Reenactments: Medienpraktiken zwischen Wiederholung und kreativer Aneignung [1. Aufl.] 9783839429778

Reenactments as media practices of re-staging and re-experiencing never »just« repeat, but are always creative-productiv

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German Pages 384 Year 2016

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Polecaj historie

Reenactments: Medienpraktiken zwischen Wiederholung und kreativer Aneignung [1. Aufl.]
 9783839429778

Table of contents :
Editorial
Inhalt
Einführung
Einleitung
Über das -en- in Reenactment
Wiederaufführen
Colonial Erasure – Post-colonial Recovery: Identity/Alterity in Faustin Linyekula’s Choreographies
Die Tänzer von Lac Courte OreillesEine historische Ethnologie indigener Medien
Von den Praktiken des Boxfilms zur Historiographie des MediumsDas Reenactment des Sharkey-McCoy Kampfes
Gesten des AnachronismusTheatrale Medienpraktiken im Reenactment
Nacherleben
Epistemologies of RehearsalCrow Indianist Reflections on Reenactment as Research Practice
Nacherlebte FiktionLiterarische Ortsbegehungen als Reenactments textueller Verfahren
The Reenactment of Popular CultureConstructing Meaning and Affect in Cosplay
Das Versprechen des ReenactmentDer Spiel-Körper im digitalen Spiel 19 part one: boot camp
Revisionen
Zeuge werden
(Re)Konstruktionen des TathergangsReenactments als epistemische Körperpraktiken der Strafverfolgung und -verhandlung
Dramen des AlltagsFormen und Funktionen multimodaler Reenactments in Alltagserzählungen
Luft nach oben
Autorinnen und Autoren

Citation preview

Anja Dreschke, Ilham Huynh, Raphaela Knipp, David Sittler (Hg.) Reenactments

Locating Media | Situierte Medien

Band 8

Editorial Orts- und situationsbezogene Medienprozesse erfordern von der Gegenwartsforschung eine innovative wissenschaftliche Herangehensweise, die auf medienethnographischen Methoden der teilnehmenden Beobachtung, Interviews und audiovisuellen Korpuserstellungen basiert. In fortlaufender Auseinandersetzung mit diesem Methodenspektrum perspektiviert die Reihe Locating Media/Situierte Medien die Entstehung, Nutzung und Verbreitung aktueller geomedialer und historischer Medienentwicklungen. Im Mittelpunkt steht die Situierung der Medien und durch Medien. Die Reihe wird herausgegeben von Sebastian Gießmann, Erhard Schüttpelz und Tristan Thielmann.

Anja Dreschke, Ilham Huynh, Raphaela Knipp, David Sittler (Hg.)

Reenactments Medienpraktiken zwischen Wiederholung und kreativer Aneignung

Die Druckkosten wurden aus Mitteln des von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten SFB 1187 »Medien der Kooperation« an der Universität Siegen freundlich unterstützt.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2016 transcript Verlag, Bielefeld

Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlagkonzept: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildung: Mike Kelley (2002): Repressed Spatial Relationships Rendered as Fluid, No. 4: Stevenson Junior High and Satellites; aluminium, steel, wire, plexiglas (88,9 x 175,3 cm). Mit freundlicher Genehmigung des Collection Walker Art Center, Minneapolis, MN., T.B. Walker Acquisition Fund 2003. Printed in Germany Print-ISBN 978-3-8376-2977-4 PDF-ISBN 978-3-8394-2977-8 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Inhalt

EINFÜHRUNG Einleitung

Anja Dreschke, Ilham Huynh, Raphaela Knipp, David Sittler | 9 Über das -en- in Reenactment

Matthias Meiler | 25

WIEDERAUFFÜHREN Colonial Erasure – Post-colonial Recovery: Identity/Alterity in Faustin Linyekula’s Choreographies

Klaus-Peter Köpping | 43 Die Tänzer von Lac Courte Oreilles – eine historische Ethnologie indigener Mediengeschichte

Cora Bender | 107 Von den Praktiken des Boxfilms zur Historiographie des Mediums: Das Reenactment des Sharkey-McCoy Kampfes

Jan Henschen | 147 Gesten des Anachronismus. Theatrale Medienpraktiken im Reenactment

Ulf Otto | 167

NACHERLEBEN Epistemologies of Rehearsal: Crow Indianist Reflections on Reenactment as Research Practice

Petra Tjitske Kalshoven | 193

Nacherlebte Fiktion. Literarische Ortsbegehungen als Reenactments textueller Verfahren

Raphaela Knipp | 213 The Reenactment of Popular Culture: Constructing Meaning and Affect in Cosplay

Nicolle Lamerichs | 237 Das Versprechen des Reenactment: Der Spiel-Körper im digitalen Spiel 19 part one: boot camp

Clemens Reisner | 257

REVISIONEN Zeuge werden

Verena Mund | 281 (Re)Konstruktionen des Tathergangs. Reenactments als epistemische Körperpraktiken der Strafverfolgung und -verhandlung

Christian Meier zu Verl | 297 Dramen des Alltags. Formen und Funktionen multimodaler Reenactments in Alltagserzählungen

Ilham Huynh | 327 Luft nach oben

Rembert Hüser | 345 Autorinnen und Autoren | 375

Einführung

Einleitung A NJA D RESCHKE , I LHAM H UYNH , R APHAELA K NIPP , D AVID S ITTLER

Das Motiv auf dem Cover dieses Buches zeigt die Arbeit Repressed Spatial Relationships Rendered as Fluid, No. 4: Stevenson Junior High and Satellites des US-amerikanischen Künstlers Mike Kelley. Das Mobile ist Teil eines Werkzusammenhanges bei dem Kelley Verfahren des Reenactment einsetzt. Unterhalb des tragenden Metallarmes des Mobiles sieht man links zwei metallene Schubladen, die u.a. die Assoziation eines Büros oder Schreibtisches, wenn nicht eines Archivs wecken, in der Mitte ein auf die Grundformen reduziertes Modell eines Gebäudes – der im Titel erwähnten Schule – und rechts ein Drahtgewirr, das sich auf eine Erinnerungs-Skizze zu diesem Schauplatz von Kelleys Kindheit bzw. Jugend bezieht. Dieses Kunstwerk versinnbildlicht insofern die Perspektiven auf Reenactment der Beiträger 1 des vorliegenden Bandes auf ideale Weise, als es eine bewegliche auf Rekonstruktion basierende Materialisierung vergegenwärtigter – in diesem Falle biografischer – Vergangenheit zeigt. 2 0F

1F

1

Im Folgenden wird die männliche Form durchgängig stellvertretend für alle Geschlechter verwendet und auf Kennzeichnungen wie BeiträgerInnen oder die *Schreibung verzichtet.

2

Wir danken Rembert Hüser, der in seinem Beitrag genauer auf Kelleys Reenactments eingeht, dass er uns auf dieses Kunstwerk und sein Potential für die Thematik aufmerksam gemacht hat.

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Im Prozess und am Ort der Rezeption bewegen sich die Elemente des Mobiles ebenso wie die Körper der Betrachtenden um das Objekt herum. So werden Betrachtetes und Betrachtende wechselseitig in Bewegung sowie zugleich in Beziehung zueinander gesetzt und damit diese Perspektivveränderung als solche sinnfällig. Die drei Elemente des Mobiles können dabei als drei grundlegende Aspekte des Reenactment verstanden werden, um die es hier geht: Wiederaufführung, Nacherleben und Revision. Dabei kommen wiederum Praktiken des Verortens, Verkörperns und Vergegenwärtigens zum Einsatz. Diese Aspekte sind nicht scharf, sondern nur zu analytischen Zwecken zu trennen und können, wie die Elemente des Mobiles, immer wieder in ein etwas anderes Verhältnis zueinander geraten. Gerade diese erkenntnisgenerierende Dynamik des Reenactment als Strategie der Wissens(re)produktion ist für uns von besonderem Interesse. Karin Tilmans, Frank van Vree und Jay Winter haben in einer Veröffentlichung mit einer Reihe von Experten, die sich mit dem Thema Reenactment im Sinne vor allem von Geschichte und Erinnerungskultur befasst, bereits betont: »Re-enactment is both affirmation and renewal. It entails addressing the old, but it also engenders something new, something we have never seen before. Herein lies the excitement of performance, as well as its surprises and its distortions.« (Tilmans/van Vree/Winter 2010: 7)

Die Überraschungen und Verzerrungen und dasjenige, das wir bisher noch nie gesehen haben, verweisen auf den Prozess und die Dynamik der medialen und medienpraktischen Vermittlung, die beim Reenacting noch einmal bewusst reflexiv, aber eben auch experimentell oder spielerisch, vollzogen wird. Zumal die Beteiligten so gut wie nie vollkommen vergessen, dass sie keine Zeitreise vornehmen, sondern einen Prozess intensiven mehr oder weniger empathischen Nachvollzugs durchlaufen. Der erste Aspekt des Reenactment im Sinne dieses Bandes ist derjenige der historischen Vergegenwärtigung. Es geht um historiographischen sowie gegenwartsdeutenden – bei Kelley autobiografischen – Nachvollzug mit Hilfe einer nicht nur textuellen sondern materiell-sinnlichen Re-Konstruktion, der sich hier zugleich besonders deutlich als kreativer Akt erfahrbar macht. Der zweite Aspekt ist der der geographisch-topologischen Situierung und Verortung und der dabei involvierten Medien. Letztere leisten eine

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Historisierung und helfen, persönliche sowie gemeinschaftliche Zeit- und Raumbezüge herzustellen – sowohl tatsächliche als auch imaginäre. In Kelleys Mobile können die zwei (Archiv)Schubladen insofern auf Dokumente und anderes Spurenmaterial verweisen, die dazu verwendet werden, zeitgenössische Umstände und Zusammenhänge etc. zu rekonstruieren und eben mediengestützt zu reenacten. Die räumliche Situierung geschieht in Form des hier auch physisch damit zusammenhängenden nachgebildeten Schulgebäudes aus Kelleys Kindheit – auch wenn sie hier nicht geographisch funktioniert. Drittens geht es bei Reenactment als Medienpraxis schließlich um die performative Mobilisierung der Spurenträger: sei es der menschliche Körper des Reenactenden, seien es die Körper der Betrachtenden oder Baukörper bzw. deren Repräsentationen in verschiedenen Medienformaten. Auf verschiedene Weise führen Reenactments im Zusammenspiel eine Situation und Atmosphäre des historischen Schauplatzes eines vergangenen Geschehens vor Augen oder machen diese plastisch vorstellbar und sinnlich erfahrbar. Das abgebildete Mobile funktioniert schließlich – das gehört maßgeblich beim Reenactment dazu – auch materialästhetisch: Symbolisch wird über das schwere Material Metall im Gegensatz zur Leichtigkeit des Drahtgewirrs die Bedeutsamkeit des Dargestellten (potentiell) sogar spürbar vermittelt. Wie damit deutlich wird, benennt Reenactment mittlerweile nicht nur das Nachstellen historischer Schlachten und Großereignisse durch militärgeschichtlich Interessierte, das seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine große Verbreitung gefunden hat. Im frühen revolutionären Russland wurde 1920 unter der Regie Nicolaij Evreinovs zu Propagandazwecken die Bevölkerung St. Petersburgs mobilisiert, um die entscheidenden Szenen der Revolution von 1917 als öffentliches Massenspektakel zu reenacten (Roselt/Otto 2012; Lütticken/Allen 2005; Schlögel 2009). Wissenschaftlich bezeichnet der Begriff bisher, neben der erwähnten populären erinnerungskulturellen Medienpraxis des Nachspielens historischer Ereignisse als Verfahren, insbesondere die geschichtstheoretisch begründete Methode des Wieder-durch-Denkens der Gedanken historischer Akteure nach Robin George Collingwood (Henschen/Sittler 2012). Im Zusammenhang der Perspektive dieses Buches ist daran relevant, dass es Collingwood um ein dem Denken als Prozess angemessenes historisches Verständnis ging.

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In den letzten zwei Jahrzehnten lässt sich ein verstärktes Interesse an Praktiken des Reenactment sowohl in wissenschaftlichen als auch in nichtwissenschaftlichen Kontexten beobachten, die eine Vielzahl mimetischer, performativer oder szenografischer Praktiken adressieren. Dazu zählen beispielsweise Verfahren in der bildenden Kunst und am Theater, Strategien des filmischen Erzählens, wissenschaftliche Methoden und Formen der Vermittlung im Museums- und Ausstellungsbereich sowie populäre Praktiken der performativen Aneignung von Literatur, Film und Fernsehen oder von Computerspielen (z.B. in Fankulturen). 3 Reenactments verweisen auf eine Reihe ähnlicher »Praktiken des Sekundären« (Fehrman et. al. 2005) wie Wiederholung, Zitat, Paraphrase und Serialisierung, medienspezifische Verfahren wie Collage, Remake oder Sampling sowie medienübergreifende Genres und Konzepte der Parodie und des Pastiche (vgl. ebd: 8). Beim Reenacting wird die mediale Vermitteltheit und semiotische Verdichtung jedes Ereignisses schon von Beginn an über seine erneute szenische Repräsentation in Form von Re-Performance herausgestellt und nicht etwa naiv übersehen und ungebrochen affirmiert. Vielmehr wird gemäß einer Art prozessualen Verständnisses im Verfahren des Reenacting der Bedeutungswandel gerade an verschiedenartigen Wiederholungsmustern kritisch reflexiv aufgezeigt. In der akademischen Auseinandersetzung werden Reenactments als reflektierte wissenschaftliche oder künstlerische Verfahren häufig von den scheinbar ›rein‹ affirmativen Praktiken im Bereich der Laien- und Amateurkultur abgegrenzt. Der Band stellt diese Dichotomie in Frage und richtet stattdessen den Blick vielmehr auf Wechselwirkungen, Verschränkungen und Gemeinsamkeiten aus medienpraxeologischer Perspektive. Be2F

3

Entsprechend vielfältig ist die disziplinäre Ausrichtung der rezenten Forschungen zum Reenactment aufgestellt, mit zahlreichen Publikationen in den Geschichtswissenschaften (Agnew/Lamb 2009; MacCalman/Pickering 2010; Tilmanns/van Veek/Winter 2010; Magelssen Justice-Malloy 2011; Hochbruck 2013; Samida 2014; Willner/Koch/Samida 2016), der Theaterwissenschaft (Carlson 2000; Roselt/Otto 2012; Schneider 2011), der Kunstwissenschaft (Bangma/Rushton/Wüst 2005; Lütticken 2005; Arns/Horn 2007), der Medienphilosophie (Muhle 2013), der Ethnologie (Schlehe et al. 2010; Isaac 2010; Kalshoven 2004, 2005, 2012, 2015; Dreschke 2010, 2013 2016a, 2016b) oder den Heritage Studies (Daugbjerg 2014; Daugbjerg/Eisener/Knudsen 2014).

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trachtet man Reenactments im Kontext aktueller medienwissenschaftlicher Konzepte zur Medienaneignung, welche die Aktivität, Kreativität und den Eigensinn von Rezipienten betonen, dann lassen sie sich als alternative Verfahren der Wissensgenerierung beschreiben, die auf komplexen, kollektiven und kollaborativen Aushandlungsprozessen basieren. Dabei geht es auch um die Frage, wie akademische Wissensbestände performativ angeeignet werden. Die Beiträge fragen unter anderem danach, welche Bedeutung spielerischen oder experimentellen Methoden der Wissensgenerierung zukommt und wie sich die Aspekte ›Materialität‹, ›Körperlichkeit‹, ›Sinnlichkeit‹ und ›Emotionalität‹ im Kontext der Wissensproduktion beschreiben lassen. In welchem Verhältnis stehen die Operationalität erfahrungsbasierter Wissenszugänge zur Diskursivität der textbasierten Wissenschaft? Und welche Rolle spielt dabei die Beziehung zwischen alternativen Wissenskulturen aus dem Amateurbereich und der institutionalisierten Wissenschaft? Reenactmentverfahren kommen in der Wissenschaft wie außerhalb dieser zum Einsatz, weil es ein Bewusstsein für die Grenzen theoretischer oder sprachlicher Rekonstruktionen gibt. Im Falle historischer und auch literarischer oder anderer fiktionaler Reenactments existiert zumindest ein Wissen um den schleichenden Wandel der Seh- und generell Wahrnehmungsgewohnheiten, die jeweils gegenwärtig als wenig dokumentierenswert erscheinen. Außerdem zeigt sich in dieser Medienpraktik ein Interesse an ebensolchen Veränderungen der Wahrnehmungsweise, die beispielsweise mit politischen Regimewechseln, Medienwechseln, Technisierung und jüngst Digitalisierung etc. verbunden sind. Die jeweils aktuelle und als zeitgemäß empfundene Art des Blickens wird beim Reenactment als solche im Kontrast deutlich. Es wird nachvollziehbar, dass sie sich aus der eigenen Wahrnehmungssozialisation ergeben hat, die unter anderen medienmateriellen, sozialen sowie kulturellen Bedingungen stattgefunden hat, als diejenige der historischen Vorgänger, in deren Zeit man sich beim Reenacting hineinversetzt. Um diese Differenz in Bezug auf das, was gilt und oder gegolten hat, sichtbar, erfahrbar und beschreibbar werden zu lassen, sind Differenzerfahrungen und -erzeugungen zur eigenen zunächst selbstverständlichen Gegenwart notwendig – und zwar für das Verständnis der Vergangenheit ebenso wie für das der Gegenwart, die sich aus dieser entwickelt hat. Reenacting legt den Fokus auf bestimmte Aspekte eines historischen Phänomens der nahen oder fernen Vergangenheit und die sich aus der aktuellen

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Perspektive möglicherweise ergebende Verzerrung hinsichtlich der Argumente, was jeweils als authentisch, als abwegig oder auch als zutreffende Auffassung erkannt und beurteilt werden kann. Dabei wird nicht zuletzt experimentell eruiert, was jeweils situativ tatsächlich möglich, naheliegend, wahrscheinlich etc. gewesen oder passiert ist. Reenactments und auch eine in diesem Sinne ausgerichtete Forschung wollen Folgerungen nicht mehr ausschließlich auf dem zumeist ungleichmäßig proportioniert überlieferten Schriftmaterial gründen – zumal auch die vergangene Gegenwart vielfach medialisiert war. Durch konkrete Veranschaulichung historischer Situationen an Hand eines gemeinsamen performativen Nachvollzuges an den Schauplätzen des Geschehens oder in einem konstruierten Setting, das diesen vergleichbar ist, wird eine haptisch gestützte Rekonstruktion von Entscheidungsgrundlagen und Atmosphären durch Ausprobieren möglich. Dieses bleibt jedoch notwendig medialisiert. In den meisten Fällen kennen die Akteure die ihnen zeitlich und räumlich fernen Kulturen oder historischen Ereignisse, auf die sich ihre Reenactments beziehen, nicht durch unmittelbaren Kontakt oder direkte Anschauung, sondern durch mediale Technologien vermittelt. Als Verfahren der Medienaneignung und Übersetzung lassen sich Reenactments mit dem Konzept der Remediation fassen, das Jay David Bolter und Richard Grusin (1999) für den Medienwechsel von ›alten‹ Medien (darunter fassen sie Film, Fernsehen, analoges Video, Printmedien, etc.) zu ›neuen‹ digitalen Medien geprägt haben. Um den Begriff für den Prozess der Medienaneignung im Reenactment produktiv machen zu können, muss er allerdings um die Dimensionen des Performativen erweitert werden (Fischer-Lichte 2012). Aus medienanthropologischer Perspektive lassen sich Reenactments als eingebunden in einen komplexen Austauschprozess von Zeichen, Personen und Dingen (Schüttpelz 2006) konzeptualisieren, bei welchem der eigene Körper zu einem Medium der Fremderfahrung wird. Bildliche, textliche und auditive Inskriptionen werden in körperliche Handlungen und/ oder materielle Artefakte (rück)übersetzt. Schon allein, weil der Aufwand von Reenactments eine enorme Verlangsamung gegenüber einem ›natürlich‹ ablaufenden Ereignis mit sich bringt, entsteht Raum für Reflexion und Einsprüche gegenüber dem Authentizitätsanspruch schon im Prozess des Reenactments und nicht nur erst nach demselben. Bereits während der Vorbereitung und Durchführung sowie durch diese selbst wird das Nachvollziehen zu einem Verfahren des er-

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fahrungsgestützten Argumentierens. Erfahrung ist hier vor allem eine kooperativ bewerkstelligte Interaktion mit unterschiedlichsten Medienformaten und Vermittlern. Diese hat eine eigene operative Zeitlichkeit. Dabei kann es auch zu Beschleunigungseffekten und vereinfachenden oder komprimierenden Stauchungen der nachzuvollziehenden historischen Abläufe kommen, was das reenactete Ereignis angeht – wie beim filmischen Zeitraffer. Beim Reenactment geht es auf jeden Fall um eine mindestens gruppenwenn nicht meist sogar um eine auf die Gesellschaft, Ethnien oder Kulturen bezogene öffentliche Aktivität. Das in diesem Zusammenhang besonders brauchbare Modell der ›imagined community‹ (Anderson 1983), das in Bezug auf Reenactment-Gemeinschaften ihre identitäre Praxis erfassen und kontextualisieren hilft, ist von Birgit Meyer (2009) umakzentuiert und zum Konzept der ›aesthetic formations‹ erweitert worden. Über die Diskussionen medialer bzw. mediatisierter Repräsentationen hinausgehend, betont Meyer das Moment der sinnlichen Wahrnehmung, Erfahrung und Verkörperung: »[…] the modes through which imaginations materialize and are experienced as real, rather than remaining at the level of interchangeable representations located in the mind. Imaginations, though articulated and formed through media and thus ›produced‹, appear as situated beyond mediation exactly because they can be – literally – incorporated and embodied, thus invoking and perpetuating shared experiences, emotions, and affects.« (Ebd.: 7)

Die Beiträge

Wie im linguistischen Beitrag von Matthias Meiler deutlich wird, erweitert der vorliegende Band Collingwoods Konzeption, in dem er sich explizit deutlich stärker für die mediale Vermitteltheit gerade solcher Akte des gedanklichen Nachvollzugs und der Interpretation interessiert und weniger für das Vermittelte. Die Sprachwissenschaft befasst sich zudem bei ihrer Beschäftigung mit dem Körper und Formen der Performativität mittlerweile mit Reenactments als kommunikative Praxis. Der Beitrag von Ilham Huynh in diesem Band führt dies am Beispiel von Alltagserzählungen vor. An den Gesten des Alltags wiederum wird eine zweite Art eher unterbewußten Reenactments beispielhaft deutlich. Viele Erfahrungsgehalte und insbesondere den Körper in seiner Leiblichkeit involvierende Erlebnisse lassen sich

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in ihrem emotionalen Gehalt nicht ohne gestische Mittel in Erzählungen einbetten, wie der Beitrag von Ilham Huynh am Beispiel einer Situation des Ekels zeigt. Zudem hat die ethnomethodologisch orientierte Sozialwissenschaft, wie der Beitrag von Christian Meyer zu Verl am Beispiel eines amerikanischen Gerichtsverfahrens und der Rolle, die ein Reenactment des Tathergangs dabei spielt, vorführt, den Begriff nun als hilfreiches Werkzeug für sich entdeckt, um bestimmte parasprachliche Phänomene der Evidenzerzeugung zu untersuchen und zu begreifen. Der Beitrag des Medienwissenschaftlers Rembert Hüser in diesem Band überträgt Kelleys künstlerisches Verfahren, das viel mit found footage arbeitet zum Zweck der reflexiven Irritation durch kompositorisches Reenacting, auf die Darstellung eines Abschnitts der jüngsten Geschichte eines wichtigen Standortes der deutschen Medienwissenschaft, der BauhausUniversität Weimar. Mit Hilfe von Material aus der medialen Selbstdarstellungspraxis dieser Institution analysiert er so konkrete Möglichkeitsbedingungen disziplinärer Entwicklungen in ihrer orts- und situationsspezifischen Wechselwirkung von außerwissenschaftlichem und akademischem Betrieb. Nicht nur im Falle von historischen Reenactments, sondern auch vor Gericht oder wenn es gar nicht zu einem Reenactment der Tat im Prozess, sondern nur im Film kommt, machen sich die Beteiligten den Abstand zu dem von ihnen befragten Ereignis selbst und gegenseitig bewusst. Der Beitrag von Verena Mund analysiert ein solches Reenactment in Filmform: REVISION von Phillip Scheffner. Diese praktische Reflexivität und eben nicht die stereotyp erwartete Naivität der Beteiligten wird deutlich, wenn sie darauf achten, dass alles möglichst den Bedingungen vor Ort entspricht und dabei offenbar wird, dass die Rekonstruktionen oft von Erinnerungen und anderweitigen Darstellungen abweichen. Der Beitrag von Jan Henschen macht wiederum deutlich, dass Reenactment auch als Konzept bereits eine bislang wenig beachtete Medien- und insbesondere Historiographiegeschichte des Films hat. Mit Blick auf das frühe Kino und insbesondere US-amerikanische Boxfilme kann diese erneut als Perspektive produktiv gemacht werden im Sinne einer praxeologischen Mediengeschichte, die neben dem Film auch sein Produktionsumfeld untersucht. Er kann zeigen, dass im Praxisfeld der Sportart des Boxens Formen des Reenacting sowie der technischen Entwicklung des Kinos sich wechselseitig bedingen.

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Ulf Otto richtet seinen Blick zum Teil auch auf Film insbesondere aber auf das Verhältnis von Reenactment und Theater. Er untersucht Reenactments als Medienpraktiken des Anachronismus, die gegenwärtig auf die radikalisierte Gleichzeitigkeit der digitalen öffentlichen Echtzeit reagieren. Vor dem Hintergrund des Nachspielens im Theater, das ein sehr altes Phänomen ist, grenzt er Medienpraktiken des Reenacting klar von klassischen Schauspielen ab und betont insbesondere die zeitliche Situiertheit und rhetorischen Qualitäten derselben im extradiegetischen öffentlichen Raum. Die Literaturwissenschaft wiederum befasst sich ebenfalls mittlerweile stärker mit Lektürepraktiken, die das Buch als Text und seine lesende Aneignung deutlich überschreiten. Das Anliegen, das Konzept des Reenactment auch und gerade für den rezeptiven Umgang mit fiktiven Vorlagen, genauer literarischen Texten fruchtbar zu machen, verfolgt der Beitrag von Raphaela Knipp. Darin befasst sie sich mit Reenactment-Praktiken im Feld des Literaturtourismus: Leser bereisen literarische Handlungsorte, um dort das Gelesene nachzuempfinden. Als Beispiel dient eine ethnographische Feldstudie, die Knipp in Dublin durchgeführt hat und deren Gegenstand Stadtrundgänge auf der Basis des Romans Ulysses von James Joyce sind. Anhand von Textanalyse, Beobachtungen und Interviews wird die These entfaltet, dass der Literaturtourismus als eine rekreative Medienpraktik begriffen werden kann, die darauf abzielt, Textverfahren und -lektüren in visuelle sowie körperlich-materielle Erfahrungsräume zu überführen. Nicolle Lamerichs wiederum konzentriert sich auch auf Reenactments fiktiver Figuren, jedoch viel stärker auf die Vorbereitungsphase sowie die alltägliche Einbettung von Reenactments einzelner fiktiver Protagonisten aus Filmen und Computerspielen im Rahmen von Fankulturen des Cosplay. Bei ihr geht es nicht zuletzt um den Herstellungsprozess der Kostüme als wichtiger und emotional affizierender Teil des Reenactments. Durch ihre Perspektive werden auch Wechselwirkungen von on- und offline Praktiken des Reenactment beleuchtet. Clemens Reisner untersucht nicht nur innerhalb der narrativen Struktur des Computerspiels die Repräsentationen historischen Kriegsgeschehens als virtuelles Reenactment, sondern versucht vielmehr am Beispiel imaginärer Körperlichkeit die on- und offline Dimensionen des Spieles selbst als materiellem Objekt zu erfassen. Am Beispiel des Spielerkörpers im Vietnamkriegscomputerspiel analysiert er das digitale Reenactment in seiner medienpraktischen Situierung.

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Petra Kalshoven zeigt, dass im so genannten Indianerhobbyismus »amateur engagement« vergleichbare epistemologische Ziele verfolgt werden wie in Reenactments professioneller oder akademischer Akteure. Beim Reenacting wird der menschliche Körper zum Ort des Lernens, oder anders ausgedrückt, basiert im Reenactment als alternativer Strategie der Wissensproduktion der Erkenntnisgewinn auf der multisensorischen Wahrnehmung und der körperlichen Erfahrung. Kalshoven versteht unter Praktiken der Verkörperung (»embodiment«) im Reenactment nicht einfach das Verkleiden (des Körpers) oder die performative Darstellung durch Gesten und Sprache, sondern vielmehr das in der Szene der Hobbyisten so wesentliche praktische Anfertigen und den Gebrauch von Artefakten sowie das körperlich-sinnliche Verhältnis zu diesen selbsthergestellten Repliken, mit denen die Körper ausgestattet werden, um ein ›Anderes‹ zu emulieren und wiederzubeleben. Wie bei Lamerichs Studie zum Cosplay geht es auch hier um das affektive Verhältnis der Akteure zu den Artefakten des Reenactment und ihrer Herstellung. In dieser Perspektive setzen Hobbyisten ihre Körper als explorative Werkzeuge (»exploratory tools«) ein, um etwas über die Vergangenheit zu lernen und für sich und andere erfahrbar zu machen: »[...] in replicating objects and using replicas in reenactment Indianists rehearse gestures that are sedimented in the body over time.« (Kalshoven, in diesem Band) Eine kritische Perspektive auf den Begriff des Reenactment und die Grenzen seiner Anwendbarkeit für die von ihr untersuchten Aufführungspraktiken der Ojibwe nimmt Cora Bender ein. In ihrem Beitrag leistet sie eine signifikante Neubewertung der Rolle der Indigenen in der frühen USamerikanischen Unterhaltungs- und Tourismusindustrie, indem sie die Perspektive der »indigenen Medienagency« entwickelt. Bender hebt die aktive Teilhabe der Native Americans an der Gestaltung von Programmen, z.B. in Wildwest Shows oder ›Indian Fairs‹ genannten Handwerksausstellungen hervor, die als frühe Arenen der indigenen Selbstrepräsentation fungierten und mit panindianischen Tanzfesten den Boden für den politischen Aktivismus der 1970er Jahre bereiteten. Als Reenactments der eigenen Kultur getarnt, wurden hier rituelle Traditionen revitalisiert und spirituelle Praktiken, die seit dem Religious Crimes Act verboten waren, konnten im Rahmen von Folklore-Aufführungen als wirksame Rituale durchgeführt werden. Geht man davon aus, dass das Konzept der Aneignung, wie es in der globalisierungskritischen Konsumtheorie entwickelt wurde, immer einen

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Besitzerwechsel impliziert, so hält Bender es für angebracht, in ihrem Fallbeispiel nicht von Reenactment, sondern von Reaktualisierung zu sprechen, da die Ojibwe ihre eigenen rituellen Praktiken, die von der US-amerikanischen Regierung unterdrückt und verboten wurden, unter anderen politischen und gesellschaftlichen Bedingungen wieder aufführten. Es geht in diesem Band allerdings nicht nur um die Infragestellung der Kategorien des Eigenen und Fremden sowie des Gegensatzes zwischen Original und Kopie, sondern auch darum, die dichotome Einteilung in high und low culture im Sinne einer schichtenübergreifenden geteilten mimetischen Kultur zu unterlaufen. Das heißt nicht, Unterschiede in Habitus etc. zu leugnen und auch nicht von einer Beliebigkeit der Nachahmungspraktiken auszugehen. Es bedeutet allerdings Reenactment auch als eine Perspektive quer zu in der Wissenschaft und in einigen Disziplinen oft immer noch sehr wirksamen Kategorisierung von Laien- und Expertentum zu verstehen. Diese Perspektive einzunehmen heißt, auch mimetische Praktiken in ihrer Produktivität für Erkenntnisprozesse ernstzunehmen, die zunächst als triviale Alltagsphänomene oder oberflächliche Wissensaneignung erscheinen. Klaus-Peter Köpping befasst sich mit der Wiederaufführung des Balletts »La Création du monde«, das 1923 in Paris als Produktion des Ballets suédois seine Uraufführung erlebte und 2012 in einer von Millicent Hodson und Kenneth Archer rekonstruierten Fassung auf die Bühne gebracht wurde, die als Ausgangspunkt für die performativen Interventionen des kongolesischen Choreographen Faustin Linyekula diente. Mit Linyekula macht Köpping die Legitimität der europäischen Aneignung afrikanischer Kultur im künstlerischen Reenactment zum Gegenstand und wirft die Frage auf, wer unter welchen Bedingungen und für welches Publikum ›Otherness‹ aufführen darf und welche Rolle Aspekte wie Identität und Geschichte, Erinnerung und Biografie in diesem Prozess innehaben. Seine Befragung adressiert einerseits die historische Aufführung, die als Inszenierung europäischer Imaginationen über Afrika und deren positiven Überhöhung als ›exotisches Anderes‹ im Geist des künstlerischen Primitivismus der Pariser Avantgarde der Zwischenkriegszeit im krassen Gegensatz zur Lebensrealität der ökonomischen Ausbreitung und kulturellen Unterdrückung in den Kolonien stand. Andererseits richtet sich die Befragung auf den postkolonialen Kontext der aktuellen Aufführung, in der die Mechanismen der Produktion von Differenz in ihren kulturellen, historischen, politischen Ver-

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flechtungen mit dem Verfahren des interventionistischen Reenactment performativ offengelegt werden sollen. In der Wiederaufführung des rekonstruierten Balletts sieht Köpping allerdings kein Reenactment, sondern vielmehr ein enactment einer wissenschaftlichen Rekonstruktion eines Originals, während Linyekula mit seinen Interventionen ein Pastiche produziert, um auf die Auslöschung einer originären afrikanischen Stimme hinzuweisen, die in den verschiedenen sich überlagernden Ebenen von europäischer Imaginationen in den (Wieder)aufführungen selbst unsichtbar bleibt. Wenn man den Begriff des Reenactment im Sinne dieses Bandes als produktive Medienpraktik konzipiert, der es nicht in erster Linie um die Reproduktion eines Originals geht, dann ist gerade diese politische Intervention im Theater als solches aufzufassen. Versucht man diese sehr divers erscheinenden Stränge produktiv im Sinne einer Grundlagenforschung zum Thema des Reenactment zusammenzuführen, bietet sich die praxeologische Medienwissenschaft als Vermittlerin an – insbesondere in ihrer orts- und situationsbezogenen Ausrichtung, wie sie unter anderem im DFG-Graduiertenkolleg Locating Media entwickelt worden ist, wo 2014 die Tagung Verorten, Verkörpern und Vergegenwärtigen. Medienpraktiken des Reenactment stattgefunden hat, auf der dieser Band maßgeblich basiert. Wir danken den AutorInnen an dieser Stelle für ihre Beiträge, den ReihenherausgeberInnen für die Aufnahme in die Reihe Locating Media, dem DFG-Graduiertenkolleg Locating Media für die Finanzierung der Tagung, des Bandes sowie den Erwerb der Rechte für die Coverabbildung und schließlich der Deutschen Forschungsgemeinschaft für die Förderung im Rahmen des Kollegs.

L ITERATUR Agnew, Vanessa/Lamb, Jonathan (Hg.) (2009): Settler and Creole Reenactment, London: Plagrave Macmillan. Anderson, Benedict (2006 [1983]): Imagined Communities: Reflections on the Origin and Spread of Nationalism, London/New York: Verso.

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Über das -en- in Reenactment M ATTHIAS M EILER »[…] he knows quite well that his only possible knowledge of the past is mediate or inferential or indirect, never empirical.« (COLLINGWOOD 1963: 282)

Das Konzept des Reenactment ist von Robin George Collingwood 1946 in die akademische Diskussion eingeführt worden. Im vierten Epilegomenon von The Idea of History beschreibt er das Reenactment als Methode zur Durchdringung historischen Quellenmaterials und damit als Methode zur Ermöglichung von Geschichtsschreibung. Darauf soll unten insofern eingegangen werden, als bei ihm ein begrifflicher Bias erkennbar wird, der gerade nicht Schwerpunkt kulturwissenschaftlicher Reenactment-Forschung sein sollte (vgl. Otto 2012). Eine Forschungsperspektive auf ›Re-enactments‹ nicht nur als Methoden der Geschichtswissenschaft, sondern als mehrzweckige Medienpraktiken genuiner Art, wie sie die Siegener Tagung fokussiert und diskutiert hat, hätte aber wohl ›Re-en-actment‹ zu schreiben, wie weiter unten mit Blick auf die Wortbildungsstruktur und Ausdrucksgeschichte ausgeführt wird. Mit den folgenden, knappen linguistischen Anmerkungen soll eine allgemeine Begriffsbestimmung und motivierte Terminologiebildung (vgl.

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Thielmann 2012: 60) 1 von ›Reenactment‹ innerhalb eines praxeologischen Ansatzes angeregt werden. Hier soll und kann also nur gefragt werden, was der Ausdruck ›Reenactment‹ begrifflich zu leisten vermag. 2 Denn 3F

4F

»so kann die Benennung einer Sache auf vielerlei Weise geschehen […], indem man [damit] entweder auf dieses oder auf etwas anderes sieht, was in ihr anzutreffen ist.« (Wolff 1757: 30)

Diese Reflexion ermöglicht es das Gemeinsame im Diversen in den Fokus zu nehmen und – im Rahmen einer medienwissenschaftlichen Praxeologie – seine medialisierende Qualität herauszustellen (vgl. Schüttpelz 2006). Darin kann das Diverse in diesem Band, das von alltagssprachlich erzählenden (Huynh), kinematographischen (Henschen; Mund) und institutionell und medientechnisch anders gerahmten Verfahren (Bender; Knipp; Köpping; Meier zu Verl; Reisner) bis hin zu Verfahren der (Wissenschafts-) Geschichtsschreibung (Hüser), des Cosplays (Lamerichs) und anderen Formen des Hobbyismus (Kalshoven) reicht, sein Gemeinsames finden.

1

Thielmann (2012) nimmt dabei Bezug auf die Arbeit von Ricken (1994) zur Rolle Christian Wolffs am Ausbau der deutschen Wissenschaftssprache. Der Aufklärer Wolff war nicht unwesentlich daran beteiligt, die deutsche Wissenschaft an ihre Nationalsprache zurückzubinden. In diesem Bemühen artikuliert sich die vor allem an Leibniz anschließende Einsicht Wolffs in »die Abhängigkeit der Verstandestätigkeit von der Sprachverwendung« (ebd.: 57). Dies macht eine motivierte Terminologiebildung notwendig. Aber es machte auch eine mehrsprachige Terminologie- mithin Begriffsbildung notwendig. Denn die Herausbildung von und der Umgang mit Begriffen ist sprachunabhängig nicht zu denken.

2

Vergleichbare und konkurrierende Begriffe wie ›Reinszenierung‹ oder ›Reproduktion‹ müssen an anderer Stelle geprüft werden. Scheint aber letzteres recht mechanistisch zu sein, teilt ersteres mit -in- (verwandt mit -en-) einen wichtigen Aspekt, der mit der »Derivationsstammform« (Eisenberg 2006: 221) szen- aber stärker das Präsentieren und nicht das Durchführen fokussiert. Mit Otto (2012: 325) kann gerade beim Reenactment das Zurücktreten des Inszenatorischen und des Reproduktiven im »subjektiven Erleben [...] des Agierens im Fiktionalen« konstatiert werden.

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REAus Collingwoods (vgl. 1963: 282-302) Ausführungen zum Reenactment wird deutlich, dass es ihm eher darum zu tun war, die Möglichkeit der methodologischen Verbindung zwischen Gegenwart und Vergangenheit herauszustellen, als eine präzise Beschreibung des methodischen Verbindens von Gegenwart und Vergangenheit zu geben. Die Akte des Reenactments, die er im Blick hat, sind ausschließlich mentale Akte des »re-thinking« (ebd.: 283). Es geht ihm also um introspektive Inferenzen der Historiker_innen im Angesicht der Quellenlage. Dieses Interpretationsverfahren setzt er entschieden gegen ein bloß materiales Arrangieren der überlieferten Quellen, gegen die »kompilatorische Methode« (Collingwood 1955: 270). Den meisten Raum seiner Ausführungen nehmen aber Argumente ein, die diese Methode und ihre Durchführung nicht beschreiben, sondern ihre Möglichkeit gegen Einwände verteidigen. Ausführlich diskutiert er mit antizipierten Opponent_innen, ob und warum es möglich ist, die Gedanken eines historischen Subjekts nachzuvollziehen und dadurch an das ›Warum‹ eines historischen Ereignisses zu gelangen. Er diskutiert dabei die Fragen nach der Kontextgebundenheit des Denkens, nach der Einheit des Denkaktes im Bewusstseinsstrom, nach dem Unterschied von Erkennen und Erfahren, nach der Subjektivität bzw. Objektivität des Denkens und nach Identität von bzw. Differenz zwischen historischem Gedanken, der zu einer Entscheidung und Handlung führte, und dem forschenden Nachvollziehen dieses Gedankens aus der zeitlichen Distanz heraus. Am Beispiel der Autobiografen_innen, das Collingwood (vgl. 1963) durchdekliniert, beschreibt er den Modus dieses Nachvollzugs als zweischrittig: Sammeln und Interpretieren. »The first task is that of recollecting: he must search his memory for a vision of past experiences, and use various means of stimulating it, for example by reading letters and books that he once wrote, revisiting places associated in his mind with certain events, and so forth. When this is done, he has before his mind a spectacle of the relevant parts of his own past life: he sees a young man undergoing such and such experiences, and knows that this young man was himself. But now begins the second task. He must not merely know that this young man was himself, he must try to rediscover that young man’s thoughts. And here recollection is a treacherous guide. […] There is only one way in which this tendency can be checked. If I want to be

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sure that twenty years ago a certain thought was really in my mind, I must have evidence of it. That evidence must be a book or letter or the like that I then wrote, or a picture I painted, or a recollection (my own or another’s) of something I said, or of an action that I did, clearly revealing what was in my mind. Only by having some such evidence before me, and interpreting it fairly and squarely, can I prove to myself that I did think thus. Having done so, I rediscover my past self, and re-enact these thoughts as my thoughts; judging now better than I could then, it is to be hoped, their merits and defects.« (Ebd.: 295f.)

Das zentrale Verfahren, das Collingwood (ebd.: 296) vor Augen hat, ist ein hermeneutisches Verfahren: »re-creating these thoughts in our own minds by interpretation of that evidence we can know«. Hierin wird deutlich, dass die Praktiken, die von der ›Evidenz‹ zum rekonstruierten Gedanken führen, bei Collingwood einfach als ›Interpretation‹ vorausgesetzt und wenig ausgeführt werden. Man könnte auch sagen, er macht einfach einen Sprung von der ›Evidenz‹ zum Wissen und die Vermittlungsschritte, die kleinschrittigen Transkriptionspraktiken werden ausgeblendet (vgl. Jäger 2006). Freilich zieht er eine Reihe von Analogien, die diese Vermittlung als spezifische Konstruktionsarbeit qualifizieren, wenn er von den Geschichtsschreiber_innen als Landschaftsmaler_innen, Detektiv_innen oder Romanschriftsteller_innen spricht. Henschen/Sittler (2012: 157) zeigen, dass diese Analogien lediglich »an semiotische Operationen gebunden« sind, deren materiale Qualitäten äußerst implizit bleiben. Als Historiker sieht er zwar die Notwendigkeit der (Ver-)Sammlung von Quellen, die für das Reenacting unabdingbar sind, gerade wenn es als Soziotechnik angesehen wird. Bei Collingwood stehen die Historiker_innen aber doch vor diesen Quellen und nicht in ihnen, sie handeln nicht praktisch mit ihnen, sondern sie ›interpretieren‹ als wäre das ein immaterieller Akt reinen Denkens. Aber mit Latours (vgl. 1999) und Jägers (vgl. 2008) durchaus komplementären Überlegungen zur Sinngenese kann herausgestellt werden, dass der Sprung von den ›historischen Quellen‹ zu den ›reenacteten Gedanken‹ eine komplexe Übersetzungskette ist, eine verflochtene Semantisierungsleistung, die auf die ganz materiale »Schere-und-Kleister-Methode« (Collingwood 1963: 257) angewiesen ist, da jede Transkription immer auch einer Transformation bedarf. Mentale Interpretationsschritte vollziehen sich nur im Wechselverhältnis mit materialen Transformationsschritten. Das

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Mentale erlangt erst im Materialen Konkretion: »man kann nicht einmal schlechthin [das] erstere als das Erzeugende; [das] andre als das Erzeugte ansehen« (Humboldt 2003: 147). Und das hat nicht nur Gültigkeit für die sprachliche Artikulation, für die Humboldt dieses Wechselverhältnis beschrieben hat: »Die intellectuelle Thätigkeit ist an die Nothwendigkeit geknüpft, eine Verbindung mit dem Ton einzugehen, das Denken kann sonst nicht zur Deutlichkeit gelangen, die Vorstellung nicht zum Begriff werden.« (Ebd.)

Vielmehr sind sprachliche Praktiken unauflösbar verknüpft und eng verwoben mit vielen, heterogenen, material verschiedenen, handlungspraktisch differenten, insgesamt medialisierenden Praktiken, die in ihrem Zusammenwirken ein sinngenerierendes Reenactment ›von etwas Vergangenem‹ ermöglichen können. Wenngleich an Collingwoods (vgl. 1963: 236f., 243, 245f.) Analogien zwischen Historiker_innen und Landschaftsmaler_innen, Detektiv_innen und Romanschriftsteller_innen Aspekte deutlich werden, die das Reenactment als Methode charakterisieren, wurde doch deutlich, dass sein Reenactment als ausschließlich mentaler Prozess komplexe und unabdingbare Übersetzungsprozesse blackboxt. Nicht zuletzt finden sich diese Analogien im Epilegomenon Die historische Einbildungskraft. Und so, wie die Geschichtswissenschaft im Anschluss an Collingwood diese interpretative Methode ausbuchstabieren muss, muss eine kulturwissenschaftliche Erforschung von Reenactment-Praktiken (in ihrer ganzen Bandbreite) genau diese interpretativen Prozesse der Akteure beschreiben – Prozesse des Übergangs, der Übersetzung, der Bezugnahme und Transformation. Nicht nur das Re-, das die Verbindung thematisiert, darf im Fokus stehen, sondern das Verbinden selbst muss thematisiert werden. Auch in den Diskussionen auf der dem Band zugrundeliegenden Tagung wurde die Rolle bzw. Wichtigkeit des Re- problematisiert. Zweifellos ist es für eine Abgrenzung von anderen Phänomenen unerlässlich. Zeichnet sich ein Reenactment doch gerade dadurch aus, dass es eine ›Größe‹ gibt, die ›vor‹ dem zu untersuchenden Reenactment ›da‹ war und die Möglichkeitsbedingung für dieses stellt. Die spezifische Verbindung zu dieser vorgelagerten ›Größe‹, auf die Bezug genommen wird, ist aber gerade das Fragliche. Insofern spielt für eine begriffliche Annäherung an Reenact-

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ments als Medienpraktiken das vorgelagerte ›Was‹ eine weniger prominente Rolle als das ›Wie‹ der Relationierung. Darin sind die Praktiken zu suchen und in den Beschreibungen dessen sind sie auch zu finden. Um diese Relationierung als »development« zu begreifen, kommt es darauf an – wie Collingwood (ebd.: 301) richtig, wenngleich ohne Thematisierung der Vermittler konstatiert – dem »principle of identity in difference« nachzugehen und das Relationieren als »mediation« zu begreifen. Im Folgenden wird mit einem Ausflug in die Ausdrucksgeschichte dafür plädiert, für eine Begriffsbestimmung nicht das Re- zu betonen, sondern das -en-, um der genannten Medialisierung Rechnung zu tragen.

TO ENACT

3 5F

Das Middle English Dictionary (MED) verzeichnet drei Verwendungsweisen unter der historischen Form »enacten v. Also in-. Ppl. enact, -ed. [From acte; cp. AL inactƗre.]« (MED 1963: 94 [Herv. i.O.]): »1. Of a legislative authority: to make (something) law or legally binding; hence, to ordain or decree;--with obj. or that clause. (1432-3) Grocer Lond. 225/15: Wherefor ys yt ordynd and ful Inactyd by alle ‫ۃ‬e craft that [etc.]. ?1435 Lond.Cron.Jul. 37: Alle the ordenaunces.. y-made..at Conventre..affterward renewid and enacte. (1438) LRed Bk.Bristol 2.169: Graunte vs that the seide reule and gouernance myght be enacted vnder seal as for ordenauce. (1439) RParl. 5.9a: Graunted and enacted by auctorite of this present parlement. (1449) Rec.Norwich 2 882: Also it is ordeyned, graunted and inacted that [etc.]. (1449) RParl. 5.169a: The Comons of this present Parlement to pray the King..to ordeyne, estable and enacte in this seyd Parlement..that a wryte of proclamancyon be made in the Kynges Chauncerie. (1450) RParl. 182a: We your seid Commens..beseche and pray your Highnesse, that this be enacted in this youre high Court of Parlement. (1463-4) Doc. in Gilbert Cal.Dublin 1 315: Hit is enactyt and estabelyt by the sayd semble that John Eustace..shall have, occupy, and enjoy the office off Recordowr of the sayd citte. (1464) Paston 4.114: To have the said fundacon inacted and auctorised in the parlement next holden. a1525(?1424) Cov.Leet Bk. 72: ۬at hit be not enact and assentyd.

3

Für einen kritischen Blick auf dieses Kapitel und eine fruchtbare Diskussion danke ich Benjamin Dupke (Chemnitz).

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2. To enter (something) in the public records; to record officially; enacten of record. (1414) RParl. 4.57b: To praye oure liege Lord..that the Peticions afore rehersed..mowe ben enacted in the Parlement Rolle. (1422) Ibid. 4.176a: That the Clerc of the Coundseill be charged and sworn to treuly enacte, and write daylich, the names of all the Lords that shul be present for tyme to tyme. (1423) Ibid. 4.201b: The names of the both parties enact by the Clerk of the Counseill, wyth here assent or disassent. (1425) Ibid. 273a: Yat alle ye matiers..may in yis said Court be entred, and of recorde enacted. (1427) Proc.Privy C. 3.240: Whiche wordes my said lord..commaunded forthwith shulde be enacted in memoire. (1433) RParl. 4.4.24a: Desiryng to be putte in certainete of certain Articles yat folwen, and thay to abide enacted as yinges of recorde. (a1443) *Proc.Chanc.PRO ser. C 1 file 9 no. 374: This examinacioun afore you may be made and enacted and put in record in the Chauncerie. (1450) RParl. 5.206a: That this Bill may be inact of recorde in this present Parliament. (1467) Ordin.Wor. 379: The actes of the yelde..shullen be enected and engrossed in a quayer of parchemyn. 3. To chronicle or record (something) in literary form. (a1420) Lydg. TB prol. 198: They enacted and gilte with her sawes Her hy‫ݤ‬e renoun, her manhood and prowes. (c1450) Capgr. Rome 22: ۬ei engrosed on to hem all ‫ۃ‬e gode customes of ‫ۃ‬e world ‫ۃ‬at wer writyn in ony book and ‫ۃ‬ei inacted hem in to her bokes, which bokes ‫ۃ‬ei named bibliotecis. C1450-1500 Lydg. FP (Bergen) 6.2208: Oon was chose to do his diligence To enacte his conquest in substaunce And his knihthod of synguler excellence. c1475(?1451) Bk.Noblesse 24: It is..enacted in divers cronicles..that..William the duke of Guien died bethout heire masle.« (Ebd. [Herv. i.O.]) 4 6F

Wie die Beispiele zeigen, wird das Verb enacten im 15. Jahrhundert also vor allem im Zusammenhang des Verwaltungswesens gebraucht. Die erste Verwendungsweise hebt dabei auf Legislatives ab (etwa erlassen, verordnen, bestimmen). Diese Bedeutung ist dabei der Exekution des Erlassenen bzw. Verordneten vorgeordnet. Das verändernde Eingreifen in die (institutionelle) Wirklichkeit, wie es z.B. auch die deklarativen Sprechhandlungsverben tun (vgl. Searle 1976: 20f.), d.h. der Akt des Eingreifens selbst, wird mit der in enacten benannten Handlung nur vorbereitet. Ein Prozess der

4

Wie Adams (2008: 64) rückblickend feststellt, sind die frühen Einträge des MED »notably laconic«. Deswegen ist die Schnittmenge zwischen zitierten Verwendungskontexten und angegebenen Verwendungsweisen nicht immer klar zu erkennen.

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Entscheidungsfindung wird damit abgeschlossen. Die Entscheidung ist dann umsetzbar. Die zweite und dritte Verwendungsweise sprechen Archivierungs- bzw. Überlieferungspraktiken an. Dabei geht es um die Tätigkeiten des Aufschreibens (record) oder Eintragens (enter sth. in) ebenso wie die des Berichtens (chronicle). Diese Bedeutungen sind heute aber aus dem Sprachgebrauch verschwunden (vgl. ODEE 1969: 311) bzw. haben sich verschoben. Bleibt die legislative Verwendung gewissermaßen stabil, wird sie im 16. Jahrhundert begrifflich in den Theaterzusammenhang übertragen: »perform (a play, etc.), act (a part) XVI« (ebd.). Dabei spielt sicherlich auch der berichtende Aspekt eine Rolle. Aus der Vorbereitung für die Exekutive wird so ein darstellendes Spielen. Erst im 19. Jahrhundert wird davon das explizit substantivische Derivat enactment gebildet, das die ältere substantivische Verwendung von enact und auch das Derivat enaction verdrängt (vgl. ebd.). Bei der Bedeutungsübertragung in den Kontext des Theaters bleibt aber das Moment des Übergangs erhalten, das abgebunden in der nicht selbstsuffizienten symbolischen Prozedur 5 des en- beide Verwendungsweisen prägt: 7F

»As a living formative (from XIV) en- has been used in senses mainly identical with those of Latin in- (IN-1): viz. put in, into, or on (something) […].« (Ebd. [Herv. i.O.])

Ähnlich der semantischen Struktur von Präpositionen benennt das Präfix en- eine Relation (vgl. Redder 2005: 54 mit Bezug auf Grießhaber 1999). Diese ist zweiteilig und temporal. Wird das Ausgangsrelat R1 in dieser Wortbildung dabei nicht explizit, ist das Zielrelat R2 mit dem Symbolfeld-

5

Zum Begriff der sprachlichen Prozedur und ihrer Unterscheidung siehe überblickend Ehlich (2007). Redder (2008) gibt einen Überblick über den linguistischen Ansatz der Funktionalen Pragmatik, in dessen Rahmen der hier verwendete Prozedurenbegriff entwickelt wurde. Als Prozeduren werden die kleinesten Einheiten sprachlichen Handelns verstanden, die unterhalb der Stufe der Sprechakte und -handlungen angesiedelt sind. Mit ihnen löst »der Sprecher beim Hörer jeweils spezifische mentale Aktivitäten« aus (Ehlich 2007: 1). Mit symbolischen Prozeduren, die mithilfe von Symbolfeldausdrücken vollzogen werden, »bewirkt der Sprecher die Aktualisierung von (Welt-)Wissenspartikeln im Hörer« (ebd.).

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ausdruck act eine Handlung, in die R1 überführt wird. Entsprechend der Ausdrucksgeschichte steht diese Handlung aber gewissermaßen in einem geschützten Bereich des Spielerischen, der keine unmittelbare Wirklichkeitsveränderung nach sich zieht. Durch die Kontextabhängigkeit von R1 und nicht zuletzt die Bedeutungserweiterung, die to enact erfahren hat, stellt dieser Ausdruck den idealen Ausgangspunkt einerseits für die Wortbildung Reenactment dar und andererseits ebenso für die interdisziplinäre Beschäftigung mit Praktiken, die etwas re-enacten. Die basale Bedeutung macht es prädestiniert für eine praxeologische Auseinandersetzung mit Phänomenen des Re-enactens, des Wieder-in-Handlung-Setzens 6 aller Art: 8F

»enact, whence enactment (-ment), is to put something into (en) the form of an act: f.a.e., AGENT.« (Partridge 1963: 182 [Herv. i.O.])

D AS - EN -

MARKIERT DEN

Ü BERGANG

Die soeben behauptete Geeignetheit der Wortbildungsbasis enact für eine praxeologische Auseinandersetzung mit Reenactments soll abschließend begründend herausgearbeitet werden. Dabei möchte ich mich exemplarisch auf die Soziologie der Übersetzung beschränken, die maßgeblich das, was man medienwissenschaftliche Praxeologie nennen könnte, beeinflusst hat (vgl. z.B. Thielmann/Schüttpelz 2013). Dabei wird es vor allem um einen Begriff gehen, der im Lichte der vorgängigen Ausführungen geradezu augenfällig ist. Wie oben herausgearbeitet wurde, beschäftigen sich Collingwoods Ausführungen maßgeblich mit dem Re-, d.h. mit der Frage ob und mit welchem Ergebnis etwas Vergangenes in die Gegenwart ›geholt‹ werden kann. Wie das geschieht, ist aber eine Frage des -en-.

6

Für dieses situationsüberbrückende Wieder-in-Handlung-Setzen erscheint aus linguistischer Perspektive eine Auseinandersetzung mit Arbeiten zu den alltäglichen Verfahren der Redewiedergabe (bspw. in Gesprächen) sinnvoll. Schon Brünner (1991) rekonstruierte, mit welchen unterschiedlichen kommunikativen Mitteln die Urheber wiedergegebener Rede und die dazugehörigen Äußerungssituationen in der situierten Redewiedergabe (re-)konstruktiv charakterisiert werden.

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Um die Fragen des ›Wie‹ ist es auch der Soziologie der Übersetzung oder Akteur-Netzwerk-Theorie zu tun. Dabei folgt dieser Ansatz dem generalisierten Symmetrieprinzip, das – als semiotische Operation – dazu verpflichtet, alle menschlichen wie nicht-menschlichen Akteure eines Netzwerks während einer Untersuchung – zumindest terminologisch – gleich zu behandeln, um ihre wechselseitigen Beeinflussungen, ihre netzwerkstiftenden Übersetzungen und Assoziationen unvoreingenommen beschreiben zu können (vgl. z.B. Callon 2006). Dabei geht es beim Begriff der Übersetzung – durchaus komplementär zu Jägers (vgl. 2008) Begriff der Transkription – sowohl um semantische als auch materiale Verschiebungen, die handlungspraktisch hergestellt werden. »Um diese zwei untrennbaren Mechanismen und ihr Resultat auszudrücken, verwenden wir das Wort ›Übersetzung‹« (Callon 2006: 169f.). Zur Allianz zwischen Netzwerkakteuren kommt es dann, wenn Übersetzungsprozesse sich in einem Enrolment stabilisieren: »Das Enrolment impliziert keine bereits festgelegten Rollen, schließt sie aber auch nicht aus. Es bezeichnet den Vorgang, in dem ein Set von zueinander in Beziehung stehenden Rollen definiert und Akteuren zugeteilt wird, die sie akzeptieren. Sofern der Prozess des Interessement erfolgreich ist, führt er zum Enrolment. Das Enrolment zu beschreiben bedeutet somit, die Folge multilateraler Verhandlungen, Prüfungen der Willensstärke und Tricks zu beschreiben, welche die Prozesse des Interessement begleiten und ihnen den Erfolg ermöglichen.« (Ebd.: 156)

Der Begriff des Enrolment 7 ist also in eine Abfolge von vier analytisch herausgearbeiteten Schritten eingebettet, die durch die Knüpfung des Netzwerks »cooperative work in the absence of consensus« ermöglichen (Star 2010: 604): (1) Problematisierung, (2) Interssement, (3) Enrolment, (4) Mobilisierung (vgl. Callon 2006: 146-164). Bei der Problematisierung geht es darum, angesichts eines »Handlungswiderstandes« (Ehlich/Rehbein 1986: 10), in Wechselwirkung mit den davon betroffenen Akteuren deren Identität im Handlungszusammenhang zu definieren und damit auszuloten, in welcher Weise sie an der Problemlösung beteiligt werden können. Diese 9F

7

Der Ausdruck enrollen/enrol ist übrigens historisch wie aktuell ebenso im Verwaltungswesen und deren Aufschreibe- bzw. Protokollierungspraktiken üblich und bezieht sich bspw. auf Listen oder Register.

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Interdefinitionen werden bestimmt dadurch, dass einige Akteure involviert/ interessiert werden, während andere gleichzeitig ausgeschlossen werden (Interessement). 8 Im Enrolment kommt es schließlich zum stabilisierenden Abschluss dieses Prozesses, indem die definierten Rollen für den Problemlösungsprozess akzeptiert werden. Da die beteiligten Akteure selten Individuen sind, muss es zur Mobilisierung Weniger als die Repräsentanten Vieler kommen, da die beteiligten Gruppen nicht in toto mit einander in Kontakt treten können. Diese Verfestigung des Netzwerks kann schließlich immer durch die Dissidenz einer beteiligten Partei destabilisiert werden. Der Terminus Enrolment weist nun dasselbe Präfix auf, wie es auch in Reenactment zu finden ist. Auch hier geht es natürlich (entsprechend der oben charakterisierten, symbolischen Prozedur en-) um die Relationierung eines R1 und eines R2. Der eben zusammengefasste, vierschrittige Prozess der Konstitution eines Akteur-Netzwerks macht es nun möglich das ›Wie‹ der Relationierung detailliert zu beschreiben, indem ihr Zusammenkommen und Zusammenwirken ins Auge gefasst werden. Personen, Dinge und Zeichen im so hergestellten Verbund konstituieren als spezifisch »structured envelope« eines andauernden »development«-Prozesses (Law 1986: 257 [Herv. von mir]) eine spezifische, musterhafte Praktik, die immer als Medialisierungspraktik begriffen werden muss (vgl. Schüttpelz 2006). Reenactments stellen in ihrer Typik eines der möglichen strukturierten Muster dar, das eine Vielzahl heterogene Akteure in ein spezifisches Enrolment bringt, um etwas Vergangenes wieder in Handlung zu setzen und das gewissermaßen in einem geschützten Handlungsraum. Dieser kann mit Otto (2012: 235 [Herv. i.O.]) in vollem Umfang als »Erlebnisraum« begriffen werden. 9 10F

1F

8

Das Interessement dient der Herstellung eines operativen Konsens’ und steht damit nicht im Widerspruch zu Kooperation ohne Konsens (vgl. Star/Griesemer 1989), da Callon an sich keinen Konsens erklärt, sondern ausschließlich Kooperation unter dem Vorzeichen nicht geteilter Ziele. Die Akteure müssen aber für das Erreichen dieser Ziele z.B. »a common goal« oder »direct monetary exchange« (ebd.: 408) als operativen Umweg akzeptieren.

9

Redder (1994: 249) analysiert für die sprachlichen Aspekte von Nacherzählungen einen Mittelbereich, der es auf spezifische Weise möglich macht, das Nacherzählte »hörbar und nacherlebbar« zu machen. Die von ihr fokussierten sprachlichen Mittel gehören ihrer Auffassung nach dem Malfeld an und sind also als malende oder expressive Prozeduren bezeichenbar. »Allgemein […] dienen ma-

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Reenactments können im Lichte einer solchen medienwissenschaftlichen Praxeologie als Rekonstruktionsaufgabe verstanden werden, die nicht so sehr den Vergleich zwischen R1 und R2 fokussiert (Re-), sondern die spezifische Versammlungsarbeit als Fragliches begreift, die von R1 zu R2 führt (-en-). Damit ist man dann auch in der Lage, das Gemeinsame der Praktik und nicht ihre je unterschiedlichen Gegenstände zu fokussieren.

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DAS - EN - IN

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Wiederaufführen

Colonial Erasure – Post-colonial Recovery: Identity/Alterity in Faustin Linyekula’s Choreographies K LAUS -P ETER K ÖPPING »Who am I? Leopold II, Lumumba, Mobutu?« (LINYEKULA, LECTURE TALK, WALKERS ARTS CENTRE, LONG ISLAND, N.Y., SEPT. 2011) »What have you done to us, Blaise Cendrars?« (BLACK DANCER IN »LA CRÉATION DU MONDE 1923-2012«, DÜSSELDORF, JUNE 2013) »Who am I? Who are we? What are we in this white world?« (CÉSAIRE, »NÈGRE JE SUIS NÈGRE JE RESTERAI.

ENTRETIENS AVEC FRANÇOISE

VERGÈS«, 2005: 23)

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Fig. 1: Red Monkey, Portrait of a dancer in motion by Millicent Hodson for the Brussels recreation of 1923 of ›La Création du Monde‹, May 2012

Source: Dance and design by Millicent Hodson & Kenneth Archer

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Provocations 1 12F

The three citations preceding this essay were most recently turned almost upside-down by two provocative adages, provocative because they try to put the chimera of racism as true ›monstrosity‹ to rest. The first one was written by Bachir Diagne as last sentence in his treatise on ›négritude‹ in 2010 (revised 2014) for the ›Encyclopedia of Philosophy‹ of Stanford University, where he states: »one does not have to be black to become ›nègre‹« (2014: 17). The other statement is one of the messages by Achille Mbembe’s recasting of the impact and importance of African cultures for a globalized world, when he admonishes in particular ›Western‹ readers that we would all become ›nègre‹ in a short time, if we let the capitalist and digitalized financial markets continue in their rampage, resulting in an exponentially increasing inequality in the distribution of wealth, nègre standing in for any subaltern or exploited group, for mentally or bodily dependent, for a ›colonialized‹ subject, almost – one may infer – like an ›enslaved‹ subject of former times (Mbembe 2014). Questions of moral choice These are new tonalities for the concept of ›nègre‹ and of central importance to understand the seminal shift that has taken place since ›l’art nègre‹ was en vogue in the Paris of the 1920’s and of the performances by Faustin Linyekula, in particular his pastiche or citation of the ballet ›La Création du Monde‹ of 1923, as presented in Düsseldorf in 2013 as ›La Création du Monde 1923-2010‹. 2 This performance seems to highlight the 13F

1

At the outset I would like to express my gratitude for the generosity of Millicent Hodson for providing permission to reproduce her designs for the re-created ballet from her collection of photographs. I would also like to thank her for having stirred further investigations after conversations during the dance congress at Düsseldorf in 2013.

2

The reconstructed ballet, in the version of Linyekula’s pastiche, premiered with the troupe CCN Ballet de Lorraine of Nancy in Brussels in 2012 and toured the European dance circuit. Archer and Hodson were engaged with the reconstruc-

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provocative messages of Diagne and Mbembe, by having a single black dancer confront and being confronted by two dozen white dancers, when uttering the second quote preceding this essay as an anguished cry, thereby compelling people in the audience to pursue other questions, such as: »Who is this person, Cendrars? - What has Cendrars done to ›them‹?«; and possibly: »What have ›we‹ done to the black dancer standing in for ›Africans‹?«; and lastly: »What did the choreography of the pastiche of the original ballet leads us to suspect about the intentions of the original ballet and its creators?«

The provocative statements by Diagne and Mbembe point into the same direction as does Linyekula’s choreographic pastiche: making the ascriptions and designation of identity and/or alterity a question of moral choice, addressing us to make a decision about our attitudes toward our own history of dichotomizing people according to criteria of a racialized hierarchy of values. These requests for a moral choice had me recollect an earlier discussion. In the famous dialogue, the ›Rap on Race‹ between Margaret Mead and James Baldwin in 1970, Mead at one point said that people should not try to trace their biological descent, but rather look for ›ancestors‹ as mental and spiritual guides through their own choice (Mead and Baldwin 1971). These comments may also be understood as an ›enabling‹ offer to include people who, during the time of Parisian ›negrophilie‹ in the 1920’s, were doubtlessly genuinely inspired, enrapt by the vigour of body movements of jazzy dancing in night-clubs, and did not flinch from admitting their excitement, feeling contagiously infected and exhilarated, like Simone de Bouveoir recollecting: »On s’exultait sur la splendide animalite des noirs« (1960, ›La force de l’age‹). Here, another facet of the designations – those of contagion, animality, instinct, or ecstasy –, normally applied in derogatory manner, take on a very different significance: that of the individual and personal immersion into performative participation, pointing to the diversity of contradictory legitimation strategies in horizons of reception.

tion since 2000, when the Ballet du Grand Theatre, Geneva, performed their version initially. See Archer and Hodson 2012.

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Implicit erasure The following treatise will be addressing a great variety of issues covering the period of a century of debates on Europe’s colonial heritage, particularly in the field of artistic expression, as re-evaluated in post-colonial times by scholars and practitioners from both sides of the former political division of the globe into colonizing and colonized regions. I am taking the second citation preceding the essay as an initial point, because the disconsolate and anguished cry of the only black dancer cogently seems to encapsulate the implications that for Linyekula became the motivation behind a re-staging. The shouted question, addressed to the author of the scripted mythical narrative of the ballet of 1923, Blaise Cendrars, indicates that the original performance in Paris was in fact a veritable erasure of the original voices of that African heritage that the creators of the ballet pretended to reproduce. The two dozen white dancers’ bending helplessly over the crouched and crumpled figure of the dancer (Djodjo Kazadi) indicates their helplessness, but also for the spectators that the ›searching‹ and ›selfinquiry‹ are now the necessary next step for all of us, the dancers and the spectators. Linyekula obviously put an enormous amount of time into the effort to ›deconstruct‹ the representational ›fake‹ behind the ballet’s façade of having become as much of an icon of European, specifically Parisian, modernism as did the painting of Picasso of ›Les Demoiselles d’Avignon‹ of 1907. While Linyekula has not spoken about the details of his own research into the background of the ballet’s first performance, I am in the following trying to re-trace some of the clues that may have motivated his choice for presenting the original ballet in its reconstructed version as a pastiche or citation. 3 Most important is therefore not the restoration of what has been erased – the original African voices -, but the uncovering and disclosing of the method, of how the erasure has been manufactured; this requires an unravelling of undisclosed agendas behind the production of an African world as European fantasy: the prevailing mentality of colonialist and racist tendencies, as they appear in the movement of ›negrophilie‹ sweeping Paris in the 1920’s. In other words, I am not trying to retell the stories about the concrete brutalities of the colonial order of that time – a 14F

3

Linyekula himself pointed to the scholarly source that put him on his way: it was the discovery in 2006 of the work of Sylvie Chalaye, published 1998.

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background which is also hidden in the production, as the shout of the dancer indicates –, but rather to single out aspects and contexts of art productions of that period showing the incongruities hidden behind the various concepts applied to modernism, then and afterwards in meta-narratives of various disciplines. 4 15F

Refractions The connecting of the pastiche of Linyekula in 2013 back to the ballet’s original production covers almost a century of the politics of cultural productions, their endless concatenations making it almost impossible to fathom them in all their ramifications, their resonances and braidedness, the discourses and practices being addressed by different disciplines with often divergent orientations. The essay should therefore be understood as an example of producing ›refractions‹, as introduced by Bakhtin in his emphasis on ›heteroglossia‹ as an encompassing practice of speaking and writing. I take my clue from a Japanese poem and an everyday experience of throwing a stone into tranquil water. The Japanese haiku by Bassho of 1681/6 puts it into a sonar tonality, replacing the stone by the more poetic reference to a frog: »The old pond, a frog jumping in, Kerplunk« (in the translation by Alan Ginsberg). For Bakhtin the ›meaning‹ of any art production consists in the many ›refractions‹ – we may call them interferences, inferences or intersections – permeating the writing and reading of texts, including, among other factors, authors, figures, historical and other contexts, and, last but not least, the interphase between authors and readers (Bakhtin 1981: 260 ff.). The latter interphase is of particular importance for performative genres, from ritual to theatre and dance, but also applicable to installations and exhibitions. Performative genres have the specific potential of transforming the different agents involved, as various disciplines, dealing with the concept of performativity, have suggested (for ritual see Tambiah 1979; for theatrical and

4

For a re-telling of those atrocities through the reports by Irish envoy of the British Foreign Office, Roger Casement, about the Congo of 1905, and about the Amazon rubber plantations in 1911, the novel ›The Dream of the Celt‹ by nobel laureate Peruvian Mario Vargas-Llosa of 2010, is the most harrowing, yet historically accurate.

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other performances see Fischer-Lichte 2008; see also Köpping 1997, 2002 and 2013). The particularly puzzling but also metaphorically useful features of refractions appear clearly in the common experience of observing frogs or stones and their impact on the surface of a silent pond. Refractions are the visual impression that the water’s surface shows seemingly endless horizontal repetitions as reverberations, of apparently patterned structures, eddying into imperceptibility, and/or into overlappings from recursive refractions from any obstacle or boundary –, making it impossible for the human eye to discern whether a ›pattern‹ or ›figuration‹ of a hidden geometrical ›natural law‹ is revealed, our minds at least suggesting the repetition of ever smaller but circularly expanding replications of the Mandelbrot phenomenon of fractal mathematics and physics. Since not all of these refractions can possibly be pursued, I offer the essay as a prismatic highlighting of specific chains of connotation, triggered in the first instance by the experience of Linyekula’s pastiche of ›La Création du Monde‹, in further recursive circlings adding the experiences of other performances by the choreographer and insights from conversations with him in Berlin in 2015, swerving back and forth between the contexts of the avant-garde of Paris in the 1920’s and allusions hinted at by Linyekula’s various choreographies, relating these in turn to productions and treatises by other recent African artists and scholars concerned with the colonial/post-colonial confusions, incongruities, as well as impasses or paradoxies unresolvable by historical or narrative logic. While there would be a way out of those conundrums through the immediacy of the performative impact and resulting affective ›understanding‹, the venues to the performative styles of the 1920’s have mostly disappeared, in particular those of dance history remaining largely a literally ephemeral and often evanescent field. Jarring inconsistencies of modernism: primitive vigour, insanity, and mechanicism The three citations are pointing to the heart of what may be at stake when discussing the reasons for a re-staging of a legendary European ballet taken as icon or beacon for the origins of European modernism. What is at stake and at risk, are the concatenations of the artistic production and their multi-

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ple entanglements with the regimes of colonialism and their legitimation through various racial and evolutionary theories that in turn were impacting on popular perceptions through media and finding expression again in the pursuit of entertainment catering to spectacularizations of ›colonial exotica‹. The pastiche of Linyekula and his other choreographies do point to paradoxies and contradictions in the project of European modernism, as mirrored and projected by artistic media. The contradictions are embedded in the close association of tendencies and terms like ›primitivism‹ as well as ›natural‹, ›instinctual‹ and the further extension from ›vigour‹ and ›excitability‹ to forms of ›insanity‹, as well as in the constant shifting from valorization to debasement, making ›regeneration‹ and ›degeneracity‹ collapse within a single product, event or performance. In addition to the uncanny alliance between concepts of modernism and primitivism, between desirable rejuvenation of a traditional canon of conventions and artistic productions, perceived to have been worn out, and the danger of contagion through mimetically performing ›the primitive‹, we find a close connex between ›primitivism‹ and the mimetic appropriation of elements of the mechanical age, of the ›robotic‹ qualities of ›humans of the future‹. There seems to surface an apparent inchoateness, when the ›primitive‹ is not only equated with the ›insane‹ but also with the ›robotic‹, implying for all the qualities designated – primitiveness-insanity-mechanistic – a loss of agency. With those conceptualizations we are understandably on very slippery ground, as agency and the loss of it were originally indeed markers for differentiations between rational and civilized societies and those that were caught in ›animistic‹, ›totemistic‹ or ›fetishistic‹ mental worlds of utter submission to phantasmatic projections of minds dependent on irrational instincts. We had indeed to wait for a turn in academic discourses toward the notion about a ›new materialism‹, to realize that ›human agency‹ was a confining and restrictive conceptual tool (one of the earliest and pathbreaking works was the anthropological theory proposed by Alfred Gell, aptly titled ›Art and Agency‹, see Gell 1998). 5 16F

5

Whether this in turn will lead to a re-evaluation of notions about ›magic‹ as proposed by Sir James Frazer at the turn of the 20th century, becomes a debatable issue. Notions of ›contagion‹ ›infection‹, and the danger of ›contamination‹ have in the meantime undergone a twofold revamping: on the scholarly side, Mary Douglas (1966) alerted us to the richness of such concepts and their accru-

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ing attitudes to understand myths and rituals, in a context of what the religious scholar Rudolf Otto had called »contrasting harmonies« in the first decade of the 20th century (Otto 1917/1923).The other revamping of such concepts, showing the ambiguity of their usage, arrived as soon as Western politics began to speak of military interventions as ›cleansing‹ operations, while targeted groups were in turn declaring Western culture as ›contaminating‹. The issue of the use of this concept is of paramount importance to understand cultural and political agendas reaching back into the origins of racism itself: contamination was one of the key notions of the 19th century debate on the superiority of races, played out in France not only between a Latin and Celtic heritage, or used as argument for antisemitism; it became the rallying point for all forms of apartheid or segregation regimes (using always pseudo-scientific evidence); in addition it was uttered by pundits and sensationalist news in 1921 when Maran received as first black writer the Prix Goncourt; it became the rallying of ›traditional‹ bourgeois papers in France when labelling the rise of ›negrophilie‹ among intellectual and artists, speaking of ›negrification‹ of French culture (one of the reasons why the founders of the movement around Césaire did not use ›négrité‹, but ›négritude‹); it was connected since the late 19th century with the fear of contagion by insane people’s bodily outbursts, as much as the contagion from ›dance manias‹, both domains being marshalled into anxieties about ›primitives‹ or ›savages‹. The turning of the new generation of writers and philosophers – after those who celebrated ›négritude‹ like Césaire, in particular from the Caribbean region, like Glissant (2003) to embrace ›creolite‹ as their home, is therefore quite significant, given the history of the concept of ›racial purity‹ ruling European politics for so long. The universalizing the term ›nègre‹ as new ascription to all those of mankind who are in subaltern positions, as used by Mbembe in 2014, is slightly different from the context in which Diagne applies his adage: Diagne tries to exonerate Senghor from having used all kinds of eclectic sources (from Bergson to Sartre and Frobenius); that, Diagne posits, puts all those sources in the category of ›nègre‹. In many ways, these two authors are raising a huge intellectual – as well as moral – challenge, and full of pitfalls, one might add, in particular for the endeavour of disclosing ›racist‹ agendas, since the ascription of ›racialization‹ (Gilroy’s term) has been widely applied also to early ethnographers like Frobenius, as well as to Sartre, Picasso and all the authors who speak of ›l’âme nègre‹ (see below). To do justice to these intricacies of postcolonial theorizing, while necessary, is beyond the scope of this essay. For a detailed critical as-

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Racism behind primitivist imagery: ›savage‹ and ›natural‹ mankind All three citations point to the conundrums, vexations and painful complicities involved in the intercultural encounters between Europeans and Africans, more accurately, between a world of people designating themselves as whites and a world of darker skin colour, the designations being used as legitimations for colonial subjugation of the latter by the former. The valorization of white and the literal ›denigration‹ of people of other hues and shades became a commonly and widely held prejudicial structure or ›mental inscription‹ among the European public, and the avant-garde artistic productions are only the last and most prominently visible ripple of a pervasive undercurrent, the spectacularization of exoticized others permeating popular entertainment venues, particularly during the second half of the 19th century. The differentiation in evaluation was fostered by a plethora of scientific disciplines, developing after the middle of the 19th century around notions of evolution. They were often supported by misleading interpretations of

sessment of the diversity of influences on Senghor, from Bergson to Frobenius, and his engagement with them, see Michael Echeruo (1993). As far as wellmeant advice regarding the concept of race being one which should be put out of academic circulation, as Nina Jablonski sensibly argues (see Jablonski in John Brockman 2015), one may take account about the recursiveness and also the amnesia about discourses of only two or three generations ago. Thus, after Franz Boas (1911 onwards), Alfred Louis Kroeber argued convincingly that the concept is out of date (Kroeber’s compendium ›Anthropology‹ was published in 1924, revised in 1948), as it depends on the number of traits counted, how many ›races‹ one may come up with (there are schemes with about 300). The generation of disciples and colleagues of Boas and Kroeber, among them Ruth Benedict and Margaret Mead (see above in the text about the ›Rap on Race‹ of 1970) did their best to counter-argue racist argumentations. We should, however, remind ourselves, that putting a concept out of bounds does not get rid of deepseated and historically transmitted prejudices or tendencies of thought and attitude. Interestingly, there seems to be a new rise of a racializing agenda within the sciences of genomics, moving the discussion from the surface to the deep structures, as it were (see Gilroy, earliest in 1987).

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Darwin, extrapolating from earlier differentiations of skin-colour of the human species, from studies in physical anthropology, debating whether certain human groups could be taken as ›missing links‹ between apes and humans, and from widely debated works transferring concepts from biological speculations to ideas about cultural and social ›progress‹ through developmental stages (of bodies, minds, emotions, aesthetics and morality; see footnote 2). In its hardening into attitudes of conventionalized and taken-for-granted ›racism‹, this differentiation shows its particularly sinister aspects, when it is combined with a legitimation of dominance hierarchies by recourse to the equation of skin colour with value scales about cultural, social or mental abilities, even predicating the very properties of what it is to be counted as ›human‹ and/or ›civilized‹, or to be designated to a group or collectivity being considered to belong to a ›primitive‹ or ›savage‹ stage (in human evolution) or – in a seemingly benign form – to belong to the ›people of nature‹, both notions being inextricably entangled in the perception of difference. 6 17F

6

On the other hand, Europe’s obsessions with the projection of an Edenic Africa do seem to continue unabated till now: the highly advertised presentations of Sebastiao Salgado’s photographic cycle of ›Genesis‹, touring the world from 2015 onwards, contains one of the most surprising reminders of the mythic cliché about ›natural mankind‹, by including – as one of the very few photos about humans among countless images of ›pristine‹ nature – the proverbial Yanomamö from the Amazonas region, staged in a way that would make Eisenstein envious, as the latter had created one of the most ›romantic‹ visuals of ›indigenous‹ hammock lovers, though putting this into a dramaturgy that showed the destructive influences of the Catholic mission as well as the colonialist’s atrocities of plantation bosses (Que Viva Mexico of 1931). Previous widely circulated novels of romantic love stories set in tropical surroundings, come from the famous interpreter for American readers concerning Japanese customs of refinement and aesthetics, Lafcadio Hearn, who lived in the 1870’s in the Caribbean and published two novels; the second one, ›Youma‹ of 1890, besides depicting in lurid colours the dreamy quality of the lusciousness of tropical life (and love), ends with the savage atrociousness of former slaves rising up against the plantation owners in the typical exotism of his time, tinged with the belief in the dark potential of ›half-civilized‹ minds. It is against this grain that some novels by Tony Morrison like ‹Tar Baby‹ seem to present the anti-dote by a prota-

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The questions posed concern the entanglements and value laden differentiations which permeated for long the relationships between European and non-European – specifically and prominently African – populations, including their respective aesthetic productions. 7 18F

gonist discovering that modern civilization produces only shit to be circulated (1981). Whether turning topsy-turvy of worlds of ›wilderness› and ›modern life‹ as utopia solves the problem of differentiation into dichotomies – even if the ›own‹ is made inferior to the ›other‹, as a criticism of existing conditions through imaginary alternatives –, will remain a contentious issue at least since the discussions about the writings of Daniel Defoe (›Robinson‹ of 1719) and Jonathan Swift (›Gulliver‹ of 1726) and the whole genre of satire, persiflage and pastiche (see below on irony and satire). 7

It took until the mid- to late 1920’s to actually publicly acknowledge in the United States that black people had ›culture‹, primarily through the work of Melville Herskovits, at Northwestern University since 1927, tracing also cultural continuity from African to Afro-American language use, music and dance-styles as well as rituals like Voodoo (with fieldwork in Haiti, Surinam and West Africa, his first encounter with that continent occuring in Dahomey in 1931). Herskovits was the first American scholar to have studied both, the Afro-American cultures, including the Caribbeans of Surinam (who had resisted for 300 years any reenslavement as independent society of ›Saramaccas‹), and African cultures. In contrast to then hegemonial views on black people as being determined by racial descent, Herskovits emphasized the cultural relativity and variability of these cultures. How difficult ethnographic reporting on Afro-American cultures could become, can be gauged from the divided response to the partly fictional writings by Herskovits’ academic colleague and assistant, Nora Zeale Hurston, who, having worked with Boas and Mead, published fictional anthropology, introducing idiomatically well observed forms of a southern ›patois‹ English from her home area of Eatonville in Florida (one of the first all black towns incorporated in the United States). She was criticized by some leading writers of the Harlem Renaissance to cater to white chauvinist expectations. Her 1935 novel ›Mules and Men‹ had however already addressed the carefully researched brutal practices of the abuse of black women by white workers, and the eroticizing going together with exotism and with suppression of black females in forms close to conditions of slavery. For her generation of black activism she seemed not politically ›engaged‹ enough. Only after the mid-1970’s did she gain wide recognition for her

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Thus, the ›primitivizing‹ modernism in avant-garde arts moved the productions of non-European populations from the fleamarkets to the high-class galleries, with the difference that the original pieces were not those to be admired. Admired were those artists who took these pieces or practices as triggers for their own productions, pronouncing the latter as ›creative‹ while giving the former the status of ›mirrors‹ to be displayed en face with their modern ›version‹, playing into an ambiguously double-faced response: to admire the anti-traditional forms of the avant-garde, while adding value to the original pieces that were actually the spoils of colonial expropriations and devoid of any contextualization, now desirable for their ›elective affinities‹ with the most advanced Western creativeness. It must also be reemphasized that the entanglements and the value-laden differentiation are due to an underlying interpretational hegemony, unquestioningly appropriated by Europeans, when they inscribed the originals with their own agendas, sustaining instead of subverting the colonialist propaganda of political regimes. Interpellations The three citations – and with them the re-staging of the ballet of 1923 – recall to us this turning upside down of the creative processes, invoking the silent screams of those who were robbed of their voices and their values. They are therefore more than interjections or rhetoric interventions, they are in fact what I would like to call – borrowing the term from parliamentary prerogatives – ›interpellations‹: they require an answer and a legitimation as well as a continued reflexivity about taken for granted historical events and on-going practices in relationships and perceptions of ›otherness‹ with an equal involvement and on an egalitarian footing for both sides. Answering to those interpellations is therefore more than a parliamentary strategy: the answer is more than a game of polite and/or polemical scholarship using either the empiricism of ›evidence‹ of science, or the

work as advocate of human, black and women’s rights. Both, Herskovits as well as Hurston, realized that mockery can take a very unnoticed form by those who are mocked: the indigenous idioms in Surinam as well as in Eatonville were designed to voice criticism without the targeted person perceiving this, a key element to which Linyekula’s performance as pastiche is certainly related.

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rhetoric of the assumed moral underpinnings and dependencies of all human studies -, as this gets to the roots of a critical hermeneutics. The critical stance requires – following Gadamer – self-reflection as an absolute necessity in order to understand those prejudices which would otherwise – if not reflected upon – dominate our thinking unbeknown to us and thus oppress us, or rather, keep us in a self-chosen prison of endlessly circulating the same beaten paths of discursive redundancies. Refractions toward ›appropriations‹ in different disciplinces: anthropology/philosophy/arts/ theatre/performance studies The desperate shout of the chief dancer at the end of the ballet’s new framing reverberates not only with a particular audience present at the performance, but recalls similar interpellations which lead us right back to the times of the production of the original ballet through luminaries of the then European avant-garde of modernist art, to the foundations of cultural as well as political movements like ›négritude‹, once – and still or again – heatedly debated across the four continents and one archipelago of the Black Atlantic (Africa, South America, North America, Europe and the Caribbean islands). The third quote refers to the time of the foundations of ›négritude‹ in the late 1920’s which is coeval not only with the production of the original ballet, but with the whole movement of a fad or fashion labelled ›negrophilie‹ in the Paris of the 1920’s, involving the resonance by Europeans to art productions of what was then indiscriminately called ›L’art nègre‹, encompassing a rave for African sculptures as much as for Afro-American, Caribbean as well as South American music and dance styles which in turn influenced new African styles of metropolitan areas like Dakar or Accra (depicted in Jean Rouch’s films). The heated discussions about ›négritude‹ and the ›l’art nègre‹ movement within modernism are directly related to the continuing controversies about what is labelled an ›appropriation‹, when Western performance practices involve the taking over or inclusion of cultural repertoires from other, nonWestern cultures. Various domains of scholarship have found different ways of coping with this colonialist heritage and its repercussions in attitudes of ›encountering‹ otherness. Anthropological methodologies have tried to cope with the ethical issues of ›authoring‹ otherness through a long process of self-reflexivity about

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›writing otherness‹. Yet, while many ethnographers got bogged down in laudable but seemingly unending self-reflections, indigenous self-empowerment moved through legal venues to secure their rights to land as well as to ritual imagery and the protection of their secrecy from invading media (as did the Australian First People’s movements in regard to issues of the ›sacred/secret‹, having classical anthropological texts and images withdrawn from publishers and authors, this of course being another form of ›erasure‹). 8 In the field of Fine Arts, by turn, the discourses on modernism seemed to get stuck and mired in endlessly repeated discussions about ›formal‹ criteria or biographical genealogies and comparisons within a European canon, scarcely touching issues of political involvement and how it may be evidenced in the productions themselves, mostly assuming some ›anti-authoritarian‹ or spurious ›anarchic‹ stance to be resonating in modernist paintings or sculptures, Only recent controversies between specialists on the works of Picasso, as those between Patricia Leighten and John Richardson, have begun to engage with modernism’s paragons position vis-à-vis colonialism’s realities (Picasso’s political orientation regarding colonialism is still contested, positively asserted as 19F

8

The claim of a complete erasure of a cultural repertoire of a whole continent, as implied by Linyekula’s performative intervention, posits a special borderline case, in fact as much as in argument. We have only a few reported erasures on the other side of the colonial/colonized divide: ethnographers themselves destroying their diaries or evidence, including objects, in particular in regard to ›sacred/secret‹ ritual spheres, legitimizing these acts with a saving minority cultures from spectacularization through ›uninitiated‹ eyes. The most controversial cases are those of the Zuni ethnographer Frank Hamilton Cushing, and of Ted Strehlow, specialist on the Pitjantjatjara of Central Australia among which he grew up as son of the German missionary Carl Strehlow. A case of literary fame was the complete ›re-invention‹ of the ›Kalevala‹, the ›national‹ myth of Finland that could be taken as a form of erasure of oral traditions. These are complex issues that cannot be evaluated generally, yet an interdisciplinary re-evaluation of such events, in a case by case comparison, may foster new sensibilities for the whole field of the ›inter- or transcultural‹ transactions in different fields, of changing horizons of production, reception and mediation. In addition, folklore research by Finnish scholars has shown how ›inventive‹ oral traditions can be: having told a story in one village they found at revisits over several years that the tale they told was re-narrated in very different versions.

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anti by Leighten 1990; queried by Richardson 2010; with a resounding retour by Leighton 2013; critically assessed and found to be lacking evidence in produced art work by Bridget Alsdorf 2014). In the domain of literature the magisterial pronouncement of Sartre about the ›anti-racist racism‹ of the literary movement of ›négritude‹ of the late 1920’s and early 1930’s, coming to political fruition after 1960 with the independence of many former African colonies, seems to be conceived till now as a ›kiss of death‹ to that movement (Bachir Diagne 2014: 4 on the preface of 1948, where, Sartre coined the ambivalent concept of ›Black Orpheus‹ for the first publication for Leopold Senghor’s »La nouvelle poesie nègre et malgache de langue francaise«). This opinion is partly shared by V.Y. Mudimbe, when he describes Sartre’s comment as a ›shroud‹ instead of the expected ›cloak‹ for 9 négritude (see Mudimbe 1988: 85). 20F

9

The foundations of ›négritude‹ also contain considerable erasures, as the contributions by the Nardal sisters, dating back to as early as 1948, anticipate many of the arguments put forward by Césaire or Damas. The Nardal sisters, hailing from the West Indies, offered their home as a kind of ›salon‹ for these groups of the black avant-garde (on these erasures by the ›Afro-Bergsonian‹ sort of ›boys’ club‹, compaire Césaire 2005; Sylvia Ba 1973; Sharpley-Whiting 2002, coining the term »masculinist«; and Donna Jones, 2010). Erasures of categories of ›race‹, ›gender‹ and ›class‹ are highly volatile and constantly reconfigured conjunctions, as criticism from feminist scholarship about the foundations of the field of cultural studies shows, as much as on the otherwise highly praised last publication by Mbembe in 2015, because his only comment on black femaleness refers to the ›frivolity‹ of black women’s employment in dubious male ›salons‹ at least since the 18th century in metropolitan Europe, while long known for plantation social life in the American south (see fn. 4 on Nora Zeale Hurston’s work of 1935). The private entertainments of the class of Berlin stage directors in the 1920’s, and their excited reception and sponsoring of Josephine Baker by Max Reinhardt, are another chapter in this genealogy, emerging from the publication of the private diaries of Harry Graf Kaessler (see for instance, Easton 2002). To anticipate some generalizations about people like Blaise Cendrars: his male chauvinist and war-mongering as well as grandstanding attitudes make him a contemporary ›mate‹ of Kessler, but also of Hemingway and of the German novelist Ernst Jünger (Jünger probably coming closest to Cendrar’s political leanings). The co-variance of the ›gaze‹ within the racial as well as the gender

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Added to and embedded within these debates are also the discourses on ›intercultural performances‹ going back to another critic of colonialism and the cultural misappropriations of the West, Edward Said’s ›Orientalism‹ of 1979. Said had made the point that any representation of the ›oriental other‹ was governed by the aesthetic and political as well as economic hegemony of the West, so that even if the orient wanted to represent itself, it could do so only through the lens of discourses and practices of Western representations (see Said 1979: 21; the very point that made Linyekula chase up the background for the narrative of the ballet of 1923, suspicious about himself looking at Africa through European eyes). The stumbling stone for a heated controversy became the nine-hour performance of the ›Mahabharata‹ by Peter Brook in 1985, putting Indian theatrical traditions and body formations, dances and musical styles on the world stage. Some academics took the position that this revamping and incorporation of repertoires from foreign cultures was a sign of a succcessful ›humanitarian‹ and ›humanist utopian‹ impulse to synthetically create a ›world community‹ (see Shestsova 1991: 222). Other writers confine any form of transcultural (or intercultural) transference, including inter-Asian transferences to an all too easy framework of always being mediated by Western interests, economical as well as aesthetic (Jacqueline Lo and Helen Gilbert 2002, taking an extremely narrow historical focus). Rustom Bharucha took the extreme position of finding Peter Brook guilty of an actually inexcusable cultural abduction for economic profits (see Bharucha 1993: 68). 10 A different sensibility about paternal21F

discourse is beyond the limits of this essay, but it is an obviously necessary scholarly task, when remembering Fanon’s utter outrage when discovering children’s gaze upon him and his ›coloring‹, while in the same book haranguing the tendency of Caribbean females to ›pass‹ for liaison purposes through mimicking ›whiteness‹ (see Fanon 1952). 10 Many authors do still rely on a simplified scheme of ›source culture‹ and ›target culture‹, introduced by Pavis though the actual interchanging and learning of traditions, as far as Asian repertoires are concerned, seems more complex and multiply recursive as well as controlled within and between particular stage companies; see Pavis 1996. The practices of the Singaporean ›Intercultural Theatre Institute‹ (ITI) are quite a different matter as far as the appropriations and mixtures of performance styles are concerned. One may, however, remind aficcionados that Singeporean political realities are quite different from theatrical

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istic and hegemonial powers of representation, taken for granted by Western authors, was the angry reply by Aijaz Ahmad to Fredric Jameson’s claim that all third-world novels are by necessity copies of a ›national allegory‹ derived from Western models (with reference to the novel »Xala«, »The Curse« »by Ousmane Sembene – becoming world famous for his cinematic

collaboration: since Lee Kuan Yew’s presidency, the policy of clear segregation of ›racial‹ groups (Chinese, Malays, Indians) is upheld by legal agendas that make intermarriage most difficult, an actual taboo. It is frowned upon, since, so argued Lee – similar to his arch enemy in Kuala Lumpur, the then head of state, Mahatir – the mixing would decrease the IQ of children. Both racists had studied anthropology in their younger years, but embraced clear sociobiological tendencies. These policies however are not reflected in the daily ›borrowing‹ of repertoires from other cultures (including the all-pervasive fashion houses of the West and Japan). The daily practices of employment and social standing are clearly reflected in segregated housing and eating areas as well (with the exception of the ›Grand Magasins‹, hubs of wealthy tourism and the Singaporean middle and upper classes of all ›ethnic‹ – self-ascribed – groupings). I am foregoing the intricate discussions on ›diffusion‹ and the borrowing of whole groups as collective forms of appreciative appropriations, a topic in early German as well as American anthropology, with the very different aims of proving historical migrations as well as to point to selectivity of borrowing, depending on barriers through existing conventions as well as environmental limitations (the German founder of anthropology, Adolf Bastian, steered a vaccillating course between universal laws of human inventiveness and cultural transfer; see Köpping on Bastian’s ideas of the »psychic unity of mankind«, 1983/2005). Kroeber (1924) believed that 80 percent of human cultural repertoires were borrowed, leading to Herskovits’ discarding these distinctions to encompass by the concept of ›innovation‹ both, ›invention‹ and ›diffusion‹. For early anthropological theory these were questions to account for distributions of averages, not questions of political coercion, suppression or denial of autonomy or identity, problems that are implicit with the recent terminology of ›appropriation‹, reminders of Marx’ use of ›expropriations‹. The new historicism of Stephen Greenblatt has taken a different stance: cultural repertoires are parts of the cultural capital to which Bourdieu referred, that may, however, re-emerge and be sub-merged at different times, contingently, but they never fully disappear (Greenblatt 1991).

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transposition in 1957 as XALA); Ahmad’s vociferous indignation was similar to that of Bharucha on Brook (see Ahmad 1987 on Jameson 1986). Femi Osofisan, dramatist and author from Nigeria put the colonialist’s fault at a different level of presence: he blames ›insidious‹ Western machineries of cultural policies and media practices for making African original productions basically ›invisible‹ (see Osofisan 2001). I would concur with much of his criticism – and this is the centre of Linyekula’s ire –, as both, famous director’s choices tending toward ›aesthetic profundity‹, and a public thirsting for the spectacular body (›wonder-drummers‹ from Japan or Africa, circus artists from China), seem to indicate a felt ›lack‹ or void, similar to that assumedly experienced in the Paris of the early 20th century, filling this with the manufactured ›ideal‹ of an exoticized otherness (erasing concretely many ›living‹ and ›evolving‹ traditions by neglect or considering the ›written‹ versions as ›authoritative‹). The initial quotes therefore lead a long way back into the complexities and paradoxies of aesthetic performance cultures and the ›borrowing‹ of cultural productions from regions of the Black Atlantic almost a century ago, and to the ambiguities surrounding the foundations of European aesthetic modernism and its convoluted entanglements with discourses on ›primitivism‹, or, to put a name, a date and a particular piece to the abstract concept: to the entanglements coalescing in the still controversial debate about Picasso’s ›Les Desmoiselles d’Avignon‹ of 1907, in particular his previous visits to the collection of African and Oceanic artefacts (not yet called ›art‹) in the Trocadero, the then location of ethnographic objects collected if not plundered by colonial administrations, expeditions and outright wars of aggression and expropriation (being the fore-runner of the ›Musée de L’Homme‹, with its own devious history of the exhibition and strife over Sarah Baartman’s remains; the majority of ethnological collections were transferred in 2006 to the newly built ›Musée de quai Branli‹). Yet, Linyekula’s re-staging of the 1923 production does not only lead us back into the events and incidents of the acquisition of the sources of the ballet within a colonial context largely left as void, the point that the choreographer indeed emphatically focusses upon. Through his various frames he tries to performatively transform concepts such as ›void‹ that point to an ›erasure‹, into what I labelled ›interpellations‹ to audiences to start a reflexive search for their own ›amnesia‹ or forgetfulness (even suppression, for

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political reasons, or ›repression‹ and ›displacement‹ of shameful acts in psychoanalytic parlance;on the notion of ›anamnesis‹ see Köpping 1987a). Starting the frame: Ravaging Africa Linyekula frames the ballet of 1923 by a prelude in which a bodice without head, hands or feet, lying in the spotlight on the stage floor, is taken up by dancers to be torn and twisted into all directions. The metaphoric reference to Africa and colonial exploitation is clear to all who attend this pastiche of the original first ›Ballet nègre‹. This abstract metaphoric dance is accompanied soon by all dancing bodies throwing themselves on the stage floor with a reverberating thump, rolling about, then crouching, slithering and twisting on the floor. This danced metaphor appears in sculptural form in one of the well known installations by Yinka Shonibare in his ›Scramble for Africa‹ of 2003, shown in Berlin in the Friedrichswerder Church, not far from the place of the Berlin Congo Conference of 1885. It shows fourteen persons without heads gesticulating around a table with the map of Africa in front of them, attired in the colourful garb that is now taken for West-African indigeneity (Shonibare having believed this himself), while it was a mercantile strategy to sell the designs on cotton which Indonesians rejected as they were not on the traditional Batik cloth in a new and growing market in West African colonies (the clothing style nowadays considered an ›indigenous‹ custom by most West Africans, reminding us of the case of the recent re-evaluation of the books by the missionary Trilles by scholars from Gabun, and the general issue of cultural transfer as problematized through terms like ›diffusion‹ or ›adaptation‹; see below on Trilles; see also fn. 7, second part). Both artistic transformations of course can also be understood as a ravaging, in the double sense of a love-play (the ›innocent‹ but tumultuously danced sexuality of ›La Création‹ at the end), and as a plunder in the concrete colonial expropriation, through which Leopold II wanted »a slice of the magnificent cake« for himself.

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Fig. 2: Yinka Shonibare, Scramble for Africa, 2003, Fourteen life-size mannequins, fourteen chairs, table, Dutch wax printed cotton, 132 x 488 x 280 cm.

Source: © Yinka Shonibare MBE. All Rights Reserved, DACS 2015. Image courtesy The Pinnell Collection, Dallas. Commissioned by the Museum for African Art, NY.

Cake-walking the cargo The most disturbing intervention by Linyekula is having his dancer (or himself) circumambulate the stage in the first half of the re-staging, before the ›original‹ reconstruction is coming into the audience’s view, by cakewalking or black-bottom imitation – though in a decidedly machinic body motion – slowly unravelling parts of the back-curtains of the stage machinery. While he is carrying on, the props and designs of Léger’s figures can be glimpsed from huge cargo-crates with half-opened doors. The references to ›cargo‹ seem obvious, yet the hiding of Léger’s work from the spectator’s eyes may be read as a more complex metaphoric reference on a conceptual level: the ballet is hiding the erasure, and cargo is always connected

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to the moving of extracted treasures – though hidden in ›containers‹ – the ballet of 1923 itself being considered a ›treasure‹ of ›occidental art‹. The performance most challenging to European eyes is Linyekula’s imitation of a shimmying shuffle-dance, the referencing points to the Parisian negrophile dance fever for cake walk mixed with the styles of Charleston and of black bottom. While the dancer disappears at half-time behind the curtain on one side of the stage, he leaves the audience in abeyance, an initial silence ensuing. Then his hand pulls the curtain to the side and he mockingly remarks »why don’t you clap, this is where you used to jump from your seats«. The Duesseldorf audience was clearly stumped in every way, some people having clapped, possibly by habit, as clearly there was a hiatus in the piece, with the curtains being drawn. After his mocking interpellation, only a few laughed self-consciously, but most people applauded then, possibly honouring his prompting and his choreographic skills. On the whole, it seems that the audience was here taken with a reflective affectivity, being torn between shame, reluctant approval and relief to have been exculpated, if one had applauded ›naively‹. The unease was a form of embarrassement in at least two directions: the embarrassment about watching a black dancer do the movements that somehow everybody knew were not to be watched as ›spectacle‹. The other attitude may have been the notion of liking the spoofing of the audience’s historical selves. Whatever other second thoughts may have entered the audience’s minds, Linyekula succeeded in leaving the whole audience in a quandery, stifling and thus re-directing the immediate affective response to a ballet’s bodily skills, making, as it were, the ingrained ›machinery of performance culture‹ that includes the polite inanity of applause, ›stutter‹. The only similar response I can recall, happened when I showed students the film by Dennis O’Rourke CANNIBAL TOURS of 1988. Everybody was cringing with embarrassment, when a German tourist depicted in shorts went on to demand from a Sepik villager, to show him the place where ›they‹ were formerly killing their victims, duly being shown such place by the villager, and, after taking the photo, talking to the film-director about the over twenty countries, in particular in Africa, where he had already visited ›first-hand‹ the places of cannibalism. The peak of self-shaming of viewers of the film always occurred at the end, when the motley group in the evening danced to ›tribal music‹, having donned tatoos and invented garbs, as ›New Guinean‹ primitives they had not actually encountered,

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playing out their own fantasies on a tourist ship on the Sepik. The Sepik villager had previously shaken his head, when telling the film’s director that he could not understand why people would go and visit strange countries. He compared them to the ghosts of the dead that he and his fellow villagers believed in –,thus resoundingly comparing white tourists to ›dead‹ people. The many implications on touristic exoticism should also make us ponder about our obsession with certain and particularly exotic repertoires from other cultures, about the ›intercultural‹ denotation, beyond the slogans that claim to be fostering the ›understanding‹ of other cultures. Various performative solutions to overcome dichotomies of inequality have been tried out, from Odin Theatret and Barba’s attempts at ›participatory exchange‹, to Guillermo Gomez-Pena’s spoofing of our own cliches (and the collaborative ›exhibition‹ with Coco Fusco of the ›Couple in the Cage‹ of 1992, playing on Western voyeurism and avidity for exhibitionist exoticisms, yet the results remaining ambivalent, some people being puzzled, some believing in the reality behind the spoof, and some even taking the spoof at its horns and molesting ›the native woman‹). The results of Barba’s performing ›exchanges‹ remain provocatively disputed as much as instructive for comparative discussions across disciplinary boundaries (theatre, cinema, and anthropology for instance). In the cinematic version of Barba’s encounter with the Yanomamö, when North European women are performing yodling – waiting for and expectedly receiving a dancing performance from the Amazonian women –, the spectator of such filmed events may feel queasy, when fully dressed Europeans, shown in doubtlessly ›staged‹ and ›rehearsed‹ forms of ›playing at being equal‹, are filmed with naked women from elsewhere, in particular from ›the jungle‹. Spectators who know the ethnographic film styles of Robert Gardner or Timothy Ash (THE AX FIGHT of 1975, among the Yanomamö, by Ash, probably as widely known as DEAD BIRDS, by Gardner of 1965) will be quite aware about the ›construct‹ of ›the native‹ that is proffered, and that, in Rouch’s terminology, the ›truth‹ of a ›documentary‹ is always a ›cine-truth‹ (the ›cine-pravda‹ of Vertov).

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Questions about what becomes ›canonical‹: Whose authenticity is staged? As this form of erasure is one of the extreme cases of enactment as well as reenactment, it does offer a good platform to think about notions such as ritual, repetition, redundancy and performativity and its effects, effectivity and affective resonances in a different way, raising questions such as: »Who may or should perform what kind of otherness for which audience?«, as well as: »Do we admire the skill of the performing dancer, or do we only applaud our own nostalgic and narcissistic satisfaction about the creativity of what we claim to be our own tradition?«; Or finally: »Do we express our admiration for the reconstructive efforts?‹ When we see people – as did the in-crowd in Paris of the 1920’s – rushing to be entertained by ›authentic‹ African dancing: ›whose Africa are we thirsting for?«

The machineries of marketing know quite well that we are easily duped into accolades for the ›real thing‹, even when this is manufactured in the finest detail, our penchant for ›cabinets of curiosity‹ (whether called circus, arena, world exposition or a ›show‹) being inexhaustible. The exotic other remains an attraction which forces even those who want to gain from tourism to succumb to the lure of self-exotization, if they don’t want the ships to sail by. Here too, the questions raised by Linyekula about the filling of voids due to erasure are also addressed to us: which void do we fill with our accolades for an authentic otherness? Linyekula’s performances as transformations: Recoveries Linyekula’s pastiching is, in fact, a fortuitous choice, as he offers performative venues for a healing of traumata, for a recuperation or recovery of memories and histories, of experiences and reflections, through recourse to the performing body. Performative (or other aesthetic) practices are potentially transformative strategies, as powerful and possibly more persuasive than the violence that Frantz Fanon found indispensable for the healing of the traumata of colonial oppression. It should, in fairness, also be remembered that Fanon accorded almost equal importance to the power of per-

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formativity when he referred to the impact of trance and possession states for the sanity of the minds of those oppressed through colonial subjugation (see Fanon 1961, English translation 1963). One of Linyekula’s projects of recovery – using the term for the double but related aim of ›healing‹ and for the ›recollection‹ of memories, of history and identity – was the lecture performance of 2011 in the Walker Arts Centre in New York to which the first citation refers. The other one is the performance of ›Dinozord III‹, having its German premiering in Berlin in 2013 which segues closely into the lecture performance of 2011, both choreographically interrogating the political vagaries of the ›Congo‹ after the colonial subjugation, colonialism and subjugation never having vanished or been vanquished (Linyekula himself dislikes the ascriptions of generalizations for people, like ›African‹ or ›Congolese‹ though this is exactly what happens in advertising his choreographies; the reason for his critical stand can be gauged from his lecture performance of 2011 in New York, see below, referenced by the first citation preceding this essay). Within this framework, the restaging of the ballet of 1923 as pastiche acquires a different hue, one of historical depth as much as of contemporary political relevance, for both, performers and audiences. Reenactments as erasures or remembrancers The re-staging as pastiche raises important questions about the effects of reenactments as well as about restorations of past performances. The problems start with the ascription of concepts to such reenactments: while Kenneth Archer and Millicent Hodson prefer that their – doubtlessly meticulous and well informed – reconstruction is labelled a ›recreation‹ of a ›Postwar Cubist Collage‹, they consider Linyekula’s version a ›reconstitution‹ (see Archer and Hodson 2012). This raises a number of contentious issues about reenactments, such as the question whether all reenactments are not by practical experiences, if not by definition, erasures of previous performances, a kind of palimpsestic covering an original with continuously changing re-interpretations, so that an original repertoire’s faithful ›rendition‹ – another dubious term suggesting ›authenticity‹ in a re-play – remains an imaginary goal, never achieved and always vanishing. This prevaricating comment should not be taken as a debunking of the term ›authenticcity‹ on my part. Though I have some doubts about its claim to being ›real‹, the per-

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fomative genre itself speaks strongly against such usage. However, it is closely connected to Linyekula’s choreographical search for his personal (less the collective) identity and memory, while being also inextricably connected with collective history and collective memory, reminding us of Hillel Schwartz’ adage – in his work on duplication, twinship and cultural mimesis – ,that we should continue to search for ›authenticity‹, because the search for the original behind the copy keeps us alert for such processes of ›imitation‹ and ›camouflage‹, but also hopeful to not always fall into the traps of ideological falsifications (see Schwartz 1996: 17, where he exhorts that tricksters and imposters may be agents provocateurs to a more ›coherent, less derelict sense of ourselves; they may call us away from the despair of uniqueness toward more companionate lives‹). Every restoration could indeed be understood as a ›re-creation‹ in the sense of a ›re-invention‹, bringing together the fictive and the factual, experiences and imaginations, even the festive and the bodily or mental recovery, in ever-new – often only metaphoric – constellations. Other points of view may have recourse to the notion of ›cultural repertoires‹ pre-orienting our perceptions – our recollection of previous experiences of the same narrative, figure or event –, leading to a complex accumulation of different layers, condensed in concepts of figures like ›Richard III‹. We may scarcely have a chance to perceive this figure against the grain, as the Shakespearean text is so overwhelming and pervasive, while the known performances of an Olivier give the figure such a devious tilt, that no historical counter-evidence will ever erase our negative cliche of that king. Reenactments always have to steer their course between erasure, often done intentionally to cover up unpleasant events or narratives, and the duties of the ›remembrancer‹, a notion put back into the discussion about memorial events by Peter Burke who considers this figure necessary, even if only as a symbolic token, for what Maurice Halbwachs in 1925 called ›collective memory‹ (see Burke 1989; Halbwachs 1925/1992). 11 2F

11 The critical engagement with reenactments and other forms of repetition and recollection would of course have to engage with Nietzsche’s rhetorical master narrative on memory and forgetting in historical perspectives (Nietzsche 1874, ›On the use and abuse of history for life‹, the Second Untimely Meditation). He does not favour any ›traditional‹ form of memorization (particularly collectively understood), the two major ones, the ›monumental‹ and the ›archival‹ forms,

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Ambivalences in burlesquing Yet there are more sides to Linyekula’s burlesquing: on one side, there are such burlesquing dance forms in the original ballet, as Millicent Hodson’s reconstructions for the dance forms show: in particular, the first human couple, emerging at the end of the invented mythical tale at the end of creation, is dancing a wild dance of ›primitive sexual excitement‹ (through a mixture of Charleston, Black Bottom and/or Cake Walk or Black Bottom, before retiring. This was exactly the dance style so much vaunted in the Parisian night-club scene, though we know that people who wanted to join in this scene – still considered ›transgressive‹ –, would rehearse at home, and, through this very act, prove that they were ›performing‹, to a kind of ›idiot’s guide‹, because the danger of what Walter Benjamin called ›immersion‹ or ›innvervation‹ (in reference to the cinematic apparatus and its affectivity), that is, the danger of really ›transgressing‹, by being ›carried away‹ by the jazz dances of Afro-Americans, would indeed have been breaking a ›taboo‹ . Maybe, the mocking of the audience by Linyekula leaves us in a conundrum, as the story of ›black bottom‹ dances has a further twist: it was originally danced as a persiflage by black personnel on plantations, mocking the plantation owners stilted conversations, gesturing and dance movements (trying to ›upper class‹, pretending to be the new aristocracy on American soil). As expectable, the persiflage was not understood by ›the

both having their advantages and disatvantages. Yet he provocatively demands more ›forgetting‹, as that is for him the more desirable quality for going on in life, opting for an experiential attentiveness and a letting go into ›living‹ or ›being‹. This is a difficult proposition which, while highly relevant for an individual’s choice of life-style, thus also encapsulating an ethics, it does lead into a serious discourse on philosophies of life that cannot be pursued here. In many ways, Nietzsche would probably advocate a critical discourse that may end in ›peace of mind›, a kind of Stoic ›ataraxia‹, or ›imperturbability of the soul‹ that enables ›presence‹ to an occasion or a form of ›surrender‹ to a flow of living. I mention this line in the context of Linyekula’s choreographic trajectory, as he did indicate that the performance of ›La Création‹ achieved for him to get the anger out of his system (personal communication at the occasion of a conversation in Berlin in 2015).

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masters‹, but first taken as jolly entertainment, and later imitated as the ›true Negro thing‹ in urban areas by white afficionados of jazz. This is a resounding reminder that mockery is not always perceived as such, as it requires the ›look through the eyes of others at oneself‹. It also requires the insight that the subaltern groups may actually not be that enrapt by the prestige of higher classes, although, when done at other times and outside that context of hierarchical order it may be attached to new interpretations. The reception of the above mentioned works by Nora Zeal Hurston is a good case: what she showed as a mockery through black subalterns of white superiors (in her home town Eatonville in Florida; later shown as linguistic camouflage through the then so-called ›Bush Negroes‹ of Guyana by the fieldwork recordings of Herskovits), giving a chance to ›talk back‹ and to criticize without the recipient understanding these innuendoes, was taken by some writers and advocates of the Harlem Renaissance as a ›mockery‹ of the presumed inferiority and debility inferred to black Americans, to play along those lines of debasing the other; in fact the meaning inferred in publishing these forms of expression was seen as playing into the hands of white supremacist ideologies and their legitimation through reference to linguistic and other ›deficiencies‹ (see fn. 4). 12 23F

12 Black bottom dancing offers close reminders to the past, with Sarah Baartman being the most harrowing case, as well as to images of ›black venus‹, applied to Sarah nowadays as accolade and memorialization, and turning forward to the chosen appellation by Josephine Baker, the iconic adage again pointing back to Jeanne Duval, companion of Beaudelaire from the West Indies (with allusions to Manet’s ›Olympia‹). All these lines of connotative recollections which Linyekula is touching upon, can scarcely be taken up here, as the vortex of denominations and evaluations turns repeatedly. One of the lastest takes on the complex figure is the book-cover by Deborah Willis ›Black Venus 2010: They Called her Hottentot‹, chosing the photo-exhibition by Renee Cox donning metal breasts and buttocks as an emancipatory display of picking up ironically on the spectacularization of Sarah Baartman in the first two decades of the 19th century (the photo-exhibition cycle by Renee Cox and Lyle Ashton Harris, photographs, was called in 1994 ›The Good Life‹).

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Fig. 3: Notebook page for reconstruction in 2000: Entrance of the Festishists during duet of human couple, called Sékoumé and Mbongwé in 1923.

Source: Pen and ink drawing and notes by Millicent Hodson: animation of original costume sketch by Fernand Léger, showing how figures can move in costumes. Costume reconstruction by Kenneth Archer. 2000.

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Burlesquing in itself always has a double edge to it when done as a mimicry – it is literally ›multi-targeting‹ –, as it can be taken as aimed at the group that is performatively depicted, while simultaneously being directed against conventions or even those writers from within conventional boundaries who publicly deplored and denounced the transgression, thus burlesquing the moral criticism about transgressive performances itself. Two cases of the inherent contradictory messages, about the multivalence of a performance genre, shall be contrasted here, that of Josephince Baker – having a direct relevance for the provocative mocking by Linyekula’s black bottom performance –, and of Paul Guillaume who shows the ambivalence persisting and prevailing among the other side of the Parisian spectrum, the artists and their mutually dependent public relations mediators. Controlling mimesis? – Josephine Baker Grotesqueness, burlesquing and pastiching (close to the satirical impulse), was apparently widely used by women entertainers to undermine eroticist allusions, by providing a space, particularly for female performers, to distance themselves from the invasive gaze by male customers, while they were obviously also playing on their conveying this ›contagious‹ aura through performative allusions. This has in fact been suggested for Josephine Baker’s performative control over the role of subverting the expectations about ›the savage female‹, endowed with a presumed unbridledness and lecherous tendencies that were the very notions that scientist like Cuvier entertained about the amply grotesque buttocks of Sarah Baartman around 1810. The public fascination with the image of savage cannibal black women warriors goes back to the first appearance of Dahomean ›Amazones‹ in the Casino de Paris in 1892 (see Gordon 2008: 148 f.), highly acclaimed and as sensationalized – as was the village of 150 Dahomeyans at the ›Exposition d’Ethnographie colonial‹ at the ›Champ de Mars‹ in 1892 -, somehow ›replaying‹ the Dahomeyan war just finished after two years of savagery through French annexation (the later Senegal). They were actually feared and considered as degraded as animals and of grosser savage energies than any other African group, the women even more so than the men, as commentators exhorted, also legitimizing to the enraptured public the necessity of the French ›civilizatory mission‹.

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Baker, however, was intentionally ›pastiching‹ this image through pulling grotesque faces, squinting her eyes and exaggerating her clownishness, extending from her early minstrel experiences with extreme black-facing, before appearing in ›la revue nègre‹ – without the black-facing – in 1925. The contradictions are not easily resolvable, as Baker herself was quite carried away with the ecstasy of her wild dancing with the Antillean dancer Joe Alex, as she speaks of her having felt ›ecstatic‹ in the upside-down whirling of bodies (quoted in Jules-Rosette 2007: 48). This ecstatic quality of her performance overwhelming the performer may be taken as an important factor, explaining her success beyond the issues and aspects of the ›spectacularization‹ or ›erotization of black female bodies‹ as an imposition of a dominant male gaze. The previously mentioned comment on such experiences by Simone de Bouveoir shows the ›contagiousness‹ of ecstatic dancing styles overwhelming spectators, even if they don’t participate (a telling case of the affective resonance of the performative as genre). 13 24F

13 I agree with Jules-Benette on the suggestion that Baker became master of her icon, as her later self-representations in photography seems to prove (like the picture titled ambiguiously ›Black Venus‹, taken by Vogue photographer Hoyningen-Huenen in 1929, showing her in a self-possessed posture, while holding a white dress in front, her body being kept in a dark shading); not to forget her bending of gender roles (performing as male bandleader); or her selfempowerment joining the French resistance as well as the civil rights movement of Martin Luther King; and previously, becoming the ›mother‹ to children of motley background, adopted and living in the Chateau des Mirandes as ›rainbow tribe‹. It should, however, not be forgotten that her figure on the stage, including the played out eroticism as much as the clowning, were very much rehearsed and governed by he savvyness of the director of the show, van Vechten, generally better known as the trusted executor of Gertrude Stein’s literary estate. Here again the intricate connections and interlacings of the European as well as American artistic communities come to light, as Gertrude Stein was also the person – besides Vlaminck and Derain – who Picasso asked for advice and through whom he obtained many objects of African art for fleamarket prices (see Leighten 1987).

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Double mimesis : Paul Guillaume – Playing other while mocking the self To give just a typical example for this trendy contradiction of the 1920’s avant-garde scene: the gallerist Paul Guillaume, championed by Apollinaire, used as public relations gimmick for his exhibition of African and Oceanic art works in 1919 to sensationally advertise his soirees of ›fêtes nègres‹ (the first ›fete nègre‹ having been a ballet antedating ›La Création‹, but also based on Cendrars’ ›anthologie nègre‹, performed at the gallery in 1919), during which luminaries like Jean Cocteau would imitate African drumming, singing songs 14 in invented African languages and dance to jazzy tunes. These shenanigans may be considered post hoc as harmless frolickings of a generation of artists who wanted to show off their ›subversion‹ of traditional styles and authorities, but they did this in a form of clearly mocking the originators. The ›adulation‹ of the exotic vibrancy and vitality was in fact less a valorization than a hiding of origins, the ›copying‹ being considered the ›real thing‹. But there are always more levels or shades of complexity involved. The general attitude of the modernists to scare the bourgeoisie and showing an anti-mainstream attitude as en vogue, appears in satirical performances, like ›Le Crapouillot‹ of 1922 (possibly translatable as ›villainery‹), where Guillaume mocked the voices in the French press and the public that was somewhat terrified by the ›negrification‹ of French culture. They produced a piece – in the same year as Paul Maran received as first African writer the Prix Goncourt for his ›Batouala‹ – in which a certain »Fernand Divoire … de la Cote d’Ivoire« is accompanied by »Arthur Haut-Niger…ou Honnegre«, and by a »Tristan Tsahara« (quoted in Blake 1999: 89). 25F

14 Parisian avant-garde games with the imaginary of savagery in African permutation, can clearly be traced to the Dadaists of the Cabaret Voltaire in Zurich in 1917, were fake African languages were intoned, while African masks hanging on the wall were providing the spiritual, ›fetishist‹ powers. As far as dance history is concerned, the plethora of suggestive appropriations of angular and jagged or jarring movements of limbs became fashion with the connection between the modern dance promoters like Wigman, Delacroze and Laban, and had since then a strong genealogy in dance modernism to which Börlin may be added, though he shifted stylistically from clumsy, folksy to smoothly languid movements, but also to jarred angular or machine like style.

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›Contaminating‹ genres The ambivalences of the time and of the polyvalent genre of the grotesque come to the fore (the ambivalence of course being the key element for such genres as burlesquing or cartooning and satirizing are often used, starting with Greek Old Comedy and extending to Rabelais in the Renaissance, Erasmus of Rotterdam being the master of disguise when claiming that all his satirizing of conventions and professions in ›Encomium Moriae‹ were but sayings of ›Dame Folly‹). As Seidel once put it when writing a discourse on August Wilhelm Schlegel and the importance of satire, ›satire sullies‹, implying that the satirical as general genre (extending to the burlesque, the grotesque and possibly other dark sides of ›humor‹), results in the writer to hit his target by heaping ›dirt‹ on it (a group or individual target), the risk being always that the speakers (writers, performers) become smudged themselves, dirt either ›sticking‹ or becoming a boomerang (see Michael Seidel 1979 on satirical genres). ›Dirt‹ as ›a matter out of place‹ (as Mary Douglas called it in 1966, following Lord Shaftesbury, hailed by Herder as a ›gentle‹ literary beacon), has the potency of disturbing a whole system. That being its transgressive power, it needs careful hedging or framing, predominantly through a sacred or ritual taming (and possibly through artistic forms as well). By contrast, ›self-irony‹, as one form of ›mocking‹, was considered by August Wilhelm Schlegel as the highest form of self-transcendence (for the complicated extrapolation of Schlegel’s notions see Szondi 1986). In the light of such considerations, I perceive Linyekula’s cake-walking as more than a mockery of a European audience: while mocking us, he is also ironizing himself, and thereby ironizes also the European expectations of the 1920’s toward jazz musicians or black body movements generally, causing for the spectators an affective impasse, cleverly playing with this unease, having transformed his original anger into the relief of humorous distancing, or, as he intimated in a conversation in 1915 in Berlin, he got Cendrars out of his system (personal communication). Double mimicry – Creolite and l’art nègre Linyekula implicates that the narrated myth of the ballet »La Création du Monde« play to the imaginations of ›Africa‹ as felt desirable by European

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eyes, erasing at the same time the voices of African narratives by replacing them with a European manufactured tale and embodiment. The ballet does not so much ›imitate‹ in some evaluative way African lives: it actually eradicates the blue-print. Even more: the narrative and the decorative figures of the legendary ballet or other forms of expressions such as jazz music are typical realizations of how Africans have learned to look at themselves (Linyekula’s remarks on his own self-reflexive perception, voiced in several interviews). I would extend the earlier notion of négritude that West Indian ›hybrid‹ cultural life may indeed have been built upon the requirement (understood by the ›civilizing mission‹, a propaganda tool which Joseph Conrad at first believed in as much as did Roger Casement when they met in the Congo in 1890), of what Aimé Césaire called an ›aping‹ of white behaviour. Upon this first layer of mimicry was imposed by the ›l’art nègre‹ movement a second request for mimetic performance, the notion of the ›native‹, the primitive as savage child (›yes, master‹), or in the performative tradition of dancing rhythmically, though ›syncopated‹ arhythmically 15, gesticulating outrageously, mimicking virtuosity and proving the energetic vitality, supposed to be inherent in an African heritage. In this way, they are forced to enact a mimesis of alterity (the colonial other, to become acceptable as civilized, even human beings), but also a mimesis of the European imaginary, to show in embodiment that savage as well as pristine original and instinct driven humanity, that is loaded simultaneously with impositions of derangement, danger, unpredictability, volatility. The insulting comparative ›scientific‹ proof, that such people are also a kind of ›missing link‹ to primates, found wide acceptance – beyond the notorious objectification of Sarah Baartman – in the reading public at the turn of the 19th century (the adjective ›simian‹ even being taken up much of the popular magazines; see ›Dancing with Darwin‹ by Rae Beth Gordon, 2009; Gendron 1990). The counter-image of European self-perception is one of a tiredness, of having lost the impetus for cultural innovation, a demise or decline of 26F

15 A-rhythmic syncopation is applied to dancers who move, like Josephine Baker, different parts of their torso into different directions.

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creativity, as well as a being stifled by restrictive body codes inhibiting ›natural‹ inclinations. 16 These tangents of referentiality of Linyekula’s appellation in the restaging of the ballet already point to the ambiguity of ascriptions and appellations and their almost endless concatenation of images invoked. 27F

16 This explanation is also subscribed to by Archer and Hodson, the plausibility of the connection remaining open for debate. For the connex of boredom and ennui with a yearning for exitement we may find numerous examples, from Beaudelaire to Rimbaud, yet Michel Leiris’ many volumes are testimony – and acknowledged self-portrait – of the search for excitement always expected from ›beyond the horizon‹ actually being in vain and ending in the endless loop of a soliloquy. The anthropologist Malinowski was possibly the first to warn about honing in on the extravagant spectacles of other’s lives, and to advocate the turning of attention to the humdrum or boring everyday life. The repeatedly uttered legitimation of searching for ever new thrills in honing in on exotica seems a somewhat trivial argument, as counter-examples on relieving traumata can be found in such harrowing paintings as those by Georges Rouault, who, incidentally, also contribuited to Jarry’s ›Almanach‹. However, the general idea, that what was formerly called ›melancholy‹ can be healed by ›entertainment‹ or ›sports‹, derives from a better argued treatise by Richard Burton, ›The Anatomy of Melancholy‹ of 1621. Taking my clue from Burton, it would appear that the legitimation for freeing oneself from outworn conventions, as is clearly the case for young people and for women in the 1920’s, could resort to any ›sports‹. Why the rejuvenation has to come from ›the primitive‹ would remain a contingent factor. That indeed would sever the connex between modernism and primitivism and make any search for a collusion by the avant-garde with colonial regimes quite futile.

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Fig. 4: Messenger (female), called ›Gnoul‹ in original 1923 production and reconstructions in 2000, 2003 and 2012.

Source: Pen and ink drawing by Millicent Hodson, 2000: Animation of original costume sketch by Fernand Léger, showing how figure wears stilts and uses lance. Costume reconstruction by Kenneth Archer, 2000.

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Double mimicry as empowerment: Jean Rouch and the ›Hauka‹ The reminder of the double mimicry imposed upon black actors, musicians and other performers in the Paris of the 1920’s explains partially the polemic aversion by many African intellectuals in the 1950’s against the ›documentary‹ by Jean Rouch of 1954/5, LES MAITRES FOUS (which Rouch would have labelled rather a ›cine-truth‹, separate from the domain of ›documentary‹). 17 However, considering the complex twisting of mimetic expectations, the film and its protagonists, the members of the cult of the ›Hauka‹, do appear in a very different light. The film is probably the only existing cinematic approximation for an inversion of double mimicry: the labourers of Accra in Ghana (then still called the Gold Coast) are performing a ritual in which they mimic the behaviour of the colonial masters (called ›Masters of Madness‹, ›Hauka‹), but they are at the same time victims in the sense of being possessed or taken over by the spiritis of these masters of madness. While in states of possession, they do perform the activities of colonizers in a bizarre way of mocking, of excessively and outlandishly performing military and civilian forms of conduct through utter slow motion or through bodily distortions. They include actions such as the sacrifice of a dog and forms of omophagy, then foaming at the mouth and speaking through a form of mixed language in automatical overdrive of speed, rhythm and staccato utterances, paralleling the jerking and trembling of bodies being slowly possessed from toe to tongue. Critics have – erroneously – always interpreted this cinematic masterpiece as debasing indigenous populations in Africa in a form reminiscent of such notoriously vilifying fake documentaries as Giacopetti’s ›Africa Addio‹ of 1966. Considering the problem of mimetic desires of European expectations, the film by Jean Rouch undermines the European stance of superiority. Visually, it is the most impelling piece of cinema, making sense of the data recorded by a plethora of ethnographies about millenarian movements about salvationist cults pertaining to and ritually invoking a future utopia, without suppression by colonialism, also known as ›Cargo Cults‹, that spread widely after World War II in large parts of Oceania, New Guinea, but also in South 28F

17 On Jean Rouch’s ideas about cinema see the collected articles and interviews in Steven Feld 2003.

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America and which, a century back (between 1860 and 1890), were prevailing among North American indigenous populations at the verge of extinction (not to forget cults among Australian Aborigines who were relegated to mission stations in the 1930’s in the Kimberleys, ›inventing‹ – under influence of biblical sermons – inversion myths about a coming deluge that would drown all whites and wash the color off their own skin; see Köpping 1987, vol. 15 of ›Encyclopedia of Religion‹ on ›Ungarinyin Religion‹, relying on Helmut Petri 1954 and own fieldwork observations on the mission station of La Grange, about 80 Km south of Broome in the late 1970’s). The Hauka not only put the world upside-down, they mimic and mock at the same time, they are victims and rulers, and their mimicking performance swerves along lines which are theoretically difficult to classify, but the visual impact is for European audiences not so much one of disgust but one of a surprised holding of breath about the critical edge of colonized subjects. 18 The reaction by Marcel Griaule, the leading anthropological ex29F

18 The idea of evoking ›nausea‹ is suggested by Paul Stoller’s ethno-biographical survey of Jean Rouch, in 1992. The reactions by people of African descent in Paris, among them Sembene, seemed more in line with the experience of that ›hidden‹ racism apparent in the times under discussion, comparable to the visualizations in in booklet of lithographs used as advertisments, called the ›tumulte noir‹ of Jean Colin (who flogged Josephine Baker’s infamous flyers in banana skirt – purportedly designed by Cocteau –, or with the fluffy white dress surrounded by two male minstrels in blackface, for the ›revue negre‹ of 1925, immortalized by Covarrubias’ cartoon sketch of 1927, ›Jazz Baby‹). Covarrubias was one of the great ›facilitators‹ among the Parisian avant-garde groups: the Mexican cartoonist who had worked many years for ›Vogue‹, was responsible for many background designs for revues as well as for ballet, sharing the excitement about the archaic and the exotic, concentrating later on serious anthropological work about Aztec cultures, and being as enamoured with Bali as was de Mare. He later designed the Viking Medal for outstanding anthropologists chosen by the Wenner-Gren Foundation. The medal could with a critical postcolonial view be considered ›exotistic‹, repeating the stereotypical imagery for four ›racial‹ groupings to represent ›mankind‹ and their ›unity‹ (the declared aims of the anthropological foundation); indeed, the African representation of a female with protruding breasts and buttocks – the only naked figure among the four – smacks of ›racist‹ imaginaries, the icon belonging to a ›stock imagery‹ of

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plorer (and pilferer) of African arts and artefacts of the period of the early 1930’s (vividly described in Michel Leiris’ ›L’Afrique Fantome‹ of 1934 about the Dakar-Djibouti expedition from 1931-33), understood perfectly the message (or one message) of the film: he was outraged at the depiction of the colonial order (while gad-flys of the arty scene in Paris, still gathering around Cocteau in the 1950’s, found the film a phantastic proof of their own beliefs about people with unbridled instinctive expression, still revelling – as did the surviving or newly evolving circle of surrealists around Bataille – in finding evidence for those ›rituals‹ which show the excessivity of human behavioural tendencies, such as initiations, blood-sacrifices, forms of torture and self-immolation. By contrast, Rouch stressed in his interpretative framework – besides the ethnopsychiatric line about healing and self-healing of wounds of colonialism’s brutal exploitative order: to play insane avoids going insane under inhuman conditions – the remarkable insight, by the people playing the »Hauka«, in the dependency of the colonizer’s regime on a technicized environment replicated in social demeanour; Rouch also gives us here a hint to reconnect to the ambiguities of the rise of Europe’s modernism and its collusion as well as dependency on the imagery of »primitivism«. In a ›preface‹ to the film Rouch comments on the meaning of the grotesque and mocking body movements of the possessed being jarring, angular and contorted: the Hauka performers do want to ›imitate‹ the admired and powerful ›civilization mechanique‹ and they do want to take part in it, to – as it were – ›possess‹ it, while being possessed by it in real life (as oppressed party), the ritual possession however turning

sculptures of African female figures, copied in this case most probably from Einstein’s work of 1915, as were many of the design for the deities which Fernand Léger basically copied onto white paper-sheets, almost as a grattage, Léger adopting a kind of ›archaizing‹ transposition (for the pictorial evidence see Rosenstock in Rubinstein 1982: 479, where the closeness of the images of a Chokwe figure - and Léger’s for a divinity of a ›Fetish-figure‹ - are juxtaposed with the stance that Jean Börlin took for a ›primitive dance‹). These figures are for Léger also envisaged as forms that on the stage should convey something of a mechanical within humans; he tried to project this by oversizing the figures of deities and intermediare ›fetisheurs‹, the deities painted on back-stage curtains moving across from left to right and bakc, while the fetishes are shown on stilts as danced figures.

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the tables. With these comments, Rouch is leading us back to reevaluate the artistic productions of people who took their cues as much from primitivistic imaginations as from ideas about mechanical humans (vide Picabia or Schlemmer), but viewing the performance which Rouch communicates to us, we are also confronted with a revealing imagery of ourselves and our ›mad pursuits‹ when seen ›through other’s eyes‹: we are gazed back upon. Black satire: Yambo Ouologuem This is where Yambo Ouologuem from Mali intones a very different, much darker register about ›primitive art‹ and modern economics, aided by early anthropology: in his polemic novel ›Le devoir de violence‹ of 1968 he makes the observation about the fad of ›Shrobeniusologie‹, mocking Leo Frobenius (much admired by Senghor (1948) and by African scholars still today, Ouologuem calling scholars to have climbed on a high chair ›sorbonicale‹), stating: »henceforth Negro art was baptized ›aesthetic‹ and hawked in the imaginary universe of ›vitalizing exchanges‹« (p. 110), and continues, »Negro art found its patent of nobility in the folklore of mercantile intellectualism«. In the summary by Anthony Kwame Appiah, for Ouologuem one needs four parties for these global forms of commodification of otherness: »an anthropological apologist for ›his‹ people; a European audience that laps up the exoticized Other; African traders and producers« (who then cheat Shrobenius by burying recently carved objects in swamps to give them patina); and finally, »ruling African elites who require a sentimentalized past to authorize their present power« (Appiah 1991: 354). Ouologuem intimates further on that nothing pleases the ›négrailles‹ (a most derogatory term, here implying the ruling classes, translated by Appiah as ›nigger trash‹) of Africa more than to be told »par un Blanc que l’Afrique etait ventre du monde et berceau de civilisation« (ebd.: 111). 19 30F

19 Ouologuem seems extremely critical of African academics, who, like Sheikh Anta Diop – having been trained in physics, biology and anthropology, becoming honoured professor at and patronym for Dakar University –, promoted vociferously the contested hypothesis of the Nilotic origins of all African cultures, adding that the ancient Egyptians as ›cradle of civilization‹ were black. Dakar University also became the venue for Sarkozy’s infamous speech in 2007, admonishing young Africans to come out of their mythological mental universe,

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Fig. 5: Romuald Hazoumè, La Bouche du Roi, 1997 – 2005. Mixed media installation, dimensions variable. Collection of The British Museum.

Source: © Photo by George Hixson, courtesy of October Gallery.

while he also tried to win African intellectuals over by referring back to ideas of Senghor and Frobenius. Sarkozy’s speech starkly reminds us in the context of Linyekula’s performance of the derogatory notions held by Cendrars about African ›fetishes‹ and African’s presumed ›mythomania‹. Sarkozy’s speech is available as »Unofficial English Translation« on the web-site www.africaresource. com/essays-a-review/; last accessed 05.07.15

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Picasso’s case and his presumed disingeniousness It is with some prevarication that I can only partly agree with the specialist on the period of primitivist modernism, Patricia Leighton, when she observes: »The modernists self-consciously subverted colonial stereotypes..., but their subversive revisions necessarily remained implicated in the prejudices they sought to expose, so that modernist images now appear no less stereotypical and reductive than the racist caricatures they opposed« (Leighton 1990: 610). The first assertion has so far not been proved through reference of actual evidence in Picasso’s ouevre (see Alsdorf on Leighton 2014). The presumed reduction to a Hegelian negation of a negation does not quite seem appropriate, having been abused by Sartre already, and it seems trite to point out that any inversion needs a ground or prior convention to become an inversion or subversion at all. Nobody seems to ask the question what for example the Fang could or should produce nowadays? Imitations of Picasso? 20 We would continue the void of our own collective memories, if we were to exonerate Picasso or other primitivists or surrealists for remaining aloof from colonial complicities and denying African arts their contextual importance for memory and identity formations. 21 The case of Picasso’s seemingly disingenious throw-away remark: »L’art nègre, 31F

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20 The Fang mask is now a part of the collection of the Musée National a l’art moderne, Centre Georges Pompidou, but was for decades in the private possession of Maurice Vlaminck and Andre Derain (a photographic reproduction was published in Rubin, op.cit., vol. I, p. 296). 21 It seems remarkable how tenaciously the complicity of Picasso is denied, while recent African artists are much more forthcoming about the involvement of African rulers with the colonialists slavers. Thus, the multimedia installation by Romuald Hazoume from Benin, called ›La Bouche du Roi‹, has been acquired by the British Museum on the occasion of the bicentennary of the abolition of the slave trade in 1807. The installation shows two heads of ›kings‹,with a yellow and a black ›face‹ and a crown, gauged into petrol cans, guarding a slave ship on either side, the enslaved people also being shaped from petrol cans. Without going into the details of this complex installation (addressing the visitor’s auditory as well as olfactory perceptions), the message about ›complicity‹ and inextricably interwoven histories, also those of power and suffering, is abundantly clear and balanced.

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connais pas«, seems, however, more complicated than is mostly reported (Picasso 1920, picked up in every extant biography on Picasso, unquestioned by Leighton 1990 as well). It seems that Picasso visited the Trocadero’s ethnographic collections, being attracted but also nauseated by African masks. According to a private conversation, afterwards with Andre Malraux, published after his death, Picasso intimated that he considered the ›fetishes‹ powerful and guarding with their gaze ›against everything‹ (like witches, ghosts of the dead), 22 and to have added: »I understand them very well, they are like me«, meaning ›against everything‹, and that he thought that he got his idea for ›Demoiselles‹ at that moment. This would imply that Picasso understood – however intuitively – something of the spiritual dimension of African ›art‹, besides being impressed by the raw expressionism of form (Malraux as quoted by Gendron 1990). 23 3F

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22 ›Fetishes‹ seemed to have been the obsession of a number of artists from Dada to Surrealism, in particular for Cendrars who considered Africans to be ›mythomaniacs‹. Fetishes were also the primary interest for the missionary Trilles (see Trilles 1914). The interest in fetishism and animism, once considered the ›ogres‹ of prejudicial anthropological writings about ›primitives‹, seems again on the rise toward a positive evaluation by an astonishing interlacing between arts and sciences, proclaiming a new horizon of post-humanism that embraces the chain of connectivity of agencies between matter, humans, and animals, starting in a way where Frazer left off in the 1920’s, and where people like George Steiner in his work could show the operation of a logic that combines danger, sacredness and contamination into the one concept of the puzzling Polynesian ›Taboo‹ (Steiner 1956). 23 Laude provides a different version, of Picasso saying that the genius who understood new forms of expressivity has by accident been an African (Laude 1968). Leighton holds that Alfred Jarry had some influence in his attitudes on Picasso. In a footnote she hints at her colleague, the connoiseur and private art historian of greatest repute, John Richardson, having alluded to his archival research not being able to prove any such connection (in 1989, see Leighton 1990, fn. 7). In the meantime (by 2010) four volumes of Richardson have been published. It seems indeed the case that Picasso never met Jarry, though he claimed that a revolver he was brandishing about was the one that Jarry used to scare the public with (Richardson, vol. 3, 2010). Alfred Jarry seems indeed the only truly anticolonial artist among the avantgarde. His piece ›Ubu Colonial‹ of 1901 is pro-

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As far as Picasso is concerned, the aesthetics of ›Desmoiselles d’Avignon‹ may have been truly a shock for art-connoisseurs and the general public – showing women with leering and grotesque faces. The association of prostitutes to a mask hailing from Africa hides a much more contentious terrain, leading back to doubts about the agendas of Cendrars and his collaborators in the ballet of 1923. The Picasso mask having been identified as one from the group of the Central African ›Fang‹ speakers, carries connotations of ›cannibalism‹, as continuously stressed by the missionary Henri Trilles who had collected the oral traditions of the Fang – their myths becoming the source of inspiration by Cendrars’ narrative script for the ballet. Associating women (as prostitutes) with the imaginary of the ›savage‹ and of canni-

bably the most clear-cut case, using the trope of the excremental vision to metaphorically ›heap shit‹ on the colonial administration. Yet, a closer account of that Swiftian piece of performance script is beyond the scope of this essay. The interpretation of the script through the painter Pierre Bonnard in ›Almanach pour Pere Ubu Coloniale‹ of 1901 seems open to debate: were these disjointed black figures meant as ›illustrations‹ or are they at the same time mocking black dancers? (see Plate 17 in Leighten, op.cit.; generally my above mentioned critique about the historical aesthetization of French modernism carries very pronouncedly over into catalogues about a Bonnard exhibitions in circling the globe from San Francisco to Paris in 2015, valorizing among other things his humour being an ›inborn French quality‹; no reference to the caricatures about African dances seems to emerge from many hundred pages by curators or specialists among art historians). As these images inform the reconstruction of the ballet of 1923 through Archer and Hodson for reenactment, the question is indeed important for the intention being put forward about the wildly dancing first couple at the end of the mythic narrative. Archer and Hodson take their hint from a caricature by a certain Bonnotte, from Archives of Bibliotheque Forney, Paris (see Archer and Hodson, 2012, p. 10. As I explain in the footnotes, my own search led me to the caricatures designed by Pierre Bonnard for Jarry’s »Almanach« of 1901. The main point for further discussion would be to establish the different tonalities of possible messages entailed in the probable blue-prints, one, Bonnotte’s, being indubitably caricaturistic, while Bonnard’s »caricatures« are supposed to illustrate Jarry’s lampooning of colonialist’s delusions. To know which of such circulating imageries were used by Cendrars, may make a difference in assessing his straightness or mischievousness.

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balistic cravings surpasses even the phantasmatic imaginations about maneating ›femmes fatales‹ which the white women performers before Baker, like Mistinguette and epileptic singers like Polaire, had fostered, making them favourites of popular entertainment culture (see Gordon 2009: 222). The connection of a mask of primitivism, associating cannibalism – or at least being connoted by Cendrars with his obsession about ›fetishes‹ – and black women seems to go a long way back the prevailing ›scientific‹ myth of the comparability and equation of mental and bodily ›deformations‹ – meaning a lack of control and of rationality – of ›primitives‹ with children and even animals, generally with the savageness of instinctual drives. ›Le ballet nègre‹: The ›original‹ ›La Création du Monde‹ of 1923 When using the term ›original‹ for the ballet of 1923, as staged in the Theatre des Champs-Elysees, we are referring to the first ›ballet nègre‹, having been commissioned by the Ballets Suédois under tutelage of Rolf de Mare, choreographed by Jean Börlin, the props and dresses designed by Fernand Léger, the musical score by Darious Milhaud, the narrative myth having been scripted by Blaise Cendrars. Linyekula’s pastiche however is an original choreography that envelops the blue-print of twenty minutes duration through a creative interventions, lasting a good seventy minutes. Linyekula’s pastiche thus does not valorize the splendor or creative genius of the inventors of the original ballet, but has a very different goal: to point to the erasure that has occurred on several levels, all of these levels pertaining to the total disappearance of any original African voices. The conundrum points to the trauma of emptiness, he is experiencing and trying to recover from, through a recuperation of those foundations on which he can begin to reconstruct and assemble his own identity. The musical score The musical score is for any afficionado of the musical scene of jazzy Paris of the 1920’s – then and now – clearly derived from South American carnival tunes and from Afro-American rhythms of jazz bands then en vogue in Paris (Sidney Bechet and other black soldiers remaining in France after 1917). Milhaud became familiar with these musical styles through his trav-

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els to London (in 1920 in the company of Jean Cocteau) and to New York. He considered the inclusion of jazz tunes a necessary part of musical modernism, expressing, as he intimated, the melancholy of black people’s sufferings, actually, as he formulated it, ›this authentic music had its roots in the darkest corners of the Negro soul, the vestigial traces of Africa« (see Milhaud 1953: 137; he also mixed in Hebraic religious chants; see Archer and Hodson 2012). Yet, Milhaud, as many other proponents of modernism, insisted on the paradigm of a structural adherence to a supposedly Euopean canon of ›orderedness‹ instead of unpredictable improvisation (the ›black jazz–white jazz‹ debate finding an early European equivalent here. The public in the 1920’s, following what has been been aptly called ›vernacular modernism‹ (see Gordon 2009), may have easily confused the difference of African and Afro-American artistic and musical styles. This could not be said of Jean Cocteau who was reminiscing in 1935 about an experience with the dance troupe from the United States, ›Les Joyeux Nègres‹, visiting Paris in 1902. Cocteau seems to recall his astonishment and positive resonance to the rotating, stepping and kicking style, in particular of the ›cake walk‹ of this group of ›dancers who could throw their knees above their chins‹ (cited by Gendron 1990, picked up as important evidence to understand the gist of Cocteau’s foresightedness or him not easily falling into the otherwise obtaining equation of ›jazz‹ with ›African primitivism; to by Gordon 2008, p. 175, fn. 55). He somehow understood that jazz »belongs to the city and the motor-car‹, instead of evoking the »jungle and the fetish«, in contrast to the images of romantic primitivism as did Blaise Cendrars in his ›La Création‹. Thus, Cocteau literally uttered in 1919 about Blaise Cendrars: »B.C. est de nos tous celui qui realize le mieux un nouvel exoticism: Melange de moteur at de fetishes noirs« (see Steins 1977: 3; see also Cocteau 1935). Often, Cocteau seemed to shift erratically in his chaperoning the art circles of Paris, having taken over this role of impresario or ›Cicerone‹ of ›fashions‹ and ›fads‹ from Apollinaire. Around 1920 he declared that the ›crise nègre‹ had become boring and that there was to be an end to the ›brutish disorder‹, thus coming around to that form of ›ordre‹ which the classical composers were considering important (Milhaud, Stravinsky, Satie among others). The vitality and vigorousness which both popular modernism and avantgarde modernism embraced, had also different, darker tonalities of connotations, mentioned previously: the dance troupe ›Les Joyeux Nègres‹

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and their imitators were compared to the St. Vitus dances, and thereby put close to forms of excess and insanity. The disjointedness of bodies was on the one hand seen as sign of ›primitiveness‹ – the ›African‹ label of ›l’art nègre‹ – while also being compared to the movements of ›hysterics‹ with pictures of people jumping up and down or apparently loosing conrol over their limbs in the collection of the Salpêtrière. Hysterical forms of body movements as well as of singing techniques were thereby tainted also with the libidinous abandonment, supposed to be typical of mentally unstable persons (on the photo-collection of the ›Salpêtrière‹ in that time and the fad for ›hysterical‹ singers, see Gordon 2008, pp. 47 ff.; both being ›performative stagings‹, the photos as well as the posturing of the singers’ disabilities). 24 35F

›Ashes‹ remaining: Blaise Cendrar’s invention of Edenic Africa The fake of Cendrars (1887-1961, born Swiss, under the name FredericLouis Sauser), rarely mentioned in learned discussions of the avant-garde movement of the 1920’s in Paris, is an instructive example of European ›regression‹ or escapist tendencies after World War I, using an invented Edenic Africa as pristine form of ›mankind’s childhood‹ being in tune with nature, while ambivalently at the same time adoring and yearning for that vigorous vitality and energetic life-force emanating from the dance movements and the rhythms of black bodies. It is at this complex juncture that

24 For the fad about ›epileptic‹ singers and performers, starting in the 1870’s, see Gordon 2008, chapter 1, discussing the famous singer Polaire as well as Mistinguette in her early phases, commenting that we find here cases where »a transformation from pathology to performance« takes place (ibid., p. 36), showing also a litograph how inmates of the Salptriere conduct a festive ball in dresses that are reminiscent of paintings of Toulouse- Lautrec from the clubs of Montmartre (ibid., p. 16, the picture being entitled ›Le Bal des Folles et des Hysteriques‹). This is the period of the theories of Charcot, where bodily contortions, clowning, as much as contagion through mimicry and laughter were adduced to females on one hand, to ›primitives‹ on the other, as forms of hysteria as well as abandonment of rational control. See also Mary Russo 1995 on the ›female grotesque‹.

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Cendrars inserts his bricolage of the mythic narrative of ›La Création du Monde‹. His fame rose through his association with the circle of surrealists and modernists being championed by Apollinaire, and gained notoriety when conducting himself in public as anarchist calling for violence as means for social change, raising his left arm – having lost his right arm in the war –, and boasting in writing of having killed and having enjoyed it in the slaughterhouse of the world war. He prided himself in emulation of heroic life, putting into this category »adventurers, missionaries, explorers, seamen as well as hybrids and ›le bon nègre‹« including the ›apaches‹ – much heralded in literature from Beaudelaire to Walter Benjamin (Cendrars ›Le principe d’ utilité‹ 1931: 46). He valorized people like Stanley who he admired for the strength of spirit to record the tales of Africans at night time while mistreating these same people during the day (cited from Maccotta 2011: 145). Stanley had been called by Leopold II as surveyor and assessor of many unknown parts of the Congo from 1878-1884 (being called ›bula mata‹, ›the pulverizer of stones‹). One can sympathize with Linyekula’s clearly expressed ire at this accolade, himself hailing from the region around Kisangani, once called »Stanleyville«. Cendrars finally made a name for himself as a connoisseur of African ways of life, of their mythologies and rituals, by publishing the notorious »L’Antologie Nègre« in 1921, being invited to conferences as ›insider‹ who, as some French editors of his work even at the turn of this century still maintain, he truly understood the ›soul of Africans‹, while in fact his only experience on African soil were a few weeks in harbour cities. The ambivalences about this ›l’âme nègre‹ epithet do resound ubiquitously in the time of the composition of the ballet of 1923, Bergson’s ›elan vital‹ of 1907 (›L’évolution créatice‹) spooking everywhere, also becoming the focus of Senghor’s négritude. In reality, Cendrars was pilfering the libraries of explorers and missionaries, in particular the works of HenriLouis Trilles (1866-1949). Erasing any original African voices through his own collagist selections, the anthologie however was translated into English and hailed by Afro-American writers as paradigm of authentic African voices; the irony being that at the same time, René Maran who described the habits of Central African life from personal observations over many years, hailing from Guyana and having been in the colonial service like his father, had published his »vrai roman nègre« during the same period, »Bat-

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ouala« being awarded the Prix Goncourt in 1921. In the preface, he accuses Europe by saying: »tu batis ton royaume sur des cadavres«. 25 36F

The primary fabrication: Trilles To add insult to injury, the narrative of »La Création du Monde« by Cendrars has been found to be his plagiarizing of an already freely collated translations of original African voices through Trilles. This ›ventriloquist‹ purported to ›record‹ the oral bardic traditions of the Fang speaking groups of Gabun (we notice the Fang as the almost mythic centre of primitivism). Trilles actually mixed those mythic narratives freely with those from other groups, while inserting a narrative structure into the story of ›origins‹ which suffuses it with a Christian ›idea of trinity‹ (three divinities engaged in creation) as well as the dichotomy of good and evil forces preceding the creation of humanity, the myth talking about a ›second creation‹. Trilles actually invented a story of a first creation by a divinity allocating labouring to a black male and riches to a white male, because the first black human was disobedient and lazy (see Maccotta 2011: 154 ff. for details). 26 Trilles had even the cheek to claim to have met the legendary pygmies and to know grammar and vocabulary, fooling anthropological luminaries of the time, like the founder of Viennese anthropology, Father Wilhelm Schmidt. In terms of cultural appropriation, the voraciousness of Trille’s ›appetite‹ seems to point metaphorically to his own unconscious insights into his way of ›incorporating‹, actually a devouring of the oral narratives of the Fang: he refers repeatedly and almost gleefully to tales of their cannibalism. For Trilles, the Fang literally ›munched‹ their way to their present geographic 37F

25 The choice of name seems post hoc to have quite a metaphoric depth to it: Cendrars wanted his name to indicate the fire that leaves ›ashes‹ (cendre), in fact leaving a trail of such for African oral history and original voices, very much in line with the personnages he adored and mimicked, the explorers as ›trailblazers‹ (with a similar connotation in English). 26 Interestingly, Archer and Hodson also identify the intermediaries between divinities and mankind or the created world, the ›fetishes‹ – in the ballet’s narrative the representatives and survivors of a former creation’s bad energy, by comparing them to ›Lucifer‹. This would be in line with Trilles’ christianizing interpretative framework.

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location from the Nile to West-Central Africa. Unfortunately it, and here the erasure which Linyekula problematizes, shows a seemingly neverending recursivity: recent reports about bardic traditions, and about the reporting by Gabunese researchers about these traditions in scholarly journals, seem to indicate that Trilles made it into the heart of the oral traditions – brimming with references to Nilotic origins of the Fang – and being given late honours as a reliable ›eye-witness‹ of older layers of mythic narratives (see Cinnamon 2011). Cendrars indeed only left ›ashes‹ all around, effacing all collective memories (see fn. 24). Börlin and the Ballets Russes, or: How ›authentically African‹ could his dance be? The concrete cinematic recordings of original forms of African dancing which Rolf de Maré, the Swedisch millionaire impresario and financial backer of the Ballet Suédois, had made on his travels around the world (touching upon Bali as well as Mexico and West Africa), have been lost probably completely, though they may have been seen by the choreographer Börlin. 27 Yet, Börlin’s dance of ›sculpture nègre‹ of 1920, with an Af38F

27 In the staccato utterances by the black dancer, the question ›what did you see, Börlin?‹, is discernible. This touches upon the research problem about the complete loss of de Mare’s filmed material. The only surviving record of his globe trotting for archiving the dance styles of different cultures, seems the Claire Holt collection at the Danse Collection of the New York Public Library. The filmed materials, slides and compendious writings of Claire Holt document her starting with filming of Indonesian dance forms by accompanying de Mare in 1930 on expeditions all around Indonesia, together with Hans Evert. Holt, having trained with Indonesian teachers, was an intellectual guide for de Mare. The circle of friends of Holt reveals the closeness of the group of scholars and artists interested in anthropology as much as dance and other arts of Indonesia, among them Margaret Mead, Walter Spiess, Jan Belo, Cora du Bois (see Nancy Shawcross, The Claire Holt Collection, in Dance Research Journal, vol. 19, 1987, pp. 25 and 27-35). About the African recordings by de Mare no trace seems to be left. The reconstruction of monkeys and fetisheurs with crutches or on stilts is therefore open to interpretation: Archer and Hodson tend towards a suggestion that these are reminders of World War I; however, it is possible to

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rican mask and a grass-skirt, has clearly been fashioned after a publication by Carl Einstein on ›Negro Sculptures‹ in 1916 (for a photography from Danse Museet, see Laura Rosenstock, in Rubin 1984: 479). Considering what may have been customary in the 1920’s to express ›the natural body‹, Börlin may have been in line with many choreographic ›modernists‹, as he seemed to have displayed those languid and slow fluid movements which can be observed in the reconstituted choreography by Archer and Hodson. The styles of ›naturalness‹, coinciding with the ›primitive‹ may have included the rolling and slithering on the stage floor, as much as limping and walking on all fours. Such forms of modernism can be detected in the reconstructed version as well as in the pastiche version of the ballet, as presented by Linyekula/Archer-Hodson, Linyekula emphasizing the slithering and thunderously slapping of bodies on the stage, Hodson’s choreographic ›re-creation‹ showing in the languor of the movemwents by dancers of the ›original‹ carapaced figures. Both together may, after all, convey the entanglement of choreographic history of early 20th century. One may wonder, whether Léger’s designs of crutches for the monkeys may be influenced by such expectations to new dance forms as much as by references to disabilities, not necessarily disabilities reminding of the world war’s victims, but also recollecting the excitements of formerly popular burlesque shows. These forms of coincidence of contradictory intentions could explain the popularity of dancers like Jean Börlin. The Swedish dancer tried to ›mimic‹ some form of ›primitiveness‹ which stood, on the one hand, in stark contrast to the tradition of the Ballet Russes that had toured France with great success for a decade previously with pieces such as ›Sacre du Printemps‹ (composed by Igor Stravinsky, staged in 1913 under Sergei Diaghilev with the choreography of Fokine, the dancer Vaslav Nijinski and the designs by Nicholas Roerich). The Russian ballet was informed by a ›classical‹ style of formal execution of specific symmetries, toe-steps and rhythmic speed as well as ›academic‹ artifices (which Cendrars gleefully derided when back-handedly lauding Börlin for his ›Swedish peasant’s feet‹; see Cendrars ›Hommage‹ in 2005: 568).

argue that Börlin actually saw stilt dances and crouchings through the films of de Mare; many West African forms of dances of this kind are extant until today among the Dogon and many other groups. Thus, Börlin may in fact have been trying to come close to what he perceived to be »traditionally African«.

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On the other hand, both ballets were representing, in a remarkably similar trajectory, forms of modernism with its contrary notions about ›the primitive‹, ›the pristine‹, and ›the archaic‹, while looking toward the overlapping of ›the primitive‹ with the ›non-agentive‹ of possession forms, of angularity, uncontrolledness, contortions, mixing the mechanistic futuristic with the presumed archaic of a formal taming of the instinctual expressiveness: thus the painter Natalia Gontscharova, one of the sometimes stage designers for the Russian ballet (painting in a similar style generally as did Roerich which may be described as naiv/folksy-naturalistic-impressionistic), tried to ›excell the French modernism‹, by introducing her ›rayonnism‹, for instance in her famous painting of bicyles where one can almost palpably feel the rotation of the wheels (reminiscent of Italian futurism). However, at the same time, she was doing research in manuscripts and by visiting folkdance events in order to fathom the supposedly ›genuine Russian‹ feeling for mystical powers of ›witches‹ and ›shamans‹, or of pre-Christian bloodsacrifices, finally put on stage in the ›Rites of Spring‹ (the reenactments by Maurice Bejart or Pina Bausch are still repeating the imaginary repertoire or even pattern of ›archaic‹ or ›wild‹ rituals as expression of ›instinctual‹ or ›imprinted‹, but possibly suppressed, substrates of human feeling, societal solidarity or other legitimations for the universal meaningfulness of artistic/ritual expression). 28 It is this uncanny intertwining and thereby redesig39F

28 The return to ›ritual‹ as a renewal strategy also informed Antonin Artaud, and the world or colonial exhibitions was found exhilarating with the staged shows of exotic life panoramas and their dances, attires and musical styles. Such ›expositions internationales‹ or ›universelles‹ were held in Paris in 1855, 1867, 1878, 1889. The exposition of 1900 was particularly sensational and co-incided with a popular run for ›savage‹ entertainment, as France had conquered in a bloody war the kingdom of Dahomey between 1890 and 1892, and prints of ›Amazons‹ with cut-off dripping head-trophies or of mass-sacrifices, falsely reported about that region, providing a legitimation for the propaganda machine of the French ›civilizatory mission‹, were popular with the masses (see Gordon 2009: 220 ff.). ›Bring ritual back into the theatre‹, was a typical slogan since the 1920’s, the Dadaists having started this kind of shock for the bourgeoisie in 1917 with Hugo Ball’s appearance as ›shaman‹ (having no inkling whatsoever what that designation means). For a critical review of these issues of theatre history and theatre anthropology, see Richard C. Webb 1979. Critical viewers may

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nation of two apparently contradictory, but broadly appealing, forcefields that resist a definite resolution for modern reevaluations (as interpretations capturing the context of the time of production). Thus, while Börlin’s dance movements and attire may suggest what was considered ›primitive‹ or even ›primordial‹ in terms of a ›natural‹ motion of bodies, the dancer was also known for his embodiment of the often angular, jagged, even contorted or clownish positioning and moving of arms, legs and head in forms suggesting ›machinic‹ or ›robotic‹ elements of the modern machine age, and of puppets, for that matter (supported through the music of Eric Satie as much as by the designs of Fernand Léger or Francis Picabia; Charlie Chaplin’s films being the lasting icon for these modernist bodies). 29 These are some of the few points of reference, extrapolated from a plethora of possible connections to reveal a probable agenda behind the original 1923 ballet’s artistic collaborations and possible sources of ›primitivism‹ as much as ›modernism‹ in their uncanny alliance and hidden complicity. 30 40F

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find echoes of such fake-exoticism still operative in some of the imaginative but largely imaginary attempts of Joseph Beuys’s experiments with felt, lard and coyotes. Others will of course prefer to see this as an artistic anticipation of a new awareness for a non-anthropocentric vision. 29 Some famous reconstructions and cinematic archival material show the pervasive notion of the mechanical body: ›The Triadic Ballet‹ of 1924 by Oscar Schlemmer, the ›Ballet Mecanique‹ by Léger, with the music by Antheil, in 1922; most pronouncedly the ›Skating Rink‹ of 1922 with the Ballets Suédois, in which Börlin figured as main dancer and choreographer, music by Honegger, costume design by Léger. 30 The first exhaustive circumscription of ›primitivism‹ is published about twenty years after the ›fashion‹ by Robert Goldwater in 1938, also known for his comparison of methodological approaches between art history and anthropology. The problems of notions of ›ritual‹ entertained by artists and those of anthropological ritual theory are innumerable. Artistic notions seem to have taken ›ritual‹ to belong to the sphere of ›excitement‹. There is nothing to be criticized, considering that ritual is closely tied to ›festive‹ occasions, festivals being indeed the times of hightened attention, or in Le Goff’s words, having a ›cataclysmic‹ quality, labelled previously by Durkheim as ›effervescence‹. On the other hand, pe-

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Linyekula setting the tone in 2011 In his lecture performance of 2011 (at the Walker Arts Centre in New York), preceding the reenactment of the 1923 ballet, Linyekula poses a more personal question about his individual identity vis-a-vis collective ascriptions pertaining to the constantly shifting identities of rulers or designations of national collectives (›Congo‹, ›Zaire‹, ›Democratic Republic of Congo‹). Such frames of ascription make him doubt where he belongs and who he is: what, so he is asking in 2011 – if all these designations are nothing but lies? Fittingly, one of Linyekula’s first choreographies had the title of »Le festival des mesonges« (in Avignon, 2006/7). In his lecture performance of 2011, he set the tone for his choreographic work having as central focus the search for identity and authenticity, for memory, history and and the situatedness of African arts in the world, and where – if they exist(ed) once – their erasure occurred. If such artistic productions were (and are) still existing, how was it possible to have them not only (mis)-appropriated but actually ›abducted‹? If the creativity of African artists has been virtually negated and been replaced by the other’s, the European’s, the colonizer’s imaginations of what ›Africa‹ is supposed to mean, how then is it possible to recover the living traditions and the memories entailed in them and possibly not only re-appropriate, but literally re-invigorate them with relevance to an existing present, corporeally bringing them to presence? 31 42F

ople like Artaud with being tired of traditional theatre’s ›performative pretenses‹ and possibly ›pretentiousness‹ did not see the ›iterativity‹ of rituals, particularly of ›liturgical‹ forms of it (which Stravinsky may actually have understood well). A more dynamic unerstanding of ›ritual‹ came into anthropological discourse only with Tambiah 1979, seeing both sides, emphasizing performativity as well as redundancy as preconditions for ritual to lead into other forms of perception or consciousness (see Köpping 2013 a and b). 31 That could theoretically mean to create from scratch such memories in terms of recollection through bodily practices, to spur the mental anamnetic reflexivity to overcome the amnesia of forgetting, through a recourse to the senses leading to, if not affective, at least reflexive responses. This philosophical problem between enactment and experience and their feedback loops shall however not be discussed here. On the problem of overestimating affectivity (and thus performativity as not only being effective but also generating similar or predictable affec-

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Linyekula does this in 2011 by ›showing‹ audiences the process of finding his anchoring of individual and collective identity, by what he called a ›framing of a void‹, through recourse to the memory of his sensing body as dancer with its own authenticity of inscribed experiences. He starts his soliloquy by stroking with the palms of his hands his inner and outer arms, winding them together slowly while beginning to speak about the room he is performing in, a small cubicle with an ›open‹ fourth wall, by labelling it his refuge, his home, a protected space, a cocoon, for another, calling the proscenium stage his ›kabako‹ (in memory to his friend and colleague Kabako who died of the plague, this name connotation only becoming clear in ›Dinozord III‹). This is a very different tonality, highlighting the more gentle optimism and graceful invitation to dialogue that is offered to us by Linyekula’s performances. However, there exists – outside the reenactment of ›La Création‹ in Linyekula’s works a consistant voicing of anger and dancing of pain in his disgust about the corrupt elites at home, starting with his lecture performance in 2011, bringing it to a crescendo in his ›Dinozord III‹ in 2013, when he exclaims in despairing fury: »I am the vomitory of the Republic«. The interpellations as ›window‹ and ›wound‹ The interpellation, in particular the last one referred to so far, opens for spectators a window to glimpse a piece of a historical event and to perceive through that window – opened by the reenactment’s powerfully and evocatively shouted question – , the cover-up, the riddle about the original ballets false facade; on the other hand, the opened space may also be perceived as a hint and metaphoric reference to a trauma, a wound, an open space in the performer’s body and memory, the wound and anguish about a loss, a gap, an erasure of a past that has become meaningful for the performer in his present, enabling him to go forward into a future without a festering wound

tive resonances), see Berlant 2008. The discussion on affective resonance for undermining prejudicial mental horizons is, however, of utmost importance for the topic at hand, as it points to the difficulty to find effective strategies to counter a racism that does not diminish through the scientific proof that the category is basically useless.

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of not knowing where it originated. He is healing his wounds through retracing his own experiences since childhood through the dancing body, thereby also collapsing the difference and hiatus supposedly being constructed between colonial and postcolonial periods. Coda How audiences will resonate with performances that dismantle their own imaginations, will remain contingent, as the estrangement of dearly held beliefs and identity markers, including world-views, of individual or collective selves is often difficult to endure. The question we have to ask ourselves remains: »When do we vomit?«, ricocheting Linyekula’s self-disgust in Dinozord III of »I am the vomitory of the republic«. Do we reconsider the atrocities of colonialism as our heritage plus debt and become nauseated not about our own savagery so much, as about our forgetfulness in celebrating ›primitivism‹, by not considering at what costs we have acquired the kind of exquisite aesthetics of modernism? Do we recognize in the contorted and horribly grotesque faces of the ›Hauka‹ our own camouflaged desires, even actions committed, but not admitted? The ›true‹ faces behind colonialism’s ›civilizing mission‹ and still pervading myths about ›foreign aid‹ (the duplicity as well as complicity having only recently been shown to us through the Malinese/Mauretianian director Cissako’s film BAMAKO of 2006). Linyekula seemed to have opened for himself a way to gain a new perspective on the reaction of people at home to the ruling brutality: as he explains in his lecture performance of 2011, he understands that the despotic conditions of African rulers compel people to dance to those tyrannical tunes (that are also raising the ire of Mbembe in 2001, having been as much the target of cinematic black satires by the late Ousmane Sembene). The only venue open – argues Linyekula – is the »showing off«, because »performing« a show is the only way to keep their dignity in a situaton which has no depth, where all is surface and make-belief, in a situation where there can be no trust, because one is constantly under observation, and begins to self-censor one’s utterances. He intimates that one can only survive sanely in panoptical conditions by undermining the instruments of domination through the pretense of play, play being the only venue to speak the truth. How can one find one’s feet in such an environment, one’s feeling of

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balance, of sanity? Linyekula resorts to the ›safe haven‹, as he calls the proscenium theatre in New York, feeling protected as in a cocoon, moving his body to a melody of his grandmother, at first only heard in his head, then sung to the audience. Fig. 6: Yellow Monkey, Portrait of a dancer in motion by Millicent Hodson for the Brussels recreation of 1923 of ›La Création du Monde‹, May 2012

Source: Dance and design by Millicent Hodson & Kenneth Archer.

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Die Tänzer von Lac Courte Oreilles Eine historische Ethnologie indigener Medien C ORA B ENDER

1. M IMESIS , A NEIGNUNG

UND R EENACTMENT ZWISCHEN FRONTIER UND MIDDLE GROUND

Der Begriff Reenactment erscheint auf den ersten Blick geeignet, als neuer blanket term für eine ganze Reihe unterschiedlicher kultureller Performanzen zu dienen, bei denen es um einen Rückbezug, um Revitalisierung und Regeneration geht. 1 Aber ein Begriff, der alles bezeichnet, meint am Ende oft gar nichts. Im Folgenden soll daher der Versuch unternommen werden, 43F

1

Dieser Artikel ist eine beträchtlich gekürzte Version einer detaillierteren Arbeit, die ich 2015 in der Zeitschrift Transcultural Studies veröffentlicht habe (Bender, Cora 2015 Indigenous Knowledge in the Production of Post-Frontier American Culture. Transcultural Studies 2, pp. 86-130, http://heiup.uni-heidelberg.de /journals/index.php/transcultural/article/view/20202). Die Verwendung erfolgt mit freundlicher Genehmigung der Herausgeberin, Prof. Dr. Monica Juneja, Universität Heidelberg. Meine medienethnographischen Forschungen in Lac Courte Oreilles wurden zwischen 1999 und 2006 im Rahmen meiner Tätigkeit für das Forschungskolleg 435 Wissenskultur und gesellschaftlicher Wandel an der J.W. Goethe-Universität Frankfurt am Main finanziert. Allen Beteiligten sowie den Herausgebern des vorliegenden Bandes gilt mein herzlichster Dank für ihre freundliche Kooperation.

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»Reenactment« zu schärfen, indem es von anderen, auf den ersten Blick ähnlichen Phänomenen abgegrenzt und dazu in Bezug gesetzt wird. Dazu werfen wir einen eingehenden Blick auf ein Feld konkurrierender performativer Auslegungen von Geschichte, in dem die Beteiligten gleichwohl auch nach Möglichkeiten des Austauschs und der Verständigung suchen. Es geht um den Anteil indigener Akteure an der amerikanischen Populärkultur der post-frontier am Ende des 19. Jahrhunderts in einem Umfeld gerade neu entstehender moderner Medien wie Fotografie, Show und Ausstellung. Hier sind vielfältige Prozesse zu beobachten, die in den Kulturwissenschaften häufig mit Begriffen wie Austausch, Aneignung oder auch Mimesis beschrieben werden. Wir werden daher zunächst einen Blick auf diese Begriffe werfen, um danach auf die historisch wichtigen Konzepte von frontier und middle ground einzugehen, die das Untersuchungsfeld maßgeblich prägen. In Abschnitt 2 werden Probleme einer historischen Betrachtung indigener Mediengeschichte aufgeworfen und in Abschnitt 3 wird anhand von dichtem Material einer einzelnen indigenen Kommunität, Lac Courte Oreilles im Nordwesten von Wiscsonsin, eine solche indigene Mediengeschichte rekonstruiert. In Abschnitt 4 geht es um die Kontinuität dieser indigenen Mediengeschichte bis in die Gegenwart und den Ausblick in die Zukunft. Im abschließenden Abschnitt 5 werden dann noch einmal die eingangs problematisierten Begriffe rund um Aneignung, Reenactment und Regeneration genauer bestimmt. Unter Reenactment verstehe ich im Folgenden den Rückbezug auf etwas Vorhergehendes, Vergangenes und seine performative Aneignung unter Zuhilfenahme moderner Medien vor einem Publikum. Reenactment beinhaltet also mehrere wichtige Dimensionen einer sich stark verändernden Wissenskultur am Beginn des 20. Jahrhunderts, vor allem die Historisierung von Kultur, das Entstehen einer Öffentlichkeit für ein großes Publikum, das weit über eine dünne Schicht des Bildungsbürgertums hinausgeht, und die Entstehung neuer Medien. Doch hier zeigen sich zugleich auch die Begriffsprobleme. In der neueren britischen Sozialanthropologie gilt Aneignung als erstes einer Reihe von Elementen, die die Dynamik der Konsumtion in Haushalten, d.h. des Konsums von Warenkultur im Rahmen intimer Sozialbeziehungen charakterisieren: »An object – a technology, a message – is appropriated at the point at which it is sold, at which it leaves the world of the commodity […] and is taken possession of

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by an individual or household and owned. It is through their appropriation that artefacts become authentic (commodities become objects) and achieve significance.« (Silverstone/Hirsch 1992: 21)

In ähnlicher Weise, so die Vorstellung, eignen sich Kulturen überall auf der Welt die Ware als etwas Fremdes an, machen sie zu etwas Eigenem und gewinnen so Handlungsmacht über das fremde Ding. Dies hat Daniel Miller anhand von so eindrücklichen Beispielen wie Coca Cola, Jeans und Facebook auf Trinidad nachgewiesen (vgl. Miller 2011, 1998; Miller/Woodward 2012). In meinem speziellen Untersuchungsfeld, der Medienethnologie des indigenen Nordamerika, liegen die Dinge etwas anders. Hier evozieren der Begriff ›Mimesis‹ und damit bezeichnete Praxen der Aneignung (engl. appropriation) des Fremden ambivalente kolonialhistorische Verflechtungen von kultureller Imagination und Gewalt (vgl. Bender 2009; Taussig 1987, 1993). In der Gegenwart setzt sich dies im Bereich der Konsumwerbung und Freizeitkultur fort. Die Imitation indigener Kultur durch Nicht-Indigene, wie z.B. das Bedrucken von Unterhosen und Schnapsflaschen mit Navajo-Designs oder der Einsatz von Fake-Indianern als Maskottchen von Sportmannschaften, ist in den vergangenen Jahren allerdings dank zunehmender indigener Medienpräsenz und der Prozessfreudigkeit indigener Interessenvertretungen mehr und mehr unter Beschuss geraten. Diese Art von Nachahmung reproduziert, so der Vorwurf, auf verharmlosende Weise die lähmenden Stereotype, die die dominante Gesellschaft den Minderheiten und der Kolonialismus den Kolonisierten aufzwingen. Historische Forschungen z.B. über das Indianerbild in Nachrichtenmedien belegen die tief in der Eroberungsgeschichte angelegte Gemengelage aus Romantisierung, Dämonisierung und Annihilation des indigenen Anderen, die dieser Kultur der feindseligen Mimesis zugrundeliegt. Gleichzeitig stehen indigene Kulturen in der Gegenwart bei politischen Auseinandersetzungen um ihre Sonderrechte als Indigene häufig unter dem Verdacht, die kulturellen Kontinuitäten, aus denen sie diese Rechte ableiten, nur vorzugeben. In Wahrheit, so der Vorwurf der politischen Indianergegner, habe die technische und gesellschaftliche Modernisierung alle signifikanten Unterschiede zum amerikanischen Mainstream längst eingeebnet und damit irrelevant gemacht. Die Vernichtung indigener Kultur wird also im Nachgang noch ein zweites Mal gegen die Indigenen in Stellung gebracht, die sich nicht selten dazu gezwungen sehen, mithilfe von archäologischen und

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ethnohistorischen Gutachtern vor Gericht ihre kulturelle Authentizität und historische Kontinuität nachzuweisen. Da wird ein Begriff wie Reenactment, der die reflexive Aufnahme einer bereits beendeten kulturellen Praxis andeutet, politisch problematisch. Denn wie wir im Folgenden sehen werden, wurden viele indigene kulturelle Praktiken, vor allem religiöse Rituale, nicht aufgegeben, beendet und vergessen, sondern der Öffentlichkeit entzogen und in eine heimliche Sphäre verlagert, aus der sie nun langsam wieder auftauchen, d.h. aktualisiert werden. In diesem Feld können auch vermeintlich desinteressierte kulturwissenschaftliche Konzepte zu gegnerischen Waffen in der politischen Auseinandersetzung werden. Im Umgang mit Begriffen ist daher Achtsamkeit angezeigt. Auf der anderen Seite sind gegenseitige Nachahmungen, Austausch und Zirkulation von kulturellen Elementen sowie kulturelle Selbst- und Fremdinszenierungen – darunter auch die Beteiligung an Reenactments – wichtige Mittel der Akteure, um in einem durch Macht geprägten Feld verschiedene diskursive Sphären zu eröffnen und aufrechtzuerhalten, die indigene Gruppen zur Selbstbehauptung und zur Gestaltung ihres Kontakts mit dem kulturellen Mainstream brauchen. Diese verschiedenen Sphären wurden bereits 1992 von Christian Feest in vier verschiedenen Kategorien indigener Kunst identifiziert und lassen sich auch auf andere kulturelle Ausdrucksformen im Umfeld von Performanz und Ritual übertragen. In der Unterscheidung von »tribal, ethnic, Pan-Indian, and Indian mainstream art« (Feest 1992: 14) ist eine Aufteilung oder Kompartmentalisierung 2 indigener Kultur in vier Sphären unterschiedlicher Inklusion / Exklusion bestimmter Gruppen angesprochen: Erstens existiert indigene Kultur auf der Ebene einer lokalen tribalen Kultur mit ihren konkreten sozialen Beziehungsgeflechten und ihrem lokalspezifischen kulturellen Wissen. Zweitens existiert indigene Kultur in Austausch mit den white people genannten nicht-indigenen Gruppen, die zumeist den dominanten kulturellen Mainstream repräsentieren. Dies spielt sich in öffentlich zugänglichen Zeremonien, im Tourismus und ähnlichen öffentlichen Bereichen ab. Drittens existiert eine Sphäre intertribalen Austauschs, in der Elemente verschiedener indigener Kulturtraditionen gemixt und zu etwas Drittem, zu einem Native AmericanStil, amalgamiert werden. Diese kulturelle Sphäre wird am deutlichsten er4F

2

Zur Kompartmentalisierung indigener Kultur unter dem Druck des europäischen Kolonialismus siehe auch Spicer 1967.

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fahrbar in den intertribal powwows, pan-indianischen Tanzfesten, die besonders im Sommer überall im indigenen Nordamerika von Nordkanada bis an die mexikanische Grenze, zelebriert werden (vgl. Bender 2003). Die vierte Sphäre bezeichnet das Handeln von Indigenen in einem transkulturellen Rahmen – ihre Präsenz z.B. als moderne Künstlerinnen und Künstler, bei der ihr kultureller Background eine untergeordnete Rolle spielt (»artists who happen to be Indians« [Feest 1992: 16]). Diesen vier Sphären kann man eine fünfte hinzufügen: die Sphäre einer globalen indigenen Präsenz in Politik, Medien und Kunst, die Indigene aus unterschiedlichsten Regionen der Welt zusammenbringt und die derzeit in vielen Publikationen zum Thema indigeneity diskutiert wird (vgl. Bender 2016). Diese fünf Kompartmente – oder scapes (Appadurai 1990) – sind das Ergebnis eines langen historischen Prozesses, den ich im Folgenden anhand von Material aus meiner Feldforschung in der Ojibwe-Reservation Lac Courte Oreilles und ihrer weißen Nachbarstadt Hayward in Sawyer County im Nordwesten des Bundesstaats Wisconsin diskutieren werde. Hierzu ist es wichtig, zuvor noch zwei Grundbegriffe näher zu erläutern, die das Feld geprägt haben bzw. zum Verständnis seiner Dynamiken wichtig sind: frontier und middle ground. Der Begriff frontier (Grenze) ist ein zentrales Schlüsselkonzept amerikanischer Identität. Der Historiker Frederick Jackson Turner popularisierte am Ende des 19. Jahrhunderts die Idee, dass die amerikanische Gesellschaft wesentlich an der Grenze formiert und durch die Grenzerfahrung geprägt wurde. Damit ist die Eroberung eines als leer und unbesiedelt imaginierten Kontinents gemeint: »American democracy was born of no theorist’s dream […]. It came out of the American forest, and it gained new strength each time it touched a new frontier.« (Turner 1894: 293)

Im Gegensatz hierzu bezeichnet der Begriff middle ground, den der Historiker Richard White für die Geschichte des Kulturkontakts in Amerika prägte, eine völlig andere Art von Prozess, der sich seiner Ansicht nach im Oberen Mittelwesten zwischen den Great Lakes und den Great Plains zwischen der Mitte des siebzehnten und dem frühen neunzehnten Jahrhundert abgespielt hat. Hier geht es um die Herausbildung einer Sphäre der Interaktion zwischen verschiedenen indigenen und nicht-indigenen Kulturen, Identitäten und Interessen:

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»On the middle ground diverse people adjust their differences through what amounts to a process of creative, and often expedient, misunderstandings. […] They often misinterpret and distort both the values and practices they deal with, but from these misunderstandings arise new meanings and through them new practices – the shared meanings and practices of the middle ground.« (White 1991: XXVI)

Wichtig hierbei ist, dass ein bestimmtes interkulturelles Protokoll beachtet wurde, das die involvierten Parteien dazu befähigte, ihre unterschiedlichen Handlungen in unterschiedlicher Weise zu deuten, ohne dass Missverständnisse die Drohung von Krieg und kultureller Annihilation nach sich gezogen hätten, wie es von der Mitte bis zum Ende des 19. Jahrhunderts an der Grenze üblich wurde. Am Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts, so meine These, griffen Indigene auf diese historische Erfahrung zurück. Indem sie sich aktiv am Reenactment vergangener Frontier-Tage beteiligten, suchten sie die bedrohlichen Dichotomien der Frontier-Gesellschaft zu transzendieren und bemühten sich stattdessen, eine frühere historische Periode zu evozieren, in der die Bühnen der kulturellen Repräsentation noch offen für gegenseitige Interpretationen waren (vgl. White 1991). Darüber hinaus transformierte die dadurch erwirkte indigene Agency sich dann in die späteren Erscheinungsformen indigener Medienarbeit und indigenen politischen Aktivismus, der in den 1970er Jahren so viel Aufsehen erregte.

2. M EDIENGESCHICHTE P ERSPEKTIVE

IN MEDIENETHNOLOGISCHER

In seiner Arbeit über die Medienaktivitäten australischer Ureinwohner hat Eric Michaels gezeigt, dass wir daran gewöhnt sind, die dominante westliche Mediengeschichte als Geschichte einer zwangsläufigen Evolution von oralen zu print und schließlich zu elektronischen Medien zu universalisieren und zu naturalisieren. Damit sind auch Wertzuschreibungen verbunden: Wir unterstellen gewissen medialen Formen mehr Respektabilität als anderen. Schriftlichkeit, beispielsweise, ist im populären Bildungsdiskurs ein Medium der Sozialisierung und gesellschaftlichen Entwicklung, wohingegen Video und Fernsehen häufig als anti-sozial und repressiv gesehen werden (vgl. Michaels 1994: 311). Dies lässt sich auch beobachten, wo fremde kulturelle Artefakte und Performanzen in den westlichen

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Wertediskurs eingegliedert werden. ›Authentische‹ tribale Kunst sowie die moderne Kunst indigener bildender Künstler werden als respektabel angesehen, wohingegen künstlerischen Äußerungen aus dem Bereich der indigenen Touristenkunst und des Pan-Indianismus eher das Etikett des Inauthentischen angeklebt wird: Sie erscheinen als das Produkt kommerzieller Interessen, als Verfestigung von Stereotypen des Indianischen, nicht als Teil indigener Kultur. Eric Michaels widerspricht dem: Indigene (und andere nicht-westliche) Kunstformen gehen nicht mit unserer gewohnten historischen Entwicklungsabfolge der Medien und der damit verbundenen Wertzuschreibung konform. Im Gegenteil, sie bringen Medien- und Kunstgeschichte(n) hervor, die diese westliche Sicht eher konterkarieren, darunter auch die Vorstellung davon, was ein Stereotyp ist. In ihrer Analyse von Inuit-Filmarbeit, besonders mit Fokus auf die Dreharbeiten zum Klassiker NANOOK OF THE NORTH (1922) arbeitet Faye Ginsburg heraus, dass indigene Medienaktivitäten der Zeit um die Wende zum 20. Jahrhundert in der historischen Medienforschung oft verdunkelt werden (vgl. Ginsburg 2002). Die Spuren indigener Medienagency wurden, buchstäblich, aus den Abspännen der Filme und damit aus den Dokumentationen gestrichen, auf die die Rekonstruktionen von Mediengeschichte sich beziehen (vgl. auch Nicks/Phillips 2007). Deswegen, so meine ich, hat es den Anschein, als ob es in indigenen Medienhistorien keine historischen Kontinuitäten gäbe – keine Geschichte gegenwärtiger indigener Medienaktivitäten, die über die vergangenen dreißig bis fünzig Jahre hinaus in die Vergangenheit zurückreicht. Es entsteht der Eindruck, als ob alle indigenen Medienaktivitäten in den frühen 1970er Jahren plötzlich auf der Bildfläche erschienen, als sich im Zuge der Red Power-Bewegung 3 eine selbst45F

3

Red Power ist ein Sammelbegriff für die politische Bewegung, die sich in den späten 1960er und frühen 1970er Jahren vor allem unter urban lebenden Indigenen in den Zentren von Minneapolis/St.Paul, Chicago und San Francisco abspielte. Ein wichtiger Impuls kam von indigenen Teilnehmern der Kriege in Vietnam und Korea, die nach ihrer Rückkehr in die USA nicht länger bereit waren, den Alltagsrassismus und die systematische Diskriminierung durch Leute und Institutionen zu dulden, für deren ›Freiheit‹ sie in Südostasien Gesundheit und Leben aufs Spiel gesetzt hatten. Das American Indian Movement (AIM) war Teil dieser Bewegung. Hierbei handelt es sich um eine radikale politische Organisation, die im Jahr 1968 in Minneapolis/St.Paul als Reaktion auf gewalttätige

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bewusste indigene Medienpräsenz und aktive Mediennutzung zeigte (vgl. Champagne et al. 1997; Johnson 1996; McDonald 2010; Nagel 1996). Tatsächlich aber reichen selbstbewusste indigene Medienaktivitäten viel weiter zurück, bis tief in das 19. Jahrhundert hinein. Eine detaillierte historische Studie der Mediennutzung einer einzelnen Gemeinde belegt, dass diese Art von Medienaktivitäten erstmals im Zusammenhang des indigenen Engagements in der amerikanischen Popkultur der Post-Frontier-Ära entstand (vgl. Bender 2011). Dies war die erste Arena, in der indigene Selbstrepräsentation auf der interkulturellen Bühne erschien. Von hier aus entwickelte sie sich in das, was später in den 1970er Jahren als politische und kulturelle Revitalisierung in der Treaty Rights-Kampagne der 1980er Jahre und als heutiger indigener Medienprofessionalismus bekannt wurde.

3. L AC C OURTE O REILLES , W ISCONSIN – EINE INDIGENE M EDIENGESCHICHTE Historischer Hintergrund: Krieg und Konflikt im Gebiet der Great Lakes Die indigenen Bevölkerungen des Waldlandes in der Region um die Great Lakes lebten traditionell von der Jagd, dem Fischfang, dem jährlichen Einernten und der Vorratshaltung von Wildreis, der Herstellung von Ahornsirup sowie der Anlage von kleinen Gemüsegärten. Birkenrinde (wigwass) war das wichtigste Material zur Verfertigung von leichtgewichtigen Vorratsbehältern (wigwassi-makak), Booten (wigwass-tchiman), und den charakteristischen kuppelförmigen Häusern (wigwassiwigamigon), die heutzutage als wigwam bekannt sind (nicht zu verwechseln mit den kegelförmigen Tipis der Plains-Kulturen).

Übergriffe seitens der Polizei gegründet wurde. AIM initiierte viele spektakuläre und medienwirksame Aktionen, so z.B. die Besetzung der Gefängnisinsel Alcatraz im Jahr 1968, den Protestmarsch Trail of Broken Treaties und die darauffolgende Besetzung des Bureau of Indian Affairs in Washington D.C. im Jahr 1972.

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Wie viele andere indigene Gruppen im Nordosten Nordamerikas engagierten die Ojibwe sich als Jäger und Fallensteller im transatlantischen Pelzhandel, der für viele Jahre die Ökonomie der Region dominierte. 4 Im 17. und frühen 18. Jahrhundert agierten die Algonkin-sprechenden Ojibwe in der Gegend von Sault Ste. Marie als Mittler, Händler und kulturelle Broker zwischen den französischen Kolonisten im Osten und den siouansprechenden Dakota im Westen. 5 Hierbei erlangten die Ojibwe für sich selbst eine komfortable und einträgliche Position in den transregionalen Übersetzungketten des Pelzhandels. Zu dieser Zeit waren die Dakota ökonomisch und kulturell noch eng an das Waldland angepasst und ernährten sich, wie die Ojibwe auch, von Jagen, Fischen und Wildreissammeln. Doch als die Franzosen um die Mitte des 18. Jahrhunderts damit begannen, die Ojibwe im Pelzhandel mehr und mehr zu umgehen und direkt mit den Dakota zu handeln, kam die Kooperation zwischen den Ojibwe und den Dakota zu einem abrupten Ende. Die Region westlich und südlich des Lake Superior wurde zum Schauplatz eines langanhaltenden Guerillakrieges zwischen den indigenen Gruppen. In dem Maße, in dem die Dakota von den Ojibwe nach Westen vertrieben wurden, änderte sich ihre Kultur. Sie übernahmen die charakteristische Plainskultur spezialisierter Bisonjäger, die sich nach der Einführung des Pferdes durch die Spanier im 17. Jahrhundert in den weiträumigen Gebieten der Plains und Prärien entwickelt hatte. Im Verlauf des 18. Jahrhunderts dehnten die Ojibwe ihre Jagdgebiete in das Innere des Waldlandes südlich des Lake Superior aus, aus dem die Dakota vertrieben worden waren. Um 1745 ließ eine Gruppe von OjibweFamilien sich permanent nieder. Diese erste Ojibwe-Siedlung lag an einem 46F

47F

4

Über die Rolle der Indigenen im Pelzhandel siehe neben White 1991 z.B. auch

5

Zur Erklärung der ethnischen Selbst- und Fremdbezeichnungen im Gebiet der

Martin [1978] 1982 und Ray [1974] 2015. Great Lakes: Die Ojibwe sind auch unter der Bezeichnung Chippewa, Chippeway oder Ojibway bekannt und nennen sich in ihrer eigenen Sprache selbst Anishinaabe, ›wahre Menschen‹. Die Bezeichnung Sioux, die als Sammelbegriff die alliierten Gruppen von Dakota, Lakota und Nakota umfasst, geht auf die französische Verballhornung der Ojibwe-Bezeichnung nadowe-is-ig-ug für ihre westlichen Nachbarn und Feinde zurück (vgl. Hewitt 1907: 376; Warren 1885: 72).

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See, der den Franzosen als Lac Courte Oreilles bekannt war. 6 Diese Siedlung wurde noch größer, nachdem der französische Händler Michel Cadotte in eine einflussreiche Ojibwe-Familie eingeheiratet hatte und einen Handelsposten am Lac Courte Oreilles errichtete. Im Jahr 1825 mischte die US-Regierung sich in den Kleinkrieg der verfeindeten indigenen Gruppen ein und nutzte die Situation, um sich im Abschluss des ›Friedens- und Freundschaftsvertrages‹ von Prairie du Chien als permanente Ordnungsmacht zu etablieren. 48F

»In actuality, the federal government was interested in stabilizing the area for western expansion and acquiring land from the Ojibwe. However, before it could begin cession treaties, it first had to establish tribal boundaries. Ojibwe-Dakota enmity was a convenient pretext.« (Loew 2001: 58)

In weiteren Verträgen, die 1837 und 1842 erzwungen wurden, traten die Ojibwe ein riesiges Gebiet an die Vereinigten Staaten ab: »almost two-thirds of present-day northern Wisconsin, a portion of central Minnesota, and much of Michigan’s Upper Peninsula« (Loew 2001: 60). Ein weiterer Vertrag etablierte im Jahr 1854 vier Ojibwe-Reservationen in Wisconsin, darunter Lac Courte Oreilles mit seinen reichen Jagdgründen, hunderten von kleinen Seen und ergiebigen Wildreisvorkommen.7 Eine Bestimmung dieser Verträge, die in den 1970er und 1980er Jahren zum Gegenstand eines langanhaltenden politischen und juristischen Streits zwischen Indigenen und Nicht-Indigenen werden sollte, bestand in der Beibehaltung von indigenen Sonderrechten des Fischens, Jagens und Wildreissammelns außerhalb von Reservationsgrenzen (s.u.). 49F

6

Der Name ›See der kurzen Ohren‹ geht auf den französischen Spitznamen für die Ottawa zurück, die diesen See bei der ersten französischen Begegnung noch besiedelten. Im Gegensatz zu anderen indigenen Gruppen im Seengebiet folgten die Ottawa nicht dem Brauch, durch schwere Ohrgehänge ihre Ohrläppchen zu verlängern.

7

Zum damaligen Zeitpunkt wurden zwei Ojibwe-Gruppen, nämlich die bei Sokoagon (Mole Lake) und St. Croix übergangen, da sie den Vertrag von 1854 nicht unterschrieben hatten. Sie verblieben ohne zugeteilte Territorialbasis, bis sie in den 1930er Jahren durch eine Durchführungsverordnung des Präsidenten kleine Reservationen erhielten (vgl. Lurie 2002; Loew 2001: 78).

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Abb. 1 Siedlungsgebiet der Ojibwe im Gebiet von Michigan, Wisconsin und Minnesota sowie Umfang der durch Verträge abgetretenen Gebiete (»ceded territories«). Nach einer Karte der Great Lakes Indian Fish and Wildlife Commission

Quelle: http://www.glifwc.org/images/Ceded_Territories.gif, 06.03.2016.

Gleichzeitig ging der Pelzhandel, der zur Expansion der Ojibwe nach Wisconsin und zur Aneignung von europäischen Waren wie z.B. Wolldecken, Äxten, Messern und Kesseln aus Eisen, Feuerwaffen und Alkohol geführt hatte, seinem Ende entgegen. Kurze Zeit nach der Etablierung von Reservationen begannen große Holzfirmen mit dem ›Abernten‹ des Urwaldes. Am Ende des 19. Jahrhunderts saß man in Nordwestwisconsin auf einem großflächigen Kahlschlag und indigene wie weiße Siedler mussten sich neue Strategien des wirtschaftlichen Überlebens einfallen lassen. Nach einem kurzen und erfolglosen Versuch, den schnell ausgelaugten Boden als

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Farmland zu verkaufen, orientierte das lokale weiße Business sich auf den Tourismus als neue Einnahmequelle. 8 50F

Nach dem Boom: Tourismus im ehemaligen Kahlschlagsgebiet Die staatlicherseits vorangetriebene Wiederaufforstung war ein wichtiger Kontext zu dieser neuen Entwicklung (vgl. Kates 2001). Die ehemaligen Lager und Posten der Holzfäller wurden in Ferienhäuser umgewandelt und an die vielen Tages- und Wochenendreisenden vermietet, die sich ab den 1890er Jahren aus den Großstädten Chicago, Milwaukee und Minneapolis/St.Paul in die Provinz gezogen fühlten, auf der Suche nach Erholung und dem Reenactment und der Revitalisierung der ur-amerikanischen Wildniserfahrung beim Jagen und Fischen. Sogar der Chicagoer Gangster Al Capone hatte sein Ferienhaus im Outback der Lac Courte Oreilles-Reservation und seine Männer gingen mit Maschinengewehren auf die Jagd nach den begehrten Whitetail-Hirschen (vgl. Bender 2011: 85; Swift 1953: 1). Die Leute von Lac Courte Oreilles nahmen an dieser neuen Freizeitkultur teil wie alle anderen auch. Sie gingen zu Filmvorstellungen ins Kino, spielten Basketball und organisierten Tanzabende (vgl. Loew 1998). Auch an dem neuen Geschäft mit den Touristen versuchten sie sich aktiv zu beteiligen und einen Anteil zu ergattern. Sie arbeiteten als Fremdenführer auf Angeltouren, vermieteten Ferienhäuser und brachten speziell für Touristen organisierte ›Indian dances‹ auf die Bühne (vgl. Rasmussen 1998). Sie verdienten auch ein wenig Geld mit dem Verkauf von bereits erlegtem Jagdwild an die Sportjäger, die ihr familienfreies Wochenende damit verbracht hatten, mit ihren Jagdkumpanen zusammen Bier zu trinken und an Sonntagnachmittagen auf dem Weg zurück schnell ein oder zwei Hirsche kauften, die sie dann zu Hause vorzeigen konnten (gaiashkibos, persönliche Kommunikation, September 2013). In dem Maße, in dem der Tourismus sich zur wichtigsten Einnahmequelle in Nordwestwisconsin entwickelte, gelang es dem lokalen, von Weißen dominierten Business, auch größere Veranstaltungen auf die Beine zu stellen, wie z.B. große Wildwest Shows

8

Zu gegenwärtigen indigenen Aktivitäten im Tourismus siehe z.B. Lindner 2013; Ryan/Aitken 2005; West 1998 und vor allem Phillips 1998, der meine Darstellung viele Anregungen verdankt.

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und sogenannte Indian Fairs, die Touristen in Massen von mehreren Tausend an einem Wochenende anziehen sollten. Rituale der Regeneration Ein wichtiges Modell für große Shows war Buffalo Bill’s Wild West Show, eine Art Reisezirkus zum Reenactment historischer Frontier-Ereignisse, der in den Jahren 1896, 1898 und 1900 am Südufer das Lake Superior gastierte. William Frederick Cody (1846-1917), a.k.a. Buffalo Bill, war ein ehemaliger Kundschafter der U.S. Armee, professioneller Bisonjäger und Entertainer, der mit seinen Wild West Shows Berühmtheit erlangte. Codys Shows waren Publikumsmagneten; er selber sah sich als »instant popular historian of the American West and a conciliator between the old enemies« (Christian F. Feest, persönliche Kommunikation, November 2015). Neben alten Kameraden aus der Armee heuerte Cody auch indigene Darsteller in großer Zahl an, obwohl Indianeragenten mit dieser Praxis nicht einverstanden waren. Indian Commissioner Cato Sells beispielsweise fand die Teilnahme indigener Darsteller an den Inszenierungen »gefährlich« und seinen Bemühungen um die »Zivilisierung« der Indigenen entschieden abträglich (Loew 1998: 203-206). Das Showprogramm bestand zum größten Teil aus Reenactments der Grenzkriege; seine Besonderheit bestand darin, dass er die noch lebenden tatsächlichen Teilnehmer dieser Schlachten zusammen auf die Bühne brachte. Cody selbst war als Armeekundschafter an den Kriegen beteiligt gewesen, so wie auch der berühmte Lakota-Anführer Sitting Bull oder der Kavallerieoffizier John Gregory Bourke, ein früher Ethnologe, der den ersten Bericht des Hopi Schlangentanzes veröffentlichte, der wenige Jahre später ebenfalls zu einem Touristenritual werden sollte (vgl. Bourke 1884; Bender/Hensel/Schüttpelz 2008). Die Ojibwe-Historikerin und Journalistin Patricia Loew rekonstruierte außerdem aus alten Zeitungen ein historisches Friedens- und Versöhnungsritual, das die indigenen Teilnehmer der Show im Jahr 1896 hinter den Kulissen abhielten. Im Sozialleben der indigenen Gruppen des Seengebiets markierten Feste traditionell die wichtigsten Übergangsstadien im Leben von Menschen: Die Namensgebung für ein Neugeborenes, den Übergang ins Erwachsenenalter (vor allem First-Kill-Zeremonien für Jungen), Heirat und Tod (vgl. Densmore [1910-1913] 1973; Ritzenthaler 1978; Ritzenthaler/

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Ritzenthaler 1970; Vennum 1982). Die jahreszeitlichen Zeremonien der Big Drum-Gesellschaft und die Passage von Individuen durch die vier hierarchisch auf einander aufbauenden Grade der Midewin-Medizingesellschaft wurden ebenfalls durch Feste markiert: das Schlagen von Trommeln, Gesang, Tanz und die Anrichtung eines großen gemeinschaftlichen Mahls aus traditionellem Essen, vor allem Wildreis, Fisch und Wild. Diese indigene Festkultur kam in Kontakt mit dem Tourismus und der entstehenden amerikanischen Popkultur; die indigene Strategie, diesen Kontakt zu regulieren und in seinen Ausmaßen und Wirkungen zu kontrollieren, war die der Kompartmentalisierung. Während manche Arten von Festen und Zeremonien aus der Öffentlichkeit verschwanden, wandelten andere sich und öffneten sich für verschiedene kulturelle Einflüsse, die in der Region schon seit den Jahren der frühen Kolonisierung präsent gewesen waren. Die indigenen Teilnehmer von Buffalo Bill’s kriegerischer Reenactment-Show brachten Cody dazu, hinter den Kulissen einen historischen Friedensabschluss zwischen den Ojibwe und den mit ihm reisenden Vertretern der Lakota/Dakota Raum zu geben (vgl. Loew 1998: 206-207). Diese Friedenszeremonie war in der Tat historisch, markiert sie doch den Schlussstrich unter mehr als 200 Jahre Krieg um Land und Ressourcen zwischen den Dakota und Ojibwe. Ein Zeitungsreporter, der eigens zur Zeremonie eingeladen worden war, beschrieb sie in den folgenden Worten: »The Sioux chiefs repaired to their tepees, put on their (face) paint and feathers, produced their pipes and other paraphernalia and awaited their guests. The Chippewa similarly prepared, marched into the space reserved for the meeting, several hundred strong, and the representations of the two great tribes met face to face […].« (Loew 1998: 206-207)

Die Anwesenden formalisierten das Friedensabkommen nicht mit einem schriftlichen Dokument, sondern mit der Präsentation und dem Austausch sakraler Tabakspfeifen: »There was no levity, no laughter. Every Chippewa and Sioux listened intently, with solemn faces […]. The ceremonies were as formal and impressive as a meeting between the representatives of foreign governments.« (Loew 1998: 206-207)

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Abb. 2: Fotomontage verschiedener Aufnahmen, die die Friedenskonferenz zwischen Ojibwe und Dakota als Postkartenmotiv rekonstruiert

Quelle: Wisconsin Historical Society, WHi-95716

Indian Fairs: Indigene Rituale unter dem Deckmantel von Patriotismus und Tourismus Eine weitere Arena, die Indigene in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts für sich reklamierten, bestand in den sogenannten Indian Fairs, die in vielen Reservationen überall in den USA stattfanden. Eigentlich dienten sie dem entgegengesetzten Zweck der Wild West Shows mit ihrer Glorifizierung der Vergangenheit: eine Indian Fair war eine Art lokaler Handwerksausstellung, die üblicherweise vom Indianeragent in Kooperation mit seinem administrativen Netzwerk, dem Regierungsfarmer etc., auf die Beine gestellt wurde, um der Öffentlicheit (und den Indigenen) zu demonstrieren, wie weit man auf dem Wege zur Zivilisierung und Anpassung der indigenen Bevölkerung schon gekommen war. Es sollte gezeigt werden, dass die Indigenen zu Farmern, Handwerkern und fleißigen Hausfrauen geworden waren, die die schweifende Lebensweise, die Jagd und das Sammeln aufgegeben hatten. Die Indigenen jedoch sahen sich selbst nicht als die passiven Mündel eines zivilisierten Lebensstils. Sie behielten – manche bis in die heutige

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Gegenwart – eine Mischökonomie bei, in der Lohnarbeit, Jagd, Fischfang, Wildreisernte, Sozialleistungen, die Herstellung und der Verkauf von Birkenrindenprodukten und Ahornsirup an Touristen miteinander kombiniert werden, so wie es die konkrete Lage gerade erfordert. Diese Agency übersetzte sich in die Selbstrepräsentation bei Indian Fairs. Die Berichterstattung des Sawyer County Record (SCR), der seit der Jahrhundertwende existierenden lokalen Zeitung der Hayward-Lac Courte Oreilles-Region, macht deutlich, dass die Leute von Lac Courte Oreilles nur einige Jahre brauchten, um die Indian Fair in die eigenen Hände zu nehmen und sie zu einer regional bekannten Lac Courte Oreilles Arts and Crafts Show umzuwandeln. Die erste Indian Fair von Lac Courte Oreilles fand am 14./15. Oktober 1914 in der Ortschaft Reserve statt. Aus der Stimme des Lokalreporters spricht jene Haltung, die im Amerikanischen patronizing genannt wird, d.h. eine gönnerhaft-fördernde, herablassende Haltung von jemandem, der sich seinem Gegenüber eindeutig überlegen fühlt. Die Indigenen erscheinen als Objekt der Veranstaltung, nicht als eigenständig Handelnde: »That the Indians on the Court Oreilles reservation can accomplish as much as their white brothers in the agricultural line is evident from the first annual fair.« (Hayward Republican, 15.10.1914)

Hauptaugenmerk liegt auf Indian Commissioner Cato Sells, der als der vorrangigste Agent der Veranstaltung dargestellt wird: »The interest taken by the Indians is a gratifying indication of the responsive sentiment among the Indians to the appeal of Commissioner Cato Sells, looking toward the industrial advancement and self-support.« (Hayward Republican, 15.10.1914)

Über die folgenden Jahre jedoch wurde die Berichterstattung über die regelmäßig durchgeführte Veranstaltung ausgedehnter und enthusiastischer im Tonfall. Im Jahr 1916 widmete der Sawyer County Record drei Spalten auf der Titelseite und eine ganze Seite im Innenteil der Indian Fair, die am 29./30. September stattfand. Der Bericht vermittelt außerdem einen Eindruck von der Atmosphäre. Das Programm startete morgens um 10 Uhr und zog sich bis nachmittags 16 Uhr hin. Nach einer morgendlichen ›Parade by Indians headed

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by band‹ war der erste Tag für Spiele und Wettkämpfe reserviert, z.B. ›climbing greasy pole by boys‹, ›sack race, potato race, elephant race, tug of war‹, sowie verschiedenen Wettrennen zu Fuß und per Boot. Am zweiten Tag wurde nach der morgendlichen Parade eine landwirtschaftliche Ausstellung gezeigt. Es wurden Preise für das beste Vieh verliehen, das ebenfalls seine eigene Parade erhielt. Außerdem gab es eine Runde Lacrosse zu sehen, ein indigener Ballsport, bei dem zwei größere Mannschaften einen Ball mit Schlägern ähnlich wie beim Tennis über ein großes Terrain spielen. Es gab außerdem ein Baseballspiel der ›Reservation Indians vs. School‹, d.h. der Indianer der Reservation gegen die der Internatsschule in Hayward, außerdem ein Tauziehen für zwei Frauengruppen. Das Festkomitee und die Preisjury bestanden, mit wenigen Ausnahmen, aus Indigenen von Lac Courte Oreilles, wie man an den Nachnamen, z.B. Gokey, Billyboy und Cloud (Anakwad), erkennen kann. Der Sawyer County Record listete ausführlich die Gewinnerinnen und Gewinner der Native arts and crafts-Wettbewerbe auf, in denen Frauen und Männer in den Kategorien ›best pair beaded moccasins‹, ›best beaded belts‹, ›best hand made reed mat« und »best Indian costume‹ ihr Können maßen. Eine Vorführung der Schule (›best 20 sentences about the horse‹) und eine Babyshow, in der das hübscheste und wohlgenährteste Baby gekürt wurde, beendeten die Landwirtschaftsschau im Jahr 1916. 1917 wurde die Indian Fair durch das erste jemals im Sawyer County Record veröffentlichte Foto angekündigt. Es ist anzunehmen, dass die Abbildung auf die wohlwollende Zustimmung der Ojibwe stieß: Zu erkennen ist ein Ojibwe-Mann im mittleren Alter in selbstbewusster Pose, der traditionelle Ojibwe-Festkleidung und Mokassins mit Perlstickerei in Blumenmustern trägt.

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Abb. 3: Das erste Foto, das jemals in der Provinzzeitung Sawyer County Record veröffentlicht wurde: Ojibwe-Mann in Festkleidung als Werbung für die Indian Fair von Lac Courte Oreilles im Jahr 1917

Quelle: SCR 06.09.1917; Foto: Cora Bender

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Feier zur Heimkehr indigener Weltkriegsteilnehmer Die größte Indian Fair von Lac Courte Oreilles fand nach dem Ende des Ersten Weltkrieges am 19. Juni 1919 statt. An diesem Tag wurden 49 heimkehrende Soldaten von Lac Courte Oreilles geehrt, die am Weltkrieg teilgenommen hatten. Der Sawyer County Record kündigte an: »The committees in charge are completing the plans for this big event which will draw large crowds from various places in Northern Wisconsin.« Aus der Diözese St.Paul kam eigens ein katholischer Priester, um die Messe zu zelebrieren, die von einer Prozession und einem großen Festessen für die indigenen Soldaten gefolgt wurde. Danach wurden Reden gehalten, u.a. durch Billy Boy aus Lac Courte Oreilles und durch Abgesandte anderer Reservationen der Region, Horace Greeley aus Bad River, Frank Bressette aus Redcliff und Frank Wishcob aus Lac du Flambeau. Anschließend folgten Grußworte des Senators des Bundesstaates Wisconsin, des Sheriffs von Sawyer County, und des Indian Commissioners. Zuguterletzt sprach sogar der Gouverneur von Wisconsin selbst, der es sich nicht hatte nehmen lassen, eigens anzureisen. 9 Nach den Reden wurden ›Indian Victory dances and Indian games‹ aufgeführt und es gab Musikdarbietungen der Hayward City Band. Bilder, die bei dieser Gelegenheit entstanden, vermitteln einen Eindruck von der Atmosphäre, die sich als vielschichtiges Ereignis zwischen feierlicher Zeremonie und fröhlicher Festivität präsentiert. Auf einem Bild haben sich die jungen Veteranen des Ersten Weltkrieges im Halbkreis um eine Gruppe älterer Männer in Festkleidung aufgebaut. Manche von ihnen tragen Federkopfschmuck im Stil der Plains-Kulturen. Im Zentrum sieht man Ira O. Isham, den Ojibwe-Englisch-Dolmetscher von Lac Courte Oreilles, der sich in der selbstbewußten Pose eines Patriarchen halb liegend in der Mitte der Versammlung präsentiert. Andere Schnappschüsse der Veranstaltung zeigen Leute von Lac Courte Oreilles und nicht-indianische Besucher, die das schöne Wetter und die festliche Versammlung genießen. Obwohl schwarzweiß, vermitteln die Bilder doch einen sinnlichen Eindruck von der Bunt51F

9

Der Gouverneur hatte bereits 1915 eine Delegation aus Lac Courte Oreilles in Madison empfangen (siehe die Fotografie »Gov. Phillipp & Chippewa in conference (Nov, 1915-21)«, State Historical Society of Wisconsin, Madison: Whi (W6) 6329).

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heit der indigenen Festkleidung, die bei manchen alles andere als ›traditionell‹ aussieht. Eine Gruppe von fünf auffallend gekleideten Frauen, beispielsweise, präsentiert sich mit selbstbewußtem Lächeln dem Fotografen, während sich im Hintergrund eine amerikanische Flagge im Wind bauscht. Abb. 4: Fotografien von der Heimkehrfeier für Lac Courte Oreilles’ Teilnehmer des Ersten Weltkriegs am 19. Juni 1919. Unten mittig neben dem Flaggenmast: der Gouverneur von Wisconsin

Quelle: State Historical Society of Wisconsin, Madison: GW 902 R43-12

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Aufnahmen von wichtigen lokalen Ojibwe-Anführern, wie z.B. Johnny Frogg, der als »Chippewa Dancer« vorgestellt wird, und Billy Boy, »Chippewa Speaker«, verdeutlichen den Mix der Stile. Billy Boy trägt ein Outfit, in dem westliche, Ojibwe und Plains-Elemente miteinander kombiniert sind, vor allem ein Plains-Federkopfschmuck im straight-up-Stil und eine Ojibwe-Schultergurttasche, die reich mit Perlstickerei verziert ist. Sogar der korpulente Gouverneur, der bei dieser Gelegenheit in den Stamm adoptiert wurde, trägt einen Federkopfschmuck. »Last Thursday was the biggest day ever experienced on the Court O’Reilles [sic] reservation when on that day 2.500 people assembled in a Victory celebration in honor of the Indian boys who served in the world war. The Indian village was tastefully decorated for the occasion […]. Chief Billy Boy, who was master of ceremonies held by the Indians, made our governor one of the chiefs of the Chippewa tribe, giving him the name of Pug-o-ne-gi-zik, meaning, Hole in the Day. 10 Three moving 52F

picture machines were busy throughout the day making films of this unique celebration.« 11 (SCR 26.06.1919) 53F

Doch der feierliche Patriotismus und die Partyatmosphäre waren nur zwei Schichten eines Ereignisses, das sich bei näherem Hinsehen als noch komplexer entpuppt. Hinter den öffentlichen Kulissen, und ohne das Wissen des Gouverneurs oder des Indianeragenten, spielte sich ein wichtiger Revitalisierungskult ab, mit dem nicht der vergangene Eroberungskrieg auf den Plains ›reenacted‹, sondern nach Beendigung des Ersten Weltkrieges der Frieden und die Regeneration der Gemeinschaft bewerkstelligt werden

10 ›Hole-in-the-Day‹ scheint im Gebrauch der Ojibwe eine ambivalente Bedeutung zu besitzen. Zum einen bezeichnet es eine Sonnenfinsternis, zum anderen ein kreisrundes Loch in einer geschlossenen Wolkendecke, durch das die Strahlen der Sonne fallen. Außerdem ist es der Name eines wichtigen historischen Ojibwe-Anführers aus Leech Lake, Minnesota, der versucht hatte, seine Leute zur Teilnahme am Aufstand der Dakota im Jahr 1862 zu bewegen. Dieser Aufstand ging als »Sioux Wars« in die Geschichte von Minnesota ein (Warren 1885: 504). 11 Ich recherchierte die Filme ergebnislos. In den Archiven der State Historical Society of Wisconsin war man der Meinung, dass sie in der Zwischenzeit dem physischen Verfall anheimgefallen waren.

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sollten. Lac Courte Oreilles erhielt eine sakrale Trommel, die in einer Zeremonie Verwendung fand, die als Dream Dance oder Drum Dance bekannt war. Gaiashkibos, dessen Großvater unter den 1919 geehrten Weltkriegsteilnehmern war, erinnert sich: »My grandfather, Alec James, was one of the soldiers honored at that occasion. He was in that war. And at the time of that Victory Celebration, a Dream Drum was given to us. That’s where that Soldier’s Drum came from.« (gaiashkibos, persönliche Kommunikation, April 2014)

Der Dream Dance oder Drum Dance ist ein religiöser Komplex oder Kult, dessen historischer Ursprung auf den Plains zu suchen ist und in den 1870er Jahren durch die Vermittlung der Dakota zu den Ojibwe von Wisconsin kam. Seine Ursprungsmythe ist eine historische Erzählung: Sie berichtet von einem jungen Dakota-Mädchen, das nach einer Schlacht auf der Flucht vor den amerikanischen Soldaten in einem See in die Falle geriet. Diese Geschichte illustriert auch ein indigenes Verständnis von der Interaktion und Co-Kreativität von Mensch und übernatürlichen Wesen in der Erschaffung von Regenerationsritualen: »There she stayed for 6 to 10 days, hidden by lily pads, neither eating nor drinking. Finally, the spirit took her up to the sky, where he told her about the Drum Dance. He explained how the ceremony was to be carried on and gave certain ethical instructions; he told her that peace would occur between all Indians and Whites if she induced her people to perform this ritual. Although she had been close to death, when she awoke, she was cured.« (Ritzenthaler 1978: 755-756)

Die Zeremonie selbst fokussiert auf eine kleine Anzahl sakraler Trommeln, die eine lange Migrationsgeschichte haben, tatsächlich eine trans-tribale Zirkulation im gesamten Oberen Mittelwesten. »Tailfeather Woman’s revelation was explicit in its instructions for the future: the Drum was to be passed on to establish intertribal peace and brotherhood. In accordance with the wishes of the Great Spirit, then, the Drum Dance was actively disseminated from the Ojibwa to other tribes and within the next fifty years the proliferation of Drums would be great. As Drum members describe it: ›Them Drums, they keep travelling, keep travelling. They got to keep them so long; maybe

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four years. After four years come, you know, you got to pass them on.‹« (Vennum 1982: 70)

Mit der Hilfe seines Gesprächspartners und Informanten John Bisonette rekonstruierte der Ethnomusikologe Thomas Vennum den Pfad der Trommeln durch den Mittelwesten: »Since the Sioux presented the first Drum to the Ojibwa, its travel was set in motion from west to east. Once the Wisconsin Ojibwa, Menominee, and Potawatomi had been reached circa 1875-1880, the line of travel turned to the south, toward the Winnebago, and then west. The Fox in Iowa, who had received it from the Wisconsin Potawatomi, in turn transferred it to the Potawatomi in Kansas, who then brought it to Oklahoma, and so on.« (Vennum 1982: 73)

So geschah es, dass am 19. Juni 1919 die Soldiers’ Drum, die auch Veterans’ oder Warriors’ Drum genannt wird, in Lac Courte Oreilles auftauchte: »Many Tribal People ask about the Drum as it makes its way through the Indian Community. The Drum itself was constructed in the early 1900’s about a year before the end of World War I. As the story goes, an Indian woman named ›Nazhinequay‹ had re-occurring dreams and had approached a Tribal elder for interpretation of the dream. She was told that one of the servicemen would not return from overseas, and did not want people to forget about those soldiers who would not return. So this Drum was constructed for those who had given their lives to preserve freedom.« (Honor the Earth Powwow Committee 1991)

Donald Wolf, ein Mann aus Lac Courte Oreilles, berichtete in seinen Lebenserinnerungen, dass ein Traum seiner Großmutter Angeline Wolf (Maingain) den Anstoß zur Konstruktion der Trommel gab. Aus diesem Grund hielt ihre Familie stets ein wachsames Auge auf die Trommel bei ihrer Reise durch die indigenen Kommunitäten des Mittelwestens: »The Wolf family has taken care of the drum ever since but the veterans have a say as to where it will go and for what purpose.« (History Comes Alive n.d.)

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Das Erscheinen von Tänzen, die durch das Schlagen großer Trommeln begleitet wurden, versetzte die lokale weiße Bevölkerung und vor allem das Personal der Reservationsverwaltungen in Unruhe, die sie immer noch mit den Schrecknissen wahrer oder imaginierter Indianeraufstände in Verbindung brachten. Viele verwechselten diese Tänze auch mit dem Ghost Dance, dem messianischen panindianischen Trancekult, der in den 1880er Jahren die Reservationen im Westen Amerikas in Aufruhr versetzt hatte, bis er im Massaker von Wounded Knee am 29. Dezember 1890 durch die U.S.-Armee unterdrückt wurde (vgl. Mooney 1896). Aus diesem Grund wurde der Dream Dance / Drum Dance sorgfältig von einer weißen Öffentlichkeit abgeschirmt und so sein Überleben gesichert. Heute ist diese Zeremonie als Big Drum bekannt und findet viermal im Jahr aus Anlass des Jahreszeitenwechsels statt. Wie viele religiöse Aktivitäten in indigenen Gemeinschaften wird auch diese zwar von vielen Menschen besucht, doch sie ist nicht öffentlich in dem Sinne, in dem eine katholische Messe öffentlich ist. Teilweise dient diese Halb-Heimlichkeit dem Schutz der Zeremonie vor Teilnehmern, seien sie nun indigen oder weiß, die ohne die angemessene innere Haltung der Friedfertigkeit, Verantwortung und gegenseitigen Unterstützung auf dem Plan erscheinen. Doch die latente Ängstlichkeit und Besorgnis, mit der die Zeremonien aus der Öffentlichkeit gehalten werden, ist auch ein Resultat der anti-indianischen Religionsgesetzgebung der 1880er Jahre, vor allem des Religious Crimes Code von 1883, der die Ausübung indigener Religionen mit Geldstrafen und Gefängnis bedrohte. Der Apostle Island Indian Pageant Sakrale Trommeln ähnlich der, die am 19. Juni 1919 in Lac Courte Oreilles empfangen wurde, erscheinen auch im Kontext eines anderen großen Ereignisses, das am Südufer des Lake Superior in den Jahren zwischen 1924 und 1928 auf die Bühne gebracht wurde: der sogenannte Apostle Island Indian Pageant. Madeline Island ist die größte der Apostle Islands und liegt ungefähr drei Meilen vor der südlichen Küste des Lake Superior. Die Insel ist im Verständnis der Ojibwe ein heiliger Ort. Eine ihrer zentralen Ursprungsmythen berichtet, dass ihre Vorfahren in mythischer Vorzeit am Ende einer langen Wanderung vom Atlantik zu dieser Insel geleitet wurden und zu den reichen Wildreisvorkommen in der benachbarten Chequamegon Bay. Das durch die State Historical Society of Wisconsin betriebene Historische Museum auf Madeline Island dokumentiert die Serie großer Shows,

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die zwischen 1924 und 1928 hier stattfanden. Die ursprüngliche Idee war, die ersten mit Autos ausgestatteten Touristen in die Gegend zu locken, dann begannen sich auch die Betreiber von dampfbetriebenen Ausflugsschiffen, Eisenbahngesellschaften und Tourismusbüros für die Veranstaltung zu interessieren, die als »number one tourist entertainment of America for 1924« beworben wurde: »Seven hundred members of the Ojibwe tribe from the four northern Wisconsin reservations built scenery, handcrafted props, made costumes and performed in the pageant. In 1924, pageant promoters predicted the audience for the event at over 200,000 people, sparking a flurry of campground and hotel development. Crowds fell well short of that goal, numbering around 15,000 and leaving the corporation in debt. The pageant recovered temporarily, staging its final performances in 1928.« (Texttafel im Madeline Island Museum)

Aus allen Reservationen kamen Ojibwe, um an den Ereignissen teilzunehmen. Zum Zeitpunkt meiner ethnographischen Recherche zwischen 1997 und 2007 waren die meisten der Teilnehmer bereits verstorben. Doch im Jahr 2001 hatte ich ein kurzes Gespräch mit Alex Gokey und seiner Familie. Alex Gokey war ein betagter Einwohner der Redcliff-Reservation, der sich daran erinnerte, als Kind an einem großen Indian pageant in Ashland teilgenommen zu haben. Er berichtete von hunderten von Indianern, die in prächtigen Festgewändern Tänze für die Touristen aufführten. Für ihn persönlich aber war das wichtigste Ereignis die Teilnahme an einigen religiösen Ritualen, die seit dem Religious Crimes Code illegal waren, bei dieser Gelegenheit aber im Aufzug und unter dem Schutz des Indian Dancing ohne Gefahr aufgeführt werden konnten. Einige Bilder, die während der Show aufgenommen wurden, zeigen eine Gruppe von Ojibwe-Männern in traditionellen Gewändern, die sich um eine Zeremonialtrommel gruppiert haben. »I can see & understand how our people would hold a ceremony right under the nose of the Indian agent. Bill Baker

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12

and my Dad told me they used to put blankets over the

windows & have ceremonies in the dead of night!« (gaiashkibos, persönliche Kommunikation, Juni 2014)

12 William Bineshi Baker, Sr., war auch einer von Tom Vennums wichtigsten ethnographischen Gesprächspartnern (vgl. Vennum 1982).

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Abb. 5: Ojibwe-Männer in Festkleidung im Halbkreis um eine sakrale Trommel, aufgenommen am Rande des Apostle Island Pageant, wahrscheinlich 1924

Quelle: Marquette University Libraries, BCIM image 00885

Mit den Jahren übernahmen indigene Wortführer die Organisation solcher Events und brachten ihre eigene Agency zum Tragen. Unter den Teilnehmern, die bei solchen Gelegenheiten in Erscheinung traten, finden sich auch solche, die später wichtig in der politischen Bewegung der Indigenen wurden, z.B. im American Indian Movement der 1970er Jahre oder der epochemachenden Treaty Rights-Auseinandersetzung (vgl. Nesper 2002). Auf den Bühnen des frühen Tourismus trainierten die späteren politischen Anführer erstmals ihre selbstbewussten Haltungen. Der sogenannte Mammoth Pageant, der 1949 in Lac Courte Oreilles stattfand, kann als ein solches Ereignis gelten, wo außerdem auch die Agency von Frauen als Organisatorinnen und Gestalterinnen deutlich wird. 1949 kündigte der Sawyer County Record in seiner ersten Juliausgabe den Beginn der sommerlichen powwow-Tänze an, die donnerstagsabends für Touristen aufgeführt wurden. Dieses Jahr, so versprach das Blatt, sollte es außerdem ein spezielles Ereignis geben, ein ›Mammoth Pageant‹, eine große narrative Show, die jeden Samstag und Sonntag auf dem großen Festplatz in

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Hayward dargeboten werden sollte. 13 Der Zeitungsbericht äußert sich ungewöhnlich wortreich: 5F

»The pageant opens with an Indian powwow as one sees in modern times. Sam Frogg, narrator, leads his grandson, one of the solo dancers, to a hill where he relates to him the legend of the tribe from the time previous to the coming of the white man up to the present. The dancers immediately change back in character to those of their forefathers and the action of the story begins. Throughout the story many beautiful ceremonies are enacted. Richard DeNomie, who plays the part of the chief, tells many stories in sign language.« (SCR, 07.07.1949)

In der Regel erwähnte der Sawyer County Record die Namen der Organisatoren von Indian Dances nicht, es sei denn, es handelte sich um eine weiße Person. Es hat aus der Berichterstattung eher den Anschein, als ob diese Tänze irgendwie naturwüchsig zustandekamen, ohne dass dazu irgendjemandes organisatorische Expertise nötig gewesen wäre. In diesem Artikel jedoch begegnet uns der Name des Organisators, Saxon Grace Benjamin, »a member of the local tribe who has directed other pageants in North Dakota and Oklahoma« (SCR, 07.07.1949). Ich verbrachte einige Zeit mit der letztlich ergebnislosen Archivrecherche nach diesem Namen, bis ich ihn zufällig fand – in den Transkriptionen eines von mir selbst durchgeführten ethnographischen Interviews. Im Jahr 2000 hatte ich Saxon St. Germaine besucht, die Mutter von Rick St. Germaine, ehemaliger Tribal Chairman von Lac Courte Oreilles und Professor für Native American History an der University of Wisconsin Eau Claire. Auf Saxon St. Germaine war ich aufmerksam geworden, weil sie in den 1990er Jahren als Co-Herausgeberin einiger kleinerer aktivistischer Newsletter, We-Sa-Mi-Dong und Bimikawe, fungiert hatte. In den Notizen zu meinem Interview las ich, dass der Name ihres Vaters Ernest Benjamin gewesen war. Da erst dämmerte mir, dass ich mit der Organisatorin des Mammoth Pageant von 1949, Saxon Grace Benjamin persönlich gesprochen hatte. Im Interview hatte sie davon nichts erwähnt. Sie hatte mir aber berichtet, dass ihr Vater, der schottischer Abstammung war, eine der ersten selbst-

13 Es scheint, dass die Inszenierung von Mythen als Theaterstücken keine Seltenheit war. Feest rekonstruiert die Adaption der Pocahontas-Mythe durch die Pamunkey von Virginia und die jährliche Reinszenierung der Geschichte zwischen 1881 und 1915 (vgl. Feest 1987).

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organisierten Tagesschulen für indianische Kinder in Lac Courte Oreilles unterhalten hatte. Ihre Mutter, eine Ojibwe-Frau aus Redcliff, die im Jahr 1914 an den Ufern des Lake Superior das Licht der Welt erblickt hatte, war eine begabte Handarbeiterin und Künstlerin gewesen, entschlossen, sich selbst die Bildung anzueignen, die auf anderem Wege für sie nicht zu bekommen war: »My mother […] was always determined that she was gonna be educated. She bought a book called ›High School Self-Taught‹ […] and I would sit there and explain it and she would ask questions and finally she’d say, ›I got it!‹ and she had it. And she wouldn’t forget it, either. She was always reading the newspaper. She could do anything. They’d always get a ›First‹ at the Fair, they’d set up a booth and she’d decorate it [she smiles]. She just surprised a lot of people because she was very dark, you know.« (Interview Saxon St. Germaine 2001)

Die letzte Bemerkung von Saxon St. Germaine über ihre kultivierte, begabte und gebildete Mutter, die »eine Menge Leute überraschte, weil sie dunkelhäutig war«, illustriert den Alltagsrassismus der Zeit. ›Dunkelhäutig‹ bedeutet in diesem Fall, ›eine Person mit nur wenig bis gar keinem europäischen Anteil unter den Vorfahren‹. Solche sogenannten full bloods galten in der kollektiven Imagination der meisten Weißen und auch einiger Indigener als besonders ›traditional‹, eher kontaktscheu und dazu geneigt, an den ›old ways‹ festzuhalten. Im Falle des Engagements von Leuten aus Lac Courte Oreilles kann man jedoch ein anderes Bild gewinnen: Nicht nur Mrs Benjamin sondern auch andere eng mit ihren Traditionen verknüpfte Leute, besonders solche, die als ›medicine men‹ bekannt waren, agierten keineswegs scheu als Agenten und Broker der indigenen kulturellen Repräsentation in einer transkulturellen Öffentlichkeit. Hier ist besonders der lokal hochangesehene medicine man James Pipe Mustache zu nennen, der mit dem italienischstämmigen Unternehmer Anthony Wise zusammen Historyland ersann. Hierbei handelte es sich um ein Areal in der Nähe von Hayward, wo ein Freilichtmuseum mit Nachbauten aus der Zeit des Holzfällerbooms und eine Ausstellung indigenen Kunsthandwerks eingerichtet wurden. Anthony Wise hatte 1974 den Freizeitpark Telemark gegründet und brachte 1973 das immer noch jährlich stattfindende internationale Birkebeiner Langlaufskirennen nach Hayward. Zusammen mit elders und medicine people aus Lac Courte Oreilles richtete Wise Historyland ein und sorgte dafür, dass Indianer bevorzugt bei der Vergabe von Aufträgen behan-

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delt wurden. In einer Zeit, in der ein allgemeiner Rassismus Indigenen immer noch viele Wege ins Wirtschaftsleben versperrte, war dies eine außergewöhnliche Geschäftskooperation (SCR, 21.11.1974). Bei den in Historyland aufgeführten Tänzen trat u.a. auch gaiashkibos auf, der später Tribal Chairman von Lac Courte Oreilles wurde sowie Präsident des National Congress of American Indians, die älteste politische Vertretung der Indigenen in den USA. Nachdem Historyland aufgegeben wurde, initiierte gaiashkibos den Ankauf eines der Gebäude, in dem Tänze aufgeführt worden waren, und zwar den maßstabsgetreuen Nachbau einer Blockhausküche für Holzfäller. Für viele Jahre wurde dieses ehemalige Showgebäude für spirituelle Zwecke genutzt: Es diente als Versammlungsraum für die Zeremonien des Big Drum, von dem weiter oben bereits die Rede war. 14 So schloss sich also der Kreislauf zwischen den verschiedenen Kompartments, in die die Indigenen ihre religiösen Aktivitäten um die Jahrhundertwende aufgeteilt hatten. Am Beispiel von Historyland sehen wir auch ein weiteres interessantes Detail, das in die politische Zukunft der Reservation führte. Der bereits erwähnte medicine man Pipe Mustache, der entscheidend am Betrieb von Historyland mitgewirkt hatte, wurde ein wichtiger Mentor und spiritueller Lehrer für Paul DeMain, ein Ojibwe-Oneida-Journalist, Inhaber von Indian Country Communications und Herausgeber der bundesweit vertriebenen indigenen Zeitung News From Indian Country (vgl. Bender 2011). Bevor Paul DeMain im Jahr 1986 sein eigenes Medienunternehmen startete, war er Herausgeber des tribalen Newsletters von Lac Courte Oreilles und arbeitete als politischer Berater des Gouverneurs von Wisconsin in Indian Affairs. Um Paul DeMain in seiner wichtigen politischen Brückenfunktion spirituell zu unterstützen, verlieh Pipe Mustache ihm den Namen skabewis, ›Überbringer von Nachrichten‹, was auch die Bezeichnung für den Assistenten und Lehrling eines Ritualleiters ist. Viele Jahre lang war eine Abbildung von Pipe Mustache mit Plains-Federkopfschmuck Teil des Logos von Ojibwe Akiing, eine regionale Zeitung, die von Indian Country Communications produziert wurde (vgl. Bender 2011). 56F

14 Leider wurde das interessante Gebäude im Jahr 2012 durch Brandstiftung völlig zerstört. Dieser Anschlag zog hitzige Debatten über die Motivation des Brandstifters und die angeblich hinter ihm stehenden Interessengruppen nach sich, doch die Umstände sind zu undurchschaubar, um sie zum jetzigen Zeitpunkt medienethnographisch zu kommentieren.

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Abb. 6: Titelseite des indigenen Blattes Ojibwe Akiing mit einer Abbildung des Ojibwe-medicine man James Pipe Mustache mit Federkopfschmuck im Plains-Stil. Pipe Mustache fungierte auch als spiritueller Ratgeber des Herausgebers Paul DeMain.

Quelle: Foto Cora Bender, 2010

4. T RADITIONEN UND K ONTINUITÄTEN INDIGENER M EDIEN Die Kontinuitäten indigener Aktivitäten vom frühen Tourismus zur politischen Repräsentation und die Zirkulation von Elementen zwischen Tourismus, indigener religiöser Aktivität und dem Bereich der Politik sind nicht zufällig. In den 1970er und 1980er Jahren wurde Lac Courte Oreilles ein wichtiger Ausgangspunkt des indigenen Aktivismus und trieb zusammen mit anderen Ojibwe-Reservationen die Treaty Rights-Auseinandersetzung voran, die in den neunziger Jahren schließlich in einem politischen Sieg für die Indigenen und in einer teilweisen Restauration indigener Vertragsrechte resultierte. Die Landabtretungsverträge des 19. Jahrhunderts hatten nämlich den Indigenen das Recht vorbehalten, auch außerhalb der Reservationsgrenzen zu jagen, zu fischen und Wildreis zu ernten – ein Recht, das durch

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die dominante Praxis, gezielt Indigene unter dem Vorwurf der Wilderei festzunehmen und anzuklagen, bis zur völligen Unkenntnis außer Schwang geraten war. Im Zuge dieser Auseinandersetzung, die weit über die Region hin Ausstrahlung entwickelte, konsolidierten sich indigene Medien, vor allem die indigene Radiostation WOJB-FM und News From Indian Country, die bis heute wichtige Alternativmedien im Kanon der großen public und corporate media im Oberen Mittelwesten darstellen. Die kulturelle Revitalisierungsbewegung, die den politischen Aktivismus begleitete, resultierte gleichzeitig in der Etablierung eines tribal kontrollierten Bildungssystems, das den traditionell benachteiligten Indigenen Zugang zu Bildung vom Kindergarten bis zum Collegediplom ermöglicht (vgl. Bender 2011). Im regionalen Tourismus wird bis in die Gegenwart das Bild der glorreichen Tage des Lumberjack-Booms zelebriert, z.B. im jährlichen Lumberjack Festival in Hayward. Sportfischerei wird im großen Stil in der Hayward Freshwater Fishing Hall of Fame gefeiert, ein Museum des Sportanglers in Form eines gigantischen Muskellunge-Fisches. Abb. 7: Die Hayward Freshwater Fishing Hall of Fame, ein Museum des Sportangelns in Hayward (Wisconsin), für das eigens ein Gebäude in Form eines gigantischen Muskellunge-Fisches errichtet wurde

Quelle: Foto Cora Bender, 2001

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Doch Lac Courte Oreilles wurde mit der Eröffnung seines Casinos zum zentralen Faktor im regionalen Tourismus. Unter der Administration von Präsident Ronald Reagan (1981-1989) wurden Sozialleistungen im Allgemeinen und insbesondere die staatlichen Zuwendungen an indigene Kommunitäten deutlich reduziert. Um die finanziellen Einbrüche aufzufangen, entschieden sich manche Stämme dafür, Spielbetriebe zu eröffnen. Der Indian Gaming Regulatory Act von 1988 ermöglichte es den Stämmen, Spielcasinos zu betreiben, unter der Voraussetzung, dass der zuständige Bundesstaat Glückspiel erlaubte. Lac Courte Oreilles nutzte unter der Leitung von Chairman gaiashkibos, der damals für einige Jahre Mitglied der Republikanischen Partei war, als einer der ersten Stämme die Gelegenheit, sich einen großen Glückspielbetrieb zuzulegen. Das Casino von Lac Courte Oreilles trägt, anders als andere indigen betriebene Glückspieloperationen, seine indigene Provenienz im Namen: Pride of the Ojibwe wurde 1995 eröffnet und bereits 2001 beschäftigte der Betrieb 340 indigene und nichtindigene Angestellte und zahlte Gehälter im Umfang von ca. $7 Mio. jährlich (SCR 25.04.2001). Das Casino ist außerdem eine wichtige Bühne für Konzerte und Tanzveranstaltungen, politische Meetings, Konferenzen und Symposien zu Themen wie Diabetes oder präventive Verbrechensbekämpfung.

5. S TRATEGIEN DES MIDDLE GROUND : A NEIGNUNG , R EENACTMENT , R EGENERATION »Powwows are originally from Buffalo Bill [he smiles]. […] The Indians would […] get in their regalia and put on their feathers and they’d put on a good show for the people that were watching. That’s where today’s powwows came from. During a time when to practice any other type of ceremony could mean imprisonment […], these Wild West Shows became the only place the drum beat could be heard.« (Interview Joe Martineau, Fond du Lac, 2001)

Das historische Fallmaterial, das meinem Artikel zugrundeliegt, hat erwiesen, dass verschiedene kulturelle Kompartments bzw. Sphären des Austauschs und der Repräsentation koexistieren, in wichtigen Bereichen auch ohne die Kenntnis der staatlich bestellten Indianerverwalter und des weißen Publikums. Die Machtwirkungen des Kolonialismus waren und bleiben

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immer Teil dieser Felder und stellen eine treibende Kraft dar, die Zirkulation, Tausch und Raub von kulturellen Elementen antreibt und in Gang hält. Doch die verschiedenen Formen, einen middle ground zu etablieren, auf dem kulturelle Missverständnisse sich als produktiv erweisen können, sprechen dafür, dass Indigene in ihrem konkreten Handeln nur sehr selten den Bildern entsprechen, die durch imaginäre frontier-Dichotomien produziert werden, wie z.B. ›wild vs. zivilisiert‹, ›christlich vs. heidnisch‹ oder ›widerständig vs. angepasst‹. Stattdessen bedienen sich Indigene in unterschiedlichen Situationen verschiedener Strategien, sich an einer Kultur des middle ground zu beteiligen und ihre eigene Agency zum Tragen zu bringen: kulturspezifische Rituale, die sorgfältig von der Öffentlichkeit abgeschirmt werden, panindianische Tanzfeste, bildungspolitische Bemühungen und indigenes Engagement in der amerikanischen Populärkultur der postfrontier. Hinter den Kulissen von Buffalo Bill’s Wild West Show führten sie eine panindianische Friedenskonferenz durch und hinter den Kulissen einer patriotischen Heimkehrfeier für Soldaten des Ersten Weltkrieges eine religiöse Revitalisierungszeremonie. Indigene beschäftigten sich außerdem mit dem amerikanischen Patriotismus und versuchten, eigene Versionen davon zu entwickeln. Sie umgingen religiöse Verfolgung, indem sie ihre eigenen tribalen Zeremonien als Indian dances ausgaben. Durch die Organisation solcher Veranstaltungen für Touristen übten sie eine Haltung bewusster Selbstrepräsentation ein, die sich später in den politischen Aktivismus und den Kampf für indigene politische Souveränität übersetzte. Die eingangs erwähnte fünfte Sphäre indigener Repräsentation, die unter dem Stichwort indigeneity in der Literatur diskutiert wird, ist der Modus, in dem Indigene heutzutage auf der globalen Medienbühne erscheinen. Die panindianische Bewegung Idle No More, die sich im Jahr 2012 aus Kanada kommend, in Windeseile auf den Reservationen und in urbanen Kommunitäten verbreitete, hat soviel Medienaufmerksamkeit für indigene Themen bewirkt wie seit Mitte der 1970er Jahre keine andere Bewegung. Die wichtigsten Ausdrucks- und Kommunikationsformen dieser Bewegung sind Smartphones und Social Media (vor allem Facebook), sowie die traditionelle Handtrommel, die bei lautstarken flash mobs in Einkaufszentren und shopping malls zu Einsatz kommt. 15 57F

15 Siehe z.B. die Handyvideos, die auf Youtube und Facebook gepostet wurden (http://www.youtube.com/watch?v=zy-Vp_DDgRw, Zugriff am 24.06.2014).

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Abb. 8: »Idle No More!«: Indigener flash mob protestiert in einer Shopping Mall in Ottawa im Dezember 2012

Quelle: Foto Aloys Neil Mark Fleischman, Huffington Post, Verwendung mit Erlaubnis des Autors

Die globale indigene Bewegung ist sich jedoch auch bewusst, dass die schnellen Zirkulationen, die durch das Internet möglich werden, ihre gefahrvollen Seiten haben. Indigene Künstlerinnen und Künstler und professionelle indigene Kulturbeauftragte tun deswegen alles, um Konzepte klar definierbarer kultureller Autorschaft und kultureller Urheberrechte zu stärken. Dies erscheint unabdingbar, um den »almost exclusive one-way flow of indigenous cultural property into western civilizations« (Kuprecht 2014: 5) zu begrenzen und die praktisch rechtsfreie Entnahme und Entfremdung indigener Dinge und Designs zu beenden. Andererseits kann die Medienzirkulation von Bildern Indigenen auch dabei helfen, kulturellen Diebstahl aufzuzeigen und anzuprangern. Digitale Medien können Indigenen neuen Zugang zu Objekten verschaffen, die in Universitätsarchiven und Museen aufbewahrt werden – wobei wiederum die generelle Zugänglichkeit von digitalen Bild- und Audioaufnahmen zum Problem wird, wo es sich um die Reproduktion von Wissensbeständen handelt, die nach dem Verständnis der Herkunftskultur nicht für die Öffentlichkeit bestimmt sind, wie z.B. rituelle Gesänge oder magische Objekte. Da digitale Medien in der Regel immer noch nicht von den Indigenen selbst, sondern von mächtigen

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Institutionen einer dominanten Wissenskultur kontrolliert werden, sind kulturelle Urheberrechte nicht selten ein Streitpunkt zwischen ungleichen Kontrahenten. Aber auch hier stellen indigene Medien einen wichtigen Faktor bei der Artikulation indigener Standpunkte und Forderungen dar (vgl. Lonetree/Cobb 2008; Shannon 2014). Nach diesem Blick auf ethnohistorisch dichtes Material können nun auch die Begrifflichkeiten rund um die Fragen nach Mimesis, Aneignung und Reenactment noch einmal neu mit Bedeutung gefüllt werden. Ich schlage vor, sie in Zusammenhang mit den kulturellen Kompartments zu diskutieren, die in Abschnitt 1 skizziert wurden. Es zeigt sich, dass Reenactment nicht beliebig für alle kulturellen Phänomene benutzt werden kann, bei denen es im weitesten Sinn um Regeneration oder Revitalisierung geht. Unter Regeneration und Revitalisierung können wir Bemühungen fassen, das Ende einer tiefgreifenden gesellschaftlichen Krise herbeizuführen oder zu markieren, z.B. eines Krieges, einer Seuche, einer Hungersnot, einer Periode von Verfolgung und Unterdrückung. Reenactments können Teil einer solchen Regeneration sein, doch sie sind nicht deckungsgleich damit. Für die Wiederaufführung einer religiösen Zeremonie, die als Teil einer lokalen indigenen Wissenskultur unter dem Druck von Kolonisierung und erzwungener Christianisierung für längere Zeit in eine heimliche Sphäre abtauchen musste, eignet sich der Begriff der Aktualisierung besser, da hierbei der kulturelle Selbstbezug im Vordergrund steht, z.B. die Übertragung von Wissen von einer Generation an die nächste, und Fragen nach Publikum, Medien, Öffentlichkeit und Historisierung keine Rolle spielen, im Gegenteil oft sogar heftig verneint und vermieden werden. Publikum, Öffentlichkeit und Historisierung sind wiederum zentral in allen hier diskutierten Beispielen der öffentlichen Wiederaufführung historischer Ereignisse wie Kriegsschlachten für ein Publikum in Wild West Shows und Indian Pageants. Diese eigentlichen Reenactments aus dem Bereich der indigenen Interaktion mit dem kulturellen Mainstream dienen aus Sicht der white people der kulturellen Wiederaufführung der ursprünglichen amerikanischen Eroberung und Landnahme nach der offiziellen Schließung der frontier; aus der Sicht der Indigenen dienen sie der Herstellung eines middle ground, eines Verständigungsraums, in dem Indigene einen eigenen Bezug zu Krieg, frontier und amerikanischem Patriotismus in Szene setzen. In den Bereichen, in denen Indigene verschiedener kultureller Herkunft sich miteinander verständigen, also im Panindianismus und der globalen indigenen

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Community, können wir Akte des Tauschs beobachten, wie z.B. in der Friedenszeremonie zwischen zuvor verfeindeten Ojibwe und Dakota, in der heilige Pfeifen den Vertrag besiegelten, oder im demonstrativen Tragen eines Federkopfschmucks der Dakota durch den Ojibwe medicine man Pipe Mustache. Warum Sorgsamkeit im Umgang mit diesen Konzepten wichtig ist, demonstriert ein schon eingangs diskutierter Begriff: ›Aneignung‹ geht über eine Grenze hinweg, die ein kulturelles Feld dichotom in zwei Hälften aufteilt. Der Begriff markiert einen Wechsel im Eigentumsstatus, in der Verfügungsgewalt über ein kulturelles Element, legt aber auch die Vorstellung nahe, dass das kulturelle Element von anderen ersonnen oder produziert wurde als von jenen, die es sich aneignen. Aus medienethnologischer Perspektive wird durch das hier diskutierte Material vor allem deutlich, dass Indigene direkt und unmittelbar an der Entwicklung moderner Medien im Zusammenhang mit einer modernen amerikanischen Populärkultur beteiligt waren. Das herkömmliche Bild, wonach moderne Medien eine fremde Technologie waren, die Indigene sich mühsam aneignen mussten, ist falsch. Indigene wirkten vielmehr schon bei der Konstitution moderner Medien mit; ihre technisch-organisatorische Expertise, ihre Geschichten und ihr Humor sind lediglich aus den Abspännen der Mediengeschichte gestrichen worden. Insofern wäre es verkehrt, von einer Aneignung westlicher Medien durch Indigene zu sprechen. Stattdessen handelt es sich um »distributed creativity« (Bender 2015): um ein kollaboratives Projekt von indigenen und nicht-indigenen Akteuren, einen middle ground.

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Von den Praktiken des Boxfilms zur Historiographie des Mediums Das Reenactment des Sharkey-McCoy Kampfes J AN H ENSCHEN Erinnerungen sind im Sport sekundär. Denn Sport bedeutet in erster Linie, das Geschehen an Ort und Stelle zu verfolgen und dabei zu sein, wenn Formen durch Körper entstehen, als reale Präsenz und in der Zeitform des Augenblicks. (GUMBRECHT 2005: 17)

Die Frage nach den Medienpraktiken des Reenactment kann sich auf erklärende Dimensionen des Reenactment für den Einsatz bestimmter Praktiken der Aneignung und Remediation von Vergangenem konzentrieren. Ebenso kann die Frage nach den Medienpraktiken des Reenactment aber auch mit der Suche nach diesem Begriff in historischen Texten und einer Erarbeitung ihrer Kontexte und Referenzen auf Medien, Techniken und Praktiken zu beantworten gesucht werden. Dergestalt ist mit Bezug auf die Kinematographie und das Early Cinema festzustellen, dass sich an zwei historischen Orten die Rede von Reenactment und Film als enges Verhältnis beziehungsweise vom Reenactment als Film zu erkennen gibt. Zunächst in der historischen Objektsprache: der Boxfilm RE-ENACTMENT OF SHARKEYMCCOY FIGHT der Lubin-Company von Anfang 1899 führt den Begriff schlichtweg im Titel. Es handelt sich bei diesem Boxfilm um ein in der frü-

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hen Kinematographie populäres Quasi-›Genre‹, mit dem zuerst berühmte (und schnell dann auch weniger berühmte) Boxkämpfe in bewegten Bildern distribuiert wurden. Der Lubin-Mitarbeiter Fred J. Balshofer charakterisierte die Dreharbeiten der Lubin-Company wenige Jahre später als »faked championship bouts by using matched doubles for the boxers and staging the round-by-round action from newspaper accounts.« (Levy 1982: 309) Auf dieser Aussage aufbauend, eröffnete der Filmhistoriker David Levy durch seine Untersuchung Re-constituted Newsreels, Re-enactments and the American Narrative Film aus dem Jahr 1982 den weiteren Ort des Reenactment: die Meta-Sprache der Historiker. Levy konstatierte über den historischen Zusammenhang von Reenactment und vermeintlich inadäquaten Übernahmestrategien filmischer Aneignung: »Faking, duping and pirating were Lubins specialities, and the association of the reconstituted newsreel with those activities has perhaps induced scholars to dismiss it as simply another of the cinematographic perversion that accompanied the formative years of film art. But the phenomenon poses some interesting questions for film historians.« (Levy 1982: 309-310)

In der Folge von David Levys medien-historiographisch neu bewertender Fragestellung und Herangehensweise wurde die Rede von Reenactment in Bezug auf die Kinematographie prominent und hat ab den späten 1980er Jahren in die Forschung der einsetzenden revisionistischen Filmgeschichtsschreibung, der so genannten New Film History, Eingang gefunden. 1 Diese Rede vom Reenactment im Early Cinema geht (neben anderen) dezidiert aus den Boxfilmen um 1900 hervor – ohne dass der Begriff Reenactment von den jeweiligen Autorinnen und Autoren problematisiert wurde oder sich als (Wieder-)Aufnahme einer historischen Ausdrucksweise zu erkennen gab. Was also rief dieser eine bestimmte Boxfilm zunächst zeitgenössisch mit der Nennung von Reenactment im Titel auf, und was meinten wiederum Texte aus dem Umfeld der US-amerikanischen New Film History, wenn sie von Reenactment um 1900 sprachen? Und ist mit erneutem zeitlichen Abstand zu dieser wissenschaftlichen Bewertung die Fragestel58F

1

Eine kurze und prägnante Erklärung der New Film History ist zu finden auf http://filmlexikon.uni-kiel.de/index.php?action=lexikon&tag=det&id=311 vom 15.08.2014.

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lung wieder umzukehren, der Begriff des Reenactment nun explizit begriffen als Konglomerat aus historischen Medienpraktiken, gewissen Vorgängen der frühen Kinematographie, auf die er neue Ausdeutungen eröffnet?

1. B OXFILME

VOR

1900

Als das Großereignis erscheint der Film CORBETT FITZSIMMONS FIGHT der Veriscope vom März 1897 in heutigen Darstellungen betont rekordverdächtig, unter ganz verschiedenen Aspekten, so dass es nicht verwundert, wenn dieser Film den historiographischen ›Ritterschlag‹ des Siliziumzeitalters bekommen hat: einen eigenen Wikipedia-Artikel. Bereits das sportliche Spektakel jenseits seiner Filmaufzeichnung, der 14-rundige Schwergewichts-Weltmeisterkampf am St-Patricks-Day 1897 in Carson City/Nevada, muss den Schilderungen nach als eindrucksvoll wahrgenommen worden sein. Das Boxen zwischen dem irischen Emigrantensohn James John Corbett, genannt ›Gentleman Jim‹, und dem Briten Robert James Fitzsimmons, genannt ›Bob‹, entschied letzter mit einem K.O.-Sieg zu seinen Gunsten, und machte ihn zum leichtesten Schwergewichtsweltmeister aller Zeiten (ursprünglich war er Mittelgewichtler). Die filmische Aufzeichnung dieser Auseinandersetzung 2, die erste eines offiziellen Meisterschaftskampfes, wird ebenfalls und nicht minder als ein spektakuläres Ereignis erzählt. Allein schon als ein 100-minütiger Filmstreifen war er bis dato mit Abstand der längste und sollte es auch geraume Zeit bleiben. Möglich gemacht wurde dies durch drei Aufnahmeapparate, die erstmalig mit dem so genannten Latham-Loop arbeiteten. Zudem ließ Enoch J. Rector, der die Aufnahmen für die Veriscope organisierte und überwachte, 63mmNitratfilm verwenden: der Boxkampf ist also quasi auch der erste Widescreen-Film. Doch nicht diese technischen Umstände allein lassen ihn als eine Protoversion dessen erscheinen, was einige Jahre danach unter dem Sammelbegriff Feature Film hergestellt wurde, und machen ihn so über ein Format wie Newsreel hinaus kategorisierbar. Der erzählte Kampf war nämlich eingebettet in eine Art Rahmenhandlung, eine fünfminütige Einführung in das Geschehen und einen Abspann, der die Zuschauer rund um den lee59F

2

Die hier aufgeführten Aussagen über den Film basieren auf den ausführlichen Recherchen von Streible 2008: 52 ff. und May 2004: 127 ff.

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ren Ring nach dem Kampf zeigt. Der Film schlussendlich als wiederholtes sichtbares Ereignis tourte von Ende Mai bis Ende Juli 1997 durch die USA und wurde anschließend noch jenseits des Atlantiks in London und Dublin aufgeführt. Je nach Schätzung spielte er damit zwischen 100.000 und 750.000 US-Dollar ein, eine für damalige Verhältnisse riesige Gewinnsumme für bewegte Bilder. Mit dem verfügbaren historischen Material ist kaum zu entscheiden, ob der Sportkampf in der Arena oder der Akt des Filmens, die boxenden Leiber oder die spektakuläre Bildinszenierung des Boxens das Ereignis gewesen ist. Plausibler kann dagegen in ihrer gegenseitigen Durchdringung die Ereignis-Formierung erkannt und erklärt werden. Mit dem CORBETT FITZSIMMONS FIGHT ist somit der bis in unsere Gegenwart populäre historische Moment markiert, in dem sich die technischen und institutionellen Apparate der Kinematographie des Boxens und des damit einhergehenden massenkulturellen und sozialen Ereignisses ›bedienten‹, um mit den neuen Techniken einhergehende ökonomische, narrative und rezeptionsästhetische Veränderungen überhaupt erst durchsetzen zu können. In gleichem Maße ist zu behaupten, dass es erst die dezidiert spektakulären Rahmenbedingungen derartiger Boxkämpfe waren, die den Innovationsschub der Kinematographie beförderten. So hat Luke McKernan diese Wirkmächte verschoben, indem er die sozialen Praktiken der Rezeption gegen die technischen Apparate regelrecht ›ausspielt‹: »[S]port and sportsmen played a leading role in the invention of cinema. Indeed one may even go so far as to say that the mere mechanical construction of a film projector has been overestimated, and that it was boxing that created cinema. Cinema was ultimately the creation of its audience, and many among that first audience were not interested in films per se; they were interested in sports.« (McKernan 1996: 350)

Diese beim ersten Lesen recht gewagt anmutende These gegen die Annahme eines vorgängigen Dispositivstatus der kinematographischen Apparate – »it was boxing that created cinema« – gewinnt beim genaueren Blick nicht allein auf eine Kulturgeschichte, sondern auch insbesondere und gerade auf die Mediengeschichte des frühen Films durchaus an Plausibilität. Zunächst ohne kausale Wertung ist festzustellen, dass der Faustkampf die Entstehung und Entwicklung dieses Mediums von den Urszenen an formierend begleitet hat. Waren es im alten Europa die fotografischen Reihen von Eadweard

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Muybridges Athletes Boxing (1879) bis zu dessen gleichbetitelter Zoopraxiscope-Scheibe von 1893, oder das berühmte boxende Känguru im Berliner Wintergartenprogramm der Gebrüder Skladanowsky und ihres Bioscopes im Jahr 1895, so war es in den USA insbesondere W. K. L. Dickson, der 1891/92 in den Edison-Laboren mit den Men boxing experimentierte. Grundlegend ist für diese kinematographischen Versuche ein Interesse am später namensgebenden ›Kinein‹ gewesen, speziell an körperlichen Bewegungsabläufen, wie sie nicht ausschließlich in Boxern, sondern ebenso in Serpentinentänzerinnen oder rennenden Elefanten gesehen wurden und bei anderen Filmpionieren zwar nicht mit Faustkämpfern, doch durchaus vergleichbar mit beispielsweise Speerwerfern und Weitspringern (Ottomar Anschütz) oder Fechtern und Turnern (Étienne-Jules Marey) inszeniert und arrangiert worden sind. Vielleicht war je die persönliche Leidenschaft für einzelne Sportarten ausschlaggebend, die historische Entwicklung so gesehen kontingent. Doch selbst in diesem Falle lässt sich für das Boxen argumentieren, dass es sich um mehr als einen unter vielen gewählten spannenden Bewegungsablauf handelt. Der Wunsch, einen Faustkampf so vermeintlich authentisch wie möglich aufzuzeichnen und wieder aufzuführen, kann durchaus als eine der ausformulierten Triebkräfte der Entwicklung von bewegten fotografischen Bildern – zumindest spezifisch in den Vereinigten Staaten – rekonstruiert werden (und erstaunlicherweise nicht nur für solche Bilder, sondern auch Töne). Bereits im Jahr 1891 versprach kein geringerer als Thomas Edison vollmundig für die Zukunft seines so genannten »Kinetographen«: »To the sporting fraternity I can say that before long it will be possible to apply this system to prize fights and boxing exhibitions. The whole scene with the comments of the spectators, the talk of the seconds, the noise of the blows, and so on will be faithfully transferred.« (Streible 2008: 22)

Daran anschließend wurden die Popularisierungsoptionen durch das neue Medium erahnbar, wenn es in einer Zeitungsmeldung über die angesprochenen Innovationen der Firma Edison hieß: »It is claimed that by the use of this machine all the rounds of a boxing contest, every blow in a prize-fight or other contest, can be reproduced, and the whole placed on exhibition at a nickel a head. By this means the hundreds of thousands who would

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wish to see the meeting between Corbett and Mitchell can witness the encounter, counterfeited by the kinetograph, on every street corner within a week after the gladiators meet.« (Streible 2008: 23)

Die technische Aneignung und Übertragbarkeit (»reproduced« und »transmitted«) werden, nicht unüblich im Diskurs zu Edisons »Kinetograph«, mit der wirtschaftlichen Verwertbarkeit (»a nickel a head«) zusammen gedacht, dabei aber bereits in ihrem kulturellen Status als Organisationsform eines Massenspektakels (»sporting fraternity« und »gladiators«) begriffen, was in den folgenden Jahren zunehmend Umsetzung erfahren sollte. Doch die Faustkämpfe selbst waren in den USA zu Beginn der 1890er im Wandel begriffen, indem sich das relativ ungezügelte Preisboxen, bareknuckle-fighting, und das Rummelboxen, burlesque boxing bouts, in Richtung sportlicher Wettstreit entwickelte, insbesondere durch eine weitreichende Anerkennung der Marquess-of-Queensbury-Regeln von 1867. Sie fixierten eine umfassende Normierung, die beispielsweise die Ringgröße, die Rundenzahlen und Pausen, die Handschuhpflicht, das Anzählen und die Ringrichteranwesenheit, die Verbannung von wrestling, clinching, hugging und butting sowie schließlich einen Verhaltenscodex für die Zuschauer regelte. Diese Zuschauer können im Übrigen sozialgeschichtlich bestimmt werden, ebenso wie die Boxer selbst, was das Adjektiv »populär« für die Boxspektakel spezifiziert: Das Boxpublikum war überwiegend männlich, weiß und aus der Arbeiter- und Mittelschicht, nicht selten mit Migrationshintergrund aus Italien oder Teilen der britischen Inseln. Derartig setzten sich auch im Wesentlichen die Mitarbeiter der Edison-Company und des Black-Maria-Studios zusammen. Produzenten und Konsumenten kamen aus einer vergleichbaren Schicht, die Dan Streible als »Sporting and theatrical community« (Streible 2008: 18) charakterisiert und Charles Musser von einer »Kultur der rauhen Männlichkeit« (Musser 1997: 73) reden lässt. Boxkampf, Varieté und Kinematographie gingen wechselseitige Bündnisse ein, auch weil sie dieselben Interessentengruppen bedienten und weil im Hintergrund die gleichen Finanziers agierten. So zeigten mit dem zügigen Siegeszug des bewegten Bildes ab Mitte der 1890er Jahre die verschiedenen Hersteller wie Edison, die American Mutoscope, Lumière oder Birt Acres jeweils unspezifizierte Boxkämpfe als

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Bewegungsstudien mit entsprechenden Titeln 3: BOXING (Edison, 1892), BOXING MATCH/BOXING CONTEST (Birt Acres, 1895), BOXEURS (Lumière, 1895), gar BOXING MATCH BETWEEN A MAN AND A WOMAN (Edison, 1895). Diese kurzen Streifen waren ein Teil dessen, was Tom Gunning als das Cinema of Attractions (Gunning 1986) charakterisiert hat, als das Kino, das noch keinen gezielten Plot, keine sujethafte Schicht anstrebte, sondern als lebende Fotografie faszinierte und sein Publikum anzog. Aber parallel dazu fing insbesondere Edison an, ganz konkrete Boxereignisse zu benennen, beispielsweise bereits 1894 LEONARD-CUSHING FIGHT, HORNBACKERMURPHY FIGHT oder CORBETT AND COURTNEY BEFORE THE KINETOGRAPH. Der letztgenannte Titel gibt einen ersten Hinweis, wie die kinematographische Inszenierungspraxis vorzustellen ist, um nicht als ›dokumentarisch‹ reproduziert im ungefähren heutigen Verständnis unzutreffend kategorisiert zu sein – schließlich handelte es sich um eine sehr spezifische Inszenierung. In einer Studiosituation wurde ein Boxring gebaut, in seinen Ausmaßen angepasst an die Möglichkeiten des Objektivs und nicht mit den QueensburyRegeln konform. Im Studio warteten die Boxer auf das entsprechende Sonnenlicht, was im Beispielfall des Corbett-Courtney-Kampfes einige Tage dauerte. Bei eintretenden Lichtverhältnissen wurde geboxt, bei besagter Auseinandersetzung beispielsweise eine Minute, denn das entsprach genau der Länge des vorhandenen Filmmaterials auf einer Rolle. Sobald das Licht konstant blieb, entstanden mit sechs verfügbaren, nebeneinander aufgebauten Aufnahmegeräten, sechs Runden Boxfilm. In der letzten Runde trat der abgesprochene Knock-out ein. Der Kampf war also kein Wettstreit mit offenem Ausgang, sondern eine an den aufnahmetechnischen Möglichkeiten orientierte Choreographie und Szenerie. Waren lange Zeit vor allem die Architektur und der Zeitplan des Varietés und des Jahrmarkts bestimmend gewesen für die Abläufe von Boxspektakeln und gerade jüngst durch die Regelhaftigkeit einer sportlichen Veranstaltung in Ergänzung begriffen, so trat nun die Kinematographie auf den Plan. Um den ganzen Kampf auf dem »Kinetoscope« schließlich sehen und als Zuschauer ›miterleben‹ zu können, musste jeder Film nacheinander bezahlt werden, so dass ein finanzielles Kalkül hinter diesem speziellen Produktionsformat besonders lohnenswert erschien. Das ging häufig wirtschaftlich tatsächlich auf, blieb aber den 60F

3

Eine sehr ausführliche Filmographie findet sich in Streible 2008: 291 ff.

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Zeitgenossen nicht unerkannt und zog Verwirrungen und öffentliche Kontroversen nach sich: »Although the event was a staged presentation, confusion ensued about the nature of ›this very strange and unusual fight.‹ Newspapers described the bout in contradictory terms. Some reported a bout conducted with ›real, solemn, bloody earnest‹ that was ›satisfactory to the spectators.‹ Yet they simultaneously acknowledged the manipulation of the contest: ›The rules of the ring were remodeled to suit the kinetograph;‹ the boxers were ›compelled to pose until the lights were adjusted;‹ or, as Jack Cushing was quoted as saying, ›Fighting in front of a photographing machine was no fight.‹« (Streible 2008: 32)

Der Titel CORBETT AND COURTNEY BEFORE THE KINETOGRAPH von 1894 kann so auf die kinematographische Aufzeichnungssituation selbst hin gelesen werden, die ja nicht mehr als ein selbstbezüglicher Titel für einen vom »Kinetographen« gezeigten Boxkampf wäre. Die Intervention des Aufzeichnungsapparates ist der zitierten journalistischen Nachbetrachtung folgend durchaus als Remodellierung wahrgenommen worden, die zwar den Spannungs- und Unterhaltungswert des Kampfes als Leinwandspektakel offenbar kaum zu tangieren schien im Abgleich mit der Boxhalle, die jedoch zugleich als tiefer Einschnitt in das Wesen des Kampfes selbst bezeichnet werden musste. Nicht allein die formalen Regeln wurden außer Kraft gesetzt, auch die in diesem Regelrahmen mögliche kämpferische Entfaltung der Boxer wurde dergestalt verändert, dass die gute fotografische Aufnahme zur offenbar wichtigsten und obersten Kategorie bei der Bewertung erhoben wurde. Die Rezeption des Boxfilms war somit in der ersten Zeit kaum problematisch durch das Wissen um die neuartige Macht der Kinematographie. Aus der Sicht eines boxenden Darstellers griff die Kinematographie ganz maßgeblich ein, so dass nach Boxern wie Jack Cushing das Wesen des Boxkampfes soweit ausgedehnt wurde, dass er nicht mehr von Kampf sprechen wollte – ohne jedoch eine andere Kategorie des neuen Formats benennen zu können oder wollen. Diese Entwicklung der Verunsicherung der boxenden Akteure, ihrer Aktionen und der damit verbundenen Ereigniskonstituierung zwischen Prizefight und Kinematographie setzte sich fort bis hin zu eben jenem Höhepunkt, dem erwähnten CorbettFitzsimmons Fight von 1897. Die neuartigen Aufzeichnungstechniken mo-

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dellierten den Boxkampf neu, was allen Beteiligten nicht entging – ohne, dass es schon neu benannt werden konnte.

2. L UBINS R EENACTMENT ›S HARKEY -M C C OY ‹

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Das Interesse an Titelkämpfen, insbesondere wie in unserer Gegenwart auch an den gehobenen Gewichtsklassen, war mit der Einführung der Queensbury-Regeln nochmal gestiegen, die Veranstaltungen fanden vor großem Publikum statt. Die aufwendigen Filmaufnahmen wiederum von Kämpfen, wie dem Corbett gegen Fitzsimmons, gaben oft nur einmalige Gastvorstellungen in den größeren Metropolen. Als Boxfilm-Ereignisse in Vorstellungssälen waren sie in ihren Rezeptionsmöglichkeiten daher kaum anders als die Box-Ereignisse in den Arenen. Die Zeitungen berichteten regelmäßig und ausführlich, genauso wie bei anderen und andersartigen, aber ebenso populären und auch wirtschaftlich interessanten Wettkampfveranstaltungen – vom Baseball und Football über Sieben-Tage-Radrennen und Pferderennen bis zu Tennismatch oder Turnturnieren. Für diese Sportarten sind allerdings kaum kinematographische Produktionen zu finden, geschweige denn im Aufwand zu Boxfilmen vergleichbare. Das hat unter anderem seine Ursachen in der medialen Genese des Formats. Im Gegensatz zu anderen Sportwettkämpfen eröffnete sich für diese Prizefights jenseits von Boxring und Zeitungsbericht eine Art Teilhabe an spezifisch körperlich arrangierten Präsenzen. Beispielsweise erkauften sich für den CorbettFitzsimmons Weltmeisterschaftskampf von 1897 einige Varietés zeitnah die Berichterstattung und Übertragung von Nachrichtenagenturen und ließen diese Berichte auf ihren Bühnen vor dem zahlenden Publikum durch »boxing experts« (Streible 2008: 67) inszenieren. Oder die Schaubühnen offerierten die Auseinandersetzung als eine Form von Schattenspiel mit Körpereinsatz, als so genannter »Shadowgraph« (ebd.), bei dem zwei Boxer hinter einer Leinwand vor Gegenlicht die Kampfabläufe darboten. In der zweiten Hälfte der 1890er Jahre war es durchaus üblich, mittels schriftlicher Quellen ›Nachstellungen‹ durch Boxerdarsteller zu inszenieren für Fotografien und Lithographien, die von den Originalkämpfen oft aufgrund technischer Einschränkungen nicht gemacht und aufgrund großer Entfernungen gar nicht schnell genug distribuiert hätten werden können. So wur-

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den über die schriftlichen Nacherzählungen eines Kampfes differierende körperliche Nachstellungen oder Reenactments desselben erprobt, die in besagte unterschiedliche Bildgebungsverfahren mündeten. Des Weiteren gab es derartige Verfahren für szenografische Präsentationen. Speziell für New Yorker Bühnen beispielsweise wurde durch den erfahrenen Boxer Mike Donovan ein besonderes Verkörperungsszenario angeboten. Donovan, der einerseits selbst schon sowohl gegen Jim Corbett als auch Bob Simmons im Ring stand, andererseits auch Theaterbühnenerfahrung als Boxkämpfer gemacht hatte 4, zeigte eine Umsetzung der Boxberichterstattung als »Pugilist give a Mimic Show« (Streible 2008: 67). Die wichtigen Boxkämpfe wurden also nicht allein und ausschließlich mit neuen und neuesten Medien der Aufzeichnung und Übertragung produziert und zur Schau gestellt, sondern auch in Mischformen mit erprobten und althergebrachten. Diese Boxkämpfe organisierten sich in den 1890er Jahren zwischen medialer Tradition und Innovation. In diesem Spannungsrahmen ist der deutsche Emigrant Siegmund Lubin mit spezifischen Produktionsverfahren von Boxfilmen zu positionieren, die er im Zuge des Erfolgs des 1897er Corbett-Fitzsimmons-Kampfes entwickelte. Lubin selbst kam aus der optischen Technik und war einer der nahezu unzähligen Apparate-Tüftler der Pionierphase bewegter Bilder. Lubin ersann für seine Erfindung den Namen »Cineograph« – und geriet prompt in einen langwierigen Patentstreit mit der Firma Edison. Für und mit diesem »Cineographen« filmte er dessen ungeachtet die verschiedensten Motive – in den Jahren 1898/99 schienen es ihm insbesondere Militaria während des kurzen Spanisch-Amerikanischen Krieges 1898 angetan zu haben: Aufnahmen, die er als Schlacht am San Juan Hill auswies, Marineschiffe unterschiedlicher Kategorien, ein Treffen von Veteranenvereinigungen und ähnliches. Nicht wenige von diesen Motiven und Ereignissen waren für die Produktionen nachinszeniert, ein Verfahren, für das – respektive durch das – Lubin regelrecht berühmt wurde, auch wenn er beileibe nicht der einzige gewesen ist. Mächtigere Produktionen wie Edison, Vitagraph, Biograph oder Magniscope betrieben vergleichbare Nachinszenierungen, obgleich die finanzkräftigen Filmfirmen auch Kameraleute beispielsweise im genannten Krieg direkt nach Kuba entsendet hatten und damit ›Originalbilder‹ zu se61F

4

Vgl. http://www.cyberboxingzone.com/boxing/donovan-mike.htm vom 11.03. 2014.

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hen geben konnten. Lubin hingegen dehnte seine Reproduktionen über diese tagesaktuellen Ereignisse aus, bis hin zu THE PASSION PLAY OF OBERAMMERGAU (1898), beworben als »NOT [sic!] copies, but original subjects« (Streible 2008: 133). »Passion Plays«, angepriesen als Nachahmungen der berühmten Oberammergauer Passionsspiele, waren seit den 1880ern durchaus beliebte Aufführungen auf Bühnen oder Lantern- beziehungsweise Slide-Shows. Bei den Passionsspielaufführungen und Filmen treffen demnach, durchaus analog zu den Inszenierungen von Faustkämpfen und den Boxfilmen, sowohl in der Technik als auch der Rezeptionshaltung althergebrachte Formen auf Neuartiges und werden parallel zueinander angeboten. Auffallend ist bei den drei Beispielen, nämlich sowohl beim Boxen als auch bei Kriegsszenen und Passionsspielen, dass bei ihnen nicht von einem wie auch immer gearteten ›unmittelbaren‹ Erleben mit anschließender filmischer Wiedersichtbarkeit die Rede ist, sondern dass eine Vielheit und ein Nebeneinander verschiedener berichtender, erzählender, bildnerischer und szenischer Ereignisse rekonstruiert werden können, die die Fragen nach dem Status und den Referenzverhältnissen des Repräsentationsmodus neu und vor allem komplexer eröffnen. Zudem sind diese drei zum Reenactment hinführenden Sujets bei aller Verschiedenheit auch vergleichbar. Es geht beim Boxen, bei den Passionsspielen und bei Schlachtszenen um dezidierte Körperlichkeit, um Ausdruck und Einschreibung von und in Körper, verbunden mit Narrativen von Leid und Opferbereitschaft, zugleich immer auch um die Dramatik von Sieg und Niederlage. Ende 1898 will Siegmund Lubin, der mittlerweile eine horizontale Filmvermarktung anstrebt, das heißt von der Technik über die Produktion bewegter Bilder bis hin zu eigenen Spielorten, (wieder) ins Geschäft mit den Boxfilmen einsteigen. Er kündigt für den Verkauf einen Streifen namens FAC-SIMILE OF THE CORBETT AND SHARKEY FIGHT an, ein kontroverser Kampf, der nicht von Filmaufnahmen begleitet worden war und den er nachstellen ließ. »Lubin exploited the topicality, placing ads in the same issue of the Clipper that featured a report of the fight itself. He added testimonials for his nine-round reproduction. Connie McVey, who as Corbett’s trainer allegedly had thrown the fight by jumping into the ring and causing a disqualification, helped Lubin cloud the issue of the film’s veracity. McVey’s mock telegram to Lubin pronounced: ›I had the pleas-

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ure of seeing your Life Motion Pictures of the late Corbett and Sharkey fight, and judge of my surprise when I recognized myself jumping into the ring just as it occurred. I have seen many Life Motion Pictures of Prize Fighting in my time, but yours, without exception, is the greatest, liveliest and most true that I have ever witnessed. I cannot imagine for one moment how you procured so true a picture in every detail, which, to say the least, is an exact reproduction, and can only attribute it to your indomitable energy and pluck.‹« (Streible 2008: 134)

Lubin setzt diesen gefälschten Zuspruch ein als Akt der öffentlich gemachten Beglaubigung des Films und der Bezeugung seiner redlichen, zugleich ebenso präzis-detaillierten wie mutigen Reproduktion des Ausgangsereignisses. Sowohl die Umstände der Filmaufnahme wie auch das im Film zu Sehende werden damit für Lubins Life Motion Picture als Höhepunkt der bisherigen Kinematographie adressiert. An der Titel-Diktion arbeitete er allerdings weiter, der Film wurde entgegen seiner Ankündigung als CORBETT AND SHARKEY FIGHT im November 1898 veröffentlicht. Das »fac simile«, übersetzt aus dem Lateinischen »mache es ähnlich«, bezeichnet eine getreue Kopie von papierenen, schriftlichen Dokumenten, Briefen, Urkunden, Bauplänen etc., also statischen, zweidimensionalen Medienformaten. Das schien Lubin auf eine Art ein gewisses Unbehagen zu bereiten, so dass er sein ursprüngliches paratextuelles Bekenntnis zur Reproduktion gänzlich strich. Nach dem Erfolg des Films suchte Lubin nach weiteren Boxereignissen, die eine vergleichbare Herangehensweise zuließen. Am 10. Januar 1899 standen sich Tom Sharkey und Charles McCoy im Manhattener Lenox Avenue Club gegenüber. Tom ›Sailor‹ Sharkey war bereits 1896 in einem legendären Titelkampf gegen Bob Fitzsimmons unter dem Referee Wyatt Earp Schwergewichtsweltmeister geworden, hatte den Titel aber verloren und wollte sich gegen ›Kid McCoy‹, der eigentlich Mittelgewichts- beziehungsweise Halbschwergewichtsboxer war und in dieser Klasse bereits zweimal Weltmeister, weiter qualifizieren, um sich gegen James Jeffries erneut den Titel holen zu können. Tom Sharkey gewann im Avenue Club nach zehn Runden durch K.O. einen nicht besonders spektakulären Qualifikationskampf, der verhältnismäßig schwach wahrgenommen, geschweige denn gar von filmischen Arbeiten begleitet wurde. Was von Lubin aufgenommen wurde und wie der Kampf Verfahrensmuster wiederholte und zugleich auch neue Praktiken erprobte, schildert Dan Streible in seiner Boxfilmgeschichte eindringlich:

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»Lubin again hired actors to replicate the contest. Two weeks later the cineograph offered Re-enactment of Sharkey-McCoy Fight ›reproduced in life motion, in 10 rounds, each round 100 feet long.‹ Lubin also copyrighted this work as separate photographs. This had not been done for the previous film and had only been partially done with his Corbett-Fitzsimmons reproduction (for which Lubin claimed two copyright registration numbers, though the Library of Congress has no record of them). Copyright became central to Lubin’s strategy-and to the development of the entire moving-picture industry. The ten copyright stills that are preserved from Reenactment of Sharkey-McCoy Fight show generic scenes of two gloved boxers (who bear little resemblance to their supposed counterparts) being watched by a referee, corner men, and five formally dressed male spectators standing below the ring. Only the first and last pictures indicate specifically posed pieces of action, beginning with a ritual handshake and ending with one pugilist down on the canvas. Filmed on the platform used throughout 1897 and 1898, the stills reveal changes from Lubin’s first effort. A wider ring was built and the camera set back to reveal the entire scene. The backdrop was changed from white to black for better contrast. Figures wearing outlandish wigs and makeup were replaced by athletic actors. In short, the pictures reveal an increased realism in the representation. […] With his Sharkey-McCoy reenactment, Lubin hit on a successful variation of an established cinematic and prizefight convention: motion-picture recordings of actors nominally reenacting a lesserknown prizefight of which no recording existed. […] Lubin’s 1899 reproductions built on ring publicity while controlling the on-camera events and the celluloid property. Profits were not as great for reproductions as for originals, but Lubin’s strategy allowed his firm to control its own activity rather serve as a for-hire service to the sporting syndicate.« (Streible 2008: 135-137)

Dan Streible bewertete das Vorgehen Lubins als Replikat und Reproduktion unter dem Aspekt einer auf möglichen und machbaren Realismus zusteuernden Repräsentationslogik (»realism in the representation«) im Zuge der gültigen Marktmechanismen der bewegten Boxbilder. Der Lektüreschwerpunkt auf dem Reenactment-Begriff erweitert dieses Verständnis: Reenactment ist eine Station auf der Suche nach einer Begrifflichkeit zwischen »fac-simile«, das den Verweis auf die technische Reproduzierbarkeit gibt und das ein Bewusstsein um das Medium selbst impliziert, sowie »reproduction«, das die Produziertheit der Nachstellung ausstellt. Reenactment wirft so gelesen in seinem kurzen Erscheinen dazwischen eine Frage nach den Vorgängen und Praktiken der Ausstattung mit Geltung auf und zeugt

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vom Wissen um die Historizität der Wiederholung von körperlichen Akten als Ereignis. Damit ist im Reenactment eine Unterscheidung zwischen dem Gezeigten und dem Zeigen selbst eröffnet. Einen jeweils unterschiedlichen Status bekommen außerfilmisches Ereignis (singulär und nicht repetitiv), Ereignis der Filmaufzeichnung (singulär, aber in seinem Entstehungsmoment wiederholbar) und Ereignis der jeweiligen Filmprojektion (zwar örtlich und zeitlich singulär, technisch aber immer und überall wiederholbar).

3. D IE K ONJUNKTUR DES R EENACTMENT IN DER R EVISION DER G ESCHICHTE DES FRÜHEN K INOS Die Geschichtsschreibung des Kinos, insbesondere der frühen Kinematographie, vollzog Ende der 1980er Jahre eine Wende zur New History of Cinema. Eine ›Generation‹ von Filmhistorikerinnen und -historikern wollte nicht mehr in der Tradition die Geschichte des Kinos und des Films schreiben, sondern eine Geschichte vom Kino schreiben und anders und neu erzählen. Zuvor ging es ganz pragmatisch zunächst darum, den (vor allem US-amerikanischen und westeuropäischen) Archivbestand zu sichten, zu erhalten und zu bewerten. Diese Bewertung war eine weitreichende Verschiebung von Maßstäben und Kriterien. Durch sie wurden die ersten Jahre der bewegten Bilder aufgewertet, indem das frühe Material in seiner Eigenständigkeit ernst genommen wurde und nicht länger als ›Vorstufe‹, ›Kinderschuhe‹ oder ›Geburtsphase‹ des Erzählkinos ab circa 1910 zu gelten hatte. Diese drei Metaphern der Beschreibungssprache herrschten bis dato vor, denn die ersten anderthalb Jahrzehnte wurden ausschließlich als Ermöglichungsraum und hinleitende Experimentierphase gelesen für den – in eigenständigen Kinosälen vorgeführten – programmfüllenden Langfilm. Die Geschichte eines Mediums lässt sich – und auch diese Feststellung ist eine Einsicht im Zuge der New History of Cinema – nur sehr unzureichend aus einer Perspektive schreiben, in der ein unverrückbarer Telos wie das vermeintliche Streben des Kino nach einem erzählenden Langfilm oder die Setzung von ›Fakten‹ wie Werk und Autor eine lineare Entwicklung definieren. Im Zuge dieser historiographischen kritischen Neuansätze, die sich kaum mehr nach beispielsweise Autor und Werk ausrichten, sondern den Modus der Herstellung fokussieren, taucht der Begriff des Reenactment

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auf. Reenactment erscheint nicht als wörtliches Zitat des Lubin-Films von 1897 und ist kein begrifflicher Wiedergänger des historischen Sprachgebrauchs nach Lubin. Aber er findet sich durchaus in einem Kontext, in dem auch der Boxfilm eine gewichtige Position besetzt. Die Benennung als Reenactment verweist in diesen Zusammenhängen auf Gestaltungsmöglichkeiten und (geschichts)theoretisch informierte Verständnisse von Ereignis und Repräsentation. Insbesondere die Untersuchung von David Levy Re-constituted Newsreels, Re-enactments and the American Narrative Film aus dem Jahr 1982 machte den Begriff im aufkeimenden Diskurs um die Aufweichung der hergebrachten Dichotomie von fiktivem Erzählen gegenüber faktualem Dokumentieren im Frühen Kino populär. Levy argumentiert allerdings überwiegend anhand von Filmmaterial aus kriegerischen und politischen Ereignissen 1896-1907, weniger und nur peripher mit den genannten Boxkämpfen und dem filmischen Umgang mit ihnen. Nichtsdestotrotz betont er für die Prizefights eine gleichrangige Beispielhaftigkeit: »For their part, early film producers were quick to realize that one didn’t have to be at the scene of an event with a camera in order to capitalize on the popular demand for topical material. The manufacture of Spanish-American war footage and fake championship prizefights are among the better-known examples of the practice.« (Levy 1982: 312) 5 62F

Levy differenziert zunächst für sein Quellenmaterial die filmisch inszenierten zeitaktuellen Erzählungen (»staged topical narratives«, 312) im Stile von Newsreels zwischen »reconstituted newsreels, re-enactments and reproductions« (ebd.) – ohne diese Begriffe nach innen und außen dann weiter zu differenzieren. Ihr Einsatz dient vor allem zur Revision der zu diesem Zeitpunkt konventionalisierten Filmgeschichtsschreibung: »Close to the heart of the whole affair is the formal dichotomy traditionally described by the opposition of Lumiere’s hard-core train to Melies’ soft-core rocket. The categories Newsreel, Documentary, Drama and Reproduction do not appear to have been very

5

Allerdings revidiert Levy nicht die in der Filmhistoriographie bis dato hergebrachte Adjektivierung »fake«. Zur Diskussion über dieses Adjektiv für Newsreels beziehungsweise Actualités vgl. Kessler 2006: 87-93.

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firmly fixed as production models by early film producers. And because the methods employed in one needed to cross no very strong boundaries to be used in another, there was a lot of two-way traffic across a weak ontological frontier.« (Levy 1982: 316)

Reenactment steht hier also als Trans-Aktion zwischen dem ontologischen Status des Filmbildes der ersten Jahre der Kinematographie, einer quasidokumentarischen Abbildung und einem fiktionalen Entwurf eigener Bildwelten. André Gaudreault notiert mehr als 20 Jahre später – vermeintlich summierend – in Richard Abels Encyclopedia of Early Cinema: »re-enactments: The Cinématographe Lumière’s ability to reproduce reality was of course one of this apparatus’ principal features. It is thus not surprising that actualités and news event films were among the most popular early genres. Nor is it surprising, in this context, that the major film manufacturers quickly developed the practice of sending operators (and sometimes entire teams of operators) to carry out what today we would call news stories on site, where the news event was unfolding. They even had their operators reconstruct, from scratch, various aspects of an event that had taken place out of the camera’s view. For news events, whether because of their sudden and unexpected nature or their geographical distance, could escape the camera’s notice. There were events, therefore, of which no image existed, leading manufacturers to treat them the way they already treated historical events: by re-constituting, reproducing, and reenacting them. The re-enactment is thus a category of moving pictures that can include both past and current events. A re-enactment pertains to the realm of the event, and more generally to that of history, whether distant or in the making. Should an event already be completed and thus seemingly beyond the camera’s grasp, the filmmaker was at liberty to call upon all the resources of mise en scène (set designs, actors, costumes, etc.) in order to bring the past event to life. […] The camera, that device for creating unparalleled reproductions of reality, thus could be involved in ›reproducing‹ the event in both senses of the term: to re-produce, to make occur a ›second time‹; and to present a reproduction, a representation. […] The most singular kind of re-enactment produced during these early years was that known as the ›fake newsreel‹ (in French, actualités reconstituées or even actualités postiches – ›artificial newsreels‹). This was a cross between the actualités and the news event film and consisted of ›recapturing‹ on film an event which had initially escaped the camera’s penetrating eye. […]

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Other fake newsreels included famous re-enacted boxing films and war films.« (Gaudreault 2005: 347-348)

In Bezug auf das frühe Kino wäre Reenactment immer nur als Differenzoperation zu anderen etablierten Formaten zu denken, nicht als eigenständig und -wertig zu operationalisieren. Ihre operative Leistung ist eine durchaus produktive, die aber über Analogien mit »Reconstitution« und »Reproduction« hinaus keine Beschreibung oder Erklärung bekommt. Selbiges gilt für eine nähere Bestimmung des ›Re‹. Reenactment wäre, Gaudreaults Lexikoneintrag folgend, zwar Beschreibungsinventar eines spezifischen Repräsentationsverhältnisses, jedoch auszumachen nur in der Verzeitlichung und Verörtlichung vom Akt ›Filmaufnahme‹ zu einem bereits gesetzten und formierten Ereignis, das in einer Gegenwart ohne Kameraaufnahmen liegt. Umgekehrt heißt dies, dass der Status des kinematographischen Aufnahmeapparates zur Formierung von Ereignis mit dem Adjektiv ›re-enacted‹ unabdingbar ist. Damit bekommt das ›Re‹ implizit dann doch einen eigentümlichen Status zwischen ›wieder‹ und ›überhaupt erstmal‹. Doch greift Gaudreault – der nicht nur als Filmhistoriograph des frühen Kinos, sondern beispielsweise auch als Mitbegründer von DOMITOR (International Association for the Development of Research on Early Cinema) maßgeblich an der genannten diskursiven Neubewertung beteiligt war – in diesem Aspekt die (mitunter eigenen) Ansätze der Historiographie des Films aus den 1980er Jahre nicht auf, er vernachlässigt nicht allein eine bereits eröffnete Revision der Kinogeschichte, sondern geht auch auf das Potential der historischen Begriffsverwendung nicht ein. An beiden Orten, an denen sich Rede von und über Reenactment und Film finden lässt, und die auf den ersten Blick in keinerlei oder höchstens sehr losen Zusammenhängen stehen, wird der Begriff zunächst vage gesetzt. Jedoch sind sie dabei bei eingehender Betrachtung keineswegs konturlose Verlegenheitseinsätze. In beiderlei kurzem (und bedauernswerterweise wenig Schule-machenden) Auftauchen werden komplexe Fragen nach filmischem Status und Geltungsanspruch eines Ereignisses von und für die Kinematographie gestellt und ein vermeintliches Wissen um die Medienpraktiken der ›Wiederholungen‹ von körperlichen Akten hinterfragt. Für Untersuchungen an historischem Material aus der frühesten Phase des Films birgt Reenactment daher sowohl als Perspektive als auch als produk-

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tiv einzusetzende Größe in historiographischer Rede noch längst nicht ausgeschöpftes Potenzial.

L ITERATUR Gaudreault, André (2005): »re-enactments«, in: Richard Abel (Hg.), Encyclopedia of Early Cinema, London: Routlege, S. 547-548 Gumbrecht, Hans Ulrich (2005): Lob des Sports, Frankfurt a.M.: Suhrkamp. Gunning, Tom (1986): »The Cinema of Attractions – Early Film, Its Spectators and the Avantgarde«, in: Wide Angle 8, 3-4, S. 63-70. Kessler, Frank (2006): »›Fake‹ in early Non-fiction«, in: KINtop 14/15, S. 87-93. Levy, David (1982): »Re-constituted Newsreels, Re-enactments and the American Narrative Film«, in: Richard Abel (Hg.), Early Cinema – Critical Concepts in Media and Cultural Studies (Volume III Filmic developments), London/New York: Routledge 2005, S. 309-325. Zuerst in: Roger Holman (Hg.), Cinema 1900-1906: An Analytical Study, Brussels: FIAF, S. 243-258. May, Stephan (2004): Faust trifft Auge – Mythologie und Ästhetik des amerikanischen Boxfilms, Bielefeld: transcript. McKernan, Luke (1996): »Sports and the First Film«, in: Richard Abel (Hg.), Early Cinema – Critical Concepts in Media and Cultural Studies (Volume III Filmic developments), London/New York: Routledge 2005, S. 350-357. Zuerst in: Christopher Williams (Hg.), Cinema – The Beginnings and the Future, Westminster: University of Westminster Press, S. 107-116. Musser, Charles (1997): »Respektabilität und Aktualität – Gedanken zum kulturellen Stellenwert von Edisons Filmen in der Kinetoskop-Ära«, in: Frank Kessler/Sabine Lenk/Martin Loiperdinger (Hg.), KINtop 6 – Aktualitäten, Basel/Frankfurt a.M.: Stroemfeld, S. 67-79. Streible, Dan (2008): Fight Pictures – A History of Boxing and Early Cinema, Berkeley/Los Angeles/London: University of California Press.

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Internetquellen http://www.cyberboxingzone.com/boxing/donovan-mike.htm vom 11.03. 2014 http://filmlexikon.uni-kiel.de/index.php?action=lexikon&tag=det&id=311 vom 15.08.2014. Filmographie BOXEURS (F 1895) BOXING (USA 1892) BOXING MATCH BETWEEN A MAN AND A WOMAN (USA 1895) BOXING MATCH/BOXING CONTEST (USA 1895) CORBETT AND COURTNEY BEFORE THE KINETOGRAPH (USA 1894) CORBETT AND SHARKEY FIGHT (USA 1898) CORBETT FITZSIMMONS FIGHT (USA 1897) HORNBACKER-MURPHY FIGHT (USA 1894) LEONARD-CUSHING FIGHT (USA 1894) RE-ENACTMENT OF SHARKEY-MCCOY FIGHT (USA 1899) THE PASSION PLAY OF OBERAMMERGAU (USA 1898)

Gesten des Anachronismus Theatrale Medienpraktiken im Reenactment U LF O TTO »Those who cannot remember the past are condemned to think they are original.« (DONNY MILLER)

Dass nicht nur Schrift aus einer Bewegung von Iteration und Alteration hervorgeht, dass sich auch Gesten in der Wiederholung konstituieren, und gerade weil sie eingeübt sind, auch immer eine mögliche Abweichung enthalten, hat Judith Butler im Anschluss an Jacques Derrida auf einen Begriff gebracht (vgl. Butler 1988): to reenact, das heißt, dass im Agieren immer Vorgängiges und Vorgegebenes zur Wiederholung kommt und es in dieser (meist unreflektierten) Wiederholung und nur in dieser Wiederholung eine Gesetzeskraft erlangt, die Identitäten und Kollektive wirklich werden lässt. 1 Dies gilt für kleine wie für große Gesten, für solche, die aus Auftritten hervorgehen, die Aufmerksamkeit auf sich ziehen oder auf die sie gerichtet wird, die ausgestellt und gerahmt sind, denen besondere Bedeutung beigemessen wird und die daher besondere Bedeutung verleihen (vgl. Matzke/Otto/Roselt 2015). Auch solche großen Gesten setzen sich aus Wiederholungen zusammen, auch wenn sie im Unterschied zu den kleinen von 63F

1

»This repetition is at once a reenactment and reexperiencing of a set of meanings already socially established; it is the mundane and ritualized form of their legitimation« (Butler 1988: 526).

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Protokollen (vgl. Vogel/Wild 2014) beherrscht werden, die ihr Erscheinen mit anderer Strenge regulieren. Entgegen beharrlichem Vorurteil wiederholen diese großen Gesten aber nicht die kleinen, von denen sie sich ja gerade abheben wollen, sondern in erster Linie sich selbst. Nur das bürgerliche Theater (der historische Ausnahmefall) tut so, als würde die Bühnengeste eine Wiederholung der Alltagsgeste sein, und auch das ist nur eine Behauptung, die sich bei näherer Betrachtung als solche entlarvt (vgl. bspw. Heeg 2000). Wie sich die Gesten der Kunst und der Macht zu den Gesten des Alltags verhalten, ist und bleibt daher eine offene Frage, die sich nur historisch beantworten lässt und die immer auch die Frage nach den Rahmen und Regeln beinhaltet, in denen diese Gesten wiederholt werden. Das Feld aber, in dem eine Antwort auf diese Fragen zu suchen ist, ist jenes des Gestikulierens, der körperlichen Praxis eines doing gesture, aus dem heraus erst die Gesten und ihre Wiederholungen entstehen. Was also ist das für eine Geste, die sich in dem offenbart, was plötzlich überall als Reenactment gehandelt wird? Ist das Markante an dem Phänomen vielleicht gerade eine neue Art und Weise des Gestikulierens? Und wenn es stimmt, was Sven Lütticken schreibt (vgl. Lütticken 2005), dass das Spezifische des Reenactments gerade in der Abkehr von einer schauspielerischen Praxis zu suchen sei, deren Fokus auf dem Eindruck liege, den sie bei einem Publikum hinterlässt, ist diese auch Ausdruck einer Medienkultur, in der spektatorische (vgl. Berg 1985) Künste wie Film und Theater an Bedeutung verlieren? Der folgende Beitrag nähert sich diesen Fragen in drei Abschnitten an, betrachtet den Begriff, die Zeit, die Rhetorik und die Praxis des Reenactments und endet mit einem Plädoyer für den Anachronismus.

1. B EGRIFF

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Im Englischen ist das Reenactment gerade als Verb alltagssprachlich gebräuchlich und hat eine akademische Tradition in der Theoriebildung der Performance Studies. Vor allem aber bezeichnet es seit den 1960er Jahren auch im anglophonen Raum vorwiegend die Nachstellung vergangener Schlachten, insbesondere des amerikanischen Bürgerkriegs, als historistisches Hobby. Als solches tritt es als Lehnwort im deutschen Sprachgebrauch seit der Jahrtausendwende weiträumig auf und scheint eng verbun-

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den mit einer rezenten »Geilheit auf Geschichte« 2, die, angesichts der weltpolitischen Wiederverunsicherung, die nachgeschichtliche Melancholie der konsumoptimistischen 1990er Jahre mit einer reaktionären Rückwendung zu, ›vielleicht noch, eigentlich aber schon nicht mehr‹ identitätsstiftenden Ereignissen verbindet. 3 Die Kunst entdeckt den Begriff für sich durch eine Anzahl prägender Ausstellungen. Am einflussreichsten in Deutschland war sicherlich die Ausstellung History Will Repeat Itself, die vom Hartware MedienKunstVerein Dortmund und dem KW Institute for Contemporary Art in Berlin ausgerichtet und von Inke Arns kuratiert wurde. Der Untertitel sprach von ›Strategien des Reenactment in der zeitgenössischen (Medien-) Kunst und Performance‹. Gezeigt wurden Werke von 23 Künstlerinnen und Künstlern, u.a. das Milgram Reenactment von Rod Dickinson, Omar Fasts Spielberg’s List 4, The Eternal Frame (Mellencamp 1998: 78-100) von Ant Farm und T.R. Uthco sowie auch Jeremy Dellers The Battle of Orgreave (Blackson 2007). Letzteres, besser gesagt, die filmische Dokumentation dieses Reenactments, ist für die Übernahme des Begriffs in die Kunst allein schon deshalb prägend gewesen, weil es das Hobby des Reenactments direkt als Material der Kunst eingesetzt hat. Die Battle of Orgreave bezeichnete ursprünglich die brutale Niederschlagung eines Bergarbeiter-Streiks im Juni 1984 durch die berittene Polizei der Thatcher-Regierung in Orgreave, Süd-Yorkshire, und stellte die Eskalation eines medial aufgeheizten Konfliktes zwischen Gewerkschaften und Regierung dar. Der britische Künstler Jeremy Deller ließ das Ereignis am 17. Juni 2001 nachstellen, wobei von den 800 Akteuren ein gutes Drittel 64F

65F

6F

2

Vgl. das Lied Zeitmaschine (2008) von Rainald Grebe: »Setz’ dich in die Zeitmaschine und fahr’. / wo steigen wir denn aus, in welchem Jahr? / Scheißegal, Guido Knopp war immer vor dir da. / Heiner Lauterbach sinkt gerade mit der Gustloff. / Heiner Lauterbach rennt g’rad durch das brennende Dresden. / Ja der Heiner ist ja auch überall dabei gewesen. / Ich bin so geil auf Geschichte [...].«

3

Der Historiker Lutz Niethammer hat in seiner Historisierung der Posthistorie drei Kernargumente nachgeschichtlicher Melancholien herausgearbeitet: Verlust der Sinnhaftigkeit historischer Entwicklungen, die Ohnmacht des Subjektes gegenüber den Systemen und die (Wieder-)Verortung der Kultur im Naturzusammenhang (vgl. Niethammer 1997).

4

Omar Fast: Spielberg’s List, Zweikanal-Videoinstallation, 2003.

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aus der lokalen Bevölkerung rekrutiert wurde. Davon wiederum hat ein nicht unbedeutender Teil die Ereignisse von vor 20 Jahren selbst miterlebt. Durch das Einschalten der Firma EventPlan, einer professionellen Reenactment-Agentur, wurde die Amateur- und Filmkultur in einem Kunstkontext benutzt. Schon die Wahl des Genres ›Reenactment‹ erzählt dabei etwas über die Haltung zu dem nachgestellten Ereignis und stellt die Auseinandersetzung zwischen Gewerkschaften und Regierung der Thatcher-Ära in eine Reihe mit historischen Bürgerkriegen. Dieses Ereignis wurde von dem US Filmregisseur Mike Figgis dokumentiert, und diese filmische Dokumentation trat auch in der Berliner Ausstellung an seine Stelle; und das, obwohl Film und Regisseur das Ereignis um die Berichterstattung von damals sowie Aussagen von Zeitzeugen, um eine eindeutige Wertung und eine aufdringlich melodramatische Musik ergänzen. Vor allem aber zeigt der Film das Innenleben des Ereignisses, welches das Publikum vor Ort nicht erleben konnte. Es wird sichtbar, was das Handeln mit den Akteuren macht, in den Gesichtern, Körpern, Stimmen erwacht die Schlacht von Orgreave wieder zum Leben. Deller wendet sich den Verlierern der Geschichte zu und mit Figgis Film erscheinen sie in der massenmedialen Wirklichkeit (vgl. Otto 2012). Das Reenactment tritt mit der einseitigen und der (Regierungs-)parteiergreifenden Berichterstattung von damals in Konkurrenz und scheint zugleich kommunale Traumata wieder hervorzukehren. Das Reenactment der Schlacht von Orgreave erschöpft sich insofern weder darin, den herrschenden Geschichtsbildern der regierungstreuen 80er Jahre in der BBC andere entgegenzustellen, noch die Konstruktion dieser Bilder zu entlarven; das Reenactment reanimiert die Bilder, holt sie aus den Archiven, erweckt sie noch einmal zum Leben – und macht sie einer Zirkulation durch Körper und Medien wieder zugänglich. Vor allen Dingen verhindert es das Vergessen und verändert das, was die Schlacht von Orgreave gewesen sein wird: In Zukunft wird die Schlacht von Orgreave aus einem Bergarbeiterstreik und seiner Nachstellung bestehen, aus den Bildern der BBC und denen von Mike Figgis – so wie bspw. Adolf Hitler seit Eichingers DER UNTERGANG (D 2004, R: Oliver Hirschbiegel) immer auch dieser Bruno Ganz ist, mit dem aufgeklebten Schnurrbart und dem so famos rollenden ›R‹, und dem dann auch schnell Flügel wachsen, sodass er schon fast wieder der Engel ist, der über Berlin schwebt.

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Bei der Schlacht um Orgreave – beim Reenactment vielleicht generell – geht es insofern erst einmal um das Machen von Geschichte im medialen Sinne, um den Eingang in ein kulturelles Gedächtnis, das sich im Widerstreit der Bilder konstituiert. Nur dass die Bilder hier nicht am Schneidetisch konstruiert und dekonstruiert werden – wie es bspw. Harun Farockis Arbeiten immer wieder geleistet haben –, ›sondern erstmal als Ereignis vor Ort verkörpert werden‹. Auch wenn die Manipulation der BBC anno 1984 ein Handgriff der Montage war: Aus Polizisten, die auf Bergarbeiter zustürmten, wurden per Schnitttechnik Bergarbeiter, die Polizisten angriffen. Der künstlerische Eingriff begrenzt sich nicht auf die Arbeit im Archiv, sondern speist das Dokument in die Lebenswelt zurück und schafft so neue Dokumente, die wieder ins Archiv eingehen können. So wird deutlich, wie eng Körperpraktiken und Bildgebungsverfahren in der Geschichtsdarstellung miteinander verbunden sind und einen radikal antiplatonischen Bildbegriff betonen, der, statt des schattenhaften Abglanzes, gerade die Verbundenheit von Bild- und Lebenswelten deutlich macht. Eben diese körperliche Aneignung historischer Bildwelten scheint das zu sein, was die Arbeiten der Ausstellung vereint und auf die sich auch die Wiederholung bezieht, die im Titel »History will repeat itself« benannt wird. So heißt es im Vorwort des Kataloges, bei Reenactments handele es sich um »performative Wiederholung[en] [...] historischer [...] Ereignisse« (Arns 2007: S. 42). Es kommt ihnen aktuell besondere Bedeutung zu, schreibt die Kuratorin Inke Arns, weil »Welterfahrung [...] immer weniger auf direkter Anschauung beruht, sondern fast ausschließlich medial vermittelt, also über Bilder von (historischen) Ereignissen geschieht« (ebd.). Dies führe zu einer »grundlegende[n] Verunsicherung über den Status und die Authentizität der Bilder«, deren sich die Reenactments durch ein individuelles körperliches Erleben von Geschichte annähmen. Durch das Ausschalten der »sicher geglaubten Distanz zwischen dem medial repräsentierten historischen Ereignis und dem Jetzt« ermöglichten sie »eine Erfahrung der Vergangenheit in der Gegenwart« (ebd.). Eben das, was bei Orgreave zu beobachten war, die merkwürdige Verquickung von Bild und Körper, wird bei Arns erst einmal als wesentlich getrennt dargestellt: Historische Bild(medien) und gegenwärtige Welt(erfahrung) sind durch »direkte Anschauung« nicht vermittelbar, und die Trennung soll nun durch einen körperlichen Akt der (Wieder)Aneignung aufgehoben werden. Die hier artikulierte Medienkritik baut auf dem alten Gegensatz zwischen to-

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tem Dokument und lebender Gegenwart auf und dient im Text zur Einführung einer essentialistischen Unterscheidung zwischen Kunst und Nichtkunst: Während die reaktionären Hobbyisten im Reenactment durch die Aufhebung der Distanz das Vergessen in der Vergangenheit suchten, würde die Kunst eben jene Distanz zum Anlass kritischer Reflektion nehmen. Mediale Entfremdung hier, körperliche Wirklichkeit dort, narkotisierende Konsumindustrie hier und kritische Kunst dort, das spricht nicht gerade dafür, dass das Reenactment begrifflich viel Neues zu bieten hat. Wären da nicht jene zwei Exponate in der Ausstellung, die eine andere Geschichte erzählen als der Katalog. Einerseits eine Serie von Fotografien, die eben keine Kunst, sondern das Hobby zeigen, von dem die Kunst den Begriff entlehnt hat: Reenactments des nordamerikanischen Bürgerkriegs. Andererseits ein einzelnes Schwarz-Weiß-Foto, das die Erstürmung des Winterpalais zeigt, wie sie von Nicolaj Evreinov im Rahmen des Proletkult-Massenspektakels zum Jubiläum der Revolution im Oktober 1920 nachgestellt wurde – und das dann wiederum als Grundlage für Eisensteins filmische Wiederholung des Ereignisses diente, die meist im History Channel für das Original einstehen muss. Beide Exponate sind keine »zeitgenössische Kunst«, wie sie die Ausstellung in ihrem Untertitel ankündigt: Es mangelt ihnen nicht nur an Kunst im zeitgenössischen Sinn, sondern auch an Zeitgenossenschaft. Anders als angekündigt, bringt die Ausstellung nicht nur Kunst zur Anschauung, und was wichtiger ist, unterscheidet sie die Kunst weder in der Anordnung im Raum noch im Katalog von der Nichtkunst. Das Agit-Prop-Event der Erstürmung des Winterpalais hängt neben zeitgenössischer Kunst und auch der Katalog bringt beides in eine ungewöhnliche Nähe; was theoretisch getrennt wird, hängt räumlich nebeneinander und insinuiert, dass die Distanz vielleicht doch nicht so groß ist – und nicht nur das, die Einreihung der Erstürmung des Winterpalais und des Bürgerkrieges stellt noch eine andere Behauptung der Ausstellungsmacher in Frage: wie neu, zeitgenössisch das Phänomen eigentlich ist. Was im Text als neue Kunst präsentiert wird, setzt sich im Raum dem Verdacht aus, erstens nicht nur zeitgenössisch und zweitens nicht nur Kunst zu sein. Das, was hier als Reenactment ausgestellt wird, bringt insofern zwei Verunsicherungen mit sich: einerseits über die Unterscheidung von Kunst und Nichtkunst und andererseits über die Unterscheidung von Originalität und Tradition. Auch in Bezug auf die Schlacht um Orgreave ist nicht leicht zu sagen, ob das, was Deller da macht, ein neues oder ein altes Ver-

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fahren ist und inwiefern es sich von den Reenactments der Hobbyisten wesentlich unterscheidet. Diese Instabilität klassischer ästhetischer Gegensätze scheint aber eng mit der Verquickung von Dokument und Gegenwart im Reenactment verbunden zu sein. Wo die Distanz zwischen Bild und Körper aufgegeben wird, da scheinen auch die Abgrenzungen von der Tradition und dem Populären fragwürdig, aus denen sich moderne Kunst speist. Die Ausstellung des Reenactments legt insofern etwas ganz anderes nahe, als es der Katalog vorschlägt: Nämlich dass es diese Distanz zwischen totem Bild und lebendem Körper, wie sie Arns von der Kunst überbrückt und reflektiert wissen will, so nie gegeben hat und Bilder immer schon auch in Körpern leben, Bilder immer Körper in sich tragen.

2. D IE Z EIT

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Am deutlichsten tritt diese potentielle Verunsicherung über die Entgegensetzung von Dokument und Ereignis dort zu Tage, wo es selbst Kunstereignisse sind, die zum Gegenstand des Reenactments werden: in den darstellenden Künsten und der Performance Art. Die Wiederkehr des Living Theatre (vgl. Weiler 2008) mit einer 40 Jahre alten Inszenierung oder Marina Abramovics Bemühen um eine Copy-Right-konforme Reproduktion der eigenen Werke und ihre unentwegte Präsenz im Museum (vgl. Umathum 2012), stellen nicht nur zentrale Dogmen der Performance-Theorie in Frage (dass sich Performance im Moment erschöpft und sich jeder Dokumentation entzieht), sondern zeigen auch, was immer schon dahinter stand: die ›Querelles des Anciens et des Modernes‹ und in ihrem Gefolge die romantische Idee der Originalität, die sich Regeln und damit Reproduktion entzieht. Denn modern ist eine Kunst, die mit der Nachahmung bricht, und zwar von Vorbildern, also zugunsten von Originalität die Tradition verabschiedet und die Relevanz von Kunst auf Aktualität festlegt. 5 Keine Kunst war entsprechend moderner, das heißt origineller, als Performance Kunst, sie ließ nicht nur alle Tradition von Malerei und Bildhauerei hinter sich, 67F

5

Modernes Theater, das lehren unzählige künstlerische Hochschuleignungsprüfungen, ist eben jenes Theater, wo Shakespeares Römer nicht römisch daherkommen und auch nicht aus London sind, wie es Heiner Müller betonte, sondern in der Anzugsmode von zeitgenössischen Führungskräften auftreten.

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sondern stellte auch noch die eigene Tradition in Frage. Es wurde nicht nur nichts wiederholt, was andere gemacht hatten, auch das eigene Tun und das Werk selbst sollten sich der Wiederholung entziehen: Selbst wenn es mehr als einmal aufgeführt wurde, war es jeden Abend anders, jedes Mal unberechenbar, absolute Originalität und reine Aktualität. Wenn aber nun ausgerechnet Abramovic, die gerade im deutschsprachigen Diskurs durch die Einleitung von Erika Fischer-Lichtes stilprägender Ästhetik des Performativen (vgl. Fischer-Lichte 2004) das Sinnbild für das Unwiederholbare geworden ist, alles darauf anlegt, ins Museum einzugehen und keinen medialen Auftritt scheut, stellt sich die Frage, ob das noch Kunst oder schon Museumsindustrie ist. Was wird in diesem Versuch performativer Traditionsbildung aus der einstigen Originalität? Und ist das Reenactment mit seiner Unsicherheit über den Status der Gegenwart nicht gerade das diametrale Gegenteil von Performance? Das erinnert natürlich daran, dass die traditionell abgesicherte Wiederholung vergangener Ereignisse im Gegensatz zur originellen Interpretation der Gegenwart theatergeschichtlich eher die Regel denn die Ausnahme ist: Von Ritualvollzügen, über Passionsspiele bis hin zu historistischen Festzügen und Kanonpflege durch Klassikerinszenierungen, ist das Nachspielen der Geschichte so alt wie Geschichte überhaupt: »Tut dies zu meinem Gedächtnis« steht über dem Abendmahl geschrieben, und das verweist deutlich auf den Zusammenhang von szenischer Wiederholung, gegenwärtigem Tun und kulturellem Gedächtnis. Auch in der Etymologie des Wortes findet sich dieser Konnex wieder: to reenact als Synonym für to enact again verbindet in to enact drei unterschiedliche Bedeutungen: to act the part of, also als szenisches Agieren im Sinne des Rolle-Spielens, zweitens, to effect, to do, also das Agieren im Sinne des ›reinen‹ Tuns und Bewirkens, und drittens schließlich to make a bill into a law, also des in Kraft-Setzens von sozialverbindlichen Regeln. – Der Drang zu »neuen Formen«, wie sie Kostja in Tschechows Drama die Möwe fordert, ist eine Erscheinung des 19. Jahrhunderts. Während Reenactments insofern von gegenwärtiger Theorie als neue Kunst verhandelt werden, stellen sie sich aus historischer Perspektive als bekanntes Ritual dar. 6 68F

6

1533 führt der siegreich heimgekehrte Kurfürst Moritz in Dresden zur Fastnacht ein Reenactment der gerade gewonnenen Schlacht auf, um nur ein historisches und ein weniger bekanntes Beispiel zu nennen (vgl. Retemeyer 1995: 47-54, 62-66).

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Ist das Reenactment also ein neues Phänomen oder ein modisches Schlagwort für einen alten Hut? Wo verlaufen die Kontinuitäten und wo lassen sich Brüche aufzeigen? – Ich bin der Ansicht, die Frage nach den historischen Linien ist entscheidend und doch falsch gestellt. Wie das, was im Reenactment auftritt, zugleich etwas sein will, das vergangen und gegenwärtig zugleich ist, so scheint auch der Begriff selbst etwas Neualtes, eine originelle Reproduktion zu sein, von der es wenig Sinn ergibt zu fordern, sich zwischen altbekannt und neuentdeckt entscheiden zu müssen. Das Neue am Reenactment – so könnte man pointiert formulieren – ist eben, dass es nichts Neues mehr sein will. Und weil sich das Reenactment von der Originalität moderner Kunst distanziert, verabschiedet es auch die Vorstellung von einer (Kunst-)Geschichte, die sich aus dem Bruch mit dem Vergangenen nährt. Es lässt sich nicht mehr sinnvoll in eine teleologische Geschichtskonstruktion einfügen, konstituiert keine Epoche mehr, es markiert ein Umdenken der Zeit, das sich von der Idee einer homogenen und universalen Geschichte verabschiedet. Daher verlangt es nach einer kulturhistorischen Erzählung, die nicht mehr epochal denkt, nicht mehr als Postmoderne daherkommt, sondern dem Latourschen Verdacht, dass wir nie modern gewesen sind, mit einer dezentrierten Geschichte antwortet, in der die Ereignisse nebeneinander statt hintereinander zu stehen kommen. Anders ausgedrückt, besteht das Neue an Reenacmtents eben darin, dass es ›das Neue‹ an sich in Frage stellt. Wenn es eine neue Zeit ist, die im Reenactment hervortritt, dann meint das eben nicht den Beginn einer neuen Epoche oder ähnliches, sondern eine neue Art, die Zeit zu denken: als etwas, das nicht als Sukzession von Altem auf ein Neues ausgerichtet ist. Diese neue Art, die Zeit zu denken, wäre daher auch das Denken einer Zeit, die immer schon nicht mehr neu ist. Auch deshalb, weil sie immer schon neben der linearen Zeit bestanden hat; vielleicht auch als Zeit des Anderen, das immer schon außerhalb der Zeit stand, weil es sich in die Linearität nicht ohne weiteres einfügen ließ: eine anachronistische Zeit mit anderen Worten. Diese anachronistische Zeit des Reenactments ist nicht zyklisch und nicht linear, entspricht nicht der revolutionären Jetztzeit und nicht der historistischen Restorationszeit. Denn die anachronistische Zeit behält die Distanz bei und löst sie zugleich auf.

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Es ist nicht zufällig ein Bild, das Reinhart Koselleck (1989) an den Beginn seiner Untersuchung zur Herausbildung des Geschichtsbegriffs stellt, das Bild einer Schlacht um genau zu sein: Die Alexanderschlacht von Albrecht Altdorfer. Und dieses Bild ist es, besser gesagt der Unterschied seiner Betrachtung anno 1528 und 1803, der den historischen Unterschied macht. Denn wie Koselleck zeigt, erkennt Schlegel, dreihundert Jahre nach seiner Entstehung, eben das, was den Zeitgenossen des Bildes kein Thema war: die Differenz zwischen der Zeit der Bildbetrachtung, der Zeit der Bildgestaltung und der Zeit des Bildinhalts. Mit dieser Zeiteinteilung aber ist der Übergang von der heilsgeschichtlichen Endzeit zur fortschrittsorientierten Neuzeit vollzogen, den Koselleck mit der Rede Robespierres am 10. Mai 1793 als ein Kommen der Zeit beschreibt, das mit der Tradition bricht. »Die Zeit ist gekommen, jeden zu seiner wahren Bestimmung aufzurufen. Der Fortschritt der menschlichen Vernunft hat diese große Revolution vorbereitet, und gerade Ihr seid es, denen die besondere Pflicht auferlegt ist, sie zu beschleunigen« (Robespierres zit. in: Koselleck 1989: 21). Die Geschichte beschleunigt sich zu ihrer unbekannten Zukunft hin, und es bleibt jene Vergangenheit zurück, die sich als mittelalterlich erübrigt hat und sich fortan für den Rückblick eignet. Denn wo Revolutionen sich nicht mehr im Kreis drehen, endet die Prophezeiung, und Prognostik und Geschichtsphilosophie treten an ihre Stelle. Aus dieser Zeit, die gekommen ist, geht auch die Geschichte des ästhetischen Historismus hervor, wie ihn Hannelore und Heinz Schlaffer charakterisiert haben, »als eine Folge von Vergangenheiten, als unwiederholbare, weil gebrochene Traditionen« (Schlaffer/Schlaffer 1975: S. 12). »Nicht mehr bestimmendes Moment des Lebens ist die außer Kraft gesetzte Vergangenheit, sondern Gegenstand des erkennenden und anschauenden Bewußtseins« (ebd.: 12). Die zeitliche Distanzierung ermöglicht Vergegenwärtigung entmachteter Vergangenheiten, die grundsätzlich keinen Vorrang untereinander einnehmen, und zu einer objektivierenden Besitzergreifung einer universalen Weltgeschichte Anlass geben. So ermöglicht »das historische Bewußtsein« nach Dilthey, »dem modernen Menschen, die ganze Vergangenheit der Menschheit in sich gegenwärtig zu haben« (Dilthey 1924: 317). Und diese Gegenwärtigkeit des Vergangenen im Bewusstsein wird bei Dilthey und Burckhardt mit der Anschauung von Bildern verglichen, sie ist wesentlich von einem distanzierten Blick geprägt.

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Gerade was sich auf den Bühnen der Zeit abspielt, in den panoramatischen Anordnungen der Guckkästen, lässt den distanzierten Betrachter die historischen Ereignisse auf der Bühne als ›imaginärer Zeitgenosse‹ erleben: »durch die Aktion auf der Bühne entrückt, sanft die zeitliche und räumliche Ferne als optische Nähe erleben« (Becker 1976: 24). »Da aber dem historischen Moment durch eben seine Ferne die Virulenz genommen wurde, ähnelte der Zustand des Zuschauers dem eines Besuchers der Weltausstellung, wo Länder, Sitten, technische Errungenschaften und sogar fremde Natur aus bequemer Distanz wahrgenommen werden konnten. Denn hier wurde die Vergegenwärtigung einer historischen Vergangenheit zustande gebracht, die ›durch die Entmachtung der Tradition [...] nicht mehr mit der Gegenwart im Streit‹ lag.« (Ebd.)

Mit der Ästhetik des Historismus, der die distanzierte Aneignung der entmachteten Weltgeschichte kultiviert und aus der er Legitimationen für das Bestehende und das noch zu Erreichende ableitet, hat das Reenactment nicht mehr viel zu tun. Im Reenactment ist die Vergangenheit immer schon zu weit weg, um noch als konstituierend dienen zu können, und zugleich viel zu nah dran, um sich dem distanziert aneignenden Blick zu ergeben. Deshalb muss man sich in sie hineinbegeben, um ihr noch eine Wirksamkeit für die Gegenwart abgewinnen zu können. Nur wenn der eigene Körper sich selbst die Maske überzieht, scheint sich die Geschichte noch vergegenwärtigen zu lassen – zumindest ist es eben das, was die Rhetorik des Reenactments immer wieder betont.

3. R HETORIK

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Als den Beginn einer »historiographischen Wende« hat der Komparse Karl Richter den Film DER UNTERGANG von Bernd Eichinger bezeichnet. 7 In der 69F

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Richter berichtet von seiner Filmerfahrung in einem Artikel in der rechtsextremen Publikation »Nation und Europa – Deutsche Monatshefte«. In Folge geisterte die Nachricht von Neonazis auf dem Filmset durch die Feuilletons, sodass schließlich auch die Produktionsfirma Stellung beziehen musste (vgl. »›Als Hitler mir die Hand schüttelte‹«, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 1. Okt. 2004).

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rechtsextremen Monatsschrift »Nation und Europa« berichtet er von seinem Auftritt als Komparse (in der Rolle des Adjutanten des Generalfeldmarschall Keitel) in dem Film: Besonders bewegt habe ihn, als »Hitler mir die Hand schüttelte«. Leider sei diese Szene später herausgeschnitten worden. Richter nannte die »authentische Atmosphäre«, von der »alle erfasst waren«, das »eigentliche Erlebnis« des Filmes (ebd.). Es geht »für Karl Richter und seine Gesinnungsgenossen an Eichingers Filmset um das situative Erleben einer rekonstruierten Umgebung, die dem Bild nicht nur Ereignischarakter verleiht, sondern ihm zugleich auch dokumentarische Qualität unterstellt und die ästhetische Gemachtheit der Bilder verleugnet« (Otto 2012: 233). Interessanterweise deckt sein Erleben sich darin mit dem Marketing des Filmes, das mit der ständig wiederholten rhetorischen Frage, ob man Hitler als Menschen darstellen dürfe, aus einem mittelmäßigen Film ein überaus erfolgreiches Medienereignis machte. Eichingers Anspruch, die Dinge so zu zeigen, wie sie wirklich waren, sollte eben nicht allein durch eine historistische Ausstattung verwirklicht werden, sondern verwies immer wieder auf das Gefühlsleben der Darsteller: Durch die einfühlende ›Menschendarstellung‹ sollte über das Medium ›Schauspieler‹ der Zugang zu den Innenwelten des Nationalsozialismus in Form des Seelenlebens ihrer Führungskräfte geschaffen werden. In den Bildern schien ein echtes Erleben gebannt, das ihre Kraft und Geltung verbürgte. DER UNTERGANG war kaum mehr ein Film, sondern eine Erfahrung, dank derer wir nun endlich wüssten, was damals wirklich passiert sei, weil es einige von uns nun noch einmal durchlebt hätten (vgl. Otto 2008). In dieser historistischen Versuchsanordnung wird der Schauspieler als Zeitzeuge neu erfunden. »In Umkehrung der Flussrichtung des ›method acting‹ stellt es sich nicht mehr so dar, als könne Bruno Ganz den Hitler so gut spielen, weil er sich so intensiv mit der Figur auseinandergesetzt hat, sondern weil er ihn so intensiv gespielt hat, weiß er nun, wie Hitler wirklich war« (Otto 2012: 233-234). Genau das aber ist die Rhetorik des Reenactments: Sie verleiht den Bildern Legitimität durch den Verweis auf das Erlebnis der gezeigten Vorgänge. Was gezeigt wird, soll mehr sein als Fiktion und Fantasie, weil es angeblich erfahren und nicht gespielt wurde. Das Erlebnis der Darsteller bezeugt das Ereignis der Darstellung. Die Darstellung zeigt angeblich nicht mehr eine fiktionale Konstruktion der Produzenten, sondern das, was die Darsteller

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echt erlebt haben. Und so kann schlussendlich der Spielfilm als Dokumentarfilm verkauft werden und verbürgt damit die Authentizität der Bilder. 8 Dieser merkwürdige Glaube, durch das Nachstellen des Vergangenen mehr als nur eine Fiktion auf die Beine zu stellen, erscheint nach Postmoderne und Dekonstruktion mehr als fragwürdig. Gerade dieses Beispiel zeigt ja, dass die Rhetorik erst einmal Rhetorik ist: DER UNTERGANG bleibt – trotz seiner Zwischennutzung als Nazipark – ein mittelmäßiger Spielfilm mit zweifelhaftem Anliegen, der in seinen Bemühungen um die melodramatische Vermenschlichung des NS-Führungspersonal in keiner Weise von den konventionalisierten Produktionsformen, Spielweisen und Dramaturgien abweicht. Und doch hat man das Gefühl, dass das Erleben dieses Filmes, wie es nicht nur von Karl Richter, sondern auch von Bruno Ganz oder Corinna Harfouch immer wieder zum Thema des Gesprächs gemacht wurde, nicht wirkungslos geblieben ist, vielmehr eine sehr merkwürdige und unterschwellige Beziehung mit dem Film hat und letztlich entscheidender als die Bilder des Filmes zu einer politisch fragwürdigen Veränderung im Umgang mit dem Thema geführt hat. In der Konsequenz legt die Rhetorik des Reenactments nahe, dass ich mich durch den leiblichen Nachvollzug eines historischen Settings, wenn es nur möglichst präzise ist, in die Vergangenheit hineinbegeben kann, die Distanz aufheben und Vergangenheit und Gegenwart zeitweise zusammenfallen lassen kann. Sie verspricht im Grunde nichts weniger als die Zeitreise, die ebenfalls auf einer Distanz beruht, die vorübergehend ausgesetzt wird – mit dem Unterschied, dass in der literarischen Zeitreise seit Orson Welles ich mich in die Vergangenheit begebe und im Reenactment die Vergangenheit zu uns kommt. Die rückwärts gerichtete Zeitreise, von der das Reenactment träumt, wird durch jenen ›magic moment‹ oder ›time warp‹ ermöglicht, der das Gefühl entstehen lässt, ein Teil der Geschichte geworden zu sein, weil die Bilder der Vergangenheit in eine persönlich konkrete Erfahrung der Gegenwart überführt wurden (Allred 1996: 5f.). Daher bleibt zu fragen, was das für eine darstellende Praxis ist, die eine solche Zeitreise möglich macht. 70F

8

Dass es sich dabei um Rhetorik handelt und das Dokudrama genauso wie das Wirklichkeitsfernsehen auf altbewährte dramaturgische Muster und Wirkungsästhetiken setzt, schließt das nicht aus (vgl. Steinle 2009).

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4. M EDIENPRAKTIKEN

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Im Unterschied zu Historical Pageantry und Living History, aus deren Verbindung sich nach dem zweiten Weltkrieg das Reenactment herausbildet (vgl. Glassberg 1990), zeichnet sich das Reenactment durch einen wesentlichen Abstand zu den nachgestellten Ereignissen aus. Es entsteht eben dort, wo die reinszenierten Symbole ihre gesellschaftliche Verbindlichkeit und ihre fundierende Kraft eingebüßt haben, und sich daher nur noch begrenzt zur Konstruktion von »Ersatzidentitäten« (Foucault 1996: 85) im Kontext nationaler Selbstvergewisserung eignen. Das Reenactment wird insofern dort möglich, wo die Distanz groß genug geworden ist, wo die Ereignisse nicht mehr diejenigen der Zeitgenossen sind, weil die in ihnen aufgehobenen Praktiken ihre soziale Verbindlichkeit verloren haben. Reenactments handeln von gebrochenen Traditionen, so könnte man dies auch beschreiben, sie funktionieren wie entleerte Rituale, die keine Gegenwart mehr am Leben halten und nicht in die Zukunft wirken – und gerade deshalb lassen sie sich zur rückwärtsgewandten Zeitreise umnutzen: Nur weil das, was in ihnen auftritt, nicht mehr die Welt der Zeitgenossen ist, können sie sich in diese hineinversetzen. Und so zielen Reenactments immer darauf, jene Distanz kurzfristig aufzuheben, aus der sie langfristig hervorgehen. Jene Distanz aber aufzuheben, für die Zeitreise also, braucht es zum einen den Wiederaufbau jenes Ortes und jener Dinge, die vom Vergangenen Zeugnis ablegen – eine Rekonstruktion –, zum anderen bedarf es einer Annäherung und Aneignung derselben. Nur wenn das Damals materiell erscheint und ich mich gleichzeitig in ihm wiederfinden kann, lässt sich das Vergangene am eigenen Leib erleben und die Zeitreise wird möglich. Je genauer es ist und je näher ich ihm komme, desto glaubwürdiger scheint es im Gegenzug. Wenn Reenactments daher das Authentische einfordern, meint dies immer zweierlei: Erstens, dass die Dinge so sein sollen, wie sie waren, das heißt, dass sie so aussehen sollen, wie sie vorgestellt werden; zweitens, dass sie sich echt anfühlen, dass sie sich erleben lassen, man sich in sie hineinbegeben, man ihnen näher kommen kann. Das Vehikel zur Zeitreise ist wie im Historismus auch im Reenactment die Ausstattung. Die Geschichte zu wiederholen, heißt vor allem auch, dass sich die Dinge echt anfühlen müssen: Das sinnlich taktile Erleben der Ma-

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terialität von Leder und Metall lässt einen vormodernen Kultur-NaturZusammenhang jenseits von Plastik und Polyester erfahrbar werden. Die Materialität der Dinge, ihr manuell-taktiles Erleben aber ist nur die eine Seite der Medaille. In gleichem Maße muss das Verkörperte als das Gewesene wiedererkennbar sein, mit den Bildern von damals übereinstimmen. Nur das piktorale Faksimile lässt die Geschichte im Gegensatz zur bloß ähnlichen Fantasiewelt wieder auferstehen. Und erst diese Kombination aus materiell konkret und historisch korrekt erzeugt jene Authentizität, die das historische Erleben eines Krieges ohne Kugeln verbürgt. Denn eine Rekonstruktion ist nur in dem Maße möglich, als ein Wissen existiert, das möglichst wenig Interpretation bedarf: Neben der Distanz zu den Ereignissen braucht es die Verfügbarkeit der Bilder; jenes akkurate und konkrete Nachstellen des historischen Ereignisses, wie es Reenactments betreiben, bedarf der Medien erstens, um die Wiederbelebung zu ermöglichen, und zweitens, um sein Nachleben zu sichern. Denn es fällt auf, dass der Anspruch auf die Authentizität der Ausstattung eine entscheidende Ausnahme kennt: Der Feldrucksack aus dem 19. Jahrhundert enthält neben den Feldflaschen, -stechern und -betten von damals meist auch die Fotoapparate und Digitalkameras von heute – unbeanstandet auch von den heftigsten Verfechtern historischer Genauigkeit. Das Ereignis des Reenactments ist daher auch immer das seiner Reproduktion, der Anfertigung von Memorabilia und Zeugnissen des Geschehens. Es verkörpert alte Bilder und produziert im gleichen Atemzug neue Bilder, mit neuen Gesichtern in alten Uniformen, die dann neben denen von damals zu hängen kommen – und mehr als nur Posen enthalten: Die Erinnerung an gelebte Erfahrung. Das Bild und sein Erleben sind der zentrale Bezugspunkt des Reenactments, im Abgleich mit ihnen verkörpert sich der Hobbyist, und in ihrer Nachbildung vergewissert er sich seiner Erfahrungen. Geschichte taucht hier gerade nicht als narrative Sequenz protagonistischer Handlungen auf – auktorial arrangiert und bedeutungsvoll ausgestaltet –, sondern als ein kollektives Erleben räumlich/örtlichen Schlachtgeschehens: Im Nachstellen eines Bildes. Und so könnte man vielleicht in Anlehnung und Abgrenzung vom schauspielerischen ›Darstellen‹ die Praxis des Reenactments auf den Begriff des ›Nachstellens‹ bringen: Denn im Unterschied zum Vorstellen oder Ausstellen und Darstellen weist das Nachstellen auf einen Abstand, betont den Akt der Wiederholung und nicht die Vorführung. Der Begriff

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hat darüber hinaus den Vorteil, dass er sich in eine begriffsgeschichtliche Tradition einordnen ließe. Denn der vermutlich entscheidende historische Bruch in Darstellungsformen, der am Ende jenes Reformprozesses steht, der zur Institutionalisierung des klassischen Theatermodells geführt hat, wird im 19. Jahrhundert an der Unterscheidung von Darstellen und Vorstellen vollzogen. »Die Vorstellung des Menschen«, schreibt Iffland, »betrifft mehr dessen Aeußeres, bedarf etwas Schellengeklingel, das ist beinahe nur Manier, […]. Die Darstellung des Menschen betrifft das Innere desselben, den Gang der Leidenschaften, die hohe, einfache, starke Wahrheit im Ausdruck [...] – Das ist Kunst – eine Sache, kein Spiel, [...].« (Iffland zit. in: Münz 1992: 177)

Unterschieden werden soll so zwischen Jahrmarkts-Spektakel und der bürgerlichen Theaterkunst der Menschendarstellung. Das Darstellen bestimmt zu seinem Maßstab den wahrhaften Ausdruck von Innerlichkeit und erlangt seine gesellschaftliche Bedeutung vornehmlich als soziales »Übungsfeld« der bürgerlichen Gesellschaft (vgl. ebd.). Und diese funktionale Tradition erweist sich über weite Zeiträume als Konstante. Selbst dort, wo der Glaube an die Innerlichkeit von dezentrierten Subjektmodellen verdrängt wurde und die Darstellung von Rolle der Darstellung von Selbst Platz gemacht hat, bleibt Theater Übungsfeld bürgerlicher Subjektivität, wenn auch unter spielerischen, selbstreflexiven und problematisierendem Vorzeichen: Das identifikatorische (Rollen-)Spiel mit medialen Rollenbildern antwortet einer flexibilisierten Gesellschaft, die das Private und Intime hervorkehrt und dem Einzelnen den kreativen Selbstentwurf qua Selbstinszenierung im Angesicht der medialen Vorbilder abverlangt (vgl. Matzke 2005). Den gegen die Grenzsetzungen der Rollenzuschreibungen ankämpfenden Figuren im bürgerlichen Trauerspiel folgen die entgrenzten Rollenspiele der Performer. Subjektivität bleibt dennoch die zentrale, fast obsessive Bezugsgröße. 9 Und eben damit, der Tradition des Schau-Spiels, der Vorführung bürgerlicher Subjekte, hat das Reenactment vielleicht nichts mehr zu tun. Nachstellen lässt sich kein Selbst, kein Subjekt, keine Rolle – ob psycholo71F

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Das augenfälligste Zeichen dieser Subjektproblematik stellt sicherlich die auch von Annemarie Matzke hervorgehobene Bedeutsamkeit der Formel »I am« dar (vgl. Matzke 2005).

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gisch oder sozial –, sondern nur ein Bild: Eine räumliche Anordnung der Körper, die keine Geschichte hat, keine Motivation kennt und Handeln auf ein situatives Agieren reduziert. Der Maßstab des Nachstellens ist nicht die Vor-Schrift, sondern das Vor-Bild, nicht die Interpretation und der Abgleich mit der Gegenwart, sondern die Deckungsgleichheit und die Erlebbarkeit des Gewesenen. Wer etwas nachstellt, der lässt nichts gegenwärtiger erscheinen als es ist, er lebt vielmehr das Vergangene als Vergangenes. Er reflektiert nicht, sondern reanimiert. Er will keinen Eindruck bei einem Betrachter hinterlassen, er will selbst etwas erleben und Bilder von diesem Erleben in Umlauf bringen. Nachstellen heißt Oberflächen verkörpern, um sie dinglich werden zu lassen und im gleichen Atemzug zu verbildlichen. Daher auch die Fixierung auf den ›magischen Moment‹ der Zeitreise, den das Reenactment mit sich bringt, den ›time warp‹ oder ›period rush‹, der immer schon eine Form genuinen Medienerlebens ist und sich nicht auf Psychologie oder Physiologie reduzieren lässt (vgl. Otto 2012). Wenn performative Geschichtswiederholungen aber schon lange vor jeder künstlerischen Nicht-Wiederholung den rituellen Alltag und die symbolische Politik prägen und sich die Moderne auch dort beginnen lässt, wo diese Wiederholungen ihren verbindlichen Charakter verlieren, wo erst Ritter von Höflingen gespielt und dann Bürgerssöhne und -töchter von unausgelasteten Herzogen in Römerkostüme gesteckt werden, stellt sich abschließend noch einmal die Frage, was die spezifische Zeitgenossenschaft des Phänomens ›Reenactment‹ ausmacht. Wo liegt die Neuigkeit und damit der Bruch, der ja schon durch den Neologismus insinuiert wird? Schließlich setzt der Wunsch zurück, in ein haptischeres, kohärenteres und authentischeres Sein, der sich in ein historistisches und vormodern anmutendes Früher flüchtet, mit Anbeginn der Moderne ein (vgl. Lütticken 2005: 42). Was sich geändert hat, ist insofern weniger das ›Was‹ als das ›Wie‹ des Reenactments, das bislang Unübliche scheint eine spezifisch mediale und theatrale Praxis, die eine Differenz markiert: eine Praxis des Nachstellens, die sich von vormodernen und vorliterarischen Praktiken des Vorstellens ebenso abhebt wie von den modernen literarisierten Praktiken des Darstellens. Und diese medial-theatrale Praxis bringt nicht nur tendenziell neue Subjekte hervor, sondern ist auch mit einer spezifischen Zeitlichkeit verbunden.

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5. M EDIALISIERTE W IRKLICHKEITEN DES R EENACTMENTS »Ist das ein echter Ritter?«, fragte ein kleiner Junge, der mir gegenüber saß, als ein bärtiger und langhaariger junger Mann mit Kettenhemd, Schwert und Lederstiefeln den U-Bahn-Wagen betrat, und seine jüngere Schwester gab besserwisserisch zur Antwort: »Quatsch, die sind doch ausgestorben.« War der falsche Ritter also auch zu einem Kindergeburtstag unterwegs und war das Echte wirklich ausgestorben, die Differenz zwischen Poesie und Geschichte, die für Aristoteles so selbstverständlich ist, einer großen Simulation gewichen, in der man sozialistische Palastruinen durch Fassaden von Stadtschlössern ersetzen konnte. Oder war in diesem selbstgebastelten Kettenhemd, das er vermutlich in unzähligen Stunden in eigenhändiger Fertigung aus Tausenden kleiner Metallringe gestrickt hatte und das sich allein aufgrund seines Gewichts für den Einsatz in filmischen und theatralen Fiktionen als nicht geeignet erwies, doch eine Herausforderung an die Gegenwart enthalten? Jedenfalls blieb der Ritter irgendwie inkommensurabel in dieser UBahn, ein Fremdkörper, aus dem man schwerlich Sinn machen konnte. Er konnte an keine lebende Tradition mehr anknüpfen, und wäre er eine Erzählung gewesen, er wäre reine Unterhaltung geblieben. Aber er war keine Erzählung, und so ganz allein ohne seinen Mittelaltermarkt, der ihm einen Rahmen gegeben hätte, blieb er nichts anderes als ein leibhaftiger Anachronismus. Und er war keinesfalls der einzige leibhafte Anachronismus in diesem U-Bahn-Wagen: Ein Typ mit einem Nokia-Handy sah auch sonst sehr nach den 90ern aus, eine Frau, vielleicht auf dem Weg zum SwingWorkshop, schien aus den wilden 20ern entsprungen, die Frisur einer älteren Dame hätte fraglos im DDR-Museum Platz gehabt, und auch der Nazi im nächsten Wagon hätte eher eine komische Figur abgegeben, wenn er nicht so gewaltbereit gewirkt hätte. Und diese ganze Ansammlung von Anachronismen stieg am Ende aus einem Wagen aus dem 20. Jahrhundert aus, in einem Bahnhof der nach dem 19. roch. Der falsche Ritter war mit anderen Worten überhaupt nichts so Ungewöhnliches mehr, der urbane Raum schien nicht nur grundsätzlich von verschiedenen Kulturen, sondern auch verschiedenen Zeiten bevölkert zu sein, unsere Gegenwart überhaupt nicht mehr unsere und auch nicht mehr wirklich Gegenwart zu sein.

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Reenactments scheinen sich also nicht nur irgendwo da draußen in abgezirkelten Zauberkreisen abzuspielen, sondern sind längst metropolitane Alltagswirklichkeit geworden. Die Gegenwart scheint sich hier ganz konkret und zugleich grundsätzlich in eine Vielzahl koexistierender Vergangenheiten aufgelöst zu haben (die sich vielleicht nicht einmal mehr in einer gemeinsamen Gleichzeitigkeit synchronisieren lassen, sondern als nicht reduzierbare Ungleichzeitigkeit erlebt werden). Eine solche Zeitlichkeit aber hat nur noch wenig Platz für eine Zukunft, die in einem emphatischen Morgen residieren würde und nicht immer schon vergangen und ideengeschichtlicher Gegenstand wäre. An ihre Stelle und den vergangenen Ungleichzeitigkeiten gegenüber tritt eine endlose Gleichzeitigkeit, in der auch die Reste einer Gegenwart aufgegangen sind, die einst das Scharnier zwischen Vergangenheit und Zukunft bildete. Diese Gleichzeitigkeit lässt sich, anders als die Ungleichzeitigkeiten, weniger unter, als über der Erde beobachten, nicht in U-Bahnen, sondern auf Flughäfen, in denen die Science Fiction Romane des 20. Jahrhunderts architektonische Wirklichkeit geworden sind. Schon unten im Terminal, das ja sprachlich einen Endpunkt markiert, herrscht eine einzelne große weltüberspannende Gegenwart, und die Zukunft ist etwas, das immer schon dagewesen ist: »In the future...« heißt es 2014 in einer Kampagne von HSBC, die mit vorausschauendem Denken für business opportunities wirbt: »In the future, even the smallest business will be multinational«, oder auch: »In the future there will be no emerging markets left waiting to emerge«. Die chronologische Pointe der Kampagne ist ihr Refrain: »The future starts here. Be part of it.« Das klingt wie ein sehr fernes Echo von Robespierres: »Die Zeit ist gekommen, [...] und gerade Ihr seid es, denen die besondere Pflicht auferlegt ist, sie zu beschleunigen«, und zeigt, dass die Zukunft der Märkte auch ohne Vergangenheit auskommen kann. Angesichts dieser Gleichzeitigkeit, die sich aus der digitalen Echtzeit (also dem Potential jede Information vor dem Eintreffen der darauf folgenden zu verarbeiten) ergibt, verlieren auch politische Markierungen wie »progressiv« und »konservativ« an Bedeutung. Zeitgenössische Weltverhältnisse unterscheiden sich inzwischen scheinbar weniger darin, wie weit man (imaginierten) Traditionen verhaftet oder der Zukunft zugewandt ist,

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als darin, wie viel Lag 10 zwischen der individuellen Existenz und der gerade herrschenden Jetztzeit liegt. Eine Kostümierung in Geschichte, wie sie gegenwärtige Reenactments betreiben, sind ein Umgang mit dieser Echtzeit der digitalen (Aufmerksamkeits-)Märkte, die den Lag zelebriert und dabei doch online bleibt. Aus dem geteilten Delay gegenüber einer öffentlichen Echtzeit entsteht die Synchronisation in halböffentlichen Netzwerken des Ungleichzeitigen. Ganz im Gegensatz zum postmodernen Spiel mit den Identitäten, das in den 90er Jahren vom frühzeitig und vorübergehend ausgerufenen Ende der Geschichte begleitet wurde, geht dem Reenactment (das von daher vielleicht auf die Zeit nach dem Ende der Geschichte datiert werden muss) die Ironie ab. In dem Anachronismus, den das Reenactment kultiviert, steckt daher auch die Chance zu einer Verunsicherung der absoluten Echtzeit, eine Kontingenzinsinuation, die anderes und ein anderes Hier und Jetzt auftreten lässt (also ein anderes Heute als zeitgleiches Gestern statt eines besseren Morgen, das am teleologischen Ende eines auf den Kopf gestellten Hegelianismus auf uns wartet). Gleichzeitig birgt es aber auch die Gefahr, statt Luftschlössern nur wieder feudale Stadtschlösser aufzubauen und in der (Re-)Inszenierung nur vermeintlich ideologieenthobener Grabenkämpfe historische Identitätspolitiken wieder aufleben zu lassen, die längst überwunden gehoffte Heroismen, Machismen und Rassismen mit sich im Gepäck führen. 72F

10 Lag (engl. Verzögerung) ist eine erhöhte Verzögerungszeit in Computernetzwerken und Telefonanlagen. Diese tritt meist bei Problemen mit einer ServerClient-Verbindung auf, wenn Datenpakete zwischen den Teilnehmern einer solchen Verbindung unerwartet lange Zeit benötigen, um ihr Ziel zu erreichen. Streng genommen ist jedes übertragene Datenpaket von einer Verzögerung betroffen, da aufgrund physischer Einschränkungen eine verzögerungslose Übertragungszeit nicht möglich ist. Von einem »Lag« spricht man aber erst dann, wenn eine über die durchschnittliche Latenzzeit hinaus wahrnehmbare Verzögerung eintritt (https://de.wikipedia.org/wiki/Lag, 15.9.2015).

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DES

A NACHRONISMUS

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Nacherleben

Epistemologies of Rehearsal Crow Indianist Reflections on Reenactment as Research Practice P ETRA T JITSKE K ALSHOVEN A: »Scholars often don’t acknowledge that exchange has taken place [amongst different Native American tribes in the past], or that an individual simply may decide to do something different«. P: »So why can’t you yourself not do something different and create what you feel like creating? Why must you be faithful to a specific style?« A: »Because, otherwise, if you do too many things that depart from a style, people won’t be able to recognize a pattern in your work any more«. P: »And why must such a pattern be recognizable?« A, smiling: »Because pulling it off shows the knowledge you have of the style. With this knowledge, you can outdo others«. (INTERVIEW, JULY 2003, GELDERLAND, THE NETHERLANDS)

During my anthropological fieldwork on the phenomenon of ›Indianism‹, a particular expression of a European fascination with traditional Native American material culture, I met a flamboyant man in the Netherlands who engaged me in a conversation that brought out a number of themes that I wish to explore in this paper. I had contacted Dutch replica-maker and chimney sweep André to discuss his fascination with Native American cultures, which he nourished through visits to ethnology museums and to North America and expressed in paintings and in replication of Native ma-

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terial culture – expert Crow bead and quill work in particular. It turned out that André was interested in South American feather work as well, as he was in Dutch everyday histories. Fashioning replicas, such as a Crow head dress, he explained, led him to consider why artifacts had been made in a specific way, and who had the right to wear which items, questions that encouraged him to wonder about wider-ranging themes, such as the history of textiles; where, for example, did the terminology in the British wool industry come from? Within the context of ›the Indian‹, André was particularly interested in the Crow (or Absaroka in their own language), a people of the Northern Plains, with a rich tradition in bead designs featuring colour settings with symbolic associations. He was recognized by fellow-enthusiasts as an excellent replica-maker and appreciated for his knowledge, craft, and flair by curators as well – the head dress he had fashioned had been commissioned for an exhibition at the Ethnology Museum in Leiden. As transpires from the conversation fragment above, however, André was critical of professional scholars of Native America, curators in particular, an attitude that I encountered often amongst my Indianist discussion partners. In this paper, I wish to explore amateur epistemologies as these emerge in Indianist contexts, more often than not in empirical and discursive competition with professional epistemologies. I suggest that Indianism, as a quest for knowledge, provides a comparative framework for reflection on contemporary anthropology as an affiliated project of inquiry that steers clear of replication.

I NDIANISM :

PRACTICES OF REPLICATION AND EMBODIMENT The ›Indian hobby‹, or, in more scholarly-sounding terminology embraced in particular by practitioners who wish to emphasize its heuristic aspects, ›Indianism‹, is an amateur engagement with re-imaginings and reifications of a North American Indian ›Other‹ that involves crafting replicas of clothing and artifacts as well as re-enactment of slices of Native American eighteenth- or nineteenth-century life by Europeans dressed in home-made Woodland or Plains Indian outfits. It is practiced in many European coun-

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tries in varying numbers and in sometimes rivaling, often transnational networks that differ in their approaches and ambitions. 1 Some privilege fun and sociability in the Indianist present, others emphasize the importance of dedicated study of remnants of Native American material culture, but all are interested in honing skills of replication. In 2003 and 2004, I carried out multi-sited fieldwork amongst Indianist groups and reenactors in Germany, France, the Netherlands, Belgium, and the Czech Republic. 2 Additional encounters with Indianists in the United Kingdom took place in 2008-2010. My fieldwork experience will provide the principal data for a conceptualization of Indianist replica-making and reenactment as embodied practices with their own local traditions and dynamics. Rather than approaching this phenomenon as just another European flirt with neo-primitivism, I will argue that Indianism, as an amateur engagement, parallels similar epistemological quests in professional, academic circles – but from a rather different methodological angle, predicated on replication. Indianism is a strikingly mimetic expression of a more general European fascination with North American Indians. It is a deeply thing-centered pursuit: in replicating objects and using replicas in reenactment Indianists rehearse gestures that are sedimented in the body over time. It is through these gestures and replicas that role models’ expertly imagined lives are meant to be captured and re-experienced. In its thingness, Indianism is unlikely to be immediately associated with a social science project – and yet it resonates with the experimental and experiential roots of anthropology itself. In a study of instances of embodiment in nineteenth-century museum ethnography, Gwyneira Isaac (2010) describes how early anthropologists such as Frank Hamilton Cushing and Franz Boas engaged in reenactment of Native American practices with the aim of exploring the ›inner life‹ of Native people. Their experiments involved dressing up, craftwork, skills such 73F

74F

1

Estimates of numbers of European Indianists vary. Several thousands of Indianists (between ten and twenty thousand according to Feest [2002: 31]) are active in Germany, where hobbyists are neatly organized in clubs and umbrella organizations and thus easier to trace than elsewhere.

2

The Indian hobby is practiced in North America as well: see Deloria 1998, in particular Chapter 5 on ›Hobby Indians‹. For a full ethnography of Indianism in continental Europe, see Kalshoven 2012.

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as fire-making and flint-knapping, and striking poses to mimic dance postures. 3 In experimenting thus, Isaac argues, they tried to move »beyond Cartesian dualities of mind/body and subject/object« which led them to be criticized in the scientific community of their time. 4 In a comparison of early embodied practice in anthropology and amateur reenactment, drawing on Isaac’s piece, Anja Dreschke emphasizes the scientific community’s fear of losing control by ›going native‹ and suggests that, in fact, both hobbyists and scholars operate »zwischen Labor- und Feldforschung« (2013: 49). I will elaborate on this idea below by bringing out the element of ›rehearsal‹ in relation to the experimentation that underlies both amateur and scholarly practices of embodiment. Unlike Cushing or Boas, European Indianists have no role models at hand to mimic or to practise with because most of them are interested in past Native life worlds that can be accessed only through various forms of inscription made at the time of emulation, through the imagination, and through Indianists’ own acting out. Indianism usually takes place in the absence of ›real Indians‹, although some networks make a point of inviting Native guests to their summer camps, and individual Indianists may feel inspired or encouraged by Native Americans or members of First Nations with whom they are on friendly terms. From a scholarly perspective, the hobby has been criticized for fixing the admired role model in an immutable, nostalgically contemplated past (e.g. Green 1988; Carlson 2002). Indianism is indeed tainted with colonial associations that, perhaps ironically, 75F

76F

3

Cf. also Bieder 1980 on early anthropologist Lewis Henry Morgan’s establishment and membership of ›The Grand Order of the Iroquois‹, a secret society that involved dressing in Indian costume and performing Indian dances, but also activism on behalf of the Iroquois. A desire to improve the society’s knowledge base led Morgan to engage in collecting ethnographic evidence amongst the Iroquois.

4

Isaac 2010: 25; cf. Clifford, in his essay on what constitutes ›ethnographic authority‹, on Cushing as an »oddball« (1983: 121). »Cushing’s intuitive, excessively personal understanding of the Zuni could not confer scientific authority« (ibid.: 123). Cf. also Performance Studies scholar Rebecca Schneider’s study of historical reenactment, in which she suggests that scholarly critiques of historical reenactment as privileging the ›affective‹ and ›visceral‹ rather than the ›analytical‹ betray an alliance to a Cartesian mind-body dichotomy (2011: 33-39).

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are an object of inquiry and a matter of concern to practitioners. 5 My emphasis here, however, will be on the epistemological and performative aspects of Indianism as a quest for knowledge that needs to be executed in methodologically correct ways – first and foremost, Indianists are history enthusiasts who strive to become good or better at understanding material worlds from the past through moments of re-experiencing (nacherleben). They engage in practice-based research drawing on ethnographies of North American Indians (including Robert Lowie on the Crow), travel diaries, paintings and photographs, how-to books, faraway landscapes, and role models that populate different temporalities and localities, including imaginary realms. Amongst these role models, an important, emotionally charged part is reserved for professional scholars of Native material cultures, in particular museum curators. Indianists are regular and critical customers of ethnology museums (and, increasingly so, their virtual equivalents on-line) and strive for close-up engagement with the artifacts they seek to emulate. The ideal is to produce work that fits a specific style without constituting a straightforward copy. The latter is frowned upon for two reasons: it might infringe upon intellectual property rights of the Native individual or family that owned the design, and it shows a lack of easy mastery and pattern recognition achieved through years of practice – the kind of mastery André delighted in. Replication on the level of the artifact, then, is a matter of emulation: by incorporating the appropriate gestures, the craftworker becomes able to add new, original, specimens to the style rather than replicate it as closely as possible. Indianists often refer to their practice as a form of amateur ›ethnology‹. 6 With its object beyond the reach of participant observation, Indianist exper7F

78F

5

In eastern Germany in particular, some Indianists combine their historicallyfocused hobby with membership of support groups that contribute to projects empowering contemporary Native American communities. One of my discussion partners in western Germany, a provocative and outspoken individual, told me that he felt uneasy dressing up in outfits belonging to other people’s heritage. Giving up his hobby, however, would be simply too high a price for him to pay. Life is full of contradictions, he declared, and we all need to live with these, Native Americans included.

6

Cf. Dreschke’s ethnography of a carnival reenactment troupe in Cologne whose members conceive of their practice as ›Amateur-Ethnologie‹ (2013: 51).

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imentation is reminiscent of other methods of accessing the past such as experimental archaeology (Stone and Planel 1999; cf. Gündel 1999: 72) or historian R.G. Collingwood’s ›imaginative reenactment‹ (1946). Collingwood, however, conceived of imaginative reenactment as a process happening in the mind rather than on a dressed-up body acting out. The reenactment that occurs in Indianism is an intensely physical process involving all the senses as Indianists use their bodies as exploratory tools, both in craftwork and in collective performances – bodies that move by no means separately from but rather in intimate response to research data and to collective and individual imagination. In Indianist practice, imaginings of Native American role models, given shape through dedicated research and literally incorporated (cf. Connerton 1989) through years of periodappropriate action, find a conduit for expression on knowledgeable frames, as the Indianist body becomes a vehicle of and for replication.

C ROW I NDIANIST

PRACTICE : ON RIGOUR , AESTHETICS ,

AND NARRATIVE In my fieldwork amongst Indianists, I met a number of particularly knowledgeable and artistic individuals in Germany and the Netherlands, André amongst them, who shared an interest in replication of Crow material culture and combined experience-based opinions about professional engagement with Native America, in particular about museum practice, with nuanced reflections on their own practice as quite independently operating Indianists. 7 Indianism is a hobby that allows for exploration of wide-ranging interests, and its practitioners have compared the diversity within the hobby 79F

7

In Germany in particular, Indianists tend to be members of clubs (Indianistikvereine) that are governed by a code of conduct and a specific form of sociality and that, in very practical terms, enable access to annual tepee camps. In the other countries I visited, the hobby tended to be less formally organized. Factors in attracting individuals to reenactment of Crow material culture may lie in the Crows‘ historical entanglement with the American army; in the specificity of Crow aesthetics; and in the openness that Crows have shown in sharing contemporary culture with powwow visitors.

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to the diversity evident in their model of emulation, viz. the rich variety of North American Native cultures. My focus on this group of Crow Indianist individuals, who were aware of and in friendly competition with one another, will allow me to highlight the hobby as a transnational phenomenon that connects people who operate not only within Indian hobbyist structures, but dwell in public and professional arenas of fascination with Native North America, and in Native North America itself, driven by a passion for aesthetics and story-telling. Their experiences as Crow Indianists will provide the ethnographic material for my inquiry into the tense interrelations between amateur and professional epistemologies in the study of Native American material cultures. When I visited André in his quiet hometown in the eastern part of the Netherlands, a half-beaded moccasin lay on the table: a commission for a collector from France who had included a photograph for him to work from. André explained to me that he would adapt the number of horse shoe motifs and quill lines in proportion to the moccasin’s size, but that playing with colours would be tricky since the moccasins could all too easily resemble Blackfoot styles, whereas the challenge was to make them look recognizably Crow – it was all about outdoing others in one’s mastery of a particular style, as he had emphasized before. André hastened to add that this kind of work related only to the visible aspects of his interest in Native America – the hobby included much more. He emphasized that he differed from many fellow-Indianists in that he rejected their assumption of a distinct rupture between Native American traditions and Native American contemporary life. Instead, his conception of change was one of gradual development. Native American modernity, he suggested, had a lot to offer to a hobbyist prepared to listen and pick up on stories that could be more eloquent in bringing a place alive than the most sophisticated piece of antique craftwork. He had visited the United States many times and was on very good terms with a number of Crow families. André used to do a lot of reading on Native cultures, which had led him to branch out into other areas – at the time of our meeting, he was reading a study of seventeenth-century Holland. His interest in the North American Plains was expressed in portrait painting and replica-making, and in occasional visits to summer camps in Germany and Belgium. André worked for a few select customers in creating Crow, Cheyenne, and Lakota replicas, but his personal interest was firmly in Crow material culture from the peri-

200 | P ETRA T JITSKE K ALSHOVEN

od 1890-1900. He particularly enjoyed figuring out how unusual artifacts were made, and by way of an example he showed me a head ornament fashioned from strands of bison hair, held together by white dots, which he had recreated on the basis of a photograph that mentioned they were ›matted together‹. These were in fact, he showed me, three tresses sewn together, a solution that had taken some reflection and experimentation on his part, a way of proceeding which he associated with experimental archaeology. André elaborated on the distinctive colour settings in Crow bead and quill work that he found particularly intriguing and pleasing (cf. Kalshoven 2010) and that informed his own Indianist and artistic practice. Aesthetics played an important role in his singling out of Crow material culture, and he kept in contact with expert replica-makers concentrating their efforts on the Crow, both to enhance his own practice and for the sheer pleasure of exchanging insights with respected peers who shared his passion for Crow designs. 8 One of these was a man nicknamed Professor Crow for his meticulous, thoroughly researched approach to his practice of crafting. Professor Crow, a university librarian in Freiburg, took great pleasure in nineteenth-century Crow patterns, as he did for that matter in the colour settings of De Stijl, the art movement associated with Dutch painter Piet Mondrian. Like André, Professor Crow was considered an artist rather than a straightforward ›bricoleur‹ (Bastler) by fellow-Indianists, but also a difficult man to socialize with – Professor Crow became an important discussion partner throughout my fieldwork with a critical, sometimes acerbic perspective on the Indian hobby, which he chided for its lack of rigour in ›correctly‹ representing specific nineteenth-century clothing styles. There was no naiveté in his conception of what ›correct‹ might imply: All we can realistically do, and must do, he insisted, is try to recreate to the best of our abilities a historical photograph of the period that interests us – a photograph that may well be, he acknowledged, a staging to begin with, as in American photographer Edward Curtis’s portraiture of Native Americans. Sloppiness in executing this task of representation irritated him deeply and interfered with his expe80F

8

Another Dutch replica-maker I met with a special interest in Crow aesthetics had been mentored by André; just like André, he was deeply interested and involved in contemporary reservation life.

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rience of aesthetics – he had decided no longer to participate in hobbyist sociality in camp settings, but since he enjoyed displaying his knowledge and know-how in competitive arenas, just like André, Professor Crow was active on on-line fora where he could discuss patterns on rosettes or horse hair quilling with experts in Europe and the United States – many amongst these hobbyists, with some having ›crossed over‹ into professional realms. In fact, Professor Crow himself maintained close contacts with professional scholars of Native American material culture as a recognized expert and a published author of a study of Crow beadwork (Barth 1993). Just like André, he had contributed to museum exhibitions on Plains Indian material culture, providing samples of stitches and fitting out a horse mannequin in appropriate Crow regalia. Professor Crow’s views on scholarly approaches to Native American material culture were more forgiving than those expressed by André in the opening quotation, as Professor Crow felt that curators were expected to have an overview of cultural realms rather than the detailed knowledge of a specific style which he expected to be embodied by the best craft workers in the hobby – but then he felt some curators disdainfully missed out on opportunities to consult these craft workers, resulting in exhibitions riddled with mistakes. 9 During an Indianist club weekend on the Baltic Coast in 2003 I met Harald, the author of a series of published stories about his experience with Indianism in eastern Germany, who gave me a very different account of the key objectives of Indianism. Beige sports socks peeped out of his moccasins – historically appropriate dress was no longer among his priorities, even though he had been intensely involved in studies of Crow patterns during his early years in the hobby. He invited me to his idyllic farmhouse, where a wooden fence was meant to attract toads and a herbal garden boasted a wealth of indigenous species. Tepee poles rested against a tree, and three pinto ponies curiously approached us as we crossed the meadow. Harald showed me the pattern books he had put together in the early stages of his Indianist involvement, in striking colours, based on painstaking museum research. 81F

9

For the story of another highly knowledgeable and artistic Crow Indianist with a knack for painting water colours and a dislike of ivory-tower museum curators, a German friend of André and an admirer of Professor Crow, see Chapter 4 in Kalshoven 2012 on the Kitoki Chief.

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His interest, however, had shifted to narrative, and in particular to the role of Coyote in Crow mythology, which he felt resonated with the European trickster figure of Reynard the Fox. 10 Indianism, he insisted, is alive only when people tell stories, not when they content themselves making replicas. One of the protagonists in his 1999 book offers advice to an aspiring Indianist, which many of my discussion partners in eastern Germany in particular felt to be very sensible 11: »›Versuche, in diesem Hobby nie ein Wissenschaftler zu sein. Wenn wir alles entmythologisieren, sind wir zwar gute Wissenschaftler, aber was bleibt uns dann noch vom Hobby, von den Idealen und unseren Träumen übrig?‹« (Gündel 1999: 41). During my visit, Harald suggested that evidence presented by anthropologists (Ethnologen) needed to be approached with caution as it was bound to be a product of their specific methodology – many early anthropologists, for example, had access to male discussion partners only. He related an anecdote meant to bring out the ironies in scholarly inquiry intent on discovering ›meaning‹: »An Indian sports a square on his shirt. The anthropologist asks, What is the meaning of this square? The Indian answers, I had a hole in my shirt«. In his own practice, Harald had decided to abandon what he considered a ›strictly scientific‹, literature-based approach, preferring to experiment instead. He was critical of ›Krümelbäcker‹ in the hobby who pointed their finger at mistakes by referring to bookish knowledge. People had become ›verbissener‹ with increasing access to sources, but, he suggested, this attitude actually prevented the hobby from coming genuinely alive. Harald felt it was much more interesting to further and to write stories about a Mischkultur or Zwischenkultur somewhere in between German and Indian cultures, by adapting the emulated model in a way that would be meaningful to Indianists’ contemporary lives. Indianists came into the world, he suggested mischievously, when Coyote visited Europe and became acquainted with a few women there. A similar view of the limitations of academic epistemology was expressed by several other German and Dutch Indianists. Ironically, academics and museum professionals critique Indianist practice using closely relat82F

83F

10 The trickster Coyote, André reminded me, is a fascinating figure: Coyote created the world, but he is constantly tricked in turn by mere mortals. 11 For the more idealistic approach to Indianism associated with eastern Germany, as opposed to other European settings, see Kalshoven 2012.

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ed terms: they tend to associate hobbyism with a narrow factual and objectoriented focus, which is seen to lack a feel for contemporary Native American politics, power relations, and change. Moreover, professionals tend to consider Indianist staging and physical engagement with their object of study analytically problematic and heuristically inferior as such. These misunderstandings and misgivings are part of an on-going discourse that is not devoid of pleasure: hobbyists enjoy curator-bashing, and curators enjoy hobbyist-bashing, I was told on several occasions. Interestingly, however, one of the fellow-Indianists in Harald’s club was an academic in a department of Native American Studies herself, who had been active in the hobby for twenty years. As a result of her professional scholarly engagement with Native America, she nowadays participated in events in a more restrained manner. Her role, she told me, was to remind club members that Native cultures are living cultures. Cultural exchange, she said, had been going on in North America well before first contact; insisting on one correct interpretation, as some hobbyists would, meant negating this whole process. Her experience as a hobbyist, in turn, allowed her to answer student questions on material culture in the informed manner of someone who had actually tried out pitching a tepee or dying porcupine quills. She emphasized that her club made an effort to invite Native people – interaction with Natives, she suggested, improves and broadens knowledge, because it makes Indianists aware of the diversity that exists in a modern American context. When I participated in the club weekend on the Baltic Coast, an Indianist from western Germany was visiting his girlfriend at the camp. Jens was interested in Cheyenne, Lakota, and Crow cultures and had replicas on display in several exhibition spaces, which he appreciated rather differently according to the level of care extended to original artifacts and the detailed knowledge, or lack thereof, expressed in labeling. He had studied graphic design at the Institute of American Indian Art in Santa Fe and had a keen interest in contemporary Native cultures. Jens also took great pleasure in recreating nineteenth-century beadwork within stylistic bounds, taking care to source appropriate materials. Expertise grounded in practical and theoretical study of his areas of interest was of major importance to Jens as he was looking to turn his know-how and interest into a professional occupation by leading workshops and visiting schools. Moreover, in conjunction with his insistence on thoroughly researched replication, he had taken initiatives in using his knowledge to propose innovations in the hobby’s dynamics, in a

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bid to create meaning in the present. At the 2003 Indian Week, the major annual Indianist event in eastern Germany, Jens was instrumental in launching the Northern Dog Soldiers, a new warrior society meant to provide a boost to a struggling Indian hobby in northern Germany, 12 which had been introduced as ›eine erdachte, imaginäre Gesellschaft‹ that could have existed as such on the nineteenth-century Plains. 13 The new society sported pieces of clothing from the American cavalry, items meant to create, as Jens explained, a plausible ›Entstehungsgeschichte‹: the society was supposed to have come about through a ›Beutezug‹ against the whites and their allies, the Crows – which also meant that, in this particular warrior society, Jens was not able to portray a Crow (which would be historically inappropriate) and focused on a Cheyenne role model instead. 84F

85F

C ONCEPTIONS

OF TEMPORALITY IN I NDIANISM

In the examples of Indianist practice and discourse selected above, some insights transpire as to how my discussion partners situated both the Native American model of emulation and the hobby in terms of temporality. I use ›temporality‹ as understood by Olivia Harris, »a distinctive way of representing the relationship between past, present and future« (1996: 3). Harris’s definition of temporality features in a discussion of ›tradition‹ as an anthropological concept that has changed over time and that has become subject to irony in postmodern writing. The modernist approach to tradition described by Harris is one that conceives of traditions as being situated in a past that shows rupture with modernity. Many of my discussion partners in the Indian hobby would indeed conceive of Native American traditions as having undergone radical transformation, and of their hobby as a means to hark back to the time before such transformation, bringing past traditions to life either by portraying these as faithfully as possible or by adapting these to their modern European life worlds. I would like to suggest that André,

12 During my fieldwork on the continent in 2003-04, the Indian hobby was said to thrive in eastern European countries but to struggle in terms of recruitment in some western areas. 13 www.northerndogsoldiers.de, accessed 3 November 2014.

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Professor Crow, Harald, and Jens, in their discourse on Native American craft and story-telling, allowed for change as being inherent in concepts connoting temporality, such as the concept of tradition, without couching it in irony – an approach that was also embraced by the Native American Studies scholar-cum-hobbyist I met on the Baltic Coast, an attitude to which we could perhaps refer as post-postmodernist. Most of my Crow discussion partners were also interested in contemporary Native life. As to their practices of replication, André and Professor Crow delighted in a rigorous approach to crafting and representing couched in long years of experimentation and relentless rehearsal grounded in historical examples that might some day culminate in a satisfying, unique replica or performance, while Harald believed that Indianism should be a matter of story-telling loosely inspired by Native American tropes. Jens combined a rigorous practice of expert crafting firmly based on historical models with innovative interventions in Indianist history-making-in-the-present. Resonances with contemporary Indianist life and with European history and material culture were a source of inspiration to all. Indianist action, I suggest, moves in time in a forward- rather than backward-looking fashion, albeit with different intentions: participants may experiment with a design or run through a scenario based on a previous (historical) model with the aim of getting it right next time, or they may attend to the experience in the present with the aim of making a new model come into being in the here and now, in a deliberate move away from the model of emulation. These different interpretations imply a different stance towards ›past presencing‹ (Macdonald 2013). In their views of the ›academy‹, some of my discussion partners conceived of scholarly approaches to the past as being arrested in a modernist, positivist framework with emphasis on bookish knowledge, without adequate attention being paid to change and exchange. Some frustration regarding the prestige associated with professional scholarship was palpable. Most of the Crow Indianists that I met had been directly involved with museum practice and were critical of factual mistakes, for example on labels, that could have been prevented by consulting specialists in the hobby.

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E THNOGRAPHIC

AUTHORITY : MERITS OF REHEARSAL

So what are the commonalities between Indianism and contemporary anthropological practice, if any? The ultimate goal in Indianism is to try to recapture everyday life. The most dedicated Indianist craft workers strive for rare moments when, in making appropriate gestures using expert replicas, Indianist and Native American temporalities collapse. Underlying each Indianist action, however, is the awareness that this is all about experimentation and trying out rather than about straightforward everyday reality. And yet, participants dress up and act out and keep acting out, rehearsing choreographies or patterns of stitches in an attempt to experience what a Native American might have experienced in another time elsewhere. For the most dedicated Indianists, this is a serious and morally charged project that shares anthropology’s commitment to making the unfamiliar and familiar commensurate in a process of cultural translation. James Clifford has suggested that, in ethnographic practice, it is participant observation that »obliges its practitioners to experience, at a bodily as well as intellectual level, the vicissitudes of translation« (1983: 119). But in the case of Indianists, such experience occurs without any direct participation or observation. In its constant referencing of other, distant, even imaginary realities, Indianism falls into the category of the ›rehearsal‹ that Erving Goffman distinguishes in his study of human communication, Frame Analysis (1974: 48). Goffman was interested in processes of transcription by which »a given activity, one already meaningful in terms of some primary framework, is transformed into something patterned on this activity but seen by the participants to be something quite else« (ibid.: 43-44), a transformation that he called ›keying‹. A rehearsal, then, is a particular form of keying where activities are performed not in order to achieve their usual purpose in that particular moment, but in order to practice and prepare for a moment when this purpose may finally be achieved – a purpose that, in Indianism’s referencing of another world, never actually reaches fulfillment as this other world remains stubbornly elusive. And yet, another purpose is achieved in the constant rehearsal that is Indianism: a competence or a mastery that has purchase within Indianism as a world in itself where prestige may be achieved on the basis of specific competencies, acquired through years of practice – a prestige that may result in recognition in a professional realm,

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as we saw to be the case with several of my Crow Indianist discussion partners. Goffman includes participant-observation in his instances of keying, categorizing it under ›regrounding‹, »the performance of an activity more or less openly for reasons or motives felt to be radically different from those that govern ordinary actors« (ibid.: 74-75). In his essay on ethnographic authority, Clifford discusses four consecutive modes of authority that have held sway within the discipline of anthropology, grounded in participant-observation: the experiential, interpretive, dialogical, and polyphonic modes, which continue to be »available to all writers of ethnographic text« (1983: 142). Underlying all these modes, I would like to suggest, are rehearsals that must be performed both within the ethnographic field situation (in an attempt to acquire mastery in the eyes of the local people with whom the ethnographer engages) and, in textual or visual format, in the professional world of anthropologists ›outside‹ the field: successful rehearsals, both during and following participant-observation, bestow authority on ethnographers once they rejoin the ›primary framework‹ of academic life. It is this work done in rehearsing, I suggest, that provides a link between Indianists, early anthropologists ›acting out‹, and contemporary ethnographers. What distinguishes Indianism from the latter two groups of practitioners is, firstly, a lack of coevalness with the ethnographic ›other‹ and, secondly, an absence of ethnographic text. What distinguishes the former two groups from contemporary ethnographers is the emphasis on incorporation rather than inscription (Connerton 1988), resulting in the production of material artifacts. Indianism never arrives at the ethnographically required »final representative text« (Clifford 1983: 132) – but it does arrive at replicas, and this is where I suggest Indianism may claim some ethnographic authority, albeit temporally displaced. Indianist research explores social relations (both Indianist relations in the present and Native American relations in the past) through specific things. ›Things‹ are indispensable in Indianist mimesis. Expert engagement with appropriate materials is embraced as a tactile entry into a fascinating, different, materially accessible past (cf. Daugbjerg 2014 on the importance of ›touch‹ in reenactment). Some scholars consider Indianists, and reenactors more in general, epistemologically suspect because of the sheer materi-

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ality of their practice. 14 But this is changing. In fact, the Indianist practice of embodiment, of going through the motions of crafting and staging, of using the body as the locus of experience, resonates with a renewed scholarly interest in skilled human engagement with a world of ›things‹ from both a heuristic and an epistemological perspective. Phenomenologically-inspired anthropological approaches to the body, skill, and technology come to mind (e.g. Ingold 2011, 2010, 2000; Cain 2010; Marchand 2010; Harris 2007; Ingold and Hallam 2007; Csordas 1993), as do studies of skilled performance inspired by the affective turn (e.g. Reynolds and Reason 2012; Küchler and Were 2009). Moreover, recent studies of historical reenactment, a practice that shares many similarities with Indianism, embrace the affective turn in an attempt to arrive at a deeper understanding of what makes practitioners dress up and act out. Emotion and affect, as catalysts in performance, may be mined for their epistemological potential. Exploring the tensions between realism and affect, historians McCalman and Pickering (2010) present a collection of papers on historical re-enactment and its roots, stating in their introduction that »taking reenactment seriously as a methodology is worth the risk« (McCalman and Pickering 2010a: 13; cf. Daugbjerg 2014; Schneider 2011; Agnew 2009). An ethnographic approach to knowledge construction in Indianism that pays attention to heuristic merits of embodiment and materiality, I have suggested, can achieve more than this. As a practice that holds up a mirror to anthropology, both from a historical perspective and in terms of the discipline’s recent emphasis on apprenticeship and artisanal skill (e.g. Marchand 2010; Herzfeld 2007), Indianism enables a comparative perspective on professional and amateur modes of inquisitive engagement with unfamiliar realities. These modes of engagement are not straightforward in practice nor are they discursively transparent. As became clear, relations between Indianists and museum professionals tend to be rather ambivalent, partly because of misunderstandings on both sides concerning the epistemology of the other. What is more, Indianists disagree amongst each other about the correct ways of practicing the hobby, which leads to rows and schisms (cf. Kalsho86F

14 Which is something Indianists themselves struggle with – wearing replicas on the body-surface must be accompanied by ›deep‹ knowledge of their making. Cf. Miller’s ideas on the prevalence of depth ontology in western epistemology, e.g. Miller 2005.

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ven 2012, Chapter 4). As they invest themselves bodily, imaginatively, and emotionally in the models they seek to recapture, they are, sometimes painfully, sometimes amusedly, aware of the ironies and compromises inherent in their practice of replication, on which they will reflect with gusto. As the protagonist and I-figure ›Rabe‹ suggests in Harald Gündel’s book of Indianist stories: ›Die Indianistik ist eine Idee Coyotes. Ob mir das einer glaubt?‹ (Gündel 1999: 209). Acknowledgements This research would not have happened without the generosity of my discussion partners, who passionately shared their time, knowledge, stories, and jokes with me – I owe them many thanks. Financial support during my doctoral and postdoctoral research and fieldwork came from a variety of sources: I wish to express my gratitude to McGill University, Montréal (McGill Graduate Studies Fellowships, J.W. McConnell McGill Major Fellowship), to the Fonds québécois de la recherche sur la société et la culture (Doctoral Fellowship), and to the Social Sciences and Humanities Research Council of Canada (Internal Research Grant, and Postdoctoral Fellowship held at the University of Aberdeen, 2007-2009).

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Nacherlebte Fiktion Literarische Ortsbegehungen als Reenactments textueller Verfahren R APHAELA K NIPP

Dublin im Juni 2014: In einer Nebenstraße im nördlichen Teil der Stadt versammelt sich eine ungefähr fünfzehnköpfige Gruppe vor einem relativ schlichten Backsteinhaus. Einige der Personen tragen edwardianische Kleidung. Ein junger Mann, der eine etwas ausrangierte Ausgabe eines Taschenbuches in den Händen hält, blickt in die Runde und erklärt mit einem Augenzwinkern: »You are now standing on holy ground, because this is Eccles Street, the home of Leopold Bloom.« Während einige der Personen aus der Gruppe erwartungsvoll die Umgebung betrachten oder die Straße und das Haus fotografieren, in der bzw. vor dem sie sich befinden, schlägt der junge Mann das Taschenbuch an einer zuvor markierten Stelle auf und beginnt eine längere Passage daraus vorzulesen. Danach wendet er sich erneut an die Gruppe mit folgenden Worten: »We will now head on to the city centre and follow Bloom’s footsteps, as he crossed the city on the 16th of June in 1904.« 1 Die hier beschriebene Szene gibt einen kurzen Ausschnitt aus einer Stadtführung mit dem Titel »In the Footsteps of Leopold Bloom« wieder, 87F

1

Beschreibung nach von mir angefertigten Feldtagebuchnotizen vom 11. und 12.06.2014.

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wie sie regelmäßig, vor allem aber am sogenannten Bloomsday 2 in Dublin durchgeführt wird. Der Stadtrundgang wie auch der Bloomsday basieren dabei auf einem rein fiktiven Geschehen, nämlich James Joyces 1922 erstmals vollständig erschienenen Roman Ulysses. Darin schildert Joyce genau einen Tag, den 16. Juni 1904, im Leben des Kleinbürgers Leopold Bloom sowie seines Alter Egos Stephen Dedalus, die sich durch die Straßen Dublins zu Anfang des 20. Jahrhunderts bewegen. Gegenwärtig folgen Leser 3 des Romans – und zwar nicht in geringer Zahl – genau diesen, nach dem Romantext topographisch exakt verortbaren Wegen und Routen der Protagonisten durch die heutige Stadt, z.B. in Form von oben beschriebenen Führungen. Dabei suchen sie einzelne Handlungsschauplätze aus dem Buch auf, lesen oder spielen Szenen vor Ort nach und tragen teilweise auch zeitgenössische Kostüme. Was diese Praxis der ›literarischen Ortsbegehung‹ anbelangt, handelt es sich im Falle von Ulysses jedoch um kein Einzelbeispiel. Denn auch an anderer Stelle setzt Literatur bzw. ihr geographischer und topographischer Kontext Leser buchstäblich ›in Bewegung‹: In Lübeck etwa folgt man den Spuren der fiktiven Buddenbrook-Familie (aus dem gleichnamigen Roman von Thomas Mann, 1901) und hat dort sogar ein Haus entsprechend der Beschreibungen im Buch eingerichtet, 4 in Dresden begehen Leser das in Uwe Tellkamps Roman Der Turm (2008) beschriebene Villenviertel ›Weißer Hirsch‹ und rekonstruieren dabei die Wege der Protagonisten, und im Bereich der populären Literatur sind es z.B. die Bücher Angels & Demons (2000) und The Da Vinci Code (2003) von Dan Brown, aufgrund derer Leser nach Rom oder Paris reisen und die Städte anhand der ThrillerHandlung erkunden – die Reihe der Beispiele ließe sich problemlos erweitern. 8F

89F

90F

2

Der Bloomsday wird jedes Jahr am 16. Juni in Dublin und Umgebung gefeiert. Mittlerweile handelt es sich dabei um ein vielseitiges Literaturfestival mit zahlreichen Joyce- und Ulysses-bezogenen Aktivitäten wie Lesungen, Rundgängen, Straßentheater, etc.

3

Obwohl aus Gründen der Lesbarkeit im Text die männliche Form gewählt wur-

4

Im Museum ›Buddenbrookhaus‹ in Lübeck, in dem sich die Romanhandlung

de, beziehen sich die Angaben auf Angehörige beider Geschlechter. überwiegend abspielt, finden sich seit 2000 zwei nach den Beschreibungen von Thomas Mann rekonstruierte Wohnräume, die Besucher begehen können.

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All diese Phänomene lassen sich übergreifend unter dem Begriff des Literaturtourismus zusammenfassen (vgl. dazu auch Knipp 2013; Schaff 2011; Panteleit 2009; für eine historische Betrachtung s. Watson 2006), der eine besondere Form der Rezeption bzw. Aneignung von Literatur bezeichnet: Leser bereisen in literarischen Texten (hier Romane) beschriebene Schauplätze und Örtlichkeiten im Realraum, folgen dabei den Wegen der jeweiligen Romanfiguren oder stellen fiktive Begebenheiten vor Ort nach. Dabei zielt die Praxis des Literaturtourismus darauf ab, die an das Medium ›Sprache‹ gebundene Lektüre in eine räumlich-konkrete Erfahrung zu überführen und das Gelesene vor Ort körperlich-visuell nachzuvollziehen und nachzuerleben. Vor diesem Hintergrund erscheint das Konzept des Reenactment besonders geeignet, um diese spezifische Form der ortsbezogenen Literaturaneignung und das für sie konstitutive Zusammenspiel von literarischen Verfahren und räumlich-körperlichen Bewegungspraktiken genauer in den Blick zu nehmen. Ziel dieses Beitrages ist es also, nach der Rolle von Reenactment-Praktiken im Feld des Literaturtourismus zu fragen. Damit wird das Konzept des Reenactment zugleich auf einen Bereich ausgeweitet, der in der breiten Forschung geschichtswissenschaftlicher Ansätze bislang kaum eine Rolle spielt: Die (Wieder-)Aneignung fiktiver Ereigniszusammenhänge und literarischer Lektüren durch Praktiken des Reenactment. Konkret gehe ich dazu in drei Schritten vor: In einem ersten Schritt sollen zunächst einige Überlegungen allgemeinerer Art zum Verhältnis von Reenactment, Literaturrezeption und literaturtouristischer Praxis unternommen werden. Inwiefern eignet sich das Konzept des Reenactment, um diese besondere Form des Umgangs mit literarischen Texten beschreibbar zu machen? Dabei stütze ich mich vor allem auf theoretische Überlegungen von Ulf Otto (2012 sowie in diesem Band) zum Reenactment als Medienpraktik. In einem zweiten Schritt möchte ich diese eher konzeptionellen Gedanken dann anhand des eingangs erwähnten Beispiels, Ulysses und Dublin, weiter ausarbeiten. Der Beitrag schließt drittens mit einem Fazit, das die wichtigsten Thesen des Beitrags nochmals zusammenfasst.

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›W IEDERHOLTE L EKTÜRE ‹: R EENACTMENT L ITERATURTOURISMUS

UND

Betrachtet man die bisherige Forschung zum Reenactment, so lässt sich schnell feststellen, dass dem Begriff bislang keine eindeutige Definition zugrunde liegt. Vielmehr findet er Anwendung in verschiedensten Feldern, z.B. im Bereich von Theater- und Kultur(wissenschaft) (z.B. Roselt/Otto 2012) und bildender Kunst (z.B. Lütticken/Allen 2005), in der Geschichtsaneignung und -vermittlung (z.B. Mc Calman/Pickering 2010) oder in der Beschäftigung mit fremden Kulturen (z.B. Kalshoven 2012). Will man dennoch eine Art Definition des Begriffes wagen, so ließen sich unter der Bezeichnung ›Reenactment‹ grundsätzlich all jene mimetischen und performativen Verfahren zusammenfassen, die auf das körperliche Nachstellen bzw. die Rekonstruktion vergangener Ereignisse abzielen, häufig unter Einbeziehung des ›Original‹-Schauplatzes oder von ›Original‹-Requisiten. Von kulturellen Aufführungen (enactments) im Allgemeinen unterscheidet sich das Reenactment vor allem dadurch, dass es auf eine bestimmte, ihm vorausgehende Größe Bezug nimmt und diese auf eine spezifische Art und Weise wiederholt bzw. (neu) zugänglich macht. Reenactments zeichnen sich zudem, und das haben sie mit anderen cultural performances wiederum gemein, durch eine starke Gegenwärtigkeit, eine Verankerung im ›Hier und Jetzt‹ aus (vgl. dazu auch Fischer-Lichte 2004), in der Regel sind sie aber, so meine These, das Ergebnis eines längeren Prozesses der Beschäftigung mit eben jener Vorlage, auf die sie sich beziehen. Fragt man nun genauer nach dem ›was‹, also der Bezugsgröße von Reenactments, so lässt sich weiter feststellen, dass das Konzept bislang vor allem in solchen Kontexten Verwendung findet, in denen es um die Wiederaneignung historischer bzw. dokumentarischer, also tatsächlich stattgefundener Ereignisse geht. Inwiefern Fiktionen, beispielsweise solche der Literatur, zum Gegenstand eines Reenactment werden können, bleibt in der bisherigen Forschung größtenteils offen, oder aber wird kritisch betrachtet. 5 91F

5

Hochbruck (2012: 190f.) etwa argumentiert: »Bei Reenactments handelt es sich um theatrale Aneignungen von Geschichte« bzw., so Hochbruck weiter, läge ihnen »ein Anspruch auf Wieder-Aufführung von etwas historisch Bedeutsamen [Hervorh. R.K.]« zugrunde. In diesem Sinne stellen etwa Fantasy-Rollenspiele

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Folgt man Otto (2012), so kommt es in der Beschäftigung mit Reenactments jedoch gar nicht unbedingt in erster Linie auf das ›was‹ an. Vielmehr plädiert er dafür, den Begriff nicht an der Qualität der jeweiligen Bezugsgröße festzumachen, sondern an der spezifischen Ereignishaftigkeit, die das Reenactment kennzeichnet. Otto begreift Reenactments als Medienpraktiken in einem zweifachen Sinne. Reenactments, so Otto, »übersetzen mediale Vorbilder in materielle Erfahrungsräume und zielen in der korporalen Aneignung dieser Erfahrungsräume wiederum selbst auf die Erzeugung medialer Nachbildungen. Als ein sowohl medial basiertes als auch medial motiviertes Ereignis werden Reenactments nicht auf Flüchtigkeit und Vergänglichkeit hin gedacht, sondern kommen überhaupt erst durch mediale Vor-, Auf- und Nachbereitung zu stande [Hervorh. im Text].« (Ebd.: 236)

Bei Reenactments handelt es sich Otto zufolge also erstens um Wiederaneignungen medialer Vorlagen (z.B. Texte, Bilder, Filme, etc.), die zweitens ihrerseits wiederum neue mediale Formen schaffen, die Otto als »materielle Erfahrungsräume« bezeichnet, in denen Vergangenes körperlich präsent wird. Um diesen Zusammenhang in den Blick zu bekommen, ist es notwendig, jene konkreten Verfahren und Strategien zu fokussieren, mittels derer eine bestimmte Vorlage – sei sie nun historisch verbürgt oder rein fiktiv – in eben diese nach Otto so benannten »materiellen Erfahrungsräume« übersetzt wird. 6 Vor diesem Hintergrund soll es mir folgend darum gehen, das Konzept des Reenactment auch und gerade für die Beschäftigung mit fiktiven Vorlagen, hier literarischen Texten, nutzbar zu machen. Denn die Praxis des Literaturtourismus zeichnet sich vielleicht, wie noch zu zeigen ist, durch ganz ähnliche mediale Übersetzungs- und Aneignungsstrategien aus, wie sie für das historische Reenactment identifiziert wurden. 92F

Dass die Beschäftigung mit einem Roman für Leser oftmals nicht mit dem Lesen des letzten Satzes bzw. dem Zuklappen des Buchdeckels abgeschlossen ist, lässt sich an verschiedensten Phänomenen nachvollziehen. Leser, die von einem bestimmten Buch fasziniert sind, versuchen ihre Begeiste-

wie z.B. LARP (Live Action Role Playing) für Hochbruck keine Reenactments im engeren Sinne dar. 6

Vgl. dazu auch den Beitrag von Meiler in diesem Band.

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rung nicht selten auch über den Text hinaus zu tragen, beispielsweise indem sie ihre Lektüre mit Kontextinformationen unterschiedlicher Art anreichern, etwa zu Autor oder Entstehungshintergründen, sich Verfilmungen ansehen, den Austausch mit anderen Lesern suchen, z.B. in Form von Literaturkreisen, Texte diskutieren, fortschreiben und weiterdenken, oder, wie es hier im Zentrum steht, Schauplätze und Örtlichkeiten aus dem Buch bereisen. Innerhalb der Literaturwissenschaft haben solche Rezeptionspraktiken, die über das Lesen eines Textes hinausreichen, bislang allerdings nur wenig Aufmerksamkeit erlangt. 7 Als eine Ausnahme kann die Studie As If. Modern Enchantment and the Literary Prehistory of Virtual Reality von Michael Saler (2012) gelten, die aus literaturgeschichtlicher und fiktionstheoretischer Perspektive nachzeichnet, wie fiktive Welten in der Imagination und Alltagspraxis von Lesern fortleben und von diesen stets aufs Neue entworfen und aktualisiert werden. Eines der Beispiele, das Saler in diesem Zusammenhang untersucht, ist die frühe literarische Fankultur, die sich um die von Arthur Conan Doyle entworfene fiktive Figur ›Sherlock Holmes‹ gebildet hat (vgl. ebd.: 105-129). Wie Saler anhand verschiedener Aneignungspraktiken zeigt, rezipierten Leser die Sherlock Holmes-Romane und -Erzählungen von Beginn an so, als ob es sich dabei um eine real existierende Welt mit real existierenden Figuren handle. Die fiktive Figur ›Sherlock Holmes‹ wurde in diesem Zusammenhang als eine Art »Realfiktion« konstruiert (Stiegler 2014: 52), die auch über den literarischen Text hinaus Bestand hat, so etwa in Kommentaren und Annotationen, Illustrationen oder Ausstellungen wie dem in der Baker Street 221b eigens eingerichteten Museum, in welchem Leser die nach der literarischen Vorlage rekonstruierten Wohnräume des Detektiven begehen und in den Texten erwähnte Gegenstände anfassen können (vgl. dazu auch ebd. 2014: 52ff.). Dass dies mit den Sherlock Holmes-Erzählungen so gut funktioniert, ist letztlich auch auf die realistischen Strategien und Erzählverfahren zurückzuführen, derer sich die literarischen Texte in Bezug auf bestimmte Örtlichkeiten und historische Ereignisse bedienen. Für solche Formen des Umgangs mit fiktionalen 93F

7

Die tradierte literaturwissenschaftliche Rezeptionsforschung, wie sie prominent etwa Iser (1976) entwirft, konzentriert sich in der Regel auf den Text als solchen sowie den sich daran knüpfenden »Akt des Lesens«. Inwiefern sich literarische Texte in spezifische (Alltags-)Praktiken von Lesern einschreiben, gerät nur selten bis kaum in den Fokus literatur- und kulturwissenschaftlicher Forschung.

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Texten entwickelt Saler das Konzept der »ironic imagination« (vgl. Saler: 30-40), wobei es sich um einen Rezeptionsmodus handelt, in dem Fiktionen so gelesen und rezipiert werden, als seien sie wahr. Dabei geht Saler jedoch keineswegs von einem naiven Leser aus, der Realität und Fiktion nicht zu unterscheiden vermag, vielmehr geht es um ein bewusstes Spiel mit den Grenzen zwischen diesen beiden Sphären, das letztlich darauf abzielt, jener fiktiven Welt buchstäblich ›näher‹ zu rücken bzw. sie in die aktuale Welt der Leser hinein auszudehnen. Genau an diesem Punkt setzt auch der Literaturtourismus an: »Erleben Sie Romangestalten, die für Sie zum Leben erweckt werden«, heißt es etwa in einer Ankündigung zu der Führung ›Buddenbrooks lebendig‹, die das Lübecker Buddenbrookhaus regelmäßig für Besucher anbietet, und weiter: »Treten Sie ein in die Welt der Buddenbrooks und erfahren Sie Weltliteratur an einem authentischen Ort.« 8 Literaturtourismus, hier verstanden als eine Form der Vergegenwärtigung des Gelesenen am ›authentischen‹ Schauplatz und damit eine Art ›wiederholte Lektüre‹, verspricht Lesern also, einen Übergang zwischen realer und fiktiver Welt zu schaffen und den Romantext, um obiger Formulierung zu folgen, ›lebendig‹ werden zu lassen. Was sich zuvor lediglich in der Fantasie des Lesers und damit rein kognitiv ereignet hat, soll im Rahmen der literaturtouristischen Praxis in eine körperlich-materielle Erfahrung überführt werden: Wer die Räume des Buddenbrookhauses begeht, so suggeriert es zumindest obige Beschreibung, betritt eine ›fiktive‹ Welt und wird damit gewissermaßen zu einem ›realen‹, das heißt fühlbaren Teil von ihr. Damit zielt der Literaturtourismus auf einen Effekt ab, der nach Otto konstitutiv für das Reenactment ist und den er als sogenannten »magic moment« bzw. »magischen Moment« bezeichnet (vgl. 2012: 234 u. 240). Gemeint ist damit, dass das Reenactment durch seine Fokussierung auf das aktive Durchleben und körperliche Nachvollziehen eines bestimmten Ereigniszusammenhanges, räumliche und zeitliche Grenzen, zumindest für den Moment, aufzuheben scheint. Dadurch entstehe, so Otto, »das Gefühl […], ein Teil der Geschichte geworden zu sein, weil die Bilder der Vergangenheit in eine persönlich konkrete Erfahrung der Gegenwart überführt wurden« (ebd.: 234). Wie ich gleich noch ausführlicher anhand eines konkreten Beispiels zeigen werde, ist es eben genau jener »magic moment«, im Sinne eines Ge94F

8

http://buddenbrookhaus.de/de/91/fuehrungen.html, 03.02.2016.

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fühls von Nähe zu einem räumlich und zeitlich entfernten Ereignis, hier einer fiktiven Welt, der auch von Literaturtouristen bewusst gesucht und mittels verschiedener Praktiken und Strategien inszeniert wird. Dies belegen auch die verschiedenen Formen und Ausprägungen von Literaturtourismus in der Gegenwart, die von Stadtführungen aus der Perspektive fiktiver Figuren über materielle und begehbare Rekonstruktionen literarisch beschriebener Räumlichkeiten (z.B. das bereits erwähnte Buddenbrookhaus in Lübeck sowie das Sherlock Holmes-Museum in London) bis hin zu Literaturreisen und literarischen Themenparks reichen. 9 Die Rhetoriken, mit denen diese Angebote beworben werden, adressieren dabei ebenfalls häufig das oben beschriebene Moment des persönlichen Durchlebens von in der Fiktion beschriebenen Ereigniszusammenhängen: »walking in the footsteps of …«, »Auf den Spuren von…«, »seeing the same view as [Figur aus einem Roman] saw« oder »standing where [Figur aus einem Roman] stood«, sind nur einige der typischen Formulierungen, die im Kontext des Literaturtourismus immer wieder begegnen. 10 95F

96F

9

In der Nähe von London eröffnete 2007 etwa Dickens World, ein Freizeitpark, der auf den Romanen und Erzählungen von Charles Dickens beruht und das von Dickens beschriebene viktorianische England des 19. Jahrhunderts für Besucher greifbar zu machen versucht. Mehrtägige Literaturreisen finden z.B. zu Bram Stokers Roman Dracula in Rumänien oder Jane Austens Romanen in England statt. Solche Reisen richten sich insbesondere an Fans der Bücher und Verfilmungen und gehen häufig mit Begleitveranstaltungen wie etwa Kostümwettbewerben oder Ähnlichem einher, die das Gefühl, in die fiktive Welt des jeweiligen Romans buchstäblich ›einzutauchen‹, nochmals bestärken.

10 Angemerkt sei zudem, dass Literaturtourismus keineswegs nur ein Phänomen der Gegenwart ist. Historisch betrachtet, reichen erste Vorläufer der Praxis mindestens bis ins 17. Jahrhundert zurück. Reisende der sogenannten ›Grand Tour‹ auf dem europäischen Kontinent folgten zunächst primär den biografischen Spuren von Autoren der klassischen Literatur, z.B. Homer, Vergil, Dante oder Petrarca. Ab der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts rückten dann allmählich auch die literarischen Texte selbst ins Zentrum, deren Beschreibungen Leser an verschiedenen Schauplätzen nachspürten: Beispielsweise folgten Literaturreisende den Wegen der fiktiven Figuren ›St. Preux‹ und ›Julie‹ aus dem Rousseauschen Erfolgs-Roman Julie ou La Nouvelle Héloise (1761) rund um den Genfer See (vgl. Hentschel 2010) oder Werther-Enthusiasten versuchten sich an den Hand-

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B EISPIEL : P ERFORMING U LYSSES

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D UBLIN

Folgend möchte ich auf das eingangs geschilderte Beispiel zurückkommen und die bisherigen, eher konzeptionellen Überlegungen zum Zusammenhang von Reenactment, Literaturrezeption und Literaturtourismus anhand von Joyces Ulysses und Dublin weiter ausführen. Der Roman Ulysses und die auf ihn bezogenen Stadtrundgänge in Dublin sind ein einschlägiges und zudem frühes Beispiel für einen Literaturtourismus, dessen Vorlage ein literarischer Text und dessen raum- und ortsbezogene Erzählverfahren sind. 11 Die Idee des Bloomsday, in Anlehnung an den im Roman erzählten Tag, datiert bereits aus dem Jahr 1954, als eine Gruppe von Intellektuellen und Joyce-Anhängern am 16. Juni des Jahres die Schauplätze in der Chronologie ihres Vorkommens im Buch in Dublin aufsuchte und dabei die entsprechenden Textstellen vor Ort rezitierte. Seit den 1980er Jahren findet der Bloomsday jedes Jahr in Dublin statt wie auch ganzjährig Stadtführungen zum Roman angeboten werden. Zunächst gehe ich kurz auf den Roman selbst ein, der die mediale Vorlage für die literaturtouristische Praxis in Dublin bildet. Welche Anknüpfungspunkte bietet er für Reenactment-Praktiken? Im Anschluss daran fokussiere ich einige der szenographischen und performativen Strategien, mittels derer der Romantext im Rahmen der Stadtführungen in ortsbezogene und körperliche Praktiken übersetzt wird. Inwiefern werden dabei auch Aspekte sichtbar bzw. erfahrbar gemacht, die in der Textlektüre offen bleiben? Ferner frage ich nach den spezifischen Erlebensqualitäten, die Leser mit dieser Form der Literaturaneignung verbinden. Dabei greife ich in methodischer Hinsicht auf die Ergebnisse meiner Feldstudien in Dublin zum Bloomsday 2013 und 2014 zurück, die ich im Rahmen meines Dissertationsprojektes zum Literaturtourismus unternommen habe. 12 Während der 97F

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lungsorten in Wetzlar in die Stimmung von Goethes Protagonisten (Die Leiden des jungen Werther, 1774) hineinzuversetzen (vgl. Martin 2005). 11 Davon zu unterscheiden wären Formen von Literaturtourismus, die sich auf autorenbiografische Örtlichkeiten (z.B. Geburts- und Wohnhäuser von Autoren) richten (s. vorherige Anm.). 12 Die Dissertation wurde im Dezember 2015 unter dem Titel »Begehbare Literatur. Eine literatur- und kulturwissenschaftliche Studie zum Literaturtourismus« an der Philosophischen Fakultät der Universität Siegen eingereicht.

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Feldaufenthalte habe ich an verschiedenen Stadtrundgängen zum Roman teilgenommen und dabei zum einen Beobachtungen mit Foto- und Videokamera durchgeführt. Zum anderen habe ich Interviews und informelle Gespräche mit Literaturtouristen als auch Veranstaltern (z.B. Stadtführern) vor Ort geführt. Der Roman: Lektüre als ›Gehen in der Stadt‹ Joyces Ulysses zählt fraglos zu den bedeutendsten Romanen des 20. Jahrhunderts. Obgleich das Buch bereits von zeitgenössischen Kritikern aufgrund seiner Kombination verschiedenster Stile und der assoziativen Gedankengänge der Protagonisten als schwer zugänglich, bisweilen auch als ›unlesbar‹ klassifiziert wurde, fasziniert die Geschichte um den Dubliner Kleinbürger Leopold Bloom und sein Alter Ego, den Künstler Stephen Dedalus, Leser bis heute: »Reading Ulysses«, erklärt mir etwa Daniel aus Wales, den ich am Bloomsday 2013 kennenlerne, »was actually a life changing experience for me.« 13 Seit zwei Jahren besucht Daniel nun schon in Begleitung seiner Frau und einiger Freunde, die sich wie Daniel als »Joyce-Fans« bezeichnen, Dublin zum Bloomsday, um dort die Romanschauplätze zu erleben und andere Leser zu treffen. Ganz ähnlich beschreibt mir auch Michael aus Kalifornien seine Leseerfahrung: »I knew I had to read Ulysses«, erzählt er während einer Stadtführung zum Roman, »so I struggled through it the first time and felt ›wow it is a classic‹.« 14 Unbestritten ist, dass die Stadt Dublin, die Leser wie Daniel und Michael aufsuchen, um dort die im Buch beschriebenen Örtlichkeiten nachzuerleben, eines der zentralen Bezugs- und Deutungssysteme des Romans bildet. 15 Jeder der insgesamt 18 Episoden, die übrigens wiederum mit verschiedenen Begebenheiten aus dem Homerschen Reisepos Odyssee korres9F

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13 Interview vom 16.06.2013, Dublin. 14 Interview vom 13.06.2013, Dublin. Der kanonische Status des Romans, den Michael hier hervorhebt, ist zweifelsohne ein wichtiger Multiplikator für die Popularität des Romans und damit auch für die des Literaturtourismus in Dublin. 15 Was sich unter anderem auch an einer Fülle an sogenannten ›topographical guides‹ zeigt, die mittlerweile zu Ulysses erschienen sind und den Romantext in Dublin verorten.

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pondieren, ist ein bestimmter Schauplatz der Stadt zugeordnet, 16 die ihrerseits in ein von den Protagonisten abzuschreitendes Wegenetz eingebettet sind. Die narrative Struktur des Romans basiert damit auf dem von Michail M. Bachtin so bezeichneten Prinzip des »Chronotopos des Weges« ([1975] 2008: 21f.): Das erzählerische Grundgerüst des Textes konstituiert sich durch das Zusammenspiel der Bewegungen der Protagonisten durch den Stadtraum 17 sowie deren Aufenthalten an diversen Schauplätzen, darunter Wohnhäuser, Pubs, Restaurants oder Geschäfte. Joyce selbst soll einst gegenüber seinem Freund Frank Budgen im Hinblick auf die räumlichtopographische Konzeption seines Romans Folgendes geäußert haben: »I want to give a picture of Dublin so complete that if the city one day suddenly disappeared from the earth it could be reconstructed out of my book« (Budgen [1934] 1972: 69). Darin exponiert Joyce das literarische RomanDublin als eine detailgenaue Repräsentation der physisch-realen Stadt. Obgleich diese Aussage von Joyce innerhalb der Ulysses-Rezeption inzwischen als durchaus kanonisch gelten kann, trifft sie bei genauerer Betrachtung des Textes jedoch nur teilweise zu. Denn hinsichtlich topographischer Aspekte handelt es sich bei Ulysses – überspitzt formuliert – vielmehr um ein Adressbuch von Dublin zu Beginn des 20. Jahrhunderts, eine Ansammlung von Ortsnamen und Wegstrecken, als um eine literarische Beschreibung der Stadt, die es Lesern ermöglichen würde, wie oben formuliert, ein »picture of Dublin« zu evozieren. Um diesen Aspekt zu verdeutlichen, sei eine kurze Textstelle aus dem Roman, genauer aus der »Lotophagen-Episode« zitiert: 102F

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»By lorries along sir John Rogerson’s quay Mr Bloom walked soberly, past Windmill lane, Leask’s the linseed crusher, the postal telegraph office. Could have given that address too. And past the sailors’ home. He turned from the morning noises of the quayside and walked through Lime street. By Brady’s cottages a boy for the

16 So spielt sich etwa das Eröffnungskapitel in einem Martello Tower in Sandycove ab, die »Hades-Episode« größtenteils am Glasnevin Cemetery, oder die »Sirenen-Episode« ist im mittlerweile geschlossenen Ormond Hotel angesiedelt – dies nur drei Beispiele für die konkrete Situierung der Romanhandlung an städtischen Schauplätzen. 17 Besonders ›bewegungsreiche‹ und mit topographischen Anmerkungen versehene Kapitel sind z.B. die »Lotophagen-Episode« oder die »Lästrygonen-Episode«.

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skins lolled, his bucket of offal linked, smoking a chewed fagbutt. […] In Westland row he halted before the window of the Belfast and Oriental Tea Company and read the legends of leadpapered packets: choice blend, finest quality, family tea. Rather warm. Tea. Must get some from Tom Kernan.« (Joyce [1922] 1984, Bd.1: 141)

Was der Leser hier geboten bekommt, ist eine Art ›Skript‹ dessen, wie sich Bloom durch den Stadtraum bewegt, welchen Straßenverläufen er folgt und welche Gebäude, Firmen, Geschäfte oder Häuser er betrachtet. Dabei werden jegliche topographischen Angaben, wie in dieser Passage, mit konkreten Ortsnamen bzw. Toponymen belegt, die der Leser anhand eines Stadtplans von Dublin – zu einem nicht geringen Teil auch gegenwärtig noch – nachvollziehen kann. Mit Robert Stockhammer (vgl. 2007: 67-71) könnte man diesbezüglich auch von der »Kartierbarkeit« des im Roman Ulysses entworfenen literarischen Handlungsraumes sprechen. Entgegen dieser Detailgenauigkeit an Ortsangaben und Adressen lässt der Text allerdings offen, und dies ist interessant, was Bloom eigentlich sieht bzw. wie die Straßen, Häuser, Geschäfte, etc., die Bloom frequentiert, konkret aussehen und wie sich die Stadt ›anfühlt‹. Denn obgleich dem Leser eine Fülle an real verifizierbaren Ortsnamen begegnet, bleibt die Stadt selbst im Roman bemerkenswert ›unplastisch‹. Es finden sich kaum Beschreibungen, die es dem Leser ermöglichen, sich ein ›Bild‹ von dem Stadtraum zu machen, den Bloom durchwandert, oder dessen Atmosphäre nachzuempfinden. Dennoch kommt den Ortsnamen gerade im Hinblick auf den Literaturtourismus eine wichtige Funktion zu. Sie erlauben es schließlich, eine Referenz zwischen literarischem Handlungsraum und aktualer Welt des Lesers, und damit eine bestimmte Form von ›Realitätsnähe‹ herzustellen. Diesen Effekt beschreibt auch Lilian R. Furst in ihrer rezeptionsästhetischen Studie All Is True, die sich mit realistischen Erzählverfahren der Romanliteratur befasst: »Through their capacity to conjure up ›the air of truth‹, names exert a quasi-magic power. […]. Because of their potential dual existence in both actuality and the fiction, names can act as a bridge of continuity, along which readers may move from one sphere to the other without becoming conscious of the transition.« (1995: 102)

Durch die Nennung bestimmter Ortsnamen werden erzählte und reale Welt also unmittelbar aufeinander bezogen, wobei der Leser, wie es Furst hier

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beschreibt, zwischen diesen beiden Sphären oszillieren kann. An der Schnittstelle ›Schauplatz‹ lässt sich die fiktive Welt des Romans also gewissermaßen in die Realität der Leser hinein verlängern: Denn insofern es sich bei der Romanstadt sowohl um eine fiktive als zugleich auch tatsächlich existierende Örtlichkeit handelt, kann die reale Stadt wiederum, wie sie es ja innerhalb der literaturtouristischen Praxis auch tut, als ein Raum fungieren, in dem Leser theoretisch exakt die gleichen Erfahrungen wie Bloom im Roman durchleben können. Blooms imaginäre Bewegungen lassen sich in Dublin anhand der detaillierten Angaben des Textes performativ ›realisieren‹. Diesen Aspekt beschreibt auch Christine aus den USA, die den Roman gelesen hat und mir zu erklären versucht, warum es für sie so spannend ist, an einer Ulysses-Führung in Dublin teilzunehmen: »For me it’s one thing to sit in a place and read about it, it’s another to actually go there and see the streets and be surrounded by that atmosphere.« 18 Dass der literarische Handlungsraum dabei einerseits topographisch exakt im realen Dublin verortbar ist, andererseits aber im Roman selbst beschreibungstechnisch unterbestimmt bleibt, stellt in diesem Zusammenhang eine ideale Voraussetzung für die literaturtouristische Praxis dar. Denn, wie Christine es hier bereits andeutet und folgend noch ausführlicher zu zeigen ist, können jene Leerstellen, 19 die der Romantext in Bezug auf den Handlungsraum lässt, vor Ort mit konkreten Bildern und den eigenen körperlichen Erfahrungen besetzt werden. 104F

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In Dublin: »Walking in the Footsteps of Leopold Bloom« Als ich die Stadt Dublin im Juni 2013 zum ersten Mal im Rahmen meiner Feldstudien für mein Dissertationsprojekt zum Literaturtourismus besuche, lässt es sich kaum vermeiden, an die Lektüre des Romans Ulysses erinnert zu werden. Zugespitzt formuliert, könnte man sagen – zumindest trifft dies auf einige Örtlichkeiten zu –, dass das reale Dublin jene Roman-Stadt zu ›materialisieren‹ versucht, woraus sich eine interessante Doppelung ergibt: Der Roman einerseits als Repräsentation der Stadt (Joyce-Zitat), die Stadt

18 Interview vom 11.06.2014. 19 Zur literaturwissenschaftlichen Theorie der Leerstelle vgl. grundlegend Iser 1976, der wiederum an die phänomenologische Theorie nach Ingarden 1968 anknüpft.

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andererseits wiederum als Repräsentation des Romans. Zu nennen sind hier beispielsweise die an verschiedenen, in Ulysses erwähnten Gebäuden und Häusern angebrachten Hinweisschilder, die auf die im Roman dargestellten fiktiven Ereignisse verweisen – auch wenn diese Gebäude inzwischen zum Teil gar nicht mehr existieren. 20 106F

Abb. 1: Literaturtouristen fotografieren einen der Ulysses-Pflastersteine

Quelle: Raphaela Knipp

Ein anderes signifikantes Beispiel sind die im Jahr 1988 in das Pflaster der Stadt eingelassenen 14 Bronzetafeln. In jede Bronzetafel sind eine Figur, die sich in einer gehenden Pose befindet, sowie ein kurzes Zitat aus Ulysses eingemeißelt. Die Bronzeplatten befinden sich jeweils an einzelnen Schauplätzen aus dem Roman. Folgt man ihnen in chronologischer Folge, ergibt sich jener Weg, den Bloom in der »Lästrygonen-Episode« von der O’Connell Street bis zur National Library in der Kildare Street zurück-

20 Am ehemaligen Ormond Hotel am Ormond Quay (»Sirenen-Kapitel«) findet sich etwa ein Hinweisschild mit folgender Aufschrift: »The Ormond Hotel is the Setting for the Episode the Sirens in Joyces Ulysses«.

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legt. 21 In diesem Sinne lassen sich die Bronzeplatten als eine performative Aufforderung an Besucher der Stadt lesen, sich den imaginären Weg Blooms ›zu Fuß‹ anzueignen und dessen Bewegung im realen Raum zu ›reenacten‹ (Abb. 1). Zudem werben im Roman vorkommende Geschäfte und Restaurants, wie etwa die Drogerie ›Sweny’s Chemist‹ oder das Pub ›Davy Byrne’s‹, damit, dass man bei ihnen auch gegenwärtig noch jene Handlungen vollziehen kann, die Bloom im Roman an exakt gleicher Stelle ausführt, z.B. den Kauf eines nach Zitrone duftenden Stücks Seife oder den Verzehr des Bloom-Menüs, das aus einem Gorgonzola-Sandwich und einem Glas Burgunder besteht. Ferner verteilen Tourismusbüros Faltpläne wie die »Ulysses Map of Dublin«, 22 die Besucher benutzen können, um Dublin anhand der 18 Episoden des Romans zu erkunden, oder verschiedenste Veranstalter bieten geführte Rundgänge auf den Spuren Blooms an, die z.B. Folgendes versprechen: 107F

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»The route will partly follow the book’s main character, Leopold Bloom, in his famous wanderings in the year 1904 through the streets of the city. The city has changed enormously since then but we will still encounter many of Bloom’s intriguing stops […]. Our destination will be the same as that of Bloom where he eventually pauses for lunch of a Gorgonzola cheese sandwich and a glass of Burgundy wine at the renowed Davy Byrnes, which is happily still trading [Hervorh. R.K.].«

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Die Rhetorik dieses Ankündigungstextes zeigt anschaulich, worauf der Literaturtourismus unter anderem abzielt: Wer sich anhand des Romantextes durch die Stadt bewegt, kann dort – obwohl inzwischen mehr als ein Jahrhundert vergangen ist – immer noch die gleichen Erfahrungen wie Bloom im Buch machen. Der Stadtraum von Dublin wird als eine Art ›Bühne‹ in-

21 Die Bronzeplatten wurden von dem Skulpturenkünstler Robin Buick angelegt. Im James Joyce-Centre kann man dazu einen Faltplan erhalten, der eine Übersicht über die einzelnen Stationen gibt sowie die dazugehörigen Romanbegebenheiten in Kurzform darstellt. 22 Auch online abrufbar unter: http://www.irlandaonline.com/wp-content/uploads/ 2011/11/ULYSSES-MAP.pdf, 03.02.2016. 23 Ankündigung der Stadtführung »Bloomsday Walk« (Anbieter: Pat Liddy’s Walking Tours of Dublin), zitiert nach dem offiziellen Programmflyer zum Bloomsday 2014, hg. v. James Joyce-Centre, Dublin.

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szeniert, auf der Leser jene im Buch beschriebenen Ereignisse erneut ›zur Aufführung bringen‹ bzw. ›in ihre Realität‹ holen können. Mittels touristisch-performativer Akte wie der Ortsbegehung, dem Erwerb von Souvenirs oder dem Verzehr bestimmter Speisen, durchleben sie das Gelesene dabei – buchstäblich ›mit allen Sinnen‹ – noch einmal. Diesen Aspekt möchte ich folgend anhand der literaturthematischen Stadtrundgänge zu Ulysses noch etwas weiter ausführen und dabei genauer nach den Wahrnehmungs- und Erlebensweisen der Leser bzw. Literaturtouristen fragen. Konkret beziehe ich mich dabei auf Stadtrundgänge, die von der Amateurschauspielgruppe ›Ballonatics‹ am Bloomsday 2014 durchgeführt wurden und die ich an diesem Tag über mehrere Stunden hinweg begleitet habe. Bei den ›Ballonatics‹ handelt es sich um eine Laientheatergruppe bestehend aus den Schauspielern Paul und Chris sowie dem Musiker John. Seit 27 Jahren bieten sie jedes Jahr zum Bloomsday Führungen zu Ulysses in Dublin an, die eine Mischung aus klassischer Stadtführung und schauspielerischen Darbietungen von Szenen aus dem Roman sind. Die Führungen werden im offiziellen Programmflyer zum Bloomsday sowie auf der Webseite der ›Ballonatics‹ angekündigt, 24 Touristen können sich spontan anschließen. Die einzelnen Rundgänge bzw. »walks« beziehen sich dabei jeweils auf einzelne Romankapitel, und zwar jene, in denen die Figur ›Bloom‹ die Stadt durchstreift und die somit reich an topographischen Details sind. 25 Paul erklärt mir in einem Gespräch, 26 dass er mit den Führungen aufgrund seiner eigenen Leidenschaft für Joyce und Ulysses begonnen habe und diese Begeisterung mit anderen Lesern teilen wollte. Ulysses gelte als »difficult book« und viele Interessierte würden deshalb erst gar nicht anfangen, den Text zu lesen oder brechen die Lektüre ab. Die szenischen Führungen in Dublin seien daher auch der Versuch, das Buch einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen (»it’s about making it appeal as much as possible«). Paul, der seit fast 30 Jahren in Dublin lebt, erzählt weiter, dass es insbesondere die enge Verknüpfung von Roman und Stadt ist, die 10F

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24 http://balloonatics.tumblr.com/, 03.02.2016. 25 2014 waren die »Kalypso-«, die »Lotophagen-« und die »Lästrygonen-Episode« Gegenstand der Führungen. 26 Interview vom 16.06.2014, Dublin. Die folgenden Zitate von Paul stammen aus diesem Interview.

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ihn letztendlich zu dem Format der »theatrical re-enactments from James Joyce’s Ulysses at the locations where they are set« 27 inspiriert habe: 13F

»Well, it [die Führungen, R.K.] was to try to animate the connections between the book Ulysses and the city of Dublin. Joyce has written it so close to the actual city. […] the kind of the streets with horse-drawn carriages and so on are gone, but yet the whole topography is there, a lot of buildings are there, a lot of the ambience and spirit of the place is there and it just needs to be brought back alive.«

Obgleich sich Dublin inzwischen verändert hat, so argumentiert Paul, sei die ›Atmosphäre‹ jedoch, welche die Stadt zur erzählten Zeit des Romans ausmacht, an den jeweiligen Schauplätzen teilweise heute noch spürbar und müsse nur ›wiederbelebt‹ werden. Vor diesem Hintergrund sind die Führungen und szenischen Darbietungen als ein Verfahren zu begreifen, diese Örtlichkeiten im Sinne des Romans zu ›reanimieren‹ und damit eine bestimmte Wirkung bei den Teilnehmern zu erzielen. Wie sich dies konkret gestaltet, erlebe ich am Bloomsday 2014: Als ich am Morgen des 16. Juni an der Eccles Street eintreffe, wo um acht Uhr – wie im Buch – der »Bloom’s morning walk« beginnen soll, haben sich dort bereits einige Touristen vor dem im Text adressierten Wohnhaus von Bloom eingefunden, einige tragen aufwendige Kostüme, die der Mode der im Roman erzählten Zeit nachempfunden sind. Einer von ihnen ist Lorenzo, 26 Jahre, aus Italien, der vorübergehend in Dublin arbeitet und sich als »big fan of Joyce’s works« bezeichnet. Er habe sich bereits einige der Handlungsorte aus Ulysses angesehen und dies sei »amazing«, weil man die Textlektüre dabei nochmal anders nachvollziehen könne: »it [being in Dublin, R.K.] gives you a better taste of it [Ulysses, R.K.].« 28 Die 26-jährige Sumi aus Japan ist gekommen, weil sie gelesen hat, dass die Führung unter anderem auch dem »Lotophagen-Kapitel« folgt, eine ihrer »Lieblingsepisoden« aus Ulysses. 29 Paul und seine Gruppe bereiten sich derweil auf den Stadtrundgang und die szenischen Darbietungen vor. Dazu benutzen sie ein Skript, für das sie den epischen Romantext in kurze, auf die Örtlichkeiten 14F

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27 Zitiert nach dem Ankündigungstext der ›Ballonatics-Walks‹ im offiziellen Programmflyer des Bloomsday 2014, hg. v. James-Joyce-Centre, Dublin. 28 Interview vom 16.06.2014, Dublin. 29 Interview vom 16.06.2014, Dublin.

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fokussierte szenische Dialoge und Bewegungsabläufe übersetzt haben. Die Führung startet schließlich an Bloom’s Wohnhaus in der Eccles Street im nördlichen Teil der Stadt und verläuft dann entsprechend der im Roman geschilderten Bewegungen von Bloom ins Zentrum. An markanten Punkten, wie etwa vor der Drogerie ›Sweny’s Chemist‹ oder der National Library, stoppen wir und Paul, Chris und John bringen die jeweilige Szene aus Ulysses zur Aufführung, die dort spielt. Das Prinzip des Rundganges beruht dabei, wie es Paul oben erläutert, auf der direkten Interaktion mit den örtlichen Gegebenheiten: Straßenschilder, Geschäfte, öffentliche Gebäude, etc. werden in die performances miteinbezogen, um den Teilnehmern »a real flavour of what Bloom actually did« zu vermitteln (Abb. 2). 30 Die Führungen sind dabei so konzipiert, dass die Teilnehmer keineswegs nur passive Zuschauer sind, sondern bis zu einem gewissen Grad Teil der performances. Die Bewegungsabläufe folgen dabei stets der Perspektive Blooms. Als wir beispielsweise die St. Andrews Church erreichen, die Bloom im Roman »All Hallows« nennt, betreten wir diese, wie die Figur im Roman, durch die Hintertür und nehmen für einen Moment in den Bankreihen im Kircheninnenraum Platz. Als wir die Kirche wieder verlassen, rezitieren Paul und Chris dazu die entsprechende Stelle aus dem Buch. Eine ganz ähnliche Szene ereignet sich beispielsweise auch vor der National Library in der Kildare Street. Im Roman erblickt Bloom dort auf der gegenüberliegenden Straßenseite seinen Konkurrenten Blazes Boylan. Daraufhin beginnt Bloom nervös in seine Hosentasche zu greifen, auf- und abzugehen und verschwindet schließlich hastig in der Bibliothek. Als wir die National Library erreichen, zeigt Paul auf die andere Straßenseite und Chris stellt Blooms nervöses Auf- und Abgehen nach, dann zeigt Paul uns an, dass wir schnell das Eingangstor zur Nationalbibliothek passieren sollen, damit Boylan uns nicht sieht ( Abb. 3). Der Leser bzw. Literaturtourist wird hier also zu einem Akteur, der das Gelesene ›mit dem eigenen Körper‹ nacherlebt: »It’s a bit like a movie, a movie that you are part of«, 31 beschreibt z.B. Frank aus den USA sein Erleben der Führungen, während wir die St. Andrews Church verlassen. Adressiert wird hiermit also genau jener oben beschriebene ›magische Moment‹, das Entstehen des Eindrucks, ›Teil der Geschichte‹ (hier bezogen auf die Romanhandlung) sein zu können. 16F

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30 Interview mit Paul vom 16.06.2014, Dublin. 31 Informelles Gespräch vom 16.06.2014, Dublin.

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Abb. 2 u. 3: ›Ballonatics-Rundgänge‹, auf dem Weg zur St. Andrews Church (oben) und vor der National Library (unten)

Quelle: Raphaela Knipp

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Wie meine Interviews und Gespräche mit Literaturtouristen in Dublin zeigen, scheinen gerade die Gefühle von Präsenz, Nähe und persönlicher Teilhabe, die beispielsweise durch Führungen wie die der ›Ballonatics‹ vermittelt werden, eine spezifische Qualität des Literaturtourismus auszumachen. So erklärt mir etwa Andrew, der mit seiner Frau und seinem Sohn aus den USA angereist ist und einige der Ulysses-Schauplätze in Dublin aufgesucht hat: »[…] we were right there, so it’s more meaningful than just reading a story or a book, I mean this is going to be something we can personally relate to […]. Anytime one can actually be in the middle of the adventure, it heightens it, it makes it more colorful« [Hervorh. R.K.].«

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Persönlich vor Ort zu sein und dabei die Romanzusammenhänge räumlich und körperlich nachzuerleben, lässt die Lektüre, so Andrew, bedeutungsvoller erscheinen. Während Andrew diesen Aspekt besonders hervorhebt, geben andere meiner Gesprächspartner an, dass ihnen das Gelesene nun ›wirklichkeitsnäher‹ bzw. ›greifbarer‹ erscheine. Die 33-jährige Michelle, ebenfalls aus den USA, erklärt, dass es ihr schwer gefallen sei, sich Dublin anhand der Darstellung im Buch vorzustellen und sie daher neugierig auf die Orte gewesen sei: »Since I’ve been in Dublin«, so Michelle, »I can picture a little better what the […] chapters look like.« 33 Der im Text – wenn überhaupt – nur fragmentarisch nachvollziehbare Stadtraum wird durch die literaturtouristische Praxis also mit ganz konkreten, materiellen Erfahrungen angereichert: »being surrounded by that atmosphere«, »getting a better taste of it«, »feeling the air of Dublin«, sind z.B. weitere Beschreibungen, die von mir befragte Leser anführen, um die spezifisch sensuellen und materiellen Erlebensqualitäten zum Ausdruck zu bringen, die sich aus ihrer Perspektive an die Praxis des Literaturtourismus knüpfen. Wie meine Beobachtungen und Interviews ferner zeigen, kommt in diesem Zusammenhang jedoch nicht selten auch eine stark emotionale bzw. affektive Komponente ins Spiel: Viele der Ulysses-Touristen beschreiben sich selbst als ›Ulysses-‹ oder ›Joyce-Fans‹. Die literaturtouristische Praxis begreifen sie in diesem Zusammenhang häufig als eine Erweiterung der 19F

32 Interview vom 11.06.2014, o.A. 33 Interview vom 13.06.2014.

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Textlektüre, den Versuch, jenes Gefühl, das sie mit dem Buch verbinden, erneut bzw. intensiver zu erleben und dem Gelesenen dadurch ›näher zu rücken‹. Treffend bringt diesen Aspekt James Holahan zum Ausdruck, der in Sandycove, einem Vorort Dublins, lebt und regelmäßig Touristen zu den Schauplätzen aus Ulysses führt: »I think it makes it much more intimate and a much more intimate connection between the reader and the work, if they [die Leser, R.K.] have actually walked the steps and experienced some of the experiences […]. So if you have kind of walked in those footsteps, that brings it much more closer, I believe.«

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Folgt man Holahan, so schafft die literaturtouristische Praxis eine besondere Bindung zwischen Leser und literarischem Werk. An dieser Stelle sei noch einmal an das zu Beginn genannte Konzept der »ironic imagination« nach Saler angeknüpft: Selbstverständlich sind sich die Literaturtouristen darüber im Klaren, dass Bloom und die Ereignisse des Romans rein fiktiv sind, es geht aber um die Inszenierung eines ›Gefühls‹ von physischer und affektiver Nähe – ein Aspekt, der meines Erachtens für das Reenactment als spezifische Medienpraktik im Umgang mit Vergangenem – sei dies nun fiktiv oder real – stets konstitutiv ist.

F AZIT Ziel dieses Beitrags war es, das Konzept des Reenactment für den Umgang mit fiktiven Vorlagen, hier literarischen Texten, nutzbar zu machen. Der Fokus lag dabei auf den rekonstruierenden Verfahren und Strategien des Reenactment als Medienpraktik, durch die eine bestimmte mediale Vorlage in »materielle Erfahrungsräume« (Otto 2012) übersetzt wird, sowie den Effekten und Wirkungen, die damit einhergehen. Als konkretes Beispiel diente die Praxis des Literaturtourismus. Literaturtourismus kann als eine besondere Form der ›wiederholten‹ und ›performativen Lektüre‹ literarischer Texte begriffen werden, die sich mit dem Konzept des Reenactment beschreiben lässt. Wie anhand verschiedener Beispiele aus der Praxis aufgezeigt wurde, zielt Literaturtourismus in der

34 Interview vom 11.06.2014.

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Regel darauf ab, bestimmte in der Literatur dargestellte Ereigniszusammenhänge in körperliche und materielle Praktiken zu übersetzen, die stets an einen spezifischen Ort bzw. Schauplatz gebunden sind. Am Beispiel des Romans Ulysses sowie der auf ihn bezogenen Stadtrundgänge wurde untersucht, inwiefern sich der Text als eine Art ›Skript‹ für die Erkundung der Stadt Dublin aus der Perspektive Leopold Blooms funktionalisieren lässt, dabei aber auf der Beschreibungsebene gewisse Leerstellen bleiben. Ausgehend von dieser Konstellation lässt sich das Konzept des Reenactment einsetzen, um die Rekursivität zwischen Textverfahren und ortsbezogener Aneignung (Ortsbegehung) auf theoretischer Ebene zu beschreiben. Wie herausgearbeitet wurde, sind Reenactment-Praktiken im Feld des Literaturtourismus aber keineswegs nur Wiederholungen einer literarischen Vorlage, sondern können vielmehr als ›kreative Interpretationsarbeit‹ seitens der Akteure begriffen werden. Diese besteht letztendlich darin – zumindest gilt dies für das Ulysses-Beispiel –, jene Leerstellen zu füllen, die der Text in Bezug auf die leserseitige Vorstellung des Stadtraumes lässt. Im Umgang mit bestimmten Orten und Materialitäten, mittels Praktiken des visuellen und körperlichen Nacherlebens, kreieren Leser dabei ihre eigenen imaginären und materiellen Erfahrungsräume.

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The Reenactment of Popular Culture Constructing Meaning and Affect in Cosplay N ICOLLE L AMERICHS

I NTRODUCTION This study examines the social and aesthetic aspects of fan costumes, and how they are situated online and especially offline. Fan costumes have a long history and its predecessors include Indian hobbyism (Kalshoven 2012), drag (Senelick 2000; Butler 1990), gothic subcultures (Spooner 2004) and passion play. In this contribution, I focus on »cosplay«: a fan practice of reenacting existing fictional characters. Cosplay is a form of impersonation, and its relationships to existing media are understood through discourses of reenactment and remediation (Bolter/Grusin 1999). Cosplay is commonly performed at fan gatherings. Fans make their own outfits and model in them, though increasingly outfits are also bought through different channels or commissioned from other fans. Through cosplay, fans reenact existing fictional characters in self-created costumes inspired by popular media culture. These outfits and subsequent performances are a physical manifestation of their immersion into the fictional realms of television, games, and movies. While cosplay itself has not been widely studied, extensive research has been done on the productivity of fans and their participatory communities (e.g. Gray/Sandvoss/Harrington 2007; Busse 2013; Jenkins 1992; BaconSmith 1992). Fan costuming specifically has been examined as a creative space in Japan by Okabe (2012), while Winge (2006) and Peirson-Smith

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(2012) explored its social conditions. Gender has also been a point of interest, including the question how masculinity can be constructed in cosplay (Broussard 2009). In their studies on fan cultures of video games, Crawford (2012: 86) and Newman (2008: 86) also drew attention to cosplay as an expression of mimicry and play. While these previous studies have discussed cosplay only as playful culture, and have related it to fandom at large, I argue that cosplay is a practice of reenactment. As a form of mimetic play, cosplay evokes values of fidelity, but it is also a transformative process through which fans solidify their relationship with the media text. In this paper, I suggest cosplay is best understood as a unique form of reenactment that depends on the circulation of affect. Theoretically, I view the production of and performance within the costume as an embodied and mediated practice. I analyze cosplay as a practice through which fans of popular media culture (e.g. television series, games, movies) display their intense attachment to games by producing their own costumes inspired by fictional characters. I understand this process as one that is anchored in various moments and situations in which affect is directed at the social group, the costume itself and the media text. Based on theories of affect, I claim that cosplay is an »affective process« that has different objects and subjects of devotion that include fictional characters and stories as well as other fans. Cosplay Fandom has been understood as a subculture that partly responds to, and subverts, mainstream popular culture by its fan activities and appropriations (Fiske 1990; Jenkins 1992). Fans discuss and evaluate texts in online and offline environments, often described as »fandom«: social and creative domains in which audiences group around specific fiction such as a game, a novel or television series. The communities have a social function and allow individuals to establish relations with other aficionados. Fan cultures also have a considerable creative function, which this study focuses on. Creatively, fans engage in many different practices to rewrite and reenact the fiction that they love. They produce fan fiction: written stories that often make use of the same setting and characters as the source-text or elements of the plot (Hellekson/Busse 2006; Pugh 2005).

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Drawing fan art is another practice that fans engage in as well as the editing of their own fan videos, for example. Other fans in turn interpret and evaluate these fan works. Cosplay is one example of a fan practice that has drawn many participants over the years. The fan tradition of dressing up has a long history, dating back to American science fiction conventions in the 1960s and 1970s at which fans wore outfits from series such as STAR TREK or the STAR WARS movies. Another subtype of fan costumes in Western culture is inspired by the tradition of Renaissance fairs and historical reenactment, as well as later practices such as live-action role-playing in which enthusiasts base costumes on certain historical periods or themes and use them in performances. According to one origin story, the term »cosplaying« was coined in the 1980s by the game designer Takahashi Nobuyuki after he encountered the costuming practices of American fans during a visit to the United States (Winge 2006: 66-67). Since then, cosplay has become very prominent in Japan and is primarily associated with Japanese fans of anime (cartoons), manga (comics), and games, who are called otaku. Western popular science fiction and fantasy culture, however, still inspires cosplayers as well. Figure 1, for instance, depicts the character Cersei from HBO’s GAME OF THRONES (2011-), whose characters are often reenacted at fan conventions. In my research, I focus on these diverse activities of dressing up, whether their source-text is Occidental or Western. Fans usually wear their costumes in specific settings, such as during particular events at conventions, competitions, or as props for fan videos. Cosplayers tend to meet up at fan conventions: large meetings where fans celebrate their passion for a certain genre, series, or actor. The size of these conventions can range from only several hundred visitors to large events like San Diego Comic Con that draw over a hundred thousand visitors. International competitions between countries are not uncommon, such as the annual World Cosplay Summit (WCS) in Nagoya, Japan. While theatre events and competitions may be the most prominent aspect of costuming, the practice also includes hallway costumes that are generally worn without professional or competitive intent. Cosplay can be understood as culture of costuming that occurs beyond the institutional domain of the theatre. The purpose of cosplay is to create a look-a-like of the character. Fans mimic the character not only through dress, but also

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through the styling of wigs or hair, as well as make-up techniques. While cosplay usually involves the self-creation of an outfit or the appropriation of existing clothing, there are also many players that engage in »closet cosplay« by wearing subtle cosplays that are composed of primarily storebought and reused items. Figure 1: Cersei from Game of Thrones (2011-).

Source: Photograph by Melissa van den Hoogen

The costumes are crafted and worn in the organized culture of fandom, but outsiders can also function as participants in this creative practice. For instance, fans learn to sew from each other but also from non-fans, such as family members, for the purpose of play rather than for professional aspirations. In this sense, fan communities provide an »affinity group« (Gee 2003): an informal learning space that connects participants by interest and allows them to learn from other members (ibid.: 27). In fandom, these

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competences are not only gained offline, but also online. At tutorials and forums, such as Cosplay.com, fans converse about the craft. Cosplayers often develop different sets of expertise. While one crafter may be especially competent in the styling of wigs or facial makeup, another may specialize in particular types of dress, ranging from gowns to armor. Methodology My work on cosplay and fandom combines cultural theories and (auto-) ethnography to find out how fans appropriate existing narratives. The past few years it has been my goal to write an account of productivity and narrativity in fandom with increased attention to the transmediality of today’s popular culture and its audiences. The exchange of narrative content and form between and across media platforms is vital in my study. I have been to Japan, the United States and Europe to explore this creative culture (Lamerichs 2013b). While fan studies have often focused on digital fandom and communication (Booth 2010; Hellekson/Busse 2006), I believe that there is much to learn from the personal, affective, situated and embodied dimensions of cosplay. Thus this study deploys auto-ethnography to make sense of fan cultures. This means I make use of my own experiences as a fan and costumer that has been active in the Dutch anime fandom for over ten years. Auto-ethnography is a type of insider’s ethnography that reflects on the life history of the researcher and thereby provides tentative conclusions about certain historical, social or artistic issues. Ethnography and qualitative methods in general have often been credited as being suitable ways to unravel actors’ lived experiences (Gray 2003: 16). Notions of identity can be tackled especially well through this type of research because it can amply reflect on how the self is positioned in the world and shaped by discourses. This method has been applied to unearth what it means to belong to a certain community and how its social hierarchies function (Chang 2008). Using an insider approach to discuss the impact of popular culture, or consumption patterns at large, is nothing new. Holbrook (1995) uses autoethnography to address issues such as shopping and collecting. In research on fandom, adopting an insider’s approach has been positively valued. Henry Jenkins (1992), for instance, relied on his experiences as a STAR TREK

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fan in his earliest book but made new contacts for his case study on BEAUTY AND THE BEAST. In this auto-ethnography, I scrutinize my own engagement in fandom. I not only draw from prior knowledge and make this transparent but also reflect on my feelings when producing or consuming media texts. What I also consider is my development as a researcher within a certain community and the way my presence has given shape to a field in which I am personally invested. This method differs from participant observation, which I believe to be more socially situated and extroverted: whereas this method turns outwards, auto-ethnography turns inwards and uses one’s own body as an instrument. What I learn, what I feel and how I experience fandom myself is of the highest importance in this research. This text is furthermore informed by my larger ethnographic study of cosplay (Lamerichs 2014). That study also includes thirty informal interviews at the Dutch convention Abunai (2011) and five in-depth problemcentered interviews were conducted as a follow-up. The quotes from informants in this chapter are made anonymous. My goal is to investigate the different objects and subjects that are at stake in cosplay. The networks between them are not only created in domestic environments and spaces, but are also partly digital. Cosplay is a complex interplay of online and offline cultures, where these performances are made visible for a global public. This study particularly focuses on cosplay as a practice that is performed at the convention space itself. Reenactment as an Affective Process As a fan practice, cosplay can be read as a type of »mimetic fandom« (Hills 2014) in which practitioners closely want to reenact media content. Mimetic fandom in this study implies the bridging of a diegetic reality by performatively imitating the media protagonists and avatars. The offline and onsite practices can be understood through discourses of materiality, since the text is reenacted through objects and bodies. Matt Hills (2014) for instance investigated the largely male community of Dalek builders who replicate the antagonistic robots from DOCTOR WHO. He argues that within fandom, reenactment has both transformative and affirmative power: »[t]he mimetic fandom of replica prop making can promise both affirmational authenticity via the pursuit of screen-used looks and ontological unity, as well

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as transformational agency via customization and stylization« (n.p.). In cosplay or prop-building, fans may add personal touches to their replicas. Commercial discourses also shape how fidelity is understood by fans, as Hills writes: »It seems authentic by virtue of non-commerciality, but it indicates inauthentic brand extending and so-called grassroots marketing when considered from a commercial perspective. It centers on material culture and haptic presence but indicates the value of a framing immateriality, namely the cult world« (n.p.). This transformative discourse can be compared to historical reenactment and other reenactment practices that favor discourses of authenticity and the reproduction of past experiences. The goal in cosplay is not so much to create an exact replica, though that can be part of it, but to become more immersed in the existing story world. While reenactment implies discourses of fidelity in fandom, these creative practices have another purpose as well. Engaging in reenactment for fans means reliving a text. Reenactment from this perspective is best understood as an affective process – a personal aesthetic pursuit. Although fans may want to rationalize this affect within fan communities, fandom appears to be grounded in an aesthetic or magic moment that is constantly re-lived (Jenkins 2006b: 23). Fans do not throw a text away, but they keep it and go back to it as they seek elements of re-interpretation and surprise (Hills 2005). It is important to note that affect is not something that simply arises but that it is something that is prepared for. Creating the right circumstances for wearing the costume and being that character is a central part of the aesthetic experience. This is comparable to Gomart and Hennion’s research (1999) on music fans, which argues that music fans and drug addicts have a striking similarity in that both of them want to create an optimal aesthetic experience to consume the products that they love. Reenactment, in this case, is about the reliving of experiences that affected us, and about carefully regulating these experiences. Gomart and Hennion helpfully use Actor Network Theory (Latour 1987, 2005) to map the different objects and subjects involved in the process of passion and addiction. This unique combination of affect theory and social constructivism has been applied to opera fans, for example (Benzecry 2011). Especially in cosplay, affect is a more complex play of intensities than current theories suggest. Based on my empirical data, which I present in the next sections, I am convinced that a new concept of affect is needed to account for the diversity in fan practices. Theoretically, there is already a good

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fit between cultural theories of fandom and of affect. The creative practices of fans, such as writing and drawing, have often been understood as affective engagement or investment. Fans themselves describe their activities as a »labor of love«, signifying that love for the fictional text itself, rather than love for the community itself, predominantly inspires their activities. Matt Hills (2001) has conceptualized fan communities as »affective spaces«, characterized primarily by love for the fictional product/characters. Hills’ study looks at fan communities through the lens of Anderson’s »imagined community« (1991), which supposes that communities, such as the nation, are constructed as people envision their membership based on a shared affinity with the group (p. 150). Hills, however, explains that fandom is a community of imagination in which fans direct their affection towards a text first and foremost, and not towards the community itself or its members. By dividing text and social context, Hills overlooks the importance of affective relations in communities (e.g. the relation between fans; the recommendation of texts to each other). Though these relations are briefly mentioned in Hills’ article, they are absent in his affective theory. Inspired by the idea of affective spaces, I speak of an »affective process«: a range of emotional experiences that can lead to investments in a fantasy world that is nevertheless part of the real world. The emphasis lies on the process rather than on space as a fixed entity because affection is both, something we undergo and socially construct at the same time. In other words, the idea of process emphasizes the trajectories and actor-networks of films, games, replicas, masks, costumes, convention-organizers, performing cosplayers etc. that are created in fan practices, and how these are spatio-temporally grounded. After all, the relationship between audiences and fiction is highly dynamic and the meaning of fiction as that of our biographies is developed via different combined reading and impersonating practices over time. We constantly do interpretive work by rewriting, referencing and re-reading our favorite narratives and personally relate to them. The concept shares similarities with Grossberg’s (1992) ideas of the mattering map as a way of signifying the fan’s affect. In his theory, map refers to the idea that we can chart different intensities through time at different points of our life through which we make sense of the world and ground ourselves in it. A mattering map can pinpoint how popular culture has affected us over time, and can thus be read as a kind of bio(-topo)graphy of affective sensibilities. It draws attention to how affect is configured, rather

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than to how it grasps us, as Deleuzian theory emphasizes (Deleuze/Guattari 1988; Massumi 2002). Grossberg (1992) also calls such maps »investment portfolios«, thereby drawing attention to how affect is catalogued and navigated (ibid.: 82). While I am less fond of the idea of mapping, which again draws attention to spatiality and locality rather than time, the mattering map and the affective process aim to chart a similar phenomenon – the development of affect. While affect in cosplay can be understood as a networking effect that consists of different objects and subjects, charting the network is a difficult task. Cosplay consists of several phases that live up to the fan convention. These phases are best understood, as I shall demonstrate below, as a process of producing rather than being directed by a map or network that is already there. In other words, cosplay is a highly inter-subjective, interobjective process through which the relationship towards the mediadiegetic text is solidified. Media Reception as Costume Construction While engaging in cosplay, fans adopt different roles. They create the outfits themselves, model in them and may even take photographs of themselves. A costume is created in phases with different objects of devotion. At first sight, cosplay can be understood as an embodiment of a fan’s affect towards a media text. A cosplayer chooses a certain character to perform who matters to him or her, for instance the adorable Totoro from MY NEIGHBOR TOTORO (figure 2). Many cosplayers see their costumes as a sign of attachment to a game and a tribute to it. Sometimes they intensify this relationship by creating more outfits from the same game. At Abunai 2011, I talked to several ACE ATTORNEY cosplayers that enjoy portraying various characters from this game series and even exchange outfits amongst each other. They relive their experience of the series and are happy to talk about the positive qualities of the game. Here, it becomes clear that a gamer can invest in different elements of the game at different points of his or her life. That is, the affective process entails a subjective articulation that is ever shifting and targets specific elements of the game while the subject is less interested in, or familiar with, other elements. One affective stance towards the game, for instance, is a nostalgic one in which fans contextualize game experiences according to their life histo-

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ries. Various THE LEGEND OF ZELDA and FINAL FANTASY fans told me that the games hold a special place in their heart as series that they grew up with. In a conversation with a Zelda and Link cosplayer, Zelda mentioned: »We have been fans of the games for years!« Particularly in these cases, affect is closely related to nostalgia as a sentiment towards past experiences that are reminisced and reenacted. »Being a fan for years« is at the same time a statement of how close a game is related to one’s fan identity, and a sign of status. In this sense, it is not only a token of one’s attachment to a game but to the present community of other cosplayers and the biographical context in which one played it. The meaning is derived from what the game meant many years ago. When choosing an outfit or character to perform, media reception matters deeply. This phase of the affective process is still very much oriented towards the fictional text. In some cases, social reasons may take precedence though. For instance, friends may ask a cosplayer to participate in a group cosplay with them, and suggest a character that befits him or her. Love for the text may then be fostered through friendship and by rewatching, researching and finally reenacting a story together. The costume creation itself is another affective stage. Here, materiality matters a great deal and the story may move into the background. Cosplayers may be more object-oriented in this phase, as they interact with different technologies and materials. For instance, a creator needs to interact with the fabric and make decisions about what materials best suit the fictional character. In a store, or on the market, s/he will decide for a certain kind of satin, leather or cotton. Cutting the fabric according to a pattern, or draping it on a mannequin, is another way of interacting with these different objects. When sewing the fabric into a costume, the touch of it may be pleasant and visceral; the sound of their sewing machine may be familiar, rhythmic and soothing. Relationships with the characters are solidified as cosplayers study their outfits and interpret their dress and personality to give a good performance. During this process, the character is always related to the costume. A cosplayer, for instance, peeks at character designs on his or her laptop in order to create a good look-a-like. In this stage, then, the interaction with different objects, or materiality, is of utmost importance to replicate the outfit and engage with characters. The eventual performance of the character is also entwined with the creation of the costume. Interviewee Sarah told me that the character is

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very much alive when she creates her outfits. She described a wall in her bedroom that functions as a cosplay mood board. »For me, it’s like, you play a game and someone is cool – at the moment, Ezio (from ASSASSIN’S CREED II) is really cool – and then I put up pictures from art books and other things on my wall and he really starts to live until at some point, suppose I’ve created and worn Ezio, he’s put in the closet and I’ll do something else. It evolves.« Like others that work in groups or duos, she tells me that constructing a cosplay has a very particular atmosphere to it in which footage from the game is re-watched, the soundtrack is played and the characters are reenacted. »If you work together with someone, you have this atmosphere and you are partly in character. I’ve never seen something like that before. You already start to go in character while that character is just there as fabric on the ground. That’s something really special.« Creating the costume involves many feelings. Sometimes, it can be quite bothersome when an outfit is not turning out as it should. When you are sewing the outfit all by yourself, this can be particularly frustrating and though you may turn to the internet for help, it does not always go well. »I used to let these nerves guide me,« interviewee Ron confessed, but he has learned to control them, and started to construct more challenging outfits along the way. Some cosplayers have similar insecurities but resolve them by cooperating with friends. Social ties with outsiders or non-fans are relevant during the costume creation. Many fans make their outfits together with their family members. A mother, for instance, might have little affinity with cosplay, but might enjoy instructing her child on how to create a dress. Working together on an outfit is a source of motivation for many cosplayers. In fact, most cosplayers learn to sew by appropriating existing outfits or by sewing with friends or family. Some look for patterns online and try to make sense of these, but this is usually at later stages. Even though cosplaying can be challenging at first, cosplayers become more at ease with it as they gain more skills. Creating itself is an affective process in which you grow and feedback of the community on your costume can be supportive and maybe even decisive to continue. Still, not all cosplayers create their own outfits. During my research, I met many who had bought their costumes at internet sites or commissioned them from art sites or other cosplayers. However, the process of looking into diverse costumes or finding the right seamstress also requires effort. Cosplayers that

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buy their outfits tell me that they are often quite picky, negotiate with seamstresses that sell custom outfits, and wait in suspense until their wig or outfit arrives. When you create the costume yourself, finding the right utilities is also challenging and involves similar shopping experiences even before the costume is sewn. While costume creation may seem very traditional and material, online culture feeds into this stage of the process. Even those that work individually will upload pictures on Facebook or perhaps even detail their process in a tutorial. The costume, as a work-in-progress, is shared and circulated online. Figure 2: Totoro from My Neighbor Totoro (1988)

Source: Photograph by Melissa van den Hoogen

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Dress up and Performance The moment supreme is when the outfit is worn at a convention. If the outfit is designed for a competition, it may raise emotions different from the ones a more casual outfit causes. Such hallway costumes are worn only at the convention itself, as opposed to stage costumes that also have a theatrical and competitive purpose. While cosplayers can be playful, and closely reenact a character in terms of behavior and ways of speech, cosplay should not be confused with role-playing. In many cases, a fan is also performing her identity as a fan at a convention: meeting with friends, talking about favorite fiction, enjoying events and shopping. Performing the character is limited at the convention space as a performance. For many cosplayers, it primarily consists of having the proper attitude and posing correctly on pictures. By relying on other media and documentations, such as photography, cosplayers create authenticity during their reenactment practices. Cosplay is a highly visual hobby in this sense. Many cosplayers want the experience of dressing up as a character to remain exclusive. They only wear an outfit once, and live up to this moment. Others wear their outfit several times, especially when it fits well, but are likely to refine the costume each time. Cosplayers have very different opinions and even norms about this. Many players with free time on their hands, usually those that start cosplaying when they are still in high school or college, will create several outfits for a convention, while others might invest more time in one outfit and wear that for the duration of the event or at several conventions. These attitudes towards wearing the costume also convey that costume love depends on the community as much as on one’s personal, creative goals. As a type of identity play, cosplay does not only generate positive emotions. Walking around in one’s outfit – perhaps with large wings, a wig, a corset and uncomfortable padding – can become bothersome and cause physical discomfort. »Then you are more concerned with your wig than the fact that you are walking there as Grell,« interviewee Miranda said. My informants described their anxiety about parts of the outfit breaking, their make-up coming off, or other trivialities that could break the magic of being in costume. The negative affect that players may experience, however, often seems related to the social aspects of fandom that comprise cosplay. My infor-

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mants described their joy when their outfits were appraised or valued, but also emphasized that the experience within the community is not always a happy one. Such scenarios in fandom are common. Cosplayers may work hard on outfits and are hardly noticed. During my time as a cosplayer, it often happened to me that I bumped into someone that was wearing the same outfit, and felt uncomfortable about this. More difficult, and personal, are the stories of cosplayers who get criticized based on their weight or ethnicity. My informants were aware of this, and often revealed social protocols and hierarchies within fandom. One of my male informants, for instance, had been criticized for dressing up as a woman, while this hardly happened to the women. Such fan hierarchies are not based on creative skills, but on gender, embodiment and difference. Non-fictional discourses, in other words, also matter in cosplay. Even though this is a practice of play, it is not completely separated from our conventional roles and society. While fan conventions are often considered the central stages for cosplay, there are in fact many other performances that fans engage in. For some fans, creating videos can be a way to document the performance. Especially cosplay music videos are a popular genre on platforms such as YouTube. Cosplayers dance and lipsync to famous songs, and create performances that are highly enjoyable on their own terms (Lamerichs 2013a). Others may circulate photographs on online portfolios at cosplay.com or on their personal Facebook page. Cosplay photography is a hobby in its own right that many photographers participate in. Figure 3, for instance, depicts a carefully shot photograph of a battle in costume between two characters from X-MEN. While outfits are generally worn in the subculture of fandom, fans also perform the characters at other venues. By hosting role-playing blogs and posting in them as the character they assumed with their outfits, some cosplayers give a more performative spin to their costume, while others wear them to public events, such as the Frankfurter Buchmesse. Enjoying their costumes, and preserving visual documentation, is important to many cosplayers. After the performance, the costume is lovingly put to rest in wardrobes or on display on a mannequin. The costume becomes a fan memorabilia, connected to a past event, and rife with nostalgic feelings. Throughout the years, it may become an object of pride as a cosplayer realizes of how much his or her skills have developed, or an object associated with negative sentiments when the player is reminded of his or her former lack of skill.

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This sometimes urges cosplayers to reprise a character and create the dress anew on a higher level. Some may sell their outfits which creates a unique relationship with other fans but can also be the source of friction as the costumes are made to fit one’s own body, and are intimately connected to it. Additionally, the costumes raise conflicting claims of belonging and ownership, not just of the costume, but of the character and memories that it represents to the fan. Figure 3: Cosplay battle

Source: Photograph by Melissa van den Hoogen

However, the need to preserve the outfits is not only related to the idea that they are carefully constructed artworks. It also stems from the very real idea that these outfits are a part of you. »They are more than just costumes«, interviewee Miranda argued. »They remind me of the convention, where you meet people and do nice things.« The costume is part of the memorabilia of the convention experience, like photographs and videos. On top of that, they are a reminder of the narrative or character that you have grown to care about. The costume is a combination of episodes from your own life and from experiences with the people that you have met at a convention. At the same time, it is a material reminder of the character and game that holds a special place in your heart as a story, as visual art that

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touched you or as something that you have played and been through, thereby defining part of your identity beyond cosplaying. The outfit is a token; one of the few material remainders of a reenactment that cannot fully be captured through discourses of imitation and mediation. Doing cosplay means engaging in a deeply personal and affective experience.

C ONCLUSION I have argued that reenactment can be understood as an important part of cosplayers media practices. Cosplay, especially, includes a form of reenactment that relies on the remediation of fictional characters and stories. The players rely on highly dynamic affects and emotions that are grounded by popular media culture and cannot be understood at face value. To chart the results of affective and aesthetic processes, we need to dive into the emotional lives of fans themselves. I have given you a glimpse of my ethnography and theoretical framework which traces the affective process of cosplay and raises awareness for the felt body and the media text as it is relived off-screen and offline. The reenactment of a fictional character that is biographically meaningful to the cosplayer, associated with intense feelings and affective experiences from the past, is not only a media-culturally shaped way of representing idols. It is a media practice of its own, situated in an affective process that transcends the distinction between media reception and production. Cosplaying is a media practice reproducing not something »unmediated« but another media practice: that of immersing in and identifying with media products. Both cannot be understood without the personal body involved in media use. I believe that there is still much work to be done on affective processes in fandom. These structures may be unearthed through employing offline methods that still hold relevance today, even if fandom has shifted radically to performances on new media. Fandom cannot be understood without considering how fundamentally offline contexts are entwined with new online technologies. Within fan studies, our emphasis on the social and participatory culture of fandom has led to a neglect of the personal, the embodied, and the emotional life of fandom. Reenactment of popular culture, and its complicated involvement/entanglement with media technologies, should be central in

T HE R EENACTMENT

OF

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any investigation of contemporary fandom. To further the field, we need to investigate the very feelings and desires that ground fandom which are actively constructed in media performances. By engaging in these performances as scholars ourselves, we can truly understand, through our own bodies, what it means to relive personal histories of being moved by media and media artefacts or avatars and to be overwhelmed by them again in the present. Acknowledgements This chapter relates to my dissertation Productive Fandom: Intermediality and Affective Reception in Fan Cultures (2014), and reworks some of the material and findings.

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Das Versprechen des Reenactment Der Spiel-Körper im digitalen Spiel 19 part one: boot camp C LEMENS R EISNER

Am Anfang seines Buches über Trauma, Memory and the Vietnam War beschreibt der Kulturwissenschaftler Fred Turner eine Szene, in der ein Vietnamveteran auf einer Gedenkveranstaltung ein selbstgemachtes Brettspiel über den Vietnamkrieg präsentiert. Turner stellt sich an dieser Stelle zwar die Frage, wie aus der traumatisierenden Erfahrung des Dschungelkampfes spielerische Unterhaltung werden kann, in seine folgenden Betrachtungen zum Vietnamkrieg in der populären Kultur schließt er Spiele aber nicht systematisch ein (vgl. Turner 2001: 4-7, sowie exemplarisch die Aufzählung auf S. 16, die keine Spiele beinhaltet). Ein kurzer Blick auf Spieledatenbanken wie mobygames zeigt, dass der Einbezug vor allem auch digitaler Spiele 1 lohnenswert ist. Unter dem Suchbegriff »Historical Conflict: Vietnam« werden hier 60 Titel verzeichnet, das früheste Beispiel datiert aus dem Jahr 1981. Aktuellere Spiele zu Vietnam wurden dabei durchaus bereits Gegenstand wissenschaftlicher Auseinandersetzung (vgl. Bender 2012), die 1980er und frühen 1990er Jahre wurden diesbezüglich allerdings noch kaum beachtet. 12F

1

Ich verwende den Begriff digitale Spiele, um die Spieleplattformen Computer, Konsolen und Spielautomaten abzudecken.

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Der vorliegende Aufsatz möchte sich dieser Forschungslücke annehmen. Am Beispiel des Spiels 19 part one: boot camp 2 soll untersucht werden, welchen Anteil dieses digitale Spiel am Vietnamkriegs-Diskurs der 1980er Jahre hatte, der auch ganz wesentlich ein Diskurs über Soldatenkörper war. Das Spiel konzentriert sich auf das Training des Soldatenkörpers im boot camp und damit auf einen selten beachteten, eher ungewöhnlichen Teilaspekt der geschichtskulturellen Verarbeitung des Vietnamkriegs. Der Fokus auf Körperlichkeit, der sich durch diese Thematik ergibt, lässt zunächst vermuten, dass das Konzept des Reenactment, verstanden als das körperliche Erleben eines in der Gegenwart wieder aufgeführten vergangenen Ereignisses (vgl. Otto 2012: 231 sowie 235-36), geeignet erscheint, um zu verstehen, wie das Spiel dem Spieler die historische boot camp-Situation zugänglich macht. Tatsächlich, so die These, ist das Reenactment historischer Situationen aber in diesem Fall möglicherweise vor allem als Versprechen und nicht als Resultat der Spielerfahrung zu verstehen. Unabhängig davon, ob die Spieler eine Einfühlung in die Vergangenheit erreichen konnten, situiert das Versprechen des Reenactment digitale Spiele und ihre Nutzer auf spezifische Weise im geschichtskulturellen Diskurs ihrer jeweiligen Entstehungszeit. Dieser war im Fall von 19 auf der Suche nach einer, gerade in Bezug auf den Soldatenkörper, sinngebenden Erzählung dieses Teils der US-amerikanischen Geschichte. 12F

D IGITALE S PIELE

UND

R EENACTMENT

Wenn digitale Spiele sich vor allem dadurch auszeichnen, dass sie aus Aktionen bestehen, wenn »Video games come into being when the machine is powered up and the software is executed; they exist when enacted« (Galloway 2006: 2), dann scheint der Begriff des Reenactment gut geeignet, um zu verstehen, was digitale Spiele tun, wenn sie Geschichte prozessieren. Die Dimension des Begriffes, die auf die Implementierung der Vergangenheit als körperliche Praxis der Gegenwart abhebt, scheint es zu ermöglichen, digitale Spiele als Bühnen für Reenactments von Geschichte verstehen zu können. Der Historiker Brian Rejack äußert sich diesbezüglich allerdings skeptisch, indem er zu dem Schluss kommt, dass digitale Spiele

2

Dieser Titel wird im Folgenden als 19 kurzzitiert.

D AS V ERSPRECHEN

DES

R EENACTMENT

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keine historische Erkenntnis durch Reenactment generieren könnten. Er stützt seine Argumentation hierbei auf die Beziehung des Spielers 3 zu seiner Spielfigur. Digitale Spiele seien laut Rejack zum einen, im Gegensatz zu Reenactments, solitäre Aktivitäten. Ihnen würde also die gemeinschaftliche Dimension fehlen, die historische Reenactments auszeichne. Rejack schwächt diesen Argumentationsstrang angesichts der zur Zeit des Erscheinens seines Artikels bereits erstarkenden Tendenz zu Onlinespielen, die Interaktionen zwischen menschlichen Spielern in einem Spielraum ermöglichen, etwas ab. Sein zweiter Einwand wiegt aber schwerer, da er sich grundsätzlich auf die Medialität digitaler Spiele bezieht. Rejack hält nämlich fest, dass »[…] bodily engagement, which lends reenactment its form of experiential epistemology, is absent from gaming« (Rejack 2007: 413). In Bezug auf die Verarbeitung von Geschichte sei also »[…] the most obvious benefit that games do offer […] the visual representation of past events and places« (ebd.). Letztlich kehrt seine Argumentation also den Aspekt der visuellen Repräsentation von Geschichte in digitalen Spielen hervor. Dem kann entgegengehalten werden, dass es bei historischen Darstellungen in digitalen Spielen nicht nur darauf ankommt, was gezeigt wird, sondern auch wie etwas ausgeführt, also enacted, werden kann. Nimmt man die Prozesshaftigkeit der Spiele als Repräsentationsstrategie ernst, so ist davon auszugehen, dass digitale Spiele nicht nur zeigen, sondern auch prozessieren und ihre Gegenstände in Handlungsmöglichkeiten und -beschränkungen zerlegen. Dieses Prinzip reicht von der höchsten Ebene der Erschaffung von Welten bis hinunter in die vermeintlichen Niederungen der Schützengräben. Es geht dabei, entgegen Rejacks Feststellung, auch um Formen der Körperlichkeit, um das Verhältnis des Spielers zu seiner Spielfigur, das gerade nicht durch Entfremdung und das Fehlen erfahrungsbasierten Wissens gekennzeichnet ist. Auszugehen ist hingegen von einem hybriden Spiel-Körper, bestehend aus den Übersetzungsprozessen, die sich zwischen Körper und Geist des Spielers und den algorithmisierten Avatarkörpern auf dem Bildschirm abspielen (vgl. Fritz 2013: 79). Digitale Spiele schaffen durch diese Übersetzungen Formen der Inkorporation, die sich durch Identifikation mit der Spielfigur oder durch Handlungen und Handlungsmög123F

3

Mit Nennung der männlichen Funktionsbezeichnung ist in diesem Beitrag, sofern nicht anders gekennzeichnet, immer auch die weibliche Form mitgemeint.

260 | C LEMENS REISNER

lichkeiten realisieren (vgl. ebd.: 87 u. 92; sowie Calleja 2011: 167-179). Mithin ist entscheidend, welche Möglichkeiten der Identifikation und Handlung das jeweilige Spiel den Spielern anbietet. Die praktisch-körperliche Spielerfahrung in digitalen Spielen ist aus dieser Perspektive eine ihrer Audiovisualität und Textualität zumindest gleichgestellte Größe. Gerade in Bezug auf frühe digitale Spiele ist es wichtig, auf diesen Umstand hinzuweisen, da ihnen ansonsten, vor allem mangels technischer Möglichkeiten zur realitätsgetreuen audiovisuellen Repräsentation, Inkorporations- und vor allem auch Identifikationserfahrungen mehr oder weniger automatisch abgesprochen würden. Das Verhältnis zwischen Spielfigur und Spieler in digitalen Spielen scheint also einer experiential epistemology, im Sinne der körperlichen Erfahrung von Geschichte wie sie Rejack ausschließt, grundsätzlich nicht entgegen zu stehen. Die Tatsache, dass digitale Spiele ihre Inhalte räumlich, als Spielraum arrangieren, liefert ein weiteres Argument für die grundsätzliche Ermöglichung des Reenactment. Es stellt sich nun aber die Frage, wie Reenactment genau zu verstehen ist. Im Gegensatz zur konventionellen Repräsentation historischer Ereignisse in historiographischen Texten liegt diesem Reenactment eine iterative Struktur zu Grunde, die auf Basis des persönlichen Erlebnis, der Subjekterfahrung im dynamischen Verbund mit authentifizierenden Elementen, den epistemologischen Kern des Reenactment, den magic moment des Einfühlens in die Vergangenheit, erzeugen will (vgl. Otto 2012: 240-247). Sollte es um direkte Einfühlung, das restlose Aufgehen in der Rolle gehen, wie das Rejacks Kritik nahelegt, ist ein diesbezüglicher Effekt tatsächlich, zumal für frühe digitale Spiele, unwahrscheinlich. Insofern das Reenactment historischer Ereignisse ein Spiel ist, müsste der Spieler dazu zumindest zeitweise vergessen, dass es sich um ein solches handelt, um das Erlebnis des Einfühlens in die Geschichte zu ermöglichen (vgl. ebd.: 236). Digitale Spiele besitzen zwar die Eigenheit, dass sie häufig das Versprechen der Suspendierung der Trennung zwischen Spiel und Ernst geben. Typischerweise wird dieses Versprechen in Werbetexten, Spielanleitungen etc. mit gezielten Formulierungen aufgerufen, die dem Spieler die Möglichkeit zur persönlichen Involvierung in einen durch das Spiel mit maximaler Deckungsgleichheit als Spielraum simulierten Teilbereich der, mitunter auch historischen, Realität in Aussicht stellen. Digitale Spiele nutzen aber letztlich Simulation als Unterhaltung, das heißt die Notwendigkeit

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einen Raum zu entwerfen, der für dessen Nutzer eine Spielerfahrung wie Spaß, Spannung usw. ermöglichen soll, mischt sich in den simulativen Aspekt ihrer Medialität. Sowohl die Implementierung von körperlichen Handlungsmöglichkeiten und -beschränkungen als auch die audiovisuelle, textuelle und architektonische Gestaltung des Spielraumes sind letztlich den Affordanzen des Spiels als Unterhaltung unterworfen. Schließt man unter diesen Voraussetzungen im Sinne Collingwoods (vgl. Henschen/Sittler 2012 und Meiler in diesem Band) an den Begriff an und versteht Reenactment als Reanimation, als Teil einer medialen Situierungsleistung und damit medialen Historiographie, stellt sich dann eher die Frage, wie eine spezifische mediale Äußerung, in diesem Fall das Spiel 19, seine Nutzer, in einem Zusammenspiel aus Zeichen, körperlichen Ermächtigungen und Nutzungspraktiken situiert und sich damit auf einen spezifischen Kontext der populärkulturellen Re-aktualisierung von Geschichte beziehen lässt (Henschen/Sittler 2012: 162, 167, 173 sowie Meiler in diesem Band). Zu fragen wäre also, wie das digitale Spiel 19 Vergangenes wieder in Handlung setzt, welche Verbindungen es dabei zu anderen medialen Äußerungen über den behandelten Gegenstand zieht und wie es sich im geschichtskulturellen Diskurs seiner Zeit situieren lässt? Die von Rejack für die Nutzung von digitalen Spielen bezweifelte Möglichkeit eines Reenactment als experiential epistemology wäre in diesem Sinne durchaus beizubehalten, nämlich als Versprechen und Teil der medialen Situierung. In diesem Fall lässt sich sagen, dass die mediale Praxis eine Setzung des Spielers im Sinne des magic moment verspricht und damit einen Beitrag zur medialen Historiographie des Vietnamkrieges leistet. Denn in Bezug auf den jeweiligen historischen Kontext, in dem sich ein Reenactment ereignet, lässt es sich als deep play, also als Suspendierung von gesellschaftlicher Realität unter gleichzeitiger Reproduzierung ihrer Ordnung begreifen (vgl. Otto 2012: 244). Das heißt, die Frage nach dem Reenactment durch digitale Spiele sollte am konkreten Beispiel den Spielraum und die in ihm ermöglichten Formen der körperlichen Beziehung zwischen Maschine und Mensch mit dem Versprechen eines effektvollen Reenactment, wie es beispielsweise oft auf der Verpackung gemacht wird, abgleichen. Was verspricht 19 also, wie setzt es dieses Versprechen in Bezug auf Körperlichkeit um und was bedeutet die daraus resultierende Form der Erfahrung von Geschichte in ihrem historischen Kontext?

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D ER V IETNAMKRIEG 19 IM K ONTEXT

IN DIGITALEN

S PIELEN –

Das Spiel 19, anhand dessen diesen Fragen nachgegangen werden soll, gehört zunächst im weiteren Sinn zur Gruppe der Spiele, die den US-amerikanischen Einsatz in Vietnam zum Inhalt haben. Körperlichkeit und Reenactment spielen in der Erinnerung an den amerikanischen Vietnamkrieg eine nicht zu unterschätzende Rolle. Vietnam gilt zum einen als Signum der Brüchigkeit des traditionellen US-amerikanischen Männlichkeitsbildes und der damit verbundenen Formen von Körperlichkeit. Zum anderen ist Reenactment in Bezug auf fiktionale Verarbeitungen des Vietnamkrieges als rehabilitierende Praxis der gesellschaftlichen Traumabewältigung interpretiert worden (vgl. Turner 2001: 81-95). Aktuelle digitale Spiele zum Vietnamkrieg sind in der Mehrzahl im Genre des Egoshooters angesiedelt, in welchem, seit seiner endgültigen Etablierung auf dem Massenmarkt Mitte der 1990er Jahre, Kriegsführung vorwiegend aus der Sicht des Fußsoldaten verhandelt wird (vgl. Bender 2012: 168). In Bezug auf die Verhandlung des Vietnamkrieges in digitalen Spielen der 1980er Jahre zeigt sich hingegen ein eher uneinheitliches Bild. Digitale Spiele, die den Vietnamkrieg behandeln, sind in dieser Periode in diversen Genres angesiedelt, die von Strategiespielen bis hin zu Textadventures reichen. Ein Grund dafür mag in den technischen Voraussetzungen der Spieleproduktion und der damit verbundenen, notwendigen Sparsamkeit im Umgang mit Ressourcen der Darstellung liegen. Komplexere Narrative ließen sich angesichts der eingeschränkten Möglichkeiten beispielsweise wohl am besten im Genre der grafisch reduzierten Textadventures umsetzen. Hier wird dagegen die These vertreten, dass dies nicht der einzige Grund für die konkrete Ausgestaltung war und dass diese Diversität den Diskurs der Zeit um den US-amerikanischen Einsatz in Vietnam widerspiegelt. Kinofilme, Romane, Comics, Fernsehsendungen etc. lieferten, ebenso wie die Politik der US-amerikanischen Regierung unter Ronald Reagan, Deutungsangebote und Interpretationen, um den, im Allgemeinen als gescheitert wahrgenommenen, Einsatz amerikanischer Soldaten in Vietnam entweder ex-post zu heroisieren oder kritisch zu hinterfragen. Das Spektrum reichte hierbei von Reagans bekanntem Diktum von Vietnam als »noble cause«, bis hin zu Stimmen kritischer Filmemacher, die die Traumatisierung von Vietnamveteranen in ihren Erzählungen hervorhoben (vgl. Engel-

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hardt 1998: 275-280). Die recht diversen Annäherungen digitaler Spiele an die Thematik situieren sie in der Vielstimmigkeit des weiter gefassten populärkulturellen Diskurses um Vietnam. Wie lässt sich 19 nun in diesem weiteren Kontext verorten? Das Spiel wurde im Jahr 1988 von der britischen Firma Cascade Games für den Heimcomputer Commodore 64 und in weiterer Folge auch für den ZX Spectrum veröffentlicht. Die Tatsache, dass eine britische Firma sich eines Themas angenommen hat, das sich vor allem auf einen US-amerikanischen Kontext bezieht, spricht dafür, dass die zahlreichen Remedialisierungen des Vietnamkrieges zur Entstehungszeit des Spiels internationale, wenn nicht globale Geltung erlangt hatten. 19 nimmt im Kontext populärer Darstellungen des US-amerikanischen Vietnamkrieges aufgrund der behandelten Thematik gewissermaßen eine Sonderrolle ein, da ein Großteil eher den Dschungelkampf und die Kriegstraumata der Veteranen, statt die Grundausbildung der Rekruten fokussiert. Stanley Kubricks Film FULL METAL JACKET (1987), der etwa ein Drittel seiner Laufzeit den Verhältnissen im Ausbildungslager widmet, bildet hier eine Ausnahme. Darüber hinaus sind Schilderungen der Situation im boot camp in einigen Selbstzeugnissen und Erinnerungen von Veteranen enthalten (vgl. Baker 2000; Erhart 1999). Weitere Beispiele für digitale Spiele, die das Trainingslager für Infanteriesoldaten als Teilaspekt des Vietnamkrieges thematisieren, ließen sich nicht finden. Was allerdings als Referenzpunkt sichtbar wird, ist, dass digitale Spiele vor dem Hintergrund soldatischer Ausbildung zur Zeit des Erscheinens von 19 zwar kein eigenes Subgenre, aber doch zumindest kein ungewöhnliches Phänomen gewesen zu sein scheinen. Die japanische Produktionsfirma Konami hatte mit Boot Camp bzw. Combat School, wie der Titel in Europa als Heimcomputerversion hieß, ein ähnlich gelagertes Produkt vorgelegt. Auch das Spiel Raw Recruit der Firma Software Creations versetzt den Spieler in ein militärisches Ausbildungslager. Im weiteren Sinn können all diese Beispiele dem Subgenre der Sportspielkompilationen oder Mini-Games Sammlungen zugeordnet werden, die eine Auswahl spielmechanisch unterschiedlicher Geschicklichkeitsspiele als Teildisziplinen einer umfassenden Veranstaltung (z.B. der olympischen Spiele) versammeln. Eines der populärsten Spiele dieses Genres ist beispielsweise das ebenfalls von Konami produzierte Track and Field. Spielmechanisch integrieren solche Sportspielkompilationen typischerweise eine Folge von als Variationen von Reaktionstests angelegten Spiel-

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abschnitten, die eine Nähe zum Dachgenre des Actionspiels aufweisen. Zentrales Charakteristikum ist dabei die Betätigung eines oder mehrerer Knöpfe, die in direkter Korrespondenz mit einer Aktion der Spielfigur stehen. Da dieses Genre seine Wurzeln in der Spielhalle hat, besteht der Spielinhalt primär aus der Aufgabe, Punkte zu sammeln. Die Möglichkeit, sich als Spieler einen üblicherweise aus drei Buchstaben bestehenden Namen zu geben, der nach Beendigung des Spiels mitsamt dem individuellen Punktestand auf einer High-score Liste verzeichnet wird, ist ein Bestandteil der kompetitiven Tradition digitaler Spielhallenspiele. Der zweite offensichtliche Referenzpunkt den 19 etabliert, ist seine titelgebende Verbindung zu Paul Hardcastles Song 19. Das Spiel befindet sich damit gewissermaßen an einem Ende einer Remedialisierungskette. Hardcastle hatte sich der damals innovativen Technik des Samplings bedient und gesprochene Textpassagen aus einer Fernsehdokumentation über Vietnam mit einer Instrumentalspur zu einem Musikstück montiert. Cascade Games hatte eine Lizenzvereinbarung abgeschlossen und für die Industrie durchaus unüblich, das Spiel zum Song produziert. Der Song 19 ist Teil des Soundtracks zum Spiel und liegt der Commodore 64-Version zudem als Audiokassette bei. Sein Titel bezieht sich auf das Durchschnittsalter der für den Vietnamkrieg eingezogenen Rekruten. Paul Hardcastle verstand seinen Song als einen Tribut an die jungen Soldaten, die in einem unnötigen Krieg ihr Leben gelassen hatten und vertrat somit eine recht deutliche Antikriegshaltung (vgl. Simpson 2012). Das Spiel greift die Bedeutungsebene des Tributs auf und expliziert sie auf seiner Verpackung: »Inspired by the Paul Hardcastle song of the same name, 19 is a tribute to the young men who fought in Vietnam.« Diese direkte Referenz auf Hardcastles Song kann als Maßnahme der Authentifizierung gelesen werden. Das Spiel partizipiert dadurch am Aussagegehalt des Songs und markiert sich selbst als ein Produkt, das etwas zum Vietnamkrieg zu sagen hat, in diesem Fall als ein Medium der Erinnerung im Modus der Ehrerweisung. Das Reenactment wird hierbei – als Versprechen – Teil dieser Form der Erinnerung. Der Verpackungstext adressiert den Spieler diesbezüglich direkt und suggeriert die Möglichkeit, einen magic moment erleben zu können: »Imagine it’s 1965 and you’re 19…an American in an American town. Your family and friends. College. Girl Friends. The people and things you know. Comfortable…

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And then one morning your world is shattered. You’re young…You’re content…You’re comfortable…but you’re drafted. […] Never allowed to rest, your drill sergeant will take you through a series of exercises each assessing different characteristics.«

Die Besonderheit des Spiels liegt in der für die Thematik einzigartigen Spielsituation und in der Verbindung mit Hardcastles Song. Mit Fokus auf virtuelle Formen der Körperlichkeit und die Setzung des Spielers soll nun betrachtet werden, wie das Spiel 19 seinen Spielraum konkret ausgestaltet und sich durch diese mediale Situierungsleistung in den eben umrissenen Kontext stellt.

D ER S PIEL -K ÖRPER

IM BOOT CAMP

Was Aspekte der Körperlichkeit in Erinnerungen an die boot campSituation betrifft, lässt sich zunächst festhalten, dass sie von Prozessen der Uniformierung und Spezialisierung berichten. Der Eintritt in das boot camp bedeutete für die Rekruten von Beginn an, bewussten Versuchen, ihre leibliche Individualität zu nivellieren, ausgesetzt zu sein. William Daniel Erhart berichtet in ordinary lives, einer Sammlung von Biographien der Mitglieder des Platoons 1005, dem er auch angehört hatte, über die Verrichtungen am ersten Tag nach seiner Ankunft im boot camp Folgendes: »Packing up the clothes we were wearing and addressing the packages to some place called home, casting off the last traces of another life and donning oversized green utilities designed to make you feel puny and lost and awkward and identical to everyone around you.« (Erhart 1999: 6)

Einen weiteren, sichtbaren Ausdruck findet dieser Aspekt in der Rasur des Kopfhaares: »All your hair’s gone. You don’t even know who you are«, fasst ein Veteran in Mark Bakers NAM (2000: 14), einer Sammlung von Erinnerungen an Vietnam, den damit verbundenen Verlust von Individualität zusammen. Worauf die solcherart entindividualisierten Rekrutenkörper als einigendes und identitätstiftendes Element im Zuge der Ausbildung verpflichtet wurden, war die Spezialisierung ihres Körperwissens, vor allem auf den Gebrauch von Waffen. Die genretypische Spielmechanik, die 19

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aufweist, ahmt die Betonung dieses Aspektes der Spezialisierung des Körperwissens nach. Die Architektur des Spiels gliedert sich in vier große Abschnitte, die spielerisch unterschiedlich aufgebaut sind und jeweils einer Fähigkeit entsprechen, die trainiert werden soll. Der erste Abschnitt repräsentiert den Lauf durch einen Hindernisparcours. Der Spieler muss die Spielfigur innerhalb eines vorgegebenen Zeitlimits durch ein Waldstück steuern und dabei diverse Hindernisse springend oder kletternd überwinden. Der Bildschirmausschnitt bewegt sich, den Lauf der Spielfigur begleitend, von links nach rechts. Entgegen der genreüblichen Belegung jeweils eines Aktionsknopfes mit einer direkt korrespondierenden körperlichen Reaktion der Spielfigur, wie Springen, Feuern usw., beruht die Spielmechanik in diesem Spielabschnitt auf einem anderen System. Der Spieler lädt durch das Drücken des entsprechenden Knopfes einen Balken auf, den er zentral am unteren Bildschirmrand sehen kann. Dieser Balken muss sich an der richtigen Stelle befinden, sobald die Spielfigur an der richtigen Position vor dem jeweiligen Hindernis angelangt ist, um dieses zu überwinden. Die Spielfigur reagiert nur, wenn dieses Verhältnis zwischen ihrer Position und der Füllung des Balkens richtig austariert ist. Im zweiten Abschnitt, der shooting range, stellt das Spiel das Training an der Waffe dar. Es nutzt dazu eine gänzlich unterschiedliche Darstellungsweise und versetzt den Spieler in die Egoperspektive, von der aus er durch das Zielfernrohr seiner Waffe blickt und auf Zielscheiben feuert. Auch auf der shooting range bildet ein Zeitlimit, innerhalb dessen eine sich mit jeder Runde erhöhende Punktezahl erreicht werden muss, das strukturierende Element. Werden Zielscheiben getroffen, die Zivilisten darstellen, zieht das Spiel Punkte ab. Der dritte Abschnitt wechselt wiederum das Genre und stellt eine Variante eines Rennspiels dar. Der Spieler hat einen Jeep innerhalb eines Zeitlimits durch ein mit Hindernissen versehenes Gelände zu steuern. Er blickt aus der Third Person-Perspektive, mit dem Horizont als Fluchtpunkt, auf das Fahrzeug. Ziel dieses Spielabschnittes ist es wiederum möglichst viele Punkte durch Kollisionsvermeidung und das Sammeln von auf der Strecke verteilten Icons in Form militärischer Paraphernalien (Stiefel, Sterne, Abzeichen u.ä. ) zu erreichen. Der letzte Spielabschnitt ist schließlich dem Genre des Kampfspiels zuzurechnen. Der Spieler hat sich, wiederum unter zeitkritischen Bedingun-

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gen, in einer Zweikampfsituation gegen einen Ausbilder zu behaupten. Ziel ist es, die Attacken des Ausbilders zu überstehen bzw. sich buchstäblich mit Händen und Füßen dagegen zu wehren. Eine erfolgreiche Absolvierung dieses Abschnittes setzt voraus, dass der Energiebalken des Spielers am Ende des Trainingskampfes zumindest denselben Stand wie jener des Ausbilders aufweist. Bonuspunkte werden vergeben, wenn es dem Spieler gelingen sollte, den Ausbilder niederzustrecken. Zunächst fällt auf, dass diese Spielabschnitte unterschiedliche Spielerperspektiven verwenden und die Körperdarstellungen dadurch uneinheitlich wirken. Der Spieler sieht entweder seitlich auf seine Spielfigur, ihm wird nahegelegt mit ihren Augen durch ein Zielfernrohr zu blicken oder er nimmt eine Perspektive hinter dem von seiner Figur gesteuerten Jeep ein. Das Erscheinungsbild der Spielfigur selbst ist generisch und vermittelt (bewegt-)bildlich einen wichtigen Aspekt der Erfahrung der Einebnung leiblicher Individualität. Soweit dies zu erkennen ist, handelt es sich bei der Spielfigur um einen weißen, jungen Mann in grüner Soldatenkleidung 4 (Abb. 1). Einen detaillierteren Hinweis auf das Erscheinungsbild liefert der Titelbildschirm des Spiels, der ein Motiv in digitaler Form darstellt, das auch auf der Verpackung des Spiels zu finden ist (Abb. 2). Es zeigt einen jungen Soldaten, der auf einer Art Holzblock oder einer Kiste sitzend, seinen kahlrasierten Schädel dem Betrachter zuneigt. Sein Blick scheint leer und in die, hinter dem Betrachter liegende Ferne gerichtet. Seine Hände sind locker auf einen Helm gestützt, der auf seinem Oberschenkel platziert ist. Geste und Blick scheinen Erschöpfung und Resignation auszudrücken. Die Bewegungsabläufe der Spielfigur sind äußerst sparsam animiert, einzig in den Abschnitten des Hindernisparcours und des unbewaffneten Kampfes verrät ein sich hebender und senkender Brustkorb schwere Atmung und damit physische Anstrengung. All diese Einschränkungen in Bezug auf die äußerlichen Charakteristika der Spielfigur in 19 sind sicherlich auch auf die technischen Limitierungen der Plattformen, für die das Spiel entworfen wurde, zurückzuführen. Dass man jedoch auf solche Details nicht verzichtete, ist Beleg für die Absicht, virtuelle Leiblichkeit zu suggerieren. 124F

4

Zumindest ist dies in der für den Commodore 64 erschienenen Version von 19 ersichtlich. In der Version für den ZX Spectrum ist die Spielfigur gänzlich grün eingefärbt.

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Abb. 1: Screenshot aus Cascades 19 (1988): Level 1 - Hindernisparcours

Quelle: Clemens Reisner.

Abb. 2: Verpackung der Version für den Commodore 64

Quelle: Clemens Reisner

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In der Ermöglichung und Limitierung körperlicher Praktiken hebt das Spiel auf eine Darstellung der körpertechnischen Spezialisierung und operationalen Verschmelzung mit Waffentechnologie ab. Die Algorithmen, mit denen 19 den Rekrutenkörper überschreibt und steuerbar macht, beruhen durchgängig auf der für Actionspiele üblichen Routine der zeitkritischen Eingabe von Steuerungsbefehlen und damit also auf dem Prinzip eines Reaktionstests. Der Effekt, der hierdurch strukturanalog bei Spieler und soldatischer Spielfigur – neben der Erzeugung zeitlichen Drucks – erzielt wird, ist der Eindruck des Zusammenfallens der Steuerung des Körpers mit der Steuerung der Maschinen. Im Abschnitt, der die Navigation mit dem Jeep zum Inhalt hat, wird dies, vor allem visuell, evident. Hatte man zuvor noch den Körper seines Rekruten dirigiert, ist er hier mit einer Maschine verschmolzen. Auch die Navigation durch den Hindernisparcours erzeugt durch die Konfiguration der Steuerung einen ähnlichen Eindruck. Dadurch, dass die Spielfigur, abgesehen von der Richtungsvorgabe und der einfachen Fortbewegung, nicht unmittelbar auf die Betätigung eines Aktionsknopfes reagiert, sondern der Umweg über das Austarieren des Energiebalkens genommen werden muss, entsteht ein Stück weit der Eindruck des Körpers als einer autonom arbeitenden Maschine, die im Gleichgewicht gehalten werden muss, um reibungsfrei zu laufen. Analog zu den Spielabschnitten auf der shooting range, wird das Reagieren im richtigen Moment, das auch von tatsächlicher situativer militärischer Relevanz ist, spielerisch in den Vordergrund gestellt. Einzig der Spielabschnitt, der den unbewaffneten Kampf repräsentiert, versucht eine möglichst unmittelbare Verbindung zur Spielfigur herzustellen, indem jeweils ein Knopf einer Aktion zugeordnet wird. Diese Spielarchitektur der Verschränkung von Mensch und Waffe verweist auf den in Erzählungen des Vietnamkrieges relativ häufig erwähnten Aspekt der Waffen- und Militärtechnologie 5 (vgl. Erhart 1999: 6-7; Bender 2012: 179-187). In den Worten eines ehemaligen Rekruten: »[…] by the time you get to the end of that whole process you feel like you are the baddest thing that ever walked the earth« (Baker 2000: 17). Aus Zeugnissen wie den Schilderungen im bereits zitierten ordinary lives wird ebenso ersichtlich, wie sehr die Situation im Ausbildungslager 125F

5

Wie Bender (2012) am Beispiel des Hubschraubers in Vietnamkriegsspielen gezeigt hat, ist die technische Überlegenheit ein Motiv, das in neueren Spielen häufig gezielt gebrochen wird.

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gewissermaßen das ganze Leben in zu verrichtende und lernende Tätigkeiten fragmentierte. Im boot camp weitete sich die militärische Logik auf alle Aspekte des täglichen Lebens aus: »[…] eating together, sleeping together, shaving together, showering together, shitting together […] marching together, exercising together, running together, cleaning the squad bay together, sweating together, polishing boots together, rubbing linseed oil into the stocks of our rifles together, memorizing the entire chain of command from our DIs up to the Commander in Chief together […].« (Erhart 1999: 10)

Wenn 19 ein Tribut an die militärische Grundausbildung der jungen Männer, die in Vietnam gekämpft haben, sein soll, ließe sich fragen, warum nicht eine Aufgabe inkludiert wurde, die diese offenbar einschneidende Vereinnahmung ausdrückt? Würde es um eine möglichst authentische und immersive Erfahrung des boot camps im Modus des Tributs gehen, würde die Betonung solcher Aspekte zweifelsohne dazu beitragen, die Diversität der Situation im Ausbildungslager auch in Bezug auf psychischen Druck und Stress, der bereits durch die zeitkritische Struktur der Spielabschnitte hervorgehoben wird, nochmals zu akzentuieren. 19 scheint stattdessen aber Anschluss an eine Form der Erinnerung zu suchen, die vor allem in Actionfilmen und spielmechanisch ähnlich gelagerten Spielen der Zeit zu finden ist. Die gebrochenen und aufgrund ihrer Traumatisierung mitunter auch bedrohlichen Körper der Vietnamveteranen, wie sie in den 1970ern noch verstärkt in populärkulturellen Kontexten erschienen, wandelten sich in den populärkulturellen Geschichtsdarstellungen der 1980er zu heroischen Körpern im klassischen Sinn. Ein Teil dieses Transformationsprozesses betraf dabei genau das Verhältnis zwischen Waffentechnologie und Körperlichkeit. An der Filmfigur ›John Rambo‹ ist das diesbezüglich zentrale Bemühen um die Betonung der Wichtigkeit des menschlichen Faktors in der Kriegsführung abzulesen. Waffentechnologie, so ließe sich der Aussagegehalt hier überspitzt auf den Punkt bringen, ist wertlos ohne die Seele und Menschlichkeit derer, die sie bedienen. Bekanntlich war die in Vietnam zum Einsatz gelangte Militärtechnologie ein zentraler Punkt der Auseinandersetzung mit dem Vietnamkrieg. Während des Krieges stellten sich Fragen nach der Verhältnismäßigkeit des Einsatzes hochtechnisierten Kriegsgeräts. Nach dem Krieg schien die Niederlage, angesichts des massiven Einsatzes militärischer Hochtechnologie, umso unfassbarer. John Rambos

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archaische Bewaffnung, Bogen und Messer, scheinen vor diesem Hintergrund wie ein Angebot zur Versöhnung, das besagt, dass es nicht die Unzulänglichkeit amerikanischer Soldaten war, die zur Niederlage geführt hatte, sondern im Gegenteil, äußere Umstände sie daran gehindert hätten, gewissermaßen zu zeigen, wozu sie, zur Not auch mit einfachen Mitteln, imstande sind (vgl. Turner 2001: 64-68 u. 89-95; Engelhardt 1998: 275; Jeffords 2004: 28-52, insbesondere 38-41). Ein Echo dieser geschichtspolitischen Konstellation scheint auch in Spielen wie 19 in der Art vernehmbar, wie zwischen Avatar- und Spielerkörper übersetzt wird. 19 ermöglicht dem Spieler einige genreübliche Konfigurationsmöglichkeiten, um der Spielfigur eine bis zu einem gewissen Grad individuelle Identität zu verleihen und so die Identifikation mit ihr zu stärken. Der Spieler hat die Möglichkeit, seiner Figur zu Beginn des Spiels einen selbstgewählten Namen zu geben. Er erhält eine Rekrutierungsnummer, grafisch repräsentiert durch eine während des Spiels eingeblendete Erkennungsmarke, und, vielleicht am entscheidendsten, die erzielte Leistung wird am Ende zu einem Gesamtpunktestand aufgerechnet. Das Spiel errechnet, nach einem kompletten Durchlauf durch alle vier Abschnitte, für die Werte Kondition, Koordination und Moral Beurteilungen auf Basis der in den Spielabschnitten erzielten Punkte. Es verläuft zyklisch in so vielen Runden, bis die Gesamtbewertung einem wünschenswerten Kriterium entspricht. 19 hat somit kein Ende im Sinn eines geschlossenen Narrativs. Stattdessen bildet die Optimierung den Spielinhalt und die Basis der Einheit des Spiel-Körpers. Das boot camp ist in 19 somit eine Möglichkeit, sich in die Vorbereitung der historischen Rekruten auf den Ernstfall zurückzuversetzen, indem spielerisch durch Üben und die Optimierung des Spiel-Körpers diese Phase von Vietnambiographien virtuell-performativ nachvollzogen wird. Die Bewertungskriterien für die erzielten Leistungen und die Konfigurationen am Spielbeginn fungieren als Klammer, welche die unterschiedlichen Formen der Körperlichkeit des Avatars schlussendlich zusammenfügt. Den Handlungen und Praktiken der historischen boot camp-Situation wird damit ein operationaler Sinn zugeschrieben, nämlich die »funktionierende« Vorbereitung auf den Einsatz im Kriegsgebiet, die tatsächlich vielleicht gar nicht effektiv in dieser geordneten Weise stattgefunden, oder genauso funktioniert hat. Der Anspruch des Spiels scheint hier der einer eher strukturellen als detaillierten Übereinstimmung zu sein. Diese Ausrichtung sollte in Combat

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Zone, der ursprünglich geplanten Fortsetzung zu 19, ihre Einlösung erfahren. Der Spieler hätte darin die Möglichkeit erhalten, mit der im ersten Teil entworfenen Spielfigur, mitsamt den erspielten Trainingswerten, in tatsächliche Schlachten des virtuellen Vietnamkriegs zu ziehen. Bewusst oder unbewusst stellt die Spielmechanik dem Spieler also in Aussicht, es besser machen zu können als die Soldaten in Vietnam und positioniert sich damit in einem spezifischen Teilbereich des Diskurses um die Erinnerung an Vietnam, der sich um die Wiederaufführung kriegerischer Handlungen dreht. Ersichtlich wird dies beispielsweise auch anhand der folgenden Begebenheit. Das Computerspielmagazin Computer + Video Games schaltete aus Anlass der Veröffentlichung von 19 eine Anzeige für ein auf das Spiel bezogenes Gewinnspiel. Der offensichtlich als thematisch geeignet empfundene Hauptpreis bestand aus einem Ausflug auf ein Paintball-Gelände (o.a.A. 1988b: 88). Laut Turner wurde Paintball, eine Kreation eines Vietnamveteranen und eines Drehbuchautors für Actionfilme, entgegen den Intentionen seiner Schöpfer gleichermaßen zur Traumabewältigung mittels Reenactment von Vietnamkriegserfahrungen wie zur Festigung heroisch männlicher Identität des durch Vietnam gebrochenen Männlichkeitsbildes genutzt (vgl. Turner 2001: 155-156). Über die Generation von amerikanischen Männern, die während oder nach der militärischen Intervention der USA in Vietnam erwachsen geworden waren, hält Turner in Anlehnung an William Gibson fest: »Cut off from the American tradition of masculinity, these men began to play at combat in the hopes of restoring themselves to what they imagined was their rightful place in the long line of aggressive American males.« (Ebd.)

Zu den Möglichkeiten dieser spielerischen Kampferfahrung zählten, neben Paintball, auch digitale Spiele. Im Fall von 19 suggeriert gerade die Wahl des boot camps als Spielraum durch intensives Training einen korrigierenden Eingriff in die demütigende Erfahrung des Vietnamkrieges vornehmen zu können. Damit bewegt sich das Spiel, wie bereits angedeutet, auf einer eigentümlichen Grundlage zwischen einem Referenzprodukt mit Antikriegsbotschaft und dem Anschluss an einen gewinnträchtigen Diskurs der zeitgenössischen Populärkultur. Gewinnträchtig ist hier gleichbedeutend mit der Implementierung einer genretypischen Spielmechanik, die sich zunächst

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schlüssig mit der boot camp-Situation in Verbindung bringen lässt, da bei Spielen dieses Genres das Training der Reaktionen des Spielers den Spielmechaniken eingeschrieben ist, der Spiel-Körper sich also per se gewissermaßen in einer Art Trainingslagersituation befindet. Nicht zuletzt erscheint in diesem Zusammenhang bemerkenswert, dass es sich bei 19 um eine britische Produktion handelt. Bestimmte Motive und erinnerungskulturelle Muster des Diskurses um Vietnam scheinen also durchaus internationale, wenn nicht globale Geltung entwickelt zu haben. Dennoch lässt sich vermuten, dass das Entwicklerstudio Cascade dem unmittelbaren gesellschaftlichen Kontext der Erinnerung an den Vietnamkrieg und dem damit verbundenen Druck entzogen und damit vermutlich zunächst freier in der Gestaltung war. Wie aus zwei Ankündigungen in den Magazinen Computer + Video Games sowie Sinclair User hervorgeht, hatte Cascade ursprünglich geplant, eine dreiteilige Spieleserie, mit dem hier vorgestellten Spiel als erstem Teil, zu entwickeln, wobei: »One innovative twist is that you will be able to dodge the draught (sic!). Cascade is currently planning a sub-game where you wander around the streets of San Francisco, tumbling toward the underworld and avoiding the FBI. Apparently Cascade has been told that the game should strongly put across the message that war is wrong etc. by the record company from whom it bought the license.« (o.a.A. 1988c : 8)

Offensichtlich hatten frühe Entwürfe den Spieler vor die Entscheidung stellen wollen: »Will you fight the war or will you fight the draft?« (Computer + Video Games 69: 8). Die Tatsache, dass Cascade nicht mehr dazu gekommen war den zweiten Teil zu entwickeln, legt nahe, dass die Firma sich möglicherweise schon zu Produktionsbeginn in Schwierigkeiten befunden hatte und sich deswegen gezwungen sah, die Lizenz möglichst lukrativ zu verwerten. Das heißt Cascades spielerische Umsetzung von Hardcastles Song ignorierte letztlich die, auch von den Lizenzgebern eingeforderte, Antikriegshaltung zugunsten einer eher herkömmlichen, also dem Zielpublikum bekannten und damit potentiell besser verkäuflichen Spielgestaltung. Die Ehrerweisung an die jungen Rekruten des Vietnamkrieges in 19 besteht also hauptsächlich darin, dem gesellschaftlichen Trauma ›Vietnam‹ einen Spiel-Körper entgegen zu stellen, der wesentlich durch das Versprechen der Möglichkeit des personalisierten Durchlebens der boot camp-Situation unter auf Waffengebrauch fokussierten Bedingungen entsteht.

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Abschließend soll nun der Frage nachgegangen werden, was diese Feststellungen für die Frage nach dem Reenactment der boot camp-Situation in 19 bedeuten könnte.

S CHLUSS Wenn die somit umrissene Konstellation mit der durch die Anbindung an den Song 19 entstehenden Antikriegsreferenz abgeglichen wird, tut sich ein grundlegendes Paradoxon auf. Das Versprechen des Reenactment und die Elemente des Spiels geraten gewissermaßen in ein Missverhältnis, das letztlich auch einen magic moment des Einfühlens in die historische boot campSituation unwahrscheinlich macht. Aus den zeitgenössischen Rezensionen zu 19 lässt sich eine gewisse spielerseitige Sensibilität für diesen Widerspruch herauslesen. In einer Besprechung des Magazins CRASH heißt es beispielsweise »[…] I can’t wait for the sequel, Combat Zone, even though in 1965 I’m sure the real allAmerican kid had quite other feelings!« (Roberts 1988: 16). Die im Magazin Your Commodore erschienene Rezension des Spiels hält fest: »It’s not half-bad, for a completely macho affair […]« (Henderson 1990: 57), und spielt damit auf die Nähe des Spiels zu den populären Männlichkeitsbildern der Zeit an. Eine ähnliche Intention verfolgt die Rezension im Commodore User Magazine, schlägt dabei aber einen deutlich ironischeren Ton an: »Situated thousands of miles away from ‘Nam in America (right hand over heart, look at sky patriotically) you (and up to three unlucky buddies) have been drafted to fight for freedom, democracy and liberty. But before you get to kick the hides of some Commie pinko subversive Charlies, basic training has to be mastered.« (Patterson 1988: 26)

Noch deutlicher heißt es in einer Vorschau auf das Spiel im Magazin CRASH: »Ignoring the point of the song […] Cascade has based the first part of the game on the training of a young recruit« (o.a.A. 1988 a: 109). Das Spiel kann bei den Nutzern Reflexionen über die Situation der für den Vietnamkrieg rekrutierten Soldaten oder vielleicht eine weiterführende Beschäftigung mit diesem Thema ausgelöst haben. Es mag aber auch als reine Geschicklichkeitsübung rezipiert worden sein und so seinen Platz in

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den Spielesammlungen neben Track & Field und Combat School gefunden haben. 19 ist unabhängig von seiner Rezeption in jedem Fall eine Form der Reaktualisierung von Geschichte mittels einer bestimmten Medialität und Situierung seiner Nutzer, die den Kontext der geschichtskulturellen Auseinandersetzung mit dem Vietnamkrieg während der 1980er Jahre widerspiegelt. Die Aussicht darauf, als Spieler in ein boot camp versetzt zu werden und sich ganz im Sinne populärer Figuren aus dem Action-Kino und anderen ähnlich gelagerten Spielen als Soldat zu beweisen, trifft in 19 auf die Remedialisierung eines Referenzproduktes mit klarer Antikriegshaltung. Das Reenactment als magic moment kann im Fall von 19 eher als ein Versprechen und Teil einer medialen Situierungsleistung angesehen werden. Die Kategorie Reenactment ist aber deswegen, wie dieses Beispiel zeigt, für digitale Spiele mit historischem Inhalt alles andere als irrelevant. Als Versprechen ist das Reenactment Teil der geschichtskulturellen Spezifik digitaler Spiele und kann dazu beitragen, zu verstehen, wie sie sich in einen spezifischen nonverbalen geschichtskulturellen Diskurs einbringen. Im vorliegenden Fall führt die Mischung aus Antikriegsbotschaft, einer Spielmechanik, die den kompetitiven Praktiken der Spielhallen entstammt und dem Versprechen eines magic moment zu einer Konstellation, die sich in den Diskurs einer rehabilitierenden kontrafaktischen, aber Authentizität in gewissem Masse dennoch beanspruchenden, Wiederholung von Kampfhandlungen einreiht. Für eine medienpraktisch ausgerichtete Geschichte der Geschichtspolitik und Erinnerungskultur kann die Untersuchung digitaler Spiele eine gewinnbringende Perspektive darstellen, die das Versprechen des Reenactment auch mit Hilfe von Verpackung, Spielersituierung, Einbettung in der Medienlandschaft als Teil der Medialität digitaler Spiele begreift und nicht nur auf narrativer Ebene diegetisch-inhaltsanalytisch arbeitet.

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L ITERATUR Baker, Mark (2000): Nam, London: Abacus. Bender, Steffen (2012): Virtuelles Erinnern. Kriege des 20. Jahrhunderts in Computerspielen, Bielefeld: transcript. Calleja, Gordon (2011): In-Game. From Immersion to Incorporation, Cambridge Massachussetts: MIT Press. Engelhardt, Tom (1998): The End of Victory Culture. Cold War America and the Disillusioning of a Generation, Amherst: University of Massachusetts Press. Erhart, William Daniel (1999): Ordinary Lives. Platoon 1005 and the Vietnam War, Philadelphia: Temple University Press. Fritz, Jürgen (2013): »Mein virtueller Körper und ich. Zum ›corpus virtualis‹ in digitalen Spielen«, in: Rudolf Thomas Inderst/Peter Just (Hg.), Build ࡑem Up – Shoot ࡑem Down. Körperlichkeit in digitalen Spielen, Glückstadt: Verlag Werner Hülsbusch, S. 76-121. Galloway, Alexander (2006): Gaming. Essays on Algorithmic Culture, Minneapolis: University of Minnesota Press. Henderson, Rik (1990): »19 Boot Camp«, in: YC August 1990, S. 57 (Zugriff über: https://archive.org/details/70-your-commodore-magazine, 28.02.16). Henschen, Jan/Sittler, David (2012): »›We shall never know, how Nietzsche felt the wind in his hair as he walked on the mountains‹. Re-enactment, Re-Animation und Historiographie nach Robin G. Collingwood«, in: Ulrike Hanstein/Anika Höppner/Jana Mangold (Hg.), Re-Animationen. Szenen des Auf- und Ablebens in Kunst, Literatur und Geschichtsschreibung, Wien: Böhlau, S. 155-171. Jeffords, Susan (2004): Hard Bodies: Hollywood Masculinity in the Reagan Era, New Brunswick: Rutgers University Press. Roberts, Nick (1988): »Assault and Batteries Included«, in: CRASH ZX Spectrum 56, S. 16 (Zugriff über: https://archive.org/details/ Crash_No. _56_1988-09_Newsfield_GB, 05.03.16). o. a. A. (1987): »News«, in: Computer + Video Games 69, S. 8 (Zugriff über: https://archive.org/details/computer-and-videogames-069, 28.02. 16).

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Spiele 19 part one boot camp, Cascade Software, 1988. Combat School/boot camp, Konami, 1987. Raw recruit, Software Creations Ltd., 1988. Track & Field, Konami, 1983. Filme FULL METAL JACKET (1987) (UK/USA, R: Stanley Kubrick).

Revisionen

Zeuge werden V ERENA M UND

Wenn man ein Ereignis wiederholt, dann wird vorausgesetzt, dass dieses Ereignis in seinen Grundmomenten feststeht. Ein Gerichtsverfahren tagt und urteilt über einen Tathergang erst nach dem Ende des Untersuchungsverfahrens. Ein Reenactment bezieht sich auf einen in Ort und Zeit datierbaren Vorfall. Beide, Gerichtsverfahren wie Reenactment, zielen darauf, in der Wiederholung eine Bedeutung zu erzeugen, die angemessen ist. Während jedoch das Reenactment eine Bedeutung des Ereignisses für die Gegenwart erzeugen und erhalten wissen will, ist das Gericht bestrebt, einen

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Vorfall in ein Ereignis der Vergangenheit zu überführen. 1 In beiden Fällen geschieht das vor Zuschauern (vgl. Schneider 2011; Vismann 2011). Ein Ereignis ergibt sich als eine Reihe von Begebenheiten, die in einen Zusammenhang gestellt werden und dadurch ein Vorher von einem Nachher unterscheiden (Koselleck 1979: 144f.). Bezogen auf das Gerichtsverfahren bedeutet das, es 126F

»unterbricht die schlichte Dauer und stellt damit in Aussicht, dass die Zeit nach Prozessende eine andere geworden sein wird. […] [D]as, was zur Verhandlung drängt, [soll] in eine andere Zeitdimension überführt werden. Es soll zu etwas werden, das stattgefunden hat.« (Vismann 2011: 37)

Es handelt sich um ein notwendiges Gegenereignis, welches das vorgängige Ereignis erst fassbar macht. Den Zusammenhang eines Ereignisses leistet eine Erzählung. Je nachdem, wen man fragt oder welche Dokumente man hinzuzieht, verschiebt sich die Rede von dem, was sich zugetragen hat, werden Begebenheiten betont oder weggelassen oder überhaupt erwähnt. Damit ein Ereignis stattgefunden haben kann, oder: damit es als solches Geltung hat, muss eine Einigung auf eine Erzählung stattfinden. Man braucht einen gemeinsamen Anfang. Gerade wenn die Einigung in Frage gestellt wird, bietet sich der Anfang an, um unter den Tisch Gefallenes hervorzuholen: »Wir hatten einen Jäger, der Polizist war – früher.« 2 Auch der Tisch selbst wird damit hervorgeholt.3 127F

1

128F

Rebecca Schneider dekonstruiert ein ähnliches Verhältnis in der zeitlichen Orientierung zwischen Performance und Reenactment: »[Reenactment] poses a certain challenge to our long-standing thrall, fueled by art-historical analysis of performance, to the notion that live-performance disappears by insisting that, to the contrary, the live is a vehicle for recurrence – unruly or flawed or unfaithful to precendence as that recurrence may threaten to be.« (Schneider 2011: 29) Gericht und Performance hätten demnach die Auffassung gemein, dass nur das, was aufgezeichnet wurde während der Verhandlung/Performance, in Zukunft Bestand hat/haben soll; im Fall des Gerichts wären das Akten und Protokolle. Die Ausführung der Strafe ist zwar eine Folge, ist jedoch nicht Teil des Ereignisses, das verhandelt wurde.

2

Norma M. Pahl in REVISION (D 2012, R: Philip Scheffner, 0:29:01)

3

Neben dem Vorhang, der die Urteilsfindung verhüllt, stellt Cornelia Vismann den Tisch als zweite elementare architektonische Einheit des Gerichts heraus

Z EUGE WERDEN

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Am Morgen des 29. Juni 1992 werden Eudache Calderar und Grigore Velcu an der deutsch-polnischen Grenze erschossen. Wie war das möglich? Wenn man diese Frage 20 Jahre später stellt, fragt man zugleich danach, wie es möglich ist, dass für diese Frage keine hinreichende Antwort gefunden wurde – dass dem Ereignis bis heute keine angemessene Bedeutung zugekommen ist. Ein Gericht hat nicht nur die Aufgabe zu urteilen, sondern es muss auch einen Prozess veranstalten, d.h. es muss eine Versammlung mit einer Vorführung von Fakten erfolgen. Dieses theatrale Dispositiv des Gerichts gewährleistet eine rituelle Funktion, ein Verarbeiten des kollektives Traumas, das durch die Tat ausgelöst wurde (vgl. Vismann 2011: 31-37). 4 Ein Verbrechen, das als Ding außerhalb der symbolischen Ordnung steht, muss handhabbar werden, d.h. in eine sprachlich handhabbare Sache überführt werden. Die Tat muss auch im wörtlichen Sinne ein Nachspiel haben. Auch das ist die Aufgabe des Gerichts: Das »Nachspielen verspricht die fundamentale Befriedigung des Dings« (ebd.: 37). Anders gesagt, ein mangelndes Nachspielen verlangt erneut nach einem Nachspiel. Das ist der Einstieg von REVISION. 5 129F

130F

In Philip Scheffners Film REVISION gibt es viele, die zu seiner Fassung des Verbrechens an Eudache Calderar und Grigore Velcu beitragen. Mehr als in dem Gerichtsverfahren, das für seine Zwecke auch versucht hatte, das Geschehen in einem Getreidefeld bei Nadrensee zu rekonstruieren. Scheffner baut einen filmischen Raum, der unterschiedliche filmische Orte (von Zeugenaussagen) kombiniert. Aus den einzelnen Erzählungen wird deshalb keine vollständige und auch keine einheitliche Erzählung, es entsteht eher

(vgl. Vismann 2011: 164): »Er teilt das Gericht von denen, die davor stehen, und das, was zur Sache auf den Tisch kommt, von jenem, was darunter fällt.« (Ebd.: 167) 4

Anders als Vismann zentriert Pierre Legendre, von dem sie das Réjouer übernimmt, die Beschreibung des Theatralen des Gerichts vornehmlich um die Anweisung des Redens-zur-Sache (vgl. Legendre 2011: 28). Das Réjouer sieht er als eine hervorragende Aufgabe für die Gerichtsberichterstattung (vgl. ebd.: 8588). Demgegenüber versteht Vismann den Ort des Gerichtsaals als »unabdingbaren Bestandteil des Nachspielens« (Vismann 2011: 32).

5

Das Drehbuch zu REVISION stammt von Merle Kröger und Philip Scheffner.

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ein filmischer Raum des Unter-den-Tisch-Gefallenen, auch der Umstand von unwiederbringlich Verschüttetem ist präsent in diesem Raum. Das in Flammen stehende Feld scheint hier auf. Der Tatort, der für die Spurensicherung bereits kurz nach der Tat unbrauchbar gewesen war. Der Filmtitel lässt sich einerseits als filmische REVISION verstehen, was eine (er)neu(t)e Betrachtung einer bereits erzählten Geschichte erwarten lässt. Der filmische Raum in REVISION kann jedoch auch als Verhandlungsraum betrachtet werden: das im Gerichtsverfahren auf den Tisch Gekommene wird mit dem darunter Gefallenen ergänzt und konfrontiert. Die Frage des Sortierens und des In-Augenschein-nehmens wird selbst aufgeworfen. Der Film ließe sich in seinem Vorgehen dann ebenso im juristischen Sinne als REVISION betrachten, denn er zeigt Verfahrensmängel auf. Allerdings geht er auch über eine solche juristische REVISION hinaus, indem er neue Beweise aufnimmt, welche das Gericht nicht berücksichtigt hatte. 6 Gleichwohl ist der filmische Raum in REVISION ohne Frage anders beschaffen als der Raum des Gerichtsaals, in dem Raum und Zeit für alle Versammelten identisch sind. Nicht nur die mangelnde legale Autorität unterscheidet den Film von einer rechtssprechenden Instanz. 13F

Das Strafprozessverfahren wegen fahrlässiger Tötung dauerte rund zehn Jahre. Die Familien Calderar und Velcu wurden von den deutschen Behörden zu keiner Zeit über dieses Verfahren informiert. »[Wir] brauchten die Verwandten in Rumänien für diesen Prozess nicht«, erklärt sich der Staatsanwalt. Anders gesagt, es interessierte nicht, ob die Verwandten die Möglichkeit hatten, an der Versammlung vor Gericht teilzunehmen, ob sie eine Chance hatten, der Einordnung des Verbrechens beizuwohnen. Aber nicht nur die Familien werden aus dem Verfahren ausgegrenzt, es wird darüber hinaus auch nicht in Betracht gezogen, den Augenzeugen Yaman Diza Gogo, genannt Fildesan, der bereits vor Prozessbeginn abgeschoben worden war, für das Gerichtsverfahren aus Rumänien einzuflie-

6

Die entsprechenden Bestimmungen zur Berufung finden sich in §323 bzw. zur Revision in §337 und §338 der deutschen Strafprozessordnung (vgl. http:// www.gesetze-im-internet.de/bundesrecht/stpo/gesamt.pdf vom 04.12.2014).

Z EUGE WERDEN

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gen. 7 Mag sein, dass dies aus Kostengründen nicht geschah, 8 sicherlich aber auch, weil sich seine Aussage im Gerichtsaal als sperrig gestaltet hätte. Denn das Verfahren orientiert sich an einem Stellvertreterprinzip, einem distanzierten Sprechen ›im Namen von‹, und an einem Modell hochgradig geregelter Kommunikation: des Zur-Sache-Redens. Das Gericht ist bemüht, Beiträge zu kanalisieren, dazu anzuhalten, Erlebtes so emotionslos und so körperfern wie möglich zu erzählen. Das hingegen, auch wenn er sich sichtlich bemüht, fällt Fildesan außerordentlich schwer. Manchmal agiert er seine Beschreibung gestisch aus. Einmal muss er seine Aussage im Film unterbrechen, immer wieder halten ihn Tränen vom Weitersprechen ab. Dann spricht er von den Schmerzen, die ihm die Erinnerung an und vor allem das Erzählen von dem traumatischen Ereignis immer wieder bereitet hat und noch immer bereitet. Schon seit langem versucht er, die Geschichte zu Ende zu erzählen, doch sein Kopf schmerzt jedes Mal zu sehr. Die Geschichte, wie im Feld, gleich neben ihm, einem der Opfer der Kopf weggeschossen wurde. Vor Gericht bereitet so etwas Komplikationen. Denn als Reenactment ist Fildesans Aussage auch eine Körperarbeit des Erinnerns mit all dem, was nichts zur Sache tut: dem, was einer gegenseitigen Belebung von Gegenwart und Vergangenheit zuträglich ist. 9 Das Oszillieren zwischen dem erzählten Leid der Vergangenheit und dem gegenwärtigen Leid des Erzählens – verstärkt zumal durch die strenge Regelhaftigkeit der Kommunikationsvorgabe vor Gericht – ist etwas, das das Gericht bestrebt ist, zur Ruhe zu bringen und in Regelsprachliches zu überführen. 132F

13F

134F

7

Im Interview mit dem Staatsanwalt wird deutlich, dass Augenzeugenberichte schriftlich vorlagen, wobei das Verfahren aus Mangel an Beweisen eingestellt wird.

8

Grund könnte auch sein, dass seine Aussage im Zuge der Ermittlung nicht ernst genommen oder nicht verstanden wurde. Über den Zeitpunkt der Aussage lässt REVISION uns nur vermuten, dass Fildesan sie später – aber noch vor seiner Abschiebung – gemacht hat. Ihm zufolge hat er bereits damals darauf hingewiesen, dass das Fahrzeug der Schützen ein Polizeiauto gewesen sei. »Als wir geschrien haben ›Nicht mehr schiessen!‹, ist das Polizeiauto verschwunden.« (Yaman Diza Gogo, genannt Fildesan, in: REVISION, 0:54:14; VGL. AUCH 0:51:12)

9

Rebecca Schneider spricht von »inter(in)animation« (Schneider 2011: 1 u. passim).

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Das ›Reden zur Sache‹ ist hierfür die zentrale Anweisung des Gerichts an die Zeugen. Eine Anweisung, die den Aussagen Raum vor dem Auditorium des Gerichtsaals gibt, die diesen Raum aber auch vorgibt, die zensiert zwischen Relevantem und Irrelevantem, dem Sagbaren und dem Nicht-Sagbaren. Dabei handelt es sich durchaus um eine notwendige Zensur, um zur Sprache des Gerichts kommen zu können. Man ermächtigt sich des Verbrechens, indem man es in die Sprache des Rechts überführt und entsprechend darüber urteilt. »Nicht alles an einer Tat, nicht alles an einem Streit kann zur Sprache kommen.« Doch »[ist] das Untersagte, das gleichbedeutend ist mit dem Unsagbaren, […] im Prozess präsent. Es wird inszeniert.« (Vismann 2011: 51) Angesichts der durch die Tat verursachten Leiden kann eine solche rigide Inszenierung im Gerichtsaal unangenehm werden, auch für den regieführenden Richter. Und vielleicht zeigt die Anzahl von drei Verhandlungstagen über den Zeitraum von 10 Jahren auch den Wunsch an, dies vermeiden zu wollen. 10 135F

Wenn Vismann die spezielle Form des Nachspielens vor Gericht hervorhebt und sie von »Therapie« oder »Reenactment« klar unterschieden wissen will, 11 sieht sie eher davon ab, dass das »Unsagbare« durchaus, wie sie im obigen Zitat sagt, »im Prozess präsent ist«. Obwohl es durchaus den Raum erfüllt, unausgesprochen vielleicht, aber mitteilend: im Reenactment der Zeugen im Zuge ihrer Aussagen, die nicht nur aus Sprache bestehen, sondern aus Sprechen und Erinnern als einem körperlichen Akt. Eine Dimension des Reenactment, ein Potential dazu, gibt es im Gericht durchaus. Shoshana Felman beschreibt mit der Aussage des Zeugen K-Zetnik, der im Eichmann-Prozess und vor laufenden Kameras ins Koma fällt, ein ähnlich strukturiertes Geschehen, das ich in einer Hinsicht mit Fildesans Aus136F

10 Vismann beklagt, dass die theatrale Dimension des Gerichts heutzutage häufig als zu aufwendig und kostspielig gilt bzw. dass die überlasteten Gerichte nicht mehr in der Lage seien, diesem Auftrag gerecht zu werden (vgl. Vismann 2011: 23). 11 Allerdings arbeitet Vismann mit einem wenig erklärten Reenactment-Begriff, der sich einerseits auf ein Vorgehen in »TV-Dokumentationen« bezieht, andererseits spricht sie aber auch von »Wieder-Durchleben«, das das ›Nachspielen‹ ebenfalls nicht einschließen würde (Vismann 2011: 32).

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sage in Scheffners Film vergleichen möchte. Zwar geht es in K-Zetniks Aussage nicht nur um das Problem der Überführung des verbrecherischen Tuns in die Sprache des Rechts. Denn hier kommt die neue Qualität hinzu, dass die Sprache des Rechts die Verbrechen in den Vernichtungslagern nicht fassen kann, weil es nichts Vergleichbares in seiner Sprache vorgesehen hatte. Aber auch Felman stellt in ihrem Zusammenhang heraus, dass Recht, das auf die Versprachlichung drängt, und Trauma, als Sprachloses, sich im Dramatischen des Gerichts verschalten und dabei einen Kurzschluss auslösen können. Und der kann auch produktiv sein: »[I]n the rapture of the witness’s lapse into coma, it is the law itself that for a moment loses consciousness. But it is through this breakdown of the legal framework that history emerges in the courtroom.« (Felman 2002: 164) 12 Wenn auch nicht sprachlich fassbar, so wird doch in dem traumatisierten Zeugen und durch seinen Körper Vergangenes wiederbelebt. 137F

Für die Aussage des Zeugen ist nicht nur dessen eigene Präsenz Bedingung. »Damit eine Person zu einem Zeugen werden kann, bedarf sie immer eines Gegenübers – eines Zuhörers, der wiederum als Zeuge der eigentlichen Zeugenaussage fungiert.« (Scheffner 2011) 13 Vor Gericht sind das die Akteure der Verhandlung sowie das Publikum. Im Film sind es die Crew, die 138F

12 Während Felman in dem obigen Zitat mit dem Körper des traumatisierten Zeugen (der Schriftsteller ist) argumentiert, fällt dieser unter den Tisch, wenn sie die Beschreibung auf eine binäre Gegenüberstellung reduziert, wie etwa in der Kapitelzusammenfassung: »I believe that only the encounter between law and art can adequately testify to the abyssal meaning of the trauma.« (Felman 2002: 165, Herv.i.O.) Das impliziert eine Unterscheidung des Künstlerkörpers von anderen. In ihrer Studie über temporale Strukturen und Prozesse im Reenactment kritisiert Rebecca Schneider die häufige und ähnlich gelagerte Distinktion von künstlerischen Reenactments gegenüber historischen Reenactments von Laien, die letzteren eine entsprechende Komplexität nicht-linearer Zeitlichkeiten abspricht (vgl. Schneider 2011: 27f.). Eine Kritik, die, bezogen auf Felman, zu der Frage führt: was meint »adequately testify«? 13 »The testimony therefore includes its hearer, who is, so to speak, the blank screen on which the event comes to be inscribed for the first time.« Dori Laub entwickelt seine Theory of Testimony vor einem psychoanalytischen Hintergrund (Laub 1992: 57; Herv. i. O.).

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Kamera und die Mikrofone, die eine Schaltung über die Zeit zu einem anderen Publikum im Kino gewährleisten sollen. Während sich im Gericht die Erfahrungen aller live einstellen, sind sie in ihrer Unmittelbarkeit jedoch auch gestaffelt: ein Zeuge nimmt den Richter und den befragenden Staatsanwalt intensiver als Zuhörer wahr als etwa die Zuschauer in der dritten Reihe, welche sich umgekehrt nicht in der Intensität als Zuhörer adressiert fühlen wie Staatsanwalt und Richter. Für die Zuschauer von REVISION wird offenbar, dass Fildesan seine Aussage nicht nur an Scheffner richtet, dass für ihn die Kamera eine Bedingung seiner Aussage ist, und er sich dafür mit Notizen vorbereitet hat. Gleichwohl kann man auch dabei zuschauen, wie schnell er die Kamera und die spätere Zuschauerschaft immer wieder vergisst. Etwas, das aus den Zuschauerreihen im Gerichtsaal viel schwerer, wenn überhaupt wahrzunehmen wäre. 14 Ohne Frage bleibt REVISION ein Film, ist also montiert. Aber der Film kann das auch zeigen. Scheffner evoziert die laufende Kamera im Bild, und zwar durch einen Medienwechsel. Überwiegend schaut und hört man nämlich den Zeugen nicht bei ihrer Aussage zu, sondern beim Anhören ihrer von einem Tonband abgespielten Aussage. 139F

Im Gerichtsaal sind die Zuschauer nicht an der Urteilsfindung beteiligt, hingegen sind sie Teil der Verhandlung gemäß des theatralen Dispositivs. Als Theater braucht das Gericht Zuschauer, die Interesse zeigen an der Darbietung bzw. Verhandlung des Falls. Der Umstand, dass sie erschienen sind, ist von Bedeutung für die rituelle Kraft des Gerichts, die durch die Tat missachtete Ordnung wieder instand zu setzen und das (kollektive) Trauma zu befrieden. Anders gesagt, wirksam ist auch die Bedeutung, die die Erschienenen dem vergangenen Vorfall zum Zeitpunkt des Gerichts noch oder erst zumessen. Auch in der Zuschauerschaft vor Gericht ergeben sich, so gesehen, Momente, die für ein Reenactment des Ereignisses produktiv sein können. REVISION seinerseits sieht ebenfalls ein Potential für ein Reenactment in seinen Zuschauern.

14 Auch Felman orientiert sich für ihre Darstellung des Zusammenbruchs von KZetnik explizit an der fürs Fernsehen erstellten Dokumentation und nicht an den Gerichtsprotokollen, die sie ansonsten hinzuzieht (vgl. Felman 2001: 136f. u. 232, Anm.12).

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REVISION kann, wie gesagt, nur filmisch versammeln. Doch geht der Raum, den REVISION erzeugt, über denjenigen, der von filmischen Orten im Sinne von André Gardies unterschieden wird, hinaus. Ihm zufolge nämlich ist der filmische Raum ein virtueller Raum, der durch die auf der Leinwand dargestellten Orte entsteht und fortlaufend aktualisiert wird, der zugleich jedoch abstrakt bleibt. 15 In REVISION ließe sich dieser Raum als eine Versammlung unter dem Tisch beschreiben: Aussagen, die im Gericht kein Gehör gefunden hatten, Antworten auf Fragen, die nie gestellt wurden. Gegenüber den Aussagenden im Film haben die Zuschauer im Kino offensichtlich einen speziellen Status als Teilnehmer an dieser Versammlung. Während den Interviewten nur die Aufnahmetechnik und das Versprechen des Filmteams als Gewähr bleibt, dass sie Zeugen in der späteren Versammlung einer Vorführung sein werden, findet im Kinosaal die Versammlung von gefilmten Zeugenaussagen vor Zuschauern statt. Der Zuschauer schaut gewissermaßen in oder besser auf einen virtuellen Raum, der sich in unterschiedliche Örtlichkeiten und Zeitlichkeiten auffächert. Während die Befragten das Versprechen einer kommenden Öffentlichkeit ihrer Aussagen erhalten, stellt sich die Offenlegung für den Kinozuschauer als ein Versprechen von Authentizität dar. Offenlegung der Vergangenheit wie Öffentlichkeit in der Zukunft stellen sich dann in der Gegenwart der Filmvorführung her. Die filmische Versammlung durch die Filmvorführung bleibt so gesehen virtuell. Während aber in Gardies’ Modell eine Immersion des Zuschauers in den Film bedeutet, dass er von seinem Raum, dem Vorführsaal, und von seiner Rolle als Zuschauer abstrahiert, ist die filmische Versammlung von REVISION komplexer organisiert. Bei Vorführungen von REVISION kommt es eher zu einem Verschwimmen der temporalen Struktur der inszenierten filmischen Versammlung, oder besser sie wird in einer nicht-linearen temporalen Struktur performiert. Durch eine mediale Schachtelung erzielt der Film ein Oszillieren zwischen Zeitschichten, nicht nur im Film, sondern auch in der Vorführsituation. Eine »syncopated time« stellt sich ein, »where then and now punctuate each other« (Schneider 2011: 2; Herv. i. O.). Und in REVISION ist hierfür die Rolle des Zuschauers wie die Funktion des Zuschauens und Zuhörens auschlaggebend. 140F

15 Gardies betreibt die Unterscheidung Ort / Raum im Kontext von »l’espace diégétique« (vgl. Gardies 1993: 61ff.; vgl. Frahm 2010: 135ff).

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Als Film, der kein Gerichtsverfahren ist, aber ein solches auf den Tisch bringt, ist REVISION daran interessiert, die Zusammenhänge von Zeugenund Zuschauerschaft auszuloten: Zuschauer als potentielle Zeugen, und Zeugen, die ehemals Zuschauer waren. Denn Zeuge wird nur werden, wer Zuschauer ist. Oder einfach: ›Zeuge werden‹ heißt zuschauen (und zuhören). Dem Verhältnis von ›Zuschauer‹ und ›Zeuge‹ liegt eine temporale Verschränkung zugrunde, die REVISION in der Inszenierung der Interviews nutzt: die inhärente doppelte Zeitlichkeit macht es möglich, den filmischen Raum performativ in den Kinosaal auszudehnen. Wie in einem Ermittlungsverfahren, wo die Aussagenprotokolle von den Zeugen gegengezeichnet werden müssen, spielt Scheffner den Interviewten die Tonaufzeichnung ihrer Aussagen vor laufender Kamera vor und bittet sie anschließend um Bestätigung, Korrektur oder Ergänzung. Zum einen unterstreicht das die Verantwortung, die die Zeugen haben, die Bedeutung ihrer Aussage. Zum anderen rückt diese Regieanweisung die Produktion des Films selbst aus dem Off in den diegetischen Raum und vor die Kamera, und zwar für die Zeugen wie für die Filmzuschauer. »Der Moment des Dokumentarischen, die scheinbare Authentizität, die entsteht, wenn jemand vergisst, dass die Kamera läuft, wird bereits im Moment der Aufnahme gebrochen.« (Scheffner 2012) 16 14F

Mehr noch werden die Zeugen ab dem Moment, in dem das Tonband eingeschaltet wird, auch zu Zuhörern ihrer Zeugenschaft: Sie werden Teil des Publikums. Wie wir konzentrieren sie sich auf das, was das Tonband abspielt. Wie wir hören sie dieser aufgezeichneten Aussage zu, und wie wir tun sie es live. Das Zuhören, verstanden als Akt, der Stattfindendes bestätigt, geschieht beide Male live. 17 Die Zeugen hören in ihrem live zu, d.h. vor laufender Kamera, und wir in unserem live, im Kinosaal. Ihr Zuhören ist dabei Teil 142F

16 Im Film sind die Interviewten aufgefordert, zu hören und zu beurteilen. Und sie gehen einen Schritt weiter: sie greifen auch ein. Familienangehörige regen etwa an, nicht die gesamte Familie zusammen zu interviewen, sondern es besser einzeln oder zu zweit zu machen. 17 In »Performing Remains« dekonstruiert Schneider die Unterscheidung von Live und Aufzeichnung als »inter(in)animate tangle between liveness and documentation« (Schneider 2011: 29; vgl. insbesondere 90-94).

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ihrer Zeugenschaft: Sie setzen ihre Aussage damit erneut in Kraft. Wir, im Kino, werden zu Zeugen dieses Reenactments. Das Anschalten des Tonbands ruft die Performanz auf. Anders als die Zeugen im Film, 18 sehen wir das auch – wenn auch nicht sofort: Sie sprechen gar nicht, während wir sie sehen, nicht sie selbst, nicht ihre Körper, obwohl wir sie hören. Das irritiert: Jemanden zu sehen und sprechen zu hören, aber nicht sprechen zu sehen. Die Norm der Synchronität von Ton und Bild wird gebrochen, an die man nicht nur gewöhnt ist, sondern, mehr noch: die man erwartet. Doch die Lippen bleiben geschlossen. Mit leichter Verzögerung erkennen wir, dass die Gemeinsamkeit von uns und den Zeugen bereits im Gange ist: das gemeinsame Zuhören. 19 Wir sehen uns in den Zuhörenden als Zuschauer gespiegelt. Und wir sehen dies nicht entstehen, wir sehen, dass dies bereits gegeben ist. Ihr live und unser live, sie sind in der Projektion des Films als synchron realisiert. In dieser Synchronisierung entfaltet sich die performative Dimension des Films. 143F

14F

Wenn die Befragten im Film ihrer Aussage zuhören, dann tun sie das unter der Maßgabe, sie am Ende und ebenfalls vor laufender Kamera zu autorisieren. Sie sind gefragt, zu bestätigen, ob das alles zur Sache war, was zu sagen war. Doch das ist nicht der einzige Moment, an dem ihre Zeugenrolle hervortritt. Während man den Zeugen dabei zusieht, wie sie hören, was sie sag(t)en, sieht man auch zu, wie sie abwägen und prüfen. Ist alles gesagt? Müsste es besser gesagt werden? Man schaut zu, wie Sachverhalte gewälzt werden, hin und her. Augen werden gedreht, Stirnen gerunzelt. Zumeist lässt es sich nur näherungsweise beschreiben, was da passiert. Häufig ist man sich nicht sicher, ob die zuhörenden Zeugen sich auf das Tonband konzentrieren, oder eher auf die Kamera, die sie dabei filmt. Ob ihre Mimik

18 Als entsprechende Erfahrung stellt sich für die Zeugen ein Loslösen ihrer Aussage von ihnen selbst als Tonbandaufzeichnung ein, nicht zuletzt über ihre Stimme, die sie nun nicht wie gewohnt aus dem Körperinneren hören. 19 Scheffner schneidet die erwartbaren Verdutztheiten der Zeugen beim Hören ihrer Stimme weitestgehend aus dem Film. Das mindert die Betonung des Medienwechsels und auch die Offensichtlichkeit des Wechselns der Interviewten in die Rolle des Zuschauers. Aber es stört deshalb auch nicht die Spiegelung, die der Zeuge/Zuschauer für den Filmzuschauer leistet.

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sich aus dem Zuhören ergibt, als sichtbare Konzentration auf das im Moment zu Hörende, oder ob sie diese Mimik als Pose an die Kamera richten, um das vormals Gesagte jetzt zu unterstützen. Die Stimme der Protagonisten oszilliert zwischen der vergangenen Aufzeichnung und dem jetzt sichtbaren Körper: »the nervousness of syncopated time« erfüllt den Verhandlungsraum von REVISION (Schneider 2011: 163). Eine Gleichzeitigkeit von Zeugen- und Zuschauerschaft spielt sich vor uns ab, und die Schwingungen dieser unterschiedlichen Zeitschichten im Film setzen sich in den Zuschauerraum fort. Es geschieht in der Spiegelung in den zuhörenden Zeugen, dass wir die Verschränkung von Zuschauer- und Zeugenschaft erfahren, auch unsere eigene. Etwa bei Norma Pahl, Sachgebietsleiterin Öffentliche Sicherheit und Ordnung, Landkreis Vorpommern-Greifswald: Noch zwanzig Jahre nach dem sogenannten »Jagdunfall« sind Momente der Empörung zu sehen, wenn sie ihrer Aussage zuhört. Vom Tonband hört man dann, wie sie gerade von dem größten Unding erzählt: dass nämlich die Gefährdung von Menschen bekannt war und anzunehmenderweise wissentlich in Kauf genommen wurde. Dann nickt Pahl mit dem Kopf. Mehrmals tut sie es. Um ihre Zeugenaussage in aller Deutlichkeit zu bestätigen. Obwohl durch seine Wiederholungen betont, erscheint das Kopfnicken dadurch gleichzeitig als geradezu sein Gegenteil: ein Schütteln des Kopfes. In das man als Zuschauer sofort geneigt ist einzusteigen – als Ausdruck von Sprachlosigkeit. Man projiziert in Pahls Kopfnicken ein eigenes und mit dem ihren synchrones Kopfschütteln. Man ist sprachlos, man versteht (sich). Es entsteht ein Moment der Versammlung. Eine Illusion sicherlich, aber eine, die nicht ohne Auswirkungen bleibt. Pahls Aussage wird im Verlauf des Films wie ein Nachhall noch einmal auftauchen, dann nämlich, in der Versammlung mit Fildesan, wenn er von dem Polizeiauto erzählt. Wie die anderen Zeugen, wird auch Norma Pahl von Scheffner aufgefordert, ihrem Interview voranzustellen, wie sie eine Geschichte der damaligen Ereignisse beginnen würde. Das ist die Aufforderung, eine erzählerische Vorgabe zu machen, die Richtung der Geschichte vorzugeben. Das tut sie: »Wir hatten einen Jäger, der war Polizist – früher«. Das merkwürdig nachgestellte bzw. (mit Pause) verzögerte ›früher‹ fällt auf. Man könnte es als Syntax-Fehler begreifen, was in einer mündlichen Äußerung leicht passiert.

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Doch man könnte auch fragen: warum fällt Pahl die Relevanz des ›früher‹ nicht eher ein, oder besser: warum fällt es ihr dann doch noch ein? Das ›früher‹ korrigiert das zeitliche Verhältnis der zwei Aussagen: Der Jäger war zum Zeitpunkt der Tat (nicht mehr) bei der Polizei. Vetternwirtschaft, das ist die Richtung, die sie vorgeben möchte. Doch dann ist da noch das Tonband, das aufzeichnet, und dessen Aufzeichnung Pahl am Ende bestätigen soll. Etwas muss korrigiert werden. Nicht nur der Anfang, auch die Fakten müssen stimmen. In seiner unordentlichen Position bringt das ›früher‹ die konfliktreiche Beziehung zwischen Fakten und Erzählung auf den Punkt. Scheffner inszeniert nicht wie ein Richter mit der Aufforderung, zur Sache zu reden. Er montiert den Film, und so auch die Tonspur. Man überhört es leicht, aber auf der Tonspur gibt es in der Aussage von Norma Pahl eine Überblendung: Sie hat das so nicht gesagt bzw. gehört, nicht in einem Stück. Darüber kann das Fehlen eines entsprechenden Schnittes im Bild leicht hinweghören lassen. Als Filmzuschauer weiß man vor dem Tonschnitt nicht, was Pahl tatsächlich hört in dem Moment, in dem wir ihr beim Zuhören zuschauen. Das Nicken hingegen scheint authentisch synchron zur abgespielten Aussage zu sein. Dennoch gilt: Medienzeugen sind Zeugen des Hörensagens. Das aber unterbindet eine Versammlung nicht. 20 Hörensagen sind zwei Dinge in einem. Ort und Tageszeit der Tat werden von REVISION in einer ausgesprochen faktenreichen Inszenierung rekonstruiert. Das nimmt viel Erzählzeit ein, nicht zuletzt wird dabei das gleichzeitig Faktische und Inszenatorische vor Augen geführt. Die Tonklappe im Bild, die Exaktheit verspricht, zeigt dabei doch auch, dass der Ton eben nur angelegt wird, also Filmton ist. Die Klappe kann deshalb auch ruhig an den Schuss erinnern, dessen Sichtverhältnisse man genauestens nachstellen will. REVISION erzählt so gesehen nicht, dass die Sichtverhältnisse exakt so waren, wie der Film sie zeigt, sondern dass man es ohne 145F

20 Eine Reflexion des Hörensagens, wie sie sich in dem Zuschauen/Zuhören des Hörensagens entfaltet, also wenn wir den Zeugen bei ihrem Zuhören zuschauen und zuhören, bringt dieses Hörensagen-Hören nicht näher an das Faktische. Es steuert allerdings einem propagandistischen Moment entgegen, das der Versammlungseffekt auch mit sich bringt.

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Probleme rekonstruieren könnte, so wie das Filmteam es auch gemacht hat. (Haben wir gesehen, wir Hörensagen-Zeugen). In REVISION wird viel wiederholt, und immer wieder wird angefangen. Die Zeugen sagen ihren Anfang der Geschichte, und auch der Regisseur erzählt, wo die Geschichte für ihn anfing. Die vielen Anfänge bilden eine Reihe, und die Reihe verlangt nach Fortsetzung. Der unausgesprochene Adressat ist der Zuschauer. Erneut, doch in anderer Weise, ist er als Zeuge gefragt: Wo war ich, als zu Beginn der 90er Jahre die Asylbewerberheime brannten? Was habe ich gedacht, als damals von zwei Erschossenen ohne Namen in Kurzmeldungen berichtet wurde? Was, als später auch in meinem Namen der Freispruch in dieser Sache erfolgte? Wenn die Auseinandersetzung mit dem Gerichtsverfahren in REVISION vorüber scheint und die Argumente auf den Tisch (unter dem Tisch) gelegt sind, kann der Film es damit dennoch nicht auf sich bewenden lassen. Der Raum ist noch nicht frei von Fragen: Lässt sich der Ausschluss der rumänischen Angehörigen und Augenzeugen von der Teilhabe an der Rechtsprechung allein durch das Verhalten von Staatsanwaltschaft und Ermittlungsbehörden erklären? Wurde das Problem mit der Grenzöffnung im Zuge der Erweiterung der Europäischen Union behoben? Gegen Ende des Films begleitet REVISION die Familie Velcu bei ihrer Fahrt über die Grenze, an der ihr Vater und Ehemann erschossen wurde und die sie mittlerweile überqueren können, ohne sich verstecken zu müssen. Sie sind auf dem Weg, um einen Job in der Erntesaison wahrzunehmen. Zu Löhnen, für die einheimische Arbeitskräfte kaum noch bereit sind zu arbeiten. Obwohl im Sommer 2014 ein gesetzlicher Mindestlohn im Bundestag verabschiedet wird, werden die Löhne der vorwiegend ausländischen Saisonarbeiter faktisch auch weiterhin unter dem Mindestlohn bleiben. Für die »Verlierer des Mindestlohns« darf die Bezahlung mit Unterhalt und Verpflegung verrechnet werden (Handelsblatt.com, 03.07.2014). 21 146F

21 Auf der Website Zoll.de des Bundesministeriums für Finanzen wird darauf hingewiesen, dass diese Verrechnung, die nur bei Saisonarbeitern zulässig ist, bestimmten Vorgaben entsprechen muss. Auf derselben Website heißt es für solche Mindestlohnbezieher, die von ihrem Arbeitgeber andernorts »entsendet« werden (und also nicht in die Kategorie ›Saisonarbeiter‹ fallen), dass Kost und

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Wo fängt das an? »Ich würde möglicherweise beginnen mit der erstmaligen Kenntnis, dass es zu dieser Situation an der Staatsgrenze gekommen ist.« Ganz klar abgrenzbare Fakten will Kriminalhauptkommissar Uwe Brand in REVISION beitragen. Fakten, keine Geschichte. Diesmal belässt Scheffner auch den Anfang nach dem Anfang im Film. Brand stützt sein Kinn ab, streicht sich dabei über seinen Bart, während das Tonband abgespielt wird: »Also es war so, am 29.06.1992 sind wir darüber informiert worden, dass auf einem Getreideschlag in der Nähe der Ortschaft Nadrensee, in unmittelbarer Nähe befindet sich die deutsch-polnische Staatsgrenze, zwei männliche Leichen aufgefunden worden sind.« Die Augen von Brand sind nach oben gerichtet, drehen manchmal, nervös scheint es, hin und her. Aber immer sind sie deutlich in den Raum gerichtet, ohne etwas speziell zu fokussieren. Nichts implizieren, nur Fakten! Ganz exakt, bis hin zur doppelten Ortsangabe, der Nähe zur Staatsgrenze. Doch wieso ist das für die Erfassung des Tathergangs wichtig, wieso ist die Grenze hier aussagekräftig? Was liefert sie anderes als ein erstes Opferprofil, das kein weiteres nach sich zieht.

L ITERATUR Felman, Shoshana (2002): The Juridical Unconscious. Trials and Trauma in the Twentieth Century, Harvard: University of Harvard Press. Frahm, Laura (2010): Jenseits des Raums. Zur filmischen Topologie des Urbanen, Bielefeld: transcript. Gardies, André (1993): L’espace au cinéma, Paris: Méridiens Klincksieck. Koselleck, Reinhart (1979): »Darstellung, Ereignis und Struktur«, in: ders., Vergangene Zukunft, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 144-157. Laub, Dori (1992): »Bearing Witness or the Vicissitudes of Listening«, in: Shoshana Felman/Dori Laub, Testimony. Crisis of Witnessing in Literature, Psychoanalysis, and History, London/New York: Routledge, S. 57-74.

Logis zusätzlich zum Mindestlohn bezahlt werden müssen. (Vgl. http:// www.zoll.de/DE/Fachthemen/Arbeit/Mindestarbeitsbedingungen/MindestlohnMindestlohngesetz/mindestlohn-mindestlohngesetz.html)

296 | V ERENA M UND

Legendre, Pierre (2011): Das Verbrechen des Gefreiten Lortie. Abhandlung über den Vater, Wien/Berlin: Turia + Kant. Scheffner, Philip (2012): Directors’ Statement, http://revision-film.eu/ de/2/film-texts-revision/directors-statement vom 01.12.2014. Schneider, Rebecca (2011): Performing Remains. Art and War in Times of Theatrical Reenactment, London/New York: Routledge. Vismann, Cornelia (2011): Medien der Rechtsprechung, Frankfurt a.M.: Fischer. Internetquellen Handelsblatt.com (03.07.2014): »Verlierer des Mindestlohns: Saisonarbeiter«, http://www.handelsblatt.com/video/video-news/wirtschaft/ mindestlohn-verlierer-des-mindestlohns-saisonarbeiter/10143834.html vom 05.12.2014. Strafprozessordnung (StPO), http://www.gesetze-im-internet.de/stpo/index. html vom 04.12.2014. Zoll.de: »Mindestlohn nach dem Mindestlohngesetz« (o. J.), http:// www.zoll.de/DE/Fachthemen/Arbeit/Mindestarbeitsbedingungen/Mind estlohn-Mindestlohngesetz/mindestlohn-mindestlohngesetz.html vom 30.04.2015. Filmographie REVISION (D 2011, R: Philip Scheffner) Abbildungsverzeichnis Filmstill REVISION, copyright pong Film GmbH

(Re)Konstruktionen des Tathergangs Reenactments als epistemische Körperpraktiken der Strafverfolgung und -verhandlung 1 147F

CHRISTIAN MEIER ZU VERL

1. E INLEITUNG Physische Körper sind nicht nur symbolisch-vermittelte Gegenstände des Rechtssystems (vgl. Luhmann 1987: 107-8), sondern auch Bestandteile epistemischer Praktiken der polizeilichen Ermittlung und des Strafprozesses (vgl. Goodwin 1994). Bisher wurden diese Körperpraktiken der Täter, Opfer, Zeugen, Polizisten, Anwälte, Richter etc. soziologisch selten beachtet. Für die Entstehung und Verhandlung von Erkenntnissen spielen sie jedoch eine wichtige Rolle. In seinem Aufsatz »Professional Vision« untersucht Goodwin verkörperte Praktiken, die Experten während des Gerichtsprozesses ›Rodney King‹ nutzten, um einen Videobeweis zu analysieren. Dieses Video zeigte, wie Rodney King von vier Polizisten des Los Angeles Police Department zusammengeschlagen wurde. In ihrer vor Gericht entfalteten Analyse

1

Für hilfreiche Anmerkungen zu einer früheren Version dieses Textes danke ich Christian Meyer, Erhard Schüttpelz, Clemens Eisenmann, den Teilnehmern des kommunikationswissenschaftlichen Kolloquiums der Universität DuisburgEssen und des Kolloquiums des DFG-Graduiertenkollegs ›Locating Media‹ der Universität Siegen sowie den Herausgebern des Sammelbandes.

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machten die Experten der Verteidigung King zu einem visuellen Akteur, den sie durch ein bestimmtes Kodierschema, durch Hervorhebungen und visuelle Repräsentationen herstellten und zugleich kontrollierten (vgl. Goodwin 1994: 626). Aber auch ohne Videobeweise werden vor Gericht vergangene Ereignisse rekonstruiert und analysiert, indem z.B. mutmaßliche Täter, Opfer und Zeugen ihre Sicht auf bestimmte vergangene Ereignisse zu Protokoll geben. Zur Lösung dieser Aufgaben bedienen sie sich rekonstruktiver Gattungen (vgl. Bergmann/Luckmann 1995), um Vergangenes im Hier und Jetzt zu reaktualisieren. Neben Materialien, die vergangene Ereignisse dokumentieren (wie z.B. Tatwaffen, Blutspritzer, Fußabdrücke oder auch Videoaufzeichnungen), sind individuelle Erinnerungen eine wesentliche Basis für die Rekonstruktion vergangener Ereignisse, die in Form von narrativen Geschichten und körperlich-performativen Reenactments wiedergegeben werden können (vgl. Bergmann 2000). Mit diesem Aufsatz werden praktische Verfahren oder Ethnomethoden der Rekonstruktion beschrieben, mit denen Akteure ihre Vorstellungen von vergangenen Ereignissen im Hier und Jetzt körperlich-performativ sichtbar machen. Die Funktion dieser körperlich-performativen Rekonstruktion besteht u.a. darin, Wissen über die Vergangenheit als ein situativ geteiltes und visuelles Wissen herzustellen. Diese hergestellten Vergangenheiten sind jedoch subjektive Vorstellungen über die Vergangenheit, die von Fall zu Fall mit anderen Vorstellungen konkurrieren und daher durch Reenactments anderer Akteure bezweifelt, widerlegt, korrigiert, aber auch bestätigt werden können. Die Praktiken des Hervorbringens von Reenactments, also das Reinszenieren 2 der Akteure ist in verschiedenen alltäglichen und institutionellen Kontexten zu beobachten. Bislang liegen mikrosoziologische Studien zu Reenactments im Alltag (vgl. u.a. Tuma 2014; Sidnell 2006; Bergmann 2000; Streeck 1995) und im institutionellen Kontext der Wissenschaft vor (vgl. u.a. Meyer/Meier zu Verl 2013; Knoblauch/Schnettler 2012; Tutt/Hindmarsh 2011; Becvar/Hollan/Hutchins 2005). Für andere institutionelle Kontexte liegen bislang keine Studien vor. 148F

2

Der dt. Begriff ›Reinszenierung‹ wird in diesem Aufsatz äquivalent zum engl. Begriff ›Reenactment‹ benutzt, v.a. wenn es darum geht, die Durchführung eines Reenactments zu beschreiben.

(R E )K ONSTRUKTIONEN

DES

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T ATHERGANGS

Eine Untersuchung im Kontext des Rechts bietet die Möglichkeit, die Karriere von Reenactments trans-sequenziell zu analysieren, d.h. sowohl ihr situatives Produzieren als auch Schritte des institutionellen Verhandelns – wie z.B. das juristische Prüfen von Reenactments auf (In-)Konsistenz – in den analytischen Blick zu nehmen (vgl. konzeptionell u.a. Scheffer 2012; Cicourel 1968). Die Fragestellung dieser empirischen Untersuchung lautet daher: Wie verhandeln Akteure im institutionellen Kontext des Ermittlungs- und Strafverfahrens den juristischen Status ihrer körperlich-performativen Reenactments? Um diese Frage zu beantworten, wird v.a. die sequenzielle Organisation einer juristischen Rekonstruktions-Karriere analysiert. Die in diesem Aufsatz untersuchten körperlich-performativen Rekonstruktionen sind Teil des juristischen Falls ›George Zimmerman‹ und wurden während des polizeilichen Verhörs von Zimmerman am 27.02.2012 3 und im Verlauf einer Experten-Befragung vor Gericht am 10.07.2013 4 von den beteiligten Akteuren verwendet, um den Tathergang zu rekonstruieren. Zimmerman wurde am 11.04.2012 durch den Bundesstaat Florida (USA) angeklagt, 5 den 17-jährigen Trayvon Martin bedingt vorsätzlich getötet zu haben. Am 13.07.2013 wurde er im Sinne der Anklage freigesprochen. Martin kam am 26.02.2012 durch einen von Zimmerman abgefeuerten Pistolenschuss ums Leben. Der Tathergang wurde in den nachfolgenden Tagen und Wochen durch die Ermittlungsbehörden der Stadt Sanford mit Hilfe von Zeugenbefragungen und forensischen Untersuchungen rekonstruiert und zu einer Fall-Akte aus Beweisen (Verletzungen an den Körpern von Martin und Zimmerman, Eintrittswinkel des abgefeuerten Projektils 149F

150F

15F

3

Die Aufzeichnung des Verhörs von Zimmerman durch einen Polizisten des Sanford Police Department wurde nach dem Verhör durch die Ermittlungsbehörden veröffentlicht und kann u.a. unter der folgenden Internetadresse abgerufen werden: http://youtu.be/ylC51OOcmFg, zuletzt abgerufen am 29.10.2015.

4

Die Gerichtsverhandlung wurde im Court TV live übertragen und kann u.a. unter der folgenden Internetadresse abgerufen werden: http://youtu.be/bz2WW wI6S2M, zuletzt abgerufen am 29.10.2015.

5

Die Anklage lautete second degree murder.

300 | C HRISTIAN M EIER ZU V ERL

etc.) und Indizien (z.B. ein Motiv für eine bedingt vorsätzliche Tötung 6) zusammengestellt. Dieser juristische Fall unterscheidet sich insofern von anderen juristischen Fällen, da er in den US-Medien, aber auch in den weltweiten Medien für große Aufmerksamkeit sorgte. Der Fall ›George Zimmerman‹ wurde durch diese mediale Berichterstattung als ein möglicher Fall von Rassismus diskutiert. Mit dem Freispruch von Zimmerman kam es zu einer anschließenden medialen und politischen Kontroverse, in die sich auch der amtierende Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika Barack Obama einmischte. 7 152F

153F

2. M EDIEN

DER R ECHTSPRECHUNG : UND DAS R EENACTMENT

D IE F ALL -A KTE

Zu Recht wird darauf hingewiesen, dass die Stimme das primäre Medium der Rechtsprechung ist (vgl. Vismann 2011: 112ff.). Daneben lassen sich jedoch noch weitere Medien identifizieren, die maßgeblich an einer Rechtsprechung beteiligt sein können, wie schriftlich protokollierte Zeugenaussagen, Fotografien vom Tatort und anderen an der Tat beteiligten Dingen, forensische Berichte, Audio- und Videoaufzeichnungen der Tat etc., die zu

6

Zimmerman telefonierte mit dem Sanford Police Department (non-emergency call) während er Martin verfolgte und bezeichnete ihn als einen »real suspicious guy« und laut Staatsanwalt John Guy als »fucking punk«. Diese zweite Äußerung ist jedoch teilweise unverständlich und wurde während der Gerichtsverhandlung kontrovers diskutiert. Dennoch benutzte der Staatsanwalt diese Äußerung als ein Indiz für ein Motiv, Martin bedingt vorsätzlich getötet zu haben. Die Audioaufzeichnung des Telefonats zwischen Zimmerman und dem Sanford Police Department kann u.a. unter der folgenden Internetadresse abgerufen werden:

http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/6/65/Trayvon_Martin_

Shooting_Call1.ogg, zuletzt abgerufen am 29.10.2015. 7

Am 19.07.2013 hielt Barack Obama anlässlich des Freispruchs von George Zimmerman eine Rede vor Pressevertretern: http://www.whitehouse.gov/thepress-office/2013/07/19/remarks-president-trayvon-martin, zuletzt abgerufen am 29.10.2015.

(R E )K ONSTRUKTIONEN

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T ATHERGANGS

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einer Fall-Akte zusammengesetzt werden. Aber sind auch körperlichperformative Reenactments des Tathergangs ›aktenfähig‹? Rechtssoziologisch werden die Bereiche der Strafermittlung und -verhandlung zwar als Bereiche intensiver Medienherstellung und -nutzung diskutiert, jedoch beziehen sich diese Studien v.a. auf Mündlich- oder Schriftlichkeit oder deren Relationen (vgl. u.a. Scheffer 2010, 2004; Lynch 1998; Travers/Manzo 1997; Lynch/Bogen 1996). Auch neuere Studien zum hergerichteten Fall (Scheffer 2014a) diskutieren Praktiken des Herstellens, Nutzens und Ordnens von Materialen als Praktiken der Textarbeit, die immer wieder in einen Modus der Mündlichkeit wechseln (z.B. während eines Anwalt-Klienten-Gesprächs, einer Zeugenbefragung, oder einer Gerichtssitzung). Drei wesentliche Mechanismen des Herrichtens von juristischen Fällen arbeitet Scheffer (2010: 253) auf der Grundlage mehrerer empirischer Untersuchungen des englischen Rechtssystems heraus, die momenthafte Ausdrücke in dauerhafte Aussagen übersetzen: mobilisation, replication und staging. Diese Mechanismen erscheinen auch für eine empirische Untersuchung von körperlich-performativen Rekonstruktionen im Ermittlungs- und Strafverfahren relevant zu sein. Die mobilisation verbreitet die Anzahl relevanter Aussagen z.B. durch das Anwerben von Zeugen und Experten für einen sich entfaltenden Fall (vgl. Scheffer 2010: 255). Daneben werden bereits protokollierte Äußerungen durch replication in relevante Aussagen transformiert: ››Replication is feasible due to the police inquiry and due to a programmed series of hearings. Here, a version becomes relevant not because it has been deliberately designed on the backstage, but because it is re-used at various procedural sites. Relevance derives from repetition and difference. In light of former versions, relevance (as, e.g., incoherence) shows often at points that are substantially marginal. Trained case-makers produce replica by repeating questions, themes, or concerns – and by placing dispersed responses right next to each other [...]. Replication gives the impression that a statement has always already existed as such. It performs ›one original version‹ that binds all subsequent representations. Replication provides decisionmakers with reasoning powers by way of its text-bias.‹‹ (Scheffer 2010: 255)

Die Vermutung liegt nahe, dass auch körperlich-performative Aspekte der Tatrekonstruktion, die nicht Teil der empirischen Untersuchungen von

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Scheffer waren, an unterschiedlichen Stellen im Prozess des Ermittlungsund Strafverfahrens wiederholt und damit zugerichtet werden. Mit dem staging im Gerichtssaal wird Relevanz durch eine im Hier und Jetzt einer Gerichtssitzung artikulierte mündliche Zeugenaussage hergestellt (vgl. Scheffer 2010: 256). Diese Fokussierung der Rechtssoziologie auf gesprochene und geschriebene Sprache unterschlägt die körperlich-performative Dimension der Fabrikation von Erkenntnissen. Dabei machen die Akteure im Rechtssystem diese Dimension selbst relevant, indem sie z.B. fragen: Wie hielt der Täter seine Waffe, bevor der tödliche Schuss ausgelöst wurde? Wie schlug der Täter auf den Körper des Opfers ein? Wo und wie lag das Opfer nach dem ersten Faustschlag auf dem Boden? Wo befand sich zu diesem Zeitpunkt der Täter? Diese oder ähnliche räumlich-körperliche Fragen werden z.B. im Verlauf polizeilicher Ermittlungen an den mutmaßlichen Täter, das Opfer oder vorhandene Augenzeugen gerichtet. Eine ausschließlich verbal formulierte Antwort zur Beschreibung von Körperpositionen und -bewegungen würde schnell unzureichend und unplausibel erscheinen. Ein praktisches Plausibilisierungsverfahren stellt daher das körperlich-performative Reenactment des Tathergangs dar. Aber wenn Reenactments im Verlauf der Strafermittlung und -verhandlung eine wichtige Rolle spielen können, dann müssten sie auch Einzug in die Fall-Akten finden. Diese körperlichperformativen Materialien der Fallarbeit können dann unterschiedlich mobilisiert, wiederholt und (re-)inszeniert werden, je nachdem wer diese Materialien zu welchem Zeitpunkt bearbeitet. Mit diesem Blick auf die Medien der Rechtsprechung kann die bereits formulierte Frage erweitert werden: Inwieweit können Reenactments Teil einer Fall-Akte werden? Sind diese körperlich-performativen Rekonstruktionen wie Narrative zu den Akten ›legbar‹? Wie werden sie präpariert, um ›zitier-‹ und ›aktenfähig‹ zu sein? In der vorliegenden empirischen Untersuchung wird im Sinne der Ethnomethodologie beobachtet und beschrieben, wie Akteure des Rechtssystems ihre präsenten Körper und andere Hilfsmittel einsetzen, um vergangene Ereignisse zu rekonstruieren.

(R E )K ONSTRUKTIONEN

3. D IE K ARRIERE

EINES

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R EENACTMENT

Die hier versammelten körperlich-performativen Rekonstruktionen thematisieren allesamt die Geschehnisse zwischen Zimmerman und Martin, die sich unmittelbar vor dem tödlichen Schuss ereigneten. 8 In den ersten beiden Beispielen werden die Vorstellungen über den Verlauf des Kampfes von Zimmerman und in den beiden darauffolgenden Beispielen die Vorstellungen der Staatsanwaltschaft und der Verteidigung untersucht. In allen Beispielen wird der Körper zum Medium, um ein vergangenes Ereignis zu rekonstruieren und dadurch im Hier und Jetzt einer Situation für die am Verfahren beteiligten Akteure visuell zugänglich zu machen. Dabei werden diese Reenactments nicht nur situativ, sondern auch eingebunden im institutionellen Kontext der Strafermittlung und -verhandlung durchgeführt. 154F

Beispiel 1 – Verhör: Zimmermans Vorstellung Im ersten Teil des Verhörs vom 27.02.2012 gibt der ermittelnde Polizist Zimmerman die Gelegenheit, seine Sicht auf die Ereignisse der vorherigen Nacht zu Protokoll zu geben. In diesem Beispiel rekonstruiert Zimmerman ›den unmittelbaren Tathergang‹ nicht ausschließlich verbal-beschreibend, sondern auch körperlich-reinszenierend. Dabei rekonstruiert Zimmerman mit seinem im Verhör präsenten Körper den Kampf zwischen seinem damaligen Ich und Martin, indem er die Bewegungen beider Körper mal sequenziell, mal parallel ausführt und beschreibt. Mit seiner körperlich-performativen Rekonstruktion setzen nachfolgende ermittlungstechnische und juristische Prüfungen ein, die die ersten Äußerungen von Zimmerman im Abgleich mit noch folgenden forensischen Untersuchungsergebnissen, Zeugenbefragungen und späteren Äußerungen von Zimmerman auf Inkonsistenz und Konsistenz prüfen werden. Mit diesen Prüfungen verbunden ist die Frage, ob Zimmerman die Wahrheit in Form von Reenactments zu Protokoll gibt, oder lügt, indem er eine für ihn vorteilhafte Vergangenheit körperlich-performativ inszeniert.

8

Die nachfolgenden Analysen wurden anhand von Videoaufzeichnungen ausgeführt. Die Transkriptionen haben den Zweck, die Analyse für den Leser nachvollziehbar zu machen. Bei den Zeichnungen in den Transkripten handelt es sich um digitale Abpausungen von Standbildern aus den Videoaufzeichnungen.

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Transkript 1 01

02

03

Zimmerman

°°h when i: (.) SHIFTed (1.0) my jacket came up and my shirt came up and exposed my firearm; °h and that’s when (-) he said- he- (.) like set up and looked and said °h you gonna DIE tonight motherfucker, and i felt him take one hand off my mouth and slide it down my CHEST,

(R E )K ONSTRUKTIONEN

04 05

06 07

DES

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°h (--) and i just (.) PINched his arm; and i grab MY gun.

and i (--) AIMED at him; (.) and fired one SHOT,

Zimmerman beginnt seine Äußerungen über die Ereignisse vor dem tödlichen Schuss mit einem langen Einatmen. Die nachfolgenden beschreibenden Erläuterungen bringt Zimmerman in eine zeitliche Abfolge, an deren

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vorläufigem Ende seine aufgedeckte Schusswaffe steht (»°°h when i: (.) SHIFTed (1.0) my jacket came up and my shirt came up and exposed my firearm;«, Z. 01). 9 Nach einem weiteren Einatmen führt Zimmerman seine zeitliche Abfolge der Ereignisse fort (»and that’s when (-)«), deren Verlauf für einen Einschub unterbrochen wird, um das Verhalten von Martin zu beschreiben, und anschließend fortgeführt wird (»he said- he- (.) like set up and looked and said °h you gonna DIE tonight motherfucker,«, Z. 02). Zimmerman nutzt seine Selbstunterbrechung und den Einschub, um die in direkter Rede wiedergegebene Äußerung von Martin »you gonna DIE tonight motherfucker« (footing) voranzukündigen und als einen dramatischen Höhepunkt zu markieren (vgl. für das Konzept footing Goffman 1979; vgl. für die Funktion von pre-announcements Terasaki 2000: 181-2). Selbstunterbrechungen, Korrekturen, Pausen und hörbares Einatmen sind jedoch nicht nur Methoden, die die Dramatik der erzählten Ereignisse steigern, sondern auch Probleme des subjektiven Erinnerns für anwesende Zuhörer erfahrbar machen (vgl. für den Fall der Konversionserzählung Ulmer 1988). An die in direkter Rede wiedergegebene Äußerung schließt Zimmerman mit einer Beschreibung einer Handbewegung an, die er fühlend wahrgenommen hat (»and i felt him take one hand off my mouth«), um nachfolgend deren Weg entlang seines damaligen Körpers zu beschreiben (»and slide it down my CHEST,«, Z. 03). Mit dem Artikulieren des »and slide« bewegt sich seine linke Hand, auf die Zimmerman währenddessen blickt, unter seine rechte Achselhöhle, während sein rechter Arm ausgestreckt mit einer zur Faust geballten Hand auf dem Tisch vor sich liegen bleibt (Abb. 1). Mit dieser Bewegung visualisiert Zimmerman die nachfolgend verbal beschriebene Lage der Hand von Martin. Zimmerman konstruiert seine linke Hand als damalige Hand von Martin, die sich auf seinem damaligen Körper befindet. Damit visualisiert Zimmerman nicht nur den rekonstruierten Weg der Hand von Martin auf seinem damaligen Körper, sondern kon15F

9

Die im Folgenden untersuchten verbalen und körperlichen Äußerungen von Zimmerman geben seine Perspektive auf die Ereignisse des 26.02.2012 und nicht die Ereignisse an sich wieder. Im Verlauf der Analyse wird darauf verzichtet diese Perspektive sprachlich zu markieren (›laut Zimmerman‹, ›aus Zimmermans Perspektive‹ etc.). Dies gilt auch für alle weiteren nachfolgenden Äußerungen anderer Akteure (Polizist, Staatsanwalt, Verteidiger).

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struiert seinen im Verhör präsenten Körper als die zwei Körper der damaligen Kontrahenten. Das beobachtete Phänomen des gestischen Projektierens im Gespräch – Geste und anschließende verbale Beschreibung – gibt den anwesenden Teilnehmern eine thematische Orientierung (vgl. Streeck 1995: 90). Mit der anschließenden Äußerung »°h (--) and i just (.) PINched his arm;« (Z. 04) reinszeniert Zimmerman – deutlicher als zuvor – auch seinen eigenen damaligen Körper, der die Bewegung der Hand von Martin stört. Mit der Artikulation des Wortes »just« drückt Zimmerman den Ellenbogen seines gebeugten rechten Arms auf seine linke Hand (Abb. 2) und projiziert auch in diesem Fall die nachfolgende verbale Beschreibung durch eine vorhergehende Geste. Anschließend löst Zimmerman den Kontakt zwischen rechtem Ellenbogen und linker Hand, indem er mit seiner rechten Hand in Richtung seiner Hüfte greift und seinen linken Arm seitlich leicht wegzieht, so dass seine linke Hand sich oberhalb seines Bauchs befindet (Abb. 3), während er wieder nachfolgend seine Bewegungen verbal beschreibt (»and i grab MY gun.«, Z. 05). Mit der anschließenden Äußerung (»and i (--) AIMED at him; (.)«, Z. 06) entfernt Zimmerman den reinszenierten Körper von Martin (repräsentiert durch seine linke Hand), indem er auf eine gegenüberliegende Position zielt (Abb. 4), während sein linker Arm sich bewegungslos vor seinem Bauch befindet. Dabei wird das Unsichtbarmachen des zuvor reinszenierten sichtbaren Körpers nicht explizit markiert. Die mehrfachen körperlich-performativen Rekonstruktionen haben Zimmermans Vorstellungen über den damaligen Kampf in das Hier und Jetzt der Verhörsituation übersetzt. Diese rekonstruierte Vorstellung wird von Zimmerman als Reenactment behandelt, das einen Teil der Vergangenheit – so wie sie stattfand – reaktualisiert, indem sie sie wieder sichtbar macht. Dabei wurden die damaligen sich im Kampf befindenden Körper nicht konstant durch Zimmermans präsenten Körper reinszeniert, sondern je nach den durch Zimmerman verfolgten kommunikativen Zwecken sichtbar und unsichtbar gemacht. So konnte Zimmerman auf detaillierte sprachliche Beschreibungen des Kampfes verzichten, ohne die Komplexität der rekonstruierten Ereignisse zu reduzieren (vgl. Bergmann 2000: 219-20) und evtl. unverständlich oder unglaubwürdig zu wirken. Ob es sich auch für den ermittelnden Polizisten um ein Reenactment des damaligen Tathergangs handelt, bleibt dabei offen.

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Beispiel 2 – Verhör: Kooperatives Herstellen einer geteilten Vorstellung Im zweiten Teil des Verhörs stellt der ermittelnde Polizist Zimmerman Fragen über den Ablauf der vergangenen Ereignisse und nimmt dabei Bezug auf die vorherigen körperlich-performativen und verbalen Äußerungen von Zimmerman. Zu diesem Zeitpunkt der Ermittlungen lagen noch keine anderen Untersuchungsergebnisse vor, so dass die Konsistenz der Rekonstruktion von Zimmerman auf der Basis seiner insgesamt zu Protokoll gegebenen Äußerungen geprüft wurde. Innerhalb dieser Frage-und-Antwort-Runde des Verhörs kommt es zu weiteren körperlich-performativen Rekonstruktionen, die von Zimmerman und auch vom verhörenden Polizisten durchgeführt werden, um eine geteilte Vorstellung über den Verlauf der zuvor durch Zimmerman rekonstruierten Ereignisse herzustellen. Dabei ›zitiert‹ oder wiederholt der Polizist Teile der körperlich-performativen Rekonstruktion von Zimmerman. Die Rekonstruktion des Polizisten bezieht sich somit auf die bereits zu Protokoll gegebenen Rekonstruktionen und nicht auf das vergangene Ereignis selbst. Diese Relation wird mit einem Wechsel der reinszenierenden Akteure verschoben. Transkript 2 01

Officer

02 03 04

Zimmerman

okay YOU didn’t like try to (.) pu- push it into him right or anything, °h [you] just fired (.) from almost like (.) from the HIP, [no ] i think i ma:de s:u:re (--) that it wasn’t- cause my HAND

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05

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was in the way i made sure it was past my hand, °h cause his other hand was still on my FACE,= =okay; so=

06 07

Officer

08 09

Zimmerman Officer

10

Zimmerman

=so i made [sure- ] [] [NO no_no_no ] (.) he was- °h he was

Officer Zimmerman

like putting all his WEIGHT on and my mouth,= =okay,= =trying to suffocate [ME. ]

11 12

my nose

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13 14

Officer Zimmerman

15 16

Officer Zimmerman

17

Officer

18

Zimmerman

[uhun] so HE (.) was like creating a cravis with his body, uhun °h and then he like- (.) when he slid to go for my GUN, (-)

did he go for YOUR gun with his left hand or ( ) right hand? h°° (-) i don’t ( ) recall,

Innerhalb dieser Frage-und-Antwort-Runde des Verhörs äußert der Polizist mehrere deklarative Fragen 10, um die vorherige Schilderung von Zimmerman zu präzisieren (vgl. Heritage 2012: 14-6). Beginnend mit der negativ formulierten Frage »okay YOU didn’t like try to (.) pu- push it into him right or anything,« (Z. 01), die Zimmerman überlappend mit einer weiteren Frage des Polizisten mit »no« (Z. 03) beantwortet, wird die anschließende Frage »°h [you] just fired (.) from almost like (.) from the HIP,« (Z. 02) positiv formuliert und von Zimmerman mit einem erneuten Reenactment beantwortet (Abb. 5). Dieses Reenactment des Zielens mit der Waffe wird von Zimmerman mehrfach durchgeführt und nach dem bereits bekannten Muster des gestischen Projizierens nachfolgend verbal beschrieben. Durch die mehrfachen Wiederholungen wird diese Geste aus ihren Kontext herausge156F

10 Eine deklarative Frage ist ein in Form einer Frage formuliertes Deutungsangebot.

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löst und zum dekontextualisierten Objekt gemacht, das im weiteren Verlauf durch die Akteure rekontextualisiert und modifiziert wird. Zimmerman fokussiert bei seinen Wiederholungen der Geste auf die Relation zwischen rechter Schusshand, freier Schussbahn, seiner linken Hand und einer imaginierten Hand von Martin (»i think i ma:de s:u:re (--) that it wasn’t- cause my HAND was in the way i made sure it was past my hand, °h cause his other hand was still on my FACE,=«, Z. 04-05). Diese Erläuterungen werden durch den Polizisten mit einem schnell anschließenden »=okay;« registriert (Z. 06). Der nachfolgende Redebeitrag des Polizisten, der mit einem »so=« eine Reformulierung einleitet (vgl. für Reformulierungen als epistemische Praktiken des Sicherns und Markierens von Erkenntnissen Heritage/Watson 1979), wird durch Zimmermans anschließenden Redebeitrag unterbrochen (Z. 08). Mit dem artikulierten »so=« hebt der Polizist seinen rechten Arm in die von Zimmerman auch bereits vorher eingenommene Geste des Zielens (Abb. 6). Zimmerman beansprucht jedoch erneut das Rederecht und beginnt mit einer eigenen Reformulierung (»=so i made [sure- ]«, Z. 08), die er unterbricht als es zur Überlappung mit der durch den Polizisten fortgesetzten und lauter artikulierten deklarativen Frage kommt (»[]«, Z. 09), an deren Ende es erneut zu einer Überlappung der Redebeiträge kommt, da Zimmerman mit der Beantwortung der Frage vor der Beendigung der Frage bereits beginnt (»[NO no_no_no ]«, Z. 09). Während seiner Beantwortung unterbricht sich Zimmerman selbst und schließt mit einem hörbaren Einatmen ein weiteres Reenactment an (Abb. 7). Zimmerman reinszeniert die Bewegungen von Martins Körper mit seinen Händen, Armen und seinem Oberkörper (»he was- °h he was like putting all his WEIGHT on my nose and my mouth,=«, Z. 10). Dabei wechselt der sich in der Verhörsituation befindende Zimmerman zwischen den durch ihn reinszenierten Körpern hin und her (damalige Körper von Zimmerman Abb. 5-6 und damalige Körper von Martin Abb. 7). Während des Reenactment blickt Zimmerman auf seine Hände und lenkt die Aufmerksamkeit des gegenübersitzenden Polizisten auf die reinszenierende Geste (vgl. Streeck 1995: 100-4), der die Erläuterung von Zimmerman mit einem »=okay,=« registriert (Z. 11). Die nachfolgende Ergänzung von Zimmerman (»=trying to suffocate [ME.]«, Z. 12) liefert eine Erklärung für die reinszenierte Handlung (Abb. 7), die der Polizist mit einem zu Ende hin überlappenden »uhun« registriert (Z. 13). Anschließend beschreibt Zimmerman die Kör-

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perhaltung Martins, während er seine Nase und seinen Mund zuhielt (»so HE (.) was like creating a cravis with his body,«, Z. 14) und verbleibt dabei in der in Abbildung 7 festgehaltenen Körperstellung. Auch an diese Äußerung schließt der Polizist mit einem »uhun« an (Z. 15). Einen Wechsel der Positionen des reinszenierten Körpers führt Zimmerman ein, indem er die Ereignisse temporalisiert und den Griff hin zu seiner Waffe als nachfolgendes Reenactment durchführt (Abb. 8). Mit diesem erneuten reinszenierten Griff wechselt Zimmerman von seiner linken Hand hin zu seiner rechten Hand, die den Griff reinszeniert (vgl. Abb.1 mit Abb. 8). Dieser HandWechsel kommt durch die unterschiedlichen Formen des Reenactment zustande. Während das erste Griff-nach-der-Waffe-Reenactment (Tr. 1) auf dem präsenten Körper von Zimmerman durchgeführt wurde, um die eigene damalige Perspektive von außen beobachtbar zu reinszenieren, werden mit dem zweiten Griff-nach-der-Waffe-Reenactment (Tr. 2) Teilaspekte, die durch die Frage des Polizisten thematisiert wurden, mit einem Perspektivenwechsel reinszeniert, so dass der Polizist die damalige Ich-Perspektive von Zimmerman einnehmen kann. Zimmerman verändert mit diesem zweiten Reenactment die Beobachterperspektive des Polizisten. Anschließend fragt der verhörende Polizist Zimmerman, welche Hand von Martin nach der Waffe griff (»did he go for YOUR gun with his left hand or ( ) right hand?«, Z. 17). Diese Frage kann Zimmerman inhaltlich jedoch nicht beantworten (»h°° (-) i don’t ( ) recall,«, Z. 18). Reenactments können im Verlauf eines Gesprächs reformuliert werden, indem körperliche und räumliche Referenzen gewechselt werden. Aus den durch einen präsenten Körper parallel reinszenierten zwei Körpern (Beispiel 1) wurden zwei sequenziell reinszenierte Körper. Mit diesem Wechsel konnte Zimmerman z.B. seine eigene damalige Perspektive für den verhörenden Polizisten visuell zugänglich machen, indem er den Griff nach der Waffe von oben herunterblickend beobachten konnte. Dies gelang durch den Wechsel der Reenactment-Form. Daneben reinszeniert auch der Polizist auf der Basis der vorherigen Reenactments von Zimmerman das Einnehmen der Schussposition als Teil einer deklarativen Frage über die räumliche Entfernung zwischen den beiden damaligen Kontrahenten kurz bevor der tödliche Schuss fiel. Mit diesem Wechsel der reinszenierenden Akteure werden nicht nur Erkenntnisse gesichert, sondern auch diskrete Einheiten produziert, Perspektiven gewechselt und erneut reinszeniert (vgl. Meier zu Verl/Meyer 2014). Diese produzierten diskreten Einheiten sind oft in sich

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abgeschlossene Einheiten und Bestandteile von weiteren sich anschließenden Reenactments, die den Tathergang analytisch und nicht narrativ rekonstruieren. Sie sind in ihrer Komplexität beschränkt und können daher leicht im Sinne eines recipient design (Sacks/Schegloff/Jefferson 1974) durch Zuschauer lokalisiert und repliziert werden. Eine Videoaufzeichnung des gesamten Verhörs lag der durch die ermittelnde Polizei angefertigten FallAkte bei und konnte sowohl von der Staatsanwaltschaft als auch von der Verteidigung eingesehen werden. Beispiel 3 – Gerichtsverhandlung: Die Vorstellung des Staatsanwaltes Mit der Gerichtsverhandlung ändert sich der kommunikative Modus der körperlich-performativen Rekonstruktionen. Während die beobachteten Akteure den Status ihrer Rekonstruktionen im Verhör weitestgehend unverhandelt ausklammern, versuchen Staatsanwaltschaft und Verteidigung vor Gericht den Status dieser Rekonstruktionen zu klären, indem sie den Tathergang basierend auf den zu Protokoll gegebenen Erkenntnissen (Rekonstruktionen des Verhörs und forensischer Untersuchungen) erneut körperlich-performativ rekonstruieren. Ob es sich demnach bei diesen körperlichperformativen Konstruktionen um Reenactments des Tathergangs handelt, wird vor Gericht verhandelt und erst mit einem abschließenden juristischen Urteil entschieden. Im nachfolgenden Beispiel stellt der Staatsanwalt John Guy während der Befragung des Experten Dennis Root 11 die SchussSituation u.a. mit einer iconic gesture (Streeck 1995: 102) nach. 12 157F

158F

11 Der Experte Dennis Root wurde durch die Verteidigung benannt und von der Richterin während des Verfahrens zur Befragung vorgeladen. Der Begriff des Experten stellt in dieser Untersuchung eine Kategorie der Akteure und keine sozialwissenschaftliche Kategorie dar. 12 Im Anschluss an das im Transkript 3 festgehaltene Reenactment reinszeniert der Staatsanwalt im weiteren Verlauf der Befragung des Experten Dennis Root den Tathergang erneut mit seinem eigenen Körper und der Hilfe einer Puppe.

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Transkript 3 01

Attorney

02 03 04 05

Expert Attorney Expert Attorney

06

Expert

07 08

Attorney

°$ ahm you- you’re asked if you’re read the Macwell examiners rePORT? yeah SIR,

YES sir, remember (-) ahm the trajectory of the bullet being referenced in ther:e (.) at being at NINEty degrees? °$ (---) y::es and i believe f:ront to BACK? right. wouldn’t that be consistent (--) with trayvon martin getting OFF (.) of george zimmerman? and george zimmerman raising the GUN and firing it,

09

(a) (b)

10

11

Expert

well when you talk about ANgles of anything sir it can be consisting with any kind of movement. we could say it could happen THAT way it could happen another way,

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Im Verlauf der Befragung des Experten durch den Staatsanawalt wird auch der Tathergang thematisiert, der zum tödlichen Schuss führte. Zu Beginn dieser Thematisierung fragt der Staatsanwalt den Experten, ob er den Bericht des zweiten medizinischen Gutachters Maxwell gelesen hat (»°$ ahm you- you’re asked if you’re read the macwell examiners rePORT?«, Z. 01). Dies bejaht der Experte (Z. 02), der daraufhin erneut mit einer kürzeren und schneller artikulierten Frage vom Staatsanwalt gefragt wird, ob er den Bericht gelesen hat (Z. 03). Der Experte bejaht auch diese Frage des Staatsanwaltes (Z. 04). Mit der dritten Frage zum medizinischen Bericht thematisiert der Staatsanwalt den Eintrittswinkel des Projektils, der im Bericht mit 90 Grad beschrieben ist (»remember (-) ahm the trajectory of the bullet being referenced in ther:e (.) at being at NINEty degrees?«, Z. 05). Auch diese Frage beantwortet der Experte nach einer längeren Pause mit einen gedehnten »y::es« und einem nachfolgend präzisierenden » and i believe f:ront to BACK?« (Z. 06), dessen epistemischer Status durch das »i believe« eingeschränkt wird. Diese Antwort wird durch den Staatsanwalt mit einem »right« (Z. 07) registriert, um nachfolgend eine deklarative Frage zu formulieren, die die Vorstellung des Tathergangs aus seiner Perspektive wiedergibt (»wouldn’t that be consistent (--) with trayvon martin getting OFF (.) of george zimmerman? and george zimmerman raising the GUN and firing it,«, Z. 08-09). Während des ersten Teils dieser Frage winkelt der Staatsanwalt seinen linken Arm an und formt mit dem zweiten Teil der Frage seine rechte Hand zu einer Schusswaffe, die im rechten Winkel zur ausgestreckten linken Hand steht (Abb. 9/a). Nach dieser Positionierung bewegt der Staatsanwalt seinen Daumen der rechten Hand nach unten, um den Schuss auf Martin zu reinszenieren (Abb. 9/b). Seine linke Hand reinszeniert die Bewegungen von Martin, während seine rechte Hand die durch Zimmerman betätigte Schusswaffe ikonisch darstellt. Auch dieses Reenactment wird gestisch projizierend durchgeführt, während die verbalen Beschreibungen nachfolgend artikuliert werden. Das Reenactment visualisiert den Tathergang u.a. mithilfe einer ikonischen Geste (im Gegensatz zu den Reenactments aus den Beispielen 1 bis 2). Die anschließende Antwort des Experten relativiert den durch den Staatsanwalt deklarierten Tathergang, indem sie die Möglichkeit von weiteren möglichen Tathergängen skizziert, die auch konsistent wären (»well when you talk about ANgles of anything sir it can be consisting with any kind of mo-

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vement. we could say it could happen THAT way it could happen another way,«, Z. 10-11). Die Rekonstruktion des Staatsanwalts John Guy greift den mehrfach durch Zimmerman sowie durch den Polizisten im Verhör reinszenierten Tathergang (mit der Waffe auf Martins Körper zielen und anschließend schießen) auf und »vereinfacht« oder abstrahiert im Gegensatz zu den vorherigen Rekonstruktionen den Tathergang visuell. Der Staatsanwalt übersetzt die im Verhör durch Zimmerman und teilweise kooperativ mit dem verhörenden Polizisten hergestellte und protokollierte diskrete Einheit in die Gerichtsverhandlung. Seine Rekonstruktion der Rekonstruktionen markiert der Staatsanwalt als Reenactment des Tathergangs, das mit den forensischen Beweisen übereinstimmt. Damit werden die v.a. von Zimmerman zu Protokoll gegebenen körperlich-performativen Rekonstruktionen implizit als Konstruktionen oder Inszenierungen des Tathergangs entworfen. Dieses Vorgehen entspricht der komparativen Epistemologie einer Gerichtsverhandlung, indem die Geltung von Re-Konstruktion der Vergangenheit im Lichte von als frei erfunden markierten Konstruktionen hergestellt wird (vgl. für den Fall des Geschichtenerzählens vor Gericht Scheffer 2014b: 231). Im nächsten Beispiel tritt dieses Vorgehen noch deutlicher hervor. Beispiel 4 – Gerichtsverhandlung: Die Vorstellung des Verteidigers Nach der Befragung durch den Staatsanwalt John Guy befragt auch der Verteidiger Mark O’Mara den Experten Dennis Root. Für die Rekonstruktion des Tathergangs benutzt der Verteidiger seinen eigenen präsenten Körper und eine Puppe.

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Transkript 4 01

Lawyer

02 03 04

Expert Lawyer

05

06 07 08 09 10

Expert Lawyer Expert

11 12 13

Expert

Lawyer

Lawyer

let’s talk ( ) about the angle mister guy i think was suggesting °h that we need to stay FOcus with the angle of entry of the wound being basically ninety degrees, so its STRAIGHT in correct? THAT’S what he said [yes,] [no: ]w that could happen of course as misses- mister guy suggested maybe something like THIS?

if (this is) (-) trayvon martin is (.) trying to now BACK away at the end of the forty five seconds of screaming correct? right, did you agree that that’s a (.) POSsibility? absolutLY, it’s a POSsibility. do you have any evidence that beyond a REasonable doubt (.) that is what happened? no:. (...) could it happen if mister °h (.) martin is reaching back with his ha:nd for yet the final STRIKE or something like that,

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14 15

Expert

could it happen right THERE when he is coming back over? as long as the alignments of the bodies stay within those same relative positions were they are within that access of movement it’s a POSsiblity;

Im Verlauf seiner Befragung des Experten kommt auch der Verteidiger auf den im Vorfeld durch den Staatsanwalt thematisierten Tathergang zu sprechen (»let’s talk ( ) about the angle mister guy i think was suggesting °h that we need to stay FOcus with the angle of entry of the wound being basically ninety degrees,«, Z. 01). Die nachfolgende deklarative Frage des Verteidigers beschreibt den Eintrittswinkel von 90 Grad als »straight in« (»so

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its STRAIGHT in correct?«, Z. 02) und transformiert damit die vorherige technische in eine umgangssprachliche Umschreibung. Mit der nachfolgenden Äußerung »THAT’S what he said [yes,]« (Z. 03) beantwortet der Experte die Frage des Verteidigers, ohne sich dabei sachlich zum Eintrittswinkel des Projektils zu äußern. Mit der nächsten deklarativen Frage reinszeniert der Verteidiger aus seiner Sicht den durch den Staatsanwalt rekonstruierten Tathergang (»[no: ]w that could happen of course as misses- mister guy suggested maybe something like THIS?«, Z. 04). Mit der Artikulation des »THIS?« bleibt der Verteidiger in einer reinszenierten Position stehen (Abb. 10) und führt seinen Redebeitrag fort, um mit der nächsten Äußerung die »forty five seconds of screaming«, die während des Notrufs einer Nachbarin durch die Polizei mitgeschnitten wurden, bevor der tödliche Schuss fiel, zu erwähnen (»if (this is) (-) trayvon martin is (.) trying to now BACK away at the end of the forty five seconds of screaming correct?«, Z. 05). Die Frage, ob das von ihm gesagte »correct« sei, beantwortet der Experte nachfolgend mit »right,« (Z. 06). Weitergehend fragt der Verteidiger, ob es sich hierbei um eine mögliche Variante handelt (»did you agree that that’s a (.) POSsibility?«, Z. 07). Dieser Frage stimmt der Experte in einem ersten assessment (Pomerantz 1984) zu (»absolutLY,«, Z. 08), dessen Zustimmungscharakter nachfolgend durch den Experten selbst etwas abgeschwächt wird (»it’s a POSsibility.«, Z. 09). Mit der nächsten Äußerung fragt der Verteidiger den Experten, ob es Beweise gibt, dass diese Möglichkeit dem damaligen Tathergang entspricht (»do you have any evidence that beyond a REasonable doubt (.) that is what happened?«, Z. 10). Dies wird vom Experten anschließend verneint (»no:.«, Z. 11). Nicht im Transkript enthalten sind zwei körperlich-performative Rekonstruktionen des Verteidigers, die an seine erste Rekonstruktion (Abb. 10) anschließen und weitere Möglichkeiten des Tathergangs durchspielen (Z. 12). Die daraufhin anschließende Rekonstruktion ist die letzte finale Rekonstruktion des Verteidigers. Der Verteidiger beginnt diese Rekonstruktion, indem er eine weitere Möglichkeit des Tathergangs ankündigt (»could it happen if mister«) und nachfolgend seinen rechten Arm und seine zu einer Faust geballte Hand zurückzieht (Abb. 11). Diese Bewegung beschreibt er als die damalige Bewegung von Martin (»°h (.) martin is reaching back with his ha:nd for yet the final STRIKE or something like that,«, Z. 13). An diese erste Frage schließt er eine weitere Frage an. Währenddessen bewegt er seinen Oberkörper und die rechte zur Faust geballte Hand langsam, aber einem Faust-

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schlag gleichend, nach vorne (»could it happen right THERE when he is coming back over?«, Z. 14; Abb. 12). Diese Fragen des Verteidigers werden durch den Experten mit einer ausführlicheren und zusammenfassenden Äußerung beantwortet (»as long as the alignments of the bodies stay within those same relative positions were they are within that access of movement it’s a POSsiblity;«, Z. 15). Die komparative Strategie des Gerichts wird durch den Verteidiger zugespitzt, indem er seine körperlich-performative Rekonstruktion und die Rekonstruktion des Staatsanwalts mit Hilfe des Experten als Rekonstruktionen markiert, deren Geltungen aufgrund von fehlenden Beweisen unbestimmt bleiben. Eine Rekonstruktion des Tathergangs erscheint aus der Perspektive des Verteidigers unmöglich, da mit den zur Verfügung stehenden Informationen nicht juristisch entschieden werden kann, welche Version der Wahrheit entspricht. Mit der Vervielfältigung möglicher Tathergänge, die alle mit den forensischen Beweisen übereinstimmen, stellt der Verteidiger, auch durch die Mithilfe des Experten, den epistemischen und juristischen Status aller vorherigen Rekonstruktionen (inklusive der von Zimmerman) in Frage. Die argumentative Strategie des Verteidigers folgt deshalb dem juristischen Grundsatz ›im Zweifel für den Angeklagten‹ und illustriert diesen Zweifel performativ durch die Aneinanderreihung möglicher mit der Fall-Akte konformer Rekonstruktionen.

4. F AZIT Im juristischen Fall ›George Zimmerman‹ wurden die ursprünglich im Verhör von Zimmerman zu Protokoll gegebenen Reenactments im Verlauf des Ermittlungs- und Strafverfahrens durch Polizei, Staatsanwaltschaft und Verteidigung geprüft. Die Ergebnisse dieser unterschiedlichen juristischen Prüfungen wurden schließlich vor Gericht präsentiert und verhandelt. Während der Staatsanwalt eine bestimmte Variante des Tathergangs verfolgte (›Martin weicht vor dem auf ihn mit einer Pistole zielenden Zimmerman zurück‹), stellte Zimmermans Verteidiger alle Varianten, die konsistent mit den forensischen Untersuchungsergebnissen sind, als mögliche Tathergänge heraus (von ›Martin weicht zurück‹ bis zu ›Martin greift Zimmerman an und Zimmerman verteidigt sich‹). Damit machte Zimmermans Verteidiger den Mangel an Beweisen, ob es sich um eine bedingt vorsätzliche Tötung

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handelte oder nicht, durch eine Vielzahl an möglichen körperlich-performativen Rekonstruktionen des Tathergangs für die Geschworenen sichtbar. In ihrer Urteilsfindung folgten die Geschworenen dann auch dem juristischen Grundsatz ›im Zweifel für den Angeklagten‹, den der Verteidiger mit seiner Abfolge von Reenactments verkörperte, und sprachen Zimmerman frei. In allen hier versammelten empirischen Beispielen medialisieren Akteure ihre Körper und teilweise auch Gegenstände, um den Tathergang zu rekonstruieren und damit im Hier und Jetzt für anwesende Akteure visuell zugänglich zu machen. Die praktischen Verfahren oder Ethnomethoden des Reinszenierens im institutionellen Kontext der Strafverfolgung und -verhandlung nutzen Körper, Körperhaltungen, Gesten, Blicke, Objekte und gesprochene Sprache, um vergangene Ereignisse zu rekonstruieren. Die durchgeführten, beobachteten und beschriebenen Reenactments unterscheiden sich auf dieser allgemeinen Ebene nicht von Reenactments aus anderen institutionellen Kontexten oder dem Alltag (vgl. Meyer/Meier zu Verl 2013: 223-7; Sidnell 2006: 378). Der institutionelle Kontext des Rechts tritt jedoch – wie wir beobachten konnten – mit dem nachfolgenden situativen Verhandeln der durchgeführten körperlich-performativen Rekonstruktion hervor. Reenactments sind in diesem Kontext ›aktenfähig‹: Hierfür bedarf es v.a. einer Präparation diskreter Einheiten – wie sie im Verhör durch Zimmerman und den Polizisten herausgearbeitet wurden –, die wiederholbar bzw. ›zitierfähig‹ sind, um in der nachfolgenden Gerichtsverhandlung zur Klärung der Sachlage erneut verwendet zu werden. Daneben müssen Verhörsituationen nicht nur schriftlich, sondern auch per Videoaufzeichnung dokumentiert werden, um in eine Fall-Akte aufgenommen zu werden. Durch diese Form der Zurichtung sind trans-situative Verarbeitungen von Reenactments in Ermittlungs- und Strafverfahren möglich. In dieser empirischen Untersuchung wurden unterschiedliche Formen von körperlich-performativen Reenactments beschrieben. Ausgangspunkt für alle durch die Polizei, Staatsanwaltschaft und Verteidigung verwendeten Reenactments sind die ursprünglichen körperlich-performativen Reenactments von Zimmerman, die mit ihrer Protokollierung Eingang in die Fall-Akte finden und damit durch weitere Akteure wiederholt werden können. Im ersten Teil des Verhörs reinszenierte Zimmerman den Tathergang vom Griff nach seiner Pistole bis zum Schuss auf Martin. Im zweiten Teil

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des Verhörs artikulierte der Polizist eine deklarative Frage, die durch ein Wiederholen des Reenactment von Zimmerman (Einnehmen der SchussPosition) begleitet wurde, um den sprachlich-indexikalen Inhalt der Frage visuell zu präzisieren und zu einem situativ geteilten Verständnis über das vergangene Ereignis zu gelangen (s. Beispiel 2). In seiner darauffolgenden Beantwortung der Frage variiert Zimmerman sein Reenactment (Griff nach der Pistole), um dem verhörenden Polizisten eine beobachtende Perspektive zu ermöglichen, die seiner damaligen Perspektive gleicht. Die beiden Reenactment-Varianten von Zimmerman (Beispiel 1 und 2) unterscheiden sich v.a. in den gewählten reinszenierten Perspektiven auf das vergangene Ereignis. Im Verlauf des Verhörs überprüfte der verhörende Polizist fragend und teilweise auch reinszenierend die Konsistenz von Zimmermans Reenactments. Auch vor Gericht haben Staatsanwalt und Verteidiger dieses vergangene Ereignis während der Befragung eines Experten reinszeniert. Sie abstrahierten ihre Reenactments visuell (s. Beispiel 3), oder erweiterten sie durch mitwirkende Gegenstände (s. Beispiel 4). Interessant erscheint v.a. die Möglichkeit von reflexiven Wiederholungen körperlich-performativer Rekonstruktion als juristische Praktik der Prüfung und Kritik: Der Verteidiger reinszeniert das vorherige Reenactment des Staatsanwaltes und kritisiert es mit dieser Reaktualisierung, indem er das Reenactment des Staatsanwalts als mögliches Reenactment bezeichnet, das nur eine Variante des vergangenen Ereignisses sichtbar macht. Diesem Reenactment stellt der Verteidiger anschließend ein eigenes Reenactment gegenüber (s. Beispiel 4). Dabei basieren alle Reenactments der Polizei, Staatsanwaltschaft und Verteidigung auf dem von Zimmerman ursprünglich zu Protokoll gegebenen Reenactment, dessen (In-)Konsistenz durch ihre nachfolgenden Wiederholungen verhandelt wird. Die Akteure des Ermittlungs- und Strafverfahrens prüfen ein durch den mutmaßlichen Täter zu Protokoll gegebenes körperlich-performatives Reenactment, indem sie es wiederholen, ihre Wiederholungen vergleichen und im Einklang mit anderen Informationen aus der Fall-Akte variieren. Reenactments sind, metaphorisch gesprochen, Fenster zu möglichen vergangenen Welten, über deren Medialität sich die Akteure in ihrem Tun reflexiv bewusst sind. Die beobachteten Akteure des Rechtssystems schauen bei ihren Reenactments nicht ausschließlich durch die Fensterscheibe auf ein dahinterliegendes ›wahres‹ vergangenes Ereignis, sondern beschäftigen sich auch mit der vermittelnden Scheibe, indem sie diese durch mehr-

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fache Wiederholungen praktisch variieren, um unterschiedliche mögliche Vorstellungen über die Vergangenheit sichtbar zu machen.

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A NHANG Verwendete Transkriptionszeichen, Lemmata und Siglen (.) (-); (--); (---) (1,0) °h; °°h h°; h°° °$ = : :: beTONUNG

Mikropause Pausen von ca. 0,25; 0,5; 0,75 Sek. Länge (geschätzt) Pause in gemessener Länge Einatmen von ca. 0,25; 0,5 Sek. Länge Ausatmen von ca. 0,25; 0,5 Sek. Länge Klicks, Schnalzlaute von ca. 0,25 Sek. Länge unmittelbarer Anschluss Dehnung von ca. 0,25; 0,5; Länge Betonte Silben in Großschrift

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(

)

(schnell) [Überlappung] (...)

Gestik: unterstrichen

unverständliche Passage bzw. unsichere Transkription unsichere Transkription Überlappung mit der entsprechenden Passage in der nächsten Zeile Kürzung im Transkript forte, laut allegro, schnell

während des Sprechens in der Position verweilen (in den Transkripten variieren die Unterstreichungsformen zur besseren visuellen Unterscheidung)

Pfeile (Abbildungen): Pfeil an der Hand Bewegungsgestalt der Hand

Dramen des Alltags Formen und Funktionen multimodaler Reenactments in Alltagserzählungen I LHAM H UYNH

In diesem Artikel werden aus sprachwissenschaftlicher Perspektive 1 Reenactments betrachtet, die in deutschsprachiger face-to-face-Interaktion lokalisiert und analysiert wurden. Es zeigt sich, dass Reenactments sehr häufig in Alltagsgesprächen, insbesondere in Erzählungen, aufzufinden sind und dabei verschiedene Funktionen (parallel) erfüllen können. Diese Multifunktionalität von Reenactments sowie ihre sequenzsensitive und häufig multimodale Konstitution zeigen, dass es sich bei den alltäglichen Reenactments um ein äußerst dichtes und komplexes Phänomen der Rekonstruktion 2 handelt. 159F

160F

1

Theoretische sowie methodische Grundsätze werden hierbei hauptsächlich aus dem Forschungsbereich der linguistischen Gesprächsforschung (siehe hierfür z.B. Auer 2013; Stukenbrock 2013; Deppermann 2008), der anthropologischen Linguistik (z.B. Günthner 2013; Duranti 1997; Foley 1997) sowie der linguistischen Gestenforschung (z.B. McNeill 2005; Kendon 2004; Müller 1998) entnommen.

2

Ein weiteres Phänomen der Rekonstruktion wäre z.B. das der direkten Rede. Dieses kann allein (wenn nur linguistische Eigenschaften, wie beispielsweise Lexik, Grammatik, Prosodie, rekonstruiert werden) oder auch im Zusammen-

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Unter Reenactments wird in Anlehnung an Jörg Bergmann (2000), Jack Sidnell (2006) und Thompson/Suzuki (2014) ein rekonstruktives Verfahren verstanden, das zur Repräsentation und Demonstration vergangener Ereignisse eingesetzt wird: »In a reenactment, a speaker re-presents or depicts a previously occurring event, often dramatically« (Thompson/Suzuki 2014: 816). Hierbei wird eine in der Vergangenheit liegende Handlung durch den Sprecher 3 nicht einfach nur verbal beschrieben, sondern mit Hilfe sprachlicher und körperlicher Verfahren reinszeniert. Der Terminus ›Multimodalität‹ zielt auf eben jene Vielschichtigkeit verschiedener kommunikativer Prozeduren (hierunter z.B. Mimik, Gestik, Blick, Körperhaltung, Prosodie und Lautsprache) in der Informationsvermittlung ab und kann auch bei alltagssprachlichen Reenactments beobachtet werden. Face-to-face-Interaktion wird hier demnach als ›multimodale Interaktion‹ konzipiert, die als »ganzheitliche[r] und letztlich von der Körperlichkeit der Beteiligten nicht zu trennende[r] Prozess« (Schmitt 2005: 18) verstanden wird. Wie vorstehend erwähnt, treten Reenactments in der Alltagsinteraktion insbesondere innerhalb von Erzählsituationen und im Rahmen von Erzählungen auf: »Reenactments typically occur within larger tellings« (Sidnell 2006: 382), was den Fokus dieses Beitrages auf diese kommunikative Gattung 4 begründet. Sie verleihen Erzählungen u.a. einen lebendigen und expressiven Charakter. Wie dies genau geschieht und welche weiteren Funktionen erzielt werden, soll im Folgenden anhand von zwei Fallbeispielen gezeigt werden. Die nachfolgenden Beispiele und multimodalen Analysen von Reenactments in alltäglicher face-to-face-Interaktion basieren auf audio-visuellen Aufnahmen von informellen, privaten Tischgesprächen zwischen Freunden, 16F

162F

hang eines komplexen Reenactment auftreten. Somit können diese beiden Phänomene nicht von vornherein voneinander getrennt werden. 3

Mit Nennung der männlichen Funktionsbezeichnung ist in diesem Beitrag, sofern nicht anders gekennzeichnet, immer auch die weibliche Form mitgemeint.

4

Kommunikative Gattungen werden von Thomas Luckmann als »historisch und kulturell spezifische, gesellschaftlich verfestigte und formalisierte Lösungen kommunikativer Probleme« (Luckmann 1986: 256) definiert. Konkrete Beispiele für solche verfestigten kommunikativen Gattungen sind Bewerbungsgespräche, Bestellungen im Restaurant, Witze, Protokolle, Artikel oder Klausuren.

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| 329

die ich im Rahmen meines Dissertationsprojektes im Jahr 2013 in Nordrhein-Westfalen erhoben habe. 5 163F

R EENACTMENTS ALS Ä STHETISIERUNGS B EWERTUNGSVERFAHREN

UND

Im Folgenden soll der Frage nachgegangen werden, welche verbalen, paraverbalen und nonverbalen Reinszenierungsverfahren zum Reenactment eines vergangenen und erzählenswerten Ereignisses sprecherseitig zur Anwendung kommen. Hierbei werden im ersten Beispiel zunächst die Formen der Ästhetisierung und Bewertung im Reenactment fokussiert, da sich diese in den Untersuchungen als zentral erwiesen haben. In dem folgenden Gesprächsausschnitt 6 wird zunächst ein nonverbal ausgeführtes Reenactment betrachtet. 7 Petra entrüstet sich vor ihren beiden Freundinnen Thea und Ilkay darüber, dass sie während des Schwimmens im örtlichen Schwimmbad mit einem anderen (sehr langsam schwimmenden und ihre Bahn blockierenden) Schwimmbadbesucher zusammengestoßen ist. 164F

165F

Zusammenstoß 51 52 53 54 55

5

P

also ich hab halt gegUcktdie bahn is FREI, ich hab kEInen gesehn– hab ich gedacht okay da is HINtn EIna, der startet jetz grAde-

In meinem Dissertationsprojekt arbeite ich u.a. mit Methoden der ethnographischen Gesprächsanalyse (vgl. Deppermann 2000), um der Frage nachzugehen mit welchen Praktiken Interaktanten Emotionalität intersubjektiv in Alltagserzählungen herstellen. Dabei untersuche ich Erzählungen aus dem türkischen und deutschen Sprachraum.

6

Die vorliegenden Transkriptionen stützen sich auf das von Selting et al. (2009) entwickelte Transkriptionssystem GAT2.

7

Alle Namen und Orte wurden aus Datenschutzgründen verändert.

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56 57 58 59 60 61 62

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da kanns du mal VOLL durchsprintnund hab mich noch links von dem gehaltn;_ja? und äh: (0.82) ich bin dann entweda zu ihm rÜba, Ich hab keine ahnungoda er is weita zu mIr rüba ich weiss es nIchhm_hm. Ähm (0.86) ich KONNte ich habn SPRINT gemachtich konnte nIch guckn ob irgendwo jemand kommt oda nIchund DER (0.34) schwimmt brust (0.35) in zEItlupe ungefähr- Reenactment(Abb.1&2) ((lacht))

ich ras VOLL in den rEIn, (0.53) äh d‫ ݫ‬da krieg ich in ANfall bei ehda' eh ich war SO sAUer hm_hm. vor allem da biste so VOLL (0.8) gepUsht grade weil du nen sprint machstund dann kommt SOwas da denk ich nur so BOAh (0.66) du arschloch eh. ((lacht)) hm_hm. ja.



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Abb. 1 und Abb. 2: Petras Reenactment; Gespräch zwischen Thea, Petra und Ilkay (v.l.).

Quelle: Ilham Huynh

Petra führt parallel zu der Äußerung »schwimmt brust (.) in zEItlupe ungefähr« (Zeile 64) ein gestisches Reenactment aus. Hierbei nimmt sie die Perspektive des anderen Schwimmers ein, was unter anderem an der veränderten Blickrichtung zu erkennen ist. Sie wendet den Blick von Ilkay ab, die während dieser Erzählung die primäre Zuhörerin ist. Ilkays Gesprächsrolle ergibt sich, da Thea Zeugin des ursprünglichen Geschehens war und den Fortgang der Erzählung bereits kennt. Petra unterbricht jedoch den Blickkontakt zu Ilkay während des Reenactment und schaut sie nicht mehr direkt an, was oftmals den Perspektivenwechsel und den Anfangs- und Endpunkt eines Reenactments markiert:

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»[S]peakers often direct their gaze away from the coparticipants. Such gaze redirection is intricately related to the talk of the moment and appears to serve an important role in displaying that a reenactment is in progress.« (Sidnell 2006: 378)

Neben der Einnahme der fremden Perspektive, imitiert Petra zudem die Schwimmtätigkeit des anderen Schwimmers. Hierbei führt sie gestisch drei raumgreifende, kreisrunde und sehr langsam durchgeführte Handbewegungen aus, die sein langsames und träges Brustschwimmen darstellen sollen. In diesem Reenactment spielt zudem die Körperhaltung der Erzählerin eine relevante Rolle. Petra reinszeniert nicht nur mit ihren Händen das Schwimmen, sondern hebt und neigt zudem auch ihre Schultern und ihren Kopf (gut sichtbar an der Höhe und der Ausrichtung ihres Kinns). Sie nutzt demnach den gesamten Oberkörper als Medium für das multimodale Reenactment, welches ihren Blick, ihre Gestik sowie ihre Kopf- und Oberkörperhaltung einschließt (Abb.1 und 2). Mit allen diesen nonverbalen Ressourcen, die an diesem Reenactment beteiligt sind, versetzt sich Petra virtuell in die Rolle des fremden Schwimmers, die zugleich so realkörperlich wie möglich für ihr kleines Publikum wiederaufgeführt wird. Sie erzielt damit eine sehr detaillierte, bildhafte und verkörperte Darstellung des Schwimmens, was lautsprachlich so nicht (und nicht in dieser Kürze) möglich gewesen wäre. Obwohl Petra die sprachliche Ebene nicht direkt in das Reenactment integriert – hier bleibt sie weiterhin auf der Beschreibungsebene – spielt dieses dennoch eine wichtige und unterstützende Rolle, wie im Folgenden deutlich wird. In der Betrachtung des Reenactment fällt auf, dass Petra dieses sehr überzogen durchführt. Mit dieser übertriebenen – hier insbesondere langsamen und etwas tollpatschig anmutenden – körper- und damit auch medienpraktisch versierten Darstellung der Schwimmart des Mannes, erhält die Erzählung einen karikierenden Charakter. Für die Hörerinnen gewinnt sie damit einen sehr hohen Unterhaltungswert, was der Sprecherin auch mit hörerseitigem Lachen und Kichern quittiert wird. Diese kreative Modifikation der fremden Handlung kann im Sinne von Susanne Günthner (2002) als ein »Ästhetisierungsverfahren in der Alltagskommunikation« verstanden werden. Günthner beschäftigt sich in ihren Arbeiten zur fremden Rede mit der Inszenierung vergangener Dialogsequenzen, in denen sprachliche und prosodische Mittel Bestandteile inszenatorischer Performanz- und Stilisierungsverfahren sind (vgl. Günthner 2002: 60 f.). Die Autorin kon-

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zentriert sich hierbei demnach auf verbale und paraverbale Mittel. Dass indexikalische Ästhetisierungsprozeduren jedoch auch auf nonverbaler Ebene zu beobachten sind, kann anhand des vorliegenden Beispiels nachgewiesen werden. Denn mit Hilfe gestischer Mittel sowie der Veränderung von Blick und Körperhaltung, die gemeinsam multimodal das Reenactment formen und – medienpraktisch betrachtet – zugleich die Rezeptionshaltung und damit das Framing des Dargestellten einrichten, wird eine körperliche Reinszenierung geschaffen, die die hier präsentierte Figur karikiert und die Hörerinnen Thea und Ilkay belustigt. Es gibt deutliche Parallelen der Eigenschaften zwischen den von Günthner (2002) herausgearbeiteten Charakteristika überhöhter fremder Rede und den überzogenen Reenactments hier – wobei sich diese beiden Techniken keineswegs grundsätzlich ausschließen, sondern auch synchron auftreten können. Diese sind die Funktionen, die hinter der Modifikation der Originaläußerung bzw. -handlung stehen. Zum einen ist der vorstehend bereits erwähnte Unterhaltungswert hierbei zentral und zum anderen dient die übertriebene Darstellung der »Präsentation einer spezifischen sozialen Orientierung auf die porträtierte Figur und deren Handlung« (Günthner 2002: 62). Petra macht folglich mit Hilfe ihrer Darbietungsweise ihre eigene Einstellung zum Erzählinhalt transparent. Durch das Reenactment nimmt sie zwar die Perspektive des anderen Schwimmers ein, gleichzeitig offenbart Petra aber durch die Art und Weise der Vermittlung ebenfalls ihre eigene Sicht auf das Erzählte. Das bedeutet, dass Petra durch das Abwandeln der vergangenen Handlung diese gleichzeitig auch evaluiert. Wie die Hörerinnen in diesem Fall durch die Karikierung sehen können, fällt die Evaluation negativ aus und die Handlung der Figur (hier das zu langsame und die Bahn blockierende Schwimmen) wird als unangemessen bewertet. Obwohl Petras parallel hervorgebrachte verbale Äußerung nicht direkt in das Reenactment integriert ist, da sie hier die Erzählerperspektive beibehält und die Handlung weiter beschreibt, zeigt sich in der Analyse, dass diese nichtsdestotrotz für das Reenactment von Bedeutung ist. Petra beschreibt das Schwimmen des Mannes nämlich nicht einfach als besonders langsames Schwimmen, sondern sie verwendet an dieser Stelle die Hyperbel »in zEItlupe« (Zeile 64). Damit werden die Überspitztheit des Reenactment und gleichzeitig die negative Bewertung der präsentierten Figur unterstrichen. Die Rezipientinnen bekommen Petras negative Bewertung also auch zu hören. Inwiefern verbalsprachliche Mittel auch direkt in

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Reenactments integriert werden können, zeigt sich im folgenden Fallbeispiel. Emotionsanzeige, Involvierung und Solidarisierung In dem nächsten Gesprächsausschnitt unterhalten sich Kirsten, Tom und Ilkay über das Hupen im Straßenverkehr. Die nachfolgende Erzählung wird von Kirsten hervorgebracht, die sich über einen Fahrer beklagt, der sie und ihre Schwester auf der Autobahn bedrängt hat. Die zu langsame Reaktion der Schwester stellt für Kirsten einen weiteren Grund zur Entrüstung dar.

Hupen 11

K

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16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30

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I K I T K

I K

ich bin mit meiner schwester nach bAyern gefAhrn, °h und da war halt echt n ähm typ der is !M:E!ga asozial gefahrnder is erstma hintn tOtal aufgefAhrn, hm_hm. und meine schwester hat halt echt n bisschen geschlAfn sodie hÄtte halt schon viel frÜher auf die andere spur wechseln können, °h und dann ist der halthat die Überholt, hm_hm. is auf Unsere spur gefahrn, nhat ABgebremstp, [um uns also ne-] [oh wie Asozial.] !ME!ga asozial[hm_hm.] [hm_hm.] °h und is dAnn weitergefahrnnur so um uns zu zeign wie das so is quasi wenn man (0.4) sO, hm_hm. und ich so-

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31 32

33 34 35 36 37 38

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Reenactment(Abb. 3&4) um (0.7) [jA ]. [hm_hm. ] [ja.]

Abb. 3 und Abb. 4: Kirstens Reenactment; Gespräch zwischen Tom, Kirsten und Ilkay (v.l.).

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Quelle: Ilham Huynh

In dem vorliegenden Gesprächsausschnitt entrüstet sich Kirsten über einen fremden Autofahrer, der das Auto, in dem sie und ihre Schwester sitzen, auf der Autobahn ausbremst. Kirsten beklagt sich zudem über ihre Schwester, die die Fahrerin ist, weil sie erst hupt, nachdem der Fahrer davon gefahren ist und damit, Kirstens Meinung nach, zu spät und in dieser Situation unangemessen reagiert. Mit dem Zitatmarker »und ich so« (Zeile 30) leitet Kirsten einen Höhepunkt in ihrer Erzählung ein. Dieser markiert nicht nur ein folgendes Zitat, wie Andrea Golato (2000) zeigt. Denn mit Hilfe der Zitatmarker werden nach Golato ebenfalls Reinszenierungen eingeführt: »Und ich so/und er so also not only allows the speaker to introduce verbal utterances as quotables but also lets the speaker introduce vocalized sound effects, gestures and facial expressions (the latter two usually in combination with vocal elements) thereby turning the quote into an enactment or performance.« ([Herv. i. O.] Golato 2000: 31)

Wie die Autorin an dieser Stelle betont, scheinen die genannten Zitatmarker also auch als Einleitungen für Reinszenierungen in Alltagserzählungen zu fungieren. So ist es auch in diesem Gesprächsausschnitt: Kirsten beginnt nach der Äußerung »und ich so« ein multimodales Reenactment. Kirsten reinszeniert hier ihre eigene Reaktion, die sie hervorbringt, als der andere Fahrer das Auto der beiden Schwestern ausbremst.

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Das vorliegende Reenactment besteht aus der direkten Rede »« (Zeile 31), das in einer vom Rest der Erzählung abweichenden Prosodie realisiert wird, einem von den Zuhörern abgewendeten Blick und einer mit der linken Hand ausgeführten Modalgeste. Sprachlich betrachtet handelt es sich bei der Redewiedergabe um eine direktive Äußerung, mit der Kirsten ihre Schwester zum Hupen auffordert. Gabriela Christmann und Susanne Günthner (1996) stellen bezüglich der Verwendung direkter Rede in Entrüstungserzählungen Folgendes fest: »Auch die Rekonstruktion des Dialogs [...] fungiert sowohl als Mittel der Authentizitätsbekundung als auch zur szenischen Ausschmückung und damit zum Erwecken affektiver Anteilnahme.« (Christmann/Günthner 1996:13)

Auch durch die vorliegende Reinszenierung der Dialogsequenz – was in diesem Falle aber ebenso auf die Reinszenierung der gesamten Handlungssequenz übertragbar ist – wird eine »szenische Ausschmückung« zur ästhetischen Darbietung eines vergangenen Ereignisses erzielt. Die so erzeugte Bildhaftigkeit und der hohe Detailgrad dienen in diesem Beispiel zugleich ebenso als »Authentizitätsbekundung« und Auslöser »affektiver Anteilnahme«. Es wird deutlich, dass auch die vorliegende Äußerung über einen hohen emotionalen Gehalt verfügt. Dies wird zum einen durch die prosodischen Eigenschaften der Redewiedergabe angezeigt. Die hohe Lautstärke, Tonhöhenveränderung und Vokaldehnung in »« bringen Kirstens erhöhte Emotionalität zum Vorschein. Genau diese prosodischen Eigenschaften sind es, die nach Margret Selting (1994) einen emphatic speech style ausmachen und Involvierung anzeigen. »Emphatic style highlights and reinforms particular conversational activities, and makes certain types of recipient responses locally relevant. In particular, switches from non-emphatic to emphatic style are used to contextualize ›peaks of involvement‹.« (Selting 1994: 375)

Auch auf lexiko-semantischer Ebene kann mit der Interjektion »BOAH« Emotionalität festgestellt werden. »BOAH« ist eine Interjektion, die nach Zoltán Kövecses Differenzierung als klassisches ›expressives Emotionswort‹ bezeichnet werden kann: »Some emotion words can express emoti-

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ons. Examples include shit!, wow! when enthusiastic or impressed, yuk! when disgusted, and many more« ([Herv. i. O.] Kövecses 2000: 2). Folglich formt Kirsten mit diesen sprachlichen und prosodischen Mitteln eine emotionale Redewiedergabe, die den Zuhörern ihre Entrüstung deutlich macht. Bei der Betrachtung der nonverbalen Aspekte des Reenactment kann beobachtet werden, dass Kirsten nicht nur ihre Redewiedergabe reinszeniert, sondern auch ihre Gestik. Sie vollzieht parallel zur direkten Rede eine pragmatische Modalgeste. Modale Gesten drücken die Einstellung des Gestenproduzenten im Hinblick auf den Inhalt des Gesagten aus. Dieser Gestentyp »alters in some way the frame in terms of which what is being said in the utterance is to be interpreted« (Kendon 2004: 159). Kirsten fährt hierbei mit ihrer linken offenen, mit der Handinnenfläche nach oben zeigenden Hand nach links (Abb. 3 und 4). Gaëlle Ferré (2011) hat eine formal ähnliche Geste, die sie als hand flip bezeichnet, in ihrem französischsprachigen Material lokalisiert und ihre verschiedenen Funktionen, abhängig von der jeweiligen Gesprächssituation, analysiert. Hierbei kann sie zeigen, dass diese Geste in ihrem Korpus zum display von »judgemental modality« sowie »epistemicity« (Ferré 2011:14) verwendet wird. Unter Bezugnahme auf den sprachlich und prosodisch geäußerten Inhalt, kann auch hier davon ausgegangen werden, dass Kirstens Modalgeste zur Veranschaulichung von Verurteilung verwendet wird. Kirsten präsentiert auf diese Weise multimodal ihre negative Bewertung und Einstellung. Im Vergleich zum gestischen Reenactment, das Petra ausführt, wird deutlich, dass Kirstens Reinszenierung zwar weniger bildhaft, kürzer und bezogen auf die eigene Handlung durchgeführt wird, dieses aber nichtsdestotrotz als Reenactment einzustufen ist. Zum einen markiert sie das Reenactment multimodal durch ihren abgewendeten Blick, die veränderte Prosodie und den Zitatmarker »und ich so« (Zeile 30). Zum anderen stellt Kirsten genau in diesem Gesprächsausschnitt die Intensität ihrer Emotionen (im Vergleich zum Rest der Erzählung) besonders stark dar, was den Eindruck bekräftigt, dass sie an dieser Stelle mit ihrem ganzen Körper in ihre eigene vergangene Rolle eintaucht, ihre Verurteilung noch einmal reaktualisiert und das Geschehen als solches mit Hilfe ihres Körpers als Medium für andere erfahrbar macht.

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Schlussfolgernd können in Betrachtung der beiden Beispiele einige Funktionen von Reenactments festgehalten werden: 8 Wie die Analyse des ersten Beispiels gezeigt hat, können Reenactments als ästhetisierende, performative Reinszenierungen interpretiert werden, die den Zuschauern das vergangene Ereignis auf unterhaltsame Weise anschaulich und geradezu spürbar darbieten. Sprecher schaffen somit mit Hilfe der Reenactments lebendige Inszenierungen erlebter Geschehnisse und konstruieren damit im Sinne Goffmans »in Alltagserzählungen nicht nur vergangene Ereignisse, sondern [...]›inszenieren‹ häufig vergangene Gesprächssequenzen und bieten ihren RezipientInnen ›kleine Dramen‹; ja sie ›spielen Theater‹« (Günthner 2007: 392, die hier auf Goffman [1974] 1989 rekurriert). Zudem ist in der Reinszenierung fremder Handlungen deutlich geworden, dass Erzähler durch die Modifikation und Stilisierung des porträtierten Verhaltens dieses nicht lediglich performativ wiederholen, sondern parallel selbst eine Bewertung des Ereignisses bzw. der involvierten Charaktere vornehmen. Dies gelingt ihnen neben der sprachlichen Rahmung, ebenfalls durch die Art und Weise des Nachstellens. Anhand des zweiten Gesprächsausschnitts konnte darüber hinaus gezeigt werden, dass Reenactments überdies zur Emotionsanzeige sowie zum Abruf entsprechender (emotionaler) Reaktionen eingesetzt werden können. Denn sprachliche, prosodische und gestische Gestaltungmittel der Reinszenierung werden hier als Verfahren zur Kontextualisierung der emotionalen Haltung der Erzählerin angewendet. Des Weiteren ist herauszustellen, dass durch die Praktik des Reenactment Erzähler ihre Zuhörer zu einer gemeinsamen (präferiert gleichlaufenden) Evaluation einladen bzw. animieren. Denn durch die Bildhaftigkeit bzw. Anschaulichkeit des reinszenierten Ereignisses ermöglicht der Sprecher einerseits einen direkten Einblick in vergangene Geschehen: Mit Hilfe der »veranschaulichenden Verfahren verhilft der Sprecher seinen Gesprächspartnern zu dem Gleichzeitigkeitserlebnis des Augenzeugen« (Drescher 2003: 102). Andererseits konnte anhand der vorstehenden Beispiele festgestellt werden, dass Erzähler gleichzeitig eine metapragmatische Bewertung (wie z.B. mittels Hyperbeln oder Modalges16F

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An dieser Stelle soll keinesfalls der Anspruch der Vollständigkeit erhoben werden. Ganz sicher ist es anhand anderer Beispiele möglich, noch weitere Funktionen von Reenactments herauszuarbeiten, was im Rahmen dieses Artikels nicht ausführbar war.

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ten) der (un-)angemessenen Handlung vornehmen. Dies ist für die Beziehungsgestaltung zwischen den Gesprächsteilnehmern von zentraler Relevanz, denn die Evaluation des Erzählers zeigt den Zuhörern seine präferierte inhaltliche Ausrichtung an. Dem Rezipienten ist es dann seinerseits möglich – bzw. nach John Heritage (2011) besteht hier sogar die moralische Verpflichtung – eine symmetrische Beziehung aufzubauen, indem er sich auf die kommunizierte Einstellung des Erzählers ausrichtet und eine kongruente emotionale Einstellung äußert: »[W]hen persons report first-hand experiences of any great intensity (involving, for example, pleasure, pain, joy or sorrow), they obligate others to join with them in their evaluation, to affirm the nature of the experience and its meaning, and to affiliate with the stance of the experiencer toward them. These obligations are moral obligations that, if fulfilled, will create moments of empathic communion […] such moments are fundamental to the creation of social relationships, to social solidarity, and to an enduring sociocultural and moral order.« (Heritage 2011: 160)

Eine gleichläufige Evaluierung ist zentral für die Solidarisierung zwischen den Gesprächspartnern und die Herstellung sozialer Zugehörigkeit (engl. affiliation). Auch Günthner (2002) unterstreicht in ihrer Untersuchung die Relevanz des Teilens von (emotionalen) Einstellungen bzw. der gemeinsamen Bewertung: »eine gemeinsame Verurteilung der inszenierten Figuren und deren Handlungen tragen entschieden zur ›Vergemeinschaftung‹ und situativen Herstellung gemeinsamer Identitäten« (Günthner 2002: 66) bei. Diese Interpretation kann in der Analyse meist durch gleichläufige Bewertungen seitens der Zuhörer in den darauffolgenden Redebeiträgen erhärtet werden. Auch in den vorliegenden Beispielen signalisieren die Hörer mit »ja« oder »hm_hm« Zustimmung (im Transkript HUPEN z.B. in Zeile 34 und Zeile 38). Hieraus kann gefolgert werden, dass Reenactments als Involvierungsund Solidarisierungsverfahren eingesetzt werden können. Durch ihren Veranschaulichungscharakter und dem medienpraktischen Einsatz des eigenen Körpers, gelingt es dem Erzähler zum einen, die Gesprächspartner in das Geschehen zu involvieren und somit ein höheres emotionales Engagement zu ermöglichen (vgl. Tannen [1989] 2007). Zum anderen werden diese so wiederum dazu aufgefordert, ihre eigene Einstellung gleichläufig zur Haltung des Erzählers auszurichten und nonverbal oder verbal anzuzeigen und

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damit den Solidarisierungsprozess und eine erfolgreiche Beziehungsgestaltung zwischen den beiden voranzutreiben. 9 167F

F AZIT : R EENACTMENTS ALS KREATIVE M EDIENPRAKTIK DER R EAKTUALISIERUNG Reenactments werden in Alltagserzählungen häufig zur Ästhetisierung und Veranschaulichung eines vergangenen und erzählenswerten Ereignisses eingesetzt. Mittels multimodaler Reinszenierungen kann ein Erzähler in die Rolle der porträtierten Figur eintauchen und der Erzählung eine hohe Bildhaftigkeit, Detailreichtum und haptischen Darstellungswert im Sinne einer Verkörperung verleihen. Dies ermöglicht dem Hörer und Zuschauer wiederum einen direkten Einblick in das rekonstruierte Geschehen und involviert ihn ebenso in dieses. Der Zuhörer wird so einerseits unterhalten und es ist ihm gleichzeitig auf inhaltlicher Ebene möglich, sich mit dem Erzähler zu solidarisieren. Reenactments sind folglich keine reinen Wiederholungen vergangener Begebenheiten; vielmehr findet durch die modifizierte und stilisierte Übertragung des Geschehnisses in das Hier und Jetzt eine kreative Reaktualisierung statt: »Vergangenes wird mit Darstellungsmitteln eigener Art in Szene gesetzt, die narrative Darstellung geht in eine dramatische Darstellung über: Es kommt zu einem Wiederaufleben-Lassen und einer Reinszenierung von Erfahrungen oder Ereignissen.« (Bergmann 2000: 207)

Reenactments sind dabei auf keine formalen Einschränkungen begrenzt, denn sie können sich bezüglich der (Multi-)Modalität, Perspektivierung, Evaluationsqualität und des Inhalts grundlegend unterscheiden. Mittels Reinszenierungen können wir demnach im Alltag kreativ besonders dramatische Momente formen, die uns dabei helfen, uns mit unseren Gesprächspartnern zu solidarisieren, Emotionen ko-erfahrbar zu machen und Ereignisse zu verarbeiten.

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Zum Solidarisierungsprozess zwischen Erzähler und Hörer und den Mitteln der Beziehungsgestaltung in Alltagserzählungen siehe z.B. Huynh (im Druck).

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L ITERATUR Auer, Peter (2013): Sprachliche Interaktion: Eine Einführung anhand von 22 Klassikern, Berlin: Walter de Gruyter. Bergmann, Jörg R. (2000): »Reinszenierungen in der Alltagsinteraktion«, in: Ulrich Streeck (Hg.), Erinnern, Agieren und Inszenieren: Enactments und szenische Darstellungen im therapeutischen Prozess, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, S. 203-221. Christmann, Gabriela B./Günthner, Susanne (1996): »Sprache und Affekt. Die Inszenierung von Entrüstungen im Gespräch«, in: Deutsche Sprache. Zeitschrift für Theorie Praxis Dokumentation 24, S.1-31. Deppermann, Arnulf (2008): Gespräche analysieren: Eine Einführung, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. Drescher, Martina (2003): Sprachliche Affektivität: Darstellung emotionaler Beteiligung am Beispiel von Gesprächen aus dem Französischen, Tübingen: Niemeyer. Deppermann, Arnulf (2000): »Ethnographische Gesprächsanalyse: Zu Nutzen und Notwendigkeit von Ethnographie für die Konversationsanalyse«, in: Gesprächsforschung – Online-Zeitschrift zur verbalen Interaktion 1, S. 96-124. Duranti, Alessandro (1997): Linguistic Anthropology, Cambridge: Cambridge University Press. Ferré, Gaëlle (2011): »Functions of Three Open-Palm Hand Gestures«, in: Multimodal Communication 1, S. 5-20. Foley, William A. (1997): Anthropological Linguistics: An Introduction, Malden: Blackwell Publishers. Goffman, Erving ([1974] 1989): Frame Analysis: An Essay on the Organization of Experience, New York: Harper & Row. Golato, Andrea (2000): »An Innovative German Quotative for Reporting on Embodied Actions: Und ich so/und er so ›and I’m like/and he’s like‹«, in: Journal of Pragmatics 32, 1, S. 29-53. Günthner, Susanne (2002): »Stimmenvielfalt im Diskurs: Formen der Stilisierung und Ästhetisierung in der Redewiedergabe«, in: Gesprächsforschung – Online-Zeitschrift zur verbalen Interaktion 3, S. 59-80. Günthner, Susanne (2007): »Techniken der ›Verdichtung‹ in der alltäglichen Narration. Kondensierungsverfahren in Beschwerdegeschichten«, in: Jochen A. Bär/Thorsten Roelcke/Anja Steinhauer (Hg.), Sprachliche

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Kürze. Konzeptuelle, strukturelle und pragmatische Aspekte, Berlin: Walter de Gruyter, S. 391-411. Günthner, Susanne (2013): »Sprache und Kultur«, in: Peter Auer (Hg.), Sprachwissenschaft: Grammatik - Interaktion - Kognition, Stuttgart: J. B. Metzler, S. 347-376. Heritage, John (2011): »Territories of Knowledge, Territories of Experience: Empathic Moments in Interaction«, in: Tanya Stivers/Lorenza Mondada/Jakob Steensig (Hg.), The Morality of Knowledge in Conversation, Cambridge: Cambridge University Press, S. 159-183. Huynh, Ilham (im Druck): »Rekonstruieren – Involvieren – Solidarisieren. Multimodale Praktiken der Beziehungsgestaltung«, in: Jianhua Zhu/Jin Zhao/Michael Szurawitzki (Hg.), Publikationen der Internationalen Vereinigung für Germanistik, Frankfurt a.M.: Peter Lang. Kendon, Adam (2004): Gesture: Visible Action as Utterance, Cambridge: Cambridge University Press. Kövecses, Zoltán (2000): Metaphor and Emotion: Language, Culture, and Body in Human Feeling, Cambridge: Cambridge University Press. Luckmann, Thomas (1986): »Grundformen der gesellschaftlichen Vermittlung des Wissens: Kommunikative Gattungen«, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Sonderheft 27, S. 191-211. McNeill, David (2005): Gesture and Thought, Chicago: University of Chicago Press. Müller, Cornelia (1998): Redebegleitende Gesten: Kulturgeschichte, Theorie, Sprachvergleich, Berlin: Spitz. Schmitt, Reinhold (2005): »Zur multimodalen Struktur von turn-taking«, in: Gesprächsforschung – Online-Zeitschrift zur verbalen Interaktion 6, S. 17-61. Selting, Margret (1994): »Emphatic Speech Style: With Special Focus on the Prosodic Signalling of Heightened Emotive Involvement in Conversation«, in: Journal of Pragmatics 22, 3-4, S. 375-408. Selting, Margret/Auer, Peter/Barth-Weingarten, Dagmar/Bergmann, Jörg R. (2009): »Gesprächsanalytisches Transkriptionssystem 2 (GAT2)«, in: Gesprächsforschung – Online-Zeitschrift zur verbalen Interaktion 10, S. 353-402. Sidnell, Jack (2006): »Coordinating Gesture, Gaze and Talk in Reenactments«, in: Research on Language and Social Interaction 39, S. 377409.

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Stukenbrock, Anja (2013): »Sprachliche Interaktion«, in: Peter Auer (Hg.), Sprachwissenschaft: Grammatik – Interaktion – Kognition, Stuttgart: J. B. Metzler, S. 217-259. Tannen, Deborah ([1989] 2007): Talking Voices. Repetition, Dialogue, and Imagery in Conversational Discourse, Cambridge: Cambridge University Press. Thompson, Sandra A./Suzuki, Ryoko (2014): »Reenactments in Conversation: Gaze and Recipiency«, in: Discourse Studies 16, 6, S. 816-846. Abbildungsverzeichnis Abb. 1 und 2: Filmstills der Videoaufzeichnung vom 03.02.2013. Abb. 3 und 4: Filmstills der Videoaufzeichnung vom 17.06.2013.

Luft nach oben R EMBERT H ÜSER

Und jetzt geht es plötzlich wieder nicht weiter. Es ist einfach noch zu viel Luft. Mike Kelley sieht sich zur zweiten, größeren Korrektur seines Großprojektes Educational Complex gezwungen: Das Verhältnis der beweglichen und festen Teile in seinen Erinnerungen stimmt einfach noch nicht. Es ist das Jahr 2002, die neuen Anläufe werden in New York unter dem Namen Reversals, Recyclings, Completions and Late Additions in der Galerie Metro Pictures ausgestellt. Mike Kelley ist ein kalifornischer Installations- und Performancekünstler, der ein paar Jahre zuvor in Reaktion auf kritische Einschätzungen seiner Arbeiten, wie etwa den großen bunten Kugeln aus zusammengenähten, an Thriftstores abgegebenen Stofftieren, die von der Decke hängen, also ohne Zweifel dem Produkt einer schwierigen Kindheit 1, diese Zuschrei168F

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»I was made aware of the popular fixation on child abuse through the responses to my sculptural works composed of old stuffed animals. […] I found that it was impossible to bypass the audience’s tendency to project onto stuffed animals. Viewers invariably desired them to be pseudo-children, and were unwilling to give up this belief. Generally, the worn and dirty condition of the toys was read, not as the result of child’s play, but as a symbol of adult mistreatment of children. The toys became sculptures of mistreated children. In order to explain my supposed fascination with abuse, viewers also tended to project onto me – the maker of these objects – some presumed historical trauma. There was simply

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bungen kurzerhand bejaht und ihnen nachgeht. 2 Meine Kindheit, denke ich, war eigentlich ganz in Ordnung, aber wenn alle das Gegenteil sagen, wird das schon stimmen. Es macht zumindest neugierig. Kelley begibt sich also im Folgenden auf die Fährte von dem, was ihn zu jemandem gemacht hat, der die engsten Gefährten der Kindheit, in die man früher hineingeweint hatte, deren Bauch man abgerubbelt und deren Ohren man abgebissen hatte und die wir auf unseren Spielplätzen hinter uns hergezogen hatten, sammelt, farblich oder anders sortiert, und zu diffusen Wucherungen verarbeitet, die auf den ersten Blick irgendwo zwischen Boxbirne und seltsamen Stoff-Organismen aus anderen Welten neben und über uns, nicht wirklich überschaubar im Raum pendeln und Energiefelder und das Kräftefeld der Sterne beschwören: Deodorized Central Mass with Satellites (1991/1999). Im geschützten Raum von Galerie und Museum, der uns die Arbeit gewaschen, gereinigt und geruchsfrei präsentiert, sind wir plötzlich mit unseren alten Kuschelprojekten konfrontiert, unseren geteilten Träumen von gestern, die, wie geordnet auch immer, weiterhin diffus fröhlich hinter uns herwachsen und partout nicht locker lassen wollen. Kindheit wird schwieriger. Und wie sich Mike Kelley aufmacht, die Knubbel, die er uns eingebrockt hat, jetzt systematisch anzugehen und in einem ersten Schritt alle Räume, in denen er in seinem Leben ausgebildet worden war – Startpunkt Kinderzimmer –, aus der Erinnerung als Architekturmodell, also genau genommen als Modell für noch zu Bauendes, nachzubauen, ist klar, dass dies kein autobiographisches Projekt ist und niemals war – und auch gar nicht sein kann: sich über Utopien eher lustig macht. Mike Kelley greift also sich selbst als Symptom auf, prima, nimmt die Kindheit auf seine Kappe, ja, das muss ich mir wohl anziehen, verallgemeinert es und gibt das Ganze, den Clusterfuck, wenn man so will, kurzerhand in der Struktur eines Forschungslabors an uns alle zurück: Educational Complex. Wir haben eine neue Aufgabe. An die Stelle eines Wusts von Geschichten treten die Topographien einer vermeintlichen Struktur. Schaut man auf diese virtuelle Stadt 169F

nothing I could do to counter the pervasive psycho-autobiographic interpretation of these materials.« (Kelley 2004: 320) 2

»I decided, instead, to embrace the social role projected on me […]. Since I am an artist, it seemed natural to look to my own aesthetic training as the root of my secret indoctrination in perversity, and possibly as the site of my own abuse.« (Ebd.)

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einer erinnerten Ausbildung, von wo aus auch immer, stellt sich unweigerlich die Frage, wo wir selbst eigentlich wohnen und arbeiten. Wo wir unsere Erfahrungen ansiedeln würden? Weil es nun so viel gibt, an das er – oder soll ich sagen: man? – sich beim besten Willen nicht mehr erinnern kann, soviel im ersten Anlauf leer geblieben ist, beginnt Kelley in einer ersten Ergänzung der offengelassenen Stellen des Modells die Erinnerungen von Leuten zu sammeln, die an irgendeinem Punkt auf solche Typen institutioneller Räume körperlich reagiert hatten. Die vor Ort jenseits der alltäglichen Abläufe, extracurricular, Träume gehabt und sie ausagiert, sich eines Tages getraut hatten. Gesucht werden Fälle von dokumentiertem Stressabbau in Institutionen. Was bleibt von den Resten am Ende des Tages? »KELLEY: All the scenarios for ›Day is Done‹ are based on images found in highschool yearbooks […], though I’ve also done a whole collection of similar kinds of images from the small-town newspaper of the town where I grew up. The particular categories had religious ritual overtones, but outside of the church context. They all looked like they were done in public places, or they had gothic overtones. So I said, ›Okay, I’m going to work with these particular groups of images and develop a kind of pseudo-narrative flow.‹ The rituals run the gamut from something like dress-up day at work to St. Patrick’s Day or Halloween, to a community play or an awards ceremony. So all I have is this image, and then I have to write a whole scenario for it like a play, and then do the music and everything. Each one is just based on the look of the photograph that tells me what style it has to be done in. ART:21: Why use high school yearbooks? KELLEY: It’s not because I have any interest in high school or high school culture, but it’s one of the few places where you can find photographs of these kinds of rituals. The only other place would be personal snapshots, which aren’t accessible.« (Kelley [2005] 2011)

Die Jahrbuch-Fotos stehen stellvertretend für die Fotos aus unseren Fotoalben, Schuhkartons oder jetzt in letzter Zeit auch den leichter zugänglichen Posts auf diversen Plattformen. Die Wunderschultüten einmaliger Tage in der Institution. Ihre Anonymität macht sie exemplarisch. Was Kelley nun mit diesen Zufallsbekanntschaften vergangener Ereignisse anstellt, ist, die Energie, die er in diesen merkwürdigen Fotos findet, aus der Ingroup her-

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auszunehmen und für alle multimedial fließen zu lassen. Das Foto, das Dokument, der Schnipsel in unserer Hand, wird als Video reenacted, als Performance choreographiert, mit einem Soundtrack unterlegt und in eine Reihe gestellt, deren Name programmatisch in die Zukunft verweist: Extracurricular Activity Projective Reconstructions. Projektiert wird ein Video pro Tag. 365 Videos stehen auf dem Zettel. »I’m using the year (a series of 365 tapes) just as a given system, the rationale tying it to this history of works that relate to natural cycles, like symbolist artworks. But I don’t expect to get to 365. I’d like to get to at least fifty of them.« (Ebd.)

Die Videos sind im Grunde jeden Tag da. Um uns herum. Sie gehören zu den Gebäuden. Was sie reenacten, ist nicht die jeweils spezifische, historische Weihnachts-, Betriebs- oder Halloweenfeier, auch wenn klar wird, dass diese ihre Schuldigkeit noch längst nicht getan haben, sondern die weißen, unausgeführten Blöcke auch in unseren Modellen der Architektur der Institutionen, in denen man gewesen ist und an die man sich nicht mehr erinnern kann, und die daher tendenziell an der Stelle von Missbrauch und Trauma stehen. Damit kommt man mit diesen Videos an etwas heran, wovon Wissenschaftsforschung bislang nur zu träumen vermag: die eigentliche Energie der jeweiligen Orte. »SICK VAMPIRE: I’ve been sick. I just got back from medical leave. (… then exits the building).« (Francis/Kelley 2007: 521)

Abb. 1, 2 und 3

»MOTIVATIONAL VAMPIRE (to the assembled EDUCATIONAL COMPLEX WORKERS): Assemblies play an important role within the normal calendar year’s schedule. They not only provide a respite from the daily work schedule, through them we are exposed to speeches, music, drama, and other uplifting forms of com-

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munication. The staff body as a whole is introduced to the extraordinary individuals that it is composed of. Officers and sections leaders are sworn in. Monies are collected for office luxuries and worthy charities. We meet esteemed alumni; we honor those who have passed on. We witness the seasonal passion plays … and crown the yearly ›Joseph‹ and ›Mary‹, who are chosen from our own ranks. And we experience the majesty of the year-end Grand Final Spectacle.« 3 (Francis/Kelley 2007: 521) 170F

Der Sound, der sich hier sukzessive aufbaut, führt MUZAK, Fahrstuhlmusik und die uns aufbauenden Reden der großen Ermöglicher mit ihren vielen Beispielen aus den Teilprojekten auch stilistisch zusammen. Das geht, weil sich diese historisch verorten lassen und weil wir alle immer schon mal versammelt auf dem Tennisplatz gestanden haben. »There is something in the first warmth of the season that inspires humor. I’ve seen a number of facetious slogans posted on the staff bulletin boards: ›Draft beer, not plans,‹ and ›Support your local Hobbit.‹ […] Silent sunlight, welcome in / There is work I must begin / All my dreams have blown away / All who toil want to play / They’ll soon remember things to do / When heart is young / And night is done / And sky is blue«. (Ebd.)

Kelleys Kompositionsprinzip orientiert sich an dem Pathos der Pep Talks, dem wir institutionell über alle Bereiche: Computer, Fernsehen, Radio, Museum, Schule, Universität hinweg fortwährend ausgesetzt sind. Die Soundbytes des – in diesem Fall höchst offiziellen – Extracurricular ActivitiesPropagandavideos, eine Institution feiert sich selbst, geben die Struktur für alle anderen Aktivitäten außer der Reihe ab, die anzitiert werden. Dazu werden Paratexte im Stil der öffentlichen Radio- und Fernsehprogramme der Zeit fingiert und Sätze aus heroischen Fund-Ansprachen collagiert. 4 Wir hören bei so etwas eigentlich schon gar nicht mehr hin. Wir haben an 17F

3

Extracurricular Activity Projective Reconstruction #6 (MOTIVATIONAL SPEECH), in: ebd.: 521.

4

»Motivational Speech. Background music for an uplifting speech composed from bits of pompous elegiac yearbook texts. Inspired by the kind of minimalistera pieces utilized as opening fanfares for television news programs, it is very ›seriously engaged‹ but uplifting National Public Radio-style music.« (Ebd.: 509)

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solchen Veranstaltungen, diesen Ballwechseln gegen die Wand, immer wieder teilgenommen. Vampire und Zombies waren stets mit dabei; jeder kann das bestätigen. Reden dieser Art haben wir alle schon x-mal gehört. Vor uns war nichts. »Kreativität, Forschungsexzellenz, Leistungsstärke und Engagement, das sind die Zutaten für den Erfolg der Fakultät Medien der Bauhaus-Universität Weimar. Eine Erfolgsgeschichte, die nun schon mehr als 15 Jahre anhält. Seit ihrer Gründung im Jahr 1996 folgt die Fakultät im Kleinen der Philosophie der gesamten Universität: Sie schafft durch ihren interdisziplinären Charakter Synergien zwischen der theoretischwissenschaftlichen und der künstlerisch-experimentellen Welt – und das immer im Kontext von Medien. Mit diesem medienspezifischen Schwerpunkt, der sich zwischen Wissenschaft, Kunst, Technik und Ökonomie aufspannt, ist die Medien-Fakultät in der deutschen Hochschullandschaft bis heute einzigartig.« (Ens/Meinhardt et al. 2012)

Die Entwicklung der Fakultät Medien an der Bauhaus Universität in Mittelerddeutschland hatte sich in schon fast unmenschlichem Tempo vollzogen: »Die Erarbeitung des gesamten Projekts von der ersten vagen Anregung bis zur formgerechten Antragstellung durch die Bauhaus-Universität hatte also insgesamt, inklusive aller notwendigen Gremienbeschlüsse, nur neun Monate gedauert.« (Engell 2012: 376) Und ist voll lebenstüchtig. Ihr Gründungsdekan, ein Film- und Fernsehwissenschaftler, der vier Jahre nach der Wende als Professor für Wahrnehmungslehre an die HAB, Hochschule für Architektur und Bauwesen, wie sie damals noch hieß, nach Weimar berufen worden war, konstatierte bereits 2003 rückblickend (die neugemalten Büroschildchen sind da seit zwei Jahren schon wieder übermalt, und er ist Professor für Medienphilosophie): »Bekanntlich steigt niemand zweimal in denselben Fluss.« (Engell 2003) Dieser Satz motiviert seine filmwissenschaftlichen Arbeiten dieser Jahre, die in Bilder im Wandel gesammelt sind, einem Band, der auf Ausfahrt nach Babylon folgt, der, breiter ausgerichtet, die ersten Arbeitserfahrungen in den neuen Bundesländern gebündelt hatte: »Babylon ist hier und jetzt, ist überall, und überall zugleich. Genau darin liegt sein Sinn in einer von Medien gefertigten und durchwirkten Welt. Babylon ist dabei auch die Form, die technische Leistungsbereitschaft und kommunikative Katastrophe, die Anmaßung und Verständnislosigkeit miteinander verschweißt. Babylon ist zuletzt

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nicht nur Problem, sondern immer zugleich Lösung, nicht nur Krankheit, sondern immer zugleich Heilmittel. Will man den Zustand, den die Medien herbeigeführt haben und weiter herbeiführen, begreifen, muß man das Problem zu erkennen versuchen, auf das sie die Antwort sind und das sie selbst geschaffen haben. Eine Ausfahrt nach Babylon kann deshalb zum Konzept der Medienkultur vermutlich einiges beitragen. Nach Babylon, dem Ort der Diversion, kann es jedoch keinen Königsweg geben.« (Engell 2000a: 263)

Babylon ist immer auch ein Missverständnis. Von der Transitstrecke kommt man nicht so ohne weiteres herunter. Babel, muss man wissen, ist in jenen Jahren die DDR, in Thüringen vor allem Jena. 5 Das VEB Carl ZeissJena Prestigeforschungshochhaus FNB 71 mit 26 Geschossen, Universitätshochhaus von 1972 bis zum Auszug nach der Wende 1989, ein Leuchtturm der Wissenschaften, den es in dieser Funktion nicht mehr gibt – und der jetzt über neue Nutzungen nachdenken muss. Wie auch Weimar einen Anstoß von außen gut gebrauchen konnte. 172F

»[D]er Akkreditierungsprozess [i.e. die Umstellung des Lehrkonzeptes auf die Bologna-Struktur] mit den damit verbundenen Evaluierungen endete in einer nahezu enthusiastischen Einschätzung der Gutachterkommission, die die Weimarer Bauhaus-Universität zu einem ›Leuchtturm‹ der Ausbildungslandschaft im Bereich der Medien erklärte.« (Engell 2012: 382)

Die offizielle Verlautbarung lässt aufatmen. Erster Tag des neuen Schaffens aus dem Nichts: Licht über den Wassern. Die Hoffnung ist zurückgekehrt. Noch im selben Jahr zieht die Idee repräsentativer Wissenschaft abgeklärt in den ehemaligen Palais Dürckheim ein.

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»Eine der berühmtesten Bibliotheken des 18. Jahrhunderts etwa ist die Anna Amalia Bibliothek in Weimar, die einen Turm besitzt. Und der Jenaer Turm war über zwei Jahrzehnte lang als Universitätshochhaus genutzt, angefüllt mit Büchern – ein Bibliotheksturm. […] Beide Seiten des Dispositivs, die indexikalisch-orientierende und die symbolisch-vergesellschaftende, […] erreichen, beispielweise […] mit Johannes Ittens fast vergessenen Glasturm, der als Funkfeuer für den Weimarer Flugplatz dienen sollte, die Moderne.« (Engell 1999: 149f.)

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»Die ›Leuchtturm‹-Funktion, in der die Fakultät sich sieht oder die anzustreben sie sich zumindest verpflichtet hat, auch in der Forschung zu erlangen, ist derzeit zwar ein unverändert spannendes, aber bei Weitem kein leeres Versprechen. Die Einwerbung, der Aufbau und die erfolgreiche Platzierung des Internationalen Kollegs für Kulturtechnikforschung und Medienphilosophie (IKKM) in den Jahren 2007/08 zeigt, dass die Medienwissenschaft an der Bauhaus-Universität […] inzwischen weltweite Anerkennung [genießt].« (Ebd.)

Das Weltgeltungs-Signal in der Luft ist wieder intakt. Die Zeiten der DDR 6 sind endgültig passé. Große Namen, die üblichen Reisekader, addieren Weimar zur Liste, fliegen ein für viel Geld und machen sich vor Ort nicht unbedingt krumm. Ein direkter Draht zum wissenschaftlichen Nachwuchs, zur Universität etwa oder zum Graduiertenkolleg – den Erfolgsgeschichten von gestern, wenn man so will – ist im Bauplan nicht vorgesehen. Man ist halt schon wieder weltweit weiter. Die Netze sind anderswo. Der neue Sitz ist diesmal kein Hochhaus, sondern eine Villa mit einem Ruf. Der Ort in der Stadt, um den die Bevölkerung früher einen großen Bogen machte: 7 Adeliger Repräsentationssitz mit Tennisplatz, Thüringenwerk für Elektrizitätsversorgung bei den Nazis, provisorische Haftanstalt der sowjetischen Besatzungsmacht, Sowjet-Geheimdienst-Dienststelle bis 1968, dann Kreisdienststelle des Staatssicherheitsdienstes, Stasi-Club- und Schulungsräume. 1946 zwei Meter hoher Holzzaun, 1969 zwei Meter hohe Mauer, Metalltor, Maschendrahtzaun, Polizeistreifen in Uniform und in Zivil. Schön ist, dass in dem Gebäude heute geforscht wird. Schade ist, dass über das Gebäude, in dem man forscht, keinen Moment lang nachgedacht wird. 173F

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»Die Fakultät Medien war […] von Anfang an mit dem Moment des Überschusses, des Versprechens und des Mehr an Möglichkeit verbunden, kurz: Sie wurzelte im-

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»Der neuen Fakultät wurden – teilweise riesenhafte, teilweise winzige und überwiegend in abenteuerlichem Zustand befindliche und bizarr möblierte, in einem sehr weitläufigen Gebäude zudem völlig verstreut liegende – provisorische Räume in der Coudraystraße zugewiesen.« (Engell 2012: 377) Im ehemaligen Scheunenviertel in der Coudraystraße waren in den 60er und 70er Jahren inmitten sanierter historischer Gebäude Vorzeigegebäude für die Universität errichtet worden (Seemann 2012: 344).

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Hier und im Folgenden: Geiser 2007: 66-73.

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mer schon in der Zukunft und tut dies heute noch. Die Fakultät Medien ist damit eigentlich überhaupt kein Gegenstand der Universitätsgeschichte, sondern ein Faktor, vielleicht sogar ein Modell ihrer Fortentwicklung, mindestens jedoch ihrer Gegenwart. Als sie gegründet wurde, war sie auch keineswegs von allen Beteiligten als Modell mit langer Laufzeit gedacht.« (Engell 2012: 371)

Das ist zweifellos spektakulär. Die neue Gründung ist so abgehoben, dass sie eigentlich überhaupt kein Teil der Institution ist – und damit auch eigentlich überhaupt nicht Gegenstand der Universitätsgeschichte. Dass es an diesem Fakultätsort des permanenten Neuanfangs von den, Koselleck zufolge, ständig aufeinander bezogenen, drei verzeitlichten Zeitdimensionen, weder eine gegenwärtige Vergangenheit noch eine vergangene Gegenwart mit ihren vergangenen Vergangenheiten und ihren vergangenen Zukünften geben soll – ausschließlich Erwartungen also ohne Erfahrungen den Ton angeben sollen (Koselleck 2003: 249) – ist verblüffend. Was es in Weimar einzig und allein zu geben scheint, ist ein rasender Tisch. 8 Die Entwicklung der Fakultät Medien der Bauhaus-Universität Weimar zu einem beeindruckenden, innovativen Modell für Medienwissenschaften ist nicht zuletzt auch eine Ost-West-Geschichte und hat viel mit dem Erkennen und Nutzen von Gestaltungschancen zu tun. 9 Mit bemerkenswertem 175F

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»Das bedeutet theoretisch und begrifflich, dass die Fakultät Medien sich, anders als nahezu alle anderen vergleichbaren Einrichtungen und anders als zumindest die anderen Fakultäten der Bauhaus-Universität, eben nicht als immer schon vorhanden, als unentbehrlich und unverzichtbar oder als (endlich) wieder eingerichtet begriff, also in jedem Fall als angestammt. […] Eine Konsequenz dieses Selbstverständnisses war die Eigendefinition der Fakultät über das Gründungsgeschehen: Kaum gegründet, begriff sie Gründungsprozesse als ihr Spezifikum und Gründungskompetenz als ihr Merkmal. Das hat bis heute die für Universitätsverhältnisse ungewöhnliche Folge, dass Anteil an der kollektiven Fakultätsidentität zu haben insbesondere bedeutet, sie zu gestalten oder umzugestalten oder an ihrer Umgestaltung mitzuwirken.« (Engell 2012: 380) Schön, wenn der kollektive Identitätsumbau bis heute so einfach vonstattengeht.

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»›Bauhaus-Universität Weimar‹. […] Die aus den Wirren der 1989er Wende geborene Idee der neuen Hochschule hatte ihren Begriff gefunden« (Zimmermann 2012: 431).

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strategischen Geschick. 10 Im Netz-Enzyklopädien-Sound von Wikipedia klingt das so: 17F

»Mit der politischen Wende 1989 begann ein gravierender Prozess des Umbaus der Hochschule mit dem Ziel der Anpassung an die Freiheitliche demokratische Grundordnung und der Einfügung in die internationale Hochschullandschaft. In der Gesamtstruktur gab es mehrere Veränderungen, mit denen überflüssig gewordene Einrichtungen wegfielen. Das Neue zeigte sich besonders 1993, als die ›Fakultät Gestaltung‹ gegründet wurde, mit der die künstlerischen Disziplinen in den Verband der Hochschule zurückkehrten. Mit der 1996 gegründeten ›Fakultät Medien‹ konnte die Progressivität der Hochschule unterstrichen werden. Seit 1996 trägt die Hochschule den verpflichtenden Namen ›Bauhaus-Universität Weimar‹.« 11 178F

Wie beschreibt sich die Fakultät Medien in diesen aufregenden Zeiten selbst? Wie möchte sie von außen gesehen werden? Wie geht sie mit dem ganzen Neue Bundesländer-Abbau-Leuchtturm-Stress um? 2002 drehen Steffi Unrein, Viola Ahrens und Yvonne Andra im Auftrag von STIFT, der

10 »Bereits am 6. November 1995, nach nur vier Wochen der Ausarbeitung, konnte dem Senat das Ergebnis vorgelegt werden. Es umfasste jedoch keineswegs ausschließlich Umsetzungs- und Realisierungsperspektiven, vielmehr war das gesamte Projekt gegenüber dem Ursprungskonzept noch einmal erheblich aufgewertet worden. Das war eine große Überraschung, ein zweiter Coup, denn zu erwarten gewesen wäre natürlich eine Abschmelzung der konkreten Umsetzung gegenüber der rein abstrakten ersten Konzeption.« (Engell 2012: 374) 11 Bauhaus-Universität Weimar – Wikipedia, http://de.wikipedia.org/wiki/ Bauhaus-Universität_Weimar, 27.01.2015, »›Bauhaus‹ – nun im Namen der Universität – stand und steht nicht für die Reduplikation eines historisch vergangenen Modells, sondern für eine zukunftsfähige Programmatik. Nichts hier konnte doch die Nachahmung des alten Bauhauses sein. […] Dass das Label ›Bauhaus‹ weltweit Türen öffnet, ist zweifellos richtig« (Zimmermann 2012: 431 u 445). »Der neue Name stellte sich schnell als ein sehr hilfreiches Label für die junge Fakultät heraus, die nun nicht mehr gezwungen war, sich als Abteilung einer Bauhochschule zu rechtfertigen. Sie konnte nun, im Gegenteil, einen großartigen Namen in Anspruch nehmen.« (Engell 2012: 379) Auf der Suche nach Erfindungsreichtum und internationaler Strahlkraft hätte man sich natürlich auch Häagen-Dazs nennen können. Das hätte man aus dem Computer.

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Stiftung für Technologie und Innovationsförderung Thüringen, und der Marketing & Öffentlichkeitsarbeit der Bauhaus-Universität Weimar für die Fakultät Medien ein fünfminütiges Image-Video, das auf UniTV Net, das Streaming-Portal der Bauhaus-Uni, gestellt wird. Auf dem Portal wird es 965mal angeklickt und ist zusammen mit dem Photoshop Tutorium 1 mit 4 Stimmen das drittbeliebteste Video nach der Ringvorlesung: Grundlagen der medialen Kommunikation mit 5 Stimmen und dem unangefochtenen Spitzenreiter Sportfreund Killer, ein im Fachkurs entstandener Kurzfilm zum vorgegebenen Thema ›Warten‹, der 14 Stimmen erhält und 1461mal angeklickt wird. Prrrrrschrrraappssschrrr. Tüdelütü tüdelütü brabra tüdelüüüü. [Jörg Kachelmann]:

»Ich begrüsse Sie ganz herzlich zu unserem heutigen Wetter-Extra aus Weimar. Wie [Sie] schon erwartet haben, [ist] in nächster Zeit mit turrrbulentesten Entwicklungen in der Medienlandschaft zu rechnen. Vor allem in der Mitte Deutschlands kommt es zu weitreichenden Veränderungen. Das Hoch über den übrigen Gebieten – das sind alle die hier rundrum – verlagert sich nach Osten und dort setzt es sich dann dauerhaft über Thüringen fest. Ursache dieses Phänomens ist die Gründung der Fakultät Meeedien an der Bauhaus Universität Weimar. Forschung und Bildung begünstigen diese einzigartige Konstellation. Neu ist die Kombination der unterschiedlichen und sich ergänzenden Medien-Studiengänge. Ein genaueres Bild zeichnet uns Professor Lorenz Engell.«

[Lorenz Engell]: »Jaa. Wir haben hier ein interessantes Experiment zum Erfolg geführt, indem wir in einer Art Treibhaus die verschiedensten Disziplinen zusammen hochgezogen haben. Technologische Disziplinen, Disziplinen der freien und der angewandten Kunst und solche der Kultur- und Geisteswissenschaften. Alle befassen sich mit Medien, aber auf je sehr verschiedene Weise. Dabei ist inzwischen ein enormer Energiegewinn, ein enormer Energiefluss entstanden, der es uns auch erlaubt hat, sehr exotische Pflanzen hier zum Blühen zu bringen. So zum Beispiel eine Professur für Medienereignisse, eine Professur für experimentelles Radio, eine Professur für multimediales Erzählen oder eine für Geschichte und Theorie der künstlichen Welten. Alles Dinge, die anderswo überhaupt nicht wachsen. Entscheidend ist natürlich, was wir dabei ernten. Die ersten Resultate sind sehr ermutigend und ich bin sicher, dass es am Ende ein sensationeller Erfolg sein wird.«

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[Jörg Kachelmann]: »Bemerkenswert ist der Austausch und das Aufeinandertreffen verschiedener nationaler und internationaler Strömungen aus allen Richtungen. Und diese werden von Weimar regelrecht aufgesogen. Der aufkommende frische Wind beeinflusst die gesamte Hochschullandschaft positiv, deren Ausläufer fördern auch die Gestaltung neuer Berufsbilder.«

Abb. 4 und 5

Medienwissenschaft programmatisch in Termini der Meteorologie zu beschreiben, ist selbstbewusst. Das Bild aus dem Fernsehen aus der anderen Disziplin, das man für sich wählt, sagt, in Bezug auf das Wetter sind wir die Leute vom Fach. Wir können schnell reagieren, wir verstehen das Tagesgeschäft wie auch die Vorhersagen, wir kümmern uns um die Atmosphäre und das, was aus den Nachbarländern zu uns herüberzieht und wir sind nach zahlreichen Anläufen anderswo die erste Fakultät, auf deren Professionalität man sich verlassen kann, weil sie ihren Gegenstandsbereich, theoretisch fundiert, nicht nur wegen der Computergrafik im Hintergrund, vom Computer aus denkt. Dass es ausgerechnet die Bauhaus-Universität ist, die in den Medienwissenschaften den Übergang von den noch eher divinatorischen Praktiken, den Künsten der Auslegung der Praktiker, hin zu einer ausdifferenzierten, technologisch mit allen Wassern gewaschenen, rechnenden Netzwerk-Wissenschaft für sich reklamiert, ist eine Pointe. Der Vergleich mit der US-amerikanischen Disziplin, die Schrittmacherdienste bei der Computerisierung der Wissenschaften geleistet hatten – eine Entwicklung, die von den Weather Bureaus hin zur Meteorologie als Fach an den Universitäten führt –, unterlegt die Überraschung, die das Bild auslöst, mit einem historischen Modell. Was in der, keineswegs nur ironischen, Pa-

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rallele, die Medien und das Wetter und die Disziplin, die beide erfasst, anklingt, ist der Traum von der Leitdisziplin. »The introduction of numerical weather prediction – the creation of forecast weather maps by computer instead of by people – profoundly changed the science of meteorology. The extension of numerical modeling to other scientific and technological undertakings, including simulated atomic tests and biological population studies, would lead to a fundamental change in conducting scientific research. The Meteorology Project, which developed these early atmospheric models, thus spearheaded the introduction of scientific modeling in the twentieth century. The Meteorology Project was the sister project to John von Neumann’s Computer Project at the Institute for Advanced Study.« (Harper 2008: 3)

Ihr werdet euch noch alle umgucken. Nun ist die Weimarer Fakultät für Medien 2002 im gerade erst vollzogenen Übergang von Wahrnehmungslehre zur Medienphilosophie tatsächlich erst mit einem Bein aus dem Weimarer Wetterbüro heraus. Die Bilder, die sie selbst produziert, können noch nicht nach außen vermitteln, wie viel weiter in der Entwicklung sie eigentlich schon ist. Der Image-Clip dokumentiert daher eine doppelte Zweiteilung. Es ist zunächst einmal die Zweiteilung zwischen zwei Typen von Bildern: zwischen Grün und Schwarz. Um die Kraft der allgemeinen Ansage zu erhöhen, wird zu Zeiten der Namenlosigkeit jemand engagiert, der bereits angesagt ist. Den jeder kennt. Jörg Kachelmann hatte sich zu einer Zeit, als der öffentlich-rechtliche Sektor auf das Satellitenfernsehen zu reagieren suchte, als Aushängeschild von Das Wetter im Ersten, das nicht nur ernst sein musste, sondern sich auch Spaßeinlagen in die Vorhersage zu integrieren traute, einen Namen gemacht.

»Er hat gezeigt, dass Meteorologie auch ohne Fliege und Drück-Knopf am Band funktioniert. Mit dieser absonderlichen Technik wurden nämlich vor Kachelmann neue Satellitenbilder eingespielt.« (Von Gehlen 2006)

Klar, dass es bei ein paar Witzchen und allgemeiner Knopflosigkeit nicht bleiben würde. Neben dem Wetter moderiert der große Ansager in den folgenden Jahren diverse Talkshows und Spieleshows wie Vorsicht Blöff und wird im Jahr vor dem Image-Video noch zum ›Bootschafter‹ der Deutschen

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Gesellschaft für Schiffbrüchige ernannt. Was er in den Weimarer Clip einbringt, ist neben Identifizierbarkeit vor allem die Technologie: den professionellen Teil der Präsentation. Sein Teil des Clips wird im Studio seiner Firma, der Meteomedia AG Gais, heute MeteoGroup, gedreht und erfüllt den Fernsehstandard. Vor grüner Hintergrundkarte wird mit beweglichen Grafiken erklärt, wie die Hochs aus Köln, Hamburg und Berlin abwandern und sich dauerhaft in Weimar festsetzen, wo die neue Fakultät für Medien (überraschenderweise) Forschung und Bildung zusammenbringt. (Die Beschwörung der etwas altbackenen Bildung hatte man in diesem High-TechKontext mit seinen wandernden gelb-orangenen Knubbeln, die am Ende zusammengenäht werden, nicht unbedingt erwartet.) Der Gestus der Außendarstellung ist ein bisschen angestrengt und ein bisschen agonal, wie es sich für Recruitmentvideos halt so gehört, die gut Wetter machen müssen: wir können etwas, was Köln, Hamburg und Berlin und der namenlose Rest überhaupt nicht können. Das ist schön zu wissen. Dass die Hochs von früher und woanders abwandern und sich nun in einer einzigartigen Konstellation dauerhaft an einem Ort festsetzen – der neu-projektierten Hoch-Burg für Medienwissenschaft –, zerstört eigentlich das Erzählmodell, weil es die Kontingenz aus dem Wetter nimmt, es für seine Zwecke zu kontrollieren sucht, stellt zugleich aber schön das militärisch-strategische Denken aus, dem die Disziplin der Meteorologie ihre Entstehung verdankt. Die Wetterkarte mit den Ortsbezeichnungen ist deckungsgleich mit der Generalstabskarte, dem Sandkasten als Screen, der Truppenbewegungen und Massierungen zeigt und Königreiche fantasiert. Spielereien für Jungs. Ganz Deutschland wandert dauerhaft nach Osten und hat sein Hoch in Weimar. Im Imagevideo in der Überleitung wird nun per unsichtbarem Knopfdruck von TV zu UniTV gesprungen und ein anderes, genaueres Bild eingespielt, eine Direktschaltung zu eben diesem Weimar, wo der Mann vor Ort uns die Details erklärt. Die ersten Ansichten sind düster, der Mann vom Fach, vom neuen Fach, der Professor für Medienphilosophie dreht sich mit Hut und dunkelblauem Hemd vor schwarzem Hintergrund mit leichtem Lichtreflex in die Kamera und spricht vom interessanten Experiment, dem Treibhaus, das Köppen schon für Nachkriegsdeutschland beschwor, und dem Hochziehen. Das Erzählmodell ist Alchemie, ein Fach mit ganz langen Wetterohren wird aus der Kopfbedeckung gezaubert, der Mad Professor erklärt die Schöpfung: Aus verschiedensten Teilen eigentlich schon verstorbener Disziplinen ha-

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ben wir einen neuen Körper zusammengenäht. Die Dinge wachsen wie Pflanzen und auch die internationalen Strömungen können von den merkwürdigen Kreaturen mit sehr exotischen neuen Namen aufgesogen werden. Es wird nicht lange dauern und die ganze Welt wird unter unseren kleinen Schildchen arbeiten. Was hier in der Hochburg zu verzeichnen sei, ist ein enormer Energiegewinn, ein enormer Energiefluss. Die Bilder, die zu diesen Aussagen geliefert werden, teilen dies nicht mit. Als Schaltung in eine alchimistische Wetterbürowerkstatt zum Traum vom Schamanen, der uns das Raumschiff aus den Knochen zu lesen vermag, kommunizieren sie eher ein anderes Skript. Und so wird denn im Imageclip munter zwischen professionellem Studio und Unibüro mit schwachem Licht hin und hergeschaltet. Die Prognosen für die neuen Berufsbilder? [Kachelmann] »Über die zu erwartende Entwicklung informiert Sie Professor Charles Wüthrich.« Schnitt. Wieder ist es düster, man hat sich noch immer nicht so recht daran gewöhnt, wieder sind wir in Weimar in der Alchimistenhöhle: Der Professor für Grafische Datenverarbeitung meldet eine erste Störung aus der Dunkelkammer.

Abb. 6

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[Charles A. Wüthrich]

»Gruezi. Auf Grund einer Störung in unserem Wetterstationsnetzwerk sind wir nicht in der Lage, eine exakte Prognose für die Chancen der Medienabsolventen der Medienfakultät zu erstellen. Aus diesem Grunde müssen wir auf traditionelle Methoden zurückgreifen [sieht an sich herunter auf seinen Schlips] und die Prognose heißt: blumige Aussicht.«

Charmant! Ganz so lange gibt es den Umbau ja schließlich auch noch nicht. Das Verfahren um Kopf und Kragen macht Sinn. Mit dem textilen Prozessieren und der Mustererkennung ist nichts aus der Hand gegeben, der Umbauer wäre wieder beim Computer angelangt. Die Zukunft steht auf dem Schlips. Wie bei jedem mediendiskursiven Ereignis ist auch in Weimar der Ursprung der Absolvenz, die Frage, wie es eigentlich anfing, wie ein Anfang das erste Mal aufhörte, diffus. Was wir wissen, ist, dass die Welt dunkel war und der Beginn ein Fernsehbeitrag, der es zu Berlinalezeiten sogar in die Berliner Stadtzeitung schaffte: »Zum Beispiel die ›Diplomverteidigung Kunstfernsehen‹. Ein Student der BauhausUniversität Weimar, Fachbereich Mediengestaltung, legt seine Diplomprüfung ab. Im offenen Kanal und natürlich live. An das quietschige setup von ›bubble gum‹ erinnert hier nun nichts mehr: Der Studiobereich ist sakral verdunkelt, vier Herren in dunkelgrauen Anzügen sitzen steif vor Fernsehgeräten, auf denen Videokameras befestigt sind, die wiederum die vier grauen Herren aufnehmen. Prüfling und Prüfer können sich gegenseitig nur via TV sehen, obwohl sie gerade mal je zwei Meter voneinander entfernt sitzen. Zwei Stunden wird der Diplomand, der sich als Freibeuter der Medien bezeichnet, in die Mangel genommen, kommt ins Schwitzen, auch mal ins Stottern, reflektiert die Dekontextualisierung des Rauschens und setzt seine öffentlich inszenierte Prüfung ins rechte Verhältnis zu ›big brother‹.« (Franz 2000: 15)

Die Freibeuter der Medien rauschen durchs schwarze All. Die Engel singen. Die Fernseher sind heute dunkel. Es ist im Bereich der Prognosen, in dem sich im Imagevideo der Fakultät Medien der Bauhaus-Universität aus dem Jahre 2002 die zweite, interne Zweiteilung vollzieht. Sie betrifft die Frage der Politik von Weimar und geht dazu erst einmal zurück zum Genius Loci. Goethes Wetterbericht. Kachelmann weiß Bescheid:

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»Hier in Weimar beobachten wir seit jeher günstigste klimatische Bedingungen. Literatur, Musik, Architektur und – Kunst sind dafür ideale Indikatoren. Unter dem Einfluss der neuen Medien bildet sich nun ein fruchtbarer Boden für den regen Austausch von Geist, Kultur und Technik. Das Klima für ein üppiges Wachstum [ist] also vorhanden und damit die Sicht frei für neue Ideen und deren Umsetzung vor Ort. Zu den Prognosen jetzt Medienberaterin Anne Werthmann.«

Abb. 7

[Anne Werthmann]: »Wir gehen davon aus, dass unsere Medienabsolventen ein integrativer Klimafaktor für die Stadt Weimar sind. Die allerdings positive Witterungsfaktoren benötigen. Die Frage dabei ist: welche Verhältnisse dieses Klima unterstützen. Örtlicher Bodennebel aus Erfurt hat in der Vergangenheit dazu geführt, dass unter Medien meist nur Medientechnologie, Informatik oder Filmproduktion verstanden wurden. Durch auffrischenden Wind aus Leipzig von der mitteldeutschen Medienförderung, sowie durch kooperative Strömungen vom Kultus- und Wirtschaftministerium gelangt langsam eine sich erwärmende Luft nach Weimar. Medien werden unter diesem günstigen Einfluss als kreative Experimentierfläche im Raum zwischen New Economy, also auch Online-Diensten, UMTS-Contents, aber auch Internetkunst und Webagenturen angesehen. Es besteht also in Thüringen Aussicht auf experimentierfreudige Medienpolitik.«

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[Kachelmann]: »Die Vorhersage: das Hochdruckgebiet dehnt sich weiterhin aus und verspricht auf alle Fälle sonnige Aussichten für den Medienstandort Weimar.«

Dann ist Schluss. Die Medienberaterin liest im düsteren Raum ihren Text vom Zettel ab und macht am wenigsten Show. Von welchen Bedingungen hängt die Umsetzung der unbegrenzten Hochgroßwetterlage Weimar ab? (Die sich voller Übermut schon im Oktober 1999 in den Titel der neuen Schriftenreihe geschlichen hatte: »Neue Schriftenreihe der Fakultät Medien. Seit Oktober 1999 veröffentlicht die Fakultät Medien in Zusammenarbeit mit dem vdg-Verlag die Schriftenreihe [me’dien]i – ausgesprochen Medien hoch i.).« Die Hochstimmung ist einfach überall mit Händen zu greifen. Aber werden die Absolventen es am Ende auch zum Schlips bringen? Die Zweiteilung, die sich auftut, ist eine zwischen Westen und Osten. Bei Werthmann tauchen plötzlich aus dem Dunkel die lokalen Realitäten auf. Örtlicher Bodennebel aus Erfurt, auffrischender Wind aus Leipzig, kooperative Strömungen vom Kultus- und Wirtschaftsministerium, da kommt schon einiges zusammen. Das Akronym UMTS, das Universal Mobile Telecommunication System, wir haben das vielleicht schon vergessen, lief 2000 in der deutschen Öffentlichkeit noch unter ›Unerwartete Mehreinnahmen zur Tilgung von Staatsschulden‹. Der damalige Finanzminister Hans Eichel hatte das Akronym anlässlich der Versteigerung der Lizenzen für diesen Mobilfunkstandard der nun dritten Generation dahingehend aufgelöst. Wir stehen vor einer blühenden schuldenfreien Zukunft mit vielen ganz schnellen Telefonen, die von Weimar aus gedacht werden. Aber Werthmann sieht nicht nur das Telefon, sondern nennt in dem Zusammenhang auch noch ganz explizit das andere, noch viel größere Zauberwort, das die Euphorie und den Hype der neugegründeten Fakultät für Medien besser zu verstehen hilft: New Economy. Das Identitäts-Wetter Extra aus Weimar ist ein New Economy-Video mit allen Schikanen: Unter dem Einfluss der Neuen Medien bildet sich fruchtbarer Boden, in Zukunft wird anders produziert, wir müssen neue Firmen gründen, viele, nie zuvor gehörte, bunte Namen-Luftballons fliegen in die Luft und versprechen einen neuen Auf-

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bruch, 12 was wir im Augenblick erleben, ist ein beispielloser Modernisierungsschub mit bislang ungeahnten Jobversprechen, 13 die Computer schnurren, die Telefone klingeln, alle Fächer werden sich nach uns umdrehen. Kneif mich! Das neue Schaffen aus dem Nichts, eine »Fakultätsneugründung, die ja immerhin ein nicht alltäglicher Vorgang ist, noch dazu, wenn von einer akademisch völlig traditionslosen Fachumgebung, ›den Medien‹, die Rede ist« (Engell 2012: 375), birgt ein großes Versprechen, speziell in den neugegründeten fünf Bundesländern, die ja selbst auch einen immerhin nicht alltäglichen Vorgang bezeichnen. Der Begriff des Medienwandels adressiert Wende-Erfahrungen. 14 Die Situation in Weimar ist hier keineswegs 179F

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12 »Hier wurde ein völlig neuer Horizont umgriffen, in teils schillernden Begriffskonstruktionen. Es war ja auch Neues, das beschrieben werden wollte« (Zimmermann 2012: 439). 13 »Dieser Ansatz trägt auch der wirtschaftlichen Entwicklung des Mediensektors Rechnung, der vor allen Dingen in den gestalterischen und (populär-)kulturellen Bereich hinein expandiert und nach qualifizierten hochschulisch ausgebildeten Arbeitskräften verlangt.« (Konzeption für die Medienausbildung an der HAB Weimar. Bestätigt durch den Senat am 06. November 1995, Ms. (Zusammenfassung), o.S) 14 »1.1. Rahmenbedingungen: Das gesamte Feld der Medien befindet sich in rascher Veränderung, die z.T. als kontinuierlicher Wandel, z.T. als umbruchartiger Entwicklungsschub wahrgenommen wird, u.a.: – sehr starke ökonomische Expansion […] und bisweilen umbruchartige Umstrukturierung (Privatisierung und Kommerzialisierung, […]). […] Entstehung neuer Formen der Anwendung im Erwerbs- und im Freizeitbereich. – relative dichte Abfolge technologischer Veränderungen und Weiterentwicklungen […]; – merklich beschleunigter Wandel der Alltagsästhetiken (und Moden) […]; – kulturelle Verschiebung von Veränderungen im Arbeitszusammenhang sowie im Kommunikations- und Konsumverhalten (Heimarbeit; Teleconferencing; Teleshopping) bis zum Wandel der Wahrnehmungsgewohnheiten und Alltagsüberzeugungen mit nachfolgenden Änderungen etwa in der Struktur des gesellschaftlichen Zusammenhalts (Familie, Gruppe, Kollegenschaft etc.). […] Die Hochschule […] fördert so etwa die Entwicklung neuer medialer Produkte für einen veränderten Markt, verbessert die Fähigkeit des kreativen und produktiven Umgangs mit neu entstehenden medialen Möglichkeiten und Situationen und gibt Hilfen zur Orientierung und

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außergewöhnlich, sondern im Vergleich mit anderen Ost-Standorten nach den Abwicklungen eher die Regel. 15 Zwei Sehnsüchte prallen aufeinander. Das Fach ohne institutionelle Geschichte trifft auf das Land mit der falschen institutionellen Geschichte. »Lange Zeit war für mich der Turm die Metonymie des Medialen schlechthin.« (Engell 2000b: 314) In Hamburg und Köln wäre eine solche Entwicklung wahrscheinlich tatsächlich nicht möglich gewesen. Rückblickend mit nicht einem einzigen Wort auf diese Bedingungen der Möglichkeit der Konstellation einzugehen, ist sonderbar. Alle reden vom Wetter. Die Weimarer Fakultät für Medien auch. Die DDR scheint nach wie vor etwas Schmutziges zu haben. Das Reenactment von Kachelmanns Wettersendung als New Economyin-den-neuen-Bundesländern-Imagefilm mit lustigen Einlagen erfüllt Mike Kelleys Kriterien der Extracurricular Activity Projective Reconstruction voll und ganz. Das Trauma steht mit der grünen Karte im Raum, finstere Gesellen aus dem Westen haben Spaß. Zum Glück ist Berlin für die Gäste für den zweiten Teil der Woche in der Nähe. Aber das ist alles nur ein ers182F

zur Akkulturation in einer zunehmend komplexer werdenen Medienumgebung« (ebd.: 3-4 ). 15 »Ein Aufbau und Ausbau medienwissenschaftlicher Studienangebote ist in Ostdeutschland dringend geboten, nicht nur hinsichtlich der unerläßlichen Forschung, sondern auch hinsichtlich der Lehre: Die Studierenden der kommenden Jahre brauchen zumindest medienkundliche Grundkenntnisse, denn schließlich verlangt der Arbeitsmarkt in allen Sparten mittlerweile weitreichende Fähigkeiten der Öffentlichkeitsarbeit […]. Bereits vor Beginn meiner Gastlehrtätigkeit beteiligten mich die Hallenser Kollegen an der Erarbeitung eines MedienStudienganges.« (Scheffer 1993: 267) »Einer besonderen öffentlichen Aufmerksamkeit erfreute sich der zu gründende Fachbereich Medien- und Kommunikationswissenschaften, gegründet vom Münchener Karl-Friedrich Reimers. […] Die besondere öffentliche Aufmerksamkeit wurzelte in der Konkursmasse, aus der der neue Fachbereich entstehen sollte […]. Reimers brillierte als ausgesprochen umtriebiger Macher, zeichnete sich aus durch Sinn für öffentliche Wirksamkeit seines Tuns, hatte wohl als einziger Gründungsbeauftragter eine wirkliche Vision, […] besorgte dem Fachbereich einen von der Pharma-Industrie gesponserten Marketing-Lehrstuhl, führte die ›1. Internationalen Hochschultage für Medien und Kommunikation‹ durch und hat vor allem eines erreicht: dass sein Leipziger Tun widersprüchlich bewertet wird.« (Pasternak 1993: 278f.)

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ter Anfang. So richtig weit sind wir noch immer nicht. Ich bin wieder auf Seite 1. Wie baut man das Nichts, aus dem man kommt? Das einen umgibt und das man nicht anzuerkennen bereit ist? Und das sich immer weiter dreht und bewegt? Reversals, Recyclings, Completions and Late Additions. 2002 überprüft Mike Kelley noch einmal die Grundannahmen seiner projektiven Formationsnachbaumaßnahmen und Reenactments. Dazu geht er zurück zu den Anfängen seiner Konstruktion. Den allerersten Skizzen, die nur ganz grob die ersten Umrisse der Ausbildungskomplexe zeigen. Erste vage Aufteilungen. Im Reenactment ist der Raum, in dem die Bewegungen stattfinden, eine Form des Dokuments. Ein Architekturmodell aus der Erinnerung gebaut unter Nichtberücksichtigung des Grundrisses. »It may well be that our sense of the presence, power, and authenticity of these pieces derives not from treating the document as an indexical access point to a past event but from perceiving the document itself as a performance that directly reflects an artist’s aesthetic project or sensibility and for which we are the present audience.« (Auslander 2006: 9)

Mit diesen Räumen muss man umgehen lernen, sie genauer als nur austauschbare, aufeinander zulaufende Wände unter einer Decke begreifen. Das wird schnell klar, wenn man sie leer lässt. 2008, parallel zum Einzug ins IKKM, werden im Centre Pompidou in Voids. A Retrospective, der Mutter aller Reenactment-Ausstellungen, wenn man so will, sieben leere Ausstellungsräume wieder eröffnet, die Künstler seinerzeit verlassen hatten. Was spielt sich hier ab? Kelley schnappt sich die Stevenson Junior High School. Kommen wir da noch mit? Wie können wir uns diesem Ort aus der Erinnerung nähern, auch wenn wir nie da waren? Lässt sich die Energie dieses Ortes irgendwie ableiten? Auf Google erinnert sich Ryan Potter an die 80iger Jahre und Teenagerstimmen in der Atmosphäre: »Imagine this. It’s 1984 and you’re 13 years old. You live in a working-class suburb 30 minutes outside of Detroit. […] One steamy day, the coolest high school kid on the street asks if you’ve ever dialed the Pipeline. You and your friend look at each other and shrug. The cool guy smiles and tells you to dial three digits, 211, from a push-button phone and then simply listen. He says the Pipeline is a public telephone portal and a great way to meet girls.Three minutes later you’re in your best friend’s living room, where the two of you flip a coin to see who gets to dial the Pipeline

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first. You win and experience a brief pang of nervousness as you reach for the green telephone and dial 211. At first there’s nothing but silence. You’re waiting for the line to go dead, but then you hear voices. Faint at first, but yes, there are definitely people talking. You hear laughter and yelling, but you also catch two-way conversations between people arranging meeting places and exchanging phone numbers. The more you listen, the more you realize how local this mysterious telephone portal is. The meet-up destinations are public places you know well. The phone numbers tossed back and forth are all in your area. Turns out the Pipeline is real. You have no idea how it works, but that means nothing. It’s an addictive discovery that occupies the rest of your 1984 summer and many other 1980s summers. You dial in at all hours of the day. There’s always activity. The Pipeline is never silent. You eventually say things like Hi! and Hey, anybody out there go to Stevenson Junior High? […] In the end, The Pipeline was about listening to other young people having innocent fun on an open community phone line that was probably one of the first audio chat rooms in existence.« (Potter 2013)

Wir kommen der Sache schon näher. Um die Stevenson Junior High School herum liegt etwas in der Luft, das transportiert, verbindet, leitet, und das man anzapfen kann. Ein echtes Nichts, wenn man nur die richtige Nummer hat.

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Kelley nimmt sich die alten Skizzen vor und verfeinert sie. Die Markierungen aus dem Gedächtnis am Grundriss von Stevenson Junior High werden im Bild schriftlich näher erläutert. Ereignisse, Fantasien und Objekte liegen auf einer Ebene. Da wurde immer die Flagge hochgezogen, da war die Cafeteria, wo man die Strawberry Cap’n Crunch Cereals kaufen konnte, da war die Mall, der Sumpf, die Rednecks, hier ist die Tafel, da spielten MC5, auf dem Schreibtisch, da kriegte ich Schläge, links, weiß ich nicht, ist nichts. Jede Menge Nichts. Nothing. Nothing ist dabei nicht einfach nothing. Schließlich steht es ja da, wie gemalt. Und ist auch noch beschriftet. Nothing ist hier das, wo man aus der Perspektive der Schule nur ahnt, was es sein könnte. Es ist räumlich diffus, ein merkwürdiges Kringelwölkchen, die Wurst am Rande des Tellers, der die Welt ist und zugleich elementar temporal: es ist eine Lage, die sich aufklären könnte, wenn sie nur bloß nicht dauerhaft wird, die erst noch kommt. Etwas lose Verbundenes, gleichwohl Massiertes, das sich nicht genau ausmachen lässt, das jetzt noch zugezogen ist, eine kurze Störung vielleicht, wie Schnee im Fernsehen, eine schwarze Wolke am Himmel, etwas, wozu wir noch keine Information haben, wo eine Menge Faktoren reinspielen, das hoffentlich ausbalanciert werden kann, das wie eine richtige NothingFront da links steht, und uns hoffentlich nicht reinzieht in sein Nichts, das wie eine Architektur für sich daherkommt. Grösser als der Fahnenmast rechts, der das Ende zeigt, um den man im Hoch rumsteht, etwas auf das man Wetten abschließen kann, und das ich jetzt der Kürze halber einfach mal Wetter nenne. Die Atmosphäre. Äther. »The Nothing that Connects Everything.« (Milutis 2006; besser noch: Kümmel-Schnur/Schröter 2007) Mike Kelley baut jetzt also als dritten raffinierten Move das Wetter in sein Reenactment ein. Um sich an seine Ausbildung erinnern zu können, braucht man die Architektur, die außercurricularen Aktivitäten und das Wetter. Diffus und hingebogen. Eine Form von Zufall, die sich hoffentlich messen lässt. So dass wir dann den Schirm aufspannen können, um nicht nass zu werden oder im Schatten zu stehen oder wegzufliegen. Oder eben auch nicht. Richtig verständlich wird das alles aber erst, wenn man es auch tatsächlich als Modell baut.

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Abb. 9

Der Titel des Mobiles, Repressed Spatial Relationships Rendered as Fluid, No. 4: Stevenson Junior High and Satellites, beschreibt den Versuch, verdrängte institutionelle Kräfteverhältnisse zu fassen und zugleich in Bewegung zu halten. Und erinnert zugleich an die bunten Kugeln der zusammengenähten Stofftiere, Deodorized Central Mass with Satellites. »An abbreviated history of postwar kinetic art leads us to the heart of the problem […] that might be summarized as both the speed and direction of history itself. I am concerned here with the question of kinetic art’s regressiveness and forward motion, the conflicted glance it offers on its own aesthetic and social ambitions. This conflictedness, organized around its scientific attitudes on the one hand, and its reception as so much art-as-entertainment, on the other, alerts us to a split history accompanying its reemergence following the war. Admittedly, it first seems an exercise in irrelevance, the discussion of such art today. For when we think of kinetic work, particularly as it is encountered in the public sphere, more often than not we recall objects that elicit a faint tinge of nostalgia, a futurist vision of the fifties and sixties that no longer upholds its vanguard promise. Or perhaps we conjure the image of something cold and corporate, a cube stationed in a civic plaza, say, or those seemingly endless numbers of Alexander Calderesque constructions that don’t quite approximate the master’s sense of tension and balance. In all instances, generalized as they are, the viewer is struck by

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precisely how inanimate and stiff such objects appear, the very antithesis of kinetic. How stilted and mannered. Dead even.« (Lee 2004: 93)

Mike Kelley bringt in seiner Aluminium-Stahl-Draht-Plexiglas-Konstruktion, die sich je nachdem, wie die Luft sich im Raum bewegt, dreht und ihre Teile immer wieder neu rearrangiert, kinetische Kunst und Reenactment zusammen. Beim Hinzutritt unserer Körper in seine High School unter der Decke gerät das Modell in Bewegung. Mal liegt uns das Tafelgebäude näher, mal das des fiesen Schulleiters oder Vizeschulleiters, mal Nothing oder der Sumpf. Und fast unmerklich hält es niemals still. Die Gebäude zittern. Und drehen sich im Kreis bei aufsteigender, heißer Luft. Die Himmelsrichtungen werden austauschbar. Architektur hatte sich lange Zeit in erster Linie in Absetzung vom Wetter definiert. Architektur ist das, was uns Schutz vor schlechtem Wetter bietet (Fletcher 1924: 1, zit. nach: Hill 2012: 2). (Und vor wildgewordenen Stofftieren natürlich.) Dass Wetter den Zeiten trotzen soll, ›dauerhaft‹, ist die Omnipotenz-Fantasie, die damit Hand in Hand geht. Aber wo es um die Ausbildung geht, wird das Wetter jetzt plötzlich kreativ. Ein Faktor, der mit und gegen uns baut. Autorschaften auflöst. Wegnimmt und zugleich addiert. Hat man den Traum vom Militär, die Fähnchen in den Karten, einmal hinter sich gelassen, besteht überhaupt kein Grund, das Wetter stillstellen zu wollen. Medien Hoch Tief. Wir können bauen.

L ITERATUR Auslander, Philip (2006): »The Performativity of Performance Documentation«, in: PAJ 84, S. 1-10. Copeland, Matthieu et al. (Hg.) (2009): Voids. A Retrospective, Zürich: JPR Ringier. Engell, Lorenz (1999): »Der Turm als Medium oder: Ausfahrt nach Babylon«, in: Michael Diers/Stefan Grobé/Cornelia Meurer (Hg.), Der Turm von Jena. Architektur und Zeichen, Kunsthistorisches Seminar Jena, S. 147-151. Engell, Lorenz (2000a): »Ausfahrt nach Babylon. Die Genese der Medienkultur aus Einheit und Vielheit«, in: Claus Pias/Joseph Vogl/Lorenz Engell (Hg.), Ausfahrt nach Babylon. Essays und Vorträge zur Kritik

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der Medienkultur, [me’dien]i, Weimar: Verlag und Datenbank für Geisteswissenschaften Weimar, S. 263-303. Engell, Lorenz (2000b): »Sinn und Sinnlichkeit (Turm und Taste). Über Fern- und Nahmedien«, in: Claus Pias/Joseph Vogl/Lorenz Engell (Hg.) Ausfahrt nach Babylon. Essays und Vorträge zur Kritik der Medienkultur, [me’dien]i, Weimar: Verlag und Datenbank für Geisteswissenschaften Weimar, S. 305-324. Engell, Lorenz (2003): Bilder des Wandels. Serie Moderner Film 1, Weimar: VDG Weimar. Engell, Lorenz (2012): »Die Fakultät Medien«, in: Frank SimonRitz/Klaus-Jürgen Winkler/Gerd Zimmermann (Hg.), Aber: Wir sind! Wir Wollen! Und wir schaffen! Von der Großherzoglichen Kunstschule zur Bauhaus-Universität Weimar, Bd. II (1945/46-2010), Weimar: Verlag der Bauhaus-Universität Weimar, S. 371-383. Ens, Jörg/Meinhardt, Tina et al. (2012): Fakultätsbroschüre Medien, Weimar. Fletcher, Banister (71924): A History of Architecture on the Comparative Method, London: B.T. Batsford. Francis, Marc/Kelley, Mike (Hg.) (2007): Mike Kelley Day is Done, New Haven and London: Gagosian Gallery und Yale University Press. Franz, Reinhard (2000): »Erste Absolventen an der Fakultät Medien? Schon im April gab es den ersten«, in: der bogen 9, S.15. Geiser, Katrin (2007): »Villa Dürckheim – Eine Chronik«, in: Heike Hanada/Katharina Hohmann, Hotel Van de Velde. Ein ortsbezogenes Ausstellungsprojekt im ehemaligen Palais Dürckheim, Weimar: Max Stein Verlag, S. 66-73. Harper, Kristine C. (2008): Weather by the numbers. The Genesis of Modern Meteorology, Cambridge, UK u.a.: MIT Press. Hill, Jonathan (2012): Weather Architecture, London/New York: Routledge. Kelley, Mike (2004): »Architectural Non-Memory Replaced With Psychic Reality«, in: John C. Welchman (Hg.), Minor Histories: Statements, Conversations, Proposals, Cambridge, UK u.a.: MIT Press, S. 316-323. Kelley, Mike ([2005] 2011): »Day is Done«, art21, http://www.art21.org/ texts/mike-kelley/interview-mike-kelley-day-is-done, 27.01.2015. Konzeption für die Medienausbildung an der HAB Weimar (1995). Bestätigt durch den Senat am 06. November 1995, Ms.

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Videoclip Das Wetter (2002). Ein Film von Steffi Unrein, Viola Ahrens, Yvonne Andra. Imagevideo der Fakultät Medien. Uni-TV Net. Marketing & Öffentlichkeitsarbeit der Bauhaus-Universität Weimar, 5:03 min. Abbildungsverzeichnis Abb. 1: Mike Kelley (2005/6): »EAPR #5: Sick Vampire«, in: Day is Done: A film by Mike Kelley. Extracurricular Activity Projective Reconstructions #2 – #32, DVD, Compound Annex #14, Disc One, 13, Still. Abb. 2: Mike Kelley (2005/6): »EAPR #6: Motivational Speech«, in: Day is Done: A film by Mike Kelley. Extracurricular Activity Projective Reconstructions #2 – #32, DVD, Compound Annex #14, Disc One, 15, Still. Abb. 3: Mike Kelley (2005/6): »EAPR #6: Motivational Speech«, in: Day is Done: A film by Mike Kelley. Extracurricular Activity Projective Reconstructions #2 – #32, DVD, Compound Annes #14, Disc One, Still. Abb. 4: Jörg Kachelmann in: Das Wetter (2002). Ein Film von Steffi Unrein, Viola Ahrens, Yvonne Andra. Imagevideo der Fakultät Medien. Uni-TV Net. Marketing & Öffentlichkeitsarbeit der Bauhaus-Universität Weimar, Still. Abb. 5: Lorenz Engell in: Das Wetter (2002). Ein Film von Steffi Unrein, Viola Ahrens, Yvonne Andra. Imagevideo der Fakultät Medien. UniTV Net. Marketing & Öffentlichkeitsarbeit der Bauhaus-Universität Weimar, Still. Abb. 6: Charles Wüthrich in: Das Wetter (2002). Ein Film von Steffi Unrein, Viola Ahrens, Yvonne Andra. Imagevideo der Fakultät Medien. Uni-TV Net. Marketing & Öffentlichkeitsarbeit der Bauhaus-Universität Weimar, Still. Abb. 7: Anne Werthmann in: Das Wetter (2002). Ein Film von Steffi Unrein, Viola Ahrens, Yvonne Andra. Imagevideo der Fakultät Medien. Uni-TV Net. Marketing & Öffentlichkeitsarbeit der Bauhaus-Universität Weimar, Still.

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Abb. 8: Mike Kelley (2002): Repressed Spatial Relationships Rendered as Fluid, No. 4: Stevenson Junior High and Satellites; mixed media on paper (159,4 x 121,9 cm, Collection Walker Art Center Minneapolis, MN., T.B. Walker Acquisition Fund 2003. Abb. 9: Mike Kelley (2002): Repressed Spatial Relationships Rendered as Fluid, No. 4: Stevenson Junior High and Satellites; aluminium, steel, wire, plexiglas (88,9 x 175,3 cm), Collection Walker Art Center, Minneapolis, MN., T.B. Walker Acquisition Fund 2003.

Autorinnen und Autoren

Bender, Cora, Dr., Ethnologin mit Spezialisierung in Medienethnologie und Medical Anthropology und dem Regionalschwerpunkt indigenes Nordamerika. Ihre auf Langzeitethnographie beruhende Dissertation über indigene Medien Nordamerikas wurde mit dem Frobeniuspreis für exzellente ethnographische Forschung ausgezeichnet und unter dem Titel Die Entdeckung der indigenen Moderne (2011) bei Transcript veröffentlicht. Als Gast- bzw. Vertretungsprofessorin hat sie an der University of Texas, am Heidelberger Exzellenzcluster »Asia and Europe in a global Context« und an der LMU gelehrt und ist momentan Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Siegen, u.a. im Graduiertenkolleg »Locating Media«. Zu ihren Publikationen gehören u.a.: (hg. mit Martin Zillinger) Medienethnographie, Berlin 2015; (hg. mit T. Hensel und E. Schüttpelz) Schlangenritual. Der Transfer der Wissensformen vom Tsu’ti’kive der Hopi bis Aby Warburgs Kreuzlinger Vortrag, Berlin 2007. Dreschke, Anja, M.A., Ethnologin, Filmemacherin und Kuratorin, lebt in Köln. Derzeit Wissenschaftliche Mitarbeiterin im DFG- Forschungsprojekt »Trancemedien und Neue Medien« an der Universität Siegen. Forschungsschwerpunkte: Visuelle Anthropologie, Medienethnologie, Audiovisuelle Methoden, Künstlerisches Forschen. Publikationen (Auswahl): Kölner Stämme. Medienethnographie einer mimetischen Kultur (i. Ersch.); als Hg. mit H. Behrend/M. Zillinger: Trance Mediums and New Media. Spirit Possession in the Age of Technical Reproduction, New York 2015; ›»Der hunnische Blick‹. Ethnographische Forschung mit und über audiovisuelle Medien«, in: C. Bender/M. Zillinger (Hg.), Handbuch der Medienethnographie, Berlin 2015, S. 241-262; »Rheinischer Schamanismus«, in: E. Schütt-

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pelz/M. Zillinger (Hg.), Begeisterung und Blasphemie. Zeitschrift für Kulturwissenschaft 2 (2015), S. 219-223 (Bildessay); Ausstellungen (Auswahl): (mit R. Barunke ) »I See, So I See So. Messages from Harry Smith«, Temporary Gallery, Köln 2015; Videoinstallation: (mit M. Zillinger) »Trance/Media. The 'IsƗwa in Morocco 1992-2012«, im Rahmen der Ausstellung »Animism«, Haus der Kulturen der Welt, Berlin 2012; Filme (Auswahl): DIE STÄMME VON KÖLN, Köln: Realfiction 2011. Henschen, Jan, Dr., ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Neuere Deutsche Literaturwissenschaft an der Universität Erfurt. Seine literatur- und medienwissenschaftlichen Forschungsschwerpunkte sind Drehbuchgeschichte, Früher Film, Storyboarding, Terrorismus sowie das Verhältnis von Medien und Geschichtsschreibung. Publikationen (Auswahl): »Prinzessin Fantoche – Arnold Höllriegels Erzählung einer Selbstermächtigung zwischen Detektivgenre und Kinoreform«, in: E. Holling/M. Naumann/F. Schlöffel (Hg.), Prinzessinnen, Nebulosa – Figuren des Sozialen 7 (2015), S. 81-93; »Die Ordnung des Drehbuchs. Zu Planungsphantasmen und Kontingenzoptionen in der Filmproduktion«, in: M. Koch u.a. (Hg), Planlos! Zu den Grenzen von Planbarkeit, Paderborn 2015, S. 111-122; (mit D. Sittler) »We shall never know how Nietzsche felt the wind in his hair as he walked on the mountains…‹, Re-enactment, Re-Animation und Historiographie nach R.G. Collingwood«, in: U. Hanstein/A. Höppner/J. Mangold (Hg.), Re-Animationen, Szenen des Auf- und Ablebens in Kunst, Literatur und Geschichtsschreibung, Wien 2012, S. 157-174. Hüser, Rembert, Prof. Dr., Professor für Medienwissenschaft an der Goethe-Universität Frankfurt. Seine Forschungsschwerpunkte sind Medienwissenschaft, Wissenschaftsgeschichte, Kulturwissenschaft. Publikationen aus dem Arbeitszusammenhang: »Mit der Tür ins Haus«, in: M. Groß/H. Lehmann (Hg.), Populärkultur im Gegenwartstheater, Berlin 2012, S. 202-225; »Filmfestschriften«, in: Zeitschrift für Medienwissenschaften 3 (2010), S. 56-72; »Etiketten aufkleben«, in: C. Huck/C. Zorn (Hg.), Das Populäre der Gesellschaft: Systemtheorie und Populärkultur, Wiesbaden 2007, S. 239260.

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Huynh, Ilham, M.A., studierte Allgemeine Sprachwissenschaft, Psychologie und Neuere deutsche Literaturwissenschaft an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms Universität Bonn. Sie ist derzeit Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Projekt »Heterogenität und Inklusion gestalten. Zukunftsstrategie Lehrer*innenbildung« an der Universität zu Köln. Zudem arbeitet sie an ihrem Promotionsprojekt »Doing Emotions. Zur multimodalen Herstellung von Emotionalität in deutschen und türkischen Alltagserzählungen«, welches sie während ihrer Tätigkeit im DFG-Graduiertenkolleg »Locating Media« begann. Ihre aktuellen Arbeitsschwerpunkte sind Interkulturelle Kommunikation, Linguistische Gesprächsforschung, Ethnomethodologie, Mehrsprachigkeitsforschung und Deutsch als Zweitsprache. Letzte Publikationen: »Rekonstruieren – Involvieren – Solidarisieren. Multimodale Praktiken der Beziehungsgestaltung«, in: J. Zhu/J. Zhao/M. Szurawitzki (Hg.), Publikationen der Internationalen Vereinigung für Germanistik, Frankfurt a.M. 2016 (i. Ersch.); »Die Mediatisierung des Feldes und des Labors in der linguistischen Gestenforschung – Zur Rolle technischer Aufzeichnungsmedien in der Datenerhebung«, in: R. Knipp/J. Paßmann/N. Taha (Hg.), Vom Feld zum Labor und zurück, Navigationen. Zeitschrift für Medien- und Kulturwissenschaften 13, 2 (2013), S. 101-112. Kalshoven, Petra, Ph.D. (2006 McGill University, Montreal), has been a Lecturer in Social Anthropology at the University of Manchester since 2009. Kalshoven’s research focuses on skilled manifestations of human curiosity, and her work on replicas and imitation ties into a more general interest in the relations between people, their ›things‹, and the landscapes with which they engage, identify, or take issue. Her current research agenda centers on the emulation of nature that underpins the skilled practice of taxidermy, with a view to shedding light on the interaction between professionals and artist-practitioners in modelling mounts, and on evolving human – animal relations. Selected publications: Crafting ›the Indian‹: Knowledge, Desire, and Play in Indianist Reenactment, New York/Oxford 2012; »Moving in Time, Out of Step: Mimesis as Moral Breakdown in European Re-enactments of the North American Indian Woodland«, in: Journal of the Royal Anthropological Institute (N.S.) 21 (2015), pp. 561-578; »Beyond the Glass Case: Museums as Playgrounds for Replication«, in: The International Handbooks of Museum Studies, Oxford 2015, pp. 553575.

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Knipp, Raphaela, Dr. des., studierte Literatur-, Kultur- und Medienwissenschaften an der Universität Siegen und ist derzeit Postdoc-Stipendiatin am DFG-Graduiertenkolleg »Locating Media«. 2016 promovierte sie mit der Arbeit »Begehbare Literatur. Eine literatur- und kulturwissenschaftliche Studie zum Literaturtourismus« an der Universität Siegen. Ihre aktuellen Forschungsschwerpunkte sind Medien der Literatur in Theorie und Praxis, Lese- und Leserforschung (derzeitiges Projekt zu Praktiken des kollektiven Lesens), Empirisch-ethnographische Methoden in der Literaturforschung, Literaturgeographie, Literaturausstellung. Publikationen (Auswahl): (hg. mit S. Habscheid/C. Hrncal/E. Linz) Alltagspraktiken des Publikums, Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik 4 (2016, i. Ersch.); »Reiseziel Literatur«, in: Ich habe sie gesammelt, die unmöglichen Orte. Literarische Topographien der Gegenwart. die horen. Zeitschrift für Literatur, Kunst und Kritik, Bd. 257 (2015), zusammengestellt v. J. Schuster/J. Süselbeck/K. Vennemann, S. 175-182; »Vom Text zum Feld. Zur Rolle ethnographischer Ansätze in der Literaturwissenschaft«, in: dies./J. Paßmann/N. Taha (Hg.), Vom Feld zum Labor und zurück, Navigationen. Zeitschrift für Medien- und Kulturwissenschaften 13, 2 (2013), S. 75-85. Köpping, Klaus-Peter, seit 2004 Prof. emer., Universität Heidelberg; 2005/06 Gastprofessor am Goldsmiths College der University of London; seit 2007 Fellow und Senior Advisor des Internationalen Forschungskollegs »Verflechtungen von Theaterkulturen«, FU Berlin. Nach der Promotion über millennaristische Bewegungen im Nachkriegsjapan, seit 1972 Lehrtätigkeit in Japan, den USA, den Philippine und an der University of Melbourne durch Berufung auf den Gründungslehrstuhl, Baldwin-SpencerChair of Anthropology, und Director of the School of Asian Studies (19851992). Letzte Feldforschungen: seit 2002 Filmische Dokumentation von nicht-liturgischen Dorfritualen in 19 Lokalitäten der »südlichen Alpen« in Zentraljapan (insgesamt 14 Monate). Theoretische Thematik: Komparatistik von rituellen und theatralen Performanzen. Veröffentlichungen (Auswahl): (hg. mit A. Henn) Rituals in an Unstable World, Frankfurt a.M. 2008; (hg. mit B. Leistle/M. Rudolph) Ritual and Identity, Berlin/Münster 2006; »Ritual and Theatre«, in: Dennis Kennedy (Hg.), The Oxford Encyclopedia of Theatre and Performance, Oxford 2003; Shattering Frames: Transgressions and Transformations in Anthropological Discourse and

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Practice, Berlin 2002; (als Hg.) Games of Gods and Man: Essays in Play and Performance, Hamburg 1997. Lamerichs, Nicolle, Dr., holds PhD in media studies at Maastricht University. Her doctoral thesis »Productive Fandom« (2014) explores intermediality and reception in fan cultures. She currently works at International Communication and Media at HU University of Applied Sciences, Utrecht. Her research focuses on participatory culture and new media, specifically the nexus between popular culture, storytelling and play. Meier zu Verl, Christian, Dipl.-Soz., ist Soziologe und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Politikwissenschaft und Soziologie der JuliusMaximilians-Universität Würzburg. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Praxistheorie (insb. Ethnomethodologie), Interaktionsanalyse, Wissenschafts-, Medien- und Rechtssoziologie. Wichtigste Publikationen: »Hermeneutische Praxis. Eine ethnomethodologische Rekonstruktion sozialwissenschaftlichen Sinnrekonstruierens«, in: sozialersinn 14 (2013), S. 207-234; (gem. mit C. Meyer) »Ergebnispräsentation in der qualitativen Forschung«, in: N. Baur/J. Blasius (Hg.), Handbuch Methoden der empirischen Sozialforschung, Wiesbaden 2014, S. 245-257. Meiler, Matthias, M.A., studierte Germanistik in Chemnitz und ist derzeit wissenschaftlicher Mitarbeiter am DFG-Graduiertenkolleg »Locating Media«, wo er seine Dissertation »Eristisches Handeln in wissenschaftlichen Weblogs. Medienlinguistische Grundlagen und Analysen« schreibt. Seine aktuellen Arbeitsschwerpunkte sind Medienlinguistik und Wissenschaftssprachenforschung aus kulturanalytischer Perspektive. Letzte Publikationen: »Media Linguistics and Media Studies – Communicational Forms and Their Infrastructures«, in: A. Brock/P. Schildhauer (Hg.), Communication Forms and Communicative Practices: New Perspectives on Communication Forms, Affordances and What Users Make of Them, Frankfurt a.M. u.a. (voraus. 2016); »Wissenschaftssprache digital – medienlinguistische Herausforderungen«, in: I.-A. Busch-Lauer u.a. (Hg.), Wissenschaftssprache Deutsch – international, interdisziplinär, interkulturell, Tübingen 2015, S. 249-262; »Diskurse – Medien – Dispositive oder: Die Situationen des Diskurses. Anmerkungen zur postfoucaultschen Diskussion um die Media-

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lität von Diskursen«, in: Linguistik online 67, 5 (2014), S. 85-131; Kontakt: http://metablock.hypotheses.org/. Mund, Verena ist Koordinatorin am Institut für Theater-, Film- und Medienwissenschaft der Goethe-Universität in Frankfurt a.M.. Ihr derzeitiges Forschungsinteresse richtet sich auf Orte, die sich eignen, um berufstätige Frauen im öffentlichen Raum zu beschreiben, konkret: Brücke, Telefonzentrale, Theke. Letzte Veröffentlichungen: »Connecting with Others, Mirroring Difference: The Films of Kathrin Resetarits«, in: R. v. Dassanowsky/ O. Speck (Hg.): New Austrian Film, Oxford/New York 2011, S. 122-135; sowie die beiden von ihr herausgegebenen Bände: (mit S. Biebl/H. Volkening) Working Girls. Zur Ökonomie von Liebe und Arbeit, Berlin 2007; (mit C. Despineux) Girls, Gangs, Guns. Zwischen Exploitation-Kino und Underground, Marburg 2000. Otto, Ulf, Dr. phil., ist Dilthey-Fellow am Institut für Medien, Theater und Populäre Kultur der Universität Hildesheim. Forschungsschwerpunkte sind die Kulturgeschichte theatraler Praktiken, Konvergenzen von Theater- und Technikgeschichte und die Theatralität der digitalen Medien, sowie die Figuren des Komischen und Konfigurationen des Exotismus. Die Dissertation ist veröffentlicht als: Internetauftritte. Eine Theatergeschichte der neuen Medien, Bielefeld 2013; mit Jens Roselt herausgegeben wurde der Band Theater als Zeitmaschine. Zur performativen Praxis des Reenactments, Bielefeld 2012; zuletzt veröffentlicht: »Enter Electricity: An Allegory’s Stage Appearance between Verité and Varieté«, in: Centaurus 2015, doi: 10.1111/1600-0498.12091, im Zusammenhang mit dem aktuellen Habilitationsprojekt, das sich mit der Elektrifizierung des Theaters und der Theatralität der Elektrizität im ausgehenden 19. Jahrhundert beschäftigt. Reisner, Clemens, M.A., Stipendiat am Graduiertenkolleg »Locating Media« der Universität Siegen. Seine Forschungsschwerpunkte sind Globalgeschichte des Kalten Krieges, Mediengeschichte, Geschichte und Kultur digitaler Spiele. Letzte Veröffentlichungen: »Modellierung als Produktionspraxis des Dokumentarischen in digitalen Spielen«, in: Paidia-Sonderausgabe zum Thema »Dokumentation und Simulation«, hg. v. G. Grelczak/M. Schellong/T. Unterhuber, http://www.paidia.de/?p=5723, 2014; »›The reality behind it all is very true‹: Call of Duty Black Ops and the remembrance

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of the Cold War«, in: M. Kappell/A. Elliott (Hg.), Playing with the Past: Digital Games and the Simulation of History, New York 2013, S. 247-261. Sittler, David, Dr. des., ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am SFB 1187 »Medien der Kooperation« an der Universität Siegen im Teilprojekt »Digital vernetzte Medien zwischen Spezialisierung und Universalisierung«. Seine Forschungsschwerpunkte sind Urbanisierungs- und Mediengeschichte, Protest- und Revolutionsgeschichte sowie Geschichtstheorie und Historische Praxeologie. Publikationen (Auswahl): »Selbst-Bilder-Verkehr. Medienpraktiken der Selbstbildung auf der Straße in Chicago 1900-1930«, in: L. Haasis/C. Rieske (Hg.), Historische Praxeologie: Dimensionen vergangenen Handelns, Paderborn 2015, S. 161-182; »›Straßen-Bilder-Verkehr‹. Der Film ›Night on Earth‹ als filmische Theorie der Wahrnehmung auf der urbanen Straße«, in: N. Bredella/C. Dähne (Hg.), Infrastrukturen des Urbanen – Soundscapes, Landscapes, Netscapes, Bielefeld 2013, S. 187-208; (mit J. Henschen) »We shall never know how Nietzsche felt the wind in his hair as he walked on the mountains…‹, Re-enactment, Re-Animation und Historiographie nach R.G. Collingwood«, in: U. Hanstein/A. Höppner/J. Mangold (Hg.), Re-Animationen, Szenen des Auf- und Ablebens in Kunst, Literatur und Geschichtsschreibung, Wien 2012, S. 157-174.

Locating Media/Situierte Medien Dorle Dracklé Die Rhetorik der Krise Zur kulturellen Poetik von Bürokratie und virtueller Ökonomie in Südportugal Juni 2017, ca. 330 Seiten, kart., ca. 34,99 €, ISBN 978-3-8376-3534-8

Susan Leigh Star Grenzobjekte und Medienforschung (hg. von Sebastian Gießmann und NadineTaha)

Oktober 2016, ca. 380 Seiten, kart., ca. 29,99 €, ISBN 978-3-8376-3126-5

Tobias Haupts Die Videothek Zur Geschichte und medialen Praxis einer kulturellen Institution 2014, 422 Seiten, kart., 34,99 €, ISBN 978-3-8376-2628-5

Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de

Locating Media/Situierte Medien Pablo Abend Geobrowsing Google Earth und Co. – Nutzungspraktiken einer digitalen Erde 2013, 426 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 36,99 €, ISBN 978-3-8376-2513-4

Regine Buschauer, Katharine S. Willis (Hg.) Locative Media Medialität und Räumlichkeit – Multidisziplinäre Perspektiven zur Verortung der Medien/ Multidisciplinary Perspectives on Media and Locality 2013, 308 Seiten, kart., zahlr. Abb., 34,80 €, ISBN 978-3-8376-1947-8

Pablo Abend, Tobias Haupts, Claudia Müller (Hg.) Medialität der Nähe Situationen – Praktiken – Diskurse 2012, 396 Seiten, kart., 34,80 €, ISBN 978-3-8376-1644-6

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Zeitschrif t für Kultur wissenschaf ten Erhard Schüttpelz, Martin Zillinger (Hg.)

Begeisterung und Blasphemie Zeitschrift für Kulturwissenschaften, Heft 2/2015 Dezember 2015, 304 S., kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 14,99 €, ISBN 978-3-8376-3162-3 E-Book: 14,99 €, ISBN 978-3-8394-3162-7 Begeisterung und Verdammung, Zivilisierung und Verwilderung liegen nah beieinander. In Heft 2/2015 der ZfK schildern die Beiträger_innen ihre Erlebnisse mit erregenden Zuständen und verletzenden Ereignissen. Die Kultivierung von »anderen Zuständen« der Trance bei Kölner Karnevalisten und italienischen Neo-Faschisten sowie begeisternde Erfahrungen im madagassischen Heavy Metal werden ebenso untersucht wie die Begegnung mit Fremdem in religiösen Feiern, im globalen Kunstbetrieb und bei kolonialen Expeditionen. Der Debattenteil widmet sich der Frage, wie wir in Europa mit Blasphemie-Vorwürfen umgehen – und diskutiert hierfür die Arbeit der französischen Ethnologin Jeanne Favret-Saada. Lust auf mehr? Die ZfK erscheint zweimal jährlich in Themenheften. Bisher liegen 18 Ausgaben vor. Die ZfK kann – als print oder E-Journal – auch im Jahresabonnement für den Preis von 20,00 € bezogen werden. Der Preis für ein Jahresabonnement des Bundles (inkl. Versand) beträgt 25,00 €. Bestellung per E-Mail unter: [email protected]

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