Perspektiven im Strategischen Management: Festschrift anläßlich des 60. Geburtstages von Prof. Hans H. Hinterhuber [Reprint 2012 ed.] 9783110802238, 9783110161458

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Perspektiven im Strategischen Management: Festschrift anläßlich des 60. Geburtstages von Prof. Hans H. Hinterhuber [Reprint 2012 ed.]
 9783110802238, 9783110161458

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Perspektiven im Strategischen Management

Perspektiven im Strategischen Management Festschrift anläßlich des 60. Geburtstages von Prof. Hans H. Hinterhuber

Herausgegeben von

Gernot Handlbauer · Kurt Matzler Elmar Sauerwein · Monika Stumpf

W G DE

Walter de Gruyter · Berlin · New York 1998

Herausgeber Gernot Handlbauer, Mag., Institut für Unternehmensführang, Universität Innsbruck, Innsbruck, Österreich Kurt Matzler, Dr., Institut für Unternehmensführung, Universität Innsbruck, Innsbruck, Österreich Elmar Sauerwein, Mag., Institut für Unternehmensführung, Universität Innsbruck, Innsbruck, Österreich Monika Stumpf, Dr., Institut für Unternehmensführung, Universität Innsbruck, Innsbruck, Österreich

® Gedruckt auf säurefreiem Papier, das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt

Die Deutsche Bibliothek — CIP-Einheitsaufnahme Perspektiven Im strategischen Management: Festschrift anläßlich des 60. Geburtstages von Prof. Hans H. Hinterhuber / hrsg. von Gernot Handlbauer ... — Berlin ; New York : de Gruyter, 1998 ISBN 3-11-016145-1

© Copyright 1998 by Walter de Gruyter GmbH & Co., D-10785 Berlin Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Druck und buchbinderische Verarbeitung: WB-Druck GmbH, Rieden. — Umschlagentwurf: Johannes Rother, Berlin. — Printed in Germany

Folgende Unternehmen und Führungskräfte bringen auf diesem Wege Ihre Glückwünsche für Prof. Hans H. Hinterhuber zum Ausdruck und ermöglichen durch Ihre großzügige Unterstützung diese Festschrift:

ADLER WERK Lackfabrik Schwaz/Tirol AL-KO KOBER AG Gunzburg Dipl.-Kfm. Roland Berger Vorsitzender der Geschäftsführung Roland Berger & Partner GmbH International Management Consultants München BIOCHEMIE GmbH Kundl/Österreich Dipl.-Ing. Siegfried Genz DASI GesmbH Innsbruck

Prognos AG Basel Dr. Dante Rossi AGIP Austria AG Wien Dr. Helmut Rothenberger Rothenberger Werkzeug AG Kelkheim Dr. Max von Schlereth Arealbau GesmbH Wien Dr. Martin Viessmann Viessmann Werke GmbH & Co Allendorf Dipl.-Kfm. Walter A. Ziegler Geschäftsführer Tridonic GmbH Dornbirn

ILF München Metallwerke Plansee AG Reutte/Tirol

Wir danken Herrn Mag. Bernhard Schönherr für die sorgfältige Fertigstellung des Manuskripts. Die Herausgeber

Lothar Winter

Gedanken zum 60. Geburtstag meines sehr verehrten Kollegen Hans Hinterhuber. Es war im Jahre 1985, als ich zum ersten Mal Hans in Innsbruck traf. Es war auch mein 60. Geburtstag in diesem Jahr und ich war auf einer Forschungsreise in Europa unter dem Titel: „Die Anwendung strategischer Planung in unterschiedlichen Kulturen". Von meinem Freund und Kollegen Erwin Grochla, Universität Köln, hörte ich, daß Professor Hinterhuber einer der führenden Wissenschaftler auf dem Gebiet der „Strategischen Unternehmensführung" ist und in Innsbruck ein Institut leitet. So fand dann unsere erste Begegnung im damaligen Holiday Inn statt. Nach unserer sehr eingehenden Diskussion war ich sehr beeindruckt über Professor Hinterhubers Verständnis für kulturelle Unterschiede im Management und wußte dann, daß ich nicht nur einen Kollegen, sondern auch einen Freund getroffen hatte. Meine Freude war verständlich, als ich im Jahre 1987 eine Fullbright Professur an der Universität Innsbruck erhielt und damit meine begonnenen Gespräche mit Hans fortsetzen konnte, besonders beeindruckt war ich über die Einsicht, die Hans hatte, hinsichtlich der kulturellen und religiösen geschichtlichen Entwicklung im mittleren Osten und in Indien. Meine Forschungsarbeiten sind durch die Möglichkeit, meine Probleme mit ihm zu diskutieren, sehr bereichert worden. Gemeinsame Projekte über Organisationskultur und Strategischer Planung haben uns in den folgenden Jahren eng verbunden. Für mich wurde Innsbruck das „Home away from Home", besonders während meiner Fullbright Professur. Frau Hinterhuber war eine hervorragende Gastgeberin, die nicht nur optimale kulinarische Genüsse bereitete, sondern auch immer für einen interessanten kulturreichen Rahmen sorgte. Wir leben in einer Welt, in der menschlicher Egoismus stark zugenommen hat. Das zeigt sich in den Verhaltensweisen der Menschen, wie etwa in dem Begriff der „Selbstverwirklichung" in dem ein starker Kern Egoismus steckt. Dazu ein Trend in der Weltwirtschaft nach dem Motto „Survival of the Fittest", besonders in Amerika. Große Werte zwischenmenschlicher Beziehungen sind damit in Gefahr verloren zu gehen. In einer solchen Zeit weiß man es besonders zu schätzen, wenn man einem Menschen begegnet, für den Freundschaft und Hilfsbereitschaft zu hohen Gütern zählen; für den es etwas Edles bedeutet eine große Freundesschar um sich zu haben. Jeder von Deinen Kollegen im In- und Ausland hat sicher auf eine besondere Weise Freundschaft mit Dir, lieber Hans, geschlossen. Viel-

Vm

Lothar Winter

leicht ist aber mein persönliches Beispiel besonders typisch dafür, wie aus einer gemeinsamen Forschungsaufgabe, sich Freundschaft zwischen unseren Familien entwickelte. Lieber Hans, Du hast es stets verstanden, den Begriff „Freundschaft" mit „Leben" zu füllen. Du bist fähig, Freunde zu suchen, und was noch bedeutsamer ist, Freundschaften.zu pflegen und zu erhalten. „The only way to have a friend - is to be one" Mit menschlicher Wärme, Liebenswürdigkeit und selbstloser Hilfsbereitschaft bist Du stets für Deine Freunde da. Dafür möchte ich Dir zu Deinem 60. Geburtstag von ganzem Herzen danken. Ich glaube im Namen aller meiner Kollegen im In- und Ausland sprechen zu können: Wir alle hoffen und wünschen, daß Dir auch im nächsten Lebensjahrzehnt Gesundheit und Lebensfreude geschenkt werden möge und daß wir uns auch weiterhin Deiner aufrichtigen Freundschaft erfreuen dürfen. Lothar Winter

Inhaltsübersicht Kundenorientierte Strategieentwicklung erfordert neue Wege der Marktsegmentierung Franz Bailom/Dieter Tschemernjak

1

Neuorientierung des Logistikmanagements am Beispiel der Medizinindustrie Wilfried von Eiff

21

Die Zeiten ändern sich und das Desinvestieren ändert sich mit Ihnen: Zu Bedeutung und Bedeutungswandel der Desinvestition Stephan A. Friedrich

41

Konzepte wertorientierter Unternehmungsführung Dietger Hahn/Martin Hintze

59

Die Evolution der Unternehmungsstrategie im Planungssystem der Unternehmung Richard M. Hammer

93

Säulen der kundenorientierten Unternehmungsführung Gernot Handlbauer/Kurt Matzler

113

Von der „Amerikanischen Krankheit" zur dauerhaften umweltgerechten Unternehmungsführung Heinz Hübner

129

Strategisches Management und Unternehmungskultur: Grundlage für erfolgreiches Führen? Eric Krauthammer

153

X

Inhaltsübersicht

Unternehmensethik und Globalisierungsstrategien Hartmut Kreikebaum

167

Entwicklung potentialorientierter Produktstrategien ein integrierter Ansatz Bernhard Lenz

183

Die Messung der Management-Qualität als künftige Stufe des strategischen Performance-Measurement Günter Müller Stewens/Mathias Fontin

203

Strategisches Management von Destinationen im Alpenraum Harald Pechlaner

219

Strategie ist tot - Es lebe das strategische Management Edwin Rühli

239

Die ethische Verantwortung in der strategischen Unternehmungsführung Thomas Rusche

259

Rapid Prototyping Development: Neue Techniken in der Industrie und in der Medizin Elmar Sauerwein/Wolf gang Recheis

269

Kooperationsstrategien und deren Umsetzung im Konzept der Virtuellen Unternehmung Walter Schertier

289

Das Phänomen der Industriedistrikte in Italien Bettina Schmalzl

307

Die Entwicklung von Internationlisierungskonzeptionen als integriertes Entscheidungsfeld Dieter J.G. Schneider

333

Inhaltsübersicht

XI

Zum Aufbau und Erhalt von Reputationskapital in Stakeholder-Beziehungen Heinz K.Stahl

351

Die deutschsprachige Forschung zur Unternehmensstrategie in der Selbsteinschätzung von Hochschullehrern Horst Steinmann/Thomas Olbrich/Hermann Riedl

369

Effektivere Teams durch den bewußten Einsatz kognitiver Präferenzen Monika Stumpf

387

Wissensmanagement in Unternehmensnetzwerken Horst Wildemann

403

Franz Bailom / Dieter Tschemernjak

Kundenorientierte Strategieentwicklung erfordert neue Wege der Marktsegmentierung

Strategieentwicklung, Kundenorientierung, Marktsegmentierung, Kundenzufriedenheit, Kano-Modell, Markenmanagement

Zusammenfassung Zu den größten Herausforderungen erfolgreicher Unternehmenstätigkeit zählt die Entwicklung von Leistungsbündeln, die es ermöglichen, Kunden zu begeistern. In diesem Kontext erlangt die optimale Aufteilung des Marktes in homogene Kundensegmente einen ganz zentralen Stellenwert. Die größte Schwierigkeit, die sich für Wissenschaft und Praxis diesbezüglich gleichermaßen stellt, liegt nach wie vor im Auffinden der dafür best-geeignetsten Segmentierungskriterien. Wie die neuesten Erkenntnisse der Zufriedenheits- und Persönlichkeitsforschung eindeutig veranschaulichen, müssen gerade in diesem Bereich die traditionellen Konzepte grundlegend überdacht werden. Einen zentralen Aspekt muß in diesem Prozeß insbesondere die gleichwertige Berücksichtigung kognitiver und emotionaler Komponenten menschlicher Entscheidungsfindung einnehmen. Dies erfordert die konsequente Anwendung psychologisch fundierter Denkmodelle.

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Franz Bailom/Dieter Tschemernjak

Inhaltsübersicht 1 1.1 1.2

Austauschorientierte Strategieentwicklung Der Kunde als logischer Ausgangs-, Mittel- und Erfolgspunkt Folgen für die Strategieentwicklung

2

2.3

Kundenorientierte Marktsegmentierung als Basis für jede Form der Austauschorientierung Schwachstellen traditioneller Konzepte Wie entsteht kognitiv und emotional gesteuerte Zufriedenheit/ Unzufriedenheit? Wie entsteht emotionale Begeisterung?

3 3.1 3.2

Der Prozeß der Segmentierung Das Nutzenerwartungsmodell Persönlichkeitstypologisches Modell

4 4.1 4.2

Entwicklung zukunftsweisender strategischer Stoßrichtungen Die Marktwahlentscheidung Marktbearbeitungsentscheidung

2.1 2.2

1

Austauschorientierte Strategieentwicklung

Die immer härter werdenden Markt- und Wettbewerbsbedingungen bringen es mit sich, daß sich Wissenschafter, selbst ernannte Managementgurus und die Entscheidungsträger vieler Unternehmen laufend auf die Suche nach neuen Konzepten und Instrumenten begeben, die imstande sein sollen, die „Geschäftswelt" und die darin ablaufenden Prozesse zu revolutionieren. Daß bei diesem permanenten Suchprozeß weitestgehend auf das ureigenste Prinzip erfolgreicher Geschäftstätigkeit, nämlich auf die nutzenstiftende Gestaltung von menschlichen Austauschbeziehungen vergessen wird, ist bei genauerer Betrachtung nicht verwunderlich. Die von der Leistungsgesellschaft forcierte menschliche Egozentrik findet nämlich vor allem darin ihren Niederschlag, daß die individuelle Nutzenmaximierung immer mehr zum unausgesprochenen Leitmaxime menschlichen Handelns wird. Gerade am Sprung ins 21. Jahrhundert glauben bereits viele Gruppen der Gesellschaft, daß man im „engstirnigen" Streben nach persönlichem Erfolg und Ansehen, die vermeintlich wichtigste Triebfeder geschäftlichen Erfolges und persönlichen Weiterkommens gefunden hat. Damit geht unweigerlich einher, daß die Bereitschaft des einzelnen Individuums, sich intensiv und ehrlich mit seinem Gegenüber auseinanderzusetzen, immer stärker abnimmt. In der Konsequenz bleibt kein Platz für eine ausführliche Auseinandersetzung mit den Wünschen und Pro-

Kundenorientierte Strategieentwicklung

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blemen der anderen. Der negative Einfluß dieses zwischenmenschlichen „Ausweichprozesses" wird gerade auch in der „Welt der Geschäfte" und hier nicht nur innerbetrieblich, sondern letztlich auch auf der Marktseite immer augenscheinlicher. Obwohl in unzähligen Publikationen, auf Vorträgen und in Diskussionen laufend mit Begriffen wie Kundenorientierung oder Marktorientierung jongliert wird, deutet einiges darauf hin, daß sich bereits viele der Wiss- und Erfolgs(be)gierigen von der fundamentalen Erkenntnis verabschiedet haben, daß es letztlich immer der einzelne Kunde und damit die von ihm wahrgenommene Qualität der Austauschbeziehung ist, die die Entwicklung der Verkaufszahlen, die Entwicklung der Verkaufspreise und damit die Gewinn- bzw. Verlustentwicklung eines Unternehmens entscheidend mitbestimmt. Ansonsten ist es nicht zu erklären, daß einer fundierten Auseinandersetzung mit Ideen, Konzepten und Methoden, die zu einem besseren Verständnis des Konsumentenverhaltens führen könnten, kein Einlaß in die tatsächlichen Zentren strategischer Entscheidungen „gewährt" wird. Sollte man sich in der „Welt der Geschäfte", aus welchen Gründen auch immer, in Zukunft doch noch für die systematische Auseinandersetzung mit den grundlegenden Mechanismen menschlicher Austauschprozesse entscheiden, dann werden insbesondere folgende Fragestellungen zu diskutieren und aufzuarbeiten sein: •

Weshalb muß der Kunde mit all seinen „menschlichen" Besonderheiten zum logischen Ausgangs-, Mittel- und Kontrollpunkt unternehmerischer Tätigkeit werden? • Wo liegen möglicherweise konkrete Ansatzpunkte für die Umsetzung dieses ureigensten Geschäftsprinzips? • Welche neuen bzw. weiterentwickelten Konzepte und Methoden liefern die Basis für die Umsetzung dieses Anliegens?

1.1

Der Kunde als logischer Ausgangs-, Mittel- und Erfolgspunkt

Viele Märkte sind aufgrund von Überangeboten und/oder Nachfragerückgängen stark umkämpft. Ihr Marktpotential ist weitgehend ausgeschöpft. Die Anbieter können folglich ihren Marktanteil nur noch zu Lasten der Konkurrenten halten bzw. vergrößern. Die Folgen dieser Entwicklung sind verstärkte Konkurrenz und ein teilweise hart geführter Verdrängungswettbewerb. Gleichzeitig kann man feststellen, daß sich die längerfristigen Differenzierungsmöglichkeiten der Unternehmen im Zeitablauf verringert bzw. verschoben haben. Einerseits sind die Produkte, insbesondere in der Konsumgüterindustrie, weitgehend ausgereift und lassen dementsprechend nur geringe Entwicklungsspielräume offen.

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Franz Bailom/Dieter Tschemernjak

Andererseits werden in vielen anderen Branchen Produktinnovationen von den Konkurrenten in kürzester Zeit nachgemacht (vgl. Wörndl-Aichriedler 1994, S. 133ff.). Als Folge dieser Entwicklung gleicht sich die Qualität der von verschiedenen Anbietern auf den Markt gebrachten Produkte und Dienstleistungen auf einem sehr hohen Niveau mehr und mehr an (vgl. Bailom 1998, S. 38ff.).Die Anbieter sind aufgrund des großen Angebots gezwungen, durch laufende Produkt- und Dienstleistungsinnovationen mit dem Qualitätsniveau der Konkurrenten Schritt zu halten, oder müssen selbst zum Gradmesser hinsichtlich der Funktionalität in der Branche werden. Nachteile hinsichtlich der Funktionalität führen in kurzer Zeit unweigerlich zu Marktanteilsverlusten. Gleichzeitig kann sich aber kaum ein Anbieter aufgrund der kurzen Nachahmungszeiten längerfristig aufgrund funktionaler Produkt- und Leistungsvorteile von seinen Konkurrenten unterscheiden bzw. mit den selben funktionalen Produktvorteilen längerfristig erfolgreich um Konsumenten werben. Die ausschließliche Konzentration auf produktbezogene Vorteile liefert in einer solchen Situation nur schwache Anhaltspunkte für den Aufbau langfristiger Markenpräferenzen (vgl. Assael 1995, S. 97ff.). Wenn es darum geht, sich von der Konkurrenz langfristig abzuheben, dann müssen neben der laufenden Suche nach funktional bedingten Differenzierungsmöglichkeiten vielfach psychologischemotionale Faktoren in den Differenzierungsprozeß eingebunden werden (vgl. u.a. Bailom 1998, S. 39f.; Assael 1995, S. 97ff.). Und genau an diesem Punkt wird die Bereitschaft zur konsequenten Austausch· und Problemorientierung zu der entscheidenden Schlüsselgröße zukünftiger Markterfolge. Es muß erkannt werden, daß es nicht die jahrelange Erfahrung der Marktverantwortlichen sowie die daraus resultierenden Meinungen über die Wünsche, Erwartungen und „Entscheidungslogiken" der Kunden sein dürfen, die die Grundlage strategischer Marktentscheidungen bilden. Vielmehr muß erkannt werden, daß nur eine permanente, systematische und vor allem psychologisch fundierte Auseinandersetzung mit den Kunden zum logischen Ausgangs- und Mittelpunkt aller unternehmerischer Tätigkeiten gemacht werden muß. Nur so ist es nämlich letztlich möglich, zu jenen erfolgreichen Unternehmen zu zählen, die imstande sind, die offenen und verdeckten Erwartungen der Kunden nicht nur zu erfüllen, sondern zu übertreffen.

Kundenorientierte Strategieentwicklung

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1.2 Folgen für die Strategieentwicklung Unweigerlich stellt sich die Frage, welche Ideen, Konzepte und Methoden für die Erreichung dieser Zielsetzung behilflich sein können. Eine ganz besondere Bedeutung erlangt in diesem Kontext zunächst das Grundverständnis, daß die offenen und verdeckten Erwartungen der Kunden von ihren jeweiligen persönlichen Präferenzen abhängen und sich daher häufig unterscheiden. Folglich setzt sich jeder Markt aus einer Vielzahl von Konsumenten zusammen, die sich mehr oder weniger stark voneinander unterscheiden. Das angestrebte Ziel eines kundenorientierten Unternehmens muß es folglich sein, eine möglichst exakte Anpassung der spezifischen Produkt- und Dienstleistungsmerkmale an die Bedürfnisse der Kunden zu erreichen. Eine der größten Herausforderungen, die sich exakt in diesem Zusammenhang für sämtliche Unternehmen stellt, ist die Aufteilung des Marktes in homogene Kundensegmente auf Basis der „richtigen" Kriterienauswahl. Von der Qualität dieses Prozesses werden in der Folge die Effektivität und Effizienz einer künden- und damit zukunftsorientierten Marktbearbeitung in entscheidender Weise bestimmt. Segmentierungsversuche nach demographischen Kriterien (Alter, Geschlecht, Einkommen, etc.) oder Umsatzgruppen greifen zu kurz und sind, wie die Erfahrungen dokumentieren, vielfach von vornherein zum Scheitern verurteilt. Die austauschorientierten Erfolgsstrategien von heute und morgen basieren, wie die Beispiele von McDonalds, Nike, Salomon usw. widerspiegeln, auf dem Design von Leistungsbündeln, die bestimmte Kundengruppen unabhängig von Alter, Geschlecht, Einkommen nicht nur funktional sondern auch emotional begeistern. Nur mit Methoden der Marktsegmentierung, die zur Gruppierung der Konsumenten Merkmale verwenden, die mit ihrem Informations·, Auswahl-, Kauf- und Konsumverhalten in kausaler Beziehung stehen, wird es folglich möglich sein, dieses Ziel zu erreichen. Im Rahmen einer austauschorientierten Strategiefindung gilt es deshalb zunächst mit Hilfe ausgefeilter Marktforschungsmethoden herauszufinden, welche funktionalen und emotionalen Erwartungen, Probleme und Wünsche auf Kundenseite vom Informations- über das Auswahl- und Kauf- bis hin zum Konsumverhalten überhaupt existieren. Dabei ist entscheidend, daß das bloße, in der Marktforschung üblicherweise angewandte Abfragen von Wünschen überwunden wird. Nur Methoden, die in der Lage sind, auch die verdeckten Wünsche und Probleme der Kunden an die Oberfläche zu transportieren, können jene Informationen liefern, die die Entwicklung wertvoller Produkte, Dienstleistungen und Kommunikationsstrategien ermöglichen (vgl. Zimbardo 1992, S. 309ff.; Grunert 1992, S. 8ff.). Darauf aufbauend gilt es, den jeweiligen Markt in klar abgegrenzte Untergruppen von Konsumenten mit ähnlichen Bedürfnissen bzw. Verhaltensweisen aufzuteilen. Jede dieser Kundengruppen kann dann als eigenständiger Zielmarkt angesehen werden, für den es möglich

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ist, die entsprechenden Leistungen anzubieten. Die Bereitschaft, zielgruppenspezifische Leistungen anzubieten, bringt letztlich die Achtung vor dem Kunden und seinen Wünschen, Erwartungen, Problemen und Emotionen zum Ausdruck. Im folgenden soll daher versucht werden, Segmentierungsansätze in die Diskussion einzubringen, die sowohl den Anforderungen einer konsequenten Austausch- und Problemorientierung bezüglich Produkt- und Dienstleistungsmerkmalen gerecht werden, als auch die unterschiedlichen emotionalen Anforderungen der Kunden berücksichtigen.

2

Kundenorientierte Marktsegmentierung als Basis für jede Form der Austauschorientierung

Wenn man die Entwicklungen bezüglich einer an den Kunden ausgerichteten Strategieentwicklung betrachtet, dann stellt das Aufkommen der Idee der Marktsegmentierung ohne Zweifel einen Meilenstein für Theorie und Praxis dar. Die Aufteilung eines Marktes in homogene Untergruppen von Kunden, von denen jede als eigenständiger Zielmarkt angesehen werden kann, hat für jedes Unternehmen nämlich sowohl strategische als auch taktisch-operative Bedeutung. Strategische Relevanz erlangt die Marktsegmentierung vor allem im Zusammenhang mit der an den Kernkompetenzen einer Unternehmung ausgerichteten Festlegung von zu bedienenden Einzelmärkten. Taktischoperative Relevanz erlangt die Segmentierung vor allem bezüglich einer präzisen, an den Anforderungen der Austauschpartner ausgerichteten Marketingpolitik (vgl. Mühlbacher/Botschen 1990, S. 159ff.).

2.1

Schwachstellen traditioneller Konzepte

So genial einfach die Idee der Marktsegmentierung ist, so schwierig stellte sich der Umgang mit der Idee heraus. Unweigerlich rückt in diesem Kontext die Frage, nach welchen Kriterien überhaupt segmentiert werden soll, in den Mittelpunkt einer kritischen Auseinandersetzung. Im Laufe der Zeit wurden dabei eine ganze Reihe verschiedenster Marktsegmentierungsmethoden entwickelt. Als Segmentierungsmerkmale bediente man sich •

allgemeiner persönlicher Merkmale, wie z.B. Alter, Bildungsgrad, Einkommen, Familienstand oder Wohnort, • psychographischer Merkmale, d.h. konsumrelevanter Aktivitäten, Interessen und Meinungen und

Kundenorientierte Strategieentwicklung



7

Merkmale des Konsumverhaltens, wie z.B. der Marken- oder Geschäftstreue und der Verwendungs- bzw. Konsumhäufigkeit (vgl. Stegmüller/Hempel 1996, S. 25ff.).

Als wesentlicher Nachteil aller dieser Methoden kristallisierte sich die Tatsache heraus, daß sie beschreibender Natur sind. Ein unmittelbarer kausaler Zusammenhang zwischen diesen Merkmalen und dem eigentlichen Informations-, Auswahl-, Kauf- und Konsumverhalten besteht nicht (vgl. Mühlbacher/Botschen 1990, S. 160f.). Es ist daher nicht verwunderlich, daß die Segmentierung von potentiellen Kunden mittels der aufgezeigten Merkmale nur in Ausnahmefällen zu Kundengruppen mit unterschiedlichem Verhalten bezüglich bestimmter Produkte und Dienstleistungen führt und daß damit wertvolle Informationen für zukunftsweisende Entwicklungen folglich nicht geliefert werden können. Damit man der angesprochen Problematik entgegentreten kann, muß der Segmentierungsprozeß am vom Kunden erwarteten bzw. wahrgenommen Nutzen vor, beim oder nach dem Kauf einer bestimmten Leistung ansetzen. Zentralste Bedeutung erlangt in diesem Zusammenhang die Erkenntnis, daß jede Nutzenempfindung das Ergebnis eines subjektiven Vergleichsprozesses zwischen den persönlichen Prädispositionen und den wahrgenommen funktionalen und ideellen Werten eines Angebotes darstellt (vgl. Bailom 1998, S. 14ff.). Die persönlichen Prädispositionen, die sich immer aus kognitiven und emotionalen Komponenten zusammensetzen, sind somit letztlich das Maß für eine psychologisch fundierte Methodenentwicklung. Neben den funktionalen Erwartungsunterschieden müssen immer auch die Unterschiede bezüglich der emotionalen Erwartungen der Kunden berücksichtigt werden. Eine weitere zentrale Schwachstelle liegt im eigentlichen Segmentierungsprozeß begründet. Die Annahme, daß die Anwendung einer einzigen Segmentierungsart unweigerlich zum besten Ergebnis führt, birgt wie die Erfahrung zeigt, eine große Gefahr in sich. Die bereits vorab getroffene Festlegung auf die einzig „richtige" Methode verhindert nämlich eine kritische, auf Vergleichen basierende Auseinandersetzung mit den Ergebnissen. Fehlentscheidungen aufgrund untauglicher Segmentdefinitionen wird damit Tür und Tor aufgestellt. Im folgenden wird deshalb versucht eine Vorgehensweise aufzuzeigen, die den oben beschrieben Anforderungen gerecht zu werden versucht. Die Basis dafür liefern u.a. zwei Modelle, von denen sich das eine mit dem Entstehen kognitiv gesteuerter Zufriedenheit und das andere mit dem Entstehen emotional gesteuerter Zufriedenheit beschäftigt. Eine zukunftsweisende und damit erfolgsrelevante Segmentierung muß die komplementäre Anwendung beider Konstrukte in sich vereinen. Zudem erscheint die parallele Anwendung sich unterscheidender Segmentierungsmodelle ein absolutes Muß, wenn eine kritische, qualitativ hochstehende Auseinandersetzung erwünscht ist.

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Franz Bailom/Dieter Tschemernjak

2.2

Wie entsteht kognitiv und emotional gesteuerte Zufriedenheit/ Unzufriedenheit?

Der Frage, welche die aus Kundensicht kaufentscheidenden Kriterien sind, kommt im Rahmen der Segmentierung eine ganz besondere Bedeutung zu. Ein revolutionärer Denkansatz im Umgang mit dieser Problematik kann aus den Erkenntnissen der Zufriedenheitsforschung abgeleitet werden. Das Wissen über die grundlegenden Mechanismen, die das Maß an Zufriedenheit bei den Kunden bestimmen, ist für die zielgerichtete Kundenorientierung unentbehrlich. Nach dem Confirmation/Disconfirmation Paradigma geht Kundenzufriedenheit aus einem Prozeß subjektiven Vergleichens hervor. Bereits vor dem Kauf - ob von Produkten oder Serviceleistungen - entwickeln Kunden bestimmte Erwartungen. Mit diesen Erwartungen vergleichen sie nach dem Kauf, was sie an Leistungen empfangen haben. Kommen die Kunden dabei zum Urteil, ihre Erwartungen seien unerfüllt geblieben, werden sie unzufrieden. Sehen Kunden hingegen ihre Erwartungen erfüllt, kommt ein neutrales Gefühl auf, gewissermaßen Indifferenz. Das heißt, daß bei der nächsten Kaufentscheidung durchaus andere Anbieter in die engerer Auswahl des Kunden einbezogen werden. Erst wenn die wahrgenommen Leistung die Erwartungen übertrifft, stellt sich wirkliche Zufriedenheit im Sinne von Begeisterung ein (vgl. Matzler 1997, S. 33ff.; Hinterhuber et.al. 1997, S.14ff.). Die zentralen Ansatzpunkte für eine zukunftsweisende Segmentierung resultieren aus den in diesem Kontext neu gewonnen Erkenntnissen, die eindeutig verdeutlichen, daß der Zufriedenheitsgrad einer Person nicht - wie bis heute vielfach unterstellt - bezüglich aller Leistungsmerkmale linear mit dem Erfüllungsgrad zusammenhängt. Vielmehr müssen drei Gruppen von Leistungsmerkmalen unterschieden werden. Eine Erfüllung/Nichterfüllung dieser drei Arten von Anforderungen hat nämlich einen jeweils unterschiedlichen Einfluß auf die Kundenzufriedenheit ( Vgl. Bailom et.al. 1998, S. 48ff.): 1. Grundanforderungen. Zu diesen zählen all jene Leistungserwartungen, deren Erfüllung der Kunde beim Kauf eines Produktes oder einer Dienstleistung voraussetzt. Werden sie nicht erfüllt, reagiert der Kunde sehr unzufrieden; sieht er hingegen seine Erwartungen übertroffen, honoriert er das in der Regel nicht weiter. Grundanforderungen werden vom Kunden für selbstverständlich gehalten.

Kundenorientierte Strategieentwicklung

Abb. 1:

9

Kano-Modell der Kundenzufriedenheit

2. Leistungsanforderungen. Dabei handelt es sich um vom Kunden erwartete und in der Regel auch meßbare Leistungskomponenten. Entsprechen sie den Erwartungen nicht in vollem Umfang, kommt Unzufriedenheit auf werden Kundenerwartungen in bezug auf sie indes übertroffen, steigt die Zufriedenheit. Leistungsanforderungen erwarten die Kunden im allgemeinen ausdrücklich. Die bloße Erfüllung führt allerdings nur zu einem moderaten Maß an Zufriedenheit. Nur wenn es gelingt, das Qualitätsniveau der Wettbewerber bei den Leistungsanforderungen deutlich zu übertreffen, lassen sich Wettbewerbsvorteile realisieren. Gelingt dies nicht, dann bleiben die Kunden für Alternativprodukte offen. 3. Begeisterungseigenschaften. Gemeint sind damit Produkt- und Servicemerkmale, die den Kunden tatsächlich begeistern. Dazu zählen jene Leistungskomponenten, die der Kunde in der Regel weder explizit fordert noch erwartet, deren Angebot aber die Leistung insgesamt wertvoller macht und das Maß an Zufriedenheit merklich erhöht. Werden solche Leistungselemente gar nicht erst angeboten, wirkt sich das auf die Unzufriedenheit nicht weiter aus.

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Franz Bailom/Dieter Tschemernjak

Was Kunden aber letztlich als Grund-, Leistungs- oder Begeisterungseigenschaft betrachten, hängt wesentlich von ihren jeweiligen persönlichen Präferenzen ab und unterscheidet sich daher häufig. Für die Segmentierung resultiert daraus, daß exakt diese Unterschiede neue Möglichkeiten in der Segmentierung eröffnen. Für jedes Segment können nämlich jene funktionalen Leistungsbündel entwickelt werden, die imstande sind Unzufriedenheit zu vermeiden und Begeisterung auszulösen.

2.3

Wie entsteht emotionale Begeisterung?

Wie bereits oben angedeutet, stellen die persönlichen Prädispositionen das sich laufend verändernde Resultat aus kognitiven und emotionalen Konstrukten dar. Leider wird fälschlicherweise bis heute vom primär rational geleiteten Menschen ausgegangen. Die Emotionalität des Menschen bleibt vielfach unberücksichtigt. Wie unzählige Untersuchungen aber belegen, ist der Mensch in seinen Entscheidungen aber größtenteils emotional (mit-) bestimmt. Psychologisch fundierte Segmentierungsansätze müssen deshalb gerade auch diesen wichtigen Teil menschlichen Seins berücksichtigen. Ein möglicher Denkansatz resultiert aus den Erkenntnissen der Persönlichkeitsforschung. Der Begriff Persönlichkeit bezieht sich in diesem Kontext auf die einzigartigen psychologischen Merkmale eines Individuums, die eine Vielzahl von charakteristischen, konsistenten, offenen und verdeckten Verhaltensmustern in verschiedenen Situationen zu verschiedenen Zeitpunkten beeinflussen (vgl. Zimbardo 1992, S. 398ff.). Entsprechend dieser Idee muß es das Ziel sein, Menschen auf der Basis emotionaler Gemeinsamkeiten zu segmentieren. Zentrale Bedeutung erlangt in diesem Kontext die These, daß der Ausgangspunkt dieser emotionalen Persönlichkeitstypologisierung nur das emotionale Wunschprofil der jeweiligen Personen sein kann. Die Emotion als zentrale Triebfeder menschlichen Handelns bedingt nämlich, daß der Mensch immer bestrebt ist, seine Wunschvorstellungen zu realisieren. Folglich geht es nicht darum herauszufinden wer jemand ist, sondern es geht darum, jemanden so zu sehen, wie er sich selbst gerne sehen würde. Exakt hier liegen die Ansatzpunkte emotionaler Begeisterung. Dafür ist es zunächst notwendig, stark emotionalisierende Themenfelder zu definieren. Dazu zählen u.a.: • Risikobereitschaft • Freundschaft • Familie • Soziales Engagement • Persönlicher Erfolg • Weltoffenheit

Kundenorientierte Strategieentwicklung



Traditionsbewußtsein



etc.

11

Im Anschluß daran gilt es, eine Statement-Batterie zu diesen Themenfeldern zu entwickeln. In der Folge wird diese in der Befragung eingesetzt, um herauszufinden, inwieweit welche Personen welchen Statements zustimmen bzw. ablehnend gegenüberstehen. Beispielhaft wird das Themenfeld „Offenheit gegenüberfremden Kulturen " dargestellt: „Offenheit gegenüber fremden Kulturen" Personen, die ungezwungen mit fremde Kulturen (Menschen) umgehen können, faszinieren mich. Mehrere Fremdsprachen zu sprechen fasziniert mich. Ich finde es interessant, mich mit fremden Religionen zu beschäftigen. Menschen, die fremde Kontinente bereisen, faszinieren mich. Ich verbringe meinen Urlaub gerne in schönen Ferienclub-Anlagen. Abb. 2:

JA

E H E R JA

E H E R NEIN

NEIN

















• •

• •

• •







• • •

Beispielhafte Darstellung einer psycho-sozialen Typologisierung

Auf der Basis der so gewonnenen Informationen ist es möglich, jene emotionalen Themenfelder herauszufiltern, die für die jeweilige Personengruppe einen besonders starken Einfluß auf deren emotionale Zufriedenheit haben.

3

Der Prozeß der Segmentierung

Nachdem das Grundverständnis zukunftsweisender Segmentierungsansätze diskutiert wurde, geht es nun um den möglichen Ablauf eines Segmentierungsprozesses, der den oben aufgezeigten Anforderungen gerecht wird. Ein zukunftsweisendes Projektdesign erfordert neben der Berücksichtigung kognitiver wie auch emotionaler Faktoren die parallele Anwendung von mehreren Segmentierungsmodellen. Die Parallelität der Methodenanwendung soll einerseits die Möglichkeit qualitativ hochstehende Ergebnistests implizieren, andererseits sollen die Ergebnisse durchaus ergänzenden Charakter aufweisen.

12

Franz Bailom/Dieter Tschemernjak

Abb.3:

3.1

Prozeß des parallelen Segmentierungsansatzes

Das Nutzenerwartungsmodell

Beim Nutzenerwartungsmodell geht man davon aus, daß sich Menschen unabhängig von ihrer Lebensphase, ihrem Alter und/oder ihrem Einkommen einzig und allein aufgrund ihrer Erwartungen, Wünsche, Verhaltensweisen ähneln bzw. unterscheiden (vgl. Mühlbacher/Botschen 1990, S. 161ff.). Dementsprechend werden bei diesem Modell die Segmente ausschließlich auf der Basis kundenspezifischer Nutzenerwartungen bestimmt. Dazu werden in einem ersten Schritt alle wichtig erscheinenden Erwartungen, Wünsche, Probleme und Verhaltensweisen mittels qualitativer Prozeßanalyse erhoben.

I

Ν

Informationsverhalten

λ

Abb. 4:

Ν

Auswahlverhalten

/

Λ Verwendungs-

Kaufverhalten

y

Problemorientierte Prozeßanalyse

verhalten

Kundenorientierte Strategieentwicklung

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In einem zweiten Schritt werden die so an die Oberfläche transportierten Erwartungen, Wünsche, Probleme mittels Clusteranalyse in homogene Nutzenbündel zusammengefaßt. Im Anschluß daran gilt es, die einzelnen Nutzenerwartungen mittels der Kano-Analyse bezüglich ihres Einflusses auf die Zufriedenheit der Kunden zu analysieren. Mittels der Kano-Analyse wird es nämlich möglich, exakt jene Nutzenerwartungen herauszufiltern, die die Kaufentscheidung von der kognitiven Seite her letztlich bestimmen. Auf der Basis dieser Vorgehensweise erhält man folglich eine sehr diffizile Form der Benefitsegmentierung, die sich vor allem in der Definition der aus Kundensicht bestimmenden Merkmale entscheidend von herkömmlichen Verfahren unterscheidet. Nicht die vom Kunden mit Ratingskalen eingestufte Wichtigkeit einzelner Nutzen ist entscheidend, sondern der Einfluß des Nutzens auf die Zufriedenheit (vgl. Bailom et.al. 1996, S. 117ff.). Im Anschluß an die so erfolgte Segmentbildung, gilt es Ansatzpunkte für die Kommunikationsarbeit zu finden, die es ermöglichen die einzelnen Segmente bestmöglich anzusprechen. Dazu werden die Segmente mittels emotionaler Typologisierung bezüglich ihrer persönlichen Charakteristika exakt beschrieben. Die so erzielten Ergebnisse liefern Segmente, welche ausschließlich auf gemeinsamen Erwartungen, Wünschen und Verhaltensweisen basieren. Neben der exakten Beschreibung der speziellen Anforderungen entsprechend den Ergebnissen der Kano-Analyse, werden diese bezüglich der sie besonders aktivierenden (interessierenden) Themen beschrieben. Diese Beschreibung unterstützt die Entwicklung ausgefeilter Kommunikationsstrategien.

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Abb. 5:

3.2

Nutzenbedingte Segmentierung mit typologiespezifischer Beschreibung

Persönlichkeitstypologisches Modell

Das persönlichkeitstypologische Modell geht von der Annahme aus, daß sich Personen primär aufgrund ihrer psychologisch bedingten Wesensmerkmale unterscheiden. Dementsprechend werden in einem ersten Schritt auf der Basis einer psychosozialen Themenanalyse Segmente gebildet. In der Folge werden diese Segmente betreffend ihrer Erwartungen, Wünsche und Verhaltensweisen analysiert und mittels demographischer Daten exakt beschrieben.

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Abb. 6: Typologiespezifische Segmentierung mit segmentspezifischen Anforderungskatalogen

Die so erzielten Ergebnisse liefern Segmente, welche primär aus persönlichkeitsbedingten Unterschieden resultieren. Diese Segmente werden in der Folge bezüglich der sie charakterisierenden Erwartungen, Verhaltensweisen, Problemen und Wünschen etc. beschrieben. Mittels Kano-Analyse werden hier ebenfalls jene Kriterien herausgefiltert, die aufgrund ihres Einflusses auf die Zufriedenheit von entscheidender Bedeutung sind.

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Entwicklung zukunftsweisender strategischer Stoßrichtungen

Zwei zentrale Fragestellungen rücken für die systematische Entwicklung einer kundenorientierten Strategie in den Mittelpunkt der Betrachtungen: 1. Welche Möglichkeiten hat ein Unternehmen, um jene Kundensegmente zu identifizieren, die die größten Erfolgschancen bieten (Marktwahlentscheidung)? 2. Wie kann sich das Unternehmen innerhalb des gewählten Kundensegmentes von den Wettbewerbern differenzieren?

4.1

Die Marktwahlentscheidung

Die Entscheidung, auf welche(s) Kundensegment(e) ein Unternehmen seine zukünftigen Anstrengungen tatsächlich konzentrieren soll, ist ungemein schwierig. Wie die neuesten Erkenntnisse eindeutig belegen, erfordert dieser Prozeß die systematische Miteinbeziehung folgender Überlegungen (vgl. Hinterhuber et.al. 1997, S. 94ff.): 1. Über welche (Kern-)kompetenzen verfügt das Unternehmen gegenwärtig und welche können davon die erfolgreiche Bearbeitung welcher Segmente sichern? Eine konsequente Abgleichung der Segmentpotentiale mit den Kernkompetenzen einer Unternehmung ist unumgänglich, wenn man in unmittelbarer Zukunft imstande sein will, den Kunden die optimalen Leistungsbündel anzubieten. 2. Welche Kompetenzen sollen darüber hinaus weiterentwickelt bzw. neu aufgebaut werden? Die Beantwortung dieser Frage ist wiederum eng mit dem Wissen um die offenen und verdeckten Erwartungen, Wünsche, Probleme und Emotionen in den unterschiedlichen Kundensegmenten verbunden. Sind die Fragen nach den gegenwärtigen und den in Zukunft zu forcierenden Kernkompetenzen beantwortet, gilt es, diese mit den Anforderungen der Kunden in den Segmenten abzugleichen. Dazu ist es zunächst aber notwendig, sich mittels Plausibilitätstests für die tatsächliche Aufteilung des Marktes zu entscheiden. Nur jemand der sich im Vorfeld bereits mit den verschiedensten Segmentierungsverfahren auseinander gesetzt hat, ist imstande, diese ungemein schwierige Entscheidung zu treffen.

Kundenorientierte Strategieentwicklung

Abb. 7:

4.2

17

Zugänge zu den Kemkompetenzen (nach Boos/Jarmai; 1994)

Marktbearbeitungsentscheidung

Die Marktbearbeitungsentscheidung ist der Marktwahlentscheidung nachgelagert und bezieht sich auf die Frage, wie es dem Unternehmen gelingt, sich in den Augen der Kunden von der Mittbewerbern abzuheben. Auf Basis der vorgestellten Methodenkombination ist es möglich, sowohl produktspezifische als auch emotionsspezifische Ansatzpunkte pro Kundensegment abzuleiten. Damit ist eine zentrale Voraussetzung für die Entwicklung erfolgreicher Marktbearbeitungsstrategien gegeben. Die kreative Umsetzung dieser Informationen in attraktive Leistungsbündel gelingt insbesondere in jenen Unternehmen, in denen die fundierte Auseinandersetzung mit den Kunden zum täglichen Handwerkzeug zählt.

18

Abb. 8:

Franz Bailom/Dieter Tschemernjak

Der Prozeß der Strategieentwicklung

Der vorgestellte Ansatz stellt ohne Zweifel eine qualitativ hochstehende Unterstützung für die systematische und professionelle Marktstrategieentwicklung dar. Letztlich wird die Qualität der am Markt realisierten Maßnahmen aber immer von der Bereitschaft der Entscheider, sich systematisch und fundiert mit den Kunden auseinanderzusetzen, bestimmt.

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Kundenorientierte Strategieentwicklung

19

Hinterhuber, H. / Handlbauer, G. / Matzler, K. (1997): Kundenzufriedenheit durch Kernkompetenzen. München; Wien. Matzler, K. (1997): Kundenzufriedenheit und Involvement. Wiesbaden. Mühlbacher, H. / Botschen, G. (1990): Benefit-Segmentierung von Dienstleistungsmärkten. In: Marketing ZFP Heft 3, S. 159-166. Stegmüller, B. / Hempel, P. (1996): Empirischer Vergleich unterschiedlicher Marktsegmentierungsansätze über die Segmentpopulationen. In: Marketing ZFP Heft 1, S. 25-31. Zajonc, R. (1986): Basic Mechanisms of Preference Formation. In: The Role of Affect in Consumer Behavior - Emerging Theories and Applications, S. 1-16. Zimbardo, Ph. (1992): Psychology and Life. Illinois.

Dr. Franz Bailom / Mag. Dieter Tschemernjak IMP - Innovative Managment Partner Anton-Rauch Str. 18 A-6020 Innsbruck

Wilfried von Eiff

Prozeßorientierte Logistik: Zur strategischen Neuorientierung des Logistikmanagements am Beispiel der Medizinindustrie

Eisberg-Preis-Phänomen, korrespondierende Organisation: „Kunde-desKunden"-Orientierung, kundengerechte Standardisierung, Prozeß-VorteilsMethode, Mehrwert-Kalkulation, Category Management

Zusammenfassung Als Folge der strategischen Ausrichtung der Unternehmensaktivitäten auf professionelle Dienstleistungen rund um "klassische" Produkte steigen Organisations· und Führungskomplexität. Dadurch wandelt sich insbesondere der Bereich der Logistik zu einem prozeßorientierten Aktionsfeld. Vermeintlich widersprüchliche Ziele - Kundenbindung stärken und gleichzeitig Kosten senken - können und sollen miteinander in Einklang gebracht werden. POL steht für eine Kooperationsorganisation zwischen dem Hersteller eines Produktes und dem produktgebrauchenden Endkunden. Um eine solche Organisation zu erreichen, müssen verschiedene Faktoren, wie Standardisierung der Produkte und Dienstleistungen, sowie die organisatorische Integration von externen Lieferanten zusammenspielen. Dieser Artikel soll am Beispiel von Kooperationsstrukturen zwischen Krankenhäusern und Medizinindustrie neue Wege des Logistikmanagements aufzeigen.

22

Wilfried von Eiff

Inhaltsübersicht 1

Strategische Ausgangsposition: Die neue Marktdynamik und ihre strategischen Konsequenzen für das Logistikmanagement

2

Der Logistikbereich als betriebswirtschaftliche Problemzone

3

Das Konzept der prozeßorientierten Logistik (POL)

4

Trends und Perspektiven: Der strategische Leverage-Effekt des POLKonzepts

1

Strategische Ausgangsposition: Die neue Marktdynamik und ihre strategischen Konsequenzen für das Logistikmanagement

Insbesondere unter strategischen und organisatorischen Gesichtspunkten hat das Logistikmanagement wie kaum ein anderer Bereich in den 90er Jahren einen Paradigmenwechsel im Managementverständnis erlebt: von der operativ-ausführend orientierten Funktion der „Physical Distribution" hin zum Instrument der „erlebbaren Kundenbindung". Die Spediteursgesellschaft hat sich zum Category Management gewandelt. Das Leistungsprofil der Branche änderte sich vom auftragnehmenden Transportunternehmer zum Organisationsentwicklungshelfer, KAIZEN-Partner, Standardisierungs- und Sortimentsberater; dramatischer kann sich eine Aufgabenstellung kaum wandeln. Insbesondere ermöglichte die geschäftsprozeßorientierte Sicht der Unternehmensaktivitäten in Verbindung mit der Informatisierung der Leistungsprozesse (Information als substitutionsfähiger Produktionsfaktor: Information ersetzt Bestände) völlig neuartige Formen der Logistikorganisation. Durch diesen Wandel wurden insbesondere neue kundenorientierte Marktstrategien möglich; den im Unternehmen etablierten Marketingfunktionen wurde der Vorwurf gemacht, die Kluft zwischen Unternehmen und Kunde durch den dominanten Fokus auf kommunikationspolitische Instrumente vertieft zu haben: Marketing habe den Kunden überredet, aber nicht beispielgebend überzeugt. Marketing sei nur in der Lage, den Kunden interessiert zu machen, aber nicht fähig, Kundenbindung zu erzeugen. In der Tat: Kundenbindung läßt sich erreichen durch vier strategische Handlungsbereiche: a) Konzentration auf den Prozeß statt Verharren in der Funktion. b) Die Prozeßorientierung setzt die kundenorientierte Ausrichtung der Prozeßziele im strategischen Verständnis voraus.

Prozeßorientierte Logistik

23

c) Die Leistungen des Unternehmens bleiben nicht auf Produktleistungen beschränkt (Funktionalität, Qualität), sondern entwickeln sich vom Produktwert zur Garantie von Produktgebrauchsverfügbarkeiten oder der Garantie von Nutzenerwartungen, die ausgesprochen oder unausgesprochen mit dem Kauf des Produkts kundenseitig verbunden sind. Damit wird das Anbieten von Dienstleistungen rund um das Produkt in der Form einer Integration in die Organisationsabläufe des Kunden zum strategischen Erfolgsfaktor für Kundenbindung: Es geht also fast nicht mehr um den Verkauf von Produkten, sondern um den Verkauf eines „Systems", bestehend aus Produkt (Qualität, Funktionalität, Einfachheit, usw.), produktgebrauchswerterhöhender Dienstleistung, Problemlösung/Dienstleistung, die als Folge des Produkts integriert in die Organisationsabläufe des Kunden erbracht wird. Strategisch ergeben sich aus dieser Diskussion drei Optionen um das Managementkernproblem Nummer 1, nämlich Produkt- und Organisationskomplexität beherrschbar zu machen: •

• • •

Stabilität durch modeunabhängiges Design und zeitloses Produktimage (z.B. VW Golf als klassenloses Auto; Montblanc Meisterstück Nr. 149) bzw. Positionierungsneutralität. Stabilität durch Dienstleistung; dadurch wird es möglich, Produkte auf den technologisch-funktionalen Grundnutzen zu reduzieren. Stabilität durch kundengerechte Standardisierung. Der Logistikbereich als betriebswirtschaftliche Problemzone.

Die Idee, logistische Leistungen wie Verladen von Teilen, Transport, Entladen mit Dienstleistungen zu verbinden, die sich in der Geschäftsprozeßkette anschließen (z.B. Einlagern, Heranbringen von Teilen direkt an den Verbauungsort), ist nicht neu. Auch die Übertragung wertschöpfender Aufgaben auf einen Logistikdienstleister (wie z.B. Annahme von Komponenten und Teilen unterschiedlicher Zulieferer und Zusammenbau dieser Komponenten zu einem verbauungsfähigen ZSB-Umfang) sind aus der Automobilindustrie, dem Handel und dem Bereich der Krankenhauslogistik bekannt. Dennoch ist vor wie nach in vielen Branchen eine traditionell begründete, hohe Fertigungsund Dienstleistungstiefe anzutreffen. Diese Philosophie entspricht der Überzeugung, daß „Selbermachen" auch immer gleichbedeutend mit „Billiger- und Bessermachen" ist. Eine hohe Zahl von Direktlieferanten, Teilevielfalt und Produktkomplexität, Organisationskomplexität und aufwendige Bestellprozesse sind die Konsequenz. Gerade im Krankenhausbereich ist derzeit noch das Phänomen anzutreffen, daß Krankenhauslogistikmanager zwar einerseits gerne die interne Krankenhausorganisation durch Inanspruchnahme logistischer Dienstleister ko-

24

Wilfried von Eiff

stenreduzierend entlasten; andererseits ist man aber nicht bereit, für derartige Dienstleistungen zu bezahlen. Das Verständnis, daß Organisation oder besser gesagt, schlechte Organisation Geld kostet, Personal bindet, Arbeitsabläufe behindert, zu Überstunden und Frustration bei den Beteiligten führt, ist bei noch zu wenigen Logistikverwaltern anzutreffen. Der Wert des Faktors Organisation wird in der Regel erst bemerkt, wenn diese nicht mehr reibungslos und unaufdringlich funktioniert. Typisch für den Logistikbereich ist das Eisberg-Preis-Phänomen, das sich am Beispiel der Medikalproduktelogistik für ein Krankenhaus anschaulich demonstrieren läßt: Im Rahmen eines vom CKM (Centrum für KrankenhausManagement, Universität Münster) durchgeführten Logistikprojekts in der Universitätsklinik Göttingen kam es zu einer verblüffenden Erkenntnis. Ein engagierter Einkäufer, der durch wochenlange Verhandlungen den Einkaufspreis einer Spritze (Jahresvolumen 700.000 Stück) von 0,10 DM um 20 % auf 0,08 DM reduziert, spart im Jahr 14.000,— DM. Ein löblicher, aber wenig effizienter Ansatz. Denn: Die wirklichen Kosten dieser Spritze, die von der Beschaffung bis zu ihrem Einsatz am Patienten und ihre Entsorgung entstehen, liegen bei ca. 4,— DM; verursacht sind diese Kosten durch eine Vielzahl unnützer „Logistikaufgaben": Transportieren, Lagern, Vor- und Entkommissionieren, Auspacken, Entsorgen, usw. „Die CKM-Analyse setzte uns über ein wichtiges Kostenphänomen ins Bild, das in keinem Rechnungswesen eines Krankenhauses erkennbar abgebildet wird: den Eisbergpreis" (siehe Abbildung 1), unterstreicht Heinz Grillemeyer (Leiter Materialwirtschaft der Universitätsklinik Göttingen) die Bedeutung dieser Erkenntnis für zukünftige Einkaufsentscheidungen. Durch dieses Eisberg-Phänomen werden zwei weitere Strukturdefekte in der Logistikorganisation offenbart: a) Eine am Einkaufspreis orientierte Beschaffung ohne Berücksichtigung von Handhabungsaufwand am Einsatzort eines Produkts führt in der Konsequenz zu Kostensteigerungen bei anderen Kostenarten. So geschehen in einem Herzzentrum: Die Einkaufsabteilung beschaffte die für eine Operation benötigten Medikaiprodukte einzeln verpackt von verschiedenen Herstellern, um alle Einkaufspreisvorteile zu nutzen. Die übersehene Konsequenz im OP-Saal: Jedes benötigte Teil mußte entpackt, die Katheter mußten aufwendig zusammengebaut werden; bis das OP-Sieb hergerichtet war, vergingen 24 Minuten. Vermeintlich preiswert eingekaufte Produkte führten zu Kostensteigerungen beim OP-Personal (Überstunden am Nachmittag; geringere nutzbare OP-Kapazität).

Prozeßorientierte Logistik

25

Das Eisberg-Preis-Phänomen D e r A b - W e r k - P r e i s e i n e r IOml-Sprit/e beträgt 0 , 0 8 D M ; ihr Einsatz verursacht

Abb. 1:

Die wirklichen Kosten eines Medikaiprodukts entstehen durch Handhabung, Gebrauchen und Entsorgen.

b) Deutlich wurde auch, daß der gesamte Logistikprozeß durch eine Vielzahl unnötiger Logistiktätigkeiten belastet war: Transportieren, Lagern, Vorund Endkommissionieren, Umpacken, Auspacken, Entsorgen, ... Bestimmte Tätigkeiten werden in der gesamten Prozeßkette an verschiedenen Stellen wiederholt und ohne jede Wertschöpfung ausgeführt: Der Hersteller etikettiert seine Großverpackungen, um seine eigene Logistik zu steuern; der logistische Dienstleister, der die Warenströme verschiedener Hersteller bündelt, etikettiert auf sein eigenes Steuerungssystem um und das Krankenhaus schließlich wiederholt diese Prozedur für die Steuerung der Einzelprodukte im eigenen Haus (siehe Abbildung 2).

26

Wilfried von Eiff

Geschäftsprozeß: Güterverfügbarkeit auf Stationen

£

E M

A m Prozeß der Güterverl'ügbarkeit sind eine Vielzahl von Stellen beteiligt, deren wichtigste Tätigkeit im "Management" von ()rganisationsprohlemen7( ) besteht. Zeit-

13 Min.

leiste ProzeßPhase

k ψ ψ

LZ \

ik'stclluii!·

/ . /

30 Min.

20 Min.

Herstellung \

\

} Antransport/

\nfk-fcrung ) I.agcrutig /

10 Min.

lfd.

^ ^ H H ^ H . J^BHQBGH

ß Entladen LKW

Tätig-

ß WE-Prüfung

keiten y / y /

/ ß Entladen C o n t a i n e r \

ß WE-Erfassung und Buchung

ß Material- und Mengenabgleich β Stapler abladen

ß Transport in Stauraum

/ ß Bestückung Versor/

\

gungsschrank

\

/ ß Warenannahme

\

β Llmetikettieren in klinikeigene Artikelnummer ÖGiiter sind erfaßt und umetikettiert

Ergebnis

Ö W a r e auf Station verfügbar A L a g e r b e r e i c h steht fest Stelle Wareneingang; Lager; Stauraum

Ort

7 Abb. 2:

? 7 7 7 7

mehrfaches Umladen und Umpacken keine Iii-Zuordnung von Ware und Lagerort Lieferant hat auch klinikeigene Nummer ohne sie zu nutzen Stapler kann nicht zwischen Regale fahren Verpackungseinheiten unsystematisiert

Station 7 "ofTene" Bestellungen werden als erledigt gekennzeichnet 7 Falschlieferungen werden zu spät erkannt ( Retouren) 7 jede Station hat eigenes Bestellsystem

Der Logistikprozess ist durch unnötige Tätigkeiten belastet.

Die Problemursache: Funktionale Verantwortung verhindert die kundenorientierte und effiziente Ausrichtung des Geschäftsprozesses. Als Folge der funktionalen Aufteilung und strikten Abgrenzung von Zuständigkeiten in den Bereichen Einkauf, Lager und interne Logistik sowie den Einsatzstellen (OP, Station, ICU, ...) wird der gesamte Geschäftsprozess der Medikalprodukte-Versorgung künstlich in drei Logistiksysteme (siehe Abbildung 3) zerteilt: a) Hersteller und H-Logistik, b) Einkauf und Zentrallager, c) Stationslager und medizinische Einsatzstellen. Diese Bereiche werden unabhängig voneinander „optimiert", aber > keine Stelle fühlt sich zuständig für die Analyse von Renner- und Pennerprodukten; > der Einkauf beschafft Produkte, die preislich günstig sind, unabhängig davon, ob deren Gebrauch mit vergleichsweise hohem Handhabungsaufwand verbunden ist; > Standardisierungsentscheidungen zur Eindämmung der Produkt-/Herstellerkomplexität fallen eher zufällig.

Prozeßorientierte Logistik

27

Die wichtigste Problemursache ist also darin zu sehen, daß zwischen „dem Hersteller" von Medikaiprodukten und „dem Krankenhaus" als Nutzer von Medikaiprodukten eine Kunden-Lieferanten-Beziehung unterstellt wird. Der Hersteller organisiert seine Fertigungsprozesse auf der Grundlage von Skaleneffekten und legt die Logistik auf die Anforderungen einer BULKWARE-Distribution aus. Voraussetzung für das Funktionieren dieses PUSHPrinzips ist, daß die Krankenhäuser eine „Korrespondierende Organisation" vorhalten, die mindestens vier Bestandteile hat: a) Zentrallager, in das der Hersteller seine Massenwaren liefert, wobei dieses ZL die Individualisierungsfunktion (Sortieren der Medikalprodukte nach Stationen, Vorkommissionieren, ...) zwischen gebrauchsundifferenzierter Massenanlieferung und gebrauchsspezifischer Zusammenstellung für den Nutzer (Arzt, Pflegekraft) wahrnimmt. b) Dezentrale Lager in Nähe der Einsatzstellen (schnelle Produktverfügbarkeit, Endkommissionierung, Herstellen der Gebrauchsfertigkeit von Medikalprodukten). c) Organisation des innerbetrieblichen Transports und des Bestandsmanagements. d) Zentraleinkauf, der alle Bestellungen sammelt und gesamthaft verhandelt, wobei die Preiskomponente dominiert.

CEU

Die klassische Krankenhauslogistik

Das Logistiksystem wird organisatorisch lind strategisch künstlich in funktionale Verantwortungsbereiche separiert, die unabhängig voneinander suboptiniiert werden.

BULK Optimierung

I

Preissenkung

Hersteller ) ) Einkauf > Hirsteller-Logistik

i - Bestellung J

Abb. 3:

LieferTähigkeit

LieferTahigkeit

Produktverfügbarkeit

Zentral Lager

StationsLager

L

BestandsJ ^ ' ^ l management

. Bedarfs— Abruf

Medizinische Einsatzstellen

J

Bedarfs meidung

D a s Krankenhaus nimmt Logistikaufgaben wahr, die zu einer qualitativen Verbesserung des Kerngeschäfts keinen Wertschöpfungsbeitrag leisten.

28

Wilfried von Eiff

3

Das Konzept der prozeßorientierten Logistik (POL)

Die bisherige Diskussion läßt erkennen, daß die Herausforderung zur Gestaltung von Logistikprozessen im wesentlichen darin zu suchen ist, vermeintlich widersprüchliche Ziele miteinander in Einklang zu bringen. Die Kundenbindung zu verstärken und gleichzeitig die Kosten zu senken läßt sich realisieren, wenn man einerseits ein kundenorientiertes Verhalten organisatorisch absichert und andererseits durch dieses Verhalten die Organisation entlastet oder sogar beherrschbarer macht. POL steht als Konzept für eine Kooperationsorganisation zwischen dem Hersteller eines Produkts und dem produktgebrauchenden Endkunden im Krankenhaus. POL ist ein an einem Geschäftsprozess orientiertes Organisationskonzept, das die Ziele der Kostensenkung und Kundenzufriedenheit durch Problemlösung rund um das Produkt für alle prozessbeteiligten Wertschöpfungspartner miteinander in Einklang bringt. Die POL-Merkmale: a) Der „Kunde-des-Kunden" im Fokus der prozessorientierten Logistik Zentrales Merkmal des POL ist es, die normal übliche KundenLieferanten-Sicht aufzugeben und den „Kunden-des-Kunden" (besser: den wirklichen Prozeß-Kunden mit seinen echten Nutzenanforderungen) als Empfänger einer problemlösenden Dienstleistung rund um das Produkt zu identifizieren. Dazu ist es erforderlich, die Wertschöpfungsstruktur eines Geschäftsprozesses ausgehend vom „Hauptkunden" für ein Produkt im Wege einer sog. Voraussetzungsanalyse zu ermitteln. „Das Krankenhaus" benötigt Medikaiprodukte zur Erfüllung seines Versorgungsauftrags; das OP-Team aber benötigt die Medikaiprodukte für eine bestimmte OP (z.B. Mamaria-Bypaß, TEP, ACVB, ...) in einsatzfähigem Zustand, ohne Fehlmengen, zeitgerecht und in der entsprechenden Qualität sowie Funktionalität. Der Hersteller eines Herzkatheters liefert die bis zu 25 Einzel-Bestandteile dieses Katheters einzeln steril verpackt an das Zentrallager des Krankenhauses (Kunde des Herstellers). Der „Kunde" des Zentrallagers, nämlich der OP, benötigt aber einen einsatzfähigen Katheter. Die Einsatzfähigkeit wird in den meisten Krankenhäusern durch arbeitsaufwendige Kommissionier- und Zusammenbauarbeiten durch das OP-Personal hergestellt. Dadurch entstehen vermeidbare patientennahe Vorbereitungszeiten, Kosten und Qualitätsnachteile, die durch eine „einsatzgerechte Anlieferung" der bereits zusammengebauten Katheter vermieden werden könnten. Damit ergibt sich eine völlig neue Kunden-Lieferanten-Organisation, die insbesondere dadurch charakterisiert ist, daß die an einem Leistungsprozeß

Prozeßorientierte Logistik

29

beteiligten Stellen nicht mehr „Aufgaben wahrnehmen", sondern „problemlösende Dienstleistungen erbringen". Im traditionellen Logistiksystem beschafft der Krankenhaus-Einkauf die Medikaiprodukte nach den Qualitätsvorgaben des Arztes möglichst preisgünstig und stellt die Verfügbarkeit durch Vorhalten eines Zentrallagers sicher. Kunde des Anlieferungsprozesses ist das Zentrallager. Eine zweite KundenLieferanten-Beziehung besteht zwischen Zentrallager und Stationslager, eine dritte Kunden-Lieferanten-Beziehung zwischen Stationslager und OPSchwester. Bei der POL beschafft der Einkauf eine „Optimierung der Organisation rund um den Gebrauch von Medikaiprodukten". Kunde des Prozesses ist die OP-Schwester, die im OP die für eine bestimmte Operation benötigten Medikalprodukte für den Operateur gebrauchsfertig zusammenstellt und auf dem Instrumentiertisch herrichtet.

Die "Neue Kundensicht"

C

Der Kunde eines Produkts isl nicht "das Krankenhaus", sondern der am Ort der Wortschöpfung, am Arbeitsplatz für den Patienten verantwortliche Mitarbeiter.

/

1

[

Qualität Lieferslcherheit

Abb. 4:

LDL-Management

1

ι

! Bedarfsabruf

D i e Logistikkette im Krankenhaus muß auf den wirklichen Kunden und dessen Nutzen ausgerichtet werden.

b) Kundengerechte Standardisierung: der Hebel für Qualitätsverbesserung und Kostensteuerung „Erst vereinfachen, dann mechanisieren!", heißt ein bewährter Organisations-Grundsatz. Auch im Krankenhaus lassen sich die deutlichsten Qualitätsund Wirtschaftlichkeitsvorteile durch Standardisierung von Medikaiprodukten erreichen. Dabei geht es weniger um die Reduktion von Produkt- und Her-

30

Wilfried von Eiff

Steilervielfalt, sondern in erster Linie um die Standardisierung gebrauchsfertiger Sets, die zur Unterstützung in den verschiedenen Phasen eines Patientenversorgungsprozesses eingesetzt werden. Der Organisations- und Kostenvorteil liegt darin, daß für jede Phase (z.B. Anästhesievorbereitung, OP, Abdekken) jeweils ein Standardset mit genau den benötigten Medikaiprodukten zur Verfügung steht; alle Einzelprodukte sind in gebrauchsfertigem Zustand und in der richtigen Reihenfolge in diesem eingriffsbezogenen Standardset enthalten. Das Personal wird entlastet, die reine OP-Verfügbarkeitszeit steigt an, eine größere Zahl von Operationen je Tag ist möglich. Standardisierte Sets ermöglichen nicht nur die Vermeidung von Verschwendung, sondern sind die Grundlage für einfache, fehlersichere Versorgungs- und Handhabungsprozesse; sie sind auch Voraussetzung für eine Anlieferung im Stockless-ModeVerfahren (siehe Abb. 5).

C KM

Im Mittelpunkt: der Patient

Durch den koordinierten Einsal/ von Standard-Sets entstehen Kosten- lind Zeiteffekte, die sich vorteilhaft auf Patient und Personal Vorlaufende O P

» Patiententransport zu Intensivstation

P a t i c n k u v o r b e m t u i i f i für O P (40-5» Min.) Kinlciliintts/i'il und AnscIilicMi-ii von Technik

2



.Herrichten OP-Siebe / Tische

Ε

Annesthcsievarbereitiing Patient

Abb. 5:

OP-Set

Abdecken

\

Abdeck-Set/

Patient

Anaesthesie-Set

Die Organisationsintegration des PLM-Konzepts wirkt sich bis weit in die Kerngeschäftsabläufe aus.

Insofern ist es zwingend erforderlich, Standardzirkel in einem Krankenhaus zu etablieren, um die Medikalproduktestruktur auf medizinische Bedarfsgerechtigkeit, Qualität und Wirtschaftlichkeit auszurichten. Die Standardisierung von Medizinprodukten muß konsequent orientiert sein am Einsatzzweck, an der Funktionalität sowie an der Produktqualität (Patientengerechtigkeit, Bedienerfreundlichkeit, Sicherheit; notified body). Aus dieser qualitätsgetriebenen Standardisierung resultieren zwangsläufig

Prozeßorientierte Logistik

31

Wirtschaftlichkeitseffekte. Straffung des Einkaufssortiments, geringere Lieferantenauftragsverwaltung: „Eine Bestellung - Eine Rechnung". c) Die logistische Dienstleistung als Wertschöpfungsaufgabe: Das Wertschöpfungsbeitragsprinzip steuert die Aufgabenverteilung im Logistikprozeß. Im Rahmen eines prozeßorientierten Logistikmanagements geht es auch darum, durch eine Aufgabenverteilung nach dem Prinzip der fallabschließenden Verantwortung zwischen Hersteller, Logistischem Dienstleister, Einkaufsabteilung und Nutzer (OP, Station) dafür zu sorgen, daß > bestimmte steuernde (Etikettieren) und operative (verbrauchsgerechtes Verpacken bereits beim Hersteller) Logistiktätigkeiten nur einmal in der gesamten Logistikkette ausgeführt werden; > bestimmte Tätigkeiten integriert durchgeführt werden (z.B. fallbezogenes Kommissionieren und einsatzgerechte Herrichtung), so daß das unmittelbar am Patienten arbeitende Personal von fachfremden Aufgaben entlastet wird (z.B. Zusammenbau von Kathetern durch den LDL). Der Logistische Dienstleister

Abb. 6:

Der LDL erfüllt wertschöpfende Aufgaben, durch die das Krankenhauspersonal entlastet wird.

32

Wilfried von Eiff

Der herstellerunabhängige LDL Der LDL entlastet die Logistikorganisation von Medizinprodukteherstellern und Krankenhaus (= Organisationsvorteile), ermöglicht eine anforderungsgerechte, herstellerunabhängige, globale Beschaffung, bringt Produktinnovationen verschiedener Hersteller zur Umsetzung, gibt Anstöße für Verhaltensänderungen (Kosten- und Verschwendungsbewußtsein) und trägt zu kalkulatorischer Transparenz bei. Prozeßorientierte Logistik Deutliche Kostensenkungen und patientenbezogene nur zu erreichen durch Set-Standardisierung in Verbindung mit einer des gesamten

^Entsorgun^ Geringerer « Zwischenlagerbedarf

Einfacherer Änderungsdienst

^ ^ ^ ^

v

Reduktion Verpackungsmüll

Reduktion Verschwendung

Reduziertes Lager

Herstellerkoordination reduziert

a m Verbrauchsort D i r e k t b e l i e f e r u nwi S f t r O P ; Station JS Ο kurze patientengebundene Rüstzeit kg Direktbelieferung Ο einfache beherrschte i ^ p O P ; Station ^ ^

Entfall Zentrallager

Abb. 7:

Τ

OReduktion Verpackungsmüll O k e i n e Verschwendung

F a l l z a h l s t e i g e r u n g bei gleicher K a p a z i t ä t

Prozess-Vorteils-Beziehungen in einer Krankenhaus-Logistikorganisation

Wichtig ist, daß operative Logistiktätigkeiten mit wertschöpfenden Aufgaben so verbunden werden (Produktkommissionierung und Zusammenbau von Kathetern zu eingriffsbezogenen Standard-Sets), daß das produktgebrauchende Personal (OP, Station) arbeitsmäßig entlastet wird. Damit wird deutlich, daß sich der prozeßorientierte Optimierungseffekt durch produkt- und einsatzbezogene Standardisierungen in Form von eingriffsbezogenen Sets oder durch Verzicht auf Produkte, deren Einsatznutzen bereits durch ein anderes, vorhandenes abgedeckt ist, weiter erhöhen läßt. Wenn der LDL anwendungsgerecht und fallbezogen kommissioniert wird, entfällt die Vorkommissionierung im krankenhauseigenen Lager sowie die Endkommissionierung im OP. Gleichzeitig übernimmt der LDL die herstellerneutrale Auswahl der für ein Set benötigten Einzelprodukte gemäß der krankenhausspezifischen Qualitätsvorgaben. Weitere Prozeß-Vorteils-Beziehungen sind in Abbildung 7 dargestellt.

Prozeßorientierte Logistik

Das Konzept aus aufeinander kontinuierlichen Krankenhauses. von Interesse:

33

der prozeßorientierten Logistik (POL) besteht darüber hinaus abgestimmten Bausteinen zur Organisation, Steuerung und Verbesserung der Ver- und Entsorgungsprozesse eines Dabei sind insbesondere fünf Gestaltungsbereiche der POL

1) die anforderungsgerechte und effiziente Anlieferung (Ziel: das einsatzfähige Produkt), 2) die effiziente und versorgungssichere Bedarfserkennung und Disposition (Ziel: kostenminimale Bestandssicherheit und Entlastung des Personals), 3) die effiziente, künden- und kostengerechte Sortimentsgestaltung (Ziel: Medikalprodukte-Standards), 4) die effiziente Adminstration der Versorgungsprozesse (Ziel: einfache und fehlersichere/fehlertolerante Abrechnung), 5) die wirkungsvolle Organisations-Entwicklung (Ziel: durch die Mitarbeiter akzeptierte, kontinuierliche Verbesserung von Produktstrukturen und Arbeitsprozessen rund um das Produkt). Entscheidende Kosten- und Organisationsvorteile lassen sich durch eine Continuous Replenishment Organization (= Wiederauffüllen der verbrauchten Medikaiprodukte) in Verbindung mit einem Category Management (= Bildung von Produktkategorien nach bestimmten Einsatzgebieten, Fallstrukturen oder Einsatzorten) erreichen (siehe Abbildung 8).

4

Trends und Perspektiven: Der strategische LeverageEffekt des POL-Konzepts

Zusammenfassend kann festgestellt werden, daß das Konzept der prozeßorientierten Logistik gegenüber den herkömmlichen Formen der funktionsorientierten Logistikorganisation mindestens 25% Rationalisierungsreserven mobilisieren kann; im wesentlichen durch die fallabschließende Aufgabenverteilung zwischen Hersteller, LDL und Kunde.

34

Wilfried von Eiff

CCM

Prozeßorientierte Logistik

Die Strategien und Oraanisaiiiinskon/epie hinter dem Ansät/, der IVcveliorientierien Logistik sind orientiert an der Werlschoplum^kelle. stellen Dienstleistungs/iele vor Produkl/iele und Ix'greilen die Verbesserung der Logisliüirgamsalion als Organisaiions-Hiiittiiklungspro/elt. ^ des-Kunden-

Center, Organisation

Λ

"Des" „ „ . . Prozeßziel

Effiziente Bedarfserkennung und Versorgung

i J

Cross Docking

Abb. 8:

Effiziente LogistikAdministration

Category Management

Der Logistikprozeß muß ganzheitlich gestaltet werden: isolierte Optimierungen sind keine „Wunderwaffe".

Das Konzept der prozeßorientierten

€KM

T r a n s a k t i o n s k o s t e n und X-InelTiciency sind die unsichtbaren Das Ziel: Die Logistikkosten senken und das am Patienten tätige von f a e h f r e m d e n A u f g a b e n

C

FunktionsorientierteN Logistik

Abb. 9:

/^Pro/«ßorientieirte~N

Die Nutzenwirkungen der prozeßorientierten Logistik

Prozeßorientierte Logistik

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Dabei ist der Logistische Dienstleister ... ... kein Outsourcing-Partner, der das Zentrallager übernimmt. Sondern: Die Leistungen (das „Produkt") eines LDL bestehen aus mindestens vier Komponenten: 1) operative Logistiktätigkeiten (Transport, Lager); 2) Dienstleistungen, die den Gebrauchswert eines Produkts erhöhen; z.B. • verbrauchsgerechte Kommissionierung von Produktgesamtheiten, • einsatzgerechte Herrichtung von Produktsystemen (z.B. montierte Katheter); 3) Organisationsleistungen zur Optimierung aller operativen und steuernden Tätigkeiten, die erforderlich sind, um benötigte Güter zeit-, verwendungsund entsorgungsgerecht an den Verbrauchsort zu transportieren; 4) innovative Beratungsleistungen zur ständigen Verbesserung (KAIZEN) des Güterbeschaffungs- und Gütereinsatzprozesses (Vorschläge für SetStücklisten; Austausch von Komponenten gegen preiswertere und qualitätsgerechtere Einzelprodukte). Unter diesem Blickwinkel wächst der LDL in die Rolle des „Category Chief' und wird damit zum unverzichtbaren Partner in Beschaffungskommissionen und Standardkonferenzen (Bereich: Medikaiprodukte und Dienstleistungen). Voraussetzungen dafür sind Produktneutralität und Herstellerunabhängigkeit. Damit erfährt die Logistik eine Neuausrichtung i.S. eines MehrwertManagements (Abbildung 10).

36

Wilfried von Eiff

Die Mehrwert-Kalkulation

€KM

Ein g a n z h e i t l i c h e s P r o d u k t a n g e b o t ist chrakterisiert durch K a l k u l a t i o n s b e s t a n d t e i l e , durch die

- d e r G e b r a u c h s n u t z e n g e s t e i g e r t wird, - d e r Organ i s t a t i o n s a u f w a n d sinkt Lind . e i n M e h r w e r t entsteht.

Medikal-Produkte

[|||Γ[ / • • •

mehrwerterzeugende intelligente Organisationsleistungen Einsatz- und Entsorgungsgerechte sowie verbrauchsentsprechende Verpackung

~

+

produktgebrauchswerterhöhende Dienstleistungen

=

Organisationsinnovation

Abb. 10:

Medikal-Produkte für bestimmte Einsätze Category Management (KVP der Organisation; einsatzgerecht standardisiertes Operations-Set Prozeßorganisation: von der Standardisierung) bis zur Entsorgung des gebrauchten Produkts endverbrauchergerechte Bedarfserkennung

f

entsorgungsfreundliche Mengen und Packungsgrößen Materialien durchgängige Steuerungsorganisation vom Hersteller bis zum Einsatzort (OP; Station; ICU;..,) einsatzgerechte Kommissionierung beim Hersteller {oder einem LDL) Minimierung Lagerhaltungsservice. innerbetrieblicher Transport. Verpackungshandhabung.

Problemlösung« -Μ ehrwert

Der Kunde benötigt kein Produkt, sondern erwartet die Lösung seines Problems.

Im Bereich von Einkauf und Logistik werden sich Arbeitsweisen, Managementverständnis und Zielrichtung in Zukunft grundlegend wandeln. In Zukunft wird es insbesondere zwei Aktivitätsschwerpunkte des Einkaufsund Logistikmanagement geben: 1) Integration von externen Lieferanten und Dienstleistern in die eigene Krankenhausorganisation (=Aufbau korrespondierender Organisationen); 2) Standardisierung von Produkten, Verfahrenstechniken und Organisationsprozessen; wobei an dieser Stelle eindeutig festzustellen ist, daß Standardisierung kein kundenfeindlicher Akt ist, der sich negativ auf Ergebnisqualität und Marktakzeptanz auswirkt. Standardisierung ist keine Methode, um vordergründig Kosten zu senken. Standardisierung ist das Ergebnis einer technisch und marketingmäßig abgesicherten Innovationsleistung, die die Ziele der Qualitätssicherung und der Kostensenkung kundengerecht miteinander verbindet, (siehe Abbildung 11)

Prozeßorientierte Logistik

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Einkaufs- und Logistikmanagement

Gegenseitiger Beeinflussungsgrad der Wertschöpfüngspartner

Management-Sharing

Organisatorischer Integrationsgrad der Wertschöpfungspartner

Abb. 11:

Einkaufs- und Logistikmanagement

Die Einkaufs- und Logistikfunktion wandelt sich: • •



• •

Weg vom preis- und konditionenorientiertem Einkauf von Produkten hin zur Beschaffung von Problemlösungen rund um das Produkt. Dazu gehört auch die gemeinsame Optimierung der Wertschöpfungskette zwischen Herstellern und Kunden auf der Grundlage des POL-Konzepts: Vereinbarungsorientierte Logistikorganisation, Versorgung nach dem Continuous Replenishment System, Bezahlung nach Verbrauch. Das wichtigste Merkmal dieses auf Kundennutzen ausgerichteten Logistikkonzepts besteht in der gemeinsamen Durchführung von K V P Programmen zur kontinuierlichen Verbesserung von Arbeitsprozessen, aber insbesondere zur Weiterentwicklung der Organisation von Parametern zur Prozeßsteuerung (Zieh-Prinzip, Dienstleistungs-Push-Prinzip, in Kombination mit Produkt-/Pull-Prinzip), sowie der Computer-Computer-Kommunikation und der Integration von Organisationsabläufen zwischen Hersteller und Kunde. Informationsvernetzung auf Basis von EDI, ΕΑΝ-Codierung, Computer Assisted Ordering zur Vereinfachung und zeitnahen Steuerung aller produktbegleitenden Administrations-, Bestell-, Rechnungslegungs- und Versandabwicklungsprozesse. Voraussetzung ist die Standardisierung der Abrechnungs- und Bestellprozeduren zwischen Krankenhaus und L D L und den LDL-seitig aktivierten Herstellern.

38

Wilfried von Eiff



Category Management und Reorganisation des Einkaufs (keine lieferantenbezogene Zuständigkeit, sondern Produktsysteme in Verbindung mit problemlösenden Organisationsabläufen als Einkaufsobjekt!). • Einführung der Center-Organisation im Krankenhaus. Überhaupt müssen Krankenhäuser und die sie versorgenden Unternehmen der Medizinindustrie noch lernen, daß die Logistikorganisation eine der wichtigsten Gestaltungsformen für eine kundenorientierte Organisation bietet. Durch Logistikintegration wird das Ziel der langfristigen Kundenbindung nachhaltiger erreicht, wie durch jede andere Maßnahme aus dem klassischen Instrumentenkasten von Marketing und Werbung. • Unterschätzt wird vor wie nach das Problem der „korrespondierenden Organisationen"; ohne diese Form der Organisationsintegration sind die Transaktionskosten nicht entscheidend zu senken. Das Konzept der prozeßorientierten Logistik bringt eine Reihe von organisations-, kosten-, qualitäts- und kundenwirksamen Vorteilen: > Vorteile im Bereich der Logistik, des Transports, der Bevorratung und des Umschlags. > Vorteile durch „Team"-Arbeit zwischen Hersteller, LDL und Krankenhaus, indem Transparenz über Aufwand, Kosten und Einsparpotentiale hergestellt wird. > Dies ist die Grundlage eines WIN-WIN-Managements, denn eine saubere Datenbasis ermöglicht sachliche Verhandlungen über die faire Vergütung von produktergänzenden Dienstleistungen durch Hersteller oder LDL. Prof. Dr. Dr. Wilfried von Eiff Industrie- und Krankenhaus-Management Münster Geschäftsführer der CKM GmbH Centrum für Krankenhaus-Management Fliednerstraße 21 D-48149 Münster Telefon 0251/83-31440

Die Merkmale des prozeßorientierten Logistik-Managements

(1)

Das „Kunde-des-Kunden"-Prinzip: Der wirkliche Kundennutzen als Produkt- und Dienstleistungsfokus

(2)

Das System-Ziel als Effizienzmeßlatte: Die verkaufte Problemlösung und das verkaufte Produkt pro Zeiteinheit

Prozeßorientierte Logistik

(3)

Aktiver Verkauf und proaktives Marketing

(4)

Der Leading Customer als Innovationspartner

(5)

Die Hebelwirkungen der kundengerechten und komplexitätsreduzierenden Standardisierung strategisch und organisatorisch nutzen.

(6)

Das Prinzip der korrespondierenden Organisationen

(7)

Durch Prozeßorientierte Wirtschaftlichkeit (^Prozeß-VorteilsRechnung) die verborgenen Rationalisierungsreserven transparent machen.

(8)

Den gesamten Geschäftsprozeß nach dem Kunden-LieferantenPrinzip auslegen

(9)

Fallabschließende Verantwortung und Center-Organisation als Steuerungs- und Organisationsprinzipien

(10) Die vierte Qualifikationsdimension mobilisieren: Problemlösungsfähigkeit, Sozialkompetenz, Kommunikationsfähigkeit, Geschäftsprozeßkenntnis

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Stephan Α. Friedrich

Die Zeiten ändern sich und das Desinvestieren ändert sich mit ihnen: Zu Bedeutung und Bedeutungswandel der Desinvestition

Desinvestition, praktische Relevanz, Desinvestitionsziele, Diversifikation, Fokussierung, Systemverbesserung, Systemveränderung

Zusammenfassung Desinvestitionen erfüllen keinen Selbstzweck, sondern dienen als Mittel und/oder Voraussetzung dem unternehmerischen Wandel. Damit sind sie durch die Vorstellungen geprägt, welche der Ausrichtung der Unternehmen zugrunde liegen. Vor dem Hintergrund der im Zeitablauf feststellbaren, dramatischen Kurswechsel vollzieht sich eine Evolution der Desinvestition - so die zentrale Aussage des vorliegenden Beitrags. Zunächst weisen die Ausführungen nach, daß die Desinvestition nicht allein eine "Maßnahme unserer" Zeit darstellt, wie bisweilen behauptet. Eine genauere Analyse identifiziert verschiedene Desinvestitionsszenarien und macht die im Zeitverlauf wechselnden Rollen der Desinvestition deutlich. Insgesamt verhelfen die Ausführungen zu einem differenzierteren Bild des Desinvestitionsphänomens und tragen so dazu bei, Wesen und Nutzen dieser Maßnahme aufzuhellen.

42

Stephan Α. Friedrich

Inhaltsübersicht 1

Einleitung

2

Desinvestition - nur eine Maßnahme unserer Zeit?

3 3.1 3.2

Ein Blick hinter die Zahlen Jede Zeit hat ihre Desinvestition Zur Evolution der Desinvestition: Von der "ultima ratio" zum "strategischen Rückzug"

4 4.1 4.2

Implikationen für Managementpraxis und Strategieforschung Das Desinvestieren der Zeit und den Umständen anpassen Der "Scope of the Firm" als immer neue Herausforderung für die "Scientific Community"

Vertrauen ist für alle Unternehmungen das große Betriebskapital, ohne welches kein nützliches Werk auskommen kann. Es schafft auf allen Gebieten die Bedingungen gedeihlichen Geschehens. Albert Schweitzer

1

Einleitung

"Sind wir nicht denen, die uns die Mittel zu unserer Belehrung verschaffen, eine gleiche Dankbarkeit schuldig wie denen, die uns das Leben gegeben haben?" Das fragt Friedrich der Große in einem Brief an Voltaire. Für das Viele, von dem ich in den zurückliegenden Jahren, auch über Fachliches hinaus, profitieren durfte, ist es mir Anliegen und Freude zugleich meinem verehrten akademischen Lehrer und Doktorvater zum anstehenden Jubiläum zu gratulieren und in Form eines Beitrags zu vorliegender Festschrift auf das herzlichste Dank zu sagen. Mit Bedeutung und Bedeutungswandel der Desinvestition möchte ich eine Fragestellung aus einem Forschungsfeld aufgreifen, welches neben so manch anderem (wie etwa Wertschöpfungspartnerschaften, Kernkompetenzen, Restrukturierung oder Leadership) unseren gemeinsamen Weg in besonderer Weise prägt (vgl. hierzu u.a. Friedrich/Hinterhuber 1994a; 1994b; Hinterhuber/Friedrich 1995; Hinterhuber 1995; Hinterhuber/Friedrich 1997; Friedrich 1998). Warum trennen sich Unternehmen von Geschäftsfeldern ( - Desinvestition)? Ist dies erst in jüngerer Vergangenheit in stärkerem Maße der Fall? Wird

Bedeutung und Bedeutungswandel der Desinvestition

43

die Entscheidung stets von den gleichen Motiven geleitet oder läßt sich hier eine systematische Entwicklung erkennen? Wenn ja, welche? Interessante Fragestellungen, mit denen man sich bislang noch wenig beschäftigt hat. Als Ausgangspunkt unserer Ausführungen wählen wir aktuelle Statistiken. Auf ihrer Grundlage wird zunächst geprüft, ob Desinvestitionen tatsächlich ein neues Phänomen darstellen. Häufigkeit und zeitliche Verteilung werfen alsdann die Frage auf: "Gibt es für bestimmte Zeitabschnitte so etwas wie typische Desinvestitionen?" Ein Aspekt, dem wir uns im folgenden zuwenden. Ziel ist es, verschiedene Desinvestitionsszenarien zu identifizieren, auf deren Basis es schließlich gelingt, die Entwicklungsschritte greifbar zu machen, welche die Desinvestition im Zeitverlauf durchlebt und sie zu dem werden läßt, was sie heute darstellt. Mit Implikationen für Forschung und Praxis enden die Ausführungen.

2

Desinvestition - nur eine Maßnahme unserer Zeit?

Wer die Wirtschaftsberichterstattung verfolgt, dem fällt auf, daß ein Thema die letzten Jahre besonders beherrscht: die Rede ist von Restrukturierung (vgl. Bowman/Singh 1990; Gressle 1990). Glaubt man den Aussagen, hat man seitens der Praxis nun den "Ernst der Lage erkannt". Darauf deutet zumindest die offensichtlich gestiegene Bereitschaft hin, durch einschneidende Maßnahmen auf eine Wiederherstellung der Wettbewerbsfähigkeit hinzuwirken - wenn auch beileibe nicht immer mit dem erhofften Erfolg; aber das ist ein anderes Thema (kritisch zur Restrukturierung vgl. Friedrich/Hinterhuber 1998). Im Zuge dieser Bestrebungen gewinnt die Desinvestition an Beachtung. Mit ihr scheint ein probates Mittel gefunden, sich schnell und zudem gut sichtbar, in Richtung des propagierten "Leaner and Meaner" zu entwickeln, wird die Desinvestition gar zu einem Sinnbild dieser Bewegung. Für so manchen Grund genug, Teile der 80er und 90er Jahre als Dekade der Desinvestition in die Geschichte eingehen zu lassen. Wie dem auch sei, Fakt ist, daß Desinvestitionen in den vergangenen Jahren in großer Zahl auftreten. Gilt deshalb auch die Umkehrung, derzufolge Desinvestitionen nur eine Maßnahme unserer Zeit sind? Dieser Eindruck wird nicht zuletzt dadurch erweckt, daß so mancher um der Aktualität des eigenen Beitrags willen die Desinvestition per se als etwas Neues "verkauft". Doch das ist kaum nötig, fördert eine eingehendere Beschäftigung mit der Thematik durchaus Aspekte zutage, die zurecht als neu herauszustellen sind. Aber der Reihe nach. Wenden wir uns zunächst dem Ausmaß der Desinvestitionsaktivitäten zu. Um deren Neuigkeitscharakter zu beurteilen, genügt ein Blick in die Statistik. Geht man davon aus, daß jedem Kaufvorgang zwangs-

44

Stephan Α. Friedrich

läufig ein Verkauf gegenübersteht, liegt es nahe, aus der Gesamtzahl der erfaßten Unternehmenstransaktionen direkt auf die Bedeutung des Desinvestitionsphänomens zu schließen. Dies führt jedoch in dem Maße zu Fehleinschätzungen, wie es sich bei den Transaktionsobjekten um vormals eigenständige Unternehmen handelt und nicht um solche, die Teil eines anderen Unternehmens waren. Demnach besitzen allein diejenigen Quellen Aussagekraft, die letztgenannte Vorgänge gesondert ausweisen, wie sie derzeit allerdings nur für die Verhältnisse in den USA - etwa in Form des Mergerstat Review 1 vorliegen. Eine Rezeption der Erkenntnisse scheint in diesem Falle möglich angesichts der Tatsache, daß westliche Industrienationen im Grunde die gleichen Entwicklungsstufen durchleben, wenn auch z.T. zeitlich etwas versetzt und nicht immer in der gleichen Intensität. Betrachtet man nun das vorliegende Zahlenmaterial, weisen die Desinvestitionen Anfang der 70er Jahre ein Maximum auf. Zeitweise machen sie über 50% der Gesamtzahl der Transaktionen aus, gleichbedeutend mit der Aussage, daß mehr als die Hälfte der insgesamt erfaßten Transaktionen aus einem Abstoßen von Unternehmensteilen resultiert. Verringert sich ihre Zahl in der Folge, kommt es Mitte der 80er Jahre zu einem erneuten Hoch. Während der 90er Jahre verbleiben die Desinvestitionen auf einem hohen, absoluten Niveau, wobei ihr relativer Anteil angesichts stark ansteigender Transaktionszahlen zuletzt etwas absinkt (Abbildungen 1 und 2). Somit erkennen wir, Desinvestitionen stellen an sich kein neues Phänomen dar. Obwohl längst nicht immer klar zum Ausdruck gebracht, überrascht dieses Ergebnis keineswegs. Dahinter verbirgt sich das zwischen Aufbau und Abbau bestehende Junktim (vgl. Friedrich 1998; Grün/Risak 1985), auf das gleichsam Schumpeter hinweist, wenn er die "kreative Destruktion" als treibende Kraft an den Anfang jeglichen Fortschritts stellt (vgl. Schumpeter 1980). Für eine gewisse Überraschung sorgt indes die Tatsache, daß Desinvestitionen trotz ihrer enormen Bedeutung lange auf kein nennenswertes Interesse stoßen. Bedeutung und Beachtung fallen auseinander und erst im Zuge des "Corporate Restructuring" der 80er Jahre nähert sich beides an. Die Tradition der Desinvestition erklärt allerdings noch nicht die im Zeitverlauf wechselnde Intensität, mit der man sich dieser Maßnahme bedient: "Warum treffen wir auf Phasen hoher und Phasen niedriger Desinvestitionsaktivität?" Weiter ist zu fragen: "Wiederholt sich von Zeit zu Zeit das gleiche oder resultieren die Hochphasen aus unterschiedlichen Konstellationen?" Um darüber mehr zu erfahren, wollen wir nochmals einen genaueren Blick auf und schließlich hinter die Zahlen werfen.

Bedeutung und Bedeutungswandel der Desinvestition

45

Anzahl

Jahr

Abb. 1:

Anzahl der Desinvestitionen in den USA, Zeitraum Mergerstat Review)

1965-1995 (Quelle:

Anteil in %

Jahr Abb. 2:

Anteil der Desinvestitionen an den Gesamttransaktionen in den USA, Zeitraum 1965-1995 (Quelle: Mergerstat Review)

46

Stephan Α. Friedrich

3

Ein Blick hinter die Zahlen

3.1

Jede Zeit hat ihre Desinvestition

Legt man den Entwicklungszyklus der Gesamttransaktionen über denjenigen der Desinvestitionen (Abbildung 3), ergeben sich erste Anhaltspunkte. Auf dem Höhepunkt der Zusammenschlußwelle zu Beginn der 70er Jahre resultieren lediglich 13% der Transaktionen aus Desinvestitionen. Der Großteil der Transaktionen rekrutiert sich aus der Übernahme vormals selbständiger Unternehmen. Absolut gesehen, erreichen die Desinvestitionen erst zwei Jahre später, bezogen auf deren relativen Anteil an den Gesamttransaktionen erst sechs Jahre später, ein Maximum. Anders stellt sich der Zusammenhang im Verlauf der 80er Jahre dar. Beide Kurven beschreiben eine gleichförmige Entwicklung und erreichen nahezu zeitgleich ihre Hochpunkte. Abweichend von der Situation in den 70er Jahren tragen Desinvestitionen nunmehr originär und mit bis zu 50% in wesentlichem Umfang zum Transaktionshoch bei. Ein ähnliches Bild zeichnen die 90er Jahre, wobei bis zur Mitte der Dekade beide Größen im Steigen begriffen sind. Anzahl

'65 '67 '69 '71 73 '75 '77 '79 '81 '83 '85 '87 '89 '91 '93 '95 Jahr Abb. 3:

Anzahl der Desinvestitionen und der Transaktionen insgesamt in den USA, Zeitraum 1965-1995 (Quelle: Mergerstat Review)

Welche Schlüsse läßt dies zu? Das Ganze wird deutlicher, bezieht man den jeweiligen Kontext mit in die Betrachtung ein. Die 70er Jahre beherrscht ein

Bedeutung und Bedeutungswandel der Desinvestition

47

Wachstumsdenken. Größe gilt als erstrebenswert ("Bigness-Complex"). Hierzu forciert man Diversifikation, die gleichsam gegenüber lokale Einbrüche immunisiert. Diese Grundausrichtung wird durch die auftretenden Desinvestitionen nicht gestört. Ganz im Gegenteil, arbeiten sie nicht gegen, sondern letztlich für den Diversifikationsgedanken. Die Vorgänge lassen sich durch ein "Acquiring at Wholesale and Selling at Retail" recht gut wiedergeben. Die signifikante Zunahme der Desinvestitionen liegt in der vorangegangenen Akquisitionstätigkeit begründet, so daß Diversifikation und Desinvestition in "Tateinheit" zu sehen sind. Die typische Desinvestition ist zum einen darauf gerichtet, miterworbene Teile wieder abzustoßen, sei es aufgrund fehlender Bedeutung, sei es um neues Wachstum zu finanzieren. Zum anderen sortiert man einzelne "Bad Acquisitions" aus, um diese postwendend durch bessere zu ersetzen. Insofern bleiben Desinvestitionen trotz ihres massiven Auftretens lediglich Begleiterscheinungen einer im Grunde expansiven Entwicklung. Anders stellen sich die Zusammenhänge in den 80er Jahren dar. Sie sind vor dem Hintergrund eines wachsenden Drucks zu sehen, den Güter- und Kapitalmärkte auf die Unternehmen ausüben. Wandelnde Kundenbedürfnisse, Rückgang der Massenkaufkraft und ein brutaler, jetzt auch globaler Wettbewerb lassen die Unternehmen in schwieriges Fahrwasser geraten. Neu hinzu kommt ein zunehmend aktiver Market for Corporate Control. Dieser verschafft Aktionärsinteressen neues Gewicht und rückt den Unternehmenswert als Zielgröße in den Mittelpunkt. Dem Motto folgend "do onto yourself before others do" ist man bemüht, den Spalt zu schließen, der sich zwischen derzeitigem und einem von dritter Seite aus veranschlagten, höheren, potentiellen Wert auftut (vgl. Young/Sutcliffe 1990); das in der Hoffnung, drohenden Übernahmen den Boden zu entziehen (vgl. Fruhan 1988), denn von C. Icahn, einem seinerzeit berüchtigten Corporate Raider wissen wir: "Managements I won't touch are those operating their companies at close at their true value."

So geht es zunächst darum, die Wertzerstörer in den Portfolios zu eliminieren. Gleichzeitig wächst das Mißtrauen in die Leistungsfähigkeit breit diversifizierter Unternehmen, welches über ein "Rethinking Diversification" schließlich in eine Refokussierungs-Welle mündet (vgl. etwa Bhagat/Shleifer/Vishney 1990; Bhide 1990; Comment 1989; Magnet 1987; Markides 1993; zusammenfassend Johnson 1996). Sieht so mancher in der Diversifikation statt der erhofften Bestandsgarantie nunmehr eine Bestandsgefährdung, revidiert man den bisherigen Kurs und bewegt sich diametral. Ziel ist es, die Anzahl der Geschäfte zu verringern und - wenn überhaupt - lediglich "Related-Diversification" zu betreiben (vgl. dazu die Befragungsergebnisse bei Stieglitz 1985). Dem liegt die weithin geteilte Auffassung zugrunde, daß allein die enge (marktliche) Verbundenheit solche Verknüpfungen in den Werteketten der einzelnen Geschäfte möglich macht, die letztlich den Nutzen

48

Stephan Α. Friedrich

der Diversifikation begründen 2 - wenngleich die empirische Bestätigung dieser Hypothese aussteht (vgl. Grant/Thomas 1988; Datta/Rajagopalan/Rasheed 1991; zusammenfassend Ramanujan/Varadarajan 1989; siehe auch Schüle 1992). Schließlich ist der Faktor "Mode" nicht ganz ohne Bedeutung, gelten mittlerweile diejenigen CEOs, die es versäumen, im Sinne eines "Stick to the Knitting" (vgl. Peters/Waterman 1982) ein, zwei Geschäfte abzustoßen, ähnlich weit ihrer Zeit hinterher wie jene, die in der zurückliegenden Dekade nicht fleißig Akquisitionen tätigten. Damit führen wir die im Laufe der 80er Jahre stärker einsetzenden Desinvestitionen im wesentlichen also auf einen Einstellungswandel gegenüber der Diversifikation zurück. Dies läßt sich in unterschiedlicher Weise belegen. Einer Studie von Porter (1987) zufolge haben mehr als die Hälfte der in den Jahren 1950-1986 realisierten Diversifikationen zwischenzeitlich aufgehört zu existieren. Für uns deuten die Zahlen auf mehr als nur auf eine hohe Mißerfolgsquote der Diversifikation hin. Wäre es (allein) das, bleibt unerklärt, warum von 434 in den Jahren 1962-1969 vorgenommenen Akquisitionen 1982 immerhin noch über 76% Bestand haben, wie dies die Nachforschungen von Montgomery/Wilson (1988) offenbaren. Offensichtliche Fehlakquisitionen hätte man zwischenzeitlich wohl längst korrigiert. Das Ganze scheint uns vielmehr Anzeichen für eine grundsätzliche Kurskorrektur zu sein. Mit anderen Worten: Zwischen der Akquisitionswelle der 70er Jahre und den Desinvestitionen der 80er Jahre sehen wir keinen unmittelbaren Zusammenhang in dem Sinne, daß nun auf breiter Front ein Ausmerzen von "Bad Acquisitions" stattfindet. Unterstützung erfährt diese Einschätzung durch die Untersuchungen über die Veränderungen des Diversifikationsgrades. Zahlreiche Studien weisen mit Beginn der 20er Jahre einen Trend in Richtung Diversifikation nach. So zeigt Rumelt (1974), daß bei den 500 größten amerikanischen Unternehmen der Anteil der Einproduktunternehmen von 34,5% im Jahre 1949 auf 6,2% im Jahre 1969 absinkt. Waren 1949 nur 3,4% der untersuchten Unternehmen in mehreren nicht verwandten Geschäften ("Unrelated Business") bzw. 26,7% in mehreren verwandten Geschäften ("Related Business") engagiert, steigt deren Anteil bis 1969 auf 19,4% bzw. 45,2% drastisch an. Folgeuntersuchungen bestätigen diese Entwicklung bis in die 80er Jahre (vgl. Rumelt 1982; Mariotti/Ricotta 1987), die sich gleichsam für die anderen westlichen Industrienationen nachweisen läßt (vgl. zusammenfassend Ganz 1991, S. 56ff.). Neuere Untersuchungen deuten indes auf einen Trendbruch hin. So stellt Schwalbach (1987) bereits für den Zeitraum 1970-1980 bei 284 deutschen AGs fest, daß sich die Tendenz zur Diversifizierung abschwächt und sich eine Konsolidierung ankündigt. Deutlicher wird eine 1990 für den amerikanischen Raum vorgelegte Studie (vgl. Lichtenberg 1990). Auf der Basis von 17.000 unter-

Bedeutung und Bedeutungswandel der Desinvestition

49

suchten Betrieben kommt diese zu dem Ergebnis, daß sich im Zeitraum 19851989 die Anzahl der Branchen, in denen ein Unternehmen durchschnittlich tätig ist, um 14% verringert. Gleichsam ist ein Rückgang der hoch diversifizierten Unternehmen um 37% zu verzeichnen, während sich die Anzahl der Einproduktunternehmen signifikant erhöht. Im Laufe der 90er Jahre löst ein neues Denken mehr und mehr das klassische Restrukturieren ab, womit auch die Desinvestition eine neue Sinngebung erhält. Dahinter verbirgt sich die Erkenntnis, daß es auf Dauer kaum ausreicht, das System durch ein Verbessern und Verkleinern ("Right"- bzw. "Down-Sizing") zu erhalten, denn nichts anderes stellt im Grunde Restrukturierung dar. Ein Arbeiten am System tritt nun an die Stelle des Arbeitens im System. Demnach geht es nicht mehr darum, das bekannte Spiel besser zu spielen, sondern neue Regeln oder gleich das ganze Spiel neu zu erfinden, um so durch Wachstum und nicht durch ein Verringern des Ressourceneinsatzes die Rendite zu steigern (vgl. Hamel/Prahalad 1995, S. 19ff.; Hinterhuber/Friedrich/Krauthammer 1997). Damit einher geht sowohl ein gewandeltes Verhältnis zur als auch ein geändertes Verständnis der Diversifikation. Man wird sich der Gefahren bewußt, welche ein rigides "Stick to the Knitting" in sich birgt (vgl. Connell 1993). Immerfort nur das zu tun, was man am besten kann, mag in stabilen Umwelten ausreichen. In turbulenten Zeiten ist es gefährlich, denn es bedeutet letztlich Stillstand und Stillstand ist kein Überlebenskonzept. Darauf weist früh schon Leontiades (1986, S. 81) mit den Worten hin: "The risk in diversifying into new business in some situations is less than the risk of standing still."

So gewinnt die Diversifikation wieder an Ansehen und Bedeutung (vgl. dazu die Untersuchungen der Boston Consulting Group 1996; zusammenfassend Nölting 1996), wenn auch unter anderen Vorzeichen. Neu ist die Überlegung, vorhandene Kernkompetenzen zu exploitieren und auf dem Weg des Übertragens neue Märkte zu erfinden (vgl. Hamel/Prahlad 1990; 1995; Very 1993, Friedrich/Hinterhuber 1995) oder aber seine Geschäfte um eine gemeinsame, dominante Führungslogik zu gruppieren (vgl. hierzu Bettis/Prahalad 1995). Rein äußerlich betrachtet mag gegenüber den diversifizierten Unternehmen der 70er und 80er Jahre kaum ein Unterschied bestehen. Dennoch folgen die Unternehmen einer ganz anderen Philosophie. Dabei läuft die Welle der Diversifikation nicht unbedingt dem Spezialisierungsgedanken entgegen, sondern stellt in gewisser Weise dessen Fortsetzung dar. Defensive Fokussierung in Form einer Konzentration auf das Kerngeschäft wird nun durch "offensive" Spezialisierung, etwa im Sinne einer Konzentration auf die Kernkompetenzen ersetzt, was den Unternehmen ermöglicht, zugleich diversifiziert und doch spezialisiert zu sein (vgl. Hinterhuber/Friedrich 1997, S. 1009).

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Stephan Α. Friedrich

Die in den 90er Jahren zeitgleich ansteigenden Transaktions- und Desinvestitionszahlen zeigen rege Umbauarbeiten an und lassen sich als Indiz für den angesprochenen Paradigmenwechsel werten. In das Bild paßt gleichsam der signifikante, wertmäßige Anstieg der Desinvestitionen. So machen bspw. 1994 Desinvestitionen in einer Größenordnung von über $ 100 Mio. immerhin 40% der Gesamtzahl aus und selbst die Milliardenschwelle wird immer öfter überschritten. Offensichtlich stehen nicht mehr nur relativ unbedeutende Randaktivitäten, sondern auch "Major Units" zur Disposition. Das alles deutet auf eine neue Rolle der Desinvestition hin. Als Mittel und Voraussetzung tragen sie entscheidend dazu bei, daß Unternehmen den Weg in ihre Zukunft finden (Tabelle 1). Tabelle 1: Jede Zeit hat ihre Desinvestition

zentrales Thema

70er Jahre

80er Jahre

90er Jahre

die "typische" Desinvestition

vorherrschende Desinvestitionsziele

Diversifikation ("Bigness-Complex")

Desinvestition als Begleit- Wachstumsfinanzierung/ erscheinung des Diversifi- Ersetzen von "Bad Acquikationsstrebens sitions"

Restrukturierung/ Systemverbesserung

Desinvestition als Mittel zum Rückbau (=Weg zum Ziel)

Elimination von Wertzerstörern/Fokussierung ("Stick to the Knitting")

Aufbruch in die Veränderung: neue Möglichkeiten entdecken, Spielregeln modifizieren

Desinvestition als Mittel und Voraussetzung für die Neuausrichtung/Neuschöpfung (=Umweg zum Ziel)

Aufbau von führenden Positionen in anderen Bereichen ("strategischer Rückzug")

Festzuhalten bleibt: •

• •

Lassen wir die letzten Jahre nochmals Revue passieren, weisen "Corporate-America" und daran angelehnt auch "Corporate-Europe" dramatische Kurswechsel auf. Desinvestitionen spielen nicht nur zu jedem Zeitpunkt eine Rolle, sondern machen stellenweise die Kurswechsel erst möglich. Ist grundsätzlich in jeder Phase alles denkbar, gibt es doch so etwas wie die jeweils typische Desinvestition.

Bedeutung und Bedeutungswandel der Desinvestition

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In den 70er Jahren sind Desinvestition und Diversifikation als Einheit zu betrachten. Die Desinvestitionen liegen in der Akquisitionstätigkeit begründet, arbeiten aber nicht gegen, sondern letztlich für den vorherrschenden Diversifikationsgedanken. • Die typische Desinvestition der 80er Jahre ist auf Systemverbesserung gerichtet. In erster Linie geht es im Sinne eines "Return to Corporate Specialization" (vgl. Bhagat/Shleifer/Vishny 1990) darum, den "Scope of the Firm" zu verkleinern. Die große Beachtung, welche den Desinvestitionen nun zuteil wird, liegt wohl darin begründet, daß sie diesmal unmittelbar den Kurswechsel herbeiführen. Sie stellen die einzige Möglichkeit dar, geschehene Diversifikation rückgängig zu machen und senden nun die richtigen Signale in Richtung "Financial Community" (zum Zusammenhang zwischen Marktwert und Fokussierung vgl. Markides 1990; 1992; Comment/Jarrell 1992). • Vor diesem Hintergrund wird für uns deutlich, daß die Akquisitionswelle der 70er Jahre nicht mit den Desinvestitionen der 80er Jahre in unmittelbarem Zusammenhang stehen. • Die 90er Jahre lösen den einfallslosen Rückbau durch ein offensiveres Vorgehen ab. Im Zuge des Aufbruchs in die Veränderung sind Desinvestitionen integrale Bestandteile der nun einsetzenden Neuausrichtungen und Neuschöpfungen.

3.2

Zur Evolution der Desinvestition: Von der "ultima ratio" zum "strategischen Rückzug"

Vorstehende Ausführungen präsentieren die Desinvestition als ein recht flexibles Instrument, welches sich im Dienst unterschiedlicher Zielsetzungen (bspw. Systemverbesserung/Systemveränderung bzw. Schrumpfung/Konsolidierung/Wachstum) nützlich erweist. Die aufgezeigten Szenarien deuten zugleich auf eine Evolution der Desinvestition hin. Es entsteht ein Bild, das durchaus Überschneidungen mit dem aufweist, welches andere empirische Arbeiten (etwa zu den Desinvestitionsmotiven) liefern (vgl. bspw. Duhaime/Patton 1980; Duhaime/Grant 1984; Montgomery/Thomas 1988; Hamilton/Chow 1993; siehe auch Dohm 1989). Allem Anschein nach vollzieht sich dabei ein Wesenswandel, wie ihn in so mancher Hinsicht die präskriptiv/praxeologisch ausgerichtete Desinvestitionsliteratur schon seit längerem postuliert (vgl. für viele Hilton 1972; Taylor 1988; Markides/Berg 1992): •

Von der irregulären zur regulären Maßnahme: Gilt die Desinvestition lange als etwas außergewöhnliches, gar krisenhaftes ("Last Ditch Solution"), erkennt man ihr nun mehr und mehr den Status einer normalen, systemimmanenten Anpassungshandlung zu.

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Von der finanziellen zur strategischen Option: die Bedeutung der Desinvestition als Weg der Mittelbeschaffung nimmt ab. Dagegen lernt man sie zusehends als Option zur strategischen Ausrichtung schätzen. • Von der geschäftsfeld- zur unternehmensbezogenen Sichtweise: Bleibt mittlerweile die Desinvestition längst nicht mehr auf Lahme und Kranke beschränkt, scheint heute für ihren Einsatz weniger die Situation des einzelnen Geschäftes ("Business Level") als vielmehr diejenige des Unternehmens insgesamt ("Corporate Level") ausschlaggebend. • Von der defensiven Anpassung zum proaktiven Verändern: In der Vergangenheit bedarf es für gewöhnlich erst massiver Verluste, bevor man die weitere Mittelbindung in diesem Geschäft ernsthaft hinterfragt. In der Folgezeit reichen bereits zusätzlich sich abzeichnende Investitionserfordernisse aus, um ein Geschäft in Frage zu stellen. Heute diskutiert man auch ohne solche Gründe, allein aufgrund eines Opportunitätsdenkens, in immer kürzeren Abständen die Sinnfrage. Damit konstatieren wir eine Bewegung auf etwas hin, das wir an anderer Stelle mit "strategischem Rückzug" umschreiben. Dieser ist - in Abgrenzung zu taktischen Rückzugsoperationen - grundsätzlich positiv qualifiziert (vgl. Friedrich/Hinterhuber 1994a; 1994b; Hinterhuber/Friedrich 1995, S. 289). Er ist Umweg zum Ziel. Sein Sinn steht und fällt mit der Voraussetzung, daß die Aufgabe bestimmter Tätigkeiten den Aufbau führender Wettbewerbspositionen in anderen Bereichen unterstützt. Dahinter verbirgt sich eine geistige Einstellung. Für denjenigen, der diese verinnerlicht, ist keine Investition, mag sie auch den derzeitigen Kerngeschäften der Unternehmung dienen, unverzichtbar und muß sich stets vor Alternativen neu rechtfertigen. Insgesamt vermitteln die Ausführungen dem Leser einen ersten Eindruck von der Evolution der Desinvestition. Man erkennt die Desinvestition als ein vielschichtiges Phänomen. Als solches erfordert und verdient sie eine differenzierte Betrachtung. Doch zu oft legt man sie - etwa als "Antidote to Merger Mania" (vgl. Chastain 1987) - auf eine bestimmte Ära fest. Das impliziert den Fehler, das Phänomen als Ganzes mit einer bloßen Momentaufnahme im Strom der Ideen gleichzusetzen. So wird man (a) ihrem Wesen nicht gerecht und verbaut (b) der Desinvestition die Chance auf Entwicklung und damit den Unternehmen den Zugang zu einer für ihre stete Fortentwicklung wichtigen Maßnahme.

Bedeutung und Bedeutungswandel der Desinvestition

4

Implikationen für Managementpraxis und Strategieforschung

4.1

Das Desinvestieren der Zeit und den Umständen anpassen

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"Man muß seine Maßnahme der Zeit und den Umständen anpassen". Mit diesem Postulat trifft Macchiavelli nicht nur den Kern der modernen Unternehmensführung. Seine Worte halten gleichsam für das Desinvestieren eine wichtige Botschaft bereit: In Anlehnung an den epistemologischen Ansatz des (radikalen) Konstruktivismus wissen wir (vgl. von Foerster 1994), die Wirklichkeit wird von uns nicht gefunden, sondern erfunden; eine absolute Wahrheit existiert nicht. Aufgrund von Erfahrung, Wissen und Umwelt bauen sich Unternehmen als kognitive Systeme ihre Vorstellung des Ganzen auf (vgl. Hinterhuber/Friedrich/Handlbauer/Stuhec 1996, S. 224f.). Im Sinne von "Deutungsgemeinschaften" (vgl. hierzu Hinterhuber/Stahl 1996) konstruieren sie dabei immer neue, subjektive Wahrheiten mit entsprechenden Implikationen für ihre Ausrichtung und Konfiguration. Folglich existiert "die" Desinvestition genauso wenig, wie es auf die Fragen nach dem "Scope of the Firm" stabile Antworten gibt. Mag der Grundsatz der Kräftekonzentration (vgl. hierzu Hinterhuber 1990, S. 107ff.), auf den sich das Desinvestieren zurückführen läßt (vgl. Friedrich 1998), auch über die Zeit Bestand haben, unterliegt die Dichotomisierung der Aktivitäten in fortzuführende und in solche, die aufzugeben sind, einem erheblichen Wandel. Für die Unternehmung ergibt sich daraus zunächst die Notwendigkeit, ihr Betätigungsfeld immer wieder an neu definierte Optimalzustände anzupassen, wobei Desinvestitionen den endlosen Approximationsprozeß wirksam unterstützen. Darüber hinaus, und das wird häufig übersehen, haben Erfahrung, zusätzliches Wissen und neu entwickelte Ansätze gleichsam Auswirkungen auf die Maßnahme selbst, darauf, wie und wozu man diese einsetzt. Infolgedessen muß man eben auch das Desinvestieren selbst der Zeit und den Umständen anpassen.

4.2

Der "Scope of the Firm" als immer neue Herausforderung für die "Scientific Community"

Im Sinne einer angewandten Führungslehre ist es das Anliegen der strategischen Unternehmungsführung, zur "Kultivierung" der unternehmerischen Intuition beizutragen; sei es durch Bereitstellung von theoretisch-erklärendem Wissen, sei es in Form konkreter Gestaltungsempfehlungen. Davon darf die Desinvestition nicht ausgespart bleiben, zumal es sich hier nachweislich um ein Problem von erheblicher praktischer Relevanz handelt. Gäbe es zum der-

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zeitigen Kenntnisstand, aber auch über Versäumnisse und Irrwege der Desinvestitionsforschung einiges zu berichten, wollen wir uns hier auf diejenigen Aspekte beschränken, die sich unmittelbar aus dem oben Gesagten für die "Scientific Community" ergeben. Bekanntlich sind Desinvestitionen Teil der Unternehmensstrategie. Sie erhalten ihre Vorgaben aus den vorherrschenden Überzeugungen, die der Ausrichtung und Konfiguration der Unternehmung zugrunde liegen. Sie vollziehen hier stattfindende Kurs- bzw. Paradigmenwechsel mit (vgl. dazu bspw. den Überblick bei Goold/Luchs 1993; siehe im Hinblick auf die Netzwerkunternehmung Hinterhuber/Levin 1994). Vor diesem Hintergrund ist es für die Desinvestition essentiell, daß in Fortsetzung der bisherigen Forschungstradition zum "Scope of the Firm" neues Wissen über das sinnvolle Ausmaß unternehmerischer Betätigung entwickelt wird und man dabei zugleich auf eine empirisch gesicherte Erkenntnisbasis hinarbeitet. Das alleine reicht dann jedoch nicht aus, versäumt man es, vorhandene Denkmodelle für ein strategisch kluges Desinvestieren zu entdecken und nutzbar zu machen. Mit andern Worten besteht Bedarf an Transformationsleistungen, die die jeweiligen Implikationen für die Desinvestition aufzeigen (zu einer Transformation des "Resource-Based View" auf die Desinvestition vgl. bspw. Hinterhuber/Friedrich 1997 und insbesondere Friedrich 1998). Unabhängig davon bleibt zu hoffen, daß die "Scientific Community" noch stärker als bislang den Zugang zur Desinvestitionsproblematik findet. Steigt zuletzt die Zahl der einschlägigen Publikationen zwar an, besteht noch immer ein Spalt zwischen (a) der realen Bedeutung der Problematik, (b) dem Problemverständnis der Praxis und (c) dem, was die Theorie an Wissen anbietet. Allein schon aus diesem Grunde - von der Faszination dieser Themenstellung einmal abgesehen - offenbart sich die Desinvestition als ein potentialträchtiges Forschungsfeld.

Anmerkungen 1. Hierbei handelt es sich um eine jährlich erscheinende, auf öffentlichen Ankündigungen basierende Übersicht über die Aktivitäten auf dem amerikanischen Unternehmensmarkt. Als Transaktionen werden diejenigen Vorgänge erfaßt, die auf die Übertragung von mindestens 10% des Vermögens oder der Verfügungsrechte des Objektes gerichtet sind, sofern sie ein Volumen von $ 0,5 Mio. übersteigen und an denen zumindest einseitig ein amerikanisches Unternehmen beteiligt ist. Den "Desinvestitionen" werden "Sales of Corporate Units", "Unit Management Buyouts" sowie "Minority Interest Sales" subsumiert. Mit Letztgenannten werden allerdings Vorgänge erfaßt, die unserem Begriffsverständnis nicht unbedingt entsprechen.

Bedeutung und Bedeutungswandel der Desinvestition

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2. Es sei allerdings darauf hingewiesen, daß neben dieser ökonomischen Überzeugung gleichsam das unter der Reagan-Administration gelockerte Wettbewerbsrecht Unternehmen den Weg zu mehr "Relatedness" ebnet.

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Stephan Α. Friedrich Institut für Untemehmungsführung Leopold-Franzens-Universität Innsbruck Rennweg 23-25 A-6020 Innsbruck Tel.++43-512/507-7181 Fax. ++43-512/507-2968 E-mail: [email protected]

Dietger Hahn/Martin Hintze

Konzepte wertorientierter Unternehmungsführung

Unternehmungsführung, Unternehmungsstrategie, Konzepte, Unternehmungsbewertung, Kapitalmarktorientierung

Kennzahlen,

Zusammenfassung Aufgrund des verschärften Wettbewerbs auf den internationalen Kapitalmärkten gewinnen die Interessen der Kapitalgeber, insbesondere der Eigenkapitalgeber, für die Ausrichtung der Unternehmungsführung zunehmend an Bedeutung. Zur Bewältigung der hiermit verbundenen Aufgaben wurde in den letzten Jahren eine steigende Anzahl von Führungskonzepten entwickelt und veröffentlicht. Der vorliegende Beitrag gibt einen vergleichenden Überblick über wertorientierte Führungskonzepte, wobei jeweils der Ausgangspunkt, der bewertungsmethodische Rahmen sowie der resultierende Führungsansatz dargestellt und kritisch gewürdigt werden.

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Dietger Hahn/Martin Hintze

Inhaltsübersicht 1

Einführung

2

Konzept von Rappaport

3

Konzept von Copeland/Koller/Murrin

4

Konzept von Stern/Stewart

5

Konzept von Lewis

6

Konzept von Hahn

7

Zusammenfassung und Ausblick

1

Einführung

Fragen der Unternehmungsbewertung haben in der deutschen Betriebswirtschaftslehre eine lange Tradition. Grundsatzfragen über Substanzwert und Ertragswert sowie objektive versus subjektive Unternehmungsbewertung standen bis in die 70er Jahre im Mittelpunkt der Diskussion (vgl. z. B. Mellerowicz 1952; Busse von Cölbe 1957). Im Vordergrund standen dabei Bewertungsanlässe und -grundlagen im Zusammenhang mit einem Übergang von Eigentumsrechten an Unternehmungen (vgl. z. B. Münstermann 1966, S. 13ff.). Ausgehend von den Entwicklungen in der amerikanischen Unternehmungspraxis seit Anfang der 80er Jahre gewinnt seit Anfang der 90er Jahre auch in der deutschen Wirtschaftspraxis der Unternehmungswert für die Ausrichtung der Unternehmungsführung zunehmend an Bedeutung. Die Interessen der Kapitalgeber rücken verstärkt in den Vordergrund der Zielsysteme von Unternehmungen. Die Maximierung des Wertes des Eigenkapitals wird dabei zur kardinalen monetären Zielgröße. Die wesentlichen Ursachen hierfür sind die Globalisierung der Kapitalmärkte und die Intensivierung des Wettbewerbs um international mobiles Beteiligungskapital sowie die wachsende Bedeutung performanceorientierter institutioneller Investoren und des Marktes für Unternehmungskontrolle (vgl. z. B. Arbeitskreis „Finanzierung" der Schmalenbach-Gesellschaft Deutsche Gesellschaft für Betriebswirtschaft e. V. 1996, S. 543f.; Gentz 1997, S. 26ff.; Hutzschenreuter 1995, S. lf.; Pape 1997, S. 37ff.). Um diesen Herausforderungen begegnen zu können, müssen bestehende Strategien, Strukturen und Systeme überdacht und neu ausgerichtet werden. Hierzu wurde in den letzten Jahren eine steigende Anzahl von Führungskon-

Konzepte wertorientierter Unternehmungsfuhrung

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zepten entwickelt und veröffentlicht. Ihnen allen ist gemein, eine wertsteigernde Unternehmungsentwicklung zu ermöglichen. Ziel dieses Beitrags ist es, einen vergleichenden Überblick über spezifische unternehmungswertorientierte Führungskonzepte zu geben, die die Entwicklung in Theorie und Praxis auf diesem Gebiet besonders geprägt haben. Hierzu werden im folgenden die Konzepte von Rappaport, Copeland/ Koller/Murrin, Stern/Stewart und Lewis sowie das eigene Konzept skizziert. Dies erfolgt jeweils im Hinblick auf den Ausgangspunkt, den bewertungsmethodischen Rahmen sowie den resultierenden Führungsansatz der einzelnen Konzepte. Abschließend werden ein zusammenfassender Überblick und ein Ausblick auf die künftige Entwicklung auf dem Gebiet der wertorientierten Unternehmungsführung gegeben.

2

Konzept von Rappaport

Alfred Rappaport ist Adjunct Professor der J. L. Kellogg Graduate School of Management sowie Gründer und Principal der LEK/Alcar Consulting Group. Sein Buch „Creating Shareholder Value - The New Standard for Business Performance" ist 1986 in den USA erschienen und hat als Grundlagenwerk zur wertorientierten Unternehmungsführung weite Verbreitung gefunden. Eine deutsche Übersetzung wurde 1995 veröffentlicht. •

Ausgangspunkt

Als fundamentale Zielsetzung einer Unternehmung stellt Rappaport die Erwirtschaftung maximaler Eigentümerrenditen heraus. Dies wird damit begründet, daß die Bereitstellung von ausreichend Eigenkapital die Grundlage für die Fähigkeit der Unternehmung zur Befriedigung der Ansprüche aller übrigen Anspruchsgruppen bildet und eine marktgerechte Verzinsung des eingesetzten Eigenkapitals voraussetzt (vgl. Rappaport 1995, S. 12f.). Dabei zeigt Rappaport Unzulänglichkeiten buchhalterischer Erfolgsmaße („Accounting Numbers") als Maßstab der Veränderung des Unternehmungswertes („Economic Value") auf (vgl. hierzu Rappaport 1986, S. 19ff.). Es werden erhebliche Abweichungen zwischen der Entwicklung buchhalterischer Erfolgsmaße, wie Gewinn pro Aktie, Rentabilität des investierten Kapitals oder Eigenkapitalrentabilität, und der Entwicklung des Unternehmungswertes nachgewiesen. Als wesentliche Ursachen hierfür werden verzerrte Wertansätze, Vergangenheitsorientierung, Nichtbeachtung des Risikos und Vernachlässigung von Investitionserfordernissen genannt. Eine Orientierung der Unternehmungsführung an buchhalterischen Erfolgsmaßen wird daher abgelehnt und statt dessen eine Schätzung zukünftiger Cash-flows als eine

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Dietger Hahn/Martin Hintze

wesentliche Grundlage zur Beurteilung des ökonomischen Wertes alternativer Strategien gefordert. •

Bewertungsmethodischer Rahmen

Nach Rappaport wird der Eigenkapitalwert einer Unternehmung („Shareholder Value") berechnet, indem vom Unternehmungswert der Marktwert des Fremdkapitals abgezogen wird (vgl. Rappaport 1986, S. 50f.): Barwert prognostizierter betrieblicher Cash-flows + Restwert + Marktwert börsenfähiger Wertpapiere = Unternehmungswert - Marktwert des Fremdkapitals = Shareholder Value Als Komponenten des Unternehmungswertes werden die betrieblichen Cashflows, die Kapitalkosten und der Restwert hervorgehoben. Die betrieblichen Cash-flows („Cash Flows from Operations") repräsentieren als freie Cash-flows die verfügbaren Zahlungsüberschüsse zur Abgeltung der Ansprüche von Fremd- und Eigenkapitalgebern - nach Steuern und Zusatzinvestitionen (vgl. hierzu Rappaport 1995, S. 54ff.). Die Ermittlung der zukünftigen betrieblichen Cash-flows erfolgt mittels nachstehender Gleichung: Cash-flow (Freier Cash-flow)

= [(Umsatz des Vorjahres) χ (1 + Wachstumsrate des Umsatzes) χ betriebliche Gewinnmarge* χ ( 1 - Cash-Gewinnsteuersatz)] Zusatzinvestitionen ins Anlagevermögen und Umlaufvermögen * = spezifische Cash-flow-Marge

Die Kapitalkosten („Cost of Capital") werden als Summe der entsprechend der angestrebten Kapitalstruktur gewichteten Fremdkapitalkosten nach Steuern und Eigenkapitalkosten bestimmt (Weighted Average Cost of Capital/WACC) (vgl. hierzu Rappaport 1995, S. 58ff.). Die Eigenkapitalkosten werden kapitalmarktorientiert nach dem Capital Asset Pricing Model (CAPM) mit einem unternehmungsspezifischen Risikofaktor Beta abgeleitet: Eigenkapitalkosten

=

Risikofreier Zinssatz + Beta χ (Erwartete Marktrendite - risikofreier Zinssatz)

Den Restwert („Residual Value") der nach dem Prognosezeitraum anfallenden betrieblichen Cash-flows berechnet Rappaport als Barwert einer ewigen Rente, womit unterstellt wird, daß zusätzliche Investitionen genau die Kapitalkosten verdienen (vgl. hierzu Rappaport 1995, S. 63ff.):

Konzepte wertorientierter Unternehmungsführung

63

Ewiger Cash - flow Kapitalkostensatz Vom Unternehmungswert wird der Marktwert des Fremdkapitals abgezogen, der sich aus Krediten, Pensionsrückstellungen und anderen Verbindlichkeiten zusammensetzt (vgl. Rappaport, Α., 1995, S. 54). Den in einer Periode aufgrund einer bestimmten Strategie geschaffenen Shareholder Value berechnet Rappaport folgendermaßen (vgl. Rappaport 1995, S. 69ff.): Restwert =

Strategiebedingte Wertsteigerung = Shareholder Value Vorstrategie-Shareholder-Value Während die Berechnung des Shareholder Value auf Basis expliziter Prognosedaten erfolgt, wird der Vorstrategie-Shareholder-Value stark vereinfachend basierend auf den Daten der letzten Periode unter Verwendung der Methode der ewigen Rente zur Schätzung des Restwertes ermittelt: ,, ... ... Cash - flow vor Neuinvestitionen Vorstrategie - Shareholder - Value = Kapitalkostensatz + Marktwert börsenfähiger Wertpapiere - Marktwert des Fremdkapitals Hieraus leitet Rappaport als leicht anwendbares Konzept zur Beurteilung des Wertsteigerungspotentials von Strategiealternativen die kritische Marge ab. Dabei handelt es sich um jene betriebliche Gewinnmarge auf den Umsatz, mit der eine Unternehmung gerade ihre Kapitalkosten deckt und die eine Unternehmung erwirtschaften muß, damit sich der Shareholder Value nicht verringert (vgl. Rappaport 1995, S. 73ff.). Das Shareholder-Value-Netzwerk faßt Rappaports Bewertungsansatz zusammen. Es zeigt die Verbindungen zwischen der Zielsetzung der Unternehmung, den Bewertungskomponenten, den Werttreibern sowie den zugrunde liegenden Führungsentscheidungen (vgl. Abb. 1).

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Dietger Hahn/Martin Hintze

Abb. 1:



Shareholder-Value-Netzwerk nach Rappaport (vgl. Rappaport 1995, S. 79)

Unternehmungswertorientierte Führung

Rappaport zeigt fiinf Anwendungsbereiche auf: (1)

Strategieformulierung

seines Shareholder-Value-Ansatzes

und -bewertung

Unter Rückgriff auf das Strategiekonzept von Porter gibt Rappaport Hinweise zur am Shareholder Value orientierten Formulierung und Bewertung von Strategien. Anhand der Branchenstrukturanalyse werden die Zusammenhänge zwischen den fünf Triebkräften des Branchenwettbewerbs (Bedrohung durch neue Konkurrenten und durch Substitutionsprodukte, Verhandlungsmacht der Abnehmer und der Lieferanten sowie Rivalität zwischen bestehenden Konkurrenten) und den Werttreibern im Shareholder-Value-Netzwerk aufgezeigt. Die in der Wertkettenanalyse vorgenommene Gliederung in primäre und unterstützende Wertaktivitäten wird als Instrument zur systematischen Schätzung der Werttreiber und der hieraus resultierenden betrieblichen Cash-flows herangezogen (vgl. hierzu Rappaport 1995, S. 83ff., 105ff. sowie Porter 1992, S. 19ff„ 59ff.).

Konzepte wertorientierter Unternehmungsführung

(2)

65

Finanzielle Tragfähigkeit von Strategien

Rappaport erarbeitet einen Ansatz zur zahlungsorientierten Bestimmung des finanziell tragbaren Umsatzwachstums, das sich eine Unternehmung leisten kann, ohne zusätzliches Eigenkapital aufnehmen zu müssen. Es wird als diejenige Wachstumsrate des Umsatzes ermittelt, bei der unter Zugrundelegung der prognostizierten betrieblichen Gewinnmarge, der zusätzlich erforderlichen Investitionen, der angestrebten Kapitalstruktur und der angestrebten Ausschüttungsquote die Cash-Zuflüsse und die Cash-Abflüsse gleich hoch sind (vgl. hierzu Rappaport 1995, S. 141ff.). (3)

Interpretation von Signalen des Aktienmarktes

Rappaport unterscheidet zwischen der Untemehmungsrendite, d. h. der Veränderung des Shareholder Value innerhalb einer Periode im Verhältnis zum Vorstrategie-Shareholder Value am Periodenanfang, und der Eigentümerrendite, d. h. der Veränderung des Aktienkurses innerhalb einer Periode im Verhältnis zum Aktienkurs am Periodenanfang. Bei gleichen Unternehmungsrenditen schwanken die Eigentümerrenditen in Abhängigkeit von der Einschätzung des Unternehmungswertes durch den Markt. Zur Erwirtschaftung einer bestimmten Eigentümerrendite sind daher in Abhängigkeit von der Markteinschätzung unterschiedliche Unternehmungsrenditen erforderlich. Hierauf aufbauend werden ein Ansatz zur Beobachtung und Auswertung von Marktsignalen sowie Ansatzpunkte für die Bestimmung von Mindestrenditen fiir Investitionen („Hurdle Rates"), die Leistungsbewertung von Führungskräften und die Kommunikation mit Investoren abgeleitet (vgl. Rappaport 1995, S. 155ff.; Rappaport 1987, S. 57ff.). (4)

Leistungsbewertung

und Vergütung von Führungskräften

Buchhalterische und marktindexorientierte Bemessungsgrundlagen lehnt Rappaport als Maßstab einer unternehmungswertorientierten Leistungsbewertung und Vergütung von Führungskräften ab, da sie in keinem direkten Zusammenhang zur tatsächlichen Entwicklung des Unternehmungswertes stehen. Statt dessen wird eine Verwendung von Wert-Performance-Plänen vorgeschlagen. Diese beinhalten eine Vereinbarung von Wertsteigerungszielen für einen drei- bis fünfjährigen Planungszeitraum und eine Vergütung in Geldeinheiten oder Aktien in Abhängigkeit von der Erreichung der Wertsteigerungsziele zum Ende des Planungszeitraums (vgl. hierzu Rappaport 1995, S. 179ff.). (5)

Analyse von Mergers & Acquisitions

Zur Bewertung des Wertsteigerungspotentials einer Akquisition stellt Rappaport den isolierten Einzelwert („Stand-alone-value") der zum Verkauf stehenden Unternehmung und den Wert der Akquisitionsvorteile dem Kaufpreis des Akquisitionsobjektes gegenüber. Die betrieblichen, die finanziellen

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Dietger Hahn/Martin Hintze

und die steuerlichen Vorteile von Zusammenschlüssen und Akquisitionen werden kritisch untersucht. Der Ablauf von Akquisitionen wird anhand von fünf Phasen näher beschrieben (vgl. hierzu Rappaport 1995, S. 207ff.). •

Kritische Würdigung

Das Grundkonzept von Rappaport ist überzeugend. Als Stärken sind die praxisnahe Ausrichtung sowie die Integration des Shareholder-Value-Ansatzs in das Konzept der Wettbewerbsstrategie nach Porter hervorzuheben. Kritisch ist die stark vereinfachende Ermittlung des Vorstrategie-Shareholder-Value zu beurteilen. Auch werden keine Ergebnisse nach Kapitalkosten als periodische Ziel- und Beurteilungsgrößen ausgewiesen.

3

Konzept von Copeland/Koller/Murrin

Tom Copeland, Tim Koller und Jack Murrin sind Berater bei McKinsey & Company, Inc. Ihr Grundwerk „Valuation - Measuring and Managing the Value of Companies" ist 1990 in den USA und 1993 als deutsche Übersetzung erschienen. Es wurde 1994 in einer 2., erweiterten Auflage veröffentlicht. •

Ausgangspunkt

Copeland/Koller/Murrin sehen den Unternehmungswert als besten Maßstab der Performance einer Unternehmung an, da er sämtliche relevanten Informationen über die zukünftige Unternehmungsentwicklung enthält. Das Erfordernis, eine marktgerechte Rendite auf das Eigenkapital zu erwirtschaften, wird damit begründet, daß andernfalls das benötigte Kapital nicht der Unternehmung, sondern der Konkurrenz zu Verfügung gestellt wird. Zudem wird davon ausgegangen, daß eine Maximierung des Eigenkapitalwertes (Shareholder Value) auch zusätzlichen Wert für alle übrigen Anspruchsgruppen (Stakeholder) schafft (Vgl. Copeland/Koller/Murrin 1994, S. 22ff.). Als geeigneter Ansatz zur Unternehmungsbewertung und -führung wird der Discounted Cash-flow-Approach angesehen, bei dem der Unternehmungswert als Summe der mit einem risikoadäquaten Kapitalkostensatz diskontierten zukünftigen Cash-flows bestimmt wird. Für die auf diese Weise ermittelten Unternehmungswerte wird gegenüber dem auf buchhalterischen Gewinnen aufbauenden Accounting Approach eine hohe Korrelation mit den tatsächlichen Marktwerten nachgewiesen (vgl. Copeland/Koller/Murrin 1994, S. 70ff.).

Konzepte wertorientierter Untemehmungsführung



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Bewertungsmethodischer Rahmen

Als Rahmenkonzepte zur Unternehmungsbewertung unterscheiden Copeland/ Koller/Murrin das Entity Model und das Economic Profit Model. Beim Entity Model wird der Eigenkapitalwert einer Unternehmung ermittelt, indem basierend auf den freien betrieblichen Cash-flows der Gesamtkapitalwert berechnet und hiervon der Marktwert des Fremdkapitals abgezogen wird (vgl. Copeland/Koller/Murrin 1994, S. 131ff.): Present Value of Operating Free Cash-flows + Continuing Value = Value of Operations + Value of Nonoperating Investments = Total Entity Value - Value of Dept = Equity Value Die Operating Free Cash-flows werden ermittelt, indem dem Betriebsergebnis vor Zinsen nach angepaßten Steuern (Net Operating Profit Less Adjusted Taxes/NOPLAT) die Abschreibungen hinzuaddiert und hiervon die Investitionen ins Nettoumlaufvermögen (Net Working Capital als Differenz von Umlaufvermögen und kurzfristigen Verbindlichkeiten) und ins Anlagevermögen abgezogen werden (vgl. hierzu Copeland/Koller/Murrin 1994, S. 136, 138, 159ff., 169ff., 238). Hinsichtlich der Bestimmung der gewichteten Kapitalkosten, des Fortführungswertes und des Marktwertes des Fremdkapitals werden unterschiedliche Ansätze aufgezeigt (vgl. hierzu im einzelnen Copeland/Koller/Murrin 1994, S. 239ff„ 274ff.). Als Werttreiber werden der Return on Invested Capital (ROIC), d. h. der Quotient aus dem Betriebsergebnis vor Zinsen nach angepaßten Steuern (NOPLAT) und dem verzinslichen, in betriebsnotwendigem Vermögen gebundenen Kapital (Invested Capital), sowie die Growth Rate, d. h. die Wachstumsrate des investierten Kapitals, herausgestellt (vgl. Copeland/ Koller/Murrin 1994, S. 138f„ 159, 163f.). Das investierte Kapital wird als Summe des verzinslichen und in betriebsnotwendigem Vermögen gebundenen Eigen- und Fremdkapitals berechnet, wobei für das Vermögen Buchwerte angesetzt werden und grundsätzlich keine Anpassung an Wiederbeschaffungs- oder Marktwerte erfolgt (vgl. hierzu Copeland/Koller/Murrin 1994, S. 165ff„ 174ff.). Beim Economic Profit Model wird der Gesamtkapitalwert des operativen Geschäfts berechnet, indem dem investierten Kapital der Barwert der in den künftigen Perioden geschaffenen Werte - der Economic Profits - zugerechnet wird (vgl. Copeland/Koller/Murrin 1994, S. 145ff.):

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Present Value of Economic Profits + Invested Capital (Beginning of Forecast) = Value of Operations + Value of Nonoperating Investments = Total Entity Value - Value of Dept = Equity Value Der Economic berechnet sich bezogen auf Koller/Munin

Profit mißt den in einer Periode geschaffenen Wert und als Differenz von Kapitalrendite und Kapitalkosten („Spread") das investierte Kapital (vgl. zum folgenden Copeland/ 1994, S. 173):

Economic Profit = Invested Capital χ (ROIC-WACC) Als „betrieblicher Übergewinn" (vgl. hierzu allgemein Hostettler 1997, S. 38ff.) entspricht der Economic Profit damit der Differenz zwischen dem Betriebsergebnis vor Zinsen nach Steuern und den Kapitalkosten für das betrieblich gebundene Kapital: Economic Profit = NOPLAT - WACC χ Invested Capital = NOPLAT - Capital Charge Als Vorteil des Economic Profit gegenüber dem freien Cash-flow wird angeführt, daß der Economic Profit ein aussagefähiges Maß für die Performance einer Unternehmung in einer Periode ist. Der freie Cash-flow hingegen wird als periodenbezogener Erfolgsmaßstab abgelehnt, da er starken Schwankungen unterliegt und leicht beeinflußt werden kann (vgl. Copeland/Koller/ Murrin 1994, S. 145). Als Kapitalkosten zur Diskontierung der Economic Profits werden ebenso wie bei der Diskontierung der Operating Cash-flows die gewichteten Kapitalkosten entsprechend dem WACC-Ansatz herangezogen. Zur Durchführung der Unternehmungsbewertung bzw. der Wertanalyse erarbeiten Copeland/Koller/Murrin ein fünfstufiges Vorgehensmodell, zu dessen Ermittlungsstufen sie detaillierte Hinweise geben und zahlreiche Anwendungsbeispiele aufzeigen (vgl. Copeland/Koller/Murrin 1994, S. 154312): (1) Analyse der vergangenen Geschäftsentwicklung (2) Prognose der zukünftigen Geschäftsentwicklung (3) Schätzung der Kapitalkosten

Konzepte wertorientierter Unternehmungsführung

69

(4) Schätzung des Fortführungswertes (5) Wertermittlung und Interpretation. Als besondere Anwendungsbereiche der Unternehmungsbewertung werden die Bewertung von Unternehmungen mit mehreren Geschäftsbereichen und von ausländischen Tochtergesellschaften, die Bewertung von Mergers, Acquisitions und Joint Ventures, die Bewertung von Flexibilität mit Methoden der Optionspreisermittlung sowie die Bewertung von Banken betrachtet (vgl. Copeland/Koller/Murrin 1994, S. 315ff., 346ff„ 374ff„ 408ff„ 446ff„ 476ff.). •

Unternehmungswertorientierte Führung

Copeland/Koller/Murrin sehen ihren Ansatz des Value-Based Management als integrativen Prozess, der darauf gerichtet ist, das strategische und operative Entscheidungsverhalten über die gesamte Organisation hinweg durch Fokussierung der Schlüssel-Werttreiber zu verbessern. Dabei werden nicht methodische Fragen, sondern das Ob und das Wie des Wandels der Unternehmungskultur in den Vordergrund gestellt (vgl. Copeland/Koller/Murrin 1994, S. 94). Bausteine des Value-Based Management sind die Wertorientierung („Value Creation Mindset") sowie die Führungsprozesse und -systeme („Management Processes and Systems"). Die Wertorientierung beinhaltet, daß als oberstes Ziel die Maximierung des Unternehmungswertes anerkannt wird. Langfristig orientierte Zielvorgaben sollten in Kapitalwerten als direktem Maß der Wertsteigerung gemacht und in periodenbezogenen Erfolgsmaßstäben, wie den Economic Profit, umgesetzt werden. Dabei sollte eine Konzentration auf die Werttreiber der jeweiligen Geschäftsbereiche und eine Anpassung der Zielvorgaben an die jeweilige Unternehmungsebene erfolgen (vgl. hierzu Copeland/Koller/Murrin 1994, S. 98ff.). Es werden vier Führungsprozesse und -systeme herausgestellt, die von besonderer Bedeutung für die Umsetzung des Value-Based Management sind (vgl. zum folgenden Copeland/Koller/Murrin 1994, S. 109ff.): (1)

Strategieentwicklung („ Strategy Development")

Der gesamte Prozeß der Strategieentwicklung, insbesondere die Maßgrößen zur Beurteilung von Strategien und Diskussionen zwischen den Unternehmungsebenen, müssen auf die Maximierung des Unternehmungswertes ausgerichtet sein. Auf Gesamtuntemehmungsebene wird festgelegt, in welchen Geschäftsfeldern man tätig sein will, wie Synergien zwischen Geschäften ausgenutzt und wie die Ressourcen auf die Geschäftsfelder verteilt werden sollen. Auf Geschäftsbereichsebene werden alternative Geschäftsfeldstrategien identifiziert und beurteilt, um die Strategie mit dem höchsten Wertbeitrag auszuwählen.

70

(2)

Dietger Hahn/Martin Hintze

Setzen strategischer Zielvorgaben („Target Setting")

Die wertmaximierenden Strategien müssen anhand lang- und kurzfristiger Ziele konkretisiert werden. Die Zielvorgaben und die Maßgrößen sollten dabei auf den Werttreibern der Geschäftsbereiche basieren und der jeweiligen Unternehmungsebene angepaßt werden. (3)

Aktionsplanung und Budgetierung („Action Plans/Budgeting")

Hier werden die strategischen Zielvorgaben in Aktionsplänen konkretisiert und die zugehörigen Budgets festgelegt. (4)

Führungskräftebeurteilungs- und -anreizsysteme („Performance Measurement/Incentive Systems")

Das Vergütungssystem soll Anreize geben, auf allen Unternehmungsebenen Wertsteigerungen zu erreichen. Hierzu wird eine Kombination von Maßgrößen vorgeschlagen, die jeweils die Verantwortung der Führungskräfte für ihre organisatorische Einheit widerspiegeln sollen (vgl. Abb. 2). Aus ihrer Beratungspraxis leiten Copeland/Koller/Murrin detaillierte Hinweise zu den Erfolgsfaktoren und zum Vorgehen bei der Implementierung des Value-Based Management ab (vgl. Copeland/Koller/Murrin 1994, S. 120ff.). •

Kritische Würdigung

Eine der Stärken des Konzeptes von Copeland/Koller/Murrin besteht in der kombinierten Anwendung und dem laufenden Abgleich von Economic Profit als leicht zu ermittelndem operativem Maßstab der periodischen Wertentwicklung und Discounted Cash-flow als zukunftsbezogenem Maßstab der langfristigen Wertentwicklung und Kontrollwert gegenüber dem Economic Profit. Weitere Stärken sind das detaillierte Vorgehensmodell und die zahlreichen methodischen Hinweise zur Unternehmungsbewertung sowie die Vertiefung spezieller Anwendungsbereiche der Unternehmungsbewertung. Positiv sind zudem die differenzierten Bezugsgrößen zur wertorientierten Führungskräftevergütung und die aus der Beratungspraxis abgeleiten Implementierungshinweise hervorzuheben.

Konzepte wertorientierter Unternehmungsführung

Managerial role

71

CEO

Corporate staff Businessunit manager Functional manager All other workers

Returns to Economic shareholders profit

- EBIT - Capital utilization

Individual operating value drivers

Performance metric Abb. 2:

Maßstäbe zur Führungskräftevergütung Copeland/Koller/Murrin 1994, S. 115)

nach Copeland/Koller/Murrin

(vgl.

Schwächen sind darin zu sehen, daß bei der Ermittlung des Economic Profit keine Korrektur der zugrunde liegenden externen Rechnungslegungsdaten um eventuelle bewertungsmäßige Verzerrungen erfolgt. Hinzu kommt die Gefahr einer kurzfristigen Gewinnorientierung, da strategische Aufwendungen, die langfristig zu zusätzlichen Cash-flows führen (z. B. F&E-, Schulungs- oder Marketing-Aufwendungen), den Economic Profit mindern und entsprechende Maßnahmen nur über nicht-finanzielle Zielvorgaben berücksichtigt werden.

4

Konzept von Stern/Stewart

Joel. M. Stern und G. Bennett Stewart sind Gründer und Partner der seit 1982 in New York City ansässigen, auf Finanzberatung spezialisierten Unternehmungsberatung Stern Stewart & Co. Das Grundwerk wurde 1991 unter dem Titel „The Quest for Value" veröffentlicht. •

Ausgangspunkt

Als Ausgangspunkt ihres Ansatzes bemängeln Stern/Stewart, daß viele Unternehmungen heute von komplizierten und in vielerlei Hinsicht veralteten finanziellen Führungssystemen („Financial Management Systems") behindert werden.

72

Dietger Hahn/Martin Hintze

Sie führen dies auf folgende Problembereiche zurück (vgl. Stern Stewart & Co. 1996b, S. 1): •

Unternehmungen verwenden häufig eine Vielzahl unterschiedlicher finanzieller Maßstäbe und Methoden für unterschiedliche Zwecke auf unterschiedlichen Unternehmungsebenen, so daß es zu einer Konfusion und Demotivation von Führungskräften und sonstigen Mitarbeitern kommt.



Die typischerweise verwendeten finanziellen Maßstäbe stammen aus Buchhaltungsdaten, die die wahren wirtschaftlichen Zusammenhänge eines Geschäfts in vielerlei Hinsicht signifikant verfälschen und in keinem direkten Zusammenhang mit der Wertschaffung einer Unternehmung für deren Eigenkapitalgeber stehen.



Finanzielle Ziele werden in kontraproduktiven Budgetverhandlungen festgelegt, die Führungskräfte dazu veranlassen, hinsichtlich des wahren Potentials ihrer Geschäfte zu unter- oder zu übertreiben.



Die laufende Planung, die Budgetierung, das Berichtswesen und die Führungskräftevergütung sind häufig nicht integriert.



Herkömmliche Anreiz- und Bonussysteme für Führungskräfte beinhalten zu geringe erfolgsabhängige Chancen und Risiken.

Mit ihrem Konzept zielen Stern/Stewart darauf ab, diese Problembereiche zu überwinden und ein effektives finanzielles Führungssystem zu schaffen. Die oberste Zielsetzung besteht in der Maximierung des Wohlstandes der Eigenkapitalgeber („Shareholders' Wealth"), gemessen anhand der absoluten Steigerung des Unternehmungswertes (vgl. Stewart 1994, S. 74, 82f. sowie Abb. 3). •

Bewertungsmethodischer Rahmen

Stern/Stewart versuchen, durch Konversion buchhalterischer Erfolgsgrößen („Accounting Model") aussagekräftige Kennzahlen zur Messung des Unternehmungserfolges zu berechnen, die im Einklang mit kapitalmarkt- und zahlungsorientierten Bewertungsansätzen („Economic Model of Value") stehen (vgl. Stewart 1991, S. 24ff.). Die als Warenzeichen geschützten Basiskennzahlen sind dabei der Economic Value Added (EVA) und der Market Value Added (MVA).

Konzepte wertorientierter Unternehmungsführung

73

Α SINGLE FOCUS An EVA Financial M a n a g e m e n t System

A Typical Financial M a n a g e m e n t System Setting Goals

Setting Goals Communicating

Paying BonL

Paying Bora.

Communicating

Measuring

Evaluating

Measuring

Evaluating

Performance

Strategies

Performance

Strategies

Valuing Acquisitions

Abb. 3:

Reviewing Capital Projects

Valuing Acquisitions

Reviewing Capital Projects

Inconsistent Standards,

Consistent Standards,

Goals and Terminology

Goals and Terminology

EVA Financial Management System nach Stem/Stewart (vgl. Stern Stewart & Co. 1996a, S. 2)

Im Mittelpunkt des Konzeptes steht der Economic Value Added als Maßstab des betrieblichen Übergewinns. Der EVA wird als Differenz des Betriebsergebnisses vor Zinsen nach Steuern (Net Operating Profit after Taxes/NOPAT) und der Kosten für das zur Gewinnerzielung eingesetzte Eigen- und Fremdkapital (c* χ Capital) berechnet (vgl. Stewart 1991, S. 136ff.): EVA

=

N O PAT

=

operating profits - capital charge

- c * x capital

Der NOPAT wird basierend auf den buchhalterischen Erfolgsdaten in mehreren Stufen korrigiert, um vor allem finanzielle, steuerliche und bewertungstechnische Verzerrungen zu beseitigen (vgl. auch die Übersicht bei Hostettler 1997, S. 97ff.). Hierzu bestehen über 160 mögliche Korrekturansätze gegenüber den konventionellen US-GAAP (vgl. Stewart 1994, S. 73f.). Dabei ist vor allem die Shareholder Conversion von Bedeutung. Hier werden zur Berechnung des EVA bestimmte Aufwendungen, von denen in den Folgejahren Rückflüsse zu erwarten sind (z. B. Aufwendungen für F&E, Marketing, Aus- und Weiterbildung oder Restrukturierung), als strategische Investitionen aktiviert und über eine definierte Laufzeit abgeschrieben. Durch die hiermit verbundene Entlastung des NOPAT im Investitionsjahr sollen Führungskräfte angehalten werden, solche strategischen Investitionen nicht zu vernachlässigen (vgl. Hostettler 1995, S. 310f.). Bei verschiedenen Anwendern des Konzeptes werden jeweils unterschiedliche Modifikationen der Buchwerte vorgenommen, so daß für jede Unternehmung eine individuelle Definition des EVA erarbeitet wird, die sich an den spezifischen Gegebenheiten und Erfordernissen orientiert (vgl. Stewart 1994, S. 74).

74

Dietger Hahn/Martin Hintze

Als Capital wird das in das betriebsnotwendige Vermögen investierte verzinsliche Kapital angesetzt, wobei den Buchwerten als Korrekturposten unter anderem die stillen Reserven und der Goodwill zugerechnet werden können (vgl. Hostettler 1995, S. 311). Die Kapitalkosten entsprechen der Mindestrendite, die die Eigen- und Fremdkapitalgeber für das in der Unternehmung eingesetzte Kapital fordern. Sie werden über den Weighted Average Cost of Capital-Ansatz als entsprechend der Zielkapitalstruktur gewichtete Kapitalkosten berechnet, wobei die Fremdkapitalkosten nach Steuern und die Eigenkapitalkosten über das Capital Asset Pricing Model berechnet werden (vgl. Stewart 1991, S. 43Iff.; Stewart 1994, S. 73; Hostettler 1995, S. 310). Es werden drei Maßnahmen zur Steigerung des EVA unterschieden (vgl. Stewart 1991, S. 137): •

Erhöhung des operativen Ergebnisses bei gleichem Kapitaleinsatz,



Investition zusätzlichen Kapitals in Projekte, deren erwartete Rendite über den Kapitalkosten liegt,



Abziehen von Kapital, das in Aktivitäten oder Vermögen gebunden ist, deren Rendite die Kapitalkosten nicht deckt.

Der Market Value Added zeigt als kumulatives Maß der Unternehmungsperformance den seit Bestehen einer Unternehmung geschaffenen Marktwert. Aus marktbezogener Sicht wird der MVA als Differenz von Gesamtunternehmungswert und investiertem Kapital berechnet (vgl. Stewart 1991, S. 153ff.): MVA = market value - capital Der Market Value setzt sich aus dem Marktwert des Eigen- und Fremdkapitals zusammen, wobei der Marktwert des Eigenkapitals durch Multiplikation des Aktienkurses mit der Anzahl der Aktien ermittelt wird und der Marktwert des Fremdkapitals sich aus einer Bewertung des von der Unternehmung aufgenommenen Fremdkapitals, ersatzweise den Buchwerten, ergibt (vgl. Stewart 1991, S. 181f.). Das Capital entspricht dem bei der EVA-Berechnung zugrunde gelegten investierten Kapital in betriebsnotwendiges Vermögen. Bei unternehmungsinterner Betrachtung entspricht der MVA dem Barwert der zukünftigen EVAs einer Unternehmung (vgl. Stewart 1991, S. 153; Stewart 1994, S. 74): MVA =

present value of all future EVAs

Konzepte wertorientierter Unternehmungsführung

75

Nach Stern/Stewart sollte von der Unternehmungsführung im Interesse der Eigenkapitalgeber die Maximierung des MVA als oberstes Unternehmungsziel angestrebt und der EVA als periodischer Erfolgsmaßstab verwendet werden (vgl. Stewart 1991, S. 153). Stern Stewart & Co. veröffentlichen einmal jährlich eine Auflistung der 1.000 hinsichtlich der Marktkapitalisierung größten U.S.-amerikanischen Unternehmungen („Stern Stewart Performance 1000"). Neben einem Ranking im Hinblick auf den marktbezogen ermittelten MVA werden hier auch EVA, Return on Capital (als Quotient von NOPAT und capital) und Weighted Average Cost of Capital der Unternehmungen verglichen (vgl. Stewart 1991, S. 179ff.). •

Unternehmungswertorientierte Führung

Stern/Stewart stellen vier Anwendungsbereiche ihres Führungskonzeptes als „vier M's des EVA" in den Vordergrund (vgl. Stern Stewart & Co. 1996a, S. 3ff.; Stern Stewart & Co. 1996b, S. 2f. sowie auch die Übersicht in Abb. 3): (1)

Berichtswesen („Measurement")

Der EVA erfaßt alle drei Wege, die zu einer Steigerung des Unternehmungswertes führen können, und sollte daher ein wesentlicher Bestandteil des monatlichen und quartalsweisen Berichtswesens einer Unternehmung sein. (2)

Planung und Budgetierung („Management")

Der EVA sollte als Beurteilungsmaßstab den Planungs-, Budgetierungs- und Ressourcenallokationsprozessen einer Unternehmung zugrunde liegen und so zu Strategien und Aktionen führen, die den Eigenkapitalwert maximieren. (3)

Führungskräftevergütung („Motivation")

Im Mittelpunkt des Führungskonzeptes steht der Einsatz des EVA als Basisgröße einer unternehmungs wertorientierten Führungskräfte Vergütung (vgl. zum folgenden Stewart 1991, S. 223ff.). Das Ziel besteht darin, Führungskräfte in ihrem Denken und Handeln zu Eigentümern zu machen. Als wesentlicher Vorteil des EVA als Maßstab für Bonuszahlungen wird dessen direkte Beeinflußbarkeit und dessen enger Zusammenhang mit der Entwicklung des Unternehmungswertes genannt, so daß die Anreizwirkungen einer am EVA orientierten Führungskräftevergütung denen einer direkten Eigenkapitalbeteiligung sehr nahe kommen. Das Konzept sieht vor, daß die Boni für eine Periode von der Erreichung des geplanten EVA abhängen und neben einem unbegrenzten Gewinnpotential auch ein konkretes Verlustpotential beinhalten. Stern/Stewart schlagen die Einrichtung einer Bonusbank für jede Führungskraft vor, auf die positive Boni eingezahlt und von der negative Boni entnommen werden. An die Führungskräfte wird zum Periodenende nur ein vorab festgelegter Anteil des Bestandes der Bonusbank ausgeschüttet, der

76

Dietger Hahn/Martin Hintze

Restbestand wird fortgeschrieben, so daß es im Zeitablauf zu einer Glättung der Bonuszahlungen kommt. (4)

Kultureller Wandel („Mindset")

Mit der Anwendung des EVA als Führungsinstrument wird ein Wandel der Unternehmungskultur hin zu unternehmerisch und wertorientiert denkenden und handelnden Führungskräften und dezentralen Entscheidungsprozessen angestrebt. Zur Implementierung ihres Konzeptes schlagen Stern/Stewart ein dreiphasiges Vorgehen mit einer schrittweisen Einführung der einzelnen Anwendungsbereiche vor (vgl. Stern Stewart & Co. 1996b, S. 3f.): (1) In der ersten Phase („Readiness") wird ein EVA-gestützes Rahmenkonzept zur Erfolgsmessung für die Gesamtunternehmung und seine Geschäftsbereiche aufgebaut, wobei die primäre Zielsetzung darin besteht, die oberste Unternehmungsführung von der Vorteilhaftigkeit des EVA zu überzeugen. (2) Die zweite Phase („Design") dient der Integration des EVA in die Planungs- und Budgetierungsprozesse sowie Vergütungssysteme der Unternehmung. (3) In der dritten Phase („Implementation") wird unter Einsatz verschiedener Medien das EVA-Programm gegenüber Führungskräften und sonstigen Mitarbeitern sowie Eigenkapitalgebern kommuniziert. •

Kritische Würdigung

Die wesentlichen Stärken des Konzeptes von Stern/Stewart beruhen auf seiner einfachen Anwendbarkeit. Der EVA kann fallspezifisch zur Beurteilung der ökonomischen Vorteilhaftigkeit von bestimmten operativen Maßnahmen und strategischen Vorhaben herangezogen werden. Der EVA kann zudem als leicht verständliche periodische Kennzahl für verschiedene Anwendungsbereiche, wie Plan- und Berichtswesen, Führungskräftevergütung und Kommunikation, auf verschiedenen Unternehmungsebenen eingesetzt werden. Durch die Aktivierung strategischer Investitionen und die Einrichtung von Bonusbänken erhalten Führungskräfte Anreize zu einer langfristigen Steigerung des Unternehmungswertes. Positiv hervorzuheben ist weiterhin der praktisch bewährte Implementierungsansatz.

Konzepte wertorientierter Unternehmungsführung

77

Schwächen des EVA-Konzeptes können in den Manipulationsspielräumen bei der Konversion von Buchwerten und den hierbei möglichen unternehmungsspezifischen Anpassungen gesehen werden, die zu einer geringen Vergleichbarkeit der EVAs verschiedener Unternehmungen führen können.

5

Konzept von Lewis

Thomas G. Lewis ist Geschäftsführer und Senior Vice President bei der Boston Consulting Group, München. Neben Lewis waren weitere Mitglieder von BCG an der Entwicklung des Konzeptes in Deutschland beteiligt, unter anderem Daniel Stelter, Thomas Casata, Monika Reiter und Steffen Lehmann. Das Konzept basiert auf dem in den USA von BCG entwickelten Wertmanagement-Ansatz und wurde im Jahr 1994 in dem Buch „Steigerung des Unternehmenswertes: Total Value Management" veröffentlicht. •

Ausgangspunkt

Als Ausgangspunkt wird festgestellt, daß von einer Steigerung des Unternehmungswertes nicht nur die Eigenkapitalgeber, sondern auch alle übrigen Anspruchsgruppen profitieren. Der Eigenkapitalwert (Shareholder Value) wird daher als wichtiger Maßstab einer wertorientierten Unternehmungsführung angesehen. Als zentrale und übergreifende Kennzahl für die Wertschaffung einer Unternehmung wird die Aktienrendite auf Basis der ausgeschütteten Gewinne und der Aktienkurssteigerung in den Vordergrund gestellt (vgl. Lewis 1994, S. 32ff.). •

Bewertungsmethodischer Rahmen

Da herkömmliche buchhalterische Rentabilitätsmaße, wie Umsatzrendite, Eigenkapitalrendite oder Gesamtkapitalrendite, unzureichend mit der tatsächlichen Wertentwicklung einer Unternehmung korrelieren (vgl. zum Kennzahlenvergleich Lewis/Lehmann 1995, S. 332ff.), wird zur Messung der Rentabilität eines Geschäftes der Cash-flow Return on Investment (CFROI) entwikkelt. Der Hauptunterschied besteht in der Konversion von Buchhaltungsdaten in Zahlungsströme und der Umsetzung dieser Zahlungsströme in einen ökonomischen Erfolgsmaßstab (vgl. Lewis 1994, S. 43). Der CFROI berechnet sich dabei wie folgt (vgl. hierzu Lewis 1994, S. 40ff. sowie Abb. 4): • Ermittlung des Brutto-Cash-flow: Als Zahlungsgröße dient der Brutto-Cash-flow der letzten Periode zu laufenden Preisen. Zunächst wird der Jahresüberschuß nach dem Schema der Deutschen Vereinigung für Finanzanalyse/Schmalenbach-Gesellschaft

78

Dietger Hahn/Martin Hintze

(DVFA/SG) um alle außerordentlichen und aperiodischen Aufwendungen und Erträge bereinigt. Zur Berechnung des Brutto-Cash-flow werden dem bereinigten Jahresergebnis Zinsaufwendungen, Abschreibungen und Mietaufwendungen hinzugerechnet sowie hiervon ein etwaiger Inflationsverlust auf die Nettoliquidität der Unternehmung abgezogen. • Ermittlung der inflationsbereinigten Bruttoinvestitionsbasis: Die Bruttoinvestitionsbasis stellt das gesamte zu einem bestimmten Zeitpunkt in einer Unternehmung investierte Kapital abzüglich nicht verzinslicher Verbindlichkeiten dar. Ausgehend von den Buchwerten des Vermögens werden die kumulierten Abschreibungen addiert, um zu den entsprechenden historischen Anschaffungskosten zu gelangen. Um diese mit den heutigen Cash-flows vergleichbar zu machen, erfolgt eine Inflationsanpassung. Die aus dem Periodenergebnis herausgerechneten Mietaufwendungen werden kapitalisiert und der Bruttoinvestitionsbasis zugerechnet. • Schätzung der Nutzungsdauer: Die durchschnittliche Nutzungsdauer der gebundenen Aktiva wird vereinfacht geschätzt, indem unter Zugrundelegung eines linearen Abschreibungsmodus das Sachanlagevermögen (SAV) zu historischen Anschaffungskosten durch den jährlichen Abschreibungsbetrag dividiert wird. • Ermittlung der nicht abschreibbaren Aktiva: Als Restwert am Ende der Nutzungsdauer werden die nicht abschreibbaren Aktiva (Grundstücke, Nettoumlaufvermögen und Finanzanlagen) angesetzt. Auf der Grundlage einer als typisch angesehenen Cash-flow-Reihe mit gleichbleibenden jährlichen Brutto-Cash-flows über die gesamte Nutzungsdauer, des Restwertes der nicht abschreibbaren Aktiva am Ende der Nutzungsdauer sowie der Bruttoinvestitionsbasis wird der CFROI mittels einer internen Zinsfußberechnung bestimmt (vgl. Abb. 4). Er errechnet sich als jener Zinsfuß, bei dem die diskontierten Cash-flows und der diskontierte Restwert dem Bruttoinvestment entsprechen. Neben der anhand des CFROI gemessenen Rentabilität wird Wachstum als zweiter Werthebel angesehen (vgl. Lewis 1994, S. 73ff.). Dabei führt Wachstum nur dann zu einer Steigerung des Unternehmungswertes, wenn die Rendite der Investitionen über den Kapitalkosten liegt. Die Kapitalkosten werden empirisch als Gesamtkapitalkosten basierend auf einem breiten Portfolio börsennotierter Gesellschaften für die wichtigsten Volkswirtschaften abgeleitet (vgl. hierzu Lewis 1994, S. 81ff.). Diese durchschnittlichen Gesamtkapitalkostensätze werden zur Bewertung einzelner Unternehmungen verwendet, wobei keine Anpassung an die individuelle Kapitalstruktur erfolgt, sofern diese innerhalb üblicher Bandbreiten liegt. Das

Konzepte wertorientierter Unternehmungsfiihrung

79

Capital Asset Pricing Model wird aufgrund fehlender empirischer Bestätigung als Methode zur Bestimmung der Eigenkapitalkosten abgelehnt.

// BruttoCash-flow

111111

Netto-Umlaufvermögen

Nutzungsdauer des SAV

Konzessionen Aktualisierter Anschaffungswert des Anlagevermögens

V

Bereinigter Gewinn Zinsaufwand Abschreibungen Mietaufwand ./. Inflationsverlust

^

Finanzanlagen Sachanlagen* Kumulierte Abschreibungen

Υ

InflationsV bereinigung

' inkl. kapitalisierte Mietaufwendungen

Abb. 4:

Cash-flow Return on Investment (CFROI) (vgl. Lewis 1994, S. 45)

Der Ansatz zur Bewertung von Unternehmungen beruht auf der DiscountedCash-flow-Methode (vgl. Lewis 1994, S. 102ff.). Den Ausgangspunkt bildet der aktuelle CFROI einer Unternehmung. Die Projektion hieraus resultierender zukünftiger Cash-flows beruht auf der Konvergenzannahme, wonach die zukünftigen CFROIs und Wachstumsraten aufgrund von Investoren- und Konkurrenzdruck zum langfristigen Durchschnitt des Aktienmarktes tendieren. Hierauf aufbauend werden für einen 40-jährigen Prognosezeitraum die zukünftigen Free Cash-flows als Differenz von Brutto-Cash-flows und Investitionen ermittelt und mit dem durchschnittlichen Gesamtkapitalkostensatz zum Gesamtunternehmungswert diskontiert. Die Subtraktion des Marktwertes des Fremdkapitals ergibt den Eigenkapitalwert. Anhand dieses Verfahrens wird der Istwert einer Unternehmung ermittelt. Zur Beurteilung der Planwertschaffung von Strategien wird diesem der Planwert gegenübergestellt, in den konkrete Cash-flow-Schätzungen für die explizit geplanten Perioden einfließen (vgl. Lewis 1994, S. 130ff.). Als vereinfachten periodischen Wertmaßstab bzw. als Übergewinnmethode verwendet BCG den Cash Value Added (CVA), der die Rentabilität und die Kapitalkosten einer Periode als Determinanten der Entwicklung des

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Dietger Hahn/Martin Hintze

Unternehmungswertes gegenüberstellt: CVA =

(CFROI - Kapitalkosten)

χ

Bruttoinvestitionsbasis

Für den CVA wird eine mit ca. 65% deutlich über dem EVA von Stern/Stewart (ca. 40%) liegende Korrelation mit den tatsächlichen Marktwerten angegeben (vgl. zu diesem Absatz Lewis 1994, S. 124ff.). •

Unternehmungswertorientierte Führung

Es werden fünf Anwendungsbereiche hervorgehoben, in denen es durch die Anwendung der Methodik des Total Value Management zu einer Eliminierung wichtiger Schwachstellen herkömmlicher Methoden kommt (vgl. zum folgenden Lewis 1994, S. 137ff„ 203): (1)

Portfolio-Entscheidungen

Zunächst ist der Wertbeitrag einzelner Geschäftsbereiche durch eine Gegenüberstellung von CFROI und Kapitalkosten zu beurteilen. Hierauf aufbauend kann eine Matrix für das gesamte Geschäftsportfolio als Grundlage einer kritischen Überprüfung der Geschäftsaktivitäten erstellt werden. Neben der Wertsteigerung sollte dabei die Übereinstimmung mit der Vision der Unternehmung kritisch überprüft werden. Weiterhin kann auch die Wirkung von Restrukturierungsmaßnahmen im Portfolio (Akquisitionen und Desinvestitionen) auf den Unternehmungswert bestimmt werden. (2)

Strategieplanung

Zur Beurteilung von Geschäftsstrategien erfolgt für einen bestimmten Prognosezeitraum eine explizite Berechnung der hiermit verbundenen zukünftigen Free Cash-flows. Nach dem oben beschriebenen Bewertungsansatz wird der hieraus resultierende Planwert dem Istwert gegenübergestellt, um eine Aussage über die Wertschaffung des strategischen Plans zu ermöglichen. (3)

Investitionsentscheidungen

Die wertorientierte Analyse des Geschäftsportfolios dient nicht nur der Überprüfung historischer Investitionsentscheidungen, sondern vor allem als Basis für die zukünftigen Ressourcenallokationsprozesse. Hierdurch soll eine Ausrichtung auf die strategisch bedeutsamen und wertschaffenden Bereiche erreicht werden. (4)

Budgetierung und Berichterstattung

Durch die Konkretisierung der Werthebel Rendite und Wachstum anhand spezifischer Werttreiber (ζ. B. Kosten je Einheit, Kapitalumschlag, Kapazitätsauslastung) sollen auch die Budgetierung und das laufende Berichtswesen an der Aktienrendite ausgerichtet werden.

Konzepte wertorientierter Unternehmungsfiihrung

(5)

81

Beurteilung und Vergütung von Führungskräften

Wertmanagement leistet nach Ansicht von Lewis nur einen dauerhaften Beitrag zur Steigerung des Unternehmungswertes, wenn das interne Anreizsystem an Wertkennzahlen gekoppelt ist (vgl. Lewis 1994, S. 222ff.). Hinsichtlich geeigneter Bemessungsgrundlagen wird nach der Führungsebene differenziert. Auf der obersten Führungsebene erfolgt die variable Vergütung in Abhängigkeit von der Entwicklung der relativen Aktienrendite, die Kursgewinne und Dividenden bereinigt um Kapitalerhöhungen zu einem Renditemaß zusammenfaßt. Sie wird auf Basis von Jahresdurchschnittswerten berechnet und mit der Performance des gesamten Aktienmarktes und der wichtigsten Werttreiber verglichen, um tagesbedingte Schwankungen und externe Einflüsse auszugleichen. Auf nachgeordneten Führungsebenen wird eine variable Vergütung in Abhängigkeit von der Entwicklung einzelner Werttreiber, wie der internen Aktienrendite oder der Rentabilität und des Wachstums, vorgeschlagen. Die Kennzahlen werden in Relation zu anderen Geschäftsbereichen und Wettbewerbern gesetzt, um nicht beeinflußbare Faktoren auszuschalten. Zur Implementierung des Total Value Management wird die Durchführung eines Portfolio Value Audit empfohlen, um anhand verschiedener Wertindikatoren die wertschaffenden Bereiche und die Bereiche mit dem höchsten Wertschaffungspotential zu identifizieren (vgl. Lewis 1994, S. 186ff.). Als weitere Voraussetzung für eine dauerhafte Verankerung des Wertmanagements wird der Ausbau des Kennzahlensystems über sämtliche Steuerungsprozesse hinweg angesehen. Hierzu wird ein detailliertes Vorgehensmodell aufgezeigt, bei dem die Operationalität und die Kommunizierbarkeit der Kennzahlen im Vordergrund stehen. Die Wertkorrelation kann demgegenüber schrittweise verbessert werden (vgl. Lewis 1994, S. 202ff.). • Kritische Würdigung Stärken des CFROI als wertorientierter Rentabilitätskennzahl bestehen in der Verringerung von buchhalterischen Verzerrungen und Manipulationsmöglichkeiten aufgrund von Bewertungs- und Bilanzierungswahlrechten sowie in der Ausschaltung von Inflationseinflüssen (vgl. auch Kloock/Coenen 1996, S. 1105f.). Eine weitere Stärke des Konzeptes ist die hohe Korrelation der Bewertungsansätze mit der tatsächlichen Marktbewertung und deren laufende empirische Überprüfung. Hervorzuheben ist weiterhin das detaillierte Implementierungskonzept mit der Schwerpunktsetzung auf der Operationalität und der Kommunizierbarkeit der Kennzahlen. Schwächen des CFROI bestehen in seiner stichtagsbezogenen Berechnung auf der Datenbasis der letzten Periode und der hier fehlenden Einbeziehung spezifischer künftiger Entwicklungen. Hinzu kommt die stark vereinfachte Ermittlung der Nutzungsdauer und der nicht abschreibbaren Aktiva. Strategische Aufwendungen, z. B. für Ausbildung oder Marketing, werden nicht aktiviert und abgeschrieben, sondern belasten bei Anfall den jeweiligen

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Dietger Hahn/Martin Hintze

Perioden-Cash-flow in voller Höhe. Fraglich ist zudem die pauschale Schätzung durchschnittlicher Gesamtkapitalkosten über unterschiedliche Branchen hinweg.

6

Konzept von Hahn

Das hier vorgestellte eigene Konzept basiert auf dem erstmals 1974 und 1996 in der 5. Auflage erschienenen Grundwerk „PuK-Controllingkonzepte". Eine russische Übersetzung wurde 1997 veröffentlicht. •

Ausgangspunkt

Die Unternehmung wird als Interessen-, Vertrags- und Aktionszentrum interpretiert. Durch Erbringung bestimmter Beiträge bietet eine Unternehmung vielen Personen oder Personengruppen Anreize, ihre ökonomischen und z. T. auch nichtökonomischen Ziele zu verwirklichen. In diesem Sinne ist die Unternehmung ein Interessenzentrum, das anhand von Verträgen als Vertragszentrum institutionalisiert wird. Interessengruppen sind die Kunden, die Lieferanten, der Staat, die Fremdkapitalgeber, die Eigenkapitalgeber sowie die Mitarbeiter, insbesondere die Führungskräfte, wobei die beiden letztgenannten Gruppen als Hauptträger der Unternehmung angesehen werden (vgl. Abb. 5). Aus Sicht aller an der Unternehmung interessierten Gruppen bildet dabei die Erhaltung und erfolgreiche Weiterentwicklung der Unternehmung das oberste Unternehmungsziel, sofern hierdurch die Chance der Realisierung der jeweiligen Individualziele gegeben ist. Eine bestmögliche Unternehmungsentwicklung wird dabei durch das Streben nach maximalem Unternehmungswert bzw. ersatzweise nach maximalem kalkulatorischem Ergebnis erreicht auf der Basis spezifischer Sachziele unter Beachtung von Sozialzielen. Hierauf sind alle Aktionen bzw. Aktivitäten auszurichten (vgl. hierzu und zum folgenden Hahn 1996, S. 256ff.). •

Bewertungsmethodischer Rahmen

Zur periodenübergreifenden Bewertung von Investitionsprojekten, von Unternehmungsbereichen sowie von Unternehmungen als Ganzes werden differenzierte Kapitalwerte ermittelt (vgl. Abb. 6). Der Gesamtkapitalwert wird auf Basis von Cash-flows nach Ersatz- bzw. Erhaltungsinvestitionen und ergebnisabhängigen Steuern, jedoch vor kapitalgeberbezogenen Zahlungen (Zins- und Dividendenzahlungen sowie Ein- und Auszahlungen aus Finanzierungs- und Definanzierungsvorgängen) ermittelt. Diese sogenannten freien Cash-flows einer Periode stehen für Zahlungen an Eigen- und Fremdkapitalgeber, für Programm- und Potentialänderungen bzw. Erweiterungsinvestitionen, für Finanzinvestitionen sowie für zusätzliche Zahlungen an Führungs-

Konzepte wertorientierter Unternehmungsführung

83

kräfte und sonstige Mitarbeiter zur Verfügung. Der Gesamtkapitalwert kann dabei auf Basis eines bereinigten Gesamt-Cash-flows oder getrennter Operating (aus güterwirtschaftlichen Aktivitäten) und Non-Operating Cash-flows (aus finanzwirtschaftlichen Aktivitäten) ermittelt werden. Im ersten Fall errechnet sich der Gesamtkapitalwert als Summe der Barwerte der GesamtCash-flows im Planungszeitraum und des Restwertes nach Ende des Planungszeitraums. Im zweiten Fall setzt sich der Gesamtkapitalwert aus dem Barwert der Operating Perioden-Cash-flows, dem Barwert des Operating Restwertes und dem aktuellen Wert des nichtbetriebsnotwendigen Vermögens zusammen (vgl. Abb. 6). Der Kalkulationszinssatz wird in beiden Fällen als mit der Kapitalstruktur gewichteter Durchschnitt aus Eigen- und Fremdkapitalkosten (Weighted Average Cost of Capital) bestimmt, wobei die Kapitalstruktur entweder als Zielkapitalstruktur oder aufgrund einer Tages- bzw. Marktwertbilanz ermittelt wird. Die Eigenkapitalkosten werden auf Basis des Capital Asset Pricing Models (CAPM) berechnet, Fremdkapitalkosten unter Berücksichtigung ihrer steuerlichen Abzugsfähigkeit (vgl. zu diesem Absatz Hahn 1996, S. 314ff.; zum CAPM Perridon/Steiner 1995, S. 235ff.). Der integrierte Ansatz zur Finanzplanung wird über den finanzwirtschaftlichen Cash-flow gewährleistet, der nach Berücksichtigung von Zahlungen für Investitionen und Desinvestitionen sowie für Finanzierungen und Definanzierungen zum Liquiditätssaldo führt (vgl. Abb. 5 sowie zur integrierten Finanzplanung Hahn 1996, S. 524ff.). (2)

0

©

Lieferanten

i Zusatzi j dividende j

(3)

Mitarbeiter/ Führungskräfte

Eigenkapitalgeber

\

Zahlungen

Fremdkapitalgeber

(5)

Staat

/

4 ; ;

\

Strategieorientierte Ü b e r s c h u ß Verwendung

Sonstige interessengruppen

0

@

i Gewinrv j beteitigung ; EinΟ Zahlungen/ Erlöse

Norvoper. / Cash-flow \

Operating Cash-flow nach

Cash-flow *

Auszahlungen/ Kosten

Abb. 5:

Interessengruppen und generelle monetäre Ziele der Unternehmung (vgl. Hahn 1996, S.13)

84

Dietger Hahn/Martin Hintze

Vermindert man den Gesamtkapitalwert um den Fremdkapitalwert (Marktwert des Fremdkapitals, vereinfachend Nominalwert), erhält man den Eigenkapitalwert/ShareholderValue, der ein Entscheidungskriterium primär aus Sicht der Eigentümer und der Unternehmungsführung als Eigenkapitalanleger darstellt. Vermindert um den vertraglich vereinbarten Eigenkapitalwert (z. B. RückZahlungsansprüche der Eigenkapitalgeber auf Basis realer Kapitalerhaltung) erhält man den residualen Unternehmungskapitalwert. Dieser ist positiv, falls die diskontierten Überschüsse die vertraglichen RückZahlungsansprüche von Eigen- und Fremdkapitalgebern übersteigen. Der residuale Unternehmungskapitalwert kann auch durch Diskontierung der residualen Periodenüberschüsse mit der geforderten Rendite ermittelt werden (vgl. zu diesem Absatz Hahn 1996, S. 317ff.). 1. O p e r a t i n g C a s h - f l o w Zahlungsüberschüsse aus güterwirtschaftlichen Aktivitäten

2. E r m i t t l u n g B a r w e r t e Wert des nicht betriebsnotwendigen Vermögens (Marktwert bei Veräußerung im Planungszeitraum) Η

Diskontierter Operating Restwert (ORW) Diskontierte Operating Perioden-Cash-flows

3. D i f f e r e n z i e r u n g d e s B a r w e r t s nach Bezugsgruppen

Gesamtkapitalwert (GKW)

A b b . 6:

Marktwert Fremdkapital

Share- Vertragl. holder EigenValue/ kapitalEigen- wert kapitalwert

Residualer Unternehmungskapitalwert (RUKW)

Ermittlung differenzierter Kapitalwerte auf Basis getrennter Operating und N o n Operating Cash-flows (vgl. Hahn 1996, S. 318)

Konzepte wertorientierter Untemehmungsführung

85

Kapitalwerte beruhen auf einer Diskontierung von Zahlungsüberschüssen über die Laufzeit des Bewertungsobjektes hinweg. Aufgrund der hohen Schwankungen und der hieraus resultierenden beschränkten Aussagefähigkeit periodischer Cash-flows sollte die periodenübergreifende Kapitalwertbetrachtung um eine periodenbezogene Betrachtung der Entwicklung des Unternehmungswertes ergänzt werden. Als periodenbezogener Wertmaßstab dient das kalkulatorische Ergebnis. Ist dieses positiv, wird die mit den kalkulatorischen Zinsen geforderte Marktverzinsung des Eigen- und Fremdkapitals überschritten (Wertschaffung). Bei einem negativen kalkulatorischen Ergebnis wird die geforderte Mindestverzinsung unterschritten (Wertvernichtung). Dieser Zusammenhang kann anhand einer Gegenüberstellung des Return on Investment (Rol) und der gewichteten Kapitalkosten verdeutlicht werden. Der Return on Investment als Summe von kalkulatorischem Ergebnis und marktorientierten kalkulatorischen Zinsen im Verhältnis zum investierten Vermögen zu Tages werten bzw. zu Wiederbeschaffungswerten des investierten Kapitals zeigt die Bruttoverzinsung des für die Leistungserstellung und -Verwertung erforderlichen investierten Kapitals (vgl. Hahn 1969, S. 177ff.; Hahn 1976, Sp. 3421ff.): kalkulatorisches Ergebnis + kalkulatorische Zinsen Kol — investiertes Kapital Durch einen Vergleich des Rol mit den marktorientiert abgeleiteten Zinskostensätzen kann überprüft werden, ob die Kapitalkosten durch die Ist- bzw. Plan-Rol-Größen über- oder unterschritten werden. Bezieht man diese Differenz auf das investierte Kapital, wird die mit einer Überschreitung oder Unterschreitung der Marktverzinsung verbundene Wertschaffung oder Wertvernichtung anhand des kalkulatorischen Ergebnisses deutlich: kalkulatorisches Ergebnis

= (Rol - WACC) χ investiertes Kapital = Kapitalgewinn - kalkulatorische Zinsen

Der Ansatz erlaubt die Ermittlung kalkulatorischer Ergebnisse bzw. Ergebniskomponenten im Hinblick auf Bereiche (von der Gesamtunternehmung bis zur Kostenstelle), Produkte sowie Projekte. Um eine hohe Korrelation zwischen der Entwicklung des kalkulatorischen Ergebnisses und des Unternehmungswertes zu erreichen, muß eine marktorientierte Schätzung relevanter Kostengrößen erfolgen. Dabei sollten die Komponenten des kalkulatorischen Ergebnisses entsprechend den branchen- und unternehmungsspezifischen Erfordernissen ausgestaltet werden. Hinsichtlich der Überschußverwendung wird differenziert. Bei einer reinen Shareholder-Value-Orientierung stehen die Überschüsse nach Deckung der Fremdkapitalgeberansprüche nur den Eigenkapitalgebern zu, obwohl sie von Eigenkapitalgebern sowie Führungskräften und sonstigen Mitarbeitern

86

Dietger Hahn/Martin Hintze

gemeinsam erwirtschaftet werden. Nach dem hier vertretenen Konzept der Überschußverwendung stehen erwirtschaftete residuale Überschüsse bzw. kalkulatorische Gewinne für die Stärkung der Unternehmung, für Zusatzausschüttungen an die Eigenkapitalgeber und für Tantiemen/Gewinnbeteiligungen der Führungskräfte und der sonstigen Mitarbeiter zur Verfügung (vgl. Abb. 5). Zusatzausschüttungen und Zusatzvergütungen kommen dabei nur in Betracht, wenn sich aufgrund der geplanten künftigen Entwicklung positive residuale Unternehmungskapitalwerte ergeben. Residuale Fehlbeträge sind nach Auflösung finanzieller Reserven durch Eigenkapitalgeber sowie Führungskräfte und sonstige Mitarbeiter zu tragen (vgl. Hahn 1996, S. 15f., 257f„ 318f.). •

Unternehmungswertorientierte Führung

Die Umsetzung einer unternehmungswertorientierten Führung sollte grundsätzlich in allen Teilplanungskomplexen eines Planungs- und Kontrollsystems, d. h. der generellen Zielplanung, der strategischen Planung, der operativen Planung sowie der gesamtunternehmungsbezogenen Ergebnis- und Finanzplanung, erfolgen (vgl. hierzu Hahn 1996, S. 96ff.). Einen wichtigen Anwendungsbereich bilden dabei die Gegenstände der strategischen Führung, d. h. die Vision und die Leitbilder, die generellen Unternehmungsziele, die Geschäftsfeld-, Funktions- und Regionalstrategien sowie die Organisationsstruktur und die Führungskräftesysteme (vgl. hierzu Hahn 1997a, S. 32ff.). Hierzu werden nachfolgend Gestaltungsaspekte einer unternehmungswertorientierten Geschäftsfeldplanung und Führungskräftevergütung aufgezeigt. (1)

Unternehmungswertorientierte

Geschäftsfeldplanung

Zur Beurteilung von Strategien ist die Unternehmung als Ganzes vor und nach Strategie zu bewerten, wobei die optimale Strategie den größten Wertzuwachs (Value Creation) sowohl beim Shareholder Value als auch beim residualen Unternehmungskapitalwert bewirkt. Wird eine Wertvernichtung (Value Destruction) infolge einer bestimmten Strategie antizipiert, muß dies zu einer Strategieänderung führen, zu Innovationen, ggf. mit Reduzierung der Ansprüche von Lieferanten, Staat sowie Kapitalgebern und Mitarbeitern, zu Standortverlagerungen oder aber auch zu Führungskräftewechseln und Mitarbeiterfreisetzungen oder gar partieller oder totaler Unternehmungsstillegung (vgl. Hahn 1996, S. 322; Hahn/Mirow/Siegert/Pfeil 1997, S. 500). Im Konzern wird als monetäres Beurteilungskriterium für Strategiealternativen einzelner Gliedbetriebe i. d. R. der Gesamtkapitalwert herangezogen, da aufgrund einer von der Konzernspitze mehr oder weniger willkürlich gestalteten Fremdkapitalzuweisung keine sinnvollen Aussagen über die Kapitalstruktur möglich sind, d. h. der Eigenkapitalwert an Aussagekraft verliert. Man berechnet den Gesamtkapitalwert entweder mit den gewichteten

Konzepte wertorientierter Unternehmungsführung

87

Kapitalkosten des Konzerns bzw. der Obergesellschaft, oder es werden je Gliedbetrieb branchen- bzw. geschäftsspezifische Risiken bei der Ermittlung der Eigenkapitalkosten berücksichtigt. Die Gesamtkapitalwerte bei den Gliedbetrieben dienen auch zur Bemessung des Beitrages zum Wert der Gesamtunternehmung (Wertbeitrag pro Gliedbetrieb), wobei es sinnvoll sein kann, die Kapital werte der Gliedbetriebe nur auf Basis der Operating Cashflows zu ermitteln, sofern die finanzwirtschaftlichen Aktivitäten im wesentlichen der Obergesellschaft obliegen. Addiert man die Barwerte der Operating Cash-flows je Gliedbetrieb und den Barwert der finanzwirtschaftlichen Cashflows der Obergesellschaft, erhält man den Gesamtkapitalwert der Obergesellschaft. Vermindert um den Barwert fremdkapitalgeberbezogener Rückzahlungsansprüche ergibt sich der Eigenkapitalwert der Obergesellschaft, abzüglich der eigenkapitalgeberbezogenen RückZahlungsansprüche wiederum der residuale Unternehmungskapitalwert der Obergesellschaft (vgl. hierzu Hahn 1996, S. 707ff. sowie Abb. 7).


F, DBW, BFuP, DU und JfB erhältlich waren. Die zwar auch in Deutschland, aber in englischer Sprache erscheinende MIR hingegen war an allen untersuchten Bibliotheken erhältlich!

384

Horst Steinmann/Thomas Olbrich/Hermann Riedl

Das explizit zum Transfer der deutschen Betriebswirtschaftslehre geschaffene Handbook of German Business Management (1990) war wiederum nur in 4 dieser Universitätsbibliotheken verfügbar. Diese beruht nicht etwa auf bestimmten Antwortmustem: Lediglich drei Antwortende lehnten (mit Ausnahme der beiden von allen Zustimmung findenden Thesen) alle Aussagen (eher) ab, und lediglich zwei stimmten allen Aussagen (eher) zu. Verschiedene Versuche der Typologisierung des Antwortverhaltens ergaben jeweils nur sehr inhomogene Cluster. Das Antwortverhalten kann demnach als sehr individuell, und für jede Frage durchaus einzeln überlegt, eingestuft werden.

Literaturverzeichnis Albach, H./Brockhoff, K. (Hrsg.) (1993): Die Zukunft der Betriebswirtschaftslehre in Deutschland. Zeitschrift für Betriebswirtschaft Ergänzungsheft 3/93. Wiesbaden. Bauin, S./Rothman, H. (1991): Der 'Impact' von Zeitschriften als Annäherungsmaß für Zitationsraten. In: Weingart, P., Sehringer, H., Winterhager, M. (Hrsg.): Indikatoren der Wissenschaft und Technik. Theorie, Methoden, Anwendungen. Frankfurt/New York, S. 91-111. Bowman, Ε. Η. (1990): Strategy Changes. Possible Worlds and Actual Minds. In: Fredrickson (1990), S. 9-37. Boycigiller, N. A./Adler, N. J. (1991): The Parochial Dinosaur: Organizational Science in a Global Context. In: Academy of Management Review 16, S. 262-290. Busse, C./Fix, D./Maier, GVScherer, H.-P. (1992): Im Schweinezyklus. Der studentische Massenandrang schädigt die Reputation der deutschen Ökonomen und bringt sie international ins Hintertreffen. In: Wirtschaftswoche 46 (6), S. 40-47. Daft, R. L./Buenger, V. (1990):, Hitching a Ride on a Fast Train to Nowhere. The Past and Future of Strategic Management Research. In: Fredrickson (1990), S. 81-103. Daniel, H.-D./Fisch, R. (Hrsg.) (1988): Evaluation von Forschung. Methoden - Ergebnisse - Stellungnahmen. Konstanz. Drumm, H. J. (1993): Die deutsche Betriebswirtschaftslehre im internationalen Wettbewerb. In: Albach/Brockhoff (1993), S. 63-72. Eglau, H.-O. (1996): Die fremden Gurus. Warum die Vereinigten Staaten den Markt für Management-Innovationen beherrschen. In: Die Zeit, Nr. 32 vom 2. August 1996, S. 20. Fisch, R./Daniel, H.-D. (Hrsg.) (1986): Messung und Förderung von Forschungsleistung. Person - Team - Institution. Konstanz. Franke, R.H., Edlund, T.W., Oster, F. (1990): The Development of Strategie Management: Journal Quality and Article Impact. In: Strategie Management Journal 11, S. 243-253. Fredrickson, J.W. (Hrsg.) (1990): Perspectives on Strategie Management. New York. Freeman, R. E./Lorange, P. (1985): Theory Building in Strategie Management. In: Lamb, R./Shrivastava, P. (Hrsg.): Advances in Strategie Management 3, S. 9-38. Grochla, E./Gaugler, E. et al. (Hrsg.) (1990): Handbook of German Business Management. Stuttgart/Berlin/Heidelberg. Habel, S. (1992): Strategische Unternehmensführung im Lichte der empirischen Forschung. Bestandsaufnahme und kritische Würdigung eines komplexen Forschungsfeldes. München.

Deutschsprachige Forschung zur Unternehmensstrategie

385

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Prof. Dr. Dr. h.c. Horst Steinmann Dipl.-Kfm. Thomas Olbrich Dipl.-Kfm. Hermann Riedl Lehrstuhl für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre und Untemehmensführung Universität Erlangen-Nürnberg Lange Gassse 20 D-90403 Nürnberg E-Mail: [email protected]

Monika Stumpf

Effektivere Teams durch den bewußten Einsatz kognitiver Präferenzen

Kommunikation, Persönlichkeitsentwicklung, Soziale Kompetenz, Teammanagement

Zusammenfassung Erfolgreiche Teamarbeit bedeutet Zusammenarbeit auf höchstem Niveau. Jedes Teammitglied wird um so erfolgreicher sein, je besser es seine persönlichen Stärken einsetzen kann. Spannungen lassen sich häufig auf Persönlichkeitskonflikte zurückführen, da sich die meisten Menschen der Unterschiede und der Dynamik in Gruppenbeziehungen nicht bewußt sind. In Hochleistungsteams müssen alle Mitglieder die Stärken, Bedürfnisse und Schwächen der anderen anerkennen, akzeptieren und in ihrem eigenen Verhalten berücksichtigen. Der persönliche Verhaltensstil jedes einzelnen Teammitgliedes wirkt sich nämlich auf die Leistungen des ganzen Teams aus. Ziel einer erfolgreichen Zusammenarbeit sind positive Ergebnisse, nicht Übereinstimmung um jeden Preis, sondern direkte und offene Kommunikation. Um die unterschiedlichen Verhaltensstile verstehen zu können, ist die Bewußtwerdung von Selbst- und Fremdbild sowohl der eigenen Person als auch die der anderen unabdingbare Voraussetzung. Um die Vielfalt menschlicher Verhaltensweisen in eine idealtypische Einteilung zu bringen, bedienen sich die

388

Monika Stumpf

Menschen seit alters her der verschiedensten Persönlichkeitstypologien. Im folgenden wird am Beispiel der psychologischen Typen nach C.G. Jung ein Instrument vorgestellt, das durch das Aufzeigen von kognitiven Präferenzen eine wesentliche Verbesserung der Teamfähigkeit und Erhöhung der sozialen Kompetenz ermöglicht.

Inhaltsübersicht 1

Steigende Anforderungen in der Zusammenarbeit

2 2.1 2.2 2.3

Persönlichkeitstypologien Die Typentheorie nach C.G. Jung Die 8 INSIGHTS Grundtypen Unterschiede in der Wahrnehmung

3 3.1 3.2 3.3 3.4

Teambildung mit INSIGHTS Kognitive Präferenzen und Differenzen Kernfunktionen und Arbeitsstile im Team Führungsstil und verantwortungsvoller Einsatz diagnostischer Instrumente Der vierstufige Problemlösungsprozeß

4

Abschließendes Beispiel

Teammanagement

1

389

Steigende Anforderungen in der Zusammenarbeit

Heutzutage sind Arbeitsplätze ohne Teamarbeit kaum mehr vorzustellen. Arbeiten im Team ist zu einem wesentlichen Bestandteil des Berufslebens geworden, die wenigsten arbeiten noch in völliger Isolation. Je besser wir die Faktoren kennen, die unsere Zusammenarbeit bestimmen, desto produktiver und zufriedener können wir alle werden. Ein wesentlicher Aspekt ist dabei das unterschiedliche menschliche Verhalten, das auf verschiedenen kognitiven Präferenzen beruht. Wenn man diese Energien für die gemeinsame Aufgabe nutzbar machen kann, wird man feststellen, daß man damit sowohl die eigenen Ziele als auch die des Unternehmens verfolgen kann. Es gelingt, die dynamischen Beziehungen, die sich immer entwickeln, wenn Menschen zusammen arbeiten, zu hinterfragen und besser zu verstehen, (vgl. Bents, 1992, S. 138) Das dazu notwendige Typisieren, Einteilen und Kategorisieren von Menschen in Persönlichkeitstypen geschieht ständig und überall, meist unbewußt. Wer Unterschiede im Verhalten zwischen verschiedenen Personen aber bewußt wahrnimmt, über seine eigenen Neigungen bzw. Präferenzen Bescheid weiß und die der anderen erkennt, respektiert und in seinem persönlichen Verhalten berücksichtigt, wird in seiner Umgebung eine konstruktrive und positive Beziehungskultur entstehen lassen, (vgl. Bents/Blank, 1995, S. 2f.).

2

Persönlichkeitstypologien

Der Wunsch, in die Vielfalt und Unterschiedlichkeit der Menschen eine idealtypische Ordnung zu bringen, hat eine lange Tradition. Schon Hippokrates, der Begründer der modernen Medizin, hatte bereits beobachtet, daß viele seiner Patienten offensichtlich ganz bestimmte Verhaltensmuster zeigten. Diese konnten von Gruppe zu Gruppe verschieden sein, ließen sich aber dennoch als Gemeinsamkeiten identifizieren und wurden in die sog. vier „Temperamentsgruppen" eingeteilt: • • • •

Sanguiniker (lebhafter, temperamentvoller Mensch) Phlegmatiker (träger, wenig agiler Mensch) Choleriker (reizbarer, jähzorniger Mensch) Melancholiker (trübsinniger, schwermütiger Mensch).

Wir wissen zwar inzwischen, daß jeder Mensch in verschiedenen Situationen alle genannten Eigenheiten mehr oder weniger zeigen kann, trotzdem werden auch heute noch Menschen nach solchen Stereotypen klassifiziert mit der gefährlichen Folge, daß der so abgestempelte Mensch mit der Zeit die von Dritten erwarteten Verhaltensmerkmale immer mehr annimmt (vgl. Staehle, 1994,

390

Monika Stumpf

S. 165; Laske/Weiskopf, 1996, S. 302). Bedauerlicherweise haben sich in der (europäischen) Managementpraxis die anspruchsvolleren Persönlichkeitstheorien oder lerntheoretischen Ansätze nicht durchgesetzt, dagegen erfreuen sich die leicht verständlichen Persönlichkeitstypologien und einfachen Eigenschaftstheorien großer Beliebtheit. Auch die Einteilung von C.G. Jung in extrovertierte und introvertierte Orientierungen gehört heute zum Gemeingut des Laienpsychologen. Die Jung'sehe Persönlichkeitstheorie ist aber wesentlich differenzierter und stellt in ihrer Gesamtheit ein fundiertes Modell dar, um das „Typische", das unverwechselbar-individuelle in den Menschen - die eigene Person mit eingeschlossen! - besser erkennen zu können. Wenn es um Selbsterkenntnis geht, besagt eine Grunderkenntnis der Psychologie, daß psychische Gesundheit eng mit einer relativ guten Selbsteinschätzung und Selbstakzeptanz zusammenhängt. Um andere richtig einschätzen zu können oder um bei uns selbst etwas zu verändern, müssen wir zunächst uns selbst kennen. Typisieren hat nichts mit Stereotypen oder Schubladendenken zu tun, sondern hilft, anhand von objektivierbaren Eckdaten die Dynamik einer Person zu verstehen (vgl. Bents/Blank, 1995, S. 4). Bleibt noch das Problem der Erhebung der Eckdaten. In den letzten Jahrzehnten sind viele Methoden entwickelt worden, jedoch nur wenige sind wissenschaftlich hinreichend fundiert. Instrumente, wie der Myers-Briggs Type Indicator (MBTI), das Herrmann Brain Dominance Instrument (HBDI) (vgl. Leonard/Straus, 1998, S. 29), oder die Team Design-Methode (vgl. Hilb, 1998, S. 85) gehören zu denjenigen mit der größten Akzeptanz. Eine umfassende Weiterentwicklung des MBTI stellt INSIGHTS Discovery dar. Es handelt sich hierbei um ein Instrument, das die Jung'sehe Theorie der Psychologischen Typen (Jung, 1921) als einziges in Reinform abbildet und somit empirisch zu einem Modell erweitert. Die folgenden Ausführungen beziehen sich auf die psychischen Prozesse, wie sie von C.G. Jung beschrieben wurden und mit INSIGHTS Discovery dargestellt werden können.

2.1

Die Typentheorie nach C.G. Jung

Jung's Absicht war, ein normatives Verständnis von menschlichem Verhalten zu beschreiben. Eine solche Vorstellung widerstrebt zunächst unserer Vorstellung von Individualität. Jung selbst sah aber in seiner Anschauung von genormtem Verhalten überhaupt keinen Widerspruch zur Überzeugung, daß jeder Mensch ein unverwechselbares Individuum ist. Aber es gibt gewisse Einstellungen und Funktionen im menschlichen Verhalten, aufgrund derer man voraussagen kann, wie sich eine Person verhalten wird (vgl. Bents/Blank, 1995, S. 3).

Teammanagement

391

Es kommt auf die Präferenzen an; diese bilden die Grundlage der Jung'sehen Typologie, die besagt: Jeder Mensch hat eine bestimmte, bevorzugte Weise oder Präferenz, in der er seine Umwelt wahrnimmt und beurteilt. Es gibt jeweils zwei Arten des Wahrnehmens und des Beurteilens. Man kann entweder über die fünf Sinne (Sinneswahrnehmung/Empfinden) oder intuitiv (Intuition) wahrnehmen. Man beurteilt entweder analytisch und objektiv (Denken) oder gefühlsmäßig bzw. anhand persönlich subjektiver Kriterien (Fühlen). Zur Erklärung menschlichen Verhaltens unterscheidet Jung also vier psychologische Grundfunktionen, die paarweise gegenübergestellt, jeweils ein Kontinuum bilden: Wahrnehmung: Empfinden - Intuition Beurteilung: Denken - Fühlen.

Jung's Rationale Funktionen Der

Entscheidungsfindungsprozeß Logisch & Analytisch Denken Aufgabenorientierunq Formal Unpersönlich Sachlich Objektiv Willensstarfc Korrekt

Personenorientierung Informell

Persönlich

Entgegenkommend

Einbezogen

Achtsam

Rücksichtsvoll

Fühlen Subjektiv & Persönlich

Jung's Irrationale Funktionen Empfinden & Intuition W i e wir die Welt sehen

c Λ c taα, ε w

Abb. 1:

Detailorientiert Genau Sachlich Beharrlich

Ganzheitlich

Gegenwerts orientiert

Zukunfts orientiert

Inspirativ Abstrakt

cο .•3

Ideenreich

3=

Die vier psychologischen G r u n d f u n k t i o n e n nach J u n g

392

Monika Stumpf

Diese beiden unabhängigen Dimensionen wurden bereits 1939 von Jacobi (vgl. Jacobi, 1994, S. 37) in einem Diagramm dargestellt, mit den Quadranten Denken/Empfinden Fühlen/Empfinden

Denken/Intuition Fühlen/Intuition

Hellriegel/Slocum/Woodmann beschreiben diese Kategorien folgendermaßen: (vgl. Staehle, 1994, S. 166) •

Denken/Intuition: Menschen mit einer solchen Orientierung entwerfen große Theorien, langfristige abstrakte Unternehmungsstrategien, bei denen der Mensch ausgeklammert bleibt (der abstrakt, konzeptionell denkende Theoretiker); • Denken/Empfinden: Menschen mit einer solchen Orientierung entscheiden auf der Grundlage von Fakten, die analysiert und logisch verknüpft werden (der kühl rechnende Analytiker und Bürokrat); • Fühlen/Intuition: Menschen mit einer solchen Orientierung haben eine langfristige Zukunftsperspektive für eine menschenwürdige Organisation und lassen sich nicht von dieser entgegenstehenden Fakten abbringen (der kreative Generalist mit Herz); • Fühlen/Empfinden: Menschen mit einer solchen Orientierung verlassen sich bei der Wahrnehmung nur auf das, was sie selbst mit ihren Sinnen erkennen können, zeigen dabei aber eine starke Personenorientierung, ein persönliches Engagement Personen und nicht Sachen gegenüber (der positivistische Technokrat mit Herz). Weiters sind diese Funktionen von der Einstellung beeinflußt, mit der jemand die Welt erlebt. Man hat entweder eine Präferenz für die Außenwelt der Mitmenschen und Dinge und spricht dann von einer außenorientierten bzw. extravertierten Einstellung oder eine Präferenz für die Innenwelt der Ideen und Gedanken und spricht dann von einer innenorientierten bzw. introvertierten Einstellung. (Vgl. Bents/Blank, 1995, S. 8) Die vier Funktionstypen haben in dieser Form natürlich nur in der Theorie Gültigkeit. Im Leben kommen sie fast niemals rein vor, sondern mehr oder minder als Mischtypen (vgl. Jacobi, 1978, S. 27). Nach Jung kann deshalb bei jedem Menschen auch noch eine Hauptfunktion (dominante Funktion) und eine oder zwei Hilfsfunktionen unterschieden werden. Dies führt zu einer weiteren Präzisierung, die so einen Persönlichkeitstyp noch differenzierter charakterisieren kann (von 8, 16 bis zu 56 Sub-Typen bei INSIGHTS Discovery). Für die weiteren Ausführungen zum Teammanagement genügt aber eine Unterscheidung in die 8 INSIGHTS-Grundtypen.

Teammanagement

Jung's Einstellungen Introversion & Extraversion Wie wir unsere Energien ausdrücken

Abb. 2:

2.2

Die psychologischen Einstellungen nach Jung

Die INSIGHTS Grundtypen (vgl.Lothian, 1997a, Chapt. 5)

Die 8 Jung'sehen Typen in moderner Darstellung:

Abb. 3:

Die 8 INSIGHTS-Grundtypen

394

Monika Stumpf

Der Direktor-Typ (intuitives Denken) Eindringlich, fordernd und entschlußfreudig tendiert dieser autokratische Persönlichkeitstyp stark zum Individualismus. Er ist vorausschauend, progressiv und kämpft für seine Ziele. Die Betonung des Verstandes führt zu breitgefächerten Interessen und zu einer logischen und scharfsinnigen Vorgehensweise beim Lösen von Problemen. Der Motivator-Typ (extravertierte Intuition) Motivator-Typen legen gleich viel Wert auf Ergebnisse wie auf zwischenmenschliche Beziehungen. Sie sind von Natur aus partizipierende Persönlichkeiten, die Aufgaben in Zusammenarbeit mit Mitarbeitern erledigen. Sie mögen keine Detailarbeit, führen sie jedoch gleichwohl aus, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Für sie sind sowohl Kontakte als auch der Respekt anderer wichtig. Der Inspirator-Typ (intuitives Fühlen) Inspiratoren sind extravertiert und gesellig und suchen ein angenehmes soziales Umfeld, in dem sie Kontakte knüpfen und erhalten können. Sie sind fähig, in anderen Begeisterung für eine Sache zu wecken und unterhalten ein ausgedehntes Netzwerk an Kontakten, das eine gute Grundlage für ihre Geschäfte bildet. Gesellschaftlich gewandt, schließen sie leicht Freundschaften und überwerfen sich mit anderen nur selten ernsthaft. Sie sind verbal geschickt und verkaufen ihre eigenen Ideen gut und wecken dabei Begeisterung in anderen. Der Helfer-Typ (reines Fühlen) Helfer sind warmherzige, verständnisvolle und umgängliche Individuen, die sowohl im Beruf als auch im Privatleben nach positiven Beziehungen zu ihren Mitmenschen streben. Sie sind anspruchsvoll und lösen Aufgaben in Zusammenarbeit mit anderen. Sie sind gute Teamarbeiter, jedoch sehr empfindsam und nehmen Kritik an ihrer Arbeit möglicherweise persönlich. Der Unterstützer-Typ (empfindendes Fühlen) Unterstützer sind umgängliche, liebenswerte, beständige Menschen, die mit anderen gut auskommen. Durch ihre gemäßigte, kontrollierte Haltung sind sie rücksichtsvoll, geduldig und immer gewillt, denen zu helfen, die sie für ihre Freunde halten. Sie entwickeln in ihrem Arbeitsumfeld enge Beziehungen zu einer kleinen Gruppe von Kollegen. Ihre Bemühungen richten sich darauf, das Vertraute und Berechenbare zu erhalten. Der Koordinator-Typ (introvertiertes Empfinden) Koordinatoren neigen zu Abhängigkeit und Objektivität und besitzen gewöhnlich strenge Wertmaßstäbe. Sie sind vorsichtige, sorgsame und konventionelle Menschen, die diplomatisch und aufrichtig handeln. Sie neigen dazu, sehr loyal, präzise und diszipliniert zu sein, mit hohen Maßstäben und Erwartungen an sich selbst. Entscheidungen fallen ihnen schwer, bevor nicht alle Fakten und Details verfügbar sind.

Teammanagement

395

Der Beobachter-Typ (introvertiertes Denken) Beobachter sind genau, vorsichtig und diszipliniert, gewissenhaft und zuverlässig bei Arbeiten, die Genauigkeit und Aufmerksamkeit erfordern. Sie haben hochentwickelte analytische Fähigkeiten, und für sie sind sachliche Daten bei Entscheidungen und im grundsätzlichen Handeln von großer Bedeutung. Sie sind objektive Denker, die intuitive Informationen mit den Fakten, die sie auf effektive Weise gesammelt haben, kombinieren. Der Reformer-Typ (reines Denken) Reformer sind intelligent und sowohl kreative als auch abstrate Denker. Es fällt ihnen schwer, Entscheidungen auf lange Sicht zu treffen. Ihr konkurrenzbewußtes Streben nach Resultaten wird durch den übertriebenen Drang nach Perfektion überlagert. Reformer sind Schnelldenker, ihre Reaktion wird jedoch durch den Wunsch bestimmt, alle möglichen Lösungen zu erforschen.

2.3 Unterschiede in der Wahrnehmung Menschen handeln im Leben immer auf der Basis Ihrer Wahrnehmungsmuster, niemals aufgrund der Realität (vgl. Watzlawick, 1997). Dennoch halten viele Menschen ihre Wahrnehmung für die Wirklichkeit. Robert Burns: „Die Wahrheit ist: wenn wir anfangen, uns so zu sehen, wie andere dies tun, ist das der Beginn, uns selbst zu verstehen." Wenn wir den Effekt, den wir auf andere haben, einmal verstanden haben, so können wir uns entscheiden, ob wir diese Wirkung verstärken oder abmildern wollen, um mit anderen bessere Beziehungen zu unterhalten. So können die oben beschriebenen INSIGHTS-Grundtypen sich auch auf eine ganz andere Weise beschreiben lassen, je nach unterschiedlicher Wahrnehmung: (vgl. Insights Handbuch, 1994, S. 108ff.) Direktor-Typen Sie haben häufig Probleme im Umgang mit Menschen, da sie immer wieder für kühl, schroff und arrogant gehalten werden. Sie neigen dazu, egozentrisch und wenig mitfühlend zu sein, dabei in hohem Maße kritisch und Fehler suchend, wenn ihren Maßstäben nicht entsprochen wird. Sie überschreiten manchmal ihre Grenzen, und Routinearbeit macht sie ungeduldig und unzufrieden. Motivator-Typen Von anderen Persönlichkeitstypen werden sie als dynamisch und voller Enthusiasmus erlebt, manche halten sie jedoch auch für voreilige und indiskrete Individuen. Sie können zu „Workaholics" werden, wenn sie sich ihrer Grenzen nicht bewußt sind.

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Monika Stumpf

Inspirator-Typen Optimistisch wie sie sind, neigen sie zur Fehleinschätzung ihrer eigenen Fähigkeiten und der der anderen. Sie ziehen oft voreilig positive Schlüsse, ohne alle nötigen Informationen gesammelt zu haben. Anderen erscheinen sie oft als unbeständig. Helfer- Typen Sie sind sehr empfindsam und nehmen Kritik an ihrer Arbeit möglicherweise persönlich. Sie haben Schwierigkeiten, anderen gegenüber Autorität zu zeigen, falls dies notwendig wird. Sie empfinden es als schwierig, Entscheidungen ohne vorherige Beratung mit anderen zu treffen. Unterstützer-Typen Benötigen Hilfe, wenn es darum geht, Zeitpläne einzuhalten. Projekte werden oftmals beiseite gelegt, bevor sie vollständig zu Ende geführt werden. Sie können unter Druck stur und widerspenstig werden, womit sie möglicherweise Kollegen und Vorgesetzte frustrieren. Koordinator-Typen Sie brauchen Hilfe und Bestätigung, da sie nur schwer aus sich herausgehen. Sie vertrauen anderen nicht schnell und teilen ihre Gedanken nicht mit. Sie benötigen spezifische Instruktionen, bevor sie eine neue Tätigkeit beginnen und mögen weder Streß noch Chaos. Beobachter- Typen Sie verstricken sich darin, Material zu suchen, um Fehler zu kaschieren. Sie neigen dazu, Fremden zu mißtrauen und haben möglicherweise Schwierigkeiten, die Vergangenheit zu vergessen. Reformer- Typen Sie neigen dazu, ärgerlich zu werden, wenn sie unrecht haben und suchen selbst dann noch stützende Fakten, wenn bereits eine Entscheidung gefallen ist. Andere halten sie eventuell für reserviert und kalt. Sie können autoritär werden, wenn ihre harte Arbeit nicht anerkannt wird. Ihre Egozentrik wird von manchen als anmaßend empfunden. Die meisten Menschen, die sich selbst gut kennen, werden sich auch in den negativen Beschreibungen wiederfinden, die sie charakterisieren, wenn sie mal einen „schlechten Tag" haben. Zweifellos haben andere Menschen diese Verhaltensweisen an ihnen erlebt und sie selbst sind sich des „schlechten Tages" auch bewußt. Jedoch, und da liegt der Schlüssel, kann es gut sein, daß die Menschen, die dem eigenen Quadranten gegenüberliegen, sie häufiger so wahrnehmen, also auch an einem scheinbar „guten Tag", (vgl. Insights Handbuch, 1994, S. 19)

Teammanagement

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3.1 Teambuilding mit INSIGHTS Wer sich mit der psychologischen Typentheorie auseinandersetzt, schätzt sie vor allem deswegen, weil sie vorurteilsfrei operiert und dadurch Offenheit und Vertrauen fördert. Diese Eigenschaften sind besonders beim Aufbau von Teams und Arbeitsgruppen entscheidend. Wenn alle im Team vertretenen Typen feststellen, daß sie gerade für ihre unverwechselbaren Eigenschaften und Beiträge geschätzt werden, dann entwickelt sich ein besonderer Teamgeist, der die Zusammenarbeit und Produktivität bedeutend verbessert. Die Typentheorie hilft dabei, ein Team auf sanfte Weise soweit zu entwickeln, daß die Differenzen zwischen den beteiligten Personen ohne Schaden an die Oberfläche kommen, erforscht und bereinigt werden können, (vgl. Bents/Blank, 1992, S. 138).

3.1 Kognitive Präferenzen und Differenzen Kognitive Differenzen beziehen sich auf unterschiedliche Vorgehensweisen der Menschen beim Wahrnehmen und Erfassen von Gegebenheiten, dem Treffen von Entscheidungen, dem Lösen von Problemen sowie dem Eingehen auf andere. (Vgl. Zimbardo, 1992, S. 420ff.). In diesen unterschiedlichen Vorgehensweisen zeigen sich Präferenzen, die nicht mit Fähigkeiten oder Fertigkeiten verwechselt werden dürfen und die nichts sind, was bei jedem einzelnen starr ausgebildet wäre. Die meisten Menschen bedienen sich einer Mischung an Vorgehensweisen und führen ihr Leben nicht in engen kognitiven Grenzen, sofern nur die Umstände stimmen. Davon abgesehen neigen wir aber alle zu ein oder zwei Gewohnheiten, die unsere Art zu entscheiden dann ebenso prägen wie unseren Umgang mit anderen - zum guten oder zum schlechten. (Vgl. Leonard/Straus, 1998, S. 28) Kognitive Präferenzen zeigen sich auch in Arbeitsstilen sowie der Art und Weise, Entscheidungen zu treffen. •

Präferenzen sind an sich weder gut noch schlecht. Ob sie von Vorteil oder Nachteil sind, hängt von den Umständen ab. • Unterschiedliche Präferenzen entwickeln sich in unserem Leben früh, und die, an denen wir festhalten, tendieren über die Jahre dazu, relativ stabil zu bleiben. • Wir können lernen, unser Verhaltensrepertoire zu erweitern und außerhalb unserer bevorzugten Gewohnheiten zu agieren. Aber das ist schwierig etwa wie das Schreiben mit der anderen Hand. • Wer die Präferenzen anderer Leute versteht, dem fällt es leichter, mit ihnen zu kommunizieren und zu kooperieren. (Vgl. Leonard/Straus, 1998, S. 29)

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3.2 Kernfunktionen und Arbeitsstile im Team Ausgedehnte Untersuchungen mit Teaminterviews führten zu dem Schluß, daß sich acht Kernfunktionen oder Präferenzen im Team feststellen lassen. Für die Jung'sehen Typen ergeben sich somit acht Arbeitsstile: (vgl. Lothian, 1997b, S. 4) Leiten, Führen (Direktor) Motivieren (Motivator) Inspirieren (Inspirator) Helfen (Helfer) Unterstützen (Unterstützer)

Koordinieren (Koordinator) Beobachten (Beobachten) Reformieren (Reformer)

testen und durchsetzen neue Ideen kreieren die Ideen an andere weitervermitteln sich mit anderen beraten und abstimmen Strukturen und entsprechende Hilfen anbieten sich an bereits bewährte Verfahren halten Systeme überprüfen neue Methoden einführen

Als neunte und zentrale Funktion wird die Fähigkeit zum Zusammenführen angesehen, die besonders wichtig ist, wenn sich Teammitglieder in gegenüberliegenden Positionen im Rad befinden, und die vom jeweiligen Teammanager erwartet wird.

3.3

Führungsstil und verantwortungsvoller Einsatz diagnostischer Instrumente

Hier ist die Führungskraft oder der Teamleiter gefordert, seinen Führungsstil mit Hilfe des Wissens aus der psychologischen Typologie im Sinne einer Effizienzsteigerung der Teamleistung einzusetzen. Dazu ist es unbedingt notwendig, zuerst bei sich selbst anzufangen. Menschen, die keinen Sinn für kognitive Präferenzen haben, neigen dazu, Konflikte entweder zu personalisieren oder ihnen auszuweichen - oder beides. Wer sich bewußt ist, in welchem Maße die eigenen Präferenzen den Führungsstil und das Kommunikationsverhalten prägen, erwirbt dadurch eine gewisse soziale Kompetenz und hat neben den Kriterien des psychologischen Reifegrades seiner Mitarbeiter (vgl. Hinterhuber, 1997, S. 156) ein weiteres nützliches Werkzeug zur Verfügung, das, verantwortungsvoll eingesetzt, eine erhebliche Verbesserungen in der Teamarbeit bringen kann. Dabei ist besonders wichtig, daß kognitive Präferenzen nicht als „richtig" oder „falsch" interpretiert werden, sondern lediglich zur Bewußtmachung unterschiedlicher Arbeitsstile und verschiedenartiger persönlicher Stärken dienen. Manche Menschen sind empfänglich für Fakten,

Teammanagement

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Zahlen und Statistiken, andere bevorzugen Geschichten oder grafische Präsentationen. Deshalb muß eine Nachricht in der vom Empfänger bevorzugten „Sprache" gesendet werden, wenn sie ankommen soll. Dies setzt eine fundierte Auseinandersetzung mit diagnostischen Instrumenten voraus, um einer oberflächlichen und mißbräuchlichen Anwendung entgegenzuwirken, (vgl. Leonard/Straus, 1998, S. 30ff.)

3.4

Der vierstufige Problemlösungsprozeß

Aus den präferierten Arbeitsstilen läßt sich ein Modell ableiten, das dazu beitragen kann, die Teameffektivität dahingehend zu erhöhen, daß jedes Mitglied sein persönliches Potential voll ausschöpfen kann. Das folgende Modell zeigt die vier Stufen einer effektiven Problemlösung im Team anhand individueller Präferenzen: (vgl. Lothian, 1997b, S.46) 1. Intuition Brainstorming zur Ideenfindung, Vorstellungskraft und Phantasie 2. Empfinden (Sensorik) Sammeln von Fakten und Details, Schaffen von Klarheit, Erkennen von Relevanz 3. Denken Objektive Problemanalyse, Abwägen von Ursache- und Wirkungszusammenhängen 4. Fühlen Wie wirkt sich die mögliche Lösung auf die betroffenen Personen aus Langfristige und umfassende Ziele lassen sich am besten durch heterogene Teams erreichen. Ihre Stärke liegt in der Verschiedenartigkeit ihrer Mitglieder. Im Idealfall repräsentieren sie aufgrund ihrer Zusammenstellung das ganze Spektrum an Vorstellungen und Denkweisen, das auch in der Gesamtgesellschaft vorkommt. Die Teambildung wird jedoch umso länger dauern, je heterogener die Zusammensetzung ist, aber am Ende sollte sich die Verschiedenheit der Standpunkte als Stärke und Vorteil erweisen und die Kenntnis darüber kann den Teambildungsprozeß erheblich verkürzen. Andererseits gilt: Je homogener die Gruppe - günstig für direkte und klar abgegrenzte Ziele -, desto schneller erfolgt die Teambildung, aber desto mehr blinde Flecken wird sie auch haben. Diese blinden Flecken entstehen durch das Fehlen der anderen Typen. Die von Bar und Bar vorgenommene Untersuchung der Stärken und Schwächen der Grundfunktionen kann eine produktive Hilfe beim Aufbau von Teams bilden: (vgl. Bents/Blank, 1992, S. 138ff.)

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Intuitive Typen im Team: Stärken'. denken schnell, lesen zwischen den Zeilen können in großen Zusammenhängen denken sehen Möglichkeiten, erkennen Muster sind visionär und individualistisch Schwächen: informieren sich zu flüchtig, übersehen Fakten bearbeiten zuviele Themen zugleich sind zerstreut und unkonzentriert überbewerten das Mögliche sind unpraktisch, zu unabhängig und egozentrisch Denker-Typen im Team: Stärken: bevorzugen analytische und logische Äußerungen schätzen Objektivität handeln in Notsituationen rational erklären ausführlich und gehen in die Tiefe Schwächen: analysieren zu distanziert unterschätzen die Rolle von Gefühlen wirken kalt und unsensibel, erklären zu viel und stellen zu viele Fragen Empfinden-Typen im Team: Stärken: lassen sich Informationen gern Schritt für Schritt geben bevorzugen das Praktische und Gegenwärtige bevorzugen das Erprobte fordern Beweise Schwächen: Übersehen den Roten Faden in der Information lehnen neue und innovative Ideen ab halten an überholten Methoden fest verpassen günstige Gelegenheiten Fühlen-Typen im Team: Stärken: helfen und geben gern sind emotional sensibel

Teammanagement

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sind charmant und überzeugend identifizieren sich mit anderen Menschen Schwächen: sind zu unkritisch in ihrer Bereitschaft zu helfen und zu geben werden mit Gefühlen überladen, die ihre Wahrnehmung verzerren bauen zu sehr auf ihren Charme anstatt sich gut vorzubereiten sind überreaktiv und nachtragend. Effizientes Teammanagement sollte immer folgende Faktoren berücksichtigen: (vgl. Blenks/Blank, 1992, S. 142) 1. Die Ziele, die das Team erreichen soll 2. Die Persönlichkeitstypen, die im Team zur Zeit vertreten sind 3. Den Prozeß der Veränderung der Teammitglieder (hinzunehmen, ersetzen, herausnehmen). Die Aufgaben und Ziele des Teams sollten sich in der Zusammensetzung niederschlagen. Dabei ist es hilfreich, sich ein „ideales" Team zu konstruieren und die real existierenden Typen mit diesem Idealbild zu vergleichen; dadurch lassen sich passende und unpassende Konstellationen leicht feststellen, die dann aufgrund des neuen Verständnisses zu innovativen Lösungen führen können.

4

Abschließendes Beispiel

Der Chef der US-Tochter eines streng kontrollierten, konservativen europäischen Chemieunternehmens stand vor einem Problem: Obwohl die Geschäftsstrategie der Firma in den USA nie richtig aufgegangen war, drängte die Zentrale darauf, weiter wie bisher zu wirtschaften. Ihm war klar, daß er neue Wege finden mußte, um in einem sich rasch verändernden Markt mithalten zu können. Aber die ihm unterstellten Mitarbeiter waren durchweg so analytischdenkend ausgerichtet wie das Management in der Zentrale und nicht willens, mit ihm zusammen Auswege zu erarbeiten. Statt zu resignieren, prüfte der Firmenleiter, welche Präferenzen es im Unternehmen weiter unten gab und stieß dort auf jene kognitive Vielfalt, die er brauchte. Dort fand er eine kleine, dynamische Gruppe von Individuen, deren Denkmuster der herrschenden Kultur widersprachen, sodaß diese Leute auch nicht aufgestiegen waren. Als Menschen mit intuitiven Präferenzen wurden sie zwar als nützlich, aber für Spitzenpositionen als ungeeignet betrachtet. Der US-Chef änderte das. Er beförderte drei dieser Mitarbeiter zu Spartenlei-

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tern - hohe Positionen, die bis dahin ausschließlich durch analytische Denker besetzt worden waren. Die neuen Manager unterstützten die Innovationsabsichten des Chefs nachdrücklich und arbeiteten mit ihm an der Entwicklung neuer geschäftlicher Ansätze. Sie verstanden, daß ihr Erfolg davon abhing, wie sie der Zentrale ihre Vorstellungen unterbreiten würden. Wohlüberlegt verpackten sie ihre neuen Ideen deshalb so, daß sie sich in den kognitiven Rahmen der europäischen Eigentümer einfügten. Sie untermauerten ihre Position mit gut recherchierten Zahlenangaben sowie mit Kalkulationen der voraussichtlichen Kosteneinsparungen und Renditen. Im Detail wurden alle geplanten Einzelschritte erläutert. Binnen zwei Jahren nahm die US-Tochter die betriebliche Umgestaltung in Angriff, die so radikale Maßnahmen einschloß wie die Zulassung externer Konkurrenten für interne Serviceleistungen. Die Qualität dieser Leistungen stieg mächtig an - ebenso wie die Zahl der Innovationen der Firma in den USA. (vgl. Leonard/Straus, 1998, S. 34)

Literaturverzeichnis Bents, R./Blank, R. (1992): MBTI - Eine dynamische Persönlichkeitstypologie, München. Leonard, D./Straus, S. (1998): Im Widerstreit der Ideen zur Innovation, In: Harvard Business manager 2. Watzlawick, P. (1997): Wie wirklich ist die Wirklichkeit, München. Hilb, M. (1998): Integriertes Personal-Management: Ziele - Strategien - Instrumente, Neuwied. Bents, R./Blank, R. (1995): Typisch Mensch - Einführung in die Typentheorie, Rosdorf. Hinterhuber, H.H. (1997): Strategische Unternehmungsführung, Π Strategisches Handeln, Berlin-New York. Laske, St./Weiskopf, R. (1996): Personalauswahl - Was wird denn da gespielt? Ein Plädoyer für einen Perspektivenwechsel, In: ZfP, 4, S. 295-330. Jacobi, J. (1994): Die Psychologie von C.G. Jung, Ölten. Jung, C.G. (1997): Typologie, München. Staehle, W. (1994): Management - Eine verhaltenswissenschaftliche Perspektive, München. Lothian, Α. (1997): Teambuilding - Workbook, Dundee. Lothian, Α. (1997): Insights into Personal Effectiveness, Workbook, Dundee. Zimbardo, P.G. (1992): Psychologie, Berlin-Heidelberg.

Dr. Monika Stumpf Institut für Unternehmungsführung Universität Innsbruck Rennweg 23-25 A-6020 Innsbruck [email protected]

Horst Wildemann

Wissensmanagement in Unternehmensnetzwerken

Netzwerke, Konzeptwettbewerb, Entwicklungsnetzwerke

Wissensmanagement,

Zulieferindustrie,

Zusammenfassung Die komplexe und äußerst dynamische Wettbewerbssituation nötigt die Zulieferindustrie frühzeitig solche Veränderungen in die Unternehmensstrategie einfließen zu lassen. Nicht zuletzt unterstützt die Globalisierung der Märkte eine engere Beziehung zwischen Zulieferer und Hersteller. Mit neuen Ansätzen, wie dem Konzeptwettbewerb in Verbindung mit einem interorganisationalen Wissensmanagement wird die Grundlage für eine Zusammenarbeit gelegt. Entwicklungsnetzwerke bilden hier die Basis. Entscheidend sind die Wettbewerbsvorteile, die in der Kooperation realisiert werden können. Beim Konzeptwettbewerb geht es zunächst gar nicht um Produkte, es geht um Ideen zur möglichst effektiven Herstellung bestimmter Teile. Dabei spielen Wissens- und Erfahrungsakkumulation eine wichtige Rolle.

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Inhaltsübersicht 1

Strategische Leitlinien und Erfolgsfaktoren

2

Unternehmensnetzwerke als organisatorische Antwort auf neue Herausforderungen

3

3.3

Entwicklungsnetzwerke als Kompetenzcenter organisatorischer Wissensbasen Konzeptwettbewerb Effiziente Entwicklungsnetzwerke durch ein Intra- und Interorganisationales Lernen Wissensmanagement

4

Fazit und Forschungsbedarf für ein Wissensmanagement

3.1 3.2

1

Strategische Leitlinien und Erfolgsfaktoren

Die Wettbewerbssituation in der Zulieferindustrie macht es notwendig, Veränderungen im externen Entscheidungsfeld der Unternehmen zu identifizieren und diese frühzeitig in die Ausrichtung der Unternehmensstrategie einfließen zu lassen. Der Fokus der zu entwickelnden Konzepte liegt vor allem auf der Sicherstellung nachhaltiger und nicht imitierbarer Wettbewerbsvorteile. Aktive Marktbeeinflussung, Kundenorientierung und eine stete Veränderung der internen Organisation, ein hohes Innovationstempo sowie leistungsstarke Produktions- und Servicesysteme stehen dabei im Mittelpunkt. Aus einer Befragung von 155 Lieferunternehmen ergaben sich folgende Entwicklungstendenzen (vgl. Wildemann 1998): 1. Die Zulieferer entwickeln sich als Spezialisten mit eigenem Vertrieb und eigenem Marketing. 2. Höchste Dringlichkeit hat der Ausbau der Beziehungen zwischen Abnehmern und Zulieferern. 3. Die Erhaltung des Wettbewerbs zwischen den Netzwerkpartnern ist im Interesse aller Beteiligten. 4. Skaleneffekte verlieren an Bedeutung, wenn die Qualität der Zusammenarbeit zwischen Zulieferer und Abnehmer zur Hauptsache wird. 5. Das Vertrauen in den Partner entscheidet über Qualität und Erfolg der Partnerschaft.

Wissensmanagement in Unternehmensnetzwerken

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6. Das innovative Netzwerk und ein integriertes Wissensmanagement ist ein Ausweg aus der Krise der mittelständischen Unternehmen. Diese Entwicklungstendenzen erfordern ein Umdenken des Managements. Dieses Umdenken kann sich an den folgenden Leitlinien orientieren: •









Die zukünftigen Erfolgsfaktoren werden eine internationale Erfahrung und Präsenz, eine hohe Reaktionsgeschwindigkeit der Unternehmen sowie eine hohe Innovationsleistung und Kooperationsbereitschaft sein. Die Kooperation in Netzwerken und mit wechselnden Partnern erhöht die Flexibilität des Unternehmens, wirkt den allgemeinen Konzentrationsbewegungen entgegen und erlaubt ein hohes Spezialistentum bei der Lösung komplexer Aufgaben. Einseitige Machtpositionen gelten als obsolet. Im Vordergrund von Zulieferern und Abnehmern steht die Verbesserung der Wettbewerbsposition, die durch das beiderseitige Zusammenlegen des Know-how und des Wissens in jeglicher Form erreicht wird. Die Zulieferer müssen einen Weg finden, der an dem Konkurrenzdenken, dem Aufbau von "Fürstentümern" und Egoismus der Vergangenheit vorbei zu einer gemeinsamen Definition der neuen Spielregeln des Wettbewerbs führt. Die Kreativität der Zulieferer, die sich auch in der Bildung von Entwicklungsnetzwerken manifestiert, stellt eine die Zukunftsposition verbessernde Erfolgsposition der Zulieferindustrie dar, ein Potential, das die Erfolgsposition der Zulieferindustrie wesentlich verbessert und zukünftig zu forcieren ist. Nicht nur Hersteller, sondern auch Zulieferer schaffen sich durch die Auseinandersetzung mit Entsorgungsnetzwerken eine Kompetenz. Dieses Know-how bringt sie einen Schritt näher zum selbstbewußten Agieren und macht den Weg zur aktiven Gestaltung des Wettbewerbs frei.

Diese Leitlinien prägen das unternehmerische Handeln und die strategische Ausrichtung der Unternehmen und besitzen über die Zulieferindustrie hinaus Gültigkeit. Der Begriff des Strategischen erfährt nicht zuletzt durch den "inflatorischen Gebrauch des Adjektivs strategisch" im Rahmen der Managementlehre unterschiedliche Ausdifferenzierungen. "Hauptanliegen einer dynamischen strategischen Führung ist es, eine gesunde Unternehmensentwicklung zu ermöglichen, die darauf ausgerichtet ist, den Nutzen für die Bezugsgruppen nachhaltig und markant zu erhöhen" (Kreikebaum 1995, S. 2005). Als strategische Erfolgsfaktoren werden in Abgrenzung zu den strategischen Erfolgspotentialen alle Faktoren bezeichnet, von denen man annehmen kann, daß sie den unternehmerischen Erfolg oder Mißerfolg entscheidend beeinflussen. Sie geben Antwort auf die Frage, welche Kriterien einen wesentlichen Einfluß auf die Erfolgspotentiale von Unternehmen haben (vgl. Ansoff et al. 1976; Kirsch 1996). Die strategische Führung hat die der einem Erfolgspotential zugrunde liegenden Erfolgsfaktoren

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zu identifizieren und zu steuern, indem sie die Erfolgsquellen analysiert und langfristige Konzepte zur Sicherung der Erfolgspotentiale zur Verfügung stellt. Die Klassifizierung für Erfolgsfaktoren läßt sich bis in die 60er Jahre zurückverfolgen. Strategisches Erfahrungswissen - als eine Typologisierung von Erfolgsfaktoren - subsumiert explorative Studien, aus denen umfassende Kataloge für strategische Erfolgsfaktoren abgeleitet wurden. Die Organisationsstruktur bildet einen wesentlichen kritischen Erfolgsfaktor, der insbesondere auch die Zuliefer-Abnehmer-Beziehung wesentlich charakterisiert (vgl. Hinterhuber 1998). Knüpft man strategisch an die konstituierenden Merkmale, so kommt zum Ausdruck, daß die strategische Führung im Rahmen der zunehmenden Internationalisierung des Wettbewerbs veränderte Aufgaben zu bewältigen hat. Die Anforderungen an die Leistungsfähigkeit der Unternehmen in allen Branchen werden qualitativ hochwertiger. Zulieferer und Hersteller sind infolge der Globalisierung der Märkte mehr aufeinander angewiesen als jemals zuvor. Unternehmensgrenzen treten zunehmend in den Hintergrund. Insbesondere in der Automobilindustrie wird deutlich, daß dabei neue Formen der Kooperation zur Erschließung aller Leistungspotentiale erforderlich sind. Mit neuen Ansätzen wie dem Konzeptwettbewerb (vgl. Wildemann 1996) in Verbindung mit einem interorganisationalen Wissensmanagement wird die Grundlage für eine Zusammenarbeit gelegt. In Netzwerkstrukturen bündeln die Unternehmen bei der Lösung zeitlich begrenzter Entwicklungsaufgaben ihr Know-how, ohne ihre Eigenständigkeit in anderen Marktbereichen aufzugeben. Die Intensität der Kooperation im Netzwerk geht weit über die bisher bekannten Zulieferer-Hersteller-Beziehungen hinaus. Know-how, Innovationsfähigkeit und organisatorisches Wissen stellen dabei die neuen Erfolgsfaktoren dar, um dem zunehmenden Ausverkauf von Zulieferunternehmen in Deutschland begegnen zu können.

2

Unternehmensnetzwerke als organisatorische Antwort auf neue Herausforderungen

Die Intensität der Kooperationsbeziehungen in einem Netzwerk geht weit über die bisher bekannten Zuliefer-Hersteller-Beziehungen hinaus (vgl. Hinterhuber 1996). Uneingeschränkte Offenlegung des eigenen Wissens, gegenseitige Lernbereitschaft und Vertrauen in die Integrität des Partners treten im Konzeptwettbewerb an die Stelle des Wettbewerbsdenkens. Richtig eingesetzt führen Netzwerk-Kooperationen über eine Steigerung der Komplexitätsbeherrschung zu Effizienzvorteilen, die einen Vorsprung im Wettbewerb dauerhaft festigen können.

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Im Vergleich zu den herkömmlichen Unternehmen unterscheiden sich Netzwerkunternehmen durch eine doppelte Willensbildung. Einerseits werden Aufgaben gemeinsam mit Partnern formuliert und realisiert, wobei der Wettbewerb außer Kraft gesetzt wird. Andererseits bleiben die Netzwerkunternehmen Teilnehmer des Marktgeschehens, die sich parallel zur Netzwerk-Gemeinschaft oder im Zeitablauf auf dem Markt Konkurrenz machen. Der Vorteil des Netzwerks ist, daß unterschiedliche Kompetenzen für eng umrissene Projekte zielgerichtet gebündelt werden können. Dabei entstehen Rationalisierungs- und Leistungseffekte, die es relativ kleinen Unternehmen ermöglichen, in eine neue Größenordnung hineinzuwachsen. Die Selbstverpflichtung zu fairer Kooperation und die Nutzung von Benchmarking-Systemen zur Steuerung und Kontrolle der Aufgabenverteilung sind Basis der Kooperation. Langfristige Lieferverbindungen sind wichtige Grundlage. Sie erlauben Lerneffekte und die Amortisation der Investitionen in das Netz. Von besonderer Bedeutung sind Unternehmensnetzwerke im Bereich von Forschung und Entwicklung. Sie werden bisher überwiegend in der Beziehung Hersteller-Lieferant realisiert. Die Zulieferindustrie kann im Rahmen von Netzwerken eine wesentliche Aufwertung und Differenzierung im internationalen Wettbewerb gewinnen. Die bisherigen Ansätze zur Kooperation zwischen Abnehmern und Zulieferern sowie Kooperationen der Zulieferer untereinander öffnen den Blick für eine neue Unternehmensform, die große Bedeutung für die Internationalisierung und Wettbewerbskraft der deutschen Zulieferindustrie erreichen wird.

3

Entwicklungsnetzwerke als Kompetenzcenter organisatorischer Wissensbasen

Entwicklungsnetzwerke sind heute bereits eine relativ häufig auftretende Ausprägung im Rahmen der Unternehmensnetzwerke. Sie dienen der Flexibilität, der Reduzierung der Stückkosten, der Minimierung des unternehmerischen Risikos und dem Zusammenfassen von Kompetenzen. Die Gliederung des Unternehmens in Module für bestimmte Aufgaben im Netz, die gesteigerte Leistungsfähigkeit in der Partnerschaft und die flexible Anpassung an Wettbewerbsveränderungen sind besonders positive Merkmale von Netzwerkstrukturen. Hinzu kommt die Stabilisierung von Geschäftsbeziehungen zwischen Lieferant und Abnehmer. Die operative Gestaltung der Zusammenarbeit reicht von langfristigen Lieferverträgen bis zu Joint Ventures. Entwicklungsnetzwerke haben das Ziel, durch enge Kooperation bei der Konstruktion fertigungsgerechter Zulieferteile die Produktionskosten zu senken und die Qualität des Endprodukts zu verbessern. Dabei ergänzen sich die Partner durch die jeweilige Übernahme der Aufgaben, für die sie besonders

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qualifiziert sind. Im Netzwerk werden so sachliche, finanzielle und personelle Kapazitäten, aber auch die Risikobereitschaft und die Bewertung der Marktgegebenheiten zwischen allen Partnern auf das Optimum abgestimmt. Diese Ziele der Entwicklungsnetzwerke sind durch differenzierte Abstufungen der Kooperation zu realisieren. Die Dimension des Koordinationsgrads wird im Mittelpunkt der Diskussion stehen. Die unverbindlichste Form der Zusammenarbeit ist die nicht-koordinierte Einzelentwicklung mit Erfahrungs- und Ergebnisaustausch. Im Vordergrund steht hierbei der Austausch von Wissen gegen Wissen, wobei hier eine Art Vorfeldmarketing betrieben wird. Im Vergleich dazu liegt bei einer bewußten Kooperation mehr als der einmalige oder gelegentliche Ergebnisaustausch zugrunde. Ein Netzwerk hingegen beginnt, wenn die Partner einen auf Dauer angelegten Austausch von Erkenntnissen und Entwicklungsergebnissen vereinbaren. Wichtig bei dieser Form der Partnerschaft ist, daß die Akteure bei ihren sonstigen Aktivitäten unabhängig voneinander bleiben. In der Praxis arbeiten die beteiligten Unternehmen eng zusammen. Die individuellen Entwicklungsaktivitäten werden dabei unterschiedlich stark auf das gemeinsame Ziel ausgerichtet. Die koordinierte Einzelentwicklung basiert auf Parallelentwicklungen ohne Aufteilung der Gebiete, Spezialisierung der Koop-Partner auf einzelne Entwicklungsgebiete oder gegenseitigem Informationsaustausch über eine Zentrale. Dabei werden vor Beginn des Projekts die einzelnen Entwicklungsbereiche auf die kooperierenden Unternehmen aufgeteilt. Danach spezialisiert sich jeder Partner auf seinen Bereich und stellt die Aktivitäten in den Gebieten der Partner ein. Die Ergebnisse und Erfahrungen werden in regelmäßigen Sitzungen ausgetauscht. Wichtig dabei ist ein prozeßorientierter Austausch, der eine reine funktionsbezogene Diffusion von Wissen ersetzt. Das Ergebnis wird dann je nach Komplexität des Entwicklungsprojekts eine gemeinsame Entwicklung eines neuen Produkts oder Fertigungsverfahrens sein. Es kann auch zu eigenständigen Produktvarianten oder Spezialisierungsvereinbarungen kommen. Die Gemeinschaftsentwicklung zeichnet sich dadurch aus, daß die Partner das angestrebte Entwicklungsziel gemeinsam erarbeiten und die erarbeiteten Ergebnisse auch gemeinsam nutzen. Dies gilt auch für Schutzrechte, die allen Beteiligten gemeinsam zustehen. Die Gemeinschaftsentwicklung manifestiert sich in zwei elementaren Ausprägungsformen. Die intensive und fortlaufende Zusammenarbeit der Entwicklungsabteilungen mündet in eine meist langfristig ausgerichtete Gemeinschaftsentwicklung. Bei dieser Form der arbeitsteiligen Kooperation werden einzelne Spezialisten oder auch ganze Abteilungen ausgetauscht. Darüber hinaus wird oft ein Kooperationsausschuß gegründet. Entscheidend ist der Start, bei dem von jeder Seite die Entwicklungskapazitäten und der Stand der Erkenntnisse offengelegt werden müssen. Im Verlauf der Kooperation werden neue Erkenntnisse regelmäßig ausgetauscht. Die enge Zusammenarbeit führt dazu, daß die Partner

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Interesse daran gewinnen, Vereinbarungen über möglichst viele aktuelle und zukünftige Entwicklungstätigkeiten abzuschließen. Die zweite Ausprägung ist die Gründung eines rechtlich selbständigen Gemeinschaftsunternehmens sämtlicher Partner, in das alle relevanten Entwicklungskapazitäten der Muttergesellschaften eingebracht werden. Diese Lösung bietet sich für Großprojekte an und wird daher in der Praxis häufiger von Großunternehmen als von kleinen und mittleren Unternehmen bevorzugt. Die Realität der bisherigen Entwicklungskooperationen hat zu deutlich veränderten Anforderungen an die Zulieferer geführt. Aus Perspektive der Betroffenen hat die Entwicklung nicht nur Vorteile. Die Auswertungen der Delphi-Studie "Entwicklungs-, Produktions- und Vertriebsnetzwerke in der Zulieferindustrie" (vgl. Wildemann 1998) zeigen, wie weit heute bereits auf partnerschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklungsnetzwerke gesetzt wird. Die Mehrzahl der beteiligten Unternehmen führt Forschung und Entwicklung in eigener Regie durch. Immerhin 41 Prozent verfolgen eine F&E in Kooperation mit dem Abnehmer. 17%Prozent vergeben ihre F&E an fremde Unternehmen. Das empirische Ergebnis verdeutlicht, daß die Zulieferer beim Einstieg in Entwicklungskooperationen zurückhaltend sind. Im einzelnen zeigt sich, daß die Kooperation insbesondere im Bereich der Grundlagen und Vorentwicklungen genutzt wird (22 Prozent). Bei auftragsbezogenen Entwicklungen arbeiten 18 Prozent der Unternehmen in Kooperationen zusammen. In der Realisierungsphase (25 Prozent) und in der Konzeptphase (24 Prozent) schätzen die Experten eine intensive Zusammenarbeit, die für beide Seiten Vorteile bringt. Hält man das F&E-Budget dagegen, ergibt sich, daß 42 Prozent des Budgets in die auftragsgebundene Entwicklung fließen, 25 Prozent werden dem Bereich der kundenanonymen Entwicklung zugewiesen, und nur 13 Prozent des Etats werden für die Grundlagen-/Vorentwicklung reserviert. Der größte Teil des Budgets wird für kundenspezifische Arbeiten ausgegeben.

3.1

Konzeptwettbewerb

Einflußgrößen wie Wissenskomponenten, Entwicklungs- und Marktbelieferungszeit des jeweiligen Unternehmens spielen bei der Entwicklung von Kooperationsnetzwerken eine wichtige Rolle. Entscheidend sind die Wettbewerbsvorteile, die in der Kooperation realisiert werden können. Eine Verkürzung von Entwicklungs- und Marktbelieferungszeit kann dauerhafte Wettbewerbsvorteile begründen. Die Auswertung der Delphi-Studie zeigt, daß die Produktlebenszyklen sich weiter verringern. Diese Verkürzung aber hat massive Auswirkungen auf die in der Zukunft benötigte Entwicklungszeit. Eine Delphi-Studie von 1993 (vgl. Wildemann 1996) zeigte ein Spektrum für den Zyklus eines Produkts von 3 bis maximal 41 Jahren. Die aktuellen Aussagen

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liegen zu 45 Prozent bei nur noch vier bis acht Jahren. Je kürzer der Produktlebenszyklus wird, um so höher sind die Anforderungen an die Zulieferer. Die Kompetenz für Prozeß- und Produkt-Know-how steigt steil an. Die schnelle Markteinführung ist ein wesentlicher Wettbewerbsfaktor. Erfolgreiche Unternehmen zeichnen sich heute dadurch aus, daß sie ihre. Zulieferanten zunehmend in den Entwicklungsprozeß integrieren. Mit Simultaneous-Engineering-Projekten werden die Kompetenzen mehrerer Experten gebündelt. Der intensive Einsatz dieser kooperativen Techniken bringt fortschrittlichen Unternehmen Vorteile im Wettbewerb, die von weniger beweglichen Konkurrenten dann nicht mehr aufgeholt werden können. Für die Ziele des Unternehmens führt das Instrument der Entwicklungskooperation zu einer Quelle neuen Wissens. Die Lernebenen in Entwicklungskooperationen sind ergebnisorientiert und potentialorientiert. Während die ergebnisorientierte Stufe auf dem "Lernen zu kooperieren" beruht, geht das potentialorientierte Lernen einen Schritt weiter, indem das "Lernen, um zu kooperieren" in den Vordergrund gestellt wird. Wichtig ist insbesondere die zweite Form des Lernens, die letztendlich über den Lernkreislauf auch das ergebnisorientierte Lernen beinhaltet. Die Produktklinik ist neben Auditierung und Benchmarking das wichtigste Instrument für die Institutionalisierung von Lernprozessen im Unternehmen. In der Produktklinik wird das gesamte Wissen der Partner eingebracht und in die Entwicklung optimaler Ergebnisse umgesetzt. Im Rahmen eines Konzeptwettbewerbs werden mehrere Zulieferer aufgefordert, ihre Vorschläge für die Realisierung eines definierten Bauteils einschließlich aller Anforderungen an das Endprodukt beim Hersteller zu präsentieren. Der Hersteller versucht, über den Vergleich der verschiedenen Vorschläge eine optimale Lösung zu finden. In Definitionsphase, Konzeptentwicklung, Serienentwicklung, Serienfertigung und Serienauslauf wird der Konzeptwettbewerb zum Prüfstein für die Beziehung zwischen Zulieferer und Abnehmer. Der Ablauf des Konzeptwettbewerbs ist in drei Schritte gegliedert: Formulierung der Ziele des Wettbewerbs, Festlegung von Wettbewerbsart und -beteiligung sowie des Wettbewerbsverfahrens. Ziele des Konzeptwettbewerbs sind die Suche nach der optimalen Entwicklungslösung für eine bestimmte Komponente, die Auswahl der besten Lieferanten und weitere Ziele wie etwa die Erlangung von Transparenz auf dem Markt der relevanten Zulieferer. Im zweiten Schritt werden die Art des Wettbewerbs und die Teilnehmer ermittelt. Je nach Bedarf wird der Wettbewerb als Ideen-, Realisierungs-, Grundsatz- oder Qualifikationswettbewerb ausgelobt. Bei der Festlegung des Verfahrens werden die Bewertungsmethode und -kriterien, die Jury und das Vorgehen im Zeitablauf definiert. Die Einladung erfolgt durch den Versand der Teilnahmebedingungen in Form eines Lastenhefts. Der Abnehmer gibt eine Funktionsbeschreibung der Bauteile/Module und legt die Zielkosten fest. Das Lastenheft beschreibt das

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Mengengerüst, die Logistik und die Gewährleistung. Im Rahmen des Wettbewerbs erarbeiten die Lieferanten Bauteilbeschreibungen, dokumentieren die Technologien sowie die Versorgungs- und Produktionslogistik. Der Konzeptwettbewerb wird durch die Grundsatzentscheidung des Abnehmers über das technische Konzept und den Lieferanten abgeschlossen. Der Konzeptwettbewerb führt zu einer Reduzierung der Fertigungstiefe beim Abnehmer und zu einer Konzentration auf nur noch einige wenige Lieferanten. Die dadurch entstehende Partnerschaft ist auf die gesamte Laufzeit einer Produktgeneration angelegt. Sie führt im Endeffekt zu einer Bindung zwischen Hersteller und Zulieferer, die weit über die traditionellen Lieferbeziehungen hinausgeht. Das enge Zusammenarbeiten über längere Zeiträume führt zu Rationalisierungsfortschritten und stärkt die Wettbewerbskraft der Partner in bezug auf Kompetenz, Preis, Qualität und Innovationsstärke. Die intensive Form der Zusammenarbeit ist jenseits der herkömmlichen Vorstellung von Markt, Wettbewerb und Konkurrenz angesiedelt. Denn natürlich wird im Rahmen von Entwicklungskooperationen der Wettbewerb eingeschränkt. Die Partner handeln nicht mehr nur aus Eigennutz, sie wollen gemeinsam eine vorteilhafte Lösung realisieren, bleiben dabei aber eigenständige Unternehmen, die sich im Wettbewerb gegenüberstehen. Die zugrunde liegende Strategie kann durch den Begriff "Coopetition" charakterisiert werden. Damit ist umschrieben, daß zwischen zwei Unternehmen zu einem Zeitpunkt in bestimmten Geschäftsfeldern kooperative, auf anderen Gebieten dagegen ausgesprochen kompetitive Beziehungen bestehen. Im Zeitablauf kann auf eine Phase der Kooperation wieder eine Zeit des harten Wettbewerbs folgen. Im Rahmen der Coopetition gelingt es den Partnern, den Konkurrenzgedanken mit der Notwendigkeit der Kooperation auf partiellen Feldern zu kombinieren. Die Ziele werden dadurch nicht verändert. In beiden Fällen strebt das Unternehmen Vorteile durch eine Stärkung der eigenen Wettbewerbskraft an. Die Aufforderung zum Konzeptwettbewerb ist für den Zulieferer nicht unproblematisch. Das neue Vorgehen befindet sich allzu sehr im Gegensatz zu den gewohnten Gepflogenheiten und Zielsetzungen der unternehmerischen Betätigung. Der Zulieferer will weltweit seine Produkte verkaufen, indem er auf der Basis attraktiver Preise Verträge über die Lieferung genau definierter Produkte vereinbart. Beim Konzeptwettbewerb aber geht es zunächst gar nicht um Produkte, es geht um Ideen zur möglichst effektiven Herstellung bestimmter Teile. Dieses Know-how aber ist in der Praxis der Kern der Wettbewerbsstärke des Zulieferers. Es ist ein gut gehütetes Geheimnis. So ist durchaus vorstellbar, daß ein Zulieferunternehmen zwar das beste Konzept einreicht, bei der Auftragsvergabe jedoch nicht zum Zug kommt. Der Abnehmer entscheidet sich für einen der Konkurrenten, weil dessen Kapazi-

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täten besser passen, weil sein Standort günstiger ist oder weil die Zusammenarbeit auf anderen Gebieten dafür spricht, ihn zu bevorzugen. In dieser Situation ist die Gefahr nicht von der Hand zu weisen, daß der ursprüngliche Lieferant der Idee leer ausgeht. An dieser Stelle kann Abhilfe nur durch eine Änderung der Verhaltensweisen erreicht werden. Wenn einerseits die Vorteile des Kompetenzwettbewerbs für die Wettbewerbskraft der Partner offenkundig sind, darf andererseits das Konzept nicht an der Übervorteilung einzelner Teilnehmer des Konzeptwettbewerbes scheitern. Das ausschreibende Unternehmen muß sicherstellen, daß jeder Partner entsprechend seiner Leistung honoriert wird - sei es sofort oder im Zeitablauf durch einen anderen Auftrag. Aktuelle Untersuchungen zum Innovationsverhalten lassen sehr differenziert die Stärken und Schwächen der einzelnen Branchen erkennen. Die Zulieferer der Chemie/Mineralölverarbeitung und der Kfz-Elektrik zeigen ein stark überdurchschnittliches Innovationsverhalten. Der Bereich Kfz-Teile bewegt sich über dem Durchschnitt, wobei die Bereiche Kfz-Karosserie, Kunststoff und Gummiverarbeitung den Durchschnitt markieren. In der Stahlverformung liegt das Innovationsverhalten unter dem Durchschnitt. In der Gesenkschmiede ist es stark unterdurchschnittlich ausgeprägt. Die Betriebe dieser Branche beschäftigen sich nur in Ausnahmefällen mit F&E. Auffallend ist, daß die Gesenkschmieden in der Autozulieferbranche Innovationen einen hohen Stellenwert bescheinigen, aber bei den Ausgaben für F&E ein zurückhaltendes Verhalten an den Tag legen. Überdurchschnittlich ist die Innovationsstärke der Automobilzulieferer aus der Kfz-Elektrik, der Kfz-Teileindustrie und aus dem Bereich Chemie/Mineralölverarbeitung. Die Ergebnisse sind nicht zuletzt auf die gestiegenen Anforderungen der Automobilhersteller zurückzuführen. Es zeichnet sich ab, daß der Druck, der von den Abnehmern ausgeht, für die Entwicklung der Innovationskraft der Zulieferer ein rechter Segen ist. Durch den Kompetenzwettbewerb wird der Zwang zur Innovation weiter verstärkt. Ein weiterer kritischer Punkt beim Konzeptwettbewerb sind die Vorleistungen in Form von Zeit, Ressourcen und Management, die vom Zulieferunternehmen eingesetzt werden müssen und vom Abnehmer kaum honoriert werden. Die Delphi-Studie läßt den Verdacht zu, daß die Zulieferanten im Gegenteil oft durch die eigenen Kunden in ihrer Innovationstätigkeit gebremst werden. 37 Prozent der Unternehmen beklagen, daß sie nicht selbst über die Verwertung ihrer Innovationen bestimmen können. Weit mehr als die Hälfte der Zulieferer müssen regelmäßig ihr technologisches Wissen offenlegen oder die Entwicklungsunterlagen zur Verfügung stellen. Häufig wird darüber geklagt, daß trotz erfolgreicher Innovation kein Auftrag erteilt wurde. Das Netzwerk lebt von einer gleichberechtigten Kooperation und dem ständigen Erfahrungsaustausch zwischen den Partnern. Daß dabei ein neues

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"Miteinander" und eine Abkehr vom reinen Marktmacht-Verhalten erforderlich ist, wird immer deutlicher zu Tage treten. Mehr als 30 Prozent der Zulieferer sind in einem Umfeld tätig, das sich durch hohe Konzentration auf beiden Seiten auszeichnet. Sie haben maximal zehn Hauptwettbewerber und beliefern nicht mehr als zehn Kunden. Im Vergleich dazu bearbeiten drei Prozent der befragten Zulieferer sehr hochkonzentrierte Märkte (ein bis drei Konkurrenten) und haben einen sehr kleinen Kundenstamm (einen bis fünf Kunden). Die Nachfragemacht der Abnehmer führt zu: • Behinderung der Entscheidungsautonomie, • Offenlegung des technischen Wissens, • mißbräuchlicher Weitergabe von Entwicklungsunterlagen, • großem Preisdruck und sinkender Umsatzrendite und • Jahres-Rahmenverträgen zur Absicherung ihrer Innovationsleistung. Die Abnehmermacht forciert einerseits den Einsatz von Konzeptwettbewerben zur Steigerung der Innovationskraft, stößt andererseits auf schwer überwindbare Barrieren, die sich als Innovationshemmnisse herauskristallisieren können. Positiv herauszuheben ist, daß die befragten Abnehmer anerkennen, daß im Rahmen des Konzeptwettbewerbs die Pflege der Beziehung stärker in den Mittelpunkt rückt. Innovationspartnerschaften werden fast ausschließlich mit Lieferanten geschlossen, die auch ein hohes technologisches Potential mitbringen. Die aktive Partnerschaft beeinflußt in der Praxis stärker den Innovationsoutput bei den Lieferanten. Es wird verstärkt an der Entwicklung neuer Produkte gearbeitet. Es ergeben sich positive Effekte für die Ertragssituation.

3.2

Effiziente Entwicklungsnetzwerke durch Intra- und Interorganisationales Lernen

Wissen ist eines der entscheidenden Kriterien beim Aufbau einer effizienten Entwicklungskooperation. Die Einrichtung einer Produktklinik als internen Zentrale für das Lernen in der Organisation ist ein großer Schritt in die richtige Richtung. Der Austausch von Ideen, der Abgleich der Ansätze und die Vermittlung der Technik für innovatives Verhalten machen die Produktklinik zur Triebfeder des innovatorischen Prozesses. Sie stellt ein Konzept für einen funktionsübergreifenden, institutionalisierten Lernort dar, in dem Produkte und Prozesse analysiert werden und mit Hilfe von Reverse Engineering eine Synthese der Bestlösungen erreicht wird. Darauf aufbauend entstehen Produkt- und Prozeßweiterentwicklungen, die zur

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Steigerung des Kundennutzens führen. Wichtig Bausteine dabei sind: • Quantifizierung von relevanten Leistungsunterschieden, • Bestimmung von Ursachen für Leistungsnachteile, • Rückschluß auf Produkt- und Prozeßkonstruktion, • Ermittlung von Konstruktionsunterschieden durch Zerlegung, • Analyse der Kostenlücke aus Funktions- und Faktorkostenunterschieden und • Formulierung und Umsetzung anspruchsvoller Zielgrößen. Die volle Unterstützung durch das Management und die funktionsübergreifende Zusammenarbeit der Experten aus allen Bereichen und in phasenbezogenen wechselnden Teams sind unentbehrlich für den Erfolg der Produktklinik. Im Mittelpunkt der Betrachtung stehen Ansätze zur Steigerung der Wettbewerbskraft, indem die Qualität von Produkten und Prozessen verbessert, die Produktivität erhöht und der Zeitaufwand verkürzt wird. Die Produktklinik bringt das Unternehmen in den Zwang, Prozesse und Produkte so zu verbessern, daß der Wettbewerb das Nachsehen hat. Bei der Zerlegung des Konkurrenzprodukts wird offenkundig, wo der Wettbewerb überlegen ist und wo überholte Normen die eigene Produktion verteuern. Lösungsvorschläge greifen die Erkenntnisse auf und setzen sie in Empfehlungen für Veränderungen um. Dabei werden mehrere Phasen durchlaufen. Die Projektvorbereitung legt den Umfang und die Ziele des Projekts fest. Die IstAnalyse der Leistungsdaten bestimmt die für den Kunden relevanten Eigenschaften im Vergleich der Konkurrenzprodukte. Die Demontage der Produkte mündet in konstruktive Konzepte und Kostenschätzungen. Das Konzept wird für weitere Produktgruppen und Wettbewerber institutionalisiert und im Rahmen der kontinuierlichen Verbesserung als permanente Informationsbasis für alle Mitarbeiter nutzbar gemacht. Aufgrund des technologischen Wandels können nicht alle notwendigen Informationen im F&E-Bereich vollständig verfügbar sein. Es entsteht ein Zwang zum Import von externen Informationen. Interorganisationales Lernen in Unternehmensnetzwerken stellt die neue Herausforderung eines agilen und erfolgreichen Unternehmens dar. Ein interorganisationaler Wissenstransfer, der sowohl fördernde und hemmende Faktoren bei der Suche, dem Zugang und der Nutzung interorganisationaler Wissenspotentiale berücksichtigt, ermöglicht Innovationen sowohl im Produkt- als auch Servicebereich und verhilft dem Unternehmen, sich langandauernd vom Wettbewerb zu differenzieren. Beim Gatekeeper-Konzept wird der interne Bereich mit externem Wissen systematisch angereichert. Der technologische Gatekeeper sorgt dafür, daß in einem bestimmten Bereich alle relevanten Informationen außerhalb des un-

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mittelbaren Arbeitsumfelds berücksichtigt werden. Der Informationstransfer umfaßt das Know-how und den Kontext. Empirische Untersuchungen zeigen, daß mit der Anzahl technologischer Gatekeeper die Leistungen einer Projektgruppe ansteigen. Weiterhin ist zu beachten, daß durch den erhöhten Wissensstand aller Partizipanten höhere Leistungen erbracht werden, da eine Generierung neuer Ideen um so wahrscheinlicher ist, je besser sämtliche Teammitglieder informiert sind.

3.3

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Agile Unternehmen, die sich erfolgreich im Wettbewerb behaupten, sind kundenorientiert strukturiert und verfügen über ein Management ihres organisatorischen Wissens. Dem Wissen, das sich sowohl aus individuellen als auch aus gruppenorientierten Fähigkeiten zusammensetzt, wird in der nachindustriellen Gesellschaft eine tragende Rolle eingeräumt. Es wird bezeichnet als "...Sammlung in sich geordneter Aussagen über Fakten oder Ideen, die ein vernünftiges Urteil oder ein experimentelles Ergebnis zum Ausdruck bringen und anderen durch irgendein Kommunikationsmedium in systematischer Form übermittelt werden ..." (Bell 1989, S. 180). Das Konzept des Wissensmanagements ist auf eine Querschnittfunktion ausgerichtet, die wesentlich von der Strategischen Führung gesteuert werden sollte. Analog einem Schichtenmodell der organisatorischen Wissensbasis (vgl. Pautzke 1989) gilt es, ein Netzwerk lokaler Wissensbasen aufzubauen. Die organisatorische Wissensbasis "... repräsentiert den Wissensbestand, der einer Organisation zur Verfügung steht und damit in organisatorische Entscheidungen und Handlungen einfließen kann" (Pautzke 1989, S. 63). Dieses Modell beinhaltet eine Vielzahl an Kontexten und stellt in modifizierter Form verschiedene Grade an Verfügbarkeit von Wissen dar. Polyzentrische Strukturen spielen hier eine bedeutende Rolle ebenso wie die Dynamik sich selbst organisierender Partialsysteme. Die strukturierte Vernetzung von Organisationseinheiten durch die Bildung autonomer Module führt zu einer reduzierten Intensität der Aufgabenbeziehungen zwischen den Modulen (vgl. Wildemann 1998). Die verbleibenden Verbindungen sind durch eine besonders hohe Intensität der Aufgabenbeziehungen gekennzeichnet. Gestaltungsaspekte der Netzwerkkompetenz sind dabei zum einen Informationen als Grundlage zur Wissensvermehrung und zum anderen Know-how zur Ausschöpfung der Synergiepotentiale. Werden in traditionellen Organisationsstrukturen Informationen als Machtbasis und hierarchische Strukturen als Instrument genutzt, um Informationen gezielt zu kanalisieren, so erfordert eine modulare Organisation die Förderung und den Ausbau von horizontalen Informations- und Kommunikationsstrukturen. Information wird dabei als Faktor betrachtet, der sich durch Aus-

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tausch vermehrt und deshalb von fundamentaler Bedeutung für das Entstehen eines unternehmensweiten Netzwerks sowie der Wissens- und Erfahrungsakkumulation in einem Unternehmen ist. Wissen und Erfahrungsakkumulation wiederum bilden die Voraussetzung für eine schnelle Reaktions- und Anpassungsfähigkeit und sind damit ein wesentlicher Erfolgsfaktor in einem sich stetig wandelnden Umfeld. Damit verbunden ist auch die Sicherstellung eines Know-how-Transfers, der sich sowohl auf technologisches als auch auf organisatorisches Wissen bezieht. Eine Schwierigkeit, die vor allem große Unternehmen zu bewältigen haben, besteht darin, neue Kompetenzen aufzubauen. Dies gelingt aber nur, wenn verschiedene, organisatorisch oder geographisch getrennte Unternehmensbereiche und Funktionen gleichzeitig gehandhabt werden. Durch entsprechende Gestaltung der Unternehmenskultur, der Geschäftsprozesse, der Unternehmensstruktur sowie der Informations- und Kommunikationstechnologie, welche den ungehinderten Austausch von Ressource-Wissen unterstützt und forciert, gelingt ein Management des zukünftig wichtigsten strategischen Erfolgsfaktors. Bereichsegoismen müssen durch teamorientierte "Unternehmer im Unternehmen" ersetzt werden. Wissen als Machtinstrument darf nicht im Vordergrund einer Zusammenarbeit stehen. Den intraorganisatorischen Wettbewerb gilt es durch variable und proaktive Anreiz- und Belohnungssysteme zu unterstützen. Interorganisational bedeutet es zudem, einerseits eine Verlagerung auf das Koordinationsinstrument des Vertrauens, sowie die Gestaltung der Spielregeln zwischen Akteuren eines Netzwerkes neu zu definieren.

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Forschungsbedarf für ein Wissensmanagement

Der Forschungsbedarf zeichnet sich vor allem durch folgende Fragestellungen ab: Bezieht die Theorie Probleme der inter- und intraorganisationalen Unternehmenspraxis hinreichend in ihre Betrachtung mit ein? Bemüht sich die Praxis in einem ausreichendem Maße, die Theorie zu verstehen - zu verinnerlichen? Beide Aspekte werden bei Mißachtung über kurz oder lang zu einem Scheitern eines professionellen Wissensmanagements führen (vgl. Hinterhuber 1998). Einen weiteren wesentlichen Punkt stellen die komplexen und vielfältigen kontextuellen Sichtweisen dar. Diese sind ganzheitlich zu betrachten und zu einem Konzept des Wissensmanagements zu entwickeln, das sich durch eine gemeinsame Lebens-, Sprach- und Wissensform auszeichnet. Methodische Bausteine bestehen, die allerdings durch ein professionelles Umgehen mit dieser Thematik zusammengefügt werden müssen und über den Horizont einer Organisation auf Unternehmensnetzwerke auszurichten sind.

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Univ.-Prof. Dr. Horst Wildemann, Technische Universität München, Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre mit Schwerpunkt Logistik, Leopoldstraße 145, D-80804 München