Regnum Teutonicum: Aufkommen und Verbreitung der deutschen Reichs- und Königsauffassung im früheren Mittelalter [Reprint 2021 ed.] 9783112535868, 9783112535851

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Regnum Teutonicum: Aufkommen und Verbreitung der deutschen Reichs- und Königsauffassung im früheren Mittelalter [Reprint 2021 ed.]
 9783112535868, 9783112535851

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E. MÜLLER-MERTENS/REGNUM TEUTONICUM

ECKHARD MÜLLER-MERTENS

REGNUM TEUTONICUM Aufkommen und Verbreitung der deutschen Reichs- u n d Königsauffassung im früheren Mittelalter

1970 H E R M A N N B Ö H L A U S NACHF./WIEN-KÖLN-GRAZ

Dieses Buch erschien als Band 15 der „FORSCHUNGEN ZUR MITTELALTERLICHEN

GESCHICHTE"

Begründet durch Heinrich Sproemberg f Herausgegeben von G. Heitz, E. Müller-Mertens, B. Töpfer und E . Werner

Lizenzausgabe des Akademie-Verlages Berlin ISBN-3 205 00502 3 Copyright 1970 by Akademie-Verlag G m b H

INHALTSVERZEICHNIS

Einleitung

7

1. Aufgabe

7

2. Die Frage nach der Genesis des deutschen Reiches und der Beitrag der Ideengeschichte 3. Otto von Freising und die Frage nach der Definition des frühmittelalterlichen Reiches 4. Die methodische Bedeutung des Wortes „deutsch" für die Fixierung einer deutschen Reichsauffassung 5. Die Erforschung der Reichsbezeichnungen und die deutsche Bestimmung des Reiches in der modernen Historiographie 6. Verfahren und Grenzen der Untersuchung A. Der Deutsche Reichsbegriff vor dem Investiturstreit

Kampf

Gregors VII. und

15 20 25 42 44

1. Alteste Nachrichten für eine deutsche Reichs- und Herrscherauffassung seit der Jahrtausendwende aus Italien a) Chronicon Venetum b) Der italienische Herrscherkatalog des Cod. Cav. 22 c) Urkunde Heinrichs II. aus Brixen d) Miracula Severi episcopi Neapolitani e) Quellen aus dem italienischen Königreich f) Italienisch-burgundische Zeugnisse falscher oder zweifelhafter Originalität 2. Erste Zeugnisse aus Deutschland: Der deutsche Reichsbegriff in Bayern a) Die Jahrbücher von Niederaltaich b) Der Freisinger Herrscherkatalog des Cod. Monac. 6388 c) Die großen Salzburger Annalen 3. Das Fehlen des deutschen Reichsbegriffes in den deutschen Quellen und das Reichsbewußtsein während der Herrschaft Heinrichs II. und der ersten Salier B . Die Deutsche Reichskonzeption im Reichsfürsten mit Heinrich IV

8

44 44 54 64 69 72 79 87 87 99 105

121

der 145

1. Gregor VII. und die gregorianische Fassung des deutschen Reichsund Königsbegriffes 145

5

2. Die deutschen Gregorianer und die Verbreitung des deutschen Reichsbegriffes durch die Briefe Gregors VII a) Der Schwäbische Annalist bzw. Berthold von Reichenau b) Bernold von Konstanz c) Manegold von Lautenbach d) Hugo von Flavigny 3. Die sächsische Opposition und der deutsche Reichsbegriff Gregors V I I . : Bruno von Magdeburg 4. Antiheinricianer im Reichsmönchtum, Fürstenopposition und deutsches Reichsbewußtsein: Lampert von Hersfeld 5. Neutrale Zeugnisse aus Deutschland für den deutschen Reichsbegriff a) Die Vita Annonis b) Brunwilarensis monasterii fundatorum actus c) Die Speyerer Urkunde von 1084 6. Heinrich IV., das heinricianisch-antigregorianische Lager und die Artikulation des sakralen und imperialen Königtums a) Heinrich IV. und seine Briefdiktatoren b) Carmen de bello Saxonico und Vita Heinrici c) Liber de unitate ecclesiae conservanda d) Frutolf von Michelsberg. Sigebert von Gembloux. Marianus Scottus. 7. Italienisch-außerdeutscher Ausblick und Zusammenfassung der Ergebnisse C. Der Begriff Deutsches Reich in der Endphase des Investiturstreits . 1. Neue Gehalte bei der Verwendung des deutschen Reichsbegriffes durch Gregorianer und Heinricianer in Deutschland a) Zeugnisse für die fortlaufende Verbreitung im deutschen Reichsgebiet und in Flandern b) Verbindung von kirchlicher Gesinnung, deutscher Reichsvorstellung und deutschem Volksbewußtsein: Ekkehard von Aura c) Verbindung des imperialen Anspruchs mit dem deutschen Reichsbewußtsein: Redaktor C der Frutolf-Ekkehardischen Weltchronik 2. Der deutsche Reichs- und Königsbegriff im Gebrauch der Kurie und französischen Gregorianer. Das Investiturprivileg von 1111 . . . 3. Der deutsche Königs- und Reichsbegriff in Frankreich und England 4. Das Wormser Konkordat und das deutsche Reich

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182 182 196 207 209 212 225 255 256 262 272 274 276 288 293 302 316 328 329 329 331 342 351 365 375

Resüme und Räsonnement

384

Auflösung der Sigel und Abkürzungen des mehrfach zitierten Schrifttums

395

Belegstellennachweis

405

Personenregister

409

EINLEITUNG

1. Aufgabe Im Jahre 1898 stellte die Heidelberger Philosophische Fakultät die Preisauf= gäbe: Es sind die Bezeichnungen zusammenzustellen, die von der Mitte des 10. bi«s zur Mitte des 13. Jahrhunderts im In- und Ausland für die Gesamtheit des deutschen Volkes und Reiches gebraucht werden. Der Preis für die Bewältigung dieser Aufgabe wurde F. Vigener zuerkannt 1 . Als Belegsammlung gewann seine Preisschrift den Rang eines opus fundamentale für die Forschung. Alle jüngeren Darlegungen und Ausführungen über den Namen des hochmittelalterlichen Reiches sind auf ihm aufgebaut. Die Zahl der Belege wurde zwar erweitert, hatte der Bearbeiter doch keine Vollständigkeit angestrebt; indes führten die neu herangeführten Stellen mit einer Ausnahme zu keiner Änderung der um 1900 von Vigener erarbeiteten Allgemeinvorstellung 2 . Diese fand sich vielmehr bestätigt. Die Ausnahme macht die berühmte Erwähnung des „regnum Teutonicorum" in den erst 1921 entdeckten großen Salzburger Annalen 3 . Vigeners grundlegende Sammlung bietet indes nicht mehr als eine bloße Zusammenstellung von Bezeichnungen. Auch spätere Arbeiten zu dieser Thematik sind nicht wesentlich über die Deskription terminologischer Befunde hinausgekommen bzw. haben sie ihre Schlußfolgerungen vornehmlich aus der äußeren Erfassung der politisch-geographischen Termini gezogen, kaum aber aus der inneren Durchdringung der Terminologie, der Analyse ihres jeweiligen begrifflichen Inhalts, ihrer ideologisch-politischen Aussage. Die statistische Auswertung Vigeners durch Hugelmann 4 , der einfach die Belegstellen für die einzelnen Bezeichnungen zusammenzählte und seine Urteile auf die vorgefundenen Proportionen stützte, kann bei allem möglichen Aussagewert doch wohl nicht als eine solche gewertet werden. So steht eine eindringliche, kritische und systematische Analyse der meist seit langem bekannten Quellenstellen, die Erschließung ihres ideengeschichtlichen und politischen Gehalts, ihre Aufbereitung für eine Geschichte der Reichsauffassungen und der Reichsideen, der politischen Vorstellungswelt und der politischen Ideologie noch aus. 1

VIGENER, B e z e i c h n u n g e n , S. V .

2

Vgl. die von HUGELMANN, Stämme, S. 276ff-, 385 ff., gebotenen Belege.

3

KLEBEL, Geschichtsquelle.

4

HUGELMANN, S t ä m m e , S. 3 8 5 — 4 0 4 u n d p a s s i m .

7

Die vorliegenden Studien begriffs- und ideengeschichtlicher Natur wollen hierzu einen Beitrag leisten. Sie wollen die Verwendung der Bezeichnungen regnum Teutonicorum, regnum Teutonicum sowie rex Teutonicorum, rex Teutonicus verfolgen und untersuchen, wann und in welchen Zusammenhängen dieser deutsche Reichs- und Königsbegriii aufkam, wie sich die deutsche Vorstellung des Reiches einbürgerte, wer ihre Träger, und was deren Beweggründe waren, ihre Auffassung des Reiches am deutschen Volk zu bilden bzw. das Reich auf das deutsche Volk zu beziehen. Als Beitrag zur Geschichte der Reichsideen und der politischen Vorstellungswelt stellt sich die Untersuchung über das Aufkommen einer deutschen Reichsauffassung zugleich als Beitrag der Ideologiegeschichte zu Problemen der frühmittelalterlichen Reichs- und Nationalgeschichte dar. Er beabsichtigt, von der Geschichte der politischen Anschauungen, der Terminologie und Ideologie her weiterführende Antworten auf die Frage nach der Genesis des deutschen Reiches und die Frage nach dem Charakter und der Definition des frühmittelalterlichen Reichsgebildes zu finden. Neue Aspekte zur Lösung dieser Problemkomplexe zu gewinnen, ist das bestimmende Anliegen der Arbeit.

2. Die Frage nach der Genesis des deutschen Reiches und der Beitrag der Ideengeschichte Wann und wie ist das deutsche Reich entstanden, was waren die Ursachen und Triebkräfte für seine Entstehung? Dieses Problem hat die deutsche Geschichtswissenschaft seit den Befreiungskriegen, seit die Lösung der nationalen Frage zur Hauptfrage der bürgerlichen Umgestaltung in Deutschland wurde, immer wieder bewegt. 5 Im Verlauf des 19. Jahrhunderts wurden zur Entstehungsgeschichte des deutschen Reiches zwei große Konzeptionen entwickelt, die für das Geschichtsbild vom deutschen Mittelalter bestimmend wurden: die romantische Vorstellung der national-bürgerlichen, der rechtsliberalen und der restaurativen Historiographie und die politisch-dynastische Auffassung der nationalliberal-positivistischen Geschichtsschreibung. Entstand die romantische Konzeption auf der politischen Szene der bürgerlichen Bewegung und der Restauration nach 1815, so bildete sich die politischdynastische auf dem Hintergrund der niedergeschlagenen und aufgegebenen Revolution von 1848/49 sowie der 1870/71 vollzogenen Reichseinigung von oben. Während die erste vom Primat des Volkstums und der Sprache vor dem Staat ausging, und die Reichsbildung auf das Wirken des Volksgeistes oder Nationalbewußtseins zurückführte, ging die politisch-dynastische Konzeption vom Primat des Staates vor der Gesellschaft aus und erklärte sie ihrerseits die Volkwerdung aus dem Wirken des staatlichen Zusammenschlusses, die Staatsgründung aus dem dynastischen Willen. 5

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Vgl. hierzu und für den folgenden Überblick BABTMUSS, Geburt, S. 23—93: Das Werden des ersten deutschen Staates in der deutsehen Historiographie vom Beginn des 19. Jh. bis zur Gegenwart.

Beide K o n z e p t i o n e n b e s t i m m e n bis in die G e g e n w a r t d a s Geschichtsbild von d e r E n t s t e h u n g des d e u t s c h e n Reiches, dabei i m Verlaufe der J a h r z e h n t e vielfach g e w a n d e l t d u r c h die A u f g a b e widerlegter o d e r ü b e r h o l t e r B e s t a n d t e i l e , d u r c h die V e r a r b e i t u n g n e u e r Forschungsergebnisse u n d F r a g e s t e l l u n g e n sowie d u r c h d e n E i n f l u ß u n d die R e a k t i o n auf n e u e politische S i t u a t i o n e n . So w u r d e z. B. in d e r Zeit des F a s c h i s m u s d e r r o m a n t i s c h e A n s a t z z u r Apologie des R a s s e n p r i n z i p s , d e r p o l i t i s c h - d y n a s t i s c h e zu der des F ü h r e r p r i n z i p s profaschistisch eingesetzt, zugleich w u r d e u m g e k e h r t die politisch-dynastische F r a g e s t e l l u n g gegen d a s Rassenprinzip, die r o m a n t i s c h e gegen die F ü h r e r i d e e i m a n t i f a s c h i s t i s c h e n Sinne a n g e w a n d t . Die D a r s t e l l u n g der E n t s t e h u n g des d e u t s c h e n Reiches d u r c h beide K o n z e p t i o n e n wird b e h e r r s c h t d u r c h die Ereignisse des p o l i t i s c h - d y n a s t i s c h e n Geschehens. I m M i t t e l p u n k t s t e h e n der königliche Hof, die Herrscherpolitik, die Kriege u n d militärischen A k t i o n e n , die Diplomatie, die E r b v o r g ä n g e u n d Reichsteilungen, die Königswahlen, die Zu- u n d A b w e n d u n g e n der G r o ß e n . Die G r ü n d e f ü r d a s zur Reichsg r ü n d u n g f ü h r e n d e bzw. die E n t s t e h u n g des Reiches b e w i r k e n d e politische H a n d e l n w e r d e n e n t w e d e r in r o m a n t i s c h e r Weise im Volksgefühl u n d Volksbewußtsein, in d e r I d e e d e r n a t i o n a l e n S e l b s t ä n d i g k e i t , im Trieb n a c h n a t i o n a l e r B e s o n d e r h e i t , im N a t i o n a l b e w u ß t s e i n g e s u c h t 6 oder es h e i ß t im p o l i t i s c h - d y n a s t i s c h e n S i n n e : D y n a s t i s c h e E r b s t r e i t i g k e i t e n u n d materielle I n t e r e s s e n der A r i s t o k r a t i e , „Bewegg r ü n d e persönlicher, d y n a s t i s c h e r A r t , V e r f e i n d u n g der f ü h r e n d e n Geschlechter, örtliche Sonderinteressen der h e r r s c h e n d e n A r i s t o k r a t i e , w a c h s e n d e G e w o h n h e i t , n a c h so vielen u n d d a u e r n d e n 'Teilungen' sich vorzugsweise u m eigene Angelegenh e i t e n u n d i m m e r weniger u m d a s G a n z e zu k ü m m e r n , oder auf d e r a n d e r e n Seite A n h ä n g l i c h k e i t a n d a s K ö n i g s h a u s u n d T r e u e gegen alte Ü b e r l i e f e r u n g — d a s sind die wirklichen T r i e b f e d e r n , die bei der e n d g ü l t i g e n L o s s a g u n g des O s t e n s v o m W e s t e n t ä t i g w a r e n u n d z u r K o n s t i t u i e r u n g eines d e u t s c h e n Reiches f ü h r t e n . " 7 E i n e B e r ü c k s i c h t i g u n g des ökonomisch-sozialen u n d des ideologischen A s p e k t e s f e h l t in d e r positivistischen G e s a m t - u n d E i n z e l d a r s t e l l u n g indes so g u t wie ganz. Die E n t s t e h u n g des d e u t s c h e n Reiches r e d u z i e r t e sich in ihr im wesentlichen auf eine v o n der wirtschaftlich-gesellschaftlichen u n d geistigen W i r k l i c h k e i t isolierte Geschichte d e r Politik, eine Geschichte d e r positiven politisch-juristischen F a k t i z i t ä t . S o w e i t keine idealistischen E r k l ä r u n g e n ( W i r k u n g e n des Volksgeistes, d e r verschiedenen Reichsideen usw.) gegeben w e r d e n , erfolgt ü b e r h a u p t ein Verzicht d a r a u f , den U r s a c h e n u n d A n t r i e b e n n a c h z u g e h e n , so d a ß die Motive des politischen V e r h a l t e n s n i c h t bis in die v o n der s u b j e k t i v e n Gefühlswelt, v o m s u b j e k t i v e n Bew u ß t s e i n u n a b h ä n g i g e n o b j e k t i v e n ökonomisch-sozialen G r ü n d e v e r f o l g t w e r d e n . Wie die B e z i e h u n g der Politik zur Ö k o n o m i e u n d S o z i a l s t r u k t u r i m wesentlichen fehlt, so f e h l t a u c h die Relation zu den A n s c h a u u n g e n u n d A u f f a s s u n g e n , zu d e r politischen u n d religiösen Ideologie der Zeit. Der ideologische A s p e k t k a n n a u c h in 6

7

Vgl. ZÖLLNER, E., Die politische Stellung der Völker im Frankenreich, Wien 1950,

S. 9ff. (Veröffentl. d. Instituts f. oesterr. GeschichtsforsnhungXIII.) HALLER,.! ., Die Epochen der deutschen Geschichte, neue erweit. Ausgabe, Stuttgart 1940, S. 18.

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der romantischen Auflassung nicht als gegeben angesehen werden. Die romantische und nationalistische Anrufung des Volksgefühls und Nationalbewußtseins — sie fand in den Quellen wenig Widerhall — erwies sich weitgehend als Projektion zeitgenössischer Vorstellungen und politischer Ideen in die Vergangenheit des 8./9. und 10. Jahrhunderts, im Grunde indes nicht als Untersuchung der politischen Ideenwelt und Ideologie, der geistigen Reflexionen und Interpretationen des Frühmittelalters. Die Einseitigkeit versperrte der positivistischen politisch-dynastischen Geschichtsschreibung — so wesentliche und bleibende Ergebnisse für die politische Ereignisgeschichte durch die grundlegende und dauernde Sicherung der Daten und Fakten des politischen Geschehens von ihr auch gewonnen wurden — den Einblick in die Gesamtzusammenhänge, die Erkenntnis der hinter den äußeren Tatbeständen dynastischen und adlig-kirchlichen Verhaltens stehenden und in ihnen wirkenden Triebkräfte und Gründe für die Reichsbildung. Die politische und religiöse Ideenwelt des frühen Mittelalters, die Weltanschauung und Staatsauffassung, das Zeit- und Geschichtsverständnis, die Tendenz der Geschichtsschreiber haben erst in den letzten Jahrzehnten die deutschsprachige bürgerliche Mediävistik stärker interessiert, seit dem Ende des zweiten Weltkrieges dann in immer zunehmendem Maße und im Gefolge einer allgemeinen Abkehr von der positivistischen politisch-dynastischen Geschichtsschreibung zu einer geistesgeschichtlich ausgerichteten. „Nicht nach dem Wann, Wie, Wo und Warum der politischen Aktionen wird heute in erster Linie gefragt, sondern nach dem Zustande und Charakter der Welt, die ihren Schauplatz gebildet hat und zu den unerläßlichen Bedingungen ihrer Möglichkeit gehörte", stellt Beumann in dem von ihm 1965 herausgegebenen Bande über Persönlichkeit und Geschichte Karls des Großen fest. 8 „Das Zeitalter des Positivismus in der Wissenschaft ist vorbei"; schreibt Th. Mayer 1959, „das Interesse wendet sich mehr und mehr religiösen Problemen zu, damit rückt die Geistesgeschichte in den Vordergrund. Nirgends zeigt sich dieser Wandel stärker als in der Geschichte des Kaisertums." 9 Die Diskussion um das Kaisertum Karls des Großen geht in die Nazizeit zurück, in der das Führertum der fränkischen und deutschen Herrscher entdeckt wurde. 10 Stengel, der das Kaisertum bereits 1910 auf das Heer zurückführte 11 und „auf die Spitze des deutschen Schwertes" stellte 12 , verband dieses Heerkaisertum 1938 mit dem germanischen Führergedanken und bezeichnete es als romfrei 13 . Dieser Auffassung trat 1943 mit deutlicher BEUMANN, II., Vorwort z u : K a r l der Grosse. Lebenswerk und Nachleben, Bd. 1: Persönlichkeit und Geschichte, 3. Aufl., Düsseldorf 1967, S. 9. 9 MAYER, P a p s t t u m , S. 2. 10 KOSCHAKER, P., E u r o p a und das römische Recht, 2. Aufl., München/Berlin 1953, S. 312. 1 1 STENGEL, E . E., Den Kaiser m a c h t das Heer. Studien zur Geschichte eines politischen Gedankens, Weimar 1910. 12 E b e n d a , S. 3. 1 3 STENGEL, E . E . , Kaisertitel und Suveränitätsidee, in: DA. 3/1939, S. 1—56, Nachdruck in: DERSELBE, Abhandlungen und Untersuchungen zur Geschichte des Kaisergedankens im Mittelalter, K ö l n / G r a z 1965, S. 2 3 9 - 2 8 6 . Vgl. EPPERLEIN, S., K a r l der Grosse in der deutschen bürgerlichen Geschichtsschreibung, in: ZfG. 13/1965, S. 2 4 9 f f . ; DERSELBE 8

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Spitze gegen die faschistische Führeridee E r d m a n n entgegen, der seinerseits die Aachener Kaiseridee entwickelte. 1 4 Seitdem ist über die Motive der Kaiserkrönung Karls des Großen und die E n t w i c k l u n g der Kaiseridee bis zu Otto I I I . , über das R o m k a i s e r t u m , den fränkischen oder Aachener Kaisergedanken, d a s romfreie oder nichtrömische K a i s e r t u m und d a s Heerkaisertum, über die Vorstellungen eines hegemonialen und imperialen K ö n i g t u m s , über die geistigen Grundlagen des Königt u m s , über die geistesgeschichtlichen und politischen Hintergründe und Motivationen eine ganze Literatur erschienen. 1 5 Forschungen über die Geschichte einzelner Ideen, wie z. B . über den römischen E r n e u e r u n g s g e d a n k e n 1 6 oder die Translationsidee 1 7 , wurden geführt, Arbeiten zur politisch-geographischen Terminologie fanden Interesse 1 8 , Untersuchungen einzelner Geschichtsschreiber auf ihre religiösen und politischen Anschauungen gewannen B e d e u t u n g 1 9 . Der große Zug zur Geistesgeschichte in der westdeutschen Mediävistik vollzog sich auf d e m Hintergrund der Nachkriegsentwicklung und des kalten Krieges. E r stellt sich nicht nur als eine Verlagerung des Akzentes von der politischen auf die Ideen- und Religionsgeschichte dar, sondern ist Ausdruck einer konzeptionellen Wendung von einer von der Nation und dem N a t i o n a l s t a a t bestimmten Geschichts-

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Uber das romfreie Kaisertum im frühen Mittelalter, in: Jahrbuch f. Geschichte 2/1962, S. 307ff. ERDMANN, Kaiseridee. Die Studie war 1943 druckfertig, kam wegen der Einberufung Erdmanns zur Wehrmacht jedoch damals nicht zur Veröffentlichung. Diese erfolgte erst 1951 aus dem Nachlass. Eine Zusammenstellung auch nur der wichtigeren Arbeiten erscheint wegen der Fülle hier nicht am Platze. So sei nur verwiesen auf die Literaturangaben bei MAYER, Papsttum; und in den Sammelwerken Das Königtum. Seine geistigen und rechtlichen Grundlagen, Lindau/Konstanz 1956; (Vorträge und Forschungen III.) Festschrift zur Jahrtausendfeier der Kaiserkrönung Ottos des Großen, Graz/Köln 1962/63 ; (MIÖG. Erg. Bd. 20) Karl der Große. Lebenswerk und Nachleben, 4 Bände, Düsseldorf 1965ff.; Geschichtsdenken und Geschichtsbild im Mittelalter. Ausgewählte Aufsätze und Arbeiten aus den Jahren 1933 bis 1959, hrsg. v. \V. LAMMERS, Darmstadt 1961, mit besonderer Bibliographie v. S. MÄHL. (Wege der Forschung X X L ) SCHRAMM, K a i s e r . GOEZ, T r a n s l a t i o .

Z.B. BÜCHNER, Titel; EWIG, E., Beobachtungen zur politisch-geographischen Terminologie des fränkischen Grossreiches und der Teilreiche des 9. Jahrhunderts, in: Spiegel der Geschichte,

F e s t g a b e f. M. BRATJBACH, M ü n s t e r 1964, S . 9 9 — 1 4 0 ; HEIDRICH, J . ,

Titulatur und Urkunden der arnulfingischen Hausmeier, in: Archiv f. Diplomatik 11-12/1965-66,

S . 71—279;

HERWEG, W . ,

Intitulatio

I. L a t e i n i s c h e

Königs-

und

Fürstentitel bis zum Ende des 8. Jahrhunderts, Graz/Wien/Köln 1967; (MIÖG. Erg. B d . 21.) LTJGGE, G a l ü a ; MOHR, A b s o n d e r u n g ; DERSELBE, F r a n c i a o r i e n t a l i s ; DERSELBE,

Entwicklung; WEISERT, H., Die offizielle Titulatur und die Bezeichnungen für das Reich in der Zeit von 911-973, Phil. Diss. Heidelberg 1954 (Masch. Sehr.). 19 Z. B . BEUMANN, W i d u k i n d ; BXJCHNER, V o r s t e l l u n g s w e l t ; DERSELBE,

Geschichtsbild;

LOTTER, Vita; SIEGRIST, Th., Herrscherbild und Weltsicht bei Notker Balbulus. Untersuchungen zu den Gesta Karoli, Zürich 1963; WENSKUS, Studien, u. a.

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Vorstellung zur Abendland-Europa-Ideologie. 2 0 Die nationalgeschichtliche Bet r a c h t u n g t r a t hinter der abendländisch-europäischen zurück, die politischen Probleme der Nationalgeschichte wurden von geistig-religiösen, auf die Einheit des Abendlandes bezogenen Fragen v e r d r ä n g t . 2 1 Darin d ü r f t e sich begründen, daß der Auffassung des ostfränkischen, des deutschen Reiches, des Reiches, welches die am Rhein und in Germanien siedelnden S t ä m m e germanischer Zunge politisch vereinte, n u r wenig nachgegangen wurde. Gewiß bietet die zeitgenössische Forschung über das frühmittelalterliche Kaisert u m u n d K ö n i g t u m , über die hegemonialen u n d imperialen Vorstellungen Beiträge und Anregungen f ü r eine ideengeschichtliche Erhellung der Genesis des deutschen Reiches, der Anfänge der deutschen Nationalgeschichte. Indes ist die Frage n a c h dem W a n n , Wie und W a r u m , den Ursachen und T r i e b k r ä f t e n der E n t s t e h u n g des frühmittelalterlichen deutschen Reichsgebildes im Prinzip nicht ü b e r die Positionen der positivistischen politisch-dynastischen Geschichtsschreibung h i n a u s g e f ü h r t worden, so daß n a c h wie vor die Verbindung zu den politisch-religiösen Anschauungen und Begriffen wie zu der wirtschaftlich-gesellschaftlichen Wirklichkeit nicht in d e m Maße besteht, wie es notwendig wäre, u m zu wesentlich neuen Einsichten zu k o m m e n . Die F r a g e nach dem Z u s a m m e n h a n g zwischen der E n t s t e h u n g des deutschen Reiches, der frühmittelalterlichen Staatsgebilde ü b e r h a u p t u n d der gesellschaftlichwirtschaftlichen Realität, d e m sozialökonomischen Prozess sowie den ökonomischsozialen Antagonismen wurde grundsätzlich erst von der Position des historischen Materialismus gestellt. Die historisch-materialistischen B e m ü h u n g e n u m d a s Problem der E n t s t e h u n g des deutschen Reiches förderten in den letzten J a h r e n eine Reihe von E n t w ü r f e n u n d Arbeiten. 2 2 Sie v e r b a n d e n sich m i t Untersuchungen zur frühmittelalterlichen Sozialgeschichte, zur Genesis der Feudalgesellschaft, 20

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STERN, L., Die klerikal-imperialistische Abendlandideologie im Dienste des deutschen Imperialismus in: ZfG. 10/1962, S. 286—315; Nachdruck in: Studien über die deutschen Geschichtswissenschaft, Bd. 2, Berlin 1965, S. 400—423 ; (DAW. Schriften d. Institutes f. Geschichte, Reihe 1, Bd. 21.) KOCH, G., Die mittelalterliche Kaiserpolitik im Spiegels der bürgerlichen deutschen Historiographie, in: ZfG. 8/1962, S. 1837—1870; DERSELBEI Der Streit zwischen Sybel und Ficker u n d die E i n s c h ä t z u n g der mittelalterlichen Kaiserpolitik in der modernen Historiographie, in: Studien über die deutsche Geschichtswissenschaft, Bd. 1, Berlin 1963, S. 311—316.(DAW. Schriften des Instituts f. Geschichte, Reihe 1, Bd. 20.) MAYER, Papsttum, S. 1 ff. MÜLLER-MERTENS, E., Das Zeitalter der Ottonen, Berlin 1955, S. 27—40; BARTMUSS, H. J., Die Entstehung des ersten selbständigen Staates auf deutschem Boden, in: ZfG. 10/1962, Sonderheft, S. 359—374; DERSELBE, Ursachen und Triebkräfte im Entstehungsprozess des „frühfeudalen deutschen Staates", in: ZfG. 10/1962, S. 1591— 1625; MÜLLER-MERTENS, E., V o m Regnum Teutonicum zum Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation. Reflexionen über die Entwicklung des deutschen Staates im Mittelalter, i n : ZfG. 11/1963, S. 319—346; BARTMUSS, Geburt; MÜLLER-MERTENS, Rezension zu BARTMUSS, Geburt, in: ZfG. 15/1967, S. 346—350; MÜLLER-MERTENS, E., Die Deutschen. Zur Rolle der politischen Formung bei ihrer Volkwerdung, in:

zu den sozialen Bewegungen und Klassenkämpfen. 2 3 In dieser Richtung zunächst zu forschen, Basisforschung als erstes zu betreiben, lag in der Natur der historischmaterialistischen Konzeption. Die Lösung des Gesamtproblems fordert in der weiterführenden Arbeit neben dem Gewinn eindringlicher neuer Kenntnisse über die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Veränderungen und Umwälzungen, über die materiellen Existenzbedingungen, die Widersprüche im materiellen Leben, die sozialen Kämpfe und Kräfteverhältnisse neue und tiefere Einsichten in die geistigen Prozesse, in die Ideologiebildung und in die Wirkung der Ideen, in die politische Vorstellungswelt, die zeitgenössischen politisch-ideologischen Auseinandersetzungen, das Reichsbewußtsein. Bestimmte ökonomische, soziale und politische Probleme die für die Frage nach der Entstehung des deutschen Reiches und nach der Volk-

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Germanen — Slawen — Deutsche. Forschungen zu ihrer Ethnogenese, Berlin 1968, S. 3 t — 41. (DHG. 4. Tagung der Fachgruppe Ur- und Frühgeschichte.) Vgl.L'Europe aux IXe — X l e siècles. Aux origines des états nationaux, Warschau 1968. BARTMUSS, H. J., Zur Frage der Bedeutung des Steilingaaufstandes, i n : Wiss. Zs. Univ. Halle, gesellsch.- u. spraehw. Reihe, 7/1957—58, H. 1, S. 113—124; DERSELBE, Die Genesis der Feudalgesellschaft in Deutschland. Bemerkungen zu einigen neuen Hypothesen von

I i . M ü l l e r M e r t e n s , i n : Z f G . 1 3 / 1 9 6 5 , S . 1 0 0 1 — 1 0 1 0 ; BLEIBER, W . , U n t e r s u c h u n g e n

zur Lage kirchlichen Grundbesitzes in Ostfranken, Westfranken und Lothringen vom Abschluß des Vertrages von Verdun bis zum Anfang des 11. Jahrhunderts, Phil. Diss. Berlin 1962 (Masch. Sehr.) ; DIESELBE, Fränkisch-Karolingische Klöster als Grundherren in Friesland, in: JbWG. 1965, T. 3, S. 127—175; EPPERLEIN, S., Zur weltlichen und kirchlichen Armenfürsorge im karolingischen Imperium, i n : JbWG, 1963, T. 1, S. 41—60; DERSELBE, Die sogenannte Freilassung in merowingischer und karolingischer Zeit, in: JbWG. 1963, T. 4, S. 9 2 - 1 1 0 ; DERSELBE, Sachsen im frühen Mittelalter. Ein Diskussionsbeitrag zur Sozialstruktur Sachsens im 9. Jahrhundert und seiner politischen Stellung im frühen Mittelalter, in: JbWG. 1966, T. 1, S. 189-212 ; DERSELBE, Untersuchungen über Widerstandsformen gegen die Feudalisierungspolitik geistlicher und weltlicher Herren im 8. und 9. Jahrhundert, Phil Habil. Berlin 1966 (Masch. Sehr.) ; GERICKE, H., Zur Dialektik von Produktivkraft und Produktionsverhältnis im F e u d a l i s m u s , i n : ZfG. 14/1966, S . 914—932; HERRMANN, J . , F r ü h e k l a s s e n g e s e l l s c h a f t liche Differenzierungen i n D e u t s c h l a n d , i n : ZfG. 14/1966, S . 348—422; LEHMANN, H.,

Untersuchungen zur Sozialstruktur im Gebiet des bayerischen Landkreises Ebersberg während des 8. und 9. Jahrhunderts, Phil. Diss. Berlin 1965 (Masch. Sehr.) ; DIESELBE, Bemerkungen zur Sklaverei im frühmittelalterlichen Bayern und zu denForschungsmethoden auf dem Gebiet germanischer Sozialgeschichte, i n : ZfG. 13/1965, S. 1378— 1387; MÜLLER-MERTENS, E., Karl der Grosse, Ludwig der Fromme und die Freien. Wer waren die liberi homines der karolingischen Kapitularien (742/743—832)? Ein Beitrag zur Sozialgeschichte und Sozialpolitik des Frankenreiches, Berlin 1963; (Forschungen z. mittelalterl. Gesch. X.) DERSELBE, Die Genesis der Feudalgesellschaft im Lichte schriftlicher Quellen. Fragen des Historikers an den Archäologen, i n : ZfG. 12/1964, S. 1384— 1402, Nachdruck i n : Probleme des Frühmittelalters in archäologischer und historischer Sicht, Berlin 1966, S. 9—38; (DHG. 3. Tagung d. Fachgruppe U r - u . Frühgeschichte.) DERSELBE, Zur Feudalentwicklung im Okzident und zur Definition des Feudalverhältnisses, i n : ZfG. 14/1966, S. 52—73; NETJBERT, H., Grund- u n d B o d e n b e s i t z u n g e n

von

Personen „fränkischer",

„alemannischer",

„burgundischer"

und „bayrischer"

13

werdung der Deutschen, für eine Geschichte des Ursprungs der deutschen Nationalität und der deutschen Nation von wesentlicher Bedeutung sind, werden sich nur rückschließend von ihrem Ausdruck in den politischen und religiösen Anschauungen her lösen lassen. Uber die Volkwerdung der Deutschen, den Eintritt des deutschen Volkes in die Geschichte, die Anfänge der deutschen Nationalität und den Beginn der deutschen Nationalgeschichte selbst wird sich keine Gesamterkenntnis gewinnen lassen, ohne die Geschichte des Volksgefühls und des Volksbewußtseins als integrierender Faktoren zu erhellen. Das gilt in Analogie und im entsprechenden Bezug auch für die Genesis des deutschen Reiches, des „regnum Teutonicorum". Welche Auflassungen hatten die Zeitgenossen vom Reich, wie haben sie es verstanden, seit wann beziehen sie das Reich auf das deutsche Volk, wie kommen sie dazu, das Reich vom deutschen Volk her als ein deutsches Reich zu begreifen? Antwort hierauf zu geben, die Probleme der Reichsauffassung zu lösen, erscheint darum unabdingbar, wenn es gilt, die Frage nach den Ursachen und Triebkräften, nach dem W a n n und Wie der Entstehung des deutschen Reiches vollständig zu beantworten. 2 4 Herkunft in Italien in der Zeit von 774-1000, P h i l . Diss. Berlin 1963 (Masch. Sehr.); SCHULZE, H. J . , Der Aufstand der Stellinga in Sachsen und sein Einfluss auf den Vertrag von Verdun, Phil. Diss. Berlin 1955 (Masch. Sehr.); siehe auch T Ö P F B B , B . , Rezension z u : S T E R N , L . , U. H . J . B A R T M U S S , D e u t s c h l a n d i n d e r F e u d a l e p o c h e v o n d e r W e n d e d e s 5 . / 6 . J h . b i s z u r M i t t e d e s 1 1 . J h . ; STERN, L . , u . H . GERICKE, D e u t s c h l a n d . . . v o n

24

der

Mitte des 11. J h . bis zur Mitte des 13. J h . ; S T E R N , L . , U. E. VOIGT, Deutschland . . . von der Mitte des 13. Jh. bis zum ausgehenden 15. Jh., Berlin 1963—64, (Lehrbuch der deutschen Geschichte - Beiträge II, 1 - 3 ) in: ZfG. 13/1965, S. 1086-1091. Die Bearbeitung dieses Forschungskomplexes wurde von den Mitarbeitern der Abteilung Mittelalter des früheren Instituts für deutsche Geschichte der Humboldt-Universität Berlin in Angriff genommen. Neben der vorliegenden Untersuchung wurden in Form von Dissertationen und Staatsexamensarbeiten andere Themen bearbeitet bzw. befinden sie sich in der Bearbeitung. Abgeschlossen liegen inzwischen vor: PIETSCHMANN, S., Reichsund Herrscherbezeichnungen in frühmittelalterlichen Privaturkunden bis 1122, phil. Dipl. Berlin 1965 (Masch. Sehr.); REICHELT, B., Reichs- und Herrscherbezeichnungen in frühmittelalterlichen Privaturkunden des bayrischen Gebietes, Phil. Dipl. Berlin 1965; EGGERT, W., Das ostfränkische Reich in der Auffassung seiner Zeitgenossen, Phil. Diss. Berlin 1969 (Masch. Sehr.). EGGERT geht den Reichsauffassungen und - V o r s t e l l u n g e n nach, welche in den wichtigsten erzählenden Quellen sowie den Urkunden des rechtsrheinischen Gebietes von etwa 833 bis etwa 921 zum Ausdruck gebracht werden, und versucht, von hier aus Rückschlüsse auf den Entstehungsprozeß des mittelalterlichen deutschen Reiches zu ziehen. Dabei kommt er zu der Meinung, daß für das ostfränkische Reich nicht die politische Fremdbestimmung und Wirkung durch die Franken, sondern die politische Eigenbestimmung durch innere adlig-kirchliche Kräfte entscheidend gewesen war. Nachdem in der dynastischen Teilung des Jahres 833 die Lande rechts des Rheins an Ludwig den Deutschen gefallen waren, versuchten dieser und sein Anhang sofort, ihre Herrschaft mit allen Mitteln, auch mit ideologischen, zu fundieren. Sie prägten den Begriff „Ostfranken" (orientalis Francia), dessen gegen das fränkische Gesamtreich (regnum Francorum) gerichtete Spitze nicht zu übersehen ist. Der Vertrag von Verdun 843 — diese Einsicht wird von EGGERT gewonnen — spielt im Bewußtsein der Zeitgenossen keine erhebliche Rolle. Für die ostfränkische Reichsvorstellung

3. Otto von Freising und die Frage nach der des frühmittelalterlichen Reiches

Definition

Der erste Geschichtsschreiber, von dem Reflexionen über die rechte Auflassung und den rechten Namen des Reiches überliefert sind, war der Bischof Otto von Freising (ca. 1112—1158). 2 5 In seiner Weltchronik, seinem großen, 1143—1146 entstandenen Werk „Chronik oder Die Geschichte der zwei Staaten" stellt er fest, daß die orientalis Francia, welche Bayern, Schwaben, Sachsen, Thüringen, Friesland und Lothringen umfaßt, jetzt deutsches Reich heißt. 2 6 Anläßlich der Unterwerfung des italienischen Königs Berengar II. durch Kaiser Otto I. konstatiert er an anderer Stelle: ,,Vide regnum Teutonicorum cum regno Francorum affine et quodammodo cognatum principium habere." 26a Zur Begrüngalten die Ereignisse von 833 als Epoche. Schon vor dem Vertrag von Verdun wurde das ostfränkische Reich als eigenständiges Herrschaftsgebilde betrachtet, und während der langen Regierungszeit Ludwigs des Deutschen festigte sich die relative Einheit dieses Reiches, das zu Anfang wohl nicht mehr als ein Stammeskonglomerat gewesen war, in zunehmendem Maße. 887 schritten diejenigen Kräfte, welche seine Eigenständigkeit und Einheit verfochten, zur politischen Aktion: mit der Erhebung Arnulfs von Kärnten als König nur in den rechtsrheinischen Gebieten ging das später deutsche Reich endgültig seinen eigenen Weg. Fortan wird es nicht mehr „ostfränkisch" benannt: es war zur „Francia" geworden, die die Tradition Karls des Großen für sich beanspruchte und den Westen von ihr ausschloß. Dieser Linie getreu verhinderte die politisch ausschlaggebende Gruppierung der ostfränkischen Großen 889 eine von Arnulf vorgesehene Reichstcilung und erhob später mit Ludwig dem Kind 900 einen unmündigen Knaben, mit Konrad I. 911 eine Nichtkarolinger auf den Thron. Den zur Machtergreifung Ludwigs des Deutschen 833 und zur Königserhebung Arnulfs 887 führenden politischen Aktionen kann EGGERT darum überzeugend konstituierende Bedeutung für ein eigenständiges, durch feudalherrliche Kräftegruppierungen in Deutschland selbst bestimmtes, das deutsche Sprach- und Volksgebiet umfassendes Staatsgebilde zusprechen (vgl. MÜLLER-MERTENS, R e g n u m , a. a. O. S. 3 2 1 f . ; DERSELBE, D e u t s c h e n , a. a. O., S. 37ff.).

B. REICHELT hat es übernommen, die Reichsauffassung der sächsischen Geschichtsschreiber sowie die Auffassung des Reiches als eines sächsischen in den Quellen der Ottonenzeit zu untersuchen. Weitere Arbeiten stehen auf der Wunschliste, darunter eine über die bayerische Ansprache des Reiches. — Verwiesen sei in diesem Zusammenhang auf eine erste historisch-materialistische Untersuchung zur Reichsvorstellung der Stauferzeit: KOCH, G., Sacrum Imperium. Bemerkungen zur Herausbildung der staufischen Herrschaftsideologie, in: ZfG. 16/1968, S. 596—614. Nachgelassene Studien des gleichen Verfassers zur ideologischen Herrschaftsbegründung der deutschen Zentralgewalt im 11. und 12. Jahrhundert werden demnächst als Monographie erscheinen. Zum Leben und zur Geschichtsauffassung Ottos von Freising: LAMMERS, W., Einleitung zu Otto von Freising, Chronik oder Geschichte der zwei Staaten, Berlin 1960. (Frhr.-v.Stein-Gedächtnisausg. XVI.) 26 „. . . totam orientalem Franciam, quod modo Teutonicum regnum vocatur, id est Baioariam, Sueviam, Saxoniam, Turingiam, Fresiam, Lotharingiam." Otto Frising. chron., lib. VI, c. 11, S. 272. Siehe auch: lib. VI, c. 17, S. 277. 26" Otto Frising. chron., lib. VI, c. 24, S. 286f. 25

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dung schildert Otto von Freising die Ähnlichkeit des Aufstiegs der Karolinger und der Ottonen zum Imperium in der Abfolge der Herrschergenerationen. 27 Wenn der Chronist an dieser Stelle das regnum Teutonicorum vom regnum Francorum absetzt, so nicht, weil eine solche Absetzung bestimmend für sein Geschichtsdenken wäre. Vielmehr will Otto von Freising durch den Vergleich das karolingische Kaisertum als eine „Figur" des Imperiums der Ottonen erweisen.27® Zur Königswahl Heinrich I. geht der in der Nähe der Reichspolitik stehende Verwandte der salischen und staufischen Herrscher und Reichs fürst näher auf seine Auffassung von der Provenienz und dem Charakter des regnum Teutonicorum ein. Er handelt in einem eigenen Kapitel „Über den Beginn des Reiches der Deutschen, über die verschiedenen Ansichten darüber, ob es Reich der Deutschen oder richtiger Reich der Franken genannt werden müsse." 28 Manche, schreibt Otto, rechneten das Reich der Deutschen vom Tode Konrads I. und der Königserhebung Heinrichs I. 919 an und meinten, das Reich der Franken wäre damals durch das Reich der Deutschen abgelöst worden. „Sie sagen, deshalb habe Papst Leo in päpstlichen Erlassen Heinrichs Sohn Otto den ersten König der Deutschen genannt. . . . Ich aber bin der Meinung, daß das Reich der Deutschen . . . ein Teil des Frankenreichs ist. . . . Wie aber damals, als nach dem Aussterben der Merowinger die Karolinger ihre Nachfolger wurden, doch das Frankenreich bestehen blieb, so übernehmen beim Aussterben der Karolinger die Ottonen, wenn sie auch anderen Geschlechts und anderer Zunge waren, doch dasselbe Reich. Ein derartiger Wechsel, der die Hinfälligkeit der menschlichen Verhältnisse beweist, kommt vom Anbeginn der Welt bis auf den heutigen Tag immer wieder vor."28® Für Otto von Freising besteht — in der Auseinandersetzung mit anderen Ansichten im 17. Kapitel seines sechsten Buches — das Frankenreich also im deutschen Reich fort. Er verlängert das Frankenreich, das Reich Karls des Großen, bis in die Gegenwart. Das Jahr 919 bringt für ihn lediglich einen Dynastiewechsel. Für die Vertreter der von Otto widersprochenen Auffassung erfolgt 919 dagegen ein Wechsel der Reiche, eine Ablösung des Frankenreiches durch das Reich der Deutschen, welches als politisches Gebilde neuer und eigener Art aufgefaßt wird. Eine noch andere Version bietet fast gleichzeitig der Annalista Saxo. Er schreibt um 1152 über das Jahr 919: „Die 27

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283

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LAMMERS, Einleitung, a. a. 0 . , S. L I X . Ebenda. „De exordio regni Teutonicorum diversaeque allegationes, utrum regnum Francorum vel potius adhuc regnum Francorum dici debeal." Otto Frising., chron., Kapitelgliederung des VI. Buches, c. 17, S. 28. „Exhinc quidam post Francorum regnum supputant Teutonicorum. Unde filium eius (sc. Heinrici) Ottonem in decretis pontificum Leonem papam primum regem Teutonicorum vocasse dicunt. . . . Michi autem videtur regnum Teutonicorum . . . partem esse regni Francorum. . . . Sicut autem Merovingis deficientibus ac Karolis succedentibus regnum tarnen mansit Francorum, sie et Karolis decedentibus ex alia familia seu lingu.'i in uno tarnen regno Ottones sub introiere. Quae varietas humanarum rerum defectum prodens ab inicio mundi usque in presentem diem alternatur." Otto Frising. chron., lib. VI, c. 17, S. 276ff.

Regierung des deutschen Reiches, welche bisher bei den Franken gewesen, ging auf die Sachsen über." 2 9 Umgekehrt wie Otto von Freising stellt sich dem sächsischen Annalisten das Frankenreich bereits als deutsches Reich dar. Er verlängert dieses in die Vergangenheit hin zu Karl dem Großen. Das J a h r 919 bedeutet für ihn.— cum grano salis — einen Wechsel des Reichsvolkes im deutschen Reich. Die Gegensätzlichkeit dieser Sehweisen und ihre Konfrontation in der Weltchronik Ottos von Freising könnte einen lebhaften Geist die Vorstellung einer Antizipation der Kontroverse über die Entstehung des deutschen Reiches gewinnen lassen, welche die Forschergenerationen des 19. und 20. Jahrhunderts führten. Die Reflexionen Ottos von Freising geben zu erkennen, daß die deutsche Auffassung und der deutsche Name des Reiches seiner Zeit geläufig waren, daß in ihr ein deutscher Reichsbegriff, eine feste deutsche Reichsvorstellung vorhanden waren. „Wenn Otto von Freising schrieb, daß man mit der Wahl Heinrichs I. das regnum Francorum durch das regnum Teutonicorum abgelöst glaubte", konstatiert Lugge, „so bewegte er sich in einer dem Volke durchaus verständlichen Terminologie. Deutsches Volk, deutsches Land und deutsches Reich — diese Namen umschlossen in seiner Zeit schon einen festen Erkenntnisgehalt. 30 Ottos Polemik läßt aber zugleich erkennen, daß die deutsche Auffassung des Reiches umstritten und anfechtbar war, daß die Historiographie und Geschichtsdeutung in der Mitte des 12. Jahrhunderts zu verschiedenen Interpretationen kommen konnte, wenn sie sich von ihrer Gegenwart aufgefordert fühlte, über den Beginn, über den Charakter des Reiches nachzudenken und zu handeln. Was die Genesis, den Charakter, die Definition des mittelalterlichen Reiches in einem besonderen Maße zu einem Problem, zu einer Controversia macht, läßt Otto von Freising, der als erster über den Namen und damit über die Wesensart des Reiches reflektiert, in seiner Weltchronik wie in seinem Schriftwerk über die Taten Kaiser Friedrichs I. manifest werden. Es ist zunächst der fränkische Ursprung der politischen Vereinigung und Verbindung der am Rhein und in Germanien siedelnden Stämme germanischer Zunge. Es ist zum anderen die Vielschichtigkeit und Vielgliedrigkeit, sowohl der supragentile wie der imperiale Charakter der ottonisch-salischen Königs- und Kaiserherrschaft. Die fränkische Frage, die Frage „bis wann fränkisches, seit wann deutsches Reich", die Frage nach der bewußten 29

3« 2

„. . ., et summa regni Teutonici que Francorum eatenus fuerat, ad Saxones transivit." (Annalista Saxo, ed. G.WAITZ, in: MG. S S VI, S. 594.) Der sächsische Annalist schreibt auch für das J a h r 919 Ekkehard von Aura aus, an dieser Stelle verändert er jedoch die Vorlage und bringt er seine eigene Auffassung. Bei Ekkehard heißt er dagegen: „ Karolorum Stirpe in regno Francorum deficiente, regnum iam ad Saxones per Heinricum transfertur." (Ekkehard Uraug., S. 175). Die Karolinger werden von dem sächsischen Annalisten als Herrscher des regnum Teutonicorum aufgefaßt: „ H i c Lodowicus iuxta quosdam Karolorum ultimus in Teutonico regno imperantium." (Annalista S a x o , a. a. 0 . , ad a. 910, S. 592.) Dieser Bericht ist wieder fast wörtlich von Ekkehard übernommen. Doch bei diesem heißt es: „ H i c iuxta quosdam ultimus dicitur Karolorum apud orientales Francos imperantium." (Ekkehard Uraug., S. 175.) LTTGGE, G a l l i a , S . 1 1 6 . Müller-Merlens, Regnum Teutonicum

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Ausgliederung aus dem Frankenreich und nach dem gewollten Zusammenschluß der auf ein Sonderdasein verzichtenden deutschen G e s a m t s t ä m m e war das Kardinalproblem, wenn die Geschichtswissenschaft im 19. u n d 20. J a h r h u n d e r t über die E n t s t e h u n g des deutschen Reiches diskutierte, wobei sie das Reich des 9. u n d 10. J a h r h u n d e r t s i m m e r n u r vor die Alternative fränkisch oder deutsch stellte. Die imperiale Frage, der imperiale Charakter des (karolingisch-) ottonisch-salischstaufischen Reichsgebildes war f ü r die neuere Forschung dagegen kein Definitionsproblem, d. h. die Königs- u n d Kaiserherrschaft über viele Völker u n d Reiche wurde nicht als Problem angesehen, wenn es das Reich zu definieren galt. Sein Wesen wurde entweder von der fränkischen Universalität oder der deutschen Nationalität begriffen. Die neuere Geschichtsschreibung interpretierte das Reich u n d die Reichsgeschichte, die Volkwerdung und Staatsbildung der Deutschen am Modell der neuzeitlichen Nation u n d des bürgerlichen Nationalstaates. F ü r sie stand das auf Nationalität gegründete oder sich sehr bald auf N a t i o n a l i t ä t gründende Königreich, das Nationalreich im M i t t e l p u n k t ihres geschichtlichen Denkens u n d Fragens, f ü r sie stellte sich das Reich als quasinationaler S t a a t dar, w u r d e das Reich vom künftigen Nationalstaat, von der künftigen Nation verstanden. So wurde z. B. das Problem der mittelalterlichen Kaiserpolitik durchweg vom nationalen bzw. n a t i o n a l s t a a t lichen Aspekt, v o m Aspekt der bürgerlichen nationalen Frage behandelt. Otto von Freising, dem patriotisches Gefühl u n d nationaler Stolz n i c h t fehlen, d e n k t und f ü h l t in ganz anderen Kategorien als die neuzeitlichen bürgerlichen Historiographen. F ü r ihn ist nicht die nationale Dimension, sondern die imperiale, die imperiale R e a l i t ä t das Wesentliche. Das frühmittelalterliche, v o m K a i s e r t u m und P a p s t t u m repräsentierte, ottonisch-salische Imperium christianum m o c h t e seinem feudalherrlich-hochadligen, bischöflich-reichsfürstlichen und mönchischen Interesse, seiner christlich-feudalistischen W e l t a n s c h a u u n g entsprochen h a b e n . So stellt O t t o das Reich in den göttlichen Heilsplan, in das heilsgeschichtliche Schema, in die Geschichte der civitas Dei u n d der civitas terrena, in den Ablauf der vier Weltmonarchien. E r interpretiert das ottonisch-salische Reich u n d Kaisertum als christliches I m p e r i u m R o m a n u m , welches die H e r r s c h a f t Christi in der Zeit, den diesseitig-endlichen G o t t e s s t a a t darstellt u n d als Figur des k o m m e n d e n ewigen Gottesstaates erscheint, wobei Kaiser und P a p s t , beide als Nachfolger Christi, die H ä u p t e r des christlichen Imperium R o m a n u m bilden. Die Reichsauffassung Ottos von Freising spiegelt imperiale, universale Intentionen, ihr korrespondiert eine stabile imperiale Tradition u n d Realität der Königsherrs c h a f t u n d des Reiches, die ihr Eigengewicht h a t . Dieser Realität h a t die nationalbürgerliche, romantische und positivistisch-nationalliberale Geschichtsschreibung zu wenig R e c h n u n g getragen. Sie b e a n t w o r t e t e die Frage nach dem A n f a n g u n d dem Wesen des frühmittelalterlichen Reiches geleitet von der Vorstellung der Nation und des Nationalstaates im 19. J a h r h u n d e r t . Wie die frühmittelalterlichfeudalherrlich-kirchliche Idee vom feudalistischen Imperium christianum d ü r f t e auch die neuzeitlich-bourgeoise Idee vom bürgerlichen Nationalstaat nicht geeignet sein, die Genesis u n d die N a t u r des frühmittelalterlichen Reiches vollständig, allseitig zu verstehen. K a n n die stabile imperiale Realität auf dem H i n t e r g r u n d

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der Ökonomik und Sozialstruktur, des ökonomisch-sozialen Prozesses des Frühmittelalters einfach unter d a s nationale subsumiert, kann einfach von einer Priorität und einem P r i m a t des Nationalreiches vor dem Großreich, dem imperiale regnum ausgegangen werden? Wenn Notker der S t a m m l e r K a r l den Dicken in einer fingierten U r k u n d e als „rector F r a n c o r u m , S u e v o r u m , Baioariorum, Turingorum, S a x o n u m domitorisque b a r b a r u m n a t i o n u m " urkunden läßt 3 1 , so weist er d a m i t auf ein drittes Problem bei der Definierung des frühmittelalterlichen Reiches hin, auf seine supragentile S t r u k t u r . Ü b e r diese F r a g e ist viel gehandelt und gestritten worden, so z. B . unter dem Gesichtspunkt, ob die deutsche Geschichte im Zeichen des Partikularismus, des F ö d e r a l i s m u s oder des Einheitsstaates beginne 3 2 , k a u m aber unter dem A s p e k t der R e i c h s a u f f a s s u n g . Angesichts des R a n g e s , welchen die frühmittelalterlichen Völkerschaften, die gentes und ihre regna einnahmen, erscheint die Überlegung nicht abwegig, ob sich die Vereinigung der germanischen Großstämme a m Rhein und in Germanien im G e s a m t a s p e k t oder bestimmenden Teilaspekt nicht zunächst als eine supragentil-imperiale Größe darstellt, die sich wohl in der Q u a n t i t ä t , nicht aber in der Q u a l i t ä t von einer über die S t ä m m e germanischer Sprache hinausgreifenden K ö n i g - K a i s e r - H e r r s c h a f t und Reichsbildung unterscheidet. Und so läßt sich weiter f r a g e n : S t e h t d a s Reich Arnulfs von K ä r n t e n , d a s ottonisch-sächsische Großreich entwicklungsgeschichtlich nicht dem karolingisch-fränkischen näher als den sich später auf Nationalität gründenden und fortentwickelnden Königreichen, ist d a s Großreich der Ottonen nicht an erster Stelle wie d a s Großreich der Karolinger von seiner supragentil-imperialen S t r u k t u r her zu definieren, steht d a s ottonischsächsische Reichsgebilde nicht in einem ähnlichen Verhältnis zum deutschen Reich wie d a s karolingisch-fränkische zum französischen? Diese Ü b erlegungen sind heuristischer Art. Sie wollen anstoßen, tiefer über d a s Wesen und die E n t s t e h u n g des frühmittelalterlichen Reiches nachzudenken und zu Problemstellungen zu kommen, welche die Reichsgründung und S t a a t s b i l d u n g von ihrer frühmittelalterlichen feudalistischen B e d i n g u n g und Bedingtheit, ihrer frühmittelalterlichen feudalistischen Natur, F u n k t i o n und S t r u k t u r anzugehen und d a s frühmittelalterliche Reich vom S t a n d p u n k t des materialistischen Historism u s zu begreifen suchen. Diese Fragen aufzuwerfen, regten nicht zuletzt die E r gebnisse der vorliegenden Ideen- und begriffsgeschichtlichen Studien an. Die Überlegungen zu einem E n d e zu führen, bedarf es der verfassungsgeschichtlichen m i t s a m t der nötigen unterbauenden wirtschafts- und gesellschaftsgeschichtlichen Forschung. Doch wird auch hier die F r a g e nach der Auffassung der Zeitgenossen, der an der Reichsgeschichte beteiligten Personen, nach der politischen B e griflswelt und Ideologie von Belang sein, was wieder zu der A u f g a b e führt, gründlicher zu erhellen, wann, wie und w a r u m eine a m deutschen Volke gebildete A u f f a s s u n g des Reiches und des Königs a u f k a m und verbreitet wurde. al

MG. Form., Form. Salomon. \'r. 2,397. Zur Literatur: RÖRIG, F., Gcliliilsrecht und freie Wahl in ihrer Auswirkung auf die deutsche Geschichte, Berlin 19-58, S. 5f. (AbhAK Berlin 1945/46, phil.-hist. Kl. 6.)

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4. Die methodische Bedeutung des Wortes „deutsch" für die Fixierung einer deutschen Reichsauffassung Zur Bezeichnung des deutschen Reiches in den hochmittelalterlichen Quellen, des Reiches, welches die am Rhein und in Germanien siedelnden Stämme germanischer Sprache 3 3 politisch vereinte, kommt Hugelmann auf Grund der Belegsammlung Vigeners zu folgendem Ergebnis: „Weitaus überwiegend in der Fülle der Quellenzeugnisse für dieses Reich der Deutschen ist die Zusammensetzung mit Teutonicorum, verschwindend dagegen mit Alamannorum oder Germanorum, und auch die an sich gewichtige Traditionsbezeichnung regnum Francorum ist doch bei weitem nicht so häufig wie regnum Teutonicorum. Vigener giebt 48 Stellen mit dem Wortstamm Alamann-, 32 mit German-, Franc- und Sax-, dagegen 230 für regnum Teutonicorum oder Teutonicum bzw. das seltenere regnum Teutoniae an. Also selbst wenn wir alle anderen Stellen zusammenzählen (80), so umfassen sie nur rund ein Drittel der Zahl der Belege für regnum Teutonicum!" 3 4 Der Name „Reich der Deutschen" bzw. „Deutsches Reich" gibt sich somit als der gebräuchliste zu erkennen. In der Tat wurde dieser im deutschen Sprachgebrauch zum Namen katexochen für das deutsche Reich, obwohl ihn das alte, 1806 erloschene Reich niemals offiziell angenommen hatte. Auch nachdem der Unterschied zwischen Regnum und Imperium im Spätmittelalter bedeutungslos geworden war, nannte es sich Heiliges Römisches Reich. 35 Erst das 1871 proklamierte Kaiserreich, der kleindeutsche Nationalstaat, führte den Namen „Deutsches Reich". Daß die hochmittelalterlichen Quellen den deutschen Namen am häufigsten bei einer Bezeichnung des Reiches gebrauchten, daß der Name „deutsch" für die Deutschen selbst zum Eigen- und Rufnamen für das „deutsche Reich" wurde, ist jedoch nicht der alleinige und nicht der entscheidende Grund, daß hier der deutsche Reichsund Königsbegrifl verfolgt werden soll. Die Konzentration auf ihn begründet sich vielmehr in der Feststellung, daß die Begriffe regnum Teutonicorum/Teutonicum und rex Teutonicorum/Teutonicus als der vornehmste und entsprechendste Ausdruck dafür erscheinen, daß das die Ostfranken, Schwaben, Bayern, Thüringer, Sachsen und Friesen vereinigende Reich und der über sie herrschende König von einem alle Stämme einschließenden Gefühl und Bewußtsein der Gemeinsamkeit und 33

34 35

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Die Wendung „circa Rhenum ac in Germania" entlehnen wir Otto von Freising. Er unterscheidet zwischen denFranken, die in Gallien wohnen und die von ihnen gebrauchte Sprache von den Römern übernommen haben, und den Franken am Rhein und in Germanien, welche die Teutonica lingua sprechen (Otto Frising. chron., üb. IV, c. 32, S. 225). Stämme „circa Rhenum ac in Germania", welche die „Teutonica lingua" gebrauchen, so lassen sich die später deutschen Stämme recht zutreffend und ohne Widerspruch zu der frühmittelalterlichen Begriffswelt bezeichnen. HUGELMANN, Stämme, S. 390f. Z B U M E B , K . , Heiliges römisches Reich deutscher Nation. Eine Studie über den Reichstitel, Weimar 1910. (Quellen u. Studien z. Verf. Geschichte des Deutschen Reiches i. MA. u. Neuzeit IV, 2.)

Zugehörigkeit in Hinsicht auf Sprache, Abstammung und Volkstum begriffen wurden3®, weil sie als unbezweifelbares Zeichen dafür stehen, daß die Auffassung vom Reich und König am deutschen Volk gebildet wurde. D a s deutsche Volk ist als historisches Phänomen geschichtlich entstanden. Ihm gegenüber müssen die später deutschen S t ä m m e des frühen Mittelalters als geschichtliche Größen eigener Art betrachtet werden. E s war gewiß nicht notwendig, in ihrem Wesen und ihrer Entwicklung angelegt, daß sie sich zu einem Volk, zu dem deutschen Volk vereinigen mußten. In den Großstämmen dürfte die volle Potenz der eigenen Volkwerdung gelegen haben 3 7 . Auch die Möglichkeiten einer volklichen Vereinigung in anderen Gruppierungen, einschließlich der Verbindung mit germanischen Stämmen und Völkerschaften, die außerhalb des späteren deutschen Volkes geblieben sind, müssen gesehen werden. F ü r den tatsächlich erfolgten Zusammenschluß der Ostfranken, Schwaben, Bayern, Thüringer, Sachsen und Friesen zu einem Volk haben wahrscheinlich politische Agenzien, die aufeinanderfolgenden politisch-staatlichen Integrationen in die supragentil-imperiale Königsherrschaft der Merowinger, Karolinger, Ludwigs des Deutschen und der ostfränkischen Karolinger sowie schließlich der Ottonen ausschlaggebend beigetragen. Wann der Prozeß der Volkwerdung einsetzte und wann diese erste Gestalt gewonnen hat, wann ein in Hinsicht auf Sprache, Volkstum und Abstammung (sowie Recht) bezogenes Gefühl oder Bewußtsein der Zusammengehörigkeit und Gemeinsamkeit geschichtlich in Erscheinung tritt und wann ein solches Volksgefühl oder Volksbewußtsein Relevanz für politische Entscheidungen erhielt, ist sehr umstritten. 3 8 Wenskus betont gewiß mit Recht, daß das Auftauchen des Volksnamens „ d e u t s c h " nicht, ,,wie immer wieder irrtümlich vorausgesetzt, am Anfang der Volksgeschichte" steht, sondern „eher den Abschluß einer ersten Entstehungsphase" bildet 3 9 . Ob Wenskus aber auch zugestimmt werden kann, wenn er meint, daß ein deutsches 3(i

Wir lehnen uns hier a n die Definition des Begriffes „ g e n s " durch Regino v o n P r ü m a n : „ S i c u t diversae nationes p o p u l o r u m inter se d i s c r e p a n t genere, moribus, lingua, l e g i b u s . " ( E p i s t u l a Reginonis ad H a t h o n e m archiep. m i s s a , i n : Reginonis a b b a t i s P r u m i ensis chronicon, ed. F . KURZE, H a n n o v e r 1890, S . X X . MG. S S . in us. schol.) — Vgl. SCHLESINGER, G r u n d l e g u n g , S. 2 5 4 f f . ; WENSKUS, R . , Die deutschen S t ä m m e i m R e i c h K a r l s des Großen, i n : K a r l der Große, L e b e n s w e r k und N a c h l e b e n , B d . 1, D ü s s e l d o r f 1965, S. 178ff. — SCHLESINGER, Grundlegung, S . 284, b e t o n t den Unterschied zwischen den alten S t ä m m e n u n d V ö l k e r s c h a f t e n und d e m neuen G r o ß v o l k : „ A n der B i l d u n g dieses deutschen Volkes sind gentile E l e m e n t e beteiligt, aber sie sind nicht a u s s c h l a g g e b e n d , und d a s d e u t s c h e Volk ist kein gentiler V e r b a n d alten Stils wie noch die deutschen S t ä m m e . E s ist vielmehr eine mehrere gentes u m f a s s e n d e größere G r u p p e , deren Solid a r i t ä t im K o n t r a s t b e w u ß t s e i n gegenüber ebensolchen G r u p p e n , den Welschen i m W e s t e n und S ü d e n , den Wenden im Osten, wurzelt. Diese Vorstellung ist sehr alt, wird aber erst im 9. J a h r h u n d e r t wieder historisch virulent. G r u n d l e g e n d f ü r d a s K o n t r a s t b e w u ß t s e i n scheint der Unterschied der S p r a c h e gewesen zu s e i n . "

37

SCHLESINGER, G r u n d l e g u n g , S. 258. L i t e r a t u r a n g a b e n : BARTMUSS, G e b u r t , S. 9 4 f f . ; SCHLESINGER, G r u n d l e g u n g , S . 347. WENSKUS, S t ä m m e , a. a. 0 . , S. 218f.

38

21

Volk darum schon vor der Bildung des fränkischen Gesamtreiches vorhanden gewesen sei 40 , muß dahingestellt bleiben. Nicht bewiesen worden ist die seit der Romantik immer wieder vertretene Meinung, daß der Vertrag von Verdun 843 oder die Absetzung Karls des Dicken und Königserhebung Arnulfs von Kärnten 887, die Wahl Konrads I. 911 oder die Heinrichs I. 919 auf einer Wirkung des Volksgefühls oder Nationalbewußtseins beruht habe. 4 1 Man wird Beumann zustimmen müssen, wenn er über die hierzu angeführten Zeugnisse meint: „Die Indizien, auf die sich die Forschung auf der Suche nach den Anfängen des deutschen Gemeinschaftsgefühls zu stützen pflegt, gehören überwiegend in den Bereich des ,Unterschwelligen'." 42 Quellen des 10. Jahrhunderts lassen eine Entwicklung der Volkwerdung zur geschichtlichen Wirksamkeit erkennen. Im 11. und 12. Jahrhundert stellt sich das deutsche Volk dann in mannigfacher Uberlieferung als gefühlsmäßig erlebte und bewußt erfaßte historisch-politische Größe dar. Der Name „deutsch", welcher der über die frühmittelalterlichen „gentes et nationes", die Großstämme hinaufgreifenden Gemeinschaftsbildung, Ganzheit und Einheit, dem werdenden, die Ostfranken, Thüringer, Bayern, Schwaben, Sachsen und Friesen in sich vereinigenden Volk am Rhein und in Germanien seit der Wende vom 9. zum 10. Jahrhundert allmählich gegeben wurde, geht nicht auf einen älteren Landes- oder Stammesnamen zurück. Er wird auch nicht von einem der Großstämme, von einem künftigen Teil des werdenden Ganzen auf das Ganze übertragen oder von der politischen Herrschaft, dem Reich und Staatsgebilde oder von einem Herrscher abgeleitet. Es ist ein neuer Name, den das werdende deutsche Volk annimmt. Weisgerber kennzeichnet diesen Vorgang als einzigartig in der Geschichte der europäischen Völker und konstatiert: „Unter allen Völkernamen Europas nimmt der Name Deutsch, rein sprachlich gesehen, eine Sonderstellung ein. In gewissem Sinne kann man ihn als den jüngsten Völkernamen in Europa bezeichnen. . . . Es ist leicht zu sehen, daß die anderen Völkernamen entweder auf alte Ländernamen (Italien, Spanien usw.) oder (zum Teil über die Ländernamen) auf ältere Stammesnamen (Franken, Angeln usw.) zurückgehen. . . . Ganz anders der deutsche Volksname. Hier können wir sicher sagen, daß vor dem 9. Jahrhundert von Deutschen im Sinne eines Volksnamens nicht gesprochen worden ist, und daß auch kein älterer Länder- oder Stammesname davor liegt." 4 3 40

41

WENSKUS, R., Stammesbiklung und Verfassung. Das Werden der frühmittelalterlichen gentes, Köln/Graz 1961, S. 574. Zur Diskussion dieser Frage in der Geschichtsschreibung und zur Literatur: BARTMUSS, Geburt, S. 43ff., 94ff.

42

BEUMANN, K a i s e r t u m ,

43

WEISGERBER, Volksname, S. 98 f. u. passim. Zur Literatur: LÖWE, H., Deutschland im fränkischen Reich, in: GEBHARDT, B., Handbuch der deutschen Geschichte, Bd. 1, Stuttgart 1954, S. 107 Anm. 6 ; LUGGE, Gallia, S. 116ff.; letzte Aufsätze: BETZ, W., Karl der Große und die lingua theodisca, in: Karl der Große, a. a. 0., Bd. 2, Düsseldorf 1965, S. 300-306; DERSELBE, Wortschatz, Weltbild, Wirklichkeit, in: Speculum historiale, Festschrift J . SPOERL, Freiburg,

44

22

S. 534.

Über Ursprung und Bedeutung des Wortes „deutsch" ist viel gehandelt worden 4 4 ' Nach den grundlegenden Forschungen von Weisgerber 45 stellt sich seine Entwicklung zum deutschen Volksnamen wie folgt dar: Der Ausgangsraum des Wortes „deutsch" ist das zumindest für die Zeit von 500 bis 700 zweisprachige Nordgallien, der Raum des romanisch-germanischen Sprachausgleichs, der sich bildenden und im 8. Jahrhundert immer mehr verfestigenden französisch-deutschen Sprachgrenze. Hier gewinnt im 7./8. Jahrhundert ein vom germanischen ' peuöö ( = Stamm, Volk) abgeleitetes Zugehörigkeitsadjektiv * peudiska- (mit der peudd verbunden, zurßeudö gehörig) besondere Wichtigkeit 4 6 . Um 700 läßt sich "peudisk bei den noch nicht von der Romanisierung erfaßten Westfranken erschließen, es bezeichnet „zu unserer peoda zur heimischen (germanisch-fränkischen) peoda gehörig" 47 . Um 750 ist 'ßeodisk im Munde von germanisch wie von romanisch sprechenden Westfranken zu ermitteln in der Bedeutung: „zu der ostfränkischen peoda, den germanisch sprechenden Ostnachbarn gehörig." 4 8 Die Anwendung erfolgt jeweils auf Sprache, Land und Leute. „Mit dem Zurückgehen der germanisch-fränkischen Sprache in Nordost-Frankreich wird peudisk immer enger auf die rein fränkischen Gebiete des Ostens bezogen und kann so zur Kennzeichnung von Sprache, Land und Leuten dieses Bereichs in den Sprachgebrauch der Romanen über gehen: tiesche langue, tiesche terre, tiesche gent."6s Aus den westfränkischen "peudisk /peodisk entwickelt sich auch das mittellateinische theodiscus, welches seit 786 in der karolingischen Hof- und Kanzleisprache nachzuweisen ist. Es bezeichnet in ihr im Gegensatz zum Latein und zu den romanischen Sprachen die Sprachen der germanischen Stämme, insbesondere der Stämme des Festlandes, soweit sie natürliche Glieder des Reiches Karls des Großen wurden 50 , wobei der fränkische Bezug und die Orientierung auf das Frankenreich unverkennbar sind 51 . Da das Wort theodiscus vornehmlich auf die Stämme germanischer Zunge am Rhein und in Germanien verdichtet wird, stellt sich im 9. Jahrhundert folgerichtig ein Bezug auf die Stämme der Francia orientalis Ludwigs des Deutschen ein, da diese mit jenen doch im wesentlichen identisch sind. Theodiscus wird jetzt auch zur Bezeichnung derjenigen gebraucht, welche die lingua theodisca sprechen, der Theodisci. Es wird zur Bezeichnung des Sprachvolks 52 , der gens teutónica53, wobei die Übernahme von teutonicus aus der Gelehrtensprache am Ausgang des 9. JahrMünchen 1965, S. 34—36. Belegtafel zur Frühgeschichte von „deutsch": WEISGERBER, Volksname, S. 92 ff. 45

WEISGERBER, V o l k s n a m e .

als welches SCHLESINGER, Kaiser, Neudr., S. 109, und BÜCHNER, Nachträge, S. 299.

126 "7 sowie Como (1002) 491 finden sich die Begriffe diutisce, deotisce, teutonice, Teutonica lingua und Teutonici. Sie dienen zur Unterscheidung und Konfrontation gegenüber der slawischen Sprache und den Slawen sowie den Italienern. Dieser Bezug fehlt allein in den Diplomen für Utrecht und den Siggo zu Diedenhofen, wo die besonderen lothringischen Verhältnisse an der deutsch-französischen Sprachgrenze Pate gestanden haben dürften. Auffällig ist, daß die Kanzleien Heinrichs II. und der beiden ersten Salier diesen Brauch nicht fortführten. Das Wort teutonicus findet sich in ihrer Zeit nur in Bestätigungsurkunden, welche die entsprechenden Wortverbindungen aus den ottonischen Vorurkunden übernahmen sowie in außerhalb der Kanzlei verfaßten Diplomen. Seit dem Anfang des 11. Jahrhunderts dient teutonicus auch deutschen Geschichtsschreibern zur Bezeichnung des deutschen Landes, nachdem der Name Deutschland bzw. deutsches Land zuerst in Frankreich und Italien nachweisbar ist 492 . In Deutschland begegnen wir dann dem Begriff Theutonum tellus bei Brun yon Querfurt 493 und Teutonica terra im Freisinger Herrscherkatalog des Cod. Monac.

479

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Bruno Querf., c. 10, S. 132 u. 134. Vgl. WENSKUS, Studien, S. 114 ff., dieser verbessert magna anima in magnanimitas. Die Vila Adalberti posterior wurde 1008 verfaßt. DO I. 62: teutonica lingua; so in Nach Urkunden D i l II, 112, DK II. 44. DO I. 222 b: Theutunici vel Sclavi. DO I. 2 3 2 : Teutonici et Sclavanici; so in Nachurkunde DO I. 281. DO I. 371 (italienische Kanzlei): Italici, Franci, Teutonici. DO I. 389: lingua Sclavanisca/theotisce. DO II. 165: qui diutisce vocatur, quae deotisce voeantur; Vorurkunde DArn. sp. 184, Nachurkunden DO III. 1 u. DH III. 260, in diesem wird diutisce durch vulgariter, deotisce durch teutonice ersetzt. DO II. 174: quodam Sclavonice . . . nunc autem Theutonice. DO II. 185 a: Theotonice, Sclavonice; so in Nachurkunden DO II. 185 b u. DO II. 213 a. DO II. 1 9 1 : que Teutonice dicitur. DO II. 184: quod Theutonici dicunt; so in Nachurkunde DO III. 186. DO III. 2 6 1 : Teutonica lingua. DO III. 324: Italicus/Teutonicus; so in Nachurkunde DH III. 327. DO III. 329: Teutonicus sive Latinus. DO III. 358: quem Teutici vocant. DH II. 14: teutisca lingua; geht auf verlorenes DO II. oder DO III. zurück. Nachurkunden DK II. 45 u. DH III. 165. DArd. 4: Latinus/Teutonicus; so in Nachurkunde DH II. 74. Teutonica zuerst 888: Rhythmus in Odonem regem, in: Poet. lat. IV, 1, S. 138. Teutonica regio: Joh. Ven., S. 143. Terra Theodisca: Ademarus Cabannensis historiae Francorum sive chronicon, üb. III, c. 37, ed. I. CHAVANON, (Ademar de Chabannes) Paris 1897, S. 160. (Collection de textes X X . ) Bruno Querf., c. 9, S. 130.

123

6388. 4 9 4 Als weitere frühe Belege sind die Chronik von S. Mihiel an der Maas (Theutonica terra) 4 9 5 u n d Wipo (terra Teutonicorum) 4 9 6 zu zitieren. Gegenüber dem ersten quellenkritisch verbürgten A u f t a u c h e n des deutschen Reichs- u n d Königsbegriffes in Deutschland in den Annales Altalienses u n d seiner Anwendung in Deutschland erst in den siebziger und achtziger J a h r e n des 11. J a h r hunderts ist also festzustellen: die W o r t v e r b i n d u n g regnum T e u t o n i c o r u m / Teutonicum war seit der Ottonenzeit, zumindest in der ersten H ä l f t e des 11. J a h r h u n d e r t s auf Grund der Verbreitung des deutschen Sprach-, Volks- u n d Landesnamens möglich und verhältnismäßig leicht herzustellen, wenn es d a r u m ging, eine auf der Vorstellung der Spracheinheit u n d der Volkseinheit der am Rhein u n d in Germanien siedelnden S t ä m m e deutscher Zunge beruhende Reichs- u n d Königsauifassung mit einem N a m e n auszudrücken. Der N a m e zur einheitlichen u n d abgrenzenden sprachlich-volksmäßigen Charakterisierung des ostfränkisch-deutschen Reiches, des Reiches der a m Rhein und in Germanien wohnenden S t ä m m e deutscher Sprache, von Franzosen als Reich jenseits des Rheines, von Italienern als Reich jenseits der Berge bezeichnet, s t a n d den deutschen Geschichtsschreibern, Schriftstellern und Kanzleibeamten zur Verfügung. Auch ein Gefühl u n d Bewußtsein deutscher Sprach-, Volks- u n d Landeseinheit war vor dem Ausbruch der F ü r s t e n e r h e b u n g u n d des Investiturstreites, vor dem revolutionären politischen U m b r u c h in der zweiten H ä l f t e des 11. J a h r h u n d e r t s v o r h a n d e n . Trotzdem vollzogen die Historiographie und Publizistik sowie die Reichskanzlei bis zu den siebziger u n d achtziger J a h r e n des 11. J a h r h u n d e r t s nicht die deutsche N a m e n g e b u n g f ü r das Reich u n d den König bzw. f ü r das deutschsprachige u n d deutschstämmige regnum innerhalb des umfassenderen ottonisch-salischen K ö n i g t u m s u n d Kaisertums. Die von Mohr f ü r das 9. und 10. J a h r h u n d e r t fixierte terminologische S i t u a t i o n 4 9 7 herrschte in den deutschen Quellen des 11. J a h r h u n d e r t s im wesentlichen fort, abgesehen von den fränkischen Vorstellungen, deren Z u r ü c k t r e t e n noch zu behandeln ist. Es finden sich vornehmlich auf einzelne oder mehrere S t ä m m e , auf Herrscher sowie auf Orientierungsbegriffe bezogene B e n e n n u n g e n . 4 9 8 In der Regel gebrauchte die Geschichtsschreib u n g jedoch keine E p i t h e t a , wenn sie von ihrem eigenen König oder Reich handelte, es genügte ihr, einfach rex oder regnum zu sagen. Der T a t b e s t a n d , daß der deutsche Reichs- und Königsbegriff — von möglichen Einzelfällen abgesehen — vor der Fürsteninsurrektion und vor dem Ausbruch des Investiturstreits, der K ä m p f e u m die Reichsordnung u n d das Verhältnis zwischen regnum u n d sacerdotium nicht zur A n w e n d u n g k a m , t r ä t e noch krasser hervor, wenn der Begriff regnum Teutonicorum von den alten Salzburger Annalen wirklich zum J a h r e 919/920 g e b r a u c h t worden wäre. Dann wäre die W o r t v e r b i n d u n g regnum 494

Calalogus regum et iniperatorum e x codice Monacensi, ed. R. KÖPKE, in: MG. SS. X , S. 136. 495 Chronicon monasterii s. Michaelis Virdunensis, c. 7, ed. G. WAITZ, in: MG. SS. V, S. 81. 436 Wipo, tetralogus, v. 190, in: Wiponis opera, ed. H. BRESSLAIT, H a n n o v e r 1915, S. 81. (MG. SS. in us. schol.) 497 MOHB, Absonderung; DERSELBE., Francia orientalis; vgl. oben, S. 27f. 498 Nachweise bei VIGENER, Bezeichnungen.

124

Teutonicorum bereits in der ersten Hälfte des 10. J a h r h u n d e r t s hergestellt worden, und wäre der Beweis erbracht, daß die Begriflsbildung regnum Teutonicorum f r ü h zeitig, ja schon vor der weiteren Verbreitung des Wortes teutonicus seit der Ottonenzeit nicht n u r theoretisch, sondern auch praktisch möglich gewesen ist. Ein Vorhandensein des Begriffes regnum Teutonicorum in den Annales Iuvavenses antiqui würde die Frage noch schärfer stellen, w a r u m der deutsche Reichsbegriff in Deutschland vor dem Ausbruch des Investiturstreits u n d der Fürsteninsurrektion nicht wirklich verbreitet wurde. E r s t der Mönch von Niederaltaich präsentiert in Deutschland den deutschen Reichsbegriff. Der Verfasser der Annales Altahenses ist von deutschem Volksgefühl, von Nationalstolz erfüllt, seine Auffassung erwächst aus der Tradition und dem Interesse der bayerischen Mission und Kolonisation, aus dem K o n t r a s t u n d der politisch-kirchlichen Intention gegenüber Ungarn und Böhmen. Als der Niederall aicher Annalist sein Werk niederschrieb, war der Konflikt zwischen Heinrich IV. und den Sachsen sowie den Fürsten bereits ausgebrochen. Der Annalist ü b t vom konservativen S t a n d p u n k t der alten Reichsordnung, quasi vom reichsfürstlichen S t a n d p u n k t Kritik an der neuen Königspolitik Heinrichs IV. E r s t e h t m i t seiner Reichskonzeption in der Nähe Lamperts von Hersfeld. Die erste national-deutsche Fassung des deutschen Reichsbegriffes, dargeboten von Niederaltaich, einem Mittelpunkt der Gorze-Trierer Reform, war d a d u r c h in den Z u s a m m e n h a n g des Kampfes u m die Reichsordnung zwischen Heinrich IV. und den F ü r s t e n gestellt. In Italien k a m der deutsche Reichs- und Königsbegriff dagegen früher in Gebrauch. E r h a t t e hier bereits in der Zeit vor dem Investiturstreit eine beachtliche Verbreitung gefunden. Daß sich der Begriff eines deutschen Reiches zuerst in Italien gebildet h a t , diese Feststellung ist nicht neu, sie wurde bereits von der Forschung des 19. J a h r hunderts getroffen. Unsere Einsichten fordern jedoch, deren Ergebnis in folgender Weise zu modifizieren und zu präzisieren: die Möglichkeit, den deutschen Reichsund Königsbegriff zu bilden, bestand nicht n u r in Italien, sondern gleichzeitig auch in Deutschland. Das gilt es als erstes festzustellen. Vielleicht ist die Wortverbindung regnum Teutonicorum in Deutschland auch schon sehr frühzeitig erfolgt, vielleicht wird diese bereits von den alten Salzburger J a h r b ü c h e r n gebracht. Sie fand im Gegensatz zu Italien in Deutschland jedoch keine weitere Verbreitung, das heißt sie gewann zuerst nicht in Deutschland, sondern in Italien politische Relevanz. Ferner ist die lokale Differenzierung bei der Bildung des deutschen Reichs- u n d Königsbegriffes in Italien wesentlich. Diese erfolgte nach der Überlieferung nicht im langobardisch-italienischen Königreich, sondern an dessen Peripherie in Gebieten lockerer ottonischer Oberherrschaft, politischer Eigenständigkeit, starken byzantinischen Einflusses und einer politischen Fixierung auf Konstantinopel. Schließlich scheint nicht der nationale Gegensatz der ausschlaggebende gewesen zu sein, wenn in Venedig u n d im langobardischen Süditalien u n d d a n n im italienischen Königreich der deutsche Reichs- u n d Königsbegriff zuerst in die Geschichtsschreibung eingeht. Gewiß setzt die Begriffsbildung ein sprachlich-volkliches Kontrastbewußtsein, eine Auffassung der ottonisch-salischen Heer- u n d Dienstm a n n e n germanischer Zunge u n d germanischen Volkstums als einer sprachlich-

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volklichen Einheit, einen deutschen Volksbegriff voraus. Diese sowie ein deutsches Volksgefühl waren im übrigen u m die J a h r t a u s e n d w e n d e auch in Deutschland gegeben — verbunden m i t der Reaktion auf die römische Politik Kaiser Ottos I I I . Bei Geschichtsschreibern jener Zeit, wie B r u n von Q u e r f u r t und Adalbold von Lüttich fand es seinen beredten, politisch relevanten Ausdruck. Die bewegenden F a k t o r e n in Italien, vom deutschen Reich oder vom deutschen König zu sprechen, d ü r f t e n jedoch nicht die sprachlich-volklichen K o n t r a s t e abgegeben haben, sondern das politische Traditions-, Selbst- u n d Eigenbewußtsein der Italiener, ein eigenes historisches u n d Reichsbewußtsein, das Interesse politischer Größen und Machtfaktoren, die sich z u m Teil im byzantinischen Kräftefeld befanden, an politischer Selbstbestimmung. Die erste historisch relevante Fassung des deutschen Reichsund Königsbegriffes war d a r u m eine politisch begründete national-italienische, die national-deutsche folgte erst im Abstand von m e h r als einem halben J a h r h u n d e r t . W a r u m fehlt der deutsche Reichs- u n d Königsbegriff in Deutschland in einer Zeit, wo er in Italien g e b r a u c h t wurde, der N a m e teutonicus zur Namensgebung für das Reich zur Verfügung stand, u n d ein deutsches Volksgefühl vorhanden war? Eine vollständige E r k l ä r u n g f ü r dieses P h ä n o m e n setzt Einsichten in die politische Gefühls- u n d Vorstellungswelt der Quellen, in die Bewegung der Ideen u n d ihre Verflechtung m i t dem politischen Interesse, in die Ideologiegeschichte voraus, welche zum großen Teil von der Forschung noch nicht gewonnen worden sind u n d im wesentlichen noch der E r a r b e i t u n g harren. Unsere A n t w o r t kann d a r u m nicht mehr sein als die E n t w i c k l u n g neuer Fragestellungen, von einem begriffsgeschichtlichen Teilaspekt aus u n t e r n o m m e n . Unser Problem k ö n n t e durch den Hinweis auf die unsichere Quellenlage u n d den Zufall der Überlieferung als Scheinproblem zurückgewiesen werden. Das gilt es zunächst festzustellen. Demgegenüber ist zu bedenken, d a ß Italien aus der fraglichen Zeit sieben sichere Zeugen u n d zwei Belege zweifelhafter Originalität f ü r die Verwendung des deutschen Reichs- u n d Königsbegriffes zur Verfügung stellt, zeitlich und örtlich sehr verschieden entstandene Quellen, die sämtlich voneinander u n a b hängig sind. Diese Quellen spiegeln eine begriflsgeschichtliche Wirklichkeit: italienische Autoren gebrauchten u n t e r anderen Bezeichnungen f ü r das Reich u n d den König jenseits der Berge auch den deutschen Namen. W e n n deutsche Autoren in ähnlicher Weise wie italienische den deutschen Reichs- u n d Königsbegriff b e n u t z t h ä t t e n , also in Deutschland eine ähnliche begriffsgeschichtliche Wirklichkeit bestanden h ä t t e wie in Italien, wäre es erstaunlich, w a r u m aus diesem Land ein ganzer Komplex von Original- bzw. völlig sicheren sowie zweifelhaften Belegen überkommen ist, u n d Deutschland nichts Vergleichbares zu bieten h a t . Gewiß m u ß bei der Quellenlage an den Verlust von einzelnen Belegen gedacht werden. Das träfe aber f ü r Italien genauso zu wie f ü r Deutschland, so d a ß sich das grundsätzlich verschiedene Verhältnis nicht ändern würde. Es bliebe bei verhältnismäßig sehr vielen italienischen u n d sehr wenigen deutschen Zeugnissen. Es ist völlig u n w a h r scheinlich, daß sich die italienische Überlieferungslage in Hinsicht auf die O t t o n e n und f r ü h e Salierzeit wesentlich von der deutschen unterscheidet. Dazu k o m m t der dürftige S t a n d der italienischen Historiographie in diesem J a h r h u n d e r t . „Die 126

darstellenden Quellen Italiens aus der Ottonen- und frühen Salierzeit halten", schreibt W. Holtzmann, „von wenigen Ausnahmen abgesehen, sowohl nach Anzahl wie nach Inhalt und Form einen Vergleich mit den gleichzeitigen deutschen nicht aus. Ihre Spärlichkeit erklärt sich aus den politischen Schicksalen der Halbinsel." 499 Der in Hinsicht auf den deutschen Reichs- und Königsnamen quantitativ und qualitativ unterschiedliche Überlieferungsbefund zwischen Italien und Deutschland läßt es nicht zu, das Fehlen von gleichzeitigen deutschen Belegen allein als Werk des Zufalls zu erklären. Durch den Hinweis auf die Unsicherheit und den Zufall der Überlieferung läßt sich unsere Frage nicht beantworten. Als ein wesentlicher Grund für das Fehlen des deutschen Reichs- und Königsbegriffes in der Historiographie der Ottonen- und frühen Salierzeit wird dagegen anzuführen sein: es war nicht nötig, den eigenen König und das eigene Reich zu bezeichnen; es genügte rex und regnum. In der Tat wurde in der Regel in dieser Weise verfahren. Was für eine Königs- und Reichsauffassung, was für eine politisch-ideologische Vorstellung geweils hinter den Worten rex und regnum stand, blieb dabei unausgesprochen und läßt sich, wenn überhaupt, nur aus dem Gesamtzusammenhang der Quelle, aus der politischen Vorstellungswelt des Autors ermitteln. Wo derartige Untersuchungen, sie sind weitgehend ein Desideratum, zu einem Ergebnis führen, werden sie erkennen lassen, wo das Gefühl oder Bewußtsein von der sprachlichvolklichen Einheit, der nationalen Gemeinschaft der Deutschen in die Bildung des so außerordentlich vielschichtigen Begriffes regnum und des Begriffes rex einging und für die Königs- und Reichsauflassung bestimmend wurde. In diesen Fällen stände regnum oder rex für regnum Teutonicorum/Teutonicum oder rex Teutonicorum/Teutonicus, und erklärte sich das Fehlen der Wortverbindungen regnum Teutonicorum etc. aus dem Umstand, daß eine namentliche Bezeichnung des von der deutschen Volkseinheit her aufgefaßten Reiches oder Königs zur Verständigung nicht nötig war. Der Hinweis auf die Gepflogenheit, das eigene Reich und den eigenen König nicht mit einem erläuternden Zusatz oder Namen zu versehen, bietet indes nicht mehr als eine Teilantwort. Zu einer vollständigen Lösung des Problems vermag diese Erklärung allein nicht zu führen, da in bestimmten Fällen eben doch Bezeichnungen verwendet wurden. Es blieb im wesentlichen bei der aus dem 9. und 10. Jahrhundert bekannten Nomenklatur. Dort also, wo eine Namengebung sinnvoll erschien, sich aus dem Zusammenhang ergab oder zufällig zustande kam, wurde eine deutsche Bezeichnung ausgeschlossen. Das Festhalten an den verschiedenen alten Namen mag sich vielfach aus Überlieferung, Zufall und Gleichgültigkeit erklären, doch eben nur vielfach, nicht vollständig. Herrscher- und Reichsbezeichnungen wurden auch ernsthaft überlegt und gezielt angebracht, so daß bei einer Reflexion der deutschen Auffassung aus politisch-ideologischer Intention der deutsche Name wohl doch als neuer und zusätzlicher in die vorhandene Reichs- und Königsterminologie eingetreten wäre, so wie es in Italien zu verzeichnen war. Es gilt dabei zu bedenken, welche Bedeutung Titelfragen und Reichsideen im früheren Mittelalter haben konnten 499 WH. II, S. 313. 127

und hatten. Mit der nomen-potestas-Theorie 500 wurde der Sturz der Merowinger und die Königserhebung Pippins, später der Übergang des Kaisertums auf Karl den Großen ideologisch begründet, mit der Aufnahme der Gottesgnadenformel 501 in den karolingischen Königstitel die neue gesellschaftlich-machtpolitische Stellung des Königtums. Nach der Eroberung des langobardischen Reiches nahm Karl der Große nicht ohne Kontroverse an seinem Hof neben dem langobardischen Königstitel den Patriziustitel an 5 0 2 , um in der Auseinandersetzung mit Byzanz auch durch diese Würde den Anspruch auf die Herrschaft über Italien auszudrücken. Die Herrschaft über viele regna und gentes sowie über das Papsttum und Rom, die Herrschaftswirklichkeit wie die Herrschaftsbegründung und der Herrschaftsanspruch führten die Karolinger und die Ottonen sowie die politischen, kirchlichen und geistigen Mächte ihrer Zeit im säkularen und aktuellen Kräftespiel in die theoretische Diskussion über den Charakter und die Provenienz des Großreiches und des Herrschertums; Der Gedanke vom Davidskönigtum, eine ganze Skala römischer Kaiser- und römischer Reichsideen sowie romfreier und nichtrömischer Kaiservorstellungen, die imperiale und augustale Auffassung des Königtums, die Idee vom imperium christianum und andere Reflexionen traten in die politisch- ideologischen Auseinandersetzungen ein. 5 0 3 Wenn Karl der Große als rex Dei gratia, als patricius Romanorum, später als serenissimus augustus a deo coronatus magnus pacificus imperator Romanum gubernans imperium, qui et per misericordiam dei rex Francorum et Langobardorum tituliert, Ludwig der Fromme den fränkischen und langobardischen Königstitel sowie den römischen Zusatz zum Kaisertitel ablegt und sein Kaisertum nur auf die Gnade Gottes zurückführt, Otto der Große die Titel rex Francorum et Langobardorum sowie den römischen Kaisertitel zurückweist, die ottonischsalischen Herrscher auf eine Differenzierung ihres Königtums analog der karo500

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002

50a

BEUMANN, Nomen; DERSELBE, Kaisertum, S. 548 u. passim; BORST, Kaisertum; LÖWE, Theoderich, S. 3 8 1 f. MAYER, Staatsauffassung, S. 169ff. ; SCHMITZ, K., Ursprung und Geschichte der Devotionsformeln bis zu ihrer Aufnahme in die fränkischen Königsurkunden, Stuttgart 1913; (Kirchenrechtl. Abh. L X X X I . ) STAERK, W., Dei Gratia, in: Festschrift für W. JUDEICH, Weimar 1929, S. 1 6 0 - 1 7 2 . CLASSEN, Karl der Grosse, S. 552£f. ; DEÉR, I., Zum Patricius-Romanorum-Titel Kurls des Großen, in: Archivum Historiae Pontificae 3/1965, S. 31—86; HEIL, W., Das konstantinische Prinzipat, jur. Diss. Basel 1964; OHNSORÖE, W., Der Patricius-TiteJ Karls des Großen, in: ByzZs. 53/1960, S. 3 0 0 - 3 2 1 . Die umfangreiche Literatur kann nicht vollständig verzeichnet werden. Die getroffene Auswahl bietet den Schlüssel zum weiteren Schrifttum. Zur Karolingerzeit : BEUMANN, Nomen; DERSELBE, Romkaiser; BORST, Kaisertum; CLASSEN, P., Romanum gubernans imperium. Zur Vorgeschichte der Kaisertitulatur Karls des Großen, in: DA. 9/1952. S. 103—121; DERSELBE, Karl der Große; ERDMANN, Kaiseridee; FOLZ, R., Le couronnement impérial de Charlemagne, Paris 1964; LÖWE, H., Von den Grenzen des Kaisergedankens in der Karolingerzeit, in: DA. 14/1958, S. 345—374; DERSELBE, Theoderich; MAYER, Staatsauffassung; MOHR, W., Die Karolingische Reichsidee, Münster 1962; (Aevum Christianum V.) SOHLESINGER, W., Kaisertum und Reichsteilung, in: Forschungen zu S t a a t und Verfassung. Festgabe für F. HÄRTUNG, Berlin 1958, S. 9—51 ; SCHRAMM.

128

lingischen Unterscheidung — rex Francorum et Langobardorum, Francia et Italia — verzichten, Otto II. nach dem Vorstoß nach Süditalien den Titel imperator Romanorum aufgreift, Otto III. im Verfolg der renovatio imperii Romanorum auf seiner Reise nach Gnesen die Bezeichnung servus Jesu Christi später in Italien servus apostolorum vor dem römischen Kaisertitel führt, Heinrich II. eine Bulle mit der Umschrift renovatio regni Francorum prägen läßt 504 , so werden alle diese Herrscher und ihre Ratgeber jeweils durch politische Ambitionen und Interessen dazu bestimmt. Die Veränderungen des Protokolls und die neuen Titulaturen haben politische Motive programmatischer Natur. Sie gründen sie auf politisch-ideologische Reflexionen. Sie sind protokollarischer, theoretischer und ideologischer Ausdruck politischer Realitäten, Intentionen und Interessen. Die Geschichte der Herrscher- und Staatsbezeichnungen, der Kaiser-, Königs- und Reichsideen des früheren Mittelalters bezeugt, daß diese in der politischen Ideologie jener Jahrhunderte eine gewichtige Rolle spielten. Wir wollen damit nicht unterstellen, daß alle zeitgenössischen Geschichtsschreiber über die Reichs- und Herrscherbezeichnung reflektiert und in der Namengebung ein Problem von politischer und ideologischer Relevanz gesehen hätten. Wir halten es aber für unzulässig, zu meinen, die Historiographie und Publizistik hätte sich gegenüber der Terminologie für den Herrscher und das Reich grundsätzlich indifferent verhalten: In die Terminologie gingen die politischen Ideen, Intentionen und Interessen ein, sie bestimmten die herrschende Nomenklatur, unabhängig davon, ob der jeweilige Autor vorgegebene Bezeichnungen unreflektiert übernahm, sich ihnen gegenüber indifferent verhielt oder ob er selbst in die Reflexion und Begriffsbildung eintrat. So stellt sich die Frage, ob der Ausbildung und Verbreitung der am deutschen Volke, der an den Teutonici gewonnenen Reichs- und Königsauffassung nicht von anderen Momenten bestimmte Ansichten des Herrschers und Reiches im Wege standen, ob das Fehlen des deutschen Reichs- und Königsbegriffes bei den deutschen Historiographien und Publizisten der Ottonen- und frühen Salierzeit nicht auch darauf zurückzuführen ist, daß andere Aspekte als der vom deutschen Volk eröffnete für die politischen Vorstellungen und das jeweilige Reichsbewußtsein ottonisch-salischer Autoren ausschlaggebend waren. P. E . , Die Anerkennung Karls des Großen als Kaiser, in: HZ. 172/1951, S. 4 4 9 - 5 1 5 . Zur Ottonen- und frühen Salierzeit: BEUMANN, K a i s e r t u m ; DERSELBE, E n t w i c k l u n g ; DERSELBE,

Imperium;

DERSELBE, Widukind;

BRTJNDAGE, I. A . , W i d u k i n d

of

Corvey

and the „ N o n - R o m a n " Imperial Idea, in: Mediaeval Studies 22/1960, S. 15—26; ERDMANN,

Reich;

Kaisertum;

JÄSCHKE,

MAYER,

Königskanzlei;

Papsttum;

KELLER,

OHNSORGE,

Kaisertum;

Anerkennung;

LOTTER,

Vita;

LÖWE,

DERSELBE,

Otto

I. u n d

B y z a n z , i n : Festschrift zur Jahrtausendfeier der Kaiserkrönung Ottos des Großen, G r a z / K ö l n 1962/63, S. 1 0 7 - 1 2 1 ; (MIÖG. Erg. Bd. X X . ) SCHRAMM, K a i s e r ; SPÖRL, R e x ; STENGEL, E . E., Abhandlungen und Untersuchungen zur Geschichte des Kaisergedankens im Mittelalter, K ö l n / G r a z 1965, mit erweiterter F a s s u n g des 1910 erschienenen A u f s a t z e s : Den Kaiser m a c h t das Heer (S. 59ff.). O®4 Zu allen diesen Punkten sei auf die in den voranstehenden Anmerkungen verzeichnete Literatur verwiesen. 9

Müller-Mertens, Regnum Teutonicum

129

Bevor wir diese Aspekte, die politischen Realitäten und Interessen ins Auge fassen, welche einem deutschen Begriff des Reiches und Königs konträr gewesen sein können, wollen wir uns zunächst der fränkischen Tradition und der römischen Perspektive des Reiches der ostfränkischen Karolinger, Ottonen und Salier zuwenden. Blieb die fränkische Provenienz und Relation, wurde die römische Intention und Fundierung bestimmend für das historisch-politische Bewußtsein deutscher Autoren, so daß eine fränkische und eine römische Auffassung des Reiches die Bildung und Verwendung des deutschen Reichs- und Königsbegrifles in Deutschland verhinderten, in einer Zeit, da dieser von Italienern präsentiert wurde? Gewiß wird das Reich auch im 11. Jahrhundert regnum Francorum genannt. 505 Doch diese Bezeichnung herrscht nicht. Sie steht vereinzelt wie die anderen, von einzelnen oder mehreren Stämmen bezogene. Die Problematik der Tradition der fränkischen Reichsidee ist unlängst von Lugge eingehend untersucht worden. Sie kommt zu folgendem Ergebnis, welches unabhängig von ihr auch durch die eigenen Untersuchungen gewonnen wurde. „Die schon unter den letzten deutschen Karolingern wenig beweiskräftigen Anzeichen eines fränkischen Bewußtseins wurden nach dem Dynastiewechsel im Ostreiche noch spärlicher — ein Faktum, dem man sich auf Grund des vorhandenen Quellenmaterials nicht verschließen kann, daß die nichtfränkische Herkunft und Ausrichtung der neuen Dynastie jedoch miterklärt. Sowohl in amtlichen Dokumenten als auch in erzählenden Quellen treten die Namen ,Franci' und ,Francia' für Volk und Land der Deutschen mehr und mehr zurück. In der Urkundensprache schwanden sie schließlich gänzlich und für immer. . . Wir dürfen getrost von einer gedankenlosen Freigabe des Francia-Namens seitens des Ostreiches sprechen. Es lag kein Verzicht darin, auch keine unbedingte Absicht." 5 0 6 „Die letzten Zeugnisse für Francia als Name für das ganze Ostreich stammen also aus diesem selbst. Sie reichen bis in die ersten Jahrzehnte des 11. Jahrhunderts. Mit ihnen riß die Kette fränkischer Tradition ab. Im 12. Jahrhundert mußte der Gebrauch von Francia in derselben Bedeutung erst wieder begründet und sogar gerechtfertigt werden. . . Hier liegt ein Bruch zwischen dem 11. und 12. Jahrhundert, der allzu oft übersehen worden ist. Es gibt keine kontinuierliche Anwendung des Francia-Namens für OstfrankenDeutschland über das 11. Jahrhundert hinaus. Als Otto von Freising ihm zum Anwalt wurde, mußte er sich bereits gegen mehr als eine Bezeichnung wehren, die inzwischen für sein Vaterland üblich geworden war." 5 0 7 „Was in der Politik des Ostreiches zum Zurücktreten des fränkischen Bewußtseins führte," bringt Lugge zur Erklärung dieser Entwicklung, „war die Idee eines völkerumspannenden christlichen Imperiums mehr als die eines deutschen Reiches. Das Schwinden der fränkischen Tradition war bereits Tatsache, als der deutsche Name zu einem wirksamen Faktor gereift war." 5 0 8 „Beim Streben nach dem vermeintlich höheren, dem Romanum imperium, geriet das regnum Francorum unmerklich in Vergessenheit. Die fränkische Tradition bildete

Vgl. VIGENER, B e z e i c h n u n g e n , S . 194 ff. SO« LUGGE, Gallia, S . 108f. 507 LUGGE, Gallia, S . 115. SO» LUGGE, Gallia, S . 122. 505

130

den Preis, den das Ostreich unbewußt dem Römertum zahlte." 5 0 9 Lugge führt damit neben der Idee vom imperium christianum die römische Reichsidee ins Feld. So wie diese nach Lugges Auffassung zur Verdrängung der fränkischen Tradition beitrug, könnte sie auch das Aufkommen deutscher Vorstellungen behindert haben. Indes kann bei allen vorhandenen Ansätzen von einer Herrschaft der römischen Interpretation des Reiches in den Quellen der Ottonen- und frühen Salierzeit nicht die Rede sein. Otto I. wies den Titel Kaiser der Römer zurück. Die Forschung hat Widerstände gegen die römische Reichsauffassung festgestellt. 510 Sie wurde, angefangen bei Widukind von Corvey, von einer ganzen Reihe ottonischer und salischer Autoren abgelehnt. Nachdem Otto III. die renovatio imperii Romanorum zur Devise seiner Politik gemacht hatte, wurde von Heinrich II. „noch einmal mit der Romidee" gebrochen. 511 Dieser verkündete die renovatio regni Francorum. 512 Er nannte sich in der Zeit unmittelbar nach seiner Krönung in Pavia 1004 rex Francorum etLangobardorum 513 und ließ damit das Recht, welches er in Italien „in Anspruch nahm, durch die Bezeichnung als König der Franken und Langobarden ausdrücken" 514 . „Die Entscheidung darüber, ob das Imperium . . . das römische sein sollte, ist erst in der ersten Hälfte des 11. Jahrhunderts gefallen." 515 „Erdmann 516 hat uns gezeigt, welchen Kreisen die Umdeutung des Imperiums als eines spezifisch römischen zuzuschreiben ist: es sind die frühen Anhänger der cluniazensischen Reform, die, einmal für Ottos Reichsgedanken gewonnen, als Nichtdeutsche zu einer Anerkennung eher bereit waren, wenn sie dieses Reich als das römische verstehen konnten." 517 Die in Deutschland vorhandenen Widerstände gegen die römische Reichsidee sowie die weitverbreiteten nichtrömischen Interpretationen des ottonisch-salischen Reiches und Königtums schlössen eine Alleinherrschaft römischer Reichsvorstellungen aus. So können die fränkische Tradition und die römische Reichsidee die Ausbildung und Ausbreitung der deutschen Reichs- und Königsauflassung wohl behindert haben, aber die Ursachen für ihr Fehlen in der deutschen Geschichtsschreibung bis hin zum Ausbruch des Investiturstreits kann schwerlich allein in der Wirksamkeit einer fränkischen oder römischen Reichsidee gesucht werden. Wenn die römische Politik Kaiser Ottos III. bei weltlichen Großen und Bischöfen Deutschlands auf Ablehnung stieß, die sich schließlich zu Widerstand und zu einer 509 LUGGE, Gallia, S. 109. äio BEUMANN, Romkaiser, S. 163f., weitere Literatur S. 1 7 4 f . ; ERDMANN, Reich, S. 4 1 8 ; WENSKUS, Studien, S. 108f., 1 1 9 f . 5" LTTGGE, Gallia, S. 111. 512 BEUMANN, I m p e r i u m ,

S . 3 2 f f . ; BEUMANN, H . , U. W . SCHLESINGER,

Urkundenstudien

zur deutschen Ostpolitik unter O t t o l l i . , in: AUF. 1/1955, S . 2 3 5 ; ERDMANN, Kaiseridee, S. 4 8 ; SCHIEFFER, TH., Heinrich II. und Konrad II., in: DA. 8/1951, S. 3 8 5 f . 513 Bis zum Mai 1005: DDH II. 70, 7 4 - 7 6 , 78, 79, 8 4 - 8 6 , 95. 5 1 4 WAITZ, G., Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. 6, 2. Aufl., Berlin 1896, S. 141. 515 BEUMANN, H., Das imperiale Königstum im 10. Jahrhundert, in: Welt als Geschichte 10/1950, S. 1 2 1 ; DERSELBE, Imperium, S. 35 5 16 ERDMANN, Reich, S. 433ff., bes. 439f. 5 1 7 BEUMANN, Romkaiser, S. 174.

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Verschwörung gegen die Herrschaft Ottos verdichtete, so waren hierfür politische Gründe maßgebend: die Schwerpunktverlagerung des Reiches von Deutschland weg und die Abkehr vom ottonischen Regierungssystem. Die als renovatio regni Francorum proklamierte Wendung Heinrichs II. entsprach den Interessen der innerdeutschen Opposition gegen Otto III.: Rückkehr „zu den Grundsätzen Ottos des Großen", 5 1 8 Erneuerung der Reichspolitik des ersten sächsisch-ottonischen Kaisers. Die Bullenumschrift renovatio imperii Romanorum und renovatio regni Francorum entsprachen nicht politisch belanglosen Unterschieden in der Interpretation des Reiches, einem rein ideengeschichtlich zu begreifenden Sieg der fränkischen Tradition über die römische. Die Ursache für den W echsel liegt nach der communis opinio vielmehr in den politischen Realitäten, der unerläßlichen Umkehr der Zentralgewalt zu ihren machtpolitischen Voraussetzungen nördlich der Alpen. Der hier offen zutage tretende Zusammenhang zwischen politischer Realität und Reichsidee führt uns zurück auf den Kern unserer Frage, auf das Verhältnis zwischen den politischen Ideen, den Reichsvorstellungen und Herrscherbezeichnungen auf der einen und den politischen Realitäten, Intentionen und Interessen auf der anderen Seite. Die vorhin vorgeführten Protokollveränderungen, neuen Titulaturen und Interpretationen des Reiches und Herrschers hatten sich' als protokollarischer, theoretischer und ideologischer Ausdruck politischer Interessen und Intentionen erwiesen. Es ist nun nach den Realitäten und Interessen Umschau zu halten, welche für die Reichsanschauungen der deutschen Geschichtsschreibung wesentlich sein mußten. Das ottonisch-salische Reich war seiner Natur nach kein nationales, sondern ein supragentil-imperiales Herrschaftsgebilde. Die geschichtliche Entwicklung vom karolingischen zum ottonischen Reich kann nicht allein und ausschließlich, und sie kann wohl auch nicht im Wesen als Weg von einer Universal- zu einer Nationalmonarchie begriffen werden, denn eine solche stellt das ottonisch-salische Reich schwerlich dar. Die Fundamente, Relationen und Intentionen karolingischer wie ottonischer Reichspolitik stehen in wesenhaften Entsprechungen zueinander. Karolingische wie ottonische Politik mündet in die Herrschaft über viele regna und gentes und bestimmt sich in dieser. Sie ist ihrem Wesen nach supragentil und imperial. Die ökonomisch-soziale Frage der reichsbegründenden und reichstragenden Herrenschichten wurde nicht in einer geschichtswesentlichen nationalen Wirklichkeit, nicht im Rahmen von Nationen gestellt. Nach den Tatbeständen und Sachverhalten ottonisch-salischer Politik waren die Absichten und Ziele der Zentralgewalt, der Reichskirche, der adlig-geistlichen Träger der Reichspolitik auf Expansion und Hegemonie gerichtet. Zugleich gründete sich das ottonisch-salische Reich auf die Fidelität und das Interesse adlig-geistlicher Personengruppen in allen zugehörigen gentes und regna sowie auf den Zusammenhang mit dem Papsttum. So wurde die supragentil-imperiale Qualität und Kohäsion aus spezifischen gesellschaftlichwirtschaftlichen Situationen und Prozessen, ökonomischen, sozialen und politischen Interessenlagen heraus nicht allein durch die Kräfte des Kerns, sondern zugleich durch die Kräfte der Teile bewirkt. Das ottonisch-salische Reich sah sich als s u p r a 518 HOLTZMANN,

132

Geschichte, S.

396.

gentil-imperiale, als hegemoniale sowie aggressiv-expansive Größe vor ähnliche Probleme des Staatsrechtes und der Reichsauffassung, der politischen Ideologie gestellt wie seinerzeit das karolingische; es mußte wie dieses nach Lösungen suchen. Die Kanzlisten, die Publizisten und Historiographen sahen sich mitten hineingestellt in diese Realität des Reiches. Sie vertraten dabei den Standpunkt des Königtums, der Kirche, der Bischöfe und Klöster, der adlig-geistlichen Herrenschichten und identifizierten sich mit den auf eine hegemoniale und expansive Reichs- und Reichskirchenpolitik gerichteten Interessen und Intentionen. Daß Geschichtsschreiber und Schriftsteller der Ottonen- und frühen Salierzeit eine grundsätzlich entgegengesetzte oder abweichende Haltung eingenommen hätten, ist aus ihren Schriften nicht bekannt. Man könnte an die Kritiker der römischen Politik Ottos III. denken, aber diese dachten nicht daran, die hegemonial-imperiale Politik an sich zu bestreiten. Sie wünschten, daß deren Schwerpunkt von Rom wieder nach Deutschland zurückverlegt wurde. Mußte bei dieser Orientierung und Fixierung nicht die supragentil-imperiale Qualität des Königtums und Reiches als das Bestimmende und Wesentliche angesehen werden? Mußte von den verschiedenen politischen Verbindungen und Herrschaftsverbänden im objektiven Wahrnehmungsfeld, den gentilen sowie territorialen, nationalen und imperialen Reichsverbänden, nicht das über allen stehende Königtum als beherrschende Gestalt wahrgenommen werden? Mußte diese politisch-ideologische Situation nicht die Bildung eines deutschen Reichs- und Königsbegrifles erschweren? Mußten nicht gar politisch-ideologische Gründe gegen seine Verwendung sprechen, wenn Königs-, Reichs- und Weltgeschichte geschrieben wurde? Diese Frage ist sehr zugespitzt. Doch wir werden zu bedenken haben, daß die Herrschaft über Italien mit dem Begriff regnum Teutonicorum nicht zu fassen war. So wenig das langobardisch-italienische Königreich unter dem Begriff regnum Francorum, so wenig war es unter den eines regnum Teutonicorum zu subsumieren. Dieser schränkte ein und begrenzte, schloß das regnum Italicum aus. Gerade darum gewann der deutsche Reichs- und Königsbegrifl in Italien Relevanz. Mit ihm, mit seiner ersten, seiner national-italienischen Fassung drückten Italiener ihr politisches Selbstbewußtsein, die Eigenständigkeit des italienischen Königreiches aus. Tatsächlich wird das Schrifttum der Ottonen- und frühen Salierzeit von komplexen Reichsideen beherrscht, welche die Königsherrschaft und das Reich nicht differenzieren, sie nicht national definieren, sondern sie von der Ganzheit, der Hegemonie und Universalität her qualifizieren. Es begegnet die fränkisch-karolingische Fundierung, treten die römischen Interpretationen auf. Diese treffen auf ganz ähnliche Widerstände wie seinerzeit im Reich Karls des Großen. Es finden sich wie in der Karolingerzeit die Theorien eines nicht auf Rom bezogenen Kaisertums, so die eines Heer-, auf den Schlachtensieg begründeten Kaisertums, die christlichen Einheitsvorstellungen, die Gedanken vom imperium Christianum, die Ideen vom überhöhten, viele Reiche und Völker überwölbenden Königtum. Diese Vorstellungen dürften eine ganz wesentliche Rolle gespielt haben. 519 Dazu stellte sich die Beziehung 619

Zur Literatur siehe oben, S. 128 Anm. 503. 133

des Gesamtreiches auf ein Reichsvolk; so zeichnet sich unter den Ottonen deutlich eine sächsische Reichsvolkauffassung ab. Eine deutsche Reichsvolkauffassung ist schon bei Ruotger sehr weit ausgebildet. 520 Bei Brun von Querfurt wirkt sie vollendet. 5 2 1 Den imperialen Reichsideen entsprach das theoretische Verständnis des Reiches und des Herrschers. Drei chrakteristische Komponenten seien dazu herausgestellt. Zum ersten: von den verschiedenen vorhandenen Reichsbegriffen stand im Vordergrund der personal-funktionale. 522 Er geht aus von der Person des Herrschers und faßt das Reich als Ausübung der Königsherrschaft, als Funktion des Königs. Das regnum stellt sich dar in der königlichen Person und Funktion, kommt in diesen zur Anschauung und Wirkung. Das Reich wird dabei auf einen Personenverband bezogen, repräsentiert von den ökonomisch und politisch herrschenden Adelsherren und Geistlichen. Die Personenverbände sind in der personellen und territorialen Ausdehnung vielfach abgestufte, ineinandergreifende und sich überwölbende Einheiten. In dieser Weise vollzieht sich das regnum auf der Ebene des Stammes und des Gebietes, der Vielheit von Stämmen, des Volkes sowie der Stämme- und völkerumfassenden Gesamtheit, ohne daß dadurch ein Widerspruch entsteht. Im Zusammenhang mit der Reichs- und Weltgeschichte bezeichnet regnum immer wieder die ottonisch-salische Gesamtherrschaft; auf sie ist die deutsche Geschichtsschreibung jener Zeit wesentlich orientiert. Einmal angesprochen, wird die Gesamtherrschaft grundsätzlich als Einheit aufgefaßt. Zum anderen: das Frühmittelalter differenziert nicht zwischen regnum und imperium als engerem und weiterem Staatsgebiet. Diese Unterscheidung wurde erst seit dem 12. Jahrhundert üblich. „Die Geschichtsschreiber des 10./II. Jahrhunderts", schreibt Spörl, gebrauchten die Begriffe regnum und imperium „weitgehend synonym oder auch parallel in der formelhaften Wendung regnum ac imperium. Gleichwie der rex für sie als potentieller imperator gilt, bleibt in ihren Augen das imperium zusammen mit der staatlich-politischen Kontinuität das regnum stets existent — unabhängig von Aktivität und Erfolg der Italienpolitik, auch während der Kaiservakanzen, die ja nicht unerheblich waren." 5 2 3 Der fundamentale Herrscherbegriff war rex 5 2 4 , der fundamentale Reichsbegriff regnum. Die Königsvorstellung war auch der Kerninhalt der Kaiservorstellung, dementsprechend wurde zwischen regnum und imperium eine selbstverständliche Weseneinheit empfunden. 5 2 5 520

LOTTER, Vita.

521 WENSKUS, Studien, S. 116ff.

522 BETTMANNX, E n t w i c k l u n g . 523 S P Ö R L , R e x , S . 3 3 7 f . 524 S P Ö R L , R e x , S . 3 3 9 f .

525 SPÖRL, Rex, S. 337ff. In dieser Hinsicht bedarf die Arbeit von STENGEL, E . E., R e g n u m und Imperium. Engeres und weiteres Staatsgebiet im alten Reich, Marburg 1930 ; (Marburger Akademische Reden IL.) ergänzter Neudruck in: DERSELBE, A b h a n d l u n g e n und Untersuchungen zur Geschichte des Kaisergedankens im Mittelalter, K ö l n / G r a z 1965, S . 171—205, einer Korrektur und Modifizierung. Es sei hierzu nachdrücklich betont, daß die vorliegende Untersuchung allein die Auffassung des Reiches in d er Ideengeschichte und politischen Ideologie verfolgt, aber nicht die Frage nach d e n

134

„ H ä t t e n die mittelalterlichen Autoren strengere Definitionen vornehmen wollen, d a n n wären sie gewissermaßen in Verlegenheit g e r a t e n ; " stellt Spörl heraus, „zeichneten doch die autoritativen Vorlagen, die Heilige Schrift u n d die Kirchenväter das gottgewollte christliche Herrscherbild ohne theoretische Unterscheidung zwischen Kaiser u n d König. E r i n n e r t sei n u r an den b e r ü h m t e n Fürstenspiegel Augustins, wo er unterschiedlos die Worte imperator u n d rex verwendet, wie ja auch die alttestamentarischen Königsideale David, Salomon u n d der Priesterkönig Melchisedech gleicherweise f ü r den imperator wie f ü r den rex, beide principes Dei gratia galten. P r ü f t m a n die Historiographie des 11./12. J a h r h u n d e r t . . . d a r a u f h i n , welche historische F u n k t i o n sie dem imperium u n d welche spezifische signa d e m imperator zuweisen, so t r i f f t m a n auf den merkwürdigen Sachverhalt, daß sie wohl immer wieder von Glanz, Macht und A u t o r i t ä t des imperium oder regnum sprechen, doch nicht einmal die Kaiserkrönungen z u m Anlaß n a h m e n , u m Grundsätzliches über deren B e d e u t u n g f ü r das Reich zu sagen. . . . Die Verleihung der Kaiserwürde, meist ausdrücklich als nomen oder dignitas imperialis bezeichnet, wird e m p f u n d e n als höchste g n a d e n h a f t e Bestätigung, gleichsam als verdiente Belohnung rechtmäßiger, kraftvoller, dem ordo u n d der aequitas entsprechender Verwaltung des officium regis." 5 2 6 Zum D r i t t e n : an den Vorstellungen der Patristik bildete das F r ü h m i t t e l a l t e r eine Königstheologie u n d Königschristologie aus. Der König wurde in E n t s p r e c h u n g zu Christus, dem Himmelskönige, gesetzt. E r galt als vicarius Christi in terris sowie als imago Dei, seine Tätigkeit als imitatio Christi. Durch die Königssalbung, die Königsweihe wurde der König in den geistlichen Bereich gezogen, in eine priestergleiche Stellung erhoben, die ihn am Amte der Priester teilhaben ließ, wobei m a n c h e Autoren die Könige den Bischöfen gleich oder gar über sie stellten. 5 2 7 Die religiöse christlich-feudale Herrschervorstellung stellte den König in d a s Licht Gottes, n i c h t in den Bezug zur gens, zum Volk; sie wies den Gentiiismus m i t seinen demokratischen K o m p o n e n t e n u n d Fundierungen zurück u n d bezeugte eine gentil-nationale Aversion oder Indifferenz. Die theologische B e g r ü n d u n g des Königtums, der personal-funktionale Reichsbegriff, die Verwendung von rex u n d regnum als f u n d a m e n t a l e Herrscher- u n d Reichsbegriffe, das Fehlen einer wesenhaften Unterscheidung zwischen rex u n d i m p e r a t o r staatsrechtlichen Verhältnissen, der praktisch gehandhabten Herrschaftsstruktur und Verfassungswirklichkeit stellt. Die von der Begriffs- und Ideengeschichte gewonnenen Einsichten führten mich zu dem Entschluß, die staats- und verfassungsrechtliche Seite, die F r a g e n der realen Herrschaftsstruktur des ottonisch-salischen Reiches einer besonderen Untersuchung zu unterziehen. 526 SPÖRL, Rex, S. 339f. 5 27 TELLENBACH, Libertas, S. 70—76; SCHRAMM, P. E., Die Krönung in Deutschland bis zu B e g i n n des Salischen Hauses, in: ZSRG. KA. 24/1935, S. 266—274; JORDAN, Kaisergedanke, S. 9 8 f . ; KOST, Niedersachsen, S. 43—65; SCHRAMM, P. E., Sacerdotium und R e g n u m im Austausch ihrer Vorrechte, in: Studi Greg. 2/1947, S. 403—457; FLECKENSTEIN, Rex canonicus. Über Entstehung und Bedeutung des mittelalterlichen Königskanonikates, in: DA. 21/1965, S. 5 7 - 7 1 .

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zwischen regnum und imperium waren geeignet, das ottonisch-salische Reich und Königtum als eine weder in Hinsicht auf die gentes noch in Hinsicht auf das imperium zu differenzierende Einheit zu fassen. Bildeten die gentes und Stammesreiche sowie die regionalen Personenverbände und regna die Ausgangspunkte, die konstituierenden Elemente und die untere Ebene der Königsherrschaft, so stellte das imperiale regnum den Endpunkt, die obere Ebene, die Überwölbung dar, welche das Wesen ottonisch-salischer Königsherrschaft bestimmte. Wer auf sie durch politisches Interesse und politische Intention grundsätzlich orientiert war, wer in die imperiale Realität eingebunden war, wer zugleich noch im gentilen Denken verhaftet oder in den Stämmen verwurzelt war, für den lag es nicht einfach auf der Hand, die mittlere, die von den Teutonici umrissene, die nationale Ebene zum historischpolitischen Beziehungsfeld ersten Ranges zu erheben. Unsere Überlegung und Fragestellung gilt es nun im Ansatz an einigen Geschichtsschreibern zu konkretisieren. Beginnen wir mit Wipo, für den Buchner wir für Hermann von Reichenau und Adam von Bremen ein kräftiges Reichsbewußtsein nachweist. 528 Wipo berichtet in seiner Biographie Konrads II. über einen Streit nach dessen Kaiserkrönung „inter Romanos et Teutonicos". Sein Anlaß war der Zank zweier Leute um eine Rinderhaut. „Als sie sich nun gegenseitig mit den Fäusten zu bearbeiten begannen, erfaßte Unruhe alle Truppen des Kaisers; und von beiden Seiten gerieten bewaffnete Reiter und Fußkämpfer aneinander. Dabei fiel von unserer Seite der junge Berengar." 5 2 9 An dieser Stelle äußert sich ein auf die Teutonici bezogenes Wir-Gefühl; doch es ist keineswegs kennzeichnend für Wipo. Ansonsten steht dieser in seinen Gesta Chuonradi den Völkerschaften und Nationalitäten im Imperium mit völliger Indifferenz gegenüber. Sein Geschichts- und Zeitverständnis vollzieht sich ohne ablesbaren Einfluß eines deutschen Nationalgefühls. Wipo, vor 1000 geboren, bald nach 1046 gestorben, von Geburt wahrscheinlich Burgunder, lebte in den Vorstellungen der ottonisch-salischen Königstheologie und Reichskirche. Er war „Künder der kaiserlichen Vorstellungswelt Heinrichs III." 5 3 0 , dem er besonders eng verbunden war, dessen kirchenpolitische Anschauungen er teilte. 531 Wipo, schreibt Beumann, „ist der klassische Verkünder des in sich vollendeten Gottesgnadentums, sein Thema sind die christiani imperii laudes 532 das Wirken des vicarius Christi auf Erden 533 , des Königs, der als Gesandter des Herrn zu einem anderen Menschen geworden ist." 534 Im Mittelpunkt der Betrachtung Wipos steht das regnum und imperium der ottonisch-salischen Könige und Kaiser, wobei Wipo das ottonisch-salische Reich als imperium christianum begreift. 535 528 BÜCHNER, V o r s t e l l u n g s w e l t , S . 5 7 f f .

529 Wipo, gest., c. 16, S. 36. 530 TiuxLMICH, W., Wipo, Taten Kaiser Konrads II., Einleitung, in: Frhr.-v.-SteinGedächtnisausg. XI, S. 514. 531 Ebenda, S. 508. 532 Wipo, gest., Prolog, S. 4. 533 Wipo, gest., c. 3, S. 2 3 ; c. 5, S. 26. Vgl. auch Wipo, tetralogus, v. 19, a. a. O., S. 76. 534 Wipo, gest., c. 3, S. 23. BEUMANN, Historiographie, S. 468, Nachdr., S. 59. 535 Wipo, gest., Prolog, S. 4; c. 3, S. 22.

136

Es wird mit imperium, regnum und res publica umschrieben, so daß diese Begriffe synonym gebraucht werden. Vermerkt sei auch die Wortverbindung regnum imperatoris. 536 Unter regnum versteht Wipo auch Teile der Königs- und Kaiserherrschaft, kleinere Einheiten der Herrschaft, die Herzogtümer. Das wird deutlich sichtbar, wenn Wipo den Fürsten tag und die Wahl Konrads II. zu Kamba sowie die itinera Konrads II. und Heinrichs III. per regna behandelt. Wesentlich für Wipos Vorstellung von der Reichsordnung ist nun, daß er Italien nicht Deutschland, sondern den Herzogtümern gleichstellt. Das regnum in Italien, welches keinen Namen erhält, ist für Wipo in den genannten Zusammenhängen von gleicher Qualität wie die regna in den Stammesgebieten und Herzogtümern, so das regnum Sueviae 5 3 7 oder Noricorum id est Baioariorum regnum. 538 In anderen Sachverhalten und mit jenen verwoben, erfaßt Wipo unter regnum auch die Königsherrschaft in Deutschland, ohne sie dabei namentlich anzusprechen. 539 Beumann hat sich mit den staatsrechtlichen Gedanken Wipos gründlich auseinandergesetzt. Er meint, es sei Wipo um die Integration des Reiches gegangen, er habe dazu ein verfassungspolitisches Programm entwickelt, die Trias Deutschland-Italien-Burgund mitsamt Böhmen und Ungarn über die Personalunion hinaus zu einer Realunion zu verschmelzen, und zwar auf der Ebene des regnum, nicht der des imperium, indem das Wahlrecht bei der deutschen Königswahl auf Italien, Böhmen, Burgund und Ungarn ausgedehnt, und der König von vornherein als Herrscher über das gesamte Reich gewählt wird, welchem die Kaiserkrone eo ipso zufällt, so daß die Königswahl der Sache nach zu einer unmittelbaren Kaiserwahl und die Deutschen zum Reichsvolk geworden wären. 540 Es ist die hegemoniale Idee vom imperialen Königtum, vom imperiale regnum, von der Einheit der ottonisch-salischen Königsherrschaft, welche Wipo beherrscht. Er versteht die umfassende ottonisch-salische Königsherrschaft als imperium christianum und sieht die gentilen und regionalen regna wie das Imperium im ottonisch-salischen Reich für aufgehoben an. Als frühe Zeugen eines deutschen Volksbewußtseins waren Adalbold von Lüttich und Brun von Querfurt vorgeführt worden. Betrachten wir genauer, wo Adalbold von den Teutonici spricht und die Angehörigen der Einzelstämme unter diesem Namen zusammenfaßt, so stellt sich heraus, daß er die Teutonici ausschließlich bei der Behandlung der italienischen Beziehungen nennt, des Unternehmens Herzog Ottos von Kärnten gegen König Arduin 541 und des Zuges Heinrichs II. nach Italien und des Aufstandes von Pavia 1004 M 2 . Hierbei werden die Deutschen den Italienern und Langobarden allerdings mit aller Schärfe konfrontiert. Ansonsten handelt Adalbold allein von den Stammesangehörigen, auch da, wo von den Kämpfen Heinrichs II. mit Boleslaw Chrobry die Rede ist. Der Teutonici-Begriff ist also auf 53« 537 538 539

Wipo, Wipo, wipo, Vgl. z .

gest., c. 35, S. 56. gest., c. 7, S. 30. gest., c. 26, S. 44. B. Wipo, gest., c. 37 u. 38.

5/

'° B E U M A N N , I m p e r i u m , S . 2 4 f f .

5

«



A D A L B O L D . , e. 1 6 , S .

17-30.

A D A L B O L D . , C. 3 2 , S . 3 7 - 4 0 .

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Italien fixiert. Er löst sich sonst auf und findet sich nicht in der Konfrontation zu Polen, Böhmen und Frankreich. Eine Bezeichnung für das deutsche Land fehlt bei Adalbold, dieses taucht in seiner Vita auch nicht umschrieben auf. Der Utrechter Bischof hat stets die Stammesgebiete im Auge, denen er auch den Begriff regnum zuordnet. Regnum ist für den Verfasser der Vita Heinrici II. imperatoris einmal die gesamte, die umfassende Königsherrschaft. Dann kann regnum die Stammesgebiete und Herzogtümer bezeichnen. Ausdrücklich ist vom Bavariense regnum und Lothariense regnum die Rede. 5 4 3 Wesentlich erscheint auch hier wieder, daß das Pendant zu Italien nicht Deutschland ist; Italien wird vielmehr den einzelnen Stammesgebieten und politischen Landschaften nördlich der Alpen gleichgesetzt. So heißt es, nachdem Adalbold die Huldigung der lothringischen Großen in Aachen am 8. 9. 1002 behandelt hat: „Sic igitur rex in regnis singulis antecessoris sui, praeter Italiam et Alemanniam, receptus, et ab omnibus unanimiter collaudatus." 5 4 4 Die Gleichsetzung des italienischen Königreiches mit den Stammesregna in der Geschichtsschreibung des früheren Mittelalters bedarf noch eingehender Verfolgung und Untersuchung. Hier taucht ein Moment von außerordentlicher Bedeutung für das politische Denken der von uns behandelten Zeit auf: es wird zweifelhaft, ob sich den Zeitgenossen die politische Ordnung in dem Maße als Dualität zweier Reiche Deutschland und Italien bzw. als Trias Deutschland — Italien — Burgund darstellte, wie es die Neuzeit unterstellt. Der Gedanke einer regna-Pluralität, das wäre zu fragen, mag eine wichtige Rolle gespielt haben. Die Einstellung Bruns von Querfurt ist umstritten. Die einen betonen seinen „Nationalismus", seine national-deutsche Einstellung, andere stellen ihn als Vertreter der „römisch gesinnten Partei" hin. 5 4 5 Wenskus widerlegt diese Meinung und arbeitet heraus, daß Brun den Romgedanken und die Rompolitik Ottos I I I . grundsätzlich abgelehnt hat. 5 4 6 Doch vertritt der vornehmlich in Polen, Preußen und Ungarn wirksame Missions-Erzbischof 547 und Verfasser der Adalberts-Vita darum keine „nationalstaatliche" Auffassung des Reiches. Er fordert nicht, sich auf das eigentliche deutsche Reich, das regnum Teutonicorum zu beschränken. Brun steht voll und ganz auf dem Boden der imperialen Realität, das Reich ist für ihn ein mehrere gentes umfassendes Gebilde, die gesamte ottonische Königsherrschaft. Angesichts der Rompolitik Ottos I I I . und der römischen Reichstheorien, so den Thesen des Römers Canaparius, der die erste Adalberts-Vita verfaßt hatte, des Adso von Moutier-en-Der und der Cluniazenser 548 stellte sich für Brun die Frage nach dem Reichsvolk, daß heißt welche der gentes im Reich die hegemoniale Stellung einnehmen sollte. 5 4 9 Er lehnte die Römer als Reichsvolk und Rom als Zentrum des

543

A D A L B O L D . , C. 1 u . 5 , S . 6 8 4 ; c. 1 2 , S . 6 8 6 .

S « A D A L B O L D . , C. 1 3 , S . 5 8 7 . 545 W E N S K U S , S t u d i e n , S . 1 1 7 f .

546 WENSKUS, Studien, S. 118ff. 5 « W H . I, S. 4 8 - 5 2 . 548 W E N S K U S , S t u d i e n , S . 1 2 0 f . 549 W E N S K U S , S t u d i e n , S . 1 1 6 .

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Reiches scharf ab. „Auf die Behauptung, dass Rom das H a u p t der Welt sei, a n t wortet B r u n p r o m p t : König Otto ist das H a u p t . 5 5 0 Mit anderen W o r t e n : Roms Weltstellung ist an den deutschen König übergegangen. . . . Nicht m e h r eine S t a d t ist das H a u p t , sondern ein König." 5 5 1 Auf dem Boden der heftigen innerdeutschen Opposition gegen Otto III., welche die römische Politik verwarf, ihre Konsequenzen b e k ä m p f t e u n d eine R ü c k k e h r zu den Grundsätzen Ottos I. forderte, befand B r u n , d a ß die Germania, daß die T h e u t o n u m tellus den Reichskern, d a ß die Deutschen in ihrer Gesamtheit das politisch führende Volk, das Reichsvolk darstellten. 5 5 2 Es läge nahe, von der deutschen Reichsvolkauffassung, dem in ihr ausgedrückten deutschen Volks- und Selbstgefühl den Schritt zu einer deutschen Auffassung des ottonischen Reiches zu vollziehen. E r wird von B r u n jedoch nicht vollzogen. Ein entsprechender Vorgang k o n n t e u n t e r Karl dem Großen beobachtet werden. Die Vertreter der fränkischen Reichsvolkauffassung lehnten die römische Kaiseridee ab. Indes sprachen sie d a r u m das karolingische Gesamtreich nicht als regnum F r a n c o r u m a n ; es blieb bei der Differenzierung zwischen dem fränkischen u n d dem langobardischen Reich. Die Lösung wurde in der sogenannten Aachener, der romfreien Kaiseridee gefunden, die später von Otto I. u n d ottonischen Autoren auf das ottonische Reich a n g e w a n d t wurde und auch f ü r die Reichsvolkauffassung B r u n s von Q u e r f u r t bestimmend wird. Wenskus erweist ihn als „den extremen Vertreter eines ,romfreien' Kaisertums, das zuerst im sogenannten , Aachener Kaisergedanken' politisch wirksam wurde und als Idee auch in der Ottonenzeit noch durchaus lebendig war. Die Tatsache, dass auch der ,nichtrömische' imperiale Gedanke römischen Ursprungs war, ist f ü r das Bewußtsein seiner Anhänger belanglos." 5 5 3 Adalbold von Lüttich u n d B r u n von Q u e r f u r t — n u r soviel sei resümiert — werden von ihrem deutschen Volksbewußtsein n i c h t zu einer deutschen Reichsauffassung, nicht zu einer separierenden B e t r a c h t u n g des eigentlichen deutschen Reiches g e f ü h r t . Sie sind auf die supragentil-imperiale Realität u n d I n t e n t i o n der ottonisch-salischen Königs- u n d Kaiserherrschaft orientiert. Daß die Könige selbst in ihren U r k u n d e n nicht differenzierten u n d das Königtum als ein einheitliches, von einem einzigen Ursprung ausgehendes betrachteten, haben wir bereits dargelegt. Fortgesetzt sei die Reihe deutscher Geschichtsschreiber durch die B e t r a c h t u n g H e r m a n n s von Reichenau u n d Adams von Bremen auf Grund der U n t e r s u c h u n g ihrer politischen Vorstellungswelt durch Buchner. 5 5 4 Wir h a t t e n oben dargelegt, d a ß h i n t e r den Begriffen regnum und rex eine deutsche Reichs- und Königsauffassung stehen könne, wo sie ohne einen erläuternden Zusatz gebraucht werden. E n t 550 Bruno Querf., c. 18, S. 162 u. 164. Vgl. Johannes Canaparius, S. Adalberti Pragensis episcopi et martyris vita prior, c. 21, Monumenta Poloniae historica, Series nova IV, 1, ed. H. KARWASINSKA, Warschau 1962, S. 32. Gegenüberstellung und Erörterung der Stellen bei WENSKUS, Studien, S. 107f. ssi WENSKUS, Studien, S. 108. 552 WENSKUS, Studien, S. 114f. 553 WENSKUS, Studien, S. 119f. 55/

* BUCHNER, Geschichtsbild; DERSELBE, Hermann v o n Reichenau, Chronik, Einleitung, in: Frhr.-v.-Stein-Gedächtnisausg. X I , S. 617—624; DERSELBE, Vorstellungswelt.

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sprechendes gilt für das Gefühl nationaler Gemeinschaft. E s kann in den Quellen vorhanden sein, ohne daß es namentlich gefaßt erscheint. Hier Aufschlüsse zu gewinnen, erlauben die Begriffe wir, unser, die Unsrigen. Dieser wesentliche methodische Hinweis ist Buchner zu verdanken, welcher die Bedeutung der Wir-BegrifTe als Erkenntnismittel für die vorhandenen Gemeinschaftsbezüge nachgewiesen h a t . 5 5 5 Die Analyse des Wir-Gefühls führt Buchner zu der Ansicht, daß sich Hermann von Reichenau mit den Teutonici gefühlsmäßig identifizierte, obwohl er den deutschen Namen nur selten und spät verwendete. 5 5 6 „ D a s volkhafte (nichtpolitische) Gefühl Hermanns für die Einheit der Deutschen über den Stämmen (wäre) gering" zu veranschlagen 5 5 7 , wenn nicht ein auf die Teutonici bezogenes Wir-Gefühl, ausgedrückt durch die Begriffe noster, unser und nostri, die Unsrigen 5 5 8 , „unverkennbar . . . eine Art nationalen Gefühls zum Ausdruck" brächte. 5 5 9 Zu dieser Beobachtung stellt Buchner eine zweite: „ N a m e und Begriff des imperium werden von Hermann nicht ein einziges Mal verwendet." 5 6 0 „Die Kaiserwürde überhöht das Königtum, aber das Reich wird ganz als regnum v e r s t a n d e n . " 5 6 1 Hermann „fehlt jede Art imperialer Theorie, jede Form eines Kaisergedankens. . . . Auch wenn Kaiser an seiner Spitze stehen, ist ihm das Reich ein regnum — es kann kein Zufall sein, daß er den Ausdruck imperium vermeidet: wenn er das Wort nicht verwendet, das er kennt, so heißt das, daß er die Sache nicht will." 5 6 2 Aus beiden Beobachtungen zieht Buchner den Schluß: „regnum und rex ohne entscheidenden Zusatz bezeichnen für ihn (Hermann) das Reich schlechthin, das deutsche Reich."563 „Nach außen und nach innen ist das Reich für ihn (Hermann) faktisch das, als was es die kommende Generation gemeinhin, als was es schon sein Zeitgenosse Wipo, aber noch nicht er selbst bezeichnen: ein regnum Theutonicorum,"564 Diese Schlußfolgerung kann jedoch nicht mit Sicherheit gezogen werden. E s ist Buchner zuzustimmen, wenn er über den Verfasser der Weltchronik schreibt: „Das regnum ist ihm im Grunde wichtiger, es steht für ihn mehr im Vordergrund als das imperium. Die Kontinuität des regnum reicht ungebrochen von Karl Martell bis zu Hermanns eigener Zeit — der Übergang vom fränkischen Gesamtreich zum ostfränkisch-deutschen Reich bleibt f a s t unbemerkt." 5 6 5 „ F ü r Hermann 555

BUCHNER, Geschichtsbild, S. 54f.

656

BUCHNER, Geschichtsbild, S. 53.

687

BUCHNEB, Geschichtsbild, S. 54.

568

BUCHNER, Geschichtsbild, S. 55ff.

559 B Ü C H N E R , G e s c h i c h t s b i l d , S . 5 7 . 560

BÜCHNER, Geschichtsbild, S. 51.

561

BUCHNER, Geschichtsbild, S. 52.

562

BUCHNER, Geschichtsbild, S. 59.

563

BUCHNER, Geschichtsbild, S. 51.

564

BUCHNER, Geschichtsbild, S. 58. Hier ist BUCHNER ein Versehen unterlaufen. Wipo verwendet nicht die Bezeichnung regnum Teutonicorum. Die von uns zitierte Stelle setzt im Original f o r t : „. . ., dem B u r g u n d als gesondertes Beich, Italien in einer unklar umschriebenen Stellung angeschlossen sind."

565

BUCHNER, Geschichtsbild, S. 41.

140

wird die politische Wirksamkeit seiner Zeit von der T a t s a c h e des Reiches b e s t i m m t , und es ist d a s regnum kat'exochen, das nicht wie die anderen regna eines erläuternden Zusatzes b e d a r f . " 5 6 6 E s stellt sich dann aber die F r a g e , was versteht Hermann von Reichenau unter regnum? Buchner deutet dessen Reichsbegriff auf Grund der wesenhaften Unterscheidung zwischen regnum — deutsches Reich und imperium — Trias der regna Deutschland, Italien und B u r g u n d . Diese Differenzierung wurde jedoch e r s t im 12. J a h r h u n d e r t üblich. D a s frühere Mittelalter unterschied nicht zwischen regnum und imperium als engerem und weiterem S t a a t s g e b i e t , so daß Spörl von einer „ a l s selbstverständlich empfundene(n) Wesenseinheit" zwischen regnum u n d imperium sprechen k a n n . 5 6 7 Dieser T a t b e s t a n d wurde bereits eingehend behandelt. R e g n u m kann d a r u m auch bei Hermann nicht eo ipso allein als deutsches Reich, als regnum Teutonicorum interpretiert werden. E s muß analysiert werden, was dieser selbst unter regnum begreift. Zunächst ist festzustellen, daß der Begriff regnum von H e r m a n n ü b e r h a u p t nur verhältnismäßig wenig verwandt wird. E r ist dem Begriff rex völlig nachgeordnet. Die Zentralfigur im Geschichtsbild des Reichenauer Mönches ist die Person des Königs, ist der rex oder imperator. Dessen H e r r s c h a f t begreift der Weltchronist in erster Linie, wenn er v o m regnum handelt. E r verwendet d a m i t vornehmlich einen personal-funktionalen Reichsbegrifl. Die Wirksamkeit des Königs stellt Hermann aber, d a s arbeitet auch Buchner sehr deutlich heraus, in einer d a s eigentliche deutsche Reich weit überwölbenden imperialen Dimension dar. Seit Heinrich II., stellt Buchner fest, „ s e t z t Hermann die Herrschaftsstellung der deutschen Könige in Italien als selbstverständlich voraus, ohne sie zu begründen oder näher zu umgrenzen. Eine klar umrissene politische Größe ist ihm d a s regnum Italiae offenbar nicht m e h r . " 5 6 8 Die undifferenzierte Gesamtherrschaft der ottonisch-salischen Könige und K a i s e r , in ihr stellt sich dem Reichenauer Weltchronisten d a s ottonisch-salische regnum dar. Buchner betont mit R e c h t das fränkisch-karolingische Kontinuitätsbewußtsein Hermanns, die R ü c k f ü h r u n g des regnum auf K a r l Martell, den bruchlosen Ü b e r g a n g v o m fränkischen Gesamtreich zum ostfränkisch-deutschen Reich in der Darstellung der Weltchronik. „ E n t s c h e i d e n d für d a s mittelalterliche Reich schien Hermann nicht die römische Kaiserwürde. Die Wurzel des Reiches liegt für ihn im karolingischen Hausmeiertum. Seit 768 gilt ihm die Königswürde als der tragende Pfeiler. D a s K a i s e r t u m h a t für ihn offenbar nur den Wert einer zusätzlichen E h r e — als solche sicher von B e d e u t u n g — wie er denn im T e x t die Herrscher nach ihrer Kaiserkrönung stets als K a i s e r tituliert, aber nicht rechtsbegründend und politisch auss c h l a g g e b e n d . " 5 6 9 D a m i t liefert Buchner selbst den Schlüssel, warum Hermann den Begriff imperium m e i d e t : die ottonisch-salische Herrschaft gründet sich für ihn nicht im römischen K a i s e r t u m , sondern im fränkisch-karolingischen K ö n i g t u m . Nicht die Differenzierung zwischen einem auf Deutschland beschränkten regnum 566

BÜCHNER, Geschichtsbild, S . 57.

367 SPÖRL, R e x , S . 3 3 8 . 568

BTJCHNER, Geschichtsbild, S . 52. BUCHNER, H e r m a n n , a. a. 0 . , S . 621.

141

und einem die regna-Trias Deutschland, Italien u n d Burgund umfassenden imperium ist f ü r seinen Reichsbegriif konstituierend, sondern die Orientierung auf die f r ä n kisch-karolingische K o n t i n u i t ä t des ottonisch-salischen Königtums. Personalfunktional begriffen, stellt sich das Reich f ü r ihn in der Wirksamkeit, der Gesamtherrschaft der ottonisch-salischen Könige u n d Kaiser dar, nicht oder weniger als ein nationales, sondern m e h r u n d wesentlich als ein imperiales regnum. Abschließend sei A d a m von Bremen zu unserer Üb erlegung gehört. Dessen Gebrauch der Begriffe wir u n d unser f ü h r t Buchner zu der Feststellung: „ U b e r einem kräftig ausgeprägten sächsischen Stammesbewußtsein (stellt) ein wenig entwickeltes deutsches Volksbewußtsein kultureller P r ä g u n g ; über beiden ein lebhaftes Reichsbewußtsein, das sich mit aufrichtig kirchlicher Gesinnung, wie Adam sie a u f f a ß t e , durchaus v e r t r u g . " 5 7 0 „Ähnlich wie bei dem geographischen N a m e n s g u t sieht Adam eine doppelte Vergangenheit des Reiches: die altrömische u n d die karolingische, m i t denen das Reich des 11. J a h r h u n d e r t s durch eine nach seiner Auffassung u n u n t e r brochene K e t t e v e r b u n d e n ist." 5 7 1 A d a m sieht zwar die Kaiserkrönung an R o m gebunden. Das imperium erhält aber n u r ausnahmsweise den Beinamen R o m a n u m . " 5 7 2 F ü r Adam ist sowohl regnum wie imperium Inbegriff der ottonisch-salischen Königs- u n d Kaiserherrschaft. Eine wesenhafte Unterscheidung zwischen regnum und imperium ist in der Regel nicht zu finden. „Das karolingische wie das deutsche", das heißt das ottonisch-salische „Reich n e n n t A d a m bald mit dem einen, bald m i t dem anderen N a m e n , meist ohne daß ein Grund f ü r die W o r t w a h l erkennbar ist. E i n m a l sind die beiden Begriffe sogar gänzlich gleichgesetzt: ,in der Leitung des regnum folgte eine F r a u m i t einem Knaben nach, zum großen Schaden des imperium', sagt Adam zum Tod Heinrichs I I I . 5 7 3 — die beiden Ausdrücke in einem Satz völlig synonym gebrauchend." 5 7 4 „ D e m König u n d Kaiser dieses Reiches, ja dem Reich selbst, fühlte sich A d a m durch innere Zuneigung v e r b u n d e n . " 5 7 5 Buchner spricht d a r u m von einem echten Reichspatriotismus bei Adam. „Dieser Reichspatriotismus steht, wie wir zusammenfassend sagen dürfen, . . . hinter Adams ,unser' f ü r die Herrscher des Reiches, seinen ,höfischen' Übertreibungen, seiner Abneigung gegen Rebellen und Rebellion, seinem TreuebegrifT gegenüber dem König. A d a m w a r sich darin mit seinem Erzbischof einig, in dessen komplexer Person nach Adams glaubwürdigem Zeugnis der Reichspatriotismus eine Komponente, ein Element d a r s t e l l t : nur aus ihm ist Adalberts in ihrer Weise tragische Figur voll zu verstehen." Da die Aussage über den Erzbischof Adalbert von Bremen f ü r die Reichsfrage aufschlußreich ist, sei Buchner weiter zitiert, „so sehr eigener ungezügelter Ehrgeiz u n d H o c h m u t , so sehr das Macht- u n d Besitzinteresse seiner Kirche ihn trieb und ihn (auch in Adams Augen!) das richtige Maß verfehlen lassen, so sicher spricht in seiner ganzen Politik Ä70

B U C H N E R , V o r s t e l l u n g s w e l t , S . 5 1 f.

572

BUCHNEB, Vorstellungswelt, S. 32ff. Magistri Adam Bremensis gesta Ilainmaburgensis ecclesiae pontificum, c. 34, ed. B. SCÜMEIDLER, Hannover 1917, S. 176. (MG. SS. in us. schol.)

BUCHNER, V o r s t e l l u n g s w e l t , S. 3 4 573

574

BUCHNEK, V o r s t e l l u n g s w e l t , S. 29.

575

BUCHNER, V o r s l e l l u n g s w e l t , S. 34.

142

das Reichsinteresse, die Bindung an den König mit, der auf die Reichskirche ebenso angewiesen war, wie diese auf ihn. Auch Adam aber — daran kann nach seiner ganzen Schilderung kein Zweifel sein, teilt im wesentlichen diese Einstellung." Buchner schließt diesen Gedankengang mit der Feststellung: „ F a s t eineinhalb Jahrhunderte nach Ottos des Großen Thronbesteigung erweist das von ihm vollendete innenpolitische System noch seine Fähigkeit, seelische Bindungen zu schaffen und zu erhalten." 5 7 6 In Hinsicht auf diese Vorstellungswelt erscheint uns auch Adams Reichsbewußtsein stärker auf das ottonisch-salische Gesamtreich, stärker auf die Realität und Idee eines imperialen Königtums orientiert zu sein, als auf die Reichswirklichkeit der Deutschen und eine volkhafte, deutsche Reichsidee. Bei einem mehr oder weniger stark oder gering ausgebildeten Nationalgefühl und Deutschbewußtsein dürfte im Kern des Reichsverständnisses von Adam die von der ottonischsalischen Königstheologie geprägte Idee des Königtums gestanden haben, nicht eine noch im Gentiiismus verhaftete Reichsvolkauffassung oder eine bereits den Nationalgedanken antizipierende Vorstellung einer Nationalmonarchie. Ein auf die lingua Teutonica, die Teutonici, das deutsche Volk und das deutsche Land bezogenes \ \ ir-Gefühl bzw. von ihnen gespeistes Kontrastbewußtsein gegenüber anderen Völkern, eine Art Nationalgefühl darf bei Adalbold von Lüttich, Brun von Querfurt, Wipo, Hermann von Reichenau, Adam von Bremen und vielen ihrer Zeitgenossen als erwiesen und in Ausbreitung befindlich gelten. Indes über seine Stärke und seinen Platz in der Gefühlswelt läßt sich streiten, vor allem über die Rolle eines Nationalgedankens und Deutschbewußtseins als politischem und ideologischem Faktor im Geschichts- und Zeitbewußtsein, als Antrieb zum politischen Denken, Wollen und Handeln bzw. Gesamtverhalten. Insgesamt haben wir mit einem sehr differenzierten Phänomen zu rechnen, haben wir an Unterschiede nicht nur gradueller, sondern prinzipieller Natur zu denken. Was Buchner über die Einordnung von Hermanns Nationalgefühl sagt, gilt gleichermaßen für Wipo, Adam und ihre Zeitgenossen: das „Nationalgefühl ist nicht absolut gesetzt, sondern eingebettet in eine universal gedachte religiöse Ordnung und in eine politische Weltsicht, der das universale Element nicht fehlt." 5 7 7 Auf sie erscheint das Reichsdenken der genannten Geschichtsschreiber stärker orientiert zu sein als auf die nationale Komponente. Nicht diese, sondern jene Momente beherrschen ihr historisches und theoretisches Verständnis der ottonisch-salischen Königs- und Kaiserherrschaft. Diese ist für sie vom Wesen her, so wie sie es empfinden und begreifen, kein nationaler, sondern ein komplexer, ein universaler, imperialer und zunächst theologischer Tatbestand. Die komplexe ottonisch-salische Königs- und Kaiserherrschaft ist die herrschende Reichsfigur im Bewußtsein Adalbolds, Bruns, Wipos, Hermanns, Adams und anderer Geschichtsschreiber der ottonisch-salischen Kaiserzeit. J e nach dem Aspekt und dem Horizont des jeweiligen betrachteten Geschehnisfeldes heben sich für sie dazu andere, in sie eingebaute, von ihr überwölbte Reichsfiguren vom Grund der Gegebenheiten ab. Als Ergebnis unserer Untersuchung war festzustellen: der deutsche Reichs- und Königsbegriff gewann zuerst in Italien politische Relevanz. In einer national57(5

BTJCHKEE,

Vorstclluiigswcll, S. 37f.

577

BUCHNEK,

Geschichtsbild, S. 57.

143

italienischen Fassung breitete er sich seit der J a h r t a u s e n d w e n d e von der ottonischbyzantinischen K o n t a k t z o n e , von Süditalien und Venedig, aus und begann in der national-italienischen F a s s u n g seit der Mitte des elften J a h r h u n d e r t s auch im langobardisch-italienischen Königreich zu erscheinen. In Deutschland ist der deutsche Reichs- u n d Königsbegriff e r s t in der Mitte der siebziger J a h r e feststellbar. E r präsentiert sich in Niederaltaich in einer national-deutschen Fassung. Aus diesem Resultat ergab sich die F r a g e : w a r u m wurde der deutsche Reichs- u n d Königsbegriff in Deutschland in der Zeit Heinrichs I I . u n d der f r ü h e n Salier nicht gebraucht, einer Zeit, wo er in Italien b e k a n n t und verbreitet war, wo in Deutschland selbst der deutsche Sprach-, Volks- u n d Landesname verwendet wurde u n d ein deutsches Volksgefühl vorhanden w a r ? Wir berücksichtigten bei der Antwort, d a ß einzelne Belege verlorengegangen sein können u n d stellten eine Originalität von regnum Teutonicorum in den alten Salzburger Annalen in Rechnung, m u ß t e n aber befinden, daß auch in diesem Falle ein qualitativer Unterschied in der Verbreitung des deutschen Reichs- und Königsbegriffes zwischen Italien u n d Deutschland bestanden hätte, welcher unserer F r a g e auch d a n n grundsätzliche Berechtigung verliehe. Bei der Antwort verwiesen wir zunächst auf die Gepflogenheit, das eigene Reich und den eigenen König in der Regel n i c h t zu benennen. Doch erwies sich diese Erklärung gegenüber andersartigen Benennungen des Reiches u n d der eminenten Bedeutung der Reichsidee, des Protokolls und der T i t u l a t u r e n , der politischen Ideenwelt als nicht ausreichend. Wir stellten in der Überlieferung Vorstellungen über das Reich u n d den Herrscher sowie Wesensbestandteile der Reichs- u n d Herrscherideologie fest, welche m i t der supragentil-imperialen Q u a l i t ä t des ottonischsalischen Reiches korrespondierten. Die politische Realität, die expansiven Interessen der Zentralgewalt u n d der adlig-geistlichen Reichskräfte, ihre universalen und hegemonialen Intentionen, die H e r r s c h a f t u n d der Anspruch auf H e r r s c h a f t über viele regna und gentes sowie über das P a p s t t u m u n d R o m brachten a d ä q u a t e politische Ideen, Reflexionen über das Reich und Reichsauffassungen hervor und forderten sie. Die deutsche Geschichtsschreibung über das Reich stand insgesamt in dieser Ordnung, die geistlichen Historiograplien in Deutschland waren der Zentralgewalt, der Reichskirche und ihren E x p o n e n t e n verbunden. Sie spiegeln in ihren Schriften das Interesse u n d die Intention des ottonisch-salischen Königtums, der Reichskirche, des Reichsmönchtums, der dahinterstehenden Adelskräfte. Wir möchten d a r u m f ü r wahrscheinlich e r a c h t e n : das imperiale u n d hegemoniale Interesse, die ihm entsprechende politische u n d ideologische Realität, politisch-ideologische Gründe sind wesentlich d a f ü r zuständig, dass der deutsche Reichs- u n d Königsbegriff in der deutschen Geschichtsschreibung fehlt. Die folgende Epoche des Kampfes zwischen P a p s t t u m und Kaisertum u m das Verhältnis von regnum u n d sacerdotium, zwischen K ö n i g t u m u n d F ü r s t e n t u m um die Reichsordnung wird unser Ergebnis zu bestätigen oder zu e n t k r ä f t e n haben.

144

B. D I E D E U T S C H E R E I C H S K O N Z E P T I O N G R E G O R S VII. U N D D E R

IM

KAMPF

REICHSFÜRSTEN

GEGEN HEINRICH

IV.

1. Gregor VII. und die gregorianische Fassung des deutschen Reichs- und Königsbegriffes Als im bayerischen Kloster Niederaltaich d a s A n n a l e n w e r k niedergeschrieben w u r d e , welches als e r s t e d e u t s c h e Quelle d e n d e u t s c h e n Reichsbegriff in einer n a t i o n a l - d e u t s c h e n F a s s u n g überliefert, h a t t e Gregor V I I . sein P o n t i f i k a t bereits a n g e t r e t e n . Sein P r o g r a m m , d e r D i c t a t u s p a p a e , m o c h t e schon v e r k ü n d e t w o r d e n sein, als der Altaicher Mönch die F e d e r a u s d e r H a n d legte. D e r Angriff auf d e n sakralen C h a r a k t e r des K ö n i g t u m s , auf die königliche K i r c h e n h e r r s c h a f t , der K a m p f zwischen s a c e r d o t i u m u n d r e g n u m s t a n d e n u n m i t t e l b a r bevor, w ä h r e n d die reiclisfürstlich-hochadlige I n s u r r e k t i o n m i t d e m sächsischen A u f s t a n d u n d seiner Verb i n d u n g m i t d e r s ü d d e u t s c h e n Opposition bereits begonnen h a t t e . Der I n v e s t i t u r streit u n d die F ü r s t e n i n s u r r e k t i o n setzten eine E p o c h e — ihrerseits g e t r a g e n v o n einer wirtschaftlich-gesellschaftlichen U m w ä l z u n g . E i n w a c h s e n d e s S o z i a l p r o d u k t , höhere P r o d u k t i v i t ä t d e r Arbeit, gesteigerte W a r e n - G e l d - B e z i e h u n g e n , kleine W a r e n p r o d u k t i o n u n d arbeitsteilige V e r k e h r s w i r t s c h a f t , S t a d t e n t w i c k l u n g u n d L a n d e s a u s b a u b r a c h e n die Gesellschaft in allen ihren Verhältnissen u m u n d s e t z t e n den mittelalterlich-feudalen Klassen u n d S t ä n d e n n e u e ökonomisch-soziale I n t e r e s s e n u n d P e r s p e k t i v e n . I n m i t t e n dieser sich tiefgreifend w a n d e l n d e n w i r t s c h a f t l i c h gesellschaftlichen W i r k l i c h k e i t w u r d e die F r a g e n a c h d e m Verhältnis zwischen Kirche u n d S t a a t , zwischen ideologisch-religiöser u n d staatlich-politischer F u n k t i o n zugleich m i t d e r F r a g e n a c h d e m Verhältnis zwischen Z e n t r a l g e w a l t u n d regionalp a r t i k u l a r e r G e w a l t g r u n d s ä t z l i c h n e u gestellt. Aus j a h r z e h n t e l a n g e n K ä m p f e n , ausgefochten m i t d e n W a f f e n u n d m i t den Ideen, ging eine wesentlich v e r ä n d e r t e O r d n u n g u n d V e r f a s s u n g , eine neue F o r m d e r Kirche u n d des S t a a t e s h e r v o r . Der A u s b r u c h des I n v e s t i t u r s t r e i t e s u n d der F ü r s t e n i n s u r r e k t i o n g e b i e t e t d a r u m , a u c h in unserer U n t e r s u c h u n g eine Zäsur zu setzen u n d einen n e u e n A b s c h n i t t zu b e g i n n e n . Die gegenwärtige L e h r m e i n u n g ü b e r die V e r b r e i t u n g des d e u t s c h e n R e i c h s b e griffes im 11. J a h r h u n d e r t wird d u r c h Vigener b e s t i m m t . Dieser k a m zu d e m E r g e b nis: „ D e r Begriff eines d e u t s c h e n Reiches h a t sich wohl a m f r ü h e s t e n in I t a l i e n ausgebildet. . . . Mehr als in Italien ist in D e u t s c h l a n d d e r A u s d r u c k üblich, u n d noch in der Zeit H e i n r i c h s IV. . . . ist er in allen d e u t s c h e n Gebieten heimisch geworden, wie j a g e r a d e d e r Reichsgedanke, d a s B e w u ß t s e i n d e r politischen Z u s a m m e n fassung, d e r s t a a t l i c h e n E i n i g u n g der d e u t s c h e n S t ä m m e v o r allem lebendig w a r . " 1 1

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ViGBNER, B e z e i c h n u n g e n , S. 258. Müller-Mertens, Regnum Teutonicum

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Nach Giesebrecht, Waitz, Vigener und anderen Historikern, die sich mit dem Aufkommen des deutschen Reichsbegrifles befaßt haben 2 , läge es nahe, für den angegebenen Tatbestand auf die jetzt eintretende Wirkung eines Volksbewußtseins und Nationalgefühls zu schließen, in ihnen die Ursache dafür zu sehen, dass die Zeitgenossen das Reich nun als deutsches begreifen, an eine sich allmählich ausbreitende volklich-nationale Strömung zu denken, die das Reich erfaßte, in Niederaltaich ihren ersten schriftlichen Ausdruck hinterließ und sich unter der Regierung Heinrichs IV. in allen Gebieten Raum verschaffte. Die vorangegangenen Feststellungen setzen Warnzeichen, dieser Erklärung einfach zu folgen. Es ist zu prüfen, ob der deutsche Reichsbegriff tatsächlich unter Heinrich IV. heimisch wurde, ob seine Verbreitung vorrangig durch das Volksbewußtsein und eine nationale Gesinnung bewirkt wurde. Es ist wiederum nach den Trägern der deutschen Reichsauffassung und nach den Zusammenhängen zu fragen, in welchen sie auftrat. Es ist der politischideologische Gehalt des deutschen Reichsbegriffes zu erhellen. Die Untersuchung wird zunächst wieder nach Italien führen, an den Brennpunkt der Reformbewegung, an die Kurie. Die gregorianische Reform begnügte sich nicht, nie vergessene Ansprüche wieder anzumelden und alte Forderungen erneut zu stellen. Sie trat ein in den Kampf um eine neue hierarchische Ordnung und um ein neues Verhältnis zwischen sacerdotium und regnum, zwischen Kirche und Staat. Sie war bestrebt, „den Klerus aus dem Eigenkirchenwesen und aus dem Herrschaftsbereich der Könige herauszulösen" 3 , die Kirche unter dem Papst zu zentralisieren und eine unter seinem Primat stehende kirchliche Hierarchie zu schaffen. Sie suchte den König von seiner „priestergleichen Stellung auf die eines reinen, der kirchlichen Strafgewalt unterworfenen Laien. . . und sein innerhalb der Kirche befindliches A m t " 4 zu verweisen, sie stellte das Priestertum über das Königtum, erhob den „priesterlichen Befehlsanspruch auch über die politische Gewalt" 5 und forderte die Herrschaft der Kirche, die Herrschaft des Papstes über die weltlichen Mächte, über die Welt. Nachdem die gregorianische Reform im eigentlichen Sinne seit 1057 mit Stephan IX., Nikolaus II. und Alexander II. zur Wirksamkeit kam, erlebte sie unter Gregor VII. (1073—1085) ihren Höhepunkt. Jene griffen „die ganze bisherige politisch-religiöse Weltordnung mit dem priestergleichen Königtum an der Spitze frontal a n . " 6 Gregor VII. verkündete im März 1075 seine Doktrin über den unbedingten Primat des Papstes und dessen Weltherrschaft: „Nur der römische Bischof wird rechtmäßig der allgemeine genannt. Er allein kann kaiserliche Insignien tragen. Sein Name ist einzig in der Welt. Er darf Kaiser absetzen. Er darf von niemand gerichtet werden." 7 Siehe oben S. 25.fi KEMPF, F., Gregorianische Reform, in: LTheolK. IV, Sp. 1197f. ^ Ebenda, Sp. 1199. 5 SCHIEFFEE, TH., Gregor VII., in: LTheolK. IV, Sp. 1184.

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3

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KEMPF, R e f o r m , a. a. O., S p . 1197.

7

Greg. VII. reg. II, 25a, S . 201—208. Zum Charakter des Dictatus papae: Th., Dictatus papae, in: LTheolK. III, Sp. 368f.

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SCHIEFFER,

Im Zuge der gregorianischen Kirchenreform wurde das Papsttum zu einem entscheidenden Faktor in der europäischen Politik. Die Reformpäpste griffen nachhaltig in das kirchliche, religiöse und politische Geschehen der meisten Länder Europas ein. Sie stellten enge Kontakte her und traten in persönliche Beziehungen zu den weltlichen Herrschern und Großen sowie zu den Bischöfen, Äbten und Mönchen. Der Verkehr zwischen der Kurie und den Ländern Europas steigerte sich in einem für die damalige Zeit unerhörten Ausmaß (römische Synoden, Reisen der Päpste und Kardinäle sowie Auftreten auf Synoden und Fürstentagen, Legatenentsendung, päpstliche Lehnsstaatenpolitik); gleichzeitig gewann die Kurie selbst einen internationalen Charakter (personelle Zusammensetzung des Kardinalkollegs, Umgestaltung der päpstlichen Kanzlei). 8 Die Reformpäpste inaugurierten eine Entwicklung, deren schließliche Ergebnisse Engels charakterisiert: „Das große internationale Zentrum des Feudalsystems aber war die römisch-katholische Kirche. Sie vereinigte das ganze feudalisierte Westeuropa, trotz aller inneren Kriege, zu einem großen politischen Ganzen, das im Gegensatz stand sowohl zu der schismatisch-griechischen, wie zur mohammedanischen Welt." 9 Im Kampf um die Reform der Kirche und um ein neues Verhältnis zwischen sacerdotium und regnum gewannen der Schriftverkehr und die Publizistik eine bis daliin unbekannte Bedeutung. Briefe und Briefsammlungen, Zusammenstellungen der Kanones und Traktate wurden verbreitet und in entschiedener Weise zu einem Mittel der politischen und ideologischen Auseinandersetzung, der Agitation und Propaganda erhoben. 10 „Die Anfänge dieser Publizistik, vor allem in Lothringen und Italien, reichen noch in die Mitte des elften Jahrhunderts zurück. In den Schriften von Petrus Damiani und Humbert hatte diese vorgregorianische Streitschriftenliteratur einen ersten Höhepunkt erreicht. Erst mit dem Pontifikat Gregors gerät der literarische Kampf aber wirklich in Fluß. Hatten bis dahin, wenn man von Humbert absieht, einzelne kirchliche Mißstände im Mittelpunkt der Diskussion gestanden, so drang sie jetzt immer mehr zu grundsätzlichen Fragen vor. Vor allem die Ereignisse des Jahres 1076, die Absetzung des Papstes durch den deutschen König und der Bannspruch Gregors, gaben Anlaß zu einer lebhaften Diskussion. Die Frage, ob das Vorgehen des Königs oder das des Papstes berechtigt sei, schied jetzt die Geister. Die große Zeit dieser Publizistik beginnt nach 1080, nachdem Gregor seinen Bannspruch erneuert hatte." 1 1 Auf dieser historischen Szene lassen sich nun erstmals die Beziehungen regnum Teutonicorum/Teutonicum und rex Teutonicorum/Teutonicus im Gebrauch der Verwiesen sei nur auf TELLENBACH, G., Die Bedeutung des Reformpapsttums für die Einigung des Abendlandes, in: Studi Greg. 2/1947, S. 125—149; zur päpstlichen Verwaltung auf JORDAN, K., Die päpstliche Verwaltung im Zeitalter Gregors VII., in: Studi Greg. 1/1947, S. 1 1 1 - 1 3 5 . 9 ENGELS, F., Einleitung zur englischen Ausgabe (1892) der „Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft", in: MARX, K., u. F. ENGELS, Werke, Bd. 22, Berlin 1963, S. 299. 1° Zur Literatur: GEBHARDT, Handbuch, S. 258 u. 266. 1 1 JORDAN, Investiturstreit, S. 265. 8

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päpstlichen Kanzlei nachweisen. Es war Gregor VII., der diese Begriffe als erster Papst verwandte. Darüber unterrichtet uns insbesondere sein Register (Reg. Vat. 2). Es enthält etwa 360 Papstbriefe. „Wir zählen ferner neun Privilegien, und außerdem wurden in diese Handschrift ca. zwanzig, diplomatisch gesehen, registerfremde Stücke von teilweise bedeutendem Umfang aufgenommen, so u. a. Lehnseide, Protokolle der Fastensynoden, der Dictatus papae usw." 1 2 Das Register enthält etwa 80 Briefe und zwölf Synodalbeschlüsse, in denen expressis verbis auf Heinrich IV. und das deutsche Reich oder Land im ganzen Bezug genommen wird. In ungefähr 35 Stücken werden die Begriffe und Wortverbindungen Teutonici; terra Teutonica, partes Teutonice/Teutonicorum, Teutonica terre episcopi, episcopi et duces in Teutonicis partibus; regnum Teutonicum/Teutonicorum, episcopi etc. regni Teutonici/Teutonicorum bzw. in regno Teutonico/Teutonicorum habitantes, regni Teutonici ecclesiae, partes regni Teutonicorum; rex Teutonicus/Teutonicorum, familia regis Teutonicorum und ähnliche verwandt. 13 Andere Bezeichnungen für das deutsche Reich und Land und den König treten kann in Erscheinung, Mehrfach zu finden für das Land und die Leute, nicht für das Reich und den König, ist allein die Bezeichnung ultramontanus. 14 Einmal wird Heinrich IV. rex Alamanniae tituliert. 1 5 Die nicht im Register Gregors V I I . enthaltenen, aber durch andere Quellen überlieferten Briefe 1 6 sowie die Urkunden 17 bieten das gleiche Bild. Was die Ausnahmen angeht, so geht im November 1078 ein Rundschreiben an alle, die im deutschen und im sächsischen Reiche wohnen. 18 An weitaus erster Stelle der Wortverbindungen mit Teutonicus in den Schriftstücken der gregorianischen Kanzlei steht regnum Teutonicorum/Teutonicum. Dieser Begriff befindet sich so gut wie durchgängig, und den Begriff deutsches Land dabei fast völlig ausschließend, in den offenen Briefen und Manifesten, die Gregor VII. im Kampf gegen Heinrich IV. und um die Entscheidung über das deutsche Königtum, das Schiedsgericht über Heinrich, und den Gegenkönig Rudolf in den Jahren 1076 bis 1080 sowie im Ringen um den Zölibat 1074 und 1079 an die Deutschen sandte. 19 Die Enzykliken tragen die vielfach variierte Adresse: an alle Kleriker und Laien, an alle Erzbischöfe, Bischöfe, Äbte und Geistlichen, Herzöge, Markgrafen, Grafen und die übrigen Gläubigen, Verteidiger des christlichen Glaubens oder Getreuen der römischen Kirche im Reich der Deutschen bzw. im deutschen Reich. 12 13 14

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SANTIFALLER, Beiträge, S. 95. Greg. VII. reg., Namensregister, S. 672. Belege siehe unten S. 160f Greg. VII. reg. III, 15, S. 277. Greg. VII. ep. coli. (51 Briefe). SANTIFALLER, L., Quellen und Forschungen zum Urkunden- und Kanzleiwesen Papst Gregors VII., Bd. 1: Quellen: Urkunden. Regesten. Facsimilia, Vatikanstadt 1957. (Studi e Testi CXC.) Greg. VII. ep. coli. 25, S. 550f. Greg. VII. reg. IV, 3, S. 2 9 8 ; IV, 12, S. 3 1 2 ; IV, 24, S. 3 3 7 ; V, 15, S. 3 7 5 ; VI, 1, S. 3 8 9 ; VII, 3, S. 462; VIII, 9, S. 527. Greg. VII. ep. coli. 10, S. 5 3 2 ; 14, S. 5 3 5 ; 17, S. 542f.; 18, S. 5 4 3 ; 20, S. 5 4 5 ; 25, S. 5 5 0 f . ; 28, S. 554.

Von dieser Ü b u n g weichen allein a b : ein Kreuzzugsaufruf vom 16. Dezember 1074, der an die U l t r a m o n t a n i gerichtet ist und d a m i t wahrscheinlich die Reichsangehörigen nördlich der Alpen m e i n t 2 0 sowie zwei Rundschreiben vom 25. J u l i 1076und 29. August 1076, die an alle Bewohner des römischen Reiches adressiert sind. 2 1 Seit dem Sept e m b e r 1076 wurde allein die Adresse an alle im Reich der Deutschen bzw. deutschen Reich v e r w a n d t . 2 2 Bei der Rubrizierung des Registers, die im Z u s a m m e n h a n g m i t sein e r Anlage und o f t von den Schreibern des Kontextes selbst erfolgte 2 3 , n a h m der R u b r i f i k a t o r zu dem Schreiben vom 25. J u l i 1076 nicht „omnibus . . . in R o m a n u m imperium h a b i t a n t i b u s " in das R u b r u m auf. E r veränderte u n d setzte in der Kurzadresse: „universis . . . per regnum Teutonicum constitutis." Eine derartige Änder u n g der Vorlage bei der Formulierung der R u b r a ist im Reg. Vat. 2 sonst n i c h t nachzuweisen. Die Schreiber hielten sich s t r i k t an die Vorlage u n d änderten lediglich durch Kürzungen. Das erhebt den vorliegenden Änderungsfall zu einem g r u n d s ä t z lichen. Zu beachten ist dabei, d a ß das Rundschreiben an alle, die im römischen Reich wohnen, von Gregor selbst diktiert worden ist. 2 4 Die nächste in das Register Gregors V I I . aufgenommene Enzyklika an die Deutschen s t a m m t aus dem August, sie ist also ganz kurz nach der erstgenannten vom 25. J u l i v e r f a ß t worden. Sie ist ebenfalls ein E i g e n d i k t a t Gregors 2 5 , der j e t z t die Gläubigen im Reich der Deutschen a n s p r i c h t . Gregor wechselt im Sommer 1076 also selbst die Begriffe, u m von n u n an in den Enzykliken allein den deutschen Reichsbegriff zu verwenden, so in den weiteren drei Rundschreiben, die noch im J a h r e 1076 nach Deutschland v e r s a n d t werden. Aus der Verbindung zwischen dem Begriffswechsel in den Eigendiktaten 2« Greg. VII. reg. II, 37, S. 173. 21 Greg. VII. reg. IV, 1, S. 289; Greg. VII. ep. coli. 15, S. 540 (liier setzt JaFFE die mutmaßliche römische Adresse ein, korrekte Wiedergabe: Hugo Flav., S. 442). 22 Das Rundschreiben Greg. VII. reg. I X , 29, S. 612f., an die clerici et laici, qui non tenentur excommunicatione, v o m Sommer 1083 ist gewiß an einen breiteren Empfängerkreis gerichtet, vgl. MEYER v. KNONATT, Jahrbücher III, S. 491 ff. Der Brief steht im Zeichen eines möglichen Friedensschlusses mit Heinrich IV. Gregor erklärt sich bereit, eine Synode zu berufen und auf ihr die gegen die römische Kirche erhobenen Vorwürfe zu entkräften. Er bestreitet, die Erhebung des Gegenkönigs Rudolf befohlen zu haben und gebraucht dabei die Formulierung: Rodulfus, qui rex ab ultramontanis ordinatus est. In seiner ßannrede auf der Fastensynode v o n 1080 rief Gregor dagegen aus: Rodulfus . . ., quem Tcutonici elegerunt sibi in regem (Greg. VII. reg. VII, 14a, S. 486). 23

PEITZ, W. M., Das Originalregister Gregors VII. im vatikanischen Archiv (Reg. Vat. 2), in: S B A K Wien. 165/1911, S. 23: „Am Rande aber, w o Platz genug geblieben war, auch zwischen den Briefen gibt ein kurzgefaßtes Rubrum für gewöhnlich die Kurzadresse. . . . Diese Rubra sind ganz zweifellos v o n der gleichen H a n d wie der K o n t e x t der Briefe. . . . Hie und da scheinen die Rubra in größeren oder kleineren Gruppen beigefügt und nicht immer mit dem fortschreitenden Eintrag der Briefe ergänzt worden zu sein. Stets jedoch läßt sich beobachten, daß sie mit der Anlage des Registers selbst im Zusammenhange stehen." M BLAUL, Studien, S. 171f. 25 Greg. VII. ep. coli. 14, S. 535; BLATJL, Studien, S. 218f.

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Gregors mit der außergewöhnlichen Änderung der Rubrums ist zu schließen, daß im August 1076 von Gregor und seiner Kanzlei Überlegungen über die rechte Ansprache der Deutschen angestellt wurden, daß der Bezug auf das römische Reich verworfen und der auf das deutsche mit Bedacht gewählt wurde. Dieser Vorgang dürfte die im Reg. Vat. 2 einmalige Änderung einer Adresse durch das Rubrum bewirkt haben. Der deutsche Reichsbegrifl findet sich ferner in den Protokollen der römischen Synoden. 2 6 Er fehlt allein in den Berichten über die Fastensynoden 1079 und 1081 sowie die Novembersynode 1083. 27 In den beiden letzteren wird das regnum nicht zitiert, und Heinrich IV. erscheint wie üblich nur als Heinricus, so daß diese keine Abweichung vom deutschen Reichsbegrifl enthalten. Im Protokoll der Fastensynzode von 1079 könnte dagegen regnum Teutonicorum erwartet werden. Wie in den Enzykliken wird in den Protokollen dem deutschen Reichsbegrifl vor dem deutschen Landesbegriff der unbedingte Vorzug gegeben. Die wenigen Fälle, wo dieser hier wie dort erscheint, stellen Ausnahmen dar. Sie bestätigen die Regel, daß die gregorianische Kanzlei für die Rundschreiben nach Deutschland und die Synodalprotokolle dem deutschen Reichsbegriffden Vorzug gab. In den Protokollen erscheint zu den Jahren 1075 bis 1077 auch der deutsche Königsbegrifl. Heinrich IV. wird wiederholt als rez Teutonicorum charakterisiert. 28 Diese Bezeichnung für ihn findet sich darüber hinaus nur in Gregors Briefen nach Ungarn (1074/75).29 In der Regel wurde Heinrich IV. einfach rex angeschrieben und genannt, 1076 und seit 1080 mit den verschiedensten, der Absetzung und dem Bann entsprechenden Beiworten, wie z. B. Heinricus dictus rez, excommunicatus, tyrannus etc. In seinen Briefen verwandte Gregor VII. neben dem deutschen Reichs- und Königsbegriff auch den deutschen Landesbegriff. Deutscher Reichs- und Landesbegriff wechseln einander ab, wobei der letztere etwas häufiger auftritt. In diesen Briefen an einzelne Empfänger ist die Rede von den Bischöfen 30 , den Kirchen 31 , der Verwirrung 32 der dutschen Lande, des deutschen Landes und Reiches bzw. des Reiches der Deutschen, von den Bischöfen und anderen Personen 33 , der Behinderung und Gefangenschaft 34 , der Vertretung 35 , der Versammlung 36 , der Erbitterung 3 7 in den 26 Greg. VII. reg. II, 52a, S. 196 (deutscher Königsbegriff); III, 10a, S. 268; IV, 1 2 a , S. 3 1 4 f . ; V, 14a, S. 370; V I , 5b, S. 401VII, 14a, S. 486. Greg. VII. reg. VI, 17 a, S . 428, hier „in partibus Teutonicis"; VIII, 20a, S. 5 4 3 f . ; IX, 35a, S. 627f. 28 Greg. VII. reg. II, 5 2 a , S. 196; III, 10a, S. 270; IV, 12a, S. 314. 29 Greg. VII. reg. II, 13, S. 1 4 5 ; II, 63, S. 2 1 8 ; II, 70, S. 230. 3» Greg. VII. reg. I, 77, S. 109. 31 Greg. VII. reg. II, 67, S. 223. 32 Greg. VII. reg. II, 51, S. 193; V, 7, S. 356. 33 Greg. VII. reg. II, 76, S. 2 3 9 ; IV, 7, S. 305. 34 Greg. VII. reg. IV, 25, S. 3 3 9 ; V, 7, S. 357. 35 Greg. VII. reg. IX, 10, S. 587. 3« Greg. VII. reg. VI, 4, S. 397. 37 Greg. VII. reg. V, 7, S. 358.

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deutschen Landen, im deutschen Land und Reich bzw. im Reiche der Deutschen und von diesen überhaupt. 3 8 Als Ziel von Legatenreisen und der angestrebten Reise des Papstes nach Deutschland werden die deutschen Lande sowie die partes regni Teutonicorum angegeben. 39 Dazu tritt der Begriff ultra montes. 4 0 Bei einer Gruppierung der Briefe nach Empfängern ergibt sich: in den Schreiben an nichtdeutsche und nichtitalienische Empfänger erscheint fast durchgängig die nähere Bezeichnung des Landes, Reiches oder Königs mit deutsch. Wir finden solche Schreiben an die Könige Salomo von Ungarn 4 1 und Sven von Dänemark 42 , HerzogGeisa von Ungarn 4 3 , die Erzbischöfe Neemias von Gran 4 4 , Manasses von Reims 4 5 und Rudolf von Tours. 4 6 Ausnahmen machen ein Brief an Abt Hugo von Cluny 47 und ein zweiter an Bischof Hugo von Die 48 . In jenem teilt Gregor VII. mit, dass er Legaten ultra montes ad regem schicken wolle. In diesem ist nur von Heinricus rex die Rede, jedoch im Zusammenhang mit der Wahlangelegenheit Gerards von Cambrai, so daß auch in diesem Fall ein Mißverständnis hinsichtlich des genannten Heinrich ausgeschlossen war. In den Briefen an italienische Empfänger, so an die Markgräfinnen Beatrix und Mathilde, 49 an den Patriarchen Dominicus vonGrado 5 0 , an die Getreuen zu Mailand 51 oder an die Ende 1077 nach Deutschland gehenden Legaten 5 2 , wird zur Unterscheidung oder Hervorhebung ebenfalls der deutsche Landes- oder Reichsbegriff verwandt. Nicht jedoch der deutsche Königsbegriff. Heinrich IV. wird durchgängig einfach Heinricus, rex oder Heinricus rex genannt. Auch in den Briefen an deutsche Empfänger fehlt die Bezeichnung rex Teutonicorum völlig. An Briefempfänger in Deutschland schreibt Gregor auch meist nicht vom deutschen Reich oder Land, ihnen gegenüber ist die Rede vom regnum vestrum oder von der terra vestra bzw. einfach vom regnum oder von den partes. Nur in einer verhältnismäßig kleinen Anzahl von Briefen wird das Attribut teutonicus dazugesetzt. Für den Wechsel von regnum und vestrum regnum Teutonicum etc. läßt sich keine Regel feststellen. 53 38 Greg. V I I . cp. coli. 26, S. 552. 40

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345 B e r n o l d . c h r o n . a d a . 1 0 8 4 , S . 4 4 0 .

346 Bernold. chron. ad a. 1087, S. 446. 347 WH. III, S. 528.

200

Dann handelt Bernold über die Blüte der Reformklöster 343 und des gemeinsamen Lebens 3 4 4 sowie über eine von den Getreuen des h. Petrus 1084 bewirkte maxima treuva 3 4 5 im Reich der Deutschen. Dieses wird noch einmal in Verbindung mit den Reichsfürsten genannt. 1087 hätten die principes regni Teutonicorum Heinrich IV. Hilfe versprochen, die Königsherrschaft zu behaupten, falls er sich vom Bann lösen wolle. 346 Der Bericht über die Reformklöster geht von den Verwüstungen aus, welche das ganze Romanum imperium, das ganze regnum durch den Bürgerkrieg erlitt. In dieser Zeit wären im regnum Teutonicorum drei Klöster in herrlicher Blüte gewesen, nämlich St. Blasien, Hirsau und Schafihausen. Da Bernold, von schwäbischem Stammesgefühl erfüllt, immer wieder bemüht ist, „alle Verdienste" Schwabens „um die Kirchenreform und die Herstellung des Friedens" hervorzuheben 347 , ist es ganz ungewöhnlich, daß er Leistungen der schwäbischen Reformklöster nicht für Schwaben in Anspruch nimmt, sondern diese vom Reich der Deutschen aus betrachtet. Hat dieses für Bernold so an Gefühlswert gewonnen, daß er Schwaben zurückstellt? Das scheint unwahrscheinlich zu sein, da für eine schwäbische Nachordnung keine anderen Zeugnisse stehen. Die ausführliche Schilderung über die Blüte des gemeinsamen Lebens im Reich der Deutschen wird mit der Feststellung abgeschlossen, daß die communis vita vorzüglich überall in Alemannien blühte. Vorher wird ein Brief Urbans II. zitiert, in welcher dieser das gemeinsame Leben als heilig und katholisch bestätigt. 3 4 8 Ferner heißt es, in den deutschen Landen verharrten 1089 vier Bischöfe in der katholischen Gemeinschaft 349 , regnete es 1091 als Zeichen der Vorbedeutung Fleisch und Blut 3 5 0 , geschahen 1094 ungewöhnliche Dinge als Strafgericht Gottes 351 , es ging ein großes Sterben um; dieses suchte nicht nur die Deutschen, sondern auch Frankreich, Burgund und Italien heim. 352 Dabei berührt es eigenartig, wenn Bernold erst schreibt: „In Bayern herrschte ein so großes Sterben, . . . aber auch andere Provinzen hat dieses Sterben heimgesucht, doch nicht so arg wie in Bayern", und dann fortsetzt: „In den deutschen Landen geschahen viele ungewöhnliche Dinge." Wiederum wird dabei wie in dem Bericht über die Blüte der Reformklöster allein Schwaben ins Auge gefaßt, so daß auch hier der deutsche Begriff durch Alemannien ersetzt werden könnte. Schließlich meldet Bernold, Heinrich IV. wäre 1084, da er Robert Guiscard nicht widerstehen konnte, eilig in die Länder der Deutschen zurückgekehrt. 353 Insgesamt gesehen, erscheint das deutsche Land und Reich im letzten Chronikteil fast ausnahmslos als Legatenbereich, als Gegenstand und Gebiet der kurialen Politik, 348

3® 350 351 352 353

Bernold. chron. ad a. 1091, S. 453. Wir wissen nicht, ob der Brief U r b a n s II. die Quelle Bernolds gewesen ist. J e d e n f a l l s dürfte dieser in jenem nicht den Begriff „ Reich der Deutschen" vorgefunden haben, da U r b a n I I . den deutschen Reichsbegriff s e l b s t nicht verwendete (vgl. unten, S. 352ff.). Bernold. chron. ad a. 1089, S. 449. Bernold. chron. ad a. 1091, S. 453. Bernold. chron. ad a. 1094, S. 459. Bernold. chron. ad a. 1094, S. 460, Z. 19 u. 26. Bernold. chron. ad a. 1084, S. 441.

2 01

der Kirchenreform und des kirchlichen Lebens, als S c h a u p l a t z göttlicher Vorzeichen, Strafgerichte und Heimsuchungen, wobei Deutschland mitunter von Frankreich, Italien und B u r g u n d abgesetzt und in Hinsicht auf die Tätigkeit Heinrichs IV. und Wiberts von R a v e n n a in Italien betrachtet wird. In einigen Fällen d r ä n g t sich auch in diesem Teil der Gedanke an eine Übernahme des deutschen Landes- und Reiciisbegrifles aus den Vorlagen auf, doch kann ein selbständiger Gebrauch nicht in Zweifel gezogen werden. In den angezogenen Fällen orientiert sich Bernold auf Deutschland als politische und geographische Einheit. Besonders wenn er die B l ü t e der schwäbischen Reformklöster und des gemeinsamen Lebens auf d a s Reich der Deutschen bezieht, muß der Eindruck entstehen, daß die Orientierung auf das deutsche Reich, die deutsche Reichsauffassung für ihn wichtig geworden ist. Der Eindruck muß sich festigen, wenn Bernold dazu das deutsche L a n d wiederholt und einmal auch die Deutschen beim Erscheinen von Vorzeichen, dem Geschehen von ungewöhnlichen Dingen und dem großen Sterben ins Auge faßt. Da der Chronist 1075—1081 den deutschen Reichs- und Landesbegriff in gregorianischer F a s s u n g wiedergibt und ihn auch im letzten Teil seines Werkes nicht in Zusammenhänge stellt, in die diesen nicht auch Gregor V I I . und die gregorianische Reform und Politik stellen würden, fragt sich aber, ob der deutsche Reichsbegriff über die gregorianische Relation hinaus für die politische Vorstellungswelt und das Reichsdenken Bernolds von K o n s t a n z insgesamt wesentlich und kennzeichnend geworden ist, und es ist darüber hinaus zu fragen, ob für den Begriff regnum Teutonicorum j e t z t , d a ihn der Chronist in den Jahresberichten 1083—1091 von sich aus und selbständig gebraucht, eine national-deutsche F a s s u n g in Anspruch genommen werden darf, ähnlich wie sie in den Altaicher Annalen gefunden wurde. D a s wäre festzustellen, wenn in der Gesamteinstellung und Grundtendenz der Chronik F a k t o r e n des politischen und Reichsdenkens vorhanden sind bzw. sich einstellen, die ihrerseits auch unabhängig von Gregor eine deutsche Reichsauffassung bedingen würden und den deutschen Reichsbegriff im eigenen Gebrauch des Chronisten von sich aus eine nationaldeutsche F a s s u n g verliehen. F ü r eine national-deutsche F a s s u n g des deutschen Reichsbegriffes im Gegensatz zur gregorianischen und national-italienischen sprächen ein deutsches Reichsbewußtsein, deutscher Reichsstolz, eine B i n d u n g an das deutsche Volk, Nationalsinn. Von diesen Komponenten des politischen und historischen Denkens und Fühlens legt Bernold indes kein Zeugnis ab. Sein Werk ist nicht dem Reich und dem Königtum gewidmet, sein Interesse gilt der Kirchenreform, so daß die Chronik nicht reichsgeschichtlich, sondern vorwiegend kirchengeschichtlich eingestellt i s t . 3 5 4 Man gewinnt ,,beim Lesen von Bernolds Chronik vielfach den E i n d r u c k , " schreibt Manitius, „als ob die Welt eigentlich nur mit Geistlichen bevölkert i s t " 3 5 5 . Im Mittelpunkt der Darstellung steht der K a m p f u m die Kirchenreform und d a s Kirchenrecht, der K a m p f Gregors V I I . und seiner Nachfolger sowie ihrer Anhänger mit Heinrich IV., dem G e g e n p a p s t Wibert von R a v e n n a und deren Parteigängern 354 WH. III, S. 527. 355

202

MANITIUS, G e s c h i c h t e I I I , S . 405.

Dadurch wird der Blick des Chronisten von vornherein über Deutschland hinaus gelenkt. Er umfaßt das Gesamtfeld der Auseinandersetzung, wobei Schwaben und Italien besonders hervortreten. Zwei Parteien werden einander gegenübergestellt, die fideles s. Petri sowie catholici und die Schismatiker. Bernold identifiziert sich völlig mit den Getreuen des h. Petrus, sie sind für ihn die Unseren. 356 Auch die Kreuzfahrer, die Ritterheere, werden vor Jerusalem als Unsere begriffen. 357 Eine andere Wir-Vorstellung äußert Bernold nicht. Er kennt die Teutonici und setzt sie von Frankreich, Italien und Burgund ab, aber er setzt sich nicht mit ihnen gleich, ein Nationalgefühl ist ihm fremd. Bernold ist gefühlsmäßig mit den fideles s. Petri, nicht mit dem deutschen Volk verbunden, seine Volksvorstellung beschränkt sich mit einer Ausnahme 358 auf die Begriffe partes, terra, principes 359 und regnum Teutonicorum, sie ist ohne Kraft und ohne nationales Engagement. Als Schwabe und in Schwaben wirksam, widmet Bernold dem schwäbischen Geschehen besondere Aufmerksamkeit. Gewiß fühlt er sich mit Alemannien verbunden. Ob darum von einem schwäbischen „Lokalpatriotismus" 3 6 0 gesprochen werden kann, erscheint jedoch fraglich. Jedenfalls ist das schwäbische Stammesgefühl dem kirchlichtheologischen Bewußtsein völlig integriert. Bernold wertet nach der Treue gegen den h. Petrus, er urteilt danach, wie im Streit des h. Petrus dessen Sache verfochten wird. Diese Wendungen durchziehen stereotyp die Jahresberichte seit der Mitte der achtziger Jahre. Es liegt in der Natur des betrachteten Geschehens, daß sich die Chronik immer wieder auf die Ebene der politischen Gewalt, der Königs- und Reichsgewalt begibt und sich mit dieser befaßt. Aber die Grundfrage und der Ausgangspunkt sind nicht das Reich oder das Königtum. Nicht von der Orientierung auf das regnum und den König kommt Bernold zur Kirchenreform, sondern diese ist das Kardinalproblem. Dessen Darstellung führt an das Reich und das Königtum als Objekte der Kirchenreform heran. Bernold verwendet den Begriff regnum dabei im personal-funktionalen, territorialen und institutionellen Sinne, wobei sich die Inhalte überschneiden, und die personal-funktionale Seite besonderes Gewicht hat. Das Gesichtsfeld des Chronisten ist von Parteien und Personen beherrscht. Auch wo er das regnum institutionell begreift, verbindet er es meist unmittelbar mit dem König. So heißt es z. B., die Könige Rudolf und Hermann unterwarfen sich nach ihrer Wahl das Reich 361 , Heinrich hörte nicht auf, das ganze Reich in Verwirrung zu setzen und die heilige Kirche mit Füßen zu treten 3 6 2 und ähnlich. Nur ganz vereinzelt steht das Reich losgelöst vom König für sich, wie z. B.: das ganze Reich — in diesem Fall identifiziert M6 Bernold. chron. ad a. 1086 u. 1087, S. 445 u. 446, jeweils mehrmals. 357 Bernold. chron. ad a. 1098, S . 466. 358 Bernold. chron. ad a. 1094, S . 4 6 0 : D a s Sterben suchte nicht nur die Teutonici, sondern auch Frankreich, B u r g u n d u nd Italien heim. 359 Teutonicorum principes, B e r n o l d . chron. ad a. 1083, S. 438. 36« W H . I I I , S. 527. 361 Bernold. chron. ad a. 1077, S . 4 3 3 ; 1081, S. 437. 362 Bernold. chron. ad a. 1079, S. 436.

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mit dem Romanum imperium — wird durch die streitenden Parteien verwüstet; 3 6 3 die langjährige Zwietracht im Reich zwischen Katholischen und Schismatikern begann ein wenig nachzulassen; 364 Wunderdinge sind von Vorbedeutung für etwas im Reich Unerhörtes. 365 Wesentlich für Bernolds eigene Vorstellungen ist also nicht das Reich als territorial abgegrenzte und national bezogene politische Institution. Er betrachtet das regnum selbst vielmehr in erster Linie als Funktion des Königs und der Herrschaft, so wie es für das historisch-politische Denken des früheren Mittelalters typisch war. Von hier aus begreift er unter regnum jeweils nach der gegebenen konkreten Relation sowohl das deutsche Reich wie das Gesamtreich, so daß regnum hier einen imperialen, dort einen nationalen Sachverhalt der Herrschaft umschreibt, aber auch regional bezogen wird, wenn Österreich, die an die Ungarn stoßende Mark, Orientale regnum genannt wird. 366 In der Verbindung principes regni bedeutet regnum wie in der Bertholds-Chronik immer das deutsche Reich. Die principes regni treten 1076/77 in das Gesichtsfeld der Chronik, principes regni Teutonicorum bei der Wahl Hermanns 3 6 7 und 1087 — solche, die dem h. Petrus treu sind — bei Verhandlungen mit Heinrich über eine Verständigung. 368 Die principes regni durchziehen jedoch nicht die Chronik, Bernold führt sie in der Regel nur an, wenn ihr Erscheinen erheblich ist, um die Rechtmäßigkeit einer Handlung über die Königsherrschaft, die Absetzung Heinrichs, des Gegenkönigtums zu erweisen bzw. wenn über das regnum verfügt wird. In anderen Beziehungen steht regnum für das Gesamtreich. So wird das totum regnum einmal mit dem Romanum imperium gleichgesetzt. 369 Dieses spielt ansonsten keine Rolle. Bernold denkt wie der Schwäbische Annalist bzw. Berthold nicht in der Kategorie des römischen Reiches. Auf dem Blatt der gregorianischen Parteinahme steht es dagegen, wenn Bernold das Kaisertum Heinrichs geflissentlich umgeht und weder dessen Anspruch auf die Kaiserkrone noch Heinrichs Kaiserwürde anerkennt. 370 Dem abtrünnigen Sohn Heinrichs, Konrad, läßt Bernold dagegen von Urban II. Rat und Hilfe versprechen „ad obtinendum regnum et ad coronam imperii adquirendam." 3 7 1 Die Negation des Kaisertums Heinrichs IV. verbindet die Chronik jedoch nicht mit einer grundsätzlichen Differenzierung seiner Königsherrschaft in ein deutsches, italienisches und burgundisches Königreich. Im Grunde geht Bernold 363 Bernold. chron. ad a. 1083, S. 439. 3 « Bernold. chron. ad a. 1089, S. 450. 365 Bernold. chron. ad a. 1091, S. 453. 366 Bernold. chron. ad a. 1094, S. 460. 3«7 Bernold. chron. ad d. 1081, S. 437. 36» Bernold. chron. ad a. 1087, S. 446 . 369 Bernold. chron. ad a. 1083, S. 439. 370 Vgl. dazu die Formulierungen zu den Verhandlungen Heinrichs IV. mit den Römern über die Kaiserkrönung 1083 sowie zum Jahre 1084 vor und bei der Kaiserkrönung (Bernold. chron. ad a. 1083, S. 438; 1084, S. 439 u. 440). E s beruht gewiß auf einem Versehen, wenn Bernold Heinrich IV. trotzdem zweimal imperator tituliert (1093, S. 455; 1094, S. 457). 371 Bernold. chron. ad a. 1095, S. 463.

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von der Einheit des Königtums aus, das heißt er folgt in diesem Falle nicht Gregor VII., sondern bleibt im traditionellen ottonisch-salischen Reichsdenken verhaftet. Das Reich zu definieren, ist für den Chronisten ohne Belang. Es ist für ihn selbstverständlich, daß Heinrich in Italien und Burgund herrscht. Bernold geht von den Königen und dem Verhältnis ihrer Herrschaft zum Papsttum und zu der Kirchenreform aus. Dieses Verhältnis hat sein Interesse; die Frage nach der räumlichen Ausdehnung der Königsherrschaft, nach der imperialen oder nationalen Bestimmung des Reiches steht für ihn überhaupt nicht. Der Begriff regnum Teutonicorum wird von ihm darum auch frei von jeder gregorianischen Polemik gebraucht. Darüber hinaus ist das deutsche Reich und Land keine Figur, welche die politische Vorstellungswelt Bernolds beherrscht. Für diese sind die Stammesgebiete und die Stämme die vorherrschenden politischen Größen. Sie, nicht Deutschland, werden Italien in der Regel gleichgestellt, so daß die Darstellung der Chronik nicht von der Gegenüberstellung Italiens und Deutschlands gekennzeichnet ist, sondern von der Italiens und Alemanniens sowie Bayerns und der anderen Stammesgebiete. So heißt es z. B., Herzog Weif von Bayern kehrte von Longobardien nach Alemannien zurück und verhandelte mit den Reichsfürsten über die Wiedereinsetzung Heinrichs ins Königtum. 3 7 2 Weif V., der Gemahl der Mathilde von Tuszien, erhält den Titel dux Italiae. 3 7 3 Er wird in die Reihe der Stammesherzöge eingefügt und in Entsprechung zu ihnen behandelt. Der Begriff für ein eigenes italienisches Königreich fehlt. Das Königtum Konrads, des abgefallenen Sohnes Heinrichs IV., wird nicht als ein solches, sondern als umfassendes, dem regnum Heinrichs adäquates, das heißt als Gesamtherrschaft begriffen. Bernold schreibt: Konrad wurde vom Mailänder Erzbischofe und den übrigen Getreuen des h. Petrus unter Mitwirkung Welfs, des Herzogs von Italien, zum Könige gekrönt. „Aber auch der Vater dieses Herzogs, Herzog Weif von Bayern, kam nicht lange hernach zu dem kürzlich gekrönten Könige nach Longobardien und hing mit seinem Sohne ihm treu und eifrig an." 3 7 4 Und später: „Heinrich aber, der sogenannte König, weilte in dieser Zeit in Longobardien, fast ganz der Königswürde beraubt. Denn sein Sohn Konrad, der schon lange zum König gekrönt war, trennte sich von ihm vollständig." 3 7 5 Daß Bernold Konrad als König für das ganze Reich deklariert, ergibt sich aus seiner Parteinahme. Unabhängig von dieser, erscheint jedoch das historisch-politische Denkmodell von der Italien, die deutschen Länder und Burgund überwölbenden Königsherrschaft. Dieses Reichsmodell liegt Konrads Ansprache als König als Voraussetzung zugrunde. Italien und die einzelnen deutschen Stammesgebiete, die Stammesherzöge und der Herzog von Italien — das sei nochmals betont — sind für Bernold so gut wie durchgängig Größen gleicher Ordnung, über welchen eine gemeinsame Königsherrschaft steht. Über deren nationale Differenzierung reflektiert die Chronik nicht. Die Determination des Reiches und Staatsgebildes ist für Bernold unerheblich. Er steht dem regnum wie dem deutschen Volk und dem nationalen Moment im Grunde mit Indifferenz und 372 Bernold. chron. ad a. 1095, S. 463. 373 Bernold. chron. ad a. 1090, S. 450 u. a. Stellen. 374 Bernold. chron. ad a. 1093, S. 456. 375 Bernold. chron. ad a. 1095, S. 461.

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Desinteresse gegenüber. Der Streit zwischen dem regnum und sacerdotium ist für ihn kein politisches, sondern ein kirchenrechtlieh-religiöses Anliegen. Die Reichsvorstellung und das Reichsdenken Rernolds sind ihrem Wesen nach traditionell und konservativ im ottonisch-salischen Sinne, das heißt supragentil-imperial und nationalindiiferent. Diese Vorstellungswelt stößt sich nicht mit den Begriffen Teutonicae partes und regnum Teutonicorum, die in den genannten Belangen erscheinen und meist einen geographischen Bezug haben. Sie gibt aber kund, daß Bernold in seinem Wesen nicht von deutschem Reichsbewußtsein, deutschem Reichsstolz, einer Bindung an das deutsche Volk und Nationalsinn geleitet wurde, wenn er vom deutschen Reiche spricht. Dem deutschen Reichsbegriff in den Jahresberichten von 1083/91 kann darum keine national-deutsche Fassung zugemessen werden. Eine solche verwandte Bernold von Konstanz nicht; das ist auf Grund seiner Gesamteinstellung auf unsere Frage zu antworten. Da Bernold von Konstanz — er definiert Heinrich 1076 als rex Francorum — in der ersten Chronikpartie, die er in größeren Abschnitten selbständig gearbeitet hat, den deutschen Landes- und Reichsbegriff nicht selbständig gebraucht, ihn im Schriftgut und Sprachgebrauch Gregors und der Gregorianer, wie des Schwäbischen Annalisten bzw. Bertholds von Reichenau, vorfindet und aus diesem übernimmt, da für die teutonicus-Verbindungen in den Jahresberichten 1073—1081 eine gregorianische Provenienz zum Teil nachgewiesen, zum Teil wahrscheinlich gemacht werden konnte, da Bernold nicht von einem eigenen deutschen Volk- und Reichsbewußtsein erfüllt ist, als er in seinen wahrscheinlich gleichzeitig geschriebenen Berichten über die J a h r e 1083/1091 den deutschen Reichsbegriff dann selbständig benutzt, darf angenommen werden, daß er sich den deutschen Reichsbegriff Gregors VII. zu eigen gemacht hat, daß Gregor den Blick Bernolds auf das deutsche Reich und Land als Objekt und Szene der kurialen Politik, der Kirchenreform, des kirchlichen Lebens und göttlichen Geschehens gelenkt hat, und Bernold in der Orientierung auf die gregorianische Kirchenreform und Politik für jene Zusammenhänge Gregors deutsche Begriffe rezipiert. Das dürfte auch aus der Schrift an den Probst Adalbert von Speyer (Apologeticae rationes) ersichtlich sein, die Bernold von Konstanz kurz nach dem Tode Gregors V I I . verfaßt. Adalberts Vorwürfe gegen den Papst werden zurückgewiesen. Dieser habe nicht alle Provinzen, die Adalbert aufzählt, insgesamt mit dem Anathem belegt, sondern Wibert und seine Anhänger, in welcher Provinz sie nun gewesen sein mögen, allein im deutschen Reich wären so viele außerhalb der Exkommunizierten verblieben, daß sie der Menge dieser oft mannhaften Widerstand geleistet haben und noch widerstehen können. 3 7 6 Man führe sich hierzu die Aufrufe Gregors an die nicht von der Exkommunikation Betroffenen im Reich der Deutschen vor Augen. So ist nicht deutsches Reichsbewußtsein, nicht deutsches Volksgefühl oder Nationalsinn, sondern Gregor V I I . die Quelle, welche Bernold von Konstanz den 376 Bernoldus, Apologeticae lit. I I , S. 99.

206

rationes

contra

scismaticorum

obiectiones,

in:

MG. L i b .

deutschen Reichsbegriii vermittelt und sich diesen zum eigenen Gebrauch aneignen läßt. Er gewinnt bei dem „bedeutendsten deutschen Kanonisten seiner Zeit" 3 7 7 , dem Redaktor der „südlich der Donau von St. Blasien bis nach Admont und am Rhein bis Lüttich" verbreiteten 378 schwäbischen Edition der Kanonessammlung in vierundsiebzig Titeln 379 , dem Mann, der wesentlich für die theologische Begründung der päpstlichen Gewalt wurde 380 , „bereits jene äußere Technik der wissenschaftlichen Arbeit" verwendete, „die wir als die sic-et-non-Methode Abälards bezeichnen" 381 und einmalig für das Mittelalter „eine rein ,positive' Theologie gestaltete" 3 8 2 , indes keine bestimmende Bedeutung. Bei seinem theologisch-kanonistischen Hauptanliegen, bei seiner Indifferenz gegenüber dem Reich und dem deutschen Volk bleibt Bernold von Konstanz dem traditionellen Reichsdenken der Ottonen- und frühen Salierzeit im wesentlichen verhaftet. Als Gregorianer rezipiert er den deutschen Reichsbegriff gregorianischer Fassung, verbreitet er den Begriff regnum Teutonicorum, ohne bereits selbst von einem deutschen Volks- und Reichsbewußtsein durchdrungen zu sein.

c) Manegold von Lautenbach Zusammen mit dem Schwäbischen Annalisten bzw. Berthold von Reichenau und Bernold von Konstanz spricht ein dritter deutscher Gregorianer vom deutschen Reich: Manegold von Lautenbach. 3 8 3 Doch erscheint das regnum Teutonicum bei diesem Hauptvertreter der Sache Gregors 384 in der Streitschriftenliteratur nur ein einziges Mal. Auch andere Wendungen mit teutonicus werden nur vereinzelt gebraucht. Wir finden diese Stellen im Liber ad Gebehardum (verfaßt zwischen 1083 und 1085) wie im Liber contra Wolfelmum (nach dem Tode Gregors VII. 1085 geschrieben). Manegold — seine Schrift gegen Wenrich von Trier an Gebhard von Salzburg „ist wohl das Gehässigste und Skrupelloseste, was die an Haß und 377

379

380 581

382

383

MICHEL, A., Die Sentenzen des Kardinals H u m b e r t , das erste Rechtsbuch der p ä p s t lichen Reform, Leipzig 1943, S. 151. (Schriften des Reichsinstituts f. ältere deutsche Geschiclitskunde. M G H . V I I . ) E b e n d a , S. 148. E b e n d a , S. 148; MICHEL, A., Pseudo-Isidor, die Sentenzen H u m b e r t s und B u r k h a r d von Worms im Investiturstreit, in: Studi Greg. 3/1948, S. 158. WEISWEILER, Gewalt, a. a. 0 . , S. 138. GRABMANN, M., Die Geschichte der scholastischen Methode, B d . 1, Freiburg 1909, S. 234—239; AIJTENRIETH, Domschule, a. a. O., S . 118. GEISELMANN, J . R., Bernold von St. Blasien. Sein neu entdecktes Werk über die Eucharistie, München 1936, S. 5 7 ; AUTENRIETH, Domschule, a. a. O . ; WEISWEILER, Gewalt, a. a. O. Zur Person und zum Werk: W H . I I I , S. 1 7 5 - 1 8 0 ; MANITIUS, Geschichte I I I , S. 2 7 f „ 175-180. W H . I I I , S. 401.

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Leidenschaft reiche Periode des Investiturstreits hervorgebracht hat" 3 8 5 , — ein Mann, der im Kampf gegen Heinrich IV. den Gedanken der Volkssouveränität aufgriff und erneuerte, das römische Recht, die antike Lex regia, heranzog, sie nach dem germanisch-feudalen Vertragsgedanken deutete und folgerte, daß das Volk, da es dem Herrscher nach der Lex regia die Gewalt übertragen habe, ihm diese auch wieder nehmen könne, wenn er seine Herrscherpflichten verletze, daß der Herrscher, auf Widerruf bestellt, jederzeit durch den populus absetzbar sei 3 8 6 , äußert weder eine dem Reich noch dem deutschen Volk verbundene Gesinnung. Die Kategorie populus bei Manegold ist nicht mit dem deutschen Volk als konkrethistorische Erscheinung in Beziehung zu bringen. Ein deutsches Volks- und ein Reichsbewußtsein sind ihm fremd; er ist nicht auf das regnum, das deutsche Volk und nationale Moment orientiert. Im Liber contra Wolfelmum brandmarkt der radikale Gregorianer das deutsche Reich und die Deutschen, als er auf die kirchlichen Verhältnisse der Gegenwart zu sprechen kommt: „Crevit rabies regni Theutonici in inmensum." Gewisse Teutonici wären vom Gehorsam und der Einheit der römischen Kirche abgefallen, indem sie — in einer Anspielung vergleicht Manegold diese Deutschen mit den Hohenpriestern vor Pilatus 3 8 7 — verkündet hätten: „Wir haben keinen Papst, denn den Kaiser." 3 8 8 Kurz darauf ist von dem Respekt vor dem Papst die Rede, den schuldig sind, „non solum Gallicanae ecclesiae, sed Theutonicae et Hispanae, postremo Grecae et Latinae." 3 8 9 Den deutschen Reichsbegriff, der hier ganz im gregorianischen Sinne und in seiner gregorianischen Fassung verwendet wird, kannte Manegold auf jeden Fall aus den Briefen Gregors VII. an die Getreuen im Reich der Deutschen. Im Liber ad Gebehardum inseriert bzw. zitiert er drei solcher Enzykliken, er schreibt, daß diese ad principes Teutonicorum gerichtet waren. 390 Die zitierten Briefe trugen die bekannte Adresse „archiepiscopis, episcopis, abbatibus, ducibus, marchionibus, comitibus . . . in regno Teutonicorum" (variiert). 391 Manegold kürzte und wandelte die Anschrift in „ad principes Teutonicorum", so daß seine Formulierung den Briefen Gregors folgt. Manegold bildet an ihnen den Begriff Fürsten der Deutschen und verwendet diesen dann frei, wenn er später unter den Beispielen für die Absetzung von Königen, die nicht pflichtgemäß handelten, den Sturz Karls des Dicken anführt und sagt, dieser sei von den principes Teutonicorum abgesetzt worden. Diese stehen in diesem Fall für den populus in Manegolds Lehre von der Volkssouveränität, so daß Manegold den populus in Deutschland mit denjenigen in Deckung bringt, die Gregor anruft und zusammen mit sich selbst als zuständig für die Entscheidung über das Königtum befindet. 385 \VH. III, S. 403. 386 K e r n , Gottesgnadentum, S. 216—225; zur weiteren Literatur: WH. III, S. 403 Anm. 139. 387 Ev. Joh. 19, 15. 388 Manegoldi contra Wolfelmum liber, ed. K. F b a n c k e , in: MG. Lib. lit. I, S. 304 u. 306. 389 Ebenda, S. 307. 390 Manegoldi ad Gebehardum liber, ed. K. F r a n c k e , in: MG. Lib. lit. I, S. 333 u. 359. 391 Greg. VII. ep. coli. 14, S. 535ff.; 17, S. 542f.; 18, S. 543f.

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Da Manegold den Sprachgebrauch Gregors unmittelbar aus dessen Briefen kannte und sich im Falle der principes Teutonicorum nicht nur gedanklich, sondern auch begrifflich an Gregor anlehnte, da er kein eigenes Reichs- und Volksbewußtsein ausweist, da sein staatstheoretischer Liber ad Gebehardum klar erkennen läßt, daß die Frage des deutschen Reiches und Volkes nicht für ihn stand, die Absetzbarkeit des Herrschers losgelöst von den Teutonici und dem regnum als territorial-institutioneller Größe behandelt wurde, glauben wir, uns nicht auf schwankendem Boden zu befinden, wenn wir vermuten, daß der Gregorianer Manegold von Lautenbach für die Darstellung der kirchlichen Verhältnisse in Deutschland im Liber contra Wolfelmum dem deutschen Reichsbegriff von Gregor VII. entlehnt hat. Gewiß ist seine gregorianische Fassung. d) Hugo von Flavigny Die nach Deutschland und an die Deutschen gerichteten Epistel und Enzykliken Gregors VII. — in stattlicher Zahl und durch viele Abschriften im Reich präsent — verbreiteten hier auf ihre Art den deutschen Reichsbegriff. Sie veranlaßten seine Verwendung in der gregorianischen Historiographie und Publizistik, wobei der Gebrauch sowohl in ganz abhängiger wie schließlich eigenständiger Weise erfolgte. Dieser Vorgang wurde an Gregorianern deutscher Zunge beobachtet. Er wiederholt sich, wo Briefe Gregors publiziert und inseriert werden, so bei Hugo von Flavigny und Paul von Bernried. Dieser Anhänger der päpstlichen Kirchenreform schrieb seine Vita Gregors VII. erst 1128 und bleibt darum wie die anderen Quellen der Zeit nach dem Wormser Konkordat unberücksichtigt. 392 Hugo von Flavigny, 1065 in Oberlothringen geboren, gewinnt im Kloster St. Vannes in Verdun gregorianische Gesinnung, flieht 1085 als Anhänger der Reformpartei nach Dijon in die Umgebung des päpstlichen Legaten Hugo von Die, wird 1096 Abt von Flavigny —sur—Ozerain in der Diözese Autun, von wo er 1099 vorübergehend, 1101 endgültig weichen muß und nun, wohl die kaiserliche Partei ergreifend, wieder nach St. Vannes zurückkehrt.' 393 Seit 1090 verfaßt er eine streng gregorianisch bestimmte Chronik, die wie eine Weltchronik beginnt, um dann immer mehr zu einer Geschichte der Diözesen Verdun und Autun zu werden. 394 Sie bricht 1102 ab und dürfte darum im wesentlichen außerhalb des Reichsgebietes geschrieben worden sein. „Wo der gregorianische Kirchenstreit anhebt, ja schon zuvor, beim Papstwahldekret von 1059, beginnt Hugo die wichtigsten Dokumente im Wortlaut beizugeben, z. B. Gregors Rericht über Canossa und zahlreiche andere Stücke aus dem Register 392 FUHRMANN, H., Zur Benutzung des Registers Gregors VII. durch Paul von Bernried, in: Studi Greg. 5/1956, S. 292—312, weist nach, daß Paul bei der Insertion von Briefen Gregors VII. nicht das Register Gregors benutzte. Vielmehr wurde der Textangleich der Briefe Gregors bei Paul an das Register erst von einem Wiener Abschreiber der Vita Gregorii besorgt. 303 Z u r P e r s o n u n d z u m W e r k : W H . I V , S . 6 2 3 - 6 2 5 ; MANITIUS, G e s c h i c h t e I I I , S . 5 1 2 - 5 1 6 . 3I". 14

WH. IV, S . 6 2 3 . Müller-Mertens, Regnum Teutonicum

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dieses Papstes, wie das große zweite Schreiben an Bischof Hermann von Metz." 3 9 5 Hugo inseriert insgesamt zehn Briefe und Aktenstücke Gregors VII. sowie einen Brief der Markgräfin Mathilde von Tuszien, die den Begriff regnum Teutonicum resp. Teutonicorum sowie zwei Gregor-Schreiben, die den deutschen Landesbegriff entweder in der Inscriptio oder im Text enthalten. 396 Die Darstellung Hugos kennt b s zu der Wiedergabe des ersten dieser Briefe Gregors nicht den Namen teutonicus. Dias Reich wird als politisch-staatliche Größe überhaupt nicht begrifflich gefaßt. Mitunter verwendet Hugo die kirchenrechtlichen Bezeichnungen oder umschreibt er Deutschland durch die Reihung der Stammesgebietsnamen. Unter Heinrich III. he ißt es . . Ílorebat Lotharingia, illuminabatur Saxonia, dirigebatur Suevia et Alemannia." 3 9 7 Dann schreibt Hugo, Heinrich IV. habe „cum multis episcopis Lothariensibus et Transrhenensibus" eine Verschwörung gegen Gott und Kirche betrieben. 3 9 8 Als Hugo damit beginnt, den Wortlaut von Briefen Gregors VII. wiederzugeben, formuliert er, da die von ihm zuerst inserierten nicht den deutschen Reichsoder Landesbegriff bieten, in seinem gewohnten Sprachgebrauch: „Misit (sc. Gregorius) etiam speciales epístolas quibusdam episcopis Galliae et Germaniae." 3 9 9 Als er in der Abfolge der Gregor-Briefe dann eine Enzyklika an „omnes clerici et laici in regno Theutonicorum constituti" inseriert, stellt er dieser die Worte voran: „Item ad omnes clericos et laicos in regno Theutonicorum constitutos de eadem re." 4 0 0 Dieses Verfahren wiederholt sich bei der Wiedergabe eines weiteren Briefes. 401 An anderer Stelle gibt Hugo den Inhalt eines Briefes in seinem eigenen Text wörtlich wieder mitsamt den Worten „omnes pene episcopos Italiae et Theutonicarum partium" 4 0 2 , folgt also auch hier einfach seiner Vorlage. Später stellt Hugo der Ankündigung Gregors an alle Getreuen des h. Petrus im ganzen deutschen Reich: „ E g o qualiscumque sacerdos apostolorum principis . . . venio ad vos," eine eigene Formulierung des päpstlichen Vorhabens voran: „Destinavit autem praefatos p a p a . . . ad regnum Theutonicorum descendere." 403 Der Terminus regnum Teutonicorum stammt zwar auch hier aus der Vorlage. Aber er wird an dieser Stelle aus dem vorgefundenen Satzzusammenhang der Adresse gelöst und zur Bildung einer eigenen Aussage über die päpstliche Absicht verwendet. Dann läßt Hugo von Flavigny Gregor bei seinen letzten Verfügungen gegenüber den in Salerno anwesenden Kardinälen und Bischöfen allen Verdammnis androhen, die mit Heinrich IV. verkehren, es sei denn, dieser handele nach dem Verzicht auf die Würde des Reiches 395 396

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WH. IV, S. 645. PATZE, H., Adel und Stifterchronik, in: BUdtLG. 100/1964, S. 51f. WH. IV, S. 644. Ebenda. 7 2 3 LACOMBLET, T. J . , Urkundenbuch für die Geschichte des Niederrheins I, Düsseldorf 1840, nr. 244, S. 157. 724 Vgl. WISFLINGHOFF, Urkundenfälschung, S. 52f. '25 Fund. Brunw., ed. PABST: c. 2—5, letzter Satz von c. 9 — c. 13; ed. WAITZ: c. 2—5, c. 10-12.

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erwerb. 726 Die Erwähnung des regnuni Teutonicorum gehört in die Darstellung der Beziehungen Ezzos zu Heinrich II., ist also nur durch die längere Fassung überliefert. Die Texterweiterungen wurden von der älteren Forschung — soweit sie ihr durch die Bollandisten bekannt waren, als interpoliert angesehen. 727 Auch Harless, der für seine Edition erstmals die Handschriften mit dem längeren Text zugrunde legte, 7 2 8 hielt die genannten Teile für Interpolationen. Usinger folgte ihm. 7 2 9 Die uns interessierende Partie führt Harless auf einen älteren Interpolator der ersten Hälfte des 12. Jahrhnnderts sowie einen jüngeren Interpolator zurück, der nicht vor dem 15. Jahrhundert schrieb. 730 Bei einem solchen Stand würde regnum Teutonicorum in der Fund. Brunw. nicht in das 11. Jahrhundert und damit nicht in unsere Untersuchung gehören. Waitz hat jedoch erwiesen, daß die drei fraglichen Teile auf die ursprüngliche Fassung zurückgehen, und diese von dem längeren Text repräsentiert wird, während es sich bei der kürzeren Redaktion um eine spätere Verkürzung handelt. 7 3 1 Pabst fand die Waitzsche Ansicht bestätigt. Er meinte indes, die ursprüngliche Darstellung habe mit der Nachricht über den Verlust Klottens geendet: Die Königin Richeza starb 1063, Erzbischof Anno ließ sie in Köln beisetzen. „Hacque ex occasione contra fas iusque divinum . . . sacer Brunwilrensis locus non solum fundatricis suae corpore, sed et Cloteno privatus est." 7 3 2 Die Geschichte über die Bemühungen, Klotten zurückzugewinnen, in die ein Brief Abt Tegenos aufgenommen ist, sowie die Erzählung über die Anstrengungen des nachfolgenden Abtes Wolfhelm und über den Wiedererwerb, zu der ein Schreiben Wolfhelms an Heinrich IV. gehört, sieht Pabst als später eingefügt an. Da keine Stiländerung eintritt, meint Pabst, der Verfasser des Hauptteils selbst hätte den Zusatz gemacht, und zwar nach dem Tode Abt Wolfhelms 1091. 733 Den Hauptteil datiert Pabst mit dem Ereignis, bis zu dem die Fund. Brunw. ursprünglich geführt worden sei, mit dem Verlust Klottens im Jahre 1063. 734 Da regnum Teutonicorum in der Fund. Brunw. lange vorher auftritt — 726 Der Druck von PAPEKBROCH, Acta S a n c t o r u m , Mai 21, Bd. 5, S. 48—60 (Hs. 2 a ) , endet mit „Clotteno privatus e s t . " PABST beschließt damit c. 3 1 seiner Ausgabe. Die H s . 2 b endet erst einen S a t z später mit „ m i s s a correptus e s t . " So fehlt in der Kurzf a s s u n g der T e x t von „ S u p e r qua r e " resp. „Cuius hoc exemplar e s t " bis „ p e r g r a t i a m i p s i u s ; " ed. PAPST: c. 32—34, bzw. c. 32 ohne den ersten S a t z bis c. 3 4 ; ed. WAITZ, S. 140 Z. 32 bzw. Z. 34 bis S. 142 Z. 42. 727

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WAITZ, G., Über die Vita Ezonis oder Historia f u n d a t i o n i s monasterii Brunwilarensis, i n : N G W G ö t t . 1863, S. 2. HARLESS, W., V i t a Ezonis comitis palatini sive libellus fundationis, i n : Archiv f.