Rechtspolitische Schriften: Kommentierte Studienbuchausgabe. Herausgegeben und kommentiert von Christiane Henke 9783412212018, 9783412210755

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Rechtspolitische Schriften: Kommentierte Studienbuchausgabe. Herausgegeben und kommentiert von Christiane Henke
 9783412212018, 9783412210755

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Rechtsgeschichte und Geschlechterforschung

Band 16 Herausgegeben von Stephan Meder und Arne Duncker

Anita Augspurg

Rechtspolitische Schriften Kommentierte Studienausgabe

Herausgegeben von Christiane Henke

2013 BÖHLAU VERLAG KÖLN WEIMAR WIEN

Gefördert mit Mitteln der Gerda-Henkel-Stiftung

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Umschlagabbildung: Anita Augspurg nach ihrer Promotion 1897 © Bildarchiv des Deutschen Historischen Museums Berlin

© 2013 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Köln Weimar Wien Ursulaplatz 1, D–50668 Köln, www.boehlau-verlag.com Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Satz: Beltz Bad Langensalza Druck und Bindung: Finidr s.r.o., Český Těšín Gedruckt auf chlor- und säurefreiem Papier Printed in the Czech Republic ISBN 978-3-412-21075-5

Inhalt

Einleitung Anita Augspurg – Anmerkungen zur Studienausgabe Stephan Meder Vorwort

TEXTE ZUR RECHTSLAGE DER FRAU IM DEUTSCHEN KAISERREICH

9 13

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Texte zu Bildungs- und Erwerbsfragen Die Photographie als Lebensberuf für Frauen Schlussansprache des Vorstandsmitgliedes Frl. Augspurg Die Rückseite der Medaille Eingabe des Vereins für Frauenstudium betr[effend] Regelung der Zulassung von studierenden Frauen zur Universität Wissenschaftliche Frauenberufe Die Frauenbewegung und die Erwerbsfrage Bildungswesen und Studium der Frauen Arbeiterinnenfrage Der Hausfrauen-Beruf Die Frau in der Advokatenrobe Was die Frauen beim preußischen Schulgesetz verlieren

(1889) (1893) (1898)

15 15 22 26

(1900) (1901) (1903) (1903) (1903) (1903) (1904) (1906)

28 29 32 36 42 48 50 53

Texte zu ethischen, politischen und sozialen Aspekten der Frauenbewegung Die ethische Seite der Frauenfrage Deputation deutscher Frauen beim Reichskanzler Obdachlose Frauen Die allgemeinen Regungen der Frauenbewegung Politische Frauenbewegung Frauenlos auf dem Dorfe

(1893) (1902) (1903) (1903) (1903) (1907)

56 56 67 70 72 79 84

6

Inhalt

Texte zum Eherecht und zum Bürgerlichen Gesetzbuch Gebt acht, solange noch Zeit ist! Protest Rede vor einer Volksversammlung in Berlin am 16. Februar 1896 [1. Fassung] Rede vor einer Volksversammlung in Berlin am 16. Februar 1896 [2. Fassung] Aufruf! Petition an den Reichstag Die Frau und das Recht Das Recht der Frau Petition an den Deutschen Reichstag Petition des Vereins Frauenwohl, Berlin, an das Preußische Haus der Abgeordneten betr[effend] das Ausführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch Die Ansprüche der Frau auf die Eheerrungenschaft Frau und Fräulein Das Problem der Ehe Mutterschutz Ein typischer Fall der Gegenwart Offener Brief Zur Reform der Ehe Die sexuelle Frage Eheideale und Idealehen Reformgedanken zur sexuellen Moral Texte zu Sittlichkeitsvorstellungen im Strafrecht Ein Protest zum Protest Der letzte Akt der großen Posse Aus der deutschen Rechtspflege Schweigen die Frauen? Beschwerdeschrift von Dr. jur. Anita Augspurg an den Gemeindevorstand der Großherzogl[ich] Sächsischen Haupt- und Residenzstadt Weimar Sittlichkeitsfrage und Rechtsschutz Wieder ein Schlag ins Antlitz der Frau Das Altonaer Schwurgerichtsurteil Anhang: Verhandlungen des Reichstages, 220. Sitzung am 22. November 1902, polizeiliche Missgriffe betreffend

(1895) (1896)

88 88 91

(1896)

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(1896) (1896) (1896) (1896) (1896/97) (1898)

94 96 99 100 116 120

(1899) (1899) (1902) (1902) (1905)

122 125 129 132 134

(1905) (1905) (1905) (1906) (1911)

137 142 146 149 151

(1900) (1900) (1900) (1902)

159 159 161 162 164

(1902) (1903) (1905) (1905)

166 170 174 176

(1902/03)

188

7

Inhalt

Texte zum Vereins- und Versammlungsrecht Das Eine, was Not tut Das Abbröckeln des preußischen Vereinsgesetzes Texte zum politischen Stimmrecht und zu anderen Wahlrechten Das Wahlrecht der Frauen zu den Gewerbegerichten Doch nicht! Frauen Deutschlands! Deutscher Verein für Frauenstimmrecht: An Deutschlands Frauen! Die politische Erziehung der Frau Verweigertes Recht – verweigerte Steuern Märchen über die Wirkungen des Frauenstimmrechts Petition die Novelle zum Krankenversicherungsgesetz betreffend Sind die preußischen Frauen kommunalwahlberechtigt? Schadet es? Petition des Deutschen Verbandes für Frauenstimmrecht an den Reichstag, Wahlberechtigung der Frauen betreffend Die Ereignisse in England Füchse im Schafspelz? Offener Brief an Christabel Pankhurst in London Petition des Deutschen Frauenstimmrechtsbundes, Wahlberechtigung der Frauen betreffend

(1900) (1902)

202 202 206

(1898) (1898) (1898)

212 212 215 215

(1902) (1902) (1902) (1902)

217 218 224 228

(1903) (1905) (1906)

231 233 237

(1906) (1910) (1912) (1914)

240 242 245 247

(1915)

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FRIEDENSPOLITISCHE TEXTE Die internationale Friedenskundgebung Internationaler Frauenkongress Haag – vom 28. April–1. Mai 1915 An die Deutsche Nationalversammlung z[u] H[än]d[en] des Präsidenten Herrn Fehrenbach, Weimar Manifest der Internationalen Frauenliga für Frieden u[nd] Freiheit

251 (1899)

251

(1915)

253

(1919)

259

(1923)

260

8

Inhalt

NACHRUFE Kurt Eisner † Rosa Luxemburg Gustav Landauer

263 (1919) (1919) (1919)

TEXTE ZUR BAYERISCHEN REVOLUTION UND ZUM RECHT DER WEIMARER REPUBLIK Rede vor dem Kongress der Arbeiter-, Bauernund Soldatenräte in München am 1. März 1919 Die deutsche Verfassung ein Fetzen Papier? Die Zukunft 10 Gebote für die neue Legislaturperiode Wieder ein Fetzen Papier Frauenlisten Verfassung, Gesetzgebung und Rechtsprechung

263 265 266

268

(1919) (1919) (1920) (1925) (1925) (1926) (1929)

KOMMENTARTEIL Anmerkungen Zu dieser Ausgabe: Textauswahl, Textanordnung und Textgestalt Dr. jur. Anita Augspurg – eine biographische Skizze Werkverzeichnis Personenregister Sachregister Ortsregister

268 270 275 277 278 281 284

287 287 376 380 384 413 416 422

Einleitung Anita Augspurg – Anmerkungen zur Studienausgabe Ende des 19. Jahrhunderts ist im deutschen Reich über die Frauenfrage lebhaft diskutiert worden. Dabei ging es – anlässlich der Arbeiten an einem einheitlichen Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) – zunächst vor allem um die Rechtsstellung der Frau in der bürgerlichen Ehe. Einen wichtigen Impuls für diese Debatten gaben die Beiträge der ersten deutschen Juristin Anita Augspurg – ihre öffentlichen Reden und Vorträge, aber auch ihre Artikel und Aufsätze. Diese erschienen verstreut in Zeitungen, Wochen- und Tageblättern sowie in den Zeitschriften der Frauenbewegung und formulierten eine weibliche Perspektive auf das Gesetzesrecht des Deutschen Kaiserreichs – später auf das Recht der Weimarer Republik. Über einen Zeitraum von 40 Jahren untersuchte Augspurg deutsche Verfassungen, Gesetzbücher (HGB, BGB, StGB), Städteordnungen, Polizeiverordnungen und Krankenkassenrichtlinien. Sie verglich diese mit den Rechtsnormen anderer Staaten und mit Vorschriften des internationalen Rechts. Die von Anita Augspurg formulierten Rechtsforderungen gehören zu den anspruchsvollsten der älteren deutschen Frauenbewegung. Als juristische Vordenkerin der organisierten Frauen ihrer Zeit wurde sie zur maßgeblichen Wegbereiterin für das Frauenwahlrecht von 1918/19, das heutige reformierte Familienrecht und die seit 1919 (Art. 109 Satz 2 WRV ) bzw. 1949 (Art. 3 GG) bestehende verfassungsrechtliche Gleichberechtigung der Frau. Anita Augspurg, geboren 1857 in Verden an der Aller, gestorben 1943 im Schweizer Exil, promovierte 1897 in Zürich zur Dr. jur., was damals für Frauen in Deutschland ebenso wenig möglich war wie die Ausübung eines juristischen Berufes. Sie war die zweite Deutsche, die in Zürich Rechtswissenschaften studierte (die erste war Anna Mackenroth), und die erste, die als promovierte Juristin nach Deutschland zurückkehrte, mit ihrem juristischen Doktortitel öffentlich auftrat und sich in rechtspolitische Debatten einmischte. Die vorliegende Studienausgabe dokumentiert ein Werk, das rechtshistorisch von großer Bedeutung ist, aber außerhalb des Zusammenhangs der juristischen Fachliteratur publiziert wurde. Es war deshalb bisher archivarisch bzw. bibliothekarisch nur schwer zugänglich und ist bibliographisch erst teilweise erschlossen. Die vorliegende Edition ist die erste Werkausgabe der Schriften einer deutschen Juristin und stellt der Forschung ein zum Teil bisher unbekanntes Quellenmaterial zur Verfügung. Die hier dokumentierten Texte haben das Recht

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Einleitung Anita Augspurg – Anmerkungen zur Studienausgabe

ihrer Zeit beeinflusst, das Recht der Bundesrepublik vorbereitet und enthalten auch noch heute Entwürfe für die Zukunft. Trotz der grundlegenden Bedeutung der Frauenrechtsbewegung des 19. und frühen 20. Jahrhunderts hat die Rechtsgeschichte sich dieser Bewegung erst in den letzten beiden Jahrzehnten angenommen. Inzwischen ist mit der Publikation relevanter Texte begonnen worden, jedoch bisher nicht im Rahmen einer Werkausgabe. Die inhaltlichen Positionen Augspurgs sind für die Zeit um 1900 einzigartig und gehen über die Formulierung von Rechtsforderungen und die Analyse kodifizierter Rechtsnormen oftmals weit hinaus. Zahlreiche Texte thematisieren das Innovationspotential weiblicher Ressourcen in Gesellschaft, Staat – und Wissenschaft. In anderen geht es um die Frage, wie Legitimität in der politischen und gesellschaftlichen Wahrnehmung eines Staates und seiner Rechtsnormen hergestellt werden kann, um die Notwendigkeit, Frauen als zivilgesellschaftliche Akteure in die politische Öffentlichkeit einzubinden, um hochaktuelle Vorstellungen von Gerechtigkeit und Würde, um den Rechtsalltag der Frauen unter den Gesetzen und um den Einfluss von Rechtsnormen auf die persönlichen Beziehungen von Mann und Frau. In einigen Punkten haben die Entwürfe Augspurgs (jedenfalls zur Zeit der BGB-Entstehung) die Frauenpositionen insgesamt geprägt, in anderen Punkten gingen sie über das hinaus, was andere zu fordern wagten. Im Folgenden seien einige Beispiele genannt, welche sich beliebig vermehren ließen: Im umfangreichen Quellenmaterial der damaligen Frauenforderungen zum Familienrecht war es allein Anita Augspurg, die (in einem offenen Brief aus dem Jahre 1905) in der damals ganz selbstverständlichen Anknüpfung des Ehenamens an den Namen des Mannes eine nicht stichhaltig begründete Bevorzugung des Mannes erkannte, diese offen in Frage stellte und die Würde des eigenen Namens verteidigte. Das BGB hat den mit Augspurgs Rechtskritik verbundenen Forderungen erst in den 1990er Jahren entsprochen. Zudem problematisierte Anita Augspurg als eine der ersten den fehlenden Individualrechtsschutz bei Grundrechtsverletzungen in der Weimarer Verfassung und die mangelnde Ausstrahlung der Weimarer Verfassung auf das objektive Recht (Verfassung, Gesetzgebung und Rechtsprechung, 1929). Auch beschrieb sie früh, und zwar bereits im Jahre 1919, die Folgen einer Militarisierung der Weimarer Zivilgesellschaft durch Freikorpsverbände und Wehrgruppen (Die deutsche Verfassung ein Fetzen Papier?). Aus heutiger Sicht interessiert vor allem ihre Kritik der Prüfungsordnung einer deutschen Universität, in welcher diese Militarisierung sinnfällig zum Ausdruck kommt. Als letztes Beispiel seien noch Anita Augspurgs Überlegungen zur Reform des Ehegüterrechts genannt. Das BGB hat mit der „Verwaltungs- und Nutznießungsgemeinschaft“ als gesetzlichem Güterstand bekanntlich ein für ganz

Einleitung Anita Augspurg – Anmerkungen zur Studienausgabe

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Deutschland einheitliches Güterrecht geschaffen. Danach waren Verwaltung und Nutznießung auch des von der Frau in die Ehe eingebrachten Vermögens allein dem Ehemann gestattet. Während die ältere Frauenbewegung zur Verwirklichung der Gleichberechtigung überwiegend Gütertrennung forderte, hat Anita Augspurg seit 1899 einen anderen Weg beschritten. Sie meint, dass es nicht ausreicht, wenn verheiratete Frauen über ihr Eigentum frei verfügen können. Sie müssen darüber hinaus an dem durch den erwerbstätigen Ehemann während der Ehe erwirtschafteten Vermögen beteiligt werden (Die Ansprüche der Frau auf die Eheerrungenschaft, 1899). Von hier aus zieht sich eine Linie über die güterrechtlichen Reformbestrebungen der Weimarer Republik und die Einführung der Zugewinngemeinschaft durch das Gleichberechtigungsgesetz von 1958 bis zu den jüngsten Reformforderungen im Güterrecht, soweit diese auf die Einführung einer modernen Errungenschaftsgemeinschaft, zumindest als Wahlgüterstand, gerichtet sind. Die vorliegende Edition unterscheidet sich von anderen Werkausgaben juristischer Autoren dadurch, dass die Texte nicht im Faksimile abgedruckt sind, sondern unter Offenlegung der Editionsprinzipien und unter Erhaltung stilistischer Eigentümlichkeiten einheitlich in eine moderne Schreibweise gebracht wurden – mit dem Ziel, die Lesbarkeit zu erhöhen und eine Rezeption auch außerhalb eines auf die Fachwissenschaften beschränkten Diskurses zu erleichtern. Ferner ist der Edition eine nach gegenwärtigem Forschungsstand vollständige Bibliographie angefügt, die auch ungezeichnete Texte berücksichtigt. Durch einen textkritischen Apparat und einen Sachapparat werden die Texte in ihren historischen Kontext eingebettet. Durch die Anordnung sowohl in einen zeitlichen wie in einen thematischen Rahmen werden bisher unbekannte Zusammenhänge des Gesamtwerks deutlich und Entwicklungslinien in den rechtspolitischen Positionen aufgezeigt. Im Anmerkungsteil werden rechtliche, geschichtliche, publizistische, biografische, politische und philosophische Hintergründe und Bezüge aufgehellt. Darüber hinaus vermittelt die Studienausgabe einen lebendigen Eindruck der von Anita Augspurg mitgeschaffenen und genutzten Formen von Öffentlichkeit. Hierzu gehören nicht nur die Publikationen in von ihr herausgegebenen Zeitungsbeilagen oder Zeitschriften, sondern auch offene Briefe, Briefe an Behörden oder gemeinsam mit anderen Autorinnen und Autoren verfasste Petitionen und Aufrufe, die alle als Bestandteil des Werks anzusehen sind. Die Dokumentation unterschiedlicher Fassungen von in Zeitungen und Zeitschriften zitierten Reden Augspurgs (zum Familienrecht des BGB) und der daraus entsprungenen Aufsätze vermittelt einen Einblick in die Autorinnenwerkstatt. Seit Anita Augspurg ihre ersten Texte zur Rechtslage der Frau publizierte, sind mehr als hundert Jahre vergangen. Die Vorstellungen und Leitbilder von

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Einleitung Anita Augspurg – Anmerkungen zur Studienausgabe

der gesellschaftlichen Rollenverteilung der Geschlechter haben sich seitdem verändert und dieser Prozess ist bis heute nicht abgeschlossen. Die daraus resultierende Unsicherheit betraf und betrifft die Rechtsverhältnisse von Männern und Frauen in existentieller Weise. Während neue verbindliche Leitbilder fehlen, wirken die über Jahrhunderte entwickelten Vorstellungen des Geschlechterverhältnisses nicht nur in rechtlicher, sondern auch in psychologischer oder sozialer Hinsicht weiter nach. Der historische Zeitraum ist eher gering, seit beispielsweise mit der Außerkraftsetzung des § 1354 BGB (vor gut 50 Jahren) der Gleichheitsgedanke allmählich auch für die rechtliche Gestaltung des persönlichen Eherechts bestimmend wurde, und bis heute spielt dieser Rechtsgedanke in so manchen Parallelgesellschaften nur eine untergeordnete Rolle. Die in der Werkausgabe versammelten Texte sind auch aus diesem Grunde aktuell. Mit der Studienausgabe der rechtspolitischen Schriften von Anita Augspurg wird ein wichtiges Arbeitsinstrument für die weitere rechtshistorische Forschung und die historische Geschlechterforschung bereitgestellt. Eine rechtshistorische Rezeption des Gesamtwerks von Anita Augspurg steht noch aus. Es bleibt zu hoffen, dass durch die Edition eine solche Rezeption angeregt wird. Hannover, im September 2012

Stephan Meder

Vorwort Die in dieser Studienausgabe versammelten Texte aus den Jahren 1889 bis 1929 bieten einen Überblick über das Werk von Anita Augspurg. Dabei wurden ungezeichnete Texte, die in von Augspurg herausgegebenen Zeitschriften erschienen, ebenso miteinbezogen wie publizierte Mitschriften von Reden oder Aufrufe und Petitionen, die zusammen mit anderen verfasst wurden. Die ausgewählten rechtspolitischen Schriften ermöglichen so eine Übersicht sowohl über die von Anita Augspurg bearbeiteten Rechtsthemen als auch über die von ihr gewählten Text- und Publikationsformen. Für das Zustandekommen dieser Werkausgabe schulde ich vielen Menschen Dank. Prof. Stephan Meder und Dr. Arne Duncker haben das Projekt von Anfang an unterstützt und durch die Aufnahme der Studienausgabe in die Reihe Rechtsgeschichte und Geschlechterforschung auch ermöglicht. Frau RhekerWunsch vom Böhlau Verlag hat das Projekt trotz vieler Verzögerungen über mehrere Jahre geduldig begleitet. Die Humboldt Universität zu Berlin und das Berliner Programm zur Förderung der Chancengleichheit für Frauen in Forschung und Lehre haben die Arbeit an diesem Buch mit einem Stipendium unterstützt. Bedanken möchte ich mich auch bei der Gerda Henkel Stiftung, die durch die Gewährung eines Abschlussstipendiums und durch die Bewilligung eines Druckkostenzuschusses das Projekt gefördert hat. Den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Staatbibliothek Berlin, der Staatsbibliothek Hamburg, des Bundesarchivs Berlin und des Landesarchivs Berlin schulde ich Dank für Unterstützung und vielfältige Hilfe bei meinen Recherchen. Frau Eva Drechsler vom Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz in Berlin war mir behilflich beim Auffinden einer Instruktion aus dem Jahre 1811. Für einen jahrelangen kollegialen Austausch bedanke ich mich ganz herzlich bei Prof. Susanne Kinnebrock, deren umfangreiche und sehr genaue Augspurg Biografie einschließlich der akribisch recherchierten Bibliographie für mich in vieler Hinsicht hilfreich war. Allen genannten Personen und Institutionen schulde ich Dank. Ohne ihre Unterstützung hätte das vorliegende Buch nicht erscheinen können. Berlin, im September 2012

Christiane Henke

TEXTE ZUR RECHTSLAGE DER FRAU IM DEUTSCHEN KAISERREICH

Texte zu Bildungs- und Erwerbsfragen Die Photographie als Lebensberuf für Frauen Im Beiblatt des „Frauenberuf“ Nr. 8–9 des 2. Jahrgangs (s. Anm. S. 287) ist der Photographie als eines für die Frauen geeigneten Erwerbszweiges in Kürze Erwähnung getan. Da dieselbe mir ganz vorzugsweise bestimmt zu sein scheint, einer großen Schar von Frauen Tätigkeit und Verdienst zu schaffen, ja, da ich es für sehr möglich halte, dass die Frauen diesen ganzen Berufszweig im Sturm erobern und die Männer daraus verdrängen können, so mag es wohl angebracht sein, die Aufmerksamkeit der Frauenwelt in etwas ausführlicherer Erörterung auf diesen Punkt zu lenken. Und da ich mich gewissermaßen zu den Vorkämpferinnen auf diesem Gebiete zählen darf – ich glaube, dass das von meiner Sozia und mir gegründete Atelier (s. Anm. S. 287) das vierte von Frauen selbständig geleitete in Deutschland ist –, so dürfte ich im Stande sein, praktische Winke und Aufklärungen über die Inangriffnahme, Studien und Aussichten des neuen Berufes zu geben. Jedermann weiß, dass die Photographie in steter Entwicklung begriffen ist, dass sie täglich durch neue Erfindungen und Vervollkommnungen erweitert und aufgebaut wird und dass sie ihre hilfsbereite Hand einer Menge von Künsten, Wissenschaften und Gewerben leiht. Dem Maler, dem Bildhauer ist heutzutage die Photographie unentbehrlich, was beiden früher das Skizzenbuch war, ist ihnen heute der kleine photographische Handapparat; der Chemiker, der Physiologe, der Astronom macht mit Hilfe des photographischen Objektives, welches weit schärfer sieht als das menschliche Auge, wunderbare Entdeckungen. Der Forscher, der Archäologe bringt auf der photographischen Platte die aufgefundenen Denkmale alter Zeiten, die verwitterten Inschriften mit heim, und Hunderten ist es möglich zu entziffern, was nur Einer schaute und oft durch Mangel an Zeit und glücklicher Kombinationsgabe nicht richtig zu deuten wusste. Der Kartograph und im Kriege der Kundschafter, sie erheben sich im Ballon in die Wolken und erhaschen mit Hilfe ihres Apparates das getreueste Bild der Ge-

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Texte zur Rechtslage der Frau im Deutschen Kaiserreich

gend, der feindlichen Stellungen und Befestigungen. Und vollends unsere Polizisten und Detektives, wie hat ihnen die Photographie geholfen, die Verbrecherwelt zu kennen und unter Kontrolle zu halten! – Ja, seitdem es gelungen ist, das Pferd im Sprunge, die Lokomotive in der höchsten Fahrgeschwindigkeit, den Vogel im Fluge, das Meer im Wogen, die Kugel im Schießen und den Blitz im Zucken photographisch festzuhalten, was entzieht sich noch der menschlichen Beobachtung? Was früher Hypothese und Vermutung war, die Photographie bringt es zur Erscheinung und stellt die Tatsachen fest. Alle die wahrhaft großartigen Fortschritte der Photographie beschränken sich auf einen kurzen Zeitraum. Vor einem halben Jahrhundert war sie noch nicht geboren, und was hat sie in den wenigen Jahrzehnten ihres Daseins geleistet, wer will sagen, welchen Zielen sie noch zustrebt? Genug, dass man an maßgebender Stelle ihre Wichtigkeit erkannt und ihr fast an allen technischen Hochschulen Lehrstühle und Laboratorien errichtet hat. Die wichtigsten derselben sind die Wiener K[kaiserlich-] K[önigliche] Versuchsanstalt für Photographie und Reproduktionsverfahren (s. Anm. S. 287), an deren Spitze die Professoren Dr. Eder und Pizzighelli (s. Anm. S. 287) stehen, und die Fachabteilung für Photochemie und Photographie am Polytechnikum zu Charlottenburg (s. Anm. S. 288) unter der Leitung des Herrn Professor Dr. Vogel (s. Anm. S. 288). Bei beiden jedoch ist die Zulassung der Frauen noch nicht erreichbar, wie ich leider auf Erkundigung an zuständiger Stelle in Erfahrung gebracht habe. Die Erwerbung von Fachkenntnissen für Damen ist also auf einen praktischen Lehrkurs in einem photographischen Atelier bzw. auf ihr Selbststudium der einschlägigen Literatur beschränkt. Die photographische Tätigkeit umschließt die Portrait- und Landschaftsaufnahmen nach der Natur und die Reproduktionsverfahren zur Vervielfältigung von Bildnissen jeder Art. Letztere, die Reproduktionen, zerfallen in eine große Zahl von einzelnen Fächern: Zunächst die gewöhnliche Photographie, dann der Lichtdruck, die Autotypie, Zinkogravure, Photogravure (s. Anm. S. 288) etc., etc., wie alle die unzähligen Spielarten heißen, die, auf der photographischen Aufnahme beruhend, mittelst Ätzung, Hochdruck, Buchdruck und dergl[eichen] auf das Papier und andere Schichten übertragen werden. Alle diese Gebiete der photographischen Reproduktion unterliegen mehr der wissenschaftlichen Behandlung. Der Spekulation, der Forschung, dem Experimentieren sind hier Tür und Tor geöffnet, und Hunderte von gelehrten und künstlerischen Forschern und Praktikern sind auf diesem weiten und fruchtbaren Felde tätig und können fast täglich mit den schönen Resultaten ihres Fleißes in Gestalt von Verbesserungen und Erfindungen hervortreten. Eine gründliche chemische Vorbildung ist hier natürlich Hauptbedingung, mag sie nun auf der Universität oder durch Selbststudium erworben sein; aber es ist nicht gut einzusehen, warum nicht die

Texte zu Bildungs- und Erwerbsfragen

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Frau an diesem Studium und Wettbewerbe teilnehmen soll. Gilt doch hier kein anderes Prinzip als das der freien Konkurrenz: Der Tüchtigste ist Sieger! Zwar muss ich hier gleich vorausschicken, dass sich zur sicheren Aussicht auf Erfolg im Reproduktionsverfahren mit tüchtigen Fachkenntnissen ein großartiger Geschäftsgeist und bedeutende Kapitalien vereinen müssen, denn es handelt sich dabei um Verlagsanstalten, die nur mittelst ausgedehntesten Betriebes durch zahlreiches Personal, Dampf und Maschinen der internationalen Konkurrenz gewachsen sind. Werden doch in diesen Anstalten die Illustrationen aller unserer Journale, ferner die Prachtwerke, die Vervielfältigungen unserer Kunstschätze und Sammlungen, kurz alles, was früher auf Stahlstich, Kupferstich, Radierung und Holzschnitt beschränkt war, angefertigt. Ein kleiner Betrieb mittelst Handdruckmaschinen oder überhaupt menschlicher Manipulation würde zu teuer arbeiten, deshalb ist eben nur eine Anstalt im großen Maßstabe, wo die Auflagen nach Tausenden und Hunderttausenden zählen, konkurrenzfähig, und dazu gehören natürlich auch Anlagekapitalien von Hunderttausenden. – Das ist der Grund, warum diese höchst interessante Seite der photographischen Gewerbe den Frauen wohl vorerst noch verschlossen bleiben wird. Einem Manne, der in diesen Fächern Tüchtiges leistet, stellt ein Kapitalist leicht genügende Mittel zur Verfügung zur Gründung eines leistungsfähigen Etablissements, welches beiden reichen Gewinn abwirft. Gesellt sich zu ihnen noch ein gewiegter (s. Anm. S. 288) Kaufmann als Dritter im Bunde, oder stellt der Kapitalist in dieser Hinsicht selbst seinen Mann, so kann die reiche Ernte gar nicht ausbleiben. Wer aber setzt in eine Frau heutzutage das Vertrauen, ihr die Leitung eines solchen vielgliedrigen Betriebes zu übertragen, und wagt an dieses Vertrauen ein Vermögen? Auf diesem Gebiete werden sich die Frauen sehr langsam Achtung und Stellung erwerben können, wenn erst durch vielfache Beispiele ihre Tüchtigkeit bewiesen ist. Es gehört also kommenden Geschlechtern, es sei denn, dass die Kampfmutigen von heute außer dem erforderlichen Tätigkeitsdrang und Geschäftsgeist über genügenden Reichtum verfügen oder sich diesen erwerben, wie in No. II meiner Betrachtungen erwähnt, durch den Selbstbetrieb des photographischen Portraitgeschäftes, welcher allerdings eine solche Möglichkeit bietet. Trägt das Reproduktionsverfahren einen mehr wissenschaftlichen Charakter, so verlangt die direkte Aufnahme nach dem Leben eine vorwiegend künstlerische Beanlagung (s. Anm. S. 288), wenn sie zu erfreulichen Resultaten führen soll, oder, wenn man die Forderungen aufs Minimum herabstimmt, zum Wenigsten guten Geschmack. Es ist eine allgemeine, selbst männlicherseits geteilte Annahme, dass Frauen in Sachen des Geschmackes von Natur dem starken Geschlechte überlegen sind; und das ist der Grund, weshalb ich die Frauen als All-

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Texte zur Rechtslage der Frau im Deutschen Kaiserreich

gemeinheit, ohne auf einzelne Ausnahmen zu reflektieren, zur Ausübung der Photographie für fähiger halte als die Männer. Die Angaben der „Frauengruppe etc. in Berlin“ (s. Anm. S. 288) haben ebenfalls die Portraitphotographie vorwiegend ins Auge gefasst; aber es ist hier zur klaren Einsicht etwaiger Reflektantinnen (s. Anm. S. 288) noch viel zu ergänzen und hinzuzufügen. – Die Portraitphotographie kann in ihren sämtlichen Arbeitsgebieten Frauen beschäftigen und also sowohl den breiten Schichten von Arbeitsuchenden, als solchen, welche, mit einigem Kapital ausgerüstet, selbständig ein Atelier errichten können, lohnenden Erwerb verschaffen. Betrachten wir zunächst die Aussichten und Bedingungen für die Letzteren. Mit genügender Intelligenz und Bildung ausgerüstet, kann eine Dame binnen sechs Monaten einen vollständigen Einblick in das Gebiet der Portraitphotographie erlangen. Die „Frauengruppe etc.“ spricht von dreimonatlicher Lehrzeit. Ich bestreite nicht, dass dieselbe genügen könnte, halte es indessen im eigenen Interesse der Lernenden für günstiger, wenn sie das Treiben in einem photographischen Geschäfte längere Zeit ansieht, um Erfahrung und Routine zu bekommen. Auch wird die Arbeit nach der Jahreszeit, d. h. nach der höheren und niederen Temperatur, vielfach modifiziert, so dass man demzufolge manchen Erscheinungen ratlos gegenüber stehen dürfte, auf welche auch in den photographischen Handbüchern kaum aufmerksam gemacht ist. Die Dame, welche ein Atelier mit Vorteil leiten will, muss natürlich sämtliche vorkommenden Arbeiten so gründlich verstehen und beurteilen können, dass sie den Gehilfen gegenüber nicht nur die Aufsicht führen, sondern auch entschiedene Anweisungen geben, ja nötigenfalls selbst zugreifen und ihre Arbeit zeigen oder doch die Vor- und Nachteile eines von der ihr gewohnten Arbeitsart abweichenden Handgriffes im Augenblick durchschauen kann. Denn ein größeres Atelier erfordert viele Arbeitskräfte, welche jetzt zum größten Teile noch aus Männern, und zwar wenig gebildeten, bestehen. Diese glauben einem weiblichen Chef gegenüber von vornherein ein leichteres Spiel zu haben, lassen sich gerne gehen und denken, keine sehr sachverständige Autorität vor sich zu sehen. Diesem Personale muss vom ersten Tage an und auf jedem Gebiete der Meister gezeigt werden, will man nicht den größten Betrügereien ausgesetzt sein und die schlechteste Arbeit geliefert bekommen. Zu diesen Arbeiten aber gehört: erstens, die photographische Aufnahme selbst, Blick für Beleuchtung, Form, Stellung, Arrangement, Kenntnis der optischen Gesetze, vermittelst derer die Zeichnung, resp[ektive] Verzeichnung der Linien und Konturen bewirkt werden, vollste Vertrautheit mit der Handhabung der Apparate und der zahllosen Atelierutensilien, welches alles nicht in 14 Tagen oder 4 Wochen gelernt sein kann, sondern Übung und durch Gewohnheit geschärftes Auge erfordert. Zweitens, die chemischen Arbeiten im Laborato-

Texte zu Bildungs- und Erwerbsfragen

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rium: Das Ansetzen und Mischen der Chemikalien, Kenntnis ihrer Eigenschaften und Wirkungen, das Prüfen ihrer guten und schlechten Beschaffenheit sowie genügendes Verständnis, um auf eigene Faust oder nach Anregung von Artikeln und Zeitschriften selbständige Experimente und Untersuchungen vornehmen zu können, ist unerlässlich, denn die Photographie ist in unaufhörlichem Verändern und Fortschreiten begriffen und nirgends gilt das Wort: „Stillstand ist Rückgang“ mehr als hier. Drittens, die Buchführung, welche von der kaufmännischen in mancher Beziehung abweicht. Viertens, der Kopierprozess, d[as] i[st] das Übertragen der Negative ins Positive, gewöhnlich auf Papier. Fünftens, die Positiv- und sechstens, die Negativretouche (s. Anm. S. 288), welche beide gewiss zum bloßen Beurteilen und Verstehen Monate verlangen, während die wirkliche künstlerische und vollendete Ausführung, besonders der Letzteren, eine Übung von Jahren erfordert. Siebentens, die sämtlichen übrigen verschiedenen Verrichtungen, welche mit einem Bilde bis zur Fertigstellung vorgenommen werden und zu deren Bewerkstelligung Vertrautheit mit den verschiedenen Maschinen und Übung nötig ist. In Anbetracht dieser vielseitigen Arbeiten, für deren jede schon in einem mittleren Atelier eine Person speziell engagiert ist, lässt es sich ermessen, dass 3 Monate eine zu kurze Lehrzeit sind: Die Lernende sollte auf einem sechsmonatlichen Kurs bestehen, ohne dass darum das Lehrgeld erhöht zu werden braucht. 300 Mark für 6 Monate Lehrzeit ist durchaus normal und billig. Nach absolvierter Lehre würde nun eine etwas bemittelte Dame sich nach einem Atelier umsehen und zwar entweder selbständig eines errichten oder ein schon bestehendes käuflich übernehmen. Für letzteren Fall will ich kurz darauf hinweisen, dass man keinen Kaufkontrakt abschließen soll, ohne ihn auf den Rat eines am Orte ansässigen Rechtsanwalts zu basieren und nicht vergessen, die Bedingung zu betonen, dass der Verkäufer bei hoher Konventionalstrafe binnen 10 Jahren am gleichen Orte unter eigener oder fremder Firma kein photographisches Geschäft wieder eröffnen oder leiten dürfe. In einer Frauenzeitschrift, wo kürzlich derselbe Gegenstand erwähnt wurde, hieß es, dass 3 000 M[ark] zur Errichtung eines Ateliers hinreichen. Ich warne aber hier entschieden vor Täuschungen: Es kann damit nur eine Anstalt im allerbescheidensten Maßstabe und in einem kleinen Orte gemeint sein. In einer mittleren Stadt würde ich nicht raten anzufangen, wenn man nicht mindestens 6–8 000 M[ark] zur Verfügung hat, in einer Großstadt nicht unter 12– 15 000 M[ark] und in Berlin, Hamburg, Frankfurt möchte ich selbst mit dieser Summe nicht beginnen, sondern kaum glauben, an 20–30 000 M[ark] den genügenden Rückhalt zu haben. Denn man muss bedenken, dass es nicht allein mit der Einrichtung getan ist, welche auf das einfachste bemessen kaum von den 3 000 M[ark] bestritten werden kann, in der größeren Stadt aber, bei den erhöh-

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ten Anforderungen von Eleganz und Ausdehnung, leicht das Dreifache verschlingt. In den ersten 6 Monaten kann man knapp darauf rechnen, das verbrauchte Material aus den Einnahmen zu decken, muss also im Stande sein, Miete, Gehalt für das Personal, Steuern, Feuerung und den eigenen Unterhalt noch aus eigenem Kapital zu bestreiten. Wenn das zweite halbe Jahr schon alle die Geschäftsspesen aufbringt, darf man gewiss von Glück sagen und ebenfalls von Beginn des zweiten Jahres auch hoffen, den eigenen Lebensbedarf herauszuziehen, dem sich dann in der ferneren Zukunft ein Reingewinn anschließen kann. In einer kleinen Stadt, wo man bei beschränkten Mitteln ein bescheidenes Atelier errichtet, naturgemäß auf einen kleinen Kundenkreis reflektieren muss und demzufolge weniger Arbeit hat, kann man natürlich auch mit wenigen Arbeitskräften auskommen. Infolgedessen verringern sich die Geschäftsunkosten und man verzehrt selbst den Gewinn seiner redlichen Arbeit, von welchem sich auch ein Ersparnis erzielen lässt. Eine Dame mit einem Vermögen von 3– 4 000 M[ark], welche gesund und kräftig ist und vom Leben nicht mehr verlangt, als ein kleines Landstädtchen bietet, möge sich getrost etablieren. Sie macht die Aufnahmen, besorgt die Positiv- und Negativretouche, lässt sich in den anderen Arbeiten von einem gut angelernten Lehrlinge unterstützten, darf aber selbst von früh bis Nacht nicht müßig gehen und hat dafür, wenn sie ihre Sache versteht, ihr bescheidenes Auskommen. – Die besten Geschäfte machen häufig die ersten Ateliers mittlerer Städte, d. h. bei starker Arbeitslast, denn die Preise sind für gute Leistungen verhältnismäßig niedriger als in Großstädten, dagegen aber auch die Ausgaben für manche Spesen wie Miete etc. und der eigene Unterhalt billiger. Sichere Garantie für das Gedeihen können natürlich außer Tüchtigkeit, Energie und Umsicht einer Dame nur die zufälligen Umstände, die man im Leben mit dem kurzen, aber inhaltsschweren Namen „Glück“ bezeichnet, bieten: Ist die Stimmung des Publikums dem Unternehmen günstig; hat man das Glück, einige hervorragende und allbekannte Persönlichkeiten gut zu photographieren; mit einem Worte, gelingt es einem, „in Mode zu kommen“, so ist man bald gesichert, im anderen Falle wird man bei den besten Leistungen lange und schwer zu kämpfen haben, obgleich schließlich immer das Verdienst seinen Lohn finden muss. Was nun die andere Klasse von Frauen betrifft, welche ohne ein Anlagekapital, nur mit Fleiß, gutem Willen und Arbeitskraft ausgerüstet durch die Photographie ihren Lebensunterhalt erwerben wollen, so ist es für sie wünschenswert, dass sie im jugendlichen Alter von vielleicht 16–18 Jahren einen tüchtigen Lehrherrn finden, von dem sie gegen eine 2–3jährige unentgeltliche Lehrzeit eine praktische Ausbildung erhalten, welche sie zur Annahme einer ausreichend honorierten Stelle befähigt macht. Ein junges Mädchen darf sich natürlich nicht

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verhehlen, dass sie in dieser Lehrzeit überall zugreifen und tüchtig arbeiten muss. Selbst vor ungeheuer dauerhaften schwarzen, gelben und braunen Flecken dürfen sich ihre zarten Händchen nicht scheuen, sie hat viel mit kaltem, im Winter sogar eisigem Wasser zu hantieren, hat mit allen Arten fressender Säuren und Gifte zu tun, aber keine großen körperlichen Anstrengungen, welche die weibliche Kraft übersteigen, zu leisten. Nach absolvierter Lehre sucht sie entweder eine Stelle als Gehilfin für alles, welche ihr ein Salär von monatlich 60–80 M[ark] eintragen kann, bei einer Arbeitszeit von 7–7 Uhr täglich mit 1-stündiger Mittagspause, oder sie wendet sich je nach Neigung und Beruf einem Spezialzweige zu. Als Kopiererin z. B. verdient sie, je nach ihrer Leistungsfähigkeit von 60–130 M[ark] bei einer Arbeitszeit von 6 oder 7 Uhr früh bis Dunkelwerden, als Laborantin in der Dunkelkammer, also als Vorsteherin der chemischen Arbeiten, wird sie etwa den gleichen Verdienst haben; als Empfangsdame und Buchhalterin kann sie auf 75 bis 100 M[ark] rechnen; als Retoucheuse, inkl[usive] Negativ[retoucheuse] und Operateuse (d[as] i[st] die Person, welche Aufnahmen macht) kann sie bei hervorragenden Leistungen bis zu 200 und selbst 250 M[ark] verlangen. Doch will ich, um keine falschen Illusionen zu erwecken, gleich noch hinzufügen, dass die angegebenen Maximalsätze nur von wenigen allerersten Ateliers gezahlt werden unter der Voraussetzung untadelhafter zuverlässigster Arbeitskraft und dass sie bisher nur an Männer gezahlt wurden. Frauen werden die gleichen Ansprüche nur machen dürfen, wenn sie ihre Vorgänger an Leistungsfähigkeit überbieten. Auch verlangt man in den meisten Ateliers, dass eine Person mehreren Arbeitsgebieten vorstehen könne. Der Negativretoucheur soll auch eine gute Aufnahme machen können und umgekehrt der Operateur die Retouche und die Arbeiten in der Dunkelkammer verstehen. Natürlich wird man an die Frau in den gleichen Stellungen die gleichen Ansprüche machen. Von der Empfangsdame wird durchweg verlangt, dass sie nebenbei positiv retouchiere. Obgleich es bekannt sein dürfte, will ich doch noch kurz erwähnen, dass beide Retouchen auch für solche als Erwerbszweig dienen können, welche ans eigene Haus gefesselt, keine festen Stellungen annehmen können und dass sie einen täglichen Verdienst von 2–3 M[ark] oder mehr bieten. Zur Ausbildung in der Retouche ist auch den Frauen die oben erwähnte k[aiserlich-] k[önigliche] Lehr- und Versuchsanstalt für Photographie und Reproduktionsverfahren in Wien geöffnet.

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Schlussansprache des Vorstandsmitgliedes Frl. Augspurg Das erste deutsche Mädchengymnasium ist eröffnet! Es repräsentiert dieses einen Moment, dessen Bedeutsamkeit erst voll verstanden werden kann, wenn einer historischen Betrachtung die Tatsachen offen liegen, welche auf ihn als ihren Ausgangspunkt zurückgeführt werden können. Wie nun auch diese Folgen sich ausweisen werden, ob sie an Größe und Einfluss zurückbleiben hinter den Erwartungen, welche die Gründerinnen der Anstalt in der großen Freude über ein endlich erreichtes Ziel vielleicht zu kühn spannen, oder ob sie deren freudige Hoffnungen noch überflügeln – das eine steht fest, dass gute Früchte der gelegten Saat entsprießen müssen. Denn eine Bildungsstätte ist gegründet worden, und der Bildung, einer echten, wahren, tiefen Bildung kann immer nur Gutes entkeimen. Wir leben in einer Zeit gewaltiger sozialer Arbeit. Das Bewusstsein dieser großen Aufgaben, [das Bewusstsein] von der Notwendigkeit ihrer Erledigung, das Streben zu helfen, zu bessern, auszugleichen ist überallhin gedrungen. Keine Nation, kein Stand, keine Person ist von diesem Gefühl und von diesem Bewusstsein ausgeschlossen; es beseelt die Herrschenden wie die Dienenden, die Mächtigen wie die Armen, die Regierenden wie die Gehorchenden. Und wie einstmals die Botschaft von der Liebe (s. Anm. S. 289) die Welt erobert hat, so findet heute die strengere von der Gerechtigkeit Widerhall in allen Herzen. Nachdem schon Unzähligen, welche bisher benachteiligt waren, das Joch abgenommen, die Last erleichtert, die Freiheit der Selbstbestimmung, das heiligste Gut auf dieser Erde, gegeben wurde, ist man auch zu der Erkenntnis gekommen, dass eine ganze Hälfte der Menschheit bisher außerhalb der Tore der Gerechtigkeit gestanden hat. – Die Geschichte kann leider nicht konstatieren, dass die Menschheit aus reiner Liebe zur Tugend und um des abstrakten Gefühles der Gerechtigkeit willen plötzlich die Augen geöffnet habe für das Elend und die Benachteiligung eines großen Teiles ihrer Angehörigen, sondern die Not und die Notwendigkeit schrieen so furchtbar auf, dass Schlaf und Träume der Wohlversorgten jäh unterbrochen wurden. Die Not der Elenden und das Mitleid mit dieser Not, die Notwendigkeit der Abhilfe und das Einsehen der Gesetzgeber (s. Anm. S. 289), dass zur Abstellung dieser Not der Frauen die Mithilfe der Frauen notwendig sei, die sind es, welche die Tugend der Gerechtigkeit gegen die Frauen geboren haben. Es mag wohl dieses die Entstehungsgeschichte der meisten menschlichen Tugenden sein, woher käme sonst das Sprichwort: Aus der Not eine Tugend machen? Aber wenn nur schließlich die Tugend echt und recht geübt wird, so wollen wir ihre Herkunft weiter nicht bemäkeln. Und man kann sich nicht verhehlen, dass die Gerechtigkeit gegen das weibliche Geschlecht sich langsam,

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langsam Bahn bricht. Die Not hat die Frauen dreierlei fordern gelehrt: Den Platz, um den Kampf ums Brot zu kämpfen; ihre Gesundheit und ihr Leben, sowie die Erziehung ihrer Töchter ihren Geschlechtsgenossinnen anvertrauen zu dürfen und ihre Gaben ausbilden zu dürfen, für ihre Fähigkeiten Arbeitsgebiete zu finden, so hoch und so weit ihr Wunsch und ihre Kraft sie tragen! Sind das exorbitante Forderungen? Ist es zuviel, wenn jemand so viel für sich vom Leben verlangt? Wie wohl spätere Jahrhunderte von einer Zeit denken mögen, in der solche Forderungen nicht nur der Aufstellung, sondern eines hartnäckigen Kampfes durch Generationen bedurften, in der sie nicht in den einfachsten Menschenrechten, in der Tatsache der bloßen Existenz einbegriffen lagen. Und doch, die Frauen sind dankbar, denn wenn man ihren Forderungen noch nicht gerecht wird, so beginnt man doch allerorten damit zu rechnen, und in einem Lande, im freidenkenden Baden, ist man ihnen bereits voll gerecht geworden. Denn allein Bildung macht sittlich frei, nur aus der Bildung schöpft man Kraft, nur Bildung gibt Recht, die höchsten Ziele zu verfolgen. Durch das in Karlsruhe eröffnete Gymnasium (s. Anm. S. 289, 289) des „Vereins Frauenbildungs-Reform“ (s. Anm. S. 289, 289) stehen aber die Frauen an der Schwelle aller Bildung, es repräsentiert den Schlüssel zu den höchsten Bildungsstätten des Reiches, denn bekanntlich haben mehrere Universitäten den Beschluss gefasst, Frauen aufzunehmen, sobald sie den Nachweis der gesetzmäßigen Vorbildung liefern. Das Gymnasium des „Vereins Frauenbildungs-Reform“ gibt nun die Möglichkeit einer solchen Vorbildung, deutsche Frauen sind von heute an nicht mehr gezwungen, als Gast im Auslande, unter schweren Opfern aller Art, die Bildung zu suchen, welche ihnen das Vaterland versagt. Was das heißen will, können nur diejenigen ermessen, welche wissen, mit welchen Schwierigkeiten ein solcher Bildungsgang im Auslande verknüpft ist und wie alle die gebrachten Opfer und Mühen keinen anderen Lohn finden, als daheim neue Schwierigkeiten, neue Mühsal in einem Berufe, dessen Ausübung einem verwehrt wird, den man Schritt für Schritt erkämpfen muss und der einem trotz allem und allem von Tag zu Tag entrissen werden kann, weil man ihn, wennschon im Vaterlande, nur unter der Spitzmarke des Ausländers ausüben darf. Wir haben Frauen in Deutschland, die mit Mut, Energie und Ausdauer in diesem täglichen Kampfe ums Dasein felsenfest stehen, die Frauenbewegung wird immer mit Stolz auf diese ihre ersten Vorkämpferinnen blicken, aber glücklich wird sie sich preisen, weil mit dem heutigen Tage eine neue Ära des Frauenstudiums heraufbeschworen, weil dem Frauenstudium mit ihm in Deutschland Heimatrecht erworben ist. Die deutsche Frau hat von heute ab das Recht auf höchste Bildung, voll teilnehmen darf sie an den geistigen Schätzen der Nation, und wenn an die Eröffnung des Gymnasiums sich nicht im entferntesten die Absicht knüpft, dass von

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jetzt an alle Frauen sich auf die gelehrten Studien stürzen sollen, wie so viele befürchten, so wird die Bildung und das Studium der wenigen, die sich aus Neigung und Beanlagung ihnen widmen, allen Frauen und noch mehr der ganzen Nation zugute kommen. Denn der Gang der Geschichte will es und die sozialen Aufgaben heischen es, dass die Frau auf dem Kulturschauplatze erscheine und dass Frauenhände eingreifen in das Gestalten der sozialen Verhältnisse. Rückblickend auf die Entwicklung des Staatenlebens sehen wir, wie Stand um Stand herangezogen wird zur tätigen Mitwirkung am Gesamtleben. Bürger und Bauer kamen in gar nicht ferner Zeit bei der Gestaltung der Gesellschaft kaum in Betracht. Sie galten als unmündige Objekte, auf ihr Gedeihen wurde nur insofern Rücksicht genommen, als es für das Interesse des gesamten Staatshaushaltes von Belang war. Der Gerechtigkeitssinn, dessen Herrschaft im modernen Kulturleben bereits erwähnt worden ist, hat einen nach dem anderen frei gemacht, hat die Existenz von Bauer und Bürger an sich als vollberechtigt anerkannt, nicht bloß als Faktor des großen Haushaltes: Beide sind von Werkzeugen des Staates zu Angehörigen und Bestandteilen desselben vorgeschritten. Eine berechtigte und kulturfördernde Bewegung hält aber nicht inne, solange sie noch Arbeitsstoff vor sich sieht. Der Geist, welcher Bürger und Bauer und Sklaven zu vollwertigen Existenzen emporhob, verlangt, dass auch eine Hälfte der Menschheit nicht länger nur für die andere existieren, sondern ein eigenes Vollleben führen soll, und gleichwie erst alle Stände gleichberechtigt einen gesunden, starken Staat repräsentieren, so werden erst beide Geschlechter ineinander, nicht untereinander geordnet, mitsammen das Idealmenschentum darstellen. Dieser der Geschichte innewohnende Geist findet einen starken Bundesgenossen im Zwange der äußeren Ereignisse. Denn unsere Zivilisation ist an einem Punkte angelangt, von wo man nur mit Bangen in die Zukunft sehen kann. Korruption, Degeneration, Verlust jeder sittlichen Kraft und überlebte Prinzipien, kurz, eine verzweifelte Ähnlichkeit mit allen Zuständen vor dem Zusammenbruche des römischen Weltreiches auf der einen, rücksichtloses, jähes Vorwärtsstürmen auf der anderen Seite, beschwören grausige Gespenster vorahnend herauf! Die soziale Aufgabe: Hier auszugleichen und neu zu schaffen, die Bewegung zu lenken, so dass sie nicht umstürzend, sondern aufbauend, nicht zerstörend, sondern schöpferisch wirke, bedarf einer frischen Kraft, neuer Elemente, eines jungen, reinen sittlichen Ernstes. Frauenhand und Frauensinn kann bei dieser gewaltigen Aufgabe nicht fehlen, zur Regeneration der menschlichen Gesellschaft ist die Mitwirkung der Frau und ihre Einsicht, ihr Einfluss unentbehrlich. Auf dem Gebiete der Wohltätigkeit, der Erziehung, der Gesundheitspflege und der meisten staatlichen Einrichtungen und Anstalten muss die Hilfe der Frau in Anspruch genommen werden: Es ist das eine unausweichliche praktisch-kulturelle Forderung. Zum segensreichen Wirken im Großen wie im Kleinen ist Bildung

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des Geistes unerlässlich. Nicht diejenige Bildung, welche in einem bestimmten Maß von Kenntnissen besteht, sondern diejenige, welche aus der Denkfähigkeit, aus dem Urteilsvermögen, aus der logischen Geistesschulung hervorgeht. Und diese Fähigkeiten, sofern sie nicht angeboren waren, in langsamer systematischer Schulung zu erwerben und zu entwickeln, war bisher den Frauen unmöglich, oder doch nur in ganz vereinzelten Fällen bei besonders günstigen Umständen möglich. Seit heute ist das anders. Wir werden jetzt Frauen erziehen können, welche die Fähigkeit besitzen, an ernster Geistesarbeit teilzunehmen und im besonderen und allgemeinen an den sozialen Aufgaben mitzuarbeiten. Sie werden nicht mehr zu abstrakten Spielereien und unzulänglichen Palliativen (s. Anm. S. 289, 289) unendlich viel guten Willen und unendlich unpraktisches Können verschwenden, sondern sie werden geistig auf der Höhe der Situation stehen und mit richtigem Urteile die richtigen Mittel ergreifen, wie das praktische Leben es verlangt. An jedem Platze, als Mutter, als Frau, als Glied der Gesellschaft wird die gebildete, denkende Frau unendlich viel segensreicher wirken als die ungebildete. Und wird die strenge Geistesschulung nicht der weiblichen Würde und Anmut schaden? Gewiss nicht; denn das Haus der klugen geistreichen Frau war von je anheimelnder und behaglicher als dasjenige der ungebildeten, und das Familienleben der klugen geistvollen Frau durchschnittlich inniger und beglückender als dasjenige der ungebildeten. Und werden die weiblichen Eigentümlichkeiten nicht verloren gehen? Gewiss nicht: denn sie wären der Frau ja nicht innerlich eigen, wenn sie ihr durch äußerliche Einflüsse abhanden kommen könnten. Nein, man darf Segen erhoffen für das weibliche Geschlecht und für die Gesamtheit von dieser Bildungsstätte, für welche die Frauen so lange und mühsam den Boden zubereitet, um die sie so schwer gerungen haben. Der Verein, welcher den stolzen Namen „Frauenbildungs-Reform“ trägt, hat sich den Ruhm erworben, das erste Mädchengymnasium in Deutschland gegründet, den Grundstein zur geistigen und sittlichen Hebung des Geschlechtes gelegt zu haben. Sie haben gekämpft für dieses Ziel, jede an ihrem Platze, im Stillen und öffentlich, zumeist aber die tapfere Vorsitzende, Frau Kettler (s. Anm. S. 289, 289). Die heutige Gründung ist so recht eigentlich ihr Werk. 800 Angehörige des Vereins senden zur Eröffnung ihre Segenswünsche aus allen Teilen Deutschlands, sie alle fühlen, außer dem Dank für das Erreichte, den freudigen Stolz, an dem Erreichen mitgewirkt zu haben, zugehörig zu sein einer tapferen Schar, die trotz Kampf und Anfeindung unentwegt das Banner hochhält der Frauenbildungs-Reform!

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Die Rückseite der Medaille Der preußische Kultusminister (s. Anm. S. 289) hat dem Magistrate von Breslau ohne jede Angabe von Gründen – wie die „Vossische Zeitung“ in einem dankenswerten Leitartikel in ihrer Nummer 174 d. J. (s. Anm. S. 289) besonders hervorhob – fast im Augenblicke der Eröffnung die Genehmigung versagt zu dem seit zwei Jahren vorbereiteten Mädchengymnasium und hat durch diese neue Gewalttat gegen die „Herrschaft des Geistes“, als deren berufener Vertreter er sich selbst darzustellen vor nicht langer Zeit wagte, ein einstimmiges und berechtigtes Entrüstungsvotum der Presse ausgelöst. Dass „Die Frauenbewegung“ in diese allgemeine Entrüstung von jedem Gesichtspunkte aus einstimmt (s. Anm. S. 289), darf als selbstverständlich betrachtet werden, es scheint aber außerdem angezeigt, dem Herrn Minister, abgesehen von allen anderen formellen und materiellen Kritiken seines Vorgehens, einen Umstand vor Augen zu rücken, der ihm die moralische Berechtigung zu seinem Veto noch mehr entzieht als allein die Rücksicht auf die geistigen Interessen des Volkes, die er wahren zu wollen vorgibt. Dieser Umstand wurzelt allerdings außerhalb seines eigentlichen Ressorts, aber es ist zu verlangen, dass die verschiedenen Ministerien eines großen Staates bei ihren eigenen Maßnahmen die allgemeine Gesetzgebung berücksichtigen, um ein einheitliches Ineinandergreifen der Räder der ganzen Staatsmaschinerie zu bewirken, den wichtigsten Faktor einer guten Regierung. Abweichend von den meisten bisherigen Partikularrechten (s. Anm. S. 290) beschränkt das Bürgerliche Gesetzbuch vom Jahre 1900 an die gegenseitige Unterhaltspflicht der Verwandten in seinem § 1601 auf die „gerade Linie“ (s. Anm. S. 290), d. h. auf Aszendenten und Deszendenten. Nur Eltern, Großeltern etc. und deren Abkömmlinge sind zur gegenseitigen Unterstützung verpflichtet, nicht mehr wie früher Geschwister und entferntere Verwandte. Natürlich werden von dieser Bestimmung vorwiegend weibliche Personen betroffen: Das Reichsgesetz entbindet auf der einen Seite die Brüder von der Fürsorge für unversorgte Schwestern, es anerkennt also die Möglichkeit nicht nur, sondern es dekretiert sogar die Notwendigkeit, dass jeder Angehörige des Reiches seine eigenen Existenzmittel sich zu beschaffen habe, und wir Frauen sind wahrhaftig nicht böse über diese neue prinzipielle Anerkenntnis unserer Selbstständigkeit und Selbstverantwortlichkeit. Aber auf der anderen Seite dürfen wir daraus die Forderung ableiten, dass der Staat uns nun in gleicher Weise wie den Männern die Möglichkeit der Ausübung von Berufen gewähre, welche uns die selbständige Existenz sichern, und diese Möglichkeit liegt zumeist in der Erlangung der nötigen Vorbildung. – Von dem Wegfall der Unterhaltspflicht unter entfernteren Verwandten werden nach bisheriger Lage der Dinge die Frauen mehr benachteiligt als die Männer, und die Frauen der sogen[annten] „höheren“ Stände mehr als diejenigen der un-

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bemittelten, die von jeher von eigener Arbeit gelebt haben. Die Töchter des Mittelstandes, insbesondere die Beamtentöchter, denen die Eltern aus Standesrücksichten die Ergreifung eines eigenen Berufes versagten, da so ziemlich jeder Beruf, der ihnen offen stand, für solche Mädchen ein Hinabsteigen in einen nach der herrschenden Auffassung gesellschaftlich tieferen Kreis bedeutete, waren, sofern sie nicht heirateten – und wie häufig war das bei diesen unbemittelten Mädchen der Fall, auf den Unterhalt von ihren Verwandten angewiesen, auf welchen sie gesetzlichen Anspruch erheben konnten. Diesen Anspruch versagt ihnen der Staat in Zukunft, er wird ihnen als Äquivalent dafür die Möglichkeit der Ausübung von Berufen gewähren müssen, welche ihrer gewohnten Lebenssphäre angemessen sind, mit anderen Worten, er wird die 2 ½ p. c. der Bildungsanstalten, welche dem weiblichen Geschlechte bis heute zugänglich gewesen sind, erweitern müssen. Dieser gerechten Forderung – gleichviel ob in Erwägung der oben berührten Änderung des bürgerlichen Gesetzes oder dem allgemeinen Zuge der Zeit folgend – haben mehrere große Kommunalwesen durch die Errichtung von Mädchengymnasien entsprechen zu müssen geglaubt. Karlsruhe hat das durch private Frauentätigkeit gegründete bisher einzige Mädchengymnasium (s. Anm. S. 290) (denn, was die „Vossische Zeitung“ als Mädchengymnasien bezeichnete, sind Gymnasialkurse) in städtische Verwaltung übernommen, Mannheim ist mit der Einrichtung einer gleichen Anstalt beschäftigt (s. Anm. S. 290), Breslau hatte ein Gymnasium vorbereitet, zu welchem 25 Schülerinnen angemeldet waren und welches in wenigen Tagen eröffnet werden sollte, als die Versagung der ministeriellen Genehmigung eintraf. Die allgemeine Empörung, welche diese in letzter Stunde rücksichtslos erlassene Verfügung hervorgerufen hat, wurde so unverblümt in der Presse geäußert, dass sie den Herrn Dr. Bosse doch vielleicht zum Nachdenken und zu einem anderen Beschlusse bringt; es wäre zu wünschen, dass er in den Kreis seiner Erwägungen auch die Konsequenzen des § 1601 BGB einbeziehe und einer weitsichtigen Stadtverwaltung nicht in die Arme greife, wenn sie im Begriffe ist, den wohlverstandenen Forderungen ihrer Zeit zu genügen.

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Eingabe des Vereins für Frauenstudium betr[effend] Regelung der Zulassung von studierenden Frauen zur Universität Berlin, den 2. Januar 1900 An Se[ine] Exzellenz, den Herrn Minister für geistliche etc. Angelegenheiten 1 in Preußen (s. Anm. S. 290) richtet der „Verein für Frauenstudium“ das höfliche Gesuch, verfügen zu wollen, I.

dass in Zukunft weibliche Studierende deutscher Nationalität zum Studium an preußischen Universitäten nur zugelassen werden, wenn sie ein deutsches Maturitätszeugnis beigebracht haben, unbeschadet der bestehenden speziellen Vorschriften für besondere Fachausbildung wie diejenige der Pharmazeuten, Zahnärzte und vorläufig auch der Oberlehrerinnen; II. dass männliche und weibliche Studierende fremder Nationalität, sofern sie nicht bereits im Besitze eines akademischen Grades sind, zum Studium an preußischen Universitäten nur aufgrund einer in Deutschland abzulegenden Aufnahmeprüfung zugelassen werden; III. dass hinsichtlich des Besuches der collegia publica vollkommen gleiche Bestimmungen für Männer und Frauen maßgebend sein sollen. Begründung Die Zulassung von inländischen und ausländischen Frauen zu den Universitätsvorlesungen, ohne dass der Nachweis der allgemein zum Universitätsstudium berechtigenden Vorbildung von ihnen verlangt würde, enthält die Gefahr, das Studium der Frauen im Ganzen auf ein Niveau herabzudrücken, wie es die Frauen selbst durchaus nicht wünschen. Bezüglich der Ausländer ist zu bemerken, dass sie häufig aufgrund von Zeugnissen, die nicht entfernt unserem gymnasialen Reifezeugnis entsprechen, Zulassung zur Universität finden. Es ist deshalb wünschenswert, von Ausländern und Ausländerinnen den Nachweis genügender Vorbildung durch eine an einer deutschen Universität abzulegende Aufnahmeprüfung zu fordern, analog der Gepflogenheit von Schweizer Universitäten (s. Anm. S. 291). Für eine dilettantische oder laienhafte Beschäftigung mit belletristischen oder sonstigen allgemeinwissenschaftlichen Gegenständen sind die collegia publica eingerichtet, und es würde sich empfehlen, Frauen wie Männer, die derartige Studien als Nebenbeschäftigung treiben, auf diese Vorlesungen zu beschränken und zwar unter Anwendung ganz gleicher Bestimmung für beide Geschlechter. 1

Eine ähnliche Eingabe ist an den Senat der Berliner Universität gerichtet.

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Solchen Frauen dagegen, welche ein Studium im Sinne eines ernsten Lebensberufes ergreifen, ist – nachdem sie prinzipiell in allen deutschen Bundesstaaten zur Ablegung der Maturitätsprüfung zugelassen werden – die Möglichkeit gegeben, die gleichen Vorbedingungen für den Universitätsbesuch zu erfüllen, wie sie der männlichen Jugend obliegen, und es ist kein Grund einzusehen, warum andere und geringere Vorbedingungen als die reichsgesetzlich festgestellten hinsichtlich dieser Frauen gelten sollen. Es entspricht ihrem eigenen Interesse, es entspricht dem allgemeinen Wunsche der Frauen und es entspricht der Würde der Wissenschaft, dass lediglich vollwertig vorgebildete Studierende an den fachwissenschaftlichen Vorlesungen teilnehmen. Hochachtungsvollst I.A.: Katharina Erdmann, Schriftführerin

Anita Augspurg, Dr. jur. Vorsitzende

Wissenschaftliche Frauenberufe Die Welt schreitet fort, langsam aber sicher. So vollzieht sich auch bei uns Schritt für Schritt das Eindringen der Frauen in das wissenschaftliche Gebiet: Gegen tausend weibliche Studierende (s. Anm. S. 291) verteilen sich auf die deutschen Universitäten und haben von sämtlichen vier Fakultäten (s. Anm. S. 291) Besitz ergriffen. Der weibliche Arzt ist längst nichts Neues mehr – haben doch ihrer zwei bereits in Berlin ihr fünfundzwanzigjähriges Amtsjubiläum gefeiert (s. Anm. S. 291) – an den weiblichen Rechtskonsulenten beginnt man soeben sich zu gewöhnen (s. Anm. S. 291); bevor ein Jahrzehnt vergeht, haben wir vielleicht vollberechtigte weibliche Advokaten, und auch dem weiblichen Richter werden wir so wenig entgehen wie andere Länder. Mit der Zulassung zur Maturitätsprüfung ist die Schwelle des akademischen Bürgertums freigegeben, die Immatrikulation muss über kurz oder lang gewährt werden, denn auf die Dauer kann Willkür die Logik nicht beugen. Zu dieser Erkenntnis ist das deutsche Musterländchen Baden (s. Anm. S. 291) bereits gelangt: Seit März 1900 wird ein junges Mädchen, das den Nachweis einer deutschen Maturitätsprüfung erbringt, an den badischen Hochschulen immatrikuliert so gut wie jeder junge Mann, während die übrigen deutschen Bundesstaaten, die Universitäten zu verwalten haben, sich noch immer mit der Folgerichtigkeit abzufinden wissen: die Ablegung des Abituriums gibt Anrecht auf Immatrikulation: a) bei Männern, b) nicht bei Frauen.

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Die Ergebnisse der Schulreform, soweit sie die Berechtigung zum akademischen Studium betreffen, wirken für beide Geschlechter gleich, d. h. die Abgangsprüfung von Human-, Real-, Reformgymnasien oder Oberrealschulen erschließt für Mädchen dieselben Studienfächer wie für Jünglinge, und die Prüfung als Externe wird ihnen überall im Deutschen Reich ohne Schwierigkeit abgenommen. In Bezug auf die Vorbildungsanstalten aber marschiert Baden wiederum an der Spitze der deutschen Kultur. Es hat das Ideal aller Schulreform verwirklicht, dass nämlich generell alle höheren Knabenschulen den Mädchen offen stehen, so dass in den kleineren Städten die Eltern auch ihre Töchter auf den Gymnasien und Realschulen unterrichten lassen können. Es wird von dieser wohltätigen Maßregel schon ausgiebig Gebrauch gemacht: Zwischen dreihundert und vierhundert Mädchen besuchten in Baden im letzten Halbjahr höhere Knabenschulen. Außerdem aber wetteifern die verschiedenen Städte des Landes mit der Gründung besonderer gymnasialer Lehranstalten für Mädchen: Karlsruhe besitzt seit Jahren ein städtisches Humangymnasium (s. Anm. S. 292), Mannheim errichtet soeben eine städtische Oberrealschule für Mädchen (s. Anm. S. 292) (sein Humangymnasium steht, wie gesagt, den Mädchen offen), Baden-Baden und Freiburg haben Progymnasien (s. Anm. S. 292) für Mädchen. In den übrigen deutschen Staaten widersetzen sich die Kultusministerien hartnäckig, teils ohne Angabe, teils mit Angabe ihrer Gründe der Einrichtung von städtischen oder privaten Lehranstalten für Mädchen, die bei systematischem gründlichen Aufbau zur Universitätsreife hinführen, so dass den Mädchen nichts anderes als private Vorbereitung nach absolvierter Töchterschule und Ablegung der Reifeprüfung als „Wilde“ oder „Externe“ vor einer fremden Prüfungsbehörde übrig bleibt. Betrachten wir nun die wissenschaftlichen Berufe, so finden wir, dass sie in manchen Ländern rückhaltlos, in anderen mit größeren oder geringeren Einschränkungen, überall aber in weit größerem Maß als in Deutschland und Österreich-Ungarn von den Frauen in Besitz genommen sind. Bei uns in Deutschland ist das Studium der Medizin in vollem Umfang freigegeben, insofern die ärztlichen Staatsprüfungen seit dem April 1900 auch den Frauen zugänglich sind (s. Anm. S. 292). Die Praxis zeigt allerdings, dass man ihre Meldungen unter Umständen von einem Termin zum anderen unberücksichtigt lässt und ihnen dadurch die Sache erschwert. Zu den philologischen Staatsprüfungen lässt das Königreich Sachsen generell jede Frau zu, die den Nachweis der deutschen Abgangsprüfung und des vorschriftsmäßigen Universitätsstudiums erbringt; in Preußen ist die Oberlehrerinnenprüfung als Abschluss einiger akademischern Semester eingeführt, setzt aber

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eine fünfjährige praktische Lehrtätigkeit aufgrund der seminaristischen Bildung voraus. Damit ist für Deutschland die Reihe der den Frauen zugänglichen Staatsprüfungen erschöpft, es steht ihnen lediglich das Doktorat aller Fakultäten offen und die Verwertung der erworbenen wissenschaftlichen Kenntnisse in freien Berufen, literarischer Tätigkeit oder eigener wissenschaftlicher Forschung. Baden macht auch hierin eine Ausnahme; die Zulassung zur Immatrikulation hat die Zulassung zu allen staatlichen Prüfungen zur Folge, und es muss einer Frau logischerweise die Lehr- und die Predigtamtskandidatenprüfung, das juristische Staatsexamen, die Baumeisterprüfung usw. abgenommen werden. Eine Praxis nach dieser Richtung liegt bisher noch nicht vor, aber da jedes weitere Jahr in stiller Arbeit die alten Vorurteile mehr und mehr zurückfeilt, so wird das sich ergebende Problem seiner Zeit im badischen Bereich auch seine Lösung in dem gewohnten liberalen Sinne finden. Unsere Nachbarländer Schweiz, Frankreich, Italien, Belgien haben die Advokatur den Frauen freigegeben (s. Anm. S. 292). In Italien und der Schweiz sehen wir auch Frauen auf akademischen Lehrstühlen (s. Anm. S. 292). In Holland ist sogar eine Frau in eine ärztliche Prüfungskommission aufgenommen, weibliche Ärzte amtieren als Assistenten und Leiter von öffentliche Spitälern. Sehr groß und bedeutsam für die Zukunft sind ferner die Errungenschaften der Frauen auf wissenschaftlichem Gebiet in den drei skandinavischen Reichen und Finnland, wo für ihre Professur und berufliche Tätigkeit lediglich ihre Leistungsfähigkeit in Frage kommt (s. Anm. S. 292). In Österreich galt bis vor kurzem das Prinzip, dass den Frauen das Studium im Lande verschlossen blieb. Die Wiederholung der ärztlichen Prüfungen wurde ihnen gestattet, nachdem sie sie im Ausland bestanden hatten. Neuerdings werden die österreichischen Medizinerinnen auch ohne diesen Umweg zum Staatsexamen zugelassen, die medizinische und philosophische Fakultät ist den Frauen als Hospitantinnen erschlossen, und die Wiener juristische Fakultät hat sich in einem Gutachten für unbehinderte Zulassung der Frauen zur juristischen Laufbahn ausgesprochen. Ungarn hat ebenfalls unter seinem liberalen Kultusminister die Bahn freigelegt, die Universität Pest ist von Frauen viel besucht. Russland hat besondere medizinische Hochschulen für Frauen eingerichtet, seine weiblichen Ärzte können amtliche Funktionen als Kreisphysici ausüben und leisten ausgezeichnete kulturelle Arbeit unter dem Volke. Wohl den einzigen weiblichen Baumeister in Europa (s. Anm. S. 293) besitzt Siebenbürgen, wo eine junge, in der Schweiz ausgebildete Architektin mit Erfolg tätig ist: in mehreren Preiskonkurrenzen zur Ausführung öffentlicher Gebäude in verschiedenen Städten wurden Entwürfe mit dem ersten Preis gekrönt,

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die sich als von ihr herrührend herausstellten. Auf diese Weise wurde dem noch sehr jungen Mädchen der Bau eines städtischen Krankenhauses und einer Forstakademie übertragen. Man erinnert sich vielleicht, dass auch bei der Weltausstellung in Chicago für den Bau des imposanten Palastes für Frauenarbeit der erste Preis und die Ausführung an eine achtzehnjährige Architektin fiel. Architektur ist überhaupt ein Gebiet, das von Frauen in Amerika in demselben Maß bevorzugt und mit Erfolg ausgeführt wird, wie es hier zu Land noch fast allgemein von ihnen vernachlässigt ist. Dass in Amerika für die wissenschaftliche Berufsübung der Frau überhaupt keine Schranken mehr bestehen, bedarf wohl keiner Hervorhebung: Es sind in den Vereinigten Staaten 300 weibliche Anwälte, auch an den höchsten Gerichtshöfen, tätig, etwas 1250 weibliche Seelsorger üben jede geistliche Amtstätigkeit aus, 1000 Dozenten und Professoren weiblichen Geschlechts haben Universitätslehrstühle inne, auch Rektorate und Dekanate, und die weiblichen Ärzte zählen sogar nach vielen Tausenden. Es würde zu weit führen, die Einzelheiten aus den verschiedenen Ländern englischer Zunge anzugeben; es genügt festzustellen, dass nicht nur sie alle uns weit voraus sind, sondern dass auch die spanisch-romanischen Länder Brasilien, Peru, Portugal, Spanien usw. keine Schranken errichten für männliche und weibliche Wissenschaft: Der Quell des Wissens steht dort überall jedem Durstigen frei.

Die Frauenbewegung und die Erwerbsfrage Die Tatsache, dass die Frage der materiellen Existenz, der Ermöglichung zur Beschaffung des eigenen Unterhalts, eine der treibenden Kräfte der Frauenbewegung 1 darstellt, ist unanfechtbar. Ja, vielleicht ist sie für die Bewegung der Masse überhaupt die treibende Kraft gewesen. Direkt hat die Tatsache, dass sich Frauen durch ihre Arbeit ihren Unterhalt beschafften oder erwarben, mit der Frauenbewegung keinen Zusammenhang, denn sie haben das seit dem Bestehen des Menschengeschlechtes, seit Anbeginn der Arbeit getan, früher sogar als der Mann; sie sind ja nach den Darstellungen der Ethnologen die Erfinder der Arbeit und der Technik. Das Arbeiten wurde den Frauen nie verwehrt, auch der Unterhalt wurde ihnen für ihre Arbeit stets gewährt, sonst hätte man auf die Fortführung der Arbeit oder wenigstens den vollen Nutzen aus der Arbeit verzichten müssen. Nur an die Verabfolgung des Unterhalts in tauschfähigem Gut, das ist in Geld, ging man sehr ungern, denn sie gewährleistete in ungleich höhe1

Vergl. Nr. 446 der Wochenschrift „Die Zeit“

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rem Grad als die Leistung in Naturalien die Unabhängigkeit der arbeitenden Frau. Der innere Zusammenhang zwischen Arbeitserwerb und Stärkung des Persönlichkeitsgefühls der Frau ist es denn auch, welcher die Erwerbsfrage zu einem integrierenden Teil der Frauenbewegung macht und die geistigen Führer der Bewegung veranlasst, der Ausdehnung der Erwerbsmöglichkeiten und vor allem der Steigerung der Erwerbsaussichten stete Aufmerksamkeit und Detailarbeit zuzuwenden. Nur eine ökonomisch sichergestellte Persönlichkeit kann ihre Umgebung, Welt und Zustände der Betrachtung und Kritik unterziehen, nur eine ökonomisch gesicherte Persönlichkeit kann ethischen Forderungen Rechnung tragen, kann solche an sich selbst und für sich an andere stellen und steigern. Die nächste Sorge der erwachenden Frauenfrage galt also der Erwerbstüchtigkeit der Frau, teils vom Utilitätsprinzip, teils vom Standpunkt des Frauenrechts aus. Dieses letztere proklamiert bedingungslos das volle Anrecht der Frau auf Betätigung in allen Berufen, welche Gelegenheit geben, dargebotene Arbeitskraft oder Wissen für materielle Gegenwerte einzutauschen. Die Frauenrechtsbewegung erkennt keinerlei für den Mann privilegierte Berufe an, sie erkennt vor allen Dingen kein Privilegium des Mannes an, in erster Linie die vorhandenen Erwerbsmöglichkeiten durch gesetzliche oder gewohnheitsmäßige Regeln in Anspruch zu nehmen, ein Standpunkt, der ja bei den sogenannten freien Berufen heutzutage schon nicht mehr in Frage kommen kann, der aber noch umso auffälliger hervortritt in allen Berufen, die auf Anstellung, Konzessionserwerb, Zunftzwang und ähnlichen Einschränkungen der freien Leistungskonkurrenz beruhen. Die Frauenrechtsbewegung erkennt endlich kein Gesetz an, welches nach anderen Grundsätzen als dem der Leistung die dargebotene Arbeit entlohnt. Sie stellt daher aufs energischste die Forderung auf: Gleicher Lohn für gleiche Leistung! Sie bekämpft nachdrücklich die mindere Bezahlung einer Frau aus dem Gesichtspunkte, dass sie als Frau weniger bedürfe und sich mit Hilfe ihrer größeren Anspruchslosigkeit sowie ihrer geschickteren Lebensführung mit weniger einrichten könne. Sie bekämpft nicht minder als einen Grundirrtum den bei Gehaltsfestsetzungen durchwegs noch herrschenden Gesichtspunkt, die männlichen Beamten mit Rücksicht auf eine zu gründende Familie höher zu besolden als die Frau. Auf solche Weise werden nämlich in dem Beamtengehalt zwei ganz heterogene Leistungen an den Staat zusammengefasst. Einmal die Entlohnung für die von dem Beamten geforderte Tätigkeit, sodann aber Erziehungsgelder für die jungen Bürger, die er dem Staat heranzieht. Diese Gelder zu leisten, nicht allein für die Kinder seiner Beamten, sondern für alle Kinder, in denen er demnächst tüchtige Bürger zu erhalten hofft, ist Pflicht des Staates; aber er hat diese Pflicht in anderer, in direkter und jeden Einzelfall treffender Form zu erfüllen, nicht als allgemeine Beigabe zum Beamtengehalt, die

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bald an einen kinderlosen, bald an einen unverheirateten, bald an einen mit Kindern überreich gesegneten Beamten gelangt. Er hat diese Erziehungsgelder überhaupt an jede Mutter auszuzahlen und nicht an den Vater, „weil er Beamter ist“. Die Frauenbewegung steht also auf dem Gebiet der Erwerbsfrage vor drei Aufgaben: Sie hat die Schranken niederzulegen, welche Vorurteil, Animosität der männlichen Berufsgenossen oder Gesetz der vollen Berufsfreiheit der Frau entgegenstellen; sie hat danach zu streben, dass alle vom Staat oder aus öffentlichen Mitteln unterhaltenen Bildungsgelegenheiten und -möglichkeiten den weiblichen Volksangehörigen im gleichen Umfang und unter den gleichen Bedingungen zur Verfügung gestellt werden wie den männlichen; sie hat dem Grundsatz Geltung zu verschaffen, dass männliche und weibliche Arbeit ganz gleich gewertet werde, dass überhaupt jede Berufsarbeit ohne Nebenrücksichten auf die sie leistende Person lediglich nach ihrem reellen Wert honoriert werde. Es ist glücklicherweise auch in den deutschen Ländern endlich ziemlich aufgeräumt mit dem Vorurteil, dass bestimmte Berufe ausschließlich männliches Dominium seien: Die Angehörigen eines jeden Berufes haben zwar, bevor die Erfahrung sie lehrte, wie sehr sie sich durch solches Diktum blamierten, mit allen Zeichen der Unfehlbarkeit behauptet, dass infolge, sei es physischer, sei es intellektueller, aber jedenfalls angeborener Inferiorität das weibliche Geschlecht zur Ausübung gerade des in Frage stehenden Berufes unfähig sei. Mit dieser Behauptung verlangten zuerst die Schneider Ausschluss der Frauen von der Betätigung im Näh- und Schneidergewerbe, es verlangten es nach ihnen die Buchdrucker, Kaufleute, Lehrer, Uhrmacher, Apotheker, Ärzte, Postbeamten etc., etc. Dass kürzlich sogar in dem schon durch das allgemeine Stimmrecht der Frauen ausgezeichneten Australien eine Gilde der Droschkenkutscher die Konzession zu ihrem Gewerbe den Frauen mit dem gleichen fadenscheinigen Argument wieder entreißen wollte, ist entschieden als Atavismus (s. Anm. S. 293) zu bezeichnen; denn in der neuen Welt sind die Schranken zur allgemeinen Berufsfreiheit noch entschiedener überwunden als in der alten. Wahrhaft kindlich muten uns doch angesichts der tausenden von erfolgreich praktizierenden, operierenden, disponierenden und Krankenhäuser leitenden Ärztinnen in allen Ländern der Welt die Urteile eines Waldeyer (s. Anm. S. 293), Fehling (s. Anm. S. 293), Albert (s. Anm. S. 293) an, die mit apodiktischer Sicherheit aufgrund physiologischer Befunde den Frauen die Fähigkeit zur Ausübung des ärztlichen Berufes abstritten, ganz zu schweigen von dem unglücklichen Professor Bischof (s. Anm. S. 293), der „nachweisbar“ aus dem x Prozent (notabene absolut, nicht relativ!!) geringeren Gehirngewicht der Frau ihre Unfähigkeit zu wissenschaftlichen Leistungen konstruierte, ahnungslos natürlich zu seinen Lebzeiten des fatalen Umstandes, der sich erst durch Sektion seines Schädels ergab, dass er selbst

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nur über ein erklecklich geringeres Gehirnquantum verfügte als jede Durchschnittsfrau. Die Frauenbewegung hat längst aufgehört, noch zu Felde zu ziehen gegen solch haltlose Behauptungen, die sie, bevor sie sie mit Tatsachenmaterial widerlegen konnte, allerdings mit Waffen der Vernunft und der Logik bekämpfen musste. Heute kann sie, ziemlich auf allen Gebieten siegreich, mit Beispielen vom goldenen Baum des Lebens alle grauen Theorien in die Flucht schlagen. Allerdings, von der Herrscherin begonnen, dürften – vielleicht mit alleiniger Ausnahme der militärischen Laufbahn und der höchsten Staatsämter, verantwortlicher Kanzler- und Ministerposten – alle Zweige menschlicher Berufstätigkeit von Frauen bereits ausgeübt sein. Wo in unseren Ländern diese Beispiele noch fehlen, da finden sie sich jenseits des Ozeans. Direktionen großer Bankinstitute, Leitung großer Aktienunternehmungen, Generalpostverwaltungen, Chefs von Schulaufsichtsbehörden, Rektorate von Universitäten, Vorsitz wissenschaftlicher Gesellschaften, Prediger- und Seelsorgeämter, Richter und Geschworene, nicht minder wie Anwälte an den höchsten Gerichtshöfen, Schuldirektionen, Gewerbe- und Sanitätsinspektion, kurz jedes staatliche und kommunale Vertrauensamt finden wir in den Händen von Frauen. Börsenmakler, Großindustrielle, Großgrundbesitzerinnen, Ärzte, Advokaten, Vertreterinnen jeder Kunst, jeder Fakultät, jedes Gewerbes, jeder Technik finden wir im weiblichen Geschlechte. Es ist ebenso töricht zu behaupten, dass irgendwelche unverrückbaren Schranken [den] einen oder den anderen Beruf den Frauen unweigerlich verschließen wie das Gegenteil von den Männern. Die individuelle Neigung und Befähigung ist bei beiden Geschlechtern gleich vielseitig und verschieden. So gut wie es Männer gibt, die mit Geschmack und Geschick Putzartikel anfertigen, die jedem Pariser Atelier Ehre machen, so gut könnte ein großes strategisches Genie bei einer Frau sich offenbaren. Töricht ist das menschliche Gemeinwesen, das Talenten irgendeiner Art den Weg zum Dienst des Gemeinwohls versperrt. Jedoch ist diese Torheit tatsächlich im Schwinden. Wir sehen tausende von Frauen auch in den Ländern ältester Schablone inmitten des Erwerbslebens stehen: Die Fabriken, die Handwerke, das Handelsfach, alle Comptoirs (s. Anm. S. 293) und Kanzleien, alle Schalter und Offizinen (s. Anm. S. 293) beherbergen weibliche Angestellte neben männlichen. Der weibliche Arzt, Architekt, Advokat ist keine Seltenheit mehr. Die landwirtschaftlichen Berufe sind in Angriff genommen. Chemie und Elektrotechnik, Mathematik und Lehramt desgleichen, selbst weibliche Schiffskapitäne, Matrosen, Lotsen und Steuerleute erlebt man. Dass mit allen diesen Aufzählungen nicht etwa nur die Zustände der transozeanischen Länder gekennzeichnet sind, erhellt aus einer Statistik der seit Gründung des Reichspatentamtes in Deutschland 1877 von Frauen erworbenen Patente. Es sind zwar nur 502 von 130.000,

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aber darunter sind 4 für Neuerungen im Schiffsbau und Schiffswesen, 7 auf dem Gebiete der Chemie, die von sämtlichen großen Firmen aufgekauft worden sind, 56 in der Gesundheitspflege, 54 in Handwerken, die übrigen in hauswirtschaftlichen Geräten. Wir haben zwar besonders in Bezug auf amtliche Anstellungen zunächst nur die niederen Posten erobern können, aber wir bewegen uns in aufsteigender Linie und werden bis zur höchsten Staffel – voller Gerechtigkeit – emporsteigen.

Bildungswesen und Studium der Frauen Ein heißer Kampf ist um die Bildungsfrage der Frauen entbrannt, denn so klar sie selbst von Anbeginn den mächtigen Bundesgenossen erkannten, der ihrem Streben nach Befreiung in der zunehmenden Bildung ihrer Geschlechtsgenossinnen erwachsen musste, so sicher erkannten die Hüter der alten Ordnung, zumeist Klerus (interkonfessioneller) und Regierungen, wie gefährdet der Staus quo der alten bequemen Zustände sein würde, wenn das Gros der Frauen mit dem vollen Rüstzeug geistiger Waffen in die Arena des Lebens träte. Die Regierungen glauben aber, die Aufgabe zu haben, die Erschütterungen zu gewaltsamen Änderungen vom Staatskörper fernzuhalten und unvermeidliche Neuerungen unter Anlegung wirksamer Hemmschuhe in den Blutlauf des sozialen Lebens einzuführen. Sie können allerdings ihre Aufgabe auch zu gewissenhaft erfüllen und Neuerungen und Fortschritte überhaupt nicht aufkommen lassen wollen; bei den alsdann entstehenden Reibungen zwischen Regierten und Regierenden pflegt aber die Volksgesundheit und -kraft sich zu stählen. Nun, ein Kampf, an dem die Frauenbewegung 1 stark geworden ist, ist der um die Bildung gewesen. In Österreich ist der Kampf nicht nötig gewesen, das Verlangen der Frauen nach Bildungsgelegenheiten fand allseitiges Wohlwollen und verhältnismäßig großes Entgegenkommen; vielleicht ist das der Grund, weshalb die österreichische Frauenbewegung bis in die Achtzigerjahre hinein sich ziemlich passiv verhalten hat. Es wurden ihr die Mittel zur Gründung und Fortführung einer Realschule für Mädchen bewilligt, die seit 1891 Lyzeum wurde. Lyzeen wurden auch in Graz 1873 und Prag 1876 gegründet. An den Wiener Kunstgewerbeschulen wurden weibliche Schüler mit voller Gleichberechtigung aufgenommen, besondere Fachschulen für Frauen wurden auf manchen Gebieten errichtet, andere wurden dem Besuche der Frauen freigegeben, ohne dass das Unterrichtsministerium dem Schwierigkeiten bereitete. Erst als in den Achtzigerjahren die Unterrichtsverwaltung zurückhaltender wurde, als sie die allgemeine Abteilung 1

Vergl. die Nummern 446 und 449 der Wochenschrift „Die Zeit“

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und den Zeichenlehrkurs der Kunstgewerbeschulen „wegen dauernder Überfüllung“ den „weiblichen Besuchern“ verschloss und der Gründung gymnasialer Mädchenschulen mit passiver Ablehnung gegenüberstand, erhob sich wieder eine stärkere Agitation unter den Frauen zu Gunsten gediegener Mädchenschulbildung und erlangte von der Regierung die Anordnung einer Enquete zur Feststellung der Normen für einen reformierten Mittelschullehrplan; zur Mitarbeit an dieser Enquete berief die Regierung auch Frauen. Die große Enttäuschung, welche das Resultat dieser Beratungen hervorrief, war nur zu berechtigt, denn das für Lyzeen und gymnasiale Anstalten berechnete Programm erwies sich als eine Wiederannäherung an das höhere Töchterschulprogramm und die ihm grundsätzlich beigegebene Klausel, „dass der gesamte Unterricht der Eigenart des weiblichen Geschlechtes angepasst werden solle“, war vollends das, was den Intentionen der Frauenbewegung geradeswegs zuwiderläuft, denn der Kampf um objektiven voraussetzungslosen Unterricht für Mädchen zur Vorbereitung auf die Hochschulen in derselben Weise, wie er für die Knaben am zweckdienlichsten erachtet wird, ist eine ihrer wichtigsten Aufgaben. 2 Im Deutschen Reiche stellte sich von Anfang an den Fortschritten im Mädchenschulwesen weit zäherer Widerstand der Regierung entgegen. Öffentliche Mittel wurden für Mädchenbildung so gut wie keine bewilligt, bis in die jetzige Zeit war das Verhältnis der ausgeworfenen Budgetsummen für männliche und weibliche Unterrichtszwecke = 97 ½ : 2 ½ , und diese 2 ½ Prozent sollten nicht den von der Frauenbewegung angestrebten gründlichen Lehranstalten dienen, sondern den höheren Töchterschulen und Elementarmädchenschulen nach dem verpönten Lehrprogramm der alten Schablone. In der Tat braucht man nur den Lehrplan für höhere Mädchenschulen des preußischen Kultusministeriums durchzusehen, um inne zu werden, mit welcher geflissentlichen Absicht den Mädchen Unzulänglichkeit, Untüchtigkeit und Oberflächlichkeit auf allen Gebieten der Verstandes- wie der Charakterbildung anerzogen werden soll. Man versteht dann auch den Kampf, der von der jungen deutschen Frauenrechtsbewegung gegen diese Lehrpläne und Mädchenbildungsprinzipien geführt wird mit verzweifelter Energie wie ein Kampf um die Existenz. Staat und Gemeinden waren nicht zu veranlassen, für Fachfortbildungsschulen von Mädchen entsprechende Mittel anzuwenden, die Frauenvereine bemühten sich demnach, aus eigener, geringer Kraft Bildungsstätten für die Töchter des Volkes zu gründen. In den Gebieten, wo ein so zahlreiches Zuströmen sich er2

Vorstehende Angaben über [die] österreichische Frauenbewegung sind zum Teile der „Geschichte der österreichischen Frauenbewegung“ von Marianne Hainisch im „Hausbuch der deutschen Frauenbewegung“ (s. Anm. S. 294) von Helene Lange und Gertrud Bäumer, Berlin 1901, entnommen.

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warten ließ, dass die Gründung von Fachschulen ein lukratives Unternehmen zu werden versprach, bemächtigte sich auch die Privatspekulation derselben, wie zum Beispiel im Handelsfach, wo zahlreiche Lehrkurse, meist sehr minderwertiger Art, eine Fachbildung zu geben gelobten, die nur sehr selten durch sie zu erwerben war. Auf solche Weise kamen zahlreiche Schulen zustande, die zwar unter allen Mängeln ihrer Entstehung und Unterlage litten: Unzulänglichkeit der pekuniären Grundlage, folglich Mangelhaftigkeit der Räume, der Lehrkräfte, der Lehrmittel; Unerfahrenheit und Dilettantismus der Leitung (meist ein Vereinsvorstand von weltfremden, sachunkundigen Damen); Abhängigkeit von jedem Zufall der Ereignisse, – die aber trotz ihrer Dürftigkeit Fortschritte gezeitigt und eingeleitet haben, auch wenn sie nur den Beweis geliefert hätten, dass auf dem angestrebten Gebiet mehr und Besseres geleistet werden müsse, als sie zu geben imstande waren, und wenn sie nur der Sache der Frauen, selbst in dieser kümmerlichen Gestalt, den Respekt erkämpft haben, der schließlich jeder Äußerung von Selbsthilfe zu folgen pflegt. Die erfolgreichsten solcher Gründungen wussten sich häufig kommunale Subventionen zu erringen, andere wurden ganz in städtische Verwaltung übernommen, zumeist Handelsschulen. Wieder andere haben sich zu eigener Kraft und Selbständigkeit emporgeschwungen, die mit guten Leistungen auch ihren dauernden Bestand sicherte. Den Beginn machten Handarbeits-, Näh-, Zuschneide-, Schneiderkurse, dann hauswissenschaftlicher Unterricht, Zeichnen, Buchführungs-, Handelskurse und allgemeiner Fortbildungsunterricht. Endlich wurden auch mehrere Obstund Gartenbauschulen gegründet sowie landwirtschaftliche Ausbildung oder wenigstens Anleitung in wirtschaftlicher Frauenarbeit auf dem Lande geboten. Von diesen privaten Gründungen, die zum Teil prosperieren, zum Teil nicht, zum Teil ihren Schülerinnen nützliches Können übermitteln, zum Teil sie durch ihren unzulänglichen Unterricht um Zeit und Lehrgeld betrügen, sind die Bildungsbestrebungen der neueren radikalen Frauenrechtsbewegung zu unterscheiden, die lediglich darauf ausgeht, den Staat und die Gemeinden von ihrer Pflicht zu überzeugen, die Bildung und Ausbildung der Mädchen in derselben Weise zu übernehmen wie die der Knaben, die auch alle minderwertigen Surrogate für gründliche und systematische Bildung zurückweist. Repräsentiert wird dieser radikale Flügel seit Ende der Achtzigerjahre durch den „Verein Frauenbildungsreform“ (s. Anm. S. 294), dessen Gründung die alten Frauenvereine, die zu Konzessionen geneigt geworden waren, mit einer gewissen Feindseligkeit begrüßten. Er gründete 1893 das erste sechsklassige Mädchenhumangymnasium in Karlsruhe (welches seit 1898 von der Stadt Karlsruhe übernommen worden ist) (s. Anm. S. 294). Innere Angelegenheiten (s. Anm. S. 294) führten zu einer Abzweigung des größeren Teiles des Vereines unter dem Namen „Frauenbildung-

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Frauenstudium“ (s. Anm. S. 294) und zu einer weiteren unter dem Namen „Verein für Frauenstudium“ (s. Anm. S. 294). Lokale Vereine zur Errichtung von Gymnasien entstanden in München und Köln. Alle diese Vereine stehen auf dem Boden der absoluten Verwerfung der bestehenden, vom Staate geregelten Mädchenschulbildung und Seminarlehrerinnenbildung als untauglich für jeden Zweck, sowohl für die Ausrüstung fürs Leben in der Familie wie als Unterlage einer Fachbildung für irgendeinen Beruf. Die Kultusministerien der meisten deutschen Staaten halten dagegen hartnäckig fest an der Schulpflichtigkeit der Mädchen bis zum vierzehnten Jahre, der in Schulen mit staatlich genehmigtem Lehrplane genügt werden soll. Die Ministerien verweigern die Genehmigung von Mädchenlehranstalten, die sich ihrem Programm nicht unterwerfen. Diesem bestehenden Zwange trugen die alten Vereine Rechnung; der „Allgemeine deutsche [Frauenverein]“ (s. Anm. S. 295) und die mit ihm verbündeten Frauenvereine gründeten zuerst zur allgemeinen Fortbildung Realkurse, dann Gymnasialkurse, die sich der schnellen Vorbereitung von erwachsenen Mädchen zur Maturitätsprüfung in drei bis vier Jahren unterzogen, aus dem durch die Töchterschule gegangenen Material machend, was daraus zu machen war. Derartige Kurse erfreuten sich der Billigung der Ministerien und entstanden in Berlin 1893, in Königsberg 1898, Leipzig 1894, Hamburg 1901. Die gleiche Konzession machte der anfangs radikale „Verein Frauenbildungsreform“, der in Hannover einen Gymnasialkursus für vierzehnjährige Mädchen errichtete. Die Gründungen des „Vereins FrauenbildungFrauenstudium“ richteten sich nach den lokalen Möglichkeiten. In Stuttgart hat er ein zweites auf sechs Jahre berechnetes Gymnasium eröffnen können, das sich auch staatlicher Subvention erfreut, in Frankfurt a[m] M[ain] hat er sich mit Gymnasialkursen begnügen müssen. In Königsberg und Berlin hat er unter der Form von Familienschulen, die nur eine ganz beschränkte Zahl von Schülerinnen aufnehmen dürfen, sechs- und siebenjährige Lehrpläne durchgedrückt. Auf dem ganz konzessionslosen Prinzipienstandpunkte verharrten die beiden Vereine in München und Köln und der „Verein für Frauenstudium“ in Berlin. Beide erstere halten die Mittel bereit für volle Humangymnasien, respektive Reform- und Realgymnasien, wollen aber von den Elementarklassen an den systematischen Aufbau ohne jedes vorangegangene Pfuschwerk der Töchterschule garantiert wissen; die Regierungen verweigern die Genehmigung hierzu und die gesinnungstüchtigen Vorstände gaben lange Zeit nicht nach. Jetzt hat Köln die Konzession zu einer sechsklassigen Schule angenommen, in welche die bisher schon in Privatzirkeln bis zum zwölften Jahre vorbereiteten Kinder überführt werden: Man hat also auch hier den Widerstand der Regierung umgangen. Eine ganz zielsichere „Reformschule mit humanistischen Oberklassen“ hat der radikale „Verein Frauenwohl“ in der Republik Hamburg seit 1901 gegründet

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(s. Anm. S. 295), zwar auch unter großem Missfallen der Behörden, die jedoch kraft der liberalen Gesetze keinen Einspruch erheben können. In dieser Reformschule werden Knaben und Mädchen aufgenommen, nach modernsten rationellen Methoden unterrichtet und das Hauptgewicht auf Erziehung des Charakters, des logischen Denkens und körperlicher Tüchtigkeit gelegt. Der schon erwähnte „Verein für Frauenstudium“, die radikalste Sezession vom „Verein Frauenbildungsreform“, lehnt grundsätzlich jeden Versuch zu eigenen und überhaupt privaten Gründungen ab und beschränkt sich rein auf Propaganda und Agitation. Insbesondere hat er jede Gelegenheit zu öffentlichen Protesten gegen die frauenbildungsfeindlichen Äußerungen der Regierungsorgane, gegen die bestehenden Mädchenbildungsanstalten wahrgenommen und ist mit seinem unerschütterlichen Prinzipienprogramm nicht ohne Einfluss auf die Klärung der Frage sowohl im Publikum wie bei den staatlichen und kommunalen Schulbehörden geblieben. Auch die gemäßigten Vereine haben sich zu einer Hinneigung nach der radikalen Seite, besonders zu einem gründlicheren Ausbau ihrer Gymnasialkurse, veranlasst gesehen. Schulter an Schulter mit dem „Verein für Frauenstudium“ kämpfen der „Verein Frauenwohl, Berlin“ (s. Anm. S. 295) und der „Verband Fortschrittlicher Frauenvereine“ (s. Anm. S. 295), welchem letzteren die beiden anderen angeschlossen sind, um eine Erweiterung und Vertiefung der Mädchenbildung zu erwirken, und zwar ebenfalls nicht im Wege der eigenen Gründungen, sondern als vom Staat und der Gemeinde zu beanspruchendes unverbrüchliches Recht. Sie stehen auf dem Standpunkt, die öffentliche Einheitsschule von der Elementarklasse bis zur Universität mit allen Verzweigungen und Abstufungen in Volksschule, Realschule, Gymnasialklassen, Handels-, Gewerbe-, Fortbildungsschulen, Lehrerinnenseminar und sonstige Fachschulen zu verlangen, sie vertreten auch den Anspruch auf Koedukation, der gemeinsamen Schule für Knaben und Mädchen, ergänzt durch wechselnden Unterricht von Lehrern und Lehrerinnen. Anfänge von Erfolgen dieses Strebens sind bereits zu verzeichnen: Baden hat prinzipiell, Württemberg von Fall zu Fall Zulassung von Mädchen zu Knabenschulen eingeführt. Städtische Realgymnasien und -schulen sind errichtet in Mannheim, ferner in Charlottenburg und Schöneberg, den zwei Nachbarstädten von Berlin. Städtische Gymnasialkurse bestehen in Breslau in Ermangelung der Konzession zu einem Vollgymnasium. Städtische Handelsschulen sind in vielen Orten errichtet worden, auch der Forderung der genannten und anderer Frauenvereine auf Ausdehnung des Fortbildungsschulzwanges gibt manche städtische Gemeinde, besonders hinsichtlich der kaufmännischen Angestellten, nach. Auch hier wird gemeinsamer Unterricht für junge Männer und Frauen angestrebt.

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Die Hochschulfrage wurde in Deutschland eher gelöst als in Österreich, wo erst in allerletzter Zeit nennenswerte Fortschritte zu verzeichnen sind. Seit 1897 ist das philosophische Studium zugänglich, dann kam die Eigentümlichkeit, dass österreichische Frauen nach Erwerb eines ärztlichen Diploms im Auslande zur Nostrifikation im Inlande, jedoch vor der Hand noch nicht zum Studium im Inlande zugelassen wurden; die Freigabe der medizinischen Fakultät erfolgte 1900, desgleichen zur Pharmazie. Theologie und Jurisprudenz sind den Frauen in Österreich noch verschlossen, trotzdem von Seite[n] der juristischen Professoren der Wiener Universität ein Gutachten zu Gunsten der Zulassung der Frauen zu juristischen Studien und Ämtern veröffentlicht worden ist. In Österreich praktizieren bereits mehrere Ärztinnen und die Promotionen weiblicher Doktoren der Chemie, Philologie etc. mehren sich von Monat zu Monat. Was Deutschland betrifft, so ist lediglich das Recht auf Immatrikulation von den Frauen noch nicht erkämpft (s. Anm. S. 295), außer an der Universität Straßburg und im Großherzogtum Baden, dem liberalsten deutschen Lande; dort bestehen schlechterdings keine Unterschiede mehr zu Ungunsten der Frauen. In den übrigen Staaten mehren sich die Zeichen, dass die Erteilung des akademischen Bürgerrechtes nach Erfüllung der gesetzlichen Voraussetzungen nur noch eine Frage der Zeit sein kann. Hinsichtlich der Wahl von Fakultäten bestand von Anfang an volle Freiheit, die Zustimmung der Dozenten war jedoch zur Teilnahme an jedem Kolleg erforderlich. Im ersten Semester 1895, als Frauen zugelassen wurden, waren in Berlin bereits alle vier Fakultäten von insgesamt 40 Frauen besucht, im Wintersemester 1901/1902 studierten in Berlin gegen 700 Frauen, an allen deutschen Universitäten mehr als 1.200. Die Frauen selbst kämpfen um strenge Handhabung der Zulassungsbedingungen, das heißt um Zulassung nur aufgrund des Nachweises vorschriftsmäßiger Vorbildung, um einesteils das Niveau des Frauenstudiums im eigensten Interesse auf einwandfreier Höhe zu erhalten, andererseits um an die Erfüllung aller Vorbedingungen den Anspruch auf deren gesetzliche Folgen, das ist Immatrikulation und Zulassung zu allen Staatsprüfungen, zu erlangen. Gesetzlich freigegeben sind ihnen laut Bundesratsbeschlusses für ganz Deutschland die medizinischen Staatsprüfungen, das heißt die ärztlichen, zahnärztlichen und pharmazeutischen. Das Königreich Sachsen lässt Frauen zur staatlichen Oberlehrerprüfung zu, während in Deutschland ein besonderes Staatsexamen für Oberlehrerinnen eingeführt ist, welches aber vorausgegangene Seminarbildung bedingt. Prekär ist das Frauenstudium lediglich noch in Bezug auf die einzuholende Bewilligung der Dozenten, aber begreiflicherweise werden derer, welche sie verweigern, immer weniger; sie empfinden wohl selbst den Konflikt, in dem sie sich mit dem Zuge der Zeit befinden.

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Die ersten studierenden deutschen Frauen waren gezwungen, sich nach ausländischen Hochschulen zu begeben (s. Anm. S. 295), es praktizieren jedoch schon seit 1876 Ärztinnen in Berlin (s. Anm. S. 295). Das wichtige Stück Frauenbewegung, welches in der Bildungsfrage enthalten ist, kann mit gutem Recht als gelöst betrachtet werden. Zwar taucht noch immer von Zeit zu Zeit das Gespenst besonderer Frauen-Universitäten auf, jedoch ist die Gründung auch nur einer solchen mit so außerordentlichen einmaligen und dauernden Ausgaben verknüpft, dass man getrost die Zuversicht hegen darf, der Staat werde solches Opfer seinen Töchtern nicht bringen. Die Frauenrechtsbewegung hält fest an dem Prinzip gemeinsamer Bildungsstätten von der Elementar- bis zur Hochschule; erstens, um absolute Sicherheit zu haben, dass den beiden Geschlechtern dauernd gleichwertige Bildung geboten, dass nicht das Niveau der weiblichen Lehranstalten aus irgendeinem Grunde herabgedrückt werde; zweitens, weil praktische Rücksichten es wünschenswert erscheinen lassen. Zum Beispiel können in kleinen Städten mit 2 × X Mitteln nur zwei mittelmäßige Anstalten je mit schwacher Schülerzahl unterhalten werden, mit 1½ × X [Mitteln] dagegen eine gediegene und dabei wohlgefüllte Schule; drittens, weil die vorzüglichsten Wirkungen auf beide Geschlechter erfahrungsgemäß das gemeinsame Streben nach Bildung und Wissen begleiten. Die Anbahnung gesunder Beziehungen zwischen beiden Geschlechtern ist als Folge gemeinsamen Unterrichts notorisch konstatiert.

Arbeiterinnenfrage Von allem Anfang hatte die erwachende Frauenbewegung 1 den Grundsatz aufgestellt, dass für die Arbeiterin, das heißt die gegen Stück- oder Taglohn körperliche Arbeit verrichtende Frau, bessere Arbeitsbedingungen geschaffen werden müssen. Luise Otto-Peters (s. Anm. S. 296) war wiederholt für eine Besserung der Lage der Spitzenklöpplerinnen im Erzgebirge aufgetreten, sie hatte in der „Adresse eines Mädchens“ (s. Anm. S. 296) schon 1849 eine vom sächsischen Ministerium eingesetzte Kommission für die Arbeiterfrage energisch darauf verwiesen, dass durchaus auch die Lage der Arbeiterinnen Berücksichtigung verlange. Sie wandte auch bis gegen Ende der Sechzigerjahre ihre Aufmerksamkeit vielfach der Arbeiterinnenklasse zu. 1869 gründete sie den ersten Arbeiterinnenverein in Berlin, der jedoch bald wieder auseinanderfiel. Die bürgerliche Frauenbewegung verfocht nach jener Zeit mehr die Interessen des Mittelstandes als diejenigen der Frauen des Proletariats, umso mehr als sie es nicht verstanden 1

Vgl. die Nummern 446, 449 und 454 der Wochenschrift „Die Zeit“

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hatte, den letzteren gegenüber den Vertrauen erweckenden Ton echten Solidaritätsgefühls, sondern vielmehr einen gewissen patronisierenden Ton anzuschlagen, der die Frauen jener Klasse verletzte und misstrauisch machte. In den Achtzigerjahren konstituierte sich aus eigener Kraft heraus ein „Verein zur Vertretung der Interessen der Arbeiterinnen“ in Berlin, der die Gründung von Anschlussvereinen nach sich zog, 1886 wurden diese jedoch sämtlich polizeilich aufgelöst. Es ist überhaupt zu berichten, dass allen Versuchen der Arbeiterinnen, sich zu organisieren und von dem nach § 152 der Reichsgewerbeordnung ihnen gewährleisteten Recht (s. Anm. S. 296), durch Zusammenschluss in Vereinen ihre Lohn- und Arbeitsbedingungen zu verbessern, Gebrauch zu machen, in Deutschland durch schikanöse und meist vollkommen gesetzwidrige Anwendung von Polizeiwillkür alle möglichen Hindernisse bereitet werden, selbst da, wo die offenbar gefürchtete Verbindung dieser Vereine mit der Sozialdemokratie nachweisbar nicht besteht. Die Lage der Arbeiterinnen durch Organisation und solidarisches Auftreten zu verbessern, findet ungeheuere Hindernisse sowohl in den inneren Schwierigkeiten dieser Aufgabe wie in den äußeren Feindseligkeiten, die ihnen bei ihrem Streben von Seite[n] der Staatsgewalt und von Seite[n] ihrer männlichen Kollegen respektive Konkurrenten bereitet werden. Die Notlage, in der die Arbeiterinnen sich befinden, ist jedoch so groß und offensichtlich, dass die verschiedensten Faktoren neuerdings ernstlich bemüht sind, ihnen stützend und helfend an die Hand zu gehen. Vor allem gilt es, den Agitationsstoff in ihre eigenen Reihen hineinzutragen und zu entfachen, der notwendig die meiste und die sicherste Arbeit verrichten muss, damit nicht nur ihre äußere Lage nach Maßgabe der augenblicklichen Konjunktur gebessert werde, sondern um ihnen das persönliche Kraft- und Standesgefühl einzuflößen, das sie befähigen wird, sich dauernd im Strome der Zeiten und der wirtschaftlichen Veränderungen auf der Höhe zu behaupten. Die inneren Schwierigkeiten bei der Organisation der Arbeiterinnen zu zielund selbstbewussten Berufsvereinen liegen nicht allein in ihrer äußerst gedrückten wirtschaftlichen Lage, die ihre Arbeitskraft einer Anspannung bis aufs Äußerste aussetzt – bis zu einer Arbeitszeit von 14, 16, ja 18 Stunden – und folglich eine Energie- und Interesselosigkeit für alles Sonstige bedingt, sondern auch in ihrer als Frau von vornherein benachteiligteren Stellung. Es fehlt ihnen an Kenntnis der Dinge und Zustände, sie haben keine Ahnung von Gesetzen und Gesetzeshilfe, sie erfahren nicht den Wert und Nutzen solidaren Auftretens durch das Beispiel anderer. Sie sind daran gewöhnt, zurückgestellt und in letzter Linie berücksichtigt zu werden, gewöhnt zu bekommen, was die Männer ihnen übrig lassen, man hat sie von Jugend auf gelehrt, ihre Ansprüche zurückzuschrauben und Bedürfnislosigkeit, Schattenexistenz ist für sie in noch weit hö-

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herem Grade als für die Männer ihres Standes zur zweiten Natur geworden. Derartigem Material ist unendlich schwer Rückgrat, Standesbewusstsein und gemeinsames Durchkämpfen einer Krisis anzuerziehen, da es stets darauf angewiesen war, seine Existenz auf Benützung des Nachteiles des Nächsten zu bauen, das heißt, den Platz zu erstreben, aus dem ein anderer entlassen wurde, für den Lohn zu arbeiten, für welchen andere nicht zu haben waren. Die Feindseligkeit der männlichen Arbeiter basiert darauf, dass sie zunächst in ihrem kurzsichtigen Egoismus und bei dem Mangel an Bildung nicht einsehen wollten, dass die Frauen ihres Standes, da sie nun einmal vorhanden sind, auch das Recht haben, sich durch Verwertung ihrer Arbeitskraft den Unterhalt zu verschaffen, den die Männer des Proletariats ihren Frauen und Töchtern ebensowenig zu verschaffen im Stande sind wie die Männer des Mittelstandes den ihrigen. Bei dem Mangel an Überblick über die Verhältnisse war ihnen diese Engherzigkeit eher zu verzeihen als den Männern der höher und höchst gebildeten Kreise, welche sie im gleichen, wenn nicht höheren Maße bewiesen und zu beweisen fortfahren. Erfahrung und Belehrung mussten hier Wandel schaffen, haben es ja auch zu einem Teile, wenn auch längst nicht ausreichend, getan. Was aber von Anfang an, und zwar bis auf den heutigen Tag fortwirkend, als unverzeihliche und schädliche Feindseligkeit der Männer bezeichnet werden muss, ist die Ablehnung, die sie der Aufnahme von Frauen in ihre Berufsgenossenschaften entgegensetzten. Aus dem dummen Dünkel einer männlichen Überlegenheit entspringend, hat dieser Ausschluss der Frauen das Unterbieten der Löhne durch sie bis aufs Äußerste, ja unter das Mögliche hinab, verursacht, das seinen schädigenden Rückschlag auch auf alle Lohnverhältnisse der Männer ausüben musste und ausgeübt hat. Die männlichen Arbeiter empfanden natürlich die Wirkung, kamen aber nicht zu der Erkenntnis, dass ihr eigenes unzweckmäßiges Verhalten die Ursache darbot, sondern steigerten vielmehr ihren Hass gegen die lohndrückende Konkurrenz der Frauenarbeit. Erst in neuester Zeit geben die männlichen Arbeiterorganisationen der Einsicht Raum, dass auch die weibliche Arbeit organisiert werden muss und dass dieses nicht nur im Interesse der Frauen, sondern ebenso sehr in demjenigen der Männer liegt. Mit voller Überzeugung haben die radikale bürgerliche Frauenbewegung, deren Existenz in Deutschland etwa seit den Neunzigerjahren des vorigen Jahrhunderts datiert, und die österreichische Frauenbewegung stets diesen Standpunkt vertreten und verfochten. Mit Energie agitieren in diesem Sinne auch die früher sozialdemokratischen, nunmehr freien Gewerkschaften. Erst andeutungsweise findet er Ausdruck bei den „Hirsch-Dunckerschen Gewerkvereinen“ (s. Anm. S. 296) und den konfessionellen Gewerkschaften, noch weniger in der christlich-sozialen und evangelisch-sozialen Bewegung, die ebenfalls sich um die

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Hebung des Arbeiterinnenstandes lebhaft bemühen, jedoch mehr in Frauengewerkvereinen und Hilfsvereinen als durch Agitation für die gemeinsame Organisation von Arbeitern und Arbeiterinnen wirken. Endlich äußert sich die Feindseligkeit der Regierungsgewalt darin, dass man den Frauen der arbeitenden Klassen weit rigoroser mit Polizeiverboten von Versammlungen, Auflösung von Vereinen, Verbot der Gründung von Assoziationen begegnet als den Männern und den Frauen anderer Bevölkerungsklassen. Und da die gerichtliche Hilfe gegen solche Vergewaltigungen der gesetzlichen Bestimmungen meist nicht bei den ordentlichen Gerichten, sondern innerhalb der gleichen Verwaltungskompetenz angerufen werden muss, der sie in erster Instanz entfließen, so liegt es auf der Hand, dass jedes Mal das Verhalten des angeklagten Polizeibeamten für vorschriftsmäßig erklärt, die Klagepartei unter Verurteilung in die Kosten zur Ruhe verwiesen wird. Man sieht bei den Regierungen die Emanzipierung der Lohnarbeiter von ihrer wirtschaftlichen Abhängigkeit bekanntlich höchst missliebig an, was man aber vollends nicht zu dulden beabsichtigt, sind die Bestrebungen lohnarbeitender Frauen in dieser Richtung. Eine andere Seite der Arbeiterinnenfrage ist im gesetzlichen Arbeiterschutz umschlossen, und zwar eine, welche selbst innerhalb der Frauen- und innerhalb der Arbeiterinnenbewegung noch prinzipielle Meinungsverschiedenheiten aufweist. Die Tendenz der Gesetzgebung der modernen Zeit geht dahin, die Kräfte der Arbeiter gegen Überausbeutung, zum Mindesten gegen Überanstrengung, zu schützen. Es sind daher Bestimmungen über Arbeitsdauer, Arbeitsbedingungen, sanitäre Schutzmaßregeln, Wöchnerinnenschutz und vieles mehr geschaffen worden und durch die Fabrikinspektion unter dauernde Kontrolle genommen. Mit Rücksicht auf die zartere physische Konstitution der Frauen, auf ihre Mutterpflichten, auf die Sittlichkeit und, wenn man dieses Moment auch am meisten in den Hintergrund drängen möchte, nicht zum Mindesten auf die Hausfrauenpflichten, hat man innerhalb der allgemeinen Arbeitsschutzgesetze noch besondere Arbeiterinnenschutzgesetze aufgestellt, die meist eine noch kürzere Arbeitszeit als wie für Männer, das gänzliche Verbot der Nachtarbeit, der Arbeit in Bergwerken und in manchen besonders gesundheitsschädlichen Betrieben enthalten. Dass dieser ausgedehntere und zum Teil in das persönliche Bestimmungsrecht stark eingreifende Arbeiterinnenschutz eine zweischneidige Maßregel ist und zugleich die Arbeitsmöglichkeit zum Teil gerade in den wenigst anstrengenden und best gelohnten Fächern wie zum Beispiel im Buchdruck (bei Zeitungssetzern für die Morgenblätter) einschränkt oder ausschließt, ist erwiesen. Selbst der Wöchnerinnenschutz, das ist das vier- bis sechswöchentliche Arbeitsverbot nach, eventuell auch vor der Entbindung, kann als bedingungslose Wohl-

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tat für die Mutter nur angesehen werden, wenn aus irgendeiner Anstalt die Subsistenzmittel (s. Anm. S. 296) für jede unbemittelte Frau gereicht werden, sonst bedeutet er doch nur die Überlieferung aus einer sicheren und leidlichen Arbeits-, respektive Existenzgelegenheit an eine gänzlich ungesicherte und meist verschlechterte. – Bei der Rücksicht auf die Sittlichkeit werden ohne weiteres die Frauen zur Tragung der Kosten dieses Zweckes verurteilt. Die männlichen Arbeiter mit Rücksicht auf die Sittlichkeit aus Bergwerken und von der Nachtarbeit auszuschließen, darauf kommt kein Mensch. Dass dem Zwecke und der Gerechtigkeit Genüge geschähe durch eine Bestimmung, der zufolge die Beschäftigung nur eines Geschlechtes unter Umständen statthaft ist, die als Anreiz zur Unsittlichkeit wirken können, daran ist augenscheinlich noch nie gedacht worden. Auch die Verteidigung der kurzen Arbeitszeit für die Frau, die natürlich mit geringerer Bezahlung identisch ist, durch das Argument, dass alsbald solcher Verkürzung der Frauenarbeit die Verkürzung der Männerarbeit nachfolge und auf diese Weise der Weg zum Achtstundentag sicher angebahnt werde, ist nichts weiter als ein Argument des nackten Egoismus. Direkt, insofern als der wirtschaftliche Schaden der Frau die Staffeln bauen muss, auf denen der wirtschaftliche Vorteil des Mannes emporsteigt; indirekt, indem die verkürzten Arbeitszeiten der Frau, die in verlängerter Mittagspause und in Freistunden an den Vorfesttagen bestehen, doch nur die Fortdauer der häuslichen Arbeit der Frau im Nebenberuf zu Gunsten des Mannes gewährleisten sollen. Denn die Annahme, dass die so ausgeschalteten Arbeitsstunden als Ruhezeit für die Frau gelten können, in denen sie mit gefalteten Händen dasitzt, ist eine so blutige Ironie auf die tatsächlichen Zustände, dass sie bei keinem Kenner derselben vorausgesetzt werden kann. Im Gegenteil, je weniger Stunden in der Fabrik gearbeitet werden, je mehr wird in der Heimarbeit bewältigt, möge diese Heimarbeit nun im Dienste des Arbeitgebers oder des Ehemannes geschehen. Aus diesen Gründen erklärt es sich, dass keine unbedingte Zustimmung zu vielen dieser problematischen Schutzvorschriften für die Frauenarbeit besteht und dass besonders die stete Vermehrung und Detaillierung solcher Vorschriften mit Misstrauen begleitet wird. In Frankreich, Holland, Skandinavien und England bestehen nicht unbedeutende Oppositionsgruppen gegen den übermäßigen Arbeiterinnenschutz, die deutsche, schweizerische und österreichische Frauenbewegung steht ziemlich einheitlich auf dem Boden der Schutzgesetzgebung; individuelle Abweichungen sind natürlich vorhanden. Großes Interesse wird in letzter Zeit dem schwierigsten Zweige der Arbeiterinnenorganisation, demjenigen der Heimarbeiterinnen, zugewandt. Österreich hat auf diesem Gebiete schon seit 1893 bemerkenswerte Erfolgte zu verzeich-

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nen; es bestehen in Wien bereits drei Vereine zu solchem Zwecke, die alle lebensfähig zu sein scheinen. In Deutschland hat besonders die kirchliche Frauenbewegung sich dieser Aufgabe gewidmet, aus diesem Umstand ergibt sich, dass die dort erreichten Resultate nicht auf voller Selbsthilfe beruhen, dass vielmehr dargebotene Vorteile und Nebenrücksichten den Zulauf zur Organisation wesentlich beeinflussen. Dieselbe kann demzufolge zwar nicht über denjenigen Grad innerer Kraft gebieten wie ein reiner Berufsverein, dennoch macht auch diese Gründung zusehends Fortschritte und wirkt entschieden segenbringend. In Österreich haben die Arbeiterinnen bereits das Wahlrecht zum Gewerbegericht. In Deutschland besitzen sie es nach dem Wortlaut des Gesetzes auch, die allgemeine Annahme geht aber dahin, dass sie es nicht besitzen, und es wird bisher von keiner Seite der Versuch gemacht, es auszuüben, so dass auch die Frage, ob es in Anspruch zu nehmen ist, ob nicht, bisher noch nicht zu der so interessanten prinzipiellen gerichtlichen Entscheidung gebracht worden ist. Nicht einmal die ihnen unbestritten zustehenden Wahlrechte für die Selbstverwaltung der Krankenversicherungskassen üben die Arbeiterinnen in nennenswertem Maße aus. Eine wichtige Ergänzung des Arbeiterschutzes ist, wie schon oben erwähnt, die Kontrolle desselben durch die Gewerbe- oder Fabrikinspektion, und für die Arbeiterinnenfrage war die Forderung weiblicher Inspektionsbeamten von großer Bedeutung. Dieselbe ist jetzt in der Mehrzahl der deutschen Länder erfüllt und diejenigen, die noch zurückstehen, folgen den übrigen von Jahr zu Jahr schneller. Allerdings sind die betreffenden Beamtinnen noch nicht mit dem Titel „Inspektorin“ begabt, sie heißen vorläufig noch Gewerbeinspektionsassistentinnen, aber ihre Kompetenzen sind ziemlich weitgehende, nur [ist] leider ihre Zahl noch so gering – zum Beispiel in Preußen sind nur vier Assistentinnen, in Bayern nur zwei – , so dass sie unter großer Arbeitsüberlastung leiden und mit Rücksicht auf die viele von ihnen geforderte bürokratische Berichtsarbeit ihre eigentliche Aufgabe, die praktischen Revisionsreisen, viel zu sehr einschränken müssen. Jedoch war auch in dieser Frage das Schwerste das Durchsetzen des Prinzips der weiblichen Inspektion; nachdem dieses gesichert ist, wird die Personalvermehrung bis zum angemessenen Umfange nur eine Frage der Zeit und der nachdrücklichen Äußerung des Bedürfnisses sein.

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Der Hausfrauen-Beruf Gelegentlich einer Betrachtung über die Frauenkongresse dieses Herbstes erhob ein schlesisches Blatt, die „Reichenbacher Nachrichten“ (s. Anm. S. 297), der Frauenbewegung gegenüber den Vorwurf, dass sie den Beruf der Hausfrau geringschätzig behandle und nur für die mit Gelderwerb verbundenen, sogenannten männlichen Berufe Interesse und Achtung zeige. Der Artikel wird der Würdigung der Tätigkeit der Hausfrau so gerecht wie das selten und am wenigsten von männlicher Seite – die hier offenbar sich äußert – der Fall zu sein pflegt. Er verweist auf die aufreibende Mühsal dieser nie endenden und tödlich gleichförmigen Pflichten, die den Geist zur steten Beschäftigung mit kleinen und kleinsten Dingen zwingt, ohne bei der Umgebung, die das Dargebotene als etwas Selbstverständliches und mit Notwendigkeit zu Beanspruchendes entgegen nimmt, die rechte Anerkennung zu finden, und ohne der Hausfrau selbst die innere Befriedigung an ihrem Schaffen geben zu können, die jede andere mit so viel persönlicher Hingabe geleistete Berufstätigkeit gewährt. Der Artikel verweist auch auf die sozialpolitische Wichtigkeit des Hausfrauen-Berufes, der im Durchschnitt 26 bis 30 v[on] H[undert] des gesamten Einkommens, bei den ärmeren Klassen aber bis zu 60 und 70 v[on] H[undert] des Einkommens durch die Hände der Frau leitet und durch sie in wirtschaftlichen Konsum umsetzt. Der Artikel schließt mit den Worten: „Die Hausfrauen üben also in der Tat einen Beruf im vollsten und wahrsten Sinne des Wortes aus. Das sei vor allem den sogenannten Frauenrechtlern und Frauenrechtlerinnen gesagt, die nur männliche Berufstätigkeit als Berufstätigkeit überhaupt anzuerkennen geneigt sind. Dieser irrigen Auffassung muss mit aller Schärfe entgegen getreten werden.“ Den hier erhobenen Vorwurf darf diejenige Richtung der Frauenbewegung, von der man es wahrscheinlich am wenigsten erwartet, nämlich der radikale Flügel, mit gutem Recht zurückweisen, denn er hat es sich bei vielen Gelegenheiten angelegen sein lassen, dem schweren Beruf der Hausfrau gerechte Würdigung zu verschaffen. Die Frauenrechtlerinnen, die für sich selbst und für alle Frauen „männliche“ Berufe beanspruchen, tun dieses ja plausiblerweise aus der Erwägung heraus, dass diese Berufe bequemer, müheloser und befriedigender und obendrein noch lohnender und besser geachtet sind als die in hauswirtschaftlicher Tätigkeit beruhenden. Es wäre also im höchsten Grade unlogisch, wenn sie, die über beide Berufsgruppen sachverständig zu urteilen imstande sind, die unsäglichen Mühen und Sorgen unterschätzen wollten, denen die Hausfrau nur zu häufig die eigene innere Existenz geradezu opfert. Auch vom häuslichen Herde kann man mit Fug sagen: „Opfer fallen hier – nicht von Schaf und Stier – aber Menschenopfer unerhört.“ (s. Anm. S. 297)

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Die radikalsten Frauenrechtlerinnen lassen denn auch kaum eine Gelegenheit vorüber gehen, ohne besonders den Frauen und Männern aus dem Volk einen Begriff vom Werte der Hausfrauentätigkeit beizubringen, die in diesen Kreisen am allermeisten unterschätzt wird, und es ist äußerst interessant zu beobachten, welche geradezu revolutionierende Wirkung und welche Polemik zwischen beiden Geschlechtern der Appell auf eine richtige Würdigung der Haushaltsführung in einem Saal voll Männer und Frauen hervorbringt, die mit beträchtlichem Gleichmut den Mangel an Bildungsgelegenheiten, an Berufsmöglichkeiten, an sozialen Rechten des weiblichen Geschlechtes darlegen hörten. Aber nicht nur die einzelne Frau zu einer gesunden Selbsteinschätzung ihrer wirtschaftlichen Leistungen zu führen, der Arbeiterin, die mit dem Manne in der Fabrik und außerdem für ihn und die Kinder im Hauswesen schafft, klarzumachen, eine wie große Mehrleistung auf ihrem Konto steht, für die sie Anerkennung und Achtung beanspruchen darf, der Beamtenfrau die Augen darüber zu öffnen, wie wesentlich sie zum Unterhalt der Familie beiträgt, indem sie bei dem knappen Gehalt des Mannes, das ihr lediglich den Ankauf von Rohstoffen und Halbfabrikaten ermöglicht, diese durch ihre häusliche Arbeit zu Gebrauchsartikeln von 100 und 150 v[on] H[undert] höherem Kaufwerte macht, und dass sie mit der Erziehung der Kinder, mit der Befestigung der ersten sittlichen Eindrücke in deren Gemütern eine kulturelle Leistung von wichtigster nationaler Bedeutung vollführt – nicht nur diese Detailarbeit rechnet die Frauenbewegung zu ihren Aufgaben, sondern der „Verband Fortschrittlicher Frauenvereine“ suchte auch die amtliche Schatzung des Hausfrauen-Berufes in gerechtere Bahnen zu lenken als bisher üblich war. Schon im Mai 1900 wies ein Artikel der „Frauenbewegung“ (s. Anm. S. 297) über die Berufsstatistik nach den Veröffentlichungen des Kaiserl[ichen] Statistischen Amts über die Volkszählung von 1895 auf die ungenaue Würdigung der Hausfrauentätigkeit mit Bezug auf die Volkswirtschaft hin. Im Anschluss an diesen Artikel richtete der „Verband Fortschrittlicher Frauenvereine“ an das Kaiserl[iche] Statistische Amt ein Memorandum (s. Anm. S. 297) mit dem Antrage, es „wolle bei der nächsten Volkszählung eine Gruppierung stattfinden lassen, durch welche die Tätigkeit der Ehefrau in der Hauswirtschaft diejenige Bewertung findet, die ihr in Ausübung einer der volkswirtschaftlich wichtigsten Berufsarten in der Berufsstatistik zukommt“. Des weiteren wurde in dem Memorandum dagegen protestiert, dass die Hausfrau in der Berufsstatistik unter die „Versorgten“ rubriziert wird, während sie, wie eingehend nachgewiesen wurde, zu den „Versorgern“ gehört, was sich aus den eigenen Definitionen der Berufsstatistik ergibt. Das Kaiserl[iche] Statistische Amt definiert nämlich als Versorger diejenigen, „deren Erwerbstätigkeit sich mit nutzbringenden Erzeugnissen in die wirtschaftliche Produktion einfügt, sei es, dass sie in Gestalt materieller Güter oder in Form von Dienstleistungen

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im weitesten Sinne in die Erscheinung treten“, als Versorgte hingegen die, „deren Mittel zum Unterhalt durch die übrige Bevölkerung beschafft und die von dieser ernährt und erhalten werden“. Es liegt klar zutage, dass von diesen beiden Umschreibungen nur die erste auf die Hausfrauentätigkeit zutrifft und dass der „Verband Fortschrittlicher Frauenvereine" ein Recht hatte, für die letztere die entsprechende Rubrizierung in Anspruch zu nehmen. Die Frauenbewegung, welche Eingaben wie das erwähnte Memorandum und Bücher wie das von Mrs. Perkins-Stetson (s. Anm. S. 297) „Women and Economics“ schafft, verdient gewiss nicht den Vorwurf, die Hausfrauentätigkeit gering einzuschätzen. Ihre Bestrebungen, für deren bessere Bewertung sind aber bisher gescheitert am Widerstande der Reichsbehörde und an der Überlieferung der allgemeinen Meinung, welche in jedem einzelnen Falle an die Hausfrauentätigkeit die denkbar höchsten Ansprüche stellt und ihr mit der denkbar geringsten Erkenntlichkeit zu lohnen pflegt.

Die Frau in der Advokatenrobe Wie so manche dem öffentlichen Dienst geweihten Gebäude zeichnet sich auch der Justizpalast in Paris (s. Anm. S. 298) vor dem, was wir ihm in Berlin zum Vergleich stellen können, durch Großräumigkeit, imposante Würde und vor allem durch Rücksichtnahme auf das Bedürfnis des Publikums aus, das ja in der Republik freilich den Souverän verkörpert. Betrachten wir die engen, lichtlosen Gänge unseres Hauptgerichtsgebäudes in Moabit (s. Anm. S. 298), dessen schmutzige, verwahrloste Wände und Böden, die armseligen Armesünderbänklein in den Korridoren, auf denen Parteien, Zeugen und Zuhörer sich drängen, so dass die Anwälte mit offenbarem Widerwillen gegen diese würdelose Umgebung so flüchtig wie möglich hindurcheilen und die häufig noch so nötige wichtige Zwiesprache mit ihren Klienten auf das knappste Maß beschränken, weil kein Wort gewechselt werden kann, ohne das Ohr Dritter zu erreichen. Und schreiten wir die breite Marmortreppe des Palais de la Justice hinauf, passieren wir die hohe, säulengetragene Vorhalle und gelangen in die prächtige Salle des Pas Perdus, die Wartehalle des Palastes, wo die zahlreichen Gruppen konferierender Advokaten und Parteien sich geradezu verlieren auf der weiten Marmorfläche der Halle, in den Winkeln und Nischen. Wir werden nicht lange zweifeln, wo der Würde der Justiz die angemessenere Stätte bereitet ist, und werden mit einem Seufzer wünschen, dass doch auch unserem Volke so königliche Räume zur Verfügung gestellt wären; es würde auch lernen, sich königlicher in ihnen zu bewegen. – Aber noch ein anderes wünsche ich ihm von Paris nach Berlin importieren zu können, nämlich die Frauengestal-

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ten, die sich in Robe und Barett, ebenfalls umringt von Klienten, in der Salle des Pas Perdus bewegen oder den Verhandlungszimmern zuschreiten, wo sie plädieren sollen – die weiblichen Advokaten. Einen langen Kampf hat die erste Advokatin, Mlle. Chauvin (s. Anm. S. 298), um die Freigabe des Berufes führen müssen; ihre nachfolgenden Kolleginnen fanden den Weg für sich geebnet, und jetzt ist die Advokatur für Frauen ein aussichtsreiches Brotstudium geworden, dem augenblicklich 10 Aspirantinnen in der Sorbonne zustreben. Mlle. Chauvin hat ihre Studien in frühem Alter begonnen, sie führte diese gemeinsam mit ihrem Bruder durch, und beide machten ein glänzendes Schlussexamen, welches die Auszeichnung der Rückgabe der Studiengelder errang. In Frankreich herrscht nämlich hinsichtlich des Schulgeldes die entgegengesetzte Auffassung wie bei uns. Wir sagen von einem, der nichts gelernt hat, er solle sich sein Schulgeld wiedergeben lassen, obgleich kein Fall bekannt ist, wo er es auch wirklich bekommen hätte, in Frankreich zahlen die Behörden den Absolventen glänzender Examina tatsächlich die Kollegiengelder zurück. Mlle. Chauvin bewarb sich gleich ihrem Bruder um Aufnahme in die Korporation der Advokaten, aber obwohl sie die gleichen Studien betrieben wie er, die gleichen Prüfungen bestanden und den gleichen Ausweis über ihre Befähigung erhalten hatte, wurde er ehrenvoll in die Gemeinschaft des Barreau (s. Anm. S. 298) aufgenommen, während sie mit Bedauern zwar, aber dennoch entschieden abgelehnt wurde. Sie erklärt, damals noch ein sehr schüchternes junges Mädchen gewesen zu sein, dem die Verfolgung eines Rechtes so imponierenden Gewalten gegenüber sehr peinlich erschienen wäre, sie stand daher von weiteren Versuchen, die Advokatur zu erobern, ab und wandte sich einem anderen Betätigungsgebiete zu. Sie machte die Unterrichtsverwaltung darauf aufmerksam, dass eine gesetzliche Vorschrift, die befiehlt, den Schülerinnen der oberen Klassen der öffentlichen Schulen Unterricht in Verfassungs- und Gesetzeskunde zu erteilen, seither ohne Anwendung geblieben sei. Die Mädchen erhielten in keiner einzigen Schule diesen Unterricht; weder nach männlichen Juristen, die zur Verfügung standen, noch nach weiblichen, die bis dahin nicht vorhanden gewesen waren, hatte die Unterrichtsverwaltung Umschau gehalten, um der gesetzlichen Vorschrift zu genügen. Mlle. Chauvin forderte Durchführung des Gesetzes und bot sich selbst zugleich zur Lehrerin für die Gesetzeskunde an den öffentlichen Schulen von Paris an. Ihre Eingabe fand die gewünschte Berücksichtigung, und sie übt seit mehr als zehn Jahren ihre Lehrtätigkeit aus. Ihr wachsendes Selbstgefühl machte ihr Wiederaufnahme ihres Anspruches auf die Advokatur vom prinzipiellen Standpunkte aus zur Pflicht. Sie hatte eingesehen, dass der einzige Weg, ihr Ziel zu erreichen, auf gesetzgeberischem Grunde lag, und sie arbeitete mit ihrem Bruder, der inzwischen zum Deputier-

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ten gewählt war, einen Gesetzentwurf aus, der dahin ging, den Frauen die Advokatur nach erfüllten Vorbedingungen frei zu geben. Vorsichtigerweise schaltete sie jedoch für die weiblichen Advokaten den Fall aus, in welchem nach französischer Gerichtspraxis ein zufällig vakanter Richtersitz ad hoc durch den Präsidenten mit dem Senior der im Hause anwesenden Advokaten zu besetzen ist, denn sie sagte sich, dass diese Eventualität einer Opposition im Abgeordnetenhause die Handhabe bieten würde, um das Gesetz zu Fall zu bringen. Sie war auch diplomatisch genug, durch viele vorherige Besuche bei einflussreichen Parlamentariern beider Häuser Stimmung und Interesse für ihren Antrag zu machen und sich deren Eintreten für ihre Sache zu sichern. Einer ihrer alten Rechtslehrer, der seiner tüchtigen Schülerin stets großen Anteil bewahrt hatte, gab ihr den Rat, lieber auf die menschlichen Schwächen Rücksicht zu nehmen, indem sie dem Vergnügen am Herunterhandeln von einer Forderung Spielraum gewährte und dem Parlamente Gelegenheit gäbe, aus seiner Machtvollkommenheit heraus den Abstrich vorzunehmen, den sie selbst mit Bezug auf die eventuelle Richterfunktion schon vorgenommen hatte. Sie folgte ihm und reichte eine Petition auf Erlass eines Gesetzes ein, dessen einziger Paragraph die Ausübung der Advokatur seitens der Frauen unter den gleichen Bedingungen wie für die Männer freigab. Das Abgeordnetenhaus übernahm glatt die ihm zugedachte Rolle durch Hinzufügung eines zweiten Paragraphen, der die erwähnte Einschränkung enthielt. In dieser Form ging das Gesetz mit großer Majorität in der Deputiertenkammer und im Senat durch, und Mlle. Chauvin wurde binnen kurzer Frist feierlich bei Gericht eingeführt. Sie erfreut sich einer ausgezeichneten Zivilrechtspraxis, naturgemäß ist sie am meisten gesucht zur Führung von Scheidungsprozessen, Ehestreitigkeiten und dergl[eichen]. Der Zirkel der Länder wird von Westen, Süden und Norden her immer enger, die ihrer weibliche Bevölkerung die Gerechtigkeit weiblicher Anwälte zuteil werden zu lassen: Skandinavien, Holland, Frankreich, Schweiz, Italien, Rumänien haben diesen Schritt bereits in gesetzlichen Formen getan (s. Anm. S. 298). England befindet sich merkwürdigerweise bei dieser Gelegenheit mit den traditionellen Kultstätten der Reaktion, Österreich, Deutschland, Russland im Bunde. Es wäre an der Zeit, dass man bei uns die Hebel einzusetzen begänne, um einer gerechten und notwendigen Reform die Bahn frei zu machen, denn das Recht der Frauen ist in den Händen der Männer meist übel gewahrt.

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Was die Frauen beim preußischen Schulgesetz verlieren Die Sammlung von Gesetzen und Verordnungen zum Ressort des preußischen Kultusministeriums (s. Anm. S. 298) enthält auf einer der ersten Seiten eine Instruktion vom 26. Juni 1811 (s. Anm. S. 299), die sich auf die Neuorganisation der Schulen bezieht und noch gesetzliche Gültigkeit für Preußen hat. In der Instruktion heißt es: „15. Bei der Aufsicht über die Töchterschulen werden die Schuldeputationen die verständigsten und achtbarsten Frauen aus den verschiedenen Ständen zu Rate ziehen, ihnen wesentlichen Anteil an den Schulbesuchen, Prüfung und Beurteilung der Arbeiten, der Erziehung und Unterweisung geben und die Hausmütter des Ortes auf alle Weise für die Verbesserung der weiblichen Erziehung zu interessieren suchen. Sie dürfen deshalb zu den Schulbesuchen nicht immer dieselben Frauen einladen, sondern können darin abwechseln. Die Spezialaufsicht über einige Mädchenschulen dürfen sie Frauen, welche vorzüglich Sinn und Eifer für die Beförderung einer guten Erziehung an den Tag legen, übertragen und sie zu Mitvorsteherinnen derselben ernennen.“ Diese Instruktion ist, wenn überhaupt jemals, so doch im letzten halben Jahrhundert nirgends mehr befolgt worden, aber die immer mehr zur Erkenntnis gekommene Misere des Mädchenschulwesens veranlasste die führenden Frauen zur selbständigen Aufstellung der Forderung nach Teilnahme von weiblichen Kräften an der Schulaufsicht und Schulverwaltung, die in fast allen Nachbarländern und fernen Erdteilen zum allgemeinen Segen längst gesichert war. Bei ihren Bestrebungen in dieser Richtung stießen die Frauen schon vor Jahren auf die alte Steinsche Instruktion (s. Anm. S. 299), und später erfahren sie aus der oben erwähnten Gesetzsammlung des Unterrichtsministeriums, dass sie sogar bis heute noch gesetzliche Geltung hatte. Der „Verein für Frauenstudium“ forderte alsbald sowohl vom früheren Kultusminister wie vom Berliner Stadtmagistrat, es möge nach Maßgabe des Gesetzes Frauen aus verschiedenen Ständen der vorgeschriebene „wesentliche Anteil“ an den Schulbesuchen und der Beurteilung von Erziehung und Unterricht zuteil werden, aber diese im März 1901 zuletzt erhobene Forderung (s. Anm. S. 299) blieb zunächst unberücksichtigt und fand auch in Frauenkreisen wenig Widerhall. Es war wiederum das fortgeschrittene badische Land (s. Anm. S. 299), das in der Stadt Offenburg die Maßregel traf, dass der städtischen Schulkommission ebenso wie der Waisen- und Armenkommission Frauen angehören sollten, eine Neuerung, die seitdem unter Genehmigung der Regierung auch in anderen badischen Gemeinwesen in Praxis getreten ist. Eine ähnliche, wenn auch minder durchgreifende Reform ergab sich aus der weiblichen Einwirkung wenigstens auf die Zusammensetzung der Schulkommissionen durch das aktive Stimmrecht

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der Lehrerinnen zur Wahl der Lehrervertretung in den Schulkommissionen des Königreiches Sachsen. Erfreulicher ist es demgegenüber, dass auch die Stadtverwaltung von Tilsit drei Frauen eingesetzt hat zur Beteiligung an der Schulkommission bei Verhandlung von Mädchenschulangelegenheiten, die Genehmigung dieser Ernennung durch die Regierung soll noch ausstehen, doch ist mit Rücksicht auf unsere mehrerwähnte (s. Anm. S. 299) Instruktion wohl keine Möglichkeit gegeben, sie zu versagen. Es kann ja keinem Zweifel unterliegen, dass zur Schaffung aller der angeführten Maßregeln lediglich ein deutlich hervorgetretenes Bedürfnis geführt haben muss. Dieses findet ebenfalls seine Äußerung in einer Petition des „RheinischWestfälischen Frauenverbandes“ an den preußischen Kultusminister, die außer anderen auf das Mädchengymnasium bezüglichen Reformen um Einstellung von Frauen in die kommunale Schulverwaltung bittet, um den Müttern und den Lehrerinnen Einfluss auf den Bildungsgang ihrer Töchter zu gewähren. Die höhere Mädchenschule sowie die Volksschule und Fortbildungsschule, auch die Mittelschule, soweit sie von Mädchen besucht wird, bedürfe solcher Anteilnahme der Frauen. Zur Erreichung desselben Zweckes auf praktischem Wege hat sodann eine stattliche Reihe von Frauenvereinen in Rheinland und Westfalen eine Eingabe an sämtliche Stadt-, Land- und Bürgergemeinden gerichtet, in der sie sofort um Einstellung von Frauen in die Schulaufsichtsbehörden bitten, nämlich um Hinzuziehung von Lehrerinnen zu den lokalen Schulaufsichtsbehörden, Schuldeputationen und Kuratorien wie von Frauen in die kommunalen Schulvorstände als Vertreterinnen der Eltern und Gemeindeglieder. Es sei hier kurz rekapituliert, dass in den meisten europäischen Ländern – wenn man Australien, die Vereinigten Staaten und die englischen Kolonien als vorbildlich in der Frage nicht berücksichtigen will – der weibliche Einfluss auf die Ausgestaltung der Mädchenerziehung in weitgehendem Maße respektiert wird. Teils ist ihm Sitz und Stimme in der kommunalen Selbstverwaltung gegeben, meist sogar in der ausgedehnten Form, dass zu den besonderen Schulkommissionswahlen die Frauen wählbar und wahlberechtigt sind, teils sind besondere weibliche Inspektionsbeamten der staatliche Schulaufsichtsbehörde angestellt, und zwar bis zu den höchsten Posten und bis in die Unterrichtsministerien, teils findet man beides in einem Lande wie z. B. in England. In allen diesen Staaten, also in der Schweiz, in Frankreich, Holland, England, Dänemark, Norwegen, Schweden, Ungarn, Rumänien, ist das Prinzip anerkannt, dass auf die Erziehung, zum Mindesten der Mädchen, den Frauen Einfluss gebührt. Dieselbe Erkenntnis hat sich der Überzeugung einzelner deutscher Behörden und weiter Kreise des Volkes mitgeteilt, während ein vorausschauender Gesetzgeber ihr in Preußen bereits vor einem Jahrhundert Rechtsautorität verlieh. Nichtsdesto-

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weniger macht der neuste vom Kultusminister vorgelegte Schulgesetzentwurf (s. Anm. S. 299) jetzt Miene, den Frauen den Weg zur Teilnahme an den Schuldeputationen und Schulkommissionen völlig wieder zu verlegen. Er verfügt in seinem § 23 über die Zusammensetzung der Schuldeputationen (s. Anm. S. 299), dass sie außer den zuständigen Kreisschulinspektoren und Geistlichen lediglich aus Mitgliedern des Gemeindevorstandes, aus Gemeindebevollmächtigten und des Schulwesens kundigen Männern bestehen sollen. Nach Analogie dieses Paragraphen wird auch in Bezug auf den folgenden und den § 31 (s. Anm. S. 299) schwerlich der Auffassung zugestimmt werden, dass hinsichtlich der zu bildenden Schulkommissionen und Schulvorstände für einzelne Schulen unter den „Einwohnern“ und „Lehrern“, die hierzu berufen sind, auch weibliche zu verstehen wären. Die Frauen sehen sich also durch den Wortlaut des zur Beratung stehenden Schulgesetzes aus einem Gebiete völlig verdrängt, auf dem man soeben die Notwendigkeit ihrer Mitarbeit erkannt hatte. Ob das Zufall oder Absicht gewesen ist beim Autor des Gesetzes, kann hier nicht erörtert werden, jedenfalls darf man behaupten, dass die ausgedrückte Tendenz sich im Widerspruch mit den heutigen Anschauungen befindet und dass sie bei den Verhandlungen über das Gesetz korrigiert werden muss. Sollte die Kommission bei der Vorberatung Änderungen in diesem Sinne nicht beantragt haben, so geschieht es hoffentlich während der Beratungen im Plenum, denn so wichtig auch die Konzessions- und Verwaltungsfragen im Vorgrunde der ganzen Vorlage stehen, als Nebensache darf auch die Beteiligung der Frau an der kommunalen Schulverwaltung nicht behandelt werden. Dass die Mehrheit der organisierten Frauenwelt überhaupt Gegnerin des konfessionellen Charakters des Volksschulunterhaltungsgesetzes ist, ist durch Eingaben zahlreicher Lehrerinnen- und Frauenvereine, durch die Veranstaltung vieler Protestversammlungen und Beteiligung an Partei-Protestversammlungen seitens der Frauen bekundet worden (s. Anm. S. 299): Fiele das ganze Gesetz, so wäre für sie wiederum der Weg zum Eintritt in die kommunale Schulverwaltung frei, der sich je nach dem Entwicklungsgrade der einzelnen Gemeinden nach Maßgabe der bestehenden Bestimmungen ruhig und organisch vollziehen kann, wie der schon gemachte Anfang lehrt.

Texte zu ethischen, politischen und sozialen Aspekten der Frauenbewegung Die ethische Seite der Frauenfrage Die Frauenbewegung hat zwei Seiten, nach denen sie sowohl von ihren Anhängern verteidigt wie von ihren Gegnern bekämpft wird. Die eine und am meisten in die Augen fallende, infolgedessen auch am meisten betonte, ist die praktische, die andere, nicht so offen zu Tage liegende und daher bei den Kontroversen für und wider verhältnismäßig weniger berücksichtigte, ist die ethische. Die Frauenfrage in ihrer praktischen Bedeutung ist uns sozusagen aufgezwungen. Die soziale Lage hat da eine Sprache von nicht zu verkennender Deutlichkeit geführt, gleichsam ein Rechenexempel aufgestellt, in welchem die Ziffern in Gestalt von menschlichen Individuen und deren Existenzbedingungen und Möglichkeiten in nackter Tatsächlichkeit dastehen und beim weiblichen Teile dem Plus des ersteren ein Minus der letzteren gegenüberhalten, welches einen derartigen Bruchteil ausmacht, dass es fast einem Manko gleichkommt und mit unausweichlicher Notwendigkeit einen Ausgleich verlangt. Die Frauenwelt erkennt halb instinktiv, dass sie im Begriff ist, durch ihre numerische Überzahl über das menschliche Geschlecht sittlich und physisch zu Grunde zu gehen (ebenso wie die ziffernmäßige Überzahl der Besitzlosen zur Todeswaffe gegen sie wird in den Händen der Kapitalisten) – und bietet alle Kräfte auf, um ihrer mit reißender Schnelle zunehmenden Degeneration Einhalt zu tun. Denn degenerieren muss alles, welchem die Mittel zur physischen Existenz genommen und zur Hebung der Persönlichkeit nicht gewährt werden. Beides aber ist der Frau gegenüber der Fall und daher degeneriert sie körperlich und sittlich in so erschreckender Weise, dass Angehörige ihres eigenen Geschlechtes trotz der notorischen Urteils- und Einsichtslosigkeit, in welcher es im bisherigen Kulturgange prinzipmäßig gehalten wurde, zu dieser furchtbaren Erkenntnis kommen mussten und gekommen sind und mit allen Kräften dem reißend bergab schiessenden Strome Dämme entgegenzubauen versuchten. Dieses Streben aber begreifen wir unter der Bezeichnung „Frauenbewegung“. – In diesen Versuchen geraten sie in Kollision mit dem anderen Teile der Menschheit, zu dessen anscheinendem Vorteile sich bisher die Dinge gestaltet hatten und der sich nun in seinen Vorrechten beeinträchtigt glauben kann, insofern er kurzsichtig genug ist, Bequemlichkeit und Nutzen zu verwechseln. Ebenso aber wie das Wort Vorrecht den Begriff von Unrecht in sich schließt, ebenso steht gewöhnlich die Bequemlichkeit eines Menschen seinem eigentlichen Nut-

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zen entgegen, denn die Bequemlichkeit trifft den Augenblick und trifft die Person: Wahrer Nutzen dagegen die Zeit und die Race. Wie leer und vor dem richtenden Geiste der Geschichte nichtsbedeutend der Widerspruch jener ist, welche um der Bequemlichkeit des Hausvaters willen die Frau in ihrer untergeordneten Stellung festschmieden wollen, während ihre Gleichstellung zur unabsehbaren Hebung der Familie und der Allgemeinheit ausschlagen muss, das ist schon zu oft und eindringlich betont worden, als dass ich es an dieser Stelle näher auszuführen brauchte. Nicht minder kurzsichtig und vom hartherzigsten Egoismus getragen ist der Einwand, vermöge dessen man hungernden Frauen verwehren will, sich durch Ausübung eines Berufes ihre Lebensnotdurft zu erwerben, nämlich derjenige von der den Männern erwachsenden Konkurrenz. Fühlbar gemacht ist diese Konkurrenz nur dadurch, dass man alle erwerbenden Frauen zwang, sich auf wenige und dadurch unverhältnismäßig überfüllte Berufszweige zu werfen, hauptsächlich aber ihnen durch alle möglichen gesetzlichen Ausnahmebestimmungen die Teilnahme an den Regulierungen der Lohnverhältnisse verwehrte, dadurch die Möglichkeit gab, dass sie, ihrer Notlage entsprechend, mit den traurigsten Hungerlöhnen vorlieb nahmen und dadurch, aber auch nur dadurch, auch auf die Löhne der Männer herabdrückend einwirkten. Diese Herabminderung ist die Folge der polizeilichen Vereinsgesetze, welche die Frauen von der Teilnahme an sogenannt politischen Vereinen und Versammlungen ausschließen – wodurch eine Hemmung der gesunden Regelung einschlägiger Verhältnisse entsteht, die zur Bereicherung der reichen Kapitalisten und zur Verbreiterung des allgemeinen Massenelendes führt –, keineswegs aber eine Folge der den Männern aus Frauenarbeit erwachsenden Konkurrenz. Denn solche Konkurrenz wäre ja nur diejenige von Leistungen, in denen die Männer wenigstens durchweg behaupten, den Frauen von Natur überlegen zu sein, die ihnen also nie gefährlich sein könnte. Mit dem letzteren Umstande mag es sich nun verhalten wie es wolle, wir dürfen konstatieren, dass die Unterdrückung einer Leistungskonkurrenz durch Gewaltmittel ein schweres Verbrechen ist, nicht nur gegen die zu unterdrückenden Konkurrenten, sondern auch gegen die Sache, die sie trifft. Denn Leistungskonkurrenz bedeutet eine Auswahl des Tüchtigsten, die wiederum den Gesamtfortschritt in sich schließt, Unterdrückung von Tüchtigkeit und Fortschritt auf irgendeinem Kulturgebiete ist aber eine Sünde gegen die Gesellschaft, die ein unverlierbares Anrecht auf jede, selbst die kleinste Vervollkommnung hat. Der Einwand von der Konkurrenz ist also nach einer Richtung falsch, nach der anderen gemeinschädlich und hat kein Anrecht auf Bestand und Beachtung. Ebenso hinfällig ist der Einwand gegen die moderne Entwicklung der Frauenfrage, der sich auf den Hinweis auf vergangene Jahrhunderte und bisher gültig gewesene Zustände gründet. Denn wenn man bedenkt, wie in allen diesen

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Verhältnissen die kleinsten Ursachen in der Fortführung von Glied zu Glied quadratförmig anwachsen, wie der Pfennig des Einzelfalles sich zur Milliarde für die Nation vermehrt, dann soll man freilich diese Entwicklung sorgfältig beobachten, aber sich nicht einbilden, bestehende ungesunde und unleidliche Zustände dadurch zu beseitigen, dass man die ersten geringfügigen Symptome verstopft oder trübt: Sie werden sich als innerlich eiterndes, fressendes Geschwür nur noch schädigender erweisen. Es ist genugsam durch die Nationalökonomie festgestellt, dass die Erde und die einzelnen Länder genug Güter zur Erhaltung aller hervorbringen. Es heischt vielleicht die numerische und intellektuelle Entwicklung der Menschheit zur Ermöglichung der Teilnahme aller an den produzierten Gütern durchgreifende Änderungen auf allen Erwerbsgebieten, nun wohl, diese Änderungen müssen den Zeitforderungen entsprechend erfolgen, es kann nicht dem Gewesenen zuliebe die Zeitströmung unterdrückt werden: Denn die früher entstandenen und teilweise noch bestehenden Einrichtungen sind damals auch im Hinblicke auf ihre Zeitforderungen getroffen worden, niemals hat sich die Menschheit nach solchen Einrichtungen gebildet, sondern umgekehrt sind die sozialen Einrichtungen eine Folge der sozialen Erfordernisse gewesen und werden es – bis nicht die Gewässer rückwärts fließen und das Licht Dunkelheit verbreitet – auch in alle Zukunft bleiben. Näher zu beleuchten, ob und unter welchen Verhältnissen alle erwerbsbedürftigen Menschen Erwerb finden können, ist hier ebenfalls nicht der Ort: Ich resümiere kurz, dass die egoistischen Einwände der Schädigung der Männerinteressen, ob begründet oder nicht begründet, jedenfalls in der Frauenfrage nicht berechtigt sind, denn die Menschheit wird nicht vom Manne allein repräsentiert. Sie besteht aus zwei Faktoren, Mann und Weib, sie muss zu Grunde gehen, sobald der eine Faktor fehlt: Also muss sie auch zurückgehen beziehungsweise von ihrer vollen Entwicklung zurückgehalten werden, insofern als und in demselben Masse wie einer dieser beiden vollkommen gleichwertigen Faktoren verkümmert. Folglich hat keiner der beiden Teile das Recht, auf Kosten des anderen seine Existenz in den Vordergrund zu stellen oder durch Vorrechte und Privilegien die Leistungskonkurrenz auszuschließen. Wenn der praktischen Seite der Frauenbewegung die Lage der Frau in Bezug auf ihre eigene Existenz und auf ihre Stellung als Einzelwesen zu Grunde liegt, so behandelt die ethische Seite ihr Verhältnis zur Außenwelt, ihren Anteil am Kulturgange, ihre Aufgabe als Glied der Allgemeinheit, und von diesem Standpunkte aus ist ihre Entwicklung sowie der Grad ihrer Bildung und die Stellung, die ihr zuteil wird, wichtiger als man bisher angenommen hat und auch heute noch durchschnittlich anzunehmen geneigt ist. Dass der moderne Zeitgeist der Frau eine höhere Stellung anweist, dass vorgeschrittene Geister die beiden Geschlechter für gleichberechtigt erklären, ist

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eine historische Notwendigkeit, da die ganze Tendenz der uns bekannten Kulturgeschichte in einem Kampfe gegen soziale Ungerechtigkeiten besteht und ihr Endziel darin finden wird, allein mit dem Maßstabe freier Sittlichkeit, die durch gesetzliche Bestimmungen weder geboten noch behindert wird, den Menschenwert zu messen: Der unsichtbare Kulturgeist, dem wir unbewusst alle folgen, geht dahin, allen Menschen das möglichst große Maß irdischer Glückseligkeit zu schaffen, und wenn es bei einiger Einsicht auch als undurchführbarer Irrtum erscheint, trotz der zahlreichen Anhänger, die er heute findet, das Ziel dieser Glückseligkeit für alle gleich zu stecken, – da das menschliche Leben, wenn es nicht versumpfen soll, nie etwas anderes sein kann als ein Wettbewerb, so muss man doch andererseits jenes Streben, welches im unvermeidlichen und Seele erfrischenden Wettlauf für alle den gleichen Ausgangspunkt schaffen und niemandem einen unverdienten Vorsprung gönnen will, als echt und recht und billig anerkennen. Als Etappen auf der Bahn, welche unsere Kultur bisher durchmessen hat, finden wir historische Denksäulen, aus denen für uns die Fortschritte in der bezeichneten Richtung mit unverkennbarer Deutlichkeit reden. Wir sehen den Apostel Paulus Bresche legen in das nationale Vorurteil (s. Anm. S. 300), vermöge dessen jedes antike Kulturvolk die Minderwertigkeit anderer Nationen, – schlechtweg Barbaren genannt – , dekretierte, wir sehen als Resultat der Schreckenszeit der französischen Revolution die Gleichstellung der Stände und in ihrem Gefolge, als menschenunwürdig, die Abschaffung der Hörigkeit und der Leibeigenschaft, die sukzessive in allen Nationen je nach dem Grade ihrer Zivilisation erkannt wurde. Wieder einen Schritt weiter sehen wir die kultivierte Menschheit sich sogar der Knechtung ihrer andersfarbigen Brüder schämen und heute entbrennt durch alle Gesellschaftsschichten gleichmäßig das Bedürfnis, ein weiteres zur Knechtung anderer zu missbrauchendes Machtmittel zu neutralisieren: Den überkommenen und nicht selbst erworbenen Besitz und die Möglichkeit seiner Verwendung zur Ausbeutung der Leistungen anderer. Das scharfe Gerechtigkeitsgefühl, welches aus allen diesen Bewegungen spricht, konnte nicht umhin, auch das bisher von Geburt her präzisierte Abhängigkeitsverhältnis, welches die Frau innerhalb der Gesellschaft einnimmt, zu analysieren und die Frage aufzuwerfen, ob es denn wirklich von der Natur geboten sei, ob die Gründe, welche der Frau die volle der Menschheit eigenen Bildung, die Teilnahme an der Kulturbewegung und das volle Verständnis für dieselbe verwehren, denn auch wirklich echter und zwingender Natur seien. Die Antwort auf diese Frage aber muss Nein heißen bei jedem objektiv Urteilenden, sich vom Rechtsgefühle und der Erkenntnis des allgemeinen Besten leiten lassenden und nicht nur seine eventuelle persönliche Bequemlichkeit ins Auge fassenden. Denn die Menschheit hat es als ihre Aufgabe erkannt, nicht

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bloß ihrer physischen Unterhaltung zu leben, wie es das Tier tut, sondern ihren besseren Teil, Seele, Intellekt, Vernunft zu veredeln, zur höchsten Vollkommenheit zu entwickeln. Es gibt aber nicht eine einzige geistige Eigenschaft, welche beim Manne allein zu finden wäre, von welcher die Frau keine Spur zeigte, und ebenso wie der weibliche Körper sich aus denselben Bestandteilen aufbaut wie der männliche und zu seiner Erhaltung der gleichen Stoffe bedarf, ebenso verlangt der weibliche Intellekt nach derselben Kultur wie der männliche, ebenso ist er zur Teilnahme an den sittlichen Aufgaben veranlagt und nicht nur berechtigt, sondern auch bestimmt. Denn wenn der Menschheit Kulturaufgaben gestellt sind, wenn ihr in sittlicher Hinsicht ein zu erstrebendes Ideal vorschwebt, so ist sie diesem Ideal am nächsten, wenn sie ihm in allen ihren Teilen am nächsten ist. Formulieren wir dieses Kulturideal ungefähr in den Worten: „Die in uns ruhenden verschiedenartigen Gaben und Fähigkeiten voll ausgestalten zur eigenen Freude, zum Wohle aller, nicht aus Furcht vor Strafe, noch aus Hoffnung auf Belohnung, nicht als Lehre und Vorschrift anderer, sondern aus freier Erkenntnis und freudiger Überzeugung und im vollen Bewusstsein, dass jede unserer Taten und unsere ganze Art zu leben Folgen tragen, die für andere segensreich oder verhängnisvoll ausschlagen können und für die wir verantwortlich sind.“ Erkennen wir dieses Kulturideal als richtig an, und ich glaube, dass uns von unserem heutigen Bildungsstande aus ein höheres nicht fassbar ist, so müssen wir auch zugeben, dass erstens die Frau von diesem Ideale nicht auszuschließen ist und in der Folge, dass ihr zur Ermöglichung von dessen Erreichen volle Teilnahme und volles Verständnis aller Aufgaben und Errungenschaften zugebilligt werden muss. Denn der dunkle Naturinstinkt, der in altersgrauen Perioden das Individuum wie die Gesamtheit leitete, ist von der fortschreitenden Zivilisation vernichtet worden. Wir erkennen sein für unsere Begriffe ans Mirakelhafte grenzendes Walten noch bei den niederstehenden Menschenarten und durch die ganze belebte Schöpfung und zwar umso stärker, auf je niedrigerer Entwicklungsstufe das betreffende Lebewesen steht, wir erkennen es deutlich in der frühesten Lebenszeit des Kindes, es offenbart sich in zahlreichen vollkommen unbewusst geübten Volksgebräuchen, und es verschwindet umso auffälliger, je höheren Kulturgrad wir erreichen und je mehr die Seelen- und Verstandeskräfte mit Bewusstsein arbeiten. Als Ersatz für den Instinkt des Naturzustandes stellt die entwickelte Kultur die Bildung. Bildung, nicht in dem Sinne oberflächlichen, angelernten Wissens, sondern des Nachdenkens, des Begreifens, der Überlegung und der Umsetzung in Handlungen.

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Unsere Bildung baut sich auf aus dem Erfahrungsschatze der vorhergegangenen Generationen, aus der Kenntnis ihrer Leistungen, woraus wir unser eigenes Leistungsvermögen und unsere eigenen Aufgaben erkennen. Von dieser Kenntnis und Erkenntnis ist aber die Frau bisher vollständig ausgeschlossen gewesen, sehr zum Nachteile des Ganzen. Denn vom Naturinstinkte ist sie inmitten der Zivilisation verlassen – er würde auch den Aufgaben, denen sie gegenüber steht, nicht mehr gewachsen sein – und die Kultur steht ihr als ein Fremdes da, woran sie kaum Anteil hat; im besten Falle betrachtet sie die ihr zu verdankenden Bequemlichkeiten als ein unverdientes, zufälliges Geschenk, woran sie ebensowenig Eigentumsrecht hat wie an ihrer Person, ihrem Vermögen oder ihren Kindern. Liegt es nicht auf der Hand, dass eine im tiefsten Sinne gebildete Frau – die ihren Daseinszweck erkennt, die das Recht ihrer Persönlichkeit empfindet, die sich als verantwortlicher Teil des Ganzen fühlt und die Hilfsmittel der Kultur vollkommen beherrscht – ihrer Aufgabe eher gerecht werden, ihre Pflichten besser erfüllen wird als eine ungebildete, ohne Verständnis dahin lebende? Der am meisten im Vordergrunde stehende Beruf der Frau ist die Ehe. Ein viel gehörter, aber von der niedrigsten Gesinnung zeugender Ausspruch, der aber trotzdem sogar einmal in einer deutschen Kammerverhandlung proklamiert wurde – ist derjenige, dass die ungebildetste Ehefrau die beste sei. Nicht einmal die ungebildetste Haushälterin ist die beste Haushälterin, die Ehe aber mit der Haushaltsführung zu identifizieren, dokumentiert einen solchen Grad sittlicher Verkommenheit oder kulturellen Unverständnisses, dass die Meinung derer, die es tun, bei Erörterung dieser Frage so irrelevant ist, als wollte man das Urteil russischer Bauern darüber einholen, ob der Panamakanal fertigt gestellt werden solle oder nicht: Sie haben einfach dabei gar nicht mitzureden. Dass die Leitung des Haushaltes durchschnittlich einen Teil der Obliegenheiten der Frau ausmacht, nehmen wir als festgestellt an, aber ebenso fest steht es, dass es der weitaus geringste Teil ist hinsichtlich seiner Wichtigkeit verglichen mit ihrer moralischen Aufgabe dem Manne und den Kindern gegenüber und hinsichtlich der Zeit, die er erfordert, sofern sie sich auf die Leitung beschränken kann und nicht die häuslichen Arbeiten selbst verrichten muss. Zu beiden Fällen aber, sowohl zur Leitung als zur eigenen Arbeit, ist gediegene Bildung gewiss kein Hindernis, sondern eine Hilfe, welche mit einem weit geringeren Aufwand von Zeit und Umständlichkeit dasselbe zu erreichen versteht. Man muss nicht jene Karikatur, der man den wohlklingenden Namen Blaustrumpf gegeben hat und die in ihrem Gedächtnis eine Unmenge toten Wissens aufgehäuft hält, ohne es zu verstehen, die mit Geläufigkeit jede Regel und Ausnahme einer fremden Grammatik herunterschnarrt, mit langen Tiraden über Literatur und Kunst ihre Umgebung zur Verzweiflung bringt ohne einen Dunst von eigenem Urteil über Dicht- und Kunstwerke, die alle Zahlen der Weltgeschichte in

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Schubfächern des Gedächtnisses wohl einrangiert hat, ohne den Geist dessen, was geschehen ist, zu ahnen, ein solches Unding muss man nicht mit einer gebildeten Frau verwechseln. Fremde Sprachen plappern, auf dem Piano einige Bravourstücke herunterleiern, die künstlichsten Stick- und Häkelmuster anfertigen, das alles hat freilich keine Spur von moralischem Werte: Durch Mathematik den Verstand und das Urteilsvermögen schärfen, die chemischen, physikalischen, physiologischen, anatomischen Grundbegriffe verstehen, nicht bloß auswendig können, das sind Dinge, welche jeder Haushaltsführung nur zum Nutzen gereichen können. Ich muss gestehen, dass die sogenannte gute Hausfrau, die ganz in ihrem Haushalte aufgeht, von früh bis spät putzt, scheuert, wäscht, kocht, backt, näht, flickt und strickt oder alle diese Dinge in Permanenz von den Dienstboten tun lässt, für mich etwas entsetzlich Ungemütliches hat. Sie verbreitet um sich eine ganze Atmosphäre von Unbehagen, Ruhelosigkeit, Angst, etwas zu beschmutzen oder in Unordnung zu bringen, die armen Familien[mit]glieder einer solchen vom Haushaltsteufel besessenen Frau kennen gewöhnlich häusliches Behagen überhaupt nicht, und auch Gäste kommen selten in eine angenehme Stimmung. Die Folge davon ist, dass den Mann keinerlei Anziehungskraft an das Haus fesselt, dass ihm die Kneipe angenehmer erscheint als seine Häuslichkeit, dass die Familie weit entfernt ist, der Kulturträger von eminenter Bedeutung zu sein, die sie sein könnte, wenn es nicht der Frau, der Seele derselben, an der Urteilsfähigkeit mangelte, vermöge deren sie Zweck und Mittel unterscheiden soll. Sie ist pflichttreu, unermüdlich, arbeitsam, aber sie hält den Haushalt für ihren Lebenszweck, während er doch lediglich das Mittel für die behagliche Existenz seiner Angehörigen sein sollte. Dagegen findet man sehr häufig bei Frauen, welche einem eigenen Berufe leben, die behaglichste, anmutendste Häuslichkeit, das glücklichste Familienleben bei Frauen, welche den ganzen Tag über künstlerisch oder wissenschaftlich arbeiten und die in einer kurzen Stunde die Anordnungen für die Wirtschaft geben und bei denen trotzdem weder der Staub handhoch liegt, noch die Speisen unschmackhaft sind. Woran aber liegt das? Daran, dass die letztere es als den Zweck der Haushaltung erkennt, nach den täglichen Anstrengungen ihren Angehörigen Erholung zu bieten, Behagen auszuströmen, die abgearbeiteten Nerven zur Ruhe zu stimmen und aus der bisherigen Spannung zu lösen und daran, dass ein vernünftig denkender und organisierender Verstand mit den halben Mitteln das leistet wie eine mechanische Tätigkeit, weil systematische Zielbewusstheit weiter reicht als blindes Drauflosschaffen. Eine gebildete, urteilsvolle Frau wird auch in ökonomischer Hinsicht einer ungebildeten, in geistiger Unselbständigkeit gehaltenen überlegen sein. Sie wird die moralische Kraft haben, auf Luxus und Putz, der über ihre Verhältnisse geht, zu verzichten, weil sie die Oberflächlichkeit und Bedeutungslosigkeit davon einsieht, nicht aber dem äußeren Gepränge zuliebe an

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wichtigen Erziehungs- oder Lebensbedürfnissen abknausern oder wohl gar Diebstahl begehen an der für ganz andere Dinge bestimmten Wirtschaftskasse. Eine denkfähige Frau wird nicht am Pfennig sparen, um am Taler zu verschwenden, wie die ungebildete Frau es nur zu häufig tut, sie wird vor allem nicht durch wahnsinnige Verschwendungssucht ihren Mann zum Ruin bringen, indem sie in ökonomischer Hinsicht sich und ihn als feindliche Parteien betrachtet und es nur darauf anlegt, von der gesamten Einnahme möglichst viel für ihre persönlichen Bedürfnisse zu beanspruchen, sondern sie wird Einnahmen und Ausgaben nach Kräften in Harmonie zu bringen suchen. Die denkende Frau wird beurteilen, in welcher Weise ihre Tätigkeit am gewinnbringendsten für ihre Familie sei. Ist ihre Lage der Art, dass sie für den Haushalt arbeiten muss, so wird sie untersuchen, ob sie spezielle Befähigung zu einer Tätigkeit hat, welche mehr einträgt, als die Besorgung der häuslichen Geschäfte durch andere kostet. In gesicherterer Position wird sie einsehen, dass es für das Wohlbefinden des Hausstandes von größerer Bedeutung ist, wenn sie ihm das Gepräge innerer Harmonie und geistigen Behagens aufdrückt, als wenn sie mit den Dienstboten um die Wette wäscht, scheuert oder bügelt. Vor allen Dingen aber wird eine gebildete Frau, die in ihrer Bildung die Waffen findet, sich auf eigenen Füßen in der Welt zu behaupten, nicht blindlings jede Ehe eingehen, nur weil es ihr von anderen eingeredet wird, sie müsse heiraten, weil es so hergebracht sei oder weil sie sonst am Hungertuche nagen darf. Erst wenn dieses Versorgungsprinzip als Zwangsmittel auf weiblicher Seite bei der Eheschließung aufhört, erst dann wird es wirkliche Ehen geben, die jetzt als Ausnahmen unter Tausenden gelten können. Allein persönliche Sympathien sollen bei der Eheschließung in Frage kommen; pekuniäre Verhältnisse nur insofern, als es ein Verbrechen ist, ohne sichere Grundlage, die Kinder ordentlich erziehen zu können, eine Ehe einzugehen. Vielleicht werden alsdann weniger Ehen geschlossen werden, es wird dann weiblicherseits nicht mehr die widerwärtige, in unseren kranken sozialen Verhältnissen bedingte Heiratsjagd getrieben werden, die Männer werden wieder um die Frauen werben müssen, anstatt dass es umgekehrt der Fall ist, aber dafür wird auch die Ehe zu einem Hebel der Kultur und nicht der Degeneration werden. Denn die gebildete Frau wird von ihrem Gatten nicht verlangen, dass er ein gefülltes Portemonnaie, sondern auch sittlichen Wert besitze, sie wird über sein Leben in und außer der Ehe nicht zu dumpfer Unwissenheit beschränkt bleiben, sondern sie wird eine urteilende und fordernde Richterin sein, die sich entwürdigt fühlt durch die Verbindung mit einem moralisch unwürdigen Subjekte, sie wird aufhören die Sittlichkeit des Mannes und des Weibes mit zweierlei Maß zu messen, sie wird vom starken Manne auch ein gewisses Quantum sittlicher Stärke verlangen. Das ist unbequem für das Geschlecht, für welches es bisher in moralischer Beziehung weder Gesetz noch

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Schranke gab, welchem schlechterdings alles erlaubt war, aber es ist in ethischer Hinsicht ein Gewinn, auf dem sich eine neue geläuterte Kultur aufbauen lässt, an der die Menschheit sich wieder aus dem Sumpfe erheben kann, darin sie nach aller Urteil versunken ist wie kaum je in den schlimmsten Zeiten moralischer Verkommenheit im alten Rom und in Frankreich vor der Revolution. Ein anderes wird es sein, wenn vor dem Urteil einer denkenden gebildeten Frau der Mann sich Achtung erst verdienen muss, als wenn seine Autorität unumstößlich feststeht, wenn er in der Ehe nicht länger der absolute Herr, sondern einer von zwei Verbündeten ist. Absolute Gewalt ausüben und die Rechte anderer nicht verletzen, erfordert ein Maß von Seelengröße, wie es den allerwenigsten Menschen eigen ist, die unbeschränkte Machtstellung verleitet ihren Inhaber zum üppigen Emporschießenlassen aller schlechten Eigenschaften. Darum dient das Eherecht, welches dem Manne Frau und Kinder zu willenloser Abhängigkeit übergibt, nicht als Mittel zur sittlichen Hebung des Mannes, sondern im Gegenteil zur ungehinderten Entwicklung aller selbstsüchtigen, brutalen, tyrannischen Triebe, ebenso wie es bei der Frau alle Fehler und Laster sklavischen Geistes zur vollen Blüte bringt: Falschheit, Verlogenheit, List, Eigennutz, Schmeichelsinn, Mangel an Rechtsgefühl, an Verantwortlichkeit. Recht und Bildung sind die beiden Forderungen der Frauenbewegung: Das Recht, welches der Frau in der Ehe zuerteilt wird, die Bildung, welche sie in die Ehe mitbringt, werden gleichmäßig den Mann und die Frau veredeln. Nicht minder trägt eine gediegene Bildung dazu bei, die Frau ihre Pflichten als Mutter und Erzieherin erkennen und üben zu lassen, in Hinsicht derer von ungebildeten Müttern mehr gesündigt wird als zum Besten der Menschheit nötig ist. Die physische und psychische Entwicklung der Race liegt in den Händen der Mutter: Welches verantwortungsvolle Amt, und wie wird sie darauf vorbereitet, inwiefern ermisst sie die Tragweite desselben? Ich wiederhole es, die Instinkte des niederen Entwicklungsgrades sind größtenteils von der Kultur aufgesogen, sie reichen nicht mehr aus für das, was heute für das leibliche und geistige Gedeihen des Kindes notwendig ist. – An ihre Stelle muss bewusste Erkenntnis und überlegender Wille treten. Eine gebildete Frau weiß, dass sie ihrem Kinde ein ungewolltes Dasein aufgezwungen hat und dass sie dafür dem Kinde körperliche und geistige Gesundheit schuldig ist, sie wird mit vollem Bewusstsein alles für seine Entwicklung Förderliche tun, und sie wird es rationeller und zweckdienlicher tun als eine Mutter, die trotz aller Liebe und bestem Willen in vollständiger Unkenntnis über dasjenige ist, was ein junger Körper und eine junge Seele zum Gedeihen braucht. Würde die Entwicklung der Kinder vor und nach der Geburt mit größerer Umsicht und Einsicht geleitet, würden die ersten Seelenregungen mit mehr psychologischem Verständnis beobachtet und mit mehr zielbewusster Planmäßigkeit gelenkt: Es stände wohl besser um das mora-

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lische Vermögen des Volkes. Die Fähigkeit, dieser schweren bildenden und erzieherischen Aufgabe gerecht zu werden, kann aber der Frau, der sie obliegt, nur aus tiefer echter Bildung, aus voller Teilnahme an allen Kulturerrungenschaften entspringen und aus ihrer sozialen Gleichbewertung mit dem Manne. Aus der häuslichen Unterordnung der Frau, aus ihrer geringen Urteilsfähigkeit erwächst auch jene schiefe Stellung den heranwachsenden Kindern gegenüber. Das herrische Wesen des Mannes, seine unverhohlene Geringschätzung überträgt sich auf die Knaben, sobald sie einsehen, wie sehr schon ihr einer logischen Schulung unterworfener Verstand demjenigen der Mutter überlegen zu sein beginnt. Die einsichtslose Mutter gestattet ihnen den Schwestern gegenüber dieselbe blinde Autorität, die sie vom Manne hinnimmt und nicht lange dauert es, so maßen die Knaben selber sie sich der Mutter gegenüber an, der sie mit ihrem besser kultivierten Geiste, ihrem ihr fremden Wissen tatsächlich imponieren. Was es aber auch für den heranwachsenden Jüngling bedeutet, zu seiner Mutter aufsehen zu können, bei ihr Rat und Leitung zu finden, unter ihrer sittlichen Autorität zu stehen, selbst noch als erwachsener Mann, das erkennt man am sittlichen Werte jener, die das Glück hatten, eine solche Mutter zu besitzen. Auch außerhalb des Hauses, im Gemeinwesen, nimmt die Frau eine Stellung ein und sollte sie eine weit wichtigere einnehmen, würde sie viel einschneidender wirken, wenn sie die Verhältnisse einsichtsvoller beurteilen könnte, wenn eine ernste Bildung ihr Verständnis für Wirtschaftslehre, gesundheitliche, Schul- und Rechtsfragen gewährte. Man überlässt der Frau zum großen Teile die Pflege der Wohltätigkeit. Hat sie Verständnis für die Sache, so muss sie einsehen, wie wenig alle unsere sogenannten Wohltaten wohl tun. Wie sie das Proletariat vermehren, die moralische Verkommenheit geradezu unterstützen. Durch das gönnerhafte Almosen eines abgelegten Kleides, entbehrlicher Pfennige vermeint die Gedankenlosigkeit ein gutes Werk zu tun, wo doch nur das Einsetzen der Person, der sittliche Einfluss, die sittliche Hebung das wirtschaftliche Elend bekämpfen kann. Der Frau soll und muss die Wohltätigkeitspflege überlassen bleiben, es ist ihr eigenstes Gebiet, aber auch hier tut Bildung, Bildung und nochmals Bildung Not, soll sie Gutes und Echtes schaffen. Nicht minder gebührt der Frau Anteil an der Schulverwaltung wie am Lehramt. In Skandinavien und der Schweiz sind Frauen als Lehrer von Knaben an Gymnasien und Seminaren tätig, und aus beiden Ländern, wo man das Wirken männlicher und weiblicher Lehrkräfte nebeneinander vergleichen kann, wird der wohltätige ethische Einfluss, den letztere auf ihre Schüler ausüben, gerühmt. Ist es denn auch nicht ein viel natürlicheres Verhältnis, wenn Frauen Knaben, als wenn Männer Mädchen erziehen? Gewiss aber ist es eine nicht zu verkennende sittliche Forderung, dass Mädchenschulen von Frauen geleitet werden und dass ne-

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ben den Männern auch Frauen im Schulrate sitzen, der die Erziehung ihrer Kinder handhabt. Die Frau wird stets als die Trägerin der Sittlichkeit hingestellt, wohl, aber sie ist es nur von einer Sittlichkeit, die ihr vom anderen Geschlechte zugeschnitten und ausgestanzt worden ist. Tatsächlich ist sie nicht die Wärterin, geschweige denn die Schöpferin der Sittlichkeit, sondern nur die Befolgerin äußerlicher Sitten, und sie kann auch beim jetzigen Stande ihrer Bildung und ihrer Rechte nichts anderes sein. Wenn aber ihre Stellung eine andere geworden sein wird, dann wird sie eine Sittlichkeit auferstehen lassen: anders geartet als die jetzt herrschende Buchstaben- und Scheinmoral. Dann werden die Giftpflanzen des Menschenschachers, der Prostitution, der sittlichen Verkommenheit mit wuchtigeren Hieben bekämpft werden als mit den heutigen Scheinwaffen und hohlen Wortgeplänkeln. Von jener Zeit dürfen wir hoffen, dass das ausgesogene Mark der Völker wieder gesundet, soviel als dann noch zu gesunden übrig ist. Wahrlich, ein größerer Einfluss zum Guten wie zum Schlechten steht bei der Frau, als ihr öffentlich zuerkannt wird, und alles sollte aufgeboten werden, um ihre sittliche Hebung anzustreben, da ihre Veredelung als Faktor der Kulturentwicklung wiederum ins Volk zurückfließt. Es wird angenommen, dass von den Müttern der Intellekt auf die Söhne, von den Vätern auf die Töchter vererbt wird, deshalb verlangt selbst Schopenhauer, der sogenannte große Weiberfeind – obgleich er eigentlich nur Feind der weiblichen Unbildung und Untugenden ist –, man solle seinen Kindern gescheite Mütter geben. Wenn nun aber die Mütter immer nur den Bruchteil von Intellekt vererben, den sie selbst von ihren Vätern erbten, ohne durch dessen Ausbildung und Vervollkommnung an ihrem Teile das Erbe zu eigenem und ihrer Kinder Gewinne wieder vermehrt zu haben, dann hat in allen vergangenen Jahrhunderten der Fortschritt der Menschheit sozusagen nur mit halbem Dampfe gearbeitet: Er hat nur das halbe Ziel dessen erreicht, was er hätte erreichen können, denn wenn der Intellekt vom Weibe aus übertragbar ist, so wird er wohl auch im Weibe ausbildungsfähig sein, und von der erstrebten intellektuellen Ausbildung der Frauen und von ihrer geistigen Selbständigkeit haben wir also für die Entwicklung des ganzen Menschengeschlechtes unendlich viel zu hoffen. Und wir erwarten in der Tat nicht viel weniger als alles von jener mit schnellen Schritten heranziehenden Wendung, wo man die Frau als Vollmenschen anerkennen, wo man ihr gleiche Rechte, gleiche Bildung, gleiche Teilnahme an allen Kulturaufgaben zuerkennen wird. Ich habe schon einmal erwähnt, dass durch alle Nationen, durch alle Gesellschaftsschichten die Erkenntnis gedrungen ist, wie die ganze Zivilisation über einem qualmenden Sumpfe sittlicher Korrumpiertheit schwebt, wie alle sozialen Verhältnisse auf eine unhaltbare Spitze getrieben sind und dass man sich vergeblich müht, dem drohenden Zusammen-

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bruche vorzubeugen, eine Regeneration herbeizuführen. Im Laufe der Geschichte haben wir wiederholt in ähnlichen kritischen Zeiten ein junges Volk mit frischem Blute und gesunder Sittlichkeit überwindend in eine alte Kultur einbrechen gesehen, deren kulturelle Errungenschaften es sich zwar assimilierte, der es aber wiederum neue Lebenskraft zuführte und die es zu neuer Blüte trieb. So die Perser bei dem Verfall der assyrischen Herrlichkeit, die Römer bei den Griechen und wiederum die germanischen Nationen bei den Römern. In unseren Tagen will man diese verjüngende Kulturaufgabe den Slawen zuweisen, jedoch erscheinen sie von der okzidentalen Degeneration in den höheren Schichten eher noch mehr angekränkelt wie die westlichen Völker, und die unteren Volksmassen sind im selben Maße vom Alkohol korrumpiert. Nein, ich möchte die Wahrscheinlichkeit betonen, dass diese stolze Aufgabe dem selbsttätigen Eintreten der Frauenwelt in die Kulturgeschichte aufbehalten sei, dass in ihrer Teilnahme an dem bewussten Ausbau der Zivilisation und der Regeneration der Gesellschaft, an der Formulierung der Rechte und allen allgemein menschlichen Einrichtungen sich eine Perspektive zu neuer Glückseligkeit, zu einer geläuterten Sittlichkeit und echter, das ganze Wesen durchdringender Humanität und Kultur eröffne. Wollen wir denn an dieses mir vorschwebende Ideal glauben? Wollen wir, als stände es bei uns es zu erreichen, an seiner Verwirklichung arbeiten, eine jede für sich und für die Allgemeinheit, wollen wir mit allen Kräften streben nach tiefer, ernster, echter Bildung für die Frauen, und wenn wir dann das fernste uns vorschwebende Ziel nicht erreichen, so gehen wir doch mit jedem kleinsten Schritte darauf zu, Segen stiften[d] für uns selbst, für die Frauenwelt und für die sittliche Hebung der ganzen Menschheit.

Deputation deutscher Frauen beim Reichskanzler Die fortschrittliche Frauenbewegung in Deutschland empfand mit einer gewissen Schärfe die geringe Berücksichtigung, welche, trotz unverkennbarer Fortschritte bezüglich der Stellung der Frauen auf manchen Gebieten, gerade die wesentlichsten Forderungen bezüglich der Vereinsfreiheit, der Mädchenschulbildung und der Übergriffe der Polizeiwillkür aufgrund der Reglementierung der Prostitution bisher von Seiten der gesetzgebenden Körperschaften gefunden hatten. Insbesondere hat der jahrelange, sehr energisch geführte und erst jüngst wieder in mehr als 80 Eingaben geäußerte Protest gegen die Beschränkung der Teilnahme an politischen Vereinen kürzlich beim Reichstage eine gegen frühere Beschlussfassungen im rückschrittlichen Sinne abweisende Bescheidung erhalten (s. Anm. S. 300), und der Bundesrat hatte überhaupt noch nicht für nötig

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befunden, diese Angelegenheit, welche tatsächlich den wichtigsten Lebensnerv der Bewegung berührt, einer Erörterung zu unterziehen. Der „Deutsche Verein für Frauenstimmrecht“, dessen Vorsitz in Händen der Verfasserin dieser Zeilen liegt (s. Anm. S. 300), hatte daher den Entschluss gefasst, die Kardinalpunkte des frauenrechtlerischen Programms direkt vor dem Kanzler, als der höchsten, verantwortlichsten Persönlichkeit des Reiches, zu Gehör zu bringen. Seine Anregung fand lebhafte Zustimmung bei den Frauen im Reiche, von denen eine Anzahl zu der am 20. März anberaumten Audienz beim Kanzler auf telegraphischen Ruf herbeieilte. Verhältnisse und Umstände schränken allerdings bei solchen Gelegenheiten stets den vorhandenen Willen zur persönlichen Beteiligung wesentlich ein, jedoch waren neben den vielen, die nur schriftlich ihre Sympathie mit dem unternommenen Schritte bekunden konnten, circa 35 Frauen aus Berlin und mehreren deutschen Städten zur Stelle, und zwar waren es Frauen der verschiedensten Berufsklassen: Lehrerinnen, Arbeiterinnen, Reichs- und städtische Beamte, Doctores dreier Fakultäten, Schriftstellerinnen, Handelsangestellte usw. In einer Vorkonferenz war die Vorsitzende des „Vereines für Frauenstimmrecht“ zur Sprecherin und waren die von ihr zu erörternden Punkte bestimmt worden. Mit den Unterschriften aller Teilnehmerinnen versehen, ward eine kurze Zusammenfassung derselben schriftlich dem Reichskanzler überreicht, während die Sprecherin sich etwas eingehender über die einzelnen Gegenstände verbreitete und vor allem die von den Frauen zu jedem Punkte gegen die gesetzgebenden Körperschaften oder die Verwaltungsbehörden zu erhebenden Beschwerden vorbrachte. Der Wortlaut des überreichten Textes ist der folgende: „Die Versammelten bitten im Namen vieler deutscher Frauen um die Vorlage eines Reichsgesetzes, dahin lautend: Die vereinsrechtlichen Beschränkungen der Frauen sind in allen deutschen Bundesstaaten aufgehoben. Sie bitten ferner um Aufhebung von Ziffer 6 des § 361 RStGB, dessen Wirkung ein unerträgliches Ausnahmegesetz für alle deutschen Frauen bedeutet; sie bitten endlich: dass durch Reichsgesetz bestimmt werden möge, dass nach vollgültig abgelegter Maturitätsprüfung das weibliche Geschlecht das gleiche Anrecht auf Immatrikulation an Hochschulen habe wie das männliche; dass bei der in Aussicht gestellten Reform des Mädchenschulwesens in Preußen eine Anzahl sachverständiger Frauen zur Mitarbeit herangezogen werden; dass der privaten Initiative bei Reformversuchen für Mädchenschulen durch Konzessionsversagung seitens des Kultusministeriums nicht länger hindernd in den Weg getreten wird;

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dass die Errichtung obligatorischer Fortbildungsschulen für Mädchen eingeleitet werde.“ Der Reichskanzler gab darauf etwas folgende Antwort: „Ich danke Ihnen für Ihre freundlichen beredten Worte, ich danke Ihnen für Ihr Erscheinen und bitte Sie, davon überzeugt zu sein, dass ich mir der außerordentlichen Bedeutung und des großen Ernstes der Frauenfrage wohl bewusst bin. Was die angeregten Punkte betrifft, so werden Sie selbst wissen, dass ich, wo es sich um die hinsichtlich des Vereinsgesetzes geltenden Bestimmungen handelt sowie auch um den betreffenden Paragraphen, welcher so schmerzliche Erscheinungen zur Folge hat, nicht allmächtig bin; vielmehr ist dies alles gebunden an die Bestimmungen der gesetzgebenden Körperschaften; ich kann in dieser Beziehung nur Reformversuche anregen. Was die Frage der Frauenbildung betrifft, so ist dieselbe in Verbindung mit den Grundlagen der Volkserziehung vom Kultusministerium in Erwägung gezogen. Es ist Ihnen bekannt, welche Stellung zu dieser Frage der Kultusminister einnimmt. Eine nachdrückliche Unterstützung der Mädchenschule von Seite[n] der Unterrichtsverwaltung wie von Seite[n] der Stadtgemeinden ist in Aussicht genommen, und durch neue Lehrpläne werden im Unterricht verschiedene Verbesserungen angestrebt. Dagegen verhält sich die Unterrichtsverwaltung ablehnend hinsichtlich der Errichtung von besonderen Mädchengymnasien sowie Aufnahme der Mädchen in die höheren Lehranstalten sowie gegenüber der Koedukation. Gegen die Errichtung solcher Anstalten erheben sich Bedenken, dagegen sind versuchsweise sechsjährige Gymnasialkurse genehmigt und weitere Erfahrungen nach dieser Richtung hin gesammelt worden. Hinsichtlich des berührten Punktes: die Zuziehung von sachverständigen Frauen zur Beratung, bin ich dafür, diese sehr wichtige Frage anzuregen und zu sehen, ob es möglich sein wird, dass Frauen zugezogen werden. Jedenfalls können Sie meines Interesses sicher sein. Ich werde, soweit es an mir ist, dasselbe beim Bundesrat und Reichstag zum Ausdruck bringen.“ Man hatte alle Ursache, mit dem Tone wie mit dem Inhalte der Antwort des Reichskanzlers zufrieden zu sein. Denn wenn auch voraussichtlich nicht eine unmittelbare Wirkung völlig im Sinne der vorgebrachten Wünsche zu erwarten sein wird, so ist doch durch den Verlauf der Dinge die Annahme bestätigt worden, dass der „Verein für Frauenstimmrecht“ wohl daran getan hat, an die höchste Stelle des Reiches zu appellieren und vor der Öffentlichkeit kund zu tun, dass die deutsche Frauenbewegung gesonnen ist, sich in der Gesetzgebung und in der allgemeinen Anerkennung den Platz im Volksleben zu erobern, der ihr gebührt als einer sozialen Strömung, die berufen ist, wesentlich an dessen gesunder Entwicklung mitzuwirken.

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Obdachlose Frauen Größer als in anderen Jahren ist in diesem Winter die Zahl der Obdachlosen, und vor allem schrecklich ist die Lage der obdachlosen Frauen. Sind ihrer auch nicht so viele wie der obdachlosen Männer, so ist doch das Elend jeder einzelnen ebenso groß, ja größer als dasjenige eines Mannes, da diesem, besonders durch die verschiedenen Hilfsmittel, die ihm während der Tageszeit offen stehen, das Verzweifelte seiner Lage wesentlich erleichtert wird. Wie viel größer ist das Vorurteil gegen die obdachlose Frau als gegen den obdachlosen Mann, wie viel schwerer hält es für sie, wieder Berufsarbeit oder Anstellung zu erlangen, wie viel weniger widerstandsfähig sind die Stoffe und die Form ihrer Kleidung gegen Witterungsunbill und Abnutzung, wie viel weniger erwärmte Lokale sind ihr tagsüber zugänglich! Der gelernte Arbeiter z. B. hat durchschnittlich in den Handwerkerherbergen das Recht des freien Aufenthalts, wo er wenigstens auf Stunden verweilen und sich durchwärmen kann, auch wenn er kein Geld hat, um etwas zu verzehren. In anderen Lokalen kann er, indem er sich für ein paar Pfennige einen Schnaps kauft, ohne scheel angesehen zu werden, lange Zeit herumsitzen, geborgen gegen Regen und Kälte. Die obdachlose Frau, die das gleiche tun wollte, würde zu ihrem Elend noch unsagbaren Kränkungen und Beleidigungen von den Gästen derartiger Lokale ausgesetzt sein, die sie unter solchen Umständen als zu den Verworfensten ihres Geschlechts gehörig einschätzen würden. Gewiss, es ist an sich nicht wünschenswert, dass die Frauen gewohnte Erscheinungen in den Schnapsbudiken werden; betrachtet man diese aber im Ausnahmefalle als eine Zufluchtsstätte, wo Obdachlose für die geringste Mietsentschädigung von 5 Pf[ennig] eine kleine Spanne Zeit, Rast und Schutz finden können, so werden wir eine der vielen sozialen Ungerechtigkeiten gegen die Frauen darin erblicken müssen, dass sie nur unter Preisgabe des letzten Restes der Achtung ihrer Unglücksgenossen oder schlimmerer Elemente diese Lokale betreten können. Weit schlimmer allerdings ist die soziale Ungerechtigkeit, die darin liegt, dass Berlin seine Wärmehallen nur den Männern öffnet, wie in einem Hinweise der „Volkszeitung“ auf diesen Missstand behauptet wird (s. Anm. S. 301). Vollkommen unbegreiflich ist die Handlungsweise derjenigen, welche bei der Errichtung von Wärmehallen einer Großstadt diese Beschränkung eingeführt und mit keinem Gedanken die Notlage der umherirrenden, frierenden Frau berücksichtigt haben. Sollte auch hier das grausame Schlagwort „die Frau gehört ins Haus“ das Vernichtungsurteil über die Existenz aller derjenigen ausgesprochen haben, die zu arm sind, um Haus und Heim zu besitzen? Die Obdachlose, die Straßenhausiererin, die Zeitungsfrau, die Austrägerin friert und leidet sie weniger als der

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Obdachlose, der Hausierer, der Bote, der Kutscher, der Zeitungsverkäufer, dass man ihm Feuer und Unterstand, eine Schale warmen Kaffee und Brot bietet, ihr aber nicht? Sollte man es überhaupt für möglich halten, dass die Unterschiede in den Berechtigungen der Geschlechter bis in dieses Gebiet der äußersten Not hineingetragen werden? Wie war es möglich, für unterstandlose, frierende Männer ein Obdach aufzutun, ihnen Stärkung und Wärme darzubieten und vor den Frauen in gleicher Lage erbarmungslos die Pforten geschlossen zu halten? Sind unsere Sitten und Zustände wirklich noch so trostlos roh, dass man es nicht dulden kann, wenn Männer und Frauen an demselben Feuer sich wärmen, aus derselben Kanne ein heißes Getränk eingeschenkt erhalten? Und werden solche rohen Sitten jemals gebessert, wenn man nicht endlich beginnt, beide Geschlechter ein kameradschaftliches, weder durch Feindseligkeit und Missachtung, noch durch Zudringlichkeit gestörtes Verhältnis zueinander zu lehren, wo, wie in dem in Rede stehenden Falle, die nötige Aufsicht und Autorität vorhanden ist, um jedes exzessive Vorkommnis im Entstehen zu hindern. Wenn es Tatsache ist, dass die Tausende von obdachlosen Frauen in Berlin, die in den Asylen der Stadt reglementmäßig nur sechs Nächte im Monat Unterkommen erhalten können, den ganzen Tag und alle die vielen eisigen Nächte wie ein gehetztes Wild durch Straßen und Anlagen irren müssen, dann ist es wahrhaftig höchste Zeit, dass ihnen Stätten bereitet werden, wo sie wenigstens während der Tagesstunden ein Dach über dem Kopf und eine erträgliche Temperatur haben. Aber nicht für die Einrichtung von Frauen-Wärmestuben soll plädiert werden, sondern für Eröffnung der bestehenden auch für Frauen und für Errichtung neuer Stuben für beide Geschlechter, falls der Zudrang es erheischt, damit nicht etwa der Fall eintritt, dass die frosterstarrte Frau oder auch ein Mann im Südosten etwa noch eine Stunde bis zum fernen Norden sich schleppen muss, bis sie oder er zu der dem betreffenden Geschlecht offen stehenden Wärmehalle gelangt. In einer Stadt, wo Millionen der Wohltätigkeit geopfert werden, werden sich leicht die Mittel auch für eine Wohlfahrtseinrichtung aufbringen lassen, die mit verhältnismäßig geringem Aufwande so vielen Hilfe bringen kann. Sollen jene armen unterkunftslosen Frauen nicht der Gesellschaft fluchen, die sie in Eis und Schnee hinausstößt und nur für Männer das gastliche Herdfeuer schürt?

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Die allgemeinen Regungen der Frauenbewegung 1 Unsere Zeit, die so viele Umwälzungen und Neuerungen erlebt, ist auch Zeuge einer mächtigen Strömung, die durch alle Länder und Kontinente geht und die, nachdem das verflossene Jahrhundert die soziale Emanzipation eines dritten und vierten Standes gezeitigt hat, nunmehr eine neuen Gruppe der Kulturmenschheit in geschlossener Solidarität auftreten und um ihre rechtlich und sozial erweiterte und befestigte Stellung innerhalb der menschlichen Gesellschaft und der staatlichen Verbände kämpfen lässt. Es sind die Frauen aller Länder, die in dieser Weise eine neue Phase in der Erscheinungsform unserer Zeit repräsentieren, obgleich nur die Kraft und die Geschlossenheit ihres Strebens neuartig ist; vorbereitet, angedeutet, angesponnen, manchmal zu bedeutungsvollerem Umfange anschwellend, manchmal wieder im Strome der Zeitläufe untergehend, ist die Frauenbewegung durch Jahrtausende und seit den Tagen des Altertums. In Griechenland gab es innerlich und geistig emanzipierte Frauen, die ihre Persönlichkeit zu freiester Entwicklung und Selbständigkeit zu bringen wussten. Wir kennen nur die hervorragenden Gestalten einer Aspasia, Sappho, Hypathia (s. Anm. S. 301) u. a., dass ihrer aber so viele waren, dass sie als Typen im öffentlichen Leben gelten konnten, geht unter anderem hervor aus Komödien jener Zeit, in denen man sie zu verspotten suchte. In Rom sehen wir noch weit deutlichere Spuren einer Frauenbewegung in unserem Sinne. Zunehmende Rechtserweiterungen auf dem Gebiet des Privatechtes trafen generell das ganze Geschlecht. Die Aufhebung der Geschlechtstutel fand zwar formell erst unter Kaiser Commodus (s. Anm. S. 301) statt, längst zuvor aber waren gesetzliche Modalitäten gefunden worden, mittelst derer die eheherrliche Gewalt des Mannes aufgehoben, die freie Vermögensverfügung der Frau ermöglicht wurde. Überhaupt war im römischen Staate zuerst durch die Sitte, später auch durch die Gesetzgebung die Stellung der Frau in Familie und öffentlichem Leben die weitaus würdigste und freieste. Die germanische Überflutung von der einen, die orientalischen Einflüsse der christlichen Kirche auf der anderen Seite haben auf Jahrhunderte und Jahrtausende den Zustand von Herabdrückung und Abhängigkeit des weiblichen Geschlechtes bewirkt, aus dem es erst in allerletzter Zeit aus eigener Kraft sich loszuringen bestrebt ist. Wir wissen von berufstätigen Frauen in Rom. Rechtskundige Frauen müssen in ziemlicher Anzahl gewesen sein, denn es wurde gegen sie ein Senatsbeschluss erwirkt, der ihr ferneres Auftreten bei Gericht verbot. Von den Gründen dieser Maßregel haben unsere Quellen nichts berichtet, vielleicht verschweigen sie sie 1 Dieser Artikel ist der erste einer größeren Folge, die im Zusammenhange die moderne Frauenbewegung behandeln wird. Anm. d. Red.

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mit guter Überlegung, wer weiß, ob nicht einer derselben war, dass jene weiblichen Advokaten zu viele Prozesse gewannen? – Von einer im 25. Lebensjahre verstorbenen Stenographin Apate berichtet eine von ihrem hinterbliebenen Gatten Pittosus herrührende Grabschrift. Apate war Griechin von Geburt, übte aber ihren Beruf in Rom aus, und zwar als verheiratete Frau; sie liefert also gleichzeitig den Beweis für die weitgehende Unabhängigkeit der Frauen bei beiden Nationen und in der Ehe. – Sehr interessant erzählt uns Livius von einer politischen Agitation der Frauen Roms (s. Anm. S. 301), welche die Abschaffung eines sie beeinträchtigenden Gesetzes bezweckte. Die Rede, welche der Vertreter der Frauen, der Tribun Lucius Valerius, bei dieser Gelegenheit vor dem Volke hielt, mutet uns ganz an wie eine feministische Rede von Louis Frank, Pernerstorfer oder Bebel in heutiger Zeit (s. Anm. S. 302). Die Zeit der Völkerverschiebungen und -siedelungen, der Errichtung und Verteidigung von Staaten im Mittelalter und bis in die Renaissancezeit bedingte, dass die Frauen als Gesamtheit zurücktraten, sich weit eher geschützt und verteidigt als rechtsbenachteiligt fühlten und vor allem nicht zum Bewusstsein der auch von ihnen geleisteten Kultur- und Erwerbsarbeit gelangten. Dennoch reißt auch in diesen Jahrhunderten des Faustrechtes die Kette bedeutsamer Individualitäten nicht ab, die entweder in ihrer Teilnahme an den schönen Künsten und Wissenschaften oder durch die kraftvolle Betätigung von Energie, Organisationsgeist und Charaktertüchtigkeit zum Ausleben ihrer eigenen Persönlichkeit weit über das Maß des Herkommens und der Sitte ihrer Zeit Raum für sich beanspruchten und auch errangen. Die Chroniken erzählen von gar mancher streitbaren Äbtissin, die mit fester Hand ihr Recht und ihr Gebiet zu behaupten wusste, über Hofleute und Adelige ihres Sprengels zu Gericht saß und in der Politik ihrer Zeit gar kräftig zu raten und zu taten pflegte. Dass unter den regierenden Fürsten der Prozentsatz der bedeutenden Herrscherinnen weit größer ist als derjenige der männlichen Herrscher, ist der oberflächlichsten Betrachtung offenbar; auch die Annalen der italienischen, französischen, aber auch einiger deutscher Universitäten weisen unter ihren Dozenten gar manche weiblichen Namen auf, die für ihre Zeit und darüber hinaus eine guten Klang gewannen. Praktische Ärztinnen gab es während des Mittelalters und zu Beginn der Neuzeit sehr viele. Auch in den Handwerken wurden viele Frauen beschäftigt, so viele, dass die männlichen Gesellen sich gegen sie auflehnten und ihre Verdrängung verlangten, was mit Hilfe der damaligen strengen Zunftsatzungen leicht erreichbar war. Der Versuch einer allgemeinen und zielbewussten Emanzipation der Frauen, insbesondere das Streben, ihnen geistige Bildung und wissenschaftliche Berufe in weiterem Umfange zugänglich zu machen, entsteht erst, nachdem die Wunden des Dreißigjährigen Krieges einigermaßen wieder vernarbt waren. Die

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furchtbaren Kriegszeiten und die totale Vernichtung von Kultur und Wohlstand hatten begreiflicherweise die Lage der Frauen auf das tiefste Niveau bis zu der Stelle eines Zugtieres vor dem Pflug herabgedrückt. Der Leipziger Professor Gottsched (s. Anm. S. 302), dessen Leistungen in der Literatur und Sprachreinigung allbekannt sind, ist als Vater einer systematischen Frauenbewegung zu bezeichnen, die um die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts eine mehr künstlich angefachte als aus dem Bedürfnis und der eigenen Überzeugung der Frauen entsprungene Existenz führte. Dass sie unter solchen Umständen nicht lebensfähig war, liegt auf der Hand: Sie fiel in sich zusammen, da sie ihre Wurzeln nicht in weite Kreise des Volkes treiben konnte. Diese Zeit und ihre Bestrebungen beschreibt uns eine ausgezeichnete, nicht nur belehrende, sondern auch äußerst fesselnd geschriebene Monographie von Adalbert v[on] Hanstein (s. Anm. S. 302), ein Kultur- und Zeitbild von lebendiger Anschaulichkeit und einer erstaunlich reichen Materialverarbeitung. 2 Durch das, was sie waren und leisteten, hat unzweifelhaft eine große Zahl bedeutender Frauen des achtzehnten Jahrhunderts die Bewegung des neunzehnten vorbereitet und zum Reifen gebracht. Den Anteil der Frauen am Zeitalter der Aufklärung wie an der französischen Revolution wagt niemand zu leugnen, der die Kulturgeschichte jener Periode und die Namen der Wirtinnen wie der Gäste der Pariser Salons der vorrevolutionären Zeit kennt. Eine Anzahl von Frauen beantragte denn auch schon im Jahre des Ausbruches der Revolution bei der Nationalversammlung die Ausdehnung der proklamierten Menschenrechte auf beide Geschlechter. Die lebhafte, völlig auf Erwerb der politischen Gleichberechtigung gerichtete Frauenbewegung in Paris in der ersten Revolutionszeit fand ihren Mittelpunkt in zwei Persönlichkeiten, die beide für ihre Ideale mit dem Tode büßten: Olympe de Gouges (s. Anm. S. 302), die Führerin der Frauen, welche die „Déclaration des droits de la femme“ (s. Anm. S. 302) als Seitenstück zur „Déclaration des droits de l’homme“ verfasste, und Condorcet (s. Anm. S. 302), ein geachtetes Mitglied der Nationalversammlung. Im Jahre 1793 machte ein Dekret allem politischen Streben der Frauen ein gewaltsames Ende, alle Frauenclubs und -versammlungen, deren es seither viele gegeben hatte, wurden verboten, die vor der Nationalversammlung erscheinenden Frauen, die gegen diese Maßregel im Namen der Freiheit und Gleichheit protestieren wollten, wurden niedergeschrien und auch von der Gemeindeversammlung, an die sie appellieren wollten, nicht zu Wort gelassen. In Strömen von Blut wurde jene ehrliche und ernste Frauenbewegung erstickt.

2 A[dalbert] v[on] Hanstein: „Die Frauen in der Geschichte des deutschen Geisteslebens“, Bd. I und II, Leipzig 1899 und 1900

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Ein Jahr zuvor ward in England ein sichtbarer Grund- und Markstein der Frauenbewegung gelegt in dem 1792 erschienenen Buche von Mary Wollstonecraft „A Vindication of the Rights of Woman“ (s. Anm. S. 302). Auch für sie erscheint von Anbeginn ihres Nachdenkens über die Stellung der Frau in der menschlichen Gesellschaft gleiche Bildung, gleiche Berufsfreiheit, gleiches Recht vor dem Gesetz und gleicher Anteil an der Gesetzgebung als das Wesentliche und Ausschlaggebende für eine Hebung der Stellung der Frau und als eine Frage der Gesamtwohlfahrt und der Gerechtigkeit. Dasselbe Jahr, 1792, brachte die gleiche Forderung für die deutschen Frauen, aber sie kam aus der Feder eines Mannes, Gottfried v[on] Hippel (s. Anm. S. 302), Oberbürgermeister in Königsberg, und die deutschen Frauen hatten wenig oder gar keinen Teil an ihr, brachten ihr wenig oder gar kein Verständnis entgegen. Wenige Jahre später flammte ihre Begeisterung und Opferfreudigkeit auf in den Freiheitskriegen (s. Anm. S. 302); sie sind bis heute stets bereit, ihren Anteil an den Werken des Krieges auf sich zu nehmen, sei es durch Vermögensopfer, sei es durch aufopfernde Pflege der Verwundeten; dass die friedliche Ausgestaltung des Vaterlandes, der innere Ausbau des Staatslebens, ein edleres und höheres Ziel ist und dass ein echterer Patriotismus sich diesem Dienste zu widmen fordert, wollen sie bis heute nicht verstehen. Das Buch von Gottfried v[on] Hippel „Über die bürgerliche Verbesserung der Weiber“ (s. Anm. S. 302) blieb denn auch ein ziemlich verborgenes literarisches Produkt, das erst die Forschung unserer Zeit als Kuriosum ans Licht gezogen hat. Man darf demnach annehmen,dass die Frauen in Deutschland, welche in der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts an hervorragender Stelle des Geisteslebens standen und teils bewusst und mit Absicht, teils indirekt die geistige Saat der Freiheit und Selbständigkeit des weiblichen Geschlechtes ausstreuten, doch mehr oder weniger selbständig zu ihren Überzeugungen gelangt sind und sie nicht von ihrem Vorläufer Hippel übernommen haben. Es sind hauptsächlich die Frauen des schöngeistigen Berliner Kreises, die hier in Betracht kommen: Rahel Varnhagen, Bettina v[on] Arnim, Henriette Herz, Karoline Michaelis (s. Anm. S. 302); die beiden zuerst genannten dürften zumeist als eigentliche Apostel einer Frauenbewegung und -emanzipation aufgefasst werden. Die politischen Kämpfe der Vierzigerjahre fanden schon lebhaften Widerhall, zum Teil tätige Mitarbeit unter den Frauen, besonders den literarisch gebildeten, die durch die politische Poesie und Literatur jener Zeit an den brennenden Tagesfragen Interesse gewonnen hatten. Unter ihnen finden wir drei Namen, die von großer Bedeutung für die Entwicklung der deutschen Frauenbewegung geworden sind: Unmittelbar und direkt, infolge ihrer organisatorischen Arbeit, ist das von der Sächsin Luise Otto-Peters (s. Anm. S. 303) zu behaupten, auf

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Schriften und geistigem Einfluss beruhend von der Berlinerin Hedwig Dohm 3 (s. Anm. S. 303) und von der Badenserin Malvide v[on] Meysenbug. 4 (s. Anm. S. 303) Alle drei gelangten von der bedingungslosen jugendlichen Hingabe an die Sache des Volkes und der Freiheit zum Zurückgreifen auf die Notwendigkeit der Befreiung der einen Volkshälfte, die von allem Erstrebten, von allem Erreichten ausgeschlossen blieb, ja, die kaum ein Verlangen nach Erstreben und Erreichen äußerte, abgestumpft durch physische oder geistige Notlage. Man muss sich vor Augen halten, wie umwälzend sich zu jener Zeit der große wirtschaftliche Umschwung mit seinen Nachwirkungen auf die Lebensführung der Familie und des Hauses äußerte. Die zur Herrschaft gelangte Maschinentechnik hatte die alte Naturalwirtschaft der Familie verdrängt; alle die wirtschaftlichen Produktionsartikel, die bisher für den eigenen Bedarf im Haushalte hergestellt worden waren, wurden nun in Fabriken gefertigt und durch den Handel an die Bedarfsstellen vermittelt. Der Hausbetrieb wurde demzufolge auf einen Bruchteil seines früheren Umfanges eingeschränkt, die bisher in ihm beschäftigten zahlreichen Arbeitskräfte, vorwiegend weibliche, wurden beschäftigungs-, infolgedessen brot- und obdachlos. Es fehlt an Raum, um die sich aus diesem verhältnismäßig plötzlich hereinbrechenden Umschwunge ergebenden Zustände breiter zu schildern und mit Zahlenmaterial anschaulich zu machen, aber das Anwachsen der Scharen subsistenzloser Frauen gewann den Umfang einer öffentlichen Kalamität. Aus dem Kreise ihrer bisherigen hauswirtschaftlichen Tätigkeit herausgedrängt, ohne alle Kenntnisse, häufig nicht einmal im Besitz einer Elementarbildung, fanden sie sich auf den Markt des Lebens hinausgeschleudert, völlig benachteiligt gegenüber dem anderen Geschlecht, mit dem sie hier die Konkurrenz aufnehmen sollten. Dass die Behauptung, der Mann sei der Ernährer und Erhalter der Frau, ein inhaltsloses Schlagwort ist, lässt sich an den Zuständen jener Zeit lebendig illustrieren: Der Mann ließ in seinem Hauswesen so viele Frauen für sich arbeiten, wie der Umfang desselben es mit Profit möglich machte, und vergalt ihnen ihre Leistung wie jeder andere Unternehmer durch einen Teil der von ihnen erarbeiteten Werte im Betrage ihres Existenzminimums. Sobald sein Hauswesen einschrumpfte, besann er sich keinen Augenblick, alle nicht mehr verwendbaren Frauenhände von demselben auszuschließen, unbekümmert darum, dass man dieselben in ihrer Jugend unter dem Vorgeben, dass sie durch Brüder, Schwäger, Gatten usw. ihren Unterhalt erhalten würden, von der ihm gewährten Bildung und Berufswahl ausgeschlossen hatte. Diese äußerste wirtschaftliche Not der Frauen war es, wie andere fühlbare Faustschläge der Geschichte, welche die Existenz einer „Frauenfrage“ als un3 4

„Der Frauen Natur und Recht“, Berlin 1878 „Memoiren einer Idealistin“ 1878

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übersehbare Tatsache den Menschen vor Augen brachte. Es ist begreiflich, dass die unter dem Druck ihrer Lage leidenden Frauen selbst nicht die Träger einer Bewegung zu ihrer Besserung sein konnten. Wer um die nackte Existenz ringt, bietet alles auf, sein Stück Brot zu erkämpfen, nicht Bildung und Rechte, um es leichter erwerben zu können. Solche prinzipiell vorbeugende Hilfe muss von außen geboten werden, und sie ward geboten. Vorbereitet durch die tapferen Forderungen von Luise Otto-Peters, die schon in den Vierzigerjahren auf die Notlage der arbeitenden Frauen hingewiesen hatte, und von Luise Büchner (s. Anm. S. 303), brachte die Erkenntnis des verhängnisvollen Zustandes der Frauen eine reichhaltige Literatur hervor und später praktische Gründungen nach englischem Muster mit dem Zweck, der Erwerbstätigkeit der Frau verschiedene Bahnen zu erschließen. Zunächst wurden die ergänzenden und reproduzierenden Nebenberufe auf ärztlichem, künstlerischem und technischem Gebiete, der Telegraphen-, Post- und Schalterdienst, kaufmännische Berufe und von Handwerken Buchdruckerei, Buchbinderei, Schuhmacherei, Schneiderei, Goldschmiede-, Uhrmachergewerbe und andere den Frauen zugänglich gemacht und ihnen Ausbildungsmöglichkeit auf diesen und anderen Gebieten teils gewährt, teils vermittelt. Kamen diese Gründungen den Frauen zugute und waren sie in ihrem Interesse gedacht, so muss man sich doch hüten, dieselben als im Sinne der Frauenbewegung vorgenommen zu betrachten. Im Gegenteil, ihnen dürfte weit eher der Zweck innegewohnt haben, als ein Sicherheitsventil gegen deren Emporkommen zu dienen, während andererseits die erzielten Wirkungen, die Stärkung der Selbständigkeit und Unabhängigkeit der solcherweise ausgebildeten zahlreichen Frauen mittelbar die Fundamente der Frauenbewegung stützen halfen. Als in den Ländern deutscher Zunge der erste Versuch gemacht wurde, die Grundidee der Frauenbewegung durch organisiertes Wirken zu fördern, bestand in anderen Ländern schon längst eine organisierte und zielbewusste Bewegung der Frauen nach persönlicher Unabhängigkeit und gesetzlichen Garantien zur Verallgemeinerung und Sicherung derselben für das ganze Geschlecht. In Amerika arbeitete die Stimmrechtsbewegung seit mehr als einem Jahrzehnt und sah sich an der Schwelle des ersten Erfolges – im Staate Wyoming trat die politische Gleichberechtigung der Frauen 1869 in Kraft (s. Anm. S. 303). Luise OttoPeters und Auguste Schmidt (s. Anm. S. 303), beide in Leipzig, beriefen 1865 eine große Konferenz von Männern und Frauen aus Deutschland und Österreich, welche die Konstituierung des „Allgemeinen deutschen Frauenvereins“ (s. Anm. S. 303) unter dem Vorsitz der beiden Genannten vornahm. Diese Gründungen und ihre Fortwirkungen, die in der Ausbreitung auf viele andere Städte, Errichtung von Schwestervereinen und Ortsgruppen bestanden, charakterisieren die Frauenbewegung der letzten Jahrzehnte des neunzehnten

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Jahrhunderts, die im Zeichen der Frauenerwerbsvereine und der Frauenbildungsvereine steht. Der in Österreich 1866 gegründete „Wiener Frauenerwerbsverein“ (s. Anm. S. 303) stand von Anbeginn auf dem Boden selbsttätiger und selbstbewusster Frauenbewegung. Nach der Errichtung von Näh-, Handels-, Fortbildungsschulen und Zeichenkursen kam er 1870 bei der Stadtgemeinde Wien um Errichtung von Parallelklassen für Mädchen an einem der Wiener Realgymnasien oder um die Mittel zur Errichtung eines Realgymnasiums für Mädchen ein. Eine Petition um Förderung höherer Mädchenbildung wurde auch dem Landtage und dem Unterrichtsministerium überreicht und fand sehr wohlwollendes Entgegenkommen, auch praktische Würdigung durch die Bewilligung einer jährlichen erheblichen Subvention für Mädchenbildungszwecke an den Verein. Immerhin konnte in dieser Zeit, besonders auf dem Gebiete der Frauenrechtsbewegung, wenig mehr als vorbereitende Propagandaarbeit geleistet werden. Die Geister empfänglich zu machen für die Anschauungen einer neuen Zeit, die eigenen Ziele und Forderungen zu klären und zu systematisieren, durch stete Wiederholung sie den Massen mundgerecht zu machen, ihnen das befremdlich, ja bedrohlich Ungewohnte vertraut und selbstverständlich scheinen zu lassen, war die langwierige und mühsame Aufgabe dieser Periode. Ob dieselbe in den Ländern deutscher Zunge nicht ein wenig zu lang ausgedehnt, nicht zu vorsichtig betrieben worden ist? Man möchte es vermuten, wenn man bedenkt, dass fast überall in den Kulturländern die ersten Anfänge der Bewegung gleichzeitig einsetzten – sie entsprangen ja den international wirkenden wirtschaftlichen Faktoren, die den gleichfalls in allen Ländern synchronisch geäußerten idealen Überzeugungen den Druck der praktischen Auslösung zuführten. In den nördlichen und westlichen Ländern germanischer Nationalität, in den überseeischen Kontinenten noch mehr, hat man durch schnelleres Arbeiten schnellere und größere Erfolge herbeigeführt. Eine Erklärung dieser Tatsache wird unter anderem in dem Umstande zu finden sein, dass, im Gegensatze zu anderen Ländern, die deutsche Frauenbewegung zu jener Zeit keine einzige jugendliche Kraft, sondern durchweg Frauen reiferen Alters, zwischen dem vierzigsten und fünfzigsten Jahre, zu ihren Trägerinnen zählte, während in England, Amerika usw. junge Frauen vom zwanzigsten, fünfundzwanzigsten Jahre an mit voller Kraft und jugendlichem Enthusiasmus die Agitation betrieben. So wenig reifes Urteil und ein durch Erfahrung erworbenes Gleichmaß bei großen sozialen Reformbewegungen zu entbehren ist, so wenig dürfen sie des Impulses und der Tatkraft aufsteigender Lebensenergie ermangeln. Den Beweis hierfür bietet die Kulturgeschichte hundertfältig, ein Beweis dafür ist auch zum Beispiel Luise Otto-Peters selbst. Was sie für die deutsche Frauenbewegung getan und geleistet hat, das liegt nicht in der Grün-

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dung und Ausbreitung jenes Frauenvereines, nicht in den letzten Jahrzehnten ihres Lebens, sondern in den Worten und Schriften der Fünfundzwanzig- und Dreißigjährigen, die in der Teilnahme der Frauen an den Interessen des Staates nicht allein ihr Recht, sondern vielmehr ihre Pflicht und in ihrer vollen politischen Berechtigung den Fortschritt der Menschheit erblickte. Die großen Ideen, die zu jener Zeit ausgesprochen wurden, sind dasjenige gewesen, was zumeist gewirkt hat. Bücher wie „Die Hörigkeit der Frau“ von Stuart Mill, „Der Frauen Natur und Recht“ von Hedwig Dohm, „Die Osterbriefe“ von Fanny Lewald, „Die Frauen und ihr Beruf“ von Luise Büchner (s. Anm. S. 303) haben die Masse vorwärts gebracht – nicht die vorsichtig tastende, immer zu Konzessionen und Kompromissen bereite und den Heiland bei jedem Hahnenschrei verleugnende (s. Anm. S. 304) Vereinstätigkeit, die vielmehr den Beweis geliefert hat, dass meistens nicht einmal ihre Leiterinnen den Geist des neuen Evangeliums (s. Anm. S. 304) erfasst haben.

Politische Frauenbewegung Nachdem das Erwachen und die ersten Regungen der Frauenbewegung, sodann eine Anzahl ihrer im Vordergrunde stehenden Spezialgebiete in den vorangegangenen Kapiteln kurz skizziert worden sind, 1 bleibt noch übrig, zum Schluss einen Blick zu werfen auf die Erscheinungsform, welche nunmehr die Frauenbewegung im Leben unserer Zeit angenommen hat und in der sie ihren wesentlichen und charakteristischen Ausdruck findet. Derselbe zeigt in allen Ländern und Weltteilen das gleiche Bild, es ist die klare und sichere Erkenntnis, dass nur auf gesetzlichem Boden die Lage der Frauen allgemein und dauernd verbessert werden kann. Alle private Aufklärung, jeder individuelle Fortschritt, jede selbsttätige Gründung haben lediglich den Wert und die Bedeutung von Beispielen, Illustrationen, Beweisen; lediglich die Gesetzgebung kann für eine grundsätzliche und gesicherte Anerkennung der Frauenrechte die Grundlage bieten. Die Gesetzgebung wird natürlich eine derartige Tendenz nur annehmen, wenn die Frauen einen entsprechenden Einfluss auf sie gewinnen; da der sicherste und lauterste Weg zu solchem Einfluss nicht der der Gunst und Gnade, sondern derjenige des Rechtes ist, so ergibt sich als einfache Konsequenz die Forderung der politischen Rechte, des Wahl- und Stimmrechtes für die Frauen. Es ist schon oben mitgeteilt worden, dass allerorts diese Forderung eine der ersten war, welche geäußert wurde, und dass sie nur im Laufe der Zeiten zurückgedrängt und zurückgestellt war, indem nach dem Grundsatze „Divide et 1

Vgl. die Nummern 446, 449, 454, 460 und 469 der Wochenschrift „Die Zeit“

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impera“ Stück für Stück der zu erkämpfenden Rechte in Angriff genommen und erobert wurde. In Deutschland machte sich zuerst Ende der Achtzigerjahre eine Strömung radikalen Sinnes geltend; man kann als ihre erste erkennbare Äußerung die Gründung des schon genannten „Vereins Frauenbildungsreform“ (s. Anm. S. 304) bezeichnen, der durch sein Programm, vollwertige Schul- und Gymnasialbildung für das weibliche Geschlecht, die tragkräftige Basis für alles darauf Aufzubauende schaffen wollte, nämlich für die Maturitätsprüfung mit den daran hängenden Berechtigungen, den Universitätsbesuch, die Staatsprüfungen und die Eröffnung der durch sie bedingten Berufe neben der Tüchtigkeit und Widerstandskraft für alle übrigen Berufe und Lebensverhältnisse, die aus einer soliden und umfassenden Bildung entspringt. Dass die Frauenbewegung in ihrer bisherigen beschaulichen Entwicklung in dem jungen Verein etwas Neues und Andersartiges witterte, etwas, wenn nicht im Kern, so doch im Tempo und im Modus von ihr Verschiedenes, das beweist deutlich die Feindseligkeit, mit der sie ihm begegnete, die der Anfang war für eine spätere reinliche Scheidung in die sogenannte gemäßigte und radikale oder konservative und fortschrittliche Partei. Der „Verein Frauenbildungsreform“ beschränkte sich in seinem Programm streng auf die Bildungsfrage, er fand seine Ergänzung in dem der Propaganda auf allen Gebieten dienenden „Verein Frauenwohl“ (Berlin) (s. Anm. S. 304), der, anfangs auch im älteren Fahrwasser segelnd, durch eine innere Krisis die konservativen Elemente seiner Leitung abstieß (s. Anm. S. 304) und darauf, etwa vom Jahre 1894 an, die führende Rolle in der politischen deutschen Frauenbewegung eingenommen hat. Einen mächtigen Impuls, sich aus der bisherigen Lethargie aufzuraffen und zu etwas energischerem Vorgehen zu entschließen, vor allem auch den von der radikalen Bewegung eingeschlagenen Weg zu akzeptieren, nämlich den Versuch, auf die Gesetzgebung Einfluss zu erlangen, erhielt auch die konservative Frauenbewegung durch den Anschluss an die internationale Organisation, welche die Frauen und die Frauenbestrebungen aller Erdteile zu einem großen organischen Bau zusammenfügt, zu dem „Frauen-Weltbunde“ oder „International Council of Women“ (s. Anm. S. 304). Dieser Weltbund setzt sich zusammen aus den nationalen Verbänden als Einzelkörperschaften, welche unter dem Namen „Bund deutscher Frauenvereine“ (s. Anm. S. 305), „Bund englischer Frauenvereine“ etc. die Aufgabe haben, ihrerseits einen Zusammenschluss aller Frauenvereine in ihrem Lande in fester organischer Verbindung und Verwaltung zu veranlassen und aufrecht zu erhalten. Periodische internationale Frauenkongresse befestigen und beleben von fünf zu fünf Jahren den Weltbund. Der Zusammenschluss zu einem nationalen Bunde und die von dem Weltbunde ausgehenden Anregungen haben einen unverkennbaren erzieherischen Einfluss auf die deutschen Frauenvereine ausgeübt. Die Funktion des Sauertei-

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ges innerhalb des Bundes hat von Anbeginn der linke Flügel, die radikale Gruppe, übernommen, die von Jahr zu Jahr an innerer und äußerer Kraft gewonnen hat und ihre Gesamtstärke wiederum zu einer gemeinsamen Organisation konzentrierte, die unter dem Namen „Verband Fortschrittlicher Frauenvereine“ seit 1899 besteht (s. Anm. S. 305). Dieser Verband umfasst eine Anzahl allgemeiner Propagandavereine, einige Zweigvereine der „Internationalen Föderation“, mehrere kaufmännische Berufsorganisationen, den „Verein für Frauenstudium“ und den „Verein für Frauenstimmrecht“ (s. Anm. S. 305); das gemeinsame Verbandsorgan ist die radikalste bürgerliche deutsche Frauenzeitschrift „Die Frauenbewegung“ (s. Anm. S. 305). Die Vorsitzende dieses Verbandes seit seiner Gründung und zugleich die Vorsitzende des Berliner „Vereins Frauenwohl“, auch die Herausgeberin der genannten Zeitung, ist Frau Minna Cauer (s. Anm. S. 305). Die Ziele der Frauenbewegung sind schon in den früheren Kapiteln zum Teil in weiten Umrissen, zum Teil in näherer Ausführung dargelegt worden, es genügt also hier eine kurze Zusammenfassung derselben: Es gilt die volle und bedingungslose Befreiung der Frau von aller rechtlichen, persönlichen und wirtschaftlichen Unterdrückung oder Benachteiligung in dem Maße wie überhaupt in jedem Staate Bürger- und Menschenrechte bestehen. Es gilt die volle und unbeschränkte Teilnahme der Frauen an allen Bildungsgütern und allen Bildungsanstalten, die in einem Staate öffentlicher Benützung zugänglich sind. Es gilt auch, den Einfluss auf die Schulverwaltung und Schulaufsicht für das weibliche Geschlecht in Anspruch zu nehmen, den es nach Maßgabe seiner Zahl und seiner Bedeutung im Staatsverbande beanspruchen darf und zum Wohle sowohl der heranwachsenden weiblichen Jugend, nicht minder aber auch der gesamten Volkserziehung beanspruchen muss. Es gilt die ungehinderte Erwerbs- und Berufsfreiheit und freien Zulass zu jeder Art nutz- und gewinnbringender Tätigkeit, welche die menschliche Gesellschaft geneigt ist, gegen Entgelt entgegenzunehmen, damit jede Frau imstande ist, sich je nach ihren Fähigkeiten und Neigungen wirtschaftlich unabhängig zu machen, damit anderseits das Publikum, Männer und Frauen, in der Lage ist, nach freier Wahl männliche oder weibliche Berufskräfte für sich zu beschäftigen. Dieses gilt insbesondere auch für die konzessionierten Berufe und Ämter: die Lehrerschaft, die Anwaltschaft, die Ausübung der Medizin und aller Nebenberufe, aber auch für das Richteramt, die Funktion als Geschworene, Leitung und Beaufsichtigung der Strafanstalten, für das Verwaltungswesen, und hier insbesondere bis in die höchsten Stellen der Organisation und Regierung. Es gilt sodann die Aufhebung derjenigen Einrichtungen, welche die geschlechtliche Unfreiheit der Frau innerhalb und außerhalb der Ehe zur Folge

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haben. Das bedingt die Aufhebung aller einseitig verpflichtenden Wirkungen der Eheschließung für die Frau, insbesondere die gesetzliche, absolut durchgeführte Gütertrennung nach dem Muster des englischen Vermögensrechtes, gleiches Recht und gleiche Autorität gegenüber den Kindern, uneingeschränkte Handlungs- und Verfügungsfähigkeit der Frau, Anrecht auf staatliche Erziehungsgelder für jedes unmündige Kind. Ferner bedingt diese Forderung Aufhebung der staatlichen Regelung der Prostitution und innerhalb der sozialen Anschauungen Beseitigung der Idee einer doppelten Moral, Aufräumen mit dem Begriff der „gefallenen Frau“ solange derjenige des „gefallenen Mannes“ nicht existiert. Endlich gilt es, die volle Anerkennung der Frau als Bürgerin des Staates und der Gemeinde herbeizuführen, die sie kraft ihrer Eigenschaft als Mutter der Bürger des Staates in hervorragendem Maße als willige Arbeiterin und Trägerin aller Lasten des Staates und der Gemeinde in gleichem Umfange wie der Mann beanspruchen darf. Die Frau ist bereit zur Übernahme aller amtlichen und ehrenamtlichen Leistungen, die das Vertrauen der Mitbürger und der Behörden ihr überweisen will, sie hat aber auch ein Recht darauf, an der Gestaltung des Gemeinwesens, an den Gesetzen, welche dessen Richtschnur sein sollen, an der Besetzung der Vertrauensämter, an der Kontrolle der Staatsmaschine mitzuwirken wie jeder andere urteilsfähige Bürger im Staate. Vielen Anhängern der alten Ordnung wird schwindeln bei dem Gedanken der Realisierung dieses Programms; sie sehen in demselben den vollendeten Umsturz alles Bestehenden und Traditionellen. Wir haben darauf die kaltblütige Antwort: Mag es denn stürzen; schlimm genug, dass es so lange bestand, dass sich die menschliche Gesellschaft so lange aufbauen konnte auf einem für ihre größere Hälfte unerträglichen und ganz unwürdigen Zustand. Den Beweis für das Zutreffende dieser beiden Adjektiva findet jeder Mann, sobald er sich in eine Umkehrung des Verhältnisses zwischen ihm und seiner Frau oder einer anderen Frau hineinversetzt. Nicht einer wird die Zumutung, mit der Eheschließung seinen Namen aufzugeben, sein Vermögen in die Verwaltung seiner Gattin abzuliefern, an seinen Einnahmen kein Eigentum zu besitzen, sich diese oder jene Handlung verbieten zu lassen, überhaupt unter dauernder Bevormundung zu stehen, erträglich finden; keiner wird die Zumutung, sich in eine derartige Zwangslage zu begeben, überhaupt diskutabel finden. – Nun, die Frauen von heute sind ganz derselben Ansicht. Dass ihre Forderungen, so unerhört sie erscheinen mögen für ein mitteleuropäisches Gemüt, keine Utopistereien sind, erhärtet die Tatsache, dass sie fast alle schon irgendwo durchgeführt sind und bei ihrem tatsächlichen Bestehen und Wirken nirgends etwas anderes als einen notorischen Fortschritt der sozialen und der sittlichen Zustände zutage gefördert haben. Im zweiten Kapitel ist be-

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reits eine Aufzählung der von Frauen ausgeübten Berufszweige gegeben, die natürlich auf Vollzähligkeit keinen Anspruch macht, die jedoch wohl so ziemlich alle äußersten Spitzen der eroberten Zweige des ganzen Bereiches und somit den Umfang angibt. Zugleich ist dann angedeutet, dass auch wichtige Verwaltungsposten schon in Händen der Frauen ruhen. Im englischen Gesetz ist die volle Unabhängigkeit der Frau in der Ehe gewährleistet (s. Anm. S. 305) und zwar durch einen so schroffen Übergang vom Stande äußerster Benachteiligung, wie er sich selten in der Geschichte der Gesetzgebungen vollzogen hat, und dennoch hat er keinerlei Unzuträglichkeiten zur Folge gehabt. In England ist auch mit der staatlichen Kontrolle der Prostituierten völlig aufgeräumt, ebenfalls ohne alle Nachteile für Ordnung und Sittlichkeit, wohl aber unter günstigen sanitären Wirkungen und von großem Einfluss auf die allgemeine Achtung vor dem weiblichen Geschlechte im öffentlichen Verkehrsleben. Unter verschiedenen Modifikationen sind auch bereits die Ansätze zu konstatieren, dass der Staat seine Verpflichtung gegenüber der Frau als Mutter zu erkennen beginnt; es ist das zunächst begreiflicherweise in den Staaten mit dünner oder rückgehender Bevölkerung zu beobachten, in Frankreich, Norwegen, in den westamerikanischen, australischen Staaten, immerhin gewinnt das Prinzip Eingang in die Soziologie und Staatskunst. Was endlich die bürgerliche Gleichstellung der Frau betrifft, so ist auch hier der Zirkel bereits geschlossen. Der ganze australische Kontinent nebst den Staaten Tasmania und Neuseeland hat das volle, unbeschränkte aktive und passive Wahlrecht der Frauen adoptiert, in vier Staaten der amerikanischen Union ist es eingeführt (s. Anm. S. 305), und in Tibet, der Wiege der arischen Menschenrasse, und seinem Nachbarstaate Afghanistan besteht dasselbe noch in ununterbrochener Übung seit Jahrtausenden. In England hat es schon dreimal mit steigender Majorität im Unterhaus die Zustimmung gefunden, welche ihm das Oberhaus noch versagte, aber nicht lange mehr versagen kann. Auch die Spezialforderung des Frauenstimmrechtes ist international organisiert zu einem „International Committee“ der Frauenstimmrechtsvereine (s. Anm. S. 305). Das Gemeindewahlrecht besitzen die Frauen in sehr vielen, fast in allen Ländern, wennschon häufig mit Einschränkungen. In Österreich haben es die Großgrundbesitzerinnen und mit ihm teilweise das Recht zur Reichsratswahl. In den Gemeindeämtern, der Schul-, Wohnungs-, Sanitätsinspektion, der Armenund Waisenpflege, der Vormundschaft usw. sind in allen Ländern zahlreiche Frauen tätig. Auch, da, wo sie noch nicht als Wähler auftreten und die Gesetzgebung des Landes direkt beeinflussen können, bedienen sich die Frauen einer indirekten

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Beteiligung an der Zusammensetzung der Parlamente durch ihre Mitarbeit und Agitation bei den Wahlen. Sie haben das mit großem Geschick und Erfolg seit langer Zeit in England getan, wo es längst anerkannt ist, dass, wer die Frauen für sich hat, eine aussichtsreiche Kandidatur hat. Auch in Holland, Dänemark, Frankreich pflegen die Frauen systematische Wahlhilfe zu leisten, in Wien haben sie vor etwa Jahresfrist damit begonnen und ihr Vorgehen hat sofort die allgemeine Beachtung gefunden, die eine neue politische Konstellation zu begleiten pflegt. In Deutschland jedoch sind die Parteien des Reichstages schon seit Jahr und Tag daran gewöhnt, hinsichtlich der Anliegen und Forderungen der Frauen direkt angegangen, zu Konferenzen eingeladen, auch in öffentlichen Versammlungen hinsichtlich ihrer Stellungnahme nicht nur zu Frauenfragen, sondern auch zu allgemeinen politischen Fragen kritisiert und interpelliert zu werden. So haben denn auch die geduldigen Frauen Deutschlands, später zwar als die der westlichen Kulturstaaten, aber doch zielbewusst und tapfer den Weg gefunden, der von bedeutungslosen Deklamationen in geschlossenen Kreisen zu selbstsicherem Fordern und Anklagen vor der breiten Öffentlichkeit führt. Das Ziel, das ihnen vorschwebt, ist ein klar gezeichnetes: Es ist dasselbe, welches die Frauen aller Welt erreichen wollen, zum Teil schon erreicht haben, und es soll ihnen der Ausgangspunkt sein nicht zum Genießen und Ausruhen auf für sich gewonnenen Vorteilen, sondern zu ernster und treuer Mitarbeit an der Besserung der Zustände dieser Welt, an der Bekämpfung und Beseitigung ihrer vielfachen Leiden und Schäden und an der Mehrung ihrer Kulturgüter.

Frauenlos auf dem Dorfe Die Frauenbewegung hat große Fortschritte gemacht, niemand kann das leugnen, der die heutige Zeit mit der auch nur um wenige Jahrzehnte zurückliegenden vergleicht. Bildungsfreiheit, Erwerbsgelegenheiten, Berufsmöglichkeiten eröffnen der arbeitenden Frau eine selbständige, gesicherte Existenz, die Gesetzgebung hat auf manchen Gebieten dem vorgeschrittenen Persönlichkeitsbewusstsein der Frauen Rechnung getragen, ihre Stellung im Familienrecht gebessert, aber je kleiner und vom Verkehr weniger berührt die Siedlungen der Menschen werden, umso geringer erweist sich die Wirkung des neuen Evangeliums und der modernen Tatsachen, und je weiter man ins platte Land oder in entlegene Waldtäler hineindringt, umso rücksichtsloser sieht man die Frau noch in einem Untertänigkeitsverhältnis gegen Mann, Bruder oder sogar Sohn festgehalten, das weder mit dem heutigen Recht noch mit der allgemein angenommenen Sitte in Einklang steht.

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Es klingt schroff, aber die Zustände rechtfertigen die Behauptung, dass in gar manchem bäuerlichen Hauswesen die Frau für den Mann gewissermaßen nichts weiter als das erste, wichtigste Haustier bedeutet, ihm zur erschöpfenden Leistung mit allen Kräften verpflichtet, ohne Anrecht auf Schonung, auf Rücksicht, auf Anerkennung ihrer eigenen Lebensansprüche, ja nicht einmal wie ein anderes Haustier gegen ausbeutenden Verbrauch durch die Rücksicht auf den Geldwert der Anschaffung geschützt, denn eine Frau bekommt der Bauer umsonst, regelmäßig bringt sie sogar noch eine Mitgift ins Haus, und ist sie verbraucht und hingesiecht, so heiratet der Witwer eine neue. Gewiss, der Bauer, der Häusling, der Holz- und Straßenarbeiter auf dem Lande führt selbst ein hartes, arbeitsreiches Leben; bei weitem härter, entbehrungsreicher und ohne jegliche Ausspannung ist aber dasjenige seines Weibes und seiner Töchter, und immer noch ist seine Existenz moralisch belebt und gehoben durch das Bewusstsein, Gebieter und unumschränkter Herr zu sein in seinem engsten Kreise, während die ihrige durch die gegenteilige Empfindung völlig hoffnungsloser, lebenslanger Hörigkeit noch mehr abgestumpft und innerlich ertötet wird. Untrüglich prägt sich das verschiedene Maß abgenutzter Lebenskraft von Mann und Frau auf den Gesichtern und in den Gestalten aus. Der Bauer von 35 bis 40 Jahren ist auf dem Gipfel seiner Kraft, gesund und blühend, die Bäuerin im gleichen Alter verblüht, verwittert, von fahler Gesichtsfarbe, welken Zügen, in denen die Runzelbildung bereits ihre Schrift einzugraben beginnt; die Bäuerin von 45 Jahren, völlig zusammengesunken und greisenhaft, wie oft hält man sie für die Mutter ihres noch elastischen und jovialen, meist um einige Jahre älteren Mannes, für die Großmuter ihrer Söhne. Wahrhaft betrübend aber ist häufig das Antlitz kleiner Mädchen in kinderreichen armen Landarbeiterfamilien, winzige zehnjährige Knirpse, unterernährt und überarbeitet, der Gestalt nach siebenjährig, den Gesichtszügen nach Greise. Die kleinen Geschwister schleppen sie mit verbogenem Rückgrat auf dem Arm umher, am Aufwaschfass in der Küche, mit schwerem Karren auf der Dungstätte, mit dem Scheuereimer, mit dem Milchkübel, aber mindestens mit dem Strickstrumpf in den kleinen fleißigen Händen hantieren sie, während die Brüder mit unverbrauchten Kindergesichtern, Hände in den Hosentaschen, protzig an der Straße stehen oder der überschüssigen Kraft Auswege eröffnen, indem sie mit ihrem Stecken in höchst zweckwidriger Weise Gänse und Vieh umherhetzen. Die unbegrenzte, nimmer rastende Tätigkeit auf allen Gebieten ist es, was das Dasein der Bauersfrau so völlig aussaugt. Der Bauer hat sein festumgrenztes Arbeitsfeld, die Außenwirtschaft, die Viehfütterung, die Holzarbeit; sind sie getan, so ruht er aus, liest seine Zeitung, schmaucht seine Pfeife, geht ins Wirtshaus oder schläft auf der Ofenbank. Für die Bäuerin gibt es keinen Feierabend, die erste im Hause an der Arbeit, die letzte zur Ruhe, ohne Mittagspause und geistige

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Ablenkung oder gesellige Zerstreuung, und neben dieser maschinenmäßigen, durch den Schlaf unterbrochenen Arbeit noch die zahlreichen Geburten, deren Anforderungen gleichwohl kaum ein Nachlassen in ihrem regelmäßigen Pflichtenkreise zeitigen. Kommt man zur Mittagsstunde in ein Bauernhaus, so sieht man auf dem Teller des Mannes wohl ein Stück Fleisch, bei einigem Wohlstande hat auch jedes Kind ein Bröckchen, die Frau aber begnügt sich mit Suppe und Brot oder anderer Zuspeise, und die Kinder lernen von früh auf, dass die Hausmutter die geringsten Ansprüche zu stellen hat, folglich wohl auch weniger bedeutet als der Vater. Eine halbe Stunde später findet man in der gleichen Familie den Mann, auch wenn er jung und kräftig ist, auf Kanapee, Bett oder Bank gemächlich zur Ruhe hingestreckt, die Frau schon wieder tätig in irgendeiner Hausarbeit. Das Fehlen der Frau im ländlichen Haushalt wird freilich als ein unerträglicher und unmöglicher Zustand angesehen, dem schleunigst Abhilfe geschaffen werden muss, ihre Unentbehrlichkeit aber durch entsprechende Achtung anzuerkennen, fällt weder dem Gatten noch den Söhnen ein. Die Arbeit des heranwachsenden Buben im landwirtschaftlichen Betriebe wird, wenn auch kärglich, so doch durch ein kleines Taschengeld entlohnt, das ihm gestattet, sich den Genuss einer Zigarre oder eines Glases Bier zu gönnen und sich die Allüren des jungen Löwen anzugewöhnen; die gleichaltrige Tochter bekommt niemals ein Stück Geld zur Verwendung für ihre Person in die Hand, sie hat alsbald die Unterwürfigkeit der Mutter gegen den Vater, gegen ihre bevorrechteten Brüder nachzuahmen, um die richtige Gefügigkeit gegen den einstigen Gatten beizeiten sich zu eigen zu machen. Daher ist denn auch die Überlieferung so unüberwindlich stark geworden, die Mann und Frau in der geschilderten Stellung zueinander festhält weit über das Gesetz hinaus. Gibt es z. B. in einem Dorfe die große Sensation einer öffentlichen Versammlung zu Wahl- oder anderen Zwecken, so findet man das gesamte Mannsvolk in dichtem Tabakqualm im Kruge zusammengedrängt und Scharen von Frauen und Mädeln in den Vorräumen und hinter den Fenstern lauernd, um durch Türspalten und Fensterritzen einen Bruchteil des großen Ereignisses zu erhaschen, auch in Bundesstaaten, wo das Vereinsgesetz die hohe Politik nicht zum Reservatrecht des erleuchteten Mannes stempelt. Und fragt man das Weibervölkchen: Warum geht’s denn nicht herein, es ist ja Platz genug drin? So lautet die verschüchterte Antwort: Oh nein, das dürfen wir nicht, das ist nur für die Mannes. Vergeblich ist auch alles Bemühen, ihnen klarzumachen, dass das Gesetz ihnen in dieser Frage Recht gibt: Höher als das Gesetz steht ihnen das Gebot der „Mannes“, und diese Mannesgilde begreift mittels des Instinktes weit mehr als mittels Intellektes, dass die geringste Durchlöcherung des Prinzipes,

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das sie in die Unnahbarkeit ihres wirtshäuslichen Dunstkreises emporhebt, ein verhängnisvolles Abbröckeln des köstlichen Nimbus (s. Anm. S. 306) zur Folge haben würde, in dem ihre Autorität und ihr Profit gefeit gegen jegliche Kritik und Auflehnung bleibt. Und doch geht auch durch diese trüben, müden Augen der Bäuerinnen ein Aufleuchten, wenn man ihnen von einem besseren, gerechteren Dasein, von einer würdigeren Stellung, von dem Werte ihrer Leistungen für die Familie und für den Staat spricht. Auch in ihrem Geiste harrt der latente Zündstoff ganz offenbar der Botschaft eines neuen Zeitalters entgegen, und wenig wird es bedürfen, ihre Gemüter in Flammen zu setzen und Forderungen zu stellen, die auch ihren berechtigten Lebensansprüchen zum Durchbruch verhelfen. Die bisher von der Frauenbewegung völlig vernachlässigte Landbevölkerung wäre ein dankbarer Boden für die Aussaat der Keime, aus denen einem jungen Frauengeschlechte Freude und Wert des Daseins erwachsen könnte, um ihm die nahezu verlorene Menschenwürde zurückzugeben.

Texte zum Eherecht und zum Bürgerlichen Gesetzbuch Gebt acht, solange noch Zeit ist! Spät zwar, aber doch endlich dämmert auch in Deutschland das Verständnis für die Frauenfrage auf, kommt es insbesondere dem Gros der Frauenwelt zum Bewusstsein, dass ihr Selbsterhaltungstrieb allerlei Thesen festnageln muss, aus denen ein Protest gegen bestehende und nicht länger erträgliche Zustände als unausbleibliche Konsequenz hervorgehen wird, nachdem einzelne Predigerinnen (s. Anm. S. 306) durch Jahrzehnte die Rolle der Stimmen in der Wüste (s. Anm. S. 306) gespielt hatten. Umschau haltend bei anderen Nationen gewahren wir, dass fast alle uns weit überholt haben, dass die Fortschritte fremdländischer Frauen in ihrer Stellung und in ihren Rechten unseren Zuständen weit voraus sind, und wir fragen uns nach dem Grund. Liegt es an der geringeren Intelligenz, der geringeren Großherzigkeit, dem geringeren Genossenschaftsgefühle der deutschen Frau? Kaum, denn wir haben Beispiele der ersteren, Erfolge des letzteren in zahlreichen Einzelfällen und -leistungen, in großartigen Vereinsorganisationen, die solchen Vermutungen als Gegenbeweise entgegengehalten werden können. Aber ein Umstand zeigt sich dem Forscher, welcher der Wurzel nachgräbt, und zwar ein wichtiger tiefgreifender Umstand. Das Fundament, auf welchem die deutsche Frau ihren ganzen Freiheitsbau aufführen muss, trägt nicht, die Wurzel, aus welcher ihr Freiheitsbaum entsprießen soll, hat keinen Nährboden, sie kann nur mit Worten fechten und selbst das nur innerhalb eines engen Rahmens, reale Ziele, ernste Maßnahmen sind ihr von vornherein versagt, weil sie sich rechtlich als Ausnahmesubjekt sieht, weil ihre Rechtsfähigkeit, ihre Handlungsfähigkeit durch das Gesetz beschränkt ist und die güterrechtlichen Bestimmungen sie vollkommen abhängig und unfrei machen. Dieses gilt in noch größerem Maße von der verheirateten Frau als von der unverheirateten. Aber derjenige irrt, welcher glaubt, die Frauenbewegung werde insbesondere von der unverheirateten Frau gemacht und berühre die verheiratete, weil versorgte, Frau nicht. Die Frauenfrage ist zwar zum großen Teile Nahrungsfrage, aber vielleicht in noch höherem Maße Kulturfrage, ihre Auffassung als solche erringt sich von Tag zu Tage mehr Boden, in allererster Linie aber ist sie Rechtsfrage, weil nur von der Grundlage verbürgter Rechte (s. Anm. S. 306), nicht idealer (welche beiden Eigenschaften des Rechtes sich leider nicht immer decken), an ihre sichere Lösung überhaupt gedacht werden kann. Jede andere Betätigung in der Frauenfrage ist vorschnell und verfrüht, als diejenige, welche die Vollanerkennung der Frau als gleichwertiges und gleichberechtigtes Rechtssub-

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jekt neben dem Manne bezweckt und die Beseitigung aller für sie bestehenden Ausnahmegesetze und Paragraphen ins Auge fasst. Denn der Beginn mit Einzelheiten, bevor das Ganze gesichert ist, bedeutet nichts anderes als die Anbringung von Türstöcken und Fensterrahmen bei einem Hausbau, bevor die Grundmauern aufgeführt sind. Was immer eine einzelne Frau erreicht und erringt in Kunst, in Wissenschaft, in Industrie, an allgemeinem Ansehen und Einfluss: Es ist etwas Privates, Persönliches, Momentanes, Isoliertes, was gleich einer vereinzelten Welle sich aus dem Schoße des Meeres erhebt, um spurlos wieder darin zu versinken – es haftet ihm immer der Charakter des Ausnahmsweisen und als solchem Geduldeten an –, aber es ist nicht berechtigt und kann daher nicht zur Regel werden, kann nicht Einfluss gewinnen auf die Allgemeinheit. Nach zwei Richtungen hin ist der Frau von unseren bestehenden und nicht minder von unseren projektierten Gesetzen (s. Anm. S. 306) Recht versagt, und jede Frau wird von einer dieser beiden Richtungen, häufig wird eine Frau von beiden getroffen. Die eine Rechtsbenachteiligung gilt der einzelnen Frau als Person, und sie findet ihren Ausdruck in den Familien- und Ehegesetzen, die andere – und diese ist keine Benachteiligung, sondern eine direkte Rechtsversagung – trifft alle Frauen als Gesellschaftsklasse, als Partei, welcher zwar alle politischen Pflichten auferlegt, aber jedes politische Recht versagt ist. Unter dem dehnbaren Begriffe der politischen Rechte sind aber nicht etwa ihre Wahlrechte, ihr offiziell anerkannter Einfluss an der Gestaltung der öffentlichen Angelegenheiten gemeint, sondern ihre Notwehr gegen das Verhungern (s. Anm. S. 306), ihre einfachsten Selbsterhaltungsmöglichkeiten. Leider kennen die allerwenigsten Frauen die Gesetze, denen sie sich unterwerfen, wenn sie eine Ehe eingehen: Wenn sie sie kennten, so würden sie vielleicht – wir hoffen es zu ihrer Ehre – wie einstmals die Plebejer im alten Rom einmütig auf den heiligen Berg ausziehen (s. Anm. S. 306) und nicht eher zurückkehren, als bis ihnen eine andere Stellung und ein anderes Recht zugesichert würden. Der Erfolg würde ihnen sicher sein, wenn nur auch bei ihnen die Gesinnung schon so sicher wäre, die Gesinnung, die ihnen erst aus Einsicht, Wissen und Erkenntnis kommen kann. Um unsere bisherigen Ehegesetzgebungen kurz zu charakterisieren, denn deren existieren vorderhand im Deutschen Reiche noch diverse, die aber mit einer Einmütigkeit und Treffsicherheit alle auf das gleiche Ziel losgehen, die einer besseren Sache würdig wäre, die aber in Deutschland an bessere Sachen selten verschwendet wird – um also diese Ehegesetzgebungen kurz zu charakterisieren –, [so] stehen dieselben durchweg auf dem Standpunkte, dasjenige Maß von Unrecht zu normieren, welches man, ohne mit ihnen in Konflikt zu geraten, seiner Ehefrau zufügen darf. Sache des Ehemannes ist es, von den ihm gesetzlich zustehenden Mitteln zur persönlichen und vermögensrechtlichen Beeinträchtigung seiner Gattin Gebrauch zu machen oder

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nicht. Nur wer sich über das Niveau des Gesetzes weit erhebt, räumt ihr eine menschenwürdige Stellung ein, wer sich aber auf den Boden der Gesetze stellt, kann unter deren Sanktion Person, Arbeitskraft, Vermögen seiner Gattin bis auf den Grad des Sklaventums ausbeuten. Demnach darf die Behauptung gerechtfertigt erscheinen, dass die bisherigen Gesetze ihre Aufgabe mitnichten erfüllt haben, insofern man von ihnen, wenn nicht einfache Gerechtigkeit, so doch mindestens Inschutznahme des Schwächeren und nicht Parteinahme für den Stärkeren erwarten darf. Vielfach wird der Einwurf laut, wenn man auf diese wunden Punkte unserer Gesetzgebung hindeutet, dass doch aber kein ordentlicher Mann von solcher ihm zustehenden Machtbefugnis Gebrauch mache und dass die Mehrzahl der Ehen denn doch auf ganz humaner Basis beruhen. Dieser Einwurf ist zwar die Behauptung einer Tatsache, aber als Widerlegung obigen Angriffes leidet sie an einem Mangel von Logik, der verblüffend naiv ist. Also weil sich verhältnismäßig wenige der Sanktion des Unrechts bedienen, welche die Gesetze ihnen erteilen, deshalb sollen diese unerträglich ungerechten Gesetze bestehen dürfen? Derselbe Faden, etwas weiter ausgesponnen, käme auf folgendes: Warum sollen wir denn Paragraphen gegen Mord und Totschlag aufstellen, da doch verhältnismäßig wenige ihn ausüben? Und sind deren, welche, auf die aus den Ehegesetzen ihnen erwachsenden Rechte (besser Unrechte) gestützt, ihre Machtvollkommenheit missbrauchen, resp[ektive] gebrauchen, wirklich so wenige? Manches heimlich vergrämte Frauenschicksal könnte wohl andere Ziffern aufstellen helfen, als man sich träumen lässt, und unzählige offenbare Brutalitäten von ungebildeten Ehemännern fußen ganz unverhohlen mit nackten, klaren Worten auf den Gesetzen: „Ich darf meine Frau schlagen, ich darf meine Frau langsam zu Tode hetzten, das ist mein Recht!“ (s. Anm. S. 307) Wir würden aber auf die in unseren Gesetzen versteinerten Reminiszenzen an eine vergangene Kulturperiode ohne so starke Erregung und Erbitterung blicken, wir würden sie als historische Merkwürdigkeiten betrachten wie so manche andere unschöne mittelalterliche Institution, wenn wir Aussicht darauf hätten, sie wirklich bald in ein Museum oder Raritätenkabinett, das ja immerhin seinen instruktiven Wert hat, einzurangieren, und dazu könnte ja der Entwurf zum bürgerlichen Reichsgesetzbuch volle Hoffnung geben. Das tut er aber nicht, er ist wohl kaum um Strohhalmsbreite vom alten Standpunkte vorgerückt, er weist noch immer und wiederum der Frau eine Stellung an, wie sie vielleicht dem Geiste des 17. und 18. Jahrhunderts angemessen sein konnte, die aber schon hinter dem 19. zurückgeblieben ist und zum 20., während dessen er doch erst Gesetzeskraft erhalten und auf lange hinaus bewahren soll, in diametralem Gegensatz steht. Mir ist vielleicht in diesen Blättern Gelegenheit gegeben, auf Einzelheiten näher einzugehen, heute sei der deutschen Frauenwelt und sei ins-

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besondere ihren Führerinnen ein Warnungsruf ausgestoßen: Lasst alles andere ruhen, tretet einmütig zusammen, vereint alle Kraft zu dem, was vor allem Not tut, zur Stellungnahme, zum Protest, zum äußersten Kampf gegen den Entwurf des Bürgerl[ichen] Gesetzbuches für das Deutsche Reich, wie er jetzt vorliegt (s. Anm. S. 307), denn in dieser Fassung unterbindet er aufs Neue alle Adern eurer Kraft, alle Möglichkeit eures Schaffens und Eurer ganzen bürgerlichen Existenz.

Protest Eine „Vereinigung von Frauen Münchens“ hat sich mit dem künftigen deutschen Familienrechte nach dem Entwurfe eines Bürgerlichen Gesetzbuches eingehend beschäftigt und hat folgende Resolution einstimmig angenommen: Wir protestieren dagegen, dass in Bezug auf die Frau die künftige Reichszivilgesetzgebung auf einem anderen Standpunkte steht wie die Strafgesetzgebung, nämlich auf dem Standpunkte einer Unterscheidung der Geschlechter, welche das Strafrecht nicht kennt. (Anmerkung: Das Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich zieht jede Frau für ein begangenes Delikt zur Verantwortung und straft sie wie jeden Mann, es erkennt also der Frau volle und unbeschränkte Handlungsfähigkeit zu und lässt alle Wirkungen ihrer Handlungen zu Recht bestehen. Im Bürgerlichen Gesetzbuche mangelt dagegen diese Gleichstellung. Die verheiratete Frau soll nämlich nicht befugt sein, ohne Einwilligung ihres Gatten über ihre Person oder ihr Vermögen zu disponieren. Rechtsgeschäfte, die sie trotzdem in Bezug darauf vornimmt, können vom Manne in ihren rechtlichen Wirkungen wieder aufgehoben werden. Sie hat also alle Pflichten eines verantwortlichen Menschen ohne dessen Rechte.) Wir protestieren im speziellen dagegen, dass – außer in Fällen besonderer testamentarischer Bestimmung – die Frau von der Bestellung zur Vormundschaft und von der Teilnahme am Familienrate ausgeschlossen werden soll. Wir protestieren dagegen, dass der verheirateten Frau zivilrechtliche Befugnisse genommen werden, deren die unverheiratete teilhaftig ist. Wir protestieren im speziellen dagegen, dass die Handlungsfähigkeit der verheirateten Frau dadurch beeinträchtigt werde, dass der Mann seine Einwilligung zu jedem von ihr vorzunehmenden Rechtsgeschäfte geben muss, resp[ektive] das ohne dieselbe vorgenommene annullieren kann. Wir protestieren dagegen, dass das Vermögen und der Erwerb der Frau nach dem gesetzlichen Güterrechte der Verwaltung, Nutznießung und dem Besitze des Mannes unterstellt werde.

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Wir protestieren dagegen, dass die Ehe und ihre Wirkungen für die Frau anders normiert sind wie für den Mann und dass die Frau nur durch Ausnahmeverträge (s. Anm. S. 307) eine vermögensrechtliche Gleichstellung erlangen kann. Wir protestieren gegen das gesetzliche Güterrecht als unsittlich, indem es die Ehe zu einem Erwerbsgeschäfte für den Mann stempelt, und verweisen darauf, dass alle zivilisierten Nationen in ihren modernen Gesetzgebungen die Gütertrennung als gesetzlichen Güterstand teils besitzen, teils anstreben (s. Anm. S. 307), so Belgien, Holland, England, Skandinavien, Amerika, Schweiz, Russland, Türkei u. a. Wir machen darauf aufmerksam, dass auch in vielen deutschen Distrikten jetzt Gütertrennung besteht und dass für diese die Fassung des gesetzlichen Güterrechtes des Entwurfes einen direkten Rückschritt bedeutet. Wir verweisen insbesondere auf das englische Gesetz von 1882: „Married Women’s Property Act“ (45 & 46 Victoria, Ch. 75) (s. Anm. S. 308). Wir protestieren gegen die früher vielleicht berechtigte, heute aber ein Vorurteil darstellende Behauptung einer sozialen Unreife der deutschen Frau gegenüber der Berechtigung der Frauen anderer Nationen zu gesetzlich günstigerer Stellung. Wir protestieren endlich dagegen, dass die Notwendigkeit einer Gesetzgebung, welche denjenigen anderer Nationen nachsteht, begründet werde mit dieser angeblichen sozialen Inferiorität: der deutschen Frauen und damit des größeren Teiles der deutschen Nation!

Rede vor einer Volksversammlung in Berlin am 16. Februar 1896 [1. Fassung] Wir fordern Gehör für unsere Proteste namens der deutschen Kultur. Denn der Kulturzustand des deutschen Volkes ist höher, als ihn das Familienrecht im neuen Bürgerlichen Gesetzbuch schildert. Wir glaubten, nur einer Ehrenpflicht zu genügen, und sind eigentlich erst im letzten Augenblick inne geworden, dass unsere Proteste Widerhall finden in der gesamten deutschen Presse, bei der Mehrheit der deutschen Männer, jetzt selbst im Reichstag; aber das Bewusstsein dieser allgemeinen Sympathie verpflichtet uns nun auch, alles, was in unserer Kraft steht, aufzubieten zur Erreichung unserer Forderungen. Wir haben eine nationale Kultur, und diese fordert Rechtsgleichheit für alle. Es ist nichts als Jesuitismus (s. Anm. S. 308), wenn man das wohlbegründete Recht der Handlungsfähigkeit der Frau gibt, solange sie unverheiratet ist, um es ihr zu nehmen, wenn sie heiratet. Das verstößt gegen den Rechtsusus aller Zeiten. Ein einmal erworbener höherer Rechtszustand kann nie wieder verloren werden ohne eigenes Verschulden

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oder Verbrechen. Das ist ein anerkannter internationaler Rechtssatz. Die Eheschließung aber ist kein Verbrechen, sondern die gesunde Norm, kein Verschulden, sondern eine sozial verdienstliche Handlung. Sie kann somit für keinen Kontrahenten Rechtsnachteile nach sich ziehen. (Beifall). Die Bestimmung, dass der Mann Rechtsgeschäfte der Frau annullieren kann, ist ein Schlag gegen Treu und Glauben, ein Hohn auf alle rechtlich geregelten Zustände. Der ganze Entwurf ist, soweit er das Familienrecht betrifft, nichts als ein neues blendendes Gefäß, in das man den alten, armseligen, abgestandenen Stoff geschüttet [hat]. Darum fordert die Frau mit Recht das, was ihr längst hätte zukommen müssen, vor allem auch volle Gleichstellung mit dem Manne in der Ausübung der elterlichen Gewalt, ein Recht, dass dem Manne nicht, wie man behaupten möchte, von Gottes Gnaden gegeben, sondern das er sich von Faustrechts Gnaden genommen. Das Familienrecht des Entwurfs ist ein direkter Ausfluss der Gewalt. Die rätselhafte Riesenfaust mit dem Hammer, die wir hier jetzt so vielfach sehen (s. Anm. S. 308), scheint so recht eigentlich das Wahrzeichen für dieses Familienrecht zu sein. (Beifall). Man weiß wirklich nicht, was man dabei mehr bewundern soll, die Logik oder die Ethik? Man verweist auf einzelne Schwierigkeiten, die bei der rechtlichen Gleichstellung der Frau entstehen sollen. Und nun wegen vereinzelter praktischer Unzweckmäßigkeit ein permanenter Rechtsbruch? Als ob solche Schwierigkeiten nicht durch Schiedsgerichte, vielleicht schon durch das moralische Übergewicht der überlegenen Persönlichkeit, die allerdings keineswegs immer der Mann ist, gelöst werden könnten! Es würde sich sicher ein Modus finden, der ein Nachgeben ermöglicht, ohne ein Aufgeben des Rechts zu verlangen. Selbst das eheliche Güterrecht der Türkei ist gerechter gegen die Frau als das deutsche (s. Anm. S. 308). Man hat gesagt, der Entwurf sei urdeutsch. Aber auch der deutsche Geist ist einer Fortentwicklung fähig. Und ist es denn überhaupt ein Ruhm, wenn ein Gesetz einen ausgesprochen nationalen Charakter trägt? Je höher ein Volk seine Kultur erhebt, umso mehr beugt es sich dem internationalen Rechte, welches durch die Macht der inneren Logik zwingend für die Welt und alle Völker ist. Nationale Sonderrechte sind Meilensteine, die uns den Weg zeigen, der uns vom Ziele dieses internationalen Rechts noch trennt. Das neue Familienrecht ist nicht, wie man gepriesen, sittlich und sozial, sondern unsittlich und antisozial. Es legt der Frau das Aufgeben von persönlichen Rechten auf, das nur unter Aufgeben ihres sittlichen Bewusstseins möglich ist und für die denkende Frau bürgerlichen Selbstmord bedeutet. Man will die schwächere Frau, indem man dem Manne Besitz, Verfügung und Genuss ihres Eigentumes gibt. Gewiss, eine nationale Tat ist die Schaffung eines einheitlichen Rechts. Eine Verletzung der nationalen Würde aber bedeutet es, wenn man dabei hinter dem Kulturstan-

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de anderer Länder zurückbleibt. Deutschland ist oft vom Nachbar mit Achselzucken betrachtet [worden]. Es wird auch hier so geschehen. Ich protestiere namens der deutschen Frauenwelt dagegen, dass die soziale Unfähigkeit der deutschen Frau dies Gesetz verschuldet. Helfen Sie alle, unsere Kultur zu retten! Uns ist es nicht gegeben, mitkämpfen zu dürfen da, wo die Entscheidung fällt. Aber gleich den alten Germanenfrauen wollen wir die Streiter anfeuern, dass sie nicht zurückkehren aus der Schlacht, es sei denn als Sieger! (Stürmischer Beifall).

Rede vor einer Volksversammlung in Berlin am 16. Februar 1896 [2. Fassung] Da uns Frauen die Stimme in der deutschen Volksvertretung noch versagt ist, appellieren wir ans deutsche Volk namens der deutschen Frauen und der deutschen Kultur wegen der Schädigung, welche beide erfahren im Familienrechte des Entwurfes unseres Gesetzbuches. Rechtsgleichheit für alle ist der seit länger als 1 Jahrhundert in unserer Gesetzgebung anerkannte Grundsatz, auch die Frau muss dessen Anwendung auf sich fordern. Sie wird aber nach einem kurzen Genusse der Handlungsfähigkeit, welche ihr in Prinzipe zuerkannt ist, tatsächlich in den Stand der Nichthandlungsfähigkeit zurückgewiesen und unter dieser jesuitisch-versteckten Form wird die deutsche Rechtsentwicklung wiederum um ihre mühsame Errungenschaft gebracht. Obwohl der Rechtssatz gilt, ein gesetzlich erworbener höherer Status kann nicht wieder verloren gehen außer durch Gebrechen oder Verschulden – so in Bezug auf Handlungsfähigkeit, Mündigkeit, Wechselfähigkeit (s. Anm. S. 309) –, und obwohl die Ehe kein Gebrechen ist, sondern die gesunde Norm und kein Verschulden, sondern eine sozial verdienstliche Handlung, so wird die Frau mit ihrer Eingehung vom Stande der Handlungsfähigkeit in den der Nichthandlungsfähigkeit zurückgestoßen. Der Mann kann annullieren und revozieren, was sie kontrahiert hat, noch dazu ohne Kündigungsfrist. Wenn besonders das letztere nicht ein Schlag gegen allgemeinen Treu und Glauben ist, so ist Treu und Glauben nie gefährdet worden. (Zustimmung). Wir fordern Durchführung der einmal angenommenen Rechtsauffassung im Zivilrechte wie im Strafrechte. Wenn die Frau mit einer gefälschten Unterschrift das Recht auf Kerker und Zuchthaus erwirbt, soll ihre ehrliche Unterschrift auch zivilrechtliche Konsequenzen haben. – Abgesehen von allen praktischethischen Motiven, verlangen die Frauen vollen Zulass zum Institute der Vormundschaft vom Gesichtspunkte der Logik und der vollen Durchführung eines aufkeimenden Rechtsgedankens. (Zustimmung). Wir fordern Gleichstellung der

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Frau in Bezug auf die elterliche Gewalt. Die väterliche Gewalt ist nicht, wie im Reichstage gesagt ist, dem Manne zugeteilt von Gottes Gnaden, er hat sie sich genommen von Faustrechts Gnaden. (Beifall). Das alte deutsche Volksrecht hat keine väterliche Gewalt gekannt: Die Mutter war Inhaberin der elterlichen Rechte, Ausüber derselben war ihr Mundwalt. Die physische Gewalt hat die väterliche Gewalt geschaffen, und das ganze Familienrecht des Entwurfes ist noch ein direkter Ausfluss eben jenes Gewaltrechtes, obwohl es überall sonst in Recht und Gesetz zurückgedrängt und durch das Recht des Gedankens ersetzt ist. Wir fordern eigene Vermögensverwaltung für die Frau und erkennen in der Nutzungs- und Verwaltungsbefugnis des Mannes an ihrem Vermögen eine Gefährdung des sittlichen Charakters der Ehe, insofern sie zu einem Erwerbsgeschäfte für den Mann gestempelt wird. Es muss ein ganz neues Güterrecht geschaffen werden, eine Kombination von gänzlicher Vermögens- und Verwaltungstrennung unter Lebenden, bei engstem gegenseitigem Erbrechte der Gatten. Muss denn immer eine Schablone zum Abkopieren da sein? Müssen wir immer nur bei anderen Völkern borgen? Und wenn, warum denn stets im grauen Altertume? Die Römer, führten sie ihren Staat und ihr Recht noch fort, ständen gewiss nicht mehr auf dem Standpunkte ihres Dotalsystemes (s. Anm. S. 309), und wir sollten wiederum das aufgreifen, was sie vor 1 ½ Jahrtausenden liegen ließen? Nehmen wir dann das englische, das österreichische, ja selbst das türkische Gesetz (s. Anm. S. 309) zum Muster unseres ehelichen Güterechtes. Verwaltungstrennung schließt Nutzungsgemeinschaft der beiderseitigen Vermögen nicht aus, aber die Frau soll die Früchte ihres Vermögens zur selbständigen Verfügung haben und direkt daraus ihre Beisteuer zur Eheführung verwenden, sie soll nicht als die pekuniär Unmündige aus ihrem eigenen Vermögen Almosen empfangen. (Beifall). Man hat im Reichstage gesagt, der Entwurf sei deutsch. Sein Familienrecht steht auf altgermanischer Basis, aber auch der deutsche Geist ist einer Fortentwicklung fähig. Es ist kein Ruhm, wenn ein Gesetz ausgesprochen nationalen Charakter trägt, es ist alsdann gewöhnlich weit entfernt auch ein Recht zu sein; je höher sich die Kultur hebt, je mehr beugt sich das Volk dem universalen Rechte, welches durch seine innere Logik für alle Nationen bindend ist. Das Familienrecht des Entwurfes ist nicht sittlich und sozial, wie man gepriesen hat, sondern unsittlich und antisozial: Es legt der Frau Aufgabe von Persönlichkeitsrechten auf, die nur unter Aufgabe eines Teiles ihres sittlichen Wertes und Bewusstseins möglich ist und entsittlichend wirkt auf das Familienleben. Es hat geheißen, der Entwurf schütze den Schwächeren, sozial und physisch ist die Frau die Schwächere, sie wird aber nicht geschützt, sondern ausgebeutet. (Lebhafter Beifall).

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Dem allgemeinen Frauenstandpunkte entspricht der Entwurf nicht. Wir protestieren gegen die Ansicht, als sei der allgemeine Frauenstandpunkt der Norm des Entwurfs entsprechend. Deutsche Frauen sind sozial-denkende und sozialringende Menschen, die Menschenrechte verlangen, weil sie Menschenpflichten erfüllen. Die Nationalehre wird heruntergesetzt durch die Aufstellung eines solchen Kulturmaßstabes, wie sie das projektierte Familienrecht dem Urteile anderer Völker bietet. Wir protestieren dagegen, dass der Entwicklungsstand der deutschen Frau das Recht zur Aufstellung solchen Maßstabes biete. Die Verfasser des Entwurfes sollen die deutschen Frauen kennenlernen, ehe sie ihre soziale Unreife zur Motivierung unbilliger Gesetze proklamieren, und wenn sie unter banalen Späßen verweigern, sie kennen zu lernen, so mögen sie es vor ihrer Nation verantworten. Uns ist es eine Genugtuung, dass fast kein Volksvertreter im Reichstage, möge er einer Parteirichtung angehören wie immer, unterlassen hat, auf die gänzliche Unzulänglichkeit des Entwurfes hinzuweisen, wir danken für diesen Beistand, welchen dadurch unser schwerer, heißer, sozialpolitischer Kampf findet, der von uns fast ohne jede Kampfmittel mit dem Mute der Verzweiflung gekämpft wird, ebenso sehr für die Kulturehre unserer Volkes als für unser eigenes Recht. Wie die alten Germanenfrauen von der Wagenburg verteidigen wir die Schätze des Volkes und feuern die Männer an zum Kampf um ihre höchsten Güter. Wir können nicht selbst mitkämpfen dort, wo die Entscheidung fällt, aber wir wollen tun, was an uns ist, dass jene aus der Schlacht nicht heimkehren, es sei denn als Sieger! (Stürmischer Beifall).

Aufruf! Deutsche Frauen und deutsche Männer! Werdet Euch der drohenden Gefahr bewusst, die zur Stunde über den wichtigsten Interessen der deutschen Familie schwebt! In kürzester Frist soll das Bürgerliche Gesetzbuch von Euren Volksvertretern sanktioniert werden, trotzdem dessen Familienrecht von Tausenden und Abertausenden, Frauen und Männern, als unwürdig, als unzeitgemäß, als kulturhemmend verworfen wird. Die deutsche Frau soll wiederum nach dem neuen Gesetze in der Ehe so gut wie unmündig dastehen, während sie als Unverheiratete vom 21. Jahre an (s. Anm. S. 310) selbständig, verfügungsfähig, handlungsfähig gewesen ist. Die deutsche Ehefrau soll zu jedem Rechtsgeschäfte, zu jeder Unterschrift, ja sogar zum Broterwerb für ihre Kinder der Zustimmung ihres Gatten bedürfen, deren weder die österreichischen, russischen, skandinavischen, noch die

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englischen und amerikanischen Ehefrauen nach ihren Gesetzgebungen benötigen. Die deutsche Ehefrau, die deutsche Mutter soll also unter dauernder Bevormundung stehen! Die deutsche Ehefrau soll nach dem Gesetze keinen Besitz, keine Nutznießung, keine Verwaltung ihres Eigentums haben außer durch Ausnahmeverträge, welche sowohl dem Wesen der Ehe wie dem deutschen Volksempfinden widerstreben. Nicht der eigene Wille der Frau, nicht ihr sittlich freier Entschluss, der die Ehe adeln würde, gibt ihr Eigentum dem Manne zur Verwaltung hin, sondern allein [der] Zwang des Gesetzes, welcher die Ehe herabwürdigt. – Solchen Zwang verwerfen alle modernen Gesetzgebungen anderer Völker. Die russischen, ein großer Teil der italienischen, die ungarischen und auch die stammverwandten österreichischen, skandinavischen, englischen und amerikanischen Frauen sind Herrinnen ihres Eigentums: 170 Millionen Menschen haben sich heute zur Gütertrennung bekehrt; nur 60 Millionen leben noch unter der auf Herrschaft roher Kraft basierten Verwaltung des Frauengutes durch den Mann (s. Anm. S. 310), die in der Anschauung überwundener Kulturepochen wurzelt. Trotzdem will unser neues Gesetz dieses überlebte Prinzip wieder auf den Schild erheben (s. Anm. S. 310)! Diese Gesetzesnorm liefert im ungünstigen Falle einem verschwenderischen, einem gewalttätigen, einem böswilligen Manne die Frau auf Gnade und Ungnade aus und kann zu einem unerhörten Zwangsmittel dienen, um eine unglückliche Frau samt ihren Kindern in den unerträglichsten Verhältnissen fest zu bannen. Denn der Schutz, den das Gesetz für solche Fälle bietet, ist nicht nur durchaus unzulänglich, nein, seine Anrufung bedeutet zudem die gänzliche Zerrüttung aller Familienbande. Der deutschen Frau soll das Recht an ihren Kindern auch im künftigen Gesetze noch vorenthalten werden: Es spricht von elterlicher Gewalt (s. Anm. S. 310), die Ausübung dieser Gewalt aber steht allein dem Vater zu; er allein verfügt und entscheidet über alle Lebens- und Erziehungsfragen der Kinder. – Sogar die uneheliche Mutter hat keine elterliche Gewalt über ihr Kind, obwohl ihr allein die Sorge für das Kind auferlegt ist. Diese beiden Faktoren: Machtlosigkeit über ihr Vermögen, Machtlosigkeit über ihre Kinder

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sind aber die Unterpfande für die fortgesetzte Hörigkeit der Frau (s. Anm. S. 310). Denn kann die Frau bei pekuniärer Abhängigkeit, wird sie um den Preis des Leidens ihrer Kinder ihre persönlichen Rechte wahren wollen? Der deutschen Ehe wird demnach – eine Schmach gegenüber den anderen Nationen – durch die projektierte Gesetzgebung aufs neue das Siegel eines Dienstbarkeits- und Vogteiverhältnisses (s. Anm. S. 310) aufgedrückt. Sie drängt unser Volksleben weit zurück – heraus aus den Reihen derjenigen Kulturvölker, welche aus den heiligsten und innigsten Beziehungen der Menschen Zwang und Gesetzesdruck ausmerzen und die Freiheit als Bedingung der Sittlichkeit, die Gleichberechtigung als Voraussetzung dauernder Liebe, die Liebe als Basis der Familie anerkennen. An hunderttausend Bürger des deutschen Reiches, nicht Frauen allein, auch die Vertreter von Wissenschaft, Kunst, Politik und praktischen Berufen haben in geschlossener Reihe Protest eingelegt gegen das Familienrecht im Entwurfe. Die Reichstagskommission ist, freilich in beschränkter Majorität (s. Anm. S. 310), über den Notschrei unserer Frauen, über das Gewicht der Namen von Männern, welche in der ganzen Welt mit Achtung und Ehrfurcht genannt werden, verständnislos hinweggegangen. Man glaubt, unserer Bewegung die Bedeutung rauben zu können unter dem Vorgeben, die größere Masse der deutschen Frauen verlange keine bessere Stellung – mit anderen Worten: Sie verdiene sie nicht. – Demgegenüber, Ihr Frauen Alle, wenn Ihr lebenslange Unmündigkeit als eine Schmach für Euer Geschlecht begreift – ob Euch auch vielleicht ein günstiges Geschick davor bewahrt habe, die ganze Schwere jener Ketten zu empfinden, in die das Gesetz Euch schmiedet – gedenkt jener anderen Frauen, die von ihnen wund gerieben und zu Boden gedrückt werden. Erkennt es als eine sittliche Pflicht an, für Euch und sie die Stimme laut zu erheben und den Willen der deutschen Frauen zur Änderung ihrer Lage unzweifelhaft kund zu tun! Und Ihr, gerecht denkende deutsche Männer, die Ihr Söhne, Gatten, Väter seid und Eure Mütter, Gattinnen, Töchter nicht geringer achtet als fremde Nationen die ihren: Erhebt auch Eure Stimmen für Menschenrecht und Würde deutscher Frauen! Ermahnt Euren Reichstag an seine Pflicht! Verlangt vom Parlamente, welches den Willen der Nation zu repräsentieren hat, Änderung jener Bestimmungen im Gesetze, ehe sie auf Menschenalter hinaus in Kraft treten! In letzter Stunde, deutsches Volk, sei aufgerufen zur Wahrung Deiner Ehre! Resolution Die Arbeiten der Kommission zur Beratung des Bürgerlichen Gesetzbuches für das deutsche Reich haben in Bezug auf das Familienrecht nicht zu den von

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einem großen Teile der Nation erstrebten Änderungen des Entwurfs geführt (s. Anm. S. 310). Insbesondere die von deutschen Frauen veranstalteten verschiedenen, in ihren Prinzipien aber vollkommen übereinstimmenden Petitionen haben vor der Kommission nicht die verdiente Würdigung und Berücksichtigung gefunden, wiewohl sie berechtigten und in durchaus maßvoller Weise geäußerten Interessen eines großen Teiles der Nation Ausdruck gaben. Es ist daher einem Hohen Reichstage aufs Dringlichste anheim zu geben, auf der Materie „Familienrecht“ bei der bevorstehenden zweiten Lesung im Plenum mit besonderem Nachdrucke zu verweilen, die von Seiten der Frauen vorgebrachten, von vielen tausend Männern, darunter vielen geistigen Führern des deutschen Volkes, namentlich unterstützten Wünsche und Änderungsvorschläge nochmals einer ernsten Prüfung zu unterziehen und die erstrebten, von unsererZeit und unserer Kultur gebieterisch verlangten Umformungen im Familienrechte zu verfügen. Die Rechtskommission des „Bundes deutscher Frauenvereine“ (s. Anm. S. 333) Frau Hanna Bieber-Böhm (s. Anm. S. 311), C, Kaiser Wilhelmstr. 39. – Frau Minna Cauer (s. Anm. S. 311), W, Nettelbeckstr. 21. – Frau Sera Proelß (s. Anm. S. 311), W, Lutherstr. 51. – Marie Raschke (s. Anm. S. 311), Königgrätzerstr. 88, Berlin. Frau Marie Stritt (s. Anm. S. 311), Seidnitzerstr. 28. – Cäcilie Dose (s. Anm. S. 312), Winckelmannstr. 1, Dresden. Frau Heidfeld (s. Anm. S. 312), Danzig. – Anita Augspurg, cand. jur., München, Kaulbachstr. 51a. Sämtliche Kommissionsmitglieder verabfolgen Listenbogen zu der geplanten Unterschriftensammlung.

Petition an den Reichstag Das neue Bürgerliche Gesetzbuch versagt der Ehefrau im Widerspruch mit der ganzen sozialen Entwicklung der letzten Jahrzehnte die wirtschaftliche Selbständigkeit und die Stellung in der Familie, welche ihr in einem modernen Kulturstaate zukommt. Es versagt ihr nach dem gesetzlichen Güterrecht die Verwaltung und Nutznießung ihres eingebrachten Vermögens und stellt sie dadurch nach dieser Richtung tatsächlich den Unmündigen gleich. Es verweigert der Mutter den vollen Anteil an der elterlichen Gewalt und dadurch einen auch durch das Gesetz anzuerkennenden, von der Sitte bereits begrün-

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deten Einfluss auf das Schicksal ihrer Kinder, welchen sie so gut wie der Vater beanspruchen kann. Es versagt den unehelichen Kindern dem Vater gegenüber diejenige rechtliche Stellung, welche Menschlichkeit und Gerechtigkeit erfordern (s. Anm. S. 312). Wir bitten demnach einen hohen Reichstag, das Familienrecht des Bürgerlichen Gesetzbuches einer Revision zu unterziehen und insbesondere: a) b) c)

als gesetzliches eheliches Güterrecht die Gütertrennung einzuführen; die elterliche Gewalt der Mutter nicht nach, sondern in Gemeinschaft mit derjenigen des Vaters wirken zu lassen (s. Anm. S. 312); der Mutter eines unehelichen Kindes die elterliche Gewalt über dasselbe zu gewähren unter event[ueller] Zuordnung eines Beistandes und die Ansprüche eines unehelichen Kindes seinem Vater gegenüber gerechter zu normieren.

September 1896.

Der „Bund deutscher Frauenvereine“

Die Frau und das Recht Das Jubeljahr des Deutschen Reiches hat dem deutschen Volke die heiß begehrte Gesetzeseinheit (s. Anm. S. 313) gebracht, aber es konnte trotz redlicher Bemühungen dieser zum Teil mehr oder weniger pro domo (s. Anm. S. 313) redenden Parlamentarier keine große Jubelstimmung über das Jubelgeschenk hervorgekünstelt werden. Wenig jubelt das Volk, noch weniger jubeln die Juristen, am wenigsten die Frauen. Ja, letztere haben sich sogar erdreistet, ganz offenkundig und ohne alle weibliche Schüchternheit mit den stärksten Missfallensäußerungen, mit Protesten und Verwahrungen vor die Nation zu treten und bis zum letzten Momente das Jubelwerk zu hintertreiben und zu durchlöchern versucht. – Jetzt, nachdem die Entscheidung gefallen und die Ansprüche der Frauen, einstweilen wenigstens, zurückgewiesen sind, nachdem also feststeht, nach welcher Richtung der Erfolg der Tatsachen vorläufig deutet, jetzt schießen nach dem alten Motto „Vae victis!“ (s. Anm. S. 313) gleich schlechten Pilzen die guten Reden hervor, welche den Unterlegenen ihre Anmaßung verweisen: noch mehr zu fordern, als das gerechte, entgegenkommende Gesetzbuch ihnen freiwillig gewährt hat; den Undank: noch nicht zufrieden zu sein mit den Zugeständnissen der „zeitgemäßen“ Fassung des neuen Reichsgesetzes; die Maßlosigkeit, mit welcher über das Ziel hinausgeschossen worden ist bei Aufstellung der Forderungen für die gesetzliche Stellung der Frau.

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Man macht gegen diese Forderungen geltend, dass die Frauen im neuen Gesetzbuche im Vergleich zu den alten Landrechten schon um vieles besser gestellt seien, aber man vergisst dabei, dass die Zeit in der Periode zwischen der Entstehung der alten Rechte und der Abfassung des neuen Reichsgesetzes denn doch einen weit größeren Schritt getan hat als eben die neue Gesetzgebung: Sie hat eine sehr schnelle Entwicklung durchgemacht, und die allgemeinen Anschauungen sind einem großen Umschwunge unterstellt gewesen. Die wirtschaftliche Stellung und Aufgabe der Frau ist eine gegen früher total veränderte, man beurteilt sie, und sie fühlt sich ganz anders wie ehedem, und dieser durchgreifenden Veränderung hätte eine ebenso durchgreifende Veränderung der Gesetze folgen müssen. Dieses ist aber nur in Bezug auf die unverheiratete Frau geschehen, deren Stellung im bürgerlichen Rechte in nichts mehr von derjenigen des Mannes unterschieden ist. Zwischen dem unverheirateten und dem verheirateten Manne macht das Gesetz ebenfalls keinen Unterschied, einen umso größeren aber zwischen der unverheirateten und der verheirateten Frau, allerdings auf Kosten des eigenen Wertes, der in demselben Maße schwindet, wie das Gesetz auf die innere Logik und strenge Folgerichtigkeit verzichtet, welche das klassische Recht des alten Rom so turmhoch über alle anderen Gesetzgebungen stellen: Das neue deutsche Bürgerliche Gesetzbuch dient in seinem vierten Buche (s. Anm. S. 313) einer vermeintlich zweckmäßigen Willkür, ein Recht jedoch ist es nicht. Trotzdem es herausgezogen ist aus Jahrhunderte und Jahrtausende alten überlieferten Satzungen, kann es den Namen eines Rechtes nicht beanspruchen, solange es sowohl mit den als grundlegend anerkannten Sätzen allen Rechtes wie mit seinen eigenen sonst aufgestellten Prinzipien im Widerspruche steht. Solcher Widersprüche will ich, um kurz zu sein, nur einige herausgreifen: I. Solange überhaupt die Denker der alten wie der neuen Zeit das Wesen des Rechtes zu ergründen gesucht haben, begegnet man in den mannigfachsten Lesarten seiner Definition etwa dem Grundgedanken: Das Recht bestehe in der Freiheit der Subjekte, zu handeln und ihre Interessen zu fördern, soweit die gleiche Freiheit und die Interessensphäre der anderen dadurch nicht beeinträchtigt werde; Aufgabe der Gesetze sei die Garantie solcher Möglichkeit und die Abgrenzung der verschiedenen Interessenkreise. Die Praxis aller Rechtspflege hat von je diesen Prinzipien nachgestrebt, und die Zeit hat die zu berücksichtigenden Rechtssphären der Subjekte immer subtiler herausgearbeitet und immer feiner abgetönt. Unsere modernen Gesetzgebungen sind durchaus von diesem Streben getragen, bis an die Schwelle des Familienrechtes, wo plötzlich alle Regeln dieser Idee ausgelöscht erscheinen und wo dem einen Rechtssubjekte auf Kosten des anderen alle Schranken entfernt, dem anderen zu Gunsten des einen die eigene Interessensphäre auf das geringste Maß verengt wird.

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II. Nirgends findet man im gesamten Rechtsleben eine nicht auf Verschulden oder Gebrechen zurückzuführende Wiederentziehung von erworbenen Rechten oder Degradation aus einem höheren Rechtsstande in einen tieferen, selbst die unter den leichter erfüllbaren Bedingungen eines fremden Rechtes erworbenen bürgerlichen Qualitäten erkennen strengere Gesetze als vollgültig an, so die Volljährigkeit, Mündigkeit, Handlungsfähigkeit, Wechselfähigkeit (s. Anm. S. 313) u. a. Das Familienrecht des Bürgerlichen Gesetzbuches jedoch setzt sich auch über diesen Rechtsgrundsatz hinweg, indem es der volljährigen Frau, welche mündig, handlungsfähig, wechselfähig war, infolge ihrer Eheschließung alle diese Eigenschaften verkürzt: Sie ist in Bezug auf ihr Vermögen dem Gesetze nach nur noch beschränkt handlungs-, prozess- und wechselfähig, sie bedarf zu allen vermögensrechtlichen Handlungen und Dispositionen der Assistenz ihres Gatten und erscheint infolge dieser Notwendigkeit der Mitwirkung einer gesetzlichen Autorität als tatsächlich unmündig. III. Einen unversöhnlichen Widerspruch mit sich selbst, den allerdings nicht die Verfasser des Gesetzes ihm geschaffen haben, sondern den es einer wennschon notwendigen Abänderung in der Kommissionsberatung verdankt, muss man in dem Umstande erblicken, dass die Frau zur Vormundschaft und zum Familienrate zugelassen und folglich qualifiziert, die Güter und die Person anderer zu verwalten und zu vertreten, von der gleichen Verwaltung und Vertretung in Bezug auf die eigenen Güter und die eigene Person ausgeschlossen wird. IV. Der oberste Grundsatz allen und jeden Rechtes lautet, dass von zwei streitenden Teilen niemand zugleich Partei und Richter sein, zugleich Recht suchen und Recht sprechen, niemand in eigener Sache richten könne. Ein Rechtsmonstrum wie die Umkehrung dieses Fundamentalsatzes ist die Ausgeburt moderner „Gesetzgebungskünstelei“, muss ich wohl sagen, da unserer Sprache leider ein bezeichnender Ausdruck für juristisches Quacksalbertum fehlt, wofür wahrscheinlich in Michels bedenklicher Unempfindlichkeit gegen den Druck von schlechten Stiefeln und engen Zipfelmützen (s. Anm. S. 313) der Grund zu suchen ist. – Der strengen Logik römischer Jurisprudenz würde eine Verletzung des obigen Satzes als Unmöglichkeit und Selbstmord erschienen sein: Unser Bürgerliches Gesetzbuch anerkennt und negiert in einem Atem die volle Rechtspersönlichkeit der Frau, es kann ihm danach auch nicht schwer fallen, von zwei prinzipiell gleichberechtigten Personen, wie Eltern und Ehegatten, der einen lediglich die Rolle der Partei, der anderen nicht nur die Rolle der Partei, sondern auch die des Richters zuzuteilen. Der blinde Eifer für den zu erreichenden Zweck: Wahrung des Männerinteresses, war der Vater solcher juristischen Missgeburt. In den alten Rechten war dieser Zweck so schön erreicht; warum sollten also deren „männliche Rechtswohltaten“ nicht im modernen Gesetze

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beibehalten werden? – Ganz recht, wenn sie nur nicht in direktesten Widerspruch mit dessen sonstigem Wesen gerieten, indem man gänzlich außer Acht ließ, dass die Stellung der römischen Gatten zueinander von ganz ungleicher Basis aus gedacht war. Dem römischen Paterfamilias gegenüber stand die Frau dem Kinde, der Haustochter gleich. Sie war weder vermögens- noch rechtsfähig: Für sie entschied und über sie verfügte rechtlich das Familienhaupt, sei es nun Vater, Gatte, Schwiegervater oder ein sonstiger Agnate (s. Anm. S. 313) ihres Gatten oder ihrer selbst. 1 Die bisherigen Rechte gaben den Gatten nicht die Stellung zweier gleichartiger Faktoren, sondern diejenige von Vater und Kind oder Vormund und Mündel, konform mit der schönen, noch bis in die allerneueste Zeit wirksamen Rangordnung von Frauen, Unmündigen, Wahnsinnigen, Verbrechern auf einer Stufe. Darum konnten sie auch in Ehesachen ohne logischen Widerspruch dem Manne alleinigen Machtanspruch zuerkennen, ohne dass es sich begrifflich um eine Entscheidung gehandelt hätte, welche stets auf Kollision zweier berechtigter Willen hindeutet und daher nicht durch einen der Streitenden getroffen werden kann, sofern noch von Recht die Rede bleiben soll. Das Bürgerliche Gesetzbuch hat das Institut der manus, des Mundiums und auch die verblümtere Form des „Ehehauptes“ (s. Anm. S. 313) als unzeitgemäß verworfen und abgeschafft, es kann also auch dessen Konsequenzen nicht beibehalten – welche implicite sich durch das ganze Familienrecht ziehen und direkt z. B. in § 1354 (s. Anm. S. 314) ausgesprochen sind –, ohne in einen inneren Widerspruch zu geraten, welcher seinen juristischen Wert stark beeinträchtigt. Von keiner Gesetzgebung kann behauptet werden, dass sie absolut gut sei, denn eine jede ist das Produkt ihrer Zeit, und der Begriff des Rechtes ist so wandelbar wie die Zeit und ihre jeweilige Kultur; relativ gute Gesetzgebungen jedoch sind denkbar. Sie haben in der Hauptsache keine andere Aufgabe als diejenige einer streng logischen Operation: Aus den allgemeinen Rechtsüberzeugungen ihrer Zeit als Prämissen sollen sie haarscharf die Konsequenzen ziehen – die Gesetze müssen der übereinstimmende Schluss aus beiden sein; die größere oder geringere Vollkommenheit solcher Übereinstimmung ist der Gradmesser ihrer Güte.

1 Wobei wir jedoch den Unterschied der Stellung in den Ehen mit oder ohne manus zu beachten haben. Die noble Gesinnung der römischen Gesetze, verglichen mit den modernen, spricht sich auch darin aus, dass dort ein von der Eheschließung ganz unabhängiger Akt, die manus, die Vormundschaft des Mannes über die Frau erst begründen musste, während der bei uns dutzendfach gehörte Einwurf gegen die Forderung der Selbständigkeit der Ehefrau lautet: Sie kann sich ja durch Ehevertrag schützen!

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Man könnte leicht noch mehrere Beispiele innerer Widersprüche in unserem Gesetzbuche aufführen, doch es sei genug an diesen. Wir wollen vielmehr jetzt die Punkte aufsuchen, in denen das neue Gesetz dem alten gegenüber unverkennbare Fortschritte zeigt und die neuen Rechtsüberzeugungen der Nation in gesetzlicher Form sichergestellt hat. In erster Reihe steht hier die schon berührte prinzipielle Verwischung des Unterschiedes in der zivilrechtlichen Stellung des männlichen und weiblichen Geschlechtes. Beide sind generell als Rechtssubjekte vollkommen gleichgestellt und gleich gewertet: Jedes Rechtsgeschäft übt für beide die gleichen Wirkungen je nach der Rolle, die sie in demselben übernehmen. Aber, wie gleichfalls schon erwähnt, dieses Prinzip ruht auf lahmen Schwingen: Ein mutiger Aufflug geht schnell in einen matten Abfall über. Das Institut der Ehe bildet ein Hindernis, an welchem der gerechte Gedanke scheitert, und da wohl anzunehmen ist, dass der Gesetzgeber mit anderen das Heiraten als den normalen Verlauf des Frauenlebens ansieht, so verfällt er entweder der Scylla (s. Anm. S. 314), die soeben von ihm selbst zum Rechtsprinzip kristallisierte Rechtsüberzeugung der Zeit zu vergewaltigen, oder der Charybdis (s. Anm. S. 314), den unter II. behandelten rechtlichen Fundamentalsatz zu verletzen. Indessen so ephemer und platonisch das Zugeständnis der vollen Rechtspersönlichkeit jeder einzelnen Frau vom Gesetzgeber zugemessen ist und trotzdem es von der Eheschließung gänzlich wieder aufgezehrt wird, so ist das einmal zum Gesetz erhobene Prinzip dennoch ein unschätzbarer Fortschritt und Vorteil für die Frauen. Es ist ein Angelpunkt, an welchem ein kräftig angesetzter Hebel der zugrunde liegenden Rechtsidee zum Siege verhelfen muss. Auf der schiefen Basis einer schiefen Logik können sich diverse Kapitel der Materie Eherecht nur behaupten, bis das andauernde Bemühen der Frauen und ihrer Freunde den Keil entfernt hat, welcher das lockere Gebäude hält: Es kann alsdann nicht anders als in sich selbst zusammenstürzen. Aber auch der Frau in ihrer dauernden Lebensstellung, in der Ehe, hat das Bürgerliche Gesetzbuch freiwillig, d. h. vom Entwurfe an, eine große Verbesserung gebracht und unfreiwillig, d. h. infolge der kräftigen Agitation der Frauen und der deutlichen Sprache der öffentlichen Meinung, auf welche sie sich dabei stützen konnten, noch mehrere andere. Jene ist die Zuerkennung des eigenen Erwerbes und der Arbeitsgeräte der Frau als Vorbehaltsgut, d[as] i[st] zu eigener Verfügung und Nutzung. Allerdings war auch sie vom Gesetzgeber ursprünglich gedacht als Geschenk der einen Hand, welches die andere beliebig wieder nehmen konnte, insofern es nämlich im Belieben des Ehemannes stehen sollte, der Frau kurzweg die Ausübung eigenen Erwerbes zu verbieten oder von ihr eingegangene Verpflichtungen auf persönliche Leistungen wie Arbeitsverdingung, Übernahme von häuslichen Arbeiten etc. ohne alle Formalitäten rückgängig zu machen. In dieser letzten Hinsicht ist erst vom Plenum des Reichstages in zwei-

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ter Lesung die auch noch von der Kommissionsberatung sanktionierte Ungerechtigkeit beseitigt worden: Es kann der selbständige Erwerb der Frau, welcher auf ihrer Verpflichtung zu persönlichen Leistungen beruht, nur vom Vormundschaftsgerichte und nach vorgängigem Antrage des Ehemannes inhibiert werden (s. Anm. S. 314). Schließlich sind den Frauen in der prinzipiellen Zulassung zu Vormundschaft und Familienrat auf ihr dringliches Petitionieren noch zwei unscheinbare und vielleicht auch von der Kommission gering veranschlagte, aber sehr weittragende Zugeständnisse gemacht [worden]. Wie schon oben unter III. konstatiert, bedeuten dieselben eine Bresche in das stützende Prinzip des gesetzlichen Güterrechtes, bedeutend genug, um das ganze Gefüge zu stürzen, und daher wichtig genug, um hier wiederholt zur Beachtung gestellt zu werden. So liegt auf der Hand, dass ein Gesetz, welches einer Person die Befugnis und das Zutrauen erteilt, die Güter und die Person Dritter zu verwalten und zu vertreten, dieser selben Person in Bezug auf sich selbst und die eigenen Güter die gleiche Befugnis auf die Dauer nicht wohl vorenthalten kann, ohne sich in ein eigentümliches Licht zu stellen hinsichtlich seiner Motive. Die Bestrebungen der Frauen, schon vor der Sanktion des Gesetzentwurfes in der vorgelegten Fassung mehr Rechte zu erlangen, wurden so kräftig und ausdauernd betrieben, dass die öffentliche Aufmerksamkeit wohl oder übel auf sie geleitet wurde und dass Kenntnisnahme derselben in weitesten Kreisen nicht zu vermeiden blieb. In der unausbleiblichen Kritik sind zwei Hauptströmungen zu unterscheiden, welche, obwohl im Sinne einander diametral entgegengesetzt, doch von den entferntesten Polen zum gleichen Resultate gelangen, nämlich zu dem guten Rate an die Frauen: Lasst nun ab von Euren Versuchen, denn sie sind vergeblich! Die Motivierung auf der einen Seite lautet: Ihr habt einen großmächtigen Apparat in Bewegung gesetzt, Ihr habt wahrhaftig kein kleines Geschrei erhoben, und Ihr habt so gut wie nichts erreicht; Ihr könnt daraus ermessen, dass, wenn sie überhaupt jemals schlagen wird, so doch heute Eure Stunde gewiss noch nicht geschlagen hat, die Zeit für Eure Forderung ist noch nicht reif, übrigens, Ihr selbst seid es – nebenbei gesagt – auch nicht! Aus dem anderen Lager dagegen tönt es: Das neue Gesetzbuch hat alle billigen Forderungen erfüllt; wie anders steht die Frau heute da als in den alten Landesgesetzen! Wollte sie noch mehr fordern, so wäre es nicht allein im höchsten Grade undankbar, nein, es wäre unsittlich und würde zu unhaltbaren Zuständen führen; der Einzelne muss immer für das Ganze gewissermaßen Opfer bringen. (Notabene (s. Anm. S. 314) ist der Einzelne immer jede Frau, das Ganze immer jeder Mann, trotzdem die Frauen etwa 52 Teile vom Ganzen ausmachen und die Männer etwa 48 Teile.) Das Euch gütig Gewährte legt Euch die Pflicht dankbarer Zufriedenheit auf, es stellt Euch auf die Höhe der Zeit und der Kultur; mehr

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zu erreichen ist unmöglich! Auf die erste, gewissermaßen höhnende Stimme erwidern wir mit Ruhe: Was wir erreicht haben, wissen wir schon jetzt zu würdigen; Ihr unterschätzt es wohl, aber auch Ihr werdet es einst verstehen, wenn den Konsequenzen nicht mehr auszuweichen sein wird, die in dem heute Errungenen wurzeln. Das Familienrecht ist schon nach den geringen gemachten Konzessionen ein durchlöchertes System, es ruht auf angebohrten Stützen; lassen die Frauen in ihrem zielbewussten Kampfe nicht nach, und lassen sie es an Ausdauer nicht fehlen, so müssen sie binnen kurzem ihre zivilrechtliche Vollberechtigung auf Lebenszeit, nicht nur für einen kurzen Lebensabschnitt, erreichen und ebenso selbständig dastehen wie englische und skandinavische Frauen. Was die andere Behauptung anbetrifft, dass nämlich in der endgültigen Fassung (s. Anm. S. 314) des Bürgerlichen Gesetzbuches den Frauen bereits der Kulminationspunkt des zu Erstrebenden und eine durchaus würdige Stellung gesichert sei, so wird sich dieselbe wohl am einfachsten selbst richten, wenn wir mit wenigen Strichen die Lage der deutschen Frau und ihre geachtete Stellung im 20. Jahrhundert schildern. Das Gesetz gibt dem Manne das Recht, vom Augenblicke der Eheschließung an das Vermögen der Frau, ihr gesamtes bewegliches und unbewegliches Gut, in Besitz zu nehmen, dasselbe zu verwalten, darüber zu disponieren, das bewegliche sogar zu veräußern, die Nutzungen und Einkünfte daraus zu beziehen und für sich zu verwenden, seine Gläubiger daraus zu befriedigen. Ja, die letzteren können sogar das bewegliche Vermögen der Frau, wozu auch Wertpapiere gerechnet werden, pfänden und mit Beschlag belegen: Zu ihren Gunsten wird angenommen, dass Sachen, welche der Mann oder die Frau oder beide in Besitz haben, dem Manne gehören, d. h. die Frau muss den Beweis erbringen, dass die fraglichen Gegenstände ihr Eigentum seien, um sie vor solcher Beschlagnahme zu sichern. Das einzige Äquivalent, welches der Frau zugestanden wird, ist, dass sie vom Manne nach Beendigung der Ehe – also nach einer Scheidung von ihm selbst, nach seinem Tode von seinen Erben – Ersatz der aus ihrem Vermögen veräußerten Stücke verlangen kann. Verlangen kann man bekanntlich alles, ob aber selbst in diesem Falle, wo dem Verlangen gerichtliche Unterstützung gewährleistet wird, die tatsächliche Ersatzleistung zu erreichen ist, hängt von der Gunst der Umstände ab. Wo nichts ist, hat der Kaiser sein Recht verloren: In 80 von 100 Fällen ist wohl anzunehmen, dass, wo ein Mann den Vermögensstand der Frau für seine Zwecke veräußert, er sein eigenes Vermögen, wenn er welches besaß, schon verbraucht hat, also ihr weder Sicherheit noch Ersatz mehr zu bieten vermag, und wenn er keines besaß, so ist die gesetzliche Verpflichtung zur Ersatzleistung überhaupt eine gegenstandslose Phrase. Wenn man die Folgen des neuen Gesetzes in dieser Weise ausmalt, bekommt man häufig den Einwand zu hören: Alle diese Dinge sind ja doch selbst-

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verständlich unter rechten Eheleuten. Es ist das natürliche, dass der Mann, welcher die Ehe nach außen vertritt und in der Regel die Barmittel für die Familie erwirbt, alle diese Verwaltungsgeschäfte führt und die nötigen Dispositionen trifft. Zugestanden, ja, für die rechten Ehen! Werden aber die Gesetze für die rechten Ehen geschrieben? Nein, die rechten Eheleute brauchen kein Gericht in Anspruch zu nehmen, welches Streitfragen zwischen ihnen schlichtet, sondern sie richten sich nach freier Übereinkunft ein, verfügen nach Gutdünken in Bezug auf Arbeitsteilung, Geschäftsbesorgung und alle Familien- und Vermögenssachen. Aber die misslichen Ehen, die zerrütteten, die mit Hader und Streit geführten, sie sind angewiesen auf die Rechtsordnung, und diese wird in der projektierten Form weder den schwächeren Teil, noch das Recht schützen, sondern den Starken, den Gewalttätigen und das offenbare Unrecht. Wer sich im Kreise seiner Verwandtschaft umsieht, kennt sicherlich auch ein Beispiel, wo durch einen leichtsinnigen, verschwenderischen oder schlechten und brutalen Mann eine ganze Familie in grenzenloses Elend gebracht wird, wo der wirtschaftliche und häufig zugleich der moralische Untergang einer ganzen Generation durch die wirtschaftliche Unfähigkeit oder die Böswilligkeit eines Vaters herbeigeführt wird. Weit weniger häufig kommt es vor, dass eine Frau und Mutter dergleichen verursacht. Was ist aus diesem Verhältnisse zu entnehmen? Doch nicht, dass die Männer durch natürliche Veranlagung schlechter und gewissenloser seien als die Frauen, wohl aber, dass die Gesetze geradezu den Nährboden bilden, auf welchem sich derartig vorhandene Keime zu üppigstem Wachstume entwickeln können. Denn was ist leichter, als zur Befriedigung nobler Passionen und zur Deckung leichtsinniger Spekulationen das Vermögen einer reichen Frau im Wege der Ehe heranzuziehen? Ja, wenn der betreffende Mann „Glück“ hat, so kann er das gleiche Manöver vielleicht noch ein zweites und drittes Mal wiederholen zum Schaden nicht nur der Nächstbeteiligten, sondern auch der Gesellschaft an sich, aber im sicheren Schutze der Gesetze, während diese doch vielmehr darauf zugeschnitten sein sollten, unter gefahrdrohenden Umständen für die minder geschützte Partei, d[as] i[st] für Frau und Kinder, einzutreten und dem Verbrauche des Frauenvermögens tunlichst vorzubeugen, anstatt ihm geradezu Vorschub zu leisten. Braucht doch der Mann nicht einmal die Zustimmung der Frau zur Verfügung und zur Veräußerung ihres Eigentumes (§ 1376) (s. Anm. S. 314), kann sie doch weder ihre Zinsen noch sonstigen Vermögensfrüchte erheben; sehr unvorsichtig wäre der Schuldner der Frau, welcher sich mit einer Quittung von ihrer Hand über geleistete Zahlungen begnügte. Jede Verfügung, welche die Ehefrau über ihr Vermögen trifft, kann vom Manne ohne viele Formalitäten rückgängig gemacht werden (§ 1396) (s. Anm. S. 314), ebenso, wie jedes einseitige Rechts-

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geschäft, in Bezug auf ihr Vermögen von der Frau vorgenommen, unwirksam ist (§ 1398) (s. Anm. S. 314). Und sind diese drakonischen Maßregeln zur Sicherung der Normalehen notwendig? Keineswegs, denn wo kommt es unter vernünftigen Eheleuten vor, dass nicht wichtige Vermögensverfügungen gemeinsam überlegt und beratschlagt, mit gegenseitiger Übereinstimmung vorgenommen werden? Und welche Frau, wenn sie geschäftsunkundig ist, würde nicht stets in ihrem Gatten vor allen anderen die Persönlichkeit erblicken, welche ihre Interessen, die ja zugleich die seinen sind, am besten wahrnimmt, und infolgedessen ihn mit deren Besorgung betrauen! Die englischen Frauen, die österreichischen, russischen, skandinavischen und viele andere haben gesetzlich freie Verfügung über ihr Eingebrachtes, und sicherlich sind bei allen angeführten Nationen die Ehen nicht nur ebenso gut und glücklich wie in Deutschland, sondern ebenso wird die Leitung des Mannes bei der Verwaltung des Frauengutes die Norm sein. Nur freilich ist sie dort das Resultat freiwilliger Übereinkunft und nicht gesetzlichen Zwanges, nur hebt sie dort den sittlichen Charakter der Ehe, während sie bei uns die Ehe zu einem Erwerbsgeschäfte für den Mann stempelt und dem entsittlichenden Schacher (s. Anm. S. 314) der Geldheiraten gesetzliche Sanktion erteilt. Das ist ein schwerer Vorwurf, welcher dem Bürgerlichen Gesetzbuche zu machen ist und welcher in keiner Weise aus dem Wege geräumt wird durch den Hinweis auf die drei Präventivinstitute der gerichtlichen Hilfe, des Vorbehaltsgutes und der Eheverträge. Wird nämlich durch das Verhalten des Mannes die Besorgnis begründet, dass das eingebrachte Gut der Frau in „erheblicher“ Weise gefährdet werde, so hat sie das Recht, entweder Sicherheitsleistung des Mannes oder Hinterlegung der zu ihrem Vermögen gehörigen Inhaberpapiere zu verlangen, oder sie kann auf Aufhebung der Verwaltung und Nutznießung des Mannes klagen. In allen Fällen ist sie also auf Inanspruchnahme gerichtlicher Hilfe angewiesen; wer aber nur einigermaßen Welt- und Menschenkenntnis besitzt, der weiß auch, wie schwer sich eine Frau zu diesem letzten äußersten Schritte entschließt, teils aus innerlichen, teils aus äußerlichen Gründen. Die Frau in ihrem stillen häuslichen Leben betrachtet die Gerichte mit anderen Augen als der Mann, welcher in ihnen nur eines der zu allgemeinem Nutz und Frommen (s. Anm. S. 314) bestehenden geschäftlichen und wirtschaftlichen Institute sieht wie Banken, Börsen, Hypotheken-, Zoll- und Steuerämter und dergl[eichen], mit denen er häufig in Verkehr kommt. Für die Frau dagegen ist jede Berührung mit den Gerichten etwas Exzeptionelles und nicht wohl mit einem Nimbus (s. Anm. S. 314), als vielmehr mit einem gewissen Odium (s. Anm. S. 315) umgeben; sie schrickt zusammen bei jedem unfreiwillig von ihr zu bewerkstelligenden gerichtlichen Geschäfte, sie

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schrickt zurück vor dem Gedanken, sich freiwillig an das Gericht zu wenden, noch mehr aber davor, ihre persönlichsten Erlebnisse und Leiden, ihr Familienleben vor das Auge der Obrigkeit zu zerren. Aber selbst wenn sie die angewöhnte Scheu vor der Behörde und das angeborene Schamgefühl überwinden würde – Bedenken der Klugheit werden ihr nochmals den Weg zu ihrem Rechte versperren. Denn wie sieht es um ein Familienleben aus, in welchem das Gericht zu Gunsten der Frau interveniert? Der Stolz, die Eigenliebe und das Interesse des Mannes wird dadurch empfindlich gekränkt, und er hat tausend Handhaben, um das Leben der Frau zur Hölle zu machen und ihr für das einmal gefundene Recht tausendfaches Unrecht zu bereiten. Welche Mittel an schikanösen Eingriffen in den täglichen Lebensgang, von Vorenthaltung der notwendigen Geldmittel bis – was das Schlimmste ist – zur Rache auf dem Wege von Ausschreitungen der väterlichen Gewalt, stehen dem Manne zu Gebote, welche die Frau in ihrem häuslichen Wirkungskreise und in Anbetracht der gesetzlichen Gebundenheit in ihrer Stellung alle widerstandslos über sich ergehen lassen muss! So wird also eine vernünftige Überlegung aller dieser Folgen die Frau lange abhalten, gegen ihren Mann das Gericht in Anspruch zu nehmen, und wenn sie es dennoch tut, welche Hilfe hat sie zu erwarten? – Sicherheitsleistung. Ein phrasenhaftes Rechtsmittel in diesem Falle. Es bedeutet Hinterlegung von Wertobjekten im Betrage des gefährdeten Interesses bei einer Behörde. Eine derartige Forderung der Frau würde in der Mehrzahl der Fälle aus praktischen Gründen sich gegen die zu schützende Familie selbst richten, denn wirtschaftliche Rücksichten werden es meist verbieten, bei Gefahr enormer Verluste, selbst wo der Mann im Besitze der nötigen Mittel ist, den Wertbetrag des Frauenvermögens dem Geschäftsbetriebe zu entziehen und in rentensicheren Papieren zu hinterlegen. Mehr Erfolg verspricht sogar der zweite gesetzlich zuständige Schutz des Frauenvermögens, die Hinterlegung der dazugehörigen Inhaberpapiere – abgesehen von solchen, die zu den verbrauchbaren Sachen gehören –, denn das Vorhandensein derselben setzt wenigsten voraus, dass sie ohne wirtschaftlichen Schaden für die Familie deponiert werden können. Da aber dieser Bestimmung im nächsten Paragraphen die Ermächtigung des Mannes nachfolgt, solche Inhaberpapiere, anstatt sie zu deponieren, auf den Namen der Frau umschreiben oder in Buchschulden des Reiches oder eines Bundesstaates umwandeln zu lassen und sie alsdann wie zuvor in Besitz zu behalten, so ist etwelchen betrügerischen Praktiken des Mannes wiederum Vorschub geleistet, die, mögen sie nun zum Schaden Dritter oder zum Schaden der Frau ausgehen, für letztere immerhin Aufregungen, Sorgen und höchstwahrscheinlich Prozesskosten nach sich ziehen. Nachdem also die beiden ersten Rechtsmittel der Frau gegenüber so gut wie versagen, bleibt nur das radikalere dritte, die Klage auf Aufhebung der Verwal-

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tung und Nutznießung des Mannes – der Anfang vom Ende, denn es liegt auf der Hand, dass eine Klage der Frau gegen den Mann für die Ehe und das Familienleben die vollständige Zerrüttung besiegelt. Das wäre aber durchaus nicht in demselben Maße der Fall, wenn der Mann klagbar würde gegen die Frau, wenn das Gesetz der begüterten Frau gewisse vermögensrechtliche Leistungen für die Ehe vorschriebe, die der Mann im Falle des Ausbleibens einklagen könnte. Die Begründung dieser Aufstellung würde hier zu weit führen, sie liegt in gewissen natürlichen und sozialen Empfindungen, die jeder Leser nachfühlen wird und die, wenn sie auch juristisch schwerer fassbar und motivierbar sind, doch von einem weisen Gesetzgeber in Betracht gezogen werden sollten bei Aufsetzung von Normen, welche so tief in das soziale Leben eingreifen und für den Nationalwohlstand so bedeutungsvoll sind. Denn immer wieder muss es betont werden: Ein leichtsinniger Mann stößt nur zu oft seinen persönlichen Begierden zuliebe seine Kinder ins Proletariertum hinab, während einer Mutter die Erziehung und das Fortkommen derselben die Hauptsache im Leben zu sein pflegt. Diese volkswirtschaftlichen Betrachtungen verstärken das Gewicht der öffentlichen Erwägungen, welche für die moderne Regelung der vermögensrechtlichen Beziehungen zwischen Gatten die Gütertrennung als unumgängliches Ziel hinstellen, wie sie vom römischen Rechte Schritt für Schritt ausgebildet, vom germanischen Rechte in seiner ganz ungestörten Entwicklung, in England ebenfalls zu absolutester Form durchgeführt worden ist, von unseren Reichsgerichtsverfassern (s. Anm. S. 315) aber wieder auf ihre erst keimende Wurzel, das Vorbehalts- oder Sondergut, zurückgeschraubt wurde. Die deutschen Frauen und mit ihnen sehr viele deutsche Männer und Reichstagabgeordnete sind der Überzeugung, dass die rechtliche Entwicklung unseres Vaterlandes, deren Gang nach den Ergebnissen der internationalen Rechtsvergleichung nun einmal auch auf die vermögensrechtliche Unabhängigkeit der Gatten gerichtet ist, schon heute auf dem kulturellen Standpunkte stehe wie das alte Rom zur Zeit der Republik, d. h. vor Beginn der christlichen Zeitrechnung, oder wie die englische, russische und andere Gesetzgebungen, innerhalb deren Wirkungsgebieten die Gütertrennung in ganz erheblichem Maße überwiegt. Nach den Angaben von Frau Dr. jur. Emilie Kempin (s. Anm. S. 315) in einem Artikel der „Post“ (s. Anm. S. 315) unterstehen dem Systeme der Gütertrennung gesetzlich etwa 170 Mill[ionen] (s. Anm. S. 315) Menschen, während der Verwaltungsgemeinschaft, welche im Bürgerlichen Gesetzbuche herrscht, nur noch 60 Mill[ionen] unterworfen sind, das ist ein Verhältnis von fast ¾ zu reichlich ¼ der Summe. Pekuniäre Abhängigkeit ist in unserer Zeit, welche alle handgreiflichen Gewaltakte mehr und mehr beseitig, eines der schärfsten Zwangsmittel und sollte

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deshalb in einer freien Institution, wie die Ehe zur Erfüllung ihres sittlichen Zweckes sein muss, in der Wurzel erstickt werden. Ihr sollte in der Ehe die Möglichkeit der Wirkung entzogen werden, da, wo sie ursprünglich gegeben ist; sie sollte also noch weit weniger künstlich hervorgerufen werden, d. h. der nicht besitzende Teil sollte nicht in den Besitz von Mitteln gesetzt werden, welche dem anderen gehören und durch deren Vorenthaltung er den anderen in eine Abhängigkeit von ihm zwingen kann. Ein solches gewaltsam verschobenes Verhältnis [be]wirkt bei einer Kollision unerhörte Korruption (s. Anm. S. 315) nach beiden Seiten; nur für Kollisionsfälle üben aber die Gesetze ihren Einfluss. Zum Schlusse dieses Teiles möchte ich noch einem weit verbreiteten Irrtume vorbeugen, welcher sogar dahin führen kann und schon dahin geführt hat, dass sich die „Arbeiterinnenkreise“ von der Bewegung gegen das Familienrecht des Bürgerlichen Gesetzbuches abgeschlossen und jede Beteiligung daran abgelehnt haben, dem Irrtume nämlich, als kämen diese güterrechtlichen Beziehungen nur für die vermögenden Klassen in Betracht und gingen die Besitzlosen wenig an. Aber nicht auf die Größe des eingebrachten Gutes kommt es an. Die Mobiliarschaft, welche die ehemalige Dienstmagd oder die Fabrikarbeiterin aus ihren Ersparnissen in die Ehe gebracht hat, unterliegt denselben güterrechtlichen Bestimmungen wie die Tausende und Hunderttausende der Millionärstochter: Der Mann hat daran Verwaltung und Nutznießung, Verfügungs- und Verbrauchsrecht. Im Gegenteile kann man wohl behaupten, dass verhältnismäßig der große Kapitalbesitz noch mehr geschützt sei als das Recht an den Einrichtungsgegenständen, und zudem ist in den kleinen Verhältnissen meist die Ersatzpflicht des Mannes weit illusorischer als in den reicheren Kreisen; die Frau hat also dort noch mehr Interesse an der Einführung der Gütertrennung als hier. Von der Nutznießung und Verwaltung des Mannes ausgeschlossen ist das Vorbehaltsgut der Frau. Es ist als großer Fortschritt des neuen Gesetzes anzuerkennen, dass der Erwerb der Frau aus ihrer Arbeit oder einem selbständigen von ihr betriebenen Geschäfte als Vorbehaltsgut gilt und also ihrer freien Verwendung, abgesehen von einem von ihr zu leistenden Beitrag zur Eheführung, unterliegt. Letztere Leistung ist gerecht und billig und wird von niemandem angefochten werden, was aber daran auffällt, ist, dass sie, die doch über die Verwendung der Mittel zur Haushaltsführung verfügt, diesen Beitrag an den Mann zu leisten hat. – Der ordentliche Mann wird ihn ihr samt dem von ihm zu tragenden Teile zur Bestreitung der täglichen Wirtschaftsausgaben zurückgeben, der liederliche aber bringt möglicherweise durch, was er in Händen hat, den eigenen Verdienst zumal mit dem Haushaltsbeitrage der Frau, und sie muss schließlich den bloßen Hunger der Kinder stillen mit dem, was sie für Erziehung, Lehrgeld und Krankheitsfälle erarbeitet zu haben glaubte. Dass diese einseitig Partei nehmende Fassung und Ausführungsverordnung einer sonst gerech-

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ten Bestimmung über zahllose Frauenschicksale namenlose Ausbeutung seitens gewissenloser Männer verhängen wird, unterliegt keinem Zweifel. Desgleichen sind Kleider, Schmucksachen und Arbeitsgeräte Vorbehaltsgut der Frau, im übrigen aber nur das, was durch Ehevertrag als solches bezeichnet ist, oder was die Frau durch Erbschaft, Legat oder als Schenkung während der Ehe erwirbt, sofern der Geber oder Erblasser durch ausdrückliche Willenserklärung bestimmt, dass es Vorbehaltsgut sein solle. Fehlt eine solche Erklärung, so kommt jede lukrative Erwerbung der Frau während bestehender Ehe als „eingebrachtes Gut“ ebenfalls in die Verwaltung und Nutznießung des Mannes. Immer wieder wird gegen die Forderung der Gütertrennung als gesetzliches Güterrecht der Hinweis auf die Eheverträge geltend gemacht, mittelst derer die Frauen dieselbe in jedem einzelnen Falle einführen können. Nachdem nun von offizieller Seite zur Verteidigung des Entwurfes stets die schuldige Rücksicht auf Volksgewohnheit und Eigenart ins Feld geführt wird, ist dieser Hinweis zum Mindesten unlogisch, denn gerade das deutsche Volksempfinden hat einen starken Widerwillen gegen Eheverträge, sie widerstreben der herrschenden Sitte ganz und gar, und man tut daher der volkstümlichen Rechtsentwicklung Gewalt an, wenn man sie zwingt, einem unverkennbar herrschenden Bedürfnisse durch ihr im Grunde fremde Mittel zu genügen. Dass das Bedürfnis nach Gütertrennung vielfach laut geworden ist, geben die Vertreter des Entwurfes zu, indem sie ja auf die Eheverträge als Surrogat derselben verweisen. Es liegt aber auf der Hand, dass es für eine Braut oder Gattin wie für deren Eltern und Vormünder sehr peinlich ist, dem Verlobten oder Gatten im einzelnen Falle ein Recht durch Verträge zu beschränken oder vorzuenthalten, welches ihm die Gesetze geben; ebenso heikel ist für den letzteren die Situation bei diesem der allgemeinen Norm gegenüber mehr oder weniger einem Misstrauensvotum gleichenden Ansinnen. Ein erkältendes Moment ist bei dieser Abmachung ganz unvermeidlich. Wie anders dagegen würde die Aufforderung an den Gatten wirken, die Vermögensführung für die Frau zu übernehmen, werde ihm dieselbe nun zwanglos „auf Ruf und Widerruf“ oder dauernd unter der Form eines festen Vertrages übergeben. Der enorme sittliche Fortschritt solcher Umkehrung liegt so klar auf der Hand, dass er nicht eingehender erörtert zu werden braucht, die praktische Wirkung würde für die große Mehrzahl der Ehen vor der Hand in beiden Fällen die gleiche bleiben, d. h. die wirtschaftliche Rollenverteilung zwischen den Gatten würde durchschnittlich für den Mann die Vermögensverwaltung im Gefolge haben. Nur könnte dieselbe nicht mehr gegen den ausdrücklichen Willen der Frau geschehen, soweit ihr Eigentum in Betracht käme, und Gefahr drohenden Praktiken des Mannes könnte sie ohne Weitläufigkeiten und Schwierigkeiten begegnen, während dieses unter den jetzt ins Werk gesetzten Bestimmungen erst

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möglich ist, nachdem die Gefahren zu Tatsachen geworden sind, und unter Inszenierung eines weitschweifigen gerichtlichen Verfahrens. In England herrscht die vollste pekuniäre Unabhängigkeit und Selbständigkeit der Frau infolge von Gütertrennung, und dort sind ohne Zweifel das Eheleben und die Familienbeziehungen mindestens so innig und lauter wie in Frankreich, wo die Eheverträge an der Tagesordnung sind. Das englische Gesetz aber steht ethisch unendlich hoch über dem französischen, und eine starke Strömung in Frankreich geht auf Umwandlung des bestehenden Güterrechts in gesetzliche Gütertrennung, das unvermeidliche Ziel allen Eherechtes von den ältesten bis zu den modernsten Zeiten. Das Bürgerliche Gesetzbuch hat den Zeitanschauungen eine nominelle Konzession gemacht in Bezug auf die elterliche Gewalt. Während früher die Kinder vor dem Gesetze kurzweg unter väterlicher Gewalt standen, wird jetzt von einer elterlichen Gewalt des Vaters und von einer elterlichen Gewalt der Mutter gesprochen. Allerdings von letzterer auch nur gesprochen, denn sie bleibt Phrase, solange der Vater in der Lage ist, seinerseits die elterliche Gewalt auszuüben, was er sogar als Trunkenbold noch kann mit ausschlaggebendem Gewichte, ohne dass die Einreden der Mutter von Wirksamkeit wären. Nur nach dem Tode des Vaters, bei seiner dauernden Abwesenheit, Krankheit oder Entmündigung ist die Mutter zur Ausübung der elterlichen Gewalt befugt, im Übrigen ist ihre Stimme bei der Erziehung und bei der Sorge für ihre Kinder belanglos, nur bei dem Vater steht die Entscheidung in diesen Dingen, ebenso wie auch seine Einwilligung allein bei der Wahl eines Gatten für das Kind notwendig ist. – Das hindert aber nicht, dass neben dem Vater die vollen Elternlasten der Mutter aufliegen, dass sie die Pflicht hat, den Unterhalt und die Erziehung der Kinder zu bestreiten, falls der Vater derselben nicht nachkommt; gleichwohl ist sie „zur Vertretung des Kindes nicht berechtigt“. Dass der gesunde Volkssinn und die herrschende Gewohnheit in dieser Beziehung ganz anders denken, weiß jedermann; dass die Gesetze, und auch das neu gefasste, sich immer noch in den fossilen Anschauungen Urgermaniens und der ältesten römischen Rechtsbegriffe erhalten, muss jedermann Wunder nehmen. Ich glaube, viele Mütter werden mit Erstaunen Kenntnis nehmen von der ganz bedeutungslosen Stellung, welche das neue Gesetzbuch ihnen, entgegen aller Volksüberzeugung und aller Ethik, ihren Kindern gegenüber zuweist; seinem Geiste nach gebären sie immer noch wie zur Zeit der heiligen Genofeva (s. Anm. S. 315) dem Manne die Kinder. Auch der unehelichen Mutter ist die elterliche Gewalt, und zwar absolut, versagt. Ihr sind nur die Erhaltungs- und Erziehungssorgen im weitesten Umfange aufgebürdet, das Gesetzbuch dekretiert sogar, dass ein uneheliches Kind und sein Vater nicht für verwandt gelten (s. Anm. S. 315). Die uneheliche Mutter

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kann wohl Vormund über ihr Kind werden, aber nicht die elterliche Gewalt beanspruchen. Der Unterschied ist zwar eigentlich nur ein wörtlicher, die Funktionen von Vormund und Eltern sind fast gleich, aber die Motive sind bezeichnend genug und stellen dem sittlichen Empfinden, welches durch unser neues Gesetzbuch geht, kein hohes Zeugnis aus. Wenn es glauben machen will, dass es durch gesetzliche Benachteiligung von unehelichen Müttern und Kindern der Unsittlichkeit vorbeugen wolle: Das Volk ist nicht naiv genug, weder sich den Glauben an dieses Motiv imputieren (s. Anm. S. 315) zu lassen, noch auf die Wirksamkeit des Mittels zu bauen, es weiß nur zu gut, dass Abwälzung der Konsequenzen von dem unehelichen Vater die unehelichen Geburten vermehren wird. Das Kapitel des Familienrechtes, welches zwar nicht die Frauen allein, aber in der Praxis voraussichtlich sie mit nachteiligeren Folgen betrifft, ist die Scheidung. Die Erschwerung derselben gegen früher ist von den verschiedensten Seiten dem Bürgerlichen Gesetzbuche zum Vorwurfe gemacht worden, ohne das es gelungen wäre, dem trotzigen Starrsinne der kompakten Zentrumsmajorität (s. Anm. S. 315) etwelche Konzessionen abzuringen. Der Forderung, dass gegenseitige Abneigung der Gatten und Übereinstimmung in dem Wunsche nach Scheidung der Ehe einen Scheidungsgrund bilde, ist nicht entsprochen [worden]; nur schwere körperliche Misshandlung und Beleidigung gilt als solcher, und das Gefährlichste bei den Bestimmungen über die Ehescheidung ist die vage Fassung derselben, so dass dem richterlichen Ermessen der weiteste Spielraum bleibt, zu entscheiden, wann eine wörtliche oder tätliche Misshandlung schwer genug sei, um dem unerquicklichen und unsittlichen Zusammenleben der Gatten ein Ziel setzen zu können. Da lediglich der Zustimmung und dem Willen der Gatten bei der Eheschließung die gesetzlich bindende Kraft zuerkannt ist, ist es höchst verwunderlich, wie wenig ausschlaggebend der gleiche Faktor für die Ehescheidung bleiben soll. Dass sich die Gesetzgeber die Folgen einer Bestimmung ausgemalt haben, welche dem schuldigen Teile einer wegen Ehebruch geschiedenen Ehe eine spätere Heirat mit dem Beteiligten verbietet, ist ebenfalls kaum anzunehmen, mit Sicherheit kann man wenigstens behaupten, dass sie sich dieselben nicht richtig ausgemalt haben, wenn sie etwas anderes als die Beförderung unsittlicher Verhältnisse erwarten. Nach der Skizzierung der Stellung der deutschen Frauen, wie sie auch nach Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuches im 20. Jahrhundert noch beschaffen sein wird, glauben wir trotz der vielseitig empfangenen Vorwürfe über exorbitante Forderungen (s. Anm. S. 315) vor jeder billigen Beurteilung nicht nur eine fortgesetzte, sondern sogar eine verdoppelte Agitation gegen das Familienrecht des Bürgerlichen Gesetzbuches rechtfertigen zu können; denn die jetzige Form desselben ist – trotz aller Schönfärbereien – eine im höchsten Grade un-

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würdige. Weder ethisch, noch sozial, noch logisch entspricht es den Forderungen der Gegenwart, welche auch an die Frau den Anspruch stellt, mitzuwirken und einzugreifen in den reißend schnellen Entwicklungsgang der Zeit, wenn nicht die deutsche Nation in der Konkurrenz der Völker den allerbescheidensten Platz einnehmen und vergessen werden soll bei allen wahrhaft zivilisatorischen Arbeiten. Zumeist den Erfolgen der Blutarbeit verdanken wir unsere jetzige Machtstellung im europäischen Konzerte; soll sich diese als eine dauernde und fest fundierte behaupten, so muss eine ernste, tiefe Kulturarbeit hinzukommen, welche nur unter Mithilfe und freier, selbsttätiger Beteiligung der Frau sich vollziehen kann. Hierzu darf aber weder Hand noch Geist der Frau gebunden sein, in der Ehe so wenig wie außer derselben. – Im vollen Bewusstsein dieser Tatsachen, in voller Erkenntnis der politischen Lage und der Aufgaben der inneren nationalen Mission sind die deutschen Frauen keineswegs gesonnen, das Familienrecht des Bürgerlichen Gesetzbuches in der jetzt sanktionierten Form anzuerkennen und bestehen zu lassen, sondern sie fördern unentwegt die Vorarbeiten zu einer Agitation, welche die bisherige, trotz ihrer glänzenden Resultate, weit in den Schatten stellen wird. Die vier Jahre, welche bis zum Inkrafttreten des neuen Gesetzbuches verstreichen, werden in der Weise ausgenützt werden, dass der im Jahre 1898 sich neu und wahrscheinlich anders zusammensetzende Reichstag (s. Anm. S. 315) schon im Jahre 1900 sich zur Vornahme einer Revision des Familienrechtes gedrängt sehen wird. Die Forderungen, welche die Frauen hierfür aufgestellt haben, sind knapp und klar und beschränken sich auf die drei Punkte: a) b) c)

Einführung der Gütertrennung als gesetzliches Güterrecht, Mitwirkung der Mutter bei Ausübung der elterlichen Gewalt in Gemeinschaft mit dem Vater, Anspruch der elterlichen Gewalt über ihr Kind für die uneheliche Mutter.

Der „Bund deutscher Frauenvereine“ hat diese Forderungen zum Gegenstande einer Petition an den Deutschen Reichstag gemacht, eine große Partei hat bereits ihre Absicht zu verstehen gegeben (s. Anm. S. 316), dass sie in ihr Programm für den bevorstehenden Wahlgang das Eintreten für die Interessen der Frauen aufnehmen wolle: Dieselben werden also doch allmählich ernster genommen, als man sich immer noch von manchen Seiten bemüht, glauben zu machen, und die Gerechtigkeit und Humanität sowie das wohlverstandene Volksinteresse werden endlich als starke Bundesgenossen den Frauen zum Siege verhelfen! Dass dieser Sieg ihnen nicht bequem in den Schoß fallen wird, ergibt sich aus den Verhältnissen, aber das schwer Errungene ist das Höchstzuschätzende; ein

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wohl erkämpftes Recht steht hoch über einer leicht gewährten Gnade. Möchten nun in der bevorstehenden Kampfeszeit die deutschen Frauen sich nachhaltig bewähren als die scharfen, mutigen Streiterinnen, als die sie sich im Sturmlaufe des letzten halben Jahres gezeigt haben! Ihnen liegt die Aufgabe ob, gleich den englischen Frauen, wennschon noch nicht selbst wahlberechtigt, Einfluss auf die bevorstehenden Wahlen zu gewinnen, Stimmung zu machen für Kandidaten, von denen festes Eintreten für die Sache der Frauen nicht allein der Person, sondern auch der Partei nach mit Sicherheit zu erwarten steht. Ein planvolles, stetiges Arbeiten nach dieser Richtung wird den Befähigungsnachweis zu erbringen haben für die politische Reife der deutschen Frauenwelt überhaupt, für ihren Ernst und ihre Einsicht, an den nationalen Aufgaben mitzuwirken und im öffentlichen Leben auch ihren Einfluss geltend zu machen zum Heile des Ganzen. Ein vorzüglicher Generalstab tüchtiger Führerinnen ist vorhanden; eine langjährige stille Vereinsarbeit sollte die weiteren Kreise vorbereitet und zur Höhe des Verständnisses der großen jetzt vorliegenden Aufgaben geführt haben: Möchten sich die organisatorischen Maßregeln jener in den bevorstehenden Jahren stützen können auf die treue Beihilfe nicht von Tausenden, nein von Millionen und Abermillionen deutscher Frauen, denen es heiliger Ernst ist um ihr Recht (s. Anm. S. 316)!

Das Recht der Frau Das Recht der Frau soll den Gegenstand meiner Besprechung bilden! – Wo herrscht es? – Wo ist es zu finden? – Wo kann man es kennen lernen? – Das Recht der Frau ist heute noch fast überall ein theoretischer Begriff, praktisch vorhanden ist es den Ländern der alten Welt nur in elementaren Ansätzen. Wollen wir es voll durchgeführt sehen, so müssen wir in den fernen Westen der Vereinigten Staaten wandern oder auf einsame Inseln im großen Ozean, in junge Kolonialstaaten Australiens. Was verstehen wir unter dem Rechte der Frau? – Nichts anderes als das Recht des Menschen überhaupt, welches zwar je nach Zeit, Kultur, Rasse verschieden normiert war und ist, aber nach unseren heutigen Anschauungen ziemlich allgemein bedeutet: Etwa – das Recht, seine Persönlichkeit zu entwickeln, soweit eigene Kraft, eigener Wille und gesellschaftliche Hilfsmittel dazu vorhanden sind. Das Recht, seine Persönlichkeit durchzusetzen, soweit man dadurch nicht die Willens- und Interessensphäre eines anderen Individuums oder der Allgemeinheit aggressiv beeinträchtigt. Das Recht, Einsicht zu nehmen in die Organisation des Gemeinwesens, welchem man als Glied angehört, und sich dazu der öffentlichen Hilfsmittel zu bedienen. – Das Recht teilzunehmen an der Gestaltung und Umgestaltung solcher Organisation in

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demselben Grade, wie jedes private Glied des betr[effenden] Gemeinwesens durchschnittlich daran beteiligt ist. Diese Definition des Rechtes der Frau wie des Rechtes überhaupt ist summarisch lückenhaft, das weiß ich, sie kann aber in den wenigen Worten hier nicht erschöpft werden. – Ich habe behauptet, dass das Recht der Frau heute noch an den meisten Orten fast nur in der Theorie besteht. – Die Rechte der Glieder sind in den verschiedenen Gemeinwesen verschieden normiert, die Gesetze eines Staates umschreiben die Rechtssphäre seiner Bürger; die Linien, welche diese Gesetze bilden, sollen zugleich mit den Grenzen der herrschenden Anschauung vom Rechte zusammenfallen: Wo für die Frauen innerhalb der Gesetzeslinien noch besondere Kreise und Kurven gezogen sind, da kann vom Rechte der Frau nur in sehr bedingter Form gesprochen werden. In unseren alten Kulturländern herrscht noch eine merkwürdige Sucht nach Schnörkel- und Kringelbildungen innerhalb der geometrischen Figuren der Gesetzgebungen. Jedoch wäre es ein allzu schwarzer Pessimismus und Verkennen der sich vollziehenden Entwicklung, wenn man nicht auch hier die entschiedenste Tendenz konstatieren wollte, nach Ausmerzung und Vereinfachung dieses überflüssigen und schädlichen Zierrats. In Deutschland haben wir bereits ganz klare, einheitliche Linienführung für beide Geschlechter auf dem Gebiete des Strafrechtes, in Zukunft auch auf dem Gebiete des Zivilrechtes mit Ausnahme eines einzigen, allerdings wichtigen Abschnittes. Eine umso krausere Ornamentik, welche keineswegs für unser Recht einen Schmuck bedeutet, haben wir jedoch in jenem einen Abschnitte, dem Familienrechte und im öffentlichen Rechte. Das Strafrecht kennt merkwürdigerweise schon seit Jahrhunderten keinen Unterschied zwischen den Rechten von Mann und Frau. Von Alters gilt für die Frau dieselbe Rechtsschranke wie für den Mann. Man traut ihr nicht nur die gleiche Unterscheidung von Verbotenem und Erlaubten zu, man hält sie sogar für vollkommen zurechnungsfähig und verantwortlich für ihre Handlungen. Sie ist imstande unter Rechtskonsequenzen Diebstahl, Betrug, Mord zu begehen und die lukrativen Erwerbungen aus diesen Delikten: Gefängnis, Zuchthaus, Schafott fallen merkwürdigerweise auch bei den Verheirateten nicht an den Mann, sondern verbleiben ihr selbst zu Fruchtgenuss und Nutznießung. Selbst die „weiblichen Rechtswohltaten“, welche man früherhin nach der PGO [Peinlichen Gerichtsordnung] Karls V. (s. Anm. S. 316) etwa erblicken konnte in der Reservierung gewisser Todesarten für die ausschließliche Anwendung auf Frauen, wie Pfählen, Lebendig-Begraben, Ertränken, sind später der Anerkennung der vollen „Rechte der Frau“ auch auf Hängen, Rädern und andere Wege der Beförderung vom Leben zum Tode gewichen.

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Das Fortschreiten der vom Strafrechte befolgten Tendenz hat langsam, aber doch im Prinzipe gänzlich durchschlagend zur vollen Anerkennung des Rechtes der Frau auch auf dem Boden des Zivilgesetzes geführt, sofern sie außerhalb der Ehe steht, wenn wir das künftige Bürgerliche Gesetzbuch für das Deutsche Reich zum Maßstabe unserer Betrachtung machen. Und zwar, das möchte ich besonders hervorheben, ist diese prinzipielle Gleichrechtigkeit von Mann und Frau außerhalb der Ehe von den Gesetzgebern selbst und freiwillig schon im Entwurfe aufgestellt, sie muss also notgedrungen von ihnen mit aller Konsequenz anerkannt und durchgeführt werden. Das ist aber, wie Sie aus den anderen Referaten bereits wissen, durchaus nicht der Fall, sondern die Schnörkellinien und Schlangenwindungen, welche die Rechtsstellung der deutschen Frau bezeichnen, laufen im Familienrechte noch wirr genug abseits von den geraden Strichen, welche für den Mann gelten, nicht ohne die herrschenden Rechtsgedanken des ganzen Gesetzgebungswerkes erheblich zu verwirren. Das Grundprinzip des ganzen Gesetzes ist der Schutz des Eigentums (s. Anm. S. 316) – durch das Eherecht ist aber für die Frau Preisgabe ihres Eigentums dekretiert. Die Wirkung der Ehe ist für den Mann in der Hauptsache Auflage gewisser Leistungen – für die Frau außerdem Verlust einer Anzahl der wichtigsten Rechte. Man frage einen Mann, ob er sich einem Gesetze unterwerfen würde, welches ihm vorschreibt, mit Eingehung der Ehe seinen Namen aufzugeben, sein Eigentum aus der Hand zu geben, seine Handlungen von der Autorität eines anderen abhängig gemacht zu sehen! Die Elternschaft bringt für den Vater außer der Verpflichtung zu gewissen Lasten die Rechte der Vertretung und Verfügung: Für die Mutter nur die Lasten, nicht aber die entsprechenden Rechte. Diese und andere Schnörkel unseres künftigen Gesetzes sind der Beweis, dass das Recht der Frau bei uns noch nicht praktisch existiert, theoretisch aber ist es formuliert und den energischen Forderungen nach seiner vollen Realisierung stehen die besten Bundesgenossen zur Seite: Logik und immer festeres Wurzeln in den allgemeinen Überzeugungen. Die Rechtssphäre der Ehefrauen ist eingeengt durch in sie hinübergreifende Vorteile der Ehemänner: Die Billigkeit und Gerechtigkeit unserer Kultur ist abgewandten Auges an diesen Auswüchsen vorüber gegangen. – Woher kommt das? Bei der Formulierung jedes Paragraphen des Gesetzbuches konnten sich die Autoren in die Lage sowohl des Berechtigten wie des Verpflichteten hinein versetzen, bei der Abfassung der Paragraphen über die Ehe immer nur in diejenige des Berechtigten. Es ist umso weniger zu verwundern, dass unter dieser Beurteilung die Eheparagraphen einseitig ausgefallen sind zu Gunsten der Männer, als bis dahin die Beteiligten selbst, die Frauen, kaum ein Bewusstsein von einem ihnen angetanen Unrecht geäußert hatten.

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Nun sie aber zum Bewusstsein dieses Unrechtes gekommen sind und sich mit großem Aufgebote von Kraft und Energie gegen dasselbe verwahrt haben; Nun sie unter der regen Teilnahme der öffentlichen Stimmen noch in letzter Stunde mehrere der ihnen zugedachten Zurücksetzungen von dem Gesetze abgewehrt und die wertvollsten Zugeständnisse errungen, ja ertrotzt haben, welche alles ihnen noch Verweigerte im Prinzipe erschüttern; Nun sollten sie bei dem bevorstehenden Sturmlaufe gegen die letzten Reste der zivilrechtlichen Ungleichheiten nicht stehen bleiben. Nun sollten sie eingedenk sein, dass, so lange es sich um Gewähren und Verweigern handelt, nur von Gnaden, nie aber von Rechten die Rede sein kann, nun sollten sie auch auf dem Gebiete des öffentlichen Rechtes ihre vollen Ansprüche geltend machen. Die deutschen Frauen haben im vergangenen Jahre und in der ersten Hälfte des jetzigen wahrhaftig einen tapferen Kampf gekämpft: Zusehends sind ihre Kräfte und ihr Mut gleichsam in der Aktion gewachsen, in der letzten großen Demonstration am 29. Juni (s. Anm. S. 316), am Vorabende der erwarteten Niederlage, haben sie die Blicke und die Sympathie von ganz Deutschland auf sich gerichtet und eine tapfere Vorkämpferin, Frau Stritt (s. Anm. S. 317), konnte ihnen das stolze Wort zurufen: „Noch eine solche Niederlage und wir haben gesiegt!“ Vielleicht können wir es noch überflügeln und hoffen, auch ohne eine neue solche Niederlage, [auf ] den Sieg! Nun gilt es, dass sich in der jetzt neu beginnenden Kampfeszeit die deutschen Frauen nachhaltig als die scharfen, mutigen Streiterinnen bewähren, als die sie sich im heißen Sturmlaufe der letzten Monate gezeigt haben. – Ihnen liegt vor allem die Aufgabe ob, wennschon selbst noch nicht wahlberechtigt, Einfluss auf die bevorstehenden Wahlen zu gewinnen, Stimmung zu machen für Kandidaten, von denen festes Eintreten für die Sache der Frauen sicher zu erwarten steht, nicht allein der Partei, sondern auch der Person nach. Wie sie das am besten machen können, das möchten sie von ihren englischen Schwestern lernen, welche schon lange in solcher Taktik Meister sind! Ein planvolles stetiges Arbeiten nach dieser Richtung wird den Befähigungsnachweis zu erbringen haben für die politische Reife der deutschen Frauen überhaupt, für ihren Willen und ihre Einsicht, an der nationalen Arbeit mitzuwirken auf den weiten Gebieten des öffentlichen Rechtes, von welchem sie heute noch so gut wie ausgeschlossen sind und welches nicht nur in der Berechtigung auf die öffentlichen Unterrichtsanstalten und die Wahlurne besteht, sondern in der Lösung der schweren Aufgaben der gesamten öffentlichen Wohlfahrt. Ein Generalstab tüchtiger und erfahrener Führerinnen ist in dem ganzen Reiche, Nord und Süd, Ost und West, in Fühlung zueinander getreten; es wird sich zeigen, ob die oft gerühmte langjährige stille Vereinstätigkeit ihre Aufgabe

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erfüllt hat, ob sie der ihr obgelegenen Pionierarbeit gerecht geworden ist, ob sie die weiten Kreise vorbereitet und zur Höhe des Verständnisses der großen jetzt vorliegenden Ziele geführt hat! Möchten die organisatorischen Maßregeln der Führerinnen sich in den bevorstehenden Jahren stützen können auf die treue Beihilfe nicht von Tauenden, nein von Millionen und Millionen deutscher Frauen, denen es heiliger Ernst ist um ihr Recht (s. Anm. S. 317)!

Petition an den Deutschen Reichstag Marie Raschke (s. Anm. S. 317), Dr. jur. Anita Augspurg (s. Anm. S. 317) und Minna Cauer (s. Anm. S. 317) bitten im Auftrage vieler Frauen den hohen Reichstag, er wolle bei Revision des BGB beschließen: 1)

2)

Die Vormundschaftsgerichte sind in der Weise zu organisieren, dass zur Entscheidung derjenigen Streitigkeiten, welche durch das BGB und sonstige Gesetze ihnen zugewiesen sind, Laien zugezogen und dass zu diesem Laienrichteramte auch Frauen berufen werden können. Zu Schöffen und Geschworenen können auch Frauen, die das 30. Lebensjahr vollendet haben, berufen werden.

Begründung: Auf vielen Gebieten hat man sich überzeugt, dass die Besetzung der Gerichte lediglich mit gelehrten Richtern unzureichend ist. Deshalb ist man bei der Umgestaltung des prozessualen und materiellen Rechts dazu gekommen, dem Laienelemente einen größeren Einfluss auf die Rechtsprechung zu gewähren. So sind 1849 die Schwurgerichte, 1877 bei der Organisation der Gerichtsverfassung die Schöffengerichte und Handelskammern, 1890 die Gewerbegerichte (s. Anm. S. 317) eingeführt worden, um durch Zuziehung von Laien eine größere Gewähr für eine objektive und praktische Beurteilung des gegebenen Falles zu bieten. Wie aber auf dem Gebiete des Handels und Gewerbes, so sind die Fragen des inneren Familienlebens erst recht geeignet, bei der entscheidenden Tätigkeit des Vormundschaftsgerichts von Laien mitbeurteilt zu werden, damit Härten und Unbilligkeiten vermieden werden. Bei Beratung des BGB ist in dankenswerter Weise den Forderungen der Frauen insoweit Berücksichtigung widerfahren, dass ihnen gesetzlich die Fähigkeit zugesprochen ist, das verantwortungsreiche öffentliche Amt eines Vormunds und Mitgliedes eines Familienrates zu bekleiden. Damit ist die Zulassung der Frauen zu öffentlichen Ehrenämtern gesetzlich proklamiert, und die Frauen

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werden in Zukunft beweisen, dass sie die Pflichten eines Ehrenamtes ebenso treu und gewissenhaft zu erfüllen vermögen wie ein Mann. Bei den dem Vormundschaftsgericht zur Entscheidung vorliegenden Erziehungsfragen wird die Fachkenntnis einer Frau unentbehrlich sein zur gerechten Würdigung des einzelnen Falles; denn gewohnheitsrechtlich liegt der Mutter allein die Erziehung der Kinder ob, wenn auch das BGB dem Vater die eigentliche Erziehungsgewalt zuspricht. Die Erziehungsfragen berühren das ureigenste Gebiet der Frau, und es würde von unendlich segensreichem Werte sein, auch dem Stande der heutigen Kultur entsprechen, wenn zur Beurteilung und Entscheidung solcher Fragen eine Frau herangezogen würde. Die etwaigen Streitigkeiten zwischen Mann und Frau betreffen die Schlüsselgewalt, die Kündigung eines die Frau persönlich verpflichtenden Arbeitsvertrages, die Führung eines selbständigen Gewerbe- und Handelsgeschäfts von Seiten der Frau, etc. Ferner hat das Vormundschaftsgericht das Recht, die verweigerte Zustimmung der Frau zur Eingehung eines das eingebrachte Gut der Frau betreffenden Rechtsgeschäftes zu prüfen und ev[entuell] an ihrer Stelle zu erteilen etc. Alle diese (und noch weitere) Fragen greifen tief in die Familien- und wirtschaftliche Stellung der Frau und ihrer Kinder ein und können vorurteilslos und sachgemäß nur von einer Frau beurteilt werden, weil eine Frau allein durch Erfahrung erkennen kann, wie tief und schwer bei den gegenwärtigen sozialen Verhältnissen die Frau durch das Festhalten des BGB am Mundium geschädigt werden kann. Die Männer, die nur mit wenigen Ausnahmen imstande sind, sich in die Lage einer Frau zu versetzen, werden auch in ebenso wenigen Ausnahmefällen allein fähig sein zur gerechten objektiven Würdigung eines Familien- und wirtschaftlichen Streitfalles. Hier müssen sich bei der Beurteilung Mann und Frau ergänzen. Die Einführung der Laiengerichte geschah von dem Gesichtspunkte aus, eine objektive und sachgemäße Rechtsprechung zu erzielen. Zu dem Zwecke sind Ständegerichte geschaffen worden, in denen Personen des einzelnen Standes die Streitfälle ihrer Standesgenossen entscheiden. Dies geschieht aus der Annahme heraus, dass die Parteien Vertrauen in eine Rechtsprechung nur setzen können, wenn von ihresgleichen die Sachlage geprüft wird. Das Vertrauen einer Frau zu den Rechtsprechenden muss aber dem Staate ebenso schwer in die Waagschale fallen wie das eines Mannes, und eine Frau kann, ebenso wie ein Mann, Vertrauen auf eine gerechte Würdigung ihres Falles nur bei der Beurteilung desselben von ihresgleichen haben. Geht daher der Staat von dem Grundsatz aus: „Gleiches Recht für alle“, dann muss er auch den weiblichen Untertanen die Möglichkeit schaffen, volles Vertrauen in die Rechtsprechung setzen zu können.

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Was das bisher beobachtete Prinzip betrifft, die Frau von allen öffentlichen Ehrenämtern gleich den Minderjährigen etc. fernzuhalten, so ist schon angeführt worden, dass das BGB dieses Prinzip durchbrochen hat. Die Frau, die durch die sozialen Verhältnisse eine Mitarbeiterin des Mannes auf vielen Gebieten geworden ist, muss auch teilnehmen an den ehrenamtlichen Arbeiten des Gemeinwesens, an der richterlichen Tätigkeit des Staates. Wir können uns zur Unterstützung unserer obigen Bitte darauf berufen, dass in Italien den Frauen durch Gesetz vom 25. Juni 1893 (s. Anm. S. 318) für das Gewerbegericht aktives und passives Wahlrecht zugestanden worden ist. Viele kultivierte Staaten, z. B. Schweden, Norwegen, Finnland, England, Amerika sind unserem Vaterlande vorangegangen, in Bezug auf die öffentlich-rechtliche Würdigung der Frau im Kommunalwesen, und deshalb hegen wir den berechtigten Ehrgeiz, auch unser Vaterland möchte einmal in einer wichtigen Kulturfrage den anderen Staaten die Wege der Gerechtigkeit, die Wege zur Kulturhöhe weisen, indem es als einer der ersten Staaten den Frauen das Recht gibt, als Laienrichter zu allen Laiengerichten berufen werden zu können.

Petition des Vereins Frauenwohl, Berlin 1, an das Preußische Haus der Abgeordneten betr[effend] das Ausführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch Die Unterzeichneten bitten im Namen vieler preußischer Frauen das Hohe Haus der Abgeordneten, 1.

2.

1

es wolle dem Entwurfe zu einem Ausführungsgesetze zum Bürgerlichen Gesetzbuche für das Königreich Preußen einen Artikel 66a mit folgendem Inhalte hinzufügen: „Bei der Überführung der Güterstände der bestehenden Ehen hat die Ehefrau das Recht, auch ohne Zustimmung des Mannes Gütertrennung zu verlangen.“ (s. Anm. S. 318) sodann Art. 75 § 2 dahin abzuändern: „Zu dem Amte eines Waisenrates wie zur Unterstützung desselben können auch Frauen berufen werden.“ (s. Anm. S. 318)

(s. Anm. S. 318)

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Begründung: Ad I. Die wirtschaftliche[n] Beschränkung[en], welche das gesetzliche Güterrecht des BGB den Frauen auferlegt, werden zur Folge haben, dass bei den veränderten sozialen Verhältnissen in Zukunft bei Eingehung der Ehe Verträge abgeschlossen werden, welche das gesetzliche Güterrecht ausschließen und völlige Gütertrennung zum ehelichen Güterstand machen. Dies wird geschehen, einmal weil die Frauen in größerer Zahl als ehedem vor dem Eintritt in die Ehe sich wirtschaftlich selbständig gemacht haben durch Wahl eines Berufes und Übernahme eines öffentlichen Amtes. Durch diese wirtschaftliche Selbständigkeit sind sie befähigt worden, die Nachteile zu erkennen, die sie bei Eingehung einer Ehe ohne Vertrag ev[entuell] erleiden können und werden einen Ehevertrag schließen, der sie und ihre Kinder vor solcher Eventualität sichert und ihnen möglichst ihre Selbständigkeit erhält. Andererseits gibt die nach dem BGB dem Manne auferlegte Sicherstellung des Frauenvermögens der Frau keine Sicherheit dafür, dass das eingebrachte Gut ihr erhalten bleibt; denn die Vorschriften darüber sind nur sogenannte „Sollvorschriften“, d. h. sie lassen eine denselben entgegengesetzte Handlung des Mannes nicht ungültig werden, falls die Frau nicht endgültig Protest einlegt. Dazu kommt, dass die Rechte, welche dem Manne die Verwaltung und Nutznießung des Frauenvermögens geben, ihm erst entzogen werden können, wenn das Frauenvermögen erheblich gefährdet ist, d. h. wenn es meist zu spät ist, um es im vollen Bestande zu retten. Auch die nach dem BGB § 1374 Satz 2 dem Manne auferlegte Verpflichtung, über den Stand der Verwaltung der Frau auf Verlangen Auskunft zu erteilen, ist gegenstandslos, da, wie die Motive zum AG, S. 82 (s. Anm. S. 319) selber sagen, die gerichtliche Geltendmachung dieser Verpflichtung bis zur Beendigung der Verwaltung und Nutznießung ausgeschlossen ist. Außerdem erwirbt der Mann die Nutzungen nach § 1383 des BGB wie ein Nießbraucher, also im erweiterten Umfange wie bisher. Da den meisten Frauen der bestehenden Ehen die gesetzlichen Folgen des mit der Ehe gesetzlich eintretenden Güterstandes bei Eingehung der Ehe unbekannt waren, in den meisten Fällen ihnen auch in dieser Hinsicht freie selbständige Entschließung bei Eingehung der Ehe gefehlt hat, erfordert es die Billigkeit, dass ihnen beim Übertritt in die güterrechtlichen Vorschriften des BGB die freie Wahl des Güterstandes in der Weise gegeben werde, wie sie ihnen zustände, wenn sie erst nach dem Inkrafttreten des BGB die Ehe eingingen. Dem Einwande, dass durch die erbetene Maßregel in den bestehenden Ehen wohlerworbene Rechte des Mannes gekränkt würden, dürfen wir die Erwägung gegenüberstellen, dass andererseits die Lage der Frauen in weiten Rechtsgebieten des Staates durch die Bestimmung des gesetzlichen Güterrechtes im BGB gegen früher erheblich verschlechtert wird, nämlich in allen den Gebieten, welche bis-

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her unter der Herrschaft von Gütertrennung oder Errungenschaftsgemeinschaft standen. Hat man demnach keinen Anstand genommen, hinsichtlich der Allgemeinheit über den Rechtsgrundsatz hinwegzugehen, vermöge dessen ein neues Gesetz nicht die Verschlimmerung der Rechtslage der betroffenen Kreise anstreben soll, so dürfte es umso weniger zu beanstanden sein, wenn in vereinzelten Fällen Zustände eine Änderung erfahren, die im Grunde kein Recht, sondern ein Vorrecht auf Kosten eines anderen bedeutet haben, dessen bisheriger Genuss für den Berechtigten lediglich als Vorteil aus einer günstigen Konjunktur, aber keineswegs als Rechtstitel für dauernden Bezug in Frage kommen kann. Ad II. Das BGB hat der richtigen Auffassung Raum gegeben, dass für die Fälle, in denen der Schwerpunkt der Vormundschaft in der Sorge für die Person des Mündels liegt, unter den Frauen besonders geeignete Kräfte zur Wahrnehmung der Pflichten eines Vormunds zu finden seien. In gleicher Weise werden auch unter den Frauen die bestgeeigneten Kräfte zur Tätigkeit eines Waisenrats, zur Unterstützung des Vormundschaftsgerichtes bei der Wahl geeigneter Personen zu Vormündern und zur Überwachung der Tätigkeit des Vormundes zu finden sein. Denn sie, denen gewohnheitsrechtlich allein die Erziehung und körperliche Pflege der Kinder obliegt, werden infolgedessen auch am besten zu beurteilen verstehen, ob für die Erziehung und Pflege der Mündel pflichtmäßig Sorge getragen wird oder nicht. Wie sich unter den Männern verschieden beanlagte Kräfte finden, so dass die einen sich mehr zur selbständigeren, die anderen zur helfenden Tätigkeit eignen, so gibt es auch unter den Frauen solche, die erst in freierer Tätigkeit mit voller Hingabe segensreich zu arbeiten vermögen, und andere, die besser helfend und unterstützend wirken. In diesem Falle erfordert das Wohl des Staates dringender noch als die Gerechtigkeit, dass das Ausführungsgesetz zum BGB ergänzend zu der sozial so überaus segensreichen Zulassung der Frau zur Führung der Vormundschaft hinzutrete, indem es ihr auch Zugang zu den Stellen verschafft, in denen der eigentliche Brennpunkt der Wirksamkeit des Institutes liegt. Die Vormundschaft ist im BGB in so vorzüglicher Weise aus sozial-ethischen Gesichtspunkten heraus normiert, dass von ihr für weite Kreise unseres Volkes eine segensreiche Wirkung zu erwarten steht, falls auch die Institute, auf deren Mitarbeit sie angewiesen ist, in entsprechender, auf ihre Tendenzen eingehende Weise geregelt sind. Einer der wesentlichsten Faktoren hierfür ist die Heranziehung von Persönlichkeiten, denen nicht nur die erforderliche besondere Befähigung zu Gebote steht, sondern deren Lebensstellung ihnen auch die Möglichkeit gewährt, ihrem Vertrauensamte die ausreichende Zeit widmen zu können. Beides dürfte bei den Frauen in überwiegendem Maße der Fall und daher ihre Zulassung zum

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Waisenrate eine nennenswerte Errungenschaft auf dem Gebiete der Volkserziehung und der Sozialreform sein. Berlin, den 12. Februar 1899 Minna Cauer (s. Anm. S. 319), Anita Augspurg, Dr. jur.

I. A. des Vereins Frauenwohl Marie Raschke (s. Anm. S. 319),

Die Ansprüche der Frau auf die Eheerrungenschaft Die deutsche Ehegesetzgebung steht leider noch nicht auf dem Standpunkte, wie die allgemeine Rechtsüberzeugung es für gerecht und billig gegenüber beiden Eheleuten halten könnte; es ist wohl nur dem Umstande zuzuschreiben, dass in einer guten Ehe höchst selten nach den herrschenden gesetzlichen Bestimmungen gefragt wird und daher die Kenntnis derselben sehr wenig verbreitet ist, wenn trotzdem im allgemeinen die leitenden Persönlichkeiten der Frauenbewegung beim Versuche, Verbesserungen in der Gesetzgebung zu erreichen, auf so große Teilnahmslosigkeit und Lauheit gerade der beteiligten Kreise stoßen, der Ehefrauen und der Eltern, welche Töchter zu verheiraten gedenken. In einer gut geführten Ehe herrschen nicht die geschriebenen Gesetze, sondern entweder der übereinstimmende Wille der Eheleute oder der Wille desjenigen von beiden, dem der andere Teil sich unterordnet. Erst wenn beide Willen so sehr auseinander gehen, dass Streit ausbricht, dass dieser Streit vor Gericht getragen, dass an Trennung gedacht wird, erst dann fragt man, was rechtens sei, und alsdann erhält in den meisten Fällen die Frau eine Antwort auf ihre Frage, die ihr und allen, welche davon hören, wie ein Hohn auf das, was „Recht“ ist, erscheint. Wer kennte nicht aus seiner näheren oder weiteren Verwandtschaft und Bekanntschaft Fälle von geschiedenen, getrennten sowie auch von fortdauernden Ehen, in denen eine Familie in trostloses Elend gestürzt wird durch den trunksüchtigen, verschwenderischen, gewalttätigen Mann, der, geschützt, gedeckt und autorisiert vom Gesetze, den Seinen alles genommen und vergeudet, sie körperlich und seelisch misshandelt, sie nicht ernährt und erhalten hat, sondern im Gegenteil oft noch von ihrer Arbeit und ihrer Schande leben will. Die Fälle der äußersten Tragik auf diesem Gebiete sind Gott sei Dank selten, aber doch längst nicht so vereinzelt, wie man vielleicht denkt, und sie gehören wohl zu den grausamsten Produkten sozialer Komplikationen, die zwar bei dem ausschlaggebenden Faktor psychologischer Individualität nie ganz ausgeschaltet werden können, denen aber doch unsere Gesetzgebung ein viel zu fruchtbares Wucherbeet zu üppigem Aufschießen darbietet, und die ohne diese Hegestätte

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längst nicht in dem Umfange gedeihen könnten. Über den speziellen konkreten Fall pflegt jedermann empört und entrüstet zu sein: Der Pflicht, durch rechtzeitige Kritik der abstrakten Möglichkeit so beklagenswerten Wirklichkeiten vorzubeugen, verhält sich insbesondere die Frauenwelt meist träge und ablehnend gegenüber, wennschon sie damit ein schwereres soziales Unrecht auf sich lädt, als ihr gemeiniglich bekannt ist. Aber auch abgesehen von den Fällen ehelichen Unfriedens, treten häufig Verhältnisse ein, die für die Frau im höchsten Grade schädliche Wirkungen haben können, wenn z. B. der Mann stirbt oder irrsinnig wird und alsdann vormundschaftliche Pflichten in Kraft treten, die nach gesetzlicher Vorschrift häufig in die Vermögensverhältnisse der überlebenden Familie mit ungeahnter, aber zwingender Macht eingreifen. Selbst wenn zu Lebzeiten des Mannes die Frau in einem gemeinsam betriebenen Geschäfte als die tüchtigere und umsichtigere Kraft die unbestritten leitende und disponierende Stelle einnahm, wie das z. B. in den französischen Gewerbebetrieben die Regel ist – oder wenn sie auch nur als gute, getreue Gehilfin des Mannes im Hauswesen und [im] Gewerbe zur Schaffung und Erhaltung des Familienwohlstandes das ihrige redlich beigetragen hat – beim Tode des Mannes nehmen eine Anzahl von Partikularrechten das gemeinsam erworbene Vermögen als nachgelassenes Eigentum des Mannes in Anspruch und verteilen es unter die Kinder oder an Verwandte des Mannes, teils ohne jegliche Berücksichtigung der Frau, teils indem ihr ein Kindesteil zugerechnet oder eine Quote des Gesamterbes gewährt wird. Aber mit Ausnahme weniger Distrikte, in denen die sogen[annte] Errungenschaftsgemeinschaft (s. Anm. S. 319) herrscht, wird nirgends Rücksicht genommen auf die Mitwirkung der Frau bei der Erwerbung eines gewissen Familienwohlstandes – sei es im Hause, sei es im Geschäfte –, wird die Arbeitsleistung der Frau in der Ehe als durchaus minderwertig und gleichgültig, gar keiner Ab- und Einschätzung für würdig geachtet. Ein Beispiel, welches nicht erfunden, sondern aus dem Leben gegriffen ist, wird lehrreicher sein als alle Theorie. Ein junges Mädchen wurde von seinen Eltern an einen Mann verheiratet, der außer seinem eleganten Auftreten geringe Qualifikationen als Stütze einer Familie besaß. Er brauchte in kürzester Zeit das Eingebrachte der Frau auf, bekleidete aber daneben weder Amt noch Stellung, noch führte er ein eigenes Geschäft. Die junge Frau erkannte jedoch mit seltenem Scharfblick sowohl die missliche Lage, in der sie selbst und das eben geborene Kind sich befanden, wie die Notwendigkeit, zur Besserung derselben sich auf eigene Kraft zu verlassen. Sie war froh, den sorgsamen Familienvater wenigstens dazu zu überreden, seinen eheherrlichen Namen zur Errichtung eines Kaufgeschäftes herzugeben, denn seine sonstigen Leistungen bestanden lediglich in der Ausräumung der durch ihre Energie, ihren Fleiß und ihre geschäft-

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liche Umsicht stets wohlgefüllten Kasse. Es gelang ihr jedoch, trotz der Verschwendungssucht und des leichtsinnigen Lebenswandels des Gatten, dem Geschäfte einen derartigen Aufschwung zu geben, dass sich der Wohlstand des Hauses zusehends mehrte, obwohl das Familienleben das denkbar unfriedlichste blieb und die geängsteten Kinder häufig Zeuge von tätlichen Misshandlungen ihrer Mutter waren. Nach 35-jähriger Ehe machte endlich die Frau ihrem Manne den Vorschlag einer Ehescheidung aufgrund unüberwindlicher Abneigung und freien Übereinkommens, da sie Vermögen genug erworben hätten, um jedes für sich ein mehr als behagliches Leben zu führen, und noch jung genug wären, um nach den trostlosen Ehejahren den vollen Genuss eines friedlichen und sorgenlosen Lebensabends empfinden zu können. Der Mann ging auf den Vorschlag ein, d. h. auf die Einleitung der Scheidung, keineswegs aber auf eine Teilung des von der Frau, aber für ihn erworbenen Vermögens. Dieses im Geschäfte des Mannes erworbene Vermögen gehört nach dem Gesetze dem Manne, und derjenige, von dem hier berichtet wird, fand durchaus keinen Anlass zu der von der Frau vorausgesetzten reinlichen Teilung des nach mehreren Hunderttausenden zählenden Ehevermögens, sondern beanspruchte, dem Wortlaute der Gesetze nach, das Ganze für sich. Ja, noch mehr, die Scheidung aufgrund gegenseitiger Abneigung und freien Übereinkommens, ohne dass auf Seiten der Frau eine Schuld des Mannes geltend gemacht worden wäre, enthob zugleich den Gatten von der Verpflichtung zu einer seinem Vermögen entsprechenden Alimentation: Erst nach langem Prozessieren verpflichtete er sich in einem Vertrage zur monatlichen Verabfolgung von 150 M[ar]k für die Frau, ohne alle Rücksicht darauf, dass sein eigener Reichtum lediglich das Erzeugnis ihrer Arbeit war. Die drei Töchter dachten praktisch genug, um in Anbetracht der Sachlage den Aufenthalt beim reichen Vater, der ihnen eigene Alimentationen nicht auszahlen mochte, vorzuziehen, und die arme Frau lebt nun in beschränkten Verhältnissen, fern von ihren Kindern und hat anstatt des erhofften heiteren Lebens nur freudlose Einsamkeit und bittere Erinnerungen. Ähnliche Ergebnisse ließen sich aus dem einen oder dem anderen unserer Partikularrechte, die sich gerade in Bezug auf eheliches Vermögens- und Erbrecht ins Ungemessene verlieren, unter der Voraussetzung einer unheilbaren Geisteskrankheit oder des Todes des Gatten konstruieren. Auch dann wäre die Möglichkeit gegeben, dass die Frau aus einem großen, von ihr erworbenen Vermögen mit einer geringen Unterhalts- oder Erbsumme abgefunden würde, ohne etwelche Ansprüche des Eigentumes an dem von ihr Erworbenen stellen zu können, denn was die Frau im Hause oder Geschäfte des Mannes erwirbt, erwirbt sie dem Manne.

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Dass dieser Satz in seiner Beziehung auf ein von den Ehegatten gemeinsam betriebenes Berufsgeschäft eine krasse Ungerechtigkeit enthält, erhellt [sich] aus einem zweiten Beispiele. Eine Ehepaar, beide Philologen, leiten mitsammen eine große Erziehungsanstalt, ohne dass die Frau die Vorsicht gebraucht hatte, den großen Grundbesitz und das reiche Inventar, die von Jahr zu Jahr durch Neuanschaffungen und Erweiterungen aus den gemeinsamen Einnahmen vergrößert wurden, zur Hälfte auf ihren Namen einschreiben zu lassen. Auch in dieser Ehe traten Verhältnisse ein, welche auf beiden Seiten den Wunsch nach Scheidung erweckten, dieselbe wurde genau wie oben im Wege freien Übereinkommens erreicht und das gesamte Vermögen blieb Eigentum des Mannes: Ihm wurde die Verabreichung einer unverhältnismäßig geringen Alimentation auferlegt, die, abgesehen von dem ungerechten, niedrigen Betrage, der Frau fortgesetzt das beschämende Gefühl der Abhängigkeit von demjenigen gibt, welcher sie ihr zu reichen verpflichtet ist. – Sie war zwar in der Lage, nach einiger Zeit eine neue Tätigkeit als Lehrerin zu finden und für sich und ihre Kinder zu sorgen: Ihre erste frische Kraft aber war in jener Anstalt kapitalisiert. Warum, wenn einer von beiden weichen musste und weichen wollte, musste es ohne Frage die Frau sein? Weil die Gesetze ohne weiteres annehmen, dass eine Ehe im Interesse des Mannes zu führen sei, und weil auch dieser Mann – dessen Gesinnung, bevor sie durch Tatsachen erprobt wurde, für über dem landläufigen Maße stehend galt – der in den Gesetzen gegebenen Versuchung unterlag und nach dem Rechte beanspruchte, was ihm sein Gewissen gewiss nicht bewilligen konnte. Nun kann allerdings diesen Verhältnissen gegenüber geltend gemacht werden, dass die betreffenden Gesetze doch eine kontraktliche Abmachung zwischen den Gatten zuzulassen pflegen, mittelst derer die miterwerbende Ehefrau einen Teil der Errungenschaft für sich zu Eigentum beanspruchen könne. Ist aber solche Remedur (s. Anm. S. 319) gegen eine andererseits geschaffene Unbill des Gesetzes ein anzuerkennender Zustand? Oder ist es nicht vielmehr Aufgabe der Gesetze, von vornherein Verhältnisse zu geben, die des Gegenmittels gegen eine zuvor geschaffene Unbill nicht bedürfen? Wer denkt bei einer glücklichen Ehe – und welche Ehe wird vor ihrem Abschlusse nicht als glücklich gedacht – an solche Schutzmaßregeln? Ein wie hässliches Moment kommt überhaupt in ein inniges persönliches Verhältnis durch die Berührung einer Abgrenzung von Mein und Dein! Solchen Erörterungen sollten im Durchschnitt die Gesetze vorbeugen und von vornherein das für einen Streitfall Selbstverständliche fixieren, nicht aber zunächst das Widersinnige und daneben ein Schutzventil anbringen, um die Konsequenzen daraus zu paralysieren. Auch das neue Bürgerliche Gesetzbuch, welches vom Jahre 1900 an alle die zersplitterten Eherechte unseres Reiches einheitlich zusammenfasst und ein in

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allen Teilen des Reiches maßgebendes Gesetz schafft, hat, trotzdem es das Recht der Frau am Erwerbe aus einem selbständig ausgeübten Berufe, Gewerbe oder Geschäfte anerkennt, an dem alten Grundsatze festgehalten, dass weder die hausfräuliche Tätigkeit der Gattin an sich, noch ihre Arbeit im Geschäfte des Mannes, zu welchen beiden sie den standesüblichen Verhältnissen nach verpflichtet ist, ihr irgendwelchen Anspruch auf das durch ihre Mitarbeit Erworbene oder Ersparte, die sogen[annte] Errungenschaft, geben. Zu welchen Konsequenzen das unter Umständen führen kann, ist oben dargelegt worden. Die Nutzanwendung daraus sollte die sein, dass die deutschen Frauen einheitlicher und nachdrücklicher, als es bisher geschehen ist, Forderungen auf Abänderungen des neuen Gesetzbuches stellen, das den Zeitanschauungen ebenso wenig wie der abstrakten Gerechtigkeit Rechnung trägt. Bis aber solche Änderungen wirklich erreicht und eingeführt sind, sollte jede Mutter vor der Ehe ihrer Tochter durch einen Ehevertrag diese Verhältnisse regeln und die Zukunft derselben sicherstellen gegen jeden im Verlaufe einer Ehe nur zu oft schon eingetretenen Gesinnungswechsel des Gatten. Im Allgemeinen aber dürften alle tüchtigen Hausfrauen ihre Arbeit für die Familie und das Hauswesen höher einschätzen und demgemäß auch Ansprüche auf Anteil an der Errungenschaft erheben. Denn auch die Haushaltsführung produziert sehr erhebliche Werte, die häufig das vom Manne gelieferte bare Anlagekapital für die zu verarbeitenden Rohprodukte erreichen oder übersteigen. Dieser von der Frau erarbeitete Nutzen erstreckt sich auf alle im Hause bereiteten Verbrauchsartikel, Nahrung, Kleidung, Wäsche usw. und stellt durch alle die Jahre der Ehe berechnet ein erhebliches Kapital dar. Aber diesen Tatsachen gegenüber bietet die Gesetzgebung der Ehefrau kein Äquivalent, sie veranschlagt ihre Tätigkeit weder als Hausfrau noch im Geschäfte des Mannes. Die deutschen Frauen sollten sich über die rechtlichen Verhältnisse, denen sie durch die Eheschließung unterstellt werden, näher unterrichten, um deren Besserung zu erlangen: Denn Sachkenntnis muss den Forderungen auf Besserung vorausgehen, wird aber auch unzweifelhaft zur Aufstellung solcher Forderungen führen.

Frau und Fräulein Die Anredeform für das weibliche Geschlecht ist augenblicklich einer öffentlichen Kontroverse unterworfen, welche von einem großen Teile der deutschen Presse geführt wird und ihren Ausgangspunkt in Deutschland von einem Vortrage (s. Anm. S. 320) nahm, der kürzlich im „Verein Frauenbildung-Frauenstudium, Abteilung Berlin“ (s. Anm. S. 320), von Fräulein Dr. jur. Marie Rasch-

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ke (s. Anm. S. 320) gehalten wurde. So lebhaftes Interesse dieser Vortrag erweckt hat, so ist er nicht die erste Äußerung eines Wunsches nach Reform in der Anrede und Bezeichnung von Frauen, vielmehr hat die Rednerin selbst schon vor längeren Jahren in einem Artikel, welcher in der Zeitschrift „Die Frauenbewegung“ erschien (s. Anm. S. 320), denselben Gegenstand unter demselben Gesichtspunkte erörtert, dass es nämlich widersinnig und ungehörig sei, erwachsene, selbständige Frauen mit dem Diminutiv (s. Anm. S. 320) „Fräulein“ anzureden, da diese Bezeichnung ihrer historischen Entwicklung und ihrem Inhalte nach den Charakter des Unreifen und der Unselbstständigkeit zum Ausdruck bringen wolle. Wer allerdings den Umschwung in der gesetzlichen Lage und der persönlichen Stellung des weiblichen Geschlechtes in Berücksichtigung zieht, weiß, dass die ursprünglich in dem Worte „Fräulein“ oder „fröuwelin“ liegende Bedeutung sich in ihr Gegenteil verwandelt hat, dass vielmehr das unverheiratete „Fräulein“ sich im Besitz völliger rechtlicher Selbstständigkeit und Verantwortlichkeit befindet, im Gegensatz zu der in der Regel rechtlich unselbstständigen und nicht verfügungsbefugten verheirateten „Frau“. In dieser Erwägung begleitet manches mit seiner Lebenslage sehr zufriedene „Fräulein“ den Kampf um Ausmerzung ihres Titels aus dem deutschen Sprachschatze nicht mit ganz ungemischten Gefühlen, wennschon sie als vernünftiger Mensch zugeben muss, dass das sächliche Diminutiv für eine weibliche Person in reifem Alter genauso unpassend und sinnlos ist, wie es für einen erwachsenen Mann sein würde. Aber auch in der Schweiz ist schon vor einiger Zeit die Frage zur Erörterung gebracht worden, allerdings in etwas modifizierter Form, indem dort lediglich das Verlangen auftauchte, den Müttern außerehelicher Kinder den Titel „Frau“ beizulegen. Von den Frauen strenger sittlicher Observanz bezeichnenderweise scharf bekämpft, konzentrierte sich die dortige Bewegung vor Jahr und Tag zu einer an die eidgenössischen Behörden gerichteten und mit Tausenden von Unterschriften bedeckten Petition dieses Inhaltes. Auf das Verlangen ging jedoch vom Justiz- und Polizeidepartement der ganz richtige Bescheid ein: Die administrative Bundesbehörde sei nicht in der Lage, dem Gesuch zu entsprechen, weil es Privatsache sei, ob sich die Mütter unehelicher Kinder im Privatleben „Fräulein“ oder „Frau“ nennen wollen, während sie andererseits privatim niemanden zwingen können, diese oder jene Bezeichnung auf sie anzuwenden. Ein gesetzliches Prädikat sei dagegen weder „Herr“, „Fräulein“ noch „Frau“, und von allen Behörden werden zur Kennzeichnung des Zivilstandes [die] Unterscheidungen „verehelicht“ und „unverehelicht“ für beide Geschlechter angewandt. Man wird sehr geneigt sein, diesen vernünftigen Bescheid auch für auf deutsche Verhältnisse anwendbar zu halten und es gemäß den Ausführungen von Dr.

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jur. Marie Raschke der Sitte und dem Geschmack des Einzelnen zu überlassen, sich für die alte oder für die angestrebte neue Anredeform zu entscheiden. In Preußen nimmt jedoch die Regierung auch in Bezug auf das Prädikat „Frau“ für die Krone das ihr aufgrund der Verfassung zustehende Recht der Titelverleihung und der Genehmigung von Namensänderungen in Anspruch und widmet dem Fall „Frau oder Fräulein“ einen besonderen Ministerialerlass vom 31. Juli 1869 (s. Anm. S. 320). Dieser lautet: „Zirkularverfügung an die Königlichen Regierungen und Landdrosteien sowie an das Königliche Polizeipräsidium hierselbst, das Verfahren bei Anträgen unverehelichter Personen weiblichen Geschlechts um Erteilung der Erlaubnis zur Annahme des Prädikates ‚Frau‘ betreffend: Des Königs Majestät haben aus Anlass eines Spezialfalls zu bestimmen geruht, dass fortan in allen Fällen, in denen es sich für unverehelichte Personen weiblichen Geschlechts um die Erteilung der Erlaubnis zur Annahme des Prädikats ‚Frau‘ handelt, die Allerhöchste Entscheidung eingeholt werden soll. Die Königliche Regierung setze ich hiervon im Anschluss an meinen Zirkularerlass vom 9. August 1867 (Min.-Bl. S.246) zur Nachachtung mit dem Bemerken in Kenntnis, dass Anträge vorstehender Art nur ausnahmsweise und aus besonders gewichtigen Gründen zu befürworten sein werden. Berlin 31. Juli 1869. Der Minister des Innern. Im Auftrage: Bitter.“ Der angeführte Erlass vom 9. August 1867 (s. Anm. S. 321) bezieht sich lediglich auf die Auslegung des strafgesetzlichen Verbots von willkürlicher Namensänderung, unbefugter Titelführung und dergleichen und will zwar die beliebige, nicht in betrügerischer Absicht erfolgende Änderung eines Vornamens für statthaft erklären, jedoch das in einem Allerhöchsten Ordre vom 15. April 1822 (s. Anm. S. 321) erlassene Verbot, seinen Familien- oder Geschlechtsnamen zu ändern, aufrecht erhalten wissen. Obwohl nun das Prädikat „Frau“ weder ein Vor- noch ein Familienname noch regelmäßig ein vom Landesherrn zu verleihender Titel ist, beansprucht also die preußische Krone, dass zu seiner Führung ohne vorhergegangene standesamtliche Trauung die landesherrliche Genehmigung eingeholt werde. Ob diese Forderung staatsrechtlich aufrecht erhalten werden könne, wäre der Untersuchung wert, unbestreitbar ist sie jedenfalls im Hinblick auf die allgemeine Erwerbung des Prädikats ohne direkte staatliche Mitwirkung nicht. Andererseits könnte ein praktischer Versuch erweisen, ob die Krone Preußen beabsichtigt, gegen eine Außerachtlassung des in der Verfügung vom 31. Juli 1869 beanspruchten Prärogativs vorzugehen oder ob sie es vorzieht, sich stillschweigend dem Zuge der Zeit und einer sich umbildenden Sitte anzupassen. Einschreiten kann sie jedenfalls nur dagegen, dass ein „Fräulein“ sich selbst die Bezeichnung „Frau“ beilegt, während sie kein Mittel hat zu verhindern, dass man unverehelichte Frauen als „Frau“ anredet und tituliert.

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Das Problem der Ehe Nicht allein die Frauenbewegung, sondern zu einem größeren Teile noch die Richtung, welche die allgemeine moderne Entwicklung eingeschlagen hat, führte zu mannigfaltigen Betrachtungen über das Verhältnis der Geschlechter zueinander und insbesondere über seine monogame Gestalt. Die Romanliteratur hat diesem Gebiete seit langer Zeit Motive entnommen, die nicht nach Hunderten, sondern nach Tausenden und Zehntausenden zählen, aber nachdem sie gleichsam den Pionier- und Aufklärungsdienst versehen haben, rücken wuchtigere Truppen ins Feld und nehmen die Frage in Angriff, Schriften und Bücher sozialethischen und philosophisch spekulativen Inhalts. Die bürgerliche Ehe wird einer Kritik unterzogen; Form und Wesen werden gegeneinander abgewogen, Motive und Erfüllung werden nach modernsittlichem Maß durchschnittlich als strenger Ethik nicht genügend befunden, und wie man dazu gelangt, eine korrekte Form über nichtigem oder verwerflichem Inhalt zu verurteilen, so stellt man als neues Ideal ein innerlich und wahrhaft einiges Liebesleben auf, ohne Rücksicht auf die Form, unter der es eingegangen ist und aufrecht erhalten wird. – Für viele wird die Möglichkeit einer Verallgemeinerung derartiger Postulate etwas absolut Abschreckendes und Besorgniserregendes haben; angesichts der Strömung jedoch, die gleichzeitig in allen Kulturländern auftritt und nicht die schlechtesten Geister zu ihren Aposteln zählt, wäre es mehr als Engherzigkeit, die Augen vor einer neuen Erscheinung zu schließen, die nur mehr erschreckt durch ihre Fremdartigkeit als durch ihre Hässlichkeit. Erinnern wir uns daran, dass schon in einem Staate mit dem feinstausgebildeten Rechtsleben wie dem römischen, wo zudem das eheliche und Familienleben, wenigstens zur Zeit der höchsten Blüte des Staates, das sittlich höchststehende unter allen Kulturvölkern bis zur Gegenwart gewesen ist, mehrfache Formen für gesetzlich vollgültige Ehen nebeneinander bestanden, neben der sakralen und der altrömischen, an strenge Formen und Konsequenzen gebundenen, eine völlig freie, nur vom beiderseitigen Willen abhängige, dass es aber noch niemandem eingefallen ist, diese Tatsache etwa unter die Ursachen zum Verfall des mächtigen römischen Reiches zu rechnen. Dass Liebe und Ehe erst von der modernen Soziologie zum Gegenstande des Studiums und der Erörterung gemacht worden sind in dem Sinne einer Untersuchung sowohl vom psychologischen und ethischen wie vom wirtschaftlichen und rechtlichen Gesichtspunkte aus, ist angesichts ihrer großen Bedeutung für die Kultur und Gesundheit der Völker im höchsten Grade auffallend. „Das Problem der Liebe ist im allgemeinen entweder gänzlich vernachlässigt oder höchst unvollkommen behandelt worden; es ist viel komplizierter und schließt Gefühlselemente in sich, welche es über den Bereich unserer National-

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ökonomen und unserer Soziologen hinausführen; es scheint überhaupt unseren Zeitgenossen schwer zu fallen, ohne Schüchternheit und zugleich ohne Brutalität darüber zu sprechen.“ So spricht Jacques Mesnil in „Le Mariage libre“ (s. Anm. S. 321), einem sehr feinsinnigen Buche, über den alle modernen Völker in gleichem Maße interessierenden Gegenstand. Dr. Karl Federn (s. Anm. S. 321) stellt uns eine im Verlage von Otto Lehmann-Rußbüldt (s. Anm. S. 321) schon im Druck begriffene deutsche Ausgabe des wertvollen Werkes in Aussicht. Bereits in zweiter Auflage erschienen ist eine kleine Arbeit von Ladislaus Gumplowicz: „Ehe und freie Liebe“, aus dem Verlage der sozialistischen Monatshefte M. Mundt, Berlin (s. Anm. S. 321). Der Autor dieser kleinen Schrift bringt darin zwar nichts wesentlich Neues, er geht aus von der allbekannten Wahrheit, dass, ebenso wie eine nach allen Formen des Gesetzes und der Gesellschaft geführte Ehe vollendet unsittlich sein, ein auf freier Hingebung beruhendes Liebesbündnis ein sittliches Ideal darstellen kann, aber er steht unter dem wesentlichen Irrtum, dass nur der sozialistische Staat den Boden für eine freie sittliche Entwicklung des Ehe- und Liebesproblems bieten könne. Das Buch von Gumplowicz wird trotzdem für viele neu sein, und wenn ein allem Umsturz so fern stehender Kritiker wie der Geh[eime] San[itäts]-Rat Konr[ad] Küster ihm in der „Allgem[einen] Universitätszeitung“ ein Lob erteilt (s. Anm. S. 322): „Wir sind Herrn L.G. sehr dankbar, dass er diese heiße Frage der Ehe und der freien Liebe in so ruhiger, sachlicher Weise angeregt und uns gezwungen hat, unwillkürlich eine neue Inventarisierung unserer Anschauungen über diese Frage in uns aufzunehmen“, so ist darin gewissermaßen eine Gewähr dafür geboten, dass wir es nicht mit einer frivolen oder unsittlichen, sondern mit einer sittlich ernsten Arbeit zu tun haben. Ein Buch der nackten Tatsachen ist das elfte Heft der Sammlung „Im Anfang des Jahrhunderts“, in welchem Dr. Ernst Gystrow „Liebe und Liebesleben im 19. Jahrhundert“ behandelt (s. Anm. S. 322). Es bringt Aufklärung über vieles, was vielen Frauen verborgen und unbekannt geblieben sein mag, und es spricht ohne Vorurteile und ohne Schönfärberei vom Liebesleben der deutschen Romantik, von der geschlechtlichen Moral des Bürgertums, von der modernen bürgerlichen Ehe, der Arbeiterehe und vielem anderen. Ohne Frage den höchsten Standpunkt gegenüber dem Problem nimmt Edward Carpenters „Love’s coming of age“ (s. Anm. S. 322) ein, ein Buch, das in der Ursprache unglaublich rasch vergriffen war, nun aber in einer Übersetzung, ebenfalls von Dr. Karl Federn, unter dem Titel „Wenn die Menschen reif zur Liebe werden“ bei Hermann Seemann, Leipzig (s. Anm. S. 322), erschienen ist. Eine besonders geschmackvolle Ausstattung erhöht die Anziehungskraft des Buches, das durch seine psychologische Zartheit und seine sittliche Höhe ebenso ausgezeichnet ist wie durch klare Erkenntnis des Bestehenden, Unzuläng-

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lichen und des zu Erstrebenden, Künftigen. Schon seine Kapitelüberschriften geben eine Übersicht des Inhalts: „Die Geschlechtsliebe“; „Der Mann – das unreife Geschlecht“; „Die Frau – das leibeigene Geschlecht“; „Die Freiheit des Weibes“; „Die Ehe – ein Rückblick“; „Die Ehe – ein Blick in die Zukunft“; „Die freie Gesellschaft“. Wenn Carpenter mit rücksichtsloser Schärfe die Schäden und die tiefen sittlichen Mängel des heutigen Ehelebens bloßlegt, so hält er in der anderen Hand auch gleich die köstliche Saat für eine bessere Zukunft. Ihm gilt als Ideal die lebenslange, frei geschlossene Doppeleinheit zweier Menschen, die er „eine fast einsgewordene Persönlichkeit“ nennen möchte, und als Mittel zur Erreichung dieses Zieles führt er an: 1. Die Forderung der Freiheit und Unabhängigkeit der Frauen überhaupt. Denn so wie wahre Freiheit nicht ohne Liebe, so kann wahre Liebe nicht ohne Freiheit bestehen. Man kann sich einem anderen nicht wahrhaft geben, wenn man nicht vorher in Wahrheit sein eigener Herr oder seine Herrin ist; 2. Die Schaffung eines vernünftigen Unterrichts für Kopf und Herz der Jugend beider Geschlechter; 3. Die Anerkennung eines freieren, kameradschaftlicheren, weniger kleinlich-exklusiven Verhältnisses in der Ehe selbst; 4. Die Abschaffung der Gesetze, die zwei Menschen in der gewissenlosesten Weise das ganze Leben aneinander fesseln, auch wenn ihre Verbindung eine ganz und gar unnatürliche und unselige ist. Eine Revision der stark verknöcherten und hinter der Zeit zurückgebliebenen Institution der Ehe wird allerorts verlangt. Für die modernen Frauen ist sie eine absolute Notwendigkeit, denn die erstarrten Formen lasten mit unerträglichem Druck auf den über sie hinausgewachsenen Persönlichkeiten und jenen reichen, hohen Inhalt, wie ihn Carpenter uns vorführt, vermögen sie nimmermehr zu fassen.

Mutterschutz Langsam arbeiten sich Gedanken in das Bewusstsein der Massen hinein, und lange dauert es daher, bis die einzelnen, denen sie als das Einfachste und Selbstverständlichste erscheinen, hoffen können, für ihre Thesen und Forderungen den Widerhall in weiteren Kreisen zu finden, dessen sie zur Durchführung und Verwirklichung bedürfen. Eine dieser klarsten, offenbarsten Wahrheiten ist der Satz, dass diejenige Nation ihre Kraft und Expansionsfähigkeit am meisten steigert, die den Müttern ihres Nachwuchses die größte Fürsorge angedeihen lässt; wie weit aber sind wir noch davon entfernt, diese Theorie in unserem sozialen Programm oder gar durch unsere innere und äußere Politik anerkannt, geschweige denn berücksichtigt zu sehen. Private Initiative muss auch hier die Wege weisen,

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und wir dürfen froh sein, den ersten organischen Zusammenschluss zu diesem Zwecke kürzlich erlebt zu haben. Während die Weisen des Berliner Magistrats soeben tiefsinnige Beschlüsse über die Bekämpfung der Säuglingssterblichkeit gefasst, dabei aber mit Bewusstsein und Überlegung Fürsorge für Wöchnerinnen und Mütter zurückgewiesen haben, traten vernünftige Frauen und Männer zusammen und gründeten einen „Bund für Mutterschutz“ (s. Anm. S. 322). In dem Aufruf, womit dieser junge Verein die erste Propaganda zur Verbreitung seiner Ziele und Gewinnung von Teilnehmern macht, sind in kurzen Umrissen die wichtigsten Gesichtspunkte zusammengestellt, welche die dringende Notwendigkeit der Gründung im Interesse der Humanität wie des Patriotismus belegen. Rund 180 000 uneheliche Geburten, nahezu zehn Prozent aller Geburten, haben wir nach dieser Darlegung jährlich im Reiche, die wir aber zum größten Teile in frühem oder gereifterem Alter zugrunde gehen lassen, indem wir sie aus engherzigem Vorurteil – oder fügen wir gleich hinzu: infolge schlechter Gesetze – als die Ausgestoßenen und Parias der menschlichen Gesellschaft behandeln und verfolgen. „Und dennoch stellen diese unehelichen Kinder durchschnittlich das beste Material an Kraft und Lebensfähigkeit dar, weil ihre Eltern meist in blühender Jugend und Gesundheit stehen.“ Halten wir uns doch bei dieser Betrachtung deren Revers vor Augen. Bei unzähligen Gelegenheiten hört man die schon zum Gemeinplatz gewordene Tatsache konstatieren, dass unsere Zustände die Möglichkeit der Eheschließung stets weiter und weiter hinausrücken. Hundert Dinge erklärt und erhärtet man durch sie, aber eine ihrer volkswirtschaftlich wichtigsten Konsequenzen zieht man nie, die nämlich, dass die Kinder aus diesen späten Ehen als Norm für ein Volk keineswegs eine verheißungsvolle Zukunft bedeuten, dass ein auf- und vorwärts strebendes Geschlecht Eltern braucht, die nicht bereits im Ringen mit dem Leben ihre beste Jugendkraft verbraucht und aufgerieben haben. Sollte der in dem Aufruf angeführte relative Rückgang der Geburtenziffern in Deutschland vielleicht mit den späten Eheschließungen in Zusammenhang stehen? „1876 entfielen auf 1000 Lebende noch 41 Geburten, 1900 nur noch 35 ½.“ Unter keinen Umständen haben wir Ursache, das alte Prinzip fortbestehen zu lassen, 10 v[on] H[undert] unseres kräftigsten Nachwuchses mit allen Mitteln unblutiger Grausamkeit systematisch zu verderben. Es ist aber nachgewiesen, dass bereits in oder vor der Geburt 5 v[on] H[undert] der unehelichen Kinder gegen 3 v[on] H[undert] als Reichsdurchschnitt sterben, eine Folge der hilflosen Lage, der moralischen Ächtung der Mutter; im ersten Lebensjahre sterben 28,5 v[on] H[undert] uneheliche gegen 10,7 v[on] H[undert] eheliche, so dass also schon ein volles Drittel der 180 000 in diesem zarten Alter ausgeschaltet ist, fast möchte man sagen: zu seinem Glück; denn von den Überlebenden scheitert ein Teil noch während der Kindheit: „Von den verwahrlosten Kindern sind 17 v[on] H[undert] unehelich

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geborene und in den traurigsten Verhältnissen umher gestoßene; Verbrechertum, Prostitution, Vagabundentum rekrutieren sich zu einem erschreckenden Teile aus Unehelichen; zum Militärdienst wird ihrer nur ein kleiner Bruchteil tauglich befunden.“ Können wir uns darüber wundern, dass alle diese von Jugend auf gehetzten Existenzen für das menschliche Gemeinwesen nichts wie Feindschaft hegen, nachdem sie von ihm nichts wie Feindseligkeit genossen haben? Die sorgsame Erhaltung jedes gesund geborenen Kindes macht der Aufruf des „Bundes für Mutterschutz“ zu einem Gebote rationeller Rassenhygiene, sie ist wichtig für die Erhaltung unserer Volkskraft und -gesundheit. Weder Kinderkrippen noch Findelhäuser, fährt er fort, sind zureichend, denn Kinderschutz ohne Mutterschutz ist und bleibt Stückwerk, die Mutter ist die kräftigste Lebensquelle für das Kind und zu seinem Gedeihen unentbehrlich. „Wer ihr Ruhe und Pflege in ihrer schweren Zeit gewährt, eine wirtschaftliche Existenz für die Zukunft sichert, sie vor der kränkenden und das Leben verbitternden Verachtung ihrer Mitmenschen bewahrt, der schafft damit auch die Basis für leibliches und geistiges Gedeihen des Kindes.“ In unserem Nachbarland Frankreich, wo die bedenklichen statistischen Zahlen über die Bevölkerungsbewegung schon länger den Blick geschärft und die Überlegung angespornt haben, gewährt man den unehelichen Müttern, welche ihr Kind selbst erziehen wollen, aus öffentlichen Mitteln Unterstützung und Rückhalt, auch private Hilfstätigkeit hat Heimstätten geschaffen, wo Mütter und Kinder Unterkunft finden und wo ersteren Verdienst nachgewiesen wird. Dasselbe strebt nun bei uns der „Bund für Mutterschutz“ an: Tunlichst auf dem Lande und bei möglichst gesunder Beschäftigung soll den Müttern mit ihren Kindern Obdach, Rechtsschutz und hygienische Fürsorge geboten werden, des Weiteren will der Bund umfassenderen gesetzlichen Mutterschutz, eine allgemeine Mutterschaftsversicherung – Mutterschutzrente wäre zweckdienlicher –, eine Reform des Ziehkinderwesens erstreben. Wenn ich aus den Mitgliedern des Gründungskomitees folgende heraushebe: Dr. Blaschko, Michael Georg Conrad, Prof. Forel, Prof. Ernst Franke, Prof. von Liszt, Reichstagsabgeordneter Müller-Meiningen, Friedrich Naumann, Dr. Franz Oppenheimer, Bruno Wille, und wenn ich noch anführe, dass Dr. Helene Stöcker Vorsitzende des Bundes geworden ist, während neben ihr im Vorstande Maria Lischnewska, Rut Bré, Dr. Marcuse und Dr. Walther Borgius sind (s. Anm. S. 322), so kann man daraus mit Sicherheit schließen, dass der Bund von großen Gesichtspunkten aus geleitet und mit wärmster Hingebung verwaltet werden wird. Die Mitgliedschaft wird durch einfache Meldung bei Herrn Dr. Marcuse, Berlin W., Leipziger Straße 42 erworben, dem gleichzeitig der Jahresbeitrag nach eigener Einschätzung, mindestens 1 M[ark] einzusenden ist. Es wird jedoch dringend gebeten, in Anbetracht der großen pekuniären Erforder-

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nisse die Selbstbesteuerung mit möglichster Liberalität zu bemessen, besonders erwünscht sind auch einmalige größere Zeichnungen zur Errichtung der Heimstätten. Ferner sind besonders willkommen Meldungen von solchen, welche bereit sind, ledige Mütter mit ihren Kindern aufzunehmen, ihnen in ihren Wirtschaftsbetrieben Beschäftigung zu geben oder sonst zur Sicherung ihrer Existenz beizutragen. Nachweis geeigneter Siedlungsterrains, Arbeitsvermittlung und sonstige tatkräftige Unterstützung wird erbeten. Die Gründung des „Bundes für Mutterschutz“ ist von allen ernsten Patrioten freudig zu begrüßen. Mögen auch die Motive zur Mitgliedschaft zum großen Teile aus überquellendem Mitleid mit greifbar nahem, grenzenlosen Elend sowie aus mahnendem Gewissen derer, die sich selbst als Urheber solchen Elends kennen, herauswachsen – die Wirkungen des Bundes werden jedenfalls ins Große und Allgemeine gehen und werden Früchte tragen fürs ganze deutsche Volk. In diesem Sinne wäre ihm Sympathie und Förderung von Seiten unserer Regierungen und insbesondere seitens der Berliner städtischen Kollegien zu wünschen.

Ein typischer Fall der Gegenwart Offener Brief Sehr geehrte Frau! Ihr Brief ist der dritte innerhalb vierzehn Tagen, welcher sich mit der Bitte um Rat in gleicher Angelegenheit an mich wendet, und die in ihm enthaltene Frage wird in unserer Zeit, davon dürfen Sie überzeugt sein, nicht von drei, sie wird von hundert Frauen, und zwar von den tüchtigsten unseres Volkes in ernstem Nachdenken erwogen; gestatten Sie mir daher, Ihnen meine Antwort in öffentlicher Form zu geben, so dass sie möglicherweise nicht nur Ihren Entschluss, sondern auch den mancher anderen Frau stärken kann. Ihr Brief und die beiden anderen, die ich erwähnte – ich bekomme solche Briefe andauernd, sie sind typisch –, sind einander so ähnlich wie die Blüten eines Strauches, wie die Entwicklungssymptome einer Zeit. Sie (und andere) haben sich aus eigener Kraft gegen den Wunsch Ihrer Familie einen befriedigenden Lebensberuf geschaffen, Sie sind in den Genuss einer unabhängigen Existenz gelangt und Ihrem Erfolge hat sich der Missmut Ihres Vaters gebeugt; Sie (und andere) sind – nicht im Ballsaale oder bei anderen Gelegenheiten des täuschenden Treibens großer Geselligkeit, sondern unter einfach-wahren Umständen einem Manne begegnet, dessen Lebensauffassung der Ihrigen ebenso sehr kongenial ist, wie sie der landläufigen zuwiderläuft, und Sie haben mit diesem Manne eines Tages, als das Herz Sie dazu trieb, aber ohne dass der Termin Freund oder Feind oder der hohen Obrigkeit zuvor gemeldet wurde, eine Ehe

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geschlossen. Ihr Glück, welches Sie übrigens auch nicht mit der Ängstlichkeit eines bösen Gewissens, sondern nur mit dem Egoismus des Nicht-gestört-seinWollens hüteten, blieb nicht lange verborgen, und Ihre in ihrer gesellschaftlichen Ehre tödlich verletzte Familie verlangt Sühne des Affronts mindestens durch gesetzliche Legitimierung Ihrer Ehe. Ihr Gatte ist bereit zu diesem Schritte, der für ihn lediglich eine bedeutungslose Form darstellt, Sie haben ein instinktives Gefühl davon, dass von Ihrer Seite der lieben Philistermoral mehr geopfert werden soll als eine Äußerlichkeit und etwas in Ihnen sträubt sich gegen dieses Opfer. Lassen Sie sich sagen, dass der vielgeschmähte weibliche Instinkt mit großer Sicherheit wieder das Richtige getroffen hat, denn die legitime Ehe bedeutet für die Frau den gesetzlichen Verzicht auf ihre Rechtsexistenz, umschließt nicht allein die für eine selbständige Individualität unwürdige Aufgabe ihres Namens und ihres Selbstbestimmungsrechtes, sondern in den meisten Fällen völlige pekuniäre Abhängigkeit und in allen Fällen gänzliche Rechtlosigkeit an ihren Kindern. Für eine Frau von Selbstachtung, welche die gesetzlichen Wirkungen der bürgerlichen Eheschließung kennt, ist es nach meiner Überzeugung unmöglich, eine legitime Heirat einzugehen: Ihr Selbsterhaltungstrieb, die Achtung vor sich selbst und ihr Anspruch auf die Achtung ihres Mannes lässt ihr nur die Möglichkeit einer freien Ehe offen. Zwingende Rücksichten auf die materielle Existenz machen ja in vielen, leider in den meisten Fällen eine würdige Behauptung der Persönlichkeit unmöglich und zwar sind sie für den Mann fast noch zwingender als für die Frau, die noch so selten im Staatsdienst, vielmehr meist auf die freien Berufe angewiesen und in diesen häufig weniger abhängig ist. Für einen Privatdozenten, Beamten, Offizier ist es aber geradezu ausgeschlossen, seine Stellung zu behaupten, wenn er offenkundig in freier Ehe lebt; ich fürchte, auch unsere Anwalts- und Ärztekammern würden ihre Mitglieder ob solchen Verhaltens maßregeln, deshalb zwingt durchschnittlich die bürgerliche Existenz des Mannes die aufgeklärte moderne Frau zu dem bewussten Opfer ihrer eigenen bürgerlichen Existenz. Wenn aber irgend die Möglichkeit freier Unabhängigkeit und genug persönliches Selbstbewusstsein, um der gesellschaftlichen Ächtung des Philistertums trotzen zu können, vorhanden ist, wenn irgendeine Frau sich zutraut, auch ihre Kinder so erziehen zu können, dass sie unter den Vorurteilen, unter deren Fluch sie aufwachsen werden, nicht unverhältnismäßig leiden, so halten ich es nicht nur für ratsam, nicht nur für das gute Recht, sondern sogar für die Pflicht der sittlich hochstehenden Frau, die freie Ehe zu wählen und durch ihr Vorbild den Weg zu bahnen zu einer würdigeren Gestaltung der Ehegesetze, als wir sie heute besitzen. Mit scheint, dass nur eine derartige Propaganda der Tat unsere Gesetzgebung zu den dringend notwendigen Reformen führen wird.

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Sie sagen mir, geehrte Frau, und es ist durchweg die Überzeugung aller, welche mit Ihnen in gleicher Lage sind, dass ihr Gatte nie einen Missbrauch seiner gesetzlichen Bevorrechtung, „die er verachtet“, begehen wird. In einem Punkte jedoch ist er nicht einmal in der Lage, eine Wirkung der gesetzlichen Ehe auszuschalten, das ist Ihre Namensänderung. Man pflegt bei uns auf diesen Punkt gerichtete Proteste als ein eigensinniges Verweilen auf Äußerlichkeiten zu verurteilen. Die Zumutung, den Namen, unter dem man zum Menschen herangewachsen ist, plötzlich abzulegen und gegen einen neuen zu vertauschen, so wie man ein abgenutztes Kleidungsstück wechselt, ist aber mehr als eine äußerliche. Sie müssen sie nur objektiv betrachten, um ihren richtigen Maßstab zu finden. Zu dem Gesichtspunkt reiner Sachlichkeit gelangen Sie sofort, wenn Sie einem Manne eine Namensänderung ansinnen als Konsequenz irgendeines Vorganges im Leben. Wir wollen ihm nicht einmal zumuten, den Namen seiner Frau anzunehmen, denn der Begriff von deren bürgerlicher Inferiorität ist so tief eingefleischt, dass dieses Verlangen sofort den Beigeschmack einer Degradation haben und das Urteil trüben würde. Nein, er soll den Namen eines anderen Mannes annehmen, etwa bei einer geschäftlichen Assoziation den Namen seines Kompagnons, und diesen nicht nur bei geschäftlichen Unterschriften anwenden, sondern überhaupt in allen persönlichen Angelegenheiten. Ein Siegfried Schulz soll wie mit einem Schwamm von der Tafel gelöscht verschwinden, Siegfried Maier soll neu und spiegelblank an seine Stelle treten. Würde ein Mann das tun? Ich glaube, Sie fänden keinen, der nicht dagegen revoltierte, selbst wenn er Katzenbalg oder Spanfarcke hieße, warum mutet man also einer Frau diese kränkende Selbstentäußerung zu? Praktische Notwendigkeit liegt in keiner Weise vor, denn beide Gatten können einfach, wie es in der Schweiz allgemein Regel ist, ihren Namen kombinieren, der Mann den Namen der Frau dem seinen und die Frau den Namen des Mannes dem ihren hinzufügen: Boos-Jegher, SchneeliBeerli, Wirz-Baumann (s. Anm. S. 323) usw. Ich weiß schon, jetzt kommt der Einwand: Und die Kinder? Das ist so einfach wie möglich, je nachdem [ob] das Vater- oder Mutterrecht im Gesetze Geltung hat, erben sie den Geburtsnamen des betreffenden Elternteils, wachsen hinein und empfinden ihn als integrierenden Bestandteil ihrer selbst. Man gewinnt jeden Namen lieb, den man von Geburt an trägt, nur nicht auf Kommando vertauschen müssen, das ist eine unerträgliche Zumutung. Dass Ihr Gatte übrigens seine eheherrliche Gewalt nicht in Anwendung bringen will, bin ich völlig überzeugt; dennoch können Sie die Entwicklung Ihres gegenseitigen Verhältnisses selbst nach 2 ½-jähriger Dauer nicht voraussehen, denn wir sind alle Menschen und Vergänglichkeit ist das Wesen alles Menschlichen. Aber selbst wenn sie beide lebenslang dieselben bleiben – eine Kameradschaft, die auf Ungleichheit basiert ist, eine Ehe, die auf Übergewicht

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und Unterordnung zwischen den Gatten beruht, ist keine Kameradschaft, ist keine Ehe für fein empfindende Menschen: Ein Hauch einer Trübung, ein spinnwebfeiner Schleier wird stets Ihre Einigkeit in Ihrem Bewusstsein stören, und nie kann das Gefühl sie völlig verlassen: Mein Mann schenkt mir zwar mein volles Persönlichkeitsrecht, aber es ist eine Gnade von ihm und in den Augen aller Welt gelte ich als die Rechtlose, welche die bürgerliche Ehefrau in Deutschland ist. Und die Welt sorgt dafür, dass Ihnen das Gefühl Ihrer Rechtlosigkeit täglich vor Augen geführt wird; wollen Sie einige Proben der Sie erwartenden Nadelstiche? Sie wollen ein Atelier für Ihre Arbeit mieten, der Hauswirt fragt Sie nach der Einwilligung Ihres Mannes und begehrt den Vertrag mit diesem abzuschließen. Der Geldbriefträger bringt eine Anweisung an Ihre Adresse, er legt sie Ihrem im Zimmer anwesenden Gatten zum Quittieren hin 1 und zählt diesem den Betrag vor. Sie wollen auf der Bank, wo Sie Ihre Einkünfte hinterlegen, eine Summe erheben, man hat die Dreistigkeit, obwohl es sich um Ihren Arbeitserwerb, also um Ihr Vorbehaltungsgut im Sinne des Gesetzes handelt, die Unterschrift Ihres Mannes zu verlangen, bevor man Ihnen auszahlt. Sie melden Ihr Kind zum Schulbesuch an, man fragt auch hier nach dem Willensausdruck des Vaters usf., beschränken wir uns auf diese Auswahl aus der Fülle der Gesichte. Werden Sie vor sich selbst den vollen Respekt behalten, wenn Sie sich freiwillig in eine derartige Rechtsstellung begeben? Wird Ihre Ehe ihre unverletzte Würde bewahren, wenn einer der beiden Gatten nur durch die Nachsicht des anderen emporgehoben ist? Und wenn Sie sich mit diesen beiden Einwänden abfinden (obwohl ich es nicht hoffe), wollen Sie auch die völlige Rechtlosigkeit an Ihren Kindern auf sich nehmen, welche das deutsche Gesetz über die legitime Mutter verhängt? Mit seinem unehelichen Kinde gilt der deutsche Vater als nicht verwandt; – die deutsche Rechtsüberzeugung fixiert in diesem brutalen Satze, was sie von den natürlichen Beziehungen zwischen Vater und Kind hält, implicite gibt sie darin die ausschließliche Innigkeit des Verhältnisses zwischen Mutter und Kind zu. Gleichwohl stellt das Gesetz fest, dass die Ehefrau ihre Kinder dem Manne und nur dem Manne gebiert, er wird in der Gewalt über deren Person, im Recht auf ihre Erziehung selbst bei starkem Missbrauch oder verhängnisvoller Unfähigkeit nur in den seltensten Fällen beschränkt; er verwirkt die elterliche Gewalt nur wegen eines an dem Kinde begangenen Verbre-

1 Gegen die Behauptung dieser Möglichkeit ist von mehreren Seiten Widerspruch erhoben worden, sie beruht jedoch auf erfahrungsmäßigen Tatsachen, die, ob mit oder ohne Übereinstimmung mit dem Postreglement, vorgekommen sind und Zeugnis ablegen, wenn nicht von den bestehenden Rechtsverhältnissen, so von lebendiger Rechtsüberzeugung im Volke hinsichtlich der Stellung der verheirateten Frau. Die Verfasserin.

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chens, nicht sofern er es begangen, sondern sofern er deswegen zu Zuchthaus oder Gefängnis nicht unter 6 Monaten verurteilt wird. Im Übrigen bestimmt der Vater den Aufenthalt, die Pflege und Behandlung des Kindes, er schreibt die Erziehungsprinzipien vor, seine Einwilligung allein ist zur Eheschließung einer minderjährigen Tochter nötig. Ist die Mutter gleicher Ansicht wie er, so darf sie mitbestimmen, hat sie eine abweichende, so gilt ihr Widerspruch nichts, denn „bei Meinungsverschiedenheiten zwischen den Eltern geht die Meinung des Vaters vor“. Ist nicht diese Formulierung des Elternrechts ausschließlich zu Gunsten des Vaters die Krönung der Konstruktion, welche die legitime Gattin zur willenlosen Sklavin des Mannes herabdrückt, denn mit der Gewalt über ihre Kinder hat er eine Geisel in Händen, die eine Mutter zu allem gefügig machen wird. Und wie schändlich gepeinigt werden diese armen Geiseln von tausend gewissenlosen Vätern – die ja nach Ausspruch des Gesetzes selbst durch Bande der Verwandtschaft und Sympathie mit ihren Kindern nicht in Verbindung stehen –, nur um in ihnen die Mutter zu treffen. Kann bei Kenntnis dieser Rechtslage eine Frau, welche etwas auf sich hält, sich in eine so unwürdige Stellung zu ihren Kindern drängen lassen, wie sie sie durch Eingehung der bürgerlichen Ehe erhält? Genug – ich hoffe, Sie überzeugt zu haben, dass wenn Sie Kraft und Rückgrat in sich fühlen, eine Persönlichkeit zu sein, nicht eine Ziffer in der Bevölkerungsstatistik, es Ihre Pflicht ist, den dornigen Weg fortzuwandern, den Sie bereits eingeschlagen haben. Ertragen Sie lieber jedes Martyrium als das Aufgeben Ihrer selbst in einer bürgerlichen Ehe, denn Sie bauen dadurch die Brücke der Zukunft. Glauben Sie nur, wenn einmal hundert Ehepaare gleich Ihnen gehandelt haben werden, Menschen von Bedeutung und Wert, denn nur unsere Besten sind vorläufig imstande, so zu handeln, dann werden auch für den Durchschnitt die Pforten zu einem sittlich möglichen Ehebunde auf gesetzlicher Grundlage eröffnet. Wenn hundert tüchtige deutsche Frauen offen erklärt haben werden, unsere Gesetze bieten meinem Manne und mir keine Möglichkeit in einer legitimen Ehe ein menschenwürdiges Verhältnis aufrechtzuerhalten, so werden diese Gesetze geändert werden. Tun Sie das Ihre, um diese Reform herbeizuführen. Hochachtungsvoll Irschenhausen, Oberbayern (s. Anm. S. 323)

Anita Augspurg

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Zur Reform der Ehe Schlusswort von Dr. jur. Anita Augspurg Eine außerordentliche Erregung ist die Folge des im Dezember v. J. von mir geschriebenen und im Februar und Juni d. J. in der „Europa“ und der „Frauenbewegung“ veröffentlichten Briefes gewesen (s. Anm. S. 324), eine Erregung, die in unzähligen Press[e]kommentaren ihren Ausdruck suchte und die viele meiner Freunde mir zu Gegnern, viele Gegner zu Freunden gemacht zu haben scheint. Es scheint die Menschen am meisten zu erbittern, wenn man die Wahrheit sagt – die Bloßstellung der großen Lebenslüge, die für so viele die Existenz ermöglicht, in ihrer hohlen Nichtigkeit vor den Augen aller, bewirkt ein blindes, krampfhaftes Wüten gegen das Schlaglicht, welches in die verheimlichten Winkel hineinleuchtet. Ein blindes Wüten möchte ich auch die Mehrzahl der wider mich ergangenen Repliken nennen und sofern dieses Wüten auf parteitendenziöse Motive schließen lässt, wie bei einem großen Teile der Blätter anzunehmen ist, die sich mit meinem Artikel beschäftigten, erspare ich mir jegliche Erwiderung. Blind muss ich aber auch eine große Zahl der Angriffe nennen, die von sonst vorurteilsloser und aufgeklärter Seite stammen. Den Vorwurf des völlig „liederlichen Lesens“ (nach R[udolf ] v[on] Ihering) (s. Anm. S. 324), der in diesen Blättern schon einmal in Beziehung auf meinen Artikel gebraucht wurde, kann ich diesen Angreifern nicht ersparen. Vor allem wird, was ich für wenige, hervorragend starke, imponierende und reife Individualitäten als Aufgabe und Pflicht empfahl, beurteilt, als sollte es Norm und Alltagsrezept für alle sein. Ich beschränkte mich auf die Forderung von hundert solcher vorbildlichen Ehen, eine Zahl, die mir womöglich in derselben Polemik als viel zu bescheiden vorgeworfen wurde, um Einfluss auf die öffentliche Meinung zu gewinnen, und man malt in einem Atemzuge die heillosen Folgen aus, die es haben müsste, wenn jede kleine Geheimratstochter, jede Buchhalterin, jedes unbeschriebene Blatt sich jedem Dutzendmann gegenüber in freier Ehe behaupten sollte. Ja, nicht einmal von „freier Ehe“, wie ich, spricht man, um mich zu widerlegen, sondern kurzweg von „freier Liebe“ in dem Begriffe eines kurzen, wechselnden Verhältnisses, an das ich weder gedacht, noch das ich genannt habe. Alle die theoretischen und die kasuistischen Widerlegungen also, die auf solches liederliches Lesen zurückzuführen sind und sich gegen Möglichkeiten richten, die ich nicht behauptet habe, erachte ich als gegenstandslos und mache mir nicht die Mühe, sie zu entkräften. Zur Aufklärung jedes Missverständnisses betone ich nochmals ausdrücklich, dass die freie Ehe meiner Auffassung sich völlig deckt mit der bisher unübertroffen idealen Definition der Ehe des römischen Rechtes: „Ehe ist die Verbin-

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dung von Mann und Frau zu völliger Lebensgemeinschaft und Gemeinsamkeit des göttlichen und menschlichen Rechtes.“ (s. Anm. S. 324) – und, füge ich hinzu, in der Hoffnung und festen Zuversicht lebenslänglicher Dauer. Von diesem Gesichtspunkte aus wird man mir wohl zugeben, dass die Zahl von hundert Männern und hundert Frauen, die eine solche Idealehe führen, nicht bescheiden, sondern ziemlich hoch gegriffen ist. Ich wäre froh, ihrer hundert in unserem Volke zu wissen; gesehen und beobachtet habe ich in meiner nicht kurzen Lebenszeit bei jung und alt und hoch und niedrig noch nicht zehn. Auch bin ich sicher, dass das Vorbild meiner Elitehundert nicht ohne starken Einfluss auf die öffentliche Meinung bleiben würde: Haben wir doch erst eben erlebt, wie stark das Beispiel einer einzigen „woman, who did“ (s. Anm. S. 324), d. h. einer Frau in allbekannter Position mit dem Mute, sich offen zu ihrem Kinde zu bekennen, die allgemeine Ansicht reformiert hat. Ich will übrigens über die ohne viel tiefsinniges Abwägen herausgegriffene Zahl nicht markten; sind es ihrer Tausend, die den Kampf mit der Gesetzgebung aufnehmen müssen, um Besserung zu erzielen, umso mehr Grund, diese opfermutige Phalanx (s. Anm. S. 324) auf den Plan zu rufen. Noch eine allgemeine Betrachtung, die allen meinen Gegnern gilt, sei hier gemacht. Seit Jahren ist doch eigentlich Gemeingut der öffentlichen Erörterungen, was ich lediglich unter einem bestimmten Gesichtspunkte, dem der bürgerlichen Konsequenzen, behandelt habe: Carpenter, Ellen Key, Mesnil, Federn (s. Anm. S. 324), um nur wenige herauszugreifen, haben, ohne einen solchen Sturm des Staunens und Widerspruches bei uns zu erregen, ganz dieselben Anschauungen vertreten, zu denen jeder gelangen muss, der voraussetzungslos den würdigsten Maßstab für die Ehe zu finden bestrebt ist. – Ich bin auch fest überzeugt, dass die Mehrzahl meiner Opponenten im großen und ganzen ein ganz ähnliches Eheideal aufstellt wie ich. Der ganze Unterschied scheint demnach darin zu bestehen, dass jene abstrakte ethische Ideale aufstellen, theoretisieren und philosophieren, während ich in einem konkreten Fall rate: Gehet hin und tuet desgleichen. Mein Verbrechen läuft darauf hinaus, dass ich offen erkläre: Ermöglicht Euch unser Gesetz eine ideale Ehe nicht – und es ist unumstößliche Tatsache, dass es sie nicht ermöglicht – so führt dieselbe außerhalb des Gesetzes. Sind denn unsere Gesetze sakrosankt? Sie müssten doch wahrhaftig besser sein – ich erinnere z. B. an das preußische Vereinsgesetz, an den Zolltarif –, um uns persönliche Hochachtung einzuflößen. Indem ich nun zur Beantwortung einiger besonderer, mir gemachter Einwürfe übergehe, wende ich mich zunächst an Dr. Ernst Feder (s. Anm. S. 325), den ich infolge seines Aufsatzes, „Konkubinat und Polizei“ (s. Anm. S. 325) (Beilage der „Frauenbewegung“ 1904, Nr. 17) als einen der Unseren kenne, d. h. als einen, der die freie Ehe gegen die Einmischung der niederen Polizeiorgane und gegen

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die Strafbefugnis der Polizei überhaupt geschützt wissen will. Umso mehr hat es mich eigentlich gewundert, dass er bei dieser Gelegenheit aufgrund noch anderer rechtlicher Nachteile der freien Ehe – m. E. mit Unrecht – für Bevorzugung der durch die legitime Ehe verhängten persönlichen Nachteile der Frau plädiert. Er hat wenigstens meinen Brief nicht „liederlich“ gelesen, sondern betont, dass ich die Ehefrau als in der öffentlichen Meinung weit mehr als durch unser neues Gesetzbuch benachteiligt erkläre. Er meint jedoch, dass die Gattin der freien Ehe von der öffentlichen Meinung noch weit weniger geachtet werde. – Hier nun vertauscht er Ursache und Wirkung bei den von mir gedachten wenigen vorbildlichen Beispielen. Ich will nämlich sagen, dass zunächst nur Frauen – und Männer –, die eine so unumstößlich fest begründete hohe Achtung vor der Welt genießen, das scharf pointierte Beispiel einer freien Ehe geben sollen, dass eben die öffentliche Meinung an dieselbe einen anderen Maßstab zu legen und sie zu respektieren gezwungen wird: Daher meine bescheidene Zahl der hundert. Dass so tiefgehende Wirkung von der einzelnen in unangreifbarer Position befindlichen Persönlichkeit auszugehen vermag, ist erwiesen. Ich nehme wiederum Bezug auf den schon oben erwähnten Einzelfall: Wie verschieden ist die Haltung der öffentlichen Meinung gegenüber jener Mutter von der allgemeinen Behandlung der unehelichen Mutter! Ich muss Herrn Dr. Feder widersprechen, wenn er nach dieser Argumentation zu dem Schluss kommt, entscheidend sei also nur das wirklich geltende Recht. – Ich weiß und ich habe es in meinem „Offenen Briefe“ betont, dass es ungesetzlich und unzulässig ist, wenn der Geldbriefträger Postanweisungen an den Mann der Adressatin verabfolgt, er tut es aber gelegentlich in Preußen und in Bayern, ich führte nämlich konkrete Fälle an. Ich weiß und ich habe es einer Bankstelle gegenüber geltend gemacht, mündlich einem Buchhalter, schriftlich im Namen einer Klientin der Direktion gegenüber, dass keine gesetzliche Norm den Banken vorschreibt oder sie autorisiert, sich darüber zu versichern, ob das von einer Ehefrau bei ihnen angelegte Konto sich auf Vorbehaltsgut bezieht oder nicht. Trotzdem ist es Regel bei den Banken, zum Mindesten bei der „Deutschen“, bei der Abhebung von Geldern aus laufendem Konto von einer Ehefrau auch die Unterschrift des Mannes zu fordern, bevor sie auszahlen. Soll nun die legitime Gattin um jeden Fall dieser „ungesetzlichen“ Respektlosigkeit vor ihr als handlungsfähiger Person zum Kadi laufen? Sie käme aus den Prozessen und Beschwerden nicht heraus und könnte getrost alle ihre Lebensaufgaben opfern vor der Notwendigkeit ihre Rechtshändel zu führen, die eine anständige Advokatenpraxis ausmachen dürften. Selbst der Gütertrennungsvertrag schützt nicht gegen die stete Voraussetzung, dass sie vermögensrechtlich nicht verfügungsfähig sei, welche die Frau bei jedermann erst zu entkräften hat, ganz abgesehen davon, dass es an sich im höchsten Grade unwürdig ist, einen Vertrag dafür auf-

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stellen zu müssen, dass man die Verfügung und Nutzung an seinem Eigentum behält, welche das Gesetz einem Dritten zuspricht. Nicht alle deutschen Behörden erkennen das Recht der Frau an, ihren Namen beizubehalten, indem sie ihn dem Namen des Mannes hinzufügt. Das Gesetz sagt ja auch bedingungslos knapp: „Die Frau erhält den Familiennamen des Mannes.“ In München verbot z. B. die hohe Polizei (vielleicht um die Ärztin zu schikanieren, der sie sonst nicht beikommen konnte?) ganz ausdrücklich Frau Adams-Lehmann (s. Anm. S. 325), diese beiden Namen auf ihrem Schilde zu führen: „Sie haben ‚höchstens‘ das Recht, sich Frau Lehmann, geb. Adams zu nennen“, lautete das hochwohlweise amtliche Verdikt. Dass endlich die Bestimmung unseres BGB, dem Manne stehe in allen das gemeinsame eheliche Leben betreffenden Angelegenheiten die Entscheidung zu, nach der Auslegung eines vorurteilsfreien Richters die Gewalt des Ehemannes auf ein Minimum einschränken kann, dass ferner kaum eine Möglichkeit ist, seine Entscheidung auf richterlichem Wege durchzuführen, ist eine allbekannte Tatsache. Ebenso wie in allen anderen Fällen ist es aber die tiefeingewurzelte Suggestion von der eheherrlichen Gewalt, welche der legitimen Gattin die abhängige unselbständige Stellung beimisst, die in meinen Augen für sie unerträglich ist. Vor allem aber hat der Mann in der Verfügung über das Vermögen und bedingungslos über die Kinder der Frau Geißeln von nie versagender Kraft in der Hand: Ihrer Kinder halber ist die Gattin dem Manne auf Gnade und Ungnade überliefert. – Mit Rücksicht auf dieses ausschlaggebende und ideale Vorrecht, welches die uneheliche Mutter gesetzlich vor der ehelichen genießt, vermag ich ebenfalls dem Gedankengange Dr. Feders nicht zu folgen. Er meint, da auch die uneheliche Mutter nicht die elterliche Gewalt besitzt, stehe sie der ehelichen an Rechtlosigkeit nicht nach, der einzige Unterschied sei, dass Vormund und Vormundschaftsrichter anstatt des Vaters zwischen ihr und dem Kinde stehen. Würde denn aber die Mutter nicht selbst zum Vormunde bestellt werden? Erkennt doch sogar unser Gesetz ihre Bestellung als das Natürlichste an, indem es zulässt, dass sie von dem Großvater, der ein gesetzliches Anrecht auf die Führung der Vormundschaft besitzt, bestellt werden könne. Alsdann fehlt ihr zur elterlichen Gewalt wirklich nichts wie der Name, denn die Mitwirkung der Vormundschaftsbehörde ist sehr gering und beschränkt unter gewissen Umständen auch die elterliche Gewalt des Vaters. Wie nun das Publikum aus den Ausführungen Dr. Feders „die ganze Unrichtigkeit und wissenschaftliche Unhaltbarkeit meiner Behauptungen, vom Standpunkt des Juristen“ aus beleuchtet, herausgelesen haben will, wird Dr. Feder ebenso sehr verwundern wie mich. Auch er muss sich damit getrösten, dass er wenigstens von Frl. Pappritz (s. Anm. S. 325) höchst „liederlich gelesen“ worden ist. Um aber die viel geäußerten Behauptungen von der juristischen Undurchführbarkeit der freien Ehe kurz zu widerlegen,

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sei daran erinnert, dass die freie Ehe im alten Rom, dem juristisch strengen Gemeinwesen, κατ έξοχήν (s. Anm. S. 325) zu Recht bestand, sozusagen durch nichts unterschieden von der rechtmäßigen Ehe wie durch die Ausschaltung der gesetzlichen Wirkungen der letzteren oder vielmehr durch das Fehlen der ehelichen Gewalt des Mannes. Die Formel: „Der beiderseitige Wille begründet die Ehe“ galt unverbrüchlich für den rechtlichen Bestand jeder monogamischen, auf Dauer berechneten Verbindung. In dem ehelichen Zusammenleben ward ohne weiteres dieser bindende Konsens erkannt und seit Augustus voll geachtet als rechtliche Ehe. Was in Rom möglich war, dürfte sich auch in unser bürgerliches Recht einfügen lassen und vor allem mit unseren sozialen Anschauungen vertragen lernen. Herrn Dr. Max Thal (s. Anm. S. 325) möchte ich nur eine Berichtigung seiner Auffassung (S. 115 in Nr. 15 d. J.) (s. Anm. S. 325) geben. Nicht als „Beispiel für die Menge habe ich hingestellt“, was seiner und meiner Auffassung nach „für einzelne bevorzugte Persönlichkeiten taugt“. Nicht dazu soll das Beispiel wirken, dass die große Menge zur freien Ehe übergeht, sondern das Beispiel der einzelnen bevorzugten Menschen, die sich den Unwürdigkeiten der legitimen Ehe nicht länger unterwerfen, soll bewirken, dass die Ehenormen human, zeitgemäß und erträglich für alle werden. – Über den Glauben, ob die vereinzelten Beispiele so stark wirken werden oder nicht, lässt sich nicht streiten; ich habe ihn, andere hegen ihn nicht.Ich bin aber überzeugt, dass schon diese lebhafte Erörterung über den Gegenstand uns der notwendigen Reform wieder um einen Schritt näher gebracht hat und von diesem Standpunkt aus reut sie mich nicht, reut es mich nicht, dass ich nochmals zu dieser langen Erklärung schreiten musste und das will viel sagen. Nun aber sei es genug des Ergänzens und Erläuterns, denn es beseitigt weder Missverständnisse noch einigt es widerstreitende Überzeugungen.

Die sexuelle Frage Ein Buch, das noch lange nicht soviel gelesen wird, wie es verdient, ist Prof. A[uguste] Forels „Die sexuelle Frage“ (s. Anm. S. 325). 1 Es gehört in seiner wissenschaftlichen Gründlichkeit wie in seiner ethischen Höhe zu dem Besten, was uns bisher geboten worden ist auf dem Gebiete des sexuellen Problems. Der erste Teil ist rein naturwissenschaftlich und wird durch die vielseitige und klare Belehrung über die Entstehung und Fortpflanzung aller Lebewesen, die selbst in den sogenannten gebildeten Schichten noch merkwürdig unbekannt ist, sehr 1

Verlag von Ernst Reinhardt, München 1905

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wertvoll. Denn wenn gelegentlich zur Motivierung der herrschenden Stellung des Mannes in der Ehe auf die lebenerweckende Rolle des Vaters bei der Erzeugung der Nachkommenschaft hingewiesen wird, der Mutter nur eine bewahrende, wie z. B. von Frau Gertrud Specht in ihrer Antwort auf meinen offenen Brief in der „Europa“ Nr. 15 vom 27. April 1905 (s. Anm. S. 326), so steht solche Auffassung nach dem Stande der heutigen Forschungen in ihrer Beweiskraft auf ziemlich gleicher Stufe mit den biblischen Märchen von der Erschaffung Evas aus einer Rippe des Adam. Auch die Belehrung, die Forel über die sexuellpsychischen Vorgänge und Wirkungen gibt, ferner diejenigen über Sexualpathologie und über die Geschichte des menschlichen Sexuallebens wird vielerorts auf völlige Unkenntnis treffen und eine sehr notwendige Mission der Verbreitung von Licht über diese Gegenstände erfüllen. Was Forels Buch für die Frauenbewegung besonders wichtig macht, ist jedoch nicht dieser Teil, dessen Inhalt man schließlich auch aus anderen Werken der Naturwissenschaft, Medizin und Kulturgeschichte schöpfen könnte, wenn auch mühsamer als in dieser vorzüglichen Zusammenstellung. Vielmehr müssen wir dieses Buch eines Mannes und eines Arztes willkommen heißen, das in seinen letzten Kapiteln in so völliger Gerechtigkeit und Unvoreingenommenheit das Verhältnis beider Geschlechter zueinander abwägt, mit solcher Vorurteilslosigkeit dessen ethischen Gehalt und Wert von der Karikatur, zu der es durch Gesetz und Sitten in der bürgerlichen Gesellschaft geworden ist, loslöst. Ich möchte an dieser Stelle noch zurückkommen auf die mir gänzlich unverständliche Inanspruchnahme Forels von Seiten A[nna] Pappritz’ (s. Anm. S. 326), um ihn als Autorität auszuspielen gegen meinen Vorschlag der Eingehung von freien Ehen, bis die Gesetze sich bequemt haben, menschenwürdige Ehegesetze zu schaffen. Hat A[nna] Pappritz das Schlusskapitel Forels nicht gelesen? Wo es auf Seite 538 heißt: „Es steht nicht zu erwarten, dass Wünsche, wie wir sie hier ausgesprochen, bei den trägen konservativen Neigungen und der vis inertiae (s. Anm. S. 326) der heute noch herrschenden Mehrheiten bald Anklang finden, oder gar von den maßgebenden regierenden Körperschaften erfüllt werden. Dagegen fragt es sich, ob nicht die heutigen Gesetzgebungen uns bereits Mittel und Wege in und außerhalb der Ehe zur Verfügung stellen, um solche Ideale zu verwirklichen. Ich sehe deren vorläufig zwei: Erstens … (Forel rät hier innerhalb der Ehe Abschluss von Vermögensverträgen an, um die pekuniäre Unabhängigkeit der Frau zu sichern.) Zweitens aber werden heute überall die außerehelichen Kinder nach der Mutter genannt. Das ist ja gerade, was wir wünschen!“ (Das heißt, was Forel und ich wünschen, ich habe bisher nur immer fordern hören, es möchten auch die außerehelichen Kinder den Namen des Vaters erhalten.) Forel fährt dann fort:

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„Da, wo der Konkubinat nicht direkt bestraft wird, können somit freie Ehen aufgrund von Privatverträgen, die den obigen Postulaten entsprechen, geschlossen werden. Mut gehört dazu für anständige Menschen, denn der öffentlichen Meinung zu trotzen, ist nicht Sache eines jeden, der dabei etwas, vor allem einen guten Namen, zu verlieren riskiert. Auch werden solche Verbindungen sich des staatlichen Schutzes nicht erfreuen. Doch dürfte einige Energie und Konsequenz es allmählich dazu bringen, dass in solchen Fällen beide freien Ehegatten es zunächst erzwingen, dass die Frau „Frau“ und nicht „Fräulein“ tituliert wird. Es ist ferner nicht ausgeschlossen, dass derartige Verhältnisse ehelicher und anständiger Art allmählich häuf iger werden und so die Gesellschaft nach und nach zwingen, freie Ehebündnisse als mit den herkömmlichen gleichwertig und gleichberechtigt anzuerkennen und sie mit ihren Sprösslingen in Ehren zu halten.“ Das ist in ganz knapper Form sozusagen buchstäblich dasselbe, was ich in meinem offenen Briefe gesagt habe – Lili Braun (s. Anm. S. 326) war sogar so liebenswürdig, in ihrer Besprechung desselben zwischen den Zeilen durchblicken zu lassen, ich hätte ihn aus Forel abgeschrieben, obwohl er im November 1904 geschrieben, Forels Buch aber erst im April 1905 publiziert ward. A[nna] Pappritz kann folglich nicht wohl Forels hoch stehende Ethik als Folie gegen die von mir gepredigte zügellose Unsittlichkeit zitieren. Im Gegenteil, Frl. Pappritz’ weit bekannte Äußerungen im „Reich“ und im „Zentralblatt“ (s. Anm. S. 326) haben meines Erachtens den allergeringsten Anspruch, Forels freie und unendlich viel strengere und subtilere Ethik, seine ehrliche Überzeugungstreue und Wahrheitsliebe für sich ins Feld zu führen und in Gegensatz zu uns „outlaws“ zu stellen. Es ist aber eine merkwürdige Erscheinung, wie anstandslos Forel, Ellen Key, Carpenter u. a. hingenommen und wie erbittert Dr. Helene Stöcker, Maria Lischnewska und ich verketzert werden (s. Anm. S. 326). Forels Stellungnahme gegenüber der Prostitution, der Geldheirat, dem Neumalthusianismus ist ganz und gar im Sinne der radikalen Frauenbewegung. In einem oder zwei Punkten nur fühlen wir uns veranlasst, Forel zu widersprechen, es ist dieses in Bezug auf die sexuelle Enthaltsamkeit während der Schwangerschaft der Frau. Hier schreibt Forel dem Triebleben des Mannes einen Freibrief, dem man ein entschiedenes Veto entgegenhalten muss. Weder seine noch Grubers (s. Anm. S. 326) („Hygiene des Geschlechtslebens“) Autorität ist uns hier maßgebend, sondern wir erwidern: Mit allem schuldigen Respekt, hierfür ist nicht der Arzt kompetent, sondern lediglich der weibliche Instinkt, dessen fürchterliche Knebelung und Vergewaltigung durch die Jahrtausende der sexuellen Autokratie des Mannes die Degeneration und Rassenverschlechterung verursacht hat, infolge deren wir die Menschheit zum größten Teile aus den heutigen Jammergestalten bestehen sehen. Durch die ganze Natur können wir bei den weiblichen Tieren nach stattgehabter Konzeption eine unverbrüchliche

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Ablehnung sexueller Annäherung beobachten, weil der Instinkt ihnen ausschließlich die fürsorglichste Ausbildung des Werdenden vorschreibt. Derselbe Instinkt findet sich noch bei den normalen und gesunden Frauen – mit denen allerdings der Arzt am allerseltensten in Berührung kommt –, und deshalb ist es eine Brutalität, die sich am Kinde rächen muss, wenn man der Mutter mit Gruber nur eine 4-wöchentliche, mit Forel eine 6-wöchentliche Karenz zubilligen will. Das Empfinden der Frau hat jedenfalls hier Norm zu sein, und der Einfluss des Arztes sollte sie entschieden auf die Ausdehnung, nicht aber auf eine Einschränkung der „Schonungszeit“, wie Forel selbst sich ausdrückt, hinzuleiten suchen. Ein Vater, der dem Gedeihen seines Kindes, welchem die Mutter so unendlich viel mehr leistet, nicht zeitweise die Zügelung seiner Triebe opfern kann und sich hierin von jedem Tier aufs Tiefste beschämt sieht, verdient wahrlich keinen Platz unter Kulturmenschen. – Hier besteht offenbar wieder einer der tief wurzelnden Gegensätze zwischen männlichem und weiblichem Wesen, aber die neue Zeit muss lernen, die Subjektivität des Weibes hier herrschen zu lassen, weil aus ihr das arterhaltende und artverbessernde Naturgesetz spricht. Zum Schluss sei noch hervorgehoben, in wie weitem Umfange Forel der Persönlichkeit der Mutter in der Familie, der Frau in der Ehe und im Staate gerecht wird. Beispielsweise soll die Familie im Gegensatz zu heute nach der Mutter benannt werden, der Mutter soll von Rechts wegen allein Oberhoheit und Vormundschaft über die Kinder zustehen, so lange diese es bedürfen. Die Frau soll Besitzerin und Oberleiterin des Heims sein. Ihre Hausverwaltung und die Erfüllung ihrer Mutterpflicht soll entsprechend gewertet werden. Im sozialen Leben und in der Politik knüpft Forel ebenfalls an die völlige Emanzipation der Frau die Erwartung, dass Kultur und Fortschritt durch sie gefördert werde, nachdem ihre sexuelle Sklaverei in vergangenen Zeiten die Ursache war, dass sie in der Form politischer Intrigen häufig eine verhängnisvolle Rolle spielte. Er verweist auf den guten Gebrauch, den die Frauen in Staaten völliger Gleichberechtigung von ihren politischen Rechten machen und sieht in ihrer größeren Ausdauer und in ihrem Mut unschätzbare Eigenschaften für eine aufwärtsstrebende soziale Bewegung. Dass Forels Evangelium auf viele ungläubige Seelen stoßen wird, ist anzunehmen, diesen sei dessen Studium umso dringender empfohlen, denn seinen Darlegungen und ihren Konsequenzen werden sie nicht ausweichen können.

Eheideale und Idealehen Wer kann behaupten, dass die Frauenbewegung Ehescheu zeitigt? Haben wir nicht in unseren Reihen alle Nuancen von der bravsten wirtschaftlichen Haus-

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frau bis zur Ehe unter zwei Berufskameraden, von der kirchlichen, gesetzlichen bis zur freien Ehe und bis zur Mutterschaft ohne weiteres Zusammenleben mit dem Mann? Kämpfen wir nicht gegen den Zölibat der Lehrerinnen? Aber auch auf diesem Gebiet soll nicht generalisiert werden, sondern jedem Individuum nach seiner Fasson selig zu werden möglich bleiben. Mein Eheideal? Die Ehe zwischen zwei völlig gleichberechtigten Menschen (s. Anm. S. 327), ohne Herrschaft, ohne Unterordnung – und da die Kirche und die Gesetzgebung solche Ehe nicht anerkennt, d. h. das spätrömische Recht anerkannte sie (s. Anm. S. 327) –, so gilt für mich hier die ungesetzliche, freie Ehe als Idealehe: Consortium omnis vitae, divini et humani juris communicatio (s. Anm. S. 327), wie die vielverschrieenen Pandekten (s. Anm. S. 327) es in unerreichter Einfachheit und Inhaltsfülle definieren. Ob ich dergleichen in der Praxis gesehen habe? O ja, in wenigen Ausnahmefällen, aber natürlich außerhalb der weltlichen und kirchlichen Rechtsordnung, und die Schönheit und das Ideale habe ich ein paar Mal in die Brüche gehen sehen, als das Philistertum den Sieg davontrug und äußere Rücksichten eine „äußerliche“ Legalisierung der Ehe erzwangen. Dann wurden die freien stolzen Genossen Herr und Dienerin, und dann war es aus. Selbstverständlich, denn schon der Schatten eines solchen Verhältnisses trübt das Bewusstsein für beide und macht sie innerlich unfrei, auch in ihren Beziehungen zueinander. Wohlverstanden spreche ich nur von Idealmenschen, nicht vom Dutzend. Man sagt, dass der Durchschnitt ohne Zwang nicht auskommt; so möge denn eine gerechte Zwangsform gefunden werden, die Licht und Schatten, Leistung und Gegenleistung gleich verteilt, dann bin ich einverstanden und betrachte die Möglichkeit zur Höherentwicklung für gegeben: Die heutige Eheform – bei allen Völkern Europas und vielen anderen – wirkt direkt demoralisierend, wo ihre Normen in der Familie praktisch herrschen; sie wirkt immerhin noch depravierend (s. Anm. S. 327) auch da, wo man glaubt, sie nicht anzuwenden. Meine Ansichten des wünschenswerten und allein würdigen Verhältnisses zwischen Mann und Frau decken sich völlig mit denen Carpenters und Ellen Keys (s. Anm. S. 327). Es wird aber noch lange dauern, bis „die Menschen reif zur Liebe werden“ (s. Anm. S. 327). In England und Skandinavien sind sie jedoch, soweit ich beurteilen kann, schon weiter vorgeschritten als in Deutschland und den romanischen Ländern. Bei uns erkennt man wenigstens jetzt das unhaltbare des bisherigen Zustandes in weiteren Kreisen, darin erblicke ich den ersten Fortschritt zur Besserung.

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Reformgedanken zur sexuellen Moral Die Frage, ob das Verhältnis zwischen Mann und Frau reformbedürftig sei, ist nicht nur zu bejahen, sondern es ist sogar zu behaupten, dass es grundstürzend revolutioniert werden muss. Auf jedem Teilgebiet seiner Lebensführung hat sich der Mensch der heutigen Kulturwelt von der Natur entfernt – auf keinem in dem Maße, und unter völliger Außerachtlassung ihrer Gebote und ihres Rechtes, wie auf dem Gebiete des Geschlechtslebens. Alle Spekulationen und Reformvorschläge sind daher müßig, die nicht von naturwissenschaftlicher Erkenntnis geleitet sind und den Weg: „Zurück zur Natur!“ einzuschlagen suchen. Das Sexualleben dient in der Natur dem Zweck der Erhaltung und Verbesserung der Art; im Kulturleben ist es Selbstzweck geworden und beherrscht bei sehr vielen Individuen während einer längeren oder kürzeren Lebensperiode den ganzen Menschen. Alsdann wirkt es regelmäßig depravierend, die Art verschlechternd oder zerstörend. Wir sehen bei allen Völkern, die sich im Laufe ihrer Entwicklung zu Macht und Reichtum emporgearbeitet haben, eine Phase des luxuriösen Sinnengenusses eintreten, der bei seiner Ausartung auf sexuellem Gebiet den Niedergang des betreffenden Volkes vorzubereiten und einzuleiten pflegt. Diese an vielen Beispielen erhärtete geschichtliche Erfahrung hat scheinbar der Theorie Recht gegeben, welche aus der so oft wiederholten Erscheinung als auf einen mit jeder Kultursteigerung untrennbar verbundenen Begleitfaktor schließt. Solche Nebenwirkung scheint jedoch mit dem Wesensinhalt von wahrer Kultur so unvereinbar, dass ein Zweifel an jener Theorie nicht unberechtigt sein dürfte; irgendein angreifbarer Punkt muss vorhanden sein, der die eigentliche Ursache dessen ist, was man einer verfeinerten Kultur zur Last legt. Dass es das ins gerade Gegenteil des Natürlichen verkehrte Verhältnis der Geschlechter sei, lässt sich zwar unter der Herrschaft der allgemeingültigen Staatseinrichtungen nicht beweisen, die Hypothese ruht jedoch auf Stützpunkten, die in der Naturlehre so sicher verankert sind, dass daraus ein Recht, sie öffentlich zu vertreten, hergeleitet werden darf. Die in der gesteigerten Kultur zum Vorwurf gemachte Degeneration tritt ein, wenn der Reichtum eines Volkes jenen Grad der Kapitalisierung erreicht hat, der die Muße zur Schaffung von Kulturwerten, aber auch die Mittel zum Genussleben gewährt. Letzteres wendet sich mit besonderer Begier dem sexuellen Gebiete zu; da dieses aber der unrichtig gebende Faktor für die Fortpflanzung und Artbildung ist, so büßen die nachkommenden Geschlechter die Zügellosigkeit der Eltern durch allgemeinen Niedergang. Woher diese Zügellosigkeit? Sie hat ihren wesentlichsten Grund in der völligen Umkehrung der Rollen, welche die Natur beiden Geschlechtern für ihre

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Aufgabe, ihre Art fort- und hinaufzuentwickeln, zugewiesen hat. Eine Umkehrung, die so verhängnisvoll wirkt, dass die Rolle, die in der Hand des einen nach oben drängt, durch die Ausübung des anderen nach abwärts leitet. Seit Darwin und Wallace wissen wir, dass bei der Entstehung der Arten resp[ektive] der Verbesserung der Art außer dem Überdauern im Kampf ums Dasein den beiden Geschlechtern eine verschiedene Aufgabe zugewiesen ist: Das männliche, ohne merkliche Bevorzugung der Individuen des weiblichen, wirbt um jedes ihm begegnende und sucht seinen Nebenbuhler im Wettkampf zu beseitigen; das weibliche dagegen macht individuelle Unterscheidungen, es wählt unter mehreren Bewerbern den tüchtigsten, für die Vererbung wertvollsten. Es folgt dabei seinen instinktiven, ja geradezu schöpferisch divinatorischen (s. Anm. S. 328) Eingebungen, die man beispielsweise auch dann sich untrüglich bestätigen sieht, wenn eine Tiermutter von ihren mehreren Jungen bei gefahrvollen Situationen zuerst das wertvollste und tüchtigste in Sicherheit bringt. Unsere Naturforscher schätzen diese individuelle Auslese des weiblichen Geschlechts für die Verbesserung der Art sehr wesentlich, unbegreiflicherweise hat aber noch keiner die Nutzanwendung des Prinzips auf das Menschengeschlecht gemacht, unbegreiflicherweise hat auch kein Vertreter der neuen Disziplin der Rassenhygiene auf diesen Punkt sein Augenmerk gerichtet. Geschähe es, so müsste allerdings zugleich fast allen Einrichtungen unseres Staats und unserer Gesellschaft das Todesurteil gesprochen werden, denn ihrer sind wenige, die nicht anstreben, eben jenen auslesenden Instinkt der Frau von jeglicher Betätigungsmöglichkeit auszuschalten. Tatsächlich können wir durch das ganze höhere Tierreich bei Säugetieren und Vögeln unter natürlichen Lebensbedingungen verfolgen, wie im Sexualleben das weibliche Tier das leitende, tonangebende ist, wie sein Wille vom männlichen geachtet und unverbrüchlich anerkannt wird, weil in ihm unbewusst die heiligen Gesetze der Natur zum Ausdruck kommen. Bei den Menschen dagegen, unter den Einrichtungen des Männerstaates, strebt alles dem entgegengesetzten Grundsatz zu, ist das Verhältnis der Geschlechter direkt auf den Kopf gestellt. Nicht der Mann wirbt, in dem Sinne, dass er vermöge seiner persönlichen Werteigenschaften als bester, als tüchtigster das Weib zu gewinnen sucht, nicht das Weib prüft und trifft die Auslese im Interesse eines höheren Kulturgrades aus innerlichen Gründen, von denen sie sich selbst kaum Rechenschaft geben kann, die aber für sie bestimmend und zwingend sind. Vielmehr sind alle Anordnungen so getroffen, dass dem Weibe kaum die Möglichkeit zu einer individuellen Sonderexistenz gegeben ist, dass sie pekuniär mittellos, persönlich schutzlos, in der Familie rechtlos, nur als zugehörig zum Vater oder Gatten und von diesem in größter […]Abhängigkeit (s. Anm. S. 328) gehalten, existieren kann. Alles im Staat, unsere Sitten, unsere Gesetze sind darauf angelegt, das weibliche Geschlecht in seiner Gesamtheit dem Ge-

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schlechtswillen des Mannes unterzuordnen, in der Wahlfreiheit zu knebeln; um diesen Zweck dauernd zu gewährleisten, unterstellt man auch die Kinder und das Vermögen der Frau der Herrschaft des Mannes. Von dieser Grundlage aus bemächtigte sich der Mann der Direktive über die sexuellen Beziehungen, wozu ihm von Natur kein Rechtstitel zusteht. Er schuf die doppelte Moral und ein Unmaß geschlechtlicher Ausschweifung, wie es in der Natur beispiellos und nur durch die Einrichtung der Prostitution möglich ist. Die prostituierten Frauen, die er zwang, ihm gleich zu werden, verachtete er, als sie ihm gleich waren, vernichtete die physische und moralische Existenz der Millionen in seinem Dienst, machte sie zum Herd einer Seuche, die auf ihn selbst, auf sein Haus zurückschlug, die der Untergang für ganze Nationen wird. Eines der unwahren Schlagworte, mittels dessen man das unnatürliche Verhältnis der Geschlechter in unserem Gesellschaftsleben zu fixieren sucht, ist das: Die Liebe sei der alleinige Lebensinhalt für die Frau, um dieses Zentrum drehe sich ihre ganze Existenz. In Wirklichkeit steht diejenige des Mannes weit mehr unter der Herrschaft dieses Gefühls, nicht nur dem Zeitumfange, sondern auch der Intensität nach: Der bordellbesuchende Gymnasiast und der lüsterne Greis sind alltägliche Erscheinungen, denen auf weiblicher Seite nur seltene Ausnahmen entsprechen; die Unbezwingbarkeit des männlichen Geschlechtstriebes wird so allgemein zugegeben, dass sie als die Rechtfertigung für die Institution der Prostitution dient. Hier sei die Bemerkung eingeschaltet, dass bezüglich dieser Unbezwingbarkeit recht wohl eine andere Auffassung Geltung finden könnte, als die, den physisch quälenden Empfindungen des Mannes müssten Millionen von Individuen des anderen Geschlechts hingeopfert werden. Zugegeben, dass die Behauptungen von der Unerträglichkeit dieser Zustände begründet seien, so ist doch zunächst zu untersuchen, und zwar wiederum mit dem Hinblick auf die Natur als Richtscheit – wie viel von diesem Zustande normal, wie viel auf das Konto selbstverschuldeter Überreizung zu setzen ist. Wären die behaupteten physischen und psychischen Erregungszustände eine typische Naturerscheinung, so müssten sie auch beim männlichen Tiere dauernd erkennbar vorhanden sein. Dergleichen ist aber nicht der Fall, sondern die sexuelle Erregtheit des männlichen Tieres ist auf kurze Brunstperioden beschränkt, korrespondierend, resp[ektive] ausgelöst durch die weiblichen Brunstperioden. Auch wenn man anerkennt, dass die Hilfsmittel des Menschen, die ihn mit zunehmender Beherrschung seiner Lebensbedingungen, auch hinsichtlich der Pflege und Aufzucht seiner Nachkommenschaft, unabhängig von klimatischen Einflüssen machten und seine sexuellen Instinkte von der strengen Gebundenheit eines Teiles des Tierreiches emanzipierten, so liegt eine solche Überspannung des Trieblebens, wie sie zur Begleiterscheinung männlichen Wesens geworden ist, außerhalb des Rahmens

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der Zweckmäßigkeit der Natur. Je mehr sie gefördert und je mehr ihr nachgegeben wird, umso gefährlicher wird sie ausarten. Es ist längst festgestellt und soll hier nur gestreift werden, wie viel auf Alkoholismus, überwiegende Fleischnahrung, Stubenhocken und dergl[eichen] als Reizursachen zurückzuführen ist. Dass selbst in der Einschränkung aufs normale Maß der Begattungstrieb des männlichen Individuums seine zwingende Intensität auf dessen ganze Konstitution überträgt, ihn eventuell mittelst quälender Empfindungen an das Naturgebot der Fortpflanzung mahnt, und zwar weit über eine im Rahmen der normalen Artvermehrung bleibende Befriedigungsmöglichkeit hinaus, steht fest. – „Aber die Natur, sie ist ewig gerecht.“ – Sollte sie dem Manne bei der Aufgabenverteilung zur Arterhaltung gar nichts Schweres zugedacht haben, während sie dem Weibe die ganze Bürde nicht nur der schöpferischen Ausgestaltung des Embryo, die Ausbildung neuer Entwicklungsfähigkeiten und -möglichkeiten in ihm, die Wehen der Geburt, die Miternährung der Jungen, die Aufzucht und den Schutz derselben zuwies? Sollte sie nicht vielleicht für alle diese schweren, einzigartigen Leistungen des weiblichen Organismus dem männlichen eine Art von Äquivalent in den erwähnten, immerhin weit geringeren Leiden zugewiesen haben, die ihm aus der Heftigkeit seines Begattungstriebes erwachsen und die zu ertragen durch die Ökonomie der Natur ihm auferlegt wird, obwohl die Möglichkeit der Befriedigung diesem Triebe versagt bleibt? Mehrere Hirsche, Hengste, Krokodile, Hähne usw. kämpfen um das weibliche Tier, jeder von einer so intensiven Leidenschaft beseelt, dass er die furchtbarsten Zerfleischungen und Verstümmelungen für nichts achtet, doch nur einer der wütenden Gegner bleibt Sieger, gewinnt das Weibchen. Alle anderen müssen sich mit ihrem Lose abfinden, gelangen vielleicht lebenslang nicht zum Siege und empfinden nichtsdestoweniger in jeder Brunstperiode den gleichen unwiderstehlichen Drang. Die Natur kann eben in ihrer Haushaltung gegenüber der retardierenden, gewissermaßen widerstrebenden Rolle des Weibchens den leidenschaftlichen Impetus des Männchens nicht entbehren: Ein weniger starkes Triebleben in ihm würde den Bestand der Gattung gefährden. Es ist sein Los, trotz seiner quälenden Empfindungen mit der Ausschaltung oder Zurückweisung seitens des Weibchens sich abfinden zu müssen, und das Tier tut es ohne Schaden an seiner Existenz oder Gesundheit, ohne Gefahr für die weiblichen Artindividuen. Nur der Mann behauptet, es nicht zu können, nur er erfand das höchste Verbrechen gegen die Natur, die Vergewaltigung des Weibes, die Notzucht, das nur noch überstiegen wird an verbrecherischer Gesinnung durch die milde Beurteilung, die ihm seitens der heutigen Rechtsprechung zuteil wird, wenn es in krasser, nackter Gestalt auftritt. Denn in verschleierter, umschriebener, legalisierter Form beherrscht dieses Verbrechen wider die Natur unser ganzes Gesellschaftsleben seit Jahrtausenden und dürfte als das verhängnisvollste

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Agens menschlicher Rassendegeneration angesprochen werden. Das Weib konnte kein Erb- und Eigentum haben und bis heute gehören die Einkünfte des Frauenvermögens nicht ihr, sondern dem Manne. Das Weib durfte nichts wissen, nichts lernen und bis heute gibt man dem Mädchen eine minderwertige, jämmerliche Erziehung. Zu welchem anderen Zweck, als um sie zu zwingen, in der Ehe, in der Darbietung ihres Geschlechtes die einzige Existenzmöglichkeit zu erkennen? Nicht wie es die Natur, die Förderung der Art ihr zur Aufgabe macht, in freier Wahl, in fein differenzierter Auslese am Adel der Menschheit bauend, sondern unter dem groben Zwange des kaufenden Mannes gebiert sie ihre Kinder. Ihre Kinder? – O nein, wie manche Frau würde dann mit ihrem Kinde wandern, so weit sie ihre Füße tragen, aus verhasster Ehe hinaus. Seine Kinder sind es, die sie gebiert, seine Kinder bleiben es, damit ihre geschlechtliche Gefügigkeit lebenslang erzwungen bleibt, nicht nur die Kirchengesetze, sondern auch die weltlichen, die beide vom Manne gemacht sind, verstehen die Vergewaltigung des Weibes fein zu verankern. In alten Zeiten war der Vater Herr über Leben und Tod, heute über Aufenthalt, Pflege, Erziehung der Kinder, derselbe Vater, der mit seinem Kinde von einem Weibe, das er nur einmal begehrte, nicht verwandt ist! In dem weitgehenden alleinigen Verfügungsrecht über die Kinder hält der Mann eine Geisel in Händen, welche die Unterwerfung der Frau ihm dauernd gewährleistet. Alle diese Reflektionen werden hier nicht aus sentimentalen, noch aus moralisierenden Motiven zum Ausdruck gebracht, sondern nur das rassenhygienische Moment soll betont werden. Die sichtbare Verscheußlichung der Menschheit legt jedem, der sich nach den Gründen dieser Erscheinung fragt, das Wort zur Anklage unserer Zustände und Einrichtungen auf die Zunge. Ein Gang durch belebte Straßen, eine Fahrt auf der Sonntagsausflugsbahn zeigt uns als Regel platte, ordinäre, stupide Physiognomien, ohne jede seelische Durchleuchtung. Charakterlose Hässlichkeit ist die Norm, Wohlgestalt, sympathische Züge sind die auffallende Ausnahme. Und alle diese stumpfsinnigen, glotzenden Degenerationstypen machen sich kein Gewissen daraus, Kinder zu zeugen, oder vielmehr sie nehmen zügellosen Geschlechtsgenuss für sich in Anspruch, der ihnen nicht kraft ihrer das Weib bestechenden Eigenschaften, sondern nur kraft unserer das Weib knebelnden Gesellschaftsinstitutionen ermöglicht wird – und sind zornig, wenn ein Kind von gleicher Scheußlichkeit wie seine Eltern die Konsequenz ist. Denn „der Wille, zu zweit ein Drittes zu schaffen, das höher sei als diese beiden“ (s. Anm. S. 328), hat mit diesen Verbindungen nichts zu schaffen. Meisterlich hat die Zunft der Ärzte dieser physischen und seelischen Degeneration der Menschheit in die Hände gearbeitet. Sie wäre berufen gewesen, die entthronte Natur in unseren Tagen wieder zur Herrschaft zu führen, statt dessen ward sie Jasagerin zu deren Verunglimpfung. Sie bestätigte dem Manne, dass

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seine Triebe, deren jedes Tier Herr bleibt, ihn zu ihrem Sklaven und einen ganzen Apparat zu ihren Diensten machen dürften, sie schuf ihm die reglementierte Prostitution, das rechtliche und hygienische Unding par excellence, und sie gab ihm einen Freibrief sogar auf die schwangere Frau. Ähnliches ist nicht erhört in der belebten Schöpfung und rächt sich schwer bis ins hundertste Glied. Brauchen wir noch länger nach einem Schlüssel für die platte Scheußlichkeit des menschlichen Durchschnittes zu suchen? Brauchen wir noch eine weitere Erklärung für die immer stärker wuchernde Sexualpathologie? Ein werdender Mensch, der noch im Mutterleibe sexuellen Emotionen mitunterworfen wurde, muss dadurch erblich belastet zur Welt kommen. Beim Knaben durch viel zu frühe Ausübung des Geschlechtsverkehrs, beim Mädchen durch die in ihrer ganzen Erziehung angestrebte Hinlenkung ihrer Phantasie auf verschleiert erotisches Gebiet wird die Tendenz, die ganze Existenz des Menschen vom sexuellen Leben beeinflussen zu lassen und zu werten, zum Schaden für die Art gesteigert. Die positiven Forderungen für Anbahnung einer natürlicheren, gesunderen, und vor allem auch schöneren Gestaltung der Beziehungen zwischen Mann und Frau sind zunächst die Erkenntnis der von der Natur beiden zugewiesenen Stellung in ihren gegenseitigen Beziehungen. Der Mann soll werben, das Weib wählen, und das allgemeine Interesse, die Rassenkultur verlangt, dass diese Wahl in möglichster Freiheit und Unbefangenheit, ohne jeden Hinblick auf Nebenrücksichten erfolge. Unter diesem Gesichtspunkt ist die Erziehung der Mädchen von Anbeginn als auf ihre Bestimmung, die Mütter des Volkes, nicht die Gattinnen der Männer oder deren Haushälterinnen zu sein, zu richten. Die Pflege und Ausbildung ihres Körpers zu Kraft und Schönheit, die Bildung ihres Geschmacks für schöne Formen, schöne Linien, schöne Farben, die Empfänglichkeit ihrer Seele für Äußerungen schöner Menschlichkeit, die Stärkung ihres Charakters für die Betätigung derselben sei das Ziel. Verschwinden muss aus dem Gesichtskreise der männlichen und weiblichen Jugend und ihrem Unterrichtsstoff die frühe Hinlenkung auf die Ekstase erotischer Beziehungen, umso offener und natürlicher sind die Vorgänge der Geburt und Mutterschaft zu behandeln. Dass der Lehrstoff des Wissens dem Mädchen in derselben Fülle und Gründlichkeit wie dem Knaben zugänglich gemacht werde, am besten auf denselben Lehranstalten (wir wollen nicht sagen Schulbänken, denn diese sind ein rassenfeindliches Gerümpel), versteht sich von selbst. Die Mädchen sollen im späteren Leben ihrem eigenen Berufe nachgehen, sollen sich der Gesellschaft an jedem Platze nützlich machen, der ihrer Beanlagung und ihrer Neigung entspricht, sollen vor allem auch als Mitschwimmende im großen Strom des Volkes, soweit ihre Individualität den Durchschnitt überragt, zu Mitbestimmenden, Führenden, Pfadfindenden berufen sein.

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Keine Furcht, dass dieser weiten Betätigung der Frau ihre schwächliche Konstitution im Wege stehe. Die Frau ist nicht schwächlich, ihre Durchschnittslebensdauer übertrifft schon heute diejenige des Mannes beträchtlich, ein Beweis, dass sie zäher und kräftiger ist. Sie ist aber gegenwärtig in der Kindheit ohne kräftigende Körperpflege, meist geringer ernährt als der Knabe, im Beruf schlechter bezahlt, folglich unterernährt, mit häuslichen Nebengeschäften überbürdet – diese Faktoren verursachen ihre geringere Widerstandsfähigkeit gegen Krankheit und Anstrengung, die unsere Statistik behauptet: Nachgeprüft ist sie m[eines] W[issens] noch nicht. Das Wesentliche ist, dass man dem Mädchen durch Aussicht auf die Erreichbarkeit der höchsten Möglichkeiten in ihrem Beruf die innerliche Freudigkeit zu demselben verleiht, dass sie nicht vor der Alternative lebenslänglicher, halb hungernder, stets abhängiger Jammerexistenz aus Lebens- und Seelennot zu irgendeiner auskömmlichen Ehe greift. Vielmehr muss ihr der Staat mit seinen Mitteln die freie Gattenwahl ermöglichen. Das Leben, in dessen freien Fluten sie sich bewegt, wird der auf eigenen Füßen stehenden, durch Berufsdisziplin gefestigten Persönlichkeit einen Gefährten bringen, zu dem nicht nur Kameradschaftlichkeit, sondern auch Liebe sie hinzieht und der wohlgefügte Volkshaushalt muss ihr die Sicherheit gewähren, ihre Kinder erhalten und erziehen zu können, denn sie sind der wertvollste Besitz nicht nur der Mutter, sondern der Nation. Woher die Mittel kommen sollen, fragt der geängstigte Philister? Erstens, die Kindererziehung auf Volkskosten verzehrt nicht mehr als auf Einzelkosten, es handelt sich also nur um eine Verschiebung in der Volkswirtschaft. Zweitens, alle im Hinblick auf Familienerhaltung der Beamten vom Staate gezahlten hohen Gehälter werden eingespart: Der Staat rechnet in seinen Besoldungen nicht mehr mit Familien, sondern nur noch mit Einzelpersonen und deren höheren und geringeren Leistungen. Drittens, an Stelle des Schreckgespenstes (Pardon, Herr Reichstagspräsident) einer Ledigensteuer (s. Anm. S. 328) trete die Tatsache einer Erziehungssteuer für jeden, einerlei ob Vater, ob Mutter, ob kinderlos; natürlich progressiv, gemäß dem Einkommen. Der Möglichkeiten sind noch viele, aber wir wollen uns nicht ins Detail verlieren und der Praxis die Ausführung überlassen, die ja bereits mit den Anfängen von Mutterschaftsversicherungen ihre Spürkraft in diese Windrichtung wendet. Wir betonen nur nochmals das Prinzip: Freie, mit keinem Odium (s. Anm. S. 328) behaftete, nicht kärgliche, sondern hinreichende Pflege- und Erziehungsbeiträge für jede Mutter und für jedes ihrer Kinder gemäß dessen wachsenden Bedürfnissen, so dass jeder äußere Zwang für die Frau wegfällt, eine Ehe einzugehen oder wegen der Geburt eines Kindes dauernd an einen Mann gefesselt zu bleiben.

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Vielleicht werden alle leichtfertigen Don Juans in meiner Forderung eine willkommene Maßregel wittern, die ihnen offenes Jagdgehege für verantwortungslose Liebesfreuden bietet, oder die Malthusianer werden lamentieren über unbegrenzte Geburtenziffern. Für beide ist zu solchen Spekulationen kein Anlass, denn die frei wählende Frau wird in der Regel vorsichtiger sein in der Mehrung ihrer Familie als die dem Willen des Mannes unterworfene, und die Natur, die in jeder Gattung die Individuenzahl nach unerkennbaren, aber sicheren Gesetzen regelt, wird auch beim Menschengeschlecht ihre festen Regeln innehalten, sobald nur das Weib, die Hüterin des heiligen Instinktlebens, wieder Freiheit erhält, den Naturgeboten zu folgen. Und zum Schluss noch einen Reformvorschlag: Legt die Hochzeitsfeiern zu den Toten, lasst eure plumpen Finger von dem Geheimnis zweier Menschen. Feiert und proklamiert, wenn es denn ja zu jedermanns äußerer Sichtlichkeit gebracht werden muss, die Vereinigung zweier Liebenden lange, lange nachdem sie erfolgt ist, gönnt ihr den Schleier und die Weihe der Verborgenheit. Feiert ein Freudenfest – aber weniger brutal und barbarisch als unsere Hochzeiten – wenn ihr die Mutterschaft eines Weibes erkennt, und lasst es ein Ehrenfest für sie sein, denn einer entsagungsreichen, schicksalsvollen Zukunft geht sie entgegen und einer Leistung, welcher die höchste Bürgerkrone lohnen sollte!

Texte zu Sittlichkeitsvorstellungen im Strafrecht Ein Protest zum Protest Eine der Führerinnen der fortschrittlichen deutschen Frauenbewegung, zugleich Herausgeberin des Organes derselben „Die Frauenbewegung“ (s. Anm. S. 328), Frau Minna Cauer (s. Anm. S. 328) in Berlin, wandte sich in der Voraussicht, dass die Protestversammlung der Berliner Künstler gegen die Lex Heinze (s. Anm. S. 328) überfüllt sein werde, an Herrn Sudermann (s. Anm. S. 329) mit der Bitte, ihr eine Eintrittskarte zu verschaffen, erhielt jedoch durch den Fischerschen Verlag (s. Anm. S. 329) folgende Antwort: „Berlin, 23. III. 1900. Verehrte gnädige Frau! Mit der geschäftlichen Behandlung der Angelegenheiten gegen die Lex Heinze betraut, erlaube ich mir auf Ihre gef[ällige] Anfrage an Herrn Sudermann zu erwidern, dass zu der Versammlung im Rathause aus Raumrücksichten Frauen der Zutritt nicht gewährt werden kann. Hochachtungsvoll ergebenst S. Fischer (s. Anm. S. 329).“ In München enthielt das Komitee von Künstlern und Gelehrten, welches öffentlich gegen die Knebelung von Kunst und Wissenschaft protestierte, zwei weibliche Namen: Helene Böhlau und Toni Rupprecht (s. Anm. S. 329); dem Berliner Komitee würden Namen wie Sabine Graef, Luise Dumont (s. Anm. S. 329) u. a. sicher nicht zur Unehre gereicht haben, auch ist jenen Frauen das entsprechende Verständnis für die vorliegende Sache vollauf zuzutrauen. Glaubten aber etwa die zur Aktion tretenden Männer der Mitwirkung der Frauen entraten zu können, so könnte man das allenfalls mit ihrer allgemeinen Weltfremdheit entschuldigen, immerhin lässt es sich auch dahin deuten, dass sie innerlich und persönlich noch durchaus nicht auf dem Standpunkte geistiger Freiheit und Vorurteilslosigkeit stehen. Möge man darüber denken, wie man will, jedenfalls wird niemand den demonstrierenden Künstlern das Recht abstreiten, den Kreis ihres Aktionskomitees so eng oder so weit zu ziehen, wie sie wollen. Was man ihnen aber im höchsten Grade verdenken darf, ja, wozu man ihnen gewissermaßen das Recht absprechen kann, das ist, wenn sie mit ihren Protesten an die Öffentlichkeit treten bei einer Angelegenheit, die, wie diese, das ganze Volk angeht, die willkürliche Ausschließung einer Anzahl von Interessenten. Schon bei der infolge der unpraktischen Veranstaltung vereitelten Versammlung, die auf den 9. März in der Philharmonie anberaumt war und auf eine imposante Straßendemonstration des Publikums hinauslief, fiel es unangenehm auf, dass auf den öffentlichen Anschlägen noch in letzter Stunde Vermerke angebracht wurden, die den Ausschluss der Frauen kundgaben. Nachdem aber bei der nächsten großen Versammlung im

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Zirkus Busch gleichsam demonstrativ auf den zahlreichen Besuch durch Frauen hingewiesen war, glaubte man der Sache keine weitere Bedeutung beilegen zu müssen, bis die vorliegende Wiederholung der Ausschließung der Frauen zu erkennen gab, dass hier ein gewisses System befolgt wird. Nunmehr aber wird eine öffentliche Anfrage an die Geschäftsleitung der Berliner Protestbewegung geboten sein, welche Motive sie veranlassen, in wiederholtem Falle das weibliche Geschlecht von Versammlungen auszuschließen, welche sie als öffentliche ankündigen und in welchen eine Angelegenheit behandelt wird, die in gleichem Maße das Interesse der deutschen Frauen wie der deutschen Männer bedroht? Wie kommen die Männer dazu, in einer öffentlichen Frage die preußischen Polizeimaßregeln aus dem Jahre des Heils 1850 noch zu überpolizeimaßregeln? Der vorgeschützte Grund, es habe an Raum gefehlt, beansprucht doch wohl keinen ernsthaften Glauben: Darüber zu wachen, dass die Versammlungslokale nicht überfüllt werden, ist Sache der Polizei, und diese pflegt eine solche Aufgabe gehörig zu erfüllen. Derjenige, dem das auf der Tagesordnung stehende Thema so ernst ist und so sehr am Herzen liegt, dass er stundenlang zuvor zur Stelle ist, um seinen Platz zu behaupten, der hat bewiesen, dass er das nächste Anrecht hat, zugelassen zu werden, so lange eben der Raum es gestattet. Öffentliche Versammlungen genug sind einberufen worden von Männern und Frauen aller Parteirichtungen, bei denen der Andrang kaum minder heftig gewesen sein dürfte als bei den jetzigen Protestversammlungen der Künstler, aber niemandem ist es eingefallen, ein Geschlecht, einen Stand, eine Parteigruppe auszuschließen; im Gegenteil, je vielseitiger bei solchen Gelegenheiten alle Schichten, alle Kreise des Volkes vertreten sind, umso besser und umso willkommener für die beabsichtigte Agitation. Nochmals, die Maßregel der Künstler, die Frauen im Allgemeinen und eine Frau im Besonderen, welche durch ihre Stellung im öffentlichen Leben wie als Vertreterin der Presse gleicherweise zur Teilnahme berufen erschien, von ihrer Bewegung auszuschließen, kann nur darin Motivierung und Entschuldigung finden, dass die Künstler meistens dem öffentlichen Leben und seinen Geflogenheiten und Anforderungen so durchaus fern stehen. Ihr Verhalten ist in weiten Kreisen als Missgriff aufgefasst worden, der für die Frauen eine beleidigende Zurücksetzung enthält, die Künstler selbst aber mit dem Odium (s. Anm. S. 329) einer Rückständigkeit umgibt, die ihnen gerade im gegenwärtigen Augenblick ihres eigenen Kampfes um Freisinn und Fortschritt schlecht ansteht.

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Der letzte Akt der großen Posse Die Lex Heinze (s. Anm. S. 329), die seit etwa einem Jahrzehnt im deutschen Parlamente spukt und periodisch die Gemüter der Nation mehr oder minder in Erregung zu bringen pflegte, hat neuerdings einen Aktschluss mit unerwarteter, aber erfreulicher Wendung in der Entwicklung ihres hochdramatischen Daseins erreicht. Sollte es das Ende der ganzen Tragikkomödie sein, so hätte dieselbe mit einem echten Satyrspiel einen stilvollen Abschluss erhalten und nach dem ganzen Verlauf der bisherigen Handlung, die von Stufe zu Stufe auf ein tieferes Niveau sank, wäre wahrhaftig zu wünschen, dass diese unerquickliche Affäre tatsächlich für immer ihre Erledigung gefunden hätte. Das einzig Erbauliche an dem Schauspiele der letzten Tage war, zu sehen, wie sich das Volk in dem Augenblicke, wo es sich der großen Gefährdung seiner geistigen Güter bewusst wurde, einheitlich erhob, um in scharfen Protesten zu retten, was zu retten war. Aber dass ihm die Überzeugung von dieser drohenden Gefahr so spät aufdämmerte, ist ein Beweis des geringen politischen Empfindens und Interesses unseres Volkes an sich; noch eklatanter hat sich allerdings während der schwebenden Verhandlungen und bis zum Schluss die Teilnahmslosigkeit der Frauen an einem Gesetze gezeigt, das mehr als jedes andere direkt auf ihre Stellung Einfluss übt. Es verlohnt sich zu konstatieren, in welcher Beschaffenheit nun schließlich der Torso eines Gesetzes hinausgetragen wurde, dessen Autoren ursprünglich posierten, es zum Schutze der öffentlichen Sittlichkeit aufgestellt zu haben. – Die wenigen Paragraphen, die diesem Zwecke tatsächlich dienen konnten, der sogenannte Arbeitgeberparagraph, die Erhöhung des Schutzalters, die Bestrafung der wissentlichen Übertragung geschlechtlicher Krankheiten wurden, was die beiden ersteren anbetrifft, von der Regierung als unannehmbar bezeichnet unter Vorwänden, die ebenso nichtig wie die tatsächlichen Verhältnisse des Lebens bewusst oder unbewusst verkennend genannt werden müssen und die geeignet sind, bei klarsehenden Frauen den Rest von Vertrauen zu ihrer Regierung, den sie etwa besaßen, vollends zu erschüttern, denn klarer als durch das Verhalten dieser Regierung, konnte ihnen nicht gesagt werden, dass dieselben den weiblichen Teil des Volkes durchaus als quantité négligeable (s. Anm. S. 329) betrachtet, deren Recht keinen Schutz beanspruchen kann, denen gegenüber nicht einmal Gerechtigkeit geübt zu werden braucht. Und die Parteien der Reaktion, denen anfangs so viel am Schutze der objektiven Sittlichkeit gelegen war, haben leichten Herzens auf die Paragraphen verzichtet, die hauptsächlich diesen Zweck erfüllt haben würden. Der § 237a (s. Anm. S. 329) (Übertragung venerischer Krankheiten) wurde in der dritten Lesung neuerdings durch den Abgeordneten Wolfgang Heine (s. Anm. S. 329) beantragt, in geheimer Sitzung behandelt und abgelehnt. Für den Paragraphen stimmten, wie man hört, neben

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dem Antragsteller selbst noch acht – Antisemiten. Dass diese geheime Sitzung des Reichstages übrigens rechtlich unzulässig und anfechtbar war, ergibt sich aus Art. 22 der Reichsverfassung: „Die Verhandlungen des Reichstages sind öffentlich.“ Es ist befremdlich, dass diese Maßregel vorgeschlagen, noch befremdlicher, dass ihr nicht die entsprechende Opposition gemacht wurde, welche der Sitzung die Nullität erspart hätte. Der Abstimmung in dieser Frage wohnte übrigens der Wert einer Klarstellung inne, auch hinsichtlich des Interesses und des Pflichtbewusstseins, welches die Abgeordneten gegenüber den Frauen hegen, die sie in ihrem Mandat zu vertreten haben, denn die Frauen sind ja zumeist die Opfer der wissentlichen Übertragung von geschlechtlichen Krankheiten. – Von den vereinigten „geaichten Sittlichkeitsparteien“ stimmte nicht ein Mann für § 237 a (s. Anm. S. 329), dagegen ertrotzten sie das Unerhörteste, was noch zur Erstickung und Vergewaltigung der Sittlichkeit erdacht worden ist, nämlich den § 184 c, der über alle Gerichtsverhandlungen, welche Sittlichkeitsvergehen etc. betreffen, den Schleier der Verheimlichung und Vertuschung breiten soll: „Mit Geldstrafe bis zu 300 M[ark] oder mit Gefängnis bis zu sechs Monaten wird bestraft, wer aus Gerichtsverhandlungen, für welche wegen Gefährdung der Sittlichkeit die Öffentlichkeit ausgeschlossen war, oder aus den diesen Verhandlungen zu Grunde liegenden amtlichen Schriftstücken öffentlich Mitteilungen macht, welche geeignet sind, Ärgernis zu erregen.“ Als die Verhandlungen soweit und weiter, bis zur äußersten Vergewaltigung jedes freien Geisteslebens im deutschen Volke gediehen waren, konnte die Scham und Empörung über die Vorgänge in unserem Parlamente in den verzweifelten Seufzer ausbrechen: „Dass wir ein Referendum hätten!“ Wie würde dann den Dunkelmännern durch den allgemeinen Volkswillen heimgeleuchtet worden sein! In der zwölften Stunde erst hat die siegreiche Obstruktion der Linken (s. Anm. S. 330), gestützt durch die Gunst äußerer Umstände, das lügnerische Sittlichkeitsgesetz zu Fall gebracht, hoffentlich auf Nimmerwiedersehen, nachdem zur Evidenz erwiesen worden ist, dass es um einen ernsten und durchgreifenden Schutz der Sittlichkeit im ganzen Reichstage niemandem zu tun war.

Aus der deutschen Rechtspflege Es muss immer wieder in Erstaunen setzen, mit welcher außerordentlichen Milde der deutsche Strafrichter in Ost und West und Süd und Nord das gegen die Frau gerichtete Verbrechen zu behandeln pflegt. Vor wenigen Wochen berichteten wir (s. Anm. S. 330), wie die Sühne für 93 Sittlichkeitsverbrechen in einer Gefängnisstrafe von 2 ½ Jahren erkannt wurde, jetzt liegt ein Fall aus Frankfurt vor, wo ein 72 Jahre alter Schlosser von der Strafkammer wegen „schweren Sitt-

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lichkeitsverbrechens“ zu 1 ½ Jahren Gefängnis verurteilt, aber auf freiem Fuß gelassen wurde. Er entzog sich der Strafe, indem er sich selbst erschoss. Wie unverhältnismäßig muss im Vergleiche hierzu die Verurteilung zu sechs Jahren Zuchthaus neben 1 260 Mark Geldstrafe erscheinen wegen harmloser Kurpfuscherei mittelst Zauberbeschwörungen zumeist an krankem Vieh. Die Strafkammer Beuthen in Schlesien hat dieses drakonische Verdikt zustande gebracht gegen einen Wunderdoktor, der sich u. a. auf einen Teller Weihwasser gießen ließ, zerbrochene Palmenzweige kreuzweise in das Wasser tauchte, Gebete murmelte, mit einem Licht die Stallschwelle in Kreuzform betropfte und derartigen Hokuspokus ausübte, an den er möglicherweise sogar selbst glaubte und ihn alsdann nicht einmal in betrügerischer Absicht vollführte. Sechs Jahre Zuchthaus für solchen „groben Unfug“ – und für die brutalste Vergewaltigung einer Frau ein paar Monate Gefängnis! – Höchst erbaulich hinsichtlich der in den deutschen Bundesstaaten herrschenden Rechtspflege wirkt auch ein Bericht der „Gleichheit“ (s. Anm. S. 330) über das Verhalten eines Bürgermeisters in Plaue in Schwarzburg–Sondershausen, wo Frau Tietz (s. Anm. S. 330) aus Hamburg in einer Versammlung über das Thema „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“ referieren sollte. Diese Versammlung wurde „wegen Gefahr für die öffentliche Sittlichkeit, Sicherheit und Ordnung“ so kurz vor Beginn, dass es nicht mehr bekannt gegeben werden konnte, verboten. Das erscheinende Publikum setzte sich zu geselligem Beisammensein in den Versammlungssaal, darunter auch die sistierte Rednerin (s. Anm. S. 330), Frau Tietz. Gegen 9 ¾ Uhr erschien der erhabene Bürgermeister des Ortes und fragte in aufgeregtem Tone den Wirt, wo „das Mensch“, „das Frauenzimmer“ sei, das hier habe reden wollen. Er wandte sich alsdann an Frau Tietz mit der barschen Frage, wer sie sei und was sie wolle? Sie solle sich legitimieren. Frau Tietz stellte die Gegenfrage, wer er sei? Und was er wolle? Wie er dazu komme, eine Legitimation zu verlangen? Noch aufgeregter erklärte jener, da sie dort reden wolle, so verlange er Legitimation, sonst verhafte er sie. Als er mit dieser Drohung bei den Umsitzenden einen Lacherfolg erzielte, stellte er in Aussicht, die „Versammlung“ – die nicht bestand – „auflösen“ zu wollen, die darauf entfesselte stürmische Heiterkeit veranlasste ihn zum Rückzuge, er kehrte jedoch alsbald mit einem Gendarmen zurück, der tatsächlich Frau Tietz und einen Herrn Neumann zwangsweise in den dunklen Vorraum des fürstlichen Standesamtes abführte. Erst auf energischen Protest der beiden verstand man sich dazu, das Zimmer zu erleuchten. Nach Aufnahme ihrer Personalien wurden sie entlassen. Gegen den Bürgermeister ist natürlich Beschwerde erhoben, dass dieselbe ziemlich erfolglos bleiben wird, ist vorauszusehen, obgleich die „Gleichheit“ mit vollem Recht erklärt, „dass keine Oberbehörde auch nur den Schein einer gesetzlichen Rechtfertigung für die rüpelhaften Ausdrücke aufstellen könne, deren sich der Bürgermeister gegen Frau

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Tietz schuldig gemacht hat.“ Die amtliche Kritik, welche der Herr erhalten wird, dringt sicherlich ebenso wenig an das Licht des Tages wie die Bestrafung (?) jener Altonaer Gefängnisaufseher (vgl. die Beilage Nr. 10 v. 15. Mai d. J.) (s. Anm. S. 330), über die bisher nicht der Schimmer einer Kunde zu erlangen war.

Schweigen die Frauen? Wir haben bei gegebener Gelegenheit mehrfach behauptet, dass nicht ein Monat vergeht, in welchem nicht aus irgendeiner Stadt des Reiches Meldung erfolgt von einem polizeilichen Missgriff, der nach Maßgabe des § 361, 6 Strafgesetzbuch (s. Anm. S. 331) und unter der Herrschaft der Reglementierung der Prostitution völlig ehrbare, unbescholtene Frauen einem schmählichen, beleidigenden Verfahren, längerer Freiheitsentziehung, körperlicher Untersuchung, roher Behandlung usw. unterwirft. In letzter Zeit haben sich derartige eklatante Fälle wieder einmal gehäuft, und die Presse hat weithin die schändlichen Zustände, die solchen Möglichkeiten Boden gewähren, beleuchtet und gegeißelt. – Es handelte sich um zwei Fälle in Kiel und Hannover, deren Einzelheiten wenig zur Sache tun. In beiden Fällen wurden ganz junge unerfahrene und schutzlose Mädchen in brutalster Weise von Schutzleuten arretiert, ohne den geringsten Versuch, ihre Persönlichkeit und ihren Leumund festzustellen, auf die Polizeistation geschleppt, in derselben ehrenrührigen Weise, die von höheren und niederen Polizeiorganen eingeschriebenen Prostituierten gegenüber beliebt wird, behandelt, bis zum nächsten und übernächsten Tage in Polizeigewahrsam gehalten, dann körperlich untersucht, völlig gesund und unberührt gefunden und ohne Entschädigung, ohne Entschuldigung, vermutlich noch mit Grobheiten über eine Mystifikation des hohen Herrn Schutzmannes ent- und ihrem Schicksal überlassen. In Hannover sollen der so Misshandelten, einem Dienstmädchen, noch 80 Pfennige, die sie im Besitz hatte, abgenommen worden und „für Kaffee und Frühstück“ aufgerechnet worden sein, trotzdem sie während ihrer ca. fünfzehnstündigen Inhaftierung nicht ein Körnchen Nahrung oder Erfrischung erhalten hat. In dem einen Fall hat der Polizeichef den Missgriff als Missgriff anerkannt und erklärt, der schuldige Beamte sei bestraft und versetzt worden, im anderen Falle – in Kiel – wurde die Handlungsweise des Schutzmannes als korrekt und instruktionsgemäß von seinem Vorgesetzten in Schutz genommen. Letzteres ist für das Publikum nicht viel schlimmer als Ersteres: Das Schlimme und Unerträgliche ist, dass dergleichen Verhaftungen überhaupt und unter irgendeinem Scheine des Rechtes und der Ordnung vorkommen können; diese Möglichkeit

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stempelt das deutsche Reich absolutem Maßstabe nach – mag es relativ auch ein so hochzivilisiertes Land wie Frankreich auf diesem Gebiete noch zum Genossen haben – zu einem Barbarenstaate. Oft und oft ist von denjenigen Frauen der Frauenbewegung verschiedener Parteien, welche die Dinge und Zustände in ihrer vollen Tragweite überblicken, die Schmach des Fortbestehens von § 361, 6 Strafgesetzbuch, der die persönliche Freiheit des ganzen weiblichen Geschlechts andauernd gefährdet, in Rede und Schrift klargestellt worden; vorurteilsfreie Männer und gerechte Press[e]stimmen haben denselben Ton angeschlagen; die vom „Verein für Frauenstimmrecht“ (s. Anm. S. 331) eingeleitete Deputation an den deutschen Reichskanzler hat die Beseitigung dieses Paragraphen als notwendigste, dringendste Forderung der Frauen in den Vordergrund gerückt, aber das alles sind gewissermaßen akademische Äußerungen, die momentane Zustimmung und Anerkennung finden, aber keinen unmittelbaren Wandel schaffen können, weil hierzu der akute Anlass und eine aktuelle Gelegenheit fehlt. Ganz anders, wenn ein tatsächliches Geschehnis den Hintergrund für einen Protest gegen die unerträgliche Missachtung der Persönlichkeit der Frau bildet, die jeden Augenblick jeder Laune eines Polizeimannes vogelfrei ausgeliefert ist. Kann man mit Fingern auf das Beispiel zeigen, welches das Produkt gesetzlicher Bestimmungen ist, so findet die ehrliche Entrüstung ein tausendfaches Echo und die Institution erhält einen Stoß, der ihre moralischen Grundfesten zum Wanken bringt. Die Frauen, aus deren unmittelbarer Nähe ein Opfer zum Exempel für alle herausgegriffen worden ist, sind es diesem Opfer und sind es der Gesamtheit schuldig, dass sie einmütig in geschlossener Reihe vor die Öffentlichkeit treten, zu klagen und zu richten, zu protestieren gegen den schlechten Beamten, der die Gesellschaft bedroht, anstatt sie zu schützen, gegen die Verwaltung, die unfähige Übeltäter mit Beamtenmacht und -autorität ausstattet, gegen die Gesetze, die solche Vorkommnisse nicht allein zulassen, sondern herbeiführen. Derartige Proteste der Frauen, mit Ernst und Nachdruck vorgebracht und dem Forum der Öffentlichkeit unterstellt, haben schon mächtigen Eindruck hervorgerufen und werden allein jenes Gesetz zum Falle bringen. Die Frauen in Kiel und in Hannover jedoch schwiegen bisher still, keine Äußerung vieler, keine Einzelstimme hat noch verraten, dass sie alle sich getroffen und beleidigt fühlen in der einen, die brutalisiert wurde, dass sie alle solidarisch mit ihr Gerechtigkeit verlangen und Garantien gegen Wiederholungen solcher Fälle. – Haben die Frauen in Hannover und in Kiel wirklich nichts zu sagen, wenn ihnen von ihren Behörden so begegnet wird? Oder fehlt ihnen die Stimme und das Wort, um die Empörung auszudrücken, die jeden ergreift, der nur in weiter Ferne hört, was ihnen geschehen ist? – Dann wird allerdings nichts übrig bleiben, als dass man von außen kommt und in ihren Städten zur Erörterung bringt, was dort bisher

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verschwiegen wurde, denn unbesprochen, von Frauen unbesprochen darf das nicht bleiben, was dort geschah!

Beschwerdeschrift von Dr. jur. Anita Augspurg an den Gemeindevorstand der Großherzogl[ich] Sächsischen Hauptund Residenzstadt Weimar Berlin W., den 4. November 1902 Auf das unter dem Aktenzeichen No. 4347 P. mir zugegangene Schreiben vom 27. Oktober d. J. des Gemeindevorstandes von Weimar (s. Anm. S. 331), ferner mit Bezug auf die als vom Oberbürgermeister von Weimar herrührend in der Presse veröffentlichte Darstellung meiner Verhaftung in Weimar (s. Anm. S. 331) durch den Schutzmann Haldrich (s. Anm. S. 332) habe ich Nachstehendes zu entgegnen: Sowohl aus dem zitierten Schreiben wie aus der veröffentlichten Darlegung des Falles habe ich den Eindruck gewonnen, dass beide nach Maßgabe eines unzutreffenden Berichtes des Schutzmannes verfasst worden sind, was in erster Linie darauf zurückzuführen sein dürfte, dass die Behörde es nicht für der Mühe wert gehalten hat, sich bei mir, als der meistbeteiligten Person, Erkundigungen über den Tatbestand zu erholen, sondern ohne weiteres den nicht nur in begreiflicher Einseitigkeit abgegebenen, sondern offenbar unrichtigen Erklärungen des Schutzmannes gefolgt ist, den die Behörde selbst nach diesen Erklärungen schon zu „rektifizieren“ (s. Anm. S. 332) sich veranlasst gesehen hat. In dem Schreiben No. 4347 P. ist behauptet worden, dass ich mich auf der Polizeiwache über den Schutzmann H. mündlich beschwert habe; ich konstatiere, dass ich das nicht getan habe. Da der anwesende höhere Kriminalbeamte mir mitteilte, dass der Fall nicht in sein Ressort gehöre, habe ich nach Feststellung meiner Person lediglich gefragt, ob ich mich nunmehr frei entfernen könne, und die Erwartung geäußert, dass man sich von Seiten der Behörde bei mir entschuldigen werde. Letzteres ist jedoch nicht geschehen, denn dem Satze: „Aus diesem Grunde spreche ich Ihnen mein lebhaftes Bedauern über das Vorkommnis aus“, vermag ich eine Entschuldigung nicht zu entnehmen; das „Bedauern“ eines derartigen Vorkommnisses dürfte mit Rücksicht auf die daraus sich ergebenden Konsequenzen für die Polizeiverwaltung viel mehr in deren eigenem Interesse empfunden sein als im Interesse der geschädigten Persönlichkeit. Letztere hat nach dieser Fassung keinen begründeten Anhalt, das Bedauern auf sich zu beziehen, umso weniger, als auch eine bloße „Rektifizierung“ des Schutzmannes nicht darauf deutet, dass man einem gekränkten Rechtsempfinden durch Bestrafung des Schuldigen Sühne zu schaffen suchte.

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Nun veröffentlichen die Blätter angeblich nach „besten Quellen“, d. h. wohl nach amtlicher Angabe, ich sei um „½ 8 Uhr“ angekommen, ich sei dem auf dem Bahnhof stationierten Schutzmanne durch „eigentümliches Gebaren“ aufgefallen und habe „auf die Aufforderung des Schutzmannes, meinen Namen und den Zweck meines Aufenthaltes anzugeben, jegliche Auskunft verweigert und zum Vorstande des Polizeiwesens geführt zu werden verlangt“. Das sind ebenso viele Unwahrheiten wie Behauptungen. Ich bin nicht ½ 8 Uhr angekommen, sondern 5.16 Uhr; ich konnte dem auf dem Bahnhof stationierten Schutzmann nicht durch eigentümliches Gebaren auffallen, denn ich habe ein solches nicht angenommen, sondern ich habe, in jeder Hand ein Gepäckstück (was also auch das behauptete „Hut-Abnehmen“ und „Durch-die-Haare-Streichen“ als unmöglich nachweist), vor dem Bahnhofe – somit konnte auch meine Stimme den Bahnsteigschaffnern nicht auffallen – nach dem Portier eines der ersten Hotels von Weimar gefragt und mich alsdann in den Hotelwagen gesetzt. Erst 1 ½ Stunden nach meiner Ankunft bin ich wiederum zur Bahn gegangen und auf diesem Wege ist das Zusammentreffen mit dem Schutzmann H. erfolgt. Ich teile diese Einzelheiten mit, um die mit Zeit und Umständen vollkommen willkürlich verfahrenden Angaben irgendeiner amtlichen Quelle festzustellen. Ich habe auf sämtliche vom Schutzmann an mich gerichtete Fragen peinlichst genau Auskunft erteilt, bis zu der Frage, ob München mein Geburtsort sei und wo ich sonst geboren sei, zu welcher ich äußerte, dass ich glaube, diese Feststellung sei für den Moment nicht notwendig. Der Schutzmann hat mich nach meinem Namen nicht gefragt und erst als er nach der Auskunft über meinen Stand: „Doktor juris“, unzweideutig zu erkennen gab, dass der von ihm beherrschte Bildungsgrad der Situation nicht gewachsen sei, suchte ich fernere nutzlose Erörterungen mit ihm durch die Frage abzukürzen: „Ob er etwa die Absicht habe, mich zu verhaften?“ Einen Wunsch danach habe ich nicht geäußert, ihn vielmehr mit dem Bedeuten, dass es sich um einen Irrtum auf seiner Seite handele und dass „meine Verhaftung für ihn sehr unangenehme Folgen haben werde“, vor der Anordnung derselben eindringlich gewarnt. Nachdem er trotz allem diese Verhaftung vornahm und nachdem er auf dem Wege sich sogar noch erdreistete, mit der brutalsten Gewalt mich wiederholt am Arm zu packen 1, habe ich allerdings ein wohlberechtigtes Interesse daran gehabt, diesen unter erschwerenden Umständen erfolgten Missbrauch von Beamtengewalt vor der vorgesetzten Instanz konstatiert zu sehen. Aus diesem Grunde habe ich jede vom Schutzmann H. späterhin auf dem Wege versuchte Anbahnung eines Anerbietens, die Sache durch weitere Auseinandersetzungen zwischen mir und ihm aus der Welt zu 1 Bei Gelegenheit dieser Tätlichkeiten habe ich auch die Bemerkung getan: „Diese Frechheit geht noch über Wiesbaden.“ (s. Anm. S. 332)

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schaffen, abgelehnt und hierauf bezog sich meine Äußerung gegen den Kriminalkommissar Quehl, „dass schließlich nicht mich der Schutzmann, sondern ich den Schutzmann hergeführt habe“, der mich, wie ich auf dem Wege beobachten konnte, später nur zu gern losgeworden wäre. Ich bin jedoch der Überzeugung, dass es jedes Menschen gutes Recht ist, einen Beamten, der ihn durch Amtsmissbrauch in so gravierender Form verletzt hat, auf frischer Tat seinen Vorgesetzten zur weiteren Behandlung zu überantworten. Demzufolge durfte ich auf konsequenter Erledigung des Verfahrens in der vom Schutzmanne selbst eingeschlagenen Richtung bestehen und auch im Wachzimmer, wie der Schutzmann Schulz ganz richtig bezeugt hat, Vorführung vor einen Vorgesetzten des pp. Haldrich und Aufnahme eines Protokolls über meiner Aussagen beanspruchen. Es bleibt bei der Zeugenaussage des Schulz eben nur zu berücksichtigen, was er nicht wissen konnte, dass Schutzmann H. bis zu der von ihm ausgesprochenen Verhaftung auf jede Frage klare und prompte Antwort erhalten hatte. Nach allem diesem beschwere ich mich über den Schutzmann Haldrich erstens wegen des unqualifizierbaren Tones, mit dem er überhaupt die Verhandlung mit mir einleitete, derartig, als seien alle von ihm in Bezug auf meine Person gehegten Voraussetzungen bereits erwiesen und ich als Arrestant seiner Amtsautorität unterstellt; zweitens, weil er mich wiederholt tätlich angegriffen hat; drittens, weil er mich nicht auf kürzestem Wege, sondern auf einem Umwege zur Wache gebracht hat, wie ich vermute, um mich durch das entstehende Aufsehen noch zu veranlassen, von der Weiterverfolgung der Angelegenheit abzusehen; viertens, weil er eine unzutreffende Darstellung des Herganges gegeben, resp[ektive] wesentliche Einzelheiten desselben verschwiegen hat. Ferner beschwere ich mich über die Polizeiverwaltung der Großherzogl[ich] Sächsischen Haupt- und Residenzstadt erstens, weil sie die Angelegenheit, ohne sie einer Untersuchung und Feststellung für wert zu halten, auf sich beruhen ließ; zweitens, weil sie weder dem Schutzmann Haldrich aufgegeben hat, sich bei mir wegen seines Missgriffs und seines Verhaltens zu entschuldigen, noch selbst eine ausreichende Entschuldigung mir zugehen ließ, noch zu einer entsprechenden Bestrafung des Schutzmanns schritt, die in einer „Rektifizierung“ nicht zu erblicken ist; drittens, weil sie durch mehrere amtliche Publikationen, die auf falscher Grundlage aufgebaut und in offenbar ungünstiger Tendenz gegen mich abgefasst und verbreitet wurden, die gegen mich begangene Rechtsverletzung noch erschwert und anstatt mir für die Schädigung Sühne, mir zu derselben noch Beleidigungen zuteil werden ließ.

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Ich gestatte mir zu letzterem Punkte noch einige begründende Bemerkungen. Wir Frauen sind unter der Herrschaft des § 361, 6 RStGB (s. Anm. S. 332) einem Ausnahmegesetz unterworfen, dessen Druck wir in neuerdings besonders häufig bekannt gewordenen unmotivierten Verhaftungen empfinden. Wir haben bisher niemand verantwortlich gemacht als das bestehende Gesetz, welches wir bekämpfen, wir haben aber den Behörden, die zur Durchführung des Gesetzes verpflichtet sind, keine Feindseligkeit bewiesen. Auch ich habe dem auf der Polizei stationierten Kriminalkommissar, den ich für einen höheren Beamten hielt, in verbindlichster Weise versichert, dass ich die mir persönlich erwachsenen Unbequemlichkeiten (das Versäumnis des Zuges, die Eskorte der Bevölkerung von Weimar etc.) nicht hoch veranschlage, da ich persönlich – was natürlich nicht zu verallgemeinern ist – meine Ruhe durch ein solches Erlebnis nicht gefährden lasse; vielleicht bin ich in meinem Entgegenkommen gegen diesen Herrn, um ihm alles Peinliche seiner Situation mir gegenüber zu erleichtern, zu weit gegangen, indem ich betonte, dass diese Fälle von mir in erster Linie als Material für die Beseitigung des § 361, 6 angesehen werden. – Dem Schutzmann Haldrich, der immer noch in anmaßender Haltung dastand und zum Bewusstsein seines Missgriffs keineswegs gelangt schien, habe ich dann allerdings die Folgen seiner Handlungsweise vor Augen gerückt, die in der Presse und im Reichstage erörtert werden würden: Zu einer Entschuldigung hat er sich auch dann nicht veranlasst gefühlt. – Wenn nun trotz meiner zuvorkommenden Haltung gegen die Polizeileitung in Weimar, der ich bis dahin keinerlei Misstrauen entgegen brachte, in der Folge das mir zugefügte offenbare Unrecht von ihr in Schutz genommen, ja, ich sogar der Provokation beschuldigt wurde, so ist das ein Verfahren, welches die schärfste Verurteilung herausfordern muss und welches mit Recht im ganzen Publikum diejenige Erbitterung und Empörung hervorruft, von der mir bereits zahlreiche Beweise zugegangen sind. Bisher haben wir nur gewusst, dass wir unter einem schlechten Gesetze stehen. Die Haltung der Polizeibehörden von Kiel, Wiesbaden und Weimar hat uns aber überzeugt, dass auch die Handhabung desselben in unhaltbarer Weise erfolgt. Ich erwarte nunmehr von Seiten der Polizeiverwaltung von Weimar volle Genugtuung, sowohl gegen mich persönlich wie vor der Öffentlichkeit, da ich mich sonst veranlasst sehen muss, auf gerichtlichem Wege die Wahrheit feststellen zu lassen. An den Gemeindevorstand der Anita Augspurg, Dr. jur. Großherzogl[ich] Sächs[ischen] Haupt- und Residenzstadt

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Sittlichkeitsfrage und Rechtsschutz Je mehr die Frauenbewegung 1 Boden fasste, je mehr die Frauen an Erfahrung und Weltkenntnis gewannen, umso klareren Einblick erhielten sie in ein Gebiet, welches man ihnen bis dahin auf das sorgsamste verhüllt und verschleiert hatte; so sorgsam, dass man ihnen sogar das Vorurteil tief einzuimpfen gewusst hatte, Kenntnis desselben sei schimpflich, beschämend, ja ehrenrührig für eine Frau, nämlich das Gebiet der Prostitution und der doppelten Moral für Mann und Frau. Bis auf den heutigen Tag wird die große Mehrzahl aller Frauen noch vollständig ahnungslos sein über die Tatsachen in dieser Hinsicht, ja selbst die Vertreterinnen der Frauenbewegung älterer Richtung haben sich längere Zeit gesträubt, diese Wunde vor das Forum öffentlicher Kritik zu bringen. Sie sind von den Frauen radikalen Bekenntnisses geradezu dazu gezwungen worden, denn diese schlossen nicht gewaltsam die Augen vor dem Abgrund, sondern, kaum seiner gewahr werdend, leuchteten und stiegen sie hinab, instinktiv ahnend und unbewusst erkennend, dass, so lange die geschlechtliche Sklaverei direkt auf einem Teil der Frauen, indirekt auf allen Frauen lastet, von einer Hebung des Geschlechtes und von seiner völligen Freiwerdung in der menschlichen Gesellschaft nie die Rede sein könne, dass zudem die Gesellschaft selbst, wie jeder Sklavenstaat, ewig von dem Ideal echter Kultur und Sittlichkeit getrennt bleiben müsse. Um von vornherein Missverständnissen vorzubeugen, sei vorweg erklärt, dass die radikale Frauenbewegung keineswegs den Weg eines prüden Moralismus einschlug, sie erkennt die Berechtigung der sexuellen Triebe mit derselben Objektivität an wie die aller physiologischen Vorgänge bei den Lebewesen, sie weiß, dass die Intensität dieser Triebe individuell verschieden ist bei Männern wie bei Frauen und überlässt es jedem Individuum, nach Vernunft oder Unvernunft seine Instinkte unter Kontrolle zu behalten oder sich ihnen zügellos zu überlassen. Gegen dreierlei aber lehnt sie sich auf und macht sie Front mit rücksichtsloser Schärfe: Gegen jede Ausbeutung einer Zwangslage und jede Anwendung von Zwangsmitteln physischer oder psychischer Art, um ein Individuum dem anderen sexuell zu Willen zu machen; gegen jede verschiedene Wertung und Behandlung zweier Individuen, die zu einander in geschlechtliche Beziehung getreten sind; gegen jede Schädigung Dritter seitens venerisch infizierter Personen, die nichtsdestoweniger sexuelle Beziehungen zu unterhalten fortfahren. – Sie weiß übrigens, dass weder Predigt noch Aufklärung allein helfen können, der Prostitution ihre Opfer zu entreißen, sondern lediglich Besserung der wirtschaftlichen Zustände.

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Vergl. die Nummern 446, 449, 454 und 460 der Wochenschrift „Die Zeit“

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Die radikale Frauenbewegung unterscheidet sich in dieser Beurteilung der Frage scharf von den sogenannten Sittlichkeitsvereinen, welche sich auf der einen Seite mit dem Satze abfinden, die Prostitution sei ein unausrottbares, notwendiges Übel, die Prostituierten seien verworfene und verdammenswerte Geschöpfe, die christliche Liebestätigkeit habe demnach die Aufgabe, über die Institution einen möglichst dichten Schleier zu werfen, der ihre Existenz verbirgt und alle Lebensäußerungen, die auf ihr Vorhandensein schließen lassen können, zu unterdrücken und zu verfolgen, andererseits die „Gefallenen“, das heißt die Opfer der Institution, zur Erkenntnis ihrer Sünde zu führen und sie in Rettungshäusern einem geordneten bürgerlichen Leben zurückzugewinnen. Mit diesen kurzsichtigen oder heuchlerischen Bestrebungen, die das Übel bestehen lassen und nur die Symptome zu verbergen streben, hat die moderne Frauenbewegung gar nichts gemein, obgleich eine große Anzahl von Frauen, meist kirchlichen Kreisen angehörend, unter der Ägide von Männern in diesem Sinne Rettungsarbeit verrichtet. Der größte Teil der in der sogenannten Sittlichkeitsfrage Spezialarbeit leistenden Frauenbewegung steht auf dem Boden der „Internationalen abolitionistischen Förderation“ (s. Anm. S. 332), welche sich völlig nur auf die Bekämpfung der gesetzlichen Reglementierung der Prostitution beschränkt, alle schimpflichen Maßregeln und noch mehr alle Strafen gegen einen Schuldigen bei einem Delikt, das nur von zweien gemeinschaftlich begangen werden kann, aufgehoben wissen will, dagegen strenge und unerbittliche Bestrafung desjenigen verlangt, der Schwäche, Unerfahrenheit, Not, Autorität missbraucht und ausbeutet für sexuelle Zwecke oder der wissentlich oder fahrlässig sexuelle Krankheiten auf andere überträgt. Diese jetzt den ganzen Erdball umspannende Förderation ist das Werk einer Frau, Josephine Butler (s. Anm. S. 332), die als 25-jährige den Kampf gegen die sittliche Verlogenheit der ganzen Welt aufnahm, unter welchem Martyrium, das können nur die sich vorstellen, welche verstehen gelernt haben, mit welcher Zähigkeit und Hartnäckigkeit der Männerstaat und die Männergesellschaft an dieser Institution festhält. Es ist ihr gelungen, in ihrem Vaterland England die gänzliche Aufhebung der Reglementierung herbeizuführen (s. Anm. S. 332), und nach mehr als 30-jährigem aufreibendem Kampfe kann sie mit Befriedigung erfahren, wie in allen Erdteilen und Ländern organisierte und gemeinsam arbeitende Scharen den Vorurteilen die Wurzel abgraben, die da behaupten wollten, der staatlichen Regelung der Unzucht wohnten sanitäre, sittliche, Ordnung schaffende Eigenschaften inne. Durch den Kampf der Förderation – welcher übrigens Männer und Frauen ungefähr zu gleichen Teilen angehören, vor allem sehr viele Männer der Wissenschaft, ärztliche, juristische, naturwissenschaftliche Autoritäten, hat sich die Überzeugung Bahn gebrochen, dass die staatliche Regelung der Prostitution die

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Verbreitung der venerischen Krankheiten unterstützt, anstatt sie einzuschränken, denn sie spiegelt den Männern eine sanitäre Sicherheit vor, die tatsächlich nicht besteht und unter gar keinen Voraussetzungen – was physiologisch nachweisbar ist – erzielt werden kann. Sie schützt also nicht die Volksgesundheit vor Verseuchung, sondern leistet durch ihre falschen Vorspiegelungen der Verseuchung geradezu Vorschub; sie erweckt außerdem in dem jungen, nicht urteilsfähigen Menschen durch ihren bloßen Bestand die Überzeugung, dass der Zweck, dem sie dient, ein berechtigter und ein einwandfreier sei, sie fördert dadurch die im tiefsten Grade unsittliche Ansicht von der doppelten Moral für Mann und Frau. Allmählich ist auch in den Kreisen der Ärzte eine starke Bewegung entstanden gegen die staatliche Reglementierung und für staatliche Maßregeln gegen die immer zunehmende drohende Verseuchung der ganzen menschlichen Gesellschaft durch den venerischen Infektionsstoff. Die verschiedenen internationalen ärztlichen Kongresse, welche sich mit wachsender Bestimmtheit gegen die problematischen Wohltaten der staatlichen Kontrolle ausgesprochen haben, arbeiten natürlich den Bestrebungen der Föderation und der Frauenbewegung außerordentlich in die Hand. Diese Bestrebungen sind in Deutschland und Österreich übrigens so gut wie identisch, eine verschwindende Minorität von Männern hat sich erst den deutschen Zweigvereinen der Föderation angeschlossen, sie sind ganz und gar als Frauenvereine zu betrachten. Seit dem Jahre 1898, als der erste deutschen Zweigverein sich in Hamburg konstituierte (s. Anm. S. 332), haben sich schon fünf weitere Vereine gebildet, in Berlin, Dresden, München, Halle, Wiesbaden. Es ist wahrhaftig als keine kleine Errungenschaft zu bezeichnen, dass in den großen von Frauen einberufenen Volksversammlungen, die oft nach Tausenden zählen, in ganz ungeschminkter, aber auch in streng sachlicher Form alle diese bisher für indiskutabel erklärten und von jeder öffentlichen Behandlung, besonders vor Frauen, ausgeschlossenen, die Frauen aber so unendlich nahe angehenden Dinge aufs eingehendste erörtert werden. Die Gerechtigkeit erfordert, eine Frau nicht unerwähnt zu lassen, welche mit ähnlicher Unerschrockenheit wie Josephine Butler die Rolle der ersten Predigerin in der Wüste in Deutschland übernahm und ebenfalls von Männern nicht nur, sondern von Frauen und Frauenvereinen nicht minder wegen ihres Vorgehens arg angefeindet wurde; es ist die Gründerin des Jugendschutz[es], Hanna Bieber-Böhm (s. Anm. S. 332). Was aber ihrer Arbeit den Lohn und den Erfolg raubt, das ist die eigensinnige und engherzige Behauptung des Standpunktes von der Strafbarkeit der gewerblichen Prostitution, die wiederum auf die doppelte Moral für Mann und Frau und im letzten Grunde auch wieder auf die staatliche Beaufsichtigung zurückführt. Dieser logische Widerspruch hat natürlich eine oppositionelle Stellung zur Föderation zur Folge, in welcher jedoch die letztere begreiflicherweise Sieger bleibt.

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In Österreich wird seit Anfang der Neunzigerjahre vom „Allgemeinen österreichischen Frauenverein“ im gleichen Sinne gearbeitet. Die Professoren Max Gruber, Dr. Marbacher und andere (s. Anm. S. 333) sind als wertvolle Bundesgenossen zu begrüßen. Im Laufe des letzte Frühlings sind auch in Österreich, infolge von Vorträgen Frl. Dr. Käthe Schirmachers (s. Anm. S. 333), zwei Föderationsgruppen in Wien und Brünn gegründet worden und zwar unter wesentlicher Beteiligung von männlichen Ärzten. Eine ausgiebige Literatur medizinischen, sozialpolitischen, frauenrechtlerischen Inhaltes ist imstande, Auskunft zu geben über das Viele, was in diesem Rahmen nicht gesagt werden konnte, und sie ist wert, studiert zu werden. Denn die Sittlichkeitsfrage umschließt die brennendsten und die wichtigsten Kernfragen der Frauenbewegung. Kompromissloses Vorgehen auf diesem Gebiet ist Voraussetzung für den endgültigen Erfolg (s. Anm. S. 333) der ganzen Bewegung. Ein nicht zu unterschätzender Anteil an dem Emanzipationskampfe der Frau ist den Rechtsschutzstellen zuzusprechen. Anfang der Neunzigerjahre des verflossenen Jahrhunderts wurde die erste in Dresden gegründet (s. Anm. S. 333) und von einem Vereine gleichen Namens geführt und unterhalten; jetzt besteht in Deutschland eine große Anzahl von Rechtsschutzstellen für Frauen, von denen 18 zu einer Kartellverbindung mit einer Zentrale in Berlin zusammengetreten sind (s. Anm. S. 333). Der Zweck liegt im Namen ausgedrückt: Unerfahrenen, unbemittelten Frauen auf dem Gebiet des bürgerlichen Rechtes Rat und Unterstützung zu gewähren, die nur zu häufig der Ausbeutung ihrer Rechtsunkundigkeit zum Opfer fallen. Es ließ sich leider feststellen, dass das männliche Solidaritätsgefühl in vielen Fällen imstande gewesen ist, selbst die juristische Berufstreue zu überwuchern, denn gar nicht selten hat es sich ereignet, dass ratsuchende Frauen von Rechtsanwälten in Scheidungsfragen, Fragen des Güterrechtes, eines Ehevertrages usw. zu ihrem Nachteil und im Interesse des Ehemannes beraten worden sind, dass auch von den amtierenden Richtern nur allzu oft unter Vergewaltigung der Gesetze zu ihren Ungunsten entschieden oder unter Anwendung unzulässiger Überredungsmittel zu einer nachteiligen Nachgiebigkeit geraten worden ist. Unter solchen Umständen lässt sich die segensreiche Wirkung der Rechtsschutzstellen ermessen, die mit dem Übergewicht der gebildeten, der für Frauenrecht interessierten und der unabhängigen Frau sich der schutz- und hilflosen, in bedrängter Rechtslage befindlichen [Frauen] annehmen. Andererseits entspringt eine Fülle von Erfahrungen aus dem Einblick in die Tiefen sozialen Elends, ehelichen Unglücks, die sich vor den im Rechtsschutz arbeitenden Frauen eröffnet. Kenntnisse und Belege von dem kaum glaublichen Umfange der Rechtsbenachteiligung der Frau durch den Geist und die Anwendung der Gesetze er-

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wachsen so reichlich, dass man getrost ein gutes Teil des Agitationsstoffes für die Frauenbewegung auf das Konto der Belehrung aus der Rechtsschutzpraxis setzen darf. Die Hauptzahl aller Rechtsschutzfälle pflegt in Ehestreitigkeiten oder Scheidungsklagen, in Alimentationssachen und sittlichen Attentaten oder Beleidigungen seitens eines Lohn- und Brotherrn zu bestehen. Jedoch kommen auch viele Arbeits- und Lohnstreitigkeiten, Mietsdifferenzen, Erbschaftsfragen und Ähnliches vor. Sehr häufig ist die Arbeit der Rechtsschutzstelle eine vorbeugende, vermittelnde und ausgleichende, denn in sehr vielen Fällen ergibt sich, dass schon die Anzeige von der Rechtsbeistandschaft für die Hilfesuchende ausreicht, ihren Gegner gefügig zu machen: In allen diesen Fällen lag also eine direkte Absicht zur Ausnützung der Rechtsunerfahrenheit und Schutzlosigkeit vor. Der erste Bericht der „Zentrale deutscher Rechtsschutzstellen für Frauen“ spricht von 3947 im Jahre erledigten Fällen (s. Anm. S. 333). Die Rechtskommission des „Bundes deutscher Frauenvereine“ (s. Anm. S. 333) sucht durch ihre Tätigkeit die gescheiterten Versuche der deutschen Frauen, seinerzeit im Bürgerlichen Gesetzbuche eine günstigere güterrechtliche Stellung der Ehefrau zu erringen, durch vorbeugende Belehrung über die Nachteile des gesetzlichen Güterrechtes für die Frau zu paralysieren. Sie verteilt in Tausenden von Exemplaren ein Flugblatt an Eltern, Bräute, Ehefrauen, in welchem sie über die vermögensrechtliche Lage der Frau in der Ehe Aufklärung erteilt und den Rat zur Schließung eines Ehevertrages aus ethischen und praktischen Gründen gibt. Eine Anzahl von Formularen zu Eheverträgen, die den verschiedenen Lebens- und Vermögenslagen angepasst und im Sinne des möglichsten Schutzes für die Frau abgefasst sind, finden sich auf dem Flugblatt vorgedruckt. Von diesen Flugblättern sind bereits gegen 60 000 zur Verteilung gebracht.

Wieder ein Schlag ins Antlitz der Frau Die deutsche Rechtspflege scheint befürchtet zu haben, dass sie hinsichtlich der gewohnheitsmäßigen Preisgabe des Rechtsschutzes der Frau vom Auslande überholt würde, sie hat sich’s angelegen sein lassen, den bedrohten Rekord wieder zu sichern. Wenn die Schweizer Frauen glauben, sie allein hätten über die Rechtsprechung ihrer Schwurgerichte Klage zu führen – vgl. den in Nr. 23 v. J. behandelten Fall Frieda Keller in St. Gallen und die vom „Bunde Schweizer Frauenvereine“ gefasste Resolution (s. Anm. S. 334) –, so können wir ihnen an einem Seitenstück, einem gleichfalls von einem Geschworenengericht in Altona mit Bezug auf ein minderjähriges schutzloses Mädchen von 15 Jahren gefällten

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Urteil zeigen, dass es hüben wie drüben heißt, die Gewalt steht beim Manne, die Rechtlosigkeit bei der Frau. Vier junge Burschen von 18, 19, 20 und 24 Jahren, drei Kaufmannsgehilfen und ein Arbeiter, haben an einem Sonntage ein junges 15-jähriges Dienstmädchen zu einer Segelfahrt auf der Elbe eingeladen, sind mit ihm auf einem unbewohnten Sandwerder im Strom gelandet und haben sie dort einer nach dem anderen vergewaltigt. Die Dienstherrschaft des in unbeschreiblichem Zustande heimkehrenden Mädchens erhielt durch ein anderes Dienstmädchen, welches eine Beichte des Vorgegangenen aus dem Mädchen herauslockte, Kunde von der Sache und veranlasste die Anklage gegen die vier Schurken. Die Verhandlung fand am 13. Januar vor dem Altonaer Schwurgericht unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt und endete mit der kostenlosen Freisprechung der des Verbrechens Überführten und Geständigen, denen der in Frage kommende § 176 [R]StGB (s. Anm. S. 334) Zuchthausstrafe bis zu 10 Jahren zusichert, die sich zudem vor dem Gericht noch mit zynischer Rohheit, welche dem Vorsitzenden Anlass zur Rüge gab, über ihre Tat geäußert haben. Das Mädchen ist infolge des bestialischen Attentates von Krämpfen befallen, welche drei ärztliche Gutachten für unheilbar erklären, während ein vierter Arzt der Ansicht ist, sie könnten vielleicht im Laufe der Zeit wieder behoben werden. Die vier Burschen waren kaum aus der Untersuchungshaft entlassen, am nächsten Sonntage, 2 Tage nach der Gerichtsverhandlung, wieder in den Tanzlokalen von Blankenese zu sehen. Die Zeitungen äußern sich über diesen schändlichen Wahrspruch nicht viel, ihnen bietet der Ausschluss der Öffentlichkeit genügenden Anlass zum Schweigen; dem sozialdemokratische „Echo“ gebührt die Ehre, die öffentliche Aufmerksamkeit auf dieses furchtbare Ereignis und auf dieses Urteil gelenkt zu haben, welches dazu angetan ist, das schon so tief erschütterte Zutrauen des Volkes zur deutschen Rechtspflege wiederum aufs Schwerste zu verletzen. Wer aber nicht schweigen wird, das sind die deutschen Frauen, die sofort zu einer einmütigen Protestversammlung gegen dieses Urteil, welches das ganze Geschlecht wieder in seiner vollen Rechtlosigkeit hinstellt, gerüstet haben. Frau Regina Ruben in Hamburg (s. Anm. S. 334) hat die Anregung zur Verfolgung der Sache gegeben, und sie hofft, sich von der gesamten Frauenbewegung, von der sozialdemokratischen bis zur gemäßigten und christlichen, unterstützt zu sehen. Der „Verband Fortschrittlicher Frauenvereine“ (s. Anm. S. 334) hat selbstverständlich seine tatkräftige Mitwirkung erklärt und über dieses Schwurgerichtsurteil soll am 1. Februar in Hamburg im Saal Sagebiel (s. Anm. S. 334) ein scharfes Volksurteil gesprochen werden.

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Das Altonaer Schwurgerichtsurteil Zu der in voriger Nummer kurz berichteten „Blankeneser Notzuchtsaffäre“ (s. Anm. S. 335) hatte der Staatsanwalt am letzten Fristtage Revision eingelegt. Ob dieser Entschluss eine Folge der durch Frau Ruben (s. Anm. S. 335) von ihm erbetenen Informationen war und ihrer Mitteilung, dass das Urteil in Frauenkreisen große Empörung hervorgerufen habe, ist natürlich nicht festzustellen; nahe liegend war die Vermutung. Aber die Erwartung, durch den Revisionsantrag eine erneute Beurteilung des Falles zu erlangen, wurde schnell getäuscht, indem der Staatsanwalt ebenso plötzlich die eingeleitete Revision wieder zurückzog. Die für den 1. Februar beabsichtigte, dann aber mit Rücksicht auf die Revision vertagte öffentliche Protestkundgebung in Hamburg wurde demnach wieder anberaumt und ist am 6. Februar unter außerordentlich großer Beteiligung vonstatten gegangen. Selten war wohl der Sagebielsche Saal (s. Anm. S. 335) von einer so großen und einer so erregten Menschenmenge bis auf den letzten Platz gefüllt wie an diesem Abend. Frau Ruben hatte die ganze bürgerliche, christliche und sozialdemokratische Frauenbewegung zur Beteiligung aufgerufen. Vertreten waren nur die Sozialdemokratie, der „Verband Fortschrittlicher Frauenvereine“ (s. Anm. S. 335), der „Deutsche Verband für Frauenstimmrecht“ (s. Anm. S. 335) durch Delegierte und der „Deutsche Zweig der I[nternationalen] A[bolitionistischen] Föderation“ (s. Anm. S. 335) durch Telegramm der Vorsitzenden. Sämtliche Vereine des „Verbandes Fortschrittlicher Frauenvereine“ und die meisten Föderationsvereine hatten außerdem noch besondere Entrüstungs- und Protesterklärungen gesandt, auch ein Telegramm von Frau Marie Stritt gab ihrer Empörung über den Fall Ausdruck, offiziell vertreten war bei dieser Gelegenheit weder der „Bund deutscher Frauenvereine“ (s. Anm. S. 335) noch speziell die gemäßigte Richtung; die Ortsgruppe Hamburg des „Allgemeinen Deutschen Frauenvereins“ (s. Anm. S. 335) hatte sogar in einem charakteristischen Schreiben, auf welches noch zurückzukommen sein wird, ausdrücklich die Beteiligung abgelehnt; die christlichen Vereine Hamburgs schwiegen. Der Verlauf der Versammlung war ein imponierender und würdiger, der selbst durch die oft zu stürmischer Erregung aufbrausende Beteiligung des Publikums nichts von diesem Charakter einbüßte. Die Referate, gehalten von Dr. Anita Augspurg und von Frau Helma Steinbach (s. Anm. S. 335), beschäftigten sich, obwohl s[einer]z[eit] der Staatsanwalt anheim gegeben hatte: „Entrüsten Sie sich über die sittlichen Zeitbilder des Falles, aber nicht über dessen juristische Seite“, sowohl mit der juristischen wie mit der sittlichen Beleuchtung desselben. Die Öffentlichkeit war bekanntlich bei der Schwurgerichtsverhandlung ausgeschlossen worden, die zugelassenen Vertreter

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der Presse waren auf Verschwiegenheit über alle Details verpflichtet: Das Gericht hätte allerdings bei einem so Aufsehen erregenden Spruche, dessen Unterlage dem Gerippe nach bekannt war, alle Ursache gehabt, durch möglichste Offenheit über die Motivierung des Urteils die Erregung zu dämpfen. Dass dieses vermieden wurde, gibt wiederum der Vermutung Nahrung, dass es sein Gewissen selbst nicht ganz frei fühlte. Frau Ruben hatte zur Orientierung also nur persönliche Interviews mit den beteiligten Zeugen, Ärzten, dem Staatsanwalt und dem Verteidiger der Angeklagten zur Verfügung. Von den letzteren beiden erfuhr sie, dass die Hauptmotive für den Freispruch waren: Das Mädchen war keine unbescholtene Person, und es hat sich nicht gesträubt. Die Untersuchung dieser Behauptungen durch Frau Ruben förderte allerdings Resultate, die für die Kritik der Frauenwelt das Urteil nicht begreiflicher, sondern noch weit empörender machen hinsichtlich seiner psychologischen Plumpheit und hinsichtlich des von seinen Autoren angelegten sittlichen Maßstabes. Die Bescholtenheit wollen die Richter aus folgenden Umständen erklären. Am Sonntag vor dem Attentat hat einer der vier Angeklagten, und zwar der als Wüstling berüchtigte derselben, vor dem die vergewaltigte Toni Ullrich große Angst und großen Widerwillen empfand, sich auf dem Heimwege von einem Blankeneser Vergnügungslokal an sie gemacht und sie zu verführen gesucht. Sie hat ihn von sich gewiesen und als sie, das junge unerfahrene Ding von kaum 15 Jahren, sich seiner nicht erwehren konnte, hat sie – was für eine wohlerzogene höhere Tochter gewiss als taktlos geschmacklos und unpassend gelten mag, für ein inmitten der verrufensten Stadtviertels von Hamburg aufgewachsenes Mädchen aus dem Volk aber ganz anders zu beurteilen ist – auf ihre Menstruation hingewiesen und sich dadurch von ihm befreit. Die Richter haben aus diesem Umstande die Toni Ullrich als ein schamloses Mädchen eingeschätzt. Sie können von jedem Volksschullehrer erfahren, wie ungeniert die Mädchen ihm Mitteilung von diesem natürlichen Zustand machen und wären verpflichtet, dieser volkstümlichen Auffassung Rechnung zu tragen. Am nächsten Donnerstag hat nun ein anderer aus dem sauberen Kollegium, mit dem sie aber ein Liebesverhältnis hatte und als dessen Braut sie sich betrachtete, nachdem er sie durch 2 Gläser sogenannten Sherry in willenlosen Zustand versetzt hatte, [sie] tatsächlich verführt. Gegen diesen Burschen wäre wegen Verführung eines noch im Schutzalter stehenden Mädchens Anklage zu erheben gewesen; dieselbe wurde durch Hinweis auf die vorhergegangene Nachstellung des ersten als zu Gunsten einer Bescholtenen erhoben (!) entkräftet. Die Folgerung des Gerichts ist also die, ein Rowdy, welcher einem unbescholtenen Mädchen nachstellt, macht es dadurch zu einem bescholtenen; ein derart bescholtenes Mädchen ist die freie Beute für jeden nächsten Rowdy, der es alsdann straffrei verführen oder vergewaltigen mag. Noch weiter erhellt [sich] die Voreingenommenheit des Gerichtshofes aus der Äußerung ei-

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ner offiziellen Persönlichkeit gegen Frau Ruben: „Das Mädchen ist ja aus Barmbeck“, als stände dadurch ihre unheilbare Verworfenheit unwiderruflich fest. Diesem Mädchen aus Barmbeck stellten nun aber Lehrer, Dienstherrschaft und entferntere Verwandte den besten Leumund aus: Es hat als Kind nicht gelogen, hat keine besonderen Unarten, geschweige denn Unsittlichkeit gezeigt, es ist ein heiteres, offenes Kind gewesen, und die Dienstherrschaft würde es auch nach seinem Unglück am liebsten im Dienst behalten haben, wenn seine ruinierte Gesundheit es nicht verböte. Trotzdem scheint dem objektiven Gerichtshof mit der Herkunft „aus Barmbeck“ notorische Bescholtenheit a priori vorliegend und der Schutz von § 176 [RStGB] u. a. scheint für alle in Barmbeck aufwachsenden Mädchen nicht gegeben sein zu sollen. Wahrhaft heillose Konsequenzen gehen aus dieser Argumentation hervor, Vorurteile und Nebenrücksichten sieht man hier zur Interpretation der Strafgesetze herangezogen, die deren objektiven Inhalt geradezu verhöhnt und die z. B. eine Prostituierte jeder Gewalttat, jeder Folter straffrei ausliefern. Nach Erhebung der Anklage haben, wie schon in voriger Nummer erwähnt, erwiesenermaßen die Angehörigen der Täter das Möglichste an Beeinflussung der Zeugen, besonders aber an Verdächtigung des Mädchens getan. Der Bruder eines Angeklagten hat das Mädchen durch Angebot einer glänzenden Wohnung in Hamburg und eines freudenreichen Lebens als seine Geliebte zu gewinnen gesucht, sie hat ihn aber abgewiesen. In gleicher Weise hat man sie in minder drastischer Weise den Vergnügungen in Blankenese, denen sie ja, wie schon in voriger Nummer erwähnt ist, früherhin geneigt gewesen war, zurückzugewinnen gesucht; ihre eigene Dienstherrschaft hat ihr übrigens zugeredet, um sie über ihre Verstörtheit hinwegzubringen, wieder unter Leute zu gehen. Ob mit größerem oder geringerem Erfolg kann hier nicht festgestellt werden, Frau Rubens Untersuchungen haben sich mit den Dingen nach dem Verbrechen nicht beschäftigt und nicht zu beschäftigen gehabt, denn sie durften für die Beurteilung der Tat nicht in Betracht kommen, ein Grundsatz, der freilich für das Gericht nicht maßgebend gewesen zu sein scheint. Die Schwester eines Angeklagten, ein junges Mädchen von kaum 20 Jahren, die mit einem Mute, der einer besseren Sache würdig gewesen wäre, vor der mehr als zweitausendköpfigen Versammlung ihren Bruder zu verteidigen strebte, suchte diesen Zweck in ihrer liebevollen Voreingenommenheit durch Verunglimpfung der Toni Ullrich zu erreichen, ausschließlich mit Behauptungen über deren seitheriges Verhalten. Was daran wahr, was der Schwester selbst etwa in dieser Hinsicht vorgetäuscht worden war, hat, wie gesagt, völlig ununtersucht zu bleiben, ein Wunder wäre es nicht einmal, wenn durch den schändlichen Überfall, durch alle sich daran knüpfenden Erfahrungen, wenn durch die erwähnten systematischen Verführungsversuche von verschiedenen Seiten und besonders durch die Brutalitäten der Gerichtsverfah-

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ren das sexuelle Empfinden in eine verhängnisvolle Richtung geleitet, Scheu und Scham abgestumpft wäre und ein widerstandsunfähiges Kind zu dem geworden wäre, was die Richter von vornherein von ihm annahmen. Es durfte aber das, was nach der Tat etwa vorgekommen ist, für die Beurteilung derselben durch die Richter nicht maßgebend sein, und es ist eine verantwortungsvolle Unterlassungssünde, wenn die Rechtsbelehrung des Vorsitzenden und das Plädoyer des Staatsanwaltes nicht alle Versuche der Verteidiger, durch Hinweise solcher Art die Urteilsfindung zu trüben, paralysierten. Auch die öffentliche Meinung hat sich mit diesem Köder teilweise fangen lassen. Die bürgerliche Presse hat sich, wie schon erwähnt, dieser Affäre gegenüber auffallend schweigsam verhalten und nachdem aus der Versammlung vom 6. d. M. heraus ihre Lauheit durch eine zur Annahme gebrachte Resolution: „Die Versammlung spricht der gesamten bürgerlichen Presse HamburgAltonas ihre Entrüstung aus, dass sie das Urteil des Altonaer Schwurgerichts so kritiklos hingenommen hat.“ getadelt wurde, ist sie sogar teilweise zur offenen Feindseligkeit gegen die Protestbewegung übergegangen und nimmt für das Schwurgericht Partei, indem auch sie den sittlichen Wert des Mädchens verdächtigt. Als wenn der Protest die subjektive Ehrenrettung dieser Toni Ullrich zum Gegenstand hätte, als ob es nicht vielmehr dem empörten Rechtsgefühl darum zu tun gewesen wäre, objektiv das verruchteste Bubenstück zu kennzeichnen als das, was es ist und was durch keinerlei persönliche Nebenerscheinungen um ein Haar weniger verworfen, widerwärtig und niedrig werden kann. Oder als ob der Protest etwas anderes bezweckt hätte, als öffentlich an den Pranger zu stellen, dass deutsche Geschworenengerichte die bestialischste, ihnen nach vollem Umfange bekannte Rohheit mit dem Freispruch belegen und dadurch die verkommensten Instinkte im Volk zur Nachahmung anreizen. Untersuchen wir nun den zweiten Vorwand, den das Gericht aufgebracht hat, um seinen Freispruch zu entschuldigen. Es behauptet, das Mädchen habe sich nicht gesträubt. Wie man die Stirn zu dieser Behauptung haben kann, angesichts der gerichtlich festgestellten Details, das versteht allerdings ein unbefangener Beurteiler nicht. Frau Ruben ist zur Kenntnis des Wortlautes der gerichtlichen Aussagen und der [sich] aus diesen erhellenden Vorgänge gelangt, und es ist verbürgt, dass während der erste Schurke das unglückliche Opfer vergewaltigte, dieses von seinen drei Komplizen festgehalten wurde. Wäre dieses Festhalten geschehen, wenn das Mädchen sich nicht gesträubt hätte? Auf diesen Hinweis Frau Rubens hatte der Verteidiger der Angeklagten die rohe Antwort: „Welches Mädchen sträubt sich denn nicht?“ Aber weiter, Toni Ullrich hat sich gegen diesen ersten Angreifer so kraftvoll gewehrt, dass er seine Genossen angerufen hat, sie fester zu halten, in Worten von so widerwärtiger Gemeinheit, dass die Wie-

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dergabe sich hier verbietet, 1 die Redaktion würde auch unfehlbar nach § 184 b des Strafgesetzbuchs wegen Abdrucks dieser Worte unter Anklage gestellt (s. Anm. S. 335) und womöglich mit sechs Monaten Gefängnis gestraft. Man mache sich hiernach ein Bild von unseren Justizzuständen und frage sich, ob man Respekt vor ihnen haben kann? Das „Hamburger Echo“ wird angeklagt und zweifelsohne verurteilt, weil es unter Veröffentlichung der Namen der Geschworenen deren Urteil kritisiert und als „Klassenurteil“ bezeichnet hat (s. Anm. S. 336), obgleich es ein Klassenurteil, wenn auch in anderem Sinne, als das „Echo“ meint, ist, nämlich ein Urteil der herrschenden Klasse Mann gegen die rechtlose Klasse Weib (s. Anm. S. 336). Die Redaktion dieses Blattes würde unter Anklage gestellt, wenn sie den gravierenden Ausspruch jenes Schurken mitteilte, aber dieser Bube selbst, der während der Ausübung seines Verbrechens jenen Ausspruch tat und durch diesen selbst den Beweis erbrachte, dass seine Tat im vollsten Sinne Notzucht war, gewaltsamste Notzucht, begangen an einem wehrlos gemachten und sich dennoch bis aufs Äußerste sträubenden Opfer, dieser Bube und diese Tat wird freigesprochen! Hut ab und tiefste Reverenz vor dieser Rechtspflege und vor allen, welche sich zu ihrem Ritter aufwerfen, das sind die Hamburger bürgerlichen Zeitungen und die Hamburger gemäßigten Frauenvereine. Aber weiter, die equilibristischen Interpretationskünste (s. Anm. S. 336) dieses Schwurgerichts nehmen noch höheren Flug. Die Toni Ullrich ist bei dem Attentat mit dem Oberkörper in so unhaltbarer Weise über den Schiffsrand gehängt oder gedrängt worden, dass sie aus rein anatomischen Gründen, aus Selbsterhaltungstrieb, um nicht das Kreuz zu brechen, aus dieser verzweifelten Stellung herausstreben musste, sie suchte sich instinktiv an irgendeinem Halt anzuklammern und diesen Halt bot lediglich der sie vergewaltigende Bursche. Daraus konstruiert das Gericht: Sie habe ihn umarmt. Hat sie sich zuerst nicht gesträubt, so hat sie jetzt durch die Umarmung ihre Zustimmung gegeben und der Freispruch bekommt eine gesunde Basis: Volenti non fit injuria (s. Anm. S. 336). Nach diesem Moment ist Toni Ullrich von einer Ohnmacht in die andere gefallen, die Burschen wollen dieses nicht bemerkt haben, einer derselben äußerte sogar, er wüsste nicht, was ihr dazu Anlass gegeben haben könnte. Über die Rohheit dieser Äußerung hat der Vorsitzende dem Betreffenden Vorhalt gemacht, damit aber scheint der Umstand für das Gericht erledigt gewesen zu sein: Wer ein Tier misshandelt, bis es bewusstlos zusammenbricht, erhält sicherlich 1

Wer ohne Kenntnis des Wortlautes Zweifel hegt, dass er für die Beurteilung des Falles wirklich so gravierend und ausschlaggebend ist, dem soll er selbstverständlich auf private Anfrage nicht vorenthalten werden.

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die wohlverdiente Strafe, aber einem Mädchen (oder einem Soldaten) gewährt unsere Justiz nicht den gleichen Rechtsschutz. Trotz dieses vom Richter, den Geschworenen und dem Staatsanwalt festgestellten Tatbestandes, zu welchem noch das erwiesene unheilbare Siechtum des Mädchens kommt, hat das Gericht die Schuldfrage verneint, die ihm in 26 Einzelfragen, appetitlich zerlegt, unterbreitet worden ist. Diese Einzelfragen müssen mit einem bewundernswerten Raffinement ausgeklügelt gewesen sein, um den Geschworenen den Eiertanz zu ermöglichen, der zur Verneinung der Notzucht, begangen an einem noch im Schutzalter befindlichen Mädchen, führte. Es verlautet, dass die Unterfrage, ob eventuell Körperverletzung mit dauerndem Siechtum vorliege, gar nicht gestellt worden sei. Wenn also der Staatsanwalt den fürsorglichen Rat gegeben hat, man möge sich nicht mit Kritik der juristischen Seite des Falles beschäftigen, so hat er zu dieser Anempfehlung sehr wenigUrsache, weil der Fall, gerade juristisch betrachtet, außerordentlich zur Kritik anregt. Denn abgesehen von der geringen Wahrung, welche § 176 und zwar in der Idealkonkurrenz seiner Ziffern 1, 2 und 3 (qualifizierte Notzucht) und § 224 (Körperverletzung mit Siechtum) gefunden hat, so ist auch noch hinsichtlich des vierten Angeklagten – der von Mitschuld an der Tat freigesprochen wurde, weil er angeblich aus Ekel an dem ganzen Vorgange nur noch vor seinen Genossen eine Vergewaltigung des ohnmächtigen Mädchens markiert, aber nicht ausgeführt habe – zu fragen, warum ist auf ihn nicht § 49 angewendet worden, da er als Gehilfe dem Täter zur Begehung des Verbrechens „durch Tat“ wissentlich Hilfe geleistet hat? Denn er war einer der drei, welche Toni Ullrich zuerst festhielten und vor allem ein Mitschuldiger bei dem Aushecken und In-SzeneSetzen des ganzen umsichtig vorbreiteten Komplotts, bei welchem anfangs nur zwei der Burschen mit Toni Ullrich verhandelten, ihr sogenannter Bräutigam und ein anderer, während die beiden übrigen sich ohne ihr Wissen in der Segeljacht versteckt hielten, bis das Fahrzeug mit der ins Garn gelockten Beute vor vollem Winde dahinfuhr. Ob ein Staatsanwalt wohl auch so interesselos für alle angrenzenden Paragraphen gewesen wäre, wenn es sich statt um ein Notzuchtsdelikt an einem armen kleinen Mädchen „aus Barmbeck“, um ein Press[e]- oder Majestätsvergehen gehandelt hätte? Man kann an dieser Stelle nicht alle die Symptome psychologischer Plumpheit oder gänzlicher Unfähigkeit der Geschworenen für ein Verständnis der Vorgänge mit Bezug auf das Mädchen zur Darstellung bringen, umso leichter haben sie sich in die Empfindungsweise der Angeklagten zu versetzen gewusst und haben Entschuldigung für sie gefunden. Entschuldigung dafür, dass vier bestialische Subjekte sich nach kalten Blutes getroffener Verabredung ein wehrloses Kind einfangen, um an ihm, fern von aller menschlichen Hilfe, alle vier nacheinander das widerwärtigste, gemeinste aller vorkommenden Verbrechen zu bege-

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hen. Notzucht eines Mannes gegen eine Frau, scheußlich und ekelerregend genug; die alten Germanen steinigten oder peitschten solches Scheusal aus ihrer Gemeinschaft heraus zum Tode; aber vier Scheusale, die sich über ein Opfer hermachen: Welches Adjektiv kennzeichnet die dazu erforderliche Verworfenheit der Gesinnung? Wer verlangt nicht Säuberung unserer sozialen Gemeinschaft von solchen Individuen? Aber unsere Geschworenen sprechen sie frei, belassen sie im Vollbesitz der bürgerlichen Ehre, so dass sie nach Erreichung des erforderlichen Alters selbst unsere Geschworenenbänke zieren, selbst wieder ähnliche Verbrechen freisprechen können mit der Motivierung: „Ha, das haben wir selber in unserer Jugend nicht anders gemacht.“ Respekt vor unseren Rechtszuständen, ehrfurchtsvollen Respekt! Oder Ekel, tiefinnersten Ekel, je nach Gesinnung. Die Hamburger Presse und die gemäßigten Frauenvereine von Hamburg fühlten sich zum Respekt und zur Verteidigung des Urteils gedrängt, letztere haben sich beeilt, durch offizielle und nichtoffizielle Erklärungen weitab zu rücken von den Frauen, die es für ihre Pflicht hielten, öffentlich Rechenschaft zu fordern für einen Gerichtspruch, nicht etwa weil er Toni Ullrich, sondern weil er die Gesamtheit der deutschen Frauen brandmarkt als rechtlos und vogelfrei. Darauf wird in nächster Nummer noch des näheren einzugehen sein. Die Stellungnahme der Hamburger Ortsgruppe des „Allgemeinen Deutschen Frauenvereines“ zu der Sache ist so auffallend, dass wir der mehrfachen Hindeutung auf dieselbe eine ausführlichere Darstellung folgen lassen müssen. Durch einstimmigen Vorstandsbeschluss hat die Ortsgruppe jede Beteiligung an der Protestversammlung abgelehnt und die Gründe für den Beschluss zugleich eingehend mitgeteilt. „Die Verhandlungen des Schwurgerichts fanden unter strengstem Ausschluss der Öffentlichkeit statt, so dass niemand über den Verlauf der Verhandlungen und die festgestellten Tatsachen genau orientiert sein kann“, ist in der Begründung gesagt, nichtsdestoweniger wird als weiterer Grund für die Nichtbeteiligung angegeben: „Wie uns von kompetenter Seite mitgeteilt wurde, hat das betreffende Mädchen im Laufe der Verhandlung gestanden, dass es mit zweien der Angeklagten schon früher geschlechtlich verkehrt habe.“ Die Ortsgruppe bestreitet also das Recht zum Protest, weil niemand über den Gang der gerichtlichen Verhandlungen orientiert sein könne, sie schöpft aber selbst die Motive zu ihrer Entscheidung aus den gerichtlichen Verhandlungen, die sie für unfixierbar erklärt und zwar nach Maßgabe „kompetenter“ Mittelungen, die als völlig falsch nachweisbar sind, denn Toni Ullrich ist nur von einem, ihrem vermeintlichen Bräutigam, verführt worden. Ebenso verlegt der „kompetente“ Gewährsmann der Ortsgruppe die Zeit der Tat von 9 auf 11 Uhr, zu der in Frage kommenden Jahreszeit, Frühherbst, ein großer Unterschied von Abenddämmerung zur Nacht. Ohne auch nur im Leisesten zu fragen, auf welche Informati-

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onsquellen sich der zu erhebende Protest gegen die Freisprechung der Tat gründen würde, nimmt die Ortsgruppe aufgrund der inkompetentesten, völlig falschen Information Partei für die Freisprechung vierfacher Notzucht. Der folgende Satz: „Es handelt sich also um kein unbescholtenes Mädchen, sondern um ein sittlich verdorbenes“, kennzeichnet ganz klar den Standpunkt der doppelten Moral, den Standpunkt der persönlichen Unterscheidung anstatt der sachlichen der Ortsgruppe. Über das Mädchen wird sofort der Stab gebrochen, die „Bescholtenheit“, die sittliche Verdorbenheit nicht nur, nein Verworfenheit der Täter kommt aber zur Beurteilung ihrer Tat für die Ortsgruppe so wenig in Betracht wie für die Geschworenen; die Ortsgruppe kennt nur die in Hamburg offizielle Herrenmoral, welche § 361, 6 [RStGB] als Schutzwall der öffentlichen Sittlichkeit hochhält (s. Anm. S. 336), die Prostituierte als Gegenstand allgemeiner Verachtung und als Beute der behördlich konzessionierten Bordellwirte preisgibt, den Prostituenten aber unter die anständigen Menschen zählt. Die Hamburger Ortsgruppe ergreift also offen die Partei der ausschweifendsten Männer, erklärt Notzucht in dieser scheußlichen Häufung für gerechtfertigt, weil deren Gegenstand ein „einmalig gefallenes Mädchen“ ist. – Die Hamburger Ortsgruppe hat dann eine Protestversammlung gegen die Prostversammlung veranstaltet; keine öffentliche, sondern eine ganz diskrete, im engsten Mitgliederkreise, vermutlich auch mit dem bei ihren Zusammenkünften üblichen Tee und Kuchen. Diese Protestversammlung musste dermaßen diskret bleiben, dass nicht einmal die radikalen Führerinnen von Hamburg, gegen welche Protest erhoben werden sollte, Zutritt erhalten konnten, geschweige denn eingeladen waren. In ihrer Abwesenheit wollte man das hochnotpeinliche Gericht über sie abhalten und als dieselben zuerst per Eilbrief und nach dessen Erfolglosigkeit in Person Zutritt und das Recht eines kontradiktorischen Verfahrens, wie es nach den Gesetzen der Loyalität allgemein üblich ist, beanspruchten, wurden sie von der Vorsitzenden Frl. Bonfort (s. Anm. S. 336) in Formen, die nicht gerade dem altbewährten Kniggeschen Werk entlehnt waren, zurückgewiesen. Die geheime Protestversammlung kann also nur an dieser Stelle zu dem ihr gebührenden öffentlichen Ruhme gelangen, es soll aber dabei auch nicht verschwiegen werden, dass in dem sachlichen Referat der Versammlung die Überzeugung des Altonaer Landgerichtsdirektors dahin bekannt gegeben worden ist, dass nach seiner Ansicht mindestens zwei der Angeklagten hätten verurteilt werden müssen. Eine Konstatierung, die ja wohl der Hamburger Ortsgruppe die Haltung ihres Vorstandes in das rechte Licht gerückt haben wird. Dass die Vertreterinnen der Ortsgruppe in der Hamburger Presse mehrere Erklärungen veröffentlicht haben, um jeglicher Gemeinschaft mit dem Vorgehen der radikalen Frauenbewegung abzuschwören, ist schon erwähnt, es wird ihr wohl gelungen sein, sich dadurch bei allen Elementen beliebt zu machen, die

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selbst die vermorschtesten Zustände einer öffentlichen Kritik derselben vorziehen, es gibt aber noch Kreise, die anders urteilen und von den amtlichen Hütern der Ordnung verlangen, dass vierfache Notzucht unvertuscht als das behandelt wird, was sie ist, als ein schwer zu sühnendes und durch keine Nebenrücksichten zu milderndes und zu verkleinerndes Verbrechen, vor dessen Ausübung die Prostituierte genauso streng geschützt werden muss wie die höhere Tochter. Wenn die Stellungnahme der Hamburger Ortsgruppe nicht zu billigen ist, so setzte sie doch nach früheren Proben ihres Geistes nicht in Erstaunen; letzteres aber ist von einem Teil der Hamburger Presse zu behaupten. Die Haltung der bürgerlichen Blätter in dieser Angelegenheit ist tatsächlich schwer zu begreifen, sie hat mit einer Einmütigkeit, die sonst ihren verschiedenen Parteirichtungen fremd ist, die Protestversammlung bekämpft und angefeindet, so dass man geradezu darauf gestoßen wird, nach den Motiven für solche einseitige Feindseligkeit zu forschen. Da bietet sich denn als äußerer Grund für eine empfindliche Verstimmung, die sich mit den zu Gebote stehenden Mitteln, d. h. durch nachteilige Berichte, zu revanchieren sucht, zunächst die zu Anfang des Artikels (in Nr. 4) abgedruckte Resolution (s. Anm. S. 336), welche der bürgerlichen Presse Unterlassungssünden in der Angelegenheit vorwirft. Die Presse ist eine sehr empfindliche Dame, wer sie näher kennt, musste mit dem Lautwerden jener Resolution und mit ihrer Annahme durch die Versammlung wissen, was von Seiten der Blätter darauf zu erwarten war; bedauerlich ist es trotzdem, dass diese Erwartungen sich tatsächlich erfüllten, dass die Presse wirklich zu der unleugbar mit Recht ihr vorgeworfenen Passivität nun noch den Mangel an Stolz und an sittlichem Verantwortungsgefühl häufte, die erste Pflichtverletzung durch eine zweite größere zu decken, resp[ektive] zu vergrößern. Wie man dabei redaktionell so widerspruchsvoll und unlogisch verfahren kann wie z. B. das „Fremdenblatt“ (s. Anm. S. 336) ist freilich unverständlich, welches in einem Leitartikel die ganze Schale seines Hasses, insbesondere gegen die erste Referentin, in persönlichen Invektiven ausströmen ließ und in einem unmittelbar nachfolgenden sachlichen Bericht des Inhalts ihrer Ausführungen sich quasi selbst desavouierte und sozusagen den Gegenbeweis gegen die voraufgegangenen Behauptungen antrat. Amüsant wie immer war die grenzenlose Wut der „Hamburger Nachrichten“ (s. Anm. S. 336): Nicht nur ein zornschnaubender Mensch, sondern auch eine zornschnaubende Zeitung gewährt einen possierlichen Anblick. Aber selbst die „Hamburger Nachrichten“ schreiten fort. Bei der Gründung des „Vereins für Frauenstimmrecht“ entglitten ihnen noch die empörten Worte, solche Frauen dürfe man nicht mehr frei umhergehen lassen, die müssten „an die Kette“ gelegt werden, jetzt haben sie sich an das furchtbare Verlangen schon soweit gewöhnt, dass sie erklären: „Solange sich die Damen drauf beschränkten, für Einführung des weiblichen Stimmrechts zu agitieren, mochte man sie achselzuckend gewäh-

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ren lassen“, wenn sie es aber wagen, an dem gerichtlichen Urteil ernster Männer öffentlich Kritik zu üben, dann usw. Vielleicht werden wir es auch noch erleben, dass die „Hamburger Nachrichten“ die Forderung weiblicher Geschworener ertragen lernen. Aber auch der inneren Erklärungsgründe für die befremdende Stellungnahme der Hamburger Blätter bietet sich eine ganze Reihe. Zuerst der Hass gegen die Sozialdemokratie, der sie alle eint. Der Umstand, dass von allen zur Tat aufgerufenen Frauen nur die sozialdemokratischen und die radikalen für Gerechtigkeit und Gesetzlichkeit auftraten, war leider bestimmend genug nicht nur für die reaktionären, sondern auch für die sogenannten Freisinnigen, die aber ihr Licht nach Belieben unter den Scheffel zu stellen vermögen, um das Verdikt „steinigt sie“ von vornherein gegen das Unternehmen zu schleudern, denn in der Versammlung hatte ja, dank der vorsichtigen Zurückhaltung der bürgerlichen Kreise, das sozialdemokratische Element vollständig den Vorrang. Soweit ist aber unsere liberale Presse in ihre Pflicht, Hüterin des Rechtes zu sein, noch nicht eingedrungen, dass sie lieber einmal Schulter an Schulter mit der Sozialdemokratie das objektive Recht verteidigte, anstatt wider bessere Erkenntnis einen Schleier über tiefe Schäden der bürgerlichen Rechtsordnung zu ziehen. Vielleicht war es auch das instinktive Streben, die verrotteten Hamburger sittlichen Zustände vor der grellen Beleuchtung zu schützen, die das ganze Vorkommnis wieder auf sie geworfen hat. Entspringt dieser Impuls dem Lokalpatriotismus, entspringt er einem gewissen Byzantinismus (s. Anm. S. 336) gegen die heimischen Behörden, deren Einrichtungen – die ja auch der lieben Männlichkeit ein wahres Dorado bedeuten – man nicht rau anfassen will, ja mit denen die Hamburger Presse sogar solidarisch verbunden ist, für deren Bestand sie die Mitverantwortung trägt. Denn ohne die Mitwirkung der Hamburger Presse, ohne deren stillschweigende Sanktion und ihr offenes Eintreten für die heimliche „Polizeitechnik“ wäre diese ganze faulige Atmosphäre, welche die Sittenzustände unserer Hansametropole (s. Anm. S. 336) charakterisiert und noch über ihre Grenzen hinaus einen weiten Umkreis infiziert, gar nicht möglich. Dass besprochene Verbrechen und das urteilende Gericht befand sich zwar auf ausländischem Gebiet, aber beide trugen den unverkennbaren Stempel hamburgischer Sittenkorruption an sich. Nur wer seit seinen frühen Knabenjahren Bordelleindrücke in sich aufgenommen hat, ist in so jugendlichem Alter eines derartigen Verbrechens in so roher, bestialischer Ausführung fähig, hat die Schamlosigkeit und findet die Genossenschaft zu solcher schmählicher Assoziation. Nur die lebenslange Bekanntschaft mit den verkommensten Äußerungen des Sexuallebens stumpft das Maß für dieselben in der Weise ab, dass man so leichtfertig darüber hinweg urteilt. Nur die stete Gewöhnung, in jedem weiblichen Wesen, dem man in Barmbeck, Blankenese usw. begegnet, von vornherein eine rechtlose Paria zu

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erblicken, außerhalb des Schutzes der Gesetze, freigegeben für jede Verletzung ihrer Rechtssphäre, kann es bewirken, dass Verbrecher und Richter, Presse und ein großer Teil des Publikums, leider vor allem der Frauen, sich begegnen in der Überzeugung, Notzucht an einer solchen ist erlaubt. Ich geben mich hinsichtlich unserer vaterländischen Sittenzustände keinen großen Illusionen hin, aber ich hoffe doch, es verantworten zu können, wenn ich sage, im ganzen Deutschen Reiche außerhalb der durch das Hamburger Bordellwesen verseuchten Sphäre wäre ein solches Urteil, eine solche Verteidigung desselben seitens der Presse und der Frauen unmöglich. Um nun diese voreingenommene Stellungnahme einigermaßen zu bemänteln und plausibel zu machen, hat ein Teil der Presse der ersten Referentin Aussprüche zur Last gelegt, die sie gar nicht getan hat, und diese ihr insinuierten Äußerungen verbreitet und angegriffen. Vor allem hat man ihr vorgeworfen, sie habe die Institution der Geschworenengerichte angefochten. Selbst der „Hamburger Generalanzeiger“, der sich im Allgemeinen objektiv und freisinnig zu halten pflegt, hat diesen Vorwurf übernommen, obwohl sein Vertreter erst nach beendigtem Referat in der Versammlung erschien. Diese Behauptung beruht aber vollkommen auf Unwahrheit, kein Wort gegen die Laiengerichte ist gefallen, lediglich ihr Ausbau und ihre Erweiterung ist verlangt worden, weibliche Geschworene bei Sexualverbrechen werden gefordert, damit wirklich gerechtes Maß durch das Urteil beider Geschlechter gefunden werden könne, was jetzt unter Berücksichtigung der menschlichen Subjektivität ausgeschlossen ist. Pflichtbewusstsein, ernste, möglichst objektive Prüfung jedes Falles ist gefordert worden von Geschworenen und darf gefordert werden, denn dieses aufsehenerregende Urteil regte wahrhaftig dazu an, solche Mahnung ergehen zu lassen. Darüber hinaus ist aber noch eine konkrete Forderung hinsichtlich der Zusammensetzung jedes Schwurgerichtes zu stellen. Der offenbare Mangel an psychologischem Verständnis, an der Fähigkeit, dem Empfindungsvermögen eines Mädchens und halben Kindes zu folgen, den dieser Gerichtshof bewiesen hat, lässt es als unerlässlich erscheinen, dass bei jeder Session die Auswahl der Geschworenen auch nach ihrer berufsmäßigen Beschäftigung mit materiellen oder geistigen Dingen Berücksichtigung finde. Unter den Geschworenen dieses Falles waren lauter Männer, die lediglich mit sehr realen Dingen zu tun haben: Maler, Baumeister, Kaufleute, Kaminkehrermeister usw. Es dürfte nicht anders sein, als dass auch solche, die den Regungen des Seelenlebens nachzuspüren gewohnt sind, Lehrer, Schriftsteller, Ärzte, möglichst in gleicher Zahl zugezogen würden, jedenfalls aber in jedem Gerichte vertreten sind, denn man kann ein sehr tüchtiger und ehrenhafter Geschäftsmann und doch ein schlechter Psychologe sein.

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Die Nachwirkung der Versammlung ist jedenfalls befriedigend gewesen, denn die Gemüter haben nicht umhin gekonnt, sich eingehend und verhältnismäßig lange mit dem Für und Wider der Sache zu beschäftigen und wenn in den Zeitungen noch wochenlang auf die schlimmsten Missstände in Hamburg und seinen Umgebungen hingewiesen ist, wenn Stimmen laut geworden sind, die Änderung und Abhilfe für vieles forderten, so ist dies alles das Verdienst dieser Versammlung, deren Veranstalterinnen dafür gern das Odium (s. Anm. S. 336) tragen, mit welchem der unbequemen Anzeige brandiger, sozialer Wunden stets gelohnt zu werden pflegt. Die in der Versammlung gestellten Forderungen, Sanierung der lokalen Zustände von Blankenese, weibliche Geschworene und Verteidiger, bildeten das Tagesgespräch in Hamburg und freiwillig erboten sich mehrere Rechtsanwälte, den Zivilanspruch der Toni Ullrich auf Entschädigung wegen ihrer dauernden Gesundheitsschädigung durchzuführen. Letzterer hat eine unvermutet schnelle Erfüllung gefunden durch Darbietung eines erheblichen Kapitals seitens der Familien der Angeklagten zur Befriedigung des Anspruches. Es liegt in diesem Umstande ein gewichtiges moralisches Zugeständnis, denn rechtlich wäre diese Leistung außerordentlich leicht zu umgehen gewesen: Das Urteil auf Zahlung einer Rente wäre ohne Zweifel ergangen, aber diese vier jungen Burschen ohne Besitz und Lebensstellung wären ja zur Leistung völlig unfähig gewesen, wenn nicht ihre Verwandten freiwillig dem Gerichtsverfahren vorgebeugt hätten, welches nochmals die Festestellung des ganzen Sachverhalts und zwar ohne Ausschluss der Öffentlichkeit zur Folge gehabt hätte. Die gleiche Erwägung mag auch maßgebend gewesen sein für alle In-Frage-Kommenden, den freundlichen Anregungen des „Hamburger Fremdenblattes“ nicht Folge zu geben, gegen die Erregerinnen dieses öffentlichen Ärgernisses für Hamburg und Umgebung strafrechtlich einzuschreiten. Die bösen radikalen Frauen sehen jedem solchen Verfahren mit Ruhe entgegen, gestützt auf die Fülle der Beweise, die zu ihrer Verfügung steht, und sollten sie zur Verantwortung gezogen werden für das Eintreten für Recht und Gerechtigkeit, das Pflicht und Gewissen ihnen befahl, so wissen sie, dass sie dadurch in die Gemeinschaft solcher versetzt werden, die nicht zu den Schlechtesten dieser Erde gehört haben.

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Anhang: Verhandlungen des Reichstages, 220. Sitzung am 22. November 1902, polizeiliche Missgriffe betreffend 1 Abgeordneter Dr. Heine (s. Anm. S. 337): – – – Jetzt will ich zu den anderen Sachen übergehen, mit denen sich die Presse mehr beschäftigt hat. Bekannt ist der Fall der Frau von Decker, die in Wiesbaden verhaftet worden ist, der ein Schutzmann im Unteroffizierston, indem er sie beim Arm packte, sagte: „Sie, kommen Sie mal mit!“ Nachher hat er sich herausgeredet und gesagt, er hätte die Frau für einen verkleideten Mann gehalten, eine Ausrede, die schon viel zu dumm ist, als dass einer sie glauben sollte. (Sehr gut!). Aber der Ruhm der Wiesbadener Polizei hat die Polizei in Weimar nicht schlafen lassen: Sie hat einige Wochen darauf genau dasselbe mit der bekannten Schriftstellerin und Juristin Dr. Anita Augspurg gemacht, weil, wie der Schutzmann behauptete, sie zu langsam ging und ein Reformkostüm trug. Nachher hat der Schutzmann es sich auch noch geleistet, eine lügenhafte Entschuldigung zu verbreiten, die mit seiner ersten Aussage in Widerspruch stand; und der Oberbürgermeister von Weimar hat es für angemessen gehalten, dieser Entschuldigung des Schutzmanns auch noch Verbreitung zu geben, indem er sie in die Presse brachte, vergessend, dass er selbst bereits den Beamten rektifiziert hatte. Kurz und gut, man hat in diesem Falle noch alles Mögliche getan, um den von einem Unterbeamten begangenen Missgriff erst recht zu einem systematisch erscheinenden Missgriff der oberen Behörde selbst zu machen. (Sehr wahr!). Ich will auf die Einzelheiten dieses Falles, die in der gesamten Presse so durchgetreten worden sind, hier nicht näher eingehen. Fräulein Augspurg hat eine Beschwerdeschrift verfasst und sich darüber eingehend ausgesprochen. Es ist kein Zweifel, dass auch dort eine ganz ungerechtfertigte, sinnlose Verhaftung vorgenommen worden ist und dass man nachher allerhand dummes Zeug angeführt hat, um dies zu beschönigen. Aber viel toller liegen die Fälle, die in den letzten Tagen bekannt geworden sind, zunächst der der Frau Rappaport in Altona (s. Anm. S. 337). Diese Frau – auch das ist durch viele Zeitungen gegangen – ist unter dem unbegründeten Verdacht eines begangenen Betruges – das Verfahren ist nachher eingestellt worden – zur Polizei sistiert worden. Dort hat man sie sofort wie eine Verbrecherin behandelt, hat sie sich entkleiden lassen, hat sie dabei auf die gröblichste, unanständigste Weise beleidigt und hat sie dann ins Krankenhaus zu geschlechtskranken Prostituierten gebracht, indem man behauptet hat, sie selbst wäre geschlechtskrank. Alle Vorstellungen ihres Arztes, dass die Frau kernge1

(s. Anm. S. 337)

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sund sei, alle Vorstellungen ihres Rechtsanwalts haben dabei nichts genützt. Die Frau hat, wenn ich mich nicht irre, 8 oder 9 Tage in jenem Krankenhause zubringen müssen (Hört! Hört!), ist während der Zeit nicht ein einziges Mal dem Richter vorgeführt worden, trotzdem ihr Rechtsanwalt es verlangt hat, und um die Sache voll zu machen, hat der Polizeiinspektor gesagt, dies Verfahren sei dort Vorschrift, kranke Personen würden in das Krankenhaus gebracht und dürften dem Richter nicht vorgeführt werden. (Hört! Hört!). Also gerade das Gegenteil von dem, was im Gesetz steht, ist nach der Meinung des Polizeiinspektors dort Sitte und Vorschrift. Das Ärgste ist, dass man die Eingabe des Rechtsanwalts dieser Frau, die am 2. August an das Polizeiamt gerichtet worden ist, erst am 13. August beantwortet hat. Ein anderer Fall, der dieses Gebiet nur halb berührt, aber doch genug, um ihn hier anzuführen, ist aus Kiel gemeldet worden und in den Zeitungen am 29. Oktober gebracht worden (s. Anm. S. 337). Hier war ein junges Mädchen arbeitenden Standes abends mit ihrer Mutter von einer Gesellschaft gekommen; sie war wohl etwas heiter gewesen und wurde sistiert wegen ruhestörenden Lärms, welches übrigens einem sehr leicht passieren kann, wenn man auf der Straße nur etwas lauter spricht. Ich kenne einen hoch angesehenen Professor und Geheimen Rat, dem dasselbe widerfahren ist, weil er mit einem Kollegen über eine wissenschaftliche Streitfrage etwas lebhafter disputierte. Kurz, dieses junge Mädchen wurde sistiert und am nächsten Morgen entlassen; einige Tage darauf aber erhielt sie die Nachricht, dass sie unter sittenpolizeiliche Aufsicht gestellt worden sei und sofort eine von der Sittenpolizei genehmigte Wohnung zu nehmen habe. In Kiel bestehen bekanntlich amtlich keine Bordelle, aber von der Sittenpolizei genehmigte Quartiere und in ein solches sollte das Mädchen hineinziehen. Nun hat sie, was leider die meisten in diesem Falle tun, die große Torheit begangen, hiergegen nicht das Verwaltungsstreitverfahren anzurufen, sondern hat sich nach außerhalb begeben, dort einen Dienst angenommen und die Sache damit für erledigt gehalten. Aber das Mädchen hatte sich geirrt. Die Polizei in Kiel glaubte, sie könnte diesen Fall nicht auf sich beruhen lassen und müsste ihre Blamage bis aufs Äußerste treiben: Das Mädchen wurde auf Verlangen der Kieler Polizei in ihrem Dienst in Elmshorn verhaftet, nach Kiel gebracht, wie eine Prostituierte behandelt, untersucht, in das städtische Krankenhaus zur Beobachtung gebracht, wo sich keine Krankheit herausstellte, wurde dann in Untersuchungshaft genommen und wurde nachher natürlich freigesprochen, denn es lag nicht die geringste strafbare Handlung vor, es lag auch nicht das Geringste vor, das dafür sprach, dass das Mädchen jemals gewerbsmäßige Unzucht getrieben hätte. Der Amtsrichter von Opell, der dem Schöffengericht vorgesessen hat, hat nach den Berichten erklärt, dieses Vorgehen der Sittenpolizei wäre „geradezu unerhört und skandalös“. Das ist sehr gut gesprochen von

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diesem Amtsrichter; aber ich möchte bemerken, dass das Mädchen nicht bis zu dem Tage der Hauptverhandlung in Haft hätte bleiben können, wenn nicht er oder einer seiner Kollegen einen gerichtlichen Haftbefehl gegen sie erlassen hätte; also die Justiz hat einen reichlichen Anteil an diesem „unerhörten und skandalösen“ Vorgehen. Abgeordneter Dr. Oertel (s. Anm. S. 337): – – – Was die beiden Frauenrechtlerinnenfälle anlangt, die Fälle der Frau v[on] Decker in Wiesbaden und des Fräulein Dr. jur. Anita Augspurg (s. Anm. S. 337) zu Weimar, der Goethestadt, so bin ich bei aller mir angeborenen Galanterie (Heiterkeit) nicht in der Lage, ihnen die große Bedeutung beizulegen, die ihnen von dem Herrn Abgeordneten Heine beigemessen worden ist. (Sehr richtig! rechts). Es ist ja tief bedauerlich, dass auch hier Missgriffe vorgekommen sind; die betreffenden Polizeibeamten glaubten, aus dem eigentümlichen Äußer[e]n der betreffenden Frauen darauf schließen zu können, dass sie es mit einem verkleideten Mann zu tun hatten. Da sich das als nicht wahr herausstellte, haben sie nach dem Sprachgebrauch allerdings einen Missgriff begangen, für den ich allerdings persönlich bereit bin, einige mildernde Umstände walten zu lassen. Man mag ja über die sogenannte Reformkleidung vom ästhetischen Standpunkte denken, wie man will – ich persönlich gehöre nicht zu den Verehrern dieser neuen männlich-weiblichen Reformbekleidung. Das kommt aber hier nicht in Betracht. Sicher laufen die Damen, die sich ihrer in der ausgeprägten Form, wie es jene beiden geehrten Damen getan haben, bedienen, die Gefahr, als verkleidete Männer gewürdigt und vielleicht auch entsprechend behandelt zu werden. Mit dieser Gefahr müssen sie rechnen, und deshalb ist es ihnen aus warmem, gutem, frauenfreundlichem Herzen zu empfehlen, diese Gefahr, soweit es an ihnen liegt, nach Möglichkeit zu vermeiden. (Heiterkeit). Nun ist es aber ein Missgriff gewesen, dass Fräulein Dr. jur. Anita Augspurg von einem Schutzmann gestellt und gefragt wurde. Dass sie aber vor das Forum der oberen Polizeibehörde geschleppt wurde, war kein eigentlicher Missgriff, sondern das entsprach, wenn ich recht berichtet bin – und ich habe sowohl die amtliche Erklärung des Herrn Oberbürgermeisters von Weimar als auch die Gegenerklärung des Fräuleins Dr. jur. Anita Augspurg gelesen –, lediglich einem Wunsche des genannten hochverehrten Fräuleins. (Heiterkeit). Sie hat ja zugegeben, dass sie dem betreffenden höheren Polizeibeamten gesagt hat, eigentlich habe sie zuletzt den Schutzmann vorgeführt und nicht der Schutzmann sie. Aus diesen und anderen Worten, die in ihrem Wortlaut vielleicht nicht ganz feststehen, konnte man schließen, es sei ihr nicht unangenehm, wenn sie zu dem Falle Wiesbaden, der eine andere Dame so berühmt gemacht hatte, noch einen „Fall Weimar“ hinzufügen könnte, der sie annähernd ebenso berühmt machen könnte. (Heiterkeit). Aber wir können uns über diesen Fall hier nicht näher aussprechen;

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er steht noch nicht ganz fest. Wir werden ja noch Gelegenheit haben, diese Feststellung an zuständiger Stell vorzunehmen; denn Fräulein Anita Augspurg hat ja der Presse, die sich mit ihrem Falle beschäftigt hat, in freundliche Aussicht gestellt, sie werde sie vor den Kadi schleppen. Die deutsche Presse wird also vorsaussichtlich wiederum das Schauspiel erleben, das sie bei dem Margarinefabrikanten Mohr seiner Zeit erlebt hat; es wird eine große Massenklage erfolgen, und dann wird vor dem Gericht festgestellt werden, inwiefern der Fall Augspurg lediglich ein „Fall“ oder ein „Missgriff“ war. (Heiterkeit). Doch das möge über diesen Fall genügen. Ich muss aber doch ein Wort der Kritik an Herrn Heine richten. Die Verhaftung mag ungerechtfertigt gewesen sein, von einer „sinnlosen“ Verhaftung zu reden, dazu würde ich nicht den Mut haben. Er mag an der amtlichen Erklärung des Herrn Oberbürgermeisters von Weimar manches auszusetzen haben – das gebe ich ihm zu; aber ich würde doch nicht den Mut haben, von diesen amtlichen Erklärungen als von „allerhand dummem Zeug“ zu reden. Das ist der Ton und die Art der Kritik, die es uns eben so schwer macht, selbst sachlich gerechtfertigten Beschwerden von dieser Seite mit voller Unbefangenheit näher zu treten. (Sehr gut! rechts). Meine Herren, den Fall der Frau Rappaport in Altona-Hamburg gebe ich ohne weiteres preis. Ich muss gestehen, ich mache kein Hehl daraus: Als ich die Press[e]berichte las, war ich empört; und als ich nachher erfuhr, dass nur in unwesentlichen Kleinigkeiten an diesen Berichten etwas richtig gestellt werden konnte, war ich verwundert. Es muss dafür Sorge getragen werden, dass derartig wirklich empörende Vorgänge sich nicht wiederholen. – – – Abgeordneter Bebel (s. Anm. S. 337): – – – Nun ist heute hier auch der Fall des Fräulein Dr. Anita Augspurg zur Sprache gebracht worden. Speziell ist es Herr Dr. Oertel gewesen, der sich über denselben verbreitet hat. Wir waren auf dieser Seite überzeugt, dass der Herr Abgeordnete Dr. Oertel den Fall zur Sprache bringen würde, weil wir beobachteten, dass der weimarische Vertreter im Bundesrat, Herr Dr. Paulssen, sich sehr angelegentlich mit Herrn Dr. Oertel unterhielt, und wir wussten, dass Herr Dr. Oertel auf der Rednerliste stand. (Sehr gut! bei den Sozialdemokraten). Was also Herr Dr. Paulssen selbst als Bundesvertreter nicht übernehmen wollte, die Rechtfertigung des Vorgehens gegen Fräulein Dr. Anita Augspurg, dazu hat Herr Dr. Oertel die Hand gegeben. Nun hat Herr Kollege Oertel auch geglaubt, wegen einiger Äußerungen meines Parteigenossen Heine diesem eine Vorlesung über gutes Betragen halten zu müssen. Ja, Herr Kollege Dr. Oertel, wenn man solche Vorlesungen glaubt halten zu müssen, dann sollte man sich nicht des gleichen Vergehens schuldig machen, dessen man einen anderen, wie ich behaupte, in diesem Falle mit Unrecht, beschuldigt. (Sehr richtig! links). Denn was hat der Herr Kollege Oertel mit Rücksicht auf den Fall des Fräulein Anita Augspurg geäußert? Er sagte: „Fräu-

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lein Dr. Anita Augspurg, von dem Schutzmann gestellt, antwortete –“. Von dem Schutzmann gestellt! So wie Hunde etwa ein Wild stellen (Heiterkeit), wird Fräulein Anita Augspurg von dem Weimarer Schutzmann gestellt! (Zuruf ) – Ich habe wörtlich zitiert; wir haben es alle mitangehört, dort sitzt Herr Dr. Oertel, er kann sich ja selbst verteidigen, überlassen Sie ihm doch seine Verteidigung! – Ich muss erklären, dass das ein Ton war, der aufs Schärfste verurteilt zu werden verdient (Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten). Ich meine auch, dass es in diesem Falle angebrachter gewesen wäre, dass der Vertreter der angegriffenen Behörde hier das Wort genommen hätte, das heißt, wenn der Vertreter für Weimar im Bundesrat die Verteidigung der Handlungsweise der Weimarer Polizeibehörde übernommen hätte und nicht ein Abgeordneter, der den Dingen fern steht. Ich muss auch energisch protestieren gegen die Anschauung, die von den Herren der Rechten mit einer gewissen Heiterkeit aufgenommen wurde, dass die eigenartige Kleidung der Frauen Veranlassung zu ihrer Verhaftung gegeben habe, sowohl in Weimar wie in Wiesbaden. Ja, meine Herren, warum denn nun gerade das eigentümliche Aussehen der Kleidung der Frauen? Es gibt doch auch eine große Zahl von Männern, die sich sehr eigentümlich kleiden und sehr eigentümlich aussehen. (Heiterkeit und: Sehr richtig! links). Ich erinnere nur an unsere Gigerls, die in einem Zustande einherlaufen, dass ich sie oft im Verdacht habe, Handlungen zu begehen, die mit gewissen Bestimmungen des Strafgesetzbuches in Konflikt stehen. (Sehr gut! links). Da könnte ja die Polizei auch auf das äußere Ansehen hin sofort zur Verhaftung schreiten. Das tut sie aber klugerweise nicht, denn da würde man äußerst entrüstet sein. Aber wenn eine Dame, sagen wir mal aus persönlicher Liebhaberei, sich auffallend trägt, dann soll darin ein berechtigter Grund vorhanden sein, dass die Polizei eine solche Dame mir nichts dir nichts verhaftet. Das zeigt auch wieder den eigentümlichen Standpunkt, welchen die Herren von den Rechten einnehmen. Man behandelt die Vorgänge von einem ganz verschiedenen Standpunkte, je nachdem [ob] es sich um eine Person männlichen oder weiblichen Geschlechts handelt. Nun ist die Darstellung, wie sie Herr Kollege Oertel über den Fall gegeben hat, auch unrichtig. Ich habe hier die Erklärung des Fräulein Dr. Anita Augspurg, die sie am 7. November d. J. in der „Frankfurter Zeitung“ veröffentlicht hat (s. Anm. S. 337). Darin erklärt die Dame in Bezug auf die Veröffentlichung der Weimarer Polizei: „Das sind ebenso viele Unwahrheiten wie Behauptungen. Ich bin nicht um ½ 8 Uhr angekommen, sondern um 5:26 Uhr. Auch habe ich mir nicht, wie der Schutzmann behauptet, auf der Bahn durch die Haare gefahren und dadurch die Aufmerksamkeit desselben auf mich gelenkt.“ Sie erzählt, sie sei auf den Perron gekommen, in jeder Hand einen kleinen Koffer, und habe gar nicht die Möglichkeit gehabt, sich erst durch die Haare

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zu fahren und dadurch die Aufmerksamkeit des Polizisten auf sich zu lenken, ganz abgesehen davon, dass es den Polizisten gar nichts angeht, was sie für eine Handbewegung macht. (Sehr richtig! links). Es ist ferner auch nicht wahr, dass sie nach der Stadt gegangen sei, sondern sie sagt: „Ich bin zu dem Portier eines der ersten Hotels, der vor dem Bahnhof stand, gegangen und habe ihm das Gepäck gegeben und bin in den Hotelwagen eingestiegen.“ Sie sei dann erst nach ein und einer halben Stunde nach dem Bahnhof zurückgegangen. Nun steht fest, dass der Schutzmann eine geraume Zeit hinter ihr drein gegangen ist und sie verfolgt hat, obgleich die Dame ihm keine Veranlassung dazu gegeben hatte. Erst als ihr dieses auffällt, wendet sie sich zu dem Schutzmann und fragt ihn, was er wolle, worauf der Schutzmann ihren Namen verlangt. Sie macht ihn – das war ihr gutes Recht – darauf aufmerksam, dass sein Vorgehen für ihn sehr unangenehme Folgen haben könne. Warum soll sie das nicht dürfen? Zum Teufel, wenn ein Schutzmann auf offener Straße mich zur Verantwortung zieht wegen etwas, was ich nicht getan habe, und die Miene annimmt, mich zu verhaften, dann habe ich das Recht zu sagen: Lassen Sie das bleiben, lassen Sie mich in Ruhe! Und mancher von Ihnen würde vielleicht sagen: Wenn Sie nicht machen, dass Sie fortkommen, dann schlage ich Ihnen hinter die Ohren. (Sehr richtig! links). Kurz, meine Herren, in der Erklärung widerlegt die Dame Punkt für Punkt die Ausführungen der Weimarer Behörden. Das Ende war ja auch, dass die Weimarer Polizeibehörde den Schutzmann zur Verantwortung gezogen hat und dass sie der Dame ein Entschuldigungsschreiben schickte, womit sie selbst anerkannt hat, dass die Art, wie der Schutzmann der Dame gegenüber vorgegangen ist, eine ungehörige war – – – (Lebhafter Beifall links). Präsident (s. Anm. S. 338): Das Wort hat der Herr Bevollmächtigte zum Bundesrat, Großherzoglich sächsischer Geheime Legationsrat Dr. Paulssen. Dr. Paulssen, Geheimer Legationsrat, stellvertretender Bevollmächtigter zum Bundesrat für das Großherzogtum Sachsen-Weimar (s. Anm. S. 338): Meine Herren, ich habe zu dem Falle Augspurg bisher aus dem Grunde das Wort nicht ergriffen, weil der Herr Interpellant diesen Fall nur ganz nebensächlich gestreift hatte und ich der Meinung war, dass dieser Fall eigentlich seinem Charakter nach sich nicht dazu eigne, derartig in den Vordergrund der Diskussion gestellt zu werden wie jene anderen viel schwerer wiegenden Fälle, die sonst zur Sprache gebracht worden sind. Nachdem aber jetzt der Herr Abgeordnete Bebel mich darauf direkt apostrophiert hat und der Meinung gewesen ist, ich hätte aus dem Grunde das Wort nicht ergriffen, weil ich ohne weiteres alle Angriffe, die wegen jenes Vorfalles gegen die weimarische Polizei in der Presse vorgebacht worden sind, als unbegründet anerkennen müsse, so muss ich mit einigen Worten auf die Sache eingehen.

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Ich stehe in keiner Weise an, Ihnen zu erklären, dass ein bedauerlicher Missgriff der Polizei darin lag, dass der Schutzmann Fräulein Augspurg auf der Straße angehalten und an sie eine Anzahl Fragen in Bezug auf ihre Personalien gestellt hat. Aber was dann weiter vorgekommen ist, das ist in mancher Hinsicht noch nicht vollständig geklärt. Wenn die Herren aber aufgrund des ungeklärten Materials, was wir bis heute haben, hier die Sache zur Sprache bringen, so kann ich mich auch nur auf den Standpunkt stellen, der mir aus den mir vorliegenden Akten sich dargeboten hat. Nach diesen aktlichen Erörterungen, bei welchen eingehende Vernehmungen der Schutzleute stattgefunden haben unter dem besonderen Hinweise darauf, dass sie verpflichtet wären, in jedem Punkte die reine Wahrheit zu sagen, liegt die Sache allerdings von dem Moment an, nachdem Fräulein Augspurg von dem Schutzmann angehalten [worden] war, anders. Von dem Moment an, glaube ich, beginnt das freiwillige Martyrium des Fräulein Augspurg. Wenn der Herr Abgeordnete Bebel dazulegen versucht hat, dass die Schutzleute die Unwahrheit gesagt haben, so kann ich ihm hierin durchaus nicht recht geben. Es sind da eine Anzahl Einzelheiten in der Beschwerdeschrift des Fräulein Augspurg vorgebracht, die wirklich ganz auf Nebensächlichkeiten beruhen. Wenn Fräulein Augspurg einerseits gesagt hat, sie wäre mit dem Zuge 5:16 Uhr angekommen und nicht um ¾ 7, so hat sie doch an anderer Stelle ihrer Beschwerdeschrift zugestanden, dass sie allerdings zwar um 5:16 Uhr angekommen, später aber, um 7 Uhr, noch einmal an den Bahnhof gegangen wäre. Bei diesem zweiten Gange nach dem Bahnhof ist die Begegnung mit dem Schutzmann erfolgt, bei dieser Gelegenheit hat sie auch die Koffer nicht getragen, bei dieser Gelegenheit ist sie angehalten worden. Aber Sie sehen, meine Herren, auf welche Kleinigkeiten wir bei diesen Untersuchungen kommen. Wir wollen doch durch die Erörterung dieser Kleinigkeiten die Sache selbst nicht abschwächen. Ich gebe Ihnen vollständig zu, dass ein Missverständnis vorliegt, und dieses Zugeständnis ist auch in ausgiebiger Weise von der Polizeiverwaltung in Weimar erfolgt, und zwar nicht erst nach Abschluss der Untersuchung, sondern alsbald nach dem Vorkommnis. Ich kann Ihnen das Entschuldigungsschreiben, das der Oberbürgermeister an das Fräulein Augspurg erlassen hat, vorlesen; es ist ganz interessant und beleuchtet zugleich die ganze Sachlage. Es lautet: „Sie haben am 25. d. M. Beschwerde geführt über einen Schutzmann, der Sie auf der Straße angehalten und Ihre Person festzustellen versucht und, weil Sie das auf der Straße abgelehnt, Sie auch Ihrem Wunsche entsprechend zur Polizeiwache begleitet hat. Der Schutzmann vermutete in Ihnen eine andere Person als die, welche der Augenschein bot. Bei gewissenhafterer und umsichtigerer Prüfung derjenigen Gründe, welche für ihn bestimmend waren, hätte er zu dieser „Vermutung“ nicht kommen können; er hat unvorsichtig gehandelt.

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Aus diesem Grunde spreche ich Ihnen mein lebhaftes Bedauern über das Vorkommnis aus und habe den betreffenden Schutzmann entsprechend rektifiziert.“ Es findet sich im Anschluss an das Konzept dieses Schreibens der Beschluss: „Eingehende Instruktion des Schutzmanns Haldrich und der gesamten Schutzmannschaft“, und es findet sich weiter eine amtliche Niederschrift, dass die Instruktion stattgefunden hat. Also meine Herren, die Rechtfertigung und die Entschuldigung ist in ausgiebiger Weise in diesem Falle erfolgt, und ich glaube, damit könnte man den Fall Augspurg recht gut ad acta legen. (Sehr richtig! rechts). Präsident: Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Müller (Meiningen). Dr. Müller (Meiningen), Abgeordneter (s. Anm. S. 338): Meine Herren, es ist ja nicht gerade angenehm und dankbar, zu so später Stunde noch ein Thema zu erörtern, das nach der offenbaren Anschauung der Mehrheit des Hauses bereits erschöpfend behandelt ist. Aber der letzte Zwischenfall zwingt mich doch zu einer Richtigstellung. Meine Herren, man hätte auf den Fall Dr. Anita Augspurg ein derartiges Gewicht überhaupt nicht gelegt, wenn er nicht bis zu einem gewissen Grade typisch wäre, typisch (Sehr richtig! links), wenn es nicht geradezu eine Art Sport der deutschen Polizei geworden wäre, in letzter Zeit ganz unbescholtene Frauen, welche zum Teil den besten Gesellschaftsständen angehören, einfach zu verhaften (Sehr richtig! links), sie zur Polizei zu schleppen, sie dort als Dirnen zu behandeln und sie dann teilweise ohne oder mit ungenügender Entschuldigung zu entlassen. Dagegen musste hier unter allen Umständen Front gemacht werden. (Sehr richtig! links). Auch in dem Falle Augspurg handelt es sich um einen derartigen Fall, der bloß durch das resolute Auftreten der betreffenden Dame selbst nicht weiter ging, nicht so weit wie in anderen Fällen, die heute nur zum Teile erwähnt wurden. Nur deshalb ist der Fall auch von dem Standpunkt der Regierungsvertretung aus vielleicht ein unbedeutender geblieben. Dafür kann aber, wie gesagt, die Polizeibehörde nichts. Wir müssen davon ausgehen, dass es vor allem die gesetzliche Handhabe ist, der berüchtigte § 361 Ziffer 6, von dem heute noch fast mit keinem Wort gesprochen worden ist, der eine derartige schändliche Behandlung der deutschen Frauenwelt zulässt, und wir müssen gerade heute die Gelegenheit ergreifen, auch an den Herrn Staatssekretär des ReichsJustizsamts die Bitte zu richten, dass die Herren in Erwägung darüber eintreten, ob nicht dieser Paragraph, der eine solche Behandlung der deutschen Frauenwelt zulässt, endlich beseitig oder wenigstens verbessert werde. Meine Herren, es ist keine Übertreibung, was eine Dame in einer Versammlung in Hamburg ausrief, dass durch diesen Paragraphen und durch die Praxis, welche die deutschen Polizeibehörden auf ihn aufgebaut haben, die deutsche Frau für vogel-

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frei gegenüber der Polizei erklärt ist. (Sehr richtig! links). Was Fräulein Augspurg passierte, kann tagtäglich jeder Frau passieren. Deshalb wird hier die Sache jedes einzelnen, der eine Frau und Tochter besitzt, verhandelt. Meine Herren, darin liegt die große prinzipielle Bedeutung der ganzen Frage. (Sehr richtig!). Nun muss ich mich mit einigen wenigen Worten mit dem Fall des Fräulein Dr. Anita Augspurg selbst beschäftigen. Meine Herren, Sie können sich erinnern, dass ich heute vor acht Tagen noch mich ganz zurückhaltend über die Sache äußerte und erwähnte, die Sache sei noch nicht hinreichend aufgeklärt. Ich hatte damals die ihrem ganzen Charakter nach mir sehr glaubwürdig erscheinende Dame über die Sache noch nicht persönlich vernommen. Nachdem sie mir nun aber in der allerglaubwürdigsten Weise – sie hat das auch in der Öffentlichkeit in einem Artikel der Wiener „Zeit“ getan – die ganze Sache erörtert und klargestellt hat, ist es meiner Anschauung nach auch meine Pflicht, die hämischen und bissigen Bemerkungen, die in einem großen Teil der Presse erschienen und die auch heute in diesem Hause teilweise wiederholt worden sind, zurückzuweisen. (Sehr richtig! links). Meine Herren, der Herr Kollega (s. Anm. S. 338) Dr. Oertel hat die beiden Fälle der Frau von Decker und des Fräulein Dr. Anita Augspurg, wie es eben auch der Herr Vertreter von Sachsen-Weimar getan hat, als höchst unbedeutend bezeichnet. Ja, unbedeutend sind sie, in dem Sinne, wie ich eben gesagt habe, dass ein großer direkter Schaden den Damen nicht erwachsen ist; aber ein großer indirekter idealer Schaden ist tatsächlich erwachsen und wird immer größer werden, dass nämlich durch eine derartige Polizeipraxis Deutschland tatsächlich das Gespött der gesitteten Welt werden muss (Sehr richtig! links), wenn derartige Dinge vorkommen, wie sie in einer Reihe sehr krasser, noch nicht erwähnter Fälle, auf die ich noch, wenn die Zeit reichen würde, gern eingehen würde, vorgekommen sind. Es ist ja richtig, was der Herr Kollega Oertel andeutete, dass Frau v[on] Decker die große Unvorsichtigkeit begangen hat, eine sogenannte Titusfrisur und weiter ein Reformkleid zu tragen. (Heiterkeit). Aber etwas ganz anderes soll nach der Presse entscheiden für die schmähliche Behandlung, die die Dame in Wiesbaden erlitten hat: Sie ist nach den Aussagen der Polizei zu langsam gegangen und hat männlich ausgesehen. (Hört! Hört! links). Im Weimaraner Fall ist es gerade umgekehrt. Ich kann schon jetzt darauf verweisen, dass Fräulein Dr. Anita Augspurg vor allem auch deshalb von der Polizei aufgegriffen worden ist, weil sie zu rasch, zu männlich der Bahn zu ging und dadurch den Verdacht des Schutzmanns erregte. Der Herr Kollega Dr. Oertel hat ausgeführt, dass er ein sehr frauenfreundliches Herz besitze; er hat es aber trotzdem für taktvoll gehalten, durch die Art und Weise, wie er hier diesen Fall zur Erörterung gebracht

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hat, die Dame vor dem ganzen Lande zu verhöhnen. (Sehr richtig! links). Ich kann einen anderen Ausdruck nicht gebrauchen. Von diesem Standpunkt aus, muss ich doch sagen, hat der Herr Kollega Dr. Oertel am allerwenigsten das Recht gehabt, hier dem Kollegen Heine eine Vorlesung über guten Anstand und Takt zu halten. Er hätte es dann selbst unterlassen sollen, in einer derartigen Weise gegen eine Dame vorzugehen, die sich hier nicht selbst helfen und hier ihre Verteidigung nicht selbst führen kann, so dass ein anderes Mitglied des Hauses geradezu gezwungen ist, dieselbe für sie zu führen. Nun, meine Herren, hat der Herr Kollega Oertel das Hauptgewicht darauf gelegt, dass die „ausgeprägtere Form der Kleidung“ es gewesen sei, welche die Verhaftung des Fräulein Dr. Anita Augspurg herbeigeführt habe. Nun frage ich den Herrn Kollegen Dr. Oertel: Woher weiß er das überhaupt? (Sehr richtig! links). Ich kann dem Herrn Kollegen Dr. Oertel sagen, dass alles, was in der Presse darüber gestanden ist, nach der glaubwürdigen persönlichen Information seitens der Dame einfach aus den Fingern gesogen war. (Sehr richtig! links). Die Dame war gekleidet wie jede andere anständige Dame auch; sie hat weder ein Reformkleid noch einen Männerhut getragen. Alles, was in spöttischer Weise über die Dame in dieser Richtung geleitartikelt worden ist, ist einfach Unsinn. Das hier festzustellen ist, glaube ich, meine Pflicht. (Sehr richtig! links). Aber, meine Herren, das Hauptverbrechen der Dame war, wie gesagt, anscheinend das, dass sie zu männlich aussah und zu rasch ging. Für ihr Aussehen kann sie nichts. Das Gehen war auffällig, umso mehr, als sie, da sie zum ersten Mal an der Bahn war, noch die Unvorsichtigkeit begangen hatte, den Hut etwas zu lüften, um die Gummischnur zu erleichtern, die sie am Hute hatte. Das war das Verdächtige, das die Dame beging, weshalb sie dann von dem Schutzmann festgenommen [worden] ist. Nun hat die Presse das Hauptgewicht darauf gelegt, dass Fräulein Dr. Anita Augspurg die Verhaftung provoziert habe, und meiner Anschauung nach ist das überhaupt die Hauptsache bei dem ganzen Fall. Auch das ist nach den Behauptungen der Dame, die mir weit glaubwürdiger sind als die eines Schutzmanns, vollständig unrichtig. Wie war denn die Sache? Der Herr Vertreter der sachsenweimarischen Regierung hat ebenfalls gemeint, das „freiwillige Martyrium“ hatte begonnen mit dem ersten Zur-Rede-Stellen seitens des Schutzmannes. Nun, meine Herren, die Festnahme soll sich folgendermaßen abgespielt haben. Fräulein Dr. Anita Augspurg, die zur Bahn gegangen war, um eine Freundin abzuholen, war von dem Schutzmann, der ihr anscheinend längere Zeit nachging, in schönem sächsischen Dialekt gefragt worden: „Na, Freilein, ich genne Se gar nich; wann sinn Se denn eigentlich zugereist?“ (Heiterkeit). Darauf hat er sofort ein Examen Rigorosum mit ihr angestellt. Er hat die Dame gefragt, woher sie käme, wohin sie fahre, was sie sei, wie lange sie sich aufhalte, woher sie stamme

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usw., usw. Nachdem in der Weise der Schutzmann sie ins Kreuzverhör genommen hatte, hat sie einfach gesagt: „Was wollen Sie eigentlich von mir? Wollen Sie mich verhaften?“ – und wie er darauf entgegnete, jawohl, das habe er wohl vor, hat sie gesagt: „Nun gut, dann gehe ich mit Ihnen.“ Nun überlasse ich es Ihnen selbst und Ihrer objektiven Prüfung, ob hier eine Provokation der Dame gegenüber dem Schutzmann vorliegt. Nach meiner Auffassung war das Erlebnis der Dame ein unfreiwilliges Martyrium von Anfang bis zum Ende. Deshalb war sie so empört und hat sich später allerdings in scharfen Worten gegen die Art von Behandlung gewehrt. Die Dame ist vom ersten bis zum letzten Moment überhaupt als Dirne, die nach § 361 Ziffer 6 zu behandeln ist, behandelt worden. Ich könnte Ihnen auch die Gründe angeben, warum; ich will aber nicht weiter darauf eingehen. (Zuruf ) – Nun, meine Herren, es war in jenen Tagen ein Soldatenfest in Weimar (Heiterkeit und Bewegung), wenn ich nicht irre, zur Feier des 200-jährigen Bestehens des dortigen Regiments. Da war die Polizei natürlich auf den „Tross“, um mich mittelalterlich auszudrücken, besonders „geaicht“ (Heiterkeit); als man hier eine Dame herumlaufen sah, die der betreffende Schutzmann nicht kannte, glaubte man natürlich die verdächtige Dame einfach als Dirne behandeln zu können. Ich will darauf, wie sich die Sache weiter bis zur Wiederentlassung abgespielt hat, bei dieser vorgerückten Stunde nicht weiter eingehen; nur das eine möchte ich noch hervorheben: In der Presse, welche die Dame verhöhnte, war kein Wort davon die Rede, dass die Dame von dem Schutzmann zweimal am Arme und zwar in der allerbrutalsten Weise gepackt worden ist. (Hört! Hört!). Die Dame hat nämlich die große Unvorsichtigkeit begangen und hat nach ihrem Taschentuch in die Tasche gelangt, darauf hat der Schutzmann sie sofort beim Arm gefasst und gehalten, wahrscheinlich weil er glaubte, dass sie ein Stilett oder einen Revolver herausziehen wolle (Heiterkeit), so dass sie jetzt erst sagte: „Diese Frechheit geht noch über Wiesbaden.“ Auch von dem neuen Fall Weimar sprach sie in anderem Zusammenhange. Auch die amtliche Mitteilung des Herrn Oberbürgermeisters Pabst enthält lediglich die Angaben des Schutzmanns und damit eine etwas tendenziöse Zusammenfassung und Gruppierung einzelner Momente. Wenn man so die Tatsachen zusammengruppiert, kann man sehr vieles beweisen, kann man jeden Menschen lächerlich machen. Ich habe es für meine Pflicht gehalten, wenn auch noch in so später Stunde, auf die Sache hier einzugehen. (Sehr gut! links). Ich will angesichts der Uhr die anderen Fälle nicht berühren, obgleich ich ein sehr umfangreiches Material hier vor mir habe. Jedoch habe ich die Pflicht, eine andere Angelegenheit, die ich vor acht Tagen hier vorbrachte, noch mit einigen wenigen Worten zu erwähnen. Ich habe heute vor acht Tagen den sogenannten Fall in Esslingen hier berührt – es ist das glücklicherweise der einzige süddeutsche Fall, und ich glaube, dass das kein Zufall ist, sondern dass das an unseren

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ganzen süddeutschen Verhältnissen liegt. Ich habe da mitgeteilt, dass eine Dame deshalb sistiert worden sei, weil sie sich unauffällig benahm. (Zuruf ) – Ja! Sie wollen das nicht glauben? Es ist tatsächlich so! (Heiterkeit). Ich kann Ihnen hier den Beweis aus einem Schreiben des Oberbürgermeisters von Esslingen selbst erbringen. Bloß das hat mich überhaupt gezwungen, heute noch mit einigen wenigen Worten auf die Sache einzugehen. Man sieht aus dem Schreiben, wie man in gewissen Kreisen über solche Dinge denkt. Der Oberbürgermeister schreibt mir in einem recht merkwürdigen, nicht sehr feinen Tone unter anderem, nachdem er behauptet, dass die Sache aufgebauscht sei: „Die Geschichte passierte während meiner Abwesenheit“ – er gibt sie also doch als geschehen zu – „und der betreffende Schutzmann wurde in eine kleine Geldstrafe genommen. Alles, was in den Zeitungen wegen einer Verhaftung steht, ist Schwindel, und es hat mich die betreffende Dame selbst gebeten, in der Sache nichts weiter zu machen.“ Gut, es handelt sich um eine bloße Sistierung oder die Ursache zu einer solchen. Was die letzten Worte anbelangt, so ist das ja ganz natürlich; einer anständigen Dame ist es immer äußerst peinlich, dass sie in derartiger Weise in der Öffentlichkeit herumgeschleppt wird. (Zuruf rechts). Aber dafür können wir doch nichts, wir fassen doch die Sache vom allgemeinen prinzipiellen Standpunkte auf. Derartige Fälle von Unschicklichkeit der Polizei, die eben überall, sei es in Berlin oder sonst wo, täppisch eingreift, den einen Tag in die Kunstverhältnisse, den anderen Tag gegen die unbescholtene Frauenwelt verletzend vorgeht, müssen unter allen Umständen im Interesse der Gesamtheit hier vorgetragen werden. Meine Herren, der Bürgermeister schreibt dann weiter: „Was die Geschichte mit dem Sich-unauffällig-Benehmen anlangt, so rührt dies daher, dass in einem Steckbrief als Charakteristikum einer gefährlichen gesuchten Dirne angeführt worden ist, dass dieselbe sich ladylike benehme, was an sich kein Unsinn ist, da es die Ausnahme bei derartigen Leuten bildet.“ Was ist aus diesem oberbürgermeisterlichen, übrigens sehr überflüssigen Schreiben zu entnehmen? Ist danach allen Damen vielleicht der Rat zu geben, dass sie sich in Zukunft nicht mehr „zu unauffällig und zu anständig“ benehmen, wenn sie nicht riskieren wollen, ebenfalls sistiert zu werden. (Heiterkeit links – Zuruf rechts) – Wenn Sie mir das zugeben, bin ich Ihnen sehr dankbar dafür. – Ferner aber müssen sich die „Frauenspersonen“ auch hüten, einer anderen Dame ähnlich zu sehen (Heiterkeit); auch das scheint an sehr vielen Orten gefährlich zu sein. In solchen Dingen muss eben die größte Vorsicht walten. Es läge für mich ja die Versuchung sehr nahe, nun noch eine ganze Reihe von Fällen hier vorzutragen, die heute meines Wissens in keiner Weise erwähnt worden sind, Fälle ganz skandalöser Natur aus Hamburg, aus Hannover, zwei

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Fälle aus Kiel, die, soviel ich weiß, heute nur kurz berührt worden sind, dann ferner auch noch mit einigen Bemerkungen auf die Einwendungen der Polizeiverwaltung in dem Falle Rappaport hier einzugehen; aber ich will im Hinblick auf die so weit vorgeschrittene Zeit nicht weiter darauf eingehen. Allein, meine Herren, eine Blüte dieses ganzen Systems möchte ich den Herren doch noch vortragen; sie zeigt sich nämlich in einer Polizeiverordnung des Städtchens Treptow an der Rega. Meine Herren, aus dieser Polizeiverordnung geht hervor, dass man allmählich die Art und Weise der gebräuchlichen Verhaftung in ständige Polizeiverordnungen hineinknetet, wenn ich mich so ausdrücken darf, dass man sie ohne weiteres zu positiven Rechtsnormen macht. Diese schöne Polizeiverordnung des Städtchens Treptow a[n] [der] R[ega] lautet nach Press[e]nachrichten, die ich nicht dementiert fand, folgendermaßen: „Grobe Verstöße gegen die öffentliche Ordnung und Ruhe, gegen Sitte und Anstand auf Straßen und öffentlichen Plätzen haben augenblickliche Verhaftung und Bestrafung zur Folge.“ (Hört! Hört! links). Dann heißt es weiter: „Dienstmädchen und andere Frauenzimmer, die im Sommer nach 11 Uhr und im Winter nach 10 Uhr abends entweder allein oder in verdächtigem Umgange auf den Straßen, wozu auch die Anlagen zu rechnen sind, zwecklos umherstreifend betroffen werden, sollen verhaftet und bestraft werden.“ Meine Herren, das ist riesig schneidig, das muss ich wirklich sagen. (Heiterkeit links). Was bedeutet bei dem Herrn Regenten von Treptow a[n] [der] R[ega] überhaupt noch das Reichsgesetz? Der § 113 der Reichsstrafprozessordnung, der ganz genaue Vorschriften darüber gibt, in welcher Weise gegen bestimmte Personen ohne weiteres mit Haftbefehl vorgegangen werden darf, besteht für den Oberbürgermeister von Treptow a[n] [der] R[ega] anscheinend überhaupt nicht. Er setzt sich mit einer Polizeiverordnung einfach über das Reichsgesetz hinweg! Es steht doch außer allem Zweifel, dass diese Polizeiverordnung rechtsungültig ist (s. Anm. S. 338). Meine Herren, ich will mich auch weiter mit der Frage nicht beschäftigen – so interessant sie ist –, was die Gründe dieser Exzesse sind und wie überhaupt Abhilfe geschaffen werden soll. Es haben einzelne Redner sich bereits mit dieser Frage sehr ausgiebig beschäftigt, so dass ich angesichts der Verhältnisse auch meinerseits heute darüber hinweggehen kann. Es scheint mir die Hauptsache in der ganzen Frage die rücksichtsloseste Publizität und die An-den-PrangerStellung dieses Vorgehens der Polizei. (Sehr richtig! links). Diese ist meiner Anschauung nach ein hochverdienstliches Werk; deshalb wurde es auch unsererseits begrüßt, dass von der äußersten Linken diese Verhältnisse, die in der letzten Zeit eingerissen sind, hier zur Besprechung gebracht wurden.

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Meine Herren, in der „Täglichen Rundschau“ – und damit will ich schließen – hat vor einigen Tagen ein Herr „in hoher richterlicher Stellung“ folgenden Ausspruch getan im Hinblick auf den Fall Rappaport: „Es ist für erfahrene Richter ein Gegenstand der Sorge, dass durch die Übergriffe untergeordneter Polizeiorgane und Vexationen (s. Anm. S. 338) die Unzufriedenheit im Volke, die sich durch Zunahme so viel demokratischer Stimmen äußert, erheblich vermehrt und genährt wird.“ Meine Herren, so spricht ein offenbar konservativer Mann, und ich kann Ihnen von meinem Standpunkt als Richter nur sagen, dass der Mann vollständig recht hat. Ich bin manchmal auch in meiner Tätigkeit als Richter vollständig erschrocken über die Art und Weise, wie die Polizei in einzelnen Fällen vorgegangen ist (Hört! Hört! links) und wie sie Deckung gefunden hat bei einzelnen Richtern. Es ist das eine Frage, auf die ich bei anderer Gelegenheit vielleicht bei der Behandlung des Etats des Herrn Staatssekretärs des Reichs-Justizsamts, mich des nähern äußern werde. Meine Herren, wir haben, meine ich, derartigen Auswüchsen gegenüber einfach die Pflicht des Arztes; derjenige Arzt erscheint mir schlecht, der die Krankheit, die offenbar vorhanden ist, leugnet, und der Arzt erscheint mir gut, der ganz rücksichtslos, gleichviel in welcher Stellung er sonst ist, gegen eine derartige Krankheit vorgeht und die scharfe Sonde anlegt; denn nur so kann eine Heilung erfolgen. Meine Herren, wir hoffen, und zwar im Interesse wahrer Staatsautorität, im Gegensatz zu einer oft bloß einbildenden Staatsautorität, dass die Regierung diesen Polizeiauswüchsen gegenüber endlich einmal wirklich Ernst macht und dass sie rücksichtslos gegen derartige, wirklich subversive Tendenzen vorgeht. (Bravo! links).

Texte zum Vereins- und Versammlungsrecht Das Eine, was Not tut Von allen Ausnahmegesetzen, welche die Stellung der deutschen Frauen zu einer unwürdigen nicht nur, sondern sozial gefährdeten machen und sie von vornherein zu einer niederen Klasse der Staatsbürger stempeln, ist eines verhängnisvoller als alle anderen, weil es zugleich eine Schranke aufrichtet, welche ihnen die Möglichkeit, eine Reform der übrigen zu erreichen, ungemein erschwert. Dieses Kardinalübel ist die Beschränkung des Vereins- und Versammlungsrechts für die Frauen. Es wäre dringend zu wünschen, dass sich die deutsche Frauenwelt einmal zu einem ähnlichen Sturmlaufe gegen ihre Ausnahmestellung im Vereinsrechte aufraffte wie seinerzeit gegen das Familienrecht des Bürgerlichen Gesetzbuches, das ja verhältnismäßig viel harmloser in seinen Unbilligkeiten ist. Dort zeitigte der äußere Anlass des Gesetzerlasses den Impuls zu dem starken und aufsehenerregenden Proteste: Es legt ein tief beschämendes Zeugnis ab für den Mangel an Macht und Tiefe unserer Frauenbewegung, dass sich aus eigener Erkenntnis und Einsicht heraus, ohne den Druck gelegentlicher Ereignisse, die deutschen Frauen zu einer spontanen Auflehnung weder gegen den so tief erniedrigenden § 361, 6 des Strafgesetzbuches (s. Anm. S. 338) noch gegen ihre unwürdige Stellung im öffentlichen Leben aufgrund unserer Vereinsgesetze aufraffen. Einer energischen Willenserklärung, welche die elementare Kraft innerer Entrüstung unverkennbar zur Schau trüge, würde man Achtung und Beachtung nicht versagen! Aber freilich bei dem Tempo und der Vorsicht der Agitation der deutschen Frauenbewegung dürfte noch ein halbes Jahrhundert vergehen, ehe die Massen unserer Frauen zu solcher tatkräftigen Aktion erzogen sind. Haben wir doch, nachdem eine Frauenbewegung bei uns mehr als 50 Jahre existiert, vielleicht anderthalb hundert unter unseren vielen Millionen bürgerlichen Frauen, die den Wert der bürgerlichen Rechte verstehen und würdigen, trotzdem unsere ersten Agitatorinnen Rahel Levin, Bettina v[on] Arnim, Luise Otto-Peters (s. Anm. S. 338) denselben in ihren Schriften von allem Anfang betont haben. Unsere beklagenswerte Zurückgebliebenheit auf diesem wie auf vielen anderen Gebieten liegt also nicht in der Theorie, sondern in der Praxis, nämlich [in] dem jahrzehntelang andauernden Mangel an Aufklärung und Agitation. Die bestehenden Ausnahmebestimmungen für Frauen in unseren Vereinsgesetzen sind an sich schon schlimm genug, sie werden aber von selbstherrlichen Beamten, denen so gut wie autoritative Entscheidungen zustehen, noch […]missbraucht (s. Anm. S. 339), um den Frauen Rechte zu entziehen und zu

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verkümmern, die ihnen tatsächlich von der Reichsgesetzgebung zugestanden sind und die zu ihren wichtigsten Existenzbedingungen gehören. Man könnte ein ganzes Sammelwerk anlegen von Überschreitungen der Amtsbefugnis niederer Polizeiorgane sowie Sanktionierung derselben seitens höherer Verwaltungsbeamten aufgrund fälschlicher Anwendung von § 8 des preußischen Vereinsgesetzes (s. Anm. S. 339) in Fällen, wo es sich um das auch den Frauen gewährleistete Koalitionsrecht nach § 152 der Reichsgewerbeordnung (s. Anm. S. 339) zur Verbesserung ihrer Lohn- und Arbeitsbedingungen handelt. So erlitt z. B. nach Nr. 18 des „Correspondenzblattes der Gewerkschaften Deutschlands“ (s. Anm. S. 339) der Verbandstag der Buchbinder am ersten Osterfreiertage d. J. in Berlin durch den Missgriff des überwachenden Polizeileutnants eine sonderbare Unterbrechung. Der Letztere verlangte nämlich, dass die anwesenden weiblichen Personen den Saal verlassen sollten oder dass die Sitzung erst nach Beendigung des Gottesdienstes beginnen dürfte, denn – so begründete dem „Vorwärts“ zufolge (s. Anm. S. 339) der Beamte sein seltsames Vorgehen – wenn die Versammlung eine öffentliche sei, so dürften wohl Frauen an derselben teilnehmen, dann dürfe aber die Versammlung nicht während der Kirchzeit tagen. Handle es sich aber um eine Vereinsversammlung, die während des Gottesdienstes stattfinden darf, dann müssten die Frauen sich entfernen. Der Beamte wurde zwar darauf aufmerksam gemacht, dass der „Verband der Buchbinder“ kein politischer Verein ist, was schon daraus hervorgehe, dass demselben seit jeher weibliche Mitglieder angehören, was auch den Behörden bekannt sei, und dass also die Voraussetzungen des Polizeileutnants nicht zutreffen. Der Beamte bestand aber auf seinem Verlangen, und um einer etwaigen Störung der Verhandlungen vorzubeugen, verließen die Zuhörerinnen sowie eine weibliche Delegierte den Saal. Gleichzeitig begab sich ein Vorstandsmitglied nach dem Polizeipräsidium und kam nach zweistündigen Bemühungen – die höheren Polizeibeamten waren nicht anzutreffen – mit dem Bescheid zurück, dass das Verlangen des überwachenden Beamten ungerechtfertigt gewesen sei. In Posen wurden Anfang April (s. Anm. S. 339) aus einer Schuhmacher- und einer Schneiderversammlung von Polizeibeamten die Entfernung der anwesenden Frauen verlangt, weil die betr[effend] Berufsverbände angeblich politisch seien. Auf die Beschwerde, welche darüber geführt wurde, antwortete der Polizeipräsident von Posen an den Schuhmacherverband wie folgt, an den Schneiderverband im gleichen Sinne: „Posen, den 19. April 1900 (s. Anm. S. 339). Ihre Beschwerde vom 9. d M. über das Verhalten des überwachenden Beamten in der Versammlung vom 4. d M. weise ich als ungerechtfertigt zurück. Der Verband will nach § 1 Abs. a seiner Satzungen die Interessen seiner Mitglieder fördern‚ durch Erzielung günstiger Lohn- und Arbeitsbedingungen, besonders durch Abschaffung der Ak-

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kordarbeit‘. Dieses Streben gilt also nicht einem speziellen konkreten Arbeitsvertrage, nicht unmittelbar durch Verträge zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer geregelten Lohn- und Arbeitsbedingungen, sondern es zielt generell auf die Änderung bestehender wirtschaftlicher Verhältnisse ab. (!) Derartige allgemeine Bestrebungen fallen aber nach der Entscheidung des Reichsgerichts vom 11. November 1887 (s. Anm. S. 339), Band 16 St. a 383, sowie nach anderen Entscheidungen nicht unter den § 152 der Gewerbeordnung, sondern sie unterliegen den beschränkenden Bestimmungen des § 8 des Gesetzes vom 11. März 1850. Der überwachende Beamte befand sich daher im Recht, als er die Entfernung der Frauen aus der in Rede stehenden Versammlung der Zahlstelle forderte. v[on] Hellmann“ (s. Anm. S. 339) Welche Leistung in der Interpretationskunst dürfte diesem Polizeipräsidenten unmöglich sein, wenn er kurzweg das Streben nach Abschaffung der Akkordarbeit innerhalb eines speziellen und lokalen Berufsverbandes mit einer „generellen“ Tendenz auf „Änderung bestehender wirtschaftlicher Verhältnisse“ identifiziert. Das zitierte „Correspondenzblatt“ bezeichnet (s. Anm. S. 339) dieses Verfahren ganz richtig als „die Aufhebung des Koalitionsrechtes der Frauen mittelst eines Federstriches“ und der „Vorwärts“ führt den Gedankengang des Polizeihauptes weiter aus (s. Anm. S. 339): „Wenn also jemand, der bisher im Akkord arbeitete, seine Beschäftigung im Lohn fortsetzt, so hat er nach dem Polizeipräsidenten v[on] Hellmann eine Änderung der bestehenden wirtschaftlichen Verhältnisse vorgenommen. Er mag zufrieden sein, dass die Polizei nicht gleich einen Umsturz der bestehenden Staats- und Gesellschaftsordnung in seinem Verhalten erblickt, dann könnte es ihm noch schlimmer ergehen. So dürfen nur die Frauen sich an diesem frevlen Beginnen nicht beteiligen, den Männern ist es erlaubt, die bestehenden wirtschaftlichen Verhältnisse zu ändern.“ In einer weiteren Beschwerde gegen den Bescheid des Polizeipräsidenten, die an den Regierungspräsidenten gerichtet wurde, bestätigt auch dieser, dass die Frauen zu Recht aus den Versammlungen gewiesen wurden mit einer Begründung, die womöglich noch kühner als diejenige des Polizeipräsidiums zu nennen ist, es heißt: „Posen, 3. Juli 1900. Auf die namens des Vorsitzenden der hiesigen Zahlstelle des Verbandes deutscher Schuhmacher gegen die Entscheidung des Herrn Polizeipräsidenten hierselbst vom 19. April d. J. fristgerecht eingelegte Beschwerde vom 3. Mai 1900 erwidere ich Ihnen das Folgende: Nach der konstanten Judikatur des Reichsgerichts gewährt die Vorschrift des § 152 Reichsgewerbeordnung den Gewerbetreibenden, gewerblichen Gehilfen, Gesellen oder Fabrikarbeitern das freie Vereins- und Versammlungsrecht ausschließlich zu dem Behuf (s. Anm. S. 339) der Erlangung günstiger Lohn- und Arbeitsbedingungen. Sobald ein

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Verein, der von den bezeichneten Personen gebildet wird, daneben noch die Hebung der wirtschaftlichen oder sozialen Lage eines Berufsstandes bezweckt, unterliegt er hingegen dem Vereinsgesetz. Der hier in Betracht kommende „Verband deutscher Schuhmacher“ beabsichtigt neben der Erlangung günstiger Lohn- und Arbeitsbedingungen nach dem Wortlaut des Statuts, alle deutschen Schuhmacher oder doch deren Masse anzugliedern und bezweckt damit nicht nur den persönlichen Vorteil seiner Mitglieder zu fördern, sondern die soziale und wirtschaftliche Lage des Berufs der deutschen Schuhmacher überhaupt zu heben. Er unterliegt mithin dem Vereinsgesetz und mit ihm der ihm angegliederte hiesige, die Bezeichnung „Zahlstelle des Verbandes deutscher Schuhmacher“ tragende Zweigverein. Es war infolgedessen zu prüfen, ob dieser Zweigverein die Merkmale eines politischen Vereins im Sinne des § 8 des Vereinsgesetzes trägt. Diese Frage ist vom Herrn Polizeipräsidenten hierselbst mit Recht bejaht worden. Denn aus dem Umstande, dass auf der hier am 14. März d. J. abgehaltenen Versammlung Posener Schuhmacher von dem hiesigen Führer der sozialdemokratischen Partei für den Beitritt zu dem Zweigverein agitiert wurde, der letztere auch tatsächlich an das hier von sozialdemokratischer Seite geleitete, kürzlich in ein Arbeitersekretariat umgewandelte Gewerkschaftskartell angeschlossen ist, muss gefolgert werden, dass auch der Zweigverein selbst in den Dienst der sozialdemokratischen Partei gestellt, somit ein politischer im Sinne des § 8 des Vereinsgesetzes ist. Bestätigt wird dies durch die am 15., 16. April dieses Jahres auf dem Parteitag der polnischen sozialdemokratischen Partei in Berlin seitens der Parteiführer über die hiesigen Zahlstellen abgegebenen Erklärungen sowie durch das in der erwähnten Versammlung am 14. März d. J. seitens des Schumachers Warajter gemachte und unwidersprochen gebliebene Zugeständnis, dass der „Verband deutscher Schuhmacher“ sozialdemokratischen Tendenzen huldige. Die in dem Bescheide des Herrn Polizeipräsidenten hierselbst vom 19. April d. J. erfolgte Billigung des Verhaltens des überwachenden Beamten in der Versammlung vom 4. April d. J. ist sonach zu Recht erfolgt und die dagegen Ihrerseits erhobene Beschwerde unbegründet. gez.: Unterschrift.“ Das „Correspondenzblatt“ nennt diese Deutung (s. Anm. S. 340) mittelst einer Unterscheidung zwischen „der Erlangung günstiger Lohn- und Arbeitsbedingungen“ und „der Hebung der sozialen und wirtschaftlichen Lage eine Berufsstandes“ nur „zu drollig, um sie ernst nehmen zu können“. Wir verkennen zwar das Drollige ihres Charakters nicht, müssen sie aber zugleich als traurig bezeichnen. Wenn Beamte, die vermöge der in ihre Hände gelegten Macht nicht anders wie ernst genommen werden können, ihrer Amtspflichten mit Vergewaltigungen der Gesetzesbestimmungen durch solche unqualifizierbaren Auslegungen walten, so ist das allerdings ein trauriges Zeichen für den Geist, in dem ihnen gestattet ist zu regieren.

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Ein eigener Glaube des Regierungspräsidenten an seine Auslegung ist doch hoffentlich im Interesse seiner intellekt[uell]en Fähigkeiten ausgeschlossen, das Motiv seiner Entscheidung muss also entweder eine kolossale Kurzsichtigkeit für soziale Zustände und Bedürfnisse oder Böswilligkeit gegen die ihr Koalitionsrecht ausübenden Frauen sein. Denn, dass die „konstante Judikatur des Reichsgerichtes“, auf die er sich beruft, für seine Entscheidung absolut unverbindlich ist, dürfte bei dem Herrn Regierungspräsidenten als bekannt vorausgesetzt werden, abgesehen davon, dass das Heranziehen der reichsgerichtlichen Entscheidung vom 10. November 1887 für seine Zwecke höchst bedenklich ist, weil es gerade die Abschaffung der Akkordarbeit eine rein wirtschaftliche Frage nennt. Solange wir also in Deutschland oder wenigstens im „Reich der Mitte“ Deutschlands, in Preußen, eine geschlossene Kette von Mandarinen (s. Anm. S. 340) über dem Volke herrschen sehen, die in aufsteigendem Instanzenzug sich einmütig die Hand reichen, um Gesetzesauslegungen von der Gewaltsamkeit der angeführten aufrecht zu erhalten, bleibt uns nichts übrig, als zu trachten, innerhalb der Gesetze jede Handhabe zu solchem Vorgehen, d. h. die Ausnahmebestimmungen für Frauen im Vereinsrechte, zu beseitigen. Wir sind dazu umso mehr veranlasst, als die Missdeutung des § 152 Gew[erbe]ordn[ung] immer nur einen Bruchteil der deutschen Frauen, die gewerblich arbeitenden, kränkt, während der schmähliche Ausschluss der Frauen von politischen Vereinen und von deren Versammlungen durch die Vereinsgesetze das ganze Geschlecht trifft und zu dauernd Unmündigen, d. h. zoologisch Minderwertigen stempelt, eine Schmach, die leider noch von den wenigsten unter uns begriffen wird.

Das Abbröckeln des preußischen Vereinsgesetzes 1 Der gegenwärtige Minister des Innern in Preußen, Freiherr von HammersteinLoxten (s. Anm. S. 340), hat das Unglück, dass, während er über das für unsere heutige Zeit nach mehr als einer Richtung nicht mehr lebensfähige Vereinsge1 Die hier behandelte Frage dürfte in den nächsten Tagen wieder zu mannigfachen Erörterungen Anlass geben. Die „Gesellschaft für soziale Reform“ (s. Anm. S. 340), die als politischer Verein gilt, hält am 21. und 22. September in Köln ihre erste Generalversammlung ab. Unter Punkt III der Tagesordnung finden wir Frl. Helene Simon-Berlin, unsere geschätzte Mitarbeiterin (vgl. Heft 3 der „Kultur“) (s. Anm. S. 340), als Referentin über die „Herabsetzung der Arbeitszeit für Frauen und die Erhöhung des Schutzalters für jugendliche Arbeiter in Fabriken“. Die „Gesellschaft für soziale Reform“ zählt ferner außerhalb Preußens zahlreiche weibliche Mitglieder, die natürlich ebenfalls zur Generalversammlung eingeladen sind. Es fragt sich nun, wie sich die Polizei zur eventuellen Anwesenheit der weiblichen Mitglieder und insbesondere zum Referat des Frl. Simon verhalten wird. Anm. d. Rd.

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setz vom Jahre 1850 (s. Anm. S. 340) seine schützende Hand zu halten bestrebt ist, seine Finger mit etwas ungeschicktem Druck gerade dessen schwache Stellen lädieren, so dass das Resultat ein langsames Abbröckeln der unhaltbaren und von den interessierten Kreisen lebhaft bekämpften, vom Minister aber liebevoll verteidigten Bestimmungen zu werden verspricht. Am sichtbarsten vollzieht sich dieser Entwicklungsgang an dem Paragraphen 8 a (s. Anm. S. 340), welcher bestimmt, dass „Frauenspersonen, Schüler und Lehrlinge politischen Vereinen nicht angehören dürfen, welche beabsichtigen, öffentliche Angelegenheiten in Versammlungen zu erörtern“. Dieser Paragraph wird seit Jahren von den ihm unterworfenen preußischen Frauen als schwere Hemmung ihrer Betätigung im Dienste des Volkswohls auf sozialpolitischem Gebiet, außerdem aber als im höchsten Grade kränkend und unwürdig für erwachsene und urteilsfähige Personen empfunden; sie haben aus den verschiedensten Kreisen und Richtungen und an verschiedene Instanzen um Aufhebung dieses in einer anderen Zeit und unter anderen Verhältnissen gegebenen Gesetzes petitioniert, sie haben wiederholt in öffentlichen Protestversammlungen gegen dasselbe Front gemacht, ohne bisher – weder von der Reichsregierung noch von der preußischen [Regierung] – Abhilfe erlangt zu haben. Alles, was sie erreichten, war in der Hauptstadt wenigstens eine ziemlich milde Praxis des Gesetzes für die bürgerliche Frauenbewegung, denn obwohl es vollkommen klar ist, dass nach der Auslegung der Gerichte und nach dem Wortlaut des Gesetzes nicht nur die Vereine der sogenannten radikalen Frauenbewegung, sondern auch die ganz gemäßigten, ja die gemeinnützigen und kirchlichen Frauenvereine sämtlich aufgelöst werden müssten – nämlich alle diejenigen, welche jemals durch Absendung einer Petition an staatliche oder kommunale Körperschaften oder Behörden oder an den Landesherrn „eine Einwirkung auf öffentliche Angelegenheiten angestrebt haben“ –, wurde keiner dieser bürgerlichen Frauenvereine bisher aufgelöst, es wurden nicht einmal ihre Vereinsversammlungen aufgelöst, in denen häufig genug öffentliche Angelegenheiten erörtert wurden wie Schul- und Erziehungsfragen, Waisenpflege, Fürsorgeerziehung, Gefängniswesen, Arbeiterinnenschutzgesetze u[nd] v[iele] a[ndere]. Anders war die Praxis sozialdemokratischen Frauenvereinen, überhaupt Arbeiterinnenvereinen gegenüber, die oftmals aufgelöst wurden, wenn sie auch nur ihre Berufsinteressen gemäß dem aus § 152 der Gewerbeordnung ihnen zustehenden Recht (s. Anm. S. 340) fördern wollten, oder wenn sie Angelegenheiten behandeln wollten, die unter keinem Gesichtspunkte als öffentliche bezeichnet werden können wie der Bezug von Nähfaden vom Arbeitgeber, die Entstehung von Frauenkrankheiten u. a. Streng war ebenfalls die Praxis hinsichtlich der Teilnahme von Frauen an den Versammlungen politischer Männervereine, mochten dieselben auch durchaus unpolitische Gegenstände auf der Tagesordnung haben wie die Frage der Leichenverbrennung, oder mochten sie gar

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nur geselligen Zweck verfolgen, Tanzunterhaltungen, Theateraufführungen, musikalische Darbietungen etc. Eine große Anzahl von Verboten derartiger Veranstaltungen, resp[ektive] die Ausweisung der Frauen von denselben, wurden jahraus, jahrein von der preußischen Polizei erlassen, n[ota]b[ene] bei den linksstehenden Parteien, während die Teilnahme von Frauen an kirchlichsozialen und agrarisch-konservativen Parteitagen unbeanstandet blieb. Diese Duldsamkeit der Polizei scheint nun die Klippe zu sein, an der das Vereinsgesetz sich leck gestoßen hat, denn die wiederholte unbeanstandete Anwesenheit von Frauen auf der Generalversammlung des „Bundes der Landwirte“ im Zirkus Busch wurde dieses Jahr zum Gegenstand der Erörterung im Preußischen Abgeordnetenhause gemacht (s. Anm. S. 341), und der Minister des Innern ließ sich durch die Notlage des Augenblicks dazu verleiten, das unverkennbar im Widerspruch mit dem Gesetz stehende Verhalten der ihm unterstehenden Behörde durch eine äußerst gewagte Interpretation des Gesetzesinhalts decken zu wollen. Er sprach bei jener Gelegenheit den alsbald zum geflügelten Wort gewordenen Satz aus, dass die Anwesenheit von Frauen wohl statthaft sei in politischen Vereinsversammlungen, sofern Vorkehrungen getroffen seien, dass sie „ohne sich mit den Männern zu vermischen“ in „getrennten Segmenten“ säßen (s. Anm. S. 341) und sich an den Verhandlungen nicht aktiv beteiligten. Lauter Merkmale und Voraussetzungen, die dem bedingungslosen Gesetzestext so fremd sind wie Öl dem Wasser, lauter willkürliche Dichtungen eines Ministers, dessen Gedanken sich augenscheinlich während der Rede, die er hielt, zum ersten Mal mit dem Thema, das er behandelte, beschäftigten, in einer Weise, die ja von einer gesund-realen Auffassung der Dinge ein erfreuliches Zeugnis ablegte, bei der sich aber jedem juristisch-disziplinierten Hüter der Ordnung die Haare sträuben mussten. Er zog dann auch noch eine staatsrechtlich äußerst gewagte Parallele zwischen Parlamentssitzungen und politischen Parteiversammlungen, kurz, seine Ausführungen an jenem denkwürdigen Tage erregten staunende Verwunderung bei jedem, der sie hörte und las. Die Sozialdemokraten aber schritten alsbald zur praktischen Nutzanwendung derselben. In Berlin und auswärts luden sie Frauen zum Besuch ihrer Wahlvereinsversammlungen als Zuhörerinnen auf einer Galerie oder in einem Nebenraume ein, und in Berlin und auswärts wurden entweder die Frauen ausgewiesen oder die Versammlung aufgelöst; in beiden Fällen erfolgte natürlich Beschwerde an die zuständige Behörde unter Berufung auf die Aussprüche des Ministers im Preußischen Abgeordnetenhause. Außerdem nahm aber der freisinnige Abgeordnete Dr. Wiemer (s. Anm. S. 341) nochmals Gelegenheit, den Minister über die unterschiedliche Behandlung zu interpellieren, welche den Frauen im Zirkus Busch und den Frauen der Sozialdemokratie trotz der kürzlich vernommenen Worte des Ministers zuteil wurde. Freiherr v[on] Hammerstein, auf solche Weise in die Enge

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getrieben, konnte nicht wohl anders, als die Zusicherung geben, dass er alle Parteien gleich zu behandeln beabsichtige, und man muss anerkennen, dass er die dazu nötigen Maßregeln erlassen hat. Das Berliner Polizeipräsidium hat offiziell erklärt (s. Anm. S. 341), dass „die überwachenden Polizeibeamten angewiesen seien, von der Befugnis, die Entfernung der Frauen zu verlangen, dann keinen Gebrauch zu machen, wenn diese nur als Zuschauerinnen, nicht als Teilnehmerinnen erschienen sind und diese ihre Eigenschaft auch durch ihr Verweilen in von dem eigentlichen Versammlungsraum räumlich getrennten Plätzen äußerlich hervortritt.“ Dass es keineswegs die Absicht des „Bundes der Landwirte“ gewesen ist, prinzipiell Bresche zu legen in die unzeitgemäßen vereinsgesetzlichen Bestimmungen, darf wohl als sichere Voraussetzung gelten, er reagierte daher auch wenig auf die zum Teil ironischen Press[e]äußerungen der liberalen Parteien, die ihm als Gesetzverbesserer wider Willen ihren Dank zollten. Von dem Minister durfte man jedoch annehmen, dass er den Forderungen der modernen Zustände mit einem gewissen Verständnis zu begegnen suchte, indem er einen Kompromiss mit dem Gesetzestext von 1850 schloss. Umso befremdender wirkten seine Ausführungen zu der im Preußischen Landtage am 5. Mai verhandelten Petition des „Landesvereins preußischer Volksschullehrerinnen“ (s. Anm. S. 341), welche wiederum [die] Aufhebung des Verbots der Beteiligung von Frauen an politischen Vereinen nach § 8 des Gesetzes vom 11. März 1850 bezweckte. Ein wohlwollendes Entgegenkommen für diese Forderung hätte dem Minister den Weg eröffnet, den Zwiespalt zwischen seinen Maßregeln und dem Willen des Gesetzes nachträglich zu beseitigen; dass er den letzteren für korrektionsbedürftig halte, durfte man nach der von ihm diktierten Handhabung des Gesetzes bestimmt vermuten, nachdem er noch am 24. April im Abgeordnetenhause erklärt hatte (s. Anm. S. 341): „Ich habe in demselben Sinne auch eine Verfügung an die sämtlichen Regierungen erlassen.“ Dass er in Kraft befindliche, ihrem Wortlaut nach keiner umdeutenden Auslegung fähige Gesetze nicht durch Verfügungen abändern kann, auch wenn sie nach seiner eigenen wie der allgemeinen Anschauung noch so änderungsbedürftig sind, musste der Minister wissen, oder es musste ihm wenigstens von den ihm nahestehenden Beamten gesagt werden: Aus diesem Gesichtspunkt hätte er einen Anlass willkommen heißen müssen, die von ihm durch seine Handlungsweise als unhaltbar anerkannten Bestimmungen des Gesetzes von 1850 aus dem Wege räumen zu können. Stattdessen hat aber der Minister mit aller Schärfe am 5. Mai (s. Anm. S. 341) die Weisheit und die Notwendigkeit der Fernhaltung der Frauen von politischen Vereinen betont, d. h. des Verbots ihrer organisierten Beschäftigung mit sozialen Angelegenheiten und den teilweise sie aufs nächste berührenden Fragen des bürgerlichen Lebens. Er hat geäußert, es möchte um den preußischen Staat schlimm

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stehen, wenn dieses Verbot aus den 50er Jahren nicht aufrecht erhalten wäre und es liege zu dessen Aufhebung kein Grund vor, da sich in den 50 Jahren seit es erlassen sei nichts geändert habe. Nun, diese letzte Behauptung beruht auf einem nachweisbaren Irrtum, denn gerade die Lage der Frauen hat sozusagen eine Revolution durchgemacht: Millionen sind heute beruflich tätig, wirtschaftlich selbständig in Erwerbszweigen und Lebensstellungen, die vor 50 Jahren von keiner einzigen Frau in Besitz genommen waren, Hunderte und Tausende studieren und leben in wissenschaftlichen Berufen, sind als staatliche und kommunale Beamte angestellt, üben öffentliche Ehrenämter aus, sind im Besitze amtlicher Autorität, ein nicht unerheblicher Teil der Steuern fließt in die staatlichen und Gemeindekassen, der von weiblichen Steuerzahlern aufgebracht wird, kurz, die Frauen sind allerorts mit ihren Interessen in das öffentliche Leben hineingewachsen und bilden selbst einen Bestandteil desselben, an den vor 50 Jahren nicht gedacht wurde, der aber heute der Physiognomie des öffentlichen Lebens ein ganz verändertes Gepräge gegeben hat. – Aber ganz abgesehen von allem diesem, sägt der Minister mit seinen letzten Äußerungen gewissermaßen den Ast ab, auf den er sich gesetzt hatte. Er erklärt es für eine unberechtigte Forderung der Frauen, an politischen Angelegenheiten Anteil nehmen und das ihnen im Wege stehende Gesetz beseitigen zu wollen, er eröffnet ihnen aber, indem er das Gesetz auf nie da gewesene Art vergewaltigt, eine Möglichkeit, sich an politischen Vereinen zu beteiligen. Er verschafft ihnen durch seine willkürlichen Bedingungen der getrennten Sitze und der Inaktivität die Möglichkeit der Teilnahme an allen hoch- und höchst politischen Vereinsversammlungen, und er verschließt ihnen eben aufgrund dieser besonderen Vorschriften wieder die Möglichkeit, an den harmlosesten geselligen Veranstaltungen politischer und gemeinnütziger Vereine teilzunehmen, denn auch über diesen schwebt die Voraussetzung des Segments und der Passivität. Schwerlich aber dürften Männlein oder Fräulein davon erbaut sein, wenn bei einem Tanzkränzchen die Damen von hohem Balkone zuschauen, wie das starke Geschlecht sich unten im Saal im Walzertakt dreht, oder wenn bei einer Theateraufführung, wie zu Shakespeares Zeit, die Frauenrollen von Knaben, ja mehr noch, von vollausgewachsenen Männern gespielt werden – denn Schüler und Lehrlinge sind ja ebenso wie die Frauen verboten –, während das von seinem Segment aus zusehende weibliche Publikum für diese außerordentlichen schauspielerischen Leistungen nicht einmal Beifallsäußerungen hören lassen darf. Von jeher hat das Verbot der Beteiligung von Frauen auch an geselligen Unterhaltungen politischer Vereine Anlass zu lebhafter Kritik des Vereinsgesetzes gegeben. Der Widersinn des Verbots bei solchen Gelegenheiten hat viel dazu beigetragen, das Gesetz so unpopulär wie möglich zu machen: Durch die Zulassung der Frauen zu faktisch politischen Versammlungen derselben Vereine wird

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diese Wirkung nur verstärkt, und es liegt bereits Material vor, welches beweist, dass die aus Gesetz und ministerieller Ausführungsbestimmung resultierenden logischen Verkehrtheiten aufrecht erhalten werden sollen. Aus Danzig wird ein Polizeischreiben bezüglich eines Frühlingsvergnügens (s. Anm. S. 342) des Gewerkschaftskartells – also einer nichtpolitischen Berufsorganisation – mitgeteilt, in dem es heißt: „Gleichzeitig wird dabei eröffnet, dass Frauenspersonen in den Versammlungsräumen selbst nicht anwesend sein, sondern sich nur auf etwa vorhandenen Logen, Galerien etc. aufhalten dürfen. Ein Tanzvergnügen darf demnach nicht stattfinden.“ Der Minister, der überhaupt die Frage einer bedingten Zulassung der Frauen zu politischen Vereinen angeschnitten hat, befindet sich auf einer schiefen Ebene. Mit dem Beginn des Deutens ergibt sich, dass weiter gedeutet werden muss, bis aller Unsinn herausgedeutet ist, d. h. bis das Gesetz selbst entfernt ist, welches angesichts unserer Zeitverhältnisse an sich einen völligen Unsinn darstellt und durch die gut- oder übelgemeinte Interpretation des Ministers noch mehr Verwirrtes erhalten hat. Eine große Zahl von Tageszeitungen hat darauf hingewiesen, dass der vom Minister eingeschlagene Weg legalerweise nicht gangbar ist, dass ihm zur Ausführung seiner Absicht, eine entgegenkommende Praxis mit dem Geiste des Rechtes in Einklang zu bringen, keine Möglichkeit bleibt, als […] [die] Beseitigung (s. Anm. S. 342) des dieser Absicht schroff entgegenstehenden Gesetzes. Herr von Hammerstein scheint nach seinen Ausführungen hinsichtlich eines Versammlungsverbotes in Posen (s. Anm. S. 342) eine bessere Kenntnis des reichsländischen als des preußischen Vereinsgesetzes (s. Anm. S. 342) zu haben, er zitierte bei jener Gelegenheit eine Anzahl von gesetzlichen Bestimmungen, die für Elsass-Lothringen Geltung haben, in Preußen jedoch unbekannt sind. Vielleicht haben ihm auch reichsländische Beispiele vorgeschwebt, als er seine Anweisungen zur Behandlung des § 8 des preußischen Vereinsgesetzes gab. Jedenfalls ist durch die Korrektionsversuche dieser Paragraph in seinen Grundfesten erschüttert worden, seine Unhaltbarkeit ist offiziell proklamiert und ein großes Stück seiner Tragfläche ist abgesprengt worden. Im Interesse seiner eigenen wie der allgemeinen Autorität des Gesetzes wird Herr von Hammerstein gut tun, ganze Arbeit zu machen und den Rest der wurmstichig gewordenen Schranken zu entfernen, um einem modernen, gesunden Geist freie Bahn zu schaffen.

Texte zum politischen Stimmrecht und zu anderen Wahlrechten Das Wahlrecht der Frauen zu den Gewerbegerichten Nach Nr. 1 dieses Jahrganges der „Gleichheit“ (s. Anm. S. 342) beauftragen die „Berliner Genossinnen“ die sozialdemokratische Reichstagsfraktion, für das den Arbeiterinnen bisher vorenthaltene Recht, zum Gewerbegericht zu wählen und für dasselbe wählbar zu sein, einzutreten. Nach Untersuchung der einschlägigen Bestimmungen, soweit sie in der Gewerbeordnung vom 6. August 1896 (s. Anm. S. 342), dem Gesetz betreffend die Errichtung von Gewerbegerichten von 1890 (s. Anm. S. 342) und dem Gerichtsverfassungsgesetze vom 27. Januar 1877 (s. Anm. S. 342) normiert sind und sofern nicht etwa schon eine denselben widerstrebende Praxis durch gerichtliche Entscheidung festgelegt ist, die ein Vorgehen in diesem Sinne aussichtslos macht, bin ich zu der Überzeugung gekommen, dass die von den Arbeiterinnen eingeschlagene Taktik nicht die richtige ist, sondern gewissermaßen eine freiwillige Selbstentäußerung von Rechten bedeutet, welche ihnen die bisherige Gesetzgebung zuerkannt hat, oder wenigstens dem bekannten Eulen-nach-Athen-Tragen gleichkommt. Das Gesetz betreffend Gewerbegerichte sagt in § 10 (s. Anm. S. 343): „Zum Mitgliede eines Gewerbegerichtes soll nur berufen werden, wer das 30. Lebensjahr vollendet, in dem der Wahl vorangegangenen Jahre für sich oder seine Familie Armenunterstützung aus öffentlichen Mitteln nicht empfangen oder die empfangene Armenunterstützung erstattet hat und in dem Bezirke des Gerichtes seit mindestens zwei Jahren wohnt oder beschäftigt ist. Personen, welche zum Amte eines Schöffen nicht tauglich sind (GVG §§ 31, 32) können nicht berufen werden.“ [Das Gesetz betreffend Gewerbegerichte sagt in] § 13 (s. Anm. S. 343): „Zur Teilnahme an den Wahlen ist nur berechtigt, wer das 25. Lebensjahr vollendet und seit mindestens einem Jahre in dem Bezirke des Gewerbegerichtes Wohnung oder Beschäftigung hat. Die in § 10 Absatz 2 bezeichneten Personen sind nicht wahlberechtigt.“ Der herangezogene § 32 des Gerichtsverfassungsgesetzes lautet (s. Anm. S. 343): „Unfähig zu dem Amte eines Schöffen sind: 1. Personen, welche die Befähigung infolge strafgerichtlicher Verurteilung verloren haben,

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2. Personen, gegen welche das Hauptverfahren wegen eines Vergehens oder Verbrechens eröffnet ist, das die Aberkennung … (etc.) zur Folge haben kann.“ Nachdem im Gesetze betreffend die Gewerbegerichte gesagt wird, dass „Arbeiter“ im Sinne dieses Gesetzes ist, wer nach Titel VII der Gewerbeordnung als solcher bezeichnet ist, also: „Gesellen, Gehilfen, Lehrlinge, Betriebsbeamte, Werkmeister, Techniker, Fabrikarbeiter“ (s. Anm. S. 343), ist zu untersuchen, ob irgendwelche Anhaltspunkte vorliegen, welche dem Gesetze die Intention des Ausschlusses weiblicher Arbeiter ersichtlich machen; das ist glücklicherweise nicht der Fall. Im Gegenteil, entweder bedient sich das Gesetz, wo es einen Unterschied zwischen männlichen und weiblichen Arbeitern gemacht wissen will oder ihn fixiert, ausdrücklich des Zusatzes „männliche Arbeiter“ wie in dem auch in der „Gleichheit“ zitierten § 120 Absatz 3 (s. Anm. S. 343), oder es deutet klar an, dass, wo es nicht ausdrücklich von männlichen Arbeitern spricht, es sowohl männliche wie weibliche Arbeiter meint wie im gleichen § 120 Abs. 2 (s. Anm. S. 343): „Als Fortbildungsschulen im Sinne dieser Bestimmungen gelten auch Anstalten, in welchen Unterricht in weiblichen Hand- und Hausarbeiten erteilt wird.“ So klar finden wir in keinem unserer Gesetze die Intention der Bezugnahme auf beide Geschlechter ausgedrückt, und wir werden befugt sein, nach allgemein maßgeblichem juristischem Grundgesetze die Intention des späteren Gesetzes über die etwa abweichende des früheren prävalieren zu lassen, zumal dessen grammatische Interpretation sich mit der logischen des späteren vollkommen deckt. – Demgegenüber sinkt das Gewicht der Reichstagsverhandlungen beim Zustandekommen des Gesetzes zusammen, selbst wenn bei einer etwaigen Entscheidung vor dem Verwaltungsgerichte der Umstand in Berücksichtigung kommen sollte, dass der Antrag „Eberty“ zu § 12 des Gesetzes abgelehnt wurde: „Das Geschlecht macht hinsichtlich des Rechtes zur Teilnahme an den Wahlen der Beisitzer (§ 11) keinen Unterschied.“ (s. Anm. S. 344) Maßgebend für die Interpretation des Gesetzes könnte diese Ablehnung für ein Gericht nicht sein, da einesteils solche Wirkung den Reichstagsdebatten überhaupt nicht beizulegen sein dürfte, anderenteils, wenn auch die ausdrückliche Heranziehung der Frauen zu den Gewerbegerichten von einer Reichstagsmajorität abgelehnt worden ist, doch wiederum eine Majorität eine Fassung des Gesetzes angenommen hat, welche mehr zu Gunsten einer stillschweigenden Zuziehung beider Geschlechter spricht als gegen sie, denn die in Frage kommenden Worte „wer“ und „Personen“ umfassen mit Sicherheit beide. Es dürfte daher den hier allein zur Betätigung kommenden Kreisen der Arbeiterinnen dringend empfohlen sein, nicht durch das Verlangen nach einem zum Mindesten streitigen, m[eines] E[rachtens] aber den Frauen zustehenden Rechte ihrerseits den reaktionären Gegnern Material an die Hand zu liefern, um

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den Bestand eben jenes Rechtes für die Gegenwart zu bestreiten und in der Zukunft zu versagen, sondern zunächst kurzweg den Weg der praktischen Geltendmachung aufgrund des Wortlautes der Gesetze zu beschreiten und bei den nächsten Gewerbegerichtswahlen, wo immer eine Gelegenheit sich dazu bietet, zahlreich auf dem Platze zu erscheinen und mitzuwählen. An Disziplin und Schulung fehlt es ja dort nicht, um, sobald die entsprechende Parole ausgegeben ist, eine Menge mutiger Kämpferinnen um ihr Recht anrücken und sie mit Nachdruck auf demselben bestehen zu lassen. – Eventuell müsste die Sache zur Entscheidung durch die verschiedenen Instanzen der Verwaltungsgerichte getrieben werden, wobei zum Mindesten ein interessantes Schauspiel sich ergeben würde, wenn man gerichtsseitig sich müht um die Erfindung von Gründen zur Ablehnung einer Forderung, die einesteils im Wortlaute der Gesetze, anderenteils in dem Grundprinzipe des ganzen Institutes der Gewerbegerichte begründet und endlich dem dringendsten praktischen Bedürfnisse einer halben Million arbeitender Frauen billigerweise gar nicht vorzuenthalten ist. Würden die WahlPetenten wirklich in der Praxis oder vor den Gerichten eine Niederlage erleiden, so würde es immer noch Zeit sein, beim nächsten Reichstage durch einen Gesetzantrag zum Ziele zu kommen. Jedenfalls wird man solchem Antrage nach der eventuell gemachten Erfahrung nicht mehr den Einwurf entgegenhalten können, für denselben liege kein Bedürfnis vor, wie man in den Verhandlungen von 1890 mit Fug und Recht tat (s. Anm. S. 344) unter Hinweis darauf, dass bisher in mehreren Kommunen die gewerbetreibenden Frauen das ihnen notorisch zustehende Wahlrecht zu den Schiedsgerichten niemals ausgeübt haben. Desgleichen wurde damals darauf hingewiesen, dass die Frauen von dem ihnen zuständigen Wahlrechte zu Krankenkassen keinen Gebrauch gemacht haben, und man muss in der Vernachlässigung dieses Rechtes allerdings eine schwere Verletzung einer politischen Pflicht erblicken, denn wo immer eine Handhabe zum Eindringen und Geltendmachen öffentlicher Rechte für die Frauen gegeben ist, sollten sie auf dem Platze erscheinen und sie beanspruchen. Am leichtesten können wir doch von der Betätigung auf dem Gebiete der kommunalen Selbstverwaltung aus zu der vollen Teilnahme an allen politischen Rechten vordringen, die ja allen Frauen ohne Unterschied der Parteifärbung willkommen sein muss, den bürgerlichen Frauen aber als unumgängliche Grundbedingung jeder sozialen Reform erscheint. – Nach einer Nachricht aus Frankfurt a[m] M[ain] besteht unter den dortigen Sozialdemokraten das Verlangen nach Einführung des Proportionalsystems für die Wahlen der Gewerberichter. Hier wäre die Gelegenheit gegeben für die Frauen nach Maßgabe ihres Prozentsatzes in der Arbeiterschaft Vertretung bei den Gewerbegerichten zu verlangen und überhaupt durch die Beteiligung weiblicher Richter in entsprechenden Gebieten den Anstoß zum reformatorischen

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Ausbau dieser Laiengerichte nach der Richtung wahrer Sachverständigengerichte zu geben, wovon sie bisher noch weit entfernt und darum in der Erfüllung ihrer eigentlichen Funktion noch weit zurück sind.

Doch nicht! In Nr. 4 dieses Jahrganges der „Gleichheit“ , S. 29 (s. Anm. S. 344) will ein anonymer Verfasser einen Widerspruch zwischen der von mir miteingebrachten Petition um Zulassung der Frauen u. a. als Schöffen zu den Laiengerichten und meinem Artikel in Nr. 3 der „Frauenbewegung“ (s. Anm. S. 344) betr[effend] die Geltendmachung des Rechtes der Frauen zur Wahl von Gewerberichtern nachweisen. Es ist aber wohl dem unbekannten Verfasser nicht bekannt, dass die Auswahl von Schöffen seitens des Amtsrichters und anderer Funktionäre aufgrund von Urlisten geschieht, gegen deren Lücken nur Einsprachen an eben diesen Ausschuss, aber nicht Beschwerden an eine höhere Instanz zulässig sind (GVG IV § 41) (s. Anm. S. 344). Hier kann also nur Gesetzeshilfe im Wege der Petition zum Ziele führen, während hinsichtlich der Gewerbegerichte Selbsthilfe der Interessentinnen möglich und meiner Auffassung nach vorzuziehen ist. Den gleichen Weg der Geltendmachung ihrer in Verfassung und Gesetzen wohlbegründeten Rechte haben die französischen Frauen seit 1880 eingeschlagen, und ich glaube kaum „in kritikloser Nachäffung der Taktik englischer Frauenrechtlerinnen“, die seit 1867 datiert (s. Anm. S. 344), sondern gemäß der logisch gleichartigen Entwicklung, welche die Frauenbewegung bei allen Nationen früher oder später nehmen muss. Den deutschen Frauen wird, nachdem sie sich die ihnen nach verschiedenen Verfassungen und Kommunalordnungen unzweifelhaft zustehenden Rechte klar gemacht haben, keine andere Taktik übrig bleiben. Es ist, m[eines] E[rachtens] wenigstens, der einzige Weg, einen rechtlich fundierten Ausgangspunkt für die Forderung politischer Gleichberechtigung zu schaffen, indem man zunächst den Beweis einer bisherigen Nichtberechtigung erbringt, der aus der jetzigen Fassung der gesetzlichen Bestimmungen nicht hervorgeht. – Da stehen sich eben Ansicht und Ansicht gegenüber: Man kann aber die seine auch in sachlicher und unpersönliche Form ausdrücken.

Frauen Deutschlands! Im Anschluss an den Leitartikel „Vor den Wahlen“ (s. Anm. S. 345) in der Nummer vom 15. März der „Frauenbewegung“ wenden wir uns an die Frauen aller Klassen und aller Berufe, um dieselben an ihre Pflicht zu erinnern, für eine

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freiheitliche, gesunde und gerechte, aufs Volksganze gerichtete Entwicklung einzutreten. Die bevorstehenden Reichstagswahlen (s. Anm. S. 345) bieten den Frauen Gelegenheit, sich darüber zu entscheiden, ob sie nur für einzelne, oftmals ganz untergeordnete Vereinstätigkeit wirken, oder ob sie sich als Staatsbürgerinnen fühlen und für ihre Rechtsstellung als solche eintreten und kämpfen wollen. Wir gelten nicht als Bürgerinnen unseres Reiches; die Männer, welche die Volksvertretung repräsentieren, kennen nur ihr eigenes Interesse und das ihrer Partei. Selten werden die Forderungen des Frauengeschlechts berücksichtigt, und geschieht es, so doch nur in einer Form, welche sich mit unseren berechtigten Forderungen und den veränderten Lebensbedingungen der Frauen in keiner Weise deckt. – Wir haben nicht das Recht, direkt auf die Wahlen zu wirken, wir haben aber die Pflicht, mit unseren Forderungen an diejenigen Reichstagskandidaten heranzutreten, welche sich unserer Rechte annehmen wollen und welche das Versprechen abgeben, unsere Forderungen im Reichstage zu unterstützen. Deren Kandidatur können wir durch Väter, Brüder, Söhne unterstützen, indem wir diese bestimmen, ihre politische Pflicht als Wähler auch in unserem Sinne auszuüben, wir können uns außerdem direkt mit den Kandidaten in Verbindung setzen, um mit diesen Mittel und Wege zu verabreden, wie ihrer Wahl wirksam vorgearbeitet werden könne. Die Forderungen, welche wir aufstellen, sind berechtigte und sind erfüllbare; nämlich: 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.

Einführung der weiblichen Fabrikinspektion. Erhöhter Schutz der arbeitenden Frauen. Freigebung aller Berufsarten und die Möglichkeit gleicher Vorbereitung und Vorbildung wie für die Männer. Berücksichtigung der Forderungen der Frauen zum Bürgerlichen Gesetzbuche. Bekämpfung der Unsittlichkeit. Freiheit des Vereins- und Versammlungsrechtes. Erlangung des Wahlrechtes.

Kandidaten, welche diese Forderungen, oder auch nur einige derselben, vertreten wollen, dürfen ihrerseits der Unterstützung der Frauen in jeder möglichen Form versichert sein. Die Zeit ist für immer vorüber, dass die Frau keine Verantwortung für das öffentliche Leben des Volkes trug, die Zeit ist gekommen, wo sie als Bürgerin des Staates Rechte haben muss, um Pflichten ausführen zu können.

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Nicht mehr Worte nur, sondern Taten fordert diese Zeit! Der nächste Reichstag wird entscheidend sein, ob Reaktion, ob Freiheit in unserem Vaterlande herrschen soll. Frauen Deutschlands, auch in unserer Hand liegt die Entscheidung, nach welcher Seite das Geschick für uns und unser Volk sich wendet!

Deutscher Verein für Frauenstimmrecht 1: An Deutschlands Frauen! Eine neue Zeit stellt neue Aufgaben. Die Zeit, in der die Frau innerhalb des eigenen Heims ihre einzige Lebensaufgabe fand, ist für immer dahin. Tausende von Frauen stehen heute im öffentlichen Leben. Die letzte Berufszählung ergab über fünf Millionen erwerbstätiger Frauen in Deutschland. Es ist die Aufgabe dieser Frauen, eine Vertretung ihrer Interessen im Staate anzustreben. Als Staatsbeamte, als Lehrerinnen, als Mitarbeiterinnen in sozialen Hilfsvereinen, als Steuerzahlerinnen üben Tausende von Frauen Bürgerpflichten aus, darum haben sie das volle Recht, auch Bürgerrechte zu fordern! Solange die Gesetzgebung ausschließlich in den Händen des Mannes liegt, ist die Frau in der Ausübung ihres Berufes, in ihrer sittlichen Stellung, ihrer sozialen Hilfsarbeit, ja sogar in der Erziehung ihrer Kinder völlig vom Gutdünken des Mannes abhängig. Denn umsonst sind alle Bestrebungen der Frauen zur Verbesserung ihrer Lage, zur Erlangung gründlicher Bildung, zum Schutz der Frauen-Arbeit, zur Beseitigung der doppelten Moral, solange ihnen die Mitwirkung versagt bleibt an allen dahin zielenden gesetzlichen Reformen. Nur die gemeinsame Arbeit von Mann und Frau kann eine gedeihliche Entwicklung der Gesetzgebung herbeiführen. Darum ist die Mitarbeit an der Gesetzgebung heute die vornehmste Aufgabe für die Frau. Der einzige Weg dazu ist die Erlangung der Politischen Rechte.

1

(s. Anm. S. 345)

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Deutschlands Frauen, auf in den Kampf für diese Rechte, tretet dem Verein bei, der sie für Euch erringen will. Werdet Mitglieder des Deutschen Vereins für Frauenstimmrecht. Der Vorstand Dr. jur. Anita Augspurg, 1. Vorsitzende, Berlin, Kurfürstenstraße 44

Lida Gustava Heymann, 2. Vorsitzende Hamburg, Paulstraße 25 (s. Anm. S. 345)

Adelheid von Welczeck (s. Anm. S. 345), Schrift- und Kassenführende. Berlin, Nettelbeckstraße 26 Frau Minna Cauer (s. Anm. S. 345), Dr. phil. Käthe Schirmacher (s. Anm. S. 345), Berlin Wormserstraße 5 Paris, Rue Notre Dame des Champs 53

Die politische Erziehung der Frau Alle Parteien der Frauenbewegung, von den sozialdemokratischen bis zu den kirchlichen Kreisen, der gemäßigte rechte wie der radikale linke Flügel der bürgerlichen Frauen haben dieselbe Forderung als wesentlichen Punkt ihres Strebens anerkannt, die Forderung der politischen Rechte für die Frau. Der Anspruch auf dieselben wird allgemein und wiederholt betont, d. h. wenn wir offen sein wollen, allgemein nachgesprochen, ohne dass man irgendwie Ernst macht, den Worten Nachdruck zu verleihen, ja ohne dass man ihre Tragweite ermisst oder sich mit ihrem Inhalt gründlich vertraut macht. Die Frauen des europäischen Kontinentes sind heute politisch noch in hohem Grade unreif; wir müssen uns diese Tatsache vor Augen halten, um mit Eifer an ihre Besserung zu gehen. Von den der organisierten Frauenbewegung in Deutschland angehörigen etwa 100 000 bürgerlichen Frauen proklamieren etwa 20 000 durch ihre Vereinsvorstände die politischen Ansprüche, von diesen aber werden wenige hundert den politischen Pflichten voll gewachsen sein. – Denn nicht darum handelt es sich, dass Frauen in Zukunft zur Wahlurne gehen, um in Sachen des Eherechtes, des Rechtes über ihre Kinder, ihres Erwerbes, ihrer Berufsfreiheit Vertreter ihrer Interessen aufzustellen, also eine neue Interessenpartei zu formieren – wennschon die berechtigtste von allen –, sondern um ernsten, strengen Dienst gegen das Vaterland, um Mitarbeit an seinem Heil und seiner Wohlfahrt bei allen Fragen der inneren und der äußeren Politik, der Verwaltung und der Fortentwicklung. Wie viele Frauen aber sind heute fähig, unsere politischen

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Zeit- und Streitfragen zu verstehen? Wie viele interessieren sich auch nur für sie? Selbst wenn es Fragen sind, die unserem Volksleben bis ins tiefste Mark gehen! Wessen Schuld ist dieser tief bedauerliche Zustand? Dieser gänzliche Mangel an echtem Bürgergefühl und politischem Verständnis unserer Frauen? Es ist sowohl die Schuld der früheren wie der heutigen Generation. Man rühmt von denen, die vor 40, 50 Jahren eine Frauenbewegung gegründet und sie geführt haben, dass sie von allem Anfang die Perspektive der politischen Rechte der Frauen erkannt und verstanden haben. – Gefordert aber haben sie sie nur gewissermaßen apokryph (s. Anm. S. 346), etwa in späten Tagebuchblättern: In der Agitation jener Tage, die noch durchglüht waren von dem Hauch von 1848, als manche Frau tapfer mitgeschwommen war im Strome politischen Kampfes und Duldens, wurde weise geschwiegen von solchen Rechten unter dem Vorgeben, die Frauen seien noch nicht reif für dieselben. – Gewiss, sie waren es nicht, aber dass sie es auch heute noch nicht sind bei uns, während sie es in England und Amerika in vollem Maße sind, wo die Frauenbewegung zur gleichen Zeit wie hier einsetzte, zwischen 1840 und 1850, das ist, wie dort das Verdienst der englischen und amerikanischen Führerinnen, so hier die Schuld der deutschen Führerinnen. Wie wenig hätte es damals gekostet, wo noch nicht der Abstand gähnte zwischen politischer Befähigung der Männer und politischer Unreife der Frauen, zwischen der Gewöhnung an die Bürgerrechte beim einen Geschlecht und dem Ausschluss von denselben für das andere. Die ersten Schriften der Männer zur Frauenfrage, von Kant und Hippel (s. Anm. S. 346), hatten sich in erster Linie mit der bürgerlichen Lage der Frauen beschäftigt, und auch die im Drange der Befreiungskämpfe von 1848 der preußischen Krone abgerungene Verfassung dachte an keine Scheidung des Volkes in mündige Männer und unmündige Frauen, nachdem den Regierenden bisher die gesamten Untertanen als gänzlich Unmündige erschienen waren. Das Wahlgesetz von 1850 spricht von der Zahl der Seelen (s. Anm. S. 346), welche je einen Wahlmann aufstellen sollen und die Regierungsvorlage des Vereinsgesetzes enthielt nicht den § 8 a in seiner späteren Fassung (s. Anm. S. 346): Die berüchtigten „Frauenspersonen“ sind erst durch den Antrag eines Abgeordneten hineingebracht worden (s. Anm. S. 346). Auch die Ausnahme der Wahlvereine von den sonstigen Beschränkungen des Vereinsrechtes kann als ein scharfes Schlaglicht auf die ursprüngliche Auffassung der Regierung gelten – die übrigens noch 1861 bei der österreichischen Regierung die völlig gleiche war (vgl. „Silhouetten“ in „Dokumente der Frauen“ Nr. 1 vom 1. Januar 1901) (s. Anm. S. 346) –, dass die bürgerlichen Rechte auf Männer und Frauen gleich verteilt sein sollen. Welches Entgegenkommen fanden die führenden Frauen jener Zeit bei den Männern. Leitende Politiker wie SchultzeDelitzsch und Holtzendorff (s. Anm. S. 346) haben in den sechziger Jahren wie-

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derholt und dringend aufgefordert, mit vollem Ernst den Weg zur politischen Arbeit zu betreten. Philosophen wie Feuerbach nahmen keinen Anstand, die volle Berechtigung und Befähigung der Frauen zum politischen Leben anzuerkennen, aber man hat die ausgestreckten Hände zurückgewiesen, man hat erst „reif“ werden wollen, und man hat verschuldet, dass sich nun die weite Kluft zwischen beiden Hälften des Volkes aufgetan hat, die damals nicht bestand. Ursprünglich war die politische Befähigung beiderseits ziemlich gleich, die Männer sind an ihren Rechten emporgewachsen, die Frauen sind in dem seither für sie erst entstandenen Ausschluss von jeder Behandlung und Erörterung politischer Fragen im Vergleich unreifer geworden als sie ehemals waren. Eine einzige Frau hat vor langen Jahren, ein Prediger in der Wüste, erkannt, was einzig die Lage der Frau heben und sie zu einer gleichgeachteten Persönlichkeit in der Gesellschaft machen könne: ihre Mitarbeit am Staat. Jene Frau, eine Schriftstellerin, viel zu bescheiden und schüchtern, um sich persönlich in den agitatorischen Kampf zu mischen, aber klar und scharf in ihrem Denken und mutig und offen in ihren Worten wie keine – Hedwig Dohm – forderte die politischen Rechte für die Frau Anfang der siebziger Jahre in mehreren Schriften, die jetzt in dem Buche „Der Frauen Natur und Recht“ gesammelt erschienen sind (s. Anm. S. 347). Aber die damalige Frauenbewegung beachtete die Forderung nicht und trat nicht für sie ein. Nun zu der Schuld der heutigen Generation. Das Wort, das lange keinen Eingang finden konnte, ist aus anderen Ländern zu uns herübergetönt und ist endlich bei uns aufgenommen worden. Wir haben es auf unsere Fahnen geschrieben: Damit aber haben wir uns nun schon geraume Zeit begnügt, und diese Ruhe beginnt verhängnisvoll, beginnt Schuld zu werden. Wir haben eine Parole aufgestellt, aber wir verbinden nicht den richtigen Sinn mit ihr; wir wollen auf Rechte warten, aber wir beginnen nicht, sie Schritt für Schritt zu erwerben. Die Vorarbeit muss beginnen, die Betätigung muss in Angriff genommen werden, die ein Stück ums andere ergreift, bis alles gewonnen ist. – Es muss Ernst werden mit den politischen Rechten! Vor einiger Zeit lasen wir in den „Neuen Bahnen“, eine Stagnation in der Frauenbewegung mache sich bemerklich (s. Anm. S. 347). – Wir sogenannten Stürmer und Dränger (s. Anm. S. 347) haben solche Stockung zwar zu keiner Zeit empfunden, die Selbsterkenntnis der gemäßigten Seite aber haben wir zu würdigen gewusst und sind überzeugt, dass auf ganzer Linie unserer Bewegung Leben und Fortgang nur herrschen kann, wenn lebhafter Anteil an der nationalen und internationalen Politik ihr zu einer Regeneration verhilft. Sport, Vergnügen, Wichtigtuerei einer Damenbewegung muss verbannt werden allüberall, bis tief in die kleinen und kleinsten Gruppen und Vereine hinein müssen politische Ideale aufgestellt, politische Überzeugungen gefasst werden,

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für welche unsere Frauen lernen, mit ihrer vollen Persönlichkeit einzutreten, für sie zu kämpfen und, wenn’s nötig ist, für sie Opfer zu bringen und Nachteile zu erleiden. Mutige Frauen brauchen wir, wie wir mutige Männer brauchen, nicht Kompromiss- und Opportunitätsmenschen. Wir wollen die Bürgerrechte für die Frau, wir müssen auch fähig sein, sie auszuüben, wir müssen den Platz beherrschen können, den wir beanspruchen, um nicht etwa die große Zahl der geleiteten oder missleiteten urteilslosen Wähler zu vermehren, sondern um tatsächlich das zu sein, was das Prinzip des allgemeinen gleichen Wahlrechts von jedem verlangt: einsichtsvolle, unabhängige, überzeugungstreue Bürger. Wir sehen zwei Theorien vertreten: Die eine erklärt, die Frau ist noch nicht reif für die politischen Rechte, sie kann sie daher nicht fordern; die andere steht auf dem Standpunkt, man gebe der Frau die politischen Rechte und sie wird durch ihre Ausübung politisches Verständnis gewinnen, wie es der Mann auf dem gleichen Wege gewonnen hat. – Ich erkenne zwar von der ersten Theorie nur den Vordersatz an, ich gebe dagegen die Richtigkeit der zweiten im vollen Umfange zu, aber meinem Ideale genügt sie dennoch nicht. Ich stehe vielmehr auf dem Boden, dass, während die Frau die Forderung der politischen Rechte ausspricht und mit Nachdruck vertritt, sie die Zeit bis zu deren Erlangung eifrig nutzen soll, um mit vollem Verständnis für ihre Aufgaben ausgerüstet zu erscheinen, wenn sie demnächst zu den politischen Pflichten berufen wird. Wir sehen in unseren Nachbarstaaten lehrreiche Illustrationen für beide Theorien vor Augen. Wir sehen in England hochentwickelte Frauen, die von Staffel zu Staffel vorgedrungen sind, die an der politischen Arbeit seit Jahrzehnten in hervorragender Weise teilgenommen haben und die von kirchlichen und kommunalen Vertrauensämtern zu verantwortlichen Verwaltungsposten und kaum noch beschränkten Gemeindewahlrechten aufgestiegen sind: Ihre Zulassung zu den Parlamentswahlen findet ihre Lösung in allernächster Zeit, und ihr Vaterland erwartet mit Recht von dem letzten Schritt zu ihrer vollen Bürgergleichheit wesentliche Bereicherung seiner staatlichen Entwicklung, obgleich sie mit dem Stimmzettel in der Hand nur wenig mehr noch leisten können, als sie ohne denselben schon seit Jahr und Tag für ihr Land geleistet haben. Ähnlich geht es in Norwegen, wo eben wieder die Frauen unter dem Jubel des ganzen Landes den wichtigen Schritt vorwärts getan haben zum vollen kommunalen Wahlrecht und zur Wählbarkeit zu den richterlichen Ehrenämtern. Ganz anders liegen dagegen die Verhältnisse in Belgien und in Frankreich. Dort will plötzlich die klerikale Partei ihre schwer bedrängte Position durch Heranziehung zahlreicher Wählermassen bessern, die sie völlig in der Hand hat und als Werkzeuge ihrer Bestrebungen verwenden kann. Die politisch durchschnittlich völlig unreifen Frauen jener Länder sollen die Stimmmassen darstellen, ihnen will das Zentrum plötzlich die politischen Rechte in den Schoß werfen. Kein Zweifel, dass das zur

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Ausführung gebrachte Projekt für das belgische wie für das französische Staatsleben eine schwere Kalamität bedeuten würde, dass die eben beginnende freiere Entwicklung jener Länder in verhängnisvolle Kämpfe verstrickt und wesentlich aufgehalten würde, wenn das Zentrum mit den blindfolgenden weiblichen Legionen auf dem politischen Kampfplatz aufziehen würde. Allerdings liegt in dieser niederdrückenden Gewissheit kein Grund für die Resignation der belgischen und französischen Frauen und vor allem kein Motiv und keine Entschuldigung für den kläglichen Programmverrat der belgischen Sozialdemokratie, die doch ihrem ganzen Dogma nach verpflichtet ist, das Prinzip über die Opportunität zu stellen, und weitsichtig genug sein müsste, um über der kurzen Zeit des Niederganges den dann folgenden großen Kräftezuwachs nicht aus den Augen zu verlieren, der dem politischen Leben durch die Mitarbeit der selbständig gewordenen Frauen zufließen würde. Sollen wir deutschen Frauen aber müßig bleiben, bis vielleicht auch bei uns einmal eine bedrohliche Konstellation das Zentrum veranlasst, seine Stütze in ihnen zu suchen und bis sie dann gleichfalls, eine ungeschulte, urteilslose Masse, ihrem Vaterlande zum Fluch werden anstatt zum Segen? Nein, lieber wollen wir unser Ideal suchen bei den nordischen Schwestern, die politisch reif wurden, obwohl sie noch politisch rechtlos waren, die aber durch eigene Arbeit und Disziplin den Befähigungsnachweis zum Dienst für Volk und Staat erbrachten und nun im Begriff sind, den vollverdienten Preis ihres Ringens zu ergreifen. Gar viel haben wir an uns selbst zu arbeiten, bis wir auf der Höhe der Aufgaben sind, die unserer warten. Es sei nur kurz skizziert, was meines Erachtens unerlässlich ist an Kenntnissen und Fähigkeiten für jeden Bürger, der an der Gestaltung seines Landes mitarbeiten will. Dass auch zahllose Männer, ja die Mehrzahl derselben, weitab sind von dem hier angelegten Maßstabe, kann uns nicht veranlassen, das wahrlich nicht zu hoch bemessene Ideal herabzusetzen. Als Voraussetzung für jeden, der seinem Vaterlande dienen will, gilt mir, dass er ein warmes Herz nicht allein für sein Volk, sondern für die Menschheit überhaupt habe und einen weiten Blick für die Zustände und Verhältnisse dieser Welt. Alsdann bedarf er der Kenntnisse von mancherlei Art: Die Geschichte der Völker und seines eigenen Volkes muss er in ihrer Entwicklung und in ihren Wechselwirkungen kennen, die Geschichte der Kultur soll ihm das Verständnis für den sozialen und den geistigen Zustand seiner eigenen Zeit erschließen. Die Bürgerkunde soll ihm die Verfassung des Reiches wie des Bundesstaates, in dem er lebt, erklären, nicht minder soll er die Verfassung der Gemeinde kennen, welcher er angehört, und die Aufgaben der Verwaltung beurteilen können, insbesondere die Kompetenzenteilung zwischen Regierungsgewalt und Selbstverwaltung in Gemeinde, Kreis, Provinz, an welcher mitzuwirken er berufen ist. Das

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Wesen der Rechtspflege, was er ihr, was sie ihm schuldet, mache er sich vertraut; die Finanzquellen der öffentlichen Haushalte lerne er verstehen; die Hilfsmittel, welche die Statistik hinsichtlich der Bevölkerung und der wirtschaftlichen Zustände bietet, soll er zu gebrauchen wissen, und endlich verschaffe er sich Einblick in die internationalen Beziehungen der handelspolitischen Interessen, der Staatsverträge, der Bündnisse. Dieses alles mag als eine zu hoch gegriffene Forderung erscheinen und doch bewegt sich die Summe derselben in dem Rahmen dessen, was eine gute Allgemeinbildung uns geben sollte: Würde die Schulzeit in weiser Übersicht ausgenutzt, um den Grund für das Gebäude anzulegen, wir brauchten im späteren Leben nur die fließende Entwicklung im Auge zu behalten, um stets orientiert zu sein über die Vorgänge und die Ansprüche der Zeit. Nur ausgerüstet mit dem vollen Verständnis für die uns umgebenden Zustände dürfen wir uns eine politische Überzeugung bilden; aus strenger Prüfung an der Hand unserer Kenntnisse soll sie erwachsen. Mängel und Fehler an ihr sollen wir verbessern, nicht verknöchern, sondern vielmehr wandlungs-, d. h. entwicklungsfähig sollen wir bleiben. Es ist keine Schande, sein politisches Glaubensbekenntnis zu wechseln, aber es ist schändlich, es aus anderen Motiven als aus innerer Überzeugung zu tun, und es ist ebenso schändlich, eine Überzeugung zu verleugnen. Das politische Ehrgefühl der Frauen muss geschärft werden. Mut haben ist Willenssache! Die Vorgänge des politischen Lebens müssen mit reger Kritik verfolgt werden, bei welcher ein absoluter und objektiver Maßstab anzulegen ist. – Hüten wir uns, die Welt durch die Brille des patriotischen Selbstgefühls, nationaler Überhebung und des blinden Chauvinismus zu betrachten: Wir wissen diese verhängnisvollen Fehler so scharf an anderen Völkern zu tadeln, machen wir uns klar, dass der Deutsche im gleichen Maße dazu neigt; hüten wir uns ängstlich vor jedem Interessenstandpunkt, vor jeder Einseitigkeit; lesen wir die Zeitungen anderer Länder, anderer Richtungen, besuchen wir die Versammlungen aller Parteien. An den politischen Ereignissen ist ein tätiger Anteil zu nehmen, wobei auch das kommunale Leben nicht außer acht zu lassen ist. Durch Frauenversammlungen sollen wir Stellung nehmen auch zu den Fragen der allgemeinen Politik, durch Besuch politischer Versammlungen sollen wir unser Interesse und unsere Zugehörigkeit zum politisch aktiven Volke bekunden, durch Teilnahme an den Erörterungen sollen wir unsere politische Reife dartun. Auf die Wahlen muss Einfluss ausgeübt werden. Zur Mithilfe bei der Wahlarbeit müssen wir unsere Kräfte zur Verfügung stellen. Wie hat man die englischen Frauen schätzen gelernt bei den Wahlen, längst ehe sie selbst wählen konnten, waren sie häufig ausschlaggebend, und die Kandidaten lernten sie als Gegner fürchten, als Kampfgenossen im höchsten Grade schätzen. Wie viele

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Wahlrechte liegen schon heute in Händen der Frauen: Gemeindewahlen auf dem Lande und in vielen Städten, Wahlen der Versicherungskassen, zu den Gewerbegerichten sind den Frauen zugänglich, und kaum je üben sie ihre Rechte aus in sträflicher Indifferenz. Dieses ist das Programm, es bietet der Arbeit genug, und wir haben nicht Zeit, länger zu feiern und wartend beiseite zu stehen. Die Vereinsvorstände müssen die Führung übernehmen, die Initiative, die so lange, so unheilvoll gefehlt hat, muss gegeben werden. Es ist eine schwere Aufgabe in den Provinzen und kleineren Orten, aber was heute in unseren Hauptstädten Berlin und Hamburg erreicht worden ist, ward ebenfalls schwer errungen. Auch dort sind die Frauen nicht mühelos reif geworden, sonst müssten doch große Schichten der Frauenwelt annähend gleichmäßig gereift und erweckt sein. Was zeigen aber die Tatsachen? Eine kleine Minderheit beiderorts, die ohne Zagen und ohne Scheu vor Anfeindung und dem reichlich gespendeten Spott vorgedrungen ist, bis die Spötter verstummten und bis die Anerkennung einer gerechten Sache sich durchsetzte. Nein, was heute auswärts durchgekämpft sein muss, das ist früher hier durchgekämpft worden; die Verhältnisse lagen gleich, erst heute sind sie verschieden. Mut, Ausdauer, Überzeugungstreue und Disziplin, das sind die Eigenschaften, die wir brauchen. Die Jugend müssen wir begeistern, sie muss mit neuen Ansprüchen und Idealen heranwachsen und eine neue Welt erobern helfen. Die Zeit ist reif und das Gebot der Pflicht treibt uns vorwärts. Die fortschrittlichen Frauenvereine müssen fort- und müssen voranschreiten, nicht mit Worten, sondern mit Taten!

Verweigertes Recht – verweigerte Steuern Im Oktober 1901 hielt Dr. jur. Anita Augspurg im „Verein Frauenwohl, Hamburg“, ein Kolleg über Bürgerkunde (s. Anm. S. 347) unter besonderer Berücksichtigung der Reichs- und Hamburgischen Verfassung. Sie wies in ihren Vorträgen darauf hin, dass nach dem Gesetze vom 2. November 1896 (s. Anm. S. 347) auch Frauen in Hamburg, unter Innehalten der vorgeschriebenen Formalitäten, nicht nur berechtigt, sondern unter Umständen sogar verpflichtet seien, das Bürgerrecht zu erwerben. Diese Darlegungen stützen sich auf § 3 des angeführten Gesetzes (s. Anm. S. 348), nach welchem zum Erwerb des Hamburgischen Bürgerrechts verpflichtet ist, wer volljährig, staatsangehörig, im Besitz der bürgerlichen Ehrenrechte usw., seit 5 Jahren für ein Einkommen von 1 200 Mark steuerpflichtig ist und in den letzten 3 Jahren ein Einkommen von 2 000 Mark versteuert hat.

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Diese Angelegenheit wurde in den Hamburgischen Tageszeitungen (der „Correspondent“ brachte einen Leitartikel, betitelt: „Die Hamburgische Bürgerin“ (s. Anm. S. 348)), lebhaft erörtert. Die politische Presse wandte der Sache ihre Aufmerksamkeit zu und bekannte Hamburgische Juristen, denen offenbar nur der Gedanke an eine „Hamburgische Bürgerin“ Entsetzen und Schrecken einflößte, ergingen sich in echt männlichen, juristischen Tiraden, welche den uneingeweihten Laien Sand in die Augen streuen sollten, jedoch weder die hier in Frage kommenden Frauenkreise, noch die Sache objektiv beurteilende Juristen überzeugen konnten. Am 9. November 1901 reichte die Vorsitzende des „Vereins Frauenwohl“ (s. Anm. S. 348) bei der Aufsichtsbehörde für Standesämter ein Gesuch um Erteilung des Bürgerrechts ein; kurz darauf wurde sie zu einer persönlichen Besprechung auf die Behörde zitiert, man versuchte ihr dort klar zu machen, dass einer Frau das Bürgerecht nicht erteilt werden könne, man hoffte, die Antragstellerin würde sich damit zufrieden geben und war sehr erstaunt, als diese auf der Zusendung einer schriftlich motivierten Antwort bestand, welche sie alsdann auch am 22. November 1901 erhielt; sie lautet: „An Frl. Lida Gustava Heymann. Auf Ihr Gesuch vom 9. d. M. um Zulassung zum Erwerb des Bürgerrechts gereicht Ihnen zum Bescheide, dass gemäß § 2 des Gesetzes betreffend die Hamburgische Staatsangehörigkeit und das Hamburgische Bürgerrecht vom 2. November 1896 nur Staatsangehörige männlichen Geschlechts zuzulassen sind und Ihrem Gesuche daher keine Folge gegeben werden kann. Der Senator. Chef der Aufsichtsbehörde für die Standesämter. Westphal.“ In dieser Erklärung konnte die Antragstellerin eine „Motivierung“ der Ablehnung ihres Gesuches nicht erblicken, sie erneuerte ihre Forderung am 2. Dezember folgendermaßen: „Auf mein Gesuch vom 9. d. M. um Zulassung zum Erwerb des Bürgerrechts wurde mir unter dem 22. d[esselben] eine ablehnende Antwort zugestellt. Die Begründung stützt sich darauf, dass gemäß § 2 des Ges[etzes] betr[effend] die Hamb[urgische] Staatsangehörigkeit und das Hamb[urgische] Bürgerrecht vom 2. Nov. 1896 nur Staatsangehörige männlichen Geschlechts zugelassen werden könnten. Dem habe ich entgegen zu stellen: Erstens, dass diese Begründung weder allgemein noch speziell aufrecht zu erhalten ist, denn es ist in dem „Gesetz vom 2. November 1896 im Gegensatz zu dem früheren Gesetz vom 7. November 1864 nirgends eine Bestimmung getroffen, welche Frauen von dem Erwerbe des Bürgerrechts ausschließt, wie sie ja auch bis zum Jahre 1864 zum Erwerbe des Bürgerrechts sowohl berechtigt wie verpflichtet sein konnte. Es ist vielmehr in dem ganzen Gesetz, sowohl in Bezug auf den Erwerb des Bürgerrechts wie der Staatsangehörigkeit, durchgängig ganz allgemein in einer Form

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gesprochen, die in allen unseren Gesetzen, wo nicht ausdrücklich anders bestimmt ist, für Männer wie für Frauen Geltung hat! Beweis für die Richtigkeit dieser Annahme ist vor allem in der steten Erteilung der Staatsangehörigkeit an Frauen nach Maßgabe desselben Gesetzes und aufgrund desselben Wortlautes gegeben. Es wird kaum angängig sein, von ein und demselben Gesetze bei ganz gleichem Wortlaut zu sagen, § 1 bezieht sich gleichmäßig auf Männer und Frauen, §§ 2 und 3 beziehen sich ausschließlich auf Männer. Zweitens liegt ein besonderer Beweis dafür, dass auf dem in Frage kommenden Gebiet nach den unter 1 gemachten Ausführungen die männliche Bezeichnung für beide Geschlechter gültig sein soll, in der Form, wie die öffentlichen Urkunden von der Behörde selbst ausgefertigt werden. Mir ist in meiner Naturalisationsurkunde ausdrücklich bestätigt worden, dass ich als ‚Hamburgischer Staatsangehöriger‘, nicht als ‚Hamburgische Staatsangehörige‘ naturalisiert worden bin. Nach Maßgabe dieses Sachverhaltes kann ich mich mit dem Bescheide der hochlöbl[ichen] Aufsichtsbehörde für Standesämter vom 22. November 1901 nicht zufrieden geben, sondern erneuere aufgrund meiner Eingabe vom 9. November 1901 mein Gesuch um Erteilung des Bürgerrechts und sehe einer diesbezüglichen Antwort entgegen. Hochachtungsvoll Lida Gustava Heymann.“ Ohne jede Berücksichtigung dieser schlagenden Beweisgründe, erfolgte am 29. Januar a[nni] c[urrentis] (s. Anm. S. 348) abermals eine ablehnende Antwort, welche auf das Schreiben vom 2. Dezember a[nni] p[raeteriti] (s. Anm. S. 348) verwies, also lediglich die Konstatierung der Tatsache wiederholte, dass bisher das Bürgerrecht nicht an Frauen erteilt worden sei, nicht aber die der Antragstellerin gesetzlich zustehende „motivierte Antwort“ zur Erklärung eines derartigen generellen Verfahrens. Fragt sich der beschränkte Untertanenverstand nicht unwillkürlich: Wozu werden denn eigentlich Gesetze gemacht? Die Vorsitzende des „Vereins Frauenwohl“ reichte nunmehr eine Beschwerde beim Senat wegen Verweigerung des Bürgerrechts ein, nach Darstellung des Tatbestandes fährt sie fort: „Da sich die Unterzeichnete durch die beiden erhaltenden Bescheide der hochlöblichen Aufsichtsbehörde für die Standesämter in ihrem Rechte verletzt erachtet, erhebt sie nunmehr bei Einem Hohen Senat aufgrund des § 7 des Gesetzes vom 2. November 1896 Beschwerde. Der § 2 des Gesetzes enthält keinerlei Angabe, dass nur männliche Staatsangehörige zum Erwerb des Bürgerrechts befugt sind, wie der Bescheid der Aufsichtsbehörde vom 22. November 1901 irrigerweise behauptet. Das in dem Gesetz durchweg angewendete grammatikalische Maskulinum begreift nach allgemeiner Praxis in allen Gesetzen und Verordnungen beide Geschlechter, es

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findet sich nie und nirgends in Gesetzen, die notorisch täglich auf Männer und Frauen angewendet werden, die weibliche neben der männlichen grammatischen Form gebraucht, weil das zu weitschweifigster Schwerfälligkeit des Textes führen würde, vielmehr ist in der Praxis allgemein durchgeführt, dass das Maskulinum für die Gesamtheit gilt und dass die wenigen Ausnahmen, die sich auf weibliche Personen beziehen, durch ausdrückliche Anführung gekennzeichnet sind. Die willkürliche Annahme, dass das Gesetz vom 2. November 1896 nur männliche Personen betreffen wolle, ist umso weniger aufrecht zu erhalten, als das vorhergegangene Gesetz vom 7. November 1864 ausdrücklich, und im Gegensatz zu früherer Gepflogenheit, das Bürgerrecht den Frauen vorenthielt, die im § 8 des Gesetzes vom 2. November 1896 enthaltene Aufhebung jenes Gesetzes enthält folglich auch die Aufhebung der für die Frauen seit 1864 geschaffenen Ausnahmen. Der aus der grammatikalischen Fassung des Textes vom § 2 abgeleitete Einwand gegen die Erteilung des Bürgerrechts an weibliche Personen wird völlig unhaltbar unter dem Gesichtspunkte, dass die gleiche Fassung in § 1 besteht und trotzdem dieser Paragraph andauernd für beide Geschlechter angewendet wird: Es steht dort, dass „Ausländer“ die Staatsangehörigkeit erwerben können, und sie wird fortgesetzt auch an „Ausländerinnen“, wie z. B. an die Unterzeichnete, ohne die geringste Schwierigkeit erteilt. Zu alledem werden auch in logischer Übereinstimmung mit der allgemeinen Fassung der Gesetze und der allgemeinen Anwendung derselben die bezüglichen öffentlichen Urkunden in ein und derselben Fassung, für beide Geschlechter gleichlautend ausgestellt und an Männer und Frauen unter dem gleich angewendeten Maskulinum ausgehändigt, so dass auch der Unterzeichneten amtlich bestätigt worden ist, dass sie als „Hamburgischer Staatsangehöriger“ naturalisiert sei. Indem durch die den obigen Ausführungen zu Grunde liegenden Tatsachen der ergangenen Entscheidung der Aufsichtsbehörde für die Standesämter wohl jegliche Grundlage entzogen ist, wird eine Beschwerde gegen die ausgesprochene Verweigerung der Bürgerrechtserteilung durchaus gerechtfertigt erscheinen. Die Unterzeichnete bittet demnach gehorsamst: Ein Hoher Senat wolle durch seinen Beschluss die Entscheidung der Aufsichtsbehörde für die Standesämter vom 22. November 1901, resp[ektive] 29. Januar 1902 als unzutreffend aufheben und gemäß dem Gesuche vom 9. November, resp[ektive] 2. Dezember 1901 das Hamburgische Bürgerrecht an die Gesuchstellerin erteilen. Hamburg, Mai 1902. Hochachtungsvoll Lida Gustava Heymann.“ Die am 9. Juni 1902 erfolgte Antwort des Senats lautet: „Der Senat erteilt auf die Beschwerde von Lida Gustava Heymann gegen die Verfügungen der Aufsichtsbehörde für die Standesämter vom 22. November 1901 und 29. Januar 1902 wegen Ablehnung des Antrages auf Verleihung des Bürgerrechtes den Bescheid: Dass die Beschwerde als unbegründet zurückzuweisen sei,

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da die bis zum Jahre 1864 zulässig gewesene Verleihung des Bürgerrechtes an weibliche Personen durch § 6 Absatz 2 des Gesetzes betreffend die Staatsangehörigkeit und das Bürgerrecht vom 7. November 1864 (s. Anm. S. 348) in notwendiger Folge der gleichzeitigen Beschränkung des Bürgerrechtes auf politische Rechte und Pflichten als gegenstandslos aufgehoben ist und durch das Gesetz betr[effend] die Hamburgische Staatsangehörigkeit und das Hamburgische Bürgerrecht vom 2. November 1896 die Zulassung weiblicher Personen zum Erwerbe des Bürgerrechtes weder erfolgt noch beabsichtigt ist. Klußmann.“ Kurz und bündig ist dieser Bescheid begründet, ob überzeugend, das zu beurteilen bleibt dem Leser selbst überlassen. Die Empfängerin zog aus diesem Bescheide die logische Folgerung, dass, wer zu der gesetzlich vorgeschriebenen Erwerbung der Bürgerrechte nicht zugelassen wird, zur Leistung von Bürgerpflichten ferner nicht herangezogen werden könne. Sie hat unter Berufung auf den Senatsentscheid und die aus demselben von ihr gezogene Konsequenz bei der Einkommenssteuer der Finanz-Deputation beantragt, ihren Namen aus der Steuerliste des Hamburgischen Staats zu streichen und ihr den für 1902 grundlos bezahlten Betrag zurückzuvergüten. Mit der gleichen Forderung hat eine andere Hamburgerin (s. Anm. S. 348) die ebenfalls auf ihr Gesuch um das Bürgerrecht erhaltene Abweisung beantwortet. Das Verhalten der Steuerbehörde bleibt abzuwarten (s. Anm. S. 348).

Märchen über die Wirkungen des Frauenstimmrechts Seit einiger Zeit kann man beobachten, wie mit einer Art von Methode Berichte über die schlimmen Wirkungen der verschiedenen Errungenschaften der Frauenbewegung in Nordamerika, besonders des Stimmrechts, durch unsere Presse verbreitet werden, augenscheinlich in der Absicht, den Fortschritten auf gleichen Gebieten hierzulande Abbruch zu tun. Wenn schon Letzteres nicht erreicht werden wird – denn es ist vergeblich, einer Entwicklung in die Speichen greifen zu wollen, die von dem großen Schwungrade der Zeit ins Rollen gebracht ist und von den Wellen und Kurbeln wirtschaftlicher Notwendigkeit vorwärts getrieben wird –, scheint es angebracht, endlich einmal den Chorus der Kontrastimmen, die man wegen ihrer Belanglosigkeit ihre falschen Töne ungestört anstimmen ließ, durch das bekannte Kapellmeisterklopfen zum Schweigen zu bringen, sonst könnte sich schließlich die falsche Melodie in den Ohren des Publikums festsetzen und für richtig genommen werden. Als wohlbestallte und kompetente Kapellmeister dürfen uns Politiker und Staatsmänner derjenigen Länder gelten, die auf längere Erfahrungen über das Frauenstimmrecht zurückblicken; gegenüber den apokryphen Behauptungen, die in unseren Blättern lan-

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ciert werden und mit lauter vagen Betrachtungen operieren, fallen die Worte solcher Männer jedenfalls bedeutend schwerer ins Gewicht. Mit besonderem Nachdruck verweilen unsere Blätter bei den angeblich trüben Erfahrungen mit dem Frauenstimmrecht im Staate Colorado; sie werden zurückgeführt auf die Worte eines angesehenen Bundesrichters aus jenem Staate, Mr. Hallet (s. Anm. S. 348), der bei irgendeiner nicht offiziellen Gelegenheit ein völlig absprechendes (s. Anm. S. 348) Urteil über die Wirkungen der politischen Betätigung der Frauen in Colorado geäußert hatte, welches alsbald von berufener oder unberufener Seite öffentlich verbreitet worden war. Man hat daraufhin Mr. Hallet sofort zur Rede gestellt mit dem Erfolge, dass er erklärte, er würde jene Worte nicht gesprochen haben, wenn er gewusst hätte, dass sie öffentlich wiederholt werden könnten; er gab des Ferneren zu, dass er nicht imstande sei, die behaupteten Tatsachen aufrecht zu erhalten. Leider haben bei uns nur die Letzteren ihren Weg in die Öffentlichkeit gefunden, nicht die eigentliche Kritik, die Mr. Hallet selbst an ihnen zu üben sich nachträglich gemüßigt fand. Mehr Wert dürften demnach die Ausführungen eines anderen hochgestellten Bürgers des Staates Colorado beizumessen sein, der ihn im amerikanischen Senat repräsentiert, Thomas M. Patterson (s. Anm. S. 348). Dieser sprach an öffentlicher Stelle, folglich mit der Absicht, für seine Worte die Verantwortung zu übernehmen, ungeheuer günstig von den Wirkungen des Frauenstimmrechts in seinem Staate. Unter anderem erklärte Senator Patterson: „Man behauptet, dass das Frauenstimmrecht Familienzwist zur Folge haben würde. In Colorado haben wir das Frauenstimmrecht seit neun Jahren, und unsere Scheidungsgesetze sind ziemlich leicht, wennschon strenger als in Nachbarstaaten. Aber seit 1893, solange das Stimmrecht besteht, habe ich nie vernommen, dass politische Zwistigkeiten als Scheidungsgrund geltend gemacht worden wären oder auch nur als Entstehungsursache von Familienzerwürfnissen.“ Ein anderer im Staate Colorado einflussreicher Beamter, Gewerberat James P. Smith (s. Anm. S. 349), erklärte gleichfalls öffentlich: „Die praktische Wirkung des Frauenstimmrechtes in Colorado ist meines Erachtens nach jeder Richtung wohltätig gewesen. Der Ton in politischen Versammlungen hat eine Verbesserung erfahren, und die Frauen genießen heute mehr Achtung und Wertschätzung als früher. Man stößt nicht oft mehr auf Gegner der politischen Frauenrechte; die meisten Wähler, welche dem Frauenstimmrecht Opposition machten, als die Bewegung ihren Ausgang nahm, gestehen jetzt willig ein, dass keine ihrer Prophezeiungen drohenden Unheils sich bewahrheitet haben.“ Im Repräsentantenhause in Colorado sitzt übrigens eine weibliche Abgeordnete, Mrs. Heartz (s. Anm. S. 349), welche mit freundlicher Kollegialität behandelt wird und während der letzten Legislaturperiode sogar in mehreren Kommissionen den Vorsitz führte.

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Ebenfalls unumstößliche Tatsachen sprechen für das Frauenstimmrecht aus Wyoming, dem Staate, der seit 1869 seine Frauen als gleichberechtigte Bürger behandelt. Damals Territorium, sollte er, als er später in der Lage war, sich unter die amerikanischen Staaten einreihen zu lassen, als solcher nur angenommen werden, falls er durch eine Verfassungsänderung das Frauenstimmrecht wieder abschaffe. Das Repräsentantenhaus weigerte sich dessen und erklärte, lieber auf Rang und Rechte eines Staates verzichten als die segensreichen Wirkungen der weiblichen Bürgertätigkeit wieder einbüßen zu wollen. Als Wyoming 1894 das 25-jährige Bestehen des Frauenstimmrechts feierte, sandte es an sämtliche amerikanische und europäische Regierungen eine offizielle Kundgebung, worin es die von ihm mit so vorzüglichem Erfolg eingeführte politische Reform allerorts der Nachahmung empfahl. Solche offiziellen Äußerungen sind nicht etwa erzwungen durch ein numerisches Übergewicht der pro domo agitierenden Frauen, sondern Wyoming gehört zu den westlichen Staaten, wo bekanntlich die männliche Bevölkerung bedeutend überwiegt. Völlig im gleichen Sinne sind die Erfahrungen in Australien und die Aussprüche, die von maßgebenden Persönlichkeiten gefällt sind. Professor Edward Stirling von der Universität in Adelaide (s. Anm. S. 349) urteilt: „Das Stimmrecht hat keinen nachteiligen Einfluss auf die Art und Weise und den Charakter der Frau geübt. Es führt weder zur Versäumnis häuslicher Pflichten noch ist es Anlass zu einem weniger achtungsvollen Betragen auf Seiten der Männer geworden. Auch verursacht es keine Uneinigkeit in der Familie, was oft als ein Gegenstand angeführt wurde (s. Anm. S. 349), bevor das Frauenstimmecht zum Gesetz wurde (s. Anm. S. 349). Hingegen hat das Stimmrecht dazu beigetragen, den Frauen einen weiteren Blick zu geben, und sie veranlasst, mit wachem Interesse den politischen Fragen zu folgen.“ Aus einem Saulus zum Paulus geworden (s. Anm. S. 349) ist an der Hand der Erfahrung der Premierminister von Neuseeland, Mr. R. J. Seddon (s. Anm. S. 349), und ebenso seine Frau. Er erklärt: „Vor einigen Jahren stimmte ich gegen das Frauenstimmrecht. Es ist nun lange genug Gesetz, um über das experimentelle Stadium hinaus zu sein, und es konnte seinen Einfluss auf das häusliche Leben des Volkes zeigen. Es ist ein vollkommener Sieg. Der beste Beweis liegt in dem Faktum, dass man nicht einmal eine geflüsterte Andeutung hört, es wieder zu beseitigen.“ Mrs. Seddon gibt an: „Ich war früher Gegnerin des Stimmrechts in der Meinung, dass Frauen sich nicht in etwas so Turbulentes wie die Erregung der Wahlen mischen und sich lieber vom politischen Streit fern halten sollten. Aber es hat sich gezeigt, dass es eine gute Sache war, nichts Störendes hat sie im Gefolge gehabt, und es ist für die Frauen sehr gut gewesen, sich für allgemeine Angelegenheiten zu interessieren.“

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Es sei genug an dieser Auslese von wohl verbürgten Urteilen bekannter Personen, die wohl imstande sind, zu ihren Gunsten die Waagschale zu senken und dem anonymen „On dit“ (s. Anm. S. 349) die Spitze zu bieten. Das Stimmrecht der Frauen muss günstig wirken, denn es ist ein Akt der Gerechtigkeit; das Wort aber bleibt ewig wahr: „Gerechtigkeit erhöht ein Volk.“ (s. Anm. S. 349)

Petition die Novelle zum Krankenversicherungsgesetz 1 betreffend Hamburg, den 17. Februar 1903, Paulstraße 25 An den Hohen Bundesrat z[u] H[änden] S[eine]r Exzellenz des Herrn Reichskanzlers Grafen Bülow (s. Anm. S. 350) Der „Deutsche Verein für Frauenstimmrecht“ (s. Anm. S. 350) richtet an den hohen Bundesrat das Gesuch: In der Novelle zum Krankenversicherungsgesetz den Artikel XII des zur Beratung vorliegenden Entwurfs dahin zu ändern: „Personen, welche unfähig zum Amte eines Vormundes sind (§§ 1780, 1781 BGB) dürfen weder als Vorstand noch als Rechnungs- oder Kassenführer berufen werden.“ Begründung: Aus formellen und sachlichen Gründen erscheint der in Artikel XII des Entwurfes enthaltene Zusatz zu § 34a des Krankenversicherungsgesetzes (s. Anm. S. 350) in der vorliegenden Fassung als bedenklich. Im Absatz 2 des genannten Paragraphen ist gesagt, dass die Wahrnehmung eines aufgrund der Versicherungsgesetze übernommenen Ehrenamtes der Führung einer Vormundschaft gleich stehen soll, demgemäß sind auch für Annahme und Ablehnung der Wahl zu solchen Ämtern die für die Vormundschaft geltenden Gründe als maßgebend aufgestellt. Da nun die Gründe, welche zum Amt eines Vormunds untauglich machen, sich im Wesentlichen mit denjenigen decken, welche die Unfähigkeit zum Schöffenamte bestimmen, sogar mit Ausnahme der Altersgrenze noch enger gezogen sind, so sprechen formale Rücksichten dafür, bei der Fortsetzung der Ausschlussgründe von der Krankenkassenverwaltung die einmal gewählte und durchaus glücklich gewählte Analogie mit dem administrativen Amte der Vormundschaft durchzuführen und nicht ein formell und materiell gleich 1

(s. Anm. S. 349)

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fremdartiges Element, den Maßstab für eine richterliche Funktion, hereinzuzuziehen. Sachlich erscheint es als für die Verwaltung der Krankenkassen ganz unnötig, die mit der Tauglichkeit zum Schöffenamte verbundene Heraufsetzung der Altersgrenze auf 30 Jahre einzuführen; die Verwaltung der Kassen wird dadurch schwerlich eine bessere werden, denn Personen dieses Altes begegnen einer ehrenamtlichen Tätigkeit häufig schon mit einer gewissen Gleichgültigkeit, während jüngere Menschen sich derselben meist mit opferfreudigem Eifer und Interesse hinzugeben pflegen. Da die Krankenkassenvorstände einen größeren Personenkreis umfassen, kann die Anwesenheit von Mitgliedern der Altersperiode zwischen 20–30 Jahren für die Geschäftsführung keine Bedenken erwecken, das Zusammenwirken aller Altersklassen dagegen nur förderlich sein. Ganz außerordentlich schwere Bedenken hat dagegen bereits die Bezugnahme auf § 31 des Gerichtsverfassungsgesetzes (s. Anm. S. 350) in Juristenkreisen und in der Presse erweckt, indem aus dieser Bezugnahme die Untauglichkeit der weiblichen Kassenangehörigen zur Wählbarkeit in den Vorstand abgeleitet worden ist. Es lassen sich allerdings gegen solche Interpretation entschiedene und gewichtige Einwände geltend machen. Der Grund nämlich, weshalb Frauen nicht mehr wählbar sein sollten, wird der Fassung des § 31 GVG entnommen, der zufolge nur einem Deutschen, das hieße einem männlichen Deutschen, das Schöffenamt zugänglich wäre. Dass diese Deutung unzutreffend ist, geht u. a. hervor aus §§ 1785, 1786 BGB, wo es heißt: „Jeder Deutsche hat die Vormundschaft, für die er … ausgewählt wird, zu übernehmen etc … . Die Übernahme kann ablehnen: 1. eine Frau“ etc. Ferner aus Artikel 3 der Reichsverfassung, Absatz 2: „Kein Deutscher darf in der Ausübung dieser Befugnis“ etc. Dieser Artikel umfasst ebenso selbstverständlich deutsche Männer und Frauen wie alle die vielen verpflichtenden Bestimmungen des Strafgesetzbuches, des BGB und anderer Reichs- und Landesgesetze, die, in männlicher Form lautend, männliches und weibliches Geschlecht angehen. In Gemäßheit mit diesem Grundsatz herrscht auch in den administrativen Kanzleien verschiedener Bundesstaaten die Gepflogenheit, Staatsangehörigkeitsurkunden für Frauen auf männlichen Tenor auszustellen, worüber Beispiele vorliegen. Trotz alledem besteht eine Neigung, § 31 GVG als allein die männlichen Deutschen betreffend zu deuten, die noch dadurch bestärkt wird, dass es bisher nicht üblich gewesen ist, Frauen auf die Schöffenlisten zu stellen. Da aber eine entgegengesetzte Deutung bei der Besprechung der Krankenversicherungsnovelle bereits von mehreren Seiten geltend gemacht worden ist und in der öffentlichen Meinung gewissermaßen Fuß gefasst hat, ist vorauszusehen, dass der einfache Hinweis auf die Schöffenfähigkeit ohne bestimmten Zusatz,

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der die Gleichberechtigung beider Geschlechter betont, eine große Zahl von verwaltungsgerichtlichen Streitigkeiten hervorrufen würde, deren Ausgang außerordentlich verschieden ausfallen, demnach eine große Rechtsunsicherheit und in deren Gefolge die Rechtsberaubung eines größeren oder geringeren Teiles der gewerblichen Arbeiterinnen und kaufmännischen Angestellten sowie der Unternehmerinnen beider Berufsklassen zeitigen könnte. Solcher Möglichkeit müsste, falls – entgegen der oben geäußerten Bitte – die Bezugnahme auf §§ 31 und 32 GVG (s. Anm. S. 350) beibehalten werden soll, zum Mindesten durch einen Zusatz vorgebeugt werden, der eine Interpretation zu Ungunsten des weiblichen Geschlechts ausschließt, denn es kann ja unmöglich in den Absichten der Novelle liegen in dem angedeuteten Sinne zu wirken. Die Teilnahme an den Verwaltungsämtern der Krankenkassen ist ein seit 20 Jahren den Frauen zustehendes und von ihnen geübtes Recht; sie sind durch das Vertrauen aller Kassenmitglieder zu den betreffenden Ehrenämtern gewählt und haben dieselben stets zur Zufriedenheit geführt: Sie von den Kontrollämtern, die mit häuslichen Besuchen bei den erkrankten Mitgliedern verbunden sind, auszuschließen, ist z. B. in allen Kassen, welche weibliche Angehörige haben, aus praktischen, auf der Hand liegenden Gründen unmöglich. Die deutschen Frauen wollen auch der Annahme nicht Raum geben, dass eine Absicht, wie die eben berührte, beim Entwurf der Novelle vorgelegen habe, sie glauben nicht, dass das Reichsamt des Innern den allgemeinen Rechtsgrundsatz, dass eine reformatio in pejus (s. Anm. S. 350) nicht zulässig ist, habe verletzen und den weiblichen Kassenmitgliedern, deren Rechte und Pflichten in allem analog denjenigen der männlichen Mitglieder normiert sind, eine lang besessene Berechtigung ohne jeglichen Anlass habe rauben wollen. Umso mehr Entgegenkommen erhoffen sie demnach von einem hohen Bundesrate, wenn sie an ihn die Bitte richten, gemäß dem eingangs geäußerten Petitum verfahren zu wollen, jedenfalls aber die Fassung des Artikels XII der Novelle in unmissverständlicher Weise so zu gestalten, dass eine Zurücksetzung der weiblichen Kassenangehörigen aus ihr nicht entnommen werden kann. I. A.: Lida Gustava Heymann Dr. jur. Anita Augspurg II. Vorsitzende I. Vorsitzende

Sind die preußischen Frauen kommunalwahlberechtigt? Eine Frage, welche sich nicht mit einem glatten Ja oder Nein beantworten lässt, ist die in der Überschrift dieses Artikels enthaltene. Der preußische Staat ist noch heute mit ungefähr so vielen verschiedenen Gemeinde- und Städteord-

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nungen beglückt wie vor der Vereinheitlichung des deutschen Zivilrechtes unser großes Vaterland bürgerliche Kodifikationen enthielt. Vor allem ist zu unterscheiden zwischen ländlichem und städtischem Gemeinderecht, denn so schön der Verfassungsartikel lautet: „Alle Preußen sind vor dem Gesetze gleich“ (s. Anm. S. 351), so verschieden wertet das Gesetz männliche und weibliche Preußen und unter letzteren wieder die preußischen Frauen, welche in der Stadt, und die, welche auf dem Lande ihren Wohnsitz haben, und schließlich nochmals die, welche der einen oder der anderen Provinz angehören. Wollte der Herr Justizminister gleich einer guten Hausfrau in seinem Haushalte auf Ordnung und Sauberkeit setzen, so müsste er eine ganze Menge Gesetze einer Revision unterziehen, um sie mit der verfassungsmäßig zu fordernden allgemeinen Rechtsgleichheit in Einklang zu bringen. Beschränken wir uns gegenwärtig darauf, nach den kommunalen Wahlrechten der Städtebewohnerinnen zu fragen, so stoßen wir bereits auf erhebliche Unterschiede. Es gibt in Preußen Frauen, deren Recht nach der Städteordnung für die sechs östlichen Provinzen (s. Anm. S. 351) zu beurteilen ist, innerhalb deren jedoch die Städte von Neuvorpommern und Rügen (s. Anm. S. 351) noch eine Ausnahme machen, während die rheinisch-westfälischen Städte und Frankfurt a[m] M[ain] (s. Anm. S. 351) wieder jener Städteordnung von 1853 gleichgestellt sind. Anders zu beurteilen sind die Städteverfassungen der Provinzen Schleswig-Holstein (s. Anm. S. 351), und wieder anders die hannoverschen (s. Anm. S. 351), endlich die für Stadt und Land gleichlautenden, aber unter sich, besonders hinsichtlich der Frauen, sehr verschiedenen Gemeindeordnungen Kurhessens und des früheren Herzogtums Nassau (s. Anm. S. 351). Da die Städte von Neuvorpommern und Rügen durch Gesetz vom 31. Mai 1853 (s. Anm. S. 351) jede in ihren alten Verfassungen nach besonderem Stadtrezess (s. Anm. S. 351) belassen sind, schalte ich sie aus vorliegender Erörterung aus, und da die Frauen der Provinz Schleswig-Holstein durch § 7 des Gesetzes vom 14. April 1869 (s. Anm. S. 351) ausdrücklich vom Erwerb des Bürgerrechtes ausgeschlossen sind, ist hinsichtlich ihrer kurz zu konstatieren, dass sie in den Städten und Flecken ihrer Heimat keinerlei Wahlrecht besitzen. Eigentümlich willkürlich verfährt man mit den „Frauenzimmern“ der Provinz Hannover. Sie sind nach § 21 der revidierten Städteordnung vom 24. Juni 1858 (s. Anm. S. 351) ausdrücklich verpflichtet, unter den gesetzlichen Voraussetzungen das Bürgerrecht zu erwerben, sie haben nach § 30 desselben Gesetzes „die treue Erfüllung der ihnen obliegenden Bürgerpflichten anzugeloben“, sind u. a. nach § 31 verbunden, städtische Ehrenämter, zu denen sie gewählt werden, zu übernehmen (ablehnungsberechtigt sind Lehrerinnen, Ärztinnen und Apothekerinnen), sie sind jedoch nach § 34 des Gesetzes von der Teilnahme an den Gemeindewahlen ausgeschlossen. Die Frauen in den hannoverschen Städten haben

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demnach wohl das passive Wahlrecht – sie sind wählbar zu dem Ehrenamte eines Gemeindevorstehers, Senators, Bezirksvorstehers usw. – nicht aber das aktive Wahlrecht, sie können durch Stimmabgabe nicht zur Wahl der städtischen Beamten beitragen. Einigermaßen deutungsfähig ist die Gemeindeordnung für Kurhessen, indem sie in § 20 bestimmt: „Nur diejenigen Mannspersonen können das Ortsbürgerrecht erwerben, welche volljährig und nicht in Verlust der Ehrenrechte, in Konkurs oder unter Kuratel geraten sind.“ Wenn aber nachher § 33 vorschreibt: „Diejenigen Gemeindeangehörigen männlichen und weiblichen Geschlechts, welche selbständig ein Geschäft betreiben usw., haben sich, sofern sie nicht verpflichtet sind, nach § 27 Ortsbürger zu werden, in das Verzeichnis der Beisitzer eintragen zu lassen“, so lässt sich daraus unzweideutig schließen, dass die Gemeindeangehörigen weiblichen Geschlechtes unter den Voraussetzungen, welche zum Erwerbe des Ortsbürgerrechtes nach § 27 verpflichten, dieser Verpflichtung nachzukommen haben und damit Telnahme an den Gemeindeversammlungen und an den Gemeindewahlen ebenso wohl wie an den Gemeindediensten, bei denen sie in § 70 wieder ausdrücklich erwähnt werden, genießen. Das nassauische Gemeindegesetz und die Wahlordnung (s. Anm. S. 351) kennen keinen Unterschied in der Berechtigung männlicher und weiblicher Gemeindeglieder und Bürger, mit der einzigen Ausnahme, dass die großjährige ledige Bürgerstochter das angeborene Bürgerrecht nicht antreten können soll. Im Übrigen ist die unterschiedslose Behandlung beider Geschlechter nicht stillschweigend, sondern ausdrücklich bis zur Normierung der Gemeinderechte und -pflichten von Pensionären und Witwen an vielen Stellen so eingehend durchgeführt, dass ein Zweifel an der persönlichen Berechtigung und Verpflichtung der Frauen zur Teilnahme an Gemeindeversammlungen, Wahlen, Bürgerausschuss, Gemeinderat usw. gar nicht auftreten kann. Die preußische Städteordnung für die sechs östlichen Provinzen und die ihr nahezu analogen für die Rheinprovinz Westfalen und die Stadt Frankfurt erwähnen das weibliche Geschlecht nicht ausdrücklich und fallen daher unter die Bestimmung des Allgemeinen Landrechts erster Teil Tit. I § 24 (s. Anm. S. 351): „Die Rechte beider Geschlechter sind einander gleich, soweit nicht durch besondere Gesetze oder rechtsgültige Willenserklärungen Ausnahmen bestimmt werden.“ Nach Maßgabe dieses Paragraphen sind also Männer und Frauen in den erwähnten preußischen Gesetzen gleichberechtigt, und nur die mangelnde Selbständigkeit würde nach § 5 Abs. 5 die Ehefrau, die keinen eigenen Hausstand hat, sondern im Haushalte des Mannes lebt, vom aktiven und passiven Wahlrechte ausschließen, desgleichen wohl auch einen städtischen oder staatlichen Beamten, der (s. Anm. S. 352) im Hause der Eltern lebt, falls die Praxis den

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Söhnen in gleicher Lage ebenfalls das Wahlrecht vorenthält. Ohne Zweifel macht man gegen diese Ausführung geltend, dass eine derartige Regelung der kommunalen Verwaltung nicht im Willen des Gesetzgebers von 1853 gelegen habe und demnach hinfällig sei. Dem ist aber zu entgegnen, wennschon schlechthin gegen jeden armen Schlucker der populäre Rechtssatz Anwendung findet: „Unkenntnis der Gesetze schützt nicht vor Strafe“, so darf man wohl auf die Königlich Preußischen Justizbehörden von Anno 1853 exemplifizieren: Außerachtlassung grundlegender Staatsgesetze schaltet deren Rechtswirkungen nicht aus. Es ist nicht wohl anzunehmen, dass sich die preußischen Stadtverwaltungen und im Streitfalle die Königlichen Verwaltungsgerichte der Tatsache verschließen können, dass § 24 Tit. I im ersten Teil ALR zu Recht besteht und den § 5 der Städteordnung vom 30. Mai 1853 (s. Anm. S. 352) beherrscht. In dieser ist gesagt, dass das Bürgerrecht im Rechte zur Teilnahme an den Wahlen zur Gemeindevertretung und in der Befähigung zur Übernahme von Gemeinde-Ehrenämtern besteht und dass es jeder selbständige Preuße erwirbt durch einjährigen Wohnsitz am Ort, Entrichtung der Gemeindeabgaben und entweder Besitz eines Hauses oder Ausübung eines Gewerbes oder Veranlagung zur klassifizierten Einkommenssteuer oder Entrichtung von mindestens 12 M[ark] Klassensteuer. Der Zusatz, dass Vermögen und Grundbesitz der Ehefrau und der Kinder dem Manne bzw. dem Vater zuzurechnen sind, kann nicht als Gegenbeweis gegen die Anwendbarkeit auf beide Geschlechter ausgelegt werden, denn Ehefrauen sind ebenso wenig wie Kinder selbständige Preußen. Wenn nun seit 1853 niemals selbständige preußische Frauen das städtische Wahlrecht für sich in Anspruch genommen haben, so hindert das nicht ihre Berechtigung, es von nun ab jederzeit zu tun. Man kann sicherlich nicht den Frauen in Berlin oder Königsberg aus allgemeinen Gesichtspunkten vorenthalten wollen, was den Frauen in Wiesbaden und Rüdesheim nach dem Buchstaben des Gesetzes unweigerlich zusteht; derselbe Buchstabe des Gesetzes spricht zudem für die ersteren. Es hätten also in der Zeit vom 15. bis 30. Juli die wahlberechtigten Frauen die ausgelegten Wählerlisten zu inspizieren und, da ohne Zweifel ihre Namen darin fehlen, dieserhalb zu reklamieren und auf Eintragung der Namen zu dringen; sie sind alsdann zu den alle zwei Jahre im November stattfindenden Stadtverordnetenwahlen nach Maßgabe der gesetzlichen Bedingungen aktiv und passiv wahlberechtigt und haben ihr Wahlrecht in Person, nicht durch Bevollmächtigte, auszuüben.

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Schadet es? Mit Kopfschütteln und vieler abfälliger Kritik ist das Vorgehen der radikalen Frauen in England unter Führung von Mrs. Montefiore (s. Anm. S. 352) im Inund Auslande begleitet worden, als sie vor etwa einem halben Jahre begannen, durch tätliches Vorgehen und tätlichen Widerstand im Parlament, gegen die Residenz des Staatsministers Asquith (s. Anm. S. 352) und gegen den Steuererheber die politischen Rechte der Frauen zu erkämpfen. Nicht nur von den Gegnern des Frauenstimmrechts, sondern auch von dessen Freunden, nicht nur von Männern, sondern auch von Frauen in allen Ländern konnte man das Urteil aussprechen hören, dass diese tätliche Widersetzlichkeit, das Anstiften öffentlicher Unruhen und Straßenkrawalle die an sich gerechte Forderung im höchsten Grade diskreditieren und ihre Verwirklichung auf lange hinausschieben würde. Vergeblich wurde darauf hingewiesen, dass fast in keinem Lande die Volksrechte ohne revolutionäre Präliminarien erobert worden seien, vergeblich veröffentlichte ein englischer Politiker eine Liste der teilweise sogar blutigen Tumulte, der Demolierungen von Regierungsgebäuden, der Brandstiftungen und Zerstörungen, mit deren Hilfe erst das Männervolk von England das heute bestehende Parlamentswahlrecht der Regierung und den bevorzugten Ständen abgerungen hat. Die sogenannten Ausschreitungen der Frauen zu Anfang dieses Sommers in England waren um vieles milder; sie haben weder das Leben ihrer Widersacher und der Polizisten gefährdet, noch Eigentum zerstört, es sind höchstens einige Fensterscheiben im Palais des Ministers Asquith durch Nebenumstände zu Schaden gekommen. Sie haben lediglich die heilige Hausordnung des Parlamentes durch einen Ruf nach Gerechtigkeit und das Entfalten eines Banners von der Tribüne aus gestört, haben Unruhe und Lärm vor dem Hause ihres Ministers gemacht, weil er unwahre Dinge behauptete und eine Berichtigung entgegenzunehmen sich weigerte, haben dem Steuererheber den Eingang zu ihrem Hause verweigert, wie das Gesetz von England es gestattet und haben für alles dieses das Martyrium der gewaltsamen Fesselung und harter Einkerkerung auf sich genommen. Nichtsdestoweniger wandte sich das allgemeine Urteil gegen diese Frauen, man warf ihnen nicht nur die „Unweiblichkeit“ ihres Auftretens vor, man beschuldigte sie sogar, die Sache zu gefährden, der sie ihre Freiheit, ihren guten Ruf und ihre Gesundheit zum Opfer brachten. Sie ließen sich jedoch nicht abschrecken, sondern gingen unerschrocken fort auf dem eingeschlagenen Wege. Mrs. Montefiore, die im Spätsommer hauptsächlich in den Städten außerhalb Londons agitierte, beispielsweise in Manchester sechs Versammlungen unter freiem Himmel abgehalten hatte, verlegte im September ihr Missionsgebiet in das Herz von London, nach Westminster, der un-

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mittelbaren Umgebung des englischen Parlamentes. Hier pflegte sie täglich allein oder mit Begleiterinnen eine Fahne oder eine Laterne durch die Straßen zu tragen mit der Aufschrift: „Für die Steuern, die sie zahlen, und die Gesetze, denen sie gehorchen, steht den Frauen das Stimmrecht zu.“ Auf einem Stapel Trambahnschienen stehend hielt sie dann Ansprachen an das Publikum über das Frauenstimmrecht. Sobald das Auditorium einen solchen Umfang erreicht hatte, dass es tatsächlich den Verkehr zum Stocken brachte, schritt die Polizei ein und verlangte Fortbewegung der Massen. Um aber die Rede bis zum Schluss hören zu können, schob man sich im Kreise um die improvisierte Tribüne herum, auf solche Weise den Anforderungen der Verkehrsordnung und den eigenen Wünschen gehorchend. Mrs. Montefiore pflegte bei diesen öffentlichen Agitationsreden von der bekannten Arbeiterführerin Annie Kenney (s. Anm. S. 352) abgelöst zu werden, man irrt aber, wenn man glaubt, dieses Komitee der aktiven Propaganda beschränke sich auf die Kreise der Arbeiterinnen. Nicht nur Mrs. Montefiore, eine Frau von Bildung und Reichtum, sondern auch viele Frauen aus der Aristokratie, der Gelehrtenwelt, den parlamentarischen Kreisen und dem angesehenen Bürgertum stehen unentwegt und unterstützt von ihren Männern, Brüdern und Vätern zu dem Programm. Auf den 23. Oktober, zur Eröffnung der Herbstsession des Parlamentes, ward wieder ein demonstrativer Akt vorbereitet. Fußend auf dem bindenden Versprechen, mit welchem sich weit über 400 von den 600 Parlamentsmitgliedern vor den Wahlen zur Vertretung des Frauenstimmrechts verpflichtet und aufgrund dieses Versprechens die Wahlarbeit der Frauen für sich in Anspruch genommen hatten, sollten die Abgeordneten zur nachdrücklichen Erfüllung ihrer Aufgabe gemahnt werden, und es waren elf angesehene Frauen ausersehen, im Foyer der Westminsterhalle die Parlamentarier in diesem Sinne anzureden. Zu dieser Deputation gehörte eine ehrwürdige Greisin von 73 Jahren, Mrs. Despard (s. Anm. S. 352). Die Verabredung ging dahin, dass die erste Rednerin, auf einem Stuhl steigend, ihre Ansprache beginnen und, sobald sie von den Hausbeamten gewaltsam entfernt sein würde, von einer zweiten abgelöst werden sollte, die den Faden der Rede weiterführen werde, bis auch sie am Sprechen verhindert sein würde, und so fort, bis alle elf verhaftet oder die Rede geendet wäre. Der Verlauf entsprach dem Programm, die Beamten bemächtigten sich der Frauen einer nach der anderen und übergaben sie zum Teil mit auf dem Rücken gefesselten Armen der Polizeiwache. An Mrs. Despard Hand zu legen wagte man nicht, sondern ersuchte sie, nach Hause zu gehen, sie aber folgte freiwillig den Gefährtinnen zur Polizei und beanspruchte gleich ihnen Haft bis zum Gerichtstermin, der am folgenden Tage stattfand. Auch hier hoffte der Richter, über eine Auflage gegen sie hinwegkommen zu können und ihr Vergehen zu ignorieren. Sie forderte bestimmt die gleiche Behandlung wie die übrigen Frauen, da sie die gleichen Handlungen begangen habe.

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Alle wurden zu 10 Pfund Sterling oder zur Abgabe des Gelöbnisses, sechs Monate Frieden zu halten, verurteilt, alle lehnten beide Alternativen ab unter Anfechtung jeder Urteilssprechung gegen sie aufgrund von Gesetzen, an deren Zustandekommen ihnen keinerlei Mitwirkung eröffnet sei. Darauf erging ein Urteil auf zwei Monate Gefängnis gegen alle Beteiligten, und sie wurden im Holloway Kerker (s. Anm. S. 352) unter äußerster Strenge, da in England ein milderes Verfahren gegen politische Verbrecher nicht existiert, gefangen gehalten; sie erduldeten und erdulden noch alle Unbill des Kerkerlebens in Zellen, die mit Ratten bevölkert waren, in Sträflingskleidung und bei harter Arbeit. Aber ungebeugten Mutes ertragen sie die Konsequenzen ihres Vorgehens, überzeugt, dass das Evangelium ihres Opfermutes ihrer Sache mehr dienen werde als alles jahrzehntelange geduldige Petitionieren und Agitieren. Mrs. Montefiore und Mrs. Pethick-Lawrence (s. Anm. S. 352) sind im Kerker erkrankt und kamen ins Gefängnisspital; im Interesse ihrer Gesundheit, die nicht unnötig aufs Spiel gesetzt werden, sondern der weiteren Arbeit erhalten werden soll, hat der „Soziale und Politische Frauenbund“ die Strafsummen erlegt (s. Anm. S. 352) und ihre Auslieferung verlangt. Infolge einer Interpellation im Unterhause ist eine Verfügung ergangen, die übrigen neun Gefangenen als „Übeltäter erster Klasse“ zu betrachten und ihnen daraufhin in Verköstigung und Arbeit Erleichterungen zu gewähren. Es ist ihnen möglich, zu den zahlreichen Meetings, die veranstaltet werden, um sie zu ehren, Botschaften zu entsenden, die den Enthusiasmus für ihr Martyrium ins Ungemessene steigern. Und der Erfolg? Konnten im Sommer noch Zweifel bestehen, ob die radikale Betätigung das Stimmrecht der Frauen fördern oder ob sie im Gegenteil die öffentliche Meinung dagegen einnehmen werde, so ist die tiefgehende Wirkung zu seinen Gunsten nunmehr offenkundig. Mrs. Millicent Garrett Fawcett (s. Anm. S. 352), die langjährige Vorsitzende des nationalen Frauenstimmrechtsverbandes (s. Anm. S. 353), ihrer Gesinnung nach konservativ und Vertreterin des „Ordnungsprinzips“, berichtet Anfang November, dass in den letzten 14 Tagen das Stimmrecht rapide und sprungweise Boden gewonnen habe. Neue Mitglieder strömen den Vereinen zu, Banknoten und Schecks füllen die Kassen, Meetings werden im ganzen Königreich gehalten, und das Publikum drängt sich in enthusiastischer Stimmung zu den Versammlungen. Die Zeitungen, welche früher ausfallend und gehässig waren, wagen nicht mehr gegen die Frauen des „Sozialen und Politischen Frauenbundes“ (s. Anm. S. 353) zu schreiben. Massenmeetings unter freiem Himmel finden jeden Sonntag in den großen Londoner Parks statt, und Automobile werden den Sprecherinnen und Organisatorinnen zur Verfügung gestellt, um sie durchs ganze Land und von einem Versammlungsort zum anderen zu tragen. Lady Cook (s. Anm. S. 353) legte 100 Pfund (2000 M[ark]) in den Stimmrechtsfonds, Mrs. Cobden-Unwin

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(s. Anm. S. 353) desgleichen und ebenfalls Mr. Cobden-Sanderson, dessen Gattin (s. Anm. S. 353) zu den Eingekerkerten gehört. Ein anderer Ehemann einer Gefangenen, Mr. Pethick-Lawrence (s. Anm. S. 353), stiftete je 10 Pfund für jeden Tag der Gefangenschaft seiner Frau, das sind 12.000 M[ark]. Einen stärkeren Beweis dafür, dass die radikalen Mittel einer Bewegung nicht schaden, sondern dass sie es sind, die schließlich den Sieg erzwingen, kann es nicht geben. Was aber diesen Sturmlauf in England zu einer so ungetrübt erfreulichen Erscheinung stempelt, das ist die dankbare Anerkennung, die er nun auch bei den gemäßigten und konservativen Frauen findet, die jahrelang das gleiche Ziel in formell einwandfreier Ordnung mit höflichen Resolutionen, Petitionen und Deputationen zu erreichen suchten und nichts erhielten als ebenso höfliche Anerkennungen ihrer Ansprüche und hin und wieder eine platonische erste Abstimmung im Parlament, um die Geduld bei guter Laune zu erhalten. Geht nunmehr die ganze nach Millionen zählende Armee der englischen Frauenstimmrechtsbewegung zu schärferer Taktik über, Hand in Hand mit dem „Sozialen und Politischen Frauenbunde“, so muss der Sieg in kurzer Zeit erobert werden.

Petition des Deutschen Verbandes für Frauenstimmrecht 1 an den Reichstag, Wahlberechtigung der Frauen betreffend Hamburg, Dezember 1906 Der „Deutsche Verband für Frauenstimmrecht“ richtet an einen hohen Reichstag das ergebene Gesuch: dem § 1 des Reichswahlgesetzes vom 31. Mai 1869 (s. Anm. S. 353) einen Zusatz zu geben, der jeden Zweifel ausschließt, dass auch den Frauen die Wahlberechtigung unter den gleichen Bedingungen wie den Männern zusteht. Begründung: Die Petenten sind der Ansicht, dass aufgrund der bestehenden Verfassung des Deutschen Reiches den deutschen Frauen schon heute die Wahlberechtigung zum Reichstage zusteht, denn Gesetze, Verordnungen, die sich nur der männlichen Form bedienen, sind verbindlich für beide Geschlechter, sofern nicht anders bestimmt wird. – So kennt z. B. das [R]StGB nur eine Form, auch im BGB umfasst „ein Deutscher“ Mann und Frau. § 1785 lautet: „Jeder Deutsche hat die Vormundschaft, für die er vom Vormundschaftsgericht ausgewählt wird, zu 1

(s. Anm. S. 353)

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übernehmen“, und § 1786 fährt fort (s. Anm. S. 354): „Die Übernahme der Vormundschaft kann ablehnen: eine Frau.“ Staatsangehörigkeitsausweise, Naturalisationsurkunden usw. werden für Männer und Frauen in der männlichen Form ausgestellt, formell liegt also kein Grund vor, Frauen von den Wahlen zum Reichstage auszuschließen. Dessen ungeachtet hat man diejenigen, welche Eintragung ihres Namens in die Wählerlisten beantragten, mit dem Bescheide zurückgewiesen, dass es nicht die Absicht des Gesetzgebers war, den weiblichen Reichsangehörigen die Teilnahme an den Wahlen zuzugestehen. Der Ausschluss der Frauen von den Reichstagswahlen befindet sich aber nicht mehr mit dem Geiste der modernen Anschauungen und der praktischen Verhältnisse im Einklang. Es bedarf nur einer Andeutung der Entwicklung des heutigen Erwerbslebens wie der innerpolitischen Zustände, der Berufsklassen, der sozialen Betätigungen, um sich vor Augen zu halten, wie wesentlich verändert gegen früher die Lage und die Stellung der Frauen allerorts ist. In der Industrie, im Handel, als Unternehmerin, als Beamte im kommunalen und staatliche Dienst, in der Wissenschaft, in der Kunst, in allen freiwilligen Werken humanitären Fortschrittes finden wir Frauen eingereiht und zu gleichen Zwecken tätig wie die Männer; das Leben stellt an sie die gleichen Forderungen und verweist auch sie auf die eigene Kraft und Leistung. Nach Maßgabe dieser Tatsachen kommen die Frauen aber auch mit dem Staat und seinen Einrichtungen in Berührung, und wie sie gehalten sind, von dem eigen erworbenen Einkommen Steuern zu entrichten, so sind sie interessiert an der Regelung der öffentlichen Angelegenheiten auf allen Gebieten, weil überall ihre Berufs- und Erwerbsfragen, ihre Bildungsmöglichkeiten, ihre Rechtslage, die Schutzeinrichtungen für ihre Arbeit und Existenz so gut in Betracht kommen wie die der Männer. Dieser Wandlung der heutigen Gesellschaft hat die Gesetzgebung Rechnung zu tragen und nachdem der Grundsatz der allgemeinen Volksvertretung im Wahlrecht zu dem Reichstage zum Ausdruck gekommen ist, darf man sich nicht länger scheuen, ihn mit allen Konsequenzen durchzudenken, indem neuerdings infolge ihrer veränderten öffentlich-rechtlichen Stellung auch jener Hälfte der Bevölkerung Vertretung in den Parlamenten zukommt, die nach ihrer Lage in vergangenen Jahrzehnten an solcher Vertretung kein unmittelbares Interesse hatte. In Erkenntnis, dass jedes Kulturvolk zur Beteiligung an der Gesetzgebung, der es unterstellt wird, berechtigt ist, will die eine Hälfte des deutschen Volkes, die Frauen, nicht länger von den politischen Rechten ausgeschlossen bleiben, denn es ist durch nichts erwiesen, dass sie weniger geeignet seien als die Männer, sich an der Verwaltung des Staates zu beteiligen. Im Gegenteil; die Geschichte lehrt, dass, wo Frauen in dieselbe eingriffen, es mit Verständnis, Einsicht und großem Erfolge geschah, wir verweisen auf die großen Herrscherinnen aller Zei-

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ten, deren Regierungszeit einen Markstein in der politischen Entwicklung ihrer Völker bedeutet. Es würde zu weit führen, an den Beispielen aus fremden Ländern wie Australien, Amerika, Finnland, England, Norwegen, Schweden, Russland, Österreich im einzelnen zu demonstrieren, wie man dort den Frauen die Teilnahme an den vorhandenen weiteren oder engeren Wahlrechten zuerkennt, ohne andere Gesichtspunkte als diejenigen sachlicher Gerechtigkeit entscheiden zu lassen. Es genügt ja, daran zu erinnern, dass auch auf manchen Spezialgebieten der Bildung, der Berufstätigkeit, sozialer Einrichtungen, unsere Reichs- und Landesgesetzgebungen bereits das Prinzip der Gleichberechtigung beider Geschlechter zum Ausdruck gebracht haben. In Gewärtigung einer günstigen Erledigung des Gesuches hochachtungsvoll (gez.:) Dr. Anita Augspurg I. Vorsitzende

Lida Gustava Heymann II. Vorsitzende

Die Ereignisse in England Die kurze Erwähnung des großen Demonstrationszuges in London in voriger Nummer (s. Anm. S. 354), der am 18. Juni nach der bescheidensten Schätzung in Zahl von 10 000, nach anderer Angabe von mindestens 15 000 Frauen sich durch die Hauptstraßen Londons zur Albert Hall (s. Anm. S. 354) bewegte, muss durch einen ausführlicheren Überblick vervollständigt werden, um auch unseren Lesern Bericht zu geben von dieser imponierenden Veranstaltung, deren tiefem Eindrucke sich selbst die frauenfeindlichsten und reaktionärsten Blätter der deutschen Presse, geschweige denn die englischen Politiker, nicht verschließen konnten. In Wahrheit hat dieser Umzug der Suffragettes in London die größte Sensation erregt, er war das Tagesereignis und das Tagesgespräch, seinem mächtigen Umfange musste der gewaltige Londoner Straßenverkehr weichen, auf Stunden gehörten die belebtesten Verkehrsadern im Zentrum und Westzentrum der Stadt dieser 4 Kilometer langen Prozession und der Menge, die an beiden Seiten zu dichten Mauern gedrängt ihn vorbeipassieren sah und mit enthusiastischer Bewunderung grüßte. Ein Polizeioffizier mit 9 Konstablern bahnten zu Pferd den Weg durch die Volksmassen, den der Zug nehmen sollte, hinter ihnen trug das Banner der „Social and Political Union“ (s. Anm. S. 354) Charlotte Marsh (s. Anm. S. 354), die ein besonders hartes Martyrium im Gefängnis beim Hungerstreik, der Zwangs-

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fütterung und anderen Folterungen erduldete, ihr folgte die Musikbande der Union in den Suffragettesfarben mit Trommeln und Pfeifen und nach ihnen der vielleicht eindrucksvollste, ehrfurchtgebietendste Teil des Zuges, jene Frauen, die Kerkerhaft und Kerkerpein für ihre Überzeugung zu kosten bekamen, die mit Qualen, wie sie das moderne Strafwesen sonst nicht mehr kennt, für ihre Ideale büßen mussten, 617 Gefangengewesene in weißen Gewändern und mit der silbernen Speerspitze, der englischen Gefängnismarke, als Ehrenzeichen geschmückt. Bei ihrem Anblick sollen viele Augen nass geworden sein und nicht endende Jubelrufe zogen auf dem ganzen Wege vor dieser Gruppe her. Nicht minder achtungsgebietend war die nächste Abteilung, die „Pionierinnen“, die z. T. im Silberhaar auf jahre- und jahrzehnte-, ja halbjahrhundertlange Vorarbeit der jetzigen orkangleichen Bewegung zurückblicken und zu denen die Kämpferinnen der Gegenwart mit Dank und Liebe aufblicken. Eine wurde den weiten Weg im Rollstuhl gefahren und manche, die sich’s nicht nehmen lassen wollte zu marschieren, musste sich auf jugendkräftige Arme stützen. Unmöglich, alle die einzelnen Sektionen zu beschreiben, unmöglich das Bild der wallenden Banner, der breiten Flaggen und Standarten, den Klang der Musik (s. Anm. S. 354), der Freiheitssänge, der Zurufe zu beschreiben. Der Enthusiasmus, der die verehrten Führerinnen Mrs. Pankhurst, Christabel Pankhurst, Mrs. Despard, Mrs. Pethick-Lawrence (s. Anm. S. 355) begrüßte, überschritt alles andere; die Gruppen der Akademikerinnen, der bildenden Künstlerinnen, der Bühnenkünstlerinnen, Musikerinnen, Schriftstellerinnen, Arbeiterinnen, Krankenpflegerinnen, Lehrerinnen usw. zeigten, dass auch nicht eine Berufs-, nicht eine Gesellschaftsklasse abseits steht in diesem die ganze englische Frauenschaft bewegenden und erregenden Kampfe; die Gruppe der ausländischen Delegierten mit den Flaggen aller Kulturländer, unter denen auch die deutschen Farben nicht fehlten, bewies die Solidarität aller Frauen des Erdkreises mit dem treibenden Motiv dieser Riesenkundgebung, der Forderung des Frauenstimmrechts. Die große Schlussversammlung in der Albert Hall nahm einen entsprechend großartigen Verlauf. Sie war getragen von Siegeszuversicht, ja, von Siegesjubel, der leider, ach, zu früh sich der Gemüter bemächtigt hatte. Den Fernerstehenden im Ausland liegt die alte Skepsis gegen die englischen Parlamentspraktiken zu sehr im Blut, um an den radikalen Umschwung bei der Regierung glauben zu können, den die von dem vollen Eindruck ihrer Erfolge befangenen Suffragettes hegten. Diese jedoch schlossen aus der großen Majorität, welche die Frauenstimmrechtsbill in der ersten Lesung am 14. Juni angenommen hatte und dem Empfang der Frauendeputation durch Premierminister Asquith, aus der allgemein tiefgehenden Impressionierung der öffentlichen Meinung durch die große Demonstration des 18. Juni auf die Möglichkeit des Sieges, falls die Bill vor dem 14. Juli ihre zweite Lesung passieren und einer

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Kommission überwiesen würde. Diese könnte dann noch vor dem Parlamentsschluss am 26. Juli dem Hause über ihre Stellungnahme berichten und die definitive Annahme der Bill durch die sofort erfolgende dritte Abstimmung empfehlen. Nur Sache des guten Willens war es, diesen Geschäftsgang, der durch die lebhafte Erregung der politischen Welt geboten erschien, herbeizuführen. Eine begreifliche Verstärkung des Jubels trat ein, als die Regierung innerhalb der ins Auge gefassten Frist nicht einen, sondern sogar zwei Verhandlungstage für die Bill ansetzte, den 11. und 12. Juli. Die zweite Lesung ergab die bereits durch alle Tagesblätter bekannt gegebene Annahme der Bill mit 299 gegen 190 Stimmen, der weitere Verlauf aber enttäuschte alle Siegeshoffnungen bitter und ließ leider die Skeptiker Recht behalten. Eine neue Methode, die Bill zu Fall zu bringen, hat man allerdings für nötig befunden, vielleicht die höflichste Form des Begräbnisses, aber ein Begräbnis immerhin, denn was in dieser Session nicht zur definitiven Verabschiedung gelangt an parlamentarischer Arbeit verliert alle Wirksamkeit: Es müsste in der neuen Session wiederum von vorn begonnen werden und alle bereits durchlaufenen Stadien nochmals erfahren. Das wird nunmehr das Schicksal der bereits zweimal angenommenen Bill sein, denn sie ist nicht, wie üblich, einer Kommission überwiesen, die zu beliebiger Zeit ihre Sitzungen halten und in gedrängter Kürze referieren konnte, sondern man hat beantragt, das ganze Haus als Kommission für die Bill zu konstituieren. Es war aber natürlich ausgeschlossen, dass in den wenigen vor Parlamentsschluss noch gegebenen Tagen das ganze Haus außer seiner überlasteten Tagesordnung noch Zeit zu einer Kommissionssitzung finden könnte, somit bedeutete die Annahme dieses Verfahrens durch 320 gegen 275 Stimmen zugleich das Totenlied für die Frauenstimmrechtsbill in dieser Session. Was nun? fragen wir alle, die wir mit den Frauen Englands hoffnungsfroh jubelten und jetzt tief enttäuscht den Lohn aller übermenschlichen Opfer und Mühen abermals in weite Ferne gerückt sehen. Wir stellen diese Frage nicht ohne schwere Besorgnis, denn das abermalige Scheitern der Bill darf nach den Begleitumständen und der herrschenden Situation als Herausforderung, wenn nicht gar als Verhöhnung nicht nur der Stimmrechtsbewegung, sondern der öffentlichen Meinung Englands überhaupt angesehen werden. Wie die Suffragettes der neuen Kriegserklärung Asquiths – denn als solche ist dieser Ausgang entschieden zu betrachten – begegnen werden, wird die Zukunft lehren. Sicher ist: Die Regierungstaktik hat die Kampfreihen für das Frauenstimmrecht nicht vermindert, sondern vervielfältigt.

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Füchse im Schafspelz? Nachdem wegen Krankheit Mrs. Pankhursts (s. Anm. S. 355), die ihr aus der üblen Behandlung im Gefängnisse während der Untersuchungshaft erwachsen war, die Verhandlung der Anklage gegen sie, sowie Mr. und Mrs. PethickLawrence (s. Anm. S. 355) u. a. Führer bei den Gewalttaten des 4. März in London (s. Anm. S. 355) bisher ausgesetzt werden musste, wird ihr Prozess jetzt beginnen. Eine Ironie der Geschichte will es, dass der Präsident des Gerichtshofes jener Lord Coleridge (s. Anm. S. 355) ist, der in dem ersten Prozess wegen Wahlrechtes der Frauen im Jahre 1868 als ganz junger Anwalt zusammen mit Mr. Pankhurst senior, dem Schwiegervater der jetzigen Angeklagten (s. Anm. S. 356), die Ansprüche der ihr Wahlrecht einklagenden Frauen vertrat. Es handelte sich um die Interpretation des Wortes „Personen“, unter welchem die Klagestellerinnen und ihre Anwälte mit Fug und Recht sich inbegriffen fühlten. Es fiel aber damals der salomonische Richterspruch, dass Frauen keine „Personen“ seien, wo es sich um Ausübung politischer Rechte handelt. Diese Entscheidung könnte allerdings in deutschen Staaten nicht gefällt werden, deren Gesetze bis auf den heutigen Tag mit Vorliebe sich des weniger achtungsvollen, aber dafür umso unmissverständlicheren Ausdruckes „Frauenspersonen“ bedienen. Deutschen Frauen die Personalität vor dem Gesetze abzustreiten dürfte also schwer halten, aber auch, dass jene Sentenz in England sich behaupten konnte, muss befremden, wenn man beachtet, dass zu damaliger Zeit eine Frau in Person auf dem Throne des Weltreiches saß, in dessen Grenzen die Sonne nicht untergeht, und oft genug Gelegenheit nahm, den öffentlichen Funktionen, die sie ausübte, ihren höchstpersönlichen Stempel aufzudrücken. Im Jahre 1868 also war es Gerichtspräsident Coleridge, der den Anspruch der Frauen auf das Wahlrecht mit glühendem Eifer verteidigte, wird er heute imstande sein, diesen Anspruch abzuleugnen und zu bestrafen? Aber einen noch besseren Witz erlaubt sich die Geschichte, indem sie als Staatsanwalt, als Ankläger für die verletzte Rechtsordnung, Sir Rufus Isaacs (s. Anm. S. 356) in diesem Prozess auftreten lässt, einen Mann, der als Politiker bei dem Kampfe gegen das Vetorecht des Oberhauses vor zwei Jahren sich förmlich entschuldigte, dass dieser Kampf ohne Aufruhr, ohne Gewalttaten geführt werde. Er sagte am 22. April 1910 wortwörtlich: „Die Zeiten sind vorbei, wo man Aufruhr anzettelte, und wir brauchen nicht unsere Zuflucht zu Blutvergießen oder Gewalttat zu nehmen, um unsere Ziele des Fortschrittes und der Reform zu verfolgen, weil wir ein ziemlich gutes Wahlrecht haben, welches Gewähr dafür bietet, dass der Wille des Volkes in dieser demokratischen Zeit sich durchsetzen muss. Früher, als die große Masse des Volkes kein Wahlrecht hatte, musste es zu irgendeiner Gewalttat greifen, um seine

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Meinung zum Ausdruck zu bringen, heute ist der Stimmzettel die Waffe des Wählers. Es möge sich daher niemand beirren lassen, weil in dem gegenwärtigen Kampfe alles friedlich und ordentlich hergeht, im Gegensatz zu den Unruhen anderer großer politischer Kämpfe früherer Zeit.“ Mit welcher Stirne wird dieser Staatsanwalt Anklage erheben gegen die Vertreter „einer großen Masse des Volkes, die kein Wahlrecht hat“, und also nach seiner Überzeugung, die er damals voraussetzungslos vertrat, „zu irgendeiner Gewalttat greifen müssen, um ihrer Meinung Ausdruck zu geben“. Wird er heute eine Strafe beantragen können für solche, die seiner Überzeugung nach ihr Recht, ja, eine öffentliche Pflicht ausübten? Dass die englische Rechtsprechung die Möglichkeit besitzt, unter Berücksichtigung der Umstände nach menschlicher Überzeugung anstatt nach dem toten Buchstaben zu urteilen, wie beispielsweise das deutsche Gesetz die deutschen Richter oftmals gegen ihre bessere Überzeugung zwingt, zeigen Dutzende von Präzedenzfällen der englischen Rechtsgeschichte. Speziell aus der neuesten Zeit verweist „Votes for Women“ (s. Anm. S. 356) auf den Fall der Heizer der „Olympic“, welche die Ausfahrt des Schiffes verweigerten. Nach dem Gesetze wären sie wegen Meuterei zu Zuchthaus zu verurteilen gewesen: Nach Lage der Dinge wurden sie freigesprochen. Ein anderer Angeklagter, Tom Mann, hat Soldaten angestiftet zur Widersetzlichkeit gegen die Vorgesetzten, welche mit Todesstrafe belegt ist. Obgleich diese Anstiftung, welche den Tod von Menschen verursachen musste, sehr viel schwerwiegender ist als eine Anstiftung zum Einschlagen von Fensterscheiben, wurde Tom Mann nur zu 6 Monaten Gefängnis verurteilt – für die Suffragettes handelt es sich um halbe und ganze Jahre Zuchthaus –, und die liberale Partei macht der Regierung Vorwürfe, dass sie die Strafverfolgung überhaupt zugelassen habe sowie wegen der Härte des Urteils. Die Arbeiterpartei verlangt Manns Freilassung, und die Regierung, die politischen Kräfte erwägend, die hinter Mann stehen, hat bereits Revision der Akten und Herabsetzung der Strafe auf 2 Monate veranlasst. Wie werden also, eingedenk ihrer eigenen Überzeugung und des weiten Spielraumes, der in England der Urteilssprechung gegeben ist, Richter und Staatsanwalt im vorliegenden Prozess sich verhalten? P.S. Unmittelbar vor Druck dieser Nummer trifft das Telegramm ein, dass die Verurteilung zu 9 Monaten Gefängnis erfolgte.

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Offener Brief an Christabel Pankhurst 1 in London Sehr geehrte Frau! Sie haben zur Begründung Ihres bedauerlichen Fortschreitens an die Seite und in die Gefolgschaft Ihres bisherigen Feindes, Ihres Ministerpräsidenten Asquith (s. Anm. S. 356), in öffentlicher Versammlung am 8. September d. J. angeführt, die Bundesgenossenschaft mit Russland sei vereinbar mit dem Ideal der Demokratie; Russland sei ein revolutionäres Land, Deutschland dagegen der Hort des Konservatismus, sein Sieg werde das Grab der Demokratie, jeder konstitutionellen Regierung, des Wahlrechtes, der freien Meinung sein. Diese Behauptungen entspringen der traurigen Unwissenheit über alle geschichtlichen und politischen Tatsachen außerhalb der Grenzen Ihres Landes und Ihres Volkes, welche den größten Teil Ihrer Landsleute beherrscht. Ich stelle daher im Nachstehenden eine Reihe von Beispielen der Zustände in Ihrem und meinem Lande gegenüber, welche zeigen, wo das schärfere demokratische Empfinden und wo der größere politische Freiheitswille lebt. Das englische Empfinden lehnt sich nicht dagegen auf, als „Untertanen“ des Königs oder der Königin bezeichnet zu werden; das demokratische Gefühl der Deutschen duldet solche Bezeichnung nicht, sie sind Reichsbürger, Reichsangehörige oder Staatsangehörige; weder unsere Gesetze, noch die Regierungen, noch die Fürsten kennen mehr den veralteten Begriff der Untertanen. Deutschland ist ein Land, in dem das allgemeine, gleiche, geheime und direkte Wahlrecht herrscht – England ist bis zum heutigen Tage ein Land des beschränkten Wahlrechtes (s. Anm. S. 356); das englische Volk hat noch nicht einmal einen durchgreifenden kräftigen Willen nach dem allgemeinen demokratischen Wahlrecht geäußert, abgesehen von der kleinen sozialdemokratischen Partei in England. Die deutschen Frauen fordern auch für sich das allgemeine, gleiche, geheime und direkte Wahlrecht; die englische Frauenstimmrechtsbewegung hat diese demokratische Forderung bisher nicht aufgestellt. Die deutschen Frauen begnügen sich nicht mit der Forderung des Wahlrechtes für alle, sie verlangen auch die Wählbarkeit nach weitgehend demokratischen Grundsätzen, die englische Frauenbewegung hat diesen Anspruch, der von demokratischem Gefühl untrennbar ist, noch nicht vertreten. Das englische Gesetz enthält bis zum heutigen Tage außer anderen, Ihnen nur zu bekannten Folterungsarten, die Prügelstrafe und wendet sie häufig an. Das tief eingewurzelte demokratische Gefühl des deutschen Volkes weist solchen Rückfall in barbarisches Mittelalter mit Entrüstung aus seinem Strafrecht. 1

(s. Anm. S. 356)

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Die freie Meinungsäußerung in England ist so beschaffen, dass Frauen in öffentlichen Versammlungen der Männer nicht einmal Fragen stellen dürfen, die dem Leiter unbequem sind, sie werden in solchen Fällen mit brutalster Gewalt aus der Versammlung entfernt. In Deutschland ist es ganz undenkbar, dass Frauen an der freiesten Äußerung ihrer Meinung in öffentlichen Versammlungen gehindert werden könnten. In England behaupten sich Ehescheidungs- und Erbgesetze, die für die Frauen tief entwürdigend und für eine moderne Kultur beschämend sind; das deutsche Gesetz (s. Anm. S. 356) kennt bei der Ehescheidung und im Erbrecht keinen Unterschied zwischen Mann und Frau. Ich könnte diese Beispiele noch um manches vermehren, ich glaube, diese genügen, um Ihnen zu zeigen, dass für die wichtigsten Idealbegriffe des politischen und des Rechtslebens in deutschen Männern und Frauen ein so scharfes und empfindliches demokratisches Bewusstsein und persönliches Freiheitsgefühl lebendig ist wie in irgendeiner anderen Nation. Wäre es ebenso stark in ihrem Volke, so würde es die Kraft finden, sich zu befreien von einem konservativen Ballast verknöcherter Überlieferungen, die seit Jahren sein Ansehen vor dem aufgeklärten Auslande vermindert haben. Dr. Anita Augspurg, München

Petition des Deutschen Frauenstimmrechtsbundes, Wahlberechtigung der Frauen betreffend, eingereicht von Dr. Anita Augspurg und Lida Gustava Heymann (s. Anm. S. 357) im Auftrage der Vereine des „Deutschen Frauenstimmrechtsbundes“ (s. Anm. S. 357), München, Kaulbachstr. 12 An einen hohen Reichstag richten die dem „Deutschen Frauenstimmrechtsbund“ angeschlossenen Vereine das Gesuch: Nach Beendigung des Krieges den Frauen das allgemeine, gleiche, direkte und geheime Wahlrecht zum Reichstage verleihen zu wollen. Begründung: Die Petenten verzichten darauf, alle die Gründe anzuführen, die für die Verleihung der politischen Gleichberechtigung an die Frauen sprechen, die Gründe sind der Regierung und den Parlamenten seit Jahrzehnten in allen Petitionen um Verleihung des Frauenstimmrechts dargelegt worden und können demge-

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mäß als bekannt vorausgesetzt werden, noch wollen sie des weiteren ausführen, dass deutsche Frauen nur fordern, was Frauen anderer Nationen längst besitzen. Den Antragstellern liegt vielmehr daran, darzutun, dass die Zeit nach diesem welterschütternden Kriege jeden Staat mehr denn je vor die unabänderliche Notwendigkeit stellt, alle ihm zur Verfügung stehenden Kräfte zum Vorteil des Staates auszunutzen, der Allgemeinheit dienstbar zu machen und allen Staatsangehörigen die denkbar beste Möglichkeit zur Entwicklung aller ihrer Fähigkeiten zu geben, dass dazu aber in erster Linie die politische Befreiung aller mündigen Staatsangehörigen notwendig ist. Die Geschichte lehrt, dass jedes Mal, wenn politische Rechte auf einen großen Teil Rechtloser ausgedehnt werden, das politische Leben einen mächtigen Aufschwung nimmt, und dass nach wenigen Jahrzehnten die mit den Rechten betrauten Staatsangehörigen einen erstaunlichen kulturellen Fortschritt gemacht haben. Den besten Beleg für diese Behauptung dürfte ein Vergleich zwischen der deutschen und englischen Arbeiterschaft ergeben. Letztere war der ersteren vor 1870 an Bildung und Können überlegen, heute haben sich die Dinge aber derartig in das Gegenteil verkehrt, dass Kenner der deutschen und englischen Arbeiterschaft eine unverkennbare Überlegenheit der ersteren behaupten, der englische Arbeiterführer MacDonald (s. Anm. S. 357) spricht sogar von einer zehnfachen Überlegenheit der deutschen Arbeiter. Auch Hindenburg hat wiederholt auf die ungeheure geistige Entwicklung der deutschen Arbeiterschaft hingewiesen, die nicht wenig zu den Erfolgen seiner Siege beitrug. Gewiss mögen für diese auffallende Entwicklung verschiedene Umstände ausschlaggebend gewesen sein, aber das größte Verdienst trägt zweifelsohne die dem deutschen Arbeiter durch Bismarck verliehene politische Mündigkeit, die dem englischen Arbeiter in dem Umfange keineswegs gegeben ist. Politische Rechte wecken das Verantwortlichkeitsgefühl im höchsten Maße und schaffen dem Beteiligten die Möglichkeit, zweckentsprechende Einrichtungen für die Weiterentwicklung seiner Klasse und Art zu schaffen. Welterschütternde Katastrophen wie der Weltkrieg von 1914/15 bringen im Leben der Völker die mächtigsten Umwälzungen, im Denken, Handeln und Tun der einzelnen Staatsangehörigen die stärksten Impulse hervor, sie weisen dem Staate die dringende Aufgabe zu, die Verantwortung für seine weitere Gestaltung nach Möglichkeit auf die ganze Volksgesamtheit auszudehnen. Dabei ist die Frage nicht maßgebend, ob jedes Individuum dem Staate unmittelbare Dienste geleistet hat oder ob es als reif befunden wird. Ohne politische Rechte wird von breiten Volksschichten die allgemeine politische Reife nie erworben, weil diese in gewissem Grade durch die Ausübung derselben herbeigeführt wird.

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Die Frauen, die leiblichen und geistigen Mütter des Volkes, die in dieser Zeit ihre Zugehörigkeit zum Staate doppelt stark empfunden und bewiesen haben, leisten in ihrer Gesamtheit dem Staate Dienste, durch die überhaupt seine Existenz bedingt ist: Die Billigkeit fordert, dass ihnen der Staat in ihrer Gesamtheit Rechte und Verantwortung verleiht, die er jedem erwachsenen Manne ohne Frage nach Verdienst und Leistung gewährt. Wir hoffen, dass in Erwägung aller dieser Gründe von einem hohen Reichstage dem Gesuche im Interesse der weiteren Entwicklung des Deutschen Reiches im Allgemeinen und der deutschen Frauen im Besonderen entsprochen werden wird.

Friedenspolitische Texte Die internationale Friedenskundgebung In Nr. 2 dieses Jahrganges (s. Anm. S. 357) ist in einer kurzen Mitteilung aus München einer Sache Erwähnung geschehen, deren Bedeutung dazu angetan ist, sie momentan in den Vordergrund des Interesses der Frauen aller Länder zu stellen. Es handelt sich um nichts Geringeres als um eine internationale Demonstration zu Gunsten der Friedensbestrebungen unmittelbar vor der Petersburger Friedenskonferenz (s. Anm. S. 358) wie sie von Frau Marg[arethe] Lenore Selenka in Anregung gebracht ist (s. Anm. S. 358). Um von vornherein jedem Missverständnisse zu begegnen sei vorausgeschickt, dass es lediglich auf die Stellungnahme der Frauen aller Kulturländer gelegentlich eines aktuellen politischen Ereignisses abgesehen ist ohne jegliches Einschwören auf und jegliche dauernde Betätigung für das Programm der bestehenden organisierten Friedensbestrebungen. Ebenso wenig sollen die mehr oder weniger utopistischen Schlagwörter von allgemeiner Abrüstung, von plötzlichen und unverbrüchlichen Friedensverträgen etc. unsere Parole des Tages werden: Keine Frau braucht zu befürchten, der einseitigen Schwächung der Streitmacht ihres eigenen Vaterlandes das Wort reden zu sollen wie Spötter und Chauvinisten so gern glauben machen. Auf was es aber ankommt, das ist, der großen Idee jenes Petersburger Kongresses Nachdruck und Rückhalt zu verschaffen, den unhaltbaren und unerträglichen Zuständen, den wirtschaftlichen und sozialen Kulturschädigungen des „bewaffneten Friedens“ die Fortentwicklung im bisherigen Maße abzuschneiden. Diese Idee ist so groß, so folgenschwer, dass ihre nachdrückliche Betonung unserem Jahrhundert einen höheren Ruhm in der Kulturgeschichte sichern kann als alle seine weittragenden Erfindungen. Das scheidende 18. Jahrhundert ließ in der großen Revolution allen Völkern eine Aufgabe zurück, deren Lösungsversuche dem unsrigen die geistige Signatur gegeben haben; sendet das neunzehnte an seiner Wende die These in die Welt, dass der Krieg gesitteter Völker gegeneinander ein Hohn auf ihre Gesittung und des heutigen Kulturstandes unwürdig ist, dass die Aufzehrung der besten Volkskräfte in maßlosen Kriegsrüstungen ein Widersinn, eine Selbstvernichtung, ein Grab für die Fortentwicklung von Kultur, Wohlstand, sozialem Leben ist – dann hinterlässt es der kommenden Zeit ein Vermächtnis, so groß und würdig, dass es selbst durch den Geist seiner Gabe geadelt wird. Die Petersburger Konferenz mag verlaufen wie sie will: Im Zeichen der Verwirklichung ihrer Idee wird die Arbeit des neuen Jahrhunderts liegen und bedarf es vielleicht eines Jahrhunderts und mehr – wie die Ideen der französischen Revolution – um ihren inneren Gehalt

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zum Gemeingut der Völker zu machen – an uns ist es, zu betonen, dass wir in ihrem Morgenglühen die neue Zeit erkennen und ihrer Mission zujauchzen. Frauen verstanden den großen befreienden Gedanken der französischen Revolution: Frauen haben nicht zum kleinsten Teile seine Keime gepflegt, seine Wege geebnet, des sind die Reminiszenzen der Pariser Salons Zeuge; Frauen haben zur Zeit seiner blutigen Betätigung begeisterungsvoll für ihn gestritten und gelitten, des sind die traurigen Listen der Opfer der Guillotine Zeuge, die nahezu so oft von „Bürgerinnen“ wie von „Bürgern“ reden. Aber zunächst fast nur französische Frauen erfassten den Inhalt der Proklamation der Menschenrechte, und leicht war es, die wenigen zurückzuweisen von der Schwelle des öffentlichen Lebens, die sie kaum überschritten. Der heutige Ruf nach der Vernichtung des Gewaltrechtes wird gehört von den Frauen aller Länder, er muss bei ihnen Widerhall finden, denn er spricht nur aus, aufs Allgemeine übertragen, was ihrer aller gemeinsames Streben und Kämpfen seit Jahrzehnten beherrscht und trägt. Kein Gedanke ist in gleicher Weise fähig wie dieser, in sich die Sympathien der Frauen der ganzen Welt zu konzentrieren, gleichsam einen Brennpunkt zu bilden, in welchem sie aus allen Völkern, jedem Glauben, allen Ständen, allen Klassen, ihre Wünsche und ihren festen Willen zusammenfließen lassen, um in scharfem, schlagendem Lichte das Signal durch alle Welt zu schleudern: Wir wollen Gerechtigkeit, wir wollen Kultur! Wir wollen statt aller jener verschwendeten Milliarden Förderung von Kunst, von Wissenschaft, von Erziehung und Gesundheit, von Volkswohl und Menschenrecht! Wenn die Frauen mit diesem einheitlichen Rufe in die internationale Politik eintreten, so wird man sie nicht zurückweisen können. Wenn sie in einer Solidarität, die die Erde umspannt (s. Anm. S. 358), vor der Petersburger Konferenz erscheinen, so wird es einen Markstein in der Geschichte bedeuten und werden die Arbeiten der Konferenz eine Unterstützung erhalten, die sie vor der Gefahr einer gänzlichen Resultatlosigkeit sichert. An den Völkern ist es, die Bestrebungen ihrer Regierungen in diesem Werke zu stützen, unter den Völkern dürfen die Frauen nicht zurückstehen. Möglichst an einem Tage (s. Anm. S. 358) sollen sie in allen Ländern zusammenkommen, in großen und kleinen Städten sollen sie öffentlich erklären, dass sie den Frieden wollen und von den Arbeiten ihrer Abgesandten in diesem Sinne greifbare Konsequenzen erwarten. Gleich einem mächtigen Glockenklange sollen die Botschaften der Frauen an jenem Tage durch Länder und Meere die Schwestern grüßen: von Philadelphia nach Moskau, von Stockholm nach Rom, von San Francisco nach Paris, von London nach Berlin, von Amsterdam nach Wien, und in jedem Lande von Stadt zu Stadt ein einziger Schall und Widerhall! Wer könnte sich der Größe und dem Eindrucke solcher Kundgebung verschließen? Nichts könnte so die Macht und die Einheitlichkeit der Frauenbewe-

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gung zum Ausdruck bringen, nichts könnte aber auch solchen Einfluss auf die Tagung der Konferenz üben. Kein internationaler Kongress kann in so schlagender Weise die Kraft der solidarischen Frauenorganisation beleuchten wie diese Demonstration, die mit verhältnismäßig geringen Mitteln ins Leben zu rufen ist: Nur ein wenig Detailarbeit in jedem Lande und aus hundert Quellen fließt ein mächtiger Strom zusammen. An alle Frauen des In- und Auslandes ergeht die Aufforderung, sich mit dem dargelegten Gedanken vertraut zu machen, der schon hie und da eine warme Aufnahme gefunden hat. Wiederum sind es die Frauen Frankreichs, die, kaum dass er ihnen mitgeteilt worden ist, ihn begeistert erfasst haben und schon an seiner Verwirklichung zu arbeiten beginnen; blieben sie vor 100 Jahren und mehr vereinsamt unter ihren Schwestern, so möge heute ein Wettbewerb von Land zu Land um alle Frauen ein Band schlingen. Auch die holländischen Frauen sind dem Gedanken einer internationalen Frauenkundgebung näher getreten, in Skandinavien deuten die Symptome auf gleichen Erfolg: Dass doch auch die Frauen Deutschlands, in deren Mitte dieser Gedanke geboren ist, einem großen Momente groß begegnen!

Internationaler Frauenkongress Haag – vom 28. April – 1. Mai 1915 Einleitung und Beschlüsse Wir Frauen aus vielen Ländern, zum Internationalen Kongresse versammelt, erklären hierdurch über allen Hass und Hader hinaus, der jetzt die Welt erfüllt, uns in der gemeinsamen Liebe zu den Idealen der Gesittung und Kultur verbunden zu fühlen, auch wo unsere Wege zu diesem Ziele auseinander gehen. Von den kriegführenden wie auch von den neutralen Ländern sind wir zusammen gekommen (s. Anm. S. 358), nicht um die Verantwortlichkeit für den gegenwärtigen Krieg auf eine oder die andere Regierung zu schieben, auch nicht um die Regelung künftiger Kriegsführung zu besprechen, sondern getrieben durch rein menschliche Erwägungen und zusammengebracht durch den Glauben, dass die Frauen die Verantwortlichkeit der Regierungen teilen müssen und dass internationale Beziehungen nicht durch Kraft, sondern durch Freundschaft und Gerechtigkeit bestimmt werden müssen. Wir erklären feierlich, jeder Neigung zu Feindschaft und Rache zu widerstehen, dagegen alles Mögliche zu tun, um gegenseitiges Verständnis und guten Willen zwischen den Nationen herzustellen und für die Wiederversöhnung der Völker zu wirken. Wir erklären: Der Lehrsatz, Kriege seien nicht zu vermeiden, ist sowohl eine Verneinung der Souveränität des Verstandes als ein Verrat der tiefsten Triebe des menschlichen Herzens.

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Im Bewusstsein unseres Anteils an der Schuld, dass weder den Kriegen der Vergangenheit noch dem jetzigen vorgebeugt wurde, und von der innigsten Teilnahme beseelt für die Leidenden, Trostlosen und Unterdrückten, fordern wir, Mitglieder dieses Kongresses, die Frauen aller Nationen feierlichst auf, für ihre eigene Befreiung zu arbeiten und unaufhörlich für einen gerechten und dauernden Frieden zu wirken. Zu diesem Zwecke nehmen wir folgende Beschlüsse an: I.

DIE FRAUEN UND DER KRIEG 1. Protest Wir Frauen, zu Internationalem Kongresse versammelt, protestieren gegen den Wahnsinn und die Gräuel des Krieges, der nutzlos Menschenopfer fordert und vielhundertjährige Kulturarbeit der Menschheit zerstört. 2. Leiden der Frauen im Krieg Dieser Internationale Frauenkongress protestiert gegen die Auffassung, dass Frauen unter einer modernen Kriegsführung geschützt werden können. Er protestiert aufs Entschiedenste gegen das furchtbare Unrecht, dem Frauen in Kriegszeiten ausgesetzt sind, und besonders gegen die entsetzlichen Vergewaltigungen von Frauen (s. Anm. S. 359), welche die Begleiterscheinung jedes Krieges sind.

II. ZUM KÜNFTIGEN FRIEDEN 3. Friedensschluss Dieser Internationale Kongress von Frauen der verschiedenen Nationen, Klassen, Parteien und Glaubensrichtungen ist einig im Ausdruck warmen Mitgefühls mit den Leiden aller, die unter der Last des Krieges für ihr Vaterland arbeiten und kämpfen, gleichviel welcher Nation sie angehören. Da die Völker aller im Kriege befindlichen Länder glauben, keinen Angriffskrieg zu führen, sondern zur Selbstverteidigung und für ihre bedrohte nationale Existenz zu kämpfen, können keine unversöhnbaren Gegensätze zwischen ihnen bestehen. Ihre gemeinschaftlichen Ideale bieten eine Grundlage, auf der ein gerechter und ehrenhafter Friede aufgebaut werden kann. Der Kongress fordert daher die Regierungen der Welt auf, das Blutvergießen zu beenden und Friedensverhandlungen zu beginnen. Er fordert, dass der dann folgende Friede ein dauerhafter sei, deshalb auf Grundsätzen der Gerechtigkeit aufgebaut werde,

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wie sie in den Beschlüssen 1 dieses Kongresses zum Ausdruck gebracht sind, nämlich: Dass kein Gebiet ohne die Einwilligung seiner männlichen und weiblichen Bevölkerung übertragen werde und dass das Eroberungsrecht nicht anerkannt werden soll. Dass keinem Volk Autonomie und ein demokratisches Parlament verweigert werde. Dass die Regierungen aller Nationen übereinkommen, alle künftigen internationalen Streitigkeiten einem Schiedsgericht oder einer Vermittlung zu unterwerfen und dass sozialer, moralischer oder wirtschaftlicher Druck [über] ein Land verhängt werden soll, das zu den Waffen greift. Dass die auswärtige Politik unter demokratische Kontrolle gestellt werde. Dass Frauen die gleichen politischen Rechte wie Männern gewährt werden. 4. Ständige Vermittlung Dieser Internationale Frauenkongress beschließt, die neutralen Länder aufzufordern, sofort Schritte zu unternehmen, um eine Konferenz neutraler Staaten einzuberufen, die unverzüglich ständige Vermittlungsbereitschaft anbieten soll. Die Konferenz soll alle kriegführenden Länder auffordern, Anregungen zum Ausgleich zu geben und soll – für alle Fälle – allen zu gleicher Zeit billige Vorschläge machen, die als Grundlage für den Frieden dienen können. III. GRUNDSÄTZE FÜR EINEN DAUERNDEN FRIEDEN 5. Anerkennung der Volksrechte. Dieser Internationale Frauenkongress erklärt in Anerkennung des Rechts der Völker auf Selbstbestimmung, dass kein Gebiet ohne Einwilligung seiner männlichen und weiblichen Bevölkerung übertragen werden soll 2 und dass keinem Volk Autonomie und ein demokratisches Parlament verweigert werde. 6. Schiedsgerichtliche Austragung und Vergleich In der Überzeugung, dass Krieg die Verneinung von Fortschritt und Zivilisation bedeutet, fordert dieser Internationale Frauenkongress die 1

Es handelt sich um die Resolutionen Nr. 5, 6, 7, 8, 9. Der Kongress stellte durch Abstimmung fest, dass unter dem Ausdruck „Kein Gebiet soll ohne Einwilligung seiner männlichen und weiblichen Bevölkerung übertragen werden“ zu verstehen sei, dass das Eroberungsrecht nicht anerkannt werde. 2

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Regierungen aller Länder auf, zu einem Übereinkommen zu gelangen, aufgrund dessen alle künftigen internationalen Streitigkeiten einem Schiedsgericht oder einer Vermittlung zu unterstellen sind. 7. Dieser Internationale Frauenkongress fordert von den Regierungen aller Nationen ein Übereinkommen, nach welchem sie sozialen, moralischen und wirtschaftlichen Druck über ein Land verhängen, das zu den Waffen greift, statt seinen Fall einem Schiedsgericht oder Vergleich zu unterwerfen. 8. Demokratische Kontrolle auswärtiger Politik Da Krieg gewöhnlich nicht durch die Volksmassen verursacht wird, die ihn nicht wünschen (s. Anm. S. 359), sondern durch einzelne Interessengruppen, fordert dieser Frauenkongress, dass die äußere Politik demokratischer Kontrolle unterstellt werde. Er erklärt, dass er als demokratisch nur ein System anerkennt, welches die gleiche Vertretung von Männern und Frauen umfasst. 9. Die Gleichberechtigung der Frau Da der zusammenwirkende Einfluss der Frauen aller Länder einer der stärksten Faktoren zur Vermeidung des Krieges ist und da Frauen nur dann volle Verantwortung und wirksamen Einfluss ausüben können, wenn sie die gleichen politischen Rechte wie die Männer haben, fordert dieser Internationale Frauenkongress die politische Gleichberechtigung der Frauen (s. Anm. S. 359). IV. INTERNATIONALES ZUSAMMENWIRKEN 10. Dritte Haager Konferenz Dieser Internationale Frauenkongress dringt darauf, dass die dritte Haager Konferenz (s. Anm. S. 359) unverzüglich nach dem Kriege einberufen werde. 11. Internationale Organisation Dieser Internationale Frauenkongress fordert, dass die Organisation einer Vereinigung der Nationen auf der Grundlage aufbauenden Friedens gestaltet werde und folgendes umfasse: a. Das Haager Schiedsgericht (s. Anm. S. 359) werde durch einen dauernden internationalen Schiedsgerichtshof erweitert, der alle Fragen oder Differenzen juristischer Art, wie sie z. B. aus der Auslegung von Vertragsrechten oder des Völkerrechts entstehen, erledigen soll. b. Zur Fortentwicklung des aufbauenden Werkes der Haager Konferenz soll eine ständige internationale Konferenz organisiert wer-

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den mit regelmäßigen Sitzungen, an denen auch Frauen teilnehmen sollen, nicht zur Regelung der Kriegsführung, sondern zum praktischen Ausbau internationaler Zusammenarbeit zwischen den Staaten. Diese Konferenz soll derartig organisiert sein, dass sie Grundsätze der Gerechtigkeit, Billigkeit und guten Willens aufzustellen und durchzusetzen im Stande ist, durch welche die Kämpfe unterdrückter Gemeinwesen voll anerkannt und die Interessen und Rechte nicht nur der Großmächte und der Mittelstaaten, sondern auch der schwächeren Länder und der Naturvölker durch eine aufgeklärte öffentliche Meinung allmählich geregelt werden können. Diese internationale Konferenz soll einen ständigen Vermittlungsund Untersuchungsrat einsetzen, der die aus wirtschaftlichem Wettbewerb, Ausdehnung des Handels, Überbevölkerung und Veränderungen sozialer und politischer Lage entstehenden internationalen Streitigkeiten schlichten soll. 12. Allgemeine Abrüstung Da dieser Internationale Frauenkongress allgemeine Abrüstung empfiehlt und sich bewusst ist, dass diese nur durch ein internationales Übereinkommen erreicht werden kann, fordert er als einen Schritt zu diesem Ziel, dass alle Länder aufgrund internationalen Abkommens die Fabrikation von Waffen und Munition verstaatlichen und deren internationalen Handel unter Aufsicht stellen. Der Kongress sieht in der Ausschaltung der Privatinteressen an der Waffenfabrikation ein wichtiges Mittel zur Abschaffung der Kriege. 13. Handel und Kapitalanlagen a. Dieser Internationale Frauenkongress fordert Handelsfreiheit für alle Länder und dass für die Schifffahrt aller Nationen die Meere frei und die Handelsstraßen unter gleichen Bedingungen offen sein sollten. b. Da die Kapitalanlage aus einem Lande in den Unternehmungen anderer Länder und die daraus entspringenden Ansprüche eine reiche Quelle internationaler Verwicklungen sind, dringt dieser Internationale Frauenkongress auf die weitgehendste Annahme des Grundsatzes, dass solche Anlagen auf Gefahr des Investierenden gemacht werden, ohne Anspruch auf offiziellen Schutz seiner Regierung. 14. Auswärtige Politik der Völker a. Dieser Internationale Frauenkongress fordert, dass alle Geheimverträge für nichtig erklärt werden und dass zur Ratifikation künf-

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tiger Verträge die Mitwirkung mindestens der gesetzgebenden Körperschaft jedes Staates notwendig gemacht werde. b. Dieser Internationale Frauenkongress empfiehlt die Schaffung nationaler Kommissionen und die Einberufung internationaler Konferenzen zu wissenschaftlichen Studien und zur Ausarbeitung von Grundsätzen und Bedingungen für einen dauernden Frieden, zur Entwicklung einer internationalen Föderation. Diese Kommissionen und Konferenzen, an denen auch Frauen teilzunehmen haben, sollten von den Regierungen unterstützt werden. 15. Die Frauen in nationaler und internationaler Politik Dieser Internationale Frauenkongress erklärt es für unumgänglich (s. Anm. S. 359), sowohl national wie international den Grundsatz in die Praxis umzusetzen, dass die Frauen alle bürgerlichen und politischen Rechte und Verantwortungen unter gleichen Bedingungen tragen sollen wie die Männer. V.

DIE ERZIEHUNG DER KINDER 16. Dieser Internationale Frauenkongress betont die Notwendigkeit, die Erziehung der Kinder so zu leiten, dass ihr Denken und Wünschen auf das Ideal aufbauenden Friedens gerichtet wird (s. Anm. S. 359).

VI. DIE FRAUEN UND DER FRIEDENSSCHLUSS 17. Dieser Internationale Frauenkongress fordert, dass im Interesse dauernden Friedens und der Zivilisation die Konferenz zur Feststellung der Friedensbedingungen nach dem Kriege eine Resolution annehmen soll, welche die Notwendigkeit der politischen Gleichberechtigung der Frauen für alle Länder betont. 18. Dieser Internationale Frauenkongress fordert, dass Vertreter des Volkes an der Konferenz teilnehmen sollen, in welcher die Friedensbedingungen nach dem Krieg festgesetzt werden und fordert, dass auch Frauen unter diesen Vertretern [sind] [und] an der Konferenz teilnehmen.

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VII. DURCHFÜHRUNG DER BESCHLÜSSE 19. Die Frauen beim Friedensschluss Dieser Internationale Frauenkongress beschließt die Abhaltung eines internationalen Frauenkongresses am selben Ort, wo und in derselben Zeit wenn die Konferenz der Mächte zur Feststellung der Friedensbedingungen tagt, um dieser praktische Vorschläge zu unterbreiten (s. Anm. S. 359). 20. Deputationen zu den Regierungen Um die Regierungen der Welt zu veranlassen, dem Blutvergießen ein Ende [zu]machen und einen gerechten und dauernden Frieden zu schließen, entsendet dieser Frauenkongress Deputationen (s. Anm. S. 360), welche die in den Resolutionen niedergelegte Botschaft den Oberhäuptern der kriegführenden und neutralen Staaten Europas und dem Präsidenten der Vereinigten Staaten Nordamerikas überbringen sollen. Diese Deputationen sollen vom Internationalen Komitee dieses Kongresses aus Frauen sowohl der neutralen wie der kriegführenden Länder zusammengestellt werden. Sie sollen über das Resultat ihrer Sendung dem „Internationalen Frauenkomitee für Dauernden Frieden“ Bericht erstatten.

An die Deutsche Nationalversammlung z[u] H[än]d[en] des Präsidenten Herrn Fehrenbach 1, Weimar Die „Internationale Frauenliga für Frieden und Freiheit, Deutscher Zweig“ (s. Anm. S. 360), beantragt: Die sofortige Einsetzung eines Friedensministeriums (s. Anm. S. 361). Nachdem die Völker der Welt sich durch jahrzehntelange Vorbereitung zum Kriege und durch fünfjährigen Staaten- und Bürgerkrieg dem völligen moralischen und wirtschaftlichen Ruin nahe gebracht haben, erübrigt sich für die Antragsteller die Notwendigkeit, ihrem Antrage eine Begründung dieser selbstverständlichsten aller Forderungen hinzuzufügen. Sie nehmen hingegen Veranlassung, auf wesentliche Aufgaben und Bestimmungen für das neu zu schaffende Friedensministerium hinzuweisen, durch deren Erfüllung allein ein Erfolg seiner Tätigkeit gewährleistet wird.

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(s. Anm. S. 360)

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Bestimmungen: 1. Das Friedensministerium ist allen anderen Reichsministerien gleichgestellt. 2. Nur Frauen und Männer, deren wurzelechte pazifistische Gesinnung seit Jahren bewährt ist, können in das Ministerium eintreten. 3. In den Etat sind die für das Friedensministerium erforderlichen Geldmittel einzustellen. Aufgaben: 1. Durch Vermittlung des Völkerbundes ist anzustreben, dass Friedensministerien auch in allen anderen ihm angeschlossenen Staaten errichtet werden. 2. Gesetzliche Maßnahmen wirtschaftlicher, politischer und pädagogischer Art sind mit Nachdruck zu fördern, die im Zusammenleben der Völker anstelle der heute herrschenden zwischenstaatlichen Anarchie und [des heute herrschenden] Missverstehens, geordnete Rechtsverhältnisse und Verständigung setzen. 3. Die Lehrpläne aller Schulen sind auf der Grundlage zwischenstaatlicher Verständigung aufzubauen. 4. Die Verbreitung von Kenntnissen über die Möglichkeit einer zwischenstaatlichen Verständigung ist in der Weise zu betreiben, dass sie bis in die kleinsten Dörfer hineingetragen werden. Zu diesem Zwecke sind die Kirchen zur Verfügung zu stellen. 5. Die Beseitigung des Spionagewesens ist anzustreben. 6. Abbau der lügnerischen Presse. Die Antragsteller ersuchen um möglichst beschleunigte Annahme und Ausführung ihres Antrages, da der jetzt abgeschlossene Friede die Einsetzung eines Friedensministeriums schnellstens fordert. Die „Internationale Frauenliga für Frieden und Freiheit, Deutscher Zweig“ richtet an die Nationalversammlung und an die Landtage der deutschen Einzelstaaten das dringende Ersuchen, die Todesstrafe und das Standrecht sofort und mit rückwirkender Kraft für alle noch nicht vollstreckten Urteile aufzuheben (s. Anm. S. 361).

Manifest der Internationalen Frauenliga für Frieden u[nd] Freiheit Erfüllt von der Überzeugung, dass der Fortbestand einer zivilisierten Welt nur möglich ist, wenn die Völker wie die Einzelnen Ehrfurcht vor dem Menschenleben haben und danach stre-

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ben, jedem menschlichen Wesen seine natürliche und vollständige Entwicklung zu sichern; erfüllt von der Überzeugung, dass Gewalt und Krieg – eine Äußerungsform der Gewalt – durch die Zerstörung von Leben und Gütern solche Zustände herbeiführen, dass deren tatsächliche Auswirkungen unberechenbar sind, dass sie Hass, Rachgier, Habgier, Herrschsucht erzeugen und verewigen und dass ihre moralischen Auswirkungen für die Völker und die Einzelnen nicht weniger unheilvoll sind; erfüllt von der Überzeugung, dass alle Völker eng verbunden sind und dass jene moralischen und materiellen Auswirkungen sich in der ganzen Welt verketten und durchdringen; erfüllt von der Überzeugung, dass die gewissenlosen Menschen, welche das Unheil heraufführen, nicht diejenigen sind, welche unter ihm leiden, sondern dass die Schwachen, die Friedfertigen, die Frauen, die Kinder, die Hand- und Kopfarbeiter die ersten Opfer sind; erfüllt von der Überzeugung, dass alle Regierungen großer Staaten auf verschiedenen Stufen ihrer Geschichte und in verschiedenem Grade entweder Machtinteressen oder Niederhaltung ihrer Nachbarreiche verfolgt oder ihre Herrschaft Völkern aufgezwungen haben, welche unabhängig zu bleiben wünschten, oder Gewalt angewandt haben zur Erlangung politischer oder wirtschaftlicher Vorteile; wendet sich die „Internationale Frauenliga für Frieden und Freiheit“ – obwohl sie nicht von vornherein ablehnt, mit den Regierungen zusammenzuarbeiten, wenn es möglich ist – unmittelbar an die Völker als die Opfer der Politik und des Kapitalismus. Die Liga beschwört die Völker, nicht in gegenseitiger Unkenntnis von einander zu verharren, sich weder von den Regierungen täuschen zu lassen, noch von den Profitmachern, noch von der Presse; sie erinnert die Völker an die Solidarität, welche sie verbindet, beschwört sie, sich in ihrer gemeinsamen Not zu versöhnen und sich zum Wiederaufbau der Welt brüderlich zu unterstützten;

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sie beschwört die Völker, sich ihrer unberechenbaren Kraft bewusst zu werden, einer Kraft, die nicht zerstören, sondern sich schöpferisch betätigen soll im Aufbau neuer Wirtschaftsformen, die nicht dem Profit, sondern dem Bedarf dienen (s. Anm. S. 361). Die Liga beschwört die Völker, allen Gewaltmitteln zu entsagen, da sie ihrer nicht würdig sind. Vielmehr im starken Glauben an die Brüderschaft der Menschen in Frieden zusammenzuarbeiten, um zu einer neuen Weltordnung zu gelangen.

Nachrufe Kurt Eisner † 1 Der Mann, den am 21. Febr[uar] ruchlose Mörderhand fällte (s. Anm. S. 362), war den deutschen Frauen der Bringer von Recht und Freiheit: Er war es, der am 7. November 1918 (s. Anm. S. 362) den Erlösungsruf des deutschen Volkes von München aus ins Reich hinausströmen ließ, dem alsdann am 9. und 10. November (s. Anm. S. 362) und später das Echo aus allen deutschen Landen antwortete, Kurt Eisner war es, der den deutschen Volksstaat begründete (s. Anm. S. 362) und dabei der Frauen nicht vergaß (s. Anm. S. 363), die er zu gleichem Recht und gleicher Verantwortung mit allen Bürgern heran rief zu dem Bau des neuen Staates. Aber seiner Befreiungstat ist der schwärzeste Undank gefolgt, der je erhört ward. Die Hand des Meuchlers und die Kugeln, die ihn trafen, waren nur das mechanische Werkzeug seines Mordes: Getötet hat ihn die Lüge, die Verleumdung, der Neid, die giftige Wut der Menschen, die es nicht ertragen konnten, einen Menschen mit reinem Herzen und reiner Hand an der Stelle zu sehen, wo sie bisher Missetäter und versteckte Verbrecher, gierige Raffer und gewalttätige Egoisten gewohnt waren und sich mit Augurenlächeln (s. Anm. S. 363) vor ihnen verbeugten. Sie wollten beherrscht sein von der gleisnerischen (s. Anm. S. 363) Gemeinheit verrotteter Staatseinrichtungen, sie hassten den, der die Fenster aufriss, um Luft, Licht, Sonne, Wärme für alle herein zu lassen. Er brachte die Wahrheit, er wollte die Versöhnung durch Wahrheit und die Welt mit echter Liebe und Brüderlichkeit erfüllen, darum bäumte sich gegen ihn das ganze Gift derer auf, die der Lüge, dem Trug, der Halbheit, der Hohlheit, der Phrase verdankten, dass sie auf der Oberfläche schwammen und sich als Führer, Berater, Helfer, Wichtigtuer im Volk behaupten konnten, und noch mehr derer, die am Mark und Gut des Volkes schmarotzten, sich mästeten und ihren Raub mit Rechenpfennigen vergalten. Wie hässlich war dieser Kampf der kleinen und der schlechten Geister gegen jenen Größeren, der, vom warmen Puls der Menschenliebe erfüllt, aus dem Borne (s. Anm. S. 363) der Erkenntnis, des Wissens und der Kunst schöpfend, von reinstem Willen getrieben, ein wahrhaft Perikleischer (s. Anm. S. 363), unter sie trat, die blaue Blume (s. Anm. S. 363) aus dem Lande der Verheißung in der Hand, zu dem er sie geführt hätte, wenn sie ihn verstanden hätten, ihm hätten folgen wollen. 1

(s. Anm. S. 362)

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Aber sie wollten nicht. Das Gute und edles Wollen in einem Menschen anerkennen, bedeutet wohl, den Abstand messen, der die anderen von diesen Zielen trennt, die eigene Unlust klarlegen, ihnen zuzustreben. Reißt ihn herunter, der über Euch steht, zerrt ihn in den Alltagsschmutz, dann nähert Ihr Euch seinem Niveau, vermeint Ihr! Schier unverständlich war es, wie die Meute sich an seine Sohlen heftete, die Lehrer in den Schulen, die Professoren auf den Kathedern, die Beamten in den Kanzleien, die Presse in ihren Spalten, sie alle hetzten, hetzten, hetzten gegen den, dessen Größe und Vornehmheit ihnen wie ein verdächtiger Fremdkörper in ihren Reihen erschien, gegen den, der uns die Freiheit gebracht hatte und uns den Frieden gebracht haben würde, wenn sie ihm nicht in den Arm gefallen wären. Deutsche Frauen, haltet Euch fern von der elenden Menge, die Splitter um Splitter zu dem Scheiterhaufen herantrug, auf dem ihres Neides Missgunst ihn zu verbrennen trachtete, seid eingedenk, dass dieser Mann die Sonne der Gerechtigkeit (s. Anm. S. 363) in die Niederung strahlen ließ, durch die Ihr bis dahin unter Dorn und Dunkel (s. Anm. S. 363) wandern musstet. Er gab Euch die Leuchte in die Hand, abwartend, ob Ihr sie zum Heil oder Unheil tragen würdet, denn er war nicht überzeugt, dass Ihr unfehlbar den Weg nach oben führen würdet (s. Anm. S. 363), aber seine Gerechtigkeit forderte, dass der Weg für Euch frei liege. – Ach, dass er gelebt hätte, um den Segen dieser Freiheit zu erkennen! Deutsche Frauen, Ihr kennt ihn wenig, Euren Befreier, denn eine kurze Wegstunde nur ginget Ihr mit ihm. Mit ihm? – Viele unter Euch nicht auch gegen ihn? – Ihnen sei verziehen, denn sie wussten nicht, was sie taten, sie kannten ihn nicht, darum lernt sein Bild kennen, wie ein anderer ihn zeichnete, Attenhofer (s. Anm. S. 364) in seinem Nachruf in der „Süddeutschen Freiheit“ (s. Anm. S. 364): „Da aber kam der Mächtige mit neuen Werten, und sein Antlitz leuchtete wie das eines Schaffenden, vor dem alles neu wird. Hinter seinem geringsten Tun selbst steckte immer das Größte, was uns Menschen gegeben: die leitende, in höchste Höhen weisende Idee. Er redete vom goldenen Ziel und dass nur der Weg ein guter sei, der nach diesem Ziel verlange. Jene Tiefen, die man immer nur umredet, umphrast hatte, sie waren ihm Heiliges und er lebte in seinem Heiligen und nach seinem Heiligen. Da nannten sie ihn einen Phantasten, sie, die doch das Wort mit ihm geteilt hatten, nur dass ihnen das Wort blieb, mit dem man irgend in einem Götzendienerraum prunkte, während ihm das Wort zu Fleisch und Blut geworden.“ „Der Glaube brannte in ihm, dass alle für das Licht geboren seien. An das Gute im Menschen glaubte er und an all die allüberwindende Kraft der allewigen Güte. – Wo wird ein Hoffen gefunden, glühender als das seine? Ein Hoffen,

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das Tat geworden und kein Hindernis, kein Zurückscheuen kannte, das nur die Sonne leuchten sah durch alle Nebel, das so glühend war, dass dieser Nebel riss und goldenes Licht in alle Herzen flutete, die noch nicht ganz umkrustet waren von der Lüge. – Fleisch geworden war in ihm, was der Apostel als Höchstes preist: die Liebe. Mit ihr umgoldete und durchwärmte er die Welt der ganzen leidenden Kreatur, und aus ihr entsprang seine ergreifende Demut und Ehrfurcht vor den höchsten menschlichen Werten.“ – – – Spätere Zeiten werden ihm mehr gerecht werden als unsere jetzige, der mit reinen Händen die große Tat der deutschen Revolution vollbracht hat, ohne Blut, ohne Gewalt (s. Anm. S. 364). Wir Frauen aber wollen sein Vermächtnis ehren: Die Gerechtigkeit, die wir ihm danken, sei unseres Wirkens Leitstern; die Freiheit, die er uns brachte, sei unser Hort (s. Anm. S. 364); der Weg des Friedens, den er wandelte, sei unser Ziel; die Güte, die er übte, die Wahrhaftigkeit, der er gehorchte, leite unser Tun zum weltumspannenden Versöhnen aller Völker.

Rosa Luxemburg Die Auffindung der Leiche Rosa Luxemburgs (s. Anm. S. 364), deren Beisetzung am 13. Juni in Lichtenberg bei Berlin (s. Anm. S. 364) erfolgt ist, gibt Gewissheit über das grause Geschick, welchem dieser große und starke Frauengeist zum Opfer gefallen ist. Eine durch die Gräueltaten von vier Kriegsjahren geschulte blutige Soldateska – natürlich Offiziere – hat eine wehrlose Frau roh misshandelt, gemordet und ihren Körper – um das Wie? des Meuchelmordes zu verschleiern – in den Kanal geworfen, an dessen Ufer man sicher nicht ohne Vorbedacht die Untat vollführte. Einen der Mörder, auf den man die Hauptschuld schob, ließ man entkommen (s. Anm. S. 364). Nachdem ein Verfahren abgeschlossen war, über das jeder, dessen Unterscheidungsvermögen über Null steht, die Achseln zuckt, wurde die Leiche der Ermordeten gefunden. Den Tag, an welchem dem Gewässer der in ihm verborgene Leib der Entseelten wieder entnommen wurde, ehrte das Volk in Berlin durch einen Generalstreik; in vielen Städten Deutschlands wurde diese Ehrenerweisung am Tage der Beisetzung vollzogen. Rosa Luxemburg gehörte zu den unverkennbar hervorragenden Geistern, deren scharfe Intelligenz und sittliche Kompromisslosigkeit sie den Gegnern verhasst, selbst vielen Parteigenossen unbequem und nur der Minderheit lieb machte, die den Maßstab verträgt, an dem ihr eigenes Wesen gemessen und gewertet wurde. – Ihr ganzes Leben gab sie mit rückhaltloser Begeisterung der Erstarkung der internationalen Sozialdemokratie zum Dienste, stets am radikalsten

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Flügel derselben stehend; die Tatsache ist unverkennbar, dass sie innerhalb der deutschen Sozialdemokratie der stärkste Geist, der aufrechteste Charakter, der packendste Agitator unter allen ihren Parteigenossen war, August Bebel nicht ausgenommen (s. Anm. S. 364), und dass eigentlich ihr die Führerrolle gebührt hätte. Beklagenswert ist die Tatsache, dass ein so starker, freier Geist, dem die Erlösung der Menschheit aus den Mächten der Gewalt, der Ausbeutung und der Unwissenheit Lebensinhalt war, selbst dem Irrtum verfiel, dieses Ideal mit den Gewaltmitteln der Waffen und des Terrors erreichen zu können. Uns steht nicht zu, über solchen Irrtum zu richten, den sie mit dem Tode büßen musste, tiefe Trauer erfüllt uns über den Verlust eines wertvollen Menschen, wie sie unser Land heute leider nur in kleinster Zahl noch zu eigen hat und grenzenloser Abscheu für jene, deren Hände unmittelbar oder mittelbar mit dem Blut solcher Opfer besudelt sind. Weh, unserer Zeit!

Gustav Landauer Die blinde Wut des Reaktionsterrors (s. Anm. S. 365) hat die besten Geister unseres Volkes erschlagen, die wenigen Persönlichkeiten, die trotz der gleichmachenden Geistesknebelung durch unsere staatlichen Schulsysteme sich behaupteten, räumt der hasswürdige Unverstand blinder Massen und derer, die sie fanatisieren, hinweg. So fiel auch Gustav Landauer als Opfer der Reichstruppen (s. Anm. S. 365), die Anfang Mai angeblich zur Herstellung der Ordnung nach München entsandt worden sind. Tatsächlich haben sie so gehaust, wie man es den Terroristen in Russland nachsagt. – Die Rotte, welche Gustav Landauer erschlug, handelte nach demselben System, das man in Berlin gegen Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg (s. Anm. S. 365) erprobt und probat befunden hatte: Als er verhaftet war, fiel seine Begleitmannschaft an geeigneter Stelle über ihn her und ermordete ihn auf noch nicht festgestellte Weise (s. Anm. S. 365). Mit Gustav Landauer, dessen Wert man ermessen kann an dem Maß von Verunglimpfung, die seine Gegner über ihn ausgegossen haben, ist unserem Volke viel verloren. Dieser Mensch war mehr wert als eine Vielheit derer, die im Besitz der Befehlsgewalt in Deutschland sind, zusammengenommen. Sein Geist war edel, rein, des Streben nach echten Idealen voll. Er war kein Politiker (s. Anm. S. 365), umso besser war er geeignet für das Amt der Volksaufklärung und kulturellen Bildung, mit dem er in der ersten Periode der Räterepublik in Bayern beauftragt war (s. Anm. S. 366): Es dürfte schwerlich in der langen Reihe der Kultusminister in deutschen Staaten einen Mann von höheren Zielen und reinerem Wollen geben. Er war Pazifist aus innerem Zwang, deshalb wider-

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strebte er in gleichem Maße dem Kriege mit fremden Völkern wie jeder Gewaltpolitik innerhalb des eigenen Volkes. Er trat ohne jeden Vorbehalt ein für Gleichberechtigung der Geschlechter, an ihm fand jeder Appell der Frauen um Gerechtigkeit einen sicheren Kampfgenossen und Verteidiger. Landauer gehörte keiner Partei an, sein inneres Sauberkeitsgefühl hielt ihn davon zurück. Mancher nannte in einen „Edelanarchisten“, eine Bezeichnung, die für jene Menschen erfunden ist, für welche nicht die äußeren, staatlich abgestempelten Gesetzbücher Richtschnur ihrer Lebensführung sind, sondern die handeln und leben nach eigenen, höheren und strengeren Gesetzen. Die Schranken solcher inneren Gesetze werden nicht umgangen, durch ihre Maschen schlüpft man nicht, wie die gesetzeskundigen Ehrenmänner unserer Zeit es tun bei den Codices, die unser bürgerliches, unser Geschäfts- und unser Strafwesen regeln, aber diesen „Ehrenmännern“ ist verdächtig und unlieb, wer sich höheren Gesetzen unterworfen fühlt als sie: Unsere traurige Zeit gibt ihnen ein leichtes Mittel in die Hand, sich der Unbequemen zu entledigen, indem sie sie erschlagen oder erschlagen lassen. Eine spätere Zeit aber wird Gericht halten über die Schuld dieser Wochen, sie wird dem Namen Gustav Landauers eine Ehrenstelle in der Geschichte der Kultur zuerkennen, und er wird im Gedächtnis derer leben, welche die Früchte der von ihm gesäten Saaten ernten, wie jetzt im Gedächtnis seiner Freunde.

Texte zur Bayerischen Revolution und zum Recht der Weimarer Republik Rede vor dem Kongress der Arbeiter-, Bauern- und Soldatenräte in München am 1. März 1919 Verehrte Versammlung! Wir haben Ihnen den Antrag unterbreitet auf Ergänzung des Rätesystems durch Errichtung auch von Frauenräten. Wir haben nämlich die Beobachtung gemacht, dass in dem jetzigen Rätesystem, besonders in der Art und Weise, wie bisher die Räte zusammengekommen sind wenige Tage nach der Proklamierung der Republik und der Neuordnung der Dinge, dass bei dieser Einrichtung der Räte die Frauen außerordentlich wenig zur Mitarbeit herangekommen sind. In den Räten sind so gut wie gar keine Frauen vertreten. Es ist das in den Soldatenräten selbstverständlich, in den Arbeiterräten könnte man sie zur Not entbehren, obgleich in der Organisation der Arbeiterräte an und für sich Gelegenheit gegeben ist für eine genügende Mitarbeit der Frauen. Aber in der jetzigen Organisation der Bauernräte kann man nach meiner Überzeugung die Frauen unter gar keinen Umständen entbehren, weil ich in der Errichtung von Frauenräten – insbesondere auf dem Lande – das einzige und das wirksamste Mittel sehe, die Macht des Zentrums auf dem Lande (s. Anm. S. 366) zu brechen. Wir wissen alle, wie wenig jetzt die Frauen auf dem Lande an Politik im Allgemeinen teilnehmen und wie sehr sie durch die Bank die Beute der Zentrumsleitung sind, insbesondere der Geistlichen, die ohne weiteres – an den Wahltagen haben wir das konstatieren und betrachten können, wie die Geistlichen nach jedem Gottesdienste, da die Wahl jetzt in Zukunft immer an Sonntagen stattfinden wird, nach jedem Gottesdienste, und womöglich legen sie noch ein, zwei Gottesdienste an diesen Sonntagen mehr ein – von der Kanzel herab ihre letzten Wahlreden halten und dann in geschlossenen Haufen die Frauen aus der Kirche zur Wahlurne führen und sie für sich abstimmen lassen. Wir haben Gelegenheit gehabt, diese Art und Weise der Beeinflussung der Frauen und ihre Hinführung in geschlossener Ordnung an die Wahlurne, z. B. in Wolfratshausen (s. Anm. S. 366), zu beobachten, und es wird in anderen Städten, Märkten, Dörfern, Landgemeinden ebenso sein. Das beste Mittel gegen diese Zustände aber werden wir in der Hand haben, wenn wir übergehen zur der Errichtung von Frauenräten. Sie werden mir zugeben, dass an und für sich die Männer in ihrer Masse politisch mehr vorgebildet sind – als die Frauen in dem Augenblicke, wo sie das politische Recht überhaupt erst vor einigen Monaten erworben haben (s. Anm. S. 366). Die Männer

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haben einen Zeitraum von zirka 50 Jahren voraus, sie haben diesen Zeitraum benutzt, sie haben sich orientiert, sind vollständig in der Politik eingearbeitet und eingeschult und wissen, was sie zu tun haben, wenn die Wahlen sind. Mit den Frauen steht es ganz anders. Die sind jetzt eben in die Politik hineingekommen und sind mehr oder weniger, auf dem Lande vor allem, die Beute derjenigen, die sie zu beeinflussen wissen, und das sind in erster Linie die Geistlichen, die die verschiedensten Hilfsmittel haben: Beichtstuhl und Aufgebot und alles Mögliche, die sie auch redlich anwenden, um die Frauen nach ihrem Willen zu leiten. Wenn wir nun die Frauenräte auf dem Lande haben, dann ist das wesentliche Mittel dafür gegeben, erst vom sozialpolitischen Standpunkte, dann vom Standpunkte der allgemeinen Politik aus den Verhältnissen und Interessen der Frau näherzutreten. Diese Frauenräte müssen genau aufgebaut werden, wie die A[rbeiter]- und B[auern]-Räte, aufgrund einer staatlichen Organisation, möge sie nun so bleiben wie sie provisorisch erlassen ist oder mögen für die Bildung der Räte in Zukunft andere Verordnungen oder gesetzliche Bestimmungen aufgestellt werden. Jedenfalls müssen die Frauen in diese Verordnungen einbezogen werden, denn diese Frauenräte dürfen nicht private Angelegenheiten sein, es darf keine Vereinstätigkeit sein, und sie dürfen nicht in das Belieben einzelner oder derer, die sich am meisten darum annehmen, gestellt sein, sondern sie müssen auf öffentlichrechtlicher Grundlage stehen. Die Frauenräte sind obligatorisch. Ich möchte gleich vorausschicken, dass ich in den Frauenräten nur zeitlich beschränkte Einrichtungen sehen. Ich hoffe, dass sie in fünf, zehn, fünfzehn Jahren wieder verschwinden können und dass die Frauen dann soweit politisch gebildet und interessiert sind, dass sie in den allgemeinen Arbeiter- und Bauernräten mitarbeiten können und tätig sein werden. Aber für die Zwischenzeit halte ich es für notwendig, dass Frauenräte eingerichtet werden, und zwar auf öffentlich-rechtlicher Grundlage. Ich halte es für sehr nötig, dass die Frauen in ihrer Eigenschaft als Mütter imstande sind, die Erziehung und die Interessen ihrer Kinder von früher Jugend an auf die politischen Gesichtspunkte hinzulenken und ihnen die Wirksamkeit der öffentlichen Einrichtungen klarzumachen. Ich halte es für dringend notwendig, dass im Allgemeinen die ganze häusliche Atmosphäre durch die Mitwirkung der Frau an der Politik mehr politisch gefärbt wird und dass die Politik im Hause Allgemeingut wird, dass sie nicht beschränkt wird auf den Verkehr der Männer im Wirtshaus, auf das Zusammensein der Männer untereinander. Wenn wir einmal nach der neuen provisorischen Verfassung (s. Anm. S. 366) die politischen Rechte für Männer und Frauen gleich verteilt haben, so folgt daraus mit Notwendigkeit, dass an der politischen Ausgestaltung aller Dinge die Frauen in derselben Weise interessiert und beteiligt werden müssen wie die Männer. Dazu muss die ganze häusliche Atmosphäre auf das politische Ganze hingeleitet werden. Darum wollen wir Frauenräte. Bei der

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Bildung der Frauenräte muss ausgeschaltet werden der Einfluss der Geistlichen und eventuell der des Bürgermeisters, der sehr oft im Zentrumssinne arbeitet und eventuell auch der Einfluss des Lehrers. Die Frauenräte sollen unter sich bleiben. Sie sollen nur aus Frauen gebildet werden und unter weiblicher Leitung stehen, um die Frauen auf dem Lande in Stand zu setzen – was sie aus eigener Kraft nicht können – , dass sie politisch aufgeklärt werden. Dafür halten wir als bestes Organ die Aufstellung einer Anzahl entsprechend politisch gebildeter und auf radikal-politischem Boden stehender Volksschullehrerinnen. Es gibt solche genug. Wenn in jedem Regierungskreise ein oder zwei solcher Volksschullehrerinnen auf eine Anzahl von Jahren vom Schuldienste beurlaubt werden und die Aufgabe bekommen, von einer Gemeinde zur anderen Vorlesungen, gemeinverständliche politische Vorträge zu halten und die Frauen dafür zu interessieren, dann wird das Werk in kurzer Zeit getan sein. Diese Frauenräte vom Lande aus werden sich ausbauen in Bezirksräte, Kreisräte, in Zentralrat und Aktionssauschuss. Sie können dann die Frauen schon in den gemeinschaftlichen Rat mit den Männern schicken. Das wäre der wesentliche Organisationsgang in der Zukunft. Das ist der Zweck, den wir bei dieser Organisation im Auge haben, und ich bitte Sie dringend, unseren Antrag zu berücksichtigen und sich für ihn zu erklären. Ich hoffe, dass wir ja binnen kurzer Zeit in unserem Ministerium des Innern ein besonderes Referat für die Organisation der Räte haben werden und dass dann durch den Beschluss des jetzt tagenden Rätekongresses diesem neuen Referat des Ministeriums des Innern alsbald, schon heute, die Aufgabe gestellt ist, in der bisherigen Räteorganisation die Einrichtung von Frauenräten vorzusehen und für deren Einführung Sorge zu tragen. Ich bitte Sie, in diesem Sinne meinen Antrag anzunehmen. (Beifall!).

Die deutsche Verfassung ein Fetzen Papier? Die verflossene Hohenzollernregierung zählt zu ihren Motiven trauriger Berühmtheit den als geflügeltes Wort in alle Länder übernommenen Ausspruch von „einem Fetzen Papier“, als den der verantwortliche Vertreter dieser Regierung heilige Völkerverträge bezeichnete (s. Anm. S. 367). Mit vielen anderen verhängnisvollen Ähnlichkeiten zwischen der alten und unserer jetzigen Regierung (s. Anm. S. 367) hat letztere, wenn auch nicht die Bezeichnung, so doch die tatsächliche Behandlung heiliger Verträge von jener übernommen, so dass die Illusion, dass der deutsche Freistaat einen Rechtsstaat darstelle, nur noch die allerharmlosesten Gemüter in einer frommen Täuschung gefangen halten kann.

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Ein heiliger Vertrag sollte doch sicher die Verfassung des Deutschen Reiches sein, die „sich das deutsche Volk gegeben“, die es „durch seine Nationalversammlung beschlossen und verabschiedet“ und „mit ihrer Verkündung in Kraft gesetzt“ hat am 11. August 1919. Auf dieser Verfassung, dem angeblichen Wahrzeichen deutscher Freiheit und Gerechtigkeit, in Wirklichkeit aber einem Fetzen Papier ohne Bedeutung und verbindlichem Inhalt, trampelt jeder örtliche Inhaber eines Militärkommandos unmittelbar und die Inhaber der Reichs- und Staatsgewalt mittelbar mit Füßen. Das Vorbild wirkt ansteckend und wir sehen Staatsanwaltschaften, Universitätsbehörden gleicherweise Gesetz und Recht mit einem Hohn ohne Gleichen vergewaltigen. Seit dem 11. August 1919 besteht die deutsche Reichsverfassung, welche allen Deutschen gewissen Grundrechte von persönlicher Freiheit, Freiheit der Meinungsäußerung in Wort, Schrift, Druck und Bild, Unverletzlichkeit des Brief-, Post- und Telefongeheimnisses u. a. gewährleistet, und nur der Reichspräsident darf, „wenn die öffentliche Sicherheit und Ordnung erheblich gefährdet wird, vorübergehend diese Grundrechte außer Kraft setzen“ (s. Anm. S. 367). Von allen solchen getroffenen Maßregeln hat er unverzüglich den Reichstag in Kenntnis zu setzen und dieser hat die Machtbefugnis, sie nach Befinden rückgängig zu machen. Die frühere Reichsverfassung von 1867 bzw. 1871 und das Gesetz über die vorläufige Reichsgewalt vom Februar 1919 (s. Anm. S. 367) sind aufgehoben; Reichsrecht bricht Landesrecht (s. Anm. S. 367). Trotz dieser klaren Verfassungsbestimmungen regieren ein halbes Dutzend oder mehr Militärleute im Reiche herum, machen die einschneidendsten Verordnungen, Eingriffe in Beruf, Erwerb, freie Meinungsäußerung, persönliche Lebensführung, wie sie sich ein König von Preußen oder die Großherzöge von Mecklenburg schon lange nicht mehr auszusprechen getraut hätten. Der Gipfelpunkt schamloser Frechheit gegenüber dem herrschenden Reichsrechte besteht aber darin, dass alle diese uniformierten Verfassungsbrecher sich berufen auf längst verklungene, abgetane Landesgesetze: in Hamburg, Hannover, Berlin u[nd] a[nderen] O[rten] auf das preußische Kriegszustandsgesetz vom 4. Juni 1851 (s. Anm. S. 367), in München, Nürnberg, Würzburg auf das bayerische Gesetz vom Dezember 1912 (s. Anm. S. 367), Gesetze, deren Gültigkeit schon vor dem 11. August d. J. (s. Anm. S. 367) sehr zweifelhaft war, die aber an jenem Tage fraglos ihrer längst verdienten Auflösung anheim gefallen sind. In Hamburg regiert und dekretiert ein afrikanischer Oberst (s. Anm. S. 367), in München ein Generalmajor (s. Anm. S. 367), in Berlin ein General (s. Anm. S. 368), dort werden Reitpeitschen an die Mannschaften verteilt, um die Bürger, Männer und Frauen, auf bloßem Körper auszupeitschen, wenn sie sich später auf der Straße

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sehen lassen, als es der Herr Oberst vorgeschrieben hat, hier wie dort werden Zeitungen verboten, wenn sie die Wahrheit schreiben oder sonst wie das offenbar noch nicht ganz erstorbene Schamgefühl dieser Herren etwas scharf anfassen. Telefongespräche werden überwacht, Briefgeheimnisse verletzt, verfassungswidrige Haussuchungen und Verhaftungen werden vorgenommen, alles im Namen und kraft Diktatur der Militärchargen, die im neuen deutschen Reiche mit „der freiesten Verfassung der Welt“ nichts mehr zu sagen und zu befehlen haben, sondern ausdrücklich dem Oberbefehl des Reichspräsidenten unterstellt sind. Alle öffentlichen Beamten „und Angehörigen der Wehrmacht sind nach Artikel 176 auf die Verfassung zu vereidigen“ (s. Anm. S. 368). Man darf fragen, ob diese Herren mittlerer, höherer und höchster Chargen diesen Eid auf die Verfassung abgelegt haben und ob sie ihn zu halten gedenken? Erlaubt ihr intellektueller Horizont ihnen die Erkenntnis des Umfanges und Inhaltes der beschworenen Artikel? Oder sind sie ihnen nach traditioneller preußischer Staatsräson ein Fetzen Papier, den man beschwört und mit Füßen tritt? Wie steht der Reichspräsident Ebert (s. Anm. S. 368) zur Verfassung? Hat er öffentlich die verfassungsmäßigen Grundrechte mit Bezug auf Artikel 48 ganz oder teilweise aufgehoben? Und hat er dem Reichstage vorschriftsmäßig die Maßnahme zur Kenntnis gebracht und dessen Billigung erhalten? Oder befindet auch er sich über diesen Teil der von ihm beschworenen Verfassung in einem unklaren Traumdämmerzustande? Und duldet er es, dass die seinem Oberbefehl unterstellten Offiziere, einschließlich des Reichswehrministers Noske (s. Anm. S. 368) in omnipotentem Dünkel ihm und der Verfassung zum Hohn mit den verklungenen und abgewirtschafteten Kriegszustandsgesetzen ihm vor der Nase herumfuchteln, die tatsächlich gottlob jetzt nichts weiter mehr sind als ein Fetzen Papier, ein Fetzen ganz üblen Papieres? Zum Schutz des Einzelnen gegen Anordnungen und Verfügungen der Verwaltungsbehörden „müssen“ nach Art. 107 Verwaltungsgerichte und für das Deutsche Reich ein Staatsgerichtshof bestehen (s. Anm. S. 368). Bis dieser letztere errichtet ist, soll seine Befugnisse ein Senat von 7 Mitgliedern ausüben (s. Anm. S. 368), von denen 4 der Reichstag aus seiner Mitte wählt und 3 das Reichsgericht entsendet. Besteht dieser Senat und übt er seine Befugnisse aus, zu denen doch unzweifelhaft gehört, einer unberufenen Diktaturausübung aufgrund ungültiger Kriegszustandsgesetze Einhalt zu tun? Suchen die vergewaltigten und geschädigten Zeitungsbetriebe Rechtsschutz bei diesem Senat oder bei ihren staatlichen Verwaltungsgerichten? Oder sind sie von vornherein überzeugt, dass in einem Lande, wo die Staatsanwälte nach Bedarf durch rote und weiße Brillen sehen und mit roten und weißen Maßstäben messen und wo die Urteilssprechung sich der gleichen Brillen und Maßstäbe bedient, kurz in einem Mili-

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tär-Gewaltstaat katexochen (s. Anm. S. 368) und von unüberwindlicher Dauerhaftigkeit, jeder Rechtsanspruch von vornherein verspielt hat und unberücksichtigt bleibt? Unsere Staatsanwaltschaften, die mancherorts so außerordentlich hellhörig, nahezu nervös sind, erfreuen sich an anderen Stellen eines kaum blinzelnden Schlummers, wenn flagrante Verstöße gegen den heiligen Strafkodex begangen werden, die mit schweren Strafen belegt sind. Oder hält die Staatsanwaltschaft in Tübingen den Erlass des Universitätssenates (s. Anm. S. 368): „dass er von jedem dienstfähigen Studenten den Beitritt zur Einwohnerwehr erwarte und deshalb für die künftige Meldung zum Staatsexamen die Angabe der Teilnahme an der Einwohnerwehr vorschreibe“, nur für einen Versuch der Zuwiderhandlung gegen § 339 RStGB (s. Anm. S. 369), dessen Ausführung sie abwartet? Dieser Paragraph lautet: „Ein Beamter, welcher durch Missbrauch seiner Amtsgewalt oder durch Androhung eines bestimmten Missbrauches derselben jemand zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung widerrechtlich nötigt, wird mit Gefängnis bestraft.“ Es unterliegt wohl keinem Zweifel, dass in dem Erlass der Universitätsbehörde eine krasse Nötigung zu einer Handlung – zum Beitritt zur Einwohnerwehr – für jeden, der sich zum Staatsexamen meldet, gegeben ist und dass diese Nötigung durch Missbrauch der Amtsgewalt, zum Mindesten durch Androhung des Missbrauches der Amtsgewalt – dem Ausschluss vom Staatsexamen für jeden, der die Teilnahme an der Einwohnerwehr nicht nachweist – betätigt ist, nicht etwa versucht wird. Wenn die Gerechtigkeit also ihren Lauf haben soll, muss der gesamte Tübinger akademische Senat ins Gefängnis wandern, ohne dass er Unkenntnis des Gesetzes vorschützen kann, denn er zählt namhafte Rechtslehrer, besonders Strafrechtslehrer, zu seinen Mitgliedern, und ohne dass sein Verteidiger – der Herr Staatsanwalt – auf mildernde Umstände plädieren kann, denn es liegt in diesem Erlass ein so heilloser Gewissenszwang, dass er bei einer höchsten Lehrkörperschaft, die doch gewissermaßen „eine moralische Anstalt“ repräsentiert, schlechterdings nicht geduldet, noch weniger entschuldigt werden darf. Ja, unserer Lehrkörperschaften! – Je höher hinaus, je trauriger demoralisiert! Hochburgen sind sie des Militarismus, des Chauvinismus, der Völker- und der Volksverhetzung. Wo blieb ihr Grundsatz von der objektiven, voraussetzungslosen Wissenschaft? Der moralische und physische Zwang zur Unterstützung aller militärischen Werbestellen: sei es Reichswehr, Ostmarkenwehr, Einwohnerwehr, wird mit allen Mitteln ausgeübt, nicht immer so krass, im direkten Konflikt mit dem Strafgesetz wie in Tübingen, aber durch andere Mittel, stillere, die ebenso zum Ziele führen, ohne doch dem vielleicht wachsamen Staatsanwalt Gelegenheit zum Einschreiten zu geben.

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Dass ein Epigramm Grillparzers (s. Anm. S. 369) eine so wortwörtlich in Erfüllung gegangene Prophezeiung gewesen ist, hat man kaum geglaubt. Es heißt: „Der Weg der neueren Bildung geht Von Humanität Durch Nationalität Zur Bestialität.“ Dass ganz allgemein von jener gewissen Art der Nationalität zur Bestialität nur ein Schritt ist, hat man längst erwiesen gesehen, dass aber wirklich „der Weg der neueren Bildung“ von den Hütern des Humanismus in dieser Richtung gewiesen werden würde, ist eine unserer traurigsten Erfahrungen während und nach dem Kriege. Armes, bis ins tiefste Mark zerrüttetes deutsches Volk! Wirst Du im Stande sein, Dich aus den Hydraschlingen (s. Anm. S. 369) der Verlogenheit, des Betrügens, der Unehrlichkeit, des Gesetz- und Vertragsbruches, in denen Deine Staatsgewalten, ob rot, ob schwarz, ob weiß seit Jahrzehnten in ununterbrochener Folge Dich lenken und zwingen – wirst Du im Stande sein, Dich aus ihrer Verstrickung zu befreien? Wird Dir ein Herkules erstehen, der Deinen Staat von dem generationenhoch gelagerten Unrat säubert (s. Anm. S. 369)? Wartest Du auf Deinen Herkules? – Nein, warte nicht auf einen Heros, beginne selbst mit der Arbeit, erneuere Dich selbst von innen heraus und von unten herauf. Gedenke, dass Dir ein Goethe, ein Schiller, ein Humboldt (s. Anm. S. 369) und mit ihnen viele edle Frauen zum Vorbild gelebt haben, dass der Geist, der aus ihnen sprach, das Pfund ist, mit dem Du wuchern sollst. In dieser bittersten Not unserer Zeit, in der Gewalt und Betrug den höchsten Stand erreicht haben, in der das böse Prinzip in hundert Formen seine Klauen durch unseren zuckenden Volkskörper reißt, gedenke Volk, dass nur Du selbst dir helfen kannst durch Erkenntnis der Wahrheit und durch Aufbau eines neuen echten Ethos, das gelebt werden muss, nicht mit den Lippen bekannt und mit dem Verstande bekräftigt. Vertraue den tausend jungen Quellen und Bronnen (s. Anm. S. 369), die allerorts in Dir sich regen, die überall den heißen Durst nach Wahrheit und Reinheit stillen können, wenn Du sie hegst und pflegst, sie verteidigst und hütest, Dich ihnen hingibst mit wahrer Inbrunst und mit dem festen Vorsatz und Willen, dass es anders und besser werden soll. – „Werdet besser, gleich wird’s besser werden“, ist eine von den einfachen Lebensweisheiten unseres Hohenpriesters Goethe (s. Anm. S. 369). Gegen Millionen wahre, rechtschaffene, innerlich freie Menschen, die moralische Sauberkeit in sich und um sich haben wollen, kann auch eine Militärdiktatur von preußischen Junkern und Afrikanern (s. Anm. S. 369) sich nicht behaupten, müssen die Maschinengeweh-

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re und Handgranaten ihre Wirkung versagen und muss auch die deutsche Reichsverfassung mehr werden als ein Fetzen Papier. Aber zuvor, Ihr Millionen, werdet besser!

Die Zukunft Das Jahr, das hinter uns liegt, war reich an Erlebnis und – an Erkenntnis. Wir wollen, ohne sentimentale Betrachtung darüber, dass das schwerste und bitterste Erleben über uns dahingegangen ist, versuchen, die Zeichen zu deuten, die uns auf den Tafeln der Geschichte unserer Zeit eingegraben erscheinen. Es sind furchtbare Zeichen: Zerstörung, Vernichtung, Zusammenbruch, Katastrophe. Mitten im Todessturz noch eine Krisis: Ein krampfhaftes Ringen um Wiedererrettung, um Wiederaufstieg, ein letzter Griff nach dem Licht – vergebens, das Verhängnis vollzieht sich, die Sonne stürzt, alles Menschenwerk versinkt, die Erde ist wüst und leer (s. Anm. S. 370) und finster wie am ersten Tag. – – Wir erleben den Zusammenbruch eines Kulturbaues, an dessen Aufrichtung die Menschheit Jahrtausende gebaut hatte – aber nach einer falschen Formel; die Struktur brach in sich selbst zusammen. Aus den Trümmern sollte auf den alten Fundamenten ein neues errichtet werden, vergebens, auch hier war die Formel falsch, die Baustoffe zersetzten einer den anderen. Es gibt keinen Aufbau nach dem alten Prinzip. Was vor unseren Augen in die Tiefe gesunken ist, ist der Männerstaat, die Männererde, die seit den Tagen der Chaldäer (s. Anm. S. 370) mit Blut und Gewalt gezimmert und gehämmert wurden und eben wegen dieser falschen Formel an Selbstzerfleischung, Eigenvernichtung dem Untergang verfallen mussten. Der maskuline Grundsatz: Durch Gewalt herrschen, hat seine tödliche Leere, seine destruktive Tendenz vor unseren Augen dargetan, er explodierte gleichsam in einer Endkatastrophe, die Völker und Länder verheerte und deren chaotische Wirrnis auf Menschenalter fortwirken wird. Weltkrieg – roter, weißer Terror – war der männlichen Staatsweisheit letzter Schluss, Gewalt und wieder Gewalt ihr A und O, ein Totenschädel ihr Symbol. Aber die Hypnose ist gewichen, mit der sie der Menschheit den Glauben an die Richtigkeit dieser Formel suggerierte. Die Formel hat so kläglich versagt, dass sie niemals wieder Geltung finden wird. Das Blatt der Weltgeschichte, das sie beherrschte, wird umgewendet, neue Buchstaben fügen sich auf der neuen Seite: Licht und Leben wird ihr Zeichen sein. Licht und Leben! Der wesenseigene Wahlspruch des Weiblichen. Die Vergangenheit stand unter dem Zeichen des Patriarchats, die Zukunft wird unter dem des Matriarchats stehen.

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Nicht die nahe Zukunft – es braucht lange, lange Zeit, bis sich die Umkehrung der Geister vollzogen haben wird, die noch so im alten Glauben befangen sind, dass sie nur in kleinster Zahl erkennen, dass das alte Prinzip der Männererde seinen Schicksalstag erlebt und dass es verspielt hat. Nicht einmal die Besiegten erkennen es, welche ihr Volk und andere Völker in den Strudel des Verderbens gestürzt haben, noch weniger die Sieger, die da glauben, eine Ernte aus dem Siege ihrer Gewalt zu bergen. Nur wenige unter den Opfern dieser grausamen Zeit erkennen die Flammenschrift (s. Anm. S. 370), die vor dem Zuge der Menschheit her zielweisend leuchtet, den meisten durch Dunst und Staub verborgen. Und doch müssen erst die Vielen ganz erfüllt und ergriffen sein vom Zukunftsgeiste, bevor seine Segnungen Wirklichkeit werden können, müssen ihn so lebendig leben, wie sie den alten Geist gelebt haben. Wie sie sich der Gewalt beugten von der Jugend bis zum Grabe: Des Vaters, des Mannes, des Geldes, der Waffen, wie ihr ganzer Lebensweg von Zwang und Drohung vorgezeichnet war, so müssen sie sich innerlich frei machen vom Glauben an die Gewalt und von der Anerkennung ihrer Herrschaft, müssen eigene Überzeugung, freien Willen, Selbstbestimmung, Selbstverantwortung an dessen Stelle setzen. Die Gewaltherrschaft des Mannes hat das Elend der Welt erzeugt, sie ist unfruchtbar, ist tötend, ist verneinend wie Ariman (s. Anm. S. 370) und Luzifer. Seine Überlegenheit besteht nicht, ihre Behauptung ist Irrwahn, der Glaube an sie, mit blutiger Faust und stampfendem Tritt aufgezwungen, hat den Aufstieg der Welt gehindert. Darum zweifelt an ihr! Das ist das erste Gebot des neuen Katechismus (s. Anm. S. 370). Das Wesen der Frau wird die Welt erlösen (s. Anm. S. 370), es ist fruchtbar, ist schöpferisch, ist bejahend wie Ormuzd (s. Anm. S. 370). Befreit es, gebt ihm Wirkungsmöglichkeiten, lasst es seine innerlich vorgeschriebenen Wege gehen und weisen. Glaubt, dass es der göttlichen Urkraft nahe ist, die zum Lichte führt und vertraut seiner Führung! Das ist das zweite Gebot des neuen Katechismus. Diese beiden Lehrsätze sind die Schwelle des neuen Zeitalters. Niemandem wird es sich offenbaren, dem nicht diese Gebote lebendige Überzeugung geworden sind. Vielen müssen sie zur Überzeugung geworden sein, bevor die neue Zeit anbricht. Besonders Ihr Frauen, werdet wach, vernehmt die neue Lehre und glaubt an sie: Zweifelt am Mann, vertraut auf die Frau. Der Mann ist nicht klüger als ihr, denn was er zustande brachte, war ein mechanisches Räderwerk, das Menschen und Menschenglück zerrieb. Der Mann ist nicht weiser als ihr, denn mit unfruchtbarem Hass wollte er die Welt beherrschen. Der Mann ist nicht einmal stärker als ihr, denn vor euren Augen ist all seine Machtherrlichkeit in Trümmer geborsten.

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Auf Euch wartet die Welt, aber auf Euch echte Frauen, die Ihr der eigenen Natur folgt, nicht den euch wesensfremden Geist des Mannes schwächlich und verzerrt widerspiegelt, dem ihr euch unterworfen hattet. Wagt es, wieder Frauen zu sein, lernt verstehen, was die treibende Urkraft euch eingibt, gebt es auf, Werkzeug zu sein für die irreleitenden Zwecke des Männerstaates. Gebt es auf, Männergeschöpf zu sein, da die Natur Euch selber zu Schöpferinnen bestimmt hat. Die Unterjochung der Frau durch den Mann war der große Fehler, die falsche Formel im Aufbau der Kultur der vergangenen Zeitepoche – falsch –, weil sie die Unterjochung des aufbauenden Prinzipes durch das zerstörende, des bejahenden durch das verneinende war. In der neuen Ordnung wird ein Drittes entstehen, das weder herrscht noch dient, sondern forscht und sucht, schafft und mitteilt, das ist der Mensch in seiner Vollendung, frei von Machtwillen, frei von Unterwerfung, frei von Ausbeutung. Allen leuchtet das Licht, allen gehört die Erde, der Starke schützt den Schwachen, jeder liebt den Nächsten wie sich selbst: Für diese Menschheit der Zukunft lasst uns arbeiten!

10 Gebote für die neue Legislaturperiode Die „Internationale Frauenliga für Frieden und Freiheit, Deutscher Zweig“ unterbreitet dem Deutschen Reichstage und der Deutschen Reichsregierung folgende 10 Gebote für die neue Legislaturperiode I.

Sofortige Wiederherstellung und unverbrüchliche Einhaltung des verfassungsmäßigen Achtstundentages. II. Sofortige Aufhebung der §§ der Personal-Abbau-Verordnung (s. Anm. S. 371), welche Art. 128, 129 der Reichsverfassung (s. Anm. S. 371) betr[effend] Gleichstellung männlicher und weiblicher Beamten zuwiderlaufen. III. Nie wieder ein „Ermächtigungsgesetz“ (s. Anm. S. 371) oder eine ähnliche Maßregel, welche den Reichstag ausschaltet und dadurch das in Art. 1 der Reichsverfassung verankerte Grundrecht des deutschen Volkes (s. Anm. S. 371) preisgibt. IV. Nie wieder Militärdiktatur! Selbst in Fällen der vorübergehenden Anwendung von Art. 48 RV (s. Anm. S. 371) die dort vorgesehene „Hilfe“ der bewaffneten Macht höchstens zur Unterstützung der Landespolizei unter der Befehlsgewalt und Verantwortlichkeit der Zivilverwaltung.

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V.

Freihandel als Grundlage der neuen Handelsverträge, vor allem mit den Nachbarstaaten Frankreich, Schweiz, Belgien, Italien, Polen. Aufhebung des Passzwanges an den deutschen Grenzen. VI. Durchführung von Art. 119, Abs. 1 RV: „Die Ehe beruht auf der Gleichberechtigung der beiden Geschlechter.“ (s. Anm. S. 371) Demgemäß Revision und Reform aller dieser Verfassungsbestimmung zuwiderlaufenden alten Gesetze. VII. Garantien für Durchführung der Art. 110, 111, 114, 115, 117, 118, 123 sowie des Art. 148 RV in allen Bundesstaaten des Reiches (s. Anm. S. 371). VIII. Garantien für Befolgung des Art. 109, Abs. 5 RV durch den Reichswehrminister (s. Anm. S. 371). IX. Durchführung der Rechtsgleichheit in allen deutschen Bundesstaaten, vor allem bezüglich politischer Verfahren (s. Anm. S. 372). X. Aufhebung der Todesstrafe (s. Anm. S. 372). Die Beauftragten (gez.): Dr. Anita Augspurg Lida Gustava Heymann (s. Anm. S. 372) Magda Hoppstock (s. Anm. S. 372) Auguste Kirchhoff (s. Anm. S. 372) Frida Perlen (s. Anm. S. 372)

Wieder ein Fetzen Papier Es ist bei den Machthabern im Deutschen Reich – sei’s Kaiserreich oder Republik, mögen sie auf Regierungssesseln oder auf Reichstags- oder Landtagssitzen thronen – chronische Gepflogenheit, Staatsverträge und Verfassungen, wenn’s „die Sache will“, als Fetzen Papier zu achten. Zum soundsovielten Male geschah es u. a. mit Art. 128 Abs. 2 der Reichsverfassung: „Alle Ausnahmebestimmungen gegen weibliche Beamte werden beseitigt.“ Bei der Änderung der PersonalAbbau-Verordnung (s. Anm. S. 372) will die Reichsregierung kurzerhand alle verheirateten weiblichen Beamten abbauen können. Dieser verfassungswidrigen Ungerechtigkeit widersetzten sich bei der zweiten Lesung die gesamten weiblichen Abgeordneten (s. Anm. S. 372) ohne Rücksicht auf die Stellungnahme ihrer Fraktionen, und es kam wirklich durch dieses einmütige Zusammenstehen der Frauen eine sehr knappe Mehrheit für die Ablehnung des Artikels zustande. Wegen dieser Haltung sind nicht allein die tapferen Frauen auf der rechten Seite, welche ihre subjektive Rechtsüberzeugung und das objektive Verfassungsrecht gegen die Fraktionsparole zum Ausdruck brachten, von ihren Fraktions-

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gewaltigen scharf gemaßregelt worden, sondern es erklärte auch ein Ministerialdirektor bei der dritten Lesung (s. Anm. S. 373), dass die Regierung durchaus auf Wiederherstellung des Art. 14 bestehen müsse (s. Anm. S. 373), da in diesen schweren Zeiten „Doppelverdiener“ nicht belassen werden, also verheiratete Frauen nicht im Amt bleiben können, deren Männer sich in gesicherter Stellung befinden. Die Regierung hätte vollkommen Recht, wenn sie als Art. 14 einen Satz formuliert hätte, in dem dieser Gedanke generell zum Ausdruck gebracht wäre, so dass z. B. Bezieher einer auskömmlichen Offizierspension nicht zugleich eine Amtsstellung mit mehr oder weniger guter Gehaltsbesoldung beibehalten oder auch Frauen von Männern in wirklich „gesicherter“ Lebensstellung dem Abbau unterworfen werden sollen. Solche Verhältnisse wären von Fall zu Fall festzustellen. Es geht aber nicht an, schematisch durch eine allgemeine Verordnung den Abbau aller verheirateten weiblichen Beamten eo ipso (s. Anm. S. 373) zu bestimmen. Es wird in dieser Zeit furchtbarer Arbeitslosigkeit und zunehmender Teuerung öfter vorkommen, dass eine verheiratete Beamtin Mann und Kinder teilweise oder ganz erhält, als dass sie die Gattin eines Mannes in „gesicherter Lebensstellung“ ist. Hingegen soll sich der ersterwähnte Fall des Doppelverdienens durch Militärpension und Beamtengehalt besonders in den höheren Gehaltsklassen ziemlich häufig ereignen, und die „sparsame“ Regierung könnte durch Vorschriften zur Ausmerzung solcher Fälle jedenfalls erheblichere Finanzvorteile erzielen als durch ihren einseitig gegen die weiblichen Beamten gerichteten Art. 14. – Man darf sich übrigens verwundern, dass von den klugen Gesetzberatern niemand auf die doch so nahe liegende Idee gekommen ist, den Schmerzen der Regierung durch den Vorschlag einer speziellen Verhütung von „Doppelverdienen“ an Stelle des anfechtbaren Art. 14 abzuhelfen. Dem männlichen Beamten wird die Heirat als staatsrechtlicher Verdienst angerechnet und mit besonderen Bezügen belohnt, beim weiblichen Beamten straft man die Familiengründung mit Abbau! Logik? – Diese Spezies gedeiht, wie manche andere, nur auf Männerhirnsubstanz. Die Verweise der Fraktionen haben den Bekennermut der weiblichen Abgeordneten gebrochen: Sie sind zu Kreuz gekrochen, obwohl sie den Schutz von Art. 21 RV (s. Anm. S. 373) zur Seite hatten „die Abgeordneten … sind nur ihrem Gewissen unterworfen“. Parteisatzungen, die das Gewissen knechten wollen, gehören unter die unsittlichen Verträge, die keine Rechtsgültigkeit haben. Auch der eindringliche Vorhalt der Regierung tat seine Wirkung: In dritter Lesung wurde Art. 14 der Verordnung in seiner Integrität wiederhergestellt und Art. 128 der Verfassung von den Regierungsparteien zum „Fetzen Papier“ gemacht, trotz besonderen Hinweises auf seine Existenz durch mehrere Abgeordnete. Es fehlt an einer parlamentarischen Bezeichnung für das Rechtsempfinden derer, welche mit ihrer Abstimmung den Grad ihrer Achtung vor der Verfassung

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bewiesen, auch der Regierung, welche auf diese Missachtung der Verfassung drang. Aber von der Regierung sind wir ja seit Jahr und Tag dergleichen gewohnt – Wahrheitsbeweise durch Tatsachen sind dutzendweise beizubringen. Die Sozialdemokratie gab vor der Schlussabstimmung eine offizielle Erklärung ab, in der sie auf den Bruch der Verfassung durch die Verordnung und auf deren dadurch bedingte Ungültigkeit hinwies, auch der Vorsitzende der Demokr[atischen] Fraktion pflichtete dem bei. Tut nicht[s] – ein Fetzen Papier! Die Abstimmung ergab eine Mehrheit für Art. 14 und für die Verordnung im Ganzen. Allerdings ein Fetzen Papier, aber nicht die Verfassung, sondern die Verordnung! Es besteht schon ein Präzedenzfall, dass im Bayer[ischen] Landtag Gesetzgeber von der gleichen geistigen Klarheit und dem gleichen ritterlichen Mannesmute gegen das schwache Geschlecht ins Feld rückten und kurzerhand die verheirateten Lehrerinnen aus dem Beamtenetat hinausschaffen wollten. An bayerischen Regierungen ist selten etwas zu loben, in diesem Falle aber muss man dem schwarzen Kultusminister (s. Anm. S. 373) doch nachrühmen, dass er bei dieser Vergewaltigung des Art. 128 der RV zu bremsen suchte, und als trotzdem der Landtag sein Gesetz beschlossen hatte und dieses natürlich durch Reichsrecht für endgültig erklärt worden war, loyal der Reichssenatsentscheidung (s. Anm. S. 373) die schuldige Achtung erwies, indem er den bayer[ischen] Landtagsbeschluss aufhob. Was Bayern billig war, muss dem Reiche recht sein. Es geht nicht an, dass der bayerische Landtag und die bayerische Regierung wegen Außerachtlassung des Art. 128 Abs. 2 justifiziert und rektifiziert (s. Anm. S. 373) wird, hingegen Reichstag und Reichsregierung ihn ad libitum (s. Anm. S. 373) drehen und wenden. Jeder Deutsche hat das Recht, die Berufsvertretungen der deutschen Beamtinnen aber haben die Pflicht, sich aufgrund von Art. 126 RV (s. Anm. S. 373) Beschwerde führend an den Staatsgerichtshof bzw. den ihn vertretenden Senat zu wenden und Aufhebung der Personal-AbbauVerordnung zu fordern, weil sie verfassungswidrig ist. Abgesehen davon, haben aber auch alle einzelnen weiblichen Beamten, die etwa aufgrund der Verordnung abgebaut werden sollen, ein Klagerecht, um sich gegen Beeinträchtigung ihrer Rechte schadlos zu halten. Abbauen sollte man die ganze Klasse der Passbeamten an den hundert deutschen Grenzübergangsstellen, die ins dunkle Mittelalter passen, aber nicht zum hellen raschen Völkerverkehr der Neuzeit. Abbauen sollte man vor allem die Schwerkriegsbeschädigten, aber nicht, indem man sie aufs Pflaster wirft, sondern indem man ihnen auskömmliche Existenzbedingungen möglichst auf ländlichen Siedlungen schafft, ohne ihnen qualvolle Leistungen mit ihren verkrüppelten Gliedmaßen und zermürbten Nerven abzuverlangen. Wer durch Zufall einmal Einblick erhält in die Abtei-

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lungen, wo man diese Opfer des Vaterlandes ihr karges Brot erarbeiten lässt, der erkennt, dass das Vaterland ihnen vor allem Ruhe, aber auch Brot schuldet.

Frauenlisten Schon bei der Verleihung des Frauenstimmrechts in Deutschland 1918 (s. Anm. S. 374) tauchte die Frage der Frauenlisten auf, sie ist seitdem wieder und wieder erörtert worden. Der spekulativen Betrachtungen waren viele, die Notwendigkeit der Frauenlisten ist aber der Masse der weiblichen Wähler bis heute noch nicht klar, und wo sichAnsätze zu praktischem Vorgehen zeigten, führten diese über die ersten Versuche nicht hinaus, wie z. B. Frauenlisten bei Gemeindewahlen und Zusammenberufung einer Konferenz mit weiblichen Parlamentariern des „Deutschen Zweiges der Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit“ in Berlin, Februar 1925 (s. Anm. S. 374). Die Zahl der Befürworter von Frauenlisten ist seit 1918 langsam aber ständig gewachsen, und zwar unter Frauen aller politischen Parteien wie parteilosen Frauen. Unter den Anhängern herrscht heute völlige Klarheit darüber, dass es sich bei Frauenlisten nicht um Gründung einer gesonderten Frauenpartei handelt, sondern um Frauenlisten, auf denen weibliche Kandidaten im Verhältnis zur Stärke der Parteien und auch Kandidatinnen der parteilosen Frauen vertreten sind. Der andauernde Rückgang weiblicher Abgeordneter in Deutschland (s. Anm. S. 374), im Reichstag, den Landtagen und Gemeinden, erfüllt alle jene – Männer wie Frauen – mit großer Sorge, welche wissen, dass die Mitarbeit der Frauen unerlässlich ist zur Wiederherstellung erträglicher Zustände im Leben der Völker, der Staaten und der Gemeinden. Festgestellt soll nochmals werden, was in dieser Zeitschrift wieder und wieder gesagt worden ist, nämlich, dass eine außerordentlich tüchtige Arbeit in den Parlamenten von den weiblichen Abgeordneten aller Parteien geleistet wird, dass sie häufig die Initiative ergreifen, z. B. bei Abschaffung der skandalösen Bordelle in Hamburg, dass die Frauen geradezu eine Auffrischung der Parteien bewirkten, die politische Moral stärken, in den Kommissionen mit Sachkenntnis und Hingabe arbeiten und mit Hintanstellung aller persönlichen Interessen ihrer Sache dienen. Bei der Schwäche ihrer Zahl, die nur 1–6 % beträgt, bei dem allgemeinen nachkriegszeitlichen Niedergang des Parlamentarismus konnten sie sich nicht voll auswirken. Sie haben geleistet, was menschenmöglich war. Die stete Abnahme der Zahl der weiblichen Kandidaten auf den Parteilisten ist seit langem ein Ärgernis für die gesamte Frauenwelt, dem sie machtlos gegenübersteht, weil die Frauen innerhalb der Parteiorganisationen wenig oder keinen Einfluss besitzen und weil das Listensystem, wie es in Deutschland gehandhabt wird, die Wähler den Parteilisten ebenfalls einflusslos ausliefert. In der Schweiz

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z. B. ist das Proportionalwahlrecht zu sehr viel besserer und gerechterer Wirkung gebracht. Der Wunsch nach stärkerer Vertretung der Frauen durch Frauen in den Parlamenten gelangt deshalb in Frauenkreisen immer häufiger und stärker zum Ausdruck. Nachdem direkter Appell an die Parteileitungen wirkungslos geblieben ist, scheint Selbsthilfe der Frauen allein zum Ziele führen zu können. Aber wie? Gibt es ein Mittel, Frauen außerhalb der allgemeinen Wahllisten in die Parlamente zu bringen? Ja, es gibt eines, aber es fordert ein großes Maß von politischer Reife und Disziplin von allen Frauen, von der gesamten Frauenwelt; mehr vielleicht, als ihnen heute eigen ist, denn nur ihre moralische Kraft könnte den Erfolg sichern, da die wirtschaftliche Stellung der deutschen Frauen derart ist, dass ein wirkungsvoller Propaganda- und Wahlorganisationsapparat, der bekanntlich nur mit ungeheuren Geldmitteln und mit großer Presse in Betrieb gesetzt werden kann, für sie unerschwinglich ist. Da Geld und Presse fehlen, bedürfte es eines allgemeinen Zusammenwirkens aller führenden Frauen für eine gemeinsame Frauenliste, auf welcher nach Maßgabe der letzten Wahlstatistik die Zahl der Kandidatinnen auf die verschiedenen Parteien und Gruppen nach einem gemeinsam aufgestellten Schlüssel und in diesem entsprechender Anordnung verteilt sind. Es bedürfte ferner des willigen Mitgehens der gesamten Masse der Frauen: Ungeachtet der entfachten Wahlagitation in der Zeitung, die sie lesen, der Partei, mit der sie sympathisieren, die Frauenliste, ohne Wimperzucken nur die Frauenliste zu wählen, trotzdem sie nur eine verhältnismäßig kleine Zahl von Namen enthält, die ihr Vertrauen haben neben einer viel größeren Reihe, die ihnen bedenklich, ja gefährlich erscheinen. Stellt solches Übereinkommen nicht an die Objektivität, an die politische Einsicht und Disziplin der Führerinnen wie der Massen geradezu unerhörte Anforderungen, wird es möglich sein, die Befähigung zu solchem Vorgehen aufzubringen? Es wäre wohl eine Höchstleistung politischer Reife und Einsicht, kaum denkbar von einer Wählerschaft, die erst seit 7 Jahren im Besitz ihres Wahlrechtes ist, deshalb wäre auch das Scheitern eines Versuches kein Grund zum Verzweifeln, nicht einmal ein Grund zum Zweifeln an den politischen Fähigkeiten der Frau. Die Masse der Männer würde trotz 60jähriger politischer Praxis diese Probe ganz gewiss nicht bestehen, das darf man kühn behaupten. Soll man es mit den Frauen versuchen? Der Gedanke der Frauenlisten liegt in der Luft, er kommt immer öfter und ernster zum Ausdruck. Es wäre dann nötig, dass alle Frauenorganisationen: Evangelische, katholische, jüdische, alle Frauenberufs- und Arbeiterinnenvereine, Künstlerinnen, Hausfrauenvereine, akademische Frauen, der „Bund deutscher Frauenvereine“, die Frauen der verschiedenen Parteien, parteilose Frauen usw. zunächst eine allgemeine Frauenkonferenz einberufen, um die Arbeit einzuleiten. Bei der Unsi-

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cherheit der heutigen politischen Zustände können uns Neuwahlen jeden Augenblick beschert werden, und die Kompliziertheit des Wahlapparates erfordert eine umfangreiche, eingehende und lange Vorbereitung. Man wende nicht ein, man müsse das neue Wahlsystem (s. Anm. S. 374) abwarten, mit dem in naher Zukunft zu rechnen ist, da das heutige Listensystem (s. Anm. S. 374) sich einer allgemeinen Unbeliebtheit erfreut und keine seiner Verheißungen erfüllt hat. Wir deutsche Frauen haben, das lehrt uns die Erfahrung, nichts, aber auch gar nichts abzuwarten, wenn wir uns im politischen Leben und in den Parlamenten behaupten wollen, und das wollen wir. In dieser Zeit wirtschaftlicher Not, des Abbaues auf allen Gebieten, ist Abgeordneter sein – d.h. für die Männer: Beruf, Erwerb, Geschäft. Mitbewerber, dazu so unliebsame wie die Frauen, werden einfach beiseite geschoben, die Partei leistet dabei tatkräftige Unterstützung. Einigkeit aller Frauen ist das einzige Gegenmittel. Sie allein sichert uns die Zunahme weiblicher Abgeordneter. Frauen aller Parteien und Weltanschauungen und parteilose Frauen haben sich als geschlossene Einheit der Einheit der Männer gegenüberzustellen. In gemeinsamer Arbeit muss der Schlüssel gefunden werden, welcher den Frauen aller Gruppen gemäß ihrer vorhandenen Stärke auf den Wahllisten Vertretung sichert. Es handelt sich nicht darum, irgendeine Partei zu unterdrücken oder zu stützen, bei diesem Zusammenschluss aller Frauen steht Parteiinteresse nicht an erster Stelle, Parteistärke soll gerecht berücksichtigt werden, Hauptsache aber ist, das Gewicht weiblichen Einflusses durch die Zahl weiblicher Abgeordneter in allen Parlamenten und Gemeinden zu vermehren und diesen weiblichen Abgeordneten aller Richtungen die Möglichkeit zu geben, dass sie nicht mehr von Parteignaden, sondern durch eigene Kraft der Frauen in die Parlamente einziehen. Alle weiblichen Abgeordneten sollten sich klar machen, was das bedeutet! Wie ganz anders sie vor ihrer Partei dastehen, frei, unabhängig. Ja, sind nicht Freiheit und Unabhängigkeit die höchsten Güter im politischen Leben, Güter, aus denen eine kristallhelle, reine Kraft strömt, die es den Frauen in ganz anderem Maße als bisher ermöglicht, in ihrer Eigenart als Frauen in den Parlamenten und innerhalb der Parteien zu wirken, ohne dabei auch nur ein Jota (s. Anm. S. 374) ihres Parteiprogramms preiszugeben. Deutsche Frauen, vergesst alle Kämpfe der Vergangenheit, vergesst, was Euch während des Weltkrieges trennte, vergesst die Gegensätzlichkeit der Weltanschauungen und Parteien. Schaut weit hinein in die Zukunft, fühlt Euch einig als Frauen, einigt Euch auf den einen Punkt: Frauen in die Parlamente zum Wohl der Jugend und des Volksganzen. Mögen einflussreiche Frauenorganisationen endlich die Initiative zu einem festen Zusammenschluss aller Frauen zur Mehrung weiblicher Abgeordneter ergreifen, ehe es zu spät ist. Lasst den Willen dazu in Euch mächtig wachsen,

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dann wird der Weg gefunden: Frauen ziehen verdoppelt, verdreifacht, verzehnfacht in die Parlamente ein. Mag sein, dass der Parlamentarismus sich überlebt hat. Staat, Politik ist etwas Lebendiges, Wachsendes, sich ewig Erneuerndes, aber solange der Parlamentarismus besteht, ist es höchste Notwendigkeit, dass weibliche Art und Einfluss ihm nutzbar gemacht werden. Also auf, an die Arbeit!

Verfassung, Gesetzgebung und Rechtsprechung Die „Sektion für Dichtkunst der Preußischen Akademie der Künste“ (s. Anm. S. 375) bekämpft in einer Kundgebung gegen jede Zensur eine Neigung des Preußischen Landtages für Wiedereinführung solches kulturfeindlichen Institutes nicht nur innerhalb der königlich preußischen Grenzen, sondern im ganzen Reiche. Der Preußische Landtag von 1928 (s. Anm. S. 375) – nicht von 1858 – soll sich tatsächlich kurz vor den Weihnachtsferien mit dieser Frage beschäftigt haben, die mehr nach absolutem Königtum als nach freiem Volksstaat schmeckt. Die Kundgebung der Sektion für Dichtkunst ist kurz und würdig; sie argumentiert über Gefahren und Wirkungen einer Zensur: „Wir sind der Überzeugung, dass Zensur zumeist das Gegenteil dessen bewirkt, was der Gesetzgeber gewollt hat. Durch ein Verbot werden wesenlose Erzeugnisse der Literatur und Kunst, die sonst im Dunkel blieben und bald wieder im Dunkel verschwänden, wie durch Scheinwerfer grell beleuchtet. Missverstandene Kunstwerke dagegen geraten in Gefahr, verboten zu werden. Das kann der Gesetzgeber auch nicht wollen, da dies der Verfassung widerspricht. Darum werden wir grundsätzlich jede Zensur bekämpfen, umso mehr, als die bestehenden Gesetze zum Schutze des Volkes durchaus genügen. Zensur bringt neue Zwistigkeit und Parteiung in unser Kulturleben.“ Wenn aber eine gesetzgebende Körperschaft so geistverlassen ist, dass sie in unseren Tagen eine allgemeine Zensur überhaupt in Erwägung zieht, so ist ganz gewiss vorauszusetzen, dass sie durch sachliche Gründe von solchem Vorhaben nicht abzubringen ist. Da nun glücklicherweise formale Hindernisse dem Preußischen Landtag in den Weg gelegt werden können, wird man wahrscheinlich mit besserer Erfolgsaussicht diese in Anwendung zu bringen suchen, wenn er wirklich – was wir nicht hoffen wollen – die blamable Weihnachtsidee weiter verfolgt. Dass der Preußische Landtag keine Zensur für das ganze Reich einführen kann, steht ohne weiteres fest, aber auch in seinen Landesgrenzen könnte er es nicht. Man sollte das Liebäugeln mit der Zensur aufgeben, denn wir haben so-

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wohl direkte wie indirekte Schutzmaßregeln in der Reichsverfassung, an denen sich Preußischer Landtag wie Reichsinstanzen die Zähne ausbeißen würden. Da steht zuoberst der Grundsatz: Reichsrecht bricht Landesrecht (s. Anm. S. 375) und Reichsverfassung bricht Reichsgesetz. Wir haben in der Verfassung den Artikel, der eine allgemeine Zensur ausdrücklich ablehnt (s. Anm. S. 375), eingedenk der schmählichen Rolle, die dieses Diktaturinstrument in der deutschen Kulturgeschichte gespielt hat. Dieser Artikel bildet eine direkte Handhabe gegen jedes Zensurgelüst; eine indirekte ist außerdem in dem Eingangsartikel der Reichsverfassung gegeben, in dem es heißt: Die Gewalt geht vom Volke aus (s. Anm. S. 375). Diese politische Grundeigenschaft des deutschen Bürgers muss es unmöglich machen, dass ein Zensurgesetz die volljährigen Deutschen bevormunden kann hinsichtlich der Literatur, die sie lesen oder auf der Bühne dargestellt sehen und der Kunstwerke, die sie betrachten wollen. Viel zu wenig ist der Deutsche sich bewusst, dass er der Träger der Gewalt ist, dass alle ausführende und gesetzgebende Gewalt im Reiche von ihm abgeleitet, von ihm auf die ausübenden Organe übertragen ist. Diese Übertragung darf er nie so weit gehen lassen, dass er geradezu in das vormalige Untertanenverhältnis gedrängt und wie ein Unmündiger durch die von ihm eingesetzten Organe bevormundet wird. Darin liegt eine ernste sittliche Verpflichtung des deutschen Reichsbürgers, seine Mitverantwortung für den kulturpolitischen Hoch- oder Tiefstand seines Staatswesens. Den deutschen Männern von heute fällt es offenbar sehr viel schwerer als den Frauen, sich als selbstbewusste unabhängige Rechtssubjekte mitverantwortlich für die Politik des Staates zu fühlen. Die Älteren haben noch das Knutensystem der Militärdienstpflicht in den Gliedern und dadurch viel persönliche Widerstandskraft gegen alles Übergeordnete eingebüßt, dasselbe, was an der jungen Generation Schullehrer, heimliche und unheimliche Wehrorganisationen fortzuführen streben. (Hackenzusammenschlagen ist ja noch heute salonfähig, obwohl es den Deutschen in der ganzen Welt zur lächerlichen Figur macht.) Aber auch die Männer sollen und müssen ihre Bürgerpflicht erkennen und üben, sie müssen sich auf die Verfassung stützen und sie schützen. Darum Hand weg von jedem Versuch, das Verfassungsrecht der freien Meinungsäußerung in Rede, Schrift und Kunst durch Zensurgelüste anzutasten, und vor den Staatsgerichtshof mit jedem Gesetz, das solchen Versuch zur Tat macht. Ja, vor den Staatsgerichtshof! Ihm ist zum Teil die Aufgabe gestellt, auch die Verfassung zu schützen gegen die Beeinträchtigung von Verfassungsbestimmungen durch Gesetze, aber tut er es, kann er es tun? Selbsttätig nicht, er müsste angerufen werden von bedrohter bzw. geschädigter Seite, und es würde vielleicht eine schwierige Aufgabe sein, dem Staatsgerichtshof ein Klagerecht durch Zensur geschädigter Personen einleuchtend zu machen.

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Texte zur Rechtslage der Frau im Deutschen Kaiserreich

Hier klafft in unserem Staatsrecht eine Lücke, unsere Verfassung hat keinen ex officio Schutz gegen Verletzung durch den Gesetzgeber (s. Anm. S. 375). In den Vereinigten Staaten ist dieser Schutz vorhanden (s. Anm. S. 375). Da hat jedes Gericht die Pflicht zu prüfen, ob das Gesetz, aufgrund dessen es ein Urteil fällen will, mit der Verfassung in Einklang steht; ob es rechtmäßig zustande gekommen ist. Der deutsche Richter braucht sich nur zu vergewissern, dass ein Gesetz ordnungsgemäß verkündet ist. Deshalb richten unsere Gerichte unentwegt nach den alten obsolet gewordenen Bestimmungen des BGB, insbesondere in Ehe- und Scheidungssachen, obwohl die Weimarer Verfassung die Gleichberechtigung beider Gatten klar und wörtlich bestimmt. Deshalb glauben Abgeordnete, juristische Publizisten, Advokaten und Beamte bis in die höchsten Stellen ganz naiv mit einigen kleinen Reformen die augenfällig den neuzeitlichen Verhältnissen nicht mehr erträglichen Bestimmungen wieder gebrauchsfähig zu machen, ganz außer acht lassend, dass der Gesetzgeber bei diesen Neuerungen nicht nach seinem Dafürhalten verfahren darf, sondern dass er unter dem Zwange der Verfassung steht und sein Werk ihren Artikeln anzugleichen hat. Mögen die, welche es angeht – die Frauen nämlich – bei dieser Gelegenheit auf dem Plan sein und ihr Recht wahren. Mögen aber auch die, welche an der Zensurfrage interessiert sind, sich auf den Boden des Verfassungsrechtes stellen und jeden Versuch, freies Wort und freie Kunst durch Zensur anzutasten, mit dem Appell an den Staatsgerichtshof entkräften: Wir haben an Schmutz und Schund genug in Reiche!

KOMMENTARTEIL

Anmerkungen Die Photographie als Lebensberuf für Frauen Entstehung In ihrem Artikel bezieht sich Anita Augspurg auf einen früheren Beitrag zum Beruf der Fotografin in der Zeitschrift „Frauenberuf“, der sie zu einer Ergänzung und Richtigstellung angeregt habe. Die Verfasserin ist zu dieser Zeit Inhaberin eines Fotoateliers, die Zusammenarbeit mit dem „Frauenberuf“ bringt sie in Kontakt mit der Frauenbewegung. 1890 wird Augspurg Mitglied des radikalen „Frauenvereins Reform“; Vorsitzende des Vereins ist die Herausgeberin der Zeitschrift „Frauenberuf“, die Malerin Hedwig Kettler. Der Artikel ist abgedruckt in: Frauenberuf 10/1889, S. 410–415. Erläuterungen Im Beiblatt des „Frauenberuf“ Nr. 8–9 des 2. Jahrgangs. Augspurg bezieht sich hier auf einen Artikel von Minna Cauer (Aus der Frauengruppe der Deutschakademischen Vereinigung, in: Frauenberuf Nr. 8–9/1888, Beiblatt, S. 50– 451). Die „Frauengruppe“ hatte sich in ihrer letzten Sitzung mit einzelnen Berufsarten beschäftigt, u. a. mit der Fotografie Das von meiner Sozia und mir gegründete Atelier. Das „Atelier Elvira für künstlerisches Lichtbild“ in der Von-der-Tann-Str. 15 in München, gegründet 1887 von Anita Augspurg und Sophia Goudstikker (1865–1924) die Wiener K[aiserlich-] K[önigliche] Versuchsanstalt für Photographie und Reproduktionsverfahren. Die erste Fotofachschule Europas, die „K. K. Lehr- und Versuchsanstalt für Photographie und Reproduktionsverfahren“ in Wien, gegründet von dem Fotochemiker Josef Maria Eder mit Unterstützung der „Photographischen Gesellschaft“ die Professoren Dr. Eder und Pizzighelli. Die beiden österreichischen Fotochemiker Josef Maria Eder (1855–1944) und Giuseppe ( Joseph) Pizzighelli (1849– 1911)

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Kommentarteil

die Fachabteilung für Photochemie und Photographie am Polytechnikum zu Charlottenburg. Die Abteilung für Fotochemie und Fotografie an der 1879 gegründeten Technischen Hochschule Berlin (auch: Technische Hochschule Charlottenburg) unter der Leitung des Herrn Professor Dr. Vogel. Hermann Wilhelm Vogel (1843 – 1898), seit 1879 Professor an der Technischen Hochschule Berlin der Lichtdruck, die Autotypie, Zinkogravure, Photogravure. Lichtdruck: fotomechanisches Flachdruckverfahren und fotolithografisches Verfahren; Autotypie (griechisch „Selbstschrift“, deutsch auch „Netzätzung“): fotomechanisches Reproduktionsverfahren; Zinkogravure: fotomechanisches Verfahren unter Verwendung von Zinkplatten; Photogravure (auch Heliogravur oder Sonnendruck): fotomechanisches Edeldruckverfahren (Tiefdruck) gewiegter – erfahrener Beanlagung – Veranlagung. Die Angaben der „Frauengruppe etc. in Berlin“. Die Frauengruppe der „Deutschen akademischen Vereinigung“ (andere Schreibweise: „Deutsch-akademischen Vereinigung“) in Berlin Reflektantinnen – (veraltet) Interessentinnen. die Positiv- und […] die Negativretouche. Positivretouche (von französisch retouche – Nachbesserung): Ausflecken oder größere Korrekturarbeiten auf der Schicht einer fertig verarbeiteten Vergrößerung; Negativretouche: Ausflecken oder größere Korrekturarbeiten direkt auf der Schicht eines Negativs

Schlussansprache des Vorstandsmitgliedes Frl. Augspurg Entstehung Rede anlässlich der Eröffnung des ersten deutschen Mädchengymnasiums in der badischen Residenzstadt Karlsruhe, gehalten am 16. September 1893. Der „Verein Frauenbildungs-Reform“ hatte 1892 beim badischen Landtag um die Genehmigung zur Gründung eines Mädchengymnasiums petitioniert. Auf Empfehlung des Landtags genehmigte die badische Regierung die Schulgründung des Vereins noch im selben Jahr; die Karlsruher Stadtverwaltung stellte kostenlos einen geeigneten Raum zur Verfügung. Augspurgs Rede ist abgedruckt in: Das Mädchen-Gymnasium in Karlsruhe, begründet vom Verein Frauenbildungs-Reform, eröffnet am 16. September 1893. Amtlicher Bericht über Entstehung, Eröffnung und Organisation der Schule, Weimar o. J. (1893), S. 33–36.

Anmerkungen

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Erläuterungen die Botschaft von der Liebe – die Botschaft des Neuen Testaments das Einsehen der Gesetzgeber – der badischen Landesregierung unter Großherzog Friedrich I (1826–1907) Durch das in Karlsruhe eröffnete Mädchengymnasium. Das Karlsruher Mädchengymnasium des Vereins „Frauenbildungs-Reform“ war konzipiert als sechsjähriges humanistisch ausgerichtetes Gymnasium für Mädchen, die bereits eine sechsklassige Vorbildung an einer höheren Töchterschule absolviert hatten des Vereins „Frauenbildungs-Reform“. Der von Hedwig Kettler 1888 gegründete „Frauenverein Reform“ wurde 1891 umbenannt in „Verein FrauenbildungsReform“ (andere Schreibweise: „Frauenbildungsreform“). Der Verein hatte seinen Sitz zunächst in Weimar, später in Hannover; Anita Augspurg war laut Mitgliederliste von 1890 bis 1895 Mitglied des Vereins Beanlagung – Veranlagung. Palliativen – hier (metaphorisch): Betäubungen die tapfere Vorsitzende, Frau Kettler. Die Malerin Hedwig Kettler (1852–1937) gründete 1887 die Zeitschrift „Frauenberuf“, ein Jahr später den radikalen „Frauenverein Reform“. Die Petitionen des Vereins ermöglichten 1893 die Eröffnung des ersten deutschen Mädchengymnasiums. 1901 legte Kettler den Vereinsvorsitz nieder

Die Rückseite der Medaille Entstehung Kommentar von Anita Augspurg zu der Entscheidung des preußischen Kultusministeriums, der schlesischen Stadt Breslau die Eröffnung eines Mädchengymnasiums nicht zu gestatten, abgedruckt in: Die Frauenbewegung 9/1898, S. 98. Erläuterungen Der preußische Kultusminister. Der Jurist Robert Bosse (1832–1901), preußischer Kultusminister von 1882 bis 1899 wie die „Vossische Zeitung“ in einem dankenswerten Leitartikel in ihrer Nummer 174 d. J. Augspurg bezieht sich hier auf den Artikel: O. V.: Ohne Angabe von Gründen, in: Vossische Zeitung Nr. 174 vom 15. 4. 1898, Titelseite, Abendausgabe. Dort heißt es u. a.: „So ist denn der Bescheid des Unterrichtsministers befremdlich.“ Dass „Die Frauenbewegung“ in diese allgemeine Entrüstung von jedem Gesichtspunkte aus einstimmt. In der „Frauenbewegung“ waren u. a. zwei Artikel der He-

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Kommentarteil

rausgeberin zum Thema erschienen: O.V. [Minna Cauer]: Das kleine Feuerchen, in: Die Frauenbewegung 10/1898, S. 109–110; O. V. [Minna Cauer]: Landtag, Mädchengymnasium, Frauenfrage, in: Die Frauenbewegung 11/ 1898, S. 121–124 Abweichend von den meisten bisherigen Partikularrechten. Eine der neuen Regelung vergleichbare Beschränkung der Unterhaltspflicht findet sich im vierten Buch des Sächsischen BGB von 1863 (§§ 1837ff ) sowie im bayerischen Codex Maximilianeus Bavaricus Civilis von 1756 beschränkt das Bürgerliche Gesetzbuch vom Jahre 1900 an die gegenseitige Unterhaltspflicht der Verwandten in seinem § 1601 auf die „gerade Linie“. § 1601 BGB (1900 bis heute): „Verwandte in gerader Linie sind verpflichtet, einander Unterhalt zu gewähren.“ Karlsruhe hat das […] bisher einzige Mädchengymnasium. Das Mädchengymnasium in Karlsruhe bestand seit 1893; 1899 wurde in Stuttgart das zweite deutsche Mädchengymnasium gegründet Mannheim ist mit der Einrichtung einer gleichen Anstalt beschäftigt. Die projektierte Gründung des Mannheimer Mädchengymnasiums scheiterte. Erst 1901 wurden in der dortigen großherzoglichen höheren Mädchenschule Oberrealschulklassen eingerichtet

Eingabe des Vereins für Frauenstudium betr[effend] Regelung der Zulassung von studierenden Frauen zur Universität Entstehung Eingabe des von Anita Augspurg gegründeten „Vereins für Frauenstudium“ an den preußischen Kultusminister, abgedruckt in der von der Verfasserin herausgegebenen Zeitschrift „Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung“ (2/1900, S. 5). Eine ähnliche Eingabe richtete der Verein auch an den Senat der Berliner Friedrich-Wilhelms Universität. Erläuterungen den Herrn Minister für geistliche Angelegenheiten etc. in Preußen. Das 1817 gegründete preußische „Ministerium der Geistlichen und Unterrichtsangelegenheiten“ (Kultusministerium) war zuständig für das gesamte Unterrichtsund Bildungswesen von den Volksschulen bis zu den Universitäten und übte darüber hinaus die staatlichen Aufsichtsrechte gegenüber den Kirchen aus. Preußischer Kultusminister war von 1899–1907 der Jurist Heinrich Konrad Studt (1838 – 1921)

Anmerkungen

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analog der Gepflogenheit von Schweizer Universitäten. Die Schweizer Universitäten verlangten als Voraussetzung für die Immatrikulation in der Regel von Frauen und Männern ein Maturitätszeugnis (alternativ gab es die Möglichkeit einer Aufnahmeprüfung) und den Nachweis über das zurückgelegte 18. Altersjahr. Teilweise wurde auch ein Sittenzeugnis verlangt. Eine differenzierte Darstellung der Schweizer Regularien findet sich in: Handbuch der Frauenbewegung, Teil III, Berlin 1902, S. 231–232

Wissenschaftliche Frauenberufe Entstehung Der Artikel ist abgedruckt in: Die Woche 22/1901, S. 987–988. Grundlage ist vermutlich ein Vortrag. Erläuterungen Gegen tausend weibliche Studierende. Ungefähr auf diese Zahl, kommt auch die Statistik in: Handbuch der Frauenbewegung Teil III, Tabelle VIII, allerdings nur für das Wintersemester 1901/1902 von sämtlichen vier Fakultäten – die theologische Fakultät, die medizinische Fakultät, die philosophische Fakultät, die juristische Fakultät haben doch ihrer zwei bereits in Berlin ihr fünfundzwanzigjähriges Amtsjubiläum gefeiert. Die beiden ersten deutschen Ärztinnen Franziska Tiburtius (1843– 1927) und Emilie Lehmus (1841–1932) an den weiblichen Rechtskonsulenten beginnt man soeben sich zu gewöhnen. Bis zum Inkrafttreten des Rechtsberatungsgesetzes (13. 12. 1935) war Rechtskonsulent in Deutschland eine Berufsbezeichnung für rechtlich gebildete Laien, die juristische Beratung anboten ohne anwaltliche Vertretung vor Gericht. In der Schweiz gibt es bis heute den Rechtskonsulenten (beratender Rechtsbeistand) als juristischen Beruf. Der erste „weibliche Rechtskonsulent“ in Deutschland war die Schweizer Juristin Emilie Kempin (1853–1901). 1895 eröffnete sie in Berlin ein englisch-amerikanisches Rechtsbüro, in dem sie als Rechtskonsulentin juristische Beratung anbot. Damit hatte sie einen Weg aufgezeigt, der es den Frauen in Deutschland auch unter den bestehenden Gesetzen ermöglichte, einen juristischen Brotberuf auszuüben das deutsche Musterländchen Baden. In Baden hatten die Frauen durch Ministerialerlass vom 28. Februar 1900 das Recht erhalten, sich an den beiden Landesuniversitäten Freiburg und Heidelberg zu immatrikulieren – zunächst allerdings nur „versuchs- und probeweise“

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Kommentarteil

Karlsruhe besitzt seit Jahren ein städtisches Humangymnasium. 1893 eröffnete der Verein „Frauenbildungsreform“ in Karlsruhe das erste deutsche Mädchengymnasium Mannheim errichtet soeben eine städtische Oberrealschule für Mädchen. 1901 wurden in der großherzoglichen höheren Mädchenschule in Mannheim Oberrealschulklassen eingerichtet. Die neunjährigen Oberrealschulen und Realgymnasien (mit Lateinpflicht) waren – wie die heutigen neusprachlichen oder naturwissenschaftlichen Gymnasien – seit den Schulkonferenzen von 1890 und 1900 den Humangymnasien vollkommen gleichgestellt Baden-Baden und Freiburg haben Progymnasien. Ein privates Progymnasium (Vorgymnasium bis zur 10. Klasse) für Mädchen gab es in Baden-Baden seit 1897 die ärztlichen Staatsprüfungen seit dem April 1900 auch den Frauen zugänglich sind. Durch Erlass des Bundesrats vom 24. April 1899 Unsere Nachbarländer Schweiz, Frankreich, Italien, Belgien haben die Advokatur den Frauen freigegeben. Diese Aussage stimmt für das Jahr 1901 nur in Bezug auf die ersten beiden Staaten. In der Schweiz war 1898 in einer Volksabstimmung das neue Schweizer Advokaturgesetz (vom 15. 3. 1897) angenommen worden. Damit war die Zulassung zur Anwaltschaft nicht mehr an das Aktivbürgerrecht (Wahlrecht) gebunden, das Frauen nicht zugestanden wurde, sondern an einen Befähigungsausweis. Erste Anwältin der Schweiz wurde 1900 (nach ihrer Einbürgerung) die deutsche Juristin Anna Mackenroth (1861–1936). In Frankreich hatte die Juristin Jeanne Chauvin die Öffnung des Anwaltsberufs für die Frauen erkämpft. Nach einer Gesetzesänderung im Dezember 1900 wurde sie als Anwältin vereidigt. In Italien kämpfte die Juristin Lidia Poët (geb. 1855) seit 1883 um ihre Zulassung zur Anwaltschaft, in Belgien seit 1888 die Juristin Marie Popelin (1846–1930). In beiden Ländern standen zwar der Aufnahme von Frauen in die Anwaltschaft keine ausdrücklichen Gesetze entgegen, Poët und Popelin wurde jedoch die Zulassung verweigert mit dem Argument, dass auch die Advokaten in gewissem Sinne Organe der Rechtspflege seien, die Zulassung zu einem quasi öffentlichen Amt müsse aber an das passive Wahlrecht gebunden sein, das Frauen nicht zugestanden wurde. Sowohl in Belgien wie in Italien ermöglichten erst nach dem ersten Weltkrieg neue Gesetze Frauen die Ausübung des Anwaltsberufs In Italien und der Schweiz sehen wir auch Frauen auf akademischen Lehrstühlen. Die Schweizer Juristin Emilie Kempin-Spyri (1853–1901) lehrte von 1891–1895 an der Hochschule Zürich römisches, englisches und amerikanisches Recht. Die Juristin Teresa Labriola (1873–194) lehrte seit Anfang des Jahrhunderts als Privatdozentin Recht an der Universität Rom in den drei skandinavischen Reichen und Finnland, wo für ihre Professur und berufliche Tätigkeit lediglich ihre Leistungsfähigkeit in Frage kommt. Schon 1884 be-

Anmerkungen

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rief die Hochschule Stockholm die russische Mathematikerin Sofja Kowalewskaja (1850–1891) als „Professor Ordinarius“ auf einen Lehrstuhl für Höhere Analysis Wohl den einzigen weiblichen Baumeister in Europa. Erika Paulas (geb. 1875), Tochter des städtischen Oberingenieurs von Bistritz (Siebenbürgen), bestand 1900 die Architekturprüfung in Budapest

Die Frauenbewegung und die Erwerbsfrage Entstehung Zweiter Teil einer sechsteiligen Artikelserie von Anita Augspurg über die Frauenbewegung in der Wiener Wochenzeitung „Die Zeit“ (Nr. 449 vom 9. 5. 1903, S. 70–71), gezeichnet mit: „ Berlin – Dr. jur. Anita Augspurg“. Erläuterungen Atavismus – (biol.) Wiederauftreten von Merkmalen oder Verhaltensweisen aus einem früheren entwicklungsgeschichtlichen Stadium (von lat. atavus = Vorfahre, Urahne); hier im übertragenen Sinne: Rückfall in überholte Verhaltensweisen die Urteile eines Waldeyer (im Originaltext Druckfehler: Waldener). Der erklärte Gegner des Frauenstudiums Heinrich Wilhelm Gottfried Waldeyer (1836– 1921), seit 1883 Prof. für Anatomie an der Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin Fehling. Der Gynäkologe Hermann Fehling (1847–1925), Verfasser von „Die Physiologie und Pathologie des Wochenbetts“ (1897) und von „Die Bestimmung der Frau“ (1881) Albert. Der österreichische Chirurg Eduard Albert (1841–1900), Verfasser von „Die Frauen und das Studium der Medizin“ (1895) dem unglücklichen Professor Bischof. Theodor Ludwig Wilhelm Bischoff (1807– 1882), Prof. für Anatomie in München und erbitterter Gegner des Frauenstudiums, Verfasser von „Das Studium und die Ausübung der Medizin durch Frauen“ (1872), „Über die äußeren weiblichen Geschlechtsmerkmale des Menschen und des Affen“ (1880) und von „Das Hirngewicht des Menschen“ (1880) Comptoirs – Kontore, veraltet für: (hanseatische) Handelsniederlassungen, kaufmännische Büros Offizinen – (veraltet) Werkstätten, Labors, insbesondere Buchdruckereien und Apotheken

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Kommentarteil

Bildungswesen und Studium der Frauen Entstehung Dritter Teil einer sechsteiligen Artikelserie von Anita Augspurg über die Frauenbewegung in der Wiener Wochenzeitung „Die Zeit“ (Nr. 454 vom 13. 7. 1903, S. 132–133), gezeichnet mit: „Berlin – Dr. jur. Anita Augspurg“. Erläuterungen Hausbuch der deutschen Frauenbewegung. Das „Handbuch der deutschen Frauenbewegung“ (in dem Anita Augspurg nicht erwähnt wird), herausgegeben von Helene Lange und Gertrud Bäumer. Der „Schreibfehler“ ist vermutlich ein ironischer Hinweis auf die (in den Augen Augspurgs) „Hausbackenheit“ der Herausgeberinnen des „Handbuchs“ und der von ihnen vertretenen „gemäßigten“ Richtung der bürgerlichen Frauenbewegung „Verein Frauenbildungsreform“. Die Malerin Hedwig Kettler (1851–1937) gründete 1888 in Weimar den „Frauenverein Reform“, später „FrauenbildungsReform“ (andere Schreibweise „Frauenbildungsreform“). Anita Augspurg war laut Mitgliederliste von 1890 bis 1895 Mitglied des Vereins das erste sechsklassige Mädchengymnasium in Karlsruhe (welches seit 1898 von der Stadt Karlsruhe übernommen worden ist). Das Karlsruher Mädchengymnasium des Vereins „Frauenbildungs-Reform“ war konzipiert als sechsjähriges humanistisch ausgerichtetes Gymnasium für Mädchen, die bereits eine sechsklassige Vorbildung an einer höheren Töchterschule absolviert hatten. 1898 wurde die Schule von der Stadt Karlsruhe übernommen und der Städtischen Höheren Mädchenschule angegliedert Innere Angelegenheiten. Bei dem Konflikt ging es um den von der Generalversammlung des „Vereins Frauenbildungsreform“ beschlossenen Beitritt zum „Bund deutscher Frauenvereine“, den die Vorsitzende Hedwig Kettler zu verhindern suchte „Frauenbildung-Frauenstudium“. Einer der aus der Spaltung des „Vereins Frauenbildungsreform“ hervorgegangenen Vereine war der „Verein Frauenbildung“. Ein weiterer war der von Anita Augspurg gegründete „Verein Frauenstudium“. Im Juni 1898 fusionierten die beiden Vereine zu dem „Verein Frauenbildung-Frauenstudium“ „Verein für Frauenstudium“. Eine der Neugründungen nach der Spaltung des „Vereins Frauenbildungsreform“ war der von Anita Augspurg mitbegründete und geleitete „Verein Frauenstudium“. Im Juni 1898 fusionierte der Verein mit dem „Verein Frauenbildung“ zum „Verein Frauenbildung-Frauenstudium“. Augspurg wurde 2. Vorsitzende des neuen Vereins, verließ diesen aber

Anmerkungen

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bereits im folgenden Jahr und gründete im Dezember 1899 ‚ihren‘ „Verein für Frauenstudium“ neu der „Allgemeine deutsche [Frauenverein]“. Der „Allgemeine deutsche Frauenverein“, gegründet 1865 anlässlich einer Frauenkonferenz in Leipzig von Louise Otto-Peters (1819–1895) und Auguste Schmidt (1833–1902) Eine ganz zielsichere „Reformschule mit humanistischen Oberklassen“ hat der radikale „Verein Frauenwohl“ in der Republik Hamburg seit 1901 gegründet. Über die Gründung berichtete: Die Frauenbewegung 17/1901, S. 132; 20/1901, S. 158 der „Verein Frauenwohl, Berlin“. Der „Verein Frauenwohl, Berlin“, gegründet 1888 als Frauengruppe der „Deutschen akademischen Vereinigung“ und seitdem geleitet von Minna Cauer (1841–1922) der „Verband Fortschrittlicher Frauenvereine“. Der „Verband Fortschrittlicher Frauenvereine“, gegründet am 6. Oktober 1899 in Berlin als überregionale Dachorganisation der Vereine des radikalen Flügels der bürgerlichen Frauenbewegung so ist lediglich das Recht auf Immatrikulation von den Frauen noch nicht erkämpft. Die Zulassung der Frauen zum ordentlichen Universitätsstudium erfolgte in den einzelnen deutschen Ländern zu unterschiedlichen Zeitpunkten. In Baden durch Ministerialerlass vom 28. Februar 1900, in Bayern 1903, in Preußen mit Ministerialerlass vom 18. August 1908, zuletzt in Mecklenburg 1909 die ersten studierenden deutschen Frauen waren gezwungen, sich nach ausländischen Hochschulen zu begeben. Die deutschen Ärztinnen Agnes Hacker (1850–1909), Franziska Tiburtius (1843–1927) und Emilie Lehmus (1841–1932) studierten in der Schweiz, ebenso die Juristinnen Anna Mackenroth (1861–1936), Anita Augspurg und Marie Raschke (1850–1935). Eine Ausnahme war die deutsche Ärztin Dorothea Erxleben (1715–1762). Sie wurde auf persönliche Anweisung des preußischen Königs Friedrich II (der Große) von der Universität Halle 1754 zur Promotion zugelassen und gilt als die erste promovierte deutsche Medizinerin es praktizierten jedoch schon seit 1876 Ärztinnen in Berlin. Franziska Tiburtius (1843–1927) hatte 1876 in Zürich promoviert. 1877 eröffnete sie zusammen mit ihrer Studienkollegin Emilie Lehmus (1841–1932) in Berlin eine „Klinik weiblicher Ärzte“. Augspurgs Freundin und Mitstreiterin Agnes Hacker praktizierte seit 1898 als Chirurgin in Berlin

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Kommentarteil

Arbeiterinnenfrage Entstehung Vierter Teil einer sechsteiligen Artikelserie von Anita Augspurg über die Frauenbewegung in der Wiener Wochenzeitung „Die Zeit“ (Nr. 460 vom 25. 7. 1903, S. 202–204), gezeichnet mit: „Schäftlarn – Jur. Dr. Anita Augspurg“. Erläuterungen Luise Otto-Peters. Louise (Luise) Otto, verh. Otto-Peters (1819–1895), Dichterin („Lieder eines deutschen Mädchens“, 1847), Schriftstellerin („Ludwig der Kellner“, 1843) und Journalistin (Pseudonym Otto Stern), Herausgeberin der „Frauenzeitung“ (1849–1852), Mitbegründerin des „Allgemeinen deutschen Frauenvereins“ (1865, zusammen mit Auguste Schmidt) und eine der Mütter der ersten deutschen Frauenbewegung „Adresse eines Mädchens“. Die „Adresse eines deutschen Mädchens“ von Louise Otto richtete sich an den sächsischen Minister Oberländer und thematisierte den proletarischen Antifeminismus der sächsischen Arbeiterkommission. Der Aufruf (die „Adresse“) erschien in der „Leipziger Arbeiter-Zeitung“ und in vielen anderen deutschen Blättern am 20. Mai 1848 von dem nach § 152 der Reichsgewerbeordnung ihnen gewährleisteten Recht. Gemeint ist das Recht der Koalitionsfreiheit. § 152 Satz 1 der Gewerbeordnung für das Deutsche Reich vom 21. Juni 1869 (in der Fassung der Bekanntgabe des Reichskanzlers vom 26. Juli 1900) lautete: „Alle Verbote und Strafbestimmungen gegen Gewerbetreibende, gewerbliche Gehilfen, Gesellen oder Fabrikarbeiter wegen Verabredungen und Vereinigungen zum Behufe [zum Zwecke, die Hg.] der Erlangung günstiger Lohn- und Arbeitsbedingungen, insbesondere mittelst Einstellung der Arbeit oder Entlassung der Arbeiter werden aufgehoben.“ bei den „Hirsch-Dunckerschen Gewerkvereinen“. Die 1869 von Max Hirsch (1832– 1905) und Franz Duncker (1822–1888) auf einer Arbeiterversammlung in Berlin gegründeten „Hirsch-Dunckerschen Gewerkvereine“ verfolgten das Ziel einer Sozialreform durch Interessenausgleich und Kooperation zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern Subsistenzmittel – (veraltet) Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhalts

Anmerkungen

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Der Hausfrauen-Beruf Entstehung Der Artikel ist abgedruckt in: Der Tag Nr. 565 vom 3. 12. 1903; Anlass sind Presseberichte über angebliche hausfrauenfeindliche Tendenzen in der deutschen Frauenbewegung. Erläuterungen erhob ein Schlesisches Blatt, die „Reichenbacher Nachrichten“. Eine Zeitung dieses Namens ließ sich nicht nachweisen. Gemeint ist möglicherweise die Zeitung „Reichenbacher Tageblatt und Anzeiger“ „Opfer fallen hier – nicht von Schaf und Stier – Menschenopfer unerhört.“ Zitat von Johann Wolfgang von Goethe aus der Ballade „Die Braut von Korinth“ (1797). Strophe 9 lautet im Original und im Zusammenhang: „Und der alten Götter bunt Gewimmel/hat sogleich das stille Haus geleert./Unsichtbar wird einer nur im Himmel,/Und ein Heiland wird am Kreuz verehrt;/Opfer fallen hier,/Weder Lamm noch Stier,/Aber Menschenopfer unerhört.“ der „Verband Fortschrittlicher Frauenvereine“. Der „Verband Fortschrittlicher Frauenvereine“, gegründet am 6. Oktober 1899 in Berlin als überregionale Dachorganisation der Vereine des radikalen Flügels der bürgerlichen Frauenbewegung Schon im Mai 1900 wies ein Artikel der „Frauenbewegung“. Augspurg bezieht sich hier auf einen Artikel von Ella Bormann-Schmale (Zur Berufsstatistik, in: Die Frauenbewegung 10/1900, S. 74–75; 11/1900, S. 82–83) richtete der „Verband Fortschrittlicher Frauenvereine“ an das Kaiserl[iche] Statistische Amt ein Memorandum. Das Memorandum, unterzeichnet vom Vorstand des Verbandes (Minna Cauer, Maria Lischnewska und Luise von Ketelhodt), ist abgedruckt in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 3/1901, S. 9–10 Mrs. Perkins-Stetson. Die amerikanische Frauenrechtlerin Charlotte PerkinsStetson, geborene Perkins, nach ihrer 2. Eheschließung 1900: Charlotte Perkins-Gilman (1860–1935), Autorin von „Women and Economics“ (1898)

Die Frau in der Advokatenrobe Entstehung Der Artikel ist abgedruckt in: Der Tag Nr. 255 vom 3. 6. 1904. Grundlage ist vermutlich ein Vortrag.

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Kommentarteil

Erläuterungen der Justizpalast in Paris – der Palais de Justice, Sitz aller Pariser Gerichte, auf der Île de la Cité in Paris die engen, lichtlosen Gänge unseres Hauptgerichtsgebäude in Moabit. Das heutige Amtsgericht Tiergarten in der Turmstraße 91 in Berlin-Moabit Mlle. Chauvin. Die französische Juristin Jeanne-Marie-Marguerite Chauvin (1862–1926) wurde am 7. Dezember 1900 als erste Frau Frankreichs zur Advokatur zugelassen und als Anwältin vereidigt des Barreau – des Rechtsanwaltsstandes Skandinavien, Holland, Frankreich, Schweiz, Italien, Rumänien haben diesen Schritt bereits in gesetzlichen Formen getan. Die skandinavischen Länder Schweden und Norwegen öffneten durch Gesetzesänderungen und per Gerichtsentscheid den Rechtsanwaltsstand für Frauen vor 1900. In Holland beantragte die Juristin Adolpine Kok 1903 erfolgreich als erste Frau die Zulassung zur Anwaltschaft, ohne dass eine Gesetzesänderung für erforderlich gehalten wurde. In Rumänien wurde die erste Anwältin erst 1923 zugelassen. Die erste rumänische Juristin Sarmisa D. Bilcesco hatte in Paris studiert, 1897 (noch vor Jeanne Chauvin) ihr juristisches Examen gemacht und 1890 promoviert. Falsche Gerüchte kursierten in Westeuropa, sie sei in Rumänien als Anwältin zugelassen worden. Tatsächlich war sie zwar von den rumänischen Anwälten unterstützt worden, die staatlichen Behörden hatten ihren Antrag auf Zulassung zur Anwaltschaft jedoch zurückgewiesen. Zur Rechtslage in Italien, Frankreich und der Schweiz vgl. Anmerkung S. 292

Was die Frauen beim preußischen Schulgesetz verlieren Entstehung Anlass des Artikels sind Prosteste der Frauenbewegung gegen den vom preußischen Kultusminister vorgelegten Entwurf eines neuen Schulgesetzes, Grundlage ist vermutlich eine Rede. Der Artikel ist abgedruckt in: Der Tag Nr. 46 vom 26. 1. 1906. Erläuterungen Sammlung von Gesetzen und Verordnungen zum Ressort des preußischen Kultusministeriums. Eine Gesetzessammlung diesen Titels konnte nicht nachgewiesen werden. Die Instruktion vom 26. Juni 1811 ist abgedruckt in: Ludwig von Rönne: Das Volksschulwesen des Preußischen Staates, dargestellt unter Benutzung der im Justizministerium ausgearbeiteten revidierten Entwürfe der

Anmerkungen

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Provinzialrechte und Beifügung der drei Regulative vom 1., 2. und 3. Oktober 1854, Berlin 1855, S. 333–337 Instruktion vom 26. Juni 1811. Die Instruktion vom 26. Juni 1811 wurde publiziert als Anhang zu folgendem Antwortschreiben (Reskript): Reskript der Ministerien der Geistlichen, Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten (v. Altenstein) und des Innern (v. Schuckmann) vom 27. November 1823 an die Königliche Regierung zu Gumbinnen, betreffend die Verwaltung der Schulangelegenheiten und die dafür bestehenden Schuldeputationen in den Städten die alte Steinsche Instruktion. Gemeint ist die Instruktion vom 26. 6. 1811. Der preußische Staatsmann, Reformer und Jurist Heinrich Friedrich Karl Reichsfreiherr vom und zum Stein (1757–1831) war allerdings im Jahre 1811 schon seit drei Jahren nicht mehr im Amt. Die Einrichtung von Schuldeputationen und die Beteiligung von Frauen an der Schulaufsicht entsprechen allerdings dem Geist seiner Reformen und seiner Ideen zur Selbstverwaltung und ist durch diese auf den Weg gebracht worden diese im März 1901 zuletzt erhobene Forderung. Gesuch des „Vereins für Frauenstudium“ an den Berliner Magistrat, Mädchenschulen betreffend, abgedruckt in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 7/1901, S. 25 Es war wiederum das fortgeschrittene badische Land. Die badische Landesregierung unter Großherzog Friedrich I (1826–1907) hatte 1893 die Eröffnung des ersten deutschen Mädchengymnasiums ermöglicht und in der Folge auch die Universitäten des Landes den Frauen geöffnet mehrerwähnte – mehrfach erwähnte der neuste vom Kultusminister vorgelegte Schulgesetzentwurf. Verabschiedet wurde der Entwurf als „Gesetz betreffend die Unterhaltung der öffentlichen Volksschulen vom 28. Juli 1906“, abgedruckt in: Gesetz-Sammlung für die Königlichen Preußischen Staaten 35/1906, S. 335–364 Er verfügt in seinem § 23 über die Zusammensetzung der Schuldeputationen. Anders als der Entwurf regelt das Gesetz vom 28. Juli 1906 die Zusammensetzung der Schuldeputationen in § 44 I in Bezug auf den folgenden [Paragraphen] und den § 31. Das Gesetz vom 28. Juli 1906 regelt die Bildung von Schulkommissionen in § 45 und spricht, die Kritik Augspurgs aufgreifend, ausdrücklich von einem/einer: „von der Schuldeputation zu ernennenden Rektor (Hauptlehrer) oder Lehrer (Lehrerin)“ Dass die Mehrheit der organisierten Frauenwelt überhaupt Gegnerin des konfessionellen Charakters des Volksschulunterhaltungsgesetzes ist, ist durch Eingaben zahlreicher Lehrerinnen- und Frauenvereine [ …] bekundet worden. Augspurg dokumentierte diese Eingaben oder berichtete darüber in der von ihr herausgegebenen Zeitschrift „Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung“ ( Nr. 2/1906, S. 3; Nr. 4/1906, S. 7)

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Kommentarteil

Die ethische Seite der Frauenfrage Entstehung 1893 publizierte der Wilhelm Köhler Verlag in Leipzig und Minden den einzigen Beitrag Augspurgs zur Frauenfrage, der zu ihren Lebzeiten in Buchform gedruckt wurde. Damit endete die erste Phase von Augspurgs frauenpolitischbildungspolitischem Engagement. Die Erkenntnis, dass die Frauenfrage auch Rechtsfrage ist, veränderte das Leben der Verfasserin: Zum Wintersemester 1893/94 schrieb sie sich an der Universität Zürich als Studentin der Rechtswissenschaften ein. Erläuterungen Wir sehen den Apostel Paulus Bresche legen in das nationale Vorurteil. Paulus von Tarsus verkündete in seinen Apostelbriefen an verschiedene Gemeinden, dass die christliche Botschaft nicht nur an die Juden als auserwähltes Volk, sondern an alle Menschen gerichtet sei: „Hier ist nicht Jude noch Grieche, hier ist nicht Sklave noch Freier, hier ist nicht Mann noch Frau; denn ihr seid allesamt einer in Christus Jesus.“ (Brief an die Galater, Kap. 3, Vers 28)

Deputation deutscher Frauen beim Reichskanzler Entstehung Bericht von Anita Augspurg über ein von ihr initiiertes Gespräch deutscher Frauenrechtlerinnen mit Reichskanzler von Bülow, abgedruckt in: Dokumente der Frauen 1/1902, S. 1–3. Die Delegation wurde von der bürgerlichen Presse milde verspottet – so z. B. in einer Karikaturenfolge in der illustrierten Wochenschrift „Jugend“ (Nr. 15/1902, S. 250). Einen weiteren Bericht schrieb Augspurg unter dem Titel „Die deutschen Frauen vor dem Reichskanzler“ für den Berliner „Tag“ (Der Tag Nr. 149 vom 30. 3. 1902). Erläuterungen eine gegen frühere Beschlussfassungen im rückschrittlichen Sinne abweisende Bescheidung erhalten. Über die Entscheidung der Petitions-Kommission des Reichstages unter dem Tenor, die Frauenfrage müsse „zurückdämmend“ behandelt werden, berichtete unter der Rubrik „Notizen“ die von Anita Augspurg herausgegebene Zeitschrift „Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung“ (4/1902, S. 14) Der „Deutsche Verein für Frauenstimmrecht“, dessen Vorsitz in Händen der Verfasserin dieser Zeilen liegt. Der „Deutsche Verein für Frauenstimmrecht“, gegründet

Anmerkungen

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am 2. Januar 1902 in Hamburg auf Initiative von Anita Augspurg, die bis 1911 auch das Amt der ersten Vorsitzenden übernahm

Obdachlose Frauen Entstehung Augspurg publizierte diesen Artikel in der von ihr herausgegebenen Zeitungsbeilage „Der Kampf der Frau“, Beilage der Berliner Tageszeitung „Der Tag“ (Nr. 5 vom 4. Januar 1903). Erläuterungen wie in einem Hinweise der „Volkszeitung“ auf diesen Missstand behauptet wird. Ein Artikel der „Volkszeitung“ zu diesem Thema ließ sich nicht nachweisen, gemeint ist aber möglicherweise die Anzeige: „Gedenket der frierenden Menschen!“, ein Spendenaufruf des „Komitees für die Wärmehallen“, in: VolksZeitung Nr. 569 vom 5. 12. 1902, Beiblatt, letzte Seite; dort heißt es: „Die Wärmehallen in den Stadtbahnbögen 97–100 bieten hinreichend Raum für alle Schutz gegen Kälte nachsuchenden Männer.“

Die allgemeinen Regungen der Frauenbewegung Entstehung Erste Folge einer sechsteiligen Artikelserie von Anita Augspurg über die Frauenbewegung in der Wiener Wochenzeitung „Die Zeit“ (Nr. 446 vom 18. 4. 1903, S. 30–32), gezeichnet mit: „Berlin. Dr. jur. Anita Augspurg“. Erläuterungen einer Aspasia, Sappho, Hypathia. Die griechische Philosophin Aspasia von Milet (ca. 470–410 v. Chr.); die griechische Dichterin und Philosophin Sappho (um 600 v. Chr., die genauen Lebensdaten sind unsicher); die Mathematikerin, Astronomin und Philosophin Hypathia (geb. ca. 370 n. Chr. in Alexandria, dort ermordet im Jahr 415 n. Chr.) Kaiser Commodus. Lucius Aurelius Commodus (161–192), römischer Kaiser in den Jahren 180–192 n. Chr. 58, 8–9. Sehr interessant erzählt uns Livius von einer politischen Agitation der Frauen Roms. Der römische Historiker Titus Livius (59 v. Chr.–17 n. Chr.) berichtet in seinem 142 Bände umfassenden Geschichtswerk „Ab Urbe Condita Libri“ von einer Demonstration römischer Frauen im Jahre 195 v. Chr. gegen

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Kommentarteil

ein seit dem Jahr 215 v. Chr. geltendes Kriegsgesetz (Lex Oppia). Das Gesetz wurde noch im selben Jahr aufgehoben wie eine feministische Rede von Louis Frank, Pernerstorfer oder Bebel in heutiger Zeit. Der belgische Jurist und Politiker Louis Franck (1868–1937); der deutsche Sozialdemokrat Ferdinand August Bebel (1840–1913); der österreichische Journalist und Politiker Engelbert Pernerstorfer (1850–1918) Der Leipziger Professor Gottsched. Johann Christoph Gottsched (1700–1766), einer der wichtigsten Vertreter der Aufklärung, Schriftsteller und Professor für Dichtkunst und Philosophie Adalbert v[on] Hanstein. Ludwig Adalbert von Hanstein (1861–1904), Schriftsteller und Mitglied des Friedrichshagener Dichterkreises um Gerhart Hauptmann (1862–1946) Olympe de Gouges. Die französische Dramatikerin, Bürgerrechtlerin und Revolutionärin Marie Gouze, Künstlerinnenname Olympe de Gouges (1748–1793), Verfasserin der „Déclaration des droits de la femme“ (1791); 1793 wurde sie vom Revolutionstribunal zum Tode verurteilt und am 3. 11. 1793 öffentlich mit der Guillotine hingerichtet „Déclaration des droits de la femme“. Olympe de Gouges: Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin, Paris 1791 Condorcet. Der französische Philosoph, Mathematiker und Politiker Marie Jean Antoine Nicolas Caritat, Marquis de Condorcet (1743–1794); Condorcet war während der französischen Revolution Mitglied der Nationalversammlung und setzte sich ein für die Rechte der Frauen, für die Rechte der Schwarzen und für die Abschaffung der Sklaverei in dem 1792 erschienenen Buche von Mary Wollstonecraft „A Vindication of the Rights of Woman“. Mary Wollstonecraft: A Vindication of the Rights of Woman: with strictures on Political and Moral Subjects, London 1892 Gottfried v[on] Hippel. Der Schriftsteller, Philosoph und Jurist Theodor Gottlieb [nicht Gottfried] von Hippel (1741–1796), Aufklärer und Frauenrechtler, seit 1786 Stadtpräsident von Königsberg in den Freiheitskriegen. Die Befreiungskriege der mitteleuropäischen Staaten gegen die Truppen des napoleanischen Frankreich 1811–1815 „Über die bürgerliche Verbesserung der Weiber“. Gottlieb von Hippel: Über die bürgerliche Verbesserung der Weiber. Traktat, Berlin 1792, Nachdruck: Frankfurt a. M. 1977 60, 16–17. Rahel Varnhagen, Bettina v[on] Arnim, Henriette Herz, Karoline Michaelis. Die Schriftstellerinnen der Romantik: Rahel Varnhagen von Ense (1771–1833); Bettina von Arnim (1785–1859); Henriette Herz (1764–1847); Karoline Böhmer-Schlegel-Schelling, geb. Michaelis (1763–1809)

Anmerkungen

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von der Sächsin Luise Otto-Peters. Louise (Luise) Otto, verh. Otto-Peters (1819– 1895), Dichterin („Lieder eines deutschen Mädchens“, 1847), Schriftstellerin („Ludwig der Kellner“, 1843) und Journalistin (Pseudonym Otto Stern), Herausgeberin der „Frauenzeitung“ (1849–1852), Mitbegründerin des „Allgemeinen deutschen Frauenvereins“ (1865, zusammen mit Auguste Schmidt) und eine der Mütter der ersten deutschen Frauenbewegung von der Berlinerin Hedwig Dohm. Die Schriftstellerin und Frauenrechtlerin Hedwig Dohm (1831–1919) forderte in ihrer Schrift „Der Jesuitismus im Hausstande“ schon 1873 das Frauenwahlrecht von der Badenserin Malvide v[on] Meysenbug. Die Schriftstellerin Malwida Freiin von Meysenbug (1816–1903) war keine Badenerin, sondern die Tochter eines hessischen Beamten und gebürtig aus Kassel. Zu ihren bekanntesten Werken gehören die 3 Bände: Memoiren einer Idealistin, 1869–1876. Augspurg verweist in einer Fußnote auf die deutsche Ausgabe von 1878. Eine solche Ausgabe ist nicht nachgewiesen, gemeint ist vermutlich die 3. Auflage, Bd. 1–3, Leipzig 1887 und von Luise Büchner. Die Schriftstellerin und Frauenrechtlerin Luise (Louise) Büchner (1821–1877), Schwester des Dichters Georg Büchner (1813–1837) im Staate Wyoming trat die politische Gleichberechtigung der Frauen 1869 in Kraft. Durch Gesetz vom 10. Dezember 1869 erhielten im US Staat Wyoming alle Frauen ab 21 Jahren das aktive und passive Wahlrecht Auguste Schmidt. Die Lehrerin, Journalistin und Schriftstellerin Auguste Schmidt (1833–1902), eine der Mütter der ersten deutschen Frauenbewegung; 1865 gründete sie zusammen mit Louise Otto-Peters den „Allgemeinen deutschen Frauenverein“; sie war Herausgeberin der Zeitschrift „Neue Bahnen“ (ebenfalls zusammen mit Louise Otto-Peters) und von 1894 bis 1899 erste Vorsitzende des „Bundes deutscher Frauenvereine“ des „Allgemeinen deutschen Frauenvereins“. Der „Allgemeine deutsche Frauenverein“, gegründet 1865 anlässlich einer Frauenkonferenz in Leipzig von Louise Otto-Peters und Auguste Schmidt Der in Österreich 1866 gegründete „Wiener Frauenerwerbverein“. Der am 13. November 1866 nach dem Vorbild des Berliner „Lette-Vereins“ gegründete „Wiener Frauenerwerbverein“ hatte zunächst das Ziel, den Kriegerwitwen und Kriegswaisen „zu Arbeit und Brot zu verhelfen“ (60 Jahre Wiener Frauen-Erwerb-Verein, Wien 1926) Bücher wie „Die Hörigkeit der Frau“ von Stuart Mill, „Der Frauen Natur und Recht“ von Hedwig Dohm, „Die Osterbriefe“ von Fanny Lewald, „Die Frauen und ihr Beruf“ von Luise Büchner. John Stuart Mill: The subjection of women, London, New York, Philadelphia 1869 (dt. Ausgabe: Die Hörigkeit der Frau. Aus dem Englischen übersetzt von Jenny Hirsch, Berlin 1869, 3. Aufl. 1891);

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Kommentarteil

Hedwig Dohm: Der Frauen Natur und Recht, Berlin 1876; Fanny Lewald (später Lewald-Stahr): Osterbriefe für die Frauen, Berlin 1863; Luise (Louise) Büchner: Die Frauen und ihr Beruf. Ein Buch der weiblichen Erziehung. In zusammenhängenden Aufsätzen niedergeschrieben von Frauenhand, 1. und 2. Aufl., Frankfurt a. M. 1856 den Heiland bei jedem Hahnenschrei verleugnende. Eine Anspielung auf den Evangelienbericht von der Verleugnung Jesu durch Petrus im neuen Testament (Matthäus 26, 29–75) den Geist des neuen Evangeliums. Mit der „neuen Botschaft“ oder dem „neuen Evangelium“ (Evangelium – frohe Botschaft) ist die frauenpolitische Position des radikalen (neuen) Flügels der bürgerlichen Frauenbewegung gemeint, die nach Augspurgs Auffassung allein geeignet war, die Frauen zu befreien (zu erlösen)

Politische Frauenbewegung Entstehung Letzte Folge einer sechsteiligen Artikelserie von Anita Augspurg über die Frauenbewegung in der Wiener Wochenzeitung „Die Zeit“ (Nr. 477 vom 21. 11. 1903, S. 87–88), gezeichnet mit: „Hamburg. Dr. jur. Anita Augspurg“. Erläuterungen die Gründung des schon genannten „Vereins Frauenbildungsreform“. Die Malerin Hedwig Kettler (1851–1937) gründete 1888 in Weimar den „Frauenverein Reform“. Der Verein wurde 1891 umbenannt in „Verein FrauenbildungsReform“ (andere Schreibweise: „Frauenbildungsreform“). Anita Augspurg war laut Mitgliederliste von 1890 bis 1895 Mitglied des Vereins „Verein Frauenwohl“ (Berlin). Der „Verein Frauenwohl, Berlin“, gegründet 1888 als Frauengruppe der „Deutschen akademischen Vereinigung“ und seitdem geleitet von Minna Cauer (1841–1922) durch eine innere Krisis die konservative Elemente seiner Leitung abstieß. Am 30. 1. 1894 versuchte eine Gruppe Frauen auf der Generalversammlung des „Vereins Frauenwohl“ vergeblich die Vorsitzende Minna Cauer zu stürzen und die Wahl der gemäßigteren und bekannteren Frauenrechtlerin Helene Lange (1848–1930) als Vorsitzende durchzusetzen zu dem „Frauen-Weltbunde“ oder „International Council of Women“. Der „FrauenWeltbund“, englisch: „International Council of Women“, gegründet 1888 in Washington

Anmerkungen

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welche unter dem Namen „Bund deutscher Frauenvereine“. Der 1894 unter Ausschluss der Arbeiterinnenvereine gegründete „Bund deutscher Frauenvereine“ (BDF) war bis 1933 Dachverband der bürgerlichen Frauenorganisationen in Deutschland die unter dem Namen „Verband Fortschrittlicher Frauenvereine“ seit 1899 besteht. Der „Verband Fortschrittlicher Frauenvereine“, gegründet am 6. Oktober 1899 in Berlin als überregionale Dachorganisation der Vereine des radikalen Flügels der bürgerlichen Frauenbewegung „Verein für Frauenstimmrecht“. Der „Deutsche Verein für Frauenstimmrecht“, gegründet am 2. Januar 1902 in Hamburg das gemeinsame Verbandsorgan ist die radikalste bürgerliche deutsche Frauenzeitschrift „Die Frauenbewegung“. „Die Frauenbewegung. Revue für die Interessen der Frauen“, herausgegeben von Minna Cauer, Jg. 1–25 (1895–1919) Frau Minna Cauer. Die radikale Frauenrechtlerin und Pazifistin Minna Cauer (1841–1922) war die zentrale Figur innerhalb des linken Flügels der bürgerlichen Frauenbewegung. 1888 gründete sie den „Verein Frauenwohl, Berlin“ und blieb dessen Vorsitzende bis 1919. Sie gehörte zu den Initiatorinnen des „Verbandes Fortschrittlicher Frauenvereine“ und war Vorsitzende des VFF von 1899 bis 1907. 1901 gehörte sie zu den Gründungsmitgliedern des ersten deutschen „Vereins für Frauenstimmrecht“. Von 1895 bis 1919 gab sie die Zeitschrift „Die Frauenbewegung“ heraus, das Zentralorgan der Radikalen, dessen 25 Jahrgänge sie als ihr Lebenswerk betrachtete Im englischen Gesetz ist die volle Unabhängigkeit der Frau in der Ehe gewährleistet Das englische Gesetz „Married Women’s Property Act“ sicherte seit 1882 den verheirateten Frauen in England das Verfügungsrecht über ihr ererbtes Vermögen. In der Fassung von 1893 wurde das Verfügungsrecht der verheirateten Frau auf jede Art von Vermögen, u. a. auch auf den Arbeitsverdienst, ausgedehnt in vier Staaten der amerikanischen Union ist es eingeführt. In Wyoming (1869), Colorado (1893), Utah (1896) und Idaho (1896) zu einem „International Committee“ der Frauenstimmrechtsvereine. Der „Weltbund für Frauenstimmrecht“ („International Women Suffrage Alliance“), gegründet 1904 in Berlin

Frauenlos auf dem Dorfe Entstehung Angeregt zu diesem Artikel wurde Anita Augspurg vermutlich durch eigene Erfahrungen mit feministischer politischer Arbeit auf dem Land. Seit 1904 bewohnte sie in Irschenhausen im bayrischen Isartal ein von ihr erbautes Haus

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(„Haus Wiesel“), 1907 erwarb sie einen Gutshof in Huglfing bei Peißenberg („Siglhof“), um dort Landwirtschaft zu betreiben. Der Artikel ist abgedruckt in: „Der Tag“ Nr. 44 vom 25. 1. 1907. Erläuterungen Nimbus – (lat.: Wolke) besonderes Ansehen, hier ironisch: Glanz und Ruhm (einer Männer-Wirtshausgemeinschaft)

Gebt acht, solange noch Zeit ist! Entstehung Der erste Artikel der Jurastudentin Augspurg, abgedruckt in: Die Frauenbewegung 1/1895, S. 4–5. Die Verfasserin konzentriert sich hier zum ersten Mal auf die rechtlichen Aspekte der Frauenfrage und formulierte das neue Credo des radikalen Flügels der bürgerlichen Frauenbewegung: „Die Frauenfrage ist […] in allererster Linie Rechtsfrage“. Erläuterungen einzelne Predigerinnen. In „Sittlichkeitsfrage und Rechtsschutz“ bezeichnet Augspurg Hanna Bieber Böhm (1851–1910) als die Frau, welche „die Rolle der ersten Predigerin in der Wüste in Deutschland übernahm“; in „Die politische Erziehung der Frau“ schreibt sie über Hedwig Dohm (1831–1919): „Eine einzige Frau hat vor langen Jahren, ein Prediger in der Wüste, erkannt, was einzig die Lage der Frau heben und sie zu einer gleichgeachteten Persönlichkeit in der Gesellschaft machen könne: ihre Mitarbeit am Staat.“ die Rolle der Stimmen in der Wüste. Eine Anspielung auf die Rolle Johannes des Täufers als Vorläufer des Messias im Markusevangelium (Markus 1, Vers 3: „Es ist eine Stimme eines Predigers in der Wüste: Bereitet den Weg des Herrn, macht seine Steige eben.“) verbürgter Rechte – kodifizierter Rechte von unseren projektierten Gesetzen. Gemeint ist hier vor allem das projektierte erste einheitliche Bürgerliche Gesetzbuch für das Deutsche Reich ihre Notwehr gegen das Verhungern. Eine Anspielung auf das geltende Vereinsrecht, das Frauen von der Teilnahme an politischen Vereinen und Versammlungen ausschloss und ihnen damit „die Teilnahme an den Regulierungen der Lohnverhältnisse verwehrte“ (so formulierte es Augspurg in: „Die ethische Seite der Frauenfrage“) wie einstmals die Plebejer im alten Rom einmütig auf den heiligen Berg ausziehen. Eine Anspielung auf den Aufstand der Plebejer (römische Bürger minderen

Anmerkungen

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Rechts), die im Jahr 495 v. Chr. im römischen Stadtgebiet einen Hügel zwischen den Flüssen Tiber und Anio besetzten. Sie drohten, dort eine eigene Stadt zu gründen, und konnten ihre Forderungen ohne Blutvergießen durchsetzen. Zur Erinnerung an diese friedliche Revolution wurde der Hügel jenseits des Anio seitdem der „heilige Berg“ genannt „Ich darf meine Frau schlagen, ich darf meine Frau langsam zu Tode hetzten, das ist mein Recht!“ Das sogenannte Züchtigungsrecht (jus castigandi) des Ehemannes hatte in Deutschland in verschiedenen Partikularrechten eine lange Tradition. Ende des 19. Jahrhunderts wurde es vom juristischen Schrifttum durchgängig abgelehnt und war ausdrücklich nur noch im bayerischen CMBC (Codex Maximilianeus Bavarius Civilis) festgeschrieben. Aus dem Rechtsbewusstsein und dem ehelichen Alltagsleben war das Züchtigungsrecht des Ehemannes jedoch nicht verschwunden und wurde weiter aus der nach wie vor bestehenden allgemeinen Ehegewalt des Mannes abgeleitet gegen den Entwurf des Bürgerl[ichen] Gesetzbuches für das Deutsche Reich, wie er jetzt vorliegt. Gemeint ist der erste Entwurf in der 1892 von der zweiten Kommission publizierten Fassung. Der zweite Entwurf des Gesetzes wurde im Oktober 1895 dem Bundesrat zur verfassungsmäßigen Beschlussfassung vorgelegt und kann Augspurg, als sie diesen Artikel schrieb, noch nicht bekannt gewesen sein

Protest Entstehung Ungezeichnete Protestresolution einer „Vereinigung von Frauen Münchens“ gegen den Entwurf des Bürgerlichen Gesetzbuches (abgedruckt in: Die Frauenbewegung 3/1896, S. 29), die nach Stil und Inhalt mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit von Anita Augspurg formuliert wurde. Erläuterungen Ausnahmeverträge – gemeint sind hier Eheverträge. dass alle zivilisierten Nationen in ihren modernen Gesetzgebungen die Gütertrennung als gesetzlichen Güterstand teils besitzen, teils anstreben. Einen genauen Überblick über die Güterrechtssysteme in 41 nordamerikanischen und 12 europäischen Staaten publizierte Käthe Schirmacher 1899 (Übersicht des ehelichen Güterechts in den verschiedenen Ländern, in: Die Frauenbewegung 3/1899, S. 27–28). Schirmacher verzichtete bei ihrer Zusammenstellung allerdings auf Angaben (oder Spekulationen) darüber, inwieweit (und von wem) Veränderungen im gesetzlichen Güterecht „angestrebt“ wurden

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Kommentarteil

das englische Gesetz von 1882: „Married Women’s Property Act“ (45 & 46 Victoria, Ch. 75). Das unter Premierminister William Gladstone (1809–1898) verabschiedete Gesetz sicherte den verheirateten Frauen das Verfügungsrecht über ihr ererbtes Vermögen. In der Fassung von 1893 wurde das Verfügungsrecht der verheirateten Frau auf jede Art von Vermögen, u. a. auch auf den Arbeitsverdienst, ausgedehnt

Rede vor einer Volksversammlung in Berlin am 16. Februar 1896 [1. Fassung] Entstehung Rede von Anita Augspurg auf einer Volksversammlung in Berlin (im Konzerthaus in der Leipziger Str. 48) am Sonntag, den 16. Februar 1896, mittags 12 Uhr. Dem Text zugrunde liegt offenbar eine Mitschrift – vielleicht die eines Journalisten der „Post“. Auffällig ist der um Sachlichkeit und Objektivität bemühte Grundton dieses ungezeichneten Berichts der sonst als sehr konservativ geltenden „Post“, in den die zitierte Rede Augspurgs eingefügt ist: O. V.: Das Recht der Frau. Spezialbericht der Post, in: Die Post vom 18. 2. 1896, 1. Beilage. Erläuterungen Es ist nichts als Jesuitismus. Die Lehre der „Gesellschaft Jesu“ galt wegen der von dieser vertretenen moralischen „Flexibilität“ lange als Inbegriff von Lüge, Verstellung, Zynismus und Scheinheiligkeit. Möglicherweise verweist Augspurg mit dieser Formulierung auch auf Hedwig Dohms berühmte Streitschrift zur Frauenfrage: Vom Jesuitismus im Hausstande, Berlin 1873 Die rätselhafte Riesenfaust mit dem Hammer, die wir hier jetzt so vielfach sehen. Die Faust mit dem Hammer war das klassische Symbol des Handwerks und der Arbeiterbewegung. Eine riesige Faust, die aus der Erde bricht und einen Hammer hält, war 1896 in Berlin auf den von Rudolph Sütterlin entworfenen Werbeplakaten für die Berliner Gewerbeausstellung (1. Mai bis 15. Oktober 1896) zu sehen Selbst das eheliche Güterrecht der Türkei ist gerechter gegen die Frau als das deutsche. Das islamische Recht kennt kein eheliches Güterrecht. Durch die Eheschließung entsteht keine neue güterrechtliche Ordnung, die Vermögen der Ehegatten bleiben getrennt, jeder Ehepartner behält seine Erwerbs- und Verfügungsbefugnisse. Vor der Gründung der türkischen Republik im Jahr 1923 galt in der Türkei islamisches Recht, eine Zivilgesetzgebung, die das eheliche Güterrecht regelte, gab es nicht. Nach der Republikgründung bestimmte das 1926 verabschiedete türkische Zivilgesetzbuch (tZGB) – in Übereinstim-

Anmerkungen

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mung mit der islamischen/osmanischen Tradition – die Gütertrennung zum gesetzlichen ehelichen Güterstand

Rede vor einer Volksversammlung in Berlin am 16. Februar 1896 [2. Fassung] Entstehung Rede von Anita Augspurg auf einer Volksversammlung in Berlin (im Konzerthaus in der Leipziger Str. 48) am Sonntag, den 16. Februar 1896, mittags 12 Uhr. Grundlage des Textes ist vermutlich eine Mitschrift, möglicherweise stellte Augspurg der Verfasserin aber auch das Redemanuskript zur Verfügung. Augspurgs Rede ist als Zitat in den folgenden Artikel eingefügt: O. V. [Minna Cauer]: Das Recht der Frau, in: Die Frauenbewegung 5/1896, S. 48–50, darin S. 49–50. Erläuterungen Wechselfähigkeit. Die volle Rechts- und Geschäftsfähigkeit bei Geschäften mit Wertpapieren (Wechseln), einschließlich dem Ausstellen und Einlösen von Zahlungsanweisungen auf dem Standpunkte ihres Dotalsystemes. In der güterrechtlichen Konstruktion des römischen Rechts brachte die Frau – als ihren Beitrag zu den ehelichen Lasten – eine Mitgift (Dos, Brautschatz) in die Ehe ein, welche während der Dauer der Ehe im Eigentum des Mannes stand das englische, das österreichische, ja selbst das türkische Gesetz – zum englischen Güterrecht vgl. Anm. S. 308; das österreichische ABGB von 1811 sah die Ehe als Vertrag (§ 44 ABGB) und bestimmte als gesetzlichen Güterstand die Gütertrennung (§ 1237 ABGB); zum türkischen Güterrecht vgl. Anm. S. 308

Aufruf! Entstehung Mit den Namen aller Mitglieder gezeichneter Aufruf der Rechtskommission des „Bundes deutscher Frauenvereine“ vom Juni 1896. Anlass ist die anstehende zweite Lesung des Entwurfs eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das deutsche Reich im deutschen Reichstag. Von den beiden Jurastudentinnen in der Kommission unterzeichnet nur Augspurg mit dem Titel cand. jur. Die Lehrerin Marie Raschke (1850–1935), die im zweiten Semester an der Berliner Universität

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Kommentarteil

Rechtsvorlesungen hört, hat dort nur Gasthörerinnenstatus. Dass der Aufruf sich an deutsche Frauen und Männer richtet, entspricht der politischen Haltung Augspurgs, die schon einige Jahre zuvor gefordert hatte, auch Männern die Mitgliedschaft im „Verein Frauenbildungsreform“ zu ermöglichen. Publiziert wurde der Aufruf in: Die Frauenbewegung 12/1896, S. 114–115. Erläuterungen vom 21. Jahre an. Das Reichsgesetz vom 17. 2. 1875 hatte den Termin von 21 Jahren zum allgemeinen Volljährigkeitstermin erhoben 170 Millionen Menschen haben sich heute zur Gütertrennung bekehrt; nur 60 Millionen leben noch unter der auf Herrschaft roher Kraft basierten Verwaltung des Frauengutes durch den Mann. Augspurg bezieht sich hier auf Zahlenangaben in einem Artikel der Schweizer Juristin Emilie Kempin (Die Post vom 8. 4. 1896). Kempin spricht in bezug auf die Gütertrennung allerdings von 150 Millionen (in Europa) und 205 Millionen weltweit auf den Schild erheben. Bei den germanischen Stämmen üblicher Brauch zur Herrschaftsbegründung eines neuen Königs; hier im übertragenen Sinn: als gültiges Rechtsprinzip einsetzen Es spricht von elterlicher Gewalt. § 1626 BGB in der Fassung vom 18. August 1896: „Das Kind steht, solange es minderjährig ist, unter elterlicher Gewalt.“ (1. Januar 1900 bis 1. Juli 1958) für die fortgesetzte Hörigkeit der Frau. Der provozierende Vergleich der Rechtsstellung der Ehefrau mit dem Rechtsinstitut der Hörigkeit im mittelalterlichen Feudalrecht ist zugleich eine Anspielung auf den Essay von John Stuart Mill: „The subjection of women“ (London 1869, dt. Titel: Die Hörigkeit der Frau) Vogteiverhältnisses. Die Gleichsetzung des Vogteiverhältnisses mit dem Rechtsinstitut der Ehe stellt darauf ab, dass das Eherecht gekennzeichnet ist durch die gesetzlich vorgegebene Abtretung von Rechten der Ehefrau an den Ehemann. Die Ehefrau steht dann wie in einem Vogteiverhältnis in der Schutzgewalt des Ehemannes (Ehevogtes), der sie in Rechtsverhältnissen nach außen vertritt in beschränkter Majorität – nicht einstimmig. Die Arbeiten der Kommission zur Beratung des Bürgerlichen Gesetzbuches für das deutsche Reich haben in Bezug auf das Familienrecht nicht zu den von einem großen Teile der Nation erstrebten Änderungen des Entwurfs geführt. Auf Beschluss des Reichstags hatte sich am 7. 2. 1896 eine Kommission von 21 Mitgliedern konstituiert, um die zweite Lesung des Entwurfs eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich vorzubereiten. Die Ergebnisse der Kommissionsberatungen waren für die Frauen enttäuschend. Alle entscheidenden Anträge wurden abgelehnt. Die Pflicht und das Recht der Mutter zur „elter-

Anmerkungen

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lichen Sorge“ umfasste weiterhin nicht das Recht zur Vertretung des Kindes, die Gütertrennung war nicht als gesetzliches Güterrecht festgesetzt worden, das „Entscheidungsrecht des Ehemannes in allen das gemeinschaftliche eheliche Leben betreffenden Angelegenheiten“ (§ 1354 BGB) blieb bestehen Die Rechtskommission des „Bundes deutscher Frauenvereine“. Die Rechtskommission konstituierte sich im März 1896 auf der Generalversammlung des „Bundes deutscher Frauenvereine“ – nicht zuletzt auf Initiative von Anita Augspurg. Erste Aufgabe der Kommission war die Agitation gegen den Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich Hanna Bieber-Böhm. Die Malerin und Frauenrechtlerin Hanna Bieber-Böhm (1851–1910) gehörte zu den Gründungsmitgliedern und zum ersten Vorstand des „Bundes deutscher Frauenvereine“ und thematisierte dort als erste das Thema Prostitution Minna Cauer. Die radikale Frauenrechtlerin und Pazifistin Minna Cauer (1841– 1922) gründete 1888 den „Verein Frauenwohl, Berlin“ und blieb dessen Vorsitzende bis 1919. Von 1895 bis 1919 gab sie die Zeitschrift „Die Frauenbewegung“ heraus, dessen 25 Jahrgänge sie als ihr Lebenswerk betrachtete (vgl. auch Anm. S. 305) Sera Proelß. Die Berliner Frauenrechtlerin Sera Proelß (geb. 1854) war Mitglied des „Vereins Frauenwohl, Berlin“ und verfasste Vorträge und Artikel zu den Themen „Rechtsstellung der Frau“ und „Kleiderreform“. 1895 publizierte sie zusammen mit Marie Raschke „Die Frau im neuen bürgerlichen Gesetzbuch“. Sie war Mitglied der Rechtskommission des „Bundes deutscher Frauenvereine“ und 1896 eine der Rednerinnen auf dem ersten Internationalen Frauenkongress in Berlin Marie Raschke. Die Lehrerin, Juristin und Frauenrechtlerin Marie Raschke (1850–1935) studierte Recht in Berlin und Bern und war Mitglied der Rechtskommission des „Bundes deutscher Frauenvereine“. Nach ihrer Promotion wurde sie Mitglied der „Juristischen Gesellschaft Berlin“ (1900) und des „Deutschen Juristentages“ (1904). Sie gründete die „Zeitschrift für populäre Rechtskunde“ (1900), die „Vereins-Zentralstelle für Rechtsschutz“ in Berlin (1900), den „Verein zur Verbreitung von Rechtskenntnissen“ (1907) und publizierte als Herausgeberin zu verschiedenen Rechtsgebieten populäre „Rechtsbücher“ und “Rechtskatechismen“. 1908 wurde sie Vorsitzende der im selben Jahr gegründeten Frauenbank, 1918 gehörte Marie Raschke zu den Mitbegründerinnen des „Deutschen Juristinnenbundes“ Marie Stritt. Die Schauspielerin, Publizistin und radikale Frauenrechtlerin Marie Stritt (1855–1928) gründete 1894 in Dresden den ersten deutschen Rechtsschutzverein für Frauen. Von 1899–1910 war sie Vorsitzende des „Bundes deutscher Frauenvereine“, seit 1899 gab sie die Vereinszeitschrift

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Kommentarteil

„Centralblatt des Bundes deutscher Frauenvereine“ heraus, 1911 wurde sie Vorsitzende des „Deutschen Vereins für Frauenstimmrecht“ Cäcilie Dose. Die Dresdner Frauenrechtlerin Cäcilie Dose war engagiert in der Rechtsschutzbewegung und publizierte diverse Schriften zur Frauenfrage. Bekannt sind die beiden Schriften: „Rechtsschutzvereine für Frauen, Vortrag geh. am 1. Juni 1894 im ‚Allgemeinen deutschen Frauenverein‘ in Leipzig“ (Leipzig 1894) und „Die Stellung der Frau und Mutter im Familienrecht der außerdeutschen Staaten und nach den Bestimmungen des Neuen Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich“ (Frankenberg 1900) Frau Heidfeld. Die Danziger Frauenrechtlerin Marianne Heidfeld

Petition an den Reichstag Entstehung Diese sehr kurze, nach der Verabschiedung des BGB entstandene Petition des „Bundes deutscher Frauenvereine“ vom September 1896 wurde von Anita Augspurg in jedem Fall wesentlich (mit)formuliert. Augspurg bereitete sich als Jurastudentin in Zürich zu diesem Zeitpunkt auf ihre Promotion vor und verfügte von allen Mitgliedern der Rechtskommission des Bundes über die differenziertesten Rechtskenntnisse. Die Resolution ist abgedruckt in: Die Frauenbewegung 18/1896, S. 173. Erläuterungen Es versagt den unehelichen Kindern dem Vater gegenüber diejenige rechtliche Stellung, welche Menschlichkeit und Gerechtigkeit erfordern. § 1589 II BGB (1900–1970) lautete: „Ein uneheliches Kind und dessen Vater gelten als nicht verwandt.“ Nur die Sozialdemokraten hatten im Reichstag gefordert, „dass das, was als Naturrecht angesehen werden muss, dass zwischen Vater und unehelichem Kind eine Verwandtschaft besteht, auch vom Gesetz anerkannt werden soll“ (August Bebel: Rede vor dem Deutschen Reichstag am 26. Juni 1896). § 1589 II BGB blieb bis 1970 geltendes Recht und wurde erst durch das „Gesetz über die Stellung der nichtehelichen Kinder“ vom 19.8.1969 aufgehoben die elterliche Gewalt der Mutter nicht nach, sondern in Gemeinschaft mit derjenigen des Vaters wirken zu lassen. § 1627 BGB (1. Januar 1900–1. Juli 1958) lautete: „Der Vater hat kraft der elterlichen Gewalt das Recht und die Pflicht, für die Person und das Vermögen des Kindes zu sorgen.“ Die Mutter hatte die Pflicht zur „elterlichen Sorge“, war aber “zur Vertretung“ des Kindes „nicht berechtigt“ (§ 1634 I BGB). Bei Meinungsverschiedenheiten ging die Meinung des Vaters vor (§ 1634 II BGB)

Anmerkungen

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Die Frau und das Recht Entstehung Vierteiliger Artikel von Anita Augspurg, gezeichnet mit „Anita Augspurg, cand. jur. in München“, erschienen nach Verabschiedung des BGB im Juli 1896, publiziert in: Die Frauenbewegung 17/1896, S. 157–158; 18/1896, S. 167–168; 19/1896, S. 184–185; 21/1896, S. 200–203. Grundlage dieses Artikels waren eine Reihe von Vorträgen, die Anita Augspurg auf mehreren Agitationsreisen zwischen Herbst 1895 und Sommer 1896 in zahlreichen deutschen Städten zum Thema BGB gehalten hatte und die zum Teil durch ausführliche Mitschriften für Zeitungspublikationen erhalten sind – so die „Rede vom 16. 2. 1896 in dieser Ausgabe oder die im Protokoll der Schriftführerein des Vereins „Frauenwohl, Berlin“ zitierte Rede aus der „Sitzung vom 19. 11. 1895“ (Die Frauenbewegung 23/1895, S. 188). In einem undatierten Brief an Hedwig Kettler vom November 1895 (zitiert in: Henke, Anita Augspurg, Reinbek 2000, S. 45) zählt Augspurg einen Teil der Städte auf, in denen sie ihren Vortrag mit dem Arbeitstitel „Die Frau im Entwurf des Bürgerlichen Gesetzbuches“ gehalten hat und halten wird. Erläuterungen die heiß begehrte Gesetzeseinheit. Seit 1873 hatten verschiedene Kommissionen an der Jahrhundertaufgabe einer einheitlichen Kodifizierung des in viele Rechtsgebiete und Rechtsquellen zersplitterten Privatrechts in Deutschland gearbeitet. Der erarbeitete Gesetzesentwurf wurde 1896 vom Reichstag in zweiter und dritter Lesung verabschiedet und trat am 1. Januar 1900 in Kraft. pro domo – (metaphorisch.): in eigener Sache Vae victis! – Wehe den Besiegten! in seinem vierten Buche – im Familienrecht. Wechselfähigkeit. Die volle Rechts- und Geschäftsfähigkeit bei Geschäften mit Wertpapieren (Wechseln), einschließlich dem Ausstellen und Einlösen von Zahlungsanweisungen Michels bedenklicher Unempf indlichkeit gegen den Druck von schlechten Stiefeln und engen Zipfelmützen. Der „deutsche Michel“, eine nationale Personifikation der Deutschen, wurde seit Beginn des 19. Jahrhunderts immer mit einer Schlafoder Zipfelmütze dargestellt Agnate – Blutsverwandter aus der männlichen Linie einer Familie Institut der manus, des Mundiums und auch die verblümtere Form des „Ehehauptes“. Im älteren römischen Recht hatte der Ehemann in der sogenannten ManusEhe (von lat. manus – Hand) personenrechtliche Gewalt über seine Ehefrau; im älteren deutschen Recht wurde die Eheherrschaft des Mannes als „ehe-

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Kommentarteil

liche Vormundschaft“ oder als „Mundium“ (von altdeutsch „Munt“ – Hand, Schutz) bezeichnet; die Vorstellung vom Ehemann als „Haupt“ der Frau findet sich u. a. in der Bibel (Brief des Paulus an die Epheser, 5, 23) § 1354. § 1354 I BGB (1. Januar 1900–1. Juli 1958): „Dem Manne steht das Entscheidungsrecht in allen das gemeinschaftliche eheliche Leben betreffenden Angelegenheiten zu; er bestimmt insbesondere Wohnort und Wohnung.“ Scylla. Meerungeheuer der griechischen Sage, das in einer Felsenhöhle haust – gegenüber dem schrecklichen Meerwesen Charybdis, der Überlieferung nach in der Meerenge von Messina. Schon in der Antike war sprichwörtlich, dass jemand, der ein doppeltes Risiko eingeht, zwischen Scylla und Charybdis agiert Charybdis – Meerungeheuer der griechischen Sage; vgl. Anm. zu „Scylla“, S. 314 inhibiert werden – gehemmt, unterbunden werden Notabene – wohlgemerkt (lat.: nota bene – merke wohl) in der endgültigen Fassung – im Originaltext: „endgiltigen“ § 1376. § 1376 BGB (1. Januar 1900–1. Juli 1958): „Ohne Zustimmung der Frau kann der Mann: 1. über Geld und andere verbrauchbare Sachen der Frau verfügen; 2. Forderungen der Frau gegen solche Forderungen an die Frau, deren Berichtigung aus dem eingebrachten Gute verlangt werden kann, aufrechnen; 3. Verbindlichkeiten der Frau zur Leistung eines zum eingebrachten Gute gehörenden Gegenstandes durch Leistung des Gegenstandes erfüllen.“ § 1396. § 1396 BGB (1. Januar 1900–1. Juli 1958): „(1) Verfügt die Frau durch Vertrag ohne Einwilligung des Mannes über eingebrachtes Gut, so hängt die Wirksamkeit des Vertrags von der Genehmigung des Mannes ab. (2) [1] Fordert der andere Teil den Mann zur Erklärung über die Genehmigung auf, so kann die Erklärung nur ihm gegenüber erfolgen; eine vor der Aufforderung der Frau gegenüber erklärte Genehmigung oder Verweigerung der Genehmigung wird unwirksam. [2] Die Genehmigung kann nur bis zum Ablaufe von zwei Wochen nach dem Empfange der Aufforderung erklärt werden; wird sie nicht erklärt, so gilt sie als verweigert. (3) Verweigert der Mann die Genehmigung, so wird der Vertrag nicht dadurch wirksam, dass die Verwaltung und Nutznießung aufhört.“ § 1398. § 1398 BGB (1. Januar 1900–1. Juli 1958): „Ein einseitiges Rechtsgeschäft, durch das die Frau ohne Einwilligung des Mannes über eingebrachtes Gut verfügt, ist unwirksam.“ Schacher – abwertend für Feilschen und Geschäftemachen zu allgemeinem Nutz und Frommen – Redewendung: zu allgemeinem Nutzen (veraltet Nutz) und Ertrag (veraltet: Fromme) Nimbus – (lat.: Wolke) besonderes Ansehen, Ruhm und Glanz

Anmerkungen

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Odium – übler Beigeschmack, Makel Reichsgerichtsverfassern – gemeint ist wohl: Reichsgesetz-Verfassern Frau Dr. jur. Emilie Kempin. Emilie Kempin-Spyri (1853–1901), die erste Juristin der Schweiz, lehrte von 1892–1895 in Zürich römisches, englisches und amerikanisches Recht. Augspurg war eine ihrer Studentinnen. Kempin lebte seit 1895 in Berlin und arbeitete mit dem Rechtstagsabgeordneten von Stumm-Halberg zusammen, für den sie seine Anträge zum BGB-Entwurf formulierte. Von Stumm-Halberg war auch Herausgeber der „Post“ in einem Artikel der „Post“. Emilie Kempin: „Die Stellung der Frau im Entwurf des Bürgerlichen Gesetzbuches“, in: Die Post Nr. 79 vom 20. 3. 1896, 1. Beilage (I.); Nr. 84 vom 25. 3. 1896, 1. Beilage (II.); Nr. 93 vom 3. 4. 1896, 1. Beilage (III.); Nr. 96 vom 08. 04. 1896, 1. Beilage (IV.); Nr. 97 vom 9. 4. 1896, 1. Beilage (V.); im IV. Teil heißt es gegen Ende des Artikels: „Dieselbe Erfahrung haben alle übrigen Länder gemacht, in welchen die Gütertrennung gesetzliches Güterrecht geworden ist: Italien, Russland, fast alle Staaten der nordamerikanischen Union, Kanada, ein Teil Australiens. In Europa allein gilt die Gütertrennung bei ca. 150 Millionen Einwohnern, die Gütergemeinschaft bei 110, die Verwaltungsgemeinschaft bei 60 Millionen. Rechnet man die überseeischen Staaten hinzu, so kann man sagen, dass die Gütertrennung heute schon für 205 Millionen Einwohner der Kulturländer gesetzliches Güterrecht ist.“ 170 Millionen. Vermutlich ein Schreibfehler. Kempin spricht in ihrem Artikel von 150 Millionen (in Europa) und 205 Millionen weltweit (vgl. Anm. S. 310) [be]wirkt bei einer Kollision unerhörte Korruption. Im Originaltext: „wirkt bei einer Kollision unerhörter Korruption“ wie zur Zeit der heiligen Genofeva. Die heilige Genofeva (Genoveva) von Brabant, eine Figur aus deutschen Legenden, Volksbüchern und Sagen (z. B. „Siegfried und Genoveva“), soll nach ungesicherter Überlieferung im 8. Jahrhundert n. Chr. gelebt haben dass ein uneheliches Kind und sein Vater nicht für verwandt gelten. § 1589 BGB (1900–1970): „Ein uneheliches Kind und sein Vater gelten als nicht verwandt.“ (geltendes Recht bis zum Inkrafttreten des Nichtehelichengesetzes am 1. Januar 1970) imputieren – einreden, unterstellen, (ungerechtfertigt) beschuldigen Zentrumsmajorität. Im deutschen Reichstag von 1896 stellte die katholische Zentrumspartei die mit Abstand stärkste Fraktion exorbitante Forderungen – maßlose Forderungen der im Jahre 1898 sich neu und wahrscheinlich anders zusammensetzende Reichstag. Am 16. Juni 1898 fanden die Wahlen zum 10. Deutschen Reichstag statt. Die

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Kommentarteil

Sozialdemokraten wurden erneut stärkste Partei, das Zentrum blieb – eine Folge der Wahlkreisaufteilung – stärkste Fraktion eine große Partei hat bereits ihre Absicht zu verstehen gegeben. Von welcher Partei hier die Rede ist, ist nicht ganz klar. Gemeint ist möglicherweise der 1896 von Friedrich Naumann gegründete liberale „Nationalsoziale Verein“, der die „Regelung der Frauenfrage“ zum Bestandteil seines Parteiprogramms erklärt hatte denen es heiliger Ernst ist um ihr Recht. Im Originaltext hervorgehoben; dieselbe Formulierung steht auch am Ende von Augspurgs Vortrag „Das Recht der Frau“ (vgl. Anm. S. 317)

Das Recht der Frau Entstehung Vortrag von Anita Augspurg auf dem 1. „Internationalen Frauenkongress für Frauenwerke und Frauenbestrebungen“ (19.–26. 9. 1896) in Berlin. Augspurgs Vortrag am Freitag, den 25. 9. 1896, im Berliner roten Rathaus führte zu einer polemischen Auseinandersetzung mit der Sozialdemokratin Klara Zetkin (1857–1933), trug bei zum endgültigen Bruch zwischen der habilitierten Schweizer Juristin Emilie Kempin (1853–1901) und der deutschen Frauenbewegung und führte zu der legendären ersten Begegnung mit Lida Gustava Heymann (1868–1943), die diese in den gemeinsamen Lebenserinnerungen „Erlebtes-Erschautes“ mehr als vierzig Jahre später eindrücklich beschrieben hat. Der Vortrag ist abgedruckt in: Schönfliess, Rosalie/Morgenstern, Lina/Cauer, Minna/Schwerin, Jeanette/Raschke, Marie (Hg.): Der Internationale Kongress für Frauenwerke und Frauenbestrebungen in Berlin. 19. bis 26. September 1896. Eine Sammlung der auf dem Kongress gehaltenen Vorträge und Ansprachen. Herausgegeben von der Redaktionskommission, Berlin 1897, S. 327– 331. Erläuterungen nach der PGO Karls V. Die Carolina (Constitutio Criminalis Carolina) Kaiser Karls V, deutsch: „Peinliche Gerichtsordnung“ (PGO) von 1532 99, 30. Das Grundprinzip des ganzen Gesetzes ist der Schutz des Eigentums. Als die vier Grundpfeiler des Privateigentums gelten die §§ 823, 903, 985 und 1004 BGB in der letzten großen Demonstration am 29. Juni. Über die Protestversammlung vor der dritten Lesung des BGB im Deutschen Reichstag am Sonntag den

Anmerkungen

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29. 6. 1896 in Berlin berichtete Minna Cauer in: Die Frauenbewegung 14/1896, S. 136–138; Anita Augspurg war eine der Rednerinnen Frau Stritt. Die Schauspielerin, Publizistin und Frauenrechtlerin Marie Stritt (1855–1928) gründete 1894 in Dresden den ersten deutschen Rechtsschutzverein für Frauen und war von 1899–1910 Vorsitzende des „Bundes deutscher Frauenvereine“ denen es heiliger Ernst ist um ihr Recht. Dieselbe Formulierung steht auch am Ende von Augspurgs Aufsatz „Die Frau und das Recht“, dort ist der Satz im Druck noch hervorgehoben (vgl. Anm. S. 316)

Petition an den Deutschen Reichstag Entstehung Von Anita Augspurg, Marie Raschke und Minna Cauer gezeichnete Petition an den Deutschen Reichstag „im Auftrage vieler Frauen“. Möglicherweise war die hier formulierte Forderung nach weiblichen (Laien-)Richtern zum damaligen Zeitpunkt weder in einem Verband noch in einem Verein mehrheitsfähig. „Die Petition“ ist abgedruckt in: Die Frauenbewegung 2/1898, S. 18–19. Erläuterungen Marie Raschke. Die Lehrerin, Juristin und Frauenrechtlerin Marie Raschke (1850–1935), zum Zeitpunkt der Petition Jurastudentin in Bern, Mitglied des „Vereins Frauenwohl, Berlin“ und der Rechtskommission des „Bundes deutscher Frauenvereine“ (vgl. auch Anm. S. 311) Dr. jur. Anita Augspurg. Seit ihrer Promotionsprüfung am 24. 7. 1897 führte Anita Augspurg den Titel Dr. jur. Mit Schreiben vom 28. 2. 1898 mahnte die staatswissenschaftliche Fakultät der Hochschule Zürich an, dass sie den Titel zu Unrecht führe, da sie die geforderten 160 Pflichtexemplare nicht eingereicht habe und ein Zeugnis noch nicht erteilt sei. Die 1898 in München gedruckte Dissertation widmete Augspurg ihrem Onkel, dem Jenaer Rechtsprofessor Wilhelm Langenbeck Minna Cauer. Die radikale Frauenrechtlerin und Pazifistin Minna Cauer (1841– 1922) gründete 1888 den „Verein Frauenwohl, Berlin“ und blieb dessen Vorsitzende bis 1919. Von 1895 bis 1919 gab sie die Zeitschrift „Die Frauenbewegung“ heraus, dessen 25 Jahrgänge sie als ihr Lebenswerk betrachtete (vgl. auch Anm. S. 305) 1849 die Schwurgerichte, 1877 bei der Organisation der Gerichtsverfassung die Schöffengerichte und Handelskammern, 1890 die Gewerbegerichte. Abschnitt VI,

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Art. X, § 179 Verfassung des Deutschen Reiches vom 28. März 1849 (Paulskirchenverfassung): „In Strafsachen gilt der Anklageprozess. Schwurgerichte sollen jedenfalls in schwereren Strafsachen und bei allen politischen Vergehen urteilen.“; Gerichtsverfassungsgesetz vom 27. Januar 1877; Gesetz betreffend die Gewerbegerichte vom 29. Juli 1890 durch Gesetz vom 25. Juni 1893. Legge sui probi-viri vom 15. 6. 1893

Petition des Vereins Frauenwohl, Berlin, an das Preußische Haus der Abgeordneten betr[effend] das Ausführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch Entstehung Von Anita Augspurg, Minna Cauer und Marie Raschke gezeichnete Petition des „Vereins Frauenwohl, Berlin“ an das „Preußische Haus der Abgeordneten“ vom 12. Februar 1899, abgedruckt in der ersten Nummer der von Anita Augspurg herausgegebenen Zeitschrift „Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung“ (1/1899, S. 2–3). Die „Parlamentarischen Angelegenheiten“ erschienen als Beilage der „Frauenbewegung“ von 1899 bis 1906, in dieser ersten Nummer sind noch zwei weitere Eingaben des Trios Augspurg, Raschke, Cauer abgedruckt: ein Memorandum betreffend die Beteiligung der Frauen an den Wahlen zu Gewerbegerichten und eine Petition betreffend die Gehälter der Einsenbahnbeamtinnen. Erläuterungen des Vereins Frauenwohl, Berlin. Der „Verein Frauenwohl, Berlin“, gegründet 1888 als Frauengruppe der „Deutschen akademischen Vereinigung“ und seitdem geleitet von Minna Cauer (1841–1922) es wolle dem Entwurfe zu einem Ausführungsgesetze zum Bürgerlichen Gesetzbuche für das Königreich Preußen einen Artikel 66a mit folgendem Inhalte hinzufügen: „Bei der Überführung der Güterstände der bestehenden Ehen hat die Ehefrau das Recht, auch ohne Zustimmung des Mannes Gütertrennung zu verlangen.“ – der Antrag hatte keinen Erfolg Art. 75 § 2 dahin abzuändern: „Zu dem Amte eines Waisenrates wie zur Unterstützung desselben können auch Frauen berufen werden.“ Der Antrag hatte teilweise Erfolg. Art. 77 § 2 Satz 1 des Preußisches Ausführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich vom 20. September 1899 lautete: „Zur Unterstützung des Gemeindewaisenrats können Frauen, die hierzu bereit sind, als Waisenpflegerinnen widerruflich bestellt werden.“

Anmerkungen

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Motive zum AG, S. 82. Begründung zu dem Entwurf eines Ausführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuche, S. 82, in: Die gesamten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, hg. von Benno Mugdan, Ergänzungsband, hg. von Eduard Stegemann, Berlin 1900 (Aalen 1979), S. 54 (S. 82) Minna Cauer. Die radikale Frauenrechtlerin und Pazifistin Minna Cauer (1841– 1922) gründete 1888 den „Verein Frauenwohl, Berlin“ und blieb dessen Vorsitzende bis 1919. Von 1895 bis 1919 gab sie die Zeitschrift „Die Frauenbewegung“ heraus, dessen 25 Jahrgänge sie als ihr Lebenswerk betrachtete (vgl. auch Anm. S. 305) Marie Raschke. Die Lehrerin und Juristin Marie Raschke (1850–1935) war Mitglied des „Vereins Frauenwohl, Berlin“ und promovierte 1899 in Bern zur Dr. jur. Nach ihrer Promotion wurde sie Mitglied der „Juristischen Gesellschaft, Berlin“ (1900) und des „Deutschen Juristentages“ (1904). Sie gründete die „Vereins-Zentralstelle für Rechtsschutz“ in Berlin (1900) und gehörte 1918 zu den Mitbegründerinnen des „Deutschen Juristinnenbundes“ (vgl. Anm. S. 311)

Die Ansprüche der Frau auf die Eheerrungenschaft Entstehung Aufsatz von Anita Augspurg im „Jahrbuch für die deutsche Frauenwelt“, dem vermutlich eine Rede zugrunde liegt: Saul, Elly und Obrist-Jenicke, Hildegard (Hg.), Jahrbuch für die deutsche Frauenwelt, Stuttgart 1899, S. 220–229. Erläuterungen die sogen[annte] Errungenschaftsgemeinschaft. Im Bürgerlichen Gesetzbuch vom 18. August 1896 war der eheliche Güterstand der Errungenschaftsgemeinschaft geregelt in den §§ 1519 ff. § 1519 BGB (in Kraft 1. 1. 1900– 1. 7. 1958): „(1) Was der Mann oder die Frau während der Errungenschaftsgemeinschaft erwirbt, wird gemeinschaftliches Vermögen beider Ehegatten (Gesamtgut). (2) Auf das Gesamtgut finden die für die allgemeine Gütergemeinschaft geltenden Vorschriften […] Anwendung.“ 108, 43. Remedur – Abhilfe

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Kommentarteil

Frau und Fräulein Entstehung Artikel von Anita Augspurg für eine von ihr seit März 1902 für den Berliner „Tag“ herausgegebene Zeitungsbeilage, abgedruckt in: Der Tag Nr. 211 vom 7. 5. 1902 (Beilage: Der Kampf der Frau). Wie revolutionär dieser Artikel war, lässt sich daraus ersehen, dass erst ungefähr 70 Jahre später, im Zuge der 68iger Revolution und der entstehenden neuen Frauenbewegung, die Anrede „Frau“ für unverheiratete erwachsene Frauen in der Bundesrepublik wieder diskutiert wurde und sich allmählich durchzusetzen begann. Sprachkritische feministische Ansätze in der alten Frauenbewegung gab es kaum. Marie Raschke und Anita Augspurg bildeten hier eine Ausnahme. Erläuterungen von einem Vortrage. Gemeint ist der Vortrag „Fräulein oder Frau“ von Marie Raschke am 7. April 1902 im „Verein Frauenbildung-Frauenstudium“ in Berlin „Verein Frauenbildung-Frauenstudium“. 1898 fusionierte der „Verein Frauenstudium“ (Gründungspräsidentin war 1896 Anita Augspurg) mit dem „Verein Frauenbildung“ (gegründet 1897) zum „Verein Frauenbildung-Frauenstudium“. Sowohl der „Verein Frauenbildung“ wie der „Verein Frauenstudium“ waren Abspaltungen des von Hedwig Kettler geleiteten „Frauenverein Reform“ Fräulein Dr. jur. Marie Raschke. Die Lehrerin und Juristin Marie Raschke (1850– 1935) war Mitglied des Vereins „Frauenwohl, Berlin“ und promovierte 1899 in Bern zur Dr. jur. Nach ihrer Promotion wurde sie Mitglied der „Juristischen Gesellschaft, Berlin“ (1900) und des „Deutschen Juristentages“ (1904). Sie gründete die „Vereins-Zentralstelle für Rechtsschutz“ in Berlin (1900) und gehörte 1918 zu den Mitbegründerinnen des „Deutschen Juristinnenbundes“ (vgl. Anm. S. 311) in einem Artikel, welcher in der Zeitschrift „Die Frauenbewegung“ erschien. Der Artikel „Fräulein oder Frau“ ist abgedruckt in: Die Frauenbewegung 9/1902, S. 68–69. In einer Fußnote wird als „Anmerkung der Redaktion“ darauf hingewiesen, dass der Artikel auf besonderen Wunsch der Verfasserin erscheint, „welche dadurch verschiedenen unrichtigen Darstellungen in der Tagespresse entgegenzutreten wünscht“ (S. 68) Diminutiv – Verkleinerungs- oder Verniedlichungsform Ministerialerlass vom 31. Juli 1869. Cirkular-Verfügung an die Königlichen Regierungen und Landdrosteien sowie an das Königliche Polizei-Präsidium hierselbst, das Verfahren bei Anträgen unverehelichter Personen weiblichen

Anmerkungen

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Geschlechts um Erteilung der Erlaubnis zur Annahme des Prädikats „Frau“ betreffend, vom 31. Juli 1869, abgedruckt in: Ministerial-Blatt für die gesamte innere Verwaltung in den Königlich Preußischen Staaten, Nr. 7 vom 31. August 1869, S. 149 Der angeführte Erlass vom 9. August 1867. Cirkular-Erlass an sämtliche Königliche Regierungen einschließlich derjenigen zu Kiel und Schleswig und an das Königliche Polizei-Präsidium hierselbst, das Verfahren bei Genehmigung von Namens-Änderungen betreffend, vom 9. August 1867, abgedruckt in: Ministerial-Blatt für die gesamte innere Verwaltung in den Königlich Preußischen Staaten, Nr. 7 vom 31. August 1869, S. 246–248 in einem Allerhöchsten Ordre vom 15. April 1822. Allerhöchste Kabinettsorder, dass ohne landesherrliche Erlaubnis niemand seinen Familien- oder Geschlechtsnamen ändern dürfe, vom 15. April 1822, abgedruckt in: GesetzSammlung für die Königlich Preußischen Staaten, Berlin 1822, S. 108

Das Problem der Ehe Entstehung Sammelrezension von Anita Augspurg für den Berliner „Tag“, abgedruckt in: Der Tag Nr. 563 vom 2.12.1902. Eine weitere Sammelrezension zum Thema unter dem Titel „Wiederum das Problem der Ehe“ schreibt sie für den Tag 1906 (Nr. 124 vom 9.3.1906). Erläuterungen So spricht Jacques Mesnil in „Le Mariage libre“. Der belgische Kunsthistoriker und Anarchist Jean Jacques Mesnil (Pseudonym), eigentlich Jean Jacques Dwelshauvers (1872–1940); Jacques Mesnil: Die freie Ehe. Autorisierte Übersetzung von Karl Federn, Schmargendorf-Berlin 1903 Dr. Karl Federn. Der österreichische Jurist, Schriftsteller und Übersetzer Karl Federn (1868–1943) im Verlage von Otto Lehmann-Rußbüldt. Gemeint ist der Verlag „Renaissance“ (Otto Lehmann) in Berlin Schmargendorf. Der Berliner Pazifist, Schriftsteller und Verleger Otto Lehmann-Rußbüldt (1873–1964) war Mitglied des Friedrichshagener Dichterkreises und Inhaber der Versandbuchhandlung und des Verlages „Renaissance“ Ladislaus Gumplowicz: „Ehe und freie Liebe“, aus dem Verlage der freien Monatshefte M. Mundt, Berlin. Ladislaus Gumplowicz: Ehe und freie Liebe, Berlin (Verlag der Socialistischen Monatshefte) 1900

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Kommentarteil

der Geh[eime] San[itäts]-Rat Konr[ad] Küster ihm in der „Allgem[einen] Universitätszeitung“ ein Lob erteilt. Der Berliner Mediziner Dr. med. Konrad Küster (geb. 1842), Herausgeber der „Allgemeinen Deutschen Universitätszeitung“. Küsters Rezension von Gumplowicz’ Schrift „Ehe und freie Liebe“ findet sich in der Rubrik „Aus dem Gesellschaftsleben“, in: Allgemeine Deutsche Universitätszeitung 16. Jg. Nr. 5 vom 2. März 1902, S. 36–37 in welchem Dr. Ernst Gystrow „Liebe und Liebesleben im 19. Jahrhundert“ behandelt. Der Schriftsteller, Nervenarzt und Sozialpsychologe Willy Hellpach (1877– 1955) publizierte unter dem Namen Ernst Gystrow u. a. in den „Socialistischen Monatsheften“. Gystrow, Ernst (Pseudonym): Liebe und Liebesleben im 19. Jahrhundert, Berlin (Verlag Aufklärung) 1902 Edward Carpenters „Love’s coming of age“. Der englische Schriftsteller und Sozialreformer Edward Carpenter (1844–1929); Edward Carpenter: Love’s coming of age. A series of papers on the relations of the sexes, Manchester 1896 „Wenn die Menschen reif zur Liebe werden“ bei Hermann Seemann, Leipzig. Edward Carpenter: Wenn die Menschen reif zur Liebe werden. Eine Reihe von Aufsätzen über das Verhältnis der beiden Geschlechter. Einzig autorisierte Übersetzung von Karl Federn, Verlag Hermann Seemann Nachfolger, Leipzig 1902

Mutterschutz Entstehung Artikel anlässlich der Gründung des „Bundes für Mutterschutz“, abgedruckt in: Der Tag Nr. 43 vom 26. 1. 1905. Erläuterungen gründeten einen „Bund für Mutterschutz“. Die Gründung des „Bundes für Mutterschutz“ 1905 in Berlin (öffentliche Gründungsversammlung am 26. Februar 1905) wurde von vielen bekannten Persönlichkeiten unterstützt. Der Verein wurde später umbenannt in: „Deutscher Bund für Mutterschutz und Sexualreform“. Das Vereinsorgan „Mutterschutz“ (ab 1908: „Die neue Generation“) wurde von 1905 bis 1932 von Helene Stöcker (1869–1943) herausgegeben Dr. Blaschko, Michael Georg Conrad, Prof. Forel, Prof. Ernst Franke [vermutlich ein Schreibfehler, gemeint ist wahrscheinlich: Prof. h. c. Ernst Fränkel], Prof. von Liszt, Reichstagsabgeordneter Müller-Meiningen, Friedrich Naumann, Dr. Franz Oppenheimer, Bruno Wille, und wenn ich noch anführe, dass Dr. Helene Stöcker Vorsitzende des Bundes geworden ist, während neben ihr im Vorstande Maria Lischnewska, Rut Bré, Dr. Marcuse und Dr. Walther Borgius sind. Der Berliner

Anmerkungen

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Dermatologe Alfred Blaschko (1858–1922); der Münchener Schriftsteller Michael Georg Conrad (1846–1927); der Schweizer Psychiater AugusteHenri Forel (1848–1931); der Breslauer Gynäkologe und Politiker Prof. h. c. Ernst Fränkel (1844–1921); der Jurist und Politiker Franz von Liszt (1851– 1919); der Jurist und liberale Politiker Ernst Müller-Meiningen (1866–1944); der liberale Politiker und evangelische Theologe Friedrich Naumann (1860– 1919); der Arzt, Soziologe und Nationalökonom Franz Oppenheimer (1864– 1943); der Philosoph und Schriftsteller Bruno Wille (1860–1928); die Frauenrechtlerin und Sexualreformerin Helene Stöcker (1869–1943); die Berliner Lehrerin und Frauenrechtlerin Maria Lischnewska; die Lehrerin und Dichterin Elisabeth Bouness (gest. 1910) aus Breslau, Pseudonym E. Michel, später Ruth (Rut) Bré (auch Bre); der Dermatologe und Sexualwissenschaftler Max Marcuse (1877–1963); der Berliner Anarchist und Volkswirtschaftler Walther Borgius (1870–1932)

Ein typischer Fall der Gegenwart Entstehung Als „Aufruf zum Eheboykott“ bekannt gewordener Offener Brief von Anita Augspurg. Die Form bzw. die Fiktion des scheinbar persönlichen Briefes erwies sich als sehr wirkungsvoll – das Presseecho war enorm. Der „Offene Brief“ ist abgedruckt in: Europa 7/1905, S. 311–314; nachgedruckt in: Die Frauenbewegung 11/1905, S. 81–82. Erläuterungen Boos-Jegher, Schneeli-Beerli, Wirz-Baumann. Emma Boos-Jegher (1857–1932) und Rosalie Wirz-Baumann (geb. 1863), zwei Pionierinnen der Schweizer Frauenbewegung, gründeten 1893 in Zürich zusammen mit den deutschen Jurastudentinnen Anna Mackenroth und Anita Augspurg den „Schweizerischen Verein Frauenbildungsreform“ Irschenhausen, Oberbayern, Dezember 1904. Nachdem das von ihr dort erbaute „Haus Wiesel“ bezugsfertig geworden war, hatte Anita Augspurg seit 1904 ihren Sommerwohnsitz nach Irschenhausen in Oberbayern verlegt

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Kommentarteil

Zur Reform der Ehe Entstehung In diesem Artikel nimmt Anita Augspurg abschließend Stellung zu der öffentlichen Diskussion um ihren „Offenen Brief“ (Untertitel: „Schlusswort von Dr. jur. Anita Augspurg“). Es ist ein Antwortschreiben an ihre Kritiker. Das „Schlusswort“ ist abgedruckt in: Die Frauenbewegung 18/1905, S. 137–139. Erläuterungen Eine außerordentliche Erregung ist die Folge des im Dezember v. J. von mir geschriebenen und im Februar und Juni d. J. in der „Europa“ und der „Frauenbewegung“ veröffentlichten Briefes gewesen. Anita Augspurg: Ein typischer Fall der Gegenwart. Offener Brief, in: Europa. Wochenschrift für Kultur und Politik Nr. 7 vom 2. 3. 1905, S. 311–314; Die Frauenbewegung Nr. 11 vom 1. 6. 1905, S. 81–82 R[udolf ] v[on] Ihering. Der Jurist Rudolf von Ihering, eigentlich Jhering (1818– 1892) Def inition der Ehe des römischen Rechtes: „Ehe ist die Verbindung von Mann und Frau zu völliger Lebensgemeinschaft und Gemeinsamkeit des göttlichen und menschlichen Rechtes.“. So die Definition bei Modestinus (D. 23. 2. 1): „Nuptiae sunt coniuncto maris et feminae et consortium omnis vitae, divini et humani iuris communicatio.“ das Beispiel einer einzigen „woman, who did“. Auf wen sich Anita Augspurg hier bezieht, ist nicht ganz klar: Elsbeth Freifrau von Zeppelin gab 1905 in einer Anzeige bekannt, dass sie sich mit dem Offizier und Schriftsteller Alexander Roda Roda (1872–1945) in freier Ehe verbunden habe. Roda Roda wurde 1907 unter Verlust seines militärischen Ranges aus der Armee entlassen, die nachgeholte Eheschließung änderte daran nichts mehr. Aufsehen erregten in München schon Ende der neunziger Jahre die Schriftstellerinnen Franziska Gräfin zu Reventlow (1871–1918) und Gabriele Reuter (1859–1941), die sich bewusst gegen die Lebensform der bürgerlichen Ehe entschieden und deren Kinder Rolf und Lili 1897 unehelich geboren wurden. Eine „woman who did“ war auch die Frauenrechtlerin und Sexualreformerin Helene Stöcker (1869– 1943), die mit ihrem Lebensgefährten Bruno Springer von 1905 bis zu Springers Tod 1931 zusammenlebte Phalanx – (antike) Kampfformation, hier: Reihe der Kämpferinnen Carpenter, Ellen Key, Mesnil [Schreibfehler im Originaltext, dort heißt es: Méhil], Federn. Der englische Schriftsteller und Sozialreformer Edward Carpenter (1844–1929); die schwedische Schriftstellerin und Reformpädagogin Ellen Karolina Sophie Key (1849–1926); der belgische Kunsthistoriker und Anar-

Anmerkungen

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chist Jean Jacques Mesnil (Pseudonym), eigentlich Jean Jacques Dwelshauvers (1872–1940); der österreichische Jurist, Schriftsteller und Übersetzer Karl Federn (1868–1943) Dr. Ernst Feder. Der Berliner Rechtsanwalt, Journalist und Schriftsteller Ernst Feder (1881–1964), Autor einer Monografie zum „Familienrecht“ und später (ab 1918) Redakteur des „Berliner Tageblatt“. 1905 druckte „Die Frauenbewegung“ seine „juristischen Bemerkungen“ zu Anita Augspurgs „Offenem Brief“ (Ernst Feder: Sehr geehrte Redaktion! In: Die Frauenbewegung 12/1905, S. 89–90) „Konkubinat und Polizei“. In Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 17/1904, S. 51 Frau Adams-Lehmann. Die englische Ärztin, Pazifistin und Frauenrechtlerin Hope Bridges Adams (1855–1916) war die erste Frau, die in Deutschland (Leipzig 1880) ein medizinisches Staatsexamen ablegte. Sie promovierte in der Schweiz und praktizierte seit 1896 in München in der Praxis ihres zweiten Ehemannes Carl Lehmann Frl. Pappritz. Die Schriftstellerin und Frauenrechtlerin Anna Pappritz (1861– 1939) war Mitbegründerin des deutschen Zweiges der „Internationalen Abolitionistischen Föderation“ und von 1907–1914 Schriftführerin des „Bundes deutscher Frauenvereine“ κατ έξοχήν – katexochen: (griech.) schlechthin Dr. Max Thal. Der Jurist Max Thal (Pseudonym, eigentlich: Max Rosenthal, geb. 1859, Sterbedatum unbekannt), Justizrat und Sexualwissenschaftler in Breslau, Autor von: Mutterrecht. Frauenfrage und Weltanschauung, Breslau 1903 S. 115 in Nr. 15 d. J. – Max Thal: Antwort auf den Brief von Dr. jur. Anita Augspurg (Leserbrief ), abgedruckt in: Die Frauenbewegung 15/1905, S. 114–115

Die sexuelle Frage Entstehung Rezension von Anita Augspurg über Auguste Forels Buch „Die sexuelle Frage“, abgedruckt in: Die Frauenbewegung 24/1905, S. 185–186. Schon im November hatte Augspurg eine Rezension von Forels Buch unter dem Titel „Sexuelle Ethik“ publiziert (Der Tag Nr. 593 vom 29. 11. 1905). Erläuterungen Prof. A[uguste] Forels „Die sexuelle Frage“. Auguste Forel: Die sexuelle Frage. Eine naturwissenschaftliche, psychologische, hygienische und soziologische Studie für Gebildete, München 1905; 1906 publiziert Forel eine weitere Schrift zum

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Kommentarteil

Thema: Sexuelle Ethik. Ein Vortrag, gehalten am 23. 3. 1906 auf Veranlassung des ,Neuen Vereins‘ in München. Mit einem Anhang: Beispiele ethischsexueller Konflikte des Lebens, München 1906 Frau Gertrud Specht in ihrer Antwort auf meinen offenen Brief in der „Europa“ Nr. 15 vom 27. April 1905. Offene Antwort an Dr. Anita Augspurg von Gertrud Specht, abgedruckt in: Europa 15/1905, S. 725–728 auf die mir gänzlich unverständliche Inanspruchnahme Forels von Seiten A[nna] Pappritz’. Pappritz hatte in einem Brief an die Redaktion der „Frauenbewegung“ zu Augspurgs „Offenem Brief“ Stellung genommen („Zur Berichtigung“, in: Die Frauenbewegung Nr. 16 vom 15. 8. 1905, S. 125); auf Forel bezog sie sich in einem Zeitungsartikel: Ehe und freie Liebe, in: Neue Hamburger Zeitung Nr. 176 vom 21. 3. 1905 vis inertiae – (lat.) Trägheit (der Masse), Beharrungsvermögen 126, 31. Lili Braun. Die Schriftstellerin, Sozialdemokratin und Frauenrechtlerin Amalie (Lily) Braun, geborene von Kretschmann, in erster Ehe verheiratete von Gizycki (1865–1916) im „Reich“ und im „Zentralblatt“. „Centralblatt des Bundes deutscher Frauenvereine“ (Berlin 1899–1921); Das Reich. Nationale Tageszeitung für soziale Reform (Berlin 1904–1910) Es ist aber eine merkwürdige Erscheinung, wie anstandslos Forel, Ellen Key, Carpenter u. a. hingenommen und wie erbittert Dr. Helene Stöcker, Maria Lischnewska und ich verketzert werden. Der Schweizer Psychiater Auguste-Henri Forel (1848–1931); der englische Schriftsteller und Sozialreformer Edward Carpenter (1844–1929); die schwedische Schriftstellerin und Reformpädagogin Ellen Karolina Sophie Key (1849–1926); die Frauenrechtlerin und Sexualreformerin Helene Stöcker (1869–1943); die Berliner Lehrerin und Frauenrechtlerin Maria Lischnewska; Gruber. Der österreichische Mediziner Prof. Max von Gruber (1853–1927), einer der Begründer der modernen Hygiene, seit 1902 Direktor des Hygiene Instituts in München und Mitglied des „Vereins für Rassenhygiene“; sein Standardwerk „Hygiene des Geschlechtslebens“ erschien 1903

Eheideale und Idealehen Entstehung Der Text entstand für eine Umfrage zum Thema „Moderne Eheideale“. Die ungarische Feministin und Pazifistin Rosika Schwimmer (1877–1948) publizierte die Ergebnisse (darunter der kurze Text von Anita Augspurg) 1906 in Buchform in einem Berliner Verlag.

Anmerkungen

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Erläuterungen Mein Eheideal? Die Ehe zwischen zwei völlig gleichberechtigten Menschen. 1919 und 1947 wurde die Gleichberechtigung der Geschlechter Verfassungsnorm, aber erst 70 Jahre nach Schwimmers Umfrage formulierten Eheberaterinnen und Eheberater in den deutschsprachigen Ländern die Gleichheit als Beziehungsnorm: „In einer beiderseitig glücklichen Beziehung stehen die Partner zueinander im Gefühl der Gleichwertigkeit“ ( Jürg Willi: Die Zweierbeziehung, Reinbek 1975). Gesetzgeberischen Ausdruck fand Augspurgs Eheideal 1976 ansatzweise im Ersten Gesetz zur Reform des Ehe- und Familienrechts (1. EheRG) das spätrömische Recht anerkannte sie. Gemeint ist die manus-freie (gewaltfreie) Ehe, die seit dem ersten Jahrhundert v. Chr. im römischen Recht die Regel war. Consortium omnis vitae, divini et humani juris communicatio. Die Definition der Ehe im römischen Recht (Modestinus, D. 23. 2. 1): „Nuptiae sunt coniuncto maris et feminae et consortium omnis vitae, divini et humani iuris communicatio.“ (Ehe ist die Verbindung von Mann und Frau zu völliger Lebensgemeinschaft und Gemeinsamkeit des göttlichen und menschlichen Rechts) die vielverschrieenen Pandekten. Die Digesten (auch Pandekten) waren Teil des von Kaiser Justinian 533/34 publizierten Gesetzeswerks „Corpus iuris civilis“ und enthielten eine Zusammenstellung von Auszügen aus den klassischen Schriften des römischen Rechts. Die Quellen zum Eherecht des „Corpus iuris civilis“ beziehen sich auf die manus-freie Ehe depravierend – (herab)mindernd (von lat.: depravare) mit denen Carpenters und Ellen Keys. Die Schriften Edward Carpenters (Wenn die Menschen reif zur Liebe werden, Leipzig 1902) und Ellen Keys (Über Liebe und Ehe, Berlin 1904) wurden Anfang des 20. Jahrhunderts in Deutschland viel und positiv rezipiert bis „die Menschen reif zur Liebe werden“. Eine Anspielung auf das Buch „Wenn die Menschen reif zur Liebe werden“ von Edward Carpenter

Reformgedanken zur sexuellen Moral Entstehung Aufsatz von Anita Augspurg für einen Sammelband zum Thema Ehereform aus dem Umkreis des „Bundes für Mutterschutz“, der vermutlich auf einer Serie von Vorträgen basiert: Ehe? Zur Reform der sexuellen Moral, Berlin 1911, S. 19–35.

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Kommentarteil

Erläuterungen divinatorischen – göttlichen in größter […]Abhängigkeit – im Originaltext Schreibfehler: „in größter Unabhängigkeit“ „der Wille, zu zweit ein Drittes zu schaffen, das höher sei als diese beiden“. Nietzsches Definition der Ehe lautet im Original: „Ehe: so heiße ich den Willen zu Zweien, das Eine zu schaffen, das mehr ist, als die es schufen. Ehrfurcht vor einander nenne ich Ehe als vor den Wollenden eines solchen Willens.“ (Friedrich Nietzsche: Also sprach Zarathustra. 1. Teil: Von Kind und Ehe) (Pardon, Herr Reichstagspräsident) einer Ledigensteuer. Das ironische „Pardon“ gegenüber dem Reichstagspräsidenten Hans Axel Tammo Graf von SchwerinLöwitz (1847–1918) spielt möglicherweise auf einen gegen diesen erhobenen Vorwurf an. Vorgeworfen wurde dem Präsidenten, er habe 1911 einen Antrag im Reichstag nur deshalb zurückgewiesen, weil darin ein Fremdwort enthalten gewesen sei Odium – übler Beigeschmack, Makel

Ein Protest zum Protest Entstehung Zeitungsartikel anlässlich des Ausschlusses der Frauen von einer Protestversammlung Berliner Künstler gegen die Zensurparagraphen der sogenannten Lex Heinze in: Frankfurter Zeitung und Handelsblatt Nr. 88 vom 30. 3. 1900, gezeichnet: „Dr. jur. Anita Augspurg (Gardone)“, nachgedruckt in: Die Frauenbewegung 8/1900, S. 59–60. Erläuterungen „Die Frauenbewegung“. Die Frauenbewegung. Revue für die Interessen der Frauen, hg. von Minna Cauer, Jg. 1–25 (1895–1919) Frau Minna Cauer. Die radikale Frauenrechtlerin und Pazifistin Minna Cauer (1841–1922); 1888 gründete sie den „Verein Frauenwohl, Berlin“ und blieb dessen Vorsitzende bis 1919. Von 1895 bis 1919 gab sie die Zeitschrift „Die Frauenbewegung“ heraus, dessen 25 Jahrgänge sie als ihr Lebenswerk betrachtete (vgl. auch Anm. S. 305) Lex Heinze. Die „Lex Heinze“ genannte Gesetzesvorlage zur Änderung des Reichsstrafgesetzbuches war am 6. Februar 1900 verabschiedet worden und hatte die Zuhälterei und die öffentliche Darstellung „unsittlicher“ Handlungen in Kunstwerken, Literatur und Theateraufführungen unter Strafe gestellt.

Anmerkungen

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Benannt war das Gesetz nach dem Berliner Ehepaar Heinze. Der Mordprozess gegen die Eheleute hatte einige Jahre zuvor eine öffentliche Diskussion über die Lebensverhältnisse von Prostituierten und Zuhältern ausgelöst und den Kaiser so schockiert, dass er gesetzliche Maßnahmen forderte Herrn Sudermann. Der Schriftsteller und Bühnenautor Hermann Sudermann (1857–1928), neben Gerhart Hauptmann (1862–1946) einer der wichtigsten Vertreter des Naturalismus durch den Fischerschen Verlag. Der 1886 gegründete S. Fischer Verlag S. Fischer. Der Verleger Samuel Fischer (1859–1934) gründete 1886 den S. Fischer Verlag in Berlin Helene Böhlau und Toni Rupprecht. Die Schriftstellerin Helene Böhlau, verh. al Raschid Bey (1856–1940); die Münchener Portraitmalerin Antonie (Toni) Rupprecht (1867–1956) Sabine Graef, Luise Dumont. Die Berliner Malerin Sabine Graef (1864–1942), später verh. Lepsius; die Schauspielerin und Theaterleiterin Louise Maria Heynen, Künstlerinnenname Luise (Louise) Dumont (1862–1932) Odium – übler Beigeschmack, Makel

Der letzte Akt der großen Posse Entstehung Ungezeichneter Leitartikel anlässlich der dritten Lesung der sogenannten Lex Heinze im deutschen Reichstag in der von Anita Augspurg redigierten Beilage der „Frauenbewegung“: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 7/1900, S. 25. Erläuterungen Die Lex Heinze. Die „Lex Heinze“ genannte Gesetzesvorlage zur Änderung des Reichsstrafgesetzbuches (vgl. Anm. S. 328) quantité négligeable – eine zu vernachlässigende Größe Der § 237a. § 237a des Gesetzesentwurfs betreffend Änderungen und Ergänzungen des Strafgesetzbuchs (sogenannte „Lex Heinze“) lautete: „Wer die Gesundheit einer Person dadurch gefährdet, dass er wissend, dass er mit einer ansteckenden Geschlechtskrankheit behaftet ist, außerehelich den Beischlaf ausübt, wird mit Gefängnis bis zu einem Jahre oder mit Geldstrafe bis zu eintausend Mark bestraft.“ (im Gesetz vom 25. 6. 1900 ersatzlos gestrichen) durch den Abgeordneten Wolfgang Heine. Der Jurist und Sozialdemokrat Wolfgang Heine (1861–1944), Mitglied des Deutschen Reichstages von 1898 bis 1918 237a – im Originaltext Schreibfehler: 327a

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Kommentarteil

die siegreiche Obstruktion der Linken. Mit ihrer Verzögerungs- und Verhinderungstaktik (Obstruktion) erreichten der Sozialdemokraten und die Linksliberalen während der dritten Lesung der „Lex Heinze“ im Deutschen Reichstag im März und im Mai 1900 durch lange Reden, zahlreiche Anträge und Anfragen und durch mehrmaligen Auszug der Fraktionen aus dem Plenarsaal vor Abstimmungen, dass u. a. der umstrittene „Theaterparagraph“ und der sogenannte „Schaufensterparagraph“ ersatzlos aus der Vorlage gestrichen wurden

Aus der deutschen Rechtspflege Entstehung Unter dem Titel „Aus der deutschen Rechtsprechung“ bzw. „Aus der deutschen Rechtspflege“ publizierte Augspurg von 1900–1903 insgesamt sechs ungezeichnete Kolumnen in der von ihr redigierten Beilage der „Frauenbewegung“. Der hier abgedruckte Text findet sich in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 16/1900, S. 62. Erläuterungen Vor wenigen Wochen berichteten wir. Berichtet wurde über den Prozess gegen den Hamburger Rechtsanwalt Dr. May jun., der wegen 93 Sittlichkeitsvergehen an Kindern zu einer Haftstrafe von 2 ½ Jahren verurteilt worden war: O. V.: Aus der deutschen Rechtsprechung: Hamburg, in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 11/1900, S. 43 ein Bericht der „Gleichheit“. „Die Gleichheit“ berichtete in ihrer Rubrik „Aus der Bewegung“ über den Fall in: Nr. 14 vom 4. Juli 1900, S. 110; Nr. 15 vom 18. Juli 1900, S. 118–119; Nr. 17 vom 15. 8. 1900, S. 135 Frau Tietz – gemeint ist die Sozialdemokratin Luise Zietz (1865–1922); in der „Gleichheit“ ist der Name richtig geschrieben die sistierte Rednerin – die Personalien der Rednerin wurden (auf der Wache) aufgenommen („sistiert“ – im polizeirechtlichen Sinne) vgl. die Beilage Nr. 10 v. 15. Mai d. J. Dort war über die Verhaftung dreier Aufseher im Altonaer Gerichtsgefängnis berichtet worden, denen Sittenvergehen an gefangenen Frauen vorgeworfen wurden (O.V.: Aus deutschen Gefängnissen, in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 10/1900, S. 37)

Anmerkungen

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Schweigen die Frauen? Entstehung Leitartikel der Herausgeberin anlässlich polizeilicher Übergriffe auf Frauen in den Städten Kiel und Hannover auf der Grundlage des § 361 Ziff. 6 RStG, abgedruckt in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 14/1902, S. 53. Erläuterungen § 361, 6 Strafgesetzbuch. § 361 Ziff. 6 des Reichsstrafgesetzbuches von 1871 lautete: „Mit Haft wird bestraft: eine Weibsperson, welche wegen gewerbsmäßiger Unzucht einer polizeilichen Aufsicht unterstellt ist, wenn sie den in dieser Hinsicht zur Sicherung der Gesundheit, der öffentlichen Ordnung und des öffentlichen Anstandes erlassenen polizeilichen Vorschriften zuwider handelt, oder welche, ohne einer solchen Aufsicht unterstellt zu sein, gewerbsmäßig Unzucht treibt.“ „Verein für Frauenstimmrecht“. Der „Deutsche Verein für Frauenstimmrecht“, gegründet am 2. Januar 1902 in Hamburg auf Initiative von Anita Augspurg, die bis 1911 auch das Amt der ersten Vorsitzenden übernahm

Beschwerdeschrift an die Stadt Weimar Entstehung In der Zeitschrift „Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung“ (22/1902, S. 85–86) und in der „Frankfurter Zeitung“ (Nr. 309 vom 7. 11. 1902) publizierter Beschwerdebrief Anita Augspurgs an den Gemeindevorstand der Stadt Weimar vom 2. November 1902, in dem sie sich zur Wehr setzt gegen Pressemitteilungen der Stadt anlässlich ihrer Verhaftung auf der Grundlage des § 361 Ziff. 6 RStG im Oktober 1902. Sie bezieht sich hier ferner auf ein nicht publiziertes Schreiben der Stadt Weimar vom 27. Oktober 1902. Erläuterungen Auf das unter dem Aktenzeichen No. 4347 P. mir zugegangene Schreiben vom 27. Oktober d. J. des Gemeindevorstandes von Weimar. Das Schreiben ist nicht publiziert als vom Oberbürgermeister von Weimar herrührend in der Presse veröffentlichte Darstellung meiner Verhaftung in Weimar. Bekanntmachung vom 30. 10. 1902, abgedruckt in: Der Fall Augspurg in anderer Beleuchtung, in: Die Post Nr. 572 vom 31. 10. 1902

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Kommentarteil

durch den Schutzmann Haldrich. Vorname und Lebensdaten nicht ermittelt „rektif izieren“ – hier im Sinne von: zurechtweisen, abmahnen „Diese Frechheit geht noch über Wiesbaden“. Gemeint ist: … geht noch über den Übergriff des Schutzmanns im „Fall Wiesbaden“ hinaus. In Wiesbaden war einige Wochen zuvor die Frauenrechtlerin Frau von Decker verhaftet worden, als sie dort einen Frauenkongress besuchte § 361, 6 RStGB. Zu § 361 Ziff. 6 des Reichsstrafgesetzbuches von 1871 vgl. Anm. S. 331

Sittlichkeitsfrage und Rechtsschutz Entstehung Fünfter Teil einer sechsteiligen Artikelserie von Anita Augspurg über die Frauenbewegung in der Wiener Wochenzeitung „Die Zeit. Wochenschrift für Politik, Volkswirtschaft, Wissenschaft und Kultur“, Nr. 460 vom 25. 7. 1903, S. 202–204, gezeichnet mit: „Kloster Schäftlarn – Jur.-Dr. Anita Augspurg.“ Erläuterungen auf dem Boden der „Internationalen abolitionistischen Förderation“. Die von Josephine Butler 1875 in Genf gegründete „Internationale abolitionistische Föderation“. Ziel der IAF war die Abschaffung der Reglementierung der Prostitution .Josephine Butler. Die englische Frauenrechtlerin und Sozialreformerin Josephine Elizabeth Butler (1828–1906), Gründerin und langjährige Vorsitzende der „Internationale abolitionistischen Förderation“ Es ist ihr gelungen, in ihrem Vaterland England die gänzliche Aufhebung der Reglementierung herbeizuführen. Die englischen Reglementierungsgesetze („Contagious Diseases Acts“) wurden aufgrund der von Josephine Butler geleiteten Kampagne der „Ladies National Association for the Abolition of the State Regulation of Vice“ 1883 suspendiert und 1886 aufgehoben Seit dem Jahre 1898, als der erste deutschen Zweigverein sich in Hamburg konstituierte. 1898 hatte Anita Augspurg auf dem Kongress der IAF in London deren Vorsitzende Josephine Butler kennengelernt. Butler hatte ihr das Versprechen abgenommen, in Deutschland Zweigvereine der Föderation ins Leben zu rufen, was Augspurg umgehend in die Wege leitete. Vorsitzende des Hamburger Zweigvereins wurde 1898 Lida Gustava Heymann, in Berlin übernahm 1899 Anna Pappritz die organisatorische Arbeit Hanna Bieber-Böhm. Die Malerin und Frauenrechtlerin Hanna Bieber-Böhm (1851–1910) gründete 1893 den Verein „Jugendschutz“ und war Mitglied des

Anmerkungen

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„Allgemeinen deutschen Frauenvereins“. Sie gehörte zu den Gründungsmitgliedern und zum ersten Vorstand des „Bundes deutscher Frauenvereine“ und thematisierte dort als erste das Thema Prostitution. Die Abschaffung der Reglementierung der Prostitution war eines ihrer Hauptanliegen, anders als die Abolitionistinnen forderte sie allerdings die Bestrafung aller Beteiligten Die Professoren Max Gruber, Dr. Marbacher und andere. Der österreichische Mediziner und Hochschullehrer Max von Gruber (1853–1927), einer der Begründer der modernen Hygiene. Sein Standardwerk „Hygiene des Geschlechtslebens“ erschien 1903; Dr. Marbacher – nicht ermittelt Vorträgen Frl. Dr. Käthe Schirmachers. Die Frauenrechtlerin, Schriftstellerin und Journalistin Käthe Schirmacher (1865–1930) studierte nach einer Lehrerinnenausbildung Sprachen in Paris und ging 1893 zusammen mit Anita Augspurg nach Zürich, um dort zu promovieren. Zu ihren bekanntesten Büchern gehörten der Roman „Halb“, die Schriften „Züricher Studentinnen“ (1896) und „Die Suffragettes“ (1912). Käthe Schirmacher gehörte zu den Gründerinnen des „Vereins für Frauenstimmrecht“ (1902) und solidarisierte sich mit den radikalen englischen Suffragetten. Differenzen in der Stimmrechtsfrage und Schirmachers spätere Kriegsbegeisterung führten zu einem Ende der Freundschaft und politischen Zusammenarbeit mit Anita Augspurg. 1919 wurde Käthe Schirmacher als Vertreterin der „Deutschen Nationalen Volkspartei“ in die verfassunggebende „Deutsche Nationalversammlung“ gewählt für den endgültigen Erfolg – im Originaltext: „endgiltigen“ wurde die erste in Dresden gegründet. Der erste deutsche Frauenrechtschutzverein wurde im Januar 1894 von der Schauspielerin und Frauenrechtlerin Marie Stritt (1855–1928) und anderen Frauen in Dresden gegründet; ob auch Anita Augspurg an der Gründung beteiligt war, lässt sich nicht sicher sagen von denen 18 zu einer Kartellverbindung mit einer Zentrale in Berlin zusammengetreten sind. Die von der Juristin Marie Raschke (1850–1935) am 1. Oktober 1900 in Berlin gegründete „Vereins-Zentralstelle für Rechtsschutz“ Der erste Bericht der „Zentrale deutscher Rechtsschutzstellen für Frauen“ spricht von 3947 im Jahre erledigten Fällen. Marie Raschke: Generalbericht der Centrale deutscher Rechtsschutzstellen für Frauen, in: Die Frauenbewegung 12/1902, S. 92–93 Die Rechtskommission des „Bundes deutscher Frauenvereine“. Die Rechtskommission konstituierte sich, nicht zuletzt auf Initiative von Anita Augspurg, im März 1896 auf der ersten Generalversammlung des ein Jahr zuvor gegründeten „Bundes deutscher Frauenvereine“. Ihre erste Aufgabe war die Agitation gegen den Entwurf des Bürgerlichen Gesetzbuches

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Kommentarteil

Wieder ein Schlag ins Antlitz der Frau Entstehung Ungezeichneter Leitartikel in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 3/1905, S. 5. Dieser Artikel bildete den Auftakt zu einer Serie von drei weiteren Leitartikeln, die sich unter dem Titel „Das Altonaer Schwurgerichtsurteil“ mit demselben Thema beschäftigten: mit der Gruppenvergewaltigung eines minderjährigen Dienstmädchens und mit dem Freispruch der geständigen Täter (vgl. S. 176–187 in diesem Band). Erläuterungen den in Nr. 23 v. J. behandelten Fall Frieda Keller in St. Gallen und die vom „Bunde Schweizer Frauenvereine“ gefasste Resolution. O. V. [Anita Augspurg]: Die Strafjustiz und die Frauen in der Schweiz, in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 23/1904, S. 67; in dem Artikel wird über den Fall einer jungen Schweizerin berichtet, die aus Angst vor der Schande ihr uneheliches Kind kurz nach der Geburt getötet hatte und zum Tode verurteilt worden war. Eine Resolution des „Bundes Schweizer Frauenvereine“ zu dem Fall wird in dem Artikel zitiert § 176 [R]StGB. § 176 RStGB vom 15. Mai 1871: „Mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren wird bestraft, wer 1. mit Gewalt unzüchtige Handlungen an einer Frauensperson vornimmt oder dieselbe durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben zur Duldung unzüchtiger Handlungen nötigt, 2. eine in einem willenlosen oder bewusstlosen Zustande befindliche oder eine geisteskranke Frauensperson zum außerehelichen Beischlafe missbraucht, oder 3. mit Personen unter vierzehn Jahren unzüchtige Handlungen vornimmt oder dieselben zur Verübung oder Duldung unzüchtiger Handlungen verleitet. Sind mildernde Umstände vorhanden, so tritt Gefängnisstrafe nicht unter sechs Monaten ein. Die Verfolgung tritt nur auf Antrag ein, welcher jedoch, nachdem die förmliche Anklage bei Gericht erhoben worden, nicht mehr zurückgenommen werden kann.“ Frau Regina Ruben in Hamburg. Regina Ruben (geb. 1859), Dolmetscherin und Übersetzerin, Mitglied des „Deutschen Vereins für Frauenstimmrecht“ in Hamburg, später in Berlin Der „Verband Fortschrittlicher Frauenvereine“. Der „Verband Fortschrittlicher Frauenvereine“, gegründet am 6. Oktober 1899 in Berlin als überregionale Dachorganisation der Vereine des radikalen Flügels der bürgerlichen Frauenbewegung in Hamburg im Saal Sagebiel. „Sagebiels Fährhaus“ im Hamburger Stadtteil Blankenese

Anmerkungen

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Das Altonaer Schwurgerichtsurteil Entstehung Ungezeichnete Artikelserie anlässlich des Freispruchs von vier geständigen Angeklagten vom Tatvorwurf der Vergewaltigung durch ein Hamburger Schwurgericht, abgedruckt in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 4/1905, S. 7–8; 5/1905, S. 9; 6/1905, S. 11–12 Erläuterungen Zu der in voriger Nummer kurz berichteten „Blankeneser Notzuchtsaffäre“. Gemeint ist der Artikel: O. V. [Anita Augspurg]: Wieder ein Schlag ins Antlitz der Frau, in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung Nr. 3 vom 1. Februar 1905, S. 5 (Vgl. S. 174–175 in diesem Band) Frau Ruben. Regina Ruben (geb. 1859), Dolmetscherin und Übersetzerin, Mitglied des „Deutschen Vereins für Frauenstimmrecht“ in Hamburg, später in Berlin der Sagebielsche Saal. „Sagebiels Fährhaus“ im Hamburger Stadtteil Blankenese der „Verband Fortschrittlicher Frauenvereine“. Der „Verband Fortschrittlicher Frauenvereine“, gegründet am 6. Oktober 1899 in Berlin als überregionale Dachorganisation der Vereine des radikalen Flügels der bürgerlichen Frauenbewegung der „Deutsche Verband für Frauenstimmrecht“. Der „Deutsche Verein für Frauenstimmrecht“, gegründet am 2. Januar 1902 in Hamburg, seit 1904 „Deutscher Verband für Frauenstimmrecht“ der „Deutsche Zweig der I[nternationalen] A[bolitionistischen] Föderation“ [Schreibweise im Original: I.A.-Föderation.]. Vorsitzende des 1898 gegründeten Hamburger Zweigvereins der Föderation war Lida Gustava Heymann, die Berliner Gruppe leitete Anna Pappritz der „Bund deutscher Frauenvereine“. Der 1894 unter Ausschluss der Arbeiterinnenvereine gegründete „Bund deutscher Frauenvereine“ (BDF) war bis 1933 Dachverband der bürgerlichen Frauenorganisationen in Deutschland die Ortsgruppe Hamburg des „Allgemeinen deutschen Frauenvereins“. Der „Allgemeine deutsche Frauenverein“ (ADF), anlässlich einer Frauenkonferenz von Louise Otto-Peters und Auguste Schmidt in Leipzig gegründet, seit 1918 „Deutscher Staatsbürgerinnen Verband“, war der erste deutsche Frauenverein Frau Helma Steinbach. Lebensdaten nicht ermittelt die Redaktion würde auch unfehlbar nach § 184 b des Strafgesetzbuchs wegen Abdrucks dieser Worte unter Anklage gestellt. § 184b RStGB (in der Fassung vom 14. Juli 1900): „Mit Geldstrafe bis zu dreihundert Mark oder mit Gefängnis bis zu sechs Monaten wird bestraft, wer aus Gerichtsverhandlungen, für wel-

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Kommentarteil

che wegen Gefährdung der Sittlichkeit die Öffentlichkeit ausgeschlossen war, oder aus den diesen Verhandlungen zu Grunde liegenden amtlichen Schriftstücken öffentlich Mitteilungen macht, welche geeignet sind, Ärgernis zu erregen.“ Das „Hamburger Echo“ wird angeklagt und zweifelsohne verurteilt, weil es unter Veröffentlichung der Namen der Geschworenen deren Urteil kritisiert und als „Klassenurteil“ bezeichnet hat. Die „Berliner Volkszeitung“ berichtete später von einer Geldstrafe von 600,00 Mark für den verantwortlichen Redakteur: Die Affäre Anita Augspurg vor Gericht, in: Nr. 258 (Abendblatt) vom 3. 6. 1905, S. 3 ein Urteil der herrschenden Klasse Mann gegen die rechtlose Klasse Weib. Die Bezeichnung der Frauen als rechtlose Klasse übernahm Augspurg von Hedwig Dohm. Dohm nannte in „Der Frauen Natur und Recht“ (Berlin 1876, S. 165) die Frauen eine „Klasse, die am politischen Leben unbeteiligt ist“ und deshalb „unterdrückt wird“ die equilibristischen Interpretationskünste. Ironisch: die zirkusreife Hochseilartistik der gerichtlichen Interpretationskünste Volenti non fit injuria – wörtlich: dem Einwilligenden geschieht kein Unrecht. Gemeint ist der Rechtsgrundsatz, dass eine rechtfertigende Einwilligung des Verletzten die Rechtswidrigkeit der Rechtsverletzung heilt (im Originaltext Schreibfehler: „unjuria“) welche § 361, 6 [RStGB] als Schutzwall der öffentlichen Sittlichkeit hochhält. Zum Wortlaut des § 361 Ziff. 6 RStGB vgl. Anm. S. 331 von der Vorsitzenden Frl. Bonfort. Die Hamburger Journalistin („Hamburgischer Correspondent“) und Frauenrechtlerin Helene Bonfort, Vorsitzende der Hamburger Ortsgruppe des „Allgemeinen deutschen Frauenvereins“ die zu Anfang des Artikels (in Nr. 4) abgedruckte Resolution. Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 4/1905, S. 8: „Die Versammlung spricht der gesamten bürgerlichen Presse Hamburg-Altonas ihre Entrüstung aus, dass sie das Urteil des Hamburger Schwurgerichts so kritiklos hingenommen hat.“ wie z. B. das „Fremdenblatt“. Das „Hamburger Fremdenblatt“ (Hamburg 1863– 1954), aufgegangen im „Hamburger Abendblatt“. die grenzenlose Wut der „Hamburger Nachrichten“. O. V.: Frauenrechtlerinnen und Schwurgericht, in: Hamburger Nachrichten Nr. 97 vom 8. 2. 1905; W. F.: Frauenrechtlerinnen und Schwurgericht, in: Hamburger Nachrichten Nr. 104 vom 10. 2. 1905, S. 3 Byzantinismus. gewohnheitsmäßige Unterwürfigkeit bei gleichzeitiger Betonung äußerlicher Rangunterschiede Hansametropole – Hansemetropole Odium – übler Beigeschmack, Makel

Anmerkungen

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Anhang: Verhandlungen des Reichstages, 220. Sitzung am 22. November 1902, polizeiliche Missgriffe betreffend Entstehung Anlass für die Reichstagsdebatte zu § 361 Ziff. 6 RStG war nicht zuletzt die Verhaftung von Anita Augspurg im Oktober 1902 in Weimar. Die Debatte führte nicht zu einer Gesetzesänderung, dokumentierte jedoch das wachsende öffentliche Unbehagen mit der gegebenen Gesetzeslage. Augspurg veröffentlichte Auszüge aus der Debatte in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 1/1903, S. 2–3; 2/1903, S. 6–7; 3/1903, S. 10–11. Erläuterungen Verhandlungen des Reichstages, 220. Sitzung am 22. November 1902, polizeiliche Missgriffe betreffend. Abgedruckt sind Auszüge aus dem Protokoll der Sitzung vom 22. 11. 1902. Die Sitzung ist vollständig dokumentiert in: Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Reichstags, II. Session 1900/1903, Bd. 7, Berlin 1903, S. 6523–6560 Abgeordneter Dr. Heine. Der Jurist und Sozialdemokrat Wolfgang Heine (1861– 1944), Mitglied des Deutschen Reichstages von 1898 bis 1918 zunächst der der Frau Rappaport in Altona. Über den Fall wird berichtet in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 22/1902, S. 86–87 (Schreibweise dort: „Frau Rapeport“) ist aus Kiel gemeldet worden und in den Zeitungen am 29. Oktober gebracht worden. Über den Fall berichtete Anita Augspurg in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 22/1902, S. 86 Abgeordneter Dr. Oertel. Der Philologe, Lehrer und konservative Politiker Georg Oertel (1856–1916), Herausgeber der „Deutschen Tageszeitung“, Mitglied des Deutschen Reichstags von 1898–1904 („Bund der Landwirte“) und von 1912–1916 („Deutschkonservative Partei“) Was die beiden Frauenrechtlerinnenfälle anbelangt, die Fälle der Frau von Decker und des Fräulein Dr. jur. Anita Augspurg. „Die Frauenbewegung“ berichtete über beide Fälle kurz in: 20/1902, S.154, Fn. ** (Fall Wiesbaden/von Decker); 21/1902, S. 163 (Fall Weimar/Augspurg) Abgeordneter Bebel. Der Sozialdemokrat Ferdinand August Bebel (1840–1913), einer der Gründungsväter der SPD, Autor von „Die Frau und der Sozialismus“ (1879), Mitglied des Deutschen Reichstags von 1871 bis 1913 (mit Unterbrechung von einem Jahr) Ich habe hier die Erklärung des Fräulein Dr. Anita Augspurg, die sie am 7. November d J. in der „Frankfurter Zeitung“ veröffentlicht hat. Beschwerdeschrift von Dr. jur. Anita Augspurg an den Gemeindevorstand der Großherzoglichen Sächsi-

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Kommentarteil

schen Haupt- und Residenzstadt Weimar, in Frankfurter Zeitung Nr. 309 vom 7. 11. 1902 (vgl. S. 166–169 in diesem Band) Präsident. Der preußische Offizier und Politiker Graf Franz Karl Wolfgang Ludwig Alexander von Ballestrem (1834–1910), Gutsbesitzer und Industrieller in Schlesien, Präsident des Deutschen Reichstags von 1898 bis 1906 Dr. Paulssen. Der Jurist und Politiker (DDP) Arnold Rudolf Otto Paulssen (1864–1942), Landrichter in Weimar, stellvertretender Bevollmächtigter im Bundesrat für das Großherzogtum Sachsen-Weimar und als solcher beauftragt, eine Stellungnahme des Großherzogtums zum Weimarer „Fall Augspurg“ abzugeben. Gewähltes Mitglied des Deutschen Reichstags war Paulssen nicht Dr. Müller (Meiningen). Der Jurist und freisinnige Politiker Ernst MüllerMeiningen (1866–1944), Mitglied des deutschen Reichtags von 1898 bis 1918 der Herr Kollega – der Herr Kollege (Abgeordnete), die lateinische Form ist hier ironisches Zitat einer Anredeform unter Akademikern dass diese Polizeiverordnung rechtsungültig ist – im Originaltext: „rechtsungiltig“ Vexationen – Schikanen (engl.: vexation)

Das eine, was Not tut Entstehung Leitartikel von Anita Augspurg anlässlich von aktuellen Auslegungen des § 8a der preußischen Verordnung über die Verhütung eines die gesetzliche Freiheit und Ordnung gefährdenden Missbrauchs des Versammlungs- und Vereinigungsrechtes durch die örtliche Polizei, abgedruckt in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 16/1900, S. 61–62. Erläuterungen § 361, 6 des Strafgesetzbuches. § 361 Ziff. 6 RStGB: „Mit Haft wird bestraft: eine Weibsperson, welche wegen gewerbsmäßiger Unzucht einer polizeilichen Aufsicht unterstellt ist, wenn sie den in dieser Hinsicht zur Sicherung der Gesundheit, der öffentlichen Ordnung und des öffentlichen Anstandes erlassenen polizeilichen Vorschriften zuwider handelt, oder welche, ohne einer solchen Aufsicht unterstellt zu sein, gewerbsmäßig Unzucht treibt.“ unsere ersten Agitatorinnen Rahel Levin, Bettina von Arnim, Luise Otto-Peters. Die Schriftstellerinnen der Romantik: Rahel Varnhagen von Ense, geb. Levin (1771–1833) und Bettina von Arnim (1785–1859); die Schriftstellerin, Journalistin und Frauenrechtlerin Louise (Luise) Otto, verh. Otto-Peters (1819– 1895)

Anmerkungen

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[…]missbraucht – im Originaltext: „gemissbraucht“ § 8 des preußischen Vereinsgesetzes. § 8 der Preußischen Verordnung über die Verhütung eines die gesetzliche Freiheit und Ordnung gefährdenden Missbrauchs des Versammlungs- und Vereinigungsrechtes vom 11. März 1850 (umgangssprachlich: Preußisches Vereinsgesetz) lautete: „Für Vereine, welche bezwecken, politische Gegenstände in Versammlungen zu erörtern, gelten […] nachstehende Beschränkungen: a) Sie dürfen keine Frauenspersonen, Schüler und Lehrlinge als Mitglieder aufnehmen; b) […] Frauenspersonen, Schüler und Lehrlinge dürfen den Versammlungen und Sitzungen solcher politischen Vereine nicht beiwohnen.“ § 152 der Reichsgewerbeordnung. § 152 Satz 1 der Gewerbeordnung für das Deutsche Reich vom 21. Juni 1869 (in der Fassung der Bekanntgabe des Reichskanzlers vom 26. Juli 1900) lautete: „Alle Verbote und Strafbestimmungen gegen Gewerbetreibende, gewerbliche Gehilfen, Gesellen oder Fabrikarbeiter wegen Verabredungen und Vereinigungen zum Behufe der Erlangung günstiger Lohn- und Arbeitsbedingungen, insbesondere mittelst Einstellung der Arbeit oder Entlassung der Arbeiter werden aufgehoben.“ [„Behufe“ – veraltet für „Zwecke“] nach Nr. 18 des „Correspondenzblattes der Gewerkschaften Deutschlands“. Correspondenzblatt der Generalkommission der Gewerkschaften Deutschlands Nr. 18 vom 7. Mai 1900, Rubrik „Justiz“, S. 14 dem „Vorwärts“ zufolge. O. V.: Verband der in Buchbindereien e[t]c. beschäftigten Arbeiter und Arbeiterinnen Deutschlands, in: Vorwärts Nr. 89 vom 18. 4. 1900, 1. Beilage (Berliner Volksblatt), Titelseite In Posen wurden Anfang April. Das „Correspondenzblatt“ berichtete über den Vorfall in Nr. 17 vom 30. April 1900, Rubrik „Justiz“, S. 14 Posen, den 19. April 1900. Das Schreiben ist abgedruckt in: Vorwärts Nr. 96 vom 26. 4. 1900, S. 4 und in: Correspondenzblatt der Gewerkschaften Deutschlands Nr. 19 vom 14. 5. 1900 Entscheidung des Reichsgerichts vom 11. November 1887. Gemeint ist die Entscheidung vom 10. November (Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen, Leipzig 1888, Nr. 119 vom 10. 11. 1887, S. 383–387) von Hellmann. Der Jurist Hans von Hellmann (1857–1917), seit 1897 Polizeipräsident in Posen das zitierte „Correspondenzblatt“ bezeichnet. O. V.: Das Koalitionsrecht der Frauen, in: Correspondenzblatt der Generalkommission der Gewerkschaften Deutschlands Nr. 19 vom 14. Mai 1900, S. 16 der „Vorwärts“ führt den Gedankengang des Polizeihauptes weiter aus. Vorwärts Nr. 96 vom 26. 4. 1900, S. 4 zu dem Behuf – veraltet für: zu dem Zweck

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Das „Correspondenzblatt“ nennt diese Deutung. Correspondenzblatt der Generalkommission der Gewerkschaften Deutschlands Nr. 29 vom 23. Juli 1900, Rubrik „Justiz“, S. 15–16 Mandarinen – Mandarine: europäische Bezeichnung für Staatsbeamte im kaiserlichen China

Das Abbröckeln des preußischen Vereinsgesetzes Entstehung Artikel von Anita Augspurg anlässlich von aktuellen Auslegungen des preußischen Vereinsrechts durch den preußischen Innenminister und örtliche Polizeibehörden, abgedruckt in: Die Kultur, Heft 6 vom 2. September 1902, S. 338– 345, gezeichnet mit: „Kloster Schäftlarn (Oberbayern), Dr. jur. Anita Augspurg“. Erläuterungen Der gegenwärtige Minister des Innern in Preußen, Freiherr von Hammerstein-Loxten. Der Jurist und Politiker Hans Christian Friedrich Wilhelm Freiherr von Hammerstein-Loxten (1843–1905), preußischer Innenminister von 1901 bis 1905 Vereinsgesetz vom Jahre 1850. Das sogenannte preußische Vereinsgesetz (in Kraft bis 1908) war zumindest dem Namen nach eine Verordnung: Verordnung über die Verhütung eines die gesetzliche Freiheit und Ordnung gefährdenden Missbrauchs des Versammlungs- und Vereinigungsrechtes vom 11. März 1850 an dem Paragraphen 8 a. § 8 a der Preußischen Verordnung über die Verhütung eines die gesetzliche Freiheit und Ordnung gefährdenden Missbrauchs des Versammlungs- und Vereinigungsrechtes vom 11. März 1850 (umgangssprachlich: Preußisches Vereinsgesetz) lautete: „Für Vereine, welche bezwecken, politische Gegenstände in Versammlungen zu erörtern, gelten […] nachstehende Beschränkungen: a) Sie dürfen keine Frauenspersonen, Schüler und Lehrlinge als Mitglieder aufnehmen.“ „Gesellschaft für soziale Reform“. Die 1901 in Berlin gegründete „Gesellschaft für soziale Reform“, ein Zusammenschluss von Sozialreformern unter dem Vorsitz des Juristen und preußischen Politikers Hans Hermann Freiherr von Berlepsch (1843–1926) Frl. Helene Simon-Berlin, unsere geschätzte Mitarbeiterin (vergl. Heft 3 der „Kultur“). Der Beitrag „Kultur und Kinderarbeit“ der Berliner Autorin Helene Simon ist abgedruckt in: Die Kultur 3/1902, S. 139–144 gemäß dem aus § 152 der Gewerbeordnung ihnen zustehenden Recht. Gemeint ist das Recht der Koalitionsfreiheit. § 152 Satz 1 der Gewerbeordnung für

Anmerkungen

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das Deutsche Reich vom 21. Juni 1869 (in der Fassung der Bekanntgabe des Reichskanzlers vom 26. Juli 1900) lautete: „Alle Verbote und Strafbestimmungen gegen Gewerbetreibende, gewerbliche Gehilfen, Gesellen oder Fabrikarbeiter wegen Verabredungen und Vereinigungen zum Behufe der Erlangung günstiger Lohn- und Arbeitsbedingungen, insbesondere mittelst Einstellung der Arbeit oder Entlassung der Arbeiter werden aufgehoben.“ [„Behufe“ – veraltet für „Zwecke“] denn die wiederholte unbeanstandete Anwesenheit von Frauen auf der Generalversammlung des „Bundes der Landwirte“ im Zirkus Busch wurde dieses Jahr zum Gegenstand der Erörterung im Preußischen Abgeordnetenhause gemacht. Am 22. 2., am 24. 2. und am 4. 3. 1902 (vgl. Stenographische Berichte über die Verhandlungen des preußischen Hauses der Abgeordneten, 2. Bd., Berlin 1902, Sp. 221–222 und Sp. 2253; 3. Bd., Berlin 1902, Sp. 2685–2686) dass sie „ohne sich mit den Männern zu vermischen“ in „getrennten Segmenten“ säßen. Wörtlich forderte der Minister am 24. 2. 1902 im preußischen Abgeordnetenhaus „ein besonderes Segment“ für die Frauen und erklärte, dass die „Vermischung von Männern und Frauen“ nicht „zulässig“ sei der freisinnige Abgeordnete Dr. Wiemer. Der Jurist und liberale Politiker Otto Wiemer (1868–1931), Mitglied des Deutschen Reichstages und des Preußischen Abgeordnetenhauses von 1898 bis 1918 Das Berliner Polizeipräsidium hat off iziell erklärt. Auf eine Beschwerde des sozialdemokratischen Maurers Paul Hoffmann hatte der Polizeipräsident am 23. 4. 1902 geantwortet, er habe Anweisung erteilt, in polizeilich überwachten Versammlungen von der Befugnis, die Entfernung der Frauen zu verlangen, dann keinen Gebrauch zu machen, wenn die Rolle der Frauen als bloße „Zuschauerinnen“ durch räumlich getrennte Plätze äußerlich sichtbar hervortrete (Vorwärts, 26. 4. 1902, Titelseite) zu der im Preußischen Landtage am 5. Mai verhandelten Petition des „Landesvereins preußischer Volksschullehrerinnen“. Petition von Elisabeth Schneider in Berlin (Landesverein preußischer Volksschullehrerinnen) um Änderung des Vereinsgesetzes (Zulassung von Frauen zu politischen Vereinen) nachdem er noch am 24. April im Abgeordnetenhause erklärt hatte. In der Sitzung vom 24.4.1902 (vgl. Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Preußischen Hauses der Abgeordneten, 4. Bd., Sp. 4843) hat aber der Minister mit aller Schärfe am 5. Mai. In seiner Rede vom 5. Mai 1902 sagte der Minister u. a.: „… diesen Schmerz will ich den Frauen nicht ersparen. Ich will nicht, dass sie in politischen Versammlungen mitreden.“ (Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Preußischen Hauses der Abgeordneten, 5. Bd., Berlin 1902, Sp. 5310–5320)

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Kommentarteil

ein Polizeischreiben bezüglich eines Frühlingsvergnügens. Über das mit Verfügung vom 31. Mai 1902 verbotene Frühlingsvergnügen in Danzig berichtete der „Vorwärts“ in: Nr. 31 vom 8. Juni 1902, S. 2 als […] [die] Beseitigung – im Originaltext: „als durch Beseitigung“ seinen Ausführungen hinsichtlich eines Versammlungsverbotes in Posen. In seiner Rede vom 7. Mai 1902 vor dem preußischen Abgeordnetenhaus zum Thema Auflösung von Versammlungen in Rybnik und in der Provinz Posen wegen des Gebrauchs der polnischen Sprache argumentierte der Minister, bei Duldung solcher Versammlungen bestünde die Gefahr, dass das Recht der deutsch sprechenden Preußen „verkümmert“ werde eine bessere Kenntnis des reichsländischen als des preußischen Vereinsgesetzes. Das Verwaltungsgebiet Elsass-Lothringen wurde von 1871 bis 1918 als „Reichsland“ bezeichnet. Das reichsländische Vereinsrecht war geregelt im Gesetz vom 1. Juli 1901. Der Preußische Innenminister hatte in seiner Rede vom 7. Mai 1902 auf einen polizeirechtlich relevanten Unterschied zwischen privater und öffentlicher Vereinstätigkeit abgestellt

Das Wahlrecht der Frauen zu den Gewerbegerichten Entstehung Artikel in der „Frauenbewegung“ (3/1898, S. 26–27), der Differenzen in Fragen der politischen Taktik zwischen Sozialistinnen und bürgerlichen Frauenrechtlerinnen thematisiert. Die Verfasserin ist um einen sachlichen Ton bemüht, indirekt geht es hier aber vermutlich auch um eine Antwort auf Polemiken der Herausgeberin der „Gleichheit“ Clara Zetkin gegen die bürgerliche „Frauenrechtelei“. Erläuterungen Nach Nr. 1 dieses Jahrganges der „Gleichheit“. Gemeint ist der Artikel: „Aus der Bewegung“, in: Die Gleichheit 1/1898, S. 3 („Die Gleichheit“, hg. von Clara Zetkin, war von 1892–1923 das Organ der sozialdemokratischen Frauenbewegung) in der Gewerbeordnung vom 6. August 1896. Die Gewerbeordnung (GewO) für das Deutsche Reich vom 21. Juni 1869 in der Fassung seit Erlass der Novelle vom 6. August 1896 Gesetz betreffend die Errichtung von Gewerbegerichten von 1890. Gesetz betreffend die Gewerbegerichte vom 29. Juli 1890 Gerichtsverfassungsgesetze vom 27. Januar 1877. Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) vom 27. Januar 1877 (Deutsches Reich)

Anmerkungen

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Das Gesetz betreffend Gewerbegerichte sagt in § 10. § 10 Gesetz betreffend die Gewerbegerichte (vom 29. Juli 1890): „Zum Mitgliede eines Gewerbegerichts soll nur berufen werden, wer das dreißigste Lebensjahr vollendet, in dem der Wahl vorangegangenen Jahre für sich oder seine Familie Armenunterstützung aus öffentlichen Mitteln nicht empfangen oder die empfangene Armenunterstützung erstattet hat und in dem Bezirke des Gerichts seit mindestens zwei Jahren wohnt oder beschäftigt ist. Personen, welche zum Amt eines Schöffen unfähig sind (Gerichtsverfassungsgesetz §§ 31, 32) können nicht berufen werden.“ [Das Gesetz betreffend Gewerbegerichte sagt in] § 13. § 13 Satz 1 und 2 Gesetz betreffend die Gewerbegerichte: „Zur Teilnahme an den Wahlen (§ 12) ist nur berechtigt, wer das fünfundzwanzigste Lebensjahr vollendet und seit mindestens einem Jahre in dem Bezirke des Gewerbegerichts Wohnung oder Beschäftigung hat. Die im § 10 Absatz 2 bezeichneten Personen sind nicht wahlberechtigt.“ Der herangezogene § 32 des Gerichtsverfassungsgesetzes lautet. § 32 GVG (vom 27. Januar 1877): „Unfähig zu dem Amte eines Schöffen sind: 1. Personen, welche die Befähigung infolge strafgerichtlicher Verurteilung verloren haben; 2. Personen, gegen welche das Hauptverfahren wegen eines Verbrechens oder Vergehens eröffnet ist, das die Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte oder der Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter zur Folge haben kann; 3. Personen, welche infolge gerichtlicher Anordnung in der Verfügung über ihr Vermögen beschränkt sind.“ Nachdem im Gesetze betreffend die Gewerbegerichte gesagt wird, dass „Arbeiter“ im Sinne dieses Gesetzes ist, wer nach Titel VII der Gewerbeordnung als solcher bezeichnet ist, also: „Gesellen, Gehilfen, Lehrlinge, Betriebsbeamte, Werkmeister, Techniker, Fabrikarbeiter“. § 2 Satz 1 Gesetz betreffend die Gewerbegerichte (vom 29. Juli 1890): „Als Arbeiter im Sinne dieses Gesetzes gelten diejenigen Gesellen, Gehülfen, Fabrikarbeiter und Lehrlinge, auf welche der siebente Titel der Gewerbeordnung Anwendung findet.“ Titel VII der GewO für das Deutsche Reich in der Fassung vom 6. August 1896 hat die Überschrift: „Gewerbliche Arbeiter (Gesellen, Gehülfen, Lehrlinge, Fabrikarbeiter)“ wie in dem auch in der „Gleichheit" zitierten § 120 Absatz 3. Die Gleichheit zitiert wie folgt: „Durch statuarische Bestimmung einer Gemeinde kann für männliche Arbeiter unter 18 Jahren die Verpflichtung zum Besuch einer Fortbildungsschule begründet werden.“ ( Nr. 1 vom 5. 1. 1898, S. 3) wie im gleichen § 120 Abs. 2. § 120 II GewO: „Als Fortbildungsschulen im Sinne dieser Bestimmung gelten auch Anstalten, in welchen Unterricht in weiblichen Hand- und Hausarbeiten erteilt wird.“

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dass der Antrag „Eberty“ zu § 12 des Gesetzes abgelehnt wurde: „Das Geschlecht macht hinsichtlich des Rechtes zur Teilnahme an den Wahlen der Beisitzer (§ 11) keinen Unterschied.“ Antrag des freisinnigen Berliner Politikers Eduard Eberty (1840–1894): Drucksache Nr. 163, in: Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Reichstages, 1. Anlageband, Berlin 1890, S. 550 wie man in den Verhandlungen von 1890 mit Fug und Recht tat. Der Entwurf eines Gesetzes betreffend die Gewerbegerichte wurde im Deutschen Reichstag verhandelt am 9. Mai sowie am 14., 27., 28. Juni 1890

Doch nicht! Entstehung Ein weiterer Artikel in der „Frauenbewegung“ (5/1898, S. 55), in dem es um die Auseinandersetzung mit sozialdemokratischen Positionen geht (Vgl. S. 212–215 in diesem Band). Erläuterungen In Nr. 4 dieses Jahrganges der „Gleichheit“, S. 29. Gemeint ist der Artikel: Weibliche Fabrikinspektoren, in: Die Gleichheit 4/1898, S. 29 meinem Artikel in Nr. 3 der „Frauenbewegung“. Das Wahlrecht der Frauen zu den Gewerbegerichten, in: Die Frauenbewegung 3/1898, S. 26–27 GVG IV § 41. Gerichtsverfassungsgesetz vom 27. Januar 1877, 4. Abschnitt, § 41: „Der Ausschuss entscheidet über die gegen die Urliste erhobenen Einsprachen. Die Entscheidungen sind zu Protokoll zu vermerken. Beschwerde findet nicht statt.“ die seit 1867 datiert. Das reformierte englische Wahlgesetz von 1867 („The Representation of the People Act“) sprach von den Wahlberechtigten als „men“, was sowohl als „Männer“ wie als „Menschen“ verstanden werden konnte. Mehrere tausend Frauen wurden in die Wahllisten eingetragen. In einem Grundsatzurteil wurde gerichtlich entschieden, dass mit „men“ hier nicht „Männer und Frauen“ gemeint seien

Frauen Deutschlands! Entstehung Der von Anita Augspurg und Minna Cauer gezeichnete Aufruf ist Bestandteil einer Kampagne der „Frauenbewegung“ mit dem Ziel, bei den bevorstehenden Reichstagswahlen den Einfluss der Frauen geltend zu machen – denen das poli-

Anmerkungen

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tische Stimmrecht verwehrt ist. Der Aufruf ist abgedruckt in: Die Frauenbewegung 7/1898, S. 73. Erläuterungen Im Anschluss an den Leitartikel „Vor den Wahlen“. O. V. [Minna Cauer]: Vor den Wahlen, in: Die Frauenbewegung 6/1898, S. 61–62 Die bevorstehenden Reichstagswahlen. Die Wahlen zum 10. Deutschen Reichstag am 16. Juni 1898

Deutscher Verein für Frauenstimmrecht An Deutschlands Frauen! Entstehung Undatiertes Flugblatt des 1902 auf Initiative von Anita Augspurg in Hamburg gegründeten „Deutschen Vereins für Frauenstimmrecht“, vermutlich aus dem Gründungsjahr. Dafür spricht, dass es u. a. von Käthe Schirmacher unterzeichnet ist, die nur im ersten Vereinsjahr Mitglied des Vorstandes war. Das Original befindet sich im: Staatsarchiv Hamburg, Politische Polizei, 333–3 S 900 Bd. 1. Erläuterungen Deutscher Verein für Frauenstimmrecht. Der „Deutsche Verein für Frauenstimmrecht“, gegründet am 2. Januar 1902 in Hamburg Lida Gustava Heymann. Die Hamburger Pazifistin und Frauenrechtlerin Lida Gustava Heymann (1868–1943) Adelheid von Welczeck. Die Frauenrechtlerin Adelheid von Welczeck. geb. 1856, Gründungsmitglied des „Deutschen Vereins für Frauenstimmrecht“ (1902) und Autorin von „Das Frauenstimmrecht in den verschiedenen Ländern“ (1908) Frau Minna Cauer. Die Berliner Frauenrechtlerin und Pazifistin Minna Cauer (1841–1922); vgl. auch Anm. S. 305 Dr. phil. Käthe Schirmacher. Die Frauenrechtlerin, Schriftstellerin und Journalistin Käthe Schirmacher (1865–1930); vgl. auch Anm. S. 333

Die politische Erziehung der Frau Entstehung Artikel von Anita Augspurg, abgedruckt in: Die Frauenbewegung Nr. 3 vom 01. 02. 1902, S. 18–19. Grundlage des Artikels ist vermutlich ein gleichnamiger

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Vortrag Augspurgs vom 4. Oktober 1901 auf einer Versammlung des Verbandes Fortschrittlicher Frauenvereine in Berlin. Das Programm der Tagung ist abgedruckt in: Die Frauenbewegung Nr. 17 vom 1. 9. 1901, S. 134 und Nr. 18 vom 15. 9. 1901, S. 142. In dem Artikel selbst findet sich kein Hinweis auf den Vortrag, der vermutlich für den Druck überarbeitet wurde. Erläuterungen apokryph – nicht zum offiziellen Kanon von Schriften (eigentlich der Bibel, hier: der Frauenbewegung) gehörend Die ersten Schriften der Männer zur Frauenfrage, von Kant und Hippel. Theodor Gottlieb von Hippel: Über die bürgerliche Verbesserung der Weiber, Berlin 1792; Auf welche Schrift Kants sich Augspurg hier bezieht, ist unklar; möglicherweise auf die „Grundlegung zur Metaphysik der Sitten“ (Riga 1785) Das Wahlgesetz von 1850 spricht von der Zahl der Seelen. § 4 der Verordnung (des preußischen Königs Friedrich Wilhelm IV ) betreffend die Ausführung der Wahl der Abgeordneten zur Zweiten Kammer vom 30. Mai 1849: „Auf jede Vollzahl von 250 Seelen ist ein Wahlmann zu wählen.“ und die Regierungsvorlage des Vereinsgesetzes enthielt nicht den § 8a in seiner späteren Fassung. § 8a der Verordnung über die Verhütung eines die gesetzliche Freiheit und Ordnung gefährdenden Missbrauchs des Versammlungs- und Vereinigungsrechtes vom 11. März 1850 lautete: „Für Vereine, welche bezwecken, politische Gegenstände in Versammlungen zu erörtern, gelten […] nachstehende Beschränkungen: a) Sie dürfen keine Frauenspersonen, Schüler und Lehrlinge als Mitglieder aufnehmen […].“ Die berüchtigten „Frauenspersonen“ sind erst durch den Antrag eines Abgeordneten hineingebracht worden. Gemeint ist das Amendment des nationalliberalen Abgeordneten Karl Ulrichs in der Sitzung vom 18. Februar 1850 (Stenographische Berichte über die Verhandlungen der durch die Allerhöchste Verordnung vom 30. Mai 1849 einberufenen 2. Kammer, 5. Bd., Berlin 1850, S. 2847) vgl. „Silhouetten“ in „Dokumente der Frauen“ Nr. 1 vom 1. Januar 1901. M. H.: Silhouetten, in: Dokumente der Frauen 1/1901, S. 593–596 (Thema des Artikels ist eine Chronik des Frauenstimmrechts in Österreich) Leitende Politiker wie Schulze-Delitzsch und Holtzendorff. [Schreibweise im Original: Schultze-Delitzsch]. Der Jurist und Politiker Franz Hermann Schulze (1808–1883), seit 1848 Hermann Schulze-Delitzsch, 1948 Mitglied der Preußischen Nationalversammlung und Begründer der deutschen Genossenschaftsbewegung; der märkische Gutsbesitzer und preußische Politiker Franz (I.) von Holtzendorff (1804–1871); sein Sohn, der Jurist Franz (II.) von Holtzendorff (1829–1889), publizierte 1877 eine Schrift über „Die Verbesserungen in der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Stellung der Frauen“

Anmerkungen

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Hedwig Dohm – forderte die politischen Rechte für die Frau Anfang der siebziger Jahre in mehreren Schriften, die jetzt in dem Buche „Der Frauen Natur und Recht“ gesammelt erschienen sind. Eine Sammelausgabe von Dohms frauenpolitischen Essays unter dem Titel „Der Frauen Natur und Recht“ im Jahr 1901 konnte nicht nachgewiesen werden dem Ausschluss von – Schreibfehler im Originaltext: „Anschluss“ Vor einiger Zeit lasen wir in den „Neuen Bahnen“, eine Stagnation in der Frauenbewegung mache sich bemerklich. Die Herausgeberin der „Neuen Bahnen“ Auguste Schmidt hatte mit ihrem Artikel „Wo fehlt es?“ (in: Neue Bahnen 23/1900, S. 277–279) ein großes Echo ausgelöst, welches in den folgenden Heften z. T. dokumentiert wurde Wir sogenannten Stürmer und Dränger. Gemeint sind die Vertreterinnen des „linken“ Flügels der bürgerlichen Frauenbewegung, zu denen (sich) auch Anita Augspurg zählte, die „Jungen“ oder „Radikalen“, wie sie auch genannt wurden. Die Bezeichnung „Stürmer und Dränger“ bezieht sich auf die Literaturepoche des Sturm und Drang (ca. 1767–1784), in der Dichter wie Johann Wolfgang Goethe, Friedrich Schiller, Maximilian Klinger und Jakob Michael Reinhold Lenz in ihren Dramen die Suche des natürlichen Menschen nach einer natürlichen Gesellschaftsordnung thematisierten

Verweigertes Recht – verweigerte Steuern Entstehung Ungezeichneter Leitartikel in „Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung“ (15/1902, S. 57–58). Der Artikel bezieht sich auf eine Hamburger Vortragsreihe Augspurgs vom 28. Oktober bis zum 13. November 1901 und dokumentiert im wesentlichen einen Briefwechsel zwischen der Hamburger Bürgerin Lida Gustava Heymann und den Hamburger Behörden. Erläuterungen ein Kolleg über Bürgerkunde. Anita Augspurg: Grundbegriffe der Bürgerkunde an der Hand der Verfassungen des Deutschen Reiches und der freien Hansestadt Hamburg. Acht Vorlesungen, Oktober und November 1901 (Ankündigung in: Die Frauenbewegung 20/1901, S. 158) nach dem Gesetze vom 2. November 1896. Gesetz betreffend die Hamburgische Staatsangehörigkeit und das Hamburgische Bürgerrecht vom 2. 11. 1896 (Gesetzsammlung der freien und Hansestadt Hamburg. Amtliche Ausgabe, 33. Bd., Jg. 1896, Nr. 54)

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Kommentarteil

auf § 3 des angeführten Gesetzes. § 3 Satz 1 Gesetz betreffend die Hamburgische Staatsangehörigkeit vom 2. 11. 1896: „Zum Erwerb des Bürgerrechts verpflichtet ist jeder nach § 2 dazu Berechtigte, welcher in den letzten drei auf einander folgenden Jahren ein steuerpflichtiges Einkommen von mindestens M[ark] 2000 jährlich gehabt und das 60. Lebensjahr noch nicht vollendet hat.“ der „Correspondent“ brachte einen Leitartikel, betitelt: „Die Hamburgische Bürgerin“. O. V.: Die Hamburgische Bürgerin, in: Hamburgischer Correspondent, Morgen-Ausgabe, Nr. 545 vom 20. 11. 1901, S. 1–2 die Vorsitzende des „Vereins Frauenwohl“. Die damalige Vorsitzende des „Vereins Frauenwohl Hamburg“ Lida Gustava Heymann (1868–1943) a[nni] c[urrentis] – dieses Jahres. a[nni] p[raeteriti] – des vergangenen Jahres. eine andere Hamburgerin – nicht ermittelt des Gesetzes betreffend die Staatsangehörigkeit und das Bürgerrecht vom 7. November 1864. Gesetz betreffend die Staatsangehörigkeit und das Bürgerrecht. Auf Befehl Eines Hohen Senats der freien und Hansestadt Hamburg publiziert den 7. November 1864, Hamburg 1864 Das Verhalten der Steuerbehörde bleibt abzuwarten. Im folgenden Jahr berichteten die "Parlamentarischen Angelegenheiten“ (12/1903), dass Heymann die Steuern ein dreiviertel Jahr unbeanstandet verweigert habe. Im November 1903 wurde die Pfändung angedroht (vgl.: Susanne Kinnebrock: Anita Augspurg, Herbolzheim 2005, S. 255, Fn. 260)

Märchen über die Wirkungen des Frauenstimmrechts Entstehung Artikel in der von Anita Augspurg herausgegebenen Frauenbeilage des Berliner „Tag“, in dem die Verfasserin sich mit aktuellen Pressekampagnen gegen das Frauenstimmrecht auseinandersetzt (Der Tag Nr. 515 vom 2. 11. 1902). Erläuterungen Mr. Hallet. Richter Moses Hallet (1834 –1913) aus Denver, oberster Richter des Supreme Court von Colorado 1877–1906 absprechendes – abfälliges Thomas M. Patterson. Der amerikanische Jurist und Politiker Thomas MacDonald Patterson (1839–1916), Mitglied der Demokratischen Partei, Kongressabgeordneter für den Staat Colorado, Mitglied des US-Senats von 1901– 1907; Pattersons Stellungnahme findet sich im englischen Original und in

Anmerkungen

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voller Länge in: Susan Brownell Anthony, Ida Husted Harper (Hg): The History of Women Suffrage, Vol. IV 1883–1900, New York 1903, S. 1088 Gewerberat James P. Smith – nicht ermittelt eine weibliche Abgeordnete, Mrs. Heartz [im Original Schreibfehler: Hearts]. Die Lehrerin Evangeline Heartz (geb. 1849) aus Denver war 1896 eine der drei ersten weiblichen Abgeordneten im Repräsentantenhaus von Colorado. 1900 und 1915 wurde sie wieder gewählt, 1915 als einzige Frau Professor Edward Stirling von der Universität in Adelaide. Der australische Naturwissenschaftler Edward Charles Stirling (1848 – 1919), Professor für Anthropology und Physiology an der Universität Adelaide in Südaustralien als ein Gegenstand angeführt wurde – gemeint ist wohl: „Gegengrund“ bevor das Frauenstimmecht zum Gesetz wurde – im Originaltext Schreibfehler: „war“ Aus einem Saulus zum Paulus geworden. Eine Anspielung auf die in der Bibel (Apostelgeschichte, 9, 1–19) erzählte Geschichte von der Bekehrung des Christenverfolgers Saulus von Tarsus, der nach einer Vision in Damaskus seinen Namen in Paulus änderte und zum christlichen Missionar und Apostel wurde der Premierminister von Neuseeland, Mr. R. J. Seddon – und ebenso seine Frau. Richard John Seddon (1845–1906), 15. Premierminister von Neuseeland (1893– 1906), seit 1869 verheiratet mit Louisa Jane Seddon, geb. Spotswood (1851– 1931) „On dit“ – Gerücht, wörtlich: „Man sagt“ „Gerechtigkeit erhöht ein Volk.“ – Sprüche Salomos 14, 34

Petition die Novelle zum Krankenversicherungsgesetz betreffend Entstehung Petition des „Deutschen Vereins für Frauenstimmrecht“ vom 17. 02. 1903 an den Deutschen Bundesrat, gezeichnet von den Vorstandsmitgliedern Anita Augspurg und Lida Gustava Heymann. Das Original befindet sich im Bundesarchiv Berlin: R 43 Reichskanzlei 2265–2266. Akten betr[effend] Frauenbewegung Blatt 33/34. Erläuterungen die Novelle zum Krankenversicherungsgesetz. Entwurf eines Gesetzes betreffend weitere Abänderungen des Krankenversicherungsgesetzes (Drucksache Nr. 870 in: Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Reichstages, II. Session 1900/1903, Anlageband Nr. 8, Berlin 1903, S. 5823–5825)

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Kommentarteil

des Herrn Reichskanzlers Grafen Bülow. Der Jurist Bernhard Graf von Bülow (1849–1929) wurde im Oktober 1900 vom Kaiser zum Reichskanzler ernannt. Gemäß Art. 15 der Verfassung des Deutschen Reiches vom 16. 04. 1871 gehörten zu den Aufgaben des Reichskanzlers auch der Vorsitz und die Leitung der Geschäfte des Bundesrates. Im Juli 1909 trat von Bülow von seinem Amt zurück Der „Deutsche Verein für Frauenstimmrecht“. Der „Deutsche Verein für Frauenstimmrecht“, gegründet am 2. Januar 1902 in Hamburg der in Artikel XII des Entwurfes enthaltene Zusatz zu § 34a des Krankenversicherungsgesetzes. Der Zusatz lautete im Entwurf: „Der § 34a erhält als dritten Absatz folgenden Zusatz: Personen, welche nach § 32 des Gerichtsverfassungsgesetzes unfähig zum Amtes eines Schöffen sind, dürfen weder in den Vorstand noch als Rechnung- oder Kassenführer berufen werden.“ Im Gesetz vom 25.05.1903 wurde dieser Passus ersatzlos gestrichen die Bezugnahme auf § 31 des Gerichtsverfassungsgesetzes. § 31 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) des Deutschen Reiches vom 27. 1. 1877: „Das Amt eines Schöffen ist ein Ehrenamt. Dasselbe kann nur von einem Deutschen versehen werden.“ die Bezugnahme auf §§ 31 und 32 GVG. Zu § 31 GVG vgl. Anm. S. 350; § 32 Gerichtsverfassungsgesetz vom 27. 1. 1877: „Unfähig zu dem Amte eines Schöffen sind: 1. Personen, welche die Befähigung infolge strafgerichtlicher Verurteilung verloren haben; 2. Personen, gegen welche das Hauptverfahren wegen eines Verbrechens oder Vergehens eröffnet ist, das die Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte oder der Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter zur Folge haben kann; 3. Personen, welche infolge gerichtlicher Anordnung in der Verfügung über ihr Vermögen beschränkt sind.“ reformatio in pejus. Rechtliche Schlechterstellung bei Abänderung eines Rechtsbescheids oder Gerichtsurteils nach Widerspruch, Berufung oder Revision. Augspurg überträgt den Begriff auf die Gesetzgebung und geht von der Fiktion eines allgemeinen Rechts auf Bestandsschutz aus, welches eine Veränderung der Rechtslage im Sinne einer rechtlichen Schlechterstellung verbiete

Sind die preußischen Frauen kommunalwahlberechtigt? Entstehung Artikel von Anita Augspurg zum kommunalen Wahlrecht der preußischen Frauen, in: Der Tag Nr. 95 vom 25.2.1905, auch abgedruckt in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 11/1905, S. 21 (Titelseite)

Anmerkungen

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Erläuterungen „Alle Preußen sind vor dem Gesetze gleich“. Art. 3 Satz 1 der Verfassungsurkunde für den Preußischen Staat vom 31. Januar 1850 (Titel II: Von den Rechten der Preußen). Art. 3 lautet: „Alle Preußen sind vor dem Gesetz gleich. Standesvorrechte finden nicht statt. Die öffentlichen Ämter sind, unter Einhaltung der von den Gesetzen festgestellten Bedingungen, für alle dazu Befähigten gleich zugänglich.“ Städteordnung für die sechs östlichen Provinzen. Städte-Ordnung für die 6 östlichen Provinzen der preußischen Monarchie vom 30. Mai 1853, abgedruckt in: Die Städteordnungen der preußischen Monarchie, Berlin 1880, S. 3–46 die Städte von Neuvorpommern und Rügen. Gesetz betreffend die Verfassung der Städte in Neu-Vorpommern und Rügen vom 31. Mai 1853, abgedruckt: ebd., S. 56–58 die rheinisch-westfälischen Städte und Frankfurt a[m] M[ain]. Städte-Ordnung für die Provinz Westfalen und die Rhein-Provinz vom 19. März resp[ektive] 15. Mai 1856; Gemeindeverfassungsgesetz für die Stadt Frankfurt a[m] M[ain] vom 25. März 1867, abgedruckt: ebd., S. 59–101 und S. 144–147 die Städteverfassungen der Provinzen Schleswig-Holstein. Gesetz betreffend die Städte und Flecken in der Provinz Schleswig-Holstein vom 14. April 1869, abgedruckt: ebd., S. 102–143 die hannoverschen. Revidierte Städteordnung für die Provinz Hannover vom 24. Juni 1858, abgedruckt: ebd., S. 148–172 Gemeindeordnungen Kurhessens und des früheren Herzogtums Nassau. GemeindeOrdnung für die Stadt- und Landgemeinde Kurhessens vom 23. Oktober 1834, abgedruckt: ebd., S. 175–216 durch Gesetz vom 31. Mai 1853. [Im Original Schreibfehler: 01. Mai 1853]. Gesetz betreffend die Verfassung der Städte in Neu-Vorpommern und Rügen vom 31. Mai 1853, abgedruckt: ebd., S. 56–58 Stadtrezess – Stadtrechtlicher Vergleich durch § 7 des Gesetzes vom 14. April 1869. Gesetz betreffend die Städte und Flecken in der Provinz Schleswig-Holstein vom 14. April 1869 der revidierten Städteordnung vom 24. Juni 1858. Revidierte Städteordnung für die Provinz Hannover vom 24. Juni 1858 Das Nassauische Gemeindegesetz und die Wahlordnung. Nassauisches Gemeindegesetz vom 26. Juli 1854 und Wahlordnung, abgedruckt in: Die Städteordnungen der preußischen Monarchie, Berlin 1880, S. 217–240 und S. 241–245 Bestimmung des Allgemeinen Landrechts erster Teil Tit. I § 24. Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten, Erster Teil, Erster Titel, § 24 (Unterschied der Geschlechter): „Die Rechte beider [im Original: „beyder“] Geschlechter sind einander gleich, so weit nicht durch besond[e]re Gesetze oder rechtsgül-

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Kommentarteil

tige Willenserklärungen Ausnahmen bestimmt wurden [im Original: „worden“].“ einen städtischen oder staatlichen Beamten, der. Im Originaltext Schreibfehler: “eine städtische oder staatliche Beamte, die“ § 5 der Städteordnung vom 30. Mai 1853. Städte-Ordnung für die 6 östlichen Provinzen der preußischen Monarchie vom 30. Mai 1853

Schadet es? Entstehung Der Artikel nimmt Bezug auf negative Pressebericht über den Kampf der Suffragetten für das Frauenwahlrecht in England. Zentraler Streitpunkt in der öffentlichen Diskussion war die Frage nach der Legitimität von zivilem Ungehorsam und von Gewalt gegen Sachen als Mittel politischer Auseinandersetzung. Der Artikel ist abgedruckt in: Der Tag Nr. 615 vom 4. 12. 1906. Erläuterungen Mrs. Montefiore. Die englisch-australische Frauenrechtlerin und Suffragette Dorothy (Dora) Frances Montefiore (1851–1933); Schreibfehler im Originaltext: „Montefiori“ des Staatsministers Asquith. Der liberale englische Politiker Herbert Henry Asquith, 1st Earl of Oxford and Asquith (1852–1928), britischer Premierminister 1908–1916 von der bekannten Arbeiterführerin Annie Kenney. Die englische Arbeiterin und Suffragette Annie Kenney (1879 –1953) Mrs. Despard. Die radikale englisch-irische Schriftstellerin Charlotte Despard (1844–1939), Pazifistin und Suffragette, ab 1907 Vorsitzende der von ihr mitbegründeten „Women’s Freedom League“; zum Zeitpunkt ihrer Verhaftung war sie laut Geburtsdatum nicht 73, wie im Text angegeben, sondern 62 Jahre alt im Holloway Kerker. Das Frauengefängnis im Londoner Stadtteil Holloway (Her Majesty’s Prison Holloway), in dem viele Suffragetten ihre Gefängnisstrafe verbüßten Mrs. Pethick-Lawrence. Die englische Frauenrechtlerin und Suffragette Emmeline Pethick-Lawrence, geb. Pethick (1867–1954), Schatzmeisterin der WSPU und Herausgeberin der Zeitschrift „Votes for Women“ erlegt – hinterlegt Mrs. Millicent Garrett Fawcett. Die englische Frauenrechtlerin Millicent Garrett Fawcett (1847–1929), Dr. jur. h.c., Präsidentin des englischen Landesverban-

Anmerkungen

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des für Frauenstimmrecht (NUWSS) von 1890–1919; Schreibfehler im Originaltext: „Ganett Fawcett“ des nationalen Frauenstimmrechtsverbandes. Die „National Union of Women Suffrage Societies“ (NUWSS), der britische Landesverband für Frauenstimmrecht, Mitglied im „Weltbund für Frauenstimmrecht“ („International Woman Suffrage Alliance“) die Frauen des „Sozialen und Politischen Frauenbundes“. Die 1903 von Emmeline Pankhurst in Manchester gegründete „Women’s Social and Political Union“ (WSPU) , die Organisation der englischen Suffragetten. Die WSPU war im „Weltbund für Frauenstimmrecht“ nicht vertreten Lady Cook. Die amerikanisch-englische Frauenrechtlerin und Suffragette Tennessee Celeste Claflin (1844–1923), verheiratete Cook, seit 1886 Lady Cook, Viscountess of Montserrat Mrs. Cobden-Unwin. Die englische Publizistin, Frauenrechtlerin und Suffragette Jane Cobden-Unwin (1851–1947); Schreibfehler im Originaltext: „CobdenUmoin“ Mr. Cobden-Sanderson, dessen Gattin. Der englische Jurist und Buchbinder Thomas James Cobden-Sanderson (1840–1922) und seine Ehefrau, die Sozialistin und Suffragette Annie Cobden Sanderson (1853–1926) Mr. Pethick-Lawrence. Der britische Jurist und Labour Politiker Frederick William Pethick-Lawrence, geb. Lawrence (1871–1961), seit 1907 gemeinsam mit seiner Ehefrau Emmeline Pethick-Lawrence Herausgeber der Suffragettenzeitschrift „Votes for Women“

Petition des Deutschen Verbandes für Frauenstimmrecht an den Reichstag, Wahlberechtigung der Frauen betreffend Entstehung Petition des „Deutschen Verbands für Frauenstimmrecht“ an den deutschen Reichstag, gezeichnet von den Vorstandsmitgliedern Anita Augspurg und Lida Gustava Heymann, dokumentiert in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung Nr. 24 vom 15. Dezember 1906, S. 47. Erläuterungen des „Deutschen Verbandes für Frauenstimmrecht“. Der „Deutsche Verein für Frauenstimmrecht“, gegründet am 2. Januar 1902 in Hamburg, seit 1904 „Deutscher Verband für Frauenstimmrecht“ § 1 des Reichswahlgesetzes vom 31. Mai 1869. § 1 Wahlgesetz für den Reichstag des Norddeutschen Bundes vom 31. Mai 1869: „Wähler für den Reichstag des

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Norddeutschen Bundes ist jeder Norddeutsche, welcher das fünfundzwanzigste Lebensjahr zurückgelegt hat, in dem Bundesstaate, wo er seinen Wohnsitz hat.“ § 1785 lautet: „Jeder Deutsche hat die Vormundschaft, für die er vom Vormundschaftsgericht ausgewählt wird, zu übernehmen“, und § 1786 fährt fort: „Die Übernahme von Vormundschaft kann ablehnen: eine Frau“. § 1785 BGB (1. Januar 1900 bis 31. 12. 2001): „Jeder Deutsche hat die Vormundschaft, für die er von dem Vormundschaftsgericht ausgewählt wird, zu übernehmen, sofern nicht seiner Bestellung zum Vormund einer der in den §§ 1780 bis 1784 bestimmten Gründe entgegensteht.“; § 1786 BGB (1. Januar 1900–31. März 1924). „Die Übernahme der Vormundschaft kann ablehnen: 1. eine Frau“

Die Ereignisse in England Entstehung Bericht von Anita Augspurg über eine Demonstration zum Frauenwahlrecht in London und über den Stand der Frauenstimmrechtsbill im englischen Parlament, abgedruckt in: Zeitschrift für Frauenstimmrecht 8/1910, S. 37–38. Die monatlich von Anita Augspurg herausgegebene „Zeitschrift für Frauenstimmrecht“ erschien erstmalig am 15. Januar 1907. Sie löste die „Parlamentarischen Angelegenheiten“ als Beilage der „Frauenbewegung“ ab, wurde aber auch als selbständige Zeitschrift herausgegeben und trug den Untertitel: „Zeitschrift für die politischen Interessen der Frau. Publikationsorgan des Deutschen Verbandes für Frauenstimmrecht und seiner Zweigvereine“. Erläuterungen Die kurze Erwähnung des großen Demonstrationszuges in London in voriger Nummer. Der erwähnte Bericht über die Demonstration für das Frauenstimmrecht in London am 18. 6. 1910 ist abgedruckt in: Zeitschrift für Frauenstimmrecht 7/1910, S. 34–35 zur Albert Hall. Die 1871 eröffnete Royal Albert Hall of Arts and Sciences im Londoner Stadtteil Kensington das Banner der „Social and Political Union“. Die Farben der Social und Political Union (WSPU) waren Lila, Weiß und Grün, der Slogan auf dem Banner lautete: „Deeds not Words“ („Taten nicht Worte“); zur WSPU vgl. Anm. S. 353 Charlotte Marsh. Die englische Suffragette und Sozialarbeiterin Charlotte Augusta Leopoldine Marsh (1887–1961) den Klang der Musik. Die Suffragetten nutzten zur Propaganda nicht nur Farben, Slogans, Anstecker und andere Werbemittel, sondern auch Lieder und Hym-

Anmerkungen

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nen. Die englische Komponistin Ethel Smythe (1858–1944) schrieb 1910 für die WSPU 3 Sonnenaufgangslieder, darunter die berühmte Hymne „March of the Women“ (Uraufführung 1911), die sie während ihrer Haftzeit vom Zellenfenster aus mit einer Zahnbürste dirigiert haben soll die verehrten Führerinnen Mrs. Pankhurst, Christabel Pankhurst, Mrs. Despard, Mrs. Pethick-Lawrence. Die vielleicht bekannteste englische Suffragette Emmeline Pankhurst (1858–1928), Gründerin der „Women’s Social and Political Union“ (WSPU) zusammen mit ihrer Tochter Christabel; die Suffragette Christabel Harriette Pankhurst (1880–1958), Tochter der Frauenrechtlerin Emmeline Pankhurst, Mitbegründerin der WSPU und eine der zentralen Figuren der englischen Suffragettenbewegung. 1912–1913 lebte sie in Frankreich im Exil, nach dem ersten Weltkrieg emigrierte sie in die USA; Die englisch-irische Schriftstellerin, Pazifistin und Suffragette Charlotte Despard (1844–1939), ab 1907 Vorsitzende der von ihr mitbegründeten „Women’s Freedom League“; die englische Frauenrechtlerin und Suffragette Emmeline Pethick-Lawrence, geb. Pethick (1867–1954), Schatzmeisterin der WSPU und Herausgeberin der Zeitschrift „Votes for Women“

Füchse im Schafspelz Entstehung Die Verfasserin berichtet in diesem Artikel über den anstehenden Prozess gegen die englischen Suffragetten Emmeline Pankhurst und Emmeline PethickLawrence. Der Artikel ist abgedruckt in: Frauenstimmrecht 3/1912, S. 41– 43. Anita Augspurg war Herausgeberin der Zeitschrift „Frauenstimmrecht“ von Mai 1912 bis zum Oktober 1913. Erläuterungen wegen Krankheit Mrs. Pankhursts. Die englische Suffragette Emmeline Pankhurst (1858–1928) Mr. und Mrs. Pethick-Lawrence. Die englische Frauenrechtlerin und Suffragette Emmeline Pethick-Lawrence (1867–1954) und ihr Ehemann, der britische Jurist und Labour Politiker Frederick William Pethick-Lawrence (1871– 1961) bei den Gewalttaten des 4. März in London. Bei der Demonstration am 4. März 1912 hatten die Suffragetten in einer gezielten Aktion in London zahlreiche Schaufenster eingeschlagen jener Lord Coleridge. Der englische Jurist und Politiker Bernard John Seymour Coleridge, 2. Baron Coleridge (1851–1927)

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zusammen mit Mr. Pankhurst senior, dem Schwiegervater der jetzigen Angeklagten. Der englische Jurist Henry Francis Pankhurst (1806–1873) Sir Rufus Isaacs. Der englische Jurist und Politiker Rufus Daniel Rufus Isaacs (1860–1935), 1. Marquess of Reading, 1913–1921 Lord Chief Justice of England and Wales „Votes for Women“. Die 1907 gegründete Zeitschrift „Votes for Women“, herausgegeben von Emmeline und Frederick Pethick-Lawrence, das Organ der englischen Suffragettenbewegung

Offener Brief an Christabel Pankhurst in London Entstehung Offener Brief von Anita Augspurg aus Anlass von nationalistischen Äußerungen der englischen Suffragette Christabel Pankhurst gegen den Kriegsgegner Deutschland, abgedruckt in: Zeitschrift für Frauenstimmrecht 19/1914, S. 55– 56. Die „Zeitschrift für Frauenstimmrecht“ wurde seit 1907 von Minna Cauer herausgegeben. Sie trug seitdem den Untertitel „Organ für die staatbürgerliche Bildung der Frau“ und erschien 14-tägig als Beilage der „Frauenbewegung“ und als selbständige Zeitschrift. Erläuterungen Christabel Pankhurst. Die Suffragette Christabel Harriette Pankhurst (1880– 1958), Tochter der Frauenrechtlerin Emmeline Pankhurst, Mitbegründerin der WSPU und eine der zentralen Figuren der englischen Suffragettenbewegung Ihres Ministerpräsidenten Asquith. Der liberale englische Politiker Herbert Henry Asquith, 1st Earl of Oxford and Asquith (1852–1928), britischer Premierminister 1908–1916 England ist bis zum heutigen Tage ein Land des beschränkten Wahlrechtes. Bis 1918 war das Wahlrecht in England nicht nur an das Geschlecht, sondern auch an Steueraufkommen und/oder Titel gebunden Das deutsche Gesetz. Das deutsche Bürgerliche Gesetzbuch vom 18. August 1896

Anmerkungen

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Petition des Deutschen Frauenstimmrechtsbundes, Wahlberechtigung der Frauen betreffend Entstehung Petition des „Deutschen Frauenstimmrechtsbundes“ an den deutschen Reichstag, gezeichnet von Anita Augspurg und Lida Gustava Heymann, abgedruckt in: Zeitschrift für Frauenstimmrecht 20/1915, S. 39–40 Erläuterungen Lida Gustava Heymann. Die Hamburger Pazifistin und Frauenrechtlerin Lida Gustava Heymann (1868–1943) im Auftrage der Vereine des „Deutschen Frauenstimmrechtsbundes“. Der 1914 auf Initiative von Anita Augspurg und Lida Heymann gegründete „Deutsche Frauenstimmrechtsbund“ war ein loser Zusammenschluss von Frauenstimmrechtsvereinen, die alle das demokratische allgemeine, gleiche, freie und geheime Wahlrecht für Männer und Frauen forderten und die in der Folge von Konflikten über die Art des zu fordernden Wahlrechts zuvor aus dem „Deutschen Verband für Frauenstimmrecht“ (DVF) ausgetreten waren der englische Arbeiterführer MacDonald. Der Labour Politiker James Ramsey MacDonald (1866–1937), britischer Premierminister 1924 und 1929–1931

Die internationale Friedenskundgebung Entstehung Bericht über eine von der Münchener Pazifistin Margarethe Lenore Selenka (1860–1923) initiierte internationale Friedenskundgebung von Frauen aus Anlass der ersten Haager Friedenskonferenz im Mai 1899 in Den Haag. Der Artikel vom Februar 1899 ist zugleich ein Aufruf, diese erste weitweite Frauenfriedensaktion aktiv zu unterstützen. Vom 13.–16. Mai 1899 wurden Versammlungen in sechs deutschen Städten organisiert; die Versammlungen in Berlin und München organisierte Anita Augspurg. Weltweit fanden 565 Versammlungen in drei Erdteilen statt. Am 22. 5. 1899 überreichte Selenka zusammen mit Bertha von Suttner dem Präsidenten der Haager Friedenskonferenz feierlich die gesammelten Unterschriften und Solidaritätsadressen der Frauen. Der Artikel ist abgedruckt in: Die Frauenbewegung 3/1899, S. 25–26. Erläuterungen In Nr. 2 dieses Jahrganges. Die erwähnte Notiz über das Friedensprojekt Lenore Selenkas ist abgedruckt in: Die Frauenbewegung 2/1899, S. 18

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Kommentarteil

unmittelbar vor der Petersburger Friedenskonferenz. Die erste Haager Friedenskonferenz (18. 5.–29. 7. 1899). Der russische Zar Nikolaus II hatte unter dem Eindruck der Lektüre von Bertha von Suttners Roman „Die Waffen nieder“ in einem Manifest alle Staaten guten Willens zur Teilnahme an einer Friedenskonferenz aufgerufen mit dem Ziel, das allgemeine Wettrüsten zu beenden wie sie von Frau Marg[arethe] Lenore Selenka in Anregung gebracht ist. Die Münchener Pazifistin Lenore Selenka (1860–1923) beantragte 1898 erfolgreich die Aufnahme der Friedensfrage in das Programm des „Bundes deutscher Frauenvereine“ und gründete zusammen mit dem Pazifisten Ludwig Quidde und der „Münchener Friedensvereinigung“ im Winter 1898/99 das „Münchener Komitee für Kundgebungen zur Friedenskonferenz“. Im März 1899 verschickte das Komitee Zirkulare an Frauen in 23 Ländern mit der Aufforderung, zur Unterstützung der ersten Haager Friedenskonferenz zeitnah in möglichst vielen Städten Versammlungen einzuberufen in einer Solidarität, die die Erde umspannt. Kundgebungen fanden im Mai 1899 in 19 verschiedenen Ländern Europas, Asiens und Amerikas statt Möglichst an einem Tage. Tatsächlich fanden die Versammlungen dann an vier Tagen statt, vom 13.–16. Mai 1899

Internationaler Frauenkongress Haag – vom 28. April – 1. Mai 1915. Einleitung und Beschlüsse Entstehung Auszug aus einem in Buchform erschienenen Bericht über den internationalen Frauenkongress im April/Mai 1915 in Den Haag (Internationaler Frauenkongress Haag – vom 28. April – 1. Mai 1915. Bericht, Amsterdam 1915, S. 46–53). Als Mitglied des Resolutionskomitees war Anita Augspurg an der Formulierung der Beschlüsse des Kongresses beteiligt. Augspurg gehörte zu den Initiatorinnen des Kongresses – und zu den wenigen deutschen Frauen, denen es gelang, Pass und Ausreisegenehmigung zu erhalten. Der Frauenfriedenkongress galt Presse, Militärs und Behörden als „Dolchstoss der Frauen gegen die Männer in den Schützengräben“. In England hatten 180 Frauen versucht, mit einer Eingabe an das House of Commons ihre Reisegenehmigung durchzusetzen. 25 von ihnen wurde die Reiseerlaubnis erteilt, doch nur drei englischen Frauen gelang es, rechtzeitig auf den Kontinent zu kommen, bevor Winston Churchill den Kanal bis zum Ende des Kongresses für den zivilen Schiffsverkehr sperren ließ. Erläuterungen Von den kriegführenden wie auch von den neutralen Ländern sind wir zusammen gekommen. Vom 28. April bis zum 1. Mai 1915 trafen sich in Den Haag mehr

Anmerkungen

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als tausend Frauen aus 12 verschiedenen Staaten. Durch Delegierte waren vertreten: Belgien, Kanada, Dänemark, Großbritannien, Holland, Italien, Norwegen, Österreich, Schweden, Ungarn und die USA. Solidaritätsadressen kamen aus Ägypten, Argentinien, Britisch-Indien, Bulgarien, Finnland, Frankreich, Irland, Portugal, Rumänien, Russland, der Schweiz und Südafrika. Auch einige Männer solidarisierten sich mit dem Anliegen des Kongresses. Unter anderem kamen Grußadressen von der holländischen und der ungarischen „Männerliga für Frauenstimmrecht“ und besonders gegen die entsetzlichen Vergewaltigungen von Frauen. Punkt 2 der Resolution (Leiden der Frauen im Krieg) geht zurück auf einen Antrag der deutschen Delegierten Lida Gustava Heymann Da Krieg gewöhnlich nicht durch die Volksmassen verursacht wird, die ihn nicht wünschen. Punkt 8 (Kontrolle auswärtiger Politik) wurde in die Resolution aufgenommen aufgrund eines Antrags der deutschen Delegierten Dr. Anita Augspurg. Die Begründung ihres Antrags ist nachzulesen in: Internationaler Frauenkongress, S. 90–92 fordert dieser Internationale Frauenkongress die politische Gleichberechtigung der Frauen. Punkt 9 (Die Gleichberechtigung der Frau) entspricht einem Antrag der deutschen Delegierten Dr. Anita Augspurg die dritte Haager Konferenz. Die für 1915 geplante dritte Haager Friedenskonferenz fand wegen des Weltkriegs nicht statt und wurde auch später nicht nachgeholt Das Haager Schiedsgericht. Die Delegierten der ersten Haager Friedenskonferenz hatten 1899 die Einrichtung eines ständigen Schiedshofes beschlossen, dem jedoch weder auf dieser noch auf der Folgekonferenz 1907 verbindliche Kompetenzen zugesprochen wurden Dieser Internationale Frauenkongress erklärt es für unumgänglich. Punkt 15 der Resolution (Die Frauen in nationaler und internationaler Politik) wurde in die Resolution aufgenommen aufgrund eines Antrags der deutschen Delegierten Dr. Anita Augspurg. Der Antrag ist nachzulesen in: Internationaler Frauenkongress, S. 152 die Notwendigkeit, die Erziehung der Kinder so zu leiten, dass ihr Denken und Wünschen auf das Ideal aufbauenden Friedens gerichtet wird. Wie sehr gerade Punkt 16 der Haager Resolution (Die Erziehung der Kinder), das Ziel der „pazifistischen Jugendbeeinflussung“, in deutschen Regierungskreisen gefürchtet wurde, geht hervor aus einer Note des Königlich Bayerischen Kriegministeriums an das Bayerische Königliche Staatsministerium des Innern für Kirchen- und Schulangelegenheiten vom 2.11.1915 (Note Nr. 101948). Dieser Internationale Frauenkongress beschließt die Abhaltung eines internationalen Frauenkongresses am selben Ort, wo und in derselben Zeit wenn die Konferenz der Mächte zur Feststellung der Friedensbedingungen tagt, um dieser praktische Vor-

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Kommentarteil

schläge zu unterbreiten. Anita Augspurg und Lida Gustava Heymann berichten in den gemeinsamen Lebenserinnerungen „Erlebtes-Erschautes“ (Meisenheim am Glan 1992, S. 241): „… dass, nachdem die offizielle Friedenskonferenz in Frankreich zusammentrat, die Frauen von der ursprünglichen Idee, am selben Ort wie diese zu tagen, Abstand nehmen mussten, weil es nicht möglich gewesen wäre, dass Frauen der besiegten Länder, besonders deutsche, in Paris hätten aufgenommen werden können.“ Der zweite internationale Frauenfriedenskongress fand dann nicht in Versailles statt, sondern in Zürich. Der Kongressbericht dokumentiert u. a. eine Rede Augspurgs zur bayerischen Revolution: Bericht des Internationalen Frauenkongresses. Zürich. 12.–17. Mai 1919, Genf 1919, S. 111–114 entsendet dieser Frauenkongress Deputationen. In ihrem Bericht zur „Geschichte des Kongresses“ berichtet Chrystal Macmillan hierzu: „Bis zu der Zeit, da dieser Bericht geschrieben wurde, wurden die Delegationen von folgenden Regierungen empfangen: Holland, Großbritannien, Deutschland, Österreich, Ungarn, Schweiz, Italien, Frankreich, Belgien, Dänemark, Norwegen, Schweden und Russland, während eine Delegation unterwegs ist nach den Vereinigten Staaten.“ (Internationaler Frauenkongress, S. XXXV–XXXVI)

An die Deutsche Nationalversammlung Entstehung Formloser Antrag der „Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit, Deutscher Zweig“, an die Deutsche Nationalversammlung auf Einsetzung eines Friedensministeriums, abgedruckt in: Women’s International League for Peace and Freedom News Sheet 3/1919, S. 2, gezeichnet von: Anita Augspurg, Lida Gustava Heymann, Olga Knischewsky, Thea Mertelmeyer und Frida Perlen. „Die Frauenbewegung“ (14/1919, S. 68–69) publizierte das Schreiben ungezeichnet unter dem Titel „Zur Friedenssache“. Erläuterungen des Präsidenten Herrn Fehrenbach. Der Jurist und Zentrumspolitiker Konstantin Fehrenbach (1852–1926) war seit Juni 1918 Präsident des Deutschen Reichstages, seit Januar 1919 Präsident der Weimarer Nationalversammlung; von 1920–1921 war Fehrenbach Reichskanzler der Weimarer Republik Die „Internationale Frauenliga für Frieden und Freiheit, Deutscher Zweig“. Der 1915 in Den Haag gegründete „Internationale Frauensausschuss für einen dauernden Frieden“ wurde 1919 auf dem Internationalen Frauenkongress in Zürich umbenannt in „Internationale Frauenliga für Frieden und Freiheit“.

Anmerkungen

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Anita Augspurg gehörte zu den Mitorganisatorinnen des Deutschen Zweiges und war Mitglied des ersten fünfköpfigen Leitungsgremiums Die sofortige Einsetzung eines Friedensministeriums. Die Einrichtung von Friedensministerien forderte Augspurg auch auf einem Kongress der „Internationalen Frauenliga“ in Prag 1929. Im Kongressbericht ist ihr kurzer Wortbeitrag in indirekter Rede wiedergegeben: Anita Augspurg, Peace Ministries, in: Report of the sixth Congress of the Women’s International League of Peace and Freedom. Prague. August 24th to 28th 1929, Genf 1929, S. 127–128 die Todesstrafe und das Standrecht sofort und mit rückwirkender Kraft für alle noch nicht vollstreckten Urteile aufzuheben. In der Weimarer Republik scheiterte ein Antrag der SPD auf Abschaffung der Todesstrafe 1927

Manifest der internationalen Frauenliga für Frieden [u]nd Freiheit Entstehung Ungezeichnetes Manifest der „Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit“, abgedruckt in: Die Frau im Staat, Heft X/1923, S. 13. Die Publikation des Manifests fällt zeitlich zwischen die Verhängung des Ausnahmezustands durch die bayerische Regierung und die Reichsregierung im September 1923 und den gescheiterten Putschversuch (Hitler-Putsch) am 9. November 1923. Erläuterungen im Aufbau neuer Wirtschaftsformen, die nicht dem Profit, sondern dem Bedarf dienen. Anita Augspurg hatte den sozialistischen, kommunistischen und sozialdemokratischen Parteien immer kritisch gegenübergestanden, sie hatte insbesondere die Idee einer gewaltsamen Revolution und den geforderten Parteigehorsam stets abgelehnt und auch die Einschätzung der Frauenfrage als Nebenwiderspruch zu keinem Zeitpunkt geteilt. Diese Ablehnung galt aber nicht für radikaldemokratische und sozialistische Ideen von einer gerechteren Gesellschaft. Schon der Frauenfriedenskongress von 1915 hatte in seiner Resolution gefordert: „ … dass alle Länder aufgrund internationalen Abkommens die Fabrikation von Waffen und Munition verstaatlichen und deren internationalen Handel unter Aufsicht stellen.“ Weiter hieß es dort: „Der Kongress sieht in der Ausschaltung der Privatinteressen an der Waffenfabrikation ein wichtiges Mittel zur Abschaffung der Kriege.“ (Internationaler Frauenkongress. Haag vom 28. April – 1. Mai 1915, S. 51). Gegen Ende des ersten Weltkrieges unterstützte Augspurg Bündnisse und gemeinsame Aktionen der radikalen Frauenbewegung mit den „Sozialdemokratischen Frauen

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Deutschlands“, mit dem neugegründeten „Bund sozialistischer Frauen“ und mit der USDP. Im Mai 1919, auf dem Frauenkongress in Zürich, betonte Augspurg in ihrer Rede, dass als Hauptursache des Weltkrieges „in letzter Linie nur kapitalistische Interessen“ anzusehen seien. (Bericht des Internationalen Frauenkongresses. Zürich. 12.–17. Mai 1919, Genf 1919, S. 112)

Kurt Eisner † Entstehung Nachruf auf den ermordeten bayrischen Ministerpräsidenten Kurt Eisner (1867–1919), in dessen provisorischer Regierung Anita Augspurg mitgearbeitet hatte. Die tiefe Erschütterung der Verfasserin über Eisners gewaltsamen Tod ist dem Text anzumerken, der auf Fakten, biografische Daten und Hintergrundinformationen fast ganz verzichtet. Der Nachruf ist abgedruckt in: Die Frau im Staat, Heft II/1919, S. 1–2. Erläuterungen Kurt Eisner †. Bei den hier abgedruckten Nachrufen steht nur hinter dem Namen Kurt Eisner ein Kreuz den am 21. Febr[uar] ruchlose Mörderhand fällte. Der sozial-demokratische Politiker und Journalist Kurt Eisner, provisorischer bayerischer Ministerpräsident für ungefähr 100 Tage, wurde am 21. Februar 1919, am Tag der bayrischen Landtagswahlen, in München von dem nationalistischen Studenten Anton Graf von Arco auf Valley auf offener Strasse erschossen. Eisner befand sich auf dem Weg zur konstituierenden Sitzung des bayerischen Landtages, wo er seinen Rücktritt anbieten wollte. Seine Partei, die USDP, hatte bei den Wahlen nur 2,5 % der Stimmen erhalten der am 7. November 1918. Am 7. November setzte sich Kurt Eisner an die Spitze eines Demonstrationszuges, der von der Münchener Theresienwiese in die Innenstadt zog. Nach einer friedlichen Besetzung des Landtages rief Eisner in der Nacht vom 7. zum 8. November den bayerischen Freistaat aus und erklärte das Haus Wittelsbach für abgesetzt am 9. und 10. November. Am 9. November 1918 rief der Sozialdemokrat Philipp Scheidemann in Berlin die Republik aus, der Sozialist Karl Liebknecht proklamierte die sozialistische Republik. Am 10. November wählten in Berlin die Arbeiter- und Soldatenräte einen „Rat der Volksbeauftragten“ und einen „Aktionsrat der Arbeiter- und Soldatenräte“ den deutschen Volksstaat begründete. Bayern war das erste deutsche Königreich, das im November 1918 Republik wurde. Der Begriff Volksstaat verweist aber

Anmerkungen

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auch darauf, dass Eisner als provisorischer Ministerpräsident mit Unterstützung von Arbeiter- und Soldatenräten regierte. Am 8. November 1919 konstituierte sich in München ein „Provisorischer Nationalrat“ aus Bauern-, Arbeiter- und Soldatenräten. Der bayerische Kardinal Faulhaber sah in Eisners Regierung deshalb eine Inkarnation von „Jehovas Zorn“ und dabei der Frauen nicht vergaß. Schon in seiner Proklamation vom 8. November 1918 hatte Eisner die sofortige Einführung des politischen Frauenwahlrechts in Bayern verkündet. Er berief Anita Augspurg als Vertreterin der Frauenbewegung in seine provisorische Regierung und Augspurg kandidierte als parteilose Kandidatin auf einem Listenplatz von Eisners Partei USDP für die bayrischen Landtagswahlen. Im Februar 1919 veranlasste Eisner, dass dem Ministerium für soziale Fürsorge ein Referat für Frauenrecht angegliedert wurde. Das Referat übernahm Gertrud Baer (1890–1981), Augspurgs junge Mitarbeiterin im „Nationalen Frauenausschuss für einen dauernden Frieden“ Augurenlächeln – überheblich-wissendes Lächeln des Einverständnisses unter Eingeweihten. Im alten Rom hatten die Auguren die Aufgabe, den Willen der Götter zu erkunden und ihre Zeichen zu deuten gleisnerischen – (veraltet) heuchlerischer, scheinheiliger aus dem Borne – (veraltet, aber auch poetisch) aus der Quelle, aus dem Brunnen ein wahrhaft Perikleischer. Hier im Sinne von: Ein wahrhaft (volks-)demokratischer Staatsmann mit hohen Idealen. Eine Anspielung auf den athenischen Feldherrn und Staatsmann Perikles (ca. 490 v. Chr. – 429 v. Chr.). Perikles gilt als der Begründer der attischen Demokratie, in der die Volksversammlung eine entscheidende Rolle spielte die blaue Blume. Die Suche nach der blauen Blume „aus dem Lande der Verheißung“ ist ein Motiv aus dem Roman „Heinrich von Ofterdingen“ von Friedrich Freiherr von Hardenberg (Novalis) und gilt seitdem als Symbol der romantischen Sehnsucht nach Poesie, Unendlichkeit und innerer Wahrheit (die blaue Blume der Romantik). In Augspurgs Nachruf steht das Bild von der blauen Blume für den Traum von einer gerechteren Welt und die – im weitesten Sinne romantische – Utopie einer gewaltfreien Revolution Sonne der Gerechtigkeit. In der geistlichen Lieddichtung beider christlicher Konfessionen seit dem 16. Jahrhundert Allegorie für Christus unter Dorn und Dunkel; Variation der gebräuchlichen poetischen Alliteration „durch Dorn und Dickicht“ dass Ihr unfehlbar den Weg nach oben führen würdet. Gemeint ist wohl entweder: „dass Ihr unfehlbar den Weg nach oben finden würdet“ oder „dass Euch unfehlbar der Weg nach oben führen würde“

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Attenhofer. Adolf Attenhofer (1879–1950), Schweizer Pädagoge, Schriftsteller und Philosoph. Attenhofer schrieb mehrere Artikel für die„Süddeutsche Freiheit“, in der auch Anita Augspurg publizierte (Anita Augspurg: Die Frau im Staat, in: Süddeutsche Freiheit, Nr. 20 vom 31. 3. 1919, S. 2–3) in der „Süddeutschen Freiheit“. Süddeutsche Freiheit. Zeitung für das neue Deutschland, München 1918/19 (Nr. 1 vom 18. Nov. 1918 – Nr. 21 vom 07. April 1919); der Nachruf auf Kurt Eisner von Adolf Attenhofer ist abgedruckt in Nr. 15./16. vom 3. 3. 1919 (Titelseite). Augspurg zitiert den Text mit kleineren Ungenauigkeiten ohne Blut, ohne Gewalt. Auf der Gründungsversammlung der „Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit“ 1919 in Zürich berichtete Anita Augspurg über die bayerische Revolution: „Es war der Stolz Bayerns diese Revolution während langen Monaten mit ganz unblutigen Mitteln durchzuführen.“ Hort.– (althochdeutsch) Schatz, Vorrat; Schutz, Zuflucht, Refugium

Rosa Luxemburg Entstehung Nachruf auf die in Berlin ermordete sozialistische Politikerin und Publizistin Rosa Luxemburg (1871–1919; das Geburtsjahr wird teilweise auch mit 1870 angegeben), abgedruckt in: Die Frau im Staat Heft V/VI, Mai/Juni 1919, S. 1– 2. Luxemburg und Augspurg hatten sich in den 1890iger Jahren in Zürich kennen gelernt, wo beide die Staatswissenschaften studierten. Erläuterungen Die Auff indung der Leiche Rosa Luxemburgs. Die Leiche Rosa Luxemburgs war am 31. Mai 1919 an einer Schleuse des Landwehrkanals aufgefunden worden – mehrere Monate nach ihrer Ermordung am 13. Juni in Lichtenberg bei Berlin. Am 13. Juni 1919 wurde Rosa Luxemburg in Berlin auf dem Zentralfriedhof Friedrichsfelde beigesetzt Einen der Mörder, auf den man die Hauptschuld schob, ließ man entkommen. Wilhelm Canaris, einer der Richter im Mordprozess, half Oberleutnant Kurt Vogel (1889–1967), der den Mord an Rosa Luxemburg auf sich genommen hatte, aus Deutschland zu fliehen. Der Freikorps-Offizier Waldemar Pabst (1880–1970), der die Mordaktion leitete, wurde nicht angeklagt August Bebel nicht ausgenommen. Der deutsche Sozialdemokrat Ferdinand August Bebel (1840–1913), einer der Gründungsväter der SPD, Mitglied des Deutschen Reichstags von 1871 bis 1913 (mit Unterbrechung von einem Jahr)

Anmerkungen

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Gustav Landauer Entstehung Nachruf auf den in München ermordeten Schriftsteller und Pazifisten, Mystiker und Anarchisten Gustav Landauer (1870–1919), abgedruckt in: Die Frau im Staat, Heft V/VI, Mai/Juni 1919, S. 2–3. Augspurg kannte Landauer aus ihrer gemeinsamen Arbeit für die Regierung Eisner. In der Zeit der Münchener Räterepublik im April 1919 war Landauer kurze Zeit Beauftragter für Volksaufklärung. Nach dem Einmarsch von Reichswehr und Freikorpsverbänden in München wurde er am 1. Mai 1919 verhaftet und einen Tag später im Zuchthaus Stadelheim auf grausame Weise von Soldaten ermordet. Von seiner geistigen Haltung her – vor allem in seiner Orientierung an Goethe – stand Landauer Augspurg sehr nahe, die in ihrem Nachruf auf Fakten, biografische Daten und Hintergrundinformationen weitgehend verzichtet und eher ihrer Erschütterung Ausdruck verleiht. Erläuterungen Die blinde Wut des Reaktionsterrors. Schon eine knappe Woche nach Ausrufung der „Räterepublik Baiern“ (am 7. April 1919), kam es (am 13. April 1919) zu einem Putschversuch der „Republikanischen Schutzwehr“. Kurz darauf begann die Einkesselung Münchens durch Regierungstruppen, Reichstruppen und Freikorpsverbände. Bei den Kämpfen der sogenannten „weißen Truppen“ gegen die „rote Armee“ der Räteregierung kam es zu regelrechten Massakern als Opfer der Reichstruppen. Die bayerische Regierung Hoffmann hatte nach Ausrufung der Räterepublik die Reichsregierung in Berlin um militärische Hilfe gebeten gegen Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg. Karl Liebknecht (1871–1919) und Rosa Luxemburg (1871–1919) waren beide am 15. Januar 1919 in Berlin ermordet worden und ermordete ihn auf noch nicht festgestellte Weise. Landauer soll am 2. Mai 1919, einen Tag nach seiner Verhaftung im Haus des ermordeten bayrischen Ministerpräsidenten Kurt Eisner, im Zuchthaus Stadelheim von der Wachmannschaft im Gefängnishof zu Tode getrampelt worden sein. In einem anderen Bericht heißt es, er sei zuerst halbtot geprügelt und dann erschossen worden Er war kein Politiker. Landauer war Mitglied des „Vereins Unabhängiger Sozialisten“, aber kein Berufspolitiker, sondern Literat. Er war Schriftsteller und Journalist, Mitbegründer der „Neuen freien Volksbühne“ in Berlin, Herausgeber und Übersetzer. Von ihm stammt einer der bekanntesten Sätze über die bayerische Revolution: „Puppen werden zu Menschen, eingerostete Philister werden der Erschütterung fähig.“

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für das Amt der Volksaufklärung und kulturellen Bildung, mit dem er in der ersten Periode der Räterepublik in Bayern beauftragt war. Dieses Amt hatte Landauer nur etwas mehr als eine Woche inne. Am 7. April 1919 wurde die von Schriftstellern und Intellektuellen, Pazifisten und Anarchisten dominierte erste Münchener Räterepublik ausgerufen, deren Regierung Landauer angehörte. Bereits am 13. April gab es einen Putschversuch der „Republikanischen Schutztruppen“. Die daraufhin von den Kommunisten ausgerufene zweite Räterepublik lehnte Landauer ab. Schon am 16. April 1919 erklärte er den Rücktritt von seinem Amt

Rede vor dem Kongress der Arbeiter-, Bauern- und Soldatenräte in München am 1. März 1919 Entstehung Rede von Anita Augspurg auf der 7. Sitzung des bayerischen Kongresses der Arbeiter-, Bauern- und Soldatenräte am 1. März 1919, abgedruckt in: Stenographischer Bericht über die Verhandlungen des Kongresses der Arbeiter-, Bauernund Soldatenräte vom 25. Februar bis 8. März 1919 in München, Berlin o. J., Reprint, S. 179–180. In dieser Rede begründete Augspurg ihren Antrag auf Einrichtung von Frauenräten. Nach der Rede wurde die Debatte geschlossen. Der Antrag auf Einrichtung von Frauenräten wurde abgelehnt, sollte aber dem Aktionsausschuss unverbindlich „als Anregung und zur Beratung“ vorgelegt werden (Stenographischer Bericht, S. 181). Erläuterungen die Macht des Zentrums auf dem Lande. Die von führenden Mitgliedern des katholischen Zentrums 1918 gegründete Bayerische Volkspartei hatte bei den Landtagswahlen 1919 fast 40 % der Stimmen erhalten und blieb bis 1933 in Bayern die stärkste Partei. Die Zentrumspartei selbst war 1919 nicht im bayerischen Landtag vertreten wo sie das politische Recht überhaupt erst vor einigen Monaten erworben haben. In Bayern am 7. November 1918, republikweit am 12. November 1918 z. B. in Wolfratshausen. Anita Augspurg und Lida Heymann wohnten seit 1916 in Icking, in der Nähe von Wolfratshausen, in ihrem Haus „Burg Sonnensturm“ nach der neuen provisorischen Verfassung. Das Gesetz über die vorläufige Reichsgewalt vom 10. Februar 1919 (außer Kraft gesetzt am 14. 8. 1919 durch Art. 178 Satz 1 Weimarer Reichsverfassung)

Anmerkungen

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Die deutsche Verfassung ein Fetzen Papier? Entstehung Einer von mehreren Artikeln zum Thema Verfassungsbrüche in der Weimarer Republik, abgedruckt in: Die Frau im Staat, Heft XI/XII, November/Dezember 1919, S. 1–3. Erläuterungen Ausspruch von „einem Fetzen Papier“, als den der verantwortliche Vertreter dieser Regierung heilige Völkerverträge bezeichnete. Theodor von Bethmann Hollweg (1856–1921), deutscher Reichskanzler von 1909 bis 1917, soll im August 1914 in einem Gespräch mit dem britischen Botschafter die britische Neutralitätsgarantie für Belgien einen „Fetzen Papier“ genannt haben unserer jetzigen Regierung. 2. Reichskanzler der Weimarer Republik war vom 21. Juni 1919 bis zum 26. März 1920 der SPD-Politiker Gustav Bauer (1870– 1944) und nur der Reichspräsident darf, „wenn die öffentliche Sicherheit und Ordnung erheblich gefährdet wird, vorübergehend diese Grundrechte außer Kraft setzen“. Art. 48 Satz 2 u. 3 Weimarer Reichsverfassung, die hier sehr frei zitiert werden Die frühere Reichsverfassung von 1867 bzw. 1871 und das Gesetz über die vorläuf ige Reichsgewalt vom Februar 1919. Die Verfassung des norddeutschen Bundes vom 16. 4. 1867; die Verfassung des Deutschen Reiches vom 16. 4. 1871; das Gesetz über die vorläufige Reichsgewalt vom 10. Februar 1919 Reichsrecht bricht Landesrecht. Art. 13 Weimarer Reichsverfassung das preußische Kriegszustandsgesetz vom 4. Juni 1851. Das preußische Gesetz über den Belagerungszustand vom 4. 6. 1851 das bayerische Gesetz vom Dezember 1912. Das bayerische Gesetz über den Kriegszustand vom 5. November 1912 schon vor dem 11. August d. J. Am 11. August 1919 unterzeichnete Reichspräsident Friedrich Ebert (1871–1925) die Verfassung des Deutschen Reiches In Hamburg regiert und dekretiert ein afrikanischer Oberst. Generalmajor Paul Emil von Lettow-Vorbeck (1870–1964), während des 1. Weltkriegs Kommandeur der deutschen Kolonialtruppen in Ostafrika („Schutztruppe für DeutschOstafrika“), war im Juni 1919 mit einer Reichswehrdivision in Hamburg einmarschiert, um einen Arbeiteraufstand niederzuschlagen. Anschließend reorganisierte er die örtlichen Polizei- und Sicherheitskräfte; vgl. hierzu auch Anm. S. 369 (eine Militärdiktatur von preußischen Junkern und Afrikanern) in München ein Generalmajor. Franz Xaver Ritter von Epp (1868–1946), Oberst und Kommandeur eines nach ihm benannten Freikorps, wurde im Mai 1919

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Kommandeur der Münchener Stadtpolizei und der Münchener Einwohnerwehren (Generalmajor wurde von Epp erst 1921) in Berlin ein General. General Walther Freiherr von Lüttwitz (1859–1942) war vom 11. November 1918 bis zum 20. März 1920 Oberbefehlshaber der Reichstruppen in Berlin Alle öffentlichen Beamten „und Angehörigen der Wehrmacht sind nach Artikel 176 auf die Verfassung zu vereidigen“. Art. 176 Satz 1 WRV: „Alle öffentlichen Beamten und Angehörigen der Wehrmacht sind auf diese Verfassung zu vereidigen.“ Reichspräsident Ebert. Friedrich Ebert (1871–1925), deutscher Reichspräsident vom 11. Februar 1919 bis zu seinem Tod am 28. Februar 1925 des Reichswehrministers Noske. Der SPD Politiker Gustav Noske (1868–1946), deutscher Reichswehrminister unter Reichskanzler Philipp Scheidemann (1865–1939, deutscher Reichskanzler vom 13. 2. bis 20. 6. 1919) und unter Reichskanzler Gustav Bauer (1870–1944, deutscher Reichskanzler vom 21.06.1919 bis zum 26. 3. 1920) „müssen“ nach Art. 107 Verwaltungsgerichte und für das Deutsche Reich ein Staatsgerichtshof bestehen. Art. 107 Weimarer Reichsverfassung: „Im Reiche und in den Ländern müssen nach Maßgabe der Gesetze Verwaltungsgerichte zum Schutze der Einzelnen gegen Anordnungen und Verfügungen der Verwaltungsbehörden bestehen.“; Art. 108 WRV: „Nach Maßgabe eines Reichsgesetzes wird ein Staatsgerichtshof für das Deutsche Reich errichtet.“ Der Staatsgerichtshof für das Deutsche Reich hatte seinen Sitz in Leipzig, die Errichtung erfolgte beim Reichsgericht (Gesetz über den Staatsgerichtshof vom 9. Juli 1921) soll seine Befugnisse ein Senat von 7 Mitgliedern ausüben. Diese sieben Mitglieder waren (zumindest in fast allen Streitfällen): der Präsident des Reichsgerichts (der zugleich Präsident des Staatsgerichtshofes war), drei Richter des Reichsgerichts (Reichsgerichtsräte) sowie je ein Richter des Oberverwaltungsgerichts Bayern, des Oberverwaltungsgerichts Preußen und des Oberverwaltungsgerichts Sachsen katexochen – schlechthin Erlass des Universitätssenates. Beschluss des Universitätssenats der Eberhard Karls Universität Tübingen vom 6. November 1919: „Der Senat hält es für wünschenswert, dass in Zukunft bei der Anmeldung zu dem Staatsexamen nicht nur die Tätigkeit der Kandidaten im Heeresdienst, sondern auch ihre Teilnahme an der Einwohnerwehr angegeben wird, und dass diese Mitteilung auch bei den vorliegenden Meldungen nachgeholt werde.“ (Universitätsarchiv Tübingen, Senatsprotokolle, Signatur: 47/39, Blatt 384, 385)

Anmerkungen

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§ 339 RStGB. § 339 I RStGB (Rechtsbeugung): „Ein Beamter, welcher durch Missbrauch seiner Amtsgewalt oder durch Androhung eines bestimmten Missbrauchs derselben jemand zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung widerrechtlich nötigt, wird mit Gefängnis bestraft.“ ein Epigramm Grillparzers. Das zitierte Epigramm des österreichischen Schriftstellers Franz Grillparzer (1791–1872) aus dem Jahre 1849 lautet: „Der Weg der neuern Bildung geht/Von Humanität/Durch Nationalität/Zur Bestialität (Franz Grillparzer: Werke Bd. III, München 1971, S. 323) Hydraschlingen. Sprichwörtlich zur Bezeichnung einer gefährlichen Verstrickung – eine Anspielung auf die Hydra von Lernai in der griechischen Mythologie, ein neunköpfiges Ungeheuer, das im Kampf mit dem Halbgott Herakles seine schlangenähnlichen Hälse um die Beine seines Gegners wand Wird dir ein Herkules erstehen, der deinen Staat von dem generationenhoch gelagerten Unrat säubert. Eine Anspielung auf die Reinigung der Ställe des Königs Augias durch den Halbgott Herakles (griechische Mythologie) dass dir ein Goethe, ein Schiller, ein Humboldt. Die Dichter Johann Wolfgang von Goethe (1749–1832) und Friedrich Schiller (1759–1805); die Wissenschaftler Wilhelm von Humboldt (1767–1835) und Alexander von Humboldt (1769–1859) Bronnen – (veraltet/poetisch) Brunnen „Werdet besser, gleich wird’s besser werden“, ist eine von den einfachsten Lebensweisheiten unseres Hohenpriesters Goethe. Bei dem Vers: „Wie’s nun ist auf Erden,/ Also sollt’s nicht sein./Lasst uns besser werden:/Gleich wird’s besser sein.“ handelt es sich nicht um einen Goethe-Vers, sondern um die sechste Strophe des Gedichts: „Trost für mancherlei Tränen“ von Christian Adolf Overbeck (1755– 1821); die Bezeichnung Goethes als „Hohepriester“ bzw. „Hohepriester der Muse“ (Brockhaus 1833) war im 19. Jahrhundert nichts Ungewöhnliches eine Militärdiktatur von preußischen Junkern und Afrikanern. Eine Anspielung auf den „Helden von Afrika“, Generalmajor Paul Emil von Lettow-Vorbeck (1870–1964), Sohn einer preußisch-pommerschen Adelsfamilie, der im Juni 1919 mit einer Truppe von 10.000 Mann, darunter auch afrikanische Askaris aus den ehemaligen Kolonialtruppen, in Hamburg einmarschiert war; vgl. hierzu auch Anm. S. 367 (in Hamburg regiert … ein afrikanischer Oberst)

Die Zukunft Entstehung Der Artikel ist der einzige bisher bekannte Text von Anita Augspurg zu matriarchalen Zukunftsvisionen. Erschienen ist „Die Zukunft“ in der von Augspurg

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und Heymann 1919–1933 herausgegebenen Zeitschrift „Die Frau im Staat“ (Heft I/1920, S. 2–3). Erläuterungen die Erde ist wüst und leer. Eine Anspielung auf die biblische Schöpfungsgeschichte, im 1. Buch Mose (Genesis), Kapitel 1, Vers 2: „Und die Erde war wüst und leer, und es war finster auf der Tiefe; und der Geist Gottes schwebte auf dem Wasser.“ seit den Tagen der Chaldäer. Eine in der Anthroposophie gebräuchliche Zeitrechnung. Gemeint ist das Volk der babylonischen Chaldäer, von denen das alte Testament berichtet. Am bekanntesten ist die im Buch Daniel erzählte Geschichte des chaldäischen Königs Belsazar Flammenschrift. Die Worte „Mene mene tekel u-parsin“, die eine unheimliche Hand nach dem Bericht der Bibel (Buch Daniel) dem chaldäischen König Belsazar an die Wand schrieb, wurde in der Literatur (z. B. in Heinrich Heines Gedicht „Belsazar“) und in der Kunst (z. B. auf Rembrandts Gemälde „Das Fest des Belsazar“) häufig als Flammenschrift dargestellt wie Ariman. Ariman oder Arihman verkörperte in der altpersischen Religion die dunkle Seite des einen göttlichen Prinzips Katechismus. trad.: Handbuch zu den Grundfragen der christlichen Glaubenslehre; hier allg. im Sinne von Glaubenlehre Das Wesen der Frau wird die Welt erlösen. Bachofens Untersuchung „Das Mutterrecht“ und die Ideen vom Sündenfall des Patriarchats und von der erlösenden Wirkung des weiblichen Prinzips hatten um die Jahrhundertwende eine große Anziehungskraft auf die Vertreter der künstlerischen und intellektuellen Avantgarde, in deren Zirkeln sich Augspurg in München bewegte. Zu den Anhängern dieser Ideen gehörte z. B. der Kreis der „Kosmiker“ um Stefan George und Ludwig Klages oder auch die Szene der Literaten und Anarchisten um den Psychoanalytiker Otto Gross wie Ormuzd. Ormuzd verkörperte in der altpersischen Religion die helle Seite des einen göttlichen Prinzips: das Prinzip des Guten und des Lichts

10 Gebote für die neue Legislaturperiode Entstehung Schreiben der „Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit, Deutscher Zweig“, an den Deutschen Reichstag und die Deutsche Reichsregierung mit einem 10-Punkte-Forderungskatalog an die deutsche Politik. Das Schreiben ist abgedruckt in: Die Frau im Staat, Heft I/1925, S. 3.

Anmerkungen

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Erläuterungen §§ der Personal-Abbau-Verordnung. Die Verordnung zur Herabminderung der Personalausgaben des Reichs vom 27. Oktober 1923 (Personal-AbbauVerordnung). Die Verordnung der Reichsregierung „aufgrund des Ermächtigungsgesetzes vom 13. Oktober 1923“ (RGBl 1923, Teil I, Nr. 108) regelte in Art. 14 die Kündigung der Dienstverhältnisse verheirateter Beamtinnen Art. 128, 129 der Reichsverfassung. Art. 128 Abs. 2 WRV: „Alle Ausnahmebestimmungen gegen weibliche Beamte werden beseitigt.“; Art. 129 Abs. 1 Satz 1 und 3: „Die Anstellung der Beamten erfolgt auf Lebenszeit, soweit nicht durch ein Gesetz etwas anderes bestimmt ist. […] Die wohlerworbenen Rechte der Beamten sind unverletzlich.“ Nie wieder ein „Ermächtigungsgesetz“. Mit einem „Ermächtigungsgesetz“ setzte sich der Deutsche Reichstag zwischen 1919 und 1924 dreimal über die Verfassung hinweg und übertrug der Reichsregierung befristet die Befugnis zur Gesetzgebung das in Art. 1 der Reichsverfassung verankerte Grundrecht des deutschen Volkes. Art. 1 Satz 2 WRV: „Die Staatsgewalt geht vom Volke aus.“ Anwendung von Art. 48 RV. Art 48 Abs. 2 Satz 1 WRV: „Der Reichspräsident kann, wenn im Deutschen Reiche die öffentliche Sicherheit und Ordnung erheblich gestört oder gefährdet wird, die zur Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung nötigen Maßnahmen treffen, erforderlichenfalls mit Hilfe der bewaffneten Macht einschreiten.“ Durchführung von Art. 119, Abs. 1 RV: „Die Ehe beruht auf der Gleichberechtigung der beiden Geschlechter.“ Art. 119 Abs. 1 WRV: „Die Ehe steht als Grundlage des Familienlebens und der Erhaltung und Vermehrung der Nation unter dem besonderen Schutz der Verfassung. Sie beruht auf der Gleichberechtigung der beiden Geschlechter.“ Garantien für die Durchführung der Art. 110, 111, 114, 115, 117, 118, 123 sowie des Art. 148 RV in allen Bundesstaten des Reiches. Die verlangten Garantien beziehen sich auf Grundrechtsartikel aus dem 2. Hauptteil der Weimarer Verfassung, so das Grundrecht auf Freizügigkeit (Art. 111), das allgemeine Freiheitsrecht (Art. 114), die Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 115), das Briefgeheimnis (Art. 117), die Meinungsfreiheit (Art. 118), die Versammlungsfreiheit (Art. 123). Eine Art. 1 Abs. 3 Grundgesetz entsprechende Bestimmung („Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.“) gab es in der Weimarer Verfassung nicht Garantien für Befolgung des Art. 109, Abs. 5 RV durch den Reichswehrminister. Art. 109 Abs. 5 WRV: „Orden und Ehrenzeichen dürfen vom Staat nicht verliehen werden.“

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Durchführung der Rechtsgleichheit in allen deutschen Bundesstaaten, vor allem bezüglich politischer Verfahren. Dies bezieht sich auf die vielbeschriebene politische Parteilichkeit der Weimarer Justiz und deren sprichwörtlicher Blindheit auf dem „rechten“ (politischen) Auge. Aufhebung der Todesstrafe. In der Weimarer Republik scheiterte ein Antrag der SPD auf Abschaffung der Todesstrafe 1927 Lida Gustava Heymann. Die Hamburger Pazifistin und Frauenrechtlerin Lida Gustava Heymann (1868–1943), Mitbegründerin des deutschen Zweiges der „Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit“ und der Münchener Ortsgruppe der Frauenliga (zusammen mit Anita Augspurg) Magda Hoppstock. Die Hamburger Lehrerin, SPD Politikerin und Pazifistin Magda Hoppstock-Huth (1881–1959), Mitbegründerin der Hamburger Ortsgruppe der „Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit“ und von 1945 bis 1959 internationale Präsidentin der Liga Auguste Kirchhoff. Die radikale Bremer Frauenrechtlerin, Pazifistin und Gesangslehrerin Auguste Kirchhoff (1867–1940), Mitglied der „Deutschen Friedensgesellschaft“, Vorsitzende der Bremer Ortsgruppe der „Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit“ und Verfasserin zahlreicher Schriften zur Frauenfrage Frida Perlen. Die Pazifistin und Frauenrechtlerin Frida Perlen (1870–1933), Vorsitzende des Frauenbundes der „Deutschen Friedensgesellschaft“ und Vorsitzende der Stuttgarter Ortsgruppe der „Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit“

Wieder ein Fetzen Papier Entstehung Einer von mehreren Artikeln zum Thema Verfassungsbrüche in der Weimarer Republik, abgedruckt in der von Anita Augspurg und Lida Heymann 1919– 1933 herausgegebenen Zeitschrift: Die Frau im Staat, Heft VIII/IX, August/ September 1925, S. 1–2. Erläuterungen Änderung der Personal-Abbau-Verordnung. Gesetz über Einstellung des Personalabbaus und Änderung der Personal-Abbau-Verordnung vom 4. 8. 1924 (Reichsgesetzblatt Nr. 37 vom 7. 8. 1925) widersetzten sich bei der zweiten Lesung die gesamten weiblichen Abgeordneten. Die 2. Lesung des Gesetzes, mit ungewöhnlich vielen Redebeiträgen weiblicher Abgeordneter, erfolgte am 16. und 17. Juli 1925 (Verhandlungen des

Anmerkungen

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Reichstags, Stenographischer Bericht, III. Wahlperiode 1924, 96. und 97. Sitzung) sondern es erklärte auch ein Ministerialdirektor bei der dritten Lesung, Dr. jur. Karl Bruno Gustav Lotholz, geb. 1872, Ministerialdirektor im Reichsfinanzministerium (Verhandlungen des Reichstags, Sitzung vom 24. Juli 1925) dass die Regierung durchaus auf Wiederherstellung des Art. 14 bestehen müsse. Art. 14 Abs. 1 der „aufgrund des Ermächtigungsgesetzes vom 13. 10. 1923“ erlassenen Verordnung zur Herabminderung der Personalausgaben des Reichs vom 27. 10. 1923 lautete: „Das Dienstverhältnis verheirateter weiblicher Beamter und Lehrer im Dienste des Reichs, der Länder und Gemeinden (Gemeindeverbände) kann jederzeit am 1. Werktag eines Monats zum Monatsende gekündigt werden, sofern nach dem Ermessen der zuständigen Behörde die wirtschaftliche Versorgung des weiblichen Beamten gesichert erscheint. Dies gilt auch bei lebenslänglicher Anstellung.“ eo ipso – selbstverständlich den Schutz von Art. 21 RV. Art. 21 WRV: „Die Abgeordneten sind Vertreter des ganzen Volkes. Sie sind nur ihrem Gewissen unterworfen und an Aufträge nicht gebunden.“ dem schwarzen Kultusminister. Bayerischer Kultusminister war von 1920–1926 der Jurist Franz Matt (1860–1929), engagierter Katholik und Mitglied der Bayerischen Volkspartei (BVP) Reichssenatsentscheidung. Beschluss des III. Zivilsenates vom 10. Mai 1921, abgedruckt in: Die Rechtsprechung des Staatsgerichtshofes für das Deutsche Reich und des Reichsgerichts auf Grund Artikel 13 Absatz 2 der Reichsverfassung, Bd. I, Berlin 1929, S. 435–440 justif iziert und rektif iziert – hier: überprüft und berichtigt ad libitum – nach Belieben. aufgrund von Art. 126 RV. Art. 126 WRV: „Jeder Deutsche hat das Recht, sich schriftlich mit Bitten oder Beschwerden an die zuständige Behörde oder an die Volksvertretung zu wenden. Dieses Recht kann sowohl von einzelnen als auch von mehreren gemeinsam ausgeübt werden.“

Frauenlisten Entstehung Aufruf an die Frauen aller Parteien, parteiübergreifende Frauenlisten zu bilden, um den Anteil weiblicher Abgeordneter in den Parlamenten zu erhöhen. Der ungezeichnete Artikel ist abgedruckt in: Die Frau im Staat, Heft II/1926, S. 1–3.

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Kommentarteil

Erläuterungen Schon bei der Verleihung des Frauenstimmrechts in Deutschland 1918. In München rief Kurt Eisner in der Nacht vom 7. zum 8. November 1918 die Republik aus und verkündete für Bayern das Frauenwahlrecht. Für die ganze Republik verkündete am 12. November 1918 in Berlin der Rat der Volksbeauftragten das Frauenstimmrecht in einem „Aufruf an das deutsche Volk“. Die Verordnung über die Wahlen zur Verfassungsgebenden deutschen Nationalversammlung vom 30. November 1918 gewährte das aktive und passive Wahlrecht allen männlichen und weiblichen Staatsangehörigen ab 21 Jahren Konferenz mit weiblichen Parlamentariern des „Deutschen Zweiges der Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit“ in Berlin, Februar 1925. Über die von der Frauenliga einberufene Konferenz mit weiblichen Abgeordneten aller Parteien des Reichstages vom 9. März 1925 berichtete Augspurg in: Anilid [Anita (Augspurg) und Lida (Gustava Heymann)]: Frauenpolitik, in: Die Frau im Staat, Heft IV/1925, S. 1–2 ( S. 2) Der andauernde Rückgang weiblicher Abgeordneter in Deutschland. Weimarer Nationalversammlung 1919: 421 Abgeordnete, davon zu Beginn der Legislaturperiode 37 Frauen (8,7 %), am Ende der Legislaturperiode 41 Frauen (9,6 %); Deutscher Reichstag, 1. Wahlperiode 1920–1924: 463 Abgeordnete, davon 37 Frauen (8,0 %); 2. Wahlperiode 1924: 472 Abgeordneten, davon 27 Frauen (5,7 %); 3. Wahlperiode 1924–1928: 493 Abgeordnete, davon 33 Frauen (6,6 %) das neue Wahlsystem. Die Verordnung über die Wahlen zur verfassunggebenden deutschen Nationalversammlung vom 30. November 1918 führte ein striktes Verhältniswahlrecht ein. Die Zahl der Reichstagsabgeordneten war nicht mehr auf 397 festgelegt, sondern von der Gesamtstimmzahl abhängig und schwankte von 421 (1919) bis zu 647 Mitgliedern (1933) das heutige Listensystem. Nach dem neuen Wahlrecht hatten die Wählerinnen und Wähler je eine Stimme, die sie auf einer Wahlkreisliste abgeben konnten Jota – das Geringste

Verfassung, Gesetzgebung und Rechtsprechung Entstehung Einer von mehreren Artikeln zum Thema Verfassungsbrüche in der Weimarer Republik, abgedruckt in der von Anita Augspurg und Lida Heymann 1919– 1933 herausgegebenen Zeitschrift: Die Frau im Staat, Heft II/1929, S. 4–5.

Anmerkungen

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Erläuterungen Die „Sektion für Dichtkunst der Preußischen Akademie der Künste“. Die Sektion für Dichtkunst der preußischen Akademie der Künste, gegründet 1926, zählte u. a. Thomas und Heinrich Mann, Alfred Döblin, Gerhart Hauptmann und Ricarda Huch zu ihren Mitgliedern Der Preußische Landtag von 1928. Am 19. Dezember 1928 hatte der Abgeordnete und Rittergutsbesitzer Dr. Friedrich von Winterfeld von der „Deutschnationalen Volkspartei“ im preußischen Landtag zwei Anträge eingebracht, in denen er die „immer hemmungslosere und oft geistlose Darstellung des Nackten“ in Druckerzeugnissen sowie „Auswüchse im Theaterleben, welche geeignet sind, die Empfindungen der gesunddenkenden Bevölkerung zu verletzen“ beklagte. Um Abhilfe zu schaffen, forderte er, der Landtag möge zum einen auf dem Verwaltungsrechtswege tätig werden und zum anderen bei der Reichsregierung auf eine entsprechende Änderung der Reichsgesetzgebung hinzuwirken. Zu einer Aussprache über die beiden Anträge kam es nicht. (Drucksachen des preußischen Abgeordnetenhauses: Uranträge Nr. 576 und 577 vom 19. 12. 1928) Reichsrecht bricht Landesrecht. Art. 13 Abs. 1 WRV: „Reichsrecht bricht Landesrecht.“ den Artikel, der eine allgemeine Zensur ausdrücklich ablehnt. Art. 118 Abs. 2 Satz 1 WRV: „Eine Zensur findet nicht statt, […].“ Die Gewalt geht vom Volke aus. Art. 1 Satz 2 WRV: „Die Staatsgewalt geht vom Volke aus.“ Hier klafft in unserem Staatsrecht eine Lücke, unsere Verfassung hat keinen ex off icio Schutz gegen Verletzung durch den Gesetzgeber. In der Weimarer Verfassung war eine Normenkontrolle „von Amts wegen“ (ex officio) durch die Gerichte nicht vorgesehen In den Vereinigten Staaten ist dieser Schutz vorhanden. Gemeint ist das Normenkontrollrecht des US-amerikanischen Supreme Court

Zu dieser Ausgabe: Textauswahl, Textanordnung und Textgestalt Die vorliegende Studienausgabe orientiert sich bei der Anordnung der Texte an einer einfachen Übersichtlichkeit in der zeitlichen Entwicklung und versucht gleichzeitig, inhaltliche Zusammenhänge offen zu legen. Sie ordnet im Großen zeitlich, im Kleinen thematisch und unterteilt vor allem in die beiden Abschnitte „Deutsches Kaiserreich“ (Teil I) und „Weimarer Republik“ (Teil IV ). Teil II („Friedenspolitische Texte“) versammelt Schriften aus beiden Zeitabschnitten, Teil III („Nachrufe“) enthält Publikationen aus der Umbruchzeit zwischen dem Ende des Kaiserreichs und der Entstehung der Weimarer Republik. Aus mehr als 500 Texten – einschließlich der Petitionen, ungezeichneten und rein darstellenden Beiträge – wurden 76 Texte ausgewählt, darunter drei ungezeichnete Beiträge, zwei Rezensionen, zwei Offene Briefe, drei Nachrufe, ein publiziertes Schreiben an Behörden, eine selbständig erschienene Schrift sowie eine in zwei Zeitungen mit unterschiedlichem Wortlaut zitierte Rede Augspurgs zum BGB. Ferner wurden folgende Texte in die Auswahl mit aufgenommen, bei denen Anita Augspurg als Mitverfasserin zeichnet: ein Aufruf, sechs Petitionen, zwei Eingaben bzw. Anträge an Behörden oder politische Gremien und ein Manifest. Nicht mit aufgenommen wurden: die Dissertation, Artikel zu Geburtsund Gedenktagen sowie Vereins- und Reiseberichte. Als Herausgeberin der Zeitschrift „Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung“ dokumentierte Anita Augspurgs von 1899 bis 1906 regelmäßig (in gekürzter Form) Parlamentsdebatten, darunter auch Auszüge aus einer Reichstagsdebatte in eigener Sache – zum sogenannten „Fall Augspurg“. Dieses Dokument gehört nicht zum Werk der Autorin Anita Augspurg, wohl aber in gewissem Sinne zum aufklärerischen Werk der Publizistin, Herausgeberin und Redakteurin und wurde deshalb in die Studienausgabe aufgenommen. Die bei vielen philologischen Werkausgaben übliche Vorbemerkung, dass die Texte in moderne Rechtschreibung und Zeichensetzung gebracht wurden, fehlt zumeist in den Werkausgaben der Juristen, deren Texte häufig im Faksimile abgedruckt werden. Der Nachteil einer solchen Ausgabe ist, dass gegebenenfalls nicht nur eine Fülle unterschiedlicher Drucktypen, sondern auch ungewohnte Wortbilder und für heutige Lesegewohnheiten merkwürdig anmutende Schreibweisen aus vergangenen Jahrhunderten die Lesbarkeit erschweren und das Leseinteresse auf Nebensächliches lenken können. Ziel der vorliegenden Studienausgabe ist es, eine gut lesbare Textfassung zu erstellen, die alle störenden

Zu dieser Ausgabe: Textauswahl, Textanordnung und Textgestalt

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Altertümlichkeiten korrigiert, ohne die individuellen Eigenheiten der ursprünglichen Textgestalt zu zerstören. Anita Augspurg hat viele ihrer Texte ursprünglich als Reden konzipiert. Die zahlreichen Absätze, Doppelpunkte und Semikola entsprechen diesem Textanlass, jedoch nicht immer den Regeln der Zeichensetzung. Ob eine Korrektur nach den heutigen Interpunktionsregeln die Lesbarkeit und Verständlichkeit des Textes verbessert oder ob sie den am Mündlichen orientierten Sprachgestus verfälscht, lässt sich jeweils nur für den Einzelfall entscheiden. Verfahren wurde nach dem Grundsatz, nur dann in den Text einzugreifen, wenn dies unbedingt erforderlich ist, d. h. bei offensichtlichen Irrtümern oder Druckfehlern sowie immer dann, wenn die irreguläre Zeichensetzung Inhalte verfälscht, die Lesbarkeit behindert oder diese erschwert. Die uneinheitliche Schreibweise von Vereinsnamen und den Namen von Publikationsorganen – die in den Originaltexten entweder in kursiver oder in gerader Schrift erscheinen oder in Anführungszeichen gesetzt werden – wurde vereinheitlicht: Alle Vereinsnamen und alle Namen von Zeitungen oder Zeitschriften im Text (nicht in den Überschriften) stehen in Anführungszeichen. Kursiv geschriebene Worte im Text entsprechen Hervorhebungen im Originaltext. Die Rechtschreibung aller Texte, einschließlich der Zitate, wurde – auf der Grundlage der neuen amtlichen Rechtschreibregeln aus dem Jahre 2006 (Duden, 24. Aufl.) – vorsichtig modernisiert. Das heißt: ae wird zu ä (Aerztin zu Ärztin), ue wird zu ü (Uebung zu Übung, Ueberzeugung zu Überzeugung) oder zu e (Intriguen zu Intrigen); c zu k (inclusive zu inklusive; Comité zu Komitee, Collision zu Kollision, Capitalisten zu Kapitalisten, Conkurrenz zu Konkurrenz) oder c wird zu z (speciell zu speziell, Socia zu Sozia); ie wird zu i oder i zu ie (giebt zu gibt, Regulirungen, zu Regulierungen); th wird zu t (Theilnahme zu Teilnahme, Irrthum zu Irrtum, Thätigkeit zu Tätigkeit, Thun zu Tun), aa wird zu a (Schaar zu Schar, Maass zu Maß), ss wird zu s (verhängnissvoll zu verhängnisvoll) oder ss wird zu ß (Maass zu Maß), aber ß wird auch zu ss (daß zu dass); dt wird zu t (todtes Wissen zu totes Wissen), i wird zu ü (endgiltig zu endgültig), aber ü wird auch zu i (Hülfe zu Hilfe, Hülfstätigkeit und Gehülfin zu Hilfstätigkeit und Gehilfin). Wird, wie in den letztgenannten Fällen, der Lautstand nicht gewahrt, so wird in den Anmerkungen auf die Schreibweise im Originaltext hingewiesen. Das heute unübliche, von Anita Augspurg uneinheitlich verwendete e oder s in der Wortmitte entfällt. Das heißt: Entwickelung wird zu Entwicklung, Siedelung zu Siedlung, Kapitalsanlage zu Kapitalanlage. Die altertümliche Schreibweise wird allerdings dann beibehalten, wenn sie a) durchgängig verwendet wird und als Variante nach dem Duden noch zugelassen ist (Photographie, mittelst), b) wenn durch die Modernisierung eine ironische

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Kommentarteil

Konnotation verloren ginge (hausfräulich) oder c) wenn durch die Modernisierung, z. B. durch Kleinschreibung bei der Du-Anrede oder nach Semikolon bei Wiederholungen, das Pathos eines Textes (Euer Recht! Ihr Frauen Alle! – Nun sie …; Nun sie …; Nun sie ….) unzulässig abgemildert würde. Ist die Schreibweise in den Originaltexten uneinheitlich, heißt es z. B. einmal aufgrund, an anderer Stelle aber wieder auf Grund, so wird die heute übliche Form durchgängig verwendet (in diesem Falle: aufgrund). Anita Augspurg war eine kreative Autorin mit einer Vorliebe für altertümliche Wortformen und eigentümliche Wortbildungen. Wortschöpfungen wie überpolizeiregeln oder Prostituenten (für Freier) wurden selbstverständlich stehen gelassen, durchgängig verwendete, heute unübliche Wortformen wie Beanlagung (für steuerliche Veranlagung) ebenfalls. Beibehalten wurden auch nicht eingedeutschte Substantive aus dem Englischen oder Französischen wie Race (für Rasse), Detectives (für Detektive) oder Retouche (für Retusche). In das heute unübliche Wort Presskommentare (für Pressekommentare) wurde durchgängig ein in eckige Klammern gesetztes e eingefügt. Das inflationär von Anita Augspurg gebrauchte, heute in vielen Fällen unübliche Dativ e (dem Manne) wurde beibehalten, ebenso das heute kaum noch übliche e vor dem Genitiv s (des Berufes). Offensichtliche grammatische Fehler wurden korrigiert. Auslassungen oder Einfügungen der Herausgeberin werden durch eckige Klammern kenntlich gemacht. Gegebenenfalls wird in den Anmerkungen auf die ursprüngliche Textfassung hingewiesen. Gängige Abkürzungen wurden beibehalten, aber in eine moderne Schreibweise gebracht, also BGB statt B.G.B, RStGB statt R.-S.-t.-G.-B. oder R.S.t.G.B., vgl. statt vergl, bzw. statt bezw., etc. statt ec, p. c. statt pCt. Die Anzahl der beibehaltenen Abkürzungen ist jedoch relativ klein und beschränkt sich auf Titel und Anreden wie Dr., Prof., Frl., Mlle, auf Gesetzesnamen wie BGB und RStGB, gängige Zeit- und Ortsangaben wie Str., v. J., d. J., d. M. sowie auf folgende Abkürzungen: d. h., z. B., usw., bzw., vgl., etc., u. a., p. c. Alle anderen Abkürzungen, auch Namen und Titel, werden ausgeschrieben. Dabei wird der Eingriff in den Text durch eine Ergänzung in eckigen Klammern kenntlich gemacht. In den Anmerkungen wird ggf. auf Eingriffe in den Text hingewiesen. Wurde ein Text in mehreren Zeitungen oder Zeitschriften abgedruckt, so ist Grundlage dieser Ausgabe immer die Fassung, die in einem von Anita Augspurg selbst herausgegebenen oder in einem ihr politisch nahestehenden Publikationsorgan („Die Frauenbewegung“, „Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung“, „Zeitschrift für Frauenstimmrecht“ u. a.) erschienen ist. Auf andere Fassungen oder Fundstellen wird im Anmerkungsteil ggf. hingewiesen.

Zu dieser Ausgabe: Textauswahl, Textanordnung und Textgestalt

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Die Texte Anita Augspurgs erscheinen im Druckbild in geradestehender lateinischer Schrift, von ihr selbst gemachte Hervorhebungen kursiv. Ergänzungen der Herausgeberin werden in eckige Klammern gesetzt. In den Anmerkungen erscheinen die Zitate aus dem Text in kursiver Schrift, die Anmerkungen der Herausgeberin in gerader lateinischer Schrift. Die mehrfachen Trennstriche zu Beginn oder am Ende von Redebeträgen in der abgedruckten Reichstagsdebatte imitieren das Originaldruckbild und stehen für Auslassungen, die Anita Augspurg auf diese Weise gekennzeichnet hat. Am Ende dieser Studienausgabe steht ein Werkverzeichnis. Die Aufnahme des Werkverzeichnisses entspricht dem Gesamtanliegen der Edition: eine Grundlage zu schaffen für weitere Forschungen, diese anzuregen und zu erleichtern. Das Werkverzeichnis ist unterteilt nach Textarten und Publikationsformen und innerhalb der einzelnen Rubriken streng chronologisch geordnet. Bei den namentlich gezeichneten Schriften wird Vollständigkeit angestrebt. Diese kann bei der gegebenen Materiallage allerdings immer nur als vorläufig angesehen werden. Bei den nicht namentlich gezeichneten Artikeln, die in das Werkverzeichnis aufgenommen wurden, handelt es sich um Texte, die nach Inhalt, Thematik, Stil und Wortwahl mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit von Anita Augspurg verfasst wurden. In jedem Fall hat sie diese Texte mitverfasst und – mit einer Ausnahme – für diese auch die redaktionelle Verantwortung übernommen. Publizierte Dokumente, unsignierte kleinere Berichte und unsignierte Mitteilungen wurden nicht in das Werkverzeichnis aufgenommen.

Dr. jur. Anita Augspurg – eine biographische Skizze Anita Augspurg wurde 1857 geboren und starb 1943. Sie führte ein individuelles, unbürgerliches Leben und machte das Recht und die Politik zu ihrem Beruf in einer Zeit, als dies für Frauen noch nicht vorgesehen war. Sie gründete Vereine und Zeitschriften, organisierte Volksversammlungen und ging im deutschen Reichstag ein und aus. Aus den Zusammenhängen ihrer außerparlamentarischen frauenpolitischen Arbeit heraus entstand ihr rechtspolitisches Werk. 1918/19 war sie eine von acht Frauen im provisorischen Nationalrat Bayern. 1919 gehörte sie zu den wenigen weiblichen Delegierten auf dem Münchener Kongress der Arbeiter-, Bauern- und Soldatenräte. Die letzten 10 Jahre ihres Lebens (1933 – 1943) lebte sie als politischer Flüchtling im Schweizer Exil. Geboren wurde Anita Theodora Johanna Sophie Augspurg am 22. September 1857 im norddeutschen Verden. Der Vater war Obergerichtsanwalt, ein Bruder der Mutter Professor der Rechte in Jena. Die jüngste Tochter kopierte als Jugendliche Akten im Büro des Vaters und begann mit 21 Jahren eine Lehrerinnenausbildung in Berlin. Sie arbeitete als Schauspielerin und Fotografin, engagierte sich in der Frauenbewegung und ging 1893 in die Schweiz, um Jura zu studieren. Das Studienfach Rechtswissenschaften lag von der Familiengeschichte her nahe, wichtig war Anita Augspurg aber auch, bei den anstehenden Rechtskämpfen der Frauenbewegung nicht länger auf männliche Beratung und Stellvertretung angewiesen zu sein. Ihre vielgerühmte „meisterhafte“ 1 Rede über „Die rechtliche Stellung der Frau im Entwurf des Bürgerlichen Gesetzbuches“ 2 hielt die Jurastudentin zuerst auf einer Sitzung des radikalen Vereins Frauenwohl in Berlin. Anlass waren die Proteste der Frauenbewegung gegen den Entwurf des ersten einheitlichen Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich. Im Zentrum feministischer Rechtskritik stand das Familienrecht. Im Allgemeinen Teil des BGB-Entwurfs war den Frauen die allgemeine Geschäftsfähigkeit zugestanden worden, rechtlich relevant war dies jedoch nur für die unverheiratete, kinderlose Frau. Den Ehefrauen und den unehelichen Müttern wurden im Familienrecht ihre Rechte aus dem Allgemeinen Teil durch Sondergesetze, z. T. in Analogie der für die Rechtsgeschäfte Minderjähriger gegebenen Vorschriften, erheblich beschnitten. An diesem „Sonderrecht“ kritisierten die Frauen vor allem:

1 2

Vgl.: Verein Frauenwohl Berlin, in: Die Frauenbewegung 1895, S. 188 Die Rede Augspurgs wird referiert: ebd.

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– das Unehelichenrecht, welches der unehelichen Mutter das Recht zur Vertretung ihres Kindes absprach und das ein Verwandtschaftsverhältnis zwischen dem unehelichen Vater und seinem Kind verneinte; – das eheliche Güterrecht, welches das Vermögen der Ehefrau der Verwaltung und Nutznießung des Ehemannes unterstellte (gesetzlicher Güterstand der Verwaltungsgemeinschaft); – das Elternrecht, welches der Mutter nur das Recht der elterlichen Sorge, nicht aber das Recht der Vertretung des Kindes zugestand. „Die Entdeckung der Frauenfrage als Rechtsfrage datierte die Geburtsstunde der radikalen, politisch ernstzunehmenden Frauenbewegung in Deutschland“, heißt es in den Lebenserinnerungen „Erlebtes-Erschautes“. Im September 1896 sprach Anita Augspurg auf dem 1. Internationalen Frauenkongress in Berlin über „Das Recht der Frau“. Sie begann ihren Vortrag mit einer Reihe von Fragen: “Das Recht der Frau soll den Gegenstand meiner Besprechung bilden! – Wo herrscht es? Wo ist es zu finden? – Wo kann man es kennen lernen?“ 3 Das BGB war im Sommer 1896 vom Reichstag verabschiedet worden. Alle wesentlichen Forderungen der Frauen waren unberücksichtigt geblieben. 1897 promovierte Anita Augspurg mit einem staatsrechtlichen Thema in Zürich zur Dr. jur. Schon vor dem Rigorosum hatte sie den Plan, sich eine berufliche Zukunft in einem traditionellen juristischen Beruf zu erkämpfen, aufgegeben und sich dafür entschieden, als politische Publizistin ihre Rechtskenntnisse in den Dienst der Frauenbewegung zu stellen. Ihr Thema war die Rechtlosigkeit der Frau vor dem Gesetz, ihr Ziel eine Veränderung der bestehenden Gesetzeslage. Sie schrieb über die Rechtsstellung der Landarbeiterinnen, der obdachlosen Frauen, der Ehefrauen, der unverheirateten Mütter, der Handelsfrauen, der Prostituierten, der Dienstmädchen, der Lehrerinnen und der Industriearbeiterinnen. Sie kommentierte Verfassungen und Gesetze, Städte- und Polizeiverordnungen, Krankenkassenrichtlinien und Gerichtsurteile. Sie forderte die Ausbildung und Einstellung von Richterinnen, setzte sich ein für das Recht der Frauen zu wählen, zu studieren, politische Vereine zu gründen, in der Ehe den eigenen Namen zu behalten und über ihre Sexualität selbst zu bestimmen. Der hohe Stellenwert, den die Frauen des radikalen Flügels der bürgerlichen Frauenbewegung dem Gesetzesrecht zumaßen, fand 1899 seinen Ausdruck in der Gründung der Zeitschrift „Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung“, die Anita Augspurg in den nächsten Jahren redigierte. Der Versuch, eine weibliche Perspektive auf das Recht zu formulieren und dieser Perspektive 3 Anita Augspurg: Das Recht der Frau, in: Minna Cauer u. a. (Hg.): Der Internationale Kongress für Frauenwerke und Frauenbestrebungen in Berlin, Berlin 1897, S. 327

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im öffentlichen Diskurs einen Platz zu erkämpfen, machte es häufig notwendig, die dafür erforderlichen Organisationen und Publikationsorgane selbst zu gründen. 1902 initiierte Anita Augspurg – eine Lücke im Hamburger Vereinsrecht nutzend – die Gründung des ersten deutschen Frauenstimmrechtsvereins. Der Verein forderte das allgemeine, freie, gleiche und geheime Wahlrecht für Männer und Frauen, das heißt mehr, als in manchen deutschen Staaten den Männern zugestanden wurde: So galt in Preußen bis zum Ende der Monarchie im November 1918 bei den Wahlen zum preußischen Abgeordnetenhaus das sogenannte Dreiklassenwahlrecht, das an das Steueraufkommen gebunden war. Die Forderung nach dem politischen Frauenstimmrecht hatte in Deutschland zuerst die Schriftstellerin Hedwig Dohm formuliert. Anita Augspurg sah in Hedwig Dohm eine prophetische Gestalt. Dohm sei ein „Prediger in der Wüste“ gewesen, schrieb sie, „mutig und offen in ihren Worten wie keine.“ 4 In ihren eigenen Schriften griff Anita Augspurg viele von Dohms Gedanken, Formulierungen und Ideen auf – so etwa die Bezeichnung der Frauen als “rechtlose Klasse“ oder die Idee, den Boykott als Mittel des politischen Protestes für die Frauenbewegung zu nutzen. Wenn es unweiblich sei zu stimmen, so sei es auch unweiblich, Steuern zu zahlen, hatte Dohm 1876 geschrieben und hinzugefügt: „Jede Frau, die man Gesetzen unterwirft, die man ohne ihre Mitwirkung gemacht hat, ist in ihrem Recht, wenn sie die Steuern verweigert.“ 5 1902 berichtete Anita Augspurg in ihrer Zeitschrift „Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung“ über den Steuerboykott der Hamburgerin Lida Gustava Heymann; 1905 rief sie 100 beispielhafte Frauen dazu auf, mit einen Eheboykott gegen die geltenden Ehegesetze zu protestieren. Von 1902 bis 1914, über einen Zeitraum von 12 Jahren, bildete der Kampf um das Frauenstimmrecht für Anita Augspurg den Schwerpunkt ihrer politischen Arbeit. Die Konzentration auf die Stimmrechtsforderung drückte sich auch aus in der Gründung der „Zeitschrift für Frauenstimmrecht“, die sie seit 1907 herausgab. In der Zeit des Weltkrieges setzte Anita Augspurg ihre politische Stimmrechtsarbeit fort, in den Vordergrund trat jedoch die pazifistische Friedensarbeit. 1915 organisierte sie zusammen mit Pazifistinnen aus neutralen und kriegsführenden Staaten den ersten internationalen Frauenfriedenskongresses in Den Haag. Nach Ende des Krieges gehörte sie zu den Gründungsmitgliedern der pazifischen Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit, die bis heute be4

Anita Augspurg: Politische Frauenbewegung, in: Die Zeit Nr. 477 vom 21. 11. 1903, S. 87–88 5 Hedwig Dohm: Der Frauen Natur und Recht, Berlin 1876, Nachdruck: Neunkirch 1986, S. 163

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steht. Sie beteiligte sich an der friedlichen Revolution in Bayern und arbeitete als Vertreterin der Frauenbewegung im provisorischen Nationalrat der Regierung Eisner mit. Kurt Eisner hatte am 7. November in Bayern die Republik ausgerufen und das Frauenwahlrecht verkündet. Augspurg kandidierte als Parteilose auf einer Liste von Eisners Partei USDP für den bayerischen Landtag. Die Ermordung Eisners am Tag der bayrischen Landtagswahlen erschütterte sie tief. In den 14 Jahren der Weimarer Republik gab sie zusammen mit Lida Gustava Heymann die Zeitschrift „Die Frau im Staat“ heraus. 1933 ging sie ins Exil. Im folgenden Jahr veröffentlichte die Münchener Polizei die nachstehende Bekanntmachung: „Bekanntmachung. Auf Grund des Gesetzes über die Einziehung kommunistischen Vermögens vom 26. Mai 1933 (RGBl. I, S. 293) in Verbindung mit dem Gesetz über die Einziehung volks- und staatsfeindlichen Vermögens vom 14. Juli 1933 (RGBl. I S. 479) wird das gesamte noch in Deutschland befindliche Vermögen der Dr. Anita A u g s p u r g, geb. 22. September 1857 zu Verden a. d. Aller, ledig, Schriftstellerin, zuletzt wohnhaft in München, Kaulbachstraße 12, jetzt im Ausland, zugunsten des Landes Bayern eingezogen. München, den 27. Dezember 1934. Bayerische Politische Polizei. I. A.: Beck“ 6 Ein eingeleitetes Ausbürgerungsverfahren wurde nicht abgeschlossen. Anita Augspurg starb in Zürich am 21. Dezember 1943.

6

Reichs- und Staatsanzeiger Nr. 303 vom 31. Dezember 1934, S. 2

Werkverzeichnis 1. Selbständige Werke Gesegnete Mahlzeit. Praktische und billige Kochanleitung Dresden 1892 (Deutsche Volksbibliothek Bd. 2) Pflege deine Blumen. Kleine Zimmergärtnerei, Dresden 1892 (Deutsche Volksbibliothek Bd. 11) Wie kleide ich mich. Praktische Anleitung zur gesundheitsgemäßen und geschmackvollen Kleidung für jedermann, Dresden 1893 (Deutsche Volksbibliothek Bd. 21) Die ethische Seite der Frauenfrage, Minden und Leipzig 1893 Über die Entstehung und Praxis der Volksvertretung in England, Jur. Diss. Universität Zürich 1897, auch abgedruckt in: Annalen des Deutschen Reiches für Gesetzgebung, Verwaltung und Statistik 1898, S. 499–543 Völkerversöhnende Frauenarbeit während des Weltkrieges. Juli 1914 – November 1918. Hg. von der Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit/ Deutscher Zweig, München 1920 [o.V.; vermutlich zusammen mit Lida Gustava HEYMANN und Gertrud BAER] Erlebtes – Erschautes. Deutsche Frauen kämpfen für Freiheit, Recht und Frieden. Zusammen mit Lida Gustava HEYMANN. Hg. von Margrit Twellmann, Meisenheim am Glan 1972, Neuausgabe Frankfurt a. M. 1992

2. Buchbeiträge Schlussansprache des Vorstandsmitgliedes Frl. Augspurg, in: Das MädchenGymnasium in Karlsruhe, begründet vom Verein „Frauenbildungs-Reform“, eröffnet am 16.September 1893. Amtlicher Bericht über Entstehung, Eröffnung und Organisation der Schule, Weimar o. J. [1893], S. 33–36 Das Recht der Frau, in: Der Internationale Kongress für Frauenwerke und Frauenbestrebungen in Berlin. 19.–26. September 1896. Hg. von der RedaktionsKommission, Berlin 1897, S. 327–331 Die Ansprüche der Frau auf die Eheerrungenschaft, in: Elly SAUL/Hildegard OBRIST-JENICKE (Hg.), Jahrbuch für die deutsche Frauenwelt, Stuttgart 1899, S. 220–229 Eheideale und Idealehen, in: Rosika SCHWIMMER, Ehe-Ideale und IdealEhen, Berlin 1906, S. 9–10

Werkverzeichnis

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Reformgedanken zur sexuellen Moral, in: AUGSPURG, Anita, DOHM, Hedwig, STÖCKER, Helene u. a., Ehe? Zur Reform der sexuellen Moral, Berlin 1911, S. 19–35

3. Namentlich gezeichnete Artikel in Zeitschriften Die Photographie als Lebensberuf für Frauen, in: Frauenberuf 10/1889, S. 410– 415 Gebt acht, solange noch Zeit ist! In: Die Frauenbewegung 1/1895, S. 4–5 Die Frau und das Recht, in: Die Frauenbewegung 17/1896, S. 157–158; 18/1896, S. 167–168; 19/1896, S. 184–185; 21/1896, S. 200–203 Das Wahlrecht der Frauen zu den Gewerbegerichten, in: Die Frauenbewegung 3/1898, S. 26–27 Doch nicht! In: Die Frauenbewegung 5/1898, S. 55 Das Women’s Institute in London, in: Die Frauenbewegung 8/1898, S. 88–89 Die Rückseite der Medaille, in: Die Frauenbewegung 9/1898, S. 98 Die Verfassung des Bundes, in: Die Frauenbewegung 19/1898, S. 203–204 Über die Entstehung und Praxis der Volksvertretung in England, in: Annalen des Deutschen Reiches für Gesetzgebung, Verwaltung und Statistik 119/ 1898, S. 499–543 ( Jur. Diss. Universität Zürich 1897) Auskehr, in: Die Frauenbewegung, Nr. 2/1899, S. 13–14 Die internationale Friedenskundgebung, in: Die Frauenbewegung 3/1899, S. 25– 26 Offene Aussprache, in: Die Frauenbewegung 21/1899, S. 185–186 Zur Richtigstellung, in: Die Frauenbewegung 23/1899, S. 209 Die kommunalen Ämter der Frau, in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 16/1899, S. 61–62 Vorgänge im Kolleg des Professor Berend, in: Die Frauenbewegung 24/1899, S. 214 Ein Protest zum Protest, in: Die Frauenbewegung, Nr. 8/1900, S. 59–60; zuerst erschienen in: Frankfurter Zeitung und Handelsblatt vom 30. 03. 1899; Das Eine, was Not tut, in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 16/1900, S. 61–62 Berichtigung, in: Die Frauenbewegung 3/1901, S., S. 22–23 Reform der Frauenkleidung, in: Die Woche 15/1901, S. 687–690 Wissenschaftliche Frauenberufe, in: Die Woche 22/1901, S. 987–988 Der Kampf der Ärzte gegen die deutschen Ärztinnen, in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 14/1901, S. 53

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Kommentarteil

Erwiderungen auf die Entgegnung zum Artikel Zolltarif und Wirtschaftsgeld, in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 23/1901, S. 90–91 Berichtigung, in: Centralblatt des Bundes deutscher Frauenvereine 19/1901, S. 151 Wie sollen die Damen zu Pferde sitzen? In: Deutsche medicinische Wochenschrift 3/1902, S. 50–51 Die politische Erziehung der Frau, in: Die Frauenbewegung 3/1902, S. 18–19 Auge um Auge, in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 11/ 1902, S. 41–42 Schweigen die Frauen? In: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 14/1902, S. 53 Aufgaben der Gemeindepolitik, in: Die Frauenbewegung, Nr. 18/1902, S. 140– 141 Das Abbröckeln des preußischen Vereinsrechts, in: Die Kultur 6/1902, S. 338– 345 Die Forderung des Frauenstimmrechts, in: Frauen-Rundschau 10/1903, S. 110– 112 Die Frauen an der Börse, in: Plutus vom 16. 01. 1904, S. 42–43 Zur Richtigstellung, in: Die Frauenbewegung, Nr. 10/1904, S. 77–78 Ein unverständliches Missverständnis, in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 10/1904, S. 27–28 Die Gemäßigten und wir, in: Centralblatt des Bundes deutscher Frauenvereine 17/1904, S. 131–132 Zur Richtigstellung, in: Centralblatt des Bundes deutscher Frauenvereine 24/1904, S. 191 Ein typischer Fall der GegenwArt. Offener Brief, in: Europa 7/1905, S. 311– 314; nachgedruckt in: Die Frauenbewegung 11/1905, S. 81–82 Zur Reform der Ehe, in: Die Frauenbewegung 18/1905, S. 137–139 Zur „Frau“- oder „Fräuleinfrage“. Zusammen mit Lida Gustava HEYMANN, in: Mutterschutz 5/1906, S. 209–210 Programm, in: Zeitschrift für Frauen-Stimmrecht 1/1907, S. 1–2 Das Reichsvereinsgesetz, in: Zeitschrift für Frauen-Stimmrecht 12/1907, S. 45 [ungezeichnet] sowie leicht gekürzt in: Jus Suffragii 4/1907 [gezeichnet] Die Parlamentsfarce in England, in: Frauenstimmrecht 12/1913, S. 262–266 Friede auf Erden! In: Frauenstimmrecht 3/1913, S. 49–50 Freiwillige Hilfsarbeit, in: Die Frauenbewegung 17/1914, S. 125–126; zuerst erschienen in: Münchener Zeitung vom 19.08.1914 Die Vorbereitung des künftigen Friedens. Zusammen mit Lida Gustava HEYMANN, Frida PERLEN und Elise von SCHLUMBERGER, in: Die Friedenswarte 2/1916, S. 303

Werkverzeichnis

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Frauenstimmrechtsbewegung. Zusammen mit Lida Gustava HEYMANN, in: Zeitschrift für Frauenstimmrecht 19–20/1917 Das Frauenstimmrecht, in: Schuhmacher-Fachblatt Nr. 46 vom 18. 11. 1917 Was will „Die Frau im Staat“? Zusammen mit Lida Gustava HEYMANN, in: Die Frau im Staat I/1919, S. 1 Völkerverständigung. Den Frauen der Internationale. Zusammen mit Lida Gustava HEYMANN, Frida PERLEN u. a., in: Die Frau im Staat I/1919, S. 17–18 Der Schwanengesang unserer „Anti’s“, in: Die Frau im Staat III/1919, S. 10–13 Rudolf Steiners Dreigliederung des sozialen Organismus, in: Die Frau im Staat VIII– IX/1919, S. 4–5 Die Deutsche Verfassung ein Fetzen Papier? In: Die Frau im Staat XI–XII/ 1919, S. 1–3 Die Zukunft, in: Die Frau im Staat I/1920, S. 2–3 Die Auslieferung der Schuldigen, in: Die Frau im Staat II/1920, S. 8 Die Wahlen, in: Die Frau im Staat V/1920, S. 5–6 Das Erziehungsmonopol des Staates, in: Die Frau im Staat VIII–IX/1921, S. 1–3 Zum Uniformerlass, in: Die Frau im Staat XI/19214–6 Zum Schutze der Republik. Zusammen mit Lida Gustava HEYMANN, in: Die Frau im Staat VII–VIII/1922, S. 18 Reparationen. Zusammen mit Lida Gustava HEYMANN [gezeichnet mit „Anilid“], in: Die Frau im Staat III/1923, S. 1–3 Kann Gewaltlosigkeit sich durchsetzen? In: Die Frau im Staat VIII–IX/1924, S. 1–3 Die goldene Internationale, in: Die Frau im Staat X/1924, S. 1–3 Reichstagswahlen. Zusammen mit Lida Gustava Heymann [gezeichnet mit „Anilid“], in: Die Frau im Staat XI/1924, S. 1–2 Wann werden endlich die Konsequenzen gezogen? In: Die Frau im Staat III/ 1925, S. 1–2 Frauenpolitik. Zusammen mit Lida Gustava Heymann [gezeichnet mit „Anilid“], in: Die Frau im Staat IV/1925, S. 1–2 Zum Schutze der Republik, in: Die Frau im Staat VII/1925, S. 1–4 Wieder ein Fetzen Papier, in: Die Frau im Staat VIII–IX/1925, S. 1–2 Jung gewohnt – alt getan, in: Die Frau im Staat, Heft I/1926, S. 3–4 Weder Philosoph noch Märtyrer, in: Pax International 6/1926 Zu Ende denken! In: Die Frau im Staat IV/1926, S. 1–2 Rückfälle, in: Die Frau im Staat V/1926, S. 1–2 Serenissimus Redivivus. Zusammen mit Lida Gustava Heymann [gezeichnet mit „Anilid“], in: Die Frau im Staat IX/1926, S. 1

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Kommentarteil

Reichswehr-Manöver, in: Die Frau im Staat X/1926, S. 3–4 Scheinwerfer, in: Die Frau im Staat XI/1926, S. 1–2 Pan-Europa und die Frauen, in: Die Frau im Staat XII/1926, S. 2–3 Worpswede, in: Die Frau im Staat II/1927, S. 4–5 Der vorläufige Abschluss, in: Die Frau im Staat IV/1927, S. 7–9 China, in: Die Frau im Staat V–VI/1927, S. 2–3 Pan-Europa marschiert, in: Die Frau im Staat I/1928, S. 3–4 Der Panzerkreuzer, in: Die Frau im Staat IX/1928, S. 1–2 Der Mann im Staat – die Frau im Staat, in: Die Frau im Staat X/1928, S. 1–2 Der Wortbruch des Parlaments, in: Die Frau im Staat XII/1928, S. 2–3 Verfassung, Gesetzgebung und Rechtsprechung, in: Die Frau im Staat II/1929, S. 4–5 Die Paneuropa-Idee setzt sich durch, in: Die Frau im Staat X/1929, S. 1–2 Weltwirtschafts- und Handelskonferenz, in: Die Frau im Staat IV/1932, S. 1–2 Der Mann im Staat, in: Die Frau im Staat V/1932, S. 6–7 Eröffnungsrede von Dr. jur. Anita Augspurg, in: Pax International 7. Jg. Nr. 7, Juni 1932 Kooperation gegen die Damenschraube der Kartelle, in: Die Frau im Staat VIII/1932, S. 1

4. Ungezeichnete Artikel in Zeitschriften Dr. Max Hirsch über die Anstellung weiblicher Gewerbeaufsichtsbeamten, in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 3/1899, S. 9–10 Die Frauen in der Selbstverwaltung, in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 6/1899, S. 21–22 Der Stimmrechtszug der norwegischen Frauen in Christiania, in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 7/1899, S. 25–26 Der Amerikanische Bund für Frauenstimmrecht, in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 8/1899, S. 30 Die Aufhebung der weiblichen Gewerbeinspektion in Weimar, in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 10/1899, S. 37 Der preußische Landtag und das englische Oberhaus, in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 13/1899, S. 49 Die Frauenfrage in den Reichstagsverhandlungen, in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 3/1900, S. 9–10 Die Flottenmarine, in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 4/1900, S. 13–14

Werkverzeichnis

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Die reichsgesetzlichen Bestimmungen für die medizinischen Staatsprüfungen der Frauen, in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 5/1900, S. 17 Zur Lex Heinze, in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 5/1900, S. 18 Aus der freien Republik Hamburg, in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 5/1900, S. 18 Die Zulassungsbedingungen für Frauen zur Universität Berlin, in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 5/1900, S. 18–19 Fabrikarbeit verheirateter Frauen, in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 6/1900, S. 21 Der letzte Akt der großen Posse, in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 7/1900, S. 25 Aus der deutschen Rechtsprechung, in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 7/100, S. 26 Aus deutschen Gefängnissen, in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 10/1900, S. 37 Der Arbeiterinnenschutz in der Gewerbenovelle, in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 13/1900, S. 49 Die Burenfrauen und ihre Bürgerpflicht, in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 15/1900, S. 58 Aus der deutschen Rechtspflege, in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 16/1900, S. 62 Aus der deutschen Rechtspflege, in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 17/1900, S. 66 Zeitschrift für populäre Rechtskunde, in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 21/1900, S. 81 Nicht Worte, sondern Taten, in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 23/1900, S. 89 Die Zeitschrift für populäre Rechtskunde, in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 23/1900, S. 89–90 Politische Betätigung der Frau, in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 24/1900, S. 93 Irrtümer, in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 3/1901, S. 11 Reveille! In: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 11//1901, S. 41–42 Weibliche Beamte in Strafanstalten, in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 12/1901, S. 45–46 Die Fortschritte der Coedukation in Deutschland, in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 12/1901, S. 46–47

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Kommentarteil

Die weiblichen Beamten im Eisenbahndienst, in: in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 15/1901, S. 57 Es gilt! In: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 16/1901, S. 61 Der Zofftarif und die hauswirtschaftlichen Interessen, in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 18/1901, S. 18 Unsere Chinakrieger, in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 19/1901, S. 73–74 Aus der deutschen Rechtssprechung, in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 20/1901, S. 77–78 Vorwärts und durch! In: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 21/1901, S. 81 Gemeindewaisenrat und Waisenpflegerin, in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 21/1901, S. 81–82 Der Zolltarif vor dem Reichstage, in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 24/1901, S. 93 Ein Kampf gegen die öffentlichen Häuser in Hamburg, in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 1/1902, S. 1–2 Die Wahl der ersten Gemeindevertreterinnen in Norwegen, in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 2/1902, S. 5 Deutsche und ausländische Studentinnen in Halle, in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 2/1902, S. 5–6 Die Frauen unter den Wirkungen der Reglementierung, in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 5/1902, S. 18 Frauen als Sanitätsinspektoren, in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 9/1902, S. 33–35 Ein Kampf gegen die öffentlichen Häuser in Hamburg, in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 12/1902, S. 45 Verweigertes Recht – verweigerte Steuern, in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 15/1902, S. 57–58 Interpretationskünste, in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 21/1902, S. 81 Aus der deutschen Rechtsprechung, in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 21/1902, S. 81 Wiederum polizeiliche Gewalttaten, in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 21/1902, S. 82 Die Thesen des Internationalen Frauenstimmrechts-Komitees, in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 23/1902, S. 89 Wirkungen des Frauenstimmrechts auf die Gesetzgebung, in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 23/1902, S. 89

Werkverzeichnis

391

„Erzbischof Hatto“, in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 1/1903, S. 1 Wieder eine Bresche im preußischen Vereinsgesetz, in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 2/1903, S. S. 5 Übergriffe der Polizei, in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 3/1903, S. 9 Gefahr im Verzuge, in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 4/1903, S. 13 Von der hohen Polizei, in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 4/1903, S. 13–14 Deutsche Gerichtsentscheidungen über Sittlichkeits- und Eigentumsdelikte, in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 8/1903, S. 30 Erfolge, in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 11/1903, S. 41 Die norwegischen Frauen in der Gesetzgebung, in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 11/1903, S. 42 „Unser Protest“, in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 12/1903, S. 45 Die Sanitätsinspektorinnen in England, in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 12/1903, S. 45 Das Resultat der Wahlen, in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 13/1903, S. 49 Besitzt das preußische Vereinsgesetz Rechtsgültigkeit? In: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 13/1903, S. 49–50 Das Stimmrecht der Frauen in den Kirchen, in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 13/1903, S. 50–51 Das politische Verständnis der Frauen, in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 14/1903, S. 53 Der Wahrheit die Ehre! In: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 15/1903, S. 57 Aus der deutschen Rechtsprechung, in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 15/1903, S. 57 Die Nationalsozialen Frauen, in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 16/1903, S. 61 Landtagswahl, in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 17/ 1903, S. 65 Gesinnungslosigkeiten, in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 19/1903, S. 69 Gespensterfurcht, in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 20/1903, S. 75

392

Kommentarteil

Landtagswahl, in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 21/ 1903, S. 76 Die Unhaltbarkeit des preußischen Vereinsgesetzes, in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 21/1903, S. 78–79 Die Strafrechtsreform (I), in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 22/1903, S. 81 Frauenstimmrechts-Propaganda in England, in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 22/1903, S. 81–82 Strafrechtsreform (II), in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 23/1903, S. 85 Das polizeitechnische Hamburg, in Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 23/1903, S. 85 Eine Bitte um Hilfe, in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 23/1903, S. 86 Rechtliche Stellung des unehelichen Kindes und seiner Mutter, in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 24/1903, S. 89–90 Strafrechtsreform (III), in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 2/1904, S. 5 Die Hamburger Polizei vor dem Reichstage, in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 4/1904, S. 9 Strafrechtsreform (IV ), in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 7/1904, S. 15 Der Einfluss der Frauen auf die Gesetzgebung, in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 9/1904, S. 23–24 Die Schutzgesetzgebung in den Vereinigten Staaten, in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 10/1904, S. 28 Amtliche Beratungen über das System der Reglementierung in Frankreich, in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 16/1904, S. 49 § 361, 6, in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 18/1904, S. 55 Zum Schulgesetz, in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 18/1904, S. 56 Polizei und Prostitution in Altona, in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 20/1904, S. 59–60 Die Strafjustiz und die Frauen in der Schweiz, in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 23/1904, S. 67 Die Nordische Frauenbewegung, in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 1/1905, S. 1–2 Bekämpfung der Säuglingssterblichkeit, in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 2/1905, S. 3

Werkverzeichnis

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Von den amerikanischen Wahlen, in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 2/1905, S. 3–4 Wieder ein Schlag ins Antlitz der Frau, in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 3/1905, S. 5 Das Altonaer Schwurgerichtsurteil, in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 4/1905, S. 7–8; 5/1905, S. 9; 6/1905, S. 11–12 Internationales Abkommen gegen den Mädchenhandel, in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 7/1905, S. 13 Berichtigung, in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 7/1905, S. 14 Die Frauen im deutschen Postdienst, in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 10/1905, S. 19 Sind die preußischen Frauen kommunalwahlberechtigt? In: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 11/1905, S. 21 Eine wichtige Gerichtsentscheidung, in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 11/1905, S. 22 Die weiblichen Postangestellten, in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 14/1905, S. 27 Die bayerischen Landtagswahlen und die Frauen, in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 15/1905, S. 29 Das badische Staatsministerium, in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 16/1905, S. 31 Aus der amerikanischen und internationalen Stimmrechtsbewegung, in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 17/1905, S. 33–34 Wer nicht hören will, muss fühlen, in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 18/1905, S. 35 Kinderarbeit und gesetzlicher Kinderschutz in Oesterreich, in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 19/1905, S. 37 Das Frauenstimmrecht vor dem Parlament, in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 23/1905, S. 45 Aus der englischen Stimmrechtsbewegung, in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 24/1905, S. 47 Das Frauenstimmrecht in der Politik der Gegenwart, in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 1/1906, S. 1–2 Das preußische Schulunterhaltungsgesetz, in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 2/1906, S. 3 Der Herr Staatsanwalt, in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 3/1906, S. 5 Das Frauenwahlrecht in Finnland, in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 4/1906, S. 7

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Kommentarteil

Die Frankfurter Protestversammlung gegen die preußische Schulgesetzvorlage, in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 4/1906, S. 7 Widerspruch, in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 5/1906, S. 9 Das Reichsvereinsgesetz, in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 6/1906, S. 11 Eingesandt, in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 7/1906, S. 14 Die programmtreue Sozialdemokratie, in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 8/1906, S. 15 Zur Frage der Kommunalwahl-Berechtigung preußischer Frauen, in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 14/1906, S. 27 Zum preußischen Kommunalwahlrecht, in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 16/1906, S. 31 Die Hamburger Justiz an der Arbeit in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 16/1906, S. 31 Aus der Stimmrechtsbewegung in Finnland, in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 16/1906, S. 31–32 Mutterschaftsversicherung und Mutterschutz, in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 17/1906, S. 33–34 Die Frauen bei den Krankenkassenwahlen, in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 18/1906, S. 35 Aus der Stimmrechtsbewegung in Italien, in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 18/1906, 35–36 Weibliche Fabrikinspektion in Deutschland, in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 19/1906, 37 Rechter Hand – linker Hand – alles vertauscht, in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 20/1906, 39–40 Polizeiabsolutismus, in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 21/1906, S. 41–42 Aussichten des Frauenstimmrechts in Holland, in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 22/1906, S. 43–44 Unsere Wahlen, in: Zeitschrift für Frauen-Stimmrecht 2/1907, S. 5–6 Die internationale Sozialdemokratie, in: Zeitschrift für Frauen-Stimmrecht 2/1907, S. 6–7 Mut zeiget der Mameluck. Gehorsam ist des Zentrums Schmuck, in: Zeitschrift für Frauen-Stimmrecht 3/1907, S. 9 Unsere Wahlen II, in: Zeitschrift für Frauen-Stimmrecht 3/1907, S. 9–10 Frauenmeetings in Helsingfors, in: Zeitschrift für Frauen-Stimmrecht 3/1907, S. 10–11

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Unsere Wahlen III, in: Zeitschrift für Frauen-Stimmrecht 5/1907, S. 18–19 Das Deutsche Vereinsrecht, in: Zeitschrift für Frauen-Stimmrecht 6/1907, S. 21–22 Das Recht ist auf dem Wege, in: Zeitschrift für Frauen-Stimmrecht 7/1907, S. 25–216 Vereinsfreiheit, in: Zeitschrift für Frauen-Stimmrecht 10/1907, S. 37–38 Bismarcks Urteile über die Frauen in der Politik, in: Zeitschrift für FrauenStimmrecht 11/1907, S. 42–43 Das Reichsvereinsgesetz, in: Zeitschrift für Frauen-Stimmrecht 12/1907, S. 45; nachgedruckt in: Jus Suffragii 4/1907 [gezeichnet und leicht gekürzt] Reichsvereinsgesetz, in: Zeitschrift für Frauen-Stimmrecht 1/1908, S. 1 Die Landtagskandidatinnen in Böhmen, in: Zeitschrift für Frauen-Stimmrecht 2/1908, S. 10 Der große Zug der Suffragettes in London, in: Zeitschrift für Frauen-Stimmrecht 7/1908, S. 28 Lehrreiche Erfahrungen, in: Zeitschrift für Frauen-Stimmrecht 12/1908, S. 47 Die Frau ohne politische Vertretung, in: Zeitschrift für Frauen-Stimmrecht 3/ 1909, S. 9–10 Die Suffragettes und die Presse, in: Zeitschrift für Frauen-Stimmrecht 8/1909, S. 31–32 Positives über das Frauenstimmrecht, in: Zeitschrift für Frauen-Stimmrecht 8/1909, S. 32–34 Der Hungerstreik der Suffragettes, in: Zeitschrift für Frauen-Stimmrecht 9/ 1909, S. 38 Bekanntmachung, in: Zeitschrift für Frauen-Stimmrecht 9/1909, S. 40 Drei Dokumente englischer Männer zur Suffragettes-Bewegung, in: Zeitschrift für Frauen-Stimmrecht 1/1910, S. 2–3 Die preußische Wahlrechts-„Reform“, in: Zeitschrift für Frauen-Stimmrecht 3/1909, S. 13–14 Das Gemeindewahlrecht der Frauen in Baden, in: Zeitschrift für FrauenStimmrecht 5/1910, S. 25 Jus Suffragii, in: Zeitschrift für Frauen-Stimmrecht 7/1910, S. 36 Die Ereignisse in England, in: Zeitschrift für Frauen-Stimmrecht 8/1910, S. 37– 38 Also sprach – das Instrument des Herrn, in: Zeitschrift für Frauen-Stimmrecht 9/1910, S. 41 Geld ist Macht! Sammelt zum Siege! In: Zeitschrift für Frauen-Stimmrecht 10/1910, S. 47 Weniger als Nichts, in: Zeitschrift für Frauen-Stimmrecht 11/1910, S. 49–50

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Kommentarteil

Frauenbewegung und Sozialdemokratie, in: Zeitschrift für Frauen-Stimmrecht 12/1910, S. 53 Weniger als Nichts, in: Zeitschrift für Frauen-Stimmrecht 12/1910, S. 54 Erklärung, in: Zeitschrift für Frauen-Stimmrecht 12/1910, S. 54–55 Das Glück ist dem Frauenstimmrecht in England günstig, in: Zeitschrift für Frauen-Stimmrecht 3/1911, S. 9 Der Weltbund und das allgemeine Stimmrecht, in: Zeitschrift für FrauenStimmrecht 3/1911, S. 9 Der dritte Frauenstimmrechtsstaat in Europa, in: Zeitschrift für FrauenStimmrecht 6/1911, S. 21 Die große Prozession in London, in: Zeitschrift für Frauen-Stimmrecht 8/1911, S. 29–30 Der neue Reichstag, in: Zeitschrift für Frauen-Stimmrecht 2/1912, S. 5–6 Füchse im Schafspelz? In: Frauen-Stimmrecht 3/1912, S. 41–43 Es ist erreicht! In: Frauen-Stimmrecht 4/1912, S. 63–66 Ein neuer Sieg? In: Frauen-Stimmrecht 7/1912, S. 135–138 Parteihypnose, in: Frauen-Stimmrecht 8/1912, S. 159–161 Klärung, in: Frauen-Stimmrecht 10/1913, S. 205–208 Der neue Kurs im Zentrum, in: Frauen-Stimmrecht 12/1913, S. 251–253 Die finnischen Landtagswahlen, in: Frauen-Stimmrecht 7/1913, S. 141 Vor der Debatte, in: Frauen-Stimmrecht 7/1913, S. 142 Praktika/Der Mann im Staat, in: Die Frau im Staat II/1922, S. 4–6 Der Mann im Staat, in: Die Frau im Staat X/1927, S. 6

5. Artikel in Zeitungen und Zeitungsbeilagen Für jede Frau gehört ein Haus, in: Die gemeinnützige Schweizerin. Beilage zur Schweizer Hauszeitung vom 06. 10. 1894, S. 3 Die zukünftige Stellung der Frau, in: Schweizer Hauszeitung vom 17. 11. 1894, S. 1–2 Antecedentien des Frauenstimmrechts in England, in: Frankfurter Zeitung 1896 (Verweis in: Geschichte der Frankfurter Zeitung, Frankfurt am Main 1911, S. 1035) Ein Protest zum Protest, in: Frankfurter Zeitung und Handelsblatt vom 30. 03. 1899; nachgedruckt in: Die Frauenbewegung 8/1900, S. 59–60 Die Dehnbarkeit des preußischen Vereinsgesetzes, in: Der Tag Nr. 107 vom 05. 03. 1902 (Frauenseite: Der Kampf der Frau) Die günstigen Erfolge der weiblichen Gewerbe-Inspektion, in: Der Tag Nr. 125 vom 15. 03. 1902 (Frauenseite: Der Kampf der Frau)

Werkverzeichnis

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Frau und Fräulein, in: Der Tag Nr. 211 vom 07. 05. 1902 (Frauenseite: Der Kampf der Frau) Frauenbewegung und Kleiderreform: In: Der Tag Nr. 227 vom 17. 05. 1902 (Frauenseite: Der Kampf der Frau) Hauswirtschaftsgenossenschaften, in: Der Tag Nr. 267 vom 12. 06. 1902 (Frauenseite: Der Kampf der Frau) Neue Frauenberufe, in: Der Tag Nr. 285 vom 21. 06. 1902 (Frauenseite: Der Kampf der Frau) Die politische Lage der Frauen in Australien, in: Der Tag Nr. 309 vom 05. 07. 1902 (Frauenseite: Der Kampf der Frau) Feministische Diners, in: Der Tag Nr. 329 vom 17. 07. 1902 (Frauenseite: Der Kampf der Frau) Die Frau in der Landwirtschaft, in: Der Tag Nr. 353 vom 31. 07. 1902 (Frauenseite: Der Kampf der Frau) Und die Frauen? In: Der Tag Nr. 371 vom 10. 08. 1902 (Frauenseite: Der Kampf der Frau) Aus der dänischen Frauenbewegung, in: Der Tag Nr. 391 vom 22. 08. 1902 (Frauenseite: Der Kampf der Frau) Die Ausgestaltung des Haushaltungsunterrichts, in: Der Tag Nr. 411 vom 03. 09. 1902 (Frauenseite: Der Kampf der Frau) Gemeinsamer Unterricht von Knaben und Mädchen, in: Der Tag Nr. 433 vom 16. 09. 1902 (Frauenseite: Der Kampf der Frau) Märchen über die Wirkungen des Frauenstimmrechts, in: Der Tag Nr. 515 vom 02. 11. 1902 (Frauenseite: Der Kampf der Frau) Reformmoden, in: Der Tag Nr. 535 vom 14. 11. 1902 (Frauenseite: Der Kampf der Frau) Das Problem der Ehe, in: Der Tag Nr. 563 vom 02. 12. 1902 (Frauenseite: Der Kampf der Frau) Obdachlose Frauen, in: Der Tag Nr. 5 vom 04. 01. 1903 (Frauenseite: Der Kampf der Frau) Das Frauenturnen, in: Der Tag Nr. 41 vom 25. 01. 1903 (Frauenseite: Der Kampf der Frau) „Schneckengrün“, in: Der Tag Nr. 81 vom 18. 02. 1903 (Frauenseite: Der Kampf der Frau) Forderungen des Frauenstimmrechtes, in: Frauen-Rundschau 3/1903, S. 110– 112 Eppur si muove, in: Der Tag Nr. 151 vom 31. 03. 1903 (Frauenseite: Der Kampf der Frau) Die allgemeinen Regungen der Frauenbewegung, in: Die Zeit (Wien) Nr. 446 vom 18. 04. 1903, S. 30–32

398

Kommentarteil

Tempora mutantur, in: Der Tag Nr. 183 vom 21. 04. 1903 (Frauenseite: Der Kampf der Frau) Die Frauenbewegung und die Erwerbsfrage, in: Die Zeit (Wien) Nr. 449 vom 09. 05. 1903, S. 70–71 Das Wahlrecht der Frauen zu den Kaufmannsgerichten, in: Frauen-Rundschau 10/1903, S. 478–480 Kolonialarbeit, in: Der Tag Nr. 227 vom 16. 05. 1903 (Frauenseite: Der Kampf der Frau) Frauen in der Reichstag-Wahlarbeit, in: Der Tag Nr. 263 vom 09. 06. 1903 (Frauenseite: Der Kampf der Frau), Die Dienstpflicht der Frauen, in: Der Tag Nr. 301 vom 01. 07. 1903 (Frauenseite: Der Kampf der Frau) Bildungswesen und Studium der Frauen, in: Die Zeit (Wien) Nr. 454 vom 13. 07. 1903, S. 132–133 Arbeiterinnenfrage, in: Die Zeit (Wien) Nr. 460 vom 25. 07. 1903, S. 202– 204 Aus fremden Ländern, in: Der Tag Nr. 345 vom 26. 07. 1903 (Frauenseite: Der Kampf der Frau) Sittlichkeitsfrage und Rechtsschutz, in: Die Zeit (Wien) Nr. 469 vom 26. 09. 1903, S. 312–313 Deutsche Kontoristinnen im Auslande, in: Der Tag Nr. 533 vom 13. 11. 1903 (Frauenseite: Der Kampf der Frau) Politische Frauenbewegung, in: Die Zeit (Wien) Nr. 477 vom 21. 11. 1903, S. 87–88 Der Hausfrauen-Beruf, in: Der Tag Nr. 565 vom 03. 12. 1903 (Frauenseite: Der Kampf der Frau) Der Schlussstein, in: Der Tag Nr. 5 vom 05. 01. 1904 (Frauenseite: Der Kampf der Frau) Die Frau in der Vormundschaft, in: Der Tag Nr. 65 vom 09. 02. 1904 (Frauenseite: Der Kampf der Frau) Die höhere Postkarriere für Frauen, in: Der Tag Nr. 105 vom 03. 03. 1904 (Frauenseite: Der Kampf der Frau) Das Frauenstimmrecht in England, in: Der Tag Nr. 141 vom 24. 03. 1904 (Frauenseite: Der Kampf der Frau) Die Frau im Wahlkampf, in: Der Tag Nr. 189 vom 23. 04. 1904 (Frauenseite: Der Kampf der Frau) Freiwillige Hilfsarbeit, in: Münchener Zeitung vom 19. 08. 1914; nachgedruckt in: Die Frauenbewegung, Nr. 17/1914, S. 125–126 Die Frau in der Advokatenrobe, in: Der Tag Nr. 255 vom 03.06.1904 (Frauenseite: Der Kampf der Frau)

Werkverzeichnis

399

Offizielle Angaben über die Wirkungen des Frauenstimmrechts, in: Der Tag Nr. 407 vom 31. 08. 1904 (Frauenseite: Der Kampf der Frau) Das kirchliche Stimmrecht der Frau, in: Der Tag Nr. 481 vom 13. 10. 1904 (Frauenseite: Der Kampf der Frau) Mädchenerziehung, in: Der Tag Nr. 531 vom 11. 11. 1904 (Frauenseite: Der Kampf der Frau) Die deutsche Frauentracht, in: Der Tag Nr. 591 vom 17. 12. 1904 (Frauenseite: Der Kampf der Frau) Mutterschutz, in: Der Tag Nr. 43 vom 26. 01. 1905 (Frauenseite: Der Kampf der Frau) Sind die preußischen Frauen kommunalwahlberechtigt? In: Der Tag Nr. 95 vom 25. 02. 1905 (Frauenseite: Der Kampf der Frau) Schillerfeier, in: Der Tag Nr. 157 vom 02. 04. 1905 (Frauenseite: Der Kampf der Frau) Regierung und Frauen in Holland, in: Der Tag Nr. 200 vom 28. 04. 1905 (Frauenseite: Der Kampf der Frau) Das gute Herz der Frauen, in: Der Tag Nr. 320 vom 04. 07. 1905 (Frauenseite: Der Kampf der Frau) Unsere Postbeamtinnen, in: Der Tag Nr. 378 vom 04.08.1905 (Frauenseite: Der Kampf der Frau) Maschinenschreiberinnen und Militäranwärter, in: Der Tag Nr. 415 vom 24. 08. 1905 (Frauenseite: Der Kampf der Frau) Die Frauenfrage in Schweden, in: Der Tag Nr. 476 vom 26. 09. 1905 (Frauenseite: Der Kampf der Frau) Der Apothekerberuf, in: Der Tag Nr. 523 vom 21. 10. 1905 (Frauenseite: Der Kampf der Frau) Frauenklubs hüben und drüben, in: Der Tag Nr. 643 vom 28. 12. 1905 (Frauenseite: Der Kampf der Frau) Hamburger Nachtbild, in: Vossische Zeitung Nr. 31 vom 19. 01. 1906 Was die Frauen beim preußischen Schulgesetz verlieren, in: Der Tag Nr. 46 vom 26. 01. 1906 (Frauenseite: Der Kampf der Frau) Das Frauenwahlrecht, in: Der Tag Nr. 170 vom 03. 04. 1906 (Frauenseite: Der Kampf der Frau) Die Mädchenschule in Bayern, in: Der Tag Nr. 393 vom 05. 08. 1906 (Frauenseite: Der Kampf der Frau) Die russischen Bauernfrauen als Politikerinnen, in: Der Tag Nr. 439 vom 30. 08. 1906 (Frauenseite: Der Kampf der Frau) Die Wahlrechts-Präsidentinnen, in: Der Tag Nr. 504 vom 04. 10. 1906 (Frauenseite: Der Kampf der Frau)

400

Kommentarteil

Die Frauenbewegung unter arktischem Himmel, in: Der Tag Nr. 569 vom 08. 11. 1906 (Frauenseite: Der Kampf der Frau) Schadet es? In: Der Tag Nr. 615 vom 04. 12. 1906 (Frauenseite: Der Kampf der Frau) Körperkultur, in: Der Tag Nr. 658 vom 29. 12. 1906 (Frauenseite: Der Kampf der Frau) Frauenlos auf dem Dorfe, in: Der Tag Nr. 44 vom 25. 01. 1907 (Frauenseite: Der Kampf der Frau) Kraftberufe, in: Der Tag Nr. 109 vom 01. 03. 1907 (Frauenseite: Der Kampf der Frau) Männliche oder weibliche Berufsehre? In: Der Tag Nr. 157 vom 27. 03. 1907 (Frauenseite: Der Kampf der Frau) Weibliche Parlamentarier in Europa, in: Der Tag Nr. 211 vom 27. 04. 1907 (Frauenseite: Der Kampf der Frau) Das Urteil des Potsdamer Bezirksausschusses in Sachen des Wahlrechtes, in: Berliner Tageblatt Nr. 259 vom 25. 05. 1907 Neue Frauenkleidung, in: Der Tag Nr. 272 vom 01. 06. 1907 (Frauenseite: Der Kampf der Frau) Die Mädchenschule, in: Der Tag Nr. 329 vom 02. 07. 1907 (Frauenseite: Der Kampf der Frau) Frauenstimmrecht und Gesinnungstüchtigkeit, in: Königsberger Hartungsche Zeitung vom 26. 11. 1913 Bayerinnen und Stimmrecht, in: Königsberger Hartungsche Zeitung vom 31. 12. 1913 Freiwillige Hilfsarbeit, in: Münchener Zeitung vom 19. 08. 1914; nachgedruckt in: Die Frauenbewegung 17/1914, S. 125–126 Gekränkter Männerstolz, in: Vorwärts Nr. 19 vom 20. 01. 1917 Die Frau im Staat, in: Süddeutsche Freiheit Nr. 20 vom 31. 03. 1919, S. 2–3

6. In Zeitungen und Zeitschriften, in Tagungsund Kongressberichten zitierte oder referierte Reden Rede vor einer Volksversammlung in Berlin am 16. Februar 1896 [1. Fassung], zit. in: Die Frauenbewegung 5/1896, S. 49–50 Rede vor einer Volksversammlung in Berlin am 16. Februar 1896 [2. Fassung], zit. in: Die Post vom 18.02.1896, 1. Beilage Rede vor dem Kongress der Arbeiter-, Bauern- und Soldatenräte in München am 1. März 1919, abgedruckt in: Stenographischer Bericht über die Verhandlungen des Kongresses der Arbeiter-, Bauern- und Soldatenräte vom 25. Februar

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bis 8. März 1919 in München, München 1919, Nachdruck: Berlin o. J. [1974], S. 179–180 Rede vor dem Internationalen Frauenkongress in Zürich am 13. Mai 1919, in: Bericht des Internationalen Frauenkongresses. Zürich. Mai 12–17, 1919, Genf 1919, S. 111–114 State Monopoly of Education, in: Report of the Third International Congress of Women.Vienna. July 10–17, 1921. English Edition, Genf (Women’s International League for Peace and Freedom) 1921 Vereinigte Staaten von Europa, in: Bericht des Vierten Kongresses der Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit. Washington. 1.–7. Mai 1924. Deutsche Ausgabe, München 1925, S. 54–56 Peace Ministries, in: Report of the Sixth Congress of the Women’s International League for Peace and Freedom. Prague. August 24th to 28th 1929. English Edition, Genf 1929, S. 127–128

7. Offene Briefe Ein typischer Fall der Gegenwart. Offener Brief, in: Europa 7/1905, S. 311–314; nachgedruckt in: Die Frauenbewegung 11/1905, S. 81–82 Offene Antwort an Herrn Reichstagstagsabgeordneten H[ellmut] v[on] Gerlach, in: Die Frauenbewegung 15/1906, S. 113–114 Offener Brief an Christabel Pankhurst in London, in: Zeitschrift für Frauenstimmrecht 19/1914, S. 55–56 Offene Antwort auf den offenen Weihnachtsbrief englischer Frauen an die Frauen Deutschlands und Österreichs [unterzeichnet von ca. 170 Frauen], in: Zeitschrift für Frauenstimmrecht 4/1915, S. 16 Offener Brief an die französische Sektion der Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit. Zusammen mit Lida Gustava HEYMANN, Gertrud BAER, Else BAUER, Magda HOPPSTOCK–HUTH, Kläre SCHÖNDON, in: Die Frau im Staat VIII/1930; nachgedruckt in: Pax International 10/19030

8. Aufrufe und Resolutionen, Petitionen, Rundschreiben und publizierte Schreiben an Behörden Erklärung und Aufruf. Zusammen mit Marie STRITT, Natalie von MILDE und Elvira von BARTH, in: Die Frauenbewegung 1/1896, S. 9

402

Kommentarteil

Protest [einer Vereinigung von Frauen Münchens], in: Die Frauenbewegung 3/1896, S. 29 [nicht persönlich gezeichnet] Aufruf [des Vereins für Frauen-Studium, Berlin]. Zusammen mit Marie STRITT, Natalie von MILDE u. a., in: Die Frauenbewegung 9/1896, S. 90 Aufruf! [der Rechtskommission des Bundes deutscher Frauenvereine]. Zusammen mit Hanna BIEBER-BÖHM, Minna CAUER, Sera PROELSS, Marie RASCHKE, Marie STRITT, Cäcilie DOSE und Marianne HEIDFELD, in: Die Frauenbewegung 12/1896, S.114–115 Petition an den Reichstag. Zusammen mit dem Bund deutscher Frauenvereine, in: Die Frauenbewegung 18/1896, S. 173 [nicht persönlich gezeichnet] Petition an den deutschen Reichstag. Zusammen mit Minna CAUER und Marie RASCHKE, in: Die Frauenbewegung 2/1898, S. 18–19 Frauen Deutschlands! Zusammen mit Minna CAUER, in: Die Frauenbewegung 7/1898, S. 73 Memorandum des Vereins Frauenwohl, Berlin, an den deutschen Reichstag betr[effend] Beteiligung der Frauen an den Wahlen zu Gewerbegerichten und kaufmännischen Schiedsgerichten. Zusammen mit Minna CAUER und Marie RASCHKE, in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 1/1899, S. 1–2 Petition des Vereins Frauenwohl, Berlin, an das Preußische Haus der Abgeordneten betr[effend] das Ausführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch. Zusammen mit Minna CAUER und Marie RASCHKE, in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 1/1899, S. 2–3 Petition des Vereins Frauenwohl, Berlin, an das hohe Haus der Abgeordneten betr[effend] die Gehaltsreduktion der neuanzustellenden Einsenbahnbeamtinnen ab 1. April 1899. Zusammen mit Minna CAUER und Marie RASCHKE, in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 2/1899, S. 6–7 Zuschrift des Vereins Frauenbildung-Frauenstudium, Abteilung Berlin, an den Magistrat der Stadt Breslau, in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 4/1899, S. 14 Petition des Vereins Frauenwohl, Berlin, an den Preußischen Landtag betreffend eine Reform des Mädchenschulwesens und der Ausbildung von Mädchenschullehrerinnen in Preußen. Zusammen mit Katharina ERDMANN und Anna PAPPRITZ, in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 9/1899, S.33–35; 10/1899, S. 37–38 Petition des Vereins für Frauenstudium an den Berliner Magistrat und an die Stadtverordnetenversammlung betr[effend] Annahme von weiblichen Schulärzten. Zusammen mit Katharina ERDMANN, in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 17/1899, S. 65

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403

Eingabe des Vereins für Frauenstudium betr[effend] Regelung der Zulassung von studierenden Frauen zur Universität. Zusammen mit Katharina ERDMANN, in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 2/1900, S. 5 Kundgebung an alle deutschen Frauenvereine. Zusammen mit Minna CAUER, Maria LISCHNEWSKA, Lida Gustava HEYMANN, Luise von KETELHODT und Anna SCHULZ, in: Die Frauenbewegung 1/1901, S. 1 Petition des Vereins für Frauenstudium an den Preußischen Kultusminister betr[effend] Zulassung akademisch gebildeter Frauen zur Lehramtsprüfung für Mittelschulen, in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 1/1901, S. 1 Eingabe des Vereins Frauenwohl, Berlin, an den Magistrat Waisenpflegerinnen betreffend. Zusammen mit Minna CAUER, in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 4/1901, S. 13 Petition des Vereins Frauenwohl, Berlin, an den Reichstag betr[effend] Unterstellung der Dienstboten unter die Gewerbegerichtsbarkeit. Zusammen mit Minna CAUER, in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 6/1901, S. 21–22 Gesuch des Vereins für Frauenstudium an den Berliner Magistrat Mädchenschulen betreffend, in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 7/1901, S. 25 Gesuch der Berliner Verbandsvereine um Unterdrückung des Kaufhandels der Kinder zur Nachtzeit durch Polizeimaßregel. Zusammen mit Anna PAPPRITZ und Minna CAUER, in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 10/1901, S. 37 Schreiben an den Preußischen Kriegsminister den Chinafeldzug betreffend. Zusammen mit Minna CAUER und Lida Gustava HEYMANN, in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 11/1901, S. 41 Petition des Verbandes fortschrittlicher Frauenvereine an die deutschen Regierungen die Eröffnung landwirtschaftlicher Schulen für Frauen betreffend. Zusammen mit Minna CAUER, in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 7/1902, S. 25 Petition des Deutschen Vereins für Frauenstimmrecht an den deutschen Reichstag Neueinteilung der Wahlkreise betreffend. Zusammen mit Lida Gustava HEYMANN, in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 16/ 1902, S. 61 Beschwerdeschrift von Dr. jur. Anita AUGSPURG an den Gemeindevorstand der Großherzoglichen Sächsischen Haupt- und Residenzstadt Weimar, in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 22/1902, S. 85–86

404

Kommentarteil

Eingabe des Deutschen Vereins für Frauenstimmrecht an den Hamburgischen Senat Wahlkreiseinteilung betreffend. Zusammen mit Lida Gustava HEYMANN, in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 3/1903, S. 9 Petition des Deutschen Vereins für Frauenstimmrecht an den Bundesrat die Novelle zum Krankenversicherungsgesetz betreffend. Zusammen mit Lida Gustava HEYMANN, in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 5/1903, S. 17 Petition des Deutschen Vereins für Frauenstimmrecht an den Bundesrat, Kaufmannsgerichte betreffend. Zusammen mit Lida Gustava HEYMANN, in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 6/1903, S. 21 Gesuch des Vorstandes des Verbandes fortschrittlicher Frauenvereine an das Reichsjustizamt Zuziehung von Frauen bei der Beratung der Reform des Strafgesetzbuches betreffend. Zusammen mit Minna CAUER, in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 7/1903, S. 25 Petition des Vereins Frauenwohl an den Magistrat und die Stadtversammlung dortselbst Anstellung von weiblichen Schulärzten betreffend. Zusammen mit Minna CAUER, in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 7/1903, S. 25–26 Gesuch des Deutschen Vereins für Frauenstimmrecht an den Preußischen Minister des Innern um Erlass einer Polizeiinstruktion § 21 des Vereinsgesetzes betreffend. Zusammen mit Minna CAUER, in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 8/1903, S. 29 Eingabe des Deutschen Vereins für Frauenstimmrecht an den evangelischen Oberkirchenrat, z[u] H[änden] S[einer] Excellenz des Wirklichen Geh[eimen] Rats Herrn Barkhausen, Verleihung des kirchlichen Wahlrechtes an Frauen betreffend. Zusammen mit Martha ZIETZ, in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 8/1903, S. 29–30 Rundschreiben des Deutschen Vereins für Frauenstimmrecht betr[effend] Wahlarbeit der Frauen. Zusammen mit Lida Gustava HEYMANN, in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 9/1903, S. 33–34 Antrag auf Aufnahme von Frauen in Bürgervereine. Zusammen mit Lida Gustava HEYMANN, in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 9/1903, S. 34 Petition des Deutschen Vereins für Frauenstimmrecht an den Reichstag, Zulassung der Frauen zur Börse betreffend. Zusammen mit Lida Gustava HEYMANN, in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 1/1904, S. 1 Petition des Deutschen Vereins für Frauenstimmrecht an den Reichstag, Eröffnung des höheren Postdienstes betreffend. Zusammen mit Minna

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CAUER, in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 3/1904, S. 7 Petition des Deutschen Vereins für Frauenstimmrecht an den Reichstag, Kaufmannsgerichte betreffend. Zusammen mit Lida Gustava HEYMANN, in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 5/1904, S. 11 Petition des Deutschen Verbandes für Frauenstimmrecht an die deutschen Ministerien für Landwirtschaft, Verhütung einer Massenvertilgung der Maulwürfe betreffend. Zusammen mit Minna CAUER, in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 9/1904, S. S. 23 An die Mitglieder des Deutschen Vereins für Frauenstimmrecht und des Verbandes fortschrittlicher Frauenvereine, in: Die Frauenbewegung 8/1904, S. 61–62 Ein Ruf an Deutschlands Frauen, in: Der Tag Nr. 278 vom 10. 06. 1905 (Frauenseite: Der Kampf der Frau) Petition des Verbandes fortschrittlicher Frauenvereine an das Reichsamt des Innern, staatliche Mutterschaftsversicherung betreffend. Zusammen mit Minna CAUER, in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 12/1905, S. 23 Ohne Titel [Erklärung], in: Die Frauenbewegung 16/1905, S. 126 Zur Fleischnot, in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 20/1905, S. 39 [ungezeichnet] Charlotte von Stein. Um Nachdruck wird dringend gebeten. Zusammen mit Lida Gustava HEYMANN und Franziska ELMENREICH, in: Die Frauenbewegung 1/1906, S. 4 Petition des Deutschen Verbandes für Frauenstimmrecht an das Königlich Bayerische Staatsministerium des Innern weibliche Aufsichtsbeamte im Kostkinderwesen betreffend. Zusammen mit Adelheid von WELCZECK, in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 7/1906, S. 13 Protest des Deutschen Verbandes für Frauenstimmrecht an den Reichstagsabgeordneten Grafen von Hompesch den Zentrumsantrag zum Vereinsrecht betreffend. Zusammen mit Lida Gustava HEYMANN, in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 10/1906, S. 19 Schreiben des Vorstandes des Deutschen Verbandes für Frauenstimmrecht an den Vorstand des Wahlvereins der Liberalen. Zusammen mit Lida Gustava HEYMANN, in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 11/1906, S. 2 Schreiben des Deutschen Verbandes für Frauenstimmrecht an die Konferenz der liberalen Parteileitungen am 10. und 11. November zu Frankfurt a[m] M[ain], in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 22/1906, S. 43

406

Kommentarteil

Petition des Deutschen Verbandes für Frauenstimmrecht an den Reichstag Wahlberechtigung der Frauen betreffend. Zusammen mit Lida Gustava HEYMANN, in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 24/ 1906, S. 47 Petition des Deutschen Verbandes für Frauenstimmrecht an den Bundesrat betr[effend] Wahllokale in Schankwirtschaften. Zusammen mit Lida Gustava HEYMANN, in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 4/1908, S. 18; nachgedruckt in: Jus Suffragii 9/1908 Petition des Deutschen Verbandes für Frauenstimmrecht an den Bundesrat Schulfeiertage betreffend. Zusammen mit Lida Gustava HEYMANN, in: Zeitschrift für Frauen-Stimmrecht 8/1909, S. 32 Deutsche Frauen! Zusammen mit Lida Gustava HEYMANN und Josef SCHÜLEIN, in: Die Frauenbewegung 17/1914, S. 126 Internationaler Frauenkongress Haag – vom 28. April – 1. Mai 1915. Einleitung und Beschlüsse. Zusammen mit Aletta JACOBS, Frida PERLEN, Chrystal MACMILLAN u. a., in: Internationaler Frauenkongress Haag – vom 28. April – 1. Mai 1915. Bericht, Amsterdam 1915, S. 46–53 Botschaft an den Weltbund. Zusammen mit Lida Gustava HEYMANN, Margarethe SELENKA und Maria HOLMA-ORTEL, in: Zeitschrift für Frauenstimmrecht 17/1914, S. 52; nachgedruckt in: Blätter für zwischenstaatliche Organisation. Die Friedenswarte März 1915, S. 39–40 unter dem Titel: An den Weltbund für Frauenstimmrecht An seine Excellenz den Reichskanzler Dr. von Bethmann Hollweg. Zusammen mit Lida Gustava HEYMANN und Frida PERLEN, in: Monthly News Sheet of the International Committee of Women for Permanent Peace 3/1915; nachgedruckt in: Völkerversöhnende Frauenarbeit während des Weltkrieges. Juli 1914–November 1918. Hg. von der Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit, Deutscher Zweig, München 1920, S. 25–26 Antwort des deutschen Komitees auf ein Schreiben des französischen Komitees. Zusammen mit Lida Gustava HEYMANN, in: Monthly News Sheet of the International Committee of Women for Permanent Peace 4/1915 Ein Schreiben des Deutschen Nationalen Frauen-Ausschusses für dauernden Frieden an den Reichskanzler Dr. von Bethmann Hollweg. Zusammen mit Lida Gustava HEYMANN und Frida PERLEN, in: Monthly News Sheet of the International Committee of Women for Permanent Peace 6/1915; nachgedruckt in: Die Friedenswarte 11–12/1915, S. 352 unter dem Titel: Aus der Zeit – Eine Kundgebung des Nationalen Frauenausschusses für dauernden Frieden; auch zitiert in: Völkerversöhnende Frauenarbeit während des Weltkrieges. Juli 1914 – November 1918. Hg. von der Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit, Deutscher Zweig, München 1920, S. 26–27

Werkverzeichnis

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Petition des Deutschen Frauenstimmrechtsbundes, Wahlberechtigung der Frauen betreffend. Zusammen mit Lida Gustava HEYMANN, in: Die Frauenbewegung 20/1915, S. 9–40 Gesuch betreffend die Völkerverhetzung in den deutschen Schulen. Zusammen mit Lida Gustava HEYMANN und Frida PERLEN, in: Internationaal 1/1916, S. 8–9 Eingabe. Zusammen mit Lida Gustava HEYMANN, in: Zeitschrift für Frauenstimmrecht 11–12/1917, S. 23 Schreiben an den Herrn Reichskanzler. Zusammen mit Marie WEGNER, Karin SCHUMILOW und Lida Gustava HEYMANN, in: Zeitschrift für Frauenstimmrecht 5–6/1918, S. 12 An die Deutsche Nationalversammlung z[u] H[än]d[en] des Präsidenten Herrn Fehrenbach. Schreiben der Internationale Frauenliga für Frieden und Freiheit, Deutscher Zweig. Zusammen mit Lida Gustava HEYMANN, Olga KNISCHEWSKY, Thea MERTELMEYER, Frida PERLEN, in: Women’s International League for Peace and Freedom News Sheet 3/1919, S. 2; unter dem Titel „Zur Friedenssache“, auch abgegedruckt in: Die Frauenbewegung 14/1919, S. 68–69 An unsere Leser! Zusammen mit Lida Gustava HEYMANN, in: Die Frau im Staat IX/1919, S. 32 Für Frieden und Internationale Verständigung Zusammen mit Lida Gustava HEYMANN, Olga KNISCHEWSKY, Thea MERTELMEYER, Frida PERLEN, in: Die Kämpferin 13/1919, S. 104 Die Fortdauer des Militarismus. Zusammen mit Lida Gustava HEYMANN, Auguste KIRCHHOFF, Frida PERLEN und Lydia STÖCKER, in: Die Frau im Staat I/1920, S. 7–8 Zu den neuen Wahlen. Zusammen mit Lida Gustava HEYMANN, in: Die Frau im Staat II/1920, S. 5–7 An alle Leser. Zusammen mit Lida Gustava HEYMANN, in: Die Frau im Staat II/1922, S. 5–7 An unsere Leser und Abonnenten! Zusammen mit Lida Gustava HEYMANN, in: Die Frau im Staat VII–VIII/1922, S. 25 Mobilizing for Reconstruction. Zusammen mit Lida Gustava HEYMANN und Frida PERLEN, in: Bulletin of the Women’s International League for Peace and Freedom II/1923, S. 29–31 Manifest der Internationalen Frauenliga für Frieden u[nd] Freiheit, in: Die Frau im Staat X/1923, S. 13 [nicht namentlich gezeichnet] An die Leser. Zusammen mit Lida Gustava HEYMANN, in: Die Frau im Staat VIII– IX/1924, S. 17

408

Kommentarteil

An die Abonnenten. Zusammen mit Lida Gustava HEYMANN, in: Die Frau im Staat XI/1924, Umschlagseite An die Abonnenten. Zusammen mit Lida Gustava HEYMANN, in: Die Frau im Staat XII/1924, S: 7 10 Gebote für die neue Legislaturperiode. Zusammen mit Lida Gustava HEYMANN, Magda HOPPSTOCK u. a., in: Die Frau im Staat I/1925, S. 3 An alle Leser. Zusammen mit Lida Gustava HEYMANN, in: Die Frau im Staat II/1925, S. 7 Nachwort der Schriftleitung. Zusammen mit Lida Gustava HEYMANN, in: Die Frau im Staat XI/1925, S. 3 An das französische Volk! An die französische Regierung! Zusammen mit Lida Gustava HEYMANN, in: Pax International 7/1932

9. Rezensionen Weib oder Persönlichkeit? [Gustav Thudichum: Weib oder Persönlichkeit?] In: Die Frauenbewegung 23/1896, S. 224–225 M[oisej Jakovlevic] Ostrogorski: Die Frau im öffentlichen Recht. [Eine vergleichende Untersuchung der Geschichte und Gesetzgebung der civilisierten Länder, Leipzig 1897], in: Die Frauenbewegung 5/1898, S. 55–56 Professor Dr. J[osef ] Kohler: Zur Urgeschichte der Ehe, in: Die Frauenbewegung 5/1898, S. 56 Lagerlöf, Selma: Legenden und Erzählungen [u. a.; Sammelrezension], in: Die Frauenbewegung 23/1901, S. 181 Paul Mombert: Die Belastung des Arbeitereinkommens durch die Kornzölle, in: Die Frauenbewegung 23/1901, S. 182 Paul Schultze-Naumburg: Die Kultur des weiblichen Körpers als Grundlage der Frauenkleidung, in: Die Frauenbewegung 3/1902, S. 20–21 Das Problem der Ehe [Sammelrezension], in: Der Tag Nr. 563 vom 02. 12. 1902 (Frauenseite: Der Kampf der Frau) Anna Fischer-Dückelmann: Die Frau als Hausärztin, in: Die Frauenbewegung 4/1902, S. 29 Neue Literatur zur Frauenfrage [Sammelrezension], in: Der Tag Nr. 379 vom 15. 08. 1903 (Frauenseite: Der Kampf der Frau) Die sexuelle Frage [Auguste Forel: Die sexuelle Frage], in: Die Frauenbewegung 24/1905, S. 185–186 Sexuelle Ethik [Auguste Forel: Die sexuelle Frage], in: Der Tag Nr. 593 vom 29. 11. 1905 (Frauenseite: Der Kampf der Frau)

Werkverzeichnis

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Wiederum das Problem der Ehe, in: Der Tag Nr. 124 vom 09. 03. 1906 (Frauenseite: Der Kampf der Frau) Die Frauenfrage in Naumanns „Neudeutscher Wirtschaftspolitik“, in: Der Tag Nr. 322 vom 28. 06. 1906 (Frauenseite: Der Kampf der Frau) Bücher, des Widerspruchs wert [Sammelrezension], in: Die Frau im Staat X/1923, S. 3–4; XI/1923, S. 5–6

10. Nachrufe und Artikel zu Gedenktagen Gräfin Viktorine Butler-Haimhausen, in: Die Frauenbewegung 3/1901, S. 20 Elisabeth Cady-Stanton, in: Der Tag Nr. 593 vom 19. 12. 1902 (Frauenseite: Der Kampf der Frau) Helen Blackburn, in: Der Tag Nr. 121 vom 13. 03. 1903 (Frauenseite: Der Kampf der Frau) Susan Anthony, in: Der Tag Nr. 170 vom 03. 04. 1906 (Frauenseite: Der Kampf der Frau) Dr. Agnes Hacker †, in: Zeitschrift für Frauen-Stimmrecht 10/1909, S. 41 [ungezeichnet] Lina Morgenstern †, in Zeitschrift für Frauen-Stimmrecht 1/1910, S. 1 [ungezeichnet] Unsere Ehrenpräsidentin! [Hedwig Dohm] In: Frauenstimmrecht 6/1913, S. 117 August Bebel. Dem großen Politiker, in: Frauenstimmrecht 6/1913, S. 119–121 Kurt Eisner †, in: Die Frau im Staat II/1919, S. 1–2 Rosa Luxemburg, in: Die Frau im Staat V–VI/1919, S. 1–2 Gustav Landauer, in: Die Frau im Staat V–VI/1919, S. 2–3 Margarete Lenore Selenka, in: Die Frau im Staat I/1923, S. 8–9 [ungezeichnet] Isabella N. Ford, in: Die Frau im Staat VI–VII/1924, S. 2 Klara Zetkin zum Gruß! In: Die Frau im Staat VII/1927, S. 11 Herzlichste Danksagung, in: Die Frau im Staat X/1927, S. 4 Selma Lagerlöf. Zusammen mit Lida Gustava HEYMANN, in: Die Frau im Staat XI/1928, S. 3 Marie Stritt †, in: Die Frau im Staat XI/1928, S. 7–8 [ungezeichnet] Zwei Jubilarinnen. Zusammen mit Lida Gustava HEYMANN, in: Die Frau im Staat XI/1929, S. 9 Jane Addams am 6. September 70 Jahre! Zusammen mit Lida Gustava HEYMANN, in: Die Frau im Staat IX–X/1930, S. 1–2

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Kommentarteil

11. Vereins-, Kongress- und andere Berichte Verein Frauenwohl, Berlin, in: Die Frauenbewegung 8/1998, S. 92 II. Jahresbericht des Vereins für Frauen-Studium zu Berlin 1897/98. Zusammen mit Anna Pappritz, Berlin 1898 Verein Frauenbildung-Frauenstudium, Abteilung Berlin, in: Die Frauenbewegung 1/1899, S. 8–9 Verband fortschrittlicher Frauenvereine, in: Die Frauenbewegung 9/1900, S. 70 Deputation deutscher Frauen beim Reichskanzler, in: Dokumente der Frauen 7/1902, S. 1–3 Die deutschen Frauen vor dem Reichskanzler, in: Der Tag Nr. 149 vom 30.03.1902 (Frauenseite: Der Kampf der Frau) Der internationale Frauenstimmrechtskongress in Washington, in: Der Tag Nr. 169 vom 12. 04. 1902 (Frauenseite: Der Kampf der Frau) Der deutsche evangelische Frauentag, in: Der Tag Nr. 185 vom 22. 04. 1902 (Frauenseite: Der Kampf der Frau) Der Kongress für Frauenarbeit in Paris, in: Der Tag Nr. 241 vom 27. 05. 1902 (Frauenseite: Der Kampf der Frau) Die sozialdemokratische Frauenkonferenz, in: Der Tag Nr. 447 vom 24. 09. 1902 (Frauenseite: Der Kampf der Frau) Kongresse, in: Der Tag Nr. 487 vom 17. 10. 1902 (Frauenseite: Der Kampf der Frau) Der Verband Fortschrittlicher Frauenvereine, in: Der Tag Nr. 433 vom 16. 09. 1903 (Frauenseite: Der Kampf der Frau) Die Ergebnisse der Frauenkongresse, in: Der Tag Nr. 477 vom 11. 10. 1903 (Frauenseite: Der Kampf der Frau) Arbeitsbericht des Deutschen Vereines für Frauenstimmrecht über seine erste Geschäftsperiode vom 1. Januar 1902 bis 1. Oktober 1903. Zusammen mit Minna CAUER, Lida Gustava HEYMANN, Käthe SCHIRMACHER, Adelheid von WELCZECK und Martha ZIETZ, in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 20/1903, S. 73–75 Der Weltbund für Frauenstimmrecht, in: Der Tag Nr. 267 vom 10. 06. 1904 (Frauenseite: Der Kampf der Frau) Die Kongressleitung und die Radikalen, in: Centralblatt des Bundes deutscher Frauenvereine 7/1904, S. 52–54 Internationaler Kongress und Council, in: Der Tag Nr. 347 vom 27. 07. 1904 (Frauenseite: Der Kampf der Frau) Weltbund für Frauenstimmrecht, in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 11/1904, S. 31 [ungezeichnet]

Werkverzeichnis

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Der deutsche Verband für Frauenstimmrecht, in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung 14/1905, S. 28 [ungezeichnet] Die Neuorganisation des Bundes deutscher Frauenvereine, in: Der Tag Nr. 222 vom 03. 05. 1906 (Frauenseite: Der Kampf der Frau); nachgedruckt in: Die Frauenbewegung 13/1906, S. 97–98; sowie in: Centralblatt des Bundes deutscher Frauenvereine 12/1906, S. 94–95 Konferenz des Weltbundes für Frauenstimmrecht in Kopenhagen, in: Der Tag Nr. 274 vom 01. 06. 1906 (Frauenseite: Der Kampf der Frau) Der III. Internationale Frauenstimmrechtskongress in Kopenhagen, in: Der Tag Nr. 424 vom 22. 08. 1906 [nicht auf Augspurgs Frauenseite „Der Kampf der Frau“] Erste deutsche Konferenz zur Förderung der Arbeiterinnen-Interessen, in: Der Tag Nr. 109 vom 01. 03. 1907 (Frauenseite: Der Kampf der Frau) Germany, in: Jus Suffragii 6/1908 [gekürzte Fassung der Rubrik „Rundschau/ Inland“ der Zeitschrift für Frauen-Stimmrecht 2/1908, S. 6–7] Germany, in: Jus Suffragii 7/1908 [gekürzte Fassung der Rubrik „Rundschau/ Inland“ der Zeitschrift für Frauen-Stimmrecht 3/1908, S. 10–11] Internationale Konferenz des Weltbundes für Frauen-Stimmrecht vom 15.– 20. Juni 1908 in Amsterdam, in: Zeitschrift für Frauen-Stimmrecht 5/1908, S. 19 [ungezeichnet] Konferenz des Weltbundes für Frauen-Stimmrecht vom 15.–20. Juni 1908 in Amsterdam, in: Zeitschrift für Frauen-Stimmrecht 7/1908, S. 27–28 [ungezeichnet] Der Internationale Stimmrechtskongress in London, in: Zeitschrift für FrauenStimmrecht 3/1909, S. 9 [ungezeichnet] Der Internationale Kongress des Weltbundes für Frauenstimmrecht in London, in: Zeitschrift für Frauen-Stimmrecht 4/1909, S. 13 [ungezeichnet] Germany, in: Jus Suffragii 6/1909 [gekürzte Fassung der Rubrik „Rundschau/ Inland“ der Zeitschrift für Frauen-Stimmrecht 3/1909, S. 11] Germany, in: Jus Suffragii 10/1909 Allemagne, in: Jus Suffragii 5/1910 (gekürzte Fassung der Rubrik „Rundschau/ Inland“ der Zeitschrift für Frauen-Stimmrecht 1/1910, S. 4) Die Internationale Sozialdemokratische Frauenkonferenz in Kopenhagen, in: Zeitschrift für Frauen-Stimmrecht 10/1910, S. 45–46 [ungezeichnet] Allemagne, in: Jus Suffragii 11/1910 (gekürzte Fassung der Rubrik „Rundschau/ Inland“ der Zeitschrift für Frauen-Stimmrecht 7/1910, S. 4) Die VI. Konferenz des Weltbundes für Frauenstimmrecht in Stockholm, in: Zeitschrift für Frauen-Stimmrecht 7/1911, S. 25 [ungezeichnet] Der Züricher Frauenstimmrechtsverein, in: Frauen-Stimmrecht 1–2/1912, S.23– 24 [ungezeichnet]

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Kommentarteil

Der VII. Kongress des Weltbundes für Frauenstimmrecht und seine Vorkonferenzen, in: Frauenstimmrecht 4/1913, S. 73–81 Zusammenschluss der in Deutschland bestehenden Frauenstimmrechtsvereinigungen zu einem Kartell. Zusammen mit Lida Gustava HEYMANN, in: Zeitschrift für Frauenstimmrecht 14/1914, S. 43–44 Nachrichten aus den Vereinen – Der Bayerische Verein für Frauenstimmrecht. Zusammen mit Lida Gustava HEYMANN, in: Zeitschrift für Frauenstimmrecht 16/1914, S. 124 Nationaler Frauenausschuss für dauernden Frieden. Zusammen mit Lida Gustava HEYMANN, Frida PERLEN und Elise von SCHLUMBERGER, in: Monthly News Sheet of the International Comittee of Women for Permanent Peace 3/1915 Deutscher Frauenausschuss für dauernden Frieden. Zusammen mit Lida Gustava HEYMANN, Olga KNISCHEWSKY, Thea MERTELMEYER, Frida PERLEN, in: Internationaal 4/1918, S. 235–136 Kundgebung der österreichischen und der deutschen Sektion der internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit. Zusammen mit Yella HERTZKA, Olga MISAR und Lida Gustava HEYMANN, in: Die Frau im Staat XII/1926, S. 1–2 Maison Internationale. Zusammen mit Lida Gustava HEYMANN, in: Pax International 2/1925 Kundgebung der österreichischen und der deutschen Sektion der internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit. Zusammen mit Yella HERTZKA, Olga MISAR und Lida Gustava HEYMANN, in: Die Frau im Staat XII/1926, S. 1–2

12. Gedichte und Lieder (und ein Prolog) Anfang und Ende, in: Moderne Blätter 9/1891, S. 3 Der erste öffentliche Theaterabend des Schweizerischen Vereins Frauenbildungsreform – Prolog, abgedruckt in: Schweizer Hauszeitung vom 23. 03. 1895, S. 1 Chaire Pallas Promachos [Heil Dir, Pallas Athene, du Vorkämpferin], in: Die Frauenbewegung 1/1897, S. 4 Frl. Doktors Plaidoyer, in: Die Frauenbewegung 22/1902, S. 173 Weckruf zum Frauenstimmrecht, in: Frauenstimmrecht 1–2/1912, S. 1 Nationalhymne der Frauen, in: Frauenstimmrecht, Heft 1–2/1912, S. 2

Personenregister Adams Bridges Lehmann, Hope 144, 325 Adams Lehmann, Hope Siehe Adams Bridges Lehmann, Hope Arnim, Bettina von 74, 201, 302, 338 Aspasia (Aspasia von Milet) 71, 301 Asquith, Herbert Henry 236, 242, 243, 246, 352, 356 Attenhofer, Adolf 263, 364 Bäumer, Gertrud 36, 294 Bebel, August 72, 190, 192, 193, 265, 302, 312, 337, 364 Bieber-Böhm, Hanna 98, 171, 311, 332 Bismarck, Otto von 248 Böhlau, Helene 158, 329 Borgius, Walther 135, 322, 323 Bosse, Robert 26, 289 Bouness, Elisabeth (Bré [Bre], Rut[h], E. Michel) 135, 322, 323 Braun, Lili 147, 326 Bridges Adams, Hope Siehe Adams Bridges Lehmann, Hope Büchner, Luise 76, 78, 303, 304 Bülow, Bernhard von 230, 300, 350 Butler, Josephine 170, 171, 332 Carpenter, Edward 132, 133, 142, 147, 149, 322, 324, 326, 327 Cauer, Minna 80, 98, 119, 124, 158, 217, 287, 295, 297, 304, 305, 311, 317, 318, 319, 328, 344, 345, 356 Chauvin, Jeanne 50, 51, 292, 298 Cobden-Sanderson, Thomas 239, 353 Cobden-Unwin, Jane 239, 353 Coleridge, Bernard John 244, 355 Commodus, Lucius Aurelius (Kaiser) 71, 301

Conrad, Michael Georg 135, 322, 323 Cook, Tennessee Celeste 238, 353 Darwin, Charles 151 Despard, Charlotte 237, 242, 352, 355 Dohm, Hedwig 75, 78, 219, 303, 304, 306, 308, 336, 347, 382 Dose, Cäcilie 98, 312 Dumont, Luise 158, 329 Dwelshauvers, Jean Jacques Siehe Mesnil, Jacques Ebert, Friedrich 271, 367, 368 Eisner, Kurt 262, 362, 363, 364, 365, 374, 383 Feder, Ernst 142, 143, 144, 325 Federn, Karl 132, 142, 321, 322, 324, 325 Fehrenbach, Konstantin 258, 360 Feuerbach, Ludwig 219 Fischer, Samuel 158, 329 Forel, Auguste-Henri 135, 145, 146, 147, 148, 322, 323, 325, 326 Franck [Frank], Louis 72, 302 Franke, Ernst Siehe Fränkel, Ernst Fränkel, Ernst 135, 322, 323 Garrett Fawcett, Millicent 238, 352 Genofeva (Heilige) 112, 315 Gizycki, Lili von Siehe Braun, Lili Goethe, Johann Wolfgang von 273, 297, 347, 365, 369 Gottsched, Johann Christoph 73, 302 Gouges, Olympe de 73, 302 Graef, Sabine 158, 329 Grillparzer, Franz 273, 369

414 Gruber, Max von 147, 148, 172, 326, 333 Gumplowicz, Ladislaus 132, 321, 322 Gystrow, Ernst 132, 322 Hallet, Moses 228, 348 Hammerstein-Loxten, Hans von 205, 340 Hanstein, Ludwig Adalbert von 73, 302 Heartz [Hearts], Evangeline 228, 349 Heidfeld, Marianne 98, 312 Heine, Wolfgang 160, 187, 189, 190, 196, 329, 337 Herz, Henriette 74, 302 Heymann, Lida Gustava 217, 224, 225, 226, 232, 241, 247, 277, 316, 332, 335, 345, 347, 348, 349, 353, 357, 359, 360, 366, 370, 372, 374, 382, 383 Hindenburg, Paul von 248 Hippel, Theodor Gottlieb von 74, 218, 302, 346 Holtzendorff, Franz I. von 219, 346 Hoppstock, Magda (Magda HoppstockHuth) 277, 372 Humboldt, Alexander von 273, 369 Humboldt, Wilhelm von 273, 369 Hypathia 71, 301 Ihering, Rudolf von 141, 324 Isaacs, Rufus 244, 356 Jhering, Rudolf von Siehe Ihering, Rudolf von Justinian (Kaiser) 327 Kant, Immanuel 218, 346 Kempin, Emilie 109, 291, 292, 310, 315, 316 Kenney, Annie 237, 352 Kettler, Hedwig 24, 287, 289, 294, 304, 313, 320

Kommentarteil

Key, Ellen 142, 147, 149, 324, 326, 327 Kirchhoff, Auguste 277, 372 Landauer, Gustav 265, 266, 365, 366 Lange, Helene 36, 294, 304 Lehmann-Rußbüldt, Otto 132, 321 Levin, Rahel 201, 302, 338 Lewald, Fanny 78, 303, 304 Liebknecht, Karl 265, 362, 365 Lischnewska, Maria 135, 147, 297, 322, 323, 326 Liszt, Franz von 135, 322, 323 Livius, Titus 72, 301 Luxemburg, Rosa 264, 265, 364, 365 MacDonald, James Ramsay 249 Marcuse, Max 135, 322, 323 Marsh, Charlotte 241, 354 Mesnil, Jacques 132, 142, 321, 324, 325 Meysenbug, Malwida von 75, 303 Michaelis, Karoline 74, 302 Mill, John Stuart 78, 303, 310 Montefiore, Dorothy Frances 236, 237, 238, 352 Müller-Meiningen, Ernst 135, 322, 323, 338 Naumann, Friedrich 135, 316, 322, 323 Nietzsche, Friedrich 328 Noske, Gustav 271, 368 Oertel, Georg 189, 190, 191, 195, 196, 337 Oppenheimer, Franz 135, 322, 323 Otto-Peters, Luise (Luise Otto) 41, 74, 76, 77, 201, 295, 296, 303, 335, 338 Pabst, Waldemar 364 Pankhurst, Christabel 242, 246, 355, 356

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Personenregister

Pankhurst, Emmeline 242, 244, 353, 355, 356 Pankhurst, Henry Francis 244, 356 Pappritz, Anna 144, 146, 147, 325, 326, 332, 335 Patterson, Thomas MacDonald 228, 348 Paulssen, Arnold 190, 192, 338 Perkins-Gilman, Charlotte Siehe PerkinsStetson, Charlotte Perkins-Stetson, Charlotte 49, 297 Perlen, Frida 277, 360, 372 Pernerstorfer, Engelbert 72, 302 Pethick-Lawrence, Emmeline 238, 242, 244, 352, 353, 355 Pethick-Lawrence, Frederick William 239, 244, 353, 355 Proelß, Sera 98, 311 Raschke, Marie 98, 119, 124, 129, 130, 295, 309, 311, 317, 318, 319, 320, 333 Rupprecht, Antonie 158, 329 Sappho 71, 301 Schiller, Friedrich von 273, 347, 369 Schirmacher, Käthe 172, 217, 307, 333, 345 Schmidt, Auguste 76, 295, 296, 303, 335, 347

Schopenhauer, Arthur 65 Schulze, Franz Hermann (Hermann Schulze-Delitzsch) 346 Seddon, Louisa Jane 229, 349 Seddon, Richard John 229, 349 Selenka, Margarethe Lenore 250, 357, 358 Stein, Heinrich vom und zum 299 Stöcker, Helene 135, 147, 322, 323, 324, 326 Stritt, Marie 98, 118, 175, 311, 317, 333 Sudermann, Hermann 158, 329 Thal, Max (Max Rosenthal) 145, 325 Valerius, Lucius 72 Varnhagen von Ense, Rahel Siehe Levin, Rahel Waldeyer, Heinrich 33, 293 Wallace, Alfred Russel 151 Welczeck, Adelheid von 217, 345 Wiemer, Otto 207, 341 Wille, Bruno 135, 322, 323 Wollstonecraft, Mary 74, 302 Zietz, Luise 330

Sachregister Abrüstung 250, 256 Achtstundentag 45, 276 Aktivbürgerrecht 291 Allgemeiner deutscher Frauenverein 38, 76, 175, 181, 294, 295, 302, 311, 332, 334, 335 Allgemeiner österreichischer Frauenverein 172 Arbeiterinnenbewegung 44 Arbeiterinnenfrage 41, 44, 46, 295 Arbeiterinnenklasse 41 Arbeiterinnenschutz 44, 45 Arbeiterinnenschutzgesetze, Arbeitsschutzgesetze, Arbeiterschutz 44, 46, 206 Arbeiterorganisationen 43 Arbeiterräte 267 Arbeitszeit 20, 42, 44, 45, 205 Ausführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch 121, 123, 317, 318 Bauernräte 267, 268 Berufsfreiheit 33, 74, 80, 217 Berufsgenossenschaften 43 Berufsverein 42, 46 Bildungsfrage 35, 41, 79 Bund deutscher Frauenvereine 79, 99, 114, 175, 281, 293, 302, 304, 310, 311, 316, 324, 332, 334, 357 Bund englischer Frauenvereine 79 Bund für Mutterschutz 134, 135, 136, 321, 326 Bund Schweizer Frauenvereine 173, 333 Bundesrat 66, 68, 190, 191, 192, 230, 232, 291, 306, 337, 348, 349 Bürgerkunde 221, 223, 346

Bürgerliches Gesetzbuch für das Deutsche Reich von 1896 (BGB) 9, 10, 11, 12, 25, 26, 87, 90, 91, 95, 98, 99, 100, 101, 102, 103, 105, 107, 109, 110, 112, 113, 114, 117, 119, 120, 121, 122, 123, 127, 144, 173, 201, 215, 230, 231, 239, 285, 289, 305, 306, 308, 309, 310, 311, 312, 313, 314, 315, 318, 332, 353, 355, 375, 377, 379, 380 Bürgerrecht 40, 216, 218, 220, 223, 224, 225, 226, 227, 233, 234, 235, 346, 347 Centralblatt des Bundes deutscher Frauenvereine 147, 311, 325 Codex Maximilianeus Bavaricus Civilis von 1756 289, 306 Contagious Diseases Acts 331 Corpus iuris civilis 326 Der Kampf der Frau (Zeitungsbeilage) 300, 319 Deutscher Frauenstimmrechtsbund 247, 356 Deutscher Verband für Frauenstimmrecht 175, 239, 334, 352, 353, 356 Deutscher Verein für Frauenstimmrecht 67, 216, 217, 230, 299, 304, 311, 330, 333, 334, 344, 348, 349, 352 Deutscher Zweig der Internationalen Abolitionistischen Föderation 175, 324, 334 Die Frauenbewegung (Zeitschrift) 25, 48, 80, 129, 141, 142, 158, 214, 288, 289, 294, 296, 304, 305, 306, 308, 309, 310, 311, 312, 316, 317, 318, 319, 322, 323, 324, 325, 327, 328, 329, 332, 336, 341,

Sachregister

343, 344, 345, 346, 353, 355, 356, 359, 377 Die Gleichheit (Zeitung) 162, 211, 212, 214, 329, 341, 342, 343 Digesten 326 Dreiklassenwahlrecht 381 Ehe 9, 11, 60, 62, 63, 72, 80, 82, 88, 91, 93, 94, 95, 96, 97, 103, 105, 106, 107, 109, 110, 111, 113, 114, 117, 122, 124, 125, 126, 127, 128, 131, 132, 133, 136, 137, 138, 139, 140, 141, 142, 143, 145, 146, 148, 149, 154, 156, 173, 277, 285, 304, 308, 309, 320, 323, 325, 326, 327, 370, 380 Eheerrungenschaft 11, 124 Ehegesetze 88, 89, 137, 146, 381 Eheideal 142, 148, 149, 325, 326 Eherecht 12, 63, 87, 103, 112, 117, 127, 217, 309, 326 Eheschließung 62, 81, 92, 101, 102, 103, 105, 113, 128, 134, 137, 140, 296, 307, 323 Ehevertrag 102, 111, 122, 128, 172, 173 Eigentumsrecht 60 Elternrecht 140, 380 Emanzipation 71, 72, 74, 148 Erbrecht 94, 126, 247 Ermächtigungsgesetz 276, 370, 372 Errungenschaftsgemeinschaft 11, 123, 125, 318 Erwerbsfrage 14, 31, 32, 33, 240, 292 Familiengesetze 88 Familienleben 24, 61, 94, 108, 109, 119, 126, 131, 370 Familienrat 90, 101, 104, 119 Familienrecht 9, 10, 11, 83, 90, 91, 92, 93, 94, 95, 97, 98, 99, 100, 101, 102,

417 105, 110, 113, 114, 116, 117, 201, 309, 311, 312, 324, 326, 379 Frauenarbeit 31, 37, 43, 45, 56 Frauenberuf (Zeitschrift) 14, 285, 286, 288 Frauenbewegung 9, 11, 22, 31, 32, 33, 34, 35, 36, 41, 43, 45, 46, 47, 48, 49, 55, 57, 63, 66, 68, 71, 73, 74, 76, 77, 78, 79, 80, 83, 86, 87, 124, 131, 146, 147, 148, 158, 164, 169, 170, 171, 172, 173, 174, 182, 201, 206, 214, 217, 218, 219, 227, 246, 252, 285, 292, 293, 294, 295, 296, 297, 300, 302, 303, 304, 305, 315, 319, 322, 331, 333, 334, 345, 346, 348, 360, 362, 379, 380, 381, 382 Frauenbildungsvereine 77 Frauenerwerbsvereine 77 Frauenfrage 9, 32, 55, 56, 57, 68, 75, 83, 87, 218, 299, 305, 307, 311, 315, 360, 371, 380 Frauengeschlecht 86, 215 Frauengruppe der Deutschen akademischen Vereinigung 286, 294, 303, 317 Frauenliste 280, 281, 372 Frauenräte 267, 268, 269, 365 Frauenrecht 32, 78, 172, 228, 362 Frauenrechtler 47, 301 Frauenrechtlerinnen 47, 48, 189, 214, 296, 299, 302, 303, 304, 310, 311, 316, 318, 322, 323, 324, 325, 327, 331, 332, 335, 336, 337, 344, 351, 352, 354, 355, 371 Frauenrechtsbewegung 10, 32, 36, 37, 41, 77 Frauenstimmrecht 82, 227, 228, 229, 236, 237, 242, 243, 248, 280, 345, 347, 352, 353, 373, 381 Frauenstimmrechtsbewegung 239, 246

418 Frauenstimmrechtsbill 242, 243, 353 Frauenstudium 22, 40, 292 Frauenverein 36, 37, 38, 39, 53, 54, 78, 79, 171, 179, 181, 206, 223, 288, 298, 334 Frauenwahlrecht allgemein 9, 302, 352 in Bayern 362, 373, 382 in England 351, 353 Frauen-Weltbund (International Council of Women) 79, 303 Freie Ehe 137, 141, 142, 143, 144, 145, 146, 147, 149, 323 Freihandel 277 Friedensministerium 258, 259, 359, 360 Gemeindegesetz, Nassauisches (vom 26. Juli 1854) 234, 350 Gemeinderecht 233, 234 Gemeindewahlrecht 82, 220 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) 211, 214, 231, 232, 317, 341, 342, 343, 349 Gesellschaft für soziale Reform 205, 339 Gesetz betreffend die [Hamburgische] Staatsangehörigkeit (v. 1864) 224, 226, 227, 347 Gesetz betreffend die Gewerbegerichte 317, 341, 342 Gesetz betreffend die Hamburgische Staatsangehörigkeit (v. 1896) 224, 227, 346, 347 Gesetz über den Staatsgerichtshof von 1921 367 Gesetz über die vorläufige Reichsgewalt von 1919 270, 365, 366 Gewerbegericht 46, 119, 121, 211, 212, 213, 214, 223, 316, 317, 341, 342, 343

Kommentarteil

Gewerbeordnung (GewO, Reichsgewerbeordnung) 42, 202, 203, 206, 211, 212, 295, 338, 339, 341, 342 Gewerkschaft 43, 202, 338, 339 Gleichberechtigung 9, 11, 35, 73, 76, 97, 148, 214, 232, 241, 247, 255, 257, 266, 277, 285, 302, 326, 358, 370 Güterrecht 11, 90, 91, 92, 94, 98, 99, 104, 111, 112, 114, 122, 172, 173, 307, 308, 310, 314, 380 Güterstand 10, 91, 122, 306, 308, 318, 380 Gütertrennung 11, 81, 91, 96, 99, 109, 110, 111, 112, 114, 121, 122, 123, 306, 308, 309, 310, 314, 317 Haager Konferenz 255, 358 Handelsfreiheit 256 Handlungsfähigkeit 87, 90, 91, 93, 101 Hausfrau 47, 48, 61, 128, 149, 233 Hausfrauen-Beruf 47, 48, 296 Haushalt 23, 60, 61, 62, 75, 85, 222, 233, 234 Hirsch-Dunckersche Gewerkvereine 43, 295 Hörigkeit 58, 78, 84, 97, 302, 309 Internationale [abolitionistische] Föderation 80, 331 Internationale Frauenliga für Frieden und Freiheit 259, 260, 359, 360, 363, 371, 381 Internationale Frauenliga für Frieden und Freiheit, Deutscher Zweig 258, 259, 276, 280, 359, 369, 373 Internationaler Frauenkongress Haag 252, 357 Internationales Frauenkomitee für Dauernden Frieden 258 Islamisches Recht 307

419

Sachregister

Kapitalismus 260 Koedukation 39, 68 Konkubinat 142, 147, 324 Krankenversicherungsgesetz 230, 348, 349 Krieg 14, 72, 74, 247, 248, 250, 252, 253, 254, 255, 256, 257, 258, 260, 266, 273, 358, 360, 381 Kriegszustandsgesetz 270, 271, 366 Kulturgeschichte 58, 66, 73, 77, 146, 250, 284 Kulturländer 77, 116, 131, 242, 250, 314 Kulturleben 23, 150, 283 Laiengericht 120, 121, 185, 214 Laienrichter 121 Lex Heinze 158, 160, 327, 328, 329 Lex Oppia 301 Liebe 21, 63, 97, 131, 132, 133, 141, 149, 152, 156, 162, 242, 252, 262, 264, 288, 320, 321, 326 Mädchengymnasium 21, 24, 25, 26, 53, 287, 288, 289, 291, 293, 298 Mädchenschulbildung 36, 38, 66 Mädchenschule 36, 52, 53, 64, 67, 68, 289, 291, 293, 298 Männerstaat 151, 170, 274, 276 manus 102, 312 manus-freie Ehe 326 Married Women’s Property Act 91, 304, 307 Matriarchat 274 Maturitätsprüfung 28, 38, 67, 79 Menschenrechte 22, 73, 80, 95, 97, 251 Menschenwürde 86 Militärdiktatur 273, 276, 366, 368 Mitgift 84, 308 Mündigkeit 93, 101, 248 Mundium 102, 120, 312, 313

Munt 313 Mutterschaftsversicherung 135, 156 Mutterschutz 133, 135, 321 Mutterschutzrente 135 Ortsbürgerrecht 234 Pandekten 149, 326 Patriarchat 274, 369 Patriotismus 74, 134 Personal-Abbau-Verordnung 276, 277, 279, 370, 371 Persönlichkeitsrecht 94, 139 Petersburger Friedenskonferenz (Konferenz, Kongress) 250, 251, 356 Preußisches Allgemeines Landrecht (PrALR, ALR) 234, 235, 350 Preußisches Vereinsgesetz von 1850 142, 202, 205, 210, 337, 338, 339, 341, 345 Proletariat 41, 43, 64 Proportionalwahlrecht 281 Prostituent 182, 377 Prostitution 65, 66, 81, 135, 147, 152, 155, 163, 169, 170, 171, 310, 331, 332 Rätekongress 269 Rechtsbenachteiligung der Frau 172 Rechtsberatungsgesetz (v. 1935) 290 Rechtsfrage 64, 87, 299, 305, 380 Rechtsgeschäft 90, 92, 95, 103, 107, 120, 313, 379 Rechtsgleichheit 91, 93, 233, 277, 371 Rechtsgrundsatz 101, 123, 232, 335 Rechtskommission des Bundes deutscher Frauenvereine 98, 173, 308, 310, 311, 316, 332 Rechtskonsulent 28, 290 Rechtspersönlichkeit 101, 103 Rechtspflege 100, 161, 162, 173, 174, 179, 222, 291, 329

420 Rechtsprechung 10, 119, 120, 153, 173, 245, 283, 329, 370, 373 Rechtsschutz 135, 169, 172, 173, 180, 271, 305, 310, 318, 319, 331, 332 Rechtssphären 100 Rechtsstaat 269 Rechtsstand 101 Rechtsstellung 9, 117, 139, 215, 309, 310, 380 Rechtssubjekt 88, 100, 103, 284 Reformkleidung (Reformbekleidung) 189 Reichsgericht 203, 205, 271, 338, 367, 372 Reichsrecht 270, 279, 284, 366, 374 Reichsstrafgesetzbuch (RStGB, Strafgesetzbuch) 67, 90, 163, 164, 168, 177, 179, 182, 191, 201, 231, 272, 327, 328, 330, 331, 333, 334, 335, 337, 368, 377 Reichsverfassung 161, 231, 270, 274, 276, 277, 284, 366, 370, 372 Reichswahlgesetz (vom 31. Mai 1869) 239, 352 Sächsisches BGB (v. 1863) 289 Scheidung 79, 105, 113, 126, 127, 218 Schiedsgericht 92, 213, 254, 255, 358 Schöffen 119, 211, 214, 342, 349 Schöffengericht 119, 188, 316 Schulgesetz 52, 54, 297 Schweizer Advokaturgesetz 291 Schwurgericht 119, 173, 174, 178, 179, 181, 185, 316, 317, 334, 335 Selbstbestimmung 21, 254, 275 Sexualleben 146, 150, 151, 184 Sexualverbrechen 185 Sittlichkeit 44, 45, 58, 62, 65, 66, 82, 97, 160, 161, 162, 169, 182, 335 Sittlichkeitsfrage 169, 170, 172, 305, 331 Soldatenräte 267, 361, 362, 365, 379

Kommentarteil

Sozialdemokratie 42, 175, 184, 207, 221, 264, 265, 279 Sozialdemokratische Frauenbewegung 175, 341 Sozialdemokratische Frauenvereine 206 Sozialdemokratische Partei 204, 246, 360 Sozialdemokratische Positionen 343 Sozialdemokratische Reichstagsfraktion 211 Sozialer und politischer Frauenbund (Women’s Social and Political Union, WSPU) 238, 239, 241, 351, 352, 353, 354, 355 Staatsgerichtshof 271, 279, 284, 285, 367, 372 Stimmrecht 33, 52, 78, 183, 211, 227, 228, 229, 230, 237, 238, 344 Strafrecht 90, 93, 116, 117, 158, 247 Suffragetten (Suffragettes) 241, 242, 243, 245, 332, 351, 352, 353, 354 The Representation of the People Act (v. 1867) 343 Töchterschulen 29, 36, 38, 52, 288, 293 Todesstrafe 245, 259, 277, 360, 371 Unterhalt 19, 26, 31, 43, 48, 49, 75, 112, 126, 289 Utilitätsprinzip 32 Verband der Buchbinder 202 Verband Fortschrittlicher Frauenvereine 39, 48, 49, 80, 174, 175, 294, 296, 304, 333, 334, 345 Verein [für] Frauenstudium 27, 38, 39, 52, 80, 289, 293, 294, 298, 319 Verein Frauenbildung 293, 319 Verein Frauenbildung-Frauenstudium 38, 128, 293, 319

Sachregister

Verein Frauenbildungs-Reform 22, 37, 38, 39, 79, 287, 288, 293, 303, 309, 322 Verein Frauenwohl, Berlin 39, 79, 80, 121, 124, 294, 303, 304, 310, 312, 316, 317, 318, 319, 327, 379 Verein Frauenwohl, Hamburg 38, 223, 224, 225, 294, 347 Verein für Frauenstimmrecht 67, 68, 80, 164, 183, 304, 330, 332 Vereinsfreiheit 66 Vereinsgesetz 56, 68, 85, 201, 204, 205, 206, 207, 209, 218, 339, 340, 345 Vereinsrecht 201, 205, 218, 305, 339, 341, 381 Vereins-Zentralstelle für Rechtsschutz 310, 318, 319, 332 Verfügungsrecht 154, 304, 307 Verhältniswahlrecht 373 Vermögensrecht 81 Versammlungsrecht 201, 203, 215 Vogteiverhältnis 97, 309 Völkerbund 259 Völkerrecht 255 Volksschulunterhaltungsgesetz (v. 1906) 54, 298 Volljährigkeit 101 Vorbehaltsgut 103, 107, 110, 111, 143 Vormund 102, 113, 119, 123, 144, 230, 353 Votes for Women (Zeitschrift) 245, 351, 352, 354, 355

421 Wahlberechtigung 239, 247, 356 Wahlrecht (Stimmrecht) aktives 82, 121, 234, 302, 373 allgemeines, gleiches 220, 246, 247, 356, 381 der Frau zu den Gewerbegerichten 46, 211, 341, 343 in England 244, 246, 351, 355 Kommunal- 220, 233, 349 kommunales, der preußischen Frauen 233, 349 Parlaments- 236 passives 82, 121, 234, 291, 302, 373 politisches 211, 362 städtisches 235 zu den Schiedsgerichten 213 zu Krankenkassen 213 Waisenrat 121, 123, 124, 317 Wechselfähigkeit 93, 101, 308, 312 Weimarer Reichsverfassung 365, 366, 367 Weltkrieg, 1. 248, 274, 282, 291, 354, 358, 360, 361, 366, 381 Zeitschrift für Frauenstimmrecht 353, 354, 355, 377, 381 Zensur 283, 284, 285, 374 Zentrale deutscher Rechtsschutzstellen für Frauen 173, 332 Zentrum (Partei) 221, 267, 314, 315, 365 Zivilgesetzgebung 307 Zivilrecht 93, 116, 233

Ortsregister Afghanistan 82 Amerika (Vereinigte Staaten von) 31, 76, 77, 91, 121, 218, 241, 357 Australien 33, 53, 115, 229, 241, 314 Baden 22, 28, 29, 30, 39, 40, 290, 291, 294 Bayern 46, 143, 265, 279, 294, 361, 362, 363, 365, 367, 373, 379, 382 Belgien 30, 91, 220, 277, 291, 358, 359, 366 Brasilien 31

Kurhessen 233, 234, 350 Mecklenburg 270, 294 Neuseeland 82, 229, 348 Neuvorpommern 233, 350 Norwegen 53, 82, 121, 220, 241, 297, 358, 359 Oberbayern 140, 322, 339 Österreich 30, 35, 40, 45, 46, 51, 76, 77, 82, 171, 172, 241, 302, 345, 358, 359 Österreich-Ungarn 29

Colorado 228, 304, 347, 348 Dänemark 53, 83, 358, 359 Danzig 98, 210, 341 Elsass-Lothringen 210, 341 England 45, 51, 53, 74, 77, 82, 83, 91, 109, 112, 121, 149, 170, 218, 220, 236, 238, 239, 241, 243, 244, 245, 246, 247, 304, 331, 351, 353, 355, 357 Finnland 30, 121, 241, 291, 358 Frankreich 30, 45, 50, 51, 53, 63, 82, 83, 112, 135, 164, 220, 252, 277, 291, 297, 301, 354, 358, 359 Griechenland 71 Holland 30, 45, 51, 53, 83, 91, 297, 358, 359 Italien 30, 51, 121, 277, 291, 297, 314, 358, 359

Peru 31 Polen 104, 277 Portugal 31, 358 Rheinland 53 Rumänien 51, 53, 297, 358 Russland 30, 51, 91, 241, 246, 265, 314, 358, 359 Sachsen 29, 40, 53, 367 Schleswig-Holstein 233, 350 Schweden 53, 121, 241, 297, 358, 359 Schweiz 30, 51, 53, 64, 91, 129, 138, 277, 281, 290, 291, 294, 297, 314, 324, 358, 359, 379 Skandinavien 45, 51, 64, 91, 149, 252, 297 Spanien 31 Tasmanien (Tasmania) 82 Tibet 82 Türkei 91, 92, 307

Ortsregister

Ungarn 30, 53, 358, 359 Westfalen 53, 234, 350 Württemberg 39 Wyoming 76, 229, 302, 304

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