepflichten die Vorstellung gehöre, daß der Staat eine juristische Person sei 51 . 47

Dies wird ζ. B. von Jellinek (FN 2), S. 95, klar gesehen. 8 BVerfGE 7, 198 - Lüth. 4 9 Ladeur, in: Meier-Schatz (Hrsg.), Die Zukunft des Rechts, 1999, S. 31 (36); ders. (FN 5), S. 9. 50 Luhmann (FN 5), S. 487 f. Das Rechtssystem ermöglicht also seit dem 17. Jahrhundert erhebliche Innovationen, woraus dann ζ. B. bei Weber oder Luhmann die wohl nicht ganz unbegründete Vorstellung entsteht, daß die Voraussetzungen für eine moderne Wirtschaftsordnung eher im Rechtssystem als im politischen System geschaffen worden seien. Vgl. nur Luhmann (FN 5), S. 275. 4

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Beides leistet aber nicht erst Albrechts bekannte Besprechung der Grundsätze des heutigen Staatsrechts von Maurenbrecher aus dem Jahre 1837, sondern schon der Hobbessche Gesellschaf tsvertrag 52 . Dies insbesondere dadurch, daß Hobbes mit Hilfe einer die aristotelisch-christliche Metaphysik unterlaufenden, ja diese geradezu zerstörenden Methode die Individuen aus ihrer „natürlichen" Ordnung löst und die Einzelmenschen als „Letztelemente" eines nur noch nach Naturgesetzen verlaufenden Ursache- und Wirkungszusammenhangs setzt 53 . Dieses Verfahren, das auf eine faktische Abschaffung Gottes hinausläuft und ganz an der neuen geometrischen Methode eines Galilei und Descartes orientiert ist, ermöglicht Hobbes einerseits, die empirischen Einzelmenschen, die Individuen, „so wie sie wirklich sind", an einen „einheitlichen", aber artifiziellen, durch konventionalisierte Sprach- und Schriftregeln konstituierten Willen zu binden 5 4 . Dieser einheitliche Wille autorisiert den neuen Souverän als Garanten von Einheit und Ordnung, wobei Hobbes an die in England seit dem Mittelalter laufende Diskussion über die zwei Körper des Königs anknüpfen kann 5 5 . Andererseits wird die abstrakt gewordene und nur noch symbolisch darstellbare Souveränität des Monarchen selbst an den Zweck der Autorisierung und damit an die Regeln und Regelmäßigkeiten eines über Sprache, Schrift und Buchdruck laufenden Rechtscodes angeschlossen. Die Souveränität wird damit an die Individuen rückgekoppelt, die damit zugleich in abstrakte Zurechnungseinheiten von rechtsförmigen Entscheidungen transformiert werden und der Sache nach - auch ohne die explizite Ausformulierung von Grundrechten - als prinzipiell gleichberechtigte Rechts Subjekte anerkannt werden. Die Souveränität konstituiert bei Hobbes also vor allem einen Raum gemeinsamer „bürgerlicher" Regelorientierung, nicht aber: einen Raum der freien „absoluten" Willkür des Monarchen. In diesem Raum nimmt das positive Recht einen besonderen Platz ein, da dessen Regeln von allen Rechtssubjekten, auch dem König und seinen Stellvertretern, akzeptiert und internalisiert werden müssen. Dieses Moment der Formalisierung, das eine Rechtsordnung ermöglicht, in der individuellen Zwecksetzungen gegenüber der repräsentativen Öffentlichkeit des Adels der Vorrang gebührt, wird dann in den property rights und der Geldtheorie Lockes zugunsten einer weiteren Absicherung subjektiver Rechte ausgebaut. si Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, Bd. 1, 9. Aufl. 1966, S. 178. 52 Jellinek (FN 2), S. 33 f., bemerkt dazu: „Die spätere juristische Theorie hat diesen Ausführungen (gemeint ist Hobbes) nichts wesentlich neues hinzufügen können." 53 Vgl. dazu nur Kondylis (FN 19), S. 187 ff. 54 Darin ist zugleich ein kognitives Moment des Entwurfs angelegt, insofern als der Zeichengebrauch seine Sicherheit in der Übereinstimmung mit einer vorliegenden Realität verliert und zum Darstellungsmittel einer Version von möglichen Weltbeschreibungen wird. Vgl. dazu allg. Simon, Philosophie des Zeichens, 1989. 55 Dazu näher Kantorowicz (FN 46). 3*

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Thomas Vesting 4. Z u r Engführung des subjektiven Rechts i m deutschen Verfassungs- und Verwaltungsrecht

Es dürfte inzwischen deutlicher geworden sein, warum die herrschende Meinung, derzufolge subjektive Rechte die „Willensmacht" verkörpern, „die Rechtsordnung zur Verfolgung eigener Interessen einzusetzen" 56 , die Funktion liberaler Freiheitsrechte nur sehr unzureichend beschreibt. Diese Sichtweise ist durchaus nicht liberal. Sie verdankt sich auch in der Lesart, in der Privatautonomie und Marktwirtschaft gegen den Staat akzentuiert werden, einer antithetischen Fixierung auf den Staat und insbesondere auf die dritte Gewalt, die staatliche Gerichtsbarkeit. Gerade die Funktion der Grundrechte wird von der herrschenden Theorie der Eingriffsabwehr auf den Aufbau einer stabilen Grenze zwischen dem Privaten und dem Öffentlichen reduziert; dabei wird im Ergebnis das Öffentliche von der anderen Seite des Abwehrrechts, den normativen Selbstorganisations- und Selbstregulierungsmechanismen innerhalb eines transsubjektiven Beziehungsnetzwerks verteilter subjektiver Entscheidungsrechte abgelöst. Diese Ablösung wird nicht selten noch dadurch verstärkt, daß innerhalb dieser Konzeption das Private und das Öffentliche schroff entgegengesetzt werden und sogar mit einer normativen Asymmetrierung gearbeitet wird, die dann auf eine Überordnung der Vernunftgehalte des Öffentlichen über das Private hinausläuft 57 . Dies ist m.E. schon in Kants Verselbständigung des Allgemeinwillens zu einem „ursprünglich und a priori vereinigten Willen" angelegt 58 . Sie wird in Hegels Rechtsphilosophie, in der die Existenz des Staates bekanntlich als „Gang Gottes in der Welt" erscheint 59 , nur radikalisiert. Bei Bluntschli schlägt sich diese Ablösung und Überordnung des Öffentlichen im Konzept einer organischen „Staatssouveränität" nieder, bei Gerber in der Konzeption des „organischen Volksstaates" 60 . Selbst bei Georg Jellinek, der aufgrund seiner kategorischen Ablehnung aller organizistischen Staatsund Gesellschaftsauffassungen sehr viel vorsichtiger argumentierte, schafft bekanntlich erst der Staat die objektiven Voraussetzungen für die Existenz der Rechtspersönlichkeit und der subjektiven Rechte 61 . Mit einer gewissen 56 Schmidt-Aßmann (FN 1), S. 75. 57 Vgl. die Nachweise in F N 7. In einer „kritischen" Lesart dieser Staatsfixierung kann dann das Öffentliche (ζ. B. in Form des Bundesverfassungsgerichts) zu einer Art „normativem Bollwerk" stilisiert werden. Im Medium des Öffentlichen wird dann das „Leitbild einer interessierten, kompetenten („mündigen") und folgenreichen Beteiligung der Bürger am Prozeß der laufenden Hervorbringung ihres Gemeinwesens" gegen die angebliche „Ökonomisierung" der Gesellschaft verteidigt. So ζ. B. bei Rossen- Stadtfeld, Verfassungsgericht und gesellschaftliche Integration, in: Schuppert/ Bumke (Hrsg.), Bundesverfassungsgericht und gesellschaftlicher Grundkonsens, 2000, S. 169 (193). 58 Kant, Metaphysik der Sitten (1797/98), 1968, AB 91, 92. 59 Hegel, Rechtsphilosophie (1821), 1970, § 258 Zusatz. 60 Vgl. nur v. Oertzen, Die soziale Funktion des staatsrechtlichen Positivismus, 1974, S. 118 (170 ff.).

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Vereinfachung kann man daher sagen, daß der deutsche Entwicklungspfad des Öffentlichen Rechts in der Vergangenheit weniger die Funktion zerstreuter subjektiver Rechte in einer a-zentrisch gewordenen Gesellschaft akzentuiert hat, sondern genau umgekehrt die politische Funktion des Staates, des Volkes, der Nation, der Öffentlichkeit, der Verfassung oder des „Systems" der Grundrechte als „Einheitsgaranten". Die Wirtschaft erscheint dann als Ort der in lauter Partikularinteressen zerfallenden „zügellosen" Konkurrenz, des „Wildwuchses", der „Anarchie" usw., während das in eine distribuierte Ordnung autonomer Entscheidungsrechte eingebaute „Sozialkapital" überhaupt nicht zur Kenntnis genommen wird; eine Konzeption, die erst in jüngster Zeit - u. a. durch die ökonomische Analyse des Rechts - etwas stärker unter Druck geraten ist. Diese Abschließung des Öffentlichen Rechts gegenüber den Prozessen der spontanen gesellschaftlichen Selbstorganisation und Selbstregulierung führt in der Diskussion um subjektive Rechte zu einer verzerrten Wahrnehmung. Um MißVerständnissen vorzubeugen: Kritisiert werden soll hier nicht, daß die herrschende Lehre die nach dem Zweiten Weltkrieg erfolgreich implementierte „Subjektivierung des Bürger-Staat-Verhältnisses" verteidigt und diese gegen jedwede „Vereinnahmung des Bürgers für staatliche Zwecke" richtet 6 2 . Es soll hier auch nicht kritisiert werden, wenn etwa Wahl skeptisch gegenüber der richterrechtlichen Selbstproduktion von subjektiven Rechtspositionen ist und auf eine stärkere gesetzliche Mediatisierung der subjektiv-öffentlichen Rechte drängt 6 3 ; oder wenn Schoch angesichts der stärker auf objektive Rechtsdurchsetzung ausgerichteten Entwicklungsimpulse des EG-Rechts für eine moderate und das eigene „System" schonende Fortentwicklung der „Schutznormlehre" plädiert 6 4 . Aber es ist eine folgenreiche Verengung der Rechtsfigur des subjektiven Rechts, dieses auf eine gegen staatliches Handeln gerichtete Abwehrfunktion zu reduzieren, weil damit insbesondere die Folgen der praktischen Ausübung von subjektiven Rechten und insbesondere auch von Grundrechten ausgeblendet werden 65 . Die Verengung der Perspektive läßt sich probeweise auch 61 Jellinek (FN 2), S. 82; zu Jellineks „Staatslehre" vgl. auch Breuer,; Georg Jellinek und Max Weber, 1999. Jellinek ist nicht einfach einzuordnen. Einerseits bildet bei Jellinek das Öffentliche Recht die Voraussetzung für die Existenz des Privatrechts, andererseits dürfte der hinter seiner Konzeption stehende Systemgedanke vor allem der Akzentuierung der autonomen, selbstreferentiellen Erzeugung von Recht aus Recht gedient haben. 62 Schmidt-Aßmann (FN 1), S. 76. Allerdings bedarf, wie Schmidt-Aßmann im übrigen selbst einräumt, die Bürger- / Staat-Semantik einer Modernisierung. 63 Wahl, DVB1 1996, S. 642 (645). 64 Schoch, NVwZ 1999, S. 457 ff. 65 Vgl. Luhmann (FN 5), S. 158, der darauf hinweist, daß das Recht nicht nur „natürliche Freiheiten" einschränkt, sondern überhaupt erst Freiheiten, also konsensentlastete Handlungsmöglichkeiten, erzeugt.

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an der Arbeit von Johannes Masing über Die Mobilisierung des Bürgers für die Durchsetzung des Rechts belegen: Schlägt man nur einmal das Inhaltsverzeichnis auf, dann zeigt sich, wie sehr auch Masing das subjektive Recht und seine „Individualbezogenheit" zur Grundlage des Verwaltungsrechtsschutzes erklärt, diesen zum Zentrum des Verwaltungsrechts und die Grundrechte von dort aus als eine Art Unterfall des so verstandenen subjektiv· öffentlichen Rechts qualifiziert 6 6 . Richtig wäre indessen ein umgekehrt ansetzender Argumentationsgang: Zunächst hat sich in Deutschland in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts allmählich eine bürgerliche „Privatrechtsgesellschaft" etabliert, und in dem Maße, in dem diese sich ökonomisch und kulturell gegen „den absterbenden Staat der ständischen Gesellschaft" festigen konnte 6 7 , konnte die Rechtswissenschaft den Verknüpfungsbegriff des subjektiven Rechts als dogmatische Figur ausdifferenzieren und ihn auf Fragen der subjektiven Verfügung über die Inanspruchnahme von Rechtsschutz zuschneiden 68 . Dies galt in besonderem Maße für das subjektiv-öffentliche Recht, für das ein Rechtsschutzsystem in der Form der Verwaltungsgerichtsbarkeit erst noch geschaffen werden mußte 69 . Aber all die Erörterungen und Schlußfolgerungen, die man dann bei Gerber oder, in systematischer Form, bei Jellinek über subjektiv-öffentliche Rechte findet, setzten die Umstellung der Gesellschaft auf eine neue Form der „nachträglichen" dynamischen Ordnungsbildung durch ein distribuiertes Netz verteilter Entscheidungsrechte voraus - und um die Funktion von subjektiven Rechten in kollektiven Beziehungsnetzwerken, die aus Interaktionen von Individuen und Organisationen hervorgehen, aber nicht auf „Bürger" und ihre „WillensVerhältnisse" reduziert werden können, geht es hier.

5. Subjektive Rechte zwischen Freiheit und (Selbst-)Bindung

Nach den bisherigen Ausführungen läßt sich somit festhalten, daß die Schutzfunktion subjektiver Rechte keineswegs nur gegen das politische System und die Verwaltung gerichtet ist. In einer netzwerktheoretischen Perspektive, wie sie hier ansatzweise entwickelt worden ist, besteht die weitaus wichtigere Funktion liberaler Freiheitsrechte darin, die produktive Koordi66 Masing (FN 23), S. 148 ff. Allerdings räumt Masing am Ende seiner Untersuchung, S. 238, auch ein, daß wenn „die Sicherung der bürgerlichen Rechtssphäre des je einzelnen zum allein maßgeblichen Kriterium individueller Befugnisse bestimmt" wird, sie von „Grund auf den Blick auf die Bedeutung, die individuelle Befugnisse welcher Art auch immer - für die Rechtsordnung insgesamt haben", versperrt. 67 Jellinek (FN 2), S. 2; vgl. auch v. Gneist, Der Rechtsstaat und die Verwaltungsgerichte in Deutschland (1879), 1958, S. 8 ff. (32 f.). 68 Luhmann (FN 5), S. 535; die Entwicklung dokumentiert neben der häufig zitierten Arbeit von Bühler (FN 1) u. a. Thon, Rechtsnorm und subjektives Recht (1878), 1964. 69 Siehe nur v. Gneist (FN 67), S. 252 ff.

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nation und Kooperation von verteilten Entscheidungsrechten in einer azentrischen Gesellschaft zu ermöglichen und zu fördern 70 . Gerade weil in der modernen Gesellschaft alles Stabile auf der dynamischen Stabilität artifizieller Beziehungsnetzwerke beruht, kann kollektive Ordnung nur noch unbeabsichtigt, als Effekt einer stets provisorischen, vorübergehenden transsubjektiven Verknüpfung subjektiver Rechte generiert werden. Grundrechte haben die Funktion, die temporäre Haltbarkeit dieser kollektiven Verknüpfungseffekte zu gewährleisten. Ihre Aufgabe ist es, die produktive Anschlußfähigkeit von subjektiven Entscheidungsrechten im Prozeß der beständigen Selbstmodifikation der liberalen Gesellschaft zu erhalten, d. h. einer Gesellschaft, die sich nur noch an den Regeln und Regelmäßigkeiten ihrer eigenen Praxis orientieren kann. Daraus ergibt sich einmal, daß eine liberale Grundrechtstheorie nicht von einer stabilen Trennung zwischen dem Öffentlichen und dem Privaten ausgehen kann. Es ist nicht möglich, auf der Seite des Privaten einfach ein stabiles Gleichgewicht zu unterstellen, das durch private Interessen und die „invisible hand" auf wundersame Weise produziert wird, wenn man nur die Selbstorganisationskapazitäten des Marktes von staatlichen Interventionen freihält. Auch der Markt ist auf eine funktionierende Regel- und Konventionsbildung angewiesen 71 , die bei steigender Komplexität durch politische und rechtliche (Vor-)Leistungen stabilisiert und gegebenenfalls ergänzt werden muß; das galt schon für die oligopolistischen Märkte der Massengüterproduktion und gilt noch mehr für die extrem dynamischen Märkte der neuen Ökonomie, man denke nur an die Bedeutung technischer Normen für die Telekommunikations- und Computerindustrie 72 . In der zukunftsoffenen Gesellschaft der Gegenwart, in der vor allem Organisationen das wirtschaftliche und soziale Geschehen bestimmen 73 , erzeugt die ständige Suche nach neuen Technologien, neuen Produkten und neuen Organisationsformen immer wieder nicht beabsichtigte Zwänge, Pfadabhängigkeiten und Selbstblockierungseffekte 74 , die auch die Grenzen der Bewältigung von Komplexität durch marktwirtschaftliche Selbstorganisation und Selbstregulierung anzeigen. Das private Interesse wird heute stark durch Organisationen und die dadurch begrenzten Formen der Wissensgenerierung und Re70 Dies ist eine der Kernthesen des Buches von Ladeur (FN 5), an die die hier angestellten Überlegungen anzuknüpfen suchen. 71 Vgl. die Nachweise i n F N 10. 72 Vgl. nur David, in: Engel/Keller (Hrsg.), Understanding the Impact of Global Networks on Local, Social and Cultural Values, 2000, S. 39 ff.; Ladeur, RTkom 1999, S. 68 ff.; vgl. auch Vesting, The New Economy as a Challenge for a New Public Law (beyond the State), 2001, im Erscheinen. 73 Vgl. dazu nur die Beiträge in: Ladeur (Hrsg.), Liberal Institutions, Economic Constitutional Rights, and the Role of Organizations, 1997. 74 Vgl. nur Bikhchandani /Hirshleifer/ Welch, Journal of Political Economy 1992, S. 992 ff.

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gelbildung mediatisiert. Es käme also darauf an, den liberalen Ausgangspunkt nicht aufzugeben 75 , die „Individualbezogenheit" des liberalen Rechts aber stärker von seinen gegenwärtigen Möglichkeitsbedingungen her zu denken und nicht außer Acht zu lassen, daß auch das Private pragmatisch gesehen nur als „Knoten" in einem Gefüge von transsubjektiven Verknüpfungseffekten beschrieben werden kann. Das muß zum anderen auch Auswirkungen auf die juristische („normative") Konstruktion der subjektiven Rechte und Grundrechte haben. Die distribuierte Ordnung verteilter Entscheidungsrechte ist ein Effekt des Endes der teleologischen Ordnung der Tradition. Subjektive Rechte sind also nicht einfach Ausdruck einer „an sich" schrankenlosen individuellen Persönlichkeitsentfaltung in einer Welt ohne Anschlußzwänge. Eine solche Vorstellung entspricht weder der liberalen Tradition, worauf in jüngerer Zeit insbesondere Stephen Holmes und Karl-Heinz Ladeur hingewiesen haben 76 , noch kann in einer „vernetzten Welt", die durch komplexere Systeme der Ordnungsbildung gekennzeichnet ist, einfach „das" Einzelindividuum zum Dreh- und Angelpunkt der Lehre vom subjektiv-öffentlichen Recht erklärt werden. Vielmehr müssen die Effekte der praktischen Ausübung subjektiver Rechte in ihren jeweiligen Handlungsfeldern auf die juristische Konstruktion des subjektiven Rechts selbst zurückwirken und auch dogmatisch zum Zweck der Steigerung von Lernfähigkeit im Sinne der Verarbeitung von (positiven oder negativen) Erfahrungen genutzt werden. Das wäre ein Plädoyer für komplexere „prozedurale" rechtswissenschaftliche Figuren, die ihre eigene Unabgeschlossenheit reflektieren und in die über laufende Selbst- und Fremdbeobachtung mehr Flexibilität eingeführt werden kann 7 7 . Diese Position läuft nicht auf die Vorstellung einer „Gemeinschaftsgebundenheit" des Individuums hinaus, die vom „demokratischen Staat" im Rahmen „objektiv-rechtlicher" Grundrechtsgehalte verwaltet werden könnte oder müßte. Es geht hier um eine Rekonstruktion des liberalen Rechtsmodells, dessen a-zentrische und mehr Variabilität zulassende Grundstruktur nicht einfach gegen „positive Rechte" ausgetauscht und ersetzt werden kann, auch wenn die Rechtsform der Grundrechte eine solche Erweiterungsmöglichkeit suggeriert. Dies ist vor allem darin begründet, daß in die Form negativer Freiheitsrechte nicht nur eine normative, sondern zugleich eine kognitive Komponente eingelassen ist, d. h. ein spezifisches Verfahren der Erzeugung, Suche, Sammlung, Verteilung und Revision von gesellschaft75 Schmidt-Aßmann (FN 1), S. 77. 76 Holmes, The Anatomy of Antiliberalism, 1993, insb. S. 211 ff.; Ladeur (FN 5). 77 Ein Pendant im Staatsorganisationsrecht wäre eine stärker auf Selbstbeobachtung und Selbstrevision angelegte Gesetzgebung, wie sie i n BVerfGE 49, 89 (130 ff.) ansatzweise entwickelt worden ist.

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lichem Wissen. Die Auflösung der Einheit der alten Standesgesellschaft führt zu neuen Formen der zerstreuten provisorischen Ordnungsbildung, in der Meinungen an die Stelle von Wahrheit treten und falsifizierbare Hypothesen an die Stelle ewiger Gesetze. Der Markt institutionalisiert ein auf Spontanität gründendes Verfahren der wechselseitigen Beobachtung der Praxis, das zu einer Dauervariation und Dauerrevision des Wissens führt, so daß Unvollständigkeit und Vorläufigkeit des Wissens zum Grundbestand der Bewältigung des Unbekanntseins der Zukunft werden. Diese auf Dauervariation und Dauerrevision angelegten Formen „nachträglicher" Ordnungsbildung können nicht einfach durch öffentliche Entscheidung ersetzt werden; der Staat ist selbst Teil der Komplexität, die er zu bewältigen sucht; auch er kann die liberale Gesellschaft nicht erreichen! Das bedeutet in unserem Zusammenhang, daß subjektive Rechte sehr viel stärker als bisher als Teil eines autonomen Rechtssystems mit einer Mehrheit von Umweltperspektiven beschrieben werden müssen. Vor allem sind die Grundrechte kein Teil des politischen Systems. Sie sollten Politik und Gesetzgebung daher auch nicht einfach für deren Entscheidungspraxis zur Verfügung gestellt werden, eine Entwicklungstendenz, wie sie insbesondere in der neueren Schutzpflichtdogmatik angelegt ist 7 8 . Jedenfalls muß sich das Öffentliche Recht darauf einstellen, daß eine offene Gesellschaft Lernfähigkeit nur über eine distribuierte Ordnung subjektiver Entscheidungsrechte erhalten kann. Auch positive Leistungsrechte müssen deshalb künftig genauer als bisher daraufhin überprüft werden, ob sie eine Form der produktiven Verknüpfung und Ergänzung negativer Rechte erzeugen; und dafür bieten sich vor allem „prozedurale", auf privat-öffentliche Kooperation angelegte Formen an. Das Öffentliche Recht müßte sich als Partner auf der Suche nach Wegen der kollektiven Ordnungsbildung begreifen, als Angebot der Kombination unterschiedlicher Ressourcen der Selbstorganisation und Selbstregulierung der Gesellschaft; als kooperatives Recht im Streit um die beste Praxis - nicht aber als Ausdruck einer „souveränen Entscheidung", die sich im Zweifel nur an sich selbst orientiert.

V. Z u r Funktion des Eigentums 1. Z u r K r i t i k der herrschenden Meinung

Wenn man diese Überlegungen akzeptiert, erscheint auch das Eigentum in einem neuen Licht. Die Funktion des Eigentumsrechts wird verkannt, wenn es primär über eine antithetische Fixierung auf das politische System bestimmt wird, beispielsweise als Einräumung von individuellen Verfü™ Kritisch Wahl/Masing, JZ 1990, S. 553 ff.

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gungsrechten über ökonomische Güter, die gegen staatliche Eingriffe zu schützen sind; oder, etwas anders formuliert, als Sicherstellung eines, die eigenverantwortliche Gestaltung des Lebens ermöglichenden „Freiheitsraum(s) im vermögensrechtlichen Bereich" 7 9 . Derartig staatsfixierte individualistisch-personalistische Beschreibungen sind schon deshalb wenig überzeugend, weil sie zu unhistorisch ansetzen bzw. den historischen Kontext, in dem das Naturrecht die Vorstellung von Eigentum als Grundlage selbstbestimmter Individualität entfaltet hatte, ausblenden. Begriffe wie „Freiheit", „Individualität" und „Personalität" werden dann nur noch als unreflektierter Sprachgebrauch weitergeführt 80 . Die herrschende Lehre vernachlässigt vor allem, daß mit dem Übergang zur modernen (Geld-)Wirtschaft im Laufe des 18. Jahrhunderts, dem Aufkommen der „commercial society" im Sinne von Adam Smith, das (Grund-)Eigentum allmählich seine politische Funktion verlor. Je mehr das Eigentum seine politische Funktion einbüßte, desto stärker wurde aber nun seine Funktion als Medium neuer sozialer Beziehungen jenseits der Adelswelt akzentuiert. Die liberale Auffassung thematisiert daher weniger das vertikale Verhältnis von Eigentümer und Staat und eher die horizontale Relation des Eigentümers zu anderen privaten Dritten. Gerade bei frühliberalen Autoren verkörpert Eigentum ein Interesse an Staat oder Gesellschaft (und nicht: Schutz vor ihnen) 8 1 , womit zugleich die Akzeptanz der Regeln und Konventionen der neuen commercial society verbunden ist. Die liberale Theorie kritisiert zwar die Annahme einer göttlichen Natur des gesellschaftlichen Zusammenlebens, aber nicht die Notwendigkeit von sozialer Ordnung schlechthin. Selbst bei Hobbes schließen die vereinzelt Einzelnen noch einen Gesellschaftsvertrag, und außerdem war die neu entstehende Geldwirtschaft zweifellos auf die Steigerung und Verdichtung kommunikativer Ereignisse angelegt. Anders formuliert: Das liberale Eigentumsrecht gründet primär - und dies ist nur bei oberflächlicher Betrachtung eine Paradoxie - in der flexiblen Bereitschaft zur Assoziation, „die sich in neuen Formen der Konventionsbildung, der Stabilisierung von Erwartungen, der Möglichkeit zur Erzeugung und Aneignung neuen Wissens etc. niederschlägt" 82 . 79 Vgl. BVerfGE 68, 193 (222); 53, 257 (290); 31, 229 (239); 24, 367 (389); zur Akzentuierung des Eigentums als personenbezogenem, staatsgerichtetem Abwehrrecht vgl. nur Wieland (FN 11), Rn. 21; Depenheuer (FN 11), Rn. 11 ff. 80 Luhmann (FN 5), S. 484 f. K r i t i k an der personalistischen Ausrichtung der h.L. auch bei Hellbach, Öffentliche Interessen und Unternehmenseigentum, 1989, insb. S. 157 ff.; vgl. auch Meyer-Abich, Der Schutzzweck der Eigentumsgarantie, 1980, ζ. B. S. 118. Eine ganze Batterie unreflektierter Formeln bietet z. B. Depenheuer (FN 11), Rn. 11 ff., u. a.: „Eigentum ist Freiheit" oder - hegelianisch! - „Wirklichkeit der Freiheit", „gespeicherte", „geprägte" usw. Freiheit. 81 Vgl. die Nachweise bei Luhmann, in: ders., Gesellschaftsstruktur und Semantik, Bd. 3, 1989, S. 11 ff. (17). Dort auch ein Zitat von Mirabeau : „C'est la propriété qui fait le citoyen." 82 Ladeur (FN 5), S. 68 f.

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Daß es heute für eine auch kognitiv angemessene Beschreibung der Funktion des Eigentums nicht mehr genügt, einfach auf die gegen den Staat gerichtete „Privatnützigkeit" des Eigentums zu rekurrieren 83 , wird vielleicht deutlicher, wenn man sich in Erinnerung ruft, daß die frühen liberalen Rechtstheoretiker vorrangig mit dem Problem der Rechtfertigung der Institution des Privateigentums konfrontiert waren. Diese Aufgabe war aufgrund der durch das Eigentum (und das Geld) verursachten Ungleichheit alles andere als leicht zu bewältigen. Zudem bezogen sich die zunächst verbreiteten Konzepte des „unschuldigen Anfangs" der Eigentumsentstehung durchgehend auf die Eigentumslehre der „alteuropäischen" Tradition, und diese war vor dem Hintergrund der Differenz Haushalt („oikos") und politischem Gemeinwesen („polis") entwickelt worden. In diesem Kontext hatte das Eigentum einen primär politischen Sinn. Das Eigentum hatte die Funktion, die Unabhängigkeit von subsistenzsichernder Arbeit und damit die Abkömmlichkeit der Mitglieder der politischen Gesellschaft zu gewährleisten. Auf diese Weise war das Eigentum direkt auf die perfekteste aller Gesellschaften, die politische Gesellschaft, bezogen 84 , d. h. das Eigentum hatte unmittelbar herrschaftsbegründende Funktionen. Diesen unmittelbar politischen Bezug hat das Eigentum auch in den Agrargesellschaften des Mittelalters nie verloren; die mittelalterliche Feudalordnung bestimmte über das Grundeigentum den Grad der Partizipation am politischen Leben 8 5 , was etwa darin zum Ausdruck kam, daß Rittergüter aufgrund der als nicht-akzeptabel erachteten politischen Implikationen einer „Kommerzialisierung" von Grundbesitz nicht verkauft werden konnten 8 6 . Gegen diese Schranken der ständischen Gesellschaft richtete sich die Forderung der „Privatnützigkeit", und es ist klar, daß diese Forderung ihren Sinn verliert, wenn diese Referenz verblaßt. Das konnte in der Vergangenheit nur dadurch überspielt werden, daß die Ideologie des Sozialismus / Kommunismus die ursprüngliche Referenz lange Zeit in einer Art Stell Vertreterfunktion ersetzt hat. Die Spuren dieser „alteuropäischen" Tradition lassen sich entgegen einer in der Kommentarliteratur weit verbreiteten Ansicht auch in der Eigentums- und Gesellschaftstheorie von Locke nachweisen. Aufgrund der auch im England des späten 17. Jahrhunderts noch nicht vorhandenen Ausdifferenzierung einer autonomen (Geld-)Wirtschaft und der bis in das 18. Jahrhundert hinein vorherrschenden ökonomischen Theorie des Merkantilismus steht auch John Lockes Theorie der Entstehung des Eigentums aus Aneig83 So z. B. BVerfGE 24, 367 (389); 26, 215 (222); 31, 229 (240); zuletzt BVerfG, GRUR 2001, S. 43 (44). 84 Luhmann (FN 81), S. 12. 85 Riedel (FN 10), S. 134. 86 Dies ist in Deutschland noch i n der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein Thema. Vgl. nur v. Gerber, System des deutschen Privatrechts, 9. Aufl. 1867, §§ 78, 79.

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nungsarbeit eher in der alten Tradition einer politischen Eigentumstheorie 8 7 . Das zeigt sich schon daran, daß Lockes Ausgangspunkt das noch nicht geteilte „ursprüngliche" Gemeineigentum bildet 8 8 , also eine begrifflich paradoxe Institution, nämlich ein „Grundeigentum", dem das entscheidende Begriffsmerkmal des Eigentums, nämlich seine Ausschließungsbefugnis fehlt; Gemeineigentum ist (noch) nicht Eigentum! Die Aufteilung des Gemeineigentums erfolgt bei Locke allerdings nicht mehr durch Zugriff (occupatio), wie in der Tradition, sondern durch Arbeit bzw. genauer: nur noch durch Arbeit. Die dynamischen und individuumbezogenen Momente, die über die Lockesche Arbeitswertlehre in den Eigentumsbegriff eingeführt werden, können freilich nicht im Sinne der Rechtfertigung eines asozialen „Besitzindividualismus" interpretiert werden 89 . Das Recht auf Eigentum, das im Second Treatise in einem weiten Sinn von „life, liberty and estate" verwendet w i r d 9 0 , hat bei Locke primär die Funktion, zur Eigenstabilisierung der neuen Praxis der bürgerlichen Tugend beizutragen, die ihrerseits gegen die sich aus dem Grundeigentum speisende politisch ökonomische Moral des Adels gerichtet ist. Ähnlich wie der Gebrauch des Geldes Konsens voraussetzt, die Zirkulation des Geldes daher gemeinsame Regeln erfordert und damit den Aufbau einer rein innerweltlichen Ordnung der Koordination und Kooperation zwischen Individuen (und Sachen) ermöglicht, geht auch die Ausübung des Eigentumsrechts mit der Einübung neuer Regeln und Konventionen einher 91 . Die politischen Institutionen wie der Staat gründen deshalb bei Locke auf keinem so radikalen Einschnitt wie bei Hobbes, sondern dienen dazu, Mängel und Störungen der neuen Form der gesellschaftlichen Selbstorganisation und Selbstregulierung zu kompensieren; deshalb wird der Staat - anders als bei Hobbes - als eine Art koordinierender Dritter gedacht, als ein „trust in government" 92 . Damit ist aber nicht 87 Gegen die These von MacPherson, der in Lockes Theorie der property rights die Vorwegnahme einer „privatkapitalistischen" Gesellschaft gesehen hat, hat sich vor allem James Tally gewandt. Vgl. die Nachweise bei Ladeur (FN 5), S. 28 ff. und Luhmann (FN 81), S. 37; kritisch zu MacPherson auch Breuer, Sozialgeschichte des Naturrechts, 1983, S. 326 ff.; vgl. auch Riedel (FN 10), S. 134, 137, der von „Übergangsgesellschaft" spricht, sowie Hellbach (FN 80), S. 108 ff., 110. 88 Locke, Two Treatises of Government (1689), 1988, § 25: „as King David says, Psal. CXV. xvj. has given the Earth to the Children of Men, given it Mankind in common"; ähnlich § 26; w. Nachw. bei Luhmann (FN 81), S. 21, 33 ff. und Ladeur (FN 5), S. 28 ff.; zu den schöpfungstheologischen Motiven und Rechtsbegründungen bei Locke vgl. auch Kersting, Die politische Philosophie des Gesellschafts Vertrags, 1996, S. 109 ff., 111,115 u.ö. 8 9 Vgl. dazu nochmals Holmes (FN 76), S. 213 f. 90 Locke (FN88), § 123. 91 Ladeur (FN 5), S. 31; Breuer (FN 87), S. 337, 340. 92 Dazu näher Riedel (FN 10), S. 145 ff. Hannah Arendt hat i n einem Aufsatz über zivilen Ungehorsam aus dem Jahre 1970 - mit problematischer Begründung, aber in der Sache treffend - von einer „horizontalen Version des Gesellschaftsvertrages" bei John Locke gesprochen.

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nur eine Verselbständigung des Staates gegenüber den gesellschaftlichen Beziehungsnetzwerken ausgeschlossen (die schon im Naturzustand Beziehungsnetzwerke sind), sondern auch die Vorstellung, daß der Staat „natürlich" vorgegebene subjektive Rechte nach dem „Eintritt" in die Gesellschaft zu schützen hätte. Locke geht es ja gerade darum, eine neue Logik der dynamischen Ordnungsbildung, die ihrerseits auf zahlreichen Konventionen aufbaut (Ehe, Geld etc.), gegen die stationäre Praxis der adeligen Repräsentation in Anschlag zu bringen. Es geht also um die Erhaltung der Möglichkeit der dauernden Umschaltung von Freiheit auf (Selbst-)Bindung innerhalb individuell gewählter Beziehungen zwischen Rechtssubjekten. An dieser horizontalen Relationierung ist die liberale Rechtsstruktur orientiert 9 3 . Zum anderen verliert die herrschende Meinung, die das Eigentumsrecht als Abwehrrecht konstruiert, in dem Maße an Überzeugungskraft, in dem die Abwesenheit des eingreifenden Staates in die Prozesse einer ausdifferenzierten, sich selbst organisierenden und sich selbst regulierenden Wirtschaft mehr oder weniger selbstverständlich wird. Schon in der Vergangenheit hat der Wohlfahrtsstaat den Blick auf die Bedeutung der Selbstorganisations- und Selbstregulierungsprozesse in der Wirtschaft eher verstellt, für die neue Ökonomie ist Selbstorganisation und Selbstregulierung aber eher die Regel als die Ausnahme 94 . Im Vordergrund einer adäquaten juristischen Theorie des Eigentums müssen künftig also die kollektiven horizontalen Verknüpfungseffekte stehen, die durch die Ausübung der Eigentumsfreiheit in den jeweiligen Handlungsfeldern der Gesellschaft erzeugt werden. Dabei muß insbesondere berücksichtigt werden, daß Eigentum reflexive Produktion ermöglicht, d. h. Produktion aus Produkten. Die Ausübung der Eigentumsfreiheit steigert die Handlungsmöglichkeiten von und zwischen unterschiedlichen Rechtsträgern, in der neuen Ökonomie insbesondere von und zwischen Organisationen, und damit den Optionenraum von Anschlußmöglichkeiten in intra- und interorganisationalen Relationierungsnetzwerken. Um diesen Gedanken an einem Beispiel zu verdeutlichen: Nachdem Microsoft den Personal Computer durch das Betriebssystem Windows ubiquitär gemacht hatte, konnte Netscape eine Schnittstelle für den Internetzugang entwickeln, die es Jeff Bezos 1997 ermöglicht hat, den ersten elektronischen Buchhandel der Welt mit einer gewissen Aussicht auf Erfolg zu eröffnen. Heute, nur drei Jahre später, hat amazon.com auf seiner Website wöchentlich ca. sechs Millionen Besucher und eine Entwicklungsperspektive, die auf massive Eingriffe in den herkömmlichen Buchhandel angelegt ist. Dabei ist es momentan zwar nicht auszuschließen, daß die Kapitalmärkte ama93 Vgl. Ladeur (FN 5), S. 69. 94 Das zeigt - neben dem Internet - auch der Umbruch des Mediensystems durch die neuen technischen Möglichkeiten. Vgl. dazu nur Grzeszick, AöR 123 (1998), S. 173 ff.

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zon.com am Ende nicht zutrauen werden, diesen Umstrukturierungsprozeß erfolgreich voranzutreiben. Aber selbst ein Scheitern von amazon.com wird die Auflösung der bisherigen Beziehungsnetzwerke zwischen Verlagen, Großhändlern, Zwischenhändlern, Verkauf und Kunden nicht verhindern, sondern nur einem anderen Internetunternehmen wie ζ. B. barnesandnobels.com die Chance geben, aus diesem Veränderungsprozeß als Sieger hervorzugehen. Dieses Beispiel zeigt auch, daß die Eigentumsfreiheit in der liberalen Gesellschaft mit dem Privileg verbunden ist, andere vorsätzlich zu schädigen, weil und sofern diese Schädigung im Rahmen wirtschaftlicher Konkurrenz erfolgt 95 . So sind Microsoft, Netscape und amazon.com als Unternehmen ζ. B. von den Folgen des Arbeitsplatzverlustes im herkömmlichen Buchhandel entlastet, ja sogar von Betriebsschließungen, und dies, obwohl nach der herrschenden Lehre ein Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb jedenfalls im Rahmen des § 823 BGB grundsätzlich anerkannt w i r d 9 6 . Unternehmen müssen in einer liberalen Wirtschaft aber auch von derartigen Folgen entlastet sein. Das Rechtssystem einer liberalen Gesellschaft kann sich nicht an Vorstellungen wie ζ. B. denen der Politischen Theologie Carl Schmitts orientieren und etwa katechontische Funktionen in das Recht einbauen. Im Gegenteil, es muß den in die anderen Kommunikationsnetzwerke eingelassenen Innovationszwang - die „permanente Revolution" im Sinne Carl Schmitts - im Rechtssystem aufnehmen und versuchen, den Druck der unablässigen Innovation möglichst produktiv zu binden. Das Neue läßt sich nach der hier zugrundeliegenden Auffassung aber nur in einer dezentralen Struktur dynamischer Ordnungsbildung bewältigen, und darin finden auch die mit dem Eigentum verknüpften Entscheidungsrechte ihre Legitimation. Sie ermöglichen eine vorübergehende Konsensentlastung („Freiheit"), die die Suchprozesse nach der besten Praxis und damit die Dauerinnovation einer komplexen Gesellschaft in Gang halten.

2. Z u r Formulierung eines „netzwerkgerechten" Eigentumsschutzes

Bis hierhin konnten einige Punkte, die aus der Perspektive des Rechtssystems genauer beobachtet und analysiert werden müssen, nur angedeutet werden. Dazu gehört vor allem die Umstellung der gesellschaftlichen Ordnungsbildung auf Organisationen und, im nächsten Schritt, auf Netzwerke, die mit dem zunehmenden Bedeutungsverlust der liberalen Gesellschaft der 95 Luhmann (FN 5), S. 464. 96 Vgl. nur Thomas, in: Palandt (Hrsg.), Bürgerliches Gesetzbuch, 59. Auflage 2000, § 823 Rn. 19; zum Verfassungsrecht vgl. Wieland (FN 11), Rn. 43 f., einerseits und Engel, AöR 118 (1993), S. 169 (191, 204 f.) andererseits.

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Individuen zu den zentralen Trägern gesellschaftlichen Wissens und gesellschaftlicher Regel- und Konventionsbildung werden. Außerdem fehlen noch eine Reihe von Zwischenschritten, die hier aus Platzgründen nicht entwikkelt werden können. Dennoch lassen es die bislang angestellten Überlegungen zu, sie abschließend in einigen Schlußfolgerungen zusammenzufassen. Eine erste Schlußfolgerung aus den hier angestellten Überlegungen wäre, daß das Eigentum künftig nicht mehr als Grundbesitz oder wie Sacheigentum gedacht werden kann 9 7 . Schon in der Industriegesellschaft hat die wirtschaftliche Bedeutung des Eigentums eher darin bestanden, als Bezugspunkt für Kredite sowie für eine Steigerung von vertraglichen Gestaltungsmöglichkeiten zur Verfügung zu stehen; diese Notwendigkeit größerer Mobilität hat z.B. die Unterscheidung von Eigentum und Besitz notwendig gemacht, d. h. eine rein juristische Konstruktion hinter den sichtbaren Besitzverhältnissen 98 . Zwar ist das Eigentumsrecht in Form des Schutzes von Patent- und Urheberrechten seit dem 18. Jahrhundert auf immaterielle Güter erweitert worden, aber diese Erweiterung hat - insbesondere aus verfassungsrechtlicher Sicht - doch eher ergänzende Funktionen und wird nicht selten dadurch relativiert, daß die sogenannten „geistig-persönlichen Elemente" von Patent- und Urheberrechten sehr stark betont werden 99 . In der neuen Ökonomie hat das Eigentum jedoch primär eine kognitive Komponente. Es ermöglicht, neues Wissen in neuen Produkten zu erproben, daraus neues Wissen zu schaffen und daran weitere neue Möglichkeiten der Wissens· und Produktgenerierung für Dritte anzuschließen. Das bedeutet, daß das Eigentum künftig nach dem Muster des Patentrechts zu modellieren wäre 1 0 0 . Damit wird es zugleich notwendig, die personalistisch-individualistische Konstruktion des Eigentums zu überdenken. Dazu gehört vor allem, wie oben schon angedeutet, eine vertiefte Analyse der juristischen Bedeutung der Organisation, die nicht länger wie eine Person (oder black box) behandelt werden darf. Das ist schon für die industrielle Massenproduktion zwingend, da durch den Aufstieg von Großunternehmen die Verfahren der gesellschaftlichen Wissenserzeugung sowie der Regel- und Konventionsbildung verändert werden. Die Generierung neuen Wissens und die Verfügung über das Wissen kann aber auch und gerade in der neuen Ökonomie nicht mehr Einzelindividuen und ihrer „Lebensgestaltung" zugerechnet werden. 97 Zur Vorherrschaft dieser Perspektive vgl. nur Wieland (FN 11), Rn. 31; Depenheuer (FN 11), Rn. 61; für das englische Recht Riedel (FN 10), S. 134; für die USA vgl. Child (FN 12), S. 578 ff. 98 Luhmann (FN 5), S. 266 f. 99 Vgl. nur Wieland (FN 11), Rn. 51 ff.; sehr stark betont diese Komponente ζ. B. Kirchhof, in: FS Zeidler, Bd. 2, 1987, S. 1639 (1659 ff.). 100 Vgl. Child (FN 12), S. 588 ff.; Ladeur (FN 5), S. 183 f.

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In der neuen Ökonomie werden Wissen und Produkte in hochflexiblen „grenzenlosen Unternehmungen" erzeugt 101 , d. h. in lose und zumeist nur vorübergehend geknüpften Netzwerken zwischen Organisationen und „Freelancern", eine Form, die ζ. B. bei der Produktion von großen Hollywoodfilmen schon seit langem hoch entwickelt i s t 1 0 2 . Wissen und Regeln werden in der neuen Ökonomie also vor allem in Beziehungsnetzwerken generiert und von hier aus mit dem über den Markt zerstreuten Wissen verknüpft. Infolgedessen müssen diese Beziehungsnetzwerke zu den zentralen „Referenzobjekten" für die Bestimmung der Funktion des Eigentums werden. Das Eigentum wäre also stärker als ein auf Kommunikationsnetzwerke bezogenes Grundrecht zu denken, d. h. als Mittel der „Unterbrechung von Konsenserfordernissen" insbesondere in wirtschaftlichen Beziehungen, als Institution der Parzellierung von Zugriffschancen mit Anerkennung der entsprechenden Chancen anderer 1 0 3 . Dabei darf aber nicht einseitig die Ausschließungsfunktion des Eigentums akzentuiert werden (wozu Luhmann neigt), sondern es muß zugleich das daran zwangsläufig anschließende Moment der Differenz Verknüpfung beachtet werden. Eigentumsrechte dienen mit anderen Worten nicht so sehr der Sicherung von Sachgütern und „anderen privaten Vermögenswerten Rechten", sondern „der Zuteilung von Entscheidungskompetenz über gesellschaftliche Kooperation" 1 0 4 . Für die neue Netzwerkökonomie wäre das Eigentum als Medium der Steigerung der Produktivität der gesellschaftlichen Beziehungsnetzwerke neu zu konzipieren. Es müßte darum gehen, die kulturökonomische Bedeutung des Eigentums in den Vordergrund zu rücken und nicht den einzelnen „Erfinder" zu privilegieren, sondern systematisch den Prozeß der Suche nach den besten Technologien und der besten Praxis zum Gegenstand des Eigentumsschutzes zu machen 1 0 5 . Dieser Übergang von einem personen- zu einem stärker netzwerkbezogenen Eigentumsschutz korreliert im übrigen mit den internen Begründungsanforderungen eines autonom operierenden Rechtssystems. Da die Eigentumsordnung der liberalen Gesellschaft nicht mehr über eine stabile, in Gott verankerte Fundierung gesichert wird, wird sie metaphysisch gesehen grundlos. Der Ausschlußeffekt der Güterordnung hat selbst keine stabile materielle Basis mehr, auf die rekurriert werden könnte. Damit muß das Rechtssystem jetzt das unlösbare Problem lösen, unter Unentscheidbar101 Vgl. dazu Picot /Reichwald/ Wigand, Die grenzenlose Unternehmung, 4. Aufl. 2000. 102 vgl. nur Kelly, New Rules for the New Economy, 1998, S. 111. Das Stichwort heißt „loose entrepreneurial networks". 103 Luhmann (FN 5) S. 454; vgl. auch dens., Grundrechte als Institution, 1965, S. 120 ff. 104 Ladeur (FN 5), S. 184. 105 Vgl. Allen (FN 16), S. 112; Ladeur (FN 16), S. 72.

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keitsbedingungen zu entscheiden, und dieses unlösbare Problem kann nur durch weitere Entscheidungen bewältigt werden 1 0 6 . Dieses Problem taucht schon in den frühbürgerlichen liberalen Theorien auf und w i r d hier, wie Niklas Luhmann gezeigt hat, über eine juristische Mythologie der Eigentumsentstehung invisibilisiert 1 0 7 . Das wirft in der Praxis u. a. das Problem auf, daß die Rechtfertigungsformeln, die die herrschende Lehre für die Begründung der Ausschließungsfunktion des Eigentums anbietet, wie z. B. „persönliche Freiheit", „Eigenverantwortung", „persönliche Lebensgestaltung" etc., die metaphysische Grundlosigkeit des Entscheidens semantisch kaschieren müssen. Das dürfte auf Dauer aber nur gelingen, wenn diese Semantik auf adäquaten kognitiven Beschreibungen aufbaut und nicht nur Glaubensbekenntnisse produziert. Auch deshalb empfiehlt sich ein stärker prozedurales Design der Eigentumsrechte. Da jede Zuteilungsentscheidung, die als momentane Präferenz im Rechtssystem eingefroren wird, immer schon an vorangegangene Zuteilungsentscheidungen anknüpfen muß, erzeugt sie lediglich eine weitere Differenz, die wiederum weitere Differenzen erzeugt und auf diese Weise das unendliche Spiel der Festlegung provisorischer Sinndifferenzen (Eigentum / Nicht-Eigentum) unter dem Zwang des Entscheidungsdrucks der Praxis fortsetzt. Das bedeutet, daß Eigentumsrechte unter der Bedingung einer sich ständig selbst verändernden Praxis auf Formwandel angelegt sein müssen, und die Aufgabe der Dogmatik ist es, die Abstimmung zwischen der Notwendigkeit des Formwandels und der Notwendigkeit der Erhaltung stabiler Regeln, an denen sich Erwartungen bilden und orientieren können, zu bewältigen.

V I . Intellectual Property Rights in der neuen Netzwerkökonomie 1. Z u r D y n a m i k der neuen Netzwerkökonomie

Die neue Netzwerkökonomie rund um das Internet ist vor allem durch eine veränderte Marktdynamik gekennzeichnet, die sich in herkömmlichen Gleichgewichtsmodellen nicht mehr adäquat abbilden läßt 1 0 8 . Die industrielle Massenproduktion wird durch Skalenerträge getrieben, die ab einer bestimmten Größenordnung negative Rückkopplungsschleifen produzieren und in der Regel zu relativ stabilen Oligopolen führen; man denke nur an die Automobilindustrie, die Stahlindustrie, die Chemische Industrie usw. !06 Dupuy, in: Teubner (Hrsg.), Autopoietic Law: A New Approach to Law and Society, 1988, S. 51 (68). io? Luhmann (FN 81), S. 22. 108 Zur Netzwerkökonomie vgl. Shapiro / Varian, Information Rules, 1999; Kelly (FN 102); Kutter, in: Engel / Kellner (Hrsg.), Understanding the Impact of Global Networks on Local Social, Political and Cultural Values, 2000, S. 73 ff.; Zerdick u. a., Die Internet-Ökonomie, 1999. 4 Die Verwaltung, Beiheft 4

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Die neue Ökonomie wird dagegen durch Netzwerkeffekte getrieben 109 . Daraus gehen extrem dynamische Märkte hervor, die ab einem bestimmten Zeitpunkt der Wettbewerbsentwicklung „umkippen" können, mit der Folge, daß ein Unternehmen und eine gegebenenfalls über proprietäre Standards an das Unternehmen gebundene Technologie sämtliche Konkurrenz verdrängen, eine Erscheinung, die in der neueren ökonomischen Literatur in Anlehnung an die Erfahrungen des Hollywood-Kinos auch als das „winnertake-all-market" Phänomen beschrieben w i r d 1 1 0 . Diese Dynamik führt zwar in der Regel nur zu temporären Monopolen, die durch das Aufkommen neuer Technologiepfade rasch wieder aufgelöst werden können. Aber die neuartige immaterielle Qualität der meisten Güter der neuen Ökonomie, ihre Eigenschaft, „experience good" zu sein, und der enorme Anstieg der Informations- und Wissensanteile bei der Wertschöpfung ermöglichen unendlich fallende Durchschnittskosten bei steigender Ausbringungsmenge. Dadurch werden diejenigen Wettbewerber unverhältnismäßig privilegiert, die zuerst in einem Markt erfolgreich sind.

2. Vom personalen zum „netzwerkgerechten" Schutz von IP-Rechten: Microsoft, L i n u x und Napster als Beispiele

Diese Besonderheiten der Netzwerkökonomie, die hier nur sehr knapp skizziert werden konnten, führen dazu, daß die für die moderne Geldwirtschaft ohnehin typische Zeitproblematik in den dynamischen Märkten der Netzwerkökonomie eine neuartige Relevanz gewinnt, die auch für den Eigentumsschutz von großer Bedeutung ist. Die undifferenzierte Ausweitung subjektiver Patent- oder Urheberrechte kann in der neuen Netzwerkökonomie problematisch sein, weil dadurch die ihr immanenten Effekte zur Monopolbildung verstärkt werden. Das sollte aber gerade dann nicht akzeptiert werden, wenn der first mover oder das marktbeherrschende Unternehmen ein geschlossenes System favorisieren, das auf den Aufbau eines zumindest temporären Monopols angelegt ist. Das gilt etwa für das WindowsBetriebssystem von Microsoft. Der Siegeszug der Microsoftprogramme ist ein Paradebeispiel für die Gültigkeit des Theorems des historischen Zufalls mit Abweichungsverstärkung 111 : Durch eine Reihe von Fehlentscheidungen 109 Shapiro / Variati (FN 108), S. 173. no Shapiro /Varian (FN 108), S. 177. m Dieses Theorem, demzufolge kleine Ausgangsursachen große Abweichungsverstärkungen haben können, läuft in der Systemtheorie - vor allem in evolutionstheoretischen Zusammenhängen - auch unter dem Stichwort „Bifurkation". In einer älteren Fassung, die im Kontext der Kybernetik entstanden ist, unter dem Stichwort „positive feedback". Vgl. Maruyama, The Second Cybernetics: Deviation-Amplifying Mutual Causal Processes, General Systems 8 (1963), S. 235 ff.. In der Ökonomie ist dieses Theorem z. B. von Arthur, Positive Rückkopplung in der Wirtschaft, Spektrum

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seiner Konkurrenten konnte Microsoft eine keineswegs überlegene Software in nur wenigen Jahren zum nahezu unangefochtenen Marktführer im B2C-Bereich machen und seine marktbeherrschende Stellung durch Ausnutzung von Netzwerkeffekten beispielsweise auch auf andere strategisch wichtige „Knoten" und Märkte, wie ζ. B. den der Internet-Browser, ausdehnen. Nach den oben entwickelten Kriterien zur Funktion des Eigentums und der daran anknüpfenden Meta-Regel des Eigentumsschutzes kann diese Entwicklung aber kaum als produktiv eingestuft werden; nach dieser Meta-Regel wäre gerade die Offenheit und Entwicklungsfähigkeit der Netzwerke der neuen Ökonomie zu gewährleisten 112 . Das geschlossene Betriebssystem von Microsoft macht jedoch einen Großteil der Technologieentwicklung von nur einer Quelle der Innovation abhängig und sollte daher auch nicht ohne weiteres durch einen großzügigen staatlichen Urheber- oder Patentrechtsschutz privilegiert werden. Genau in diese Richtung, zu einer undifferenzierten Ausweitung insbesondere des Patentschutzes, tendiert jedoch die neuere Rechtsprechung in den USA und in Europa. Obwohl das US-amerikanische Patentrecht von dem Grundsatz ausgeht, daß Ideen („ideas") und insbesondere rein abstrakte „wissenschaftliche" Ideen nicht patentierbar sind 1 1 3 , hat die neuere US-amerikanische Rechtspraxis seit der Errichtung eines einheitlichen Beschwerdegerichts für Patentsachen (CAFC) die Zügel nicht nur in Richtung der Patentierbarkeit von Computersoftware gelockert 114 , sondern diese Patentierbarkeit in jüngster Zeit bis in den Bereich von internet-basierten Geschäftsmethoden ausgedehnt 115 . Diese neue Praxis hat es ζ. B. amazon.com ermöglicht, seinen „one-click" als neuartige Geschäftsmethode patentieren zu lassen; ein anderes Beispiel ist priceline.com, ein Unternehmen, dem es gelungen ist, ein computergestütztes Verfahren für sogenannte umgekehrte Auktionen patentieren zu lassen 116 . Auch die Rechtsprechung und Praxis der Wissenschaft 1990, S. 122 ff., aufgegriffen worden, von dem auch der für die neue Ökonomie wichtige Begriff der „increasing returns" stammt. Von hier aus ist es in die neuere - oben zitierte - Literatur eingewandert. 112 Dazu ausführlicher Ladeur (FN 5), S. 184 („Funktion der Erhaltung des Institutionengefüges und des dadurch gewährleisteten Varietätspools der Gesellschaft"); Vesting (FN 72). us Vgl. nur Miller/Davis, Intellectual Property, 2. ed. 1990, S. 19 f. 114 Als Wendepunkt gilt die Entscheidung „Diehr" des Supreme Court of the United States No. 79-1112 aus dem Jahre 1981, die erstmalig die Patentierung von Software erlaubte. Vgl. zur Entwicklung der Rechtsprechung Miller/Davis (FN 113), S. 31 ff. In den neunziger Jahren hat sich die Anzahl der erteilten Patente absolut verdoppelt. us Als Wendepunkt gilt die Entscheidung „State Street Bank" des US Court of Appeal aus dem Jahre 1998, abgedruckt in GRUR Int. 1999, S. 633 ff. 116 US-Patent-Nr. 5, 960, 411 (amazon.com); US-Patent No. 5, 794, 207 (priceline. com). In beiden Fällen sind Gerichtsverfahren anhängig und noch nicht endgültig entschieden. Amazon hat aber bereits eine einstweilige Verfügung („preliminary 4:

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der Patentämter in Europa und Deutschland befinden sich auf einem ähnlichen Weg. Obwohl nach Art. 52 Abs. 2 lit. c des Europäischen Patentübereinkommens (EPÜ) und § 1 Abs. 2 Nr. 3 Patentgesetz (PatG) Computersoftware „als solche" nicht patentfähig ist - das deutsche Recht hat den Schutz von Computerprogrammen und Software vor allem zum Gegenstand des Urheberrechts gemacht (§ 2 Abs. 1 Nr. 1; §§ 69 a ff. U r h G ) 1 1 7 - , hat sich die Rechtsprechung inzwischen dahin entwickelt, den für das Patentrecht zentralen Begriff des Technischen bzw. die Vorstellung des technischen Charakters einer Erfindung 1 1 8 weit auszulegen und für Computerprogramme zu öffnen 1 1 9 . Nachdem der BGH über viele Jahre die programmbezogenen Erfindungen auf ihr Programmelement reduziert hatte („Kerntheorie") und damit zu einer Nicht-Patentierbarkeit von Software k a m 1 2 0 , genügt inzwischen - etwas vereinfacht formuliert - die Erzeugung eines „weiteren Effekts technischer A r t " für die Bejahung der Patentierfähigkeit einer Software 1 2 1 . Die „Kerntheorie" mußte also einer Art „Gesamtbetrachtung" weichen, und die Folge dieser Rechtsprechungspraxis ist, daß inzwischen eine Vielzahl von Softwarepatenten vom Deutschen und Europäischen Patentamt erteilt worden sind (ca. 10.000). Diese Entwicklungstendenz der neueren Rechtsprechung und Erteilungspraxis erscheint angesichts der extrem dynamischen Entwicklung des Internets als eine Lösung, die wenig auf das öffentliche Interesse der Erhaltung der Offenheit und Innovationsfähigkeit der neuen Netzwerkökonomie abgestimmt ist. Einerseits werden durch einen extensiven Softwareschutz Konkurrenten daran gehindert, Innovation einfach nachzuahmen, und dieser Schutz kommt prinzipiell auch Newcomern gegenüber größeren Unternehmen zugute 1 2 2 . Andererseits kann der Patentschutz im Regelfall nur durch aufwendige Patentverfahren und nur unter Hinzuziehung hochspezialisierinjunction") zu seinen Gunsten erstreiten können (U.S. District Court Western District of Washington, No. C 99-1695P). Ein anderes Beispiel ist Dell-Computer, ein Unternehmen, das 77 Patente zur Erhaltung ihres built-to-order Systems hält. H? Vgl. dazu Rehbinder (FN 14), S. 84 ff.; vgl. auch BGHZ 94, 276 - Inkasso-Programm; BGH, GRUR 1991, S. 449 - Betriebssystem. Dagegen wird die zur Zeit wichtige Domain-Name-Problematik durch das Markenrecht bearbeitet. ne Zur Definition des Technischen vgl. nur BPatG, CR 2000, S. 97 (98); allg. auch Bernhardt/Kraßer, Lehrbuch des Patentrechts, 5. Auflage 1998, S. 89 ff.; weitere Nachweise bei Schulte, Patentgesetz, 5. Aufl. 1994, Art. 52 Rn. 23 ff. h 9 Zur Tendenz der liberalen Interpretation des PatentierungsVerbots für Computerprogramme vgl. nur Meilulis, GRUR 1998, S. 843 ff., und Esslinger/Betten, CR 2000, S. 18 ff. 120 Es fehlte dann der Einsatz beherrschbarer Naturkräfte, also von „Technik". Vgl. nur BGH, GRUR 1980, S. 849 - Antiblockiersystem; BGH, GRUR 1981, S. 39 Walzstabteilung; BGH, GRUR 1986, S. 531 - Flugkostenoptimierung. 121 Seit BGH, GRUR 1992, S. 430 - Tauchcomputer. Zur neueren Rspr. vgl. nur BPatG, CR 2000, S. 91 (93); BPatG, CR 2000, S. 97 (98). 122 Das betonen Esslinger /Betten, CR 2000, S. 18 (21).

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ter und hochbezahlter Patentanwälte gesichert und durchgesetzt werden, so daß im Ergebnis eher der first mover oder marktbeherrschende Stellungen geschützt werden; und beides wirkt in dynamischen Märkten eher W e t t b e werb shindernd. Ähnliches gilt auch für das Urheberrecht: Die Strategie, ein hohes Schutzniveau für Software über staatlich abgesicherte Urheberrechte zu gewährleisten, fördert zwangsläufig proprietäre Systeme wie Windows oder, im Bereich der Großrechner, Systeme wie sie Sun-Microsystems verwendet. Dagegen demonstriert die Open-Source-Entwicklung, also diejenigen Unternehmen in der neuen Ökonomie, die offene Programme mit jedermann zugänglichen Quellcodes wie Linux favorisieren 123 , daß diese zu technisch überlegenen Programmen und auch zu einer schnelleren Verbreitung von Innovationen führen können 1 2 4 . Spätestens im Fall der freien Programme stößt die personalistisch-individualistische Fassung des geistigen Eigentums aber an ihre Grenzen: Linux ist ein konnexionistisch und nachbarschaftlich aufgebautes System, dessen Weiterentwicklung einem kollektiven „öffentlichen" Prozeß schrittweiser dezentraler Experimente überantwortet wird. Die Innovationsergebnisse können hier also nicht mehr auf ein vermeintliches Personensubjekt als Anfang des Prozesses der Innovation zugerechnet werden. Die individualistische Fassung des Patent- und Urheberrechtsschutzes wird dadurch gesprengt. Es ist deshalb kein Wunder, daß sich zur Zeit die Stimmen mehren, die verlangen, daß die über intellectual property rights laufende Zuordnung und Zuteilung von Entscheidungskompetenz neu geordnet werden muß 1 2 5 . Dieses Beispiel belegt aber auch - und das steht hier im Vordergrund - , daß die dogmatischen Selbstbeschreibungen des Rechtssystems und des Öffentlichen Rechts an die mit dem Bedeutungsverlust stabiler Personensubjekte (hier: des „schöpferischen Genies") einhergehenden Veränderungen angepaßt werden müssen. So ist es gerade vor dem Hintergrund der im letzten Abschnitt dieser Untersuchung skizzierten metaphysischen Grundlosigkeit der Ausschließungsfunktion des Eigentumsrechts wenig überzeugend, wenn das Bundesverfassungsgericht in einer neueren Entscheidung zum Patentrecht die „Privatnützigkeit" und „grundsätzliche Verfügungsfähigkeit über das Eigentumsobjekt" im Sinne der Zuordnung „des Vermögenswerten Ergebnisses der schöpferischen Leistung an den Patentinhaber" zum „Kern" des Patentrechts stilisiert 1 2 6 . Das gilt besonders angesichts ei123 Zu Linux vgl. nur Grzeszick, MMR 2000, S. 412 ff., und Lessig, Code and Other Laws of Cyberspace, 1999, S. 104 ff. 124 Greszick, MMR 2000, S. 412 (416). 125 Greszick, MMR 2000, S. 412 (417). m.w.Nachw. insb. in Fn. 59; vgl. allg. auch Hoeren, MMR 2000, S. 3 ff. Dazu müßte in der neuen Ökonomie z. B. auch gehören, den Patentschutz, der heute 20 Jahre beträgt, zeitlich kürzer zu strukturieren. Außerdem wird aufgrund der extremen Dynamik auch der Begriff der Neuheit (Erfindung) zum Problem.

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ner empirischen Situation, in der Patente fast ausschließlich großen Softwareunternehmen zugute kommen, von diesen bewußt zur Besetzung technologischer Felder eingesetzt werden („strategic patenting") und daher in erster Linie Auswirkungen auf den Wettbewerb zwischen Unternehmen haben (und nicht: auf die persönliche Lebensgestaltung von Einzelindividuen) 1 2 7 . Es macht also wenig Sinn, die „Freiheit", in „eigener Verantwortung" über Patente verfügen zu können, zum Ausgangspunkt einer höchstrichterlichen Entscheidung über die Funktion des Patentrechts zu machen. Hier käme es vielmehr darauf an, die Bedeutung der Organisation, die zur Übertragung der Patent- und Urheberrechte an die Organisation eingesetzten innerorganisationalen Muster (ζ. B. Arbeitsverträge) sowie die Bedeutung der Zuordnung von Patenten an Unternehmen in dynamischen Wettbewerbssituationen zu reflektieren und in einer komplexitätsangemessenen Begründung abzubilden. Die Probleme, die das subjektzentrierte Patent- und Urheberrecht aufwirft, lassen sich noch an einem anderen Beispiel, dem Kopiernetzwerk von Napster, dokumentieren. In der US-amerikanischen Literatur ist schon sehr früh vermutet worden, daß das Internet eine gigantische Kopiermaschine sei, die den Schutz von IP-Rechten durch das herkömmliche Urheberrecht nahezu unmöglich mache und daher in Zukunft vor allem technische Lösungen des Urheberschutzes verlange 128 . Diese Vermutung scheint sich durch die jüngsten Erfahrungen, die die Musikindustrie mit neuartigen Kopierverfahren wie MP-3 machen muß, zu bestätigen. Napster ersetzt den materiellen Austausch über die bislang übliche Ware-/ Geld-Beziehung durch (bislang kostenlose) Zugangsmöglichkeiten, die auf rein immateriellen Netzwerkbeziehungen aufbauen. Dies hat gleich mehrere Vorteile: Von den Kunden her gesehen beseitigt das Kopiernetzwerk nahezu sämtliche natürlichen Restriktionen, da diese nun prinzipiell an jedem Ort der Welt und zu jeder Zeit, rund um die Uhr, auf dieses Netzwerk zugreifen können. Von der Vertriebsseite her gesehen, senkt das Kopiernetzwerk vor allem die Transaktionskosten. Ob der Aufbau derartiger Netzwerke, von denen Napster zweifellos nur ein Vorbote i s t 1 2 9 , zu einem Verschwinden der Logik des Marktes und des Eigentums als solchem führen wird, wie Jeremy Rifkin

126 BVerfG, 1 BvR 1864/95 vom 10. 5. 2000, Absatz-Nr. 20, http://www.bverfg.de . 127 Zur Empirie vgl. nur The Economist, Vol. 355, 8. April 2000, S. 85 ff. („The Knowledge Monopolies"); Der Spiegel 30/2000, S. 54 ff. („Aufrüstung im Patentkrieg"). Um nur ein Beispiel zu geben: IBM macht ein Fünftel seines Gewinns mit Patenten. 128 Shapiro /Varian (FN 108), S. 83 ff. 129 Marktprognosen in den USA gehen davon aus, daß schon 2005 mit OnlineAbonnements für Musik ein Umsatz von 980 Millionen Dollar erzielt werden wird, während der Umsatz durch Online-Bestellungen von CDs nur 531 Millionen Dollar betragen wird. Vgl. FAZ Nr. 189 vom 16. 08. 2000, S. 45.

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meint 1 3 0 , erscheint fraglich. Richtig ist jedoch, daß das bisherige System von IP-Rechten hier vor neue und sehr schwer zu lösende Aufgaben gestellt wird: Ein Festhalten an dem bisherigen personalistisch-individualistischen Urheberrechtskonzept führt dazu, eine zweifellos innovative Entwicklung zu blockieren, die überdies zu einer äußerst produktiven Restrukturierung der gesamten Musikbranche führen könnte. Eine konservative Position ist in diesem Fall auch insofern recht problematisch, als das herkömmliche System seinerseits Erscheinungen produziert hat, wie z.B. den Stareffekt, dessen ökonomische Folgen schwerlich als rational eingestuft werden können. Die derzeitige Aufteilung der Tantiemen zwischen Großunternehmen, Verwertungsgesellschaften und Einzelkünstlern beschert wenigen Superstars exorbitante Einkünfte, ohne daß die Unternehmen, Verwertungsgesellschaften und Superstars ihrerseits einen systematischen Beitrag zur Erhaltung der Innovationsfähigkeit der Musikwirtschaft leisten würden (Nachwuchsförderung etc.) 1 3 1 . Auf der anderen Seite ist es aber auch nicht zu akzeptieren, das derzeitige Urheberrecht einfach als „feudalistisch" zu qualifizieren und die bislang Begünstigten prinzipiell „rechtlos" zu stellen, indem man ihnen jede Form des Urheberrechtsschutzes verweigert. Es käme also darauf an, den Urheberrechtsschutz von der romantischen Vorstellung des „schöpferischen Genies" zu lösen und die Erhaltung der Innovationsfähigkeit in einem Netzwerk zum Gegenstand von grenzziehenden Ausschließungsrechten zu machen.

3. Z u r K r i t i k der Entwicklung der europäischen Gesetzgebung zum Patentschutz für Computersoftware

Angesichts der aggressiven US-amerikanischen Patenterteilungspraxis, der Informationsprobleme europäischer Unternehmen und des aus Sicht der EG-Kommission nicht mit Art. 27 TRIPS zu vereinbarenden Art. 52 EPÜ (§ 1 PatG) gibt es auch auf europäischer Ebene seit einiger Zeit Anstrengungen, den Schutz von IP-Rechten an die Bedingungen der „Informationsgesellschaft" anzupassen 132 . Die EG-Kommission hat schon 1998 eine Richtlinie erarbeitet und bereitet derzeit den Vorschlag einer Richtlinie über die Patentierbarkeit von Computerprogrammen vor, zu der eine Revidierung von Art. 52 EPÜ gehören w i r d . 1 3 3 Diese Aktivitäten sind aber ebenso Vgl. Rifkin, Die Teilung der Menschheit, FAZ vom 12. 08. 2000, Nr. 186, Beilage, S.If. 131 Dieses Argument bedürfte der Verfeinerung, es gilt aber z.B. - und dies in einer besonders inakzeptablen Weise - im Bereich der klassischen Musik. 132 Vgl. zu den Motiven der EG-Rechtsetzung Reinbothe, ZEuP 2000, S. 5 ff. 133 Vgl. nur Müller, CRI 2000, S. 17 ff.; zur Entwicklung der Gesetzgebung i n den USA vgl. Freytag, MMR 1999, S. 207 ff.

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falls wenig an der Erhaltung der Dynamik der neuen Netzwerkökonomie orientiert. Ziel des EU-Richtlinienentwurfs zum Urheberrecht ist es in erster Linie, den Rückstand an Patenten gegenüber den USA aufzuholen. Dabei fehlen jedoch tief ergreif ende industriebezogene, pragmatische Überlegungen zur Erhaltung der Variabilität und Varietät der Netzwerkökonomie. Die gesetzgeberischen Überlegungen sind noch zu einseitig an der Vorstellung „individueller Kreativität" orientiert, was sich u. a. darin zeigt, daß die Urheberschaft von juristischen Personen lediglich „toleriert" wird. Ähnliches gilt auch für die nationale Ebene. Auch in den §§ 69 ff. UrhG wird die romantische Vorstellung des schöpferischen Individuums erst gar nicht hinterfragt. Die Innovationsergebnisse werden weiterhin gegenständlich einem „Urheber" als Stiftersubjekt des Neuen zugerechnet; mit allen Problemen, die dies in der Praxis mit sich bringt, wie insbesondere die schlechte Absicherung der Urheberrechte von kleinen unabhängigen Softwareunternehmen.

4. Zusammenfassung

Die dargestellten Beispiele bestätigen noch einmal die hier vertretene These, daß die Rechtstheorie und das Öffentliche Recht die personalistische, gegen den Staat gerichtete Engführung subjektiver Rechte aufgeben muß, wenn die Rechtswissenschaft selbst einen produktiven Beitrag zur Erhaltung der Innovationsfähigkeit der Netzwerkökonomie leisten will. Es genügt nicht, die Eigentumsfreiheit und ihre immaterialgüterrechtlichen Formen als Ausdruck einer an sich schrankenlosen individuellen Persönlichkeitsentfaltung in einer Gesellschaft ohne Anschlußzwänge zu interpretieren. Subjektive Rechte können auch in der Form negativer Patent- und Urheberrechte nicht von ihren kollektiven Verknüpfungseffekten gelöst werden, in die sie durch ihre praktische Ausübung verstrickt sind. Die Betonung des Moments der Differenz (des Persönlich-Individuellen) ist insofern akzeptabel, als damit das Moment „spontaner" privater Entscheidungsrechte akzentuiert wird, aber das heißt keineswegs, daß die kollektiven Verknüpfungseffekte, die auch durch eine Ordnung distribuierter privater Entscheidungsrechte erzeugt werden, vernachlässigt werden könnten. Die neue Netzwerkökonomie macht vielmehr neue Formen der Selbstbeschreibung des Rechtssystem erforderlich, die auf dogmatischer (und regulierungsbezogener) Ebene stärker daran orientiert werden müssen, den Patent- und Urheberrechtsschutz auf die neue „Logik der Vernetzung" einzustellen.

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V I L Abschließende Bemerkung

Der Beitrag hat versucht, einen neuen Zugang zur Bestimmung des Eigentums angesichts der dynamischen Entwicklung der Netzwerkökonomie zu gewinnen. Ein Aufsatz kann aufgrund der Platzbeschränkungen nur Denkanstöße geben, aber er kann plausibilisieren, in welche Richtung die weitere Diskussion verlaufen sollte. Nach den hier angestellten Überlegungen ist es für künftige Debatten über subjektive Rechte und immaterielle Eigentumsrechte entscheidend, sich aus den alten ideologischen Verkrampfungen zu lösen, die Enge der politischen Rechts / Links-Semantik abzustreifen und die Aufmerksamkeit auf die Probleme zu lenken, die vor uns liegen. Das Konzept der „regulierten Selbstregulierung", das sich stärker auf die Momente der gesellschaftlichen Selbstorganisation und Selbstregulierung konzentriert und den Staat eher als einen Beobachter zweiter Ordnung denkt, kann bei diesem Unternehmen helfen. Es schärft den Blick für die Eigenheiten sich selbst organisierender Ordnungen und kann dazu beitragen, die Leistungsfähigkeit und Leistungsgrenzen des Öffentlichen Rechts in der neuen Netzwerkökonomie besser zu verstehen, und das ist unabdingbar, um öffentliche Interessen erfolgreich in neue Märkte implementieren zu können.

Die Regulierung von Selbstregulierung und die Herausbildung einer „Logik der Netzwerke" Rechtliche Steuerung und die beschleunigte Selbsttransformation der postmodernen Gesellschaft

Von Karl-Heinz Ladeur, Hamburg

I. Z u r Vielfalt der Formen von Selbstregulierung

William Ruckeishaus, Direktor der amerikanischen Environmental Protection Agency in den 80er Jahren hat zu der Politik der in den USA sog. „voluntary regulation" seiner Vorgängerin Annes Gorsuch erklärt, „the only thing voluntary about voluntary regulation is if EPA voluntarily chooses not enforce the law" 1 . Dies gerade aus dem Mund des Leiters einer amerikanischen administrative agency zu hören, ist erstaunlich. Es ist aber Grund genug, die neue Diskussion über Selbstregulierung im Bereich des Umweltrechts, aber auch natürlich im Medien- und Telekommunikationsrecht (insbesondere im Hinblick auf das Internet!) kritisch zu betrachten. Der Übergang vom Ordnungsstaat zum Leistungsstaat und von diesem zum „Gewährleistungsstaat" 2 , der sich der Regulierung vor allem zum Zwecke der Ermöglichung und Influenzierung von Selbstregulierung bedient, kann leicht als Königsweg aus der Krise einer Konzeption zentraler Steuerung nach stabilen substantiellen Regeln erscheinen 3: Die Selbstregulierung ordnet sich dann in eine breite Palette von Varianten „informellen Verwaltungshandelns" ein 4 , das dem Staat durch Möglichkeiten der Kooperation mit Privaten den Zugang zu den „spezifischen Problemen des jeweils zu regelnden Lebensbereiches" erschließen soll. Er legt durch Recht und Pla1 Vgl. Andrews, Environmental Regulation and ,Business Self-Regulation', Policy Sciences 1998, S. 177 ff. 2 Vgl. nur Hoffmann-Riem, DVB1 1999, S. 125 ff.; ders., DÖV 1997, S. 433 ff.; Trute, DVB1 1996, S. 950 ff. sowie Schmidt-Preuß und Di Fabio, W D S t R L 56 (1997); Schuppert, DÖV 1998, S. 831 ff.; ders., DÖV 1995, S. 761 ff.; Eifert, Grundversorgung mit Telekommunikationsleistungen im Gewährleistungsstaat, 1998; Finckh, Regulierte Selbstregulierung im Dualen System, 1998; Ruffert, AöR 124 (1999), S. 237 ff. 3 Vgl. Di Fabio, in: Probleme der Rechtsquellen im Sozialversicherungsrecht, Teil 2, 1999, S. 17 ff.; vgl. auch Lepsius, Steuerungsdiskussion, Systemtheorie und Parlamentarismuskritik, 1999; Möllers, VerwArch 90 (1999), S. 187 ff.; instruktiv zur Unmöglichkeit der Bestimmung eines Kernbereichs des Staatlichen Britz, VerwArch 91 (2000), S. 418 ff. 4 Vgl. aus der umfangreichen Literatur nur Schulze-Fielitz, DVB1 1994, S. 657 ff.

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nung „Entscheidungsprämissen" fest, die dann insbesondere in der Planung durch „gestufte Verwaltungsverfahren" einen „gesellschaftlichen Einflussrahmen" öffnen 5 . Etwa im Umweltrecht ist die Meinung fast allgemein verbreitet, dass die komplexen Probleme insbesondere der Umweltvorsorge nicht in den herkömmlichen Formen des Ordnungsrechts, des command-and-control-Modells zu bewältigen sind 6 . Deshalb werden unterschiedliche Varianten der kooperativen Regulierung empfohlen 7 , die vor allem dazu tendieren, einen relativ weitreichenden Gleichklang öffentlicher und privater Interessen zu unterstellen und eine „win-win"-Strategie für möglich zu halten 8 , die sowohl die Reduktion von Kosten in Unternehmen als auch Gewinne für die Umwelt verspricht. Statt bestimmte Umweltbelastungen im Einzelfall aufgrund allgemeiner situationsabstrakt formulierter Regeln zu verbieten, soll der flexible Staat nur einen Rahmen vorgeben, der es der Wirtschaft erlaubt, selbst zu entscheiden, wie sie ihre Strategie der Umweltentlastung formuliert 9 . Dies kann durch sog. ökonomische Instrumente, aber auch explizite Umweltvereinbarungen ermöglicht werden 10 . Diese Vereinbarungen können mehr oder weniger punktuell als Instrumente eingesetzt werden, sie können aber auch Bestandteil eines komplexeren Netzwerks von privat-öffentlichen Umweltplanungen sein; dies ist ζ. B. in den Niederlanden der Fall 1 1 . Ein aktuelles Beispiel für die Konstruktion solcher Selbstregulierungsformen diesseits komplexer Vertragswerke wie in den Niederlanden bietet das deutsche Modell des K r W - / A b f G 1 2 : Danach wird der betreffenden Industrie vorgeschrieben, die Entsorgung insbesondere von Verpackungsmüll selbst zu übernehmen. Da dies praktisch - jedenfalls für kleinere und mittlere Unternehmen - so gut wie unmöglich ist, wird die „Möglichkeit" eröffnet, sich zum Zwecke der Erfüllung dieser Pflicht kollektiv zu organisieren. Die damit provozierte Gründung einer Organisation wie des dualen Systems Deutschland (DSD) war von vornherein Zweck des Gesetzes, wird aber aufgrund der gewählten optionalen Form der Regulierung nicht zum Gegenstand des staatlichen Entscheidens selbst. Hier zeigen sich schon einige Probleme der Handlungsvariante „Influenzierung" von Selbstorganisation als Alternative hoheitlichen Entscheidens: Was nicht durch rechtlichen 5 Vgl. Lange, VerwArch 82 (1991), S. 1 ff. 6 Vgl. aber zu einer differenzierten Verteidigung des Ordnungsrechts Lübbe-Wolff, Modernisierung des Umweltordnungsrechts, 1996. 7 Vgl. zu den theoretischen Prämissen Ladeur, in: Joerges/Vos (Hrsg.), E U Committees. Social Regulation, Law and Policy, 1999, S. 151 ff. 8 Vgl. Jänicke, Nachhaltigkeit als politische Strategie, 1997. 9 Vgl. Andrews (FN 1). 10 Vgl. Frenz, EuR 1999, S. 27 ff. n Vgl. dazu Jänicke / Carius / Jörg ens (Hrsg.), Umweltplanung im internationalen Vergleich in ausgewählten Industrieländern, Berlin 1997.

Regulierung von Selbstregulierung und „Logik der Netzwerke"

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Zwang erreichbar erscheint, kann so mit „Anreizen" herbeigeführt werden, denen sich die Beteiligten kaum entziehen können 1 3 ; zugleich bleibt so aber die private Form der Selbstorganisation erhalten. Andererseits hat der Staat sich trotz der „weichen" Form der Regulierung möglicherweise sehr viel weitgehender faktisch gebunden, als dies bei einer traditionellen hoheitlichen Regulierung der Fall wäre: Es ist kaum vorstellbar, dass das System, nachdem große Investitionen getätigt worden sind, durch Gesetzesänderung wieder aufgegeben werden könnte. Weitere wichtige Beispiele unterschiedlicher Formen der Kombination von Regulierung und Selbstregulierung liefert das Telekommunikationsrecht; dies gilt schon für die zentrale verfassungsrechtliche Steuerungsnorm Art. 87f GG 1 4 . In dieser Vorschrift wird nicht zuletzt eine exemplarische Konstitutionalisierung des neuen Paradigmas des „Gewährleistungsstaats" gesehen, der für den Bereich der Telekommunikation einen variablen Grundbestand an „Universaldienstleistungen" festlegen kann 1 5 . Diese sind zwar von privaten Unternehmen anzubieten, aber die Bestimmung der Leistung selbst und die Konkretisierung der Erfüllung dieser Verpflichtung bleibt dem Staat vorbehalten. Dazu steht eine Kombinatorik von Instrumenten der Selbst- und Fremdregulierung zur Verfügung. Ein weiteres Beispiel für die Handlungsformen des „Gewährleistungsstaats" auf der Ebene des einfachen Rechts bietet § 8 MDStV, der ebenfalls eine für neue Formen der Selbstregulierung charakteristische Kombination von „unmittelbarem Zwang" zur Bestellung eines Jugendschutzbeauftragten mit dem eigentlich beabsichtigten „mittelbar" wirkenden Anreiz zur Beteiligung an einer kollektiv zu organisierenden gemeinsamen Stelle der Anbieter für den Jugendschutz verbindet 16 . Die Beispiele zeigen, dass die Formen der Selbstregulierung jedenfalls zu einem erheblichen Teil keineswegs auf den Einsatz oder die Androhung staatlichen Zwangs verzichten. Charakteristisch ist der mittelbare Effekt der Regulierung: Verhaltenspflichten werden als lästige A l ternative zu einer selbstorganisierten kollektiven Problembewältigung eingesetzt. Wenn die Universaldienste nicht mehr über den Markt erbracht werden, werden sie den privaten Unternehmen auferlegt; wenn eine vereinfachte kollektive Selbstorganisation des Jugendschutzes nicht gewährleistet werden kann, müssen die privaten Unternehmen je für sich einen Jugendschutzbeauftragten bestellen. Charakteristisch ist auch, dass der mittelbare Anreiz in der Befreiung von einer individuell zu tragenden Organisationslast, nicht in der Auferlegung 12 13 14 is 16

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

Di Fabio , NVwZ 1995, S. 1 ff.; Finckh (FN 2); Ladeur, ZFU 1998, S. 279 ff. Di Fabio, NVwZ 1995, S. 1 ff. Hoffmann-Riem, DVB1 1999, S. 115 f.; Eifert (FN 2). nur Eifert (FN 2). dazu Schulz, MMR 1998, S. 182, 185.

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konkreter Verhaltenspflichten besteht. Vor allem darin liegt ein Unterschied zu der schon zum klassischen Arsenal der Politik gehörenden Möglichkeit des Austauschs einer durch Verwaltungsakt auferlegten Pflicht gegen ein funktional äquivalentes selbstgewähltes Mittel im Polizeirecht.

I I . Selbstregulierung und die Zersplitterung des gesellschaftlichen Wissens

Schon die Unsicherheit der Wirkungsabschätzung staatlicher Zwangsmittel im Falle des DSD und bei der Konkretisierung der Universaldiensteverpflichtung zeigt, wie voraussetzungsvoll die Kombination von Fremdund Selbstregulierung ist: Im Falle des DSD ist die Alternative kaum realistisch; das führt dazu, dass der Staat auch das Scheitern des DSD kaum in Kauf nehmen kann. Dies ist um so problematischer, als der Effekt des Systems wegen der mangelnden Klarheit der Ziele, aber auch wegen der Intransparenz der Entsorgungsstrategien nicht zuverlässig abgeschätzt werden kann. Bei der Universaldiensteverpflichtung ist die Bestimmung von Anzahl und Art der zu gewährleistenden Telekommunikationsdienstleistungen ebenfalls schwer vorauszusagen; dies gilt um so mehr angesichts des schnellen technologischen Wandels in der Gesellschaft. Das bedeutet, dass die Ernsthaftigkeit der Drohung mit dem groben Mittel der Fremdregulierung ebenfalls nicht leicht abzuschätzen ist. Vor allem aber ist der eigentlich erstrebte Selbstorganisationseffekt, wenn er überhaupt erreicht wird, im Hinblick auf die Gewährleistung des öffentlichen Interesses seinerseits nur schwer zu beobachten: Das erste Ziel des DSD ist die Gewährleistung der Selbsterhaltung der Organisation; ob und inwieweit das System tatsächlich zu einer Entlastung der Umwelt und der Förderung nachhaltiger Technologien führt, ist schwer zu beurteilen. Im Falle der Selbstorganisation von Mediendiensteanbietern für Zwecke des Jugendschutzes ist ebenfalls nur die Schaffung und die Verbreitung der Organisation leicht zu beobachten; welche Leistungen damit erreicht werden, ist aber weit weniger deutlich erkennbar. Im Fall der Universaldiensteverpflichtung bleibt es zunächst bei der Beobachtung der Entwicklung der Telekommunikationsmärkte und ihrer technischen und ökonomischen Bedingungen. Weder ist es möglich, vorab ein Leistungsniveau zu definieren, noch ist die Entwicklung der Preise im Hinblick auf ihren Effekt auf die Zugänglichkeit der Technologie abschätzbar, wenn die Technologien sich so schnell entwickeln. Den genannten Fällen ist zunächst gemeinsam die Ungewissheit, sei es über die Funktionserfüllung durch private Organisationsformen, zu deren Gründung durch (vermeidbare) Verhaltenspflichten ein Anreiz gesetzt wor-

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den ist, sei es hinsichtlich des „ob" oder „wie" der staatlichen Gewährleistung bei der Funktionserfüllung im einzelnen. Dieses Problem hängt mit der Dynamik des Handlungsfeldes zusammen und damit zugleich dem Gewicht spezialisierter Wissensbestände17, die nur noch schwer auf allgemeine Erwartungen und ein geteiltes allgemeines Wissen zurückgeführt werden können. Dies ist letztlich ein Reflex der abnehmenden Bedeutung des einzelnen Akteurs, dessen Verhalten in allgemeinen Regeln beschrieben und zur Bildung stabiler Erwartungen genutzt werden konnte. In Zukunft wird das Wissen und das Handlungspotential nicht mehr an stabile Handlungseinheiten, Individuen oder Unternehmen, gebunden sein, sondern über ein situatives Netzwerk von insbesondere interorganisationalen Beziehungen zwischen Akteuren distribuiert sein, die nur problembezogene Beschreibungen zulassen 18 . Das Wissen w i r d über diese Netzwerke erzeugt, die von außen keine einfache Beobachtung zulassen, weil Wissen und Handeln eng verknüpft sind und die situativ-variablen Problemfelder sich nur schwer in stabilen Wissensbeständen abbilden und in allgemeinen Regeln verarbeiten lassen 19 . Dem entspricht auf der Seite des Staates ein reduziertes Steuerungspotential 20 , und zwar nicht nur wegen der Intransparenz der Handlungsfelder, sondern auch der viel tiefer greifenden Tendenz zur Dezentrierung und Fragmentierung des Staates, in der sich die Selbstveränderung der privaten gesellschaftlichen Organisationsformen widerspiegelt: Der Staatsapparat büßt seine Rolle in der Mediation und Aggregierung des allgemeinen Handlungswissens und eines allgemeinen Regelbestandes ein und wird selbst zum Manager fragmentierter begrenzter Interventionen auf der Grundlage spezialisierten Wissens 21 . Der Staat ist nicht mehr der souveräne Entscheider, der die territoriale und die geschichtliche Einheit einer als handlungsfähig angesehenen Nation repräsentiert 22 , sondern er kann nur mit unvollständiger Information und mit von vornherein begrenzten Erwartungen auf das Beziehungsnetzwerk von Unternehmen einwirken 2 3 , dessen Evolution nicht mehr im Rekurs auf allgemeine Wissensbestände beschrieben werden kann. Die hierarchische Abschichtung von stabilem allgemeinen und besonderen Wissen büßt ihre Unterscheidungsfähigkeit ein. Die staatlichen Interventionen werden so selbst strategisch, d. h. abhängig von der Reaktion des Netzwerkes, auf 17 V g l . Guéhenno, The End of the Nation State, 1995, S. 30; v g l . a l l g . Di Fabio , Das Recht offener Staaten, 1999. 18 Vgl. Guéhenno (FN 17), S. 26. 19 Vgl. Antonelli, Economia dell'informazione, 1995, S. 230 ff. 20 Vgl. Di Fabio (FN 3); sowie allg. Lepsius (FN 3). 21 Vgl. Guéhenno, L'avenir de la liberté, 1999, S. 61. 22 Vgl. Guéhenno (FN 17), S. 19. 23 Vgl. Axelrod / Cohen, Harnessing Complexity. Organizational Implications of a Scientific Frontier, 1999.

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das eingewirkt w i r d 2 4 , ohne dass der Staat dabei über eine stabile Beschreibung verfügen könnte. Dem entspricht die Schwächung der korporatistisch-pluralistischen Vermittlung zwischen den Unternehmen und dem Staat durch Verbände, die die Interessen in eine allgemeine Form bringen und für staatliche Entscheidungen auf einer höheren Abstraktionsebene hervor strukturieren 25 . Entscheidungsstrategien werden in weiten Bereichen wegen des problembezogenen situativen, netzwerkabhängigen Charakters der Entscheidungen unmittelbar zwischen Staat und Unternehmen oder einem Netzwerk von Unternehmen abgesprochen. Dies schlägt sich auch in der zunehmenden Verbreitung informaler Varianten des Verwaltungshandelns nieder, die die Bedingungen und Voraussetzungen staatlichen Entscheidens zum Gegenstand von Arrangements machen und nur noch ein problembezogenes situatives Management statt der souveränen staatlichen Entscheidung zulassen 26 . Das heißt nicht nur, dass sich die Einheit der gesellschaftlichen Akteure in den situativen interorganisationalen Netzwerken auflöst, auch der Staat verliert die Einheit eines auf überlegenen Wissen basierenden souveränen Entscheiders und fragmentiert sich in die Vielzahl öffentlicher Akteure, die nur noch schwer durch ein übergreifendes öffentliche Interesse integriert werden kann 2 7 . Eine der Konsequenzen dieser Entwicklung besteht in den verschiedenen Erscheinungsformen formeller und materieller Privatisierung, die ebenfalls Ausdruck der Ablösung der hierarchischen Über-/ Unterordnung von öffentlichen und privaten Interessen durch eine „Logik der Netzwerke" ist, die nicht mehr deutlich zwischen Öffentlichem und Privatem, Besonderem und Allgemeinem unterscheiden kann, sondern ihren „Einsatz" situativ und strategisch definieren muss.

I I I . Selbstregulierung und die Herausbildung von interorganisationalen Netzwerken

Für den Staat besteht die Konsequenz der beschriebenen Entwicklung zunächst in einem Verlust an Steuerungsfähigkeit 28 , den man als Ausgangspunkt für neue Überlegungen zu einer öffentlichen Regulierungsstrategie in 24 Vgl. zu den organisatorischen Wandlungen der Wissensgesellschaft Shapiro / Variati, Information Rules, 1999. 25 Vgl. Mayntz, in: Knowledge and Policy, 1993, S. 3 ff. 26 Vgl. dazu die Beiträge i n Gerken (Hrsg.), Ordnungspolitische Grundfragen einer Politik der Nachhaltigkeit, 1996. 27 Vgl. Guéhenno (FN 21), S. 94. 28 Vgl. dazu die K r i t i k von Lepsius (FN 3).

Regulierung von Selbstregulierung und „Logik der Netzwerke"

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Anschlag bringen muss. Dabei liegen die Probleme nicht nur im kognitiven Bereich und in der Verknüpfung von Wissen und Handeln in situativen Netzwerken 29 , sondern auch in der Dynamik der Veränderung der Werte, die etwa der Kontrolle der Medieninhalte unter dem Gesichtspunkt des Jugendschutzes Orientierung geben sollen: Die Schwierigkeit der Überwachung von Medieninhalten nach dem Mediendienstestaatsvertrag besteht nicht nur in der Vervielfältigung der Informationen, die kaum noch die systematische Kenntnisnahme durch einen öffentlichen Akteur erlauben, sondern vor allem in der rapiden Veränderung der Standards dessen, was als „jugendgefährdend" angesehen werden kann. Jede öffentliche Kontrolle ist in diesem Bereich auf die Kooperation Privater angewiesen, die - wie es früher auch explizit im Strafrecht hieß - „Anstoß nehmen" und die Intervention des Staates anregen. Die Öffentlichkeit fragmentiert sich in zunehmendem Maße und damit zerfällt auch die Einheit des Wertungshorizonts; verschiedene Teilöffentlichkeiten differenzieren sich aus 3 0 , die auf unterschiedlichen Nutzergewohnheiten basieren und auch unterschiedliche Standards produzieren. Die Anonymität des Internet trägt im übrigen dazu bei, dass die Kontrollwirkung öffentlicher Schamgrenzen und damit von Hemmschwellen herabgesetzt wird. Nicht zuletzt deshalb müssen Kontrollstandards erst produziert werden 31 , die einerseits die Fragmentierung der Teilöffentlichkeiten berücksichtigen, andererseits gegenläufige Tendenzen insbesondere zur Fragestellung der Schutzwirkung einer quasi-räumlichen Privatsphäre in Rechnung stellen. Damit werden zugleich neue Möglichkeiten für die Wiedereinführung von Grenzen mit technologischen Mitteln denkbar (Zugangssperren) 32 , die an die D iff er enzierungs Wirkung früherer Grenzen anknüpfen, ζ. B. die Lockerung von Standards für „Rotlicht-Bezirke", deren Betreten wegen der größeren öffentlichen Sichtbarkeit durch Hemmschwellen begrenzt wurde. Auf der anderen Seite ist auch im Bereich der Medieninhaltskontrolle eine eigenständige Intervention des Staates neben den Organisationen der Selbstregulierung nur noch schwer möglich, weil sonst schnell die Entlastungswirkung von Selbstkontrolle entfallen und die Funktion der Institution selbst in Frage gestellt werden kann. Dies lässt sich schon an der Geschichte der Freiwilligen Selbstkontrolle (FSK) der Filmwirtschaft beobachten 33 , deren Entscheidungen für den Staat keinerlei Bindungswirkung erzeugt haben, also die öffentliche Intervention nicht ausgeschlossen haben, die aber dennoch praktisch nie durch den Gebrauch hoheitlicher Entschei29 Vgl. zu den Problemen der staatlichen „Sicht" der Probleme Scott, Seeing like a State, 1998. 30 Vgl. Vesting , AöR 122 (1997), S. 337 ff. 31 Vgl. nur BVerfGE 83, 130 ff. 32 Vgl. dazu nur Shapiro , The Control Revolution, S. 63 ff.

5 Die Verwaltung, Beiheft 4

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dungsressourcen desavouiert worden sind. An diesem Beispiel wird zugleich sichtbar, dass und wie die Sanktionsmöglichkeiten des Staates gegenüber dem Außenseiter, der sich nicht der Selbstregulierung unterwirft, durchaus von Bedeutung sein können: Die Nicht-Freigabe von Filmen war praktisch eine Einladung an den Staat zur Intervention mit den Mitteln des Ordnungsrechts, die aber auch erforderlich gewesen wäre, um die Integrität der Selbstkontrolle zu erhalten. Sonst hätte sich vielleicht der Eindruck verbreitet, dass sich die Unterwerfung unter die Entscheidung der FSK nicht lohne. Dies wäre das Ende der Selbstregulierung der Filmwirtschaft in diesem Bereich gewesen. Das Beispiel zeigt zugleich, dass Selbstregulierung nicht einfach eine Alternative zur rechtlichen Verhaltenssteuerung ist und dass auch die Kombination von „Fremdregulierung und Selbstregulierung" auf einen Moment des Eingriffs nicht verzichten kann - jedenfalls nicht in allen Handlungsbereichen. Es ist zu vermuten, dass eine starke Fragmentierung des Wissens und die Herausforderung der öffentlichen Regulierung durch situative netzwerkabhängige Probleme auch durch die Formulierung unterschiedlicher Strategien einer „Meta-Regulierung", d. h. eine übergreifende Konzeption der Verknüpfung von Fremdregulierung und Selbstregulierung beantwortet werden muss. Es wäre überraschend, wenn die zunehmende Fragmentierung der Handlungsfelder durch die Höherlegung des Abstraktionsniveaus wiederum in einem einheitlichen Entscheidungsschema und durch Formulierung einer stabilen Rolle für öffentliche Entscheider, etwa durch die Umstellung des Regulierungsstaates auf die Funktion des „Gewährleistungsstaates" bewältigt werden könnte 3 4 . Das heißt, die Strategie der Regulierung von Selbstregulierung in interorganisationalen Netzwerken muss ihrerseits differenziert werden, und diese Differenzierung selbst ist abhängig von den unterschiedlichen Mustern der Bildung interorganisationaler Netzwerke, innerhalb derer Wissen sowie Anschlusszwänge und -möglichkeiten für öffentliche wie private Entscheider erzeugt werden. Eine Erleichterung des Problems der Formulierung einer Strategie der „Meta-Regulierung" ist davon zu erhoffen, dass nicht nur die Wissensfelder sich durch Spezialisierung und Verknüpfung mit Netzwerken ausdifferenzieren, sondern auch neue komplexere Formen und Methoden der Wissensverarbeitung, also eine Art „Meta-Wissen" der Kontrolle generiert w i r d 3 5 . Auf der einen Seite erzeugt die Dynamik der Wissensentwicklung insbeson33 Vgl. dazu Löffler (Hrsg.), Die Selbstkontrolle von Presse, Funk und Film, 1960; und als Beispiel eines Konfliktfalls Scorseses Film „Die letzte Versuchung Christi", FBW/FSK, 1989. 34 Vgl. Andrews (FN 1); Schuppert (FN 2); Trute, DVB1 1996, S. 950 ff. 35 Vgl. Foray / Grübler, Technology and the Environment, in: Technological Forecasting and Social Change 1996, S. 3 ff.

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dere der informationstechnologischen Verarbeitungsmöglichkeiten einen neuen Problemdruck auf die öffentlichen Entscheider, während auf der anderen Seite - „wo Gefahr ist, wächst das Rettende auch" - auch eine Evolution der „Kontrolltechnologien" zu beobachten ist 3 6 : Regelungen und Kontrolle „erster Ordnung" waren an relativ genau bestimmten einzelnen Zielen orientiert, während die Komplexität der neuen Regulierungsprobleme „zweiter Ordnung" nur mit einem Zielbündel und mit dem systematischen Einbau von Komponenten der Selbstrevision und des Lernens aufgrund neuen Wissens bearbeitet werden können. Dieses Lernen kann seinerseits nicht als spontanes Phänomen der Selbstorganisation unterstellt werden, es muss und kann auch systematisch in Regelungsstrategien eingebaut werden, die Ungewißheit durch Modellbildung und deren Verknüpfung mit Suchverfahren zum Zwecke der Erzeugung neuen Wissens binden 3 7 . Dazu ist wiederum die Formulierung einiger Meta-Regeln möglich, die ζ. B. eine Priorität für die Stimulierung von Innovationen und für die Erhaltung von Diversität in Wissenssystemen als methodische Entscheidungsregel für Regulierungen vorgeben könnten. Demgegenüber waren konventionelle command-and-control-Regulierungen eher starr und haben wenig Möglichkeit zum Experimentieren vorgesehen 38 . Das Problem der Ungewißheit auf der staatlichen Entscheidungsebene könnte mindestens partiell - dies wäre sektoral noch zu differenzieren - durch eine solche Option für die Erhaltung von Innovationsfähigkeit in Wissensnetzwerken abgespannt werden 39 . In einem ähnlichen Sinne ist auch an die Möglichkeit zu denken, Regulierungsstrategien zeitlich zu differenzieren und auf die Erzeugung neuen Wissens für spätere Regulierungsstufen zu warten. Eine Strategie der Erhaltung oder Forcierung insbesondere technologischer Varietät kann hohe Ansprüche an die Entscheider stellen, weil auch dynamische technologische Systeme dazu tendieren, Vielfalt einzubüßen und geradezu zu zerstören. Diese Möglichkeit in Rechnung zu stellen, kann ζ. B. bei der Regulierung komplexer informationstechnologischer Systeme dazu beitragen, im Vorgriff auf künftige Optionenvielfalt nur vorläufige Vorgaben für die Selbstregulierung zu machen und auch die Selbstbindung durch Selbstregulierung zu begrenzen. D. h. also mehr Möglichkeiten wären danach bewußt durch Fremdregulierung von außen zuzuführen, um die Innovationsoffenheit von Selbstregulierung durch Prozeduralisierung zu erhalten, auch wenn eine substantielle, zielorientierte Verarbeitung nicht möglich oder tunlich ist.

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Vgl. Sutherland, in: Technological Forecasting and Social Change 1997, S. 215 ff. 37 Vgl. Axelrod/Cohen (FN 23). 38 Vgl. Hoffmann-Riem, in: FS Thieme, 1993, S. 55 ff. 39 Vgl. Foray / Grübler (FN 35), S. 10. 5:

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Dies bedarf im einzelnen - wie erwähnt - noch der Differenzierung, aber es sollte deutlich geworden sein, dass erstens eine Strategie der Flexibilisierung durch Vorgabe „weicher" Ziele für die Selbstregulierung in situativen Netzwerken oder durch informelle Absprachen zu kurz greift, weil dies die Selbstveränderung des Staates wie der Gesellschaft der Netzwerke vernachlässigen würde, und zweitens eine prozedurale auf Selbständerung angelegte Konzeption der Fremdregulierung denkbar ist, für die sich durchaus einige allgemeine Meta-Regeln auf einer höheren Abstraktionsebene formulieren ließen, die stärker auf die Erzeugung von mehr Möglichkeiten, die Erhaltung von Alternativenreichtum und die Stimulierung neuen Wissens eingestellt ist. Eine weitere allgemeine Voraussetzung für eine Strategie der Regulierung von Selbstregulierung ist die Selbstveränderung von Organisationen 40 : Während die Abschwächung der Integrationsleistung der repräsentativen Wirtschaftsverbände die staatliche Regulierung und die zentralisierte Erzeugung eines allgemeinen Regulierungswissens erschwert, wirkt ein anderer Trend der Transformation der Unternehmensorganisation, der die Verallgemeinerung der Interessen der Unternehmen und damit die staatliche Regulierung erschwert, eher gegenläufig: Er könnte die Flexibilität der Unternehmen steigern und mehr Durchlässigkeit für die Internalisierung von sog. externen Effekten erzeugen: Auch innerhalb der privaten Organisationen nimmt nicht nur die Bedeutung des Wissens als Ressource für die Produktion zu, sondern auch die Organisationsstruktur wird von Hierarchie, d. h. auch von der Trennung von allgemeinem Leitungswissen und konkretem arbeitsteilig eingesetzten Anwendungswissen auf eine heterarchische Netzwerkstruktur umgestellt. Der bisher funktional, horizontal und vertikal durch „Grenzen" zwischen ausdifferenzierten Wissensbeständen und Handlungsorientierungen bestimmte Unternehmensaufbau wird durch eine Tendenz zur Verknüpfung von Wissensbeständen und Handlungskomplexen über die bisherigen Grenzen hinweg geprägt 41 . Daraus ergeben sich neue Möglichkeiten zur Mobilisierung des Wissens, die einen Konflikt zwischen öffentlichen und privaten Interessen abspannen helfen: Die Entwicklung zur Dematerialisierung der Produktion einerseits und zur flexiblen Kombinatorik des Wissens in überlappenden inter- und intraorganisationalen Netzwerken erlaubt es, grundsätzlich die getrennten Phasen der Entwicklung, Produktion, Verteilung und Konsumption jedenfalls höherwertiger Güter für einander zu öffnen (z.B. bei der Produktion von Automobil-Motoren) und im Bereich des Umweltschutzes „end of the pipe" Technologien zu überwinden, die bisher zeitlich und sachlich mit Nachrang dem funktionsorientierten Design von Maschinen etc. „hinzugefügt" worden sind und die 40

Vgl. zur Veränderung der Organisationen nur Shapiro / Varian (FN 24). 41 Vgl. Axelrod/Cohen (FN 23).

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Trennung der Phasen des technologischen Prozesses nicht in Frage stellen. Diese Entwicklung ist also durchaus ambivalent: Sie schwächt die Ersetzbarkeit traditioneller monistischer zielorientierter Regelungstechniken, auf der anderen Seite erlaubt sie ein komplexeres integratives Design von Funktion und Vermeidung unerwünschter Nebeneffekte. Zugleich sind mehr und neue Verknüpfungen zwischen Unternehmen denkbar, deren Funktion bisher vertikal oder horizontal voneinander getrennt waren. Nunmehr relativiert die Tendenz zur Verwischung von Grenzen im arbeitsteiligen Prozess durch „relationale" hybride organisations-äquivalente Vertragsnetzwerke 42 (joint ventures) oder interne quasi-marktliche Binnendifferenzierung von Unternehmen die Unterscheidung zwischen Vertrag und Gesellschaft (Organisation). Mit guten Gründen wird hier von einer Tendenz zur Herausbildung eines „fraktalen" Unternehmen gesprochen 43 , das seine Einheit einbüßt und in ein variables Netzwerk von Unternehmen und Unternehmensteilen transformiert wird, die durch unterschiedliche interorganisationale Verträge oder intraorganisationale Entscheidungen relativ dauerhaft miteinander verbunden sind 4 4 . Schon die bisherige Skizze sollte die Chancen und Risiken der Regulierung von Selbstregulierung und die Schwierigkeiten der Formulierung einer konsistenten staatlichen Strategie deutlich gemacht haben. Der „Gewährleistungsstaat" ist keineswegs eine einfache Alternative zum traditionellen Regulierungsstaat; er bedarf einer differenzierten Selbstevaluation der Möglichkeiten zur Formulierung von Handlungsstrategien, die auf unterschiedliche Handlungsfelder abgestimmt werden können und deren Fragmentierung Rechnung tragen. Im folgendem sollen die möglichen Kriterien der Differenzierung und einer darauf aufbauenden rechtlichen Regulierungsstrategie skizziert werden, die vor allem den unterschiedlichen Handlungsbedingungen einzelner interorganisationaler Netzwerke gerecht zu werden versucht.

IV. Das Beispiel des Umweltrechts

Im Umweltrecht knüpfen etwa die Modelle (freiwilliger) Umweltmanagementsysteme (EMAS/ISO) an ein aufgeklärtes Selbstinteresse von Unternehmen an, wenn sie eine prozedurale Form der Selbstevaluation interner und externer Umweltkosten auferlegen 45 . Man mag sich fragen, warum die 42 Vgl. nur Rohe, Netzverträge - Rechtsprobleme komplexer Vertragsverbindungen, 1998. 43 Vgl. dazu Warnecke, Die fraktale Fabrik - Revolution der Unternehmenskultur, 2. Aufl. 1996; ders.,Vom Fraktal zum Produktionsnetzwerk, 1999. 44 Vgl. Evans / Wurster, Blown to Bits. How the New Economics of Information Transforms Strategy, 2000.

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Unternehmen nicht rational genug sind, jedenfalls solche Umweltbelastungen zu vermeiden, die nicht nur die Umwelt entlasten, sondern sich zugleich im privaten Budget des Unternehmens zu Buche schlagen. Das neue komplexere Wissen muss aber auch in den Unternehmen selbst erst aufgrund selbstorganisierter Flexibilisierungen erzeugt und genutzt werden; dazu kann auch der Staat durch Anreize zur Entwicklung von Managementkonzeptionen einen Beitrag leisten. Aber die Strategie der Regulierung von Selbstregulierung darf eine solche Konstellation, in der es im Grunde keine Verlierer gibt, nicht als die Regel unterstellen. Einer der Kosten sparenden Effekte kann ζ. B. darin bestehen, dass Kosten des Umweltschutzes, die bisher als pauschale Summe in Kosten-Nutzen-Rechnungen 46 geführt wurden, in Zukunft durch interne Ausdifferenzierung und Zurechnung auf einzelne Produktionsbereiche - ähnlich wie bei der Erwirtschaftung von Gewinnen im Übrigen - transparent gemacht und Vermeidungsstrategien optimiert werden. Aber in vielen Unternehmen ist der Umweltschutz nach wie vor ein Kostenfaktor, der durch Modernisierung nicht selbstverständlich kompensiert werden kann. Die Komplexität flexibler (Selbst-)Regulierungsstrategien legt es nahe, auf die Zwangswirkung formalisierter Verhaltensregulierungen nicht gänzlich zu verzichten 47 . Eine andere Konstellation, in der Selbstregulierung produktiv werden kann (Umweltschutz), basiert auf der Entwicklung integrierter, auf Umweltentlastung eingestellter Produktionsstrategien einzelner Unternehmen für die mit hohem Symbolwert besetzten Konsumgüter (Autos) und ihre Proliferation an die Zuliefer- und Produktionskette über Qualitätssicherungsverträge. Dabei können die Erwartungen eher von großen Unternehmen oder Verbänden formuliert werden. Insbesondere im Bereich der Erzeugung und Nutzung von umweltentlastenden Technologien kann eine sich selbstverstärkende positive Dynamik der Generierung von „best practices" nicht vorausgesetzt werden. Deshalb muss mit einer Selbstblockierung der Suche nach neuen Technologien in vielen Handlungsfeldern gerechnet werden. Auf der anderen Seite ist auch eine Strategie der Ökonomisierung von Umweltgütern nur begrenzt einsetzbar 4 8 , weil Ökonomisierung zu einem erheblichen Teil mit der Politisierung von Preisen einhergeht und die Ernsthaftigkeit der Durchsetzung politischer Strategien zweifelhaft bleiben kann und bei den Unternehmen die Bereitschaft zu politischem Widerstand erzeugen wird. Andererseits fehlt dem 45 Vgl. nur Lübbe-Wolff, NuR 1996, S. 217 ff.; dies., ZUR 1996, S. 173 ff. 46 Vgl. zum Problem der Kosten-Nutzen-Analyse in Rechtsnormen McGarity, Administrative Law Review 1998, S. 7 ff.; sowie allgemein Johansson, Cost-Benefit-Analysis of Environmental Change, 1993. 47 Vgl. Andrews (FN 1). 48 Vgl. Johansson (FN 46).

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Staat das für eine angemessene Strategie erforderliche Wissen für die Definition des Interventionsniveaus. Eine varietätssteigernde Strategie könnte auf der Grundlage der oben formulierten Annahme in einer „Meta-Regel" der Steigerung von Vielfalt der Alternativen in der gezielten Förderung der Grundlagenforschung, aber auch der Setzung von Anreizen für kleine und mittlere Unternehmen bei der Entwicklung neuer integrativer, praxistauglicher Technologie bestehen. Ein Gegenbeispiel für eine verfehlte Strategie, die nicht die Suche nach Innovation fördert, sondern bestimmte als positiv bewertete Technologien flächendeckend fördert, bildet das Gesetz zur Förderung erneuerbarer Energien 49 . Hier setzt der Staat ein Ziel, die Förderung von als positiv bewerteten Energien, und setzt dazu eine Subventionierung als Mittel ein, ohne dass das Risiko der Zersplitterung der Mittel durch Förderung ineffizienter Technologien berücksichtigt wird, die ebenso in Sackgassen enden können wie andere Technologien. Das Beispiel zeigt auch, wie wichtig die theoretische Konstruktion der Strategie der Kombination von Regulierung und Selbstregulierung und die Berücksichtigung der kognitiven Grenzen staatlicher Entscheidungsverfahren ist: Ebendiese werden hier vernachlässigt, weil der Begriff „erneuerbare Energien" von vornherein positiv besetzt wird und die Risiken des Einrastens in unproduktiven Pfaden, ja der Anreiz zur Schaffung und Nutzung ineffizienter Technologien missachtet werden. Ein ebenso problematisches Beispiel bietet das KrW-/AbfG mit seiner unreflektierten Vorgabe eines Ziels der Ressourcenschonung, dessen Komplexität durch die Vielzahl der Verzweigungen in Lebenszyklus-Untersuchungen nicht erfasst werden können. Dass die Vorgabe des Ziels einer möglichst „hochstufigen" Verwertung von Abfällen 5 0 - von Abgrenzungsproblemen bei der Anwendung des Abfallbegriffs ganz zu schweigen - ein sinnvoller Weise vom Staat an die Selbstregulierung weiterzugebendes Ziel ist, erscheint äußerst zweifelhaft. Auch hier ist zu vermuten, dass die Selbstregulierung nicht per se positiv zu bewerten ist, vor allem dann nicht, wenn sie auf der Grundlage staatlich gesetzter substantieller Ziele operiert, die weder für sich genommen strategisch ausgearbeitet worden sind, noch in ihrer Umsetzung in die Praxis systematisch beobachtet und bewertet werden können. Dann können sich leicht die Nachteile der staatlichen Regulierung mit denen der Selbstregulierung verbinden. Der Staat muss in einer realistischen Strategie der Förderung von Selbstregulierung immer auch die Grenzen der Steuerung und die Intransparenz der selbstregulierten interorganisationalen Netzwerke systematisch und methodisch mitreflektieren. 49 Stromeinspeisungsgesetz i.d.F. v. 24.04.1998, BGBl I S. 730; vgl. zu einer flexiblen Regulierungsstrategie allg. Hahn, in: The University of Chicago Legal Forum 1997, S. 143 ff. so Vgl. allg. Finckh (FN 2), S. 271 ff.

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Dies führt wieder auf die Grenzen der Erzeugung von Wissen in einer sich schnell selbst transformatierenden Gesellschaft zurück. Da es hier nicht um die Beschreibung spezifischer Probleme der Selbstregulierung im Umweltrecht geht, soll auf die systematische Beschreibung eines Kontinuums der Kombination von Selbstorganisation und Fremdsteuerung in diesem Bereich verzichtet werden. Auf einige systematische und methodische Folgerungen für den Zuschnitt einer staatlichen „Meta-Regulierung" soll am Ende noch einmal zurückgekommen werden. Jedenfalls sollte deutlich geworden sein, dass Regulierung von Selbstregulierung eine höchst voraussetzungsvolle Strategie ist, deren Formulierung die Beobachtung und Verarbeitung der Selbstveränderung des Wissens und der Handlungsmöglichkeiten des Staates in einer „Gesellschaft der fragmentierten interorganisationalen Netzwerke" voraussetzt. D. h. der Staat kann nicht die tradierte Form der Verhaltensregulierung, die sich an einem relativ stabilen vom privaten Interesse getrennten öffentlichen Interesse orientiert, nur durch ein weicher formuliertes, auf Verhaltenssteuerung verzichtendes Ziel ablösen, dessen Implementation dann der Selbstorganisation der privaten Unternehmen überlassen bleibt. Vielmehr ist Selbstregulierung im Umweltrecht nur dann sinnvoll, wenn Ungewissheitsbedingungen, unter denen die Akteure stehen, genauer beschrieben und in die Regelungsstrategie eingebaut werden, und zwar insbesondere in der Form einer dynamischen, auf die Beobachtung des jeweiligen Handlungsnetzwerkes eingestellten Konzeption der Selbstrevision und Selbstevaluation. Im übrigen müssen einzelne Netzwerke, in die durch Regulierung von Selbstregulierung interveniert wird, nach der Interessenstruktur der Beteiligten (homogene / heterogene Interessen?), der Dynamik der kognitiven Selbstveränderung und des Grades und des Typus von Ungewissheit der Entwicklungsalternativen unterschieden werden.

V. Das Beispiel der Regulierung von Informationstechnologien

Der Bereich der Informationstechnologien i.e.S. ist natürlich besonders prädestiniert für Selbstregulierung, nicht zuletzt wegen der Dynamik der Selbsttransformation dieses Sektors, der alle Grenzen in einem Prozess der Konvergenz in Frage stellt 5 1 . Hier wird auch der besondere Aspekt der Wissensveränderung deutlich, der für die Regulierung von Selbstregulierung eine zentrale Rolle spielt. So bringen etwa (selbstregulierte) Standards und ihre vielfältigen Erscheinungsformen den Wandel des Wissens zum Ausdruck, insbesondere die Infragestellung der eher statischen Trennung von 51 Vgl. dazu jetzt Hoffmann-Riem / Schulz / Held, Konvergenz und Regulierung, 2000; Christiansen, MMR 2000, S. 123 ff.

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allgemein zugänglichem (Erfahrungs-)Wissen und besonderem aneignungsfähigen, insbesondere durch Patente rechtlich zu schützenden Wissens 52 . Durch die Mobilisierung des Wissens wird die Zurechnung als eigenes unter ganz neue Anforderungen gestellt: Auf der einen Seite müssen Unternehmen immer mehr allgemeines Wissen erzeugen und verbreiten, damit überhaupt die ökonomische Nutzung eines besonderen Anwendungswissens möglich wird, also ζ. B. die Nutzung eines Computers oder von Computersoftware möglich wird. Standards werden auf diese Weise ambivalent: Auf der einen Seite besteht die Gefahr, dass proprietäre Standards rechtlich geschützt werden und eine Entwicklung blockieren, ohne dass die Abschätzung der damit verbundenen Gefahren ohne weiteres möglich wäre, weil die Monopolisierung von Wissen aufgrund der schnellen Selbsttransformation der Informationstechnologien nur noch vorübergehend möglich zu sein scheint 53 . Auf der anderen Seite können aufgrund des immer wichtiger werdenden Moments der Selbstverstärkung von Trends in der Netzwerkökonomie („wachsende Erträge") erhebliche Gewinne in kurzer Zeit ermöglicht werden - mit durchaus problematischen Konsequenzen für die Marktmacht, auch wenn das Monopol nicht von Dauer ist. Zugleich besteht die Möglichkeit der Freigabe von Standards und des darin aggregierten Wissens: ζ. B. können bis zu 99% des in einer Entwicklungstrajektorie akkumulierten Wissens (Linux) veröffentlicht werden, mit der Perspektive, etwa durch Verwendung des einen übrig bleibenden Prozents des nicht weitergegebenen Wissens einen durch die Netzwerkökonomie der „zunehmenden Erträge" möglichen überproportionalen Gewinn zu erzielen 54 . Dazwischen liegen alle möglichen Abstufungen der Blockierung von Möglichkeiten durch Standards und der schwer überschaubaren Möglichkeit des Einrastens bestimmter Nutzungsformen sowie der Vervielfältigung der Entwicklungsmöglichkeiten, wenn ein Standard sich einmal durchgesetzt hat. Standards als solche sind typische Varianten der Selbstregulierung und der Nutzung von gemeinsamen technischen Bedingungen in Netzwerken, die erst die Verknüpfung zwischen verschiedenen Komponenten (Hardware, Software etc.) ermöglichen. Einmal lassen sich diese Entwicklungen durch das Wettbewerbsrecht beobachten und kontrollieren, aber insbesondere im Bereich der Telekommunikation und der Medien geraten sie auch in den Einzugsbereich der staatlichen Regulierung, die dann eine Form der Kooperation mit privaten Unternehmen suchen muss. Auch hier zeigt sich aber, dass es wenig sinnvoll 52 Vgl. Ladeur, CR 1999, S. 395 ff.; allg. Abbate/Kahin (Hrsg.), Standards Policy for Information Infrastructure, 1995. 53 Vgl. allg. Shapiro / Varian (FN 24); Zerdick u. a., Die Internet-Ökonomie. Strategien für die digitale Wirtschaft, 1999. 54 Vgl. dazu allg. Shapiro / Varian (FN 24).

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wäre, wenn der Staat oder genauer gesagt, eine spezialisierte Regulierungsbehörde, sich am Prozess der Definition und Kontrolle von Standards undifferenziert durch globale Zielvorgaben beteiligen würde, die nicht auf die Besonderheiten des jeweiligen interorganisationalen Netzwerks abgestimmt waren . Ein besonderes Problem hat in diesem Bereich die Nutzung der Set-topBox für das digitale Fernsehen aufgeworfen 56 . Für öffentliche Entscheider ist die Entwicklung der Technologie und ihrer eventuellen Alternativen sowie die Folgen ihrer Nutzung schwer durchschaubar, im übrigen unterliegt sie ohnehin einer starken Dynamik, die Festlegungen erschwert. Aber hier hat sich auf der internationalen (europäischen) Ebene die DVB-Arbeitsgruppe gebildet, an der unterschiedliche Unternehmen, nicht nur Rundfunkveranstalter, Telekommunikationsunternehmen, Unterhaltungselektronikunternehmen, sondern auch die Computerindustrie beteiligt waren. Diese Vielfalt der Interessen bietet eine relativ sichere Gewähr dafür - vor allem die Beteiligung der Computerindustrie - , dass der Standard nicht zu einem problematischen Einrasten in einen Pfad führt, der den Wettbewerb verzerren könnte: Die Computerindustrie ist eher an der Erhaltung der Dynamik (und damit von Varietät) interessiert, während man von den anderen Beteiligten durchaus Beharrungsinteressen erwarten kann 5 7 . Diese Heterogenität der Interessen ist eine Grundlage für eine relativ verlässliche Kooperation von Regulierung und Selbstregulierung: Man kann voraussetzen, dass das interorganisationale Netzwerk der an der Standardisierung Beteiligten selbst eine Dynamik produziert und erhält und kann dann durch rechtliche Vorgabe von Anforderungen an die Offenheit eine öffentliche Regulierungsstrategie formulieren, die sich nicht an Illusionen orientiert, sondern das Netzwerk durch Intervention zu Gunsten der selbst aktiven, dynamischen Teile zu influenzieren sucht. Unter diesem Gesichtspunkt erscheint die Selbstregulierung nach dem Modell des Mediendienste-Staatsvertrages eher zweifelhaft: Wenn man mit einem relativ homogenen Interesse der an der Selbstregulierung Beteiligten rechnen muss und deshalb Alternativen nicht ohne weiteres offengelegt werden, wird wenig produktive Spannung innerhalb des Netzwerks erzeugt und die Verknüpfung und Selbstregulierung erschwert. Hier müsste daran gedacht werden, eine stärkere Vertretung von Kirchen, sozialen Verbänden u. ä. Gruppen zu erzwingen, um mehr Varietät von außen zuzuführen, damit 55 Vgl. dazu die Beiträge in Hoffmann-Riem (Hrsg.), Innovation und Telekommunikation, 2000. 56 Vgl. dazu Schulz / Seufert / Holznagel, Regulierungsziele und Konzepte für digitales Fernsehen in Deutschland, 1999. s? Vgl. Ladeur, CR 1999, S. 395 ff.

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der Alternativenreichtum gesteigert werden kann. Erst auf dieser Grundlage ist auch eine fruchtbare Kooperation von öffentlicher und privater Regulierung vorstellbar. Dieser Gesichtspunkt spricht ζ. B. auch dafür, es angesichts der sich abschwächenden Legitimationskraft des herkömmlichen kulturellen Pluralismus in den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, einer eher traditionellen Form der gruppenbasierten Selbstregulierung, ebenfalls mit der systematischen Zufuhr von mehr Varietät von außen zu versuchen und die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten durch Gesetz zu verpflichten, die Konzeption ihrer Aufgabe unter den sich verändernden Bedingungen stärker durch Kriterienformulierung zu explizieren und sowohl zu evaluieren als auch extern, also fremd evaluieren zu lassen. Auf dieser Grundlage könnte der „Funktionsauftrag" 5 8 des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zum Gegenstand öffentlicher Kontroverse werden, weil so erst bestimmte Konfliktlinien sichtbar gemacht werden könnten. Auch die Aufsicht über private Rundfunkveranstalter lässt sich als eine hybride Form der Verknüpfung von Fremd- und Selbstregulierung begreifen 59 , die aber ebenfalls angesichts des relativ homogenen Interesses der Regulierten, die sich mehr über den Markterfolg legitimieren, nur schlecht funktioniert. Hier wäre daran zu denken, die Finanzierungsbedingung des privaten Rundfunks durch Lockerung der Werberestriktionen zu verbessern, wenn im Gegenzug dafür mehr Risiko in der Programmentwicklung (durchaus auch in populären Formaten) gezeigt wird; damit könnte eine Programmpolitik möglicherweise besser beeinflusst werden als durch gruppenbasierte Regulierung, die im Widerspruch zur Regulierung über den Markt gerät. Ein neues Beispiel für eine spezifische, auf die interorganisationalen Handlungsnetzwerke zugeschnittene Kombination von Regulierung und Selbstregulierung könnte im Bereich des Datenschutzes im Internet, insbesondere im e-commerce formuliert werden 60 . Hier ist das Interesse der Konsumenten / Nutzer schwer organisierbar, auf der anderen Seite steht ein relativ homogenes Interesse an der Nutzung der Daten für kommerzielle Zwecke. Hier ließe sich an den Einsatz von Verbänden denken, die die Probleme erst aufspüren und dann auch das schwache Interesse von Nutzern organisieren können, wenn es einfache Alternativen (Wechsel von Anbietern) gibt. Auf diese Weise kann möglicherweise ein höheres Niveau des Datenschutzes erreicht werden als durch Stärkung des institutionalisierten 58 Vgl. dazu einerseits Bullinger, Die Aufgaben des öffentlich-rechtlichen Rundfunks - Wege zu einem Funktionsauftrag, 1999; andererseits Holznagel, ZDF Schriftenreihe Nr. 55, 1999; ders. / Vesting, Sparten- und Zielprogramme im öffentlichrechtlichen Rundfunk, 1999. 59 Vgl. Hoffmann-Riem u.a. (FN 51), S. 48 ff. 60 Vgl. zur Regulierung von e-commerce nur Spindler, MMR-Beilage 7 / 2000, S. 4 ff.

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Datenschutzes. Zugleich könnte der Staat die schwer organisierbaren Datenschutzinteressen durch Stärkung der individuellen Möglichkeiten des Selbstschutzes kompensieren, um so erst einen Zwang zur Varietät im Handlungsfeld zu erzeugen, der Bedingungen für eine fruchtbare Selbstregulierung, und zwar hier auch in der Form unterschiedlicher Regelungen schafft 61 . Auch an den hier vorgestellten Beispielen aus dem Bereich der Nutzung der Informationstechnologien lässt sich zeigen, dass eine realistische, auf die Dynamik der Transformation des Handlungsfeldes und der zu influenzierenden interorganisationalen Netzwerke eingestellte, flexible und differenzierte Kombination von Fremd- und Selbstregulierung durchaus mehr bedeuten kann als informelle „Arrangements".

V I . Methodische Konsequenzen für eine Konzeption der Steuerung durch Recht

Die einleitenden Bemerkungen und die exemplarische Betrachtung der unterschiedlichen Kombinationen von Fremd- und Selbstregulierung im Umweltrecht und im Recht der Informationstechnologien haben die Grundlagen für einige grundsätzliche Überlegungen zu einer differenzierten Regulierungsstrategie geschaffen. Diese sollen nur in Umrissen skizziert werden: Auf der Grundlage der hier akzentuierten Verknüpfung zwischen Veränderung der Wissenserzeugung u n d der Selb st V e r ä n d e r u n g der Akteure in den sich herausleitenden inter- und unterorganisationalen Netzwerken jenseits der bisherigen Grenzen liegt es nahe, den Staat aus einer Position der hierarchischen Überordnung in eine heteronome Position der Beobachtung zu versetzen. Diese Position eröffnet dem Staat d u r c h a u s die Möglichkeit zur Nutzung bestimmter Wissenstypen, die den privaten Akteuren nicht zur Verfügung stehen. Er kann aber nicht mehr den privilegierten Status des „idealen Beobachters" beanspruchen. Der Staat muss sich gegenüber seiner eigenen Position selbstreflexiv verhalten: Kognitive und normative Ressourcen müssen erst definiert und netzwerkgerecht justiert werden 62 . D. h. sie müssen strategisch, in Abhängigkeit von den Entwicklungsbedingungen der interorganisationalen Netzwerke konstruiert werden. Der Staat kann und muss unter Anerkennung des Zwangs zur Entscheidung unter Ungewissheitsbedingungen neue Methoden und Modelle der Erzeugung von Wissen konzipieren, die es erlauben, Hypothesen zu formulieren und zu erproben - oder Regulierungen stufenweise unter der Erwartung der Erzeugung 61 Vgl. dazu Hoffmann-Riem, in: Bäumler (Hrsg.), Der neue Datenschutz, 1998, S. 11 ff. 62 Vgl. Axelrod / Cohen (FN 23).

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neuen Wissens durch die Entscheidungsstrategie selbst zu formulieren. Die Abhängigkeit öffentlicher Entscheider von mehr oder weniger intransparenten Beziehungsnetzwerken lässt sich partiell durch eine methodische Präferenz für die Erzeugung und Erhaltung in Varietät begrenzen. Nachdem einmal die Stabilität der Erwartungen entfallen ist, wäre die Zulassung von Risiken mit Zwängen zur systematischen Suche nach Risikowissen zu verknüpfen (das nun nicht mehr ohne weiteres allgemein zugänglich ist). Hier wäre ein Beispiel aus dem Unternehmensrecht zu nennen. Das „KonTra-Gesetz" zwingt Unternehmen insbesondere dazu, Vermögenswerte stärker dynamisch zu bestimmen, aber auch Risiken offen zu legen, damit private Entscheidungen auf einer besseren Grundlage getroffen werden können 63 . Dies ist - im Blick auf die USA - auch ein Fall des produktiven Wettbewerbs der Institutionen. Hier wäre im Übrigen an einen systematischen Versuch mit dem Wettbewerb von Regeln zu denken 64 . Auch dies ist eine Strategie der Steigerung von Varietät mit dem Ziel der Bindung von Ungewissheit durch Flexibilität. Vor allem in der Hochtechnologie ist die „Dekonstruktion" der hierarchisch gestuften Einheit des Unternehmens und seiner begrenzten Außenkontakte (Verträge) durch lockere „fraktale" Verknüpfungen schon weit fortgeschritten. Dies erschwert die Voraussetzung und Beschreibung einer einheitlichen Realität, andererseits erleichtert dies die Entwicklung einer Strategie der Influenzierung durch Zufuhr neuer Optionen. Durch die neuen Informationstechnologien wird die Möglichkeit eröffnet, sehr viel mehr Information („Daten") auf der Grundlage von Modellbildungen zu verarbeiten, in denen die Verknüpfung von Relativierungsmustern in Gesellschaft und Natur beobachtet werden kann. Auch dies steigert die Fähigkeit öffentlicher Entscheider zur Influenzierung privater interorganisationaler Beziehungsnetzwerke . Damit soll die Skizze abgebrochen werden: Nur hingewiesen sei auf die Notwendigkeit, für die Kombination von Regulierung und Selbstregulierung auch einen neuen Typus des Gesetzes zu entwickeln. Modelle der gesetzlichen Steuerung, die stärker auf methodische Verfahren und Pflichten zur Selbstrevision setzen würden, um auf diese Weise Ungewissheit durch mehr Flexibilität zu binden, könnten auf eine paradoxe Weise auch zur Stärkung parlamentarischer Kontrolle beitragen, wenn die Illusion der Steuerung von oben durch eine realistische, aber auch transparentere Kooperation zwischen Gesetzgebung und Verwaltung abgelöst würde. 63 Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich, v. 24.04.1998, B G B I I S . 786. 64 Vgl. dazu nur Christiansen (FN 51); sowie allg. Gerken, Der Wettbewerb der Staaten, 1999.

I I . Referenzbereiche

Regulierte Selbstregulierung i m Medienrecht Von Bernd Holznagel, Münster

I. Unterschiedliche Traditionen staatlicher Einflußnahme i m Rundfunk und i m Internet

Die elektronischen Medien gelten als ein, wenn nicht gar als das klassische Referenzgebiet, in dem die Funktionsweise regulierter Selbstregulierung 1 beobachtet und analysiert werden kann. Die Erfahrungen mit dem Nationalsozialismus und später mit dem realexistierenden Sozialismus haben gezeigt, daß eine hoheitliche Steuerung des Medienwesens mit den Grundsätzen einer demokratischen Gesellschaft und dem Grundrecht auf freie Meinungsäußerung nicht zu vereinbaren ist. In der Nachkriegszeit ließ sich daher eine staatliche Kontrolle der Medien zumindest in den westlichen Demokratien nicht mehr rechtfertigen und politisch durchsetzen 2. Dabei waren es insbesondere die nationalen Verfassungsgerichte, die Vorkehrungen vor staatlichen Übergriffen eingefordert und damit die autonome Entwicklung der Medien gestützt haben 3 . Im Unterschied zur Presse konnten sich die Parlamente und Regierungen jedoch nach dem Krieg nicht sofort zu einer Privatisierung der Hörfunkund Fernsehtätigkeiten entscheiden, um die Unabhängigkeit der Kommunikationsordnung zu stärken und die Programmvielfalt, insbesondere im Informationsbereich, zu fördern. Diese Option wurde zumeist mit dem Hinweis auf die so genannte Sondersituation des Rundfunks abgelehnt, die durch einen Mangel an Frequenzen und durch hohe Anfangsinvestitionen für die Programmgestaltung gekennzeichnet war 4 . Der Gesetzgeber mußte 1 Zu diesem Konzept Hoffmann-Riem, in: ders./Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Öffentliches Recht und Privatrecht als wechselseitige Auffangordnungen, 1996, S. 261; ders., in: Schmidt-Aßmann/ders., Strukturen des Europäischen Verwaltungsrechts, 1999, S. 317 (372). Zu den im europäischen Telekommunikationsrecht eingesetzten Instrumenten der regulierten Selbstregulierung s. dens., in: Schmidt-Aßmann / Hoffmann-Riem, Strukturen des Europäischen Verwaltungsrechts, 1999, S. 191 (210 ff.); ders., Regulierung der dualen Rundfunkordnung, 2000, S. 262. 2 Herrmann, Rundfunkrecht, 1994, S. 67 ff.; Holznagel, Rundfunkrecht in Europa, 1996, S. 92 f. 3 Holznagel, European Review of Public Law 1997, S. 61 ff.; Schellenberg, AöR 119 (1994), S. 427 ff. 4 Degenhart, in: Dolzer/Vogel (Hrsg.), Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 5 Rn. 628 ff.; Herzog, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, Art. 5 Rn. 218 ff. Hierzu

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sich daher schon zu Zeiten des staatlichen Rundfunkmonopols darum bemühen, den Grundsatz der Staatsferne auf andere Weise zur Geltung zu bringen. Wegen der Risiken, die die Kommerzialisierung der Medien für das Pluralismusziel mit sich bringt, wurde er in der Bundesrepublik durch das Bundesverfassungsgericht auch nach der Zulassung privater Rundfunkveranstalter dazu angehalten, eine positive Kommunikationsordnung zu schaffen 5 . Kennzeichnend für den gewählten Steuerungsansatz ist jeweils die Schaffung allgemeiner Strukturvorgaben, aber auch sonstiger Organisations- und Verfahrensregeln, die eine Selbstregulierung der im Rundfunksektor relevanten Akteure ermöglichen oder unterstützen sollen. Aus historischer Sicht wird im Rundfunk die staatliche Regulierung zurückgenommen und schrittweise den in diesem Bereich wirkenden Akteuren die Verantwortung übertragen. Der Staat zieht sich aber nicht vollständig zurück, sondern gibt mit Hilfe von medienspezifischen Regeln den Handlungsrahmen vor. Die Zukunft der Medien ist digital. Mit dem Internet ist ein neues Medium entstanden, das sich einer dramatisch wachsenden Popularität erfreut. Lag die Zahl der Internet-Nutzer im Jahre 1997 noch bei rund 4,5 Millionen deutscher Bürger, wurden Anfang des Jahres 2000 bereits über 18 Millionen gezählt 6 . Das Internet hat damit auch in der Bundesrepublik das Nischendasein verlassen und ist zu einem Massenmedium geworden. Die Visionäre der New Economy zeichnen uns dabei ein Bild vom Cyberspace, das gänzlich ohne den Staat auskommt 7 . Sie plädieren für eine reine Selbstorganisation und Selbststeuerung des „Netzes der Netze" und fordern die vollständige Freiheit von staatlicher Regulierung. Anders als im Rundfunksektor hat der Staat im Hinblick auf das Internet niemals über ausschließliche Monopolrechte verfügt. Es gibt keine sektorspezifische Regulierung, keine „positive Ordnung", die Steuerungsziele benennt oder gar Genehmigungspflichten aufstellt. Typisch für das Internet ist in der Tat seine weitgehende Selbstorganisation und Selbststeuerung. Als globales Computernetz konzipiert, entzieht es sich schon von seiner Natur aus der Regulierung der Nationalstaaten. aus rechtsvergleichender Perspektive Hoffmann-Riem, Regulating Media, 1996, S. 270 ff. und passim. 5 BVerfGE 57, 295 (320 ff.); 73, 118 (153); 83, 238 (296); 90, 60 (88). 6 Van Eimeren/ Οehmichen/ Schröter, Media Perspektiven 1997, S. 548 (548 f.); Eimeren/Gerhard, Media Perspektiven 2000, S. 338 (339); hierzu auch Kibele, Multimedia im Fernsehen, 2001. 7 Barlow, A Cyberspace Independence Declaration, abrufbar unter http://www. eff.org/ barlow (alle Internetseiten sind auf dem Stand vom 18. 09. 2000); Boyle, Foucault in Cyberspace: Surveillance, Sovereignity, and Hardwired Censors, 66 U Cin L Rev 1997, S. 177 (178); Johnsohn / Post, Law and Borders - The Rise of Law in Cyberspace, 48 Stan L Rev 1996, S. 1367 ff.; Post, Journal of Online Law 1995, abrufbar unter http://www. wm.edu/law/publications/jol/post.html .

Regulierte Selbstregulierung im Medienrecht

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Angesichts dieser Tradition und Zukunftsvision des Cyberspace muß man sich fragen, ob das Konzept der regulierten Selbstregulierung weiterhin zukunftsfähig ist. Haben wir es möglicherweise mit einem Konzept zu tun, das der Welt des Rundfunks herkömmlicher Prägung zugehört und das zeitgleich mit dem „analogen Switch-Off" 8 abgeschaltet werden kann? Die Beantwortung dieser Frage soll in zwei Schritten versucht werden: In einem ersten Schritt soll zunächst kurz die Funktionsweise des gegenwärtigen Steuerungsmodells im Rundfunkwesen resümiert werden [hierzu II.]. In einem zweiten Schritt werden dann die Mechanismen der Selbstkontrolle im Cyberspace kritisch beleuchtet, wobei die Selbstkontrolle der Onlineprovider im Bereich Jugendschutz als Referenzfeld herangezogen wird [hierzu III.].

II. Regulierte Selbstregulierung i m Rundfunk 1. Öffentlich-rechtlicher Rundfunk

Um den Einfluß von Staat und Politik auf die Medien zurückzudrängen, wurde in der Bundesrepublik die Aufgabe, Hörfunk und Fernsehen zu veranstalten, nach 1945 aus der allgemeinen Staatsverwaltung herausgekoppelt und sich selbstverwaltenden Anstalten üb er antwortet 9 . Der Funktionsauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ist in den Rundfunkgesetzen recht allgemein formuliert 1 0 . Hervorzuheben ist seine Informations-, Orientierungs-, Forums- und Integrationsfunktion 11 . Zudem gibt es allgemeine Programmgrundsätze, wie ζ. B. die Forderung, ausgewogen und fair zu berichten. Den Anstalten wird ihrerseits eine Programmautonomie zugestanden 1 2 . Jedoch darf der öffentlich-rechtliche Rundfunk diese Freiheit nicht zur Gewinnmaximierung nutzen. Die Selbstregulierung ist damit in programmlicher Hinsicht an die Public Service-Idee gebunden. Für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Deutschland ist seine binnenpluralistische Organisationsstruktur typisch und maßgebliches Element der Selbstregulierung 13 . Über programmliche Fragen befindet nämlich letztver8

Hierzu rechts vergleichend Grünwald, Analoger Switch-Off, 2001. 9 A. Hesse, Rundfunkrecht, 1999, S. 8 ff. 10 Art. 2 BR-G; § 1 Abs. 1 MDR-StV; § 1 Abs. 1 SWR-StV; § 1 Abs. 2 NDR-StV; § 3 Abs. 1 WDR-G. 11 Bullinger, Die Aufgabe des öffentlichen Rundfunks, 1999, S. 83 ff.; Holznagel, Der Funktionsauftrag des ZDF, 1999, S. 36 ff. Zur Diskussion um den Funktionsauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks s. auch Ladeur, Medien & Kommunikationswissenschaft 2000, S. 93 ff. 12 Art. 4 Abs. 1, 2 BR-G; § 6 MDR StV; §§ 7, 8 NDR-StV; § 3 Abs. 5 SWR-StV; §§ 4, 5 Abs. 4 WDR-G. is Vesting, Prozedurales Rundfunkrecht, 1997, S. 140 ff., 280 ff. 6:

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bindlich der Rundfunk- bzw. der Fernsehrat der Anstalt 1 4 . Dieses Gremium ist Garant der Vielfaltsicherung und ist aus Vertretern verschiedener gesellschaftlicher Gruppen zusammengesetzt. Diese Repräsentanten sollen ihre Sichtweise über die Programmgestaltung in den Entscheidungsprozeß einließen lassen und wechselseitig darauf achten, daß kein überwiegend an singulären Interessen orientiertes Programmangebot zustande kommt 1 5 . Das Instrument der Verfahrenssteuerung wird eingesetzt, um die Chancen für ein an allgemeinen Kommunikationsinteressen orientiertes Programmangebot zu erhöhen. Ein bedeutsamer Anknüpfungspunkt für staatliche Einflußnahmen sind Entscheidungen über die Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Um hier die Risiken zu begrenzen, werden die Anstalten aus Gebühren und Werbeeinnahmen, und nicht etwa aus den Staatshaushalten finanziert. Die Festsetzung der Gebührenhöhe ist dabei einer unabhängigen Sachverständigenkommission übertragen worden 1 6 .

2. Privater Rundfunk

Private Rundfunktätigkeiten werden nach dem außenpluralistischen Marktmodell organisiert. Das dominierende Ordnungsprinzip ist hier die über den Markt erfolgende Selbstregulierung. „Verdienen" und nicht etwa „Dienen" ist hier legitimerweise die maßgebliche Verhaltensleitlinie der Rundfunkunternehmen. Gleichwohl hat der deutsche Rundfunkgesetzgeber nicht vollständig auf die Kräfte des Marktes vertraut und den privaten Rundfunk ausschließlich dem freien Spiel der Kräfte üb er antwortet. Die Aufnahme von Hörfunk- und Fernsehtätigkeiten ist grundsätzlich an den Erhalt einer Lizenz geknüpft, wobei staatliche Stellen grundsätzlich nicht als Lizenznehmer auftreten können 17 . Für die Erteilung der Lizenz und die Überwachung ihrer Einhaltung sind fünfzehn Landesmedienanstalten verantwortlich. Um ihre Unabhängigkeit zu sichern, ist bei der Zusammensetzung des Aufsichtsorgans, ζ. B. bei der nordrhein-westfälischen Rundfunkkommission 18 wiederum auf die im öffentlich-rechtlichen Rundfunk bewährten binnenpluralistischen Organisationsprinzipien zurückge14 Art. 6 BR-G; § 19 MDR-StV; § 17 NDR-StV; § 14 SWR-StV; § 15 WDR-G; § 21 ZDF-StV. is A. Hesse (FN 9), S. 153 f. 16 Zur KEF nur Bethge, DÖV 1990, S. 629 ff.; Ricker/Schiwy, Rundfunkverfassungsrecht, 1997, S. 210 ff. 17 §§ 12, 13 Abs. 3 LMedG BW; §§ 7 Abs. 1, 8 Abs. 4 BremLMedG; §§ 4 Abs. 1, 6 Abs. 2 HessPRG; §§ 8 Abs. 1, 9 Abs. 2 RG MV; §§ 5 Abs. 1, 7 Abs. 2 NdsLRG; §§ 4 Abs. 1,5 Abs. 2 LRG NW. 18 § 55 LRG NW.

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griffen worden. Dem Entstehen von Meinungsmacht, mit der aufgrund der ökonomischen Gesetzmäßigkeiten der Informations Wirtschaft jederzeit zu rechnen ist, wird im privaten Rundfunk versucht, mit medienspezifischen Konzentrationsvorkehrungen entgegenzuwirken 19 . In den letzten Jahren hat die Medienwirtschaft verstärkt Mitverantwortung für den Schutz nichtkommunikationsbezogener Güter insbesondere in den Bereichen Jugendschutz und Werbung übernommen. Dies bewirkt eine begrenzte Entlastung der hoheitlichen Medienaufsicht. In Codes of Conduct hat sie Regeln aufgestellt, deren Einhaltung von Selbstkontrollgremien überwacht werden. Als Beispiel kann hier die Freiwillige Selbstkontrolle Fernsehen angeführt werden 20 . Die Vereinigung hat das Ziel, auf Verlangen kommerzieller Veranstalter oder der Landesmedienanstalten Filme auf ihre Vereinbarkeit mit den Jugendschutzbestimmungen zu überprüfen. Die Prüfung wird von sachkundigen und unabhängigen Personen durchgeführt. Die Mitglieder der Vereinigung sind verpflichtet, ihre Empfehlungen zu befolgen 21 . Sehr häufig sind diese Initiativen mit der Rechtsordnung verzahnt worden. So kann ζ. B. ein Verhaltenskodex als Auflage einer Lizenz beigefügt und damit verbindlich gemacht werden. In einigen Fällen hat die Rechtsordnung Anreize für den Einsatz selbstregulativer Steuerungsinstrumente geschaffen. Man denke nur an den Jugendschutzbeauftragten 22 . Dieser soll vom Veranstalter in allen Fragen des Einkaufs des Programms, seiner Herstellung, Planung und Gestaltung angemessen beteiligt werden. Der Beauftragte ist bei der Ausübung seiner Tätigkeit an Weisungen nicht gebunden. Wenig ausgeprägt sind jedoch (noch) die Bemühungen, den Rezipienten in seiner Rolle als Verbraucher zu schützen und für unabhängige Beobachtung der Angebote und Benutzungsbedingungen zu sorgen 23 . Der Vorschlag, den die Weizsäcker Kommission 24 unterbreitet hat, eine der Stiftung Warentest nachempfundene „Stiftung Medien- und Telekommunikationstest" zu gründen, ist bisher leider nicht in die Praxis umgesetzt worden. 19 Für Einzelheiten s. Holznagel/ Grünwald (Hrsg.), Meinungsvielfalt im kommerziellen Fernsehen, 2001; Renck-Laufke, Z U M 2000, S. 105 ff.; Stock/Röper/Holznagel, Medienmarkt und Meinungsmacht, 1997. 20 Rossen, Z U M 1994, S. 224 (233). Die Grundsätze der FSK können unter: http:// www.fsk.de / 2 FRAME S / FSK / FSK2.htm abgerufen werden. 21 Die gegenwärtigen gesetzlichen Bestimmungen werden von der Bundesarbeitsgemeinschaft Kinder- und Jugendschutz (BAJ) als nicht ausreichend angesehen. Die BAJ schlägt daher die Einrichtung einer gemeinsamen Stelle „Jugendschutz und Rundfunk" vor, die sowohl für den öffentlich-rechtlichen als auch den privaten Rundfunk zuständig sein sollte, s. dazu epd-Medien 2000, Nr. 43/44, S. 13 f. 22 §§ 4, 3 Abs. 6 RStV. 23 Vgl. hierzu die Ansätze bei Groebel u. a. (Hrsg.), Bericht zur Lage des Fernsehens, 1995, S. 12 (190 f.). 24 Ebd., S. 190 f.

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Bernd Holznagel 3. Bewertung

Bei aller K r i t i k an einzelnen Programmangeboten und Vorkommnissen es sei nur an die intensive Diskussion um die Sendung „Big Brother" erinnert 2 5 - wird man sagen dürfen, daß sich der in der Bundesrepublik nun über mehrere Jahrzehnte erprobte Steuerungsansatz bewährt hat. Das Konzept der regulierten Selbstregulierung dient dazu, die Unabhängigkeit und Vielfalt des Rundfunks vor den Gefahren eines übermäßigen Staatseinflusses und nach Einführung des privaten Rundfunks vor den Gefahren ökonomischer Vermachtung und übertriebener Kommerzialisierung zu schützen. Beim Drittschutz hat das Konzept die Aufgabe, Steuerungsdefizite bei der Command-and-Control-Regulation zu bewältigen. Es hatte sich nämlich gezeigt, daß die Unternehmen nur bedingt bereit sind, sich rechtlichen Regeln zu unterwerfen, die ihren ökonomischen Interessen zu stark widersprechen 26 . Von besonderer Bedeutung ist, daß sich die im öffentlich-rechtlichen sowie im privaten Rundfunksektor verwendeten Konzepte der regulierten Selbstregulierung zu einer Gesamtheit kombinieren lassen. Die duale Rundfunkordnung ist damit als ein System kommunizierender Röhren konzipiert, das versucht, die Schwächen jeder einzelnen Säule wechselseitig auszugleichen und so ein Maximum an Meinungsvielfalt zu erzeugen 27 . Es bedarf keiner prophetischen Gaben, um vorherzusagen, daß das Bundesverfassungsgericht einer regulierten Selbstregulierung im Rundfunksektor weiterhin aufgeschlossen gegenüberstehen w i r d 2 8 .

I I I . Regulierte Selbstregulierung i m Internet 1. Die Vision einer Selbstorganisation und Selbststeuerung des Internet

Im Cyberspace verweist man den Rechtsuchenden demgegenüber auf die Regeln, die sich als Resultat des freien Diskurses aller Akteure auf nationaler und internationaler Ebene ergeben sollen 29 . Als Beispiel wird gern das 25 Dörr, Studien zum deutschen und europäischen Medienrecht, Bd. 4, 2000; ders. / Cole, K&R 2000, S. 369 ff.; Frotschner, Schriftenreihe der LPR Hessen, Bd. 12, 2000; Gersdorf, RTkom 2000, Sonderdruck. 26 Hoffmann-Riem (FN 4), S. 286. 27 Hoffmann-Riem (FN 1), S. 68; Eifert, Z U M 1999, S. 595 ff.; Hoffmann-Riem/Eifert, in: Schwarzkopf (Hrsg.), Rundfunkpolitik in Deutschland, 1999, S. 50 (73 ff.). Kritisch Vesting, K&R 2000, S. 161 ff.; ders., epd medien 2000, Nr. 24, S. 3 ff. 28 Zu den Möglichkeiten der Fortentwicklung des bestehenden Systems s. Hoffmann-Riem, in: Jarren/Krotz (Hrsg.), Öffentlichkeit unter Viel-Kanal-Bedingungen, 1998, S. 186 ff. 29 Johnsohn/Post (FN 7), S. 1367 ff.

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System der Adressenvergabe im Internet angeführt. So ist die neu gegründete ICANN nicht mehr an eine der herkömmlichen internationalen Organisationen wie die ITU oder die OECD angebunden. Das Leitungsgremium von ICANN wird vielmehr von allen Internetnutzern demokratisch und per Mausklick gewählt 3 0 . Die Entstehungsgeschichte und die Architektur des „Netzes der Netze" scheinen den Visionären recht zu geben: Die Entwicklung von Netzen, die auf dem TCP / IP-Protokoll basieren und die wir heute als Internet bezeichnen, begann in den späten 60er Jahren 31 . Das ARPA 3 2 -Net, das als wichtiger Vorläufer des Internets angesehen wird und vom amerikanischen Verteidigungsministerium mitfinanziert wurde, sollte dezentral organisiert sein, nicht zuletzt um seine Verletzlichkeit im militärischen Ernstfall zu reduzieren. Für die Datenübertragung bot sich das Verfahren der Paketvermittlung an 3 3 . Anders als bei leitungsvermittelnden Datennetzen (z. B. einem Telefonnetz), das üblicherweise einen Betreiber hat und bei dem die Nachricht direkt vom Sender zum Empfänger übertragen wird, entzieht es sich damit bereits strukturell einer zentralen Steuerung. Diese Formen der Selbststeuerung sind Mitte der 80er Jahre weiter ausgebaut worden 3 4 . Zu diesem Zeitpunkt war hierfür die National Science Foundation (NSF) verantwortlich, die die Aufgabe hatte, ein landesweites Wissenschaftsnetz in den USA zu etablieren 35 . Mitte der 90er Jahre hat sich die NSF und damit der Staat (weiter) aus dem Internet zurückgezogen 36 . Die institutionelle Steuerung des Netzes (Governance) ist damit privatisiert worden 3 7 . Die Finanzierung der Backbones obliegt nun den kommerziellen Betreibern dieser Netze. Die wichtigste Neuerung betrifft die Domain Name-Vergabe, die der Internet

30 http://www.icann.org/general/abouticann.htm . Zu den Wahlen zu dem Board of Directors: http://www.democratic-internet.de/ . 31 Zur Geschichte des Internet s. Ohliger, in: Hoeren/Sieber (Hrsg.), Handbuch Multimedia-Recht, Stand: Februar 2000, Teil 1, Rn. 7 ff. 32 ARPA steht für Advanced Research Project Agency. Diese Agency gehörte dem amerikanischen Verteidigungsministerium an. 33 Zur technischen Funktionsweise des Internet s. Sieber, Veranwortlichkeit im Internet, 1999, S. 8 ff.; Siegmund, Technik der Netze, 2000, S. 43 ff. 34 Werle, in: Wilke (Hrsg.), Massenmedien und Zeitgeschichte, 1999, S. 499 (505 ff.). 35 Mit der Übernahme des TCP/IP-Standards und der Finanzierung der landesweiten Backbone-Netze konnte sie hierfür auch wichtige Impulse geben. Die bedeutendste Schaltstelle für die technisch orientierte Selbststeuerung war das Internet Architecture Board (IAB), zu der die Internet Research Task Force (IRTF) und die Internet Engineering Task Force (IETF) gehörten. Für die Vergabe der für das Internetprotokoll relevanten Adressen war die Internet Assigned Numbers Authority (IANA) zuständig. Für einen Überblick über die damals bestehenden komplexen Beziehungsgeflechte s. Werle, in: Engel/Keller (Eds.), Understanding the Impact of Global Networks on Local Social, Political and Cultural Values, 2000, S. 159 (161 ff.). se Werle, in: Wilke (Hrsg., F N 34), S. 499 (512). 37 Grewlich, Governance in »Cyberspace', 1999, S. 198 ff.

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Corporation for Assigned Names and Numbers (ICANN) übertragen wurde 3 8 . Umfangreiche Regeln für die Netznutzung sind weder vom ARPA noch von der National Science Foundation festgelegt und umgesetzt worden. Zwar gab es die für Forschungsvorhaben üblichen Vorgaben. So durfte nicht gegen gesetzliche Vorschriften verstoßen werden und auch die kommerzielle Nutzung der Netze war zunächst beschränkt. Im Hinblick auf drittverletzende Kommunikationsinhalte wurde jedoch darauf vertraut, daß sich die stark durch die Wissenschaftsszene geprägte Net-Community an „Sitte und Anstand" hielt. Und in der Tat hat sich auf Seiten der Nutzer eine Netiquette entwickelt, die zum Teil in online-publizierten Codes of Conduct festlegt wurde 3 9 . Aus dieser Zeit stammt auch die Vorstellung des Net-Citizen, der als mündiger und verantwortlicher Internetbürger selbst für „Ordnung" im Cyberspace sorgt. Staatliche Regulierung und Steuerung wird daher traditionell als Zensurversuch verstanden, gegen die sich die CyberCommunity zur Wehr zu setzen hat. Aber auch staatliche Vorgaben für einzelne Politikfelder wie z. B. die Sicherung von Meinungsvielfalt werden nicht mehr für erforderlich gehalten. Nie seien durch ein Medium mehr Meinungen verbreitet worden als derzeit durch das Internet. Die Kosten für ihre Verbreitung an ein breites Publikum, noch zu Zeiten des ersten Rundfunkurteils ein zentrales Argument für die sektorspezifische Regulierung 40 , tendieren im Internet in der Tat gegen N u l l 4 1 . Jedermann kann heute seine Webpage ins Netz stellen und damit die ganze Welt beglücken. Auch von einer Knappheit der Übertragungskapazitäten kann angesichts der neuen Vielfalt von Verbreitungsmöglichkeiten und der Datenreduktion und -kompression heute nicht mehr die Rede sein. Die technische Entwicklung führt notwendig zu einer Konvergenz der Netze und Endgeräte 42 . Damit können zukünftig mit dem Telefonkabel auch audiovisuelle Werke übertragen werden 43 . Das Fernsehgerät mutiert zum Multimediaterminal, von dem aus E-Mails versandt und Homeshopping-Angebote genutzt werden können 4 4 . 38 Zu Aufbau und Arbeitsweise von ICANN s. Kleinwächter, MMR 2000, S. 513 f.; ders., MMR 1999, S. 452 ff. 39 Leib/Werle, RuF 1998, S. 269. Die deutsche Version der Netiquette kann unter: http://www.ping.at/guides/netmayer/netmayer.html abgerufen werden. 40 BVerfGE 12, 205 (261 f.). 41 Hierzu und zu den weiteren Auswirkungen des Internet auf den Ablauf von Kommunikationsprozessen s. Engel, in: Engel/Keller (Hrsg.), Understanding the Impact of Global Networks on Local Social, Political and Cultural Values, 2000, S. 201 (206 f.) und passim. 42 Dieser Prozeß ist ausführlich beschrieben bei Holznagel (FN 11), S. 61 ff. 43 Hege, in: Prütting u. a. (Hrsg.), Die Zukunft der Medien hat schon begonnen Rechtlicher Rahmen und neue Teledienste im Digitalzeitalter, 1998, S. 22 f.

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Daß der technische Fortschritt als Argument gegen medienspezifische Vorkehrungen zur Gewährleistung von Meinungsvielfalt ins Feld geführt wird, ist dem Rundfunkrechtler schon seit Jahren vertraut. Die Folgerungen, die für das Internet gezogen werden, gehen jedoch weiter. Auch beim Drittschutz sollen staatliche Regelungen weitgehend entbehrlich sein. Die Net-Community könne selbst für Ordnung im Netz sorgen. Sie habe längst ihre Netiquette 4 5 entwickelt und Regeln für ein geordnetes Zusammenleben im Netz aufgestellt. Die Community könne auch selbst für deren Durchsetzung sorgen. So durchwandern schon heute Boy Scotts, die sog. Cyber-Angels, das Netz 4 6 , um dort Unrat aufzuspüren und diesen mit Mailbomben 4 7 oder anderen Mitteln des Information Warfare 48 zu bekämpfen. Im übrigen könne sich jeder Internetnutzer vor unerwünschten Inhalten im Netz selbst schützen. Durch Software sei es möglich, für die eigenen Kinder den Zugang zu jugendgefährdenden Inhalten zu versperren. Diese Systeme wirken als Filter für Webseiten, die „verbotene" Worte und Darstellungen enthalten, deren Adressen sich auf einer Jugendschutzliste befinden oder die als jugendgefährdend markiert sind. Ihr Vorteil bestehe auch darin, daß sie eine Einstufung der Inhalte, ein sogenanntes Rating 4 9 , erlauben und damit auf die Anforderungen bestimmter Altersstufen abstimmbar sind. Für eine Bereinigung des Netzes von illegalen Inhalten wie pornographischem Material seien die Nutzer ehedem besser präpariert als die staatlichen Stellen. Diese seien häufig personell schlecht ausgestattet und die Beschäftigten für die digitale Welt überaltert 50 .

44 Holznagel (FN 11), S. 64. 45 Körner /Lehment, in: Hoeren/ Sieber (FN 31), Teil 11.1, S. 39. 46 s. dazu http://www.cyberangels.org/ . 47 Sieber (FN 33), S. 30, Fn. 77. 48 Geiger, DuD 2000, S. 129 ff.; Cerny, Tagungsband 5. Deutscher IT-Sicherheitskongress des BSI 1997, 1997, S. 205 ff. 49 s. zum Rating Bertelsmann-Stiftung, Verantwortung im Internet - Das Memorandum, 1999, S. 31 ff. Es setzt sich zudem das Self-Rating durch. Self-Rating bedeutet, daß die Inhalte nicht von Dritten bewertet und eingestuft werden, sondern von den Inhalteanbietern selbst und auf freiwilliger Basis (voluntary self-rating). Nur das Bewertungsschema und die dieser Skala zugrundeliegenden Kriterien werden von einer unabhängigen, plural und multinational besetzten Stelle erarbeitet. Dieses Konzept wird insbesondere durch die Internet Content Rating Association (ICRA; http:// www.icra.org/ ) mit Unterstützung u. a. der EU vorangetrieben. Einzelheiten zu der Funktionsweise dieses Rating-Modells sind unter http://www.stiftung.bertelsmann . de/internetcontent/deutsch/download/f ilter2.gif dokumentiert. 50 Die Gründe, daß dies nicht allein von staatlichen Stellen gewährleistet werden kann, liegen zum einen in den schnellen technischen und inhaltlichen Veränderungen in internationalen Netzen, zum anderen in der globalen Struktur des Internet. Vgl. dazu Bertelsmann-Stiftung (FN 49), S. 21 f.

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Bernd Holznagel 2. D i e Grenzen der Selbstregulierung - die Realität i m Cyberspace

Konfrontiert man diese Vision jedoch mit der Realität, so ergeben sich alsbald Zweifel an ihrer Realitätsnähe. Fast wöchentlich hören wir von der Herausbildung global operierender Unternehmensallianzen. Der spektakulärste Fall in der jüngsten Zeit war der angekündigte Zusammenschluss von AOL und Time Warner zum weltweit größten Medienunternehmen 51 , das übrigens erstmals auf allen Stufen der Wertschöpfungskette die Vorteile der New and Old Economy vereint. Meinungsvielfalt ist heute vor allem durch die neuen Gatekeeper bedroht, die ζ. B. durch proprietäre Standardsetzung und die Hortung von Programmrechten den Zugang zu den Märkten behindern 5 2 . Erwähnenswert sind auch die Zugangshürden, die durch den neuen digitalen Vertriebsweg entstehen. Hier besteht die Gefahr, daß die Kontrolleure des Multiplexing, der elektronischen Programmführer und der ConditionalAccess-Systeme ihren Konkurrenten gar nicht oder nur zu vergleichsweise schlechten Bedingungen die Nutzung dieser Übertragungsplattformen, Orientierungshilfen und Verschlüsselungssysteme gestatten 53 . Hier bedarf es neuer Vorkehrungen, um für einen diskriminierungs- und chancengleichen Zugang zu sorgen 54 . Auch die soziale Zugänglichkeit zu den Medien, eine wichtige Komponente des klassischen Grundversorgungsauftrags 5 5 , ist heute nicht mehr wie in den vergangenen Jahren ohne weiteres gegeben. Eine Demokratie kann es sich nicht leisten, daß die Gesellschaft in Informationsbesitzer und -habenichtse zerfällt 5 6 . Hier kann der Staat ζ. B. für eine sozial verträgliche Flatrate sorgen 57 , um die Nutzungspreise zum Internet zu reduzieren und eine „Informationsgesellschaft für a l l e " 5 8 sicher51

Vgl. nur TKR-Newsletter vom 10. Januar 2000, http://www.tkr-newsletter.de/ . 52 Ladeur, AfP 1997, S. 598 (599). 53 Zu diesen neuen Gefährdungslagen s. nur Holznagel / Daufeldt, CR 1998, S. 151 ff.; Gersdorf, Chancengleicher Zugang zum digitalen Fernsehen, 1998; Schulz/ Seufert / Holznagel, Digitales Fernsehen, 1999; Thierfelder, Zugangsfragen digitaler Fernseh Verbreitung, 1999. 54 s. jüngst Schulz /Kühlers, Konzepte der Zugangsregulierung für digitales Fernsehen, 2000. Das britische Rundfunkrecht übernimmt in diesem Bereich eine Vorbildfunktion. Hierzu Holznagel/ Grünwald, Z U M 1997, S. 417 ff. 55 Hermann, Fernsehen und Hörfunk in der Verfassung der Bundesrepublik Deutschland, 1975, S. 345 f. 56 Die Clinton / Gore-Administration forderte bereits 1993 in der Agenda for Action, daß die Informationsgesellschaft nicht in „information haves" and „have-nots" zerfallen darf. Die Agenda ist unter http://www.ibiblio.org/nii/NII-Agenda-forAction.html abrufbar. s? Holznagel/Verhulst/Grünwald/Hahne, K&R 2000, S. 425 (429). Zu den gegenwärtigen wirtschaftlichen Problemen von Flatrate-Anbietern in Deutschland s. Vahldiek, c't 2000, Nr. 19, S. 24 f. 58 Die Europäische Kommission hat, um dieses Ziel zu verwirklichen, im Dezember 1999 die Initiative „eEurope - Eine Informationsgesellschaft für alle" ins Leben gerufen. Vgl. dazu: http://www.ispo.cec.be/policy/i_europe.html . Der Aktionsplan eEurope 2002, der vom Rat und der Kommission bei der Tagung des Europäischen

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zustellen. Aber auch der öffentlich-rechtliche Rundfunk muß neue Konzepte der E-Versorgung entwickeln und z. B. mit dem Aufbau regionaler Portale oder der Entwicklung von Suchmaschinen für qualitativ wertvolle Inhalte seinen Programmauftrag verwirklichen 5 9 . Auch im Hinblick auf den Drittschutz ist die Lage keinesfalls so rosig, wie sie von den Cyber-Enthusiasten gezeichnet wird. Eine Netiquette mag in Frühphasen des Internet ausreichend gewesen sein, wo es stark durch die Wissenschaftscommunity geprägt war 6 0 . Mit der dramatischen Ausweitung des Internetgebrauchs und der zunehmenden kommerziellen Nutzung im Zeichen von E-Commerce fühlen sich jedoch nicht mehr alle an die Netiquette gebunden. Hinzu kommt, daß Verstöße gegen die Verhaltenspflichten nicht (mehr) wirkungsvoll sanktioniert werden können 6 1 . Deutlich wird diese Entwicklung auch durch die starke Verbreitung von pornographischem oder gar kinderpornographischem Material im Netz 6 2 . Bei ihrer Bekämpfung geht es nicht zuletzt um den Schutz der bei ihrer Herstellung mißbrauchten Kinder und Jugendlichen. Auch optimale Schutzvorkehrungen des einzelnen Internetnutzers gegen die Konfrontation seiner Familie mit diesen Inhalten vermögen dieses Problem nicht zu bewältigen. Denn in der Praxis zeigt sich, daß die Filtersoftware ihre Aufgabe nur begrenzt wahrnehmen kann 6 3 . Schon aufgrund der bloßen Zahl im Netz auffindbarer Webseiten ist es nicht möglich, ein verläßliches Rating vorzunehmen. Hinzu kommt, daß die Jugendlichen schnell Mittel und Wege finden, um die für sie erdachten Schutzvorkehrungen zu umgehen. Nicht zuletzt aus diesem Grunde hat sich in den letzten Jahren eine neue Form der Selbstregulierung im Cyberspace entwickelt: Die Selbstregulierung der Host Provider. Die Host Provider bilden die Drehscheibe der neuen Internetwelt. Anders als die Inhalteanbieter (Content Provider) oder die AcRates in Feira im Juni 2000 vorgelegt wurde, kann als PDF-Datei unter http://europa.eu.int / comm/information_society / eeurope / actionplan / index_en.htm abgerufen werden. 59 Holznagel, IJCLP Heft 5, 4, abrufbar unter http://www.ijclp.org/5_2000/ijclp_webdoc_13_5_2000.html. 60 Leib/Werle (FN 38), S. 264 (270). 61 Hierzu Sieber, CR 1997, S. 581 ff. und S. 653 ff. 62 Die Verbreitung dieses Materials wurde in der umstrittenen Carnegie Mellon Studie untersucht. Hierzu Rimm, Marketing Pornography on the Information Superhighway: A Survey of 917,410 Images, Descriptions, Short Stories, and Animations Downloaded 8,5 Million Times by Consumers in over 2000 Cities in Forty Countries, Provinces, and Territories, Georgetown L. J. 1995, S. 1849 ff. 63 Zur K r i t i k an Filtersystemen s. auch Köhntopp / Köhntopp / Seeger, K&R 1998, S. 25 ff.; Schulz, MMR 1998, S. 186 f.; Price / Verhulst, in: Waltermann/Machill (Hrsg.), Verantwortung im Internet - Selbstregulierung und Jugendschutz, 2000; s. auch Balkin, Filtering the Internet: A Best Practices Model, 1999, abrufbar unter: http://www.yale.edu/lawweb/jbalkin/writings.htm; Conseil Supérieur De l'Audiovisuel, La Labélisation et le Filtrage des Sites Web, Lettre du CSA 2000, Nr. 125, S. 14 ff.

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cess Provider, die lediglich den technischen Zugang zum Internet vermitteln, halten sie fremde Inhalte zur Nutzung bereit. Sie stellen den Inhalteanbietern unentgeltlich oder gegen Bezahlung Webspace zur Verfügung oder veranstalten in sogenannten Newsgroups Diskussionsrunden. Host Provider übernehmen die Funktion eines Kommunikationsmittlers und sind insofern mit einem Verleger oder einem Rundfunkveranstalter vergleichbar. Selbstkontrollorganisationen der Provider gibt es jetzt in nahezu allen europäischen Staaten 64 . In Deutschland heißt die entsprechende Organisation „Freiwillige Selbstkontrolle Multimedia e.V.", auf europäischer Ebene nennt sie sich European Internet Service Provider Association (EuroISPA) 6 5 . Folgt man den Empfehlungen des Global Business Dialog 6 6 oder auch den Stellungnahmen der Europäischen Kommission 67 , sollen sie in Zukunft eine herausragende Rolle bei der Schaffung von Ordnung im Cyberspace spielen. Dieser Selbstkontrollansatz soll nun im Mittelpunkt der Betrachtung stehen. Dabei soll gezeigt werden, daß es zu kurz gedacht ist, diese Bemühungen der Provider als Ergebnis eines Selbstregulierungswillens der CyberCommunity darzustellen. Es handelt sich vielmehr um eine neue Form der regulierten Selbstregulierung. Denn ihre Aktivitäten sind eine Reaktion auf das bestehende Rechtssystem und haben insofern im „Schatten des Rechts" stattgefunden [hierzu 3 a)]. Darüber hinaus ist festzustellen, daß die Ausformung der Selbstkontrolle eng mit der Rechtsordnung verzahnt ist und durch Regulierung weiter optimiert werden kann [hierzu 3.b) und c)].

3. Regulierte Selbstregulierung der Provider

a) Entstehungszusammenhang und Arbeitsweise. Die Entstehung einer Selbstkontrolle der Host Provider ist eng mit dem Scheitern der Netiquette verknüpft 6 8 . Das vermehrte Auftreten jugendgefährdender und illegaler Angebote hat die Strafverfolgungs- und Ordnungsbehörden auf den Plan 64 So ζ. B. die Organisationen Internet Watch Foundation (http://www.internetwatch.org.uk) und Childnet (http://www.childnet-int.org) i n Großbritannien und Meldpunt (http://www.meltpunt.org) in den Niederlanden. 65 Die EuroISPA wurde von sieben nationalen Internet Services Provider (ISP)Verbänden (AFPI / Frankreich, AIIP / Italien, A n Pro Tel/Spanien; ECO-Forum/ Deutschland, Nlip / Niederlande, ISPA/Belgien und ISPA / England) als europäischer Dachverband der Internet Service Provider gegründet, s. hierzu http://www.euroispa.org/. 66 Die Empfehlungen des Global Business Dialog sind unter http://www.gbd.org/ conference / recommendations.html abrufbar. 67 Stellungnahme der Kommission zum Green Paper on the Protection of Minors and Human Dignity in Audiovisual and Information Services, KOM(96) 483, S. 10. 68 Vgl. Goldsmith, Against Cyberanarchy, 65 The University of Chicago Law Review (1998), S. 1241.

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gerufen. Bei der Durchsetzung des nationalen Rechts sahen sie sich jedoch mit neuartigen Hindernissen konfrontiert, die aus der „Natur" des Internet entspringen. Zunächst einmal war die Identifizierung des Urhebers immer dann überaus schwierig, wenn nicht gar in der Praxis ausgeschlossen, wenn dieser im Netz anonym auftrat 6 9 . Überdies erschwerte der globale Charakter des Netzes die Strafverfolgung. Selbst wenn ein Verhalten eines ausländischen Content Providers auch in seinem Heimatland strafbar war, war damit noch keinesfalls eine funktionierende Rechtshilfe oder gar eine Auslieferung des Verdächtigen sichergestellt 70 . Ein kaum überbrückbares Verfolgungshindernis stellen darüber hinaus die unterschiedlichen Rechts- und Wertetraditionen der Staaten dar. Während ζ. B. der Online-Verkauf von Hitler's „Mein Kampf" in den USA erlaubt ist, wird dieses Verhalten in der Bundesrepublik mit Strafe bedroht. Ursache für diese Differenzen in der rechtlichen Beurteilung ist das amerikanische Verständnis von Meinungsfreiheit. Da diesem Aspekt bei der internationalen Bekämpfung dieser Inhalte eine herausragende Bedeutung zukommt und auch in der deutschen Eachöffentlichkeit diesbezüglich immer wieder Mißverständnisse entstehen, sollen die Zusammenhänge anhand der Verfolgung rechtsradikaler Inhalte im Netz kurz erläutert werden. In den Vereinigten Staaten hat es immer wieder Versuche gegeben, die abstrakten Gefährdungen, die von einer Volks Verhetzung ausgehen, durch eine strafrechtliche Norm oder auch durch eine kommunale Verordnung zu begrenzen 71 . Diese Bestrebungen sind jedoch durchgängig vom amerikanischen Supreme Court untersagt worden, so daß die USA im internationalen Vergleich eine Ausnahmestellung einnehmen 72 . Grundlage der Rechtsprechung des Supreme Court ist das Grundrecht auf Meinungsfreiheit, wie es im ersten Zusatzartikel (first amendment) der Bundesverfassung der Vereinigten Staaten niedergelegt ist 7 3 . Die Auslegung, die dieses Grundrecht durch den Supreme Court erfahren hat, ist dadurch gekennzeichnet, daß 69 Aus diesem Grund tauchen immer wieder Bestrebungen auf, die Anonymität im Internet zu beschränken. Vgl. etwa die Entstehungsgeschichte der Art. 4 3 - 6 - 1 bis 4 der Loi sur la communication audiovisuelle modifiant la loi du 30/09/1986, die ursprünglich vorsehen sollten, daß Internet Provider die Identifizierung der Urheber von veröffentlichten Inhalten gewährleisten sollten. Abrufbar unter: http://www. legalis.net/jnet/2000/loi-audio/projetloi.htm. Andererseits ist Anonymität im Internet durchaus relativ. Vgl. Demuth/Sonntag, Telepolis vom 15. 02. 2000 unter http://www.heise.de/. Vgl. zu den verschiedenen Anonymisierungstechniken Ricke/ Demuth, in: Kaderali (Hrsg.), Anonymität im Internet, 2000, S. 13, 21 ff. 70 Zu den Zuständigkeitsgrenzen der Nationalstaaten im Hinblick auf die Regulierung des Cyberspace s. Determann, Kommunikationsfreiheit im Internet, 1999, S. 133 ff.; Ladeur, German Yearbook of International Law (1998), S. 55 (80 ff.). 7 1 Kühler, AöR 125 (2000), S. 115 ff. 7 2 Ebd., S. 117 f., 127 ff. 73 Dieser lautet bekanntlich: „Congress shall make no law ( . . . ) abridging the freedom of speech, or the press".

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der Schutzbereich vergleichsweise eng gezogen wird, dafür aber hohe Anforderungen an legitime Beschränkungen des Grundrechts gestellt werden 7 4 . Von vornherein nicht durch das Grundrecht geschützt werden ζ. B. fighting words, obscenity, child pornography oder auch defamation. Obgleich der Wortlaut des ersten Zusatzartikels keine Schranken der Meinungsfreiheit nennt, sind solche vom Supreme Court entwickelt worden: Staatliche Beschränkungen, die auf den Inhalt einer Meinungsäußerung zielen, müssen einer strengen Abwägung standhalten 75 . Sie können nach dem strict scrutiny test nur gerechtfertigt werden, wenn der Staat ein zwingendes öffentliches Interesse (compelling governmental interest) dafür nachweisen kann. Zudem muß er das mildeste Mittel (least restrictive mean) zur Erreichung des angestrebten Zwecks wählen. In der Praxis trägt schon die Wahl dieses strikten Prüfungsmaßstabes die Vermutung in sich, daß die Regelung verfassungswidrig ist (presumptively invalid). Hierin kommt zum Ausdruck, daß der Staat nicht die Macht haben soll, Meinungsäußerungen aufgrund ihres Inhaltes zu unterdrücken. Darüber hinausgehend müssen eine Reihe von allgemeinen Anforderungen beachtet werden. Staatliche Maßnahmen werden dann als evident verfassungswidrig eingestuft, wenn sie vague und overbroad sind 7 6 . Staatliche Maßnahmen, die sich gegen die abstrakten Gefährdungen der Volks Verhetzung wenden, hat der Supreme Court an diesen hohen Anforderungen des scrict scruticy test stets scheitern lassen. Zwar hat das Gericht im Jahre 1952 in Beauharnais v. Illinois 77 festgestellt, daß die Beleidigung einer Gruppe nicht vom Schutzbereich des I s t Amendment umfaßt sein sollte. In dieser Entscheidung wurde ein Gesetz des Staates Illinois, das die Beleidigung bestimmter Gruppen (group libel) unter Strafe stellte, vom Supreme Court bestätigt, da die Staaten ein Interesse daran hätten, die Öffentlichkeit vor hate speech zu bewahren. Diese Entscheidung wurde jedoch, obgleich nie formal aufgehoben und „overruled", in ihrer Bedeutung insbesondere durch Collin ν. Smith 78 und R.A.V. v. City of St. Paul 79 außer Kraft gesetzt. 74 Zusammenfassend Bender, Cross-Media-Ownership, 1999, S. 89 ff.; Holznagel, Z U M 2000, S. 1007. 75 Bei inhaltsneutralen Beschränkungen, die in die Meinungsfreiheit nur indirekt und als Nebeneffekt einer staatlichen Maßnahme eingreifen, wird ein weniger strikter Maßstab angewandt. Hierunter fallen ζ. B. Regelungen, die Zeit, Ort oder Form der Meinungsäußerung bestimmen {time, place and manner restrictions ). Sie sind schon dann gerechtfertigt, wenn hierfür ein substantieller (substantial ) oder wichtiger (important ) Grund vorgebracht werden kann. Zudem muß nachgewiesen werden, daß das ausgewählte Eingriffsmittel nicht weiter reicht, als es der angestrebte Regelungszweck erfordert (not substantially broader than necessary ). 76 Mit diesem Argument ist bekanntlich der Communications Decency Act für verfassungswidrig erklärt worden. S. ACLU v. Reno, 929 F. Supp. 824, 856 (E.D. Pa 1996). 77 343 U.S. 250. 78 578 F.2d 1197 (7 t h Cir. 1978); cert, denied 439 U.S. 916 (1978).

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Angesichts dieser Ausgangslage kann es nicht verwundern, daß sich die staatlichen Behörden zunehmend an die Host Provider im Inland gehalten haben, um für Ordnung im Netz zu sorgen. Sie sind zudem - neudeutsch die least cost avoider und können mit den geringsten Kosten die fraglichen Inhalte auffinden, sperren und von ihren Servern löschen. Allerdings mußten sich zunächst internetspezifische Methoden der staatlichen Steuerung entwickeln. Versuche, die Host Provider wie Rundfunkveranstalter einer L i zenzpflicht zu unterwerfen und ihnen besondere Verhaltenspflichten im Bereich des Drittschutzes aufzulegen, sind spätestens an der Reno-Entscheidung des US Supreme Court zum Communications Decency Act gescheitert. Dort hat das Gericht ausgeführt, daß das Internet nicht mit dem Rundfunk zu vergleichen sei und es insofern keine legitimen Gründe für eine rundfunkspezifische Regulierung gebe 80 . Um ihre neue Provider-Wirtschaft nicht gegenüber der ehedem weit fortgeschrittenen amerikanischen Konkurrenz zu benachteiligen, haben sich die europäischen Staaten dem amerikanischen Vorgehen angeschlossen. Den Anknüpfungspunkt für die Verhaltenssteuerung der Host Provider bildete stattdessen das Haftungs-, Ordnungs- und in spektakulären Einzelverfahren auch das Strafrecht mit seinen Vorschriften über Täterschaft und Teilnahme. Der aufsehenerregendste Fall spielte sich in Deutschland ab und betraf den Geschäftsführer von Compuserve, Felix Somm. Somm wurde in erster Instanz zu einer Haft straf e verurteilt, weil die Mutterfirma es unterlassen hatte, kinderpornographisches Material in von der Polizei kenntlich gemachten Newsgroups zu beseitigen. 81 Seine Verurteilung führte zu internationalen Protesten gegen das zuständige Münchener Amtsgericht und wurde im Βerufungsverfahren aufgehoben 82 . Für Host Provider wie AOL oder T-Online war der damit von der deutschen Justiz eingeschlagene Weg mit erheblichen Risiken verbunden. Es bestand nämlich die Gefahr, daß die Verantwortlichkeitsregeln von der Justiz oder dem Gesetzgeber schrittweise zu einer umfangreichen Ermittlungsund Sperrpflicht zu Lasten der Provider ausgebaut würde. Schlimmstenfalls war sogar mit einem staatlichen Zwang zu einer unkalkulierbaren Veränderung der Internetarchitektur zu rechnen 83 , der die Durchsetzung nationaler Ge- und Verbote erleichtert hätte. Hinzu kam der Imageverlust der gesamten Internetbranche, der bei einem unkontrollierten Angebot illegaler

79 505 U.S. 377 (1992). so Reno υ. ACLU, 117 S.Ct. 2329 (1997). 81 AG München, MMR 1998, S. 429 ff. mit Anm. Sieber. 82 L G München I, MMR 2000, S. 171 ff. 83 Zu diesem Steuerungsansatz s. jüngst Lessig, Code and Other Laws of Cyberspace, 1999, passim.

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Inhalte und entsprechender öffentlichkeits wirksamer Strafverfahren drohte. Schließlich können schon die Kosten bloßer Ermittlungstätigkeit wie ζ. B. bei der Beschlagnahme kompletter Server - ganz erheblich sein. Die Provider-Wirtschaft entschloß sich daher, einen angemessenen Beitrag zur Bekämpfung illegaler und jugendgefährdender Netzinhalte zu leisten und gründete den Verein „Freiwillige Selbstkontrolle Multimedia" 8 4 . Der FSM hat sich zum Ziel gesetzt, daß bestimmte Inhalte gar nicht oder nicht gegenüber Kindern und Jugendlichen angeboten oder zur Nutzung vermittelt werden 85 . In seiner Satzung verpflichtet er sich dazu, einen Verhaltenskodex aufzustellen und für seine Umsetzung zu sorgen 86 . Gegenwärtig haben mehr als 300 Unternehmen eine sogenannte Selbstverpflichtungserklärung unterschrieben 87 , in der sie seine Geltung für sich anerkennen und etwaige Sanktionen der FSM für den Fall eines Pflichtenverstoßes akzeptieren 88 . Dreh- und Angelpunkt bei der Umsetzung des Kodex ist die Beschwerdestelle der FSM 8 9 . Dort hat jedermann die Möglichkeit, sich über im Internet zugängliche Inhalte zu beschweren. Der Vorsitzende der Beschwerdestelle ist befugt, alle für die Vorbereitung der Entscheidung erforderlichen Maßnahmen zu treffen 90 . Insbesondere kann er Auskünfte einholen oder Zeugen und Sachverständige befragen. Bei einem Verstoß gegen den Kodex kann die Stelle je nach Schwere des Verstoßes einen Hinweis mit Abhilfeaufforderung, eine Mißbilligung oder eine Rüge erteilen 91 . Als Adressat einer Maßnahme kommen sowohl der Inhalteanbieter wie auch der Diensteanbieter, d. h. der Host Provider, in Betracht. Bei einer wiederholten Pflichtverletzung droht der Vereinsausschluß 92. b) Anreize der Rechtsordnung für eine Beteiligung an der Selbstkontrolle. Für die Arbeitsfähigkeit und die Akzeptanz der FSM bei den Providern ist es von erheblicher Bedeutung, daß das neue Multimediarecht Anreize für die Beteiligung an der Selbstkontrolle geschaffen hat. Zunächst belohnt die Rechtsordnung den Beitritt zur FSM bzw. die Unterzeichnung des Verhal84 Dazu nur Schulz, MMR 1998, S. 182 (185). 85 I. Verhaltenskodex Ziff. 3 des Verhaltenskodex der FSM, abrufbar unter: http:// www.fsm.de / ueb / kodex / . 86 § 2 Abs. 1 der Satzung der FSM, abrufbar unter http://www.fsm.de/ueb/satzung/. 87 http://www.fsm.de/ueb/index.html . Das Mitgliedsverzeichnis kann unter: http://www.fsm.de/mit/index.html abgerufen werden. 88 Die Sanktionen sind in dem Verhaltenskodex I I / Sanktionen Ziff. 6 geregelt. 89 Die Beschwerdestelle der FSM ist für Beschwerden über in Online-Diensten verbreitete bzw. angebotene Inhalte zuständig. Das Verfahren richtet sich nach der Beschwerdeordnung der FSM (http://www.fsm.de/bes/ordnung/index.html ). Die Beschwerde kann online eingereicht werden. 90 § 2 der Beschwerdeordnung. 91 § 5 der Beschwerdeordnung. 92 § 6 der Beschwerdeordnung.

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tenskodexes. Nach § 7 a GjSM und § 8 Abs. 4 MDStV können sich Provider die Kosten für die Bestellung eines Jugendschutzbeauftragten sparen, wenn sie - so heißt es im Gesetz - eine Organisation der freiwilligen Selbstkontrolle mit der Wahrnehmung der an sich diesem Obmann obliegenden Aufgaben beauftragen 93 . Das Recht geht auf diese Weise gegen das Trittbrettfahrersyndrom an. Ein Unternehmen könnte nämlich sonst von den Vorteilen der Selbstkontrolle - wie ζ. B. dem Imagegewinn oder dem Aufschub einer rechtlichen Regelung - profitieren, ohne sich selbst dem Verhaltenskodex zu unterwerfen. Ein weiteres Argument für eine Beteiligung an der Selbstkontrolle entspringt aus den neuen Vorschriften zur Verantwortlichkeit von Providern. Nach § 5 Abs. 2 TD G und MDStV ist ein Host Provider für fremde Inhalte, die er für die Nutzung bereithält, immer dann verantwortlich, wenn er von diesen Inhalten Kenntnis hat. Für das deutsche Haftungsrecht gilt damit der sog. notice-and-take-down-Ansatz. Eine Mitteilung der Beschwerdestelle an den Provider hat zur Folge, daß der betroffene Provider „bösgläubig" gemacht wird. Die Einrichtung eines vorgeschalteten Beschwerdeverfahrens bei der FSM ist für ihn mit erheblichen Entlastungen verbunden. Beschwerden, die bei der FSM-Stelle eingehen, müßten ohne deren Existenz von ihm auf eigene Kosten überprüft werden. Schließlich sind die Vorschriften erwähnenswert, mit denen der Versuch unternommen wird, den Einsatz und die Verbreitung von technischen Schutz Vorkehrungen zu fördern. Die Unterstützung dieser Maßnahmen gehört zu den in der Satzung verankerten Zielen der FSM. Neben der bereits erwähnten Filters oft ware geht es hier vor allem um die sog. Zugangskontrollsysteme. Letztere haben die Aufgabe, ζ. B. anhand einer Kreditkartenoder Personalausweisnummer nur Volljährigen den Besuch von Webseiten mit pornographischem Material zu gestatten 94 . Im Kern versucht dieses Konzept das polizeirechtlich erprobte Instrument der Sperrverordnung 95 in den Cyberspace zu übertragen 96 . In einem virtuellen red light district soll den Erwachsenen der Besuch gestattet sein, während Minderjährige ihn nicht betreten dürfen oder bei Betreten mit Sanktionen rechnen müssen. Vorteil dieser Regelung ist, daß jedermann sofort die Kontrollmaßnahme erkennen und über die angelegten Standards öffentlich gestritten werden kann. Bei der Filtersoftware sind die Lenkungsmaßnahmen subtiler, weil 93 Zur Vereinbarkeit dieser Regelung mit dem Verbot der Vorzensur aus Art. 5 Abs. 1 S. 3 GG und zur Entstehungsgeschichte des § 7a GjSM s. Altenhain, in: Roßnagel (Hrsg.), Recht der Multimediadienste, Stand: Januar 2000, 9. Teil, § 7a Rn. 2 ff. 94 Vgl. das Zugangssystem unter: http://www.penthouse.com/. 95 Dazu nur Badura, in: Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 11. Aufl. 1999, S. 323 f. 9 6 So auch Lessig (FN 83), S. 182 f.

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ihr Nutzer im Zweifel gar nicht merkt, daß der Zugang zu bestimmten Webseiten blockiert ist 9 7 . Ein Anreiz, von diesen Schutzmechanismen Gebrauch zu machen, bietet die sog. Safe-Harbour-Klausel im Onlinerecht 98 . Hiernach kann sich ein Anbieter im Hinblick auf eine straf bewehrte Verbreitung jugendgefährdender oder jugendbeeinträchtigender Inhalte exkulpieren, wenn er diese technischen Vorkehrungen zum Einsatz bringt. So gilt das Verbreitungsverbot für jugendgefährdende Medieninhalte nach § 3 Abs. 2 GjSM dann nicht, wenn Vorsorge getroffen wird, daß das Angebot auf volljährige Nutzer beschränkt bleibt. Mediendienste, die jugendbeeinträchtigende Inhalte enthalten, dürfen als Verteildienste vertrieben werden, wenn der Provider aufgrund der Sendezeit oder auf andere Weise dafür Sorge trifft, daß Kinder oder Jugendliche die Sendung üblicherweise nicht wahrnehmen. c) Bewertung und Möglichkeiten der Weiterentwicklung. In der Praxis hat die Arbeit der FSM sicherlich dazu beigetragen, die Bekämpfung von illegalen und jugendgefährdenden bzw. jugendbeeinträchtigenden Inhalten zu verbessern. Dies zeigt schon die hohe Zahl der Beschwerden, die seit ihrem Bestehen abgearbeitet wurden 9 9 . Von großem Vorteil ist auch, daß die FSM Beschwerden nachgeht, wenn illegale Angebote von ausländischen Content Providern stammen. In diesem Bereich reicht heute der Arm der Nationalstaaten häufig nicht weit genug, um wirkungsvoll vorzugehen 100 . Die freiwillige Selbstkontrolle hat die Möglichkeit, den Vorgang der jeweils zuständigen ausländischen Partnerstelle zur weiteren Bearbeitung zu übertragen. Gleichwohl ist die Arbeit der FSM nicht frei von Kritik. Es macht sich gelegentlich der Eindruck breit, daß sich die Organisation in ihrem Tun auf das Nötigste beschränkt. Kritisch ist zu vermerken, daß es die FSM in ihrem Verhaltenskodex versäumt hat, die zumeist recht unbestimmten Begriffe des Jugendschutzrechts durch eigene inhaltliche Vorgaben und Kriterienkataloge zu konkretisieren. Sie hat sich vielmehr im wesentlichen darauf beschränkt, den Gesetzeswortlaut zu wiederholen. Sie hat damit ihre Mitglieder in gewisser Weise im Stich gelassen, die auf eine Konkretisierung angewiesen sind, um zu entscheiden, welche Kunden sie in ihr System einbinden 97

Daher ist auch rechtspolitisch darüber nachzudenken, ob der Gebrauch von Filtersoftware nicht auch dem Nutzer, ζ. B. durch eine Meldung auf dem Computerbildschirm, angezeigt werden muß. 98 Hierzu Peritt, MMR 2000, Beilage zu Heft 7, S. 1 ff. Zu der Anwendung dieses Steuerungsinstruments im Datenschutzrecht s. Heil, DUD 2000, S. 444 f.; Grimm! Roßnagel, DuD 2000, S. 446 ff. 99 Eine Statistik der eingereichten Beschwerden ist unter: http://www.fsm.de/ bes / stat / stat_f2 .html abrufbar. 100 Goldsmith (FN 68), S. 1202.

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und welche nicht. Erst kürzlich haben Start-up-Unternehmen gefordert, praxisnahe Leitlinien im Bereich Jugendschutz auszuarbeiten. Welche Risiken es mit sich bringt, wenn ein Streit um die Normenkonkretisierung im Einzelfall vor den Instanzgerichten durchgefochten werden muß, ohne daß dabei auf praxiserprobte Standards zurückgegriffen werden kann, hat nicht zuletzt das Compuserve-Urteil gezeigt. In die gleiche Richtung zielt ein zweiter Kritikpunkt. Bis heute hat die FSM es nicht für nötig befunden, sich an der Ausarbeitung technischer Schutzvorkehrungen zu beteiligen oder Empfehlungen zur Tauglichkeit der auf dem Markt verfügbaren Angebote zu geben. Auch in diesem Bereich läßt sie die Host Provider, aber auch die Internetnutzer mehr oder weniger im Stich. Diese Unzulänglichkeiten zeigen aber auch, daß durch staatliche Regulierung hier nachgesteuert werden kann und sollte. So wird in einem Eckwertepapier der Bundesregierung 101 vorgeschlagen, zukünftig den Einsatz von technischen Zugangskontrollsystemen als Rechtfertigungsgrund für die Verbreitung jugendgefährdender Medieninhalte vorzusehen. Für die jugendbeeinträchtigenden Materialien nach dem Mediendienste-Staatsvertrag soll Filtersoftware als Schutzvorkehrung ausreichen. Die anzulegenden Standards und Verfahren sollen dabei in Zusammenarbeit mit der Providerwirtschaft ausgearbeitet werden. Diese Initiative ist nicht zuletzt deshalb zu befürworten, weil sie das derzeitige, schwer überschaubare Jugendschutzrecht vereinfacht 102 . Es kann von der Wirtschaft kaum verlangt werden, daß sie die Abgrenzung von Tele- und Mediendiensten sachgemäß vornimmt, wenn hierzu nicht einmal Experten aus Wissenschaft und Verwaltung in der Lage sind.

IV. Fazit

Das Beispiel der FSM zeigt, daß und wie die Selbstkontrolle der Provider auch im sonst so regulierungsfeindlichen Internet durch eine staatliche Rahmensetzung gefördert, ja teilweise erst ermöglicht werden kann. Das Konzept einer regulierten Selbstregulierung scheint also auch im digitalen Zeitalter Zukunft zu haben. Nur ist das Konzept nicht mehr vom Staat her, als dem omnipotenten Mittelpunkt aller Steuerungsmöglichkeiten zu denken. Es wird zukünftig weniger ein intelligentes Mittel sein, um die Command-and-Control-Regulation zu ersetzen oder zu ergänzen. Vielmehr ist zu überlegen, wie die Selbstorganisation und Selbststeuerung der im Cyberspace wirkenden Institutionen, Unternehmen und Einzelpersonen vom 101

Eckpunkte für eine Neuregelung des Jugendschutzes, noch unveröffentlicht. 102 Hoffmann-Riem, K&R 1999, S. 481 (487), fordert zu Recht, daß die für den Jugendschutz eingesetzten Instrumente besser koordiniert werden müssen. ι

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Staat unterstützt werden können. Zukünftig kann es sich auch als sinnvoll erweisen, die verschiedenen Systeme der Selbstkontrolle bei der Adressvergabe, der Harmonisierung technischer Standards oder eben beim Jugendschutz zu vernetzen und vielleicht auch gewissen Mindeststandards zu unterwerfen. Die deutsche Rechtswissenschaft sollte sich darum bemühen, an der Ausformung einer solchen „Governance in Cyberspace" mitzuwirken. Andernfalls werden die Rahmenbedingungen der New Economy zukünftig allein durch die angloamerikanische Rechtstradition bestimmt.

Regulierte Selbstregulierung i m Telekommunikationsrecht Die informationale Beteiligung Dritter bei der Regelsetzung des Regulierers in Deutschland und den Vereinigten Staaten

Von Wolf gang Schulz, Hamburg I. Theoretische Vorbemerkung: „Regulierung" vs. „Regulation" 1. Das Konzept „Regulation" in den U S A und sein „Import"

Es ist kein Zufall, daß die Diskussion um „Regulierte Selbstregulierung" sich vielfach Anregungen aus den Vereinigten Staaten geholt hat 1 . „Regulation" ist in Amerika ein gängiger rechtswissenschaftlicher Terminus mit spezifischer Bedeutung, während die Begriffe Regulierung, Steuerung, Regelung - wie sich gleich noch zeigen wird - im Deutschen oft so unscharf gefaßt sind, daß sie austauschbar werden. In der amerikanischen Rechtstradition finden sich explizite Hinweise darauf, wie der Begriff zu verstehen ist, und zwar schon in den Federalist Papers von James Madison : „The Regulation of these various and interfering interests forms the principal task of modern legislation".

Er findet sich auch in der amerikanischen Verfassung (Art. 1 sec. 8: „The Congress shall have Power To [ . . . ] regulate Commerce"; Art. IV sec. 3: „The Congress shall have Power to dispose of and make all needful Rules and Regulations"). Der deutsche Gesetzgeber griff „Regulierung" - soweit ersichtlich - zuerst im PTRegG auf (§ 2). Der Begriff hat nun auch im TKG seinen Platz: § 2 TKG beschreibt die Ziele des TKG unter der Überschrift „Regulierung" 2 . Daß im Gegensatz dazu von Frequenzverwaltung die Rede ist, mag darauf verweisen, daß der Gesetzgeber sich dort weiterhin ordnungspolitische Rahmensetzung vorstellt, während die „Regulierung" etwa von Entgelten die Gestaltung eines Prozesses darstellt. Inwieweit diese Differenzierung trägt, Frequenzmanagement also keine Prozeßgestaltung bildet, sei dahin1

Hoffmann-Riem, Staatswissenschaften und Staatspraxis 1991, S. 405 (436 ff.). 2 Zum Begriff und seiner Verwendung im TKG vgl. auch Ruffert, AöR 124 (1999), S. 241 ff.

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gestellt 3 . Vielleicht liegt ein Teil der Probleme, die derzeit bei der Anwendung der §§ 45 ff. TKG auftreten, in dieser Vorstellung des Gesetzgebers begründet 4 . Der Begriffs-Import im Telekommunikationsrecht ist alles andere als zufällig. Wer sich die Geschichte der Liberalisierung des Telekommunikationssektors in Erinnerung ruft, findet nicht nur die E U als treibende Kraft, sondern auch - von interessierter deutscher und europäischer Seite einbezogen - die USA, wobei es zu deren Spielstrategie gehörte und gehört, in diesen Fragen „über die WTO-Bande" zu spielen, um Regulierungskonzepte durchzusetzen 5. Politikwissenschaftliche Studien belegen die internationale Politikverflechtung bei der Entstehung dieses Gesetzeswerkes 6. An diesem Begriffs-Import ist bereits K r i t i k geübt worden. Untersuchungen vor allem von Ladeur zeigen, daß zwar neben dem Begriff „Regulierung" auch entsprechende Regelungselemente ins Telekommunikationsgesetz implantiert wurden, ohne aber die Regulierungskonzeption insgesamt darauf einzustellen 7 . Dieser Befund wird durch die vorliegende Untersuchung bestätigt. In der Tradition des Common Law ist Regulation weniger ein von Gesetzen hierarchisch gesteuertes, zielgerichtetes staatliches Handeln, als vielmehr eine rechtsförmige staatliche Modulation von gesellschaftlichen Prozessen. Dies erfolgt typischerweise durch verselbständigte Verwaltungsträger. Dabei wird die Autonomie des Prozesses, in den modulierend eingegriffen wird, im Prinzip unterstellt. Ebenso traditionell wird Regulation dabei als notwendige Staatsaufgabe angesehen, natürlich in Art und Intensität abhängig von den Regulierungszielen, den Wirtschaftsbereichen usw. Sie kann daher grundsätzlich mit Akzeptanz im Regelungsfeld rechnen. Der Prozeß, der regulativ moduliert wird, ist typischerweise der der marktwirtschaftlichen Produktion von Gütern und Erbringung von Dienstleistungen. Da dieser Prozeß sich durch Beobachtung der Akteure über den Markt selbst reguliert, erscheint Regulation immer schon als Regulation of S elf-Regulation, als Regulierung der Marktregulierung. 2. „Regulierte Selbstregulierung" und „Regulation"

Während der Begriff Regulierung in die Gesetzessprache relativ spät Eingang gefunden hat, ist er schon seit längerem Gegenstand wissenschaftli3 Vgl. dazu Hoffmann-Riem/Wieddekind, in: FS Hoppe, 2000, S. 745 ff. Vgl. dazu Schulz/ Vesting, Frequenzmanagement und föderale Abstimmungspflichten, 2000. s s. dazu Moritz, MMR 1998, S. 393 ff. 6 s. dazu Thorein, RuF 1997, S. 285 ff. 7 Ladeur, K&R 1998, S. 479. 4

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eher - vor allem politikwissenschaftlicher, später auch verwaltungs- und rechtswissenschaftlicher - Diskussionen. Was damit genau umschrieben werden soll, ist nicht einfach zu eruieren, da insbesondere die Abgrenzung zum Begriff der „Steuerung" schwer fällt. Dem Begriff der „Regulierung" wird eine Nähe zum Begriff des „Regeins" zugesprochen und eine Analyse verschiedener Untersuchungen zeigt, daß die Begriffe „Steuern" und „Regeln" von verschiedenen Autoren sogar konträr verwendet werden. Während Steuern in der Kybernetik als Einflußnahme ohne Rückkopplung, Regeln als solche mit Rückkopplung verstanden wird, verwendet es Willke gerade andersherum 8 . Die - zumindest auf der Ebene von Makrophänomenen - heute überwiegend systemtheoretisch geprägte Diskussion scheint „Steuerung" als Oberbegriff zu verwenden, während „Regulierung" nur solche Formen der Einflußnahme umfaßt, die anerkennen, daß das gewollte Ergebnis die Folge eines gesellschaftlichen Prozesses darstellt, das das Regulierungsprogramm in eine bestimmte Richtung zu verändern versucht. So sollten die Begriffe im Folgenden verwandt werden, auch wenn es sich nur zum Teil mit der Begrifflichkeit deckt, die etwa die einschlägigen Untersuchungen des Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung zugrunde legen, die von „Gesellschaftlicher Selbstregelnd und politischer Steuerung" sprechen 9. Innerhalb eines so verstandenen Begriffs von Regulierung 10 können dann unterschiedliche Formen herausgearbeitet werden, die bei der rechtlichen Steuerung von Prozessen Anwendung finden, nämlich 1 1 : (1) hoheitliche Regulierung; (2) gesellschaftliche Selbstregulierung; (3) hoheitlich regulierte gesellschaftliche Selbstregulierung. Unter hoheitlicher Regulierung werden dann Formen angesehen, bei denen der Staat selbst Regeln setzt, die ein Verhalten der Normadressaten verbieten oder gebieten, um die Regelungsziele zu erreichen 12 . Auch diese Form kann als „Regulierung" eines Prozesses angesehen werden, allerdings in der 8

Vgl. König/Dose, Instrumente und Formen staatlichen Handelns, 1993, S. 7. So in dem gleichnamigen, von Mayntz/ Scharpf herausgegebenen Band, 1995. 10 Vgl. zur Konzeption und Begrifflichkeit in der rechtswissenschaftlichen Debatte Schuppert, in: Hoffmann-Riem/ Schmidt-Aßmann / Schuppert (Hrsg.), Reform des Allgemeinen Verwaltungsrechts, 1993, S. 65 ff. sowie Hoffmann-Riem, Verwaltungsrechtsreform, ebd., S. 115 ff. 11 So Hoffmann-Riem, der allerdings „hoheitliche Regulierung mit selbstregulativen Elementen" als Kategorie heraus differenziert. Vgl. Hoffmann-Riem, Regulierung der dualen Rundfunkordnung, 2000, S. 154. 12 Vgl. zu dieser Differenzierung am Beispiel des Bereichs Information, Kommunikation und Medien Hoffmann-Riem/Schulz/Held, Konvergenz und Regulierung, 2000, S. 48 f. 9

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starren Form, daß das Gesetz das Ergebnis des Prozesses für einen Fall vorgibt (oder ein bestimmtes Ergebnis ausschließt). Gesellschaftliche Selbstregulierung liegt - quasi als Gegenmodell zur hoheitlichen Regulierung dann vor, wenn die vom Staat unbeeinflußte Verständigung der Akteure über ihr Handeln im Hinblick auf die Regulierungsziele zum Erfolg führt. Erfolgt dies ökonomisch über Angebot und Nachfrage, so wird von Marktregulierung gesprochen. Selbstregulierung liegt aber nicht nur dann vor, wenn das Ziel durch „blinde" Koordination über den Markt erfolgt, sondern auch, wenn Regeln von den Akteuren auf andere Weise erzeugt werden, etwa durch explizite Verständigung auf bestimmte Selb st Verpflichtungen (Codes of Conduct) 13 . Hoheitlich regulierte gesellschaftliche Selbstregulierung setzt eine Selbstregulierung (z.B. Marktregulierung 14 ) voraus; der Staat beschränkt sich darauf, etwa Strukturen zu schaffen, die eine Selbstregulierung ermöglichen, und ggf. in den Selbstregulierungsprozeß einzugreifen, wenn und soweit die Regelungsziele durch Selbstregulierung nicht erreicht werden oder ungewünschte Nebeneffekte eintreten. Hoheitlich regulierte Selbstregulierung findet insbesondere dort verstärkt Anwendung, wo die marktmäßige Erbringung von Dienstleistungen respektiert oder - wie im Falle der hier als Referenzbereich gewählten Telekommunikation - explizit erreicht werden soll, aber regelnd in Marktprozesse eingegriffen werden muß, weil deren Funktionsfähigkeit strukturell bedroht erscheint bzw. unerwünschte Externalitäten (etwa Unterversorgung mit gesellschaftlich wünschenswerten Leistungen) zu besorgen sind. Hier kann von einer „Gewährleistungs ver antwortung" des Staates gesprochen werden 15 . Es fällt daher nicht ganz leicht, das, was in Amerika als „Regulation" gefaßt wird, in die in der deutschen Steuerungsdebatte entwickelte „Begriffswelt" einzuordnen. Während am Beginn der Steuerungsdebatte in Deutschland „regulative Politik" durchaus explizit mit Blick auf die USA als direkte, aus unterschiedlichen Gründen an Bedeutung verlierende Steuerungsform thematisiert wurde 1 6 , werden heute ebenfalls mit Blick auf die Regulierung in den USA die indirekten, die Autonomie der gesellschaftlichen, auch wirtschaftlichen Prozesse respektierenden Formen staatlichen Handelns eher als moderne Alternative zum Verwaltungsvollzug in deutscher Tradition gesehen17. Legt man das oben genannte Analyse-Raster zu13 Hoffmann-Riem/Schulz/ Held (FN 12), S. 50. 14 Reine Marktregulierung faßt Ladeur, AfP 1999, S. 221 ff., nicht als Selbstregulierung; anders etwa Teubner, ZfRSoz 1998, S. 8 ff. is Vgl. Hoffmann-Riem, DÖV 1997, S. 435 ff.; Schuppert, Die Verwaltung 31 (1998), S. 415 ff. ι 6 Vgl. etwa Mayntz, in: Matthes (Hrsg.), Sozialer Wandel in Westeuropa, 1979, S. 55 ff.

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gründe, so dürfte Regulation als eine spezifische Form Regulierter Selbstregulierung verstanden werden, die insofern den Optionenraum Regulierter Selbstregulierung nicht voll abdeckt, als etwa Instrumente wie die Förderung von Akteuren nicht in den Blick treten. Letzteres macht auch deutlich, warum „regulative Politik" in der Diskussion als eher altmodische, in der Krise befindliche Steuerungsform thematisiert wurde. Im Vergleich zu Anreizprogrammen erscheint Regulation als eher direkte Steuerungsform, so daß die K r i t i k der Steuerungstheorie nachvollziehbar erscheint. Mit diesem Verständnis wird es möglich - dies sei hier nur als Hinweis eingeführt - auch jüngst etwa von Teubner in den Blick genommene Phänomene privater Rechtsetzung in das Konzept Regulierter Selbstregulierung zu integrieren 18 . Ist die These richtig, daß das staatliche Recht zunehmend Funktionen an ein privates wird abtreten müssen, so stellt sich auch die Frage nach dem Verhältnis dieser Rechtsordnungen neu. Staatliches Recht bleibt - davon wird hier ausgegangen - schon aus legitimatorischen Gründen die übergeordnete Beobachterebene: Es steuert bestimmte Bereiche nicht mehr selbst, nimmt aber Einfluß auf die unterschiedlichen normativen Diskurse und die darin ablaufenden Rechtsetzungsprozesse. Staatliches Recht reguliert die private - nun auch rechtsförmig erfolgende - Selbstregulierung. Wir können also zunächst festhalten: „Regulation" im amerikanischen Verständnis blickt auf eine längere Tradition in der Rechtspraxis zurück. Sie erweist sich als spezifische Form staatlichen Handelns, die in die Kategorie „Regulierung von Selbstregulierung" eingeordnet werden kann. Nachdem nun die Rahmenbedingungen der spezifischen Regulierungsaufgabe im Telekommunikationsbereich skizziert worden sind, werden Formen der Regulierung in den USA und Deutschland gegenübergestellt, die die informationale Beteiligung Dritter bei der Regelsetzung des Regulierers betreffen.

I I . Regulierungsziele und Wissensprobleme in der Telekommunikation

Telekommunikationsregulierung verfolgt unterschiedliche Ziele. Es ist nicht lediglich das Ermöglichen und Offenhalten von Wettbewerb, es sind aber auch nicht nur systemexterne Gemeinwohlziele, die Regulierung erforderlich machen. Der Telekommunikationsbereich erweist sich vielmehr insofern als interessant, als hier die von Steuerungstheoretikern wie Willke " Vgl. Kleinsteuber, RuF 1996, S. 27 (33 ff.). 18 Teubner, Rechtshistorisches Journal 15 (1996), S. 255 ff., sowie Beiträge in: ders. (Hrsg.), Global Law Without A State, 1996.

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prognostizierten Wissensprobleme andere gesellschaftliche Probleme - etwa Geldmangel - bereits abzulösen beginnen 19 . Dynamik und Komplexität der Entwicklung im Telekommunikationsbereich sind sprichwörtlich und müssen hier nicht mehr belegt werden. Es entstehen so neue Typen von Marktmängeln (oder es verstärken sich bekannte), denen (nur) durch regulatorisches Eingreifen begegnet werden kann. Gerade wissensbezogene Probleme einer reinen Marktkoordination werden bereits seit Längerem im Bereich der Standardisierung diskutiert 2 0 . So findet ein echter ökonomischer Wettbewerb unterschiedlicher Standards nur verhältnismäßig selten statt. Vielfach tritt ein sogenannter Band Waggon-Effekt auf: Sowohl Verbraucher als auch andere Unternehmen warten, bis sich ein Standard am Markt durchzusetzen beginnt, um „auf den Wagen aufzuspringen". Wenn sich schließlich ein solcher Standard abzeichnet, kann er sich so schnell durchsetzen, daß ein Loc/c-in-Effekt einsetzt, bevor alternative Standards eine Bewährungschance am Markt erhalten. Auch die seltenen Situationen, in denen wenige - oft schließlich nur noch zwei - alternative Systeme sich im Wettbewerb gegenüber stehen (etwa VHS und Betamax oder Microsoft Word und WordPerfect), werden von Ökonomen im Hinblick auf das wohlfahrtsmaximierende Potential unterschiedlich beurteilt. In diesen Situationen haben die Wettbewerber ein Interesse daran, die Systeme möglichst inkompatibel zu halten, um für Nutzer die Kosten des Wechsels zum Konkurrenzsystem zu erhöhen. Das Wachstum des Netzes insgesamt und damit die volkswirtschaftlichen Vorteile der Netzwerkgüter werden nicht optimal ausgeschöpft 21 . Damit ist noch nicht gesagt, daß staatliche Regulierung derartige Effekte in jedem Fall verhindern oder ihnen auch nur effektiv entgegenwirken könnte. Auch staatlichem Handeln verbleibt vor dem Lock-in nur ein schmales Zeitfenster (Narrow Window), in dem regulatorisch gehandelt werden kann 2 2 , und natürlich steht auch der Staat vor Wissensproblemen. Dies ist nur ein Beispiel für strukturelle Marktdefizite im Bereich von Informationsnetzen. Ebenfalls zu den strukturellen - nicht durch bestimmte Marktsituationen hervorgerufenen - Marktmängeln dieses Sektors gehören in der Natur von Netzen liegende Schlüsselpositionen bestimmter Dienst19 Vgl. allgemein Willke, ZRS 1995, S. 94 ff. Vgl. statt vieler Greenstein, Invisible hand versus invisible advisors: coordination mechanisms in economic networks, 1994; Thum, Netzwerkeffekte, Standardisierung und staatlicher Regulierungsbedarf, 1995, insb. S. 156-198; Hawkins/Mansell / Skea, Politics and Economics of Standards, 1995; Schmidt / Werle, Coordinating Technology: Studies in the International Standardization of Telecommunications, 1998, S. 25 ff.; Kleinemeyer;: Standardisierung zwischen Kooperation und Wettbewerb, 1998. 21 Vgl. Greenstein (FN 20), S. 7. 22 Vgl .Thum (FN 20), S. 174 ff.; Schmidt / Werle (FN 20), S. 25 ff. 20

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leister, die auch bei einem funktionsfähigen, selbsttragenden Wettbewerb bestehen bleiben. So führt etwa der britische Telekommunikations-Regulierer zur Perspektive der Regulierung im Bereich Information, Kommunikation und Medien insgesamt aus: „Inherent characteristics of electronic media and communications mean that some market failures are endemic, i.e. a competitive market would not redress these failures. [ . . . 1 They arrive out of the nature of the industries in question. Accordingly, specific rules are required particular bottlenecks, notably call terminations on telephony networks and access control systems on all electronic networks." 2 3

Und schließlich scheint auch das Problem der Zusammenschaltung von Netzen keineswegs nur in den Fällen problematisch, in denen ein ehemaliger Monopolist seine Netzinfrastruktur für Wettbewerber öffnen muß. Auch im Bereich der Zusammenschaltung von Netzen nicht-marktbeherrschender Unternehmen kann ökonomischen Analysen zur Folge nicht darauf vertraut werden, daß eine Aushandlung unter Wettbewerbsbedingungen zu den volkswirtschaftlich optimalen Ergebnissen führt 2 4 . Es spricht daher Einiges dafür, daß die Regulierung von Zusammenschaltungsvereinbarungen auch bei Weiterentwicklung des Wettbewerbs im Bereich der Telekommunikation regulatorische Bedeutung behalten kann 2 5 . Die aufgeführten, natürlich nicht unumstrittenen, Marktmängel können die These stützen, daß eine Regulierung dieses Sektors dauerhaft erforderlich sein kann, funktionsfähiger Wettbewerb mit Ausschaltung der Vorteile des ehemaligen Monopolisten also keineswegs gesichert sein muß 2 6 . Es geht folglich im Bereich der Telekommunikation nicht nur darum, Social Regulation zu betreiben, also vom Markt unabhängige, aus politischen Gründen verfolgte Ziele durch Regulierung durchzusetzen 27 . Es handelt sich vielmehr um einen Bereich, der aus dem Marktsektor immanenten Gründen einer spezifischen Regulierung bedarf. Da die Rechtsordnung bei der Erbringung von Dienstleistungen im Bereich der Telekommunikation grundsätzlich - in Deutschland etwa durch 23 OFTEL, Culture, media and sport committee inquiry into audio-visual communications and the regulation of broadcasting, „Beyond the telephony, the television and the BBC - I I I " OFTELs second submission, March 1998. 24 Zu diesem Problem vgl. Glenn, in: Noam/Nishuilleabhain (Ed.), Private networks and public objectives, Ellsevier science 1996. 25 Vgl. Horton, in: Witte (Hrsg.), Regulierung und Wettbewerb in der Telekommunikation, 1996, S. 55 (56 f.). 26 Zum Streit um die Notwendigkeit sektorspezifischer Regulierung vgl. verneinend Engel/Knieps, Die Vorschriften des Telekommunikationsrechtsgesetzes über den Zugang zu wesentlichen Leistungen, 1998 einerseits und andererseits bejahend Vesting, AK, 3. Aufl. (im Erscheinen), Art. 87f GG Abschn. 8.1. 27 Grundlegend vgl. Shapiro / Varian, Information Rules, 1998, S. 176 sowie für die Telekommunikationsregulierung Eifert/Hoffmann-Riem, in: Hoffmann-Riem (Hrsg.), Innovation und Telekommunikation, 2000.

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Art. 87f Abs. 2 GG festgelegt - auf Wettbewerb vertraut, kommen nur Regulierungskonzepte zum Ausgleich dieser Marktdefizite in Betracht, die die Eigenlogik marktmäßiger Leistungsbereitstellung nicht nur grundsätzlich akzeptieren, sondern in das Regelungskonzept integrieren 28 . Der Telekommunikationsbereich bietet sich daher für eine Fallstudie zum Thema „Regulierte Selbstregulierung" an.

I I I . Beteiligung Dritter in der Regelsetzung des Regulierers als Fallbeispiel 1. Selbstgesetzte Entscheidungsregeln der Bundes-Verwaltungsbehörden in den U S A

Die amerikanische Telekommunikations- und Rundfunkaufsichtsbehörde FCC gilt als typisches Beispiel einer Regulierungskommission, und zwar einer Independent Regulatory Commission. Ihr werden zwei zentrale Funktionen im Prozeß der Regulierung zu geschrieben: - Festsetzung allgemeinverbindlicher Regeln (Rulemaking), - Streitentscheidung zwischen Parteien (Adjudication). Die Frage, inwieweit Dritte - sei es aus legitimatorischen Gründen, sei es aus solchen der Akzeptanz oder Effektivität - in die Setzung von Entscheidungsregeln der Verwaltung einbezogen werden, kann sich keineswegs auf den Bereich des Rulemaking beschränken. Auch die Einzelfallentscheidung in Form der Adjudication ist im amerikanischen Recht immerhin insoweit gerichtsartig formiert, als eine Art Case Law entsteht, dessen Präzedenzfällen ebenfalls Entscheidungsregeln entnommen werden können 29 . Es handelt sich zwar um keine strikte rechtliche Bindung an Präzedenzfälle, wohl aber um einen erhöhten Begründungsaufwand im Falle der Abweichung. Es scheint daher zumindest im Hinblick auf diesen Aspekt nicht unproblematisch, die im Wege der Adjudication erlassenen Orders mit Verwaltungsakten gleichzusetzen 30 , während die Parallelen zwischen Rules und Verordnungen deutlich erkennbar sind. Beide Instrumente stehen grundsätzlich nicht nur den mit größerer Unabhängigkeit versehenen Independent Regulatory Commissions , wie etwa der FCC, zur Verfügung, sondern auch „einfachen" Bundes-Verwaltungsbehörden (Federal Administrative Agencies). 28 Für den Bereich der Universaldienstregulierung vgl. etwa Eifert, Grundversorgung mit Telekommunikationsdienstleistungen im Gewährleistungsstaat, 1998, S. 206 ff. 29 Linneweber, Einführung in das US-amerikanische Verwaltungsrecht, 1994, S. 95 ff. so So etwa Avenarius, DÖV 1971, S. 224.

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In beiden Fällen wird im amerikanischen Recht die Rolle Dritter in den Entstehungsverfahren der Entscheidungsregeln thematisiert, und zwar sowohl im Hinblick auf die Gewinnung von Information, als auch mit Blick auf die Legitimation. Letztere ist naturgemäß vor allem beim Rulemaking ein zentrales Thema, da bindende Entscheidungsregeln für die Zukunft von der Verwaltung festgelegt werden. Die so gesetzten Regeln binden ebenso wie förmliche Gesetze, ohne daß sie immer - wie etwa in Deutschland von Art. 80 Abs. 1 GG gefordert - einer hinreichend bestimmten gesetzlichen Grundlage bedürften. Die amerikanische Auffassung dazu soll kurz - unabhängig von telekommunikationsrechtlichen Spezifika - geschildert werden, da sie als Beispiel für eine auf mehreren Ebenen verlaufende Regulierte Selbstregulierung gelten kann. Auch nach amerikanischem Verständnis reicht es nicht aus, daß die Behörde einen gesetzlich bestimmten Auftrag hat und die Behördenleitung oder etwa die entscheidenden Commissioner dem Präsidenten und dem Kongreß gegenüber verantwortlich sind. Die Komplexität der Steuerungsmechanismen ist allerdings erst in neueren Untersuchungen offengelegt worden 3 1 . So kann zunächst der Kongreß die Regelsetzung der Verwaltung direkt steuern, indem etwa Fristen festgesetzt werden, bis zu denen eine Regulierung verändert oder abgeschafft werden muß; es können zudem konkrete Vorgaben für die Regeln festgelegt werden 32 . Es setzt sich allerdings die Erkenntnis durch, daß die Einflußnahme des Kongresses oder des Weißen Hauses auf die Setzung von Entscheidungsregeln durch die Verwaltung keinesfalls als starre Gesetzesbindung angesehen werden kann und auch nicht so gestaltet werden darf, w i l l man nicht die Effektivität der Regulierung in komplexen sozialen Bereichen gefährden. Es hat sich eine hybride Mischung formeller und informeller Aufsichtsmechanismen herausgebildet, mit der der Kongreß bzw. Präsident zu steuern versuchen, wie die Verwaltungsbehörden ihrerseits die Regulierung organisieren. Dazu gehören vor allem - z.T. gesetzlich vorgesehene - E valuations verfahren, die etwa von der Verwaltungsbehörde selbst, dem Kongreß oder dritten Organisationen durchgeführt werden 33 . Das formelle Review of Regulation wird in den empirischen Untersuchungen als von der Häufigkeit, aber auch der Wirkung her eher nachrangiges Instrument angesehen. Bezieht man diese Befunde auf das oben skizzierte theoretische Raster, so kann festgestellt werden, daß die Regulierung über unabhängige Aufsichtsinstanzen wie die FCC als eine Art auf zwei verbundenen Ebenen verlaufende Regulierte Selbstregulierung erscheint. Die Aufsichtsbehörde akzeptiert, 31 Vgl. vor allem Kervin, Rule making - How government agencies write law and make policy, 1994, S. 215 ff. 32 Vgl. etwa West , Administrative rule making - politics and process, 1985, S. 71 ff. 33 Kervin (FN 31), S. 220 ff.

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daß Selbstkoordination in einem politischen Feld existiert und versucht diese durch Rahmensetzungen u.ä. so zu modifizieren, daß die Regulierungsziele möglichst effektiv erreicht werden. Die Gesetzgebung wiederum akzeptiert, daß die Aufsichtsbehörden bei der Entwicklung der Entscheidungsregeln, die sie für die Regulierung aufstellen, einer eigenen Handlungslogik folgen. Sie akzeptiert damit, daß die Behörde nicht lediglich ein verlängerter Arm des Gesetzgebers ist, sondern als Akteur im Politikfeld tätig wird, das es zu regulieren gilt. Die auch legitimatorisch bedeutsame Bindung an den Gesetzgeber wird nicht durch eine starre Gesetzesbindung erreicht, sondern dadurch, daß die Regulierung der Selbstregulierung wiederum reguliert wird, nämlich vor allem durch Evaluationsmechanismen, die mit formellen Instrumenten im Hintergrund - eine lose Kopplung an das gesetzliche Regulierungsprogramm erzeugen. Vor diesem Hintergrund sind auch die Mechanismen zur Einbeziehung Dritter in den Regulierungsprozeß zu beurteilen. Als Ausgleich für die lose Kopplung an das Gesetz werden vor allem Mechanismen angesehen, die einen Einfluß Dritter und der Öffentlichkeit auf den Inhalt der exekutiven Normen ermöglichen 34 . Das so entwickelte Design ermöglicht und erfordert es also, sowohl beim Rulemaking als auch bei der Adjudication Dritte nicht nur einzubeziehen, um konkrete Rechtspositionen zu sichern, sondern auch, um ihre Informationen, Deutungsmuster und Positionen im Politikfeld in den konkreten Fall bzw. den durch die Verordnung zu regelnden Komplex einzubringen 35 . Dies wird beim Rulemaking dadurch erleichtert, daß die Behörde grundsätzlich verpflichtet ist, Entwürfe vorab zu veröffentlichen (Notice of Proposed Rulemaking). Dazu tritt in bestimmten Fällen die Möglichkeit, die betroffenen Kreise („Persons who will be significantly affected by the Proposed Rule") in den Entstehungsprozeß einzubeziehen (Opportunity to Participate), indem sie zusammen mit Behördenvertretern ein Gremium bilden 3 6 . Grundsätzlich besteht außerhalb dieses Verfahrens für alle Interessierten (Interested Persons) die Möglichkeit zur Stellungnahme 37 . Bei der Einzelfallentscheidung (in Form der Adjudication) sind die i n t e rnationalen Beteiligungsmöglichkeiten Dritter schwächer und auch Veränderungen in der Interpretation unterworfen. Darauf wird sogleich am Beispiel des Telekommunikationsrechts eingegangen. 34 Pünder, Exekutive Normsetzung i n den Vereinigten Staaten von Amerika und der Bundesrepublik Deutschland, 1995, S. 121 ff. 35 Vgl. etwa bei formal adjudication Hejflon, The administrative regulatory process, 1983, S. 271 f., die darauf verweist, daß die Behörden auch in der Praxis deutlich über das rechtlich gebotene Maß hinaus Dritte in Verwaltungsverfahren einbeziehen. se 5 U.S.C.A. §§ 581 ff.; vgl. Pünder (FN 34), S. 127 f. 37 Auf die Unterschiede zwischen formal und informal Rulemaking wird hier nicht eingegangen.

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Bei der Rolle der Drittbeteiligung wird das Problem indirekter, sich vom Modell imperativer staatlicher Steuerung entfernender Regulierungsmechanismen auch im amerikanischen Verwaltungsrecht virulent, da aus wirtschaftlichen oder anderen Gründen potentere Interessenvertreter in der Lage sind, sich auch in derartigen Verhandlungsprozessen stärker zur Geltung zu bringen 3 8 . Das Modell Regulierter Selbstregulierung auf verbundenen Ebenen per se als ein modernen Gesellschaften adäquat komplexes Verfahren demokratischer Mitwirkung zu thematisieren, erscheint daher zumindest begründungsbedürftig 39 . Vor diesem Hintergrund müßten derartige Regulierungssysteme daraufhin untersucht werden, inwieweit sich Wissen, Deutungsmuster und Interessen der verschiedenen Betroffenen in den Verfahren zur Geltung bringen lassen. Dies kann hier nicht ausgeführt werden.

2. Selbstgesetzte Entscheidungsregeln von Aufsichtsträgern in Deutschland

a) Verordnungen und Satzungen. Die Möglichkeit, abstrakt-generelle Regelungen zu schaffen, ist für Aufsichtsinstanzen grundsätzlich auch in Deutschland gegeben. Allerdings besteht eine spezifische Differenz. In der verwaltungsrechtlichen Rechtsquellenlehre scheint weitgehend konsentiert zu sein, daß die Möglichkeit, Rechtsverordnungen zu erlassen, lediglich staatlichen Stellen eingeräumt werden kann; diese wiederum können nicht genuin Recht schöpfen - dies ist nur Instanzen mit gewisser Autonomie zuzugestehen, die davon in Form der Satzung Gebrauch machen. Daraus resultieren unterschiedliche Verfahrensregeln und Bindungen bei der Gestaltung der Regelungen 40 . Auf Richtlinien und Geschäftsordnungen wird im Folgenden nicht eingegangen. Das Instrument der Rechtsverordnung erscheint im deutschen Recht als strikt gesetzesgebundene Form der Rechtsetzung durch Verwaltungsträger. Die Legitimation erfährt die Norm vermittelt über das Gesetz, so daß eine lückenlose Legitimationskette erforderlich ist 4 1 . Verordnungen können zwar Selbstregulierung in einem Gegenstandsbereich regulieren, erscheinen selbst aber nicht als durch das Gesetz „reguliert". Dementsprechend wird ein Mechanismus der Einbindung Dritter oder der Öffentlichkeit beim Erlaß nicht grundsätzlich gefordert. Eine Entsprechung zur amerikanischen Notice of Proposed Rulemaking gibt es ebensowenig wie eine Opportunity 38 Allgemein dazu Maus, KJ 1986, S. 390 ff. 39 In diesem Sinne kritisch auch Avenarius (FN 30), S. 228, in Auseinandersetzung mit Scharpf, Die politischen Kosten des Rechtsstaats, 1970, S. 64 f. 40 Vgl. etwa Schneider, in: FS Möhring, 1965, S. 524 ff.; Ossenbühl, in: HStR I, § 7 Rn. 65 f. 41 H. Bauer, in: H. Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 2, Art. 80 GG Rn. 27 ff.

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to Participate* 2. Dies wäre lediglich geeignet, die Gesetzesbindung zu lokkern. Im Einzelfall fordert dies die Ermächtigungsgrundlage aber durchaus - wie etwa § 7 Abs. 1 BImSchG zeigt, oder auch das Beispiel des Telekommunikationsrechts (das TKG enthält zahlreiche Verordnungsermächtigungen für die Bundesregierung bzw. Bundesministerien, vgl. nur §§ 45, 46 TKG). Durch Rechtsverordnungen wird ein Steuerungsvorgang in zwei Stufen auseinander gezogen, nicht aber mehrere selbständige Ebenen der Regulierung geschaffen, wie eben für das amerikanische Rulemaking diagnostiziert. Interessanter im vorliegenden Kontext ist daher die Regelsetzung durch Satzung. Satzungen als Instrumente einer dezentralisierten Rechtsetzung unterliegen, auch soweit ihnen Außen Wirkung zukommt, nicht den Anforderungen des Art. 80 Abs. 1 GG 4 3 . Die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Bestimmtheit der Ermächtigung sind nach den Kriterien zu beurteilen, die überhaupt eine Satzungsbefugnis begründen, nämlich auf der einen Seite die Notwendigkeit, einen gesellschaftlichen Bereich autonomer Regelung zu überlassen, und auf der anderen Seite die Intensität der Grundrechtsberührung der entsprechenden Regelungen. Das Demokratieprinzip fordert als Ausgleich für die sich schwächende Bindung an das Parlament hier die Einbeziehung der Regelungsunterworfenen in den Normgebungsprozeß 44 . Die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts zum Satzungsrecht verweisen auf einen Gedanken, der an die Begründung der Legitimationsmechanismen beim amerikanischen Rulemaking erinnert: „Sinn dieser im Prinzip weiten, eigenständigen Rechtsetzung ist es, die gesellschaftlichen Kräfte zu aktivieren, den entsprechenden gesellschaftlichen Gruppen die Regelung solcher Angelegenheiten, die sie selbst betreffen und die sie i n überschaubaren Bereichen am sachkundigsten beurteilen können, eigenverantwortlich zu überlassen und dadurch den Abstand zwischen Normgeber und Normadressat zu verringern." 4 5

Die Rechtsquelle der Satzung stellt sich also derzeit nicht als Mittel der Regulierung durch Verwaltungsinstanzen dar. Aus steuerungstheoretischer Sicht liegt nichts näher, als Defizite bei der Effektivität und Effizienz der Regulierung dadurch auszugleichen, daß den Aufsichtsinstanzen mehr Spielräume zur autonomen Rechtsetzung eingeräumt werden muß. Es gibt zumindest Indizien dafür, anzunehmen, daß die Problemlösungskapazität 42 Dazu Pünder (FN 34), S. 143 f. 43 Ramsauer, AK, 2. Aufl., Art. 80 GG Rn. 37; Ossenbühl, in: Erichsen (Hrsg.), A l l gemeines Verwaltungsrecht, 11. Aufl. 1998, § 6 Rn. 66. 44 Dies wäre beim weiteren Ausbau von Rechtsetzungsbefugnissen der Landesmedienanstalten zu beachten. 45 So BVerfGE 33, 125 (157) - Facharzt.

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der Parlamente angesichts der Wissensprobleme etwa im Bereich Telekommunikation oder Medien ihre Grenze erreicht hat 4 6 . Daß eine näher am Regelungsbereich agierende Stelle demgegenüber oft Vorteile haben wird, liegt auf der Hand. Eine Erweiterung des Satzungsrechtes auf (teilautonome) Verwaltungsträger oder andersherum eine Veränderung des Verordnungsrechtes im Sinne eines autonomen Rulemaking wären Wege in diese Richtung 4 7 . Gerade die oben angesprochene Regulierung von privaten Rechtsetzungsprozessen können wohl nur Aufsichtsinstanzen beobachten und mitgestalten, die auf gewisse Dauer an der Systemkommunikation teilhaben. Internationale, privat gesetzte Rechtsregeln können von nationalen Rechtsordnungen kaum beeinflußt werden; auch in diesem Punkt sprechen Gründe der Effektivität für eine Veränderung der Deutschen Rechtsordnung in diese Richtung. Ergebnis wäre auch hier eine über zwei Ebenen regulierte Selbstregulierung. Die Regulierung der Marktregulierung erfolgt nicht unmittelbar durch Gesetz, sondern per Gesetz werden verselbständigte Regulierungsinstanzen geschaffen, ihre Organisation modelliert und Verfahren entwickelt, mit denen dann diese Instanzen die Selbstregulierung im betroffenen Wirtschaftsbereich regulieren. Sieht man von - empirisch im Medienbereich vor allem von Hoffmann-Riem belegten - faktischen Nachteilen etwa des Capturing 48 derartiger Regulierungsinstanzen ab: eine verlockende Lösung. Der steuerungstheoretische Blick streift allerdings mit seinem Fokus auf Effektivität und Effizienz gelegentlich über normative Probleme rasch hinweg. Gerade in jüngster Zeit und gerade auch mit Blick auf den Bereich Telekommunikation wird angemahnt, daß etwa die Hierarchisierung der Rechtsnormen nicht nur einen Rationalitäts-, sondern auch einen Legitimationsaspekt besitzt. Die Diskussion darum, ob und unter welchen Voraussetzungen eine autonome Rechtsetzung durch Verwaltungsträger mit dem Ziel effektiverer Steuerung möglich erscheint, hat in Deutschland gerade erst begonnen. Ob diese vom Demokratieprinzip geforderte Rückbindung aller Staatsgewalt an das Volk nur - wie von einigen Autoren offenbar angenommen 49 - durch lückenlose Legitimationsketten zum parlamentarischen 46 Vgl. statt vieler aus gesellschaftstheoretischer Sicht Willke, Supervision des Staates, 1997, S. 309 ff.; aus rechtswissenschaftlicher Sicht Di Fabio , NZS 1998, 449. 47 In diese Richtung gehen die Landesgesetzgeber bereits mit der Satzungsermächtigung für Landesmedienanstalten für Fragen der Zugangschancen gem. § 53 RStV; vgl. dazu Schulz / Kühlers, Konzepte der Zugangsregulierung für Digitales Fernsehen. Was können telekommunikationsrechtliche Erfahrungen zur satzungsmäßigen Konkretisierung und zur Weiterentwicklung der §§ 52, 53 RStV beitragen? 2000. 48 Vgl. Belege in Hoffmann-Riem, Regulating Media, 1996. 49 In diese Richtung z.B. Lepsius, Steuerungsdiskussion, Systemtheorie und Parlamentarismuskritik, 1999; H. Gersdorf, Öffentliche Unternehmen im Spannungsfeld zwischen Demokratie- und Wirtschaftlichkeitsprinzip, 2000.

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Gesetzgeber verfassungskonform zu leisten ist, oder ob nicht auch unter dem Grundgesetz alternative Formen der Partizipation Defizite der Gesetzesbindung ausgleichen können, scheint einer Prüfung wert. Zukünftig für alle Fälle eine Legitimationskette zum Parlament zu schmieden, dürfte jedenfalls auch härteste Dogmatiker vor eine schwer lösbare Aufgabe stellen. b) Verwaltungsverfahren. Die informationale Einbeziehung Dritter in das Verwaltungsverfahren in Deutschland unter der Überschrift „Selbstgesetzte Entscheidungsregeln von Aufsichtsträgern" zu beschreiben, erscheint zunächst abwegig, geht es hier doch grundsätzlich um Einzelfallentscheidungen, denen - anders als in der amerikanischen Adjudication - tatsächlich nur Bedeutung für den Einzelfall zukommt (Sonderfragen der Allgemeinverfügung gem. § 35 S. 2 VwVfG sollen hier außer Betracht bleiben). Hier lehrt allerdings auch gerade das Telekommunikationsrecht, daß die Verwaltungspraxis in eine andere Richtung läuft. So kann eine Verwaltungsentscheidung - etwa die Festlegung von Maßgrößen für die Preisregulierung gem. § 27 Abs. 1 Nr. 2 TKG i.V.m. § 4 TEntgV - die Grundlage für eine Reihe von Einzelentscheidungen bilden. Bei den komplexen Entscheidungen über die Zusammenschaltung von Netzen (Interconnection) hat sich die Rede vom Interconnectionregrirae etabliert 50 . Sie zeigt an, daß hier durch Einzelentscheidungen für einen gewissen Zeitraum Eckpunkte für künftige Entscheidungen definiert werden; die RegTP macht klar, welche Dauer das Regime haben wird und informiert - ohne daß sie dazu einfachgesetzlich verpflichtet wäre (dazu sogleich) - über geplante Kurswechsel. Es erscheint daher sinnvoll, an dieser Stelle das Verwaltungsverfahren anzusprechen. Die Möglichkeit, eigene Informationen, Deutungsmuster und Interessen in ein Verwaltungsverfahren einzubringen, wird grundsätzlich durch das Instrument der Anhörung (§28 VwVfG) gewährleistet, während andersherum die Möglichkeit, durch andere in das Verfahren eingebrachte Inhalte wahrzunehmen, für die aktenmäßig erfaßten Informationen über Einsichtsrechte (§ 29, 30 VwVfG) geregelt w i r d 5 1 . Die durch die Rechtschutzorientierung des deutschen Verwaltungsrechtes bewirkte Begrenzung soll am Beispiel des Akteneinsichtsrechts, auf das sich der später geschilderte telekommunikationsrechtliche Fall bezieht, kurz entfaltet werden. § 29 VwVfG beschränkt den Kreis der Akteneinsichtsberechtigten in zweierlei Hinsicht. Zum einen wird zunächst nur Beteiligten ein Einsichtsrecht gewährt. Zum anderen besteht dieses Recht nur, soweit die Kenntnis des Inhalts zur Geltendmachung oder Verteidigung eigener rechtlicher Interessen erforderlich ist. Der Begriff der „rechtlichen Interesso Vgl. Piepenbrock/Müller, K&R 2000, S. 110 ff. 51 Vgl. dazu Trantas, Akteneinsicht und Geheimhaltung im Verwaltungsrecht, 1998.

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sen" wird auch als eingrenzendes Kriterium in § 13 Abs. 2 VwVfG verwandt, der eigentlich dazu dient, der Verwaltung die Möglichkeit zu eröffnen, den Kreis über die unmittelbar an der Interaktion Beteiligten hinaus auszuweiten. Mit der Bindung an den Begriff des „rechtlichen Interesses" wird ein engerer Begriff gewählt, als der des „berechtigten Interesses" 52 . Während unter berechtigten Interessen auch wirtschaftliche, ideelle oder soziale Interessen gefaßt werden, sind rechtliche Interessen nur diejenigen, die durch eine Rechtsnorm des öffentlichen oder privaten Rechts konstituiert werden 5 3 . Sind keine anderen rechtlichen Normen erkennbar, die ein Interesse schützen, so wird es entscheidend darauf ankommen, ob die streitentscheidenden Normen gegenüber dem Betreffenden Drittschutz entfalten oder nicht. Daß der Betreffende diese Information benötigt, weil er etwa seinerseits Informationen oder Deutungen in dem Verfahren zur Verfügung stellen will, um damit das von der Regulierung angepeilte Ziel effektiver oder auch effizienter zu erreichen, wird von diesen Regelungen nicht erfaßt 54 . Um angehört werden zu können, müssen Dritte, die nicht Akteure des VerwaltungsVerfahrens sind, ausdrücklich hinzugezogen werden 55 . Die Ausübung des der Behörde bei der Hinzuziehung eingeräumten Ermessens entscheidet darüber, inwieweit durch die Möglichkeit der Erweiterung des Kreises der Beteiligten tatsächlich - wie gelegentlich angenommen - ein Stück Partizipation der Bürger an Verwaltungsverfahren zu sehen ist 5 6 . Auch hier entscheidet gem § 13 Abs. 2 VwVfG das Vorliegen eines „rechtlichen Interesses". Zur gerichtlichen Überprüfung dieser Ermessensentscheidung kommt es schon wegen § 44a VwGO selten, so daß die Grenzen des Ermessens relativ unklar bleiben und der Verwaltung entsprechende Spielräume zumindest faktisch verbleiben 57 . Eine inhaltliche Einschränkung erfährt das Anhörungsrecht dadurch, daß nach wohl herrschender Auffassung die Beteiligten lediglich das Recht haben, die für die Entscheidung der Verwaltung erheblichen Tatsachen aus 52 Vgl. Trantas (FN 51), S. 462. 53 Statt vieler Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 4. Aufl. 1993, § 13 Rn. 32. 54 Allgemein zur Bedeutung von Information im Verwaltungsverfahren Pitschas, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann /Schuppert, Reform des Allgemeinen Verwaltungsrechts - Grundfragen, 1993, S. 219. 55 Kritisch mit Blick auf das Rechtsstaatsgebot etwa Bull, Allgemeines Verwaltungsrecht, 6. Aufl. 2000, Rn. 439. Eine verfassungskonforme Auslegung, allerdings nur dahingehend, daß der Betroffene auch Rechtsausführungen machen darf, ohne daß es aber zu einem „Rechtsgespräch" kommt, Koch /Rubel, Allgemeines Verwaltungsrecht, 2. Aufl. 1992, S. 63 f., mit Blick auf die enge Verknüpfung von Rechts- und Tatsachenfragen Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 13. Aufl. 2000, §19 Rn. 20. 56 Etwa im Sinne von Häberle, W D S t R L 30 (1972), S. 69 ff. 57 Vgl. Bonk (FN 53), § 13 Rn. 37. 8*

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ihrer Sicht zu schildern. Die Aufgabe der Verwaltung ist es nicht, sich etwa rechtlich mit den Argumenten eines Antragstellers auseinanderzusetzen. Gerade in Verfahren mit komplexer Rechts- und Sachverhaltskonstellation wird auf diese Weise das Wissen der Beteiligten, das etwa - sofern es sich auf betriebswirtschaftliche Fakten bezieht - größer sein kann als das der entscheidenden Behörde, nicht zur Optimierung der Entscheidung herangezogen. Diese vom historischen Gesetzgeber gewollte 58 Einschränkung hat in der Literatur durchaus K r i t i k erfahren, allerdings weniger mit Blick auf die hier im Mittelpunkt stehende Frage, wie etwa Spezialwissen einbezogen werden kann, sondern im Hinblick auf die Effektivität des Schutzes der rechtlichen Interessen der beteiligten Dritten 5 9 . Diesen verhältnismäßig engen, zumindest aber nicht in regulatorischer Perspektive ausgeformten allgemeinen Regelungen stehen allerdings Erweiterungen für spezielle Fälle gegenüber, so etwa §§ 66 ff. VwVfG für Anhörungspflichten im förmlichen Verwaltungsverfahren oder bei besonderen Verwaltungsverfahren etwa im Immissionsschutz- oder Atomrecht. Das Recht, seine Informationen in das Verfahren einzubringen und Informationen zu erhalten, ist in Deutschland in die Perspektive des Schutzes subjektiver Rechte eingebunden und folgt so dem zentralen Paradigma deutschen Verwaltungsrechts. Diese Verfahrensbeteiligung dient dem Rechtsdurchsetzungsinteresse des Betroffenen; der in §§ 28 bis 30 VwVfG normierte Grundstandard soll sicherstellen, daß der Betroffene eine Stellung als Akteur des Verfahrens erlangt, die dem Selbstbestimmungsrecht des Bürgers zur Geltung verhilft. Konsequenterweise wird nicht nur das Rechtsstaatsprinzip, sondern auch Art. 2 Abs. 1 i.V.m. 1 Abs. 1 GG als verfassungsrechtliche Wurzel benannt 6 0 .

3. Informationale Drittbeteiligung bei Verfahren i m Telekommunikationsrecht

a) Vereinigte Staaten. Die oben genannten Verfahren Rulemaking und Adjudication nutzt auch die FCC als Independent Regulatory Commission. Gerade jüngst wurde angesichts der Vielzahl der Verfahren eine Konzentration der Commissioners auf wirklich bedeutende Fälle gefordert, damit Ent-

58 Vgl. BT-Drs. 6/1173, S. 42 (Begründung zu § 21 Abs. 1 zum Entwurf eines Verwaltungsverfahrensgesetzes von 1970); vgl. dazu auch Laubinger, VerwArch 75 (1984), S. 55 (70 m. Fn. 49). 59 Koch /Rubel (FN 54), S. 63 f. 60 Kopp, VwVfG, § 29 Rn. 2; in diesem Sinne auch Trantas (FN 51), S. 331 ff., der zweiseitige Informationsbeziehungen im Verwaltungsverfahren strikt von Formen des Öffentlichkeitsbezuges trennt. In letzteren erkennt er das Wirken des Demokratieprinzips.

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scheidungsregeln in den Einzelfällen deutlich werden und die Rolle der Adjudication gestärkt w i r d 6 1 . Ich konzentriere mich im Folgenden auf Informationsrechte konkreter Dritter in Regulierungsverfahren; was die Information der Öffentlichkeit an besonderem Potential im Bereich Telekommunikation besitzen kann, wird an dieser Stelle nicht thematisiert 62 . Beim Rulemaking basiert die Regulierung der FCC in den hier interessierenden Fragen auf den oben geschilderten allgemeinen Regelungen. Bei der informationalen Einbeziehung Dritter in Verwaltungsverfahren zur Entscheidung von Einzelfällen lassen sich am Beispiel der FCC Veränderungen aufzeigen. Auch in den USA erscheint dies als Entwicklungsprozeß, nicht wie gelegentlich nahegelegt 63 - als traditioneller Grundbestand jeden Handelns der FCC. Die Veränderungen im amerikanischen Verwaltungsrecht zeigen sich in der Entscheidungspraxis der FCC. So hatte bis 1966 im Entscheidungsverfahren der Commission nur ein Recht zur Teilnahme am Verfahren, wer als Party in Interest anzusehen war 6 4 . Dazu gehörten Konkurrenten, andere Dritte aber nur, wenn die Entscheidung konkrete, von der FCC festgelegte Positionen berührte. Die übrigen Interessen wurden - so das damalige Verständnis - von der FCC als „Treuhänderin" der Allgemeinheit im Verfahren repräsentiert 65 . Im Rundfunkbereich führte das Urteil des United States Court of Appeals for the District of Columbia in „ Office of Communication of the United Church of Christ v. F.C.C. " 6 6 zu einer Veränderung. Danach können von allgemeinen Zuschauerinteressen abgrenzbare Interessen durch eine Vereinigung verfahrensrechtlich geltend gemacht werden. Vor allem bei der Einbeziehung der Konkurrenten in den Lizenzierungsprozeß zeigt sich allerdings die amerikanische Regulation-Philosiophie. Konkurrenten erhalten ein Beteiligungsrecht zwar aufgrund ihrer wirtschaftlichen Betroffenheit. Im Verfahren können sie aber nicht auf der Basis eigener, potentiell betroffener ökonomischer Eigeninteressen agieren - die Regulierung schützt nicht vor den Folgen des Wettbewerbs - , sondern sie können Argumente einbringen, die belegen, daß die Lizenzierung eines Antragstellers einen Adverse Economic Effect hat; sie treten dann quasi als Private Attorney General auf 6 7 . Die FCC soll auf diesem Wege Fakten und ei Rhyne, Federal Communications Law Journal, 47 (2), 1994, S. 328 ff. 62 Vgl. dazu das am Hans-Bredow-Institut durchgeführte, von der VolkswagenStiftung geförderte Projekt „Öffentlichkeit als Steuerungsressource im Recht der Informationsgesellschaft" . 63 Vgl. Kleinsteuber (FN 17), S. 32 f. 64 Vgl. etwa Carter u. a., Mass Communication Law, 1994, S. 376 ff. 65 Entsprechend dem in 47 U.S.C.A. § 307 festgelegten Auftrag, die Aufgaben „consistent w i t h the public interest, convenience and necessity" zu erfüllen. 66 359 F2d 994, 123 U.S.App.D.C. 328.

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Bewertungen von fachkundiger Seite erhalten, die auf andere Weise unter Umständen nicht ins Verfahren eingebracht werden könnten. Die Bedeutung von Informationsmanagement für Regulierung w i r d auch in den Vereinigten Staaten instrumentell erst seit einigen Jahren erkannt und gezielt eingesetzt. Aktuelle Untersuchungen zeigen, daß Regulierung über Informationsmanagement überall dort zum Gegenstand wird, wo andere Instrumente versagten, etwa im Gesundheitswesen 68 . Dort werden nicht nur weitere mögliche Funktionen von Informationspflichten (gegenüber Beteiligten oder der Öffentlichkeit) thematisiert - etwa Förderung von Marktdynamik durch Ausgleich von Wissensdefiziten bei öffentlichen Gütern, Schaffung von Anknüpfungspunkten für Verantwortungsattribution etc. Es wird auch herausgearbeitet, unter welchen Voraussetzungen diese Ziele konfligieren können 6 9 . b) Deutschland. Das TKG ermächtigt zwar die Bundesregierung und Bundesministerien in verschiedenen Fragen zum Erlaß von Rechtsverordnungen; explizite Aufträge zur Rechtsetzung an den Regulierer - die RegTP finden sich kaum. In diese Richtung weist die Aufforderung zur Aufstellung des Frequenznutzungsplans gem. § 46 Abs. 1 TKG. Die Rechtsnatur des Planes ergibt sich nicht unmittelbar aus dem Gesetz 70 . Bedeutung erhält er dadurch, das die Frequenzzuteilung gem. § 47 Abs. 1 TKG nach seiner Maßgabe erfolgen soll. Die Regelsetzung durch den Frequenznutzungsplan soll gem. § 46 Abs. 3 TKG unter Beteiligung der Öffentlichkeit stattfinden, um interessierte Gruppen rechtzeitig über die zukünftige Nutzung des Spektrums zu informieren, damit sie die Möglichkeit haben, Vorschläge einzureichen 71 . Daß die Frequenz Verwaltung auf die - durch den Föderalismus noch gesteigerten - Abstimmungsprobleme noch nicht durch hinreichend ausdifferenzierte Beteiligungsregelungen reagiert, wird durch den Streit um die Aufstellung der Pläne nach §§ 45 ff. TKG illustriert 7 2 . Die informatorische Einbeziehung Dritter in Beschlußkammerverfahren der RegTP und ihre Anknüpfung am Drittschutz - und überhaupt die Konstruktion von Drittschutzverhältnissen - ist mit Blick auf komplexe wirtschaftsrechtliche Regulierung jüngst grundlegend kritisiert worden 7 3 . Die Beteiligung entsprechend der ganz herrschenden Schutznormtheorie daran festzumachen, ob sich aus dem Willen des Gesetzes nicht nur ein faktischer 67 Vgl. etwa Carter (FN 65), S. 378. 68 Sage, Columbia Law Review 1999, S. 1701 ff. 69 Ebd. 70 Korehnke/ Grotelüschen, in: Büchner u. a. (Hrsg.), Beck'scher TKG-Kommentar, 2. Aufl. 2000, § 46 Rn. 2 f. 71 Vgl. BT-Drs. 13/3609, S. 48. 72 Vgl. nur Schulz /Vesting (FN 4). 73 Vgl. Ladeur, CR 2000, S. 438 f.

Regulierte Selbstregulierung im Telekommunikationsrecht

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Schutz Dritter, sondern eine subjektiv-rechtliche Position ergibt, sei nur bei einfachen Fallkonstellationen praktikabel. Es sei nach dem „Konfliktschlichtungsprogramm" des Gesetzgebers zu fragen, etwa zu ermitteln, ob wesentliche Ausübungsbedingungen kollidierender Grundrechte aufeinander abgestimmt werden sollten. Aus dieser überzeugenden K r i t i k kann man jedenfalls ableiten, daß bei der Auslegung von Normen im Hinblick auf die Frage, ob Beteiligungsrechte bestehen oder nicht, nicht (nur) ein durch die Norm gewährter Schutz von Dritten in den Blick genommen, sondern das Regulierungssystem im Hinblick auf den Zweck der Regelung untersucht werden muß; es bedarf also der Klärung, inwieweit - in der hier verwendeten Terminologie der Steuerungstheorie gesprochen - der beteiligte Dritte als Akteur zur Erreichung des Regelungsziels einbezogen werden soll. Eine solche Auslegung - zumindest im Rahmen der Frage, wer als Beteiligter anzusehen ist - erscheint allerdings möglich, ohne die Schutznormtheorie grundsätzlich in Frage zu stellen. Die Kopplung von Verfahrensbeteiligungsrechten an die vom Gesetzgeber antizipierte Möglichkeit der Verletzung konkreter Rechtspositionen erscheint nicht zwingend. Die K r i t i k knüpft an einen Fall 7 4 an, der hier kurz geschildert werden soll, um zu demonstrieren, daß die Funktion von Informationen Dritter im deutschen Telekommunikationsrecht nur sehr eingeschränkt erfaßt wird. Eine steuerungstheoretische Betrachtungsweise, die sich an der Regulierungsaufgabe orientiert, verweist auf Gesichtspunkte, die meines Erachtens bislang zu schwach berücksichtigt werden. Entscheidungen etwa der Zusammenschaltung werden nach dem TKG im Beschlußkammerverfahren getroffen. Ein Verfahren, das in §§ 74 ff. TKG ausgehend von den Grundsätzen der §§ 9 ff. VwVfG spezifisch ausgeformt wird. Die Rolle der Beteiligten, wie sie von den Gerichten ausgelegt wird, ist stark am Rechtsschutzgedanken orientiert und bezieht so nicht alle Aspekte ein, die eine steuerungstheoretische Sicht der Inklusion Dritter in den Prozeß zuordnen würde. Dies illustriert die Entscheidung des OVG NW besonders deutlich. Es geht um die Informationsrechte von Beigeladenen beim Regulierungsverfahren; die Telekom, deren Preisgestaltung Gegenstand des Verfahrens war, vertrat die Auffassung, bestimmte Informationen dem beigeladenen Konkurrenten nicht offenbaren zu müssen. Das Gericht geht mit Recht davon aus, daß die „Berührung" von Interessen - wie in § 74 Abs. 2 Nr. 3 TKG zum Anknüpfungspunkt genommen - den Kreis der Beiladungsfähigen weit zieht, anders als etwa in § 13 Abs. 2 VwVfG bzw. §§ 65 f. VwGO festgelegt. Es unterstellt dennoch, daß die Grundgedanken der §§ 23 ff., 73 ff. VwVfG sowie § 30 VwVfG auch in diesem Verfahren gelten, soweit es um Offenba74 OVG NW, MMR 1999, S. 553.

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rung von Informationen eines Beteiligten geht: Es gilt also der Grundsatz der Geheimhaltungsverpflichtung mit Offenbarungsvorbehält. Das Gericht stellt sodann fest, daß subjektiv-öffentliche Rechte des beigeladenen Konkurrenten durch die Preisregulierung nicht berührt werden. Diese Feststellung wirft an sich schon Fragen auf, die ich aber hier nicht zu beantworten versuche. So kommt das OVG zu dem Ergebnis, daß die Informationen zur Geltendmachung rechtlicher Interessen nicht nötig seien. Schließlich läuft die Prüfung auch - nicht nur - aus diesem Grund darauf hinaus, daß kein überwiegendes Offenbarungsinteresse besteht. Die Telekom darf schweigen. In K r i t i k der Entscheidung des OVG NW kommt Ladeur zu dem Schluß, daß auch auf der Grundlage der geltenden Bestimmungen das Verfahren der Entgeltregulierung sowie der Genehmigung der AGB des marktbeherrschenden Unternehmens drittschützenden Charakter in verfahrensrechtlicher (wie auch in materiell-rechtlicher) Hinsicht hat. Dies folgt aus der bereits oben genannten Argumentation, die eine Bestimmung des Drittschutzes (dies wird hier im Hinblick auf die verfahrensrechtliche Seite geteilt) nicht davon abhängig macht, ob der Gesetzgeber die Verletzung konkreter Rechtspositionen durch Dritte antizipiert hat, sondern auf die Effektivität des Regulierungsverfahrens abstellt. Eine Stütze erfährt diese Position durch die Überlegung, daß wer wesentlich in der Ausübung seiner Grundrechte betroffen ist, auch in seinem Recht berührt sein muß, in einem entsprechenden Konfliktschlichtungsprogramm für die Bewältigung der kollidierenden Grundrechtsinteressen beteiligt zu sein 75 . Der Fall zeigt, daß auch das telekommunikationsrechtliche Regulierungsverfahren der Tradition deutschen Verwaltungsrechts folgend im Kern am subjektiven Rechtsschutz orientiert bleibt, auch wenn etwa die Erweiterung des Kreises der Beteiligten in eine andere Richtung weist. Steuerungstheoretisch sind durchaus andere Funktionen der Informationsrechte denkbar, die in die Beurteilung des Falles eingehen könnten, freilich ohne daß sie hier zwingend zu einer anderen Entscheidung hätten führen müssen. So kann - erstens - die Einbeziehung Dritter in den Regulierungsprozeß neben der Wahrung rechtlicher Interessen der Beteiligten auch Wissen für die RegTP verfügbar machen 76 . Informationen und - mehr noch - Interpretationsmuster dafür kann eine Aufsichtsbehörde in diesem Bereich kaum 75 Vgl. Ladeur (FN 73), S. 440; Ladeur bringt zudem Art. 5a Abs. 3 der ONP-Richtlinie als Argument ein, die vorsieht, „daß geeignete Verfahren auf nationaler Ebene bestehen, um einer von einer Entscheidung der nationalen Regulierungsbehörde betroffenen Parteien das Recht zu gewähren, bei einer von den Betroffenen Parteien unabhängigen Stelle gegen diese Entscheidung Einspruch zu erheben". Dies hängt allerdings davon ab, wie man den Begriff der „betroffenen Partei" auf europarechtlicher Ebene faßt. Dies soll hier nicht weiter erörtert werden. 76 Zum Aspekt des Lernens der Institutionen im Regulierungsprozeß vgl. den Beitrag von Eifert in diesem Band, S. 137 ff.

Regulierte Selbstregulierung im Telekommunikationsrecht

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selbst generieren. Der Gesetzgeber hat durch die Anmeldepflicht für Dienstanbieter, die sicher auch diesem Ziel dient, sowie Berichtspflichten der RegTP selbst den Informationssammlungs- und Verarbeitungsprozeß der Behörde vorstrukturiert. Ob dies ausreicht, um das nötige Regulierungswissen zu gewinnen, scheint aber fraglich. Expertengespräche mit Vertretern der RegTP legen nahe, daß gerade beim Verständnis von Kostenelementen, die der Preisregulierung zugrunde gelegt werden, durch die sachkundige Deutung der Konkurrenten ein für die RegTP entscheidend neues Bild entstehen kann 7 7 . Der zweite Punkt führt etwas von dem konkreten Beispielsfall weg und verweist zurück auf die bei der Frage der Legitimation angesprochenen Defizite demokratischer Rückbindung von Entscheidungen. Die Beteiligung an der Rechtsetzung, die Möglichkeit, auch eigene Vorstellungen in den Regulierungsprozeß einzubringen, erzeugt eine Form von Partizipation, die als Stützkonstruktion möglicherweise angesichts dünner werdender Legitimationsketten zum parlamentarischen Gesetzgeber einer Regulierung den nötigen demokratischen Halt verleiht.

IV. Fazit: „Von den U S A lernen heißt Siegen lernen"?

Die Ausführungen haben hoffentlich deutlich gemacht, daß es Möglichkeiten im deutschen Regulierungskonzept für Telekommunikation gibt, es im Sinne Regulierter Selbstregulierung zu optimieren. Da der Gesetzgeber sich Anregungen vor allem im amerikanischen Recht geholt hat, kann dies auch Interpreten nicht verwehrt sein. Die Überlegungen machen allerdings ebenso deutlich, daß Regulierung und Regulierung von Selbstregulierung darauf verwiesen bleiben, an verfassungsrechtliche Grundsätze und verwaltungsrechtliche Traditionen anzuschließen. Im Bereich der hier betrachteten informationalen Einbindung Dritter in die Prozesse der Regelsetzung des Regulierers erscheint das Potential Regulierter Selbstregulierung noch nicht ausgeschöpft. Dies zeigt sich zunächst schlicht daran, daß die RegTP vom Gesetzgeber als traditionelle Behörde ausgestaltet wurde, der ein Recht zur Setzung von Entscheidungsregeln in Form von Rechtsnormen nicht zugestanden wird. Daß aber ein Prozeß wie die Regulierung des Telekommunikationsmarktes nicht lediglich durch punktuelle Intervention auf die Regulierungsziele des TKG verpflichtet werden kann, zeigt die faktische Herausbildung von Regelungsregimes wie etwa bei Interconnection. Solange das Gesetz hier - schweizerisch gesprochen kein passendes „Gefäß" wie etwa eine an die Satzungsgebung angelehnte 77 In diese Richtung auch Koenig/Kühling,

MMR 2001, S. 82 f.

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Regelsetzungsbefugnis zur Verfügung stellt, besteht das Risiko, daß sowohl ein Legitimations- als auch Effektivitätsdefizit entsteht, da die normunterworfenen Akteure des Telekommunikationsmarktes nicht adäquat einbezogen werden. Auch im Hinblick auf die Möglichkeit, Informationen, Deutungsmuster und Positionen Dritter in Einzelentscheidungen einzubringen, bleibt das TKG auf halben Wege stehen. Zwar wird der Kreis der Beteiligten nicht an die Existenz rechtlicher Interessen gebunden, zumindest nach Auslegung der Rechtsprechung folgt der Zugang zu Akten aber den allgemeinen verwaltungsrechtlichen Regeln, so daß schließlich der Schutz subjektiver Rechte den Ausschlag gibt. Ob Amerika es hier wirklich besser hat, kann dieser Beitrag nicht entscheiden. Er macht aber deutlich, daß im Hinblick auf die angesprochenen Verfahren das amerikanische Telekommunikationsrecht bereits eine auf zwei Ebenen auseinandergezogene, Regulierte Selbstregulierung herausgebildet hat, die den Regulierer FCC als Akteur begreift, der sich zur Regulierung die Informationen etwa der Konkurrenten eines Verfahrensbeteiligten zunutze machen kann, um die Regulierungsziele zu erreichen.

Regulierte Selbstregulierung i m

erecht

Von Edmund Brandt, Lüneburg

I. Einleitung

Wenn über regulierte Selbstregulierung gesprochen wird, wird das Umweltrecht häufig als Relevanzbereich herangezogen 1. Dies ist schon deshalb nicht verwunderlich, weil das Umweltrecht bekanntermaßen in vielfältigen Zusammenhängen als Experimentierfeld des Gesetzgebers dient, und zwar gerade dann, wenn es um die Entwicklung und Erprobung neuartiger Instrumente, rechtlicher Konstruktionen usw. geht 2 . Selbst als einigermaßen deutlich abgegrenzter Rechtsbereich kaum ein Viertel]ahrhundert alt 3 , wird es fortwährend Veränderungen unterzogen 4 , aufgrund der jeweils dominierenden politischen Zielvorstellungen durcheinander geschüttelt 5 und wurde es in den letzten Jahren zugunsten einer Gesamtkodifikation prinzipiell auf den Prüf stand gestellt 6 . Im Kontext der Beschäftigung mit regulierter Selbstregulierung drängt sich eine Beschäftigung mit dem Umweltrecht aber auch deshalb auf, weil hier gleichsam prototypisch die Konstellationen zutage treten, die ein Abrücken von herkömmlicher hoheitlich-imperativer Regulierung nahe legen: 1

Siehe etwa Hoffmann-Riem, in: Öffentliches Recht und Privatrecht als wechselseitige Auffangordnungen, 1996, S. 261 (302 f., m. w. Nachw.). 2 Vgl. Di Fabio zitiert nach Koch, NVwZ 1995, S. 350 (351); Hoffmann-Riem, Die Verwaltung 1999, Beiheft 2, S. 83 (93). 3 Wissenschaftliche Bemühungen, insoweit zu klaren Konturen zu gelangen, finden sich erstmals bei Kloepfer, Systematisierung des Umweltrechts, 1978, sowie in dem von Salzwedel herausgegebenen Sammelband Grundzüge des Umweltrechts, 1982. 4 Man betrachte nur die unzähligen Novellierungen und Neufassungen, die die zentralen Umweltgesetze seit den siebziger Jahren erfahren haben - ganz zu schweigen vom untergesetzlichen Regelwerk. 5 Wie stark der jeweilige politische „Zeitgeist" gerade auf die Umweltrechtspolitik „durchgeschlagen" hat, zeigt sich besonders augenfällig, wenn man unter dem hier in Frage stehenden Vorzeichen die Koalitionsvereinbarungen für die letzten Wahlperioden betrachtet. 6 Eines der zentralen Anliegen, das mit dem Projekt Umweltgesetzbuch verbunden war, betraf die Überwindung der Inkonsistenz im Verhältnis zwischen den verschiedenen, häufig unter dem Eindruck akuter Umweltprobleme geschaffenen Einzelkodifikationen. Siehe dazu Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (Hrsg.), Umweltgesetzbuch (UGB-KomE), 1998, S. 72; Schmidt, in: ders. (Hrsg.), Das Umweltrecht der Zukunft, 1996, S. 7 (18); ferner Brandt, in: FS Storm, 2000, S. 23.

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von vornherein multipolare Strukturen, auf die Einfluß genommen werden soll 7 , verhältnismäßig schwach ausgebildete behördliche Steuerungsinstanzen 8 , die ohne eine Unterstützung oder zumindest Mitwirkung der Adressaten eher selten in der Lage sind, ihre Ziele zu verwirklichen 9 , schließlich in besonders ausgeprägter Weise die Notwendigkeit, unter Ungewißheit zu handeln 10 . Um präzise klären zu können, wo das Umweltrecht in seinen verschiedenen Ausprägungen tatsächlich als Referenzgröße für die regulierte Selbstregulierung zu dienen vermag, sind i n einem ersten Schritt einige Zuordnungen und begriffliche Klärungen vorzunehmen, die für die weiteren Überlegungen einen analytischen Bezugsrahmen zu bilden vermögen (unter I.). Danach (unter II.) kann exemplifiziert werden, was regulierte Selbstregulierung im Umweltrecht bedeutet, wo sie vorkommt, welche spezifischen Ausprägungen sie dort erfährt. Im letzten Teil des Beitrages soll die Fragestellung dann etwas ausgeweitet und modifiziert werden, indem danach gefragt wird, welcher Stellenwert der regulierten Selbstregulierung im Hinblick auf die Weiterentwicklung des Umweltrechts zukommt (unter III.). Abgerundet werden die Ausführungen durch einen knappen Ausblick.

I I . Der analytische Bezugsrahmen

Um ein Verhalten zu beeinflussen und Wirkungen zu erzielen, gibt es eine Reihe von im einzelnen sehr unterschiedlichen Instrumenten. Dabei bildet 7 Aus umweltpolitischer Perspektive vgl. nur die Darstellung bei Hartkopf / Bohne, Umweltpolitik 1, 1983, sowie Laufs, Umweltpolitik, 1998. 8 Bisher relativ wenig erforscht sind die Konsequenzen, die sich aus gegenläufigen Entwicklungen in den achtziger Jahren ergeben haben: Einerseits setzte im Bereich der öffentlichen Verwaltung bereits ein Stellenabbau ein, teilweise verknüpft mit ersten Ansätzen einer Aufgabenkritik. Andererseits mußten im Umweltbereich Verwaltungsstrukturen erst entwickelt und Behörden neu aufgebaut werden. Daß die im Laufe dieser Entwicklung geschaffenen Umweltministerien, -behörden und -ämter nicht den Zuschnitt und nicht den Personalbestand hatten wie etwa Behörden im Finanz- oder im Sicherheitsbereich, liegt auf der Hand. Bezogen auf die Etablierung der Hamburger Umweltbehörde in den achtziger Jahren liefert die Untersuchung von Brandt, in: Wissenschaft für Hamburg - Hamburg in der Wissenschaft, 1987 (uni hh extra), S. 93 ff., erste empirische Aussagen. 9 Die Befunde der Implementationsforschung weisen allesamt i n diese Richtung. Vgl. nur Mayntz (Hrsg.), Implementation politischer Programme, 1980, sowie LühheWolff, Modernisierung des Umweltordnungsrechts, 1996, S. 7 ff. 10 Zu den Eigentümlichkeiten der Risikogesellschaft, wie sie namentlich von Beck beschrieben (und kategorial erfaßt) worden ist, gehört essentiell das Handeln unter Ungewißheit. Siehe dazu Beck, Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne, 1986. Es fällt auf, daß der Autor Beispiele für diese Akteurssituation häufig dem Umwelt- (und dem Energie-)recht entnimmt. Vgl. ebd., S. 82 ff.

Regulierte Selbstregulierung im

elrecht

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die Regulierung durch Recht nur eine Möglichkeit unter vielen 1 1 , allerdings eine, der im Verhältnis Staat - Gesellschaft eine besondere Bedeutung zukommt 1 2 . Hoffmann-Riem 13 hat die verschiedenen Typen regulierenden Rechts auf einer Skala dargestellt, die als Eckpunkte die hoheitlich-imperative Regulierung auf der einen, die private Selbstregelung auf der anderen Seite enthält. Aus der Vielfalt von Zwischenformen werden auf dieser Skala die hoheitliche Regulierung mit selbstregulativen Elementen sowie die hoheitlich regulierte Selbstregelung herausgegriffen. Welcher Regelungstyp zur Bewältigung eines bestimmten Problems jeweils der beste ist, läßt sich nach Hoffmann-Riem nicht abstrakt feststellen 1 4 . Nach seiner Auffassung hat dies u. a. seinen Grund darin, daß Recht unterschiedliche Funktionen zu erfüllen hat 1 5 . Bei der soeben referierten Skalierung einerseits, der Frage danach, welcher Regelungstyp zur Bewältigung eines bestimmten Problems der beste sei, ist allerdings zu bedenken, daß es sich dabei um eine theoretisch-analytische Herangehensweise an die Fragestellung handelt; sie ist nicht zwangsläufig die vorherrschende Herangehens weise, wenn man nach den Beweggründen für die Wahl eines bestimmten Regelungstyps in der politischen Realität fragt. Hier sind es vielmehr konkrete ordnungspolitische Präferenzen, spezifische Konstellationen, die den Gesetzgebungsprozeß prägen, die maßgeblich für die Wahl eines bestimmten Regelungstyps sind. Dabei sollte man ein erhebliches Beharrungsvermögen bzw. Trägheitsmoment nicht zu gering achten: Vergleicht man nicht nur das, was themenkonjunkturell auf Fachtagungen und in Zeitschriften als das vorzugswürdige Instrument angepriesen wird, sondern bezieht in den Vergleich mit ein, was in wissenschaftlichen Beratungsgremien (etwa dem Rat von Sachverständigen für Umweltfragen) als Konstrukte entwickelt wird, mit den Regelungstypen, die schließlich tatsächlich benutzt werden, so erweist sich, daß letztlich ab11

Grundlegend insoweit Hof Rechtsethologie, 1996. In dem Maße, in dem der Staat als Akteur auftritt, der in gesellschaftliche Abläufe eingreift und sie zu beeinflussen versucht, ist das schon angesichts der Verfassungsprinzipien Vorrang und Vorbehalt des Gesetzes unvermeidlich. Angesichts zunehmender Tendenzen einer „Entstaatlichung" w i r d die hervorgehobene Rolle des Rechts als Steuerungsinstrument allerdings in Zweifel gezogen. So etwa von Mayntz, in: Beyme/Offe (Hrsg.), Politische Theorien in der Ära der Transformation, 1996, S. 148 (150). s. dazu im einzelnen noch weiter unten unter 3. 13 Hoffmann-Riem, in: Sauer/Lang (Hrsg.), Paradoxien der Innovation, 1999, S. 229 (243). 14 Hoffmann-Riem (FN 13), S. 229 (244). 15 Hoffmann-Riem (FN 13), S. 229 (244 f.), unterscheidet in dem Zusammenhang die Bereitstellungs-, die Schutz-, die Rechtsgüter- und Interessenschutz-, die Gestaltungs- sowie die Konfliktbewältigungsfunktion und weist darauf hin, daß die Innovationsfunktion quer zu diesen Funktionen steht. 12

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solut dominierend doch bekannte und eingeführte Instrumente sind. Die Ursachen dafür sind mannigfaltig: Sie erstrecken sich von der Zusammensetzung der Ministerialbürokratie als den nach wie vor wesentlichen Gesetzesmachern 16 , den vielfältigen tatsächlichen und rechtlichen Risiken, die mit dem Beschreiten neuer instrumenteller Wege verbunden wären 1 7 , bis hin zu dem Verhalten der Normadressaten, die entgegen anderslautender allgemeinen Aussagen im „Ernstfall" ganz überwiegend herkömmlichen Regelungsstrukturen den Vorrang einräumen. Trotz der danach zu konstatierenden Vorliebe für herkömmliche Regelungstypen ist insoweit Bewegung unverkennbar, als sich seit ca. 20 Jahren die Erkenntnis Bahn bricht, daß der Staat nicht nur nicht immer mehr Aufgaben an sich ziehen kann, sondern sich aus bestimmten Handlungsfeldern zurückziehen muß und die Verantwortung für bestimmte Ergebnisse nicht mehr oder nicht mehr vollständig zu übernehmen bereit ist (aktuelles Beispiel: Alterssicherung) 18 . Auf der instrumentellen Ebene sollte dieser Rückzug durch die Abkehr von einer immer weitergehenden Regulierung und einer Hinwendung zur Deregulierung zum Ausdruck kommen. Mittlerweile ist längst nachgewiesen, daß - so paradox es zunächst klingen mag - Deregulierung ohne wiederum Regulierung nicht möglich ist. Kombiniert mit der Notwendigkeit, Fehlentwicklungen zu korrigieren und immerhin spezifische Ziele nach wie vor anpeilen zu können, hat dies zu Konfigurationen geführt, für die sich der Begriff Reregulierung eingebürgert hat 1 9 . Mit der regulierten Selbstregulierung wird der Versuch unternommen, in Ausschöpfung von Erkenntnissen der Steuerungstheorie einen Ausweg aus dem soeben angedeuteten Zickzackkurs Regulierung - Deregulierung - Reregulierung zu finden, indem eine Austarierung „zwischen den Polen des Marktes im Sinne spontaner, ungeplanter Selbstorganisation und der Hier-

in Siehe dazu Brandt, in: Hof / Lübbe-Wolff (Hrsg.), Wirkungsforschung zum Recht I, 1999, S. 23 ff., sowie Smeddinck / Tils, in: H i l l / H o f (Hrsg.) Wirkungsforschung zum Recht II, 2000, S. 53 ff.; Helmrich, in: H i l l (Hrsg.), Zustand und Perspektiven der Gesetzgebung, 1989, S. 149 (152, 172 f.). 17 Sehr instruktiv insoweit in dem Band Hof /Lübbe-Wolff (Hrsg., FN 16) die Beiträge von Brocker, S. 35 ff.; Brandt, S. 121 ff.; Heinelt/Malek/Staeck, S. 139 ff.; Beckmann /Hartlick, S. 157 ff. 18 Diese Entwicklung ist unter unterschiedlichen Vorzeichen in den letzten Jahren intensiv durchleuchtet worden. Vgl. nur die Untersuchungen von Ellwein / Hesse, Der überforderte Staat, 1997; Grimm, in: ders. (Hrsg.), Staatsaufgaben, 1994, S. 771 ff.; Günther, in: Grimm (Hrsg.), Wachsende Staatsaufgaben - sinkende Steuerungsfähigkeit des Rechts, 1990, S. 51 ff.; Scharpf, Die Handlungsfähigkeit des Staates am Ende des 20. Jahrhunderts, PVS 32 (1991), S. 621 ff. 19 Die Entwicklung ist ausführlich dargestellt und analysiert in dem von Voigt herausgegebenen Sammelband Abschied vom Staat - Rückkehr zum Staat?, 2. Aufl. 1998.

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mlrecht

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archie in Form zentraler Steuerung" 20 erreicht wird. Damit soll eine Ausbalancierung zwischen hierarchischer politischer Steuerung, informalen Politiknetzwerken und korporatistisch institutionalisierter gesellschaftlicher Selbstregelung erreicht werden 21 . Gerade unter dem Vorzeichen der Innovationssteuerung wird diese Mischform als vielfach adäquat angesehen. Der Staat wirkt danach mit den Instrumenten regulierter Selbstregulierung bereits auf die Handlungsprämissen der Akteure ein, beläßt ihnen aber zugleich Spielräume, so daß die gesellschaftliche Dynamik für die Erreichung autonomer innovationspolitischer Ziele genutzt und angeregt werden kann 2 2 . Damit wird der Rahmen der verfügbaren Optionen vorstrukturiert, die letztlich erfolgte Optionenkonkretisierung und -wähl bleibt aber außerhalb der staatlichen Vorgaben.

I I I . Befunde

Die nachfolgend genannten Befunde aus dem Umweltrecht erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Mit ihrer Hilfe soll (lediglich) veranschaulicht werden, welches Spektrum von dem Konzept der regulierten Selbstregulierung bereits heute erfaßt wird und wie Ausgestaltungen im einzelnen aussehen (1.). In einem zweiten Schritt (unter 2.) wird dann versucht, einige übergreifende Folgerungen abzuleiten.

1. Ausprägungen

Ein mittlerweile schon sehr lange bekanntes Beispiel stellt die Abwasserabgabe dar 2 3 . Basisgröße für ihre Erhebung ist der ordnungsrechtlich strukturierte Bescheid, in dem festgelegt wird, welche Abwassermenge mit welchen Eigenschaften eingeleitet wird. Daraus resultiert die Verpflichtung zur Zahlung einer Abgabe (Bescheidsystem). Die Abgabepflichtigen können die Zahlungspflicht minimieren bzw. ganz vermeiden, wenn sie durch entsprechende Vorkehrungen (insbesondere den Bau von betriebsinternen Kläranlagen) die Schmutzwasserfrachten entsprechend reduzieren. 20 Hoffmann-Riem/Schneider, in: dies. (Hrsg.), Rechtswissenschaftliche Innovationsforschung, 1998, S. 389 (406). 2 1 Ebd.; s. auch Hoffmann-Riem (FN 1), S. 261 (301 f.). 22 Hoffmann-Riem/Schneider (FN 20), S. 389 (406 f.), die darauf hinweisen, daß der Staat sich damit einerseits nicht auf die Innovationsnebenfolgenbegrenzung beschränkt, andererseits es nicht zu einer Identifikation des Staates mit der technischen Realisation kommt. 23 Eine zusammenfassende Darstellung findet sich bei Breuer, in: Rengeling (Hrsg.), Handbuch zum europäischen und zum deutschen Umweltrecht, 1998, § 66 Rn. 110 ff.

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Auch bei zahlreichen anderen Umweltabgaben, über die intensiv diskutiert worden ist, z. B. Lärmabgaben, Schadstoff abgaben, Deponieabgaben usw. 24 , steht am Anfang jeweils der behördlicherseits vorgegebene Ordnungsrahmen, innerhalb dessen die Adressaten die Wahl haben, durch ein entsprechendes Verhalten der Zahlungspflicht zu entgehen oder sie - zumeist wohl auf der Grundlage eines betriebswirtschaftlich ausgerichteten Kalküls 2 5 - auf sich zu nehmen. Im Rahmen einer Auffangverantwortung tritt der Staat bei der Implementation nur und insoweit 2 6 in Erscheinung, als er die Abgaben einzieht und für eine sachgerechte (gruppennützige) Verwendung sorgt bzw. überprüft, ob die Verhaltensanforderungen, die zur Vermeidung oder Reduzierung der Pflicht zur Zahlung der Abgabe führen, eingehalten worden sind. Deutlich anders setzen staatlich inspirierte Selbstbeschränkungsabkom27

men an . Basisgröße sind hier Zusagen staatlicher Stellen, zunächst auf den Erlaß von Normen zu verzichten und abzuwarten, inwieweit die proklamierten Ziele auch tatsächlich erreicht werden. Derartige regulative Umweltabsprachen, die sich vor allem im Stoff- und Abfallrecht finden, setzen als maßgebliche hoheitliche Bezugsgröße eine „formalisierte Drohgebärde" 28 voraus, die in der Formulierung der Standards oder Ziele besteht, die erreicht werden sollen 29 . Will der Staat hier nicht auf eine Auffangverantwortung verzichten, muß er sich Kontroll- und Sanktionsmöglichkeiten vorbehalten. Bei den tatsächlich zum Einsatz gekommenen Umweltabsprachen hat es daran allerdings gelegentlich gefehlt 30 . Wiederum zu den ökonomischen Instrumenten zählt die Einräumung von Benutzungsvorteilen für die Verwendung umweltfreundlicher Produkte 3 1 . 24 Aus umweltökonomischer Sicht hat Wicke, Umweltökonomie, 3. Aufl. 1993, verschiedene praktizierte und diskutierte Umweltabgaben beschrieben und erläutert. 25 Am Beispiel der Abwasserabgabe ist dargelegt worden, daß es durchaus auch nicht betriebswirtschaftlich geprägte Motive dafür geben kann, den von dem Abgabeninstrument ausgelösten Steuerungsimpulsen zu entsprechen. Das kann sogar soweit gehen, daß sich die Normadressaten in ökonomischer Hinsicht „unvernünftig" verhalten. 26 Die Verwendung der Wörtchen „und" und „insoweit" an der Stelle stellt einen Euphemismus dar, denn der Behördenaufwand, der betrieben werden muß, um das Instrument Abgabe mit Leben zu füllen, ist nicht unerheblich - nicht zuletzt, um i n dem Zusammenhang verfassungsrechtlichen Anforderungen gerecht zu werden. 27 Verschiedene Ausprägungen beschreibt Kloepfer, Umweltrecht, 2. Aufl. 1998, S. 292 ff. m. w. Nachw. 28 Kloepfer (FN 27), S. 294. 29 Murswiek, JZ 1988, S. 985 (988), spricht in dem Zusammenhang vom „Vorzeigen der Folterinstrumente". 30 Kloepfer (FN 27), S. 296.

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mlrecht

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Darunter versteht man Regelungen, die zunächst allgemein angeordnete Beschränkungen hinsichtlich der Verwendung von umweltbelastenden Produkten für diejenigen Produkte lockern oder gänzlich aufheben, die ein höheres Maß an Umweltverträglichkeit aufweisen als andere Produkte derselben Art. Ein frühes Beispiel ist die Privilegierung der Benutzung von solchen Rasenmähern, die einen festgesetzten Emissionswert unterschreiten. Sie sind partiell von zeitlichen Betriebsbeschränkungen befreit. Ein ähnlicher Ansatzpunkt liegt der Einschränkung von Flugverboten für weniger lärmintensive Flugzeuge zugrunde. Der Rahmen, der hier durch staatliche Regulierung vorgegeben wird, ist durch entsprechende Grenz- oder Richtwerte präzisiert. Gleichwohl ist die Umsetzung nicht einfach, weil sich immer das Problem der Überwachung stellt. So ist es bezeichnend, daß in den Bereichen, in denen Benutzungsvorteile gewährt wurden, sich das Kontrollproblem deshalb nicht in seiner ganzen Schärfe stellt, weil entweder eine Überwachung bereits aus anderen Gründen stattfindet (so beim Flugbetrieb) oder eine zumindest gewisse gesellschaftliche Selbstkontrolle einkalkuliert werden kann (Rasenmäherlärm) 3 2 . Geradezu als Prototyp für eine regulierte Selbstregulierung wird die Verpackungsverordnung und das darauf beruhende Duale System Deutschland angesehen33. Ausgangspunkt sind hier staatliche Zielvorgaben; es findet aber keine Steuerung durch detaillierte staatliche Strukturvorgaben statt. Vielmehr bringt der Staat nicht mehr als die Erwartungshaltung zum Ausdruck, daß die Produzenten des Verpackungsmülls mit Hilfe eines privaten Entsorgungssystems ihrer gesetzlich vorgeschriebenen Produktverantwortung Rechnung tragen. Der Aufbau wird also nicht staatlich-imperativ erzwungen; wohl aber finden sich flankierend Steuerungselemente durch die Formulierung von Zielvorgaben hinsichtlich der Sammel- und Verwertungssysteme sowie durch die stets im Hintergrund stehende Androhung, die Wirtschaft bei Nichtaufbau eines leistungsfähigen privaten Systems mit Rücknahmepflichten zu belangen. Wir haben es demnach mit der geradezu klassischen Installierung einer staatlichen Auffangverantwortung zu t u n 3 4 . Der in der (alten) Verpackungsverordnung erstmals erprobte Ansatz hat in umfassenderer Weise Eingang in das Kreislaufwirtschafts- und Abfallge31 Kloepfer (FN 27), S. 301. 32 So auch Kloepfer (FN 27), S. 302. 33 Dazu grundlegend Finckh, Regulierte Selbstregulierung im Dualen System, 1998. 34 In dem Sinne auch Hoffmann-Riem (FN 1), S. 261 (333 ff.). 9 Die Verwaltung, Beiheft 4

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setz gefunden 35 . Die Formulierung von Zielvorgaben geht hier deutlich weiter als bei der Verpackungsverordnung, indem ein neuartiger Umgang mit Stoffen - vom Beginn der Wertschöpfungskette an - induziert wird. Die Frage ist allerdings, ob nicht einerseits die Ziel vorgaben zu diffus, die vom Gesetzgeber gespannten Auffangnetze nicht zu dünn sind, als daß diesem Ansatz ohne weiteres Tragfähigkeit zugebilligt werden könnte 3 6 . Die Aufzählung zeigt, daß es im geltenden Umweltrecht an Beispielen für Ausprägungen von regulierter Selbstregulierung nicht mangelt. Zugleich wird aber auch deutlich, daß es sich - vielleicht von dem Ansatz im Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz abgesehen - keineswegs um übergreifende, in ein Gesamtkonzept eingebettete Lösungen handelt, vielmehr der Eindruck vorherrscht, als ob hier und da punktuell mit derartigen Instrumenten experimentiert würde 3 7 . Ansätze zu einer stärker systematisierten und abgestimmten Verankerung finden sich im Entwurf der Sachverständigenkommission für ein Umweltgesetzbuch 38 . Erwähnt sei hier nur § 25 3 9 mit Regelungen über Grenz- und Richtwerte für die Umweltqualität und Anforderungen an Anlagen und Betriebsweisen, die §§ 34 ff. mit Regelungen für Zielfestlegungen, Selbstverpflichtungen sowie normersetzende Verträge und schließlich die §§ 202 ff., in denen die Kompensation und Βenutzungsvorteile normiert werden.

2. Stellungnahme

Regulierte Selbstregulierung - die Bezeichnung sagt es schon - kann sich keineswegs wildwüchsig entwickeln; sie bedarf vielmehr einer ausdifferenzierten Regelungsstruktur, die sowohl die Steuerung am Anfang beinhaltet, die einerseits nicht drangsalierend durch detaillierte staatliche Strukturvorgaben wirken darf, andererseits klare Botschaften enthalten muß, die den Möglichkeiten der Selbstregulierung vorgelagert sind 4 0 . Ist dies jedenfalls in überschaubaren Handlungsfeldern (Beispiel: Fluglärm) noch relativ leicht beherrschbar, so nehmen die Probleme rasant zu, wenn es um die 35 Siehe dazu Kahl, DVB1 1995, S. 1327 ff. 36 Ausführlich dazu Brandt / Röcks eis en, Konzeption für ein Stoff stromrecht, 2000, S. 29 ff. Skeptisch insoweit auch Hoffmann-Riem, in: H i l l / H o f (Hrsg.), Wirkungsforschung zum Recht II, 2000, S. 246. 37 Siehe dazu die Belege bei Brandt/Röckseisen (FN 36), S. 33 ff. 38 Unabhängige Sachverständigenkommission zum Umweltgesetzbuch beim Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Umweltgesetzbuch - Entwurf (UGB-KomE). Hrsg. Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, 1997. 39 Dazu und zum folgenden siehe im einzelnen Brandt/Röckseisen (FN 36), S. 52 ff. 40 Dezidiert Hoffmann-Riem (FN 1), S. 261 (300 f.).

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Kontrolle der Einhaltung der Rahmenbedingungen bzw. der Zielvorgaben geht. Genau die Beweggründe, die es für den Staat attraktiv erscheinen lassen, von hoheitlich-imperativen Steuerungsansätzen wegzugehen und selbstregulative Instrumente an ihre Stelle treten zu lassen, wirken sich nunmehr wieder hinderlich aus. Im Vordergrund steht hier vielfach das Problem der administrativen Praktikabilität 4 1 ; es stellen sich aber auch nicht unerhebliche verfassungsrechtliche Probleme 42 . Wenn der Staat seine Auffangverantwortung ernst nehmen will, muß er ein differenziertes und ausgeklügeltes Sanktionsinstrumentarium bereithalten, das den hohen materiellen und formellen Standards des Rechtsstaats zu genügen hat, weil als ultima ratio der Weg zu den Gerichten offenstehen muß 4 3 . Die Limitierungen, die den Einsatz der regulierten Selbstregulierung begleiten, sind also schon aufgrund der ihr immanenten Funktionselemente gravierend. Davon unabhängig ist zu fragen, welchen Stellenwert der Ansatz im Hinblick auf die Weiterentwicklung des Umweltrechts besitzt. Darauf ist nunmehr noch kurz einzugehen.

IV. Z u m Stellenwert der regulierten Selbstregulierung für die Weiterentwicklung des Umweltrechts

Wenn Umweltrecht vorrangig die Aufgabe hat, zur Bewältigung von Umweltproblemen beizutragen und die Umweltsituation zu verbessern 44 ; stellt sich die Frage nach der Einschätzung der regulierten Selbstregulierung neu. 41 Speziell aus verwaltungswissenschaftlicher Perspektive kommt dem Kriterium ein so erhebliches Gewicht zu, daß es gerechtfertigt ist, darauf gesondert einzugehen und es nicht als Bestandteil etwa von Effizienzüberlegungen abzuhandeln. Siehe im einzelnen dazu Röckseisen, in: Kotulla/Ristau / Smeddinck (Hrsg.), Umweltrecht und Umweltpolitik, 1998, S. 171 (176). 42 Erwähnt sei nur die Grundrechtsgewährleistung durch die Teilhabe an Verfahren. Zum prozeduralen Grundrechtsschutz richtungweisend das Bundesverfassungsgericht im Mülheim-Kärlich-Beschluß, BVerfGE 53, 30 (62 ff.). Nicht immer ist von vornherein garantiert, daß alle unmittelbar oder mittelbar am Verfahren Beteiligte die Chance haben, sich angemessen an der Selbstregulierung zu beteiligen. - Beim DSD kommt als spezielles Problem hinzu, daß das System den Kommunen mehr oder weniger übergestülpt wurde. 43 Zu dem Problemkreis siehe nur Dempfle, Norm vertretende Absprachen, 1994, und Kloepfer, in: König/Dose (Hrsg.), Instrumente und Formen staatlichen Handelns, 1993, S. 329 ff. 44 Die Diskussion um das dem Umweltrecht zugrundeliegende Grundverständnis wird bereits seit den 1970er Jahren geführt. Vgl. etwa Kloepfer, Zum Grundrecht auf Umweltschutz, 1978, S. 15 ff.; Rausch, Die Umweltschutz-Gesetzgebung, 1977, S. 12 f.; Rehbinder, Umweltrecht, RabelsZ 40 (1976), S. 363 ff. Einen aktuellen Überblick liefert Kloepfer (FN 27), S. 22 ff.

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Nunmehr geht es nicht mehr darum, einen bestimmten rechtlichen Regulierungstyp angemessen zu beschreiben; vielmehr ist danach zu fragen, welchen Beitrag dieser Ansatz im Kontext des Umweltrechts (und möglicherweise der Umweltrechtspolitik) zu leisten vermag 45 . Um insoweit pauschale Einschätzungen zu vermeiden, zugleich die Prüfung aber noch handhabbar gestalten zu können, bietet es sich an, erprobte Kriterien wie Effektivität, Effizienz, politische Durchsetzbarkeit, administrative Praktikabilität sowie Rechtskonformität zugrunde zu legen 46 . Dabei kann die Prüfung hier nur fragmentarisch erfolgen, weil zur Beurteilung einer umweltrechtlichen Ausgestaltung naturgemäß die Zielvorgaben dazugehören, und je nachdem, wie sie aussehen, die regulierte Selbstregulierung kleinere oder größere Probleme zu überwinden hat 4 7 . Als Basisgröße wird zunächst immer die Effektivität zu prüfen sein 48 . Geht man von der Prämisse aus, daß denkbarerweise die regulierte Selbstregulierung im Umweltrecht nur zum Einsatz kommt, wenn sie mit einer Verbesserung der Qualitätsstandards verbunden ist, wird man die Effektivität des Ansatzes nicht in Zweifel ziehen können. Bei der Effizienzprüfung läßt sich eine Reihe von Unterkriterien bilden 4 9 . Wählt man bei der Prüfung als eine wesentliche Meßgröße den Ressourceneinsatz der Privaten sowie deren mutmaßliches Unterstützungs- bzw. Widerstandspotential 50 , so wird man weiterhin auch mit einer großen Wahrscheinlichkeit zu einer Bejahung der Effizienz gelangen. Die politische Durchsetzbarkeit dürfte verhältnismäßig leicht sein, weil eben nicht mit einer hoheitlich-imperativen Regulierung operiert wird, sondern wesentliche Gestaltungsmodalitäten in den gesellschaftlichen Bereich verlagert werden 51 . Allerdings hängt die Unterstützung nicht zuletzt davon 45 Zu diesem Ansatz siehe Brandt, in: ders. (Hrsg.), Rechtswissenschaften, 2001, S. 5 ff. 46 Grundlagen für die Instrumentendiskussion werden ausführlich erörtert bei Brandt/Röckseisen (FN 36), S. 93 ff. 47 Die Bedeutung von Zielbildungsprozessen betonen Jänicke / Kunig / Stitzel, Umweltpolitik, 1999, S. 108 f. 48 Ebenso Uebersohn, Effektive Umweltpolitik - Folgerungen aus der Implementations- und Evaluationsforschung, 1990, S. 3, und schon früh Hartkopf /Bohne (FN 7), S. 237. 49 Im hier diskutierten Kontext dürfte dem Unterkriterium der dynamischen Effizienz eine hervorgehobene Bedeutung zukommen. Siehe dazu im einzelnen Endres, Umwelt- und Ressourcenökonomie, 1985, S. 65, und Sprenger, in: ders./Schneider (Hrsg.), Mehr Umweltschutz für weniger Geld, 1984, S. 41 (69). 50 So die übliche Herangehens weise. Vgl. nur Holzinger, Umweltpolitische Instrumente aus der Sicht der staatlichen Bürokratie, 1987, S. 102. 51 Im einzelnen sind allerdings die jeweils relevanten Faktoren schwer zu fassen. Dazu eingehend Brandt/Röckseisen (FN 36), S. 106 ff.

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ab, ob der zugrundeliegende Ansatz einer „Entstaatlichung" geteilt wird. Im Abfallbereich hätte etwa das Gegenmodell zur Privatisierung auch Rekommunalisierung sein können. Vergleichbares gilt für den Energiesektor oder für den Bereich der Wasserver- und -entsorgung. Pauschale Aussagen werden dadurch erschwert; hier wie eigentlich immer bedürfte es einer instrumentenspezifischen Prüfung, um zu abschließenden Befunden gelangen zu können 52 . Gerade bei der Einführung neuer Regelungsstrukturen spielt in der Praxis die administrative Praktikabilität eine kaum zu überschätzende Rolle 5 3 . Dahinter verbirgt sich absolut dominierend die Frage, ob die neue Aufgabe mit dem vorhandenen Personal bewältigt werden kann oder ob ein zusätzlicher Stellenbedarf besteht. Im letzteren Fall tendiert die Durchsetzbarkeit regelmäßig gegen Null. Mit der regulierten Selbstregulierung ist der Anspruch verbunden, durch die weitgehende Verlagerung auf Instanzen außerhalb des politisch-administrativen Bereichs originäre Staatstätigkeit zu entlasten. Bei der Betrachtung von konkreten Anwendungsbereichen ergibt sich insoweit durchaus ein differenziertes Bild: Um insbesondere rechtlichen Anforderungen gerecht zu werden (dazu noch sogleich), ist regelmäßig ein komplexes Überwachungssystem erforderlich, was nicht unerhebliche administrative Ressourcen bindet. Die Schwierigkeit der Aufgabe erfordert zudem den Einsatz besonders qualifizierter, insbesondere gleichermaßen rechtlich wie technisch geschulter Kräfte, was den Aufwand noch steigert. Erwähnt sei hier nur als klassisches Beispiel die Abwasserabgabe, deren Umsetzung trotz aller Standardisierung und Routinisierung nach wie vor erhebliche administrative Kräfte bindet 5 4 . Daß der flächendeckendere Einsatz von Instrumenten auf der Basis der regulierten Selbstregulierung im Lärmschutzbereich nicht weiter verfolgt worden ist, hängt ganz wesentlich von dem befürchteten zu großen Überwachungsaufwand ab 5 5 . Bei Zertifizierungen, die bei entsprechender Ausgestaltung ebenfalls unter diesen Regelungstyp gefaßt werden können, ist zwar einerseits vielfach

52 Das haben zu Recht schon früh Hartkopf /Bohne (FN 7), S. 237 f., betont. Siehe auch Brandt/Röckseisen (FN 36), S. 110 ff. 53 Für den Fall, daß die administrative Praktikabilität verneint wird, wird die Arbeit an der weiteren Entwicklung des Instruments fast immer abgebrochen. Hat sie wie ganz überwiegend - im administrativen Binnenbereich stattgefunden, dringt darüber verhältnismäßig wenig nach außen. Entsprechend gering ist die publizistische Auseinandersetzung mit dem Thema. Vgl. dazu Brandt (FN 16), sowie Smeddinck/ Tils (FN 16). 54 Als Beleg mag der Hinweis genügen, daß das Abgabenaufkommen zum Großteil für die Deckung des Verwaltungsaufwands aufgezehrt wird. 55 So auch die Einschätzung von Kloepfer (FN 27), S. 301 f.

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der administrative Aufwand zurückgenommen 56 . Damit korreliert aber nicht selten eine nur geringe Aussagekraft des am Ende stehenden Gütesiegels 57 . Die Verbesserung der administrativen Handhabbarkeit geht hier also einher mit einem Verlust an Effektivität. Die Frage der Rechtskonformität wird man durchweg wiederum nur instrumentenspezifisch angehen können 58 . Das Spektrum möglicher rechtlicher Probleme ist weit. Werden im Zuge der regulierten Selbstregulierung den Kommunen Befugnisse entzogen, mag sich die Frage der Kompatibilität mit Art. 28 Abs. 2 GG stellen. Bei dem Einsatz ökonomischer Instrumente steht immer auch die Vereinbarkeit mit finanzverfassungsrechtlichen Anforderungen auf dem Prüf stand 5 9 . Probleme sind auch leicht im Umfeld von Art. 3 Abs. 1 GG vorstellbar. Nicht zuletzt wird es je nach der Ausgestaltung - wie schon dargelegt - zu einer Asymmetrie von Verfahrensbeteiligungen kommen können, was aus rechtsstaatlicher Sicht problematisch sein kann. Die kursorische Prüfung sei an der Stelle abgebrochen. Sie hat sicherlich keine definitiven Antworten auf die eingangs gestellte Frage gebracht, wohl aber deutlich gemacht, daß Pauschaleinschätzungen nicht möglich sind. Unumgänglich ist die oftmals mühselige Untersuchung des konkret auf dem Prüf stand stehenden Instruments 60 . Nur sie kann letztlich auch Aufschluß darüber geben, ob der konkrete Regulierungstyp im Sinne einer qualitativen Verbesserung des Umweltrechts innovativ ist. Ohnehin benötigt die Innovationsforschung derartige „Archimedische Punkte", um Aussagen treffen zu können, die das Signum Innovation letztlich auch mit Gehalt zu füllen vermögen 61 .

56 Im einzelnen hängen die Anforderungen stark von den jeweiligen Ausprägungen ab. Dazu Kloepfer (FN 27), S. 459 f. 57 Das kann leicht zu Problemen im Zusammenhang mit der Einhaltung wettbewerbsrechtlicher Standards führen. Dazu zusammenfassend Lappe, Die wettbewerbsrechtliche Beurteilung der Umweltwerbung, 1995. 58 Natürlich kann ein Instrument nur in den Grenzen leistungsfähig sein, in denen es zulässigerweise eingesetzt werden darf. Gerade bei neuartigen Ausgestaltungen läßt sich aber oftmals nur schwer beurteilen, inwieweit verfassungs- und europa(!)rechtliche Vorgaben eingehalten werden. 59 Dazu hat nicht zuletzt die alles andere als klare Sonderabgabenrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts beigetragen. 60 Mühselig ist die Untersuchung nicht zuletzt deshalb, weil sie ohne das Zusammenwirken verschiedener Disziplinen nicht möglich oder jedenfalls nicht ertragreich ist. Zu dem Problem bei einem interdisziplinären Vorgehen siehe Brandt, in: ders. (Hrsg.), Perspektiven der Umwelt wissenschaf ten, 2000, S. 49 ff. 61 Vgl. Hoffmann-Riem (FN 20), S. 389 (412).

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V. Ausblick

Es steht außer Frage, daß mit der Ausformung und begrifflichen Auskleidung des Regulierungstyps regulierte Selbstregulierung ein wichtiger Schritt getan worden ist, um die Konsequenzen aus dem tendenziellen Rückzug des Staates aus verschiedenen Aufgabenfeidern nicht nur analytisch zu erfassen und ihnen ein Gesicht zu geben, sondern zugleich einen Orientierungspunkt zu liefern, wie Regulierung angemessen vonstatten gehen könnte. Anzumerken bleibt, daß mit dem Ansatz der regulierten Selbstregulierung die steuerungstheoretische Perspektive mit der Fragestellung, wie der Staat Ziele zu erreichen vermag, modifiziert, im Kern aber beibehalten wird. Damit findet eine so weitgehende Abkehr von klassischen Steuerungsvorstellungen, wie es ζ. B. in den Beiträgen in dem Sammelband „Politische Theorien in der Ära der Transformation", 1996, und dort insbesondere in dem Beitrag von Mayntz, Politische Steuerung: Aufstieg, Niedergang und Transformation einer Theorie, zum Ausdruck kommt, nicht statt. Wegen der im Vordergrund stehenden Bezugnahme auf das Steuerungsinstrument Recht dürfte dies auch nicht möglich sein. Allerdings sollte man sich darüber im klaren sein, daß die Reichweite und die maximal erreichbaren Ergebnisse auf der Basis einer regulierten Selbstregulierung in dem Maße zu problematisieren sind, in dem die analytischen Prämissen einer Staatsvorstellung, der zufolge der Staat als gesellschaftliches Regelungszentrum fungiert, in Frage gestellt werden 62 . Sollte es ein neues steuerungstheoretisches Paradigma geben, das durch ein gesellschaftliches Interdependenzmanagement geprägt ist und durch eine Kombination von gesellschaftlicher Selbstregelung und politischer Steuerung 63 , könnte dies nicht ohne Auswirkungen auf die regulierte Selbstregulierung sein, die immerhin von staatlich vorgegebenen Zielen ausgeht und die Möglichkeiten einer Selbstregulierung in ein staatliches Regelungskonzept integriert 6 4 . Davon hieße es tendenziell Abschied zu nehmen, wenn das politische Steuerungshandeln nur ein sozialer Teilprozeß ist, der mit vielen anderen Teilprozessen interferiert und so zum sozialen Wandel beiträgt, ohne ihn lenken zu können. 65 Dann würde es nämlich nur noch „Steuerung in der funktionell differenzierten Gesellschaft geben, aber keine politische Steuerung der Gesellschaft" 66 .

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Mayntz (FN 12), S. 148 (150). Mayntz (FN 12), S. 148 (163). Hoffmann-Riem (FN 1), S. 261 (300). Mayntz (FN 12), S. 148 (165). Ebd.

Regulierte Selbstregulierung und die lernende Verwaltung Von Martin Eifert, Hamburg Der Titel des Beitrags zeigt bereits mit der Konjunktion „und" an, daß es nachfolgend nicht um die Ausprägungen der regulierten Selbstregulierung in einem Referenzgebiet geht. Die Untersuchung gilt vielmehr der Einbettung dieses Instruments in die informationellen Grundlagen des Verwaltungshandelns, deren systematische und dynamische Entwicklung mit dem Begriff der lernenden Verwaltung umschrieben wird. Im Vordergrund steht dabei die Schnittstelle beider Konzepte, ihre Verknüpfung, deren Beschreibung mit der blassen Konjunktion aber weniger der Unklarheit, als der Mehrschichtigkeit des Verhältnisses geschuldet ist. Denn die regulierte Selbstregulierung ist mindestens auf zweifache Weise mit der lernenden Verwaltung verknüpft: Regulierte Selbstregulierung benötigt zur erfolgreichen Steuerung eine lernende Verwaltung. Dieser Befund, mit dem die Wissensebene des Steuerungsansatzes regulierter Selbstregulierung in den Vordergrund rückt, soll zunächst skizziert werden (I.). Das Konzept kann aber auf der Wissensebene auch seinerseits als Mechanismus der Wissenserzeugung zum Lernen der Verwaltung beitragen. Hierauf wird anschließend eingegangen werden (II.).

I. Regulierte Selbstregulierung: Steuerung und die lernende Verwaltung

Das Konzept der regulierten Selbstregulierung ist als Steuerungskonzept entfaltet worden. Regulierte Selbstregulierung steht dabei als Chiffre für verschiedene Regelungsstrukturen, in denen staatliche Steuerung sich auf die mehr oder weniger starke Überformung typischerweise gesellschaftlicher Selbstregulierung beschränkt 1 . Über die schon begrifflich angezeigte Koppelung der verschiedenen Handlungsrationalitäten wird versucht, die Kapazität zur gemeinwohlverträglichen und gemeinwohlförderlichen Problemlösung insgesamt zu erhöhen 2 . 1 Vgl. dazu mit einer Systematisierung der Verzahnungen Hoffmann-Riem, in: ders./Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Öffentliches Recht und Privatrecht als wechselseitige Auffangordnungen, 1996, S. 261 (300 ff.).

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Martin Eifert 1. Regulierte Selbstregulierung und das unhintergehbare Wissensproblem

Die regulierte Selbstregulierung reagiert damit unter anderem auf die Wissensdefizite über Erfolgsvoraussetzungen und Wirkungen direkter staatlicher Regulierung 3 , löst aber die hinter ihr liegenden Wissensprobleme nur begrenzt. Die verstärkte Einbeziehung privater Akteure und gesellschaftlicher Regulierungsmechanismen, wie beispielsweise die Nutzung von Marktprozessen oder privater Organisations- bzw. Verfahrensgestaltung, erschließt zwar prinzipiell auch deren Informationsverarbeitungskapazität und Wissensbestände für die Problembearbeitung, sie hinterläßt aber auf staatlicher Seite das Problem, trotz mangelnden Wissens geeignete Vorgaben formulieren, Rahmenbedingungen setzen oder Ergebnisse beurteilen zu müssen4. Neben hierbei teilweise fortbestehenden Wissensproblemen schafft dies auch neue Wissensbedarfe. Die Problematik der kompetenten Beurteilung 5 von Ergebnissen ist zunächst vor allem im Bereich der faktisch stark privatisierten technischen Standardsetzung hervorgetreten 6 , wird mittlerweile jedoch als generelles Problem kooperativer Verfahren behandelt 7 . Der Staat kann hier durch prozedurale Vorgaben den Verlust unmittelbarer Einwirkungsmöglichkeiten teilweise kompensieren und versuchen, seine Informationsbasis abzusichern 8 . Bereits hierfür benötigt er Wissen um die Eignung bestimmter Verfahrenstypen oder Gremienzusammensetzungen. Er darf aber überdies auch seine eigene Kompetenz nicht vollständig aufgeben 9, sondern muß zur ver2 Vgl. mit unterschiedlichen Nuancierungen nur Trute, DVB1 1996, S. 950 ff.; Schmidt-Preuß, W D S t R L 56 (1996), S. 160 (165 ff.); Di Fabio , ebd., S. 235 (237 ff.); Schmidt-Aßmann, i n diesem Heft, S. 253 ff. 3 Mayntz, in: dies., Soziale Dynamik und politische Steuerung, 1997, S. 186 (196 ff.); Trute, DVB1 1996, S. 950; Voßkuhle, in: Schuppert (Hrsg.), Jenseits von Privatisierung und „schlankem" Staat, 1999, S. 47 (50); vgl. auch exemplarisch die Argumentationslinie von Koch/Reese, DVB1 2000, S. 300 (306) für eine indirektere Steuerung im Abfallrecht. 4 Vgl. Mayntz (FN 3), S. 186 (198). 5 Die Beurteilung muß dabei nicht nur die Kontrolle im Sinne einer technisch-naturwissenschaftlichen Richtigkeit, sondern auch diejenige impliziter Wertungen umfassen. 6 Vgl. bereits Marburger, Die Regeln der Technik im Recht, 1979, S. 120 ff.; BVerwGE 72, 300 (316); zur neueren Diskussion Denninger, Verfassungsrechtliche Anforderungen an die Normsetzung im Umwelt- und Technikrecht, 1990, S. 135 ff., insbes. S. 146 ff. (169 f.), sowie ausführlich Lamb, Kooperative Gesetzeskonkretisierung, 1995. ? Vgl. nur Trute, DVB1 1996, S. 950 (961). 8 Vgl. Denninger (FN 6), S. 170 ff. und die Beiträge in Hoffmann-Riem /J.-P Schneider (Hrsg.), Verfahrensprivatisierung im Umweltrecht, 1996. 9 Vgl. J.-P. Schneider, VerwArch 87 (1996), S. 38 (60), hinsichtlich der kommunalen Planungskapazität im Kontext des Vorhaben- und Erschließungsplans; Di Fabio, VerwArch 81 (1990), S. 193 (224 f.) hinsichtlich der Arzneimittelzulassung.

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antwortlichen Wahrnehmung seiner Anschlußentscheidungen eine Kontrollkompetenz aufbauen oder bewahren 10 . Unter Berücksichtigung der Zeitdimension beinhaltet dies die Anforderung, diese ständig weiter zu entwickeln. Die wissensabhängigen Steuerungsprobleme bei der Vorgabenbestimmung sind eng verwandt mit jenen der Ergebniskontrolle. Der Focus verschiebt sich allerdings von der nachvollziehenden Kontrolle zur Prognose, wodurch ein gesteigertes Maß an Unsicherheit verarbeitet und teilweise ein neues Instrumentarium entwickelt werden muß. Die Entgeltregulierung im Telekommunikationsrecht mit ihrer neuartigen Kombination von (nachvollziehender) Kontrolle, Modellbildung und internationalem benchmarking bildet hierfür ein Beispiel 11 . Am markantesten dürfte die Verschiebung der staatlichen Wissensbedarfe im Bereich der indirekten Steuerung durch bloße Rahmensetzung sein. Während die vorangegangenen Fragen durchaus eine enge Verwandtschaft zu klassischen Regulierungsproblemen haben, geht es hier um die Ausgestaltung der komplexen Arrangements und die Ausbalancierung der Spannungslage zwischen Respektierung oder sogar Abstützung der Eigenlogik der überformten Selbstregulierung auf der einen Seite und einer dennoch hinreichenden staatlichen Einwirkung und Absicherung der Steuerungsziele auf der anderen Seite. Dafür bedarf es eines Wissens um die Wirkungsvoraussetzungen wie um die Wirkungen dieser neuen Steuerungsformen 12 . An der Entwicklung etwa der Verpackungs ver O r d n u n g läßt sich nachzeich10 Vgl. Schoch, DVB1 1994, S. 962 (976); Trute, in: Riedel (Hrsg.), Risikomanagement im öffentlichen Recht, 1997, S. 55 (104 ff.); Di Fabio , W D S t R L 56 (1997), S. 235 (267 f.); Schmidt-Preuß, W D S t R L 56 (1997), S. 160 (181 ff.). 11 Vgl. zum methodischen Vorgehen Schütz/Müller, MMR 1999, S. 128 ff.; Hoffmann-Riem/Eifert, in: Hoffmann-Riem (Hrsg.), Innovation und Telekommunikation, 2000, S. 9 (35 ff.); zu den insbesondere ökonomischen Einzelfragen Neu/Kruse, in: Mestmäcker (Hrsg.), Kommunikation ohne Monopole II, 1995, S. 567 ff.; Knieps, MMR-Beilage 3 /1999, S. 18 ff. Hier stellt sich allerdings die Frage nach der Abgrenzung „einfacher" (Markt-)Regulierung von regulierter Selbstregulierung, die wohl nur nach Freiräumen für die Regulierten und Komplexität des Selbstregelungsmechanismus vorgenommen werden kann. Hier beläßt die Preisregulierung in Form der price-caps erhebliche Spielräume und gestaltet auch das Verhältnis verschiedener Märkte zueinander. Das mag hier zur Einordnung genügen. 12 Bestehende Defizite auf theoretischer wie empirischer Ebene konstatiert hier etwa Trute, DVB1 1996, S. 950 (964); das Spektrum der diese Grundproblematik aufweisenden neuen Steuerungsformen ist hier breit angelegt (vgl. nur Schmidt-Preuß, W D S t R L 56 [1997], S. 160 [185 ff.] und umfaßt neben stärker rechtlich umfaßten Ansätzen wie der Verpackungsverordnung dem Öko-Audit oder den Beauftragten auch etwa staatlich induzierte Selbstverpflichtungen der Wirtschaft. Diese können höchst verschieden ausgestaltet sein und ihre umweltpolitische Effektivität kann noch nicht abschließend beurteilt werden, s. zu ihnen nur Dempfle, Normvertretende Absprachen, 1994, mit zahlreichen Beispielen auf S. 3 ff.; Kloepfer/ Eisner, DVB1 1996, S. 964 ff.; Hoffmann-Riem/Eifert, in: Junkernheinrich/Klemmer/Wagner (Hrsg.), Handbuch zur Umweit Ökonomie, 1995, S. 318 ff.

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nen, dass ein solches Wissen nicht nur noch nicht hinreichend vorliegt, sondern teilweise auch erst im „Echtbetrieb" des jeweiligen Instrumentendesigns gewonnen werden kann 1 3 .

2. S teuerungs wissen und Lernnotwendigkeit

Die Verwaltung benötigt im Konzept der regulierten Selbstregulierung also teilweise weniger Interventionswissen, aber dafür ein verbessertes Steuerungswissen. Dieses ist gegenüber dem für die Intervention oder die eigene Leistungserbringung erforderlichen Wissen typischerweise weniger detailliert, führt aber mit den Bezugspunkten der nachvollziehenden Kontrolle, der zukunftgerichteten Vorgabe sowie der Auswahlentscheidung und konkreten Ausformung regelmäßig nur mittelbar wirksamer Instrumente zu neuen, veränderten Bedarfen auf einer Metaebene. Weniger unmittelbar sachbereichsbezogene Information und mehr instrumentenbezogenes Wissen sowie eine stärkere Betonung kontinuierlicher Beobachtung 14 ließen sich schlagwortartig als Grundanforderungen ausmachen. Der aus Verwaltungssicht gegebene teilweise black box-Charakter der beurteilten Zusammenhänge, der ja gerade Auslöser und Motor für die Einrichtung solcher Mechanismen regulierter Selbstregulierung war, läßt es unplausibel erscheinen, von einer umfassenden theoretischen Erschließbarkeit dieses Steuerungswissens auszugehen. Theoretisch angeleitete, regelmäßig allerdings selbst noch zu entwickelnde allgemeinere Kriterien für Kontroll-, Auswahl- und Steuerungsentscheidungen 15 sind zwar notwendig und könnten ein grobes Raster bilden. Gleiches gilt für hieran gegebenen!3 So wurden bei der Novellierung der Verpackungsverordnung die Anforderungen an Selbstentsorger erhöht, um das Trittbrettfahren zu erschweren. Diese Anpassung beruhte auch darauf, daß es bei Verabschiedung noch keine Kenntnis über das Rückgabeverhalten der Konsumenten und den Erfolg des Kartelldrucks geben konnte. Die Erfüllung der Pflichten ist den Einzelentsorgern teilweise aber auch erst durch die mit Einführung des dualen Systems verbundenen Kapazitätserhöhungen bei der Verwertung möglich geworden. Auch der Übergang von der zweistufigen Quote (Erfassung und Verwertung) zur einstufigen Verwertungsquote kann als Lernvorgang interpretiert werden. Siehe zu diesen Entwicklungen der Verpackungsverordnung näher Finckh, Regulierte Selbstregulierung im Dualen System, S. 373 ff.; Schmidt-Preuß, in: Schuppert (FN 3), S. 195 (200 ff.); skeptisch Ladeur, ZfU 1998, S. 279 (292 ff.). 14 Vgl. nur Bauer, W D S t R L 54, S. 243 (280) zur „Beobachtungsverantwortung" im Privatisierungskontext; Vgl. auch aus der klassischen Implementationsforschung über die Notwendigkeit von Langzeitstudien ( > 1 0 Jahre) für belastbare Ergebnisse über die Möglichkeiten der Steuerung von Zielgruppen: Sabatier, in: Kaufmann, The Public Sector, 1991, S. 257 (261 ff.). 15 Vgl. Schuppert, in: ders. (Hrsg.), Das Gesetz als zentrales Steuerungsinstrument des Rechtsstaates, 1998,S. 105 (125 É.) zur Entwicklung einer Gesetzesanwendungslehre; ders., in: Grimm (Hrsg.), Staatsaufgaben, 1994, S. 590 ff. zu Organisationswahlentscheidungen; Schmidt-Aßmann, in: FS Stern, 1997, S. 745 (749) zur richtigen Verbindung der verfügbaren Instrumente im Vollzugsprogramm.

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falls anschließende, rechtsdogmatisch zu konturierende „konfektionelle rechtliche Verantwortungsarrangements" 16 . Die Auswahlentscheidung wie die konkrete Ausgestaltung der Arrangements muss allerdings durch die Einrichtung von Lernmechanismen in der Verwaltung selbst abgestützt und nachhaltig ergänzt werden 17 . Insbesondere bei der Rahmensetzung bedarf es auch eines geordneten Erfahrungsaufbaus, um der administrativen Verantwortung 1 8 für Programmverwirklichung, Initiative und Gesamtstimmigkeit dauerhaft gerecht werden zu können. Bei solchen rahmensetzenden Verfahrens- und Organisationsentscheidungen handelt es sich zwar im Kern oftmals um „politische Entscheidungen komplexer N a t u r " 1 9 , es wäre jedoch rechtsstaatlich sehr bedenklich, wenn die rechtliche Steuerung und der (Grund-)Rechtsschutz über die komplexitätsbedingten weiten Gestaltungsspielräume des rahmensetzenden Verordnungsgebers dauerhaft ausgedünnt würden 2 0 . In der Grundfolge einer „notwendigerweise temporalisierten" Rechtskontrolle 21 aus anfänglichem Beurteilungs- und Prognosespielraum 22 , abgeleiteter Beobachtungspflicht und rückkoppelnder Nachbesserungspflicht 23 , wie sie v.a. in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts entwickelt wurde 2 4 , bildet die lernende Verwaltung das zentrale Scharnier zwischen der administrativen Gestaltungsfreiheit und diesen begrenzenden Verfassungspflichten 25 . 16 So Voßkuhle (FN 3), S. 47 (87). 17 Verstärkt gilt die Lernnotwendigkeit hinsichtlich der Kompetenz im Umgang mit dynamischen Handlungsformen wie Verhandlungen und der Vertragsgestaltung. Dazu Bauer, in: Schuppert (Hrsg.) (FN 3), S. 251 (259 ff.); zur Bedeutung der Routine-Entwicklung bei der Handlungsformenwahl Schulze-Fielitz, DVB11994, S. 657 (666 f.). 18 Siehe näher Schmidt-Aßmann, W D S t R L 34 (1976), S. 221 (231 ff.) mit der Konkretisierung u. a. der nachfolgend aufgezählten Verantwortungstypen. 19 So mit Blick auf Organisationswahlentscheidungen J.-P Schneider, in: SchmidtAßmann / Hoffmann-Riem (Hrsg.), Verwaltungsorganisationsrecht als Steuerungsressource, 1997, S. 103 (111 ff.); vgl. auch bereits frühzeitig aus politikwissenschaftlicher Perspektive Hood, The Tools of Government, 1983, S. 134 ff. 20 Vgl. zu den Gefärdungslagen näher Di Fabio, W D S t R L 56 (1996), S. 235 (257 ff.). 21 Vgl. Di Fabio, NVwZ 1995, S. 1 (2, 8); Finckh (FN 13), S. 380 (397 ff.); diese Temporalisierung der Rechtskontrolle selbst durch einen sich verändernden Maßstab ist verschieden von der älteren Diskussion über das Zeitmoment, die sich mit zeitbezogenen Rechtsfiguren wie dem Vertrauensschutz oder den Rechtsfolgen zeitlich übergreifender Handlungsformen wie der staatlichen Planung beschäftigte (vgl. dazu nur Schenke, AöR 103 [1978], S. 566 ff.). 22 Vgl. dazu nur Ossenbühl, in: Festgabe BVerfG I, 1976, S. 458 ff. 23 Vgl. dazu näher Badura, in: FS Eichenberger, 1982, S. 481 ff.; Steinberg, Der Staat 26 (1987), S. 161 ff.; Mayer, Die Nachbesserungspflicht des Gesetzgebers, 1996; Bernd, Legislative Prognosen und Nachbesserungspflichten, 1989. 24 Vgl. nur BVerfGE 16, 147 (186); 55, 274 (308); 56, 54 (76 ff.); 73, 40 (94); 88, 203 (309 ff.); 95, 267 (314 f.). 25 Vgl. in diese Richtung auch Schmidt-Preuß, W D S t R L 56 (1997), S. 160 (201) hinsichtlich der Möglichkeit einer Ersetzung staatlicher Kontrollmittel durch das Öko-Audit.

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Als organisatorische und verfahrensrechtliche Absicherung einer zunehmenden Verdichtung der informationellen Grundlagen rechtlicher Steuerung und Kontrolle kann sie zum Garanten der Engführung in der zeitlich gestreckten rechtsstaatlichen Disziplinierung regulierter Selbstregulierung werden und wäre entsprechend verfassungsrechtlich einzufordern. Als Zwischenergebnis läßt sich also festhalten, dass die regulierte Selbstregulierung das Wissensproblem der Verwaltung nicht löst, sondern nur (teilweise) verlagert und sie sogar besonderem Maße auf systematisches Lernen angewiesen sein läßt. Denn Lernen im Sinne einer reflexiv organisierten Veränderung von Wissensbeständen in der Z e i t 2 6 wird auf Seiten der Verwaltung (als Organisation) 27 sowohl zur Voraussetzung jener effektiven Problemlösung, die mit dem Konzept der regulierten Selbstregulierung angestrebt wird, als auch zum Instrument ihrer rechtsstaatlichen Bändigung. Hoffmann-Riem hat im Rahmen der Reformdiskussion konsequenterweise frühzeitig das Lernen als eigene Ebene des Verwaltungshandelns herausgestellt 2 8 .

3. Systematisches Lernen als Aufgabe

Begreift man Steuerung im Modus der regulierten Selbstregulierung insofern als eine im besonderen Maße wissensbasierte Arbeit, so gilt für die Verwaltung, daß sie wie andere „intelligente" Organisationen eine organisierte Wissensarbeit entwickeln muß 2 9 . Diese läßt sich mit Willke so charakterisieren, „daß das relevante Wissen kontinuierlich revidiert, permanent als verbesserungsfähig angesehen, prinzipiell nicht als Wahrheit, sondern als Ressource betrachtet wird und untrennbar mit Nichtwissen verbunden i s t " 3 0 . Sie beinhaltet einen Erfahrungsaufbau durch experimentelle Anwendungen und systematische Bewertung der Ergebnisse, aber auch die fortlaufende Beobachtung des Handlungsfeldes und des Instrumenteneinsatzes, sei es durch unmittelbares Monitoring oder durch die Verarbeitung der in anderen Bereichen - wie etwa der Wissenschaft - entstandenen Beschreibungen. Sie 26 Vgl. zu diesem weiten Verständnis des Lernens allgemein Willke, Supervision des Staates, S. 152.; zur Entwicklung der Evaluationsforschung hin zu einem interaktiven Lernprozeß bereits Hellstern, in: Kaufmann (FN 14), S. 271 (302). 27 Im Gegensatz zu der hier in den Vordergrund gerückten Organisation stellen andere Autoren die Mitarbeiter der Organisation in den Vordergrund (vgl. etwa Haßelmann/ König, Die Innovative Verwaltung, 4/1997,S.30ff.). 28 Hoffmann-Riem, in: ders. / Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Innovation und Flexibilität des Verwaltungshandelns, 1994, S. 9 (63 ff.). 2 9 Vgl. auch bereits Rhodes, in: Kaufmann (FN 14), S. 525 (530): „the key task facing governments ... is policy learning: ,how processus of guidance, of control, and of performance evaluation may be systematically incorporated i n policy areas?' ". 30 Willke, Zeitschrift für Soziologie 1998, S. 161.

Regulierte Selbstregulierung

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erfordert ferner einen i n t r a - w i e i n t e r a d m i n i s t r a t i v e n

Wissenstransfer 3 1 .

D i e veränderten Steuerungsmodi müssen i n Organisation u n d Verfahren der V e r w a l t u n g gespiegelt w e r d e n u n d r ü c k e n deren i n f o r m a t i o n e l l e Voraussetzungen stärker i n den V o r d e r g r u n d 3 2 . D i e lernende V e r w a l t u n g w i r d z u m K o r r e l a t der gesteigerten K o m p l e x i t ä t i h r e r Instrumente, die w i e d e r u m aus der gesteigerten K o m p l e x i t ä t i h r e r Handlungsfelder entsprang. I h r e Ausgestaltung ist auch eine Aufgabe des Rechts, das seinen Regelungsanspruch hier nachziehen muß. B e i der r e c h t l i c h e n Ausgestaltung v o n A r r a n gements regulierter Selbstregulierung wäre entsprechend - w i e b e i anderen k o m p l e x e n Steuerungsentscheidungen a u c h 3 3 - insbesondere die I n f o r m a t i onsebene als zentrale, k o n t i n u i e r l i c h m i t l a u f e n d e Schicht i n den B l i c k z u nehmen u n d auf eine A b s i c h e r u n g v o n L e r n e n einzustellen. Diese Ebene organisationalen Lernens ist allerdings noch d e u t l i c h u n t e r e n t w i c k e l t . D i e v e r w a l t u n g s r e c h t l i c h e n Vorschriften beziehen sich - w e n n ü b e r h a u p t - typischerweise auf die S a m m l u n g u n d Verarbeitung u n m i t t e l b a r entscheidungsbezogener Informationen. D i e B e u r t e i l u n g der I n s t r u mente erfolgt typischerweise r e l a t i v u n s t r u k t u r i e r t 3 4 . A b e r auch Basisinform a t i o n e n über die H a n d l u n g s f e l d e r s i n d n i c h t i m m e r v e r f ü g b a r 3 5 u n d die

31 Vgl. zu den Elementen etwa Hill, in: Schmitz et al. (Hrsg.), Jahrbuch Systemisches Denken und Handeln im Management, Bd. 4, 1996, die frühe Darstellung von Lernmodellen bei Hood, The Limits of Administration, 1976, S. 74 ff., sowie aus der überwiegend eng mit der Praxis verbundenen Literatur über die lernende Verwaltung nur Ehlers, V M 1 /1998, S. 32 ff.; Zanzinger, in: Wieselhuber&Partner, Handbuch Lernende Organisation, 1997, S. 257 ff., mit jeweils spezifischen Konzepten. Im Ausland werden ähnliche Konzepte diskutiert, vgl. nur für Großbritannien den Bericht der britischen Regierung, Modernising Government, 1999, S. 12 ff. 32 Vgl. nur zur Steigerung von Lern- und Innovationsfähigkeit durch Bereitstellung von Informationen Jann, in: Hoffmann-Riem/J.-P. Schneider (Hrsg.), Rechtswissenschaftliche Innovationsforschung, 1998, S. 145 (162 f.); zentral zu Bedeutung der Information für das Verwaltungshandeln Pitschas, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann/ Schuppert (Hrsg.), Reform des Allgemeinen Verwaltungsrechts, 1993, S. 219 ff. 33 Vgl. zur Informationsebene unter der Perspektive des Organisationsrechts nur Schmidt-Aßmann, in: ders./Hoffmann-Riem, Verwaltungsorganisationsrecht als Steuerungsressource, 1997, S. 9, 37 (63); Hoffmann-Riem, ebd., S. 355 (392); aus der Perspektive des Vertragsrechts Bauer, DÖV 1998, S. 89 (94 f.); zum Monitoring als Aufsichtsmittel Schuppert, in: ders. (FN 3), S. 299 (318 f.); zusammenbindend Voßkuhle (FN 3), S. 87 f. 34 Vgl. exemplarisch den Befund von O'Riordan / Wynne, in: Krohn / Krücken, Riskante Technologien: Reflexion und Regulation, 1993, S. 186 (188). Auch etwa die Verpackungsverordnung kennt zwar die Beobachtung der Quoten und damit die Kontrolle der Vorgaben, eine nähere Evaluation ihres instrumentellen Ansatzes ist jedoch nicht gesichert. Die weitgehende Wirkungslosigkeit der institutionalisierten Wiederbefassung der Bundesregierung mit der Mehrwegquote in § 9 Abs. 2 Satz 2 der VerpackVO 1991 (vgl. Finckh [FN13], S. 380 f.) scheint ein Indiz für ein Defizit. 35 So gibt es zwar zahlreiche Statistiken, doch sind etwa statistische Größen über viele relevante Fragen der sogenannten Informationsgesellschaft nicht verfügbar, obwohl hier die Aufgabe politischer Gestaltung schon lange allgemein anerkannt wird; vgl. Kleinsteuber, in: Dönges/Jarren/Schatz (Hrsg.), Globalisierung der Medien?, 1999, S. 21 (30); im Umweltbereich wird ebenfalls schon seit langem eine koordi-

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Verschränkung der verschiedenen Aggregationsniveaus vorhandener Informationen 3 6 oder der verschiedenen Perspektiven unterschiedlicher Verwaltungseinheiten bleibt weitgehend ungeregelt 37 . Einen übergreifenden Ansatz bilden primär die Berichtspflichten an den Bundestag 38 , die regelmäßig die Zustandsbeschreibung eines Regelungsfeldes einfordern, gelegentlich aber auch deren Verkoppelung mit getroffenen und beabsichtigten Maßnahmen sowie konkreten Zusatzinformationen vorsehen 39 oder als Evaluation eines regulatorischen Ansatzes ausgestaltet sind 4 0 . Diese Pflichten enthalten allerdings weite Spielräume, richten sich in der Regel an die Spitzen der Exekutive und sind ohne nähere Einbindung in die binnenadministrative Informationsordnung. Ihr Erfolg als Programmierung des Verwaltungslernens ist deshalb zumindest höchst unabgesichert 41 . Es gibt aber auch einzelne positive Ansätze einer stärkeren Ausgestaltung der Informationsebene - etwa im T K G 4 2 . Die zu Recht als „ informations mächtig" 4 3 bezeichnete Regulierungsbehörde ist nicht nur organisatorisch um einen Beirat angereichert (§ 67 ff. T K G ) 4 4 und ausdrücklich zur Heranziehung wissenschaftlicher Beratung ermuntert (§70 TKG). Sie soll sich auch laufend mit dem Bundeskartellamt austauschen 45 - und zwar nicht nur über Feststellungen, sondern auch über Beobachtungen (§ 82 Satz 6 TKG). Schließlich muß die Regulierungsbehörde alle zwei Jahre einen Tätigkeitsbericht vorlegen, dem im Sinne einer multiperspektivischen Evalua-

nierte, allgemeine Umweltbeobachtung gefordert (näher Ritter, DÖV 1992, S. 641 [642 ff.]), die freilich nicht beliebig vom Handlungsbezug entkoppelt werden darf. 36 Vgl. etwa zum notwendigen Beziehungszusammenhang von Umweltbeobachtung und Handlungszielen Ladeur, ZfU 1998, S. 279 (310). 37 Eine auf die Umweltbeobachtung bezogene Ausnahme bilden hier §§ 46d f. LMBG. 38 Eine Einordnung als Mittel zur Erfüllung verfassungsrechtlicher Beobachtungspflichten findet sich etwa i n BVerfGE 49, 89 (132); 56, 44 (82 ff.), sowie bei Steinberg (FN 23), S. 166. 59 Vgl. nur § 61 BImSchG; dazu näher Koch, in: GK-BImschG, § 61 Rn. 23 ff. 40 Vgl. dazu nur Derlien, ZParl 1975, S. 42 ff.; umfassend Maiwald, Berichtspflichten gegenüber dem Deutschen Bundestag, 1993 (zur Einteilung S. 23 ff., zur ErfolgskontrolleS. 115 ff.). 41 Allgemeinen zur umstrittenen Eignung der Berichtspflichten für eine Erfolgskontrolle von Gesetzen siehe nur Hugger ; Gesetze - Ihre Vorbereitung, Abfassung und Prüfung, 1983, S. 321 ff.; Hill, W D S t R L 47 (1989), S. 172 (187); Steinberg (FN 23), S. 203; Maiwald (FN 40), S. 131 ff. mit Verbesserungsvorschlägen auf S. 213 ff. 42 Vgl. näher Hoffmann-Riem/Eifert (FN 11), S. 45 ff.; weitergehende Verfahren fordert Ladeur, ebd., S. 57 (72 ff.); vgl. auch Ruffert, AöR 124 (1999), S. 237 (277 ff.). 43 Oertel, Die Unabhängigkeit der Regulierungsbehörde nach §§ 66 ff. TKG, 2000, S. 230. 44 Dazu kritisch angesichts der Gefahr einer Politisierung Ladeur, K&R 1998, S. 479 (486). 4 5 Vgl. nur den Überblick bei Geppert / Rühle / Schuster, Handbuch Recht und Praxis der Telekommunikation, 1998, Rn. 647 ff.

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tion auch ein Bericht der Monopolkommission zur Seite gestellt ist ( § 8 1 Abs. 1 und 3 TKG) 4 6 . Gegenstand ist gerade auch die Angemessenheit von Regulierungsansätzen. Es zeigen sich somit Anzeichen einer eigenständigen verwaltungsrechtlichen Informationsordnung, mit der das Lernen abgesichert werden kann. Gerade für Felder regulierter Selbstregulierung sollten sie weiterentwickelt werden. Hier soll jedoch die Wissensebene des Steuerungskonzepts nicht weiter vertieft werden, sondern die zweite Verknüpfung zwischen regulierter Selbstregulierung und lernender Verwaltung im Vordergrund stehen: Regulierte Selbstregulierung als Mechanismus der Wissenserzeugung. Dabei geht es weniger um das von der Verwaltung und in der Verwaltung aufzubauende Steuerungswissen, sondern in erster Linie um die Bewältigung von Ungewißheit über einen „Sachverhalt" unabhängig von der konkreten Regulierungsform.

II. Regulierte Selbstregulierung als Mechanismus der Wissenserzeugung 1. Grundmuster des Entscheidungswissens der Verwaltung: Regulierer befragt Selbstregulierung

Im verwaltungsrechtlichen Grundmuster w i r d nicht verfügbares (Entscheidungs-)Wissen der Verwaltung - soweit es überhaupt vom normativen Programm als unentbehrlich angesehen wird - durch typischerweise punktuelle 4 7 Heranziehung von Sachverständigen aufgefüllt oder durch Verweisung auf in sachverständigen Gremien erarbeitete Ergebnisse entschärft 48 . In beiden Fällen wird jedoch auf bestehende Wissensbestände zurückgegriffen - meist der Wissenschaft oder spezifischer Anwendergruppen wie Techniker oder Ärzte. 46 s. zur „informatorischen Öffnung der Regulierungsbehörde" auch Oertel (FN 43), S. 223 ff.; instruktiv ferner die auf Großbritannien bezogenen Ausführungen von Wigglesworth, in: Melody (Hrsg.), Telecom Reform, 1997, S. 295 ff. 47 Organisatorisch bei der Behörde dauerhaft angelagerter Sachverstand insbesondere in Form von Beiräten ist zwar vom Grundsatz her permanent verfügbar, dürfte aber regelmäßig nicht die Arbeit der Behörde begleiten, sondern ebenfalls punktuell Empfehlungen geben. Zu solchen angelagerten Gremien grundlegend: Brohm, HStR II, 1987, § 36 Rn 30 ff. 48 Vgl. zur Sachverhaltsermittlung im Verwaltungsverfahren statt vieler Stelkens/ Kallerhoff, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VerwaltungsVerfahrensgesetz, 5. Aufl. 1998, § 24 Rn. 23 ff.; § 26 Rn. 32 ff., 66 ff.; zur untergesetzlichen Normsetzung Pünder, Exekutive Normsetzung in den Vereinigten Staaten von Amerika und der Bundesrepublik Deutschland, 1995, S. 140 ff.; vgl. auch die Nachweise oben (FN 6). Soweit etwa Antragsteller Informationspflichten auferlegt sind (wie im Stoffrecht und nach dem GenTG) verlagert sich zwar der primäre Zugriff auf die fremden Wissensbestände, zunächst nicht aber das Grundmuster. Zu den Problemlagen dieser Fälle vgl. nur am Beispiel des Arzneimittelrechts Di Fabio (FN 9), S. 193 ff.

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Die Dynamisierung dieser Wissensbestände erfolgt im wesentlichen nach den Regeln dieser Gruppierungen, also etwa nach den Regeln der wissenschaftlichen Forschung oder ingenieurswissenschaftlich geprägter technischer Entwicklung. Zugespitzt ließe sich also formulieren: Die Regulierer fragen Ergebnisse der Selbstregulierung ab 4 9 . Die Verwaltung rezipiert und aktualisiert (meist punktuell) 5 0 bestenfalls ihren eigenen Wissensbestand. Der Rückkanal bleibt unterentwickelt, die gezielte Produktion neuen Wissens im wesentlichen eine Aufgabe der eigenständigen Forschungsförderung und Verwaltungslernen eher zufällig 5 1 .

2. Produktive Kopplung der Wissensbestände als Aufgabe behördlichen Wissensmanagements

Dieses Grundmuster ist für eine Reihe von Verwaltungsbereichen auch weiterhin ausreichend. Jedenfalls für jene Bereiche, in denen die Verwaltung Entscheidungen unter Ungewißheit treffen muß, stößt es jedoch an strukturelle Grenzen, weil die abgefragten Wissensbestände uneindeutig sind und keine hinreichende Handlungsorientierung vermitteln können. Die Rationalität des Verwaltungshandelns - und damit auch Transparenz und Rechtsschutz - droht aufzuweichen. Vor allem in bezug auf die umweltrechtlichen Risikoentscheidungen ist entsprechend auch schon verschiedentlich die Aufgabe herausgearbeitet worden, eine kontinuierliche Beobachtung zu verankern und neues Wissen zu erzeugen 52 . Insbesondere etwa der Bereich der Vorsorge, der zunächst nur negativ gegenüber der Gefahr abgegrenzt wurde, soll so eigenständiger positiv strukturiert werden 5 3 .

49 Zur damit unbestritten gegebenen hohen Bedeutung der Wissenschaft für eine rechtsstaatliche Rationalität siehe Trute, Die Forschung zwischen grundrechtlicher Freiheit und staatlicher Institutionalisierung, 1994, S. 193 ff. 50 Teilweise wird von der Verwaltung zumindest verlangt, über den aktuellen Stand dieses Wissens informiert zu bleiben (vgl. nur § 61 Nr. 4 BImSchG; Art. 11 IVU-RiL). Dies erfordert jedenfalls einen kontinuierlichen Abruf, ändert aber nichts an der „Einbahnstraße". Markante Ausnahmen bilden hier die Nachmarktkontrolle nach dem AMG (dazu ausführlich Hohm, Arzneimittelsicherheit und Nachmarktkontrolle, 1990; Di Fabio, Risikoentscheidungen im Rechtsstaat, 1994, S. 235 ff.) sowie das LebensmittelMonitoring gem. §§ 46c ff. LMBG. 52 Vgl. Ladeur, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann (FN 28), S. 122 ff.; Trute, (FN 10), S. 55 ff., 90; Hill, in: B ö h r e t / H i l l (Hrsg.), Ökologisierung des Rechts- und Verwaltungssystems, 1994, S. 208 f.; Scherzberg, VerwArch 84 (1993), S. 484 (497 ff.); Wahl/ Appel, in: Wahl (Hrsg.), Prävention und Vorsorge, 1995, S. 1 (41 ff.); HoffmannRiem, AöR 115 (1990), S. 400 (441 ff.); zum Erfordernis der Bestimmung handlungsleitender Grenzwerte auch Di Fabio, NuR 1991, S. 353 (358 f.). 53 Vgl. nur Murswiek, W D S t R L 48 (1990), S. 207 (216 f.); Ladeur, Das Umweltrecht der Wissensgesellschaft, 1995, S. 99 ff.

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Dabei kann es selbstverständlich nicht darum gehen, die Verwaltung zur omnipotenten Wissensinstanz aufzurüsten. Dies würde die gegenwärtig noch zunehmende 54 gesellschaftliche Ausdifferenzierung der Wissenslandschaft ignorieren und damit noch hinter den zuvor beschriebenen Stand des Grundmusters zurückzufallen. Es kann jedoch versucht werden, die Wissensbestände stärker fruchtbar aufeinander zu beziehen 55 und dabei die Verwaltung nachhaltig in einer zentralen Position zu verankern, in der sie Wissen sammeln, Anstöße zur Wissensgenerierung geben und Bezüge zu den Handlungsoptionen herstellen kann. Es geht also darum, ein Informationsnetzwerk zu knüpfen und die Verwaltung darin aktiv als dauerhaften Knoten zu verankern 56 . Dabei wird selbstverständlich zu unterscheiden sein zwischen generalisiertem und einzelfallbezogenem Wissen wie auch zwischen den Wissensbeständen für je verschiedene Funktionen der staatlichen Akteure und je verschiedene Sachbereiche. Die Aufgabe soll hier nur ausschnitthaft an Hand eines Beispiels konkretisiert und veranschaulicht werden.

I I I . Das Verfahren der Umweltverträglichkeitsprüfung als Beispiel

Das Beispiel stammt aus dem Umweltrecht und damit nicht zufällig aus jenem Referenzgebiet, aus dem Hoffmann-Riem in besonderem Maße Impulse für die Idee einer Reform des Allgemeinen Verwaltungsrechts aufnahm 5 7 . Es geht um das Leitbild des integrierten Umweltschutzes 58 , das vor allem über die Richtlinie zur Umweltverträglichkeitsprüfung und ihre Umsetzung in das deutsche Umweltrecht eingeführt wurde 5 9 und sich - europäisch wohlgedüngt 60 - zunehmend über das Umweltrecht verbreitet 61 . 54 Vgl. nur Willke, Zeitschrift für Soziologie 1998, S. 161 (164 f.); Ladeur (FN 53), S. 108 f. 55 Zum voraussetzungsvollen „iterativen Prozeß der Mit- und Neuproduktion von Erkenntnissen im Verwendungskontext" zwischen Rechtsanwendung und Naturwissenschaft näher Trute (FN 10), S. 102 ff., sowie allgemeiner die Zwischenbilanz der Verwendungsforschung von Beck /Bonß, in: dies. (Hrsg.), Weder Sozialtechnologie noch Aufklärung?, 1987, S. 7 ff. 56 Zur Bedeutung der „nodality" in (allerdings noch recht einfach strukturierten) Informationsflüssen bereits Hood (FN 19), S. 87 ff.; vgl. auch Schmidt-Aßmann, Das Allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, 1998, S. 3 (76). 57 Hoffmann-Riem, AöR 115 (1990), S. 400 ff. 58 Vgl. dazu nur die Aktionsprogramme der EG für den Umweltschutz Nr. 3 bis 5 (AB1EG 1983, C 46, S. 3; 1987, C 328, S. 5, 18 f.; 1993, C 138, S. 5, 111 ff.) und die frühen Beiträge in Haigh/Irwin (Hrsg.), Integrated Pollution Control in Europe and North America, 1990; kritisch zu diesem Leitbild Masing, DVB1 1998, S. 549 (551 ff.); begriffsschärfend Koch, UTR 1997, S. 31 (45 ff.). 59 Vgl. zur Geschichte statt vieler Erbguth/ S chink, Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung, 2. Aufl. 1996, Einl Rn. 1 ff.; zur Änderungsrichtlinie Becker, NVwZ 1997, S. 1167 ff.; zur Umsetzung Wasielewski, NVwZ 2000, S. 15 ff.; zum nach

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Martin Eifert 1. Einordnung des Beispiels

Die Verwirklichung dieses Leitbildes eines gesamthaften, insbesondere medienübergreifenden Umweltschutzes ist angesichts der hohen Variabilität seiner Anforderungen 62 evidentermaßen auf Wissenserzeugung angewiesen. Mit der Erweiterung der Schutzgüter auf der einen Seite, insbesondere aber der Einbeziehung aller Wechselwirkungen der Umweltauswirkungen und der Verbreiterung der Handlungsoptionen der Unternehmen auf der anderen Seite ergibt sich eine doppelte Komplexitätssteigerung, die den Optionenraum für die jeweils im Einzelfall zu findende umweltverträglichste Lösung (endgültig?) unüberschaubar macht 6 3 . Schon in der frühen Literatur zur Umweltverträglichkeitsprüfung wurde entsprechend offen ausgewiesen, daß schon geeignete methodische Instrumente zur Bestimmung der Umweltauswirkungen häufig erst noch zu entwickeln sind 6 4 . Wenn der Holismus dieses Ansatzes weder regulatorische Hybris widerspiegeln noch auf einen symbolischen Gehalt beschränkt sein soll, kann er nur auf einen Lernprozeß verweisen. Dessen Referenzpunkte dürften jedoch weder in der (wohl vermessenen) getreuen Abbildung der ökologischen Zusammenhänge 6 5 , noch in der abschließenden Beschreibung eindeutig optimaler Produktionszusammenhänge bestehen. Es kommt vielmehr in erster Linie auf die immer wieder herzustellende und fortzuentwickelnde produktive Koppelung konkreter technischer und organisatorischer Möglichkeiten mit problemorientierten Modellen ihrer Umweltauswirkungen an. Gerade hierfür der Abfassung des Beitrags von der Bundesregierung verabschiedeten Artikelgesetz vgl. die Beiträge in der ZUR 6/2000. 60 Vgl. nur die IVU-Richtlinie (dazu näher unten FN 75) und den Vorschlag für eine Richtlinie über die Prüfung der Umweltauswirkungen bestimmter Pläne und Programme, KOM (96), 511 endg. v. 04. 12. 1996 in der geänderten Fassung KOM (99) 73 endg., AB1EG 1999 C 83, S. 13. Dazu Ziekow, UPR 1999, S. 287 ff. 61 Vgl. nur die Übersicht de lege lata bei Breuer,; in: Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 11. Aufl. 1999, 5. Abschn. Rn. 48 ff., sowie de lege ferenda § 8 UGB-KomE, der ausweislich seiner Begründung die europarechtliche Entwicklung aufgreifen und „für den gesamten Anwendungsbereich des Entwurfs" fruchtbar machen w i l l (BMU [Hrsg.], Umweltgesetzbuch [UGB-KomE], 1998, S. 460 f.). 62 Hier setzt die verbreitete prinzipielle K r i t i k an der wachsenden Unbestimmtheit und verstärkten Einzelfallorientierung an. Vgl. dazu nur Di Fabio , NVwZ 1998, S. 329 ff.; Steinberg/Kloepfer, DVB1 1997, S. 973 ff., aber auch Lübbe-Wolff NVwZ 1988, S. 777 ff. Bei aller berechtigten K r i t i k hinsichtlich der Operationalisierungsschwierigkeiten darf jedoch nicht vergessen werden, daß der Grundansatz in besonderem Maße Art. 20a GG entspricht (vgl. nur zur Alternativenermittlung Murswiek, in: Sachs (Hrsg.), GG, 2. Aufl. 1999, Art. 20a Rn. 47, zum integrierten Ansatz SchulzeFielitz, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetzkommentar, Bd. 2, 1998, Art. 20a Rn. 28). 63 Ladeur, ZUR 1998, S. 245 (248). 64 Vgl. nur Rath, Kommunale Umweltverträglichkeitsprüfung, 1992, S. 125. 65 Auch BVerwGE 100, 238 (248), verweist ausdücklich darauf, daß zumindest auf absehbare Zeit die Einsicht i n das Wirkungsgefüge zwischen den einzelnen Umweltfaktoren defizitär bleiben wird. Vgl. zur Komplexität des Problems nur Dreißigakker /Bückmann, Ökologische Folgenbewertung, 1991.

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zeigt das Verfahren der Umweltverträglichkeitsprüfung mit seiner relativ differenzierten Ausgestaltung der Herstellung der informationellen Entscheidungsgrundlagen prinzipiell geeignete Ansätze auf 6 6 .

2. Komplexes UVP-Verfahren als Lernmechanismus

Bei der Umweltverträglichkeitsprüfung geht es prinzipiell um die Bestimmung und Berücksichtigung der Umweltauswirkungen bei umweltrelevanten Vorhaben. Es geht also um eine Relation, bei der zunächst allein das Vorhaben als Variable erscheint, angesichts der Komplexität der Umweltbeziehungen aber auch die Umweltauswirkungen nicht als einfach abzuleitende Größe behandelt werden können. Beide Ebenen werden deshalb nachfolgend in den Blick genommen. a) Alternativenprüfung. Der offensichtlichste Ansatz für einen Lernmechanismus bei der Umweltverträglichkeitsprüfung ist die bekannte Frage der Alternativenprüfung, also die Frage, inwieweit auch Alternativen zur beantragten Variante des Vorhabens vom Antragsteller zu prüfen sind 6 7 . Die Alternativenprüfung wurde ursprünglich vielfach als das „Herzstück" der Umweltverträglichkeitsprüfung bezeichnet 68 . Der Wortlaut der EU-RiL („Übersicht über die vom Vorhabenträger geprüften Lösungsmöglichkeiten", Hervorhebung d. Verf.) beschränkte die Adressierung einer eventuellen Prüfpflicht von Alternativen allerdings auf die Behörde 69 und nahm ihr damit schon die entscheidende Pointe. Denn die Entwicklung und Prüfung der Alternativen ist ja gerade auch auf die Erschließung des Wissens der Vorhabenträger angewiesen 70 . Das Bundesverwaltungsgericht 71 stutzte anschließend auch noch diesen Sproß auf die Reichweite der bestehenden 66 Umfassend zum Verfahren J.-P. Schneider, Nachvollziehende Amtsermittlung bei der Umweit Verträglichkeitsprüfung, 1991; kritisch zur Gesamtb e wertung de lege lata Trute (FN 10), S. 90. 67 Vgl. zum gegenwärtigen Stand zusammenfassend Schink, NuR 1998, S. 173 (177 ff.); Meyerholt, Umweltverträglichkeitsprüfung und nationales Zulassungsrecht, 1999, S. 89 (141 ff.). 68 Vgl. nur Bunge, Die Umweltverträglichkeitsprüfung im Verwaltungsverfahren, 1986, S. 32; J.-P. Schneider (FN 66), S. 61; Erbguth/ Schink (FN 59), § 2 Rn. 21. 69 Vgl. nur Erbguth/Schink (FN 59), § 2 Rn 22; Hoppe/Püchel, DVB1 1988, S. 1 (6); Cupei, Umweltverträglichkeitsprüfung, 1986, S. 204; frühzeitig zu den hier auftretenden Problemen Jarass, Umweltverträglichkeitsprüfung bei Industrievorhaben, 1987, S. 44 (121 ff.). 70 Zu diesem Ziel der Ermittlung der Umweltwirkungen durch den Vorhabenträger J.-P Schneider, VerwArch 87 (1996), S. 38 (41). Zum rechtspolitischen Vorschlag, der Behörde ein Optionenermessen einzuräumen und ggf. auch den Antragsteller wegen seines Wissens zur Optionenermittlung zu verpflichten, s. Hoffmann-Riem, DVB1 1994, S. 605 (609 f.). 7 1 BVerwG, NVwZ 1996, S. 788; vgl. insgesamt auch Hien, NVwZ 1997, S. 422 (427); Schink, NuR 1998, S. 173 (177) m.w.Nachw.

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D o g m a t i k zurück. Gemäß der t r a d i t i o n e l l e n Beschränkung der I n f o r m a tionserhebung auf das entscheidungserhebliche M a t e r i a l wies es das j e w e i lige materielle Zulassungsrecht als Begrenzung a u s 7 2 . U n d dieses ist bekanntermaßen z w a r i n den E i n z e l h e i t e n n i c h t ganz eindeutig, i n der G r u n d l i n i e (de lege lata) aber r e s t r i k t i v u n d an m e d i a l e n Standards o r i e n t i e r t 7 3 . I n der Praxis spielte die A l t e r n a t i v e n p r ü f u n g entsprechend auch keine bedeutende R o l l e 7 4 . E i n e Renaissance der A l t e r n a t i v e n p r ü f u n g w i r d n u n allerdings d a d u r c h ausgelöst, daß gerade dieses materielle Zulassungsrecht wegen der R i c h t l i nie z u r integrierten Vermeidung u n d V e r m i n d e r u n g der U m w e l t v e r s c h m u t z u n g ( I V U - R i L ) 7 5 den i n t e g r a t i v e n Ansatz der U V P - R i c h t l i n i e aufnehmen u n d Elemente einer G e s a m t o p t i m i e r u n g der Vorhaben h i n s i c h t l i c h der U m w e l t a u s w i r k u n g e n einfordern m u ß 7 6 . D a b e i w e r d e n A l t e r n a t i v e n p r ü f u n g e n - w e n n auch abgestimmt m i t der Genehmigungsreichweite - u n v e r z i c h t b a r s e i n 7 7 . D e m t r ä g t etwa auch der E n t w u r f der Sachverständigenkommission zum U G B Rechnung78. 72

Vgl. auch die parallele Zurückhaltung im UGB-AT-Professorenentwurf, der hinsichtlich des Wortlauts in § 37 noch Spielräume läßt, in der Begründung aber äußerst restriktiv argumentiert (Kloepfer / Rehbinder / Schmidt-Aßmann, Umweltgesetzbuch - Allgemeiner Teil, 1990, S. 242 f.). 73 Vgl. nur zur medialen Orientierung hinsichtlich der Belastungspfade und sektoralen Abgrenzungen Masing, DVB1 1998, S. 549 (553); Koch, UTR 1997, S. 31 (40 ff.); zur in der Reichweite nicht ganz klaren Möglichkeit der Prüfung von (stofflichen und Verfahrens-)Alternativen nach BImSchG Jarass, Bundes-Immissionsschutzgesetz, 4. Aufl. 1999, § 6 Rn. 27; GK-Roßnagel, BImSchG, § 10 Rn. 218, 467. 74 Vgl. Groß, VerwArch 88 (1997), S. 89 (98); Schink, NuR 1998, S. 173 (177 ff.). 75 Richtlinie über die integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung (AB1EG L 257, S. 26). Aus der umfassenden Diskussion zur Richtlinie statt vieler: Koch (FN 73); Dolde, NVwZ 1997, S. 313 ff.; Steinberg/Kloepfer, DVB1 1997, S. 973 ff.; Lübbe-Wolff NVwZ 1998, S. 777 ff.; Ladeur, ZUR 1998, S. 245 ff., sowie grundsätzlich - wenn auch zu einem früheren Entwurf - Appel, DVB1 1995, 5. 399 ff. 76 Die Gesamtoptimierung betrifft unmittelbar nur die Emissionen, und ihre ursprüngliche, hochvariable Einzelfallorientierung wurde v.a. mit der Ermöglichung generalisierender Vorgaben erheblich entschärft. Die Neuorientierung der Grenzwerte sowie die erlaubte Berücksichtigung des geographischen Standortes und der jeweiligen örtlichen Umweltbedingungen legen dennoch eine neue Ausbalancierung des Verhältnisses von genereller und Einzelfallorientierung nahe und erhöhen die Bewertungsoffenheit. Zu den Problemen im einzelnen s. die Nachw. in F N 75. 77 Erwägungsgrund 11 der UVP-Änderungsrichtlinie weist entsprechend die Mitgliedstaaten auch ausdrücklich darauf hin, daß sie den Projektträger verpflichten können, „auch Alternativen für die Projekte vorzulegen, für die er einen Antrag stellen w i l l " ; vgl. auch Schreiber, Das Regelungsmodell der Genehmigung im integrierten Umweltschutz, 2000, S. 167 ff. 73 UGB-Komm-E, S. 611 f., 615, 621, 634 f.; Sellner, in: Bohne (Hrsg.), Das Umweltgesetzbuch als Motor oder Bremse der Innovationsfähigkeit in Wirtschaft und Verwaltung?, 1999, S. 91 (103 f.); allgemein zur integrierten Umweltverträglichkeitsprüfung im UGB-KomE Peters, NuR 1999, S. 203 ff.; kritisch zur vorgeschlagenen Regelung aus unterschiedlichen Perspektiven Ladeur, ZUR 1998, S. 245 (249 f.); Fluck, in: Bohne (Hrsg.), ebd., S. 125 (129 ff.).

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Es wäre jedoch problematisch, dann wieder wie zu Beginn der UVP-Diskussion zu fordern, bei der Alternativenprüfung immer jede objektiv in Betracht kommende Lösung zu prüfen 7 9 . Denn die (vorübergehende) Zurückstutzung der Alternativenprüfung verweist auf das reale Problem ihrer notwendigen Begrenzung angesichts der Vielzahl denkbarer Optionen 80 . Es sollten deshalb gezielt Alternativen geprüft und entwickelt werden können. Als Selektions-Ort einer solchen gezielten Alternativenbestimmung bei einer (zukünftigen) integrierten Anlagenzulassung hält das UVP-Verfahren das Scoping-Verfahren bereit, in dem bereits vor der Antragstellung zwischen Genehmigungsbehörde und Antragsteller Klarheit über Umfang und Methoden der UVP hergestellt werden soll. Dazu können auch andere Behörden, Sachverständige und Dritte hinzugezogen werden (§ 5 Satz 2 UVPG) - wovon die Praxis auch Gebrauch macht. Hier sollten (bei komplexeren Vorhaben) Wissensbestände abgeglichen und etwa auch die Umweltgutachter der Öko-Audit-Verfahren mit ihrer Erfahrung über betriebliche Optimierungsstrategien herangezogen werden. Kooperativ wären dann konkrete Alternativen für das Prüfverfahren festzulegen. Das Scoping-Verfahren wäre insofern nicht nur ein Instrument der Verfahrensbeschleunigung 8 1 , sondern auch der Weichenstellung für die einzelfallbezogene Wissenserzeugung. Es könnte die Verhältnismäßigkeit der Ermittlungslast für die Vorhabenträger verfahrensrechtlich absichern und mit seiner Begrenzungsfunktion auch genutzt werden, um in kontrollierter Form selbst noch nicht praxisbewährte Alternativen fallstudienartig weiterzuentwickeln 82 . Damit ginge es neben der Ermittlung bestehender Optionen 83 gerade auch um eine begrenzte Weiterentwicklung des Optionenraums. Der Unterrichtung des Vorhabenträgers über den Umfang der Alternativenprüfung müßte entsprechend insofern eine weitgehende Bindungswirkung zuerkannt werden 8 4 . Eine übermäßige Belastung der Vorhabenträger durch die nur schwer abschätzbare Untersuchung noch nicht voll entwickelter Optionen stünde nicht zu befürchten. Im kooperativ angelegten Prozeß der Sachverhaltser79 So hinsichtlich der UVP schon immer Erbguth/ Schink (FN 59), § 2 Rn. 25. 80 Vgl. auch Ladeur, ZUR 1998, S. 245 (248). 81 So (aus der Zeit „vor der Alternativenprüfung") Nisipeanu, NVwZ 1993, S. 319 f. 82 Ladeur, ZfU 1998, S. 279 (306) geht noch weiter und spricht die Möglichkeit an, eine Beschleunigung im Genehmigungsverfahren mit einer „Vereinbarung über eine wissenserzeugende Methode der Selbstbeobachtung der Unternehmen" zu verknüpfen, so daß der Versuch-Irrtum-Prozeß im Echtbetrieb stattfände. 83 Vgl. zur Optimierungsverantwortung in diesem Rahmen auch die Vorschläge von Hoffmann-Riem, DVB1 1994, S. 608 ff. 84 Zum Problem der Bindungswirkung der Mitteilung de lege lata siehe nur Schmidt-Preuß, W D S t R L 56 (1997), S. 160 (179); Erbguth/Schink (FN 59), § 5 Rn. 23. In der Praxis wird gegenwärtig explizit auf die fehlende Bindungswirkung hingewiesen (Vgl. UVPVwV 0.4.7).

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mittlung könnten sie entstehende Schwierigkeiten der Behörde zurückspiegeln und bei unzumutbarem Aufwand mutierte die Pflicht zur Ermittlung der Umweltauswirkungen für diese Alternative zur bereits jetzt gesetzlich verankerten Pflicht, die methodischen und inhaltlichen Schwierigkeiten und Lücken offen auszuweisen (vgl. § 4e Abs. 4 Satz 2; 6 Abs. 4 Nr. 4 UVPG - allerdings ohne expliziten Hinweis auf die Methodik). Der Zweck gerade dieser gesetzlichen Pflicht zur Offenlegung der Schwierigkeiten müßte dann aber nicht nur darin gesehen werden, der Behörde zu ermöglichen, eigene, für den Antrag zweckdienliche Informationen dem Träger des Vorhabens zur Verfügung zu stellen 85 . Er sollte - in Erweiterung dieser bisherigen Auslegung - vielmehr auch den Anschluß an andere Maßnahmen der Behörde ermöglichen, wie etwa die Erteilung gezielter Forschungsaufträge, um damit eine problemorientierte Weiterentwicklung des Wissens anzustoßen 86 . b) Umweltauswirkungen. Hinsichtlich der Ermittlung der Umweltauswirkungen tritt das Spannungsverhältnis aus sachlich erforderlicher Fortschreibung der Wissensbestände und notwendiger Begrenzung des im Einzelfall herzustellenden Sachverhalts noch stärker hervor. Der integrative Ansatz der UVP läßt die einzubeziehenden Auswirkungen der Vorhaben potentiell unendlich werden und trifft, was noch gravierender ist, auf eine weitgehend unvorbereitete Methodik der Ermittlung 8 7 . In der Literatur wurden im Anschluß an die UVP-Richtlinie dennoch große Anstrengungen unternommen, die Besonderheiten und weiterreichenden Anforderungen der neuen, integrativen Betrachtung der Umweltauswirkungen zu beschreiben 88 . Und die obergerichtliche Rechtsprechung sah teilweise in der UVP ein Mittel der „Richtigkeitsgewähr durch Verfahren", mit dem auch „die Informationsbasis erweitert, die Methodik der Bewertung der gesammelten Informationen verbessert und eine breitere Grundlage . . . " geschaffen werden sollte 8 9 . Das Bundesverwaltungsgericht war über den Ermittlungssog, den die weitreichenden Zielwerte angesichts offensichtlich unzureichend gerüsteter Methodik auszulösen drohten, so beunruhigt, daß es dem Umfang der Umweltverträglichkeitsprüfung unmißverständliche 85 Diesen Zweck weist Roßnagel, in: GK-BImSchG, § 10 Rn. 221, aus. 86 Eine Thematisierung des Zusammenhangs von Umweltzustand, staatlichen Maßnahmen und staatlicher Forschungsförderung findet sich bereits in der diese Aspekte verbindenden Berichtspflicht der Bundesregierung gegenüber dem Bundestag gem. § 61 BImSchG. Die Operationalisierung muß jedoch durch angemessene Vorkehrungen in der Verwaltung erfolgen. 87 Vgl. nur Ladeur, ZfU 1994, S. 1 (6 ff.). 88 Vgl. nur Erbguth, DÖV 1988, S. 481 (484); Hoppe/Püchel, DVB1 1988, S. 1 (4 ff.); Dohle, NVwZ 1989, S. 697 (704 f.); Soell/Dirnberger, NVwZ 1990, S. 705 ff.; Erbguth/ Schink, DVB11991, S. 413 ff.; Breuer,; Gutachten Β zum 59. Deutschen Juristentag, 1992, Β 100, spricht hinsichtlich der integrativen Betrachtung sogar von einer „quälend anmutenden Diskussion". S9 BayVGH, DVB1 1994, S. 1198 (1199 f.).

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Grenzen zog: Die Umweltverträglichkeitsprüfung sei kein „Suchverfahren" 9 0 . Weder seien alle „erdenklichen Auswirkungen eines Vorhabens auf Umweltgüter und deren Wertigkeit bis in alle Einzelheiten ... zu untersuchen" noch vermöge die UVP zu leisten, „was die Wissenschaft noch nicht hergibt". Vielmehr seien die Ermittlungen auf „erhebliche Auswirkungen" begrenzt und vor allem seien nur die Annahmen zu Grunde zu legen, die dem allgemeinen Kenntnisstand und den allgemein anerkannten Prüfmethoden entsprächen. Damit paßte das Gericht die UVP in das vorhin beschriebene verwaltungsrechtliche Grundmuster der Abfrage des wissenschaftlichen Kenntnisstandes ein. Es verhinderte so zwar erfolgreich die schon früh beschriebene Gefahr der Selbstüberforderung 91 des Instruments, reichte die Realisation des Leitbildes eines integrierten Umweltschutzes aber in problematischer Weise an die Wissenschaft durch. Vor allem muß der Ansatz in diesem Fall schon daran scheitern, daß es nach Einschätzung auch von Praktikern 9 2 gerade an einer allgemein anerkannten Methodik noch mangelt. Die Folge in der Praxis scheint eine gewisse Beliebigkeit im methodischen Vorgehen 93 und eine zwar breite 9 4 , den innovativen Ansatz der integrierten Betrachtung aber weitgehend ignorierende Untersuchung der Umweltauswirkungen zu sein. Die aktuellen Bilanzierungen der U V P 9 5 stellen jedenfalls ernüchtert fest, daß ihre innovativen Elemente und insbesondere der integrative Prüfungsansatz in der Praxis keine größere Bedeutung erlangt hätten. Die große Diskrepanz aus ambitionierter Zielsetzung und bescheidenem status quo dürfte auch hier am ehesten doch durch fallorientierte „Suchverfahren" zu überbrücken sein, die allerdings im Sinne eines Lernprozesses rechtlich zu strukturieren sowie systematisch anzuleiten und zu begrenzen sind. Die methodische Fruchtbarkeit eines solchen Ansatzes wird nicht zuletzt dadurch angezeigt, daß bei den UVP-Schulungen auf Landesebene

90 BVerwGE 100, 238 (248); 100, 370 (377); vgl. in diese Richtung auch VGH BW, VB1BW 1996, S. 265. 91 Wahl, DVB1 1988, S. 86 f. 92 Vgl. nur Schwab, NVwZ 1997, S. 428 (431); MURL Nordrhein-Westfalen, Umweltverträglichkeitsprüfung i n Nordrhein-Westfalen, 2. Aufl. 1998, S. 46 f. (zu umweltinternen Maßstäben); aus der älteren Literatur eingehend Jacoby, in: Zimmermann (Hrsg.), Umweltverträglichkeitsprüfung in der Kommunalverwaltung, 1990, S. 102 (117 ff.). 93 Vgl. auch den Überblick über die methodischen Ansätze bei Rath (FN 64), S. 31 ff.; fachlich-wissenschaftliche Diskussions werte sind dabei etwa nur sektoral bedeutsam und werden auch keineswegs durchweg ausdrücklich als Beurteilungsmaßstab herangezogen (ebd., S. 154). 94 Vgl. Seilner (FN 78), S. 102. 95 Vgl. nur Schink, NUR 1998, S. 173 ff., hinsichtlich der Beschränkung der Prüfintensität dem BVerwG aber weitgehend zustimmend auf S. 179 f.; ders., NVwZ 1999, S. 11 ff.

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Fallstudien zunehmend an Bedeutung gewinnen 96 . Allerdings sind auch hier die legitimen Ziele der Erzeugung neuen Wissens und der notwendigen Begrenzung der Sachverhaltsermittlung in Ausgleich zu bringen. Die Begrenzung der Sachverhaltsermittlung kann jedoch nicht nur entsprechend der BVerwG-Rechtsprechung durch eine geringe Prüf tiefe, sondern auch bereits vorab durch eine stärkere Priorisierung 97 der relevanten Umweltauswirkungen vorgenommen werden. Im Ausland, etwa Frankreich und Holland, sind deutlich stärkere Schwerpunktsetzungen bei der UVP bereits zu beobachten 98 . Es bietet sich vor allem aber wiederum die verfahrensrechtlich gestützte, einzelfallbezogene Ausbalancierung im Rahmen des Scoping-Verfahren an. Mit seiner Abstimmung des Untersuchungsrahmens zwischen Behörde und Vorhabenträger bildet es den geeigneten Ort, um durch Hinzuziehung weiterer Sachverständiger die Kopplung von Wissensbeständen zu erreichen und zugleich eine Überlastung der Vorhabenträger zu vermeiden. Hierbei wäre eine begrenzte rechtliche Steuerung allerdings hilfreich. Es ist zwar sicherlich richtig (wenngleich von Praktikern bedauert) 99 , daß die Verwaltungsvorschriften zur UVP (UVPVwV) keine generellen Vorgaben für die Ermittlungen vorschreiben. Sie könnten aber versuchen, den Prozeß der Weiterentwicklung zu steuern. Dafür wären etwa Module mit bestimmten Methoden oder Methodenkombinationen sowie den bekannten Schwachstellen und bislang erfolgreichen Anwendungsfeldern als Bezugspunkte denkbar. Eventuell könnten sogar Modellierungen skizziert und hinsichtlich ihrer Variablen ausgeleuchtet werden. Die an anderen Stellen der UVPVwV verwendete weiche Regulierung durch Orientierungshilfen und Leitgesichtspunkte könnte insofern auch hier Anwendung finden. In jedem Fall sollten in den Prüfverfahren mangels eindeutigen Kenntnisstandes auch alternative oder in der Entwicklung befindliche (fortgeschriebene) Prüfmethoden Einsatz finden können. Dies wäre bereits mit dem geltenden Recht vereinbar, da hier nur eine „Berücksichtigung" der allgemeinen Prüfmethoden gefordert w i r d 1 0 0 . Wiederum würde ein solches Vorgehen für den Vorhabenträger keine unkalkulierbaren Auswirkungen haben. Es wäre wiederum zumindest für die „experimentellen" Teile eine BindungsWirkung der Unterrichtung gem. § 6 UVPG anzuerkennen und auch hier könnten entstehende Schwierigkeiten der Behörde zurückgespiegelt werden und be96

Vgl. EU-Kommission, UVP-Durchführungsbericht, Anhang Deutschland, 4 f. Vgl. die Ansätze etwa der Irrelevanz-Erklärung bestimmter Veränderungen in der UVPVwV (ζ. B. Anhang 11.3.2 für bestimmte Stoffe für die Bodenbeschaffenheit) sowie der vorsichtige Hinweis in MURL Nordrhein-Westfalen (FN 92), S. 30. 98 Kolter, Umweltverträglichkeitsprüfung in der Praxis, 1997, S. 141 f. 99 Schwab, NVwZ 1997, S. 432. 100 Vgl. nur § 6 Abs. 3 Nr. 4 UVPG; § 4e Abs. 4 9. BImSchV. 97

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grenzte sich bei unzumutbarem Aufwand die Pflicht auf die Dokumentation der Schwierigkeiten (vgl. § 4e Abs. 4 Satz 2; 6 Abs. 4 Nr. 4 UVPG). Die ungewißheitsbedingte Erweiterung der behördlichen Ermessensspielräume bei der Bestimmung des Untersuchungsrahmens, die sich nur schwer materiell begrenzen läßt, würde also prozedural gebunden. Die Validität der über verschiedene Alternativen und Methoden ermittelten Aussagen dürfte sich jedoch häufig nicht bereits im Genehmigungsverfahren ermitteln lassen. Die schon lange geforderte 101 Nachkontrolle zu einem späteren Zeitpunkt ist eine notwendige Ergänzung. Sie erlaubte, Fehleinschätzungen zu korrigieren, Erfahrungen über die Treffsicherheit von Wirkungsprognosen zu sammeln und gezielt für neue Verfahren zu nutzen 1 0 2 . Die Bundesregierung hatte sich in der Begründung zum UVPG-E die nachträgliche Einführung von Regelungen zur Nachkontrolle der UVP-Ergebnisse vorbehalten 103 . Wenn die UVP als Lernmechanismus verstanden wird, sollten - wie in anderen europäischen Ländern 1 0 4 - gezielte, projektbezogene Nachkontrollen 1 0 5 erfolgen. Diese wären nicht nur auf das Vorhaben und seine Um weitaus W i r k u n g e n , sondern auch auf die bei deren Bestimmung angewandte Methodik rückzubeziehen. Nachkontrolle wäre dann (auch) Selbstkontrolle mit dem Ziel der kontinuierlichen Verbesserung der eigenen Aufgabenwahrnehmung. Die Ausgestaltung des Lernmechanismus als „Suchverfahren" ist nach den vorangegangenen Ausführungen vor allem verfahrensrechtlich zu bewältigen. Als Bausteine des Lernmechanismus im hochvariablen Feld der UVP dienen Alternativenprüfung, Methodenentwicklung, Dokumentation von Wissensdefiziten und Nachkontrolle bei einer gleichzeitigen Koppelung verschiedener Wissensbestände. Das erzeugte Wissen ist der systematischen Fortentwicklung aber nur zugänglich, wenn es sich in der Verwaltung als aktiver Wissensbestand anreichern kann. Dies ist ein stark organisationsrechtlich geprägter Auftrag, der diese Form der Wissenserzeugung ebenfalls in Abhängigkeit von der oben ιοί Vgl. dazu nur Rath (FN 64), S. 166; Ladeur, ZfU 1994, S. 1 (19 f.). 102 Vgl. nur Rat von Sachverständigen für Umweltfragen, Umweltgutachten 1987, BT-Drs. 11/1568, Tz. 140 ff. (allerdings nur mit dem Blick auf Anpassungsnotwendigkeiten bei den Vorhaben wegen unerwarteter Nebenwirkungen) und weitergehend Rath (FN 64), S. 166. 103 Kolter (FN 98), S. 80 f. 104 Wie in Großbritannien (dazu Kolter [FN 98], S. 99). In Holland hat die Behörde bereits in der Zulassung ein Programm zur Nachentscheidungsanalyse festzulegen (Kolter, ebd., S. 116). i° 5 Hiervon zu unterscheiden ist das oben angesprochene allgemeine Monitoring der Umweltauswirkungen und die Überwachung der Anlagen hinsichtlich der Umweltauswirkungen, bei denen Deutschland jedenfalls im internationalen Vergleich deutlich besser abschneidet (vgl. nur EU-Kommission, Durchführungsbericht UVP, Anhang Deutschland, 4.e).

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(I. 3.) bereits angesprochenen Aufgabe systematischen Lernens in der Verwaltung selbst setzt. Die aufgekommene Diskussion etwa um zentrale Kontrollgremien 1 0 6 (eventuell nach holländischem Vorbild 1 0 7 ) oder die (allerdings mit kompetenziellen Problemen beladene) Zentralisierung des Verfahrens bei einer Behörde 1 0 8 nimmt diese Fragestellung für den Bereich integrierten Umweltschutzes auf und muß entsprechend fortgeführt werden.

IV. Fazit

Das Steuerungskonzept der regulierten Selbstregulierung ist mit einem Wissensproblem konfrontiert. Es benötigt zwar teilweise weniger unmittelbar sachbereichsbezogene Informationen, bringt aber einen (neuen) Wissensbedarf hinsichtlich der neuen Steuerungsformen mit sich. Eine organisatorische und verfahrensrechtliche Absicherung von Verwaltungslernen wird hier zur Voraussetzung effektiver Steuerung wie der Engführung in einer zeitlich gestreckten Rechtskontrolle. Die damit in zweifacher Weise rechtsstaatlich fundierte Ebene organisationalen Lernens ist im Verwaltungsrecht allerdings noch deutlich unterentwickelt. Nur vereinzelt werden etwa Anzeichen einer darauf eingestellten Organisation und Informationsordnung sichtbar. Regulierte Selbstregulierung kann auch auf der Wissensebene selbst als Mechanismus der Wissenserzeugung eingesetzt werden. In Bereichen, in denen neues Wissen für die Verwaltung benötigt wird, ist das verwaltungsrechtliche Grundmuster der bloßen Abfrage von Ergebnissen sich selbst steuernder Gruppen aus Wissenschaft oder Anwendung unzureichend. Hier sollte die Verwaltung Knoten eines Informationsnetzwerkes werden, aktiv verschiedene Wissensbestände koppeln, ihre Durchlässigkeit für wechselseitige Anforderungen erhöhen 1 0 9 und Bezüge zu Handlungsoptionen herstellen. Im Bereich des integrierten Umweltschutzes, dessen Realisierung evident auf Lernen angewiesen ist, zeigen sich Ansätze eines solchen Mechanismus bei der UVP. Alternativenprüfung, Methodenentwicklung und Nachkontrolle bilden hier die Bausteine, die verfahrensrechtlich durch Koppelung verschiedener Wissensträger aktiviert und durch verbindliche 106 Vgl. auch EU-Kommission, Durchführungsbericht, Anhang Deutschland, 5.c. und Kloepfer/Rehbinder/Schmidt-Aßmann (FN 72), S. 233 f. io? Kolter (FN 98), S. 104. 108 So etwa der UGB-Komm-E (FN 61), S. 619; in diese Richtung auch Masing, DVB1 1998, S. 549 (557). i° 9 Hier kann durchaus angeschlossen werden an das Konzept der Supervision von Willke, Supervision des Staates, 1997, S. 60 und sein Verständnis einer Moderation erforderlicher Abstimmungen und Verhandlungen durch den Staat ohne gleichzeitige Lösungsvorgäbe (S. 319).

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Absprachen sowie die Auffangpflicht zur Dokumentation von Wissensdefiziten begrenzt werden könnten. Auch hier setzt die aktive Rolle aber eine lernende Verwaltung voraus.

Regulierte Selbstregulierung i m Polizei- und Versammlungsrecht Von Margarete Schuler-Harms, Hamburg

I. Einleitung

Während das Versammlungsrecht geradezu paradigmatisch für regulierte Selbstregulierung steht, wird sich erst zeigen müssen, ob dies auch für das Polizeirecht gilt. Wie kein anderes Rechtsgebiet schien gerade das Polizeirecht lange durch imperative Regulierung geprägt und allenfalls ein wenig irritiert durch die Rechtsfragen des professionellen Sicherheitsgewerbes 1. Doch auch in dieses Rechtsgebiet ist Bewegung gekommen, die allerdings diffus und teilweise geradezu widersprüchlich anmutet. Einerseits werden die polizeilichen Aufgaben in den Bereich der Sicherheitsvorsorge und K r i minalprävention hinein erweitert und damit staatliche Verantwortung über das klassische Polizeihandeln hinaus begründet. Diese Entwicklung nehmen nicht nur die jüngsten Gesetzesnovellen im daten- und informationsrechtlichen Bereich 2 und die Einführung verdachtsunabhängiger Kontrollbefugnisse 3. Die gleiche Tendenz zeigt auch die Konzeption von „zero tolerance" nach der „doctrine of broken windows", nach der Kriminalität durch möglichst frühzeitig greifende und rigide, auf langfristige Wirkung zielende Strategien verhütet und das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung verbessert werden soll 4 . Andererseits beobachten wir eine Zunahme der 1 Die Ausführungen in der allgemeinen polizeirechtlichen Studienliteratur bleiben spärlich; Hinweise sind aufzufinden bei Gusy, Polizeirecht, 4. Aufl. 2000, S. 87 ff.; Würtenberger/Heckmann /Riggert, Polizeirecht in Baden-Württemberg, 4. Aufl. 1999, Rn. 28, nicht dagegen ζ. B. bei V. Götz, Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht, 12. Aufl. 1995; Knemeyer, Polizei- und Ordnungsrecht, 8. Aufl. 2000; Friauf, in: Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 11. Aufl. 1999, S. 105 ff. Zu weiterer Studienliteratur Übersicht bei Schuler-Harms, DÖV 1997, S. 329 (332). 2 BayVerfGH, NVwZ 1996, 166 ff.; SächsVerfGH, DVB1 1996, S. 1423 ff. Aus der zahlreichen Literatur D. Neumann, Informationsvorsorge und Verhältnismäßigkeit Die kriminalpräventive Informationserhebung im Polizeirecht, 1994; Aulehner, Polizeiliche Gefahren- und Informationsvorsorge, 1998, S. 493 ff.; Würtenberger/Heckmann/Riggert (FN 1), Rn. 353 ff.; M. Koch, Datenerhebung und -Verarbeitung in den Polizeigesetzen der Länder, 1999; Trute, Die Verwaltung 23 (1999), S. 73 (90 ff.). 3 Als Folge des Abkommens von Schengen, vgl. Götz, NVwZ 1998, S. 679 (683 f.) m.w.Nachw. 4 Die Broken-Windows-Theorie geht davon aus, daß als bedrohlich oder belästigend empfundene Zustände auch unterhalb der Schwelle von Straftaten das Sicher-

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Privatisierung und Vergesellschaftung von Gefahrenabwehr und Sicherheitsvorsorge durch Rückbau polizeilicher Handlungsräume, die entweder Privaten überantwortet oder von Privaten übernommen werden. Auf diese Weise entsteht ein Szenarium erweiterter staatlicher Verantwortung, die der Staat aber nicht oder nicht mehr allein wahrnehmen kann oder soll 5 .

I I . Begriffsklärung

Ist auch dies ein Szenarium für regulierte Selbstregulierung? Der Terminus besitzt bislang keine allgemeine Gültigkeit, sondern wird in der Literatur nur vereinzelt verwendet. Der Terminus der „Regulierung" steht dabei für den Einsatz des Rechts zur Bewirkung erwünschter und zur Vermeidung unerwünschter Wirkungen 6 ; „regulierte Selbstregulierung" verweist also immer auf eine steuerungswissenschaftliche Perspektive. Recht wird als Steuerungsmittel angesehen, dessen Wirkungsmängel es zu analysieren und dessen Wirkungsbedingungen es zu verbessern gilt. Es geht nicht so sehr um die rechtlichen Pflichten, Maßstäbe und Grenzen staatlichen Handelns, sondern um die staatlichen Mittel und Wege zur Erreichung der so gesteckten Ziele. Es geht, um in der Terminologie zu bleiben, um den Einfluss des Rechts auf Prozesse der Selbstregulierung. Schwieriger gestaltet sich die Definition der „Selbstregulierung". Man kann sie eng fassen und im Sinne von Mayntz 7 als Synonym für Selbstregelungsprozesse im gesellschaftlichen Bereich verwenden, oder aber man nutzt, etwa Hoffmann-Riem s folgend, die Begriffskombination der „reguheitsgefühl der Menschen maßgeblich mit bestimmen. Grundlegend Kelling/ J.Q.Wilson, Kriminologisches Journal 2/1996, S. 121 ff. (ursprünglich: „The police and neighbourhood safety: Broken Windows", The Atlantic Monthly, März 1982, S. 29 ff.); Dreher/Feltes (Hrsg.), New York: Kriminalprävention durch „Zero Tolerance"?, 2. Aufl. 1998; Ortner/Pilgram/Steinert (Hrsg.), Die Null-Lösung. New Yorker „Zero-Tolerance"-Politik - das Ende der Urbanen Toleranz?, 1998. Kritisch Volkmann, NVwZ 1999, S. 225 ff.; ders., NVwZ 2000, S. 361 ff.; Hansen, KJ 1998, S. 231 ff. 5 Vgl. Nitschke, in: Lenk/Prätorius (Hrsg.), Eingriffsstaat und öffentliche Sicherheit, 1998, S. 42 (43): „wechselseitige Diffusion von Staat und Gesellschaft"; Schuppert, in: Gusy (Hrsg.), Privatisierung von Staatsaufgaben: Kriterien - Grenzen - Folgen, 1998, S. 72 (105, 108): „duale VerantwortungsWahrnehmung". 6 So die Definition bei Hoffmann-Riem, in: ders./Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Verwaltungsorganisationsrecht als Steuerungsressource, 1997, S. 355 (358). 7 Mayntz, mündlicher Beitrag zu diesem Symposium; in ihrer Terminologie liegt der Akzent bei der Kombination von gesellschaftlicher Selbstregelung und politischer Steuerung, vgl. Mayntz, Politische Steuerung: Aufstieg, Niedergang und Transformation einer Theorie (1996), in: dies., Soziale Dynamik und politische Steuerung, 1997, S. 262 (insbes. 283 ff.); ähnlich z. B. Kloepfer/ Eisner, DVB1 1996, S. 964 (965): Eigenverantwortliche Selbstregulierung und Selbstkontrolle der Privaten an Stelle staatlicher Normierung und Überwachung. 8 Hoffmann-Riem, in: ders./Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Öffentliches Recht und Privatrecht als wechselseitige Auffangordnungen, 1996, S. 261 (300 ff.).

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Herten Selbstregulierung" zur Bildung einer Typologie von Regelungsstrukturen, deren Skala von den Steuerungstechniken der „imperativen Regulierung" bis zur „autonomen Selbstregulierung" reicht 9 . In diesem weiten Begriffsverständnis steht „regulierte Selbstregulierung" dann für alle Prozesse rechtlich erheblicher Selbstordnung eines gesellschaftlichen Teilbereichs, die zur Sicherung der Gemeinwohlbelange durch rechtliche Vorgaben gesteuert werden 10 . In einer noch weiteren Form kann der Terminus sogar dazu dienen, rechtlich erhebliche Selbstordnung (Selbstorganisation) außerhalb der rechtsetzenden Staatsorgane zu beschreiben 11 . Das Versammlungsrecht schafft mit dem Kooperationsprinzip bei Großveranstaltungen geradezu ein Paradebeispiel für das Verhältnis von gesellschaftlicher Selbstorganisation und regulierendem Staat und nimmt einen hervorragenden Platz in der Begriffsgenese ein. Hoffmann-Riem bezeichnete 1987 die Durchführung von Versammlungen unter freiem Himmel als Prozess der Selbstorganisation und nannte als Gründe für „regulierte Selbstorganisation" zum einen die grundrechtliche Spannungslage der Versammlungsfreiheit, zum anderen die Effektivität der „Selbstorganisation" 12 . Er konnte sich dabei auf die 1970 erschienene Dissertation von Quilisch beziehen, der der Forderung nach versammlungsfreundlicher Kooperation zwischen Polizei und Versammlungsleitung grundsätzliche Bedeutung zumaß, zum einen wegen des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit, zum anderen aus dem Gedanken der Respektierung der „Selbstverwaltung" in der öffentlichen Versammlung 13 . „Selbstregulierung" und „Problembewältigung" bezeichnete 20 Jahre später W. Buschmann als die Kooperation kennzeichnende Begriffe im Bereich des Versammlungsrechts und setzte dabei „Selbstregulierung" mit „grundrechtliche(r) Selbstbestimmung" in eins 14 . 1992 ver-

9 Ähnlich Trute, DVB1 1996, S. 950 ff.; Schmidt-Preuß, W D S t R L 56 (1997), S. 160 ff. (162, Fn. 23) m.w.Nachw.; Finckh, Regulierte Selbstregulierung im Dualen System - Die Verpackungsordnung als Instrument staatlicher Steuerung, 1998, S. 44 ff. Kritisch ζ. B. Voßkuhle, in: Schuppert (Hrsg.), Jenseits von Privatisierung und „schlankem" Staat, 1999, S. 47 (60 ff.) m.w.Nachw. 10 Prägnant die Definition von Finckh (FN 9), S. 45: „Regelungskonzept, das die Eigendynamik gesellschaftlicher Teilbereiche respektiert, indem es Raum für die Einbringung privaten Wissens und privater Initiative läßt, das aber gleichzeitig die Wahrung des Allgemeinwohls über rechtliche Rahmen-, Struktur- oder Ziel vorgaben sichert, die über die Elemente der allgemeinen Rechtsordnung hinausgehen." Schmidt-Preuß, W D S t R L 56 (1997), S. 160 (162 f.): „ . . . individuelle oder kollektive Verfolgung von Privatinteressen in kollektiver Wahrnehmung grundrechtlicher Freiheiten zum legitimen Eigennutz." h J. Ρ Schneider, in diesem Band, S. 177 ff. 12 Hoffmann-Riem, in: FS Simon, 1987, S. 379 (381): „Selbststeuerungsmechanismen" müßten bereichsspezifisch so ersonnen und umgesetzt werden, dass sie den jeweiligen Funktionsweisen gerecht würden. 13 Quilisch, Die demokratische Versammlung, 1970, S. 177. 14 Buschmann, Kooperationspflichten im Versammlungsrecht, 1990, S. 32. 11 Die Verwaltung, Beiheft 4

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wandte auch Ladeur die Begriff der „Selbststeuerung" und „Selbstorganisation"15. Für das Polizeirecht hingegen sind solche als „Selbstbestimmung", „Selbstorganisation", „Selbststeuerung" oder „Selbstregulierung" bezeichnete Konstellationen traditionell untypisch, doch gewinnen sie, wie einleitend gezeigt, auch dort stärker an Gewicht. Während die Gefahrenabwehr im engeren Sinne ein Feld der imperativen Regulierung bleiben dürfte, ist für die jüngsten polizeilichen und polizeirechtlichen Entwicklungen der Vorsorgegedanke prägend, für den sich auch nichthierarchische und kooperative Handlungsformen anzubieten scheinen. Gerade den neueren Konzepten der Kriminalprävention liegt das Zusammenspiel von hierarchischen und nichthierarchischen Handlungsformen im Rahmen einer ganzheitlichen Regulierungsstrategie zugrunde, die nicht allein auf die punktuelle Sanktion für Straftäter setzt, sondern diese als nur ein Mittel im Rahmen eines ganzen Arsenals von Präventionsstrategien sieht. Um solche Regulierungsstrategien zu erfassen und die strukturierende Kraft des Begriffs der „regulierten Selbstregulierung" auch im Polizeirecht auszuloten, darf der Begriff selbst nicht von vornherein zu stark verengt werden. Er wird deshalb für Prozesse der Selbstregelung im engeren Sinne wie auch für Prozesse der regulativen Marktorganisation verwandt, die übrigens wiederum zur Ausdifferenzierung führen und das Szenario für Selbstregelung im Mayntzschen Sinne eröffnen können 1 6 .

I I I . Zulässigkeit und Grenzen

Für Versammlungen unter freiem Himmel hat das Bundesverfassungsgericht das Kooperationsprinzip und mit ihm regulierte Selbstregulierung 1985 festgeschrieben. Das Grundrecht der Versammlungsfreiheit erfordert geradezu die staatsferne Organisation und Durchführung von Versammlungen und verweist diese damit in die Sphäre des Privaten und - in der objektiv-rechtlichen Bedeutung des Grundrechts - in die dem staatlichen Bereich vorgelagerte Sphäre des Gesellschaftlichen 17 . Die Konkretisierung dessen, 15 Ladeur, in: Ridder/Breitbach/Rühl/Steinmeier (Hrsg.), Versammlungsrecht, Kommentar, Art. 8 GG, Rn. 31. 16 Etwas abweichend hiervon der Ansatz einer „Regulierung durch Selbstregulierung" im Sinne eines informativen und kommunikativen „Sicherheitsnetzwerks" bei Pitschas, DVB1 2000, S. 1805 (1808). 17 BVerfGE 69, 315 (LS 1 und 345 ff.) - Brokdorf; Hoffmann-Riem, AK, 3. Aufl. (in Vorbereitung), Art. 8 GG Rn. 7 und Hinweis auf die besondere Bedeutung der Versammlungen während der Krise der DDR 1989, Rn. I I a ; Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 20. Aufl. 1995 (Neudruck 1999), Rn. 404. Zum Verfassungsbezug dieser Funktion der Versammlungsfreiheit Hoffmann, JuS 1967, S. 393 (398).

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was als grundrechtsgeschützte, friedliche Versammlung anzusehen ist, sowie der Ausgleich der Versammlungsfreiheit mit gefährdeten Rechtspositionen Dritter liegt letztlich in staatlicher Verantwortung. Doch darf diese Verantwortung nur in einer Weise wahrgenommen werden, die den nichtstaatlichen Charakter von Versammlungen respektiert und gewährleistet. Der Schutz des Grundrechts als Verfahrensgarantie gebietet also den staatlichen Respekt vor der Staatsferne der Versammlung und fordert den Vorrang der Selbstregulierung vor der staatlichen Regulierung 18 . Grundrechtliche Freiheit und staatliche Gewährleistungsverantwortung sind vor allem verbunden im Grundsatz der Kooperation zwischen Versammlungsleitung und Polizei, deren Ernsthaftigkeit auf beiden Seiten das Bundesverfassungsgericht zum Maßstab für das Verhältnismäßigkeitsprinzip im Falle staatlicher Intervention gemacht und den es dadurch abgesichert hat 1 9 . Demgegenüber stellt sich im allgemeinen Polizeirecht die Vorfrage nach der Erforderlichkeit staatlicher Regelungsverantwortung und der grundsätzlichen Zulässigkeit regulierter Selbstregulierung. Immerhin gebietet Art. 33 Abs. 4 GG, dass die Ausübung von hoheitsrechtlichen Befugnissen, wie sie in weitem Umfang für das Polizeihandeln bestimmend ist, in der Regel Angehörigen des öffentlichen Dienstes, also Polizeibeamten, übertragen bleiben muss 20 . Auch das Rechtsstaatsprinzip und der Schutz der Grundrechte erfordern, dass der Staat sich seiner Eingriffsbefugnisse nicht begeben und diese nicht an Private delegieren darf 2 1 .

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Das Grundrecht ist insoweit Maßstab für eine den Grundrechtsschutz effektuierende Organisations- und Verfahrensgestaltung sowie für eine grundrechtsfreundliche Anwendung vorhandener Verfahrensvorschriften, vgl. BVerfGE 69, 315 (355) Brokdorf; Hoffmann-Riem, in: FS Simon, S. 379 (382): Versammlungsfreiheit als „Entfaltungsgrundrecht". 19 Zu den Einzelheiten des Kooperationsprinzips BVerfGE 69, 315 (357 ff.) - Brokdorf; Buschmann (FN 15), S. 33 f.; Kniesel, in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 2. Aufl. 1996, S. 475 ff., Rn. 249 ff.; Dietel / Gintzel/Kniesel, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit. Kommentar zum Gesetz über Versammlungen und Aufzüge vom 24. Juli 1953, 12. Aufl. 2000, § 14 Rn. 25 ff.; Ridder u. a. (FN 16), § 14 Rn. 19; Hueck, in: Grabenwarter u. a. (Hrsg.), Allgemeinheit der Grundrechte und Vielfalt der Gesellschaft, 1994, S. 179 (196 ff.); zu den Schwierigkeiten HoffmannRiem (FN 13), S. 384 ff. Zur Handhabung des Kooperationsgebots als Indikator der Einsatzphilosophie der Polizei M. Winter, Politikum Polizei - Macht und Funktion der Polizei in der Bundesrepublik Deutschland, 1997, S. 282 ff. 20 Vgl. Ossenbühl, W D S t R L 29 (1971), S. 137 (161 f.), unter Hinweis auf die Elastizität der Norm; ders., Eigensicherung und hoheitliche Gefahrenabwehr, 1981, S. 40 ff.; für eine enge Interpretation Schuppert, AK, Art. 33 Abs. 4, 5 GG Rn. 37; Scholz, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, Art. 12 Rn. 215; Bracher, Gefahrenabwehr durch Private, 1987, S. 62 ff.; Honigl, Tätigwerden von Privaten auf dem Gebiet der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, S. 86 f.; Jeand'Heur, AöR 119 (1994), S. 107 (113 ff.) m.w.Nachw.; Burgi, Funktionale Privatisierung und Verwaltungshilfe, 1999, S. 221 ff. 21 Hoffmann-Riem, ZRP 1977, S. 277 (278 ff.). 11*

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Andererseits hat zu keiner Zeit ein ausschließliches Gewaltmonopol des Staates bestanden 22 . Der häusliche und private Bereich war und ist privater Rechtsdurchsetzung vorbehalten und mit dem Hausrecht sowie den Notwehr- und Selbsthilferechten besonders bewehrt. Auch kann dem Einzelnen die Inanspruchnahme professioneller Sicherheitskräfte nicht verwehrt sein, selbst wenn nach wie vor Uneinigkeit besteht über die konkrete Reichweite der Rechte dieser Sicherheitskräfte aus den Notwehr- und Selbsthilfenormen des Zivil-, Straf- und Straf Prozessrechts. Aber auch im eigenen Aufgabenbereich hat sich die Polizei immer wieder der Unterstützung durch Privatpersonen versichert, die allerdings in der Regel auf untergeordnete Tätigkeiten beschränkt blieb und lediglich ausnahmsweise, nämlich bei Erforderlichkeit im konkreten Gefahrenfall, Zwangsbefugnisse umfasste. In den Bereich zwischen privater Rechtsdurchsetzung und staatlichem Polizeihandeln ist in letzter Zeit Bewegung gekommen. Der private Sicherheitsmarkt hat quantitativ erheblich zugelegt 23 , ist aus dem privaten Bereich nicht mehr wegzudenken 24 und expandiert immer stärker in herkömmlich polizeiliche Handlungsräume 25 . Häufig genug ist der Staat aus Effizienzerwägungen selbst Auftraggeber, etwa bei der Sicherung öffentlicher Anlagen und Einrichtungen oder bei der kommunalen Verkehrsüberwachung. Unabhängig davon postuliert gerade die Polizei immer stärker eine umfassende gesellschaftliche Verantwortung für die Sicherheitsvorsorge und die Kriminalprävention. Die Versuche zur Aktivierung dieser Verantwortung fallen unterschiedlich aus; einige Länder statten Bürger als Freiwillige mit besonderen Kompetenzen und mit Handys aus und schicken sie auf Streife, in anderen setzt die Polizei stärker auf kooperative bis netzwerkartige Handlungsstrukturen in sogenannten Sicherheits- oder Ordnungspartnerschaften. Die Aktivierung dieses außerstaatlichen Handlungspotentials geht jeweils einher mit der Erwartung, die Kriminalitätsbekämpfung zu optimieren. Die entsprechenden Regelungen sind nicht grundsätzlich mit der Verfassung unvereinbar, und auch die neuen polizeilichen Strategien verstärkter Öffentlichkeitsarbeit und Kooperation lassen sich überwiegend auf die Generalklauseln der Polizeigesetze stützen. 22 Stober, NJW 1997, S. 889 (892 f.) m.w.Nachw.; Gusy, in: Schuppert (FN 9), S. 115 (121 ff.). 23 Zahlen bei Schulte, DVB1 1995, S. 130 (131); Pitschas, in: Schuppert (FN 9), S. 135 (137 f.); Peilert, DVB1 1999, S. 282; Katalog der Aktivitäten bei Götz, NVwZ 1998, S. 679 (680). 24 Vgl. Hueck, Der Staat 36 (1997), S. 211 ff.; zur Situation und Rechtslage der USA außerdem Nitz, VerwArch 89 (1998), S. 306 ff. 25 Zu Einzelheiten Gusy (FN 23), S. 115 (116 ff.); vgl. auch Antrag der SPD-Fraktion: Private Sicherheitsdienste, BT-Drs. 13/3432, S. 2 f. Befürwortend ζ. B. Götz, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR III, 1988, § 79 Rn. 32 f.; Schenkelberg, in: Weiss/ Plate (Hrsg.), Privatisierung von polizeilichen Aufgaben, 1996, S. 51 f.; Stober, NJW 1997, S. 889 (891).

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Regulierte Selbstregulierung im hier zugrunde gelegten Sinne ist also auch im Polizeirecht nicht prinzipiell ausgeschlossen. Die rechtlichen Schwierigkeiten liegen im Detail, was an einigen Beispielen illustriert werden soll. Ich w i l l beginnen mit einigen Regeln zur Risikoveranlassung und zur Störung (IV.) und fortfahren mit der Regulierung des Sicherheitsmarkts (V.). Zum Schluss gehe ich ein auf die Initiierung und Steuerung gesellschaftlicher Kriminalprävention (VI.).

IV. Störer und Risikoveranlasser

Gefahrenabwehr und Störungsbeseitigung erfordern die Zuordnung der Risikosphären von Staat und Privaten oder - allgemeiner gesprochen - von Staat und Gesellschaft. Nach den Polizeigesetzen ist der Störer verantwortlich für die Beseitigung der Störung, die Polizei für aktive Wahrnehmung der Ordnungsaufgabe einschließlich der Adressierung des Störers. Schon hier kennt das Polizeirecht Elemente einer Optionen wähl: Wird der Störer zur Beseitigung verpflichtet, dann ist ihm auf Antrag auch zu gestatten, ein von ihm angebotenes, ebenso effektives Mittel anzuwenden 26 . In vorgeschalteten Bereichen erhöhter Risikoverantwortung sind diese Strukturen deutlicher ausgeprägt und ausdifferenziert. So verpflichtet z. B. § 7 Abs. 2 Nr. 5 A t G 2 7 den Betreiber eines Atomkraftwerks nicht nur zu baulich-technischen, sondern auch zu organisatorischen Maßnahmen zur Sicherung gegen Störungen durch Dritte; dazu zählen Sicherheitskontrollen des Besucherverkehrs und des Materialein- und -ausgangs sowie die Überwachung des Werksgeländes einschließlich der Zugangswege durch einen Werkschutz 28 . Auch Versammlungen unter freiem Himmel bedürfen wegen ihrer „Außenwirkung" einer Steuerung, die die Risiken für die Rechtssphäre Dritter, aber auch für die Versammlung selbst minimiert. Das Versammlungsrecht geht den Weg, die Versammlung, die den Anlass für die entstehenden Risiken bildet 2 9 . In die Verantwortung für die Risikobegrenzung durch Organisations- und Verfahrensregeln einzubinden. Einen Prototyp regulierter 26 So z. B. § 4 Abs. 4 HbgSOG; nach Schmidt-Preuß, W D S t R L 56 (1997), S. 160 (212) substitutive Abwendungsbefugnis als Vorrang individuell-selbstregulativer Eigenvornahme. 27 Vergleichbare Regelungen in § 4 Nr. 5 12. BImSchVO; § 19 Abs. 1 Nr. 4, § 20a Abs. 1 Nr. 3 LuftVG. 28 Vgl. BVerwG, DVB1 1989, S. 517 ff.; „Anforderungen an den Objektsicherungsdienst und an Objektsicherungsbeauftragte in kerntechnischen Anlagen der Sicherungskategorie I", Bekanntmachung des B M I vom 08.04.1986, GMB1 1986, 242 Nr. 2, abgedruckt ζ. B. bei Britsch / Königseder, Vorschriftensammlung für den Werkschutz und private Sicherheitsdienste, 5. Aufl. 1997, S. 172 ff.; Rossnagel, ZRP 1983, S. 59 ff.; Lukes , ET 1975, S. 23 ff. 29 Der Begriff des „Risikoveranlassers" bei Hoffmann-Riem, ZRP 1977, S. 277 (280) paßt auch hier.

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Selbstregulierung verkörpern dabei die Regeln über die Versammlungsleitung und die Bestellung der Ordner. Ein Versammlungsleiter ist gem. § 7 VersG entweder selbst Veranstalter, oder er wird von den Veranstaltern benannt. In jedem Falle ist er außerstaatlich legitimiert 3 0 . Andererseits erfüllt er eine wichtige ordnungspolitische Funktion, für die ihn das Versammlungsgesetz mit umfangreichen Befugnissen ausstattet 31 . Gleichwohl ist der Versammlungsleiter nicht etwa Beliehener der Verwaltung, sondern Einrichtung der Versammlung 32 und bei Wahrnehmung seiner Ordnungsfunktion Träger des Grundrechts aus Art. 8 GG. Die Veranstalter wiederum sind gehalten, einen Leiter bereits bei der Anmeldung der Versammlung zu benennen (§ 14 Abs. 2 VersG) und damit ihre Versammlung in einer dem Gesetz entsprechenden Weise zu strukturieren. Steuert das Gesetz insoweit die Selbstorganisation der Versammlung unmittelbar, so ermächtigt und verpflichtet es bei der Bestellung der Ordner die Versammlungsbehörden, diese Steuerungsleistung zu erbringen. Die Entscheidung über die Bestellung obliegt zwar dem Versammlungsleiter, doch ist bereits mit der Anmeldung der Versammlung die behördliche Erlaubnis für die Bestellung von Ordnern einzuholen 33 . Die Behörde kann die angebotenen Ordner wegen ihrer Zahl oder wegen mangelnder Eignung ablehnen und bei Versammlungen unter freiem Himmel sogar den Versammlungsleiter zur Bestellung von Ordnern verpflichten 34 . Damit hat sich der Staat eine wichtige Steuerungskompetenz für die Organisation und Durch30 Dietel/Gintzel/Kniesel (FN 20), § 8 Rn. 1. 31 § 8 VersG. Allerdings entscheidet über den Ausschluß einzelner Teilnehmer von Versammlungen unter freiem Himmel nicht der Leiter oder der Veranstalter, sondern die Behörde, vgl. § 18 Abs. 1 i.V.m. § 11 Abs. 2, § 18 Abs. 3 VersG. 32 Quilisch (FN 14), S. 177, 203 f.; Ridder u. a. (FN 16) § 8 Rn. 13; Hoffmann, JuS 1967, S. 393 (397 Fn. 50): Schutz der Ordnertätigkeit durch Art. 8; Dietel/Gintzel/ Kniesel (FN 20), § 1 Rn. 232, die die Rechtsstellung, Befugnisse und Pflichten wie Quilisch unter dem Begriff der „Selbstverwaltung" einordnen. Das paßt nur insoweit, als damit die NichtStaatlichkeit der Versammlung hervorgehoben wird; im engeren, normativen Sinne wird der Organbegriff jedoch vorwiegend für Subjekte zur Wahrnehmung von Eigenzuständigkeiten juristischer Personen oder zumindest teilrechtsfähiger Organisationen verwendet, vgl. Wolff / Bachof Verwaltungsrecht II, 4. Aufl. 1976, § 74 I. a), f); Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 13. Aufl. 2000, § 21 Rn. 22 ff. Es ist daher passender, statt des Begriffs der „Selbstverwaltung" den der „Selbstregulierung" zu verwenden. Für die Einordnung als Beleihung Wolff / Bachof / Stober, Verwaltungsrecht III, § 131 Rn. 12; Bracher (FN 21) S. 39 f.; Gusy, JuS 1986, S. 608

(612).

33 § 18 Abs. 2 VersG; die Erlaubnis steht im Ermessen der Behörde und kann versagt werden, wenn die Zahl oder die Personen der Ordner auf die Versammlung einschüchternd wirken würde oder wenn begründete Zweifel an der Zuverlässigkeit oder Eignung der ausgewählten Personen bestehen, vgl. Dietel / Gintzel / Kniesel (FN 20), § 18 Rn. 23 f. 34 Dietel/Gintzel/Kniesel (FN 20), § 15 Rn. 36; Breitbach / Deiseroth / Rühl, in: Ridder u. a. (FN 16), § 15 Rn. 218; a.A. Breitbach, in: dies. (FN 16), § 18 Rn. 13, mit historischer und systematischer Interpretation.

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f ü h r u n g v o n Versammlungen u n t e r freiem H i m m e l u n d f ü r die Schaffung geeigneter K o o p e r a t i o n s s t r u k t u r e n vorbehalten. D o c h setzen diese ausdifferenzierten Verfahrensregeln einen b e s t i m m t e n Versammlungstyp voraus, n ä m l i c h den einer überschaubaren u n d hierarchisch organisierten V e r s a m m l u n g 3 5 . D i e L e b e n s w i r k l i c h k e i t offenbart darüber hinaus jedoch S t r u k t u r e n , die i m m e r stärker polyzentrische bis h i n z u „chaotischen" Selbststeuerungsszenarien aufweisen. Polizei, Behörden u n d Gerichte bejahen i n aller Regel dennoch den Versammlungscharakter etwa f ü r die Chaos-Tage v o n H a n n o v e r 3 6 , die Love Parade der Techno-Beweg u n g 3 7 u n d die M a i d e m o n s t r a t i o n e n v o n B e r l i n 3 8 . D i e E r s t r e c k u n g des Versammlungsbegriffs auf solche u n d a n d e r e 3 9 Veranstaltungsformen ist schon deshalb geboten, w e i l die E n t w i c k l u n g solcher „neuer P o e s i e n " 4 0 z u m Versammlungsgeschehen gehört u n d w e i l der E i n f a l l s r e i c h t u m der Veranstalter u n d die besondere D y n a m i k des Veranstaltungsgeschehens jede andere L ö sung k o n t e r k a r i e r e n w ü r d e n 4 1 . Das b e d i n g t jedoch m e h r u n d m e h r die Suche n a c h neuen S t r u k t u r e n der Selbstregulierung, die diesen Veranstaltungstypen entsprechen 4 2 . E i n Vor35 Kniesel, Versammlungswesen (FN 20), Rn. 193 ff.; Hoffmann-Riem, in: FS Simon, S. 379 (384 f.); Schwind/Baumann (Hrsg.), Ursachen, Prävention und Kontrolle von Gewalt, 1990; nach Hueck (FN 20), S. 179 (194) ist die organisierte Versammlung - auch infolge der Normen des Versammlungsrechts - der Regelfall. 36 VG Hannover, NVwZ-RR 1997, S. 622 f.; Deger, NJW 1997, S. 923 (924): ChaosTage hätten kein bestimmtes Programm, keine Ansprachen und keinen Aufzug, sondern Punks seien aufgerufen, durch eigene Aktivitäten, größere und kleinere Ansammlungen und überraschende Aktionen die bürgerliche Gesellschaft zu verunsichern. 37 Dokumentation des Friedenswillens durch Musik und Tanz, 1996 z. B. unter dem Motto: „We are one family". Der Streit um den Versammlungscharakter der „Love Parade" dreht sich letztlich um ein anderes Element der Lastenverteilung, nämlich um die Einstandspflicht für die Kosten der Sicherung und Müllbeseitigung, vgl. Deger, NJW 1997, S. 923 ff. m.w.Nachw. einerseits, Deutelmoser, NVwZ 1999, S. 240 ff. m.w.Nachw. andererseits; OVG Berlin L K V 1999, S. 372 f.; VG Berlin L K V 1999, S. 373 ff. - jeweils zum Love Parade Forum. 38 Vgl. Knape/ Lehniger, Die Polizei 2000, S. 1 (5): „Daß es sich um eine sogenannte Straßenparty handelte, änderte im übrigen nichts an ihrem Versammlungscharakter ... jedenfalls strapazierte die Polizei einmal mehr - trotz vieler Bedenken - den Grundsatz ,in dubio pro liberiate' ". Knape, Die Polizei 1998, S. 1 ff., 343 ff. Zu vergleichbaren Vorgängen in Sachsen Hardraht, Die Polizei 1998, 338. 39 Etwa Zusammenkünfte i n Gestalt eines Festes oder, wie im Falle der Roma, in Form eines Zeltlagers, wenn die Veranstaltung einem gemeinsamen Zweck gilt. Im Falle der Roma war dies eine kollektive Meinungskundgebung, vgl. VG Düsseldorf, NVwZ-RR 1992, S. 185 f.; OVG NW, NVwZ-RR 1992, S. 360 f.; VGH BW, NVwZ-RR 1995, S. 271; BVerwGE 89, 34; 91, 135 40 Zur Entwicklungsgeschichte Hueck (FN 20), S. 179 (181 f.). 41 Zum Meinungsstand z. B. Kniesel, DÖV 1992, S. 470 f. m.w.Nachw.; Hueck (FN 20), S. 179 (188 f.). Für einen weiten Versammlungsbegriff z. B. Herzog, in: Maunz/ Dürig (Hrsg.), Art. 8 Rn. 45 ff.; Hoffmann-Riem (FN 18), Art. 8 Rn. 7; Hesse (FN 18), Rn. 404 ff. Eine Ausuferung des Begriffs ist wegen der Anforderungen an die Friedlichkeit und Nichtkommerzialität der Veranstaltung nicht zu befürchten.

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bild könnte der „Demonstrationsmittler" oder „Demonstrationsberater" sein, der bei frühzeitigem Einsatz Unsicherheiten auf Seiten der Polizei wie auf Seiten der Demonstranten abbauen helfen könnte 4 3 . Dieser Ansatz könnte sich auch für programmatisch „unorganisierte" Versammlungen wie die Maidemonstrationen 44 oder die Chaostage als vielversprechend erweisen, da hier zumindest an feststehende Termine, wiederkehrende Routinen oder kollektive Verabredungen (via Internet) angeknüpft werden kann, die gerade bei Fehlen einer organisierten Leitung zur Verwirklichung eines gemeinsamen Zwecks benötigt werden. Auch für Großdemonstrationen mit ihrer pluralen Leitungsstruktur böten sich so erweiterte Möglichkeiten der Selbstregulierung 45 .

V. Gewerbliche Gefahrenabwehr und Sicherheitsvorsorge

Wissenschaftlich sehr kontrovers diskutiert wird die Frage nach der generellen Zulässigkeit von Privatisierung der hoheitlichen Gefahrenabwehr. Während einige am umfassenden staatlichen Erfüllungsauftrag festhalten 46 , skizzieren andere ein duales Sicherheitssystem der Zukunft, in dem dem Staat die Verantwortung für die Grundversorgung mit Sicherheit sowie eine grundrechtlich begrenzte Gewährleistungsverantwortung für die rechtlichen Rahmenbedingungen privatisierter Gefahrenabwehr verbleiben soll 4 7 . In der Realität lassen sich zwei Entwicklungstendenzen erkennen. Zum einen dringt das Sicherheitsgewerbe in Bereiche vor, die bisher der Polizei vorbehalten waren, etwa im Falle der Stadtteilpatrouillen, die einzelne Wohngebiete im Auftrag ihrer Bewohner und gegen Bezahlung verstärkt be42 Ridder u. a. (FN 16) § 7 Rn. 18: Die Vorschriften des II. Abschnitts dürfen nicht die sich aus dem Grundrecht der Versammlungsfreiheit ergebenden Organisationsmöglichkeiten verkürzen. Die Möglichkeit einer Versammlung, aus sich heraus einen Leiter zu bestellen, besteht nach geltendem Recht allerdings nicht, Ridder u.a. (FN 16), § 7 Rn. 23 m.w.Nachw.; Breitbach, NJW 1984, S. 841 (845). 43 So der Vorschlag Nr. 128 bei Schwind / Baumann u.a. (FN 37), Band I, S. 218, für einen neuen § 14a VersG; ähnlich der Vorschlag bei Buschmann (FN 15), S. 140 f.; bereits nach heutiger Rechtslage ist es möglich, Vertrauenspersonen als Dritte zu Kooperationsgesprächen einzuladen oder mitzubringen, vgl. Kniesel (FN 20), Rn. 266. 44 Ein bei der Maidemonstration 1999 hinzugezogener Rechtsanwalt stellte sich als „Mittler" zwischen Polizei und den Veranstaltern, die sich nicht zu erkennen geben wollten, zur Verfügung, kam allerdings nicht zum Einsatz, vgl. Knape / Lehninger, Die Polizei 2000, S. 1 (5). 45 Bei Großveranstaltungen sind die Veranstalter und Leiter einzelner Demonstrationsgruppen häufig nicht als „Veranstalter" und „Leiter" der Großveranstaltung im Sinne des Versammlungsgesetzes anzusehen, vgl. Buschmann (FN 15), S. 31. 46 Hoffmann-Riem, ZRP 1977, S. 277 (281); Gusy (FN 1), S. 87 ff.; ders., StWStPr 1994, S. 187 ff. 47 Stober, in: Pitschas/ Stober (Hrsg.), Quo vadis Sicherheitsgewerberecht, 1998, S. 35 ff.; ders., DÖV 2000, S. 261 (264 f.); Peilert, DVB1 1999, S. 282 (284 f.); Pitschas, Diskussionsbeitrag, W D S t R L 54 (1995), S. 322 (323).

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streifen 48 . Zum zweiten praktiziert die öffentliche Hand selbst ansatzweise die Privatisierung innerer Sicherheit, etwa in privaten Bewachungsgesellschaften, an denen die Stadt die Anteilsmehrheit hält 4 9 . Die damit verbundenen Regulierungsfragen sind so vielfältig wie viel beschrieben 50 , dass hier einige Stichworte genügen sollen. Die angesprochene Entwicklung betrifft nicht einen Bereich staatlicher Infrastruktur zur Gewährleistung von Daseins Vorsorge und Sicherung öffentlicher Wohlfahrt. Es geht vielmehr um öffentliche Sicherheit als Staatsauf gäbe und damit um einen Kernbereich von Staatlichkeit überhaupt 51 . Das öffentliche Polizeirecht wird determiniert durch die Funktionen der Sicherheitsgewähr, Befriedung und rechtsstaatlichen Bändigung des gewährleistenden und befriedenden Staates. Die Aufrechterhaltung dieses Gleichgewichts bleibt auch eine Bedingung moderner Staatlichkeit. Privatisierungstendenzen und Neubestimmungen der Zuordnung von privatem Risiko und staatlicher Verantwortung sind dadurch aber nicht ausgeschlossen. Doch es sind besondere Anforderungen an die staatliche Regulierung des marktwirtschaftlichen Sicherheitssektors zu stellen. Über die notwendigen Parameter scheint man sich dabei grundsätzlich einig zu sein: Es bedürfte staatlicher Garantien für eine zureichende Ausbildung und Quali48 Als „Zukunfts vision" nach dem Beispiel privat organisierter Stadtteilpolizeien bereits skizziert bei Hoffmann-Riem, ZRP 1977, S. 277 (278); Arzt, Der Ruf nach Recht und Ordnung, 1976, S. 43 ff.; zu den Anfängen in Köln-Hannawald Schulte, DVB1 1995, S. 130(131). 49 Z. B. Sicherheits- und Service-Gesellschaft der Stadt Dresden, an der die Stadt 51% und eine private Sicherheitsfirma 49% der Anteile halten; mit ähnlicher Konzeption die „Münchner U-Bahn-Bewachungs GmbH", vgl. Peilert DVB1 1999, S. 282 (285). 50 Aus der zahlreichen Literatur z. B. die Beiträge in: Pitschas / Stober (FN 49); Beinhofer, BayVBl 1997, S. 481 ff.; Gusy, StWStPr 1994, S. 187 ff.; ders. (FN 23), S. 115 (127 ff.); Jeand'heur, AöR 119 (1994), S. 107 ff.; Pitschas, DÒV 1997, S. 393 (399 ff.); Schult, in: Kube/Schneider/Stock (Hrsg.), Vereint gegen Kriminalität, 1996, S. 295 (310 ff.); Stober, NJW 1997, S. 890 ff.; Bracher (FN 21), passim; Mahlberg, Gefahrenabwehr durch gewerbliche Sicherheitsunternehmen, 1988; Peilert, Das Recht des Auskunftei- und Detekteigewerbes, 1996; Bueß, Private Sicherheitsdienste, 1997; Hueck, Der Staat 36 (1997), S. 211 ff.; Huber, Wahrnehmung von Aufgaben im Bereich der Gefahrenabwehr durch das private Sicherheits- und Bewachungsgewerbe, 2000; Beiträge in: Stober (Hrsg.), Empfiehlt es sich, das Recht des privaten Sicherheitsgewerbes zu kodifizieren?, 2000; Hammer, in: Jahrbuch des Sicherheitsgewerberechts 1999/2000, 2000, S. 123 ff. 51 Statt vieler Denninger, in: ders., Der gebändigte Leviathan, 1990, S. 434 (437 ff.); Peilert (FN 51), S. 211 ff.; Schulte, DVB1 1995, S. 130 (131 f.) mit Verweis auf M. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, 5. Aufl. 1972, S. 822; den Legitimationsaspekt betont Gusy (FN 23), S. 115 (126 f.); Bedenken wegen Gefährdung des Demokratie-, Rechts- und Sozialstaatsprinzips bereits bei Hoffmann-Riem, ZRP 1977, S. 277 (278 ff.). Modifizierend Pitschas (FN 24), S. 135 (142 f.): „komplementäre Berufung der gesellschaftlichen Selbstverantwortung für die innere Sicherheit" und „kooperatives Mandat von Staat und Bürgerschaft" mit Verweis auf Art. 2 Abs. 2, 12 und 14 GG; noch deutlicher S. 148 f., wo ein „Rechtsanspruch des privaten Sicherheitsgewerbes auf partielle Aufgabenübertragung" in Betracht gezogen wird.

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fizierung, wie sie ζ. B. für den Werkschutz bestehen 52 . Die gewerberechtlichen Anforderungen an Sachkunde und Zuverlässigkeit - etwa die Standards für die (freiwillige) Zertifizierung 53 - wären anzuheben und bedürften laufender Kontrolle 5 4 : Das Sicherheitsgewerbe steht nach wie vor nicht in gutem Ruf. Besondere Aufmerksamkeit verdient der rechtliche Aufgabenbereich und Handlungsrahmen. Mit der Ausdifferenzierung der Sicherheitstätigkeit wächst der Bedarf nach staatlicher Zuordnung der Handlungsbereiche 55 . Auch der rechtliche Handlungsrahmen für private Sicherheitsdienste zeigt mehr und mehr Defizite 5 6 : Schon bisher ging er den einen nicht weit genug, andere verneinten oder beschränkten die Übertragbarkeit der privaten Notwehr· und Selbsthilferechte des Auftraggebers auf seinen Sicherheitsdienst 57 . Mit dem fortgesetzten Ausbau privater Sicherungsaufgaben wird die Rechtswahrnehmung nach den Regeln des Notstands immer fragwürdiger. Eine Ausdehnung hoheitlicher Befugnisse auf die Privaten kommt andererseits nicht in Betracht, wenn nicht auch öffentlich-rechtliche Organisationsformen gewählt werden 58 . Umgekehrt soll aber de lege lata der öffentlich-rechtliche Handlungsrahmen einschlägig sein, wenn Private und Polizisten ζ. B. gemeinsam Streife gingen 59 . Hier droht dogmatische Verwir52 Verordnung über die Prüfung zum anerkannten Abschluss Geprüfte Werkschutzkraft vom 20. 8. 1982 (BGBl I S. 1232), abgedruckt ζ. B. bei Britsch / Königseder (FN 29), S. 198 ff. Zur Erforderlichkeit einer Ausbildung und regelmäßigen Qualifizierung ζ. B. Ottens, Criminal Digest 6/90, S. 6 (13 f.); Olschok-Tautenhahn, in: Glavic (Hrsg.), Handbuch des privaten Sicherheitsgewerbes, 1995, S. 47 (56 ff.). 53 Norm EN D I N / I S O 9000 ff. Die Verbindlichmachung, etwa durch Aufnahme in die Ausschreibungsbedingungen bei öffentlicher Auftrags vergäbe, fordert Olschok, in: Pitschas/Stober (FN 48), S. 91 (104); zur Auftrags vergab e auch Stober, DÖV 2000, S. 266 f. 54 Zu den Informationsquellen zur Beurteilung der Zuverlässigkeit Graf, § 34 GewO: Anforderungen an Gewerbetreibende und deren Angestellte, 1997, S. 165. 55 Schenkelberg, in: Weiss /Plate, Privatisierung von polizeilichen Aufgaben, S. 51 (53); Pitschas, DÖV 1997, S. 393 (399) m.w.Nachw.; Bueß (FN 51), S. 188, die den Gesetzesvorbehalt auf die Tatbestände der Beleihung beschränken wollen. Nach Jeand' Heur, AöR 119 (1994), S. 107 (117 f.) ist der Gesetzesvorbehalt von der Intensität der Eingriffskompetenzen abhängig. 56 Vgl. aus der aktuellen Diskussion z. B. Peilert, DVB1 1999, S. 282 (284 f.); Schulte, DVB1 1995, S. 130 (133 ff.); Pitschas, DÖV 1997, S. 393 (398); ders. (FN 24), S. 135 (142); Stober, NJW 1997, 889 (893). Einen aktuellen Überblick über die Rechtslage gibt Huber (FN 52), S. 63 ff. 57 Hoffmann-Riem, ZRP 1977, S. 277 (283); Gusy, StWStPr 1994, S. 187 (201 ff.); Jeand'Heur, AöR 119 (1994), S. 107 (127 ff.); Glavic, in: ders. (FN 53), S. 869 ff., Rn. 24 ff., 49 ff.; für den Werkschutz bei Atomkraftwerken Roßnagel, ZRP 1983, S. 59 (62). Grundsätzlich befürwortend, aber mit restriktiver Interpretation Schulte, DVB1 1995, S. 130 (133 ff.). A.A. Pitschas, DÖV 1997, S. 393 (400); Stober, DÖV 2000, S. 261 (263); Götz, in: Weiss/Plate (FN 56), S. 39 f. Sehr weitgehend Mahlberg (FN 51), S. 146 ff. m.w.Nachw. 58 Peilert, DVB1. 1999, S. 282 (284 f.). 59 Zu den möglichen Varianten Stober, DÖV 2000, S. 261 (268 f.); Peilert, DVB1 1999, S. 282 (285 f.), die dafür die organisationsrechtlichen Figuren der Beleihung

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rung und Intransparenz des Rechts, was eine erhöhte RegulierungsVerantwortung des Staates auslösen muss. Nicht nur der Schutz der Rechte Dritter, sondern auch die Wahrnehmung der eigenen Verantwortung für öffentliche Sicherheit erfordert eine Verdichtung der staatlichen Kontrollkompetenzen. Der staatliche Sicherheitsauftrag bewirkt eine Auffangverantwortung für den Fall, dass Maßnahmen der Privaten unterbleiben, überschießen oder sonst fehlerhaft sind. Es bedarf deshalb über das Gewerberecht hinaus besonderer organisatorischer und verfahrensrechtlicher Vorkehrungen zur Gewährleistung staatlicher Kenntnis und Kontrolle im Einzelfall. In diesen Kontext gehört auch die Frage, ob Private zur Gefahrenabwehr nur im Wege öffentlich-rechtlicher Einbindung, also als Beliehene, Verwaltungshelfer oder Indienstgenommene der Polizei herangezogen werden dürfen. Die größte Herausforderung an das Recht dürfte darin liegen, das hier erforderliche Informations- und Herrschaftswissen zu gewährleisten 60 . Damit zeichnen sich Regelungsstrukturen ab, die Spielräume für regulierte Selbstregulierung im engen Sinne erkennen lassen. Erste Ansätze zeigen sich in Forderungen des privaten Überwachungsgewerbes zur Standardsetzung bei Ausbildung und Qualifizierung. Auch Tendenzen eines Verbraucherschutzes sind nicht ausgeschlossen, doch darf gerade hier nicht übersehen werden, dass beim Verbraucherschutz der Schwerpunkt beim Verhältnis von Auftraggeber und Sicherheitsdienstleister läge. Hier gilt es jedoch, auch die Interessen der von Maßnahmen Betroffenen als Bestandteil öffentlicher Sicherheit zu schützen 61 . Die Tätigkeit von Sicherheitsdiensten als Stadtteilpatrouillen wirft überdies die Frage auf, ob die Sicherheitsdienstleistung für einzelne Auftraggeber nicht die Sicherheit derer potentiell gefährdet, die solche Dienste nicht in Anspruch nehmen. Es ist die Frage nach der Gleichheit von Sicherheitsgewähr, die weiter reicht als die Frage nach der Sicherheit für Arm oder Reich.

und der Verwaltungshilfe in Betracht ziehen. Zu weitgehend Götz (FN 58), S. 39 (42), der daneben auch Bestellung der Angehörigen von Sicherheitsdiensten zu Angestellten, gegebenenfalls in Verbindung mit einem Rahmenvertrag zwischen Polizeibehörde und Sicherheitsunternehmen, für zulässig hält. Wer hätte beim gemeinsamen Streifegehen das Recht zum ersten Zugriff, und nach welchen Grundsätzen würde hier ζ. B. gehaftet? 60 Strukturelle Defizienz von Kontrollmaßnahmen gegenüber Privaten befürchtet Bracher (FN 21), S. 65. Gusy (FN 23), S. 115 (131 f.) problematisiert die Ortsferne staatlicher Instanzen, weil das die Wahrung der Kontrollverantwortung erschwere. 61 Dem dient z. B. § 34a GewO, vgl. Gusy (FN 1), Rn. 163; Graf (FN 55), S. 127.

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Margarete Schuler-Harms VI. Gesellschaftliche Verantwortung für öffentliche Sicherheit 1. Sicherheitswacht

Neuerdings setzen Innenministerien und Polizeien der Länder außerdem verstärkt auf die Motivierung von Eigeninitiative, Innovation und Engagement aus der Bürgerschaft. Bayern 62 , Sachsen 63 und Berlin 6 4 haben durch Gesetze freiwillige Polizeidienste geschaffen, deren Angehörige eine Ausbildung bei der Polizei durchlaufen und zum Land in einem öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnis stehen 65 . Die ehrenamtlichen Sicherheitswächter werden in diesen Ländern eingesetzt etwa zum Gebäudeschutz, zur Überwachung des Straßenverkehrs oder zum Streifendienst. Sie sollen beobachten, bei verdächtigen Wahrnehmungen oder zur Hilfeleistung Polizeibeamte rufen und als „qualifizierte Zeugen" zur Verfügung stehen 66 . In Bayern etwa haben die Angehörigen der Sicherheitswacht die Befugnis, Zeugen zu befragen, Personen anzuhalten und ihre Identität festzustellen, wenn eine Gefahr oder der Schutz privater Personen dies erfordert. Außerdem können sie dort Platzverweise aussprechen 67 . Ihre privaten Not- und Selbsthilferechte sollen daneben erhalten bleiben 68 . Diese Polizeidienste stehen auch unter dem Motto der „öffentliche(n) Sicherheit als gesamtgesellschaftliche(r) Aufgabe". Über den konkreten Ein62 Sicherheitswachterprobungsgesetz vom 24.12.1993, GVB1 S. 88; Sicherheitswachtgesetz - SWG vom 28.04.1997, GVB1 S. 88 ff. 63 Gesetz über die Erprobung einer Sächsischen Sicherheitswacht vom 12.12.1997, S. 647 ff., geändert durch Gesetz vom 16.04.1999, GVB1 S. 186. Das Änderungsgesetz änderte die Überschrift des Gesetzes in „Sächsisches Sicherheitswachtgesetz" und beseitigte die Befristung. 64 Gesetz über den Freiwilligen Polizeidienst (FPG) vom 11.05.1999, GVB1S. 165 ff.; VO zur Übertragung bestimmter Befugnisse der Polizeibehörde auf die Angehörigen der Freiwilligen Polizei-Reserve (FRPVO) vom 28.12.1992, GVB1 1993, S. 10. Damit wurde in Berlin die seit 1961 bestehende „Freiwillige Polizeireserve" in einen ständigen Polizeidienst überführt. es Zum Ganzen Riegel, Die Polizei 1998, S. 211 (213, 223); Gusy (FN 23), S. 115 (123); Hitzler,; in: Reichertz / Schroer (Hrsg.), Qualitäten polizeilichen Handelns, 1996, S. 30 ff. m. zahlr. Nachw. Nach Schulte, DVB1 1995, S. 130 (135) handelt es sich um Beleihung; vgl. auch Burgi, JuS 1997, S. 1106 (1107). 66 „Wandelnde Notrufsäule", vgl. Gusy (FN 23), S. 115 (123). Der ständige Einsatz unterscheidet sie vom älteren Freiwilligen Polizeidienst Baden-Württemberg (FPG vom 18.06.1963, GBl S. 75) und der ehemaligen Freiwilligen Polizeireserve Berlin (FPG vom 25.05.1961, GVB1 S. 671), aber auch von den Hilfsbeamten, die nur im Bedarfsfall aufgerufen und herangezogen werden, vgl. z. B. § 29 HbgSOG. Zu den „Sicherheitspartnern" in Brandenburg siehe unten F N 80. 67 Vgl. Beiträge bei Knemeyer (Hrsg.), Innere Sicherheit in der Gemeinde, 1999. 68 So Art. 3 Satz 2 BaySWG: „Die allgemeinen Vorschriften über gerechtfertigtes Verhalten bleiben unberührt." Dennoch qualifiziert Burgi (FN 21), S. 12, die Angehörigen der Sicherheitswacht als „private Hilfspolizisten".

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satz hinaus w i r d i h r E r f o l g i n einer m e r k b a r e n E r h ö h u n g des Sicherheitsgefühls der Bevölkerung, einer B i n d e g l i e d f u n k t i o n zwischen B e v ö l k e r u n g u n d Polizei sowie i n der Steigerung der „ S e l b s t k o n t r o l l e " gesehen 6 9 . M i t der „ S i c h e r h e i t s w a c h t " soll also auch eine z w a r f r e i w i l l i g e , aber doch generelle B ü r g e r v e r a n t w o r t u n g f ü r den öffentlichen R a u m a k t i v i e r t werden. E i n grundlegendes P r o b l e m dieses Sicherheitskonzepts liegt aber darin, dass die Staatsaufgabe Sicherheit i n den gesellschaftlichen Bereich getragen w i r d , ohne dass dieser Bereich staatlicherseits w e i t e r s t r u k t u r i e r t w ü r d e . D i e V e r b i n d u n g p r i v a t e r N o t w e h r - u n d Nothilferechte m i t öffentlich-rechtl i c h e n Eingriffsbefugnissen u n d Treuepflichten eignet sich als V o r b i l d jedenfalls n i c h t 7 0 . H i e r deuten sich v i e l m e h r S t r u k t u r e n an, die der rechtsstaatlichen B ä n d i g u n g n u r schwer z u g ä n g l i c h sind.

2. Kommunale Kriminalprävention

E i n e n anderen Weg gehen die Strategien der „ k o m m u n a l e n K r i m i n a l p r ä v e n t i o n " ( „ c o m m u n i t y p o l i c i n g " ) 7 1 . A u f I n i t i a t i v e der K o m m u n a l v e r w a l t u n g oder der Polizei k o n s t i t u i e r t sich teils n u r auf örtlicher Ebene, teils auch auf K r e i s e b e n e 7 2 ein G r e m i u m 7 3 z u r P l a n u n g u n d K o o r d i n i e r u n g v o n 69 Nach dem Motto: „Wenn ich schon nicht wie mein Nachbar aktiv in der Sicherheitswacht mitwirke, was kann ich dann wenigstens sonst tun, um der Polizei bei ihrer Aufgabe zu helfen?", vgl. Spörl, Die Polizei 1997, S. 33 (35); Benisch, in: Pitschas/ Stober, Staat und Wirtschaft in Sicherheitsnetzwerken, 2000, S. 67 ff.; Hitzler (FN 66), S. 30 (34 ff.); Behring/Gös chi /Lustig, Kriminalistik 1/96, S. 49 ff.; Beiträge in Pitschas / Stober (Hrsg.), Kriminalprävention durch Sicherheitspartnerschaften, 2000. 70 Wolff /Bachof, Verwaltungsrecht II, 3. Aufl. 1970, § 104 Rn. 5. Solche Formen der Bürgerverantwortung sind bereits aus dem 19. Jahrhundert bekannt, allerdings als Vorläufer einer Verstaatlichung der Sicherheitsaufgaben und der Entstehung einer staatlichen Verwaltung. Vgl. ζ. Β. IX. Abschnitt der Dorf-Policey-Ordnung für das Herzogthum Schlesien und die Grafschaft Glatz vom 1. May 1804, wonach Nachtwachen zur eigenen und allgemeinen Sicherheit der Gemeinden entweder durch „besonders zu haltende Nachtwächter" oder „von den Wirthen" zu verrichten waren. Die Wächter waren mit einem Horn auszustatten , hatten sich abends beim Scholzen zu melden und mussten „alle in der Nacht das Dorf passirende Fremde anhalten, genau examinieren, und wenn sie ihnen irgend verdächtig scheinen, solche sofort zur nähern Untersuchung zu dem Scholzen bringen", vgl. Wacke, Dorf-Policey-Ordnung und Instruction für die Dorf-Scholzen in Schlesien, 1971, S. 98 f. und Abdruck der Vorschriften S. 179. Aus der Literatur z. B. Schürholz, Die Polizei 1999, S. 193 ff.; Dreher, Die Polizei 1996, S. 173 ff.; Babl/Bässmann, Kriminalprävention in Deutschland und Europa, 2. Ausgabe 1998; Bundeskriminalamt (Hrsg.), Community Policing. Ergebnisse eines Workshops am 8./9. Juli 1997 im Bundeskriminalamt, 1997; Landeskriminalamt Baden-Württemberg (Hrsg.), Handbuch Kommunale Kriminalitätsprävention, Stuttgart 1996; Staatsministerium des Innern des Freistaates Sachsen (Hrsg.), Kommunale K r i minalprävention, 1998; Trenczek/Pfeiffer (Hrsg.), Kommunale Kriminalitätsprävention, 1996; Kury (Hrsg.), Konzepte kommunaler Kriminalitätsprävention, 1997. Das amerikanische Prinzip des „community policing" beschreiben Kelling / Coles, Fixing Broken Windows, 1997, p. 157 ff. (Chapter 5: „Community-based Crime Prevention").

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Präventionsaktivitäten. Die Zusammensetzung und Organisationsform wird jeweils örtlich bestimmt. Vertreten sind in aller Regel Einzelhändler, die Handelskammer, Unternehmens verbände, Verbände wie Frauenverbände, Elternräte, der Kreis jugendring oder der Seniorenbeirat sowie Bundesgrenzschutz und Polizei. Auch Untergruppen und Ausschüsse können sich bilden, etwa eine Projektgruppe zur Gewährleistung von Sicherheit in Bahnhöfen 74 , eine Unfallverhütungskommission oder ein Arbeitskreis Jugendschutz. Rechtsgrundlage kann eine kommunale Satzung bilden. Aufgaben sind die Formulierung von Zielen und Strategien der Kriminalprävention, Bündelung der gesellschaftlichen Kräfte, gegenseitige Information und Feststellung von „Lagebildern" 7 5 sowie Koordination der Maßnahmen 7 6 einschließlich einer abgestimmten Öffentlichkeitsarbeit. Die Steuerungsleistung des förmlichen Rechts bleibt (vorerst) gering, vielmehr liegt der Schwerpunkt polizeilicher Initiierung und Mitwirkung bei informalen, weichen Handlungsformen, die allerdings auch Korrekturen der Polizeiorganisation hin zur Dezentralisierung und Verflachung der Hierarchien mit sich bringen. Kommunale Kriminalprävention ist der konkreten Polizeimaßnahme vorgelagert und soll sie integrieren, ihre Handlungsform ist das multilateral ausgearbeitete, rechtlich nicht verbindliche, zunächst auf Eigensteuerung gerichtete Konzept 7 7 . Auf dessen Grundlage entstehen konkrete Maßnahmenkataloge, etwa zur Bekämpfung von Gewalt an Schulen oder zur Verbesserung der Sicherheit und des Sicherheitsgefühls in Bahnhöfen. In diese Konzeption können weitere Initiativen eingebunden sein, etwa die Bestellung von Bürgern als „Sicherheitspartner" durch die Einwohnerversammlung 78 oder die Einrichtung von Clearingstellen 79 . Damit ver72 Illustrativ die Vorstellung des Brandenburgischen Kreises Dahme/Spreewald, Polizei in Brandenburg, Info 110, Ausgabe 4/98, http://www.brandenburg.de/land/ mi/polizei/info 110/4_98/praev.htm. 73 Verschiedene Bezeichnungen, ζ. B. „Bremer Sicherheitsforum", „Sicherheitsbeiräte" in Bayern, „Präventionsrat" und „Regionalräte" in Frankfurt a.M. 74 Vgl. exemplarisch die Konzepte für Düsseldorf, Jahresheft Polizei in Düsseldorf 1999, http://www.polizei.nrw.de/duesseldorf/1999/ordnung.htm , und Dortmund, http://www.polizei.nrw.de / dortmund / index.htm, Stichwort: Ordnungspartnerschaft. 7 5 Vgl. L K A Baden-Württemberg (FN 72). 76 Ζ. Β. der Aufgabenkatalog Dahme-Spreewald (FN 74). 77 Grundlegend Au lehner (FN 2), S. 525 ff. m.w.Nachw.; Schmidt-Aßmann, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, 1998, S. 278 f.; diese Entwicklung assoziiert auch den Begriff des „Sicherheitsnetzes", vgl. nur Knemeyer, in: ders. (Hrsg.), (FN 68), S. 13(18). 78 So in brandenburgischen Gemeinden, vgl. Entwurf eines Runderlasses des Innenministeriums „Sicherheit in den Städten und Gemeinden des Landes Brandenburg durch den Ausbau der konzertierten Aktion ,Kommunale KriminalitätsVerhütung (KKV)', abgedruckt bei Kury (FN 74), S. 512 ff. Aufgaben der „Sicherheitspartner" sind ζ. B. Streifengänge, Hol- und Bringdienste, vor allem aber eine Mittlerfunktion zwischen Bevölkerung und der nicht ständig präsenten Polizei. Hoheitliche Befugnisse haben die „Sicherheitspartner" nicht, schon um Parallelen zum „freiwil-

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b l e i b t ein erhebliches Reservoir staatlichen Steuerungspotentials t r o t z A u s baus der gesellschaftlich-bürgerschaftlichen Selbstregulierung. A l l e r d i n g s b l e i b e n Bedenken, die k o m m u n a l e K r i m i n a l p r ä v e n t i o n u n t e r dem Thema des Polizeirechts z u erörtern. D i e r i c h t i g e E r k e n n t n i s , dass die beste K r i m i n a l p o l i t i k eine gute S o z i a l p o l i t i k s e i 8 0 , ist n i c h t neu, doch solche Polizeiphilosophie überschreitet die gesetzlichen Aufgabenbeschreibungen des P o l i z e i r e c h t s 8 1 u n d öffnet die Polizei dem Z w e c k der allgemeinen W o h l fahrtssicherung. D e r generelle Ansatz k o m m u n a l e r K r i m i n a l p r ä v e n t i o n ist n i c h t i n erster L i n i e ein spezifisch p o l i z e i l i c h e r i m eigentlichen Sinne. D a z u w i r d er auch n i c h t d u r c h ein umfassendes Sicherheitsparadigma oder d u r c h die A r g u m e n t a t i o n m i t dem Sicherheitsgefühl der B e v ö l k e r u n g 8 2 . M a n k a n n diese Formen der Selbstregelung v i e l m e h r auch als Form einer K o m m u n a l i sierung der K r i m i n a l p o l i t i k denken.

V I I . Resümee Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass auch die Sicherheitstätigk e i t z u r Selbstorganisation u n d staatlich-gesellschaftlichen Ausdifferenzieligen Helfer der DVP" in der DDR zu vermeiden. Vielmehr werden die Bürger eingebunden, um aus Kriminalitätsfurcht entstandene Bürgerwehren unter Kontrolle zu halten, vgl. Bühler, in: Knemeyer (Hrsg., F N 68), S. 29 (39 f.); die Verbreitung und Bedeutung solcher Bürgerwehren ist allerdings gering, vgl. Korfes, Zu Problemen der Kriminalprävention in den neuen Bundesländern, in: Kury (FN 74), S. 339 (348 ff.). 79 Z. B. die Clearing-Stelle Graffity-Bekämpfung in Hamburg, vgl. Feldmann, Graffity, Die Polizei 1998, S. 81 (87). 80 υ. Liszt, zitiert nach Kleinheyer / Schröder (Hrsg.), Deutsche Juristen. 81 So auch Gusy (FN 1), Vorwort, S. IV. Zur Trennung von Wohlfahrtsförderung und Gefahrenabwehr und zur Entwicklung des modernen Polizeibegriffs z. B. Harnischmacher / Semer ak, Deutsche Polizeigeschichte, 1986, S. 37 ff.; Drews /Wacke/ Vogel/Martens, Gefahrenabwehr, 9. Aufl. 1986, S. 1 ff.; Würtenberger/Heckmann/ Riggert (FN 1), Rn. 1 ff., 7 ff. m.w. Nachw.; W Jellinek, Verwaltungsrecht, 3. Aufl. 1948, S. 80 ff., 88 ff.; Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts Bd. I, 10. Aufl. 1973, S. 19 ff. 82 Kritisch Volkmann, NVwZ 1999, S. 225 (228); eine Aufwertung des kollektiv verstandenen Ordnungselements konstatiert Sack, in: Dreher/Feltes (Hrsg., F N 4), S. 72 (74); Ritter, Perspektiven der Inneren Sicherheit im Mehrebenensystem, 1999, S. 3 f., 19 f.; Kommunalisierung der Kriminalpolitik. Neben der Bevölkerung scheint auch die Polizei selbst verunsichert, etwa darüber, mit dem eigenen Angebot und der eigenen Rolle nicht mehr der Bürgererwartung zu entsprechen; vgl. Falk, Die Kriminalistik 1998, S. 37 (39 ff., 45): Wer ständig am Markt vorbei produziere, laufe Gefahr, die Kundschaft zu verlieren, auch wenn er ein Monopol inne zu haben glaube. Aus Sicht der Polizei liegt daher der eigentliche Reformdruck bei der Organisation und Organisationsphilosophie, der Schaffung geeigneter Schnittstellen und Netzknoten für die Zusammenarbeit mit den kommunalen Ordnungsverwaltungen sowie bei der Gestaltung bürgerfreundlicher Kommunikations- und Interaktionsmuster bis hin zur Übernahme einer „Mediatorenrolle" zwischen Bevölkerung und Ordnungsbehörden. Eine veränderte Perspektive auf Sicherheitsgewähr und Gefahrenabwehr unter Markt-, Wettbewerbs- und Qualitätsaspekten konstatiert auch Stober, NJW 1997, S. 889 (892), allerdings greift die These vom „ParadigmenWechsel" wohl zu weit.

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rung tendiert mit der Konsequenz, dass das Polizeirecht im engeren Sinne durch ein Sicherheitsrecht im weiteren Sinne ergänzt, teilweise vielleicht sogar ersetzt werden wird. Doch dieser Prozess steht erst am Anfang. Angesichts der besonderen staatlichen Verantwortung für die öffentliche Sicherheit und Ordnung könnte gerade das Polizeirecht zum Prüfstein dafür werden, ob der Terminus der „regulierten Selbstregulierung" zum Synonym für Rückzug und Versagen des Staates gerät oder ob er sich als eigenständiger, ordnungsbildender Terminus erweisen wird.

Regulierung staatsinterner Selbstregulierung am Beispiel des Haushaltswesens Von Jens-Peter Schneider, Osnabrück Gegenstand der nachfolgenden Betrachtungen soll das Haushaltsrecht sein, das nicht erst seit den gegenwärtig intensiv diskutierten Reformen im Zeichen des Neuen Steuerungsmodells Formen regulierter Selbstregulierung kennt. Grundlage für die Untersuchung des im Zuge der gegenwärtigen Modernisierungsdebatte entwickelten Instrumentariums einer neuen parlamentarischen Haushaltssteuerung (III. bis V.) wird eine Bestandsanalyse des traditionellen Haushaltskreislaufs (II.) sein 1 . Zuvor ist allerdings noch eine Vorbemerkung zur systematischen Einordnung der behandelten Probleme nötig.

I. Vorbemerkung zur Regulierung staatsinterner Selbstregulierung

Für den Blick sowohl in die Zukunft wie auf den Bestand der parlamentarischen Haushaltssteuerung soll das Konzept der regulierten Selbstregulierung erkenntnisleitend sein 2 . Das Konzept zielt auf die Nutzung dezentraler Potentiale für die Erreichung öffentlicher Zwecke bei gleichzeitiger Gewährleistung einer auf diese Zwecke verpflichteten Steuerung durch übergeordnete Akteure. Von besonderem rechtswissenschaftlichem Interesse ist dabei der Einfluß des Rechts auf Prozesse der Selbstregulierung. Diese Fragestellung impliziert eine steuerungswissenschaftliche Perspektive 3 . Die 1 Die Untersuchung geht also weder auf die Auflösung der inneradministrativen Weisungshierarchie noch auf das Verhältnis zwischen dem politisch orientierten kommunalen Vertretungsorgan und den Fachämtern einer Kommunal Verwaltung ein; hierzu: J.-P. Schneider, in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem (Hrsg.), Verwaltungsorganisationsrecht als Steuerungsressource, 1997, S. 103 (125 ff.); Oebbecke, DOV 1998, S. 853 ff.; Pitschas, DÖV 1998, S. 907 ff.; Wollmann, Die Verwaltung 32 (1999), S. 345 ff. 2 Zum Konzept der regulierten Selbstregulierung: Hoffmann-Riem, in: ders./ Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Öffentliches Recht und Privatrecht als wechselseitige Auffangordnungen, 1996, S. 261 (300 ff.); J.-P Schneider, Liberalisierung der Stromwirtschaft durch regulative Marktorganisation, 1999, S. 41 ff.; Schuppert, Die Verwaltung 31 (1998), S. 415 ff.; Trute, DVB1 1996, S. 950 ff.; s. ferner: Schmidt-Preuß, W D S t R L 56 (1997), S. 160 ff.; aus sozialwissenschaftlicher Sicht s. die Beiträge in: Mayntz/ Scharpf (Hrsg.), Gesellschaftliche Selbstregelung und politische Steuerung, 1995.

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Jens-Peter Schneider

mit dem Konzept der regulierten Selbstregulierung angesprochene Steuerungsproblematik verweist auf Erkenntnisse über Einflußknicks bei der Einbindung dezentraler Akteure sowohl der ökonomischen Theorie zu Prinzipal-Agenten-Situationen 4 als auch systemtheoretischer Organisationsanalysen5. In dieser Sichtweise gibt es nur graduelle Unterschiede zwischen einer hoheitlichen Regulierung gesellschaftlicher Selbstregulierung und einer parlamentarischen oder sonstigen zentralen Regulierung staatsinterner Selbstregulierung 6 . Aus steuerungswissenschaftlicher Perspektive ist hierzu im übrigen an die zumindest teilweise vorhandene funktionale Äquivalenz von staatsinterner Verselbständigung (etwa Organisationsprivatisierung im Zeichen des New Public Management) und materieller Aufgabenprivatisierung mit anschließender Regulierung zur Durchsetzung öffentlicher Bindungen der privaten Unternehmen zu erinnern 7 . Dieser Untersuchungsansatz soll keineswegs die dogmatischen Trennlinien zwischen der hoheitlichen Regulierung gesellschaftlicher Selbstregulierung und einer Regulierung staatsinterner Selbstregulierung ignorieren oder bedenkenlos einebnen. Vielmehr ist es wichtig zu berücksichtigen, daß anders als bei der Indienstnahme gesellschaftlicher Akteure in der zweiten Konstellation sämtliche Akteure normativ dem Gemeinwohl verpflichtet sind. Ferner können staatliche Akteure nur im Rahmen ihrer Kompetenzen agieren und sich gegenüber zentralen Interventionen nicht wie Private auf grundrechtliche Freiheiten berufen 8 . Allerdings soll durch die Einbeziehung staatsinterner Selbstregulierungsprozesse in die Diskussion über regulierte Selbstregulierung auf die gemeinsame und soeben aufgezeigte steuerungsbezogene Problemlage hingewiesen werden. Das Konzept wird insoweit als ein heuristisches Analyseraster genutzt 9 . Ein Transfer instrumenteller Lösungsmuster kommt deshalb

3 Ebenso Schuler-Harms, in diesem Band S. 160 ff.; zur Verwaltungsrechtswissenschaft auch als Steuerungswissenschaft: J.-P. Schneider (FN 2), S. 44 f. 4 Hierzu am Beispiel kooperativer Verwaltungs ver fahren: J.-P. Schneider, in: Jahrbuch für Neue Politische Ökonomie 15 (1996), S. 82, 90 f.; zu Prinzip al-Agenten-Hierarchien in öffentlichen Unternehmen und Prinzipal-Agenten-Beziehungen für öffentlich gebundene Privatunternehmen: Greiling, in: Budäus (Hrsg.), Organisationswandel öffentlicher Aufgabenwahrnehmung, 1998, S. 235, 241 ff. 5 Vgl. Damkowski/Precht, Public Management, 1995, S. 19 ff., 58; ferner Kieser, in: ders. (Hrsg.), Organisationstheorien, 2. Aufl. 1995, S. 237 (255 f.). 6 Zu einer expliziten Anwendung des Regulierungsansatzes innerhalb der vollziehenden Gewalt s. auch Hood u. a., Regulation inside Government, 1999, insbes. S. 11, 46, 53 ff., 223. 7 s. hierzu etwa Greiling (FN 4), S. 235 ff.; s. in diesem Zusammenhang auch Schuppert, DÖV 1998, S. 831 ff. mit den entsprechenden neuen Grundtypen der Steuerungs- und Gewährleistungsaufsicht. 8 Statt vieler: Schmidt-Aßmann, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, 1998, S. 242 ff.

Regulierung staatsinterner Selbstregulierung

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grundsätzlich in Betracht. Ein Transfer dogmatischer Grundsätze dürfte hingegen nur nach einer strengen Prüfung der Übertragbarkeit sachgerecht und zulässig sein. Die dogmatische und die steuerungsorientierte Sichtweise stellen zwei verschiedene, wenngleich nicht unverbundene rechts wissenschaftliche Perspektiven auf Problemlagen dar 1 0 . In Abwandlung einer berühmten Formulierung Calabresis 11 ließe sich von zwei Ansichten der Kathedrale sprechen. Handelt es sich also bei der Regulierung gesellschaftlicher und staatsinterner Selbstregulierung im Bereich der Dogmatik um zwei prinzipiell getrennte Kategorien 12 , so erscheinen sie aus einer steuerungswissenschaftlichen Perspektive doch nur als Variationen eines gemeinsamen Themas.

I I . Der traditionelle Haushaltskreislauf als parlamentarisch regulierte Selbstregulierung der Exekutive und seine Steuerungsdefizite

Durch die propagierte Globalisierung von Budgets mit einer verstärkten Dezentralisierung der Ressourcenverantwortung erreicht die haushaltsrechtliche Selbstregulierung der dezentralen Einheiten im Rahmen der Neuen Steuerung im Vergleich zum bisherigen Rechtszustand eine neue Dimension. Dezentrale Selbstregulierung wird geradezu zum Leitbild. Demgegenüber ist das traditionelle Haushaltsrecht jedenfalls normativ der Sicherung des parlamentarischen Budgetrechts verpflichtet. Bei genauerer Betrachtung offenbart sich jedoch ein vielschichtigeres Bild. So weist der traditionelle Haushaltskreislauf eine Reihe von Defiziten hinsichtlich der parlamentarischen Steuerung auf. Der Haushaltskreislauf umfaßt die Stufen der Aufstellung des Haushaltsplanentwurfs, der parlamentarischen Feststellung des Haushaltsplans, den Haushaltsvollzug und die Haushaltskontrolle mit Haushaltsentlastung. Dabei liegen nach der klassischen Funktionenzuordnung die Budgetinitiative und der Budgetvollzug bei der Exekutive, während das Parlament für Haushaltsfeststellung, -kontrolle und -entlastung zuständig ist. Eine genauere Analyse läßt vielfältige Verzahnungen erkennen, die einer klaren Funktio9 S. auch Voßkuhle, in diesem Band S. 198: „Schlüsselbegriffe [ . . . ] geben keine Antwort, sondern weisen dem Denken den Weg". 10 Insbesondere bei der teleologischen Auslegung können steuerungswissenschaftliche Erkenntnisse eingebracht werden und einen Qualitätsgewinn gegenüber der Nutzung methodisch wenig reflektierter Plausibilitätsüberlegungen bieten; SchmidtAßmann, in: ders./Hoffmann-Riem (FN 1), S. 9 (15 f.); J.-P. Schneider (FN 2), S. 44. 11 Calabresi/ Melamed, Harvard Law Review 85 (1972), S. 1089 ff. 12 Deswegen stimme ich der perspektivischen Eingrenzung auf die gesellschaftliche Selbstregulierung von Schmidt-Aßmann, in diesem Band S. 255, für seine vorrangig dogmatische Fragestellung durchaus zu.

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nentrennung widersprechen. Ferner ist das parlamentarische Budgetrecht der üblichen Rhetorik zum Trotz eher schwach ausgeprägt. Hinsichtlich der Budgetinitiative ist zunächst festzuhalten, daß diese nach überkommener Auffassung in Abweichung von der allgemeinen Regel in Art. 76 Abs. 1 GG bei der Bundesregierung monopolisiert ist (Art. 110 Abs. 3 GG) 1 3 . Die Haushaltsaufstellung ist über die Bedarfsanmeldungen der Fachressorts als bottom-up-Prozeß gestaltet und führt zu einer beträchtlichen Eigensteuerung der Exekutive 1 4 . Dabei obliegt die ressortübergreifende Koordination und die in Zeiten knapper Mittel fundamentale Aufgabe des Haushaltsausgleichs dem Finanzminister, der auf diese Weise in das Zentrum des Prozesses rückt 1 5 . Relativiert werden die Möglichkeiten der administrativen Selbstregulierung allerdings durch den Umstand, daß ca. 90% der Ausgaben aufgrund rechtlicher Verpflichtungen (Leistungsgesetze, Besoldungsgesetze, vertragliche Verpflichtungen, internationale Vereinbarungen) bereits festliegen 16 . Die Eigensteuerung bezieht sich demnach auf eine schmale freie Spitze und auf verschiedene Formen von Befreiungsschlägen im Zeichen der Finanzkrise, wie Haushaltsstruktur- oder -begleitgesetze, die insbesondere Einschnitte in materielle Leistungsgesetze zum Inhalt haben 17 . Das Parlament erreicht mit dem Haushaltsplan und den begleitenden Haushaltsstrukturgesetzen ein aufeinander abgestimmtes Kompromißpaket, das nur um den Preis problematischer, die Gesamtbalance gefährdender Einzelinterventionen wieder aufgeschnürt werden kann. Die parlamentarische Praxis ist deshalb mit den Worten Ho ff mann-Riems durch „Inszenierungen der Selbsttäuschung der Parlamentarier über ihre realen Entscheidungsmöglichkeiten" geprägt, in deren „Windschatten die politische Steuerung eine Domäne der Regierung" bleibt 1 8 . Dies gilt auch für die materiellrechtlichen Haushaltsbegleitgesetze, da sie zu den vorausgesetzten Rahmendaten des Haushaltsplans gehören, woraus eine wechselseitige Bedingtheit und somit schwer auflösbare Verzahnung entsteht 19 . 13 Fischer-Menshausen, in: v. Münch /Kunig, Grundgesetz-Kommentar Band 3, 3. Aufl. 1996, Art. 110 Rn. 20. 14 v. Mutius, W D S t R L 42 (1984), S. 147 (179); eine tendenziell andere Einschätzung findet sich bei H. Dreier, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Effizienz als Herausforderung an das Verwaltungsrecht, 1998, S. 59 (91 ff.). is υ. Mutius, W D S t R L 42 (1984), S. 147 (179); Schuppert, W D S t R L 42 (1984), S. 216(241). 16 Zum Problem der fehlenden Verfügungsmasse aus der Perspektive des Parlaments H. Dreier (FN 14), S. 97 f.; ν . Mutius, W D S t R L 42 (1984), S. 147 (167). 17 υ. Mutius, W D S t R L 42 (1984), S. 147 (188 f.). 18 Hoffmann-Riem, DÖV 1999, S. 225. Zur „Krise des parlamentarischen Ausgabenbewilligungsrechts" und seinen weiteren Gründen s. auch v. Mutius, W D S t R L 42 (1984), S. 147 (181); zurückhaltender die Einschätzung hingegen bei H. Dreier (FN 14), S. 59 (96).

Regulierung staatsinterner Selbstregulierung

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Der Haushaltsvollzug liegt dem Ideal nach wieder in der Kompetenz der Exekutive. Die im Grundgesetz keineswegs ausdrücklich festgehaltene Haushaltsvollzugsgewalt der Exekutive 2 0 unterliegt allerdings Einschränkungen. Die Bundeshaushaltsordnung kennt beispielsweise das Instrument des qualifizierten Sperrvermerks, mit dem das Parlament im Ausnahmefall einzelne Haushaltsvollzugsakte an seine Einwilligung binden darf (§ 22 Satz 3 BHO). Die Staatspraxis läßt hierbei in jedenfalls einfachrechtlich problematischer Weise zumeist die Einwilligung des Haushaltsausschusses genügen. Angewendet wird dieses Instrument bei mangelnder Etatreife von Ausgabenpositionen, zur Sicherung der Mitentscheidung in politisch brisanten Fragen oder bei finanziell besonders bedeutsamen Ausgaben 21 . Die überwiegende Verfassungslehre erachtet diese parlamentarische Einwirkung auf den Haushaltsvollzug solange für verfassungskonform, wie sie sich auf allgemeine Richtlinien zu politisch bedeutsamen Aspekten beschränkt oder die Funktionen der Haushaltsplanung befördert, ohne zu einer nachhaltigen Schwerpunktverlagerung im Verantwortungsverhältnis der beiden Gewalten zu führen 2 2 . Bei der sich anschließenden Haushaltskontrolle werden die normativ bestehenden Steuerungsoptionen des Parlaments in der Staatspraxis bislang nur in eingeschränktem Maße genutzt. Die Haushaltsentlastung ist ritualisiert und die Berichte der Rechnungshöfe werden kaum zum Anlaß intensiver Plenardebatten genutzt 23 . Die Rechnungshöfe selbst legten jedenfalls bislang den Schwerpunkt ihrer Tätigkeit auf die eher technische Rechnungsprüfung nach dem Maßstab der Ordnungsmäßigkeit und reduzierten die Wirtschaftlichkeitskontrolle im Interesse der Entpolitisierung und erleichterten Akzeptanzschaffung oftmals auf eine Sparsamkeitsprüfung 24 . Die Standardformel des Bundesrechnungshofs in diesem Zusammenhang 19 v. Mutius, W D S t R L 42 (1984), S. 147 (188 f.). Sie wird vielmehr aus der haushaltsrechtlichen Gesamtsystematik und dem Erfordernis sachgerechter Funktionsteilung abgeleitet; Fischer-Menshausen (FN 13), Vor Art. 110-115 Rn. 5. 2 1 υ. Mutius, W D S t R L 42 (1984), S. 147 (183); Fischer-Menshausen (FN 13), Art. 110 Rn. 5a. 22 Fischer-Menshausen (FN 13), Art. 110 Rn. 5a. Kritischer wird demgegenüber die in § 22 S. 3 bzw. § 36 S. 2 BHO nicht vorgesehene Delegation der Einwilligungsbefugnis vom Bundestagsplenum auf den Haushaltsausschuß beurteilt. Jedenfalls für Niveau und Struktur des Haltshalts richtungsbestimmende Entscheidungen sind nicht delegationsfähig. Im übrigen erscheint die Delegation jedoch vertretbar, da das Plenum die Freigabe bereits antezipiert hat; Fischer-Menshausen (FN 13), Art. 110 Rn. 23a; skeptischere Mutius, W D S t R L 42 (1984), S. 147 (183, Fn. 135). 23 v. Mutius, W D S t R L 42 (1984), S. 147 (184 ff.). 24 Schulze-Fielitz, W D S t R L 55 (1996), S. 231 (254 ff.); vgl. die Selbstdarstellung bei v. Wedel, in: König/Siedentopf, Öffentliche Verwaltung i n Deutschland, 2. Aufl. 1997, S. 695 (706). 20

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lautet: „Der Prüfung unterliegen nicht politische Entscheidungen, sondern nur deren Voraussetzungen oder Auswirkungen" 2 5 . Festzuhalten ist nach alledem zweierlei: Erstens läßt sich der Haushaltsprozeß nicht in ein simples Gewaltentrennungsmodell mit einer trennscharfen Aufteilung der staatsleitenden Funktionen einordnen. Vielmehr sind die staatsleitenden Haushaltsbefugnisse Parlament und Regierung als Partnern eines kooperativen Prozesses „zur gesamten Hand" zugewiesen 26 . Es kommt also zu einer Verantwortungsteilung, wie sie für die regulierte Selbstregulierung typisch ist 2 7 . Zweitens ist die traditionelle Ausgestaltung des Konzepts mit erheblichen Mängeln belastet. Die bereits erwähnten Ziele regulierter Selbstregulierung, nämlich die Nutzung der Eigendynamik und des Wissens der dezentralen Akteure bei gleichzeitiger Gewährleistung einer effektiven Steuerung durch übergeordnete Steuerungssubjekte werden kaum erreicht. Stichwortartig ist bezüglich der mangelnden Nutzung dezentraler Potentiale auf folgende Aspekte hinzuweisen 28 : Die hochdifferenzierte Inputorientierung des Haushaltsplans rückt die Frage nach einer fristgerechten Verwendung zugewiesener Mittel in das Zentrum, statt die Verwaltung auf das Erreichen vorgegebener Ziele unter flexibler und effizienter Nutzung mehr oder minder global zugewiesener Mittel zu programmieren. Ferner herrschen zur Minimierung von Begründungsanforderungen eine vergangenheitsorientierte Fortschreibungspraxis und ein damit verbundener Marginalismus vor. Folglich werden die dezentralen Kenntnisse über künftige Entwicklungen nicht für eine zeitnahe Anpassung der Haushaltsmittel auf sich wandelnde öffentliche Aufgabenstellungen genutzt. Schließlich werden Nutzeffekte vernachlässigt. Die übergreifende Steuerungsleistung des parlamentarischen Ausgabenbewilligungsrechts weist insbesondere die nachgenannten Mängel auf 2 9 : Die rein institutionelle, ressortbezogene Haushaltsgliederung führt zum Fehlen einer ziel- bzw. ressortübergreifenden Projektorientierung. Ohne eine Zielorientierung ist aber weder eine Bewertung der von der Exekutive erbrachten Leistungen noch eine Erfolgskontrolle möglich, da sich Wirtschaftlichkeit erst in Bezug auf angestrebte politische Ziele bestimmen läßt 3 0 . Damit verbindet sich ein Ressortpartikularismus im Prozeß der Be25 Bundesrechnungshof\ Bemerkungen 1994, BT-Drs. 12/8490, Nr. 1.2. 26 Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band II, 1980, S. 454, 1198; Fischer-Menshausen (FN 13), Vor Art. 110-115 Rn. 5; Heun, Staatshaushalt und Staatsleitung, 1989, insbes. S. 517 ff. 27 Vgl. Schmidt-Aßmann, in diesem Band S. 255. 28 Vgl. Schuppert, W D S t R L 42 (1984), S. 216 (242). 29 ν . Mutius, W D S t R L 42 (1984), S. 147 (181); s. auchH. Dreier (FN 14), S. 59 (97 ff.). 30 Fischer-Menshausen (FN 13), Art. 110 Rn. I I b , 27; Art. 114 Rn. 18, 24.

Regulierung staatsinterner Selbstregulierung

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darfsanmeldungen. Es herrscht eine kurzfristige Betrachtungsweise vor, was insbesondere an der reinen Ausgabenorientierung des Haushalts deutlich wird, die den schleichenden Werteverzehr etwa am immobilen Verwaltungsvermögen mißachtet. Zu nennen sind ferner der Informationsrückstand insbesondere der parlamentarischen Opposition gegenüber der Bedarfe anmeldenden Exekutive, fehlende Alternativrechnungen, Finanz- und Politikverflechtungen sowie Umfang und Komplexität des Haushaltsplans bei zeitlichen Grenzen der parlamentarischen Beratung und fehlender Sachkunde der Parlamentarier. Zu beachten ist des weiteren der noch längst nicht vollständig aufgearbeitete strukturelle Wandel des Budgetrechts in einer parlamentarischen Demokratie gegenüber der konstitutionellen Monarchie 31 . Zentraler Mangel des bisherigen Systems ist danach, daß dem parlamentarischen Steuerungsorgan, aber auch der haushaltsvollziehenden Exekutive durch das herkömmliche Haushaltswesen steuerungsrelevante outputbezogene Informationen bzw. Anreize nur in stark eingeschränktem Maße zur Verfügung gestellt werden. Dieser Umstand wird sogar durch eine Flut wenig steuerungsgeeigneter inputorientierter Daten und Informationen verdeckt.

I I I . Neue Ansätze der parlamentarischen Steuerung i m Haushaltsrecht

Deshalb wird die Frage interessant, auf welche Weise im Neuen Steuerungsmodell Verbesserungen angestrebt werden. Da die Elemente zur Stärkung der dezentralen Ressourcenverantwortung und zur Flexibilisierung des Haushaltsvollzugs wie erweiterte Deckungsfähigkeit zwischen Titelansätzen, zeitliche Übertragbarkeit bis hin zum Globalbudget bereits vielfältig diskutiert werden 32 , ist die weitere Untersuchung auf die aktuell in die 31 An die Stelle des für die konstitutionelle Monarchie und für Präsidialsysteme typischen Dualismus zwischen Parlamentsgesamtheit und Exekutive tritt der zwischen Opposition und Regierung bzw. Regierungsfraktionen; hierzu mit zutreffenden Relativierungen H. Dreier (FN 14), S. 59 (87 ff., 98 f.); zu den finanzwirtschaftlichen Folgen aus ökonomischer Sicht Blankart, Öffentliche Finanzen in der Demokratie, 3. Aufl. 1998, S. 105 ff., 143 ff., 393 ff. 32 H. Dreier (FN 14), S. 59 (102 ff.); Färber, StWStp 1997, S. 61 ff.; F. Kirchhof, DÖV 1997, S. 749 ff.; Kube, DÖV 2000, S. 810 ff.; Linck, ZG 1997, S. 1 ff.; Osterloh, in: Präsident des Landtages Rheinland-Pfalz (Hrsg.), Budgetierung und das Budgetrecht des Parlaments, 1996, S. 38 ff.; Sarrazin, StWStp 1997, S. 49 ff.; Schmid, ThürVBl 1998, S. 52 ff.; ders., ThürVBl 1998, S. 178 ff.; speziell zum Haushaltsrechts-Fortentwicklungsgesetz v. 22. 12. 1997 (BGBl. I S. 3521) Böhm, NVwZ 1998, S. 934 ff.; Gröpl, NVwZ 1998, S. 1251 ff.; Lüder, DÖV 1998, S. 285 ff.; Nawrath/Rosauer, ZG 1998, S. 352 ff.; zur Einordnung in den Gesamtmodernisierungsprozeß in der öffentlichen Verwaltung Budäus /Finger, Die Verwaltung 32 (1999), S. 313 ff.

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Debatte gebrachten Instrumente einer verbesserten parlamentarischen Steuerung konzentriert. Im Ausland und auf Landesebene gibt es eine Reihe von Initiativen, die Modernisierung des Haushaltswesens zur Wiedergewinnung parlamentarischer Steuerungsmöglichkeiten zu nutzen. Dieses Momentum aufgreifend hat Hill vor kurzem einen Diskussionsprozeß über die Entwicklung einer gesetzlich verankerten „Parlamentarischen Steuerungsordnung" angestoßen 33 . Die gezielt verwendete Begrifflichkeit verweist darauf, daß es im Rahmen des Neuen Steuerungsmodells nicht allein um das Haushaltsrecht oder gar nur eine kurzfristige Haushaltskonsolidierung geht, sondern um ein ganzheitliches Konzept zur Steuerung finanziellen und fachlichen Verwaltungshandelns 34 . Gegen derartige Versuche einer integrierten parlamentarischen Steuerung des Verwaltungshandelns werden inzwischen verfassungsrechtlich garantierte Autonomiezonen der Exekutive sowie die funktionale Scheidung des Haushalts- vom materiellen Verwaltungsrecht in Stellung gebracht 35 . Stand also am Anfang der Diskussion das Parlament als Verlierer der Neuen Steuerung im Blickpunkt 3 6 , wendet sich aktuell das Interesse dem Schutz administrativer Kompetenzbereiche zu. Die hier behandelte parlamentarisch regulierte Selbstregulierung der Exekutive wirft nach alledem staatsorganisationsrechtliche Grundsatzfragen bezüglich der Zuordnung der staatlichen Gewalten sowie des Verhältnisses von Haushaltsgesetzgeber und Sachgesetzgeber auf. Ein erster Reformansatz ist die Verbesserung der parlamentarischen Nachkontrolle des Haushaltsvollzugs durch parlamentarisches Controlling auf der Grundlage einer produkt- und ergebnisorientierten Kosten- und Leistungsrechnung 37 . Forderungen nach einer modifizierten Rolle der Rechnungshöfe stehen hiermit im Zusammenhang 38 . Diesbezügliche Probleme 33 Im Rahmen des von Hill geleiteten Forschungsprojekts „Speyerer Entwurf eines Mustergesetzes für eine Parlamentarische Steuerungsordnung" wurde bereits ein Vorbereitungs-Workshop im Februar 2000 durchgeführt und war für den September 2000 ein Symposium geplant; s. auch Hill, ZG 1998, S. 114 ff.; Brühlmeier/Haldemann / Mastronardi / Schedler, Schweizerisches Zentralblatt für Staats- und Verwaltungsrecht 1998, S. 297 ff. 34 Hill, ZG 1998, S. 109 f.; s. auch Hoffmann-Riem, DÖV 1999, S. 223 f. 3 5 Diesen Einwand erwägend: Kube, DÖV 2000, S. 810 (814 f.). se Vgl. insbes. Linck, ZG 1997, S. 1 ff.; zu Recht weniger kritisch Kube, DÖV 2000, S. 810 (811 ff.); Osterloh (FN 32), S. 38 ff.; s. auch Färber, StWStp 1997, S. 61 ff. 37 Vgl. Hill, ZG 1998, S. 112 ff.; Hoffmann-Riem, DÖV 1999, S. 223 (226 f.); Färber, StWStp 1997, S. 72 f.; allg. Lüder, DÖV 1993, S. 265 ff.; ders., in: Schmidt-Aßmann/ Hoffmann-Riem (Hrsg.), Verwaltungskontrollen (i.E.); Machura, Die Verwaltung 32 (1999), S. 405 ff.; Finanzbehörde der Freien und Hansestadt Hamburg, Controlling in der Hamburger Verwaltung, 1997. 38 Färber, StWStp 1997, S. 61 (72 f.); Hoffmann-Riem, DÖV 1999, S. 223 (224 ff.); Gößler, VB1BW 1995, S. 257 ff.; s. ferner: Schulze-Fielitz, W D S t R L 55 (1996), S. 231 ff.; Blasius, NWVB1 1997, S. 367 ff.; Dieckmann, DÖV 1992, S. 893 ff.; Müller, VOP 1993, S. 311 ff.

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bestehen vor allem auf der Ebene einer sachgerechten Gestaltung, der Vermeidung von desinformierender Datenflut und der Entwicklung sachgerechter und aussagekräftiger Produktdefinitionen, Wirkungsindikatoren und Kennziffern. Es muß mit anderen Worten eine sinnlose Berichtsbürokratie ohne Nutzen für die parlamentarische Steuerung bei gleichzeitiger Bindung administrativer Ressourcen vermieden werden. Diese Probleme sind keineswegs geringfügig. Sie liegen jedoch eher auf einer verwaltungswissenschaftlichen Ebene. Die meisten rechtlichen Probleme in diesem Bereich sollten im Rahmen der Einzelausgestaltung vermieden werden können. Das grundsätzliche Rechtsproblem eines Junktims zwischen der Flexibilisierung des Haushaltsrechts und der Einführung eines kompensierenden Controllings soll hier nicht vertieft werden. Hintergrund ist das Verhältnis zwischen parlamentarischer Steuerung und eigenverantwortlichem Handeln der Exekutive im Neuen Steuerungsmodell und die damit verbundene Gefahrenlage für das parlamentarische Budgetrecht 39 . Diesbezüglich enthalten eine Reihe von jüngeren Haushaltsgesetzen Aufträge an die Landesregierungen zur Fortentwicklung von Instrumenten zur Steuerung, Optimierung und Kontrolle des Mitteleinsatzes und zur Einhaltung des Ausgabenvolumens mit dem ausdrücklichen Ziel der Wahrung des parlamentarischen Budgetrechts 40 .

IV. Der parlamentarische Leistungsauftrag i m Spannungsfeld von parlamentarischer und exekutivischer Budgetgewalt

Statt dessen soll ein anderes seit kurzem in der Debatte befindliches Instrument näher untersucht werden: der parlamentarische Leistungsauftrag. Hierunter versteht beispielsweise der im Februar 2000 in die Landeshaushaltsordnung von Rheinland-Pfalz eingefügte § 7b einen Auftrag, der mit flexibilisierten Haushaltsansätzen verbunden werden kann - also nicht muß - und in dem für bestimmte Aufgaben Kosten- und Leistungsziele beschrieben werden. Verschiedene Varianten derartiger ergebnisorientierter Leistungsaufträge finden seit einiger Zeit in einzelnen Schweizer Kantonen Anwendung 4 1 . Auf die diffizilen Fragen hinsichtlich Rechtsnatur und Verbindlichkeit des Leistungsauftrags kann an dieser Stelle nicht näher eingegangen wer39 Überzeugend hierzu Kube, DÖV 2000, S. 810 (811 ff.), mit dem Gesamtergebnis, daß die gegenwärtigen Reformschritte aus dieser Perspektive rechtlich akzeptabel sind. 40 Z. B. § 6 V L H G RP 2000/2001, GVB1 v. 17. 2. 2000, S. 33 ff.; s. auch § 20a LHO RP i.d.F. vom 8. 2. 2000, GVB1 v. 17. 2. 2000, S. 47 ff. 41 Vgl. Hill, ZG 1998, S. 114 f.

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den. Lohnend ist insoweit ein Blick auf vergleichbare Debatten bezüglich des inneradministrativen Kontraktmanagements mittels Zielvereinbarungen, sofern die unterschiedlichen rechtlichen Konstruktionen hinreichend berücksichtigt werden 42 . Statt dessen sollen die bereits geäußerten Bedenken unter dem Gesichtspunkt der Gewaltenteilung genauer untersucht werden. Manche sehen in parlamentarischen Leistungsaufträgen einen Eingriff in den Kernbereich der Exekutive (den sogenannten Verwaltungsvorbehalt) 43 . Insoweit ist aber daran zu erinnern, daß das Grundgesetz nicht einer strikten Gewaltentrennung verpflichtet ist, sondern in diversen Einzelvorschriften ein differenziertes System der Gewaltenzuordnung mit vielfältigen Funktionsverzahnungen statuiert 4 4 . Wie Ossenbühl bilanzierte, hat die rund um die Staatsrechtslehrertagung von 1984 geführte Debatte über den Verwaltungsvorbehalt in der Summe nur geringen Ertrag erbracht. Abgesehen von den Selbstverwaltungsvorbehalten verfügt die Verwaltung nach seiner zutreffenden Einschätzung in den fraglichen Einzelbereichen (Vollzugsgewalt, Organisationsgewalt, Normsetzungsgewalt, Komplementärgewalt) lediglich über Restkompetenzen, die dem parlamentarischen Zugriff eröffnet bleiben, also der Verwaltung keine absolute Vorbehaltssubstanz vermitteln 4 5 . Ferner hat die zuvor nachgezeichnete Diskussion über die am Haushaltsvollzug mitwirkende Kontrolle des Haushaltsgesetzgebers gezeigt, daß auch in unserem speziellen Zusammenhang beträchtliche Möglichkeiten der Funktionenverzahnung bestehen 46 . In der gegenwärtigen Umbruchsituation ist allerdings das Fehlen einer klaren Rollenzuweisung für Parlament und Regierung problematisch. Diese Unsicherheit ist bereits seit längerem zu beobachten. Insbesondere die Landtage befassen sich nach empirischen Untersuchungen zu einem weit höheren Anteil, als es ihre landläufige Beschreibung als gesetzgebendes Organ offenbart, mit Fragen des finanziellen und fachlichen Verwaltungsvoll47

zugs . 42 Zum Problem vgl. Hill, ZG 1998, S. 114; s. ferner Pünder, DÖV 1998, S. 63 ff. 43 Vgl. Kube, DÖV 2000, S. 810 (814 ff.). 44 Zusammenfassend und prägnant hierzu Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 20. Aufl. 1995 (Neudruck 1999), S. 207 ff. 45 Ossenbühl, in: Götz / Klein / Starck, Die öffentliche Gewalt zwischen Gesetzgebung und richterlicher Kontrolle, 1985, S. 29 (33); zustimmend Schuppert, in: Benda/ Maihofer/Vogel (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts, 2. Aufl. 1994, § 31 Rn. 28. Der Versuch von Kühl, Der Kernbereich der Exekutive, 1993, S. 139 f., 147 ff., die Kernbereiche von Parlament und Exekutive negativ durch die zwingende Ungeeignetheit der jeweils anderen Gewalt zur fraglichen Aufgabenerfüllung zu konturieren, dürfte nur in praktisch nicht relevanten Situationen Lösungsansätze liefern. Das BVerfG etwa hat Parlamente sogar für geeignet erachtet, anlagenbezogene Fachplanungen vorzunehmen; BVerfGE 95,1 - Südumfahrung Stendal. 46 Oben II.

R e g u l i e r t e

Selbstregulierung

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Hieran anknüpfend ließe sich über eine neue Funktionenzuordnung unter Berücksichtigung verschiedener föderaler Steuerungsebenen nachdenken. Eine solche Überlegung wird von der im Grundgesetz verankerten föderalen Differenzierung zwischen Gesetzgebungs- und Vollzugskompetenzen sowie FinanzierungsVerantwortlichkeiten nahegelegt 48 . Beim Bund und auf der europäischen Ebene sind primär gesetzgeberische Kompetenzen angesiedelt, während den Ländern vor allem Vollzugskompetenzen und damit gemäß Art. 104a GG auch wesentliche Ausgabenlasten zufallen. Dem könnten differenzierte Kontrollkompetenzen der Landtage und des Bundestages entsprechen. Den Landtagen könnten in einer „parlamentarischen Steuerungsordnung" spezifische Kontrollkompetenzen mittlerer Reichweite hinsichtlich der landesbehördlichen Ausführung von Bundesrecht zugewiesen werden. Das Instrument hierzu wäre die Festlegung und Durchsetzung von parlamentarischen Leistungsaufträgen, mit denen in geeigneten Bereichen abstrakte Bundesgesetze unter Berücksichtigung der haushaltswirtschaftlichen Rahmendaten temporär konkretisiert würden (s. unten V.). Dem Bundestag verbliebe eine übergeordnete Kontrollperspektive hinsichtlich der Notwendigkeit von Gesetzesanpassungen. Die damit verbundenen staatstheoretischen Grundsatzfragen des Bundesstaats sowie der vertikalen und horizontalen Gewaltenzuordnung sind offenkundig und können an dieser Stelle nur als künftige Forschungsfragen verbucht werden. Ließe man sich auf diesen Gedanken einer ausdifferenzierteren parlamentarischen Verwaltungskontrolle ein, folgte ein erster Orientierungspunkt für die konkrete Ausgestaltung aus der Forderung, daß kontrollierende Organe von DurchführungsVerantwortung prinzipiell frei sein müssen. Andernfalls kommt es zu einer problematischen Mischung von Selbst- und Fremdkontrolle, die wechselseitigen Verantwortungszuweisungen zwischen Parlament und Exekutive Vorschub leistet 49 . Solange sich Leistungsaufträge jedoch funktionsgemäß auf strategische Produktbereiche und Leistungsmerkmale beschränken, bleibt der exekutivischen Vollzugsverantwortung hinreichender Spielraum. Durch eine outputbezogene Steuerung mittels der Leistungsaufträge könnte sogar umgekehrt eine klarere Verantwortungszuordnung erreicht werden. Denn nun muß das Parlament die politische Entscheidung über das angestrebte, mit der Finanzausstattung gekoppelte Leistungsniveau treffen, während die Exekutive für eine effiziente Auftragsumsetzung zuständig ist. Über das be47 Ockermann / Glende, So arbeitet der Landtag Nordrhein-Westfalen, 2. Aufl. 1997, S. 31 ff., 87 ff. 48 Zu diesem Charakteristikum des deutschen Föderalismus J.-P. Schneider, demnächst in Der Staat, im Manuskript unter IV. 49 Vgl. hierzu anläßlich der traditionellen mitwirkenden Haushaltskontrolle Mandelarzt, ZParl 1982, S. 14 f.

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reits angesprochene Controllingsystem muß und kann dann auch besser als bisher sichergestellt werden, daß die Vollzugsverantwortung nicht bloße Rhetorik bleibt, sondern die zuständigen Leitungsorgane auf einer fundierten Informationsgrundlage kontrolliert werden. Umgekehrt kann die parlamentarische Opposition diese Berichte nutzen, um die Parlamentsmehrheit mit geeigneten Informationen zur Wahrnehmung ihrer politischen Steuerungsverantwortung anzuhalten. Wichtig ist bei alledem, daß die Vorteile der dezentralen Ressourcenverantwortung gewahrt bleiben. Es muß also ein lediglich bürokratisch belastendes Berichtswesen ohne wirkliche Informations- und Steuerungsverbesserung vermieden werden und die stabilitätspolitische Beweglichkeit des Haushaltsvollzugs 50 erhalten bleiben.

V. Der Leistungsauftrag als konkretisierendes Scharnier zwischen abstraktem Verwaltungsgesetz und temporär geltendem Haushaltsgesetz

Weitere bedeutsame Fragen folgen aus der mit Leistungsaufträgen verbundenen Zusammenführung von inhaltlicher und finanzieller Programmierung. Befürworter des Neuen Steuerungsmodells sehen in dieser Ganzheitlichkeit einen zentralen Vorteil der neuen Steuerungsansätze 51. Inzwischen werden aber auch Bedenken gegen diese Verknüpfung angemeldet. Die Reforminitiativen setzten sich über eine prinzipielle grundgesetzliche Unterscheidung zwischen Haushaltsrecht und Verwaltungsrecht hinweg. Es drohe die Gefahr einer Erosion der politisch-parlamentarischen Rationalität durch gemeinwohlverkürzende Quantifizierungen. Das zentrale Steuerungsmittel des demokratischen Rechtsstaats müsse das allgemeine außenwirksame Gesetz bleiben 52 . Diese Bedenken sind keineswegs gering zu schätzen. Gleichwohl können sie keine prinzipiellen Einwände gegen die neuen parlamentarischen Steuerungsinstrumente begründen. Bei der Ausgestaltung ist ihnen hingegen Rechnung zu tragen. Zunächst ist die hinter dieser Argumentation verborgene strikte Trennung zwischen formellem Haushaltsrecht und materiellem Verwaltungsrecht bzw. zwischen Binnen- und Außenrecht nicht mehr überzeugend. Sie war ein Konstrukt zur Bewältigung eines historischen Konflikts in der konstitutionellen Monarchie 53 . Demgegenüber ist zwischenzeitlich von verschiedener Seite herausgearbeitet worden, daß die Verwaltungsrechtsdog50 si 52 53

Vgl. hierzu Fischer-Menshausen (FN 13), Art. 110 Rn. 2, 5. Vgl. Hill, ZG 1998, S. 109 f.; s. auch Hoffmann-Riem, DÖV 1999, S. 223 f. Kube, DÖV 2000, S. 810 (815 f.). Hesse (FN 44), S. 216 ff.

Regulierung staatsinterner Selbstregulierung

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matik durchaus offen ist, die seit langem vorhandenen haushaltsrechtlichen Steuerungseffekte auf das Verwaltungshandeln zu verarbeiten. Schleusen hierfür bieten insbesondere unbestimmte Rechtsbegriffe, Ermessensermächtigungen, die Gestaltung des VerwaltungsVerfahrens, die nichtgesetzesakzessorische Verwaltung sowie die Prüfungsmaßstabslehre der Verwaltungskontrollen 54 . Festzuhalten ist aber selbstverständlich auch an der Regel, daß das Haushaltsrecht Abweichungen von verwaltungsrechtlichen Pflichten nur im Wege der das Verwaltungsrecht novellierenden Haushaltsbegleitgesetzgebung rechtfertigen kann 5 5 . Funktion der Leistungsaufträge ist damit nicht die Modifikation des Verwaltungsrechts, sondern die Koordination zwischen haushaltswirtschaftlichen Rahmendaten des Verwaltungshandelns und verwaltungsrechtlich eingeräumten Spielräumen. Der Leistungsauftrag wird mit anderen Worten zum konkretisierenden Scharnier zwischen abstraktem Verwaltungsgesetz und temporär geltendem Haushaltsrecht. Zentrale Fragen der finanzwirksamen Verwaltungspolitik werden damit wieder in politische Arenen zurückgeholt. Auf diese Weise wird eine beobachtbare Immunisierung des Verwaltungsvollzugs gegenüber politischen Anliegen der betroffenen Bürger und Institutionen unter Hinweis auf rechtliche oder sachlich-finanzielle Zwänge zumindest ansatzweise in Frage gestellt 5 6 . Wichtig ist dabei allerdings die Forderung nach einer Beschränkung der Leistungsaufträge auf strategisch bedeutsame Gegenstände im Interesse der dezentralen Ressourcenverantwortung. Soweit keine parlamentarischen Leistungsaufträge gegeben werden, sind deshalb andere Formen insbesondere der verwaltungsverfahrensrechtlichen Verarbeitung von Spielraumentscheidungen einzusetzen. Abschließend sei an dieser Stelle auf organisationsrechtliche Schwierigkeiten bei der Integration von inhaltlicher und finanzieller Programmierung hingewiesen. Innerparlamentarisch ist die angemessene Beteiligung der Fachausschüsse bei der Erarbeitung der Leistungsaufträge sicherzustel54 Ausführlich v. Mutius, W D S t R L 42 (1984), S. 147 (198 ff., 206 f.); s. ferner zur Effizienz als Maßstab des Verwaltungsrechts Hoffmann-Riem, in: ders./Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Effizienz als Herausforderung an das Verwaltungsrecht, 1998, S. 11 (34 ff.); Schmidt-Aßmann, ebd., S. 245 (258 ff.); ders., Ordnungsidee (FN 8), S. 284 ff. 55 s. auch das Bepackungsverbot des Art. 110 Abs. 4 GG, das einer Aufsplitterung von Rechtsmaterien und einer Verzögerung der Haushaltsverabschiedung durch sachfremde Auseinandersetzungen begegnen soll. Der sachlichen Inhaltsbeschränkung kommt jedoch kaum praktische Bedeutung zu, da materiellrechtliche Vorschriften jeder Art zugelassen sind, die zu den im Haushaltsplan veranschlagten Einnahmen oder Ausgaben oder zum Vollzug des Haushalts einen Bezug haben; BSG, DVB1 1975, S. 111; Fis eher-Menshaus en (FN 13), Art. 110 Rn. 24 f. 56 Vgl. zu administrativen Immunisierungsstrategien sowie zu anderen Formen der inneradministrativen Bearbeitung verwaltungspolitischer Konflikte Scharpf, Die politischen Kosten des Rechtsstaats, 1970, S. 53 ff., insbes. S. 73 ff.

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len. Die bislang beobachtbare Dominanz des Haushaltsausschusses fördert tendenziell die vielfach befürchtete Ökonomisierung der parlamentarischen Steuerung. Weitere Überlegungen sind schließlich hinsichtlich des Verhältnisses zwischen Bund und Ländern erforderlich. Hier ist erneut an die für die deutsche Bundesstaatsordnung kennzeichnende Unterscheidung zwischen den hauptsächlich beim Bund angesiedelten Sachgesetzgebungskompetenzen und den Verwaltungskompetenzen der Länder zu erinnern. Gemäß dem Grundsatz der Verwaltungsakzessorietät der Ausgabenverantwortung im Rahmen der föderalen Lastenverteilung (Art. 104 a Abs. 1, Abs. 5 Satz 1 GG) führt dies zu einer institutionellen Scheidung zwischen dem Bundestag als Sachgesetzgeber und den Landtagen als Leistungsauftraggebern. Der Integration sind damit Grenzen gesetzt. Andererseits bieten sich auf diese Weise bereits angesprochene Möglichkeiten einer neuen politischen Rollenfindung der Landtage (s. oben IV.). Schließlich könnten Leistungsaufträge der Landtage Wege zu einer transparenteren föderalen Differenzierung beim Landesvollzug von Bundesrecht eröffnen. Auch hinsichtlich dieses Aspekts gibt es weiteren Forschungsbedarf.

Regulierte Selbstregulierung eine Diskussionsbemerkung aus strafrechtlicher Sicht Von Heike Jung, Saarbrücken

I.

Als Strafrechtler assoziiere ich mit dieser Fragestellung zunächst einmal bestimmte Entwicklungen und Problemstellungen, deren Gemeinsamkeit im wesentlichen darin besteht, daß sie an staatliche Prärogativen rühren. Solche Erscheinungen, die man gerne unter dem Schlagwort der „Privatisierung des Strafrechts" 1 zusammenfaßt, kann man für das ganze strafrechtliche Spektrum - angefangen von der Prävention von Straftaten über die Definition des Strafbarkeitsbereichs und die verfahrensmäßige Erledigung bis hin zum Strafvollzug - beobachten. Die Punkte, die die strafrechtliche Debatte bestimmen, sind ζ. B. private Sicherheitsdienste 2 , die Beteiligung der Normadressaten am „Geschäft der Normgebung" (Stichwort: lex artis) 3 , Mediation, vielleicht auch bis zu einem gewissen Grade Absprachen im Prozeß, und schließlich die Privatisierung im Bereich ambulanter und kustodialer Dienste.

II.

Die Aufzählung macht deutlich, daß die Auslöser für diese Entwicklungen unterschiedlicher Natur sind und aus unterschiedlichen ideologischen Ecken kommen. Ja, Mediation und die Privatisierung des Strafvollzuges scheinen auf den ersten Anhieb so wenig gemeinsam zu haben, daß man sich fragt, ob es überhaupt gerechtfertigt ist, sie in einem Atemzuge zu nennen. Bei näherer Betrachtung schälen sich verschiedene Kategorisierungsmöglichkeiten heraus. Da gibt es ζ. B. Entwicklungen, die von einer neo-liberalen Marktphilosophie getragen sind. Für sie gelten die Stichworte „Deregu1

Vgl. Jung, in: Jung/Müller-Dietz/Neumann (Hrsg.), in: Perspektiven der Strafrechtsentwicklung, 1996, S. 69 ff. 2 Eine Thematik, die gerade Hoffmann-Riem schon früh aufgegriffen hat: ders., ZRP 1977, S. 277. 3 Dazu ζ. B. Heine, Zeitschrift für das gesamte Lebensmittelrecht 1997, S. 269.

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lierung" und „schlanker Staat". In diesen Rahmen gehören etwa Privatisierungsbestrebungen im Bereich des Strafvollzuges. Nicht ganz dasselbe verbindet sich mit dem Stichwort „responsibilisation" 4 , für das beispielsweise private Schutz Vorkehrungen bis hin zu privaten Sicherheitsdiensten stehen. Dabei weiß man nicht so ganz genau, ob es sich um eine „von unten" gewachsene oder „von oben initiierte" Bewegung handelt. Auf ganz andere Hintergründe stößt man bei dem Stichwort „Mediation" 5 . Hier sind es vor allem partizipatorische Ansätze, die sich zur Geltung bringen und als deren gesellschaftspolitische Extremformel die These des norwegischen Kriminologen Christie gelten kann, den Beteiligten doch ihren Konflikt zurückzugeben 6 . Allerdings schwingen Vorstellungen von den Begleitschäden staatlich organisierter Konfliktregulierung mit, an deren Stelle umfassendere, demokratischere und sozialkonstruktivere Regelungsformen treten sollen, vielleicht im Sinne dessen, was der Europarat mit „new social strategies" 7 bezeichnet hat. Die konzeptionelle Bandbreite, die sich mit solchen Modellen verbindet, reicht von glatten Absagen an das Strafrecht zugunsten autonomer, lebensweltorientierter, eventuell sozialarbeiterisch flankierter Lösungsformen bis hin zu den unterschiedlichen Formen der Koexistenz mit dem staatlichen System der Strafrechtspflege und dementsprechend unterschiedlichen Formen der Integration in dasselbe.

III.

Selbstregulierung ist nun kein gänzlich neues Phänomen im Straf recht. Ansätze zur Schlichtung hat es schon immer gegeben. Die Vereins-, Verbands- und Betriebs] ustiz kann „straf rechts verdächtige" Probleme auffangen, und vielen Kriminalisierungsdebatten ist die Frage immanent, ob man nicht und bis zu welchem Punkt man auf die Selbststeuerungsprozesse der Beteiligten vertrauen sollte. Es läßt sich freilich nicht bestreiten, daß wir zunehmend häufiger mit Selbstregulierung konfrontiert werden, teils als Faktum, teils als Forderung. Angefangen von Ethikkommissionen bis hin zur Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft haben sie uns vielfach auch neue Institutionen beschert, die im Regulierungs- und Kontrollsystem nicht einfach zu verorten sind 8 . 4

Dazu Garland, in: British Journal of Criminology 1996, S. 445 (452). Zusammenfassend Jung, in: FS Hans Joachim Schneider, 1998, S. 913 ff. 6 Christie, in: British Journal of Criminology 1977, S. 1. 7 Vgl. Council of Europe, New Social Strategies and the Criminal Justice System. 19 t h Criminological Research Conference (1990), Straßburg 1994. 8 Zur Rolle der Ethikkommissionen z.B. Grupp sowie Jung, in: Furkel/Jung (Hrsg.), Bioethik und Menschenrechte, 1993, S. 125 bzw. S. 145. 5

Regulierte Selbstregulierung aus strafrechtlicher Sicht

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Dieser Siegeszug der Selbstregulierung steht in einem eigentümlichen Gegensatz zum umfassenden Anspruch an den Gesetzgeber, die wesentlichen gesellschaftlichen Wertentscheidungen zu definieren. Soll auf diese Art der Ball wieder zurückgespielt werden? Ich sehe vor allem fünf Gründe für diesen Siegeszug: 1. Im Parallelogramm zwischen Staat / Gesellschaft / community / Einzelner haben sich die Kräfteverhältnisse verschoben mit der Konsequenz, daß bestimmte Formen der Konfliktregelung „entstaatlicht" werden. 2. Die gewisse „Flexibilisierung" des Straf rechts verspricht einen adäquateren Einsatz staatlicher Mittel, wobei man nicht zuletzt auf verstärkte Mitwirkungsbereitschaft des Betroffenen (Stichwort: Einwilligung) setzt. 3. Bestimmte Lebensbereiche sind dadurch gekennzeichnet, daß der Zugang zu den für die Aufklärung des Falles relevanten Informationen ohne die Mitwirkung der Beteiligten schwierig ist. 4. In anderen Lebensbereichen ist die normative Verständigung noch im Fluß, so daß „harte" strafrechtliche Regelungen deplaziert erscheinen. 5. Straf recht ist zwar zunehmend zur „prima" oder gar „sola ratio" avanciert 9 . Die damit verbundenen Konsequenzen lassen sich aber nur durchhalten, wenn gleichzeitig neue Wege zum Ausstieg aus dem repressiven strafrechtlichen Modell eröffnet werden.

IV.

Wie soll man nun mit diesen Entwicklungen umgehen? Im Prinzip stehe ich ihnen positiv gegenüber, soweit sie zu einer Verminderung an Punitivität, zu einer Stärkung der autonomen Mitentscheidung der Betroffenen und zu einer angemesseneren Konfliktregelung führen. Ich verbinde mit meinem tendenziell positiven Votum drei einschränkende Feststellungen oder Forderungen: (1) Selbstregulierung darf nicht in ein freies Spiel der Kräfte einmünden. Macht bedarf vielmehr der Kontrolle, gleichgültig, von wem sie ausgeübt w i r d 1 0 . Das heißt, man kann sich durch Selbstregulierung nicht von menschenrechtlichen Grundanforderungen freizeichnen.

9 So schon die Einschätzung von Hassemer, KritV 1988, S. 336 (343). 10 Vgl. Jung, Introductory Report, in: Council of Europe, Privatisation of Crime Control 1990, S. 5 (13). 13 Die Verwaltung, Beiheft 4

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(2) Die „Flexibilisierung" des Strafrechts, sprich prozedurale Strategien wie Diversion u.ä. dürfen nicht den Weg für materielle Entkriminalisierungsstrategien versperren 11 . (3) Selbstregulierung darf nicht dazu führen, daß die Glaubwürdigkeit einer vor allem dem Gleichheitsgedanken verpflichteten staatlichen Strafrechtspflege leidet (Stichwort: private Sicherheitsdienste).

11 Anregend dazu das Editorial von Kunz, Kriminologisches Bulletin de Criminologie 1999, Nr. 2, S. 3.

I I I . Regulierte Selbstregulierung und Verwaltungswissenschaft

„Regulierte Selbstregulierung" Zur Karriere eines Schlüsselbegriffs* Von Andreas Voßkuhle, Freiburg i. Br. Angesichts der vorgetragenen Ideen zu unserem Leitthema „Regulierte Selbstregulierung", der Vielzahl der analysierten Referenzgebiete sowie der Unterschiedlichkeit der Akzentsetzungen und Positionen in den bisherigen Vorträgen und Diskussionsbeiträgen wäre es vermessen, die bisherigen Aussagen in eine innere Systematik bringen, ja vielleicht sogar noch bewerten zu wollen. Ich möchte daher zum Schluß der Tagung lediglich einige kurze, thesenartige Überlegungen zu der Frage anstellen, warum die Formel der „Regulierten Selbstregulierung" zu einem „Schlüsselbegriff" der analytischen Durchdringung und inhaltlichen Ausgestaltung kooperativer Regelungsstrukturen im Schnittfeld zwischen öffentlichem und privatem Sektor avanciert ist. Das soll in einer Art wissenschaftlicher Selbstspiegelung geschehen, wenn man so will, als Beobachtung der Beobachtung. 1. Vom Grundsatz her ist das mit der regulativen Idee der „Regulierten Selbstregulierung" verfolgte und beschriebene Konzept arbeitsteiliger Gemeinwohlrealisierung schon seit längerem bekannt. Unter anderer „Flagge" wurden entsprechende Phänomene und Problemlagen schon seit Anfang der siebziger Jahre auf einer ganzen Reihe von Staatsrechtslehrertagungen verhandelt: „Die Erfüllung von Verwaltungsaufgaben durch Private" 1 , „Staatszwecke im Verfassungsstaat" 2, „Verträge und Absprachen zwischen der Verwaltung und Privaten" 3 und „Privatisierung von Verwaltungsaufgaben" 4 lauteten die jeweiligen Themenstellungen. Auf der Dresdener Tagung 1996 gelang dann bekanntlich die - zeitlich vielleicht etwas verspätete wissenschaftliche Adelung: Man referierte und diskutierte zum Thema

* Der Beitrag beruht auf einem Kurzstatement, das der Verfasser als Teilnehmer einer Podiumsdiskussion im Rahmen des Symposiums abgegeben hat. ι Vgl. die Referate von Ossenbühl und Gallwas, W D S t R L 29 (1970), S. 137 ff. bzw. S. 211 ff. 2 Vgl. die Referate von Link und Ress, W D S t R L 48 (1990), S. 7 ff. bzw. S. 56 ff. 3 Vgl. die Referate von Burmeister und Krebs, W D S t R L 52 (1993), S. 190 ff. bzw. S. 248 ff. 4 Vgl. die Referate von Hengstschläger, Osterloh, H. Bauer und Jaag, W D S t R L 54 (1995), S. 165 ff., 204 ff., 243 ff. bzw. S. 287 ff.

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„Verwaltung und Verwaltungsrecht zwischen gesellschaftlicher Selbstregulierung und staatlicher Steuerung" 5 . Die Formulierung wirkt hier noch etwas schwerfälliger, sie nähert sich aber deutlich der Formulierung des Themas unserer Tagung an 6 . 2. Schlüsselbegriffe haben die Funktion 7, übergreifende Ordnungsideen für bestimmte Argumentationszusammenhänge fruchtbar zu machen, indem sie eine Fülle von Informationen und Gedanken in einem Wortspeicher bündeln, strukturieren und begreifbar machen. Sie reduzieren damit auf der einen Seite Komplexität, dienen aber gleichzeitig als Inspirationsplattform, indem sie Assoziationskräfte freisetzen, noch unausgegorenen Gedanken ersten Halt geben, verschiedene Perspektiven zusammenführen 8 und Anleitung für die Zukunft ermöglichen. Sie ähneln insoweit „Theorien", deren Aufgabe ebenfalls darin gesehen werden kann, „Phänomene zusammenzufassen, zu koordinieren, zu erklären und vorauszusagen" 9 - nur ist das Format kleiner und die Aussage auf den ersten Blick plakativer. Schlüsselbegriffe sind damit ganz besonders auf Konkretisierung angewiesen; sie geben keine Antwort, sondern weisen dem Denken den Weg 10 . Was macht nun vor diesem Hintergrund die besondere Attraktivität des Schlüsselbegriffs „Regulierte Selbstregulierung" aus?

5 Vgl. die Referate von Schmidt-Preuß und Di Fabio , W D S t R L 56 (1997), S. 160 ff. bzw. 235 ff. 6 Siehe Schmidt-Preuß, W D S t R L 56 (1997), S. 160 (162 ff.): „gesteuerte Selbstregulierung" (S. 165). Wer der Erfinder des Begriffs ist, läßt sich schwer nachvollziehen. Maßgeblich zu seiner Verbreitung und Akzeptanz hat jedenfalls Hoffmann-Riem beigetragen, so daß man durchaus von „seinem" Begriff sprechen darf; vgl. ders., in: ders./Schmidt-Aßmann/Schuppert (Hrsg.), Reform des Allgemeinen Verwaltungsrechts, 1993, S. 115 (140); ders., Die Verwaltung 28 (1995), S. 425 ff.; ders., in: ders./ J.-P. Schneider (Hrsg.), Verfahrensprivatisierung im Umweltrecht, 1996, S. 9 (19 ff.); ders., in: ders./Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Öffentliches Recht und Privatrecht als wechselseitige Auffangordnungen, 1996, S. 261 (301 ff.); ders., DÖV 1997, S. 433 (435 f.); ders., in: Schmidt-Aßmann/Hofmann-Riem (Hrsg.), Verwaltungsorganisationsrecht als Steuerungsressource, 1997, S. 358 (371 f.); ders., in: Schulte (Hrsg.), Technische Innovation und Recht, 1997, S. 3 (13 ff.); ders., JZ 1999, S. 421 (423 f.); ders./Schulz/Held, Konvergenz und Regulierung, 2000, S. 50 ff. Vgl. ferner nur Weinreich, Recht als Medium gesellschaftlicher Selbststeuerung, 1995; Finckh, Regulierte Selbstregulierung im Dualen System, 1998. 7 Zum Arbeiten mit Schlüsselbegriffen vgl. auch Hoffmann-Riem, in: ders./ Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Innovation und Flexibilität des Verwaltungshandelns, 1994, S. 9 (19 ff.). Näheres dazu aus Sicht der Verfassungsdogmatik bei Denninger, in: FS Wassermann, 1985, S. 279 ff., und Aulehner, Polizeiliche Gefahren- und Informationsvorsorge, 1998, S. 403 ff. 8 Vgl. Schuppert, Die Verwaltung, Beiheft 2 (1999), S. 103 (109 f.). 9 Winkler/Falter, in: Mohr (Hrsg.), Grundzüge der Politikwissenschaft, 2. Aufl. 1997, S. 65 (100). Zur Bedeutung von Theorien in der Rechtswissenschaft vgl. im übrigen etwa Canaris, JZ 1993, S. 377 ff.; Dreier, in: FS Schelsky, 1978, S. 103 ff.; K. F. Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 1995, S. 160 ff. m.w.Nachw. 10 Die rechtspolitische Funktion von Schlüsselbegriffen betont Hoffmann-Riem, DÖV 1997, S. 433 (439).

„Regulierte Selbstregulierung" - Karriere eines Schlüsselbegriffs

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3. Zunächst einmal ist der Begriff aus sich selbst heraus verständlich. Die Verwobenheit von Fremd- und Selbststeuerung kommt in ihm treffend zum Ausdruck. Diese vordergründige Eindeutigkeit hebt ihn ab von anderen Begriffen, mit denen man versucht, Formen der arbeitsteiligen Gemeinwohlkonkretisierung zu beschreiben. Während etwa ältere key terms wie „Staatsaufgaben", „Kooperation" oder „Gemeinwohl" in ihrem Erklärungsgehalt sehr unspezifisch bleiben, erscheinen andere Topoi wie „funktionelle Privatisierung" oder „Verantwortungsteilung" schon begrifflich sehr voraussetzungsvoll 11 . 4. Die vordergründige Eindeutigkeit des Schlagwortes von der „Regulierten Selbstregulierung" wird aber nicht mit Trivialität erkauft. Im Gegenteil: Der immanente Widerspruch zwischen Fremd- und Selbstbestimmung rückt es geradezu in die Nähe einer Paradoxie. Dies entspricht unserem postmodernen Blick auf die Welt. Wir haben das Prinzipielle weitgehend verabschiedet (Odo Marquard) und leben in und mit einer Zeit offenbarer Widersprüche. 5. Anders als Steuerungskonzepte mit einseitig reformerischer Konnotation, etwa Sozialisierung, Privatisierung, Ökonomisierung oder Deregulierung, ist der (politische) Kompromiß im Sinne einer weitgehenden Versöhnung von öffentlichem und privatem Sektor in der Formulierung von der regulierten Selbstregulierung schon von vornherein explizit mit enthalten 12 . Wer für regulierte Selbstregulierung eintritt, kann daher ζ. B. dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk die Stange halten und gleichzeitig gesellschaftlicher Selbstbestimmung einen hohen Stellenwert beimessen 13 . 6. Das Konzept der „Regulierten Selbstregulierung" vermag auf diese Weise ganz unterschiedliche Theorieansätze unter einem Dach zu vereinigen. Der liberale Ökonom aus der Chicago Law School in der Tradition von Coase, Posner; Calabresi und Anhänger der Vorstellung einer „Privatrechtsgesellschaft" (Franz Böhm) finden sich hier unter Umständen ebenso wieder wie der Etatist oder der ambitionierte Sozialingenieur. Das könnte mittelfristig zu einer Entideologisierung der Steuerungsdebatte führen. 7. Dazu trägt auch bei, daß das „Selbst" der „Regulierten Selbstregulierung" in gewisser Weise unentschieden läßt, ob im Mittelpunkt das Indivi-

11 Zur Analyse und Abgrenzung der genannten Schlüsselbegriffe voneinander Voßkuhle, in: Schuppert (Hrsg.), Jenseits von Privatisierung und „schlankem" Staat, 1999, S. 47 (56 ff.) m.w.Nachw. 12 Das macht den Begriff auch politikkompatibel, vgl. zum Thema Gesetzgebung als institutionalisierte Kompromißbildung Schulze-Fielitz, Theorie und Praxis parlamentarischer Gesetzgebung, 1988, S. 404 ff. 13 Vgl. nur Hoffmann-Riem, in: R. Schmidt (Hrsg.), Öffentliches Wirtschaftsrecht, 1995, § 6Rn. 83 ff.

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duum oder die Gesellschaft steht, ob also die Verwirklichung einer liberalen Staatsidee das Ziel ist oder eine „Vergesellschaftung des Rechts" 14 . 8. Hier wie da nährt das „Selbst" in der regulierten Selbstregulierung jedenfalls die schöne Hoffnung, viele Probleme würden schon von selbst oder zumindest durch die „invisible hand" des regulierten Marktes ins Lot kommen. Angesichts der Kompliziertheit der Welt eine offensichtlich beruhigende Perspektive. Das Luhmannsche Ohnmachtsbekenntnis: „Alles könnte anders sein - und fast nichts kann ich ändern" 1 5 wird dadurch zumindest erträglicher. 9. Umgekehrt führt das Adjektiv „regulierte" mitunter zu der Annahme, in der Welt (der am Theoriebau beteiligten Systemtheorie) gäbe es doch noch irgendwo versteckt (Subjekte und) Machtzentren, die maßgeblichen Steuerungseinfluß besäßen16. Regulierte Selbstregulierung darf insofern trotz technokratischer Attitüde auch als kompatibel mit dem „Menschenb i l d " 1 7 und den Demokratievorstellungen des Grundgesetzes gelten. 10. Fazit: Der Schlüsselbegriff der „Regulierten Selbstregulierung" eröffnet im Hinblick auf Steuerungsfragen in besonderer Weise die Möglichkeit eines offenen, problemorientierten Diskurses in bezug auf die verschiedensten Referenzgebiete und über viele ansonsten bestehende (unsichtbare) fachliche, theoretische und politische Grenzen hinweg. Darin liegt seine große Stärke - und ein Stück weit auch seine Gefahr!

14 So etwa Weinreich (FN 6), S. 135 ff. is Luhmann, in: ders., Politische Planung, 4. Aufl. 1994, S. 35 (44). 16 Zum Begriff der Regulierung vgl. Ruffert, AöR 124 (1999), S. 237 ff.; J.-P. Schneider, Liberalisierung der Stromwirtschaft durch regulative Machtorganisation, 1999, S. 41 ff.; Eifert, Grundversorgung mit Telekommunikationsleistungen im Gewährleistungsstaat, 1998, S. 18 ff. Zur Entwicklung des Konzepts der öffentlichen Regulierung aus ökonomischer Sicht am Beispiel der USA vgl. etwa übersichtlich Kaufer, Theorie der öffentlichen Regulierung, 1981. 17 Zu solchen Konstruktionen und ihrer Bedeutung im Recht vgl. etwa Bergmann, Das Menschenbild der Europäischen Menschenrechtskonvention, 1995; U. Becker, Das „Menschenbild des Grundgesetzes" in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, 1996, und Lepsius, Steuerungsdiskussion, Systemtheorie, Parlamentarismuskritik, 1999, S. 52 ff.

Das Konzept der regulierten Selbstregulierung als Bestandteil einer als Regelungswissenschaft verstandenen Rechtswissenschaft Von Gunnar Folke Schuppert, Berlin

I. Einleitung

Zur Einstimmung möchte ich anknüpfen an eine Stellungnahme meines Fakultätskollegen Christian Kirchner zum Konzept der neu gegründeten Staatswissenschaftlichen Fakultät an der Universität Erfurt 1 , in der er in seiner Eigenschaft als Ökonom und Jurist zur Rolle von Wirtschafts- und Rechtswissenschaft als verselbständigten Teildisziplinen einer sie früher überwölbenden Staatswissenschaft folgendes ausgeführt hat: „Der Begriff der Staatswissenschaft wird wieder aufgegriffen, weil historisch gesehen in ihrem Rahmen die verschiedenen Zweige der Gesellschaftswissenschaften zusammengefaßt waren, bezogen auf die Aufgabe der Organisation des Gemeinwesens. Im modernen Staat kann es nicht mehr voraussetzungslos um den Staat gehen, sondern um eine zustimmungsfähige Organisation der Gesellschaft. Angesichts der existierenden - und systematisch nicht überwindbaren - Ressourcenknappheit kommt der Ökonomik als der Theorie von Wahlentscheidungen in Bezug auf die Ressourcenallokation die entscheidende Rolle auf dem Feld der positiven Sozialwissenschaft zu; angesichts der zunehmenden Verrechtlichung moderner Gesellschaften kommt der Rechtswissenschaft die entscheidende Rolle als moderne Regelungswissenschaft zu." „Institutionen sind heute" - so heißt es weiter - „weitgehend rechtlich ausgeformt", so daß - wie wir folgern dürfen - die „Wiederentdekkung" von Institutionen 2 notwendig auch eine Wiederentdeckung von Steuerung durch Recht bedeuten muß 3 und die rechtliche Ausgestaltung von Institutionen 4 ein zentraler Forschungsgegenstand einer als Regelungswissenschaft verstandenen Rechtswissenschaft zu sein hat. ι Vom 18. Februar 2000, S. 2. March/Olsen, Rediscovering Institutions. The Organizational Basis of Politics, 1989. 3 Schuppert, in: Grimm (Hrsg.), Wachsende Staatsauf gaben - abnehmende Steuerungskraft des Rechts, 1990, S. 217 ff. 4 Vgl. dazu Lepsius, in: Nedelmann (Hrsg.), Politische Institutionen im Wandel. Sonderheft 35 der Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 1995, 2

202

Gunnar Folke Schuppert

Was wir jetzt tun wollen, ist, an dieses Verständnis von Rechtswissenschaft als Regelungswissenschaft anzuknüpfen und zu fragen, wie sich das Konzept der regulierten Selbstregulierung als Bestandteil einer umfassenderen Regelungswissenschaft verstehen und würdigen läßt; dabei soll in drei Schritten vorgegangen werden: in einem ersten soll dem Zusammenhang von Staatstypen und Regelungstypen nachgegangen werden, in einem zweiten Schritt gilt es, einige Elemente einer Theorie von Regulatory Choice vorzustellen und drittens schließlich geht es darum, die intensiv diskutierte Staats- und Verwaltungsreform als Reform der Rechtsordnung in den Blick zu nehmen.

I I . Staatstypen und Regelungstypen 1. Z u r Erläuterung der Vorgehensweise: Staatstypen und Ttypen der Verwaltungsorganisation sowie Staatstypen und Bürgertypen

Was die erste Art und Weise der Zuordnung angeht, so dient uns als Vorbild das Buch von James March und Johan Olsen mit dem programmatischen Titel „Rediscovering Institutions", in dem die Autoren verschiedenen Staatstypen verschiedene Organisationstypen der öffentlichen Verwaltung zuordnen 5 , ζ. B. - dem sovereign state die klassische hierarchische Ministerialverwaltung, - dem supermarket state model die öffentliche Verwaltung als Dienstleistungsunternehmen sowie - dem corporate bargaining state die Verwaltung als Moderator und Konfliktmittler. Was das zweite Zuordnungsbeispiel angeht, so können wir an die soeben abgeschlossene Habilitationsschrift von Susanne Baer zum Thema „Der Bürger im Verwaltungsrecht zwischen Obrigkeit und aktivierendem Staat" anknüpfen, in der sie verschiedenen Staatstypen verschiedene Bürgertypen wie folgt zuordnet 6 , - dem Obrigkeitsstaat den Untertan, - dem liberalen Staat den Bourgeois, - dem Sozialstaat den Konsumenten, - dem (schwachen) Verhandlungsstaat den starken Bürger, S. 392 ff.; s. ferner Fuchs, in: Friedrichs/Jagodzinski (Hrsg.), Soziale Integration, Sonderheft 39 KZfSSoz. 1999, S. 147 ff. 5 s. FN 2. 6 Baer, Der Bürger im Verwaltungsrecht zwischen Obrigkeit und aktivierendem Staat, Habilitationsschrift, maschinenschriftliches Manuskript, S. 327 ff.

Das Konzept der regulierten Selbstregulierung

203

- dem schlanken Staat den Kunden sowie - dem aktivierenden Staat den Bürger als Akteur. Nach dieser so skizzierten Methode wollen wir jetzt vorgehen und den Zusammenhang von sechs Staatstypen und dazu passenden sechs Regelungstypen schlagwortartig beleuchten, wobei wir uns nicht scheuen, in diesem noch frühen Gärungszustand einer zu entwickelnden rechtswissenschaftlichen Regelungstheorie holzschnittartig vorzugehen und vor plakativen Zuordnungen nicht zurückzuschrecken; es geht uns mehr darum, die Diskussion über Regelungstypen im Rahmen einer als Regelungswissenschaft verstandenen Rechtswissenschaft anzustoßen, als den großen Zuordnungswurf vorzulegen.

2. Zuordnung von Staatstypen und Regelungstypen: Ein erster Versuch

Wenn im folgenden versucht wird, sechs verschiedenen Staatstypen sechs verschiedene Regelungstypen zuzuordnen, so wollen wir uns dieses schwierige Geschäft dadurch erleichtern, daß wir jeweils ein oder zwei Autoren stellvertretend heranziehen, an denen man die von uns vorgeschlagene Zuordnung jeweils besonders gut „festmachen" kann; damit wollen wir zugleich einen Beitrag leisten zu der von Helmuth Schulze-Fielitz aufgeworfenen Frage, was die Qualität öffentlich-rechtlicher Forschung ausmacht 7 , die sich neben anderen durch Themenwahl, Begriffsprägungen, Neuigkeitswert und Transferleistungen auszeichnet. a) Interventionsstaat und interventionistisches Recht. Was dieses Zuordnungspaar angeht, so standen dabei Veröffentlichungen von Michael Stolleis Pate, insbesondere sein Beitrag über „Die Entstehung des Interventionsstaates und das öffentliche Recht" 8 . In diesem Beitrag schlägt Stolleis vor, vom Staat der Neuzeit als Interventionsstaat zu sprechen, der - und dies zeichnet ihn als Typus aus - durch eine „bestimmte Dichte und Planmäßigkeit rechtlicher Einflußnahmen" gekennzeichnet ist; bei Stolleis heißt es dazu wie folgt 9 : „Da in einem sehr weiten Sinn jeder Staat der Neuzeit Interventionsstaat ist, weil er unablässig durch Setzung und Durchsetzung von Normen sowie durch administrative Regulierung von Einzelfällen gesellschaftliche Prozesse begrenzt, anregt oder unterdrückt, sollte man von ,Interventionsstaat' sinnvollerweise nur reden, wenn eine bestimmte Dichte und Planmäßigkeit rechtlicher Einflußnahmen er7 Schulze-Fielitz, Was macht die Qualität öffentlich-rechtlicher Forschung aus?, JöR 50 (2002). 8 Stolleis, Zeitschrift für neuere Rechtsgeschichte 1989, S. 129 ff. 9 Stolleis, Zeitschrift für neuere Rechtsgeschichte 1989, S. 129 (135 f.).

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reicht werden. Es müßte sich also ,um strukturelle und qualitative Veränderungen ... und nicht lediglich um eine quantitative Aufblähung schon immer nachweisbarer Aufgaben' handeln 10 . Für die Rechts- und Verfassungsgeschichte ist ... entscheidend, ob die ... Industriewirtschaft von einem bestimmten Punkt an der ständigen staatlichen Intervention in Form neu gesetzten Rechts zwingend bedarf, weil sie keine selbsttragende Konstruktion mehr ist. Sobald dieser Punkt erreicht ist, muß der Staat intervenieren, um sich selbst in seiner Doppelrolle als Garant der Spielregeln und als Mitspieler halten zu können; er interveniert nicht aus Stärke, sondern aus Schwäche. Die Inhalte der Intervention werden zunehmend im Arrangement des politisch-administrativen Systems mit den gesellschaftlichen Gruppen festgelegt. Dies hat weitreichende Folgen, nicht nur für den Stil der Gesetzgebung und der Rechtsprechung, für die politische Willensbildung und letztlich für die Zuschreibung des Begriffs der Souveränität. Die seit dem Ende des 19. Jahrhunderts diskutierte Frage, ob die Epoche der (inneren) Souveränität zu Ende gehe, hat hier ihren Ursprung. " Von diesem A u s g a n g s p u n k t aus erkennt Stolleis i m Sinne Puhle 11

vor al-

l e m die folgenden vier s t r u k t u r e l l e n u n d q u a l i t a t i v e n Veränderungen, die f ü r das Recht des Interventionsstaates charakteristisch sind: aa) Der sprunghafte

Anstieg

des Regelungsbedarfs

der

Industriegesell-

schaft. Daß der Interventionsstaat i n w e i t höherem Maße auf eine P r o d u k t i o n v o n vor a l l e m die W i r t s c h a f t s t ä t i g k e i t regelnden N o r m e n angewiesen ist als der liberale Staat, ist offenkundig. D i e N o r m e n p r o d u k t i o n n a h m insbesondere dort rasch zu, w o die I n d u s t r i a l i s i e r u n g den Weg i n die t e c h n i sierte Massengesellschaft geebnet hatte. Zusammenfassend heißt es dazu bei Stolleis w i e f o l g t 1 2 : „Die Umgestaltung der Lebenswelt durch neue Techniken und die Notwendigkeit stärkerer Standardisierung der industriellen Produktion steigerte sowohl die Regelungsdichte als auch die Intensität der Regelung durch Recht. Das Normen werk der technischen Sicherheit entstand, das Recht der Industrienormen, das Straßenverkehrsrecht. Nimmt man alles zusammen, das neue Sozialrecht und Steuerrecht, das Recht der (erst später so genannten) kommunalen Daseinsvorsorge, das neue Technik-, Verkehrs- und Energierecht, so wird deutlich, daß der Aufbruch i n die Welt der Industriegesellschaft und die Vermehrung der öffentlichen Normen schon lange vor dem Weltkrieg eingesetzt hatten." bb) Die Machtergreifung recht als Wachstumsbranche.

des Öffentlichen

Rechts und das

Verwaltungs-

Diese v o n Franz Wieacker so genannte M a c h t -

ergreifung des Öffentlichen R e c h t s 1 3 h a t ihre Ursache i n dem den raschen Prozeß der I n d u s t r i a l i s i e r u n g begleitenden i m m e r größer werdenden Regelungsbedarf:

die rechtliche O r d n u n g der technischen Neuerungen,

die

10 Puhle, in: Ritter (Hrsg.), Vom Wohlfahrtsausschuß zum Wohlfahrtsstaat. Der Staat in der modernen Industriegesellschaft, 1973, S. 29 (30 f.). 11 Ebd. 12 Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland. Dritter Band 19141945, 1999, S. 47. 13 Wieacker, Industriegesellschaft und Privatrechtsordnung, 1974, S. 36, 39.

Das Konzept der regulierten Selbstregulierung

205

rechtliche Bewältigung der Bevölkerungsvermehrung und der Verstädterung und die rechtliche Umsetzung der für die Soziale Frage gefundenen politischen Lösungen verlangten nach einer Bereitstellung eines rechtlichen Ordnungsrahmens, und zwar von einem bisher nicht dagewesenen Regelungsumfang und von einer bisher nicht dagewesenen Regelungsdichte. Stolleis nennt zum Beleg die folgenden Regelungsbeispiele 14 : „Beispiele aus der Zeit bis zum Weltkrieg bieten etwa das Eisenbahnrecht, einschließlich der Eisenbahnreglements als Wegbereiter der allgemeinen Geschäftsbedingungen, die rechtliche Neugestaltung des Post- und Telegraphenwesens, das Recht der Elektrizitätsversorgung, das erste Gesetz über den Verkehr mit Kraftfahrzeugen, alles dies begleitet von einer Kette entsprechender internationaler Abkommen. Auf der Ebene der Kommunen kommt ein qualitativ völlig neues Städtebau- und Planungsrecht hinzu sowie das bereits erwähnte Rechtsgebiet der städtischen Daseinsvorsorge. Einen weiteren großen Komplex bilden diejenigen Normen, mit denen der Staat die Privatwirtschaft umgrenzte, ihr Schutz gewährte, regulierend eingriff und den ordre public als Schranke der (im Prinzip selbstverständlich gewahrten) Handlungsfreiheit aufrichtete. Beispielhaft seien genannt das Wuchergesetz von 1880, die Gesetze über Urheberrechte, über das Verlagsrecht, die Gesetze über Patente, Gebrauchsmuster und Warenzeichen; weiter das Genossenschafts- und das GmbH-Gesetz, das Börsengesetz und das Hypothekenbankgesetz, Gesetzgebung zum Versicherungswesen, das Abzahlungsgesetz, das Scheckgesetz sowie Gesetzgebung gegen unlauteren Wettbewerb."

cc) Die schrittweise Grenzverwischung zwischen Privatrecht und Öffentlichem Recht. Wichtigstes Kennzeichen all dieser genannten Gesetze ist die „schrittweise Grenzverwischung zwischen Privatrecht und öffentlichem Recht" 1 5 . Kritische Beobachter dieses Prozesses konstatierten „eine immer stärkere öffentlich-rechtliche Beimischung" im Bürgerlichen Recht, „einen beträchtlichen Abbau an bürgerlichem Recht zugunsten der Publizistik" und „eine bedeutende Zunahme an Zwang" 1 6 . Es entstanden breite Mischund Übergangszonen zwischen Freiwilligkeit und Zwang, zwischen Privatrecht und Öffentlichem Recht, ein Prozeß, angesichts dessen sich die verwaltungsrechtliche Dogmatik in die Verlegenheitsformel des „Verwaltungsprivatrechts" flüchtete 17 . „Es handelte sich also schon in dieser frühen Phase des Interventionsstaates nicht einfach um die Vermehrung öffentlichrechtlicher Zwangsgewalt, sondern um die Durchdringung von öffentlichem

14 Stolleis, Zeitschrift für neuere Rechtsgeschichte 1989, S. 129 (138 f.). is Stolleis, Zeitschrift für neuere Rechtsgeschichte 1989, S. 129 (139). 16 Hedemann, Das bürgerliche Recht und die neue Zeit, 1919, S. 11 ff.; vgl. auch Kahn, Rechtsbegriffe der Kriegswirtschaft, 1918, S. 154: „Das öffentliche Recht erweiterte auf Kosten des Privatrechts seinen Bereich." 17 Näher dazu Ehlers, Verwaltung in Privatrechtsform, 1984.

Gunnar Folke Schuppert

206

und privatem Recht mit der Folge, daß beide Seiten Charakterzüge der anderen übernahmen." 18 . dd) Das Vordringen des Zweckmoments. Den eigentlichen Schlüssel für die Veränderung der gesamten Rechtsordnung im Interventionsstaat sieht Stolleis im Vordringen des Zweckmoments, ein Prozeß, den er wie folgt kommentiert und zusammenfaßt 19 : „Intervention bedeutet gezielte, zweckgeleitete Einflußnahme durch Recht. Das Recht ist insoweit Mittel, nicht Selbstzweck. Der Richter wird i n diesen Jahren, wie es Jan Schröder ausgedrückt hat, vom ,Diener' zum ,Hüter' des Gesetzes, indem er die intendierten Zwecke ermittelt und im Rahmen der Norm zur Geltung bringt. Insofern sind das Auftauchen des Zweckgedankens und die Umorientierung des Richterbildes sichere Indizien für den Interventionsstaat, der eine flexibel steuerbare Rechtsordnung braucht, dem die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft, vom öffentlichem und privatem Recht immer weniger bedeutet, sofern nur bestimmte ,Zwecke' erreicht werden. Im Ergebnis heißt dies Zunahme von Zwang und Verwaltungsrecht; denn zweckgeleitete Intervention bedeutet Lenkung oder Einbindung von Privatautonomie durch öffentliches Recht. Die sozialen und wirtschaftspolitischen Zwecke, der Arbeiterschaft, dem Mittelstand, der Schwerindustrie oder der Landwirtschaft zu Hilfe zu eilen, schlüpften notwendig ins Gewand des öffentlichen Rechts."

b) Wohlfahrtsstaat und sozialstaatliches Verwaltungsrecht. Von diesem von Michael Stolleis beschriebenen Wandel der Rechtsordnung im Interventionsstaat und insbesondere von dem zuletzt angesprochenen Vordringen des Zweckgedankens ist es nur ein kleiner Schritt zu dem Verständniswandel des Verwaltungsrechts im liberalen und im sozialen Rechtsstaat, wie er in inzwischen klassischer Weise von Peter Badura beschrieben worden ist 2 0 . Ausgangspunkt der Überlegungen Baduras ist die These, daß die Neuorientierung der Staatszwecke vom liberalen zum sozialen Rechtsstaat auf Methode und Begrifflichkeit der verwaltungsrechtlichen Theorie durchschlagen müsse, daß die „Wandlung der Staatsaufgaben auch zu einer Wandlung der Methode des wissenschaftlichen Verwaltungsrechts führen muß" 2 1 . Es geht uns also an dieser Stelle nicht primär um die Beschreibung neuer Rechtsmasse oder das Aufkommen neuartiger Regelungsformen, sondern um einen Wandel des Verständnisses bestehenden Rechts, des Allgemeinen Verwaltungsrechts. Wie eng und unauflösbar Rechts Verständnis und Staatsverständnis, Staatstyp und Rechtstyp miteinander verbunden sind, ist von Badura mit beeindruckender Eindringlichkeit geschildert worden. Was zunächst den

18 19 20 21

Stolleis, Stolleis, Badura, Badura

Zeitschrift für neuere Rechtsgeschichte 1989, S. 129 (140). Zeitschrift für neuere Rechtsgeschichte 1989, S. 129 (140). in: Recht und Staat Nr. 328,1966. (FN 20), S. 5.

Das Konzept der regulierten Selbstregulierung

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Rechtsbegriff des l i b e r a l e n Rechtsstaates angeht, so heißt es dazu bei i h m wie folgt 22: „Der Blickwinkel des liberalen Rechtsstaates wählt aus der Anschauung der Verwaltungstätigkeit die Rechtsformen als wesentlich aus und isoliert sie von den durch sie verwirklichten Verwaltungszwecken. Denn das Recht dieses Rechtsstaates ist ein vom Rechtszweck, d. h. von den ideellen und gesellschaftlichen Voraussetzungen abgelöstes, ,vernünftiges' Ordnungssystem, das gegenüber seinen Inhalten scheinbar indifferent ist. Da der Rechtsbegriff des liberalen Rechtsstaates formal war, mußte die an ihm orientierte rechtswissenschaftliche Methode formalistisch, konnte sie nicht teleologisch sein. In der Entscheidung der neuen Wissenschaft vom Verwaltungsrecht für die Methode eines Positivismus der Rechtsformen im allgemeinen und der Rechtsformen des obrigkeitlichen Verwaltens im besonderen tritt ihr Zusammenhang mit der Staatsauffassung des liberalen Rechtsstaates zutage." Diesem l i b e r a l e n Rechtsverständnis stellt Badura

das Rechtsverständnis

des modernen Verwaltungsstaates gegenüber, i n dem der soziale Rechtsstaat seine V e r w i r k l i c h u n g f i n d e t u n d dessen Gesetze - A k t e weitgreifender Sozialgestaltung, P l a n u n g u n d U m v e r t e i l u n g - die V e r w a l t u n g aus einem H ü ter koexistierender Freiheiten i n eine ständig expandierende A p p a r a t u r v o n Lenkung und Leistung verwandeln 23: „Die zu Lenkung und Leistung aufgerufene Verwaltung des sozialen Rechtsstaates hat ihren Bedürfnissen angepaßte neue Rechtsformen ausgebildet, deren auffälligste der lenkende Plan und die lenkende und leistende Verwaltung i n privatrechtlicher Form sind. Äußerlich betrachtet sind auch im sozialen Rechtsstaat Gesetz und Verwaltungsakt die beherrschenden Rechtsformen geblieben. Als Instrumente der neuen Verwaltungszwecke aber haben sie ihre Rechtsgestalt geändert, ein Vorgang, den eine nur auf die Rechtsformen blickende Verwaltungsrechtswissenschaft verbirgt. Immerhin hat im Felde des Gesetzesbegriffs liberale Sensibilität auf die neue Wirklichkeit mit dem Begriff des ,Maßnahme-Gesetzes' reagiert. Damit ist die verfassungsrechtliche Diskussion über den Gesetzesbegriff des demokratischen und sozialen Rechtsstaates eröffnet worden. Das Gesetz der bürgerlichen Gesellschaft war seiner Idee nach die dauerhafte und allgemeine Emanation einer vorausgesetzten ,Vernunft', die im Läuterungsprozeß der parlamentarischen Debatte zu sich selbst kam. Das Gesetz der demokratischen Industriegesellschaft läßt sich nur als verhältnismäßig kurzfristig wirksame Technik sozialer Gestaltung begreifen und es entsteht, da die demokratische Gesellschaft die in der liberalen Rechtsidee scheinbar gesellschaftstranszendente praktische Wahrheit in sich zurückgenommen hat, aus einem Kompromiß der beteiligten Interessen. Hinsichtlich des Verwaltungsaktes steht das aggiornamento der verwaltungsrechtlichen Theorie noch aus, nicht zuletzt deswegen, weil dieser Begriff den Bedürfnissen des Verwaltungsprozeßrechts ausgeliefert worden ist. " Wie an dieser Passage d e u t l i c h w i r d , geht es aber n i c h t n u r u m ein gewandeltes Verständnis der F u n k t i o n e n des Verwaltungsrechts, sondern auch u m

22 Badura (FN 20), S. 11. 23 Badura (FN 20), S. 7.

Gunnar Folke Schuppert

208

die E n t w i c k l u n g neuer Rechtsformen w i e etwa die des lenkenden Plans; d a m i t s i n d w i r b e i m nächsten S t i c h w o r t angelangt. c) Planender

Verwaltung

nung als Handlungsform

s Staat und

Planungsrecht,

aa) Lenkende

Pla-

des zukunft g est alt enden Staates. A u c h b e i der n u n

folgenden k u r z e n S k i z z i e r u n g v o n P l a n u n g u n d P l a n als H a n d l u n g s f o r m der V e r w a l t u n g 2 4 geht es w i e d e r u m u m den Z u s a m m e n h a n g v o n Staatstyp u n d Staats Verständnis einerseits, V e r w a l t u n g s f u n k t i o n e n u n d Verwaltungsh a n d e l n andererseits. P l a n u n g ist die typische H a n d l u n g s f o r m eines Staatstyps, der f ü r sich als Staatszweck eine umfassende S oziai V e r a n t w o r t u n g rek l a m i e r t u n d daher die gewünschte Gestaltung eines Sozialbereichs p l a n e r i s c h z u steuern versucht; beide Aspekte s i n d v o n Peter Badura

w i e folgt

k l a r herausgearbeitet worden: „Das wohlfahrtsstaatliche Revirement der Funktion der Verwaltung und der Formen des Verwaltens wird bei der vielgestaltigen Verwaltungsaufgabe der Planung besonders deutlich ... Die fortschreitende Zunahme des Planungsbedürfnisses ist eine unvermeidliche Konsequenz der umfassenden Sozialverantwortung des Staates." 2 5 „Planung ist eine Aufgabe ,gestaltender Verwaltung', eine besondere Form der lenkenden Verwaltung, deren Eigenart darin besteht, daß sie auf dem Boden längerfristiger Überlegungen systematisch und losgelöst vom Einzelfall die gewünschte Gestaltung eines Sozialbereichs, wie etwa der Bodennutzung in einem bestimmten Räume, konzipiert. Der Plan ist auf einen in der Zukunft liegenden und zu verwirklichenden Zustand gerichtet und wird durch die Herstellung dieses Zustandes erfüllt. Er ist deshalb nicht eine für denkbare Tatbestände bereitgestellte Ordnung, sondern hat programmatischen Charakter." 26 P l a n u n g ist also der Versuch staatlicher Z u k u n f t s g e s t a l t u n g , u n d die u n glaubliche K a r r i e r e v o n P l a n u n g u n d „ P l a n i f i c a t i o n " i n den 60er u n d 70er Jahren hatte i h r e n N ä h r b o d e n i m G l a u b e n an die P l a n b a r k e i t gesellschaftl i c h e n u n d ökonomischen W a n d e l s 2 7 . P l a n u n g ist als Z u k u n f t s g e s t a l t u n g Sozialgestaltung, so daß - w i e Wilfried

Erbguth

es zutreffend f o r m u l i e r t h a t

- der P l a n als typische H a n d l u n g s f o r m des Staatstyps des Sozialstaates angesehen w e r d e n k a n n 2 8 : „Diese Besonderheit der Planung als zweckprogrammierte Handlungsform mit reduzierter Determination spiegelt ein gewandeltes Staatsverständnis wider, näm24 Ausführlicher dazu Schuppert, Verwaltungswissenschaft. Verwaltung, Verwaltungsrecht, Verwaltungslehre, 2000. 25 Badura, DÖV 1968, S. 453. 26 Badura, in: FS zum 25jährigen Bestehen des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs, 1972, S. 157 (165). 27 Dazu Würtenberger, Die Fortbildung 26 (1981), S. 42 ff.; als wichtige Beiträge aus der sozialwissenschaftlichen Planungsdebatte sind zu nennen Luhmann, Politische Planung. Aufsätze zur Soziologie von Politik und Verwaltung, 1971; Offe, Strukturprobleme des kapitalistischen Staates, 3. Aufl. 1975, S. 123; Scharpf, in: Die Verwaltung 1 (1970). 28 Erbguth, DVB11981, S. 557 ff.

Das Konzept der regulierten Selbstregulierung

209

lieh die Weiterentwicklung des reaktiv abwehrenden liberalen Rechtsstaats zum vorsorgend verteilenden sozialen Rechtsstaat. Planung ist damit das wesentliche Instrument sozialstaatlicher Aufgabenerledigung. "

bb) Besonderheiten der Verwaltungsaufgabe „Planung". (1) Besondere Normstruktur von Planungsgesetzen. In der Verwaltungswissenschaft besteht weitgehend Konsens darüber, daß Planungsnormen eine besondere Struktur auf weisen 29 . Thomas Würtenberger hat Planungsgesetze „als Instrument einer final programmierten Entscheidungsdurchsetzung" wie folgt charakterisiert 30 : „ I n Planungsgesetzen werden lediglich Ziele staatlichen und individuellen Handelns angegeben. Außerdem wird vielfach geregelt, in welchen Verfahren die Zielerreichung angestrebt werden soll. Im Planungsgesetz finden sich aber keine Aussagen darüber, welche konkrete Maßnahme hic et nunc zum Zweck der Zielerreichung gewählt werden soll. Planungsgesetze bedienen sich eben des Mittels der finalen Programmierung, der Steuerung der Verwaltung durch Ziel vorgaben. Viele wichtige Gesetze sind als Planungsgesetze ergangen: so etwa das Stabilitätsgesetz, in dem das Ziel des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts für alle staatliche Tätigkeit normiert wurde. Im Bundesraumordnungsgesetz wird gefordert, daß bei aller raumbedeutsamen Planung gesunde Lebens- und Arbeitsbedingungen und ausgewogene wirtschaftliche, soziale und kulturelle Verhältnisse Ziele der Planungsentscheidungen sein sollen oder daß die Belange des Umweltschutzes bei allen raumbedeutsamen Maßnahmen beachtet werden müssen."

Bei Planungsgesetzen tritt also an die Stelle des subsumtionären Gesetzesvollzugs die Gesetzesverwirklichung durch die Verwaltung, was für die Stellung der Verwaltung im politisch-administrativen System nicht ohne Rückwirkungen bleiben kann 3 1 . (2) Die Planung sent Scheidung als eigener Entscheidungstyp der Verwaltung. Rainer Wahl - einer der besten Kenner von Planung und Planungsrecht 3 2 - hat es unternommen, „Genehmigung und Planungsentscheid u n g " 3 3 als zwei Grundmodelle von Verwaltungsentscheidungen herauszuarbeiten und einander gegenüberzustellen: Die Genehmigung begegnet uns in dem traditionellen Institut des präventiven Verbots mit Erlaubnisvorbehalt, der von Hartmut Maurer 34 treffend so genannten „Kontrollerlaubnis". Da es bei der Kontrollerlaubnis allein um die Einhaltung spezieller gesetzlicher Schranken grundrechtlicher Betätigungsfreiheit geht, hat der Einzelne, der die Tatbestandsvoraussetzungen 29 Stellvertretend Schmitt Glaeser, JAO 1980, S. 321 ff.; Hoppe, in: HStR III, 1988, § 71 Rn. 19 f. 30 Würtenberger, Die Fortbildung 26 (1981), S. 42 (43). 31 Näher dazu Schuppert, Verwaltungswissenschaft (FN 24). 32 Vgl. Wahl, Fragen der Landesplanung und Landesentwicklung, 1978. 33 Wahl, DVB1 1982, S. 51 ff. 34 Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 13. Aufl. 2000, § 9 Rn. 51 ff. 14 Die Verwaltung, Beiheft 4

210

Gunnar Folke Schuppert

der Erlaubnisnorm erfüllt, einen Anspruch auf Erteilung der Genehmigung. Prototyp dafür ist die Gewerbeerlaubnis. Am entgegengesetzten Endpunkt von Verwaltungsentscheidungen ist nach Wahl das nicht minder traditionsreiche Institut der Planfeststellung zu sehen, „die als exemplarische Ausprägung von Planungsentscheidungen" die Aufgabe habe, ein raumbedeutsames komplexes Vorhaben in seiner räumlichen Umgebung zu verorten. Der qualitative Unterschied der Planungsentscheidung zur Kontrollerlaubnis liegt im Vorgang des Abwägens: „ Z u Recht ist gesagt worden, daß das Abwägen der Kernpunkt der Planung und das Abwägungsgebot eine rechtsstaatliche Chiffre für sozialrechtsstaatliches Planen überhaupt i s t " 3 5 . Zum Vorgang des Abwägens bemerkt Wahl 36: „Bei der gestaltenden Abwägung beim Planen werden dagegen die einzelnen öffentlichen und privaten Belange in eine Gesamtbetrachtung eingebracht und eingefügt, also in einer umfassenden Bewertung ,eingeschmolzen'. Dies hat seine Ursache darin, daß es bei der Planung um die Gestaltung von Interessengeflechten geht, bei der ,dem einen Interesse nicht zugestanden werden kann, ohne in einer Art Kettenreaktion zugleich die zahlreichen anderen Interessen zu berühren'. Die intellektuelle Bewältigung dieses Interessengeflechts geschieht gerade durch eine Gesamtbewertung, bei der es im Ergebnis zu einer Saldierung der verschiedenen gegen und für das Vorhaben sprechenden Belange kommt. Von Kompensation kann hier insoweit zu Recht gesprochen werden, als bei der Gesamtbewertung durchaus und typischerweise wegen Vorteilen und Vorzügen bei einigen öffentlichen Interessen über Nachteile bei anderen Belangen hinweggegangen werden kann, der positive Gesamtsaldo die Nachteile und unerwünschten Zustände in Teilbereichen ausgleicht und zurücktreten läßt."

Besteht die Aufgabe der planenden Verwaltung also in der Austarierung von Interessengeflechten, so kann auch dies für die Stellung der Verwaltung im politisch-administrativen System nicht ohne Rückwirkungen bleiben, worauf vor allem Claus Offe eindringlich aufmerksam gemacht hat 3 7 . d) Präventionsstaat und präv entions staatliches Sicherheitsrecht, aa) Zu Begriff und Wirkungsweise des Präventionsstaates. Der Präventionsstaat 38 betreibt Gefahrenvorsorge, nicht Gefahrenabwehr; Dieter Grimm hat ihn eindringlich beschrieben 39 : „ I m Gegensatz zu einem Staat, der sich primär als Repressionsinstanz versteht und deswegen den Eintritt eines sozialschädlichen Ereignisses abwarten kann, um dann zu reagieren, muß der präventiv orientierte Staat mögliche Krisen bereits im Ansatz aufspüren und zu ersticken versuchen, ehe sie zum Ausbruch kommen. 35 Schmidt-Aßmann, in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg, Bundesbaugesetz, Loseblatt, § 1 Rn. 302, 303. 36 Wahl, DVB1 1982, S. 51 (55). 37 Offe, Leviathan 2 (1974), S. 333 ff. 38 Grimm, Kritische Viertel]ahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft 1986, S. 38 ff., auch abgedruckt in: ders., Die Zukunft der Verfassung, 1991, S. 197 ff.; Denninger, KJ 1988, S. 1 ff. 39 Grimm, in: ders. (FN 38), S. 197 (198).

Das Konzept der regulierten Selbstregulierung

211

Nicht erst konkrete Gefahren, sondern schon abstrakte Risiken rufen unter diesen Umständen den Staat auf den Plan."

Besonders interessant für uns ist nun, wie der Präventionsstaat auf den Plan tritt, d. h. wie seine Instrumente und Handlungsmodi beschaffen sind. Auch dazu lassen wir Grimm zu Wort kommen, zunächst zum liberalrechtsstaatlichen Repressionsstaat 40 : „Staatliche Repression äußert sich im Einschreiten gegen manifeste Störungen eines gesetzlich vorgegebenen Normalzustands mit dem Ziel der Wiederherstellung. Sie wirkt also reaktiv und punktuell." „Im Gegensatz dazu stellt sich präventive Staatstätigkeit als Vermeidung unerwünschter Entwicklungen und Ereignisse dar. Sie wirkt also prospektiv und flächendeckend."

Genau dies ist der Punkt. Dem prospektiv und flächendeckend vorgehenden Präventionsstaat wird in Gestalt des Gesetzes zur Bekämpfung des illegalen Rauschgifthandels und anderer Erscheinungsformen der Organisierten Kriminalität (OrgKG) sowie des späteren Verbrechensbekämpfungsgesetzes ein entsprechendes Handlungsinstrumentarium zur Seite gestellt, denn diese Gesetze legalisieren genau das, worauf der Präventionsstaat angewiesen ist: eine vorbeugende und flächendeckende Verbrechensbekämpfung. bb) Der Präv entions Staat als Sicherheits Staat. In Anlehnung an die Begriff sbildung des Sozialstaates, die auf die Gewährleistung sozialer Sicherheit und die Herstellung sozialer Gerechtigkeit als zentrale Aufgaben des Staates der Industriegesellschaft abhebt, kann man den Präventionsstaat als Sicherheitsstaat apostrophieren, um so die zentrale Staatsaufgabe der Gewährleistung von Sicherheit durch ein sich entwickelndes Sicherheitsrecht und durch eine funktionsadäquate Sicherheitsverwaltung hervorzuheben. In der Tat zeigt eine sich verändernde Terminologie eine Veränderung in der Sache im Sinne eines Funktionswandels von Verwaltung und Verwaltungsrecht im Bereich der Staatsauf gäbe „Gewährleistung von Sicherheit und Ordnung" 4 1 deutlich und unübersehbar. Drei Stichworte mögen hier zur Skizzierung genügen: (1) Die grundrechtlich geforderte Staatsauf gäbe Sicherheit. Es besteht und bestand weitgehender Konsens darüber, daß die Gewährleistung von Sicherheit eine zentrale Staatsaufgabe darstellt und der Grundpflicht des Bürgers auf Gewaltverzicht nicht nur das Gewaltmonopol des Staates, son-

40 Grimm, in: ders. (FN 38), S. 197 (199). 41 Zur Staatsauf gäbe der Gewährleistung von Sicherheit und Ordnung im Gefüge der Staatsaufgaben siehe die Typologie bei Rose, European Journal of Political Research 4 (1975), S. 247 ff.; vgl. ferner Schuppert, VerwArch 71 (1980), S. 309 ff. 1*

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dern auch seine Rechtsdurchsetzungspflicht korrespondiert. In diesem Sinne heißt es bei Christoph Gusy zutreffend 42 : „Sicherheit ist heute als Staatsaufgabe anerkannt. Sie umfaßt nicht nur die Ahndung schon eingetretener Rechtsverletzungen, sondern auch die Beendigung gegenwärtiger und die Abwehr zukünftiger Angriffe auf die Rechtsordnung. Auf diese Weise wird die Durchsetzung der Rechtsordnung zum öffentlichen Gut. In der Risikogesellschaft ist die Sicherheit ein öffentliches Gut."

Bemerkenswert ist an der neueren Diskussion die starke Betonung des Verfassungsrangs der Staatsaufgabe Sicherheit. So sieht Volkmar Götz in der verfassungsrechtlichen Qualität der Staatsaufgabe „Innere Sicherheit" einen Ausdruck der „staatsfordernden Dimension des Verfassungsrechts" 43 und spricht Josef Isensee in einer vielbeachteten und häufig zitierten Schrift vom „Grundrecht auf Sicherheit" 4 4 . Diese Terminologie - so wird man zusammenfassen können - gibt gewissermaßen „begrifflichen Flankenschutz" für die in der inneren Logik des Präventionsstaates angelegte Tendenz, die im herkömmlichen Gefahrenbegriff liegende Begrenzung polizeilichen Handelns zu überwinden und unter Berufung auf präventiv zu bekämpfende Gefahrenrisiken die domestizierende Wirkung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes mehr und mehr abzustreifen. (2) Vom Polizeirecht zum Sicherheitsrecht. So lautet der Titel der Bielefelder Antrittsvorlesung von Christoph Gusy 45, ein Titel, der genau diesen angetippten Funktionswandel des Rechts im Gefolge des Präventionsstaates als Sicherheitsstaat aufgreift und benennt. Die inhaltliche Veränderung beginnt auf leisen Sohlen als terminologische Veränderung, und zwar zunächst in der unaufhaltsamen Karriere des Begriffs „Innere Sicherheit". Während früher der Beitrag von Götz im „Handbuch des Deutschen Staatsrechts" vielleicht wie das Standardlehrbuch von Drews / Wacke/ Vogel/Martens „Gefahrenabwehr" 46 geheißen hätte, ist er heute mit „Innere Sicherheit" überschrieben; dieser Begriff hat nicht nur einen entdifferenzierenden, verschieden strukturierte Sicherheitsbranchen zusammenfassenden Charakter, sondern es handelt sich - wie Götz selbst es formuliert - um eine staatsfordernde Begrifflichkeit, die der als Sicherheitspaket 47 daherkommenden Politik der Kriminalitätsbekämpfung eine gewisse argumentative Wucht verleiht. Dazu heißt es im Beitrag 42

Gusy, Staatswissenschaft und Staatspraxis 1994, S. 187 ff. Götz, in: HStR III, 1988, § 79 Rn. 3 44 Isensee, Das Grundrecht auf Sicherheit, 1983. 4 5 s. FN 42. 4 6 9. Aufl. 1986. 47 Vgl. Eidgenössisches Justiz- und Polizeidepartment, Aktionsprogramm „Innere Sicherheit 1994". 43

Das Konzept der regulierten Selbstregulierung v o n Alfred

Dietel

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„ I n n e r e Sicherheit - Verheißung u n d reale M ö g l i c h k e i t " 4 8

zutreffend w i e folgt: „Der Begriff ,Innere Sicherheit' hat sich verselbständigt. Als politisches Versprechen läßt sich »Innere Sicherheit' leichter positiv besetzen als der mehr juristischneutrale Begriff der öffentlichen Sicherheit. Politische Handlungsfähigkeit und Entschlossenheit läßt sich besser mit Maßnahmen zur Verbesserung der »Inneren Sicherheit' signalisieren, weil hier stets der Eindruck erweckt werden kann, daß es um große und wichtige Dinge geht." D e r z u r Staatsaufgabe „ I n n e r e S i c h e r h e i t " passende Begriff des Sicherheitsrechts geht daher auch über das klassische Polizeirecht hinaus, u n d diese E n t w i c k l u n g folgt n u r der L o g i k des Präventionsstaates; es geht daher auch n i c h t d a r u m , sie aufzuhalten, sondern über der

staatsfordernden

Sachlogik n i c h t die freiheitssichernde F u n k t i o n der Differenzierungen v o n Polizei u n d Justiz, v o n Repression u n d Prävention, v o n Polizei- u n d N a c h richtendiensten etc. zu vernachlässigen. H i e r eine neue, zugleich f u n k t i o n s t ü c h t i g e w i e freiheitssichernde Balance z u finden, ist Aufgabe der Rechtswissenschaft; Gusy k o m m e n t i e r t z u t r e f f e n d 4 9 : „Sicherheit ist ein Zustand, welcher unter den modernen Bedingungen der Risikogesellschaft den Bereich der Polizei und des tradierten Polizeirechts immer mehr überschreitet. Sind Staat und Polizei bei der Herstellung und Erhaltung von Sicherheit nur noch einzelne Faktoren unter anderen, so werden die auch rechtlich zu berücksichtigenden Belange zahlreicher und komplexer. Hier fängt das Sicherheitsrecht an. Zugleich zeigt sich aber auch: die ausgetretenen Pfade der polizeirechtlichen Dogmatik sind immer weniger adäquat, die tatsächlichen Probleme zu bewältigen. Abseits jener Pfade stellen sich viele Fragen, aber bislang nur wenig Antworten ein. Hier steht die Rechtswissenschaft nahezu überall am Anfang. " (3) Innere Sicherheit,

Sicherheitsrecht,

Sicherheitsverwaltung.

Haben w i r

es also i m Gefolge des Präventionsstaates z u t u n m i t „ I n n e r e r S i c h e r h e i t " als Staatsaufgabe u n d einem alle sicherheitsrechtlichen Regelwerke u m spannenden Sicherheitsrecht, so ist es n u r konsequent, die G e w ä h r l e i s t u n g v o n Sicherheit der d a n n auch so genannten Sicherheitsverwaltung anzuvertrauen. A u c h dieser Begriff ist ein vereinheitlichender, w i e uns spätestens k l a r w i r d , lesen w i r den Begriff i m V e r w a l t u n g s l e x i k o n 5 0 nach; dort heißt es: „SicherheitsVerwaltung ist der Oberbegriff für alle Verwaltungen, die zur Sicherung der Unversehrtheit der Rechtsordnung und des Staates und seiner Einrichtungen sowie von Gesundheit, Ehre, Freiheit und Vermögen seiner Bürger eingerichtet sind. Sicherheitsverwaltungen lassen sich i n solche zur äußeren und inneren Sicherheit aufteilen. Erstere umfassen die Bundeswehr und die Nachrichtendienste. Mit den letzteren werden so heterogene Verwaltungen erfaßt wie ζ. B. die Polizei, Bundesgrenzschutz, Wirtschaftsverwaltungen wie die Gewerbeaufsicht, 48 Dietel, in: Bull (Hrsg.), Sicherheit durch Gesetz?, 1987, S. 57 ff. 49 Gusy, Staatswissenschaft und Staatspraxis 1994, S. 187 ff. so Eichhorn u. a. (Hrsg.), Verwaltungslexikon, 1985, S. 836.

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das Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen und das Bundesaufsichtsamt für das Versicherungswesen, Flugsicherungsverwaltungen (Flugsicherung), Gesundheitsämter, Ernährungs- und Veterinärverwaltungen."

Vielleicht hat es sogar sein Gutes, mit diesem weiten Begriff der Sicherheitsverwaltung zu arbeiten; wir können ihn als Aufforderung verstehen, uns Rechenschaft abzulegen über die jeweiligen Funktionsbereiche der unter dem Dach der SicherheitsVerwaltung tätigen Verwaltungszweige und darüber, ob sie neu definiert oder verändert einander zugeordnet werden müssen. Darüber haben wir uns an anderer Stelle Gedanken gemacht 51 . e) Kooperativer Staat und kooperative Rechts struktur en. aa) Kooperatives Recht als eigenständiger Rechtstyp? Fragt man danach, worin die Rolle des Rechts bei der Strukturierung von Kooperationsbeziehungen bestehen könnte, so scheint dafür - w i l l man einigen Autoren Glauben schenken 52 ein spezifischer Rechtstyp zur Verfügung zu stehen: das kooperative Recht gewissermaßen das passende Rechtsgewand des kooperativen Staates. Jedoch merkt man bei näherem Hinsehen schnell, daß hier nur komplexen Kooperationsvorgängen ein modischer Begriff übergestülpt werden soll und daß die von Nicolai Dose und Rüdiger Voigt aufgeworfene Frage „Welcher analytische Gewinn läßt sich mit der Figur des kooperativen Rechts verbinden?" 53 mit dem einfachen Wort „keiner" beantwortet werden muß. Daß eine andere Antwort schwerlich möglich ist, zeigt sich, wenn wir einen Blick auf die angebotene Definition dessen werfen, was kooperatives Recht sein soll 5 4 : „Von kooperativem Recht ist die Rede, wenn kooperatives Verwaltungshandeln auf die eine oder andere Art und Weise vom Gesetz- und Verordnungsgeber bewußt oder unbewußt programmiert wurde. Ganz offensichtlich ist dies bei Planfeststellungsverfahren oder bei Genehmigungsverfahren mit Öffentlichkeitsbeteiligung. Nur graduell weniger deutlich offenbart sich kooperatives Recht, wenn durch den Einbau sekundärer Elastizitäten in Rechtsnormen - beispielsweise durch unbestimmte Rechtsbegriffe - eine stark am jeweiligen Einzelfall ausgerichtete Informationsbeschaffung, -Verarbeitung und Entscheidung programmiert wurde und sich auch die Rechtsprechung bei der Ausfüllung von derartiger Verwaltungsautonomie zurückhält. Schließlich äußert sich kooperatives Recht auch, wenn kooperatives Verwaltungshandeln zumindest ermöglicht und nicht strikt unterbunden wird. "

Genehmigungsverfahren mit Öffentlichkeitsbeteiligung und die Verwendung von unbestimmten Rechtsbegriffen durch den Gesetzgeber konstituieren nun nicht aber einen spezifischen Typ von Recht, sondern stellen unterschiedliche gesetzgeberische Steuerungstechniken dar, mit denen einmal 51

Schuppert, in: Barfuss (Hrsg.), Sicherheitsverwaltung, 1996. 52 Dose, Die Verwaltung 27 (1994), S. 91 ff.; vgl. ferner Dose /Voigt (Hrsg.), Kooperatives Recht, 1995. 53 Dose/Voigt, ebd., S. 11 (18). 54 Dose /Voigt, ebd., S. 11 (12 f.).

Das Konzept der regulierten Selbstregulierung

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Flexibilitätserfordernissen des Rechtsanwendungssystems und andererseits der zunehmenden Notwendigkeit von Akzeptanzsicherung für die Verwirklichung raumbedeutsamer Großvorhaben Rechnung getragen werden soll. Dies kooperatives Recht zu nennen verspricht keinen analytischen Gewinn, im Gegenteil. Vertraut man sich hingegen einem so differenziert argumentierenden Autor wie Helmuth Schulze-Fielitz an 5 5 , so wird man alsbald gewahr, daß es sich bei der Begriffsschöpfung des kooperativen Rechts um den - notwendig untauglichen - Versuch handelt, die vielfältigen Erscheinungsformen des kooperativen Verwaltungshandelns über einen begrifflichen Leisten zu schlagen, und daß man verschiedene Problemebenen auseinanderhalten muß; Schulze-Fielitz identifiziert drei solcher Problemebenen: - Erstens geht es um Rechtsformen kooperativen Verwaltungshandelns wie VerwaltungsVerträge oder ausgehandelte Verwaltungsakte, Beispiele also, die zeigen, daß bei der Entstehung von Recht kooperiert werden kann, ein Phänomen, das man mit dem Begriff der „kooperativen Rechtserzeugung" erfassen kann. - Zweitens geht es um verfahrensrechtliche Regeln des Zustandekommens von Verwaltungsentscheidungen, also einen Problemkreis, der unter der Überschrift kooperative Verwaltungs verfahren 5 6 eine passende begriffliche Heimstatt gefunden hat. - Drittens schließlich geht es um Empfehlungen zur Gesetzesauslegung aufgrund vorheriger Abklärungen mit Verbänden, Konsultationen, Abstimmungen, Vorverhandlungen, Arrangements, Agreements, Vorabzuleitungen von Entscheidungsentwürfen, Selbstbeschränkungsabkommen, Einbeziehung neutraler Dritter etc. 57 , also um das, was wir kooperative Rechtskonkretisierung und kooperativen Rechtsvollzug nennen wollen. Dieser differenzierenden Sichtweise von Schulze-Fielitz folgend, schlagen wir vor, den Begriff des kooperativen Rechts beiseite zu lassen und statt dessen von kooperativer Rechtserzeugung, kooperativer Rechtskonkretisierung und kooperativem Rechtsvollzug zu sprechen. (1) Kooperative Rechtserzeugung. Unter der Überschrift „Kooperative Rechtserzeugung" ist zunächst ein Blick auf einen besonderen Gesetzestyp zu werfen, nämlich den des ausgehandelten Gesetzes, wie er insbesondere von Michael Kloepfer in seiner Abhandlung über neue umweltrechtliche Handlungsformen des Staates ausgemacht worden ist 5 8 . Solche Gesetze hass Schulze-Fielitz, DVB1 1994, S. 657 ff. 56 s. dazu Schneider, VerwArch 87 (1996), S. 38 ff. s? Schulze-Fielitz, DVB1 1994, S. 657 (658). 58 Kloepfer, JZ 1991, S. 737 (740).

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ben die Funktion, Verständigungsergebnisse - ζ. Β. von Verständigungen zwischen Staatsleitung und Industrie - in Gesetzesform zu gießen und damit allgemein verbindlich zu machen; man kann insoweit mit Ernst-Hasso Ritter von norm-vorbereitender Kooperation bzw. von kooperativer Rechtserzeugung sprechen 59 . Es geht beim Thema der kooperativen Rechtserzeugung aber nicht nur um den Gesetzestyp des ausgehandelten Gesetzes, sondern genereller darum, das Gesetzgebungsverfahren als solches in den Blick zu nehmen und als Instrument der Interessenartikulation und des Interessenausgleichs zu würdigen - wie dies vor allem von Helmuth Schulze-Fielitz getan worden ist 6 0 ; Schulze-Fielitz hat - und darauf muß hier verwiesen werden - insbesondere die im vorparlamentarischen Gesetzgebungsverfahren angelegten Verhandlungsstrukturen analysiert und dabei auf deren Funktion zur Sicherung von Regelungsakzeptanz und frühzeitigen Integration von Sachverstand und Interessen hingewiesen. (2) Kooperative Rechtskonkretisierung. Ein besonders wichtiger Anwendungsfall von Recht als Ergebnis von Kooperationsprozessen ist die kooperative Gesetzeskonkretisierung, sei es als kooperative Konkretisierung für den Einzelfall, sei es als generalisierende Konkretisierung durch gesetzlich vorgesehene oder gebilligte Standardsetzung, vor allem im Umwelt- und Technikrecht. Als Paradefall kooperativer Rechtskonkretisierung kann die Gesetzeskonkretisierung durch Erarbeitung von Umwelt- und Technikstandards gelten, wobei man mit Irene Lamb61 drei Typen kooperativer Standardsetzung unterscheiden kann, nämlich - Privatverbandliche Standardsetzung, insbesondere durch das Deutsche Institut für Normung (DIN): „Vom Papier über Schraubengewinde zu Krankenhausbetten und Kernkraftwerken gibt es kaum einen Bereich, in dem DIN-Normen keine Rolle spielen" 62 . - Halbstaatliche Standardsetzung, ζ. B. in Gestalt von Standards für überwachungsbedürftige Anlagen, die auf der Grundlage von § 11 des Gerätesicherungsgesetzes in den sog. technischen Ausschüssen formuliert werden. - Exekutivische Standardsetzung, bei der es um staatliche Normsetzung unter möglichst intensiver Nutzung externen Sachverstandes geht, wobei vier Methoden der Sachverstandsgewinnung unterschieden werden können, nämlich 59 Ritter, in: Grimm (FN 3), S. 69 (74). 60 Schulze-Fielitz, Theorie und Praxis parlamentarischer Gesetzgebung, 1988. 61 Lamb, Kooperative Gesetzeskonkretisierung, 1995, S. 71 ff. 62 Ebd.

Das Konzept der regulierten Selbstregulierung

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- die Anhörung Sachverständiger, - die Einschaltung von Sachverständigenausschüssen (Beispiele sind der „Beratende Ausschuß" nach § 23a LuftVG, die „Zentrale Kommission für die biologische Sicherheit" nach § 4 Abs. 1 GenTG sowie die Tierschutzkommission nach § 16b Abs. 1 TierSchG), - die sog. Anhörung der beteiligten Kreise und - die Beteiligung von Verbänden. (3) Kooperativer Rechtsvollzug. Daß es im Bereich der Rechtsdurchsetzung, insbesondere im Gesetzesvollzug, häufig zu Verhandlungen, Verständigungen und Absprachen kommt, also zu Formen kooperativer Normimplementation, ist aus der Beschäftigung mit dem informalen Verwaltungshandeln hinreichend bekannt und auch empirisch intensiv untersucht worden. Nur als Merkposten gewissermaßen sei daran erinnert, daß das offenbar weit verbreitete Phänomen des kooperativen Rechtsvollzuges mit der Entdeckung des sog. Vollzugsdefizits 63 in das allgemeine Bewußtsein getreten ist und damit auch die Funktion kooperativen Normvollzuges als Rettungsanker einer durchsetzungsschwachen Exekutive. Das im Umweltrecht Geltung beanspruchende Kooperationsprinzip steht bei manchen Autoren daher auch im Verdacht, weniger ein positiver Rechtsgrundsatz zu sein denn ein Deckmantel des Vollzugsdefizits 64 , ein Aspekt, der jedoch an dieser Stelle nicht vertieft werden kann. bb) Funktionsveränderung des Rechts im kooperativen Staat. Ungleich ertragreicher als die Begriffsschöpfung des kooperativen Rechts scheint uns das Nachdenken darüber zu sein, inwieweit die Funktionslogik des kooperativen Staates Qualität und Funktion des für den Rechtsstaat zentralen Steuerungsmediums des Rechts, insbesondere des Gesetzes beeinflußt und verändert. Ernst-Hasso Ritter hat es unternommen 65 , in sieben Trends die FunktionsVeränderung des Rechts im kooperativen Staat zu erfassen, von denen die vier wichtigsten referiert werden sollen, weil sie zugleich für den Funktionswandel der dieses Recht handhabenden Verwaltung von zentraler Bedeutung sind: - Vom hierarchichen Recht zum zweiseitig oder mehrseitig vereinbarten Recht. Dies ist der Kern der Rechtsstruktur im kooperativen Staat. - Vom hoheitlichen Rechtsvollzug zu Überzeugungs- und Überredungsstrategien. Auch dort, wo das einseitig gesetzte Recht dem Anschein nach weiter dominiert, w i r d seine Umsetzung nicht mehr durch Machteinsatz 63 s. dazu Mayntz (Hrsg.), Vollzugsprobleme der Umweltpolitik, 1978; als exemplarische Untersuchung Winter, Das Vollzugsdefizit im Wasserrecht, 1975. 64 Lübbe-Wolff, NuR 1989, S. 295. er, Staatswissenschaften und Staatspraxis 1 9 9 , S. 50 f.

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erzwungen, sondern weitgehend „erhandelt". So wird bespielsweise geschätzt, daß 80 bis 90 Prozent der Verwirklichung von Regionalplanung auf Überzeugung und auf Überredung beruhen, und lediglich ein gewisser Rest über juristische Sanktionen „erstritten" wird (vgl. Rat von Sachverständigen zu Umweltfragen 1987, Nr. 2158). - Von der Rechtsbindung zur nichtrechtlichen, sozialnormativen Bindung. Hierunter fallen die oben skizzierten Erscheinungen des „informellen Verwaltungshandelns", wobei klargestellt werden sollte, daß es durchaus auch einseitiges, informelles Verwaltungshandeln gibt (ζ. B. Information, Warnung, Empfehlung). Doch auch solche, für sich betrachtet einseitige Verwaltungshandlungen sind zumeist im Kontext umfassender Kooperationsbeziehungen verortet. Verwiesen sei etwa auf die gemeinsamen Empfehlungen der Institutionen im Gesundheitswesen (SGB V). - Von der rechtlichen Vollsteuerung zur rechtlichen Teilsteuerung. Die volle regulative Steuerung mit direktem Zugriff, die über die Kette: sanktionsbewährte Zielsetzung - Vollzugsakt - Kontrolle läuft, wird immer mehr ersetzt durch Rechtsformen, die nur noch Rahmenbedingungen festlegen und Anreize zu einem bestimmten Verhalten auslösen wollen. Hierzu gehören etwa die rechtlich abgesicherten marktwirtschaftlichen Instrumente in der Umweltpolitik, die Einrichtung eines Betriebsbeauftragten für Umweltschutz oder die zahlreichen, rechtlich verfaßten Gemeinschaftsunternehmen der „Public-Private-Partnership". Wollen wir das Ergebnis dieser Überlegungen aus der Perspektive des Verhältnisses zu Verwaltung und Bürger zusammenfassen, so können wir dies mit zwei kurzen Bemerkungen Dreiers 66 wie folgt tun: „Aus Bürokraten werden Politiker... Aus Bürgern werden Verhandlungspartner. " f) Gewährleistungsstaat und regulierendes Recht, aa) Gewährleistungsverantwortung, Gewährleistungsverwaltung, Gewährleistungsstaat. Will man Funktion und Aufgabe des Gewährleistungsstaates auf den Begriff bringen, so kann man dies am besten mit dem Begriff der Gewährleistungsverantwortung tun, mit dem wir uns schon mehrfach beschäftigt haben und der von Wolfgang Hoffmann-Riem wie folgt beschrieben worden ist 6 7 : „ I m Regelfall interveniert der Staat nicht so i n den gesellschaftlichen Prozeß, daß er selbst erwünschte Ergebnisse produziert - sei es durch ergebnisbezogene Gebote oder die Bereitstellung von Leistungen - , sondern daß er einen Rahmen bereitstellt, innerhalb dessen die Gesellschaft ihre Angelegenheiten in möglichst gemeinwohlverträglicher Weise selbstverantwortlich erledigt (Bereitstellungsfunktion des Rechts). Der Staat übernimmt Verantwortung in dem Sinne, daß mit Hilfe der rechtlich bereitgestellten Strukturen angemessene gesellschaftliche Problemlösun66

Dreier, Staatswissenschaften und Staatspraxis 1993, S. 647 ff. 67 Hoffmann-Riem, DÖV 1997, S. 433 ff.

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gen erreicht werden. Dies versucht er - ggf. durch Änderungen des Rahmens - zu gewährleisten. Prototyp für eine bloße Rahmenverantwortung ist das Privatrecht etwa des BGB ... Auch im Verwaltungsrecht tritt der Staat keineswegs stets als Garant bestimmter Ergebnisse auf. Vielmehr konzentriert er sich in vielen Fällen auf die Steuerung des Verhaltens Dritter - d. h. Privater oder von ihm gebildeter oder mit staatlichen Aufgaben betrauter ,Trabanten' - , und zwar durch Rahmensetzung und strukturierende Vorgaben, so auch für die Ziele ihrer Tätigkeit. Er garantiert nicht die Erfüllung bestimmter Aufgaben in bestimmter Weise, aber steuert die Möglichkeit der Verfolgung und Errichtung gemeinwohlorientierter Ziele (,enabling' statt,providing')."

Spricht man von der staatlichen Gewährleistungsverantwortung, so tritt alsbald auch die Gewährleistungsverwaltung auf den Plan, die von Christoph Reichard 68 wie folgt skizziert worden ist: „ I n Großbritannien - und analog auch in Skandinavien sowie Australien und Neuseeland - hat sich als Alternative zur traditionellen Vollzugsverwaltung i n den letzten Jahren das Modell der Enabling Authority herausgebildet. Aufbauend auf der bereits dargelegten Trennung zwischen Gewährleistung und Vollzug läßt sich ein Verwaltungsmodell schaffen, das als Gewährleistungsverwaltung bezeichnet werden kann und das sich in eine strategisch denkende, eng an die Politik gekoppelte Vergabezentrale und in einen operativ ausgerichteten Leistungsbereich gliedert. "

Die Wahrnehmung der GewährleistungsVerantwortung durch eine modellhaft als Gewährleistungsverwaltung bezeichnete öffentliche Verwaltung wird praktiziert - und dies ist der jüngste Sproß der Begriffstrias - im Gewährleistungsstaat, dessen Bewirkungsweise von Martin Eifert 69 in der folgenden Weise charakterisiert worden ist: „Der ,Gewährleistungsstaat' bezeichnet den an seiner konkreten Gemeinwohlverantwortung festhaltenden Staat, der die Instrumente zur eigenhändigen, also unmittelbaren Aufgabenerfüllung aufgegeben hat. Er führt den prinzipiellen sozialgestalterischen Anspruch des wohlfahrtsorientierten Erfüllungsstaates in dem Sinne fort, daß er auf bestimmte positive gesellschaftliche Verhältnisse und Zustände zielt und sich weiterhin in einer Letztverantwortung für sie sieht. Die im Gewährleistungsstaat regelmäßig vorhandene, wenn auch verschieden intensive Entkoppelung von staatlicher Ergebnisverantwortung und primär gesellschaftlicher oder korporatistischer Aufgabenwahrnehmung bringt dabei ein doppeltes Problem mit sich, das die angesprochene Wechselwirkung von Aufgabenund Instrumentenkritik spiegelt... Das logisch vorrangige Problem ist hierbei die Aufgabenpräzisierung. Sie bildet als Steuerungsziel eine Vorgabe für das Instrumentendesign und die Rechtfertigung für dessen intervenierenden Einsatz. Ihre Bestimmung ist eine originär politische Aufgabe ... Gerade in dynamischen Handlungsfeldern kann der Gesetzgeber die materiellen Vorgaben regelmäßig nur noch auf hoher Abstraktionsebene formulieren und ist darauf verwiesen, durch kompensatorische Arrangements für eine interessengerechte Konkretisierung zu sorgen. Das Recht schaltet insofern dort, wo es die inhaltliche Steuerung nicht mehr 68 Reichard, Umdenken im Rathaus. Neue Steuerungsmodelle in der deutschen Kommunalverwaltung, 1994, S. 42. 69 Eifert, Grundversorgung mit Telekommunikationsleistungen im Gewährleistungsstaat, 1998.

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zu determinieren vermag, auf eine Gestaltung der Entscheidungsfindung um, über die gemeinwohlverträgliche Ergebnisse gesichert werden sollen, und nimmt so den Charakter einer prozeduralen Regulierung an. Zunächst stand bei dieser Verlagerung der Regulierungsaufmerksamkeit das Verfahren im Vordergrund. Zunehmend wird aber auch die Organisation in den Blick genommen." bb) Zentrale

Aufgaben

des Gewährleistungsstaates.

Zentrale Aufgaben

des Gewährleistungsstaates s i n d die Sicherstellung einer sog. Grundversorg u n g i n verschiedenen B e r e i c h e n 7 0 - w i e ζ. B. i m Medienbereich, i m Telek o m m u n i k a t i o n s b e r e i c h oder i m Gesundheitsbereich - u n d die W a h r n e h m u n g einer sog. I n f r a s t r u k t u r v e r a n t w o r t u n g

71

- w i e ζ. B. i m Verkehrsbe-

reich oder i m Energiesektor. Verbindet m a n den Begriff der I n f r a s t r u k t u r v e r a n t w o r t u n g m i t dem der Gewährleistung, so k a n n m a n auch - w i e dies i m T e l e k o m m u n i k a t i o n s b e r e i c h zunehmend getan w i r d 7 2 - v o n einer I n f r a s t r u k t u r g e w ä h r l e i s t u n g sprechen, ein Sprachgebrauch, der wegen der Form u l i e r u n g i n A r t . 87f Abs. 1 G G - „gewährleistet der B u n d i m Bereich des Postwesens u n d der T e l e k o m m u n i k a t i o n flächendeckend angemessene u n d ausreichende D i e n s t l e i s t u n g e n " - besonders naheliegt. Dieser i n f r a s t r u k t u relle Verfassungsauftrag f ü r den Bereich v o n Post u n d T e l e k o m m u n i k a t i o n erscheint uns daher auch als ein besonders geeignetes Beispiel, u m die F u n k t i o n s l o g i k des Gewährleistungsstaates zu studieren. W i r k ö n n e n dies m i t H i l f e der D a r s t e l l u n g Baduras

t u n , der dazu folgendes ausgeführt h a t 7 3 :

„Der Verfassungsauftrag zur Sicherung der infrastrukturellen Grundversorgung mit Dienstleistungen der Post und der Telekommunikation erfaßt die Nachfolgeunternehmen der Deutschen Bundespost und andere private Anbieter ... Hier, wie sonst - ζ. B. im Medienrecht - ist zwischen der in staatlicher Regie oder im staatlichen Auftrag wahrgenommenen öffentlichen Aufgabe und dem Kreis von Angelegenheiten zu unterscheiden, an deren gemeinwohldienlicher Ausführung ein mehr oder weniger spezifiziertes und häufig durch gesetzliche Anforderungen und Vorkehrungen sichergestelltes öffentliches Interesse besteht. Es gehört zu dem Konzept der Postreform, anstelle der Daseinsvorsorge durch eigene Unternehmenstätigkeit des Staates die hinreichende - der Intention nach bessere und billigere Versorgung durch privatwirtschaftlich handelnde Anbieter in einem freien und unverfälschten Wettbewerb mit den Mitteln der Regulierung zu garantieren. Die Erfüllung des Verfassungsauftrags der Infrastrukturgewährleistung ist durch die Hoheitsaufgabe der Regulierung zu gewährleisten (Art. 87 Abs. 2 Satz 2 G G ) . . . In Zukunft sind für die Regulierung das Telekommunikationsgesetz (TKG) vom 25. Juli 1996 und das am 1. Januar 1998 in Kraft getretene neugefaßte Postgesetz (PostG) maßgebend ... Telekommunikationsgesetz und Postgesetz verlagern den schwierigen Ausgleich von Wettbewerbsaufsicht und Infrastrukturgewährleistung in die Ausführung der Regulierungsbefugnisse. Konfliktzonen zeichnen sich schon heute ab, so bei der Entgeltregulierung und bei der Versorgung ,in der Fläche'. Un-

70 Ebd. Hermes, Staatliche Infrastrukturverantwortung, 1998. 72 Badura, in: FS Großfeld, 1999, S. 35 ff.; Stern, DVB1 1997, S. 309 ff. 73 Badura, in: FS Großfeld (FN 72), S. 35 (38).

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ter den Auspizien der Verfassung muß die Grundregel dahin gehen, daß die Regulierung mit den Mitteln der Wettbewerbsaufsicht und nach dem Prinzip der Unternehmenswirtschaftlichkeit den Vorrang vor der Intervention zur Sicherung der infrastrukturellen Grundversorgung hat."

Der moderne Gewährleistungsstaat ist also - wie daraus zu lernen ist zugleich Regulierungsstaat 74 und die Privatisierung öffentlicher Aufgaben erweist sich weniger als Preisgabe ganzer Aufgabenbereiche denn als Veränderung staatlicher Handlungsformen im Prozeß des Übergangs vom produzierenden zum gewährleistenden Staat. cc) Der Gewährleistungsstaat als Regulierung s Staat. In der neueren Literatur besteht weitgehend Übereinstimmung darüber, daß der Gewährleistungsstaat vor allem im Gewände des Regulierungsstaates auftritt und damit der Begriff der Regulierung zu einem Zentralbegriff des Gewährleistungsstaates avanciert 75 . Regulierung wird als eine besondere Form administrativer Steuerung verstanden 76 , wobei insbesondere das Privatisierungsfolgenrecht als ein besonders wichtiges Referenzgebiet regulierender Steuerung angesehen wird, an dem sich auch besonders gut die Eigenständigkeit von Steuerung durch Regulierung veranschaulichen läßt; dabei zeigt sich die Eigenständigkeit des Regulierungsrechts vor allem in drei Punkten, nämlich i n 7 7 - spezifischen Regulierungszielen: solche spezifischen Regulierungsziele sind etwa die Gewährleistung von flächendeckend angemessenen und ausreichenden Dienstleistungen sowie die Herstellung und Förderung von Wettbewerb; - spezifischen Regulierungsinstrumenten: solche spezifischen Regulierungsinstrumente sind etwa das Instrument der Lizenzierung sowie die Gewährleistung von Universaldienstleistungen sowie - spezifischen Regulierungsinstanzen: solche Instanzen der regulierenden Verwaltung changieren zwischen dem allgemeinen Kartellrecht und wirtschaftsverwaltungsrechtlicher Überwachung. In einer neueren Darstellung der Erscheinungsweise des Regulatory State wird die Eigenart des politikbereichsspezifischen regulatorischen Regimes als institutioneller Ausprägung regulatorischer Staatstätigkeit ebenfalls an drei Aspekten deutlich gemacht 78 , nämlich 74 Schuppert, in: König/Benz (Hrsg.), Privatisierung und staatliche Regulierung, 1997, S. 539 ff. 7 5 Vgl. etwa Trute, DVB1 1996, S. 950 ff.; Spoerr/Deutsch, DVB1 1997, S. 300 ff.; Hoffmann-Riem, DVB1 1999, S. 125 ff. 76 Ruffert, AöR 124 (1999), S. 238 ff. 77 Ruffert, AöR 124 (1999), S. 238 (244 f.). 78 Müller/ Sturm, Staatswissenschaften und Staatspraxis 1998, S. 507 ff.

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- der Bestimmung des öffentlichen Regulierungsinteresses (Legitimacy); - der Bestimmung der Regulierungsakteure (Agency) sowie - der Bestimmung der Regulierungsmodi (Compliance). Was zunächst die Bestimmung des öffentlichen Regulierungsinteresses angeht, so geht es um die Vergewisserung der Legitimationsgrundlagen regulierender Staatstätigkeit, also um eine normative Theorie der Regulierung zur Entwicklung legitimer Regulierungsgründe und der Benennung eines legitimen öffentlichen Interesses an regulativen Staatseingriffen. Bei der Bestimmung der Regulierungsakteure interessiert das institutionelle Regime des Regulierungseingriffs, also die regulatory agents oder regulators. Erkenntnisinteresse hierbei ist vor allem die Identifizierung der relativen Staatsferne bzw. des Autonomieraumes der für den Staat regulativ Handelnden, wobei sich dieser Handlungsspielraum sowohl auf die Konkretisierung des öffentlichen Interesses als auch auf die Ausführung des Regulierungsauftrages selbst beziehen kann. Was schließlich die Regulierungsmodi angeht, so geht es vor allem um zwei Dinge, nämlich einmal um die Entwicklung einer Typologie von Regulierungsmodi sowie von Kriterien für die Auswahl unter verschiedenen in Betracht kommenden regulatory modes. Bei Müller/Sturm heißt es dazu zusammenfassend wie folgt 7 9 : „Den Regulierungseinrichtungen stehen Regulierungsmodi zur Verfügung, die sich nach dem Grad ihrer Eingriffshärte eingruppieren lassen, angefangen bei »harmlosen' Überzeugungs- oder auch Überredungsbemühungen ohne rechtliche Sanktion (soft regulation), über die Steuerung durch Anreize verschiedener Art (incentive structure), bis hin zu Ge- und Verboten, ggf. mit (strafrechtlicher) Sanktionierung. Hier sind selbstverständlich auch diverse Kombinationen bzw. Einsatz-,Ketten' denkbar. Die Erforschung der Frage, warum und unter welchen Bedingungen gesellschaftliche Akteure Vorgaben Dritter (in diesem Falle also einer Regulierungseinrichtung) folgen, nimmt gerade in der amerikanischen Politikwissenschaft, genauer im Institutionalismus, seit Jahren einen besonderen Platz ein - übrigens auch und gerade im Hinblick auf die weiter oben erwähnten Internationalen Regime. In der Forschung zum regulativen Staat interessiert uns dabei weniger das Phänomen selbst, als vielmehr die Wahl des regulatorischen Modus bzw. ggf. mehrerer Modi durch regulative Akteure für einzelne Regulierungsfelder. "

Was zunächst die Entwicklung einer Typologie von Regulierungsmodi angeht, so ist hier genau der passende Ort für das mit dem Namen HoffmannRiem verbundene Konzept der regulierten Selbstregulierung und kann von diesem Konzept her eine direkte Verbindungslinie zum Typus des Gewährleistungsstaates gezogen werden. Das Konzept der regulierten Selbstregulierung erweist sich bei näherem Hinsehen als ein zentrales Konzept der Rechtsetzung des verantwortungsteilenden Gewährleistungsstaates, ein Thema, das wir im dritten Teil unserer Skizze noch genauer entfalten wer79 Müller / Sturm, Staatswissenschaften und Staatspraxis 1998, S. 507 (521).

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den. Was die Wahl des regulatorischen Modus angeht, so sind wir damit bei unserem zweiten Gliederungspunkt angelangt, nämlich dem Versuch, einige Elemente von regulatory choice vorzustellen. I I I . Auf dem Weg zu einer Theorie der Auswahl rechtlicher Regelungsformen 1. Z u r Notwendigkeit einer Theorie der Wahl rechtlicher Regelungsformen

a) Zur sachgerechten Verteilung der Regelungslast des Gemeinwesens. In einem skizzenhaften Beitrag über „Grundrechtliche Anforderungen an Entscheidungstrukturen" hat Jörg Paul Müller auf die Notwendigkeit hingewiesen, die enorm gewachsene Regelungslast des Gemeinwesens sachgerecht zu verteilen und angesichts ebenso enorm angewachsener Entscheidungsbedürfnisse die Tauglichkeit der tradierten Entscheidungsstrukturen zu überdenken; Müller formuliert diesen Befund wie folgt 8 0 : „Eines der Grundprobleme des demokratischen Staates der Gegenwart ist die Suche nach sachgerechter Verteilung der enorm angewachsenen Regelungslast des Gemeinwesens. Man könnte die politische und staatsrechtliche Krise der heutigen Zeit mit der Frage charakterisieren, wie weit die traditionellen Instrumentarien des Verfassungsstaates der Neuzeit für die Bewältigung der in Komplexität und Ausmaß geschichtlich einmaligen Normierungs- und Entscheidungsbedürfnisse noch geeignet seien. Exemplarisch für die Überforderungen der tradierten Entscheidungsstrukturen ist das Ringen der westlichen Staaten um die rechtliche Bewältigung des Problems der Kernenergie-Nutzung. Ein weiteres Beispiel ist die heute offenbar unlösbare gesetzgeberische Aufgabe der Normierung neuer elektronischer Kommunikationsmittel (Satelliten-Fernsehen, Kabel-Rundfunk u.ä.); die Flucht in »Gesamtkonzeptionen' weckt oft Erwartungen auf die Lösung weiter über das Rechtliche hinausgehender gesellschaftlicher Komplexitäten, während die Arbeit am Detail auch wegen des Fehlens umfassender Wertvorstellungen unmöglich erscheint."

Geht es also um die sachgerechte Verteilung der infolge der zunehmenden Normierungsbedürfnisse angewachsenen Regelungslast des Gemeinwesens, so scheint es uns ein naheliegender Gedanke zu sein, bei etwaigen Verteilungsentscheidungen nicht nur über die Lastenverteilung zwischen klassischer Gesetzgebung und konkretisierender Rechtsetzung unterhalb des Gesetzes nachzudenken, also innerhalb der staatlichen Rechtsetzungshierarchie die Akzente neu zu setzen 81 , sondern - darüber hinausgehend - auf der Suche nach „zeitgemäßen Rechtsetzungsformen" 82 auch mit der Verantwortungsteilung zwischen staatlicher und privater Normsetzung ernst zu ma80 J. Ρ Müller, in: G. Müller u. a. (Hrsg.), FS Eichenberger, 1982, S. 169. 81 Vgl. dazu Ossenbühl, DVB1 1999, S. 1 ff. 82 Ossenbühl, DVB1 1999, S. 1 (2).

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chen. In dieselbe Richtung zielen die Überlegungen von Helmuth SchulzeFielitz zur „Gesetzgebungslehre als Soziologie der Gesetzgebung" 83 , auf die nunmehr ein kurzer Blick geworfen werden soll. b) Neue Aufgaben einer Rechtsetzungslehre aus der Perspektive einer Soziologie der Gesetzgebung. Zunächst einmal teilen wir den Ausgangspunkt der Überlegungen von Helmuth Schulze-Fielitz, daß es für eine zeitgemäße Rechtsetzungslehre eine zu enge Perspektive wäre, würde man sich allein auf die parlamentarische Gesetzgebung als Untersuchungsgegenstand beschränken; in der Tat gebietet es „der sachliche Regelungszusammenhang zwischen Parlamentsgesetz und untergesetzlicher Rechtsetzung sowie von staatlicher Rechtsetzung und privaten und richterrechtlichen Komplementärregeln . . . , die verschiedenen Regelungselemente in ihren Gesamtwirkungen zu erfassen" 84 . Aber nicht nur das; nimmt man aus regelungswissenschaftlicher Perspektive gerade das Nebeneinander und das Zusammenspiel verschiedener Regelungselemente und Regelungstypen in Bedacht, so ist man alsbald gezwungen, die vertraute innerstaatliche Regelungshierarchie zu verlassen und die je spezifische Regelungskompetenz unterschiedlicher Regelungsinstanzen zur Errichtung von strukturadäquaten Regelungsregimen in den Blick zu nehmen. Ganz in diesem Sinne heißt es dazu bei Schulze-Fielitz wie folgt 8 5 : „Hinzu kommt ein erhebliches Wachstum an Problemstellungen aufgrund der Notwendigkeit, die Vielfalt von Rechtsquellen und Regelungsebenen in ihrem Zusammenspiel zu berücksichtigen. Ausgangspunkt muß die ,Regelungsstruktur' i.S. aller für die Regulierung eines Sachbereichs und einer öffentlichen Aufgabe wichtigen Regelungsinstanzen und Regelungsinstrumente sein. Herkömmlicherweise orientiert sich die empirische Soziologie der Gesetzgebung an der Entstehung einzelner Gesetze, Normen oder rechtlichen Institutionen. Durch die Ausdifferenzierung des Rechts in eine Fülle von einander ergänzenden oder kompensierenden Regelungen, Regelungsinstanzen und Regelungsinstrumenten bedarf es einer starken Beachtung des wechselseitigen Wirkens und Zusammenwirkens unterschiedlicher Normen der staatlichen Regelungsebenen, von der europäischen Rechtsetzung bis zur Gesetzeskonkretisierung durch Satzung oder Verwaltungsvorschriftengebung, aber auch des Zusammenhangs staatlicher und privater Rechtsetzung. Hier versagen schlichte Kausalvorstellungen von Folgen einzelner Normen im parlamentarischen Gesetz i.S.v. linearen Wirkungen bestimmter normativer Imperative. In den Begriffen wie ,reflexives Recht' oder , Kontext Steuerung' ist das Komplexitätswachstum schon früh rechtssoziologisch thematisiert und auch rechtsdogmatisch rezipiert worden. Für eine auch gesetzgebungspragmatisch orientierte (präskriptive) Rechtsetzungslehre folgt daraus, die Fragestellungen einer am Parlamentsgesetz orientierten Gesetzgebungslehre zugunsten einer Rechtsetzungslehre im weiten Sinne auszudehnen; eine Soziologie allein der parlamentarischen Gesetzge83 Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), Rechtssoziologie am Ende des 20. Jahrhunderts, 2000, S. 156 ff. 84 Schulze-Fielitz (FN 83), S. 156 (162). 85 Schulze-Fielitz (FN 83), S. 156 (170 f.).

Das Konzept der regulierten Selbstregulierung

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bung kann nur noch unterkomplexe Antworten auf die Normsetzungsprobleme im modernen Staat geben. Beispielsweise sind die im Umweltrecht neuerdings in breitem Umfang praktizierten normersetzenden Selbstverpflichtungserklärungen auf die soziale Selektivität der Einflußmöglichkeiten der beteiligten Interessen(verbände), auf ihre Kontrollier- und Sanktionierbarkeit hin zu überprüfen."

c) Eine Theorie der Wahl rechtlicher Regelung s formen als notwendiger Bestandteil einer Regelungswissenschaft. Wenn die soeben angestellten Überlegungen zum Ergänzungs- und Komplementärverhältnis verschiedener Regelungsarten und Regelungsinstanzen richtig sind, dann haben wir es mit einem Auswahlproblem zu tun, also der Notwendigkeit, Entscheidungen darüber zu treffen, welche Regelungsinstanz und welcher Regelungstyp angesichts des zu lösenden Regelungsproblems am sachgerechtesten erscheint: an einer solchen Theorie der Wahl rechtlicher Regelungsformen aber fehlt es bisher 8 6 , und es ist daher mehr als verständlich, wenn deren Fehlen - wie ζ. B. von Ann-Kristin Achleitner 87 mit Blick auf die Schweizer Verhältnisse - bitter beklagt wird. Sieht man einmal von der reichhaltigen Literatur und Rechtsprechung zum Vorbehalt des Gesetzes und insbesondere der sog. Wesentlichkeitstheorie ab 8 8 , so gilt dieser Befund auch für die Bundesrepublik: es gibt keine Theorie darüber, welche rechtlichen Regelungsformen in Zeiten einer regulatorischen Überforderung des Staates 89 zur Lösung der komplexen Steuerungsaufgaben zur Verfügung stehen sollten, wie ihr Verhältnis zueinander beschaffen ist und nach welchen Kriterien unter ihnen eine Auswahl getroffen werden könnte und müßte (Theorie des Regulatory Choice). Wir können an dieser Stelle dieses Theoriedefizit nicht beheben; was wir aber tun können, ist, einige Vorüberlegungen zu einer solchen Theorie beizusteuern 90 . Die erste sich insoweit aufdrängende Vorüberlegung ist die Frage, ob es so etwas wie funktionsadäquate Rechtsetzungsformen gibt, mit denen auf bestimmte regulatorische Bedürfnisse angemessen, d. h. differenziert und problemspezifisch reagiert werden kann; dieser Frage soll zunächst nachgegangen werden.

86 Erste Vorüberlegungen dazu bei Schuppert/Bumke, in: Kleindiek (Hrsg.), Die Zukunft des deutschen Bilanzrechts (im Erscheinen). 87 Achleitner,; Die Normierung der Rechnungslegung. Eine vergleichende Untersuchung unterschiedlicher institutioneller Ausgestaltungen des nationalen und internationalen Standardsetzungsprozesses, 1995. 88 Hilfreicher Überblick bei Kloepfer, JZ 1984, S. 685 ff. 89 Eine Formulierung von Hoffmann-Riem, Die Verwaltung 28 (1995), S. 425 ff. 9 0 Vgl. Schuppert /Bumke (FN 86).

15 Die Verwaltung, Beiheft 4

226

Gunnar Folke Schuppert 2. Vom Grundsatz funktionsgerechter Organstruktur zum Grundsatz funktionsadäquater rechtlicher Regelungsformen

a) Zur „Exportfähigkeit" des Grundsatzes funktionsgerechter Organstruktur. Der Grundsatz funktionsgerechter Organstruktur 91 , der sich inzwischen allgemeiner Anerkennung erfreut, ist - soweit ersichtlich - erstmals von Otto Küster formuliert worden 9 2 , und zwar als Ableitung aus dem Grundsatz der Gewaltenteilung, dessen Funktion sich nicht in der Freiheitssicherung erschöpfe, sondern dem auch die Direktiven der Funktionsklarheit und der Funktionsgerechtigkeit entnommen werden könnten: „ I n der Freiheitssicherung erschöpft sich aber der Zweck der Gewaltenteilung nicht. Heute steht eine andere Zwecksetzung wohl sogar im Vordergrund, mindestens aber gleichberechtigt daneben. Für sie steht leider einstweilen kein ebenso handlicher Begriff zur Verfügung, wie es der der Freiheitssicherung ist. Behelfsmäßig läßt sich das Gemeinte so umschreiben, die Gewaltenunterscheidung habe der Funktionsklarheit und aufgrund dieser Klarheit einer funktionsgerechten Organstruktur zu dienen. "

Diesen Gedanken aufnehmend und gleichzeitig die neuere Rechtsprechung des BVerfG zusammenfassend, hat Fritz Ossenbühl den Grundsatz der funktionsgerechten Organstruktur wie folgt skizziert 93 : „ M i t diesem Terminus soll zum Ausdruck kommen, daß mehr und andere Anforderungen an ein Gewaltenteilungssystem zu stellen sind als nur die Sicherung der Freiheit und der Machtbalance. Ein verfassungsrechtliches Gewaltenteilungssystem erfordert, daß die Staatsfunktionen so verteilt sein müssen, daß die Staatsaufgaben und Entscheidungen von solchen Organen getroffen werden, die nach ihrer inneren Struktur, Besetzung und Arbeitsweise, dem zu beobachtenden Entscheidungsprozeß usw. für die betreffende Aufgabe legitimiert und gerüstet sind."

Dieser so entwickelte und begründete Grundsatz der funktionsgerechten Organstruktur ist bisher ausschließlich auf den Bereich der Staatsorganisation und hierbei insbesondere auf den Bereich der Verwaltungsorganisation bezogen und angewendet worden. Was wir nun vorschlagen, ist nicht mehr und auch nicht weniger, als diesen Grundsatz auf der Bereich der Normsetzung zu übertragen, ein Gedanke, der ansatzweise auch bei Fritz Ossenbühl anklingt, wenn er in seinem Beitrag über das Verhältnis von Gesetz und Verordnung im gegenwärtigen Staatsrecht 94 folgendes ausführt: „Noch bevor wir uns in spezifische Probleme unserer Verfassungsrechtsordnung vertiefen, erscheint es nützlich und auch in gewisser Weise beruhigend zu erwähnen, daß wir es bei der gestellten Thematik mit einem Problem zu tun haben, welches sich in jedem demokratisch geordneten Staat stellt. Vereinfacht und verallge91 Vgl. dazu von Danwitz, Der Staat 35 (1996), S. 329 ff. 92 Küster, AöR 75 (1949), S. 397 ff. 93 Ossenbühl, in: HStR III, § 62 Rn. 49. 94 Ossenbühl, in: Schuppert (Hrsg.), Das Gesetz als zentrales Steuerungsinstrument des Rechtsstaates, 1998, S. 27 ff.

227

Das Konzept der regulierten Selbstregulierung

meinernd ausgedrückt geht es darum, wie man im demokratischen Rechtsstaat die Willensbildung so organisieren kann, daß sie eine gelungene Rechtsetzung hervorbringt, wobei die Rechtsetzung dann als ,gelungen' zu bezeichnen ist, wenn sie sowohl den demokratischen und rechtsstaatlichen Grunderfordernissen entspricht als auch zugleich ,möglichst richtige Entscheidungen' hervorbringt." b) Funktionsgerechte

Organ- bzw. Regelung s struktur

und Structural

Due

Process. I n unserem Vorhaben, den Grundsatz der funktionsgerechten Org a n s t r u k t u r z u m Grundsatz f u n k t i o n s a d ä q u a t e r Regelungsstrukturen z u erweitern, f ü h l e n w i r uns auch d u r c h die Überlegungen Jörg Paul z u r F r u c h t b a r k e i t des s t r u k t u r e l l e n Denkansatzes v o n Laurence

Müllers

H.

e r m u t i g t , ein Ansatz, der v o n M ü l l e r w i e folgt skizziert w o r d e n i s t

96

Tribe

95

:

„Tribe hat seinen strukturellen Ansatz - soweit ersichtlich - bisher nur für den Bereich der Grundrechte im Detail konkretisiert. Man kann Tribes Forderung nach einem structural due process formal dahingehend zusammenfassen, daß die Legitimität einer Maßnahme im wesentlichen von der Sachgerechtigkeit des EntscheidOrgans, des Entscheid-Verfahrens und der Begründung abhängt. Gefordert ist in diesem Sinn, daß das für eine Grundrechtseinschränkung zuständige Organ durch seine Zusammensetzung, die Art seiner Wahl und die ihm eigene Verfahrensart (bei der ζ. B. die Möglichkeit der direkten Anhörung Betroffener ein wesentliches Element ist) größtmögliche Gewähr für jene Individualisierung und Beachtung aller relevanten Gesichtspunkte bietet, die der gerade i n Frage stehende Sachbereich und Eingriff verlangt. Welches Organ im konkreten Fall kompetent, welches Verfahren sachgerecht und welche Begründung legitim ist, kann stets nur mit Blick auf die materiellen Grundrechtspositionen beantwortet werden, um deren Konkretisierung oder Einschränkung es geht." E n t k l e i d e t m a n diesen Tribeschen Ansatz seiner g r u n d r e c h t l i c h e n U m m a n t e l u n g u n d generalisiert m a n i h n z u r Frage der sachgerechten Beschaffenheit u n d S t r u k t u r v o n Regelungsinstanzen, so gelangt m a n zu Ü b e r l e gungen, die v o n Georg Müller f o r m u l i e r t w o r d e n s i n d 9 7 u n d die v o n seinem Namensvetter Jörg Paul Müller w i e folgt zusammengefaßt w o r d e n s i n d 9 8 : „Georg Müller versucht im Bemühen um Eingrenzung gesetzgeberischer Verantwortung zunächst v.a. das Kriterium der Wichtigkeit zu präzisieren und operationabel zu machen. Auch in seiner Arbeit tritt aber - in gewissem Sinne gegenläufig - der Gedanke hervor, daß eine verfassungsrechtlich haltbare Delegationspraxis nicht um die Frage herumkommt, welches Organ aufgrund seiner Verantwortung, Funktion und seines Entscheidverfahrens die größte Chance richtiger Regelungen bietet. Richtige Entscheidung setzt ein optimales Entscheidverfahren voraus, d. h. aber im Sinne des structural due process ein Verfahren, i n dem jedes Organ die Argumente zum Tragen bringt, die seinem Zuständigkeitsbereich angehören."

95 Tribe, Structural due Process, Harvard Civil Rights - Civil Liberties Law Review 1975, S. 269 ff.; ders., American Constitutional Law, 1978, S. 1137 ff. 9 6 J. P. Müller, in: FS Eichenberger, S. 169 (173). 97 G. Müller, Inhalt und Formen der Rechtsetzung als Problem der demokratischen Kompetenzordnung, 1979, S. 110 ff. 98 J Ρ Müller, in: FS Eichenberger, S. 169 (179).

1*

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Von diesem Ausgangspunkt aus, den wir als Suche nach funktionsadäquaten rechtlichen Regelungsformen bezeichnen können, wollen w i r nunmehr der Frage nachgehen, ob es unterschiedliche Eignungen unterschiedlicher rechtlicher Regelungsformen gibt und ob man aus den Eigenarten des jeweiligen Regelungsgebietes bestimmte Anforderungen an den Normsetzungsprozeß formulieren kann.

3. Kriterien funktionsadäquater Regelungsformen: Z u r unterschiedlichen regulatorischen Kompetenz unterschiedlicher Regelungsformen und zu problemspezifischen Anforderungen an den Normsetzungsprozeß

a) Vor- und Nachteile gesetzlicher und untergesetzlicher Regelungen. Was zunächst die Vor- und Nachteile unterschiedlicher rechtlicher Regelungsformen angeht, so wird das Problem in der Regel als Frage nach den Grenzen gesetzlicher Steuerung formuliert" und in diesem Zusammenhang häufig der Befund erhoben, daß der Gesetzgeber als einzige und allzuständige Regelungsinstanz überfordert wäre 1 0 0 : „Eine Monopolisierung der Rechtsetzung beim Parlament wäre eine wirklichkeitsfremde Vorstellung. Eine Untersuchung, die einen Vergleich der verschiedenen Rechtsetzungssysteme in England, Frankreich, den Vereinigten Staaten und Deutschland anstellt, kommt schon vor 60 Jahren zu dem etwas übertriebenen, aber im Kern zutreffenden Resümee: ,Kein Staat der Erde kann sich heute der Notwendigkeit einer »vereinfachten' Gesetzgebung entziehen' " 1 0 1 .

Vor diesem Hintergrund des überforderten Gesetzgebers gewinnen naturgemäß andere Formen der Normproduktion an Plausibilität, zumal wenn sie gleichzeitig eine Entlastung des Gesetzgebers und die Mobilisierung von Sachverstand und Engagement zu versprechen scheinen, wie dies bei der gesellschaftlichen Selbstregulierung der Fall ist; so fällt es denn Marburger und Gebhard leicht, die folgende Liste der Vorzüge gesellschaftlicher Umweltnormierungen aufzustellen 102 : - Sie weckt das Eigeninteresse der beteiligten Kreise und mobilisiert dadurch den erforderlichen Sachverstand aus den verschiedensten Wissensund Tätigkeitsbereichen (Mobilisierung von Sachverstand).

99 Vgl. dazu die Beiträge in Grimm (Hrsg., F N 3), S. 217 ff. 100 s. Ossenbühl (FN 94), S. 27 (28). ιοί C. Schmitt, ZaöRV IV (1936), S. 252 (267). ι02 Marburger und Gebhard, in: Endres / Marburger, Umweltschutz durch gesellschaftliche Selbststeuerung, 1993, S. 1 (41 f.).

Das Konzept der regulierten Selbstregulierung

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- Sie entlastet den Gesetz- oder Verordnungsgeber von einer Regelungsaufgabe, für die ihm gewöhnlich der notwendige Sachverstand fehlt (Entlastung des Gesetzgebers). - Sie hält die gesetzliche Regelung frei von oft sehr umfangreichen technisch-wissenschaftlichen Detailbestimmungen (Entlastung des Gesetzes). - Da die beteiligten Kreise die Kosten der Regelsetzung im wesentlichen selbst tragen, wird der Staat auch finanziell entlastet (finanzielle Entlastung des Staates). - Sie ermöglicht die rasche Anpassung auch der rechtlichen Regelung an den fortgeschrittenen Stand der Wissenschaft und Technik, da die technisch-wissenschaftliche Detailregelung aus dem förmlichen Rechtsetzungsverfahren ausgelagert ist auf die beweglichere Ebene der nichtstaatlichen technischen Regelgebung, über die Konkretisierung der normativen Standards oder im Wege der gesetzlichen Verweisung aber auf die Rechtslage einwirkt (Flexibilität der rechtlichen Regelung). - Infolge der Mitarbeit von Fachleuten aus der betrieblichen Praxis ermöglicht sie praxisnahe Lösungen. Gerade auf den Gebieten der technischen Sicherheit und des Umweltschutzes ist die praktische Erfahrung neben der wissenschaftlich-experimentellen Erprobung unabdingbar, um einen optimalen Schutz- und Vorsorgestandard zu verwirklichen (Praktikabilität der technisch-wissenschaftlichen Regelungen). - Die interessenpluralistische Besetzung der Ausschüsse und das vorrangige Konsensprinzip ermöglichen ausgewogene Regelungen, die sowohl den Belangen des Umweltschutzes als auch den ökonomischen Interessen gerecht werden (Interessenausgleich). - Durch die Mitwirkung der betroffenen Kreise an der Regelsetzung wird die Bereitschaft zur Normbefolgung gesteigert, die gerade auf diesem Gebiet eine wichtige Voraussetzung für die Effizienz rechtlicher Regelung ist (Normloyalität). - Die Beteiligung gesellschaftlicher sachverständiger Kreise führt zur Kooperation des Staates mit den Betroffenen und verwirklicht auf diese Weise partiell das umweltrechtliche Kooperationsprinzip (Kooperation). Diese Liste der Pluspunkte gesellschaftlicher Selbstregulierung ist nicht nur auf den ersten Blick beeindruckend und überwiegt bei weitem die geltend gemachten Nachteile (institutionell nicht garantierte Interessenausgewogenheit; Gefahr unzulänglicher Kompromisse), so daß in der Tat Anlaß dazu besteht, die bestehende Möglichkeit verschiedener rechtlicher Regelungsformen als Auswahlproblem zu sehen, so daß es einer Theorie der Wahl rechtlicher Regelungsformen bedarf, die differenziert argumentiert und ganz im Sinne Ossenbühls demokratische und rechtsstaatliche Grunderfor-

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dernisse mit dem Anliegen funktionsadäquater Rechtsetzung zu synchronisieren sucht, statt von vornherein mit den sich verbindenden Argumenten des Demokratieprinzips und des gesetzgeberischen Regelungsmonopols alle Erscheinungsformen koproduktiver Rechtsetzung mit dem Bannstrahl der Verfassungswidrigkeit zu belegen. b) Zur Notwendigkeit einer variablen Regulierung dynamischer Handlungsfelder. Ging es bei dem gerade behandelten Beispiel um die Vor- und Nachteile gesetzlicher und untergesetzlicher Normproduktion und insbesondere um die Vorzüge gesellschaftlicher Umweltnormierungen, so geht es in dem jetzt zu erörternden Beispiel um die Tauglichkeit normkonkretisierender Verwaltungsvorschriften als rechtlichem Regelungsinstrument privat-öffentlicher Kooperationsverhältnisse; Karl-Heinz Ladeur hat in einem soeben erschienenen Beitrag 1 0 3 diesen Regelungstyp der normkonkretisierenden Verwaltungsvorschriften ( n k W ) als besonders geeignet dargestellt, um dynamische Handlungsfelder variabel zu regulieren, und dabei Überlegungen angestellt, die uns wegen ihrer Verallgemeinerungsfähigkeit für das uns interessierende Thema funktionsadäquater Regelungsstrukturen besonders interessieren. Für Ladeur ist die in normkonkretisierenden Verwaltungsvorschriften beschlossene Standardisierungsermächtigung die richtige Regelungsform, wenn es - wie bei seinem Beispiel von Richtlinien der Landesmedienanstalten - darum geht, ein dynamisches Handlungsumfeld, das durch ein Netzwerk staatlicher und privater Akteure gekennzeichnet ist, flexibel zu regulieren 104 : „Dafür erscheint die ,Standardisierungsermächtigung' als eine angemessene Form, weil sie die Abstimmung einer Verwaltungspraxis auf ein dynamischer Veränderung unterliegendes Handlungsfeld in einer Weise erlaubt, die weder der Gesetzgeber durch begriffliche Konturierung noch der Richter durch Interpretation der Steuerungsbegriffe gewährleisten kann. Auch wenn man die Besonderheiten der Kooperationserfordernisse zwischen Landesmedienanstalten im Bundesstaat beiseite läßt, spricht einiges dafür, der Verwaltungspraxis, die unter vielfältigen Anforderungen, insbesondere erheblichem Veränderungsdruck steht und notwendigerweise auf Kooperation mit privaten Akteuren angewiesen ist, ein flexibles, auf schnellen Wandel eingestelltes und situative Anpassung ermöglichendes Instrument wie die n k W zu überlassen und die gerichtliche Kontrolldichte entsprechend zu reduzieren. Dies wird noch dadurch abgestützt, daß die Freiheit der Landesmedienanstalten hier auch grundrechtlich gewährleistet wird. Das Grundrecht der Rundfunkfreiheit läßt eine gesetzliche Steuerung selbst nur in Grenzen zu. Der Pluralismus der Gruppenbeteiligung übernimmt selbst eine eigenständige Steuerungsstruktur. Am geschilderten Beispiel der Richtlinie der Landesmedienanstalten läßt sich eine brauchbare Unterscheidung zwischen Rechtsnorm im engeren Sinne und n k W demonstrieren: Rechtsnormen sollen Erwartungen stabilisieren, während in dynamics Ladeur, DÖV 2000, S. 217 ff. 104 Ladeur, DÖV 2000, S. 217 (222).

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sehen Handlungsfeldern, für die sich nur begrenzt Verhaltensstandards festlegen lassen, die Herausbildung situativer Standards in der Form von Verwaltungsvorschriften sinnvoll ist. Auf der Grundlage prozeduraler Richtlinien läßt sich dennoch ein angemessener Rechtsschutz auch für private Veranstalter gewährleisten."

Der Regelungstyp der normkonkretisierenden VerwaltungsVorschrift ermögliche aber nicht nur Flexibilität, sondern darüber hinaus eine angemessene Erfassung multi-polarer Verwaltungsrechtsverhältnisse von netzwerkartiger Beschaffenheit 105 : „Diese Abhängigkeit der Regulierung von der Entwicklung eines kooperativen privat-öffentlichen Netzwerks von Entscheidungen, das in Standardisierungsgremien zu Zwecken der Formulierung von Normen besonders verdichtet wird (sich aber darin nicht erschöpft), muß bei der begrifflichen Einordnung der n k W stärker berücksichtigt werden. Dann läßt sich nicht nur die Gemeinsamkeit zwischen technischer Standardsetzung und den Richtlinien der Landesmedienanstalten in der Rundfunkregulierung erkennen, sondern diese Akzentverlagerung von der primär kognitiven Bindung zu einer handlungsbezogenen Entwicklung kooperativer Netzwerke privater und öffentlicher Entscheidungen in einem dynamischen Handlungsfeld öffnet auch eine neue Perspektive auf den Eigenwert der n k W : Es geht auch um die Bewältigung von multi-polaren Verwaltungsrechtsverhältnissen, an die das Allgemeine Verwaltungsrecht erst angepaßt werden muß."

Uns selbst scheinen diese Überlegungen eher dafür zu sprechen, der Entwicklung eines eigenen Regelungstyps das Wort zu reden, statt alle erwünschten Regulierungsleistungen dem Normtyp der normkonkretisierenden Verwaltungsvorschrift aufzubürden; aber darauf kommt es hier nicht an, sondern auf die Richtigkeit des methodischen Ausgangspunktes, nämlich von der Eigengeartetheit des Regelungsproblems und Regelungsumfeldes nach der sachgerechten Eigengeartetheit der Regulierungsformen und Regulierungsinstanzen zu fragen. c) Bereichs- und problemspezifische Anforderungen an den Normsetzungsprozeß. Wenn es verschiedene rechtliche Regelungsformen gibt - vom Grundlagengesetz über die Verordnung zu Technikstandards - , die von verschiedenen Regulierungsinstanzen - vom Gesetzgeber bis zum Kerntechnischen Ausschuß - in verschieden ausgestalteten Verfahren - vom Gesetzgebungsverfahren zum Verfahren nach D I N 820 1 0 6 - verwendet werden, so wäre es im Anschluß an die Überlegungen Ladeurs in der Tat eine naheliegende und gewinnbringende Perspektive, das Problem einer funktionsadäquaten Rechtsetzung primär aus der Perspektive des in Rede stehenden Regelungsbereiches zu betrachten und von da aus der Frage nachzugehen, ob sich aus der Eigenart und den Strukturen des Regelungsbereiches gewisse Anforderungen an den Normsetzungsprozeß ergeben. 105 Ladeur, i° 6 In D I N für Normung beit des DIN,

DÖV 2000, S. 217 (223). 820 sind die „Grundsätze der Normungsarbeit" des Deutschen Instituts e.V. festgelegt, siehe DIN e.V. (Hrsg.), Grundlagen der Normierungsar6. Aufl. 1995, S. 81 ff.

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Diesen methodischen Weg zu beschreiten, wird uns auch von Ann-Kristin Achleitner anempfohlen, die in einer Art Zwei-Takt-Verfahren vorgeht, indem sie zunächst bestimmte Anforderungen an Rechnungslegungsnormen formuliert, die sie dann zu Anforderungen an den Normsetzungsprozeß verdichtet. Was zunächst die Anforderungen an Rechnungslegungsnormen angeht, so sind es die folgenden 107 : - Orientierung an der Entscheidungsrelevanz der Informationen; - Operabilität; - Gewährleistung von Vergleichbarkeit; - Gewährleistung von Verständlichkeit; - Schritthalten mit dem wirtschaftlichen Geschehen; - Schritthalten mit dem Stand der Wissenschaft; - Konsistenz; - Neutralität; - Sachgerechtigkeit; - Fundiertheit; - Abstimmung auf das internationale Umfeld. Sieht man sich diese Liste an, so enthält sie eine Reihe von Punkten, die für jegliche Normsetzung und jedes Normsetzungsverfahren von Bedeutung sind (Operabilität, Verständlichkeit) sowie Punkte, die in den meisten Normsetzungsprozessen hilfreich oder notwendig sind (Konsistenz, Sachgerechtigkeit), aber auch Punkte, die für den spezifischen Regelungsbereich charakteristisch sind, wie das Schritthalten mit der wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Entwicklung sowie die Abstimmung auf das internationale Umfeld; interessant ist nun, wie Ann-Kristin Achleitner die von ihr formulierten Anforderungen an Rechnungslegungsnormen mit den von ihr aufgestellten Anforderungen an den Rechnungslegungsnormsetzungsprozeß kombiniert 1 0 8 :

107 Achleitner (FN 87), S. 55 ff. 108 Achleitner (FN 87), S. 59.

Das Konzept der regulierten Selbstregulierung Anforderungen an RechnungsIegungsnormen

^

Schritthalten mit dem wirtschaftlichen Geschehen

233

Anforderungen an den Rechniiiipslefniiifrsnormsetzungsprozeß

—Flexibilität des Verfahrens

Schritthalten mit dem Stand der Wissenschaft

^

^

Orientierungsnormen zur Gewährleistung von Konsistenz

Konsistenz

^ ^

Unabhängigkeit des Standardsetzers

Neutralität

^

Gewährleistung der Interessenabwägung

Sachgerechtigkeit

Fachkunde des Standardsetzers

Fundiertheit

Berücksichtigung von Empirie und Wissenschaft

Abstimmung auf das internationale Umfeld

Kompatibilität mit dem Prozeß der internationalen Harmonisierung

In einem dritten Schritt wäre jetzt „nur" noch zu prüfen, bei welchem Ttyp von Normsetzungsverfahren man diesen Anforderungskatalog am besten aufgehoben sieht, in einem ausschließlich staatlichen Gesetzgebungsverfahren, in einem Verfahren der gesellschaftlichen Selbstregulierung oder in einem Kombinationsmodell von gesetzlichen Vorgaben und privater oder halbstaatlicher Vorgabenausfüllung. Wenn es also - um ein Zwischenergebnis zu formulieren - im Bereich der Normung verschiedene Arten von Normproduzenten und - damit zusammenhängend - verschiedene Typen von Normen gibt, so haben wir es mit einem Auswahl- oder Choice-Problem zu tun: welches Regelungsregime ist besser - im Sinne von Effektivität, Praktikabilität und Flexibilität - und welches Regulierungsregime ist verfassungskompatibler - im Sinne von aus dem Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip gewinnenden Anforderungen an die Produktion von Rechtsnormen. Ist unser Problem also in der Tat ein Auswahlproblem, so erscheint es für die weiteren Überlegungen unverzichtbar, sich über einige Elemente und Anwendungsfälle von Regulatory Choice zu vergewissern.

4. Elemente und Anwendungsfälle von Regulatory Choice

a) Auswahlsituationen. Bevor man sich - was in Ansätzen ja durchaus schon an Konturen gewinnt 1 0 9 - einer Theorie der Regulierung im Gewähr109

Vgl. die in den FN 75 und 76 genannten Beiträge.

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leistungsstaat zuwendet (dazu sogleich noch einige Bemerkungen), scheint es uns hilfreich zu sein, als der Theoriebildung vorgelagerte Bausteine drei Standard-Auswahlsituationen kurz vorzustellen, an denen die Auswahlproblematik insgesamt deutlich wird: aa) Rigidität und Flexibilität rechtlicher Steuerung oder die Wahl des Regelungstyps. Ein Grundproblem jeder rechtlichen Steuerung besteht darin, ihre beiden zentralen Funktionserfordernisse - die Bereitstellung eines verläßlichen Orientierungsrahmens für das Handeln des Steuerungsadressaten wie die Gewährleistung der angesichts der Dynamik des Regelungsumfeldes erforderlichen Regelungsflexibilität - miteinander auszubalancieren 110 . Die dadurch entstehende Auswahlproblematik läßt sich in Reinkultur an der sog. Kalkar-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts studieren 1 1 1 ; in dieser instruktiven Entscheidung ging es um die Verfassungsmäßigkeit von § 7 des Atomgesetzes, nach dessen Abs. 2 eine Genehmigung nur erteilt werden darf, wenn „die nach dem Stand von Wissenschaft und Technik erforderliche Vorsorge gegen Schäden durch die Errichtung und den Betrieb der Anlage getroffen ist." Während das vorlegende Oberverwaltungsgericht Münster der Auffassung war, die Genehmigungsvoraussetzungen müßten primär durch den Gesetzgeber selbst, zumindest aber durch eine die gesetzgeberischen Vorgaben konkretisierende Verordnung detailliert normiert werden, segnete das Bundesverfassungsgericht nach ausführlicher Diskussion der in Betracht kommenden Regelungsalternativen die Auswahlentscheidung des Gesetzgebers ab, auf den zum Zeitpunkt der Genehmigungsentscheidung maßgeblichen jeweiligen Stand von Wissenschaft und Technik hinsichtlich des Vorsorgestandards abzustellen, da gerade auf diese Weise die Rechtsordnung zum Trittbrettfahrer der wissenschaftlich-technischen Entwicklung werde und so ein dynamischer Grundrechtsschutz gewährleistet werden könne. bb) Das Problem der Normenhierarchie oder die Wahl der Regelungsebene. Ein weiteres Grundproblem jeder rechtlichen Steuerung besteht darin, die für den jeweiligen Regelungsbereich angemessene Regelungsebene auszuwählen und zu prüfen, ob angesichts eines konkreten Regelungsbedarfs eher eine anspruchsvollere oder eine vereinfachte Gesetzgebung angezeigt ist. Diese Auswahlsituation läßt sich wie folgt darstellen:

no Vgl. dazu Schuppert, AöR 120 (1995), S. 32 ff.; Harms, Verfassungsrecht in Umbruchsituationen, 1999. m BVerfGE 49, 89 - Kalkar.

Das Konzept der regulierten Selbstregulierung

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und erläutern: - Anspruchsvolle Rechtsetzung. - Verfassungsändernde Gesetze: Gemeint sind hiermit die Produkte des verfassungsändernden Gesetzgebers. Da die Verfassung als spezifischer Normtyp von ihrer Distanz zum Gesetz lebt, sind grenz- und typenverwischende Verfassungsnormen wie der neue Art. 13 GG und Art. 16a GG nicht nur stilistische Fehlentwicklungen. - Grundlagengesetze: Hiermit sind Gesetze gemeint, die sich vom Verfassungsrecht einerseits und von den „einfachen Gesetzen" andererseits unterscheiden. Inhaltliche Kriterien wären Aspekte wie „die Verallgemeinerungsfähigkeit, die übergreifende Wichtigkeit, die existentielle Bedeutung für den Vertrauensschutz und den Lebensentwurf der Adressaten, die Nähe zum Verfassungsgericht usw." 1 1 2 . „Beispiele könnten nach der Entscheidung des Gesetzgebers die allgemeinen Teile der Rechtsgebiete, die ,Stammgesetze' des Besonderen Verwaltungsrechts und die den ,lois organiques 4 entsprechenden Materien des Staatsrechts, also Parlamentsgesetz, Wahlgesetz, Abgeordnetengesetz usw. bilden. Daneben treten die großen Prozeß- und Verfahrensgesetze sowie nach Möglichkeit die ,kodifikationsreifen' Materien des Richterrechts im Allgemeinen Verwaltungsrecht" 1 1 3 . 112 Hufen, in: Schuppert (Hrsg., FN 94), S. 11 (23).

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- Maßstäbegesetze: D e n N o r m t y p des Maßstäbegesetzes verdanken

wir

dem U r t e i l des Z w e i t e n Senats v o m 11. November 1999 z u m L ä n d e r f i nanzausgleich, i n dem er - bezogen auf die Finanzverfassung - eine D r e i stufigkeit des N o r m e n m a t e r i a l s ausgemacht u n d w i e folgt beschrieben hat: „Das variable Steuerzuweisungs- und Ausgleichssystem stützt sich also in seiner Konkretheit wie i n seiner Zeitwirkung auf drei aufeinander aufbauende Rechtserkenntnisquellen: das Grundgesetz gibt in der Stetigkeit des Verfassungsrechts die allgemeinen Prinzipien für die gesetzliche Steuerzuteilung und den gesetzlichen Finanzausgleich vor; der Gesetzgeber leitet daraus langfristige, im Rahmen kontinuierlicher Planung fortzuschreibende Zuteilungs- und Ausgleichsmaßstäbe ab; in Anwendung dieses den Gesetzgeber selbst bindenden, Maßstab gebenden Gesetzes (Maßstäbegesetz) entwickelt das Finanzausgleichsgesetz sodann kurzfristige, auf periodische Überprüfung angelegte Zuteilungs- und Ausgleichsfolgen" 114 . D i e besondere F u n k t i o n dieses zwischen der Verfassung u n d d e m N o r malgesetz situierten Maßstäbegesetzes beschreibt das Gericht i n eindrucksvoller R h e t o r i k w i e f o l g t 1 1 5 : „Diese Offenheit für die allgemeine, in die Zukunft vorausgreifende Regel bleibt erhalten, wenn der Gesetzgeber das Maßstäbegesetz beschließt, bevor ihm die Finanzierungsinteressen des Bundes und der einzelnen Länder in den jährlich sich verändernden Aufkommen und Finanzbedürfnissen bekannt sind. Deshalb muß dieses maßstabgebende Gesetz in zeitlichem Abstand vor seiner konkreten Anwendung im Finanzausgleichsgesetz beschlossen und sodann in Kontinuitätsverpflichtungen gebunden werden, die seine Maßstäbe und Indikatoren gegen aktuelle Finanzierungsinteressen, Besitzstände und Privilegien abschirmen. Auch wenn sich nicht ein allgemeiner ,Schleier des Nichtwissens' (J. Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, 1. Aufl., 1975, S. 29 ff., 159 ff.) über die Entscheidungen der Abgeordneten breiten läßt, kann die Vorherigkeit des Maßstäbegesetzes eine institutionelle Verfassungsorientierung gewährleisten, die einen Maßstab entwickelt, ohne dabei den konkreten Anwendungsfall schon voraussehen zu können. Die klassische Zeitwirkung von Vor-Rang und Vor-Behalt des Gesetzes ist auch in den bundesstaatlichen Gesetzesvorbehalten erneut zur Wirkung zu bringen. " - Einfache Gesetze: D a m i t ist die „ N o r m a l p r o d u k t i o n " des Gesetzgebers gemeint, m i t der er den Bestand des sogenannten einfachen Rechts - i m Gegensatz z u m spezifischen Verfassungsrecht - erweitert u n d verändert. I n n e r h a l b dieses Gesetzestyps k a n n m a n ohne r e c h t l i c h e n Unterscheidungswert, sondern n u r u m bestimmte Regelungsanlässe oder Regelungstechniken t y p i s i e r e n d auf den Begriff z u bringen, verschiedene U n t e r t y pen „ n o r m a l e r " Gesetzgebung unterscheiden, z. B. m i t Peter etwa die folgenden:

us 114 us ne

Ebd. BVerfGE 101, 158 (216 f.). BVerfGE 101, 158(218). Häberle, W D S t R L 30 (1972), S. 43.

Häberle

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- Steuerungsgesetze; - Organisations- und Verfahrensgesetze; - Maßnahmegesetze; - Plangesetze; - Lenkungsgesetze; - Rahmengesetze. Friedhelm Hufen 117 nennt als idealtypisches Gegenstück zu den von ihm befürworteten Grundlagengesetzen die - Ad-hoc-Gesetze, zu denen er wohl solche Gesetze rechnen würde, denen wir heute unter der Überschrift Beschleunigungsgesetze, Heilungsgesetze oder Hemmnisbeseitigungsgesetze begegnen. - Vereinfachte Rechtsetzung: Mit Fritz Ossenbühl kann man diese vereinfachte Gesetzgebung unter Betonung ihrer gemeinsamen Funktion als konkretisierende Rechtsetzung bezeichnen 118 , hiermit an die soeben vorgestellte, vom BVerfG beschriebene Hierarchie der Gesetzestypen anknüpfen und sie sozusagen nach unten fortsetzen, da konkretisierende Rechtsetzung sich unterhalb des Gesetzes vollzieht. Als Mittel dieser konkretisierenden Rechtsetzung fungieren insbesondere - Verordnungen, - Satzungen, - VerwaltungsVorschriften, aber auch und in unserem Erörterungszusammenhang besonders hervorzuheben - Verweisungen: zu denen Ossenbühl folgendes ausführt 1 1 9 : „Konkretisierende Rechtsetzung unterhalb des Gesetzes kann auch stattfinden mit Hilfe der Verweisungstechnik, indem auf außerstaatliche technische Regelwerke verwiesen wird. Geschieht dies in zulässiger Weise, so werden diese Regelwerke in den Normwillen des verweisenden Normsetzers aufgenommen und erlangen die Rechtsqualität der Verweisungsnormen. Strenggenommen handelt es sich also bei der Verweisung auf private Regelwerke nicht um eine besondere Form untergesetzlicher Rechtsetzung, sondern um die Frage des zulässigen Inhalts herkömmlicher verfassungsrechtlich anerkannter Rechtsetzungsformen, namentlich der Rechtsverordnung."

H? Hufen (FN 112), S. 11 (19 f.). us Ossenbühl, DVB1 1999, S. 1 ff. 119 Ossenbühl, DVB1 1999, S. 1 (2).

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cc) Zwischenvergewisserung. Wenn man das zu den letzten beiden Gliederungspunkten Ausgeführte Revue passieren läßt, so wird klar, daß es sich bei den beiden geschilderten Auswahlsituationen um Auswahlsituationen innerhalb des Systems der staatlichen Rechtsetzung handelt, nämlich um eine Auswahl unter Regelungstypen bzw. Regelungsebenen, die mit der Zeitdimension der Rechtsetzung - Stetigkeit versus Flexibilität rechtlicher Steuerung - und der Komplexitäts- oder Grundsätzlichkeitsdimension der Rechtsetzung - grundsätzliche Dauerregelung versus Ad-hoc-Gesetzgebung - zu tun haben. Diese beiden Auswahlsituationen haben nicht nur ihren Ort innerhalb des staatlichen Rechtsetzungssystems - insoweit sind sie Elemente einer staatlichen Rechtsetzungslehre 1 2 0 , - sie sind auch weitgehend verfassungsrechtlich determiniert, weil sowohl die Frage des Regelungstyps verfassungsrechtliche Zulässigkeit von unbestimmten Rechtsbegriffen oder Verweisungen - als auch die Frage der Regelungsebene - verfassungsänderndes Gesetz oder Verwaltungsvorschrift - nur in sehr geringem Maße Entscheidungsspielräume offen läßt, vielmehr verfassungsgesteuerte Antworten erfordert. Die Situation ändert sich aber grundsätzlich, wenn der sichere Unterstand der staatlichen Rechtsetzungsdomäne verlassen und mit der Vorstellung ernst gemacht wird, daß nicht nur der Staat als alleiniger Produzent von Rechtsnormen in Betracht kommt, sondern unter Abschiednahme von der Vorstellung eines staatlichen Rechtsetzungsmonopols mehrere, durchaus verschiedene Normproduzenten denkbar sind, unter deren Produkten die Rechtsunterworfenen möglicherweise sogar eine Auswahl treffen können. Wenn dies nicht nur im kooperativen Staat, in dem die Ersetzung des Steuerungsinstruments des Gesetzes durch Vereinbarungen ständig an Bedeutung zunimmt (Vereinbarung über den Atomausstieg, Vereinbarung über Anbieterwechsel in der Stromversorgung), sondern auch im Gewährleistungsstaat 121 , in dem der Staat nicht alles selbst bewirken muß, eine ernsthafte Perspektive ist, verschiebt sich die Diskussion von den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die staatliche Rechtsetzung - Zulässigkeit von unbestimmten Rechtsbegriffen, Verweisungen etc. - zu den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Gemeinwohlverträglichkeit nichtstaatlicher Rechtsetzung. Damit sind wir nun bei einer dritten, zunehmend wichtiger werdenden Auswahlsituation angelangt: dd) Neuzuschnitt von öffentlichem und privatem Sektor oder die Wahl des Regulierungssektors. Ein drittes Grundproblem der rechtlichen Steuerung im modernen Verwaltungsstaat besteht in der Auswahl des für eine Pro120

Siehe dazu jetzt G. Müller,; Elemente einer Rechtsetzungslehre, 1999. Zum Begriff des Gewährleistungsstaates siehe etwa Hoffmann-Riem, 1999, S. 221 ff.; Eifert (FN 69). 121

DÖV

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blemlösung durch Regulierung geeignetsten Sektors, also in der Beantwortung der Frage, ob eine staatliche Regulierung im öffentlichen Sektor, eine Selbstregulierung im privatem Sektor oder eine kooperative Regulierung im Überschneidungsbereich beider Sektoren am ehesten den gewünschten Regulierungserfolg verspricht. Einer so gekennzeichneten Auswahlsituation liegt offenbar eine wichtige Grundannahme zugrunde, die auch explizit benannt werden sollte. Diese Grundannahme besagt, daß wir nicht eine dichotomische Entgegensetzung von staatlicher oder privater Regulierung als Denkmodell voraussetzen, sondern - unter Bezugnahme auf Wolfgang Hoffmann-Riem 122 - ein Skalierungsmodell von Regulierung zugrunde legen, das zwischen den Polen der imperativen Regulierung auf der einen und der privaten Selbstregulierung auf der anderen Seite mit zwei hybriden Formen von Regulierung arbeitet, nämlich der relativ staatsnahen hoheitlichen Regulierung unter Einbau selbstregulativer Elemente und der sich mehr und mehr als Erfolgsmodell des Gewährleistungsstaates erweisenden hoheitlich regulierten gesellschaftlichen Selbstregulierung, die wie ihr Paradebeispiel - das Öko-Audit - häufig auch als Anwendungsfall sog. reflexiver Steuerung bezeichnet w i r d 1 2 3 .

5. Vom Erfordernis staatlicher Selbstentscheidung zum Erfordernis staatlicher Verantwortung für gemeinwohl-verträgliche Enscheidungen Dritter

Worum es jetzt geht, ist, das engere Gehäuse des die Produktion von Rechtsnormen monopolisierenden Staates zu verlassen und statt dessen von dem Befund einer Pluralität potentieller oder aktueller Normproduzenten auszugehen sowie danach zu fragen, unter welchen rechtlich geordneten institutionellen Bedingungen eine solche private oder auch halbstaatliche Normsetzung mit der Gemeinwohlverantwortung des Staates vereinbar ist. Bevor wir diese Bedingungen etwa in Form von Anforderungen an die Organisation privater Normproduzenten oder das von ihnen anzuwendende Verfahren konkret ausbuchstabieren, sollten wir uns noch einmal darüber vergewissern, was der Wandel des Staatsverständnisses vom übergeorderten Staat der Allzuständigkeit zum verantwortungsteilenden Gewährleistungsstaat für das Problem des Regulatory Choice eigentlich bedeutet. Bei der Vergewisserung darüber geht es zunächst um den Funktionswandel des Rechts im Gewährleistungsstaat.

122 Hoffmann-Riem, in: ders. / Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Öffentliches Recht und Privatrecht als wechselseitige Auffangordnungen, 1996, S. 261 ff. 123 Zu diesem Regulierungstyp siehe die Beiträge von Schmidt-Preuß und Di Fabio , W D S t R L 56 (1997), S. 160 ff. und S. 235 ff.

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a) Zum Funktionswandel des Rechts im Gewährleistungsstaat. Um den Funktionswandel des Rechts im Gewährleistungsstaat zu skizzieren, bedarf es in einem ersten Schritt der Gewinnung eines gesicherten verfassungsrechtlichen Ausgangspunktes. Diesen verfassungsrechtlichen Ausgangspunkt kann man mit Hans-Heinrich Trute mit dem Begriff der Legitimationsverantwortung des Staates bezeichnen, also der Verantwortung des Staates für die Gemeinwohlfähigkeit der Kooperationsvorgänge und ihrer Ergebnisse 124 , wenn der Staat - wie etwa bei dem Gebrauchmachen von nicht-staatlicher Normierungstätigkeit - an Handlungsbeiträge Privater anknüpft oder sie sich sogar zu eigen macht. Zu Recht reklamiert Trute insoweit gemeinwohlsichernde institutionelle Vorkehrungen durch Organisation und Verfahren 125 : „Ohne daß hierbei schematisch die Anforderungen an staatliche Herrschaft nun auf Private übertragen würde, die damit i n letzter Konsequenz etatisiert würden, geht es darum, aus Schichten einer überwirkenden, also über den staatlichen Bereich hinausreichenden Legitimationsverantwortung bestimmte Vorfeldsicherungen zu etablieren, die - vergleichbar der schutzrechtlichen Dimension der Grundrechte für den privaten Interessenausgleich - bestimmte Mindeststandards bei der Verflechtung staatlicher und privater Handlungsbeiträge sicherstellen, um durch legitimatorische Vor- oder Nachwirkungen den Status der privaten Akteure ihrer Funktion innerhalb der Kooperationsverträge anzupassen und ihnen Bindungen aufzuerlegen, die eine mangelnde inhaltliche Entscheidungsbeherrschung des Staates kompensieren."

Diese staatliche Legitimationsverantwortung weist dem Recht - und dies ist der zweite Gedankenschritt - eine andere als die überkommene Bewirkungsfunktion zu, nämlich eine Strukturierungsfunktion für die Zulassung von Gemeinwohlbeiträgen nicht-staatlicher Akteure. Auch insoweit können wir uns auf Hans-Heinrich Trute beziehen, der zu den dem Recht abzufordernden Strukturierungsbeiträgen für Kooperationsbeziehungen - u.E. zutreffend - folgendes angemerkt h a t 1 2 6 : „Es geht darum, wie das Recht den Rahmen für Kooperationen umschreibt, wie es die Interessen bewertet und damit Positionen i n den Kooperationsprozessen verteilt, die Gemeinwohlverträglichkeit von Prozeß und Ergebnissen der Kooperation - und damit deren Rezeptionsfähigkeit - sichert. Es geht also nicht um die zu einfache Alternative von Ordnungsrecht und Kooperation, sondern um die rechtliche Strukturierung von Kooperation. Dies ist mit einer Verrechtlichung von Kooperation und informalem Verwaltungshandeln nicht gleichzusetzen. Vielmehr t r i t t eine andere Wirkung von Recht i n den Vordergrund, nämlich die Ermöglichung, Strukturierung und Begrenzung von Kooperation."

Genau dies ist der entscheidende Punkt: es geht um die Ermöglichung und Strukturierung von Kooperation, also nicht um deren Anordnung oder 124 Trute, Umwelt- und Technikrecht 48 (1999), S. 13 ff. 125 Trute, Umwelt- und Technikrecht 48 (1999), S. 13 (21 f.). 126 Trute, Umwelt- und Technikrecht 48 (1999), S. 13 (26 f.).

Das Konzept der regulierten Selbstregulierung

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detaillierte Feinsteuerung, also nicht um regulatives Recht, sondern um eine andere Wirkung von Recht, um eine Wirkung, deren einen Teilaspekt wir an anderer Stelle als Bereitstellungsfunktion des Rechts charakterisiert haben 1 2 7 . Wie diese andere Funktion von Recht wirkt und funktioniert, ist sicherlich für die unterschiedlichen Regelungsbereiche je nach den Eigenarten des Regelungsgebietes und des Regelungsumfeldes unterschiedlich zu beschreiben. Für den Bereich der Telekommunikation z. B. hat Wolfgang Hoffmann-Riem unter der Überschrift „Zum Wandel der Funktion des Rechts im TK-Bereich" folgende Funktionsbeschreibung formuliert 1 2 8 : „Die dem Staat verbliebene Gewährleistungsverantwortung ist zunächst Rechtsetzungsverantwortung. Es wird ein Rahmen für privatwirtschaftliches Verhalten geschaffen, damit die als »hauptverantwortlich' eingeordneten Privaten die TK-Versorgung im Rahmen einer marktorientierten Selbstregelung leisten können. Daneben gibt es eine ebenfalls rechtlich gestaltete Überwachungsverantwortung, um die Einhaltung der Regeln zu kontrollieren und insbesondere zu starke Machtungleichgewichte einzudämmen. Das Recht kann die Privaten auch bei ihrem Versuch der Selbstregulierung unterstützen, z. B. verfahrensrechtlich durch Bereitstellung von Schlichtungsmöglichkeiten oder materiellrechtlich durch Mißbrauchsaufsicht für den Fall rechtswidriger Verweigerung privatrechtlicher Einigung. Angesichts der rasanten Änderungen in diesem Bereich gehört auch die laufende Beobachtung der Entwicklung des TK-Marktes und der TK-Versorgung zur hoheitlichen Aufgabe, ausgerichtet gegebenenfalls auch auf Revision des Regelwerks, wenn es nicht hinreichend zur EG-Harmonisierung führt oder auch, wenn es sich als untauglich für die Erfüllung der Gewährleistungsverantwortung oder dafür als überflüssig erweist. Die Strukturierung der Regelsetzung, Überwachung und Evaluation sowie gegebenenfalls Revision kennzeichnet einen Typ regulierter Selbstregelung, der die M i t gliedstaaten und die EG auf Gewährleistungsfunktionen festlegt. Eine ausgiebige Folge-, insbesondere Transformationsgesetzgebung war und ist daher erforderlich."

In einem dritten Schritt geht es nun darum, für diese spezifische Funktion des Rechts im Gewährleistungsstaat einen passenden Begriff zu finden. Der Begriff der Bereitstellungsfunktion des Rechts, der auf bestimmte Steuerungsleistungen des Rechts gemünzt ist, greift hier zu kurz: der zu findende Begriff muß an den verfassungsrechtlichen Bezugspunkt der staatlichen Legitimations- und Gemeinwohlverantwortung anknüpfen, gleichzeitig aber zum Ausdruck bringen, daß im Gewährleistungsstaat Gemeinwohlbeiträge nicht-staatlicher Akteure bei Wahrung der staatlichen Letztverantwortung nicht nur möglich sein sollen, sondern erwartet und gefördert werden; darin liegt der zutreffende Kern der Redeweise vom aktivierenden Staat 1 2 9 . 127 Verwaltungsrechtswissenschaft als SteuerungsWissenschaft, in: HoffmannRiem / Schmidt-Aßmann / Schuppert (Hrsg.), Reform des Allgemeinen Verwaltungsrechts, Grundfragen, 1993, S. 65 ff. 128 Hoffmann-Riem, DVB1 1999, S. 125 (126 f.).

16 Die Verwaltung, Beiheft 4

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Wir schlagen vor, zur Kennzeichnung der gemeinten Funktion des Rechts den Begriff des gemeinwohlermöglichenden und gemeinwohlsichernden Rechts 1 3 0 zu verwenden, wobei es nicht nur aus Gründen der Praktikabilität und der besseren Verständigung wohl vorzugswürdig ist, einfach vom gemeinwohlsichernden Recht zu sprechen. Mit dieser Betonung kommt - so w i l l uns scheinen - der Wandel von der unmittelbaren staatlichen Gemeinwohlbewirkung zur eher durch mittelbare Einwirkungen steuernden Gemeinwohlsicherung und die mit dem Begriff der Gewährleistungsverantwortung zu kennzeichnende Rolle des Staates mit seiner Rechtsordnung besonders deutlich zum Ausdruck. Von diesem Ausgangspunkt der Funktionsbestimmung des Rechts im Gewährleistungsstaat aus gilt es nunmehr, einen Blick auf das Problem institutioneller Gemeinwohlsicherungen bei kooperativer Rechtserzeugung zu werfen. b) Institutionelle Gemeinwohlsicherungen bei kooperativer Rechtserzeugung. Nach den bisherigen Überlegungen, und zwar insbesondere zu den gemeinwohlsichernden Kompensationsstrategien angesichts mangelnder inhaltlicher Entscheidungsbeherrschung durch den Staat und seiner Verwaltung, sollte es möglich sein, diejenigen Bedingungen zu formulieren, unter denen eine Aus Wahlentscheidung für eine kooperative, teilprivatisierte Rechtsetzung nach den Maßstäben des Rechts- und Demokratieprinzips unbedenklich erscheint. Worum es also der Sache nach geht, ist, die kooperative, teilprivatisierte Rechtsetzung überhaupt aus wahlfähig zu machen, als eine im demokratischen Rechtsstaat legitime Option innerhalb der Wahl rechtlicher Regelungensformen (Regulatory Choice) auszuweisen. Welche derartigen, die kooperative, teilprivatisierte Rechtsetzung auswahlfähig machenden gemeinwohlsichernden Bedingungen in Betracht kommen, soll hier am Beispiel des zwischen dem Bundesministerium der Justiz und dem „Deutschen Rechnungslegungs Standards Committee" - abgekürzt DRSC abgeschlossenen StandardisierungsVertrages 131 in aller Kürze veranschaulicht werden: 129 vgl. z u diesem Leitbild nunmehr die Habilitationsschrift von Baer, Der Bürger im Verwaltungsrecht zwischen Obrigkeit und aktivierenden Staat, 1999. 130 Vgl, dazu Schuppert, in: Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (Hrsg.), Gemeinwohl und Gemeinsinn (i.E.). 131 Durch Vertrag vom 3. September 1998 zwischen dem Bundesministerium der Justiz und dem Deutschen Rechnungslegungs Standards Committee wurde das DRSC nach Maßgebe des § 342 HGB als die zuständige Standardisierungsorganisation für Deutschland anerkannt; in § 1 dieses Vertrages heißt es dazu wie folgt: „(1) Das BMJ erkennt das DRSC nach Maßgabe des § 342 HGB als die zuständige Standardisierungsorganisation für Deutschland an. Das DRSC verpflichtet sich nach Maßgabe der anliegenden Satzung, ein unabhängiges Standardisierungsgremium einzurichten, auf dieses die Aufgaben nach § 342 Abs. HGB zu übertragen und dieses so zu finanzieren, daß es seine Aufgaben ordnungsgemäß im Rahmen des vom Vorstand des

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aa) Staatliche Auffangv er antwortung durch steuernde Rezeption. Eine die staatliche Legitimationsverantwortung besonders gut wahrende gemeinwohlsichernde Strategie besteht natürlich darin, daß die Produkte des jeweiligen privaten Akteurs - der vom Privaten erarbeitete Vorhaben- und Erschließungsplan, die vom Privaten eingereichten Prüfungsunterlagen, die vom privaten Standardsetzungskomitee erarbeiteten Normen - von staatlichen Stellen geprüft und erst übernommen und mit rechtlicher Verbindlichkeit versehen werden. Das idealtypische Modell für eine solche Auffangkonstruktion - wie Hoffmann-Riem sie nennen würde - bzw. steuernden Rezeption - wie Schmidt-Preuß dies bezeichnen w ü r d e 1 3 2 - ist das Modell der nachvollziehenden Amtsermittlung, also eines phasenspezifischen Modells der Verantwortungsteilung. Die Grenzen dieser an sich plausiblen Strategie liegen allerdings auf der Hand und können mit Hans-Heinrich Trute in einem einzigen Satz bündig zusammengefaßt werden: „Selbst in den Varianten der halbstaatlichen und exekutivischen Standardsetzung ist der Wissens- und Kompetenzvorsprung in zunehmend spezialisierten Bereichen so groß, daß eine exekutivische Kontrolle der Normen vor ihrer Rezeption ohne weitere institutionelle Vorfeldsicherungen nicht effektiv i s t " 1 3 3 . Angesichts dessen besteht Anlaß, zusätzlich nach den von Trute so genannten institutionellen Vorfeldsicherungen Ausschau zu halten, wofür sich besonders die Gestaltung von Organisation und Verfahren anbieten. bb) Inszenierter Pluralismus nicht-staatlicher Standardsetzer. Aus dem Bereich des Rundfunkrechts und insbesondere aus den Zeiten nur zweier Anbieter von Fernsehprogrammen (ARD und ZDF) ist das sog. binnen-pluralistische Organisationsmodell zur Gewährleistung der Abbildung einer pluralen Gesellschaft mit pluralen Interessen wohl vertraut. Dieses binnenpluralistische Organisationsmodell auf nicht-staatliche Normproduzenten zu übertragen, ist ein in der Tat naheliegender Gedanke und hat daher wohl Verwaltungsrates festgelegten Budgets erfüllen kann. Die Aufgaben nach § 342 HGB werden für das BMJ unentgeltlich wahrgenommen. Bei der Erfüllung der übertragenen Aufgaben ist das öffentliche Interesse zu berücksichtigen. Bei der Entwicklung von Rechnungslegungsempfehlungen für die Konzernrechnungslegung (Standards) sind die Belange der Gesetzgebung, der öffentlichen Verwaltung und des Rechtsverkehrs zu berücksichtigen. (2) Das DRSC garantiert die Unabhängigkeit und Funktionsfähigkeit des Standardisierungsgremiums und von diesem eingerichteter Arbeitsgruppen. Das BMJ erkennt die Unabhängigkeit dieser Gremien an; es kann an deren Sitzungen ohne Stimmrecht teilnehmen. (3) Das BMJ wird das Standardisierungsgremium des DRSC bei allen Gesetzgebungsvorhaben, die die Rechnungslegung betreffen, in geeigneter Form beteiligen. Das DRSC wird dem BMJ alle Entwürfe und beschlossenen Standards übermitteln. Dabei soll auch mitgeteilt werden, ob die Bekanntmachung der beschlossenen Standards durch das BMJ vorgeschlagen wird." 132 Schmidt-Preuß, W D S t R L 56 (1997), S. 235 ff. 133 Trute, Umwelt- und Technikrecht 48 (1999), S. 13 (42). 16*

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auch Eingang in den Standardisierungsvertrag vom 3. September 1998 gefunden, in dem es in § 4 Abs. 4 dazu wie folgt heißt: „Bei der Zusammensetzung von Gremien soll darauf geachtet werden, daß die Interessen der Bilanzaufsteller, -prüfer und -nutzer gewahrt werden." Wirft man zusätzlich einen Blick auf die Organisationsstruktur des DRSC, die durch ein Zusammenspiel von verschiedenen Organen, insbesondere von Standardisierungsrat, Konsultationsrat und Arbeitsgruppen gekennzeichnet ist - wobei für die letzten beiden eine durchaus pluralistische Zusammensetzung vorgesehen ist - , so zeigt sich, daß so etwas wie ein pluralistisches Organisationsmix vorhanden ist, das einer einseitigen Dominanz nur einer Interessenrichtung entgegenwirken kann, ein Befund natürlich, der empirischer Überprüfung bedürfte. cc) Anforderungen an Transparenz und Publizität. Eine geradezu unumgängliche Kompensationsstrategie bei der kooperativen Erfüllung öffentlicher Aufgaben ist die Herstellung von möglichst viel Transparenz und Publizität: „Kooperative Verwaltungsvorgänge tendieren" - so konstatiert Trute vollkommen zu Recht 1 3 4 - „zu einer Arkanpraxis, gerade weil die - in Deutschland ohnehin nicht gerade ausgeprägten - Transparenzanforderungen auf den öffentlichen Sektor bezogen sind ... Auch insoweit sind die verbreitet unter dem Einfluß des EG-Rechts zu findenden Informations-, Berichts- und Veröffentlichungspflichten 135 eine begrüßenswerte Kompensation, die im übrigen Legitimationsverlusten umweltrechtlicher Kooperationen entgegenwirken kann." Vor diesem Hintergrund ist es wichtig zu vermerken, daß gemäß § 9 Abs. 2 der Satzung des DRSC der Standardisierungsrat bei der Verabschiedung seiner Empfehlungen öffentlich tagt und daß der DRSC einen sog. Konsultationsrat einrichtet, „um den beteiligten Kreisen Gelegenheit zu geben, dem Standardisierungsrat ihre Vorstellungen vor grundsätzlichen Entscheidungen unmittelbar vorzutragen" (§10 Abs. 1 der Satzung), und daß Mitglied dieses Konsultationsrates jede Organisation werden kann, „die als Berufs- oder Interessenvertretung von Rechnungslegern, Unternehmen oder Nutzern den Zielen des Vereins nahe steht." Auf diese Weise ist also - und auch insoweit kann man zunächst nur von der Papierform ausgehen - eine Art Mindestöffentlichkeit hergestellt. dd) Installierung von Kommunikationsprozessen. In ihrer Darstellung der Grundzüge eines modernen Umweltverfahrensrechts haben Schmidt-Aßmann / Ladenburger darauf hingewiesen, daß an die Stelle punktueller be134 Trute, Umwelt- und Technikrecht 48 (1999), S. 13 (22). 1 3 5 Zum Verfahrenskonzept der informierten Öffentlichkeit jüngst ausführlich Schmidt-Aßmann / Ladenburger, in: Rengeling (Hrsg.), Handbuch zum europäischen und deutschen Umweltrecht. Band I: Allgemeines Umweltrecht, 1998, S. 500 ff.

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hördlicher Dezision verstärkt „kontinuierliche Kommunikations- und Lernprozesse zwischen Behörden und Betreibern treten sollten" 1 3 6 . Dem ist nicht nur für das Verhältnis von Behörden und Betreibern, sondern auch für das Verhältnis von Bundesjustizministerium und dem DRSC beizupflichten, und zwar schon deshalb, um nicht die staatliche Verwaltung ohne Not in eine faktische Ratifikationslage bezüglich der vom DRSC erarbeiteten Standards zu bringen. Zur Gewährleistung einer solchen funktionierenden Kommunikation zwischen BMJ und DRSC fehlt es allerdings an den erforderlichen institutionellen Vorkehrungen. Zwar sind in dem Standardisierungsvertrag gewisse Unterrichtungspflichten vorgesehen, hinsichtlich einer institutionalisierten Kommunikation findet sich aber nicht mehr als das in § 1 Abs. 2 des Vertrages vorgesehene Recht des BMJ, an den Sitzungen des Standardisierungsgremiums ohne Stimmrecht teilnehmen zu dürfen. Das dürfte zu wenig sein; wessen es bedürfte, ist ein institutionalisiertes Forum 1 3 7 , in dem sich Vertreter des BMJ und des DRSC in regelmäßigen Abständen treffen und insbesondere das Justizministerium kontinuierlich über die Arbeit des DRSC und seine zu erwartenden Schwerpunkte begleitend informiert wird.

6. Schlußfolgerungen

Wie die vorgetragenen Überlegungen gezeigt haben, kann man im Bereich der Auswahl unter verschiedenen rechtlichen Regelungsformen - eine Auswahlsituation, die wir als Regulatory Choice zu bezeichnen vorschlagen drei unterschiedliche Auswahlentscheidungen unterscheiden. Die erste Auswahlentscheidung bezieht sich auf die Wahl der Regelungsebene, also die Frage, ob das Problem einer dauerhaften Grundsatzregelung in einem ranghohen Normtyp bedarf oder ob auch eine Form vereinfachter Rechtsetzung ausreicht. Die zweite Auswahlsituation bezieht sich auf die Wahl des Regelungstyps, also die Frage, ob der Gesetzgeber selbst das Regulierungsproblem im Detail entscheiden sollte oder ob es aus Gründen der Dynamik des Regelungsumfeldes und der dadurch bedingten Flexibilitätserfordernisse der Regelung zweckmäßiger ist, den Gesetzgeber zu entlasten und entweder Formen exekutivischer Rechtsetzung zuzulassen oder auf Normierungsbeiträge nicht-staatlicher oder halbstaatlicher Instanzen zu verweisen. Die dritte Auswahlentscheidung bezieht sich auf die Wahl des Regelungssektors, also die Frage, ob das zu regelnde Problem staatlicher

136 Ebd., S. 500 (530 f.). 137 Ζ. B. institutionalisierte Kooperationsgremien; Nachweise bei Schuppert, in: Budäus / Eichhorn (Hrsg.), Public Private Partnership. Neue Formen öffentlicher Aufgabenerfüllung, 1997, S. 93 ff.

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Regulierung bedarf oder ob angesichts der häufig konstatierten regulatorischen Überforderung des Staates der Versuch angezeigt erscheint, es primär privater Selbstregulierung zu überlassen oder - Stichwort: kooperativer Staat - einen dritten Weg einzuschlagen und innerhalb einer staatlichen Legitimationsverantwortung Rechtsetzungsbeiträge Privater zuzulassen, an sie anzuknüpfen und sie mit rechtlicher Verbindlichkeit auszustatten. Während die ersten beiden Auswahlentscheidungen die Regelungstechnik des Gesetzgebers bzw. die Rollenverteilung innerhalb des staatlichen Rechtsetzungssystems betreffen und daher überwiegend mit den Grundsätzen des Vorbehalts des Gesetzes und der Wesentlichkeitstheorie gelöst werden können, geht es in der dritten Auswahlsituation um die Grundsatzfrage der Zulässigkeit einer Teilprivatisierung von Rechtsetzung. Dieses Problem ist nicht identisch mit dem klassischen Verweisungsproblem und daher auch nicht mit den dazu entwickelten Argumentationstopoi zu lösen; während es bei der Verweisung um die Zulässigkeit einer bestimmten Regelungstechnik des Gesetzgebers geht, geht es bei der Wahl des Regelungssektors um die Frage der Auswahl unter verschiedenen in Betracht kommenden Normproduzenten, handelt es sich - wie bei der Privatisierung von Verwaltungs aufgab en - um die Auswahl unter verschiedenen Anbietern öffentlicher Dienstleistungen. Wenn es sich aber um ein Privatisierungsproblem handelt, dann haben wir in demselben Atemzuge ein Regulierungsproblem, und zwar nicht nur deshalb, weil Regulierung und Privatisierung unzertrennliche Geschwister sind 1 3 8 , sondern weil ohne eine gemeinwohlsichernde Ausgestaltung eine teilprivatisierte Rechtsetzung keine legitime Auswahloption des demokratischen Rechtsstaates wäre. Mit anderen Worten: die Einbeziehung Privater in die Erfüllung staatlich zu verantwortender Aufgaben - und dazu gehört unaufgebbar die Produktion von Rechtsnormen als dem zentralen Steuerungsinstrument des Rechtsstaates - schafft Regulierungsbedarf, so daß wir für unser Problem den folgenden Befund formulieren können: Rechtsetzungsprivatisierung schafft Rechtsetzungsbedarf. Dieser Rechtsetzungsbedarf hat zunächst eine materiell-inhaltliche Seite; darüber haben wir unter den Stichworten Auffangnetz, Pluralität, Transparenz, Neutralität etc. gesprochen. Der Rechtsetzungsbedarf führt aber auch zu den ersten beiden Auswahlsituationen zurück, nämlich zur Frage der Regelungsebene und des Regelungstyps, also zu der Frage, wer den durch eine Privatisierung auftretenden Regulierungsbedarf zu befriedigen hat und wie detailliert diese Regelung beschaffen sein muß. Es dürfte kein Zweifel daran bestehen, daß die Grundsätze einer differenzier138 vgl. Schuppert, in: König/Benz (Hrsg.), Privatisierung und staatliche Regulierung, 1997, S. 539 ff.

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ten Aufgabenteilung im Bereich der Rechtsetzung durch den Gesetzgeber selbst zu bestimmen sind und daß er die Bedingungen ausformulieren muß, unter denen eine Teilprivatisierung von Rechtsetzung als Auswahloption zulässig sein soll 1 3 9 .

IV. Das Konzept regulierter Selbstregulierung als Bestandteil einer überfälligen Staats- und Verwaltungsreform 1. Reformstrategie als Doppelstrategie

In ihrem Bericht über die Rolle des Staates in einer sich verändernden Welt hat die Weltbank als Strategie der Staatsmodernisierung eine ZweiStufen-Strategie vorgeschlagen und die beiden Strategie-Elemente wie folgt skizziert 1 4 0 : - Die Rolle des Staates seinem Leistungsvermögen anzupassen, ist das erste Element dieser Strategie. Wo die staatliche Leistungsfähigkeit gering ist, sollte sorgfältig abgewogen werden, wie - und wo - der Staat interveniert ... Wenn sich die Regierungen besser auf die staatlichen Kernaktivitäten konzentrieren, die für die Entwicklung ausschlaggebend sind, wird dies ihre Effektivität steigern. - Das zweite Element der Strategie ... besteht darin, die Leistungsfähigkeit des Staates durch die Kräftigung der öffentlichen Institutionen zu erhöhen ... Dies bedeutet, staatliche Institutionen einem schärferen Wettbewerb auszusetzen, um ihre Effizienz zu erhöhen. Es bedeutet, die Leistung der staatlichen Insitutionen zu steigern, die Bezahlung und die Anreize zu steigern ... Damit sind zwei Schlüsselbegriffe benannt, an die wir unsere weiteren Überlegungen anknüpfen können. Bei der Staats- und Verwaltungsreform geht es um zwei Dinge, nämlich um - die Neubewertung der Rolle des Staates. Dieser Aspekt wird im folgenden Staatsreform genannt. - die Neuordnung der staatlichen Leistungsfähigkeit. Dieser Aspekt wird im folgenden als Regierungs- und Verwaltungsreform bezeichnet. Bei der Staatsreform geht es im Kern um eine für Rollenbestimmungen typische Verhältnisbestimmung, nämlich um die Bestimmung des Verhältnisses des Staates zur Gesellschaft, insbesondere zur wirtschaftenden Ge139

Überzeugend dazu Gusy, in: Hoffmann-Riem/ Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Effizienz als Herausforderung an das Verwaltungsrecht, 1998, S. 175 ff. 140 Internationale Bank für Wiederaufbau und Entwicklung / Weltbank. Der Staat in einer sich verändernden Welt, Weltentwicklungsbericht, 1997.

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sellschaft und um das Verhältnis des Staates zum Bürger. Bei der Regierungs- und Verwaltungsreform geht es um die Verbesserung der staatlichen Institutionen, also um die Reform der Institutionen auf den einzelnen Verwaltungsebenen von Bund, Land, Gemeinden. Damit ergibt sich das Reform-Grundgerüst, das der nachfolgenden Darstellung zugrundegelegt wird. Wenn man dieses Strukturgerüst einer Staats- und Verwaltungsreform in die Sprache des Rechts übersetzt, so kann man innerhalb des Bereichs der Modernisierung der Rechtsordnung zwei den Begriffen Staats- und Verwaltungsreform zuweisbare Teilbereiche unterscheiden, nämlich eine die Staatsreform rechtlich umsetzende Rechtsetzungsreform und eine die Regierungs- und Verwaltungsreform rechtlich umsetzende Rechtsreform. Wir beschränken uns im folgenden auf eine kurze Skizze der Rechtsetzungsreform als Instrument der Staatsreform und wollen dabei zeigen, wie sich das Konzept der regulierten Selbstregulierung als Bestandteil einer Rechtsetzungsreform verstehen läßt. a) Der aktivierende Staat als Leitbild der Staatsreform. Jede Staats- und Verwaltungsreform wird - wenn sie mehr sein w i l l als Verfahrensbeschleunigung und Vorschriftenentrümpelung - immer auch von dem zugrundeliegenden und als Reformkompaß fungierenden Staatsverständnis geprägt. Als Kurzformel für ein solches reformorientiertes Staatsverständnis kann man - wie es die Bundesregierung und auch wir tun - vom Leitbild des aktivierenden Staates sprechen. Dieses Leitbild des aktivierenden Staates ist dadurch gekennzeichnet, daß es dem Staat die Aufgabe zuweist, überall dort die Übernahme gesellschaftlicher Verantwortung zu fördern, wo dies möglich ist und sich bei der Erfüllung öffentlicher Aufgaben an einer neuen Stufung der Verantwortung zwischen Staat und Gesellschaft zu orientieren, einer Stufenordnung, die mit den Prozeßbeschreibungen „Von der Erfüllungs- zur Gewährleistungsverantwortung" und „Vom Staat der Allzuständigkeit zum verantwortungsteilenden Gewährleistungsstaat" gekennzeichnet werden k a n n 1 4 1 . Das Leitbild des aktivierenden Staates nimmt diese neue Verantwortungsteilung zwischen Staat und Gesellschaft, zwischen staatlicher Steuerungsverantwortung und verantwortungsübernehmender Zivilgesellschaft auf und sucht sie konkretisierend umzusetzen: „Aktivierender Staat bedeutet, die Selbstregulierungspotentiale der Gesellschaft zu fördern und ihnen den notwendigen Freiraum zu schaffen. Im Vordergrund muß deshalb das Zusammenwirken staatlicher, halbstaatlicher und privater Akteure zum Erreichen gemeinsamer Ziele stehen. Dieses Zusammenwirken muß entwickelt und ausgestaltet werden. Vor allem dem Bund fällt hierbei die Aufgabe zu, die rechtlichen Rahmenbedingungen für einen bürgerorien141 Schuppert, Die Verwaltung 31 (1998), S. 416 ff.

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tierten und partnerschaftlichen Staat mit einer effizienten Verwaltung zu schaffen" 142 . Einer der wichtigsten Hebel zur Umsetzung dieses Leitbildes des aktivierenden Staates ist eine grundsätzlich angelegte Rechtsetzungsreform. b) Rechtsetzungsreform als Konkretisierung von Ver antwortung Stellung, aa) Bedeutungsgewinn gesellschaftlicher Selbstregulierung als Konsequenz des aktivierenden und verantwortungsteilenden Staates. Geht es dem aktivierenden und verantwortungsteilenden Staat darum, die Selbststeuerungspotentiale der Gesellschaft zu fördern, so ist Kennzeichen moderner Verwaltung die Abkehr vom klassischen Gestaltungsmodus imperativer Zweckverwirklichung zugunsten einer arbeitsteiligen Gemeinwohlkonkretisierung durch Staat und Private und die Nutzbarmachung gesellschaftlicher Selbstregulierungskräfte. Dieser als Konsequenz des aktivierenden und verantwortungsteilenden Staates konstatierte Bedeutungsgewinn gesellschaftlicher Selbstregulierung zeigt sich vor allem in einer durch ein geändertes Rechtsetzungsverfahren bewirkten Konkretisierung und Umsetzung des Kooperationsprinzips als normativem Leitbild des verantwortungsteilenden Staates. Denn wenn öffentliche Aufgaben nicht nur im öffentlichen Sektor erfüllt werden, sondern auch im dritten Sektor und in Zusammenarbeit mit dem privaten Sektor und die moderne Verwaltungswirklichkeit durch einen Prozeß der zunehmenden Verschränkung und Verzahnung der Sektoren untereinander gekennzeichnet ist, so stellt sich alsbald als Regulierungsproblem die Frage, in welchem Sektor mit welchen Instrumenten reguliert werden soll. Welche Fragen hier zu stellen sind, ist in der vom norwegischen Royal Ministry of Government Administration herausgegebenen „Checklist for Use when Deciding on Instruments and New Regulations" (1994) wie folgt formuliert worden: „National measures must be implemented by the public or the private sector. Within the appropriate sector, those measures best suited to solving the problem should be chosen. - Is the problem under consideration in the private sector? - Can the problem be solved within the private sector? - Should there be collaboration between the public and private sector so that, for example, the problem may be discussed at an early stage w i t h the organizations and interest groups who are affected by it? - If the public sector should intervene - is it a problem for central government, county or municipal authorities?"

142 Die Bundesregierung, Moderner Staat - Moderne Verwaltung, Leitbild und Programm der Bundesregierung, Kabinettsbeschluß vom 1. Dezember 1999.

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Mit der Entscheidung darüber, in welchem Sektor ein Problem gelöst und reguliert werden sollte, steht naturgemäß die weitere Frage in engem Zusammenhang, welcher Regulierungstyp gewählt werden sollte. Insbesondere die regulatorische und finanzielle Überforderung des Staates zwingt zur Klärung der Frage, inwieweit Mechanismen gesellschaftlicher Regulierung besser genutzt werden können und ob es durch die Bereitstellung von Strukturen und Verfahren Wege gibt, die Regelungstechniken der klassischen imperativen Regulierung und der gesellschaftlichen Selbstregulierung optimierend miteinander zu verbinden, ζ. B. durch eine hoheitlich regulierte gesellschaftliche Selbstregulierung. Wir haben es also nicht nur mit einer Aus Wahlentscheidung unter Sektoren zu tun, sondern auch mit einer Auswahlentscheidung unter Regulierungstypen, die man wie folgt als ein Skalierungsmodell der Regulierung darstellen k a n n 1 4 3 :

c) Veränderte Regulierungstechniken als Konsequenz des aktivierenden Staates. Zu beobachten ist aber nicht nur ein unter dem Gesichtspunkt der Rechtsetzungsreform bedeutsamer Bedeutungsgewinn gesellschaftlicher Selbstregulierung und ein Prozeß der Re-Regulierung als Konsequenz der Privatisierung und Ausgliederung von Verwaltungs aufgab en, sondern darüber hinaus ein Wandel der Funktion des Rechts überhaupt, ein Funktionswandel, den man wie folgt beschreiben k a n n 1 4 4 : „Da der Staat Rechtsstaat bleibt, kann er seine Verantwortung nur in den Formen des Rechts erfüllen. Im Zusammenhang mit den Änderungen aber ändert sich auch die Funktion des regulierenden Rechts. Änderungen der Technik der Normierung im öffentlichen Recht, insbesondere im Verwaltungsrecht, kündigen sich in der abnehmenden Bedeutung von Konditionalprogrammen an - also der Formulierung des Handlungsprogramms in Wenn-Dann-Sätzen. Statt dessen gibt es einen Trend 143 Hoffmann-Riem (FN 122). 144 Hoffmann-Riem, DÖV 1999, S. 221 ff.

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in Richtung auf die verstärkte Nutzung von Final- und Aufgabenprogrammen sowie die Betonung von Konzepten, Prinzipien und Leitlinien."

Auch von solchen sehr prinzipiellen Überlegungen zum Funktionswandel des Rechts kann man und muß man zu den mehr handwerklichen Instrumenten der Regulierungstechnik einen Bogen zu schlagen versuchen, indem in einem anspruchsvolleren, das sich verändernde Verhältnis von Staat und Gesellschaft einbeziehenden Prüfungskatalog die folgenden Fragen zu stellen wären: - Sektorspezifische Prüffragen - Kann das Problem im privaten Sektor gelöst und der gesellschaftlichen Selbstregulierung überlassen werden? - Ist die gesellschaftliche Selbstwahrnehmung der Aufgabe hinsichtlich des Steuerungserfolges funktional äquivalent? - Sofern die Aufgabenerfüllung von nicht-staatlichen Trägern oder Privaten wahrgenommen wird: - Wie wird sichergestellt, daß die nicht-staatlichen Leistungsanbieter ihre Leistungen gemeinwohlverträglich erbringen: sozial zumutbare Tarife, flächendeckendes Angebot etc.? - Welche Regulierungsmaßnahmen (Strukturaufsicht, Verhaltensaufsicht) und welche Regulierungsinstanzen sind dafür erforderlich? - Wie kann im Falle gesellschaftlicher Schlechterfüllung sichergestellt werden, daß die Aufgabe auf staatliche Stellen rückübertragen werden kann? - Kooperationsspezifische Prüffragen - Kann das Problem in Kooperation mit privaten Anbietern oder Anbietern des dritten Sektors gelöst werden? - Welche Anforderungen sind an die rechtliche Ausgestaltung solcher Kooperationsbeziehungen zu stellen? (Notwendigkeit einer Entwicklung eines Verwaltungskooperationsrechts) - Welche organisatorischen Arrangements sind geeignet und erforderlich, um solche Kooperationsbeziehungen organisatorisch zu ermöglichen oder zu flankieren? (Entwicklung eines Rechtsrahmens für Public Private Partnership) - Regulierungsspezifische Prüffragen - Reicht eine gesellschaftliche Selbstregulierung - etwa durch Selbstbeschränkungsabkommen oder Selbstverpflichtungen - aus?

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- Welche Strukturen oder Verfahren sollten staatlicherseits bereitgestellt werden, um Selbstregulierung zu ermöglichen? (Beispiel: Tarifautonomie) - Besteht die Möglichkeit, als milderes Mittel gegenüber der imperativen Regulierung eine gesellschaftliche Selbstregulierung staatlich vorzuschreiben? (hoheitlich regulierte gesellschaftliche Selbstregulierung) Mit anderen Worten: jedem Staatstyp entspricht ein bestimmtes Regulierungssystem mit entsprechenden Regulierungstypen und einem bestimmten Regulierungsstil. Für den Staatstyp des aktivierenden und ver antwort ungsteilenden Staates gilt es, diese Entsprechungen im Bereich der staatlichen Regulierungsfunktion zu entwickeln, wozu die vorgestellten Überlegungen ein erster Schritt sein sollen.

Regulierte Selbstregulierung als Element verwaltungsrechtlicher Systembildung Von Eberhard Schmidt-Aßmann, Heidelberg

I. Verwaltungsrechtliche Systembildung

Rechtssysteme können keine starren, ein für allemal fertigen Ordnungsmuster sein. Sie müssen sich offen für den rechtlichen und gesellschaftlichen Wandel erweisen. Freilich sollen sie diesem Wandel auch Orientierung bieten, seine Phasen beobachten und seine Folgen bewerten. Das verlangt dann eben doch ihre relative Stabilität. Rechtssystematische Arbeit ist folglich, der hermeneutischen Arbeit vergleichbar, durch ein Hin- und Herwandern des Blickes gekennzeichnet. Der Begriff der „Systembildung" w i l l auf diese besondere Situation hinweisen: Zustand und Bewegung, Verwaltung eines überkommenen Besitzes und Gestaltung einer immer wieder neu gestellten Aufgabe 1 . Verwaltungsrechtliche Systembildung vollzieht sich in dreifacher Weise: - Zum ersten in der täglichen administrativen und judikativen Praxis, die die bisherigen Erkenntnisse der Dogmatik anwendet, dabei überprüft und in oft kaum wahrnehmbaren Schritten weiterentwickelt; - zum zweiten durch die ausgreifenden Aktionen der parlamentarischen und der supranationalen Rechtsetzung, die in ihrem Ausgangspunkt allerdings mehr durch die jeweils zu bewältigende Sachaufgabe als durch vorab definierte Systemziele bestimmt sind; - zum dritten durch die akademische Rechtswissenschaft, die in Kenntnis des traditionellen Rechtsprechungsstandes und der aktuellen Rechtsänderungen, aber auch in Distanz zu diesen, die tiefergreifenden Wertannahmen und die durchlaufenden Entwicklungslinien herausarbeiten muß. Diese drei systemprägenden Kräfte sind aufeinander angewiesen. Es ist daher von vornherein verfehlt, die Praxis gegen die Theorie, den Einzelfall gegen das System, die Rechtsdogmatik gegen die Rechtsreform auszuspie1 Hoffmann-Riem, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Schuppert (Hrsg.), Reform des Allgemeinen Verwaltungsrechts, 1993, S. 115 (116 f.).

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len. Verwaltungsrechtliche Systembildung ist immer auch zugleich Systemreform, d. h. Dogmatik in der Entwicklung. Wer sich der verwaltungsrechtlichen Systembildung verpflichtet weiß, muß die realen Entwicklungen im Recht und in der Verwaltung beobachten. Neue dogmatische Erkenntnisse werden nicht aus festen Vorgaben in Schlußverfahren mathematischer Stringenz gewonnen. Zwischen den Phasen der Deskription, der Analyse, der Typisierung, der Bestimmung von Entwicklungsrichtungen und der Formulierung neuer oder gewandelter Rechtserkenntnisse existiert keine feste Grenze. Es gibt hier keinen „Ruck", mittels dessen die Beschreibung sozialer Realität in Normativität umschlägt. Die Rechtswissenschaft ist eine Argumentationswissenschaft. Was sonst sollen die Auslegungsmethoden und Abwägungsregeln ausweisen? Rechtswissenschaftliche Dogmen- und Systembildung ist folglich auf Plausibilität angelegt und auf Kreativität angewiesen, wenn sie neuen oder gewandelten sozialen Phänomenen Rechtsfolgen erneut oder neu zuordnen will. Vermittlungsbegriffe, die die Analyse neuer Phänomene auf den Punkt bringen und bestimmte rechtliche Reaktionen indizieren, können die dazu erforderlichen gedanklichen Schritte leiten. Gerade die jüngere verwaltungsrechtliche Reformdiskussion hat ihre Eignung erwiesen 2 .

I I . Regulierte Selbstregulierung

Zu diesen Vermittlungsbegriffen, die zunächst heuristische Funktionen haben, aber dogmatische Bedeutung erlangen können, gehört der Begriff der regulierten Selbstregulierung 3 . Das soll in sechs Schritten entfaltet werden. 1. Begriffsbestimmung

Regulierte Selbstregulierung kennzeichnet Wirkungszusammenhänge im Grenzbereich zwischen staatlichen und gesellschaftlichen Aktivitäten. Wir haben es mit einem Verbundbegriff zu tun, dessen Bedeutung jedoch erst dann richtig erfaßt wird, wenn man sich zunächst mit seinen beiden Bestandteilen getrennt beschäftigt. 2 Dazu Schuppert, Die Verwaltung 1999, Beiheft 2, S. 103 ff. Speziell zur Verantwortung Trute und Voßkuhle, in: Schuppert (Hrsg.), Jenseits von Privatisierung und „schlankem" Staat, 1999, S. 11 ff. und 47 ff. Zurückhaltender gegenüber diesem Begriff Röhl, Die Verwaltung 1999, Beiheft 2, S. 33 ff. 3 Grundlegend Hoffmann-Riem, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Öffentliches Recht und Privatrecht als wechselseitige Auffangordnungen, 1996, S. 261 (300 ff.); Trute, DVB1 1996, S. 950 ff.; Schuppert, Die Verwaltung 31 (1998), S. 415 ff.; mit weiteren Nachweisen J.-P. Schneider, Liberalisierung der Strom Wirtschaft durch regulative Marktorganisation, 1999,S.41ff.

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a) Selbstregulierung bezeichnet Maßnahmen nichtstaatlicher Instanzen, die die eigenen Verhaltensmaßstäbe der Beteiligten sichern sollen 4 . Sie schöpft ihre Kraft aus privatem gesellschaftlichem Handeln. Es geht um die Ausbildung kollektiver Ordnungsmuster in Verfolgung grundrechtlicher Freiheit, um eine „selbstbezogene Funktionslogik", die neben eigenen auch öffentliche Interessen verfolgen kann, insofern es um kollektive, übergreifende Ordnungen geht 5 . Eine unzutreffende Perspektive wird freilich dann eingenommen, wenn aus diesem Befund bereits auf eine spezifische Bezogenheit der Selbstregulierung auf den Staat geschlossen wird. Es sind gerade keine „staatlich definierten öffentlichen Zwecke", die die in der Selbstregulierung wirksamen Kräfte aus sich heraus verfolgen wollen 6 . Ordnungsüberlegungen der staatlichen Seite dürfen nicht schon hier in die Begriffsbildung eingeschleust werden. Folglich hat Selbstregulierung als solche mit dem Verwaltungsrecht und seiner Systembildung kaum etwas zu tun. Alle diese Überlegungen kommen erst bei der Betrachtung des Verbundbegriffes ins Spiel 7 . b) Regulierung bezeichnet hoheitlich wahrgenommene Tätigkeiten des Staates. Sie ist Steuerung mit einem spezifischen, über den Einzelfall hinausgreifenden Ordnungszweck. Soweit sie mit administrativen Mitteln wahrgenommen wird, läßt sie sich dem Typus lenkender Verwaltung zuordnen, die regelmäßig in mehrpoligen Verwaltungsverhältnissen agiert. Regulierung ist ein klassisches Thema des Verwaltungsrechts und als solche auf Selbstregulierung keineswegs notwendig angewiesen. c) Als Vermittlungsbegriff verwaltungsrechtlicher Systembildung wird regulierte Selbstregulierung erst dort wirksam, wo Selbstregulierungsanliegen und Regulierungsanliegen aufeinander bezogen sind und sich ergänzen. Die Essenz des Begriffs ist der Verbund. Die Spannung zwischen hoheitlich und privatinitiativ, zwischen originärer Gemeinwohlverpflichtung des Staates und freiheitlicher Agenda Privater, die damit zugleich gemeinwohlfördernd tätig werden, und die Überführung dieser Spannung in ein gemeinsames Ordnungskonzept ist diejenige Aufgabe, die der Begriff der regulierten Selbstregulierung zu bezeichnen sich zum Ziel gesetzt hat.

4 So Hoeren, Selbstregulierung im Banken- und Versicherungsrecht, 1995, S. 6, für Selbstregulierungsformen in der Wirtschaft. 5 Schmidt-Preuß, W D S t R L 56 (1997), S. 160 (162 f.). 6 Anders Di Fabio , W D S t R L 56 (1997), S. 237 (238: „instrumenteile Selbstregulierung"); vgl. aber auch dort S. 241. 7 Um dem Vermittlungsbegriff der regulierten Selbstregulierung die erforderlichen klaren Konturen zu geben, empfiehlt es sich auch nicht, von Selbstregulierung innerhalb der Verwaltung zu sprechen. Anders J.-P Schneider, in diesem Bande, S. 177 ff.

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Eberhard Schmidt-Aßmann 2. Referenzgebiete

Regulierte Selbstregulierung findet sich in vielen Feldern der Rechtsordnung. Ihre Erscheinungsformen sind allerdings recht unterschiedlich. Um eine zu schnelle Verengung auf eine typisch öffentlich-rechtliche Perspektive zu vermeiden, müssen Referenzgebiete mit ganz unterschiedlichen Traditionen und Interessenstrukturen analysiert werden 8 . - Ein wichtiges Feld ist das Umweltrecht, das auch hier seinen Rang als ein herausragendes Referenzgebiet für das Allgemeine Verwaltungsrecht beweist 9 . Orientiert man sich an dem sog. Kommissionsentwurf zum Umweltgesetzbuch 10 , der als repräsentative Normierung der umweltrechtlichen Instrumente genommen werden kann, so sind u. a. folgende Selbstregulierungsmechanismen herauszustellen, die ihrerseits in staatliche Regulierungsinteressen eingebunden sind: Selbstkontrollen in Form einfacher Eigenüberwachung (§§ 143 - 147) und in komplexen Systemen, ζ. B. dem Umwelt-Audit (§§ 164 - 169), ferner die Vorschriften über die Organisation des betriebsinternen Umweltschutzes (§§ 151 - 171), die Selbstverpflichtungsabreden und normersetzenden Verträge (§§ 35 - 39) sowie die Vorschriften über Technische Regelwerke und die Wege ihrer Rezeption in staatliche Entscheidungszusammenhänge (§§ 31 - 33). Selbstregulierung der Unternehmen ist in diesen Bereichen entweder verbunden mit staatlichen Kontrollaufgaben, die teils erleichtert, auf längere Sicht durch Selbstkontrollen vielleicht sogar substituiert werden sollen. Bei der selbstregulativen Normsetzung tritt der Gesichtspunkt staatlicher Informationsteilhabe und Letztverantwortung für die rechtlich durchsetzbaren Maßstäbe des technischen Rechts hinzu. Insgesamt bietet das Umweltrecht ein Beispiel für regulierte Selbstregulierung, die vorrangig aus der Perspektive einer verbliebenen staatlichen Überwachungsverantwortung entwickelt worden ist und rechtspolitisch daher nicht selten als Aufweichung des klassischen Ordnungsrechts kritisiert wird. - Im Telekommunikationsrecht tritt uns regulierte Selbstregulierung in einem Bereich öffentlich gebundener Wirtschaft entgegen 11 . Ähnliche Re8 Zur Bedeutung von Referenzgebieten allgemein vgl. Schmidt-Aßmann, in: Reform (FN 1), S. 11 (26 ff.); zum Verhältnis des Besonderen zum Allgemeinen Verwaltungsrecht Groß, Die Verwaltung 1999, Beiheft 2, S. 57 ff. 9 Hoffmann-Riem, in: Reform (FN 1), S. 118 ff. 10 Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (Hrsg.), Umweltgesetzbuch (UGB-KomE), Entwurf der Unabhängigen Sachverständigenkommission zum Umweltgesetzbuch, 1998. h Dazu Ruffert, AöR 124 (1999), S. 237 ff.; Hoffmann-Riem, in: Schmidt-Aßmann/ Hoffmann-Riem (Hrsg.), Strukturen des Europäischen Verwaltungsrechts, 1999, S. 317 ff.; Eifert, Grundversorgung mit Telekommunikationsleistungen im Gewährleistungsstaat, 1998, bes. S. 175 ff.; Scherer, in: Grundmann (Hrsg.), Systembildung und Systemlücken in Kerngebieten des Europäischen Privatrechts, 2000, S. 691 ff.

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gelungsstrukturen finden sich für das Energie-, Post- und Schienenverkehrswesen 12 . Die Mechanismen sollen monopolregulierend und marktorganisierend wirken. Regulierte Selbstregulierung ist in diesem Referenzgebiet das „Scharnier des Übergangs von der Erfüllungs- zur Gewährleistungsverantwortung" des Staates. Auf der gesetzlichen Ebene stehen die staatlichen Regulierungsakte ganz im Vordergrund, während die Mechanismen der Selbstregulierung, ζ. B. die vertragliche Vereinbarung von Zusammenschaltungen zwischen mehreren Anbietern von Telekommunikationsdienstleistungen, eher im Hintergrund bleiben und nur den Ausgangspunkt bieten. Die regulierenden Instrumente sind staatliche Verteilungsentscheidungen, idR in der Form von Verwaltungsakten, verbunden mit gemeinwohlfördernden Auflagen. - Deutlich andere Formen regulierter Selbstregulierung finden sich im Handels- und Gesellschaftsrecht. Hier dominieren die private Wirtschaftstätigkeit und das freie Spiel der Kräfte, denen eine zurückgenommene staatliche Rahmenverantwortung ζ. B. für den Verbraucherschutz oder den Gläubigerschutz gegenübersteht. Die Literatur nennt als unterschiedliche Erscheinungsformen der Selbstregulierung die Institutionalisierung, ζ. B. durch Bildung von Einlagensicherungsfonds der Banken, die Professionalisierung, ζ. B. durch Aufstellung eigener Verhaltensregeln („Übernahmekodex"), und die Prozeduralisierung, ζ. B. durch Schaffung eigener Klärungs- und Mediationsverfahren 13 . Sie alle sind Ausdruck der Eigeninteressen der beteiligten Wirtschaftssubjekte, die das Vertrauen des Geschäftsverkehrs in die Funktionsfähigkeit und Solidität der beteiligten Wirtschaftssubjekte stärken wollen. Zur regulierten Selbstregulierung werden diese Vorgänge erst dadurch, daß der Staat auf der Grundlage seiner Rahmenverantwortung die Beachtung solcher Regeln oder die Schaffung von Haftungsfonds gesetzlich verbindlich vorschreibt. Auch die Schaffung eigener Aufsichtsbehörden, ζ. B. eines Bundesaufsichtsamtes für den Wertpapierhandel, dient diesem Ziel. Staatliche Regulierung stützt die Selbstregulierung solchermaßen ab, indem sie hilft, Vertrauen, Transparenz und Stabilität zu schaffen. Sie bildet einen Ankerpunkt oder ein Widerlager zu den privaten Maßnahmen. Die jüngere Entwicklung zeigt hier nicht nur in Deutschland, daß die staatlich-gesellschaftliche Verantwortungsteilung heute keineswegs notwendig überall in Richtung einer Privatisierung oder Deregulierung verläuft, sondern auch umgekehrt „Publifizierungstendenzen" auszumachen sind 1 4 . Beispiel hierfür ist die Ablösung der ursprünglich auf freiwilliger Anerkennung gegrün-

12 Zum Energierecht Schneider (FN 3), S. 525 ff. 13 Hoeren (FN 4), S. 24 ff. 14 Hoeren (FN 4), S. 230 (363). 17 Die Verwaltung, Beiheft 4

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deten Insiderregeln durch die zwingenden Vorschriften des Wertpapierhandelsgesetzes 1 5 . - Im Produktsicherheitsrecht haben sich die Mechanismen regulierter Selbstregulierung systematisch erst nach entsprechenden Vorgaben des EG-Rechts herausgebildet 16 . Die Harmonisierung nach der Neuen Konzeption überläßt die Ausformung der Sicherheitsstandards weitgehend der privat organisierten Europäischen Normung, die sich dabei der nationalen Normungsinstanzen bedient. Auch auf operativer Ebene erfolgt die Zertifizierung der Produkte zu wesentlichen Teilen selbstregulativ, d. h. durch den Hersteller mittels Fertigungskontrolle und technischer Dokumentation, ferner durch private Sachverständige und schließlich durch sog. Benannte Stellen, die aufgrund Vertrages mit dem Hersteller tätig werden und in der Regel schon wegen ihrer transnationalen Aufgabenstellung nicht als Behörden oder Beliehene, sondern als private Stellen zu qualifizieren sind 1 7 . Nur die Akkreditierung dieser Stellen liegt in den Händen staatlicher Instanzen. Obwohl es sich im Produktsicherheitsrecht weitgehend um Aufgaben der Gefahrenabwehr handelt, ist die staatliche Regulierung folglich weit zurückgenommen. - Ein vielschichtiges System regulierter Selbstregulierung bietet das Wissenschaftsrecht 18. Gemeinsame Strukturen werden hier allerdings wegen der traditionellen Zäsur zwischen öffentlich-rechtlich organisierten Wissenschaftseinrichtungen (Universitäten) und Einrichtungen privaten Rechts (Max-Planck-Gesellschaft, Fraunhofer-Gesellschaft) nicht leicht deutlich. Bedenkt man jedoch, daß staatliche Regulierung gegenüber der Wissenschaft vor allem mittels des finanziellen Zügels vorgenommen wird, so läßt sich die für die Mittelverteilung zentrale Position der Deutschen Forschungsgemeinschaft unschwer als Schnittstelle zwischen Selbstregulierung und staatlicher Regulierung bestimmen. - Wenig rechtswissenschaftliche Beachtung haben die Vorgänge regulierter Selbstregulierung bisher im Transplantationsrecht gefunden 19 . Das ist um so erstaunlicher, als gerade auf diesem Felde buchstäblich lebenswichtiger Entscheidungen der staatliche Einfluß, nach alledem, was zur „Wesentlichkeitslehre" sonst bedacht worden ist, eigentlich dominieren 15 Verkündet als Art. 1 des 2. Finanzmarktförderungsgesetzes, BGBl I 1994, S. 1749; dazu Assmann, in: Assmann/Uwe H. Schneider (Hrsg.), Wertpapierhandelsgesetz, 2. Aufl. 1999, Vor § 12 Rn. 1 ff. 16 Dazu grundlegend Röhl, Akkreditierung und Zertifizierung im Produktsicherheitsrecht, 2000, passim. 17 Röhl (FN 16), S. 23 ff. ι 8 Eingehend Trute, Die Forschung zwischen grundrechtlicher Freiheit und staatlicher Institutionalisierung, 1994, bes. S. 280 ff.; ders., Die Verwaltung 27 (1999), S. 301 ff. 19 Eine Ausnahme bildet die Analyse von Holznagel, DVB1 1997, S. 393 ff.

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müßte. Das Transplantationsgesetz 1997 bietet jedoch ein anderes Bild. Es beläßt die Verteilungsentscheidungen für Transplantate einer Vermittlungsstelle, die nicht einmal notwendig eine deutsche Stelle sein muß. Auch die Entscheidungsmaßstäbe sind nicht vom Staat vorgegeben, sondern werden von Gremien der Bundesärztekammer normiert. Es dominiert die Selbstregulierung - freilich in Ankoppelung an Selbstverwaltungsstrukturen und mit Elementen von Beleihungen durchsetzt.

3. Bauformen und Arrangements

Für die verwaltungsrechtliche Systembildung ist weniger die Selbstregulierung als solche als vielmehr die staatliche Steuerung und dabei besonders die Rolle der Verwaltung zu bedenken. Dazu lassen sich mehrere Typen regulierter Selbstregulierung herausarbeiten, deren normative und administrative Bauformen zu unterschiedlichen Arrangements verbunden worden sind. a) Selbstregulierung mit vorrangig normativen Regulierungstechniken. Hier liegt der Schwerpunkt des Staatseinflusses bei der Gesetzgebung. Von Regulierung läßt sich dabei allerdings erst dann sprechen, wenn der Gesetzgeber über das hinausgeht, was das allgemeine Privatrecht ohnehin vorgibt; die Vertragstypen des BGB sind nicht Ausdruck eines spezifischen staatlichen Regulierungsauftrages. Normative Regelungstechniken zeigen sich aber oft in Form des Sonderprivatrechts, ζ. B. in besonderen Pflichtentatbeständen, mit denen nicht selten ältere Selbstregulierungsmechanismen in Gesetzesform überführt werden. Ein Beispiel bildet das (geplante) Übernahmegesetz 20 . Auch Vorgaben für die selbstregulative Normsetzung im Technikrecht, z. B. §§ 31 - 33 UGB-KomE, gehören hierher. b) Selbstregulierung mit obligatorischen eigenen Implementationsinstanzen. Nicht selten verpflichtet der Gesetzgeber die die Selbstregulierung tragenden gesellschaftlichen Kräfte nicht nur zur Schaffung eigener oder zur Anerkennung staatlicher Normen, sondern auch zu eigenen Implementationsinstanzen. Diese Instanzen selbst bleiben dabei Teil der Selbstregulierung; sie werden nicht zu staatlichen Vollzugsorganen. Beispiele hierfür bieten die Betriebsbeauftragten für Datenschutz oder Umweltschutz. Ebenso gehören private externe Kontrollinstanzen wie Abschlußprüfer nach §§ 316 ff. HGB und die Benannten Stellen des Produktsicherheitsrechts hierher. U.U. bilden sich, mit Koppelungen an das staatliche Aufsichtswesen, eigene Subsysteme aus. Das läßt sich etwa für das Zusammenspiel von 20 Entwurf des Bundesministeriums der Finanzen zum Gesetz zur Regelung von öffentlichen Angeboten zum Erwerb von Wertpapieren und von Unternehmensübernahmen vom 12. März 2001.

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Zertifizierung und Akkreditierung feststellen. Ähnliches gilt für das ÖkoAudit und seine behördlich zugelassenen Umweltgutachter. c) Selbstregulierung mit staatlichen Implementationsinstanzen. Häufiger werden Selbstregulierungsmechanismen allerdings gesetzlich mit staatlichen Vollzugsinstanzen verbunden. Ankerpunkt ist nicht selten die traditionelle Gewerbeaufsicht. Sie wird im Zusammenhang mit der Selbstregulierung zu einem Modell der „Kontrolle der Kontrolle" ausgestaltet 21 . Es finden sich auch Beispiele dafür, daß die staatlichen Instanzen „parallel" zu privaten Kontrollorganen arbeiten oder als Reserve für diejenigen Fälle gedacht sind, in denen die Instanzen der Selbstregulierung nicht wirksam werden. Zur staatlichen Implementation sind auch diejenigen Fälle zu rechnen, in denen der Verwaltung über Kontrolltätigkeiten hinaus Aufgaben der Sozialgestaltung, ζ. B. der Monopolregulierung oder Marktorganisation zugewiesen sind, wie das für das Telekommunikationsrecht gilt. In diese Fallgruppe einer stärker aktiv bestimmten administrativen Regulierung gehören schließlich Tatbestände, die die Exekutive zur Formulierung von Zielvorgaben ermächtigen, die ihrerseits durch Selbstregulierungsmechanismen abgearbeitet werden sollen. Beispielhaft sei auf die Zielvorgaben der Bundesregierung im Abfallrecht verwiesen 22 . d) Kooperative Organisationen. Selbstregulierung und Regulierung können sich schließlich in eigens dafür geschaffenen Organisationen begegnen. Es handelt sich in der Regel um privatrechtlich konstituierte Gremien, in denen Vertreter des Staates beratend oder entscheidend mitwirken. Das gilt sowohl für die Organisation der Technischen Normung als auch für die Repräsentanz des Staates in den Gremien der Selbstorganisationseinrichtungen der Wissenschaft, ζ. B. der DFG und der MPG. e) Abgrenzungen. Regulierte Selbstregulierung kennt nach alledem recht unterschiedliche Grade von Verflochtenheit. Diese schöpfen das Kooperationsspektrum zwischen Verwaltung und Gesellschaft jedoch bei weitem noch nicht aus. Wenn man einmal die imperative staatliche Vollregulierung auf der einen Seite und die von allen staatlichen Einflüssen freie Selbstregulierung auf der anderen Seite als Eckpositionen ausnimmt, so spannt sich zwischen diesen Pfeilern ein Kooperationsspektrum folgender A r t 2 3 : - Bei der Beleihung handelt es sich um eine einheitliche Staatsaufgabe, die mit hoheitlichen Mitteln erfüllt wird. In ihren Anwendungszusammen21 Zu Wandlungen von Verwaltungskontrollen vgl. Schuppert, DÖV 1998, S. 831 ff.; Pitschas, DÖV 1998, S. 907 ff., sowie die Beiträge in: Schmidt-Aßmann / HoffmannRiem (Hrsg.), Verwaltungskontrolle, 2001. 22 Dazu die Begründung des UGB-KomE (FN 10), S. 502 f. 23 Vgl. die Typisierung bei Hoffmann-Riem, in: Auffangordnungen (FN 3), S. 300 ff.

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hang ist der Beliehene als Teil der Exekutive hineingenommen. Er muß sich daher auf die Rationalitätskriterien der Verwaltung einstellen und unterliegt mindestens einer Rechtsaufsicht. - Auch bei der Verwaltungshilfe dominiert die Staatsauf gäbe 24 . Private leisten dazu einen Beitrag, der von ihnen zwar nach ihren eigenen Verhaltensmustern regelmäßig in der Form des privaten Rechts erbracht wird, aber funktional auf die Staatsaufgabe bezogen bleibt. Man kann insoweit von Hoheitsaufgaben unter Einbau einzelner selbstregulativer Elemente sprechen. - Staatlich regulierte Selbstregulierung im vollen Sinne eines Verbundbegriffs liegt nur dann vor, wenn die privaten Kräfte nicht nur Hilfsaufgaben wahrnehmen, sondern selbst ein Stück kollektiver Ordnung hervorbringen. Das geschieht ζ. B. bei der privaten Normsetzung, bei der Selbstkontrolle oder der Selbstorganisation. Der Staat regt solche Aktivitäten u.U. an, nutzt und stabilisiert sie, begrenzt sie gelegentlich auch. Die Selbstregulierung dient so auch öffentlichen Interessen, aber die sie tragenden Kräfte nehmen dabei weder eine Staatsaufgabe wahr, noch sind sie in die Erfüllung einer solchen als bloße Verwaltungshelfer eingebunden. Anderes gilt in Fällen eines klaren Auftrags (vgl. § 16 TPG). Nicht in dieses Spektrum gehört die Selbstverwaltung. Der Begriff sollte, wie es im neueren rechts wissenschaftlichen Schrifttum üblich geworden ist, öffentlich-rechtlich verfaßten Organisationen und Entscheidungszusammenhängen vorbehalten bleiben. Selb s tverwaltungs träger stehen kraft ihrer Rechtsform auf Seiten des Staates. In ihrer historischen Entwicklung mögen sie aus älteren Selbstregulierungsformen hervorgegangen sein, und auch in der funktionalen Zuordnung mögen sie dem gesellschaftlichen Sektor u.U. nahe stehen. Mit der Rechtsform sind jedoch so viele Bindungen des Verwaltungsrechts vorgegeben, daß systematisch ihre Zuordnung zum Administrativbereich angezeigt ist. 4. Interessenstrukturen

Die Dogmatik regulierter Selbstregulierung kann nur nach einer genauen Analyse der die Mechanismen prägenden Interessenstrukturen erfolgen. In der Literatur werden dazu manche Gefährdungsszenarien geboten, die allerdings mit konträren Vorzeichen versehen sind: Was dem einen als „alles imprägnierende Durchdringung der freien Gesellschaft" erscheint, bei der der Staat das „Gewaltmonopol wie einen Giftpfeil im Köcher trägt" 2 5 , er24 Grundlegend Burgi, Funktionale Privatisierung und Verwaltungshilfe, 1999, bes. S. 61 ff. 1999, S. 3 ( ) .

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scheint dem anderen als Fall, in dem „die wirtschaftlich Mächtigen die Exekutive zum Briefkasten für freiwillige Selbstverpflichtungen werden lassen" 2 6 . Solche Befürchtungen sind keine neuen Entdeckungen. Ähnliche Bedenken haben frühere Diskussionen um das Thema „Staat und Verbände" geprägt. Es sei nur an die Staatsrechtslehrertagung des Jahres 1965 erinnert, auf der die Vorteile von Selbstbeschränkungsabkommen der Industrie und die Gefahren einer Kapitulation des Staates durchaus kontrovers behandelt wurden 2 7 . Eine genauere Analyse des Interessenfeldes zeigt, daß mindestens drei Positionen zu bedenken sind [vgl. a)-c)], die gegebenenfalls um drei weitere Positionen zu ergänzen sind [vgl. d)-f)]. a) Interessen der die Selbstregulierung tragenden Kräfte. Diese Kräfte können Individuen, Unternehmen, Verbände und deren Zusammenschlüsse sowie Nicht-Regierungsorganisationen sein. Ihre Interessen zielen vorrangig auf die Funktionsfähigkeit des von ihnen geschaffenen Systems. Funktionsfähigkeit meint hier auch Schutz vor staatlicher Verfremdung des eigenrationalen Handelns durch Auferlegung besonderer Pflichten, die mit dem Eigeninteresse in keinem Zusammenhang stehen. Auch der Schutz eines einmal geschaffenen Systems gehört hierher. b) Interessen Dritter. Als Dritte sind vor allem die Destinatäre von Selbstregulierungseinrichtungen zu betrachten. Sie sollen als Leistungsempfänger, Verbraucher, Gläubiger oder Kunden geschützt und in ihrem Vertrauen bestärkt werden. Die Interessen der Destinatäre zielen darauf, daß Qualität und Verfügbarkeit der angebotenen Leistungen dauerhaft gesichert sind. Gegebenenfalls soll die gerechte Verteilung knapper Güter gewährleistet und durch staatliche Einstandspflichten unterfangen werden. Auf den ersten Blick zielt hier manches gegen Deregulierung und Privatisierung. Sieht man jedoch genauer hin, so sind es Interessen von Destinatären, ζ. B. solche an einer preisgünstigen Versorgung, die mindestens dort, wo bisher wenig flexible staatliche Leistungsmonopole bestanden, auch in die Gegenrichtung zielen können. c) Interessen der staatlichen Akteure. Selbstregulierung bedeutet zunächst einmal Staatsentlastung und ist als solche daher auch aus öffentlichrechtlicher Sicht grundsätzlich positiv zu bewerten. Sie kann freilich auch zu einer Auszehrung staatlicher Ressourcen führen. Drei Problemzonen seien besonders hervorgehoben:

26 So Führ, in: Roßnagel/ Neuser (Hrsg.), Reformperspektiven im Umweltrecht, 1996, S. 211 f. 2 in e i o n i n e n , S. 0 ff.

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- Ein Informationsproblem stellt sich dort, wo dem Staat durch den Rückzug auf eine regulierte Selbstregulierung das erforderliche Steuerungswissen verloren geht oder künftig doch nur in einer interessenbestimmten Vorauswahl zur Verfügung steht. - Ein Handlungsproblem kann sich dort ergeben, wo sich die staatliche Regulierung auf starke private Interessenkoalitionen eingelassen hat, von denen schwer loszukommen ist. Auch das Verwaltungsrecht trägt gelegentlich unreflektiert zu solchen Zementierungen bei, wenn es ζ. B. mit dem Grundsatz des Vertrauensschutzes die Stabilität einmal getroffener Arrangements festschreiben will. - Schließlich kann sich ein Mentalitätsproblem stellen, wenn sich Verwaltungen in die Handlungsrationalität von Selbstregulierungsmechanismen zu stark einbinden lassen und damit die notwendige Distanz verlieren. d) Zu diesen drei Hauptakteuren können weitere Interessenträger treten: Eigenständig zu analysieren sind gegebenenfalls die Belange der Teilnehmer eines Selbstregulierungssystems. Die einzelnen Teilnehmer sehen sich u.U. in eine korporatistische Organisation eingebunden, in der sich sehr unterschiedliche Interessen zur Geltung bringen. Bei inhomogener Interessenstruktur ist folglich ein Minderheitenschutz gegen interne Verbandszwänge notwendig. Staatliche Regulierung muß der gesellschaftlichen Selbstregulierung daher um des Schutzes ihrer eigenen Mitglieder willen gegebenenfalls auch Grenzen setzen 28 . e) Interessen von Konkurrenten. Sie treten dort hervor, wo die staatliche Regulierung zu einer Privilegierung bestimmter Selbstregulierungssysteme führt. Fragen einer (erneuten) Monopolbildung, wie sie sich beim Dualen System im Abfallrecht stellen, und Fragen der Auswahl unter mehreren Systemen müssen folglich rechtlich beantwortet werden. f) Interessen von Betroffenen. Sie sind dort gesondert auszuweisen und auf ihre Schutzbedürftigkeit hin zu untersuchen, wo Selbstregulierungsinstanzen zum Nutzen der eigenen Klientel auf die Rechtssphäre Dritter zugreifen, wie das bei Maßnahmen privater Sicherheitsdienste geschehen kann 2 9 . 5. Ordnungskonzept

Für die überkommene Systematik des Verwaltungsrechts haben sich die Begriffe der ordnenden, der leistenden und der planenden Verwaltung als 28 Am Beispiel von Selbstregulierungseinrichtungen der Wissenschaft SchmidtAßmann, NVwZ 1998, S. 1225 (1230 ff.). u e r , , S. ff.

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hilfreich erwiesen 30 . Diesen läßt sich ein spezifisches Ordnungskonzept zuweisen, das die Analyse der Interessenstrukturen mit bestimmten Gestaltungsvorgaben des Rechts verbindet: Das Recht der ordnenden Verwaltung soll den Rechtseingriff rechtsstaatlich disziplinieren; es fragt daher nach den Tatbestandsmerkmalen der Ermächtigungsgrundlage, nach der Verhältnismäßigkeit des Eingriffs, nach prozeduralen Sicherungen des Eingriff sbetroffenen und nach Möglichkeiten des (einstweiligen) Rechtsschutzes. Dem Recht der leistenden Verwaltung geht es um eine gleichmäßige, verläßliche Teilhabe an staatlicher Gewährung; dem dienen die Fragen nach den Anspruchsgrundlagen, den Auswahlkriterien ermessensbestimmter Leistungen und die Hervorhebung des Vertrauensschutzes. Das Ordnungskonzept der planenden Verwaltung ist die gesetzlich nur final programmierte, zu gründlicher Bestandsaufnahme bei der planerischen Konfliktbewältigung und zur Abwägung verpflichtete Verwaltung, die im Kontakt mit Planbetroffenen und Öffentlichkeit, aber diesen doch gleichsam vorgeordnet, normative Leitbilder formuliert. Alle drei Begriffe belegen, daß sich gerade in den Ordnungskonzepten Heuristik und Dogmatik verbinden. Läßt sich ein entsprechendes Ordnungskonzept auch für die regulierte Selbstregulierung entfalten? a) Grundlagen. Ausgangspunkt dazu hat die These zu sein, daß die Konkretisierung des Gemeinwohls Staat und Gesellschaft gemeinsam anvertraut ist. Keine Seite besitzt ein Definitionsmonopol. Gemeinsamkeit meint nicht Gleichförmigkeit. Die Beiträge beider Seiten, die ihrerseits jeweils ausdifferenzierte Subsysteme darstellen, sind bewußt unterschiedlich gefaßt. „Nur der Widerstreit der unterschiedlichen Rationalität des Privaten und des Öffentlichen kann zu einem produktiven movens der liberalen Gesellschaft werden, wenn nämlich der Staat sich seinerseits darauf einstellt, daß unter Bedingungen nicht hintergehbarer Ungewißheit nur die pragmatische Verständigung über eine vom Prozeß ihres Ausprobierens und Lernens abhängige ,beste Praxis' möglich i s t " 3 1 . Wenn man dieses als Spezifikum regulierter Selbstregulierung anerkennt, so ist das Ordnungskonzept auf folgende Eckpunkte festgelegt: - Erhalt der Eigenrationalität beider Subsysteme, d. h. einerseits der staatlichen Neutralität und andererseits der gesellschaftlichen Spontanität. - Erhalt der Flexibilität gegenüber einmal getroffenen gemeinsamen Arrangements.

30 Schmidt-Aßmann, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, 1998, S. 148 ff. 31 Ladeur, Negative Freiheitsrechte und gesellschaftliche Selbstorganisation, 2000, S. 3.

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- Notwendigkeit der fortgesetzten Selbstbeobachtung in beiden Teilsystemen, die mit einer Tendenz zur Publizität verbunden ist. - Strukturbildung mit Hilfe staatlicher Gesetze, die dem Regelungszusammenhang Ziel vorgaben und Rahmen bieten. Die nähere Ausgestaltung des Ordnungskonzepts erfolgt durch Öffentliches Recht und Privatrecht gemeinsam. Gerade hier können sich die beiden Teilrechtsordnungen als „Auffangordnungen" bewähren. Eine möglichst weitreichende Publifizierung, mit der versucht würde, die „neue Verwaltungswirklichkeit in das Verwaltungsrecht zurückzuführen" 32 , ist dagegen nicht der richtige Weg. Regulierte Selbstregulierung läßt sich deshalb auch nicht in die Figur der Beleihung pressen 33 . Eine solche Anknüpfung an ein vertrautes Institut des Öffentlichen Rechts mag sich zwar einer gewissen Klarheit berühmen können. Ihr entscheidender Nachteil liegt jedoch darin, daß die Handlungsrationalität der beteiligten privaten Akteure verfremdet wird. Die rechtlichen Schutzmechanismen, an deren Notwendigkeit angesichts der Vielzahl konkurrierender und kollidierender Interessen kein Zweifel besteht, können folglich nicht in einheitliche öffentlich-rechtliche Rechtsformen gegossen werden. Sie müssen vielmehr getrennt an einem der beiden oder an beiden Systemteilen ansetzen. Für die staatlichen Akteure müssen vor allem Grenzen der Kooperation festgelegt, Pflichten zum Erhalt ihrer Üb erwachungs ver antwortung formuliert und Zugriffsoptionen reserviert werden. Bei den gesellschaftlichen Akteuren muß es besonders um die Interessenadäquanz verfügbarer Verfahrens- und Organisationsformen gehen. Die normativen Grundlagen dazu finden sich vor allem im Rechtsstaats- und im Demokratieprinzip. b) Staatsgerichtete Anforderungen an die Regulierung. Diese Anforderungen können in Anknüpfung an die überkommene verwaltungsrechtliche Dogmatik entwickelt werden 34 ; denn die regulierende Tätigkeit ist eine Hoheitsaufgabe, die vom Gesetzgeber und von der Verwaltung in der Regel nach Maßgabe des Öffentlichen Rechts wahrgenommen wird. - Unter den rechts staatlichen Anforderungen kommt den Grundrechten besondere Bedeutung zu. Sie wirken zum einen als Abwehrrechte, so z. B. wenn es um die Begrenzung von Indienstnahmen oder von Zahlungspflichten der privaten Akteure geht. Freilich müssen dabei nicht notwendig die bisherigen Zuordnungen eingehalten werden. So könnte etwa die Kostenpflicht für Maßnahmen der Gefahrenabwehr, die nach bisherigem Recht beim Verursacher und im übrigen beim Staat liegt, gesetzlich in 32 So Di Fabio (FN 6), S. 242. 33 So aber Di Fabio (FN 6), S. 271 ff.; dagegen Burgi (FN 24), S. 89; Schoch, W D S t R L 57 (1998), S. 158 (209). 34 Vgl. Ruffert, AöR 124 (1999), S. 237 (244 ff., 280).

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größerem Umfang auf private Akteure verlagert werden; es müssen sich dafür allerdings sachgerechte Anknüpfungspunkte finden lassen 35 . Eine allgemeine Regel, derzufolge Selbstregulierung staatlicher Regulierung vorzugehen hat, läßt sich grundrechtlich dagegen nicht begründen. Das schließt nicht aus, daß im einfachen Gesetzesrecht ein entsprechender Vorrang festgelegt wird. So sollen die Behörden nach § 7 Abs. 2 UGBKomE vor der Durchführung ordnungsrechtlicher Maßnahmen prüfen, ob die Zwecke in gleicher Weise durch Vereinbarung erreicht werden können. Insofern mag es eine Entwicklungstendenz zur Subsidiarität geben. Rechtlich bleibt das Verhältnis zur Zeit aber allein durch das Verhältnismäßigkeitsprinzip bestimmt, das einen Vorrang privatinitiativer Selbstregulierung nur dort sichert, wo sich von entsprechenden staatlichen Maßnahmen feststellen läßt, daß sie eindeutig nicht erforderlich sind. Umgekehrt gibt es aber auch keinen Zwang des Staates, ordnungsrechtlich vorzugehen, um Selbstregulierungsmechanismen und die mit ihnen verbundenen Interessengefährdungen zu meiden. Der Staat ist grundrechtlich auch nicht verpflichtet, für einen optimalen Interessenausgleich zwischen Privaten zu sorgen. Selbst in Gefährdungssituationen ist nicht notwendig er es, der die ErfüllungsVerantwortung zu übernehmen hat. Andernfalls wäre das Ordnungsrecht zum „nicht mehr hinterfragten Maßstab funktionaler Äquivalenz" gemacht 36 . Gesteigerte Pflichten können sich allerdings „aus vorangegangenem Tun" ergeben, wenn der Staat selbst die Interessengewichte der gesellschaftlichen Akteure verändert und dadurch gewisse Schieflagen verursacht hat. Soweit sich regulierte Selbstregulierung in Formen der Kooperation und des Vertragsrechts ausdrückt, sind freiwillig begründete Einschränkungen privater Aktionsmöglichkeiten keineswegs durchgängig als Grundrechtseingriff zu definieren 37 . Von einem rechtlich beachtlichen strukturellen Zwang zur Kooperation wird man nur selten sprechen können 38 . - Weitere Anforderungen an die regulierende Verwaltung und an die von ihr angestrebten Kooperationsmechanismen ergeben sich aus dem demokratischen Prinzip. Herausragende Bedeutung kommt insoweit dem Legitimationsgebot zu. Das Grundgesetz hat dieses in einem Stufenmodell abgearbeitet, das hierarchische und dezentrale Legitimationswege miteinander verbindet: Seine Basis ist die demokratische Legitimation im Sinne des Art. 20 Abs. 2 GG, die sich vor allem als parlamentsabgeleitete Legitimation darstellt und von dort über die demokratische Legitimation der kommunalen Selbstverwaltung zu einer autonomen Legitimation fort35 36 37 38

Vgl. BVerwG, NVwZ 1989, S. 864 ff. Dagegen zutreffend Trute, UTR 1999, S. 13 (19). Trute, UTR 1999, S. 13 (23). Überlegungen dazu bei Di Fabio (FN 6), S. 254.

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schreitet. Entscheidend ist das mit den unterschiedlichen Legitimationsformen erreichbare Legitimationsniveau. Für die Strukturen kooperativer intermediärer Einrichtungen, die systematisch der gesellschaftlichen Seite zuzuordnen sind, trifft den Staat eine vorwirkende Legitimationsverantwortung 39 . Wichtige Gestaltungselemente eines demokratischen Organisationsrechts sind ferner die Akzeptanz von Entscheidungen, die Partizipation Betroffener, die Transparenz von Organisationsstrukturen und die Öffentlichkeit der Entscheidungsverfahren. Sie treten zum Legitimationsgebot hinzu und sollen dieses ergänzen und stärken. Rechtsstaats- und Demokratieprinzip finden in Anforderungen zusammen, von denen für das Ordnungskonzept regulierter Selbstregulierung folgende Punkte beachtlich sind: - Gesetzesvorbehalte in der Form des Eingriff s Vorbehalts, ζ. B. für die staatliche Finanzierung von Selbstregulierungseinrichtungen, die mit den finanzierten Aktivitäten ihrerseits die Grundrechte Dritter beeinträchtigen (faktische Grundrechtseingriffe); vor allem aber in der Form des institutionellen Gesetzesvorbehalts bei grundlegenden Veränderungen der Verantwortungsstruktur mit Rückwirkung auf die Verwaltungsorganisation. - Transparenzgebote, die die Klarheit der Verantwortungsteilung sichern 40 und gegebenenfalls zur Publizierung getroffener Arrangements regulierter Selbstregulierung veranlassen 41 . - Kooperationsstandards, die die staatliche Seite dazu verpflichten, Rezeptionsvorgänge sichtbar zu machen und die Wettbewerbsneutralität in Fällen konkurrierender Selbstregulierungsmechanismen zu wahren. Auch ein Kopplungsverbot für nicht-konnexe Drohmittel gehört hierher 4 2 . c) Gesellschaftsgerichtete Anforderungen an die Selbstregulierung. Sie richten sich vor allem an Unternehmen und korporative Akteure. Die Rechtsgrundlagen dazu entstammen vorrangig dem Sonderprivatrecht. Das Handels- und Gesellschaftsrecht, das Kartellrecht und das Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb enthalten dazu wichtige Vorschriften 43 . Auch die ζ. B. im Produktrecht zu findenden Bestimmungen, die die Unabhängigkeit, Objektivität und Fachkunde privater zertifizierender Stellen sichern sollen, gehören hierher 4 4 . Ein Teil der Gesetzestatbestände läßt sich als Erfüllung 39 Trute, in: Auffangordnungen (FN 3), S. 167 (197 ff.). 40 Di Fabio (FN 25), S. 1157 mit Fn. 46. 41 Trute, UTR 1999, S. 13 (23). 42 Engel, Staatswissenschaften und Staatspraxis 1998, S. 535 (561). 43 Speziell zum Kartellrecht vgl. Bechtold, Kartellgesetz, Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen, 2. Aufl. 1999, § 1 Rn. 2. 44 Vgl. Röhl (FN 16), S. 85 ff.

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einer grundrechtlich fundierten staatlichen Schutzpflicht oder als Ausdruck einer vorwirkenden staatlichen Legitimationsverantwortung interpretieren. Gelegentlich drücken sich in ihnen aber auch elementare Fairneßstandards aus, die der gesamten Rechtsordnung, d. h. dem Öffentlichen Recht und dem Privatrecht zugrunde liegen. Das gilt für Generalklauseln nach Art des § 242 BGB oder für Gesetzestatbestände, die primär Appellfunktionen haben, ζ. B. die Normierung einer allgemeinen Umweltverantwortung in § 3 Abs. 1 UGB-KomE 4 5 . Elementare Fairneßstandards bedürfen einer Grundlage im positiven Recht, die jedoch weite Konkretisierungsmargen umfassen darf; sie wirken vor allem auf die Interpretation ein.

6. Dogmatik

Als heuristischer Begriff mit einem normativen Ordnungskonzept strahlt der Begriff der regulierten Selbstregulierung auf alle großen Themen der verwaltungsrechtlichen Systembildung aus. a) Rechtliche Informationsordnung. Der Bereich der regulierten Selbstregulierung belegt die große Bedeutung, die einem Informationsrecht zukommt. Die Bedeutung von Information, Kommunikation und Interaktion als Grundlage für andere Instrumente und als eigenständige Steuerungsansätze ist in allen Referenzgebieten hervorgetreten. Dabei geht es keineswegs allein darum, dem Staat gegenüber privaten Datenschutz zu gewährleisten. Vielmehr muß umgekehrt auch der Verfügbarkeit von Informationen für staatliche Organisationen Rechnung getragen werden. Auf die Gefahren, die der staatlichen Steuerungsfähigkeit dadurch drohen, daß das erforderliche Steuerungswissen allein bei den privaten Akteuren vorhanden ist, wurde oben hingewiesen. Folglich gehören in eine rechtliche Informationsordnung neben Vorschriften über den Datenschutz auch Regeln, die den Zugang zu Daten Privater für die Verwaltung und für Dritte regeln. Eine besondere Aufgabe ist es, die erforderliche Datenqualität zu sichern. Zutreffend wird darauf hingewiesen, daß Selbstregulierung mit der Pflicht zur Generierung neuen Wissens verbunden werden muß. Das folgt aus den Zielvorgaben des Ordnungskonzepts, die Selbstbeobachtung der Systemteile verlangen. Aus den gleichen Gründen kommt der Information der Öffentlichkeit herausragende Bedeutung zu. Dauerhafte Arrangements zwischen Staat und Selbstregulierungsinstanzen müssen publiziert werden. Auch Berichtspflichten gegenüber der Öffentlichkeit können vertraglich oder aufgrund Gesetzes für private Akteure festgelegt werden.

die

e g r n u n g (FN

), S.

f.

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b) Staatliche Rechtsquellen und selbstregulative Normsetzung. Eine wichtige Aufgabe der verwaltungsrechtlichen Dogmatik stellt es ferner dar, selbstregulative Normsetzung und staatliche Rechtsquellenlehre systematisch in Beziehung zueinander zu setzen. Die Erscheinungsformen selbstregulativer Normsetzung sind vielfältig. Sie sind nicht auf die Technische Normung begrenzt, sondern umfassen auch Verhaltenskodizes von Fachgesellschaften und eigenständig gesetzte Richtlinien von Berufsgruppen. Auch die im Handelsrecht wichtigen Grundsätze ordnungsgemäßer Unternehmensleitung gehören hierher. Selbstregulative Normsetzung ist Ausdruck grundrechtlicher Freiheit. Ein staatliches Monopol für die Normsetzung existiert nicht. Erst dort, wo eigengesetztes Recht gesellschaftlicher Gruppen mit Hilfe staatlicher Durchsetzungsmechanismen verbindliche Wirkungen erzielen möchte oder vom Staat in sein Normensystem bewußt rezipiert werden soll, stellen sich Rechtsprobleme. Ein erster Problemkreis ist durch das private Vertragsund Vereinsrecht festgelegt. Das staatliche Recht wirkt hier regelmäßig als Rahmenrecht mit privatinitiativ zu aktivierenden staatlichen Sanktionsmöglichkeiten, ζ. B. als Vertragsrechtsschutz oder private Schiedsgerichtsbarkeit mit staatlicher Vollstreckungshilfe. Größere Probleme stellen sich, wo es um die Einbeziehung selbstregulierter Normen in die staatliche Rechtsordnung geht. Darüber entscheiden Rezeptionsklauseln in staatlichen Gesetzen. Sie sind die Filter, die den Kräften der Selbstregulierung einen begrenzten Einfluß auf die staatliche Normsetzung verschaffen. Wie weit der Einfluß reichen soll, entscheidet die Rezeptionsklausel. Verweisungen haben einen hohen Rezeptionswert und sind deshalb insofern grundsätzlich nur als statische Verweisungen zulässig. Vermutungswirkungen vermitteln der rezipierten Norm nur einen begrenzten Einfluß. Auch in solchen Fällen bedarf es allerdings zusätzlicher Vorkehrungen, die vor allem die Qualität und Interessenadäquanz selbstregulativ erstellter Rechtsvorschriften sichern soll. Für Technische Regelwerke sieht § 32 UGB-KomE ein Verfahren ihrer Amtlichen Einführung vor, das weitere prozedurale Anforderungen schon an die originären Tätigkeiten der privaten normsetzenden Stellen formuliert. Insgesamt zeigen die Rezeptionsklauseln, daß die Rechtsquellenlehre des Öffentlichen Rechts wesentlich stärker ausdifferenziert und mit dezentralen Elementen durchsetzt ist, als das der klassischen hierarchischen Ausprägung in dieser Lehre erscheinen mag. c) Organisationsrecht. Dieselbe Beobachtung zeigt sich im Organisationsrecht. Es ist nicht mehr nur Verwaltungsorganisationsrecht, sondern auch Privatorganisationsrecht. Gerade die vergleichende Analyse der für die öffentlich-rechtlichen und der für die privatrechtlichen Organisationsein-

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heiten bestehenden Rechtsregeln fördert ein erstaunlich großes Maß an Übereinstimmung in den Rechtsgedanken und Steuerungstechniken zutage. Die Strukturierung der organisationsinternen Entscheidungsbildung, die Sicherung von Rationalität, Effizienz, Transparenz und der Schutz von Minderheitspositionen verlangen vergleichbare Steuerungsmechanismen im Privatrecht wie im Öffentlichen Recht. Das läßt sich gerade für Kollegialgremien plausibel nachweisen 46 . Für die öffentlich-rechtlichen Organisationsformen kommt allerdings die Absicherung ihrer demokratischen Legitimation und der entsprechenden Einflußstrukturen hinzu. Gremien der Selbstregulierung unterliegen dem Legitimationsgebot dagegen nicht. Werden sie durch Regulierungsmechanismen allerdings in staatliche Entscheidungszusammenhänge hineingenommen, wie das bei der Rezeption Technischer Normen geschieht [vgl. unter b)], dann trifft den Staat eine Organisationsverantwortung dafür, daß auch im Organisationsbereich der privaten Akteure die Gemeinwohlfähigkeit der Entscheidungsstrukturen sichergestellt ist. Das kann durch gesetzliche Vorgaben oder durch vertragliche Regelung geschehen. d) Rechtsformenlehre. Hier zeichnet sich eine Ausdifferenzierung der Regelungsgehalte von Verwaltungsakten ab. Es geht um interessenausgleichend-konnexe Entscheidungen. Der Prototyp dieser Entscheidungen ist der Verwaltungsakt mit Doppelwirkung. Er trifft eine Konfliktlösung zwischen konkurrierenden oder kollidierenden Privatinteressen in mehrpoligen Verwaltungsrechtsverhältnissen. Für die Nutzung dieses Instituts im Bauund Umweltverwaltungsrecht hat sich in der Zwischenzeit eine im wesentlichen gesicherte Teildogmatik herausgebildet. Eine Aufgabe künftiger Entwicklung ist es, den Verwaltungsakt auch für Regelungssituationen der Wirtschaftsverwaltung handhabbar zu machen, in denen Marktordnungsentscheidungen zur Sicherstellung von Gruppeninteressen, ζ. B. solchen der Versorgungssicherheit und des Verbraucherschutzes, getroffen werden müssen. Die Ausgleichsfunktion zeigt sich in einem Bündel von Maßnahmen, aus dem einzelne Begünstigungen oder Belastungen nicht herausgelöst werden dürfen. Die Rechtsform hat die Wirksamkeit dieses Junktims sicherzustellen. Stärker als bisher sollten als Teilelemente Ergebnisse privater Konfliktschlichtung eingebunden werden. Häufig treffen sich Regulierung und Selbstregulierung in vertraglichen Gestaltungsformen. Dauerhafte Verbindungen von Selbstregulierungsaktivitäten und Regelungsanliegen können einen „Strukturierungsvertrag" notwendig machen. Sein rechtlicher Rahmen kann in Parallele zu den „Veranlassungsverträgen" entwickelt werden, die die jüngere Dogmatik für die 46 Dazu Groß, Das Kollegialprinzip in der Verwaltungsorganisation, 1999, bes. S. 138 ff.

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Fälle der Verwaltungshilfe ausgebildet hat. An Stelle staatlicher Rechtsetzungsakte sieht § 36 UGB-KomE ferner einen „normersetzenden Vertrag" vor, der der Bundesregierung die Festlegung von Umweltschutzanforderungen in Kooperation mit Verbänden oder einzelnen Wirtschaftsunternehmen gestattet. Für solche Verträge wird eine Reihe gesetzlicher Voraussetzungen festgelegt. Erfüllen sie sie, so kann der Vertrag über den Kreis der Vertragschließenden und ihrer Mitglieder hinaus unter bestimmten Rechtskautelen für verbindlich erklärt werden. Mit diesem Vorschlag des normersetzenden Vertrages verweist der UGB-KomE innovativ den Weg einer Reformalisierung der bisher rechtsstaatlich nicht befriedigenden Praxis normvertretender Absprachen.

I I I . Entwicklungsperspektiven

Regulierte Selbstregulierung bündelt Entwicklungstendenzen des Verwaltungsrechts, die Hoffmann-Riem oft aufgezeigt hat: „Von der Hierarchie zum Netzwerk", „Von imperativen zu kooperativen Handlungsformen", „Von den Legitimationsketten zum Legitimationsniveau", „Von der Abgeschlossenheit der Teilrechtsordnung zur Auffangidee". Das alles soll zwar keinen radikalen Neubau, wohl aber eine gezielte und wissenschaftlich begleitete Fortentwicklung der verwaltungsrechtlichen Systematik indizieren. Die unterschiedlichen Erscheinungsformen regulierter Selbstregulierung müssen in die vertrauten Dogmen der Gesetzesvorbehaltslehre, des Verwaltungsverfahrensrechts und des Vertragsrechts eingearbeitet werden. Die jüngere Gesetzgebung des Umwelt- und des Wirtschaftsrechts bietet dazu durchaus Beispiele, die sich in den allgemeinen Lehren, in den Kommentaren und Lehrbüchern sollten wiederfinden lassen 47 . Damit verlagern sich zugleich die „Aufmerksamkeitsfelder" der verwaltungsrechtlichen Systembildung selbst. Das System wird an die Verwaltungsrealität rückgebunden. „Recht als Steuerungsmedium greift nur, wenn es auf die spezifischen Funktionsmodi, Organisationsstrukturen, Wertorientierungen und sonstigen Rationalitätskriterien des betreffenden gesellschaftlichen Bereichs abgestimmt i s t " 4 8 .

47 Dazu Ehlers, in: Erichsen (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, 11. Aufl. 1998, § 1 Rn. 49 ff. 4 f f e , ( 1 ) , S. (8).

Verzeichnis der Mitarbeiter Prof. Dr. Edmund Brandt, Universität Lüneburg, Fachbereich Umweltwissenschaften, D-21332 Lüneburg Dr. Martin Eifert burg

LL.M., Hans-Bredow-Institut, Warburgstr. 8-10, D-20354 Ham-

Prof. Dr. Dieter Grimm, Wissenschaftskolleg zu Berlin, Wallotstr. 19, D-14193 Berlin Prof. Dr. Bernd Holznagel, 14-15, D-48143 Münster

Westfälische Wilhelms-Universität,

Universitätsstr.

Prof. Dr. Heike Jung, Universität des Saarlandes, Postfach 15 11 50, D-66041 Saarbrücken Prof. Dr. Karl-Heinz Ladeur, Universität Hamburg, Fachbereich Rechtswissenschaft, Edmund-Siemers-Allee 1, D-20146 Hamburg Prof. Dr. Eberhard Schmidt-Aßmann, Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg, Friedrich-Ebert-Anlage 6-10, D-69117 Heidelberg Prof. Dr. Jens-Peter Schneider, Universität Osnabrück, Fachbereich Rechtswissenschaften, Heger-Tor-Wall 14, D-49069 Osnabrück Dr. Margarete Schuler-Harms, Heidkoppel 19, D-22145 Hamburg Dr. Wolf gang Schulz, Hans-Bredow-Institut, Heimhuderstr. 21, D-20148 Hamburg Prof. Dr. Gunnar Folke Schuppert, Humboldt-Universität zu Berlin, Fachbereich Rechtswissenschaften, Unter den Linden 11, D-10099 Berlin Prof. Dr. Thomas Vesting, Universität Augsburg, Juristische Fakultät, Universitätsstr. 24, D-86159 Augsburg Prof. Dr. Andreas Voßkuhle, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg i. Br., Institut für Staatswissenschaft und Rechtsphilosophie, D-79085 Freiburg i. Br.