Rechtsdogmatische Überlegungen und rechtsvergleichende Betrachtungen zu einem zukünftigen Verbandssanktionsverfahren [1 ed.] 9783428582099, 9783428182091

Jennifer Koch untersucht Problemstellungen eines Verbandssanktionsverfahrens de lege ferenda in rechtsvergleichender Bet

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Rechtsdogmatische Überlegungen und rechtsvergleichende Betrachtungen zu einem zukünftigen Verbandssanktionsverfahren [1 ed.]
 9783428582099, 9783428182091

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Schriften zum Strafrechtsvergleich Band 13

Rechtsdogmatische Überlegungen und rechtsvergleichende Betrachtungen zu einem zukünftigen Verbandssanktionsverfahren

Von

Jennifer Koch

Duncker & Humblot · Berlin

JENNIFER KOCH

Rechtsdogmatische Überlegungen und rechtsvergleichende Betrachtungen zu einem zukünftigen Verbandssanktionsverfahren

Schriften zum Strafrechtsvergleich Herausgegeben von Prof. Dr. Dr. Eric Hilgendorf, Würzburg und Prof. Dr. Brian Valerius, Bayreuth

Band 13

Rechtsdogmatische Überlegungen und rechtsvergleichende Betrachtungen zu einem zukünftigen Verbandssanktionsverfahren

Von

Jennifer Koch

Duncker & Humblot · Berlin

Die Rechts- und Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät der Universität Bayreuth hat diese Arbeit im Jahre 2020 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2021 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: 3w+p GmbH, Rimpar Druck: buchbücher.de gmbh, Birkach Printed in Germany ISSN 2364-8155 ISBN 978-3-428-18209-1 (Print) ISBN 978-3-428-58209-9 (E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Für meine Eltern, meine Großeltern und Dich

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Jahr 2020 an der Rechts- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Bayreuth als Dissertation angenommen. Das Kolloquium fand im Oktober 2020 statt. Der offizielle Regierungsentwurf zum Verbandssanktionengesetz – VerSanG wurde erst nach Abschluss des Manuskriptes der vorliegenden Untersuchung veröffentlicht, konnte jedoch – ebenso wie partiell später erschienene Rechtsprechung und Literatur – noch darüber hinaus berücksichtigt werden. An dieser Stelle möchte ich allen Personen meinen Dank aussprechen, die mich bei der Erstellung meiner Dissertation unterstützt haben, auch wenn nicht alle namentlich Erwähnung finden können. Mein besonderer Dank gilt meinem Doktorvater und Erstgutachter Herrn Prof. Dr. Brian Valerius. Während der gesamten Promotionszeit stand er mir mit gutem Rat und kritischen Anmerkungen zur Seite, was meine Arbeit kontinuierlich voranbrachte. Seine hervorragende Betreuung und Begleitung des Projekts waren mir ein Wegweiser bei der Erstellung meiner Dissertation. Mein Dank gilt ihm und Herrn Prof. Dr. Dr. Eric Hilgendorf zudem für die Aufnahme meiner Arbeit in die Reihe „Schriften zum Strafrechtsvergleich“. Die Arbeit entstand während meiner Tätigkeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl von Herrn Prof. Dr. Hans Kudlich. Ihm danke ich für die rasche Erstellung des Zweitgutachtens und die großartige Zeit, die ich am Lehrstuhl verbringen durfte. Des Weiteren möchte ich ihm für das entgegengebrachte Vertrauen und die Unterstützung meiner Promotion danken: Durch den kritischen Austausch in zahlreichen Gesprächen sowie durch die Förderung mehrerer Forschungsaufenthalte zur Literaturrecherche im Ausland war Hans Kudlich mir ein steter Impulsgeber. Darüber hinaus möchte ich Herrn Prof. Dr. Nikolaus Bosch dafür danken, dass er als Vorsitzender der Kommission das Verfahren und das Kolloquium mit großer Sorgfalt geleitet hat. Mein Dank gilt ebenfalls dem gesamten Team vom Lehrstuhl Prof. Kudlich. Hier möchte ich vor allem Frau Hanna Göken, Frau Hannah Mariel Wendel, Frau Franziska Zwießler und Frau Katharina Rößler nennen und mich für ihre Unterstützung und Durchsicht der Arbeit bedanken. Von Herzen danke ich meiner wundervollen Familie, die mich bei der Erstellung der Dissertation, wie in all meinen Vorhaben, stets unterstützt hat und immer hinter mir steht. Erlangen, im Dezember 2020

Jennifer Koch

Inhaltsübersicht Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 1. Kapitel Grundlagen A. Grundzüge der historischen Entwicklung und aktuelle Diskussion des Verbandssanktionenrechts in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Begriff des Unternehmens, des Verbandes, der juristischen Person oder der Personenvereinigung und der Sanktion – eine interdisziplinäre Betrachtung . . . . . . . . C. Normadressatenkreis nach deutschem Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Kritische Würdigung und Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

49 49 63 77 81

2. Kapitel A. B. C. D. E.

Die Sanktionierung von Verbänden de lege lata

82

Sanktionsmöglichkeiten gegen Verbände nach deutschem Recht – ein Sonderweg . . . Sanktionsmöglichkeiten im Europäischen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Überblick über weitere internationale Regelungen zur Verbandsstrafbarkeit . . . . . . . . Ausgewählte Regelungen anderer Staaten zur Sanktionierung von Verbänden . . . . . . Kritische Würdigung und Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

82 97 113 117 127

3. Kapitel

A. B. C. D.

Das Verfahren zur Verhängung einer Verbandsgeldbuße de lege lata in Deutschland

130

Allgemeine Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Verfahren nach § 30 OWiG bei einer Straftat als Anknüpfungstat . . . . . . . . . . . . Das Verfahren nach § 30 OWiG bei einer Ordnungswidrigkeit als Anknüpfungstat . . Kritische Würdigung und Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

130 163 172 180

4. Kapitel A. B. C. D. E. F.

Grundlagen eines Verbandssanktionenrechts de lege ferenda

181

Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zuordnung des Verbandssanktionenrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wirtschaftspolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Straftheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kriminalpolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kritische Würdigung und Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

181 182 183 188 197 200

10

Inhaltsübersicht 5. Kapitel

A. B. C. D. E.

Materielles Verbandssanktionenrecht de lege ferenda

201

Reines Zurechnungs- oder Aufsichtspflichtverletzungsmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Modell nach dem NRW-Entwurf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kombinationsmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sanktionen und Anwendbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kritische Würdigung und Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

201 204 205 208 216

6. Kapitel Grundstruktur eines prozessualen Verbandssanktionenrechts de lege ferenda A. B. C. D.

Die Anwendung der StPO in einem künftigen Verbandssanktionsverfahren . . . . . . . . Die Verfolgungspflicht gegenüber Verbänden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Verband als Beschuldigter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Anspruch des Verbandes auf rechtliches Gehör im Verbandssanktionsverfahren (Art. 103 Abs. 1 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . E. Der Nemo-tenetur-Grundsatz im Verbandssanktionsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

218 218 220 260 294 296

7. Kapitel Sonderfragen eines Verbandssanktionsverfahrens

383

A. Internal Investigations . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 383 B. Compliance . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 488 Gesamtfazit und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 541 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 544 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 580

Inhaltsverzeichnis Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 I. Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 II. Herausforderungen ökonomischer und rechtlicher Art . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 III. Gang der Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 IV. Rechtsvergleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 1. Funktionale Rechtsvergleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 2. Einzelvergleich und typisierender Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 3. Vergleichsparameter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 a) Rechtskreise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 aa) Kontinentaleuropäischer Rechtskreis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 bb) Rechtskreis des Common Law . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 b) Rechtsordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 c) Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 d) Allgemeine Rechtsgrundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 e) Einzelaspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 f) Nationale Resultate de lege lata und de lege ferenda . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 4. (Zwischen-)Ziel der Rechtsvergleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 1. Kapitel Grundlagen

49

A. Grundzüge der historischen Entwicklung und aktuelle Diskussion des Verbandssanktionenrechts in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 I. Die Entwicklung im Mittelalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 II. Die Entwicklung in der Industrialisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 III. Das Verbandsstrafrecht nach dem 2. Weltkrieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 IV. Das Verbandsstrafrecht in den 1960er – 1990er Jahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 V. Die gescheiterte Reform des strafrechtlichen Sanktionensystems im Jahre 2000 59 VI. Überblick über den aktuellen Diskussionsstand zur Einführung einer Verbandssanktionierbarkeit nach deutschem Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61

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Inhaltsverzeichnis

B. Begriff des Unternehmens, des Verbandes, der juristischen Person oder der Personenvereinigung und der Sanktion – eine interdisziplinäre Betrachtung . . . . . . . . . . . . 63 I. Im Privatrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 1. Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 2. Juristische Person . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 3. Verband . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 II. Im deutschen Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 III. Auf europarechtlicher Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 1. Im unionsrechtlichen Primärrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 2. Im unionsrechtlichen Sekundärrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 a) Im Zweiten Protokoll, der Richtlinie (EU) 2017/1371 (PIF-Richtlinie) und dem Umsetzungsgesetz (Gesetz zur Stärkung des Schutzes der finanziellen Interessen der Euorpäischen Union – EU-Finanzschutzstärkungsgesetz – EUFinSchStG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 b) Im Corpus Juris strafrechtlicher Regelungen zum Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Union . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 IV. Verwendung der Begriffe Unternehmen, Verband, juristische Person oder Personenvereinigung in dieser Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 V. Verwendung der Begriffe Strafe und Sanktion in dieser Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . 76 C. Normadressatenkreis nach deutschem Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 I. De lege lata . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 II. De lege ferenda . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 D. Kritische Würdigung und Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 2. Kapitel Die Sanktionierung von Verbänden de lege lata

82

A. Sanktionsmöglichkeiten gegen Verbände nach deutschem Recht – ein Sonderweg . . . 82 I. Regelungen im OWiG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 1. Materielle Voraussetzungen und Rechtsfolgen des § 30 OWiG . . . . . . . . . . . . 83 2. Anwendungspraxis des § 30 OWiG in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 3. Die Aufsichtspflichtverletzung nach § 130 OWiG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 a) Allgemein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 b) Materielle Voraussetzungen des § 130 OWiG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 c) Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 4. Das Handeln für einen anderen nach § 9 OWiG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 II. Einziehung und Abschöpfung des Mehrerlöses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 1. Einziehung von Taterträgen nach §§ 73 ff. StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 2. Einziehung nach §§ 74 ff. StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 3. Abführung von Mehrerlös . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93

Inhaltsverzeichnis

13

III. Verwaltungsrechtliche Sanktionen, Spezialgesetze und weitere außerstrafrechtliche Sanktionsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 B. Sanktionsmöglichkeiten im Europäischen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 II. Recht der Europäischen Union . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 1. EU-Wettbewerbsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 a) Die materiellen Grundlagen der Bebußung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 aa) Geldbuße nach Art. 15 VO 17/62 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 bb) Geldbuße nach Art. 23 Abs. 1 VO (EG) Nr. 1/2003 . . . . . . . . . . . . . . . . 100 cc) Geldbuße nach Art. 5 VO (EG) Nr. 1/2003 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 b) Das Verfahren zur Festsetzung einer Geldbuße nach Art. 23 VO (EG) Nr. 1/2003 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 2. Zweites Protokoll aufgrund von Artikel K.3 des Vertrags über die Europäische Union zum Übereinkommen über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften, Richtlinie (EU) 2017/1371 (PIF-Richtlinie) und Umsetzungsgesetz: Gesetz zur Stärkung des Schutzes der finanziellen Interessen der Europäischen Union (EU-Finanzschutzstärkungsgesetz – EUFinSchStG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 a) Inhaltliche Vorgaben und Sanktionen der EU-RL 2017/1371 . . . . . . . . . . . 104 b) Die Mindesttrias der Sanktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 aa) Wirksame, abschreckende und angemessene Sanktionierung . . . . . . . . 105 bb) Die Vereinbarkeit eines Verzichts auf strafrechtliche Sanktionen und das Effizienzgebot (effet utile) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 c) Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2017/1371 über die strafrechtliche Bekämpfung von gegen die finanziellen Interessen der Union gerichtetem Betrug: Gesetz zur Stärkung des Schutzes der finanziellen Interessen der Europäischen Union (EU-Finanzschutzstärkungsgesetz – EUFinSchStG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 3. Weitere Regelungen auf europäischer Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 a) Gemeinsame Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 b) Rahmenbeschlüsse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 c) Richtlinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 III. Regelungswerke des Europarates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 C. Überblick über weitere internationale Regelungen zur Verbandsstrafbarkeit . . . . . . . . 113 I. OECD-Übereinkommen 1997 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 II. UN-Übereinkommen 1999 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 III. UN-Übereinkommen 2003 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 IV. Andere internationale Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 D. Ausgewählte Regelungen anderer Staaten zur Sanktionierung von Verbänden . . . . . . 117 I. USA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117

14

Inhaltsverzeichnis II. China . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 III. England . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 IV. Schweiz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 V. Österreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 VI. Liechtenstein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126

E. Kritische Würdigung und Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 3. Kapitel Das Verfahren zur Verhängung einer Verbandsgeldbuße de lege lata in Deutschland

130

A. Allgemeine Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 I. Der Grundsatz: Das verbundene Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 II. Die Ausnahme: Das selbstständige Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 1. Straftat als Anknüpfungstat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 a) Nichteinleitung des Verfahrens, § 30 Abs. 4 S. 1 Var. 1 OWiG . . . . . . . . . . 133 b) Einstellung des Verfahrens, § 30 Abs. 4 S. 1 Var. 2 OWiG . . . . . . . . . . . . . 133 aa) Opportune Einstellungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 (1) Nach § 153 StPO wegen Geringwertigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 (2) Nach § 153a StPO gegen Auflagen und Weisungen . . . . . . . . . . . . 135 (3) Nach § 153b StPO bei der Möglichkeit des Absehens von Strafe

136

(4) Nach §§ 153c – f StPO aus anderweitigen Gründen . . . . . . . . . . . . . 137 (5) Nach §§ 154, 154a StPO bei Teileinstellung bei mehreren Taten und der Beschränkung der Verfolgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 bb) Zwingende Einstellungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 c) Absehen von Strafe, § 30 Abs. 4 S. 1 Var. 3 OWiG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 d) Ausdrückliche Anordnung, § 30 Abs. 4 S. 2 OWiG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 e) Unmöglichkeit eines selbstständigen Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 2. Ordnungswidrigkeit als Anknüpfungstat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 a) Nichteinleitung des Verfahrens, § 30 Abs. 4 S. 1 Var. 1 OWiG . . . . . . . . . . 145 b) Einstellung des Verfahrens, § 30 Abs. 4 S. 1 Var. 2 OWiG . . . . . . . . . . . . . 146 c) Übrige Varianten, § 30 Abs. 4 S. 1 Var. 3, Abs. 4 S. 2 OWiG und Unmöglichkeit eines selbstständigen Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 III. Trennung und Verbindung von Verfahren: Vor- und Nachteile . . . . . . . . . . . . . . . . 146 IV. Opportunitätsherausforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 1. Opportunitätsprinzip versus Legalitätsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 2. Das pflichtgemäße Ermessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 a) Entschließungsermessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 b) Auswahlermessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 3. Anwendung des Opportunitätsprinzips auf § 30 OWiG . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154

Inhaltsverzeichnis

15

4. Complianceansätze und -auswirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 V. Die Vertretung und die Verteidigung des Verbandes im Verfahren . . . . . . . . . . . . . 155 VI. Abspracheoptionen mit dem Betroffenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 1. Bei einer Ordnungswidrigkeit als Anknüpfungstat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 a) Herleitung aus § 78 Abs. 2 OWiG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 b) Herleitung aus § 257c StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 c) Herleitung aus § 160b StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG . . . . . . . . . . . . . . . . 159 aa) Keine Verständigung über den Tatvorwurf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 bb) Verständigung über Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 cc) Rechtsmittelverzicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 2. Bei einer Straftat als Anknüpfungstat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 3. Verständigung und Opportunitätsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 B. Das Verfahren nach § 30 OWiG bei einer Straftat als Anknüpfungstat . . . . . . . . . . . . 163 I. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 II. Im verbundenen Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 1. Das Verfahren „itself“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 2. Beweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 3. Selbstbelastungsfreiheit – Verweigerungsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 4. Rechtsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 III. Im selbstständigen Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 C. Das Verfahren nach § 30 OWiG bei einer Ordnungswidrigkeit als Anknüpfungstat

172

I. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 II. Im verbundenen Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 1. Das Verfahren „itself“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 2. Beweise und Selbstbelastungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 3. Rechtsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 III. Im selbstständigen Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 D. Kritische Würdigung und Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 4. Kapitel Grundlagen eines Verbandssanktionenrechts de lege ferenda

181

A. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 B. Zuordnung des Verbandssanktionenrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 C. Wirtschaftspolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 I. Begriff und Bestandteile der Wirtschaftspolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183

16

Inhaltsverzeichnis II. Ordnungspolitische Komponente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 1. Ordnungstheorie nach Walter Eucken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 2. Ordoliberale Komponente eines Verbandssanktionenrechts . . . . . . . . . . . . . . . 187

D. Straftheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 I. Die absoluten Strafzwecktheorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 1. Sühnetheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 2. Vergeltungstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 3. Kritik an den absoluten Strafzwecktheorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 II. Die relativen Strafzwecktheorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 1. Generalprävention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 2. Spezialprävention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 3. Kritik an den relativen Strafzwecktheorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 III. Die Vereinigungstheorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 IV. Lösungsansatz für ein Verbandssanktionenrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 1. Keine Anwendung der reinen absoluten Strafzwecktheorien . . . . . . . . . . . . . . 195 2. Keine Anwendung (innerhalb der relativen Straftheorien) der reinen negativen Spezialprävention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 3. Kombinationsmodell: Primäre positive Spezialprävention unter Berücksichtigung von Aspekten der Generalprävention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 E. Kriminalpolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 F. Kritische Würdigung und Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 5. Kapitel Materielles Verbandssanktionenrecht de lege ferenda

201

A. Reines Zurechnungs- oder Aufsichtspflichtverletzungsmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 I. Zurechnungsmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 II. Aufsichtspflichtverletzungsmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 B. Modell nach dem NRW-Entwurf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 C. Kombinationsmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 I. Tatbestandsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 1. Verantwortungsauslösende Tat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 2. Verantwortungsauslösender Personenkreis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 3. Verantwortungsauslösendes Verhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 II. Gründe für einen Ausschluss der Sanktionierbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 D. Sanktionen und Anwendbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 I. Rahmen der möglichen Geldsanktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209

Inhaltsverzeichnis

17

II. Verwarnung mit Verbandsgeldsanktionsvorbehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 III. Verbandsauflösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 IV. Vermögensabschöpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 V. Anwendbarkeit des Verbandssanktionenrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 1. Ausgangspunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 2. Regelung im VerSanG-E . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 3. Sonderregelung des § 9 Abs. 2 S. 2 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 E. Kritische Würdigung und Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 6. Kapitel Grundstruktur eines prozessualen Verbandssanktionenrechts de lege ferenda

218

A. Die Anwendung der StPO in einem künftigen Verbandssanktionsverfahren . . . . . . . . 218 B. Die Verfolgungspflicht gegenüber Verbänden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 I. Opportunitätsprinzip oder Legalitätsprinzip? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 II. Verfolgungspflicht von Verbänden in anderen Rechtsordnungen . . . . . . . . . . . . . . 222 1. USA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 a) Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 b) Das Thompson-Memorandum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 c) Das Yates-Memorandum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 d) Das „Rosenstein-Memorandum“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 e) Deferred Prosecution Agreement, Plea Agreement und Non Prosecution Agreement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 2. England . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 a) Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 b) Deferred Prosecution Agreement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 3. Österreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 a) Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 b) Verfolgungsermessen gemäß § 18 und österreichische Diversion gemäß § 19 östVbVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 4. Schweiz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 5. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 III. Lösungsansatz: Kombinationsmodell beider Prinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 1. Ermittlungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 2. Anklageermessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 IV. Regelungen im VerSanG-E . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 1. Legalitätsprinzip und Einstellungsmöglichkeiten gemäß StPO/VerSanG-E . . . 255

18

Inhaltsverzeichnis 2. Einstellungsgründe nach dem VerSanG-E . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 a) § 35 VerSanG-E (Absehen von der Verfolgung wegen Geringfügigkeit) . . . 256 b) § 36 VerSanG-E (Absehen von der Verfolgung unter Auflagen und Weisungen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 c) § 41 VerSanG-E (Absehen von der Verfolgung bei verbandsinternen Untersuchungen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 V. Kritische Würdigung und Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259

C. Der Verband als Beschuldigter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 I. Die Beschuldigtenstellung einer natürlichen Person de lege lata . . . . . . . . . . . . . . . 260 II. Die Beschuldigtenstellung eines Verbandes de lege ferenda . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 III. Die Wahrnehmung der Vertretung des Verbandes im Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . 263 1. Allgemeines und Problematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 2. Regelungen in anderen Rechtsordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 a) USA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 aa) Federal Rules of Criminal Procedure . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 bb) US-amerikanisches Gesellschaftsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 cc) Die Rolle der Vertreter beim corporate plea . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 b) England . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 aa) Criminal Justice Act 1925 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 bb) Englisches Gesellschaftsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 c) Österreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 d) Schweiz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274 e) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274 3. Lösungsansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 a) Ausgangspunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 b) Regelungen im VerSanG-E . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 4. Anwesenheitspflicht des Verbandes in der Hauptverhandlung . . . . . . . . . . . . . 279 a) § 230 StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 b) § 73 OWiG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 c) Lösungsansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 d) Regelungen im VerSanG-E . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 5. Kritische Würdigung und Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 IV. Die Verteidigung des Verbandes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 1. Umfang der Untersuchung und Problematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 2. Regelungen in anderen Rechtsordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 a) USA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 b) England . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 c) Österreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 d) Schweiz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 e) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287

Inhaltsverzeichnis

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3. Grundlagen des Rechts auf einen Verteidigerbeistand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 a) Das Recht auf Beistand eines Verteidigers für natürliche Personen . . . . . . . 288 b) Das Recht auf Beistand eines Verteidigers für juristische Personen . . . . . . 288 4. Probleme und Lösungsansätze der anwaltlichen Verteidigung . . . . . . . . . . . . . 289 a) Verbot der Mehrfachverteidigung nach § 146 StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 b) Sockelverteidigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 aa) Begriff, Sinn und Zweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 bb) Ausgestaltung und Übertragbarkeit auf ein künftiges Verbandssanktionenrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 c) Lösung des VerSanG-E . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 5. Notwendige Verteidigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 6. Kritische Würdigung und Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 D. Der Anspruch des Verbandes auf rechtliches Gehör im Verbandssanktionsverfahren (Art. 103 Abs. 1 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294 I. Der Gegenstand des Anspruchs auf rechtliches Gehör . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294 II. Anwendung auf Verbände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 E. Der Nemo-tenetur-Grundsatz im Verbandssanktionsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296 I. Ausgangslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296 1. Umfang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 2. Gegenstand der Selbstbelastungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298 a) Historischer Ursprung der Selbstbelastungsfreiheit in Deutschland im Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298 b) Heutiges grundlegendes Verständnis von „nemo tenetur se ipsum accusare“: Die Ratio der Selbstbelastungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 aa) Absicherung der Beweisführungslast . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 bb) Verteidigungsfreiheit des Prozesssubjekts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 II. Die Geltung des Nemo-tenetur-Grundsatzes in anderen Rechtsordnungen . . . . . . . 302 1. USA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302 a) Selbstbelastungsfreiheit für natürliche Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302 b) Selbstbelastungsfreiheit für juristische Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302 c) Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 2. England . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 a) Selbstbelastungsfreiheit für natürliche Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 b) Selbstbelastungsfreiheit für juristische Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 c) Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309 3. Österreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310 a) Selbstbelastungsfreiheit für natürliche Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310 b) Selbstbelastungsfreiheit für juristische Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310 c) Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312

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Inhaltsverzeichnis 4. Schweiz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 a) Selbstbelastungsfreiheit für natürliche Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 b) Selbstbelastungsfreiheit für juristische Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314 c) Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318 5. Der Schutz vor Selbstbelastung im europäischen Kartellordnungswidrigkeitenverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319 a) SGL Carbon AG-Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320 b) Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321 6. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 322 III. Grundlagen der Anwendung des Nemo-tenetur-Grundsatzes für Verbände . . . . . . 324 1. Allgemeines Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) 326 2. Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328 3. Fair-Trial-Grundsatz (Art. 6 Abs. 1 EMRK) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329 a) Art. 6 Abs. 1 EMRK und Art. 34 EMRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329 b) Die Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330 aa) Die Orkem-Entscheidung des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331 bb) Die Funke-Entscheidung des EGMR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332 cc) Die Saunders-Entscheidung des EGMR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333 dd) Die Jalloh-Entscheidung des EGMR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 334 ee) Die SGL Carbon AG-Entscheidung des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 334 ff) Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335 c) Konsequenzen für die deutsche Rechtsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335 d) Ratio eines Nemo-tenetur-Rechts für Verbände basierend auf dem FairTrial-Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336 aa) Für natürliche Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336 bb) Für Verbände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337 4. Rechtsstaatsprinzip Art. 20 Abs. 3 GG, Art. 6 Abs. 3 lit. b und lit. c EMRK, § 148 StPO, Recht des Schutzes auf Verteidigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 338 5. Aus dem Strafverfahren selbst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341 6. Art. 14 Abs. 3 lit. g IPbpR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341 7. Aktuelle Entwürfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 342 8. VerSanG-E . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343 9. Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343 IV. Der Nemo-tenetur-Grundsatz in der Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 344 1. Die Aussage als kommunikativer Akt (Selbstbelastungsfreiheit sensu stricto) 345 a) Im Verfahren gegen den Haftungsauslöser . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 346 aa) Selbstbelastungsfreiheit des Haftungsauslösers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 346 bb) Selbstbelastungsfreiheit anderweitiger Mitarbeiter . . . . . . . . . . . . . . . . 346 cc) Selbstbelastungsfreiheit der Organe und gesetzlichen Vertreter des Verbandes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 346

Inhaltsverzeichnis

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dd) Selbstbelastungsfreiheit der Verteidiger, der Syndikusanwälte und der Rechtsabteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347 ee) Verwertbarkeit von Internal Investigations? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347 b) Im Verfahren gegen den Verband . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349 aa) Selbstbelastungsfreiheit des Haftungsauslösers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349 bb) Selbstbelastungsfreiheit anderweitiger Mitarbeiter . . . . . . . . . . . . . . . . 351 cc) Selbstbelastungsfreiheit aktueller Organe und gesetzlicher Vertreter

351

dd) Selbstbelastungsfreiheit ehemaliger Organe und gesetzlicher Vertreter 352 ee) Interessenkonflikt: Schweigerecht und Schweigepflicht . . . . . . . . . . . . 354 ff) Selbstbelastungsfreiheit der Verteidiger, der Syndikusanwälte und der Rechtsabteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 357 gg) Selbstbelastungsfreiheit faktischer Organe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 357 hh) Verwertbarkeit von Internal Investigations? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 359 2. Die Gewinnung von sächlichen Beweismitteln (Selbstbelastungsfreiheit sensu lato) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 359 a) Im Verfahren gegen den Haftungsauslöser . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 359 aa) Haftungsauslöser . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 360 bb) Anderweitige Mitarbeiter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 360 cc) Organe und gesetzliche Vertreter des Verbandes . . . . . . . . . . . . . . . . . . 360 dd) Verteidiger, Syndikusanwälte und Rechtsabteilung . . . . . . . . . . . . . . . . 361 b) Im Verfahren gegen den Verband . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 361 aa) Haftungsauslöser . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 362 bb) Anderweitige Mitarbeiter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 362 cc) Organe und gesetzliche Vertreter des Verbandes . . . . . . . . . . . . . . . . . . 362 (1) Duldungspflichten des Verbandes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 363 (2) Abhängigkeit der Mitwirkungspflichten des Verbandes von der Ratio des Nemo-tenetur-Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 364 (a) Sicherung der prozessualen Beweisführungslast als Ratio der Selbstbelastungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 364 (b) Verteidigungsfreiheit des Prozesssubjekts und Rechtsstaatsprinzip als Ratio der Selbstbelastungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . 365 (aa) Zulässige Herausgabepflicht von Beweismitteln: Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 366 (bb) Unzulässige Herausgabepflicht von Beweismitteln . . . . . . . 367 dd) Verteidiger, Syndikusanwälte und Rechtsabteilung . . . . . . . . . . . . . . . . 369 c) Verwertbarkeit der Ergebnisse von Internal Investigations? . . . . . . . . . . . . . 369 aa) Verwertbarkeit der Ergebnisse von Internal Investigations des Verbandes im Strafverfahren gegen den Haftungsauslöser . . . . . . . . . . . . . . . . 369 bb) Verwertbarkeit der Ergebnisse von Internal Investigations des Verbandes im Verfahren gegen den Verband . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 370 d) Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 370

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Inhaltsverzeichnis 3. Die mittelbare Wirkung des Nemo-tenetur-Grundsatzes auf andere Verfahrensarten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 370 a) Die Mitwirkung im Verwaltungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 371 aa) Auskunftspflichten gegenüber einer Behörde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 372 bb) Gesetzliche Anzeige- und Erklärungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 372 cc) Duldungs- und Mitwirkungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 373 dd) Lösungsansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 373 (1) Das Nemo-tenetur-Recht des Verbandes im Verwaltungsverfahren 374 (2) Die Aussetzung des Verwaltungsverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 374 (3) Ein Verwertungsverbot für das Strafverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . 375 dd) Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 376 b) Die Mitwirkung im zivilgerichtlichen Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 377 aa) Zivilprozessuale Mitwirkungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 377 bb) Materiell-rechtliche und zwangsvollstreckungsrechtliche Mitwirkungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 377 cc) Lösungsansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 378 dd) Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 379 4. Regelungen im VerSanG-E . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 379 V. Ausblick auf die künftige Anwendung des Nemo-tenetur-Grundsatzes für Verbände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 380 VI. Kritische Würdigung und Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 381 7. Kapitel Sonderfragen eines Verbandssanktionsverfahrens

383

A. Internal Investigations . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 383 I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 383 1. Begriff der Internal Investigations und Regelbedürftigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . 384 2. Ausgangssituation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 386 II. Problemstellungen und Lösungen de lege lata . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 389 1. Mitwirkung in Interviews versus Selbstbelastungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . 389 a) (Arbeitsrechtliche) Mitwirkungspflicht des Arbeitnehmers . . . . . . . . . . . . . 389 b) (Arbeitsrechtliche) Mitwirkungspflicht von Organen und gesetzlichen Vertretern des Verbandes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 393 c) Kollision von arbeitsrechtlicher Mitwirkungspflicht mit der Selbstbelastungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 394 d) Transfer der Ergebnisse von Internal Investigations in das Strafverfahren

395

2. Lösungsansatz de lege lata . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 397 a) Verwertung von Ergebnissen der Internal Investigations im Strafverfahren gegen natürliche Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 397 aa) Internal Investigations als private Ermittlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 397

Inhaltsverzeichnis

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bb) Beweisverwertungsverbot bei drohender Selbstbelastung des Haftungsauslösers und anderweitiger Mitarbeiter im späteren Strafverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 399 cc) Beweisverwertungsverbot bei drohender Selbstbelastung der Organe und gesetzlichen Vertreter des Verbandes im späteren Strafverfahren 401 b) Verwertung von Ergebnissen der Internal Investigations im Ordnungswidrigkeitenverfahren gegen den Verband . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 402 c) Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 403 3. Übermittlung der Ergebnisse von Internal Investigations an die Behörden . . . 404 4. Lösungsansatz de lege lata . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 405 a) Freiwillige Übermittlung der Ergebnisse der Internal Investigations an die Strafverfolgungsbehörden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 405 aa) Herausgabe der Ergebnisse in Bezug auf Straftaten einzelner Mitarbeiter – eigenständige Meldung der Ergebnisse durch das Unternehmen 405 bb) Kooperation: Unternehmen – Strafverfolgungsbehörden . . . . . . . . . . . . 406 b) Zugriff der Strafverfolgungsbehörden auf Aufzeichnungen interner Ermittlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 407 aa) Durchsuchung nach §§ 102 ff. StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 407 bb) Herausgabeverlangen und Beschlagnahme nach §§ 94 ff. StPO . . . . . . 408 cc) Beschlagnahmeverbot nach § 97 Abs. 1 StPO? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 408 (1) Entscheidung des LG Hamburg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 409 (2) Entscheidung des LG Bonn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 411 (3) Entscheidung des LG Mannheim . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 411 (4) Entscheidung des BVerfG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 412 (5) Kritische Würdigung der Entscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 413 dd) Verhältnis des § 160a Abs. 5 StPO zu § 97 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 StPO . . . . 417 ee) Gewahrsam nach § 97 Abs. 2 StPO an Aufzeichnungen der Internal Investigations . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 420 (1) Gewahrsam der Rechtsanwaltskanzlei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 420 (2) Gewahrsam des Unternehmens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 420 ff) Anwendbarkeit und Voraussetzungen des § 148 StPO . . . . . . . . . . . . . . 421 (1) Formell eingeleitetes Ermittlungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 422 (2) Materielles Verteidigungsverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 423 gg) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 423 c) Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 424 III. Internal Investigations in anderen Rechtsordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 425 1. USA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 425 a) Ausgangssituation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 425 b) Zuständigkeit der SEC und des DOJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 427 c) (Rechtliche) Bedeutung von Internal Investigations . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 428 aa) Bei der Anklageerhebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 428

24

Inhaltsverzeichnis bb) Bei der Strafzumessung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 429 d) Problemstellungen der Internal Investigations in den USA . . . . . . . . . . . . . 431 aa) Qualifizierung der internen Ermittlungen und Mitarbeiterinterviews 431 bb) Das Anwalts- und Beratungsgeheimnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 434 e) Zusammenhang zwischen USA – Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 437 aa) Interne Ermittlungen auf Aufforderung der US-Behörden in deutschen Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 437 bb) Rechtshilfeabkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 437 cc) Völkerrechtliche Regelungen: Grundsatz der Staatensouveränität . . . . 439 f) Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 439 2. England . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 441 a) Ausgangssituation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 441 b) (Rechtliche) Bedeutung von Internal Investigations . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 443 c) Problemstellungen der Internal Investigations in England . . . . . . . . . . . . . . 444 aa) Qualifizierung der internen Ermittlungen und Mitarbeiterinterviews 444 bb) Das Anwalts- und Beratungsgeheimnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 447 d) Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 451 3. Österreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 452 a) Ausgangssituation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 452 b) (Rechtliche) Bedeutung von Internal Investigations . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 453 c) Problemstellungen der Internal Investigations in Österreich . . . . . . . . . . . . 454 aa) Qualifizierung der internen Ermittlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 454 bb) Mitarbeiterinterviews . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 455 cc) Das Anwalts- und Beratungsgeheimnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 457 d) Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 459 4. Schweiz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 460 a) Ausgangssituation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 460 b) (Rechtliche) Bedeutung von Internal Investigations . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 461 c) Problemstellungen der Internal Investigations in der Schweiz . . . . . . . . . . . 462 aa) Qualifizierung der internen Ermittlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 462 bb) Mitarbeiterinterviews . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 462 cc) Das Anwalts- und Beratungsgeheimnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 464 (1) Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 464 (2) Die Linie der Rechtsprechung des Bundesgerichtes der Schweiz

468

d) Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 470 5. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 471 IV. Lösungsansätze für ein Verbandssanktionenrecht de lege ferenda . . . . . . . . . . . . . . 474 1. Mitwirkung in Interviews versus Selbstbelastungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . 474 a) Im Verfahren gegen den Haftungsauslöser: Beweisverwertungsverbot . . . . 474 aa) Der Haftungsauslöser selbst und anderweitige Mitarbeiter . . . . . . . . . . 474

Inhaltsverzeichnis

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bb) Organe und gesetzliche Vertreter (Der Verband selbst) . . . . . . . . . . . . . 474 b) Im Verfahren gegen den Verband: Differenziertes Beweisverwertungsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 475 aa) Der Haftungsauslöser selbst und anderweitige Mitarbeiter . . . . . . . . . . 475 bb) Organe und gesetzliche Vertreter (Der Verband selbst) . . . . . . . . . . . . . 475 c) Regelungen im VerSanG-E . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 475 2. Freiwillige Übermittlung der Aufzeichnungen der Internal Investigations . . . . 475 3. Zugriff der Strafverfolgungsbehörden auf Aufzeichnungen der internen Ermittlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 476 a) Durchsuchung: §§ 102 ff. StPO anwendbar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 476 b) Herausgabepflicht und Beschlagnahme: §§ 94 ff. StPO anwendbar . . . . . . . 476 c) Beschlagnahmeverbot nach § 97 StPO für Aufzeichnungen interner Ermittlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 476 d) Folgen einer Beschlagnahme von Aufzeichnungen der Internal Investigations trotz Beschlagnahmeverbotes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 477 e) Regelungen im VerSanG-E . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 477 4. Gestaltung und rechtliche Konsequenzen von „verbandsinternen Untersuchungen“ nach dem VerSanG-E . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 479 a) § 17 VerSanG-E (Milderung der Verbandssanktion bei verbandsinternen Untersuchungen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 480 aa) Grundlegendes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 480 bb) Die einzelnen Voraussetzungen des § 17 Abs. 1 und 2 VerSanG-E . . . . 480 cc) § 17 Abs. 3 VerSanG-E . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 483 b) § 18 VerSanG-E (Umfang der Milderung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 484 V. Kritische Würdigung und Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 485 B. Compliance . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 488 I. Allgemeines und Begrifflichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 488 II. Empirie: Compliance in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 490 1. Der Deutsche Corporate Governance Kodex . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 490 2. Complianceaspekte in der PricewaterhouseCoopers-Studie zur Wirtschaftskriminalität 2018 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 494 III. Defizitäre gesetzliche Regelungen zur (Berücksichtigung von) Compliance in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 496 IV. Compliance in anderen Rechtsordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 502 1. USA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 502 a) Ursprung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 502 b) U.S. Federal Sentencing Guidelines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 503 c) Sarbanes-Oxley Act . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 506 d) Memoranda und Justice Manual . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 507 2. England . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 508 3. Österreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 512

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Inhaltsverzeichnis 4. Schweiz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 514 5. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 515 V. Lösungsansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 518 1. Notwendigkeit gesetzlicher Mindest-Compliance-Vorgaben de lege ferenda 518 2. Berücksichtigung von zum Tatzeitpunkt bestehender Compliance de lege ferenda . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 519 a) Compliance-Defense . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 519 b) Compliance als Einstellungsgrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 521 aa) Einstellung als regelmäßige Folge (Soll-Vorschrift) . . . . . . . . . . . . . . . 523 (1) Vor der Tat existierendes Compliance-Programm . . . . . . . . . . . . . . 524 (2) Offenbarung der Straftat und Zusammenarbeit mit den Strafverfolgungsbehörden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 524 (3) Sicherstellung geeigneter Maßnahmen zur Verhinderung weiterer Straftaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 525 bb) Einstellung als mögliche Folge (Kann-Vorschrift) . . . . . . . . . . . . . . . . . 526 cc) Bindung der Einstellung des Verfahrens an richterliche Zustimmung 527 c) Berücksichtigung im Rahmen der Sanktionszumessung . . . . . . . . . . . . . . . 529 3. Berücksichtigung künftiger Compliance de lege ferenda . . . . . . . . . . . . . . . . . 530 a) Einstellung des Verbandssanktionsverfahrens? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 531 b) Bedingte Sanktion bzw. Bewährungsauflage (Compliance und Monitoring) 532 c) Berücksichtigung im Rahmen der Sanktionszumessung . . . . . . . . . . . . . . . 533 4. Regelungen im VerSanG-E . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 533 a) § 3 VerSanG-E . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 533 b) § 10 und § 15 VerSanG-E . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 534 c) § 35 und § 36 VerSanG-E . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 537 VI. Berücksichtigung von vergangenen Straftaten im Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . 537 1. Im Unternehmen selbst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 537 2. Bei Rechtsnachfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 538 VII. Kritische Würdigung und Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 539

Gesamtfazit und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 541 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 544 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 580

Einführung „It takes 20 years to build a reputation and five minutes to ruin it. If you think about that, you’ll do things differently.“ Warren Edward Buffett

Grundsätzlich könnte man meinen, dass das oben genannte Zitat einen zentralen Leitgedanken eines jeden Unternehmens darstellt bzw. darstellen sollte. So simpel dies in der Theorie auch klingen mag, so schwer scheint es, dies in der Praxis zu leben. Dies hat sich insbesondere, nicht nur, aber vor allem, in den letzten Jahren gezeigt. Aufscheinende, unter den Augen der Öffentlichkeit ausgetragene Präzedenzfälle in schier unendlichen „Mammut-Verfahren“ alleine hierzulande, wie zum Beispiel „Siemens-Enel“,1 „Siemens – AUB“,2 die Korruptionsaffäre rund um Ferrostaal,3 der Abgasskandal des Volkswagen Konzerns4 und die sich daraus ergebenden rechtlichen Konsequenzen, rücken Wirtschaftsstraftaten der Unternehmen, ebenso wie Straftaten von sonstigen (Unternehmens-)Mitarbeitern5 in diesem Kontext, vermehrt in den Fokus der Öffentlichkeit und machen sensibler für aufkommende Kriminalität rund um ein Unternehmen und die mit ihr untrennbar verbundenen Probleme, die sich dadurch für das Strafrecht, den nationalen Strafprozess an sich und für die Gesellschaft als solche ergeben.

I. Problemstellung Durch diese Entwicklung sehen wir uns mit diversen, unter anderem auch fundamentalen (Grund-)Fragen nicht nur, aber jedenfalls auch des Strafrechts konfrontiert, wie zum Beispiel „Was können wir juristisch gegen Unternehmen mit 1

Vgl. beispielhaft BGH v. 29. 08. 2008 – 2 StR 587/07, BGHSt 53, 323 = NJW 2009, 89; sowie eingehend zu den Bußgeldtatbeständen Theile/Petermann, JuS 2011, 496. 2 BGH v. 13. 09. 2010 – 1 StR 220/09, BGHSt 55, 288 ff. = NJW 2011, 88; dazu Kudlich/ Og˘ lakcıog˘ lu, Wirtschaftsstrafrecht, § 16 Rn. 575 ff. 3 Siehe dazu nur https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/korruptionsaffaere-millionenstra fe-fuer-ferrostaal-1.1239630 zuletzt abgerufen am 09. 11. 2020. 4 Vgl. dazu im Überblick https://www.spiegel.de/auto/aktuell/vw-abgasskandal-chronik-ei nes-skandals-a-1122730.html zuletzt abgerufen am 09. 11. 2020. 5 Aufgrund der besseren Lesbarkeit wird im Text das generische Maskulinum verwendet. Gemeint sind jedoch immer gleichberechtigt alle Geschlechter.

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schwarzen Kassen ausrichten?“ und „Brauchen wir hierfür Strafrecht als das schärfste Schwert des Gesetzgebers“ als den „kleinsten moralischen Nenner einer Gesellschaft?“6 und als gleichzeitig gravierendsten Vorwurf gegen eine Person, die das Recht übertritt,7 will sagen oder vielmehr will fragen und sich der Antwort als einer Herausforderung stellen: Ist dies ein genuin strafrechtliches Anliegen? Ist in letzter Konsequenz der Zeitpunkt gekommen, auch in Deutschland umzudenken und auf den Zug der eigenständigen Verbandssanktionierbarkeit mit einem materiellrechtlichen Teil, insbesondere aber auch einem eigenständigen verfahrensrechtlichen Teil, aufzuspringen oder wäre die Umsetzung dieser Vorstellung nur eine Quadratur des Kreises, die sich nicht bewähren wird und ohne viel Applaus von der Bühne unseres Strafrechts allzu schnell sang- und klanglos verschwinden wird?

II. Herausforderungen ökonomischer und rechtlicher Art Durch den stetigen Prozess der Globalisierung und die Schnelllebigkeit der Wirtschaft ist auch ein Wachstum der Anzahl juristischer Personen und Personenvereinigungen zu verzeichnen, die sich vielfach nicht nur auf den nationalen Sektor fokussieren und beschränken, sondern weltweit agieren, vernetzt sind und ihre Unternehmenskulturen assimilieren wollen.8 Dies freilich zum einen aus freien Stücken zur Wachstumsförderung, zum anderen wird sicherlich der Wettbewerb mit den Konkurrenten, die ernsthafte Chance und das Streben nach dauerhaftem Bestehen eine starke und derweil nicht zu unterschätzende Triebfeder sein. Diese Entwicklung gebietet es, dass Unternehmen beispielsweise hinsichtlich ihrer Mitarbeiterzahlen und Produktionsstätten in immer größerem Ausmaß expandieren. Damit nimmt auch der (wirtschaftliche) Einfluss der Unternehmen stetig zu. Insbesondere marktbeherrschende Großunternehmen dominieren in vielen Ländern mit vielschichtigen Ausprägungen die Wirtschaft, zu denen insbesondere neben dem finanziellen auch der Einfluss auf die sozial-humane Komponente,9 die 6

Durth, WiJ 2012, 7. BVerfG v. 06. 06. 1967 – 2 BvR 375/60, 2 BvR 53/60, 2 BvR 18/65, BVerfGE 22, 49 (80 f.) = NJW 1967, 1219; BVerfG v. 16. 07. 1969 – 2 BvL 2/69, BVerfGE 27, 18 (28 ff.) = NJW 1969, 1619; ebenso bei Engelhart, NZWiSt 2015, 201 (209). 8 Vgl. mit empirischem Beispiel und insbesondere der Unterscheidung zwischen börsennotierten und nicht gelisteten Unternehmen in den USA und weltweit Bussmann/Matschke, wistra 2008, 88 (91); vgl. dazu auch Antikorruptionsverfahren in den USA, in denen hohe Unternehmensgeldbußen verhängt werden können und die Börsenzulassung entzogen werden kann. Ausländische Unternehmen unterstehen schon dann der US-Justiz, wenn sie börsennotiert sind, selbst wenn alle Korruptionshandlungen im Ausland erfolgt sind, siehe dazu insgesamt Böttger, Wirtschaftsstrafrecht in der Praxis, Kapitel 5 Rn. 173 f.; vgl. im Hinblick auf multinationale Unternehmen auch Tiedemann, Multinationale Unternehmen und Strafrecht, passim. 9 Hetzer, EuZW 2007, 75 (76), mit detaillierter Begründung und Beispielen: Schäden drohen zum Beispiel bei Korruption im Ausland insbesondere für die Volkswirtschaft, sodass ein generelles Entfliehen aus der Armut besonders betroffener Wirtschaften, wie zum Beispiel in Asien oder Südamerika, schier unmöglich gemacht wird. 7

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Einwirkungen auf die Umwelt, auf die tatsächlichen Wirtschaftsabläufe selbst und die generelle Rolle der Unternehmen in dem sozialen Gefüge zählen. Diese Dynamik bringt freilich nicht ausschließlich Vorteile mit sich. Eine nicht zu unterschätzende Gefahr ist in der steigenden Anzahl von im (und aus dem) Unternehmen (heraus) begangenen Straftaten zu sehen.10 Die „verwirrend bunte Palette der Wirtschaftskriminalität“11 bietet somit auch hinsichtlich unternehmensbezogener Straftaten eine große Vielfalt, wie zum Beispiel Korruptions-, Wirtschafts- und Umweltdelikte. Diese ziehen den Kreis ihrer Konsequenzen dabei nicht zu klein. So ist damit zu rechnen, dass es insbesondere bei den Korruptionsdelikten nicht nur in Bezug auf Mitbewerber zu Verwerfungen kommt, sondern dass auch im kriminellen Unternehmen selbst auf lange Sicht die „Unternehmensphilosophie“ in Mitleidenschaft gezogen wird oder im Falle einer Entdeckung Strafzahlungen und erhebliche Imageprobleme und -verluste die Folge sind.12 Folglich drohen Schäden für eine Vielzahl von Personen oder im Worst Case sogar für die Allgemeinheit insgesamt.13 Ein derart vielfältiges Spektrum an möglichen Schäden könnte daher ein ebenso dynamisches Strafrecht wie die Wirtschaft selbst als Gesamtkonstrukt fordern, das das Ziel hinreichend fokussiert und Lösungen für die auftretenden Probleme darbietet. Eng damit verzahnt ist insbesondere in Deutschland die Ultima-RatioFunktion14 und der fragmentarische Charakter des Strafrechts. Dabei gilt es, nicht aus den Augen zu verlieren, nicht für jede Lösung einen Fall zu schaffen,15 sodass das Korsett des Strafrechts folglich richtig angepasst wird. Das Recht soll so angemessen auf gesellschaftspolitische Änderungen reagieren und diese nicht zurückdrängen. Wird dieser Ansatz weiter verfolgt, stellt sich die grundlegende Frage, ob der Gesetzgeber überhaupt tätig werden sollte oder ob bestehende Sanktionen ausreichen16 und/oder lediglich ergänzt werden sollten.17 10

Vgl. zur Empirie Fischer/Hoven, ZIS 2015, 32 (36 ff.); beispielhaft zu auftretenden Straftaten: Anlagebetrug, Investmentuntreue, Insiderhandel und Kursmanipulation Fischer, StraFo 2010, 329 (330). 11 Kaiser, Kriminologie, S. 856. 12 Zu den rechtstreuen Konkurrenten als Geschädigten Hetzer, EuZW 2007, 75 (80). 13 Zu besonders für die Allgemeinheit schadensträchtigen Fällen, wie Verstößen gegen das Urheberrechtsgesetz, Patentgesetz, Betriebsunfällen oder Umweltdelikten in der Vergangenheit siehe Kutschaty, ZRP 2013, 74 (75); insbesondere zum Umweltstrafrecht Ransiek, Unternehmensstrafrecht, S. 127 ff. 14 Prittwitz, StV 1991, 435 (437). 15 So in den Grundzügen schon Bottke, wistra 1991, 81 (82). 16 Dafür Rogall, GA 2015, 260 ff.; ausführlich zu der Option der Einführung einer alternativen Sanktionierung von Unternehmen/Mitarbeitern Trüg, wistra 2010, 241 (246); zur rechtspolitischen Notwendigkeit eines Unternehmensstrafrechts siehe Leipold, ZRP 2013, 34 ff.; zu einer der wenigen empirischen Untersuchungen zu der Sanktionierung von Unternehmen siehe Kirch-Heim, Sanktionen gegen Unternehmen, S. 244 ff.; dazu auch Frisch, FS Wolter, S. 349 (371 f.); dazu Weimann, in: Jahn/Schmitt-Leonardy/Schoop (Hrsg.), Das Un-

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Ein lösungsorientierter Schritt in diese Richtung ist, herauszustellen, wo das Bedürfnis, Kollektive bestrafen zu können und bestrafen zu wollen, seinen Ursprung hat und ob dieses in Anbetracht aktueller Entwicklungen überzeugt und klare Regelungen an dieser Stelle eine vorzugswürdige Innovation wären.18 Geprägt und bestimmt ist dieser Ruf sicherlich stets von der derzeitigen Situation hierzulande, da Deutschland in dieser Hinsicht mittlerweile als ein Land mit Ausnahmecharakter auf europäischer und internationaler Ebene19 einen Sonderweg geht, indem es hier bis dato keine eigenständig geregelte Sanktionierung von Verbänden gibt.20 So lässt sich insbesondere auf europarechtlicher Ebene die Tendenz zu einem Kriminalstrafrecht erkennen, da nur noch wenige Länder keine strafrechtliche bzw. strafrechtsähnliche Sanktionierung eingeführt haben.21 Zu diesen wenigen zählt Deutschland. Nur ein Mensch, also eine natürliche Person, wird in Deutschland als straffähig angesehen.22 Deutlich nachteilig wirkt sich dieser Sonderweg bei einem Blick über den Tellerrand der nicht aufhören wollenden Diskussion um Handlungs- und ternehmensstrafrecht und seine Alternativen, S. 227 (229 ff.); zur Diskussion um das Verbandsstrafrecht insgesamt Brinkmann, Kollektiv als Täter, passim. 17 Dazu aktuell auch im Regierungsentwurf VerSanG, S. 1 f. abrufbar unter https://www. bmjv.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/RegE_Staerkung_Integritaet_Wirt schaft.pdf;jsessionid=DAD795E3C2BAC093B488987D0BCD7ACE.1_cid289?__blob=pu blicationFile&v=2 zuletzt abgerufen am 09. 11. 2020; für die Ergänzung bzw. Optimierung bestehender Regelungen Löffelmann, JR 2014, 185 (198). 18 Vgl. zum „Unternehmen als Projektionsfläche kollektiver Strafbedürfnisse“ Schneider, in: Jahn/Schmitt-Leonardy/Schoop (Hrsg.), Das Unternehmensstrafrecht und seine Alternativen, S. 25 ff. 19 Zur internationalen Entwicklung insbesondere Heine, ÖJZ 1996, 211; vgl. für einen internationalen Überblick auch Frisch, FS Wolter, S. 349 (351 f.). 20 Zutreffend bezeichnet Hetzer, EuZW 2007, 75 (79) dies als „kriminalpolitischen Schlummer“ oder auch treffend Volk, JZ 1993, 429 „dogmatisches Kunststück“; noch vor zwei Jahrzehnten war das Bild im europäischen Vergleich ein völlig anderes. So hatten Anfang der 1990er Jahre nur die wenigsten Staaten in Europa ein Verbandsstrafrecht, während es heute nur noch vereinzelt Staaten gibt, die noch keine Verbandsstrafbarkeit eingeführt haben. Vgl. Engelhart, NZWiSt 2015, 201 (203) m.w.N.; dag. bezeichnet Schünemann die derzeitige Situation ohne ein eigenständiges Verbandsstrafrecht in Deutschland als „Fels in der Brandung“, vgl. LKStGB/Schünemann, 12. Aufl. 2007, vor § 25 Rn. 20. In Europa haben insbesondere Frankreich, die Niederlande, Island, Belgien, Dänemark, Schweden, Norwegen, Portugal, Slowenien, Malta, Ungarn, Estland, Lettland, Litauen, Österreich und die Schweiz ein Verbandsstrafrecht in freilich unterschiedlichen Varianten in ihr Rechtssystem integriert. Überblick über die verschiedenen Länder bei Pieth/Ivory, Corporate Criminal Liability, passim; zu bemerken sei bereits an dieser Stelle, dass es kein einheitliches Modell einer Verbandsstrafe gibt, sodass jedes Land diese nach eigenen Kriterien und Maßstäben eingeführt hat; vgl. insbesondere zur Situation der Effizienz der Unternehmensstrafbarkeit in Frankreich (am Beispiel des Wettbewerbsstrafrechts) Walther, NZWiSt 2016, 181. 21 Dazu insgesamt Engelhart, eurcrim 2012, 110. 22 Vgl. zum Handeln juristischer Personen schon BVerfG v. 25. 10. 1966 – 2 BvR 506/63, BVerfGE 20, 323 = NJW 1967, 195; Jescheck/Weigend, AT, S. 225 ff.; zur Verhängung einer Kriminalstrafe ausschließlich gegen natürliche Personen, Heine/Weißer, in: Schönke/Schröder, StGB, Vorb. §§ 25 ff. Rn. 121.

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Schuldfähigkeit etc. jedenfalls in der Gestalt aus, dass Deutschland durch seine kaum vorhandenen Regelungen der Materie in strafrechtlicher Hinsicht allenfalls einen geringen Einfluss auf die Gestaltung eines internationalen Wirtschaftsstrafrechts hat.23 An dieser Stelle mündet der (oft verteidigte und immer noch verfolgte) Sonderweg in einer Außenseiterrolle.24 Könnte gerade Deutschland doch als eine der dominierenden Exportnationen weltweit auch auf dem internationalen Sektor den Diskurs (mit)bestimmen und eigene Maßstäbe und Dogmen integrieren. So schließt Kubiciel mit Recht: „Für die drittgrößte Exportnation der Erde stellt die unzureichende Wettbewerbsfähigkeit seines Unternehmensstrafrechts eine ungünstige Verhandlungsposition bei der Einbringung eigener Interessen in den internationalen kriminalpolitischen Diskurs dar.“25 Wendet man den Blick, diesen aktuellen Diskurs hinsichtlich der deutschen Statusfrage im Auge behaltend, dem Sanktionsbedürfnis zu, besteht eine originäre maßgebliche Komponente für den Wunsch nach der (strafrechtlichen) Sanktionierung von Unternehmen auch auf internationaler Ebene, wo unterschiedliche Rechtsinstrumente und -akte diesbezüglich ausfindig zu machen sind, an die Deutschland gebunden ist, wie beispielsweise Artikel 10 (insbesondere Abs. 4) des Übereinkommens der Vereinten Nationen vom 15. November 2000 (gegen die grenzüberschreitende organisierte Kriminalität26) oder Art. 4 des (früher geltenden und durch die PIF-Richtlinie abgelösten27) Zweiten Protokolls aufgrund von Artikel K.3 des Vertrags über die Europäische Union zum Übereinkommen über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften,28 wenngleich auf dieser Ebene weder verbindlich vorgeschrieben wurde/wird, dass die Sanktionen strafrechtlicher Couleur sein müssen, sondern lediglich dass sie wirksam, angemessen und abschreckend sein müssen und sowohl strafrechtlicher als auch nichtstrafrechtlicher Art sein können.29 23

So auch Kubiciel, NZWiSt 2016, 178 (180 ff.). Zutreffend könnte an dieser Stelle wohl auch das Bild einer Sackgasse ins Feld geführt werden, an deren Ende man angekommen ist und in der nun die Wahl besteht, zu wenden, umzukehren und in die Straße des Verbandssanktionenrechts einzubiegen und sich wieder in den Verkehr einzugliedern oder von anderen Verkehrsteilnehmern isoliert, in dieser Sackgasse stehen zu bleiben. 25 Kubiciel, NZWiSt 2016, 178. 26 BGBl. 2005 II, 954. 27 Siehe dazu auch unten S. 72. 28 ABl. C 221/02; abrufbar unter https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/? uri=OJ:C:1997:221:FULL&from=DE zuletzt abgerufen am 09. 11. 2020 (im Folgenden Zweites Protokoll). Diese beiden Beispiele werden unter anderem auch in der RegE.-Begr. S. 51 genannt. 29 Bereits im Zweiten Protokoll war dies so vorgesehen: ABl. 1997 C 221/11: „Art. 4. Sanktionen für juristische Personen: Abs.1: Jeder Mitgliedstaat trifft die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, daß gegen eine im Sinne des Artikels 3 Absatz 1 verantwortliche juristische Person wirksame, angemessene und abschreckende Sanktionen verhängt werden können, zu denen strafrechtliche oder nichtstrafrechtliche Geldsanktionen gehören und andere Sanktionen gehören können, beispielsweise (…) Abs. 2: Jeder Mitgliedstaat trifft die erfor24

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Zusätzlich spielen bei diesem Ruf noch weitere Faktoren eine Rolle: So dürfte es auf der einen Seite sicherlich (in einer mittlerweile sehr transparenten Welt wie der heutigen mehr als je zuvor) insbesondere im Interesse der Verbraucher sein, „saubere“ Unternehmen zu haben, deren Produkte sie erwerben und im Zuge dieses Gedankens auch zu sehen, dass im Unternehmen systematisch begangenes Unrecht ebenso wie auf niedrigerer Kriminalitätsebene, beispielsweise ein Diebstahl, sanktioniert wird. In jüngerer Vergangenheit spiegelte sich dieser Wunsch in den Ereignissen beispielsweise rund um den Abgasskandal des Volkswagenkonzerns wider, wo der Kreis der zu ziehenden Konsequenzen in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht (und insgesamt auch für den Verbraucher) immer größer wurde.30 Auf der anderen Seite kann es aber eine Art Verständnis für mancherlei begangene Delikte im Unternehmen geben. Dies könnte insbesondere der Fall sein, wenn durch Bestechung oder Korruption Aufträge erlangt wurden, die arbeitsplatzerhaltend wirken und/oder wenn das Unternehmen keine andere Wahl hatte, um einen „überlebenswichtigen“ Auftrag zu sichern, sodass die Position der Verbraucher als Teil der Bevölkerung an dieser Stelle einen ambivalenten Charakter innehat. Nichtsdestotrotz bildet dies eine Art der moralischen Komponente oder auch ein Streben nach Gerechtigkeit auf einer Metaebene. Eines der Hauptargumente der Befürworter eines Verbandssanktionenrechts ist, neben Beweisschwierigkeiten in der Praxis bei der Ermittlung des Täters, dass es als unbefriedigend empfunden wird, dass ein Unternehmen die eigene Sanktionierung auf seine handelnden Individuen abwälzen kann und das Bußgeld den Mitarbeiter darüber hinaus häufig nur geringfügig beschwert, weil das Unternehmen berechtigt ist,31 das Geld zu erstatten. Dies wird als kalkulierbares Risiko oft bereits schon bei Begehung der Straftat berücksichtigt. Dieser Entwicklung könnte durch die Einführung eines Verbandssanktionenrechts Einhalt geboten werden. Ferner haben die Verbände mit großer Wahrscheinlichkeit ebenfalls ein Interesse an einer klaren Regelung, nicht nur um präventive Maßnahmen, wie zum Beispiel Compliance-Programme initialisieren oder optimieren zu können, sondern auch, um im Zuge dessen ihre Leistungsfähigkeit auf Dauer sicherzustellen, sowie insbesondere um stärker zu skalieren, eine konstante, im besten Fall steigende Auftragslage zu erreichen und jedenfalls die Arbeitsplätze zu erhalten. Eine noch wichtigere Rolle spielt unter diesem Gesichtspunkt, dass die Verbände nur scheinbar derlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, daß gegen eine im Sinne des Artikels 2 Absatz 2 verantwortliche juristische Person wirksame, angemessene und abschreckende Sanktionen oder Maßnahmen verhängt werden können.“ Zu dem Aspekt der Mindesttrias und den EU-Anforderungen, vgl. weiterführend Rogall, GA 2015, 260 (261). 30 Vgl. dazu den Überblick bei http://www.spiegel.de/auto/aktuell/vw-abgasskandal-chro nik-eines-skandals-a-1122730.html zuletzt abgerufen am 09. 11. 2020. 31 Die Erstattung dieser Geldbuße durch ein Unternehmen stellt nach deutschem Recht keine Strafvereitelung dar, vgl. grundlegend zu dieser Problematik der Zahlung einer Geldstrafe durch Dritte BGH v. 07. 11. 1990 – 2 StR 439/90, BGHSt 37, 226 = NJW 1991, 990; dazu auch Wessing, ZWH 2012, 301 (304); siehe allgemein zur Compliance Diskussion Göpfert/Merten/ Siegrist, NJW 2008, 1703.

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von einem nicht existenten Verbandssanktionenrecht profitieren dürften, da es für sie in einem hohen Maße unabsehbar und daher risikobehaftet ist, ob und inwieweit Ordnungswidrigkeiten nach geltendem Recht von den Behörden verfolgt werden.32 In diesem Rahmen ist ein weiterer Aspekt von tragender Bedeutung: Unternehmen, die aufgrund ihres Standortes nur einer „weichen“ Sanktionierung unterliegen, wie beispielsweise in Deutschland den Sanktionen des Ordnungswidrigkeitenrechts, haben gegenüber Unternehmen, welche in einem Staat mit Unternehmensstrafrecht agieren, einen klaren Nachteil:33 Es besteht wenig Anreiz zur Implementierung von Vorrichtungen, die Kriminalität unterbinden, Risikoanalysen zu erstellen oder Schulungen in kriminalitätsanfälligen Bereichen durchzuführen. Hieraus resultiert ein klarer Wettbewerbsnachteil, wenn es zu kriminellen Handlungen kommt, da ausländische Unternehmen, (die einem Unternehmensstrafrecht unterworfen sind und) welche strafrechtlich sensibilisiert sind, viel aktiver und agiler reagieren können, indem sie zum Beispiel Vorfälle in kürzester Zeit aufarbeiten können und das Unternehmen auf diese Art schneller wieder voll leistungsfähig wird, als wenn die Aufarbeitung und Aufklärung Monate in Anspruch nimmt, ganze Abteilungen lähmt und dabei einen Großteil der Resourcen bindet.34 Ein weiterer, nicht zu unterschätzender Aspekt besteht in der Anwendungspraxis: Ausländische Unternehmen, die einem Unternehmensstrafrecht unterworfen sind, agieren mit den Strafverfolgungsbehörden eher auf Augenhöhe, da sie mit der Vorgehensweise ausländischer und mitunter sehr intensiv kontrollierenden Aufsichtsbehörden vertraut sind.35 Insgesamt ist die Idee der Implementierung eines Verbandssanktionenrechts demnach schlicht auch von wirtschaftspolitischer Vernunft getragen. Das Sanktionsinteresse sollte somit vermutlich vor allem präventiv ausgerichtet sein, um Taten in der Zukunft zu vermeiden.36 In diesem Kontext dürfte ein weiterer bedeutsamer Aspekt eine Rolle spielen: Steht erst einmal fest, dass ein eigenständiges Verbandssanktionenrecht und somit insbesondere (höchstwahrscheinlich) der Legalitätsgrundsatz (wenn auch möglicherweise modifiziert) eingeführt wird, bringt diese Regelung die für Unternehmen nötige Sicherheit mit sich, da sich Unternehmen beim derzeit geltenden Opportunitätsprinzip nach § 47 OWiG aufgrund des eingeräumten Verfolgungsermessens nie

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Vgl. ferner Dietrich, NZWiSt 2016, 186 (188), der insbesondere darauf eingeht, dass es in wettbewerblicher Hinsicht für die österreichischen Unternehmen kein Problem sei, weil es auch in anderen Ländern ein Verbandsstrafrecht gebe. 33 Dazu zutr. insbesondere mit dem Beispiel des deutschen Ordnungswidrigkeitenrechts im Vergleich mit dem österreichischen VbVG und zu den nachfolgenden Aspekten Hohenberg, östAnwbl. 2016, 583. 34 So Hohenberg, östAnwbl. 2016, 583. 35 Vgl. Hohenberg, östAnwbl. 2016, 583. 36 Vgl. dazu beispielhaft zur „Präventionssituation“ in Deutschland den NRW-Entwurf, S. 22 f., 26 und 72.

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sicher sein können, ob der Sachverhalt weiter verfolgt wird oder nicht.37 Die Verfolgung ist derzeit teilweise von bloßen Zufälligkeiten abhängig, die sich weder absehen noch einschätzen lassen.38 Somit ist als Zwischenergebnis festzuhalten, dass der Wunsch nach einer klaren Regelung der Sanktionierung von Unternehmen im Wesentlichen von diesen drei Komponenten geprägt wird, die zum einen untrennbar miteinander verbunden sind, zum anderen freilich nicht isoliert nebeneinander (be-)stehen, sondern sich mitunter überschneiden: die finanzielle Komponente, die moralische Komponente und die wirtschaftspolitische Komponente.39 Alle drei Komponenten weisen für die Zukunft ein hohes Maß an Wahrscheinlichkeit der Beständigkeit auf und sprechen somit für einen Reformbedarf. In Frage steht dabei, ob die drei Hauptstränge auf einen Nenner gebracht werden können. Den Anforderungen für dieses kleinste gemeinsame Vielfache kann unser Recht de lege lata, und das zeigt sich auf flagrante Art und Weise, jedenfalls nicht in vollem Umfang gerecht werden. Dies offenbart sich schon durch die Ermahnung nach einer angestrebten Verschärfung der Strafen (im untechnischen Sinne) durch die EU und rekurrierend auf das Gesamtbild in der Bevölkerung; den Unternehmen und der juristischen Praxis40 wird die Notwendigkeit einer reformierten Regelung deutlich vor Augen geführt.41 Ob diese Umsetzung durch ein eigenständiges Verbandssanktionenrecht oder aber auch durch eine Modifizierung bestehender Regelungen erfolgen soll, mag die Zukunft zeigen. Fest steht jedenfalls, dass Reformbedarf besteht und dass eine Veränderung unausweichlich und ein dringendes rechtspolitisches Anliegen unserer Zeit ist, für dessen Zukunft uns die Verantwortung obliegt.42 Davon ausgehend, es würde einmal feststehen, dass der Gesetzgeber schlussendlich tätig würde, scheinen teilweise erhebliche Diskrepanzen bei der Frage auf, wie dies auf nationaler Ebene umzusetzen wäre.43 Basierend auf dem Standpunkt, es

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So auch der Regierungsentwurf VerSanG, S. 1; Wessing, ZWH 2012, 301 (304); so auch Kutschaty, ZRP 2013, 74 (75); zust. Kubiciel, NZWiSt 2016, 178 (179). 38 So auch Regierungsentwurf VerSanG, S. 1. 39 Zur allgemeinen systematischen Rolle der Ethik im Gefüge von Recht, Wirtschaft und Politik vgl. Durth, WiJ 2012, 7 f. 40 Zur Praxisbefragung von neunzehn Staatsanwaltschaften in Nordrhein-Westfalen, vgl. Kutschaty, ZRP 2013, 74. 41 Krit. mit empirischen Belegen Krems, ZIS 2015, 5 (6 f.). 42 So im Grunde schon Hetzer, EuZW 2007, 75 (80); an dieser Stelle kann in Betracht gezogen werden, dass der Gesetzgeber durch die Ausgestaltung des § 30 OWiG bereits seinen ablehnenden Standpunkt gegen ein Verbandsstrafrecht verlassen hat, so bereits Hirsch, ZStW 107 (1995), 285 (304). 43 Dementsprechend soll der Fokus der vorliegenden Bearbeitung nicht auf der Auseinandersetzung mit der Frage „ob“ ein Verbandssanktionenrecht eingeführt werden soll, liegen, sondern sich mit Möglichkeiten der Umsetzung eines solchen befassen.

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würde ein eigenes „Unternehmensstrafrecht“44 geschaffen, wäre ein fundamentaler Punkt dieses Fragenkatalogs die Umsetzung des materiellen „Unternehmensstrafrechts“,45 wozu sich in den letzten Jahren eine lebhafte Debatte entwickelt hat.46 So ist es nicht verwunderlich, dass die „Verbandssanktionierbarkeit als solche“ seit Jahren in Deutschland immer wieder als heißes Eisen gehandelt wird. Wenn sich auch in diesem Punkt ein weitgehender Konsens erzielen ließe, steht weiterhin die Frage im Raum, welche Auswirkungen ein Verbandssanktionenrecht auf den hiesigen Strafprozess haben würde, mithin also die Beantwortung praxisrelevanter Fragen auf der prozessualen Ebene. Diese würden auf der einen Seite das „täglich Brot“ für Richterinnen und Richter sowie für Staatsanwältinnen und Staatsanwälte bedeuten, deren Kenntnis wäre auf der anderen Seite aber auch für Unternehmen unerlässlich, um insbesondere bei einem Zu-kurz-Greifen anderer Mechanismen Auswirkungen besser kalkulieren zu können und im Optimalfall bereits vorher präventive Maßnahmen zu ergreifen. Es stellen sich daher weitreichende Fragen: Wie würde ein Verbandssanktionenrechtskonstrukt in das Verfahrensrecht eingliedert werden (können) oder wäre ein eigenes Verfahrensrecht notwendig? Welche Schwächen weisen die Verfahren bei der Sanktionierung von Unternehmen nach geltendem Recht auf? Welche Modifizierung des Verfahrensrechts wäre notwendig, um ein Recht, das derzeit auf eine natürliche (und schuldhaft handelnde) Person ausgerichtet ist, kompatibel für juristische Personen zu machen? Wie kann eine Sicherstellung der prozessualen Garantien in einem Verbandssanktionsverfahren gewährleistet werden? Es überrascht nicht, dass prozessrechtliche Probleme, sollte es zu einem Verbandssanktionenrecht kommen, nicht nur eindimensional, sondern auf unterschiedlichen Ebenen und in vielschichtiger Weise auftreten können und Theorie und Praxis gleichermaßen vor Herausforderungen stellen, welche sich nicht ad hoc beantworten lassen. Gerade diese komplex strukturierte, mitunter auch verwobene, Janusköpfigkeit der Problematik, da ein Unternehmenssanktionenrecht auf der einen Seite freilich Vorzüge und auf der anderen Seite Schwierigkeiten mit sich bringt, lässt die prozessrechtliche Komponente der Thematik brisant sowie aktuell und umstritten und deshalb einer Untersuchung wert erscheinen. Wichtige Schlagworte einzelner 44 Siehe zum Begriff des Unternehmensstrafrechts mit definierten näheren Ausführungen Fischer, StraFo 2010, 329, der unter diese Begrifflichkeit zum einen ein gegen das Unternehmen gerichtetes Sanktionsrecht fasst. Zum anderen die Verfolgung von Straftaten, die durch ein Unternehmen begangen werden und innerhalb dieser Gruppierung noch zwischen legalen und illegalen Zwecken differenziert. Darüber hinaus umfasse der Begriff des Unternehmensstrafrechts Straftaten die sich gegen ein, sei es intra oder inter, Unternehmen richten. 45 Fragmentarisch seien hier die wichtigsten Problemkreise aufgeführt, wie die grundlegende Zurechnung von Schäden, die Anforderungen an Prävention und die Konstruktion von personaler Zurechnung, sowie last but not least die Frage nach der Risikoverteilung und damit insbesondere der Opferverantwortung, vgl. Fischer, StraFo 2010, 329. 46 Vgl. zum Diskussionsstand: Jahn/Pietsch, ZIS 2015, 1 (2 f.); Engelhart, NZWiSt 2015, 201 ff. und zu früheren Diskussionen insbesondere über die Stärkung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit für Wirtschaftsstraftaten, Bottke, wistra 1991, 81.

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Problemkreise seien an dieser Stelle beispielhaft genannt: Opportunitätsprinzip vs. Legalitätsprinzip, Vertretungsfragen im Verfahren, prozessuale Rechte des Verbandes, Einstellungsgründe des Verfahrens sowie Compliance und Internal Investigations. Hierbei wird deutlich, dass jedes noch so konkret formulierte materielle Verbandssanktionenrecht ohne sein Pendant des prozessualen Rechts abstrakt bleibt, sodass eine Hauptaufgabe des Gesetzgebers für das Prozessrecht sicherlich darin zu sehen ist, hier zu konkretisieren. Um den Rahmen der vorliegenden Arbeit nicht zu sprengen, einem detaillierten Untersuchungsanspruch aber dennoch gerecht zu werden, werden bestimmte Aspekte aus dem Strauß der vielfältigen Problemstellungen herausgegriffen und bilden zum einen die Grundlage der Untersuchung, zeigen aber zum anderen damit ihre Grenze auf. Mit der nachstehenden Untersuchung soll demnach gerade nicht, wie schon vielfach geschehen, herausgearbeitet werden, ob ein Verbandssanktionenrecht per se sinnvoll und notwendig wäre oder welche materiell rechtliche Umsetzung vorzugswürdig scheint, sondern vielmehr, wie sich ein solches auf die Praxis des Strafverfahrens auswirken könnte. Dabei ist es unerlässlich, einen kurzen, freilich nicht erschöpfenden Überblick der Problematik, der das materielle Recht inkludiert, an die Hand zu geben.

III. Gang der Darstellung In den letzten Jahren häufen sich die Diskussionen, ob ein Verbandsstrafrecht bzw. Verbandssanktionenrecht in Deutschland von maßgeblicher Notwendigkeit sei.47 Einer der Hauptdiskussionspunkte in der Vergangenheit lässt sich mit der Umschreibung von Edward Thurlow „Corporations have neither bodies to be punished, nor souls to be condemned (…)“48 zusammenfassen, sodass in Frage steht, ob ein Verbandssanktionenrecht überhaupt in Deutschland umgesetzt werden kann und in unser Rechtssystem integrierbar ist, weshalb dies gerade nicht im Zentrum der vorliegenden Arbeit stehen soll.49 Dies resultiert zum einen nicht nur aus der Häufigkeit, mit der in der Vergangenheit versucht wurde, hier eine (profunde und allgemeingültige) Antwort zu finden, sondern entspringt auch dem Gedanken, dass die materiell-rechtlichen Probleme äußerst komplex und insbesondere auch hinsichtlich ihrer wirtschaftlichen Parameter nur schwer fass- und kalkulierbar sind. Zum anderen scheinen, sofern man einmal von der zukünftigen Existenz eines Verbands47 Siehe statt vieler auch im internationalen Kontext mit empirischen Befunden Hoven/ Weigend, ZStW 2018 (130), 213 passim. 48 Abgedruckt in Poynder, Literary Extracts 1884, S. 268; so auch im gleichnamigen Titel des Aufsatzes von Coffee, Michigan Law Review 1981, Vol. 79, 386 „No Soul To Damn – No Body To Kick“. 49 Beispielhaft und insbesondere zu den Problemen und Friktionen eines möglichen Verbandsstrafrechts mit der Handlungs- und Schuldfähigkeit von Verbänden Alvarado, FS Tiedemann, S. 413; Greco, GA 2015, 503 ff.

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sanktionenrechts ausgeht, etliche Probleme und Fragen im Prozessrecht auf, die aufgrund ihrer Relevanz für die Praxis ebenso einer Untersuchung bedürftig erscheinen wie die Aspekte eines materiellen Verbandssanktionenrechts.50 Basierend auf den vorhergehenden Feststellungen ergibt sich die Begrenzung der nachfolgenden Untersuchung, deren Hauptaugenmerk sich auf die verfahrensrechtlichen Gesichtspunkte eines Verbandssanktionenrechts richtet. Materiell-rechtliche Aspekte und Probleme werden aus diesem Grund nur überblicksartig in ihren wesentlichen Grundstrukturen umrissen (5. Kapitel: Materielles Verbandssanktionenrecht de lege ferenda). Für einen ersten Einstieg in die Thematik liegt es nahe, in der Untersuchung als Orientierung zunächst in Grundrissen herauszustellen, welche Versuche es (in der Vergangenheit) in Deutschland gegeben hat, ein Verbandssanktionenrecht einzuführen. Die Ausarbeitung hierzu folgt im Grunde einem chronologischen Aufbau, findet ihren Beginn im Mittelalter, reicht über den „Gesetzesentwurf des Landes Nordrhein-Westfalen zur Einführung einer Verbandsstrafbarkeit“,51 den „Kölner Entwurf zur Verbandssanktionierung“,52 den „Frankfurter Thesen“53 und den „Münchner Entwurf“54 bis hin zur Inkludierung des aktuellsten und wohl bedeutendsten Entwurf seiner Art: dem Regierungsentwurf des Gesetzes zur Sanktionierung von verbandsbezogenen Straftaten (Verbandssanktionengesetz – VerSanG) – der erstaunlicherweise nicht als Berliner Entwurf benannt wurde – im Folgenden als Regierungsentwurf(-sbegründung) oder (RegE.-Begr.)/VerSanG-E bezeichnet.55 Die Übersicht beinhaltet neben materiell-rechtlichen Aspekten auch verfahrensrechtliche Gesichtspunkte und Problemstellungen, die bereits in der Historie in Erscheinung traten und deren Relevanz sich partiell bis in die Gegenwart erstreckt. Nach dem historischen Überblick und Einstieg bietet es sich an, als Hinführung zu den Regelungen de lege lata und den Optionen de lege ferenda, Norm- und Sank50 Exemplarisch seien an dieser Stelle nur die Probleme hinsichtlich des Opportunitäts- und Legalitätsprinzips sowie Vertretungs- und Verteidigungsfragen genannt. 51 Vgl. den Gesetzesantrag des Landes Nordrhein-Westfalen: Entwurf eines Gesetzes zur Einführung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit von Unternehmen und sonstigen Verbänden. Der Entwurf war abrufbar unter: https://www.justiz.nrw.de/JM/justizpolitik/jumiko/beschlu esse/2013/herbstkonferenz13/zw3/TOP_II_5_Gesetzentwurf.pdf (30. 04. 2015). 52 Kölner Entwurf eines Verbandssanktionengesetzes Henssler/Hoven/Kubiciel/Weigend, NZWiSt 2018, 1 passim. 53 Jahn/Schmitt-Leonardy/Schoop, wistra 2018, 27 passim. 54 Münchner Entwurf eines Verbandssanktionengesetzes: Saliger/Tsambikakis/Mückenberger/Huber (Hrsg.), Münchner Entwurf, passim. 55 Gesetzesentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Integrität der Wirtschaft: Gesetz zur Sanktionierung von verbandsbezogenen Straftaten (Verbandssanktionengesetz – VerSanG), abrufbar unter https://www.bmjv.de/SharedDocs/Gesetzge bungsverfahren/Dokumente/RegE_Staerkung_Integritaet_Wirtschaft.pdf;jsessionid=DAD 795E3C2BAC093B488987D0BCD7ACE.1_cid289?__blob=publicationFile&v=2 zuletzt abgerufen am 09. 11. 2020; dazu insgesamt krit. Rübenstahl, ZWH 2019, 233 passim; im Überblick dazu Dierlamm, StV 2019 Heft 11, Editorial.

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tionsadressaten herauszustellen und für die Zukunft zu konturieren. An dieser Stelle wird eine mögliche Differenzierung zwischen den Begriffen Unternehmen, Verband und/oder juristischer Person oder Personenvereinigung aufgezeigt. Im Rahmen dieser Feststellung wird des Weiteren der im Kern zu behandelnde Untersuchungsgegenstand, insbesondere auf verfahrensrechtliche Aspekte, Hürden, Hindernisse und Entwicklungen festgelegt und begrenzt. Sodann ist der Blick auf die bestehenden Regelungen in unserem geltenden Recht zur Sanktionierung von Unternehmen gerichtet und noch weitergehend auf die verschiedenen Möglichkeiten der Sanktionierung von Unternehmen in internationalen Rechtsordnungen. Schwerpunkte bilden dabei prozessrechtliche Fragestellungen und die kritische Hinterfragung von Problemen mit derzeitigen Regelungen sowie das Ineinandergreifen von materiellen und prozessrechtlichen Regelungen, deren Fokus für die Bebußung von Unternehmen derzeit im Ordnungswidrigkeitenrecht liegt. Zur Erörterung dieser Problematiken werden auch rechtsvergleichende Aspekte von Staaten inner- und außerhalb der EU einbezogen, die bereits ein Verbandsstrafrecht in ihr Rechtssystem integriert haben und die für Deutschland eine Vorreiterrolle haben (könnten). Das Herzstück der Untersuchung bildet die Trias aus Fragestellungen/Schwierigkeiten, Anforderungen und Lösungsansätzen, die sich im Verfahren bei der künftigen Einführung eines Verbandssanktionenrechts für ein Unternehmen ergeben könnten, mithin also prozessuale Folgeerscheinungen. Aufscheinende Probleme werden dazu zunächst vorgestellt und diskutiert. Danach werden potentielle Lösungsansätze aufgezeigt, beleuchtet und hinterfragt. Diese Betrachtung soll sich zwar auf das deutsche Recht fokussieren, jedoch Regelungen, die bereits in anderen Rechtsordnungen im Rahmen eines Verbandssanktionenrechts Eingang in das System gefunden haben, einfließen lassen, kritisch hinterfragen und als Vergleichsmaßstab heranziehen.

IV. Rechtsvergleichung 1. Funktionale Rechtsvergleichung Die Kategorisierung der Rechtsvergleichung, ihr Begriffsverständnis und die Methoden, die Vergleichung vorzunehmen, sowie die Definierung von Zielen einer solchen Untersuchung scheinen von so unterschiedlicher Couleur auf wie die einzelnen Länder, Rechts- und Kulturkreise selbst.56 Da das Bild in der Literatur zu diesen Bereichen der „Rechtsvergleichung“ eher von Uneinheitlichkeit gezeichnet ist, ist es gerechtfertigt, eine kurze Einordnung und Konturierung der Rechtsver56 Zu der Frage, ob es sich bei der Rechtsvergleichung um eine Methode oder ein eigenständiges Gebiet der Rechtswissenschaft handelt: Kischel, Rechtsvergleichung, S. 28 ff.; Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, S. 1 ff., 32 ff.; grundlegend zur Rechtsvergleichung auch Constaninesco, Rechtsvergleichung, Bd. 3, passim.

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gleichung für die vorliegende Untersuchung vorzunehmen und dabei ihren Rahmen abzustecken.57 Um eine Einordnung der Problematik zu ermöglichen, muss man sich zunächst vor Augen führen, welchem Rechtsgebiet die Problematik entstammt, die verglichen werden soll. Bei der Sanktionierung von Verbänden handelt es sich (im engeren oder weiteren Sinne) um das Rechtsgebiet des Strafrechts, sodass weiter überlegt werden muss, welche Herangehensweise hierfür am sinnvollsten ist. Ruft man sich ins Gedächtnis, dass gerade und vor allem das Strafrecht ein Rechtsgebiet ist, welches von äußeren Umständen wie Politik, Gesellschaft, Kultur und (epochalen) geistespolitischen Strömungen bestimmt wird, kann es für die Rechtsvergleichung nicht überzeugen, die schlichte Norm eines Gesetzeswerkes und die (begrifflichen) Gemeinsamkeiten sowie Unterschiede als Wiege der Erkenntnis der Rechtsvergleichung zu begreifen.58 Diese Vorgehensweise wäre zu einseitig und würde zu kurz greifen. Vielmehr soll in der vorliegenden Untersuchung grundsätzlich die Funktion einer Norm bzw. das Rechtsinstitut/der -grundsatz mit einer Funktion eines anderen Rechtssystems (hinsichtlich bestimmter Fragestellungen und Sachproblemen der Verbandssanktionierung) in Bezug gesetzt werden.59 Auf dem Weg sollen nicht nur allgemeine Rechtsgrundsätze beleuchtet werden, sondern vor allem ihre Aufgabe (auch im Sinne ihres außerrechtlichen Sinn und Zwecks bzw. Umfelds60) eruiert werden, sodass Recht verglichen wird, welches dieselbe Funktion erfüllt.61 Der letzte Punkt resultiert vor allem aus der Überlegung, dass einer Regelung auf der rechtlichen Ebene meist Probleme auf der tatsächlichen Ebene vorangehen, die dadurch gelöst werden sollen.62 Somit wird der Fokus auf der Rechtsvergleichung als „funktionaler Rechtsvergleichung“ liegen.63 Das Verständnis eines Rechtsinstituts oder einer Norm geht in den meisten Fällen mit der Kenntnis des jeweiligen Rechtssystems einher bzw. ist mit ihr untrennbar verbunden. Wird aber die Erwartung an die vorliegende Arbeit gestellt, vollumfängliche Kenntnis unterschiedlicher Rechtssysteme durch sie zu erlangen, wird bereits hier darauf hingewiesen, dass sie diesem Anspruch nicht gerecht wird und dies auch nicht die Intention ist. Aufgrund der Vielzahl der verglichenen Rechts57 Siehe dazu ausführlich statt vieler Kischel, Rechtsvergleichung, S. 1 ff.; Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, S. 1 ff. 58 Mit Beispielen bei Kischel, Rechtsvergleichung, S. 38 m.w.N. 59 Siehe auch Kischel, Rechtsvergleichung, S. 4 „Der Vergleich setzt voraus, daß die beiden zu vergleichenden Gegenstände im Hinblick auf die untersuchte Fragestellung in Bezug gesetzt werden.“ 60 Zu diesem Verständnis der funktionalen Rechtsvergleichung Kischel, Rechtsvergleichung, S. 6 und insbesondere mit Bezug zur strafrechtlichen Rechtsvergleichung S. 38, 93 ff. 61 Vgl. Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, S. 33 ff. 62 Siehe zu diesem Aspekt auch Kischel, Rechtsvergleichung, S. 6; ähnlich bei Zweigert/ Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, S. 3 f. 63 Ausführlich zur funktionalen Rechtsvergleichung Kischel, Rechtsvergleichung, S. 6 ff.; Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, S. 33 ff.

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ordnungen und da die Rechtsvergleichung nur einen Teil der vorliegenden Untersuchung bildet, muss die Darstellung der jeweiligen Rechtslage vor dem Hintergrund des jeweiligen Systems schon aus Gründen des Umfangs eher knapper ausfallen. Nichtsdestotrotz wird ein Überblick über die Materie der (vor allem materiellen) Verbandssanktionierung in unterschiedlichen (nicht nur, aber auch der hier verglichenen) Ländern vorangestellt werden. Dies geschieht vorrangig, da die prozessualen Strukturen letztlich auch einen Bezug zum materiellen Recht aufweisen, wenngleich in diesen Überblick auch einige Länder Eingang erhalten, welche kein Schwerpunkt der weiteren rechtsvergleichenden Untersuchung sein werden. Letzteres bietet sich an, um einen möglichst breit gefächerten Gesamteinblick zu Beginn zu gewähren. So wird die vorliegende Untersuchung nicht „viel über eine (andere) Rechtsordnung, sondern ein wenig über viele Rechtsordnungen“64 enthalten. 2. Einzelvergleich und typisierender Vergleich Wurden in den vorangehenden Abschnitten bereits der Sinn und Zweck der Rechtsvergleichung für die vorliegende Untersuchung definiert und ihre Ausrichtung justiert, wird des Weiteren in der einschlägigen Literatur zu diesem Thema zwischen einem „Einzelvergleich“ und einem „typisierenden Vergleich“ unterschieden, teilweise wird dies auch als Mikro- und Makrovergleich bezeichnet.65 Der typisierende Vergleich wird von Kischel als Vergleich verstanden, der die „Ergebnisse und von Einzelvergleichen aggregiert oder generalisierte Erkenntnisse über die Eigenheiten der Rechtsordnungen zu einem Gesamtbild zusammenfügt“.66 Nach diesem Verständnis ergeben ergo die Ergebnisse mehrerer Einzelvergleiche zusammen den typsierenden Vergleich. Daran wird deutlich, dass sich die beiden Möglichkeiten nicht ausschließen, sondern vielmehr kumulativ wirken können und die Grenzen hier durchaus verschwimmen können.67 Für die Typisierung hält Kischel68 zusätzlich fest, dass Ähnlichkeiten von Rechtsordnungen herausgestellt werden müssen, durch die diese in unterschiedliche Gruppen eingeordnet werden können (vgl. dazu den folgenden Abschnitt).69 Eine weitergehende Verfeinerung bei der Typisierung könne insbesondere auch durch den

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Kischel, Rechtsvergleichung, S. 1. Kischel, Rechtsvergleichung, S. 8 (und ausführlich S. 31 f.) unter Verweis auf Constantinesco, Rechtsvergleichung Bd. 3, im Überblick hinsichtlich der Mikro- und Makrovergleichung S. 79 ff.; zum Mikro- und Makrovergleich siehe auch Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, S. 4 f. 66 Kischel, Rechtsvergleichung, S. 8. 67 Dies halten Zweigert/Kötz ebenfalls für den Mikro- und Makrovergleich dergestalt fest. Vgl. Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, S. 5. 68 Kischel, Rechtsvergleichung, S. 8. 69 So Kischel, Rechtsvergleichung, S. 8. 65

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Vergleich von bestimmten rechtlichen Einzelaspekten oder insgesamt von Rechtsinstituten vorgenommen werden.70 3. Vergleichsparameter a) Rechtskreise Nun ist festzulegen, welche Vergleichsparameter für die Rechtsvergleichung gewählt werden, ergo Typisierungsparameter. Nicht notwendig, da in dem umgrenzten Untersuchungsrahmen wohl eher Irritation statt Klarheit schaffend, wäre es, sämtliche Länder und ihre Systeme miteinander zu vergleichen, da hierbei der Erkenntnisgewinn aufgrund der Vielschichtigkeit letztlich nur gering ausfallen dürfte. So muss der Radius verkleinert und spezifisch auf die Verbandssanktionierung fokussiert werden, heißt: Treten in der Diskussion um die (strafrechtliche) Sanktionierung von Verbänden Rechtskreise71 als „didaktisches Hilfsmittel“72 so deutlich hervor, dass sie beispielsweise eine Vorreiterpostion auf diesem Gebiet innehaben könnten, da sie eine derartige Sanktionierung bereits vorsehen? Um eine Antwort auf diese Frage zu geben, muss zunächst festgestellt werden, was einen Rechtskreis ausmacht. Allgemein anerkannt ist, dass der Gedanke, einen Rechtskreis zu formieren, seinen Ursprung in dem Willen hat, Rechtsordnungen durch bestimmte Merkmale (sowohl Gleichartigkeiten als auch Ungleichartigkeiten, wie zum Beispiel die Historie, charakteristische Rechtsinstitute, Rechtsdenken und Rechtsquellen73) in Gruppen einzuteilen und diese Zusammenfassung in Gruppen als einen Rechtskreis anzusehen.74 aa) Kontinentaleuropäischer Rechtskreis Für eine erste allgemein (anerkannte) Einteilung bzw. Typisierung bietet es sich an, zwischen dem Rechtskreis des Common Law und dem kontinentaleuropäischen Rechtskreis zu differenzieren.75 Die Einbeziehung der beiden Rechtskreise macht auf einer ersten Ebene deshalb Sinn, da die strafrechtliche Sanktionierung von Verbänden im Common Law bereits seit langer Zeit verbreitet ist und Ziel der

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Siehe Kischel, Rechtsvergleichung, S. 8. Zur Terminologie Kischel, Rechtsvergleichung, S. 221; zu Rechtskreisen und Rechtsfamilien auch Constantinesco, Rechtsvergleichung Bd. 3, S. 74 ff. 72 Kischel, Rechtsvergleichung, S. 228. 73 So bei Kischel, Rechtsvergleichung, S. 218. 74 Zu einer solchen Herangehensweise und den Rechtskreisen insgesamt Kischel, Rechtsvergleichung, S. 217 ff. m.w.N. 75 Vgl. zur Differenzierung nach Rechtskreisen und insbesondere zu der oben gewählten Kischel, Rechtsvergleichung, S. 8, zu möglichen Einteilungen 217 ff. 71

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Rechtsvergleichung ist, Impulse für ein deutsches Verbandssanktionenrecht zu generieren.76 Obwohl eine spezifische vertiefte Darstellung der unterschiedlichen Rechtskreise in ihrer Gesamtheit durch diese Arbeit nicht dargeboten werden kann, soll ein kurzer Überblick die typischen wesentlichen (rechtlichen) Gegebenheiten und Strukturen der hier untersuchten Kreise aufzeigen. Für die folgende Untersuchung wird der Terminus „kontinentaleuropäischer Rechtskreis“ und mit ihm sein Verständnis dahingehend konturiert, dass er als einheitlicher Rechtskreis betrachtet wird und keine weitere Differenzierung zwischen germanischem und romanischem Rechtskreis vorgenommen wird.77 Vorrangiger Grund für die Präferierung dieser Variante ist, dass die Rechtskreiseinteilung für diese Arbeit einen didaktischen Sinn und Zweck verfolgt. Sie soll eine kurze und überblicksartige Einführung in die Denkweise und Einordnung des Kontextes der untersuchten Rechtsordnungen darbieten und gleichzeitig die Grenzen der Untersuchung aufzeigen. Ein typisches Charakteristikum (an welches weitere anknüpfen können) für den kontinentaleuropäischen Rechtskreis (durch den er sich beispielsweise vom Common Law unterscheidet) ist dasjenige der richterlichen Entscheidungsfindung. Hat ein Richter über einen rechtlich relevanten Sachverhalt zu entscheiden, so werden die Entscheidungen anhand von vorbestimmten und festgelegten Rechtsnormen getroffen. Wesentlicher Bestandteil ist demzufolge auch das kodifizierte Recht, insbesondere also im hier interessierten Kontext das festgeschriebene Strafrecht, das mit dem typischen Rechtsdenken kontinentaleuropäischer Juristen einhergeht. Kurzum ist festzuhalten, dass kontinentaleuropäisches Recht Gesetzesrecht ist und für den kontinentaleuropäischen Juristen nur das verschriftlichte Recht die non-plus-ultra-Stellung hat.78 Eine (verpflichtende) Bindung an Präzendenzfälle, wie im Common Law vorherrschend (vgl. dazu den folgenden Abschnitt), gibt es in diesem Rechtskreis, und vor allem im deutschen Recht, grundsätzlich nicht, wenngleich dies einer freiwilligen Einhaltung bzw. Orientierung an obergerichtlicher Rechtsprechung nicht entgegensteht, beispielsweise in Form der Orientierung an einer Entscheidung des Bundesgerichtshofes.79 Die Ausrichtung nach obergerichtlicher Rechtsprechung ist gerade in Deutschland weit verbreitet. Nicht zu unterschätzen ist auch die Bedeutung der juristischen (akademischen) Literatur. Es findet ein großer Austausch zwischen Wissenschaft und Praxis statt, was unter anderem an den unterschiedlichen Formaten, an denen sowohl Praktiker als auch Wissenschaftler partizipieren, wie zum Beispiel juristischen Kommentaren oder Fachzeitschriften deutlich wird und von

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Vgl. zum Ziel der Rechtsvergleichung S. 47. Siehe zu den unterschiedlichen Einteilungsmöglichkeiten Kischel, Rechtsvergleichung, S. 389 f. 78 So bei Kischel, Rechtsvergleichung, S. 392. 79 Siehe zu diesem Aspekt und zu weiteren Literaturgattungen ausführlich Kischel, Rechtsvergleichung, S. 463 ff.; Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, S. 256 f.; zu diesem Topos auch Schlüchter, Mittlerfunktion der Präjudizien, S. 37 ff. 77

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dem beide Seiten nicht nur unerheblich profitieren.80 Hierin dürften die wesentlichsten Charakteristika (freilich nur in ihrer komprimierten Form) des kontinentaleuropäischen Rechts gesehen werden. bb) Rechtskreis des Common Law Der Rechtskreis des Common Law81 soll ebenfalls einer der Untersuchungsgegenstände der Rechtsvergleichung sein, weshalb es lohnt, zumindest überblicksartig Grundstrukturen und Besonderheiten, die anders als im kontinentaleuropäischen Rechtskreis sind, zu erläutern. Das Common Law ist ein Rechtssystem, welches sich im Jahre 1066 nach der Eroberung Englands durch die Normannen (in Abgrenzung zu dem kanonischen Recht und den Gewohnheitsrechten) entwickelte und im Laufe der Zeit in vielen Staaten Einzug erhielt.82 Der Bereich, in dem bis heute das Common Law gilt, umfasst, außer England, insbesondere die USA, Kanada, Australien, Neuseeland und Irland.83 Das „Common Law“ als Begrifflichkeit84 wird unterschiedlich verwendet, wenngleich es vor allem in Deutschland mit „dem englischen Recht“ gleichgesetzt bzw. im Zusammenhang mit diesem genannt wird und es oft auf diesem Weg zum kontinentaleuropäischen Recht abgegrenzt wird.85 Wichtig ist für die nachfolgende Untersuchung, dass die vorhergehend genannte Gleichsetzung gerade nicht verfolgt werden soll, sondern vielmehr die Trennung von England, Großbritannien als Gesamtheit (England, Schottland und Wales) und dem Vereinigten Königreich (England, Schottland, Wales und Nordirland), wenn es um das Common Law geht, angewendet werden soll, da sich hier mitunter rechtliche Unterschiede ergeben können.86 Aus diesem Grund wird für die Untersuchung lediglich auf „England“, nicht aber auf das Vereinigte Königreich als Gesamtheit, rekurriert werden, da ersteres zweifelsfrei zum Rechtskreis des Common Law zu zählen ist. Für die USA ergibt sich eine diesbezügliche Ausnahme nur für den

80 Zum Ganzen bei Kischel, Rechtsvergleichung, S. 470 ff.; passim Janzarik, Dogmatik im Dialog?. 81 Eingehend Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, S. 177 ff.; Child/ Omerod, Criminal Law, S. 16 f. 82 So bei Kischel, Rechtsvergleichung, S. 243, 272 ff.; zum historischen Kontext Zweigert/ Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, S. 178 ff. 83 Siehe dazu und zu den Ausnahmen bzgl. einzelner Staaten sowie zu der Unterscheidung zwischen England und Großbritannien in dieser Hinsicht Kischel, Rechtsvergleichung, S. 244; zur Ausbreitung des Common Law Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, S. 214 ff. 84 Zu anderen Verständnismöglichkeiten des Begriffs „Common Law“ auch Kischel, Rechtsvergleichung, S. 224 m.w.N. 85 Vgl. dazu Just, Englisches Gesellschaftsrecht, S. 3. 86 Zu den Unterschieden siehe Kischel, Rechtsvergleichung, S. 243 f.; Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, S. 198 ff.; dazu auch schon Schlüchter, Mittlerfunktion der Präjudizien, S. 58.

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Bundesstaat Louisiana, der nicht zum Geltungsbereich des Common Law gehört, sodass dennoch immer von den „USA“ als Gesamtheit die Rede sein wird.87 Allseits bekannte Wesensmerkmale des Common Law sind vor allem die große Relevanz des Case Law (Fallrecht, welches die Grundlage des Common Law bildet), die Bindung an Präzendenzfälle sowie die (im Vergleich zum kontinentaleuropäischen Recht) nicht so stark ausgeprägte Rolle des Gesetzesrechts und die weitaus weniger relevante juristische Literatur.88 Vereinfacht gesprochen wird das Recht in diesem Rechtskreis durch den Richter geschaffen („judge-made law“), der nur für diesen Einzelfall eine Entscheidung trifft, welche er aus einer Analyse früherer Fälle erarbeitet.89 In engem Zusammenhang zu Vorgenanntem steht die sogenannte „stare decisis Regel“, die Bindung an Präzedenzfälle im Common Law.90 Zusammengefasst besteht aufgrund dieser Regel die Verpflichtung des Richters, sich nach früheren Entscheidungen, die ähnliche Fälle zum Gegenstand hatten, bei seiner Entscheidungsfindung zu richten.91 Nimmt das Gesetzesrecht im kontinentaleuropäischen Rechtskreis eine sehr dominante Position ein, ist diese im Common Law weniger stark ausgeprägt. Gemeinhin soll es dort nur zur Präzision oder als Stellschraube des Case Law dienen, um unbillige Ergebnisse zu vermeiden.92 Ein ebenso großer Unterschied zwischen kontinentaleuropäischem und Common-Law-Rechtskreis besteht, wenn es um die Bedeutung der akademischen juristischen Literatur geht. Die Auseinandersetzung oder Berücksichtigung von akademischer Literatur fällt im Common Law grundsätzlich geringer aus als in Kontinental-Europa, wenngleich es hiervon ebenfalls Ausnahmen gibt, was zum Beispiel anhand von Lehrbüchern und vereinzelt (kritischen) Aufsätzen deutlich wird.93 Oft zählen Meinungen von Gerichten oder spezifischer Richter für den juristischen Diskurs weitaus mehr als die juristische Literatur.94 Ein derart reger Austausch zwischen Wissenschaft und Praxis, wie im kontinentaleuropäischen Rechtskreis üblich, ist hingegen nicht zu verzeichnen.

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Zu dieser Ausnahme Kischel, Rechtsvergleichung, S. 244. So bei Kischel, Rechtsvergleichung, S. 244. 89 Diff. und ausführlich Kischel, Rechtsvergleichung, S. 245 ff., 264. 90 Siehe zur unterschiedlichen Handhabung in England und den USA Kischel, Rechtsvergleichung, S. 364 f. 91 Vgl. in extenso, unter anderem zu den Voraussetzungen der Bindung Kischel, Rechtsvergleichung, S. 255 ff. 92 Vgl. Kischel, Rechtsvergleichung, S. 260; diff. Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, S. 260 f. 93 Vgl. Kischel, Rechtsvergleichung, S. 262 ff., der diese Ausnahmen im englischen Recht bejaht, für das US-amerikanische Recht jedoch als nicht gegeben ansieht. 94 Zum Ganzen Kischel, Rechtsvergleichung, S. 261 f. 88

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b) Rechtsordnungen Aber auch, wenn diese unterschiedlichen Kreise betrachtet werden, kann nicht jedes Land eines Rechtskreises mit seiner Rechtsordnung für den Vergleich herangezogen werden, da dies zu einer schier unüberschaubaren Anzahl von Vergleichen führen würde. Wesentlich hilfreicher ist es, besonders relevante Rechtsordnungen in Bezug auf die zu untersuchende Materie der Kreise ausfindig zu machen und sie als stellvertretend für ihren Rechtskreis anzusehen, worin das zweite Parameter (oder auch die weitergehende Typisierung) der Rechtsvergleichung zu sehen ist.95 Übertragen auf den Sektor der Verbandssanktionierung gehören dazu für den Rechtskreis des Common Law allen voran und deshalb stellvertretend die USA96 und England,97 in denen zwar der Grundgedanke der repressiven Ausrichtung des Verbandssanktionenrechts gilt, die Reaktion auf ein Missverhalten des Verbandes jedoch ausschließlich spezialpräventiv sein soll.98 Ein wesentlicher Unterschied zwischen beiden Rechtsordnungen dürfte sein, dass es in den USA im Gegensatz zu England eine geschriebene Verfassung gibt, die „Grundrechte“ enthält, die sowohl die Rechtsprechung als auch die Gesetzgebung und die Exekutive binden.99 Richtet sich der Blick auf Kontinental-Europa, stechen vor allem Österreich und die Schweiz ins Auge, die in den vergangenen Jahren die Strafbarkeit von Verbänden in ihr Rechtssystem implementiert haben und hierbei vor allem die präventive Wirkung fokussiert haben. Darüber hinaus und im Zentrum steht freilich der Vergleich aller genannten Rechtsordnungen mit der deutschen Rechtslage de lege lata und einer möglichen Rechtsausrichtung de lege ferenda. Steht nun fest, welche Rechtsordnungen dem Grunde nach verglichen werden sollen, muss aber noch einen Schritt weitergegangen werden, da der Punkt der „Rechtsordnungen“ noch näher spezifiziert werden kann. Im Rahmen der genannten Rechtsordnungen interessieren, sofern vorhanden, unter anderem die spezifisch erlassenen Gesetze zu der (strafrechtlichen) „Verbandssanktionierung“. Da jedoch nicht immer für den Topos der Verbandssanktionierung Stammgesetze erlassen wurden, müssen in diesem Fall die Hauptrechtsordnungen, in denen sich hierzu Regelungen finden, miteinbezogen werden. Insbesondere für die USA ist hier eine weitere Umgrenzung des Untersuchungsbereichs unerlässlich, weil es zum einen das überstaatliche Bundesrecht gibt und zum anderen das Recht der Einzelstaaten.100 Wird in der Arbeit auf die USA 95

Zu dieser Herangehensweise auch Kischel, Rechtsvergleichung, S. 8. Vgl. zum Common Law der USA Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, S. 233 ff. 97 Siehe spezifisch zur Entwicklung des englischen Common Law Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, S. 177 ff. 98 So bei Hoven/Weigend, ZStW 2018 (130), 213 (251). 99 So Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, S. 233. 100 Grundlegend Paulsen, ZStW 1965 (77), 637 passim; dazu auch Beale, ZStW 2014 (126), 27 (29 f.). 96

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rekurriert, wird hiermit (bis auf eine Ausnahme hinsichtlich des US-Gesellschaftsrechts) die Situation auf Bundesebene der USA abgebildet, nicht aber die Umstände der Einzelstaaten in den USA. Dies geschieht aus mehreren Gründen: Zum einen, da die Situation auf der Bundesebene am repräsentativsten für die Situation in den USA scheint und (Rechts-)Quellen hier zugänglicher sind als bei den Einzelstaaten. Zum anderen existiert auf der Bundesebene das umfassendste Unternehmensstrafrecht.101 Darüber hinaus scheint es wenig förderlich für das hier verfolgte Ziel der Rechtsvergleichung, alle einzelstaatlichen Rechtsordnungen der USA ins Spiel zu bringen, da ihre Erfassung und Auswertung den Rahmen der Arbeit sprengen würde.102 c) Rechtsprechung Als Vergleichsparameter wird auch die Rechtsprechung herangezogen. Für sie ergibt sich das Gleiche wie vorangehend erwähnt. Soweit wie möglich soll es sich um die Rechtsprechung bzw. Gerichtsentscheidungen von möglichst hochrangigen Gerichten in der Gerichtshierarchie handeln. Dies gilt im Besonderen für Entscheidungen von US-amerikanischen Gerichten. Nach Möglichkeit wird hier auf Entscheidungen des US-Supreme Courts Bezug genommen, da diese zumeist für das US-Recht von tragender Relevanz sind und bei anderen Entscheidungen mit den zur Verfügung stehenden Ressourcen kaum überblickt werden kann, ob sie eine wesentliche prägende Rolle für die US-Entscheidungspraxis einnehmen oder ob es sich um Einzelfallentscheidungen am Rande handelt. Diese Linie soll aus den eben genannten Gründen auch für die Rechtsprechung und Literatur in den anderen zu untersuchenden Ländern (England als Teil von Großbritannien,103 Österreich und der Schweiz) verfolgt werden. d) Allgemeine Rechtsgrundsätze Nachdem der Fokus auf die funktionale Rechtsvergleichung gelegt wurde, ist es wichtig, allgemeine Rechtsgrundsätze herauszuarbeiten und nicht ausschließlich eine Normabbildung der einzelnen Staaten darzubieten, obschon diese freilich bei der Findung der allgemeinen Rechtsgrundsätze und -prinzipien miteinbezogen werden muss. Hierbei kann jedoch nicht erwartet werden, dass die allgemeinen Rechtsgrundsätze der Staaten völlig identisch wären. Nichtsdestotrotz können sich weitläufige Übereinstimmungen ergeben, die dann für eine Übertragung ihres Grundgedankens herangezogen werden sollen. Mit dieser Option und Herangehensweise stößt die Rechtsvergleichung in der vorliegenden Arbeit an ihre (res101

Zum Ganzen auch bei Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen, S. 284; insbesondere zur Strafverfolgung auf Bundesebene in den USA auch Hoven/Weigend, ZStW 2018 (130), 213 (232) Fn 47. 102 Zum Ziel der Rechtsvergleichung dieser Untersuchung siehe S. 47. 103 Siehe zur Struktur der Gerichte in England Child/Omerod, Criminal Law, S. 11 ff.

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sourcentechnischen) Grenzen, sodass in diesem Parameter auch die maßgebliche Beschränkung der Rechtsvergleichung zu sehen ist. e) Einzelaspekte Neben den bereits genannten Typiserungsaspekten spielen weitere Einzelaspekte bei der Vergleichung ebenfalls eine wesentliche Rolle. Diese können mitunter keiner der oben bereits genannten Kategorien zugeordnet werden, wenngleich sie notwendig sind, um einen Gesamteindruck aller Facetten zu erhalten. Hierzu könnten zum Beispiel die Compliance oder die Internal Investigations gezählt werden. f) Nationale Resultate de lege lata und de lege ferenda Wurden vorangehend Parameter gewählt, welche für den Rechtsvergleich herangezogen werden, bedarf es (dies wurde bereits kurz angerissen), um das Gesamtbild zu komplettieren, einer weiteren Verfeinerung. Notwendig ist im spezifischen Kontext der Verbandssanktionierung ebenfalls, dass Resultate bestimmter Problemkreise hierzulande de lege lata und nach der Rechtsvergleichung de lege ferenda eruiert und im weiteren Verlauf eingespeist werden.104 Nur bei einer solchen umfassenden Vorgehensweise kann der Rechtsvergleichung der ihr bestimmte Sinn und Zweck zukommen. 4. (Zwischen-)Ziel der Rechtsvergleichung Wesentliches Zwischenziel der Rechtsvergleichung ist es zunächst, durch die Eruierung der Situationen in den anderen Staaten die Regelungen/Grundsätze der deutschen Rechtsordnung zum Gebiet der Sanktionierung von Verbänden, vor allem in prozessualer Hinsicht, als „weit weniger selbstverständlich“105 wahr- und hinzunehmen, als es bis dahin der Fall war.106 Sie sollen nicht als vorbestimmt anerkannt, sondern vielmehr kritisch durchdacht und (auch außerhalb des rechtlichen Umfeldes) hinterfragt werden. Hier kann Zweigert/Kötz107 mit Fug und Recht zugestimmt werden, wenn sie behaupten: Die Rechtsvergleichung „zeigt, daß das geltende Recht nur eine von mehreren Regelungsmöglichkeiten verwirklicht; sie verabreicht ein wirksames Gegengift gegen blinde Dogmengläubigkeit“.

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Vgl. dazu allgemein Kischel, Rechtsvergleichung, S. 4. Kischel, Rechtsvergleichung, S. 1. 106 Vgl. zu dem Ziel des vertieften Verständnisses der Rechtsordnung durch die Rechtsvergleichung und zu weiteren möglichen Zielen statt vieler Kischel, Rechtsvergleichung, S. 1, 56; zu wesentlichen Zielen der Rechtsvergleichung allgemein Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, S. 14 ff. 107 Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, S. 20. 105

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Daran knüpft insgesamt das Hauptziel der Rechtsvergleichung an: Es soll darin bestehen, Impulse für die Schaffung eines Verbandssanktionenrechts hierzulande zu generieren und weiterzuentwickeln, wobei sowohl Impulse in der Form von (positiven) Anreizen als Ermutigung als auch (negativen) Mahnungen der Rechtsordnungen, die zu dem Topos bereits Regelungen entwickelt haben, inkludiert werden. Bezogen auf die Rechtsvergleichung als „funktionale Rechtsvergleichung“ werden also insbesondere Lösungen für Probleme verglichen, die sich in anderen Rechtsordnungen bereits stellen oder stellten.108 Ebenso können und werden sich hierbei vermutlich auch Stärken des deutschen Rechtssystems/der Rechtsordnung herausstellen, wenn deutlich wird, dass sich bestimmte Probleme beispielsweise nicht in der verschärften Form wie in anderen Rechtsordnungen stellen könnten. Aus diesem Grund wird die Rechtsvergleichung für alle hier relevanten Rechtsordnungen jeweils nach der Beleuchtung der rechtlichen Sitatuation de lege lata in den jeweiligen Abschnitten vorgenommen, erfährt eine kritische Würdigung jedoch erst in einem (jeden Abschnitten anschließenden) (Gesamt-)Fazit der Rechtsvergleichung. In Betracht käme als finales Ziel der Rechtsvergleichung die Rechtsübernahme, ergo einen Vorschlag für sogenanntes „legal transplant“, anzustreben. Durch dieses Institut sollen konkrete Rechtsnormen oder Rechtsinstitute in nationales Recht übernommen werden.109 Abgesehen von der Frage, ob eine solche Rechtsübernahme überhaupt möglich wäre, ist die Beschreitung dieses Weges hin zu einem Vorschlag für ein „legal transplant“ nicht das Ziel dieser Arbeit, da eine solch allumfassende Aufgabe in dem nur beschränkten Umfang nicht bewerkstelligt werden kann, wenngleich eine Übertragung von (Lösungs-)Ansätzen für bestimmte Sachprobleme durchaus denkbar ist.

108 109

Zu dieser Aufgabe der Rechtsvergleichung Kischel, Rechtsvergleichung, S. 6. Grundlegend Kischel, Rechtsvergleichung, S. 63 ff.

1. Kapitel

Grundlagen „Wir sollten daher im Namen der Toleranz das Recht für uns in Anspruch nehmen, die Unduldsamen nicht zu dulden.“ Karl Popper

A. Grundzüge der historischen Entwicklung und aktuelle Diskussion des Verbandssanktionenrechts in Deutschland Der Versuch, ein Verbandssanktionenrecht in Deutschland einzuführen oder, wie sich im weiteren Verlauf des historischen Überblicks zeigen wird, beizubehalten, bereitet hierzulande damals wie heute Kopfzerbrechen, tendenziell Unbehagen und erregt die Gemüter in allen Zeitepochen, wenn auch mitunter variierend je nach politischen Gegebenheiten und Strömungen.1 Der erste Teil der Untersuchung soll daher die historischen Meilensteine des Weges der Verbandssanktionierbarkeit in Deutschland umreißen, um einen kurzen Überblick der Epochen zu den Bestrebungen der historischen Vorläufer rund um die Einführung eines Verbandssanktionenrechts zu geben und insbesondere auch, sofern vorhanden, im Zusammenspiel mit den verfahrensrechtlichen Aspekten, Änderungen und Problemstellungen beleuchten.

I. Die Entwicklung im Mittelalter Herrscht hinsichtlich der Überlieferungen einer Verbandsstrafbarkeit aus dem Römischen Recht Uneinigkeit hinsichtlich der Frage nach der Geltung des Grund-

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Vgl. zur Entwicklung des Bußgeldrechts gegen Verbände in Deutschland insbesondere Dannecker, FS Böttcher, S. 467 ff.; überblicksartig zum Theorienstreit zwischen Friedrich Carl von Savigny und Otto von Gierke über die Rechtspersönlichkeit juristischer Personen Dannecker/Dannecker, NZWiSt 2016, 162 (171); siehe zur Diskussion über Unternehmenssanktionen im rechtspolitischen Kontext Korte, NZWiSt 2018, 393 ff.

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1. Kap.: Grundlagen

satzes „societas delinquere potest“ (der Verband kann bestraft werden2) oder „societas delinquere non potest“ (der Verband kann nicht bestraft werden3) finden sich eindeutigere Hinweise zur Strafbarkeit von Personenvereinigungen in den Schriften des Mittelalters.4 Es wird überliefert, dass Verbände wie Bauernschaften, Marktgenossenschaften, Gilden und Zünfte5 beispielsweise für kartellartige Absprachen mit Geldstrafen bestraft wurden.6 Legitimiert wurden diese Geldstrafen beispielsweise durch die Rechtsvorschriften des Sachsenspiegels, die Stadtrechte und die deutschen Territorialgesetze.7 Diese Auffassung der möglichen Bestrafung eines Kollektivs wurde insbesondere und in ihren maßgeblichen Strömungen durch die Kanonisten manifestiert und vorangebracht. Die Kanonisten trennten dabei die Rechtsfähigkeit der universitas (der Gesamtheit) dergestalt, dass diese nicht identisch zu der Rechtsfähigkeit der singuli (des Einzelnen), welche zusammen die universitas bildeteten, war.8 Diese Trennung war notwendig, damit die Kanonisten die Rechtsfähigkeit der Kirche begründen konnten, da als Träger der Kirche Gott mit seinem Stellvertreter auf Erden angesehen wurde und gerade nicht die kirchliche Gemeinschaft.9 Sie stellten zur Diskussion, ob die universitas exkommunizierbar wäre, wozu zunächst zu klären war, ob eine universitas deliktsfähig sein konnte. Letztendlich erhielten sie für die Exkommunizierung innerhalb der Kanonisten großen Zuspruch, sodass sich im Laufe der Zeit die Deliktsfähigkeit der universitas

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So Engelhart, NZWiSt 2015, 201; so auch Makarewicz, Einführung in die Philosophie des Strafrechts auf entwicklungsgeschichtlicher Grundlage, S. 320 m.w.N., der als Beispiel für eine Kollektivbestrafung der Römer anführt, dass während des zweiten punischen Krieges die Stadt Capua von Rom abgefallen wäre und die Römer ihr als Strafe dafür die städtische Verfassung insgesamt abgenommen hätten. 3 Hirsch, Die Frage der Straffähigkeit von Personenverbänden, S. 6 ff., der dies damit begründet, dass dem Römischen Recht der Korporationsbegriff insgesamt und ebenso die Begrifflichkeit der juristischen Person fremd waren; zu diesen Streitigkeiten vgl. Heinitz, Gutachten, 40 DJT 1953, S. 67, der überblicksartig die vertretenen Positionen darstellt; insgesamt ausführlich zu den historischen Konzepten Schmitt-Leonardy, Unternehmenskriminalität ohne Strafrecht?, S. 342 ff. 4 Vgl. dazu Hafter, Die Delikts- und Straffähigkeit der Personenverbände, S. 6 ff. 5 Siehe dazu Isenmann, Die Deutsche Stadt im Mittelalter, S. 795 ff. 6 Vgl. Kindler, Das Unternehmen als haftender Täter, S. 21 m.w.N.; Makarewicz, Einführung in die Philosophie des Strafrechts auf entwicklungsgeschichtlicher Grundlage, S. 320, der noch näher konkretisierend von der Bestrafung politischer Einheiten spricht, ebenso wie von einer strikten Bestrafung der Städte nicht nur mit Geldstrafen, sondern im Falle des Ungehorsams mit Verhansung und im Falle der Unterstützung des Feindes mit der Strafe der Ächtung und der Friedlosigkeit. 7 Vgl. Authenticae Friedrichs II. 1220: „Item quaecumque communitas“ und „Item nulla communitas“, die Bann- und Geldstrafen gegen Gemeinden vorsahen, abgedruckt bei Hafter, Delikts- und Straffähigkeit der Personenverbände, S. 14 und ebenso bei Busch, Grundfragen der strafrechtlichen Verantwortlichkeit der Verbände, S. 40 f. Fn. 32; Kindler, Das Unternehmen als haftender Täter, S. 21 m.w.N. 8 v. Gierke, Das Deutsche Genossenschaftsrecht, Bd. 3, S. 278. 9 Busch, Grundfragen der strafrechtlichen Verantwortlichkeit der Verbände, S. 40 m.w.N.

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durchsetzte.10 Dieser Zuspruch wurde im weiteren Verlauf des Mittelalters durch die Postglossatoren verbreitet und verstärkt. Demzufolge wird zwar überliefert, dass es derart gelagerte Strafprozesse gegen Städte, Gemeinden und Gilden bis ins 18. Jahrhundert gegeben hat, jedoch lassen sich konkrete Informationen und detaillierte Schilderungen der Strafprozesse oder Urteile dieser Zeit nur vereinzelt ausfindig machen.11 Eine der wenigen überlieferten spezifischen Quellen zu dieser Thematik liefert hier Hafter, der explizit auf die Lösungsansätze hinsichtlich der Wahrnehmung der prozessualen Rechte der Verbände im Mittelalter eingeht.12 Diese sahen die Lösung, anerkanntermaßen in einer ansonsten für die damalige Zeit unzulässigen „defensio per procuratem“, also einer Stellvertretung des Verbandes vor Gericht.13 Hafter geht insbesondere auf die ordonnance criminelle von 1670: tit. XVIII art. 1 – 6 ein, in der dieser Grundsatz vorherrschte und Verbände den Taubstummen vor Gericht gleichgestellt wurden und demzufolge durch „curateurs, syndicsoudéputés“ vertreten wurden, welche der Verband selbst bestimmen durfte und welche im Falle eines unterlassenen Bestimmens durch den Richter bestellt werden konnten.14 Trotz dieser nur kurzen Einblicke in die damaligen Regelungen zu den prozessualen Rechten eines Verbandes im Strafverfahren wird deutlich, seit wie langer Zeit diese grundlegenden Fragen die Menschen beschäftigen und dass sich ein befriedigender Lösungsansatz, der epochenübergreifende Lebenskraft hat, bis jetzt nicht gefunden hat. So sind es eben jene Fragen, die damals wie heute von zentraler Bedeutung für die Durchführung des staatlichen Strafverfahrens gegen einen Verband waren und es noch wären, sodass an dieser Stelle die Erfahrungen der Vergangenheit nicht nur, aber jedenfalls auch Berücksichtigung finden könnten.

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Hirsch, Die Frage der Straffähigkeit von Personenverbänden, S. 7, der insbesondere auf die Gegenauffassung von Papst Innocenz IV. verweist, der auf dem Konzil von Lyon 1245 die Exkommunikationsfähigkeit der „universitas“ mit dem Argument mangelnder Schuldfähigkeit verneinte („nihil potest facere dolo“, „impossible est quod universitas delinquat“), wobei zu beachten ist, dass Papst Innocenz IV. diese Lehre gerade entwickelt haben soll, um eine Exkommunizierung von Körperschaften zu verhindern, vgl. Busch, Grundfragen der strafrechtlichen Verantwortlichkeit der Verbände, S. 40 m.w.N.; vgl. dazu auch Heinitz, Gutachten, 40 DJT 1953, S. 67 (68). 11 Beispielhaft hier von Malblanc, Opuscula ad jus criminal esepctantia (Erlangen 1793), § 6 S. 13 ff.; Hirsch, Die Frage nach der Straffähigkeit von Personenverbänden, S. 7. 12 Hafter, Die Delikts- und Straffähigkeit der Personenverbände, passim. 13 Hafter, Die Delikts- und Straffähigkeit der Personenverbände, S. 156 f.; vgl. zur Vertretung des Verbandes ebenfalls Busch, Grundfragen der strafrechtlichen Verantwortlichkeit der Verbände, S. 217 f. 14 Hafter, Die Delikts- und Straffähigkeit der Personenverbände, S. 157.

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1. Kap.: Grundlagen

II. Die Entwicklung in der Industrialisierung Bei einem ersten Blick auf die Entwicklungen im beginnenden 19. Jahrhundert zeigt sich, dass die Verbandsstrafbarkeit nicht nur rückläufig war, sondern fast gänzlich aus den Strafgesetzbüchern verschwand. Dieser Wendepunkt resultierte primär aus den tatsächlichen Gegebenheiten der damaligen Zeit: Prozesse gegen Körperschaften wurden seltener, da die landesherrliche Gewalt auf dem Vormarsch war und die Notwendigkeit der Verurteilung von Kollektiven nicht mehr gegeben war.15 Eines der letzten Urteile, von dem sich Überlieferungen finden lassen, ist vom 13. 02. 1739, in dem den Gemeinden Grosselfingen und Hausen das Jagdrecht als Strafe dauerhaft aberkannt wurde, da sie sich bei Streitigkeiten über das Jagdrecht vehement gegen die Fürsten von Hohenzollern und Hechingen aufgelehnt hatten.16 Nach diesem enormen Rückgang lassen sich Anfang des 20. Jahrhunderts wieder vermehrt Anhaltspunkte für den Verfahrensgang und die Durchführung des staatlichen Strafanspruchs gegen Personenverbände in der Schrift von Hafter aus dem Jahre 1902 festmachen, die mitunter Eingang in unser geltendes Recht gefunden haben.17 So arbeitete er heraus, dass „die Durchführung des staatlichen Strafanspruchs gegenüber den Verbänden grundsätzlich nicht anders vor sich gehen soll als gegenüber dem einzelnen Menschen. (…) Nur wo die Sondernatur der Verbände hervortritt, muß der Prozeß sich anders gestalten; das ist überall da der Fall, wo hinsichtlich des Angeschuldigten Bestimmungen gelten, die notwendig einen einzelnen Menschen voraussetzen.“18 Abweichend zum Mittelalter wurde hingegen die Frage beantwortet, wie ein angeschuldigter Verband zu vernehmen ist und wie prozessuale Rechte des Verbandes ausgeübt werden können. So wurde der noch im Mittelalter anerkannte Lösungsansatz der Wahrnehmung des Prozesses durch einen vom Verband bestimmten Vertreter im Jahre 1902 als nicht mehr zeitgemäß und insbesondere nicht mehr zu rechtfertigen verworfen. Schließlich wurde darauf rekurriert, dass der Verbandswille sich stets durch Individuen bilde und nach außen trete, mithin in jedem Fall ein Restbestand eines persönlichen Verschuldens bestünde, sodass sich diese verantwortlichen natürlichen Personen auch vor dem Strafrichter als Angeschuldigte verantworten müssten.19 Hierbei wurde der Strafuntersuchung die Aufgabe zuteil, die Schuld des Verbandes als eigene Verbandsschuld („Verschuldung des Ganzen“20) und die Schuld der tätig gewordenen natürlichen Personen gesondert herauszustellen. Dies meint insbesondere, dass: „(…) stets all diejenigen Organe vor den Strafrichter gezogen werden, die persönlich in irgendeiner Weise an der verbre15 Hirsch, Die Frage nach der Straffähigkeit der Personenverbände, S. 7 m.w.N.; Heinitz, Gutachten, 40 DJT 1953, S. 67 (70). 16 Vgl. Heinitz, Gutachten, 40 DJT 1953, S. 67 (70). 17 Hafter, Die Delikts- und Straffähigkeit der Personenverbände, S. 156 ff. 18 Hafter, Die Delikts- und Straffähigkeit der Personenverbände, S. 156. 19 Hafter, Die Delikts- und Straffähigkeit der Personenverbände, S. 157. 20 Hafter, Die Delikts- und Straffähigkeit der Personenverbände, S. 157.

A. Grundzüge der historischen Entwicklung in Deutschland

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cherischen Beschlußfassung oder Handlung beteiligt waren (…). Auf diese Weise muß die Durchführung des staatlichen Strafanspruchs bei einem Verbandsdelikt vor sich gehen; sie ist möglich, ohne daß in den Prozeßgesetzen irgendwelche Änderungen vorgenommen werden müssen, abgesehen von der Aufgabe des Grundsatzes, daß nur gegen Einzelindividuen Strafklage erhoben werden kann.“21 Maßnahmen, die auf der Ebene des Vereins- und Gesellschaftsrechts gegen Verbände erlassen werden konnten, wurden hingegen nur vereinzelt im Wege des Strafprozesses verhängt.22 Neben den bereits erwähnten strafprozessualen Grundsätzen berichtet Hafter, dass ein Strafprozess gegen Verbände nur aufgrund von zwei Gesetzen vorgesehen war. Dies war zum einen mittels des, zum damaligen Zeitpunkt und bei Hafter bereits erwähnten, reichsgesetzlich aufgehobenen bayerischen Genossenschaftsgesetzes möglich, das in seinem Art. 35 ausdrücklich ein strafrechtliches Verfahren gegen Verbände anordnete, in welchem der Staatsanwalt als Ankläger auftreten sollte.23 Zum anderen sah das preußische Vereinsrecht in § 16 der Verordnung vom 11. März 1850 vor, dass die Schließung von politischen Vereinen nur durch eine strafrichterliche Entscheidung zugelassen werden konnte. So heißt es dort: „Die Polizei ist zu vorläufiger Schließung befugt, die binnen 48 Stunden der Staatsanwaltschaft mitzuteilen und von dieser innerhalb 8 Tagen aufzuheben oder der gerichtlichen Entscheidung zu unterbreiten ist.“24 Durch diese Zeilen lassen sich in der Gesamtschau damalige wie heutige Probleme der Sanktionierung von Verbänden erkennen. Die zentralen Gesichtspunkte einzelner Problemkreise sind dabei gleichgeblieben: So stehen die (Ausübung der) Rechte und Pflichten, die ein Verband im Verfahren hat, weiterhin zur Diskussion und innerhalb dessen spielen insbesondere Vertretungsfragen des Verbandes im Verfahren eine überragende Rolle ebenso wie auf materieller Ebene die Willensbildung und mögliche Schuld des Verbandes. Daneben erfolgte ein scheinbar größerer Wurf in Richtung Verbandsstrafbarkeit nicht, wie man auf den ersten Blick aufgrund der vorangehenden Entwicklungen, die 21 Vgl. mit Fallbeispiel Hafter, Die Delikts- und Straffähigkeit der Personenverbände, S. 157 f. 22 Siehe dazu Hafter, Die Delitks- und Straffähigkeit der Personenverbände, S. 158. 23 Hafter, Die Delikts- und Straffähigkeit der Personenverbände, S. 161. 24 Hafter, Die Delikts- und Straffähigkeit der Personenverbände, S. 161 f.; bereits Hafter beschrieb in seiner 1902 verfassten Schrift (S. 162) ein scheinbar immer noch allgegenwärtiges Problem hierzulande in der „(…) Scheu davor, einen verbrecherischen Verband wie einen delinquierenden Einzelmenschen vor den ordentlichen Strafrichter zu stellen.“ So könnte man, die aktuelle Diskussion um die Einführung eines Verbandssanktionenrechts dergestalt auffassen bzw. interpretieren, dass der Wunsch nach der schärferen Sanktionerung von Unternehmen zwar existiert, man jedoch im Grunde gar nicht bestrafen will. So sprachen Dannecker/Dannecker, NZWiSt 2016, 162 (171) in der Vergangenheit (zurückgehend auf Dannecker, GA 2001, 101 (104)): „Wo Unrecht vorliegt und die Unterscheidung zwischen Recht und Unrecht deutlich gemacht und der Blick hierfür geschärft werden soll, sollte auf den Einsatz des Strafrechts nicht verzichtet werden.“

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1. Kap.: Grundlagen

eher auf ein Befürworten des generellen Strafanspruchs gegen Verbände hindeuteten, meinen könnte, im Preußischen Strafgesetzbuch von 1851, sondern in der Reichsabgabenordnung, die ihrerseits nicht nur eine Subsidiärhaftung der Verbände, sondern auch eine Subsidiärstrafe der Verbände vorsah.25 So sah § 357 RAO (später § 393)26 die Option der Geldstrafe gegen juristische Personen oder Personenvereinigungen vor, wenn diese Steuerzuwiderhandlungen begingen und das Verschulden einer natürlichen Person nicht festzustellen war.27 Wörtlich hieß es dazu in § 357 RAO vom 13. 12. 1919:28 „Wenn in Betrieben von juristischen Personen oder Personenvereinigungen Steuerzuwiderhandlungen begangen werden, kann da, wo das Gesetz die Strafe für verwirkt erklärt, ohne daß ein Verschulden einer natürlichen Person festgestellt werden zu braucht, die Geldstrafe gegen die juristische Person oder Personenvereinigung selber erkannt und diese in die Kosten des Strafverfahrens verurteilt werden.“ Aufgrund des nur sehr schmalen Anwendungsbereichs der Vorschrift29 und der Ablehnung einer Verbandsstrafbarkeit innerhalb der Rechtsprechung geriet sie schnell in eine Außenseiterposition, wurde letztlich jedoch erst 1967 ersatzlos

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Vgl. §§ 416 Abs. 1 und Abs. 3, 417 RAO; Hetzer, EuZW 2007, 75 (78) m.w.N.; Kindler, Das Unternehmen als haftender Täter, S. 27. 26 Ebenso war eine Bestrafung im Devisenstrafrecht, § 39 VO über die Devisenbewirtschaftung von 1932 und in § 74 DevisenbewirtschaftungsG von 1938 sowie in § 17 KartellVO von 1923 vorgesehen, vgl. dazu Tiedemann, NJW 1988, 1169 (1170). 27 Diese Vorschrift behielt jedoch eher theoretische als praktische Anwendung bei den Strafverfolgungsbehörden und auch das Reichsgericht befasste sich in 20 Jahren lediglich dreimal mit dieser Vorschrift. Näher dazu Kindler, Das Unternehmen als Straftäter, S. 28 m.w.N. Bereits durch diese Beispiele wird deutlich, dass zur damaligen Zeit zweierlei Ziele mit einer Sanktionierung von Unternehmen verfolgt wurden: Zum einen die Möglichkeit der Verhängung einer echten Kriminalstrafe und zum anderen die Verhängung von Ordnungsstrafen, welche schon damals im Fokus der Strafverfolgungsbehörden standen, vgl. dazu Tiedemann, NJW 1988, 1169 (1170). 28 Vgl. § 357 (später § 393) der Reichsabgabenordnung v. 13. 12. 1919, RGBl. 1993; dazu eingehend Heinitz, Gutachten, 40 DJT 1953, S. 67 (73 f.), der darauf hinweist, dass § 357 RAO bei Ordnungswidrigkeiten (§ 377 Abgabenordnung, § 12 des Schaumwein-Steuergesetzes vom 31. 03. 1926 (RGBl. I S. 188) und die Vermutungstatbestände der Zoll- und Verbrauchergesetze in Betracht kommen können, da § 357 RAO dort keine Anwendung findet, wo ein Verschulden des Täters zum gesetzlichen Tatbestand gehört, vgl. dazu auch die Begründung des Entwurfs zu § 355 (Verhandlungen der Verfassungsgebenden deutschen Nationalversammlung, Anlage zu den stenographischen Berichten, Bd. 3, 38, S. 759), abgedruckt bei Heinitz, Gutachten, 40 DJT 1953, S. 67 (74). 29 Der geringfügige Anwendungsbereich der Vorschrift resultierte daraus, dass entschieden worden war, dass die juristischen Personen und ihre Vertreter nicht zusammen bestraft werden können, sondern dass die Strafklage durch Ausübung gegen die schuldige natürliche Person erlosch und sich die Strafverfolgung daher meistens gegen die natürlichen Personen richtete. Darüber hinaus entfiel durch die Streichung des § 396 Abs. 5 die Verurteilung wegen Steuerhinterziehung, sodass als Anwendungsbereich nur noch die Einziehung nach § 414 RAO und die Haftbarkeit nach § 416 RAO blieben. So Heinitz, Gutachten, 40 DJT 1953, S. 67 (74) m.w.N.

A. Grundzüge der historischen Entwicklung in Deutschland

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aufgehoben.30 Während ihrer Gültigkeit kam § 357 RAO insgesamt nur dreimal zur Anwendung.31 Interessant und unter verfahrensrechtlichen Aspekten beachtenswert scheinen jedenfalls zwei der insgesamt drei ergangenen Urteile dennoch, da sie schon zu damaliger Zeit in strafprozessualer Hinsicht grundlegende Fragen aufwarfen. So ergaben sich, wenn auch simpler, bereits in RGSt 60, 75 ff. Vertretungsprobleme und -fragen der Gesellschaft im Strafverfahren sowie die Feststellung, dass die Kommanditgesellschaft selbst angeklagt sei, nicht aber die Person jedes einzelnen Gesellschafters, jeder Gesellschafter aber sehr wohl berechtigt ist, die Gesellschaft im Verfahren zu vertreten.32 An dieser Stelle wird deutlich, dass sich die Menschen in Deutschland damals wie heute intensiv mit dem Gedanken auseinandersetzen, das Kollektiv selbst für begangenes Unrecht zu bestrafen33 und versuchen, diese Gedanken auf das Strafprozessrecht zu übertragen bzw. auf eine angemessene Art und Weise, beispielsweise hinsichtlich der Frage der Vertretung, in das Gefüge des Strafprozessrechts zu integrieren. Weitere, gegenwärtig viel diskutierte Problemstellungen finden sich darüber hinaus auch in RGSt 61, 92 (96 f.) wieder, wenn es heißt: „Berücksichtigt man noch, daß in den Fällen des § 357 RAbgO. [RAO] es nach § 443 Abs. 2 RAbgO. sowie nunmehr auch nach § 153 StBD n.F. in Verb. mit § 358 RAbgO. durchweg im pflichtgemäßen Ermessen der für die Verfolgung der Steuerzuwiderhandlungen zuständigen Behörden liegt, ob und inwieweit (insbesondere auch gegen welche als Beschuldigte in Betracht kommende Personen) das Steuerstrafverfahren eingeleitet und durchgeführt werden soll, so führt die hier vertretene, dem Wortlaut des Gesetzes allein entsprechende Auslegung des § 357 zu einer durchaus befriedigenden, zur Vermeidung aller in der Gesetzesbegründung hervorgehobenen Unbilligkeiten geeigneten Lösung.“ Zur Auslegung des Gesetzeswortlautes heißt es weiter: „Liegen die Voraussetzungen des § 357 vor, so kann zwar die juristische Person selber als Täter behandelt und – namentlich wenn die Verfolgung einer strafrechtlich verantwortlichen natürlichen Person auf Ermittlungsschwierigkeiten stößt oder als unbillig erscheint – allein zur Verantwortung gezogen werden; die strafrechtliche Verantwortlichkeit und Verfolgbarkeit der für die juristische Person handelnden Vertreter und Angestellten wird jedoch, soweit sie überhaupt vorliegt, hierdurch weder ausgeschlossen noch eingeschränkt; insbesondere bewendet es, wenn diese verurteilt werden, bei der in §§ 381, 382 RAbgO. vorgesehenen Strafbarkeit der juristischen Person (des „Vertretenen“) für die Geldstrafe und die Kosten.“34 30 Die formelle Aufhebung erfolgte durch das 1. AO StrafÄndG v. 10. 08. 1967; gegenwärtig finden insbesondere die Regelungen des § 30 OWiG (Verbandsgeldbuße) und § 73 ff. StGB Anwendung, wenn es um steuerstrafrechtliche Sachverhalte von juristischen Personen geht, vgl. Hirsch, ZStW 1995 (107), 285 (306). 31 RG v. 11. 02. 1926 – II 47/26, RGSt 60, 75; RG v. 16. 12. 1926 – II 591/26, RGSt 61, 92; RG v. 11. 07. 1932 –RGSt 66, 346. 32 RG v. 11. 02. 1926 – II 47/26, RGSt 60, 75 (76). 33 So schon RG v. 16. 12. 1926 – II 591/26, RGSt 61, 92. 34 RG v. 16. 12. 1926 – II 591/26, RGSt 61, 92 (97).

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1. Kap.: Grundlagen

Aus dem Wortlaut des Gesetzes (§ 443 Abs. 1 und 2 RAO und § 153 StGB n.F. in Verbindung mit § 385 RAO) wird deutlich, dass in den Fällen des § 357 RAO schon zu dieser Zeit das Opportunitätsprinzip für die zuständigen Behörden galt, welche bei Wirtschafts- und insbesondere bei Steuerzuwiderhandlungen ein Ermessen hatten, ob und inwieweit (insbesondere auch gegen welche Personen, die als Beschuldigte in Betracht kamen) das Verfahren eingeleitet und durchgeführt wurde.35 Aktuell findet sich dieses Prinzip niedergelegt durch unser geltendes Ordnungswidrigkeitenrecht in § 47 OWiG wieder. Man wird sich allerdings hinsichtlich des Opportunitätsprinzips bei einem Verbandssanktionenrecht de lege ferenda mit den Gedanken des rechtlichen Umbruchs befassen müssen, sodass fraglich und daher zu diskutieren ist, ob es beibehalten werden sollte oder ob sich die Einführung des Legalitätsprinzips für die Zukunft nicht nur anbietet, sondern eventuell sogar mit der Einführung eines eigenständigen Verbandssanktionenrechts unerlässlich wird. An diesem Punkt ist der Finger noch tiefer in die Wunde zu legen, da sich das Reichsgericht im weiteren Verlauf der Entscheidung mit weiteren potentiellen verfahrensrechtlichen Schwierigkeiten auseinandersetzte, die sich, so der Wortlaut der Entscheidung, bei einer anderen Auslegung des § 357 RAO ergeben hätten.36 So wird davon gesprochen: „Zu welchen verfahrensrechtlichen Schwierigkeiten es führen würde, wenn man den § 357 RAbgO. im anderen Sinne auslegen wollte, läßt der vorliegende Fall ohne weiteres erkennen, in dem die Anklage gegen die beiden Geschäftsführer der G.m.b.H. wegen vorsätzlicher Monopolhinterziehung (§ 119 BranntwMonG.) erhoben war, so daß eine Täterschaft der G.m.b.H. nach § 357 RAbgO. zunächst gar nicht in Betracht kam. Nach der hier abgelehnten Auslegung des § 357 hätten die Geschäftsführer mangels Beweises des Steuerhinterziehungsvorsatzes freigesprochen werden müssen; das würde hinwieder die G.m.b.H. in dem etwa alsdann gegen sie selber angestrengten Strafverfahren nicht gehindert haben, durch den Nachweis oder die Glaubhaftmachung einer von ihren rechtskräftig freigesprochenen Geschäftsführern gleichwohl begangenen vorsätzlichen Hinterziehung die Unzulässigkeit des Verfahrens gegen sie selbst zu begründen und dessen Einstellung zu erwirken.“37 Diese Schwierigkeiten mit § 357 RAO, die sich sodann nach dieser Auslegung ergeben hätten, finden ihren Widerhall in der Debatte von Verbindung und Trennung der Verfahren gegen die natürliche und juristische Person, wenn es um die Verhängung einer Verbandsgeldbuße geht. So ist für diese nach § 30 OWiG grundsätzlich ein einheitliches Verfahren vorgesehen. Eine Ausnahme hiervon findet sich lediglich für die Fälle des § 30 Abs. 4, S. 1 OWiG, auf welche § 444 Abs. 3 StPO Anwendung findet.

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Mrozek, Kommentar zur RAO, § 443 Anm. 1 und 2. RG v. 16. 12. 1926 – II 591/26, RGSt 61, 92 (97). RG v. 16. 12. 1926 – II 591/26, RGSt 61, 92 (97).

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III. Das Verbandsstrafrecht nach dem 2. Weltkrieg Geprägt vom angloamerikanischen Rechtsgedanken, der ein Verbandsstrafrecht schon seit Beginn des 20. Jahrhunderts in das Rechtssystem integriert hatte, existierten im Besatzungsrecht nach dem 2. Weltkrieg Kriminalstrafen gegen Unternehmen.38 Auch in dieser Zeit gab es bereits insbesondere angesichts des Schuldprinzips und gegenüber dem potenziell aufoktroyierten Recht der Besatzungsmächte Bedenken, Kritik und heftige Diskussionen um die Verbandsstrafen. Die Verbandsverantwortlichkeit wurde dennoch durch zwei Grundsatzentscheidungen des BGH, in denen er sich ausdrücklich für eine strafrechtliche Verantwortlichkeit von Unternehmen entschied, bestätigt.39 In den anschließenden Jahren zeichnete sich nichtsdestotrotz eine Gegenbewegung ab, die sich gegen ein Verbandsstrafrecht mit altbekannten, dadurch nicht weniger gewichtigen Argumenten positionierte, wie der Unvereinbarkeit des Verbandsstrafrechts mit dem Schuldprinzip, dem Gedanken, eine Geldbuße würde das Unrecht, das ein Unternehmen begeht, in vollem Umfang abgelten und einem Verstoß gegen das ne bis in idem Prinzip für den Fall, dass ein Organ des Verbandes und ein Verband wegen derselben natürlichen Handlung verurteilt wurden.40 Dieser ablehnenden Auffassung trat auch der Deutsche Juristentag 1953 in Hamburg41 bei und entwickelte eine Lösung zur Befriedigung des kriminalpolitischen Bedürfnisses nach der Sanktionierung von Verbänden durch die Anwendung von Maßregeln, die durch den Strafrichter im selben Verfahren wie gegen das Organ des Verbandes verhängt werden sollten, wobei die Differenzierung zwischen echten Straftaten und bloßen Ordnungswidrigkeiten schon 1949 im Gesetz zur Vereinfachung des Wirtschaftsstrafrechts (WiStG) ihre Anfänge hatte.42

IV. Das Verbandsstrafrecht in den 1960er – 1990er Jahren In den 1960er Jahren folgte eine weitere angeregte Debatte zur Verbandsstrafbarkeit, deren Resultat sich in der Kompromissvorschrift des § 26 OWiG widerspiegelte, der als eine erweiterte Verbandsgeldbuße individualstrafrechtlich eingebunden wurde, indem die Verbandsgeldbuße zur Nebenfolge herabgestuft wurde.43 38 Vgl. Militärregierungsgesetze Nr. 53 und 56; Hetzer, EuZW 2007, 75 (78), im Bereich des Devisen- und Kartellrechts. 39 BGH v. 27. 10. 1953 – 5 StR 723/52, BGHSt 5, 28 = NJW 1953, 1838 (Berliner Stahlprozess) und BGH DDevR 1954, 10. 40 Tiedemann, NJW 1988, 1169 (1170) m.w.N. 41 Siehe Engisch, in: Verhandlungen des 40. Deutschen Juristentages, Bd. II (Sitzungsberichte), 1953 Gutachten E. 42 Tiedemann, NJW 1988, 1169 (1170) m.w.N. 43 Vgl. auch zu den Folgediskussionen der Reichweite des § 30 OWiG Schmitt, FS Lange, S. 877 f.; sowie 1979 Schünemann, Unternehmenskriminalität und Strafrecht, S. 61 ff.

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1. Kap.: Grundlagen

Diese Lösung basierte nicht zuletzt auf prozessrechtlichen Überlegungen, die sich auch in unserem heutigen Recht, in der Verbindung der Verfahren, noch wiederfinden: Die Verbandsgeldbuße soll(te) nicht in einem eigenständigen (Bußgeld-) Verfahren, sondern in demselben Verfahren gegen die handelnde natürliche Person und die juristische Person verhängt werden. Schon gemäß dem damaligen § 88 Abs. 3 OWiG wurden juristische Personen prozessual wie Einziehungsbeteiligte behandelt. Durch diese Regelungen sollten insbesondere die Einwände des Verstoßes gegen den ne bis in idem Grundsatz entkräftet werden, da Tatsache und Höhe der Strafe der natürlichen Person bei der Auferlegung eines Bußgeldes gegen die juristische Person berücksichtigt wurden (und noch werden) und dies auch vice versa, bei der Strafe für die natürliche Person, anwendbar war (ist).44 Beispielhaft für die Probleme der Justiz, nicht nur Kriminalität in einem Unternehmen zu erfassen, sondern insbesondere in einem Strafverfahren angemessen zu verarbeiten und zu verfolgen, steht der Contergan-Fall45 als seinerzeit (in den 1960er–1990er Jahren) größtes Verfahren im Wirtschaftsstrafrecht46 nach dem Zweiten Weltkrieg.47 Das Verfahren wurde in letzter Konsequenz nach mehreren Jahren mit der Begründung eingestellt, dass die Hauptverhandlung noch über längere Zeit hätte fortgesetzt werden müssen, um zu einem Ergebnis, wie der Feststellung der Schuld der Angeklagten oder einem Freispruch, zu kommen.48 Bereits der Contergan-Fall spiegelt ein typisches Charakteristikum der Wirtschaftsstrafverfahren wider, die bei einem zu schaffenden Verbandssanktionenrecht nicht außer Acht gelassen werden sollten: eine enorm lange Verfahrensdauer, die erhebliche Ressourcen der Strafverfolgungsbehörden bindet und ein unergiebiger Ausgang, in diesem Fall die Einstellung des Verfahrens. Wesentliche prozessuale Neuerungen folgten 1986 mit dem 2. Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität (2. WikG), durch das die gesetzlichen Re-

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Tiedemann, NJW 1988, 1169 (1170 f.) m.w.N.; L/R-StPO/Gössel StPO § 444 Rn. 7. In den Jahren 1957 bis 1961 nahmen ca. 10.000 schwangere Frauen das Medikament Contergan gegen die morgendliche Übelkeit in der Schwangerschaft ein, welches als harmlos galt. Durch die Einnahme kam es aufgrund des Wirkstoffs Thalidomid bei den Embryos zu Fehlbildungen, wie zum Beispiel verstümmelten Armen und Beinen. Vgl. zum Sachverhalt http://www.spiegel.de/wissenschaft/medizin/missbildungen-wieso-contergan-so-verheerendwirkte-a-682757.html zuletzt abgerufen am 09. 11. 2020. 46 Siehe zu aktuelleren Entwicklungen im Wirtschaftsstrafrecht in der Praxis Klose, NZWiSt 2017, 1 ff. 47 LG Aachen v. 18. 12. 1970 – 4KMs 1/68, 15 115/67, JZ 1971, 507; dazu auch Taschke, in: Jahn/Schmitt-Leonardy/Schoop (Hrsg.), Das Unternehmensstrafrecht und seine Alternativen, S. 41 (42). 48 LG Aachen v. 18. 12. 1970 – 4KMs 1/68, 15 115/67, JZ 1971, 507 (517); Taschke, in: Jahn/Schmitt-Leonardy/Schoop (Hrsg.), Das Unternehmensstrafrecht und seine Alternativen, S. 41 (42). 45

A. Grundzüge der historischen Entwicklung in Deutschland

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gelungen über die Verbandsgeldbuße neugefasst wurden.49 Grundlegende Änderungen bestanden in der Anhebung des Bußgeldrahmens, dem Wegfall der Bezeichnung der Verbandsgeldbuße als Nebenfolge sowie, und das stellt vermutlich das gravierendste Novum dar, in der Erweiterung der Möglichkeit nach § 30 Abs. 4 OWiG n.F., ein selbstständiges Verfahren gegen den Verband zu führen. Dies ist gegenwärtig immer noch die Ausnahmeregelung zum verbundenen Verfahren. Damit kann die Geldbuße bis dato unter den dort genannten Prämissen selbstständig gegen ein Unternehmen festgesetzt werden.50 In den Folgejahren der 1990er erfuhr § 30 OWiG weitere Änderungen, von denen sich versprochen wurde, die steigende Tendenz der Wirtschaftskriminalität aufhalten und eindämmen zu können, wie zum Beispiel durch die Reform des Umweltstrafrechts und die neuen Errungenschaften des Korruptionsbekämpfungsgesetz von 199751 sowie durch das Gesetz zur Ausführung des Zweiten Protokolls52 vom 19. 06. 1997 zum Übereinkommen über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften.

V. Die gescheiterte Reform des strafrechtlichen Sanktionensystems im Jahre 2000 Erfolglos, sowohl in prozessrechtlicher als auch in materiell-rechtlicher Hinsicht, blieben im Übrigen die Beratungen und die Empfehlung der Kommission zur Reform des strafrechtlichen Sanktionensystems vom März 2000, die sich mit der Einführung einer Verbandsstrafbarkeit in Deutschland bei ihren Beratungen, durch die Schaffung einer (Unter-)Arbeitsgruppe, intensiv auseinandersetzte.53 Das Thema „Unternehmensstrafbarkeit“ wurde von der (Unter-)Arbeitsgruppe in drei Schritten behandelt: 1. Gesetzgeberischer Handlungsbedarf auf strafrechtlichem Gebiet, 2. Mögliche strafrechtliche Sanktionsmodelle und 3. Mögliche Sanktionen.54 Bereits der erste Punkt wurde kontrovers diskutiert: Ein Konsens bestand im Ergebnis ausschließlich darüber, dass es kein zwingendes Erfordernis oder international oktroyiert war, eine Verbandsstrafbarkeit in Deutschland zu schaffen und das eine derartige Unterneh49 Zweites Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität (2. WikG) v. 15. 05. 1986, BGBl. I. 721 (724); siehe zur Bebußung von Unternehmen nach dem 2. WikG Tiedemann, NJW 1988, 1169 ff. 50 Tiedemann, NJW 1988, 1169 (1171). 51 Korruptionsbekämpfungsgesetz v. 13. 08. 1997, BGBl. I, 2038. 52 Vgl. Gesetz zur Ausführung des Zweiten Protokolls v. 19. 06. 1997 zum Übereinkommen über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften, BGBl. I, 3387; Hetzer, EuZW 2007, 75 (79) m.w.N. 53 Siehe dazu den Auszug aus dem Abschlussbericht der Kommission: Einführung einer Verbandsstrafe, in: Hettinger (Hrsg.), Reform des Sanktionenrechts, S. 351 ff. 54 Auszug aus dem Abschlussbericht der Kommission: Einführung einer Verbandsstrafe, in: Hettinger (Hrsg.), Reform des Sanktionenrechts, S. 351.

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1. Kap.: Grundlagen

mensstrafbarkeit in Deutschland zu komplexen Problemen führen würde, die verfassungsrechtlicher, strafrechtlicher und strafprozessrechtlicher Natur wären.55 Im Ergebnis lehnte die Kommission die Einführung einer Unternehmenssanktionierung im Bereich des klassischen Kriminalstrafrechts ab.56 Sie führte dazu mehrseitige Argumente an,57 von denen die meisten jedoch (mittlerweile) auf tönernden Füßen stehen werden: So wird unter anderem argumentiert, dass keine Sanktionslücken bestünden und das geltende Recht als Sanktionsinstrumentarium ausreichen würde. Neben diesen Argumenten beruhte die Ablehnung auf dem Standpunkt, dass das ohnehin überlastete Strafrecht durch eine Verbandsstrafbarkeit weiter überlastet würde und ein neues Straf- und Strafprozessrecht geschaffen werden müsste. Das Argument der Überforderung trifft unzweifelhaft zu, verlangt doch die Vielschichtigkeit und Komplexität rechtlicher Fragen im Unternehmenszusammenhang eine besondere Bedeutung. Es ist aber nicht geeignet, gegen die Einführung einer Verbandsstrafbarkeit ins Feld geführt zu werden, da es sich lediglich um eine (wertneutrale) Feststellung handelt und darüber hinaus Kapazitäten geschaffen werden könnten. Daneben ist nicht von der Hand zu weisen, dass das Strafrecht sich bereits an (oder mittlerweile schon über) den Grenzen seiner Kapazität (hinaus) befindet. Das ist jedoch ein Problem auf tatsächlicher und gerade nicht auf der Rechtssetzungsebene, welches sich aus diesem Grunde auch nicht auf letztere auswirken und sie maßgeblich beeinflussen sollte, da es in vielen Fällen gerade eine der tatsächlichen Ebenen ist, die die Erforderlichkeit einer neuen gesetzlichen Regelung aufzeigt. Auch die Begründung der Kommission „das Strafrecht kann – wenn überhaupt – nicht dort wirken, wo ein Unternehmen von vorne Herein auf kriminelles Handeln angelegt ist. Da ein solches Unternehmen nach der Tat verschwindet, muß man hier auf jeden Fall auf die Individualtäter, die dahinterstehen, zurückgreifen“58 kann im Ergebnis nicht überzeugen, denn wo das Strafrecht gebraucht wird, kann es auch wirken, sofern der Gesetzgeber dies nur will und durch dementsprechende Regelungen umsetzt. Neben diesen Gründen wurde weiterhin angeführt, dass es nicht Aufgabe der Strafjustiz wäre, gesellschaftliche Entwicklungen zu steuern.59 Das 55

Auszug aus dem Abschlussbericht der Kommission: Einführung einer Verbandsstrafe, in: Hettinger (Hrsg.), Reform des Sanktionenrechts, S. 351 (352); vgl. auch Hetzer, EuZW 2007, 75 (79) m.w.N. 56 Auszug aus dem Abschlussbericht der Kommission: Einführung einer Verbandsstrafe, in: Hettinger (Hrsg.), Reform des Sanktionenrechts, S. 351 (355). 57 Siehe zu den Argumenten der Kommission insgesamt Auszug aus dem Abschlussbericht der Kommission: Einführung einer Verbandsstrafe, in: Hettinger (Hrsg.), Reform des Sanktionenrechts, S. 351 (354 f.). 58 Auszug aus dem Abschlussbericht der Kommission: Einführung einer Verbandsstrafe, in: Hettinger (Hrsg.), Reform des Sanktionenrechts, S. 351 (354). 59 Auszug aus dem Abschlussbericht der Kommission: Einführung einer Verbandsstrafe, in: Hettinger (Hrsg.), Reform des Sanktionenrechts, S. 351 (354).

A. Grundzüge der historischen Entwicklung in Deutschland

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Argument vermag höchstens teilweise zu überzeugen, denn in gewisser Weise wird gerade die Strafjustiz auch gesellschaftspolitisch tätig, indem sie für die Allgemeinheit nicht zu duldende Verhaltensweisen sanktioniert. Auch die folgende Begründung überzeugt deshalb im Ergebnis nicht, da wiederum ein Problem der tatsächlichen Ebene auf die Rechtssetzungsebene verschoben wurde. Insgesamt mögen diese Argumente den Entschluss zwar begründen. Im Ergebnis wirken sie insbesondere in Anbetracht der heutigen Zeit jedoch nicht (mehr) überzeugend. Abschließend sei erwähnt, dass weitergehende Resultate und rechtlich-innovative Konsequenzen infolge dieser ablehnenden Haltung ausblieben.60

VI. Überblick über den aktuellen Diskussionsstand zur Einführung einer Verbandssanktionierbarkeit nach deutschem Recht Wie bereits geschildert, ist das Schrifttum der Vergangenheit von vielfältigen Diskussionen zur Einführung einer Verbandsstrafbarkeit geprägt und sowohl in der Gegenwart als auch für die Zukunft ist ein Verstummen dieser Stimmen in völlig friedlichem Einvernehmen nur schwer vorstellbar.61 Aufgrund dieser zeitlich überdauernden Brisanz erscheint ein Überblick über den gegenwärtigen Meinungsstand und die Kritikpunkte in ihren Grundzügen lohnenswert. Der Meinungsstand wird aktuell maßgeblich von unterschiedlichen Entwürfen zu der Einführung eines Verbandssanktionenrechts in Deutschland geprägt, wie dem (mittlerweile in den Hintergrund gerückten) Gesetzesantrag des Landes NordrheinWestfalen,62 auch bekannt als „Kutschaty-Entwurf“ (nachfolgend bezeichnet als „VerbStrGE“ oder NRW-Entwurf), dem „Kölner Entwurf“,63 den „Frankfurter Thesen“,64 dem „Münchner Entwurf“65 sowie brandaktuell: dem Regierungsentwurf zum VerSanG66 als auch und durch den letzten Koalitionsvertrag aus dem Jahre 2018, der besagt: „Wir bekämpfen konsequent Wirtschaftskriminalität (…): Neues 60

Detailliert zu den Positionen der Befürworter und Gegner Auszug aus dem Abschlussbericht der Kommission: Einführung einer Verbandsstrafe, in: Hettinger (Hrsg.), Reform des Sanktionenrechts, S. 351 ff. 61 Überblicksartig bei BeckOK OWiG/Meyberg, OWiG § 30 Rn. 1 ff. 62 Vgl. Gesetzesantrag des Landes Nordrhein-Westfalen: Entwurf eines Gesetzes zur Einführung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit von Unternehmen und sonstigen Verbänden: https://www.justiz.nrw.de/JM/justizpolitik/jumiko/beschluesse/2013/herbstkonferenz13/ zw3/TOP_II_5_Gesetzentwurf.pdf (30. 04. 2015). 63 Kölner Entwurf eines Verbandssanktionengesetzes Henssler/Hoven/Kubiciel/Weigend, NZWiSt 2018, 1 passim. 64 Jahn/Schmitt-Leonardy/Schoop, wistra 2018, 27 passim. 65 Saliger/Tsambikakis/Mückenberger/Huber (Hrsg.), Münchner Entwurf, passim. 66 Abrufbar unter https://www.bmjv.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/ RegE_Staerkung_Integritaet_Wirtschaft.pdf?__blob=publicationFile&v=2 zuletzt abgerufen am 09. 11. 2020.

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1. Kap.: Grundlagen

Sanktionenrecht für Unternehmen.“67 Unter dem Stichwort „Unternehmenssanktionen“ wird er sogar noch spezifischer: „Wir wollen sicherstellen, dass Wirtschaftskriminaliät wirksam verfolgt und angemessen geahndet wird. Deshalb regeln wir das Sanktionsrecht für Unternehmen neu. Wir werden sicherstellen, dass bei Wirtschaftskriminalität grundsätzlich auch die von Fehlverhalten von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern profitierenden Unternehmen stärker sanktioniert werden. Bislang liegt es im Ermessen der zuständigen Behörde, ob auch das betreffende Unternehmen verfolgt wird. Durch die Abkehr vom Opportunitätsprinzip des bislang einschlägigen Ordnungswidrigkeitenrechts sorgen wir für eine bundesweit einheitliche Rechtsanwendung. Durch klare Verfahrensregelungen erhöhen wir zudem die Rechtssicherheit der betroffenen Unternehmen. Zugleich werden wir spezifische Regelungen über Verfahrenseinstellungen schaffen, um der Justizpraxis die notwendige Flexibilität in der Verfolgung einzuräumen. Wir werden das Sanktionsinstrumentarium erweitern: Die geltende Bußgeldobergrenze von bis zu zehn Millionen Euro ist für kleinere Unternehmen zu hoch und für große Konzerne zu niedrig (…). Zudem schaffen wir weitere Sanktionsinstrumente. Weiterhin schaffen wir konkrete und nachvollziehbare Zumessungsregeln für Unternehmensgeldsanktionen. Die Sanktionen sollen auf geeignetem Weg öffentlich bekannt gemacht werden.“68 Insgesamt lodert das Feuer der Einführung eines Verbandssanktionenrechts somit (in unserer globalisierten Welt vermutlich stärker als je zuvor) wieder auf, neue als auch alte Positionen und Grundhaltungen werden (wieder) entfacht und Befürworter und Kritiker werden gleichermaßen auf den Plan gerufen.69 Zentrale grundlegende Kritikpunkte, die dem Meinungsbild bisher seine Form geben, sind auf der materiellen Seite zum einen auftretende Fragen und scheinbare Friktionen der Lösungsansätze rund um die Handlungs- und Schuldfähigkeit,70 die 67

Vgl. Koalititionsvertrag 2018, S. 17, abrufbar unter https://www.cdu.de/system/tdf/me dia/dokumente/koalitionsvertrag_2018.pdf?file=1 zuletzt abgerufen am 09. 11. 2020; hierzu im Zusammenhang Ballo/Reischl, CB 2018, 189. 68 Vgl. Koalititionsvertrag 2018, S. 126, abrufbar unter https://www.cdu.de/system/tdf/me dia/dokumente/koalitionsvertrag_2018.pdf?file=1 zuletzt abgerufen am 09. 11. 2020; vgl. dazu auch Ballo/Reischl, CB 2018, 189; dazu auch Korte, NZWiSt 2018, 393 (398). 69 Zu ausgewählten Folgeproblemen des NRW-Entwurfs, vgl. Mitsch, NZWiSt 2014, 1; zu allgemeinen Problemen der Unternehmensstrafe als Bekämpfung von Wirtschaftsstraftaten vgl. Jäger, FS Imme Roxin, S. 43; insgesamt zum NRW-Entwurf auch Rübenstahl/Tsambikakis, ZWH 2014, 8 ff.; Witte/Wagner, BB 2014, 643 ff.; Zieschang, GA 2014, 91 ff. 70 Während in Deutschland die Diskussion rund um die mögliche Schuld eines Unternehmens mittlerweile ein Evergreen ist, äußerte sich der US-Supreme Court bereits 1909 eindeutig dazu: „If, for example, the invisible, intangible essence or air which we term a corporation can level mountains, fill up valleys, law down irontracks, and run railroad cars on them, it can intend to do it, and can act therein as well viciously and virtously.“ US-Supreme Court, New York Central R. Co. v. United States, 212 U.S. 481 (1909), auch abgedruckt bei Kubiciel, NZWiSt 2016, 178 (179 f.); vgl. zur Schuld und Identität in kollektiven Organisationen auch Cigüela Sola, GA 2016, 625 ff., der vertritt, dass die Verantwortung einer Organisation für ihre eigenen Fehler auf der organisatorischen Ebene nicht in den Bereich der Schuld

B. Verwendung der Begriffe

63

Frage nach den Strafzwecken und der Straffähigkeit von Verbänden, und zum anderen die Vereinbarkeit mit den Grundprinzipien des deutschen Strafrechts, insbesondere mit dem Bestimmtheitsgebot nach Art. 103 Abs. 2 GG auf verschiedenen Ebenen, dem Doppelbestrafungsverbot gemäß Art. 103 Abs. 3 GG sowie der Verhältnismäßigkeit der Sanktionen. In der eher jüngeren Vergangenheit rückte ein Entwurf vermehrt in den Fokus: der „Kölner Entwurf eines Verbandssanktionengesetzes“.71 Auf der prozessualen Seite wollte dieser Entwurf insbesondere Konflikte hinsichtlich der Vertretungs- und Verteidigungsregelungen, der Geltung des Legalitäts- oder Opportunitätsprinzips und der Geltung des nemo tenetur se ipsum accusare Grundsatzes für Verbände lösen. Darüber hinaus wurde von den Verfassern eine rechtliche Regelung der Internal Investigations angestrebt sowie insgesamt eine stark präventive Ausrichtung präferiert.72 Mittlerweile wurde der Regierungsentwurf des VerSanG veröffentlicht, welcher voraussichtlich in naher Zukunft in Gesetzesform gegossen wird und daher von höchster Brisanz ist.73 Es bleibt dabei abzuwarten, in welche Richtung der Wind in dieser Hinsicht für eine Klärung der Frage, ob und wie in Deutschland ein Verbandssanktionenrecht eingeführt wird, günstig steht und somit „last but not least“ wehen wird.74 Es dürfte aber jedenfalls feststehen, dass sich schon in nicht allzu ferner Zukunft etwas bewegen wird.

B. Begriff des Unternehmens, des Verbandes, der juristischen Person oder der Personenvereinigung und der Sanktion – eine interdisziplinäre Betrachtung Zunächst liegt es nahe, die häufig im Zusammenhang mit dem Verbandssanktionenrecht auftretenden wesentlichen Begrifflichkeiten zu bestimmen und interiintegriert werden könne, weil sie ein kollektives Meta-Subjekt seie und gerade nicht die Voraussetzungen der Identität aufweise, die erforderlich seien, um gegenüber einer Strafrechtsnorm als Person hervortreten zu können. 71 Kölner Entwurf eines Verbandssanktionengesetzes Henssler/Hoven/Kubiciel/Weigend, NZWiSt 2018, 1 passim. 72 Kölner Entwurf eines Verbandssanktionengesetzes Henssler/Hoven/Kubiciel/Weigend, NZWiSt 2018, 1 passim. 73 Nach Abschluss der redaktionellen Bearbeitung ist dieser Entwurf in der BT-Drs. 19/ 23568, abrufbar unter http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/19/235/1923568.pdf zuletzt abgerufen am 27. 11. 2020, veröffentlicht worden (Zuleitung an den Bundestag). Der Entwurfstext ist dabei identisch mit dem Regierungsentwurf vom 16.06.20, abrufbar unter https://www.bmjv.de/ SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/RegE_Staerkung_Integritaet_Wirtschaft. pdf?__blob=publicationFile&v=2 zuletzt abgerufen am 27. 11. 2020. Die Entwurfsbegründung wird daher nach der Veröffentlichung vom 16.06.20 zitiert. 74 Vgl. zur kriminalpolitischen Situation in Deutschland: Jahn, in: Jahn/Schmitt-Leonardy/ Schoop (Hrsg.), Das Unternehmensstrafrecht und seine Alternativen, S. 53 ff.

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1. Kap.: Grundlagen

mistisch zu konturieren. Zu jenen zählen der Begriff des Unternehmens,75 des Verbandes und der juristischen Person oder Personenvereinigung.76 Das gilt umso mehr, da die Begrifflichkeiten sowohl in der Vergangenheit als auch in der Gegenwart im Schrifttum zur Einführung einer Verbandssanktionierbarkeit scheinbar willkürlich, je nach Gusto des Verfassers, synonym verwendet werden.77 Eine (vorläufige) Festlegung, jedenfalls in Form einer Konturierung, der Begriffe ist von zentraler Bedeutung, da ohne sie nicht eindeutig festgestellt werden kann, wer zum Kreis der Adressaten eines Verbandssanktionenrechts de lege lata gehört und de lege ferenda gehören sollte. Die Aspekte sind indes untrennbar miteinander verbunden, weil nur derjenige Normadressat78 sein kann, der für eine Normverletzung in Betracht kommt. Die vorangehenden Gründe rechtfertigen folglich eine genauere Analyse in dieser Hinsicht. Bei einem Blick auf das Schrifttum zur Sanktionierung von Verbänden wird deutlich, dass die Begriffe „Unternehmen“, „Verband“, „Körperschaft“, „juristische Person oder Personenvereinigung“ weder einheitlich noch stringent und/oder systematisch verwendet werden.79 Insbesondere werden in der neueren juristischen Literatur die Termini des „Unternehmens“ und des „Verbandes“ scheinbar synonym verwendet und der Begriff des Betriebs dem des Unternehmens gleichgestellt.80 Werden die Begrifflichkeiten zunächst aus einer Parallelwertung in der Laiensphäre und/oder dem allgemeinen Sprachgebrauch genauer betrachtet, wird deutlich, dass die gemeine Sichtweise im Hinblick auf verbandssanktionenrechtliche Überlegungen nicht weiterführen kann. So wird gerade bei dem Auftreten von Unternehmenskriminalität in den Medien (beispielsweise, wenn von „US-Staaten nehmen Matthias Müller ins Visier – Der Fall VW soll als Abschreckung für andere Unternehmen dienen“81 die Rede ist) jeder Mensch eine andere Verbindung zu dem Begriff herstellen, die sicherlich häufig geprägt ist von den Schlagworten: „das 75 Siehe auch Teubner, ZHR 149 (1985), S. 470 ff., zur Rechtsfigur des Unternehmens, der u. a. darauf hinweist, dass sich in einem Unternehmen vielfältige unmittelbare und mittelbare Interessen auf den verschiedensten Ebenen wiederfinden und der das Unternehmensinteresse als das gesellschaftliche Interesse des Unternehmens „an sich“ sieht. 76 Vgl. zur juristischen Person und Unternehmenskorporation Ott, Unternehmenskorporation, S. 1 ff. 77 Dazu zutr. auch Schmitt-Leonardy, Unternehmenskriminalität ohne Strafrecht?, S. 5 ff. 78 Siehe zum Unternehmen als „Normadressat“ Schmitt-Leonardy, Unternehmenskriminalität ohne Strafrecht?, S. 387 ff. 79 Vgl. insbesondere zum Begriff des Unternehmens de lege lata Kirch-Heim, Sanktionen gegen Unternehmen, S. 113 f.; Schlüter, Strafbarkeit von Unternehmen, S. 17 ff. 80 Zu Begrifflichkeitsfragen insbesondere bzgl. des Unternehmensbegriffs Hirsch, ZStW 1995 (107), 285 (298); zur Gleichstellung der Begriffe des Betriebs und des Unternehmens, siehe Bosch, SSW-StGB § 14 Rn. 12 m.w.N. 81 So beispielsweise im Handelsblatt abrufbar unter https://www.handelsblatt.com/unterneh men/industrie/volkswagen-dieselskandal-fall-vw-soll-als-abschreckung-fuer-andere-unterneh men-dienen/13898594-2.html?ticket=ST-632044-4PbfnRqUUT0NXRbsmSAx-ap2 zuletzt abgerufen am 09. 11. 2020.

B. Verwendung der Begriffe

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Unternehmen VW“, „die Aufsichtsräte“ oder „die Vorstände“, und kaum jemand wird an der Stelle die Differenzierung der Begriffe des Unternehmens, Verbandes, der juristischen Person oder des Betriebes vor Augen haben, wenngleich sie zwar für den Einzelnen in der Laienssphäre ohne nähere Bedeutung sein mag, aber eine genauere Beobachtung für die vorliegende Untersuchung dadurch gerechtfertigt ist, dass ein künftiges Sanktionenrecht für Verbände möglichst genau gefasst werden sollte und sprachliche Unklarheiten nicht zu rechtlichen führen sollten.82 Deshalb ist sich dem Ganzen vom formal-juristischen Ursprung zu nähern, mithin zunächst einseitig über privatrechtliche Ansätze, da die Begriffe in den unterschiedlichen Rechtsgebieten des Privatrechts nicht nur vereinzelt vorkommen, sondern ausgiebig erörtert werden und nicht isoliert nebeneinander stehen, sondern (jedenfalls partiell) miteinander verzahnt sind. Aufgrund der Fülle an Erörterungen wird auf das Gesellschaftsrecht, als m. E. für diesen Topos sehr relevantes Rechtsgebiet, besonders Bezug genommen, sodass hier kein Anspruch auf eine vollständige Analyse der Begrifflichkeiten aller Rechtsgebiete besteht. Sodann ist festzustellen, inwieweit Begriffe übertragbar sind und in concreto in das Schrifttum zur Einführung der Verbandssanktionierung übernommen worden sind bzw. übernommen werden können. Noch vor der analytischen Betrachtung bietet es sich an, kurz zu erinnern, dass die parallele synonyme Verwendung der Begriffe (Unternehmen und Verband) im wirtschafts-(straf)rechtlichen Kontext ihren Ursprung hat: Sie mag vorangig darin begründet liegen, da wirtschaftliches Handeln gemeinhin im Rahmen von Tätigkeiten eines Kollektivs, meistens unternehmerischen Tätigkeiten, seine praktische Umsetzung findet, sodass gerade der (Unternehmens-)Bereich als kriminologisch anfällig für Straftaten aus dem Unternehmen heraus und im Unternehmen selbst ist und sich deshalb schon auf der Ebene eine begriffliche Vielfalt entwickelt hat.83

I. Im Privatrecht 1. Unternehmen Im Privatrecht findet der Begriff des Unternehmens vielfach Eingang in die Materie. Hervorzuheben ist er beispielsweise im Gesellschaftsrecht. Für das Gesellschaftsrecht wird der Unternehmensbegriff nicht eigens fest definiert, sondern wurde bewusst ausfüllungsbedürftig gestaltet und muss teleologisch, also nach dem jeweiligen Sinn und Zweck der Norm, bestimmt werden.84 Zu dem Unterneh82

Ähnlich bei Schmitt-Leonardy, Unternehmenskriminalität ohne Strafrecht?, S. 5 ff. Vgl. schon Schünemann, wistra 1982, 41, der den Sektor der Unternehmenskriminalität mit den Begriffen des „kriminogenen Einfluß der kriminellen Verbandsattitüde“ prägte; zur kriminellen Verbandsattitüde im Zusammenhang mit Corporate Crime und Unternehmenssanktionen auch Kölbel, ZIS 2014, 552 ff. 84 Vgl. zu den unterschiedlichen Ausprägungen des Unternehmensbegriffs Spindler/Stilz/ Schall, AktG § 15 Rn. 10 ff.; Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 31 II. 1.; Schmidt, ZGR 1980, 277, passim. 83

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1. Kap.: Grundlagen

mensbegriff lassen sich deshalb unterschiedliche Bestimmungen im Gesellschaftsrecht finden. Zu jenen gehören beispielsweise das Konzernrecht (als das Recht der verbundenen Unternehmen) des AktG und auch das Nichtaktienkonzernrecht.85 Festzuhalten ist an der Stelle zunächst, dass es in Deutschland eigentlich kein „allgemeines Konzernrecht“ gibt.86 Jedoch existieren im Aktiengesetz Definitionsnormen für das Konzernrecht87 als „Recht der verbundenen Unternehmen“, welche mittlerweile als „Allgemeiner Teil des deutschen Konzernsrechts“ gelten.88 Innerhalb des AktG wird der Begriff des Unternehmens als Kern des Konzernrechts angesehen (vgl. §§ 15 ff. AktG). Sucht man an der Stelle eine Legaldefinition, wird man, nach dem oben erwähnten, nicht fündig werden, da die Begriffsbestimmung der Wissenschaft und Praxis übertragen wurde.89 Der sogenannte „teleologische Unternehmensbegriff“, welcher (gegenüber dem institutionellen und gegenüber dem funktionalen Unternehmensbegriff mittlerweile90) vorherrschend ist, geht vom Schutzzweck des Konzernrechts aus.91 Nach der teleologischen Auslegung haben sich hier zwei Definitionen herausgebildet. Zum einen ein Begriff für übergeordnete (herrschende) Unternehmen und zum anderen ein Begriff für untergeordnete (abhängige) Unternehmen, der ebenfalls die gleichgeordneten und wechselseitig beteiligten Unternehmen inkludiert.92 Diese Entwicklung resultiert primär daraus, dass die Konzerngefahr/der -konflikt nur bei übergeordneten Unternehmen bei §§ 291 ff. AktG enthalten sind, weshalb die Definition/das Verständnis der übergeordneten Unternehmen im Folgenden schwerpunktmäßig zugrunde gelegt wird.93 Als Dreh- und Angelpunkt für die Begriffsbestimmung der übergeordneten (oder auch als marktbeherrschend bezeichneten) Unternehmen gilt das VEBA/Gelsenberg-Urteil des BGH aus dem Jahre 1977, in dem der BGH das Vorliegen eines solchen Unternehmens bejahte, wenn der durch die Beteiligung eines Gesellschafters 85

Schmidt, Handelsrecht, § 3 I Rn. 1. Siegels, in: Uechtritz u. a. (Hrsg.), Handbuch Kommunale Unternehmen, § 13 Rn. 10. 87 Vgl. dazu auch Siegels, in: Uechtritz u. a. (Hrsg.), Handbuch Kommunale Unternehmen, § 13 Rn. 11, nach dem die Beteiligung eines Gesellschafters an einer Gesellschaft im Zusammenhang mit dem Konzernrecht nur dann von Bedeutung sei, wenn der Gesellschafter ein Unternehmen sei. 88 Siegels, in: Uechtritz u. a. (Hrsg.), Handbuch Kommunale Unternehmen, § 13 Rn. 10 m.w.N. 89 Vgl. Siegels, in: Uechtritz u. a. (Hrsg.), Handbuch Kommunale Unternehmen, § 13 Rn. 11 m.w.N.; Spindler/Stilz/Schall, AktG § 15 Rn. 10 m.w.N.; zur Begriffsbestimmung auch Kübler/Assmann, Gesellschaftsrecht, § 29 II, S. 419. 90 Der institutionelle Unternehmensbegriff stellte auf den „kaufmännisch eingerichteten Betrieb“ ab und der funktionale Unternehmensbegriff auf die „strategische Steuerung des Unternehmens, ,vom Schreibtisch des Aktionärs‘“. So bei Spindler/Stilz/Schall, AktG § 15 Rn. 11 m.w.N. 91 Vgl. Siegels, in: Uechtritz u. a. (Hrsg.), Handbuch Kommunale Unternehmen, § 13 Rn. 12 m.w.N.; Spindler/Stilz/Schall, AktG § 15 Rn. 11 ff. 92 Siehe zu den Begrifflichkeiten Spindler/Stilz/Schall, AktG § 15 Rn. 12 m.w.N. 93 Vgl. zu den Begriffen und der Entwicklung Spindler/Stilz/Schall, AktG § 15 Rn. 12. 86

B. Verwendung der Begriffe

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an der Gesellschaft vom Konzernrecht vorausgesetzte besondere Interessenkonflikt (zwischen Gesellschafter und Gesellschaft) heraufbeschworen werden könne.94 Dieser sogenannte „Konzernkonflikt“ (auch als „Konzerngefahr“ bezeichnet95) ist nach dem BGH dann zu bejahen, wenn ein Gesellschafter auch außerhalb der Gesellschaft wirtschaftliche Interessen verfolgt, die derart erheblich genug sind, dass die Gefahr/der Verdacht besteht, er könne aufgrund dieser Interessen seinen Einfluss nachteilig für die Gesellschaft nutzen.96 Begründet wurde dies vom BGH mit dem Schutz der Minderheiten in der abhängigen Gesellschaft gegen die Folgen einer fremdbestimmten wirtschaftlichen Machtausübung, der damit erreicht werden soll.97 Die ganz vorherrschende Meinung sieht als ein herrschendes Unternehmen deshalb jeden maßgeblich beteiligten Anteilsinhaber, der neben seiner Beteiligung an der Gesellschaft noch eine anderweitige wirtschaftliche Interessenbindung hat, die nach Art und Intensität die Besorgnis begründet, er könne wegen dieser Bindung seinen aus der Mitgliedschaft erwachsenen Einfluss auf die Gesellschaft nachteilig ausüben.98 Als nicht ausreichend zur Begründung der Unternehmenseigenschaft wird es hingegen in diesem Kontext erachtet, wenn nur die wesentliche Beteiligung an einem einzigen Unternehmen (Stichwort: Privataktionär) vorliegt.99 Hingegen wird bei den untergeordneten Unternehmen die „Transparenz der gefährlichen Beherrschung“ und der „Umgehungsschutz“ in den Vordergrund gerückt, wenn es um die Definition des Unternehmens geht.100 Ohne Bedeutung ist an der Stelle indes eine anderweitige Interessenbindung. Zu den Unternehmen im konzernrechtlichen Kontext zählen daher insbesondere Kapitalgesellschaften und Personengesellschaften sowie sonstige juristische Personen des Privatrechts, und last but not least, natürliche und juristische Personen des öffentlichen Rechts.101 2. Juristische Person Anders gestaltet sich die Situation bei der Begrifflichkeit der juristischen Person. Auch hier kann wiederum auf das Gesellschaftsrecht, als Beispiel, rekurriert werden. Kern dessen sind nach Kindler „die privatrechtlichen Personenvereinigungen, die zur Erreichung eines bestimmten gemeinsamen Zwecks durch Rechtsgeschäft begründet werden (vgl. § 705 BGB)“.102 Von dieser Begrifflichkeit erfasst seien sowohl die 94 BGH v. 13. 10. 1977 – II ZR 123/76, BGHZ 69, 334 (337 f.); so auch abgedruckt bei Siegels, in: Uechtritz u. a. (Hrsg.), Handbuch Kommunale Unternehmen, § 13 Rn. 12 m.w.N. 95 Spindler/Stilz/Schall, AktG § 15 Rn. 11. 96 BGH v. 13. 10. 1977 – II ZR 123/76, BGHZ 69, 334 (337 f.). 97 BGH v. 13. 10. 1977 – II ZR 123/76, BGHZ 69, 334 (336 f.). 98 So beispielsweise bei Spindler/Stilz/Schall, AktG § 15 Rn. 13 m.w.N. 99 Vgl. Spindler/Stilz/Schall, AktG § 15 Rn. 13 m.w.N. 100 Spindler/Stilz/Schall, AktG § 15 Rn. 14 m.w.N. 101 Zum Ganzen Siegels, in: Uechtritz u. a. (Hrsg.), Handbuch Kommunale Unternehmen, § 13 Rn. 13 m.w.N. 102 So Kindler, Handels- und Gesellschaftsrecht, § 9 Rn. 1.

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1. Kap.: Grundlagen

Personengesellschaften als auch die juristischen Personen,103 welche als Körperschaft strukturiert sind. Die juristische Person wird spezifisch dergestalt umschrieben, dass diese eine Zusammenfassung von Personen oder Sachen sei, der die Rechtsordnung Rechtsfähigkeit verliehen hat und die durch die verliehene Rechtsfähigkeit Trägerin selbstständiger Rechte und Pflichten, mithin ein Rechtssubjekt sei.104 Auf der gesellschaftsrechtlichen Ebene wird dabei weiter zwischen juristischen Personen des Privatrechts und juristischen Personen des öffentlichen Rechts differenziert. Letztere seien jedoch gerade nicht Gegenstand des Gesellschaftsrechts.105 Beispielhaft für eine juristische Person des Privatrechts ist die Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) §§ 13 ff. GmbHG,106 die Aktiengesellschaft (AG) §§ 1 ff. AktG, die Kommanditgesellschaft auf Aktien (KGaA) §§ 278 – 290 AktG, die eingetragene Genossenschaft (eG) §§ 1 ff. GenG und der rechtsfähige Verein §§ 21 – 53, 55 – 79 BGB.107 Die juristischen Personen des Privatrechts sind von Personengesellschaften im Gesellschaftsrecht zu unterscheiden. Zu diesen zählen die BGB-Gesellschaft (GbR) §§ 705 – 740 BGB, die offene Handelsgesellschaft (OHG) §§ 105 – 160 HGB, die Kommanditgesellschaft (KG) §§ 161 – 177a HGB, die stille Gesellschaft (StG) §§ 230 – 236 HGB, die Partenreederei §§ 489 – 508 HGB, der nichtrechtsfähige Verein § 54 BGB und die Partnergesellschaft (PartG) §§ 1 ff. PartGG.108 Eine Abgrenzung zwischen den beiden Formen erfolgt durch wesentliche unterschiedliche Charakteristika: So sind bei der Personengesellschaft nur die Gesellschafter (nicht die Gesellschaft selbst) Träger von Rechten und Pflichten, das Prinzip der Selbstorganschaft109 ist vorherrschend und die Willensbildung geschieht 103

Innerhalb des Gesellschaftsrechts ist die Terminologie uneinheitlich: so spricht Saenger von Körperschaften und Personengesellschaften, vgl. Saenger, Gesellschaftsrecht, § 2 Rn. 11 und Kindler, von juristischen Personen (die jedoch die Subkategorien von Saengers Körperschaften ebenfalls beinhalten), Handels- und Gesellschaftsrecht, § 9 Rn. 1 ff.; siehe auch Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 3 I. 2., der ebenfalls von Körperschaften und Personengesellschaften spricht; vgl. dazu für das schweizerische Recht die dort vorherrschende Realitätstheorie, welche auf v. Gierke, Beseler und Huber zurückgeht und besagt, dass Körperschaften als juristische Personen über eine eigene Verbandspersönlichkeit verfügen, die von den Mitgliedern gebildet wird und als sozialer Organismus konzipiert ist und durch rechtliche Organe handlungsfähig ist (Organtheorie), wodurch der Gesetzgeber im schweizerischen Recht die Deliktsfähigkeit und Strafbarkeit der juristischen Person begründet, vgl. Art. 55 ZGB, Art. 102 schwStGB, dazu ingesamt Jung/Kunz/Bärtschi, Gesellschaftsrecht, S. 39 f. 104 Kübler/Assmann, Gesellschaftsrecht, § 4 III S. 31. 105 Kindler, Handels- und Gesellschaftsrecht, § 9 Rn. 4. 106 Siehe statt vieler Henssler/Strohn GesR/Verse GmbHG § 13 Rn. 2, der an dieser Stelle explizit auf die amtliche Überschrift des § 13 GmbHG verweist „Juristische Person“. 107 Kindler, Handels- und Gesellschaftsrecht, § 9 Rn. 2. 108 Kindler, Handels- und Gesellschaftsrecht, § 9 Rn. 2. 109 Dieses besagt, dass nur die Gesellschafter zur Geschäftsführung und Vertretung berechtigt und verpflichtet sind, was sich normtechnisch aus §§ 709, 714 BGB, §§ 114, 125 HGB, auch i.V.m. § 161 Abs. 2 HGB ergibt, vgl. dazu Kindler, Handels- und Gesellschaftsrecht, § 9 Rn. 15.

B. Verwendung der Begriffe

69

im Sinne des § 709 BGB nach dem Einstimmigkeitsprinzip. Daneben sind die Mitgliedschaftsrechte der Gesellschafter gemäß § 717 S. 1 BGB nicht übertragbar, da das Vertrauensverhältnis der Gesellschafter (lat.: intuitus personae) bei der Personengesellschaft im Vordergrund steht und Priorität hat.110 Insgesamt sind die Personengesellschaften daher, wie Kindler zutreffend feststellt, „von der Individualität der Gesellschafter geprägt“.111 Die Willensbildung, Geschäftsführung und Vertetung der juristischen Person, welche als körperschaftliche Organisation strukturiert ist, obliegen, im Gegensatz zu der Personengesellschaft, bei der für diese Aufgaben die einzelnen Gesellschafter maßgeblich zuständig sind, besonderen Organen, wie zum Beispiel der Mitgliederversammlung/Gesellschafterversammlung oder dem Vorstand/der Geschäftsführung, wobei für Vertretungs- und Aufsichtsorgane das Prinzip der Drittorganschaft gemäß § 6 Abs. 3 S. 1 GmbHG gilt.112 Darüber hinaus ist ein Mitgliederwechsel durch Eintritt, Austritt und Vererbung im Sinne der §§ 15 Abs. 5 GmbHG und § 68 Abs. 2 AktG möglich, und eine Willensbildung erfolgt (im Gegensatz zu dem Einstimmigkeitsprinzip bei der Personengesellschaft) nach dem Mehrheitsprinzip nach § 32 Abs. 1 S. 2 BGB, § 133 Abs. 1 AktG und § 47 Abs. 1 GmbHG.113 Wichtigster Aspekt und zentrales Merkmal ist bei der juristischen Person (in dem Bereich des Gesellschaftsrechts) die rechtliche Verselbstständigung, sodass sie selbst Träger von Rechten und Pflichten ist und einziges Zuordnungssubjekt des Vermögens.114 Hier schließt sich nun der Kreis zu der bereits eingangs genannten Definition der juristischen Person im Gesellschaftsrecht. 3. Verband Der Begriff des Verbandes erfährt, wie die vorgenannten, im Privatrecht, keine feststehende einheitliche Definition. In der Vergangenheit war er vor allem durch Otto v. Giercke’s „Theorie der realen Verbandspersönlichkeit“115 geprägt und die Auffassung vorherrschend, es handele sich bei Verbänden um „körperschaftlich verfasste Personenzusammenschlüsse“.116 Ein juristischer Verband wird im Grunde dergestalt gesehen, dass er eine durch „Gesellschaftsvertrag oder Satzung verfaßte, auf Mitgliedschaft beruhende und gegenüber den Mitgliedern verselbstständigte, 110

Kindler, Handels- und Gesellschaftsrecht, § 9 Rn. 15. Kindler, Handels- und Gesellschaftsrecht, § 9 Rn. 15. 112 Vgl. Kindler, Handels- und Gesellschaftsrecht, § 9 Rn. 16. 113 Zum Ganzen Kindler, Handels- und Gesellschaftsrecht, § 9 Rn. 16. 114 Siehe Kindler, Handels- und Gesellschaftsrecht, § 9 Rn. 16. 115 Grundlegend v. Gierke, Deutsches Privatrecht, Bd. 1, S. 470: „Die Verbandsperson ist eine wirkliche und volle Person gleich der Einzelperson, jedoch im Gegensatze zu dieser eine zusammengesetzte Person.“; zum Ganzen auch ders., Genossenschaftstheorie, S. 603 ff., dazu auch Scheyhing/Wilhelm, FS Locher, S. 495 ff. 116 So bei Kübler/Assmann, Gesellschaftsrecht, § 5 III, S. 37 unter Verweis auf v. Gierke’s „Theorie der realen Verbandspersönlichkeit“. 111

70

1. Kap.: Grundlagen

einem Verbandszweck („gemeinsamen Zweck“) dienende Organisation“117 sei.118 „Echte Verbände“ seien dabei nach Schmidt mitgliedschaftliche Personenvereinigungen, die die folgenden für die obige Definition grundlegenden Merkmale aufweisen: Es bestehe bei echten Verbänden eine organisatorische Verselbständigung des Verbandes gegenüber seinen (individuellen) Mitgliedern, sodass diese auch Einund Austritte befürworten können. Des Weiteren gebe es eine Unterscheidung von Sozialforderungen, die einem Verband zugeordnet werden, und Sozialverpflichtungen der Mitglieder zu den Individualansprüchen und -verpflichtungen und zu den ausschließlich schuldrechtlichen Drittansprüchen und Drittpflichten.119 Hinsichtlich des Verbands bekommt man insgesamt das Gefühl, dass sich eine politische und gesellschaftlich colorierte Prägung des Begriffs, jedenfalls für das Privatrecht, fest etabliert hat. So wird gemeinhin konspektiert, dass ein Verband „eine Organisation zum Schutz und zur Durchsetzung gemeinsamer Interessen im politischen und gesellschaftlichen Bereich (sei)“.120 Auf der gesetzlichen Ebene hat der Begriff des Verbandes beispielsweise Eingang in das Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb (UWG) und das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) gefunden. Vgl. § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG („rechtsfähige Verbände“) und § 33 Abs. 4 Nr. 1 GWB („rechtsfähige Verbände“). Für das Privatrecht insgesamt am relevantesten dürften die rechtsfähigen und nichtrechtsfähigen Vereine sein, für welche in §§ 21 ff. BGB gesetzliche Vorschriften normiert sind.

II. Im deutschen Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht Im weiteren Verlauf wird eruiert, ob und inwiefern auf die aufgefundenen privatrechtlichen, freilich teils (unterschiedlich stark) nuancierten Perspektiven hinsichtlich der Begriffe mit der Verwendung der Begriffe im Straf- bzw. Ordnungswidrigkeitenrecht rekurriert wird oder wo sich Änderungen ergeben. Es ist zunächst zu beobachten, dass für den Begriff des Unternehmens keine Legaldefinition im StGB oder im Ordnungswidrigkeitengesetz vorhanden ist.121 Jedoch gibt es Normen, die den Begriff des Unternehmens verwenden, wie zum Beispiel § 14 Abs. 2 S. 2 StGB, § 9 Abs. 2 S. 2 und § 130 OWiG. Der Begriff des Unternehmens ist an diesen Stellen, anerkanntermaßen, dem des Betriebs gleichgestellt.122 Unter einem 117

Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 7 I. 1. Siehe auch Kübler/Assmann, die einen Verband als „eine Organisation zum Schutz und zur Durchsetzung gemeinsamer Interessen im politischen und gesellschaftlichen Bereich“ definieren, Gesellschaftsrecht, § 5 III, S. 37. 119 Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 7 I. 1. 120 Statt vieler Kübler/Assmann, Gesellschaftsrecht, § 5 III, S. 37. 121 Die folgenden Ausführungen beziehen sich nicht auf den Begriff des Unternehmens im betriebswirtschaftlichen Sinne, so auch Kudlich/Og˘ lakcıog˘ lu, Wirtschaftsstrafrecht, § 4 Rn. 83. 122 Vgl. Bosch, SSW-StGB, § 14 Rn. 12 m.w.N.; siehe auch Durth, WiJ 2012, 7 (9), der das „Unternehmen an und für sich“ als Adressaten sieht m.w.N.; Wieser, Bußgeldverfahren, S. 161 stellt hingegen darauf ab, dass eine Differenzierung aufgrund der weiten Auslegung des Be118

B. Verwendung der Begriffe

71

Betrieb wird eine auf gewisse Dauer angelegte organisatorisch zusammengefasste Einheit von Personen und Sachmitteln unter einheitlicher Leitung, die einem bestimmten arbeitstechnischen Zweck der Leistungserbringung dient, verstanden.123 Unter einem Unternehmen in diesem Kontext versteht man gemeinhin eine organisatorische Einheit, die wirtschaftliche Zwecke verfolgt.124 § 130 OWiG liegt daher folgendes Verständnis beider Begriffe zugrunde: Die Norm differenziert zwischen (dem Inhaber von) Betrieben und Unternehmen, insbesondere hinsichtlich der spezifischen Betriebs- und Unternehmenspflichten. Vorschriften, die den Produktions-, Arbeitsschutz- oder Sicherheitsbereich betreffen, beziehen sich auf den Betrieb, während zum Beispiel steuerrechtliche Vorschriften, Bilanzierungsrichtlinien oder Wettbewerbsverbote auf der Unternehmensebene etabliert sind.125 Würde der Begriff des Verbandssanktionenrechts somit dem des Unternehmenssanktionenrechts, wie vielfach im Schrifttum gesehen, nicht nur gleichermaßen verwendet, sondern auch tatsächlich gleichstehen, würde das bedeuten, dass der Bereich der Strafbarkeit sich nur auf wirtschaftlich tätige Korporationen beschränken würde. Das ist zwar mit dem Strafrecht vereinbar, da die Festlegung eines bestimmten Personenkreises als Täter dem Strafrecht nicht fremd ist. Zu beachten ist dabei aber, dass bereits § 30 OWiG de lege lata einen weiteren Personenkreis umfasst, da er sich auf alle juristischen Personen und sonstige korporative Gesamtheiten bezieht. Diesen freilich für die Zukunft nicht vollständig auch in das Verbandssanktionenrecht zu integrieren, wäre durchaus sinnvoll, da im wirtschaftlichen Sektor die größten kriminogenen Verfehlungen zu erwarten sind.126 Eine derartige Beschränkung wäre daher aus Verhältnismäßigkeitsgründen durchaus wünschenswert. Unter einer juristischen Person oder Personenvereinigung versteht § 30 Abs. 1 Nr. 1 OWiG alle sozialen Organisationen, denen die Rechtsordnung eine eigene Rechtspersönlichkeit zuerkennt.127 Die Definition ist ausweislich des Wortlautes zum einen an die gesellschaftsrechtliche Definition der juristischen Person oder Personenvereinigung angelehnt, orientiert sich zum anderen jedoch ebenso in den triebsbegriffes ohne eigenständige Bedeutung ist, kommt aber auch zu dem Ergebnis, dass beide Alternativen gleichwertig nebeneinanderstehen. 123 Vgl. ständige Rspr. des BAG zum Begriff des Betriebs i.S.v. § 1 Abs. 1 BetrVG: BAG v. 09. 12. 2009, NZA 2010, 906 (908); BAG v. 15. 12. 2011, 8 AZR 692/10, DB 2012, 1690 (1691); Hromadka/Maschmann, Arbeitsrecht, Bd. 2, § 16 Rn. 54 ff.; Bosch, SSW-StGB, § 14 Rn. 12; BeckOK StGB/Momsen/Laudien StGB § 14 Rn. 51 m.w.N.; Kübler/Assmann, Gesellschaftsrecht, § 5 III S. 39. 124 Kudlich/Og˘ lakcıog˘ lu, Wirtschaftsstrafrecht, § 4 Rn. 84; Schlüter, Strafbarkeit von Unternehmen, S. 19. 125 KK-OWiG/Rogall, OWiG § 130 Rn. 23, 27 insbesondere zu dem Begriff des Konzerns, der zu dem Unternehmensbegriff zu zählen ist, da der Zusammenschluss zu einer planvoll handelnden wirtschaftlichen Einheit durch mehrere Unternehmen, die einen eigenen Zweck verfolgen, einen Konzern darstellt. 126 Auch bei Korporationen mit ideeller Zielsetzung sind Verfehlungen, wie z. B. Steuerstraftaten oder Subventionsbetrug denkbar. Vgl. dazu Hirsch, ZStW 1995 (107), 285 (321). 127 Vgl. BeckOK OWiG/Meyberg, OWiG § 30 Rn. 22 m.w.N.

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1. Kap.: Grundlagen

Grundzügen an den europarechtlichen Bestimmungen. Hingegen hat der Begriff des Verbandes weder in das deutsche Straf- noch in das Ordnungswidrigkeitenrecht explizit Einzug gefunden.128

III. Auf europarechtlicher Ebene 1. Im unionsrechtlichen Primärrecht Im unionsrechtlichen Primärrecht ist der Begriff des Unternehmens vorherrschend, vgl. nur Art. 101, Art. 102 AEUV.129 Eine allgemeingültige gesetzliche Definition des Unternehmensbegriffs lässt sich jedoch nicht ausfindig machen. Deshalb bietet es sich an, einen Blick auf die Rechtsprechung des EuGH und die Kommission zu werfen. Der EuGH definierte ein Unternehmen in der Vergangenheit als „einheitliche, einem selbstständigen Rechtssubjekt zugeordnete Zusammenfassung personeller, materieller und immaterieller Faktoren, mit der auf Dauer ein bestimmter wirtschaftlicher Zweck verfolgt wird“.130 Dieser Begriff des Unternehmens wurde von der Rechtsprechung des EuGH im Jahre 1962 in der Rechtssache „Klöckner-Hoesch“131 entwickelt. Ein solches Verständnis eines Unternehmens galt irgendwann als zu starr sowie reformbedürftig und wurde letztlich durch einen einheitlichen Unternehmensbegriff, den der EuGH in seiner Rechtsprechung entwickelte, ersetzt.132 Demzufolge ist ein Unternehmen „jede eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübende Einheit, unabhängig von ihrer Rechtsform und der Art ihrer Finanzierung“.133 2. Im unionsrechtlichen Sekundärrecht a) Im Zweiten Protokoll, der Richtlinie (EU) 2017/1371 (PIF-Richtlinie) und dem Umsetzungsgesetz (Gesetz zur Stärkung des Schutzes der finanziellen Interessen der Euorpäischen Union – EU-Finanzschutzstärkungsgesetz – EUFinSchStG) In den sekundärrechtlichen europarechtlichen Bestimmungen lassen sich zahlreiche Regelungen zur Verantwortung von Verbänden finden, die unterschiedliche Termini benutzen, weshalb vorliegend nur auf grundlegende Regelungswerke ein128 Vgl. dazu hingegen § 2 östVbVG und insbesondere krit. vergleichend dazu Dietrich, NZWiSt 2016, 186 (187). 129 Der Regierungsentwurf zum VerSanG, S. 72 will den europarechtlichen Unternehmensbegriff nicht auf ein deutsches Verbandssanktionengesetz übertragen, RegE.-Begr. S. 72. 130 EuGH 13. 07. 1962 – C-17/61 Verb. Rs. 17/61 und 20/61, Slg. 1962. S. 653 (687). 131 EuGH 13. 07. 1962 – C-17/61 Verb. Rs. 17/61 und 20/61, Slg. 1962. S. 653 (687). 132 Vgl. ständige Rspr. des EuGH seit EuGH, Rs. C-41/90 (Höfner und Elser), Slg. 1991, I 1979, Rn. 21. 133 Vgl. ständige Rspr. des EuGH seit EuGH, Rs. C-41/90 (Höfner und Elser), Slg. 1991, I 1979, Rn. 21.

B. Verwendung der Begriffe

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gegangen wird. Zu diesen gehört zum einen das Zweite Protokoll aufgrund von Artikel K.3 des Vertrags über die Europäische Union zum Übereinkommen über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften vom 19. Juni 1997.134 Nach Art. 1 lit. d) des Zweiten Protokolls erfasst und somit verantwortlich sind alle Rechtssubjekte mit dem Status der juristischen Personen außer Staaten, öffentliche internationale Organisationen und andere hoheitlich handelnde Körperschaften des öffentlichen Rechts.135 Wie die juristische Person definiert wird, bleibt dabei dem nationalen Gesetzgeber überlassen bzw. wird durch das innerstaatliche Recht des jeweiligen Mitgliedsstaates bestimmt, welcher Maßnahmen gemäß dem Zweiten Protokoll gegen eine juristische Person verhängen möchte.136 Abgelöst wurde das Zweite Protokoll durch die EU-Richtlinie 2017/1371 (PIFRichtlinie), welche gemäß Art. 2 Abs. 1 lit. b) unter der juristischen Person ein Rechtssubjekt versteht, das nach dem geltenden Recht Rechtspersönlichkeit besitzt, mit Ausnahme von Staaten oder sonstigen Körperschaften des öffentlichen Rechts in der Ausübung ihrer hoheitlichen Rechte und von öffentlich-rechtlichen internationalen Organisationen. Die Begriffe des Unternehmens und des Verbandes werden indes nicht gesondert definiert. Es wird lediglich festgestellt, dass Unternehmen erfasst sind. Die Richtlinie wurde nunmehr durch ein Umsetzungsgesetz (das Gesetz zur Stärkung des Schutzes der finanziellen Interessen der Europäischen Union – EUFinanzschutzstärkungsgesetz – EUFinSchStG) in nationales Recht transferiert, wenngleich der Begründung des Gesetzesentwurfs zu entnehmen war, dass in definitorischer Hinsicht kein Umsetzungsbedarf gesehen wurde, aber die Begriffsbestimmungen und Anwendungsbereiche aus Art. 2 der EU-RL 2017/1371 (PIFRichtlinie) zu beachten waren.137 b) Im Corpus Juris strafrechtlicher Regelungen zum Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Union In den europarechtlichen Bestimmungen ist der Vorschlag eines „Corpus Juris strafrechtlicher Regelungen zum Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Union“ aus dem Jahre 1997,138 gefolgt von dem überarbeiteten Corpus Juris 2000 (Fassung von Florenz), unter dem Aspekt der Begrifflichkeiten ebenfalls zu

134

ABl. 1997 C 221/02. Vgl. zu dieser Thematik auch Bahnmüller, Strafrechtliche Unternehmensverantwortlichkeit, S. 163 ff. 136 Erläuternder Bericht zu dem Zweiten Protokoll zum Übereinkommen über den Schutz finanzieller Interessen der Europäischen Gemeinschaften, ABl. 1999 C 91/02 S. 2. 137 BT-Drs. 19/7886, S. 12; BGBl. 2019 I, S. 844. 138 Originiär sollte der Titel in lateinisch „Corpus iuris ad defendendas utilitates oeconomicas unionis europaae“ lauten. So Spinellis, KritV 1999, 141 (147 Fn. 16); krit. zu dieser Fassung des Corpus Juris Hassemer, KritV 1999, 133 (135 ff.). 135

74

1. Kap.: Grundlagen

nennen.139 Ganz allgemein verfolgt das Corpus Juris das Ziel, grundlegende Leitprinzipien für den strafrechtlichen Schutz der finanziellen Interessen der EU innerhalb des EU-Rechtsraumes zu schaffen, sodass dadurch die „Europäisierung des Strafrechts“ maßgeblich vorangetrieben werden soll; der Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Union wird deshalb von Sieber zu Recht als „Motor für die Entwicklung eines europäischen Strafrechts“140 bezeichnet.141 Dabei wird jedoch bewusst nicht vorgeschrieben, wie das Corpus Juris in das Unionsrecht implementiert werden soll.142 Das Corpus Juris ist eine Studie (bzw. das Resultat eines Forschungsprojektes), die vom Europäischen Parlament in Auftrag gegeben wurde (und sodann von dem Komissionsmitglied Francesco de Angelis initiiert wurde)143 und an der das Europäische Parlament, die Europäische Kommission, die Vereinigung für Europäisches Strafrecht und eine Arbeitsgruppe von europäischen Strafrechtswissenschaftlern mitgearbeitet haben.144 Art. 13 (früher Art. 14145) Abs. 1 des „Corpus Juris strafrechtlicher Regelungen zum Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Union“ beschreibt die Strafbarkeit von Vereinigungen, „wenn sie juristische Personen sind oder Rechtsfähigkeit und eigenes Vermögen haben und wenn die Tat zugunsten der Vereinigung durch ein Organ, einen Vertreter oder eine andere Person begangen wird, die namens der Vereinigung handelt oder eine rechtliche oder tatsächliche Entscheidungsbefugnis hat“.146 Bezüglich einer Erläuterung dieser Begriffe lässt sich eine solche lediglich zu der ursprünglichen Fassung des Corpus Juris von 1998 ausfindig machen. In dieser wird darauf eingegangen, dass eine Beschränkung einer strafrechtlichen Verantwort139

Vgl. dazu Hecker, Europäisches Strafrecht, der das Corpus Juris als „Modellkodifikation für ein künftiges supranationales oder harmonisiertes Finanzstrafrecht“ beschreibt, Kap. 14.3.1., Rn. 26. 140 Sieber, in: Delmas-Marty (Hrsg.), Corpus Juris der strafrechtlichen Regelungen zum Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Union, 1998, Vorwort, S. V. 141 Vgl. auch Sieber, in: Delmas-Marty u. a. (Hrsg.), Strafrechtliche Regelungen zum Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Union – Corpus Juris 2000 (Fassung von Florenz), Die Umsetzung des Corpus Juris in den Mitgliedstaaten, Vorwort, S. II. 142 Hecker, Europäisches Strafrecht, Kap. 14.3.1.2 Rn. 31. 143 Sieber, in: Delmas-Marty (Hrsg.), Corpus Juris der strafrechtlichen Regelungen zum Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Union, 1998, S. 2; Fromm, ZIS 2007, 279 (289). 144 Vgl. Sieber, in: Delmas-Marty (Hrsg.), Corpus Juris der strafrechtlichen Regelungen zum Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Union, 1998, S. 2; krit. zur Fassung des Corpus Juris von Paris aus dem Jahre 1997 Hassemer, KritV 1999, 133 (135 ff.). 145 Siehe zur alten Fassung abgedruckt in: Delmas-Marty (Hrsg.), Corpus Juris der strafrechtlichen Regelungen zum Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Union, 1998, S. 13 ff., 44. 146 Abgedruckt in: Delmas-Marty u. a. (Hrsg.), Strafrechtliche Regelungen zum Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Union, Corpus Juris 2000 (Fassung von Florenz), Die Umsetzung des Corpus Juris in den Mitgliedstaaten, S. 7.

B. Verwendung der Begriffe

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lichkeit auf juristische Personen im engeren Sinne (bereits zum damaligen Zeitpunkt im Jahre 1998) in einigen Ländern, sowohl auf begrifflicher als auch auf wirtschaftlicher Ebene, überholt wäre und vielmehr „die Existenz eigener Vermögenswerte, deren Inhaber die Vereinigung ist“, ausschlaggebend sei.147 Dementsprechend erfasst das Corpus Juris 2000 (Fassung von Florenz) alle juristischen Personen oder Personenvereinigungen, die nach dem Gesetz Rechtssubjekt und Inhaber eigener Vermögenswerte sein können und regelmäßig einen wirtschaftlichen Zweck verfolgen. Diese Definition ist freilich, da das Corpus Juris bisher nur ein Vorschlag ist, nicht bindend, liefert aber jedenfalls Indizien für die Begrifflichkeiten.

IV. Verwendung der Begriffe Unternehmen, Verband, juristische Person oder Personenvereinigung in dieser Arbeit Nach den bisherigen Ausführungen steht nun in Frage, wie die unterschiedlichen Begriffe, ihre Bestimmungen und Definitionen in der vorliegenden Arbeit verwendet werden, ergo, ob sie in der Verwendung auf einen gemeinsamen Nenner gebracht werden können oder, ob sich eine bevorzugte Begrifflichkeit für den durchgehenden Gebrauch in der Untersuchung anbietet. Festzuhalten ist zunächst, dass sich, auch wenn die Begriffe aus juristisch unterschiedlicher Perspektive beleuchtet wurden und inhaltliche Abgrenzungen aufgezeigt wurden, keine klare Linie der begrifflichen Verwendung ergibt, die streng durchzuhalten wäre oder bisher in der Vergangenheit streng durchgehalten wurde. Dies ist nicht nur innerhalb der einzelnen Rechtsgebiete, sondern auch zwischen den Rechtsgebieten untereinander, festzustellen. Daraus folgt, dass es für den vorliegenden Untersuchungsgegenstand der Arbeit keine allgemeingültige Verwendung nur einer Begrifflichkeit gibt, die alle Aspekte umfasst. Vielmehr vermitteln die unterschiedlichen Nuancen und Sichtweisen bezüglich dieser Begriffe einen ersten Eindruck der Vielfältigkeit des Spektrums an Auffassungen, die in Deutschland in Verbindung mit der Sanktionierung von Kollektiven gebraucht werden, was gleichzeitig als ein Spiegelbild eben jener Uneinheitlichkeit verstanden werden könnte, mit der ein Verbandssanktionenrecht derzeit in Deutschland diskutiert wird. Aus diesen Gründen, und um die Uneinheitlichkeit nicht weiter zu forcieren, werden die Begriffe „Verband“, „Unternehmen“, „Betrieb“, „juristische Person“ und „Personenvereinigung“ auch in dieser Arbeit weitgehend synonym verwendet.148 Die synonyme Verwendung der Bezeichnungen findet dort ihre Grenze, wo die Abgrenzung zwischen dem Kollektiv und der Individualperson unerlässlich und daher eine differenziertere Perspektive für die Untersuchung notwendig wird, wie jedenfalls auch, aber nicht nur bei der spezifischen 147

Art. 14, Erläuterungen: Delmas-Marty (Hrsg.), Corpus Juris der strafrechtlichen Regelungen zum Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Union, 1998, S. 44 m.w.N. 148 So schon Drope, Strafprozessuale Probleme bei der Einführung einer Verbandsstrafe, S. 33.

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1. Kap.: Grundlagen

Frage nach der Normadressatenstellung in einem Verbandssanktionenrecht de lege ferenda. Erfasst sein sollen insgesamt nur solche Vereinigungen, die jedenfalls Ansätze einer eigenen Rechtspersönlichkeit aufweisen.149

V. Verwendung der Begriffe Strafe und Sanktion in dieser Arbeit Parallel zur synonymen Verwendung dieser Begriffe wird der Begriff der Strafe für ein Unternehmen in juristischen Ausführungen teilweise im „untechnischen Sinne“ verwendet und partiell jedwede Sanktionierung eines Verbandes als Strafe bezeichnet. Allgemein wird Strafe als die repressive Zufügung eines Übels als Reaktion auf ein schuldhaftes Verhalten verstanden, welche primär dem Schuldausgleich diene.150 Seit jeher fragen sich die Menschen nach dem Sinn und Zweck der Strafe. Heutzutage erhält hierfür ein Lösungsansatz, welcher die absoluten151 und relativen152 Straftheorien über den goldenen Mittelweg zu vereinen versucht, den Vorzug, was durch eine normative Verankerung im StGB herausgestellt wird: die Vereinigungstheorien.153 Dies kristallisiert sich in § 46 StGB heraus. Dort wird in § 46 Abs. 1 S. 1 StGB auf der einen Seite die Schuld als Bemessungsfaktor für die Strafe genannt, was den Vergeltungsgedanken widerspiegelt, während § 46 Abs. 1 S. 2 StGB auf der anderen Seite spezialpräventive Vorgaben enthält.154 An diesem Punkt einer möglichen Übertragung auf juristische Personen scheiden sich vehement die Geister.155 Da die vorangehende Problematik nicht vom Thema der Untersuchung umfasst ist, weil sie hinsichtlich eines Verbandssanktionenrechts eine tiefgründige Auseinandersetzung mit dem Schuldbegriff und potentiellen Übertragungsmöglichkeiten inkludieren würde, präferiert die vorliegende Arbeit den Begriff des „Kölner Entwurfs“ und des „Regierungsentwurfs zum VerSanG“ der „(Verbands-)Sanktion“. 149

Zu der konkreten Normadressatenstellung des hier vorgeschlagenen Verbandssanktionenrechts vgl. näher unten S. 79. 150 BVerfG v. 04. 05. 2011 – 2 BvR 2333/08, BVerfGE 128, 326 (374) = NJW 2011, 1931. 151 Nach den absoluten Straftheorien ist alleiniger Wesenszug der Strafe repressiv zu wirken, während Strafe nach den relativen Straftheorien präventiv wirken soll, vgl. dazu Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 22. 152 Innerhalb der relativen Theorien wird zwischen der Generalprävention, der positiven Wirkung auf die Allgemeinheit, und der Spezialprävention mit Wirkung auf den Täter selbst unterschieden. Im Bereich dieser Theorien wird noch weiter differenziert zwischen positiver und negativer Generalprävention sowie positiver und negativer Spezialprävention, vgl. Wessels/ Beulke/Satzger, AT, Rn. 23; zur Prävention auf Unternehmensebene vgl. Trüg, wistra 2010, 241 (246). 153 Diese stellen eine Kombination der vorangehenden Theorien dar. Nach den Vereinigungstheorien sind Vergeltung, Spezial- und Generalprävention nebeneinander zu verfolgende Strafzwecke, Roxin, AT, § 3 Rn. 33 ff. 154 So auch Heinrich, AT, § 2 Rn. 20. 155 Vgl. dazu statt vieler und zutr. Henssler/Hoven/Kubiciel/Weigend, NZWiSt 2018, 1 (9).

C. Normadressatenkreis nach deutschem Recht

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Unter einer Sanktion versteht man die Anordnung von Rechtsnachteilen bzw. nachteiligen Rechtsfolgen, die die Reaktion auf einen begangenen Rechtsverstoß darstellen.156 Die Sanktionen sollen vor allem präventiver sowie (nachrrangig) repressiver und restitutiver Art sein. Die Differenzierung zwischen der Strafe auf der einen und der Sanktion auf der anderen Seite bietet sich an, um die Abgrenzung zu dem für Individualpersonen geltenden Kriminalstrafrecht herauszustellen (insbesondere für den wahrscheinlichen Fall, dass der Gesetzgeber eine dritte Spur zwischen dem Ordnungswidrigkeitenrecht und Kriminalstrafrecht vorsehen würde), da dieser Unterschied bei der (Diskussion rund um die) Einführung eines Verbandssanktionenrechts eine zentrale Rolle spielt.157

C. Normadressatenkreis nach deutschem Recht Neben den vorangehenden Begriffsbestimmungen ist es, um den Gesamtüberblick zu vervollständigen, darüber hinaus interessant, wen der Gesetzgeber nach geltendem Recht als Adressat der Norm des § 30 OWiG ansieht und für die Zukunft ansehen will bzw. in einem Verbandssanktionenrecht ansehen sollte.158 Der Begriff des Normadressaten bezieht sich vorliegend ausschließlich auf die umfassten oder (zu) umfassenden Korporationsformen. Der Übergang zwischen den Ausführungen zu der Situation de lege lata und de lege ferenda ist an dieser Stelle fließend. Auf die Frage, inwiefern das Unternehmen selbst oder der Unternehmensträger Adressat der Sanktionierung ist oder sein sollte, wird vorliegend deshalb nicht näher eingegangen.

I. De lege lata Die Ausrichtung des Wortlautes des § 30 Abs. 1 Nr. 1 OWiG will juristische Personen oder Personenvereinigungen mit einem Bußgeld sanktionieren. Allgemein anerkannt ist, dass unter diese Begrifflichkeiten juristische Personen (jedenfalls des 156 Vgl. statt vieler Weber, Creifelds kompakt, 2020; Queck, Die Geltung des nemo-teneturGrundsatzes zugunsten von Unternehmen, S. 27 f. 157 Vgl. zu den Begrifflichkeiten der Geldbuße und Strafe insbesondere Hirsch, ZStW 1995 (107), 285 (289 ff. m.w.N., 294 ff., S. 295 ff., 304 f.), der ausgehend von der Parallelität von Geldbuße und Strafe annimmt, dass die Verhängung beider eine ethische Missbilligung voraussetze, diese sich jedoch im Schweregrad unterscheide. Daraus folge, dass eine echte Unternehmensstrafe oder eine im Schweregrad ähnliche Sanktion statt einer Unternehmensgeldbuße eingeführt werden könne; zum Begriffsverständnis vgl. ferner Frisch, FS Wolter, S. 349 (359); so schon Drope, Strafprozessuale Probleme bei der Einführung einer Verbandsstrafe, S. 33 f.; dazu und mit weiteren Argumenten auch Henssler/Hoven/Kubiciel/Weigend, NZWiSt 2018, 1 (9). 158 Siehe zu den Normadressaten des § 30 OWiG auch Poller, Verbandsgeldbuße und Steueranspruch, S. 36 ff.

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1. Kap.: Grundlagen

Privatrechts) fallen, nichtrechtsfähige Vereine, die ausdrücklich in Abs. 1 Nr. 2 erwähnt werden, ebenso wie die Personenverbände in Abs. 1 Nr. 3, rechtsfähige Personengesellschaften, Vorgesellschaften und fehlerhafte Gesellschaften.159 Darüber hinaus besteht auch die Möglichkeit, eine ausländische Gesellschaft mit einer Verbandsgeldbuße zu belegen, wenn diese, rechtlich betrachtet, strukturell mit einer deutschen juristischen Person oder Personenvereinigung vergleichbar ist und die Bezugstat nach §§ 3 ff. StGB und § 5 OWiG der deutschen Strafgewalt unterliegt.160 Eine Geldbuße nach § 30 OWiG kann hingegen nicht gegen einen Einzelkaufmann, wohl aber gegen eine „Ein-Mann-GmbH“ festgesetzt werden.161 Nach wie vor (vereinzelt) umstritten ist, ob auch juristische Personen des öffentlichen Rechts, wie zum Beispiel (Gebiets-)Körperschaften, Anstalten oder Stiftungen von § 30 OWiG erfasst und somit sanktionierbar sein sollen.162 Anhaltspunkte dafür oder dagegen lassen sich weder am Wortlaut der Norm, der sich nicht gegen die Einbeziehung von juristischen Personen des öffentlichen Rechts ausspricht, noch an der Gesetzesbegründung, die zu diesem Topos keine Stellung bezieht, festmachen.163 Eine bis dato vorherrschende Auffassung plädiert für die grundsätzliche Einbeziehung juristischer Personen des öffentlichen Rechts in § 30 OWiG.164 Diese Auffassung argumentiert vor allem damit, dass es bei der Sanktionierung durch die Verbandsgeldbuße keinen Grund für eine unterschiedliche Behandlung von juristischen Personen gebe, da diese zum einen auch dem Kartellrecht nach §§ 97 ff. GWB (das Kartellverbot gilt unabhängig davon, ob das Unternehmen öffentlich-rechtlich oder privatrechtlich tätig wird) unterlägen und zum anderen gegen sie die Zwangsvollstreckung betrieben werden könne.165 Das Hauptargument der Gegenmeinung fußt im Grunde auf dem Gewaltenteilungsprinzip, welches durch die Einbeziehung juristischer Personen des öffentlichen

159

Siehe dazu ausführlich KK-OWiG/Rogall, OWiG § 30 Rn. 33 ff. m.w.N. OLG Celle v. 30. 11. 2001 – 322 Ss 217/01 (OWiz), wistra 2002, 230 = EzAÜG § 1 AEntG Nr. 4; KK-OWiG/Rogall, OWiG § 30 Rn. 33. 161 KK-OWiG/Rogall, OWiG § 30 Rn. 33 m.w.N.; BeckOK OWiG/Meyberg, OWiG § 30 Rn. 23 m.w.N.; vgl. zur Problematik der parallelen Verfolgung nach § 3 Abs. 4 östVbVG bei Ein-Manngesellschaften in Österreich Dietrich, NZWiSt 2016, 186 (187 f.). 162 Dazu insgesamt Haubner, DB 2014, 1358; insgesamt zu dieser Problematik schon Müller, Stellung der juristischen Person, S. 51 ff.; Poller, Verbandsgeldbuße und Steueranspruch, S. 36 ff. 163 So beispielhaft KK-OWiG/Rogall, OWiG § 30 Rn. 35. 164 Beispielhaft angeführt sei hier OLG Frankfurt v. 30. 01. 1976 – 2 Ws (B) 356/75, NJW 1976, 1276 = BB 1976, 1578; Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen, S. 386 f.; Theile/ Petermann, JuS 2011, 496 (500); KK-OWiG/Rogall, OWiG § 30 Rn. 35 f. mit weiteren Nachweisen zum Streitstand. 165 Vgl. KK-OWiG/Rogall, OWiG § 30 Rn. 36; BeckOK OWiG/Meyberg, OWiG § 30 Rn. 24. 160

C. Normadressatenkreis nach deutschem Recht

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Rechts konterkariert werden könnte.166 Es resultiert dabei unter anderem aus der Besorgnis möglicher Kontroversen, die sich für den Fall ergeben können, dass ein Gericht eine (Gebiets-)Körperschaft bestraft, es aber selbiger angehört.167 Zusätzlich wird an diesem Punkt ins Feld geführt: „Für die soziale Kontrolle der Körperschaften des öffentlichen Rechts sind die Parlamente sowie die Verfassungs- und Verwaltungsgerichte zuständig.“168

II. De lege ferenda Diese Bedenken mögen de lege lata aufgrund der nicht eindeutigen Rechtslage ihre Berechtigung haben, und man mag sie teilen oder nicht. Die maßgebliche Anforderung oder vielmehr Notwendigkeit, die aus dieser Schwebelage erwächst, ist eine klare Regelung für die Zukunft zu fassen, falls ein Verbandssanktionenrecht eingeführt wird. Ausgehend davon würde es sich anbieten, die bis dato herrschende Auffassung, die für eine Einbeziehung der juristischen Personen des öffentlichen Rechts schon in den gegenwärtigen § 30 OWiG plädiert, dergestalt zu kodifizieren, dass die juristischen Personen des öffentlichen Rechts grundsätzlich ausdrücklich in den Gesetzeswortlaut des Verbandssanktionenrechts aufgenommen werden, um Unsicherheiten in der Zukunft vorzubeugen.169 Für diese Integration sprechen insbesondere das Ziel der Vereinheitlichung und Festsetzung eines Sanktionensystems, das durch ein selbstständiges Verbandssanktionenrecht verwirklicht werden soll und die Verhinderung der Aufsplittung in künstlich getrennte Lebenssachverhalte. Weiter kann einer solchen Vereinheitlichung maßgeblich zu Gute gehalten werden, dass eine Gleichbehandlung eine angemessene Reaktion auf die Freiheit der Formenwahl zwischen dem Privat- und dem öffentlichen Recht bzw. dessen Strukturen darstellt, weshalb es nicht die Möglichkeit geben sollte, sich durch diese der Sanktionierung entziehen zu können bzw. ein Haftungsprivileg zu erhalten.170 Darüber hinaus werden juristische Personen des öffentlichen Rechts auch oftmals in der staatlichen Daseinsvorsorge tätig, was ebenso einen Bereich bildet, in dem Zuwiderhandlungen begangen werden können, welche für privatrechtliche juristische Personen eine Verbandsgeldbuße zur Folge hätte, sodass ein Unterschied nicht angemessen wäre.171

166 Hirsch, Die Frage der Straffähigkeit von Personenverbänden, S. 23; gegen die Einbeziehung von juristischen Personen des öffentlichen Rechts auch Pohl-Sichtermann, Geldbuße gegen Verbände, S. 72 f. 167 Vgl. dazu nur Hirsch, Die Frage der Straffähigkeit von Personenverbänden, S. 23; ders., ZStW 1995 (107), 285 (308). 168 Hirsch, ZStW 1995 (107), 285 (308). 169 So auch § 2 Abs. 1 Nr. 1 lit. a) VerSanG-E. 170 KK-OWiG/Rogall, OWiG § 30 Rn. 36 m.w.N. 171 Vgl. KK-OWiG/Rogall, OWiG § 30 Rn. 36 m.w.N.; zum Ganzen auch BeckOK OWiG/ Meyberg, OWiG § 30 Rn. 24; ähnlich auch in RegE.-Begr. S. 73.

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1. Kap.: Grundlagen

Mit eben dieser Argumentation war auch die Begründung des NRW-Entwurfs belegt, die ausweislich des Wortlautes in § 1 Abs. 1 VerbStRGE auf die Einbeziehung der juristischen Personen des öffentlichen Rechts verwies. Zusätzlich beschränkte die Norm die Reichweite der strafrechtlichen Haftung nicht allein auf (Wirtschafts-)Unternehmen.172 § 1 Abs. 1 VerbStRGE enthielt dazu klare Bestimmungen. So sollten zu den Normadressaten ausweislich der Begründung juristische Personen, nicht-rechtsfähige Vereine und rechtsfähige Personengesellschaften des privaten und öffentlichen Rechts, wie zum Beispiel (Gebiets-)Körperschaften, Anstalten oder Stiftungen, zählen.173 Von einer uneingeschränkten Einbeziehung juristischer Personen des öffentlichen Rechts sollte hingegen abgesehen werden. Auch in dem Kölner Entwuf eines Verbandssanktionengesetzes findet sich hierzu in § 1 Abs. 2 ein Regelungsvorschlag, der Ausnahmen vorsieht.174 Demzufolge sind Verbände im Sinne des Kölner Entwurfs juristische Personen, nicht rechtsfähige Vereine und rechtsfähige Personengesellschaften des privaten und öffentlichen Rechts. Davon ausgenommen hat der Kölner Entwurf allerdings ausweislich seines Wortlauters Körperschaften und Anstalten des öffentlichen Rechts, soweit sie in Ausübung hoheitlicher Befugnisse tätig werden. Last but not least hat sich die klare Inkludierung von juristischen Personen des öffentlichen Rechts auch im Regierungsentwurf des VerSanG durchgesetzt. § 2 Abs. 1 Nr. 1 lit. a VerSanG-E zählt zu den Verbänden ausweislich des Wortlautes juristische Personen des öffentlichen und privaten Rechts, sieht also an der Stelle eine Gleichbehandlung vor, die insgesamt überzeugt.175 Eine Einschränkung, die den Anwendungsbereich des VerSanG-E insgesamt konturieren soll, findet sich in der Entwurfsbegründung, die klarstellt, dass das Gesetz „nur für die Sanktionierung von Verbänden, deren Zweck auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gerichtet ist, wegen Straftaten“ gelten soll.176 Eine Verbandssanktion wird gemäß § 5 Nr. 3 VerSanG-E nicht gegen jemanden verhängt, der die Verbandstat in der Vornahme hoheitlichen Handelns begeht.177 Insgesamt ist diese vorgesehene Regelung für ein Verbandssanktionengesetz de lege ferenda zu begrüßen. 172 Krit. zum Ganzen: Schünemann, ZIS 2014, 1 (8 f.), der die im Gesetzesentwurf enthaltenen Begrifflichkeiten als Verletzung des Gleichheits- und Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes durch die Vermengung von Unternehmen und Unternehmensträger und die Ausdehnung auf das gesamte Vereinswesen sieht; krit. insbesondere zum Begriff des Verbandes im Gesetzesentwurf Fischer/Hoven, ZIS 2015, 32. 173 Vgl. NRW-Entwurf S. 39 f. 174 Henssler/Hoven/Kubiciel/Weigend, NZWiSt 2018, 1. 175 A.A. Rübenstahl, ZWH 2019, 233 (234 f.). 176 RegE.-Begr. S. 71 und 73: Ausweislich der Begründung sollen Verbände, deren Zweck nicht auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gerichtet ist insgesamt nicht in den Anwendungsbereich des zukünftigen VerSanG-E fallen, sondern weiter nach dem OWiG sanktioniert werden. 177 Siehe dazu RegE.-Begr. S. 73, 81; krit. zum Ganzen Rübenstahl, ZWH 2019, 233 (234 f.).

D. Kritische Würdigung und Fazit

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D. Kritische Würdigung und Fazit Dem ersten Kapitel der vorliegenden Untersuchung lässt sich entnehmen, dass es hierzulande bereits seit sehr langer Zeit Bestrebungen gibt, Kollektive zu sanktionieren. Dieser Wunsch nach der Sanktionierung war stets geprägt von den jeweiligen aktuellen geistespolitischen Strömungen und der jeweiligen Situation hierzulande insgesamt. Gleichzeitig mag dieser Wunsch zwar im Ursprung konstant vorhanden gewesen sein, äußerte sich jedoch in unterschiedlich starken Bestrebungen zur Einführung einer Verbandsstrafbarkeit, von denen jedoch letztlich keine derart überzeugen konnte, dass sie bis heute Bestand hat. Hinsichtlich der terminologischen Begriffsspielarten (Unternehmen, Verband, juristische Person) besteht eine große Spannweite, die zwar rechtlich unterschiedliche Auswirkungen zeitigen mag, jedoch in der vorliegenden Arbeit, aufgrund der Zuträglichkeit zum allgemeinen Verständnis, synonym verwendet wird. Ein erster Erkenntnisgewinn für ein Verbandssanktionengesetz de lege ferenda zeigt sich bei einem Blick auf den Normadressatenkreis de lege lata, welcher Unsicherheiten bzgl. der Inkludierung von juristischen Personen des öffentlichen Rechts aufweist, die in Zukunft durch eine deutliche gesetzliche Formulierung ausgeräumt werden sollten. Überzeugen kann an dieser Stelle die vorgesehene Regelung im VerSanG-E an zwei Stellen, da sie zum einen die Gleichbehandlung der juristischen Person des öffentlichen Rechts in § 2 Abs. 1 Nr. 1 lit. a) VerSanG-E vorsieht und zum anderen insbesondere keine Anwendung des VerSanG-E für Verbände deren Zweck nicht auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gerichtet ist, plant.

2. Kapitel

Die Sanktionierung von Verbänden de lege lata „Es ist nicht genug, zu wissen, man muss auch anwenden; es ist nicht gut genug, zu wollen, man muss auch tun.“ Johann Wolfgang von Goethe

A. Sanktionsmöglichkeiten gegen Verbände nach deutschem Recht – ein Sonderweg De lege lata gibt es in Deutschland bis zum jetzigen Zeitpunkt kein eigens geregeltes Verbandssanktionenrecht und insbesondere keine Möglichkeit, gegen eine juristische Person oder Personenvereinigung eine Kriminalstrafe zu verhängen.1 Demgemäß existiert auch kein selbstständiges Verbandssanktionsverfahrensrecht. Dies wird zum Anlass genommen, auf eine Reihe anderer Regelungen zurückzugreifen, um Sanktionen gegen ein Unternehmen verhängen zu können und dem Unternehmenskonstrukt (straf-)verfahrensrechtlich zu begegnen. Der folgende Abschnitt widmet sich zunächst bestehenden Normen zur Sanktionierung und zeigt im Anschluss daran die prozessrechtlichen Regelungen auf. Inwiefern diese Regelungen zur wirksamen Sanktionierung derzeit ausreichen oder nicht und wie hinreichend die Präventivwirkung ist, mag an dieser Stelle zunächst dahingestellt sein.2 Demgegenüber finden sich auf internationaler Ebene bereits seit einigen Jahren Regelungen in verschiedenen Ländern, welche die Bestrafung von Unternehmen vorsehen, weshalb ein partieller Überblick über diese sinnvoll scheint. Neben diesen ausländischen Regelungen ist die Bebußung von Unternehmen ebenfalls der EU als Verbund der 27 Mitgliedsstaaten selbst geläufig und auf verschiedenen Ebenen konkret vorgesehen, sodass auch diese für einen komplettierten Gesamtüberblick Beachtung finden. Darüber hinaus ist jener Hintergrund zur späteren intensiven Erläuterung der prozessualen Probleme und deren Verständnis im Zusammenhang hilfreich.

1 2

Siehe unter anderem zur Situation de lege lata Laue, Jura 2010, 339 ff. Vgl. dazu näher Kutschaty, ZRP 2013, 74; Görtz, WiJ 2014, S. 1 (3).

A. Sanktionsmöglichkeiten gegen Verbände nach deutschem Recht

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I. Regelungen im OWiG Richtet sich der Blick zunächst auf das Ordnungswidrigkeitengesetz (im Folgenden OWiG), fällt auf, dass dieses in materieller Hinsicht die Sanktion der Geldbuße enthält, welche die punitive Parallelität zur Geldstrafe im Strafrecht bilden soll.3 Bei der Betrachtung der aktuellen Fassung des Ordnungswidrigkeitengesetzes, welcher das Zweite Protokoll der EU über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften von 1997 zugrunde liegt,4 stößt man, das Pferd von hinten aufzäumend, auf die am 30. Juni 2013 in Kraft getretene 8. GWB-Novelle.5 Die damalige Reformierung brachte die Verschiebung der Bußgeldgrenze nach oben für Unternehmen mit sich. Seitdem kann ein Unternehmen beispielsweise bei der Verwirklichung der vom Tatbestand vorausgesetzten Merkmale des § 30 OWiG mit der Zahlung eines Betrages bis zu zehn Millionen Euro sanktioniert werden, während die Bußgeldobergrenze vorher bei einer Million Euro lag.6 Die dem deutschen Recht zugrundeliegende Regelung zur Sanktionierung von Verbänden durch eine nichtstrafrechtliche Geldbuße ist darüber hinaus auch anderen Rechtsordnungen nicht gänzlich unbekannt. So besteht zum Beispiel in Schweden die Möglichkeit, dass nichtstrafrechtliche Sanktionen, wie verwaltungs- oder zivilrechtliche, ebenfalls bei der Sanktionierung von Verbänden als ausreichend erachtet werden können.7 1. Materielle Voraussetzungen und Rechtsfolgen des § 30 OWiG Die zentrale Norm zur möglichen (Wortlaut „kann“) Sanktionierung von Verbänden ist der bereits erwähnte § 30 OWiG8 (Geldbuße gegen juristische Personen

3 Das deutsche Kriminalstrafrecht und Ordnungswidrigkeitenrecht sind voneinander getrennt und insbesondere die Begriffe Strafe und Straftat werden im OWiG nicht verwendet und finden daher auch keine Anwendung, wenn es um die Sanktionierung von juristischen Personen oder Personenvereinigungen geht. Vgl. dazu insbesondere Hirsch, ZStW 1995 (107), 285. 4 Vgl. das Gesetz zur Ausführung des Zweiten Protokolls vom 19. Juni 1997 zum Übereinkommen über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften, der Gemeinsamen Maßnahme betreffend die Bestechung im privaten Sektor vom 22. Dezember 1998 und des Rahmenbeschlusses vom 29. Mai 2000 über die Verstärkung des mit strafrechtlichen und anderen Sanktionen bewehrten Schutzes gegen Geldfälschung im Hinblick auf die Einführung des Euro, BGBl. I 2002, 3387. 5 BGBl. I, 1738 (1747); siehe zur 9. GWB Novelle, die im Juni 2017 in Kraft getreten ist BGBl. I 2017, 1416; siehe den Referentenentwurf der 10. GWB Novelle abrufbar unter https:// www.d-kart.de/wp-content/uploads/2019/10/GWB-Digitalisierungsgesetz-Fassung-Ressortab stimmung.pdf zuletzt abgerufen am 09. 11. 2020. 6 Vgl. Süße/Püschel, Newsdienst Compliance 7/2014, 11002. 7 So schon Hirsch, ZStW 1995 (107), 285 (302 f.); Böse, ZStW 2014 (126), 132 (134) m.w.N. 8 Zum Reformbedarf des OWiG vgl. unter anderem Beulke/Moosmayer, CCZ 2014, 146; Hein, CCZ 2014, 75; Rübenstahl, ZRFC 2014, 26 (27 f.); Theile, in: Berndt/Theile (Hrsg.), Unternehmensstrafrecht, S. 137 ff.

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2. Kap.: Die Sanktionierung von Verbänden de lege lata

und Personenvereinigungen).9 Nach dem Willen des Gesetzgebers ist sie, seit dem 2. WiKG vom 15. 05. 1986, insbesondere nicht mehr (nur) eine Nebenfolge, sondern eine eigene Sanktion.10 Über § 30 OWiG kann ein Bußgeld wegen einer von einer Leitungsperson (die abschließende Enumeration von § 30 Abs. 1 Nr. 1 – 5 OWiG ist identisch mit der Aufzählung in § 74e StGB, die dementsprechend den möglichen Täterkreis bilden) begangenen Ordnungswidrigkeit oder Straftat (§ 1 Abs. 1 OWiG, § 12 StGB) verhängt werden. Ein wirtschaftlicher Bezug der Ordnungswidrigkeit und Straftat ist keine Voraussetzung. So kommen Ordnungswidrigkeiten und Straftaten aller Art als Anknüpfungstaten in Betracht.11 Hauptzweck der Norm ist es, juristische Personen und ihnen gleichgestellte Vereinigungen hinsichtlich der Sanktionen, die aus einer Ordnungswidrigkeit oder Straftat resultieren, denen eines Einzelunternehmers gleichzustellen.12 Gleichstellen meint hier, dass das Vermögen des Verbandes hinsichtlich der Rechtsfolgen dem Vermögen eines Einzelunternehmers gleichstehen soll, mithin gleichsam in Anspruch genommen werden kann.13 Gegen diesen würde eine Geldbuße unter Einbeziehung des wirtschaftlichen Wertes des Unternehmens und des beabsichtigten oder erzielten Vorteils verhängt werden, während bei der Geldbuße gegen die Leitungsperson einer juristischen Person nur deren persönliche Wirtschaftsverhältnisse als Bemessungsfaktor zur Festsetzung der Geldbuße relevant wären.14 Über § 30 OWiG ist daher der Weg auf den Vermögenszugriff des Verbandes bei Verschulden einer Leitungsperson durch die Geldbuße eröffnet. Als weitere Zwecke anerkannt sind darüber hinaus sowohl ein unlauteres Gewinnstreben als auch die Missachtung gesetzlicher Ge- und Verbote zu unterbinden und zu bekämpfen sowie die generalpräventive Wirkung voranzutreiben.15 Strukturell handelt es sich (und diese dogmatische Einordnung ist teilweise heftig umstritten16) bei § 30 OWiG um eine Zurechnungsnorm, da sich die Verantwort9 Diese Bebußungsmöglichkeit könnte schon in ihrem Ursprung einen Widerspruch in sich tragen, da die „Straffähigkeit“ im Ordnungswidrigkeitenrecht bejaht wird und im Kriminalstrafrecht verneint wird, dazu Hirsch, ZStW 1995 (107), 285 (304); Reformvorschlag u. a. des § 30 OWiG bei Beulke/Moosmayer, CCZ 2014, 146 (147 f.). 10 BGBl. I 1986, 721 (724); BT-Drs. 12/192, S. 33; dazu auch Graf/Jäger/Wittig/Niesler, Wirtschaftsstrafrecht, § 30 Rn. 4; zur Entstehungsgeschichte KK-OWiG/Rogall, OWiG § 30 Rn. 14, 25 ff. m.w.N. 11 Vgl. KK-OWiG/Rogall, OWiG § 30 Rn. 88. 12 BT-Drs. 5/1269, S. 57 ff. 13 BT-Drs. 5/1269, S. 59. 14 BT-Drs. 5/1269, S. 59. 15 BeckOK OWiG/Meyberg, OWiG § 30 Rn. 10 f. 16 Für § 30 OWiG als Zurechnungsnorm u. a. Ransiek, Unternehmensstrafrecht, S. 111; Walter, JA 2011, 481 (485); allgemein zu dieser Problematik KK-OWiG/Rogall, OWiG § 30 Rn. 2 f., 8, der hinsichtlich der Beschreibung des § 30 OWiG als „reiner“ Zurechnungsnorm kritisch ist und davon ausgeht, § 30 OWiG sei eine Norm, die primär täterschaftlich-beteiligende und darüber hinaus zurechnende Elemente enthalte; für § 30 OWiG als Zurechnungsnorm, die eine täterschaftsbegründende Komponente hinsichtlich des Unternehmens enthalte, Schmitt-Leonardy, Unternehmenskriminalität ohne Strafrecht?, S. 296; zur Rechtsnatur des

A. Sanktionsmöglichkeiten gegen Verbände nach deutschem Recht

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lichkeit des Verbandes auf einen Verstoß eines Repräsentanten des Verbandes bezieht, der spezifische Verbandspflichten verletzt hat.17 Es handelt sich folglich gerade nicht um einen eigenständigen Bußgeldtatbestand.18 Teilweise wird davon ausgegangen es handele sich bei § 30 OWiG um eine Norm mit täterschaftlich beteiligenden und zurechnenden Elementen.19 § 30 OWiG führt so zu der Begründung einer eigenen Verbandsverantwortlichkeit: Dem Verband wird die Straftat oder Ordnungswidrigkeit des Organs oder Vertreters so zugerechnet, als hätte er sie selbst begangen und es wird gerade keine Zurechnung von Fremdverhalten vorgenommen. Gemäß §§ 30 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 S. 1 Nr. 1 OWiG kann gegen eine juristische Person oder Personenvereinigung eine Geldbuße bis zu einer Höhe von zehn Millionen Euro verhängt werden, wenn ein Repräsentant im Sinne von Nr. 1 – 5 eine Straftat oder Ordnungswidrigkeit, durch die die Pflichten der juristischen Person oder Personenvereinigung verletzt wurden oder die juristische Person oder Personenvereinigung bereichert wurde oder werden sollte, mit Vorsatz begeht. Diese Begehungsvarianten des Abs. 1 Alt. 1 und 2 können mitunter auch kumulativ vorliegen. Die Variante der fahrlässigen Begehung einer Straftat sanktioniert § 30 Abs. 2 S. 1, Nr. 2 OWiG mit einer Geldbuße bis zu der Höhe von fünf Millionen Euro. Hinsichtlich der Festsetzung der Geldbuße findet das Opportunitätsprinzip Anwendung.20 Mutet die genannte Bußgeldobergrenze auf den ersten Blick hoch an, erstaunt es, dass Wessings „bunteste Blüte des dogmatischen und rechtlichen Schattengewächses des informellen Unternehmensstrafrechts“,21 die Gewinnabschöpfung über § 30 Abs. 3 i.V.m. § 17 Abs. 4 OWiG, den Verfolgungsbehörden ein finanziell noch empfindlicher wirkendes Sanktionsinstrument an die Hand gibt, da die Geldbuße für den Verband so bemessen werden kann, dass sie den wirtschaftlichen Vorteil, den der Verband aus der Ordnungswidrigkeit erlangt hat, übersteigt, wobei beachtlich ist, dass die Gewinnabschöpfung auch das Höchstmaß des jeweiligen Bußgeldrahmens überschreiten kann.22 Beispielhaft sei an dieser Stelle die Siemens-Entscheidung des LG München I genannt, in der eine Geldbuße in Höhe von einer Million Euro erlassen wurde, die über § 17 Abs. 4 OWiG um 200 Millionen § 30 OWiG auch Klesczewski, Ordnungswidrigkeitenrecht, Rn. 645 ff.; Müller, Stellung der juristischen Person, S. 16 ff. 17 Vgl. dazu insgesamt Engelhart, NZWiSt 2015, 201 (207 f.); BeckOK OWiG/Meyberg, OWiG § 30 Rn. 16 f.; zu den unterschiedlichen Ansätzen siehe Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen, S. 375 ff.; Schmitt-Leonardy, Unternehmenskriminalität ohne Strafrecht?, S. 296 m.w.N. 18 BGH v. 05. 12. 2000 – 1 StR 411/00, BGHSt 46, 207 (211) = NJW 2001, 1436 (1438); BeckOK OWiG/Meyberg, OWiG § 30 Rn. 16. 19 Statt vieler KK-OWiG/Rogall, § 30 Rn. 2. 20 BeckOK OWiG/Meyberg, OWiG § 30 Rn. 94 f. 21 Wessing, ZWH 2012, 301 (304). 22 BeckOK OWiG/Sackreuther, OWiG § 17 Rn. 113 und spezifisch zur Anwendung des § 17 Abs. 4 OWiG gegen juristische Personen Rn. 116.

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2. Kap.: Die Sanktionierung von Verbänden de lege lata

Euro erhöht wurde.23 So wird bereits an diesem Punkt und insbesondere bei Wessing deutlich, dass die verfahrensrechtlichen Probleme/Herausforderungen, die die Gewinnabschöpfung mit sich bringt, ebenfalls nicht länger unbeachtet bleiben dürfen:24 Ein Problem besteht darin, dass die Gewinnabschöpfung zwar offiziell nicht als Strafe gedacht ist, ihr jedoch (inoffiziell) in der Praxis ein stark punitiver und freilich auch nur schwer kontrollierbarer Charakter nachgesagt wird.25 Diese tatsächlichen Gegebenheiten verschlechtern die Position des Verbandes im Ordnungswidrigkeitenverfahren nicht nur unerheblich. So geben ihm §§ 426 ff. StPO zwar existentielle Verfahrensrechte an die Hand. Diese finden indes in der Praxis kaum Anwendung. Hat sich nämlich gezeigt, dass es oft bereits schwierig ist, die Einhaltung von Verfahrensgarantien im Strafverfahren sicherzustellen, so wird dies für das Ordnungswidrigkeitenrecht, in welchem die §§ 426 ff. StPO über die Verbindung mit § 46 Abs. 1 OWiG sinngemäß angewendet werden,26 nicht nur unwesentlich schwieriger sein.27 Durch die Möglichkeit der Gewinnabschöpfung, die durch § 30 OWiG ebenfalls in Rede steht, verdrängt dieser in vielen Fällen die spezielleren Vorschriften des § 29a OWiG und § 73 StGB über die Einziehung von Taterträgen bzw. von dessen Wert.28 Die Vorschrift steht zudem in einem engen Zusammenhang zu § 14 StGB und § 9 OWiG29 sowie zu § 130 OWiG.30 Nach § 30 OWiG i.V.m. § 130 OWiG kann die Aufsichtspflichtverletzung der juristischen Person zugerechnet werden, auch wenn die Zuwiderhandlung von einer Person begangen wurde, die unterhalb der Leitungsebene steht. Ist dies zutreffend, steht zunächst in Frage, ob sich eine Leitungsperson31 an diesem Delikt beteiligt hat und dadurch selbst strafbar gemacht hat oder eine Ordnungswidrigkeit begangen hat.32 Wenn keine derartige Strafbarkeit im Raume steht, ist zu fragen, ob eine Aufsichtspflichtverletzung im Sinne des § 130 OWiG vorliegt. Zwar ist § 130 OWiG ein Sonderdelikt, das den Betriebsinhaber als Normadressaten hat, jedoch betreffen die Pflichten über § 9 OWiG ebenfalls die ausführenden Leitungspersonen des § 30 Abs. 1 – 5 OWiG, welche für den Inhaber (wenn dieser eine juristische Person ist) tätig werden, sodass einem Haftungsdurchgriff der Weg geebnet ist. 23

LG München v. 04. 10. 2007 – 5 KLs 563 Js 45994/07, BeckRS 2008, 01235; vgl. auch bei Wessing, ZWH 2012, 301 (305). 24 Wessing, ZWH 2012, 301 (304 f.). 25 Wessing, ZWH 2012, 301 (305). 26 Siehe dazu statt vieler KK-OWiG/Rogall, OWiG § 30 Rn. 227 f. 27 So auch Wessing, ZWH 2012, 301 (305). 28 Durth, WiJ 2012, 7 (12). 29 Ausführlich und grundlegend zu § 9 OWiG siehe BeckOK OWiG/Valerius, OWiG § 9 passim. 30 BeckOK OWiG/Meyberg, OWiG § 30 Rn. 12 m.w.N. 31 Siehe zur strafrechtlichen Verantwortlichkeit von Leitungskräften im Unternehmen de lege lata Kuhlen, wistra 2016, 465 ff. 32 Zum Ganzen BeckOK OWiG/Meyberg, OWiG § 30 Rn. 13.

A. Sanktionsmöglichkeiten gegen Verbände nach deutschem Recht

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2. Anwendungspraxis des § 30 OWiG in Deutschland In Frage steht darüber hinaus, wie die Anwendungspraxis der Verbandsgeldbuße nach § 30 OWiG de lege lata in Deutschland ist und dabei freilich vor allem, inwiefern Staatsanwaltschaften die Norm anwenden. Hierzu wurde insbesondere im Rahmen des Kölner Entwurfs bzw. der damit zusammenhängenden Forschungsgruppe eine der jüngsten empirischen Studien erhoben.33 Dabei ergab sich, laut der Verfasser, dass von 49 kontaktierten Staatsanwaltschaften (hierbei handelte es sich hauptsächlich um Schwerpunktstaatsanwaltschaften für Korruption und Wirtschaftskriminalität) 18 Staatsanwaltschaften angaben, dass sie im Zeitraum von 2011 bis 2016 keine Geldbußen gegen Unternehmen verhängt hätten.34 Die Mehrheit der anderen befragten Staatsanwaltschaften teilte, laut der Erheber dieser Studie, mit, dass sie jährlich weniger als drei Geldbußen gegen Unternehmen verhängt hätten. Neben diesen Angaben wurde die Wahrscheinlichkeit, dass eine Geldbuße, wenn § 30 OWiG vorläge, verhängt würde gering (unter 20 %) eingeschätzt.35 Daneben hätte, so die Verfasser, die große Mehrheit der Befragten angegeben, dass Staatsanwälte manchmal auch bei eindeutig gelagerten Sachverhalten von einem Verfahren absehen, da zu wenig Ressourcen und Erfahrung in diesem Bereich bestünden.36 Darüber hinaus führt die Studie vor Augen, dass es einen regionalen Unterschied hinsichtlich der Häufigkeit und Höhe bei der Verhängung eines Bußgeldes nach § 30 OWiG gibt. So würden in Norddeutschland weitaus weniger Geldbußen verhängt als in Süddeutschland.37 Zusätzlich spiele auch der Aspekt der Spezialisierung der Staatsanwaltschaft in diesem Kontext eine wichtige Rolle.38 Hier gelte: Je spezialisierter die Staatsanwaltschaft sei, desto höher sei auch die Wahrscheinlichkeit der Verhängung bzw. Einleitung eines Verfahrens wegen § 30 OWiG.39 Insgesamt lässt sich der Studie jedenfalls eine Tendenz in der Hinsicht entnehmen, dass § 30 OWiG in der Praxis aus verschiedenen Gründen leerläuft und das derzeitige Ordnungswidrigkeitenrecht mit der Sanktion der Verbandsgeldbuße insgesamt nicht als ausreichend erachtet werden kann, Verbände angemessen zu sanktionieren.40 An dieser Stelle besteht somit für den Gesetzgeber zumindest Reformbedarf, sodass in Zukunft sichergestellt werden kann, dass Normen nicht nur existieren, sondern auch in der Praxis zur Anwendung kommen.

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Henssler/Hoven/Kubiciel/Weigend, NZWiSt 2018, 1 (6). So bei Henssler/Hoven/Kubiciel/Weigend, NZWiSt 2018, 1 (6). Henssler/Hoven/Kubiciel/Weigend, NZWiSt 2018, 1 (6). Henssler/Hoven/Kubiciel/Weigend, NZWiSt 2018, 1 (6). Henssler/Hoven/Kubiciel/Weigend, NZWiSt 2018, 1 (6). Henssler/Hoven/Kubiciel/Weigend, NZWiSt 2018, 1 (6). Henssler/Hoven/Kubiciel/Weigend, NZWiSt 2018, 1 (6). So auch letztlich in RegE.-Begr. S. 54.

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2. Kap.: Die Sanktionierung von Verbänden de lege lata

3. Die Aufsichtspflichtverletzung nach § 130 OWiG a) Allgemein § 130 OWiG (Verletzung der Aufsichtspflicht in Betrieben und Unternehmen) ist als echtes Unterlassungsdelikt41 konzipiert und fungiert als Auffangtatbestand42 zur Schließung der Ahndungslücke, die dadurch entsteht, dass Unternehmen in der heutigen Zeit immer komplexer strukturiert sind, wodurch es zu Pflichtendelegationen kommt, um einen reibungslosen internen Ablauf im Unternehmen sicherzustellen.43 Damit untrennbar verbunden ist die Dezentralisierung innerhalb des Unternehmens als solches. Wenn ein Mitarbeiter des Unternehmens eine Straftat oder eine Ordnungswidrigkeit begeht, stellt sich die Frage, ob und wenn ja, wer und wie zu bestrafen ist. Aus diesem Erfordernis heraus sanktioniert § 130 Abs. 1, 3 OWiG den Inhaber eines Betriebes oder Unternehmens für den Fall mit einem Bußgeld, dass Zuwiderhandlungen gegen betriebsbezogene Pflichten in einem Betrieb oder Unternehmen begangen wurden, sofern die Zuwiderhandlung durch die erforderliche Aufsicht verhindert oder wesentlich erschwert worden wäre. So sollen konkrete Gefahren, welche für die geschützten Rechtsgüter des Straf- oder Ordnungswidrigkeitenrechts typischerweise im Unternehmen auftreten, schon präventiv verhindert werden.44 § 130 OWiG dient an dieser Stelle dem Zweck der Zurechnung, indem die Verantwortung für Zuwiderhandlungen im Verband zu einer Ordnungswidrigkeit des Betriebsinhabers und damit über § 9 OWiG einer Leitungsperson umgestaltet wird, um diese dem Verband gemäß § 30 OWiG zurechnen zu können.45 Hinter diesem Zweck steht der Gedanke des Gesetzgebers, dass derjenige, der sich Dritter zur Ausführung von Aufgaben und Pflichten in seinem Pflichtenkreis bedient, sich auch deren Zuwiderhandlung zurechnen lassen muss, wenn er nicht das Erforderliche getan hat, um die Zuwiderhandlung zu verhindern, sofern ihm dies zumutbar war.46 So ebnet § 130 OWiG den Weg für den Haftungsdurchgriff auf das Unternehmen selbst, da eine Aufsichtspflichtverletzung nach § 130 OWiG eine Ordnungswidrigkeit gemäß § 30 OWiG (und einen der häufigsten Anwendungsfälle in der Praxis für eine Geldbuße nach § 30 OWiG) darstellt.47

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Vgl. Bock, in: Kuhlen/Kudlich/Ortiz de Urbina (Hrsg.), Compliance und Strafrecht, S. 57 (59) m.w.N. 42 Wieser, Bußgeldverfahren, S. 130, 169 ff. 43 Vgl. Bock, in: Kuhlen/Kudlich/Ortiz de Urbina (Hrsg.), Compliance und Strafrecht, S.57 (59) m.w.N. 44 Vgl. dazu auch eingehend Theile/Petermann, JuS 2011, 496 (497). 45 Mit weiteren Beispielen und insbesondere empirischen Hintergründen siehe Krems, ZIS 2015, 5 (6 f.). 46 Vgl. dazu mit Fallbeispiel Theile/Petermann, JuS 2011, 496 (497). 47 Vgl. KK-OWiG/Rogall, OWiG § 130 Rn. 6.

A. Sanktionsmöglichkeiten gegen Verbände nach deutschem Recht

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b) Materielle Voraussetzungen des § 130 OWiG Nach § 130 OWiG haftet derjenige für betriebsbezogene Zuwiderhandlungen anderer, der seine Aufsichtspflicht im Betrieb oder Unternehmen verletzt.48 Dementsprechend kommt der Inhaber eines Betriebs oder eines Unternehmens als Täter in Betracht, und es ist für die Bejahung der Inhaberschaft allein maßgeblich, ob der Person die Erfüllung unternehmensbezogener Pflichten obliegt, wobei die Inhaberschaft (beispielsweise bei juristischen Person) ein besonderes persönliches Merkmal im Sinne von § 9 OWiG ist.49 Gerade nicht maßgeblich für die Inhaberschaft sind die zivilrechtlichen Verhältnisse wie zum Beispiel die Eigentümerstellung.50 Als Tathandlung nunmehr einhellig anerkannt ist, dass der Betriebs-/Unternehmensinhaber Aufsichtsmaßnahmen, die ihm obliegen, unterlassen haben und so seine Aufsichtspflicht verletzt haben muss.51 Zum Kreis dieser Pflichten zählen sowohl solche, die sich aus Sonderdelikten ergeben als auch solche, welche aus den Allgemeindelikten resultieren.52 Eine, nach dem Wortlaut „auch“, nicht abschließende Aufzählung von Pflichten enthält § 130 Abs. 1 S. 2 OWiG. Die jeweiligen Pflichten sind stets stark einzelfallabhängig und können unter anderem in Abhängigkeit zu der Größe und Struktur des Unternehmens stehen.53 Würde § 130 OWiG in diesem Zusammenhang ohne Einschränkung gelesen werden, entstünde der Eindruck der Uferlosigkeit der Vorschrift für den Betriebs-/Unternehmensinhaber, da dieser ausnahmslos dazu verpflichtet wäre, mit allen Mitteln, Rechtsverstöße zu verhindern. Dies kann vom Gesetzgeber in der Form nicht gewollt sein. Die gebotene Restriktion erfährt § 130 OWiG an dieser Stelle, wie alle Unterlassungsdelikte, durch die Kriterien der Erforderlichkeit und der Zumutbarkeit. Erforderlich ist eine Maßnahme nach dem allgemeinen juristischen Verständnis, wenn sie das geeignete und das relativ mildeste Mittel ist einen Rechtsverstoß im Unternehmen zu verhindern.54 Eine Maßnahme ist zumutbar, wenn sie in den Sorgfaltsbereich fällt, der von einem zuverlässigen und ordentlichen Angehörigen eines bestimmten Tätig-

48 Krenberger/Krumm, OWiG § 130 Rn. 1; siehe dazu im Zusammenhang Minkoff, Sanktionsbewerte Aufsichtspflichten im internationalen Konzern, S. 64 ff., 101 ff. 49 Krenberger/Krumm, OWiG § 130 Rn. 8; BeckOK OWiG/Beck, OWiG § 130 Rn. 34 ff.; Theile/Petermann, JuS 2011, 496 (498); vgl. zum Normadressaten des § 130 OWiG (bei grenzüberschreitenden Sachverhalten) Minkoff, Sanktionsbewehrte Aufsichtspflichten im internationalen Konzern, S. 235 ff.; zu den besonderen persönlichen Merkmalen BeckOK OWiG/ Valerius, OWiG § 9 Rn. 6 ff. 50 Vgl. dazu auch eingehend Theile/Petermann, JuS 2011, 496 (498). 51 So schon Rotberg, OWiG, § 130 Rn. 3. 52 Vgl. Theile/Petermann, JuS 2011, 496 (498) m.w.N. 53 Siehe dazu bereits Rotberg, OWiG, §130 Rn. 3. 54 Vgl. dazu grundlegend KK-OWiG/Rogall, OWiG § 130 Rn. 50; BeckOK OWiG/Beck, OWiG § 130 Rn. 50.

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2. Kap.: Die Sanktionierung von Verbänden de lege lata

keitsbereiches regelmäßig verlangt werden kann.55 Dazu zählen beispielsweise die ordnungsgemäße Betriebsorganisation, die Belehrung über einschlägige Vorschriften sowie Stichproben des Inhabers.56 Ausreichend ist bereits, wenn der unternehmensbezogene Verstoß mit einer hohen Wahrscheinlichkeit durch die Aufsichtsmaßnahme hätte verhindert werden können. Für den subjektiven Tatbestand ist es erforderlich, dass sich Vorsatz oder Fahrlässigkeit auf das Unterlassen der erforderlichen Aufsichtsmaßnahme und gerade nicht, wie auf den ersten Blick angenommen werden könnte, auf den konkreten Verstoß des Mitarbeiters richten.57 Eine Besonderheit folgt nach dem subjektiven Tatbestand in der Form der objektiven Bedingung der Ahndung.58 So wird vorausgesetzt, dass nicht nur eine Aufsichtspflichtverletzung vorliegt, sondern dass es auch zu einer Zuwiderhandlung eines Mitarbeiters kommt, die bei gehöriger Aufsicht hätte verhindert oder wesentlich erschwert werden können.59 In concreto meint dies, dass die Zuwiderhandlung die Folge der Aufsichtspflichtverletzung sein muss. Durch die Formulierung „oder wesentlich erschwert worden wäre“ impliziert der Gesetzgeber, dass nicht jede Aufsichtspflichtverletzung genügt, die eine Zuwiderhandlung gefördert hat, sondern dass die Aufsichtspflichtverletzung für die Zuwiderhandlung „mit wirksam geworden sein“ muss.60 Ein engerer Kausalzusammenhang wird jedoch nicht gefordert.61 Anknüpfungspunkt der objektiven Bedingung der Ahndbarkeit ist die Zuwiderhandlung des Mitarbeiters, worauf sich Vorsatz oder Fahrlässigkeit des Unternehmensinhabers folglich nicht beziehen müssen. Beachtlich ist auch, dass nicht schon irgendein Pflichtverstoß genügt, sondern der Pflichtverstoß des Mitarbeiters eine Unternehmensbezogenheit aufweisen muss, die spezifisch den Pflichtenkreis des Inhabers betrifft.62 Ausreichend ist ferner bereits die Feststellung, dass überhaupt eine Zuwiderhandlung vorliegt. Der Zuwiderhandelnde selbst muss nicht ermittelt werden.63

55 So im Grunde schon BGH v. 11. 07. 1956 – 1 StR 306/55, BGHSt 9, 319 (323) = ohne die einschlägige Passage abgedruckt in NJW 1956, 1568; BGH v. 23. 03. 1973 – 2 StR 390/72, BGHSt 25, 158 (162 f.) = NJW 1973, 1511 (1513); Rotberg, OWiG, § 130 Rn. 3. 56 Vgl. dazu ausführlich Wieser, Bußgeldverfahren, S. 173 ff. 57 Krenberger/Krumm, OWiG § 130 Rn. 32. 58 BeckOK OWiG/Beck, OWiG § 130 Rn. 79. 59 Vgl. Theile/Petermann, JuS 2011, 496 (499) m.w.N., die hier zutr. vom gewollten Zurechnungszusammenhang des Gesetzgebers sprechen. 60 Krit. Göhler/Gürtler, OWiG § 130 Rn. 22a m.w.N. 61 Krit. Göhler/Gürtler, OWiG § 130 Rn. 22a m.w.N. 62 Sofern die Unternehmensbezogenheit der Pflichtverletzung festgestellt wurde, können die Anknüpfungstaten auch außerhalb des räumlichen Geltungsbereiches des Unternehmens liegen, vgl. Theile/Petermann, JuS 2011, 496 (499). 63 Krenberger/Krumm, OWiG § 130 Rn. 27.

A. Sanktionsmöglichkeiten gegen Verbände nach deutschem Recht

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c) Rechtsfolgen Die Rechtsfolgen normiert § 130 Abs. 3 OWiG. So kann demgemäß ein Bußgeld verhängt werden. Grundsätzlich bemisst sich die Höhe des Bußgeldes nach § 17 Abs. 1 OWiG. Gemäß § 17 Abs. 1 OWiG ist ein Bußgeld in Höhe von fünf bis tausend Euro zu verhängen, wenn im Gesetz nichts anderes bestimmt ist. § 130 Abs. 3 OWiG normiert hier jedoch ein anderes, sodass dieser als speziellere Vorschrift zur Bußgeldbemessung einschlägig ist. Als Kriterium wird herangezogen, ob die Pflichtverletzung mit Strafe oder Geldbuße oder sowohl als auch bedroht ist. Im ersten Fall (Bedrohung mit Strafe) kann eine Geldbuße bis zu 1 Million Euro verhängt werden, im zweiten Fall (Bedrohung mit Geldbuße) ist eine Geldbuße bis zum Höchstmaß der Geldbuße für die Pflichtverletzung möglich. Dies gilt auch im letzten Fall (gleichzeitige Bedrohung mit Strafe und Geldbuße), wenn das für die Pflichtverletzung angedrohte Höchstmaß der Geldbuße das Höchstmaß von 1 Million Euro übersteigt (vgl. § 130 Abs. 3 S. 3 OWiG). 4. Das Handeln für einen anderen nach § 9 OWiG Neben § 130 OWiG und § 30 OWiG spielt § 9 OWiG für beide Vorschriften eine zentrale Rolle. Über § 9 OWiG wird der Anwendungsbereich erweitert, indem er sich gemäß § 9 Abs. 1 und 2 OWiG auf Tatbestände mit personenbezogenen Merkmalen, wie Sonder- und Pflichtdelikte, auf unmittelbar handelnde gesetzliche und gewillkürte Vertreter erstreckt.64 In diesem Gefüge kommt § 9 Abs. 3 OWiG eine klarstellende Funktion in der Hinsicht zu, dass es gerade nicht auf die zivilrechtliche Wirksamkeit des Aktes ankommt, sondern lediglich darauf, ob ein faktisches Auftrags- oder Vertretungsverhältnis vorliegt.65 § 9 OWiG kommt daher insgesamt der Charakter einer Tatbestandsergänzungsvorschrift zu, die eine Bebußung für die Fälle ermöglicht, dass der unmittelbar Handelnde nicht der Normadressat ist und umgekehrt der Normadressat nicht der unmittelbar Handelnde.66 Dies geschieht durch den Transfer der besonderen Merkmale von der Verbands- zur Organ- und Leitungsebene.67

II. Einziehung und Abschöpfung des Mehrerlöses Neben den genannten Sanktionsmöglichkeiten geben das Ordnungswidrigkeitenund das Strafrecht den Behörden darüber hinaus Möglichkeiten an die Hand, den 64

Wieser, Bußgeldverfahren, S. 140 ff.; zum Anwendungsbereich des § 9 OWiG BeckOK OWiG/Valerius, OWiG § 9 Rn. 4 f. 65 BeckOK OWiG/Valerius, OWiG § 9 Rn. 52. 66 Perron/Eisele, in: Schönke/Schröder, StGB § 14 Rn. 1 m.w.N.; KK-OWiG/Rogall, OWiG § 9 Rn. 7 m.w.N. 67 Theile/Petermann, JuS 2011, 496 (497) m.w.N.

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2. Kap.: Die Sanktionierung von Verbänden de lege lata

juristischen Personen oder Personenvereinigungen Vorteile, die diese durch eine Tat erlangen, wieder abzunehmen. Hierfür kommen die Einziehung von Taterträgen bzw. von Tatprodukten oder Tatmitteln sowie die Abschöpfung des Mehrerlöses in Betracht.68 Der Einziehung wird dabei teilweise ein punitiver Charakter nachgesagt. 69 1. Einziehung von Taterträgen nach §§ 73 ff. StGB In strafrechtlicher Hinsicht besteht zunächst die Möglichkeit der Einziehung von Taterträgen gegen die juristische Person oder Personenvereinigung. Diese richtet sich nach §§ 73 ff. StGB.70 Die Möglichkeit einer Einziehungsanordnung gegen einen Verband ergibt sich konkret aus § 73b StGB, da ein „Anderer“ im Sinne dieser Vorschrift auch eine juristische Person sein kann.71 Die dazu parallele Regelung im Ordnungswidrigkeitenrecht bildet § 29a OWiG, der ebenfalls über das Merkmal des „Anderen“ die Einziehung des Wertes von Taterträgen als Abschöpfung des aus der Ordnungswidrigkeit erlangten gegen die juristische Person oder Personenvereinigung vorsieht.72 Gemeinsam ist beiden Vorschriften die Geltung des sogenannten „Bruttoprinzips“.73 Durch die Anwendung des Bruttoprinzips kann der Täter die Aufwendungen seiner Tat nicht in Rechnung stellen (vgl. § 73d Abs. 1 S. 2 StGB).74 Wurde gegen den Täter oder die juristische Person oder Personenvereinigung eine Geldbuße verhängt, ist die Anordnung der Einziehung des Wertes von Taterträgen nicht mehr möglich. Diese Subsidiarität ergibt sich aus § 30 Abs. 5 OWiG. Maßgeblich für die Subsidiarität ist nicht, ob der mit der Geldbuße erlangte Vorteil abgeschöpft oder lediglich die Ahndung der Tat bezweckt werden sollte.75 Die Anordnung der Einziehung von Taterträgen ist indes möglich, wenn keine Geldbuße verhängt wurde. Im Übrigen ist es zulässig, nach der Einnziehungsanordnung gegen die juristische Person oder Personenvereinigung ein Bußgeld nach § 30 OWiG zu 68 Vgl. zu der jüngsten Änderung der Rechtslage hinsichtlich der Vermögensabschöpfung Köhler, NZWiSt 2018, 226. 69 Vgl. zum Verfall nach altem Recht: Hirsch, ZStW 1995 (107), 285; als „strafähnliche Maßnahme“ auch bei MüKoStGB/Joecks, StGB Vorb. § 73 Rn. 11. 70 Vgl. Schönke/Schröder/Heine/Weißer, StGB Vorb. §§ 25 ff. Rn. 121 m.w.N.; vgl. zu allgemeinen Problemen insbesondere bei der Anordnung des früheren Verfalls, Schmidt, NZWiSt 2015, 401; vgl. dazu auch die Rechtsprechungsübersicht bei Achenbach, NStZ 2016, 715 ff. 71 BGH v. 21. 08. 2002 – 1 StR 115/02, BGHSt 47, 369 (378) = NJW 2002, 3339 (3340) zu § 73 III StGB a.F. 72 Göhler/Gürtler, OWiG § 29a Rn. 20; Wieser, Bußgeldverfahren, S. 131 f., 181, 189 f. 73 Das Bruttoprinzip besagt, dass nicht nur auf Gewinne zugegriffen werden kann, sondern erstreckt den Zugriff auf das Erlangte insgesamt, vgl. grundlegend dazu Göhler/Gürtler, OWiG § 29a Rn. 6; vgl. dazu auch Emmert, NZWiSt 2016, 449 ff. 74 Vgl. dazu im ordnungswidrigkeitenrechtlichen Verfahren insgesamt Wieser, Bußgeldverfahren, S. 189 f. 75 BGH v. 14. 02. 2007 – 5 StR 323/06, NStZ-RR 2008, 13 (15) = StRR 2007, 193; BeckOK OWiG/Meyberg, OWiG § 30 Rn. 107.

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verhängen und die bereits erfolgte Einziehung für die Festsetzung zu berücksichtigen.76 Während im Strafverfahren die Einziehungsanordnung durch das Tatgericht ergeht, richtet sich die Einziehung im Ordnungswidrigkeitenverfahren nach § 87 OWiG. Dabei kann die Einziehungsanordnung sowohl im verbundenen als auch im selbstständigen Verfahren angeordnet werden. 2. Einziehung nach §§ 74 ff. StGB Die Einziehung von Gegenständen, die bei der Tat verwendet wurden oder aus der Tat hervorgegangen sind, richtet sich grundsätzlich nach den §§ 74 ff. StGB. Diese Möglichkeit wird auf die Einziehung von Tatmitteln juristischer Personen oder Personenvereinigungen nach § 74e StGB erweitert, indem die Handlungen eines Repräsentanten nach § 74e Abs. 1 Nr. 1 – 5 StGB, die in den Einziehungstatbeständen genannt sind, der juristischen Person oder Personenvereinigung zugerechnet werden. Für das Bußgeldverfahren richtet sich die Einziehung nach §§ 22 ff. OWiG. Diese Normen sind über die Verweisungsvorschrift des § 29 OWiG auch auf juristische Personen und Personenvereinigungen anwendbar. Sowohl die Einziehung unter den Voraussetzungen des § 74e StGB als auch die Einziehung nach § 29 OWiG können neben der Geldbuße angeordnet werden. In verfahrensrechtlicher Hinsicht besteht ebenso wie bei der Einziehung von Taterträgen die Möglichkeit, die Einziehung in einem verbundenen oder selbstständigen (Straf-)Verfahren anzuordnen. Soll die Einziehung in einem Strafverfahren angeordnet werden, sind die Vorschriften der §§ 426 ff. StPO einschlägig. Hingegen gilt in einem ordnungwidrigkeitenrechtlichen Verfahren § 87 OWiG. Darüber hinaus besteht über § 46 Abs. 1 OWiG die Möglichkeit, strafverfahrensrechtliche Regelungen ergänzend anzuwenden. 3. Abführung von Mehrerlös Eine weitere in Betracht zu ziehende Sanktion ist die Abführung des Mehrerlöses.77 Diese ergibt sich aus § 8 des Wirtschaftsstrafgesetzes und kann für den Fall ausgesprochen werden, dass eine bestimmte, nach § 8 Abs. 1 WiStG jedoch nicht notwendig schuldhafte Zuwiderhandlung gegen das Wirtschaftsstrafgesetz began-

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BeckOK OWiG/Meyberg, OWiG § 30 Rn. 107 ff. m.w.N. Vgl. dazu insgesamt BeckOK OWiG/Kudlich, WiStG § 8 Rn. 1 ff.; Erbs/Kohlhaas/ Lampe, WiStG § 8 Rn. 1 ff.; überblicksartig auch bei Zieschang, in: Achenbach/Ransiek/ Rönnau (Hrsg.), Handbuch Wirtschaftsstrafrecht, 4. Teil. 1. Kap. Rn. 73 ff.; vgl. insbesondere zur Rückerstattung des Mehrerlöses nach § 9 WiStG auch OLG Stuttgart v. 05. 04. 1978 – 3 Ss (8) 1043/77, NJW 1978, 2210 = Justiz 1978, 285. 77

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2. Kap.: Die Sanktionierung von Verbänden de lege lata

gen wurde. Über § 10 Abs. 2 WiStG (Anordnung gegen bereicherte Dritte78) kann diese Sanktion auch gegen juristische Personen oder Personenvereinigungen verhängt werden. Voraussetzung dafür ist nach § 10 Abs. 2 WiStG, dass die Zuwiderhandlung in einem Betrieb begangen worden ist.79 Diese Sanktion verdrängt die Anordnung der Einziehung von Taterträgen vgl. § 8 Abs. 4 S. 1 WiStG:80 „Die Abführung des Mehrerlöses tritt an die Stelle der Einziehung von Taterträgen (§§ 73 bis 73e und 75 des Strafgesetzbuches, § 29a des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten).“ Ebenso wie bei der Anordnung der Einziehung ist der Ausspruch der Abschöpfung von Mehrerlös ausgeschlossen, wenn gegen den Täter bereits eine Geldbuße verhängt wurde. Es ist nach § 10 Abs. 2 WiStG wie bei der Einziehung von Taterträgen zulässig, nach der Abführung des Mehrerlöses eine Geldbuße nach § 30 OWiG zu verhängen und die Abführung für die Bemessung der Geldbuße zu berücksichtigen. Soll die Abführung des Mehrerlöses im Strafverfahren angeordnet werden, geschieht dies nach § 11 Abs. 1 S. 1 WiStG im Urteil, während dies im Bußgeldverfahren nach § 11 Abs. 2 S. 1 WiStG im Bußgeldbescheid geschieht.81 Erfolgt der Ausspruch in einem selbstständigen Strafverfahren, sind §§ 435 Abs. 1, 2 und 3 S. 1 StPO und § 436 Abs. 1 und 2 StPO i.V.m. § 434 Abs. 2 oder 3 StPO gemäß § 10 nach § 11 Abs. 1, S. 2 WiStG entsprechend anzuwenden.82

III. Verwaltungsrechtliche Sanktionen, Spezialgesetze und weitere außerstrafrechtliche Sanktionsmöglichkeiten Die vorangehenden Vorschriften werden in Deutschland durch eine Vielzahl von Spezialgesetzen, die zur Sanktionierung von Unternehmen herangezogen werden, flankiert. Exemplarisch aufgeführt seien hier zunächst zivilrechtliche Sanktionsnormen.83 Inwiefern zivilrechtliche (Sanktions-)Normen aktuell ein ausreichendes Sanktionsinstrumentarium darbieten, soll nicht näher erläutert werden, sondern le78 Zur Voraussetzung des Betriebsinhabers, § 10 Abs. 2 WiStG, (dem ein Vorteil zugeflossen ist) hat die Rechtsprechung auch diejenigen Personen anerkannt, denen mit anderen zusammen ein Betrieb gehört, insbesondere die Mitglieder einer GbR: BayObLG v. 05. 03. 1959 – Beschw(W)Reg. – 4 St 71/55, BayObLGSt 1959, 70 (71). 79 Siehe zur restriktiven Auslegung des § 10 Abs. 2 WiStG: BeckOK, OWiG/Kudlich, WiStG § 10 Rn. 6 m.w.N.; BGH v. 12. 11. 1953 – 4 StR 150/53, BGHSt 5, 95 (98); zu den allgemeinen Voraussetzungen des § 10 Abs. 2 WiStG Erbs/Kohlhaas/Lampe, WiStG § 10 Rn. 6 ff. 80 BeckOK OWiG/Kudlich, WiStG § 8 Rn. 1 m.w.N.; Zieschang, in: Achenbach/Ransiek/ Rönnau (Hrsg.), Handbuch Wirtschaftsstrafrecht, 4. Teil 1. Kap. Rn. 75. 81 BeckOK OWiG/Kudlich, WiStG § 11 Rn. 2; Zieschang, in: Achenbach/Ransiek/Rönnau (Hrsg.), Handbuch Wirtschaftsstrafrecht, 4. Teil 1. Kap. Rn. 75. 82 BeckOK OWiG/Kudlich, WiStG § 11 Rn. 3. 83 Allgemein zu der Frage einer zivilrechtlichen Verantwortlichkeit statt einer Unternehmensstrafbarkeit?, Spindler, in: Hettinger (Hrsg.), Reform des Sanktionenrechts, S. 77.

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diglich auf die Existenz und Anwendung einzelner relevanter Normen hingewiesen werden.84 Beispielhaft ist hier § 831 BGB, aus dem sich ergibt, welche Pflichten der Unternehmensleitung obliegen.85 Der Wortlaut des § 831 Abs. 1 S. 1 BGB (Haftung für einen Verrichtungsgehilfen) besagt, dass derjenige, der einen anderen zur Verrichtung bestellt, zum Ersatz des Schadens verpflichtet sei, den der andere in Ausführung der Verrichtung einem Dritten widerrechtlich zufügt. Satz 2 normiert eine Exkulpationsmöglichkeit, wenn der Geschäftsherr bei der Auswahl der bestellten Person (und, sofern er Vorrichtungen oder Gerätschaften zu beschaffen oder die Ausführung der Verrichtung zu leiten habe) bei der Beschaffung oder der Leitung die im Verkehr erforderliche Sorgfalt beachtet oder wenn der Schaden auch trotz der Anwendung dieser Sorgfalt entstanden wäre. Demzufolge ist das Unternehmen zum Ersatz des Schadens verpflichtet, den ein beschäftigter Mitarbeiter als Verrichtungsgehilfe einem Dritten zufügt, sofern die ordnungsgemäße Erfüllung der Auswahl- und Aufsichtspflichten nicht gegeben ist. Diese Form der Haftung nach § 831 BGB für einen Verrichtungsgehilfen stellt ein eigenes Verschulden des Unternehmens dar. Es ist insofern mit Bock86 davon auszugehen, dass „sich die Pflicht zur sorgfaltsgemäßen Auswahl ständig aktualisiert und in Überwachungspflichten manifestiert“. Hier wäre es jedoch unbillig, dem Geschäftsherrn das vollumfängliche Haftungsrisiko aufzubürden. Dies resultiert daraus, dass sich Unternehmensstrukturen nach allgemeiner Lebenserfahrung in der heutigen Zeit vielschichtig und komplex gestalten und einzelne Arbeitsabschnitte häufig um ein Vielfaches untergliedert sind.87 Aufgrund dieser hochkomplexen Prozesse ergibt sich das Erfordernis und die Berechtigung der Exkulpationsregelung des § 831 Abs. 1 S. 2 BGB. Durch sie kann sich der Geschäftsherr hinsichtlich der Haftung exkulpieren. Ihm obliegt, als Ausgleich zu diesem Privileg, dass er einen Entlastungsbeweis hinsichtlich des fehlenden Verschuldens und der mangelnden haftungsbegründenden Kausalität erbringen muss. Hinsichtlich der ersten Komponente muss er nachweisen, dass er die erforderliche Sorgfalt bei der Auswahl, Instruktion und Überwachung des Verrichtungsgehilfen beachtet hat.88 Bezüglich der mangelnden haftungsbegründenden Kausalität muss er nach nachweisen, dass der Schaden ebenfalls bei der Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt eingetreten wäre.89 Für die Merkmale des § 831 Abs. 1 S. 2 BGB trägt er die Beweislast 84 Zu den Unzulänglichkeiten der zivilrechtlichen Sanktionen siehe Wessing, ZWH 2012, 301 (303). 85 Vgl. dazu auch Bock, in: Kuhlen/Kudlich/Ortiz de Urbina (Hrsg.), Compliance und Strafrecht, S. 57 (58 f.); allgemein zu den Haftungsvoraussetzungen des § 831 BGB Jauernig/ Teichmann, BGB § 831 Rn. 5 ff.; HK-BGB/Ansgar Staudinger, BGB § 831 Rn. 7 ff. 86 Vgl. Bock, in: Kuhlen/Kudlich/Ortiz de Urbina (Hrsg.), Compliance und Strafrecht, S. 57 (58 f.) m.w.N. 87 Siehe zum „dezentralisierten Entlastungsbeweis“ für Großunternehmen in diesem Zusammenhang HK-BGB/Ansgar Staudinger, BGB § 831 Rn. 13; Jauernig/Teichmann, BGB § 831 Rn. 13. 88 Ausführlich HK-BGB/Ansgar Staudinger, BGB § 831 Rn. 11. 89 HK-BGB/Ansgar Staudinger, BGB § 831 Rn. 12.

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2. Kap.: Die Sanktionierung von Verbänden de lege lata

(insofern es nicht darum geht, dass die Leitung der Verrichtung oder die Pflicht zur Beschaffung der Geräte behauptet wird, da hierfür der Verletzte die Beweislast trägt90).91 Daneben gibt es spezifische körperschaftsbezogene Normen, wie zum Beispiel den § 31 BGB, der die Haftung des Vereins für Organe vorsieht bzw. zwar keine haftungsbegründende, aber eine haftungszuweisende Regelung darstellt.92 Voraussetzung des § 31 BGB ist, dass der verfassungsmäßige Vertreter eine Handlung begangen hat, welche zum Schadensersatz verpflichtet, wie zum Beispiel eine unerlaubte Handlung im Sinne des §§ 823 ff. BGB.93 In diesem Zusammenhang normiert § 89 Abs. 1 BGB, dass § 31 BGB auf den Fiskus, Körperschaften, Stiftungen und Anstalten des öffentlichen Rechts anwendbar ist. Die Voraussetzungen für eine Haftung sind hierbei die gleichen wie in § 31 BGB.94 Darüber hinaus können im Zusammenhang mit strafgerichtlichen Verurteilungen Vorschriften des Nebenstrafrechts, des Kartellrechts und (Wirtschafts-)Verwaltungsrechts zur Sanktionierung von Unternehmen herangezogen werden. Als besonders gravierende Rechtsfolgen kommen für Letzteres der Ausschluss, die Betriebsschließung oder Auflösung unter bestimmten Voraussetzungen in Betracht, vgl. § 20 BImSchG (Untersagung, Stilllegung und Beseitigung), § 35 GewO (Gewerbeuntersagung), §§ 35 ff. KWG, §§ 61 f. GmbHG und § 396 AktG (gerichtliche Auflösung) und § 21 SchwarzArbG (Ausschluss von öffentlichen Aufträgen). Ferner gibt es in einigen Bundesländern, wie zum Beispiel Nordrhein-Westfalen, Berlin und Baden-Württemberg, Korruptions- und Vergaberegister, über die dort gelistete Unternehmen von der öffentlichen Auftragsvergabe ausgeschlossen werden können.95 Ein Beispiel für eine einschneidende Sanktionierung des einzelnen Mitarbeiters in der Praxis ist beispielsweise in dem „Gammelfleischskandal“ gegeben, bei dem das LG Oldenburg gegen den Angeklagten eine Gesamtstrafe von vier Jahren und drei Monaten sowie ein Berufsverbot nach § 70 StGB verhängte.96

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So bei Jauernig/Teichmann, BGB § 831 Rn. 16. HK-BGB/Ansgar Staudinger, BGB § 831 Rn. 16. 92 Palandt/Ellenberger, § 31 Rn. 2 m.w.N. 93 Palandt/Ellenberger, § 31 Rn. 2. 94 Palandt/Ellenberger, § 89 Rn. 1. 95 Wessing, ZWH 2012, 301 (304); Durth, WiJ 2012, 7 (12). 96 BGH v. 27. 03. 2008 – 3 StR 526/07, BeckRS 2008, 06867, Vorinstanz LG Oldenburg v. 07. 06. 2007 – 190 Js 30982/05 2 KLs 70/06, nicht veröffentlicht. 91

B. Sanktionsmöglichkeiten im Europäischen Recht

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B. Sanktionsmöglichkeiten im Europäischen Recht I. Allgemeines Mehrere Vorgaben zur Sanktionierung von Unternehmen bestehen auf der Ebene der Europäischen Union. Ursprünglich entstanden sie im Kontext mit den Regelungen zum Schutz der finanziellen Interessen der Gemeinschaft und in den Gemeinsamen Maßnahmen. Erst danach folgten Verordnungen, vielfältige Rahmenbeschlüsse und letztlich Richtlinien diesbezüglich. Dabei bestimmt das EU-Recht keine allgemeine Verantwortlichkeit von Unternehmen, sondern regelt sie spezifisch jeweils für ein Sachgebiet. Dies resultiert aus der nur beschränkten Strafrechtskompetenz der Union.97 Darüber hinaus ist die Möglichkeit der Sanktionierung von Unternehmen ebenfalls in den Regelungswerken des Europarates vorgesehen.

II. Recht der Europäischen Union 1. EU-Wettbewerbsrecht Neben der Festsetzung der Geldbuße nach § 30 OWiG und den anderen nationalen Sanktionsmöglichkeiten sind die europarechtlichen Sanktionen und dabei insbesondere jene im Wettbewerbsrecht von maßgeblicher Bedeutung.98 Auf der europarechtlichen Ebene wird zwischen drei Hauptkategorien von Sanktionen differenziert: den Geldbußen, den sonstigen finanziellen Sanktionen99 und den sonstigen Rechtsverlusten.100 Beachtlich ist bei diesen unterschiedlichen Kategorien von unionsrechtlichen Sanktionen, dass nicht alle solcher strafrechtlicher Couleur 97

Dazu insgesamt Engelhart, eucrim 2012, 110. Vgl. schon zu früheren Diskussionen über die strafrechtliche Verantwortlichkeit von Unternehmen auf europarechtlicher Ebene Korte, NJW 1998, 1464 (1465); in letzter Konsequenz hat das EU-Bußgeldrecht auch maßgebliche Auswirkungen auf das deutsche Kartellordnungswidrigkeitenrecht. Dies zeigt sich vor allem durch die Regelung in § 81 Abs. 4 S. 2 GWB (umsatzbezogener Bußgeldrahmen) und in § 81a GWB (jetzt § 81b GWB) (Auskunftspflichten). Beide Regelungen sind auf den Einfluss des Unionsrechts zurückzuführen, so Böse, in: Jahn/Schmitt-Leonardy/Schoop (Hrsg.), Das Unternehmensstrafrecht und seine Alternativen, S. 88 (105) m.w.N.; vgl. insbesondere zu verfahrensrechtlichen Problemstellungen des Kartellordnungswidrigkeitenverfahrens des BKartA und der Vereinbarkeit mit Art. 6 EMRK, Schmitz, wistra 2016, 129 ff. 99 Siehe Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht, § 8 Rn. 3 m.w.N., nach dem die sonstigen finanziellen Sanktionen, Sanktionen sind, die wie eine Geldbuße mit einer Vermögensminderung verbunden sind, aber nicht ausdrücklich als Geldbuße bezeichnet werden, so wie zum Beispiel der Kautionsverfall oder die pauschalierten Rückzahlungsaufschläge; dazu insgesamt auch Satzger, Europäisierung, S. 62. 100 Vgl. Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht, § 8 Rn. 1 ff., 4 m.w.N., wonach sonstige Rechtsverluste alle anderen Sanktionen sind, welche sich nicht auf die unmittelbare Vermögensminderung oder andere nachteilige Rechtsfolgen richten, wie zum Beispiel der Entzug von Zulassungen oder Lizenzen und die Kürzung oder Streichung von Beihilfen. 98

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2. Kap.: Die Sanktionierung von Verbänden de lege lata

sind.101 Zur abgrenzenden Feststellung von strafrechtlichen zu nichtstrafrechtlichen Sanktionen liegt es nahe, die dazu entwickelten Kriterien des EGMR zur Hilfe zu nehmen, die zur Anwendung der EMRK führen.102 Maßgeblich ist danach, wann und unter welchen Prämissen eine „strafrechtliche Anklage“ im Sinne des Art. 6 EMRK vorliegt, da diese Norm eine Vielzahl an Mindestgarantien enthält, die für ein staatliches Strafverfahren grundlegend einzuhalten sind.103 Damit die Mitgliedsstaaten die in Art. 6 Abs. 1 und Abs. 3 EMRK gewährleisteten Garantien nicht aushebeln bzw. umgehen können, erfolgt die Bestimmung des Vorliegens eines Strafverfahrens gerade nicht durch innerstaatliches Recht, sondern der Begriff der Anklage wird durch den EGMR (in seiner Rechtsprechung) konturiert. Dabei werden folgende Kriterien, regelmäßig im Alternativverhältnis, herangezogen:104 1. Schon das innerstaatliche Recht erkennt die Maßnahme dem Kriminalstrafrecht zugehörig an. 2. Die Natur der Maßnahme ist in der Hinsicht eine strafrechtliche, dass die Sanktion präventiven und repressiven Charakter hat. 3. Durch die Art und Schwere der Sanktion entstehen schwerwiegende Konsequenzen für den Beschuldigten. Nach diesen Kriterien ist eine Sanktion anerkanntermaßen zumindest dann dem Strafrecht im weiteren Sinne105 zuzuordnen, wenn sie nicht notwendig ausschließlich, aber jedenfalls auch eine repressive Wirkung oder eine besonders schwere Rechtsgutseinbuße für den Täter zur Folge hat.106 Dies dürfte auf Geldbußen, die gegen Kollektive verhängt werden, in vielen Fällen bereits aufgrund der Höhe der Geldbuße zutreffen. Darüber hinaus wird dies insbesondere auch dann zu bejahen

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Vgl. dazu Fromm, ZIS 2007, 279 (283) m.w.N., „para“-strafrechtliche Geldbußen. Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht, § 8 Rn. 5; Hecker, Europäisches Strafrecht, Kapitel 4.2.1.2 Rn. 61 f. 103 Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht, § 8 Rn. 5, § 11 Rn. 58 f.; zum Ganzen auch bei Schubert, Legal privilege und Nemo tenetur im europäischen Kartellermittlungsverfahren, S. 84 f. m.w.N. 104 Diese Kriterien werden aufgrund des Urteils des EGMR v. 08. 06. 1976 – Series A, 22, Rn. 82 (Engel u. a. v. Niederlande), EuGRZ 1976, 221 (285) auch als „Engelkriterien“ bezeichnet; Schubert, Legal privilege und Nemo tenetur im europäischen Kartellermittlungsverfahren, S. 85 m.w.N.; Barrot, ZJS 2010, 701 f. 105 Zur Abgrenzung der Zuordnung zum Strafrecht im weiteren Sinn und dem Europäischen Kriminalstrafrecht, Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht, § 8 Rn. 5 ff.; Hecker, Europäisches Strafrecht, Kapitel 4.2.1.3 Rn. 63; Satzger, Europäisierung, S. 72 ff. 106 EGMR v. 08. 06. 1976 – Series A, 22, Rn. 82 (Engel u. a. v. Niederlande), EuGRZ 1976, 221 (285) „Engelkriterien“; dazu insgesamt auch Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht, § 8 Rn. 5 f. m.w.N.; vgl. weiterführend zur Subsumtion von Ordnungswidrigkeiten unter „strafrechtliche Anklagen“ im Sinne des Art. 6 EMRK auch Schmitz, wistra 2016, 129 (131): maßgeblich sei nach dem EGMR „die Art der Zuwiderhandlung“ und „die Art und Schwere der dem Betroffenen drohenden Sanktionen“, wobei schon die Erfüllung eines von beiden Kriterien ausreiche; Hecker, Europäisches Strafrecht, Kapitel 4.2.1.2 Rn. 61 f.; zu den Engelkriterien ebenfalls bei Barrot, ZJS 2010, 701 f. 102

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sein, wenn es um das gerichtliche Verfahren zur Überprüfung eines Bußgeldbescheides geht.107 Bedeutsam sind für die vorliegende Arbeit deshalb insbesondere die Festsetzung einer Geldbuße nach dem EU-Wettbewerbsrecht und das Verfahren zur Festsetzung dieser und innerhalb dessen insbesondere die Geldbuße wegen materieller Wettbewerbsverstöße (Kartellgeldbuße, Art. 23 Abs. 5 Kartellverordnung, im Folgenden VO, die aufgrund von Art. 103 Abs. 2 lit. a AEUV erlassen wurde).108 Die Geldbuße ist zwar keine Kriminalstrafe, aber da sie einen repressiven Charakter hat, zählt sie jedenfalls zu den strafrechtlichen Sanktionen im weiteren Sinne.109 So sieht Art. 103 Abs. 2 lit. a AEUV im Wortlaut vor: „Die in Absatz 1 vorgesehenen Vorschriften bezwecken insbesondere, a) die Beachtung der in Artikel 101 Absatz 1 und Artikel 102 genannten Verbote durch die Einführung von Geldbußen und Zwangsgeldern zu gewährleisten.“ Dieser Weg der Sanktionierung wurde insbesondere bereits in der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in den Artikeln 81 und 82 des Vertrages niedergelegten Wettbewerbsregeln, ABl. L 1 v. 04. 01. 2003, S. 6, beschritten.

107 EGMR v. 21. 02. 1984 – 9/1982/55/84, NStZ 1984, 269 (270), in dem Verfahren ging es um Dolmetscherkosten in einem Ordnungswidrigkeitenverfahren in dem ein Bußgeldbescheid vom Landratsamtverhängt wurde. Der Beschwerdeführer (ein seit 1964 in der Bundesrepublik Deutschland wohnhafter Gastarbeiter) sollte diese zahlen. Der Beschwerdeführer machte geltend, dass diese Auferlegung der Kosten auf unentgeltlichen Beistand eines Dolmetschers Art. 6 Abs. 3 EMRK verletzte, was durch den Gerichtshof bestätigt wurde. Aus dem Wortlaut der Entscheidung heißt es: „Die Kommission (…) vertritt, dass die von ihm begangene Zuwiderhandlung ihrer Art nach strafrechtlich war. (…) Gleichwohl weist der Gerichtshof darauf hin, daß Zuwiderhandlungen, die ihren Urheber Strafen aussetzen, welche auch abschreckend wirken sollen und die üblicherweise aus Freiheits- oder Geldstrafen bestehen, nach dem üblichen Sprachgebrauch im Allgemeinen dem Strafrecht unterfallen. Außerdem wird ein Fehlverhalten, wie es der Bf. an den Tag gelegt hat, in der großen Mehrzahl der Vertragsstaaten als strafrechtlich qualifiziert, wie dies in der BRep. Dtschld. bis zum Inkrafttreten des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten ebenfalls geschah; in all diesen Staaten werden derartige Handlungen, soweit sie als rechtswidrig und verwerflich angesehen werden, mit Kriminalstrafen geahndet. (…) Mögen die Geldbußen (…) weniger belastend erscheinen als Geldstrafen, so haben sie dennoch ihren Strafcharakter beibehalten.“ 108 Siehe auch zur Entwicklung des deutschen und europäischen Kartellrechts Bosch, NJW 2016, 1700 ff.; insgesamt zu dem Topos auch Schubert, Legal privilege und Nemo tenetur im europäischen Kartellermittlungsverfahren, S. 58 f. 109 Vgl. dazu Hecker, Europäisches Strafrecht, S. 151, der explizit darauf eingeht, dass es sich bei der Geldbuße nicht um eine kriminalstrafrechtliche Sanktion handle. Denn zum einen würde diese nicht durch ein Gericht, sondern durch die Kommission verhängt und zum anderen würde durch diese kein sozialethisches Unwerturteil zum Ausdruck gebracht, auch sei keine Ersatzfreiheitsstrafe für den Fall der Nichteinbringlichkeit des Geldes geregelt, und es erfolge keine Eintragung ins Strafregister. Auf nationaler Ebene finden sich Regelungen zur Verhängung einer Geldbuße wegen Kartellordnungswidrigkeiten in §§ 81 ff. GWB; Dannecker/ Dannecker, NZWiSt, 2016, 162 (166).

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2. Kap.: Die Sanktionierung von Verbänden de lege lata

a) Die materiellen Grundlagen der Bebußung aa) Geldbuße nach Art. 15 VO 17/62 Schon zuvor kam der Geldbuße bereits eine bedeutende Rolle auf internationaler Ebene zu.110 Der Rat der Europäischen Gemeinschaft hat bereits im Jahre 1962, ermächtigt durch Art. 83 Abs. 2 lit. a in Verbindung mit Abs. 1 des EG-Vertrages, die Verordnung Nr. 17 (VO 17/62) erlassen.111 Die Vorschrift zur Verhängung eines Bußgeldes gegen ein Unternehmen112 fand sich in Art. 15 VO 17/62, welche unter anderem durch lit. b) und c) dazu diente, die Ermittlungsbefugnisse der Kommission durchzusetzen. Sie ermächtigte die Kommission in Abs. 1 dazu, durch Entscheidung Geldbußen gegen Unternehmen und Unternehmensvereinigungen zu verhängen, die auf die Höhe von einhundert bis fünftausend Rechnungseinheiten für die Fälle der drei Varianten des Art. 15 Abs. 1 a) – c) VO 17/62 festgesetzt wurden. Dies galt für den Fall des vorsätzlichen und fahrlässigen Handelns, wenn in einem Antrag (nach Art. 2 VO 17/62) oder einer Anmeldung (Art. 4 und 5 VO 17/62) unrichtige oder entstellte Angaben gemacht wurden, eine verlangte Auskunft nach Art. 11 Abs. 3 oder 5 VO 17/62 oder Art. 12 VO 17/62 unrichtig oder nicht fristgerecht getätigt wurde oder wenn bei einer Nachprüfung im Sinne von Art. 13 VO 17/62 oder Art. 14 VO 17/62 die angeforderten Bücher oder sonstigen Geschäftsunterlagen nicht vollständig vorlagen oder die angeordnete Nachprüfung nicht geduldet wurde. Gemäß Art. 15 Abs. 2 VO 17/62 konnte die Kommission ferner eine weitaus höhere Geldbuße einfordern, wenn ein Unternehmen vorsätzlich oder fahrlässig gegen Art. 85 Abs. 1 oder Art. 86 des Vertrages verstieß oder einer Auflage im Sinne des Art. 8 Abs. 1 HS. 2 VO 17/62 zuwiderhandelte. bb) Geldbuße nach Art. 23 Abs. 1 VO (EG) Nr. 1/2003 Ein zentrales Beispiel für die Wahrnehmung der Möglichkeit der Festsetzung einer Geldbuße wurde auch in die Kartellverordnung eingeführt. Nach Art. 7 – 9 VO ist (vorrangig113) die Kommission, als Exekutivorgan, dazu ermächtigt, Sanktionen 110 Vgl. zum „europäischen Wirtschaftsstrafrecht“ generell die Ausführungen von Tiedemann, NJW 1993, 23. 111 Abl. EU 1962, 13 vom 21. 02. 1962, S. 204 ff.; abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/ LexUriServ/LexUriServ.do?uri=CELEX:31962R0017:DE:HTML zuletzt abgerufen am 09. 11. 2020. 112 Vgl. zum Unternehmen als Normadressat und Täter in Art. 15 VO 17/62 Hamann, Das Unternehmen als Täter, S. 17 f. 113 Die Zuständigkeit zur Durchsetzung dieses Wettbewerbsrechts obliegt nicht allein den Mitgliedsstaaten, sondern vorrangig der Kommission. An dieser Stelle trifft das Unionsrecht unmittelbare Regelungen, sodass ein Rückgriff auf die Mitgliedsstaaten nicht mehr erforderlich ist, um ein Bußgeld gegen Verbände verhängen zu können. Im Gegensatz zu den innerstaatlichen Regelungsmodellen zur Festsetzung eines Bußgeldes besteht nicht die Möglichkeit die natürliche Person ebenfalls zu sanktionieren. Siehe zu dem letzten Aspekt Dannecker, wistra

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gegen Unternehmen zu verhängen. Die VO benennt hier zum einen die Geldbuße gemäß Art. 23 Abs. 1 VO.114 Sie bezieht sich in Abs. 1 auf Verstöße gegen Verfahrensvorschriften und in Abs. 2 auf Verstöße gegen materielles Recht.115 Die Verordnung unterscheidet hier zwischen der Geldbuße in Art. 23 VO und dem Zwangsgeld in Art. 24 VO, da mit der Geldbuße repressiv rechtswidrige Wettbewerbsverstöße sanktioniert werden sollen und diese darüber hinaus spezial- und generalpräventive Wirkung entfalten kann, indem sie abschreckend wirkt und weitere Verstöße für die Zukunft verhindern soll, während die Zwangsgelder im Sinne von Art. 24 VO ausschließlich zukunftsorientiert wirken und ein Handeln, Dulden oder Unterlassen der Unternehmen zum Ziel haben.116 Nach dem Wortlaut von Art. 23 Abs. 5 VO handelt es sich bei den Geldbußen zwar um Entscheidungen nicht strafrechtlicher Art, wodurch man meinen könnte, der Gesetzgeber habe der Geldbuße den strafrechtlichen Charakter auf europarechtlicher Ebene ausdrücklich aberkannt. Dieser Gedanke greift jedoch zu kurz, da mit diesem Wortlaut anerkanntermaßen lediglich herausgestellt werden soll, dass es sich bei der Geldbuße nicht um eine (echte) Kriminalstrafe handelt, sondern diese vielmehr der deutschen Variante der Geldbuße nach § 30 OWiG ähnelt.117 Der Wortlaut steht der Einstufung der Geldbuße als strafrechtliche Sanktion im weiteren Sinne daher nicht entgegen. cc) Geldbuße nach Art. 5 VO (EG) Nr. 1/2003 Darüber hinaus besteht die Befugnis der Wettbwerbsbehörden der Mitgliedstaaten eine verfahrensabschließende Maßnahme bzw. Entscheidung gegen Unternehmen wegen der Anwendung von Art. 101 (ex-Artikel 81 EGV) und Art. 102 AEUV (ex-Artikel 82 EGV) zu verhängen. Eine solche Maßnahme kann unter anderem ein Bußgeld, Zwangsgeld oder eine sonstige im innerstaatlichen Recht vorgesehene Sanktion sein (vgl. Art. 5 S. 2 VO), da die Wettbewerbsbehörden der Mitgliedsstaaten nach Art. 5 S. 1 VO für deren Anwendung im Einzelfall zuständig sind.118 Die Möglichkeit und sachliche Zuständigkeit zur Entscheidung obliegt nach Art. 5 S. 1 VO dementsprechend in vorliegendem Fall ausdrücklich den Wettbewerbsbehörden der Mitgliedsstaaten, wobei Art. 5 VO lediglich eine deklaratorische Bedeutung zukommt, weil sich die Befugnisse der nationalen Behörden 2004, 361 (365 f.); vgl. zu den Möglichkeiten eines Verfahrensabschlusses durch die Kommission Wahl, in: Sieber u. a. (Hrsg.), Europäisches Strafrecht, § 7 Rn. 72. 114 Abl. eg 2003 nr. I 1/1; dazu grundlegend Schubert, Legal privilege und Nemo tenetur im europäischen Kartellermittlungsverfahren, S. 44 ff. 115 Abl. eg 2003 nr. I 1/1. 116 Vgl. Wahl, in: Sieber u. a. (Hrsg.), Europäisches Strafrecht, § 7 Rn. 72 m.w.N.; zum Zwangsgeld als „versteckte Strafsanktion“ Hecker, Europäisches Strafrecht, S. 151 m.w.N. 117 Drope, Strafprozessuale Probleme bei der Einführung einer Verbandsstrafe, S. 42 m.w.N.; ferner Hecker, Europäisches Strafrecht, S. 151. 118 Puffer-Mariette, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, VO (EG) 1/2003 Art. 5 Rn. 1.

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2. Kap.: Die Sanktionierung von Verbänden de lege lata

aus nationalem Recht ergeben.119 Diese werden ausweislich des Wortlautes der Vorschrift entweder von Amts wegen oder aufgrund einer Beschwerde tätig. b) Das Verfahren zur Festsetzung einer Geldbuße nach Art. 23 VO (EG) Nr. 1/2003 Für das Verfahren zur Festsetzung einer Geldbuße nach Art. 23 VO gelten, wie für alle Verfahrensarten, die allgemeinen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts, zu denen insbesondere die Verteidigungsrechte derer gehören, die von einer nachteiligen beschwerenden Entscheidung der Kommission betroffen sind. Zu den Verteidigungsrechten gehören beispielsweise der Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 27 Abs. 1 VO), das Recht auf Akteneinsicht (Art. 27 Abs. 2 VO), die Vertraulichkeit der Beziehung zwischen Rechtsanwalt und Mandant und, last but not least, der Schutz von Geschäftsgeheimnissen (Art. 28 und 30 Abs. 2 S. 2 VO).120 Ein wichtiger Verfahrensgrundsatz ist darüber hinaus das Opportunitätsprinzip. Der Kommission kommt demnach sowohl ein Ermessen hinsichtlich der Frage zu, ob sie ein Verfahren einleitet als auch hinsichtlich der Entscheidung (wie).121 Relevant ist auch, dass der Adressat eines festgesetzten Bußgeldbescheides keinen Anspruch, resultierend aus dem Gleichheitsgrundsatz, auf Bußgeldfreiheit hat, wenn in ähnlichen Fällen kein Bußgeld verhängt wurde.122 Neben den Verteidigungsrechten des Beschwerten auf der einen Seite bestehen auf der anderen Seite die Ermittlungsbefugnisse der Kommission. Letztere besagen insbesondere, dass die Kommission die für den Nachweis einer Zuwiderhandlung notwendigen Beweise beschaffen muss.123 Einzelne Ermittlungsbefugnisse regeln Art. 17 – 21 VO. Zu diesen gehören die Befugnis zur Untersuchung einzelner Wirtschaftszweige und einzelner Arten von Vereinbarungen (Art. 17 VO), das Auskunftsverlangen (Art. 18 VO), die Befugnis zur Befragung von natürlichen und juristischen Personen (Art. 19 VO) und die Durchführung der erforderlichen Nachprüfungen auch in Räumen, die keine betrieblichen Räume sind (Art. 20 und 21 VO), damit sich die Kommission die für Art. 101 und 102 AEUV notwendigen 119 Vgl. in der Vergangenheit zu Art. 5 VO 17/62 und Art. 23 VO EuGH v. 18. 06. 2013 – C681/11, NJW 2013, 3083 = EuZW 2013, 624; Grabitz/Hilf/Dalheimer, Das Recht der Europäischen Union, Art. 5 Rn. 1, 40. Aufl., 2010; Immenga/Mestmäcker/Ritter, Wettbewerbsrecht, VO 1/2003, Art. 5 Rn. 1. 120 Vgl. zu weiteren Verfahrensrechten wie insbesondere der Geltung von Grundrechten und dem Grundsatz der Unschuldsvermutung, Wahl, in: Sieber u. a. (Hrsg.), Europäisches Strafrecht, § 7 Rn. 16 ff. 121 Wahl, in: Sieber u. a. (Hrsg.), Europäisches Strafrecht, § 7 Rn. 13. 122 Dannecker, wistra 2004, 361 (367) mit Verweis auf EuGH v. 12. 7. 1979 – 32/78, 36 – 82/ 78, Slg 1979, 2435 = RIW 1980, 141. 123 Wahl, in: Sieber u. a. (Hrsg.), Europäisches Strafrecht, § 7 Rn. 14; zu den Ermittlungsbefugnissen der Kommission grundlegend Schubert, Legal privilege und Nemo tenetur im europäischen Kartellermittlungsverfahren, S. 98 ff.

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Informationen verschaffen kann. Darüber hinaus kann gemäß Art. 22 VO auf Ersuchen der Kommission die Wettbewerbsbehörde eines Mitgliedstaates eine Nachprüfung vornehmen, wenn die Kommission dies für erforderlich hält. Das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen wird daneben durch die Möglichkeit der Anfechtung der Kommissionsentscheidungen vor den europäischen Gerichten komplettiert.124 So werden Kommissionsentscheidungen durch die Unionsgerichte, den EuGH und das EuG, überprüft, wobei die allgemeinen Vorschriften des AEUV gelten. Als wichtigste Klageart gilt hierbei, wenn es sich um die Verhängung einer Geldbuße richtet, die Nichtigkeitsklage nach Art. 263 AEUV, durch welche die Unternehmen sie beschwerende Entscheidungen der Kommission, wie insbesondere Bußgelder, anfechten können.125 Die erste Instanz ist in dem Fall einer Nichtigkeitsklage gegen eine Kommissionsentscheidung, welche eine Geldbuße verhängt hat, das EuG. Es ist zu einer unbeschränkten Nachprüfung der Entscheidung befugt.126 Gegen die Entscheidungen des EuG besteht die Möglichkeit, ein Rechtsmittel beim EuGH einzulegen, welches sich jedoch auf Rechtsfragen beschränkt.127 Daneben können, da Nichtigkeitsklagen nach Art. 278 AEUV kein Suspensiveffekt zukommt, die Durchführung der angefochtenen Handlung ausgesetzt und einstweilige Anordnungen getroffen werden, vgl. Art. 278, 279 AEUV.128 2. Zweites Protokoll aufgrund von Artikel K.3 des Vertrags über die Europäische Union zum Übereinkommen über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften, Richtlinie (EU) 2017/1371 (PIF-Richtlinie) und Umsetzungsgesetz: Gesetz zur Stärkung des Schutzes der finanziellen Interessen der Europäischen Union (EU-Finanzschutzstärkungsgesetz – EUFinSchStG) Im Fokus der unionsrechtlichen Regelungen zu den Sanktionen gegenüber Unternehmen stehen die Vorschriften zum Schutz der finanziellen Interessen der Gemeinschaft. Diese haben eine Vorbild-/Leitfunktion für andere Regelungen. Hierfür wurde in der Vergangenheit das „Zweite Protokoll zu dem Übereinkommen zum Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften“129 am 124 Neben einer Nichtigkeitsklage nach Art. 263 AEUV und dem einstweiligen Rechtsschutz besteht ferner die Möglichkeit der Untätigkeitsklage nach Art. 265 AEUV, der Schadensersatzklage nach Art. 340 AEUVoder neben den Rechtsbehelfen, die als Voraussetzung die Klage beim EuG haben, Rechtsschutz vor den nationalen Gerichten und das Vorlageverfahren vor dem EuGH nach Art. 267 AEUV durchzuführen. Durch Letzteres kann jedoch keine Aufhebung der Entscheidung der Kommission erreicht werden. 125 Wahl, in: Sieber u. a. (Hrsg.), Europäisches Strafrecht, § 7 Rn. 79. 126 Wahl, in: Sieber u. a. (Hrsg.), Europäisches Strafrecht, § 7 Rn. 79. 127 Wahl, in: Sieber u. a. (Hrsg.), Europäisches Strafrecht, § 7 Rn. 79. 128 Vgl. grundlegend zum Suspensiveffekt Immenga/Mestmäcker/Bungenberg, Wettbewerbsrecht, Teil 1 Abschnitt VI Rn. 161. 129 Nachfolgend als „das Zweite Protokoll“ bezeichnet.

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2. Kap.: Die Sanktionierung von Verbänden de lege lata

19. 06. 1997 beschlossen.130 An die Stelle des Zweiten Protokolls ist die EU-Richtlinie 2017/1371 – im Folgenden EU-RL 2017/1371 – (PIF-Richtlinie über die strafrechtliche Bekämpfung von gegen die finanziellen Interessen der Union gerichtetem Betrug vom 5. Juli 2017131) getreten, welche in Deutschland 2019 durch das EUFinSchStG umgesetzt worden ist.132 In Art. 6 und 9 der EU-RL 2017/1371 ist die Verantwortlichkeit juristischer Personen und Regelungen zur Verantwortlichkeit und Sanktionierung von juristischen Personen für den Fall enthalten, dass Delikte zu Lasten der finanziellen Interessen der Europäischen Union begangen werden. a) Inhaltliche Vorgaben und Sanktionen der EU-RL 2017/1371 Inhaltlich bezieht sich die EU-Richtlinie auf juristische Personen, welche gemäß Art. 2 Abs. 1 lit. b EU-RL 2017/1371 als Rechtssubjekt, das nach dem geltenden Recht Rechtspersönlichkeit besitzt (mit der Ausnahme von Staaten oder sonstigen Körperschaften des öffentlichen Rechts in der Ausübung ihrer hoheitlichen Rechte und von öffentlich-rechtlichen internationalen Organisationen), definiert werden. Gleichzeitig wird festgelegt, dass eine parallele Verantwortlichkeit der natürlichen Person in einem Strafverfahren nicht ausgeschlossen ist (Art. 6 Abs. 3 EU-RL 2017/ 1371). Die Richtlinie folgt insgesamt einem Zurechnungsmodell. So werden Straftaten von führenden Mitarbeitern dem Unternehmen zugerechnet. Weitere Erfordernisse oder Merkmale der Anknüpfungstat der Person (bis auf das „Handeln zugunsten der juristischen Person“ nach Art. 6 Abs. 1 EU-RL 2017/1371) existieren dabei nicht. Die Führungsposition der natürlichen Person bestimmt sich aus einem oder mehreren der Elemente, welche in Art. 6 Abs. 1 EU-RL 2017/1371 genannt werden: „a) einer Befugnis zur Vertretung der juristischen Person, b) einer Befugnis, Entscheidungen im Namen der juristischen Person zu treffen, oder c) einer Kontrollbefugnis innerhalb der juristischen Person.“

Hierdurch wird ein großer Kreis von Personen im Unternehmen erfasst.133 Nach der EU-RL 2017/1371 existieren zwei Möglichkeiten der Tatbegehung: Entweder begeht eine natürliche Person allein oder als Teil eines Organs der juristischen Person und als Führungsperson im oben genannten Sinne die Tat (vgl. Art. 6 Abs. 1 EU-RL 130

ABl. 1997 C 221/02; im Zuge des Zweiten Protokolls gab es ebenso einen erläuternden Bericht zu diesem, welcher zusammen mit dem Zweiten Protokoll grundlegende Standards enthielt: Erläuternder Bericht zu dem Zweiten Protkoll zum Übereinkommen über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften, ABl. 1999 C 91/02; vgl. auch Engelhart, eucrim 2012, 110. 131 ABl. L 198/29. 132 BT-Drs. 19/7886; BGBl. I, S. 844. 133 Vgl. in dieser Hinsicht auch schon zum Zweiten Protokoll, welches hinsichtlich des Personenkreises identisch war: ausführlich Korte, NJW 1998, 1464 (1465), der von den kennzeichnenden Merkmalen der Vertretungsbefugnis, Entscheidungsbefugnis oder Kontrollbefugnis spricht.

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2017/1371) oder mangelnde Überwachung oder Kontrolle einer in Abs. 1 genannten Person ermöglicht eine Tat einer unterstellten Person (vgl. Art. 6 Abs. 2 EU-RL 2017/1371). Als Taten in diesem Sinne gelten die in Art. 3, 4 und 5 EU-RL 2017/ 1371 genannten (Betrug zum Nachteil der finanziellen Interessen der Union, andere gegen die finanziellen Interessen der Union gerichtete Straftaten und Anstiftung, Beihilfe und Versuch). Die Sanktionen richten sich nach Art. 9 EU-RL 2017/1371: Dort wird normiert, dass die Mitgliedsstaaten die erforderlichen Maßnahmen treffen, um sicherzustellen, dass gegen eine juristische Person, die nach Art. 6 EU-RL 2017/1371 verantwortlich ist, wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktionen verhängt werden können. Hierzu zählen demzufolge Geldstrafen, Geldbußen und weitere Sanktionen, wie zum Beispiel der Ausschluss von öffentlichen Zuwendungen, das vorübergehende oder dauerhafte Verbot der Ausübung der Handelstätigkeit oder die Unterstellung unter gerichtliche Aufsicht. Die Sanktionen sind für alle unterschiedlichen Begehungsvarianten (ergo für Art. 6 Abs. 1 und 2 EU-RL 2017/1371) vorgesehen. Daraus ergibt sich, dass die Umsetzung durch Strafrecht keine zwingende Vorgabe ist und auch das Zivil- oder Verwaltungsrecht ausreichen kann, solange die Sanktionen der Mindesttrias entsprechen. b) Die Mindesttrias der Sanktionen Die Anforderungen an den nationalen Gesetzgeber Sanktionen zu schaffen, die wirksam, angemessen und abschreckend sind, werden bekanntlich als die Mindesttrias der Sanktionen bezeichnet und ihre Einhaltung wird/wurde von fast allen Rechtsakten, insbesondere vom Zweiten Protokoll und der diesem Protokoll folgenden EU-RL 2017/1371, gefordert.134 Daher lohnt ein Blick, der jedoch nur in komprimierter Form erfolgt, auf die inhaltlichen Anforderungen, die jene Trias mit sich bringen.135 aa) Wirksame, abschreckende und angemessene Sanktionierung Die Sanktionen müssen zunächst, um wirksam zu sein, geeignet sein, die Geltung und Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts zu gewährleisten. Zutreffend wird über das „geeignete Ziel“ hinaus gefordert, dass die Wirksamkeit general- und spezialpräventive Effekte hervorruft.136 Das Erfordernis stellt die Brücke zum Merkmal der Abschreckung dar, da eine Sanktion allgemein als abschreckend gilt bzw. wirkt, wenn die Allgemeinheit insgesamt dadurch von der Begehung der Taten abgehalten 134 Pars pro toto Art. 4 Zweites Protokoll; Art. 6 EU-RL 2017/1371, Abl. L 198/29, S. 8 f.; dazu auch Rönnau/Wegner, ZRP 2014, 158 (160). 135 Vgl. dazu Satzger, Europäisierung, S. 368 ff. 136 So EuGH v. 10. 07. 1990 – C-326/88, Rz. 17 (Anklagemyndigheden gegen Hansen & Son I/S) BeckRS 2004, 70816; siehe dazu auch Schlussanträge des Generalanwalts Walter van Gerven v. 08. 05. 1990 – C-188/89, I 3326 (3341 f.) m.w.N.

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2. Kap.: Die Sanktionierung von Verbänden de lege lata

wird, sie eine rechtsbewusstseinsstärkende Wirkung hat und der Täter als Individualperson durch sie von der Begehung weiterer Taten abgehalten wird (Effekte der negativen und positiven Generalprävention sowie der Spezialprävention).137 Die beiden Erfordernisse scheinen für die Umsetzung durch den nationalen Gesetzgeber im Rahmen eines eigenständigen Beurteilungsspielraums geeignet, da beispielsweise eine europaweite einheitliche Umsetzung außer Betracht lassen würde, dass die Kriminalität in den Staaten unterschiedlich ist und empirische Mittel fehlen, einer vereinheitlichten Sanktionierung Sinn und Zweck zu geben. Dies resultiert sicherlich auch, aber nicht nur daraus, dass die Kontrollintensität der Strafverfolgungsbehörden ebenso wie ihre Einstellungsquote in den Staaten unterschiedlich gehandhabt wird und die angedrohte Strafe nicht alleinentscheidend für die Präventionswirkung ist.138 Der Beurteilungsspielraum der ersten zwei Voraussetzungen ist folglich ein nicht nur unerheblich weiter, aber dennoch nicht unbegrenzter, da es evident sein dürfte, dass beispielsweise allzu geringe Geldbußen für Verbände keine abschreckende Wirkung evozieren werden und demnach die Mindesttrias nicht erfüllen. Hier führen Rönnau/Wegner zutreffend ins Feld, dass die Abschreckungswirkung insbesondere nicht eintreten kann, wenn die Sanktionsandrohung im Allgemeinen zu einer „kalkulierbaren Größe“ für die Verbände wird.139 Die abschreckende Wirkung der Sanktionsandrohung bildet die Brücke zur Angemessenheit bzw. Verhältnismäßigkeit140 der Sanktionierung und führt daher zum letzten Erfordernis der Trias. Die Angemessenheit wird derart konturiert, dass davon ausgegangen wird, dass Sanktionen verhältnismäßig sind, wenn sie angemessen und erforderlich sind, jedoch ohne die Grenzen zu überschreiten, was dafür zwingend erforderlich ist.141 Mit Satzger ist in diesem spezifischen Zusammenhang davon auszugehen und zu fordern: „Die Verhältnismäßigkeit der Sanktion (ist) als Untergrenze im Sinne einer Angemessenheit zu verstehen und sollte deshalb auch so bezeichnet werden.“142 Durch jenes Erfordernis soll nach Satzger garantiert werden, dass sich die Sanktionierung des Mitgliedstaates nach dem Ausmaß bzw. der Intensität der Rechtsverletzung richtet und „sich die Schwere der Zuwiderhandlung nach dem Gewicht des verletzten Rechtsguts, der Art des Verstoßes und des gesamten Verhaltens des Täters bestimmt“.143 Hierbei kommt dem Gesetzgeber wiederum ein 137

Vgl. Satzger, Europäisierung, S. 368 ff. Im Ergebnis Satzger, Europäisierung, S. 368 f. 139 Vgl. Rönnau/Wegner, ZRP 2014, 158 (160), die dies hier für den Fall konkretisieren, dass der Gesetzgeber eine subsidiäre Verbandshaftung einführen wollte. 140 So auch begrifflich bei Satzger, Europäisierung „Verhältnismäßige (angemessene) Sanktion“, S. 371. 141 So der EuGH v. 23. 01. 1997 – C-29/95, Rz. 24 (Eckehard Pastoors, Trans-Cap GmbH gegen den Belgischen Staat) m.w.N. 142 Satzger, Europäisierung, S. 372 m.w.N. 143 Satzger, Europäisierung, S. 372 m.w.N. 138

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beschränkter Beurteilungsspielraum zu, da es im Grunde seiner Bewertung obliegt, welche Sanktionierung angemessen ist. Das führt dazu, dass der nationale Gesetzgeber nicht durch das Gemeinschaftsrecht gezwungen wird, einen Widerspruch im System hervorzurufen, weil er eine angemessene Sanktionierung im Sinne des Gemeinschaftsrechts anstrebt. Grundsätzlich wird eine unangemessene Sanktionierung nach dem Gesagten folglich angenommen, wenn der Gesetzgeber offensichtlich den Grad bzw. die Intensität der Rechtsverletzung (im Zusammenhang mit den weiteren Kriterien) verkennt.144 bb) Die Vereinbarkeit eines Verzichts auf strafrechtliche Sanktionen und das Effizienzgebot (effet utile) Nach der allgemeinen Erörterung der Mindesttrias der Sanktionen, die im Gegensatz zu den strafrechtlichen Sanktionen in fast jedem Regelungswerk ausdrücklich vorgegeben werden, drängt sich anschließend die Frage auf, ob in einigen Fällen nicht ausschließlich das Strafrecht, jedenfalls auch, aber nicht nur, im Zusammenhang als Mindestanforderung des effet utile das einzige Mittel sein kann, welches diesen Anforderungen genüge tut.145 Dies lässt sich zwar, mangels einheitlicher Linie, nicht mit abschließender Sicherheit festlegen, jedoch könnte anhand der Rechtsprechung des EuGH in der Vergangenheit jedenfalls eine Tendenz erkennbar sein. So spricht sich eine frühere Entscheidung des EuGH dafür aus, dass das Strafrecht einzig ausreichend sei, um dem Effizienzgebot gerecht zu werden. Das wurde im EuGH-Urteil vom 09. 12. 1997146 gegen Frankreich, wegen der Unzulänglichkeit der Maßnahmen Frankreichs gegen die Gewaltaktionen (Blockade von Autobahnen) durch Landwirte, die sich gegen den Import von Obst und Gemüse richteten, entschieden. Hierbei stellte der EuGH fest, dass Frankreich (namentlich die französische Regierung) keine wirksamen und abschreckenden Maßnahmen ergriffen habe (insbesondere keine strafrechtlichen), um die Rechtsbrüche zu sanktionieren.147 Daneben lassen sich weitere Entscheidungen des EuGH lediglich in diese Richtung auslegen. Zwingend ist die Auslegung in eine solche Richtung freilich nicht. Zu ihnen zählen unter anderem das Urteil zum griechischen Maisskandal148 und ein Beschluss des EuGH149 (siehe dazu unten) aus dem Jahr 1990.150 So heißt es in dem Urteil zum griechischen Maisskandal: 144

Zum Ganzen grundlegend Satzger, Europäisierung, S. 371 ff. So auch Engelhart, eucrim 2012, 110 (111); vgl. zum Effizienzgebot (als Verbot der praktischen Undurchführbarkeit) und Diskriminierungsverbot (als Gleichbehandlungsgebot) in diesem Zusammenhang auch Satzger, Europäisierung, S. 340 ff. 146 EuGH v. 09. 12. 1997 – Rs. C.–265/95, Slg 1997, I-6959 = NJW 1998, 1931. 147 EuGH v. 09. 12. 1997 – Rs. C.–265/95, Slg 1997, I-6959 = NJW 1998, 1931 (1933). 148 EuGH v. 21. 09. 1989 – 68/88, Slg 1989, 2965 = NJW 1990, 2245. 149 EuGH v. 13. 07. 1990 – C-2/88 Imm, Slg 1990, I-3365 (3372) = NJW 1991, 2409. 145

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2. Kap.: Die Sanktionierung von Verbänden de lege lata

„Dabei müssen die Mitgliedsstaaten, denen allerdings die Wahl der Sanktionen verbleibt, namentlich darauf achten, dass Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht nach ähnlichen sachlichen und verfahrensrechtlichen Regeln geahndet werden wie (…) gleichartige Verstöße gegen nationales Recht, wobei die Sanktion jedenfalls wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein muß. (…). Im vorliegenden Fall ergibt sich aus den Akten weder, daß die griechischen Behörden die Personen strafrechtlich oder disziplinarrechtlich verfolgt hätten (…) noch, daß einer solchen Verfolgung Hindernisse entgegengestanden hätten.“151

Ebenfalls in diese Richtung kann der EuGH in der oben erwähnten Entscheidung aus dem Jahre 1990 verstanden werden, wenn es unter Verweis auf das Urteil zum griechischen Maisskandal aus dem Jahre 1989152 in anderer Sache heißt, dass „alle geeigneten Maßnahmen, soweit erforderlich einschließlich strafrechtlicher Schritte, zu treffen (sind), um die Geltung und die Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts zu gewährleisten“.153 Des Weiteren traf der EuGH im Jahre 1991 ein eindeutigeres Urteil gegen das Strafrecht in der Sache „belgischer LKW-Fahrer Fall“.154 Es bestünde gerade keine Verpflichtung der Mitgliedstaaten, eine strafrechtliche Verantwortlichkeit juristischer Personen in ihr Recht zu implementieren.155 Die Sanktionen müssten nur die Kriterien der Wirksamkeit, Verhältnismäßigkeit und Abschreckung erfüllen.156 Wörtlich heißt es in der Entscheidung darüber hinaus: „Da im Übrigen den Mitgliedstaaten ein Ermessen bei der Wahl der Sanktionen verbleibt, sofern diese geeignet sind, sind sie weder verpflichtet noch ist es ihnen verboten, ein System der objektiven Verantwortlichkeit des Unternehmens für den Fall einzuführen, dass seine Erfüllungsgehilfen ihre Verpflichtungen nicht beachten.“157 Insgesamt lässt sich aus der EuGH Rechtsprechung keine einheitliche Linie der unbedingten Erforderlichkeit (strafrechtlicher) Sanktionierung von Unternehmen ableiten, sodass der Rechtsprechung des Gerichts lediglich entnommen werden kann, dass die natürliche Person in derartigen Fällen zu bestrafen ist.158 Daraus resultiert, dass der Verzicht auf strafrechtliche Sanktionen mit dem europäischen Effizienzgebot im Einzelfall vereinbar sein kann, dies jedoch nicht zwingend ist bzw. sein muss. Es ist, und das hat die Vergangenheit der EuGH Rechtsprechung gezeigt, durchaus denkbar, dass es Fälle gibt, in denen die Mindestanforderungen ausschließlich durch strafrechtliche Sanktionen erfüllt werden können, und wiederum andere Fälle, in denen auch andere (außerstrafrechtliche) Sanktionen ausreichen. 150 151 152 153 154 155 156 157 158

Insgesamt dazu Engelhart, eucrim 2012, 110 (111). EuGH v. 21. 09. 1989 – 68/88, Slg 1989, 2965 = NJW 1990, 2245 (2246). EuGH v. 21. 09. 1989 – Rs. 68/88, Slg 1989, 2965 = NJW 1990, 2245. EuGH v. 13. 07. 1990 – C-2/88 Imm, Slg 1990, I-3365 (3372) = NJW 1991, 2409 (2410). EuGH v. 02. 10. 1991 – C-7/90, Slg 1991, I-4371 = BeckRS 2004, 77713. EuGH v. 02. 10. 1991 – C-7/90, Slg 1991, I-4371 = BeckRS 2004, 77713. EuGH v. 02. 10. 1991 – C-7/90, Slg 1991, I-4371 = BeckRS 2004, 77713. EuGH v. 02. 10. 1991 – C-7/90, Slg 1991, I-4371 = BeckRS 2004, 77713. So zutr. Engelhart, eucrim 2012, 110 (111).

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c) Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2017/1371 über die strafrechtliche Bekämpfung von gegen die finanziellen Interessen der Union gerichtetem Betrug: Gesetz zur Stärkung des Schutzes der finanziellen Interessen der Europäischen Union (EU-Finanzschutzstärkungsgesetz – EUFinSchStG) Die oben genannte Richtlinie wurde im Juni 2019 vom Gesetzgeber umgesetzt.159 Aus der Begründung des Gesetzesentwufs ergibt sich, dass für die oben (aus der Richtlinie) angeführten Bestimmungen des Art. 2 Abs. 1 EU-RL 2017/1371 kein gesonderter Umsetzungsbedarf gesehen wird, wenngleich die dort geregelten Bestimmungen der Begriffe bei der Umsetzung zu beachten seien.160 Ebenfalls kein Umsetzungsbedarf wurde für Art. 6 EU-RL 2017/1371 gesehen, in dem es um die Verantwortlichkeit juristischer Personen geht. Begründet wird dies mit den geltenden Normen des OWiG (§ 30 und § 130), welche den Anforderungen an Art. 6 EU-RL 2017/1371 genügen würden.161 Gleiches gilt auch für die Sanktionen, welche die EURL 2017/1371 in Artikel 9 vorsieht, wobei die Geldbußen nach § 30 OWiG als Begründung herangezogen werden, dass kein weiterer Umsetzungsbedarf besteht.162 Insgesamt lassen sich somit im EUFinSchStG keine wesentlichen Neuerungen bezüglich der Sanktionierung von juristischen Personen verzeichnen.163 3. Weitere Regelungen auf europäischer Ebene a) Gemeinsame Maßnahmen Die Gemeinsamen Maßnahmen zur Bekämpfung des Menschenhandels und der sexuellen Ausbeutung von Kindern im Jahre 1997 sahen die Verantwortlichkeit der Unternehmen neben der Verantwortlichkeit der natürlichen Person vor.164 Darüber hinaus existierte eine derartige Verantwortlichkeitsregelung auch in dem Rechtsakt165 zur Beteiligung an kriminellen Vereinigungen und im Rechtsakt166 zur Bestechung im privaten Sektor. Die Gemeinsamen Maßnahmen wurden im weiteren Verlauf durch Rahmenbeschlüsse ersetzt. 159

BT-Drs. 19/7886. BT-Drs. 19/7886, S. 12; siehe dazu auch S. 72. 161 BT-Drs. 19/7886, S. 13. 162 BT-Drs. 19/7886, S. 13. 163 BGBl. 2019 I, S. 844. 164 Gemeinsame Maßnahme 97/154/JI v. 24. 02. 1997, ABl. L 63 v. 04. 03. 1997, geändert durch Rahmenbeschluss 2002/629/JI v. 19. 07. 2002, ABl. L 203/1. 165 Gemeinsame Maßnahme 98/733/JI v. 21. 12. 1998, ABl. L 351 v. 29. 12. 1998, ersetzt durch RB 2008/841/JI v. 24. 10. 2008, ABl. L 300/42, der in Art. 5 die Verantwortlichkeit juristischer Personen enthält. 166 Gemeinsame Maßnahme 98/742/JI v. 22. 12. 1998, ABl. L 358 v. 31. 12. 1998, ersetzt druch RB 2003/568/JI v. 22. 07. 2003, ABl. L 192/154, der in Art. 5 die Verantwortlichkeit juristischer Personen enthält. 160

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2. Kap.: Die Sanktionierung von Verbänden de lege lata

b) Rahmenbeschlüsse Die Rahmenbeschlüsse sind bzw. waren auf europarechtlicher Ebene nicht minder relevant, da sie alle Regelungen zur Verantwortlichkeit von Unternehmen enthalten/enthielten.167 Generell sahen bzw. sehen die Rahmenbeschlüsse ebenfalls das Prinzip der parallelen Verantwortung von Unternehmen und Mitarbeiter vor und oft lehn(t)en sie sich inhaltlich vielfach nicht nur an das Zweite Protokoll an, sondern übernahmen die Regelungen.168 Dies galt, mit Ausnahmen,169 ebenfalls für die Sanktionsandrohung, welche sich weitgehend an den Regelungen des Zweiten Protokolls orientierte. c) Richtlinien Nach dem Inkrafttreten des Lissaboner Vertrags im Jahr 2009 wurden die Rahmenbeschlüsse als Handlungsform der Europäischen Union durch die Richtlinien abgelöst, und diese stellen gemäß Art. 83 AEUV (ex-Art. 31 EUV) die originäre Kompetenz zur Strafrechtsharmonisierung dar.170 Eine Richtlinie, welche die Verantwortlichkeit von Unternehmen beinhaltet, ist insbesondere die sogenannte „Marktmissbrauchsrichtlinie“.171 Beispielsweise findet sich in Art. 8 der Marktmissbrauchsrichtlinie die Verantwortlichkeit juristischer Personen dergestalt wider, dass die Mitgliedsstaaten die erforderlichen Maßnahmen treffen, um sicherzustellen, dass juristische Personen für 167 Die Verantwortlichkeit von Unternehmen lässt/ließ sich beispielsweise in folgenden Rahmenbeschlüssen finden: Art. 8 Geldfälschung des Euro, RB 2000/383/Jl v. 29. 05. 2000, ABl. L 140 v. 14. 06. 2000, mittlerweile ersetzt durch RL 2014/62/EU v. 15. 05. 2014, S. 2 Ziff. 10; Art. 7 Betrug/Fälschung unbarer Zahlungsmittel, RB 2001/413/JI v. 28. 05. 2001, ABl. L 149 v. 02. 06. 2001; Art. 7 Terrorismus, RB 2002/475/JI v. 13. 06. 2002, ABl. L 164 v. 22. 06. 2002, mittlerweile ersetzt durch Art. 17 RL 2017/541/EU v. 15. 03. 2017; Art. 4 Menschenhandel, RB 2002/629/JI v. 19. 07. 2002, ABl. L 203 v. 01. 08. 2002, ersetzt durch Art. 5 RL 2011/36/EU; Art. 2 Unerlaubte Ein- oder Durchreise/unerlaubter Aufenthalt, RB 2002/946/JI v. 28. 11. 2002, ABl. L 328 v. 05. 12. 2002; Art. 6 Sexuelle Ausbeutung von Kindern/Kinderpornografie, RB 2004/68/ JI v. 22. 12. 2003, ABl. L. v. 20. 01. 2004, S. 44 ersetzt durch Art. 13 RL 2011/93/EU; allgemein zu Rahmenbeschlüssen Lorenzmeier, ZIS 2006, 576 passim. 168 Der Rahmenbeschluss zur Terrorismusbekämpfung und der unerlaubten Ein- oder Durchreise/unerlaubter Aufenthalt stellen hierbei Ausnahmen dar, da sie bei den juristischen Personen ebenfalls (und anders als im Zweiten Protokoll geregelt) öffentlich-rechtliche Körperschaften erfassen, vgl. insgesamt dazu Engelhart, eucrim 2012, 110 (113 f.). 169 Siehe beispielsweise zu den Besonderheiten der Sanktionen in den Rahmenbeschlüssen zum Terrorismus und Menschenhandel Engelhart, eucrim 2012, 110 (113); Fromm, ZIS 2007, 279 (288 f.). 170 Dazu zählen insbesondere folgende Richtlinien: Insider-Geschäfte und Marktmanipulation, Schutz der Umwelt, Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung und Menschenhandel. 171 Richtlinie 2014/57/EU des europäischen Parlaments und des Rates vom 16. April 2014 über strafrechtliche Sanktionen bei Marktmanipulation (Marktmissbrauchsrichtlinie), L 173/ 179.

B. Sanktionsmöglichkeiten im Europäischen Recht

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die Straftaten, die in Art. 3 bis 6 vorgesehen sind, sanktioniert werden, die zu ihren Gunsten von einer Person begangen wurden, welche allein oder als Teil eines Organs der juristischen Person gehandelt und aufgrund bestimmter Befugnisse (Befugnis zur Vertretung der juristischen Person, Befugnis, Entscheidungen im Namen der juristischen Person zu treffen oder Kontrollbefugnis innerhalb der juristischen Person) eine leitende Stellung innerhalb der juristischen Person bekleidet. Darüber hinaus müssen die Mitgliedsstaaten nach Art. 8 Abs. 2 erforderliche Maßnahmen vornehmen, um sicherzustellen, dass juristische Personen zur Verantwortung gezogen werden können, wenn mangelnde Überwachung oder Kontrolle durch eine Person im Sinne des Art. 8 Abs. 1 es einer ihr unterstellten Person ermöglicht hat, eine der in den Art. 3 bis 6 genannten Straftaten zu begehen. Des Weiteren wird in Art. 8 Abs. 3 geregelt, dass eine Verantwortlichkeit einer juristischen Person im Sinne der Abs. 1 und 2 einer strafrechtlichen Verfolgung (bei Straftaten nach Art. 3 bis 5) der natürlichen Person nicht entgegensteht. Artikel 9 hingegen benennt mögliche Sanktionen, die gegen juristische Personen verhängt werden können. Diese müssen demzufolge in jedem Fall wirksam, verhältnismäßig sowie abschreckend sein und können Geldstrafen oder nichtstrafrechtliche Geldbußen umfassen. Darüber hinaus können anderweitige Sanktionen erlassen werden, wie der Ausschluss von öffentlichen Zuwendungen oder Hilfen, ein vorübergehendes oder ständiges Verbot der Ausübung einer Handelstätigkeit, die Unterstellung richterlicher Aufsicht, die richterlich angeordnete Auflösung oder die vorübergehende oder endgültige Schließung von Einrichtungen, die zur Begehung der Straftat genutzt wurden. Aufgrund dieses Wortlautes ergibt sich für Deutschland wiederum, dass strafrechtliche Sanktionen gewählt werden können, aber nicht gewählt werden müssen, sondern dass primär relevant ist, dass die oben genannte Mindesttrias der Sanktionen eingehalten wird. Durch das erste Finanzmarktnovellierungsgesetz (1. FiMaNoG) vom 30. Juni 2016172 wurde die Marktmissbrauchsrichtlinie in deutsches Recht umgesetzt, während es mitterweile bereits ein 2. Finanzmarktnovellierungsgesetz (2. FiMaNoG173) gibt. Geändert wurden im Zuge dessen das Wertpapierhandelsgesetz, das Kreditwesengesetz und das Börsengesetz.174

III. Regelungswerke des Europarates Auch in den Regelungen des Europarates existieren Normen zur Sanktionierung von Unternehmen.175 Neben den unverbindlichen Empfehlungen des Ministerkomitees, die Einführung eines Verbandsstrafrechts einer Prüfung zu unterziehen, 172

BGBl. I. S. 1514. BGBl. 2017 II. S. 1693. 174 Siehe dazu BGBl. 2017 II. S. 1693 ff. 175 Vgl. dazu insgesamt Engelhart, eucrim 2012, 110 (118); zur Empfehlung Nr. R (88) 18 v. 20. 10. 1988 auch Fromm, ZIS 2007, 279 (288 f.). 173

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2. Kap.: Die Sanktionierung von Verbänden de lege lata

folgte im Jahre 1988 sogar eine eigene Empfehlung, die „die strafrechtliche Verantwortlichkeit von Unternehmen mit Rechtspersönlichkeit für Delikte, die in Ausübung ihrer Tätigkeit begangen wurden“ betraf.176 Diese sah in Art. 1 der Empfehlung Nr. R (88) die Sanktionierung von privaten und öffentlichen Unternehmen mit Rechtspersönlichkeit, die eine wirtschaftliche Tätigkeit ausüben, vor, wenn es zu einer Straftat einer natürlichen Person innerhalb ihrer Tätigkeit kam. Hierbei wurde dem Prinzip der parallelen Verantwortung von Unternehmen und Mitarbeiter gefolgt, wobei die Stellung des Mitarbeiters innerhalb des Unternehmens nicht relevant war, was dem Bereich der Zurechnung insgesamt eine stark extensive Tendenz verlieh. Besonders interessant ist, dass bereits nach dieser Empfehlung die Verantwortung des Unternehmens negiert werden sollte, wenn das Management an der Straftat des Mitarbeiters nicht beteiligt war und alle notwendigen Maßnahmen zur Verhinderung der Straftat ergriffen hat. Auf der Ahndungsseite gewährte die Empfehlung, wie die meisten Regelungswerke, die Freiheit, zwischen strafrechtlichen und nichtstrafrechtlichen Sanktionen zu wählen. Sie enthielt spezifisch auf Unternehmen zugeschnittene Sanktionen und Maßnahmen in Art. 2. Zu jenen gehörten: – „Warnung, Verweis, Anerkenntnis – Feststellung der Verantwortlichkeit ohne Sanktion – Geldstrafe oder eine andere finanzielle Sanktion – Einziehung von zur Begehung der Straftat genutzten Vermögensgegenständen oder von illegalen Gewinnen – Verbot bestimmter Aktivitäten, insbesondere Ausschluss von Geschäften mit der öffentlichen Hand – Ausschluss von steuerlichen Vorteilen und Subventionen – Verbot, Waren oder Dienstleistungen zu bewerben – Entzug von Lizenzen – Entfernung von Managern – Gerichtliche Bestellung eines Übergangsverwalters – Schließung des Unternehmens – Wiedergutmachung und/oder Entschädigung für das Opfer – Wiederherstellung des früheren Zustandes – Veröffentlichung der Entscheidung über die Verhängung einer Sanktion oder Maßnahme“177

Bei einem Blick auf diese Liste fällt auf, wie umfassend die Sanktionierung dort geregelt wurde. Sie blieb im Weiteren für nachfolgende Regelungswerke zwar un176 177

Empfehlung Nr. R (88) 18 v. 20. 10. 1988. (Nur) abgedruckt bei Engelhart, eucrim 2012, 110 (119).

C. Weitere internationale Regelungen zur Verbandsstrafbarkeit

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beachtet,178 zeigt jedoch den großen Spielraum, welcher auf der Sanktionsseite gegenüber Unternehmen grundsätzlich bestand. Andere Werke des Europarates sehen die Sanktionierung von juristischen Personen hingegen, anders als die bloßen Empfehlungen, verpflichtend vor. Zu diesen gehören beispielsweise die Rechtsakte der Korruption,179 der Computerkriminalität,180 des Terrorismus,181 der Bekämpfung des Menschenhandels,182 der Geldwäsche/Terrorismusfinanzierung183 und der Schutz von Kindern.184 Bis auf Letzteres fordern die anderen Abkommen ausschließlich nur die Einhaltung der Mindesttrias der Sanktionen, schreiben aber nicht vor, dass diese strafrechtlich sein müssen, wohl aber sein können. Insgesamt resultiert aus den Regelungen des Europarates daher, dass es keine Umsetzungspflicht gibt, ein Unternehmensstrafrecht schaffen zu müssen, sondern lediglich die Pflicht besteht, Unternehmen bei Vorfällen/Fehlverhalten zu sanktionieren.185

C. Überblick über weitere internationale Regelungen zur Verbandsstrafbarkeit I. OECD-Übereinkommen 1997 Neben den bereits genannten Regelungswerken hat die OECD186 zum einen „Leitsätze für multinationale Unternehmen“187 erstellt. Zum anderen wurde das Übereinkommen der OECD zur Bekämpfung der Bestechung ausländischer Amtsträger vom 17. Dezember 1997 geschlossen, welches unter anderem die Verantwortlichkeit von Unternehmen regelt.188 In Art. 2 des Übereinkommens wird jedoch 178 Nach Fromm, ZIS 2007, 279 (289), war die Empfehlung der Anlass für einige Länder zu Handeln und die Unternehmensstrafbarkeit in den Folgejahren einzuführen. Zu diesen gehörten Norwegen (1991), Frankreich (1994), Finnland (1995) und Belgien (1999). 179 SEV Nr. 173 v. 27. 01. 1999. 180 SEV Nr. 185 v. 23. 11. 2001. 181 SEV Nr. 196 v. 16. 05. 2005. 182 SEV Nr. 197 v. 16. 05. 2005. 183 SEV Nr. 198 v. 16. 05. 2005. 184 SEV Nr. 201 v. 25. 10. 2007. 185 Insgesamt dazu Engelhart, eucrim 2012, 110 (119). 186 OECD meint Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. 187 Vgl. http://www.oecd.org/corporate/mne/48808708.pdf zuletzt abgerufen am 09. 11. 2020. 188 OECD Konvention gegen die Bestechung ausländischer Amtsträger im internationalen Geschäftsverkehr; in Deutschland umgesetzt durch BT-Drs. 13/10428 (Entwurf eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 17. Dezember 1997 über die Bekämpfung der Bestechung ausländischer Amtsträger im internationalenGeschäftsverkehr (Gesetz zur Bekämpfung internationaler Bestechung – IntBestG). Diesem Abkommen ist eine beträchtliche Zahl an

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2. Kap.: Die Sanktionierung von Verbänden de lege lata

ausschließlich festgelegt, dass jede Vertragspartei in Übereinstimmung mit ihrem jeweiligen Recht die erforderlichen Maßnahmen ergreift, um die Verantwortlichkeit juristischer Personen für die Bestechung eines ausländischen Amtsträgers zu begründen. An dieser Stelle wird deutlich, wie vage die Regelung im Grunde ist, denn die Ausgestaltung ist nicht näher beschrieben, sodass die Umsetzung jeder Vertragspartei selbst obliegt. Konkret geregelt wird nach dem Wortlaut nur, dass juristische Personen für die Bestechung eines ausländischen Amtsträgers zur Verantwortung gezogen werden können. Somit entsteht zwar eine Bindungswirkung. Die Intensität dieser ist jedoch nicht spezifisch vorgegeben. Konkretere Vorgaben finden sich in den Empfehlungen zur Implementierung,189 welche aber in letzter Konsequenz für die Staaten nicht verbindlich ausgesprochen wurden und weshalb ihnen keine herausragende Bedeutung zukommt. Sie beinhalten unter anderem die Regelung der parallelen Verantwortung von Unternehmen und Mitarbeiter. Bezüglich der Sanktionsandrohung enthält das Übereinkommen in Art. 3 Abs. 1 lediglich die Vorgabe, dass die Strafandrohung wirksam, angemessen und abschreckend sein muss und darüber hinaus, dass sie grundsätzlich strafrechtlicher Art ist, aber nach Art. 3 Abs. 4 durch das Zivil- oder Verwaltungsrecht ergänzt werden kann. Weiter differenziert wird für Länder, in denen es keine Verbandsstrafbarkeit gibt: Diese müssen nach Art. 3 Abs. 2 nur abschreckende, wirksame und angemessene nichtstrafrechtliche Sanktionen (inklusive Geldsanktionen) implementieren. In Deutschland erfolgte die Umsetzung des Übereinkommens durch das Gesetz zur Bekämpfung internationaler Bestechung vom 10. 09. 1998.190 Demgemäß wurde eine bis dato in Deutschland nicht vorhandene Strafbarkeit der Auslandskorruption (Strafbarkeit bei Bestechung ausländischer Amtsträger im Zusammenhang mit internationalem geschäftlichem Verkehr) eingeführt.191 Zu den festgesetzten Sanktionen gegen juristische Personen zählten die Einziehung, Strafen oder Verbandsgeldbußen.192 Reformiert wurde der Topos insgesamt durch das Gesetz zur Be-

Ländern beigetreten, wobei Deutschland 1998 beitrat. Daneben erstreckt sich der Geltungsbereich fast über die gesamte Welt von Japan über Australien und Neuseeland bis in die USA und nach Kanada, ebenso Chile, Mexico und die meisten europäischen Staaten, Südafrika, Estland und Irland sowie Israel und schließlich Kolumbien, Lettland und Russland, Fassung des Übereinkommens (25. März 2015) abrufbar unter https://www.admin.ch/opc/de/classified-com pilation/19994577/201503250000/0.311.21.pdf zuletzt abgerufen am 09. 11. 2020. 189 Vgl. Art. 2 of the OECD Anti Bribery Convention: Responsibility of Legal Persons, Annex I: B, abrufbar unter http://www.oecd.org/daf/anti-bribery/44176910.pdf zuletzt abgerufen am 09. 11. 2020. 190 BGBl. II 1998, 2327; siehe zur Auslandsbestechung im privaten Sektor BGH v. 29. 08. 2008 – 2 StR 587/07, BGHSt 52, 323 = NJW 2009, 89. 191 Vgl. im Zusammenhang Taschke, in: Jahn/Schmitt-Leonardy/Schoop (Hrsg.), Das Unternehmensstrafrecht und seine Alternativen, S. 41 (46 f.). 192 Taschke, in: Jahn/Schmitt-Leonardy/Schoop (Hrsg.), Das Unternehmensstrafrecht und seine Alternativen, S. 41 (47).

C. Weitere internationale Regelungen zur Verbandsstrafbarkeit

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kämpfung der Korruption vom 20. November 2015.193 Durch das Gesetz wurde die Strafbarkeit extensiviert, was beispielsweise an dem neu eingeführten § 335a StGB, der Strafbarkeitsausdehnung in §§ 331, 333 StGB auch auf europäische Amtsträger und an der Erweiterung um das Geschäftsherrenmodell mit Einwilligungsvorbehalt in § 299 StGB deutlich wird.194

II. UN-Übereinkommen 1999 Neben den Regelungen zur Unternehmensstrafbarkeit auf europarechtlicher Ebene spielt das Thema auch bei den Vereinten Nationen eine Rolle. So findet sich, neben anderen Initiativen195 und Abkommen,196 eine deutliche Formulierung in Art. 5 des UN-Übereinkommens zur Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus vom 09. 12. 1999:197 Dort heißt es in Abs. 1, dass jeder Vertragsstaat in Übereinstimmung mit seinen nationalen Rechtsgrundsätzen die notwendigen Maßnahmen treffe, um eine juristische Person, die sich in seinem Hoheitsgebiet befindet oder nach seinem Recht gegründet wurde, zur Verantwortung ziehen zu können, wenn eine für die Leitung oder Kontrolle dieser juristischen Person zuständige Person in dieser Eigenschaft eine in Artikel 2 genannte Straftat begangen hat. Hierbei könne zwischen strafrechtlicher, zivilrechtlicher oder verwaltungsrechtlicher Verantwortung gewählt werden. Darüber hinaus sieht Abs. 2 vor, dass neben der Verantwortung der juristischen Person auch die Einzelpersonen strafrechtlich sanktioniert werden können. In Abs. 3 sind die Mindesttrias in der Form enthalten, dass der Vertragsstaat insbesondere sicherstellt, dass die nach Abs. 1 verantwortlichen juristischen Personen wirksam, angemessen und abschreckend strafrechtlich, zivilrechtlich oder verwaltungsrechtlich sanktioniert werden, was auch Geldsanktionen miteinschließe. Trotz der Detailliertheit der Regelung bleibt den Staaten bei der Umsetzung im Grunde freie Hand, da nicht explizit angeordnet wird, dass strafrechtliche Sanktionsregelungen gefordert sind. Die Sanktionen können strafrechtlichen Ursprungs sein, müssen es aber nicht, da nur gefordert wird (Art. 5 Abs. 3), dass es sich um 193

BGBl. I 2025. Vgl. zum Ganzen Dann, NJW 2016, 203 ff.; ausführlich Hoven, NStZ 2015, 553 (555 ff.). 195 Vgl. beispielsweise für eine der bedeutensten Initiativen das Global Compact (United National Global Compact), abrufbar unter https://www.unglobalcompact.org/ zuletzt abgerufen am 09. 11. 2020. 196 Beispielhaft seien hier neben dem Internationalen Abkommen zur Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus von 1999 die UN-Konvention gegen die grenzüberschreitende Kriminalität aus dem Jahr 2000 sowie die UN-Konvention gegen Korruption aus dem Jahre 2003 genannt. 197 Abrufbar unter http://www.un.org/Depts/german/uebereinkommen/ar54109.pdf zuletzt abgerufen am 09. 11. 2020. 194

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2. Kap.: Die Sanktionierung von Verbänden de lege lata

wirksame, angemessene und abschreckende strafrechtliche, zivilrechtliche oder verwaltungsrechtliche Sanktionen handelt.

III. UN-Übereinkommen 2003 Zeitlich folgte das UN-Übereinkommen gegen Korruption,198 welches von Deutschland zwar bereits im Jahre 2003 unterzeichnet wurde, aber erst im Jahre 2014 ratifiziert wurde.199 Inhaltlich fand die Sanktionierung von Unternehmen dergestalt Eingang in das Übereinkommen, dass in Art. 26200 (Verantwortlichkeit juristischer Personen) festgehalten wurde, dass jeder Vertragsstaat in Übereinstimmung mit seinen Rechtsgrundsätzen die erforderlichen Maßnahmen trifft, um die Verantwortlichkeit juristischer Personen für die Teilnahme an den in Übereinstimmung mit diesem Übereinkommen umschriebenen Straftaten zu begründen. Ausweislich des Wortlautes der Norm kann die Verantwortlichkeit der juristischen Person zivilrechtlich, strafrechtlich oder verwaltungsrechtlich sein. Darüber hinaus muss der Vertragsstaat nach Abs. 4 ebenfalls sicherstellen, dass die Sanktionen die Mindesttrias (Wirksamkeit, Angemessenheit und Abschreckung) erfüllen. Ähnlich wie bei dem zuvor genannten Übereinkommen der UN steht es den Vertragsstaaten bei dem Abkommen gegen Korruption frei, welche Art von Sanktionierung sie für juristische Personen einführen, solange diese nur die Mindesttrias erfüllen.

IV. Andere internationale Vorgaben Insbesondere für den Bereich der Korruptionsbekämpfung gibt es weitere Abkommen mit internationaler Geltung. Von Bedeutung ist das IStGH-Statut (Vertrag zum Völkerstrafrecht), welches jedoch nach dem Wortlaut keine Unternehmensstrafbarkeit vorsieht.201 Daneben spielt beispielsweise die Bekämpfung von Terrorismusfinanzierung und Geldwäsche durch Unternehmen international eine große Rolle, welche durch die Empfehlungen der Financial Action Task Force (FATF) vorangetrieben werden soll.202

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BGBl. 2014 II S. 762, 763. BGBl. 2015 II S. 140. 200 Vgl. http://www.un.org/depts/german/uebereinkommen/ar58004-oebgbl.pdf zuletzt abgerufen am 09. 11. 2020. 201 Abrufbar unter http://www.un.org/depts/german/internatrecht/roemstat1.html zuletzt abgerufen am 09. 11. 2020. 202 Siehe dazu https://www.bafin.de/SharedDocs/Downloads/EN/Bericht/dl_fatf_recommen dations_2012gw_en.html?nn=7845818 insbesondere zu den Sanktionen S. 26, zuletzt abgerufen am 10. 02. 2020. 199

D. Regelungen anderer Staaten zur Sanktionierung von Verbänden

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D. Ausgewählte Regelungen anderer Staaten zur Sanktionierung von Verbänden Wie eingangs erwähnt, existiert in den meisten Ländern sowohl auf europäischer als auch auf außereuropäisch-internationaler Ebene die Möglichkeit, allgemein ein Kollektiv und insbesondere Unternehmen strafrechtlich sanktionieren zu können. Die Anzahl der Länder, die eine Unternehmensstrafbarkeit bereits eingeführt haben, ist insbesondere (aber nicht nur) auf europäischer Ebene durch ein stetes Wachstum geprägt, weshalb an dieser Stelle ein kurzer Überblick mehrerer Länder, die jedoch nicht alle Schwerpunkt der rechtsvergleichenden Betrachtung sind, erfolgen soll. Aus dieser Entwicklung resultiert, dass Deutschland hierbei mittlerweile einen Sonderweg beschreitet, indem Sanktionen gegen Unternehmen möglich sind, diese aber nicht strafrechtlicher Art sind.

I. USA Eine Vorreiterrolle in Sachen Verbandsstrafbarkeit kommt an der Stelle sicherlich den USA zu,203 da diese eine strafrechtliche Verantwortlichkeit von Verbänden, die sogenannte „corporate criminal responsibility“,204 bereits seit Beginn des 20. Jahrhunderts anerkennen und als Reaktion auf die Industrielle Revolution und die stetig wachsende Bedeutung des Einflusses von Unternehmen sehen.205 Ein Meilenstein der amerikanischen Entwicklung der Verbandstrafbarkeit war als „leading case“ sicherlich der Fall New York Central & Hudson River Railroad Co. v. United States, der final vom Supreme Court im Jahre 1909 entschieden wurde:206 In dieser Entscheidung erkannte der US-Supreme Court die Strafbarkeit von Gesellschaften (corporations) ausdrücklich an und folgte dem ursprünglich im Deliktsrecht entwickelten Grundsatz der „respondeat superior doctrine“, die besagt, dass das Unternehmen als Kollektiv für die Handlungen seiner Repräsentanten (agents) zur Verantwortung gezogen werden kann, die diese im Zusammenhang mit ihrer Beschäftigung vornehmen, wenn sie die Tat ganz oder teilweise zu Gunsten des Un203 Vgl. zur Entwicklung der Gesetze von Einzelstaaten und Bund Beale, ZStW 2014 (126) 27 (29 f.); weiterführend dies., in: Dressler, Encyclopedia of Crime & Justice, Bd. 2, 694; zum Verbandsstrafrecht in den USA auch Brinkmann, Kollektiv als Täter, S. 42 ff.; hierzu auch Hoven/Weigend, ZStW 2018 (130), 213 (232) Fn. 47; grundlegend Gruner, Criminal Liability, passim; siehe dazu insbesondere auch den Model Penal Code, Offical Draft 1962, sec. 2.07; Werle, Yale Law Journal, 2019 Vol. 128, 1366 (1380). 204 Einen Überblick der Begriffserklärung und -erläuterung vermittelt Beale, ZStW 2014 (126) 27. 205 Vgl. Beale, ZStW 2014 (126), 27, 28; vgl. dazu auch überblicksartig von Hirsch, NZWiSt 2016, 161 f.; insgesamt auch Hoven/Weigend, ZStW 2018 (130), 213 passim. 206 New York Central & Hudson River Railroad Company v. United States, 212 U.S. 481 (1909) passim.

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2. Kap.: Die Sanktionierung von Verbänden de lege lata

ternehmens begehen.207 Hier nahm der Supreme Court in der betreffenden Entscheidung eine Extension dergestalt vor, dass er es für die Strafbarkeit des Unternehmens bereits genügen lassen wollte, wenn ein Repräsentant eine Handlung für das Unternehmen vornimmt und dabei von den Befugnissen Gebrauch macht, die ihm das Unternehmen übetragen hat („A corporation is held responsible for acts not within the agent’s corporate powers strictly construed, but which the agent has assumed to perform for the corporation when employing the corporate powers actually authorized (…)“208).209 Obwohl der US-Supreme Court bereits 1909 obiter feststellte, dass es Straftaten gibt, die natürlicherweise nicht von einem Verband begangen werden können, folgte durch die Bundesgerichte diesseits keine Einschränkung der Straftatbestände.210 Vielmehr ist das Gegenteil der Fall: Die Bundesstrafgesetze sind nach dem United States Code allgemein auf Verbände anwendbar.211 Daraus ergibt sich, dass Unternehmen in den USA auf Bundesebene sowie je nach der Rechtslage in den Einzelstaaten nicht nur ausschließlich wegen Wirtschaftsdelikten strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden können.212 Grundsätzlich gilt darüber hinaus in den USA, dass die strafrechtliche Sanktionierung einer natürlichen Person die Strafverfolgungsbehörden nicht daran hindert, die juristische Person strafrechtlich zur Verantwortung zu ziehen. Das Strafverfahren (gegen ein Unternehmen) als Gesamtheit ist, wie auch das Strafverfahren gegen eine natürliche Person, in den USA in fünf unterschiedliche Verfahrensabschnitte unterteilt. Zu diesen gehören die Anklage durch die Staatsanwaltschaft, das gerichtliche Vorprüfungsverfahren, die Hauptverhandlung, der Schuldspruch und die Strafzumessung.213

207 New York Central & Hudson River Railroad Company v. United States, 212 U.S. 481 (492 ff.) (1909); so auch bei Beale, ZStW 2014 (126), 27 (32). 208 New York Central & Hudson River Railroad Company v. United States, 212 U.S. 481 (493 f.) (1909). 209 Siehe eingehend dazu Beale, ZStW 2014 (126), 27 (31); vgl. auf Ebene der Einzelstaaten insbesondere die Alternative des Model Penal Codes, sowie zu ausführlicher Kritik an der respondeat superior Doktrin mit Reformvorschlägen dies., ZStW 2014 (126), 27 (35 ff.; 52 f.); siehe zu den Grundsätzen auch Hoven/Weigend, ZStW 2018 (130), 213 (223 f.). 210 „It is true that there are some crimes which, in their nature, cannot be committed by corporations.“, New York Central & Hudson River Railroad Company v. United States, 212 U.S. 481 (494) (1909); Beale, ZStW 2014 (126), 27 (34). 211 Lediglich Chapter 1 § 1 United States Penal Code enthält die allgemeine Regelung: „unless the context indicates otherwise (…) the words ,person‘ and ,whoever‘ include corporations, companies, associates, firms, partnerships, societies, and joined stock companies as well as individuals“. 212 Drope, Strafprozessuale Probleme bei der Einführung einer Verbandsstrafe, S. 45. 213 Vgl. Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen, S. 226; siehe zur Vorgehensweise hinsichtlich spezfischer Prozessgegebenheiten und Formalia wie zum Beispiel der Ladung und des Urteils, die sich in den USA am Zivilverfahren orientieren bzw. bei denen es keine wesentlichen Unterschiede zur Vorgehensweise in den Zivilverfahren gibt Drope, Strafprozessuale Probleme bei der Einführung einer Verbandsstrafe, S. 45 m.w.N.

D. Regelungen anderer Staaten zur Sanktionierung von Verbänden

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Hinsichtlich der Untersuchung der Strafverfolgung der Unternehmen in den USA ergibt sich eine Besonderheit, da die Situation auf der Bundesebene und auf der Ebene der Einzelstaaten nicht identisch ist, sondern vielmehr in mehreren Punkten abweicht und gerade kein einheitliches Strafverfahrensrecht, wie zum Beispiel in Deutschland, existiert.214 Dies ergibt sich aufgrund unterschiedlicher Gesetzgebungskompetenzen von Bund und Ländern.215 Da eine umfassende Darstellung der Situation des Bundes als auch der einzelnen Staaten insbesondere mit den zur Verfügung stehenden Ressourcen nicht zu bewältigen ist und das vielschichtigste sowie komplexeste Geflecht der Strafbarkeit von Verbänden in den USA ohnehin auf Bundesebene existiert, wird generell, wie schon eingangs erwähnt, hinsichtlich der USA grundsätzlich auf die Situation der Strafverfolgung auf Bundesebene rekurriert.216

II. China Auch in China hat sich, im Gegensatz zu Deutschland, ein echtes Unternehmensstrafrecht etabliert.217 So sind gemäß § 30 chinStGB Gesellschaften, Unternehmen, institutionelle Einheiten, Behörden und Körperschaften für die von ihnen vorgenommenen gesellschaftsschädlichen Handlungen (nach dem chinesischen Gesetz: „Verbandsstraftat“) strafrechtlich verantwortlich. Das chinesische StGB enthält mehr als 80 Straftatbestände, die durch einen Verband verwirklicht werden können. Liegt ein solcher Fall vor, kann gemäß § 31 chinStGB sowohl gegen den Verband selbst eine Geldstrafe verhängt werden als auch die Strafverfolgung gegen die Mitglieder der Geschäftsführung und die unmittelbaren Täter in Natura geführt werden,218 wobei diese die Strafe erhalten, die jeweils für die konkrete Tat vorgesehen ist. Das führt in letzter Konsequenz zu der Gefahr einer „mehrfachen Bestrafung“.219 Anknüpfungspunkt der eigenständigen Haftung eines Verbandes ist im chinesischen Strafgesetzbuch die rechtswidrige Handlung einer angestellten natürlichen Person.220 Hinsichtlich potentieller Sanktionen ist zu bemerken, dass gegen einen Verband (von strafrechtlicher Seite) nur eine Geldstrafe verhängt werden kann und in Betracht kommende Suspendierungen oder Betriebsstilllegungen dem Verwaltungsrecht zugeordnet werden.221 214

Siehe dazu Salger, Schweigerecht, S. 87 ff.; Paulsen, ZStW 1965 (77), 637 (639 f.). Siehe zu den Gesetzgebungskompetenzen des Strafrechts und Strafprozessrechts in den USA Paulsen, ZStW 1965 (77), 637. 216 Vgl. S. 45; siehe dazu auch Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen, S. 284 und Fn. 145. 217 Vgl. dazu Ahlbrecht/Schlei, wistra 2015, 128 (129). 218 Vgl. dazu auch Richter, Umweltstrafrecht in der Volksrepublik China, S. 135 (137 f.). 219 Ahlbrecht/Schlei, wistra 2015, 128 (129). 220 Richter, Umweltstrafrecht in der Volksrepublik China, S. 135 (137). 221 Richter, Umweltstrafrecht in der Volksrepublik China, S. 135 (137). 215

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2. Kap.: Die Sanktionierung von Verbänden de lege lata

III. England Richtet sich der Blick auf den europäischen Kontinent, fällt auf, dass England eine Strafbarkeit von Unternehmen schon seit langer Zeit kennt. Dort wird die Strafbarkeit von juristischen Personen damit begründet, dass diese rechtlich eigenständige Gebilde wären und deshalb auch strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden können müssen bzw. Straftatbestände verwirklichen können.222 Hiervon ausgeschlossen sollen aber Tatbestände sein, die aufrgund ihrer Natur nur von einer natürlichen Person verwirklicht werden können, sowie die Regelungen, die keine Geldstrafe vorsehen.223 Unternehmen können folglich unterschiedliche Delikte verwirklichen. Solche Tatbestände finden sich in (jüngster224) modifizierter Form beispielsweise im „UK Bribery Act“ (im Folgenden: UKBA).225 Der UK Bribery Act wurde am 08. 04. 2010 beschlossen und ist 2011 in Kraft getreten.226 Er enthält vier Bestechungstatbestände, welche natürliche und juristische Personen verwirklichen können. Zu diesen zählen die aktive und passive Bestechung (Section 1 und 2) sowie die Bestechung ausländischer Amtsträger (Section 6) und die Nichtergreifung von adäquaten Präventivmaßnahmen durch Unternehmen (Section 7).227 Hinsichtlich der territorialen Anwendung ist der UKBA sehr extensiv gefasst, sodass er überall auf der Welt Anwendung findet, wenn das Unternehmen eine geschäftliche Verbindung nach England hat. Insgesamt gilt der UKBA als noch strengeres Haftungsregelungswerk als der Foreign Corrupt Practices Act228 (im

222 Weiß, CCZ 2014, 81 (82); grundlegend zur strafrechtlichen Verantwortung innerhalb einer juristischen Person Davies/Worthington, Gower’s Priciples of Modern Company Law, S. 181 ff.; überblicksartig Gobert, in: Gobert/Pascal (Hrsg.), European Developments in Corporate Criminal Liability, S. 315 ff. 223 Vgl. dazu Weiß, CCZ 2014, 81 (82); H. Eidam/Eidam, in: Eidam (Hrsg.), Unternehmen und Strafe, Kap. 5 Rn. 607. 224 Das englische Recht sah eine Strafbarkeit von juristischen Personen bereits im Jahr 1978 (und teilweise sogar schon im 19. Jahrhundert) vor, da unter den Begriff der „Personen“ auch juristische Personen fielen, vgl. Zeder, in: Hotter u. a. (Hrsg.), Unternehmensstrafrecht, S. 226; dazu auch BSK StGB-Niggli/Gfeller, Art. 102 Rn. 6. 225 Siehe dazu Deister/Geier, CCZ 2011, 12; überblicksartig auch bei Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen, S. 789 f.; Walther/Zimmer, RIW 2011, 199; zu weiteren Gesetzen, durch die eine Strafbarkeit von Unternehmen ausgelöst werden kann, H. Eidam/Eidam, in: Eidam (Hrsg.), Unternehmen und Strafe, Kap. 5 Rn. 608; Dixon/Gößwein/Hohmann, NZWiSt 2013, 361 ff.; siehe zur Empirie Hatchard, The Denning Law Journal 2017, Vol. 29, S. 109 (111 ff., 126 f.). 226 Der UK Bribery Act ist am 01. 07. 2011 in Kraft getreten; grundlegend Ormerod/Perry, Blackstone’s Criminal Practice, B 15. 227 Vgl. überblicksartig bei Child/Ormerod, Criminal Law, S. 31; Deister/Geier, CCZ 2011, 12; siehe zur ersten Verurteilung nach dem UK Bribery Act im Jahre 2011 auch Hugger/ Pasewaldt, CCZ 2012, 23; insgesamt zu den Tatbeständen Pörnbacher/Mark, NZG 2010, 1372 (1373); Walther/Zimmer, RIW 2011, 199 ff. 228 Siehe zum FCPA im Überblick Tate, in: Chada/Sallon/Tate (Hrsg.), Bribery, S. 11 ff.

D. Regelungen anderer Staaten zur Sanktionierung von Verbänden

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Folgenden FCPA) in den USA.229 Diese Annahme liegt darin begründet, dass zum einen nicht nur die Bestechung von Amtsträgern, sondern auch die Bestechung von Angestellten in privaten Unternehmen sanktioniert wird, Facilitation Payments (sogenannte Beschleunigungszahlungen) ebenfalls strafbar sind, und zum anderen eine Strafbarkeit für ein ausländisches Unternehmen selbst dann begründet werden kann, wenn es keine englische Mutter-, Schwester- oder Tochtergesellschaft gibt und nur ein Mitarbeiter in einem beliebigen Land Bestechungsgelder bezahlt, da die einzige Voraussetzung für die Strafbarkeit eine „Geschäftstätigkeit in Großbritannien“ ist.230 Dass es sich hierbei um einen für ein Unternehmen sehr strengen Haftungsmaßstab handelt, zeigt sich insbesondere in Section 7 UKBA, da das Unternehmen hiernach verschuldensunabhängig haftet.231 Neben dem UKBA existiert der Fraud Act (im Folgenden: FA), welcher im Jahre 2007 in Kraft getreten ist.232 Der Fraud Act findet auf Unternehmen Anwendung, die in England, Wales oder Nordirland ansässig sind.233 Er normiert die Strafbarkeit des Betruges, welcher dort in drei unterschiedlichen Varianten (Section 2 – 4) vorgesehen ist: 1. Betrug durch falsche Angaben, 2. Betrug durch fehlende Offenlegung und 3. Betrug durch Missbrauch einer Garantenstellung.234 Unternehmen können dabei alle drei Varianten verwirklichen (Section 12). Für die strafrechtliche Verfolgung von Straftaten im und aus dem Unternehmen heraus ist in England entweder das „Serious Fraud Office“ (Amt für Betrugsbekämpfung) oder der „Crown Prosecution Service“ zuständig.235 Regelungen hinsichtlich des strafrechtlichen Verfahrens finden sich zum Beispiel (bezüglich sogenannter „Deferred Prosecution Agreements“) im Crime and Courts Act aus dem Jahre 2013.236 Für die vorliegende Untersuchung wird der Fokus, trotz unterschiedlicher vorhandener Regelungswerke, die eine Strafbarkeit von Unternehmen beinhalten, auf dem UKBA liegen, da letzterer bei der Unternehmensstrafbarkeit in England in den vergangenen Jahren vermehrt Diskussionsschwerpunkt zu sein scheint.

229

Vgl. Pörnbacher/Mark, NZG 2010, 1372; siehe zum FCPA auch Grau/Meshulam/ Blechschmidt, BB 2010, 652. 230 Walther/Zimmer, RIW 2011, 199 (206); ausführlich zu section 7 und 8 Ormerod/Perry, Blackstone’s Criminal Practice, B15.20 ff.; Virgo, Arch. Rev. 2017, 10, 6 ff. 231 Ormerod/Perry, Blackstone’s Criminal Practice, B15.23 „offence of strict liability“; siehe auch Pörnbacher/Mark, NZG 2010, 1372; Schorn/Sprenger, CCZ 2013, 104. 232 Abrufbar unter https://www.cps.gov.uk/legal-guidance/fraud-act-2006 zuletzt abgerufen am 09. 11. 2020; grundlegend Farrell/Yeo/Ladenburg, Blackstone’s Guide: Fraud Act 2006, passim. 233 Weiß, CCZ 2014, 81 (84). 234 Vgl. Child/Ormerod, Criminal Law, S. 395 ff.; siehe ausführlich zu den einzelnen Varianten und zu der Frage, welche Personen das Unternehmen in eine Strafbarkeit führen können, Weiß, CCZ 2014, 81 f. 235 Vgl. dazu näher unten S. 232. 236 Abrufbar unter http://www.legislation.gov.uk/ukpga/2013/22/contents/enacted zuletzt abgerufen am 09. 11. 2020.

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2. Kap.: Die Sanktionierung von Verbänden de lege lata

IV. Schweiz Die Situation in Staaten, wie insbesondere der Schweiz und Österreich, schärfen den Blick für die Beurteilung der Umstände in Deutschland, auch wenn sich ein Verbandsstrafrecht dort erst in den vergangenen Jahren entwickelt hat. Innerhalb dieser Länder können ungeachtet der dort geltenden Spezifikationen Abstufungen in der Hinsicht vorgenommen werden, dass die Schweiz sich begrifflich ausdrücklich zu einer echten Strafbarkeit von Verbänden entschlossen hat.237 Diese ist bereits seit dem Jahre 2003238 in der Schweiz normiert und findet sich in der derzeitigen Fassung als Strafbarkeit von Unternehmen in Art. 102 schwStGB geregelt, der zwei unterschiedliche Tatbestände enthält (Abs. 1: Subsidiäre Unternehmenshaftung und Abs. 2: Konkurrierende bzw. kumulative Unternehmenshaftung).239 Eines der Hauptmotive für die Einführung des subsidiären Strafbarkeitsmodells in Art. 102 Abs. 1 schwStGB240 war die Schließung von Strafbarkeitslücken, die durch die „organisierte Unverantwortlichkeit“ entstanden, während die Schaffung des Abs. 2, das sogenannte „originäre Strafbarkeitsmodell“, von internationalen Vorgaben und 237 Vgl. Hilf, ZStW 2014 (126), 73; vgl. allgemein zum Recht auf Verteidigung bei einer natürlichen Person nach Schweizer Recht, Summers/Garland/Studer, ZStR 2016 (134), 133; siehe grundlegend zur Entstehung des Unternehmensstrafrechts in der Schweiz Engler, Vertretung des beschuldigten Unternehmens, S. 3 ff.; insbesondere zur Klassifizierung des Art. 102 schwStGB Niggli/Maeder, in: Ackermann/Heine (Hrsg.), Wirtschaftsstrafrecht der Schweiz, S. 171 f.; zum Unternehmensstrafrecht in der Schweiz auch Wohlers, in: Hess u. a. (Hrsg.), Unternehmen im globalen Umfeld, S. 239 ff.; El-Ghazi, ZStW 2018 (130), 254 passim; Pieth, Wirtschaftsstrafrecht, S. 51 ff. 238 Ursprüngliche Fassung AS 2003, S. 3043; BBl 2003, 2847 f. 239 In der derzeitigen Fassung in Kraft seit dem 1. Januar 2016, AS 2016, S. 1287; Botschaft v. 30. 04. 2014, BBl 2014, 3591; zur Systematik des Art. 102 schwStGB auch El-Ghazi, ZStW 2018 (130), 254 (256 ff.); vgl. zum Ganzen Hilf, ZStW 2014 (126), 73 (74), die auch auf die geltenden Regelungen der Schweiz im Verwaltungsstrafrecht und im Steuerstrafrecht eingeht. So war eine subsidiäre Haftung, die allerdings keine Haftung strafrechtlicher Art war, von Unternehmen bereits im Verwaltungsstrafrecht seit 1974 für den Fall vorgesehen, wenn die Ermittlung gegen die strafbare natürliche Person unverhältnismäßig gewesen wäre (Art. 7); dazu auch Forster, Die strafrechtliche Verantwortlichkeit des Unternehmens; Stratenwerth/ Wohlers, StGB Schweiz, Art. 102 Rn. 1 ff.; als originärer Anlass für die Regelung in der Schweiz gilt die Explosion der Fabrik Sandoz, bei welcher mit Pestiziden verseuchtes Löschwasser in den Rhein gelangte und dort ein massives Fischsterben auslöste, jedoch weder das Unternehmen noch die Unternehmensleitung auch nach einem mehrere Jahre andauernden Verfahren zur Verantwortung gezogen werden konnten: Vgl. dazu Pieth, in: Henssler/Hoven/ Kubiciel/Weigend (Hrsg.), Grundfragen eines modernen Verbandsstrafrechts, S. 179 m.w.N.; Engler, Vertretung des beschuldigten Unternehmens, S. 14 ff.; grundlegend auch Pieth, Schweizerisches Strafprozessrecht, S. 262 ff.; Niggli/Maeder, in: Ackermann/Heine (Hrsg.), Wirtschaftsstrafrecht der Schweiz, S. 166 ff.; zur Entstehung des Unternehmensstrafrechts in der Schweiz auch Engler, Vertretung des beschuldigten Unternehmens, S. 3 ff.; BSK StPOEngler, Art. 112 Rn. 1 ff.; BSK StGB-Niggli/Gfeller, Art. 102 Rn. 13 ff.; Stratenwerth, ZStrR 2008 (126), 1. 240 Dazu ausführlich BSK StGB-Niggli/Gfeller Art. 102 Rn. 52 ff.; El-Ghazi, ZStW 2018 (130), 254 (256 ff.); Stratenwerth, ZStrR 2008 (126), 1; zur moralischen Verantwortung von Unternehmen in diesem Kontext Plüss, ZStrR 2009 (127), 206 (216 ff.).

D. Regelungen anderer Staaten zur Sanktionierung von Verbänden

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Verpflichtungen dominiert wurde.241 Die Voraussetzungen, welche kumulativ für die Haftung eines Unternehmens gegeben sein müssen, sind, vereinfacht zusammengefasst, die folgenden: 1. Unternehmen,242 2. Anlasstat (Abs. 1: alle Vergehen und Verbrechen; Abs. 2: Tatbestände, die abschließend im Gesetz gelistet sind), 3. Betriebsbezogenheit bzw. Begehung der Tat in Ausübung einer geschäftlichen Verrichtung und 4. Organisationsmangel (mit für eine Strafbarkeit nach Abs. 1 oder Abs. 2 divergierenden Voraussetzungen/Ausprägungen hinsichtlich des Organisationsmangels243).244 Gemäß Art. 102 schwStGB ist die Sanktion der „Busse“ in der Schweiz, im Gegensatz zu den einschlägigen Regelungen in Deutschland, als kriminalrechtliche Strafe ausgestaltet. Da die schweizerischen Regelungen in das Kriminalstrafrecht aufgenommen wurden, liegt die Zuständigkeit der Verfolgung bei den Staatsanwaltschaften und Strafgerichten. Relevant ist hierbei, dass der Gesetzgeber sich in der Schweiz dazu entschlossen hat, hinsichtlich der Normierung der Unternehmensstrafbarkeit nur vereinzelt verbandsspezifische Regelungen im schwStGB und in der schwStPO zu treffen.245 Dies geschah vor dem Hintergrund, dass davon ausgegangen wurde, ein Verbandsstrafverfahren würde derart viele Spezifika mit sich bringen, dass es keinen Sinn hätte, diese alle in Gesetzesform zu gießen. Vielmehr entschied man sich dazu, die für natürliche Personen geltenden Regelungen aus schwStGB und schwStPO sinngemäß auch für juristische Personen anzuwenden, außer es wurden Spezialregelungen in den beiden vorgenannten Gesetzeswerken getroffen.246 Die zentrale Norm zur Durchführung des Strafverfahrens gegen Unternehmen ist Art. 112 schwStPO. Dort sind einige der grundsätzlichen Bestimmungen des Verfahrens niedergeschrieben. Zu diesen zählen die Vertretung im Verfahren, vgl. Art. 112 Abs. 1 – 3 schwStPO, und die Regelungen zu der Verbindung (Art. 112 Abs. 4 schwStPO „Vereinigung“) von Verfahren. Demnach wird das Unternehmen im Strafverfahren durch eine Person vertreten, die zivilrechtlich zur uneinge241 Vgl. Hilf, ZStW 2014 (126), 73 (74 f.; 81 f.); zu der Normstruktur des Art. 102 schwStGB auch Forster, Die strafrechtliche Verantwortlichkeit des Unternehmens, 71 ff.; überblicksartig bei Stratenwerth/Wohlers, StGB Schweiz, Art. 102 Rn. 1 ff. 242 Zu dem eher extensiven Verbandsbegriff Pieth, in: Henssler/Hoven/Kubiciel/Weigend (Hrsg.), Grundfragen eines modernen Verbandsstrafrechts, S. 186 f. 243 Siehe zu den unterschiedlichen Voraussetzungen und Ausprägungen des Organisationsmangels, je nachdem, ob es um eine Strafbarkeit nach Abs. 1 oder Abs. 2 geht, El-Ghazi, ZStW 2018 (130), 254 (269 ff.) m.w.N. 244 Vgl. zu diesen Voraussetzungen Pieth, in: Henssler/Hoven/Kubiciel/Weigend (Hrsg.), Grundfragen eines modernen Verbandsstrafrechts, S. 186 ff.; zu den Haftungsvoraussetzungen auch Engler, Vertretung des beschuldigten Unternehmens, S. 19 ff.; Niggli/Maeder, in: Ackermann/Heine (Hrsg.), Wirtschaftsstrafrecht der Schweiz, S. 178 ff.; zu diesen Merkmalen auch El-Ghazi, ZStW 2018 (130), 254 (257 ff.). 245 Statt vieler Donatsch/Hansjakob/Lieber/Lieber-StPO, Art. 112 Rn. 3 m.w.N. 246 Statt vieler Donatsch/Smokvina, FS Caspar, S. 864.

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2. Kap.: Die Sanktionierung von Verbänden de lege lata

schränkten Vertretung des Unternehmens befugt ist und welche vom Unternehmen zu bestimmen ist. Bezüglich des Gerichtsstandes gilt Art. 36 schwStPO.247 So ordnet Art. 36 Abs. 2 schwStPO an, dass für Strafverfahren gegen das Unternehmen nach Art. 102 schwStPO die Behörden am Sitz des Unternehmens zuständig sind. Diese Regelung gilt nach Abs. 2 S. 1 ebenso, wenn sich das Verfahren wegen des gleichen Sachverhalts auch gegen eine für das Unternehmen handelnde Person richtet. Art. 178 lit. g schwStPO248 betrifft die Vernehmung von Vertretern des Unternehmens sowie von deren Mitarbeitern als Auskunftsperson249 und bestimmt, dass dem Unternehmen die Beschuldigtenrechte zukommen und durch den Vertreter ausgeübt werden.250

V. Österreich Chronologisch folgte der Einführung einer Strafbarkeit von Kollektiven in der Schweiz die Einführung der Verbandsverantwortlichkeit für Straftaten in Österreich am 01. 01. 2006 in dem Gesetz über die Verantwortlichkeit von Verbänden für Straftaten (im Folgenden östVbVG).251 Dieses enthält materiell- und verfahrensrechtliche Regelungen. Als einer der Hauptanlässe für die Einführung dieses Gesetzes gilt die Umsetzung der Verpflichtung aus dem „Zweiten Protokoll zum Übereinkommen über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften“ vom 19. Juli 1997, da Österreich sich als einziger Mitgliedsstaat 247

Zum Ganzen überblicksartig SHK-UWG/Spitz, Art. 27 Rn. 11. BSK StPO-Kerner, Art. 178 Rn. 12 ff.; krit. zu dieser Vorschrift Pieth, Schweizerisches Strafprozessrecht, S. 266. 249 Siehe grundlegend zum Konstrukt der Aufsichtsperson Pieth, Schweizerisches Strafprozessrecht, S. 208 ff. 250 Insgesamt zum prozessualen Vorgehen gegen Unternehmen in der Schweiz Hilf, ZStW 2014 (126), 73 (82 f.); Moser/El-Hakim, forumpoenale 4/2018, 300 (301); dazu auch unten S. 274 und 314. 251 Ursprungsfassung östBGBl I 2005/151 geändert durch das Strafprozessreformbegleitungsgesetz II 2007 östBGBl I 2007/112 und das Strafprozessrechtsänderungsgesetz I 2016 östBGBl I 2016/26); vgl. zu den Grundstrukturen des österreichischen Verbandsstrafrechts Steininger, VbVG, S. 2 ff.; Hilf, NZWiSt 2016, 189; überblicksartig bei Brinkmann, Kollektiv als Täter, S. 67 ff.; Hotter/Soyer, in: Hotter u. a. (Hrsg.), Unternehmensstrafrecht, S. 17 ff.; krit. Haumer, östAnwbl. 2016, 582; zu der Frage, ob sich durch ein Unternehmsstrafrecht ein Wettbewerbsnachteil für den Standort ergeben kann, Hohenberg, östAnwbl. 2016, 583; grundlegend auch Sautner, ÖJZ 2012, 546; Hilf/Soyer, in: Hilf u. a. (Hrsg.), Unternehmensverteidigung, S. 11 ff.; siehe zur Effizienz des östVbVG auch die 2011 durchgeführte Evaluierungsstudie: Fuchs/Kreissl u. a., Generalpräventive Wirksamkeit des VbVG; zum östVbVG auch Engelhart, ZWH 2018, 165; überblicksartig bei Barfuß, ÖJZ 2005, 877; zur praktischen Anwendung des östVbVG Öner, Journal für Strafrecht 6, 2019, 501 passim; zur Empirie siehe auch Hilf/Urtz/Handstanger, Verbandsverantwortlichkeit aus strafrechtlicher, abgabenrechtlicher und verwaltungsstrafrechtlicher Sicht, 20. ÖJT Band III/1, passim. 248

D. Regelungen anderer Staaten zur Sanktionierung von Verbänden

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eine Frist von fünf Jahren ab Annahme des Zweiten Protokolls ausgehandelt hatte, wobei anzumerken ist, dass ein strafrechtliches Modell nicht verpflichtende Vorgabe war.252 Das hierin eine gewichtige Triebfeder lag, kann beispielsweise an § 3 östVbVG253 festgemacht werden, da dieser erkennbar an Art. 3 des Zweiten Protokolls angelehnt ist.254 Ins Auge sticht auch, dass § 3 östVbVG eine ähnliche Komponente wie im deutschen Ordnungswidrigkeitenrecht vorhanden ist, in Form der „Pflichtverletzung“ („Pflichtverletzung der Verbandspflichten“ § 3 Abs. 1 Nr. 2 östVbVG) und der „Bereicherungsabsicht“ („strafbare Handlung zugunsten des Verbandes“ § 3 Abs. 1 Nr. 1 östVbVG) enthält.255 In Österreich gilt nach dem Verbandsverantwortlichkeitsgesetz das Prinzip der kumulativen Verantwortlichkeit gemäß § 3 Abs. 4 östVbVG, sodass die strafrechtliche Verantwortlichkeit eines Verbandes die Strafbarkeit von natürlichen Personen (Entscheidungsträgern oder Mitarbeitern) nicht ausschließt, auch wenn es sich um dieselbe Tat handelt. Als einzige Sanktion sieht das Gesetz die Verbandsgeldbuße in § 4 östVbVG vor.256 Das österreichische Verbandsverantwortlichkeitsgesetz gehört zum sogenannten „gerichtlichen Strafrecht“, weshalb das östVbVG als „besonderes Kriminalstrafrecht“ angesehen wird.257 Die Verfolgungshoheit obliegt grundsätzlich den Strafgerichten und Staatsanwaltschaften.258 Gemäß § 14 Abs. 1 östVbVG gelten grundsätzlich die allgemeinen Regeln zum Strafverfahren gegen natürliche Personen auch im Verfahren gegen Verbände, soweit sie nicht ausschließlich auf natürliche Personen anwendbar sind und sich aus den Bestimmungen (des östVbVG) nichts anderes ergibt.259 Die allgemeinen Regeln zum Strafverfahren bestehen hauptsächlich aus Normen der öst-

252 Vgl. dazu auch Steininger, VbVG, S. 8 f. m.w.N.; Haumer, östAnwbl. 2016, 582; Hilf/ Soyer, in: Hilf u. a. (Hrsg.), Unternehmensverteidigung, S. 12. 253 Vgl. zur Verantwortlichkeit nach § 3 VbVG insbesondere Dietrich, NZWiSt 2016, 186 f. 254 Abrufbar unter https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:31 997F0719(02)&from=DE zuletzt abgerufen am 09. 11. 2020; so bei Hilf, ZStW 2014 (126), 73 (77). 255 Hilf, ZStW 2014 (126), 73 (77). 256 Vgl. dazu Steininger, VbVG, S. 81 ff.; zu der Frage, welche strafrechtlichen Sanktionen für eine juristische Person in Betracht kommen insgesamt Bauer, ÖJZ 2004, 491; siehe zur Verbandsverantwortlichkeit nach dem östVbVG empirisch auch Fuchs/Kreissl u. a., Generalpräventive Wirksamkeit des VbVG, S. 62 ff. 257 Steininger, VbVG, S. 9, 17 f., der klarstellt, dass sich dies auch nicht dadurch ändert, dass das Gesetz (im Gegensatz zum gerichtlichen Individualstrafrecht) eine Buße statt eine Strafe normiert; vgl. dazu auch Papp/Karner, in: Palkovits/Papp/Rathkolb/Skribe, Unternehmensstrafrecht, Kap. 4.1.1. S. 2; Sautner, ÖJZ 2012, 546; siehe zu weiteren Einordnungen Fuchs/ Kreissl u. a., Generalpräventive Wirksamkeit des VbVG, S. 10 m.w.N. 258 Siehe dazu auch unten S. 237. 259 Vgl. dazu Hilf/Zeder, WK VbVG, § 14 Rn. 1 ff.; Papp/Karner, in: Palkovits/Papp/ Rathkolb/Skribe, Unternehmensstrafrecht, Kap. 4.1.1. S. 1; Hilf/Soyer, in: Hilf u. a. (Hrsg.), Unternehmensverteidigung, S. 18.

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2. Kap.: Die Sanktionierung von Verbänden de lege lata

StPO, aber auch aus bestimmten Nebengesetzen, wie zum Beispiel dem FinstrG260 (Finanzstrafgesetz).261 Zu den allgemeinen Regeln, welche auch im Verbandsstrafverfahren angewendet werden, zählen insbesondere die Normen beginnend beim Ermittlungsverfahren (§§ 89 ff. östStPO ergänzen § 13 östVbVG), über das Hauptverfahren (beispielsweise die Vorschriften der Beweisaufnahme und Beschuldigtenvernehmung §§ 280 ff. östStPO ergänzen § 17 und § 22 östVbVG) bis hin zum Rechtsmittelverfahren (hier ergänzen §§ 280 ff. östStPO § 24 östVbVG).262 Weitere relevante Verfahrensregelungen finden sich in den §§ 13 bis 27 östVbVG: Hier sind insbesondere die Einleitung des Verfahrens, die Zuständigkeit, die Vertretung des Verbandes im Verfahren, die Verteidigung, die Vernehmung und das Verfolgungsermessen normiert. Dem Verband kommen gemäß § 13 Abs. 1 östVbVG die Rechte des Beschuldigten im Strafverfahren zu, ebenso wie im Verfahren gegen die natürliche Person gemäß § 15 Abs. 1 östVbVG.263 Gemäß § 17 Abs. 1 östVbVG sind Entscheidungsträger und Mitarbeiter, die einer Straftat verdächtig oder wegen dieser bereits verurteilt sind, als Beschuldigte zu vernehmen.264

VI. Liechtenstein In Liechtenstein wurde die strafrechtliche Verantwortlichkeit juristischer Personen im Jahre 2011 eingeführt, und anders als in den meisten Staaten gingen dieser Gesetzeseinführung keine langwierigen problematischen Diskussionen voran.265 Regelungen für die strafrechtliche Verantwortlichkeit juristischer Personen finden sich materiell-rechtlich in den §§ 74a ff. flStGB und für die verfahrensrechtlichen Regelungen in dem eigenständigen Abschnitt „Von dem Verfahren wegen der Verantwortlichkeit juristischer Personen“, niedergelegt in den §§ 357a ff. flStGB. Das liechtensteinische Modell ist ein kombiniertes Modell der Strafbarkeit von Verbänden. Ebenso wie in Österreich gilt in Liechtenstein das Prinzip der kumulativen Verantwortung, welches in § 74a Abs. 5 flStGB kodifiziert ist. Das liechtensteinische Modell setzt sich insgesamt aus österreichischen und schweizerischen Elementen des jeweiligen Verbandsstrafrechts zusammen.266 Juristische Personen sind gemäß § 74a Abs. 1 flStGB für Vergehen und Verbrechen verantwortlich, die in Ausübung geschäftlicher Verrichtungen im Rahmen des 260 Vgl. dazu Steininger, VbVG, S. 2 mit dem Beispiel der Besonderheit im Punkt der Ahndung von gerichtlichen und verwaltungsbehördlichen Finanzvergehen. 261 Steininger, VbVG, S. 6 f. 262 Zum Ganzen Steininger, VbVG, S. 6 f. 263 Siehe zu der Beschuldigtenstellung des Verbandes Steininger, VbVG, S. 138 ff. 264 Zu diesem Aspekt auch S. 310; vgl. insgesamt zum Strafverfahren gegen Unternehmen in Österreich Hilf, ZStW 2014 (126), 73 (84 f.). 265 So bei Hilf, ZStW 2014 (126), 73 (78). 266 So Hilf, ZStW 2014 (126), 73 (85).

E. Kritische Würdigung und Fazit

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Zwecks der juristischen Person (Anlasstaten) von Leitungspersonen tatbestandsmäßig, rechtswidrig und schuldhaft begangen werden.267 Für Anlasstaten von Mitarbeitern ist hingegen kein Schulderfordernis vorgesehen.268 Wie nach dem österreichischen Prinzip ist darüber hinaus kein (zusätzliches) Organisationsverschulden erforderlich.269 Der Verband ist zur Vermeidung einer uferlosen Ausweitung der Strafbarkeit aber nur dann für diese strafrechtlich verantwortlich, wenn die Tat durch unterlassene, erforderliche und zumutbare Aufsichtsmaßnahmen von Leitungspersonen ermöglicht oder wesentlich erleichtert worden ist, vgl. § 74a Abs. 4 flStGB. Als Sanktion spricht das liechtensteinische StGB, anders als das östVbVG, explizit von einer Verbandsgeldstrafe für Unternehmen. „Von dem Verfahren wegen der Verantwortlichkeit juristischer Personen“ lautet die Überschrift des eigenständigen XXV. Abschnitts der liechtensteinischen StPO, der §§ 357a bis 357g umfasst. Die verfahrensrechtlichen Regelungen in Liechtenstein orientieren sich im Wesentlichen an den österreichischen Bestimmungen, insbesondere hinsichtlich des Verfolgungsermessens, der Geltung der Beschuldigtenrechte der juristischen Person im Strafverfahren und der Subsidiarität (§ 357a Abs. 1 flStPO), während sich die Vertretungsregelung an den schweizerischen Normen orientiert.270

E. Kritische Würdigung und Fazit Nachdem die aktuelle Situation einer möglichen Sanktionierung national und international herausgestellt wurde, lässt sich zunächst festhalten, dass es im deutschen Recht zwar theoretisch unterschiedliche Möglichkeiten der Sanktionierung eines Unternehmens auf der Ebene des Ordnungswidrigkeitenrechts gibt, vor allem jedoch § 30 OWiG in seiner praktischen Anwendung leerläuft. Wenn auch die konkrete Ausgestaltung durch das sekundäre Unionsrecht und/ oder international verbindliches Recht bis dato nicht spezifisch vorgeschrieben wird, so lassen sich in den in ihrer Art und Weise unterschiedlichen Regelungswerken gegenwärtig zumindest partiell Gemeinsamkeiten ausmachen, die die Umsetzung der Verantwortlichkeit und Sanktionierung von Verbänden im Weitesten konturieren.271 Die wohl maßgeblichste, die sich dabei für den deutschen Gesetzgeber aus dem Europarecht ergab, war, dass es (insbesondere) nach Art. 4 des Zweiten Protokolls keine Pflicht gab, ein Verbandsstrafrecht in Deutschland einzuführen, son267

Siehe zum Ganzen ausführlich Hilf, ZStW 2014 (126), 73 (78). Vgl. Hilf, ZStW 2014 (126), 73 (78). 269 Siehe dazu Hilf, ZStW 2014 (126), 73 (85). 270 So Hilf, ZStW 2014 (126), 73 (86). 271 Vgl. dazu auch eingehend Böse, in: Jahn/Schmitt-Leonardy/Schoop (Hrsg.), Das Unternehmensstrafrecht und seine Alternativen, S. 88 (93); zum Geltungsbereich eines deutschen Verbandsstrafrechts Schneider, ZIS 2013, 488 ff. 268

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2. Kap.: Die Sanktionierung von Verbänden de lege lata

dern es zur Disposition stand, das Sanktionsbedürfnis im Wege des Zivil-, Verwaltungs- oder Strafrechts zu befriedigen, sofern der jeweilige Weg einen ausreichend wirksamen, angemessenen und abschreckenden Charakter vorweisen konnte, mithin den Anforderungen der Mindesttrias gerecht wurde.272 Eben jener Weg wird auch in der EU-RL 2017/1317 verfolgt, der die oben genannten Mindesttrias wiederum aufgreift. Dies bringt auf der einen Seite die größtmögliche Flexibilität mit sich, birgt aber auf der anderen Seite das Risiko der Uneinheitlichkeit und möglicherweise der zu geringfügigen bzw. nicht ausreichenden Sanktionierung von juristischen Personen. Durch die unterschiedlich ausgeprägten Regelungswerke (sowohl nach europäischem Recht als auch nach den weiteren internationalen Regelungen und ausgewählten Regelungen anderer Staaten), die im Laufe der Zeit erarbeitet wurden, zeigt sich deutlich, dass die Frage des „ob“ Verbände sanktioniert werden sollen im Grunde auf allen Ebenen bereits beantwortet ist und mit deutlicher Zustimmung bejaht wurde, eine Tendenz in Richtung Verbandsstrafrecht erkennbar ist und sich die Sanktionierung von Unternehmen mittlerweile etabliert hat. Anders ist hingegen die Frage des „wie“ (Verbände sanktioniert werden sollten) zu bewerten. Eine allgemeingültige Antwort scheint es weder zu geben noch kann mit Sicherheit gesagt werden, dass eine solche überhaupt (zum Beispiel aufgrund der im Europäischen Recht nur beschränkten Kompetenz) gesucht wird, sodass jeder Staat weiterhin nach den jeweils maßgeblichen aktuellen geistespolitischen Strömungen für sich entscheiden kann, auf welchem Wege er Verbände sanktioniert (sofern, bezogen auf die Vorgaben des Europäischen Rechts, die Vorgaben der Mindesttrias eingehalten werden). In der Ausgestaltung der Sanktionierung können folglich unterschiedliche Parameter, wie zum Beispiel die jeweilige Wirtschaft(-sform) und das Rechtssystem des jeweiligen Landes, Berücksichtigung finden. Dies birgt zum einen das Problem der Vielfältigkeit und Unüberschaubarkeit der Sanktionierung zwischen den unterschiedlichen Ländern, was freilich keine Erleichterung für die Expansion und Globalisierung der Unternehmen bedeuten dürfte, ebenso wenig wie eine Erleichterung der Verfolgung für die Strafverfolgungsbehörden. An dieser Stelle werden die mit unterschiedlichen nationalstaatlichen Regelungen verbundenen Schwierigkeiten in ihrer Komplexität deutlich.273 Zum anderen entsteht dadurch aber ein Garant für die Angemessenheit der Sanktionierung und Verantwortlichkeit von Verbänden in den Ländern, die nicht nur, aber jedenfalls maßgeblich (auch) auf das jeweilige Rechtssystem und die wirt272 Vgl. dazu und zu weiteren Anforderungen an ein Regelungswerk dieser Art Böse, in: Jahn/Schmitt-Leonardy/Schoop (Hrsg.), Das Unternehmensstrafrecht und seine Alternativen, S. 88 (93) m.w.N.; zum Gestaltungsspielraum einer Reform des deutschen Sanktionenrechts für Verbände Rönnau/Wegner, ZRP 2014, 158 ff.; dazu auch Fromm, ZIS 2007, 279 ff. 273 An dieser Stelle zutr. Engelhart, eucrim 2012, 110 (121): „Diese vermeintliche Flexibilität offenbart sich hier als konzeptionelle Schwäche, da kein klares Konzept der Unternehmenssanktion erkennbar ist.“

E. Kritische Würdigung und Fazit

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schaftspolitische Lage abgestimmt werden können und keine starre Lösung darbieten. Grundsätzlich begegnet diese Einzelfallorientierung hinsichtlich ihrer praktischen Umsetzung zwar partiell Bedenken, sodass für die fernere Zukunft in Betracht gezogen werden könnte, ein weitgehend einheitliches Regelungsmodell274 mit konstanten Anforderungen an das materielle und prozessuale Recht zu schaffen, das jedoch staatenspezifische Ausnahmeregelungen zulassen sollte, um keine Effektivität einzubüßen. Für ein deartiges „Unisono-Modell“ scheint die Welt jedoch derzeit nicht bereit, sodass sich darauf beschränkt werden muss, einzelne Aspekte auf europarechtlicher Ebene fruchtbar zu machen, wie insbesondere Präventionsgedanken, um diesen Anreiz für Unternehmen schon im Grunde zu schaffen und sie schon vor einer etwaigen Tatbegehung miteinzubeziehen bzw. zur Verhinderung zu motivieren. Umsetzungstechnisch wäre das beispielsweise durch eine dementsprechende Richtlinie zu erreichen, die ein verbindliches Modell der Prävention mit Compliancemaßnahmen schafft.

274 Im Vordergrund sollte hierbei die Einheitlichkeit und weniger die Bezeichnung der Regelungen stehen, so auch Engelhart, eucrim 2012, 110 (122): „Letztlich ist aber die „Deklaration“ der Sanktion nicht so entscheidend, wie die Schaffung eines schlüssigen Ansatzes.“

3. Kapitel

Das Verfahren zur Verhängung einer Verbandsgeldbuße de lege lata in Deutschland „Schicksal ist nie eine Frage der Chance, sondern eine Frage der Wahl.“ Isaac Newton

A. Allgemeine Regelungen Neben den festgestellten nationalen und internationalen rechtlichen Optionen, ein Unternehmen derzeit zu sanktionieren, richtet sich der Blick nunmehr vertieft auf die prozessualen Aspekte der aktuellen Rechtslage in Deutschland. Hierbei ist herauszustellen, inwieweit Regelungen ausreichend sind bzw. entsprechend angewendet werden könnten, wo derzeit Lücken bestehen und wo sich in diesem Kontext sowohl in der Theorie als auch in der Praxis Probleme ergeben können.1 Den Schwerpunkt bildet freilich das Verfahren zur Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße nach § 30 OWiG. Da es partiell auf die Vorschriften über das Verfahren für die Einziehung von Taterträgen verweist, wird dies, soweit notwendig, ebenfalls thematisch eingearbeitet und berücksichtigt.2 Zu weit führen würde es an dieser Stelle, jedwede Aspekte des Verfahrens zu erörtern, weshalb lediglich grundlegende Gesichtspunkte des Verfahrens gegen ein Unternehmen herausgegriffen werden. Der folgende Abschnitt beinhaltet eine Untergliederung in einen Allgemeinen Teil des Verfahrens nach § 30 OWiG, der die Grundgedanken der Verfahrensstruktur erläutert und einen Besonderen Teil, der in zwei Abschnitte unterteilt ist: zum einen, wenn es sich bei der Anknüpfungstat des Mitarbeiters um eine Straftat handelt, und zum anderen für den Fall, dass die Anknüpfungstat in einer Ordnungswidrigkeit besteht. So werden zunächst allgemeine Regelungen und Prinzipien des Verfahrens bei der Festsetzung einer Geldbuße nach § 30 OWiG vorangestellt. Darauf folgen Erläuterungen und Einzelaspekte hinsichtlich des Strafverfahrens unterteilt in weitere Aspekte des selbstständigen und des verbundenen Verfahrens und selbige Unterteilung erfolgt sodann ebenfalls für das Ordnungswidrigkeitenverfahren. 1 Vgl. zu Auswirkungen auf den Strafprozess insbesondere Mittelsdorf, Unternehmensstrafrecht, S. 232 ff. 2 Vgl. auch S. 91.

A. Allgemeine Regelungen

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I. Der Grundsatz: Das verbundene Verfahren Neben den bereits genannten materiell-rechtlichen Aspekten einer Geldbuße gegen ein Unternehmen nach § 30 OWiG steht das Verfahren zur Festsetzung dieser Geldbuße im Fokus. Die primäre Regelung des Verfahrens ergibt sich aus § 30 OWiG. Dort ist in Abs. 4 S. 1 festlegt, dass die Geldbuße nur unter den dort normierten Voraussetzungen (und über S. 2 erweiternd auch in den Fällen, die gesetzlich bestimmt sind) in einem selbstständigen Verfahren gegen die juristische Person verhängt werden kann.3 Im Umkehrschluss ergibt sich daraus, dass die Geldbuße grundsätzlich in einem verbundenen Verfahren verhängt wird, das sich gegen den Täter der Anknüpfungstat (dies wird zumeist ein Repräsentant des Unternehmens sein) und gegen den Verband richtet und die Verhängung der Geldbuße in einem selbstständigen Verfahren die Ausnahme dazu bildet.4 Dementsprechend ist die Geldbuße gegen den Verband zusammen mit der Strafe oder Geldbuße gegen den Täter der Anknüpfungstat (vgl. die abschließende Aufzählung in § 30 OWiG) festzusetzen. Gerade nicht zulässig ist es, gegen den Täter der Anknüpfungstat und gegen den Verband getrennte Verfahren zu führen, wenn die Voraussetzungen des § 30 Abs. 4 OWiG nicht gegeben sind.5 Unabhängig von der Entscheidung, ob ein verbundenes oder selbstständiges Verfahren stattfinden soll, ist für die Art der Durchführung maßgeblich, ob die Anknüpfungstat eine Ordnungswidrigkeit oder eine Straftat ist. Dementsprechend wird ein Ordnungswidrigkeiten- oder Strafverfahren als verbundenes oder selbstständiges Verfahren durchgeführt. Handelt es sich bei der Anknüpfungstat der natürlichen Person um eine Ordnungswidrigkeit, werden sowohl die Sanktion für die natürliche Person als auch die Sanktion für die juristische Person, grundsätzlich im verbundenen Verfahren, von der zuständigen Behörde im Bußgeldverfahren verhängt, wobei über die Verweisungsvorschrift des § 46 OWiG die Regelungen der Strafprozessordnung anwendbar sind. Ist die Anknüpfungstat der natürlichen Person eine Straftat, fällt sie schon grundsätzlich in den Zuständigkeitsbereich der Staatsanwaltschaft, welche dann auch das Bußgeld verhängt, weshalb die Regelungen der Strafprozessordnung originär zur Anwendung kommen. Darüber hinaus ist denkbar, dass die Anknüpfungstat eine Straftat und eine Ordnungswidrigkeit zugleich darstellt. In diesem Fall kommen die Regelungen der StPO wiederum originär zur Anwendung. Das ergibt sich zumindest aus § 160 StPO, §§ 21, 40 OWiG, da § 21 OWiG ausweislich des Wortlautes von der Anwendung des Strafgesetzes spricht und für dieses muss denknotwendigerweise die StPO gelten und angewendet werden. Nach § 21 Abs. 1 OWiG wird, 3 Näher zu den gesetzlichen Bestimmungen als Voraussetzung und insbesondere auch zur „Nichteinleitungsvariante“ KK-OWiG/Rogall, OWiG § 30 Rn. 164 ff., 175 f. 4 So KK-OWiG/Rogall, OWiG § 30 Rn. 162; vgl. zu dem Grundsatz des verbundenen Verfahrens schon in der Vergangenheit Busch im Jahre 1933, Grundfragen der strafrechtlichen Verantwortlichkeit der Verbände, S. 217. 5 Mitsch, Ordnungswidrigkeiten, § 16 Rn. 16.

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3. Kap.: Verfahren zur Verhängung einer Verbandsgeldbuße de lege lata

wenn eine Handlung gleichzeitig Straftat und Ordnungswidrigkeit ist, nur das Strafgesetz angewendet. Gemäß Abs. 2 besteht jedoch die Möglichkeit, im Falle des Abs. 1 die Handlung als Ordnungswidrigkeit zu ahnden, wenn eine Strafe nicht verhängt wird. Aus diesem Grund wird die dritte Variante, in der eine Straftat und eine Ordnungswidrigkeit zugleich vorliegen, in der Untersuchung im weiteren Verlauf nicht als eigenständige Variante behandelt, sondern miterfasst, wenn von einer Straftat als Anknüpfungstat die Rede ist. Ein getrenntes Verfahren gemäß § 30 Abs. 4 OWiG kommt nur in vorgesehenen Ausnahmefällen in Betracht. Zu diesen Ausnahmen gehören nach § 30 Abs. 4 S. 1 OWiG, dass das Verfahren gegen die natürliche Person als Anknüpfungstäter der Straftat oder Ordnungswidrigkeit nicht eingeleitet wurde, aus Opportunitätserwägungen eingestellt wurde oder von einer Strafe abgesehen wurde. § 30 Abs. 4 Satz 2 OWiG normiert darüber hinaus, dass eine Geldbuße durch gesetzliche Bestimmung auch in weiteren Fällen selbstständig festgesetzt werden kann. Daraus ergibt sich, dass die Entscheidung, ob ein selbstständiges Verfahren im Sinne des § 30 Abs. 4 S. 1 OWiG gegen die juristische Person oder Personenvereinigung geführt wird, letztendlich den Verfolgungsbehörden obliegt, da diese die Möglichkeit haben, bei Vorliegen der dementsprechenden Voraussetzungen, die sie selbst schaffen können, ein selbstständiges Verfahren durchzuführen.6 Vereinfacht dargestellt sollen für diesen Entscheidungsfindungsprozess, ob ein verbundenes oder getrenntes Verfahren stattfindet, neben den „vorrangigen rechtlichen Rahmenbedingungen“ ebenfalls „Zweckmäßigkeitsaspekte“ eine Rolle spielen.7 Werden die Voraussetzungen für ein getrenntes Verfahren geschaffen, kann eine Verbandsgeldbuße gemäß § 30 Abs. 4 S. 3 OWiG nicht verhängt werden, wenn eine Verfolgung der Straftat oder Ordnungswidrigkeit aus rechtlichen Gründen nicht in Betracht kommt. Derzeit jedenfalls nicht ausdrücklich und umfassend geregelt ist, wann die Verfolgungsbehörde von Sanktionen absehen kann oder das Verfahren, gegebenenfalls unter Auflagen, einstellen kann.8 Da sich eine deutlich präventive Ausrichtung für zukünftige Wirtschafts(straf)verfahren und Sanktionen abzeichnet, ist dies von tragender Bedeutung.9 Auf diesem Weg könnten zukünftig verstärkt Aspekte der Compliance und Schadenswiedergutmachung in den Prozess miteinfließen und den Behörden dadurch ein nuanciertes Sanktionsinstrumentarium an die Hand gegeben werden, um auf unterschiedliche Taten im und aus dem Unternehmen heraus zu

6 7 8 9

Vgl. KK-OWiG/Rogall, OWiG § 30 Rn. 163. KK-OWiG/Rogall, OWiG § 30 Rn. 163. Engelhart, NZWiSt 2015, 201 (209). Vgl. dazu unten S. 196.

A. Allgemeine Regelungen

133

reagieren und eine Einzelfallgerechtigkeit jedenfalls anzustreben und möglicherweise sogar sicherstellen zu können.10

II. Die Ausnahme: Das selbstständige Verfahren Ein selbstständiges Verfahren gegen den Verband ist, wie erwähnt, unter den Voraussetzungen des § 30 Abs. 4 S. 1 OWiG für den Fall in Betracht zu ziehen, dass gegen den Mitarbeiter als Täter der Anknüpfungstat kein Verfahren eingeleitet wurde, das Verfahren gegen ihn eingestellt wurde oder das Verfahren durch ein Absehen von Strafe bereits abgeschlossen ist. Weiterhin besteht nach § 30 Abs. 4 S. 2 OWiG die Möglichkeit ein selbstständiges Verfahren durchzuführen, wenn dies gesetzlich bestimmt ist. Gemäß § 30 Abs. 4 S. 3 Hs. 1 OWiG kann hingegen gerade kein selbstständiges Verfahren durchgeführt werden, wenn ihm rechtliche Gründe entgegenstehen. 1. Straftat als Anknüpfungstat a) Nichteinleitung des Verfahrens, § 30 Abs. 4 S. 1 Var. 1 OWiG Gemäß § 152 Abs. 2 StPO gilt für die Staatsanwaltschaft das Legalitätsprinzip. Dieses verpflichtet sie von Gesetzes wegen dazu, bei Vorliegen eines Anfangsverdachtes die Ermittlungen zwingend aufzunehmen. Durch die gesetzliche Verpflichtung gerät diese Variante als Voraussetzung für ein selbstständiges Verfahren vermehrt bezüglich einer Straftat als Anknüpfungstat in den Hintergrund, da ein Anfangsverdacht in vielen Fallkonstellationen vorliegen wird. Eine Ausnahme zu dieser Verpflichtung, die Ermittlungen aufzunehmen, besteht dann, wenn ein offensichtliches Verfahrenshindernis entgegensteht, wie etwa der Tod des Mitarbeiters.11 Der „Nichteinleitungsvariante“ gemäß § 30 Abs. 4 S. 1 Var. 1 OWiG kommt dementsprechend im Strafverfahren aufgrund der geringen Anforderungen an einen Tatverdacht de lege lata in der Praxis eine wohl „nur“ untergeordnete Bedeutung zu. b) Einstellung des Verfahrens, § 30 Abs. 4 S. 1 Var. 2 OWiG Eine weitaus größere Bedeutung hat hingegen die Einstellung des Verfahrens als möglicher Anwendungsfall für ein selbstständiges Verfahren, gemäß § 30 Abs. 4 S. 1 Var. 2 OWiG. In diesem Zusammenhang können de facto unterschiedliche

10 So auch Engelhart, NZWiSt 2015, 201 (209); siehe dazu auch durchaus krit. Dietrich, NZWiSt 2016, 186 (188), der in Bezug auf Österreich gar von einer „Compliance Manie“ spricht. 11 Vgl. mit weiteren Beispielen wie der Verhandlungsunfähigkeit oder langfristiger Abwesenheit Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen, S. 446 f.

134

3. Kap.: Verfahren zur Verhängung einer Verbandsgeldbuße de lege lata

Einstellungsgründe mit unterschiedlicher praktischer Relevanz eine Rolle für das Verfahren spielen, sodass ein Gesamtüberblick unerlässlich ist. aa) Opportune Einstellungsgründe (1) Nach § 153 StPO wegen Geringwertigkeit Gemäß § 153 Abs. 1 StPO besteht die Möglichkeit, dass die Staatsanwaltschaft mit Zustimmung des für die Eröffnung zuständigen Gerichts das Verfahren einstellen kann, wenn es sich bei der Tat um ein Vergehen handelt, die Schuld des Täters, vorliegend also des Mitarbeiters, lediglich gering ist und kein öffentliches Interesse an der weiteren Verfolgung besteht.12 Es ist davon auszugehen, dass einer Einstellung gemäß § 153 Abs. 1 StPO im Unternehmenskontext in der Praxis eine große Bedeutung zukommt. Diese Überlegung fußt darauf, dass die Geringwertigkeit der Schuld des Mitarbeiters vermutlich oftmals bejaht werden dürfte, wenn es um Wirtschaftsstraftaten geht, die eher einen Verstoß von Ordnungsvorschriften ohne gravierende Folgen zeitigen, was die Geringwertigkeit in diesem Zusammenhang ausmacht.13 Dem Unternehmen selbst wird in den meisten Fällen eine viel größere Verantwortung für unternehmensinterne Abläufe zuteil als dem einzelnen Mitarbeiter, sodass hier ein weiteres Indiz dafür gesehen werden kann, das Verfahren gegen den Mitarbeiter wegen Geringwertigkeit einzustellen, gegen das Unternehmen jedoch eine Geldbuße verhängen zu wollen. Ein nicht zu unterschätzender Anteil der Fälle wird dieser Konstellation entsprechen, ohne dass es freilich auf jeden Sachverhalt zutreffen muss. Die genannte Einstellungsvariante bietet somit den entscheidenden Vorteil, dass eine Verfolgung und Sanktionierung des Verbandes weiterhin möglich sind und dementsprechend die Festsetzung einer Geldbuße gegen den Verband nicht durch die Einstellung des Verfahrens gegen den Mitarbeiter nach § 153 Abs. 1 StPO konterkariert wird. Neben den rechtstatsächlichen Gesichtspunkten dürfte dies auch im Hinblick auf zwei Aspekte dem Sanktionsbedürfnis des Gesetzgebers entsprechen, gestützt durch kriminologische Erfahrungswerte. Wird freilich erst nach einigen Ermittlungstätigkeiten deutlich, dass sich eine kriminogene Gesellschaftsstruktur innerhalb des Unternehmens14 bereits langzeitig etabliert hat und der Mitarbeiter als Täter der Anknüpfungstat innerhalb der unternehmenseigenen Gesellschaftsstruktur agiert hat und ein fester Bestandteil dieser zu sein scheint, mutet eine derartige Differenzierung bezüglich der Sanktionen nicht nur effektiver, sondern geradezu geboten an.15 Die 12 Vgl. zu den Voraussetzungen einer Einstellung wegen Geringwertigkeit nach § 153 StPO Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO § 153 Rn. 1 ff. 13 Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen, S. 448 f. 14 Zu dem Aspekt des unternehmensspezifischen Einflusses auf die Mitarbeiter vgl. auch Sieber, FS Tiedemann, S. 449 (474 ff.). 15 Vgl. dazu ausführlich Schmitt-Leonardy, Unternehmenskriminalität ohne Strafrecht?, S. 104 ff.

A. Allgemeine Regelungen

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Gebotenheits-Hypothese resultiert daraus, dass die Schuld des Einzelnen durch die überdauernde Prägung des Unternehmens auf den Mitarbeiter und sein Verhalten oftmals als gering anzusehen sein wird und dass ein öffentliches Interesse an der Verfolgung nicht besteht. Untermauert wird die These dadurch, dass Mitarbeiter häufig explizit im Unternehmensinteresse für das Wohl des Unternehmens zu Tätern werden.16 Im Gegensatz dazu bietet die Möglichkeit, trotzdem das Unternehmen selbst mit einer Geldbuße sanktionieren zu können, die ausreichende Befriedigung des staatlichen Sanktionsanspruchs, da der weiteren Implementierung kriminogener Strukturen im Unternehmen Einhalt geboten werden kann und eine „Schuld“ des Verbandes, der diese langwierig duldete, in manchen Fällen freilich sogar gefördert haben wird, mithin schwerer wiegen wird als die des einzelnen Mitarbeiters. Aus diesem Grund gilt es, das Übel an der Wurzel zu packen und solche Strukturen nicht nur zu bekämpfen, sondern von Beginn an nicht entstehen zu lassen. Denkbar wäre im Gegensatz zu den bisher genannten Umständen auch, dass der einzelne Mitarbeiter ohne das Wissen des Unternehmens selbst kriminell agiert und das Unternehmen gerade nicht durch kriminelle Alltagsstrukturen geprägt ist. In dem Fall könnte dem Unternehmen zwar der Vorwurf einer nicht ausreichenden Überwachung seiner Mitarbeiter gemacht werden. Jedoch findet dieser Vorwurf seine Grenzen dort, wo der Verantwortlichkeitskreis eines Mitarbeiters in einer Führungsposition oder jedenfalls in leitender Position beginnt. Daraus ergibt sich, dass es, wie zu erwarten war, in dieser Hinsicht keine allgemeingültige Lösung gibt und die Feststellung, wie hoch jeweilige Wissensanteile sind, auf der praktischen Ebene umso schwieriger und komplexer ist. Lässt sich diese Feststellung jedoch treffen, wird sich eine Lösung über die Einstellung wegen Geringwertigkeit nach § 153 StPO als Voraussetzung für ein selbstständiges Verfahren gegen das Unternehmen im Sinne des § 30 Abs. 4 OWiG umso schneller finden lassen. (2) Nach § 153a StPO gegen Auflagen und Weisungen Ist die Geringwertigkeit im Sinne des StGB abzulehnen, besteht die Möglichkeit, ein selbstständiges Verfahren mit dem Ziel der Festsetzung einer selbstständigen Geldbuße gegen den Verband zu führen, wenn das Verfahren gemäß § 153a StPO gegen die Erfüllung von Auflagen und Weisungen eingestellt wird, da durch die Auflagen und Weisungen das öffentliche Interesse der Strafverfolgung entfallen kann. Soll das Verfahren gegen den Mitarbeiter nach §153a StPO eingestellt werden, steht anders als bei der Einstellung wegen Geringwertigkeit in Frage, ob neben den Auflagen gegenüber dem Mitarbeiter darüber hinaus noch eine Unternehmensgeldbuße verhängt werden kann.17 Der Wortlaut des § 30 Abs. 4 OWiG steht dem

16

Vgl. dazu beispielhaft insbesondere die Fälle Siemens-ENEL und Siemens-AUB. KK-OWiG/Rogall, OWiG § 30 Rn. 170; Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen, S. 449 m.w.N. 17

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3. Kap.: Verfahren zur Verhängung einer Verbandsgeldbuße de lege lata

nicht entgegen, da er keine Einschränkungen hinsichtlich der Einstellung des Verfahrens trifft.18 Nähert man sich einem gangbaren Lösungsweg hingegen über die Frage nach dem Sanktionswillen an, ließe das den Schluss zu, dass die Auflagen in § 153a StPO das staatliche Sanktionsbedürfnis befriedigen, sodass die Festsetzung einer Geldbuße gegen den Verband an der Stelle nicht mehr erforderlich wäre, mithin also über das Sanktionsbedürfnis hinausginge.19 Daraus folgt sodann die naheliegende Konsequenz der Einstellung des Verfahrens gegen den Verband zur Festsetzung einer Geldbuße nach § 47 OWiG.20 Gegen einen derart gelagerten Argumentationsstrang führt Engelhart überzeugend an, dass die Voraussetzungen der Anknüpfungstat und der Unternehmensgeldbuße keine Identität aufweisen würden bzw. Gesichtspunkte bei der Verbandsgeldbuße maßgeblich seien, die über die Anknüpfungstat des Mitarbeiters hinausgingen, weshalb eine selbstständige Beurteilung unerlässlich wäre.21 Dies führe, so Engelhart, zu dem Schluss, dass Auflagen gegen den Mitarbeiter auch das Sanktionsbedürfnis gegenüber dem Unternehmen befriedigen können, es jedoch keinesfalls befriedigen müssen bzw. Auflagen nicht automatisch das Sanktionsbedürfnis befriedigen.22 (3) Nach § 153b StPO bei der Möglichkeit des Absehens von Strafe Darüber hinaus ist es möglich, das Verfahren nach § 153b StPO einzustellen, wenn im Hinblick auf den Mitarbeiter die Option besteht, dass von Strafe abgesehen wird bzw. die Voraussetzungen für ein Absehen von Strafe gegeben sind. Hier kann die Staatsanwaltschaft nach § 153b StPO davon absehen, Anklage zu erheben und das Verfahren gegen den Mitarbeiter einstellen sowie einen Antrag bei Gericht auf die Festsetzung der Verbandgeldbuße stellen. Letzterer wird jedoch nur gestellt, sofern die Verhängung der Geldbuße innerhalb der Ausübung des pflichtgemäßen Ermessens liegt.23 Das Absehen von Strafe ist gesetzlich in zweierlei Hinsicht vorgesehen und deshalb ist eine Abgrenzung erforderlich. Zum einen enthält § 153b StPO die Möglichkeit von Strafe abzusehen als Einstellungsgrund24 und zum anderen spricht der Wortlaut des § 30 Abs. 4 S. 1 Var. 3 OWiG von der Prämisse des „Absehens von Strafe“ neben der „Einstellungsvariante“ in § 30 Abs. 4 S. 1 Var. 2 OWiG für ein 18

KK-OWiG/Rogall, OWiG § 30 Rn. 170 m.w.N. Dazu auch KK-OWiG/Rogall, OWiG § 30 Rn. 170. 20 KK-OWiG/Rogall, OWiG § 30 Rn. 170. 21 Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen, S. 449. 22 Diese Problematik stellt sich freilich nur für den Fall, dass ein Verfahren gegen ein Unternehmen nach § 47 OWiG eingeleitet wird; vgl. Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen, S. 449. 23 KK-OWiG/Rogall, OWiG § 30 Rn. 171. 24 Beispiele für das Absehen von Strafe im materiellen Strafrecht finden sich insbesondere in §§ 46a, 60, und 113 Abs. 4 StGB. 19

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selbstständiges Verfahren. Unter welchen Punkt das Absehen von Strafe fällt, ist davon abhängig, welche Konsequenzen sich aus diesem ergeben.25 Führt das Absehen von Strafe dazu, dass das Verfahren gemäß § 153b StPO eingestellt wird, ist es denknotwendigerweise dem Gesichtspunkt der Einstellung im Sinne von § 30 Abs. 4 S. 1 Var. 2 OWiG zuzuordnen. Anders liegt der Fall hingegen, wenn ein verfahrensbeendendes Urteil verhängt wird und in diesem von Strafe abgesehen wird.26 Dies wäre als Fall des Absehens von Strafe im Sinne von § 30 Abs. 4 S. 1 Var. 3 OWiG zu bewerten. (4) Nach §§ 153c – f StPO aus anderweitigen Gründen Neben den häufig angewandten bisher genannten Einstellungsgründen kommen ebenfalls die Einstellungsgründe der §§ 153c – f StPO in Betracht. Dies sind das Absehen der Verfolgung bei Auslandstaten (§ 153c StPO), bei Staatsschutzdelikten wegen überwiegender öffentlicher Interessen (§ 153d StPO), bei Staatsschutzdelikten wegen tätiger Reue (§ 153e StPO) und zu guter Letzt das Absehen von der Verfolgung bei Straftaten nach dem Völkerstrafgesetzbuch (§ 153f StPO). Sie werden in der Praxis vermehrt Anwendung finden, da insbesondere im Wirtschaftsleben grenzüberschreitende Sachverhalte durch die stetig wachsende Globalisierung mittlerweile kein Novum mehr darstellen. Gerade im Hinblick auf die internationalen und oft schwer durchschaubaren (wirtschaftlichen) Verknüpfungen der Unternehmen in eine Vielzahl von Staaten weltweit, die bei der Materialbeschaffung für die Produktion beginnt, über den Produktionsablauf selbst hinausgeht und bis hin zu der Lieferung in die verschiedenen Exportländer reicht, können die Normen Anwendung finden. Deshalb ist aus Sicht der Verfolgungsbehörden zu fragen, wann ein selbstständiges Verfahren bei derart gelagerten Sachverhalten sinnvoll erscheint, mithin die Voraussetzungen für ein selbstständiges Verfahren durch eine Einstellung (z. B. nach § 153c oder § 153f StPO) geschaffen werden sollten. Für eine solche Bewertung der Situation könnte darauf abgestellt werden, inwieweit das Unternehmen und der Mitarbeiter Anteil am begangenen Unrecht haben. Lässt sich mit einiger Sicherheit feststellen, dass sowohl das Unternehmen selbst als auch der Unternehmensmitarbeiter zu überwiegend gleichen Anteilen zusammenhängendes Unrecht begangen haben, läge es nahe, dies in einem verbundenen Verfahren abzuhandeln.27 Denkbar wäre auch der Fall, dass der Anteil des Unrechts, welches durch das Unternehmen verwirklicht wurde, um ein Vielfaches höher ist als der Unrechtsanteil des einzelnen Mitarbeiters. Möglich wäre aber auch, dass der einzelne Mitarbeiter, gerade in weltweit agierenden Unternehmen, die Verantwortung für ein spezifisches Ressort hat, welches nur er im Einzelnen überblickt. Konsequent weitergedacht wird dies in der Praxis eher die Ausnahme als die Regel/den Einzelfall als den Grundsatz 25 26 27

Zum Ganzen Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen, S. 450. Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen, S. 450. Ähnlich Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen, S. 451.

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darstellen, da einem einzelnen Unternehmensmitarbeiter zwar ein hohes Maß an Verantwortung zukommen kann, aber nicht muss, vor allem aber insgesamt die organisatorischen Stränge häufig beim Unternehmen „itself“ zusammenlaufen werden und dieses eher einen Gesamtüberblick der Situation haben wird, sodass der Unrechtsanteil deshalb häufig überwiegen wird. Daraus ist zu schließen, dass eine Unrechtsverschiebung zu Lasten des Verbandes viel eher in einem selbstständigen Verfahren für den Verband münden wird, da das Interesse der Verfolgungsbehörden, den Verband und nicht den einzelnen Unternehmensmitarbeiter zu sanktionieren, größer sein wird. (5) Nach §§ 154, 154a StPO bei Teileinstellung bei mehreren Taten und der Beschränkung der Verfolgung Umstritten ist, ob die Einstellungen nach § 154 und § 154a StPO auch für eine Einstellung im Sinne des § 30 Abs. 4 S. 1 Var. 2 OWiG ausreichen und somit die Voraussetzung für ein selbstständiges Verfahren zu begründen vermögen.28 Dies wird zum einen unter dem Hinweis abgelehnt, dass die Einstellung wegen einer relativen Geringfügigkeit gerade als Symbol für die Geringwertigkeit der Taten stünde und somit die Differenzierung zu den nicht eingestellten Taten aufzeigen soll.29 Dem ist mit Engelhart entgegenzuhalten, dass auch eine Einstellung gemäß §§ 154, 154a StPO sich lediglich auf die natürliche Person des Mitarbeiters des Unternehmens bezieht, sodass unter diesem Aspekt auch ermittlungsfördernde Beweggründe miteinfließen oder sogar vordergründig sein können.30 Aus diesem Grund sind §§ 154, 154a StPO im Ergebnis ebenfalls als ausreichend für § 30 Abs. 4 S. 1 Var. 2 OWiG zu erachten. bb) Zwingende Einstellungsgründe Die bereits genannten Einstellungsgründe sind alle zu den Einstellungen des Verfahrens gegen den Mitarbeiter aus Opportunitätsgründen zu zählen und liegen dementsprechend im pflichtgemäßen Ermessen der Verfolgungsbehörden. Zu denken ist im deutschen Rechtssystem darüber hinaus an Einstellungsgründe, die den Verfolgungsbehörden kein Ermessen einräumen, sondern zwingend zu einer Einstellung des Verfahrens führen. Zu diesen gehören Einstellungen aufgrund von § 170 Abs. 2 StPO (ggf. i.V.m. § 46 OWiG). Hier drängt sich die Frage auf, ob die zwingenden Einstellungsgründe überhaupt von § 30 Abs. 4 OWiG nach der Intention des 28 Näher dazu Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen, S. 450; a.A.: KK-OWiG/ Rogall, OWiG § 30 Rn. 172. 29 Vgl. KK-OWiG/Rogall, OWiG § 30 Rn. 172; a.A.: Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen, S. 450; BeckOK OWiG/Meyberg, OWiG § 30 Rn. 132. 30 So Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen, S. 450 m.w.N., der hier als Beispiel anführt, wenn eine „Einstellung nach § 154 StPO als ,Belohnung‘ für eine umfassende Aussage erfolgt“.

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Gesetzgebers erfasst sein und zu einem selbstständigen Verfahren führen sollen.31 Für die Einbeziehung der zwingenden Einstellungsgründe ließe sich der Wortlaut des § 30 Abs. 4 S. 1 Var. 2 OWiG ins Feld führen: „Wird wegen einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit ein Straf- oder Bußgeldverfahren (…) eingestellt (…).“ In diesem Zusammenhang lässt sich gerade keine Differenzierung des Gesetzgebers zwischen opportunen und zwingenden Einstellungsgründen am Wortlaut ausfindig machen. Die nicht vorhandene Differenzierung spricht somit für die Einbeziehung der zwingenden Einstellungsgründe in § 30 Abs. 4 S. 1 Var. 2 OWiG. Gegen eine pauschale Einbeziehung der zwingenden Einstellungsgründe könnte angeführt werden, dass, sofern schon kein Tatverdacht für eine Anknüpfungstat besteht oder sich nicht bestätigt und das Verfahren gegen den Täter der Anknüpfungstat nach § 170 Abs. 2 S. 1 StPO (ggf. i.V.m. § 46 OWiG) eingestellt wird, diese auch nicht als Grundlage für eine Verbandsgeldbuße nach § 30 OWiG herangezogen werden kann und deshalb eine Einstellung nach § 170 Abs. 2 S. 1 StPO (ggf. i.V.m. § 46 OWiG), die darauf zurückzuführen ist, dass kein Tatverdacht besteht oder der Tatverdacht sich nicht bestätigt hat, nicht als Voraussetzung (der Einstellungsvariante nach § 30 Abs. 4 S. 1 OWiG) in Betracht kommt.32 Für den Fall besteht nach der geltenden Rechtslage in Deutschland kein Sanktionsbedürfnis gegen den Verband, sodass es nur konsequent scheint, ein selbstständiges Verfahren gegen den Verband bei einer Einstellung des Verfahrens gegen den Mitarbeiter nach § 170 Abs. 2 S. 1 StPO (ggf. i.V.m. § 46 OWiG) nicht zu ermöglichen.33 Etwas anderes sollte sich für die Problematik der sogenannten „anonymen Geldbuße“34 ergeben. In diesem Fall wird ein Verfahren gegen „Unbekannt“ geführt, da die Identität des Anknüpfungstäters nicht ermittelt werden kann, mithin eine anonyme Anknüpfungstat vorliegt. Es steht hierbei einzig fest, dass die Anknüpfungstat von einem nach § 30 OWiG verantwortlichen Täter begangen wurde.35 Nicht erforderlich ist die Verfolgung oder Sanktionierung der Anknüpfungstat.36 Das gegen „Unbekannt“ geführte Verfahren ist zwingend einzustellen, wenn kein hin31

Siehe dazu Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen, S. 447 f. Siehe auch KK-OWiG/Rogall, OWiG § 30 Rn. 168; Graf/Jäger/Wittig/Nieseler, Wirtschaftssrafrecht, § 30 Rn. 76; so auch schon früher Pohl-Sichtermann, Geldbuße gegen Verbände, S. 192 f.; Krenberger/Krumm, OWiG § 30 Rn. 62 f. 33 So im Grunde schon BT-Drs. 10/318, S. 41. 34 BT-Drs. 10/318, S. 40 f.; BGH v. 08. 02. 1994 – KRB 25/93, NStZ 1994, 346 = wistra 1994, 232; siehe zur Problematik der anonymen Geldbuße, wenn die Identität der natürlichen Person nicht feststellbar ist, aber sicher ist, dass eines der Organe vorsätzlich oder fahrlässig gehandelt hat Göhler/Gürtler, OWiG § 30 Rn. 40 f.; Wieser, Bußgeldverfahren, S. 24 f.; siehe zu historischen Etappen der Diskussion rund um die anonyme Geldbuße Quante, Sanktionsmöglichkeiten, S. 78 ff.; Engelhart, Sanktonierung von Unternehmen, S. 448. 35 Vgl. Schmitt-Leonardy, Unternehmenskriminalität ohne Strafrecht?, S. 301 m.w.N.; hierin besteht zugleich das Problem der anonymen Geldbuße, da diese aufgrund des begrenzten Personenkreises in ihrem Anwendungsbereich beschränkt ist. 36 BGH v. 08. 02. 1994 – KRB 25/93, NStZ 1994, 346 = wistra 1994, 232; vgl. SchmittLeonardy, Unternehmenskriminalität ohne Strafrecht?, S. 301 m.w.N. 32

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reichender Tatverdacht (beispielsweise weil kein individueller Täter zu ermitteln war) nach § 170 Abs. 2 S. 1 StPO (für Ordnungswidrigkeiten i.V.m. § 46 OWiG) gegeben ist.37 Nach obrigen Grundsätzen bestünde demnach keine Möglichkeit mehr, gegen den Verband ein Bußgeld nach § 30 OWiG zu verhängen. Dies kann, wenn das Vorliegen einer Anknüpfungstat festgestellt wurde, nicht der Intention des Gesetzgebers entsprechen, sodass der Fall der anonymen Geldbuße eine Einschränkung des Grundsatzes darstellen sollte, dass Einstellungen nach § 170 Abs. 2 S. 1 StPO (ggf. i.V.m. § 46 OWiG) nicht unter die Einstellungen in § 30 Abs. 4 S. 1 OWiG zu fassen sind und folglich zu einem selbstständigen Verfahren gegen den Verband führen können, wenn kein rechtliches Hindernis im Sinne des § 30 Abs. 4 S. 3 OWiG vorliegt.38 Eine dahingehend differenzierte Lösung scheint nicht nur hinsichtlich des Sanktionsbedürfnisses sinnvoll, sondern auch systematisch konsequent, da eine Anknüpfungstat als Voraussetzung zur Verhängung einer Geldbuße nach § 30 OWiG gegeben ist und nur die Feststellung der Identität des Täters nicht eindeutig geklärt werden kann. c) Absehen von Strafe, § 30 Abs. 4 S. 1 Var. 3 OWiG Gemäß § 30 Abs. 4 OWiG kann ein selbstständiges Verfahren ebenfalls geführt werden, wenn von Strafe abgesehen wurde. Wie oben bereits ausgeführt, ist das Absehen von Strafe in § 30 Abs. 4 S. 1 Var. 3 OWiG nicht identisch mit dem Absehen von Strafe im Rahmen der Einstellung nach § 153b StPO. Diese Variante kommt nur in Betracht, wenn ein dementsprechendes Urteil gegenüber dem Mitarbeiter ergeht, in dem von der Strafe abgesehen wird. Folglich kann sie ausschließlich in einem Strafverfahren relevant und nur durch das Gericht entschieden werden.39 Auffallend an der Konstruktion ist, dass sie als einzige die Möglichkeit bietet, nach dem gegen den Mitarbeiter ergangenen Urteil eine Geldbuße gegen den Verband zu verhängen und § 30 Abs. 4 S. 3 OWiG gleichsam ein Verfolgungshindernis darstellt.40 Jedoch zeigt der Wortlaut des § 30 Abs. 4 S. 1 Var. 3 OWiG und somit die gesetzgeberische Intention deutlich, dass bei dem Absehen von Strafe gegen den Unternehmensmitarbeiter ein selbstständiges Verfahren gegen den Verband gerade ermöglicht werden soll.41

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So Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen, S. 448 m.w.N.; diff.: Ransiek, Unternehmensstrafrecht, S. 119 f.; Schmitt-Leonardy, Unternehmenskriminalität ohne Strafrecht?, S. 301. 38 Zum Ganzen auch bei Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen, S. 447. 39 KK-OWiG/Rogall, OWiG § 30 Rn. 174. 40 So Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen, S. 451. 41 Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen, S. 451.

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d) Ausdrückliche Anordnung, § 30 Abs. 4 S. 2 OWiG Neben den Optionen, die § 30 Abs. 4 S. 1 OWiG bietet, ein selbstständiges Verfahren durchzuführen, ist dies auch denkbar, wenn es durch ein Gesetz bestimmt wird, vgl. § 30 Abs. 4 S. 2 OWiG. Nach derzeitiger Rechtslage besteht eine gesetzliche Bestimmung für zwei Konstellationen.42 Ein selbstständiges Verfahren wird zunächst bei der Verfolgung von Wettbewerbsstraftaten, zum Beispiel von § 298 StGB,43 für durchführbar erachtet. Die Möglichkeit ergibt sich für mit den Wettbewerbsstraftaten zusammenhängende Ordnungswidrigkeiten gemäß § 130 OWiG, die gleichzeitig den im Kartellrecht angesiedelten Tatbestand des § 81 Abs. 1, 2 Nr. 2 und Abs. 3 GWB verwirklichen,44 da für diese Ordnungswidrigkeiten nach § 82 S. 1 Nr. 2 OWiG eine ausschließliche Kompetenz der Kartellbehörde zur Festsetzung der Geldbuße bestimmt ist. Durch die Regelung folgt ein Kompetenzwechsel in der Gestalt, dass die Zuständigkeit der Kartellbehörde extensiviert wird. Sie besitzt die alleinige Zuständigkeit zur Verhängung einer Verbandsgeldbuße, wenn die Anknüpfungstat eine Straftat ist, die gleichzeitig § 81 Abs. 1, 2 Nr. 1, Abs. 3 GWB verwirklicht, ebenso wie für den Fall, dass es sich bei der Anknüpfungstat um eine Ordnungswidrigkeit nach § 130 OWiG handelt, wenn die mit Strafe bedrohte Pflichtverletzung zugleich § 81 Abs. 1, 2 Nr. 1, Abs. 3 GWB erfüllt. Auf der rechtlichen Ebene wird daher gemäß § 41 OWiG die Pflicht der Kartellbehörden, ein Verfahren, in welchem es um Straftaten geht, an die Staatsanwaltschaft abzugeben, eingeschränkt. Wenn auch keine Pflicht, so besteht dennoch auch in diesen Fällen die Möglichkeit, ein Verfahren gegen einen Verband nicht an die StA abgeben zu müssen, es nach § 82 S. 2 GWB jedoch abgeben zu können, wodurch den Kartellbehörden ein Ermessensspielraum eingeräumt wird. Diese Ausweitung bezieht sich nur auf Verfahren gegen Verbände, und die Zuständigkeitskompetenz gelangt dort an ihre Grenzen, wo das Verfahren gegen natürliche Personen seinen Anfang findet, sodass der Kartellbehörde die Pflicht obliegt, ein Verfahren gegen eine natürliche Person zwingend an die Staatsanwaltschaft abzugeben, wenn es Anhaltspunkte dafür gibt, dass es sich bei der Tat um eine Straftat handelt, vgl. § 41 OWiG.45 In dem Fall kann es daher zu einem selbstständigen Verfahren, dem sogenannten „gespaltenen Verfahren“,46 kommen, das einer unterschiedlichen Zuständigkeit unterliegt. An der Art und Weise der Regelung und Zuständigkeitsaufspaltung wird allerhand Kritik geäußert, die vermutlich so alt und ursprünglich ist wie die Regelung selbst 42 KK-OWiG/Rogall, OWiG § 30 Rn. 175; zu beiden Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen, S. 451. 43 Vgl. zur Reform des deutschen Korruptionsstrafrechts Dann, NJW 2016, 203 ff.; Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen, S. 452. 44 KK-OWiG/Rogall, OWiG § 30 Rn. 175. 45 Dazu auch KK-OWiG/Rogall, OWiG § 30 Rn. 175. 46 KK-OWiG/Rogall, OWiG § 30 Rn. 175; dazu auch bei Göhler/Gürtler, OWiG § 30 Rn. 34 f.

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und die nur in konzentrierter Form Eingang in die Arbeit findet.47 Der Anfang der Problematik liegt darin, dass für das selbstständige Verfahren in dieser Variante, im Gegensatz zu den anderen Varianten des § 30 Abs. 4 OWiG, die Besonderheit besteht, dass das Strafverfahren gerade nicht eingestellt wurde oder von Strafe abgesehen wurde, sondern noch aktiv betrieben wird. Unter dem Aspekt scheint eine Kollision mit dem ne-bis-in-idem-Grundsatz nach Art. 103 Abs. 3 GG zu bestehen. Neben diesem (verfassungsrechtlichen) Hauptkritikpunkt ist auch der doppelte (praktische) Aufwand für die Behörden zu beachten, den die Regelung mit sich bringt. Hierzu zählen die zweifachen Ermittlungen, die bei Verfahren in unterschiedliche Richtungen laufen können (wenngleich diese Problematik durch die Ergänzung des § 82 S. 3 GWB dadurch entschärft wurde, dass die Staatsanwaltschaft und die Kartellbehörde sich in den Fällen des Satzes 1 gegenseitig über früh geplante Ermittlungsschritte mit Außenwirkung, insbesondere Durchsuchungen, unterrichten sollen), und die Trennung von Ahndungs- sowie Rechtsfolgenkompetenz zwischen Strafverfolgungsbehörde und Kartellbehörde, ergo im Ergebnis strafverfahrensrechtliche Aspekte.48 Die in Betracht kommende Verletzung des Doppelbestrafungsverbotes (bzw. -ahndungsverbotes) durch die Aufspaltung der Zuständigkeit rückt, da es sich damit um verfassungsrechtliche Bedenken handelt, in das Epizentrum der Kritik.49 Das Verbot der Doppelbestrafung gilt auch im Ordnungswidrigkeitenrecht und ist einfachgesetzlich insbesondere in § 84 OWiG niedergeschrieben. Jedoch ist seine Geltung im Ordnungswidrigkeitenrecht anerkanntermaßen nicht uneingeschränkt, da es als Verfassungsgrundrecht auf das Verbot der Doppelstrafe beschränkt ist.50 Daraus folgt, dass ein Bußgeldbescheid, welcher rechtskräftig geworden ist, nicht ausschließt, dass dieselbe Tat als Straftat verfolgt wird (was aus § 84 Abs. 1 OWiG a.E. „als Ordnungswidrigkeit“ folgt), wenngleich die Vorentscheidung bei der anschließenden strafrechtlichen Verurteilung zu berücksichtigen ist.51 Geht es hingegen um die wiederholte Ahndung einer Tat als Ordnungswidrigkeit, wirkt sich das Doppelahndungsverbot im Ordnungswidrigkeitenrecht aus, wenngleich dieses nicht aus Art. 103 Abs. 3 GG folgt, sondern vielmehr unter den allgemeinen Aspekten des

47 Siehe unter anderem Göhler/Gürtler, OWiG § 30 Rn. 34a; Achenbach, NJW 2001, 2232 ff. 48 Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen, S. 452; zu den Bedenken auch Achenbach, in: Achenbach/Ransiek/Rönnau (Hrsg.), Handbuch Wirtschaftsstrafrecht, 1. Teil 2. Kap. Rn. 20; Göhler/Gürtler, OWiG § 30 Rn. 34a; dazu insgesamt auch Wegner, wistra 2000, 361 (367); krit. auch König, JR 1997, 397 (403). 49 Zur Unzulässigkeit der Aufspaltung der Verfahren Achenbach, wistra 1998,168 (170 f.). 50 KK-OWiG/Mitsch, OWiG Einl. Rn. 141; Klesczewski, Ordnungswidrigkeitenrecht, Rn. 810; Bohnert/Bülte, Ordnungswidrigkeitenrecht, § 3 Rn. 64; dazu auch Göhler/Seitz/ Bauer, OWiG § 84 Rn. 4. 51 Statt vieler KK-OWiG/Mitsch, OWiG Einl. Rn. 141 m.w.N.; BeckOK OWiG/Ganter, OWiG § 84 Rn. 4; KK-OWiG/Lutz, OWiG § 84 Rn. 3; Göhler/Seitz/Bauer, OWiG § 84 Rn. 13; grundlegend BVerfG v. 02. 05. 1967 – 2 BvR 391/64, 263/66, NJW 1967, 1651 (1653 f.).

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Rechtsstaatsprinzips Eingang findet.52 Liegt nicht nur ein rechtskräftiger Bußgeldbescheid, sondern ein rechtskräftiges Urteil vor, ist nach § 84 Abs. 2 OWiG auch keine Verfolgung derselben Tat53 als Straftat mehr möglich.54 Dies gilt anerkanntermaßen auch für juristische Personen.55 Indes geht es im Verfahren der gespaltenen Zuständigkeit der Kartellbehörden und Staatsanwaltschaft darum, dass eine Verletzung darin bestehen kann, wenn eine Unternehmensgeldbuße die Rechtsfolge einer Straftat (als Anknüpfungstat) ist und demzufolge auch das Verfahren zur Festsetzung der Geldbuße ein Teil des Strafverfahrens ist, in welchem der Täter der Anknüpfungstat verfolgt werden soll, an die wiederum die Geldbuße anknüpft.56 Dies verstoße bei paralleler Führung der Verfahren der Kartellbehörde und der Staatsanwaltschaft gegen Art. 103 Abs. 3 GG, da die Norm (neben dem Doppelbstrafungsverbot) auch die „Einmaligkeit der Strafverfolgung“57 postuliere, sodass die Führung paralleler Verfahren wegen derselben Tat eine Verletzung des Art. 103 Abs. 3 GG darstellen würde.58 Daraus folge in concreto, dass, solange Ermittlungen (der nach § 41 OWiG zuständigen Strafjustiz) andauern, ein dazu parallel geführtes Verfahren des Bundeskartellamtes zur Festsetzung einer Geldbuße, die an das andere Verfahren anknüpft, unzulässig sei.59 Dem ist zuzugestehen, dass die, sogar teils verfassungsrechtlichen, Bedenken die praktische Seite der Problematik rund um die Regelung widerspiegeln. Es scheint dabei aber zumindest zweifelhaft, eine Regelung allein nach der praktischen Seite ausrichten zu wollen. Denn es können sich mitunter nicht nur unerhebliche Diskrepanzen ergeben und praktische Probleme sollten zunächst grundsätzlich einmal nicht allein das Zünglein an der Waage auf der Rechtsetzungsebene sein (auch wenn es freilich häufig die Praxis ist, die den Stein für eine Rechtsänderung ins Rollen bringt).60

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So bei KK-OWiG/Mitsch, OWiG Einl. Rn. 142 m.w.N.; ähnlich BeckOK OWiG/Ganter, OWiG § 84 Rn. 13 f.; OLG Zweibrücken v. 17. 09. 1998 – 1 Ss 208 – 98, NJW 1999, 962. 53 Hier als Tat im prozessualen Sinne. Vgl. dazu auch OLG Frankfurt v. 09. 12. 1991 – 6 Ws (Kart) 14/91, NJW 1992, 2777 f. 54 Siehe KK-OWiG/Lutz, OWiG § 84 Rn. 10; Göhler/Seitz/Bauer, OWiG § 84 Rn. 15 f.; OLG Naumburg v. 21. 09. 1995 – 1 Ss (B) 185/95, NJW 1995, 3332. 55 Siehe KK-OWiG/Mitsch, OWiG Einl. Rn. 142; KG v. 29. 09. 1998 – Kart 6 – 98, NStZ 1999, 253. 56 Zur Problematik des gespaltenen Verfahrens bereits Achenbach, wistra 1998, 168 (171 f.); ebenfalls krit. Graf/Jäger/Wittig/Niesler, Wirtschaftsstrafrecht, § 30 Rn. 81. 57 BeckOK GG/Radtke, GG Art. 103 Rn. 44. 58 Achenbach, wistra 1998, 168 (171); krit. auch Göhler/Gürtler, OWiG § 30 Rn 34a. 59 Achenbach, NJW 2001, 2232 (2233); ders., wistra 1998, 168 (172); krit. auch Rebmann/ Roth/Herrmann-OWiG, Bd. 1, § 30 Rn. 40a. 60 Vgl. dazu beispielhaft die Reform des Sexualstrafrechts, die infolge der Vorfälle in der Silvesternacht in Köln 2015/2016 auf den Weg gebracht wurde. Siehe dazu Hoven, NK 2018, 392 passim; Franz/Hoheisel-Gruler, Kriminalistik 2019, 55 passim.

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3. Kap.: Verfahren zur Verhängung einer Verbandsgeldbuße de lege lata

Rein rechtlich betrachtet geht es vielmehr darum, den Verband auf der einen und die natürliche Person auf der anderen Seite zu sanktionieren, weshalb eine Verschiedenheit der Personen gegeben ist.61 Es handelt sich um zwei unterschiedliche Sanktionsobjekte, weshalb der Einwand des doppelten Aufwandes (der offenbar letztlich auch vom Gesetzgeber durch die Einfügung von § 82 S. 3 GWB gesehen wurde) zwar auf der tatsächlichen Ebene greifen mag, jedoch nicht auf die rechtliche Ebene durchschlägt, sodass das gespaltene Verfahren in letzter Konsequenz auch nicht gegen das Doppelbestrafungsverbot verstößt.62 Neben der Verschiedenheit der Sanktionssubjekte geht es auch um die Verschiedenheit der Anknüpfungstat des Mitarbeiters im Gegensatz zur Geldbuße des Unternehmens.63 In concreto mag man diese Bedenken daher für berechtigt halten oder eben nicht. Sie führen jedoch keineswegs zu einem Hindernis bezüglich der intendierten gesetzgeberischen Wertung, die Zuständigkeit aufzuspalten, um das Fachwissen der Sonderbehörden gezielt einzusetzen.64 Eine weitere Regelung findet sich zudem im Energiewirtschaftsgesetz in § 96 EnWG, der die ausschließliche Zuständigkeit der Regulierungsbehörde als Verwaltungsbehörde anordnet.65 Diese gilt gemäß § 95 S. 1 EnWG bei der Verhängung einer Geldbuße gegen den Verband, wenn es sich bei der Tat um eine Straftat oder eine mit ihr zusammenhängende Aufsichtspflichtverletzung handelt. Es besteht aber wie im Kartellrecht ebenfalls die Möglichkeit, das Bußgeldverfahren nach § 95 S. 2 EnWG an die Staatsanwaltschaft abzugeben. e) Unmöglichkeit eines selbstständigen Verfahrens Unter bestimmten Umständen soll die Durchführung des selbstständigen Verfahrens gegen ein Unternehmen den Verfolgungsbehörden ausdrücklich nicht möglich sein.66 Nach der Intention des Gesetzgebers ist dies der Fall, wenn schon der Mitarbeiter als natürliche Person und Täter aus rechtlichen Gründen nicht mehr belangt werden kann. Das hat sich gesetzlich in § 30 Abs. 4 S. 3 OWiG niedergeschlagen. Dort heißt es, dass die selbständige Festsetzung einer Geldbuße gegen die juristische Person oder Personenvereinigung ausgeschlossen ist, wenn die Straftat oder Ordnungswidrigkeit aus rechtlichen Gründen nicht verfolgt werden kann. Die Norm wird durch die Gesetzesbegründung mit Leben gefüllt, indem sie ausweislich die Begriffe des rechtlichen Hindernisses, die Fälle der Verjährung und der Amnestie 61 Dölling, ZStW 2000 (112), 334 (349 f.); Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen, S. 452. 62 Vgl. zu den weiteren Voraussetzungen des Doppelbestrafungsverbotes in Bezug auf Ordnungswidrigkeiten in neuerer Zeit KG v. 09. 10. 2015 – 3 Ws (B) 403 und 404/15, VRS 2015 Bd. 129, 137 = BeckRS 2016, 01595. 63 Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen, S. 452. 64 So auch Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen, S. 453. 65 Vgl. Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen, S. 452. 66 Zum Ganzen Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen, S. 453.

A. Allgemeine Regelungen

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umfasst.67 So wäre es nach der Gesetzesbegründung nicht gerechtfertigt, gegen den Verband eine Sanktion wegen einer Zuwiderhandlung zu verhängen, die selbst nicht verfolgt werden kann.68 2. Ordnungswidrigkeit als Anknüpfungstat Aufgrund der vorangehenden Erörterung der einzelnen Varianten des selbstständigen Verfahrens bei einer Straftat als Anknüpfungstat werden im Folgenden lediglich die Unterschiede beleuchtet, die sich bei einer Ordnungswidrigkeit als Anknüpfungstat ergeben. Ausweislich des Wortlautes von § 30 Abs. 4 S. 1 OWiG gelten die einzelnen Varianten ebenfalls für den Fall, dass es sich bei der Anknüpfungstat um eine Ordnungswidrigkeit handelt. a) Nichteinleitung des Verfahrens, § 30 Abs. 4 S. 1 Var. 1 OWiG Wird das geltende Legalitätsprinzip im Strafverfahren als maßgeblicher Grund für das Leerlaufen der Nichteinstellungsvariante als Voraussetzung für ein selbstständiges Verfahren bei einer Straftat als Anknüpfungstat gesehen, dürften sich in logischer Konsequenz dazu bei gleicher Sachlage im Ordnungswidrigkeitenverfahren weitaus weniger Schwierigkeiten ergeben. Gemäß § 47 OWiG gilt für das Ordnungswidrigkeitenrecht das Opportunitätsprinzip, sodass die Verfolgungsbehörde unter Berücksichtigung ihres pflichtgemäßen Ermessens entscheiden kann, ob sie ein Verfahren einleitet oder ob sie von der Verfolgung absieht.69 § 30 Abs. 4 S. 1 Var. 1 OWiG meint indes gerade nicht den Fall, dass ein Verfahren gegen den Täter der Anknüpfungstat nicht eingeleitet wird, weil es am anfänglichen Tatverdacht fehlt.70 Dies folgt daraus, dass für § 30 OWiG der Tatverdacht Voraussetzung ist.71 Da sich die Frage nach der Einleitung praktisch erst nach der Vornahme mitunter teils aufwendigen Ermittlungstätigkeiten beantworten lässt, wird dies in letzter Konsequenz zur Folge haben, dass zu dem Zeitpunkt das Verfahren bereits eingeleitet ist.72 Dementsprechend kommt der „Nichteinleitung des Verfahrens“ auch im ordnungswidrigkeitenrechtlichen Verfahren keine hohe praktische Relevanz zu.73 67 BT-Drs. 10/318, S. 41; vgl. ausführlich zu den Verfolgungshindernissen Wieser, Bußgeldverfahren, S. 63 ff.; KK-OWiG/Rogall, OWiG § 30 Rn. 190 m.w.N. 68 BT-Drs. 10/318, S. 41; Göhler/Gürtler, OWiG § 30 Rn. 42. 69 Zum Ganzen Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen, S. 447. 70 BeckOK OWiG/Meyberg, OWiG § 30 Rn. 131; Krenberger/Krumm, OWiG § 30 Rn. 61 f. 71 Krenberger/Krumm, OWiG § 30 Rn. 61. 72 Siehe Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen, S. 447. 73 KK-OWiG/Rogall, OWiG § 30 Rn. 166 f.; Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen, S. 446 f.; auf diese Problematik der unterschiedlichen praktischen Relevanz der Varianten indes nicht eingehend Krenberger/Krumm, OWiG § 30 Rn. 60 ff.

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3. Kap.: Verfahren zur Verhängung einer Verbandsgeldbuße de lege lata

b) Einstellung des Verfahrens, § 30 Abs. 4 S. 1 Var. 2 OWiG Gravierende Unterschiede zwischen einer Straftat als Anknüpfungstat und einer Ordnungswidrigkeit als Anknüpfungstat ergeben sich, bis auf die oben bereits erwähnten, ferner auch nicht bei der Variante der Einstellung des Verfahrens. Die Verwaltungsbehörde kann das Verfahren gegen den Täter der Anknüpfungstat im Ordnungswidrigkeitenverfahren aus Opportunitätsgründen nach §§ 153 ff. StPO (insbesondere also auch nach § 153a StPO) in entsprechender Anwendung und nach § 47 OWiG einstellen.74 Für den Fall der anonymen Geldbuße gilt das oben Erwähnte.75 c) Übrige Varianten, § 30 Abs. 4 S. 1 Var. 3, Abs. 4 S. 2 OWiG und Unmöglichkeit eines selbstständigen Verfahrens Wie bereits eingangs erwähnt, kann die Variante des Absehens von Strafe im Sinne des § 30 Abs. 4 S.1 Var. 3 OWiG als Voraussetzung für ein selbstständiges Verfahren ausschließlich in einem Strafverfahren relevant werden, sodass sie für ein Verfahren mit einer Ordnungswidrigkeit als Anknüpfungstat keine Bedeutung erlangt. Darüber hinaus lässt sich das oben Erwähnte zu der ausdrücklichen gesetzlichen Anordnung eines selbstständigen Verfahrens (§ 30 Abs. 4 S. 2 OWiG76) und die Varianten der Unmöglichkeit des selbstständigen Verfahrens auf das Ordnungswidrigkeitenverfahren übertragen.

III. Trennung und Verbindung von Verfahren: Vor- und Nachteile Der Gesetzgeber sieht vor, die Verbandsgeldbuße nach § 30 OWiG grundsätzlich in einem verbundenen Verfahren gegen den Täter der Anknüpfungstat und den Verband einheitlich zu verhängen und nur in bestimmten, bereits genannten, Ausnahmefällen die selbstständige Festsetzung der Geldbuße gegen die juristische Person zuzulassen.77 Vorteilhaft für Unternehmen, aber nicht entscheidendes Kriterium, scheint indes bei dem selbstständigen Verfahren insbesondere, dass die Festsetzung der Unter74

Krenberger/Krumm, OWiG § 30 Rn. 63; gegen die Notwendigkeit einer entsprechenden Anwendung der § 153 ff. StPO Göhler/Seitz/Bauer, OWiG § 47 Rn. 1; für eine analoge Anwendung KK-OWiG/Mitsch, OWiG § 47 Rn. 110 ff. 75 Siehe dazu S. 138. 76 Vgl. S. 141. 77 Die Begriffe des verbundenen und selbstständigen sowie einheitlichen und getrennten Verfahrens werden synonym verwendet. Vgl. näher zu den Verfahrensarten Dörr, in: Kempf/ Lüderssen/Volk (Hrsg.), Unternehmensstrafrecht, S. 23 (32 f.); zu den restriktiven Voraussetzungen Kudlich/Schuhr, SSW-StPO, § 444 Rn. 3.

A. Allgemeine Regelungen

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nehmensgeldbuße bei einer Straftat als Anknüpfungstat ohne Hauptverhandlung erfolgt, da das Gericht grundsätzlich durch Beschluss über den Antrag der Staatsanwaltschaft entscheidet und daher zu guter Letzt auch ohne große Publizität, weshalb sich dies weniger reputationsschädigend für ein Unternehmen auswirken wird als eine Hauptverhandlung, die unter anderem ein groß inszeniertes Presseaufkommen beinhalten würde.78 Dies gewährt sowohl kleinen und mittelständischen Unternehmen als auch Großunternehmen einen nicht nur unerheblichen Vorteil: So wird gerade bei Letzeren ein enorm hohes Interesse der Öffentlichkeit durch die (jedenfalls auch aber nicht ausschließlich internationale) Presse bestehen, welches geringfügiger ausfallen könnte. Dieser Aspekt ist jedoch auch für kleine und mittelständische Unternehmen nicht zu vernachlässigen, da ihre Reputation zumindest auch durch die Presse auf der Lokalebene massiv geschädigt werden kann und eine Negativpresse schon binnen kurzer Zeit zu einer Existenzgefährdung (z. B. aufgrund der folgenden schlechten Auftragslage) führen kann.79 Daneben geht mit der Option der selbstständigen Festsetzung zusätzlich praktisch ein geringerer Ermittlungsaufwand für die Behörden einher als für eine Hauptverhandlung erforderlich wäre. Dies spiegelt sich auch auf der Unternehmensseite in mehrerer Hinsicht wider. Zum einen werden geringere Kosten für die Verteidigung des Unternehmens anfallen, da Zeit und Aufwand der Verteidigung nicht das Ausmaß wie bei der Vorbereitung einer Hauptverhandlung erreichen und die Kosten dementsprechend nicht derart hoch wie bei einem langwierigen Prozess sein werden. Zum anderen kann das Unternehmen in kürzerer Zeit wieder die volle Leistungsfähigkeit erlangen, welche durch beschlagnahmte Gegenstände und Dokumente insgesamt beeinträchtigt sein könnte. Da eine derart starke Verbindung wie in einem verbundenen Verfahren nach geltendem Recht insgesamt nicht zwingend erforderlich scheint, könnte für die Zukunft in Betracht gezogen werden, die allgemeinen Vorschriften der Verbindung und Trennung von Verfahren Anwendung finden zu lassen.80 Mitunter ergeben sich durch die Regelung von Trennung und Verbindung der Verfahren de lege lata, neben grundsätzlichen Vor- und Nachteilen, auch Probleme und rechtliche Unstimmigkeiten. So richtet sich das weitere Verfahren gegen einen Verband bei einem getrennten Verfahren nach § 30 Abs. 4 OWiG bis zum Bußgeldbescheid nach der Anknüpfungstat. Handelt es sich dabei um eine Ordnungswidrigkeit, wird die Verbandsgeldbuße nach § 88 Abs. 2, S. 1 OWiG in einem

78 Gleiches gilt auch für die Einziehung des Wertes von Taterträgen nach § 29a Abs. 5 OWiG, weiterführend dazu Dörr, in: Kempf/Lüderssen/Volk (Hrsg.), Unternehmensstrafrecht, S. 23 (33 f.). 79 Siehe zur Reputation als Rechtsgut im Zusammenhang mit Unternehmen im Netz, Ziegelmayer, GRUR 2012, 761 ff. 80 Engelhart, NZWiSt 2015, 201 (209).

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3. Kap.: Verfahren zur Verhängung einer Verbandsgeldbuße de lege lata

selbstständigen Bußgeldbescheid festgesetzt.81 In diesem Fall ist § 444 StPO über § 46 Abs. 1 OWiG anwendbar und wird durch § 88 OWiG ergänzt.82 Hier liegt für ein Verfahren nach § 30 Abs. 4 S. 1 OWiG mit einer Ordnungswidrigkeit als Anknüpfungstat gleichzeitig ein Problem, wenn sich die Staatsanwaltschaft teilweise als „Verwaltungsbehörde i.S.d. § 35 OWiG“83 begreift und bei einer Einstellung des Verfahrens gegen den Aufsichtspflichtigen wegen einer Anknüpfungstat nach § 130 OWiG nicht nur hinsichtlich der Verfolgung tätig wird, sondern ebenfalls Bußgeldbescheide – die freilich gerade in diesem Kontext eine nicht nur unerhebliche Höhe von mehreren Millionen Euro ausmachen können – ohne richterliche Kontrollinstanz (trotz eines strafrechtlichen Sachverhaltes des Mitarbeiters) festsetzen.84 An dieser Stelle drängt sich die Frage auf, ob dies in Zukunft bei einem (auch) prozessualen Teil eines Verbandssanktionenrechts anders geregelt werden kann und gegebenenfalls sogar anders geregelt werden sollte. Dafür würde auch der Wortlaut des § 42 OWiG sprechen, der der Staatsanwaltschaft lediglich die Verfolgungskompetenz gewährt, nicht hingegen die Ahndungskompetenz einräumt.85 Aus dieser Problematik ergibt sich für den Erlass derartiger Bußgeldbescheide eine Janusköpfigkeit, da einerseits keine gerichtliche Kontrollmöglichkeit besteht, was sich in der Höhe des Bußgeldes mitunter nicht nur unerheblich nachteilig für ein Unternehmen auswirken kann. Andererseits können Bußgeldbescheide verfahrensökonomisch schnell verhängt werden, ohne die, schon konstant überlastete, Kapazität der Justiz weiter in Anspruch zu nehmen, vor allem aber ohne dem Verband ein langwieriges Verfahren zumuten zu müssen. Diese Problematik ist freilich ohne Bedeutung, wenn es sich bei der Bezugstat um eine Straftat handelt, denn für diesen Fall gelten auch für das selbstständige Verfahren die Regeln der StPO, sodass das Gericht über den Antrag der Staatsanwaltschaft entscheidet und nicht der Staatsanwaltschaft die letzte Entscheidungsbefugnis im Sinne von § 35 OWiG zukommt. Wird die Problematik des Weiteren aus prozessökonomischer Sicht betrachtet, lassen sich bereits auf den ersten Blick Vor- und Nachteile ausfindig machen. So kann ein einheitliches Verfahren gegen den Verband und die natürliche Person in der Hinsicht von Vorteil sein, da die Anknüpfungstat Bestandteil des § 30 OWiG ist und diese Voraussetzung dementsprechend gegeben sein muss.86 Im Übrigen bietet es sich in einem einheitlichen Verfahren geradezu an, die Sanktionen (Haupt- und 81 Vgl. zu Schwierigkeiten in der Praxis Dörr, in: Kempf/Lüderssen/Volk (Hrsg.), Unternehmensstrafrecht, S. 23 (33 f.) insbesondere zu Lösungsansätzen, wenn die Identität des Täters im Unternehmen nicht feststellbar ist. 82 Vgl. Kudlich/Schuhr, SSW-StPO, § 444 Rn. 2. 83 Dörr, in: Kempf/Lüderssen/Volk (Hrsg.), Unternehmensstrafrecht, S. 23 (33). 84 Zutr. krit. Dörr, in: Kempf/Lüderssen/Volk (Hrsg.), Unternehmensstrafrecht, S. 23 (33). 85 Dörr, in: Kempf/Lüderssen/Volk (Hrsg.), Unternehmensstrafrecht, S. 23 (33). 86 Siehe Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen, S. 445; dazu auch Göhler/Gürtler, OWiG § 30 Rn. 30.

A. Allgemeine Regelungen

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Nebensanktion) aufeinander abzustimmen.87 Ein nicht zu unterschätzender Subaspekt besteht darin, dass durch die Verbindung beider Verfahren die Effektivität der Verteidigung gesteigert wird. Dies kann grundsätzlich auch in getrennten Verfahren geschehen, gestaltet sich jedoch aufgrund der zeitlichen Differenz/Langwierigkeit und möglicher Diskrepanzen hinsichtlich der Wertung der Verfahren häufig weitaus schwieriger.88 Diesen Vorteilen eines verbundenen Verfahrens steht indes nach derzeitiger Regelungslage jedenfalls ein Nachteil gegenüber, der es weitaus weniger prozessökonomisch macht, als es prima facie scheint. Ein nicht nur unerheblicher Nachteil besteht nach Engelhart zutreffend darin, dass dem § 30 OWiG weitere Prämissen zugrunde liegen, die in der Beweisaufnahme zu prüfen sind und die in den meisten Fällen in der Praxis zu einer hohen Komplexität führen.89 Dazu zählt nicht nur, aber jedenfalls auch die Feststellung, dass betriebsbezogene Pflichten verletzt wurden. Mit dieser Komplexität gehen teils enorme und unvermeidbare Zeitverzögerungen einher, die sich für den Einzelnen als natürliche Person hinsichtlich seines Parts in dem Verfahren über einen längeren Zeitraum belastend auswirken (können).90 Für die Zukunft könnte deshalb eine Abwägung getroffen werden, inwiefern beispielsweise Zeitverzögerungen hinzunehmen sind oder ob sich hinsichtlich der Trennung und Verbindung von Verfahren eine gänzlich andere Regelung anbietet.

IV. Opportunitätsherausforderungen 1. Opportunitätsprinzip versus Legalitätsprinzip De lege lata gilt für das Strafrecht das Legalitätsprinzip nach § 152 Abs. 2 StPO91 mit seinem Verfolgungszwang und für das Ordnungswidrigkeitenrecht das Opportunitätsprinzip92 mit seinem Verfolgungsermessen beginnend bei der Einleitung des Bußgeldverfahrens bis hin zur rechtskräftigen Bußgeldentscheidung, solange die zuständige Verwaltungsbehörde die Verfahrensleitung innehat.93 Über das Legalitätsprinzip wird strafprozessual geregelt, dass die Staatsanwaltschaft zur Verfolgung 87

Vgl. Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen, S. 445. Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen, S. 445 m.w.N. 89 Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen, S. 445. 90 Zum Ganzen Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen, S. 445. 91 Vgl. zur Anwendung des Legalitätsprinzips in Strafverfahren gegen Verbände in der Vergangenheit in Deutschland Busch, Grundfragen der strafrechtlichen Verantwortlichkeit der Verbände, S. 218. 92 Siehe dazu auch Wieser, Bußgeldverfahren, S. 88 mit dem Hinweis, dass die Verwaltungsbehörde entscheide, ob ein Bußgeldverfahren zweckmäßig (= opportun) sei. 93 Zum Begriff der Opportunität als „freie, von keiner Vorschrift bestimmte Entscheidung“ Bohnert, Ordnungswidrigkeitenrecht, 4. Aufl., 2010, § 1 Rn. 27; vgl. zur geltenden Rechtslage hinsichtlich Opportunitäts- und Legalitätsprinzips in Österreich, Schumann/Knierim, NZWiSt 2016, 194 (196 f.). 88

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3. Kap.: Verfahren zur Verhängung einer Verbandsgeldbuße de lege lata

von Straftaten verpflichtet ist, wenn es einen Anfangsverdacht gibt, und Anklage erheben muss, sofern sich der Verdacht bestätigt.94 Das Legalitätsprinzip ist die Konsequenz des staatlichen Anklagemonopols, welches den Strafanspruch des Staates durchsetzen kann, im Gegenzug dazu aber den Gleichheitsgrundsatz nach Art. 3 Abs. 1 GG wahren und gegen jeden einer Straftat Verdächtigen in gleicher Art und Weise ermitteln muss.95 Für die Festsetzung von Bußgeldbescheiden gegen Verbände findet das Ordnungswidrigkeitenrecht Anwendung und somit das Opportunitätsprinzip. Dieses hat im Ordnungswidrigkeitenrecht an zwei für die Verbandsgeldbuße relevanten Stellen Eingang in den Wortlaut gefunden. So spricht § 30 OWiG davon, dass eine Geldbuße gegen eine juristische Person oder Personenvereinigung festgesetzt werden kann,96 nicht hingegen festgesetzt werden muss, was das Opportunitätsprinzip auf der materiellen Ebene der Verbandsgeldbuße widerspiegelt. Noch deutlicher wird die Anwendung des Opportunitätsprinzips in verfahrensrechtlicher Hinsicht in § 47 OWiG, in welchem die Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten generell im pflichtgemäßen Ermessen der Verfolgungsbehörden liegt, vgl. § 47 Abs. 1 OWiG.97 Demzufolge steht es im Ordnungswidrigkeitenrecht im Ermessen der Verfolgungsbehörde ein Verfahren einzuleiten und zu beenden. So kann trotz eines ausreichenden Tatverdachts das Verfahren eingestellt werden. Soll spezifisch eine Geldbuße nach § 30 OWiG verhängt werden, findet das Opportunitätsprinzip Anwendung. Es gilt unabhängig davon, ob die Anknüpfungstat eine Ordnungswidrigkeit oder eine Straftat ist. 2. Das pflichtgemäße Ermessen a) Entschließungsermessen Die Verfolgungsbehörde ist nach § 47 OWiG dazu berechtigt, selbst über die Verfolgung einer Ordnungswidrigkeit, mithin über die Einleitung eines Bußgeldverfahrens (Entschließungsermessen) zu entscheiden. In der Entscheidung ist sie aber nicht gänzlich frei und ungebunden. § 47 Abs. 1 OWiG spricht ausweislich des Wortlautes von einer Verfolgungsopportunität der Behörde innerhalb ihres „pflichtgemäßen Ermessens“, um einer Missbrauchsgefahr seitens der Behörde von Beginn an vorzubeugen.98 Nicht direkt deutlich wird allerdings, wann die Ausübung des Verfolgungsermessens der Behörde pflichtgemäß ist bzw. wie der Begriff des 94

Siehe zum Legalitätsprinzip insgesamt Beulke/Swoboda, Strafprozessrecht, Rn. 17. Beulke/Swoboda, Strafprozessrecht, Rn. 17. 96 Allg. Bohnert/Bülte, Ordnungswidrigkeitenrecht, § 1 Rn. 44 f. 97 Göhler/Seitz/Bauer, OWiG § 47 Rn. 1. 98 Vgl. an dieser Stelle Bohnert, Ordnungswidrigkeitenrecht, 4. Aufl. 2010, § 1 Rn. 32, der sich begrifflich nicht festlegen will und die Freiheit der Ahndungsmöglichkeit als Pflicht, Willkür oder pflichtgemäßes Ermessen mit dem Stichwort der Praktikabilität zusammenfassend umschreibt. 95

A. Allgemeine Regelungen

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pflichtgemäßen Ermessens konturiert werden kann. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass es sich bei der Pflichtgemäßheit um einen (auch vom Gesetz) ausfüllungsbedürftigen Begriff handelt. Ein erster, jedoch wenig konkretisierender Anhaltspunkt findet sich in § 47 Abs. 3 OWiG, der besagt, dass die Einstellung eines Verfahrens nicht von der Zahlung eines Geldbetrages abhängig gemacht werden darf, sodass diese Variante ausweislich des Wortlautes nicht mehr von dem pflichtgemäßen Ermessen der Verfolgungsbehörde umfasst ist.99 Daraus ergibt sich auch eine erste Schwäche der Anwendung des Opportunitätsprinzips bzw. insgesamt des Ordnungswidrigkeitenrechts bei Verbandsgeldbußen: Durch das Legalitätsprinzip im Strafrecht ist es möglich, unter dem Gesichtspunkt der Sanktionierung flexibel und insbesondere in einer Hinsicht flexibler als im Ordnungswidrigkeitenrecht zu reagieren. So können neben der Strafe an sich zusätzlich Auflagen erteilt werden. Diese Möglichkeit bleibt dem Ordnungswidrigkeitenrecht durch die Regelung des § 47 Abs. 3 OWiG ausdrücklich jedenfalls für die dort genannte Auflage verwehrt. Relativiert wird diese Schwäche freilich dadurch, dass § 47 Abs. 3 OWiG zwar die Einstellung des Verfahrens gegen Zahlung eines Geldbetrages als Auflage verbietet, im Umkehrschluss die Verhängung anderer Auflagen somit möglich sein muss.100 Unter wirtschaftspolitischen Aspekten ergibt diese Regelung Sinn, da die Zahlung eines Betrages gegen Einstellung des Verfahrens, mithin der weiteren Sanktionierung, für ein Unternehmen die sanfteste und daher vorzugswürdigste Option der Verfahrensbeendigung wäre, und deshalb in dieser Hinsicht ein rapider Anstieg eines „Freikauf(s) von der Bußgeldsanktion“101 zu erwarten wäre. Unter allgemeinen Gesichtspunkten ist davon auszugehen, dass das pflichtgemäße Ermessen bejaht werden kann, „wenn die Entscheidung (der Verfolgungsbehörde) allein auf sachlichen Gesichtspunkten beruht, insbesondere nicht willkürlich erfolgt oder den Gleichheitsgrundsatz verletzt“.102 An dieser Definition wird deutlich, dass der Behörde ein relativ weitreichender Umfang des Ermessens an die Hand gegeben wird, dessen Grenze der Missbrauch des Ermessens als Willkürverbot103 sein soll, sodass vielfältige Sachverhaltsgestaltungen denkbar sind, in denen die Verfolgungsbehörde innerhalb des pflichtgemäßen Ermessens handelt.104 Durch die große Tragweite der Handlungsmöglichkeiten ergibt sich für die Verfolgungsbehörde die (theoretische) Möglichkeit, alle Einzelfallumstände, wie zum Beispiel Auswirkungen und Häufigkeit ähnlicher Taten bzw. Wiederholungsgefahr, mit in ihre Entscheidung einfließen zu lassen. Dieser scheinbar positiven Seite steht ein gewichtiger Nachteil gegenüber, denn aus den vielfältigen Handlungsmöglichkeiten der Behörde folgt eine größtmögliche Unsicherheit für die Unternehmen hinsichtlich 99

Zum Ganzen Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen, S. 460. Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen, S. 460 f. 101 Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen, S. 460. 102 Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen, S. 460; zum pflichtgemäßen Ermessen Göhler/Seitz/Bauer, OWiG § 47 Rn. 6 ff. 103 Zum Willkürverbot BeckOK OWiG/Bücherl, OWiG § 47 Rn. 9. 104 Grundlegend Göhler/Seitz/Bauer, OWiG § 47 Rn. 6 ff. 100

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3. Kap.: Verfahren zur Verhängung einer Verbandsgeldbuße de lege lata

einer in Betracht kommenden Verfolgung.105 Die Unsicherheit resultiert aus dem Zusammenspiel mehrerer Faktoren: So ist es oft von Zufälligkeiten abhängig, ob gegen einen Verband ermittelt wird.106 Hierzu zählen unter anderem der Sitz der Staatsanwaltschaft, ebenso wie ihr Verfolgungsengagement und die Belastungskapazität der Staatsanwaltschaft insgesamt.107 Für die Zukunft sollte jedenfalls eine gleichmäßige Anwendung der Normen sichergestellt werden. Nach der geltenden Rechtslage werden etwaige, keinesfalls abschließende und allumfassende Anhaltspunkte für eine Konkretisierung hinsichtlich des Ermessens bei einer Einstellung im Ordnungswidrigkeitenverfahren häufig den Einstellungsgründen der §§ 153 f. StPO entnommen, da in diesen Fällen ebenfalls davon auszugehen ist, dass das staatliche Verfolgungs- und Sanktionsinteresse derart gering ist, dass eine Verfolgung nicht durchgeführt werden müsse.108 Beispielhaft sei an dieser Stelle die Einstellung wegen Geringwertigkeit nach § 153 StPO genannt, sodass diese und ein mangelndes öffentliches Interesse als Anhaltspunkte im Ordnungswidrigkeitenrecht herangezogen werden können, um die Grenze des pflichtgemäßen Ermessens zu konturieren.109 Etwas anderes kann sich ergeben, wenn es bei der Auflage gegen Einstellung darum geht, auf in Zukunft normgetreues Verhalten des Unternehmens hinwirken zu wollen und letzteres selbst die Auflage sein soll.110 So ist bereits umstritten, ob und inwiefern dies zulässig sein kann und soll.111 Für eine Annäherung an eine Lösung könnte es sich anbieten, nach dem Schwerpunkt zu differenzieren und ein Verfahren, das sich zwar äußerlich auf die Verhängung eines Bußgeldes richten soll, aber den eigentlich überwiegenden Zweck des normgetreuen Verhaltens des Unternehmens in der Zukunft verfolgt und bei dem letzteres den Schwerpunkt darstellt, als rechtswidrig anzusehen. Die Lösung über die Feststellung der Rechtswidrigkeit eines Verfahrens über den Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit wird sich in der Praxis allerdings kaum oder jedenfalls schwer umsetzen lassen, da jeder Einstellung gegen eine solche Auflage der Sanktionscharakter an sich immanent sein wird sowie ebenfalls Verwaltungszwang entsteht. Um einen solchen Lösungsweg legitimieren zu können und ihn für die juristische Praxis gangbar zu machen, müssten vielmehr Leitkriterien mit Indizwirkung entwickelt werden, mit denen sich ein Schwerpunkt eindeutiger herausstellen lässt.

105

Vgl. Kubiciel, NZWiSt 2016, 178 (179). Vgl. insgesamt Kubiciel, NZWiSt 2016, 178 (179). 107 Zu den einzelnen Faktoren Kubiciel, NZWiSt 2016, 178 (179). 108 Krenberger/Krumm, OWiG § 47 Rn. 5 m.w.N.; vgl. dazu auch Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen, S. 460, der an dieser Stelle explizit von den §§ 153 ff. StPO spricht. 109 Vgl. Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen, S. 460. 110 Dazu grundlegend Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen, S. 460 f. 111 Vgl. zum Ganzen Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen, S. 460 f. m.w.N. 106

A. Allgemeine Regelungen

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Selbst wenn anerkannt wird, dass die Einstellung gegen die Auflage jedenfalls der Aufgabe des derzeitigen rechtswidrigen Verhaltens und mitunter auch normgetreuen Verhaltens in der Zukunft keinen schwerpunktmäßigen Sanktionscharakter innehat, sondern vielmehr durch den Zwangscharakter zum normgetreuen Verhalten in der Zukunft und zum Unterlassen des beanstandeten Verhaltens geprägt ist, sind doch auch die möglichen Vorteile eines solchen Vorgehens nicht von der Hand zu weisen. So könnte eine derartige Herangehensweise, sofern sie als zulässig erachtet wird, positive Auswirkungen auf die Zukunft und nicht nur für den Moment der Aufgabe des rechtswidrigen Verhaltens zeitigen, mitunter aber freilich auch Herausforderungen und Schwierigkeiten mit sich bringen. Es entstünden stark präventive Ansätze und -reize schon von Gesetzes wegen, die in der Zukunft ausbaufähig wären und eine Vielzahl von ansonsten entstehenden Bußgeldverfahren bereits im Grunde verhindern könnten. Ein solcher Ansatz entspricht wohl auch der derzeitigen geistesund wirtschaftspolitischen Strömung in Deutschland, da präventive Ansätze in jeglicher Form diskutiert und mit einer kontinuierlichen Vehemenz verfolgt werden.112 Ihm ist somit vor allem unter aktuellen Aspekten, wie insbesondere der Zukunftswürdig- und Zukunftsfähigkeit, der Vorzug zu gewähren. b) Auswahlermessen Hinsichtlich des Auswahlermessens (d. h. der Entscheidung der Behörde, gegen welche[n] von mehreren potentiell Betroffenen ein Bußgeldverfahren geführt werden soll) finden sich tatsächliche wie normative Anhaltspunkte.113 So kann in den Fällen, in denen eine Verbandsgeldbuße in Betracht kommt, beispielsweise der Blick auf das Firmenorganigramm weiterhelfen, um herauszustellen, wer für das Unternehmen im Sinne des § 9 Abs. 1 und 2 OWiG gehandelt hat (was wiederum eine mögliche Tätereigenschaft des Bußgeldtatbestandes nach § 130 OWiG begründet).114 Daraus resultiert die Möglichkeit der Erweiterung oder Beschränkung des Auswahlermessens auf die dort genannten Personen. Unter den Aspekt des Auswahlermessens fällt auch die Entscheidung, eine Verbandsgeldbuße nur selbstständig oder neben einer Individualgeldbuße gegen den Verband zu verhängen vgl. § 30 Abs. 1, 4 OWiG.115 Wird eine Verbandsgeldbuße angestrebt, ist darüber hinaus zu beachten, dass der Kreis der nach § 130 i.V.m. § 9 Abs. 2 OWiG nicht notwendig vollständig mit dem Kreis derjenigen Personen übereinstimmen muss, deren ordnungswidriges Verhalten auch eine Anwendung des § 30 OWiG begründen kann.

112

Vgl. zu präventiven Gesichtspunkten beispielhaft im NRW-Entwurf S. 22 f., 26 und 72; siehe zur Prävention auch den Kölner Entwurf Henssler/Hoven/Kubiciel/Weigend, NZWiSt 2018, 1 (9). 113 Wieser, Bußgeldverfahren, S. 91. 114 Siehe dazu Wieser, Bußgeldverfahren, S. 91. 115 Wieser, Bußgeldverfahren, S. 91.

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3. Kap.: Verfahren zur Verhängung einer Verbandsgeldbuße de lege lata

3. Anwendung des Opportunitätsprinzips auf § 30 OWiG Von großer praktischer Bedeutung ist darüber hinaus, wie sich das Opportunitätsprinzip in der Praxis der Festsetzung des Bußgeldverfahrens nach § 30 OWiG auswirkt. Wie bereits erwähnt, gilt das unabhängig davon, ob die für § 30 OWiG notwendige Voraussetzung der Anknüpfungstat eine Straftat oder Ordnungswidrigkeit ist.116 Durch das Opportunitätsprinzip besteht zunächst die Möglichkeit, dass die Verfolgungsbehörde das Verfahren gegen den Mitarbeiter einstellt und nur das Unternehmen in sanktionsrechtlicher Hinsicht weiter verfolgt, da dies zur Unrechtsvergeltung in bestimmten Fällen ausreichend oder angemessen scheint. Anders liegt der Fall, wenn das Verfahren gegen den Mitarbeiter gerade nicht eingestellt wird, sondern dieser sanktioniert wird. Hier wäre die Überlegung anzustellen, ob eine zusätzliche Sanktionierung des Unternehmens sinnvoll und geboten erscheint. Anerkanntermaßen ist ein mögliches Kriterium zur Lösungsfindung die Abwägung der Geldbuße gegen den Mitarbeiter an sich bzw. in welcher Höhe sie verhängt worden wäre, wenn es sich bei dem Mitarbeiter um einen Einzelunternehmer handeln würde.117 Kommt man bei dieser Überlegung zu dem Ergebnis, dass eine höhere Geldbuße verhängt worden wäre als diejenige, die tatsächlich verhängt wurde, sollte eine zusätzliche Bebußung des Unternehmens in Betracht gezogen werden. 4. Complianceansätze und -auswirkungen Die Implementierung eines stärker präventiv ausgerichteten Systems, als es de lege lata der Fall ist, könnte darüber hinaus sinnvoll sein, da es derzeit keine oder nur wenige Präventionsansätze oder Präventionsinstrumente gibt, die zu einer Entscheidungsfindung über eine Verfolgung des Unternehmens durch ein Verfahren herangezogen werden können und sich in diesem Punkt als zielführend erweisen.118 Die Auswirkungen, die derartige Präventionsanreize, beispielsweise in Form der Compliance, als Weiterentwicklung von derzeitig vorherrschenden ComplianceSystemen mit sich bringen könnten, würden sich in der Praxis vermutlich deutlich niederschlagen, da Unternehmen als Folge bestehende Compliance-Strukturen überarbeiten oder, sofern noch nicht vorhanden, einrichten würden. Es gilt daher für die Zukunft, den schmalen Grad zwischen der Implementierung von wirksamen Präventionsmechanismen und strafrechtlicher Aufoktroyierung von Compliance-Systemen im Vorfeld sauber auszutarieren, um das Recht nicht als 116 So bereits im Grunde schon 1974 Pohl-Sichtermann, Gedlbuße gegen Verbände, S. 213 m.w.N. 117 Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen, S. 463. 118 Vgl. Krems, ZIS 2015, 5 (9) mit weitergehenden empirischen Belegen zu diesem Anknüpfungspunkt und insbesondere spezifisch hinsichtlich der österreichischen Gesetzgebung; zum Verhältnis von strafrechtlicher und zivilrechtlicher Haftung bei Compliance Mängeln, siehe Kuhlen, NZWiSt 2015, 121 ff.

A. Allgemeine Regelungen

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Zwangs- sondern als optionales Fortschrittsinstrument ins Feld zu schicken, welches den Unternehmen durch eine Verhaltenslenkung und gerade keine Verhaltensvorgabe eine zusätzliche Möglichkeit an die Hand gibt, und bei dem die letzte Entscheidung, diese Hand zu ergreifen und rechtswidrige Taten bereits im Grunde zu unterbinden, bei dem Unternehmen selbst liegt.119 Ein erster Schritt in diese Richtung könnte beispielsweise darin bestehen, dass jedenfalls bestehende ComplianceStrukturen in Unternehmen anerkannt und bereits maßgeblich in die Entscheidungsfindung miteinbezogen werden, ob ein Unternehmen verfolgt werden soll. Da diese Aspekte jedoch maßgeblich vom Recht de lege ferenda abhängen, erfolgt eine eingehende Erörterung möglicher Lösungsansätze im einschlägigen Kapitel dieser Arbeit.120

V. Die Vertretung und die Verteidigung des Verbandes im Verfahren Die Vertretung des Verbandes im Verfahren richtet sich im Grunde nach den zivilrechtlichen Regelungen und daher insbesondere nach § 51 ZPO, sodass der Verband im Verfahren von seinen Organen vertreten wird.121 Problematisch und umstritten ist derzeit, ob und inwiefern ein Täter der Anknüpfungstat den Verband im Verfahren noch wirksam vertreten kann. Der Ursprung dieser Problematik wird größtenteils darin gesehen, dass ein Interessenkonflikt, hervorgerufen durch die unterschiedlichen Verfahrenspositionen, dazu führen würde, dass ein und dieselbe Person nicht auf der einen Seite ihre persönlichen Interessen und auf der anderen Seite die Interessen des Verbandes wirksam und angemessen vertreten kann. Dies allein ist bereits für sich genommen problematisch. Die Problematik wird indes noch dadurch verschärft, dass dieser Topos bislang nicht gesetzlich geregelt ist und es aufgrund der nicht vorhandenen Regelung Unsicherheiten gibt. Hier ist für die Zukunft auf jeden Fall Handlungsbedarf des Gesetzgebers zu verzeichnen. Gesetzlich geregelt ist im Gegensatz dazu das Verbot der Mehrfachverteidigung in § 146 StPO. Bei seiner sinngemäßen Anwendung über § 46 OWiG ist allerdings zu beachten, dass nach vorherrschender Meinung die gemeinschaftliche Vertretung der betroffenen natürlichen sowie der nebenbetroffenen juristischen Person möglich

119 Zur gesamten Problematik unter Einbeziehung kriminologischer Aspekte, vgl. Fischer/ Hoven, ZIS 2015, 32 (36 f.). 120 Siehe dazu unten S. 518. 121 Vgl. dazu bereits Busch im Jahre 1933, Grundfragen der strafrechtlichen Verantwortlichkeit der Verbände, S. 218: „Die Vertretung erfolgt naturgemäß durch die gesetzlichen Vertreter oder sonstigen Leiter und, wenn diese selbst angeklagt sind, durch eine andere von den Genossen oder den Organen zu beauftragende Person. (…) Man wird im Übrigen die Vertretung durch die gesetzlichen Vertreter in der Regel nicht zwingend vorschreiben, sondern eine Vertretung durch Rechtsanwälte zulassen.“

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3. Kap.: Verfahren zur Verhängung einer Verbandsgeldbuße de lege lata

ist.122 Für ein dem Strafverfahrensrecht noch stärker angenähertes Verbandssanktionsverfahrensrecht spricht allerdings mehr dafür, insoweit § 146 StPO vollumfänglich anzuwenden.123 Wenn dies aber für den Verteidiger gilt und der Gesetzgeber an dieser Stelle bewusst eine derartige Konfliktsituation vermeiden möchte, ist nicht ersichtlich, wieso es dem Täter der Anknüpfungstat, der im Regelfall in die Materie persönlich involviert ist und freilich nicht selten eigene finanzielle Interessen verfolgt, besser gelingen sollte, beiderlei Interessen bestmöglich zu vertreten als dem Verteidiger, für den das Verfahren in beruflicher Hinsicht von Bedeutung sein mag, für den mit der Vertretung der unterschiedlichen Interessen jedoch in persönlicher Hinsicht kein Vor- oder Nachteil verbunden sein wird und der dementsprechend objektiver handeln würde. Sieht der Gesetzgeber bereits die Mehrfachvertretung grundsätzlich nicht nur als konfliktträchtig sondern als Situation mit unüberwindbarem Konfliktpotential an, so darf mit Fug und Recht ebenfalls die Frage gestellt werden, wie sich dies für den Vertreter des Verbandes gestalten wird. Diese Problematik wird insgesamt, da sie für eine Regelung de lege ferenda ebenfalls von Bedeutung, ist im späteren Verlauf der Untersuchung aufgegriffen.124

VI. Abspracheoptionen mit dem Betroffenen In dem Bußgeldverfahren gegen einen Verband nach § 30 OWiG stellen sich komplexe und vielschichtige tatsächliche sowie rechtliche Fragen, die mitunter nicht ohne einen nicht nur unerheblichen Zeitaufwand aller Beteiligter beantwortet und geklärt werden können. Bereits aus dieser problembehafteten Sachverhaltsgestaltung ergibt sich die hohe Relevanz von verfahrensbeendenden Absprachen im Wirtschaftsstrafrecht generell und insbesondere in einem Bußgeldverfahren gegen einen Verband.125 Dieser Gedanke wird sicherlich vielfach von der Motivation des Unternehmens getragen, das Verfahren möglichst zeitnah ohne ein hohes Publizitätsaufkommen beenden zu wollen und zusätzlich eine für den Verband möglichst günstige Rechtsfolge zu erreichen. Die günstigste Rechtsfolge wäre hier freilich, dass keine Geldbuße verhängt wird, weshalb darin das primäre Ziel der Bestrebungen zu sehen ist.

122

Vgl. BVerfG v. 21. 06. 1977 – 2 BvR 70, 361/75, NJW 1977, 1629; BGH v. 14.10. 1976 – KRB 1/76, NJW 1977, 156 (157); zustimmend KK-StPO/Willnow, StPO § 146 Rn. 4. 123 Vgl. zur Anwendung des § 146 StPO de lege lata BVerfG v. 11. 03. 1975 – 2 BvR 135/75, BVerfGE 39, 156 = NJW 1975, 1013; BVerfG v. 21. 06. 1977 – 2 BvR 804/76, BVerfGE 45, 354 = NJW 1977, 1767; zur sinngemäßen Anwendung des Verbots der gemeinschaftlichen Verteidigung im Ordnungswidrigkeitenverfahren BVerfG v. 21. 06. 1977 – 2 BvR 70/75, BVerfGE 45, 272 = NJW 1977, 1629; siehe dazu auch de lege ferenda S. 289. 124 Vgl. dazu S. 276. 125 Vgl. insbesondere zu verfahrensbeendenden Absprachen im Kartellordnungswidrigkeitenrecht (sogenannten „Settlements“) Schmitz, wistra 2016, 129 (132); Wieser, Bußgeldverfahren, S. 340.

A. Allgemeine Regelungen

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1. Bei einer Ordnungswidrigkeit als Anknüpfungstat a) Herleitung aus § 78 Abs. 2 OWiG Aus diesen Gründen ist zu fragen, ob und inwiefern verfahrensbeendende Absprachen bei derart gelagerten Fallkonstellationen in Betracht zu ziehen sind. Eng hiermit verbunden und von grundlegender Bedeutung für die Antwort ist die originäre Frage nach der Option einer einvernehmlichen verfahrensbeendenden Absprache im Ordnungswidrigkeitenrecht generell.126 Für das Strafrecht ist diese Frage insgesamt seit dem Jahre 2009 mit einiger Sicherheit zu beantworten, da am 29. 07. 2009 die verfahrensbeendende Absprache in Gesetzesform gegossen wurde und insbesondere in § 257c StPO, der „Königsnorm“,127 ihr zu Hause fand.128 Wird die Aufmerksamkeit dagegen auf das Ordnungswidrigkeitenrecht gerichtet, sticht eine derartige Regelung als Pendant zum § 257c StPO nicht sofort ins Auge. Erste Anhaltspunkte zu einer (wenn auch nicht wörtlich evidenten) Teilregelung könnten sich aus § 78 Abs. 2 OWiG ergeben, der auf der einen Seite hinsichtlich der Mitteilungspflichten bzgl. Erörterungen auf Regelungen der StPO verweist, auf der anderen Seite jedoch auch Erleichterungen der Protokollierungspflichten der Verhandlung mit sich bringt.129 Daraus könnte geschlossen werden, dass eine verfahrensbeendende Absprache insgesamt wohl auch im Ordnungswidrigkeitenrecht möglich sein soll.130 Eine Einschränkung würde sich bei dieser Herleitung freilich aus der Stellung des § 78 Abs. 2 OWiG ergeben:131 Systematisch steht § 78 OWiG im Fünften Abschnitt des Zweiten Teils über das Bußgeldverfahren unter dem Titel „Einspruch und gerichtliches Verfahren“. Demzufolge käme die geregelte Absprachemöglichkeit im Ordnungswidrigkeitenrecht nach dem Willen und der Intention des Gesetzgebers nur in dem Verfahren nach Einlegung eines Einspruchs gegen den Bußgeldbescheid der Verwaltungsbehörde in Betracht.132 Aus dieser Herleitung würde im Umkehrschluss (und nicht unproblematischerweise) hervorgehen, dass in 126

Zum Ganzen Wieser, Bußgeldverfahren, S. 340; Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen, S. 466. 127 So Harms, in: Jahn/Nack (Hrsg.), Rechtsprechung, Gesetzgebung, Lehre, S. 15 (18). 128 BGBl. I. S. 2353; Bestätigung der Verfassungsmäßigkeit (jedoch nur unter bestimmten Voraussetzungen) des Verständigungsgesetzes durch BVerfG v. 19. 03. 2013 – 2 BvR 2628/10, 2 BvR 2883/10, 2 BvR 2155/11, BVerfGE 133, 168 = NJW 2013, 1058. 129 Vgl. dazu OLG Hamburg v. 27. 03. 2015 – 1 RB 58/14, NStZ 2015, 661, nach dem, wenn im Vorfeld zur Hauptverhandlung im Bußgeldverfahren Gespräche über eine Totaleinstellung des Verfahrens gemäß § 47 Abs. 2 OWiG geführt werden, diese keine mitteilungspflichtigen verständigungsbezogenen Erörterungen darstellen, wenn es um nur eine Tat im prozessualen Sinne geht und nur ein einziger Bußgeldtatbestand dadurch in Betracht kommt. 130 Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen, S. 466. 131 Dazu auch Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen, S. 466. 132 Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen, S. 466 unter Bezugnahme auf die Begründung der BReg in BT-Drs. 16/12310, S. 16; vgl. zur Wirksamkeit eines elektronischen Bußgeldbescheides insbesondere KG v. 4. 1. 2016 – 3 Ws (B) 566/15 – 122 Ss 146/15, VRS 129, 327 (2015).

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3. Kap.: Verfahren zur Verhängung einer Verbandsgeldbuße de lege lata

anderweitigen Verfahren vermutlich weiterhin die Lösung über die nicht geregelte Absprache gesucht werden müsste.133 Aus diesem Grund scheint eine derartige Herleitung jedenfalls zweifelhaft. Sofern eine Verständigung erst im Einspruchsverfahren für einen Verband möglich wäre, ergo wenn bereits ein Bußgeld verhängt wurde, ginge damit bereits ein nicht nur unerheblicher und nicht revidierbarer Zeitaufwand einher, welcher durch eine Verständigung in Verfahren gegen Verbände aus Unternehmenssicht freilich gerade vermieden werden soll, denn je länger ein Verfahren andauert, desto schädigender wirkt es sich auf ein Unternehmen aus. Ebenso wäre aus prozessökonomischer Sicht eine Verständigung im Bußgeldverfahren selbst zu begrüßen, um nicht erst den Einspruch abwarten zu müssen. Dies scheint als „Win-win-Situation“ sowohl für die Verfolgungsbehörden als auch für die Verbände vorzugswürdig. Aufgrund einer Herleitung der Absprachemöglichkeit über § 78 Abs. 2 OWiG würde dementsprechend ein Teil der Probleme und Unsicherheiten gelöst, die sich für Absprachen im Ordnungswidrigkeitenrecht ergeben, ein weiterer nicht bzw. es würden weitere Fragen hervorgerufen, weil § 78 Abs. 2 OWiG nur zur Anwendung käme, wenn es sich bei der Anknüpfungstat um eine Ordnungswidrigkeit handelte, mithin der Anwendungsbereich der Vorschrift um einen wesentlichen Teil beschnitten würde.134 Daraus ergibt sich indes trotzdem zunächst als Zwischenergebnis, dass eine Verständigung im Sinne von § 257c StPO bei Anwendung des § 78 Abs. 2 StPO im Rahmen des Möglichen liegt, sofern es sich bei der Anknüpfungstat um eine Ordnungswidrigkeit handelt und es um eine Verständigung im gerichtlichen Verfahren geht. Beachtlich ist in verfahrenstechnischer Hinsicht zudem, dass gemäß § 78 Abs. 2 OWiG für die Verständigung im Ordnungswidrigkeitenrecht ein vereinfachtes Verfahren im Gegensatz zum Strafrecht gilt. So normiert § 78 Abs. 2 OWiG, dass § 243 Abs. 4 StPO nur gelte, wenn eine Erörterung stattgefunden habe, sowie dass § 273 Abs. 1a S. 3 und Abs. 2 StPO nicht anzuwenden sind. In concreto meint dies, dass nur eine Pflicht dahingehend besteht, dass die Erörterung einer Absprachemöglichkeit in der Hauptverhandlung mitgeteilt und protokolliert werden muss. Sofern jedoch keine Erörterung stattgefunden hat, muss dieses „Unterlassen der Erörterung“ auch nicht protokolliert werden.135 Dies könnte, rekurrierend auf die Grundsystematiken des Ordnungswidrigkeiten- und Strafrechts, Sinn machen, da Ordnungswidrigkeiten zum einen allgemein eine geringere Bedeutung zukommt als Straftaten und diese zum anderen auch weniger schwerwiegend sind.136 Die Über-

133

Zur Anwendung der Verständigungsvorschriften im Bußgeldverfahren, vgl. BT-Drs. 16/ 12310, S. 15 f. Zu solchen anderweitigen Verfahren würde nach dieser Lösung also auch ein Verfahren zählen, in welchem das Bußgeld selbst erst gegen einen Verband verhängt wird. 134 So schon Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen, S. 466. 135 Zum Ganzen Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen, S. 467. 136 Vgl. BT-Drs. 16/12310, S. 15 f.

A. Allgemeine Regelungen

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tragung der Begründung des Regierungsentwurfs137 (welche von Engelhart138 an dieser Stelle zutreffend kritisch bewertet und ins Feld geführt wird), die die Erleichterung („Im Bußgeldverfahren gibt es in der Regel keine „geeigneten Fälle“ (vgl. § 257c Absatz 1 StPO-E) für eine Verständigung“139) für Absprachemöglichkeiten insbesondere bei Verkehrsordnungswidrigkeiten mit der mangelhaften Notwendigkeit einer Verständigung begründet, mag für die Fälle der Verbandsgeldbuße hingegen nicht zu überzeugen, wenn nicht sogar gänzlich ungeeignet sein, da letztere im Gegensatz zu den Verkehrsordnungswidrigkeiten schwierige und langwierige Beweiserhebungen erfordern.140 Die Annahme liegt darin begründet, dass es gerade in den letzten Jahren ein hohes Aufkommen von Wirtschaftsdelikten gab, bei denen eine Unternehmensgeldbuße in Betracht gezogen wurde. Absprachen liegen im Unternehmensinteresse, da sie dazu geeignet sind, einen drohenden Reputationsverlust und Imageschaden, der durch ein langwieriges Verfahren entstehen könnte, abzuwenden und die Publizität zu begrenzen. b) Herleitung aus § 257c StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG Mittlerweile wird die Option einer Verständigung im Bußgeldverfahren nach Einlegung eines Einspruchs gegen den Bußgeldbescheid grundsätzlich über § 257c StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG hergeleitet, ohne den § 78 OWiG explizit heranzuziehen. Hierbei handelt es sich um die förmliche Verständigung der Verfahrensbeteiligten, sodass diese Herleitung ausschließlich für das gerichtliche Verfahren gilt.141 Die Lösung der Frage nach einer Verständigung im gerichtlichen Verfahren über die Herleitung des § 78 OWiG hat somit nur noch indizielle Wirkung für das Bestehen der Möglichkeit einer Verständigung im Verfahren nach Einlegung des Einspruchs gegen den Bußgeldbescheid. c) Herleitung aus § 160b StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG Neben dieser förmlichen Art der Verständigung und der partiellen Herleitung einer Abspracheoption aus § 78 OWiG für das gerichtliche Verfahren existiert des Weiteren die Möglichkeit, dass sich die Verwaltungsbehörde mit dem Betroffenen innerhalb einer mündlichen Anhörung über die Höhe der Geldbuße verständigt. Dies betrifft folglich im Verfahren den Zeitpunkt vor Erlass des Bußgeldbescheides. Diese 137 Vgl. BT-Drs. 16/12310, S. 15; zust.: Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen, S. 467. 138 Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen, S. 467. 139 Vgl. BT-Drs. 16/12310, S. 15. 140 Zutr. Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen, S. 467. 141 Wieser, Bußgeldverfahren, S. 340 mit Verweis auf BVerfG v. 19. 03. 2013 – 2 BvR 2628/ 10, 2 BvR 2883/10, 2 BvR 2155/11, BVerfGE 133, 168 = NJW 2013, 1058, wonach die Verständigung über Rechtsfolgen der Ordnungswidrigkeit zulässig sei, sofern der Fair-TrialGrundsatz beachtet würde.

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3. Kap.: Verfahren zur Verhängung einer Verbandsgeldbuße de lege lata

Art der Verständigung findet ihre Rechtsgrundlage anerkanntermaßen in § 160b StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG in der Erörterung des Verfahrensstandes.142 Eine derartige Verständigung ist in verbandsrechtlicher Hinsicht sowohl für kleine und mittelständische Unternehmen als auch für Großunternehmen attraktiv, da die Höhe der Geldbuße für jedes Unternehmen von Bedeutung ist und darüber hinaus eine Verständigung zu einem derart frühen Zeitpunkt zu einer schnelleren Abwicklung des Bußgeldverfahrens insgesamt führen kann. Allgemein anerkannt ist über die Rechtsgrundlage des § 160b StPO i.V.m. § 46 OWiG, dass strafverfahrensrechtliche Grundsätze auf diese Art der Verständigung übertragen und somit entsprechend angewendet werden, obwohl es sich in der vorliegenden Variante um die Verständigung zwischen einer Verwaltungsbehörde und dem Verband handelt.143 Problematisch könnte bei der Verständigung im Bußgeldverfahren sein, dass der Verwaltungsbehörde gemäß dem Wortlaut des § 46 Abs. 2 OWiG dieselben Rechte und Pflichten wie der Staatsanwaltschaft zukommen, die Verwaltungsbehörde im Ordnungswidrigkeitenverfahren jedoch eine stärkere Stellung innehätte als die Staatsanwaltschaft im Strafverfahren. Deshalb ist zu fragen, ob eine entsprechende Regelung an dieser Stelle sinnvoll wäre. Dafür spricht, dass § 160b StPO in letzter Konsequenz oft auch zu dem Ergebnis eines Absehens von der Verfolgung unter Auflagen und Weisungen nach § 153a StPO oder einem Antrag auf einen Strafbefehl führen soll. Aus diesem Grund ist die Stellung der Verwaltungsbehörde mit der Stellung der Staatsanwaltschaft vergleichbar und letztendlich ergeben sich nicht derart gravierende Diskrepanzen, wie es prima facie scheint. Insgesamt wäre an dieser Stelle eine einheitliche widerspruchsfreie Regelung für die Zukunft wünschenswert, wenngleich anzumerken ist, dass sich die Relevanz bzw. Anwendung der Abspracheoptionen in Zukunft bei der Einführung eines Verbandssanktionengesetzes und insbesondere dem VerSanG-E verringern dürfte, da dieser eine Vielzahl an potentiellen Einstellungsmöglichkeiten des Verbandssanktionsverfahrens vorsieht, die eine Absprache entbehrlich machen könnten. aa) Keine Verständigung über den Tatvorwurf Neben diesen Problemen bestehen nach geltendem Recht Voraussetzungen für eine zulässige Verständigung im Bußgeldverfahren, die sich, wie auch im Strafverfahren, nach den Vorgaben des § 257c StPO richten: So darf insbesondere keine Verständigung über den Tatvorwurf an sich erfolgen, ebenso wenig wie die Geldbuße „frei ausgehandelt“ werden oder ein Rechtsbehelfsverzicht vereinbart werden darf.144 142

Vgl. dazu insbesondere Wieser, Bußgeldverfahren, S. 340 ff., der ausführlich darauf eingeht, dass es keine Verständigung über den Tatvorwurf geben darf, kein „freies Aushandeln“ der Geldbuße und keine Vereinbarung eines Rechtsbehelfsverzichts. 143 Vgl. dazu ausführlich Wieser, Bußgeldverfahren, S. 340. 144 Wieser, Bußgeldverfahren, S. 340 ff.

A. Allgemeine Regelungen

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Gemäß § 257c Abs. 2 S. 1 StPO i.V.m. § 46 OWiG ist eine Verständigung ausschließlich hinsichtlich der Rechtsfolgen zulässig und nicht darüber, ob ein Tatbestand erfüllt wurde. Aus § 257c Abs. 2 S. 2 StPO ergibt sich die „Soll-Voraussetzung“ der Verständigung, nach der ein Geständnis durch Niederschrift des Betroffenen festgehalten werden soll. Für das Bußgeldverfahren besteht folglich die Möglichkeit, sich über die Geldbuße nach § 17 OWiG und Zahlungserleichterungen nach § 18 OWiG zu verständigen ebenso wie über die Geldbuße gegen juristische Personen nach § 30 OWiG und die Einziehung des Wertes von Taterträgen nach § 29a OWiG, mithin über die Rechtsfolgen und Nebenfolgen einer Ordnungswidrigkeit. Zeigt sich der Betroffene, im vorliegenden Fall der Verband, kooperativ, beispielsweise in Form eines (Teil-)Geständnisses, besteht die Möglichkeit, die Höhe der Geldbuße dementsprechend dem Unrechtsgehalt anzupassen bzw. zu verringern oder eine Obergrenze des Bußgeldes zu vereinbaren.145 Ein weiterer wesentlicher und elementarer Punkt einer zulässigen Verständigung im Bußgeldverfahren besteht, ebenfalls wie im Strafverfahren, darin, dass gemäß § 136a StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG keine verbotenen Vernehmungsmethoden angewendet werden dürfen, unter die beispielsweise die Täuschung des Betroffenen ebenso wie die Drohung der Anwendung von unzulässigen Maßnahmen im Bußgeldverfahren zu fassen sind.146 bb) Verständigung über Rechtsfolgen Daneben darf die Geldbuße bei einer Verständigung im Bußgeldverfahren nicht gänzlich frei ausgehandelt werden. Grundsätzlich bestimmt sich die Geldbuße gegen Verbände nach § 30 Abs. 3 OWiG. Besteht die ernsthafte Möglichkeit des Scheiterns einer Verständigung, kann eine Zahlungserleichterung nach § 18 OWiG Abhilfe schaffen und so zum Erfolg der Verständigung beitragen, da es im Bußgeldverfahren nicht die Möglichkeit gibt, einen Vergleich zu schließen. Die Bußgeldhöhe muss sich dabei immer am (Gesamt-)Unrechtsgehalt der Ordnungswidrigkeit orientieren.147 Um diesen bestimmen zu können und mithin für eine Verständigung grundlegend notwendig ist es daher, dass der konkrete Tatvorwurf in der mündlichen Anhörung festgestellt wird, um sich sodann über die Rechtsfolgen verständigen zu können. Im Rahmen der Verhängung eines Bußgeldbescheides gegen einen Verband wird dieser in den meisten Fällen mit mindestens einem Verteidiger zur mündlichen Anhörung erscheinen. Hier besteht die Notwendigkeit, dem Betroffenen, ergo dem Verband, im Rahmen der Verständigungsgespräche ausreichend Zeit zur Beratung

145

Wieser, Bußgeldverfahren, S. 340. Zum Ganzen bei Wieser, Bußgeldverfahren, S. 341. 147 Leitkriterien dafür sind zum Beispiel die Bedeutung der Ordnungswidrigkeit, der Tätervorwurf, die wirtschaftlichen Verhältnisse und ggf. die aus der Ordnungswidrigkeit resultierenden wirtschaftlichen Vorteile, so bei Wieser, Bußgeldverfahren, S. 341. 146

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3. Kap.: Verfahren zur Verhängung einer Verbandsgeldbuße de lege lata

mit seinem Verteidiger zu gewähren, wenn dies gewünscht wird.148 Ist die Verständigung erfolgreich, so kann der (Bußgeld-)Bescheid mit der einvernehmlichen Rechtsfolge sofort gegenüber dem Verband erlassen werden, wenn ein Empfangsbekenntnis gegeben wurde.149 cc) Rechtsmittelverzicht Nicht berücksichtigt wird die Vereinbarung eines (Rechtsbehelfs-)Verzichts zur Einlegung eines Einspruchs (§ 67 OWiG) gemäß § 302 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG, die bereits vor Erlass des Bußgeldbescheides erklärt wurde.150 Auch ist es nicht möglich, den Verband dazu zu zwingen, auf den Einspruch bereits unmittelbar nach Erlass des Bußgeldbescheides zu verzichten. Dies resultiert für das Bußgeldverfahren aus § 302 Abs. 1 S. 2 StPO i.V.m. § 67 Abs. 1 S. 2 OWiG, sodass der Verband, wenn er einen Rechtsbehelfsverzicht abgeben würde, dennoch wirksam Einspruch gegen einen Bußgeldbescheid, der aus einer Verständigung resultiert, einlegen kann. 2. Bei einer Straftat als Anknüpfungstat Anders verhält es sich mit der Verständigung hingegen, wenn die Anknüpfungstat eine Straftat ist. Zu diesem Fall hat der Gesetzgeber keine ausdrückliche Regelung getroffen, sodass eine Lösung zunächst über die allgemeinen Regelungen zu suchen ist. Handelt es sich um eine Straftat, werden über § 444 StPO die strafverfahrensrechtlichen Regelungen originär angewendet.151 Wie bereits festgestellt, gelten hier zu einem großen Teil die Regelungen über die Einziehung. Jedoch lässt sich auch in dem Regelungskomplex zum Verfahren der Einziehung keine Vorschrift ausfindig machen, die eine Abspracheregelung beinhaltet. Da der Gesetzgeber über die Vorschrift des § 444 StPO jedoch anerkanntermaßen eine „Beschuldigtenstellung“ für den Verband zu erreichen sucht und insbesondere auch ein Einziehungsbeteiligter einem Beschuldigten gleichsteht, § 444 StPO aber den Verband in vielerlei Hinsicht 148

Vgl. Wieser, Bußgeldverfahren, S. 342. Wieser, Bußgeldverfahren, S. 342. 150 Zum Ganzen Wieser, Bußgeldverfahren, S. 342. 151 De lege ferenda sollte (gemäß der halboffiziellen vorherigen Version des Referentenentwurfs VerSanG) § 444 StPO ausdrücklich gestrichen werden (RefE.-Begr. (a.F.) S. 139), da betreffende Fälle in der Zukunft im Verbandssanktionengesetz geregelt werden sollten. Sofern eine Geldbuße gegen juristische Personen im Ordnungswidrigkeitenverfahren verhängt würde, sollten demzufolge §§ 88, 88a OWiG zur Anwendung kommen und den Regelungsgehalt des § 444 StPO übernehmen. Dieser vormals sehr klare Passus findet sich in der offiziellen Version des Referentenentwurfs, ebenso wenig wie im nunmehr veröffentlichten Regierungsentwurf, bedauerlicherweise nicht mehr wieder. Ein letzter Anhaltspunkt diesbezüglich lässt sich nur noch im Abschnitt zur Änderung der AO ausfindig machen, wenn es heißt: „Die Änderung des § 401 AO-E in Nummer 14 beruht auf dem Wegfall von § 444 StPO (siehe Artikel 4) sowie der Ergänzung des § 88 OWiG-E.“ RegE.-Begr. S. 143. 149

B. Verfahren nach § 30 OWiG bei einer Straftat als Anknüpfungstat

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dem Einziehungsbeteiligten gleichstellt, ist nicht ersichtlich, wieso eine Absprache nach § 257c StPO ausgeschlossen sein sollte.152 Im Umkehrschluss ist mangels ersichtlich entgegenstehender Hürden davon auszugehen, dass eine Absprache im Sinne von § 257c StPO ebenfalls möglich ist, wenn es sich bei der Anknüpfungstat um eine Straftat handelt. 3. Verständigung und Opportunitätsprinzip Daneben steht in Frage, wie sich die Regelungen zur Verständigung zu dem geltenden Opportunitätsprinzip im Ordnungswidrigkeitenrecht verhalten, mithin ob dieses durch die gesetzlichen Regelungen zur Verständigung beschränkt ist oder vice versa oder ob Absprachen, die über § 257c StPO hinausgehen, dennoch vom Recht gedeckt sein sollen.153 Zu denken ist insbesondere an die Konstellation einer Einstellung aus Opportunitätsgründen mit Auflagen.154 Hier ist beachtlich, dass ausweislich der Begründung die Schaffung der Regelung über eine verfahrensbeendende Absprache die geltende Rechtslage, mithin insbesondere das für das Ordnungswidrigkeitenrecht bestehende Opportunitätsprinzip, nicht beschneiden oder aus den Angeln heben sollte, sodass in der genannten Konstellation einer Einstellung aus Opportunitätsgründen keine Hindernisse im Weg stünden.155 Dadurch wird klargestellt, dass Absprachen, welche über den § 257c StPO hinausgehen, durchaus möglich und vom geltenden Recht gedeckt sind.

B. Das Verfahren nach § 30 OWiG bei einer Straftat als Anknüpfungstat I. Grundlagen Handelt es sich bei der Anknüpfungstat des Mitarbeiters als Täter um eine Straftat, ist grundlegend festzustellen, nach welchen Regelungen sich das Verfahren gegen den Verband richtet. In der deutschen Strafprozessordnung findet sich zu dem Verfahren gegen juristische Personen zwar mit dem vierten Abschnitt des sechsten Buches unter dem Titel „Verfahren bei Festsetzung von Geldbuße gegen juristische Personen und Personenvereinigungen“ ein eigens geregelter Abschnitt. Dieser Abschnitt enthält, nachdem §§ 445 – 448 StPO weggefallen sind, jedoch nur noch eine geltende Vorschrift. Daraus ergibt sich, dass zumindest eine der zentralen Vorschriften zur Regelung des Verfahrens gegen juristische Personen und Personen152 153 154 155

So ebenfalls Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen, S. 467. Vgl. Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen, S. 467. Vgl. Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen, S. 467. Vgl. BT-Drs. 16/12310, S. 15.

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3. Kap.: Verfahren zur Verhängung einer Verbandsgeldbuße de lege lata

vereinigungen in der Strafprozessordnung § 444 StPO ist.156 Diese hat die Funktion, § 30 OWiG auf der strafverfahrensrechtlichen Ebene zu komplettierten.157 Gemäß § 30 OWiG kann auch gegen den Verband eine Verbandsgeldbuße im Verfahren gegen eine in § 30 OWiG genannte natürliche Person wegen einer von ihr begangenen Straftat festgesetzt werden.158 Dadurch ist einem Haftungsdurchgriff der Weg geebnet, da der Verband, gegen den das Verfahren zunächst nicht selbst geführt, sanktioniert werden kann. Damit soll unter anderem dem praktischen Bedürfnis genüge getan werden, gegen einen Verband strafähnliche Sanktionen, die vermögensrechtlicher Natur sind, zu verhängen, wenn schon eine echte Kriminalgeldstrafe de lege lata nicht in Betracht kommt.159 Dieser Gedanke ist für das deutsche Recht ein Resultat aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz, der, wie bereits festgestellt, evozieren soll, dass Verbände gegenüber Einzelunternehmern nicht privilegiert werden.160 Darüber hinaus komplettiert § 444 StPO mit dem erklärten Ziel in dem Verfahren, für die juristische Person oder Personenvereinigung eine Stellung zu erreichen, die der des Beschuldigten ähnlich ist. Das resultiert auch und gerade daraus, dass sich das Verfahren zunächst nicht gegen die juristische Person selbst richtet, sie jedoch sanktioniert wird, indem die juristische Person als solche und nicht ihre Repräsentanten als natürliche Personen Nebenbeteiligte im Verfahren wird und sie damit einen speziellen prozessualen Status erhält.161 Zu diesem zählt insbesondere, dass sie durch die Stellung als Nebenbeteiligte rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) erhalten soll.162 Dogmatisch entspricht die Konzeption des § 444 StPO in weiten Teilen der Konzeption des Verfahrens bei einer Einziehung gemäß §§ 424 ff. StPO. Hervorgehoben wird dies insbesondere in § 444 Abs. 1 S. 1 StPO, der die Vorschriften zur Anordnung einer Verfahrensbeteiligung enthält und in seiner Konstruktion an § 424 Abs. 1 StPO angelehnt ist. Die (förmliche) Beteiligung des Verbandes kann erst nach Erhebung der öffentlichen Anklage gegen die natürliche Person angeordnet werden und muss spätestens bis zu dem in § 424 Abs. 3 i.V.m. § 444 Abs. 1 S. 2 StPO genannten Zeitpunkt ergehen.163 Ersteres folgt aus dem Wortlaut des § 157 StPO, der von dem „Angeschuldigten“ spricht und Letzteres meint nach § 444 Abs. 1 S. 2

156 De lege ferenda sollte § 444 StPO, wie oben bereits erwähnt, gestrichen werden, da betreffende Fälle in der Zukunft im Verbandssanktionengesetz geregelt werden sollen. 157 Köhler/Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO § 444 Rn. 1. 158 Vgl. statt vieler KK-StPO/Schmidt, StPO § 444 Rn. 1. 159 L/R-StPO/Gössel, StPO § 444 Rn. 5. 160 L/R-StPO/Gössel, StPO § 444 Rn. 5. 161 OLG Hamm v. 27. 04. 1973 – 5 Ss OWi 19/73, NJW 1973, 1436 (1438). 162 Köhler/Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO § 444 Rn. 1. 163 Vgl. KK-OWiG/Schmidt, OWiG § 444 Rn. 2; BeckOK StPO/Inhofer, StPO § 444 Rn. 3.

B. Verfahren nach § 30 OWiG bei einer Straftat als Anknüpfungstat

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i.V.m. § 424 Abs. 3 StPO bis zur endgültigen Festsetzung einer Geldbuße und im Berufungsverfahren bis zur Beendigung der Schlussvorträge.164 Diese Grundkonzeption der Verweisung ist bereits an sich kritisch zu sehen, da das Verfahren bei der Einziehung in vielfacher Hinsicht eindeutige Unterschiede im Vergleich zu dem Bußgeldverfahren nach dem OWiG aufweist. So ist die Geldbuße verfahrensrechtlich grundsätzlich primär gegen den Verband als Täter gerichtet, während sich die Einziehung und demgemäß auch das Verfahren zur Einziehung gegen den Täter als Individualperson richtet.165 Überdies ergibt sich eine nicht nur unerhebliche Diskrepanz bei der Zielsetzung der Verfolgung. Ziel der Einziehung ist es, Taterträge sowie Gegenstände, die bei einer Straftat gebraucht wurden, einzuziehen. Zu diesem Zweck wird dem Adressaten der Dritteinziehung die Stellung als Nebenbeteiligter gewährt und seine Beteiligung gesichert.166 Demgegenüber ist erklärtes Ziel der Verbandsgeldbuße, das Unternehmen als solches zu sanktionieren und es dementsprechend wie einen Beschuldigten anzusehen.167 Bereits aufgrund dieser gravierenden Diskrepanzen ist es mehr als nur eine Überlegung wert, die Verfahrensstellung und somit insbesondere die Beschuldigtenstellung des Verbandes eigenständig, vor allem aber umfassend, zu regeln.168 Die Anordnung der Beteiligung erfolgt entweder durch das Gericht auf Antrag der Staatsanwaltschaft oder von Amts wegen, wenn es um die Festsetzung einer Geldbuße nach § 30 OWiG geht. Die Festsetzung der Geldbuße steht hierbei nach dem Wortlaut „kann“ im Ermessen des Gerichts. Daraus ergibt sich, dass die Prämissen des § 30 OWiG jedenfalls mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit vorliegen müssen und die Festsetzung der Geldbuße jedenfalls nicht unwahrscheinlich ist, um die Anordnung einer Nebenbeteiligung zu erlassen.169 Der Wortlaut des § 444 Abs. 1 S. 1 StPO ordnet eine Nebenbeteiligung an, „soweit es die Tat betrifft“. Gemeint ist an dieser Stelle die Anknüpfungstat, aufgrund derer die eigenständige Sanktion der Geldbuße gegen den Verband verhängt werden soll.170 Wird das Verfahren gegen den Täter der Anknüpfungstat geführt, erfolgt eine Beschränkung der Beteiligung der juristischen Person auf die Taten, die die Grundlage für die Festsetzung der Geldbuße darstellen.171 Bis auf diese Grenzen gilt für die juristische Person der Grundsatz der „unbeschränkten Beteiligung“.172 164 Das Pendant zur Anklageerhebung bildet im Strafbefehlsverfahren der Antrag auf Erlass eines Strafbefehls (§ 407 Abs. 1 S. 4 StPO). 165 Zum Ganzen zutr. Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen, S. 469. 166 Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen 469. 167 Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen 469 m.w.N. 168 So auch Dannecker/Dannecker, NZWiSt 2016, 162 (176); siehe zu diesen Aspekten de lege ferenda S. 261. 169 L/R-StPO/Gössel, StPO § 444 Rn. 12. 170 Vgl. KK-StPO/Schmidt, StPO § 444 Rn. 3. 171 Vgl. KK-StPO/Schmidt, StPO § 444 Rn. 3.

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3. Kap.: Verfahren zur Verhängung einer Verbandsgeldbuße de lege lata

Ist eine Beteiligung des Verbandes „nicht ausführbar“,173 kann die Geldbuße nicht festgesetzt werden.174 Diese Schlussfolgerung ergibt sich primär bereits aus dem Zweck des § 30 OWiG, wonach der Grund und die Höhe der Geldbuße gegen den Verband davon abhängen, dass eine Strafe, die sich ausschließlich nach den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen der natürlichen Person bemisst, nur zusammen mit der Geldbuße gegen den Verband in einem angemessenen Verhältnis zur Tragweite der Tat stehen kann.175 Die Unmöglichkeit der Beteiligung ist jedoch nicht der einzige Fall, in dem das Gericht eine Verfahrensbeteiligung ablehnen kann; vielmehr entscheidet das Gericht darüber auch nach Opportunitätserwägungen. Liegt eine Anordnung der Nebenbeteiligung der juristischen Person nach Abs. 1 vor, stellt sich die Frage nach der spezifischen Rechtsstellung, die sie nunmehr im weiteren Verfahren hat, und der (Aus-)Wirkung jener Rechtsstellung, die daraus erwächst. Aus § 444 Abs. 2 S. 1 StPO ergibt sich zunächst eine von den Regelungen der Einziehung in §§ 424 ff. StPO losgelöste Regelung zur Ladung des Verbandes und hinsichtlich der Vertretung, während in S. 2 abschließend auf die Regelungen des Verfahrens zur Einziehung verwiesen wird, welche sinngemäß anzuwenden sind. Die Wahrnehmung der prozessualen Befugnisse des Verbandes erfolgt über einen gesetzlichen Vertreter im Sinne des § 428 StPO, wenn das Organ, gegen welches sich das Strafverfahren richtet, an einer wirksamen Vertretung verhindert ist.176 Im Rahmen der prozessualen Befugnisse ist zum einen die Regelung des § 426 StPO maßgeblich, der die Anhörung der juristischen Person im Ermittlungsverfahren anordnet, welche ebenfalls über deren Vertreter stattfindet, wenn nach der bisherigen Untersuchungslage die Festsetzung einer Geldbuße wahrscheinlich ist. Zum anderen nimmt der Vertreter auch die Rechte aus § 427 StPO wahr, sodass ihm die Befugnisse eines Angeklagten gemäß Abs. 1 zustehen. Aus der verfahrensrechtlichen Stellung des Vertreters ergibt sich, dass er nicht als Zeuge vernommen werden kann. Die juristische Person erhält somit insgesamt den Status eines Verfahrensbeteiligten in den Grenzen und im Rahmen des § 427 StPO. Durch diese aufgezeigten Grenzen erhält ein Verband eine dem Beschuldigten ähnliche Stellung als Nebenbeteiligter, aber, wie bereits festgestellt, gerade keine vollwertige Beschuldigtenstellung. Durch die nur „halbherzige“, da nur beschuldigtenähnliche Stellung des Unternehmens entstehen diesem derzeit nicht nur unerhebliche Nachteile, die insbesondere daraus resultieren, dass die Vorschriften zur Einziehung, welche in diesem Kontext Anwendung finden, nur schwer überschaubar 172 Vgl. zur Begründung näher BT-Drs. 5/1319, S. 83; siehe auch KK-StPO/Schmidt, StPO § 444 Rn. 3, 5, der zusätzlich darauf hinweist, dass soweit § 444 Abs. 1 S. 2 StPO nicht auf § 424 StPO verweise, dieser aufgrund des Grundsatzes der „unbeschränkten Beteiligung“ nicht anwendbar wäre. 173 BT-Drs. 5/1319, S. 7, 83; L/R-StPO/Gössel, StPO § 444 Rn. 18 m.w.N. 174 L/R-StPO/Gössel, StPO § 444 Rn. 7. 175 L/R-StPO/Gössel, StPO § 444 Rn. 7. 176 Nach § 428 Abs. 1 StPO kann die juristische Person ihren Vertreter wählen oder er wird ihr gemäß Abs. 2 beigeordnet.

B. Verfahren nach § 30 OWiG bei einer Straftat als Anknüpfungstat

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und komplex sind und das Unternehmen in seiner Rechtsstellung in puncto der Beteiligung am Verfahren und hinsichtlich der Rechtsmittel beschneiden.177 Für die Zukunft wäre deshalb eine Regelung, die dem Verband eine vollumfängliche Beschuldigtenstellung gewährt, wünschenswert, um unter anderem auch unter verfahrensrechtlichen Fairness-Gesichtspunkten Rechtssicherheit und -klarheit zu gewährleisten.178 Dieser Topos wird deshalb im Zusammenhang mit zukünftigen strafprozessualen Regelungsoptionen en détail diskutiert werden müssen.179

II. Im verbundenen Verfahren 1. Das Verfahren „itself“ Wenn es sich bei der Anknüpfungstat des Mitarbeiters um eine Straftat handelt, ist ebenfalls zunächst die Frage, ob ein selbstständiges oder ein verbundenes Verfahren durchgeführt wird. Im zweiten Fall ist das Verfahren, welches gegen den Mitarbeiter geführt wird, denknotwendigerweise maßgeblich leitend. Aufgrund der Durchführung des Verfahrens gegen den Mitarbeiter als natürliche Person kommen der für das Strafverfahren zuständigen Staatsanwaltschaft lediglich beschränkte Ermittlungsbefugnisse zu, die zu Ermittlungen im Unternehmen selbst berechtigen.180 Häufig wird der Fall so liegen, dass die Staatsanwaltschaft während ihrer Ermittlungen gegen den Mitarbeiter auf Hinweise stößt, die zu dem Gedanken veranlassen, die Festsetzung einer Geldbuße gegen das Unternehmen in Betracht zu ziehen. Bei derartigen Anhaltspunkten ist das Unternehmen im Ermittlungsverfahren zunächst gemäß § 444 Abs. 2 S. 2 i.V.m. § 426 Abs. 1 StPO durch die Staatsanwaltschaft zu beteiligen und anzuhören, auch wenn die förmliche Beteiligung durch das Gericht erst nach Anklageerhebung möglich ist.181 Es gelten im Übrigen bereits die oben genannten Ausführungen zur Beteiligung des Unternehmens am Verfahren. 2. Beweise Dem Verband kommt im Verfahren wegen der Verhängung eines Bußgeldes die Stellung des Angeklagten zu. Mit dieser Stellung verbinden sich denknotwendigerweise sowohl Rechte als auch Pflichten. Von grundlegender Bedeutung dürfte in diesem Zusammenhang sein, ob und inwiefern der Verband generell Beweisanträge stellen kann, wem eine Zeugenstellung (mit den daran anknüpfenden Folgen) zu177

Vgl. Engelhart, NZWiSt 2015, 201 (209) m.w.N. Für eine volle Beschuldigtenstellung im Falle einer Verbandsstrafbarkeit sprechen sich auch Dannecker/Dannecker, NZWiSt 2016, 162 (176) aus. 179 Siehe S. 260. 180 Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen, S. 470 m.w.N. 181 Statt vieler BeckOK StPO/Inhofer, StPO § 444 Rn. 3. 178

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3. Kap.: Verfahren zur Verhängung einer Verbandsgeldbuße de lege lata

kommt und wie mit Sachbeweisen zu verfahren ist bzw. welche Pflichten dem Verband hier auferlegt werden können.182 Allgemein anerkannt ist, dass es ein grundlegendes Recht des Verbandes ist, im Ermittlungsverfahren im Rahmen des § 163a Abs. 2 StPO (i.V.m. § 444 Abs. 2 S. 2, 426 Abs. 2 StPO) Beweisanträge hinsichtlich aller Fragen zu stellen, die mit § 30 OWiG verbunden sind.183 Dieses Beweisantragsrecht des Verbandes verdient grundsätzlich Zustimmung. Äußerst problembehaftet ist es jedoch deshalb, weil es bereits auf gesetzlicher Ebene nicht nur unerhebliche Beschneidungen erfährt. Gemäß § 444 Abs. 2 S. 2 i.V.m. § 430 Abs. 2 StPO finden die ansonsten im Strafverfahren regulär geltenden Ablehnungsgründe des § 244 Abs. 3 S. 2 und 4 bis 6 StPO keine Anwendung. Diese Gründe dienen in der regulären Hauptverhandlung dazu, dass das Gericht einen Beweisantrag im Strafverfahren nicht ohne weiteres „nonchalant“ nach Gusto ablehnen darf und beschränken die Ablehnung von Beweisanträgen dementsprechend auf die in § 244 Abs. 3 S. 2 und 4 bis 6 StPO abschließend genannten Gründe. Da diese Gründe jedoch im Verfahren gegen den Verband nicht gelten, ergibt sich im Umkehrschluss, dass das Gericht einen Beweisantrag des Verbandes ohne Einhaltung einer Form und innerhalb der Grenzen seines pflichtgemäßen Ermessens ablehnen kann, worin eine schwerwiegende Beschneidung des Beweisantragsrechts eines Verbandes bzw. eine gravierende Schlechterstellung zu sehen ist.184 Diese Extension stellt somit bereits in ihrem Wesen eine starke Beeinträchtigung des Beweisantragsrechts eines Verbandes dar. Wird dieser Gedanke konsequent weitergedacht, ist mit Engelhart anzunehmen, dass aus einer solchen Beeinträchtigung schwerwiegende Konsequenzen folgen, da für das Verfahren gegen den Verband somit generell weitaus geringere Anforderungen gelten als für das gängige Ordnungswidrigkeitenverfahren.185 Deutlich wird dies in Bezug auf § 77 OWiG, der die Ablehnung eines Beweisantrags durch das Gericht nur aufgrund eines Gerichtsbeschlusses erlaubt. Für diese Schlechterstellung des Verfahrens gegen einen Verband im Vergleich mit dem allgemeinen Ordnungswidrigkeitenverfahren ergibt sich keine zwingende Notwendigkeit, sondern ganz im Gegenteil: An dieser Stelle sollte mindestens ein Gleichlauf mit dem allgemeinen Ordnungswidrigkeitenverfahren angestrebt werden, wenn nicht sogar die Aufnahme der Verweisung auf § 244 Abs. 3 S. 2 und 4 bis 6 StPO in Betracht zu ziehen ist.186 Überzeugen kann an dieser Stelle insbesondere nicht die Begründung des Gesetzgebers, dass § 30 OWiG le-

182 Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen, S. 471; allgemein zum Spannungsfeld zwischen Internal Investigations und Aussagefreiheit: Sarhan, wistra 2015, 449. 183 KK-OWiG/Rogall, OWiG § 30 Rn. 196. 184 Umfassend zum Ganzen Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen, S. 472. 185 Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen 472. 186 Vgl. auch Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen, S. 472.

B. Verfahren nach § 30 OWiG bei einer Straftat als Anknüpfungstat

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diglich wie bei der Einziehung auch nur vermögensrechtliche Interessen tangiere.187 Die Auffassung greift in der Gesamtschau zu kurz, da jedenfalls auch, aber nicht ausschließlich vermögensrechtliche Interessen bei der Festsetzung eines Bußgeldes gegen einen Verband eine Rolle spielen.188 3. Selbstbelastungsfreiheit – Verweigerungsrechte Neben den Verfahrensfragen der Beteiligung des Unternehmens am Verfahren steht bei einem verbundenen Verfahren im Fokus, inwiefern sich das Unternehmen selbst belasten müsste, wenn eine Verpflichtung bestünde, Gegenstände und Dokumente herauszugeben.189 Ferner ist fraglich, ob einem Mitarbeiter zum einen in seiner beruflichen Stellung für das Unternehmen und zum anderen in seiner Stellung als Privatperson für sich selbst Verweigerungsrechte zukommen.190 Klärungsbedürftig ist, ob und in welchem Umfang dem Mitarbeiter, gegen den das Verfahren geführt wird, de lege lata Verweigerungsrechte im Strafverfahren zukommen. Fest steht jedenfalls, dass der Mitarbeiter, der wegen der Anknüpfungstat von der Staatsanwaltschaft verfolgt wird, in diesem Verfahren kein Zeuge sein kann und dementsprechend nicht als Zeuge die Aussage verweigern kann. Etwas anderes ergibt sich für andere Mitarbeiter, die keine Verfahrenssubjekte sind. Diese können unproblematisch in dem Verfahren Zeugen sein, und aufgrund dieser Zeugenstellung kommen ihnen auch die Aussageverweigerungsrechte (§§ 52, 55 StPO) eines Zeugen zu.191 Diese Konstellation ist insofern eindeutig, als die Vernehmungen von den Strafverfolgungsbehörden durchgeführt werden. Vielschichtig strukturierte Probleme ergeben sich jedoch, wenn unternehmensinterne Ermittlungen (sogenannte „Internal Investigations“192) und insbesondere Mitarbeiterbefragungen in diesem Rahmen durchgeführt werden, in denen die Mitarbeiter von privaten Ermittlern befragt werden. Da dieser Problempunkt im Zusammenhang mit den Internal Investigations einen nicht nur unerheblichen Raum einnimmt, soll er an betreffender Stelle näher beleuchtet werden.193

187

BT-Drs. 5/1319, S. 73, 78; Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen, S. 471 f. m.w.N. 188 Im Ergebnis zutr. Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen, S. 472. 189 Vgl. dazu insgesamt auch Winkler, Das Vertrauensverhältnis, S. 58 ff. 190 Dazu insgesamt auch Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen, S. 472; allgemein zum Spannungsfeld zwischen Internal Investigations und Aussagefreiheit: Sarhan, wistra 2015, 449. 191 Zum Ganzen Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen, S. 473. 192 Vgl. zur Entwicklung einer Korrekturpflicht nach § 153 AO für den Fall der bei Internal Investigations erlangten Kenntnisse, Krug/Skoupil, NZWiSt 2015, 453; zum Spannungsfeld zwischen Internal Investigations und Aussagefreiheit: Sarhan, wistra 2015, 449. 193 Vgl. S. 389.

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3. Kap.: Verfahren zur Verhängung einer Verbandsgeldbuße de lege lata

Ebenso umstritten und teilweise ungeklärt ist, inwiefern den Mitarbeitern des Unternehmens neben dem Aussageverweigerungsrecht in privater Hinsicht Verweigerungsrechte auf der Unternehmensebene zustehen und sie nicht verpflichtet sind, das Unternehmen zu belasten. Die Antwort auf diese Frage, wenn sie denn überhaupt zufriedenstellend beantwortet werden kann, ist eng verbunden mit der Geltung und Anwendung des Nemo-tenetur-se-ipsum-accusare-Grundsatzes, weshalb die Verweigerungsrechte des Mitarbeiters hinsichtlich der Belastung des Unternehmens im Zusammenhang mit diesem behandelt werden.194 Unter diesem Aspekt wird auch die Mitwirkungsverpflichtung in Abgrenzung zur Selbstbelastungsfreiheit des Unternehmens durch die Herausgabe von Gegenständen und Dokumenten diskutiert werden, die ebenfalls maßgeblich davon abhängig ist, ob dem Unternehmen die Freiheit vom Zwang, sich selbst belasten zu müssen, zugestanden wird oder jedenfalls zukünftig zugestanden werden sollte. 4. Rechtsmittel Last but not least, lohnt für die Sicherstellung der Funktionalität des Verfahrens in all seinen Facetten ein Blick auf die dem Verband, de lege lata, an die Hand gegebenen Rechtsmittel, wenn die Anknüpfungstat eine Straftat ist und ein verbundenes Verfahren durchgeführt wird. Nach Maßgabe des § 431 Abs. 1 – 3 StPO kann ein Verband Rechtsmittel gegen die Verhängung einer Geldbuße einlegen. Welche Konsequenzen sich daraus ergeben, ist davon abhängig, ob der Verband und/oder der Mitarbeiter Rechtsmittel einlegt/einlegen. Legen sowohl Mitarbeiter als auch der Verband selbst Rechtsmittel ein, ergeben sich an dieser Stelle keine unüberwindbaren Schwierigkeiten. Es besteht mithin die Möglichkeit, Berufung und Revision einzulegen. Anders ist der Fall gelegen, wenn nur der Verband selbst ein Rechtsmittel einlegt. Diese Konstellation ist grundsätzlich problembehaftet, da nach § 431 Abs. 1 StPO der Schuldspruch (des angefochtenen Urteils) des Mitarbeiters nur in dem Fall überprüft wird, wenn der Verband Einwendungen vorbringt (Abs. 1 S. 1 Nr. 1) und im vorangehenden Verfahren zum Schuldspruch unverschuldet nicht angehört worden ist (Abs. 1 S. 1 Nr. 2), was in letzter Konsequenz wohl kaum auf die Vielzahl der Fälle zutreffen wird und weshalb der Schuldspruch des Mitarbeiters nur selten einer Überprüfung unterzogen werden wird.195 Werden die vorgenannten Voraussetzungen jedoch bejaht, regelt § 431 Abs. 1 S. 2 StPO, dass das Rechtsmittelgericht grundsätzlich die Tatsachen aus dem Verfahren gegen den Mitarbeiter in erster Instanz zugrundelegt, außer der Verband bringt als Einziehungsbeteiligter neue Beweismittel in das Verfahren ein.196 Aus dieser Regelung resultiert, dass dem Verband jedenfalls für die erstgenannte Fallkonstel194

Siehe S. 349. Vgl. KK-StPO/Schmidt, StPO § 431 Rn. 3; Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen, S. 480. 196 Siehe auch Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen, S. 480. 195

B. Verfahren nach § 30 OWiG bei einer Straftat als Anknüpfungstat

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lation eine zweite Tatsacheninstanz nicht zugänglich ist, was hinsichtlich der Verfahrensstellung des Verbandes einer Optimierung bedarf und über eine separat geregelte Stellung des Verbandes als Verfahrensbeteiligter umgesetzt werden könnte.197

III. Im selbstständigen Verfahren Das selbstständige Verfahren gemäß § 30 Abs. 4 OWiG, als Ausnahme zum verbundenen Verfahren, weist im Gegensatz zu Letzterem einige Besonderheiten auf, auf die an dieser Stelle, um einen komplettierten Gesamtüberblick zu erhalten, kursorisch eingegangen wird. Ein selbstständiges Verfahren kann bei einer Straftat als Anknüpfungstat unter den Voraussetzungen des § 30 Abs. 4 OWiG geführt werden, wenn die Staatsanwaltschaft einen darauf gerichteten Antrag stellt. Die Zuständigkeit (sachlich und örtlich) für das selbstständige Verfahren liegt gemäß § 444 Abs. 3 S. 1, 436 Abs. 1 S. 1 StPO bei dem Gericht, das bei der Strafverfolgung einer bestimmten Person zuständig gewesen wäre. Örtlich zuständig ist gemäß § 444 Abs. 3 S. 2 StPO auch das Gericht, in dessen Bezirk die juristische Person oder Personenvereinigung ihren Sitz oder eine Zweigniederlassung hat.198 Die Durchführung des selbstständigen Verfahrens richtet sich nach § 444 Abs. 3 S. 1 i.V.m. §§ 435, 436 StPO. Demzufolge sind die Vorschriften der StPO und somit auch die Verweisungen auf die Regelungen über die Einziehung anzuwenden. An dieser Stelle ergibt sich zunächst kein Unterschied zu dem Ablauf des verbundenen Verfahrens. Im Gegensatz zu Letzterem ist jedoch zur Einleitung eines selbstständigen Verfahrens gemäß § 444 Abs. 3 S. 1 i.V.m. § 435 Abs. 1 S. 1 StPO notwendig, dass die selbstständige Anordnung der Einziehung gesetzlich zulässig ist und die Anordnung nach dem Ergebnis der Ermittlungen zu erwarten ist, was die Notwendigkeit eines hinreichenden Tatverdachts darstellen dürfte.199 Hinsichtlich der Entscheidung über den Abschluss des selbstständigen Verfahrens besteht zum einen die Möglichkeit, dass das Gericht eine mündliche Verhandlung ansetzt und durch ein Urteil entscheidet. Daneben kann der Verband selbst oder die Staatsanwaltschaft einen Antrag auf mündliche Verhandlung stellen, vgl. § 444 Abs. 3 i.V.m. § 436 Abs. 2 i.V.m. § 434 Abs. 3 StPO. Die Option der mündlichen Verhandlung stellt indes die Ausnahme dar. Grundsätzlich handelt es sich bei einem selbstständigen Verfahren um ein schriftliches Verfahren, welches gemäß § 444 Abs. 3 i.V.m. § 436 Abs. 2 i.V.m. § 434 Abs. 2 StPO durch Beschluss beendet wird. Da die verfahrensrechtliche Position des Verbandes in einem schriftlichen Verfahren nur sehr schwach ausgeprägt ist, ist dieser gemäß § 33 Abs. 2, 3 StPO im schriftlichen Verfahren anzuhören.200 Im Unterschied zum verbundenen Verfahren wird der 197

Vgl. Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen, S. 480. Zum Ganzen KK-OWiG/Rogall, OWiG § 30 Rn. 220; BeckOK StPO/Inhofer, StPO § 444 Rn. 18. 199 Vgl. KK-OWiG/Rogall, OWiG § 30 Rn. 219. 200 Siehe Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen, S. 481. 198

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3. Kap.: Verfahren zur Verhängung einer Verbandsgeldbuße de lege lata

Verband nur durch die Anordnung des Gerichts Nebenbeteiligter und erhält so eine Stellung, die der des Angeklagten lediglich ähnlich, nicht aber mit dieser identisch ist.201 Diese Regelung sieht sich insgesamt zu Recht nicht nur unerheblicher Kritik ausgesetzt, und es darf mit Fug und Recht bezweifelt werden, dass eine solche Regelung, die die Stellung des Verbandes im Verfahren derart kleinhält, auf lange Sicht gesehen beibehalten werden sollte.202 Unterschiede, verbunden mit partiellen Friktionen, ergeben sich darüber hinaus auch in Bezug auf die Rechtsmittel. So besteht die Möglichkeit, gegen einen erstinstanzlich ergangenen Beschluss die sofortige Beschwerde und gegen ein ergangenes Urteil Berufung oder Revision einzulegen, § 444 Abs. 3 i.V.m. § 436 Abs. 2 i.V.m. § 434 Abs. 2, 3 StPO. An dieser Stelle ergibt sich aus dem Gesetz eine Beschränkung der Rechtsmittel aus § 444 Abs. 3 i.V.m. § 436 Abs. 2 i.V.m. § 434 Abs. 3 S. 2 StPO, da es nur zulässig ist, Berufung oder Revision einzulegen. Für eine derartige, konträr zum verbundenen Verfahren geregelte Schlechterstellung im selbstständigen Verfahren ist indes kein zwingender Grund ersichtlich, weshalb unter anderem an dieser Stelle Reformbedarf besteht.203 Ein weiterer Unterschied zwischen den Rechtsmitteln in beiden Verfahrensarten besteht darin, dass es keine Regelung gibt, die auf § 431 StPO verweist, ergo in der zweiten Instanz eine ganzheitliche Prüfung der Anknüpfungstat stattfinden kann und dies vom Gesetzgeber mangels anderer Normen intendiert zu sein scheint.204 Fraglich ist, ob es sinnvoll wäre, den Prüfungsumfang ebenfalls für das einheitliche Verfahren derart vollumfänglich zu gestalten. Dies wäre, im Hinblick auf die Option einer weitreichenden Wirkung des § 30 OWiG, die mitunter nicht nur unerheblich ist, angemessen.

C. Das Verfahren nach § 30 OWiG bei einer Ordnungswidrigkeit als Anknüpfungstat I. Grundlagen Handelt es sich bei der Anknüpfungstat des Mitarbeiters nicht, wie oben erwähnt, um eine Straftat, sondern um eine Ordnungswidrigkeit, ergeben sich Unterschiede im Verfahren. Dieses richtet sich grundsätzlich nach dem Ordnungswidrigkeitenrecht. Eine umfassende Regelung des Verfahrens lässt sich dem Ordnungswidrigkeitengesetz allerdings nicht entnehmen. Vielmehr finden sich lediglich vereinzelte Regelungen. Die zentrale Vorschrift bildet hier § 88 OWiG (Festsetzung der Geldbuße gegen juristische Personen und Personenvereinigungen). Für die Verhängung des 201 202 203 204

Dazu auch Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen, S. 481. So im Ergebnis auch Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen, S. 481. Zum Ganzen Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen, S. 481. Vgl. Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen, S. 480.

C. Verfahren nach § 30 OWiG bei einer Ordnungswidrigkeit als Anknüpfungstat

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Bußgeldes ist gemäß §§ 35 ff. OWiG die Verwaltungsbehörde zuständig. Das ist, bezogen auf die sachliche Zuständigkeit, die Behörde, die sich sachlich mit der Thematik befasst. Bei der örtlichen Zuständigkeit ist zu differenzieren, ob es sich um ein selbstständiges oder verbundenes Verfahren handelt. In einem verbundenen Verfahren richtet sich die örtliche Zuständigkeit nach § 37 OWiG. Örtlich zuständig ist demnach die Behörde, in dessen Bezirk die Ordnungswidrigkeit begangen oder entdeckt wird (§ 37 Abs. 1 Nr. 1 OWiG) oder der Betroffene zur Zeit der Einleitung des Bußgeldverfahrens seinen Wohnsitz hat (§ 37 Abs. 1 Nr. 2 OWiG). Wird dagegen ein selbstständiges Verfahren durchgeführt, ist gemäß § 88 Abs. 2 S. 2 OWiG die Behörde zuständig, die für die Verfolgung einer bestimmten Person, was an dieser Stelle häufig der Mitarbeiter des Unternehmens sein wird, zuständig wäre oder die Behörde, in deren Bezirk die juristische Person oder Personenvereinigung ihren Sitz oder ihre Zweigniederlassung hat.

II. Im verbundenen Verfahren 1. Das Verfahren „itself“ Wie bereits erwähnt, ist § 88 OWiG die zentrale Vorschrift. Darüber hinaus finden sich nur rudimentäre Regelungen zum Verfahrensablauf. Die Verfahrensbeteiligung des Unternehmens wird, wie auch im Strafverfahren, angeordnet, wenn eine hinreichende Wahrscheinlichkeit vorliegt, dass es zu der Festsetzung einer Geldbuße kommt.205 Über die Verweisungsvorschrift des § 46 OWiG, der auf die Strafprozessordnung verweist, sind deren Regelungen entsprechend anwendbar, und das Unternehmen erhält im Ordnungswidrigkeitenverfahren ebenfalls die Rechte, die ihm auch im Strafverfahren zukommen würden. Dazu zählen insbesondere die elementaren Rechte, wie das Recht auf rechtliches Gehör oder das Beweisantragsrecht. Dies ergibt sich jedoch nicht allein schon aus der Beteiligungsanordnung, weshalb Regelungen diesbezüglich notwendig sind.206 Ist die Anordnung der Beteiligung im Bußgeldverfahren unterblieben, gilt sie, sofern ein Bußgeldbescheid gegen den Verband erlassen wird, als konkludent erteilt.207 Grundsätzlich wird die Geldbuße im verbundenen Verfahren durch den Bescheid an den Mitarbeiter ausgesprochen. Notwendigerweise ist er auch dem Verband zuzustellen. Die beiden Teilakte sind rechtlich selbstständig und stehen folglich unabhängig voneinander nebeneinander.208 Auswirkungen hat die Selbstständigkeit vor allem hinsichtlich der Einlegung eines Rechtsmittels, da sowohl der 205

KK-OWiG/Mitsch, OWiG § 88 Rn. 4; KK-OWiG/Rogall, OWiG § 30 Rn. 203. Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen, S. 482 m.w.N. 207 Dazu schon OLG Düsseldorf v. 22. 06. 1983 – 5 Ss (OWi) 140/83 – 91/83 III, NStZ 1984, 366 = wistra 1984, 120; OLG Karlsruhe v. 14. 11. 1986 – 1 Ss 169/86, NStZ 1987, 79 = wistra 1987, 115. 208 Siehe zum Ganzen bei Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen, S. 483. 206

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3. Kap.: Verfahren zur Verhängung einer Verbandsgeldbuße de lege lata

Mitarbeiter als auch das Unternehmen Rechtsmittel für ihren Teil einlegen oder auch darauf verzichten können, ohne dass die Wirksamkeit des anderen Teils dadurch tangiert würde. Dies gewährt sowohl dem Verband selbst als auch dem Unternehmen die maximale Freiheit, auf den Bußgeldbescheid, je nach Gusto und Interessenlage, zu reagieren. Demgemäß besteht die Möglichkeit, für beide getrennt voneinander Einspruch gegen den jeweiligen Teil des eigenen Bußgeldbescheids zu erheben, wobei ein gekreuzter Einspruch, bei dem der Verband Einspruch gegen den Teil des Mitarbeiters und der Mitarbeiter Einspruch gegen den Teil des Verbandes erhebt, unzulässig ist.209 Möglicherweise erfordert die Interessenlage gerade ein getrenntes Vorgehen, sodass entweder nur der Mitarbeiter oder nur das Unternehmen einen Einspruch einlegt. Erfolgt ein separates Vorgehen, erwächst der Teil des Bußgeldbescheides, gegen den kein Einspruch eingelegt wurde, in (Teil-)Rechtskraft.210 Die (Teil-) Rechtskraft schützt nicht vor einer nachträglichen Verfolgung als Straftat, vgl. § 84 Abs. 1 OWiG.211 Dadurch wird die Möglichkeit eröffnet, gegen den Mitarbeiter ein Strafverfahren zu führen, obwohl bereits ein bestandskräftiger Bußgeldbescheid erlassen wurde. Zu differenzieren ist bei der Beteiligung des Verbandes. Maßgeblich ist, ob das Einspruchsverfahren gegen das Unternehmen schon beendet ist oder noch nicht.212 Ist Letzteres zutreffend, wäre keine erneute Verfahrensbeteiligung des Unternehmens am Verfahren des Mitarbeiters notwendig.213 Jedoch ist eine Überleitung in ein Strafverfahren nach § 81 OWiG erforderlich. Gemäß § 237 StPO besteht dann die Möglichkeit der Verbindung beider Verfahren. Mit dem Erlass des Bußgeldbescheides hat der Verband die in § 87 Abs. 2 OWiG geregelte Stellung eines Betroffenen und somit auch dessen Rechte. 2. Beweise und Selbstbelastungsfreiheit Wie oben bereits erwähnt, finden sich im Ordnungswidrigkeitenrecht nur rudimentäre Regelungen zum Verfahren. Hinsichtlich der Klärung von Beweisfragen in Bezug auf Beweismittel ist keine spezielle Regelung ausfindig zu machen, sodass über § 46 OWiG die Regelungen der Strafprozessordnung entsprechend Anwendung finden. Etwas anderes gilt im Hinblick auf die Beweisaufnahme im Ordnungswidrigkeitenrecht. Diese richtet sich nach § 77 OWiG, sodass Beweisanträge eines Verbandes nur durch einen Beschluss des Gerichts abgelehnt werden können. Wie oben festgestellt, ist nicht ersichtlich, wieso sich diese strengere Anforderung an die Ablehnung von Beweisanträgen nicht ebenfalls auf das Verfahren nach § 30 OWiG, 209 210

S. 65 f. 211 212 213

Vgl. dazu insgesamt Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen, S. 483. Vgl. zur Rechtskraft des Bußgeldbescheides im Allgemeinen Wieser, Bußgeldverfahren, Vgl. KK-OWiG/Rogall, OWiG § 30 Rn. 231 f. Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen, S. 483. Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen, S. 483 f.

C. Verfahren nach § 30 OWiG bei einer Ordnungswidrigkeit als Anknüpfungstat

175

wenn es sich bei der Anknüpfungstat um eine Straftat handelt, erstreckt und diese formlos abgelehnt werden können.214 Ein weiteres, von großer Relevanz geprägtes Problemfeld ergibt sich im Hinblick auf Äußerungsrechte und -pflichten des Verbandes im Verwaltungsverfahren.215 Im Bußgeldverfahren steht es dem Betroffenen nach § 136 Abs. 1 S. 2 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 StPO frei, sich zu der Beschuldigung zu äußern oder dies zu unterlassen. Schon bei der natürlichen Person entstehen hieraus Probleme und Diskrepanzen im Hinblick auf Mitwirkungs-, Duldungs- und Aufklärungspflichten. Dies wird daher erst recht zu Problemen führen, wenn es sich um ein Bußgeldverfahren gegen einen Verband handelt, sodass sich die Frage aufdrängt, inwiefern beispielsweise Erkenntnisse des Verwaltungsverfahrens verwertet werden dürfen oder einem Verwertungsverbot unterliegen. Dieser Frage soll im weiteren Verlauf der Untersuchung im Lösungsansatz de lege ferenda nachgegangen werden.216 3. Rechtsmittel Für das formelle Ordnungswidrigkeitenrecht lässt sich grundsätzlich festhalten, dass, nachdem ein Bußgeldbescheid als Entscheidung der Verwaltungsbehörde ohne die Mitwirkung einer anderen Behörde festgesetzt wurde, zunächst die Möglichkeit besteht, einen Rechtsbehelf in Form eines Einspruchs gegen diesen nach § 67 OWiG einzulegen.217 Ist der Einspruch zulässig, erfolgt eine Selbstkontrolle des Bußgeldbescheides durch die Verwaltungsbehörde, vgl. § 69 Abs. 2 S. 2 OWiG, es besteht also die Möglichkeit der sachlichen Nachprüfung.218 Ist der Einspruch hingegen unzulässig eingelegt worden, wird er nach § 69 Abs. 1 OWiG verworfen. Gegen diese Verwerfung ist nach § 62 OWiG der Rechtsbehelf des Antrags auf gerichtliche Entscheidung möglich, der bei Erfolg dazu führt, dass sich das weitere Verfahren nach den §§ 69 ff. OWiG richtet. Darüber hinaus besteht die Option, einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand gemäß § 52 OWiG zu stellen. Erfolgt die Anordnung der Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand, wird der verspätete Einspruch so behandelt, als wäre er rechtzeitig eingelegt worden.219 Das Verfahren richtet sich nun nach den Vorschriften für das Verfahren nach einem

214 Siehe dazu KK-OWiG/Rogall, OWiG § 30 Rn. 213; Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen, S. 485. 215 Zum Ganzen Wieser, Bußgeldverfahren, S. 221. 216 Siehe S. 371. 217 Überblicksartig zum Ablauf des Bußgeldverfahrens, Wieser, Bußgeldverfahren, S. 8; dagegen ist ein Rechtsbehelf gegen die Einleitung eines Bußgeldverfahrens gerade nicht möglich, da es sich hierbei nur um die Aufnahme von Ermittlungen als Maßnahme der Behörde zur Sachverhaltsaufklärung handelt, vgl. dazu ders., Bußgeldverfahren, S. 115, 595 ff. 218 Wieser, Bußgeldverfahren, S. 8, 612. 219 Wieser, Bußgeldverfahren, S. 623 f.

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3. Kap.: Verfahren zur Verhängung einer Verbandsgeldbuße de lege lata

zulässigen Einspruch, §§ 69 ff. OWiG.220 Für den Fall der Rücknahme kann nur die gesamte Entscheidung zurückgenommen werden und es folgt daraufhin eine erneute Entscheidung über den Abschluss des Bußgeldverfahrens.221 Es besteht gerade nicht die Möglichkeit, nach dem Einspruch nur einen der beiden Aussprüche, nur der natürlichen Person oder nur des Verbandes, zurückzunehmen, vgl. § 69 Abs. 2 S. 1 OWiG.222 Hält die Behörde nach weiterer Aufklärung, zum Beispiel insbesondere durch Beweisanträge, weiterhin am Bußgeldbescheid fest, gibt sie den Fall an die Staatsanwaltschaft ab, die ab dem Zeitpunkt des Eingangs der Akten als Verfolgungsbehörde tätig wird, eine sachliche Nachprüfung anstellt und nach § 69 Abs. 4 S. 2 OWiG die Akten dem Gericht vorlegt. Ab diesem Zeitpunkt verliert die Verwaltungsbehörde die Verfolgungszuständigkeit. Das Gericht prüft zunächst, ob der Einspruch zulässig oder unzulässig ist. Für den Fall der Unzulässigkeit erfolgt die Verwerfung nach § 70 Abs. 1 OWiG, gegen welche als Rechtsmittel die sofortige Beschwerde nach § 70 Abs. 2 OWiG, § 311 StPO eingelegt werden kann. Ist der Einspruch hingegen zulässig, entscheidet das Gericht daraufhin entweder im schriftlichen Verfahren und trifft seine Entscheidung durch einen Beschluss (§ 72 OWiG) ohne Hauptverhandlung oder im mündlichen Verfahren durch ein Urteil (§ 46 Abs. 1 i.V.m. § 260 StPO, § 71 OWiG), wobei der Bußgeldbescheid als Beschuldigung die Funktion der prozessualen Anklage hat.223 Gegen den Beschluss oder das Urteil ist als Rechtsmittel die Rechtsbeschwerde nach § 79 OWiG in den dort genannten Fällen zulässig, die nur darauf gestützt werden kann, dass das Amtsgericht eine Rechtsnorm nicht korrekt angewendet habe und die Entscheidung über den Bußgeldbescheid gemäß § 79 Abs. 3 S. 1 OWiG i.V.m. § 337 StPO darauf beruht, während die tatsächlichen Feststellungen des Amtsgerichts keiner nochmaligen Überprüfung unterzogen werden.224 Erging hingegen ein Beschluss im Sinne von § 46 OWiG, § 444 Abs. 2 und 3 i.V.m. §§ 434, 436 StPO (Verfahren bei nachträglicher und selbständiger Einziehung), ist die sofortige Beschwerde zu erheben.225 Auch im Ordnungswidrigkeitenverfahren besteht ein Problem, wenn lediglich der Verband nach der gerichtlichen Entscheidung Rechtsbeschwerde eingelegt hat. Ebenso wie im Strafverfahren sind über § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. §§ 444 Abs. 2 S. 2, 431 Abs. 1 – 3 StPO das Rechtsmittel und der Prüfungsumfang beschränkt. Die Überprüfung der Anknüpfungstat ist hierbei nur eingeschränkt möglich. Diese 220

Wieser, Bußgeldverfahren, S. 624. Wieser, Bußgeldverfahren, S. 612. 222 Vgl. dazu auch Krenberger/Krumm, OWiG § 30 Rn. 51 m.w.N. 223 Das Gericht hat des Weiteren die Möglichkeit, eine Einstellung durch Beschluss (ggf. mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft) nach § 47 Abs. 2 OWiG vorzunehmen, weitere Ermittlungen anzuordnen oder eine Zurückverweisung an die Verwaltungsbehörde nach § 69 Abs. 5 OWiG zu veranlassen, vgl. dazu Wieser, Bußgeldverfahren, S. 660. 224 Vgl. insgesamt zum formellen Ordnungswidrigkeitenrecht, KK-OWiG/Mitsch, Einl. Rn. 172 ff.; Wieser, Bußgeldverfahren, S. 681. 225 Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen, S. 485 f. 221

C. Verfahren nach § 30 OWiG bei einer Ordnungswidrigkeit als Anknüpfungstat

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Problematik erstreckt sich folglich auf zwei Ebenen, wobei eine mögliche Lösung im Ordnungswidrigkeitenverfahren zwar näherliegen könnte, sich jedoch nicht ohne Unterschied zum Strafverfahren umsetzen ließe. So wird von einem nicht unerheblichen und sich im Vordringen befindlichen Teil der Literatur als Lösungsansatz vorgeschlagen, für das Ordnungswidrigkeitenverfahren auf die sinngemäße Anwendung der §§ 444 Abs. 2 S. 2, 431 Abs. 1 – 3 StPO i.V.m. § 46 OWiG zu verzichten und dadurch den Weg einer uneingeschränkten Überprüfungsmöglichkeit zu eröffnen.226 Dieser Überlegung ist im Ergebnis, falls das Ordnungswidrigkeitenrecht nur modifiziert227 und kein eigenständiges Verbandssanktionenrecht eingeführt würde, für die Zukunft der Vorzug zu gewähren, da es nicht sachgerecht scheint, die StPOBeschränkungen sinngemäß anzuwenden und demnach gemäß § 431 Abs. 1 S. 1 StPO den Schuldspruch des Anknüpfungstäters nur zu überprüfen, wenn der Verband bezüglich dessen Einwendungen vorbringt und im vorausgegangenen Verfahren ohne sein Verschulden zum Schuldspruch nicht gehört worden ist.228 Dieser Gedanke, der im Wesentlichen auf der letzten Voraussetzung fußt, ergibt sich zum einen daraus, dass die Anknüpfungstat (sofern es sich um eine Ordnungswidrigkeit handelt) und die Verantwortlichkeit des Mitarbeiters bzw. der natürlichen Person für diese immer die Grundlage/den Anknüpfungspunkt für die Verbandsgeldbuße bilden. Deutlich wird hier erneut, dass die Regelungen, welche für den Einziehungsbeteiligten gelten, nicht (in vollem Umfang) für die Anwendung auf den Verband geeignet sind. Zum anderen werden an das verschuldete Nichtanhören in der Praxis nur geringe Anforderungen gestellt,229 sodass die Möglichkeit der Überprüfung des Schuldspruchs des Mitarbeiters infolgedessen eher den Ausnahmefall darstellen dürfte, während die Schlechterstellung des Verbandes im Beschwerdeverfahren daher (resultierend aus der Nichtüberprüfung des Schuldspruchs des Mitarbeiters) den Regelfall darstellen dürfte. Es ist in diesem konkreten Fall nicht ersichtlich, warum der Verband schlechter gestellt werden sollte bzw. derzeit schlechter gestellt wird als die natürliche Person, weshalb zukünftig ausdrücklich geregelt werden sollte, dass die Verantwortlichkeit des Anknüpfungstäters im Be226

Vgl. Göhler/Gürtler, OWiG § 88 Rn. 13; Müller, Stellung der juristischen Person, S. 125; KK-OWiG/Rogall, OWiG § 30 Rn. 244; Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen, S. 486; a.A. Rebmann/Roth/Herrmann-OWiG, Bd. 2, § 88 Rn. 26. 227 Dass an dieser Stelle Reformbedarf besteht, um den Verband im Verfahren nicht weiterhin grundlos schlechter zu stellen, drängt sich mittlerweile auf, sodass auf die Option, weiterhin die sinngemäße Anwendung der Vorschriften zu präferieren nicht mehr eingegangen wird. 228 An dieser Stelle verweist Engelhart darauf, dass diese rechtliche Änderung nur unter der Inkaufnahme einer unterschiedlichen Handhabung zwischen dem Straf- und Ordnungswidrigkeitenverfahren umzusetzen wäre, Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen, S. 486; dazu insgesamt auch Müller, Stellung der juristischen Person, S. 125; KK-OWiG/Rogall, OWiG § 30 Rn. 244. 229 An dieser Stelle prüft das Gericht im Wege des Freibeweises, ob eine verschuldete Nichtanhörung vorlag; KK-StPOlSchmidt, StPO § 431 Rn. 4; SK-StPO/Weßlau, § 437 Rn. 4 f.

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3. Kap.: Verfahren zur Verhängung einer Verbandsgeldbuße de lege lata

schwerdeverfahren erneut in jedem Fall überprüfbar ist, um an dieser Stelle eine Gleichstellung nicht nur sinngemäß vorzusehen, sondern auch auf und von der Seite der Verbände umsetzen zu können.230

III. Im selbstständigen Verfahren Auch wenn es sich bei der Anknüpfungstat um eine Ordnungswidrigkeit handelt, ist es denkbar, die Geldbuße in einem selbstständigen Verfahren zu verhängen. Die Geldbuße gegen das Unternehmen wird dann in einem selbstständigen Bußgeldbescheid festgesetzt.231 Dieser Bußgeldbescheid ist gemäß § 84 Abs. 1 OWiG (Wirkung der Rechtskraft) in seiner Rechtskraft beschränkt, sodass die Möglichkeit besteht, erneut ein Verfahren durchzuführen, wenn sich eine unterschiedliche Bewertung ergibt und die Tat als Straftat gewertet wird. Sofern der Verband Einspruch gegen den Bußgeldbescheid einlegt, richtet sich das gerichtliche Verfahren nach §§ 444 Abs. 3 i.V.m. §§ 434 – 436 StPO, die über § 46 Abs. 1 OWiG Anwendung finden. Dementsprechend handelt es sich um ein schriftliches Verfahren, was mit einem Beschluss beendet wird (§§ 434 Abs. 2, 426 Abs. 2 StPO). Da es keine Verweisung auf § 431 StPO gibt, besteht eine vollumfängliche Prüfungsmöglichkeit der Anknüpfungstat. Für dieses Verfahren bestimmt § 68 OWiG die Zuständigkeit des Amtsgerichts zur Entscheidung. Wirtschaftsstrafverfahren, das hat die Empirie in der Vergangenheit und Gegenwart deutlich gezeigt, weisen fast ausschließlich ein hohes Maß an struktureller Komplexität auf, die nicht selten kaum oder nur schwer zu durchschauen ist und nur selten lückenlos nachvollzogen werden kann. Dies resultiert insbesondere aus der enormen Masse an Dokumenten und Daten, die sich über eine lange Zeit angehäuft haben und für ein Strafverfahren gesichtet und ausgewertet werden müssen. Dies birgt zum einen generell, aber insbesondere bei der Zuständigkeit des Amtsgerichts die Problematik, dass dieses mit seinen (personellen) Kapazitäten für ein derart aufwendiges Verfahren schnell an die Grenzen der Belastbarkeit stößt. Doch ergeben sich nicht nur Schwierigkeiten auf der tatsächlichen Ebene. Auch rechtlich betrachtet weisen Wirtschaftsstrafverfahren eine hohe Komplexität und mitunter schwierige Rechtsfragen auf, deren Beantwortung durch undurchsichtige Strukturen in den Unternehmen zusätzlich erschwert wird. Diese Situation ist nicht nur für die Verfolgungsbehörden schwer handhabbar. Auch für das Unternehmen entsteht eine unbefriedigende Situation, da es unter Umständen um die Verhängung von Bußgeldern in Millionenhöhe geht und eine detaillierte Aufarbeitung des Verfahrens (die sich unter Umständen auch zu Gunsten des Unternehmens

230

So bereits insgesamt schon 1985 Müller, Stellung der juristischen Person, S. 125. Wieser, Bußgeldverfahren, S. 564 f.; zum Ganzen auch Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen, S. 486. 231

C. Verfahren nach § 30 OWiG bei einer Ordnungswidrigkeit als Anknüpfungstat

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auswirken könnte) aufgrund von vielschichtiger Komplexität teilweise zurückstehen muss. Dass der Gesetzgeber erkannt hat, dass es mitunter Sachverhalte gibt, die enorme rechtliche Schwierigkeiten zeitigen und komplexe Fragen aufwerfen, wird daran deutlich, dass sich beispielsweise für Kartellordnungswidrigkeiten eine besondere Zuständigkeit ergibt. So ist gemäß des GWB gerade nicht, wie sonst bei Ordnungswidrigkeiten, das Amtsgericht zuständig, sondern nach § 83 GWB ist die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts für Einsprüche gegen Bußgeldbescheide vorgesehen. Trotz solcher tatsächlicher rechtlicher Schwierigkeiten entscheidet der zuständige Kartellsenat nach § 83 Abs. 2 GWB in einer Dreierbesetzung, weshalb die Möglichkeit des § 122 Abs. 2 GVG abgeschnitten ist. Dementsprechend kann nicht wegen des Umfangs oder der Schwierigkeit der Sache (vgl. § 122 Abs. 2 GVG) in einer Fünferbesetzung entschieden werden, welche sich insbesondere bei den häufig schwer durchschaubaren Sachverhalten zu Kartellordnungswidrigkeiten anbieten würde.232 Dies sollte insgesamt für die Zukunft bei der Sanktionierung von Verbänden als Anlass genommen werden, eine andere Regelung der Zuständigkeit in Betracht zu ziehen und beispielsweise eine Zuständigkeit der Wirtschaftsstrafkammer der Landgerichte zu erwägen.233 Dadurch würde die Problematik der hohen Belastung der Amtsgerichte jedenfalls teilweise entschärft werden können, da die Kapazitäten einer Wirtschaftsstrafkammer spezifischer auf Kriminalität rund um ein Unternehmen aus- und eingrichtet sind, von Natur aus eine nicht nur unerhebliche Sachnähe zu den Fällen aufweisen und dementsprechend den (tatsächlichen und rechtlichen) Umfang des Verfahrens besser und schneller bewältigen können als ein Amtsgericht. Darüber hinaus wäre es aus den bereits oben genannten Gründen auch für Unternehmen von Vorteil, wenn die Zuständigkeit der Wirtschaftsstrafkammer in Gesetzesform gegossen würde. Durch eine derartige geänderte Zuständigkeitsregelung entstünde daher sowohl auf Seiten der Justiz als auch auf Seiten der Unternehmen eine befriedigerende Situation als jene, die derzeit vorherrschend ist, frei nach dem Prinzip, dass es nur besser werden kann, wenn es anders wird und vorsichtig optimistisch ausgedrückt: eine Win-win-Situation.

232

Vgl. Schmitz, wistra 2016, 129 (130). Engelhart, NZWiSt 2015, 201 (209); siehe auch Durth, WiJ 2012, 7 (17), der auf lange Sicht bezüglich der Internationalisierung wirtschaftsstrafrechtlicher Sachverhalte für die Schaffung eines internationalen Gerichtshofs für Wirtschaftsverbrechen plädiert. 233

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3. Kap.: Verfahren zur Verhängung einer Verbandsgeldbuße de lege lata

D. Kritische Würdigung und Fazit Insgesamt wird aufgrund der vorangehenden Erörterung des Verfahrens zur Verhängung einer Geldbuße gegen Unternehmen nach § 30 OWiG deutlich, dass dieses bereits de lege lata sehr komplex und vielschichtig ist. Es lassen sich unterschiedliche Probleme ausfindig machen, für die nur partiell befriedigende Lösungen existieren. Hinzu kommt, dass zutage tritt, dass das Verfahren nicht einheitlich geregelt ist, weshalb vielfach eine Rechtsunsicherheit aller Beteiligten zurückbleibt. Darüber hinaus zeigt sich, dass die Position des Unternehmens in der Rolle des „Beschuldigten“ viel zu schwach ausgestaltet ist und dem Unternehmen weniger Rechte zuteilwerden, als einer natürlichen Person als Beschuldigter in einem Strafprozess zukämen. Dies kann so nicht länger hingenommen werden. All diese Missstände machen deutlich, dass das Verfahrensrecht de lege lata nicht ausreichend ist und de lege ferenda zum einen ein einheitliches Prozessrecht für ein Verbandssanktionenrecht unerlässlich ist, welches eigenständig geregelt werden kann, bei dem aber ebenso auf bestehende Regelungen in der StPO zurückgegriffen werden kann, wenn diese auch auf ein Unternehmen anwendbar sind. Zum anderen ist es erforderlich, dass insgesamt eine größere Rechtssicherheit dadurch angestrebt wird, dass unterschiedliche Topoi in Gesetzesform gegossen werden. Fest steht folglich, dass akuter Handlungsbedarf des Gesetzgebers zu verzeichnen ist.

4. Kapitel

Grundlagen eines Verbandssanktionenrechts de lege ferenda „Wer immer dasselbe sieht, sieht nichts. Die Fremde lehrt uns nicht bloß sehen, sie lehrt uns auch richtig sehen. Sie gibt uns auch das Maß für die Dinge. Sie leiht uns auch die Fähigkeit Groß und Klein zu unterscheiden.“ Theodor Fontane

Bei den Überlegungen, wie ein Verbandssanktionenrecht de lege ferenda aussehen kann, ist zunächst festzulegen, welche grundlegenden Zielsetzungen mit einem eigenständigen Sanktionenrecht für Verbände verfolgt werden können und sollen und wie der materielle Teil in den Grundstrukturen gestaltet werden könnte.1 Die vorliegende Untersuchung fokussiert zwar den prozessualen Part eines Verbandsanktionenrechts. Dieser wird in einigen Teilen jedoch untrennbar mit dem materiellen Part der Regelungsmaterie zusammenhängen (müssen), weshalb im Voraus die Konturen der verschiedenen (aktuellen) Ansätze zur Umsetzung eines materiellen Verbandssanktionenrechts aufgezeigt werden.2 Bevor im Anschluss auf jene gängigen Ansätze eingegangen wird, um die Materie als Gesamtkomplex erfassen zu können, erläutert der folgende Abschnitt überblicksartig die strafrechtlichen Grundstrukturen selbst.

A. Überblick Bevor auf das Verbandssanktionenrecht de lege ferenda, welches das materielle und prozessuale Recht als grundlegende Bestandteile inkludiert, näher und vor allem spezifisch eingegangen wird, ist zu fragen, auf welchen allgemeinen Grundbausteinen ein Verbandssanktionenrecht generell aufgebaut werden kann und sollte, um ein stabiles rechtliches Fundament zu schaffen und Zielvorstellungen zu präzisieren. Welche Ziele sollten mit einem Verbandssanktionenrecht verfolgt werden? Welche 1

Siehe zum Diskurs der Zukunft eines Verbandsstrafrechts, Schröder, NZWiSt 2016, 452 ff. 2 Siehe zu unterschiedlichen Haftungsmodellen im Ausland Böse, ZStW 2014 (126), 132 (136 ff.).

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4. Kap.: Grundlagen eines Verbandssanktionenrechts de lege ferenda

Wertvorstellungen können wir zugrunde legen? Um eine möglichst flächendeckende Antwort zu finden, besteht der folgende Lösungsansatz deshalb aus drei Grundkomponenten: der Wirtschaftspolitik, der Strafrechtstheorie und der Kriminalpolitik.3 Auf diese Trilogie, welche ein Verbandssanktionenrecht de lege ferenda konturieren könnte, wird im Anschluss rekurriert. Die Grundkomponenten werden sodann durch die weiteren Kapitel spezifiziert und mit Leben gefüllt.

B. Zuordnung des Verbandssanktionenrechts Zunächst soll kursorisch herausgestellt werden, ob die Sanktionierung von Verbänden dem Ordnungswidrigkeitenrecht oder dem originären Strafrecht zugeordnet werden oder gar eine dritte eigenständige Spur sui generis bilden soll. Es bieten sich somit drei Möglichkeiten, die Sanktionierung von Verbänden in das deutsche Rechtssystem zu implementieren. Ein Weg, der letztlich nicht vorzugswürdig wäre, bestünde darin, es dem bloßen Ordnungswidrigkeitenrecht zuzuordnen. Hier wurde schon de lege lata herausgestellt, dass die Anwendung des § 30 OWiG in der Realtität vielfach leerläuft, sodass dies nicht weiter forciert werden sollte. Darüber hinaus wird die Sanktionierung mit einer Geldbuße durch das OWiG der Verbandskriminalität und insgesamt dem großen Einfluss, den Verbände auf die Wirtschaft haben, nicht gerecht. Insbesondere ist es seltsam, dass ein einfacher Fahrraddiebstahl eine Straftat darstellt, aber strukturelle Aufsichtsmängel in Unternehmen eine Sanktionierung als Ordnungswidrigkeit mit einem Bußgeld zur Folge haben.4 Aus diesen Gründen sollte die Sanktionierung von Verbänden nicht weiter ausschließlich durch das Ordnungswidrigkeitenrecht erfolgen. Möglich wäre es indessen, eine Zuordnung zum originären Strafrecht vorzunehmen. Das vorhandene Individualstrafrecht ist jedoch nicht vollständig auf Verbände anwendbar, da es letztlich nur für Individualpersonen geschaffen wurde. Insbesondere wäre ein Verbandssanktionsverfahren strukturell anders als die Individualkriminalität und das Individualstrafverfahren: Dies gilt vor allem hinsichtlich zu untersuchender Datenmengen, involvierter Personen und typischer Delikte. Auch der strafrechtstypische individuelle sozialethische Vorwurf an eine natürliche Person fehlt. Folglich bietet sich auch die Zuordnung zum Kriminalstrafrecht nicht an. Eine Lösung bzw. ein Kompromiss könnte über eine „dritte Spur“ sui generis (zwischen originärem Strafrecht und Ordnungswidrigkeitenrecht) aus den genannten Gründen gesucht werden. Letztlich scheint es sich hier zwar eher um begriffliche Hürden zu handeln, welche überwunden werden müssen. Dennoch sollte bei einer dritten Spur, die vorliegend präferiert wird, bereits terminologisch eine Abgrenzung dergestalt vorgenommen werden, dass von einem „Verbandssanktionenrecht“, nicht 3 Eben jene Grundkomponenten liegen auch dem Kölner Entwurf von Henssler/Hoven/ Kubiciel/Weigend, NZWiSt 2018, 1 passim zugrunde. 4 So schon überzeugend Henssler/Hoven/Kubiciel/Weigend, NZWiSt 2018, 1 (5).

C. Wirtschaftspolitik

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aber von einem „Verbandsstrafrecht“ die Rede ist. Aus diesem Grund wird für die vorliegende Untersuchung der Begriff des „Verbandssanktionenrechts“ bzw. „Verbandssanktionsverfahrens“ optiert.

C. Wirtschaftspolitik Zunächst ist aufgrund des starken Zusammenhangs insbesondere hinsichtlich der Tätigkeitsbereiche von Unternehmen, Politik und Wirtschaft zu fragen, wie die wirtschaftspolitische Komponente eines Verbandssanktionenrechts ausgestaltet werden könnte. Durch eine Antwort auf diese Frage kann festgelegt werden, ob und inwiefern der Staat im Rahmen eines Verbandssanktionenrechts de lege ferenda tätig werden sollte bzw. verpflichtet wäre, tätig zu werden. Um sich einer Lösung zu nähern, ist es in einem ersten Schritt allerdings notwendig, den Begriff der Wirtschaftspolitik jedenfalls in seinen Konturen zu umreißen.5

I. Begriff und Bestandteile der Wirtschaftspolitik Ein Versuch in diese Richtung wird durch die Betrachtung einiger gängiger Definitionen bzw. Theorien der Wirtschaftspolitik unternommen. Zu dem Themenkomplex lassen sich bisweilen unzählige unterschiedliche Ansätze und Abgrenzungen finden, in denen keine einheitliche Definition auszumachen ist.6 Beispielsweise wird die Wirtschaftspolitik bei Molitor als „alle Staatstätigkeit (…), die unmittelbar auf die Beeinflussung von Höhe, Zusammensetzung oder Verteilung des Sozialproduktes abzielt, und mit dieser Aktivität verbundenen kultur-, innen- und rechtspolitischen Aspekte ebenso unter der Kategorie der ,Nebenwirkungen‘ (…) wie umgekehrt die mittelbaren Effekte der Kultur-, Innen- und Rechtspolitik ihrerseits auf das Wirtschaftsverhalten der Bürger“, beschrieben.7 Ein Groß mehr an Klarheit und Spezifikation bringt die Definition von Klump, der hierfür auf die Differenzierung zwischen theoretischer und praktischer Wirtschaftspolitik eingeht: „Wirtschaftspolitik bezeichnet zielgerichtete Eingriffe in den Bereich der Wirtschaft durch dazu legitimierte Instanzen. Solche Träger der Wirt5

Vgl. Weimann, Wirtschaftspolitik, S. 7 ff., 24 ff.; zur Gesamtrichtung der Wirtschaftspolitik: Eucken, in: Oswalt (Hrsg.), Walter Eucken: Ordnungspolitik, S. 1 ff.; zu den Merkmalen, die eine Wirtschaftspolitik kennzeichnen (in Bezugnahme auf Eucken) auch Freytag, in: Pies/Leschke (Hrsg.), Walter Euckens Ordnungspolitik, S. 113 ff.; zur Wirtschaftspolitik im Rahmen der Marktwirtschaft Schüller, in: Schüller/Krüsselberg (Hrsg.), Grundbegriffe, S. 166 ff. 6 Vgl. dazu ausführlich Neck/Schneider, Wirtschaftspolitik, S. 38 ff.; Welfens, Grundlagen der Wirtschaftspolitik, S. 138 f.; grundlegend auch Weimann, Wirtschaftspolitik, S. 7 ff.; Molitor, Wirtschaftspolitik, S. 10 f. 7 Molitor, Wirtschaftspolitik, S. 10 f.

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4. Kap.: Grundlagen eines Verbandssanktionenrechts de lege ferenda

schaftspolitik sind entweder den Staatsorganen zuzurechnen oder von diesen mit der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben betraut. Wirtschaftspolitik ist somit ein Teilgebiet der allgemeinen staatlichen Politik. Von der praktischen Wirtschaftspolitik ist die wissenschaftliche Behandlung der Wirtschaftspolitik als Teilgebiet der Volkswirtschaftslehre zu unterscheiden. Die Aufgabe dieser theoretischen Wirtschaftspolitik oder Theorie der Wirtschaftspolitik besteht darin, auf der Grundlage von Erkenntnissen der ökonomischen Theorie geeignete Ansatzpunkte und Instrumente zu entwickeln, mit denen die in der praktischen Wirtschaftspolitik explizit oder implizit angestrebten Ziele erreicht werden können. Wirtschaftspolitik lässt sich insofern als angewandte Wirtschaftstheorie zur Lösung konkreter ökonomischer Probleme ansehen.“8 Diese ausführliche Definition soll aufgrund ihrer klaren Struktur (und Abgrenzung) vorliegend für das weitere bzw. grundlegende Verständnis der Bestimmung der Zielrichtung einer wirtschaftspolitischen Komponente in einem Verbandssanktionenrecht als Ausgangspunkt dienen. Vereinfacht und zusammengefasst ist somit festzuhalten, dass es sich bei der Wirtschaftspolitik um alle Bestimmungen des Staates handelt, mit denen er in Wirtschaftsverläufe eingreift. Da es vorliegend um Sinn und Zweckrichtung eines künftigen Verbandssanktionenrechts gehen soll, ist auf einer weiteren Stufe eine genauere Zielrichtung zu fokussieren. Die Wirtschaftspolitik besteht dabei aus drei Bereichen:9 der Ordnungspolitik (Gestaltung der Wirtschaftsordnung),10 der Konjunkturpolitik (Einflussnahme auf wirtschaftliche Abläufe, ergo Konjunktur- und Wachstumspolitik) und der Strukturpolitik (Einflussnahme auf die wirtschaftlichen Strukturen: regional, sektoral und Verteilung).

II. Ordnungspolitische Komponente Um die Ausrichtung für ein Verbandssanktionenrecht näher und sinnvoll bestimmen zu können, bietet es sich an, auf eines der zentralsten (sowie ebenfalls heftig umstrittenen) Gebiete der Wirtschaftspolitik zu rekurrieren: die Gestaltung von Wirtschaftssystemen und Wirtschaftsordnungen (Ordnungspolitik).11 Diese soll für 8

Klump, Wirtschaftspolitik, S. 22. Vgl. zu dieser Unterteilung Peters, Wirtschaftspolitik, S. 21; die Termini der drei Bereiche werden in der Literatur nicht stringent einheitlich verwendet, weshalb die hier genannten nur einen Überblick darbieten sollen, um ein Grundverständnis zu schaffen, bzw. nach Peters ist „manchmal nur schwer feststellbar (…), welche Säule tragende und welche Säulen nur stützende Funktionen ausüben“; ähnliche Verwendung etwa bei Schüller, in: Schüller/Krüsselberg (Hrsg.), Grundbegriffe, S. 158 f. 10 Vgl. dazu Oswalt, in: Oswalt (Hrsg.), Walter Eucken: Ordnungspolitik, S. 60 ff.; zur Ordnungspolitik im beginnenden 21. Jahrhundert, Schlotter, in: Schlotter (Hrsg.), Ordnungspolitik, S. 7 ff., 23 ff. 11 Vgl. Neck/Schneider, Wirtschaftspolitik, S. 110 ff. 9

C. Wirtschaftspolitik

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die Untersuchung als zentraler Anhaltspunkt der wirtschaftspolitischen Komponente dienen. 1. Ordnungstheorie nach Walter Eucken Hier könnte einem Verbandssanktionenrechtsmodell dem Grunde nach die Ordnungstheorie, als ihre Weiterentwicklung des Ordoliberalismus und daher im Ursprung eine ordostrukturelle Sichtweise, zugrunde gelegt werden bzw. die wesentliche Prägung darstellen.12 Die ordostrukturelle Sichtweise hat ihren Ursprung bei dem Freiburger Ökonomen Walther Eucken (1891 – 1950), der die primäre Funktion der Wirtschaftspolitik darin sah, „dieser neuen industrialisierten Wirtschaft mit ihrer weitgreifenden Arbeitsteilung eine funktionsfähige und menschenwürdige Ordnung der Wirtschaft zu geben, die dauerhaft ist“.13 Durch diese Ordnung sollten nach Eucken originär die Ziele der Verringerung einer Güterknappheit14 ebenso wie ein selbstverantwortliches Leben ermöglicht werden.15 Für die Erreichung dieser Ziele eignet sich die soziale Marktwirtschaft16 nach ordoliberaler Ansicht am besten, da sie beide Aufgaben (ökonomisches Problem der Minderung der Güterknappheit und menschenwürdige Arbeits- und Lebensverhältnisse schaffen17) bestmöglich umsetze.18

12

Oswalt stellt hier zu Beginn seiner Ausführungen in: Oswalt (Hrsg.), Walter Eucken: Ordnungspolitik, S. 59 die (wohl auch heute noch) wesentlichen Fragen mit der sich die Ordnungspolitik beschäftigt „Wie kann verhindert werden, daß durch Wirtschaftsmacht Demokratie und Rechtsstaat funktionsunfähig gemacht werden? Wie läßt sich Massenarbeitslosigkeit und Armut bekämpfen, in der der größte Teil der Menschheit lebt? Wie muß die Wirtschaft umgebaut werden, damit die Zerstörung der ökologischen Lebensgrundlagen aufgehalten werden kann?“ 13 Eucken, Grundlagen der Nationalökonomie, S. 240; vgl. auch Eucken, Grundsätze der Wirtschaftspolitik, 1952, hrsg. v. E. Eucken/Hensel und ders., Grundsätze der Wirtschaftspolitik, 6. Aufl. 1990, hrsg. v. E. Eucken/Hensel: „Denken in Ordnungen“, S. 19 ff.; zur ordostrukturellen Sichtweise auch Peters, Wirtschaftspolitik, S. 19 ff.; Neck/Schneider, Wirtschaftspolitik, S. 110 ff.; zur wissenschaftlichen Vorgehensweise Walter Euckens ausführlich Pies, in: Pies/Leschke (Hrsg.), Walter Euckens Ordnungspolitik, S. 2 ff.; zu Euckens Ordnungstheorie auch Schüller, in: Schüller/Krüsselberg (Hrsg.), Grundbegriffe, S. 2 ff.; Welfens, Grundlagen der Wirtschaftspolitik, S. 140 ff. 14 Hiermit soll zum Ausdruck gebracht werden, dass durch unterschiedliche Preise auf dem Markt gezeigt werden soll, welche Güter knapp sind und sich die Produktion an diesen Ergebnissen (Preisen) orientieren soll, vgl. Eucken, in: Oswalt (Hrsg.), Walter Eucken, Ordnungspolitik, 1 (17 f.). 15 Eucken, Grundlagen der Nationalökonomie, S. 240. 16 U. a. Pies beschreibt Eucken hier zutr. als einen der „geistigen Väter“ der sozialen Marktwirtschaft, Pies, in: Pies/Leschke (Hrsg.), Walter Euckens Ordnungspolitik, S. 1; dazu im Zusammenhang Schüller, in: Schüller/Krüsselberg (Hrsg.), S. 156 ff. 17 Dazu bereits im Ursprung Eucken, Grundlagen der Nationalökonomie, S. 240. 18 Peters, Wirtschaftspolitik, S. 19.

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4. Kap.: Grundlagen eines Verbandssanktionenrechts de lege ferenda

Für eine funktionsfähige Marktwirtschaft sei eine Wettbewerbsordnung19 eine unabdingbare Voraussetzung.20 Wird als Basis für diese Wettbewerbsordnung der ordoliberale Ansatz gewählt, kommen dem Staat dabei wichtige Aufgaben zu, die derart zusammengefasst werden können, dass er die Wettbewerbsordnung in Gesetzesform gießen und für die Einhaltung dieser Gesetze Sorge zu tragen hat bzw. die Einhaltung kontrollieren muss, um Eingriffe in den Wettbewerb, welche unter Umständen nicht rechtens sind, in der Wirtschaft zu verhindern.21 Gekennzeichnet ist dieser ordoliberale Grundgedanke vor allem dadurch, dass der Staat dabei selbst als unabhängiges Handlungssubjekt agiert und den Aufbau einer wettbewerblichen Marktwirtschaftsordnung fokussieren soll, aber nicht selbst unmittelbar lenkend in den Wirtschaftsprozess eingreifen darf, sondern (nach der normativ ordoliberalen Lehre) sein Handeln auf eine reine Ordnungspolitik (bzw. die Gestaltung der Rahmenbedingungen einer Ordnungspolitik) beschränkt.22 Dies ist die erste der insgesamt „drei Klassen“ der Ordnungspolitik nach Eucken.23 Jene Klasse stellt für ein Verbandssanktionenrecht zugleich die wichtigste dar, wobei die anderen beiden der Vollständigkeit halber ebenfalls genannt werden sollen. Eine zweite Klasse der Ordnungspolitik wird in den sogenannten „konstituierenden Prinzipien“ gesehen, die zur Herstellung eines Preissystems unter dem Leitgedanken vollständiger Konkurrenz (für jede wirtschaftspolitische Maßnahme) gedacht sind,24

19

Vgl. Eucken, in: Oswalt (Hrsg.), Walter Eucken, Ordnungspolitik, S. 17 ff., der die Wettbewerbsordnung als „dritten Weg“ und den vollständigen Wettbewerb als maßgebliches Instrument hinsichtlich der Ordnung der Volkswirtschaftslehre bezeichnet; mit der Wettbewerbsordnung werden primär die Ziele verfolgt: Zum einen, dass alle Bürger die Wirtschaft durch Preismechanismus leiten können (und dies nicht einer kleinen Minderheit vorbehalten ist), was durch Rechtsregeln des Staates erreicht werden soll. Zum anderen soll ein Wirtschaftssystem geschaffen werden, welches Demokratie und Rechtsstaatlichkeit gewährt, vgl. Oswalt, in: Oswalt (Hrsg.), Walter Eucken, Ordnungspolitik, S. 66 ff. m.w.N.; siehe zur Wettbewerbsordnung ebenfalls Freytag, in: Pies/Leschke (Hrsg.), Walter Euckens Ordnungspolitik, S. 113 f. 20 Peters, Wirtschaftspolitik, S. 19 mit Verweis auf Eucken, Grundlagen der Nationalökonomie, S. 240 „(…) erfordert die Schaffung einer brauchbaren ,Wirtschaftsverfassung‘ (…) die zureichende Ordnungsgrundsätze verwirklicht“. 21 Vgl. Peters, Wirtschaftspolitik, S. 19; im Speziellen meint dies, dass der Staat beispielsweise seine Wirtschaftspolitik in ihrer Gänze darauf ausrichten sollte, dass insbesondere keine Kartelle und andere (ähnliche) Machtapparate entstehen und eine Währung schafft, die frei und stabil ist, vgl. dazu mit Ausführungen Eucken, in: Oswalt (Hrsg.), Walter Eucken: Ordnungspolitik, S. 1 (21 ff.). 22 Peters, Wirtschaftspolitik, S. 19; Neck/Schneider, Wirtschaftspolitik, S. 112; ähnlich auch bei Pies, in: Pies/Leschke (Hrsg.), Walter Euckens Ordnungspolitik, S. 1, der als „Credo“ der ordnungspolitischen Lehre ausführt, „dass die Aufgabe des Staates nicht darin besteht, in die Spielzüge wirtschaftlicher Akteure interventionistisch einzugreifen, sondern vielmehr darin, die diese Spielzüge kanalisierenden Spielregeln zu gestalten und verbindlich zu machen“. 23 Zur Einteilung dieser drei Klassen m.w.N. Pies, in: Pies/Leschke (Hrsg.), Walter Euckens Ordnungspolitik, S. 18. 24 Pies, in: Pies/Leschke (Hrsg.), Walter Euckens Ordnungspolitik, S. 18 f. m.w.N.

C. Wirtschaftspolitik

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während die dritte Klasse in „regulierenden Prinzipien“ besteht, die die Wettbewerbsordnung auf Dauer sichern sollen.25 2. Ordoliberale Komponente eines Verbandssanktionenrechts An dieser Stelle ist nun die Brücke zu schlagen zwischen der ordostrukturellen Sichtweise, der sozialen Marktwirtschaft mit ihrer erforderlichen Wettbewerbsordnung und der damit zusammenhängenden Rolle des Staates sowie der Ausrichtung eines Verbandssanktionenrechts, welches hinsichtlich der wirtschaftspolitischen Komponente von diesen Metakomponenten geprägt ist: Doch was meint dies nun konkret für ein Verbandssanktionenrecht? Übertragen auf das Verbandssanktionenrecht würde die Zusammenführung dieser Komponenten bedeuten, dass ein künftiges Verbandssanktionenrecht selbst den Regelrahmen darstellt.26 Dieses Regelrahmens bedürfte die Wirtschaft dabei zum einen um ihrer selbst Willen, um die Funktionsfähigkeit und Effizienz zu gewährleisten. Zum anderen müsste dieser Regelrahmen (Verbandssanktionenrecht) ebenfalls gleichmäßig auf allen Ebenen durchgesetzt werden. Der Staat hätte indes in diesem Spiel ausschließlich die Rolle, ordnungspolitisch tätig zu werden. Nach der oben genannten Erklärung würden in den Rahmen der Ordnungspolitik insbesondere Gesetze und Regelungen (für Verbände) fallen, die es ermöglichen, die Wirtschaft zu strukturieren, mit der Schwerpunktsetzung im Schutz des Wettbewerbs und der Freiheit einer wirtschaftlichen Betätigung. Dem Staat bzw. der Legislative käme bei einer nur ordnungspolitischen Tätigkeit die Aufgabe zu, solche Gesetze/Regelungen, die auf Dauer angelegt sind, zu schaffen. Diese rein ordnungspolitische Tätigkeit würde in einem Verbandssanktionenrecht somit vor allem die Ziele der Regeltreue der Verbände und die Verbesserung der Compliance-Strukturen innerhalb der Verbände insgesamt verfolgen, da durch eine gesetzliche Umsetzung (und vor allem eine klare gesetzliche Festlegung) und Zielführung für Unternehmen ein selbstregulierender rechtlicher Rahmen geschaffen würde, bei dem weitergehende Eingriffe des Staates nicht vonnöten wären. Das ist insbesondere ein tragender Grund dafür, einem ordostrukturellen Modell im Rahmen der wirtschaftspolitischen Komponente der reinen Ordnungspolitik den Vorzug zu gewähren und gerade kein Modell zu wählen, bei dem der Staat stärker regulierend und aktiver eingreifen würde.

25

Pies, in: Pies/Leschke (Hrsg.), Walter Euckens Ordnungspolitik, S. 19. Vgl. zur Bedeutung des Rechts für die Ökonomik Dietz, in: Pies/Leschke (Hrsg.), Walter Euckens Ordnungspolitik, S. 64 ff. 26

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4. Kap.: Grundlagen eines Verbandssanktionenrechts de lege ferenda

D. Straftheorie Neben der wirtschaftspolitischen Komponente muss als ein weiterer besonders relevanter Grundzug für ein künftiges Verbandssanktionenrecht die Strafrechtstheorie miteinfließen,27 durch welche Schwerpunkte der Konturierung eines zukünftigen Verbandssanktionenrechts festgesetzt werden. Die Strafrechtstheorie soll für die folgenden Ausführungen als Oberbegriff dienen und sich mit der Frage auseinandersetzen, welchen Sinn und den Zweck eine Strafe/Sanktion bzw. die Sanktionsrichtung in einem Verbandssanktionenrecht erhalten soll. Hierfür werden die gängigen Straftheorien näher betrachtet. Diese Straftheorien setzen sich dabei, zusammengefasst, in ihrem Sinngehalt mit der Frage der Bedeutung und Sinngebung einer strafgerichtlichen Verurteilung auseinander.28 Unterschieden wird im Rahmen dieser Konzepte zunächst grob zwischen relativen und absoluten Strafzwecktheorien29 sowie den Vereinigungstheorien30 (bzw. Mischtheorien), die den gemäßigten Mittelweg zwischen relativen und absoluten Theorien bilden bzw. sich aus diesen zusammensetzen. Im Folgenden werden erst die unterschiedlichen Theorien und ihre Kritikpunkte (die sich bereits hinsichtlich ihrer Anwendung im Kernstrafrecht de lege lata seit jeher ergeben) vorgestellt und erläutert. Im Anschluss daran werden sie (unter Inklusion ihrer Kritikpunkte) in einem eigenständigen Punkt auf die Vereinbarkeit und Zielsetzung mit einem Verbandsstrafrecht untersucht und sodann ein Konzept zur Lösung erarbeitet, welche(r) dieser Strafzwecke in concreto für ein Verbandssanktionenrecht de lege ferenda am besten geeignet wäre(n) bzw. den Schwerpunkt bilden sollen.

27

Grundlegend zu den Straftheorien Hörnle, Straftheorien; Kett-Straub/Kudlich, Sanktionenrecht, S. 9 ff.; Schmidhäuser, Sinn der Strafe, passim.; Roxin, GA 2015, 185 ff.; mit Fallbeispielen Momsen/Rackow, JA 2004, 336 ff.; Streng, Strafrechtliche Sanktionen, S. 6 ff.; Roxin, JuS 1966, 377; dazu im Kontext zum fragmentarischen Charakter des Strafrechts Hefendehl, JA 2011, 401 (402); Pawlik, GA 2006, 345 ff.; grundlegend von Hirsch/Neumann/ Seelmann (Hrsg.), Strafe – Warum?, passim; zu den Strafzwecktheorien im Kontext eines Unternehmensstrafrechts Modlinger, Korruptionsbekämpfung, S. 67 ff. 28 Dazu grundlegend Hörnle, Straftheorien, S. 15 ff.; Schmidhäuser, Sinn der Strafe, S. 18 ff.; Jescheck/Weigend, AT, § 8 S. 66 ff.; ausführlich Lackner/Kühl/Kühl, StGB § 46 Rn. 1 ff.; Kett-Straub/Kudlich, Sanktionenrecht, S. 9 ff. 29 A.A. Hörnle, Straftheorien, S. 57, die die Bezeichnung der absoluten und relativen Straftheorien durch die „Unterscheidung von präventionsorientierten Konzepten einerseits, expressiven Konzepten andererseits“ ersetzen will; vgl. auch Modlinger, Korruptionsbekämpfung, S. 67 ff. 30 Vgl. dazu auch Kett-Straub/Kudlich, Sanktionenrecht, S. 16 ff.; Modlinger, Korruptionsbekämpfung, S. 82 f.

D. Straftheorie

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I. Die absoluten Strafzwecktheorien Die absoluten Straftheorien31 sehen die Strafe unabhängig (lat. „absolutus“) vom Erfolg, welcher (beispielsweise auf einer gesellschaftlichen Ebene) durch sie erreicht werden kann oder soll.32 Nach diesen Theorien ist Strafe ausschließlich als Vergeltung des Staates für (in der Vergangenheit) begangenes Unrecht durch den Täter zu sehen, ohne dass die Zukunft dabei miteinbezogen wird. Die Strafe wird nach dieser Auffassung als reine Repression verhängt. Sie bestimmt sich nach den absoluten Straftheorien nach dem Strafmaß der Tat, aufgrund welcher sie verhängt wird. Innerhalb dieser absoluten Straftheorien ist eine weitere Differenzierung ausfindig zu machen. Es wird grundsätzlich zwischen der Sühne- und der Vergeltungstheorie unterschieden. 1. Sühnetheorie Nach der Sühnetheorie versöhnt sich der Täter wegen und nach der Tat durch die Strafe wieder mit der Rechtsordnung und der Gesellschaft.33 Es wird dabei davon ausgegangen, dass in der Sühne eine eigene (sittliche) Leistung des Täters liege, indem er die Strafe angenommen habe und so seine (sittliche) Freiheit zurückbekommen habe.34 An dieser Theorie wird zu Recht kritisiert, dass die Versöhnung ein Akt der Freiwilligkeit wäre, die Strafe dem Täter hingegen als Übel aufgezwungen wird.35 Die Sühnetheorie wird jedenfalls deshalb in der heutigen Zeit nicht mehr vertreten. 2. Vergeltungstheorie Wie bereits erwähnt, existiert neben der Sühnetheorie die sogenannte Vergeltungstheorie. Die wohl berühmtesten Vertreter der Vergeltungstheorie waren Immanuel Kant (1724 – 1804) und Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770 – 1831), 31

Kett-Straub/Kudlich, Sanktionenrecht, S. 10 ff.; Modlinger, Korruptionsbekämpfung, S. 67 ff.; krit. zu dieser Begrifflichkeit Hörnle, Straftheorien, S. 57: „Der Begriff ,absolute Straftheorie‘ ist schillernd und letztlich verzichtbar.“ 32 Schmidhäuser, Sinn der Strafe, S. 20 ff.; Jescheck/Weigend, AT, § 8 Rn. 70 f.; Rengier, AT, § 3 Rn. 10 ff.; überblicksartig bei Hefendehl, JA 2011, 401 (402); Streng, Strafrechtliche Sanktionen, S. 7 ff. m.w.N.; Roxin, JuS 1966, 377 ff. 33 Zur Sühnetheorie bei Schmidhäuser, Sinn der Strafe, S. 57 ff.; ebenfalls aufgeführt, aber ohne weitere Nachweise bei Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 22 und bei Rengier, AT, § 3 Rn. 13; Jescheck/Weigend, AT, § 8 S. 67. 34 Jescheck/Weigend, AT, § 8 S. 67. 35 Vgl. zur ausführlichen Kritik an der Sühnetheorie Schmidhäuser, Sinn der Strafe, S. 57 ff.; diff. zu dieser Kritik Jescheck/Weigend, AT, § 8 S. 67 m.w.N.: „Sühne kann durch Strafe nicht erzwungen werden, sie muß jedoch durch den Staat wenigstens möglich gemacht werden und schließt die Bereitschaft der Gesellschaft ein, daß der Täter durch die Annahme der Strafe mit ihr versöhnt wird.“

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wobei diese die Vergeltungstheorie nur ähnlich und nicht identisch interpretierten.36 So ging Kant davon aus, dass die Strafe als Reaktion auf begangenes Unrecht durch Dauer, Härte und Art gleich schwer sein müsse (wie die Tat), um die Gerechtigkeit wiederherzustellen. Dazu heißt es in Kants „Metaphysik der Sitten“: „Nur das Wiedervergeltungsrecht (ius talionis) (…) kann die Qualität und Quantität der Strafe bestimmt angeben.“37 Daneben wird hinsichtlich der Vergeltungstheorie in Bezug auf Kant in vielen Werken zur Veranschaulichung dieser Theorie in der Praxis des Weiteren auf sein Inselbeispiel verwiesen, bei dem es heißt: „Selbst, wenn sich die bürgerliche Gesellschaft mit aller Glieder Einstimmung auflöste (z. B. das eine Insel bewohnende Volke beschlösse, auseinanderzugehen und sich in alle Welt zu zerstreuen), müßte der letzte im Gefängnis befindliche Mörder vorher hingerichtet werden, damit jedermann das widerfahre, was seine Taten wert sind (…).“38 In Abweichung dazu erfolgte nach Hegel die Bestimmung der Strafe nach dem Wert des Verbrechens, ergo sollte hier eine Wertgleichheit bestehen.39 Dies wurde insbesondere durch die Formel: „Die Tat des Verbrechens ist nicht ein Erstes, Positives, zu welchem die Strafe als Negation käme, sondern ein Negatives, so daß die Strafe nur Negation der Negation ist“ umschrieben.40 Hinzu kommt für ihn jedoch noch der Gedanke der Wiedervergeltung: „Das Aufheben des Verbrechens ist insofern Wiedervergeltung, als sie dem Begriffe nach Verletzung der Verletzung ist und dem Dasein nach das Verbrechen einen bestimmten, qualitativen und quantitativen Umfang, hiermit auch dessen Negation als Dasein eines ebensolchen hat.“41 Beiden Auffassungen (Kant und Hegel) war jedoch gemein, dass sie präventive Strafzwecke bereits in ihrem Ursprung negierten. 3. Kritik an den absoluten Strafzwecktheorien Das rein repressive Konzept der absoluten Strafzwecktheorien kann mit seiner Zielrichtung heutzutage keinesfalls mehr überzeugen.42 So ist es nicht möglich, alleine durch die Vergeltung der Tat mit Strafe Verbrechen aktiv zu bekämpfen und einzudämmen sowie eine Besserung und Wiedereingliederung des Täters in die 36 Krit. zur Gleichsetzung von „absoluter Straftheorie“ mit Kant und Hegel, Hörnle, Straftheorien, S. 15 ff. 37 Kant, Die Metaphysik der Sitten, E § 49, S. 193. 38 Kant, Die Metaphysik der Sitten, E § 49, S. 194. 39 Ausführlich zu Hegel’s Straftheorien Seelmann, in: von Hirsch/Neumann/Seelmann (Hrsg.), Strafe – Warum?, S. 79 ff. 40 Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, Zusatz (von Eduard Gans) zu § 97, S. 309 f. 41 Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 101, S. 90. 42 Vgl. Jescheck/Weigend, AT, § 8 Rn. 71; Roxin, GA 2015, 185 (187 ff.); Kett-Straub/ Kudlich, Sanktionenrecht, S. 11 ff.

D. Straftheorie

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Gesellschaft zu erreichen. Diese Annahme liegt vor allem darin begründet, dass durch die reine Vergeltung keine Sozialisationsschäden geheilt werden können, welche vielfach als Ursprung für Kriminalität angesehen werden.43 Mit dieser Zielrichtung der Strafe kann folglich ebenso wenig die Sicherung der Allgemeinheit erreicht werden, was jedoch eine der wesentlichen Aufgaben des deutschen Strafrechts ist. Neben den genannten unüberwindbaren Problemen wird eine weitere Schwierigkeit darin gesehen, dass das Erfordernis eines verfassungslegitimen Zwecks eines solchen Eingriffs (die Verhängung einer Kriminalstrafe stellt einen erheblichen Grundrechtseingriff auf zwei Ebenen dar: zum einen hinsichtlich des dadurch manifestierten sozialethischen Unwerturteils und zum anderen für die Freiheit und das Vermögen des Einzelnen44), wie es für den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz erforderlich ist, nicht gegeben sei.45 Die absoluten Strafzwecktheorien weisen daher bereits in ihrem Grunde zu viele Schwächen auf, als dass sie heutzutage noch ernsthaft vertreten würden. Dieser Ansatz überzeugt jedenfalls für das Kernstrafrecht. Inwiefern dieses Ergebnis ebenso für ein Verbandssanktionenrecht gilt, ist näher zu untersuchen.46

II. Die relativen Strafzwecktheorien Im Gegensatz zu den absoluten Strafzwecktheorien stehen die relativen Strafzwecktheorien, welche die sozialen Zwecke der Strafe im Hinblick auf die Zukunft in den Vordergrund rücken (lat. „relatus“ = bezogen auf).47 Nach diesen ist die Strafe ausschließlich präventiv, sodass durch die Bestrafung des Täters weitere Straftaten in der Zukunft verhindert werden sollen.48 Innerhalb dieser relativen Theorien wird zwischen der Präventivwirkung für die Allgemeinheit durch Abschreckung aufgrund von Strafe (Generalprävention) und der Präventivwirkung auf den Täter selbst durch Besserung aufgrund von Strafe (Spezialprävention) differenziert.

43

Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 25 m.w.N. So Hörnle, Straftheorien, S. 16 f., die darüber hinaus noch ins Feld führt, dass die Aufwendungen der Kriminaljustiz gegenüber dem Steuerzahler gerechtfertigt werden müssen. 45 Zum Ganzen Hörnle, Straftheorien, S. 16 ff.; grundlegend zur Kritik an den absoluten Straftheorien Schmidhäuser, Sinn der Strafe, S. 51 ff. 46 Siehe S. 195. 47 Vgl. zu den relativen Straftheorien Schmidhäuser, Sinn der Strafe, S. 28 ff.; Rengier, AT, § 3 Rn. 14 ff.; Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 23; ausführlich zu den relativen Straftheorien Jescheck/Weigend, AT, § 8 S. 71 ff.; Hefendehl, JA 2011, 401 (402); Kett-Straub/Kudlich, Sanktionenrecht, S. 12 ff.; Modlinger, Korruptionsbekämpfung, S. 73 ff. 48 Schmidhäuser, Sinn der Strafe, S. 28. 44

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1. Generalprävention Im Rahmen der Generalprävention haben sich heute zwei Arten herausgebildet: die negative Generalprävention und die positive Generalprävention. Die negative Generalprävention begreift die Androhung von Strafe und die Bestrafung des Täters als Abschreckung für andere Bürger, Straftaten zu begehen.49 Der populärste Vertreter der negativen Generalprävention dürfte Paul Johann Anselm von Feuerbach (1775 – 1833) gewesen sein, der in der Lehre vom „psychologischen Zwang“ formulierte: „Sinn der Strafe ist es, dem rechtsunterworfenen Bürger durch die Androhung von Strafe die Verwirklichung von Straftaten unmöglich zu machen.“50 Die positive Generalprävention basiert hingegen auf der Annahme, dass die Strafe dem Zweck der Stärkung des Rechtsbewusstseins sowie des Vertrauens der Allgemeinheit in die (Durchführung der) Rechtsordnung und dem Rechtsfrieden diene.51 Dies meint im Besonderen, dass die Strafe, die ein Täter aufgrund der Verletzung einer Strafnorm erhält, dem gemeinen Bürger zeigen soll, dass sich Straftaten nicht rentieren, rechtstreues Verhalten hingegen schon.52 2. Spezialprävention Die Spezialprävention rückt hingegen insgesamt die Besserung des Täters in den Mittelpunkt des Sinns und Zwecks der Strafe und legt den Fokus, im Gegensatz zur Generalprävention, gerade nicht auf die Allgemeinheit.53 Einer ihrer prägendsten Vertreter war der Kriminalpolitiker Franz v. Liszt (1851 – 1919).54 Dieser sah, so wird es bei Schmidhäuser beschrieben, „im Geiste des allgemein vordringenden naturwissenschaftlichen Denkens jener Zeit – das Verbrechen als Produkt von Anlage des Verbrechers und Einflüssen der Umwelt, in dem zu bestrafenden Verbrecher also die Ursache von Verbrechen, die als zugleich mögliche Ursache künftiger Verbrechen zu bekämpfen sei, und er sah die Strafe als (ein) Mittel solcher Bekämpfung (…). Als 49

Vgl. zur negativen Generalprävention auch Hörnle, Straftheorien, S. 24 f.; Rengier, AT, § 3 Rn. 15; vgl. auch Streng, Strafrechtliche Sanktionen, S. 14, 25; Roxin, JuS 1966, 377 (380); zu empirischen Forschungen hinsichtlich der negativen Generalprävention Albrecht, Kriminologie, S. 59 ff. 50 Abgedruckt bei Schmidhäuser, Sinn der Strafe, Einleitung Hilgendorf, S. V f. 51 Vgl. dazu insbesondere Jakobs, Strafrecht AT, S. 13 f.; Hörnle, Straftheorien, S. 25 ff.; ausführlich dazu von Hirsch/Hörnle, GA 1995, 261 ff.; Rengier, AT, § 3 Rn. 16; Streng, Strafrechtliche Sanktionen, S. 14; von Hirsch/Hörnle, in: von Hirsch (Hrsg.), Strafrechtstheoretische Abhandlungen, S. 19 ff.; zu Variationen der positiven Generalprävention Hassemer, in: Schünemann/von Hirsch/Jareborg (Hrsg.), Positive Generalprävention, S. 29 ff.; KettStraub/Kudlich, Sanktionenrecht, S. 13. 52 Vgl. Rengier, AT, § 3 Rn. 16. 53 Vgl. Streng, Strafrechtliche Sanktionen, S. 17 f.; dazu auch Roxin, JuS 1966, 377 (379 f.); zu empirischen Forschungen hinsichtlich der Spezialprävention Albrecht, Kriminologie, S. 51 ff. 54 v. Liszt, Strafrechtliche Aufsätze und Vorträge, Bd. 1, S. 126 (163 ff.).

D. Straftheorie

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solche Wirkungen erkannte er die Besserung, Abschreckung und die Unschädlichmachung.“55 Nach heutigem Verständnis soll der Täter durch spezialpräventive Strafzwecke davon abgehalten werden, weitere Straftaten zu begehen, weshalb im Kernstrafrecht der Strafvollzug in diesem Punkt eine nicht nur unerhebliche Rolle spielt, da dieser auf den Täter und sein Verhalten einzuwirken vermag. Ebenso wie bei der Generalprävention geht auch hier die Differenzierung noch in der Form weiter, dass es wiederum eine positive und eine negative Variante gibt. Die negative Variante der Spezialprävention fokussiert das Ziel, den Täter durch Inhaftierung bzw. Separierung (vgl. § 2 S. 2 StVollzG) von der Begehung weiterer Straftaten abzuhalten, um so den Schutz der Gesellschaft vor diesem Täter zu erreichen.56 Dagegen hat die positive Spezialprävention ausschließlich die Besserung des besserungsfähigen Täters durch die Verhängung geeigneter Strafen bzw. Maßnahmen zum Ziel, um eine möglichst effektive Resozialisierung des Täters zu erreichen.57 3. Kritik an den relativen Strafzwecktheorien Auch hinsichtlich der relativen Strafzwecktheorien lassen sich einige Kritikpunkte finden, die bereits im Allgemeinen gegen die Anwendung der reinen relativen Strafzwecktheorien sprechen.58 So wird hauptsächlich kritisiert, dass durch das alleinige Abstellen auf die Abschreckung der Strafe bei der negativen Generalprävention ein maßloses Strafen ermöglicht würde, wenn dadurch die Prävention erreicht werden könnte, was zu unverhältnismäßigen Strafen führen kann.59 Ferner wird angebracht, dass durch jene Ansätze (davon ausgenommen ist die positive Spezialprävention) die Menschenwürde des Täters verletzt werden könne, wenn er zur Erreichung der präventiven Ziele zum „Sündenbock“ gemacht würde. Der Hauptkritikpunkt der positiven Generalprävention besteht indes darin, dass ihr vorgeworfen wird, die individuelle Persönlichkeit des Täters nicht miteinzubeziehen.60 Im Rahmen der Spezialprävention wird vor allem kritisiert, dass es an der Legitimation der Strafe für Einmaltäter (bzw. „Konflikttätern“, die in einer einmaligen Lebenssituation straffällig werden) fehlt und daneben ebenfalls keine Erklärung dafür gegeben werden könnte, dass Täter früherer nationalsozialistischer Gewaltverbrechen, welche bereits wieder in die Gesellschaft integriert seien, erst in der Gegenwart bestraft würden.61 55

Schmidhäuser, Sinn der Strafe, S. 30 f. Kett-Straub/Kudlich, Sanktionenrecht, S. 15. 57 Im Überblick Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 23. 58 Zu den folgenden Kritikpunkten Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 24; Schmidhäuser, Sinn der Strafe, S. 62 ff.; Rengier, AT, § 3 Rn. 20; Roxin, GA 2015, 185 (190 ff.). 59 So unter anderem bei Rengier, AT, § 3 Rn. 17; Jescheck/Weigend, AT, § 8 S. 75. 60 Vgl. Rengier, AT, § 3 Rn. 17. 61 Rengier, AT, § 3 Rn. 20; zu diesen Fällen Jescheck/Weigend, AT, § 8 S. 75. 56

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III. Die Vereinigungstheorien Da alle genannten Theorien für sich zu große Schwächen enthalten, um im Kernstrafrecht de lege lata alleinige Geltung erlangen zu können, wurden die sogenannten Vereinigungstheorien von Rechtsprechung und Literatur (unterschiedlich nuanciert) entwickelt, welche hierzulande vorherrschend sind.62 Während die Rechtsprechung von einer eher „vergeltenden Vereinigungstheorie“ ausgeht, ist im Schrifttum eher die „präventive Vereinigungstheorie“ verbreitet.63 Die Lösung über eine Vereinigungstheorie lässt sich ebenfalls im StGB wiederfinden.64 Es beinhaltet sowohl eine Vergeltungskomponente als auch eine präventive Komponente. Zum Ausdruck kommt dies zum einen in § 46 Abs. 1 S. 1 StGB, nach dem die Schuld des Täters die Grundlage für die Zumessung der Strafe ist, welche dem Schuldausgleich diene (Vergeltungskomponente). Hinsichtlich einer generalpräventiven Seite ist auf § 47 Abs. 1 und § 56 Abs. 3 StGB mit ihrer Formulierung „Verteidigung der Rechtsordnung“ zu verweisen, welche auf diese Art und Weise Eingang in das Gesetz gefunden hat. Zum anderen wird insbesondere in § 46 Abs. 1 S. 2 StGB festgelegt, dass die Wirkungen, die von der Strafe für das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft zu erwarten sind, berücksichtigt werden müssen (spezialpräventive Komponente). Anerkanntes Ziel der Strafe nach dem StGB ist es, den Täter wieder in die Gesellschaft und Rechtsgemeinschaft einzugliedern und so anzuleiten, dass der Täter in der Zukunft ein Leben ohne Straftaten zu begehen führt.65

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BVerfGE v. 21. 06. 1977 – 1 BvL 14/76, NJW 1977, 1525 (1531 f.); ferner auch BGH v. 04. 08. 1965 – 2 StR 282/65, NJW 1965, 2016 (2017); BGH v. 28. 02. 1979 – 3 StR 24/79 (L), NJW 1979, 1666 (1668); Roxin, AT I, § 3 Rn. 33 ff.; zu den Vereinigungstheorien auch Koriath, Jura 1995, 625 ff.; zu den Unterschieden der Vereinigungstheorien, welche sich in Literatur und Rechtsprechung entwickelt haben, Rengier, AT, § 3 Rn. 21 ff.; ausführlich zu der Entwicklung der Vereinigungstheorien Jescheck/Weigend, AT, § 8 S. 75 ff.; Streng, Strafrechtliche Sanktionen, S. 19 ff.; Modlinger, Korruptionsbekämpfung, S. 82 ff. 63 Zur vergeltenden Vereinigungstheorie statt vieler BGH v. 28. 02. 1979 – 3 StR 24/79 (L), NJW 1979, 1666 (1668); eher gemäßigt BVerfG v. 21. 06. 1977 – 1 BvL14/76, NJW 1977, 1525 (1531 f.); auch erwähnt bei Roxin, AT I, § 3 Rn. 33 ff.; sowie zur präventiven Vereinigungstheorie der Literatur statt vieler Roxin, AT I, § 3 Rn. 8 ff., 37 ff., 60, der zugrundelegt „Ein solches Konzept schuldbegrenzender Prävention beruht auf der Einsicht, dass weder Schuld noch Prävention für sich allein genommen eine Strafe legitimieren können“; ders., GA 2015, 185 (186); für eine Vereinigungstheorie ebenfalls von Hirsch, in: von Hirsch/Neumann/Seelmann (Hrsg.), Strafe – Warum?, S. 44, wenn er von einem Modell ausgeht, „das versucht, Tadel und Prävention zu kombinieren“; zu den Vereinigungstheorien auch Momsen/Rackow, JA 2004, 336 (339 f.). 64 Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 26. 65 Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 26 m.w.N.

D. Straftheorie

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IV. Lösungsansatz für ein Verbandssanktionenrecht Nachdem im vorherigen Abschnitt ein Überblick über die gängigen Strafzwecktheorien mit ihren Stärken und Schwächen vorgenommen wurde, ist nun zu fragen, welche dieser Strafzwecktheorien aus dem bunten Strauß der Möglichkeiten in Betracht kommen und am ehesten für ein Verbandssanktionenrecht geeignet erscheinen. 1. Keine Anwendung der reinen absoluten Strafzwecktheorien Nicht ernsthaft zu vertreten ist (auch) für ein Verbandssanktionenrecht die Anwendung der reinen absoluten Strafzwecktheorien. Übertragen auf den Bereich des Verbandssanktionenrechts würde dies nämlich bedeuten, dass die Sanktion nur eine rein repressive Wirkung haben dürfte, deren Ziel ausschließlich in der Wiederherstellung der Rechtsordnung durch Übelszufügung bestünde. Eine zukünftige Wirkung würde hier gerade nicht miteinbezogen. Das ist für Verbände als Täter und zu Sanktionierenden nicht zielführend, da sie, trotz der Schaffung eines Verbandssanktionenrechts, zukunftsfähig sein müssen. Dies bedeutet in concreto, dass ein Verband zum einen aufgrund einer Bestrafung bzw. verhängten Sanktion nicht an den Rand seiner Existenz getrieben werden darf, was aber, wenn allein auf die Vergeltung abgestellt würde, durchaus möglich wäre, wenn die Taten so schwer wiegen, dass die Sanktion dementsprechend hoch wäre. Zum anderen würde eine Sanktion als reine Vergeltung den Verband nicht dazu anhalten bzw. motivieren, sich in Zukunft rechtstreu zu verhalten, da keine Anreizfunktion geschaffen würde, sodass die reine Vergeltung für begangenes Verbandsunrecht keine positive Wirkung für die Zukunft zeitigen würde. Eine solche wäre aber notwendig, um ein funktionierendes System der Sanktionierung von Verbänden zu implementieren. Eine derart ausschließliche rigorose Wiederherstellung der Rechtsordnung durch Sanktionen bzw. Sanktionierung als rein repressiver Akt ist daher abzulehnen. 2. Keine Anwendung (innerhalb der relativen Straftheorien) der reinen negativen Spezialprävention Im Rahmen der relativen Straftheorien abzulehnen wäre es, ausschließlich die negative Spezialprävention66 zugrunde zu legen. Diese Ablehnung resultiert dabei aus mehreren Gesichtspunkten. Ein primärer Grund besteht sicher darin, dass die Allgemeinheit durch die Unternehmenssanktion nicht vor den Unternehmen, insbesondere durch Inhaftierung, geschützt werden muss und ebenfalls nicht geschützt werden kann, da die Inhaftierung eines Unternehmens nicht im Rahmen des Mög66 Statt vieler dazu Schmidhäuser, Sinn der Strafe, S. 68 ff. und Einleitung Hilgendorf, S. VI.; Hörnle, Straftheorien, S. 20 ff.

196

4. Kap.: Grundlagen eines Verbandssanktionenrechts de lege ferenda

lichen liegt, sodass hier bereits praktische Erwägungen gegen eine ausschließlich negativ-spezialpräventive Zielrichtung sprechen.67 Weitere Möglichkeiten einer negativ-spezialpräventiven Sanktionierung zum Schutz der Allgemeinheit vor dem Unternehmen in einem zukünftigen Verbandsanktionenrecht wären zum Beispiel die Auflösung des Unternehmens, der Ausschluss von Projekten der öffentlichen Vergabe/Subventionierung für einen bestimmten Zeitraum oder die öffentliche Bekanntmachung68 der Verurteilung. Bei all diesen Sanktionen würde aber die zukünftige Besserung des Täters (Unternehmens) zu kurz kommen, wenn der Hauptaspekt darin bestünde, die Gesellschaft vor dem Täter zu sichern. Ein Verbandssanktionenrecht sollte vielmehr darauf hinwirken, eine zukünftige Rechtstreue des Unternehmens anzustreben, da die Gefährdung der Allgemeinheit durch Unternehmensstraftaten in keiner Weise gleich groß ist wie bei Individualtätern, sodass das Konzept der negativen Spezialprävention auch in diesem Punkt für ein künftiges Verbandssanktionenrecht nicht überzeugen kann. Insgesamt wird daher jedenfalls eine allein negativ-spezialpräventive Ausrichtung nicht präferiert. 3. Kombinationsmodell: Primäre positive Spezialprävention unter Berücksichtigung von Aspekten der Generalprävention Im Vordergrund sollte im Zuge der Schaffung eines Verbandssanktionengesetzes vielmehr die positive Spezialprävention stehen. Der Grund hierfür besteht darin, dass im Ausgangspunkt die Frage steht, welches Ziel durch die Einführung des Verbandssanktionenrechts verfolgt werden soll. Der vorliegenden Untersuchung liegt die Zielvorstellung zugrunde, die Wirtschaft nicht zu schädigen, sondern vielmehr die Unternehmen auf einen rechtstreuen Weg (zurück) zu bringen. Hierfür scheint ein positiv-spezialpräventiver Ansatz am besten geeignet. Übertragen auf den Sektor von Unternehmen würde dies nämlich bedeuten, dass das Primärziel der Sanktionierung in der Besserung des Täters (Unternehmens) liegen würde und das gesamte Rechtsgebilde des Verbandssanktionenrechts vom Gesetzgeber danach in all seinen Facetten, die dazu notwendig sind, ausgerichtet wird, in Anbetracht dessen, was eine zukünftige effektive Prävention erforderlich macht. Durch das Primärziel der positiven Spezialprävention bei der Sanktion bzw. Sanktionierung würde Unternehmen nicht nur vor Augen geführt, einen strafrechtlich relevanten Verstoß gegen die Rechtsordnung begangen zu haben, sondern darüber hinaus zukunftsorientiert weiteren Verstößen vorbeugen. Sekundär könnten dabei ebenfalls Aspekte der Generalprävention69 berücksichtigt werden und miteinfließen. Bezogen auf die positive Generalprävention wäre dies 67

S. 15.

Zur negativen Spezialprävention insgesamt auch Kett-Straub/Kudlich, Sanktionenrecht,

68 Zutreffend an dieser Stelle BR-Drs. 440/20, S. 10 f., der die Streichung von § 14 VerSanG-E (Öffentliche Bekanntmachung der Verurteilung des Verbandes) empfiehlt. 69 Vgl. Schmidhäuser, Sinn der Strafe, S. 28 ff.; Hörnle, Straftheorien, S. 24 ff.

E. Kriminalpolitik

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ganz allgemein bereits sinnvoll, da durch die Sanktionen eines Verbandssanktionenrechts für Unternehmen ab diesem Zeitpunkt und im Gegensatz zu der nur schwammigen Rechtslage de lege lata deutlich wäre, welche Sanktionen erwartet werden könnten, was wiederum zu einer Stärkung des Rechtsbewusstseins und des Vertrauens der Allgemeinheit in die Rechtsordnung führen würde. Daneben sollte aber auch nicht aus den Augen verloren werden, dass die Sanktionen ebenfalls in gewisser Weise abschreckend sein sollten, um der Unternehmenskriminalität insgesamt entgegenwirken zu können, weshalb das Maß in Art und Weise angemessen sein muss. Das könnte die Komponente der negativen Generalprävention darstellen. Dieser Kombination aus primärer vorherrschender positiver Spezialprävention mit Einflüssen der (sowohl positiven als auch negativen) Generalprävention auf einer sekundären Ebene scheint für ein Verbandssanktionenrecht vorzugswürdig und zukunftsfähig, weshalb dieser kombinatorische Lösungsansatz als Modell den folgenden Ausführungen zugrunde gelegt wird.

E. Kriminalpolitik Neben den bereits erörterten wirtschaftspolitischen und straftheoretischen Grundkomponenten sollte ein Verbandssanktionenrecht mit einer Nähe zum Kriminalstrafrecht ebenfalls unter dem Aspekt bzw. der Berücksichtigung der Kriminalpolitik konzipiert werden. Hierfür muss zunächst eine einheitliche Definition der Kriminalpolitik zugrunde gelegt werden, was sich aufgrund der Literaturfülle zu dieser Thematik bereits dem Grunde nach als schwierig darstellt.70 Nach Zipf71 lässt sich Kriminalpolitik als „Gewinnung und Realisierung der Ordnungsvorstellungen im Bereich der Strafrechtspflege“ definieren. Gemäß dieser Definition bezieht sich die Kriminalpolitik zusammengefasst insbesondere auf die Bereiche der Bestimmung von Aufgabe und Funktion der Strafrechtspflege, die kriminalpolitische Grundentscheidung eines bestimmten Regelungsmodells sowie dessen Praxis und Umsetzung.72 Das letzte Gebiet umfasst dabei anerkanntermaßen insbesondere die 70 Siehe verschiedene Definitionen im Überblick bei Zipf, Kriminalpolitik, S. 4 f.; von Feuerbach, der Kriminalpolitik als „gesetzgebende Staatsweisheit“ ansieht, in: Lehrbuch des gemeinen in Deutschland gültigen peinlichen Rechts, S. 40 oder v. Liszt, der Kriminalpolitik als „den systematischen Inbegriff der auf die wissenschaftliche Untersuchung der Ursachen des Verbrechens wie der Wirkungen der Strafe gestützten Grundsätze, nach welchen der Staat mittels der Strafe und der ihr verwandten Einrichtungen den Kampf gegen das Verbrechen zu führen hat“ verstanden hat, in: Strafrechtliche Aufsätze und Vorträge, Bd. 1, S. 292; zur Diskussion rund um Neuerungen in der Kriminalpolitik in den 80er Jahren Maelicke/Ortner (Hrsg.), Alternative Kriminalpolitik, passim; dazu Anfang der 2000er Jahre allgemein auch Frommel (Hrsg.), Neue Wege in der Kriminalpolitik, passim; zur Frage, was Gegenstand der Kriminalpolitik sein kann und zur Funktion der Kriminalpolitik auch Hassemer, Strafrechtsdogmatik und Kriminalpolitik, S. 68 ff., 123 ff. 71 Zipf, Kriminalpolitik, S. 7. 72 Vgl. dazu die vollständige Übersicht der Gebiete bei Zipf, Kriminalpolitik, S. 7.

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4. Kap.: Grundlagen eines Verbandssanktionenrechts de lege ferenda

Sicherstellung der Durchsetzung des Strafrechts bei der Strafverfolgung und im Strafverfahren, die Sanktionierung der Taten und eine mögliche Vorbeugung künftiger Straftaten.73 Im Hinblick auf ein bestimmtes Regelungsmodell ist zu hinterfragen, wie der materielle Part eines Verbandssanktionenrechts gesetzlich niedergelegt werden könnte und ebenfalls, wie die Ausgestaltung eines Verbandssanktionsverfahrens aussehen soll. Bei letzterem Punkt wäre insbesondere zu klären, ob ein Opportunitäts- oder Legalitätsprinzip verfolgt werden sollte. Hinsichtlich einer Sanktionierung von Verbänden könnte zukünftig insbesondere auch unter dem primären Aspekt der positiven Spezialprävention berücksichtigt werden, flexible Einstellungsmöglichkeiten zu schaffen, diese beispielsweise (im österreichischen Recht als Rücktritt von der Verfolgung bezeichnet, vgl. § 19 östVbVG74) durch Einstellung bei Auflagenerfüllung und Bewährungsauflagen hervorzuheben und primär einer „klassischen“ Sanktionierung voranzustellen. Als Orientierung dazu kann die Regelung des österreichischen Verbandsverantwortlichkeitsgesetzes dienen, in welches der oben erwähnte Rücktritt von der Verfolgung im Rahmen des Sanktionenkatalogs Eingang gefunden hat, vgl. § 19 östVbVG i.V.m. §§ 198 – 209b StPO. Demzufolge kann ein Verfahren gegen einen Verband nach dem östVbVG auch ohne Verhandlung und Verurteilung beendet werden, wenn im Gegenzug eine diversionelle Maßnahme, als Reaktion auf den Rechtsbruch, verhängt wird.75 Die Staatsanwaltschaft tritt in diesen Fällen von der Verfolgung zurück. Voraussetzung ist dabei unter anderem nach Abs. 1, dass der Verband unverzüglich nachweist, den entstandenen Schaden wiedergutgemacht sowie andere Tatfolgen beseitigt zu haben und darüber hinaus, dass die Verhängung einer Verbandsgeldbuße (hinsichtlich der folgenden genannten drei Ziffern) nicht geboten erscheint, weiteren Straftaten entgegenzuwirken. Dafür ist der Rücktritt von der Verfolgung nach § 19 östVbVG im österreichischen Recht mit nachfolgenden Maßnahmen verbunden:76 „1. die Zahlung eines Geldbetrages, der in Höhe von bis zu 50 Tagessätzen zuzüglich der im Fall einer Verurteilung zu ersetzenden Kosten des Verfahrens festzusetzen ist (§ 200 (öst) StPO), 2. eine zu bestimmende Probezeit von bis zu drei Jahren, soweit möglich und zweckmäßig in Verbindung mit der ausdrücklich erklärten Bereitschaft des Verbandes, eine oder mehrere der in § 8 Abs. 3 (VbVG) genannten Maßnahmen zu ergreifen (§ 203 (öst)StPO), oder 3. die ausdrückliche Erklärung des Verbandes, innerhalb einer zu bestimmenden Frist von höchstens sechs Monaten unentgeltlich bestimmte gemeinnützige Leistungen zu erbringen (§ 202 (öst)StPO).“

73

Vgl. dazu Zipf, Kriminalpolitik, S. 7. Siehe dazu grundlegend Steininger, VbVG, S. 113 ff.; zu unterschiedlichen potentiellen Sanktionen für juristische Personen auch Bauer, ÖJZ 2004, 491; Hilf/Soyer, in: Hilf u. a. (Hrsg.), Unternehmensverteidigung, S. 18; insgesamt zu § 19 östVbVG auch unten S. 238. 75 Vgl. Steininger, VbVG, S. 113 f. 76 Siehe dazu auch Steininger, VbVG, S. 116 ff. 74

E. Kriminalpolitik

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Eine derartig ausgerichtete Regelung würde sich vom Sinn und Zweck beispielsweise auch in Deutschland im Rahmen der Sanktionierung in einem Verbandssanktionenrecht als eine ernstzunehmende Sanktionsmöglichkeit eignen, um dem Unternehmen deutlich vor Augen zu führen, dass zwar ein strafrechtlich relevanter Fehler begangen wurde, ihm jedoch die goldene Brücke zurück unter bestimmten Voraussetzungen gewährt wird, um so auch dem staatlichen Sanktionsanspruch umfänglich gerecht werden zu können, aber die positive Spezialprävention als Leitgesichtspunkt signifikant voranzustellen. Hingegen würde sich eine Regelung, wie damals im NRW-Entwurf vorgesehen, hierbei nur bedingt bis kaum als Vorlage eignen, wenn durch ein Verbandssanktionenrecht nicht nur, aber eben auch ein „unternehmensfreundlicheres“ System geschaffen werden soll. Dies war im NRW-Entwurf derart nicht vorgesehen, da in § 4 Abs. 1 VerbStrGE als Verbandssanktionen vorrangig die Verbandsgeldstrafe (mit starrer Obergrenze), die Verbandsverwarnung mit Strafvorbehalt und die öffentliche Bekanntmachung der Verurteilung normiert wurden. § 4 Abs. 2 VerbStrGE enthielt Verbandsmaßregeln, zu denen der Ausschluss von Subventionen, der Ausschluss von der Vergabe öffentlicher Aufträge und die Verbandsauflösung zählten. Hierbei handelte es sich um sehr einschneidende Sanktionen. Insgesamt war somit eine eher unternehmensfeindlichere Tendenz zu erkennen, die für die Zukunft nicht geeignet sein würde, vorhandene Präventionsdefizite zu verringern und in der Zukunft vor Straftaten zu schützen bzw. diese vorzubeugen und dem hier vorgeschlagenen Zweck eines Verbandssanktionenrechts gerecht zu werden. Demgegenüber regelt der Kölner Entwurf, dass gegen einen Verband primär Geldsanktionen (§ 4 Abs. 1 Kölner Entwurf) verhängt werden sollen, die am Umsatz des Verbandes und an weiteren Faktoren (wie zum Beispiel der Art, Schwere und Auswirkung der Verbandsverfehlung oder früheren Verfehlungen) bemessen werden und daher dynamisch und gerade nicht starr sind (§ 4 Abs. 2 und 3 Kölner Entwurf).77 Daneben wird der spezial-präventive Charakter dergestalt hervorgehoben, dass es die Option einer teilweisen Aussetzung der Sanktion zur Bewährung geben soll, wenn der durch die Tat entstandende Schaden kompensiert und (unterschiedliche notwendige) Maßnahmen durchgeführt wurden, um derartige Verfehlungen des Verbandes zukünftig zu verhindern (§ 5 Kölner Entwurf). Nach den Verfassern des Kölner Entwurfs läge hierin der Anreiz für den Verband, auf lange Sicht tätig zu werden und Verbandsverfehlungen bereits im Ursprung zu verhindern.78 Zusätzlich soll die Vorgehensweise dann von einem Monitor geleitet und überwacht werden (§ 5 Abs. 4 Kölner Entwurf). Insgesamt überzeugt die Sanktionsregelung des Kölner Gesestzesentwurfs von den hier vorgestellten am ehesten, weil sie am stärksten spezial-präventiv ausgerichtet ist.

77 78

Vgl. Henssler/Hoven/Kubiciel/Weigend, NZWiSt 2018, 1 (9 f.). Zum Ganzen Henssler/Hoven/Kubiciel/Weigend, NZWiSt 2018, 1 (10).

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4. Kap.: Grundlagen eines Verbandssanktionenrechts de lege ferenda

F. Kritische Würdigung und Fazit Insgesamt wird im vorangehenden Kapitel deutlich, dass es durchaus unterschiedliche Grundlagen für ein Verbandssanktionenrecht geben kann, die auch mitunter nicht nur in Nuancen variieren. Aus diesem Grund ist es wichtig, dass die Grundlagen bereits im Vorhinein festgelegt werden, um das Verbandssanktionenrecht nach ihnen ausrichten zu können und ein strukturiertes sowie in sich stimmiges Rechtsgebilde zu erschaffen, welches frei von Widersprüchen ist. Hier liegt es am Gesetzgeber, die Grundmanifesten festzulegen. Für die vorliegende Untersuchung wird ein deutlich und stark präventiv ausgerichteter Ansatz eines Verbandssanktionenrechts, wie dem Kölner Entwurf zu Grunde gelegt, präferiert, der sich in einem Kombinationsmodell wiederfindet und der zusätzlich eine ordoliberale Komponente enthält.

5. Kapitel

Materielles Verbandssanktionenrecht de lege ferenda „1. Was kann ich wissen? 2. Was soll ich tun? 3. Was darf ich hoffen?“ Immanuel Kant

Eine ausführliche Ausarbeitung eines Lösungsansatzes für ein materielles Verbandssanktionenrecht ebenso wie die vertiefte Auseinandersetzung mit den gängigsten Modellen dieser Materie sind nicht die Schwerpunkte der vorliegenden Arbeit. Nichtsdestotrotz ist es notwendig, einen Anknüpfungspunkt auf der materiell-rechtlichen Ebene zu haben. Um unterschiedliche Folgewirkungen darstellen zu können, geschieht dies auf der einen Seite insbesondere anhand eines Kombinationsmodells unter Inkludierung des Kölner Entwurfs und des VerSanG-E, das sich aus Elementen eines Zurechnungs- und Aufsichtspflichtverletzungsmodells zusammensetzt und auf der anderen Seite rudimentär anhand eines reinen Zurechnungs- bzw. Aufsichtspflichtverletzungsmodells sowie unter Berücksichtigung des damals vorgeschlagenen Modells im NRW-Entwurf.1 Sowohl die einheitlichen Konzepte als auch das Modell des NRW-Entwurfs werden lediglich überblicksartig in gebotener Kürze dargestellt.

A. Reines Zurechnungs- oder Aufsichtspflichtverletzungsmodell I. Zurechnungsmodell Potentielle Ansätze für die Kreierung eines materiellrechtlichen Parts wären die Verfolgung eines starren Zurechnungs- oder eines reinen Aufsichtspflichtverletzungsmodells.2 Zunächst ist festzuhalten, dass das deutsche Individualstrafrecht 1 Eine Bewertung sowie Rezension der gängigen Modelle der Literatur wird insbesondere dadurch nicht nur unerheblich erschwert, dass in der Literatur für diesen Topos keine einheitliche Terminologie verwendet wird. Vielmehr richtet sie diese nach dem Ausgangsverständnis und jeweiligen Gusto des einzelnen Verfassers. 2 Grundlegend dazu statt vieler Busch, Grundfragen der strafrechtlichen Verantwortlichkeit der Verbände, S. 69 ff.; zu diesen beiden Grundansätzen auch Scholz, ZRP 2000, 435 (438); Müller, Stellung der juristischen Person, S. 17 ff.; zur Zurechnung als Basis der Sanktionierung von Verbänden auch Nietsch, in: Nietsch (Hrsg.), Unternehmenssanktionen, S. 9 ff.

202

5. Kap.: Materielles Verbandssanktionenrecht de lege ferenda

insgesamt auf einem Zurechnungsmodell beruht. Würde dem Verbandssanktionenrecht ein reines Zurechnungsmodell zugrunde gelegt werden, würde die Haftung des Verbandes im Grunde durch die Zurechnung des strafbaren Verhaltens3 eines Angestellten begründet, da diese mit ihren Handlungen bzw. Unterlassungen den Verbandswillen bilden und nach außen manifestieren. Problematisch ist hierbei die Legitimation der Zurechnung, ergo der Zurechnungsgrund.4 Wird das Gedankenspiel überdies weiter verfolgt und würde davon ausgegangen, dass sich hier noch (irgend)ein Konsens bzw. triftiger Grund für die Zurechnung ausmachen ließe, der die Zurechnung zu begründen vermag, müsste weiter geklärt werden, welche Taten welcher Mitarbeiter dem Verband zugerechnet werden sollten. Würden nur Taten von Mitarbeitern in einer Leitungsposition erfasst werden, würde eine bedenkliche Strafbarkeitslücke entstehen, da Kriminalität der mittleren Unternehmensebene sowie Straftaten von einfachen Angestellten nicht erfasst wären. Würde hingegen jede Tat eines jeden Mitarbeiters dem Verband als eigene zugerechnet, entstünde ein Einfallstor für eine enorme Strafbarkeitsausdehnung, welche jedenfalls dem Ultima-Ratio-Grundsatz des deutschen Strafrechts zuwiderlaufen würde. Dies lässt sich bereits insgesamt als nicht überwindbare Schwierigkeit des personellen Anwendungsbereichs eines reinen Zurechnungsmodells zusammenfassen. Darüber hinaus ergibt sich aber noch eine weitere Schwierigkeit, welche verbandsspezifischer Natur ist und die Anwendung dieses Modells daher gerade nicht vorzugwürdig macht. Würde dem Verbandssanktionenrecht ausschließlich ein Zurechnungsmodell zugrunde gelegt, könnte es dadurch zu einer quasi „Zufallshaftung“ des Unternehmens kommen, da, wie oben bereits erwähnt, der Verband für jede Straftat eines Mitarbeiters haftbar gemacht würde, ohne weitere Aspekte zu berücksichtigen. Eine solche „Zufallshaftung“ ist dem Strafrecht aber bereits an sich fremd, und es ist kein Grund ersichtlich, warum hier gerade für ein Verbandssanktionenrecht eine Ausnahme gemacht werden sollte, wodurch die Strafbarkeit eines Unternehmens derart unverhältnismäßig extensiviert würde. Neben den schwerwiegenden Nachteilen spricht auch ein systematischer Aspekt gegen die Anwendung eines weiten Zurechnungsmodells für ein Verbandssanktionenrecht. Hierfür ist ein Blick auf die zivilrechtliche Systematik des § 278 BGB zu werfen, deren innere Logik sich im Strafrecht heranziehen lässt. Die automatische Zurechnung jeder Tat eines jeden Mitarbeiters zum Unternehmen wäre ähnlich wie das Modell der Verschuldenszurechnung des Erfüllungsgehilfen im Rahmen von § 278 BGB – aber selbst im Zivilrecht gilt § 278 BGB nicht uneingeschränkt. Vielmehr ist für eine Haftung aufgrund der Verschuldenszurechnung des Erfül3 Auf jeden Fall würde hier eine Zurechnung des Handelns erfolgen. Auf die Frage, ob auch die Schuld zugerechnet würde oder hierauf beim Verband verzichtet würde, wird vorliegend, da diese nur theoretischer oder begrifflicher Natur ist, nicht näher eingegangen. 4 Dazu bereits im Jahre 1998 von Freier, Kritik der Verbandsstrafe, S. 95 ff., S. 162 ff.; vgl. zum Zurechnungsmodell insgesamt auch Scholz, ZRP 2000, 435 (438).

A. Reines Zurechnungs- oder Aufsichtspflichtverletzungsmodell

203

lungsgehilfen im Rahmen von § 278 BGB eine spezifische Sonderverbindung zwischen Schuldner und Gläubiger notwendig, welche den Grund dieser Zurechnung bei einem Fehlverhalten eines Erfüllungsgehilfen darstellt und durch welche diese Haftung angemessen ist. Wenn aber bereits im Zivilrecht, welches anerkanntermaßen weder die Ultima Ratio noch das schärfste Schwert des Gesetzgebers ist, für eine Haftung aufgrund reiner Zurechnung eine spezifische Sonderverbindung notwendig ist, so wäre es im Strafrecht nicht angemessen, eine derartig weite Haftung aufgrund von Zurechnung auch ohne eine solche Sonderverbindung zuzulassen, sodass letztlich auch systematische Erwägungen gegen diese Anwendung sprechen. Strafrecht ist strukturell eher mit dem zivilen Deliktsrecht als mit dem vertraglichen Schadensersatzrecht vergleichbar; im Deliktsrecht gibt es aber gerade auch keine allgemeine Verschuldenszurechnung des Erfüllungsgehilfen, sondern nur eine Haftung für (wenngleich vermutetes, aber eben widerlegbares) eigenes Verschulden für die Auswahl des Verrichtungsgehilfen. Ein reines Zurechnungsmodell kann daher sowohl aufgrund nicht hinnehmbarer Ergebnisse als auch aufgrund der damit verbundenen Konsequenzen, die insbesondere daraus resultieren würden, dass entweder eine nicht zu unterschätzende Strafbarkeitslücke oder eine zu weite Extension der Strafbarkeit entstünde, insgesamt letztlich nicht überzeugen.

II. Aufsichtspflichtverletzungsmodell Eine weitere Option bestünde darin, das Unternehmen für eine „eigene“ Verantwortlichkeit strafrechtlich einstehen zu lassen. Diese kann bei Verbänden nur durch eine Verantwortlichkeit der Organe entstehen. Soweit es nicht um deren eigenes deliktisches Verhalten geht, steht also ein Organisationsverschulden – ähnlich der Aufsichtspflichtverletzung in § 130 OWiG – in Rede. Die Haftung des Verbandes würde nach einem Aufsichtspflichtverletzungsmodell also an das Versagen der Verbandsorganisation, mithin an eine Verantwortlichkeit der Organe und damit in gewisser Weise an eine „eigene Schuld des Verbandes“ anknüpfen.5 Vorteilhaft gegenüber einem reinen Zurechnungsmodell wäre, dass die Tat eines Mitarbeiters lediglich Indizwirkung für eine unzureichende Organisation des Verbandes entfalten würde, nicht aber eine fremde Schuld zugerechnet würde.6 Problematisch an einem ausschließlichen Aufsichtspflichtverletzungsmodell könnte sein, dass es sich von der 5 Statt vieler grundlegend Dannecker, GA 2001, 101 (112 ff.); Hamann, Das Unternehmen als Täter, S. 172 ff.; dazu auch Tiedemann, NJW 1988, 1169 (1172 ff.); ferner auch Hirsch, ZStW 1995 (107), 285 (295 f.). 6 Siehe dazu auch bereits Kubiciel/Hoven, in: Jahn/Schmitt-Leonardy/Schoop (Hrsg.), Das Unternehmensstrafrecht und seine Alternativen, S. 160 (165 f.); zu den unterschiedlichen Modellen auch Volk, in: Kempf/Lüderssen/Volk (Hrsg.), Unternehmensstrafrecht, S. 253 (254 f.); zum Organisationsverschulden allgemein auch Brinkmann, Kollektiv als Täter, S. 147 ff.

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5. Kap.: Materielles Verbandssanktionenrecht de lege ferenda

Tat des Mitarbeiters zu weit entfernt, um darauf ein ganzes Verbandssanktionenrecht bzw. die Haftung des Unternehmens selbst stützen zu können.7 Darüber hinaus würde die Zugrundelegung eines ausschließlichen Aufsichtspflichtverletzungsmodells dazu führen, dass beispielsweise eine bewusste Entscheidung der Leitung eines Unternehmens, strafrechtliche Handlungen vorzunehmen, ohne dass es einen Organisationsmangel gibt, nicht vom Verbandssanktionenrecht erfasst wäre, was zu einer Strafbarkeitslücke führen würde, welche jedoch durch ein Verbandssanktionenrecht gerade geschlossen werden sollte.8 Aufgrund dieser genannten Schwächen bei einer starren Anwendung der einzelnen Modelle für sich wird die Lösung für ein Verbandssanktionenrecht de lege ferenda deshalb nicht in einem Modell in Reinform, sondern in einem Kombinationsmodell gesucht.

B. Modell nach dem NRW-Entwurf Auf den ersten Blick vermochte eine Lösung im NRW-Entwurf gefunden worden sein, welcher in seinem § 2 VerbStrGE gleichsam eine Kombination aus § 30 OWiG und § 130 OWiG vornahm: Ausweislich der Begründung des NRW-Entwurfs war bzw. sollte der dortige Anknüpfungspunkt eine eigene Verbandsschuld bzw. eine unzureichende Organisation des Verbandes (sein), welche von kriminellen Strukturen geprägt wurde. Darüber hinaus sollten dadurch Präventionsdefizite (im Zivilund Ordnungswidrigkeitenrecht) aufgearbeitet werden, indem die Verbandsstrafe das Ziel verfolgte, die Gesellschaft vor unternehmensspezifischen Straftaten besser zu schützen.9 Geregelt wurde dies im NRW-Entwurf durch zwei Tatbestände, welche, ausweislich der Entwurfsbegründung, denselben Haftungsgrund hatten: „die Verantwortlichkeit des Verbandes für eine Organisation, in der kriminelles Verhalten geduldet, begünstigt oder gar provoziert wird. Der Verband haftet im Rahmen seiner durch ihn selbst gewählten und ausgestalteten Organisation für Fehlentwicklungen, die Folge dieser fehlerhaften Organisation sind.“10 In § 2 Abs. 1 VerbStRGE wurde hingegen festgehalten, dass dann, wenn durch einen Entscheidungsträger eine verbandsbezogene Zuwiderhandlung (vorsätzlich oder fahrlässig) in Wahrnehmung der Angelegenheiten eines Verbandes begangen wird, eine Sanktion gegen den Verband verhängt wird. Aus diesem Wortlaut folgte, dass nach dem NRW-Entwurf aus der Straftat eines Mitarbeiters unmittelbar auf das Organisationsverschulden des Verbandes geschlossen wurde. Dies war bereits im Grunde ein dogmatisch fragiles Konstrukt und sah sich deshalb heftiger Kritik ausgesetzt. So wendeten beispielsweise Kubiciel/ 7 Zu diesem Aspekt Volk, in: Kempf/Volk/Lüderssen (Hrsg.), Unternehmensstrafrecht, S. 253 (255). 8 Dazu Böse, ZStW 2014 (126), 132 (139 f.) m.w.N. 9 NRW-Entwurf S. 25. 10 NRW-Entwurf S. 27.

C. Kombinationsmodell

205

Hoven zutreffend ein, dass dieser aus dem Wortlaut herrührende Schluss unzulässig sei, da die Straftat des Mitarbeiters nicht zwingend eine notwendige Konsequenz unzureichender Organisation des Verbandes sei und eine schuldhafte Pflichtverletzung eines Mitarbeiters folglich nicht mit der Schuld des Verbandes identisch sei.11 Problematisch war des Weiteren, dass ausweislich der Entwurfsbegründung ein Verbandsschuldmodell verfolgt werden sollte, jedoch bereits § 2 Abs. 1 VerbStRGE gerade als Zurechnungsnorm (und somit entgegen dem Entwurf in seiner Gänze12) ausgestaltet war.13 Bereits in diesen Punkten ergaben sich daher auch auf den zweiten Blick unlösbare Widersprüche sprachlicher, rechtlicher und (strafrechts-)dogmatischer Natur, weshalb dem Haftungsmodell des NRW-Entwurfs nicht gefolgt werden konnte.

C. Kombinationsmodell Indes könnte ein gangbarer Lösungsweg in einem Kombinationsmodell gesehen werden, welches nicht nur die Stärken der einzelnen Modelle eint, sondern gleichzeitig Lösungen für die Schwierigkeiten findet und die Schwächen, die bei der Anwendung der einzelnen Modelle bestehen würden, ausgleicht.14

I. Tatbestandsvoraussetzungen 1. Verantwortungsauslösende Tat Neben der Festlegung, wer für einen Gesetzesverstoß zur Verantwortung gezogen werden kann, bzw. an wen sich ein künftiges Verbandssanktionenrecht richtet, muss normiert werden, welche Taten Anknüpfungstaten einer Strafbarkeit nach dem Verbandssanktionenrecht sein können. Dafür könnte ein zweispuriges System im Rahmen eines Kombinationsmodells vorgesehen werden: Demnach würden nur für Ordnungswidrigkeiten als erste Spur weiterhin die §§ 30, 130 OWiG gelten.15 11 Kubiciel/Hoven, in: Jahn/Schmitt-Leonardy/Schoop (Hrsg.), Das Unternehmensstrafrecht und seine Alternativen, S. 160 (170). 12 Vgl. Kubiciel/Hoven, in: Jahn/Schmitt-Leonardy/Schoop (Hrsg.), Das Unternehmensstrafrecht und seine Alternativen, S. 160 (170) m.w.N. 13 NRW-Entwurf S. 45. 14 So auch beispielsweise vorgesehen in § 13 Kölner Entwurf Henssler/Hoven/Kubiciel/ Weigend, NZWiSt 2018, 1 (3, 9 f.). 15 Der Regierungsentwurf fasst an dieser Stelle noch genauer, das „Gesetz gilt nur für die Sanktionierung von Verbänden, deren Zweck auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gerichtet ist, wegen Straftaten. Bei Verbänden deren Zweck nicht auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gerichtet ist, sowie bei bloßen Ordnungswidrigkeiten findet es keine Anwendung, sondern es bleibt bei einer Ahndung des Verbandes nach § 30 OWiG.“ RegE.-Begr. S. 71.

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5. Kap.: Materielles Verbandssanktionenrecht de lege ferenda

Neu hinzukommen würden als zweite Spur der Verbandssanktionierung die allgemeinen Straftaten des StGB, welche (potentiell alle) Anknüpfungstaten für die Verbandshaftung sein könnten.16 Für diese hinzukommenden Straftaten müssten jedoch bestimmte Voraussetzungen notwendig sein, welche die Haftung des Verbandes begründen, um das Haftungsrisiko nicht konturenlos werden zu lassen. Die weiteren Prämissen könnten insbesondere darin bestehen, dass durch die Straftat die Pflichten des Verbandes verletzt werden worden sein müssen oder (alternativ) die Tat im Interesse des Unternehmens begangen worden sein muss bzw. das Unternehmen bereichert wurde oder jedenfalls bereichert werden sollte, insgesamt sollte also ein Verbandsbezug gefordert werden.17

2. Verantwortungsauslösender Personenkreis Ein weiterer zu klärender Punkt ist, ob und, wenn ja, welche natürlichen Personen die Haftung der juristischen Person auslösen können. Um keine Strafbarkeitslücken entstehen zu lassen, sollten grundsätzlich alle Mitarbeiter eines Verbandes die Haftung auslösen können. Der zunächst sehr extensiv scheinende Zurechnungsansatz wird von dem Grundgedanken getragen, dass der Verband mit und durch all seine Mitarbeiter seine Freiheit ausübt und als Spiegelbild dieser Freiheit auch für die Gesetzesverstöße einzustehen haben sollte, sodass eine Zurechnung der Taten der Angestellten hier ihre Berechtigung hätte.18 Insgesamt wäre an dieser Stelle jedoch eine gänzlich undifferenzierte Betrachtung und Zurechnung wohl weder angemessen noch zielführend, da Mitarbeiter häufig in ganz unterschiedlichem Ausmaß für den Verband tätig sind und daher dessen Verantwortung auch auf differenzierten Ebenen begründen können sollten. So wird ein gemeiner Unternehmensmitarbeiter in einem anderen Umfang für ein Unternehmen tätig (und trägt somit eine andere Verantwortung) als ein Vorstandsmitglied. Aus diesem Grund muss eine Unterscheidung zwischen Leitungspersonen und sonstigen Personen im Unternehmen erfolgen. In die Kategorie der Leitungspersonen, deren Handeln zugerechnet wird, könnten insbesondere die Mitglieder von vertretungsberechtigten Organen juristischer Personen, vertretungsberechtigte Gesellschafter einer rechtsfähigen Personengesellschaft als auch beispielsweise ein Generalbevollmächtigter und ein Prokurist mit leitender Stellung fallen, wie bei16

Dazu auch RegE.-Begr. S. 75; krit. bereits zu der Vorgängerversion des Referentenentwurfs an dieser Stelle, da auch diese keinen „Straftatenkatalog“ vorsah, sondern bereits dort sämtliche Straftatbestände als Verbandsstraftaten in Betracht kamen, Rübenstahl, ZWH 2019, 233 (237). 17 Vgl. § 2 Abs. 1 Nr. 3 VerSanG-E. Ein Beispiel und denkbarer praktischer Fall für die erste Variante wäre § 266a StGB, da den Verband (die juristische Person als Arbeitgeber) die Pflicht zur Abführung der Sozialversicherung trifft, ein Beispiel für die zweite Variante wäre § 299 Abs. 2 StGB, wenn ein leitender Mitarbeiter des Verbandes einen Mitarbeiter eines anderen Verbandes aktiv besticht. 18 Zum ganzen Problemkreis Henssler/Hoven/Kubiciel/Weigend, NZWiSt 2018, 1 (8 f.).

C. Kombinationsmodell

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spielsweise in § 2 Abs. 1 Nr. 2 VerSanG-E vorgesehen. Aber auch weitere Personen, die eine Leitungsfunktion tatsächlich ausüben, ohne formell dazu bestellt zu sein, könnten zu diesem Kreis zählen (denkbar wäre dies bei der Überwachung der Geschäftsführung oder Ausübung sonstiger Kontrollbefugnisse in Leitungsposition) vgl. § 2 Abs. 1 Nr. 2 lit. e) VerSanG-E.19 Insgesamt fällt auf, dass § 2 Abs. 1 Nr. 2 VerSanG-E bei der Bestimmung der Leitungspersonen den identischen Maßstab wie § 30 OWiG anlegt, was vorliegend überzeugt. Zu den sonstigen Personen könnten alle weiteren Personen zählen, die im Rahmen ihres Arbeits-, Dienst-, Überlassungs- oder Ausbildungsvertrages Leistungen für den Verband erbringen und eine Verbandstat begehen. § 3 Abs. 1 Nr. 2 VerSanG-E sieht diesbezüglich vom Wortlaut ausgehend keine Beschränkung des Personenkreises vor, sondern stellt auf die Tätigkeit (Wahrnehmung der Angelegenheiten des Verbandes) ab. 3. Verantwortungsauslösendes Verhalten Die grundlegende Differenzierung müsste sich für die Verhaltensanforderungen, welche zu einer Verbandshaftung führen können, konsequenterweise fortsetzen und durch eine Kombination von Zurechnung und Aufsichtspflichtverletzung in Gesetzesform gegossen werden. Hinsichtlich einer Leitungsperson müsste „die Begehung einer Straftat in Wahrnehmung der Angelegenheiten des Verbandes“ zur strafrechtlichen Verantwortlichkeit führen, um sie dem Verband zuzurechnen. Das kann jedoch nicht unbeschränkt gelten, da durchaus auch Fälle denkbar sind, in denen sich eine Leitungsperson über die Anordnung der Geschäftsleitung (unabhängig von welchen Motiven geprägt) hinwegsetzt. In solchen Fällen (den sogenannten Exzesstaten) sollte von einer Sanktionierung des Verbandes abgesehen werden können, wenn eine Leitungsperson die ausdrückliche Anweisung der Geschäftsleitung missachtet und dabei organisatorische Vorkehrungen umgeht, die dazu eingesetzt wurden, derartige Straftaten zu verhindern (beispielsweise Compliance-Management-Systeme).20 Unterschiede ergeben sich, wenn es um einen Mitarbeiter des Verbandes geht, der keine Leitungsperson ist („Sonstige Personen“) und der eine Straftat begeht, da die Anwendbarkeit eines bloßen Zurechnungsmodells die Haftung des Verbandes zu sehr und unangemessen extensivieren würde. Hier wäre eine zusätzliche haftungsbegründende Komponente eines Aufsichtspflichtsverletzungsmodells, ähnlich ausgestaltet wie in § 130 OWiG, daher sowohl erforderlich als auch am überzeugendsten: So sollten Straftaten der Mitarbeiter (Angestellten) dem Verband nur zugerechnet werden und demnach als Indiz für eine Verbandsschuld herangezogen werden, wenn die Organe/Leitungspersonen die Aufsichtspflicht nicht gehörig ausgeübt haben (bzw. wenn angemessene Vorkehrungen zur Vermeidung von Ver19 20

Auf diese faktische Betrachtungsweise wird in RegE.-Begr. S. 74 explizit hingewiesen. So bereits im Ansatz für das geltende Recht Sieber, FS Tiedemann, S. 449 (473).

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5. Kap.: Materielles Verbandssanktionenrecht de lege ferenda

bandstaten die Tat hätten verhindern oder wesentlich erschweren können, vgl. auch § 3 Abs. 1 Nr. 2 VerSanG-E), ergo ein diesbezügliches Unterlassen vorliegt. Welche dieser beiden Komponenten (Mitarbeiterstraftat und Aufsichtspflichtverletzung) als Tathandlung und welche nur als zusätzliches Haftungskorrektiv verstanden wird, ist unterschiedlich konstruierbar: Während bei § 130 OWiG die Aufsichtspflichtverletzung21 Tathandlung und die Straftat nur objektive Bedingung der Bebußbarkeit ist, knüpft jedenfalls der Wortlaut des § 3 Abs. 1 Nr. 2 VerSanG-E an die Begehung der Verbandstat an und formuliert die Aufsichtspflichtverletzung als zusätzliches Korrektiv.22

II. Gründe für einen Ausschluss der Sanktionierbarkeit Daneben müsste vom Gesetzgeber ebenso festgehalten werden, wann es zu einem Verantwortungsausschluss des Verbandes trotz des Vorliegens einer Straftat kommen kann. Wie bereits oben erwähnt, sollte dies jedenfalls in den Fällen der sogenannten Exzesstaten23 möglich sein, in denen sich eine Leitungsperson über die konkreten und ausführlichen Anweisungen der Geschäftsleitung hinwegsetzt und Maßnahmen umgeht oder überwindet, die derartige Straftaten abhalten sollen, wie zum Beispiel implementierte Compliance-Programme.24 Daneben muss ein Verantwortungsausschluss des Verbandes ebenso im Rahmen des Möglichen liegen, wenn der Verband ausreichende Aufsichtsmaßnahmen bei Straftaten durch Mitarbeiter vorgenommen hat. Hinsichtlich eines weitergehenden Ausschlusses der Haftung des Verbandes wird diese im Rahmen der spezifischen Thematiken des jeweiligen Abschnitts erörtert.

D. Sanktionen und Anwendbarkeit In Bezug auf die Sanktionen sollte unbedingt der spezialpräventive Charakter25 als primäres Ziel im Vordergrund stehen. Darüber hinaus könnten vorrangig Geldsanktionen verhängt werden.26 21 Siehe zum Inhalt der Aufsichtspflichtverletzung bzw. zu § 130 OWiG allgemein bereits oben S. 88. 22 Für dieses Verständnis spricht auch, dass nach RegE.-Begr. S. 79 das Unterlassen der Aufsicht nicht vorsätzlich oder fahrlässig erfolgen muss. Siehe dazu aber BR-Drs. 440/20 S. 3 f., die empfiehlt, den Regierungsentwurf an dieser Stelle im Gesetzeswortlaut um den Passus „(…) wenn durch eine Leitungsperson des Verbandes vorsätzlich oder fahrlässig angemessene Vorkehrungen (…) unterlassen worden sind.“ zu ergänzen. 23 Zu der Berücksichtigung von Exzesstaten in dieser Hinsicht vgl. RegE.-Begr. S. 78 m.w.N. 24 Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht AT, S. 165. 25 Siehe dazu auch grundlegend Kett-Straub/Kudlich, Sanktionenrecht, S. 14 ff.

D. Sanktionen und Anwendbarkeit

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I. Rahmen der möglichen Geldsanktionen Bei der Höhe möglicher Geldsanktionen ist es grundsätzlich verständlich, an die unterschiedliche wirtschaftliche Potenz der verschiedenen Verbände anzuknüpfen und gerade keine starre Obergrenze vorzuehen. Außerdem sollte auch in Zukunft keine schematische Koppelung an die Anlasstat erfolgen, und es sollte keine Regressmöglichkeit des Individualtäters geben. Wird keine Regressmöglichkeit zugesagt, sinkt zumindest das Risiko, dass ein Mitarbeiter sich auf Druck des Verbandes bereit erklärt, „strategisch“ die Verantwortung deshalb auf sich zu nehmen, weil er hinsichtlich der Sanktionen zumindest finanziell entschädigt werden kann. Grundsätzlich beträgt der Sanktionsrahmen im VerSanG-E bei vorsätzlichen Verbandstaten 1000 E bis 10 Mio. E bzw. bei fahrlässigen Taten 500 E bis 5 Mio. E (§ 9 Abs. 1 VerSanG-E). Bei großen Verbänden aber, mit einem durchschnittlichen Jahresumsatz von mehr als 100 Mio. E, wird die Geldsanktion auch umsatzbezogen bemessen:27 Bei Vorsatztaten reicht der Rahmen von 10.000 E bis 10 % des durchschnittlichen Jahresumsatzes; bei fahrlässigen Taten von 5.000 E bis 5 % des Umsatzes (§ 9 Abs. 2 VerSanG-E). Kriterien für die konkrete Bemessung enthält § 15 VerSanG-E.28 Die vom VerSanG-E vorgesehene Obergrenze ist hier indes unverhältnismäßig hoch angesetzt, nicht nur aber jedenfalls auch, weil nicht nur internationale Globalunternehmen von einem künftigen Verbandssanktionenrecht erfasst sein werden, sondern ebenfalls mittelständische Unternehmen, bei denen eine derart hohe Ansetzung der Obergrenze durchaus die Existenz gefährden kann.29 Zwar könnte man anführen, dass es sich „nur“ um die Obergrenze der Sanktion handelt, jedoch bedeutet die Festlegung dieser unverhältnismäßigen Obergrenze letztlich dennoch die Gefahr für Unternehmen ernsthaft existenzbedrohend zu sein. Vor allem deshalb sollten die Regelungen zum Sanktionsrahmen in ihrer derzeitigen Fassung nicht Gesetz werden. Darüber hinaus ist die Anknüpfung an den Umsatz (und nicht an den Gewinn) nicht überzeugend, da die Margen hier in Abhängigkeit von der Branche höchst unterschiedlich sind, so dass eine sehr ungleichmäßige Belastung droht.

II. Verwarnung mit Verbandsgeldsanktionsvorbehalt Darüber hinaus sollte, um das Ziel der Spezialprävention zu unterstreichen, die Möglichkeit bestehen, Sanktionen zur Bewährung auszusetzen und diese mit Auf26 So auch § 8 Nr. 1 VerSanG-E sowie RegE.-Begr. S. 57, 84. Als weitere Sanktion sehen § 8 Nr. 2 VerSanG-E, § 10 VerSanG-E die Verwarnung mit Verbandsgeldsanktionsvorbehalt vor. 27 Krit. und ausführlich zum Sanktionsrahmen Rübenstahl, ZWH 2019, 233 (238 ff.). 28 Siehe dazu Rübenstahl, ZWH 2019, 233 (241). 29 Siehe ausführlich zur Kritik Knauer, NStZ 2020, 441 (443 f.); grundlegend zum Ganzen auch Rübenstahl, ZWH 2019, 233 (238 ff.).

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5. Kap.: Materielles Verbandssanktionenrecht de lege ferenda

lagen und Weisungen, wie zum Beispiel einem „Monitoring“ (so insbesondere auch vorgesehen in § 5 Abs. 4 Kölner Entwurf, nach dem ein unabhängiger Monitor für die Dauer der Bewährung vom Gericht bestellt werden soll, der die Erfüllung der Auflagen überwacht) oder mit „Audits“ zu verbinden.30 Eben jener Gedanke hat in §§ 10 – 13 VerSanG-E mit den Regelungen zur „Verwarnung mit Verbandsgeldsanktionsvorbehalt“ Umsetzung erfahren, weshalb ein genauerer Blick auf diese Regelungen lohnenswert ist.31 Ganz grundsätzlich gilt und wird in § 10 VerSanG-E festgehalten, dass der Verband unter bestimmten Voraussetzungen nur vom Gericht verwarnt werden kann und die Verhängung einer Verbandsgeldsanktion vorbehalten werden kann. Dies kann für den Verband einen durchaus günstigen Fall der Sanktionierung darstellen, der erstrebenswert sein kann. Die Begründung des Regierungsentwurfs verweist hier auf die sinngemäße Anwendung der Grundsätze zu § 59 StGB (Voraussetzungen der Verwarnung mit Strafvorbehalt) und auf eine mögliche Berücksichtigung von Compliance-Maßnahmen.32 § 10 Absatz 1 Nr. 1 VerSanG-E enthält einen Zukunftsbezug dergestalt, dass die Verwarnung ausreichend sein muss, in Zukunft Verbandstaten zu vermeiden. Hierzu wird in der Begründung ausgeführt, dass dies insbesondere dann bejaht werden kann, wenn es sich bei der Verbandstat um einen Einzelfall handeln würde, der Verband diesbezüglich Präventionsmaßnahmen (hier wird im Besonderen auf ComplianceMaßnahmen und die Wiedergutmachung des Schadens rekurriert) ergreift oder sogar bereits ergriffen hat und das Verfahren nicht nach §§ 35 ff. VerSanG-E eingestellt werden kann.33 Absatz 1 Nr. 2 besagt, dass besondere Umstände vorliegen müssen, die die Verhängung der Verbandsgeldsanktion entbehrlich werden lassen und als letzte Voraussetzung nennt Absatz 1 Nr. 3, dass die Verteidigung der Rechtsordnung die Verhängung der Verbandssanktion nicht gebietet. Insgesamt ist zu konstatieren, dass die Verwarnung mit Verbandsgeldsanktionsvorbehalt für besonders leichte Verbandsverfehlungen in Betracht kommen soll und gerade keine Anwendung bei schwerwiegenden Verfehlungen erfolgen soll, ergo also zum Zuge kommen kann, „wenn sich der Sachverhalt von den Durchschnittsfällen deutlich nach unten abhebt“.34 Um die Sanktion nicht uferlos werden zu lassen, sieht Absatz 2 zeitliche Grenzen vor, sodass die Vorbehaltszeit mindestens ein Jahr, aber nicht mehr als fünf Jahre betragen darf und vom Gericht nach Ermessen festgesetzt werden kann, wenngleich anzumerken ist, dass nach Absatz 3 S. 2 die Vorbehaltszeit gegebenenfalls auch nachträglich verkürzt oder verlängert werden

30

Vgl. zum Monitoring und zu Audits und weiteren Maßnahmen insgesamt auch Momsen, ZIS 2011, 508 (509) m.w.N.; Auflagen und Weisungen sind für den Fall des Verbandsgeldsanktionsvorbehalts in §§ 12 und 13 VerSanG-E vorgesehen. 31 Vgl. auch Rübenstahl, ZWH 2019, 233 (242). 32 RegE.-Begr. S. 57, 86 f. 33 RegE.-Begr. S. 87. 34 RegE.-Begr. S. 87.

D. Sanktionen und Anwendbarkeit

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kann. Es besteht gemäß Absatz 4 die Option, dass die Verwarnung mit Auflagen und Weisungen (vorgesehen in § 12 und § 13 VerSanG-E) verbunden wird.35 Zur Beendigung des Vorbehaltes sieht der Entwurf in § 10 Abs. 5 und 7 VerSanGE unterschiedliche Varianten vor. So kann der Verband zur Verbandsgeldsanktion verurteilt werden, wenn in der Vorbehaltszeit weitere Verbandstaten zu verzeichnen sind und die an den Verband gestellte Erwartung sich somit nicht erfüllt (Nr. 1) oder der Verband gegen Auflagen/Weisungen gröblich oder beharrlich verstößt (Nr. 2). Ist es allerdings trotz der vorgenannten Gründe ausreichend, weitere Weisungen und Auflagen zu verhängen oder die Vorbehaltszeit zu verlängern, muss das Gericht zwingend von einer Verurteilung des Verbandes absehen (Satz 2).36 Verurteilt das Gericht den Verband hingegen nicht zu der vorbehaltenen Verbandsgeldsanktion, wird nach Ablauf der Vorbehaltszeit festgestellt, dass es mit der Verwarnung des Verbandes sein Bewenden hat (Absatz 7).37 Nachdem die wesentlichen Grundzüge der Verwarnung mit Verbandsgeldsanktionsvorbehalt erläutert wurden, soll des Weiteren überblicksartig auf die in diesem Zusammenhang möglichen Auflagen und Weisungen (§ 12 und § 13 VerSanG-E) Bezug genommen werden. Als Auflagen sieht § 12 Abs. 1 VerSanG-E zum einen die Wiedergutmachung des Schadens und zum anderen die Zahlung eines Geldbetrags zugunsten der Staatskasse vor, wenngleich die Wiedergutmachung des Schadens vorrangig zur Geldzahlung an die Staatskasse ist (Abs. 2 S. 2).38 Das Gericht hat die Option, dem Verband Weisungen nach § 13 VerSanG-E zu erteilen. Dies geschieht für die Dauer der oben erwähnten Vorbehaltszeit, wenn Weisungen erforderlich und geeignet sind, um weitere Verbandstaten zu verhindern.39 Ausweislich der Begründung wird dem Gericht hierbei ein extensives Ermessen zugestanden.40 An dieser Stelle können Compliance-Maßnahmen des Unternehmens relevant werden, da das Gericht den Verband anweisen kann, „bestimmte Vorkehrungen zur zukünftigen Vermeidung von Verbandstaten zu treffen“.41 Dabei kann das Gericht zur Überprüfung bestimmen, dass das Unternehmen diese Vorkehrungen durch einen Monitor – im untechnischen Sinne – (in der Entwurfsbe35 Vorbildfunktion entfaltet hier gemäß RegE.-Begr. S. 88 die Regelung des §§ 56b und 56c StGB. 36 Vgl. RegE.-Begr. S. 88 nach der sich diese Regelung insgesamt an §§ 59b und 56f StGB orientiert. 37 Gemäß § 11 VerSanG-E besteht ebenfalls die Möglichkeit des Vorbehalts nur eines Teils der Verbandsgeldsanktion. 38 Siehe RegE.-Begr. S. 89, die darüber hinaus darauf hinweist, dass die Regelung des § 12 VerSanG-E sich in weiten Teilen an § 56b Abs. 2 StGB sowie § 56a Abs. 2 Nr. 1 und 4 StGB orientiert und die Grundsätze dieser Normen auf das Verbandssanktionenrecht übertragen werden können. 39 So RegE.-Begr. S. 89. 40 RegE.-Begr. S. 89. 41 RegE.-Begr. S. 89.

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5. Kap.: Materielles Verbandssanktionenrecht de lege ferenda

gründung als „sachkundige Stelle“42 bezeichnet) in Form einer Bescheinigung (Gutachten) nachweist. Die Modalitäten, wie zum Beispiel Häufigkeit und den Umfang, kann das Gericht ebenfalls festlegen. Allerdings bleibt es dem Verband überlassen, die „sachkundige Stelle“ selbst auszuwählen, wenngleich das Gericht dieser Auswahl zustimmen muss.43 Die Integrität des Verbandes wird dabei dadurch geschützt, dass die erteilten Weisungen keinen unzumutbaren Eingriff in die Angelegenheiten des Verbandes darstellen dürfen (Abs. 3). Vermissen lässt die Begründung des Regierungsentwurfs an dieser Stelle Anhaltspunkte oder Kriterien, wann ein solch unzumutbarer Eingriff vorliegt. Hier besteht daher Präzisierungsbedarf.

III. Verbandsauflösung Darüber hinaus sah der frühere Entwurf des VerSanG-E eine Verbandsauflösung als Sanktion unter den Voraussetzungen des § 14 VerSanG-E (a.F.) vor. Es ist zu begrüßen, dass der jetzige Regierungsentwurf von einer derart drakonischen und resozialisierungsfeindlichen Folge abgesehen hat, die jedenfalls in Anbetracht der Ausrichtung des Verbandssanktionenrechts als spezialpräventives Instrument nicht überzeugen konnte.44 Die Verbandsauflösung würde dem erklärten Ziel des Verbandssanktionenrechts ausschließlich zuwiderlaufen, statt es zu protegieren.

IV. Vermögensabschöpfung Natürlich ist auch in einem Verbandssanktionenrecht die Vermögensabschöpfung ein wichtiger Gesichtspunkt. Wie bedeutsam diese Frage gerade bei der Sanktionierung juristischer Personen ist, wird etwa bei den Verbandsgeldbußen deutlich, bei denen der Abschöpfungsteil den Sanktionsteil häufig weit übersteigt. In einem an das Strafrecht angenäherten Verbandssanktionenrecht erscheint es vorzugswürdig, ebenso wie im Individualstrafrecht, zwischen Sanktion und Abschöpfungsmaßnahme streng zu unterscheiden. Entsprechend sieht auch der VerSanG-E nicht vor, dass bei der Bemessung der Verbandsgeldsanktion bereits Abschöpfungsanteile berücksichtigt werden; vielmehr ähneln die dort genannten Kriterien systematisch denjenigen des § 46 StGB für Individualtaten. Konsequenterweise erfolgt die Vermögensabschöpfung nach der Entwurfsbegründung nach den allgemeinen Vorschriften der §§ 73 ff. StGB.45 42 RegE.-Begr. S. 89, die als Beispiele hierfür Wirtschaftsprüfer, Rechtsanwälte und Unternehmensberatungen nennt. 43 RegE.-Begr. S. 89 f. 44 So auch Rübenstahl, ZWH 2019, 233 (243). 45 RegE.-Begr. S. 57, 92 f.

D. Sanktionen und Anwendbarkeit

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V. Anwendbarkeit des Verbandssanktionenrechts Darüber hinaus muss ebenfalls als gesetzlicher Grundpfeiler ins Zentrum rücken und festgelegt werden, wann deutsches (Verbands-)Sanktionenrecht überhaupt zur Anwendung kommt bzw. wann sich das deutsche (Verbands-)Sanktionenrecht kümmern müsste. Bezüglich der Anwendung bestehen mehrere denkbare Anknüpfungspunkte. 1. Ausgangspunkt Maßgeblich könnte zum einen der Begehungsort der verbandsbezogenen Tat bzw. das Unterlassen der Aufsichtsmaßnahme sein. Relativ eindeutig wäre die Fallgestaltung, wenn der Begehungsort der Anknüpfungstat in Deutschland liegt. Hier sollte das Verbandssanktionenrecht dann sowohl Anwendung finden, wenn es sich dabei um eine Straftat eines deutschen Unternehmens in Deutschland als auch eines ausländischen Unternehmens, in welchem Straftaten in Deutschland begangen werden handelt. Das folgt daraus, dass für die Eröffnung des Anwendungsbereichs eben ausschließlich Deutschland als Begehungsort gegeben sein muss. Wesentlich schwieriger könnte der Fall (in Anwendung der Variante mit dem Anknüpfungspunkt des Begehungsortes) liegen, wenn die Tat von bzw. in einem deutschen Unternehmen im Ausland begangen wird. Wird als maßgebliches Kriterium der Begründung für die Anwendung des Verbandssanktionenrechts nur der Begehungsort der Tat herangezogen, wäre zu bedenken, dass beispielsweise Taten deutscher Unternehmen im Ausland jedenfalls nicht unter deutsches Verbandssanktionenrecht fallen würden und danach nicht bzw. jedenfalls nicht nach deutschem Verbandssanktionenrecht sanktioniert werden könnten. Anders wäre die Lage aber zu beurteilen, wenn die eine Verbandshaftung begründende Aufsichtspflichtverletzung in Deutschland stattgefunden hat, da nach dem Anknüpfungspunkt des Begehungsortes (für die Tat, welche die Verbandshaftung auslöst) ebenfalls deutsches Verbandssanktionenrecht angewendet werden könnte, sodass auch dadurch eine Haftung des Verbandes ausgelöst werden könnte. Auf eine Lösung zu diesem Problem wird im Folgenden im Rahmen des § 9 Abs. 2 S. 2 StGB noch näher einzugehen sein. Daneben sollten, um keine Strafbarkeitslücken entstehen zu lassen, ebenfalls §§ 5, 6 StGB46 anwendbar sein. Dies meint im Spezifischen, dass, sofern die haftungsauslösende Tat für die Verbandsstrafbarkeit eine Tat nach § 5 oder § 6 StGB ist, deutsches Verbandssanktionenrecht anwendbar sein müsste.

46 Siehe zum Anwendungsbereich dieser Vorschriften de lege lata grundlegend BeckOK StGB/Heintschel-Heinegg, StGB § 5 und § 6, passim; Lackner/Kühl/Heger, StGB § 5 und § 6, passim; Schönke/Schröder/Eser/Weißer, StGB, § 5 und § 6, passim.

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5. Kap.: Materielles Verbandssanktionenrecht de lege ferenda

2. Regelung im VerSanG-E Im Ergebnis einen ähnlichen Weg beschreitet auch § 2 Abs. 2 VerSanG-E: Er geht unausgesprochen (argumentum e contrario) in § 2 Abs. 2 VerSanG-E von einer Anwendbarkeit immer dann aus, wenn nach allgemeinen Regeln deutsches Strafrecht auf die Anlasstat anwendbar ist.47 Darüber hinaus soll eine Verbandstat gemäß Abs. 2 aber auch bei Auslandstaten vorliegen, wenn die Tat nach deutschem Strafrecht eine Straftat wäre, am Tatort mit Strafe bedroht ist (oder der Tatort keiner Strafgewalt unterliegt) und der Verband zur Zeit der Tat seinen Sitz (Verwaltungsund/oder Satzungssitz48) im Inland hat. 3. Sonderregelung des § 9 Abs. 2 S. 2 StGB Ein weiterer, zu klärender Punkt im Rahmen des Strafanwendungsrechts wäre, ob § 9 Abs. 2 S. 2 StGB ebenfalls anwendbar sein sollte. Übertragen auf ein Verbandssanktionenrecht will dieser Gedanke zu der Überlegung anregen, ob ein ausreichender Bezug zur Auslandstat gegeben sein könnte, um die Strafbarkeit einer Teilnahme nach § 9 Abs. 2 S. 2 StGB in einem Verbandssanktionenrecht ebenfalls annehmen zu können. Diese Fallgestaltung dürfte gerade bei grenzüberschreitenden Sachverhalten im Zusammenhang mit Unternehmen eine deutlich übergeordnete Rolle spielen. So wäre zu fragen, ob beispielsweise eine Aufsichtspflichtverletzung, die in Deutschland grundsätzlich als strafbare Teilnahme zu einer Tat im Ausland (beispielsweise Angestelltenbestechung) begangen würde, welche im Ausland aber nicht strafbar wäre, eine Verbandshaftung nach deutschem Verbandssanktionenrecht auslösen können sollte. Das sollte im Ergebnis bejaht werden und eine entsprechende Anwendung des § 9 Abs. 2 S. 2 StGB (oder die Schaffung eines Pendants) im Verbandssanktionenrecht vorgesehen werden. Zwar ist zuzugestehen, dass § 9 Abs. 2 S. 2 StGB durchaus teilweise kritisch bewertet wird, da deutsches Strafrecht mittelbar Einfluss auf Auslandssachverhalte nimmt, die nach dem Recht des Tatorts gerade nicht strafbar sind. So sieht etwa Ambos in der Vorschrift eine „Regelung über die strafbare Teilnahme an ausländischen Haupttaten, mit der der Grundsatz der (limitierten) Akzessorietät und der identischen Tatortnorm (…) durchbrochen wird“ und deren „konsequente Anwendung (…) zu einer erheblichen Erweiterung der Strafbarkeit auf jegliche Teilnahmehandlungen im Inland, unabhängig von der Strafbarkeit der ausländischen Haupttat und der Staatsangehörigkeit des Teilnehmers“ führe. Dies sei

47 Krit. zu dieser Regelung des räumlichen Anwendungsbereichs Rübenstahl, ZWH 2019, 233 (235). 48 Vgl. RegE.-Begr. S. 76.

D. Sanktionen und Anwendbarkeit

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„eine mit dem Nichteinmischungsgrundsatz kaum vereinbare Ausdehnung der deutschen Strafgewalt“.49 Indes soll nicht nur von der gesetzlichen Grundwertung, welche die Vorschrift nun einmal kennt, ausgegangen werden, sondern bei der Frage nach einer Verbandssanktion stellt sich die Situation ohnehin etwas anders dar. Denn das Handeln im Ausland, das zum Anknüpfungspunkt einer Verbandssanktion werden könnte, wird regelmäßig im Interesse der inländischen juristischen Person liegen und oft sogar von dieser initiiert worden sein. Hier greift das Argument der Rechtstreue, da es hinsichtlich des Rechtsempfindens kontraintuitiv wäre, eine Verbandshaftung in derart gelagerten Fällen abzulehnen, wenn zum Beispiel ein Mitarbeiter, der (von Deutschland aus) die Aufsicht und Überwachung eines Sektors innehat, in dem Straftaten (nach deutschem, aber nicht nach dem spezifischen ausländischen Recht) im Ausland (im selbigen Unternehmen) begangen werden. In einem solchen Fall ist eine (entsprechende) Anwendung des § 9 Abs. 2 S. 2 StGB erforderlich, um kein Einfallstor für Missbräuche und Kriminalität in den Unternehmen durch eine Lücke in diesem Gebiet zu schaffen. In puncto Missbrauch verfängt sodann ein weiteres Argument, was ausdrücklich für die Anwendung der Regelung des § 9 Abs. 2 S. 2 StGB spricht. Würde die Regelung keine Anwendung finden, bestünde für Unternehmen die Möglichkeit, diese Strafbarkeitslücke planvoll und gezielt auszunutzen, um Straftaten zu begehen und für diese nicht (jedenfalls nicht nach deutschem Verbandssanktionenrecht) sanktioniert zu werden. Unbillige Härten, die sich beim gerade für Verbände wichtigen wirtschaftlichen Handeln ergeben könnten, können über eine restriktive Auslegung des § 9 Abs. 2 S. 2 StGB i.V.m. verwaltungsakzessorischen Tatbeständen abgemildert werden, wenn insoweit etwa auf Genehmigungen nach ausländischem Verwaltungsrecht abgestellt wird.50 Insgesamt ist somit festzuhalten, dass der Anwendungsbereich des deutschen Verbandssanktionenrechts vom Begehungsort der Straftat, welche als Anknüpfungstat begangen wurde, abhängig sein sollte bzw. durch diese eröffnet wird, wobei eine entsprechende Anwendung der § 5 und § 6 StGB vorzugswürdig wäre. Darüber hinaus sollte, damit keine Strafbarkeitslücken entstehen, die nebst der negativen Eigenschaft als Lücke auch ein hohes Missbrauchspotential bergen, ebenfalls Art. 9 Abs. 2 S. 2 StGB entsprechend (oder durch ein verbandssanktionenrechtliches Pendant) angewendet werden. Die Frage, ob für eine Verbandsverfehlung im Sinne von § 9 Abs. 1 StGB auf die Anknüpfungstat oder die Aufsichtspflichtverletzung abgestellt wird, ist daher bedeutungslos.

49 Vgl. MüKoStGB/Ambos, § 9 Rn. 39 f. Zur Kritik auch LK-StGB/Werle/Jeßberger, 12. Aufl. 2007, § 9 Rn. 52: „Es liegt auf der Hand, dass der Gesetzgeber (…) mit der Regelung des § 9 Abs. 2 Satz 2 teilweise übers Ziel hinausgeschossen ist.“ 50 Vgl. zu dieser noch wenig behandelten Frage etwa Cornils, Die Fremdrechtsanwendung im Strafrecht, 1978, S. 99 (Ausdruck des Respekts vor fremder Hoheitsgewalt).

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5. Kap.: Materielles Verbandssanktionenrecht de lege ferenda

E. Kritische Würdigung und Fazit Insgesamt bieten sich zur Ausgestaltung eines materiellen Verbandssanktionenrechts unterschiedliche Optionen an, wenngleich nicht alle gleich geeignet sind, die vorgeschlagene spezialpräventive Ausrichtung eines Verbandssanktionenrechts zu tragen. Als besonders vorzugswürdig wird das oben erläuterte Kombinationsmodell erachtet, welches sowohl Elemente eines Zurechnungs- als auch eines Aufsichtspflichtverletzungsmodells enthält, da es am „in sich stimmigsten“ umzusetzen ist und dadurch dazu geeignet, in der Praxis angemessene Ergebnisse zu erzielen, was auch in dem Regierungsentwurf zum VerSanG zum Ausdruck kommt, der ebenfalls ein solches Modell präferiert. Aus diesen Gründen wird der oben genannte Kombinationsansatz primär zur Erörterung der prozessualen Fragestellungen herangezogen und auf ein reines Zurechnungs- oder Aufsichtspflichtverletzungsmodell sowie spezifisch auf das Modell nach dem NRW-Entwurf bei der Bearbeitung nur hinsichtlich einzelner zu dem oben vorgestellten Kombinationsmodell unterschiedlicher Konsequenzen verwiesen. Bezüglich der Sanktionen ist zu vermerken, dass eine spezialpräventive Ausrichtung eines Verbandssanktionenrechts auch die dementsprechenden Sanktionen erfordert, welche in Betracht kommen, diese Zielvorstellung zu fördern. Begrüßenswert ist hierfür vor allem die im VerSanG-E vorgeschlagene Verwarnung mit Verbandsgeldsanktionsvorbehalt, die es dem Verband ermöglicht, hinsichtlich seiner zukünftigen Rechtstreue Wort zu halten und zu signalisieren, dass es sich bei der Verbandstat lediglich um einen Einzelfall, nicht aber um eine gängige (kriminelle) Wertekultur im Unternehmen handelt und bei entsprechender Überzeugung des Gerichts diesbezüglich und der Bewährung über einen bestimmten Zeitraum nicht weiter verfolgt zu werden. Förderlich, da anreizbietend, ist sicherlich, dass insbesondere Compliance-Bestrebungen, Schadenswiedergutmachungen sowie der Einsatz eines „Monitors“ eine nicht zu unterschätzende Rolle in diesem Vorgang einnehmen können. Für Unternehmen dürfte diese Art der Beendigung der strafrechtlichen Verfolgung auf der einen Seite einen besonderen Reiz haben, da die Berücksichtigung unterschiedlicher Aspekte und insbesondere von ComplianceProgrammen vorgesehen ist. Auf der anderen Seite wird dem Gericht durch die §§ 10 – 13 VerSanG-E ein sehr weiter Ermessensspielraum zuerkannt, wenngleich positiv zu bemerken ist, dass gerade nicht den Strafverfolgungsbehörden hier eine unverhältnismäßig hohe bzw. alleinige Machtstellung zukommt, sondern eine gerichtliche Überprüfung stattfindet. Darüber hinaus wird es die Unternehmen jedoch absehbar einiges an Anstrengungen, wie insbesondere Ressourcen, kosten, ihre Compliance-Systeme dergestalt anzupassen, dass sie den Voraussetzungen des VerSanG-E Genüge tun und daher zum Ziel der Verwarnung mit Verbandsgeldsanktionsvorbehalt führen. Vehement abzulehnen ist hingegen die in der Vorgängerversion des Referentenentwurfs in § 14 VerSanG-E (a.F.) vorgesehene Sanktion der Verbandsauflösung. Es mag freilich in ihrer Schwere nicht zu unterschätzende Fälle von Verbandskri-

E. Kritische Würdigung und Fazit

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minalität geben, jedoch darf die Ausrichtung der Spezialprävention auch in einem solchen Fall nicht aus dem Blick verloren werden. Eine derart drakonische und finale Sanktion ist in keiner Weise dazu geeignet, spezialpräventiv zu wirken und sollte auf keinen Fall in Gesetzesform gegossen werden.

6. Kapitel

Grundstruktur eines prozessualen Verbandssanktionenrechts de lege ferenda „Der Pessimist klagt über den Wind, der Optimist hofft, daß er dreht, der Realist richtet das Segel aus.“ William Ward

Nachdem mögliche Grundlagen eines künftigen Verbandssanktionenrechts auf der materiellen Ebene erörtert wurden, widmet sich der folgende Abschnitt zunächst der sich aufdrängenden Frage, ob und inwiefern die StPO in einem Verbandssanktionenrecht angewendet werden könnte. Danach folgt der erste Punkt einer möglichen Ausgestaltung des Prozessrechts, beginnend mit der Verfolgungspflicht/dem Verfolgungsermessen gegenüber Verbänden, und im Anschluss daran wird die Beschuldigtenstellung des Verbandes in unterschiedlichen Facetten näher beleuchtet. Darüber hinaus steht schwerpunktmäßig zur Diskussion, ob einem Verband das Recht der Selbstbelastungsfreiheit zukommen sollte.

A. Die Anwendung der StPO in einem künftigen Verbandssanktionsverfahren Bevor auf spezifische Detailfragen eines Verbandssanktionsverfahrens de lege ferenda eingegangen wird, ist zunächst zu klären, ob und, wenn ja, inwiefern die StPO in solchen Verfahren zur Anwendung kommen könnte bzw. welche unterschiedlichen Regelungsoptionen sich dem Gesetzgeber darbieten. Genauer gesagt meint dies, ob es für ein Verbandssanktionenrecht eine eigenständige Verfahrensordnung geben sollte oder die geltende StPO Anwendung findet. An dem Punkt ist eine erste Differenzierung vorzunehmen, da sich die StPO ausschließlich an natürliche Personen richtet. Daraus ist denknotwendigerweise zu schließen, dass bestimmte Modifikationen im Verbandssanktionenrecht auf jeden Fall notwendig wären. Da aber ein möglichst großer Gleichlauf zwischen Verbandssanktionen- und Individualstrafrecht vorzugswürdig wäre, könnte es sich für den Gesetzgeber anbieten, festzulegen, dass insbesondere die StPO grundsätzlich durch einen Generalverweis1 Anwendung findet (sofern die Normen kraft Natur der Sache auf Ver1 So zum Beispiel auch geregelt in § 385 Abs. 1 AO: „Für das Strafverfahren wegen Steuerstraftaten gelten, soweit die folgenden Vorschriften nichts anderes bestimmen, die all-

A. Anwendung der StPO in einem künftigen Verbandssanktionsverfahren

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bände anwendbar sind).2 Ergeben sich aber verbandsspezifische Besonderheiten, wäre es erforderlich, dass eine klare (eigenständige) Regelung anstelle der StPO gilt. Wird diese Option vom Gesetzgeber nicht präferiert und daher von einem Generalverweis auf die StPO Abstand genommen, sind freilich im Verfahrensrecht dann Sonderregelungen für Verbände zu schaffen. Wird insbesondere die (Prozess-)Ökonomie miteinbezogen, um einen vorzugswürdigen Weg auszumachen, wäre die Lösung über einen Generalverweis naheliegend, da der Gesetzgeber sonst ein völliges neues Verfahrensrecht in seiner Gänze schaffen müsste, was bei der Vielzahl der notwendigen unerlässlichen Regelungen eines solchen Werkes einen massiven Aufwand bedeuten dürfte. Darüber hinaus scheinen die Vorteile einer solchen Herangehensweise ungleich geringer, da eine größtmögliche Parallelität und Praktikabilität im Kontext zum Individualstrafverfahren nicht erreicht würde. Da die Entscheidung letztlich beim Gesetzgeber liegt, werden die Stellen, an denen die StPO oder eben eine Sonderregelung zur Verfahrensregelung notwendig wäre, in der folgenden Untersuchung bewusst „offen“ in beide Richtungen formuliert, wenngleich anzumerken ist, dass die Tendenz im VerSanG-E (§ 24 VerSanG-E, der unter anderem vorsieht, dass insbesondere die StPO und das GVG für das Verbandssanktionsverfahren entsprechend gelten) und somit letztlich wohl im kommenden Verbandssanktionenrecht den Weg Richtung Generalverweis einschlägt.3 Wichtig ist darüber hinaus, dass durch das Konzept einer dritten Spur sui generis (Verbandssanktionenrecht), welche für die vorliegende Untersuchung bevorzugt wird, der Weg eines Generalverweises auf die StPO nicht abgeschnitten wird. Das ergibt sich daraus, dass die Ermittlungssituation bei Verbänden (in einem Verbandssanktionenrecht de lege ferenda) vergleichbar mit der Situation eines Strafverfahrens ist, sodass sich die Geltung der StPO anbietet. Dafür spricht auch, dass bereits das Ordnungswidrigkeitenrecht de lege lata auf die StPO verweist bzw. sie für entsprechend anwendbar erklärt. Dies müsste für ein Verbandssanktionenrecht, welches dem originären Strafrecht näherstehen dürfte als das Ordnungswidrigkeitenrecht, dann erst recht gelten.

gemeinen Gesetze über das Strafverfahren, namentlich die Strafprozessordnung (…).“ Eine ähnliche Regelung, wie vorliegend in Variante 1 beschrieben, findet sich auch in § 13 Abs. 1 VerbStRGE: „Für das Strafverfahren gegen Verbände im Sinne dieses Gesetzes gelten die Vorschriften der allgemeinen Gesetze über das Strafverfahren, namentlich die Strafprozessordnung (…) sinngemäß, es sei denn, dass sie ausschließlich auf natürliche Personen angewendet werden können oder dieses Gesetz etwas anderes bestimmt.“ Diese Norm ist ausweislich der Gesetzesbegründung an § 14 Abs. 1 östVbVG angelehnt, Gesetzesbegründung, S. 65. Rekurriert man auf § 14 Abs. 1 östVbVG, wird hier normiert, dass die allgemeinen Vorschriften über das Strafverfahren auch für Strafverfahren gegen Unternehmen gelten, soweit die bestehenden Regeln ihrer Natur nach nicht nur auf natürliche Personen anwendbar sind und sich aus dem öst.VbVG nichts anderes ergibt. 2 So auch in § 24 Abs. 1 VerSanG-E sowie RegE.-Begr. S. 59, 108 f. 3 Krit. zu § 24 VerSanG-E BR-Drs. 440/20, S. 14 f.

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6. Kap.: Grundstruktur eines Verbandssanktionenrechts de lege ferenda

B. Die Verfolgungspflicht gegenüber Verbänden Grundlegend ist die Frage nach der Anwendung des Opportunitätsprinzips und/ oder des Legalitätsprinzips für die Zukunft der Verbandsverfehlungen zu stellen.4 Die Antwort darauf kann (muss aber nicht zwingend) davon abhängen, ob das Verbandssanktionenrecht in die Systematik des Kriminalstrafrechts oder in das Ordnungswidrigkeitenrecht eingegliedert wird oder sogar eine dritte Spur bzw. zweite Spur eines Kollektivstrafrechts5 neben den beiden existierenden darstellen könnte. Folglich ist zu klären, ob es für Verbandstaten eine Erforschungs- und Verfolgungspflicht der Strafverfolgungsbehörden geben soll.

I. Opportunitätsprinzip oder Legalitätsprinzip? Das Legalitätsprinzip ist eines der wesentlichen Grundprinzipien des deutschen Strafrechts. Die Hauptaufgabe dieses Prinzips liegt darin, die „Gleichmäßigkeit der Strafverfolgung ohne Ansehen der Person“ sicherzustellen.6 Gemäß § 152 Abs. 2 StPO, § 160 Abs. 1 StPO und § 170 Abs. 1 StPO kommt der Staatsanwaltschaft demzufolge die Pflicht zum Tätigwerden, zur Erforschung des Sachverhalts und (bei hinreichendem Tatverdacht) die Pflicht zur Erhebung der Anklage zu. Für die Einführung bzw. Geltung des Legalitätsprinzips auch im Verbandssanktionenrecht lässt sich anführen, dass gerade der derzeit im Ordnungswidrigkeitenrecht geltende weite Ermessensspielraum der Staatsanwaltschaft, welcher durch §§ 30, 47 OWiG eingeräumt wird, wohl (weiterhin) zu einer Nichtverfolgung von Verbänden führen würde. Die Praxisanwendung zeigt nämlich, dass die Staatsanwaltschaften hierzulande eher von der Verfolgung von Verbänden absehen, unter anderem, da sich derartige Verfahren in jeder Hinsicht als ressourcenintensiv erweisen, und daher lieber auf den Individualtäter zurückgreifen.7 Verstärkt wird dies zusätzlich dadurch, dass es sich meistens um hochkomplexe Sachverhalte sowohl in tatsächlicher als auch in rechtlicher Hinsicht handelt, deren Aufarbeitung von vielen Strafverfolgungsbehörden aufgrund von Unsicherheit gescheut werden dürfte. Das ließe sich für die zukünftige Anwendung des Legalitätsprinzips ins Feld führen. Weiterhin bestünde (und besteht derzeit für die Verhängung einer Geldbuße nach § 30 OWiG) bei der unreflektierten Anwendung des Opportunitätsprinzips die (jedenfalls theoretische) Gefahr, dass auch fiskalische Interessen bei der Frage der Einleitung eines Verfahrens und Anklageerhebung eine Rolle spielen könnten 4

Vgl. dazu zum Beispiel Ballo/Reischl, CP 2018, 189 (190 f.). Zur zweiten Spur des Kollektivstrafrechts schon Tiedemann, in: Schoch/Stoll/Tiedemann (Hrsg.), Freiburger Begegnung, S. 30 (54). 6 MüKoStPO/Peters, StPO § 152 Rn. 7. 7 Vgl. dazu empirische Ergebnisse zum Kölner Entwurf Henssler/Hoven/Kubiciel/Weigend, NZWiSt 2018, 1 (6). 5

B. Die Verfolgungspflicht gegenüber Verbänden

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(beispielsweise durch die Abschöpfung von Gewinnen eines Verbandes). Diesem Anschein sollte in einem künftigen Verbandssanktionenrecht bereits im Ursprung in jeder Hinsicht entgegenwirkt werden. Dies gilt vor allem deshalb, da negative Erfahrungswerte insbesondere aus den USA ein mahnendes Beispiel sind. Dort ist die Staatsanwaltschaft die mächtigste Instanz und kann aufgrund von enormen Zahlungssummen der Unternehmen wirtschaftslenkend (und beispielsweise fiskalische Interessen berücksichtigend) agieren. Bereits ein derartiges Verdachtsmoment, fiskalische Interessen bei der Verfolgung zu berücksichtigen, wäre indes fatal. Denn ein (im weiteren Sinne) strafrechtlicher Makel wiegt zudem viel schwerer als die Verhängung einer Geldbuße im Ordnungswidrigkeitenrecht, weshalb ein solcher Eindruck (fiskalische Interessen könnten von Belang sein) im Ordnungswidrigkeitenrecht wohl mit großen Bedenken hinnehmbar wäre, aber das hiesige Strafrecht (auch im weiteren Sinne) auf jeden Fall frei von solchem Anschein bleiben muss. Diesen Defiziten der Anwendung des Opportunitätsprinzips stehen Schwächen einer (hypothetischen) alleinigen Anwendung des Legalitätsprinzips gegenüber. So sprechen insbesondere und vorrangig Praktikabilitätserwägungen gegen eine starre Anwendung des Legalitätsprinzips für alle Verfahren, in denen der Verdacht einer Verbandstat gegeben ist, da die Gefahr eines enormen und letztlich nicht effektiven Verfahrensaufwandes besteht. Darüber hinaus ist auch an Fälle zu denken, in denen die Mitverantwortung eines Verbandes von Beginn an offensichtlich nur gering ist, während die Schuld eines Einzelnen dagegen gegeben ist oder ein Verband beispielsweise schon vor der Tat ein Compliance-System integriert hatte, aufgrund dessen nur noch ein mangelhaftes öffentliches Interesse an der Verfolgung besteht.8 Neben diesem grundlegenden praktischen Einwand kann überdies auch ein mangelndes öffentliches Interesse an der Strafverfolgung des Verbandes gegeben sein, wenn es zu einer Rechtsnachfolge, beispielsweise durch Übernahme oder Verschmelzung, gekommen ist, nachdem die haftungsauslösende Verbandstat begangen wurde. Auch für diesen Fall müsste festgelegt werden, ob und welcher Stellenwert Compliance-Programmen zukommt. Bereits in diesen einfachen Beispielkonstellationen kann die Anwendung eines starren Legalitätsprinzips (wie auch schon im Individualstrafrecht durch den Einfluss des Opportunitätsprinzips an verschiedenen Stellen deutlich zutage tritt) nicht überzeugen, weshalb erst recht davon auszugehen ist, dass in komplexeren Sachverhalten eines Verbandssanktionenrechts durch das Legalitätsprinzip (in alleiniger/ausschließlicher Anwendung) untragbare Ergebnisse hervorgerufen werden könnten. Deutlich wird darüber hinaus nach der vorangehenden Untersuchung noch ein weiterer Gesichtspunkt, der die Schwächen beider Prinzipien gewissermaßen umklammert: Eine der Hauptaufgaben des Verbandssanktionenrechts soll, wie eingangs erläutert, die Spezialprävention darstellen. Anerkanntes Ziel der Spezialprävention 8 Vgl. zu den Voraussetzungen für eine Einstellung des Verfahrens aufgrund von Compliance unten S. 521.

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6. Kap.: Grundstruktur eines Verbandssanktionenrechts de lege ferenda

für die Zukunft ist es, ein rechtskonformes Verhalten der Verbände sicherzustellen bzw. hervorzurufen. Kann dieses Ziel aber ohne Strafverfolgung erreicht werden, so bedarf es Letzterer (nicht nur, aber eben hauptsächlich wegen des Ultima-RatioGrundsatzes des Strafrechts) nicht. Aufgrund dieser Überlegungen scheint ein reines Legalitätsprinzip für ein Verbandssanktionenrecht nicht sinnvoll. Auf dieser abschließenden Basisüberlegung des Ultima-Ratio-Grundsatzes fußt auch der Gedanke, dass die bloße Anwendung eines Opportunitätsprinzips nicht ausreichen kann, sodass im Endeffekt keines der beiden Prinzipien für sich betrachtet der Materie eines deutschen Verbandssanktionenrechts zu genügen vermag.

II. Verfolgungspflicht von Verbänden in anderen Rechtsordnungen Nach der Bestandsaufnahme der Situation der Verfolgungspflicht in Deutschland de lege lata lohnt nun ein Blick über den Tellerrand hinaus auf den Kreis der anderen für die vorliegende Untersuchung ausgewählten Rechtsordnungen, welche (strafrechtliche) Sanktionen für Verbände in ihren Rechtssystemen vorsehen und sich demzufolge mit der Verfolgung von Verbänden, ihrem jeweiligen System entsprechend, bereits auseinandergesetzt haben. 1. USA a) Grundlagen Zunächst werden einige grundlegende Säulen des amerikanischen Strafverfahrens erläutert, um einen grob konturierten Überblick zu gewähren. In den USA soll ein Strafverfahren gegen ein Unternehmen in den Grundzügen wie ein Strafverfahren gegen eine natürliche Person geführt werden.9 Der Ablauf des Strafverfahrens beinhaltet deshalb in seinen Grundzügen folgende Punkte:10 1. Anklage (durch die Staatsanwaltschaft); 2. Gerichtliches Vorprüfungsverfahren; 3. Hauptverhandlung; 4. Schuldspruch; 5. Strafzumessung. Hinsichtlich der Strafverfolgung gliedert sich die Hierarchie bzw. die Zuständigkeit der Behörden wie folgt:11 Jeder „district court“ (Gericht 1. Instanz, für alle Strafverfahren, in denen Bundesrecht verletzt wurde) hat einen U.S. Attorney, der für einen bestimmten Bezirk zuständig ist. Ihm beigeordnet sind Assistant Attorneys. Die Staatsanwälte bilden eine eigene Abteilung des Department of Justice (Justizministerium).12 Diesem voran stehen hierarchisch strukturiert an erster Stelle der 9

Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen, S. 224. So bei Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen, S. 226. 11 Zum Ganzen Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen, S. 227 Fn. 20. 12 Behrens, RIW 2009, 22 (25) m.w.N. 10

B. Die Verfolgungspflicht gegenüber Verbänden

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U.S. Attorney General (Justizminister), an zweiter Stelle der Deputy Attorney General (stellvertretender Justizminister) und an dritter Stelle der Associate Attorney General (Stellvertreter).13 Bezüglich der Entscheidung darüber, ob eine Anklage erhoben wird, bleibt diese Befugnis der Staatsanwaltschaft, auf Bundesebene also dem U.S. Attorney, vorbehalten, auch wenn anfängliche Ermittlungen durch andere Behörden, wie regelmäßig zum Beispiel dem Federal Bureau of Investigation (FBI), durchgeführt werden.14 Hinsichtlich der Zusammenarbeit der Behörden bei einem potentiellen Verstoß gegen den FCPA ist anzumerken, dass diese insbesondere bei dem Topos der internen Ermittlungen besonders relevant wird.15 Bei der Anklageerhebung kommt der Staatsanwaltschaft dergestalt ein extensives Ermessen zu, ob sie tätig wird oder nicht, da in den USA das Opportunitätsprinzip für die Strafverfolgungsbehörden gilt. Der daraus resultierende Ermessensspielraum gewährt der Staatsanwaltschaft somit die Freiheit, keine Anklage erheben zu müssen, selbst wenn die Beweislage eindeutig dafür sprechen würde.16 Wird jedoch Anklage erhoben, erfolgt dieser Schritt zunächst bei einem sogenannten „district court“ (Gericht 1. Instanz).17 Sodann wird eine gerichtliche Vorprüfung eines Bundesrichters vorgenommen, ob die Beweislage ausreichend für eine Anklage ist.18 Trifft dies zu, wird das Hauptverfahren vom Richter zugelassen. Anderenfalls wird das Verfahren vom Gericht abgelehnt. Um eine möglichst gleichmäßige Anwendung des Ermessens/des Rechts sicherzustellen bzw. dem Ermessen der Staatsanwaltschaft Struktur zu verleihen, gibt es ein bestimmtes Vorgehen in den USA, welches im Folgenden, insbesondere hinsichtlich der Zusammenhänge, vereinfacht abgebildet wird: So erlässt das Department of Justice (Justizministerium; im folgenden DOJ) (intern) Richtlinien, das sogenannte „Justice Manual“ (JM; früher: U.S. Attorneys’ Manual (USAM)),19 die 13 Abrufbar unter https://www.justice.gov/jmd/organization-mission-and-functions-manualattorney-general zuletzt abgerufen am 09. 11. 2020. 14 Die vorliegende Untersuchung beschränkt sich, wie oben erwähnt, auf das Bundesrecht der USA; FCPA Resource Guide, S. 5. 15 FCPA Resource Guide, S. 5 f.; siehe auch unten S. 427. 16 Generell zur Rolle der Staatsanwaltschaft in den USA Chemerinsky/Levenson, Criminal Procedure, S. 2 ff., 8, die darauf hinweisen, dass es in 90 % der strafrechtlich relevanten Fälle in den USA nicht zu einer Verhandlung kommt. 17 Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen, S. 227 m.w.N.; Behrens, RIW 2009, 22 (25) m.w.N. 18 Zum Ganzen und insbesondere zu dem Aspekt, ob auch ein Unternehmen einen Anspruch in der Hinsicht haben kann, dass die Anklage durch eine grand-jury bestätigt wird, grundlegend Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen, S. 227 f. m.w.N. 19 Früher „U.S. Attorneys’ Manual“, das im Jahre 2018 in das Justice Manual (im Folgenden JM) umbenannt wurde. Abrufbar unter https://www.justice.gov/jm/justice-manual zuletzt abgerufen am 09. 11. 2020. Das U.S. Attorneys’ Manual (USAM) bzw. nunmehr das Justice Manual fungiert quasi als Handbuch der Staatsanwälte, beispielsweise bezüglich Verfahrensfragen und wird durch weitere Richtlinien ergänzt.

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6. Kap.: Grundstruktur eines Verbandssanktionenrechts de lege ferenda

regelmäßig überarbeitet werden.20 In dem JM sind neben allgemeinen Verfahrensfragen und Anweisungen auch Richtlinien zu besonderen Themen enthalten, wie beispielsweise in Chap. 9 – 28.000 JM die „Principles of Federal Prosecution of Business Organizations“ (Vorgaben für die Strafverfolgung von Unternehmen auf Bundesebene bzw. Abwägungskriterien zur Strafverfolgung).21 Wichtig ist hierbei, dass die Richtlinien grundsätzlich vom jeweiligen „U.S. Deputy Attorney General“ aktualisiert bzw. in der Hinsicht beeinflusst werden, dass dieser ein Memorandum verfasst, wie das Ermessen von der Staatsanwaltschaft bei einem potentiellen Verstoß gegen den FCPA ausgeübt werden soll. Die wichtigsten Punkte eines Memorandums werden in die „Principles of Federal Prosecution of Business Organizations“ und folglich in das JM übernommen.22 Wesentliches Charakteristikum der Richtlinien ist zudem, dass Unternehmen sich vor Gericht nicht darauf berufen können, dass diese einzuhalten sind (Chapter 9 – 27.150 Principles of Federal Prosecution, JM), ergo wird durch die Richtlinien kein Recht für Unternehmen dergestalt kreiert, dass ihnen ein Anspruch erwächst.23 Um eine ungefähre Vorstellung von der Entwicklung dieser Vorgaben für die Strafverfolgung von Unternehmen in den USA zu erhalten, wird die Linie der wesentlichsten Memoranden, die in der Vergangenheit und Gegenwart eine feste Größe darstell(t)en, anhand ihrer Eckpfeiler nachgezeichnet.24 b) Das Thompson-Memorandum Im Jahr 2003 wurde das Thompson-Memorandum (Principles of Federal Prosecution of Business Organizations) vom DOJ erlassen, welches auf den „Deputy Attorney General“ Larry D. Thompson zurückzuführen war und den Ansatz des vorherigen Holder-Memorandums bei der Strafverfolgung von Unternehmen weiterentwickelte.25 Hinsichtlich der Strafverfolgung von Unternehmen auf Bundesebene durch die Staatsanwaltschaft bei einem (potentiellen) Verstoß gegen den FCPA 20

So beispielsweise bei Emmenegger, AJP/PJA 8/2016, 1045 (1047). Abrufbar unter https://www.justice.gov/jm/jm-9-28000-principles-federal-prosecutionbusiness-organizations zuletzt abgerufen am 09. 11. 2020; FCPA Resource Guide, S. 52. 22 FCPA Resource Guide, S. 52 f.; vgl. dazu insbesondere Yates-Memorandum S. 3: „I have directed that certain criminal and civil provisions in the United States Attorney’s Manual, more specifically the Principles of Federal Prosecution of Business Organizations (…) be revised to reflect these changes.“ Abrufbar unter https://www.justice.gov/archives/dag/file/769036/down load zuletzt abgerufen am 09. 11. 2020; zum Ganzen auch Emmenegger, AJP/PJA 8/2016, 1045 (1047) m.w.N. 23 Siehe dazu auch bei Hoven/Weigend, ZStW 2018 (130), 213 (225). 24 Enge Zusammenhänge bestehen an dieser Stelle zu den internen Ermittlungen und der Compliance, welche im Folgenden aber nur am Rande erwähnt werden und in eigenen Abschnitten spezifisch erläutert werden. 25 Abrufbar unter https://www.americanbar.org/content/dam/aba/migrated/poladv/priorities/ privilegewaiver/2003jan20_privwaiv_dojthomp.authcheckdam.pdf zuletzt abgerufen am 09. 11. 2020. 21

B. Die Verfolgungspflicht gegenüber Verbänden

225

enthielt es neun Punkte, die bei der Frage, ob Anklage erhoben werden soll, ins Gewicht fallen sollten:26 1. Art und Schwere der Tat, 2. Umfang der Beteiligung von Personen im Unternehmen, 3. Vorstrafen, 4. Zeitnahe und freiwillige Offenbarung des Fehlverhaltens durch das Unternehmen selbst sowie Kooperationsbereitschaft (inklusive des Verzichts auf das AttorneyClient-Privilege und auf das Workproduct Privilege), 5. Effektivität bereits vorhandener Compliance-Programme, 6. Schadenswiedergutmachungsbemühungen, 7. Folgen der Tat, 8. Angemessenheit, der strafrechtlichen Verfolgung von Mitarbeitern des Unternehmens, 9. Angemessenheit anderer Verfolgungsmöglichkeiten. Hervorzuheben ist unter anderem der Punkt der Prüfung der Angemessenheit der Anklage eines Mitarbeiters und einer Anklage des Unternehmens, sodass diese Prüfung durch das Thompson-Memorandum zum Usus werden sollte.27 Eine weitere Innovation des Thompson-Memorandums war, dass bei der Entscheidung, ob die Strafverfolgung gegen ein Unternehmen betrieben wurde, berücksichtigt wurde, ob das Unternehmen ein Compliance-Programm implementiert hatte und ob dieses auch praktisch im Unternehmen gelebt wurde. Insbesondere das Thompson-Memorandum traf die Unternehmen in den USA vor allem in einem Punkt bei der Strafverfolgung in voller Härte und erntete deshalb scharfe Kritik: Nur wenn Unternehmen den Behörden in jener Ära alle Informationen, die zur Aufklärung des Sachverhaltes führten, im Rahmen einer Kooperation mit den Behörden offenbarten, selbst wenn diese eigentlich vom Schutz des Attorney-Client-Privilege erfasst waren, wurde dem Unternehmen eine ausreichende Kooperation bescheinigt, die unter Umständen eine Einstellung des Strafverfahrens

26 Abrufbar unter https://www.americanbar.org/content/dam/aba/migrated/poladv/priorities/ privilegewaiver/2003jan20_privwaiv_dojthomp.authcheckdam.pdf zuletzt abgerufen am 09. 11. 2020; grundlegend dazu Webb/Tarun/Molo, Corporate Internal Investigations, § 1.02 (3); siehe auch Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen, S. 234 Fn. 73; Partsch, The Foreign Corrupt Practices Act, S. 74. 27 „Charging a corporation, however, does not mean that individual directors, officers (…) should not also be charged. Prosecution of a corporation is not a substitute for the prosecution of criminal culpable individuals within or without the corporation.“ Abrufbar unter https://www. americanbar.org/content/dam/aba/migrated/poladv/priorities/privilegewaiver/2003jan20_priv waiv_dojthomp.authcheckdam.pdf zuletzt abgerufen am 09. 11. 2020.

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6. Kap.: Grundstruktur eines Verbandssanktionenrechts de lege ferenda

zur Folge haben konnte.28 Infolge der Kritik wurden die darauffolgenden Memoranda teilweise in dieser Voraussetzung abgemildert.29 c) Das Yates-Memorandum Im Laufe der Zeit wurden die Richtlinien somit immer wieder überarbeitet und hinsichtlich des gesellschaftspolitischen und wirtschaftlichen Wandels an die Bedürfnisse der jeweiligen Zeit angepasst. Eines der prägendsten Memoranden der Neuzeit ist sicherlich das „Yates-Memorandum“ aus dem Jahre 2015 mit dem vielsagenden Titel „Individual Accountability for Corporate Wrongdoing“, welches auf „U.S. Deputy Attorney General“ Sally Quillian Yates zurückgeht.30 Das YatesMemorandum stellte in der Hinsicht ein Novum dar, dass es den Fokus wieder viel stärker auf die strafrechtliche Verfolgung der natürlichen Person als Straftäter im Unternehmen bzw. von Unternehmensstraftaten lenkte als auf die juristische Person.31 Was bereits durch die Überschrift des Memorandums angedeutet wurde, wurde über die dort genannten wesentlichen Punkte in Stein gemeißelt. So wurde als einer der zentralen Aspekte festgehalten, dass Unternehmen bei jedweder Anstrebung einer Form der Kooperation (für einen sogenannten „cooperation credit“) mit den Behörden, die sich begünstigend auswirken kann, dem DOJ alle relevanten Fakten bezüglich der Verantwortlichkeit aller natürlichen Personen, die für das unternehmerische Fehlverhalten verantwortlich sind, lückenlos zur Verfügung stellen müssen, da eine Kooperation anderenfalls in keiner Form in Frage käme.32 Äußerst relevant wird diese Kooperationsfrage für Unternehmen vor allem im Hinblick auf den potentiellen Abschluss eines Non Prosecution Agreement (im Folgenden NPA) oder eines Deferred Prosecution Agreement (im Folgenden DPA), da diese die oben konkretisierte vollständige Kooperationsbereitschaft der Unternehmen erfordern, eine Mindestanforderung darstellen und anderenfalls den Unternehmen verwehrt bleiben.33 Problematisch ist hieran vor allem, dass es Unternehmen schwerfallen dürfte, lückenlos alle Beteiligten zu nennen bzw. ausfindig zu machen, da die Strukturen bei 28

Siehe dazu auch Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen, S. 239 m.w.N. Zu den folgenden Memoranda im Überblick Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen, S. 235 f. m.w.N.; dazu auch unten S. 434. 30 Abrufbar unter https://www.justice.gov/archives/dag/file/769036/download zuletzt abgerufen am 09. 11. 2020. 31 Vgl. zu der Frage, ob aus dem Yates-Memorandum auch Lehren für ein deutsches Unternehmensstrafrecht gezogen werden können auch Kudlich/Koch, https://www.bvdcm.de/sites/ default/files/compliance_kommentar_nr8.pdf zuletzt abgerufen am 09. 11. 2020; dazu auch Hoven/Weigend, ZStW 2018 (130), 213 (222). 32 Siehe dazu Yates-Memorandum, S. 2: „(1) in order to qualify for any cooperation credit, corporations must provide to the Department all relevant facts relating to the individuals responsible for the misconduct.“ abrufbar unter https://www.justice.gov/archives/dag/file/769036/ download zuletzt abgerufen am 09. 11. 2020. 33 Vgl. Emmenegger, AJP/PJA 8/2016, 1045 (1052). 29

B. Die Verfolgungspflicht gegenüber Verbänden

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derart gelagerten Straftaten oftmals hochkomplex, wenn nicht manchmal sogar völlig undurchschaubar sein können.34 So ist es möglich, dass ein Unternehmen den Strafverfolgungsbehörden wesentliche Informationen zur Strafverfolgung bzw. zu involvierten Personen im Rahmen einer Kooperation zwar liefert, diese also Kenntnis erhalten, es aber aufgrund einer (un-)absichtlichen Unvollständigkeit bei der Informationsgewinnung nicht zu einer Kooperation zwischen Unternehmen und Behörden kommt, letztere aber sodann vorhandene Informationen zur weiteren Strafverfolgung nutzen. Ein weiterer Aspekt, dem ebenfalls eine nicht zu unterschätzende Bedeutung zukommt, besteht darin, dass bei dem Vorantreiben der Verfolgung der individuellen Verantwortlichkeit nach dem Yates-Memorandum nur im Ausnahmefall auf die strafrechtliche Verfolgung der natürlichen Person verzichtet werden kann. Dies soll selbst dann gelten, wenn mit dem Unternehmen beispielsweise ein DPA oder ein NPA geschlossen wurde. Natürliche Personen sollen grundsätzlich nicht (mehr) bei einem DPA oder NPA inkludiert werden (so USAM 9 – 28.210 und USAM 9 – 28.1500 aus dem Jahre 2015).35 Ausnahmen von dem Grundsatz der Verfolgung der natürlichen Person bedürfen der Genehmigung. Insgesamt wird sich von dieser Vorgehensweise, insbesondere von dem Vorgehen gegen natürliche Personen, eine wirksamere Bekämpfung der Unternehmenskriminalität versprochen.36 d) Das „Rosenstein-Memorandum“ Zeitlich nach dem Yates-Memorandum folgte Ende des Jahres 2017 eine neue Richtlinie durch U.S. Deputy Attorney General Rod Rosenstein (FCPA Corporate Enforcement Policy), im folgenden (untechnisch) als „Rosenstein-Memorandum“ bezeichnet.37 Durch diese sollen weitere Anreize für Unternehmen geschaffen werden, sich selbst anzuzeigen. Ein wesentliches Novum dürfte es gewesen sein, dass den Unternehmen bei der Erfüllung bestimmter Voraussetzungen erstmals verbindlich ein Anklageverzicht (declination) in Aussicht gestellt wurde, was letztlich

34

Vgl. zu diesem Aspekt auch Kudlich/Koch, https://www.bvdcm.de/sites/default/files/ compliance_kommentar_nr8.pdf zuletzt abgerufen am 09. 11. 2020. 35 Zum Ganzen bei Emmenegger, AJP/PJA 8/2016, 1045 (1053). 36 Vgl. auch Kudlich/Koch, https://www.bvdcm.de/sites/default/files/compliance_kommen tar_nr8.pdf zuletzt abgerufen am 09. 11. 2020. 37 Die aktuelle Version ist abrufbar unter https://www.justice.gov/criminal-fraud/file/83841 6/download zuletzt abgerufen am 09. 11. 2020; vorgestellt wurde die ursprüngliche Richtlinie von Rod Rosenstein auf der 34th international conference on the FCPA, siehe https://www.justi ce.gov/opa/speech/deputy-attorney-general-rosenstein-delivers-remarks-34th-international-con ference-foreign zuletzt abgerufen am 09. 11. 2020; im Überblick Grözinger, Yates-Memo: Individual Accountability of Corporate Wrongdoing, abrufbar unter https://www.ccompliance.de/ yates-memo/ zuletzt abgerufen am 09. 11. 2020; zum Ganzen auch Pasewaldt/DiBari, NZWiSt 2018, 309; siehe zum FCPA-Pilotprogramm in der Zeit dazwischen dies., NZWiSt 2018, 309 (310) m.w.N.

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6. Kap.: Grundstruktur eines Verbandssanktionenrechts de lege ferenda

ein Mehr an Rechtssicherheit im Gegensatz zur vorherigen Situation bedeutete.38 Hierfür müssen Unternehmen folgende Voraussetzungen erfüllen:39 1. Rechtzeitige und freiwillige Selbstanzeige von FCPA-Verstößen. 2. Vollständige Kooperation bei den Ermittlungen. 3. Implementierung angemessener und zeitnaher Compliance-Maßnahmen, um derartige Verstöße in der Zukunft zu verhindern. Ist ein Anklageverzicht nicht möglich, weil erschwerende Umstände vorliegen (sogenannte „aggravating circumstances“), wie zum Beispiel bereits im Unternehmen etabliertes Fehlverhalten (pervasivness of the misconduct within the company), besteht für Unternehmen dennoch die Möglichkeit, einen Strafrabatt zu bekommen, und ihnen wird vom DOJ kein „monitor“40 verordnet, wenn sie vollständig kooperieren und zeitnah Compliance-Maßnahmen implementieren.41 Unternehmen, die einen FCPA-Verstoß nicht selbst gemeldet, aber bei den Ermittlungen vollständig kooperiert haben und ein Compliance-Programm einführen, sollen ebenfalls von Strafrabatten (wenn auch nur von geringeren als bei den „aggravating circumstances“) profitieren.42 Bei der Gewährung einer Strafmilderung kommt dem DOJ seit dieser Richtlinie, und dies dürfte der entscheidende Aspekt sein, nicht mehr das bis dahin mögliche Ermessen zu.43 Es handelt sich vielmehr um eine gebundene Entscheidung, weshalb der Strafrabatt gegeben werden muss, wenn die Voraussetzungen hierfür vorliegen. Hinsichtlich der Voraussetzungen für einen Anklageverzicht/Strafnachlass ist besonders hervorzuheben, dass eine freiwillige und rechtzeitige Selbstanzeige sowie vollständige Kooperation dann als gegeben angesehen wird, wenn sie auf der einen Seite nicht erst erfolgt, sofern der Verstoß entdeckt zu werden droht oder ein Ermittlungsverfahren bevorsteht und auf der anderen Seite innerhalb einer angemessenen Zeit erfolgt, nachdem das Unternehmen Kenntnis des Fehlverhaltens erlangt hat.44 Im Rahmen der vollständigen Kooperation kann das DOJ das Unternehmen zudem auffordern, mit der Befragung seiner Mitarbeiter im Zuge von Internal Investigations so lange abzuwarten bis das DOJ die Mitarbeiter als Zeugen vernehmen konnte.45 38

309 f. 39

FCPA Corporate Enforcement Policy, S. 1; siehe dazu Pasewaldt/DiBari, NZWiSt 2018,

FCPA Corporate Enforcement Policy, S. 1; zu den Voraussetzungen im Einzelnen auch bei Pasewaldt/DiBari, NZWiSt 2018, 309 (311) m.w.N. 40 Zum Monitoring bei DPA und NPA im Rahmen des Benczkowski-Memorandums und dabei insbesondere zur Auswahl der Monitore Karami, NZWiSt 2019, 383 passim. 41 FCPA Corporate Enforcement Policy, S. 1; vgl. Pasewaldt/DiBari, NZWiSt 2018, 309. 42 FCPA Corporate Enforcement Policy, S. 1. 43 Zum Ganzen Pasewaldt/DiBari, NZWiSt 2018, 309 (310 f.). 44 Zu weiteren Voraussetzungen der „Full Corporation in FCPA Matters“ siehe die FCPA Corporate Enforcement Policy, S. 2 ff. 45 FCPA Corporate Enforcement Policy, S. 4.

B. Die Verfolgungspflicht gegenüber Verbänden

229

Notwendig war es nach der Richtlinie aus dem Jahr 2017, dass Unternehmen alle relevanten Fakten offenlegen, zu welchen auch jene bzgl. aller natürlichen Personen gehörten, die eine Rechtsverletzung begangen haben („The company discloses all relevant facts known to it, including all relevant facts about all individuals involved in the violation of law.“46). Die Richtlinie erfuhr unter anderem im Jahr 2018 eine Aktualisierung, welche von U.S. Deputy Attorney General Rod Rosenstein bei einer Rede auf der „35th International Conference on the FCPA“ vorgestellt wurde.47 Hiervon betroffen war insbesondere die vorangehend genannte Voraussetzung der Offenbarung aller Informationen bzgl. aller natürlicher Personen, die an der Tat beteiligt waren, welche dergestalt noch aus dem Yates-Memorandum stammte. Es hatte sich nämlich gezeigt, dass es sowohl für die Behörden als auch für die Unternehmen kaum bis gar nicht praktikabel war, alle natürlichen Personen zu ermitteln, vor allem, wenn Rechtsverletzungen über einen langen Zeitraum andauerten.48 Dies spiegelt sich dergestalt im JM in den Principles of Federal Prosecution of Business Organizations wider, dass ein „cooperation credit“ sogar dann noch möglich sein soll, wenn das Unternehmen nicht alle Hauptverantwortlichen nennen kann („If the company is unable to identify all relevant individuals or provide complete factual information despite its good faith efforts to cooperate fully, the organization may still be eligible for cooperation credit.“49). e) Deferred Prosecution Agreement, Plea Agreement und Non Prosecution Agreement Eine besondere Ausprägung des Opportunitätsprinzips (auch insbesondere im Zusammenhang mit internen Ermittlungen,50 Compliance sowie den oben erwähnten Memoranden) besteht in der Möglichkeit, dass Behörden mit den Unternehmen eine „Vereinbarung“, beispielsweise in der Form eines Deffered Prosecution Agreement (DPA), der sogenannten Aufschiebung der Strafverfolgung, schließen können.51 46

So abgedruckt bei Pasewaldt/DiBari, NZWiSt 2018, 309 (311) m.w.N. Abrufbar unter https://www.justice.gov/opa/speech/deputy-attorney-general-rod-j-rosen stein-delivers-remarks-american-conference-institute-0 zuletzt abgerufen am 09. 11. 2020. 48 „When the government alleges violations that involved activities throughout the company over a long period of time, it is not practical to require the company to identify every employee who played any role in the conduct.“ Siehe dazu https://www.justice.gov/opa/speech/deputy-at torney-general-rod-j-rosenstein-delivers-remarks-american-conference-institute-0 zuletzt abgerufen am 09. 11. 2020. 49 Chapter 9 – 28.700 A. JM. 50 Vgl. dazu auch Hugger/Pasewaldt, in: Nietsch (Hrsg.), Unternehmenssanktionen, S. 135 f. 51 Grundlegend Greenblum, Columbia Law Review 2005, Vol. 105, 1863 (1871 ff.); KellyKilgore/Smith, American Criminal Law Review 2011, Vol. 48, 421 (451 ff.); Nagelberg/Balser/ Ford/Frisiello, American Criminal Law Review 2017, Vol. 54, 1073 (1089 ff.); Werle, Yale Law Journal 2019, Vol. 128, 1366 (1408 ff.). 47

230

6. Kap.: Grundstruktur eines Verbandssanktionenrechts de lege ferenda

Hierbei handelt es sich um eine (freiwillige) Vereinbarung, die zwischen den Strafverfolgungsbehörden und einem Unternehmen geschlossen wird.52 Das Unternehmen muss für den Abschluss eines DPA rechtswidriges Verhalten zugeben und sich verpflichten, Auflagen zu erfüllen, wie beispielsweise die Zahlung eines Bußgeldes und die Implementierung oder Optimierung eines Compliance-Systems vorzunehmen.53 Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, dass die Einhaltung der Auflagen von einem externen Monitor überwacht wird.54 Spiegelt dies die Verpflichtungsseite des Unternehmens wider, erlangt es dadurch den Bonus, dass die Strafverfolgung für einen bestimmten Zeitraum (meist 18 – 24 Monate), welcher schon im Vorhinein festgelegt wird, ausgesetzt wird.55 Erfüllt das Unternehmen die ihm gemachten Auflagen, kann die Strafverfolgungsbehörde die Anklage zurücknehmen bzw. die Strafverfolgung endgültig einstellen. Hält sich das Unternehmen hingegen nicht an die ihm gemachten Auflagen, kann die Strafverfolgung gegen das Unternehmen fortgesetzt werden. Ob die Auflagen eingehalten wurden, entscheiden die Behörden, nicht hingegen ein Gericht.56 Abzugrenzen ist ein DPA von einem „Plea Agreement“ und einem sogenannten „Non Prosecution Agreement“ (im Folgenden PA und NPA).57 Ein PA hat zwar eine Verurteilung des Unternehmens (Anklage und auch Schuldeingeständnis) zum Ziel, jedoch kann über Detailfragen des Schuldeingeständnisses verhandelt werden.58 Bei einem NPA ist die Situation dergestalt gelagert, dass eine Einigung (hinsichtlich der Aussetzung der Strafverfolgung) mit dem Unternehmen bereits vor Anklageerhebung erzielt wurde und aus dem Grunde keine Anklage mehr erhoben wird bzw. darauf verzichtet wird.59 Bei dieser Variante bleibt das Verfahren so lange anhängig, bis das Unternehmen die Bedingungen, welche mit den Strafverfolgungsbehörden vereinbart wurden, erfüllt hat.60

52

Siehe dazu auch beispielhaft den Fall USA gegen Monsanto bei Partsch, The Foreign Corrupt Practices Act, S. 102 f.; Hugger/Pasewaldt, in: Nietsch (Hrsg.), Unternehmenssanktionen, S. 135 (140 ff.); zutr. in diesem Kontext Greenblum, Columbia Law Review 2005, Vol. 105, 1863 (1868): „Deferred prosecution is a unique balance of the tools available to the prosecutor.“; zu 18 U.S.C §3161(h)(2), der gesetzlichen Grundlage für ein DPA siehe Werle, Yale Law Journal 2019, Vol. 128, 1366 (1408 ff.). 53 FCPA Resource Guide, S. 56; Schorn/Sprenger, CCZ 2013, 104 (106). 54 Dazu ausführlich Karami, NZWiSt 2019, 383 passim; Hoven/Weigend, ZStW 2018 (130), 213 (240 f.). 55 Zum Ganzen Schorn/Sprenger, CCZ 2013, 104 (106). 56 Dazu auch Hoven/Weigend, ZStW 2018 (130), 213 (241 f.). 57 Vgl. auch FCPA Guide, S. 74 f.; zum DPA und NPA Nagelberg/Balser/Ford/Frisiello, American Criminal Law Review 2017, Vol. 54, 1073 (1089 ff.). 58 Das PA findet sich grundsätzlich in Rule 11 Federal Rules of Criminal Procedure wieder; siehe auch FCPA Guide, S. 74; vgl. Emmenegger, AJP/PJA 8/2016, 1045 (1048). 59 Vgl. Schorn/Sprenger, CCZ 2013, 104 (106). 60 Siehe dazu Emmenegger, AJP/PJA 8/2016, 1045 (1048).

B. Die Verfolgungspflicht gegenüber Verbänden

231

Im Gegensatz dazu kann ein DPA in den USA erst vereinbart werden, wenn bereits Anklage gegen ein Unternehmen erhoben wurde.61 Von den drei Möglichkeiten scheinen sich das DPA und das NPA bei den US-Strafverfolgungsbehörden als besonders beliebte Methoden durchgesetzt zu haben, um ein Verfahren gegen ein Unternehmen zu beenden.62 Die Behörden entscheiden bei ihrem Vorgehen grundsätzlich hinsichtlich des „Ob“ und des „Wie“ (Bedingungen bzw. Auflagen) eigenständig und weitgehend ohne eine gerichtliche Kontrolle.63 Die maßgeblichen Faktoren, welche von der Staatsanwaltschaft zur Entscheidung über die Strafverfolgung des Unternehmens berücksichtigt werden, finden sich in Chapter 9.–28.300 („Factors to be considered“) JM in ihrer derzeitigen Version, die auf den Vorgängerversionen aufbaut.64 Zu diesen Abwägungskriterien zählen ausweislich, aber nicht abschließend:65 1.

Art und Schwere der Tat.

2.

Umfang der Beteiligung von Personen im Unternehmen.

3.

Vorstrafen.

4.

Kooperationsbereitschaft des Unternehmens.

5.

Effektivität bereits vorhandener Compliance-Programme.

6.

Freiwillige und zeitnahe Offenlegung der Tat.

7.

Wiedergutmachungsbemühungen.

8.

Folgen der Tat.

9.

Angemessenheit anderer Verfolgungsmöglichkeiten (zum Beispiel zivilrechtlicher Art).

10. Angemessenheit der strafrechtlichen Verfolgung (nur66) der natürlichen Personen, die für die Tat des Unternehmens verantwortlich sind.67

61

Vgl. Schorn/Sprenger, CCZ 2013, 104 (106); Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen, S. 243. 62 So Schorn/Sprenger, CCZ 2013, 104 (106); krit. Nagelberg/Balser/Ford/Frisiello, American Criminal Law Review 2017, Vol. 54, 1073 (1090 f.). 63 Diff. an dieser Stelle Karami, NZWiSt 2019, 383 (384), der nur für die NPAs festhält, dass diese keiner richterlichen Überprüfung unterlägen, DPAs jedoch schon; zum Ganzen Sprenger, Deferred Prosecution Agreements, Rn. 145 ff. 64 Siehe dazu die Ausführungen zum Thompson-Memorandum S. 224. Diese Abwägungskriterien können auch das Einfallstor zur rechtlichen Berücksichtigung von Internal Investigations und Compliance-Maßnahmen in den USA sein. Siehe dazu für Internal Investigations S. 428. 65 Abrufbar unter https://www.justice.gov/jm/jm-9-28000-principles-federal-prosecutionbusiness-organizations#9-28.1300 zuletzt abgerufen am 09. 11. 2020; so auch abgedruckt bei Hoven/Weigend, ZStW 2018 (130), 213 (236); Nagelberg/Balser/Ford/Frisiello, American Criminal Law Review 2017, Vol. 54, 1073 (1087 f.). 66 Siehe dazu Chapter 9 – 28.1300 JM.

232

6. Kap.: Grundstruktur eines Verbandssanktionenrechts de lege ferenda

2. England a) Grundlagen In England ist das „Serious Fraud Office“ (Amt für Betrugsbekämpfung; im folgenden SFO) für die Verfolgung von Korruptionsstraftaten zuständig, sofern es sich um komplexe Verfahren mit einem internationalen Bezug handelt.68 In den anderen Fällen ist der „Crown Prosecution Service“ (im folgenden CPS) als höchste Anklagebehörde für die Verfolgung zuständig.69 Welche Behörde im Einzelfall tätig wird, entscheidet der Direktor des Serious Fraud Office.70 Seit dem Jahr 2014 ist in England das SFO dazu befugt, aber nicht verpflichtet (hier steht es grundsätzlich im Ermessen der Behörde), ein Verfahren gegen ein Unternehmen durch ein sogenanntes „Deferred Prosecution Agreement“ (im Folgenden ebenfalls abgekürzt wie im vorangehenden Abschnitt: DPA) zu beenden.71 Diese Form der Verfahrensbeendigung findet unter Aufsicht des Gerichts bzw. nach der Bewilligung des Antrags durch ein Gericht statt72 und nicht lediglich unter der Schirmherrschaft und im Alleingang der Staatsanwaltschaft. b) Deferred Prosecution Agreement Ganz grundsätzlich sind für eine Strafverfolgung von Unternehmen in England zwei Voraussetzungen nötig: Entweder muss der sogenannte „Full Code Test“73 des „Code of Crown Prosecutors“ erfüllt sein oder jedenfalls ein hinreichender Tatverdacht vorliegen (sogenannte „evidental stage“74), und darüber hinaus muss ein öffentliches Interesse75 an der Strafverfolgung bestehen (sogenannte „public interest stage“).76 Insgesamt kann die Strafverfolgung über ein DPA beendet werden.77 Das 67 Neu eingefügt wurde im Jahr 2015 Chapter 9 – 28.1300 JM, der den oben genannten Punkt 10 mit Leben füllt. Dort heißt es: „In deciding whether to charge a corporation, prosecutors should consider whether charges against the individuals responsible for the corporation’s malfeasance will adequately satisfy the goals of federal prosecution.“ 68 Vgl. zum Serious Fraud Office allgemein https://www.sfo.gov.uk/ zuletzt abgerufen am 09. 11. 2020; zum Ganzen auch Reichert, jurisPR-Compl 2/2014 Anm. 2; zur vorhergehenden Regelung Schorn/Sprenger, CCZ 2013, 104 (106); Hugger/Pasewaldt, RIW 2018, 115 (116). 69 Dazu auch Hugger/Pasewaldt, RIW 2018, 115 (116). 70 Hugger/Pasewaldt, in: Nietsch (Hrsg.), Unternehmenssanktionen, S. 135 (144) m.w.N. 71 Siehe zum Serious Fraud Office allgemein https://www.sfo.gov.uk/ zuletzt abgerufen am 09. 11. 2020. 72 Vgl. Weiß, CCZ 2014, 81 (84); Sprenger, Deferred Prosecution Agreements, Rn. 1.49 ff. 73 Siehe dazu Sallon, in: Chada/Sallon/Tate (Hrsg.), Bribery, S. 210 f. 74 Sallon, in: Chada/Sallon/Tate (Hrsg.), Bribery, S. 210: „A case which does not pass the evidental stage must not proceed, no matter how serious or sensitive it may be.“ 75 Sallon, in: Chada/Sallon/Tate (Hrsg.), Bribery, S. 211 f.; zu diesem Erfordernis vor Einführung der DPA Schorn/Sprenger, CCZ 2013, 104 (106). 76 Siehe dazu The Bribery Act 2010, Guidance, S. 19 („sufficiency of evidence“ und „whether the prosecution is in the public interest“) sowie „1.2 i. und ii. (two stage test) Deferred

B. Die Verfolgungspflicht gegenüber Verbänden

233

Verfahren zum Abschluss eines DPA findet sich in unterschiedlichen Regelungswerken normiert: zum einen insbesondere in Schedule 17 im Crime and Courts Act 201378 und zum anderen im „Deferred Prosecution Agreement Code of Practice“,79 welcher sich an die Staatsanwaltschaft richtet.80 Regelmäßig stellt die Staatsanwaltschaft, sofern ein DPA in Betracht gezogen wird und mit dem Unternehmen verhandelt wurde, aber noch bevor den Bedingungen des DPA zugestimmt wird, einen Antrag an das Gericht, um die Erklärung (declaration) vom Gericht für den Abschluss eines DPA mit einem Unternehmen zu erhalten.81 Hierbei muss der Abschluss eines DPA den wahrscheinlichen „Interessen der Gerechtigkeit“ entsprechen, und die vorgeschlagenen Konditionen des DPA müssen fair, begründet und angemessen sein („(…) (a) entering into a DPA with (the legal person) is likely to be in the interests of justice, and (b) the proposed terms of the DPA are fair, reasonable and proportionate“ section 7 (1) (a) (b) schedule 17 Crime and Courts Act 2013).82 Hierbei handelt es sich in England insgesamt um das sogenannte „preliminary hearing“ (geregelt in Part 1 7 (1 – 4) Crime and Courts Act 2013) vor Gericht.83 Nachdem sowohl das Unternehmen als auch die Behörde dem ausgehandelten DPA zugestimmt haben, müssen die Parteien erneut zum Gericht für das sogenannte „final hearing“ (section 8 schedule 17 Crime and Courts Act 2013) und eine weitere Erklärung vom Gericht erhalten.84 Die zweite Erklärung muss bestätigen, dass das Prosecution Agreement Code of Practice“; Sallon, in: Chada/Sallon/Tate (Hrsg.), Bribery, S. 210; Bisgrove/Weekes, Criminal Law Review 2014, Vol. 6, 416 (426 ff.). 77 Ormerod/Perry, Blackstone’s Criminal Practice, A6.22, D12.106; Child/Ormerod, Cri minal Law, S. 31; Sallon, in: Chada/Sallon/Tate (Hrsg.), Bribery, S. 203 ff. und S. 245 Überblick der „stages“ eines DPA; Cheung, Cambridge Law Journal 2018, Vol. 77, 12 ff.; Bisgrove/ Weekes, Criminal Law Review 2014, Vol. 6, 416 ff. 78 Abrufbar unter http://www.legislation.gov.uk/ukpga/2013/22/contents/enacted zuletzt abgerufen am 09. 11. 2020; abgedruckt bei Ormerod/Perry, Blackstone’s Criminal Practice, D12.106 f. 79 Abrufbar unter https://www.cps.gov.uk/sites/default/files/documents/publications/dpa_ cop.pdf zuletzt abgerufen am 09. 11. 2020. 80 Grundlegende, wenngleich nicht derart ausführliche Regelungen, wie die oben erwähnten, lassen sich ebenfalls in Part 12 The Criminal Procedure Rules (Discontinuing a prosecution) ausfindig machen. Abrufbar unter https://www.justice.gov.uk/courts/procedurerules/criminal/docs/2015/crim-proc-rules-2015-part-12.pdf zuletzt abgerufen am 09. 11. 2020; siehe dazu auch Sprenger, Deferred Prosecution Agreements, Rn. 7.26.; Bisgrove/Weekes, Criminal Law Review 2014, Vol. 6, 416 (419 f.). 81 Vgl. Sallon, in: Chada/Sallon/Tate (Hrsg.), Bribery, S. 222. 82 Siehe Crime and Courts Act 2013, schedule 17 Part 1 section 7 (1): „After the commencement of negotiations between a prosecutor and (the legal person) in respect of a DPA but before the terms of the DPA are agreed, the prosecutor must apply to the Crown Court for a declaration that (a) entering into a DPAwith P is likely to be in the interests of justice, and (b) the proposed terms of the DPA are fair, reasonable and proportionate.“ 83 Siehe dazu auch bei Sprenger, Deferred Prosecution Agreements, Rn. 1.78. 84 Vgl. auch Sallon, in: Chada/Sallon/Tate (Hrsg.), Bribery, S. 224 f.

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6. Kap.: Grundstruktur eines Verbandssanktionenrechts de lege ferenda

DPA den „Interessen der Gerechtigkeit“ entspricht und die Konditionen des DPA fair, begründet und proportional sind („( (a) entering into a DPA with (the legal person) is in the interests of justice, and (b) the terms of the DPA are fair, reasonable and proportionate“ section 8 (1) (a) (b) schedule 17 Crime and Courts Act 2013).85 Erhalten die Parteien diese Erklärung vom Gericht, ist das DPA bindend, und sowohl die Vereinbarung als auch die Erklärung des Gerichts werden von den Strafverfolgungsbehörden veröffentlicht. Grundsätzlich kann ein DPA für alle Fälle von Wirtschaftskriminalität und damit insbesondere bei Korruptionsdelikten geschlossen werden.86 Das Unternehmen wird zwar angeklagt, aber durch das DPAwird das Strafverfahren gegen das Unternehmen (für einen bestimmten Zeitraum) ausgesetzt und eine (rechtlich verbindliche) Einigung mit dem betroffenen Unternehmen begründet.87 Bezüglich der Vorgehensweise der Strafverfolgungsbehörden gegenüber dem Unternehmen liegen die Anfänge eines DPA darin, dass das Unternehmen zu Verhandlungen eingeladen wird (deren Ergebnis ein DPA sein kann, aber nicht sein muss).88 Primär prüfen die Strafverfolgungsbehörden, ob eine Verurteilung des Unternehmens möglich ist.89 Dies wird auch als „Full Code Test“ bezeichnet.90 Ist eine Verurteilung nicht möglich, muss jedenfalls ein ausreichender Tatverdacht bestehen, damit ein DPA überhaupt in Frage kommt.91 Aufgrund dieses Tatverdachts muss die Möglichkeit bestehen, dass die Strafverfolgungsbehörden zu weiteren Beweisen gelangen könnten, welche letztlich zu einer Verurteilung führen könnten.92 Insgesamt spiegelt dies die oben bereits angerissene „Evidental Stage“ wieder. Sodann wird geprüft, ob kein öffentliches Interesse an der Beendigung des Verfahrens durch ein Urteil besteht (oder vice versa, ob ein DPA im öffentlichen Interesse wäre bzw. ob der Abschluss eines DPA für das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung aus85 Zum weiteren Inhalt eines preliminary hearing Sprenger, Deferred Prosecution Agreements, Rn. 1.78 f. 86 Zur vollständigen Auflistung, wann DPA angewendet werden können vgl. Part 2 (15 – 28) Schedule 17 Crime and Courts Act 2013; Sprenger, Deferred Prosecutions Agreements, Rn. 1.66; vgl. insgesamt zu diesem Topos Weiß, CCZ 2014, 81 (84); ferner auch bei Schorn/ Sprenger, CCZ 2013, 104 (107); siehe beispielhaft Robinson, Business Law International, 2017, Vol. 18 No. 2, S. 191 ff.; Hatchard, The Denning Law Journal 2017, Vol. 29, S. 109 (117 ff.). 87 So Weiß, CCZ 2014, 81 (84) m.w.N. 88 Part 3 Deferred Prosecution Agreement Code of Practice; vgl. zur Vorgehensweise und den nachfolgenden Aspekten Weiß, CCZ 2014, 81 (84) m.w.N.; Sprenger, Deferred Prosecution Agreements, Rn. 1.75 ff., 6.02.; zum Inhalt des „Letter of invitation“ Sallon, in: Chada/Sallon/ Tate (Hrsg.), Bribery, S. 213 ff. 89 Weiß, CCZ 2014, 81 (84) m.w.N. 90 Part 1.2 a) Deferred Prosecution Agreement Code of Practice; Sprenger, Deferred Prosecution Agreements, Rn. 6.03; Sallon, in: Chada/Sallon/Tate (Hrsg.), Bribery, S. 210 f. 91 Part 1.2. b) Deferred Prosecution Agreement Code of Practice; Weiß, CCZ 2014, 81 (84) m.w.N. 92 Part 1.2. b) Deferred Prosecution Agreement Code of Practice; Weiß, CCZ 2014, 81 (84) m.w.N.; Sallon, in: Chada/Sallon/Tate (Hrsg.), Bribery, S. 211,

B. Die Verfolgungspflicht gegenüber Verbänden

235

reichend wäre/diesem Genüge tun würde93), was die oben bereits angerissene „Public Interest Stage“ zeigt.94 Für die Bejahung des öffentlichen Interesses als zweite Stufe, nachdem ein hinreichender Tatverdacht festgestellt ist, gilt grundsätzlich, dass es wahrscheinlicher vorliegt, je schwerer die Tat ist („The more serious the offence, the more likely it is that prosecution will be required in the public interest.“95).96 Hierbei kann zum Beispiel auch ins Gewicht fallen, ob das Unternehmen bereits in der Vergangenheit derartige Rechtsverstöße begangen hat oder die Tat zu einer Zeit begangen wurde, als das Unternehmen kein wirksames Compliance-System implementiert hatte.97 Kein öffentliches Interesse an einer Beendigung des Verfahrens durch Urteil (und somit e contrario für ein DPA) besteht insbesondere dann, wenn das Unternehmen sofort und bedingungslos mit den Strafverfolgungsbehörden kooperiert,98 sich selbst angezeigt hat, es in der Vergangenheit keine vergleichbaren Gesetzesverstöße gab (Stichwort: Privilegierung des Ersttäters) und ein bereits etabliertes ComplianceManagement-System integriert ist, es sich bei den Straftaten lediglich um Einzeltaten von Einzeltätern handelt und eine Anklage weit über den eingetretenen Schaden hinausginge bzw. mit Blick auf den eingetretenen Schaden unverhältnismäßig wäre (ergo wird hier das Kriterium der Schwere des Verstoßes einbezogen).99 Hinsichtlich der Kooperation mit den Strafverfolgungsbehörden wird diese in England vor allem dann als ausreichend erachtet, wenn das Unternehmen Zeugen benennt und Informationen und Unterlagen als Beweis bereitstellt, zu welchen auch Berichte aus internen Untersuchungen zählen können.100 Die Voraussetzungen für die Bejahung, oder aber umgekehrt für die Negierung des öffentlichen Interesses, sind in England insgesamt sehr vielfältig denkbar, da es im Ermessen der Staatsanwaltschaft liegt, ob das öffentliche Interesse bejaht oder negiert wird und diese die Faktoren eigenständig gewichten darf („Which factors are 93 Weiß, CCZ 2014, 81 (84) m.w.N. der als Primär-Kriterium anführt „Je schwerer die Straftat, desto unwahrscheinlicher ist ein Deferred Prosecution Agreement.“; vgl. dazu auch Hugger/Pasewaldt, RIW 2018, 115 (116). 94 Part 1.2. ii und 1.4 – 1.7 sowie Part 2.2 Deferred Prosecution Agreement Code of Practice; Sallon, in: Chada/Sallon/Tate (Hrsg.), Bribery, S. 211 ff. 95 Part 2.4. Deferred Prosecution Agreement Code of Practice. 96 The Bribery Act 2010, Guidance, S. 19; zu unterschiedlichen Abwägungsfaktoren Sallon, in: Chada/Sallon/Tate (Hrsg.), Bribery, S. 212 f. 97 Sallon, in: Chada/Sallon/Tate (Hrsg.), Bribery, S. 212. 98 Dieses Kriterium und eine frühe Selbstanzeige wurden auch nochmals durch das SFO in einer Erklärung zu dem DPA mit der Standard Bank als Voraussetzung für Verhandlungen über ein DPA betont. Vgl. dazu Hugger/Pasewaldt, RIW 2018, 115 (117) m.w.N. 99 Part 2.82 – 2.10 Deferred Prosecution Agreement Code of Practice; siehe zu den Voraussetzungen Reichert, jurisPR-Compl 2/2014 Anm. 2; Weiß, CCZ 2014, 81 (84); Sallon, in: Chada/Sallon/Tate (Hrsg.), Bribery, S. 212 f.; sowie ähnlich auch bei auch Hugger/Pasewaldt, RIW 2018, 115 (116) m.w.N. 100 Part 2.8.2. (i) Deferred Prosecution Agreement Code of Practice; Sallon, in: Chada/ Sallon/Tate (Hrsg.), Bribery, S. 212.

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6. Kap.: Grundstruktur eines Verbandssanktionenrechts de lege ferenda

considered relevant and what weight is given to each are matters for the individual prosecutor.“101).102 Einen Anspruch hat das Unternehmen weder auf den Abschluss eines DPA noch auf die Gewichtung bestimmter Faktoren bei der Abwägung, ob ein DPA überhaupt in Betracht kommt. Das Unternehmen kann im Zusammenhang mit einem DPA zudem dazu verpflichtet werden, einen bestimmten Geldbetrag zu bezahlen und Auflagen einzuhalten.103 Hält sich das Unternehmen nicht an die Auflagen, kann die Strafverfolgung weiter betrieben werden. Neben diesen Kriterien werden die Strafverfolgungsbehörden bei den Verhandlungen rund um ein DPA, wie oben erwähnt, dazu verpflichtet, nach dem Prinzip der „Waffengleichheit“ (und des Fair Trials) zu verfahren, sodass es ihnen insbesondere verboten ist, über die Beweislage zu täuschen.104 Denkbar ist auch, dass die Strafverfolgungsbehörden und das Gericht den Abschluss eines DPA an den Einsatz eines sogenannten „monitor“ (als unabhängigen Beobachter) im Unternehmen koppeln, der während seines Aufenthalts im Unternehmen Zugang zu sämtlichen rechtlich relevanten Bereichen hat, bei der Optimierung des Compliance-System mitwirkt und den Strafverfolgungsbehörden regelmäßig einen Bericht diesbezüglich abliefert.105 In Bezug auf die Zukunft hat das SFO im populären DPA mit „Rolls-Royce“ im Jahre 2017 festgehalten, dass ein DPA nicht nur dann möglich sein soll, wenn das Unternehmen die Strafverfolgungsbehörden über diesen noch nicht bekannte potentielle Straftaten informiert, sondern ebenfalls dann, wenn seitens der Strafverfolgungsbehörden bereits der Verdacht einer Straftat besteht und Ermittlungen eingeleitet sind.106 101

Part 2.6. Deferred Prosecution Agreement Code of Practice. Zu möglichen Abwägungsfaktoren, die für oder gegen ein öffentliches Interesse sprechen Sallon, in: Chada/Sallon/Tate (Hrsg.), Bribery, S. 211 f. 103 Dies wurde beispielsweise in dem DPA im November 2015, welches mit der Standard Bank abgeschlossen wurde, festgehalten: Das SFO verzichtete hier auf eine Anklage gegen die Bank. Als Gegenleistung verpflichtete sich die Bank zur Zahlung einer umfangreichen Geldstrafe, einer Überprüfung ihres Compliance-Systems durch Externe und stimmte dem Einsatz eines „monitors“ im Unternehmen zu. Siehe zum Inhalt dieses DPA abrufbar unter https://www.sfo.gov.uk/2015/11/30/sfo-agrees-first-uk-dpa-with-standard-bank/ zuletzt abgerufen am 09. 11. 2020; Ormerod/Perry, Blackstone’s Criminal Practice, A6.22; sowie Hugger/ Pasewaldt, RIW 2018, 115 (117) m.w.N. Einen ähnlichen Inhalt hatte auch das DPA mit RollsRoyce im Jahre 2017. Siehe dazu bei Hugger/Pasewaldt, RIW 2018, 115 (118); Part 8. Deferred Prosecution Agreement Code of Practice. 104 Zu diesem Aspekt auch Weiß, CCZ 2014, 81 (84) m.w.N. 105 Part 7.11 – 7.21. Deferred Prosecution Agreement Code of Practice; Hugger/Pasewaldt, RIW 2018, 115 (116) m.w.N.; dies geschah beispielsweise in dem DPA mit der Standard Bank abrufbar unter https://www.sfo.gov.uk/2015/11/30/sfo-agrees-first-uk-dpa-with-standard-bank/ zuletzt abgerufen am 09. 11. 2020 sowie abgedruckt bei dies., RIW 2018, 115 (117) m.w.N.; Sallon, in: Chada/Sallon/Tate (Hrsg.), Bribery, S. 220 f. 106 Abrufbar unter https://www.judiciary.uk/wp-content/uploads/2017/01/sfo-v-rolls-royce. pdf S. 8 Rn. 22 zuletzt abgerufen am 09. 11. 2020: „The fact that an investigation was not triggered by a self-report would usually be highly relevant in the balance but the nature and 102

B. Die Verfolgungspflicht gegenüber Verbänden

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Der Abschluss eines DPA kann für Unternehmen, trotz der vielfältigen und teilweise relativ strikten formalen Voraussetzungen, entscheidende Vorteile bieten. So kann hierdurch die ansonsten typischerweise sehr langwierige Verfahrensdauer eines Wirtschaftsstrafverfahrens erheblich verkürzt werden und innerhalb eines überschaubaren Zeitraums Rechtssicherheit erlangt werden. Das dürfte auch der Reputation des Unternehmens, welche durch ein öffentliches Strafverfahren in Mitleidenschaft gezogen wird, zugutekommen, denn je länger sich ein solches Verfahren unter den Augen der Öffentlichkeit hinzieht, desto größer dürften die zu erwartenden Reputationsschäden (vor allem aufgrund erwartbarer Negativ-Berichterstattung in der Presse) für das Unternehmen sein. Ein weiterer Vorteil ergibt sich daraus, dass das Unternehmen im Fall der DPA in England als nicht vorbestraft gilt.107 Andererseits ist zu beachten, dass Informationsmaterial (zu dem beispielsweise auch der Report der internen Untersuchungen und Aufzeichnungen von Mitarbeiterinterviews gehören, die für ein DPA offengelegt wurden), welches die Behörden in diesem Rahmen erlangt haben, auch verwertet werden darf, wenn der Abschluss des DPA scheitert.108 Doch nicht nur für Unternehmen scheint diese Möglichkeit des Ermessens der Einstellung Vorteile zu haben. Allgemein anerkannt ist auch, dass die Strafverfolgungsbehörden ebenfalls von dieser Option profitieren, da sie zwar verpflichtet sind, ein faires Verfahren zu führen, jedoch davon ausgegangen wird, dass das potentielle Übel eines Strafurteils für Unternehmen derart groß ist, dass diese sich ohne Weiteres den Anforderungen an ein DPA hingeben und sämtliche Voraussetzungen akzeptieren.109 3. Österreich a) Grundlagen Die Einleitung eines Verfahrens gegen einen Verband in Österreich ist spezifisch in § 13 östVbVG normiert. § 13 Abs. 1 östVbVG regelt dabei die Verfolgung von Offizialdelikten und § 13 Abs. 2 östVbVG die Ahndung bei Privatklagedelikten. Im Rahmen der Offizialdelikte hat die Staatsanwaltschaft gemäß § 4 östStPO das extent of the co-operation provided by Rolls-Royce in this case has persuaded the SFO not only to use the word ,extraordinary‘ to describe it but also to advance the argument that, in the particular circumstances of this case, I should not distinguish between its assistance and that of those who have self-reported from the outset. Given that what has been reported has clearly been far more extensive (and of a different order) than is may have been exposed without the cooperation provided, I am prepared to accede to that submission.“; Ormerod/Perry, Blackstone’s Criminal Practice, A6.22; so ebenfalls und zusätzlich zu weiteren Voraussetzungen eines DPA Hugger/Pasewaldt, RIW 2018, 115 (118); zu diesem DPA auch Cheung, Cambridge Law Journal 2018, Vol. 77, 12 ff. 107 Vgl. Reichert, jurisPR-Compl 2/2014 Anm. 2. 108 Part 4.6. Deferred Prosecution Agreement Code of Practice. 109 Siehe zu diesem Aspekt Reichert, jurisPR-Compl 2/2014 Anm. 2.

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Verfolgungsmonopol inne.110 Insgesamt gilt im österreichischen Recht der Anklagegrundsatz, sodass sich das Gericht nur mit der Sache befassen darf, wenn und in dem Umfang, in dem sie ihm vom Ankläger zugetragen wird.111 Bei den Offizialdelikten ergibt sich dies aus Art. 90 Abs. 2 B-VG, § 4 Abs. 1 östStPO. Gemäß § 13 Abs. 1 östVbVG wird die Staatsanwaltschaft also von Amts wegen tätig, sodass mit Steininger davon auszugehen ist, dass es sich bei dem Offizialprinzip um den „Motor der Verfolgungstätigkeit“112 handelt. Im Zusammenhang mit diesem Prinzip steht das strafprozessuale Legalitätsprinzip (ebenfalls § 13 Abs. 1 östVbVG).113 Steininger beschreibt das Verhältnis beider Prinzipien für das österreichische Recht wie folgt: „Verpflichtet das Offizialprinzip zum Tätigwerden, so gibt das strafprozessuale Legalitätsprinzip das Ziel vor: es determiniert das Tätigwerden.“114 Erlangt die Staatsanwaltschaft in Österreich Kenntnis vom Verdacht einer Straftat eines Verbandes (und handelt es sich dabei um ein Offizialdelikt), kann sie entweder Ermittlungen einleiten, die die Verbandsverantwortlichkeit feststellen sollen (§ 3 östVbVG), oder beim Gericht einen Antrag auf die Verhängung einer Verbandsgeldbuße stellen.115 Diese Optionen ergeben sich aus dem Wortlaut von § 13 Abs. 1 östVbVG. b) Verfolgungsermessen gemäß § 18 und österreichische Diversion gemäß § 19 östVbVG Im Rahmen der Geltung des Legalitätsprinzips im Verbandsstrafverfahren hat die Staatsanwaltschaft in Österreich zwei Möglichkeiten zur Erledigung des Verfahrens: entweder die Vorlage an das Gericht oder die Einstellung des Verfahrens, wobei die Vorlage wertmäßig vorrangig ist116 und dabei die Bindung an die Rechtsprechung eine wichtige Stellung einnimmt.117 Die Pflicht zur Vorlage wird durch § 18 öst110 Näher zur Einteilung der Delikte und insbesondere auch zu der Unterscheidung zwischen (uneingeschränkten) Offizialdelikten und Ermächtigungsdelikten Steininger, VbVG, S. 128. 111 Vgl. auch Steininger, VbVG, S. 129; Papp/Karner, in: Palkovits/Papp/Rathkolb/Skribe, Unternehmensstrafrecht, Kap. 4.1.2. S. 1. 112 Steininger, VbVG, S. 129 m.w.N. 113 Siehe zu letzterem auch Papp/Karner, in: Palkovits/Papp/Rathkolb/Skribe, Unternehmensstrafrecht, Kap. 4.1.2. S. 1 f. 114 Steininger, VbVG, S. 129 m.w.N. 115 Siehe dazu auch Papp/Karner, in: Palkovits/Papp/Rathkolb/Skribe, Unternehmensstrafrecht, Kap. 4.2.1. S. 1 f. 116 Steininger, VbVG, S. 130; a.A. Konopatsch, in: Hilf u. a. (Hrsg.), Unternehmensverteidigung, S. 188. 117 Vgl. Steininger, VbVG, S. 130; siehe zum Absehen der Verfolgung aus anderen Gründen nach der östStPO, beispielsweise nach § 191 östStPO wegen Geringfügigkeit auch Papp/ Karner, in: Palkovits/Papp/Rathkolb/Skribe, Unternehmensstrafrecht, Kap. 4.4.1. S. 1; bzgl. der Empirie und dem großen Anteil eingestellter Verfahren Fuchs/Kreissl u. a., Generalprä-

B. Die Verfolgungspflicht gegenüber Verbänden

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VbVG und § 19 östVbVG durchbrochen, welche die Möglichkeit eines „Verfolgungsermessens“ und einer „diversionellen Erledigung“ einräumen.118 § 18 östVbVG (Verfolgungsermessen119) bildet eine Ausnahme vom Legalitätsprinzip und erlaubt es der Staatsanwaltschaft, zusätzlich opportune Erwägungen, ergo ein Ermessen, miteinfließen zu lassen, durch welches das Opportunitätsprinzip Eingang in das Verbandsstrafverfahren gefunden hat.120 Gemäß § 18 Abs. 1 S. 1 und S. 2 östVbVG kann die Staatsanwaltschaft von der Verfolgung eines Verbandes absehen oder zurücktreten, wenn in Abwägung der Schwere der Tat, des Verhaltens des Verbandes nach der Tat, der zu erwartenden Höhe einer über den Verband zu verhängenden Geldbuße sowie allfälliger bereits eingetretener oder unmittelbar absehbarer rechtlicher Nachteile des Verbandes oder seiner Eigentümer aus der Tat eine Verfolgung und Sanktionierung verzichtbar erscheint. Dies soll insbesondere dann der Fall sein, wenn Ermittlungen oder Verfolgungsanträge mit einem erheblichen Aufwand verbunden wären, der offenkundig außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache oder zu der im konkreten Einzelfall einer Verurteilung zu erwartenden Sanktion stünde. Hier ergeben sich aus dem Wortlaut der Norm bereits die wesentlichen Faktoren, welche sich zum einen an den Strafzumessungsfaktoren im Sinne des § 5 östVbVG orientieren, zum anderen aber in S. 2 auch prozessökonomische Gesichtspunkte inkludieren.121 Im Zusammenspiel mit diesen Regelungen steht § 18 Abs. 2 östVbVG, der Ausschlussgründe enthält, wann gerade nicht von der Verfolgung abgesehen oder zurückgetreten werden darf bzw. wann eine Verfolgung geboten erscheint. Hierzu kann beispielsweise der Umstand zählen, wenn vom Verband die Gefahr der Begehung einer Tat mit schweren Folgen ausgeht (z. B. Tod einer Person), für die der Verband verantwortlich sein könnte. Insgesamt untersteht § 18 Abs. 2 Nr. 1 und 2 östVbVG aber wieder dem Leitgedanken der Prävention. So finden sich in Nr. 1 die spezialpräventiven und in Nr. 2 die generalpräventiven Aspekte.122 § 18 Abs. 2 Nr. 3 östVbVG enthält den unbestimmten Ausschlussgrund des besonderen öffentventive Wirksamkeit des VbVG, S. 74, 117 f.; zu Opportunitätserwägungen konturenhaft Barfuß, ÖJZ 2005, 877 (879). 118 Vgl. Steininger, VbVG, S. 114 ff., 118 f., 130, wobei im Rahmen des § 19 östVbVG zwischen der staatsanwaltschaftlichen und gerichtlichen Diversion unterschieden wird; zu diesem Topos auch Soyer, in: Henssler/Hoven/Kubiciel/Weigend (Hrsg.), Grundfragen eines modernen Verbandsstrafrechts, S. 131; Schumann/Knierim, NZWiSt 2016, 194 (196 f.). 119 Zu den Kriterien des Verfolgungsermessens Kert, ZWF 2017, 70 ff.; Papp/Karner, in: Palkovits/Papp/Rathkolb/Skribe, Unternehmensstrafrecht, Kap. 4.4.2. S. 1 ff.; Sautner, ÖJZ 2012, 546 (551); Hilf/Soyer, in: Hilf u. a. (Hrsg.), Unternehmensverteidigung, S. 20; Konopatsch, in: Hilf u. a. (Hrsg.), Unternehmensverteidigung, S. 171 ff.; Konopatsch, in: Hotter u. a. (Hrsg.), Unternehmensstrafrecht, S. 144 ff. 120 Konopatsch, in: Hilf u. a. (Hrsg.), Unternehmensverteidigung, S. 185 f.; diese Terminologie ablehnend Steininger, VbVG, S. 131; Kert, ZWF 2017, 70. 121 Grundlegend zum Ganzen Steininger, VbVG, S. 132 m.w.N. 122 Zu diesem Verständnis Steininger, VbVG, S. 133; zu den Ausschlussgründen auch Kert, ZWF 2017, 70 (74); Konopatsch, in: Hilf u. a. (Hrsg.), Unternehmensverteidigung, S. 211 ff.

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6. Kap.: Grundstruktur eines Verbandssanktionenrechts de lege ferenda

lichen Interesses, weshalb der Staatsanwaltschaft in Österreich ein sehr weites Ermessen, aber in gleichem Zug auch die Möglichkeit der Entscheidung am jeweiligen Einzelfall orientiert zukommt. Insgesamt ist mit der Regelung des § 18 östVbVG intendiert, eine flexiblere und effizientere Strafverfolgung zu erreichen, bei der es vor allem auch möglich ist, die Umstände des konkreten Einzelfalls angemessen einzubeziehen und zu gewichten.123 Ganz grundsätzlich wird in § 19 östVbVG zwischen der sogenannten „staatsanwaltschaftlichen und der gerichtlichen Diversion“ unterschieden, wobei erstere124 die für die vorliegende Untersuchung relevantere ist: Liegen die Voraussetzungen hierfür vor, hat die Staatsanwaltschaft von der Verfolgung abzusehen (Einstellung).125 Allgemein anerkannt ist, dass fünf Voraussetzungen gegeben sein müssen:126 1. Ein hinreichend geklärter Sachverhalt, 2. Ein Offizialdelikt (Wortlaut des § 19 Abs. 1 östVbVG, der nur den „öffentlichen Ankläger“ nennt), 3. Voraussetzungen des § 198 Abs. 2 Nr. 1 und 3 östStPO i.V.m. § 19 Abs. 1 östVbVG (Argument: Die Maßnahmen sollen nur bei kleinerer und mittlerer Kriminalität Anwendung finden, ausgeschlossen sind daher z. B. nach Nr. 3 Straftaten, welche den Tod einer Person verursacht haben), 4. Schadenswiedergutmachung und Tatfolgenbeseitigung und 5. Keine präventive Kontraindikation. Ausfüllungsbedürftig und hervorzuheben sind vor allem die erste und die fünfte Voraussetzung. Bezüglich der ersten Voraussetzung ist es notwendig, dass der potentiell strafbare Sachverhalt hinreichend geklärt wird und im Zuge dessen (da diversionelle Maßnahmen127 gewissermaßen im Alternativverhältnis zu einer Anklage stehen) ein dringender Tatverdacht besteht. Dieser setzt nach österreichischem Recht voraus, dass das Gericht oder die Staatsanwaltschaft von der Schuld überzeugt ist und eine hohe Verurteilungswahrscheinlichkeit besteht.128 Hinsichtlich der fünften Voraussetzung ist anzumerken, dass hierbei eine sogenannte „positive spezial- und generalpräventive Prognose“ das Zünglein an der Waage ist. Für die Prognose müssen die Diversionsaufgaben bei der Bewertung miteinbezogen werden, und es muss die Maßnahme gewählt werden, die in präventiver Hinsicht am ehesten erfolgsversprechend ist. Trifft dies auf keine der Maßnahmen zu, liegt keine günstige Präventionsprognose vor.129 Die diversionellen Leistungen finden sich in § 19 öst123

So bei Hilf/Soyer, in: Hilf u. a. (Hrsg.), Unternehmensverteidigung, S. 20. Nach § 19 Abs. 1 VbVG, § 198 östStPO. 125 Steininger, VbVG, S. 114; zu § 19 VbVG auch bei Papp/Karner, in: Palkovits/Papp/ Rathkolb/Skribe, Unternehmensstrafrecht, Kap. 4.5. S. 1 ff.; zur Diversion nach § 19 östVbVG auch Konopatsch, in: Hotter u. a. (Hrsg.), Unternehmensstrafrecht, S. 153 ff. 126 Zu den Voraussetzungen Steininger, VbVG, S. 115 f.; Papp/Karner, in: Palkovits/Papp/ Rathkolb/Skribe, Unternehmensstrafrecht, Kap. 4.5. S. 1 ff. 127 Siehe zu den einzelnen Diversionsmaßnahmen Papp/Karner, in: Palkovits/Papp/Rathkolb/Skribe, Unternehmensstrafrecht, Kap. 4.5.1. S. 1 ff. 128 Siehe hierzu Steininger, VbVG, S. 115 m.w.N. 129 Vgl. Steininger, VbVG, S. 116. 124

B. Die Verfolgungspflicht gegenüber Verbänden

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VbVG. Hierzu zählen die Zahlung eines Geldbetrages, die Probezeit (mit oder ohne Begleitmaßnahmen) sowie gemeinnützige Leistungen. Im Gegensatz zu der staatsanwaltschaftlichen Diversion handelt es sich bei der gerichtlichen Diversion um eine Möglichkeit der Kontrolle der diversionellen Praxis der Staatsanwaltschaft.130 Nach § 19 Abs. 2 östVbVG ergibt sich die Zuständigkeit des Gerichts für die Verhängung von diversionellen Maßnahmen dann, wenn es einen Antrag auf die Verhängung einer Verbandsgeldbuße gibt (das Pendant hierzu im österreichischen Individualstrafrecht wäre die Anklageschrift).131 Liegen die Voraussetzungen des § 19 östVbVG vor (zeitliche Grenze: bis zum Schluss der Hauptverhandlung), kann das Gericht das Verfahren gegen den Verband durch Beschluss einstellen.132 4. Schweiz Mit dem Inkrafttreten der einheitlichen schweizerischen StPO am 1. Januar 2011 wurde das Strafprozessrecht für die gesamte Schweiz normiert, während es vorher eigene kantonale Strafprozessgesetze gab.133 Eine der wesentlichen Neuerungen der einheitlichen Strafprozessordnung war die Einführung des sogenannten „Staatsanwaltschaftsmodell II“134 (ohne Untersuchungsrichter bzw. als Gegenmodell zum vorher in den meisten Kantonen geltenden Untersuchungsrichtermodell).135 Nach diesem Modell ist vorgesehen, dass es keinen Untersuchungsrichter (mehr) gibt und die Staatsanwaltschaft die Leitung des gesamten Vorverfahrens im Sinne des Art. 16 Abs. 2 schwStPO innehat, welches das polizeiliche Ermittlungsverfahren sowie die Führung der Untersuchung inkludiert ebenso wie die Anklageerhebung und somit von der Verfahrenseröffnung bis zur Anklageerhebung (allumfassend) reicht.136 Davor waren in einigen Kantonen sogenannte „Untersuchungsrichtermodelle“ vorherrschend, welche auch bei der StPO-Vereinheitlichung zur Diskussion standen, 130

Vgl. zum Ganzen Steininger, VbVG, S. 118. Steininger, VbVG, S. 118 f. 132 Steininger, VbVG, S. 118 f. 133 Siehe dazu auch Art. 123 BV, der vorsieht, dass die Gesetzgebung auf dem Gebiet des Strafrechts und des Strafprozessrechts Sache des Bundes ist, vgl. Wohlers, StV 2019, 712 (713); Pieth, Schweizerisches Strafprozessrecht, S. 64; Bürge, Polizeiliche Ermittlung, S. 5 ff. 134 So Bürge, Polizeiliche Ermittlung, S. 7 ff. m.w.N. sowie S. 9 zum „Staatsanwaltschaftsmodell I“; auch bei SHK-UWG/Spitz, Art. 27 Rn. 8; Schlegel, Verwirklichung des Rechts auf Wahlverteidigung, S. 7 f. 135 Zu den Diskussionen von Änderungsvorschlägen rund um diese Thematik in der Vergangenheit überblicksartig in „Neue Zürcher Zeitung“ https://www.nzz.ch/article8073A-1.374 691 zuletzt abgerufen am 09. 11. 2020; dazu ausführlich und zu weiteren Neuerungen Bürge, Polizeiliche Ermittlung, S. 6 ff., 11 f. 136 Vgl. Bürge, Polizeiliche Ermittlung, S. 8 f. m.w.N., der hierbei auch auf die partielle Ähnlichkeit zum Modell der Strafverfolgung in Deutschland Bezug nimmt; Pieth, Schweizerisches Strafprozessrecht, S. 65 f. 131

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6. Kap.: Grundstruktur eines Verbandssanktionenrechts de lege ferenda

sich aber letztlich nicht durchsetzten.137 Diese zeichneten sich dadurch aus, dass ein Untersuchungsrichter bei einer Straftat tätig wurde und mit Hilfe der Polizei sodann die Akte an die Staatsanwaltschaft zur Entscheidung hierüber (Anklageerhebung oder Einstellung) sendete.138 Unterschieden wurde dazwischen, ob ein Untersuchungsrichter unabhängig untersuchte, was das Untersuchungsmodell I charakterisierte, oder aber weisungsgebunden gegenüber der Staatsanwaltschaft war, was das Untersuchungsmodell II darstellte.139 Primäres Ziel der Einführung des Staatsanwaltschaftsmodell II war es, eine Optimierung der Verfahrensabläufe durch Konzentrierung des Wissens und Handelns bei einer Behörde zu erreichen und somit die Effizienz der Strafverfolgung zu steigern.140 In der Schweiz gilt hinsichtlich des Verfahrens gegen Verbände der Grundsatz, dass, sofern die schwStPO keine spezifischen bzw. besonderen Regelungen für Verbände vorsieht, die allgemeinen Verfahrensnormen, welche auch für natürliche Personen gelten, angewendet und lediglich mutatis mutandis modifiziert werden.141 Aus diesem Grundsatz und dem Fehlen einer spezifischen Regelung folgt, dass in der Schweiz bezüglich der Verfolgungspflicht von Verbänden die allgemeinen Regeln angewendet werden. Die Verfolgungspflicht von Straftaten ist auch dort eine der wesentlichen Prozessmaximen. Sie ist in der Ausprägung als Legalitätsprinzip (was in der Schweiz noch vorherrschend ist142) in Art. 7 Abs. 1 schwStPO geregelt, wenngleich sich diesbezüglich mittlerweile eine Tendenz zur Einschränkung in Form eines „gemässigten Opportunitätsprinzip(s)“143 erkennen lässt.144 Art. 7 schwStPO besagt, dass die Strafverfolgungsbehörden zwingend tätig werden müssen, wenn genügende Verdachtsmomente hinsichtlich einer Straftat vorliegen.145 Eingeschränkt wird das Legalitätsprinzip durch das in Art. 8 schwStPO kodifizierte Opportunitätsprinzip, welches festlegt, dass in bestimmten Fällen von der strafrechtlichen Verfolgung 137

S. 8. 138

Pieth, Schweizerisches Strafprozessrecht, S. 65 m.w.N.; Bürge, Polizeiliche Ermittlung,

Bürge, Polizeiliche Ermittlung, S. 8 m.w.N. Bürge, Polizeiliche Ermittlung, S. 8 f. m.w.N.; krit. an dieser Stelle Pieth, Schweizerisches Strafprozessrecht, S. 65. 140 Bürge, Polizeiliche Ermittlung, S. 10 m.w.N.; ausführlich zum Ganzen Pieth, Schweizerisches Strafprozessrecht, S. 65 f., wenngleich dieser begrifflich nicht zwischen dem Staatsanwaltschaftsmodell I und II differenziert. 141 Grundlegend Schmid/Jositsch, Handbuch des schweizerischen Strafprozessrechts, S. 260 ff. m.w.N. 142 Vgl. Schmid/Jositsch, Handbuch des schweizerischen Strafprozessrechts, S. 64 f. 143 Botschaft v. 21. 12. 2005, BBl 2006, 1085 (1131); BStGer BB.2011.45 v. 11.10.11 E.7.1. 144 Pieth, Schweizerisches Strafprozessrecht, S. 41 f.; ausführlich und die unterschiedlichen Entwicklungen diesbezüglich abbildend Schmid/Jositsch, Handbuch des schweizerischen Strafprozessrechts, S. 64 ff. 145 Vgl. statt vieler Schmid/Jositsch, Handbuch des schweizerischen Strafprozessrechts, S. 64. 139

B. Die Verfolgungspflicht gegenüber Verbänden

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abgesehen werden kann oder sogar abgesehen werden muss, obwohl der Verdacht einer Straftat im Raume steht.146 Das für natürliche Personen geltende Opportunitätsprinzip nach Art. 8 Abs. 1 schwStPO (insbesondere in Verbindung mit Art. 52 schwStGB), wonach ein Absehen von der Strafverfolgung möglich ist, wenn Schuld und Tatfolgen gering sind, ist ebenfalls auf Unternehmen anwendbar. Dazu wird ausgeführt, dass das Opportunitätsprinzip ebenfalls auf Unternehmen Anwendung finde, auch wenn eine Strafbarkeit nach Art. 102 schwStGB drohe, „sofern ein bloss geringfügiges Organisationsverschulden und nicht schwere Tatfolgen vorliegen“.147 Art. 8 Abs. 1 schwStPO verweist insgesamt auf die Strafbefreiungsgründe der Art. 52, 53 und 54 schwStGB (als „wichtigste Anwendungsfälle“148), wonach ein fehlendes Strafbedürfnis, Wiedergutmachung oder die Betroffenheit des Täters (bei ihrem Vorliegen zwingend149) zur Straffreiheit führen.150 Steht die grundsätzliche Anwendung des Opportunitätsprinzips151 in der Schweiz auf Unternehmen hinreichend fest, scheinen sich damit weitere verbundene Aspekte im Umbruch zu befinden bzw. neu geregelt zu werden, wenngleich aufgrund der Aktualität bis dato nur wenig Literatur zu diesem Topos ausfindig zu machen ist.152 Vorrangig betroffen ist beispielsweise in dem Zusammenhang mit Unternehmen Art. 53 schwStGB153 (Wiedergutmachung), der in seiner Fassung vom 1. Juli 2019 lautet: 146 Dazu auch Schmid/Jositsch, Handbuch des schweizerischen Strafprozessrechts, S. 65 ff.; Pieth, Schweizerisches Strafprozessrecht, S. 41 ff. 147 BStGer BB.2011.45 v. 11.10.11 E.7.1.f. unter Verweis auf BSK StGB-Riklin, StGB, 2. Aufl. 2007, N.13. 148 Botschaft v. 21. 12. 2005, BBl 2006, 1085 (1131). 149 Dies gilt ebenfalls für die Voraussetzungen des Art. 8 Abs. 2 schwStPO. So Botschaft v. 21. 12. 2005, BBl. 2006, 1085 (1131) m.w.N. Nicht zwingend ist hingegen die Strafbefreiung nach Art. 8 Abs. 3 schwStPO, vgl. Schmid/Jositsch, Handbuch des schweizerischen Strafprozessrechts, S. 67; diff. Pieth, Schweizerisches Strafprozessrecht, S. 43, nach dem es sich hierbei aufgrund des „erheblichen Ermessensspielraums“ nur um eine „Unterscheidung (…) eher theoretischer Natur“ handele. 150 Zu diesen Strafbefreiungsgründen im Überblick Schmid/Jositsch, Handbuch des schweizerischen Strafprozessrechts, S. 66 f. 151 Ebenso wie Art. 8 Abs. 1 schwStPO kann Art. 8 Abs. 3 schwStPO (ein „mögliches“, jedoch nicht wie in Abs. 1 und 2 „zwingendes“ Absehen von der Strafverfolgung, wenn die Straftat bereits von einer ausländischen Behörde verfolgt wird oder die Verfolgung an eine solche Behörde abgetreten wird, wenn keine überwiegenden Interessen der Privatklägerschaft entgegenstehen) im Unternehmenskontext relevant werden. Dazu Pieth, Schweizerisches Strafprozessrecht, S. 42 f. m.w.N. 152 Grundlegend Wernli, Jusletter 6. Mai 2019, passim, abrufbar unter https://wbp-law.ch/ site/assets/files/1031/jusletter_6__mai_2019_deutsch.pdf zuletzt abgerufen am 09. 11. 2020. 153 Auch wenn der Wortlaut der Norm Unternehmen nicht explizit beim Namen nennt, sondern nur vom „Täter“ spricht, ist allgemein anerkannt, dass Art. 53 schwStGB grundsätzlich auch auf Unternehmen Anwendung finden kann, wenn keine ungünstige Prognose im Sinne des Art. 42 schwStGB vorliegt. Explizit BBl 2018 3757 (3761 f., 3765); so bei Wernli, Jusletter

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„Hat der Täter den Schaden gedeckt oder alle zumutbaren Anstrengungen unternommen, um das von ihm bewirkte Unrecht auszugleichen, so sieht die zuständige Behörde von einer Strafverfolgung, einer Überweisung an das Gericht oder einer Bestrafung ab, wenn: a) als Strafe eine bedingte Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr, eine bedingte Geldstrafe oder eine Busse in Betracht kommt; b) das Interesse der Öffentlichkeit und des Geschädigten an der Strafverfolgung gering sind; und c) der Täter den Sachverhalt eingestanden hat.“

Der Hintergrund des Reformbedarfs lag in unterschiedlichen Faktoren begründet. Zum einen wurde die Gefahr gesehen, dass (vor allem) durch die (monetäre) „Wiedergutmachung“ (und die damit verbundene Straffreiheit) der Eindruck entstehen könnte, insbesondere Unternehmen (und andere Personen) könnten sich auf diese Art und Weise freikaufen und infolgedessen würde es zu einer strafrechtlichen Privilegierung finanzstarker Angeklagter in Strafverfahren kommen.154 Darüber hinaus stand bei der Reform ebenfalls zur Diskussion, dass Art. 53 schwStGB nicht mehr auf transnational agierende Unternehmen anwendbar sein sollte, sondern nur noch national agierende Unternehmen in den Genuss der Verfahrensbeendigung auf diese Art und Weise kommen sollten.155 Dem Eindruck des Freikaufs von der Strafe hat der schweizerische Gesetzgeber entgegengesetzt, dass er dem Vorschlag der Kommission nachgekommen ist und bei der oben genannten Vorschrift als Obergrenze nur noch eine bedingte Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr (statt wie in der Vorgängerversion von bis zu zwei Jahren), eine bedingte Geldstrafe oder eine Buße vorsieht, weshalb der Strafbefreiungsgrund der Wiedergutmachung nun einen wesentlich engeren Anwendungskreis erfahren dürfte.156 Das Bedenken hinsichtlich der Einschränkung, dass transnational tätige Unternehmen benachteiligt würden, wenn die Norm nur noch auf national agierende Unternehmen anwendbar wäre, hat der Gesetzgeber in der Schweiz offenbar nicht geteilt.157 In der überarbeiteten Version des Art. 53 schwStGB lässt sich deshalb 6. Mai 2019, S. 6 m.w.N., abrufbar unter https://wbp-law.ch/site/assets/files/1031/jusletter_6__ mai_2019_deutsch.pdf zuletzt abgerufen am 09. 11. 2020; ders. zum Ganzen, Wiedergutmachung in Wirtschaftsstrafsachen gemäß Art. 53 StGB, iusNet 2019, passim. 154 BBl 2018 3757 (3758); so auch abgedruckt bei Wernli, Jusletter 6. Mai 2019, S. 1 m.w.N., abrufbar unter https://wbp-law.ch/site/assets/files/1031/jusletter_6__mai_2019_ deutsch.pdf zuletzt abgerufen am 09. 11. 2020; auch erwähnt bei Schmid/Jositsch, Handbuch des schweizerischen Strafprozessrechts, S. 67 Fn. 316; Pieth, Schweizerisches Strafprozessrecht, S. 42 m.w.N. 155 Dazu Wernli, Jusletter 6. Mai 2019, S. 2 f. m.w.N., abrufbar unter https://wbp-law.ch/site/ assets/files/1031/jusletter_6__mai_2019_deutsch.pdf zuletzt abgerufen am 09. 11. 2020. 156 BBl 2018, 3757 (3764); zum Ganzen auch Vogt/Frank, WiJ 2019/4, 184 passim. 157 Siehe zu diesem Bedenken Wernli, Jusletter 6. Mai 2019, S. 2 abrufbar unter https://wbplaw.ch/site/assets/files/1031/jusletter_6__mai_2019_deutsch.pdf zuletzt abgerufen am 09. 11. 2020.

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zwar, soweit ersichtlich, keine diesbezügliche Einschränkung des Wortlautes ausfindig machen, weshalb davon auszugehen ist, dass der Strafbefreiungsgrund der Wiedergutmachung aus Art. 53 schwStGB auf sämtliche Unternehmen jedenfalls im Grunde Anwendung findet. Dennoch erfährt dieser Strafbefreiungsgrund in der Praxis – in den zumeist von der Bundesanwaltschaft geführten Verfahren gegen transnationale Unternehmen – so gut wie gar keine Anwendung.158 Dies liegt vor allem daran, dass in derartigen Verfahren das öffentliche Interesse von der Bundesanwaltschaft immer bejaht wird und es somit an einer Voraussetzung des Art. 53 schwStGB fehlt.159 Diese generelle Annahme des öffentlichen Interesses bei transnational agierenden Unternehmen durch die Bundesanwaltschaft wird jedoch problematisch und kritisch gesehen, da aufgrunddessen die Wiedergutmachung nach Art. 53 schwStGB diesen Unternehmen von vornherein abgeschnitten wird.160 Hinsichtlich der Verfahrensweise ist festzuhalten, dass, sofern eine Strafbefreiung wegen Wiedergutmachung in Betracht käme, die Staatsanwaltschaft beide Seiten (Geschädigte(n) und Beschuldigte(n)) zu Verhandlungen mit dem Ziel der Wiedergutmachung laden würde (Art. 316 Abs. 2 schwStPO). Wären die Verhandlungen erfolgreich, würde die Staatsanwaltschaft das Verfahren einstellen.161 Neben dieser Aktualisierung des schwStGB ist zusätzlich eine Reform der schwStPO angekündigt/auf dem Weg, und wenngleich sich hier wenig Sicherstehendes ausfindig machen lässt, sollen an dieser Stelle dennoch die Sinne für mögliche Innovationsbestrebungen geschärft werden. So wurde vor allem ein „Aufschub der Anklageerhebung bei Verfahren gegen Unternehmen“ von der Bundesanwaltschaft ins Spiel gebracht.162 Die dezidierte Forderung bestand darin, eine neue Norm in der schwStPO dergestalt zu schaffen, dass die Staatsanwaltschaft die Anklageerhebung gegen ein Unternehmen aufschieben kann und das Strafverfahren später einstellen kann, wenn das Unternehmen bestimmte Voraussetzungen erfüllt.163 Dies 158 Siehe zur Zuständigkeit der Staatsanwaltschaft des Bundes in der Schweiz Art. 23 und 24 schwStPO sowie https://www.bundesanwaltschaft.ch/mpc/de/home/die-bundesanwaltschaft/ aufgaben-breit11.html zuletzt abgerufen am 09. 11. 2020. Zu Art. 53 schwStGB (in der Vorgängerversion) auch Schaub, ius.full 2014, 74 passim; Wernli, Wiedergutmachung in Wirtschaftsstrafsachen gemäss Art. 53 StGB, iusNet 2019, S. 1 f. 159 Vgl. statt vieler Wernli, Wiedergutmachung in Wirtschaftsstrafsachen gemäss Art. 53 StGB, iusNet 2019, S. 1 f. 160 Siehe dazu Wernli, Wiedergutmachung in Wirtschaftsstrafsachen gemäss Art. 53 StGB, iusNet 2019, S. 2, der explizit darauf hinweist, dass es sich bei einem solchen Vorgehen der generellen Annahme des öffentlichen Interesses um „keine rechtsgleiche Behandlung“ handelt und es hierfür auch „keine Stütze im Gesetz“ gebe. 161 Siehe zum Ganzen BBl 2018, 3757 (3766). 162 Dazu beispielsweise Wernli, Jusletter 6. Mai 2019, S. 4 m.w.N., abrufbar unter https:// wbp-law.ch/site/assets/files/1031/jusletter_6__mai_2019_deutsch.pdf zuletzt abgerufen am 09. 11. 2020; ders., Wiedergutmachung in Wirtschaftsstrafsachen gemäss Art. 53 StGB, iusNet 2019, S. 2. 163 Vgl. Wernli, Jusletter 6. Mai 2019, S. 4 m.w.N., abrufbar unter https://wbp-law.ch/site/as sets/files/1031/jusletter_6__mai_2019_deutsch.pdf zuletzt abgerufen am 09. 11. 2020.

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sollte auch dann der Fall sein, wenn die Voraussetzungen für eine Anklage eigentlich gegeben sind. Als Voraussetzungen, welche das Unternehmen erfüllen müsste, wurden zusammengefasst vorgeschlagen:164 1. Anerkennung des Sachverhaltes durch das Unternehmen, 2. Kooperation des Unternehmens, 3. Einigung über zu treffende Vorkehrungen, die Mängel beheben und in Zukunft vermeiden, 4. Festlegung eines Mechanismus der Überprüfung der Einhaltung dieser Vorkehrungen, 5. Einigung über Zahlungen einer Buße etc. als Ausgleich, 6. Vereinbarung einer Probezeit. Anzumerken ist, dass nicht ersichtlich ist, dass dieser Vorschlag Eingang in die reformierte Fassung der schwStPO gefunden hat oder überhaupt eine realistische Chance besteht, dass er dies in Zukunft finden wird.165 Für Unternehmen relevant ist hinsichtlich ihrer Verfolgung ebenfalls Art. 17 schwStPO (Übertretungsstrafbehörden): Gemäß Abs. 1 besteht die grundsätzliche Möglichkeit einer Zuständigkeitsübertragung an die Verwaltungsbehörden, wenn es sich um eine Übertretung nach schweizerischem Recht handelt. Abs. 2 legt fest, dass Übertretungen, die im Zusammenhang mit einem Verbrechen oder Vergehen begangen worden sind, mit diesem zusammen durch die Staatsanwaltschaft und durch Gerichte verfolgt und beurteilt werden.166 Art. 102 schwStGB benennt eine Anlasstat, die Vergehen oder Verbrechen ist. Aus diesem Zusammenspiel ergibt sich, dass die Zuständigkeit für die strafrechtliche Verfolgung eines Unternehmens immer bei der Staatsanwaltschaft/dem Gericht liegt.167

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Botschaft v. 28. 08. 2019, BBl 2019, 6697 (6722 f.); siehe dazu auch bei Wernli, Jusletter 6. Mai 2019, S. 4 m.w.N., abrufbar unter https://wbp-law.ch/site/assets/files/1031/jusletter_6__ mai_2019_deutsch.pdf zuletzt abgerufen am 09. 11. 2020, der als zusätzliche Voraussetzung noch explizit die Begleitung durch einen Monitor ins Feld führt. 165 Ausdrücklich abgelehnt wurde der Vorschlag in der Botschaft v. 28. 08. 2019, BBl 2019, 6697 (6723), unter anderem, weil davon ausgegangen wurde, dass er das ohnehin schon große Machtpotential der Staatsanwaltschaft noch mehr ausbauen und so zu einem Ungleichgewicht führen würde; vgl. auch Wernli, Wiedergutmachung in Wirtschaftsstrafsachen gemäss Art. 53 StGB, iusNet 2019, S. 2. 166 Dazu BSK StGB-Niggli/Gfeller, Art. 102 Rn. 449. 167 Vgl. BSK StGB-Niggli/Gfeller, Art. 102 Rn. 449.

B. Die Verfolgungspflicht gegenüber Verbänden

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5. Fazit Wird bezüglich jeder Rechtsordnung resümiert, lässt sich hinsichtlich der Situation in den USA festhalten, dass das Opportunitätsprinzip den Behörden bei der Strafverfolgung von Unternehmen einen sehr extensiven Ermessensspielraum gewährt. Durch die aufgezeigten Memoranden soll das Ermessen zwar konturiert werden und eine möglichst gleichmäßige Anwendung sichergestellt werden. Jedoch ist darauf hinzuweisen, dass es sich bei den Richtlinien lediglich um interne Anweisungen für die Behörden handelt, sodass der Eindruck, der sich bei einem ersten Blick auf die Memoranden ergibt, nämlich, dass diese genaue Vorgaben machen, wie das Ermessen auszuüben ist, in gewisser Hinsicht täuscht. Wie aufgezeigt, haben die Memoranden allesamt unterschiedliche Schwerpunkte, beschäftigen sich jedoch immer mit den aktuellen wirtschafts- und geistespolitischen Strömungen. Interessant ist insbesondere die verstärkte Abkehr von der Unternehmensverantwortlichkeit hin zur Individualverantwortlichkeit, die das Yates-Memorandum beabsichtigte, da sie diametral zur Situation im kontinentaleuropäischen Rechtskreis zu laufen scheint, die gerade die (strafrechtliche) Verantwortlichkeit von Unternehmen anstrebt(e). Wenngleich anzumerken ist, dass die harte Linie des Yates-Memorandums, die vorsah, dass das Unternehmen alle natürlichen Personen, die im Zusammenhang mit dem unternehmerischen Fehlverhalten stehen, nennen musste, um eine Kooperation bestätigt zu bekommen, mittlerweile aufgrund von Praxiserwägungen deutlich abgemildert wurde. Neben den inhaltlich unterschiedlich strukturierten Richtlinien fällt bei Betrachtung der Lage in den USA weiter auf, dass Gerichte bei der Entscheidungsfindung einer möglichen Erledigung des Verfahrens auf die oben genannten Weisen (zum Beispiel über ein DPA) nicht eingebunden sind. Darüber hinaus existieren auch wenig gesetzliche Vorgaben, die das Ermessen der Strafverfolgungsbehörden einschränken. Letztlich liegt die Entscheidung über die Frage, ob das Unternehmen die Auflagen in angemessenem Maße erfüllt hat und das Verfahren nach Zeitablauf abschließend eingestellt wird, ausschließlich bei den Strafverfolgungsbehörden. Eine solche Vorgehensweise in den USA stellt nicht nur ein Einfallstor für Missbräuche dar, sondern bedeutet quasi eine Verschiebung der Macht von den Gerichten auf die Staatsanwälte.168 Das Machtmonopol der Strafverfolgungsbehörden reicht derart weit (und erfährt im gleichen Zug kaum Konturierungen und noch weniger Beschränkungen), dass es sogar denkbar wäre, dass die Staatsanwaltschaft durch ihre Entscheidungen gegen die Unternehmen Einfluss auf den wirtschaftlichen Markt nehmen kann, indem sie ein Unternehmen anklagt (was die Gefahr des Reputationsverlustes oder sogar eine Existenzbedrohung bedeuten kann) oder nicht anklagt. 168 Ausführlich zu diesem Kritikpunkt auch Sprenger, Deferred Prosecution Agreements, Rn. 1.45 ff., die in Rn. 1.48 darauf hinweist: „But from both camps the greater concern is that under the existing US model of DPAs, the concentration of power is in the hands of the prosecutor and not with the courts.“

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6. Kap.: Grundstruktur eines Verbandssanktionenrechts de lege ferenda

Zusätzlich besteht dadurch das Risiko, dass (insbesondere Bundes-)Staatsanwälte hinsichtlich der Ermittlungen Entscheidungen treffen, welche für ihre eigene Karriere am günstigsten sind bzw. ihre Karriere fördern, und nicht Entscheidungen, die rechtstatsächlich angemessen wären (wobei freilich dieser gegenseitige Ausschluss nicht zwingend ist, denn es ist natürlich durchaus möglich, dass eine Entscheidung sowohl rechtlich betrachtet angemessen und richtig als auch positive Auswirkungen auf die Karriere eines Staatsanwaltes hat).169 Die beschriebene und nicht zu unterschätzende Gefahr wurzelt dabei vor allem in dem geltenden Rechtssystem der USA: Von (Bundes-)Staatsanwälten wird der Erfolg eines Verfahrens bzw. der Sieg im Verfahren erwartet, wenn sie denn eines führen, ergo Anklage gegen ein Unternehmen erheben. Aus dem Grund kommt der Arbeit der Rechtsanwälte im Vorfeld, die sich insbesondere auf die Überzeugung des Staatsanwaltes richtet, einen potentiellen Prozess nicht gewinnen zu können, immense Bedeutung zu. Denn es besteht die ernsthafte Möglichkeit, dass dieser aufgrund mangelnder Gewinnaussichten und der damit einhergehenden Besorgnis des Unterliegens im Prozess keine Anklage erhebt. Strebt der Staatsanwalt nämlich ein Verfahren an und verliert den Prozess vor Gericht, geht damit ein nicht nur unerheblicher Reputationsverlust und Karriereschaden für ihn einher. Richtet sich der Blick auf England, lässt sich zusammenfassend sagen, dass auch dort die Vergleiche zwischen Strafverfolgungsbehörde und Unternehmen eine herausragende Rolle spielen und gegenüber Vergleichen in den USA, dies dürfte nicht überraschen, nicht hintenanstehen. Insgesamt entsteht der Eindruck, dass das Vorgehen für den Abschluss eines DPA in England insgesamt formalisierter ist und die zweifache gerichtliche Kontrolle eine verlässliche Kontrollinstanz des Ermessens der Staatsanwaltschaft darstellt. Wenngleich darf dies nicht darüber hinwegtäuschen, dass das grundsätzliche Ermessen, ob überhaupt ein DPA angestrebt wird, bei der Staatsanwaltschaft gebündelt ist und ihr demzufolge ebenfalls eine große Machtposition zukommt. Zwar bietet der Abschluss eines DPA auch in England nicht nur unerhebliche Vorteile, jedoch gilt es hierbei, die nicht zu unterschätzenden Bedingungen im Blick zu behalten, die damit einhergehen und die das Unternehmen erfüllen muss. In Österreich gilt grundsätzlich im Verbandsstrafverfahren das Legalitätsprinzip, wenngleich auch dort ins Auge sticht, dass der Staatsanwaltschaft bezüglich der Erledigung eines Verbandsstrafverfahrens ein Ermessen eingeräumt wird. Dies spiegelt sich vor allem in den vielfältigen Erledigungsmöglichkeiten wider, die das Gesetz einräumt, sodass Verbandsverfehlungen zwar grundsätzlich strafrechtlich verfolgt werden sollen, jedoch anerkannt ist, dass vielgestaltige Fallkonstellationen denkbar sind, in denen eine strafrechtliche Verfolgung (unter spezialpräventiven Gesichtspunkten) nicht der vorzugswürdige Weg ist. Darüber hinaus kann durch die unterschiedlichen Möglichkeiten des Absehens von der Verfolgung, insbesondere aufgrund der Erwartung eines beträchtlichen Ermittlungsaufwands, der offenkundig 169

Vgl. zum Folgenden Partsch, The Foreign Corrupt Practices Act, S. 77 f.

B. Die Verfolgungspflicht gegenüber Verbänden

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außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache oder zu der zu erwartenden Sanktion stünde (§ 18 Abs. 1 östVbVG), ein praxisgerechtes Zusammenspiel in Kombination mit dem geltenden Legalitätsprinzip erreicht werden. In der Schweiz richtet sich die strafrechtliche Verfolgung von Verbänden nach den Regelungen der schweizerischen Strafprozessordnung. Hierfür findet grundsätzlich das Legalitätsprinzip Anwendung, wenngleich dieses an unterschiedlichen Stellen durchbrochen wird, indem die Möglichkeit besteht, dass die Staatsanwaltschaft das Verfahren unter Opportunitätsgesichtspunkten einstellt, sofern bestimmte Voraussetzungen vorliegen. Auch in der Schweiz wird damit kein unbedingter Verfolgungszwang angeordnet. Wenig zu begrüßen ist die weitere Einschränkung des Art. 53 schwStGB, sodass der Strafbefreiungsgrund der Wiedergutmachung in der Praxis auf Unternehmen keine Anwendung (mehr) findet. Die Bestrebungen hinsichtlich des Aufschubs der Anklageerhebung bei Verfahren gegen Unternehmen erinnern stark an die Deferred Prosecution Agreements in den USA und England, wenngleich sich eine derartige Verfahrensbeendigung nach derzeitigen Erkenntnissen in der Schweiz (noch) nicht durchzusetzen scheint, da hierhin die Gefahr der Übertragung von unkontrollierter Macht an die Staatsanwaltschaft gesehen wird. Insgesamt kann festgehalten werden, dass die strafrechtliche Verfolgungspflicht von Verbänden in den Rechtsordnungen zwar unterschiedlich ausgestaltet ist (Opportunitäts- und/oder Legalitätsprinzip), jedoch vor allem zwei Gemeinsamkeiten ins Auge stechen: In allen Rechtsordnungen besteht für Unternehmen die Möglichkeit, dass von der strafrechtlichen Verfolgung unter bestimmten Voraussetzungen abgesehen werden kann: Die Wahrscheinlichkeit hierfür scheint offenbar umso höher zu sein, je aktiver das Unternehmen bereits im Vorfeld präventiv und während des Ermittlungsverfahrens tätig wird. Zwar bedeutet Quantität nicht gleich Qualität, jedoch hat sich in einigen Konstellationen (vor allem bzgl. Compliance-Systemen) scheinbar bewährt: „viel hilft viel“. Dies gilt selbst dann, wenn der Verzicht der Verfolgung nicht mehr in Betracht kommt, da in dem Fall zumeist dennoch eine Strafmilderung erreicht werden kann. Eine weitere Gemeinsamkeit, die sich in den Rechtsordnungen ausmachen lässt, besteht darin, dass hinsichtlich einer möglichen Verfahrenseinstellung aufgrund opportuner Erwägungen in allen Rechtsordnungen ganz ähnliche Aspekte ausfindig zu machen sind, die ausschlaggebend bei der Abwägung sein sollen. Hierzu zählen insbesondere das öffentliche Interesse oder besonders schwere Folgen der Tat sowie die Schadenswiedergutmachung. Wertung und Funktion der Faktoren sind in allen untersuchten Rechtsordnungen, die zwar auf der einen Seite honorieren (können), auf der anderen Seite aber ebenso (entsprechend) schwerer sanktionieren (können), also durchaus ähnlich. Wird hier vor allem auf die Erwägung des öffentlichen Interesses abgestellt, dürften der dahinterstehende Sinn und Zweck darin begründet liegen, dass gerade in medienwirksamen Verfahren gegen Unternehmen, von denen auch die Verbraucher nicht nur in Ausnahmefällen betroffen sind, das öffentliche Interesse groß ist, weshalb eine Berücksichtigung als Abwägungsfaktor angemessen ist.

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6. Kap.: Grundstruktur eines Verbandssanktionenrechts de lege ferenda

Darüber hinaus sei an dem Punkt „Kooperation mit den Strafverfolgungsbehörden“ auch ein Wort der Mahnung angebracht, da vor allem im Common Law als einem Rechtskreis, der von einer Vergleichskultur bewegt wird, deutlich wird, dass gerade Kooperationen mit den Behörden (die zu genanntem Anklageverzicht oder zur Strafmilderung führen) dem Unternehmen viel abverlangen und nicht selten mit hohen Risiken verbunden sind, weshalb immer genau zu taxieren ist, ob eine Kooperation seitens des Unternehmens angestrebt wird. Werden nun alle Modelle der unterschiedlichen Rechtsordnungen hinsichtlich der strafrechtlichen Verfolgung(-spflicht) in ihrer Gesamtheit betrachtet und wird nach einem Erkenntnisgewinn für ein künftiges deutsches Verbandssanktionenrecht Ausschau gehalten, schweift dieser Blick nicht ins Leere: Zunächst tritt bei Betrachtung der Situation in den USA hervor, dass die unterschiedlichen Memoranden zwar ein gewisses Maß an Flexibilität und Agilität zeigen, wenn es um wachsende oder andersartige Anforderungen bei der Strafverfolgung geht, die eine Effizienzsteigerung bei der Verfolgung von Unternehmen erwirken mögen. Dennoch stechen vor allem die Vergleiche mit den Behörden ins Auge, die zwar für die US-amerikanische Rechtskultur als „Vergleichskultur“ typisch sein dürften, die aber jedenfalls abstrakt als konsensuales Element für ein künftiges Verbandssanktionenrecht zumindest hinsichtlich eines Faktors Bauchschmerzen bereiten:170 Wie aufgezeigt, ergibt sich aufgrund der kaum beschränkten Machtstellung der Staatsanwaltschaft ein nicht zu unterschätzendes Einfallstor für Missbräuche und die Verfolgung unterschiedlichster (mitunter auch ausschließlich subjektiv motivierter) Ziele. Auch die teilweise mittlerweile gebundenen Entscheidungen, beispielsweise aufgrund des Rosenstein-Memorandum, scheinen nur wenig Einhalt zu gewähren, da weiterhin kein Richter originär an den Entscheidungen beteiligt wird. Einem solchen Risiko (was insbesondere aufgrund der mangelnenden richterlichen Kontrolle entstehen kann) sollte in Deutschland für ein Verbandssanktionenrecht de lege ferenda bereits vom Ursprung her entgegengewirkt werden, sodass nicht alle Verfahren ohne gerichtliche Kontrolle durch die Staatsanwaltschaft im Vorfeld entschieden werden können sollten bzw. die Staatsanwaltschaft allein nach ihrem Ermessen entscheiden kann. In einigen Punkten ähnlich, das dürfte nicht überraschen, ist das Modell in England, welches ebenfalls, wie in den USA, die Verfahrensbeendigung durch ein DPA vorsieht, wenngleich die Verfahrensweise hierzu in England überzeugender (hinsichtlich einer Lösungsorientierung für ein deutsches Verbandssanktionenrecht) ist, da die Vorgaben bei einem DPA für die Staatsanwaltschaft zum einen strikter scheinen und zum anderen eine doppelte gerichtliche Kontrolle implementiert wurde, welche die Macht der Staatsanwaltschaft effektiv beschränken dürfte. 170 Hierzulande stoßen konsensuale Elemente, jedenfalls im Individualstrafrecht, wie § 257c StPO auf deutliche Zurückhaltung. Vgl. nur Fezer, NStZ 2010, 177 (183); Hettinger, JZ 2011, 292 passim; Schünemann, FS Wolter, 1107 (1112 ff.); SK-StPO/Velten, Vor § 257b, Rn. 12; L/R-StPO/Stuckenberg, § 257c Rn. 2 f.

B. Die Verfolgungspflicht gegenüber Verbänden

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Ausgeglichener scheint das Modell, welches in Österreich vorherrschend ist. Dieses schafft eine angemessene Balance hinsichtlich der Machtstellung von Gericht und Staatsanwaltschaft, bietet aber ebenfalls durch die Kombination von Legalitätsund Opportunitätsprinzip die Möglichkeit, von der strafrechtlichen Verfolgung des Unternehmens abzusehen, ohne aber der Staatsanwaltschaft dabei eine besonders hohe Machtstellung einzuräumen. Ähnliches gilt für den Ansatz, welcher in der Schweiz verfolgt wird und der im Grunde das Legalitätsprinzip vorsieht, von diesem aber zugunsten des Opportunitätsprinzips für Unternehmen unter bestimmten Voraussetzungen Ausnahmen vorsieht, wenngleich diese Ausnahmen (bzw. ihre Voraussetzungen) eine enorm restriktive Handhabung erfahren, sodass Unternehmen dort vor allem kaum in den Genuss der sogenannten „Wiedergutmachung“ kommen dürften.

III. Lösungsansatz: Kombinationsmodell beider Prinzipien Die vorangehenden Erwägungen bedeuten in der Konsequenz, dass für ein Verbandssanktionenrecht weder die starre Anwendung des Opportunitäts- noch des Legalitätsprinzips überzeugend ist. Beide, sowohl das Legalitätsprinzip mit seiner strikten Anklagepflicht als auch das Opportunitätsprinzip, welches der Staatsanwaltschaft ein unbeschränktes Ermessen einräumt, scheinen unabhängig voneinander nicht dazu geeignet, in Deutschland der Materie eines Verbandssanktionenrechts gerecht zu werden und diese angemessen zu erfassen. Beide weisen bei der ausschließlichen Anwendung zu gravierende Schwächen auf, um sie für ein Verbandssanktionenrecht Gesetz werden zu lassen. Für diesen Rückschluss spricht darüber hinaus, dass auch im Rahmen der Rechtsvergleichung keine Rechtsordnung ein reines Legalitätsprinzip vorsieht und die bloße Anwendung des Opportunitätsprinzips in den USA zu mitunter großen Schwierigkeiten führt. Eine denkbare Lösung könnte indes darin bestehen, beide Prinzipien in einem Kombinationsansatz zu vereinen, um so die Defizite, welche aus der starren Anwendung nur eines der Prinzipien resultieren würden, zu beheben. Darüber hinaus könnte ein Kombinationsansatz mehr Klarheit sowie Rechtssicherheit für Strafverfolgungsbehörden und Unternehmen gleichermaßen schaffen und damit beiden Seiten gerecht werden. Zu den wesentlichen Regelungspunkten und Modalitäten eines derartigen Kombinationsmodells könnten dabei die folgenden gehören: 1. Ermittlungspflicht Zwei der zentralen Punkte, welche dem Kombinationsansatz seine Form geben bzw. die die wesentlichen Stellschrauben sind und die es genau zu justieren gilt, bestehen darin, ob es eine Ermittlungs- und/oder Anklagepflicht geben sollte. Nach dem geltenden Recht muss die Staatsanwaltschaft im Kriminalstrafrecht bei Vorliegen eines Anfangsverdachts einer Straftat aufgrund des Legalitätsprinzips (§ 152

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6. Kap.: Grundstruktur eines Verbandssanktionenrechts de lege ferenda

Abs. 2 StPO) stets die Ermittlungen aufnehmen.171 Im Verfahren kommen ihr derzeit somit erst nach Aufnahme der Ermittlungen Opportunitätserwägungen zu, sodass sie für den Fall, dass es sich beispielsweise nur um ein Vergehen handelt, das Verfahren nach §§ 153, 153a StPO (unter den weiteren dort genannten Voraussetzungen) einstellen kann. Hingegen ergibt sich für das Ordnungswidrigkeitenrecht aus § 47 OWiG, dass der Verfolgungsbehörde bereits hinsichtlich der Einleitung des Ordnungswidrigkeitenverfahrens ein Ermessen zukommt. Darüber hinaus kann sie das Verfahren ebenfalls bereits dem Grunde nach ohne weitere Voraussetzungen aus Opportunitätsgründen nach § 47 OWiG in jedem Verfahrensstadium einstellen. In einem zukünftigen Verbandssanktionenrecht sollte, sofern ein Anfangsverdacht für eine Verbandstat vorliegt, eine Ermittlungspflicht der Staatsanwaltschaft ebenso bestehen, wie es in § 160 Abs. 1 – 3 StPO für Individualstraftaten vorgesehen ist. Um den Bedenken gegen ein reines Legalitätsprinzip aufgrund des hohen Ermittlungsaufwandes bei jedem Anfangsverdacht einer Verbandstat Rechnung zu tragen, erscheint für den weiteren Verlauf des Verfahrens dann ein Anklageermessen denkbar (dazu sogleich). Durch die Ermittlungspflicht könnte garantiert werden, dass die Staatsanwaltschaft Ermittlungen nicht bloß aufgrund des Ermittlungsaufwandes oder aufgrund anderer Unwägbarkeiten oder Unsicherheiten bereits im Grunde unterlässt. Dadurch könnte eine gleichmäßigere Normanwendung (als de lege lata) sichergestellt werden und die Verfolgung schwerster Unternehmenskriminalität nicht alleine im Ermessen der Verfolgungsbehörden liegen. Damit würde der Schwäche des Opportunitätsprinzips vorgebeugt werden, die nicht nur, aber auch zu wirtschaftlichen Beeinflussungen durch die Strafverfolgungsbehörden führen könnte. Hierin würde die grundlegende Komponente des Legalitätsprinzips des kombinatorischen Ansatzes liegen. Dafür spräche auch, dass dadurch eine größtmögliche Parallele zum deutschen Kriminalstrafrecht mutatis mutandis für ein Verbandssanktionenrecht realisiert würde. Wird von einer derartigen Ermittlungspflicht der Staatsanwaltschaft ausgegangen, folgt unmittelbar darauf die (berechtigte) Frage, wie weit diese Ermittlungspflicht reicht. Hier sollte nicht außer Acht gelassen werden, dass mit der Einräumung eines Anklageermessens auch die Freiheit der Strafverfolgungsbehörden verbunden sein muss, nicht bis zur Anklagereife auszuermitteln, um zumindest auch auf eine prozessökonomische Lösung hinzuwirken. Ohne dass an dieser Stelle abstrakt festgelegt werden könnte, wie weit diese Ermittlungspflicht im Detail reicht, soll der Hinweis genügen, dass die Staatsanwaltschaft bereits derzeit in Fällen der 171

Bei einem Verbandssanktionenrecht würde sich hier die Frage stellen, ob der Anfangsverdacht nur die Anlasstat oder auch einen Zurechnungsgrund für die Verbandsverantwortlichkeit umfassen muss. Wird beides verlangt (da auch eine Verurteilung beides voraussetzen würde), kann freilich das Problem entstehen, dass eine beschuldigtenähnliche Stellung des Verbandes mit den daraus resultierenden Rechten (etwa §§ 136 StPO, 148 StPO) erst relativ spät eintritt, nachdem im Zusammenhang mit der Individualperson schon weitreichende Ermittlungsmaßnahmen stattgefunden haben, vgl. dazu auch Rübenstahl, ZWH 2019, 265 (269 f.).

B. Die Verfolgungspflicht gegenüber Verbänden

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§§ 153 ff. StPO in der Praxis nicht vollständig ausermittelt, dies gerade dem Wesen des Opportunitätsprinzips immanent ist und es deshalb auch im Verbandssanktionenrecht so sein könnte. 2. Anklageermessen In Bezug auf die Anklage sollte es dagegen gerade keine Anklagepflicht der Staatsanwaltschaft wie in § 170 Abs. 1 StPO für das Individualstrafrecht geben. Vielmehr könnte die Einbringung einer opportunitiven Komponente, in Form eines Anklageermessens, Sinn machen. Diese Opportunitätskomponente führt dazu, dass die Staatsanwaltschaft das Verfahren gegen den Verband auch dann einstellen kann, wenn die strafrechtliche Verantwortlichkeit des Verbandes praktisch bewiesen werden kann. Darüber hinaus kann in Erwägung gezogen werden, ob auch Konstellationen benannt werden sollten, bei deren Vorliegen die Staatsanwaltschaft das Verfahren einstellen müsste oder jedenfalls einstellen sollte. In Betracht kommt zum Beispiel, dass das Verfahren gegen den Verband eingestellt werden muss, wenn ein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung nicht (mehr) besteht, eine Schadenswiedergutmachung gegeben ist und ein effektives Compliancesystem vorliegt. Für eine „Muss-“ oder jedenfalls „Soll-“Einstellung in diesen Fällen könnte der Gesichtspunkt der Rechtssicherheit für die Unternehmen sprechen; andererseits könnte die Begehung von Verbandstaten damit aber auch zum kalkulierbaren Risiko werden. Daneben wäre es wichtig herauszustellen, inwiefern bereits bestehende Einstellungsgründe der StPO für Individualpersonen auf ein Verbandssanktionenrecht Anwendung finden könnten. Dies ist davon abhängig, ob das Verbandssanktionenrecht dem Kriminalstrafrecht zugeordnet oder eine eigene dritte Spur (neben Ordnungswidrigkeitenrecht und Kriminalstrafrecht) bilden würde. Für den Fall, dass das Verbandssanktionenrecht ausdrücklich zu der Spur des Kriminalstrafrechts zählen würde, wäre die Möglichkeit einer direkten Anwendung der §§ 153, 153a StPO schwierig, da diese ihren Anknüpfungspunkt in dem Verdacht eines Vergehens haben. Der Unterschied zwischen dem Verdacht eines Vergehens und dem Verdacht eines Verbrechens, welchen § 153a StPO im Individualstrafverfahren macht, ist in einem Verbandssanktionsverfahren nicht ohne weiteres abbildbar, da bzw. soweit eine Freiheitsstrafe als Sanktion im Verbandssanktionenrecht nicht existiert. Würde in einem Verbandssanktionenrecht für eine Einstellung an die Schwere der haftungsauslösenden Tat angeknüpft, wäre dies nur eine teilweise befriedigende Lösung, da die Schwere der Anlasstat nicht zwangsweise das Verbandsunrecht identisch widerspiegelt. Ein solches Ergebnis resultiert aus folgender Überlegung: Zunächst muss eruiert werden, was die Schwere einer Verbandstat überhaupt ausmacht.

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6. Kap.: Grundstruktur eines Verbandssanktionenrechts de lege ferenda

Hier gibt es zwei Anknüpfungspunkte. Zum einen kann auf die Schwere der Anknüpfungstat selbst abgestellt werden oder zum anderen auf das Ausmaß des Verbandsverschuldens bzw. des Organisationsmangels. Würde auf die Schwere der haftungsauslösenden Tat abgestellt, könnte beispielsweise ein Mitarbeiter eine schwerwiegende Tat (Verbrechen als Haupttat bzw. Anknüpfungstat für die Verbandstat) begehen, bei der der Verband selbst nur Teilnehmer (durch eine Aufsichtspflichtverletzung/Organisationsverschulden) war. Hier würde das Opportunitätsprinzip, nach heutigem Verständnis, an seine Grenzen stoßen, da das Verfahren gegen den Verband als Teilnehmer nicht aus Opportunitätserwägungen eingestellt werden könnte, da sich der Strafgrund der Teilnahme anerkanntermaßen nach der akzessorischen Verursachungstheorie bestimmt. Demzufolge wird der Teilnehmer bestraft, weil er die Haupttat mitverursacht hat. Aus diesem Grund soll es daher keine andere Einstellungsmöglichkeit als diejenige, die für die Haupttat in Betracht kommt, geben und da diese (im Beispielsfall) ein Verbrechen war, könnte das Verfahren gegen den Verband nicht aus Opportunitätserwägungen eingestellt werden. Dieser Grundsatz ist für das Kernstrafrecht zielführend und logisch. Bei der Anwendung im Verbandssanktionenrecht kann dieser Grundsatz hingegen, wenn auf die Schwere der Haupttat rekurriert wird, im Ergebnis nicht überzeugen, da zwischen der Haupttat eines Mitarbeiters und der Teilnahme (beispielsweise durch eine Aufsichtspflichtverletzung/Organisationsverschulden) eine nicht nur unerhebliche Entfernung liegen kann, sodass hier eine unabhängige Einstellungsmöglichkeit gegeben sein sollte und die strikte Anwendung des Opportunitätsprinzips, die hier für eine Einstellungsmöglichkeit (des Teilnehmers) ausschließlich auf die Haupttat rekurrieren würde, nicht überzeugen kann. Die Schwere der Anknüpfungstat muss nämlich keinesfalls identisch mit dem Verbandsverschulden sein und würde, wie aufgezeigt, zu unverhältnismäßigen Ergebnissen führen. Hier könnte durch die Schaffung eines Modells wie in §§ 153, 153a StPO im Verbandssanktionenrecht Abhilfe geschaffen werden. Die anderen Vorschriften, wie zum Beispiel § 154c StPO, könnten hingegen entsprechend angewendet werden. Sollte das Verbandssanktionenrecht hingegen eine eigene dritte Spur darstellen, müsste sich der Gesetzgeber präzise über die Anwendbarkeit von Einstellungsmöglichkeiten, abhängig vom materiellen Recht äußern, um der Gefahr der Rechtsunsicherheit vorzubeugen. Möglich wäre dies entweder durch eine entsprechende Anwendung der §§ 153 ff. StPO oder durch ein eigenständiges Pendant zu diesen Regelungen im Verbandssanktionenrecht selbst. Bei einer eigenständigen Regelung im Verbandssanktionenrecht wäre es darüber hinaus erforderlich, dass der Gesetzgeber ebenfalls Pendants zu § 153b StPO und § 153c StPO schafft. Auch eine Einstellungsmöglichkeit wegen überzeugender Compliance sollte explizit vorgesehen sein.172 172

Siehe dazu S. 521.

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Bei der Einstellung gegen Auflagen könnte die Staatsanwaltschaft dem Verband Auflagen erteilen, welche eine Verurteilung aufgrund von Selbst-Rehabilitation des Verbandes nicht mehr notwendig werden lässt und daher bei Erfüllung zur Verfahrenseinstellung führen. Als Auflagen kommen zum Beispiel die Schadenswiedergutmachung und die Durchführung von Maßnahmen zur Verhinderung künftiger Verbandsverfehlungen (hier könnte insbesondere die Compliance ins Spiel kommen) in Betracht (vgl. auch § 5 Abs. 2 Kölner Entwurf). Die Einhaltung der Auflagen könnte durch einen Monitor sichergestellt werden (vgl. zum Beispiel § 5 Abs. 4 Kölner Entwurf). Der Monitor könnte vom Gericht bestellt werden. Sein Wirkungsbereich sollte allerdings nur in der Berichterstattung an das Gericht, ohne weitere Entscheidungsbefugnis sowie in der Möglichkeit, dem Verband Vorschläge für die Erfüllung von Auflagen zu machen, liegen.173 Durch derartige Maßnahmen könnte die Compliance entweder bereits als eigenständiger Einstellungsgrund berücksichtigt werden oder im Rahmen von Auflagen. Im Hinblick auf die favorisierte positiv-spezialpräventive Ausrichtung des Verbandssanktionenrechts und die Einordnung als dritte Spur zwischen dem Individualstrafrecht und dem Ordnungswidrigkeitenrecht kann die präzise Festlegung der Einstellungsmöglichkeiten insgesamt dazu führen, dass der durch das Legalitätsprinzip hervorgerufene Mehraufwand für die Justiz geringer ausfällt: Hier bietet es sich also an die Einstellungsmöglichkeiten der StPO anzuwenden und spezifische Einstellungsmöglichkeiten für Verbände zu schaffen.

IV. Regelungen im VerSanG-E 1. Legalitätsprinzip und Einstellungsmöglichkeiten gemäß StPO/VerSanG-E Der VerSanG-E sieht in seiner aktuellen Fassung bezüglich der Verfolgung von Verbänden die grundsätzliche Geltung des Legalitätsprinzips vor, was nach der Entwurfsbegründung durch die Formulierung in § 3 VerSanG-E „wird (…) verhängt“ zum Ausdruck kommen soll.174 Hierdurch soll insbesondere eine gleichmäßigere Anwendung des Rechts als bis dato vorherrschend erreicht werden.175 Von dem Legalitätsprinzip, welches nach § 24 Abs. 1 VerSanG-E in Verbindung mit § 152 Abs. 1, Abs. 2 StPO gilt, will das künftige Verbandssanktionengesetz allerdings dergestalt Ausnahmen machen, dass die Opportunitäts-Einstellungsmöglichkeiten aus der StPO Anwendung finden und darüber hinaus besondere, für Verbände geltende Einstellungsmöglichkeiten geschaffen werden (§§ 35 ff. VerSanG-E176). 173 174 175 176

So auch vorgesehen in § 5 Abs. 4 Kölner Entwurf. RegE.-Begr. S. 59; zum Ganzen auch bei Rübenstahl, ZWH 2019, 265 (269 ff.). RegE.-Begr. S. 59. Siehe dazu auch Rübenstahl, ZWH 2020, 193 ff.

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6. Kap.: Grundstruktur eines Verbandssanktionenrechts de lege ferenda

Insgesamt zeigt sich hier somit auch eine Facette eines kombinatorischen Ansatzes mit einem Schwerpunkt, der auf Seiten des Legalitätsprinzips auszumachen ist. Freilich führt ein anfänglicher Ermittlungszwang, dem im Grunde zuzustimmen ist, erwartbar zu einer erheblichen Mehrbelastung der Strafverfolgungsbehörden. Allerdings kann dieser Belastung nicht vollständig ausgewichen werden, wenn man sich rechtspolitisch dazu entschlossen hat, eine komplette neue Schiene der Verfolgung von Straftaten der Unternehmen einzuführen. Darüber hinaus scheint nicht ausgeschlossen, dass in Folge der Sanktionen, Auflagen etc. durch ein Verbandssanktionenrecht der Staatskasse auch in erheblichem Umfang bislang noch nicht bestehende Mehreinnahmen zufließen werden. Zuzugeben bleibt jedoch: Da solche Mehreinnahmen dem Ermittlungsaufwand immer erst nachfolgen können, ist nicht fernliegend, dass aus Kapazitätsgründen gleichwohl einzelne, wenige bedeutsame oder besonders komplizierte Fälle „übersehen“ und von Anfang an nicht verfolgt werden.177 2. Einstellungsgründe nach dem VerSanG-E Einen zentralen Punkt der Verfolgungspflicht von Verbänden in einem zukünftigen Verbandssanktionenrecht bilden mögliche Einstellungsgründe, die vor allem in einem primär spezial-präventiv ausgerichteten Verbandssanktionenrecht einen maßgeblichen Stellenwert einnehmen sollten. Diese Notwendigkeit wurde auch von den Verfassern des VerSanG-E erkannt, sodass in §§ 35 – 42 VerSanG-E unterschiedliche spezifische Einstellungsgründe vorgsehen sind, von denen einige wesentliche näher beleuchtet werden sollen.178 a) § 35 VerSanG-E (Absehen von der Verfolgung wegen Geringfügigkeit) § 35 Abs. 1 VerSanG-E sieht das Absehen von der Verfolgung des Verbandes wegen Geringfügigkeit vor und erklärt § 153 Abs. 1 StPO für anwendbar („(…) die Verfolgungsbehörde (kann) mit Zustimmung des für die Eröffnung des Hauptverfahrens zuständigen Gerichts von der Verfolgung des Verbandes absehen.“179), wenngleich dies nicht insoweit gilt, dass auch in einem Verbandssanktionsverfahren die „geringe Schuld“ maßgeblich sein soll, sondern es vielmehr bedeutend ist, ob die Verbandstat und bei § 3 Abs. 1 Nr. 2 VerSanG-E die Schwere und das Ausmaß des Unterlassens der angemessenen Vorkehrungen, welche zur Vermeidung dienen (§ 15 177

Siehe zu diesem Punkt auch Rübenstahl, ZWH 2019, 265 (270). Krit. zu den Einstellungsmöglichkeiten BR.-Drs. 440/20, S. 7 f., die extensivere Einstellungsmöglichkeiten für das künftige VerSanG fordert, um dem hohen Ermittlungsaufwand, der durch die Einführung des Legalitätsprinzips generiert werden wird, angemessen zu begegnen. 179 § 35 Abs. 1 S. 1 VerSanG-E. 178

B. Die Verfolgungspflicht gegenüber Verbänden

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Abs. 1 VerSanG-E), als gering einzustufen sind und kein öffentliches Interesse an der Verfolgung besteht.180 Sind die Folgen der Verbandstat lediglich gering, ist eine Zustimmung des Gerichts nicht notwendig.181 Darüber hinaus normiert § 35 Abs. 2 VerSanG-E, dass ein Absehen von der Verfolgung durch das Gericht nach Klageerhebung jederzeit möglich ist (wenn die Voraussetzungen des § 35 Abs. 1 VerSanG-E gegeben sind) und sowohl die Verfolgungsbehörde als auch der Verband zustimmen. Die Entwurfsbegründung weist insbesondere darauf hin, dass bei der Abwägung, ob das Verfahren gegen den Verband eingestellt wird, alle Faktoren zu berücksichtigen sind, die auch bei § 15 VerSanG-E, bei der Sanktionsbemessung, miteinfließen.182 Die Einstellung wegen Geringfügigkeit soll dem Verband jedoch in den Fällen des § 3 Abs. 2 Nr. 2 VerSanG-E verwehrt bleiben.183 b) § 36 VerSanG-E (Absehen von der Verfolgung unter Auflagen und Weisungen) In § 36 VerSanG-E ist die Einstellung des Verfahrens unter Auflagen und Weisungen vorgesehen, welche sich im Grunde an § 153a StPO orientiert.184 Demzufolge findet gemäß § 36 Abs. 1 VerSanG-E § 153a Abs. 1 S. 1 StPO mit der Maßgabe Anwendung, dass die Verfolgungsbehörde mit Zustimmung des Gerichts, das für die Eröffnung des Hauptverfahrens zuständig ist und mit Zustimmung des Verbandes vorläufig von der Erhebung der öffentlichen Klage absehen und Auflagen und Weisungen (§ 12 Abs. 2 VerSanG-E und § 13 Abs. 2 und 3 VerSanG-E) erteilen kann, wenn diese geeignet sind, das öffentliche Interesse an der Verfolgung zu beseitigen und wenn die Bedeutung der Verbandstat und bei § 3 Abs. 1 Nr. 2 VerSanGE die Schwere und das Ausmaß des Unterlassens der angemessenen Vorkehrungen, welche zur Vermeidung dienen (§ 15 Abs. 1 VerSanG-E) nicht entgegenstehen.185 Wie auch bei einer Einstellung nach § 35 VerSanG-E sind die Kriterien des § 15 VerSanG-E zu berücksichtigen.186 § 36 Abs. 2 VerSanG-E normiert zum einen Fristen für die Erfüllung der Auflagen und Weisungen und bestimmt zum anderen, dass sofern der Verband die Auflagen und Weisungen erfüllt, von der Verbandsverfolgung abgesehen werden kann. Darüber hinaus erhält der Verband für den Fall, dass er die Auflagen und Weisungen nicht erfüllt, Leistungen, die er für die Erfüllung aufgewendet hat, nicht zurück.

180

RegE.-Begr. S. 115. § 35 Abs. 1 S. 2 VerSanG-E. 182 RegE.-Begr. S. 115. 183 RegE.-Begr. S. 115; siehe aber BR-Drs. 440/20, S. 5, 8, der die Streichung von § 3 Abs. 2 VerSanG-E vorsieht. 184 Siehe dazu im Zusammenhang mit den internen Ermittlungen unten S. 484; zu den Auflagen und Weisungen auch Rübenstahl, ZWH 2020, 193 (196 ff.). 185 RegE.-Begr. S. 116. 186 Siehe RegE.-Begr. S. 116. 181

258

6. Kap.: Grundstruktur eines Verbandssanktionenrechts de lege ferenda

Gemäß § 36 Abs. 3 VerSanG-E kann das Verfahren gegen den Verband vom Gericht mit Zustimmung der Verfolgungsbehörde und des Verbandes nach Erhebung der öffentlichen Klage bis zum Ende der Hauptverhandlung (in der die tatsächlichen Feststellungen letztmals geprüft werden) vorläufig eingestellt werden, und es können gleichzeitig Auflagen und Weisungen im Sinne von § 12 und § 13 VerSanG-E erteilt werden, wobei § 36 Abs. 2 VerSanG-E entsprechend gilt. Darüber hinaus sieht § 36 Abs. 5 VerSanG-E vor, dass bei Einstellung des Verfahrens durch das Gericht zur Wiederaufnahme ein Gerichtsbeschluss notwendig ist, wodurch eine Kontrollinstanz geschaffen wird. Wesentlich ist hier, dass nur eine eingeschränkte Möglichkeit an zur Verfügung stehenden Auflagen besteht, die erteilt werden können: die Schadenswiedergutmachung und die Zahlung eines Geldbetrages an die Staatskasse. Die Entwurfsbegründung stellt dabei klar, dass eine Zahlung an gemeinnützige Organisationen explizit nicht vorgesehen ist, um Problemen der Vergangenheit bzgl. der „intransparenten Zuweisung von Geldauflagen durch die Justiz“187 zuvorzukommen bzw. diese gar nicht erst aufkommen zu lassen.188 Durch die im Vergleich zu § 153a StPO ausgedehnten Fristen im VerSanG-E soll berücksichtigt werden, dass es unter Umständen einen längeren Zeitraum beanspruchen kann, (wirksame) ComplianceMaßnahmen im Unternehmen zu implementieren oder bereits vorhandene Strukturen zu verbessern.189 c) § 41 VerSanG-E (Absehen von der Verfolgung bei verbandsinternen Untersuchungen) Neben den beiden vorgenannten Einstellungsgründen dürfte darüber hinaus § 41 VerSanG-E, das Absehen von der Verfolgung bei verbandsinternen Untersuchungen, in der künftigen Praxis eine nicht nur unerhebliche Rolle spielen. Nach § 41 Abs. 1 VerSanG-E besteht die Möglichkeit, dass die Verfolgungsbehörde bis zum Abschluss der internen Untersuchung von der Verfolgung des Verbandes absehen kann, wenn der Verband der Verfolgungsbehörde gegenüber anzeigt, eine interne Untersuchung gemäß bzw. unter Einhaltung der Voraussetzungen von § 17 VerSanGE durchzuführen. Hierbei handelt es sich jedoch lediglich um ein vorläufiges Absehen von der Verfolgung (bis zu den Ergebnissen der internen Untersuchung), nicht jedoch um ein endgültiges.190 Als Begründung wird von den Verfassern des VerSanGE vor allem die Ressourcenschonung der Strafverfolgungsbehörden bei der Durchführung von internen Untersuchungen und dabei insbesondere bei der Ermittlung des vollständigen Sachverhalts ins Feld geführt sowie vorgebracht, dass in der unternehmensinternen Aufklärung ein „erster Schritt zur Einführung effektiver 187 188 189 190

RegE.-Begr. S. 116. RegE.-Begr. S. 116. RegE.-Begr. S. 116. RegE.-Begr. S. 118.

B. Die Verfolgungspflicht gegenüber Verbänden

259

Compliance-Strukturen“ liegen könne.191 Diese vorläufige Einstellung gemäß § 41 VerSanG-E liegt allein im Ermessen der Verfolgungsbehörde, sodass der Verband keinen Anspruch hierauf hat.192 Hingewiesen wird in der Begründung auch auf den Fall, dass die verbandsinternen Untersuchungen den Anforderungen des § 17 VerSanG-E nicht (mehr) genügen. Sodann wird das Ermittlungsverfahren von der Verfolgungsbehörde wieder aufgenommen. Auch hierüber entscheidet letztlich die Verfolgungsbehörde innerhalb ihres pflichtgemäßen Ermessens.193

V. Kritische Würdigung und Fazit Die vorangehende Untersuchung zeigt, dass einem Kombinationsmodell (bestehend aus einer Komponente des Legalitäts- und des Opportunitätsprinzips), welches dem Grunde nach auch im VerSanG-E angelegt ist, der Vorrang (vor einem Modell in Reinform) eingeräumt werden sollte, wenngleich sich auch bei einem solchen Modell, wie oben aufgezeigt, Herausforderungen unterschiedlicher Art stellen werden. Insgesamt sind die Einstellungsgründe des VerSanG-E (vor allem die verbandsspezifischen Einstellungsgründe der §§ 35 ff. VerSanG-E), die jene der StPO inkludieren, zu begrüßen. Gleichwohl ist zu konstatieren, dass der präsentierte Lösungsansatz einstellungsfreundlicher ist als der im VerSanG-E vorgestellte Ansatz, da das Verfahren insbesondere eingestellt werden muss oder jedenfalls eingestellt werden soll, wenn ein öffentliches Interesse abgelehnt wird, eine Schadenswiedergutmachung vorliegt und ein effektives Compliance-System gegeben ist. Hier wird für den VerSanG-E eine Verfeinerungsmöglichkeit gesehen. Dennoch heben die Einstellungsgründe die Stoßrichtung des VerSanG-E in Richtung spezialpräventiver Ausrichtung hervor, sodass der VerSanG-E in dieser Hinsicht grundsätzlich Zustimmung verdient. Gelungen ist zudem die partielle Bindung der Einstellungsmöglichkeiten des Verbandssanktionsverfahrens an die Zustimmung der Gerichte. Bedauerlich ist indes die Regelung des § 41 VerSanG-E bzgl. des vorläufigen Absehens von der Verfolgung bei der Durchführung interner Ermittlungen. Die mitunter seltsame Prägung der Regelungen zu den verbandsinternen Ermittlungen wird in § 41 VerSanG-E fortgeführt, wenn als Voraussetzung die Durchführung unter den Anforderungen des drakonisch anmutenden § 17 VerSanG-E gefordert wird und, sofern diese den Verfolgungsbehörden nicht genügt, das Verfahren allein nach dem pflichtgemäßen Ermessen der Verfolgungsbehörde wieder aufgenommen werden kann.194 Hier sollte der Gesetzgeber dringend Hand anlegen und Modifikationen vornehmen, die interne Ermittlungen nicht nur in der Praxis durchführbar machen, sondern auch spürbare Anreize für Unternehmen zur 191 192 193 194

RegE.-Begr. S. 118. RegE.-Begr. S. 118. RegE.-Begr. S. 119. RegE.-Begr. S. 119; vgl. S. 479.

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6. Kap.: Grundstruktur eines Verbandssanktionenrechts de lege ferenda

Durchführung zeitigen sowie die Macht der Verfolgungsbehörden nicht uferlos werden zu lassen.

C. Der Verband als Beschuldigter Nachdem die Verfolgungspflicht von Verbänden untersucht wurde und ein Lösungsmodell vorgestellt wurde, ist in diesem Abschnitt die Beschuldigtenstellung des Verbandes zu erörtern und zu hinterfragen, inwiefern bereits bestehende Regelungen für die Zukunft übertragen werden können und sollten und inwiefern neue spezifische Regelungen für ein Verbandssanktionenrecht erforderlich sind. Dies ist von grundlegender Bedeutung, da an die Begrifflichkeit und die prozessuale Stellung als Beschuldigter weitreichende Rechte und Pflichten im Verfahren gekoppelt sind. So sind die Beschuldigtenstellung des Verbandes und ihr Umfang nicht nur ausschließlich, aber jedenfalls auch insbesondere maßgeblich für die Ausgestaltung der Anhörung in Form des rechtlichen Gehörs nach Art. 103 Abs. 3 GG, des Schweigerechts eines Unternehmens, für die Vertretung des Unternehmens im Verfahren und für die Prozesshandlungen im Allgemeinen sowie für die Wahrnehmung von Verteidigungsrechten. Insgesamt wirkt sich diese Stellung folglich auf sämtliche prozessuale Stadien aus, sodass keine Rest-Rechtsunsicherheit verbleiben darf.

I. Die Beschuldigtenstellung einer natürlichen Person de lege lata Zunächst ist es naheliegend, einen Blick in die StPO zu werfen, um der Frage nachzugehen, was grundlegend unter einem „Beschuldigten“195 zu verstehen ist. Die StPO selbst bezieht hierzu nicht ausdrücklich (beispielsweise durch eine Legaldefinition) Stellung. Laut StPO ist (begrifflich) derjenige, gegen den ein Strafverfahren geführt wird, der Beschuldigte. Ab der Erhebung der öffentlichen Klage wird er nach § 157 Var. 1 StPO als Angeschuldigter, ab der Zulassung zur Hauptverhandlung nach § 157 Var. 2 StPO als Angeklagter bezeichnet. Aufgrund dieser Stellung kommen ihm umfangreiche Rechte zu, wie zum Beispiel der Anspruch auf rechtliches Gehör, nach dem der Beschuldigte gemäß § 163a Abs. 1 S. 1 StPO spätestens vor dem Abschluss der Ermittlungen vernommen werden muss, außer, das Verfahren wird eingestellt. Nach allgemein vorherrschender Meinung ist die Beschuldigtenstellung zu bejahen, wenn die Strafverfolgungsbehörden Maßnahmen treffen, die erkennen lassen, dass sie gegen jemanden strafrechtlich vorgehen wollen, also mithin

195 Grundlegend zur Stellung des Beschuldigten im Strafprozess in der Vergangenheit Müller-Dietz, ZStW 1981 (93), 1216 passim.

C. Der Verband als Beschuldigter

261

ein (wenn auch nur konkludenter) Inkulpationsakt vorliegt.196 Ab diesem Zeitpunkt können gegen den Beschuldigten zum einen bestimmte Maßnahmen angeordnet werden und müssen dem Beschuldigten zum anderen seine besonderen Rechte zustehen.197 Hierbei ist es wichtig, dass der Beschuldigte so früh wie möglich darüber unterrichtet wird, dass ein Ermittlungsverfahren gegen ihn eingeleitet wurde. Gemäß § 163a Abs. 2 StPO müssen in diesem Zuge Beweise, welche er zu seiner Entlastung beantragt, erhoben werden, wenn sie von Bedeutung sind. Ein weiterer wichtiger Aspekt im Zusammenhang mit der Beschuldigtenstellung ist insbesondere das Recht auf Verteidigung in jeder Verfahrenslage und das Aussageverweigerungsrecht.

II. Die Beschuldigtenstellung eines Verbandes de lege ferenda Für die Zukunft ist zu klären, wie die Beschuldigtenstellung eines Verbandes aussehen könnte, wenn es zu einem Verbandssanktionsverfahren käme. Als Ausgangspunkt sollte die Rolle des Verbandes im Verfahren, ähnlich wie bei der natürlichen Person auch, im Zentrum stehen. Kommt es zu einem Verbandssanktionenrecht und infolgedessen zu einem Verfahren, richtet sich dieses gegen das Unternehmen. Im Zuge dessen werden die Ermittlungen gegen das Unternehmen durch die Strafverfolgungsbehörden aufgenommen, und es erfolgen vielfältige Eingriffe in die Unternehmenssphäre. Die Ermittlungen können in einem Prozess gegen das Unternehmen münden. Hierbei wird deutlich, dass sich die Vorgehensweise bei einer juristischen Person nicht wesentlich von der Vorgehensweise bei einer natürlichen Person unterscheidet. Deshalb ist es erforderlich, auch einer juristischen Person de lege ferenda eine vollumfängliche Beschuldigtenstellung, mit ihren Rechten und Pflichten, zu gewähren, wenn es zu einem Verbandssanktionenrecht kommt, während ihr derzeit nur eine beschuldigtenähnliche Stellung als Nebenbeteiligte zukommt.198 Die Stellung (nur) als Nebenbeteiligte (und demzufolge die Anwendung der Einziehungsvorschriften) ist für die Zukunft schon aus pragmatischen Gründen nicht ausreichend, da es in einem künftigen Verbandssanktionsverfahren nicht zwingend einen Nebenbeteiligtenstatus geben muss.199 Da sich das Verfahren jedoch gegen den Verband richtet, muss diesem auch eine prozessuale Rolle zukommen.

196 BGH v. 28. 02. 1997 – St 14/96, BGH NStZ 1997, 398; BeckOK StPO/Wessing, StPO § 137 Rn. 1; Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO Einl. Rn. 76. 197 Grundlegend dazu Bosch, Jura 2020, 36 passim. 198 Siehe auch § 27 VerSanG-E, der dem Verband die Beschuldigtenstellung im Verfahren künftig gewähren will. So auch schon Dannecker/Dannecker, NZWiSt 2016, 162 (176). 199 Siehe zu weiteren Aspekten, weshalb die Stellung als Nebenbeteiligte bereits derzeit ungeeignet ist, S. 171.

262

6. Kap.: Grundstruktur eines Verbandssanktionenrechts de lege ferenda

Es bietet es sich deshalb an, auf die StPO zurückzugreifen, und dem Verbandssanktionenrecht keinen geringfügigeren Beschuldigtenbegriff überzustülpen. Dabei kann, wie in der StPO für das Individualstrafverfahren normiert, eine entsprechende oder analoge Anwendung für den Verband vorgesehen werden, da die Strafprozessordnung für das deutsche Strafrecht immer noch das maßgebliche Regelungswerk ist. Ein (zumindest soweit als möglich partieller) Gleichlauf de lege ferenda zwischen Individualstrafrecht auf der einen und Verbandssanktionenrecht auf der anderen Seite ist aufgrund der Einheitlichkeit des Rechtssystems erstrebenswert, und die im Strafrecht gesetzlich verankerte Beschuldigtenstellung ist auch dazu geeignet, eine Gewähr in dieser Hinsicht nicht nur für natürliche Personen, sondern auch für juristische Personen zu bieten. Übertragen auf ein Verbandssanktionenrecht käme dem Verband somit die Beschuldigtenrolle zu, wenn durch einen Inkulpationsakt der Strafverfolgungsbehörden deutlich wird, dass diese gegen den Verband ermitteln.200 Der Anwendung auf Verbände stehen dabei auch gerade keine unüberwindbaren Hindernisse entgegen. Freilich lassen sich die Regelungen hinsichtlich der Beschuldigtenstellung einer natürlichen Person nicht alle ausnahmslos auf einen Verband übertragen, bzw. teilweise werden Modifikationen erforderlich sein, um einem Verbandssanktionsverfahren gerecht zu werden. Interessant könnte hierbei sein, dass den Strafverfolgungsbehörden ein Beurteilungsspielraum hinsichtlich der Zuweisung der Beschuldigtenstellung (bzw. des Zeitpunkts „ab wann“) zukommt, dass aber alle Erkenntnisse vor einer pflichtgemäßen Belehrung diesbezüglich grundsätzlich verwertet werden können.201 Der BGH stellt zur Belehrungspflicht des § 136 StPO fest, dass erst eine willkürliche Vorenthaltung der Beschuldigtenstellung zu einer Unverwertbarkeit der auf diesem Wege erlangten Aussage führe.202 In Frage steht für ein Verbandssanktionenrecht an dieser Stelle, ob bei einer Straftat aus dem Verband heraus die a-priori-Wahrscheinlichkeit besteht, dass jedenfalls eine Aufsichtspflichtverletzung vorliegen könnte, die zu einem „willkürlichen Vorenthalten“ in dieser Hinsicht führen würde. Dies wird vermutlich davon abhängen, wie viel für den Anfangsverdacht einer Aufsichtspflichtverletzung gefordert wird: In bestimmten Fällen ist davon auszugehen, dass die Situation des „willkürlichen Vorenthaltens“ schnell entstehen kann, da es bei Straftaten zugunsten von Unternehmen oft naheliegend ist, dass diese mit der Unternehmensleitung abgesprochen sind. Stellt sich heraus, dass diese der Unternehmensleitung bekannt sind, kann der Anfangsverdacht einer Aufsichtspflichtverletzung bejaht werden und ebenfalls der Anfangsverdacht einer Verbandstat. In einer solchen Konstellation kann folglich in einem sehr frühen Stadium das willkürliche Vorenthalten der Beschuldigtenstellung für den Verband vorliegen, was zur Unverwertbarkeit der Aussagen führt. 200 Siehe zu der Frage, ab welchem Zeitpunkt einem Verband die Beschuldigtenstellung zukommen sollte Knauer, NStZ 2020, 441 (450 f.). 201 Zutr. krit. Bosch, Jura 2020, 36; Beulke/Swoboda, Strafprozessrecht, Rn. 111 und 311 m.w.N. 202 BGH v. 18. 07. 2007 – 1 StR 280/07, NStZ 2008, 48 f.; BGH v. 28. 02. 1997 – StB 14/96, NJW 1997, 1591; siehe dazu auch Bosch, Jura 2020, 36 f.

C. Der Verband als Beschuldigter

263

Der vorgestellte Weg hinsichtlich einer vollwertigen Beschuldigtenstellung des Verbandes wird auch in § 27 VerSanG-E beschritten, der die Beschuldigtenstellung des Verbandes normiert (bzw. den Verband prozessual dem Beschuldigten gleichstellt) und die Vorschriften der StPO über den Beschuldigten für entsprechend anwendbar erklärt. Die Entwurfsbegründung festigt dieses Verständnis nicht nur, sondern geht auch auf unterschiedliche Detailfragen ein, die aus der Beschuldigtenstellung für den Verband resultieren. Insbesondere wird festgehalten, dass der Verband mit der Erhebung der öffentlichen Anklage zum Angeschuldigten wird und mit Eröffnung des Hauptverfahrens die Angeklagtenstellung innehat und die damit verbundenen Verfahrensregelungen entsprechende Anwendung finden.203 Darüber hinaus sollen dem Verband insbesondere ein strafprozessuales Aussageverweigerungsrecht, das Recht auf rechtliches Gehör, das Recht auf einen Verteidiger (inklusive des Verbots der Mehrfachverteidigung) und das Recht der freien Verteidigung aus § 148 StPO gewährt werden.204 Da es sich hierbei um relevante Detailfragen handelt, soll auf jede einzelne in den spezifischen Abschnitten des jeweiligen Themenkomplexes näher eingegangen werden.

III. Die Wahrnehmung der Vertretung des Verbandes im Verfahren 1. Allgemeines und Problematik Bei der Grundstruktur eines Verbandssanktionsverfahrens kommt des Weiteren dem Aspekt besondere Bedeutung zu, wer unter welchen Umständen zur wirksamen Vertretung des Verbandes befugt sein soll. Die Regelung der Vertretung des Verbandes im Verfahren ist deshalb so relevant, da der Vertreter während des gesamten Verfahrens als Ansprechpartner für den Verband auftritt (aktiv) und behandelt wird (passiv), sodass vor allem auch dem Problemkreis besondere Bedeutung beigemessen werden muss, wenn sich die strafrechtliche Verdächtigung (auch) auf den Vertreter des Verbandes bezieht. Hier steht in Frage, welcher Lösungsweg in einem künftigen Verbandssanktionenrecht eingeschlagen werden soll. Dass die Rechte und Pflichten grundsätzlich von natürlichen Personen ausgeübt werden müssen, dürfte auf der Hand liegen, da der Verband selbst nicht (prozessual) handeln kann, sodass eine Vertretung unerlässlich ist. 2. Regelungen in anderen Rechtsordnungen Die Vertretung des Verbandes im Verfahren ist bereits in anderen Rechtsordnungen Gegenstand (gewesen), weshalb ein Streifzug durch diese lohnenswert ist 203 204

RegE.-Begr. S. 109. RegE.-Begr. S. 109 f.

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6. Kap.: Grundstruktur eines Verbandssanktionenrechts de lege ferenda

und Impulse für ein deutsches Verbandssanktionenrecht geben kann. Da es sich bei den Rechtsordnungen der USA und England um dem kontinentaleuropäischen Juristen fernliegendere Rechtsordnungen handelt als bei den Rechtsordnungen von Österreich und der Schweiz, wird für erstere nicht nur auf die spezifisch strafrechtlichen Regelungen geblickt, sondern es werden ebenfalls die gesellschaftsrechtlichen Regelungen kurz umrissen, um noch genauer herausstellen zu können, welche Person den Verband vertreten kann. a) USA aa) Federal Rules of Criminal Procedure Wird zunächst das Recht in den USA fokussiert, ergibt sich ein wesentlicher Anhaltspunkt für die Vertretung von Verbänden aus den Federal Rules of Criminal Procedure205 und dort spezifisch aus Rule 4 (c) (3) (C), in der es um die Zustellung der Ladung an Unternehmen geht, wenn es heißt: „A summons is served on an organization in a judicial district of the United States by delivering a copy to an officer, to a managing or general agent, or to another agent appointed or legally authorized to receive service of process. If the agent is one authorized by statute and the statute so requires, a copy must also be mailed to the organization.“206 Aus dieser Regelung geht somit wörtlich hervor, dass die Ladung folglich an einen: • officer,207 • managing or general agent,208 • agent appointed or legally authorized zugestellt werden muss. Dementsprechend muss die Ladung an einen leitenden Angestellten (Officer) oder auch „Exectuive Officer“,209 einen Geschäftsführer (managing agent), einen Handlungsbevollmächtigten (general agent) oder einen berufenen oder rechtlich bevollmächtigten Vertreter (agent appointed/legally authorized) zugestellt werden, welche insoweit als Vertreter des Verbandes agieren. Darüber hinaus legt Rule 43 (b) (1) Federal Rules of Criminal Procedure fest, dass ein Unternehmen in der Rolle des Angeklagten sich von einem Anwalt vertreten 205 So auch bei Drope, Strafprozessuale Probleme bei der Einführung einer Verbandsstrafe, S. 123. 206 Hierbei handelt es sich um die aktuelle Version der Federal Rules of Criminal Procedure (2019), abrufbar unter https://www.federalrulesofcriminalprocedure.org/title-ii/rule-4/ zuletzt abgerufen am 09. 11. 2020. 207 Siehe hierzu auch Cox/Hazen, The law of corporations, S. 495 ff. „The power of officer’s to litigate.“ 208 Vgl. dazu auch Cox/Hazen, The law of corporations, S. 469 „Further, a director may be entrusted with the general management of the corporation.“; spezifisch zur general manager’s authority dies., The law of corporations, S. 491 ff. 209 So bei Merkt, US-amerikanisches Gesellschaftsrecht, Rn. 661 übersetzt.

C. Der Verband als Beschuldigter

265

lassen kann, wenn dieser (in den unterschiedlichen Verfahrensstadien: Rule 43 (a) (1 – 3)) anwesend ist.210 Aus dieser Regelung folgt somit, dass ein Unternehmen sich grundsätzlich von seinem Anwalt vertreten lassen kann, was die Vertretungsregelung insgesamt komplettiert. bb) US-amerikanisches Gesellschaftsrecht Um nicht an dieser Stelle stehen zu bleiben, wird noch einen Schritt weitergegangen, und es sollen einige Aspekte des US-Gesellschaftsrechts miteinbezogen und herausgestellt werden, welche spezifischen Personen über das bereits Gesagte hinaus wirksam Vertreter des Unternehmens sein können. Hierfür werden zunächst die wesentlichen Charakteristika der Unternehmensführung im Kontext des US-Gesellschaftsrechts überblicksartig erörtert. Die folgenden konturenhaften Erörterungen stellen mithin eine Ausnahme vom Grundsatz dar, dass die hiesige Untersuchung lediglich auf das Bundesrecht der USA rekurriert. Jeder Einzelstaat der USA hat ein sogenanntes „corporate statute“, welches das grundlegende Recht der Unternehmen festhält und vor allem Regelungen organisatorischer Art trifft, wenngleich die Tendenz hin zu einer Angleichung dieser aneinander geht und bestimmte „corporation statutes“ eine besonders herausgehobene (Vorreiter-)Rolle spielen, wie zum Beispiel jenes des Staates Delaware aufgrund seiner großen Bedeutung als Standort für Unternehmen.211 Hingegen werden beispielsweise die Pflichten der „directors“ und „officers“ durch einzelstaatliches Richterrecht geprägt und festgelegt.212 Die sich nun anschließende Erörterung bezieht sich dabei der Übersichtlichkeit halber auf die Gesellschaftsform der „Business Corporation“213 (im Folgenden schlicht als „corporation“ bezeichnet), die die wichtigste Gesellschaftsform im amerikanischen Recht verkörpert.214 Merkt führt hierfür ins Feld, dass diese Gesellschaftsform sogar von so herausragender Wichtigkeit sei, dass das US-amerikanische Gesellschaftsrecht mit dem Recht der „corporation“ quasi gleichgesetzt

210

Rule 43 (b): „A defendant need not be present under any of the following circumstances: (1) Organizational defendant. The defendant is an organization represented by counsel who is present.“ 211 So Merkt, US-amerikanisches Gesellschaftsrecht, Rn. 216. Eines der wohl populärsten einzelstaatlichen Rechte (aufgrund teils erheblich günstigerer Regelungen für Unternehmen als in anderen Einzelstaaten) der USA in dieser Hinsicht dürfte, wie oben gesagt, das „Delaware General Corporation Law“ für den Bundesstaat Delaware sein. Regelungen zur Zuständigkeit und Vertretung finden sich dort beispielsweise in § 141 und § 321. Siehe zum „Delaware General Corporation Law“ auch ders., US-amerikanisches Gesellschaftsrecht, Rn. 241 ff., Anhang 1, S. 890 ff., 1017 f.; ebenfalls dazu https://corplaw.delaware.gov/ger/why_delaware/ zuletzt abgerufen am 09. 11. 2020. 212 Siehe zum Ganzen ausführlich Merkt, US-amerikanisches Gesellschaftsrecht, Rn. 216. 213 Zu weiteren Gesellschaftsformen in den USA siehe Merkt, US-Gesellschaftsrecht, Rn. 146 ff. 214 Vgl. Merkt, US-amerikanisches Gesellschaftsrecht, Rn. 194.

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6. Kap.: Grundstruktur eines Verbandssanktionenrechts de lege ferenda

werde.215 Die „corporation“ besitzt in den USA eine eigene Rechtspersönlichkeit, weshalb sie als Trägerin von Rechten und Pflichten sowohl selbst klagen als auch verklagt werden kann.216 Ein relevanter Anhaltspunkt, der sich dem Grundgedanken nach auch in der ersten der eingangs aufgezeigten Regelungen der „Federal Rules of Criminal Procedure“ findet, ist, dass bei der Gründung der „corporation“, neben anderen Eintragungen, ein „Empfangsbevollmächtigter“ für den „service of process“ (Zustellung im Prozess) festzulegen ist.217 Diese Passage der „Zustellung im Prozess“ findet sich auch am Ende in Rule 4 (c) (3) (C) Federal Rules of Criminal Procedure wieder: „A summons is served on an organization in a judicial district of the United States by delivering a copy to an officer, to a managing or general agent, or to another agent appointed or legally authorized to receive service of process.“ Daraus ist zu schließen, dass es sich bei dieser letzten Variante der Regelung um den vom Unternehmen eingetragenen Empfangsbevollmächtigten handelt.218 Die Aufgaben des Managements und der Kontrolle folgen in den USA in fast allen Einzelstaaten einem gleichen Grundkonzept,219 welches sich aus „shareholders“ (Gesellschaftern), „executive officers“ (leitenden Angestellte) und dem „board of directors“220 (Vorstand) zusammensetzt.221 Diese Grundstruktur wird auch als „statutory scheme“ bezeichnet.222 Gemäß dem „statutory scheme“ kommt den Gesellschaftern die wesentliche Kontrolle zu, indem sie beispielsweise den „board of directors“/seine Mitglieder bestellen oder abberufen können.223 Hingegen ist es Aufgabe des „board of directors“, die „executive officers“ zu bestellen und allgemein die Richtung der Geschäftsführung und des Unternehmens insgesamt festzulegen, ergo Managementaufgaben wahrzunehmen.224 Bei dem „board of directors“ handelt es sich rechtlich gesehen um ein unabhängiges Gesellschaftsorgan, weshalb Weisungen 215

Vgl. Merkt, US-amerikanisches Gesellschaftsrecht, Rn. 194. So Merkt, US-amerikanisches Gesellschaftsrecht, Rn. 197 m.w.N. 217 Vgl. Merkt, US-amerikanisches Gesellschaftsrecht, Rn. 198 m.w.N.; so auch bei Cox/ Hazen, The law of corporations, S. 197, wenn es heißt: „Nearly every state requires the corporation to select and retain a registered agent to serve process within the state.“ 218 Zum „service of process“ auch Merkt, US-amerikanisches Gesellschaftsrecht, Rn. 198. 219 Die Struktur kann beispielsweise je nach Größe des Unternehmens variieren, da sich aufgrund dessen beispielsweise bei kleinen close corporations im Gegensatz zu den public corporations andere Anforderungen ergeben. Vgl. dazu Merkt, US-amerikanisches Gesellschaftsrecht, Rn. 611 m.w.N. 220 Zur Rolle (insbesondere Aufgaben und Pflichten) des „board of directors“ bei Compliance-Maßnahmen und Internal Investigations Kent/Tomas, in: Spehl/Gruetzner (Hrsg.), Corporate Internal Investigations, S. 406 ff. 221 Ausführlich zur Zusammensetzung und den Aufgaben der Organe Merkt, US-amerikanisches Gesellschaftsrecht, Rn. 620 ff. 222 Merkt, US-amerikanisches Gesellschaftsrecht, Rn. 609. 223 Zum Ganzen Merkt, US-amerikanisches Gesellschaftsrecht, Rn. 610 und zu weiteren Befugnissen der shareholders Rn. 613 ff. 224 Merkt, US-amerikanisches Gesellschaftsrecht, Rn. 610. 216

C. Der Verband als Beschuldigter

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der „shareholders“ keine Bindungswirkung entfalten.225 Anzumerken ist an dem Punkt jedoch, wie erwähnt, dass die „shareholders“ die Mitglieder des „board of directors“ abberufen können. Blickt man wiederum auf den „board of directors“, liegen seine grundlegenden Aufgaben insbesondere in der Bestellung und Abberufung sowie Kontrolle der „executive officers“, in der Verantwortung hinsichtlich der Schaffung und Streichung von Stellen, in der Zustimmung, wenn es um den Abschluss von Verträgen in erheblichem Umfang geht sowie vor allem in Vorschlägen (die letztliche Entscheidung treffen hier die „shareholders“), welche die Unternehmenskultur/-organisation betreffen. Darüber hinaus ist wichtig, dass die Mitglieder des „board“ nicht allein, sondern immer ausschließlich gemeinsam als Organ für die Gesellschaft handeln.226 Der „board“ ist hierbei gewähltes Vertretungsorgan und kongruent mit dem Unternehmen, wenn es um das Verhältnis gegenüber Dritten geht.227 Aus diesem Grund ist mit Merkt davon auszugehen „Was der board innerhalb seiner Befugnis tut, das tut die corporation.“228 Der „board of directors“ ist im US-amerikanischen Recht der sogenannte „agent“ (Vertreter) des Unternehmens.229 Er erhält die Vertretungsmacht (sogenannte „authority to represent“) mit Gründung des Unternehmens.230 Durch diese Vertretungsmacht kann er sich um jegliche (vor allem auch rechtliche) Angelegenheiten kümmern.231 Den „executive officers“ kommt hingegen im Regelfall nur die Vertretungsmacht bei den (ihnen übertragenen oder ihren Aufgabenbereich betreffenden) alltäglichen Geschäften des Unternehmens zu.232 Der vorliegenden Untersuchung wird dabei zur Begriffserläuterung das Verständnis der Vertretungsmacht der „executive officers“ im US-amerikanischen Gesellschaftsrecht, wie es bei Merkt adhibiert wird, zugrundegelegt.233 Danach gibt es keine scharfe Trennung zwischen der Vertretungsmacht und Geschäftsführungsbefugnis, weshalb sich der Terminus der Vertretungsmacht auf die sogenannte „authority“ beziehe, bei welcher maßgeblich sei, ob die Gesellschaft im Außenverhältnis gegenüber Dritten gebunden werden könne.234 Regelmäßig nicht in den Rahmen dieser Vertretungsmacht der „executive officers“ würden allerdings das Einleiten und Führen eines Rechtsstreits im Namen der Ge225

Siehe dazu Merkt, US-amerikanisches Gesellschaftsrecht, Rn. 617 m.w.N. Vgl. Merkt, US-amerikanisches Gesellschaftsrecht, Rn. 696; so auch bei Cox/Hazen, The law of corporations, S. 503. 227 Merkt, US-amerikanisches Gesellschaftsrecht, Rn. 637. 228 Merkt, US-amerikanisches Gesellschaftsrecht, Rn. 637 m.w.N. 229 Zum Ganzen bei Merkt, US-amerikanisches Gesellschaftsrecht, Rn. 637. 230 Vgl. Merkt, US-amerikanisches Gesellschaftsrecht, Rn. 637. 231 Vgl. Merkt, US-amerikanisches Gesellschaftsrecht, Rn. 637 m.w.N.; siehe auch Cox/ Hazen, The law of corporations, S. 495 f. 232 Vgl. Merkt, US-amerikanisches Gesellschaftsrecht, Rn. 610, 619. 233 Merkt, US-amerikanisches Gesellschaftsrecht, S. 351 Fn. 149. 234 Merkt, US-amerikanisches Gesellschaftsrecht, S. 351 Fn. 149. 226

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6. Kap.: Grundstruktur eines Verbandssanktionenrechts de lege ferenda

sellschaft fallen sowie der Abschluss von gerichtlichen und außergerichtlichen Vergleichen, da es sich hierbei um sogenannte „extraordinary transactions“ handele, welche eine besondere Vollmacht erfordern.235 cc) Die Rolle der Vertreter beim corporate plea Nachdem die grundlegenden allgemeinen Vertretungsbefugnisse der „corporation“ überblicksartig dargeboten wurden, steht nun die spezifische Frage im Zentrum, wie sich die Vertretung des Unternehmens in einem Strafverfahren in der Rolle des Angeklagten in den USA darstellt.236 Kommt es zu der Situation, dass das Hauptverfahren durch Anklageerhebung eröffnet wurde, muss das Unternehmen eine Stellungahme zur Anklageschrift abgeben (ein sogenanntes „corporate plea“ bzw. „plea“, Rule 10, 11 Federal Rules of Criminal Procedure).237 Hierbei sind unterschiedliche Aspekte zu beachten. Hunt/Zabel halten dazu fest: „(…) a corporate plea may only be made by an agent duly authorized to do so. A court will require sufficient evidence that the proper authorization has been given to the proper person. One such way to establish this is a certificate from the relevant secretary of state identifying the clerk of the corporation and a certificate from that clerk identifying the stockholders and/or directors of the corporation and the relevant votes taken.“238 Demzufolge ist zu konstatieren, dass die Stellungnahme zur Anklageschrift nur von einem dazu befugten „agent“ des Unternehmens vorgenommen werden kann, der von der Unternehmensführung ordnungsgemäß dazu berufen wurde.239 Das Gericht benötigt hierfür ausreichende Beweise, dass die ordnungsgemäße Befugnis der richtigen Person erteilt worden ist. Eine Möglichkeit dies festzustellen, erfolgt aufgrund der Erteilung einer Urkunde durch den entsprechenden „secretary of state“, aus der der zuständige Mitarbeiter des Unternehmens hervorgeht und eine Urkunde dieses Mitarbeiters, aus der die Aktionäre/der „board of directors“ und deren abgegebene Stimmen diesbezüglich hervorgehen.240

235

Merkt, US-amerikanisches Gesellschaftsrecht, Rn. 665 m.w.N. Dass es sich hierbei nicht um den gemeinen Regelfall handeln dürfte, da es oftmals nicht zu einer Anklage des Unternehmens in den USA kommt, sei an dieser Stelle bemerkt. So bei Hunt/Zabel, The Legal Intelligencer 2013, S. 1 m.w.N. verweisen darauf, dass in weniger als 0,25 % von allen „federal convictions“ im Jahre 2012 Unternehmen die Angeklagten waren. 237 Siehe dazu und insgesamt zum amerikanischen Strafverfahren Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen, S. 229. 238 Hunt/Zabel, The Legal Intelligencer 2013, S. 2. 239 Vgl. zum Ganzen Hunt/Zabel, The Legal Intelligencer 2013, S. 2. 240 So Hunt/Zabel, The Legal Intelligencer 2013, S. 2; zu der (zivilrechtlichen) Frage, ob es sich bei einem „certificate signed by a corporation’s secretary“ um einen geeigneten Beweis vor Gericht handelt, um ein Unternehmen rechtlich zu binden, Cox/Hazen, The law of corporations, S. 506. 236

C. Der Verband als Beschuldigter

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Will sich das Unternehmen als Angeklagter für nicht schuldig erklären („not guilty plea“241), bedarf es darüber hinaus des Nachweises, dass die Erklärung freiwillig erging. Hierfür wird es nach Hunt/Zabel als notwendig erachtet, dass das Unternehmen sich rechtlich von seinem Verteidiger beraten lässt und dadurch profunde Kenntnis bezüglich etwaiger Folgen, die ein Nicht-schuldig-Bekennen hat, aufweisen kann.242 Die relevanteste Folge eines „not guilty plea“ dürfte für Unternehmen sein, dass der Prozess ins Hauptverfahren übergeht, welches unausweichlich mit einer enormen Publizität und Zeitintensivität einhergehen wird, was das Vorliegen des oben genannten zusätzlichen Nachweises in jeder Hinsicht rechtfertigt.243 b) England Auch in England stellt sich die Frage, wer einen Verband nach außen hin und insbesondere vor Gericht vertreten kann. Grundsätzlich steht fest, dass ein Unternehmen durch natürliche Personen vertreten wird, weshalb auch in England festgelegt werden muss, wer zur Vertretung befugt ist.244 aa) Criminal Justice Act 1925 Ein erster Anhaltspunkt hinsichtlich der oben angesprochenen Vertretung lässt sich in Section 33 im Criminal Justice Act 1925 unter der Überschrift „Procedure on charge of offence against corporation“ ausfindig machen.245 Dort heißt es: • (3): „On arraignment of a corporation, the corporation may, enter in writing by its representative a plea of guilty or not guilty, and if either the corporation does not appear by a representative or, though it does so appear, fails to enter as aforesaid any plea, the court shall order a plea of not guilty to be entered and the trial shall proceed as though the corporation had duly entered a plea of not guilty.“246 • (6): „In this section the expression „representative“ in relation to a corporation means a person duly appointed by the corporation to represent it for the purpose of doing any act or thing which the representative of a corporation is by this section authorized to do, but a person so appointed shall not, by virtue only of being so appointed, be qualified to act on behalf of the corporation before any court for any other purpose. 241

Zu den unterschiedlichen Möglichkeiten, die das Unternehmen in der Situation hat Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen, S. 229. 242 Vgl. Hunt/Zabel, The Legal Intelligencer 2013, S. 2. 243 Siehe zu den unterschiedlichen Möglichkeiten bei einem Strafverfahren Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen, S. 229. 244 Vgl. Davies/Worthingtion, Gower’s Principles of Modern Company Law, 7 – 48, S. 189; Just, Englisches Gesellschaftsrecht, S. 8. 245 Abrufbar unter http://www.legislation.gov.uk/ukpga/Geo5/15-16/86/section/33 zuletzt abgerufen am 09. 11. 2020. 246 Abrufbar unter http://www.legislation.gov.uk/ukpga/Geo5/15-16/86/section/33 zuletzt abgerufen am 09. 11. 2020.

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6. Kap.: Grundstruktur eines Verbandssanktionenrechts de lege ferenda A representative for the purposes of this section need not be appointed under the seal of the corporation, and a statement in writing purporting to be signed by a managing director of the corporation, or by any person (by whatever name called) having, or being one of the persons having, the management of the affairs of the corporation, to the effect that the person named in the statement has been appointed as the representative of the corporation for the purposes of this section shall be admissible without further proof as prima facie evidence that that person has been so appointed.“247

Zusammengefasst lässt sich sagen, dass der Repräsentant des Unternehmens (der Wortlaut der Norm enthält hier keine Beschränkung, ob damit nur ein Unternehmensmitglied oder auch beispielsweise ein Verteidiger erfasst ist, sodass davon auszugehen ist, dass insbesondere letzterer das Unternehmen ebenfalls repräsentieren kann) nach Anklageerhebung eine Stellungnahme zur Anklageschrift abgibt, in der das Unternehmen sich schuldig oder nicht schuldig im Sinne der Anklage bekennt. Sollte das Unternehmen nicht durch einen Repräsentanten vertreten sein oder aber zwar vertreten sein, jedoch keine Stellungnahme zu der Anklageschrift im oben genannten Sinne abgeben, verfügt das Gericht ein „not guilty plea“ und das Verfahren wird so fortgeführt, als hätte das Unternehmen ein „not guilty plea“ in gebührender Weise abgegeben. Nachdem im genannten Abs. 3 lediglich abstrakt auf den Vertreter des Unternehmens Bezug genommen wird, erfolgt eine weitergehende Spezifikation in Abs. 6. So legt dieser fest, dass ein Repräsentant im hier genannten Sinne eine Person ist, die in gebührender Weise vom Unternehmen ernannt wurde, das Unternehmen zu dem Zweck zu vertreten und in diesem Rahmen jede Handlung vorzunehmen, zu welcher ein Repräsentant des Unternehmens nach diesen Normen befugt ist. Jedoch soll der Repräsentant, der ernannt wurde, keinen Vorteil in der Hinsicht ziehen, allein aufgrund seiner Ernennung qualifiziert zu sein, das Unternehmen vor jedem Gericht zu jedem Zweck zu vertreten. Der zweite Abschnitt des Abs. 6 legt weiter fest, dass der Repräsentant für den Zweck dieser Vorschrift nicht unter dem „corporation seal“ des Unternehmens ernannt werden muss, sondern eine schriftliche Erklärung, welche die Intention der Vertretung des Unternehmens durch die genannte Person enthält und von einem „managing director“ oder einer Person des „management of a affairs“ des Unternehmens unterschrieben ist, ohne weitere Nachweise als prima facie Beweis zulässig ist, dass diese Person zum Vertreter des Unternehmens ernannt wurde. bb) Englisches Gesellschaftsrecht Die Vertretung des Unternehmens kann in ihrer Detailausprägung ebenfalls bezüglich des englischen Gesellschaftsrechts am Beispiel der sogenannten „Public

247 Abrufbar unter http://www.legislation.gov.uk/ukpga/Geo5/15-16/86/section/33 zuletzt abgerufen am 09. 11. 2020.

C. Der Verband als Beschuldigter

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Company“ (limited by shares248) (als deutsches Pendant gilt eine AG) erläutert werden, wenngleich seit dem „Companies Act 2006“249 die davon zu unterscheidende (weniger regulierte250) „Private Company“ (limited by shares – vergleichbar mit einer deutschen GmbH) als Grundmodell in Großbritannien gilt („Think small first“-Ansatz251).252 Die Gesellschaftsform der „Public Company“ wird vor allem von/für Großunternehmen gewählt, welche an der Börse aktiv sind.253 Mit der Aushändigung der Gründungsurkunde erhält die „Public Company“ die Rechtsfähigkeit und die daraus resultierenden Rechte und Pflichten.254 Zu den Organen der Gesellschaft zählen die Hauptversammlung (general meeting) und der Vorstand (board of directors) sowie ein Sekretär mit besonderer Qualifikation.255 Anerkannt ist für die Vertretung im Außenverhältnis, dass diese bei der „Public Company“ dem Vorstand, also dem „board of directors“ obliegt.256 Davon umfasst ist insbesondere sowohl die gerichtliche als auch die außergerichtliche Vertretung der Gesellschaft.257 Wichtig ist hierbei, dass eine Vertretung der Gesellschaft grundsätzlich gemeinschaftlich vorgenommen wird und einem einzelnen Vorstandsmitglied (director) keine Vertretungsmacht zukommen soll, wenngleich die Praxis offenbar eine andere Sprache spricht und eine Alleinvertretungsmacht eines oder mehrerer Vorstandsmitglieder an der Tagesordnung zu sein scheint.258 248 Mit diesem Zusatz ist die Haftungsbeschränkung durch Anteile gemeint. Siehe dazu Just, Englisches Gesellschaftsrecht, S. 6, der ebenfalls darauf hinweist, dass die „private company limited by shares“ die Gesellschaftsform ist, welche in der Praxis am relevantesten ist. 249 Abrufbar unter http://www.legislation.gov.uk/ukpga/2006/46/pdfs/ukpga_20060046_en. pdf zuletzt abgerufen am 09. 11. 2020; siehe auch Just, Englisches Gesellschaftsrecht, S. 1, 6, der es als eine der wesentlichsten Änderungen des Companies Act 2006 ansieht, dass im Gegensatz zum Companies Act aus dem Jahre 1985 nunmehr die „Private Company“ das Grundmodell des Companies Act bilde. Zu den Unterschieden beider Gesellschaftsformen sowie weiteren wesentlichen Änderungen siehe ders., Englisches Gesellschaftsrecht, S. 6 ff.; auch aufgeführt bei Güthoff, Gesellschaftsrecht in Großbritannien, S. 61; Ormerod/Perry, Blackstone’s Criminal Practice, B7. 250 Die beiden Gesellschaftsformen unterscheiden sich insbesondere dadurch, dass Geschäftsanteile einer „Private Company“ zum Beispiel nicht an der „London Stock Exchange“ zugelassen werden, um öffentlichen Handel zu betreiben und die „Private Company“ kein festes Grundkapital in Höhe von 50.000 GBP haben muss. So Just, Englisches Gesellschaftsrecht, S. 6. 251 Just, Englisches Gesellschaftsrecht, S. 8. 252 Siehe dazu Just, Englisches Gesellschaftsrecht, S. 6 f.; zu weiteren Gesellschaftsformen Güthoff, Gesellschaftsrecht in Großbritannien, S. 61 f. 253 Vgl. zum Ganzen Güthoff, Gesellschaftsrecht in Großbritannien, S. 62. 254 Dazu Güthoff, Gesellschaftsrecht in Großbritannien, S. 66. 255 Vgl. Güthoff, Gesellschaftsrecht in Großbritannien, S. 75. 256 Hinsichtlich der Pflichten des „board of directors“ bzw. eines „directors“ gibt die Vorschrift Sec. 170 ff. Companies Act (CA) 2006 Aufschluss, in welcher das bis dahin zugrundegelegte Richterrecht in Gesetzesform gegossen wurde. So bei Just, Englisches Gesellschaftsrecht, S. 8. 257 Zum Ganzen Güthoff, Gesellschaftsrecht in Großbritannien, S. 78. 258 Güthoff, Gesellschaftsrecht in Großbritannien, S. 39, 78.

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6. Kap.: Grundstruktur eines Verbandssanktionenrechts de lege ferenda

c) Österreich Auch in Österreich stellt sich die Frage, wer den Verband nach außen hin vertritt. Nach dem österreichischen Recht sind Verbände nicht prozessfähig, weshalb eine natürliche Person agieren muss.259 Unter Prozessfähigkeit wird die Fähigkeit verstanden, sich vor Gericht zu äußern, Erklärungen abzugeben und damit als Verfahrensbeteiligter insgesamt an dem Prozess teilzunehmen.260 Dazu findet sich zwar keine ausdrückliche Regelung im österreichischen Recht. Jedoch ist ein Anhaltspunkt in der Regelung des § 16 Abs. 1 östVbVG auszumachen. Dieser spricht von allen zur Vertretung berufenen Organen des Verbandes: „(…) sind dem belangten Verband selbst zu eigenen Handen eines Mitglieds des zur Vertretung nach außen berufenen Organs zuzustellen.“ Dabei entscheidet der Verband zum einen eigenständig, welche der vertretungsbefugten Personen im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 1 östVbVG (genannt werden beispielsweise: Geschäftsführer, Vorstandsmitglied oder Prokurist) die Aufgabe wahrnehmen soll und zum anderen, welche Person eingesetzt wird, wenn der ursprüngliche Vertreter seine Aufgabe nicht mehr wahrnehmen und/oder ersetzt werden soll. Die Vertretungsbefugnis selbst ergibt sich entweder aus dem Gesetz261 oder einer Satzung. Ferner kann sich auch in Österreich das Problem stellen, dass alle Mitglieder des zur Vertretung nach außen bestimmten Organs einer Straftat verdächtig sind, weshalb ein Interessenkonflikt droht. Für den Fall regelt § 16 Abs. 2 östVbVG, dass das Gericht dem Unternehmen von Amts wegen einen Verteidiger (einen sogenannten „Kollisionskurator“) beiordnet, was insgesamt als ein Fall der „notwendigen Verteidigung“ angesehen wird.262 Diesem kommen dann zwei Aufgaben zu:263 Zum einen verteidigt er das Unternehmen im Strafverfahren, und zum anderen ist er angehalten, alles Notwendige zu tun, damit Personen für das Unternehmen bestellt werden, welche im Verfahren für das Unternehmen auftreten können. Bestellt der Verband selbst einen Verteidiger oder einen Vertreter, wird der „notwendige Verteidiger“ des Gerichts nicht mehr benötigt und seine Tätigkeit endet. 259

Anders verhält es sich hingegen mit der Parteifähigkeit, welche in Österreich natürlichen und juristischen Personen zukommt, zum Ganzen Steininger, VbVG, S. 136 m.w.N.; Hauser, in: Hilf u. a. (Hrsg.), Unternehmensverteidigung, S. 234 f.; Öner, Journal für Strafrecht 6, 2019, 501 (504 f.). 260 Vgl. Steininger, VbVG, S. 136 m.w.N.; eine spezifische gesetzliche Regelung zur Vertretung des Verbandes existiert hingegen im österreichischen VbVG nicht. Dazu auch Hauser, in: Hilf u. a. (Hrsg.), Unternehmensverteidigung, S. 234. 261 Zum Ganzen Steininger, VbVG, S. 136 m.w.N. Zu denken wäre hier zum Beispiel an § 18 Abs. 1 östGmbHG („Die Gesellschaft wird durch den Geschäftsführer gerichtlich und außergerichtlich vertreten.“) oder an § 71 östAktG („Die Aktiengesellschaft wird durch den Vorstand gerichtlich und außergerichtlich vertreten.“). 262 Vgl. Steininger, VbVG, S. 137; Hauser, in: Hilf u. a. (Hrsg.), Unternehmensverteidigung, S. 238. 263 Vgl. Steininger, VbVG, S. 137; Hauser, in: Hilf u. a. (Hrsg.), Unternehmensverteidigung, S. 238.

C. Der Verband als Beschuldigter

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Hierbei ist es auch zulässig, dass die Organe eine Person bestellen, die dem oben genannten Interessenkonflikt unterliegt, ergo eine Person, die der Straftat verdächtig ist.264 Der oberste Gerichtshof führt dazu in einer Entscheidung aus: „In das Recht des belangten Verbandes, über seine Vertretung im Verbandsverantwortlichkeitsverfahren selbst zu entscheiden, darf das Gericht nicht eingreifen. Im Fall des Einschreitens eines Wahlverteidigers besteht bei bewusst eingegangener Interessenkollision auch keine Pflicht des Gerichts, für den belangten Verband eine andere Vertretung zu bewirken.“265 Hintergrund ist, dass Sinn und Zweck der Vorschrift erfüllt werden, da sie den Verband schützen soll, eine Schutzwirkung aber nicht notwendig ist, wenn der Verband bewusst das Risiko einer Interessenkollision eingeht.266 Eine Besonderheit, welche im österreichischen Recht im Verbandsverfahren gilt, ist die Vertretung durch den sogenannten „Machthaber“. Anhaltspunkte hierfür finden sich in § 17 Abs. 1 S. 2 östVbVG (welcher ausdrücklich die Anwendung des § 455 Abs. 2 und 3 östStPO anordnet). Unter einem Machthaber (§ 455 Abs. 2 östStPO) wird gemeinhin verstanden, dass sich der Angeklagte in der Verhandlung durch eine andere Person (beispielsweise von seinem Verteidiger) vertreten lassen darf, wenn er selbst nicht persönlich vor Gericht erscheinen möchte.267 Übertragen auf ein Verbandsverfahren bedeutet das gemäß § 17 Abs. 1 östVbVG, dass dem in der Position des Beschuldigten vernommenen Entscheidungsträger oder Mitarbeiter eines Unternehmens (sofern dieser verdächtigt wird, die Straftat begangen zu haben) das Recht zukommt, sich durch einen Machthaber vertreten zu lassen, wenn er nicht vor Gericht auftreten will.268 Das gilt sowohl für Willenserklärungen als auch für die Abgabe von Wissenserklärungen, also Aussagen vor Gericht.269 Steininger weist daraufhin, dass es sich bei dieser Regelung strukturell um „eine bes(ondere) Form des Abwesenheitsverfahrens“ handele, die grundsätzlich nur für das bezirksgerichtliche Verfahren (§ 447 östStPO) vorgesehen sei.270 Geht es um das Verfahren gegen einen Verband, soll der Anwendungsbereich jedoch grundsätzlich weiter gefasst sein, da die Möglichkeit, sich von einem Machthaber vertreten zu lassen, nicht auf das bezirksgerichtliche Verfahren beschränkt sein soll.271 264 Insgesamt dazu auch Steininger, VbVG, S. 137; Hauser, in: Hilf u. a. (Hrsg.), Unternehmensverteidigung, S. 238. 265 RS OGH 2017-09-06 13 Os 64/17m, RIS-Justiz RS0131631. 266 So auch bei Hauser, in: Hilf u. a. (Hrsg.), Unternehmensverteidigung, S. 239. 267 Steininger, VbVG, S. 138; zum Topos der Vertretung des Verbandes durch einen Machthaber auch Hauser, in: Hilf u. a. (Hrsg.), Unternehmensverteidigung, S. 242 f. 268 Hilf/Zeder, WK VbVG, § 17 Rn. 6. 269 Steininger, VbVG, S. 138; Hauser, in: Hilf u. a., (Hrsg.), Unternehmensverteidigung, S. 242. 270 Steininger, VbVG, S. 138. 271 Hilf/Zeder, WK VbVG, § 17 Rn. 6; so Hauser, in: Hilf u. a. (Hrsg.), Unternehmensverteidigung, S. 243 m.w.N., die jedoch darauf hinweist, dass das Gericht im Verfahren gegen einen Verband über die Zulassung eines Machthabers entscheiden würde und folglich das persönliche Erscheinen eines Vertreters des Verbandes anordnen könne, wenn dies für die

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6. Kap.: Grundstruktur eines Verbandssanktionenrechts de lege ferenda

d) Schweiz In der Schweiz findet sich bezüglich der Vertretung des Verbandes im Verfahren eine ausdrückliche Regelung in der schwStPO.272 Hier sieht Art. 112 Abs. 1 schwStPO vor, dass eine einzige Person273 das Unternehmen vertritt und ergo für das Unternehmen handelt, die uneingeschränkt zur zivilrechtlichen Vertretung des Unternehmens befugt ist. Jener Person darf nicht gleichzeitig auch selbst ein strafrechtlicher Vorwurf gemacht werden, um (innere) Konfliktsituationen diesbezüglich zu vermeiden.274 Dies ergibt sich aus Art. 112 Abs. 3 schwStPO, wonach vom Unternehmen in einer solchen Situation ein anderer Vertreter benannt werden muss. Im Ergebnis wird der Interessenkonflikt, welcher sich hieraus ergeben kann, also auch in der Schweiz gesehen und gesetzlich bedacht.275 Gemäß Art. 178 lit. g., Art. 180 schwStPO ist der Vertreter des Unternehmens nach schweizerischem Strafprozessrecht eine „Auskunftsperson“.276 Hierbei handelt es sich, auf den Punkt gebracht, um eine Person, die weder Zeuge noch Beschuldigter ist, sondern die eine Stellung zwischen beiden innehat.277 Auf die Rechte und Pflichten einer Auskunftsperson soll im Abschnitt zum Nemo-tenetur-Grundsatz näher eingegangen werden, da hierzu ein engmaschiger Bezug besteht, wenn es um die Auskunftsperson als Vertreter des Unternehmens geht. e) Fazit Hinsichtlich der Vertretung des Verbandes im Unternehmen kann zunächst festgehalten werden, dass jede Rechtsordnung ein vitales Interesse daran zeigt, dass der Verband auf jeden Fall eine hinreichende Vertretung hat, und die Vertretung des Wahrheitserforschung unerlässlich wäre unter Verweis auf ErläutRV 994 BlgNR 22. GP 34. Letztere besagt dazu im Wortlaut: „Es soll in das Ermessen des Gerichts gestellt werden, ob es die Vertretung durch einen Machthaber zulässt: die nur im bezirksgerichtlichen Verfahren anwendbare Bestimmung des § 455 Abs. 2 StPO soll im Verfahren gegen Verbände immer anwendbar sein.“ 272 Grundlegend Pieth, Schweizerisches Strafprozessrecht, S. 266; Bertossa, Unternehmensstrafrecht, S. 168 ff. 273 Pieth, Schweizerisches Strafprozessrecht, S. 265 sieht die Begründung dieser eher restrikt gefassten Regelung darin, dass das schweizerische Prozessrecht keine Vielzahl von Vertretern des Unternehmens möchte, sondern Verteidigungsentscheide des Unternehmens vielmehr durch einen einzigen Vertreter kommuniziert werden sollen. 274 Vgl. statt vieler Pieth, in: Henssler/Hoven/Kubiciel/Weigend (Hrsg.), Grundfragen eines modernen Verbandsstrafrechts, S. 193; ders., Schweizerisches Strafprozessrecht, S. 264 ff. 275 Zust. Pieth, Schweizerisches Strafprozessrecht, S. 264 f. 276 Krit. Pieth, Schweizerisches Strafprozessrecht, S. 265. 277 Pieth, Schweizerisches Strafprozessrecht, S. 208 ff. Pieth kritisiert hieran vor allem, dass eine derartige Stellung dem Vertreter die „Eigenschaft als Sprachrohr des Unternehmens“ nehme und ihn zusätzlich mehr „in die Nähe der persönlichen Prozessbeteiligten“ rücke, in: Henssler/Hoven/Kubiciel/Weigend (Hrsg.), Grundfragen eines modernen Verbandsstrafrechts, S. 194.

C. Der Verband als Beschuldigter

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Verbandes in jeder Rechtsordnung (quasi denknotwendigerweise) von einer natürlichen Person ausgeübt wird. Eine wesentliche Gemeinsamkeit der untersuchten Rechtsordnungen des kontinentaleuropäischen Rechtskreises kann dahingehend ausgemacht werden, dass die Problematik, dass alle Vertreter des Unternehmens mit einem strafrechtlichen Vorwurf belastet sind bzw. was zu tun ist, wenn der Vertreter des Unternehmens strafrechtlich belastet ist, ein relevanter Problempunkt zu sein scheint. Bei Vorliegen dieser Situation wird ein unlösbarer Interessenkonflikt des Vertreters angenommen, dem dadurch Abhilfe geschaffen werden soll, dass eine Person, der selbst ein strafrechtlicher Vorwurf gemacht wird, das Unternehmen nicht im Verfahren vertreten können soll. Dahinter steht die Funktion, dass das Unternehmen in einem Strafverfahren möglichst „fair“ vertreten werden soll und ohne den (privaten) Einfluss eines Vertreters, der unter Umständen im Verfahren vor allem versuchen könnte, seine Situation zu verbessern, indem er den Verband ungebührend belastet. Wird zunächst auf die Detailausprägung der Vertretung eines Unternehmens in den USA abgezielt, wird deutlich, dass die Vertretung des Verbandes in unterschiedlichen Regelungswerken Erwähnung findet. Auf den Punkt gebracht ist festzuhalten, dass sich ein Unternehmen dort in den meisten Verfahrensstadien von einem Verteidiger vertreten lassen kann. Wird darüber hinaus die Situation in England fokussiert, finden sich bezüglich der Vertretung von Unternehmen ebenfalls Anhaltspunkte in unterschiedlichen Regelungen, wie dem Gesellschaftsrecht und auch dem Criminal Justice Act. Nach Letzterem legt das Unternehmen selbst einen Repräsentanten für das Verfahren fest. Für die Schweiz ist zu konstatieren, dass die Vertretung des Verbandes in einem gegen ihn gerichteten Strafverfahren sich nach Art. 112 schwStPO richtet und eine Person den Verband vertreten muss, die auch zivilrechtlich uneingeschränkt zur Vertretung befugt ist. Liegt ein Interessenkonflikt in der Hinsicht vor, dass gegen diese Person ebenfalls strafrechtlich ermittelt wird, ist vom Unternehmen ein anderer Vertreter zu nennen. In Österreich sind grundsätzlich alle nach außen berufenen Organe zur Vertretung des Verbandes befugt, wenngleich auch hier für den Fall der Interessenkollision geregelt ist, dass vom Gericht von Amts wegen ein sogenannter „Kollisionskurator“ bestellt wird, der sodann tätig wird. Eine Besonderheit besteht in Österreich in der möglichen Vertretung des Verbandes im Verbandsverfahren durch einen „Machthaber“, der den belangten Verband in der Verhandlung vertreten darf und für diesen, neben den regulären Prozesshandlungen, sogar Aussagen tätigen darf. Lehren für ein deutsches Verbandssanktionenrecht lassen sich dergestalt den anderen Rechtsordnungen entnehmen – und dies dürfte nicht überraschen – dass sich ein Verbandssanktionenrecht hierzulande zum einen ebenfalls auf die Fahnen schreiben sollte, dass ein Verband im Verfahren eine gebührende Vertretung bekommt. Regelungsbedarf wird hier zum anderen vor allem für den Fall des Interessenkonflikts des Vertreters gesehen, in dem keine Restunsicherheit zurückbleiben darf, um zu gewährleisten, dass die Interessen des Verbandes im Verfahren gewahrt

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6. Kap.: Grundstruktur eines Verbandssanktionenrechts de lege ferenda

werden und nicht hinter etwaigen persönlichen strafrechtlich relevanten Erwägungen eines Einzelnen zurückstehen; allerdings sollte der Verband durch derartig gelagerte Regelungen nicht in der Hinsicht „entmündigt“ werden, dass bei einer Interessenkollision zwingend eingeschritten wird und der Vertreter ausgetauscht werden muss, sondern es genügt, wenn die Möglichkeit im Wege einer Schutzvorschrift einen Austausch zwar grundsätzlich vorsieht, der Verband sich jedoch, sofern er von der Interessenkollision Kenntnis hat, dennoch für den Vertreter entscheiden kann, der eben jener Interessenkollision unterliegt. Ein Verband, der dieses Risiko bewusst eingeht, sollte an dieser Stelle keinen weitergehenden Schutz vor sich selbst erfahren. Gegen diese Sichtweise spricht auch nicht die Wertung des § 138a Abs. 1 Nr. 1 StPO, nach dem ein Verteidiger zwingend vom Verfahren auszuschließen „ist“, wenn „er dringend oder in einem die Eröffnung des Hauptverfahrens rechtfertigenden Grade verdächtig ist, daß er an der Tat, die den Gegenstand der Untersuchung bildet, beteiligt ist“ und damit genau der mögliche Interessenwiderstreit droht, um den es auch im Verhältnis zwischen Verband und Organ als Vertreter geht. Denn wie schon der Vergleich insbesondere mit § 138a Abs. 1 S. 1 Nr. 2 StPO zeigt (Missbrauch, indem Straftaten begangen werden oder die Sicherheit einer Vollzugsanstalt erheblich gefährdet wird), geht es bei dieser Vorschrift jedenfalls nicht nur, ja wohl nicht einmal vorrangig, um die nachteiligen Auswirkungen eines solchen Interessenkonflikts auf den Beschuldigten, sondern um objektive Belange der Strafrechtspflege. Deren Funktionstüchtigkeit wird beeinträchtigt, wenn ein Verteidiger mit seinen hervorgehobenen Rechten im Verfahren (Kontaktrecht, Akteneinsicht etc.) diese in rechtswidriger Weise nutzen kann. Anders als der Verteidiger ist aber der Vertreter des Verbandes durch diese Stellung kein Organ der Rechtspflege mit privilegierten Befugnissen, sondern es geht „nur“ um mögliche Nachteile für den Verband selbst. Diese drohenden Nachteile kann er aber in Kauf nehmen, wenn die maßgeblichen Entscheidungsträger (also etwa: der Aufsichtsrat einer Aktiengesellschaft hinsichtlich des potentiell involvierten Vorstands; die Gesellschafterversammlung der GmbH hinsichtlich des potentiell involvierten Geschäftsführers) trotz dieser möglichen Verquickung einer Vertretung durch das konkrete – möglicherweise mit dem Vorgang besonders gut vertraute – Organ die Vertretung für im Interesse der Gesellschaft liegend erachten.

3. Lösungsansatz a) Ausgangspunkt Sinnvoll wäre es, dass die Vertretung des Verbandes im Verbandssanktionsverfahren grundsätzlich den zivilrechtlichen Regelungen zur Vertretung folgt bzw. diese im Grunde herangezogen werden. Dieser Lösungsweg macht jedenfalls so lange Sinn, wie beispielsweise einem Organ des Verbandes, welches den Verband im Verfahren vertritt, kein persönlicher strafrechtlicher Vorwurf gemacht wird. Tritt der genannte Fall jedoch ein, würde eine solche Situation zu einem Interessenkonflikt

C. Der Verband als Beschuldigter

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zwischen dem Verband als juristischer und dem Organ als natürlicher Person führen, welcher nicht nur durch die Anwendung der zivilrechtlichen Vertretungsregeln gelöst werden kann, aber dennoch gelöst werden muss.278 So könnte der eingeschlagene Weg weiter beschritten werden, indem der Grundsatz der Anwendung der zivilrechtlichen Vertretungsregeln solange gilt, wie der Vertreter nicht auch persönlich durch einen strafrechtlichen Vorwurf belastet wird. In dem Fall müsste bestimmt werden, dass das Unternehmen einen anderen Vertreter nennt, da ein derart gelagerter aufkommender Konflikt, der auf das Verfahren Auswirkungen zeitigt, im Interesse keines Beteiligten stehen dürfte und auch objektiv niemandem sinnvoll zugutekommen wird. Sollten alle in Betracht kommenden Vertreter potentiell strafrechtlich in Erscheinung getreten bzw. verdächtig sein, könnte das zuständige Gericht die Aufgabe übernehmen, einen Vertreter zu bestimmen, damit der Verband zu keinem Zeitpunkt unvertreten ist bzw. die Durchführung des Verfahrens nicht gefährdet wird. Dies sollte aber nur insoweit gelten, bis der Verband eigenständig einen neuen Vertreter benennt oder sich trotz des Risikos der Interessenkollision des Vertreters erneut und bewusst für diesen entscheidet. Denn ein Verband, der diesen Interessenkonflikt bewusst eingeht, muss hier keinen weitergehenden Schutz erfahren. b) Regelungen im VerSanG-E Für einen sehr ähnlichen Lösungsansatz spricht sich auch § 28 VerSanG-E aus, der normiert, dass der Verband im Sanktionsverfahren grundsätzlich durch seine gesetzlichen Vertreter vertreten wird (Abs. 1), jedoch Personen von der Vertretung ausgeschlossen sind, die beschuldigt werden, eine Verbandstat begangen zu haben (Abs. 2) und dass § 51 Abs. 2 ZPO entsprechend gilt (Abs. 3). Ein denknotwendiger, wenngleich aber nicht weniger relevanter Hinweis ergeht im Regierungsentwurf dergestalt, dass klargestellt wird, der Verband werde in seiner Stellung als Beschuldigter vertreten,279 aber die gesetzlichen Vertreter werden aufgrund dessen nicht selbst zu Beschuldigten, sondern üben nur die Rechte für den Verband aus.280 Zu befürworten ist grundsätzlich ebenfalls die explizite Regelung des § 28 Abs. 2 VerSanG-E, die den eingangs dargestellten Interessenkonflikt zum Gegenstand hat und durch das Verbot der Vertretung des Verbandes durch einen einer Verbandstat beschuldigten Vertreter Transparenz und Sicherheit schafft, wenngleich im VerSanG-E nicht vorgsehen ist, dass dem Verband die Autonomie zukommt, sich trotz Interessenkonflikts für diesen Vertreter zu entscheiden. 278

Vgl. dazu Pieth, FS Eser, 599 (609). Konsequent sieht dann auch § 46 Abs. 1 VerSanG-E eine entsprechende Geltung von § 254 StPO für Aussagen oder Erklärungen des gesetzlichen Vertreters vor, die dieser vor der Hauptverhandlung getätigt hat. Ist der Verband (nur) Mitbeschuldigter, gelten gemäß § 46 Abs. 2 VerSanG-E für die Verlesung von Aussagen oder Erklärungen des gesetzlichen Vertreters §§ 251 und 420 Abs. 1 und 3 StPO entsprechend. 280 So RegE.-Begr. S. 111. 279

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Über § 28 VerSanG-E hinaus sieht § 29 VerSanG-E einen „Besonderen Vertreter“ für die Konstellation vor, dass der Verband keinen gesetzlichen Vertreter hat oder alle gesetzlichen Vertreter von der Vertretung ausgeschlossen sind (§ 29 Abs. 1 VerSanG-E). In dem Fall normiert der Regierungsentwurf zum Verbandssanktionengesetz, dass der Vorsitzende des Gerichts, das mit der Sache befasst ist, einen besonderen Vertreter bestellt. Dieser übernimmt die Vertretung solange, bis ein gesetzlicher Vertreter des Verbandes die Vertretung übernimmt. § 29 Abs. 1 VerSanG-E stellt dabei ausdrücklich klar, dass dem besonderen Vertreter im Verfahren die Stellung des gesetzlichen Vertreters zukommt und er alle zur Verteidigung erforderlichen Prozesshandlungen für den Verband vornehmen kann sowie Erklärungen abgeben oder empfangen kann. § 29 Abs. 2 VerSanG-E betrifft die Eröffnung und Durchführung des Hauptverfahrens/der Hauptverhandlung, dem die Abwesenheit des/der gesetzlichen Vertreter(s) oder ein in deren Person begründetes Hindernis für längere Zeit entgegensteht. Hier besteht nach dem vorgesehenen Wortlaut des Entwurfs die Möglichkeit, dass der Vorsitzende des Gerichts einen besonderen Vertreter für den Verband bestellt, wenn das Interesse an der Durchführung des Verfahrens die Rechte des Verbandes überwiegt. § 29 Abs. 3 VerSanG-E regelt die Bestellung des besonderen Vertreters. Soll dieser vor Erhebung der öffentlichen Klage bestellt werden, kann dies nur durch einen Antrag der Verfolgungsbehörde geschehen, wenngleich das Amtsgericht für den Akt der Bestellung zuständig ist. Die Bestimmung der Zuständigkeit erfolgt nach den Kriterien des § 29 Abs. 3 Nr. 1 – 3 VerSanG-E. Die Situation der „Unvertretenheit“ kann daraus resultieren, dass einer oder alle gesetzlichen Vertreter von der Vertretung ausgeschlossen sind oder aber auch, dass eine Amtsniederlegung oder Abberufug der ursprünglichen gesetzlichen Vertreter erfolgte.281 Sinn und Zweck des § 29 VerSanG-E bestehen darin, sicherzustellen, dass der Verband aus unterschiedlichen Gründen in keinem Verfahrensstadium unvertreten sein soll. Ausweislich der Begründung des Regierungsentwurfs soll damit erreicht werden, dass die Durchführung eines Verfahrens nicht an der „Unvertretenheit“ des Verbandes scheitert, weil zum Beispiel Ladungen o.Ä. nicht zustellbar sind und dieser Zustand vom Verband selbst herbeigeführt und aufrechterhalten werden kann.282 § 29 Abs. 2 VerSanG-E erweitert die Normierung der grundsätzlichen Konstellationen der Führungslosigkeit eines Verbandes auf die längere Abwesenheit des gesetzlichen Vertreters oder ein anderes in dessen Person begründetes Hindernis, welches der Durchführung des Hauptverfahrens/der Hauptverhandlung entgegensteht. Für die genannten Fälle hat der Vorsitzende des Gerichts allerdings eine Abwägung zu treffen, ob das Interesse der Durchführung des Verfahrens die Rechte des Verbandes überwiegt. Die Entwurfsbegründung nennt hier als Kriterien zur Bestimmung die Schwere der Verbandstat, die missbräuchliche Herbeiführung des

281 282

So in RegE.-Begr. S. 111. So vorgesehen in RegE.-Begr. S. 112.

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Verfahrens- oder Verhandlungshindernisses und Zumutbarkeit sowie Möglichkeit, das Hindernis aus dem Weg zu räumen.283 4. Anwesenheitspflicht des Verbandes in der Hauptverhandlung a) § 230 StPO Ein weiterer relevanter Punkt, der zu dem Aspekt der Vertretung des Verbandes im Verbandssanktionsverfahren gezählt werden kann, ist, ob eine Anwesenheitspflicht des Verbandes in der Hauptverhandlung normiert werden sollte und, wenn dies bejaht wird, wie eine solche konturiert werden könnte. De lege lata ergibt sich die Anwesenheitspflicht eines Angeklagten (natürliche Person) aus § 230 Abs. 1 StPO, der festhält, dass gegen einen ausgebliebenen Angeklagten eine Hauptverhandlung nicht stattfindet, sofern kein Ausnahmegrund von Gesetzeswegen vorliegt. Der Angeklagte hat somit nicht nur das Recht, an der Hauptverhandlung teilzunehmen, sondern ihm kommt sogar eine Teilnahmepflicht zu. Dies dient zum einen dem Zweck, dem Angeklagten seine Rechte auf rechtliches Gehör und Mitwirkung im Strafprozess einzuräumen und zum anderen dem Gericht, um sich einen direkten Eindruck vom Angeklagten zu verschaffen.284 Hinsichtlich des Zeitraumes gilt, dass der Angeklagte die gesamte Hauptverhandlung ununterbrochen (von dem Aufruf zur Sache bis zur Urteilsverkündung) anwesend sein muss.285 Hiervon sieht das Gesetz allerdings einige Ausnahmen vor, wie beispielsweise bei Straftaten von geringer Bedeutung (§§ 232, 233 StPO).286 Relevant ist darüber hinaus, dass dem Gericht nicht das Recht zukommt, den Angeklagten von seiner Anwesenheitspflicht (außer in den gesetzlich vorgesehenen Ausnahmefällen) zu befreien und der Angeklagte selbst ebenfalls nicht auf das Recht verzichten kann.287 Eine Ausnahme von Letzterem gilt lediglich für die vom Gesetz vorgesehenen Fälle, wie zum Beispiel die oben erwähnten Straftaten von nur geringer Bedeutung. Im Gegenzug darf das Gericht dem Angeklagten aber auch die Teilnahme an der Hauptverhandlung nicht verwehren, selbst wenn ein Ausnahmegrund vorliegt, der den Angeklagten dazu berechtigt, nicht teilnehmen zu müssen. Bleibt der Angeklagte der Hauptverhandlung nicht ausreichend entschuldigt fern, werden nach § 230 Abs. 2 StPO Zwangsmittel eingesetzt.

283

Vgl. RegE.-Begr. S. 112. Siehe Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO § 230 Rn. 3. 285 BeckOK StPO/Gorf, StPO § 230 Rn. 2; Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO § 230 Rn. 5 f. 286 Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO § 230 Rn. 2 mit weiteren Ausnahmen; BeckOK StPO/Gorf, StPO § 230 Rn. 3. 287 Vgl. zum Ganzen statt vieler BeckOK StPO/Gorf, StPO § 230 Rn. 4 m.w.N.; Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO § 230 Rn. 2 m.w.N. 284

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6. Kap.: Grundstruktur eines Verbandssanktionenrechts de lege ferenda

b) § 73 OWiG Für das Ordnungswidrigkeitenrecht, in welchem de lege lata die Unternehmensgeldbuße geregelt ist, besteht eine Anwesenheitspflicht gemäß § 73 Abs. 1 OWiG, nach dem der Betroffene zum Erscheinen in der Hauptverhandlung verpflichtet ist. Unter den Voraussetzungen des Abs. 2 (Wenn sich der Betroffene zur Sache geäußert (Var. 1) oder erklärt (Var. 2) hat, dass er sich in der Hauptverhandlung nicht zur Sache äußern werde, und seine Anwesenheit zur Aufklärung wesentlicher Gesichtspunkte des Sachverhalts nicht erforderlich ist), kann der Betroffene einen Antrag an das Gericht stellen, um sich von dieser Pflicht entbinden zu lassen. Liegen die Prämissen vor, muss das Gericht dem Antrag entsprechen. Ihm kommt hierbei kein Ermessen zu.288 Gibt das Gericht dem Antrag statt, kann sich der Betroffene in der Hauptverhandlung gemäß § 73 Abs. 3 OWiG durch einen Verteidiger vertreten lassen. c) Lösungsansatz Aus den vorangehenden Erörterungen folgt, dass die Anwesenheitspflicht einer natürlichen Person im Strafverfahren im Gegensatz zum Ordnungswidrigkeitenverfahren de lege lata nicht nur unerhebliche Unterschiede aufweist und im Strafverfahren um einiges strenger gehandhabt wird. Dies ist denknotwendige Konsequenz, da das Strafverfahren insgesamt einen sehr viel tieferen Einschnitt in die Rechte des Betroffenen bedeuten dürfte als das Ordnungswidrigkeitenverfahren und die Rechte und Pflichten des Betroffenen daher besonders gewahrt werden müssen. De lege lata fallen die Verbände noch unter die „weicheren“ Voraussetzungen des Ordnungswidrigkeitenrechts. Hierbei drängt sich die Frage auf, ob eine derartige Regelung beibehalten werden soll oder einer Änderung bedarf. Davon ausgehend, es würde eine dritte Spur (neben Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht) für das Verbandssanktionenrecht geschaffen, scheint es problematisch, für den Verband nur die geringeren Rechte (und Pflichten) des Ordnungswidrigkeitenverfahrens vorzusehen. Wird die juristische Person als Angeklagte in einem Verbandssanktionsverfahren mit einer natürlichen Person als Angeklagte verglichen, fällt auf, dass ebenso Mitwirkungsrechte der juristischen Person und auch das Recht auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) bestehen bzw. notwendig sind.289 Darüber hinaus kann es ebenso sinnvoll sein, wenn sich das Gericht ein Bild vom Unternehmen in der Hauptverhandlung verschafft, welches nur von natürlichen Personen vermittelt werden kann, die vor Ort sind, wie beispielsweise dem gesetzlichen Vertreter. Hier ergeben sich deutliche Parallelen hinsichtlich der Schutzzwecke, die eine Anwesenheitspflicht des Angeklagten in der Haupt288

BT-Drs. 13/5418 S. 9; OLG Koblenz v. 27. 11. 2003 – 1 Ss 315/03, BeckRS 2003 30334450 m.w.N.; KK-OWiG/Senge, OWiG § 73 Rn. 15 m.w.N. 289 Vgl. insbesondere zum Recht auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG auch unten S. 294.

C. Der Verband als Beschuldigter

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verhandlung bezweckt.290 Letztlich sollte eine grundsätzliche Form der Anwesenheit für Unternehmen daher in einem Verbandssanktionenrecht de lege ferenda erforderlich sein und ebenfalls in Gesetzesform gegossen werden bzw. § 230 StPO entsprechend angewendet werden. Für den Fall, dass ein Anwesenheitsrecht für eine juristische Person normiert wird, sollte aus Praktikabilitätserwägungen die Option bestehen, eine „Delegierung“ innerhalb des Unternehmens und/oder auf einen Verteidiger zu ermöglichen, damit das Unternehmen flexibel agieren bzw. seine Anwesenheitspflicht wahrnehmen kann. Auf der einen Seite wird ein Unternehmen nämlich sicherlich ein nicht nur unerhebliches Interesse daran haben, beispielsweise in der Hauptverhandlung anwesend zu sein und sich gegebenenfalls zu äußern. Auf der anderen Seite ist es durchaus denkbar, dass es ein langwieriges Hauptverfahren geben wird und ein einzelnes Organ der juristischen Person aufgrund von vielfältigen anderweitigen Verpflichtungen nicht jeden Termin wahrnehmen können wird, sodass es erforderlich ist, Vertretungen schicken zu können.291 Hier wäre es zu begrüßen, wenn derartige Praktikabilitätserwägungen berücksichtigt würden und aus diesem Grund ebenso die Vertretung durch einen Verteidiger gesetzlich vorgesehen werden würde. Da es sich bei dem Verband insbesondere nicht um einen Individualbeschuldigten handelt und der Verband vor Gericht nur durch seine Repräsentanten auftreten kann, wäre es auch weniger gravierend als im Individualstrafrecht, wenn in bestimmten Fällen nur der Verteidiger als eben ein solcher Repräsentant anwesend wäre. Soweit es um prozessuales Verhalten ginge, müsste der Verband allerdings entscheiden, ob er sich darauf verlassen möchte, seinen Verteidiger alleine zu schicken. d) Regelungen im VerSanG-E Der Regierungsentwurf zum VerSanG geht einen ähnlichen Weg, wie vorangehend vorgeschlagen, und normiert die Anwesenheitspflicht des Verbandes in der Hauptverhandlung in §§ 43 ff. VerSanG-E. Demzufolge gilt ein Verband, der mehrere gesetzliche Vertreter hat, als in der Hauptverhandlung anwesend, wenn auch nur ein Vertreter in der Hauptverhandlung anwesend ist (Abs. 1).292 Möglich ist aber auch, dass sich der Verband insgesamt von einem Verteidiger (mit nachgewiesener Vollmacht) vertreten lässt (Abs. 2). Aus der Begründung des Entwurfs folgt, dass die

290 Diff. an dieser Stelle RegE.-Begr. S. 60, die davon ausgeht, dass der Anwesenheit des Verbandes in der Hauptverhandlung im Vergleich mit einer natürlichen Person lediglich eine geringere Bedeutung zukommt. 291 Siehe auch § 43 ff. VerSanG-E. 292 In der RegE.-Begr. S. 121 wird für das Verbandssanktionsverfahren ausdrücklich festgehalten, dass ein Verband für den gesetzlich die Gesamtvertretung vorgsehen ist, bereits dann in der Hauptverhandlung als anwesend gilt, wenn nur ein gesetzlicher Vertreter erschienen ist, wenngleich dieser keine wirksamen Prozesshandlungen vornehmen könne. Er könne durch seine Anwesenheit das „unentschuldigte Ausbleiben des Verbandes hindern“.

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6. Kap.: Grundstruktur eines Verbandssanktionenrechts de lege ferenda

Regelung insgesamt § 230 StPO nachgebildet wurde.293 Jedoch bringt die Begründung des Regierungsentwurfs unzweifelhaft zum Ausdruck, dass keine Zwangsmittel zur Durchsetzung der Anwesenheitspflicht des Verbandes, auch nicht gegen seine gesetzlichen Vertreter, da diese nicht die im Verbandssanktionsverfahren Angeklagten sind, vorgesehen sind.294 § 44 VerSanG-E normiert, dass das Gericht das persönliche Erscheinen eines gesetzlichen Vertreters anordnen kann. In diesem Fall ist es möglich, das Erscheinen zwangsweise durchzusetzen.295 5. Kritische Würdigung und Fazit Auch wenn die Vertretung des Verbandes im Verbandssanktionsverfahren potentiell weniger Friktionen aufzuweisen scheint als andere Punkte, darf sie dennoch nicht außer Acht gelassen werden, da in der Vertretung des Verbandes ein wichtiges Recht im Rahmen der Beschuldigtenstellung im Verbandssanktionsverfahren liegt, die sich mitunter enorm für den Ausgang des Verfahrens und somit für den Verband insgesamt auswirken kann. Über § 28 Abs. 1 und 2 VerSanG-E kann das Ziel der Vertretung des Verbandes grundsätzlich in ausreichendem Maße gewährleistet werden, sodass der Regierungsentwurf zum VerSanG bis zu diesem Punkt nachvollziehbar ist, wenngleich er Modifikationen dergestalt vermissen lässt, dass der Verband keine Autonomie besitzt, den Interessenkonflikt eines Vertreters schlichtweg in Kauf zu nehmen und diesen trotzdem zu bestellen. Vielmehr greift der Entwurf zum VerSanG in (zu) hohem Maße in die Rechte des Verbandes bzw. seiner Mitglieder ein und normiert die alternativlose Bestellung eines sogenannten „besonderen Vertreters“ in § 29 VerSanG-E. Hierzu fehlen in der Begründung zum Entwurf des VerSanG Spezifizierungen, welche Personen als „besondere Vertreter“ in Betracht kommen können bzw. von Seiten der Behörden oder von Seiten des Unternehmens herrühren (müssen), wenngleich es sich hierbei in vielen Fällen um einen Rechtsanwalt handeln dürfte. Einziger Anhaltspunkt ist in der Entwurfsbegründung der Hinweis, dass es sich bei dieser Regelung um eine § 57 ZPO nachgebildete Regelung handelt, sodass die dort gemachten Ausführungen wohl entsprechend gelten dürften.296 An dieser Ungenauigkeit ändert sich auch dadurch nichts, dass § 41b Rechtsanwaltsvergütungsgesetz eingefügt werden soll („Der Rechtsanwalt, der nach § 30 des Verbandssanktionengesetzes dem Verband als besonderer Vertreter bestellt ist“297), da damit keine weiteren Spezifizierungen des Entwurfs einhergehen. Insgesamt ist dem VerSanG-E an dieser Stelle zu wünschen, 293

RegE.-Begr. S. 120. RegE.-Begr. S. 120 f.; siehe aber auch RegE.-Begr. S. 122 welche klarstellt, dass § 45 VerSanG-E (Hauptverhandlung trotz Ausbleibens des gesetzlichen Vertreters des Verbandes) das Spiegelbild zur nicht zwangsweisen Durchsetzung der Anwesenheitspflicht darstellt. 295 Vgl. RegE.-Begr. S. 122. 296 Vgl. RegE.-Begr. S. 112. 297 So RegE.-VerSanG S. 40. 294

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den angepriesenen Schutzmechanismus aufrechtzuerhalten, aber im gleichen Zug die Verbandsautonomie zu wahren und gesetzlich vorzusehen, dass der Verband ebenfalls einen Vertreter berufen kann, der der oben angesprochenen Interessenkollision unterliegt, wenn diese Entscheidung bewusst getroffen wird. Wichtig wäre darüber hinaus auch, dass eine Anwesenheitspflicht des Verbandes für ein zukünftiges Verbandssanktionenrecht rechtlich normiert wird und dem Verband daraus die gängigen Rechte und Pflichten erwachsen, da ihm hier eine ebenso hohe Schutzbedürftigkeit zukommt, wie einer natürlichen Person, die vor Gericht angeklagt ist. Die dafür vorgesehenen Regelungen, insbesondere §§ 43 – 45 VerSanG-E, sind in ihrer Struktur und ihrem Regelungsgehalt insgesamt zu begrüßen.

IV. Die Verteidigung des Verbandes Neben der Vertretung des Verbandes im Verfahren ist es ebenfalls notwendig, zu klären, wie eine anwaltliche Verteidigung des Verbandes organisiert werden kann bzw. was im Rahmen einer Verteidigung berücksichtigt werden muss. Besonders relevant wird dies nicht nur, aber auch beispielsweise dann, wenn nicht nur gegen den Verband selbst, sondern zugleich auch gegen (einen oder mehrere) Mitarbeiter ein Strafverfahren geführt wird bzw. gleichzeitig gegen beide ermittelt wird.298 1. Umfang der Untersuchung und Problematik Zunächst müssen die unterschiedlichen Konstellationen, welche untersucht werden sollen, festgelegt werden. Als Ausgangspunkt ist zu fragen, ob ein Verband ganz grundsätzlich das Recht auf den Beistand eines Verteidigers haben soll/kann, wie es einer natürlichen Person aufgrund der §§ 137 ff. StPO zukommt und vor allem, woraus sich ein derartiges Recht gegebenenfalls herleiten lässt. Nach der Erörterung dieser Grundkonstellation kann sodann hinterfragt werden, was passiert, wenn es zu Ermittlungen oder sogar zu einem Verfahren nicht nur gegen den Verband selbst, sondern auch gegen Verbandsangehörige (Mitarbeiter) kommt (vgl. eingangs bereits erwähnte Fallkonstellation). Hier muss eine sinnvolle Regelung hinsichtlich der Verteidigung, sowohl des Unternehmens als auch der Verbandsangehörigen, gefunden werden. Dabei kann diesbezüglich zwischen zwei Konstellationen unterschieden werden: Zum einen kann es, jedenfalls theoretisch, möglich sein, dass ein Verteidiger sowohl für die juristische Person als auch für die natürliche Person tätig werden möchte bzw. tätig werden soll. Hier könnte sich ein Interessenkonflikt zwischen dem Verband auf der einen und der natürlichen Person auf der anderen Seite für den 298 Vgl. zur grenzüberschreitenden Verteidigung von Unternehmensmitarbeitern in dem Kontext Sidhu/von Saucken, NZWiSt 2018, 126 ff.

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6. Kap.: Grundstruktur eines Verbandssanktionenrechts de lege ferenda

Verteidiger ergeben, wenngleich es auch partiell gleiche Interessenlagen geben kann. Zum anderen gilt dies ebenfalls für die (vermutlich häufiger auftretende) Fallkonstellation, dass nicht nur gegen eine, sondern gegen mehrere natürliche Personen und gegen das Unternehmen ein Strafverfahren geführt wird. In der letzten Konstellation resultieren Konfliktlagen hinsichtlich der Verteidigung zusätzlich zum Beispiel daraus, wenn ein Beschuldigter geständig ist, während ein anderer nur teilgeständig oder eben gar nicht geständig ist. Diese Problematik ergibt sich nicht erst in einem Verbandssanktionenrecht de lege ferenda, sondern sie besteht bereits de lege lata, wenn es um die Verhängung einer Verbandsgeldbuße geht, wenngleich ein Lösungsansatz für die Zukunft eines Verbandssanktionenrechts im Vordergrund steht.299 In den folgenden Abschnitten werden die unterschiedlichen Konstellationen und potentielle Lösungsansätze erörtert, wobei zunächst ein Blick auf andere Rechtsordnungen erfolgt, welche sich damit im dortigen Verfahren gegen Verbände bereits auseinandergesetzt haben. 2. Regelungen in anderen Rechtsordnungen Die Fragestellung, ob ein Unternehmen ein Recht auf Verteidigung hat, ist nicht nur in Deutschland ein Thema und stellt das Recht in seinen Ausprägungen hierzulande vor neue Herausforderungen, sondern war dies bereits in anderen Rechtsordnungen, welche die Sanktionierung von Verbänden in ihrem Recht vorsehen. Ein Blick auf die Grundlagen, ob Verbänden in anderen Rechtsordnungen ebenfalls ein Recht auf Verteidigung zukommt, bzw. woraus sich dieses ableitet, ist daher lohnenswert. a) USA In den USA kommt dem Unternehmen das Recht auf die Hinzuziehung eines Verteidigers („the right to counsel“300) ausweislich des Gesetzes zu.301 Dies ergibt sich aus dem 6. Zusatzartikel der amerikanischen Verfassung, wenn es heißt: „In all criminal prosecutions, the accused shall enjoy the right (…) to have the assistance of counsel for his defense.“302 In den USA gilt dieses Recht als wichtigstes Recht eines

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Dazu ausführlich zum Beispiel bei Berndt, in: Berndt/Theile (Hrsg.), Unternehmensstrafrecht, S. 221 ff. 300 Grundlegend Chemerinsky/Levenson, Criminal Procedure, S. 173 ff. 301 Rackow, The William and Mary Quarterly, 1954, Vol. 11 No. 1, S. 3; siehe zum Ganzen auch Drope, Strafprozessuale Probleme bei der Einführung einer Verbandsstrafe, S. 240. 302 Abgedruckt bei Drope, Strafprozessuale Probleme bei der Einführung einer Verbandsstrafe, S. 240; so auch bei Chemerinsky/Levenson, Criminal Procedure, S. 17; siehe dazu auch U.S. v. Stein, S 1 05 Crim. 0888 (LAK), S. 54 ff., abrufbar unter http://online.wsj.com/pu blic/resources/documents/ruling-kpmg-20060627.pdf zuletzt abgerufen am 09. 11. 2020.

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Beschuldigten, da er nur aufgrund des Rechts anwaltlicher Verteidigung seine anderen ihm zustehenden Rechte schützen könne.303 Begründet wird die Anerkennung des Rechts für Unternehmen (neben der Anerkennung für natürliche Personen) damit, dass sich das Unternehmen in einer vergleichbaren Lage wie eine natürliche Person befände, wenn gegen das Unternehmen ein strafrechtlicher Vorwurf vorläge, es aber keine Kenntnis der Rechtslage habe, was die Gefahr eines Nachteils vor Gericht oder mangelnden Schutzes von Verfahrensrechten bedeuten könnte.304 Von dem Recht des Schutzes auf Verteidigung erfasst ist in den USA ebenfalls, dass Mitarbeiter des Unternehmens einen Verteidiger konsultieren können, auch wenn es sich bei ihnen nur um Zeugen und demgemäß bei ihrer Befragung um eine Zeugenvernehmung handelt. Wird den Mitarbeitern der Kontakt zu Verteidigern bei Zeugenvernehmungen verwehrt, ist darin ebenfalls eine Verletzung des Rechts auf rechtlichen Beistand des Unternehmens zu sehen.305 b) England Historisch betrachtet reichen die Anfänge der Verteidigung eines Angeklagten (natürliche Person) vor Gericht in England bis ins 13. Jahrhundert zurück, obschon es sich hierbei nicht um ein (im Strafprozess) etabliertes oder geschriebenes Recht des Angeklagten im eigentlichen Sinne handelte.306 Mittlerweile hat jeder in England, der wegen einer Straftat angeklagt ist, das Recht, sich selbst zu verteidigen oder durch einen Rechtsbeistand verteidigen zu lassen (sogenanntes „right to counsel“307).308 Dies wird für das englische Recht aus Art. 6 Abs. 3 EMRK hergeleitet.309 Die EMRK wurde durch den Human Rights Act 1998 im englischen Recht kodifiziert.310 Das Recht auf Verteidigung gilt nicht nur für natürliche Personen, sondern auch für juristische Personen. Die Begründung für die Geltung für juristische Personen ist darin zu sehen, dass es sich hierbei um einen allgemeinen Grundsatz für 303

Chemerinsky/Levenson, Criminal Procedure, S. 173; zum „right to counsel“ ausführlich auch Schmid, Strafverfahren, S. 123 ff., 137 f. 304 Zur anwaltlichen Verteidigung von Unternehmen in den USA allgemein Hoven/Weigend, ZStW 2018 (130), 213 (244 ff.); Schmid, Strafverfahren, S. 123 ff., 137 f. 305 So bei Drope, Strafprozessuale Probleme bei der Einführung einer Verbandsstrafe, S. 240. 306 Zur ausführlichen Historie des „right to counsel“ in Großbritannien Rackow, The William and Mary Quarterly, 1954, Vol. 11 No. 1, S. 3 ff.; Mattingly, Notre Dame Law Review, Vol. 50, (1974), S. 117 ff. 307 Dazu im Vergleich USA und Großbritannien Mattingly, Notre Dame Law Review, Vol. 50, (1974), S. 117 ff. 308 Siehe dazu Hannibal/Mountford, Criminal Litigation, S. 156; zum Recht auf einen Verteidigerbeistand auch Epik, ZStW 2019 (131), 131 (157). 309 So Hannibal/Mountford, Criminal Litigation, S. 156; Jackson/Summers, Internationalisation of Criminal Evidence, S. 285. 310 Dazu Kischel, Rechtsvergleichung, S. 371.

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Angeklagte handelt und ein Verband nach englischem Recht ebenfalls „defendant“ (ergo Angeklagter) eines Strafprozesses sein kann. Deshalb müssen ihm auch die Rechte eines Angeklagten zukommen. c) Österreich Neben den bereits angeführten Rechtsordnungen stehen auch Verbände in Österreich in dieser Hinsicht nicht schutzlos. Zunächst ist zu konstatieren, dass das Recht auf die Beiziehung eines Verteidigers für einen Beschuldigten in Österreich sowohl in § 7 Abs. 1 östStPO (Recht auf Verteidigung) als auch insbesondere in § 49 Nr. 2 Var. 1 östStPO (Wahl des Verteidigers) normiert ist. Die Regelungen der österreichischen Strafprozessordnung für natürliche Personen zur Verteidigung finden ebenfalls auf Verbände Anwendung.311 Da ein Verband in Österreich den Beschuldigtenstatus innehaben kann und das östVbVG keine anderweitige Regelung vorsieht, gilt das Recht auf Verteidigung aus der östStPO deshalb auch für ihn. Hinsichtlich dieses Rechts enthält § 17 Abs. 2 östVbVG für Verbände explizit eine Belehrungspflicht des Verbandes hierüber.312 § 49 Nr. 2 Var. 1 östStPO verweist in seinem Wortlaut insbesondere auf § 58 östStPO. Nach § 58 Abs. 1 östStPO hat der Beschuldigte das Recht, mit einem Verteidiger Kontakt aufzunehmen, diesen zu bevollmächtigen und sich zu besprechen. Ebenfalls darf der Verteidiger bei der Vernehmung anwesend sein, wenngleich er sich bei der Vernehmung des Beschuldigten nicht aktiv beteiligen darf.313 d) Schweiz Eine beschuldigte Person hat in der Schweiz das Recht auf Verteidigung durch einen Anwalt. Dies ergibt sich zum einen aus Art. 29 Abs. 3 und Art. 32 Abs. 2 BV in verfassungsrechtlicher Hinsicht und zum anderen gemäß Art. 6 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 6 Abs. 3 lit. c. EMRK aus der Konvention.314 In der Schweiz wird, neben den natürlichen Personen, auch juristischen Personen ausdrücklich von Gesetzeswegen ein Recht auf anwaltlichen Beistand gewährt.315 Dies resultiert anerkanntermaßen aus Art. 129 schwStPO in Verbindung mit Art. 127 Abs. 5 schwStPO und folgt aus der Beschuldigtenstellung, die einer juristischen Person in einem gegen sie gerichteten Strafverfahren zukommt. Fest steht auch, dass der Verteidiger des Unternehmens nicht zugleich der Vertreter des Unternehmens sein darf. Darüber 311 Vgl. zum Ganzen Papp/Karner, in: Palkovits/Papp/Rathkolb/Skribe, Unternehmensstrafrecht, Kap. 4.6.2 S. 1. 312 Vgl. dazu statt vieler Steininger, VbVG, S. 140. 313 Papp/Karner, in: Palkovits/Papp/Rathkolb/Skribe, Unternehmensstrafrecht, Kap. 4.6.2 S. 1. 314 Siehe zum Ganzen auch Wohlers/Lynn, in: Seitz/Wohlers (Hrsg.), Anwaltsgeheimnis, S. 105 m.w.N. 315 Siehe dazu Donatsch/Hansjakob/Lieber/Lieber-StPO, Art. 112 Rn. 8 m.w.N.

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hinaus gilt das Verbot der Doppelverteidigung der natürlichen Person als Angeklagter auf der einen und der juristischen Person auf der anderen Seite auch in der Schweiz.316 e) Fazit Der Blick in andere Rechtsordnungen macht deutlich, dass Verbänden in allen Rechtsordnungen das Recht auf einen Verteidiger zugestanden wird und diesbezüglich ein großer Konsens herrscht, wenngleich es freilich bei der Kodifizierung und Herleitung des Rechts zwischen den Rechtsordnungen Unterschiede gibt. Hinter diesem Institut der Gewährung anwaltlicher Verteidigung dürfte in allen Rechtsordnungen der Gedanke stehen, dass ein Unternehmen, welches sich vor Gericht verantworten muss, auch das Recht haben muss, sich juristisch beraten und vor Gericht professionell verteidigen zu lassen, da ihm als Beschuldigtem in der Form eines hochkomplexen Gebildes nicht weniger zugestanden werden kann als einer einzelnen natürlichen Person, die den Beschuldigtenstatus innehat. Das ein unverteidigtes und rechtlich nicht beratenes Unternehmen möglicherweise seine Verfahrensrechte nicht ausreichend wahrnehmen kann und es diesbezüglich auch zu Nachteilen in gerichtlichen Entscheidungen kommen könnte, liegt auf der Hand, abgesehen davon, dass es völlig realitäts- und praxisfern scheint, einem Unternehmen eine anwaltliche Verteidigung zu versagen. Im Ergebnis dürften all diese Gedanken in den unterschiedlichen Rechtsordnungen dazu veranlassen, die anwaltliche Verteidigung eines Unternehmens zuzulassen. Hinter dieser Handhabung darf letztlich ein deutsches Verbandssanktionenrecht – auch bereits mit Blick auf Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK – nicht zurückstehen, damit deutsche Unternehmen hier nicht das Nachsehen haben. 3. Grundlagen des Rechts auf einen Verteidigerbeistand Derzeit wird einem Verband das Recht auf anwaltlichen Beistand im Ordnungswidrigkeitenverfahren, wenn es um die Festsetzung einer Geldbuße geht, bereits einfachgesetzlich zugestanden. Soll eine Geldbuße festgesetzt werden, weil eine Straftat begangen wurde, wird das Recht auf anwaltlichen Beistand aus § 444 Abs. 2 S. 2 StPO in Verbindung mit § 428 StPO hergeleitet. Wurde eine Ordnungswidrigkeit als Anknüpfungstat begangen, ergibt sich das genannte Recht über die Verweisungsnorm des § 46 Abs. 1 OWiG. In einem künftigen Verbandssanktionsverfahren muss einem Unternehmen ebenfalls das Recht auf anwaltlichen Beistand zugestanden werden, wenn dies aufgrund von Rechtssätzen vorgeschrieben wird. Um eine valide Herleitungsmög316 Zum Ganzen Donatsch/Hansjakob/Lieber/Lieber-StPO, Art. 112 Rn. 8 m.w.N.; zum Problem der Mehrfachverteidigung grundlegend Wohlers/Lynn, in: Seitz/Wohlers (Hrsg.), Anwaltsgeheimnis, S. 108 m.w.N.

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lichkeit dieses Rechts zu finden, soll zunächst auf das originäre Recht der natürlichen Person auf anwaltlichen Beistand geblickt werden, um sodann zu eruieren, ob sich dieses auf juristische Personen übertragen lässt oder eine andere Herleitungsmöglichkeit zu suchen ist. a) Das Recht auf Beistand eines Verteidigers für natürliche Personen Das Recht der natürlichen Person auf den Beistand eines Verteidigers wird originär aus dem Recht auf ein faires Verfahren aus Art. 6 Abs. 3 lit. c EMRK abgeleitet.317 Das Recht auf ein faires Verfahren ist, das ist mittlerweile anerkannt, ein Grundsatz des rechtsstaatlichen Verfahrens. In diesem Zusammenhang geht die überwiegende Meinung davon aus, dass das Recht aus Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip318 den Anspruch gewährt, sich in einem Strafverfahren von einem Verteidiger (seiner Wahl) vertreten zu lassen (bzw. auch schon vorher den anwaltlichen Beistand ermöglicht).319 Somit kommt diesem Recht für die natürliche Person, aufgrund der Herleitung, Verfassungsrang zu. Niederschlag hat das Recht für natürliche Personen einfachgesetzlich in §§ 137 ff. StPO gefunden und wird dadurch verwirklicht. Schutzgegenstand des Rechts auf den Beistand eines Verteidigers ist die Subjektstellung des Beschuldigten. Dieser soll durch einen juristisch kundigen Verteidiger mehr Einfluss auf das Strafverfahren nehmen können, um so seine Rechte besser wahrnehmen und schützen zu können.320 b) Das Recht auf Beistand eines Verteidigers für juristische Personen Ist die Herleitung des genannten Rechts für natürliche Personen noch relativ eindeutig, stellt sich die Frage nach der Grundlage dieses Rechts ebenfalls für juristische Personen. In Betracht kommt die Herleitung des Rechts aufgrund des Anspruchs auf rechtliches Gehör der juristischen Person nach Art. 103 Abs. 1 GG.321 Dieser kommt einer juristischen Person nach einhelliger Auffassung zu.322 Begründet 317 Vgl. dazu MükoStPO/Gaede, EMRK Art. 6 Rn. 250 f.; BeckOK StPO/Wessing, StPO § 137 Vorb. Rn. 1; ferner KK-StPO/Willnow, StPO § 137 Rn. 1. 318 Eine andere Herleitungsmöglichkeit wird darüber hinaus darin gesehen, dass das Recht auf einen anwaltlichen Beistand ein Teil des Anspruchs auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG sei, vgl. dazu auch Drope, Strafprozessuale Probleme bei der Einführung einer Verbandsstrafe, S. 242 m.w.N.; siehe auch Neuhaus, StV 2002, 43 (46 f.). 319 Drope, Strafprozessuale Probleme bei der Einführung einer Verbandsstrafe, S. 242; zum Diskussionsstand MüKoStPO/Thomas/Kämpfer, StPO § 137 Rn. 4 m.w.N. 320 Vgl. auch Kudlich/Knauer, in: Hilgendorf/Kudlich/Valerius (Hrsg.), Handbuch des Strafrechts, Bd. I, § 16 Rn. 8 ff.; aus diesem Grund wird die Herleitung des Rechts auch teilweise in Art. 1 Abs. 1 GG statt in Art. 2 Abs. 1 GG gesehen, vgl. dazu ferner BGH v. 09. 12. 1988 – 2StR 279/88, NJW 1989, 1228 (1229). 321 Siehe dazu beispielsweise Drope, Strafprozessuale Probleme bei der Einführung einer Verbandsstrafe, S. 242 m.w.N. 322 Siehe dazu S. 294.

C. Der Verband als Beschuldigter

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werden kann die Herleitung des Rechts auf anwaltlichen Beistand für juristische Personen damit, dass zu einem effektiven Anspruch nach Art. 103 Abs. 1 GG auch die Unterstützung durch einen fachkundigen Beistand gehört, wenn der Beschuldigte selbst hinsichtlich des Verfahrensstoffs rechtlich nicht kundig ist. Davon ist bei einer juristischen Person ebenso wie bei einer natürlichen Person auszugehen, da auch Unternehmen die juristische Situation ohne Fachkenntnis eines Verteidigers nicht vollumfänglich überblicken können. Dies gilt in einem Verbandssanktionsverfahren in erhöhtem Maße, da die Sachverhalte meist hochkomplex sind. Wird somit der Schutzgegenstand des Rechts auf anwaltlichen Beistand miteinbezogen, ist auch die juristische Person als Beschuldigte ein Prozesssubjekt, welches durch juristischen Beistand seine Rechte besser wahrnehmen und schützen kann und darüber hinaus nicht selbst fachkundig ist. Demzufolge kann das Recht auf einen anwaltlichen Beistand für juristische Personen aus Art. 103 Abs. 1 GG und somit aus dem Anspruch auf rechtliches Gehör hergeleitet werden. Fraglich ist, ob auch die oben für natürliche Personen genannte Herleitungsmöglichkeit aus Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip und insgesamt aus Art. 6 Abs. 3 lit. c EMRK für Unternehmen als Grundlage in Betracht kommt. Dafür spricht zunächst, dass über Art. 19 Abs. 3 GG die allgemeine Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG auch auf juristische Personen anwendbar ist und dies mittlerweile – ebenso wie für Art. 6 Abs. 3 lit. c EMRK323 – anerkannt ist.324 Darüber hinaus käme auch juristischen Personen, wie bereits festgestellt, im Verfahren die Subjektstellung zu,325 da unterschiedliche Grundrechte betroffen sein können, sodass ebenfalls der Grundsatz des Fair-Trials auf sie anwendbar ist bzw. ihnen daraus ein Anspruch auf ein faires Verfahren erwächst. Insgesamt kann festgehalten werden, dass der juristischen Person in einem künftigen Verbandssanktionenrecht das Recht auf anwaltliche Verteidigung zugestanden werden muss. Hierfür lassen sich mehrere mögliche Herleitungen ausfindig machen, welche dem Gesetzgeber zur Auswahl stehen. Für die Verwirklichung des Rechts würde es sich anbieten, §§ 137 ff. StPO entsprechend in einem Verbandssanktionenrecht anzuwenden. Letzteres wurde aktuell ebenfalls so im VerSanG-E festgehalten.326 4. Probleme und Lösungsansätze der anwaltlichen Verteidigung Nachdem festgestellt wurde, dass auch Unternehmen de lege ferenda das Recht auf anwaltlichen Beistand zukommen muss, ist sich einer Gesamtlösung zu widmen, 323

Statt vieler BeckOK StPO/Valerius, EMRK Art. 6 Rn. 3; MüKoStPO/Gaede, EMRK Art. 6 Rn. 39. 324 Vgl. dazu statt vieler BeckOK GG/Enders, GG Art. 19 Rn. 41. 325 Siehe hierzu auch ausführlich Drope, Strafprozessuale Probleme bei der Einführung einer Verbandsstrafe, S. 244 ff. 326 Siehe dazu RegE.-Begr. S. 110.

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6. Kap.: Grundstruktur eines Verbandssanktionenrechts de lege ferenda

da in allen eingangs genannten Konstellationen das Hauptproblem gleich ist: (potentielle) Interessenkonflikte unter mehreren Beschuldigten bzw. eine innere Zerrissenheit des Verteidigers aufgrund der unterschiedlichen Interessen von mehreren Beschuldigten.327 Dies ergibt sich vor allem daraus, dass kraft Natur der Sache jeder Beschuldigte das für sich günstigste Ergebnis in einem Verfahren erreichen möchte, aus dieser Strategie aber Nachteile für andere ebenfalls Beschuldigte erwachsen können. Hier kann nicht einem Verteidiger aufgebürdet werden, die Konflikte allein im Inneren und/oder Äußeren auszutragen. a) Verbot der Mehrfachverteidigung nach § 146 StPO Nicht nur, aber jedenfalls auch für derartige Konflikte gibt es de lege lata auf der einfach-gesetzlichen Ebene eine Lösung: § 146 StPO.328 Dieser sieht das Verbot einer Mehrfachverteidigung vor und verfolgt den Sinn und Zweck, bereits vor der (abstrakten) Gefahr, die sich durch eine Interessenkollision aufgrund einer Mehrfachverteidigung ergeben kann, zu schützen.329 Um die Effektivität der Anwendung der Norm zu steigern, wird bei einer Tat- und Verfahrensidentität eine Interessenkollision unwiderleglich vermutet.330 In dem Verbot der Mehrfachverteidigung nach § 146 StPO könnte auch die Lösung für ein Verbandssanktionenrecht liegen. Selbst wenn davon ausgegangen wird, dass gerade bei dem Verband als Beschuldigten und einer Individualperson als Beschuldigten auch mitunter gleiche Interessenlagen vorliegen könnten, gibt es dennoch zu viele Unterschiede, denen ein einzelner Verteidiger nicht ohne nachteilige Konflikte gerecht werden kann.331 Hier kann § 146 StPO, der sich bereits im Individualstrafrecht bewährt hat, Abhilfe schaffen. Durch eine entsprechende Anwendung des § 146 StPO auf ein künftiges Verbandssanktionsverfahren können Konfliktsituationen vermieden werden, da die Norm eine Mehrfachverteidigung verbietet. Inwiefern darüber hinaus aber den eben schon genannten „gleichen Interessenlagen“ Rechnung getragen werden kann, wird im folgenden Abschnitt erörtert.

327

Vgl. S. 283. Siehe zum ursprünglichen Sinn und Zweck des § 146 StPO beispielsweise Rübenstahl, ZWH 2019, 265 (273) m.w.N. 329 Vgl. dazu grundlegend BeckOK StPO/Wessing, StPO § 146 Vorb. Rn. 1, der neben der Schutzrichtung der abstrakten Gefahr einer Interessenkollision zutreffend ebenfalls das Allgemeininteresse an einer effektiven Verteidigung als Schutzgut einbezieht; krit. MüKoStPO/ Thomas/Kämpfer, StPO § 146 Rn. 1 ff.; KK-StPO/Willnow, StPO § 146 Rn. 1 ff.; zum ursprünglichen historischen Sinn und Zweck des § 146 StPO aber auch Rübenstahl, ZWH 2019, 265 (273) m.w.N. 330 So bei BeckOK StPO/Wessing, StPO § 146 Vorb. Rn. 1. 331 Vgl. zum Ganzen Berndt, in: Berndt/Theile (Hrsg.), Unternehmensstrafrecht, S. 223 f. 328

C. Der Verband als Beschuldigter

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b) Sockelverteidigung Zu bedenken ist die Folge des Verbots einer Mehrfachverteidigung nach § 146 StPO: Wird eine Mehrfachverteidigung verboten, braucht jeder Beschuldigte einen eigenen Verteidiger, sodass insgesamt mehrere Verteidiger in das Verfahren involviert werden. Dafür müsste zum einen geklärt werden, welche Kommunikation die einzelnen Verteidiger miteinander betreiben dürften und inwiefern die Kommunikation dieser Verteidiger untereinander geschützt werden kann bzw. geschützt werden sollte, denn eins steht fest: Erhält diese Kommunikation keinen Schutz vor staatlicher Ausforschung, wird eine effektive Verteidigung der Beschuldigten (und zwar sowohl der natürlichen Personen als Beschuldigten als auch der juristischen Person als Beschuldigten) unmöglich gemacht. Um hier die gleichgelagerten Interessen aller zu wahren und zu verteidigen, könnten zum anderen die Grundsätze der allgemeinen, aber gesetzlich nicht geregelten Sockelverteidigung zum Tragen kommen, um die effektive Verteidigungsmöglichkeit eines jeden Beschuldigten nicht zu beschränken, sondern gerade hinsichtlich der verbotenen Mehrfachverteidigung auf dieser Ebene zu komplettieren.332 aa) Begriff, Sinn und Zweck Unter Sockelverteidigung werden grundsätzlich strategische und taktische Gemeinsamkeiten der Verteidigung mehrerer Beschuldigter, sowohl auf Dauer angelegt als auch nur temporär, flächendeckend oder auch nur partiell oder punktuell, verstanden.333 Sinn und Zweck der Sockelverteidigung liegen vor allem in einer gemeinsamen aufeinander abgestimmten Verteidigungsstrategie bei mehreren Beschuldigten. Dadurch soll die Belastung von Beschuldigten durch die Verteidigung (Mit-)Beschuldigter so weit wie möglich vermieden werden.334 Das kann vor allem Sinn machen, wenn mehrere Verfahrensbeteiligte gleiche Verfahrensziele haben. Auch wenn sie gesetzlich keinen expliziten Niederschlag gefunden hat, wird die Sockelverteidigung allgemein anerkannt und als Resultat des Verbots der Mehrfachverteidigung nach § 146 StPO gesehen bzw. § 146 StPO wird als gesetzlicher Anhaltspunkt für die Sockelverteidigung gesehen.335 Zu begrüßen wäre es, dass der Gesetzgeber dazu eine Regelung (etwa zur grundsätzlichen Zulässigkeit und zum Schutz des Kontakts zwischen den kooperierenden Verteidigern) in Gesetzesform

332 Vgl. zur Sockelverteidigung Richter II, NJW 1993, 2152 passim; grundlegend Pfordte/ Tsambikakis, in: MAH Strafverteidigung, § 17; Lampe, Sockelverteidigung, passim.; Pellkofer, Sockelverteidigung und Strafvereitelung, passim; Wohlers, FS Beulke, S. 1067 ff.; Müller, StV 2001, 649 passim. 333 Richter II, NJW 1993, 2152 f. 334 Siehe dazu ausführlich Pfordte/Tsambikakis, in: MAH Strafverteidigung, § 17 Rn. 16. 335 Vgl. zum Ganzen Berndt, in: Berndt/Theile (Hrsg.), Unternehmensstrafrecht, S. 223 m.w.N.; Pfordte/Tsambikakis, in: MAH Strafverteidigung, § 17 Rn. 10 ff.

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6. Kap.: Grundstruktur eines Verbandssanktionenrechts de lege ferenda

gießt, um für ein künftiges Verbandssanktionenrecht möglichst wenig Rechtsunsicherheit zu hinterlassen. bb) Ausgestaltung und Übertragbarkeit auf ein künftiges Verbandssanktionenrecht Übertragen und spezifisch auf ein künftiges Unternehmenssanktionenrecht bezogen, wäre es auf diese Art und Weise möglich, dass mehrere Beschuldigte aufgrund eines gemeinsamen Interesses bzw. Verfahrensziels, beispielsweise hinsichtlich des Unternehmens, effektiv in der Basis gemeinsam verteidigt werden können, ohne dass gegen das Verbot der Mehrfachverteidigung verstoßen würde.336 Der Bezug zum Unternehmen wäre in dieser Fallgestaltung der gemeinsame Sockel, von dem aus jeder Beschuldigte dann individuell verteidigt werden kann. Effektivität gewinnt dieses Modell vor allem dadurch, dass die Verteidiger sich für die Individualverteidigung aufeinander abstimmen bzw. zusammenarbeiten können, wobei gesetzlich explizit geregelt werden sollte, dass die Kommunikation der Verteidiger, aus den oben genannten Gründen, untereinander nicht staatlich ausgeforscht werden darf. Nicht von der Hand zu weisen ist im Rahmen der Sockelverteidigung jedoch, dass dem einzelnen Beschuldigten auch immer Nachteile drohen können, wenn er sich beispielsweise im Grunde aus dem Sockel lösen will oder lösen sollte, davon aber aufgrund „sozialen Drucks“ Abstand nimmt. Eine derartige Gefahr dürfte bei einem Sockel, in dem Unternehmen und Mitarbeiter zusammen sind, besonders groß sein, zumal sogar die Möglichkeit besteht, dass das Unternehmen die Verteidigung des Mitarbeiters (finanziell) unterstützt.337 c) Lösung des VerSanG-E Einen ähnlichen Weg geht die Begründung des Regierungsentwurfs zum VerSanG, die aus dem prozessualen Beschuldigtenstatus des Unternehmens auf die Geltung des Verbots der Mehrfachverteidigung nach § 146 StPO schließt, wobei in der Begründung unmittelbar darauf hingewiesen wird, dass sich § 146 StPO nur auf einen einzelnen Anwalt erstrecke, nicht aber auf eine ganze Anwaltssozietät.338 Ausdrücklich wird klargestellt, dass es demzufolge in der Praxis – wie bislang auch schon bei mehreren Indiviudalbeschuldigten – zulässig sein soll, wenn unterschiedliche Anwälte einer gemeinsamen Sozietät beispielsweise den Verband und

336

Mit Beispiel auch bei Berndt, in: Berndt/Theile (Hrsg.), Unternehmensstrafrecht, S. 223. Zu Interessenkollisionen in Über-Unterordnungsverhältnissen vgl. Wohlers, FS-Beulke, S. 1067 (1073 f.); überblicksartig zur gescheiterten Sockelverteidigung Müller, StV 2001, 649 (653). 338 RegE.-Begr. S. 110. 337

C. Der Verband als Beschuldigter

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die wegen der Verbandstat beschuldigte Person verteidigen; auch der Austausch der Verteidiger untereinander wird als zulässig erachtet.339 5. Notwendige Verteidigung Ein Verbandssanktionsverfahren wird regelmäßig sowohl auf rechtlicher als auch auf tatsächlicher Ebene von großer Komplexität geprägt sein und grundsätzlich alle Beteiligten vor nicht nur unerhebliche Herausforderungen stellen. Aufgrund dieser immensen Komplexität ist es sinnvoll, das Verbandssanktionsverfahren als einen Fall der notwendigen Verteidigung zu behandeln.340 Aus diesem Grund sollten die Regelungen zur notwendigen Verteidigung in der StPO (§§ 140 ff. StPO) entsprechende Anwendung erfahren.341 Inwiefern ein solcher Fall tatsächlich praktisch relevant wird, ist allerdings fraglich, da zumindest größere Unternehmen regelmäßig ohnehin einen Wahlverteidiger mandatieren werden. 6. Kritische Würdigung und Fazit Zusammenfassend lässt sich sagen, dass einem Verband als Beschuldigtem in einem Verbandssanktionsverfahren auf jeden Fall das Recht zukommen muss, anwaltlichen Beistand zu konsultieren. Darüber hinaus ergeben sich trotz der Komplexität, die bei einem solchen Verfahren auftreten kann (und häufig auch auftreten wird), keine unlösbaren Konflikte, wenn mehrere Beschuldigte vorhanden sind. Hier gibt das geltende Individualstrafrecht einen Lösungsweg in Form des Verbots der Mehrfachverteidiung (§ 146 StPO) und der Grundsätze der Sockelverteidigung an die Hand, die entsprechend im Verbandssanktionsverfahren angewendet werden können. Vorzugswürdig wäre es, hierbei auch einzelne Grundsätze der Sockelverteidigung gesetzlich zu manifestieren, um keine Rest-Rechtsunsicherheit zu hinterlassen. Im unmittelbaren Anschluss an die Feststellung, dass einem Verband in Zukunft die vollwertige Stellung eines Beschuldigten in einem Verbandssanktionsverfahren zukommen muss, stellt sich nun die Frage, welche Folgen durch den Beschuldigtenstatus im Verbandssanktionsverfahren erwachsen bzw. wie der Gesetzgeber den Verband in dieser Hinsicht prozessual ausstatten muss. Hierbei wird einem Verband als Beschuldigtem, wie auch einer natürlichen Person, freilich eine „ambivalente Rolle“342 zukommen, da er sowohl Verfahrensrechte als auch Verfahrenspflichten hat.343 339

RegE.-Begr. S. 110; krit. zum Ganzen und insbesondere zu den Auswirkungen in der Praxis Rübenstahl, ZWH 2019, 265 (273). 340 Vgl. auch Jahn/Schmitt-Leonardy/Schoop, wistra 2018, 27 (30). 341 So auch vorgesehen in RegE.-Begr. S. 110. 342 Zu dieser Begrifflichkeit im Zusammenhang mit der Stellung des Beschuldigten MüllerDietz, ZStW 1981 (93), 1177 (1216 f.).

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6. Kap.: Grundstruktur eines Verbandssanktionenrechts de lege ferenda

D. Der Anspruch des Verbandes auf rechtliches Gehör im Verbandssanktionsverfahren (Art. 103 Abs. 1 GG) Der Anspruch auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 GG umfasst das Recht des Verbandes, als Beschuldigter im Verfahren zu dem ihm gemachten Tatvorwurf Stellung zu beziehen.344 In diesem Zusammenhang wird in der Literatur vertreten, dass der Anspruch auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG die aktive Ausprägung der Aussagefreiheit darstellt, das Nemo-tenetur-Recht dagegen seine passive, ergo beides Bestandteile der Aussagefreiheit sind.345 Letztlich wohl nur ein terminologischer Unterschied besteht darin, beide Rechte als nebeneinander bestehend bzw. als sich ergänzend zu bezeichnen.346 Im folgenden Abschnitt wird untersucht, ob ein Verband grundlegend einen Anspruch aus Art. 103 Abs. 1 GG hat.

I. Der Gegenstand des Anspruchs auf rechtliches Gehör Der Anspruch auf rechtliches Gehör ergibt sich für natürliche Personen positivrechtlich aus Art. 103 Abs. 1 GG. Nach dem Wortlaut hat diesen Anspruch „jedermann“. Der Regelungsgegenstand des Art. 103 Abs. 1 GG erstreckt sich darauf, dass der Einzelne nicht zum bloßen Objekt des Strafverfahrens wird, sondern die Möglichkeit hat, sich vor Gericht zum Sachverhalt und zur Rechtslage zu äußern347 sowie vor Gericht Anträge zu stellen und Ausführungen zu machen348 und damit Einfluss auszuüben, wenn seine Rechte betroffen sind.349 Dadurch soll gewährleistet werden, dass die gerichtliche Entscheidung nicht an Verfahrensfehlern leidet, welche auf343

Vgl. zu der besonderen Doppelfunktion Müller-Dietz, ZStW 1981 (93), 1177 (1216 f.); Queck, Die Geltung des nemo-tenetur-Grundsatzes zugunsten von Unternehmen, S. 182 m.w.N. 344 Vgl. zum Anspruch auch rechtliches Gehör mit seinen Vor- und Nachwirkungen (z. B. dem Anspruch auf Information) MüKo-StPO/Kudlich, Einleitung Rn. 70. 345 Drope, Strafprozessuale Probleme bei der Einführung einer Verbandsstrafe, S. 193 m.w.N.; Dingeldey, JA 1984, 407 (409); Schlüter, Strafbarkeit von Unternehmen, S. 101 f.; ebenfalls als vorherrschende Meinung anerkennend Böse, Wirtschaftsaufsicht und Strafverfolgung, S. 166 f.; zum ganzen auch ausführlich Bosch, Aspekte des Nemo-teneturPrinzips, S. 122 ff. 346 Siehe beispielsweise Drope, Strafprozessuale Probleme bei der Einführung einer Verbandsstrafe, S. 193 m.w.N.; Queck, Die Geltung des nemo-tenetur-Grundsatzes zugunsten von Unternehmen, S. 193. Anführend auch Böse, Wirtschaftsaufsicht und Strafverfolgung, S. 166 f., der die vorherrschende Meinung dergestalt versteht, dass deren Vertreter davon ausgehen, der Anspruch auf rechtliches Gehör und der Nemo-tenetur Grundsatz ergänzen einander. 347 BVerfG v. 24. 03. 1982 – 2 BvH 1/82, BVerfGE, 60, 175 (210). 348 BVerfG v. 09. 10. 1973 – 2 BvR 482/72, NJW 1974, 133. 349 BVerfG v. 08. 06. 1993 – 1 BvR 878/90, NJW 1993, 2229; siehe dazu auch BeckOK GG/ Radtke, GG Art. 103 Rn. 1; KK-StPO/Fischer, StPO Einl. Rn. 105 f. m.w.N.

D. Anspruch auf rechtliches Gehör im Verbandssanktionsverfahren

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grund der unterlassenen oder mangelhaften Kenntnis und Berücksichtigung des Sachvortrags einer Partei entstanden sind.350 Neben der verfassungsrechtlichen positiven Normierung im Grundgesetz finden sich Ausprägungen dieses sogenannten „Prozessgrundrechts“351 auch in einigen Einzelvorschriften der StPO, wie zum Beispiel in § 136 Abs. 2 StPO und in § 243 Abs. 5 S. 2 StPO. Im Strafverfahren selbst findet sich der Anspruch auf rechtliches Gehör bei natürlichen Personen in unterschiedlichen Erscheinungsformen: Zunächst muss dem Betroffenen vom Gericht aufgrund dieses Anspruchs erläutert werden, welcher konkrete Vorwurf (einer bestimmten Tat) ihm zur Last gelegt wird352 und welches Beweismaterial vorliegt. Der Anspruch auf rechtliches Gehör tritt dann auf der einen Seite für den Betroffenen insbesondere in der Gestalt auf, dass er durch seine Vernehmung (vgl. dazu § 136 Abs. 2 StPO und § 243 Abs. 5 S. 2 StPO), Erklärungen, Fragen an Zeugen oder Sachverständige (vgl. § 240 Abs. 2 StPO), seinen Schlussvortrag oder das „letzte Wort“ (vgl. § 258 Abs. 1 und 3 StPO) auf die ihm zur Last gelegten Vorwürfe reagieren kann, vom Gericht (an)gehört wird und in letzter Konsequenz auf diesem Wege als Verfahrenssubjekt Einfluss auf das Verfahren nehmen kann. Das Gericht wird auf der anderen Seite durch diesen Anspruch dazu verpflichtet, von dem Vorgetragenen Kenntnis zu nehmen, sich damit auseinanderzusetzen und die Entscheidung zu erlassen.353

II. Anwendung auf Verbände Nicht nur natürlichen Personen, sondern auch juristischen Personen könnte der Anspruch auf die „positive Aussagefreiheit“354 zukünftig in einem gegen sie gerichteten Verbandssanktionsverfahren zukommen, wenn sie Anspruchsberechtigte im Sinne des Art. 103 Abs. 1 GG wären. In diesem Punkt herrscht weitgehend Einigkeit: Juristische Personen haben bereits jetzt einen Anspruch auf rechtliches Gehör im Sinne des Art. 103 Abs. 1 GG,355 sodass auch der Anwendung in einem künftigen Verbandssanktionenrecht nichts entgegenstehen würde. 350 BVerfG v. 29. 11. 1983 – 1 BvR 1313/82, NJW 1984, 1026; insgesamt dazu auch Drope, Strafprozessuale Probleme bei der Einführung einer Verbandsstrafe, S. 147 f. 351 BeckOK GG/Radtke, GG Art. 103 Rn. 1; Kunig, in: v. Münch/Kunig, GG Bd. 2, Art. 103 Rn. 2; BGH v. 22.10.15 – V ZR 146/14, NJW-RR 2016, 210. 352 Dazu schon in der Vergangenheit Niese, ZStW 1951 (63), 199 (219). 353 BVerfG v. 14. 12. 1966 – 2 BvR 279/66, BVerfGE 21, 46 (48); BVerfG v. 13. 03. 1973 – 2 BvR 484/72, BVerfGE 34, 344 (347); BGH v. 05. 03. 1969 – 4 StR 610/68, NJW 1969, 941; BGH v. 17. 05. 1978 – 2 StR 618/77, NJW 1978, 1984; Rüping, Das Strafverfahren, S. 39 Rn. 112 m.w.N. 354 Diese Begrifflichkeit verwendete beispielsweise Eser, ZStW 1967 (79), 565 (576, 578). 355 Vgl. statt vieler nur: BVerfG v. 26. 02. 1954 – 1 BvR 537/53, NJW 1954, 593; BVerfG v. 08. 11. 1960 – 2 BvR 177/60, BVerfGE 12, 6 (8); grundlegend (auch zur Geltung von Grundrechten für juristische Personen des öffentlichen Rechts) BVerfG v. 02. 05. 1967 – 1 BvR 578/63, NJW 1967, 1411 (1412 ff.).

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6. Kap.: Grundstruktur eines Verbandssanktionenrechts de lege ferenda

Begründet wird dies mit der zu bejahenden Grundrechtsträgerschaft der juristischen Person für den Anspruch auf rechtliches Gehör, unabhängig davon, ob diese aus Art. 103 Abs. 1 GG356 oder aufgrund von Art. 19 Abs. 3 GG357 hergeleitet wird: Es handele sich hierbei gerade um „objektive Verfahrensgrundsätze“,358 die von grundsätzlicher Bedeutung seien und im Vordergrund würde die Mindestvorstellung von Verfahrensgerechtigkeit359 als Voraussetzung für die richtige Entscheidung stehen. Nach dem BVerfG müsse Art. 103 Abs. 1 GG für jeden von einem Verfahren Betroffenen gelten, da es anderenfalls einen „Einbruch in eines der zentralen Prinzipien des Grundgesetzes, den Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit“ bedeute, wenn alle anderen am Verfahren Beteiligten den Anspruch auf rechtliches Gehör erhielten.360 Insgesamt ist aufgrund der starken Einheitlichkeit hinsichtlich der Anwendung des Rechts auf juristische Personen davon auszugehen, dass ihnen in einem Verbandssanktionenrecht de lege ferenda der Anspruch auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG zusteht, was zusätzlich positiv normiert werden sollte. Eine solche Regelung hätte dann zwar „nur“ deklaratorischen Charakter, wäre jedoch insbesondere aus Klarstellungsgründen und hinreichender Rechtssicherheit sowie aufgrund des besonders hohen Stellenwertes des Rechts notwendig. Dies ergibt sich vor allem daraus, dass das genannte Recht ein wichtiges Abwehrrecht gegen das Vorgehen der Strafverfolgungsbehörden gegen ein Unternehmen ist und deshalb eine deutliche Entscheidung des Gesetzesgebers für alle Seiten zu Rechtssicherheit führen würde. Die Ausübung dieses Rechts würde dabei durch den organschaftlichen Vertreter der juristischen Person erfolgen.

E. Der Nemo-tenetur-Grundsatz im Verbandssanktionsverfahren I. Ausgangslage Grundlegend ist zu eruieren, ob sich der Verband in seiner Stellung, als Kollektiv auf den Zwang nicht aussagen zu müssen, wenn er sich selbst im Sanktionsverfahren belasten würde, berufen kann. Auf diesem zentralen Ergebnis aufbauend und damit unmittelbar im Zusammenhang stehend, ist zum Beispiel auch die Berücksichtigung von internen Untersuchungen und Compliance-Maßnahmen in Unternehmen, Er356 Vgl. BVerfG v. 08. 11. 1960 – 2 BvR 177/60, BVerfGE 12, 6 (8); BVerfG v. 08. 07. 1982 – 2 BvR 1187/80, NJW 1982, 2173 (2174). 357 BVerfG v. 26. 02. 1954 – 1 BvR 537/53, NJW 1954, 593; Maunz/Dürig/Remmert, GG Art. 19 Abs. 3 Rn. 37 ff.; grundlegend zur Frage der Grundrechtsberechtigung juristischer Personen nach Art. 19 Abs. 3 GG Ludwigs/Friedmann, JA 2018, 807. 358 BVerfG v. 02. 05. 1967 – 1 BvR 578/63, NJW 1967, 1411 (1413). 359 Huber, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG Art. 19 Abs. 3 Rn. 324 m.w.N. 360 BVerfG v. 08. 11. 1960 – 2 BvR 177/60, BVerfGE 12, 6 (8) = DVBl 1961, 85.

E. Nemo-tenetur-Grundsatz im Verbandssanktionsverfahren

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mittlungsmaßnahmen gegen den Verband sowie auch das Recht (des Schutzes) auf Verteidigung. All die Gesichtspunkte sind von überragender Bedeutung für eine Gestaltung des Verbandssanktionenrechts de lege ferenda, weshalb sie nicht (nur) isoliert bearbeitet werden, sondern in der folgenden Untersuchung ebenfalls im Kontext des Nemo-tenetur-Grundsatzes Erwähnung finden, um den natürlichen Zusammenhang dieser Topoi nicht künstlich zu durchbrechen bzw. aufzuspalten. 1. Umfang der Untersuchung In Frage steht zunächst, inwiefern sich ein Verband in einem künftigen Verbandssanktionsverfahren nicht selbst belasten muss, ergo ob ihm der Grundsatz „nemo tenetur se ipsum accusare“ zukommt. Um sich einer Klärung dieser hochkomplexen Fragestellung zu nähern, wird zunächst der Gegenstand der Selbstbelastungsfreiheit allgemein konturiert. Sodann lohnt es, sich mit anderen Rechtsordnungen zu beschäftigen, die bereits ein Verbandsstrafrecht integriert haben und hinsichtlich bestimmter Aspekte als Vorbild dienen oder jedenfalls eine Anregung für ein deutsches Verbandssanktionenrecht bieten könnten. Dies nicht nur, aber jedenfalls auch aus dem Grund, da der Nemo-tenetur-Grundsatz in vielen Rechtsordnungen schon seit Jahrzehnten angewendet bzw. seine Anwendung auf juristische Personen im Rahmen eines Unternehmensstrafrechts jedenfalls diskutiert wird.361 Anschließend ist auf einer weiteren Ebene nach einer möglichen Herleitung und Ratio der Anwendung des Nemo-tenetur-Grundsatzes in Deutschland für Verbände zu suchen, um zu prüfen, ob und inwiefern sich Probleme überhaupt stellen, und erst danach auf einer dritten Ebene herauszustellen, wer sich (im Verfahren) auf diesen Grundsatz berufen können sollte, da eine Vielzahl von Personen im Verband in Betracht kommen, die davon möglicherweise betroffen sind. Beachtlich ist hierbei, dass auch die Selbstbelastungsfreiheit des Haftungsauslösers in ihren unterschiedlichen Facetten betrachtet wird, da seine Strafbarkeit eng mit der Haftung des Verbandes zusammenhängt. Insgesamt soll der Fokus auf den Nemo-tenetur-Grundsatz als prozessuale Gewährleistung für den Verband gelegt und dieser gerade nicht als materiell-rechtliche Ausprägung362 begriffen werden, sodass letztere nur konturenhaft (und als Ergänzung) Eingang in die Untersuchung findet.363 Aufgrund dieser Überlegung kommt es in der vorliegenden Untersuchung nur zu der ernsthaften Möglichkeit, dass sich der 361 Zu diesem Aspekt auch Drope, Strafprozessuale Probleme bei der Einführung einer Verbandsstrafe, S. 153 m.w.N. 362 Siehe dazu auch S. 326: dort wird der Anknüpfungspunkt vom Nemo-tenetur-Recht aufgrund des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nach Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG diskutiert. Für die Einordnung des Nemo-tenetur-Grundsatzes als prozessuale Gewährleistung überzeugend auch Dannecker, ZStW 2015 (127), 370 (392 ff.). 363 Zu dieser Möglichkeit bereits Böse, Wirtschaftsaufsicht und Strafverfolgung, S. 149 ff.; Böse, GA 2002, 98 (108 ff.).

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6. Kap.: Grundstruktur eines Verbandssanktionenrechts de lege ferenda

Nemo-tenetur-Grundsatz für Verbände entweder aus einzelnen Verfahrensgrundrechten und/oder aus dem Rechtsstaatsprinzip ergeben kann. 2. Gegenstand der Selbstbelastungsfreiheit a) Historischer Ursprung der Selbstbelastungsfreiheit in Deutschland im Überblick Der Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit, lat. „nemo tenetur se ipsum accusare“ (oft auch „nemo tenetur se ipsum podere“), ist ein wesentlicher Grundsatz des deutschen Strafprozesses.364 Er gehört zwar zum ursprünglichsten Kernbereich strafprozessualer Grundsätze und Beschuldigtenrechte, wurde jedoch trotzdem weder im Grundgesetz noch in der StPO365 ausdrücklich geregelt. Einzig in Art. 14 Abs. 3 IPbPR (Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte) wird die Selbstbelastungsfreiheit explizit genannt. Historisch fand der Nemo-tenetur-Grundsatz im Rahmen des reformierten Strafprozesses im 19. Jahrhundert Eingang in das deutsche Strafverfahren.366 Die Diskussion rund um den reformierten Strafprozess in Deutschland hatte ihre Basis in Großbritannien, da sich der deutsche Strafprozess zur damaligen Zeit eng am dortigen Strafprozess orientierte, der (jedenfalls im Hauptverfahren) als reiner Anklageprozess ausgestaltet war und in dem der Angeklagte nicht zu einer Aussage gezwungen werden durfte.367 Daraus resultiert ebenfalls die Annahme, dass unser 364 Vgl. zum gesamten auch Drope, Strafprozessuale Probleme bei der Einführung einer Verbandsstrafe, S. 150 f.; zum ersten Mal in der deutschen Rechtsgeschichte wurde der Nemotenetur-Grundsatz im Sachsenspiegel im 14. Jahrhundert dergestalt erwähnt, dass sich ein Angeklagter auf das Recht berief, dass ein durch Folter abgepresstes Geständnis nicht verwertet werden dürfe, so bei Böse, Wirtschaftsaufsicht und Strafverfolgung, S. 150 (Fn. 792) unter Berufung auf den Abdruck dieses Passus bei Sellert/Rüping, Studien- und Quellenbuch, Bd. 1, 1989, 186 f.; zum historischen Hintergrund des Nemo-tenetur-Grundsatzes auch Queck, Die Geltung des nemo-tenetur-Grundsatzes zugunsten von Unternehmen, S. 168 ff.; zur historischen Entwicklung dieses Grundsatzes im deutschen Recht auch Rogall, Der Beschuldigte als Beweismittel, S. 87 ff.; zur Historie auch Doege, Bedeutung des nemo-tenetur-Grundsatzes, S. 32 ff. 365 In § 136a und § 136 Abs. 1 S. 2 StPO finden sich zwar Regelungen zu verbotenen Vernehmungsmethoden und die Belehrung über das Schweigerecht, welche zwar Ausfluss der Selbstbelastungsfreiheit sind, aber nicht deren Begründung darstellen, vgl. dazu Kasiske, JuS 2014, 15. 366 Siehe zum Ganzen Böse, Wirtschaftsaufsicht und Strafverfolgung, S. 150 ff.; zur Entwicklung des deutschen Strafprozesses in dem lange das Inquisitionsverfahren vorherrschte, Eb. Schmidt, Geschichte der deutschen Strafrechtspflege, S. 86 ff., 194 ff.; Wohlers, Entstehung und Funktion der Staatsanwaltschaft, S. 50 ff.; Rogall, Der Beschuldigte als Beweismittel, S. 87 ff.; zum historischen Zusammenhang insgesamt Doege, Bedeutung des nemo-teneturGrundsatzes, S. 32 ff. 367 Ausführlich Levy, Origins of the Fifth Amendment, S. 3 ff.; Stephen, A History of Criminal Law of England, Vol. I, 2014, S. 240, 250 ff., 273 ff.; Williams, Proof of Guilt, S. 37 ff.

E. Nemo-tenetur-Grundsatz im Verbandssanktionsverfahren

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heutiger Nemo-tenetur-se-ipsum-accusare-Grundsatz seinen Ursprung in Großbritannien im 16./17. Jahrhundert habe.368 Durch ihn sollte die neue Rolle des Angeklagten als Prozesssubjekt des reformierten Strafprozesses nach außen getragen und funktionell abgesichert werden.369 Zusammengefasst war der Beschuldigte ab diesem Zeitpunkt nicht mehr nur Objekt der Inquisition und Beweismittel, sondern ein Verfahrenssubjekt, welches der Staatsanwaltschaft, die nun erstmals als Ankläger vom Richter getrennt war,370 im Laufe der Zeit gleichgestellt wurde.371 b) Heutiges grundlegendes Verständnis von „nemo tenetur se ipsum accusare“: Die Ratio der Selbstbelastungsfreiheit Die Ratio des „nemo tenetur se ipsum accusare“ Grundsatzes ist nicht eindimensional, sondern es lassen sich vielmehr unterschiedliche Ausprägungsrichtungen/Facetten der Selbstbelastungsfreiheit finden. Dennoch sollte in einem Verbandssanktionenrecht eine Richtung schwerpunktmäßig ins Auge gefasst werden, welche die primäre Ratio der Selbstbelastungsfreiheit für Unternehmen bildet. Für die vorliegende Untersuchung wird der Nemo-tenetur-Grundsatz speziell als prozessuale und nicht als materielle Gewährleistung gesehen. aa) Absicherung der Beweisführungslast Was heute oft allgemein unter dem Nemo-tenetur-Grundsatz verstanden wird, wird unter anderem bei Dannecker372 ausgeführt: Danach sei die Beweislastverteilung im Strafprozess Ausfluss der Unschuldsvermutung (bzw. des Schuldgrundsatzes) und in Art. 6 EMRK (Recht auf ein faires Verfahren), insbesondere in Abs. 2, sowie in der Verfassung gesetzlich verankert. Daraus ergebe sich, dass dem Angeklagten die Unschuldsvermutung zugutekäme, da nur dort, wo die Unschuldsvermutung widerlegt und die Schuld des Angeklagten ohne Zweifel belegt sei, eine Verurteilung möglich wäre. Für den Fall, dass Zweifel zurückblieben, würden diese sich zu Lasten der Strafverfolgungsbehörden auswirken. Diese Beweislastverteilung

368

Zur historischen Entwicklung des Nemo-tenetur-Grundsatzes in England Rogall, Der Beschuldigte als Beweismittel, S. 72 ff.; grundlegend Levy, Origins of the Fifth Amendment, S. 3 ff. 369 Statt vieler nur Pieth, FS Eser, S. 599 (607 f.); Böse, Wirtschaftsaufsicht und Strafverfolgung, S. 150 f., 159 ff.; zu dieser Entwicklung auch Queck, Die Geltung des nemo-tenetur-Grundsatzes zugunsten von Unternehmen, S. 176 ff. 370 Dazu im Jahre 1846 Zachariä, Die Gebrechen und die Reform des deutschen Strafverfahrens, S. 262 ff. 371 Böse, Wirtschaftsaufsicht und Strafverfolgung, S. 159 ff. m.w.N. 372 Dannecker, ZStW 2015 (127), 370 (390 ff.) m.w.N.

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würde durch den Grundsatz „in dubio pro reo“ ausgedrückt, da es dem Staat obliege, die Schuld des Beschuldigten nachzuweisen.373 Zusätzlich zu dieser objektiven Beweislastverteilung käme, so zutreffend Dannecker, dem Staat eine subjektive Beweisführungslast und eine Rollenverteilung in der Hinsicht zu, dass gerade dem spezifischen Beschuldigten die Schuld nachzuweisen wäre.374 Müsste der Beschuldigte sich nun selbst zum Beweisgegenstand (Zeuge gegen sich selbst) machen, würde dies einen (inneren) Zwiespalt auslösen zwischen dem Beschuldigten als Verfahrenssubjekt, welches die ihm gemachten Vorwürfe bestreiten darf, und dem Beschuldigten als Verfahrensobjekt (Beweismittel: Zeuge), das zutreffende Vorwürfe bestätigen müsste. Hier käme der Beschuldigte in einen unlösbaren inneren Konflikt, für den der Nemo-tenetur-Grundsatz die Lösung bieten würde. Durch die Selbstbelastungsfreiheit würde dieser zugunsten des Beschuldigten entschieden, indem der Staat den Schuldbeweis für die Tat, welchen er zu erbringen habe, nicht durch den Zwang des Beschuldigten, sich selbst zu belasten, führen dürfte.375 Im Kern besagt der Grundsatz nach dieser Ratio somit, dass ein Beschuldigter nicht aktiv an seiner eigenen Überführung (aufgrund mittelbaren oder unmittelbaren Zwangs) mitwirken muss und ist letztlich Ausfluss bzw. Bestandteil des Fair-TrialPrinzips nach Art. 6 EMRK.376 Primär muss der Beschuldigte also keine Aussagen tätigen, die ihn selbst einer Straftat überführen würden, was durch entsprechende Aussageverweigerungsrechte (vgl. zum Beispiel § 136 Abs. 1 S. 2 StPO und § 243 StPO) sichergestellt wird. Der Grundsatz hat hinsichtlich einer Aussage besondere Relevanz, weil diese vielfach ein Geständnis bedeuten könnte.377 Ohne die Geltung des Nemo-tenetur-Grundsatzes im Strafverfahren, bestünde für den Beschuldigten daher gegebenenfalls der Zwang, ein Geständnis abzulegen. Mit diesem wird in der Regel eine strafrechtliche Verurteilung verbunden sein, sodass der Beschuldigte ohne ein Nemo-tenetur-Recht den Strafverfolgungsbehörden schutzlos gegenüberstehen würde. Die Auswirkungen des Rechts werden mittelbar dadurch erweitert, dass nicht nur der Beschuldigte selbst, sondern auch ihm nahestehende Personen nicht aussagen müssen, wie zum Beispiel die Ehefrau und Kinder bzw. alle in § 52 StPO genannten Angehörigen. Übertragen auf Verbände stehen bei der Zugrundelegung dieser Ratio im Rahmen des Schutzgegenstandes sicherlich die Aspekte der Einlassungsfreiheit bei Aussagen und die Duldung von Ermittlungen sowie die Herausgabe von Beweismaterial im 373

So Dannecker, ZStW 2015 (127), 370 (390). So Dannecker, ZStW 2015 (127), 370 (391) m.w.N. 375 Zum Ganzen Dannecker, ZStW 2015 (127), 370 (391 f.) m.w.N. 376 Letzteres wird bei Dannecker, ZStW 2015 (127), 370 (390 ff.) zwar nicht ausdrücklich festgestellt, wenngleich Art. 6 EMRK, der insgesamt das „Fair-Trial-Prinzip“ beinhaltet, zugrundegelegt wurde; vgl. zur strafprozessualen Verwertbarkeit des Schweigens eines Beschuldigten Schneider, NStZ 2017, 73 ff. und 126 ff. 377 So auch Dannecker, ZStW 2015 (127), 370 (391 Fn. 89) m.w.N. 374

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Vordergrund, ebenso wie die Frage, welche Personen sich im Unternehmen auf das Verbot des Selbstbelastungszwangs berufen können (bzw. für welche Personen ein vergleichbarer Schutz durch die mittelbare Wirkung des Nemo-tenetur-Rechts, wie bei den in § 52 StPO genannten Angehörigen, sinnvoll wäre, da ähnliche Gefahren drohen könnten378). Diese Schutzgegenstände bedürfen noch näherer Konkretisierung, da sich mitunter unterschiedliche Abstufungen hinsichtlich des Schutzes durch die Selbstbelastungsfreiheit ergeben könnten, je nachdem, welche Zweckerwägung zu Grunde gelegt wird. Deshalb wird diese Präzisierung im späteren Verlauf der Untersuchung spezifisch vorgenommen. bb) Verteidigungsfreiheit des Prozesssubjekts Ein ähnlicher, aber im Ergebnis anderer und für die vorliegende Untersuchung relevanterer Schwerpunkt der Ratio des Nemo-tenetur-Grundsatzes (innerhalb der Selbstbelastungsfreiheit als prozessuale Gewährleistung) besteht in der Verteidigungsfreiheit des Prozesssubjekts.379 Hierbei handelt es sich um eines der zentralen Rechte des Prozesssubjekts in der Rolle des Beschuldigten, durch welches ihm eingeräumt werden muss, sich gegen den spezifischen Tatvorwurf verteidigen zu können und dadurch seinen Einfluss auf das Verfahren auszuüben. Zwar erschöpft sich die Verteidigungsfreiheit freilich nicht im Schweigerecht; dennoch ist der Nemo-tenetur-Grundsatz von zentraler Bedeutung, denn wenn dem Beschuldigten die Berufung auf die Selbstbelastungsfreiheit nicht zugebilligt würde, würde er dadurch in seiner Verteidigungsfreiheit immens beschränkt werden. Dies resultiert daraus, dass er in einem solchen Fall praktisch zu einem Geständnis gezwungen würde, was seine Verteidigungslinie auf ein Minimum, welches nahe bei null liegt, reduzieren würde, da eine Distanzierung zur Tat oder ein Bestreiten, welches häufig als Verteidigung dient, nicht mehr umsetzbar wäre. Hieraus wird deutlich, dass die Stellung als Prozesssubjekt sich nicht auf aktive Kommunikationsakte beschränkt, sondern sich ebenfalls auf passives Verhalten, wie Schweigen, erstreckt, sodass diese beiden Komponenten insgesamt von der Verteidigungsfreiheit erfasst sein müssen und dem Beschuldigten jene Möglichkeit eröffnet sein muss. Demzufolge soll die Ratio des Nemo-tenetur-Grundsatzes in der vorliegenden Untersuchung vor allem darin bestehen, dass er das Interesse des Verbandes als Beschuldigter schützen soll, sich gegen einen strafrechtlichen Tatvorwurf frei zu verteidigen und so Einfluss auf das Verbandsanktionenverfahren auszuüben ebenso wie vor staatlicher Ausforschung zu schützen.

378

Vgl. zum Schutzzweck des § 52 StPO auch BeckOK StPO/Huber, StPO § 52 Rn. 1 f. Dazu insgesamt Queck, Die Geltung des nemo-tenetur-Grundsatzes zugunsten von Unternehmen, S. 181 ff. 379

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II. Die Geltung des Nemo-tenetur-Grundsatzes in anderen Rechtsordnungen 1. USA a) Selbstbelastungsfreiheit für natürliche Personen In vielen anderen Rechtsordnungen existiert das Verbot des Selbstbelastungszwangs (jedenfalls für natürliche Personen ebenso wie in Deutschland) schon seit geraumer Zeit, wie beispielsweise in den USA, die ein Verbandsstrafrecht in ihr Rechtssystem integriert haben, weshalb es für die Untersuchung lohnenswert scheint, die dortige Situation näher zu eruieren. In den USA ist die Selbstbelastungsfreiheit im Rahmen des 5. Zusatzartikels der amerikanischen Verfassung als sogenanntes „privilege against self-incrimination“380 für natürliche Personen gesetzlich niedergelegt und soll nach dem Supreme Court zum einen dem Schutz der Rechte des Angeklagten dienen (insbesondere primär dem Schutz seiner Persönlichkeits- und Privatsphäre), zum anderen aber auch demonstrieren, dass die USA den akkusatorischen381 gegenüber einem inquisitorischen Strafprozess vorziehen und durch das Verbot des Selbstbezichtigungszwangs ein Gleichgewicht zwischen Staat und Angeklagtem herstellen wollen.382 Inhaltlich erfasst das Recht dort die Freiheit, nicht aussagen zu müssen, wenn dadurch eine Selbstbelastung droht, und seit einer Entscheidung des Supreme Courts im Jahre 1886 (Boyd vs. U.S.383) inkludiert es auch den Schutz des Zwangs vor der Herausgabe von Dokumenten und Unterlagen. Die aufgeführten Regelungen gelten jedoch nur für natürliche Personen. b) Selbstbelastungsfreiheit für juristische Personen Nach der ständigen Rechtsprechung des Supreme Courts können sich juristische Personen gerade nicht auf dieses Recht (5. Zusatzartikel der amerikanischen Verfassung „privilege against self-incrimination“) berufen.384 In einer der zentral 380 So bei Chemerinsky/Levenson, Criminal Procedure, S. 17, 279 ff.; grundlegend Seidmann/Stein, Harvard Law Review 2000, Vol. 114, 430 ff. 381 Zum ursprünglich akkusatorisch ausgestalteten kanonischen Strafverfahren Böse, Wirtschaftsaufsicht und Strafverfolgung, S. 150 ff.; vgl. grundlegend zum Schweigerecht in den USA Salger, Schweigerecht, S. 87 ff. 382 So bei Murphy v. Waterfront Comm’n, 378 U.S. 52, 55 und 56 (1964); vgl. dazu auch Drope, Strafprozessuale Probleme bei der Einführung einer Verbandsstrafe, S. 154 ff.; zur Entstehung des Fifth Amendment auch Rogall, Der Beschuldigte als Beweismittel, S. 81 ff. 383 Boyd v. United States, 116 U.S. 616 (1886). 384 So zum Beispiel bei Hale v. Henkel, 201 U.S. 43 (69 ff.) (1906); Wilson v. United States, 221 U. S. 361 (362 ff.) (1911); Wheeler v. United States, 226 U.S. 478 (489 f.) (1913); George Campbell Painting Corp. v. Reid, 392 U.S. 286 (288 f.) (1968); Fisher v. United States, 425 U.S. 391 (425 f.) (1976); Braswell v. United States, 487 U.S. 99 (101 f.) (1988); so auch bei Hoven/Weigend, ZStW 2018 (130), 213 (243 ff.).

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richtungsweisenden Entscheidungen aus dem Jahre 1906 (Hale v. Henkel385), in der sich der Supreme Court erstmals mit der Frage der Anwendung des Rechts der Selbstbelastungsfreiheit auf Verbände beschäftigte, ging es darum, ob der Vertreter einer juristischen Person die Aussage verweigern darf, wenn er die juristische Person durch seine Aussage belasten würde. Dies wurde vom Supreme Court verneint. Begründet hat das Gericht seine Entscheidung damit, dass das Recht der Selbstbelastungsfreiheit des 5. Zusatzartikels ausschließlich persönlich sei und ein Zeuge nicht die Aussage aufgrund der möglichen Belastung eines Dritten verweigern dürfe oder aus diesem Grunde die Herausgabe von Dokumenten verweigern könne.386 Hier nahm das Gericht dann auch spezifischen Bezug auf die juristische Person, da es der Auffassung war, dass ohne die Aussage von Zeugen, Angestellten und Vertretern der juristischen Person kein Nachweis eines Gesetzesverstoßes gelingen könnte und dass ein von der Legislative erlassenes Gesetz nicht durch die Judikative derart behindert werden dürfe.387 Weiterhin wurde in der Entscheidung der Unterschied zwischen einer natürlichen Person, welcher der Staat nichts gebe außer dem Schutz des Lebens und dem Schutz des Eigentums und von der er daher auch nichts fordern dürfe, und einer juristischen Person vom Gericht weiter ausgeführt: So sei, im Gegensatz zur natürlichen Person, die juristische Person vom Staat erschaffen und solle dem Zweck dienen, der Allgemeinheit einen Nutzen zu erbringen. Sie sei deshalb zwar mit Privilegien ausgestattet, könne aber durch geltendes Recht (durch den Staat) ebenfalls Beschränkungen erfahren. Aus diesen Gründen käme dem Staat auch das Recht zu, Dokumente und Unterlagen herauszufordern.388 Die Argumentationslinie bezüglich der Selbstbelastungsfreiheit hat der Supreme Court in weiteren Entscheidungen bestätigt.389 Zu der grundsätzlichen Verneinung der Selbstbelastungsfreiheit für Unternehmen wurde ergänzt, dass sich ein Organ einer juristischen Person selbst dann nicht auf die Selbstbezichtigungsfreiheit berufen könne, wenn es sich selbst mit der Herausgabe von Dokumenten der juristischen Person belasten würde.390 Begründet wird dies mit den Aufsichtsrechten des Staates über die juristische Person, welche nicht damit zu vereinbaren seien, dass eine juristische Person Unterlagen aufgrund einer möglichen Selbstbelastung zurückhalte.391 Diese Argumentation gelte, so der Supreme Court, ebenfalls für den 385

Hale v. Henkel, 201 U.S. 43 (1906). Hale v. Henkel, 201 U.S. 43 (69 ff.) (1906). 387 Hale v. Henkel, 201 U.S. 43 (70) (1906). 388 Hale v. Henkel 201 U.S. 43 (74 ff.) (1906): Nach der Entscheidung kommt dem Unternehmen nur der Schutz des 4. Zusatzartikels („unreasonable search and seizure“) und auch in geringerem Umfang als der natürlichen Person zu. So auch Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen, S. 250 m.w.N. 389 Statt vieler Wilson v. United States, 221 U.S. 361 (362 ff.) (1911). 390 Wilson v. United States, 221 U.S. 361 (362, 384) (1911). 391 Wilson v. United States, 221 U.S. 361 (379, 384 f.) (1911). 386

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oben genannten Fall, dass sich ein Organ selbst belasten müsste, wenn es Unterlagen der juristischen Person herausgibt.392 In der Entscheidung (U.S. v. White393) hat der Supreme Court den eingeschlagenen Weg ein weiteres Mal bestätigt und negierte das Recht der Selbstbelastungsfreiheit ebenfalls für eine Gewerkschaft, von der Dokumente und Unterlagen herausgefordert wurden. Abgestellt wurde wiederum auf den Unterschied zwischen einer natürlichen Person und einer juristischen Person. Darüber hinaus wurde der (historische) Zweck der Selbstbelastungsfreiheit betont, nur eine natürliche Person vor dem Zwang zur Selbstüberführung zu schützen und nicht einer juristischen, vom Staat geschaffenen Person Schutz zu gewähren.394 In der Entscheidung wurde wieder, mit der oben genannten Begründung, hervorgehoben, dass Vertreter der juristischen Person nicht durch das Recht der Selbstbelastungsfreiheit geschützt wären und deshalb die Herausgabe von Dokumenten nicht verweigern könnten, selbst dann nicht, wenn sie sich dadurch möglicherweise selbst belasten würden.395 Argumentiert wird hier vom Gericht damit, dass natürliche Personen, die als Vertreter eines Unternehmens auftreten, nicht gleichzeitig ihre persönlichen Rechte geltend machen können und deshalb die Herausgabe nicht verweigern dürfen („But individuals, when acting as representatives of a collective group, cannot be said to be exercising their personal rights and duties, nor to be entitled to their purely personal privileges. Rather, they assume the rights, duties and privileges of the artificial entity or association of which they are agents or officers, and they are bound by its obligations. In their official capacity, therefore, they have no privilege against self-incrimination. And the official records and documents of the organization that are held by them in a representative, rather than in a personal, capacity cannot be the subject of the personal privilege against self-incrimination, even though production of the papers might tend to incriminate them personally.“).396 Deutlich wird die Linie des Supreme Courts auch in einer Entscheidung (Braswell v. U.S.397), in der er die Selbstbelastungsfreiheit unter Berufung auf den 5. Zusatzartikel ebenfalls verneint. Dies gelte, wie in anderen Entscheidungen festgestellt, auch für Mitarbeiter bzw. Vertreter der juristischen Person, da es sich bei ihnen nur um Verwahrer der Unternehmensdokumente handele.398 Das Gericht begründet die Entscheidung damit, dass es für die Durchführung der Strafverfolgung eines Unternehmens maßgeblich sei, dass die Strafverfolgungsbehörden auf Dokumente des Unternehmens zugreifen können.399 Ein Mitarbeiter soll sich in einem solchen Fall 392 393 394 395 396 397 398 399

Wilson v. United States, 221 U.S. 361 (384 f.) (1911). United States v. White, 322 U.S. 694 (1944). United States v. White, 322 U.S. 694 (700 f.) (1944). United States v. White, 322 U.S. 694 (699) (1944). United States v. White, 322 U.S. 694 (699) (1944). Braswell v. United States, 487 U.S. 99 (115) (1988). Braswell v. United States, 487 U.S. 99 f. (1988). Braswell v. United States, 487 U.S. 99 (115 f.) (1988).

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nach dieser Entscheidung aber, jedenfalls in offiziellen Vernehmungen, auf den 5. Zusatzartikel („privilege against self-incrimination“) berufen, wenn er eine (mündliche) Aussage tätigen soll, die ihn selbst belasten würde.400 c) Zwischenfazit Insgesamt lässt sich aus den ergangenen Entscheidungen eine klare Linie des Supreme Courts bezüglich der Thematik erkennen, in der er den juristischen Personen bzw. zumeist auch den für sie handelnden Vertretern seit jeher das Recht auf Selbstbelastungsfreiheit verwehrt. Nach der Argumentation des Supreme Courts, welche durchaus nicht unnachvollziehbar und schlüssig ist, dass es sich bei juristischen Personen um eine Schöpfung des Staates handelt, werden die juristischen Personen hinsichtlich einer möglichen Selbstbelastung in den USA schutzlos gestellt. Deutlich wird vor allem, dass die USA einen rigorosen Weg hinsichtlich der Selbstbelastungsfreiheit eines Unternehmens und seiner Vertreter zu gehen scheinen, wenngleich die Selbstbelastungsfreiheit für natürliche Personen in einem gegen sie gerichteten Strafverfahren von Verfassungswegen auch dort anerkannt wird. 2. England a) Selbstbelastungsfreiheit für natürliche Personen Neben den USA ist die Anwendung des Nemo-tenetur-Grundsatzes ebenfalls in England seit jeher ein Thema.401 Das Nemo-tenetur-Recht ist, wenn auch in je nach Zeit und Epoche divergierenden Facetten, in England schon seit langer Zeit für natürliche Personen anerkannt. So reichen die Ursprünge des Nemo-teneturGrundsatzes (im Hauptverfahren) als sogenanntes „privilege against self-incrimination“402 und/oder „right to silence“403 für natürliche Personen bereits bis ins 16. und 400 Grundlegend Curcio v. United States, 354 U.S. 118 (123 f.) (1957); United States v. Hubbell, 530 U.S. 27 (49 f.) (2000). 401 Grundlegend Roberts/Zuckerman, Criminal Evidence, Chap. 9, passim; Drope, Strafprozessuale Probleme bei der Einführung einer Verbandsstrafe, S. 160 f.; dazu schon in früheren Zeiten Dennis, Cambridge Law Journal 1995, 342; Williams, Proof of Guilt, S. 37 ff.; Hannibal/Mountford, Criminal Litigation, S. 378 ff.; zu der Frage, ob bzw. wann ein Schweigen des Beschuldigten negativ bewertet werden darf (beispielsweise von der Jury) Epik, ZStW 2019 (131), 131 (141 f.). 402 Hannibal/Mountford, Criminal Litigation, S. 382 f.; Ormerod/Perry, Blackstone’s Criminal Practice, F10.2 ff. 403 Siehe zur Verbindung und zum Zusammenhang des „privilege against self-incrimination“ und dem „penalty privilege“, sowie zu unterschiedlichen Abgrenzungsoptionen des Begriffs des „privilege against self-incrimination“ von dem Begriff des „right to silence“ bzw. zum Zusammenhang zwischen beiden ausführlich du Bois-Pedain, NZWiSt 2016, 289 (294 ff., 299) mit weiteren Verweisen; zu diesen Begrifflichkeiten auch Dennis, Cambridge Law Journal 1995, 342 (345 ff.); Hannibal/Mountford, Criminal Litigation, S. 382 „The right to silence (…) is an important component of this privilege.“

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17. Jahrhundert in England zurück.404 In seinen Anfängen kam ihm nach der Überlieferung jedoch zunächst eher die Funktion zu, Beamte zurückzuhalten und nicht, wie nach modernem Verständnis, zum Schutz des Beschuldigten. Dazu heißt es: „It was designed to guarantee that only when there was good reason for suspecting that a particular person had violated the law would it be permissible to require that person to answer incriminating questions.“405 Spezifische sowie umfangreiche Verteidigungsrechte des Beschuldigten wurden (ebenso wie weitere verfahrensrechtliche Entwicklungen) in England dagegen erst im 18. und 19. Jahrhundert ins Strafverfahren implementiert, und aufgrund dieser Innovation entwickelte sich das Nemo-tenetur-Recht des Beschuldigten in der Form, wie es auch in der Moderne Geltung beansprucht.406 Auf der gesetzlichen Ebene finden sich der Nemo-teneturGrundsatz bzw. seine Ausprägung in Sec. 1 des Criminal Evidence Act (Competency of witnesses in criminal cases) aus dem Jahre 1898 wieder.407 Darüber hinaus hat die Selbstbelastungsfreiheit normtechnisch in England für natürliche Personen, insbesondere über den 1994 erlassenen „Criminal Justice and Public Order Act“,408 Eingang in das Gesetz gefunden und spezifisch in Sec. 34 – 38, welche für jede Stufe des englischen Strafprozesses das Schweigerecht und seinen Rahmen festlegen bzw. anordnen, wann (als damalige Neuerung) aus dem Schweigen des Beschuldigten negative Schlüsse gezogen werden dürfen.409 Letztere bringen nicht nur unerhebliche Schwierigkeiten mit sich: So wird einem Beschuldigten in England summa summarum zwar grundsätzlich auf einer ersten Stufe das Recht gewährt, sich nicht selbst belasten zu müssen; jedoch besteht die Möglichkeit, dass hieraus (bzw. aus seinem Schweigen) auf einer zweiten Stufe von einem Richter 404 Dazu grundlegend Helmholz/Gray/Langbein/Moglen/Smith/Alschuler, The Privilege Against Self-Incrimination, 1997, passim; zur historischen Entwicklung in England ausführlich du Bois-Pedain, NZWiSt 2016, 289 (293 ff.); Roberts/Zuckerman, Criminal Evidence, Chap. 9.1; zur historischen Entwicklung des Nemo-tenetur-Grundsatzes auch Böse, Wirtschaftsaufsicht und Strafverfolgung, S. 150 ff.; Levy, Origins of the Fifth Amendment, S. 3 ff.; dazu auch Epik, ZStW 2019 (131), 131 (141) m.w.N.; Jackson/Summers, Internationalisation of Criminal Evidence, S. 241 f. 405 So bei du Bois-Pedain, NZWiSt 2016, 289 (293) unter Verweis auf Langbein, in: Helmholz/Gray/Langbein/Moglen/Smith/Alschuler, The Privilege Against Self-Incrimination, 1997, S. 1 (7). 406 Smith, in: Helmholz/Gray/Langbein/Moglen/Smith/Alschuler, The Privilege Against Self-Incrimination, 1997, S. 145 ff.; zum Gesamten auch du Bois-Pedain, NZWiSt 2016, 289 (294). 407 Abrufbar unter http://www.legislation.gov.uk/ukpga/Vict/61-62/36/section/1#commenta ry-c5772931 zuletzt abgerufen am 09. 11. 2020; dazu auch bei du Bois-Pedain, NZWiSt 2016, 289 (297 f.). 408 Abrufbar unter http://www.legislation.gov.uk/ukpga/1994/33/contents zuletzt abgerufen am 09. 11. 2020. 409 Siehe dazu Epik, ZStW 2019 (131), 131 (143); du Bois-Pedain, NZWiSt 2016, 289 (297 f.); dazu im Kontext auch Roberts/Zuckerman, Criminal Evidence, Chap. 9.4(d); siehe zum privilege against self-incrimination im PACE 1984 auch dies., Criminal Evidence Chap. 9.5.

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oder einer Jury für ihn (bei der Beweiswürdigung) nachteilige Schlüsse gezogen werden, wodurch ein Druck gegenüber dem Beschuldigten aufgebaut werden dürfte.410 Für eine systematische Verortung des Nemo-tenetur-Grundsatzes ergeben sich unterschiedliche Tendenzen. Auf dem Ursprung des Grundsatzes basierend hielt sich lange Zeit die Auffassung, dass er als Rechtsregel verfahrenstechnisch (nur) im Gerichtsverfahren dazu herangezogen werde, um über die Zulässigkeit von Beweismitteln zu entscheiden.411 Mittlerweile scheinen aber Sinn und Zweck des Grundsatzes als subjektives Recht im Fokus zu stehen.412 So beschreibt du BoisPedain413 etwa, dass es insbesondere Stimmen gäbe, die den primären Zweck des Grundsatzes in dem „überindividuellen Interesse an fairen Verfahrensstrukturen“414 sehen. Zu diesem Passus wird ausgeführt, der Nemo-tenetur-Grundsatz habe „eine wichtige Funktion bei der Herstellung von ,Waffengleichheit‘ zwischen Ermittlungsbehörde/Anklagebehörde und Verteidigung“.415 Äußerst interessant ist, dass an diesem Ziel des Grundsatzes insbesondere auch die Kosten für die Umsetzung der Selbstbelastungsfreiheit in der Praxis als beachtenswerter Aspekt angemahnt werden und aufgezeigt wird, dass durch die Gewährung des Rechts dem Beschuldigten eine derart vorteilhafte Position zukäme, dass der Strafverfolgung kaum (bzw. nur mit großem Aufwand) noch eine Möglichkeit gegeben würde, das Recht durchzusetzen.416 b) Selbstbelastungsfreiheit für juristische Personen Neben dem Recht der Selbstbelastungsfreiheit für natürliche Personen ist zu hinterfragen, inwiefern sich Verbände in England ebenfalls auf diesen Grundsatz berufen können. Historisch gab es hierzu eine Leitentscheidung für Verbände im Jahre 1939. Dort entschied das House of Lords, dass einem Verband ein Schweigerecht ebenso wie einer natürlichen Person zustehen müsse.417 Begründet wurde die 410 Zum Schweigen in den unterschiedlichen Stufen des Strafprozesses ausführlich Epik, ZStW 2019 (131), 131 (145 ff.). 411 Überblick über den Diskussionsstand bei du Bois-Pedain, NZWiSt 2016, 289 (297 f.); zu dieser Frage auch Dennis, Cambridge Law Journal 1995, 342 (344). 412 So du Bois-Pedain, NZWiSt 2016, 289 (297). 413 Vgl. du Bois-Pedain, NZWiSt 2016, 289 (298). 414 du Bois-Pedain, NZWiSt 2016, 289 (298) unter Verweis auf Seidmann/Stein, Harvard Law Review 2000 Vol. 114, 431. 415 Dazu und zu weiteren Ausprägungen einer möglichen Verortung du Bois-Pedain, NZWiSt 2016, 289 (298) m.w.N., wobei es auch weitere Varianten dieser Argumentation gibt; im Zusammenhang mit Art. 6 EMRK siehe auch bereits im Jahre 1995 Dennis, Cambridge Law Journal 1995, 342 (343). 416 Überblick über den Meinungsstand bei du Bois-Pedain, NZWiSt 2016, 289 (298) m.w.N. 417 Triplex Safety Glass Company Ltd v Lancegaye Safety Glass (1934) Ltd, [1939] 2 KB 395, [1939] 2 All ER 613 (621): „A company is to have the benefit of protection against self

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Entscheidung damit, dass ein Verband zwar nicht wie eine natürliche Person Schmerzen empfinden könne, jedoch eine Straftat begehen und sich somit dem Risiko einer Verurteilung aussetzen könne und jeder Person die Freiheit gewährt werden müsse, die Tat zuzugeben oder auch zum Tatvorwurf zu schweigen bzw. sich nicht selbst zu belasten. Aus diesem Grunde sollte nach jener Entscheidung des House of Lords auch einem Verband ein Schweigerecht zukommen. Der Haupteinwand, welcher gegen die Argumentation vorgebracht wurde war, dass das öffentliche Interesse gerade darin bestünde, einen Verband zur Aufdeckung von Verbandsstraftaten zu motivieren und ihm nicht den Schutz durch das Schweigerecht zu gewähren.418 Grundsätzlich ist es trotz dieser Bedenken gegen die Entscheidung anerkannt, dass sich neben den natürlichen Personen auch juristische Personen in England auf das „privilege against self-incrimination“ berufen können.419 Hierbei ist aber beachtlich, dass der Grundsatz tatsächlich nur für den Verband gilt, wenn ihm die Strafe droht, nicht hingegen für eine natürliche Person, die für den Verband als Vertreter in dem Prozess aussagt bzw. das Recht für den Verband in Natura ausübt.420 Deshalb ist es nicht möglich, dass sich der Verband auf sein Recht beruft, weil eine Aussage einen Mitarbeiter des Unternehmens persönlich strafrechtlich belasten könnte.421 In der Literatur wird an dem Nemo-tenetur-Recht für Verbände dergestalt Kritik geübt, dass es kaum mehr (erfolgversprechende) Anwendungsfälle des Rechts für Verbände gebe bzw. potentielle Fälle, in denen sich ein Verband ohnehin selbst belasten müsste:422 Dies könne nur noch zutreffen, wenn eine natürliche Person (die als Vertreter des Verbandes agiert) diesen strafrechtlich belastet oder Dokumente vorlegt oder herausgegeben werden, aus welchen sich ein möglicher strafrechtlicher Vorwurf ergeben kann. Der erstgenannte theoretische Anwendungsbereich scheint indes seit der Entscheidung des Court of Appeal „Regina v. Hertfordshire Country Council ex parte Green Environmental Industries Ltd.“423 praktisch leerzulaufen.424 Dort heißt es, dass, soweit gegen das Unternehmen und nicht gegen den auskunftserteilenden Vertreter des Unternehmens (in diesem Fall war das der Direktor) strafrechtlich ermittelt wird, dieser aussagen müsse, auch wenn er das Unternehmen und dadurch incrimination just as much as an individual.“ So auch bei Ormerod/Perry, Blackstone’s Criminal Practice, F10.5. 418 British Steel Corporation v Granada Television [1981] 1096 (1127). 419 Ormerod/Perry, Blackstone’s Criminal Practice, F10.5; zum Ganzen du Bois-Pedain, NZWiSt 2016, 329 (331.). 420 Ormerod/Perry, Blackstone’s Criminal Practice, F10.5 m.w.N. 421 Ormerod/Perry, Blackstone’s Criminal Practice, F10.5. 422 Vgl. zu diesen Konstellationen ausführlich du Bois-Pedain, NZWiSt 2016, 329 (331). 423 Court of Appeal in Regina v Hertfordshire Country Council ex parte Green Environmental Industries Ltd [2000] 2 WLR 412 (CA), angeführt bei du Bois-Pedain, NZWiSt 2016, 329 (331). 424 So du Bois-Pedain, NZWiSt 2016, 329 (331) m.w.N.

E. Nemo-tenetur-Grundsatz im Verbandssanktionsverfahren

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(mittelbar) auch sich selbst belasten müsse. Für ihn selbst bestünde ein Schutz dann nur in der Hinsicht, dass die Aussage in einem späteren Strafverfahren gegen ihn selbst nicht verwertet werden dürfe.425 Hier bleibe dann, und das ist der Haupteinwand, damit von einem Nemo-teneturRecht des Verbandes nicht viel mehr übrig als eine Hülle ohne Kern, da die Selbstbelastungsfreiheit des Verbandes denknotwendigerweise von einer natürlichen Person, welche als Organ tätig wird, ausgeübt werden müsse, diese Person aber immer als eine von der juristischen Person getrennte Rechtspersönlichkeit erachtet würde.426 Auch der zweite potentielle Anwendungsbereich (Herausgabe oder Vorlage von Dokumenten, die den Verband belasten könnten) der Selbstbelastungsfreiheit für den Verband ist in England eher restriktiv gefasst. Hier wird grundsätzlich zwischen den Verband belastenden Unterlagen, welche erst aufgrund der Aussagepflicht hergestellt wurden, und belastenden Unterlagen differenziert, welche bereits existieren und nicht erst aufgrund dieser Aussagepflicht hergestellt wurden.427 Bei Letzteren kann sich der Verband nicht auf die Selbstbelastungsfreiheit berufen, sodass diese herausgegeben werden müssen. Dies gilt selbst dann, wenn sich der Verband dadurch strafrechtlich belasten muss. c) Zwischenfazit Aus den oben gemachten Ausführungen ergibt sich zunächst, dass der Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit auch in England für natürliche Personen Anwendung findet, sodass diese in einem Strafverfahren das Recht haben, nicht aussagen zu müssen, wenn sie sich dadurch selbst eines strafrechtlichen Vorwurfs bezichtigen müssten. Einschränkung erfährt dieser Grundsatz dadurch, dass das Schweigen eines Beschuldigten sich bei der Beweiswürdigung, unter bestimmten Umständen, nachteilig für ihn auswirken kann. Neben der Selbstbelastungsfreiheit für natürliche Personen scheint diese dem Grunde nach zwar theoretisch auch für juristische Personen zu bestehen, wenngleich der Eindruck entsteht, dass die Theorie sich bei diesem Topos nicht in der Praxis widerspiegelt, da die potentiellen Anwendungsbereiche für die Selbstbelastungsfreiheit von Unternehmen in England sehr restriktiv sind.

425

So bei du Bois-Pedain, NZWiSt 2016, 329 (331). Zutr. du Bois-Pedain, NZWiSt 2016, 329 (331) unter Verweis auf die Entscheidung Tate Access Floors Inc. v. Boswell [1990] 3 All ER 303. 427 Vgl. du Bois-Pedain, NZWiSt 2016, 329 (331) mit Verweis auf Regina v. Kearns [2002] 1 WLR 2815 unter Bezugnahme auf Attorney’s-General Reference (No. 7 of 2000) [2001] CrAppR 286. 426

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6. Kap.: Grundstruktur eines Verbandssanktionenrechts de lege ferenda

3. Österreich a) Selbstbelastungsfreiheit für natürliche Personen In Österreich gilt der Nemo-tenetur-Grundsatz im Strafrecht für natürliche Personen. Das ist nicht nur allgemein anerkannt, sondern wurde zusätzlich in § 7 Abs. 2 östStPO ausdrücklich als Prozessgrundsatz niedergeschrieben:428 Der Beschuldigte darf nicht gezwungen werden, sich selbst zu belasten. Es steht ihm demnach jederzeit frei, auszusagen oder die Aussage zu verweigern. Er darf, gemäß § 7 Abs. 2 östStPO, nicht durch Zwangsmittel, Drohungen, Versprechungen oder Vorspiegelungen zu Äußerungen genötigt oder bewogen werden. Dies wird in Österreich einhellig als wesentlicher Grundsatz des Strafverfahrens anerkannt und spiegelt sich ebenfalls in § 49 Abs. 1 Z 4 östStPO wider, wenn es dort heißt, dass der Beschuldigte nicht zum Vorwurf aussagen muss. b) Selbstbelastungsfreiheit für juristische Personen Die Brücke vom Individualstrafverfahren hin zum Verbandsverfahren wird in Österreich dadurch geschlagen, dass ein Verband im Strafverfahren die Beschuldigtenstellung innehat und ihm aufgrund dieser auch die Beschuldigtenrechte, zu denen das Nemo-tenetur-Recht zählt, zukommen, vgl. § 13 Abs. 1 S. 2 östVbVG. So schreiben beispielsweise Papp/Karner u. a. zu diesem Topos:429 „Die Aussage des Beschuldigten (dem Verband) als Beweismittel im Strafprozess ist nicht erzwingbar (…). Ebenso wenig ist der Beschuldigte verpflichtet, an seiner Tatüberführung mitzuwirken, und er darf auch nicht zur Selbstbelastung gezwungen werden.“ Gemäß § 17 östVbVG sind alle Entscheidungsträger (im Sinne des § 2 östVbVG) – unabhängig davon, ob sie selbst der Straftat verdächtig sind oder nicht – als Beschuldigte430 zu laden und zu vernehmen.431 Nicht explizit im östVbVG erwähnt sind die Vertreter des Verbandes. Allgemein anerkannt ist, dass alle nach Gesetz oder Satzung zur Vertretung des Verbandes nach außen berufenen Organmitglieder für

428 Wenngleich an dieser Stelle anzumerken ist, dass die EMRK und somit denknotwendig Art. 6 EMRK in Österreich Verfassungsrang zukommt und sich der Nemo-tenetur-Grundsatz daraus ableiten lässt. Vgl. dazu statt vieler Dangl, Unternehmensinterne Untersuchungen, S. 266 m.w.N. 429 Papp/Karner, in: Palkovits/Papp/Rathkolb/Skribe, Unternehmensstrafrecht, Kap. 4.6.4 S. 3. 430 Vgl. zum formellen und materiellen Beschuldigtenbegriff in Österreich Hauser, in: Hilf u. a. (Hrsg.), Unternehmensverteidigung, S. 248 f., Letzterer gilt für einen Verband in Österreich, weshalb ein Verband ab dem Zeitpunkt die Beschuldigtenstellung hat, wenn gegen ihn ermittelt wird oder Zwang ausgeübt wird; krit. zur extensiven Regelung des § 17 östVbVG dies., in: Hilf u. a. (Hrsg.), Unternehmensverteidigung, S. 251 ff. 431 ErläutRV 994 BlgNR 22. GP 33.

E. Nemo-tenetur-Grundsatz im Verbandssanktionsverfahren

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den beschuldigten Verband auftreten.432 Insbesondere gelten, solange der Verband nicht von seinem Recht Gebrauch macht, eine oder mehrere Personen zu benennen, die Handlungen aller vertretungsbefugter Organe als Prozesshandlungen des Verbandes.433 Dementsprechend handelt es sich bei den Vertretern des Verbandes wohl immer um Entscheidungsträger gemäß § 2 Abs. 1 östVbVG, weshalb diesen ebenfalls der Beschuldigtenstatus zukommt. Neben den genannten Vertretern des Verbandes gehören dazu auch die Mitglieder des Aufsichtsrates sowie sonstige Personen, die eine Leitungsposition mit Kontrollbefugnis innehaben, und weitere Personen, die zwar keine Organwalter sind, aber dennoch Einfluss auf die Geschäftsführung haben. Das Schweigerecht (aufgrund der Beschuldigtenstellung nach § 17 Abs. 1 östVbVG) kommt ebenfalls dem Verdächtigen der Anlasstat („verbandsbezogene Straftat“) zu, auch wenn er keine leitende Funktion innehat, da in dem Strafverfahren gegen den Verband auch alle Mitarbeiter als Beschuldigte zu vernehmen sind, die der Anlasstat verdächtig sind.434 Dies gilt in Österreich unabhängig von dem (individuellen) Recht des Mitarbeiters, sich nicht selbst belasten zu müssen. Darüber hinaus ist zu hinterfragen, was in Österreich gilt, wenn es sich um nonverbale Kommunikationsakte des Unternehmens handelt, ergo zum Beispiel um von den Unternehmen turnusmäßig bereits in der Vergangenheit erstellte Geschäftsunterlagen. Das östVbVG enthält hierfür im Grunde keine Sonderbestimmungen zu Zwangsmaßnahmen. Eine Ausnahme hiervon ergibt sich nur gemäß § 20 östVbVG (einstweilige Verfügungen): Demzufolge kann auf Antrag der Staatsanwaltschaft zur Sicherung der Geldbuße, wenn ein belangter Verband dringend verdächtig ist, für eine bestimmte Straftat verantwortlich zu sein, und anzunehmen ist, dass gegen ihn eine Verbandsgeldbuße verhängt wird, vom Gericht eine Beschlagnahme nach der östStPO (§§ 109 Z 2, 115 Abs. 1 Z 3) angeordnet werden, wenn und soweit aufgrund bestimmter Tatsachen zu befürchten ist, dass andernfalls die Einbringung gefährdet oder wesentlich erschwert würde. Im Übrigen ist § 115 Abs. 4 – 6 östStPO anzuwenden.435 Grundlegend gilt, dass eine sogenannte „Hausdurchsuchung“,436 die in Österreich eine anerkannte Zwangsmaßnahme ist, welche auf Verbände angewendet werden kann, nur dann durchgeführt werden darf, wenn ein „gegründeter Verdacht“ besteht, dass sich eine Person, die eines Verbrechens oder eines Vergehens verdächtig ist, dort 432 Dazu Hauser, in: Hilf u. a. (Hrsg.), Unternehmensverteidigung, S. 235 unter Verweis auf ErläutRV 994 BlgNR 22. GP 33. 433 Siehe dazu Hilf/Zeder, in: Höpfel/Ratz (Hrsg.), WK VbVG, § 16 Rn. 4. 434 Zerbes, ZStW 2017 (129), 1035 (1047); Hilf/Zeder, in: Höpfel/Ratz (Hrsg.), WK VbVG, § 17 Rn. 1, 3. 435 Statt vieler dazu Papp/Karner, in: Palkovits/Papp/Rathkolb/Skribe, Unternehmensstrafrecht, Kap. 4.9. 436 Zur Hausdurchsuchung im Zusammenhang mit Internal Investigations Sepasiar/Sackmann, Aufsichtsrataktuell 2018, 20 (21 f.).

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6. Kap.: Grundstruktur eines Verbandssanktionenrechts de lege ferenda

aufhalte oder sich dort Gegenstände befinden, deren Besitz oder Besichtigung Relevanz für eine Untersuchung haben.437 Differenziert wird allgemein zwischen einer sogenannten „freiwilligen Nachschau“ (zu der keine Pflicht besteht) und einer „Hausdurchsuchung“. Wird eine freiwillige Nachschau gestattet, liegt keine Hausdurchsuchung im Sinne der östStPO vor.438 Hinsichtlich der Hausdurchsuchung findet sich beispielsweise bei Hilf/Soyer eine „Checkliste“439 zum Vorgehen „vor“ und „während“ der Durchsuchung.440 So wird unter anderem darauf verwiesen, die Mitarbeiter des Unternehmens auf die Durchsuchung vorzubereiten und anzuweisen, nicht bei einer informellen Befragung mitzuwirken sowie Entscheidungsträger, potentiell Tatverdächtige und Zeugen auf ihr Aussageverweigerungsrecht hinzuweisen.441 Eine Duldungspflicht der Durchsuchung wird in Österreich angenommen, während eine Pflicht zur aktiven Mitwirkung negiert wird.442 Anerkannt ist auch, dass jeder Durchsuchungsbefehl einen Beschlagnahmebefehl zur Sicherstellung von strafrechtlich relevanten Gegenständen enthält, wobei zum Beispiel bei einem gerichtlichen Hausdurchsuchungsbefehl die Gegenstände, die erwartet werden zu finden und die der Aufklärung einer Straftat dienen, genau bezeichnet werden müssen.443 Geht es in dieser Hinsicht beispielsweise um Geschäftsunterlagen eines Unternehmens und will das Unternehmen verhindern, dass die Verfolgungsbehörden diese durchsuchen, müssen sie versiegelt und beim Gericht hinterlegt werden.444 Infolgedessen wird dann eine Entscheidung der Ratskammer eingefordert, ob die Unterlagen durchsucht werden dürfen oder wieder an das Unternehmen ausgehändigt werden müssen, ergo kann zwar eine Sicherstellung durch die Behörden erfolgen, jedoch zunächst keine Verwertung.445 Insgesamt ergibt sich aus diesen Regelungen eine Beschränkung des Nemo-tenetur-Grundsatzes in Österreich für Verbände. c) Zwischenfazit Zunächst kann festgehalten werden, dass das Nemo-tenetur-Recht in Österreich für natürliche Personen gilt und rechtlich kodifiziert ist. Darüber hinaus findet es 437 Hilf/Soyer, in: Hilf u. a. (Hrsg.), Unternehmensverteidigung, S. 28; zur Anwendung von Zwangsmaßnahmen bei Verbänden überblicksartig Steininger, VbVG, S. 7 f. 438 Vgl. Hilf/Soyer, in: Hilf u. a. (Hrsg.), Unternehmensverteidigung, S. 29. 439 Stuefer, in: Hilf u. a. (Hrsg.) Unternehmensverteidigung, S. 28 ff. 440 Hilf/Soyer, in: Hilf u. a. (Hrsg.), Unternehmensverteidigung, S. 28 ff. 441 Siehe Hilf/Soyer, in: Hilf u. a. (Hrsg.), Unternehmensverteidigung, S. 30. 442 Siehe Hilf/Soyer, in: Hilf u. a. (Hrsg.), Unternehmensverteidigung, S. 31; dazu auch bei Papp/Karner, in: Palkovits/Papp/Rathkolb/Skribe, Unternehmensstrafrecht, Kap. 4.9.1, S. 6. 443 Vgl. Hilf/Soyer, in: Hilf u. a. (Hrsg.), Unternehmensverteidigung, S. 28, 33. 444 Dazu auch Sepasiar/Sackmann, Aufsichtsrataktuell 2018, 20 (24). 445 Vgl. Siehe Hilf/Soyer, in: Hilf u. a. (Hrsg.), Unternehmensverteidigung, S. 33.

E. Nemo-tenetur-Grundsatz im Verbandssanktionsverfahren

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ebenfalls Anwendung, wenn es um die strafrechtliche Verfolgung von Verbänden geht. Die Anwendung wird in Österreich über den Beschuldigtenstatus, den der Verband innehat, hergeleitet, da einem Beschuldigten dort regelmäßig das Recht der Selbstbelastungsfreiheit gewährt wird. Das Nemo-tenetur-Recht hat im österreichischen Verbandsverfahren insgesamt einen sehr umfassenden Charakter und gewährt dem Verband ein großes Maß an Freiheit und Schutz, da sich unterschiedliche Personen hierauf berufen können.446 4. Schweiz a) Selbstbelastungsfreiheit für natürliche Personen In der Schweiz gilt der Nemo-tenetur-Grundsatz, anerkanntermaßen, für natürliche Personen. Hierbei handelt es sich um einen allgemeinen Grundsatz des Schweizer Strafprozessrechts, der es verbietet, den Beschuldigten eines Strafverfahrens zu einer Selbstbelastung zu verpflichten. Darüber hinaus und in diesem Zusammenhang findet ebenfalls die Bezeichnung „privilege against self-incrimination“ Eingang in die Literatur, wobei die Bezeichnung daraus resultiere, dass sich in der EMRK keine direkte positiv-rechtliche Normierung des Grundsatzes finde, dieser aber als „privilege against self-incrimination“ ausdrücklich anerkannt werde und den Kern eines fairen Verfahrens nach Art. 6 EMRK bilde.447 Nach diesem Grundsatz dürfen die Behörden den Beschuldigten nicht dazu zwingen, aktiv in einem Strafverfahren mitzuwirken, welches gegen ihn selbst geführt wird, und so bei seiner eigenen Überführung behilflich zu sein.448 Einfach-gesetzlich normiert ist der Zwang, sich in einem Strafverfahren nicht selbst belasten zu müssen, für natürliche Personen in Art. 113 schwStPO449 und in Art. 158 Abs. 1 lit. b schwStPO. In Art. 158 Abs. 1 lit. b schwStPO heißt es, dass die beschuldigte Person zu Beginn der ersten Einvernahme darauf hingewiesen wird, dass sie die Aussage und Mitwirkung verweigern kann, und in Abs. 2, dass Einvernahmen ohne diese Hinweise nicht verwertbar seien. Art. 113 Abs. 1 schwStPO regelt, dass die beschuldigte Person sich nicht selbst belasten muss. Sie hat namentlich das Recht, die Aussage und ihre Mitwirkung im Strafverfahren zu verweigern, muss sich aber den gesetzlichen Zwangsmaßnahmen unterziehen. Gleichzeitig wird in Absatz 2 festgehalten, dass das Strafverfahren trotz der Verweigerung der Mitwirkung der beschuldigten Person fortgeführt wird. 446 Vgl. auch Hilf/Soyer, in: Hilf u. a. (Hrsg.), Unternehmensverteidigung, S. 19; krit.: Hauser, in: Hilf u. a. (Hrsg.), Unternehmensverteidigung, S. 251 ff. 447 Zum Ganzen Engler, Vertretung des beschuldigten Unternehmens, S. 92 f. m.w.N. 448 Engler, Vertretung des beschuldigten Unternehmens, S. 92 f. 449 Vgl. Macula, in: Sutter-Somm (Hrsg.), Verwaltungs(aufsichts)rechtliche Mitwirkungspflichten, 2016, Bd./Nr. 12, S. 11; zu den unterschiedlichen Rollen im Strafverfahren auch Moser/El-Hakim, forumpoenale 4/2018, 300 (301); BSK StPO-Engler, Art. 113.

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6. Kap.: Grundstruktur eines Verbandssanktionenrechts de lege ferenda

Der Nemo-tenetur-Grundsatz bezieht sich in der Schweiz ebenfalls nicht nur auf verbale (kommunikative) Akte, sondern umfasst auch das sogenannte „Editionsverweigerungsrecht“, ergo das Recht, keine (selbstbelastenden) Gegenstände oder Urkunden herausgeben zu müssen.450 Engler451 verweist in diesem Kontext auf die vielzitierte Phrase „Was der Mund nicht zu offenbaren braucht, muss die Hand nicht Preis geben“. Werden Beweismittel allerdings ohne den Zwang aktiver Mitwirkung durch staatliche Zwangsmaßnahmen gewonnen, wie zum Beispiel durch eine Beschlagnahme, besteht für den Beschuldigten die Pflicht, diese Maßnahmen zu dulden. Derart gewonnene Beweise sind dann auch in einem Strafverfahren verwertbar. Hiergegen bietet der Nemo-tenetur-Grundsatz in der Schweiz auch für natürliche Personen keinen Schutz. b) Selbstbelastungsfreiheit für juristische Personen Auch in der Schweiz wird Verbänden die Selbstbelastungsfreiheit grundsätzlich mittlerweile (überwiegend) zugestanden.452 Hinsichtlich der Herleitung werden unterschiedliche Ansätze vertreten, wie zum Beispiel die Menschenwürde, das Persönlichkeitsrecht in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip, das Recht auf ein faires Verfahren und die Unschuldsvermutung sowie der Nemo-tenetur-Grundsatz als sogenanntes „Strukturprinzip“.453 Durchgesetzt hat sich indes die Auffassung, dass die Geltung des Nemo-tenetur-Grundsatzes für juristische Personen dem Grunde nach aus Art. 6 Abs. 1 EMRK (und Art. 34 EMRK) resultiert.454 Positiv-rechtlich ergibt sich das Nemo-tenetur-Recht für Verbände aus Art. 178 lit. g, Art. 180 schwStPO mit der Begründung, dass das Unternehmen Beschuldigter in einem Strafverfahren ist und ihm deshalb auch die gleichen Verfahrensgarantien zukommen müssen wie einer natürlichen Person in der Position eines Beschuldigten.455 450

Vgl. Engler, Vertretung des beschuldigten Unternehmens, S. 93 f. Engler, Vertretung des beschuldigten Unternehmens, S. 94 m.w.N. 452 Statt vieler: Strasser, in: Kaenel (Hrsg.), Whistleblowing, S. 74 f. m.w.N.; diff. an dieser Stelle Macula, in: Sutter-Somm (Hrsg.), Verwaltungs(aufsichts)rechtliche Mitwirkungspflichten, 2016, Bd./Nr. 12, S. 19 f.; Benedick, AJP 2011, 169 (175 ff.); dazu auch Donatsch/ Smokvina, FS Caspar, S. 863 ff.; überblicksartig auch bei Fellmann/Vetterli, forumpoenale 1/ 2015, 43 (45); Bertossa, Unternehmensstrafrecht, S. 143 ff. 453 Auflistung dieser Herleitungsmöglichkeiten bei Engler, Vertretung des beschuldigten Unternehmens, S. 97 m.w.N.; siehe zu dieser Problematik auch Arzt, FS Burgstaller, S. 226 ff.; ähnlich auch bei Heine, ZStrR 2003 (121), 24 (43). 454 Vgl. Engler, Vertretung des beschuldigten Unternehmens, S. 97 f. m.w.N.; BSK StPOEngler, Art. 112 Rn. 73; anzumerken ist hier, dass die Entscheidung BGer 1B_ 249/2015, E. 8.1. ff., 8.3 ff. Art. 34 EMRK jedenfalls nicht ausdrücklich nennt. 455 Grundlegend zum Nemo-tenetur-Recht BGE 142 IV 207, E. 8. ff.; zu diesem Urteil ausführlich Macula, ZStrR 2018 (136), 30; umfassend zum Ganzen und auch insbesondere eingehend auf die Zusammenhänge zwischen Individual- und Unternehmensstrafverfahren, die bei der Selbstbelastungsfreiheit relevant werden können Geth, ZStW 2014 (126), 105 (107 ff.) 451

E. Nemo-tenetur-Grundsatz im Verbandssanktionsverfahren

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Um herauszustellen, wie die Geltung des Nemo-tenetur-Grundsatzes dort umgesetzt wird, ist darauf zu blicken, wer sich auf dieses Recht berufen kann, da das Unternehmen selbst nicht handeln kann. Aus diesem Grund kann zunächst festgehalten werden, dass der Vertreter des Unternehmens grundsätzlich für das Unternehmen handelt und er deshalb im Verbandsstrafverfahren nicht als Zeuge vernommen werden darf, da er infolgedessen (als Verkörperung des Unternehmens) so etwas wie ein „Quasi-Beschuldigter“ ist.456 Die Rechte, welche der Unternehmensvertreter im Strafverfahren ausübt, sind folglich die eigenen Rechte des Unternehmens, die er für dieses bzw. im Interesse des Unternehmens ausübt.457 Nach Art. 112 Abs. 1 schwStPO benennt der Verband selbst458 (nur) einen einzigen459 Vertreter (hier kommen vorrangig Organe im engeren Sinne, wie zum Beispiel Vorstandsmitglieder, in Betracht460), der auch zur uneingeschränkten Vertretung des Verbandes in zivilrechtlichen Angelegenheiten461 befugt sein muss. Extensiv verhält sich das schweizerische Recht zum Beispiel, wenn es um ein Schweigerecht weiterer Entscheidungsträger geht. Wird auf den Wortlaut der einschlägigen Norm des Art. 178 lit. g schwStPO abgestellt („Wer (…) als Vertreterin oder Vertreter bezeichnet worden ist oder bezeichnet werden könnte“), ergibt sich ein weites Feld. Suggeriert der Wortlaut doch gerade, dass das Schweigerecht demnach für alle Personen gilt, die (wenn auch nur potentiell) als Unternehmensvertreter in Frage kommen.462 (113 ff.); Pieth, in: Henssler/Hoven/Kubiciel/Weigend (Hrsg.), Grundfragen eines modernen Verbandsstrafrechts, S. 193; ders., Schweizerisches Strafprozessrecht, S. 210, 263 ff.; Niggli/ Maeder, in: Ackermann/Heine (Hrsg.), Wirtschaftsstrafrecht der Schweiz, S. 193 m.w.N.; BSK StPO-Engler, Art. 112 Rn. 14, 73 ff. 456 Grundlegend Pieth, Schweizerisches Strafprozessrecht, S. 210; zur Vertretung des Unternehmens auch Schmid/Jositsch, Handbuch des schweizerischen Strafprozessrechts, S. 260 f.; Niggli/Maeder, in: Ackermann/Heine (Hrsg.), Wirtschaftsstrafrecht der Schweiz, S. 192. 457 Ausführlich zur Position des Vertreters im Strafverfahren Engler, Vertretung des beschuldigten Unternehmens, S. 140 ff. 458 Versäumt das Unternehmen innerhalb der Frist einen Vertreter zu bestimmen, wird dieser von der Verfahrensleitung gemäß Art. 112 Abs. 2 schwStPO bestimmt, vgl. Niggli/ Maeder, in: Ackermann/Heine (Hrsg.), Wirtschaftsstrafrecht der Schweiz, S. 192; BSK StPOEngler, Art. 112 Rn. 40 ff. 459 Zur Begründung Pieth, Schweizerisches Strafprozessrecht, S. 265; Engler, Vertretung des beschuldigten Unternehmens, S. 145 ff.; BSK StPO-Engler, Art. 112 Rn. 20 f. 460 Vgl. Engler, Vertretung des beschuldigten Unternehmens, S. 148 ff. m.w.N.; eine weitere Auflistung auch bei BSK StPO-Engler, Art. 112 Rn. 25 ff. 461 Daraus wird für das schweizerische Recht geschlossen, dass faktische Organe das Unternehmen nicht wirksam im Strafverfahren vertreten können, vgl. dazu Niggli/Maeder, in: Ackermann/Heine (Hrsg.), Wirtschaftsstrafrecht der Schweiz, S. 192 m.w.N.; zu dieser Frage auch Heiniger, Der Konzern im Unternehmensstrafrecht, S. 311 f.; BSK StPO-Engler, Art. 112 Rn. 22 f. 462 So auch Pieth, in: Henssler/Hoven/Kubiciel/Weigend (Hrsg.), Grundfragen eines modernen Verbandsstrafrechts, S. 194.

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6. Kap.: Grundstruktur eines Verbandssanktionenrechts de lege ferenda

Über Art. 178 lit. g schwStPO findet somit der Vertreter des Unternehmens als sogenannte „Auskunftsperson“ Eingang in das Verfahren.463 Die Stellung der „Auskunftsperson“, welche in Art. 178 ff. schwStPO normiert ist, wird beispielsweise bei Geth u. a. dahingehend erläutert und eingeordnet, dass es sich dabei um eine „Zwischenstellung“ zwischen einem Zeugen und einer beschuldigten Person handele.464 Als Auskunftsperson im Sinne des Art. 178 lit. g schwStPO unterliegt der Vertreter des Unternehmens zwar der Anwesenheitspflicht. Gemäß Art. 180 schwStPO ist er aber nicht zur Aussage verpflichtet, und es gelten sinngemäß die Beschuldigtenrechte. Daher besteht für die Auskunftsperson keine „Aussage- oder direkt sanktionierte Wahrheitspflicht“.465 Dennoch gibt es die Möglichkeit, dass eine Falschaussage als falsche Anschuldigung oder Irreführung der Rechtspflege strafrechtlich geahndet wird.466 Besonders interessant am schweizerischen Konstrukt ist, dass neben dem Vertreter des Unternehmens467 auch die „direkten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der bestellten und der potentiellen Vertreterinnen und Vertreter“ (wie beispielsweise persönliche Assistenten oder das Sekretariat468) Auskunftspersonen im Sinne des Art. 178 lit. g und Art. 180 schwStPO sind. Diese sind daher im Unternehmensstrafverfahren ebenfalls keine Zeugen, sondern auch Auskunftspersonen ohne eine Auskunftspflicht.469 Die übrigen Mitarbeiter des Unternehmens können dagegen als Zeugen vernommen werden.470 Hintergrund für die Erstreckung des Schweigerechts auf die direkten Mitarbeiter ist anerkanntermaßen, dass die Strafverfolgungsbehörden sonst an Informationen (beispielsweise der Organe) kommen könnten, die durch das Nemo-tenetur-Recht gerade geschützt werden sollen.471 Einer solchen Missbrauchsgefahr soll damit Einhalt geboten werden. Hinsichtlich des Schweigerechts des Verdächtigen der Anlasstat ergibt sich dieses wiederum aus der schwStPO. Für einen verdächtigen Mitarbeiter kommen zwei

463 Krit. zu dieser Stellung Pieth, Schweizerisches Strafprozessrecht, S. 210; zur Begrifflichkeit der Auskunftsperson und Abgrenzungen Niedermann, ZStV 2018, 29 f. 464 Geth, ZStW 2014 (126), 105 (110); Moser/El-Hakim, forumpoenale 4/2018, 300 (301) unter Rekurrierung auf Botschaft v. 21. 12. 2005, BBl 2006, 1085 (1208). 465 Pieth, Schweizerisches Strafprozessrecht, S. 209. 466 Dazu Pieth, Schweizerisches Strafprozessrecht, S. 209. 467 Siehe hierzu im einzelnen Geth, ZStW 2014 (126), 105 (109 f.). 468 Geth, ZStW 2014 (126), 105 (111) m.w.N. 469 Zerbes, ZStW 2017 (129), 1035 (1046) m.w.N.; zur Selbstbelastungsfreiheit im Unternehmensstrafrecht in der Schweiz ausführlich Geth, ZStW 2014 (126), 105 ff. (110), nach dem Sinn und Zweck der Vernehmung von Mitarbeitern als Auskunftspersonen darin bestehen, dass ansonsten die Aussagefreiheit der Organe dadurch umgangen werden könnte, dass die Mitarbeiter sich zur Sache einlassen müssten. 470 Vgl. Pieth, Schweizerisches Strafprozessrecht, S. 211; zum Status eines Zeugen im schweizerischen Recht Niedermann, ZStV 2018, 29 (36 f.). 471 Vgl. beispielsweise Benedick, AJP 2011, 169 (176) m.w.N.

E. Nemo-tenetur-Grundsatz im Verbandssanktionsverfahren

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Positionen in Betracht:472 Wenn der Mitarbeiter (noch) nicht beschuldigt ist, kommt ihm nach Art. 169 Abs. 1 lit. a schwStPO ein Zeugnisverweigerungsrecht zu. Ist er aber bereits Beschuldigter (entweder im selben Verfahren wie der Verband oder im getrennt geführten Verfahren), kommt ihm im Verfahren gegen den Verband ein Aussageverweigerungsrecht zu, da er den Status quo einer Auskunftsperson hat, was sich aus Art. 178 lit. e und f, Art. 181 schwStPO ergibt.473 Neben dem in der Schweiz gewährten Recht der Selbstbelastungsfreiheit hinsichtlich der verbalen Kommunikation des Verbandes ist darüber hinaus in den Blick zu nehmen, wie weit das Nemo-tenetur-Recht in der Schweiz für Unternehmen hinsichtlich von Sachbeweisen/Gegenständen reicht. Zunächst gilt dort, dass Unternehmen zwar nicht zu einer aktiven Mitwirkung verpflichtet sind, ihnen aber als Ausprägung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes dennoch die Möglichkeit der Kooperation eingeräumt werden soll, bevor Zwangsmaßnahmen ergriffen werden.474 Der Gesetzgeber befreit die Unternehmen in der Schweiz zwar grundsätzlich von der (aktiven) Herausgabepflicht von Sachbeweisen, wenn sie sich durch die Herausgabe selbst belasten müssten, sodass hierin die Ausprägung des Nemo-tenetur-Rechts liegt. Geregelt wird dies in Art. 265 Abs. 2 lit. a und c schwStPO.475 Allerdings geht hiermit kein weiterer Schutz einher. Insbesondere bietet die Norm keinen Schutz vor Zwangsmaßnahmen: Dies hat das Bundesgericht in der Schweiz (jedenfalls) dahingehend eindeutig entschieden, dass es ausführt: „Zulässig ist hingegen die aufgrund gesetzlicher Zwangsmassnahmen (auch gegen den Willen des Beschuldigten) erfolgte Erhebung von Beweismitteln, die bereits vorliegen, bevor strafprozessualer Zwang ausgeübt wird.“476 Das sieht das Gericht als feststehende Einschränkung des Nemo-tenetur-Grundsatzes einer juristischen Person an.477 Ver472

Zum Ganzen Zerbes, ZStW 2017 (129), 1035 (1047). So Zerbes, ZStW 2017 (129), 1035 (1047). 474 Vgl. dazu Pieth, Schweizerisches Strafprozessrecht, S. 268; Schmid/Jositsch, Handbuch des schweizerischen Strafprozessrechts, S. 490 f. 475 Hinsichtlich der Herleitung des Rechts wird vielfach vertreten, dass sich Unterschiede daraus ergeben würden, ob das Unternehmen bereits die Rolle des Beschuldigten innehätte oder noch nicht, und davon sei abhängig, ob Art. 265 Abs. 2 lit. a (wenn das Unternehmen bereits beschuldigt ist) oder c (wenn das Unternehmen nicht beschuldigt ist) schwStPO anzuwenden sei. So zum Beispiel bei BSK StPO-Engler, Art. 112 Rn. 18; Geth, ZStW 2014 (126), 105 (112), der in lit. c nur eine zeitliche Flankierung des Rechts sieht. Siehe auch Schmid/Jositsch, Handbuch des schweizerischen Strafprozessrechts, S. 486, die für die fehlende Herausgabepflicht für Unternehmen bei einer Strafbarkeit nach Art. 102 schwStGB im Verfahren nach Art. 112 schwStPO auf lit. a abstellen. Zum Ganzen auch BSK StPO-Niggli/Gfeller, Art. 102 Rn. 448. 476 BGer 1B_249/2015, E. 8.3.2.; im Grunde auch auch schon BGE 140 II 384, E. 3.3.4.; krit. hierzu und zu den Folgen für Unternehmen aufgrund derartiger Entscheidungen Fritsche, GesKR 2016, 376 (382 ff.). 477 In der konkreten Entscheidung lehnt das Bundesgericht das Selbstbelastungsprivileg für eine Bank jedoch aus unterschiedlichen Gründen ab. Angeführt wird unter anderem, dass die Aufforderung der FINMA (Eidgenössische Finanzmarktaufsicht) die Auskunft zu erteilen und auch das Editionsbegehren nicht strafbewehrt seien. Darüber hinaus müsse der Nemo-tenetur473

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6. Kap.: Grundstruktur eines Verbandssanktionenrechts de lege ferenda

weigert das Unternehmen also die Mitwirkung, beispielsweise durch Nicht-Herausgabe, oder gehen die Behörden davon aus, dass die Aufforderung der Herausgabe den Zweck der Maßnahme vereiteln würde, besteht für die Strafverfolgungsbehörden die Möglichkeit, die unternehmerischen Räume zu durchsuchen, Dokumente und Unterlagen zu beschlagnahmen und auch auf Daten der Computer zuzugreifen und sie zu kopieren, was gesetzlich in Art. 265 Abs. 4 schwStPO normiert ist.478 Eingeschränkt wird das Recht der Behörden durch Art. 264 schwStPO (Einschränkungen), der ungeachtet des Ortes, wo sich die Unterlagen befinden, und ungeachtet des Zeitpunktes, zu welchem sie geschaffen wurden, Anwendung findet.479 Dementsprechend dürfen keine Unterlagen beschlagnahmt werden, die die Kommunikation zwischen Beschuldigtem und Verteidigung betreffen, Gegenstände und Unterlagen aus der Kommunikation des Beschuldigten mit Personen, welche nach Art. 170 – 173 schwStPO das Zeugnis verweigern dürfen und nicht gleichzeitig selbst beschuldigt sind, sowie Gegenstände und Unterlagen aus der Kommunikation einer anderen Person mit ihrem Anwalt, wenn es sich um einen Anwalt der BGFA (Anwältin oder Anwalt nach dem Anwaltsgesetz vom 23. 06. 2003, die/der zur Vertretung berechtigt ist) handelt, der nicht gleichzeitig selbst beschuldigt ist. c) Zwischenfazit Insgesamt steht sicher, dass zum einen natürlichen Personen in der Schweiz das Recht zukommt, sich nicht selbst belasten zu müssen, und dass dies auch gesichert in der schweizerischen Bundesverfassung und der schweizerischen Strafprozessordnung kodifiziert ist. Zum anderen wird juristischen Personen in der Schweiz ebenfalls das Recht zugebilligt, sich nicht selbst belasten zu müssen. Auch in der Schweiz werden hierfür unterschiedliche Herleitungsvarianten in Betracht gezogen, wenngleich diejenige leicht vorherrschend zu sein scheint, die die Selbstbelastungsfreiheit im Ursprung aus Art. 6 Abs. 1 EMRK und Art. 34 EMRK herleitet. Hinsichtlich der Begründung der Selbstbelastungsfreiheit für Verbände wird darauf rekurriert, dass es sich bei ihnen um Beschuldigte in einem Strafverfahren handeln würde, Beschuldigten in einem Strafverfahren das Nemo-tenetur-Recht zusteht und es deshalb auch den juristischen Personen zustehen müsse. Grundsatz für juristische Personen restriktiv ausgelegt werden, sodass insbesondere auf Unterlagen, welche von der juristischen Person aufgrund von verwaltungsrechtlichen Vorschriften erstellt werden, Zugriff bestünde, vgl. zum Ganzen BGer– 1B_ 249/2015, E. 8.3.3. sowie auch BGE 140 II 384, E. 3.3.4. Krit. zur erst genannten Entscheidung Fritsche, GesKR 2016, 376 (380 ff.); ausführlich zum Ganzen auch bei Fritsche, in: Seitz/Wohlers (Hrsg.), Anwaltsgeheimnis, S. 44 ff. 478 So Pieth, Schweizerisches Strafprozessrecht, S. 268; BSK StPO-Engler, Art. 112 Rn. 77. 479 Zum Ganzen bei Fritsche/Studer, AJP 2018, 168 (178); BSK StPO-Bommer/Goldschmid, Art. 265 Rn. 32; Schmid/Jositsch, Handbuch des schweizerischen Strafprozessrechts, S. 486 ff.

E. Nemo-tenetur-Grundsatz im Verbandssanktionsverfahren

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Die Ausübung des Rechts des Verbandes wird über den (potentiellen) Vertreter und seine direkten Mitarbeiter, wie aufgezeigt, über den Status als sogenannte „Auskunftspersonen“ verwirklicht, welche sich auf das Recht, den Verband nicht belasten zu müssen, berufen können. Nicht außer Acht zu lassen sind hierbei die Konsequenzen, die sich auf der einen Seite (aus der Sicht des Unternehmens) durch den potentiell weiten Kreis der Personen eher unternehmensfreundlich auswirken können und auf der anderen Seite die Führung eines Strafprozesses gegen das Unternehmen durch die sehr umfassende Gewährung des Nemo-tenetur-Rechts erschweren können. Auch hinsichtlich non-verbaler Kommunikationsakte trifft der Gesetzgeber in der Schweiz eine Regelung hinsichtlich des Nemo-tenetur-Grundsatzes: Grundsätzlich ist das Unternehmen nicht zur Mitwirkung verpflichtet, wenngleich Zwangsmaßnahmen gegenüber dem Unternehmen unter bestimmten Voraussetzungen möglich sein sollen, vor denen der Nemo-tenetur-Grundsatz explizit keinen Schutz gewährt. 5. Der Schutz vor Selbstbelastung im europäischen Kartellordnungswidrigkeitenverfahren Bei der Frage nach dem Schutz vor Selbstbelastung von Verbänden im europäischen Kartellordnungswidrigkeitenverfahren480 handelt es sich nicht um eine mögliche Herleitungsvariante des Nemo-tenetur-Grundsatzes aufgrund einer dort bestehenden Rechtsgrundlage. Vielmehr soll erörtert werden, ob die Behandlung der Thematik im Kartellordnungswidrigkeitenrecht auf der europäischen Ebene zu einer möglichen argumentativen Grundlage führen und einen ähnlichen Vorbildcharakter für ein hiesiges Nemo-tenetur-Recht im Verbandssanktionsverfahren entfalten kann, wie es Beispiele aus anderen Rechtsordnungen partiell tun könnten. Dafür spricht, dass das europäische Kartellverfahren keinerlei unmittelbare Wirkung auf die deutsche Rechtsordnung hat, sodass es als direkte Basis einer Herleitung eher fernliegen dürfte. Auf den ersten Blick besteht eine (wenngleich auch eher nur grob prozessuale statt materielle481) Ähnlichkeit zwischen dem europäischen Kartellverfahren und einem Verbandssanktionsverfahren de lege ferenda. Bei beiden handelt es sich um Verfahren zur Sanktionierung von Unternehmen. Dem Kartellverfahren unterstehen dabei bereits de lege lata nur Unternehmen sowie Unternehmensvereinigungen, 480 Grundlegend Schubert, Legal privilege und Nemo tenetur im europäischen Kartellermittlungsverfahren, passim. 481 Vgl. dazu Dannecker/Dannecker, NZWiSt 2016, 162 (168) „Der Kerneinwand gegen den Vorbildcharakter der (kartellordnungswidrigkeitenrechtlichen) Unternehmensverantwortlichkeit für eine allgemeine Verbandsverantwortlichkeit liegt aber in einer anderen Erwägung: Die Unternehmensahndung passt dort, wo das Unternehmen selbst der Normadressat derjenigen Rechtsnormen ist, deren Verletzung sanktioniert wird. Im Kartellrecht ist dem Unternehmen als wirtschaftlicher Einheit Rechtssubjektivität verliehen. Da das deutsche Recht aber in fast allen Rechtsbereichen von Pflichtenstellungen der juristischen Person ausgeht, ist hier ein Strafrecht gegen die juristische Person bzw. Verbände vorzuziehen.“

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6. Kap.: Grundstruktur eines Verbandssanktionenrechts de lege ferenda

sodass hier eine weitgehende Parallele besteht. Vor allem aber ist die Selbstbelastungsfreiheit in diesem Sektor bereits in der Vergangenheit Mittelpunkt von Diskussionen gewesen,482 sodass hier etwaige Problemfelder eröffnet wurden, die sich ähnlich in einem Verbandssanktionsverfahren stellen könnten und daher einen Weg zur Lösung weisen könnten, weshalb die folgende Entscheidung beispielhaft in ihren Grundzügen untersucht wird. a) SGL Carbon AG-Entscheidung Große Bedeutung könnte der SGL Carbon AG-Entscheidung zukommen, welche in erster Instanz vom EuG und in zweiter Instanz vom EuGH entschieden wurde.483 Zunächst wird durch die SGL Carbon AG-Entscheidung des EuGH484 suggeriert, dass die Unternehmen in Verfahren vor der Kommission eine Auskunfts- und Dokumentenvorlagepflicht innehaben würden. Das gelte, trotz des mittlerweile (partiell) anerkannten Nemo-tenetur-Grundsatzes, auch für juristische Personen. Begründet wird dies vom EuGH damit, dass der Grundsatz im europäischen Kartellordnungswidrigkeitenverfahren nur eingeschränkt Anwendung finden würde und insbesondere eine aktive Mitwirkung der Unternehmen Pflicht wäre, um „die praktische Wirksamkeit“ des Kartellverfahrens „zu sichern“.485 Diese vermeintliche Sicherheit wird jedoch bereits in derselben Entscheidung wieder genommen, da der EuGH ebenfalls sagt, dass es sich um einen „ganz anderen Fall“ handeln würde, wenn ein Unternehmen durch Antworten an die Kommission eine Zuwiderhandlung zugeben müsse, für die die Kommission den Beweis erbringen müsste.486 Hierfür führt Minoggio487 zutreffend an, dass die Entscheidung weitere Ausführungen vermissen lässt, wie ein solcher Fall dann entschieden würde. Weiter wird in der Entscheidung festgehalten, dass den Unternehmen eine uneingeschränkte Pflicht zur Vorlage von Dokumenten zukäme, auch wenn diese dazu dienen, eine Zuwiderhandlung zu beweisen.488 Unklar ist darüber hinaus, was damit gemeint ist, dass den Unternehmen zugestanden wird, dass sie hinsichtlich der belastenden Dokumente einwenden können, dass ihnen ein anderer Sinn zukäme als von der

482

Statt vieler hierzu grundlegend Dannecker, ZStW 2014 (126), 990 (1011 ff.); von Freier, ZStW 2010 (122), 117 (122 ff.); insgesamt auch Schubert, Legal privilege und Nemo tenetur im europäischen Kartellermittlungsverfahren, S. 421 ff. 483 EuG v. 29. 04. 2004 – T-236/01, T-239/01, T-244/01 bis T-246/01, T-251/01 und T-252/ 01; EuGH v. 29. 06. 2006 – C 301/04P (SGL Carbon AG). 484 EuGH v. 29. 06. 2006 – C 301/04P (SGL Carbon AG); siehe hierzu auch Schubert, Legal privilege und Nemo tenetur im europäischen Kartellermittlungsverfahren, S. 499 ff.; zum Ganzen auch Minoggio, Unternehmensverteidigung, § 4 Rn. 54 ff. 485 EuGH v. 29. 06. 2006 – C 301/04P (SGL Carbon AG) Rn. 41. 486 EuGH v. 29. 06. 2006 – C 301/04P (SGL Carbon AG) Rn. 42. 487 Minoggio, Unternehmensverteidigung, § 4 Rn. 55. 488 EuGH v. 29. 06. 2006 – C 301/04P (SGL Carbon AG) Rn. 44.

E. Nemo-tenetur-Grundsatz im Verbandssanktionsverfahren

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Kommission zugeschrieben.489 Jene Formulierung erfährt daher ebenfalls zutreffend heftige Kritik.490 Insgesamt scheint der EuGH hier zwischen Nemo-tenetur auf der einen Seite und der Vorlage- und Herausgabepflicht von potentiellen Sachbeweisen auf der anderen Seite trennen zu wollen.491 Finden sich bereits an der Stelle Unklarheiten seitens des EuGH, werden diese nicht dadurch weniger, dass die zugrundeliegende EuG-Entscheidung miteinbezogen wird, welche der EuGH partiell in seiner Entscheidung anführt.492 Zusammengefasst vertritt das EuG in seiner Entscheidung zwar die Auffassung, dass insbesondere die Verteidigungsrechte gegenüber dem Unternehmen gewahrt werden müssen und ein Auskunftsverweigerungsrecht gewährt würde, „als vom betroffenen Unternehmen Antworten verlangt werden, durch die es das Vorliegen einer Zuwiderhandlung eingestehen müsste, für das die Kommission den Nachweis zu erbringen habe“.493 Gleichwohl stellt das EuG fest, dass das Unternehmen von der Kommission gezwungen werden kann, alle erforderlichen Auskünfte über der Kommission möglicherweise bekannte Tatsachen (sowie die Herausgabe diesbezüglicher Dokumente) einzufordern, selbst wenn das Unternehmen dadurch Gefahr läuft, dass diese zum Beweis einer begangenen Zuwiderhandlung geeignet sind bzw. verwendet werden können.494 Nichtsdestotrotz will das EuG (in Bezug auf das Unternehmen) den „tragenden Grundsatz der Wahrung der Verteidigungsrechte und den Anspruch auf einen fairen Prozess (…), der dem durch Art. 6 EMRK gewährten gleichwertig ist“, gewähren.495 b) Zwischenfazit Scheint es auch potentielle Parallelen zwischen beiden (oben genannten) Verfahren zu geben, verbreitet sich in Anbetracht der Rechtsprechung eher Aporie: Sie ist hinsichtlich ihrer Entscheidungen von Disparität geprägt, was bereits am Beispiel der Entscheidung „SGL Carbon AG“496 deutlich wird. Deshalb ist es nicht nur schwer, etwaige Leitlinien für die Selbstbelastungsfreiheit eines Verbandes auszumachen, sondern gar unmöglich, diese anhand der vorgenannten Entscheidung zu elaborieren, weshalb lediglich nach einzelnen Unteraspekten mit möglichem Vorbildcharakter Ausschau gehalten wird.

489

EuGH v. 29. 06. 2006 – C 301/04P (SGL Carbon AG) Rn. 49. Zu weitergehender Kritik Minoggio, Unternehmensverteidigung, § 4 Rn. 57 m.w.N. 491 Zu diesem Verständnis Schubert, Legal privilege und Nemo tenetur im europäischen Kartellermittlungsverfahren, S. 500. 492 EuGH v. 29. 06. 2006 – C 301/04P (SGL Carbon AG) Rn. 401 – 412. 493 EuGH v. 29. 06. 2006 – C 301/04P (SGL Carbon AG) Rn. 402 m.w.N., Rn. 407 ff. 494 EuGH v. 29. 06. 2006 – C 301/04P (SGL Carbon AG) Rn. 403. 495 EuGH v. 29. 06. 2006 – C 301/04P (SGL Carbon AG) Rn. 406. 496 EuGH v. 29. 06. 2006 – C 301/04P (SGL Carbon AG). 490

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6. Kap.: Grundstruktur eines Verbandssanktionenrechts de lege ferenda

Die Entscheidung zeigt zudem für sich genommen, wie groß die Uneinheitlichkeit (und wohl auch Unsicherheit des EuG, EuGH und der Kommission) in dem Sektor für das Kartellverfahren ist bzw. dass, jedenfalls in der SGL Carbon AG-Entscheidung, von einem Nemo-tenetur-Recht nicht viel mehr als eine Hülle ohne Kern übrigbleibt. Insgesamt kann dem Kontext jedoch entnommen werden, dass der FairTrial-Grundsatz als ernsthafte Grundlage für ein Nemo-tenetur-Recht eines Verbandes bedacht werden sollte, weshalb in diesem Zusammenhang weitere Entscheidungen auf europarechtlicher Ebene miteinbezogen werden.497 6. Fazit Nachdem die unterschiedlichen Rechtsordnungen hinsichtlich der Geltung des Nemo-tenetur-Grundsatzes näher beleuchtet wurden, lassen sich daraus Schlüsse unterschiedlicher Couleur ziehen. Fest steht zunächst, dass natürlichen Personen in allen Rechtsordnungen (außer denknotwendigerweise im europäischen Kartellordnungswidrigkeitenverfahren) das Recht zukommt, sich in einem Strafverfahren nicht selbst belasten zu müssen, und wenngleich dieses Recht in den Rechtsordnungen in unterschiedlichen Detailausprägungen vorhanden ist, haben die Rechtsordnungen in ihrem Grundgedanken nach wie vor ein vitales Interesse am jedenfalls grundsätzlichen Schutz diesbezüglich. Hintergrund der Gewährung der Selbstbelastungsfreiheit scheint in allen untersuchten Rechtsordnungen derjenige zu sein, dass man einen Beschuldigten davor schützen will, aufgrund von (staatlichem) Zwang gegen sich selbst aussagen zu müssen (sowie Gegenstände und Unterlagen herausgeben zu müssen). Ein bitterer Nachgeschmack bleibt allenfalls nach der Eruierung der englischen Rechtslage, da dort zwar der Schutz vor dem Zwang einer selbstbelastenden Aussage für natürliche Personen auf einer ersten grundsätzlichen Ebene besteht, jedoch auf einer zweiten Ebene dadurch verwässert wird, dass ein Schweigen unter Umständen nicht nur unerheblich nachteilig im Rahmen der Beweiswürdigung bewertet werden kann. Steht die Geltung der Selbstbelastungsfreiheit für natürliche Personen im Grunde in allen Rechtsordnungen fest, ergibt sich eine erhebliche Disparität, wenn es um selbiges Recht für Verbände geht. Gemein ist allen Rechtsordnungen, dass diese Frage seit geraumer Zeit Anlasspunkt lebhafter Diskussionen ist, wenngleich diese Diskussionen unterschiedlich fruchtbar sind. Auch die Ansatzpunkte der Diskussionen sind sich sehr ähnlich, da in allen Rechtsordnungen (wenn auch mit unterschiedlicher Gewichtung) das Nemo-tenetur-Recht für verbale sowie für nonverbale Kommunikationsakte diskutiert wird und hier offenbar eine restriktive Handhabung des Nemo-tenetur-Rechts in den Rechtsordnungen bevorzugt wird.

497

Siehe dazu auch unten S. 330.

E. Nemo-tenetur-Grundsatz im Verbandssanktionsverfahren

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Insgesamt wird das Nemo-tenetur-Recht im amerikanischen und englischen Raum eher kritisch beäugt, was möglicherweise auch an den adversatorisch ausgestalteten Strafprozessen liegen kann, da in den USA beispielsweise das „attorney client privilege“ mittlerweile eine ähnliche Ausgestaltung hat wie das Nemo-teneturRecht in unserem Rechtskreis, sodass die zusätzliche Gewährung eines Nemo-tenetur-Rechts zu ausufernd wäre. Hardliner unter den eruierten Rechtsordnungen bleiben die USA dennoch, da Verbänden dort seit jeher vollständig das Recht abgesprochen wird, sich nicht selbst belasten zu müssen. Dies mag auch darin begründet liegen, dass ein Schweigerecht für Unternehmen in den USA einen anderen, weitaus geringeren Stellenwert hätte, da es dort nur in den seltensten Fällen überhaupt zu einer Hauptverhandlung kommt, eine Kooperation für die Unternehmen im Vorhinein ergo von existentieller Relevanz ist, und die Beanspruchung des Nemotenetur-Rechts als eine mangelnde Kooperationsbereitschaft des Unternehmens seitens der Behörden gewertet werden würde, was in letzter Konsequenz einem DPA und einem PA entgegenstünde.498 In England wird das Recht für Unternehmen zwar und immerhin nach außen hin anerkannt, jedoch entsteht der Eindruck, dass es in der Praxis kaum zur Anwendung kommt, von gelebter Anwendungspraxis (gerade in Bezug auf verbale Kommunikationsakte) kann also keine Rede sein, was den Rückschluss erlaubt, dass es sich jedenfalls in dieser Hinsicht um eine Hülle ohne Kern handelt. Währenddessen zeichnet sich in Österreich und der Schweiz eher ein Bild der breiten Zustimmung der Gewährung des Nemo-tenetur-Rechts für Verbände ab. Dort ist die Selbstbelastungsfreiheit für Verbände rechtlich geregelt, und hinsichtlich der Ausübung des Rechts für den Verband werden eher extensiv ausgestaltete Ansätze vertreten. Würde der Weg der rigorosen Versagung der Selbstbelastungsfreiheit, wie er in den USA seit jeher propagiert wird, in Deutschland beschritten, würde sich hierzulande jedenfalls ein schwerwiegendes Problem ergeben: Wenn Unternehmen schon explizit aufgrund eines Verbandssanktionenrechts zur Verantwortung gezogen werden – und mit einschneidenden Sanktionen rechnen müssen – (und mag es sich bei Verbänden auch um „hochkomplexe Beschuldigte“ handeln), sind es dennoch im Grunde Beschuldigte in einem Sanktionsverfahren, und diese haben nach unserem rechtlichen Systemverständnis das Recht, sich nicht selbst belasten zu müssen. Genau wie für andere Beschuldigte stellen die prozessualen Schutzrechte nämlich ein Gegengewicht zur Machtfülle des Staates dar. Das amerikanische Argument, dass es sich bei Unternehmen um vom Staat geschaffene Gebilde handelt, ist zwar grundsätzlich nachvollziehbar, verfängt aber nicht, da nicht ersichtlich ist, warum gerade hieraus ein geringeres Schutzniveau gefolgert werden soll. Hingegen wäre eine derartige Diskussion um die Selbstbelastungsfreiheit von Verbänden, wie sie in England geführt wird, auch in Deutschland ein realistisches Szenario, wobei die Begründung des House of Lords, dass es sich auch bei Verbänden 498

(243).

Zu diesem Aspekt mit empirischen Befunden Hoven/Weigend, ZStW 2018 (130), 213

324

6. Kap.: Grundstruktur eines Verbandssanktionenrechts de lege ferenda

letztlich um Beschuldigte handelt, denen die Freiheit vom Zwang zukommen muss, sich nicht selbst zu belasten, auch hierzulande greifen würde (vgl. dazu bereits den Absatz zuvor) und in sich stimmig ist. Dies würde es auch nicht ausschließen, verbandsspezifische Modifikationen in Form von Beschränkungen und Ausgestaltungen vorzunehmen, die notwendig sind, um auf verbandstypische Besonderheiten einzugehen. Der kostentechnische Aspekt, welcher in England mit in die Diskussion rund um den Nemo-tenetur-Grundsatz einfließt, verblüfft auf den ersten Blick an der Stelle, könnte aber auch bei der Frage nach einer hiesigen Geltung des Grundsatzes für Verbände diskutiert werden, sollte aber wohl im Ergebnis nicht das Zünglein an der Waage sein, weil die Kostenfrage keine echte (strafrechtliche) Prozessmaxime ist, welche beispielsweise zum Prozessgrundsatz der Wahrheitsfindung gleichberechtigt wäre. Ein Warnsignal sollte sich für den deutschen Gesetzgeber daraus ergeben, dass die Selbstbelastungsfreiheit im englischen Raum (hinsichtlich verbaler Kommunikationsakte des Verbandes bzw. seines Vertreters) praktisch kaum noch Anwendung findet bzw. es überhaupt nur wenige potentielle Anwendungsfälle zu geben scheint. Einer solchen Gefahr des Leerlaufens sollte in einem deutschen Verbandssanktionenrecht durch eine klare und unmissverständliche und vor allem für die Praxis handhabbare gesetzliche Regelung vorgebeugt werden. Wird auf die aufgefundenen Ergebnisse für Österreich und die Schweiz rekurriert, scheinen die Begründungen für die Gewährung der Selbstbelastungsfreiheit überzeugend und ebenfalls dem deutschen Stafrechtssystem nicht fremd, da beide Rechtsordnungen sich auf den Beschuldigtenstatus eines Unternehmens beziehen bzw. diesen als Hintergrund für die Gewährung des Rechts fest im Blick haben. Geht es um die Reichweite der Selbstbelastungsfreiheit, muss im weiteren Verlauf untersucht werden, worin der vorzugswürdige Weg zu sehen ist, der beschritten werden soll, da eine zu extensive Regelung nicht nur Vorteile, sondern auch Nachteile und möglicherweise eine Missbrauchsgefahr seitens der Unternehmen zur Folge haben könnte. Inwiefern sich die Selbstbelastungsfreiheit der Verbände in Deutschland auch auf Dokumente und Gegenstände erstrecken sollte, welche bereits, beispielsweise aufgrund einer verwaltungsrechtlichen Pflicht, hergestellt wurden, bedarf ebenfalls einer näheren Erörterung und Abwägung.

III. Grundlagen der Anwendung des Nemo-tenetur-Grundsatzes für Verbände Um im weiteren Verlauf eine Grundlage zur spezifischen Ausgestaltung des Nemo-tenetur-Grundsatzes zu bilden, ist es notwendig, herauszustellen, ob die Freiheit vom Zwang, sich nicht selbst in einem Strafverfahren belasten zu müssen, in Deutschland überhaupt auf einen Verband anwendbar sein kann. Die Frage, ob sich

E. Nemo-tenetur-Grundsatz im Verbandssanktionsverfahren

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eine juristische Person auf die Selbstbelastungsfreiheit berufen kann, wurde auch ohne geltendes Verbandssanktionenrecht in Deutschland schon vielfach diskutiert, wobei sich daraus aber bis zum heutigen Tag keine befriedigende Lösung dieser komplexen Materie ergab.499 Deshalb ist die Thematik umso bedeutender, wenn ein Verbandssanktionenrecht geschaffen wird. Eng mit der Herleitung verbunden ist dabei die Ratio des Nemo-tenetur-Rechts, weshalb auch hierauf immer wieder rekurriert werden wird. Dies ist notwendig, da sich aus dem Sinn und Zweck ebenfalls der Anwendungsbereich mit seinen Grenzen ergeben kann bzw. mit Blick darauf möglicherweise (k)eine Einschränkung des Nemo-tenetur-Rechts für Verbände erfolgen darf. Ganz generell wird die Anwendung dieses Grundsatzes auf natürliche Personen nicht in Frage gestellt, wenngleich die (verfassungsrechtliche) Herleitung weiterhin nicht gänzlich unumstritten ist.500 Hierzulande steht fest, dass einem Beschuldigten das Recht gewährt wird, nicht aussagen (hier im untechnischen Sinne, sowohl die Aussage selbst als auch die Herausgabe von potentiellem Beweismaterial umfassend) zu müssen, wenn er sich selbst dadurch einer Straftat/Ordnungswidrigkeit bezichtigen müsste. Bisweilen erheblich problematischer ist dagegen, ob ein derartiges Recht auch Verbänden zugutekommt bzw. auf welche rechtliche Grundlage eine Anwendbarkeit gestützt werden könnte.501 Im Rahmen dieses Punktes ergibt sich zunächst eine Vielzahl an rechtlichen Grundlagen, die zur Herleitung in Betracht kommen, sodass ein genauerer Blick und eine Abwägung notwendig sind.

499 Weiß, JZ 1998, 289 ff.; Böse, Wirtschaftsaufsicht und Strafverfolgung, S. 195 ff.; Drope, Strafprozessuale Probleme bei der Einführung einer Verbandsstrafe, S. 150 ff.; Eidam, Die strafprozessuale Selbstbelastungsfreiheit, passim; Minoggio, wistra 2013, 121 ff., Queck, Die Geltung des nemo-tenetur-Grundsatzes zugunsten von Unternehmen, passim; Fink, wistra 2014, 457 ff.; Dannecker, ZStW 2015 (127), 370 ff., 991 ff.; abl. Arzt, JZ 2003, 456 ff.; Weiß, NJW 1999, 2236 ff. 500 Siehe grundlegend und ausführlich Bosch, Aspekte des nemo-tenetur-Prinzips, S. 27 ff.; dazu auch bei Kasiske, JuS 2014, 15 ff.: Kasiske führt hier unterschiedliche Möglichkeiten auf, wie auf der verfassungsrechtlichen Ebene die Herleitung als Ausprägung von Art. 1 Abs. 1 GG sowie als Ausprägung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung und darüber hinaus weitere „funktionalistische“ Begründungsansätze sowie den Nemo-tenetur-Grundsatz als Bestandteil eines fairen Verfahrens; ausführlich zu möglichen verfassungsrechtlichen Grundlagen des Nemo-tenetur-Grundsatzes Böse, Wirtschaftsaufsicht und Strafverfolgung, S. 114 ff.; Queck, Die Geltung des nemo-tenetur-Grundsatzes zu Gunsten von Unternehmen, S. 181 ff.; dazu auch schon Lorenz, JZ 1992, 1000 (1005 f.); Schneider, Beweisverbote, S. 25 ff. 501 Dazu insgesamt schon Weiß, JZ 1998, 289; BeckOK OWiG/Meyberg, OWiG § 30 Rn. 114 ff.

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6. Kap.: Grundstruktur eines Verbandssanktionenrechts de lege ferenda

1. Allgemeines Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) Zunächst liegt es nahe, eine verfassungsrechtliche Grundlage für die Ableitung aus dem Grundgesetz zu suchen. Der Nemo-tenetur-Grundsatz ist zwar nicht ausdrücklich im Grundgesetz geregelt, aber seine Geltung als (ungeschriebener)502 Verfassungsrechtsatz wird allgemein anerkannt. Das Bundesverfassungsgericht leitet ihn als Ausprägung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG und dem Rechtsstaatsprinzip nach Art. 20 Abs. 3 GG für natürliche Personen ab.503 In der Leitentscheidung des Bundesverfassungsgerichts heißt es dazu, dass der Zwang, sich selbst durch eine Aussage belasten zu müssen, einen Eingriff in die Handlungsfreiheit sowie eine Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts im Sinne des Art. 2 Abs. 1 GG darstelle.504 Dabei führt das Gericht in der Entscheidung aus, dass ein Zwang zur Selbstbezichtigung zugleich die Würde des Menschen berühre, wenn dessen (selbstbezichtigende) Aussage als Mittel gegen ihn selbst verwendet würde.505 Eine erzwungene Selbstbelastung mache den Beschuldigten zum Werkzeug seiner Überführung und instrumentalisiere ihn auf diese Weise für den Strafprozess. Dies widerspreche offensichtlich dem Gebot, welches aus der Menschenwürde abgeleitet wird, ihn nicht zum bloßen Objekt des Strafverfahrens werden zu lassen, sondern ihn als Subjekt mit eigener Rechtsposition wahrzunehmen.506 Gemäß der Auffassung des Bundesverfassungsgerichts schließt eine derartige Herleitung der Selbstbelastungsfreiheit die Übertragung auf juristische Personen unter Bezugnahme auf Art. 19 Abs. 3 GG gerade aus.507 So stellt das Gericht fest, dass die Grundrechte für juristische Personen, als „bloße Zweckgebilde der Rechtsordnung“, nur insoweit gelten, als sie „ihrem Wesen nach“ auf sie anwendbar seien.508 Das sei demzufolge abzulehnen, wenn der Grundrechtsschutz an „Eigenschaften, Äußerungsformen oder Beziehungen anknüpft, die nur natürlichen Per502

Zum ungeschriebenen Verfassungsrecht statt vieler Wolff, Ungeschriebenes Verfassungsrecht, S. 2 ff. 503 BVerfG v. 08. 10. 1974 – 2 BvR 747/73, BVerfGE 38, 105 (113 f.); BVerfG v. 22. 10. 1980 – 2 BvR 1172/79, NJW 1981, 1087; BVerfG v. 15. 10. 2004 – 2 BvR 1316/04, NJW 2005, 352 f.; BVerfG v. 13. 01. 1981 – 1 BvR 116/77, BVerfGE 56, 37 (41 ff.) = NJW 1981, 1431; BGH v. 26. 07. 2007 – 3 StR 104/07, NJW 2007, 3138 (3141); BVerfG v. 26. 02. 1997 – 1 BvR 2172/96, BVerfGE 95, 220 (241 f.); zu dem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht als Grundlage für den Nemo-tenetur-Grundsatz Böse, Wirtschaftsaufsicht und Strafverfolgung, S. 128 ff., 195 ff. 504 Vgl. BVerfG v. 13. 01. 1981 – 1 BvR 116/77, BVerfGE 56, 37 (41 f.). 505 Vgl. BVerfG v. 13. 01. 1981 – 1 BvR 116/77, BVerfGE 56, 37 (42). 506 Zum Ganzen BVerfG v. 13. 01. 1981 – 1 BvR 116/77, BVerfGE 56, 37 (43 ff.) = NJW 1981, 1431; BGH v. 26. 07. 2007 – 3 StR 104/07, NJW 2007, 3138 (3140); krit. zu beiden Ansätzen Kasiske, JuS 2014, 15 (16). 507 Zum Folgenden BVerfG v. 26. 02. 1997 – 1 BvR 2172/96, BVerfGE 95, 220 (242) = NJW 1997, 1841 (1843 f.); zu der Frage der Grundrechtsberechtigung juristischer Personen nach Art. 19 Abs. 3 GG auch Ludwigs/Friedmann, JA 2018, 807. 508 BVerfG v. 26. 02. 1997 – 1 BvR 2172/96, NJW 1997, 1841 (1843).

E. Nemo-tenetur-Grundsatz im Verbandssanktionsverfahren

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sonen wesensgleich“ sind.509 Begründet wird dies vor allem damit, dass der Zwang die einzelne natürliche Person in einen Zwiespalt führe, welcher die Menschenwürde berühre. Gerade eine solche Situation könne, laut BVerfG, aber bei juristischen Personen als reinen Zweckgebilden gar nicht erst entstehen, da sie ihren Willen nur durch Organe bilden und bezüglich Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten nur einer eingeschränkten Verantwortlichkeit unterliegen würden.510 Hier wird vom Gericht das Beispiel des Organwalters angeführt, der unter Verletzung von Pflichten der juristischen Person eine solche Tat begeht und nach dem Verständnis des Gerichts demzufolge allein der Täter sei. Eine nach § 30 OWiG mögliche Geldbuße gegen ein Unternehmen diesbezüglich würde hingegen lediglich einen Ausgleich der Vorteile darstellen, welche die juristische Person durch die Tat erlangt habe, nicht aber einen Schuldvorwurf oder eine ethische Missbilligung enthalten.511 Auch wenn diese Entscheidungen in der Vergangenheit nicht nur Zustimmung erfahren haben, da beispielsweise512 kritisiert wurde, dass das BVerfG die verfahrensrechtliche Bedeutung dieses Grundsatzes und seine Begründung aus dem Rechtsstaatsprinzip ignorieren würde,513 sind sie dennoch bis dato richtungsweisend in der Hinsicht, dass die Selbstbelastungsfreiheit für Verbände (jedenfalls de lege lata, wo Verbände nur mit einer Geldbuße nach dem Ordnungswidrigkeitenrecht belegt werden können und kein originäres Strafrecht Anwendung findet) nicht Ausfluss des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus dem Grundgesetz sein soll. Das BVerfG hat darüber hinaus noch einmal betont, dass die Selbstbelastungsfreiheit im Rechtsstaatsprinzip wurzelt, indem es unter Verweis auf weitere Entscheidungen514 erneut klarstellt: „Der Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit ist im Rechtsstaatsprinzip verankert und hat Verfassungsrang.“515 Trotz dieser Klarstellung sind die Entscheidungen des BVerfG eindeutig in der Hinsicht, dass einer juristischen Person aufgrund dieser Herleitung verfassungsrechtlich kein Nemo-tenetur-Recht zustehen soll. Eine solche Annahme würde daher auch für die Zukunft auf mehr als tönernden Füßen stehen, weshalb diese Richtung als Lösung nicht angestrebt werden sollte, wenn das Verbandssanktionenrecht und insbesondere die Anwendung des Nemo-tenetur-Grundsatzes ein stabiles Fundament bzw. überhaupt Anwendung erhalten soll. Im Umkehrschluss ergibt sich daraus aber dennoch ein möglicher Lösungsansatz: Wenn die Selbstbelastungsfreiheit für 509

BVerfG v. 26. 02. 1997 – 1 BvR 2172/96, NJW 1997, 1841 (1843). BVerfG v. 26. 02. 1997 – 1 BvR 2172/96, NJW 1997, 1841 (1844). 511 Zum Ganzen BVerfG v. 26. 02. 1997 – 1 BvR 2172/96, BVerfGE 95, 220 (242). 512 Siehe zu weiteren Kritikpunkten gegen das Vorgehen des BVerfG zutr. Dannecker, ZStW 2015 (127), 370 (375 f.). 513 Dazu im Zusammenhang und zu weiteren Kritikpunkten ebenfalls Böse, Wirtschaftsaufsicht und Strafverfolgung, S. 196 f.; Dannecker, ZStW 1999 (111) Auslandsrundschau, 256 (285 f.). 514 BVerfG v. 22. 10. 1980 – 2 BvR 1172/79, NJW 1981, 1087; BVerfG v. 13. 01. 1981 – 1 BvR 116/77, BVerfGE 56, 37 (43). 515 BVerfG v. 25. 08. 2014 – 2 BvR 2048/13, NJW 2014, 3506. 510

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6. Kap.: Grundstruktur eines Verbandssanktionenrechts de lege ferenda

Verbände nicht aus dem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht hergeleitet werden kann, ist der Weg für andere Herleitungen danach folglich nicht automatisch gesperrt, sodass es offensichtlich maßgeblich auf die Herleitung ankommt, ob der Nemotenetur-Grundsatz auf Verbände Anwendung finden kann. 2. Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) Möglich wäre es, den Nemo-tenetur-Grundsatz auf der verfassungsrechtlichen Ebene aus dem Anspruch auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG herzuleiten, welcher juristischen Personen zukommt.516 Die Teile der Literatur, allen voran Böse, die eine solche Herleitung bevorzugen, stützen sie darauf, dass sie Art. 103 Abs. 1 GG extensiv auslegen und im Zuge dessen auch die Verteidigung durch Schweigen als von Art. 103 Abs. 1 GG erfasst ansehen: Der Beschuldigte dürfe den Rahmen seiner Verteidigung bestimmen.517 Das Schweigen im Strafverfahren ist nach dieser Auffassung das Spiegelbild zu dem Anspruch auf rechtliches Gehör, und somit seien beide Formen der Verteidigung, weil es einen gemeinsamen Schutzzweck gäbe und darüber hinaus einen Zusammenhang zwischen Aussageverhalten und Verteidigung.518 Böse führt hier ins Feld: „Art. 103 Abs. 1 GG ist also nicht darauf zu reduzieren, dass er im Verhältnis zum Staat die Möglichkeit der Kommunikation eröffnet, sondern ihm ist auch zu entnehmen, dass dieser Kommunikationsprozess frei von staatlichem Zwang verläuft.“519 Mit der überwiegenden Auffassung520 ist eine Herleitung des Nemo-teneturRechts für Verbände aus Art. 103 Abs. 1 GG aber abzulehnen. Gegen die Begründung der Herleitung des Nemo-tenetur-Rechts aus Art. 103 Abs. 1 GG wird zu Recht vorgebracht, dass das rechtliche Gehör auf den (aktiven) Beschuldigten abzielt, vor Gericht gehört zu werden, und nicht auf die Möglichkeit des Beschuldigten, vor Gericht zu schweigen, also sich passiv zu verhalten.521 So wird von der vorherr516 Diesen Ansatz verfolgt beispielsweise Böse, Wirtschaftsaufsicht und Strafverfolgung, S. 149 f., 166 ff., 181; ders., GA 2002, 98 (118); begrifflich auch bei Eser, der vom „negativen Schweigerecht“ und der „positiven Aussagefreiheit“ spricht, ZStW 1967 (79), 565 (576). 517 Böse, Wirtschaftsaufsicht und Strafverfolgung, S.166 ff., 181; ders., GA 2002, 98 (119); diff. hier Rüping, Rechtliches Gehör und seine Bedeutung im Strafverfahren, S. 133 f., der das Schweigen nicht mehr als von der Gewährleistung auf rechtliches Gehör, sondern vielmehr als von der Aussagefreiheit erfasst ansieht. 518 Böse, GA 2002, 98 (118 ff.); Böse, Wirtschaftsaufsicht und Strafverfolgung, S. 166 ff. 519 Böse, Wirtschaftsaufsicht und Strafverfolgung, S. 167. 520 Queck, Die Geltung des nemo-tenetur-Grundsatzes zugunsten von Unternehmen, S. 192 f.; Fink, wistra 2014, 457 (458) m.w.N.; Dingeldey, JA 1984, 407 (409); Rogall, Der Beschuldigte als Beweismittel, S. 59 f., 125; Schlüter, Strafbarkeit von Unternehmen, S. 101 f. m.w.N.; Eser, ZStW 1967 (79), 565 (576, 578); Drope, Strafprozessuale Probleme bei der Einführung einer Verbandsstrafe, S. 193. 521 Rogall, Der Beschuldigte als Beweismittel, S. 125; Schlüter, Strafbarkeit von Unternehmen, S. 101 f. m.w.N.; Verrel, Die Selbstbelastungsfreiheit, S. 243 f.; Rogall, Der Beschuldigte als Beweismittel, S. 125; Dingeldey, JA 1984, 407 (409); i. Erg. verneinend auch

E. Nemo-tenetur-Grundsatz im Verbandssanktionsverfahren

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schenden Meinung insgesamt davon ausgegangen, dass das Nemo-tenetur-Recht und der Anspruch auf rechtliches Gehör nebeneinander bestünden bzw. sich gegenseitig ergänzen würden, und das Nemo-tenetur-Recht nicht aus Art. 103 Abs. 1 GG hergeleitet wird.522 Diese Argumentation verfängt, sodass eine verfassungsrechtliche Herleitung der Freiheit, sich nicht selbst belasten zu müssen, aus dem Anspruch auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG im Ergebnis zu verneinen ist. 3. Fair-Trial-Grundsatz (Art. 6 Abs. 1 EMRK) a) Art. 6 Abs. 1 EMRK und Art. 34 EMRK Die EMRK enthält zwar keine ausdrückliche Regelung, welche einem Beschuldigten (in einem Strafverfahren) ein Schweigerecht gewährt. In Betracht kommt es aber, die Selbstbelastungsfreiheit als Ausprägung des Fair-Trial-Grundsatzes aus Art. 6 EMRK (insbesondere aus Abs. 1) und somit vorzugswürdig als strafprozessuale Gewährleistung anzusehen.523 Dies kann sich zunächst aus der Rechtsprechung des EGMR ergeben. Der EGMR hat eine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK in einem Fall angenommen, in dem ein Beschuldigter (natürliche Person) verpflichtet wurde, Dokumente an die Ermittlungsbehörden herauszugeben.524 Darüber hinaus bezeichnet er in einer weiteren Entscheidung das Schweigerecht und die Selbstbelastungsfreiheit sogar explizit als ein „Kernstück“ des Grundsatzes eines fairen Verfahrens im Sinne von Art. 6 EMRK.525 Zu bemerken ist, dass der EGMR dieses Recht ausdrücklich zwar nur für natürliche Personen annimmt und zur Stellung der juristischen Personen noch nicht eindeutig Position bezogen hat, aber die Selbstbelastungsfreiheit letztlich wohl als prozessuales Verteidigungsrecht begreift, welches auch juristischen Personen zuteilwerden kann.526 Zur Begründung dieser Annahme lässt sich ausführen: Drope, Strafprozessuale Probleme bei der Einführung einer Verbandsstrafe, S. 193 Fn. 514; Queck, Die Geltung des nemo-tenetur-Grundsatzes zugunsten von Unternehmen, S. 190 ff.; a.A.: Böse, Wirtschaftsaufsicht und Strafverfolgung, S. 166 ff. 522 Vgl. so zum Beispiel Queck, Die Geltung des nemo-tenetur-Grundsatzes zugunsten von Unternehmen, S. 193; die vorherrschende Meinung anführend, wenn auch mit a.A. Böse, Wirtschaftsaufsicht und Strafverfolgung, S. 166 f. 523 Ausführlich Schneider, Beweisverbote, passim; zu dem Aspekt des Nemo-teneturGrundsatzes als Bestandteil des Anspruchs auf ein faires Verfahren Queck, Die Geltung des nemo-tenetur-Grundsatzes zugunsten von Unternehmen, S. 197 ff.; als weitere Grundlage für den Nemo-tenetur-Grundsatz auch bei Schuler, JR 2003, 265 (268 ff.); vgl. auch Jugl, Fair Trial, S. 38 ff.; grundlegend zu Art. 6 EMRK BeckOK StPO/Valerius, EMRK Art. 6 Rn. 1 ff. 524 Beispielhaft hier EGMR v. 25. 02. 1993 – 10828/84, 82/1991/334/407 (Funke vs. Frankreich), Series A 256-A, 4 – 48, Rn. 44, S. 17. 525 EGMR v. 03. 05. 2001 – 31827/96 (J.B. vs. Schweiz), NJW 2002, 499; Minoggio, Unternehmensverteidigung, S. 331. 526 EGMR v. 27. 09. 2011 – 43509/08 (Menarini Diagnostics S.R.L./Italy) Rn. 43 ff.; so unter Verweis auf diese Entscheidung Dannecker, ZStW 2015 (127), 370 (371 f.); ausdrücklich

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6. Kap.: Grundstruktur eines Verbandssanktionenrechts de lege ferenda

Art. 6 Abs. 1 EMRK ist ein rechtsstaatlicher Verfahrensgrundsatz, welcher auf Betroffene eines (strafrechtlichen oder strafähnlichen)527 Verfahrens Anwendung findet:528 Die Garantie auf ein faires Verfahren nach Art. 6 Abs. 1 EMRK kommt gemäß Art. 34 S. 1 EMRK neben natürlichen Personen auch nichtstaatlichen Organisationen oder Personengruppen zu. Zwar spricht Art. 34 EMRK nur davon, dass der EGMR auch von nichtstaatlichen Organisationen und Personengruppen angerufen werden kann, mithin von juristischen Personen, wenn ein Mitgliedstaat die Rechte der EMRK verletzt. Daraus kann erst einmal nur geschlossen werden, dass eben ausschließlich einige, aber freilich nicht alle der Rechte aus der EMRK nicht auch auf juristische Personen anwendbar seien (wie zum Beispiel das Recht auf Leben, welches offensichtlich nicht für nichtstaatliche Organisationen und Personengruppen gelten kann vgl. Art. 2 Abs. 1 EMRK).529 Die Anwendung von Art. 6 Abs. 1 EMRK resultiert aber daraus, dass es sich hierbei, anerkanntermaßen, um eine verfahrensrechtliche Garantie handelt, die somit gerade nicht an die Eigenschaft einer natürlichen Person anknüpft.530 Dementsprechend wäre es konsequent, daraus zu schließen, dass sich die Selbstbelastungsfreiheit für Verbände, in künftigen gegen sie gerichteten Verbandssanktionsverfahren infolgedessen aus dem Fair-Trial-Grundsatz des Art. 6 Abs. 1 EMRK ergeben kann. Für diese Annahme spricht auch, dass der EGMR die anderen in Art. 6 EMRK normierten Verteidigungsrechte ebenfalls juristischen Personen zugesteht, und da es sich, wie oben erwähnt, bei der Selbstbelastungsfreiheit auch um ein eben solches handelt, ist davon auszugehen, dass er diese auch juristischen Verbände zugestehen würde.531 b) Die Rechtsprechung Anzumerken ist, dass die Rechtsprechung, welche sich im Laufe der Zeit zu dieser Thematik entwickelt hat, bei weitem nicht so einheitlich ist, wie sie auf den ersten auf juristische Personen Bezug genommen, wird nur in Art. 1 Abs. 1 des Zusatzprotokolls der EMRK, nach welchem jede natürliche oder juristische Person das Recht auf Achtung ihres Eigentums hat; so auch Weiß, NJW 1999, 2236 (2237). 527 Der Wortlaut des Art. 6 Abs. 1 EMRK geht von einer „strafrechtlichen Anklage“ aus. Nach ständiger Rechtsprechung des EGMR ist dieser Wortlaut jedoch so auszulegen, dass nicht die formale Einordnung der Sanktion eines nationalen Gesetzgebers maßgeblich sein soll, sondern vielmehr die Art und Schwere der Sanktion, sodass hier sowohl das deutsche Straf- als auch das Ordnungswidrigkeitenrecht erfasst sind. Vgl. zu den Kriterien EGMR v. 08. 06. 1976 – Series A, 22, Rn. 82 (Engel u. a. v. Niederlande), EuGRZ 1976, 221 (285); EGMR v. 21. 02. 1984 – o. Az. (Fall Öztürk) NJW 1985, 1273. 528 Siehe dazu auch BeckOK StPO/Valerius, EMRK Art. 6 Rn. 2 ff. 529 So Fink, wistra 2014, 457 (461 f.). 530 Vgl. dazu statt vieler nur Weiß, JZ 1998, 289 (291). 531 So auch Dannecker, ZStW 2015 (127), 370 (372) m.w.N. im Hinblick auf das Kartellordnungswidrigkeitenverfahren unter Berufung auf EGMR v. 27. 09. 2011 – 43509/08, (Menarini Diagnostics S.R.L./Italy) Rn. 43 ff.

E. Nemo-tenetur-Grundsatz im Verbandssanktionsverfahren

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Blick scheint, und die Sachlage von Fall zu Fall unterschiedlich beurteilt wird.532 Uneinheitlich wird zum Beispiel entschieden, ob es sich bei dem anerkannten Nemotenetur-Grundsatz um ein absolut geschütztes Recht handelt, welches einer Abwägung gar nicht zugänglich ist, oder eine Abwägung (in einem bestimmten Umfang) vorgenommen werden darf. Eine potentielle Abwägungsmöglichkeit hinsichtlich der Tat eines Verbandes bestünde sicherlich zwischen den Strafverfolgungsinteressen der Behörden, welche durch den Nemo-tenetur-Grundsatz für Verbände nicht nur unerheblich in ihrer Durchsetzung erschwert werden dürften, und der Freiheit des Verbandes, sich nicht selbst belasten zu müssen. Aus diesen Gründen sollen die Eckpfeiler der Rechtsprechung des EGMR (und partiell des EuGH) überblicksartig erläutert werden, wobei festzuhalten ist, dass beide Gerichte teilweise auf die Rechtsprechung des jeweils anderen Bezug nehmen.533 aa) Die Orkem-Entscheidung des EuGH Eine Leitentscheidung stellt die „Orkem-Entscheidung“ des EuGH aus dem Jahre 1989 dar.534 Der Entscheidung lag, vereinfacht, der Sachverhalt zugrunde, dass in Frage gestellt wurde, ob Unternehmen ein Aussageverweigerungsrecht im Verfahren zur Sanktionierung von Wettbewerbsverstößen gegenüber der EU-Kommission zukommt. Unter anderem hat der EuGH in der Entscheidung Art. 6 EMRK angeführt. Hier stellt er fest, dass sich weder aus dem Wortlaut noch aus der bisherigen EGMR-Rechtsprechung, ein Recht des Unternehmens ergebe, nicht gegen sich selbst als Zeuge aussagen zu müssen, wenngleich Art. 6 Abs. 1 EMRK auf Unternehmen, gegen die sich eine Untersuchung wegen eines Wettbewerbsverstoßes richtet, Anwendung finden könnte.535 Nichtsdestotrotz gewährte der EuGH, ohne diese Anwendung direkt aus Art. 6 Abs. 1 EMRK herzuleiten,536 den Unternehmen ein partielles Aussageverweigerungsrecht mit der Begründung, dass diese ansonsten in ihrer Verteidigungsfreiheit beeinträchtigt würden.537 Der EuGH entschied hierzu, dass die Kommission das Unternehmen in Voruntersuchungen (wegen verbotener Wettbewerbsabsprachen) dazu verpflichten kann, ihr Auskunft über Tatsachen zu erteilen und Schriftstücke zu übermitteln, auch wenn sich das Unternehmen mit diesen selbst belasten müsste.538 Jedoch dürfe die Kommission durch eine Entscheidung, mit der sie Auskünfte an-

532 533 534 535 536 537 538

Zur Rechtsprechung auch bei Schuler, JR 2003, 265 (268 ff.). Insgesamt zu diesem Topos Schneider, Beweisverbote, S. 95 ff., 98 f. m.w.N. EuGH v. 18. 10. 1989 – C-347/87 (Orkem Entscheidung). EuGH v. 18. 10. 1989 – C-347/87 (Orkem Entscheidung) Rn. 30. EuGH v. 18. 10. 1989 – C-347/87 (Orkem Entscheidung) Rn. 30. EuGH v. 18. 10. 1989 – C-347/87 (Orkem Entscheidung) Rn. 32 ff. EuGH v. 18. 10. 1989 – C-347/87 (Orkem Entscheidung) Rn. 34.

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6. Kap.: Grundstruktur eines Verbandssanktionenrechts de lege ferenda

fordere, nicht in die Verteidigungsrechte des Unternehmens eingreifen.539 Deshalb solle es unzulässig (und daher vom Nemo-tenetur-Grundsatz für das Unternehmen erfasst) sein, wenn das Unternehmen der Kommission Auskunft erteilen müsse, durch welche es das Vorliegen einer Zuwiderhandlung eingestehen müsste, für die die Kommission beweispflichtig wäre.540 Nach diesen Grundsätzen solle geprüft werden, ob das Unternehmen eine Auskunftsverpflichtung habe oder nicht.541 Hier fangen für die überwiegende Ansicht in der Literatur die Schwierigkeiten der Entscheidung und ihrer Bedeutung an, weshalb die „Orkem-Entscheidung“ auch auf Ablehnung gestoßen ist: Kritisiert wird vor allem, dass die Entscheidung zu großer Unsicherheit hinsichtlich der Bestimmung führt, wann es sich um Tatsachenangaben bzw. Auskünfte tatsächlicher Art handelt, wann um Bewertungen bzw. Angaben, die das Eingeständnis der Tat zum Gegenstand haben, weshalb hierin kein geeignetes Abgrenzungskriterium liege, da nach diesem Kriterium allein die Fragestellung maßgeblich darüber entscheiden könnte, ob ein Unternehmen zur Aussage verpflichtet ist oder nicht.542 bb) Die Funke-Entscheidung des EGMR Eine der wesentlichen Entscheidungen des EGMR in der Vergangenheit zum Nemo-tenetur-Grundsatz dürfte die Entscheidung „Funke gegen Frankreich“ aus dem Jahre 1993 sein.543 In dieser Entscheidung ging es darum, dass Zollbeamte (nach einer Steueranzeige) ein Haus betraten und damit zusammenhängende Unterlagen herausverlangten sowie das Haus durchsuchten. Zunächst willigte der Beschwerdeführer ein, nahm diese Einwilligung jedoch später zurück und verweigerte die Herausgabe (eine dahingehend normierte Herausgabepflicht bestand nach dem französischen Zollgesetz). Das Gericht verurteilte den Beschwerdeführer zur Herausgabe und zu einer Geldstrafe.544 In dieser Entscheidung legte der EGMR Art. 6 Abs. 1 EMRK eher extensiv aus. Demnach gewähre Art. 6 Abs. 1 EMRK selbst („the autonomous meaning of this expression in Article 6 (art. 6), to remain silent and not to contribute to incriminating

539

EuGH v. 18. 10. 1989 – C-347/87 (Orkem Entscheidung) Rn. 34. EuGH v. 18. 10. 1989 – C-347/87 (Orkem Entscheidung) Rn. 35. 541 EuGH v. 18. 10. 1989 – C-347/87 (Orkem Entscheidung) Rn. 35. 542 Vgl. statt vieler zu dieser kontroversen Entscheidung Weiß, JZ 1998, 289 (290 Fn. 17, 292 ff.); mit Beispielen zu Auskünften Dieckmann, in: Wiedemann/Kartellrecht, § 42 Rn. 21 m.w.N. 543 EGMR v. 25. 02. 1993 – 10828/84, 82/1991/334/407 (Funke vs. Frankreich), Series A 256-A, 4 – 48; insgesamt zur Rechtsprechung des EGMR hinsichtlich der Selbstbelastungsfreiheit Schneider, Beweisverbote, S. 86 ff.; Lamberigts, New Journal of European Criminal Law 2016, Vol. 7, 419 (430). 544 EGMR v. 25. 02. 1993 – 10828/84, 82/1991/334/407 (Funke vs. Frankreich), Series A 256-A, 4 – 48; zum Sachverhalt auch bei Schneider, Beweisverbote, S. 213. 540

E. Nemo-tenetur-Grundsatz im Verbandssanktionsverfahren

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himself“545) dem Beschuldigten bei strafrechtlicher Anklage546 ein Recht auf Schweigen sowie ein Verbot des Zwangs zur Selbstbelastung. Demzufolge findet der Nemo-tenetur-Grundsatz seine Grundlage in Art. 6 Abs. 1 EMRK, durch welche ihn der EGMR erstmals in einer Entscheidung anerkannte. Im Zuge dessen stellte er ebenfalls fest: „The special features of customs law (…) cannot justify such an infringement of the right of anyone ,charged with a criminal offence‘ (…).“ Übersetzt meint dies: „Die Besonderheiten des Zollrechts können solch einen Eingriff in das Recht des Einzelnen, nicht dazu beitragen zu müssen, sich selbst mit einem strafrechtlichen Vorwurf zu belasten, (…) nicht rechtfertigen.“547 Hier wird deutlich, dass der EGMR davon ausgeht, dass das Recht, sich nicht selbst belasten zu müssen, nicht einschränkbar ist, was wiederum etwas über die Reichweite des in dieser Entscheidung anerkannten Nemo-tenetur-Rechts aussagt, da hier folglich keine Abwägung mit anderen Interessen, wie zum Beispiel dem Strafverfolgungsinteresse, zu einer Einschränkung führen darf. cc) Die Saunders-Entscheidung des EGMR Ähnlich gestaltete sich die Entscheidung des EGMR im Fall „Saunders gegen das Vereinigte Königreich“ aus dem Jahre 1996.548 Ausgangspunkt waren potentielle Betrugshandlungen im Sektor der Wirtschaftskriminalität. Der Beschwerdeführer wurde vom „Department of Trade and Industry“ zu den Vorwürfen vernommen. Im Falle der Weigerung zu antworten, drohten ihm eine Geld- oder Freiheitsstrafe von Gesetzeswegen. Ebenfalls wurden Unterlagen herausverlangt. Nach der Prüfung der Gesamtsituation und nachdem sich die Tatvorwürfe bestätigt hatten, wurden die Protokolle der Vernehmungen des Beschwerdeführers an die Strafverfolgungsbehörden weitergeleitet, woraufhin eine Anklage folgte. In den Verhandlungen wurden die meisten der Protokolle verlesen, und seine Verurteilung beruhte letztlich auch auf diesen Protokollen, obwohl er den ihm gemachten strafrechtlichen Vorwurf negierte. In dieser Entscheidung führte der EGMR aus, dass Aussagen, die durch unzulässigen Zwang (hier: Androhung von Geld- oder Freiheitsstrafe) erlangt und in einem Strafverfahren verwertet werden, nicht von einem fairen Strafverfahren erfasst wären, und dies weder durch die Komplexität aufgrund der Materie (Wirtschafts545

EGMR v. 25. 02. 1993 – 10828/84, 82/1991/334/407 (Funke vs. Frankreich), Series A 256-A, 4 – 48, Rn. 44. 546 Art. 6 Abs. 1 EMRK soll nach dieser Entscheidung das Auskunftsverweigerungsrecht des Beschuldigten in strafrechtlichen Verfahren im weiteren Sinne sichern. Davon umfasst ist, anerkanntermaßen, neben dem Strafverfahren an sich auch insbesondere das Ordnungswidrigkeitenverfahren. 547 EGMR v. 25. 02. 1993 – 10828/84, 82/1991/334/407 (Funke vs. Frankreich), Series A 256-A, 4 – 48, Rn. 44. 548 EGMR v. 17. 12. 1996 – 19187/91 (Saunders vs. Großbritannien); zum Sachverhalt auch Schneider, Beweisverbote, S. 214; Lamberigts, New Journal of European Criminal Law 2016, Vol. 7, 419 (430 f.).

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6. Kap.: Grundstruktur eines Verbandssanktionenrechts de lege ferenda

kriminalität) noch aufgrund eines öffentlichen Interesses gerechtfertigt werden könne.549 Hier bestünde zwar die Möglichkeit des Rückschlusses, dass das Nemotenetur-Recht basierend auf Art. 6 Abs. 1 EMRK keiner Einschränkung zugänglich sein soll; doch bezieht der EGMR hierzu nicht explizit Stellung.550 dd) Die Jalloh-Entscheidung des EGMR In der Entscheidung „Jalloh gegen Deutschland“ erklärte der Gerichtshof den Nemo-tenetur-Grundsatz jedenfalls in seinem Randbereich einer Abwägung zugänglich. Verkürzt dargestellt handelte es sich um folgenden Sachverhalt:551 Der Beschwerdeführer wurde verdächtigt, Rauschmittel geschluckt zu haben und nach der Weigerung, ein Brechmittel zu schlucken (zu dem Zweck, ihn der Tat zu überführen), wurde ihm ein solches auf Anordnung der Staatsanwaltschaft gegen seinen Willen verabreicht. Er wurde später wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln verurteilt. Die Möglichkeit der Abwägung wurde zunächst durch die Feststellung abgeleitet, dass der Gerichtshof nur zu prüfen habe, ob das Verfahren, inklusive der Beweiserhebung als Gesamtheit, fair wäre. Weiterhin führt der EGMR aus, dass es möglich wäre, das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung mit dem Interesse des Beschuldigten an einer rechtmäßigen Beweisverschaffung gegeneinander abzuwägen, wobei die Selbstbelastungsfreiheit dadurch aber nicht in ihrem Kern ausgehöhlt werden dürfe.552 Für die Frage, ob der Nemo-tenetur-Grundsatz ausgehöhlt werde, griff der Gerichtshof auf die folgenden Kriterien (der Reihenfolge nach) zurück:553 Art und Schwere des Zwangs zur Beweismittelerlangung, Gewicht des öffentlichen Interesses, sowohl an der Verfolgung der Tat als auch der Bestrafung des Täters, Existenz angemessener Verfahrensgarantien und die Verwertung der erlangten Beweismittel. ee) Die SGL Carbon AG-Entscheidung des EuGH In diesem Kontext steht die bereits oben erwähnte SGL Carbon AG-Entscheidung, innerhalb derer sich Friktionen ausfindig machen lassen, welche der EuGH nicht zu lösen vermochte.554 549

EGMR v. 17. 12. 1996 – 19187/91 (Saunders vs. Großbritannien) Rn. 74. EGMR v. 17. 12. 1996 – 19187/91 (Saunders vs. Großbritannien) Rn. 74; siehe auch Schneider, Beweisverbote, S. 216. 551 EGMR v. 11. 07. 2006 – 54810/00 (Jalloh vs. Deutschland), NJW 2006, 3117; dazu auch Lamberigts, New Journal of European Criminal Law 2016, Vol. 7, 419 (431 f.). 552 EGMR v. 11. 07. 2006 – 54810/00 (Jalloh vs. Deutschland) Rn. 95 ff., NJW 2006, 3117 (3122); dazu auch Schneider, Beweisverbote, S. 140 f. 553 EGMR v. 11. 07. 2006 – 54810/00 (Jalloh vs. Deutschland) Rn. 116, NJW 2006, 3117 (3124). 554 Siehe dazu bereits oben S. 320. 550

E. Nemo-tenetur-Grundsatz im Verbandssanktionsverfahren

335

ff) Zwischenfazit Insgesamt ergibt sich aus diesen Entscheidungen keine klare Leitlinie hinsichtlich der Anwendung und der spezifischen Ausgestaltung des Nemo-tenetur-Rechts, weshalb der Rechtsprechung jedenfalls unter dem Aspekt eines einheitlichen Gesamtbildes kein Vorbildcharakter zugesprochen werden kann. Beachtlich ist auch, dass sich die Entscheidungen zwar hauptsächlich auf natürliche Personen beziehen. In der Literatur wird in dieser Rechtsprechung jedoch trotzdem teilweise ein Zuspruch des Nemo-tenetur-Rechts auch für juristische Personen gesehen.555 c) Konsequenzen für die deutsche Rechtsordnung Abgesehen von der vorangehenden Rechtsprechung zu diesem Topos kann aus der theoretischen Möglichkeit allein jedoch nicht auf die Anwendung in der nationalen Rechtsordnung geschlossen werden. Dafür müsste die EMRK auch deutsches Recht bzw. den deutschen Gesetzgeber berühren. Beachtlich ist, dass die EMRK ein völkerrechtlicher Vertrag ist, der durch ein Zustimmungsgesetz (Art. 59 Abs. 2 S. 1 GG) in innerstaatliches Recht transformiert wird, weshalb die EMRK auf dem Rang einfachen Bundesrechts steht und daher aufgrund der lex posterior derogat legi priori-Regel kein Prüfungsmaßstab für ein Bundesrecht de lege ferenda wäre.556 Hierbei kommt aber die Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes ins Spiel:557 Aus dieser resultiert die Verpflichtung, nationales Recht völkerrechtskonform auszulegen. Dadurch muss bereits vor dem Erlass eines Gesetzes geprüft werden, ob es den völkerrechtlichen Anforderungen (welche insbesondere auch die Einhaltung der Rechte der EMRK umfassen) entspricht, sodass sich hieraus die Beachtung des Fair-Trial-Grundsatzes und aus dieser folglich auch die Gewährleistung der Selbstbelastungsfreiheit für Verbände ergeben könnte. Dies gilt umso mehr, als die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts besagt, dass der Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit alle deutschen Hoheitsträger verpflichtet, Entscheidungen des EGMR, die die EMRK auslegen, bei der Entscheidungsfindung zu berücksichtigen und Kenntnis zu nehmen.558 555 In diesem Zusammenhang auch bei Minoggio, wistra 2003, 121 (127); i. Erg. auch Dannecker, ZStW 2015 (127), 370 (371 f.). 556 BVerfG v. 26. 03. 1987 – 2 BvR 589/79, BVerfGE 74, 358 (370); BVerwG v. 04. 06. 1998 – 2 DW 3/97, NJW 1999, 1649 (1650). 557 Zu diesem Aspekt Queck, Die Geltung des nemo-tenetur-Grundsatzes zugunsten von Unternehmen, S. 109 f. 558 BVerfG v. 14. 10. 2004 – 2 BvR 1481/04, BVerfGE 111, 307 (319 ff.); BVerfG v. 04. 05. 2011 – 2 BvR 2333/08, NStZ 2011, 450 (451); so auch Fink, wistra 2014, 457 (461); siehe dazu auch BVerfG v. 18. 09. 2018 – 2 BvR 745/18, NJW 2019, 41 (43); soweit in Entscheidungen zum Unionsrecht mit Art. 6 EMRK argumentiert wird (vgl. Orkem-Entscheidung des EuGH und SGL Carbon AG-Entscheidung des EuGH), ist auch insoweit das „Kooperationsverhältnis“ zwischen BVerfG und EuGH (BVerfG v. 12. 10. 1993 – 2 BvR 2134/92 und 2 BvR 2159/92, NJW 1993, 3047 (3049 f.) zum Verhältnis von BVerfG und EuGH auch Herdegen, Europarecht,

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6. Kap.: Grundstruktur eines Verbandssanktionenrechts de lege ferenda

Gegen eine derartige Anwendung könnte insgesamt sprechen, wenn sich bei der Gewährung der Selbstbelastungsfreiheit Unterschiede zwischen einer natürlichen und juristischen Person ergeben würden, da der EGMR zwar in seinen Entscheidungen keine Differenzierung getroffen hat („Das Recht zu schweigen und sich nicht selbst zu beschuldigen (…) ist ein Kernstück des von Art. 6 I EMRK garantierten fairen Verfahrens.“),559 aber sich die Entscheidungen auch nicht explizit auf juristische Personen beziehen. Aus diesem Grund muss die Anwendbarkeit bzw. Übertragbarkeit noch einmal genauer in den Blick genommen werden, indem die Ratio des Rechts in den Fokus gerückt wird. d) Ratio eines Nemo-tenetur-Rechts für Verbände basierend auf dem Fair-Trial-Grundsatz Anerkannt ist, dass sich ein faires (Straf-)Verfahren vor allem dadurch auszeichnet, dass es eine Waffengleichheit zwischen Ankläger und Verteidigung (bzw. Beschuldigtem) gibt oder genauer gesagt durch ein faires Verfahren zu dieser beigetragen werden soll, weshalb die Anwendung des Nemo-tenetur-Grundsatzes für Verbände zu der Waffengleichheit beitragen können müsste. aa) Für natürliche Personen Grundsätzlich wird die Position des Beschuldigten im Verfahren durch die Selbstbelastungsfreiheit nicht nur unerheblich gestärkt, da die Strafverfolgungsbehörden ein wichtiges Beweismittel (jedenfalls zu bestimmten Teilen) einbüßen, sodass auf den ersten Blick davon ausgegangen werden könnte, dass dies einer Waffengleichheit entgegenstünde.560 Hier lässt sich anführen, dass gerade die Stärkung der beweisrechtlichen Position des Beschuldigten notwendig ist, da die Strafverfolgungsbehörden dem Grunde nach bereits aufgrund ihrer Ressourcen eine sehr viel stärkere Position innehaben, wenn es um Ermittlungen, Eingriffe und Beweise geht. Das Recht der Selbstbelastungsfreiheit könnte demzufolge einen Ausgleich dieser übermächtigen Position schaffen. Durch den inhaltlichen Gegenstand (gerade selbstbelastende Aussagen aufgrund von verbotenem Zwang zu vermeiden) des Rechts begünstigt es die Waffengleichheit und schafft so im Verfahren ein Mehr an Fairness, ergo die Förderung eines „Fair Trials“.561 Dies ist erst einmal für die Anwendung auf natürliche Personen plausibel.

S. 262 f.; Hobe, Europarecht, S. 123 f.) zu beachten, sodass auch diese Rechtsprechung bei der Rechtsanwendung in Deutschland berücksichtigt werden muss. 559 EGMR v. 03. 05. 2001 – 31827/96 (J. B. vs. Schweiz), NJW 2002, 499. 560 Vgl. Kasiske, JuS 2014, 15 (17). 561 Kasiske, JuS 2014, 15 (17).

E. Nemo-tenetur-Grundsatz im Verbandssanktionsverfahren

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bb) Für Verbände Fraglich ist aber, ob diese Argumente ebenso für Verbände eine valide Herleitung und sinnvolle Ratio bilden können. Wird allein auf die oben genannte Begründung562 abgestellt, die für natürliche Personen schlüssig und zutreffend sein mag, ist es eher obskur, ob diese Aspekte ebenfalls für Verbände derart problematisch sein dürften wie für natürliche Personen und somit allein die Ratio für die Anwendung der Selbstbelastungsfreiheit bilden können. Steht doch das meist hochkomplexe Gebilde des Verbandes oftmals Strafverfolgungsbehörden gegenüber, die kaum genug Ressourcen zur Aufarbeitung des Sachverhaltes haben, sodass der Zweck, eine Waffengleichheit zu schaffen und mit dieser die Förderung eines „Fair Trials“ zu erreichen, ins Leere gehen könnte bzw. dem augenscheinlich Verfahrensstärkeren noch eine weitere Verbesserung bieten würde, statt einen Ausgleich zu schaffen. Dagegen spricht aber ein gewichtiges Argument, das in diesem Fall das Zünglein an der Waage ist und eine Ratio der Selbstbelastungsfreiheit für Verbände offenbaren könnte: Bei der Betrachtung, ob eine Waffengleichheit durch die Anerkennung der Selbstbelastungsfreiheit geschaffen werden kann, ist nicht (ausschließlich) auf die personelle Stärke, fachspezifische Kenntnis oder ähnliche Faktoren zwischen beiden Prozessbeteiligten abzustellen. Vielmehr ist zu begutachten, wie weit Befugnisse, Eingriffe und sonstige Maßnahmen reichen. Hier zeigt sich in letzter Konsequenz der ausschlaggebende Unterschied darin, dass gerade durch die Selbstbelastungsfreiheit für Verbände die oben genannte Waffengleichheit geschaffen werden kann und unter Umständen sogar geschaffen werden muss: Den Strafverfolgungsbehörden steht im Verfahren eine große Vielzahl an Ermittlungsbefugnissen und Eingriffen zu, die auch eine juristische Person dulden muss. Die juristische Person hat diesen vor allem aber nichts entgegenzusetzen und die Befugnisse der Behörden sind unter Umständen sehr weitgehend, weshalb auch im Fall einer juristischen Person davon auszugehen ist, dass es notwendig ist, ihre Position durch die Selbstbelastungsfreiheit zu stärken und so einen Ausgleich zu schaffen. Für dieses Ergebnis spricht auch, dass hinsichtlich der Betrachtung der Waffengleichheit auf das durchschnittliche Strafverfahren abzustellen ist und daher insgesamt nicht (künstlich) zwischen der natürlichen und juristischen Person unterschieden werden, sondern eine einheitliche Beurteilung erfolgen sollte. Für eine Herleitung der Gewährleistung der Selbstbelastungsfreiheit für Verbände aus dem Fair-Trial-Grundsatz selbst sprechen sich (teils mit anderer Begründung so beispielsweise bei Kasiske563) ebenfalls auch Teile der Literatur aus.564 So wird insbesondere davon ausgegangen, dass das Fair-Trial-Prinzip des Art. 6 EMRK jedem Betroffenem eines Strafverfahrens (oder Verfahren mit jedenfalls strafähnlichem Charakter) das Recht gewähre, die eigene Rechtsposition durch die Ver562

So auch bei Kasiske, JuS 2014, 15 (17). Kasiske, JuS 2014, 15. 564 Statt vieler Frowein/Peukert-Peukert, EMRK, Art. 6 Rn. 4; Weiß, NJW 1999, 2236 f.; diff. an dieser Stelle L/R-StPO/Esser Art. 6 EMRK Rn. 887. 563

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6. Kap.: Grundstruktur eines Verbandssanktionenrechts de lege ferenda

weigerung der Aussage zu verteidigen, um eine möglichst günstige Entscheidung zu erreichen.565 Insgesamt kann festgehalten werden, dass die Anwendung der Selbstbelastungsfreiheit auf Verbände als Ausprägung des Fair-Trial-Grundsatzes, mithin also als eine prozessuale und nicht als eine materielle Gewährleistung, durchaus im Bereich des Möglichen liegt und ihre Ratio dahingehend zusammengefasst werden kann, dass die Waffengleichheit die Selbstbelastungsfreiheit erfordert, um ein faires Verfahren sicherstellen zu können. 4. Rechtsstaatsprinzip Art. 20 Abs. 3 GG, Art. 6 Abs. 3 lit. b und lit. c EMRK, § 148 StPO, Recht des Schutzes auf Verteidigung Neben der Herleitung aus dem „reinen“ Fair-Trial-Grundsatz, der, wie angenommen wird,566 in Deutschland ebenfalls aus dem Prinzip der Rechtsstaatlichkeit abgeleitet wird, und auch auf juristische Personen Anwendung finden kann, könnte die Gewährleistung der Selbstbelastungsfreiheit auch aus dem Rechtsstaatsprinzip567 selbst, Art. 6 Abs. 3 lit. b und lit. c EMRK,568 in Verbindung mit § 148 StPO geschlossen werden, somit insgesamt aus dem Recht des Schutzes auf Verteidigung der juristischen Person resultieren und in diesem auch seine Ratio finden. Eine derartige Herleitung und Ratio könnten ihre Grundlage in dem historischen Ursprung des Nemo-tenetur-Rechts haben, sich als Beschuldigter in einem Strafverfahren gegen einen Tatvorwurf geschützt und frei verteidigen zu können, um so als Prozesssubjekt Einfluss auf das Strafverfahren nehmen zu können.569 Die Stellung eines Verbandes würde sich daraus ergeben, dass er in einem künftigen Verbandssanktionsverfahren eine vollwertige Beschuldigtenstellung erhalten sollte und eine solche eben auch das genannte Recht enthält, sich selbst nicht belasten zu müssen ebenso wie sich gegen den Tatvorwurf geschützt verteidigen zu können. Diese Verteidigung muss zum einen durch aktive Kommunikation ermöglicht wer-

565 Vgl. zu diesem Kontext Minoggio, wistra 2003, 121 (127 f.); ausführlich Weiß, NJW 1999, 2236 (2237). 566 Grundlegend zum Fair-Trial beispielsweise Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 11 Rn. 4 ff.; BVerfG v. 03. 06. 1969 – 1 BvL 7/68, NJW 1969, 1423 (1424); BVerfG v. 08. 10. 1974 – 2 BvR 747/73, NJW 1975, 103; ähnlich BVerfG v. 08. 04. 1975 – 2 BvR 207/75, NJW 1975, 1015 (1016). 567 Zu dem Aspekt des Nemo-tenetur-Rechts als Teil des Rechtsstaatsprinzips auch Dannecker, ZStW 1999 (111), 256 (286); siehe zur Herleitung der Selbstbelastungsfreiheit aus dem Rechtsstaatsprinzip auch Schneider, Grund und Grenzen des strafrechtlichen Selbstbegünstigungsprinzips, S. 38 ff. 568 So auch anerkannt für juristische Personen im Kontext des Art. 6 Abs. 3 lit. b EMRK in der Entscheidung EGMR v. 20. 09. 2011 – 14902/04 (OAO Neftyanaya Kompaniya Yukos v. Russia), Rn. 551. 569 Vgl. statt vieler Zerbes, ZStW 2017 (129), 1035 (1040 f.).

E. Nemo-tenetur-Grundsatz im Verbandssanktionsverfahren

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den, zum anderen muss jedoch auch die Möglichkeit bestehen, dass der Beschuldigte sich durch Schweigen verteidigen kann. An dem Punkt befindet sich ebenfalls die Grenze des strafrechtlichen Verfolgungsinteresses: Kann der Schutz der Verteidigungsmöglichkeit, ergo die Beeinflussung des Verfahrens, nicht mehr ermöglicht werden, muss das Verfolgungsinteresse dort enden und der Schutz des Beschuldigten, sich ausreichend gegen den Tatvorwurf verteidigen zu können, anfangen. Doch ist ein so weitgehender Schutz für einen Verband überhaupt notwendig? Auf diese Frage lässt sich eine Antwort finden, wenn das Nemo-tenetur-Recht eines Verbandes (ohne spezifisch auf mögliche Ausprägungen und Modalitäten einzugehen) hypothetisch vollständig weggedacht würde:570 Müsste ein Verband sich in einem gegen ihn gerichteten Verbandssanktionsverfahren durch eine wahrheitsgemäße Aussage selbst belasten, würde ihm dadurch der Schutz der (materiellen) Verteidigungsfreiheit effektiv in seiner Gänze genommen. Der Verband müsste sich in diesem Fall im Verbandssanktionsverfahren selbst belasten571 und wäre damit gegebenenfalls praktisch verpflichtet, ein Geständnis abzulegen, was in den meisten Fällen sicher als Grundlage für eine Verurteilung herangezogen werden würde, wenngleich dies nicht sein müsste bzw. zwingend wäre, da eine Verurteilung auch ohne Geständnis möglich ist und selbst bei einem Geständnis nicht zwingend ist. Das Verteidigungsverhalten wäre jedenfalls nicht nur festgelegt, sondern maßgeblich beschnitten, sodass von der originären „Verteidigungsfreiheit“ oder dem „Schutz der Verteidigung“ keine Rede mehr sein könnte, da es nicht mehr möglich wäre, die Tat in ihrem Grunde zu bestreiten oder sich in der Person des Beschuldigten gar ganz davon zu distanzieren.572 Diese beiden Varianten dienen jedoch in Strafverfahren (und auch strafähnlichen Verfahren wie dem Verbandssanktionsverfahren) häufig als Verteidigungsstrategie und stehen dem Beschuldigten insgesamt jedenfalls zur Auswahl.573 Unter einem solchen massiven Einschnitt in den Schutz auf Verteidigung wäre die Einflussnahme des Verbandes als Prozesssubjekt auf das Verbandssanktionsverfahren kaum noch möglich, wenn nicht sogar ganz ausgeschlossen. Der für die Prozesssubjektstellung typische Ausgleich zwischen den Rechten des Beschuldigten und dem staatlichen Strafverfolgungsinteresse wäre freilich nicht mehr gegeben.

570

Dazu auch Queck, Die Geltung des nemo-tenetur-Grundsatzes zugunsten von Unternehmen, S. 181 ff. 571 Der Verband kann als juristische Person freilich nicht selbst aussagen, weshalb natürliche Personen für ihn aussagen müssen. 572 Somit wäre der Weg einer Freispruchverteidigung abgeschnitten und es bliebe nur noch die Möglichkeit der Rechtsfolgenverteidigung. 573 Insgesamt zu den Problemen, die sich hieraus für die Verteidigung ergeben können Böse, Wirtschaftsaufsicht und Strafverfolgung, S. 98 ff., 181; Queck, Die Geltung des nemo-teneturGrundsatzes zugunsten von Unternehmen, S. 181 ff.

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6. Kap.: Grundstruktur eines Verbandssanktionenrechts de lege ferenda

Aus diesem Gedankenexperiment folgt, dass die Gewährung der Selbstbelastungsfreiheit für die Verteidigung der Verbände essentiell notwendig ist, da sich auch ein Verband in einem gegen ihn gerichteten Verbandssanktionsverfahren gegen den Tatvorwurf frei verteidigen können muss, um so auf das Verbandssanktionsverfahren Einfluss nehmen zu können. Der Verband muss als Beschuldigter die Wahl haben, sich entweder zu dem Tatvorwurf einzulassen oder zu schweigen, wobei die Kommunikation insgesamt frei von Zwang sein muss, wodurch die oben als vorzugswürdig gewählte Ratio ihre Existenzberechtigung erhält. Wird dem Verband die Selbstbelastungsfreiheit gewährt, so stehen den Strafverfolgungsbehörden trotzdem noch weitere zahlreiche Ermittlungsbefugnisse zu, wie zum Beispiel Zeugenbefragungen, Durchsuchungen und Beschlagnahmen, die die Selbstbelastungsfreiheit nicht tangieren. Umgekehrt entstehen für einen Verband mit einer großen Wahrscheinlichkeit bei Ablehnung der Selbstbelastungsfreiheit irreversible Schäden, die nicht anders auszugleichen sind. Hieran wird deutlich, dass die Nachteile bei der Ablehnung um ein Vielfaches schwerer wiegen würden als bei der Gewährung der Selbstbelastungsfreiheit. Somit handelt es sich bei dem Nemotenetur-Grundsatz daher, wie bereits festgestellt, um ein Verteidigungsrecht im Verfahren, welches auch Verbänden in einem Verbandssanktionsverfahren zukommen müsste. Dieses Ergebnis folgt daher bereits aus dem historischen Ursprung des Nemo-tenetur-Rechts und muss für Verbände nicht künstlich kreiert werden. Argumente, die dagegen sprechen, weil dieses Verteidigungsrecht nur auf natürliche Personen anwendbar sei, sind vorliegend nicht ersichtlich, wenn bedacht wird, dass es sich um ein prozessuales Verfahrensrecht handelt, das nicht an die Eigenschaften einer natürlichen Person anknüpft. Vielmehr besteht aus Gründen der Rechtsstaatlichkeit sowohl ein Schutz von Einzelpersonen als auch gerade von beschuldigten Verbänden dahingehend, dass staatliche Organe Informationen nicht ausforschen dürfen oder zu erlangen versuchen, die der Verteidigung dienen. Insgesamt kann demnach festgehalten werden, dass die Herleitung der Anwendung des Nemo-tenetur-Grundsatzes auf Verbände aus Gründen der Rechtsstaatlichkeit, Art. 6 Abs. 3 lit. b und lit. c EMRK, in Verbindung mit dem Recht des Schutzes auf Verteidigung, § 148 StPO, folgt und dabei zugleich das stabilste Fundament für eine Anwendung im Verbandssanktionsverfahren bieten würde, weshalb dieser Herleitung für die künftigen Überlegungen der Vorzug gewährt wird. Wie weit das Recht im Hinblick auf seinen Schutzumfang reicht, beispielsweise ob nur Aussagen als kommunikativer Akt oder auch Sachbeweise (wie insbesondere aufgezeichnete Gespräche, Geschäftsunterlagen oder schriftliche Verteidigungsunterlagen zwischen Vertretern des Verbandes und der Verteidigung) davon erfasst sein sollten, wird im Folgenden zu klären sein, ebenso wie die Konsequenzen anhand unterschiedlicher Herleitungsvarianten dieses Rechts.

E. Nemo-tenetur-Grundsatz im Verbandssanktionsverfahren

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5. Aus dem Strafverfahren selbst Einen teils ähnlichen Begründungsansatz für die Anwendung der Selbstbelastungsfreiheit auf Verbände wählte der NRW-Entwurf, wenn er in seiner Argumentation auf die gängigen Begründungsansätze (teilweise jedoch knapp und unreflektiert) einging bzw. diese anführte, wie zum Beispiel Art. 14 Abs. 3 lit. g IPbPR oder den Fair-Trial-Grundsatz, letzteren jedoch insbesondere mit der Begründung ablehnte, dass die Überlegungen zum Fair-Trial-Grundsatz „die Besonderheiten des Verbandstrafverfahrens indessen nicht vollständig (erfassen). Die Verbandsstrafe ist gerade keine bloß administrative Sanktion, sondern knüpft an die eigenständige Verantwortlichkeit des Verbandes für eine kriminogene Organisation, eine fehlerhafte Personalauswahl oder eine kriminogene ,Verbandsattitüde‘ an. Die mit der Verhängung der Kriminalstrafe verbundene Repression verbindet sich hierbei mit einem eigenständigen Unwerturteil auch über die Verbandsperson. (…) Die Anwendung des ,nemo-tenetur‘-Satzes auch auf den Verband ist mithin notwendige Konsequenz eines Strafverfahrens, wenn dieses sich mit denen an einer Kriminalstrafe typischerweise zu verfolgenden Zwecken ausrichtet“.574 Letztlich rekurrierte der NRW-Entwurf somit für die Anwendung des Nemotenetur-Grundsatzes auf das Strafverfahren selbst, weshalb auch hier der Schwerpunkt im Verfahrensrecht gesehen wurde. Diese Überlegung der Herleitung schien im Ergebnis ebenfalls schlüssig und konnte überzeugen, wobei sie der oben genannten Argumentation zum Fair-Trial-Prinzip ähnlich ist, jedoch in einem Punkt nachstand: Eine spezifische, mehr als einfachgesetzliche, Grundlage fand sich für die Herleitung dadurch jedenfalls nicht unmittelbar, was jedoch für ein künftiges Verbandssanktionenrecht vorzugswürdig wäre. 6. Art. 14 Abs. 3 lit. g IPbpR In Betracht kommt darüber hinaus eine Herleitung aus Art. 14 Abs. 3 lit. g des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte (IPbpR).575 Nach Art. 14 Abs. 3 lit. g IPbpR vom 19. Dezember 1966576 darf der Angeklagte in einem Strafverfahren nicht dazu gezwungen werden, gegen sich selbst als Zeuge auszusagen oder sich schuldig zu bekennen. Dem IPbpR kommt in Deutschland der Rang einfachen Bundesrechts zu.577 Fraglich ist vorrangig, ob diese Vorschrift auch auf

574

NRW-Entwurf S. 74 f. m.w.N. Vgl. dazu auch Bosch, Aspekte des nemo-tenetur-Prinzips, S. 24 ff.; auch erwähnt bei Doege, Bedeutung des nemo-tenetur-Grundsatzes, S. 83; ferner Schubert, Legal privilege und Nemo tenetur im europäischen Kartellermittlungsverfahren, S. 210 f. 576 Der internationale Pakt wurde durch das Gesetz v. 15. 11. 1973, BGBl. 1973 II, S. 1533 in deutsches Recht implementiert und hat formal den Rang von einfachem Bundesrecht. Im Folgenden mit IPbpR abgekürzt. 577 L/R-StPO/Esser, Einf. IBPR Rn. 85 ff. 575

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6. Kap.: Grundstruktur eines Verbandssanktionenrechts de lege ferenda

Verbände angewendet werden kann. Dies wird zumeist abgelehnt.578 Rekurriert wird zum einen auf Art. 2 Abs. 1 IPbpR, der Differenzierungskriterien enthält (wie zum Beispiel Religion, Geschlecht und Sprache), die bei der Anwendung der Rechte verboten seien. Diese Differenzierungskriterien sind ausnahmslos nur natürlichen Personen immanent, sodass es nur konsequent scheint, Art. 14 IPbpR nicht auf juristische Personen Anwendung finden zu lassen. Darüber hinaus spricht für dieses Ergebnis auch, dass die Vertragsparteien sich durch die Regelung in Art. 2 Abs. 1 IPbpR verpflichten, die Rechte des Statuts für alle natürlichen Personen (englisch im Vertrag: „to all individuals“)579 sicherzustellen.580 Diese spezifische Bezeichnung im Wortlaut spricht ebenfalls gegen eine Anwendung des Art. 14 Abs. 3 lit. g IPbpR auf juristische Personen.581 Überdies gewährt Art. 2 IPbpR582 des Fakultativprotokolls zum Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte,583 ebenfalls nach der unverbindlichen deutschen Übersetzung, ausschließlich „Einzelpersonen“ das Recht, Beschwerden an den Ausschuss für Menschenrechte nach Art. 28 ff. IPbpR zu richten.584 Im Ergebnis ist es daher vorzugswürdig, anzunehmen, dass mit diesem Vertrag die Anwendung der Selbstbelastungsfreiheit auf Verbände nicht intendiert war und diese nicht aus Art. 14 Abs. 3 lit. g IPbpR hergeleitet werden sollte.585 7. Aktuelle Entwürfe Auf das Nemo-tenetur-Recht von Verbänden geht auch der „Kölner Entwurf“ zum Verbandssanktionenrecht in seinem § 17 Abs. 1 ein. Hier wird ein Nemo-teneturRecht für Verbände für deren Vertreter einfachgesetzlich zwar bejaht; auf welcher Grundlage es explizit gewährleistet wird, lässt sich aus den bisherigen Erläuterungen zu dem Entwurf nicht erkennen. Dort heißt es lediglich: „Fraglich ist ferner die – von dem vorliegenden Entwurf grundsätzlich bejahte – Geltung des Grundsatzes ,nemo tenetur‘ für Verbände. (…) Der Entwurf gewährt es den Vertretern des Verbandes.“586 578 Zum Ganzen Fink, wistra 2014, 457 (461); im Ergebnis auch Weiß, JZ 1998, 289 (291 f.); von Freier, ZStW 2010 (122), 117 (119 Fn. 7); Schuler, JR 2003, 265 (268); im Ergebnis abl. auch Doege, Bedeutung des nemo-tenetur-Grundsatzes, S. 83. 579 Siehe auch BGBl. 1973, II, 1533. 580 Dazu auch Fink, wistra 2014, 457 (460 f.). 581 A.A.: NRW-Entwurf S. 73, der unreflektiert und ohne nähere Begründung davon ausging, dass Art. 14 Abs. 3 lit. g IPbpR das Recht der Selbstbelastungsfreiheit umfassend enthalte. 582 Neben Art. 2 IPbpR ist dies genauso in der Präambel geregelt. 583 BGBl. 1992, II, S. 1246. 584 So auch Fink, wistra 2014, 457 (461). 585 Im Ergebnis auch bei Queck, Die Geltung des nemo-tenetur-Grundsatzes zugunsten von Unternehmen, S. 105 f. 586 Henssler/Hoven/Kubiciel/Weigend, NZWiSt 2018, 1 (10).

E. Nemo-tenetur-Grundsatz im Verbandssanktionsverfahren

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Etwas genauer äußern sich in diesem Zusammenhang die Verfasser der „Frankfurter Thesen“,587 die den Nemo-tenetur-Grundsatz als ein „Verfahrensgrundrecht auf Verteidigung“ klassifizieren.588 Darüber hinaus wird davon ausgegangen, dass dem Unternehmen selbst die (partielle) Selbstbelastungsfreiheit entsprechend dem anerkannten Grundsatz der Waffengleichheit im Verfahren zukommen müsse.589 8. VerSanG-E Der VerSanG-E gewährt dem Verband ein umgrenztes Nemo-tenetur-Recht (siehe § 33 Abs. 1 VerSanG-E590) ausweislich seiner Begründung auf „einfachgesetzlicher Ebene“, indem die gesetzlichen Vertreter (zugunsten) des Verbandes die Aussage verweigern können, da er den Verband als „Beschuldigten“ ansieht.591 Eine spezifische Herleitung oder Grundlage für das Nemo-tenetur-Recht des Verbandes lässt der Entwurf jedoch vermissen. Es wird in der Entwurfsbegründung lediglich darauf hingewiesen, dass es keinen verfassungsrechtlich zwingenden Grund für die Ausstattung eines Verbandes mit einem Schweigerecht gebe.592 Als Begründung wird die oben genannte Argumentation des BVerfG, die Selbstbelastungsfreiheit sei Ausfluss von Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG, angeführt, weshalb eine Anwendung dem Wesen nach auf juristische Personen somit nicht möglich sei.593 9. Zwischenfazit Insgesamt spricht, jedenfalls nicht nur, aber auch, weil es mehrere unterschiedliche (und unterschiedlich geeignete) Herleitungsmöglichkeiten gibt, vieles dafür, einem Verband für die Zukunft das Recht auf Selbstbelastungsfreiheit grundsätzlich zuzugestehen, wobei der Ansicht, welche den Nemo-tenetur-Grundsatz für Verbände aus der Rechtsstaatlichkeit in Verbindung mit dem Recht des Schutzes auf Verteidigung ableitet, der Vorzug gewährt wird, sodass dieser bei der Bearbeitung schwerpunktmäßig zugrunde gelegt wird. Die Ausgestaltung im Allgemeinen und der Modalitäten des Rechts im Besonderen werden in den anschließenden Abschnitten festegelegt.

587

Jahn/Schmitt-Leonardy/Schoop, wistra 2018, 27. Jahn/Schmitt-Leonardy/Schoop, wistra 2018, 27 (30). 589 Jahn/Schmitt-Leonardy/Schoop, wistra 2018, 27 (30). 590 Nicht überzeugen kann an dieser Stelle BR-Drs. 440/20, S. 15 f., der die Streichung des § 33 VerSanG-E empfiehlt und dem Verband somit gar kein Nemo-tenetur-Recht zugestehen will. 591 RegE.-Begr. S. 113 f.; siehe zur weiteren Ausgestaltung des Schweigerechts eines Verbandes nach dem VerSanG-E unten S. 379. 592 RegE.-Begr. S. 113 f. 593 RegE.-Begr. S. 113 f. 588

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6. Kap.: Grundstruktur eines Verbandssanktionenrechts de lege ferenda

IV. Der Nemo-tenetur-Grundsatz in der Praxis Im Anschluss an die Feststellung, dass einem Verband grundsätzlich die Freiheit, sich nicht selbst belasten zu müssen, zukommen kann, schließen sich weitere Fragestellungen hinsichtlich der spezifischen Reichweite des Rechts und ebenso seiner Grenzen an.594 Im Fokus steht die (möglicherweise mehrstufige) Ausgestaltung der Selbstbelastungsfreiheit im Verbandssanktionenrecht. Diese könnte bei der Anwendung auf Unternehmen, im Gegensatz zu der Selbstbelastungsfreiheit bei natürlichen Personen, modifiziert werden. Es wird, sowohl für die natürliche als auch für die juristische Person, daher zwischen einer möglichen Aussagepflicht auf der einen und der Herausgabe von Dokumenten etc. auf der anderen Seite zu differenzieren sein.595 Grundlegend sind für den deutschen Strafprozess zwei Rollen vorgesehen, die Personen ausfüllen können, um beteiligt zu werden: Entweder die Rolle des Beschuldigten oder die Rolle des Zeugen. Hieraus resultieren unterschiedliche Rechte und Pflichten. Diese Rollenzuweisung muss auch in einem Verbandssanktionsverfahren vorgenommen werden und zeitigt insbesondere Auswirkungen für die Selbstbelastungsfreiheit der unterschiedlichen Personen. Aus diesem Grund sollen überblicksartig die Eckpfeiler der unterschiedlichen Rollen erläutert werden und die Zuweisung im Anschluss für die unterschiedlichen Konstellationen erfolgen. Gesetzlich könnte hier eine entsprechende Anwendung der Vorschriften der StPO vorgesehen werden oder ein Pendant im Verbandssanktionenrecht geschaffen werden. Allgemein anerkannt ist für die Rolle des Beschuldigten, dass er ohne die Angabe von Gründen vollumfänglich schweigen sowie straflos lügen darf und dass er seine Aussage nicht beschwören muss.596 Darüber hinaus muss er zwar staatliche Maßnahmen dulden, hingegen treffen ihn nach allgemeiner Auffassung keine aktiven Mitwirkungspflichten durch die er sich selbst belasten müsste. Der Beschuldigte muss in diesem Zusammenhang aber einschneidende Duldungspflichten hinnehmen, die bis zur verfahrenssichernden Inhaftnahme reichen sowie weitere einschneidende Grundrechtseingriffe, die unter weniger strengen Voraussetzungen möglich sind als beim Zeugen.597 Der Zeuge ist hingegen grundsätzlich zur Aussage verpflichtet. Bei einer potentiellen Selbstbelastung besteht für ihn, als Ausfluss des Nemo-tenetur-Rechts, das 594

Aufgrund der besseren Anschaulichkeit werden die Verfahren vorliegend getrennt untersucht. Praktisch wird es jedoch häufig zu verbundenen Verfahren kommen, bei denen insbesondere sowohl der Haftungsauslöser als auch der Verband die Beschuldigtenrechte genießen. 595 Siehe zu einer ähnlichen Differenzierung für das Kartellordnungswidrigkeitenverfahren Dannecker, ZStW 2015 (127), 991 (992 ff., 1011 ff.) unter differenzierter Betrachtung und Zugrundelegung der Rechtsprechung. 596 Dazu z. B. bei Bosch, Jura 2020, 36. 597 Vgl. Bosch, Jura 2020, 36.

E. Nemo-tenetur-Grundsatz im Verbandssanktionsverfahren

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Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55 Abs. 1 StPO. Demzufolge muss er auf einzelne Fragen nicht antworten, ist aber nur in Ausnahmefällen dazu berechtigt, die ganze Aussage zu verweigern. Für die Ausübung des Auskunftsverweigerungsrechts wird gefordert, dass die Gefahr der Strafverfolgung, jedenfalls in der Form eines Anfangsverdachts im Sinne von § 152 Abs. 2 StPO besteht.598 Die bloße Behauptung einer strafrechtlichen Selbstbelastung ist hierfür nicht ausreichend. Ebenfalls genügen für einen solchen Anfangsverdacht nicht bloße Vermutungen oder die rein theoretische Möglichkeit strafrechtlicher Verfolgung, die nicht durch bestimmte Umstände belegt sind.599 Vielmehr ist es notwendig, dass konkrete Tatsachen vorhanden sind, die dafür sprechen, dass der zu untersuchende Sachverhalt eine Straftat enthält. Nach Beulke/Swoboda soll es jedoch genügen, wenn die Antwort „als Teilstück in einem mosaikartigen Beweisgebäude“ eine Belastung des Zeugen herbeiführen könnte (sogenannte Mosaiktheorie).600 Gemäß § 56 StPO ist es, nach dem Ermessen des Vernehmenden möglich, dass der Zeuge die Verfolgungsgefahr glaubhaft machen muss, wenn der Vernehmende an den Angaben des Zeugen hinsichtlich der Verfolgungsgefahr wegen Selbstbelastung, ergo dem Verweigerungsgrund, zweifelt.601 Grundsätzlich darf die Voraussetzung der Glaubhaftmachung nicht zur Mitteilung selbstbelastender Tatsachen führen, was jedoch in der Praxis nur schwer vorstellbar ist.602 Aus diesem Grund sollte ein Beweisverwertungsverbot für Tatsachen, die der Zeuge bei Glaubhaftmachung mitgeteilt hat, angenommen werden.603 Aus der Zeugenstellung bzw. dem Auskunftsverweigerungsrecht aus § 55 Abs. 1 StPO folgt ebenfalls, dass staatliche Maßnahmen zu dulden sind, aber ein Zeuge grundsätzlich nicht aktiv mitwirken muss. Insgesamt ist zu konstatieren, dass das Auskunftsverweigerungsrecht des § 55 Abs. 1 StPO zwar nicht vor jedweder Selbstbelastungsgefahr in allen denkbaren Konstellationen schützen wird, aber dennoch an unterschiedlichen Stellen zum Einsatz kommen könnte. 1. Die Aussage als kommunikativer Akt (Selbstbelastungsfreiheit sensu stricto) Fest steht zunächst, dass die Aussage als kommunikativer (und verbaler) Akt von dem Nemo-tenetur-Grundsatz erfasst sein muss. Es wird schnell deutlich, dass in

598 Siehe zum Ganzen Bosch, Jura 2020, 36 (37) m.w.N.; BeckOK StPO/Huber, StPO § 55 Rn. 4; Beulke/Swoboda, Strafprozessrecht, Rn. 195, die sich für einen „sehr niedrig“ anzusetzenden Anfangsverdacht im Sinne von § 152 Abs. 2 StPO aussprechen. 599 Beulke/Swoboda, Strafprozessrecht, Rn. 195 m.w.N. 600 Beulke/Swoboda, Strafprozessrecht, Rn. 195. 601 BeckOK StPO/Huber, StPO § 56 Rn. 3. 602 So zutr. Bosch, Jura 2020, 36 (37) m.w.N. 603 Zutr. krit. Bosch, Jura 2020, 36 (37); BeckOK StPO/Huber, StPO § 56 Rn. 2.

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6. Kap.: Grundstruktur eines Verbandssanktionenrechts de lege ferenda

einem künftigen Verbandssanktionenrecht unterschiedliche Konstellationen durchdacht werden müssen. a) Im Verfahren gegen den Haftungsauslöser aa) Selbstbelastungsfreiheit des Haftungsauslösers Eine natürliche Person, die Haftungsauslöser für die Verbandsverfehlung ist, kann sich im Strafverfahren gegen sich selbst auf die Selbstbelastungsfreiheit berufen. Dies sollte, wie bereits de lege lata, aus § 136 StPO, § 243 Abs. 5 StPO resultieren, sodass sich zunächst in einem Verfahren gegen den Haftungsauslöser hier keine Besonderheiten ergeben dürften und eine entsprechende Anwendung der geltenden StPO-Vorschriften oder ein Pendant im Rahmen des Verbandssanktionenrecht in Betracht kommt. bb) Selbstbelastungsfreiheit anderweitiger Mitarbeiter Etwas anderes könnte sich für andere Mitarbeiter des Unternehmens ergeben, die nicht Haftungsauslöser für die Verbandsverfehlung waren, da auch diese in einem Verfahren als Zeugen herangezogen werden könnten. Sofern diese (an sich unbeteiligten) Mitarbeiter sich in dem Strafverfahren gegen den Haftungsauslöser mit ihrer Aussage selbst belasten müssten, sollte ihnen gemäß § 55 Abs. 1 StPO die Selbstbelastungsfreiheit zugute kommen. Nicht davon berührt ist infolgedessen jedoch die allgemeine Pflicht, über anderweitige Umstände auszusagen bzw. Informationen preiszugeben, durch welche sie sich nicht selbst belasten müssen. cc) Selbstbelastungsfreiheit der Organe und gesetzlichen Vertreter des Verbandes Fraglich ist, ob der Verband, ergo die für ihn handelnden natürlichen Personen (Organe und gesetzliche Vertreter), im Verfahren gegen den Haftungsauslöser aussagen müssten, wenn damit eine Selbstbelastung einherginge. An dieser Stelle ist zunächst eine Differenzierung vorzunehmen: Unterschieden werden muss, ob die Organe sich durch die Aussage selbst oder ob sie den Verband belasten müssten. In der ersten Konstellation sollten sie im Verfahren gegen den Haftungsauslöser grundsätzlich als Zeugen aussagen müssen. Bei einer potentiellen Selbstbelastung würde ihnen dann § 55 Abs. 1 StPO zustehen. Geht es hingegen um die Belastung des Verbandes, sollte ihnen ebenfalls zwar auf jeden Fall das Recht des § 55 Abs. 1 StPO zustehen. Gleichwohl kann diskutiert werden, ob sie im Verfahren gegen den Haftungsauslöser ebenfalls wie ein Beschuldigter behandelt werden sollten und ihnen somit das vollumfängliche Schweigerecht zukommen sollte. Dagegen spricht insbesondere, dass die Sanktionierung des Verbandes zwar abhängig von der An-

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knüpfungstat des Haftungsauslösers ist, dies jedoch nicht umgekehrt gilt, und die Behandlung wie ein Beschuldigter an der Stelle zu weit greift. dd) Selbstbelastungsfreiheit der Verteidiger, der Syndikusanwälte und der Rechtsabteilung Die Verteidiger, Syndikusanwälte und die Rechtsabteilung sollten im Verfahren gegen den Haftungsauslöser grundsätzlich als Zeugen vernommen werden können, sodass ihnen bei einer möglichen Selbstbelastung für sich selbst § 55 Abs. 1 StPO zukommen kann. Hinsichtlich der Ausübung des Rechts der Selbstbelastungsfreiheit für den Verband sollte auch den genannten Personen dieses Recht ebenso weitgehend wie den Organen und gesetzlichen Vertretern des Verbandes gewährt werden, da ansonsten, aufgrund ihrer Stellung im Unternehmen und der Kenntnis von möglicherweise verteidigungsrelevanten Unternehmensinterna, das Nemo-tenetur-Recht des Verbandes ausgehöhlt zu werden droht. Für den Verteidiger greift insoweit bereits ein weit reichendes Schweigerecht aus § 53 StPO ein. Nicht bereits unter § 53 StPO fallen nach allgemeiner Meinung die Syndikusanwälte, sodass ihnen das Zeugnisverweigerungsrecht der Berufsgeheimnisträger zwar nicht zukommt.604 Dies gilt auch dann, wenn sie typische anwaltliche Aufgaben wahrnehmen. Möglich ist indes, dass ihnen das abgeleitete Zeugnisverweigerungsrecht aus § 53a StPO zukommt. Bezüglich der Rechtsabteilung wäre es dagegen zu extensiv, allen Mitarbeitern ein Nemo-tenetur-Recht mit Bezug auf den Verband zuzugestehen. Abstufungen könnten hier insbesondere nach dem Tätigkeitsfeld der Mitarbeiter oder nach der Kenntniserlangung in der spezifischen Tätigkeit vorgenommen werden. ee) Verwertbarkeit von Internal Investigations? Äußerst problematisch wäre in einem Verbandssanktionenrecht ebenso, inwiefern das Recht der Selbstbelastungsfreiheit einer natürlichen Person besteht, wenn es um interne Ermittlungen im Verband geht. Konkret meint dies: Können Angaben eines Haftungsauslösers oder eines sonstigen Unternehmensangehörigen aus internen Ermittlungen, welche nicht im Rahmen eines staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens, sondern im Rahmen eines privaten Ermittlungsverfahrens gewonnen wurden, im Strafverfahren verwertet werden? Die geltende Rechtslage verhält sich bis dato nicht eindeutig zu diesem Themenkomplex, obwohl er bereits jetzt eine große Relevanz hat. In einem künftigen Verbandssanktionenrecht wäre daher eine klare gesetzliche Regelung unerlässlich. Geht es um die Verwertung von Angaben aus internen Ermittlungen im Verfahren gegen den Haftungsauslöser selbst, welcher sich in deren Rahmen geäußert hat, tritt 604

Siehe zum Ganzen BeckOK StPO/Huber, StPO § 53 Rn. 12.

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6. Kap.: Grundstruktur eines Verbandssanktionenrechts de lege ferenda

bereits prima facie ein schwieriger Konflikt auf: Strafprozessualer Ausgangspunkt ist, dass kein Beweisverwertungsverbot für das Strafverfahren aufgrund einer unterbliebenen Belehrung des Mitarbeiters über sein Recht, zu schweigen, vorliegt (da es sich nicht um eine Vernehmung handelt), sodass sich der Mitarbeiter als Haftungsauslöser nach dieser Linie, wenn er im Rahmen von Internal Investigations aussagt, bereits dem Risiko der Strafverfolgung aussetzen würde. Verweigert er die Aussage, kann ein Konflikt mit der arbeitsrechtlichen oder einer vertraglichen Verpflichtung zur Kooperation mit seinem Arbeitgeber entstehen, auch wenn es sich dabei um selbstbelastende Aussagen handelt.605 Er befindet sich somit aus jedem Blickwinkel in der schlechtesten Position, wenn er auf der einen Seite verpflichtet ist, mit seinem Arbeitgeber zu kooperieren, sich auf der anderen Seite aber dadurch dem Risiko der strafrechtlichen Verfolgung aussetzen müsste.606 Das ist so nicht hinnehmbar und sollte für ein künftiges Verbandssanktionenrecht nicht ernsthaft intendiert werden.607 Um den Konflikt zwischen einer Aussagepflicht und der Gefahr der Selbstbelastung zu lösen, könnte die Verwertbarkeit der Angaben für das Strafverfahren, die der Mitarbeiter bei internen Ermittlungen im Unternehmen gemacht hat und die ihn selbst belasten, weil sie ihn der strafrechtlichen Verfolgung aussetzen könnten, von seiner Zustimmung abhängig sein. Darin bestünde die Möglichkeit, einen Ausgleich zu schaffen, der nicht nur in der Praxis handhabbar ist, sondern auch dem Mitarbeiter eine Chance gibt, der Kooperationspflicht gegenüber seinem Arbeitgeber nachzukommen, ohne dabei (möglicherweise auch unbeabsichtigt) Gefahr zu laufen, sich dadurch selbst einer Straftat überführen zu müssen. Hierin (in einer Zustimmungslösung) würde dann die Normierung eines strafrechtlichen Beweisverwertungsverbotes liegen.608 Daraus folgt im Umkehrschluss, dass alle anderen Ergebnisse der internen Untersuchungen, durch die sich der Mitarbeiter nicht selbst belasten müsste, im Strafverfahren verwertet werden können. Ein ähnlicher Konflikt ergibt sich auch bei einer möglichen Verwertung hinsichtlich der Ergebnisse aus den Interviews von Internal Investigations mit anderen Unternehmensangehörigen, die nicht an der Verbandstat beteiligt waren. Diese sollten grundsätzlich im Verfahren gegen den Haftungsauslöser verwertet werden dürfen. Ginge damit eine Selbstbelastung einher, sollte die Verwertung in einem sodann später anschließenden Strafverfahren gegen den Mitarbeiter wiederum von seiner Zustimmung abhängig gemacht werden. Dies scheint auch angemessen, da 605

Vgl. zu dieser Problematik S. 389. Dazu grundlegend Nienaber, Unternehmensinterne Ermittlungen, S. 335 ff.; Rödiger, Strafverfolgung von Unternehmen, S. 225 ff.; Göpfert/Merten/Siegrist, NJW 2008, 1703 (1705 f.); siehe zu dem Konflikt zwischen (dem Verbot) der Weitergabe von Insiderinformationen mit den Persönlichkeitsrechten von Mitarbeitern und Dritten, ihrem Recht auf Vertraulichkeit und Datenschutz Schneider, NZG 2010, 1201 ff. 607 Vgl. zu diesem Konfliktfeld auch die Ausführungen zu den Internal Investigations S. 389. 608 Siehe dazu auch unten S. 474. 606

E. Nemo-tenetur-Grundsatz im Verbandssanktionsverfahren

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eine gesetzlich normierte Zustimmung ebenfalls inkludiert, dass der Mitarbeiter sodann über die rechtlichen Folgen seiner Zustimmung belehrt würde, was wiederum die Garantie der Freiheit, sich selbst nicht belasten zu müssen, widerspiegelt. Überdies können sich anderweitige Unternehmensangehörige im Rahmen von Internal Investigations, mangels staatlichen Strafverfahrens, nicht auf § 55 Abs. 1 StPO berufen, weshalb eine Schutzlosstellung bei internen Ermittlungen und einem darauf möglicherweise folgenden Strafverfahren letztlich verfehlt wäre, da die Internal Investigations dadurch einen schwerwiegenderen Eingriff für den Betroffenen als das staatliche Strafverfahren bedeuten würden.609 b) Im Verfahren gegen den Verband Gestaltet sich die Situation im Verfahren gegen den Haftungsauslöser noch relativ übersichtlich, muss überlegt werden, inwiefern Modifikationen dieses Rechts im Sanktionsverfahren gegen einen Verband erforderlich sind und an welchen Stellen Probleme erwachsen könnten. Zu denken ist neben der Reichweite des „Beschuldigtenschweigerechts“ des Verbandes insbesondere an Schwierigkeiten eines Auskunftsverweigerungsrechts einer natürlichen Person, die der Haftungsauslöser für die Verbandsverfehlung war, ebenso wie an ein Schweigerecht von an sich an der Tat unbeteiligten Mitarbeitern. aa) Selbstbelastungsfreiheit des Haftungsauslösers Für die Frage, ob der Haftungsauslöser im Verbandssanktionsverfahren das Nemo-tenetur-Recht hat, kann wiederum auf die Differenzierung zwischen seiner eigenen Selbstbelastungsfreiheit und der Selbstbelastungsfreiheit für den Verband unterschieden werden. Anzudenken ist, dass er (für sich selbst) als Zeuge im Sanktionsverfahren gegen den Verband zu vernehmen ist. Sofern sich der Haftungsauslöser in dem Verfahren gegen den Verband mit seiner Aussage selbst belasten müsste, müsste wiederum jedenfalls § 55 Abs. 1 StPO angewendet werden können. Dies scheint auch angemessen, da es durchaus denkbar ist, dass sich die haftungsauslösende Person im Verfahren gegen den Verband durch ihre Angaben belasten müsste, was zugleich einen Einschnitt in die Selbstbelastungsfreiheit der natürlichen Person bedeuten dürfte. Der Schutz im Verbandssanktionsverfahren darf nicht hinter dem Schutz im allgemeinen Strafverfahren zurückstehen. Als Modifikation könnte vorgesehen werden, dass er darüber hinaus § 55 Abs. 1 StPO auch für den Verband geltend machen kann. Dies resultiert daraus, dass ansonsten das Nemo-tenetur-Recht des Verbandes ausgehöhlt werden könnte, da der Haftungsauslöser oftmals belastende Angaben gegen den Verband machen kann, und da aufgrund seines Verhaltens und seines Wissens der Verband haftbar gemacht werden könnte. Möglicherweise kann man an dieser Stelle sogar noch einen Schritt 609

So auch Jahn, StV 2009, 41 (44) m.w.N.

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6. Kap.: Grundstruktur eines Verbandssanktionenrechts de lege ferenda

weiter gehen und den Haftungsauslöser im Verfahren gegen den Verband für den Verband ebenfalls wie einen Beschuldigten vernehmen, sodass er nicht nur auf einzelne Fragen nicht antworten muss, sondern ihm ein vollumfängliches Schweigerecht für den Verband zukommt. Eine umfassende Regelung forderte in dieser Hinsicht in der Vergangenheit beispielsweise der NRW-Entwurf: § 18 Abs. 1 VerbStRGE610 sah hierfür eine solch extensive Fassung dergestalt vor, dass auch Personen, die einer Verbandsstraftat verdächtig waren, im Strafverfahren gegen den Verband generell wie Beschuldigte vernommen werden sollten und ihnen daher ein umfassendes Schweigerecht gewährt werden sollte.611 Diese angedachte Regelung war besonders weitgehend, da die natürliche Person das volle Nemo-teneturRecht dadurch zu eigenen Gunsten und zu Gunsten des Verbandes einsetzen hätte können. In Frage steht, ob eine solch „große Lösung“ zu umfassend gewählt wäre. Würde der natürlichen Person kein umfassendes Schweigerecht hinsichtlich der juristischen Person zugestanden und wäre sie demnach nur durch § 55 Abs. 1 StPO geschützt, könnte eine nicht nur unerhebliche Belastung des Arbeits- und Vertrauensverhältnisses zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber entstehen, was in vielen Fällen die Gefahr birgt, zu einer Untragbarkeit des Arbeitnehmers seitens des Arbeitgebers und somit zu Kündigungen zu führen.612 Dies würde zwar ebenfalls in anderen Lebensbereichen gelten (zum Beispiel bei engen Freundschaften), jedoch kommt hier dem existenzsichernden Arbeitsplatz eine weitaus höhere Schutzbedürftigkeit zu. Darüber hinaus kann ins Feld geführt werden, dass die Behandlung des Haftungsauslösers wie ein Beschuldigter angemessen ist, da die Verbandshaftung letztlich akzessorisch zur Anknüpfungstat ist und anderenfalls das Einfallstor für Missbräuche geschaffen werden könnte. Möglicherweise könnten ansonsten ebenfalls erhebliche zivilrechtliche Regressrisiken gegenüber dem Haftungsauslöser entstehen, da sein Verhalten letztlich Anknüpfungspunkt für die Haftung des Verbandes wäre. Zu bedenken ist demgegenüber der jedenfalls nicht weniger wiegende Einwand, dass mit einer solchen Regelung ebenfalls Schwierigkeiten und möglicherweise nicht zu unterschätzende Nachteile auf Seiten der Strafverfolgungsbehörden er610 Ausweislich der Entwurfsbegründung war § 18 Abs. 1 VerbStRGE an § 17 Abs. 1 östVbVG angelehnt, der alle Personen gegen die sich der Tatverdacht (der Anlasstat) richtet, als Beschuldigte behandelt, NRW-Entwurf, S. 76. 611 Vgl. dazu § 18 Abs. 1 VerbStRGE (Beschuldigtenrechte und Verteidigung): „Im Verfahren gegen den Verband wegen einer Verbandsstraftat sind auch die Personen, die einer verbandsbezogenen Zuwiderhandlung oder einer Unterlassung im Sinne des § 2 Absatz 2 verdächtig sind, als Beschuldigte zu vernehmen. Sie können sich in jeder Lage des Verfahrens des Beistands eines Verteidigers bedienen. Die §§ 133 bis 136a der Strafprozessordnung gelten entsprechend.“ 612 Zwar besteht die Möglichkeit, dass derart vorgeschobene Gründe in einem Kündigungsschutzprozess ans Licht kommen und demzufolge nicht halten werden; allerdings kann sich der Arbeitnehmer nicht hierauf verlassen, da Kündigungsschutzprozesse in der Realität häufig gegen Geldzahlungen beendet werden.

E. Nemo-tenetur-Grundsatz im Verbandssanktionsverfahren

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wachsen: Wird ein vollumfängliches Schweigerecht Gesetz, könnten den Behörden eine Vielzahl an wesentlichen tatrelevanten Informationen für das Verfahren verloren gehen, die dieses nicht nur unwesentlich erschweren würden, sondern partiell sicher die Unmöglichkeit der Durchführung eines Verfahrens heraufbeschwören könnten. An dem Punkt wird der Gesetzgeber folglich intensiv abwägen müssen, inwiefern Verfahren, aufgrund eines solchen umfassenden Schweigerechts, kaum bis gar nicht mehr durchführbar wären. Würde dies (jedenfalls hypothetisch) auf den Großteil der Verfahren zutreffen, sollte ein eher restriktiveres Schweigerecht bevorzugt werden, da es nicht Ziel des Verbandssanktionenrechts sein kann, Regelungen zu schaffen, die ein Verfahren schon dem Grunde nach undurchführbar machen oder lähmen. bb) Selbstbelastungsfreiheit anderweitiger Mitarbeiter Alle Unternehmensangehörigen (sowie generell alle denkbaren Personen, die Auskunft geben können müssten) sollten im Sanktionsverfahren gegen den Verband als Zeugen aussagen müssen; dabei müsste ihnen ein Auskunftsverweigerungsrecht gemäß § 55 Abs. 1 StPO zustehen, wenn sie sich durch ihre Aussage persönlich einer Straftat bezichtigen müssten. Der Schutz der natürlichen Person kann in einem Verbandssanktionsverfahren nicht hinter dem Schutz des Strafverfahrens im Allgemeinen zurückstehen, sodass § 55 Abs. 1 StPO Anwendung finden oder ein dementsprechendes Pendant geschaffen werden müsste. Dies ist grundlegend festzuhalten, und darüber sollte in einem Verbandssanktionenrecht ein schneller Konsens erzielt werden können. Die Ausübung dieses Rechts für den Verband sollte anderen Unternehmensmitarbeitern jedoch nicht zukommen.613 cc) Selbstbelastungsfreiheit aktueller Organe und gesetzlicher Vertreter Zunächst kommt es in Betracht, den aktuellen Organen und gesetzlichen Vertretern des Unternehmens das Recht der Selbstbelastungsfreiheit für sich selbst zuzubilligen. Hier kann diskutiert werden, ob dies eher in § 55 Abs. 1 StPO oder in der Behandlung wie ein Beschuldigter verankert werden sollte. Für Zweiteres spricht, dass die Organe und gesetzlichen Vertreter gerade für den Verband auftreten, damit dieser seiner Rolle als Beschuldigter und damit als Prozesssubjekt nachkommen kann. Dann sollten sie jedoch auch die Rechte des Prozesssubjektes haben. Ebenso wichtig ist, dass den Organen und gesetzlichen Vertretern das Nemotenetur-Recht als vollumfängliches Schweigerecht des Verbandes (als Beschuldigter) zukommt, sodass die vollständige Verweigerung der Äußerung möglich ist und nicht nur hinsichtlich einzelner Fragen eine Äußerung verweigert werden kann. Darüber hinaus entfällt damit die (für § 55 Abs. 1 StPO) notwendige Voraussetzung der Glaubhaftmachung der selbstbelastenden Wirkung der Aussage für den Verband. Hierfür spricht vor allem, dass die aktuellen Organe und gesetzlichen Vertreter sich 613

Wohl differenzierend Trüg, StV 2020, 779 (784).

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6. Kap.: Grundstruktur eines Verbandssanktionenrechts de lege ferenda

aufgrund ihrer Stellung, die Interessen des Verbandes zu wahren und zu vertreten, sowie der Verantwortlichkeit für die Willensbildung des Verbandes in einer Zwangslage befinden können, wenn sie bei einer drohenden Belastung des Verbandes nicht schweigen dürfen und ergo aussagen müssen.614 Nach der vorliegend verfolgten Ratio und Herleitung des Nemo-tenetur-Rechts für den Verband, bestehend aus dem Schutz des Rechts auf Verteidigung und dem Rechtsstaatsprinzip, würde die Selbstbelastungsfreiheit hier nicht nur unerheblich beschnitten. In concreto meint dies, dass Mitglieder der aktuellen Organe und gesetzliche Vertreter zu einer Aussage gezwungen werden könnten, welche den Verband belasten und ihn somit in seiner Verteidigungsfreiheit beschränken könnte. Dies ist so nicht hinnehmbar, da der Verband in einem künftigen Verbandssanktionsverfahren die vollwertige Beschuldigtenstellung erhalten soll. Die Selbstbelastungsfreiheit muss sich also für die oben genannten Personengruppen auf Aussagen beziehen. Würde eine andere, nicht derart umfassende Regelung gewählt werden, wie beispielsweise nur die Gewährung von § 55 Abs. 1 StPO, bestünde die Gefahr, eine effektive Verteidigung des Verbandes bereits im Grunde unmöglich zu machen. Eine solche Lösung, die aktuelle Organe und gesetzliche Vertreter inkludiert, scheint auch interessengerecht, da die Organe und Vertreter eines Verbandes die umfangreichsten Kenntnisse über Vorgänge im Unternehmen und insbesondere bezüglich der Verteidigung haben werden. Inwiefern dieser Schutz darüber hinaus auch auf Gegenstände, Unterlagen und Dateien615 erstreckt werden sollte, wird im weiteren Verlauf zu klären sein. dd) Selbstbelastungsfreiheit ehemaliger Organe und gesetzlicher Vertreter Ob auch ehemalige Organe und gesetzliche Vertreter das Recht haben sollten, den Verband nicht belasten zu müssen, ist indes fraglich. Geht man davon aus, dass dieser Personenkreis kein Schweigerecht mehr innehätte, könnte hierin ein Einfallstor für Missbräuche und Uferlosigkeit liegen, da bereits ein bloßer Wechsel von Mitgliedern bzw. Vertretern zu der Negierung führen würde und sie den Verband unmittelbar belasten müssten.616 An der Stelle könnten ebenfalls Praktikabilitätserwägungen eine herausragende Rolle spielen: Gerade während eines laufenden Verbandssanktionsverfahrens ist es aus vielfältigen Gründen denkbar, dass beispielsweise bei einer börsennotierten Aktiengesellschaft Mitglieder des Vorstands oder Aufsichtsrats ihren Posten räumen müssen und durch neue Mitglieder ersetzt werden.

614 Vgl. Weiß, JZ 1998, 289 (296); krit. Queck, Die Geltung des nemo-tenetur-Grundsatzes zugunsten von Unternehmen, S. 137 ff. 615 Zu elektronischen Beweismitteln im Strafprozessrecht Warken, NZWiSt 2017, 289. 616 Vgl. auch Trüg, StV 2020, 779 (784): „Jedenfalls sollte man sehen, dass bei Verbänden im Verhältnis Tatzeitpunkt und Durchführung des Verfahrens eine fehlende personale Identität der Organe nicht unwahrscheinlich ist.“

E. Nemo-tenetur-Grundsatz im Verbandssanktionsverfahren

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Dem könnte zwar entgegenhalten werden, dass, solange eine natürliche Person Mitglied einer juristischen Person ist, ihr dieses Recht gewährt wird, sobald sie aber den Verband verlässt, damit auch die Gewährleistung der Selbstbelastungsfreiheit zu Gunsten des Verbandes zu diesem Zeitpunkt endet, so wie auch Rechte und Pflichten anderer Vertragsverhältnisse enden. Dies würde im Ergebnis bedeuten, dass es ausschließlich von der Stellung der natürlichen Person im Verband abhängen würde, ob ihr dieses Recht gewährt wird. Würde diesen kein Schweigerecht (mehr) zuteil, müssten sie den Verband unter Umständen noch, wie oben schon allgemein angeführt, im laufenden Verfahren belasten, was einen enormen Nachteil für den Verband bedeuten dürfte, dem die Vorbereitung und Durchführung der Verteidigung durch die Aussagepflicht unmöglich gemacht würde. Dadurch würde der Verband im Grunde gezwungen, die Mitglieder von Vorstand und Aufsichtsrat (beispielsweise trotz erheblicher Differenzen und eines mangelnden Vertrauensverhältnisses sowie unter Außerachtlassung potentieller ökonomischer Effizienz) auch über einen noch unbestimmten Zeitraum, da die Verfahren in der Regel eine erhebliche Zeit beanspruchen werden, zu behalten, nur um sich nicht dem Risiko auszusetzen, dass die Ausgeschiedenen den Verband bereits im aktuellen Sanktionsverfahren belasten müssen. In der Hinsicht des ausgeschiedenen Mitglieds lässt sich zudem eine möglicherweise viel treffendere Parallele zu einer natürlichen Person anführen: Auch einem Ehegatten, der sich scheiden lässt, steht weiterhin das Auskunftsverweigerungsrecht gemäß § 55 Abs. 1 StPO (i.V.m. § 52 Abs. 1 Nr. 2 StPO) zu, was ferner vergleichbar, beispielsweise zu einem ausgeschiedenen Vorstands- bzw. Aufsichtsratsmitglied, ist. Auch hierin kann ein Anhaltspunkt gesehen werden, dem ehemaligen Mitglied weiterhin die Selbstbelastungsfreiheit für den Verband zu gewähren. Eine vermittelnde Problemlösung zwischen beiden extremen Ansichten, die sich keines Vergleichs bedienen muss und noch spezifischer basierend auf der Herleitung aus Rechtsstaatlichkeit und dem Recht des Schutzes auf Verteidigung fußt, könnte indes darin liegen, dass man ehemaligen Organen und gesetzlichen Vertretern das Recht auf Selbstbelastungsfreiheit zwar nach dem Austritt gewährt, diese Gewährung aber nicht uferlos annimmt. Eine beschränkende Option könnte darin bestehen, eine temporäre Grenze zu ziehen und beispielsweise bis zu 10 Jahre nach dem Austritt eines Organs oder gesetzlichen Vertreters diesem die Selbstbelastungsfreiheit weiterhin zu gewährleisten. Ein solcher Ansatz würde aber erhebliche Unwägbarkeiten mit sich bringen, da in sich geschlossene Lebensvorgänge und Altfälle künstlich auseinandergerissen würden und einem durchführbaren Verfahren daher ähnlich im Weg stünden, wie bei einer grenzenlosen Gewährung der Selbstbelastungsfreiheit für ehemalige Mitglieder, weshalb eine temporäre Grenze letztlich nicht überzeugt. Darüber hinaus würde eine temporäre Grenze insgesamt eine Konturenlosigkeit mit sich bringen, da die

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6. Kap.: Grundstruktur eines Verbandssanktionenrechts de lege ferenda

konkrete Grenze arbiträr ansetzbar wäre, wenn es keine weiteren Fristen gäbe, die eingehalten werden müssten. Eine andere und im Ergebnis vorzugswürdige Möglichkeit besteht darin, auch früheren Mitgliedern die Selbstbelastungsfreiheit zuzusprechen, soweit sie an der Verteidigung beteiligt waren. Eine solche Lösung scheint vor allem hinsichtlich der oben genannten Herleitung des Nemo-tenetur-Grundsatzes für Verbände sachgerecht, da die Durchführung der Verteidigung durch das Recht auf Selbstbelastungsfreiheit so in angemessenem Maße geschützt würde. Darüber hinaus würde das (gerechtfertigte) „Minus“ des Rechts der Selbstbelastungsfreiheit im Vergleich zu den aktuellen Organen und gesetzlichen Vertretern deutlich hervortreten. Demgegenüber hätte der Staat folglich Zugriff auf das Wissen der ehemaligen Organe und gesetzlichen Vertreter, welche nicht an der Verteidigung des Verbandes beteiligt waren. Ihnen käme somit eine Aussagepflicht im Sanktionsverfahren gegen den Verband in dieser Hinsicht zu. Bezüglich der Beurteilung, ob eine Beteiligung an der Verteidigung des Verbandes vorlag, ist eine materielle Beurteilung vorzugswürdig. Zwar wird das an den Rändern grundsätzlich schwierig zu beurteilen sein, jedoch gilt dies bereits zum jetzigen Zeitpunkt für andere Zeugnisverweigerungsrechte ebenfalls (zum Beispiel für die Beurteilung, ob ein Verlöbnis besteht). ee) Interessenkonflikt: Schweigerecht und Schweigepflicht Auch wenn geklärt wurde, dass ein Nemo-tenetur-Recht der aktuellen und ehemaligen (sowie neuen) Repräsentanten (eingeschränkt) besteht, sagt dies noch nichts darüber aus, inwiefern von diesem Recht Gebrauch gemacht wird bzw. wie die Willensbildung hierüber im Verband erfolgt. Die Gewährung eines Schweigerechts bedeutet nämlich nicht automatisch, dass die Repräsentanten zum Schweigen verpflichtet sind, sondern ausschließlich, dass sie schweigen können. Hier muss gefragt werden, wer entscheidet, ob der Verband sich auf seine Selbstbelastungsfreiheit beruft oder aussagt. Möglich wäre, dass der jeweils spezifische Vertreter des Verbandes selbst entscheidet, ob er für den Verband aussagt oder sich auf die Selbstbelastungsfreiheit beruft. Dies kann jedoch zu unterschiedlichen Kontroversen innerhalb der Vertreter/ Organe führen, da eine uneinheitliche Handhabung die Folge sein könnte, wenn ein Vertreter im Verfahren gegen den Verband zwar schweigt, ein anderer jedoch aussagt. Bei diesem Lösungsweg wäre ein solcher Konflikt nicht auf strafrechtlicher Ebene zu lösen, sondern es kann mit Zerbes angenommen werden, dass dies ein typisches Risiko/eine systemimmanente Eigenschaft eines Verbandes ist, das/die auf der Verbandsebene geklärt werden muss.617 In diesem Fall müsste weiter geklärt werden, ob die Behörden die anderen Vertreter sodann vernehmen dürften und die Angaben verwertbar wären. 617

So Zerbes, ZStW 2017 (129), 1035 (1049).

E. Nemo-tenetur-Grundsatz im Verbandssanktionsverfahren

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Aufgrund der angeführten Schwächen wäre es daher vorzugswürdiger, dass die Entscheidung, ob die Repräsentanten das Nemo-tenetur-Recht für den Verband ausüben, durch satzungsgemäße Mehrheitsentscheidung der Willensbildungsorgane getroffen wird.618 In Frage stünde bei diesem Lösungsweg, ob die Vertreter/Organe des Verbandes, bevor die Mehrheitsentscheidung getroffen worden ist, vernommen werden dürften. Dafür kann sprechen, dass dem Verband als Beschuldigten nicht nur das Schweigerecht, sondern auch das Aussagerecht zusteht. Jedoch würde dadurch der Lösungsweg über eine Mehrheitsentscheidung und somit letztlich auch die Entscheidung hinsichtlich einer Verteidigungslinie des Verbandes konterkariert, da im Vorhinhein Aussagen getätigt werden könnten, aber im Nachhinein beschlossen werden könnte, dass der Verband sich auf die Selbstbelastungsfreiheit beruft. Dadurch würde das Nemo-tenetur-Recht des Verbandes letztlich ausgehöhlt. Infolgedessen sollte eine Vernehmung der den Verband vertretenen Repräsentanten vor dem Beschluss der Mehrheitsentscheidung nicht möglich sein, außer dieser Beschluss würde vom Unternehmen explizit rechtsmissbräuchlich vereitelt oder hinausgezögert, um Vernehmungen zu verhindern. Erfolgt eine Vernehmung dennoch im Vorhinein und ist kein Rechtsmissbrauch hinsichtlich des Mehrheitsbeschlusses ersichtlich, sollte ein Beweisverwertungsverbot der Angaben die Folge sein. Zu bedenken wäre auch, ob dieser Mehrheitsbeschluss des Verbandes letztlich dahingehend Bindungswirkung gegenüber den Strafverfolgungsbehörden entfaltet, dass jemandem eine Aussage untersagt wird, wenn sich die Mehrheit gegen eine Aussage entschlossen hätte. Davon ist, da die Willensbildung des Verbandes in Form des Mehrheitsbeschlusses nach gesellschaftsrechtlichen Regelungen erfolgt, auszugehen.619 Möglich ist darüber hinaus, dass ein Repräsentant in Personalunion, sowohl für das Unternehmen als auch für sich selbst, auftritt und eigene Interessen und solche des Unternehmens wahrnimmt, was besonders brisant wäre, wenn dem Repräsentanten selbst aufgrund der Anlasstat ein eigenes gegen ihn gerichtetes Strafverfahren droht.620 Die Problematik besteht darin, dass es für ihn selbst (strafrechtlich) günstiger sein könnte, von seinem Schweigerecht Gebrauch zu machen, für den Verband aber vorteilhafter wäre, wenn er aussagen würde. Dieser Fall ist freilich ebenso umgekehrt denkbar.621 Wenn dieser Konflikt für das Unternehmen und/oder die Strafverfolgungsbehörden offensichtlich ist, wäre eine mögliche Lösung dieser Konfliktsituation, dass das Unternehmen das Organ/den gesetzlichen Vertreter auswechselt (bzw. aus618 So auch schon Queck, Die Geltung des nemo-tenetur-Grundsatzes zugunsten von Unternehmen, S. 241 ff. 619 Vgl. auch Queck, Die Geltung des nemo-tenetur-Grundsatzes zugunsten von Unternehmen, S. 241 m.w.N. 620 Der hierdurch drohende Interessenkonflikt geht über denjenigen, der als allgemeines Problem immer zwischen Mitbeschuldigten bestehen kann, noch weit hinaus, weil hier ein Mitbeschuldigter gerade „für den anderen“ (d. h. für die Gesellschaft) handeln könnte. 621 Vgl. zu diesen Konstellationen insgesamt Zerbes, ZStW 2017 (129), 1035 (1048).

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6. Kap.: Grundstruktur eines Verbandssanktionenrechts de lege ferenda

wechseln kann) oder gesetzlich sogar eine Pflicht zur Auswechslung vorgeschrieben wird,622 wenn ein Individualstrafverfahren gegen den Repräsentanten eingeleitet wird. Für den Fall der freiwilligen Auswechslung könnte der oben genannte Vorschlag zum Schweigerecht von ausgeschiedenen Organen/gesetzlichen Vertretern greifen, sodass ihnen ein Schweigerecht (wohlgemerkt aber keine Schweigepflicht) zukäme bezüglich Antworten, welche die Vorbereitung der Verteidigung betreffen, aber kein extensiveres Schweigerecht. Im Umkehrschluss würde bei diesen Personen eine Auskunftspflicht zu Lasten des Verbandes im Verfahren gegen den Verband bestehen, sofern sie sich nicht selbst strafrechtlich belasten müssten. Ein Interessenkonflikt dürfte hier überdies jedenfalls deshalb nicht mehr bestehen, da der Repräsentant ja ausgeschieden ist und daher nur noch seine eigenen Interessen vertreten wird. Würde hingegen eine gesetzliche Pflicht (und nicht nur die Möglichkeit) zur Auswechslung des Betroffenen umgesetzt, würde jedenfalls ein schwerwiegender Konflikt drohen: Dieser ergäbe sich einerseits im Hinblick auf Art. 12 GG und andererseits bezüglich der Unschuldsvermutung, wenn bereits die Einleitung eines Verfahrens dazu führen würde, dass eine Verpflichtung zur Auswechslung des Betroffenen bestünde, da er durch die automatisch eintretende Auswechslung in seiner Berufsfreiheit nach Art. 12 GG berührt wäre. Darüber hinaus würde das Prinzip der Unschuldsvermutung außer Kraft gesetzt. Dadurch würde eine nicht nur unerhebliche Kontroverse heraufbeschworen werden, sodass jedenfalls eine gesetzliche Pflicht zur Auswechslung des Betroffenen, aufgrund der Einleitung eines Strafverfahrens, abzulehnen ist. Indes besteht die Gefahr, dass nicht, weder für das Unternehmen noch für die Strafverfolgungsbehörden, offensichtlich ist, dass ein Organ/Vertreter in die Tat involviert ist und dadurch ein verdeckter Interessenkonflikt besteht.623 Hierbei handelt es sich um ein der Verbandsstruktur geschuldetes Risiko, was letztlich dadurch gelöst werden kann, dass der Verband die Möglichkeit hat, Vertreter vorsorglich auszutauschen. Bleibt die Involvierung in die Tat den Verfolgungsbehörden verborgen oder kommt erst später ans Licht, sollte ein Beweisverwertungsverbot die Folge sein. Der Interessenkonflikt hat typischerweise keine Auswirkungen, wenn mehrheitlich beschlossen wird, das Nemo-tenetur-Recht für den Verband auszuüben, da in dem Fall keine Belastung des Verbandes durch eine Aussage der Organe/ Vertreter zu befürchten ist.

622

Im schweizerischen Verbandsstrafrecht besteht hierzu eine gesetzliche Pflicht. Anders ist dies im österreichischen VbVG geregelt, wonach das Unternehmen diese Entscheidung selbst frei treffen kann, ob es einen Austausch vornimmt oder nicht. So bei Zerbes, ZStW 2017 (129), 1035 (1048). 623 Zu den unterschiedlichen denkbaren Konstellationen Queck, Die Geltung des nemotenetur-Grundsatzes zugunsten von Unternehmen, S. 248 ff.

E. Nemo-tenetur-Grundsatz im Verbandssanktionsverfahren

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ff) Selbstbelastungsfreiheit der Verteidiger, der Syndikusanwälte und der Rechtsabteilung Hinsichtlich der Selbstbelastungsfreiheit müssen ebenfalls die Verteidiger des Verbandes sowie insbesondere Mitarbeiter der Rechtsabteilung, vor allem aber die Syndikusanwälte,624 besonders bedacht werden. Verteidigern sollte hierbei im Interesse des Verbandes auf jeden Fall das Zeugnisverweigerungsrecht des § 53 StPO gewährt werden, da das Vertrauensverhältnis zum Mandanten sowie eine effiziente Vorbereitung und Durchführung der Verteidigung des Unternehmens anderenfalls kaum möglich sein wird. Darüber hinaus sollten auch die Mitarbeiter der Rechtsabteilung nicht dazu gezwungen werden können, eine Aussage zu tätigen, mit der sie den Verband belasten müssten.625 Dies muss ebenfalls für Syndikusanwälte gelten, da sie sicherlich vertiefte Kenntnis hinsichtlich haftungs- bzw. verteidigungsrelevanter Unternehmensinterna haben. Die Syndikusanwälte werden beispielsweise auch in anderen Rechtsordnungen besonders bedacht.626 So werden sie in der Schweiz sogar zu den Mitarbeitern der Unternehmensleitung gezählt, weshalb ihnen dort ein Schweigerecht zusteht.627 Gleiches gilt, wenn auch mit anderer Begründung, ebenfalls partiell, in Österreich.628 Dort haben die Syndikusanwälte, abhängig von ihrer Position, häufig leitende Kontrollbefugnisse, sodass sie von einer Pflicht, als Zeuge aussagen zu müssen, befreit sind.629 Insgesamt kann konsentiert werden, dass ein Schweigerecht für den genannten Personenkreis nicht nur sinnvoll wäre, sondern dieser Weg bereits mehrfach (erfolgreich) in anderen Ländern gegangen wurde. gg) Selbstbelastungsfreiheit faktischer Organe Gleichwohl nicht weniger, da sehr praxisnah, relevant ist, ob die Selbstbelastungsfreiheit ebenfalls faktischen Organen zukommen sollte. Allgemein, sofern die Figur des faktischen Organs anerkannt wird,630 wird darunter eine Person verstanden, 624

Vgl. Zerbes, ZStW 2017 (129), 1035 (1046). Jedoch soll dieses Recht nicht allen Mitarbeitern der Rechtsabteilung gleichermaßen zukommen. Vielmehr müsste auf die oben erwähnte Differenzierung zurückgegriffen werden. Vgl. S. 347. 626 Eine (Einzelfall-)Ausnahme hiervon bildete der NRW-Entwurf. Dieser beschränkte das Schweigerecht auf organschaftliche Vertreter und versperrte somit den Weg zum Schweigerecht der Syndikusanwälte. Dieser Schritt kann nicht überzeugen, da gerade bei den Syndikusanwälten des Unternehmens viele Informationsstränge zusammenlaufen und so bei diesen häufig eines der Wissensmonopole des Unternehmens liegen wird, sodass die Negierung eines Schweigerechts die geschützte Verteidigung in weiten Teilen unmöglich machen würde. 627 So bei Zerbes, ZStW 2017 (129), 1035 (1046). 628 Siehe dazu Zerbes, ZStW 2017 (129), 1035 (1046 f.). 629 Zerbes, ZStW 2017 (129), 1035 (1046 f.). 630 Dies trifft wohl im Allgemeinen zu, vgl. statt vieler BGH v. 22. 09. 1982 – 3 StR 287/82, NJW 1983, 240 (241); BeckOK StGB/Momsen/Laudien, StGB § 14 Rn. 67 m.w.N.; KK625

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6. Kap.: Grundstruktur eines Verbandssanktionenrechts de lege ferenda

die zwar kein Organ ist, aber wie ein solches verantwortlich gemacht werden soll.631 Das wohl populärste Beispiel dürfte der faktische Geschäftsführer sein,632 welcher hier symbolisch für alle faktischen Organe genannt werden soll. Von einem faktischen Geschäftsführer ist, vereinfacht, die Rede, wenn eine natürliche Person mit Wissen der anderen Gesellschafter tatsächlich Geschäftsführungsaufgaben633 wahrnimmt, ohne formell zum Geschäftsführer bestellt zu sein.634 Doch was genau darunter verstanden wird bzw. welche Kriterien bei der Frage, ob eine faktische Geschäftsführung überhaupt vorliegt, heranzuziehen sind, ist unsicher.635 Die Rechtsprechung hat mehrfach eine Formel angewendet, nach der es sich um einen faktischen Geschäftsführer handelt, wenn dieser 1. intern auf die satzungsmäßigen Geschäftsführer einwirkt und 2. ein eigenes nach außen tretendes, üblicherweise der Geschäftsführung zurechnendes Handeln vornimmt.636 Gerade nicht erforderlich soll es jedoch sein, dass der faktische Geschäftsführer die anderen Geschäftsführer verdrängt.637 Solche faktischen Organe sollten ebenfalls mit in den Schutzbereich des Nemotenetur-Rechts einbezogen werden, da ansonsten, wie bei den aktuellen Organen und gesetzlichen Vertretern, keine effiziente Möglichkeit zur Vorbereitung und Durchführung der Verteidigung des Verbandes geboten werden kann, sodass sich eine Gleichstellung anbietet. Die faktischen Organe sollten daher eindeutig in das Gesetz inkludiert und hinsichtlich des Rechts auf die Selbstbelastungsfreiheit separat genannt werden.

OWiG/Rogall, OWiG § 9 Rn. 46; grundlegend zu der Frage der Strafbarkeit eines faktischen Organs im Unternehmensstrafrecht Tzouma, Strafbarkeit des faktischen Organs, passim. 631 So bei Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 14 III. 4.; dazu im Zusammenhang mit § 30 Abs. 1 Nr. 5 OWiG Wittig, Wirtschaftsstrafrecht, § 12 Rn. 14. 632 Siehe dazu BGH v. 28. 05. 2002 – 5 StR 16/02, NJW 2002, 2480 (2483); Kindler, Handels- und Gesellschaftsrecht, § 16 Rn. 44 ff.; ausführlich zur Figur des faktischen Geschäftsführers im Rahmen des § 43 GmbHG BeckOK GmbHG/Ziemons/Pöschke, GmbHG § 43 Rn. 17 ff.; zur Begrifflichkeit auch Tzouma, Strafbarkeit des faktischen Organs, S. 189 ff. 633 So auch bei BeckOK GmbHG/Ziemons/Pöschke, GmbHG § 43 Rn. 21 die unter Verweis auf die Rspr. unter anderem noch auf die Kriterien des Ausmaßes und der Intensität der vom faktischen Geschäftsführer übernommenen Unternehmensführung abstellen. 634 BGH v. 06. 04. 1964 – II ZR 75/62, BGH NJW 1964, 1367 = BGHZ 41, 282; BGH v. 21. 03. 1988 – II ZR 194/87, NJW 1988, 1789 = BGHZ 104, 44. 635 Stein, ZHR 1984, 207 (212 ff.); krit. diff. zum Konzept des faktischen Organs Kratzsch, ZGR 1985, 506 (513 f.). 636 So BGH v. 25. 02. 2002 – II ZR 196/00, NJW 2002, 1803 (1805); BGH v. 21. 03. 1988 – II ZR 194/87, NJW 1988, 1789 (1790); BGH v. 10. 05. 2000 – 3 StR 101/00, NJW 2000, 2285 f. 637 BGH v. 11. 07. 2005 – II ZR 235/03, NZG 2005, 816; BGH v. 21. 03. 1988 – II ZR 194/87, NJW 1988, 1789 f.; so auch bei Kindler, Handels- und Gesellschaftsrecht, § 16 Rn. 46.

E. Nemo-tenetur-Grundsatz im Verbandssanktionsverfahren

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hh) Verwertbarkeit von Internal Investigations? In Frage steht ebenfalls, wie sich die Situation darstellt, wenn es um die Verwertbarkeit der Angaben eines Mitarbeiters (Haftungsauslöser oder eines anderweitigen Unternehmensangehörigen) im Rahmen von internen Ermittlungen im Sanktionsverfahren gegen das Unternehmen selbst ginge. In diesem Fall sollten die Angaben des Haftungsauslösers grundsätzlich und insbesondere ohne seine Zustimmung verwertet werden dürfen, außer wenn es sich um Verteidigungsunterlagen handelt oder diese aufgrund der Anwendung einer der genannten Methoden in § 136a Abs. 1 und 2 StPO erlangt wurden. Dass es sich hierbei um Verteidigungsmaterial handeln wird, wird in der Praxis nicht immer zutreffen, beispielsweise aber dann einschlägig sein, wenn über Verteidigungsstrategien im Rahmen von Internal Investigations gesprochen wurde oder diese sogar die spezifische Grundlage für die Verteidigung bilden. Anderenfalls sollte kein Beweisverwertungsverbot bestehen. Gleiches sollte ebenfalls für anderweitige Mitarbeiter des Unternehmens im Verfahren gegen den Verband gelten. Nicht selten werden interne Ermittlungen durch einen Rechtsanwalt durchgeführt, sodass auch dessen Position bzw. dessen Rechte und Pflichten im Zusammenhang mit den Angaben des Mitarbeiters aus den Internal Investigations für das Verbandssanktionsverfahren vorliegend bedacht werden müssen. Für den Rechtsanwalt des Unternehmens kommt zum einen ein Zeugnisverweigerungsrecht nach § 53 StPO in Betracht, welcher somit im Verbandssanktionenrecht anwendbar sein oder zu dem ein Korrelat geschaffen werden sollte. Darüber hinaus kommt ihm eine strafrechtliche Schweigepflicht aus § 203 StGB zu. Diese dürfte auch nicht deshalb abgelehnt werden, weil er als Rechtsanwalt des Unternehmens und nicht des Mitarbeiters tätig wird, was daraus resultiert, dass § 203 StGB lediglich darauf rekurriert, dass er das Geheimnis „in beruflicher Eigenschaft erfahren“ hat. Dies trifft auf den Rechtsanwalt eines Unternehmens auch für die Angaben, welche Mitarbeiter bei internen Untersuchungen machen, zu. 2. Die Gewinnung von sächlichen Beweismitteln (Selbstbelastungsfreiheit sensu lato) Eine nähere Erörterung ist auch für die Gewinnung von sächlichen Beweismitteln in einem zukünftigenVerbandssanktionsverfahren erforderlich. a) Im Verfahren gegen den Haftungsauslöser Neben dem oben genannten Schutz, der sich auf die verbale Kommunikation bezieht, muss darüber hinaus gefragt werden, inwiefern sich die Freiheit des Zwangs, sich nicht selbst belasten zu müssen, auch auf die Gewinnung von Beweismitteln erstreckt, ergo, ob eine Duldungs- und/oder Mitwirkungspflicht bei der Beweisgewinnung bestehen sollte. Grundsätzlich könnten die §§ 94 ff. StPO entsprechende

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6. Kap.: Grundstruktur eines Verbandssanktionenrechts de lege ferenda

Anwendung finden, die sich mit der Sicherstellung von Beweismitteln befassen. Im Sinne von § 94 Abs. 1 StPO ist für die Sicherstellung eine Ingewahrsamnahme (als Realakt) ausreichend, wenn die natürliche Person, welche den Gegenstand in Gewahrsam hat, ihn freiweillig herausgibt.638 Gemäß § 94 Abs. 2 StPO wird hingegen eine förmliche Beschlagnahme angeordnet,639 wenn der Gewahrsamsinhaber den Gegenstand nicht freiwillig herausgeben will. Die Anwendung der §§ 94 ff. StPO könnte der Gesetzgeber entweder durch eine entsprechende Anwendung der StPO oder ein Pendant im Verbandssanktionenrecht regeln. aa) Haftungsauslöser Geht es um den Haftungsauslöser selbst im Verfahren gegen ihn, sollten die §§ 94 ff. StPO, wie de lege lata auch, auf ihn als Beschuldigten Anwendung finden. Daraus ergibt sich, dass den Haftungsauslöser zwar eine Duldungspflicht bei der Gewinnung sächlicher Beweismittel treffen würde, es jedoch keine Anordnung der Herausgabe seitens der Behörden geben sollte bzw. selbst wenn es ein Herausgabeverlangen geben würde, dieses nicht mit Ordnungsmitteln durchsetzbar wäre.640 Anderenfalls würde der Nemo-tenetur-Grundsatz unterlaufen. bb) Anderweitige Mitarbeiter Aus der oben festgelegten Stellung der anderen Mitarbeiter als Zeugen im Verfahren gegen den Haftungsauslöser folgt, dass die §§ 94 ff. StPO ebenfalls Anwendung finden könnten, sodass Duldungspflichten bestehen. Nach allgemeiner Meinung muss ein Zeuge bei der Gefahr der Selbstbelastung keine Gegenstände herausgeben bzw. diese können von den Behörden nicht herausverlangt werden. cc) Organe und gesetzliche Vertreter des Verbandes Hinsichtlich der Vertreter des Verbandes ist die oben vorgenommene Unterscheidung bei der Aussage als kommunikativer Akt, bei einer potentiellen eigenen Selbstbelastung der Vertreter oder bei der Belastung für den Verband hier ebenfalls anzuwenden. In der ersten Konstellation resultiert aus der Zeugenstellung der Vertreter wiederum die Anwendung der §§ 94 ff. StPO, sodass zwar eine Duldungspflicht besteht, ein Herausgabeverlangen indes nicht zulässig wäre bzw. nicht mit Zwangs- oder Ordnungsmitteln durchsetzbar wäre, soweit sie sich mit der Herausgabe selbst belasten würden.

638

Vgl. Beulke/Swoboda, Strafprozessrecht, Rn. 246. Zur allgemeinen Beschlagnahmefähigkeit von Unterlagen (unabhängig vom Nemotenetur-Grundsatz) auch Trüg, StV 2020, 779 (784). 640 Grundlegend MüKoStPO/Hauschild, StPO § 95 Rn. 19. 639

E. Nemo-tenetur-Grundsatz im Verbandssanktionsverfahren

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In der zweiten Konstellation sollte den Organen/Vertretern hinsichtlich der Duldungs- und Mitwirkungspflichten (für den Verband) das Nemo-tenetur-Recht für den Verband zukommen. Da das Nemo-tenetur-Recht des Verbandes im Verfahren gegen den Haftungsauslöser jedoch nicht weiter reichen kann als im Verfahren gegen den Verband selbst, gelten die unten vorgenommenen Einschränkungen des Nemotenetur-Rechts, welche sich darauf beziehen, dass partiell eine Mitwirkungspflicht bejaht wird, auch an dieser Stelle.641 dd) Verteidiger, Syndikusanwälte und Rechtsabteilung In Bezug auf die Verteidiger, Syndikusanwälte und die Rechtsabteilung resultiert für diese Personengruppen aus ihrer Zeugenstellung, sofern es um ihre eigene Selbstbelastung geht, dass die §§ 94 ff. StPO Anwendung finden mit der Folge, dass sie als Zeugen nicht zur Herausgabe von Gegenständen, die sie selbst belasten könnten, verpflichtet werden können. Jedenfalls für Verteidiger (und darüber hinaus im Einzelfall auch für Syndikusanwälte) gilt außerdem das Beschlagnahmeverbot nach § 97 Abs. 1 StPO, sodass es auf die Glaubhaftmachung einer eigenen Selbstbelastung gar nicht ankommen würde. Darüber hinaus sollte ihnen das Nemo-tenetur-Recht des Verbandes zukommen. Da es sich hierbei nur um das abgeleitete Nemo-tenetur-Recht des Verbandes handeln würde, kann dieses nicht weiter reichen als das Nemo-tenetur-Recht des Verbandes selbst. Daraus folgt, dass die genannten Personengruppen ebenfalls eine eingeschränkte Mitwirkungspflicht haben, soweit diese eben auch für den Verband angenommen wird. Insoweit allerdings davon auszugehen ist, dass eine Herausgabepflicht für solche Unterlagen, die mit der Verteidigung zusammenhängen, nicht besteht, dürfte sie im genannten Personenkreis ohnehin nur von geringer Bedeutung sein, da die meisten dort verfügbaren Unterlagen, die den Verband belasten können, wohl auch verteidigungsrelevant sind.642 b) Im Verfahren gegen den Verband Grundsätzlich kommen einem Beschuldigten zwar Duldungs-, aber keine Mitwirkungspflichten im Verfahren zu. An dieser Stelle könnte ein künftiges Verbandssanktionenrecht jedoch modifiziert werden. Hierfür ist es wichtig, den Schutzgegenstand des Nemo-tenetur-Rechts einzubeziehen. Basierend auf der bevorzugten Ratio und Herleitung aus der Verteidigungsfreiheit und dem Rechtsstaatsprinzip ist relevant, ob der der Selbstbelastungsfreiheit typische immanente Rollenkonflikt des Beschuldigten besteht. Dieser liegt insbesondere darin, auf der einen Seite als Prozesssubjekt die Möglichkeit zu haben, Vorwürfe bestreiten zu können, sich auf der anderen Seite aber ohne das Recht der Selbstbelastungsfreiheit 641 642

Siehe S. 364. Vgl. auch unten S. 365.

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6. Kap.: Grundstruktur eines Verbandssanktionenrechts de lege ferenda

zum Zeugen gegen sich selbst machen zu müssen und sich somit nicht effektiv verteidigen zu können. Dementsprechend sind vom Schutzbereich zunächst, wie festgestellt, mit Sicherheit verbale Kommunikationsakte erfasst.643 Der Frage, ob darüber hinaus ebenfalls Duldungs- und Mitwirkungspflichten unter den Nemotenetur-Grundsatz fallen, soll somit im folgenden Verlauf nachgegangen werden.644 aa) Haftungsauslöser Für den Haftungsauslöser selbst, der im Verfahren gegen den Verband die Zeugenstellung innehat, finden die §§ 94 ff. StPO Anwendung. Aus seiner Zeugenstellung und demgemäß § 55 StPO resultiert, dass er sofern es um Unterlagen und Gegenstände geht, die ihn selbst belasten können keine Herausgabepflicht hat. Geht es hingegen um die Ausübung des Rechts für den Verband, kann ihm hier kein weitergehendes Nemo-tenetur-Recht als dem Verband (als Beschuldigten) selbst gewährt werden, sodass ihm allenfalls das abgeleitete Nemo-tenetur-Recht zukommt, welches in eingeschränkter Form Mitwirkungspflichten enthalten kann. bb) Anderweitige Mitarbeiter Wie bereits festgestellt, kommt den anderen Mitarbeitern des Verbandes im Verfahren gegen den Verband eine Zeugenstellung zu, verbunden mit der Folge, dass bei einer drohenden Selbstbelastung § 55 Abs. 1 StPO geltend gemacht werden kann, und mit der Konsequenz der Anwendung der §§ 94 ff. StPO. Einschränkungen der Zeugen- oder Herausgabepflichten gelten für die anderen Mitarbeiter nur hinsichtlich ihrer eigenen Selbstbelastung. Die Ausübung des Rechts für den Verband ist auch bei der Gewinnung von sächlichen Beweismitteln für sie nicht möglich. cc) Organe und gesetzliche Vertreter des Verbandes Die Ausgestaltung des Rechts des Verbandes sich auf die Selbstbelastungsfreiheit zu berufen ist, wie dargestellt, nicht eindimensional, sondern mehrstufig, was auch bzw. gerade in einem künftigen Verbandssanktionenrecht Berücksichtigung finden sollte. Allgemein könnte sich eine Duldungspflicht des Verbandes zum Beispiel darauf beziehen, dass er Durchsuchungen und Beschlagnahmen von Dokumenten und Dateien dulden muss, die Mitwirkungspflicht insbesondere darauf, dass Un643

So auch unter Bezugnahme auf die BVerfG Rechtsprechung und den historischen Ursprung von dem Nemo-tenetur-Recht Queck, Die Geltung des nemo-tenetur-Grundsatzes zugunsten von Unternehmen, S. 205 ff.; Böse, GA 2002, 98 (128); Lorenz, JZ 1992, 1000 (1006); zur Differenzierung von Aussage und nonverbalen Kommunikationsakten auch Verrel, NStZ 1997, 415 (417 ff.); Radtke, FS Meyer-Goßner, S. 321 (330 f. m.w.N.). 644 Die ganz h.M. verneint an dieser Stelle die Erzwingung der Herausgabe gegenüber dem Beschuldigten: Köhler, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO § 95 Rn. 5; KK-StPO/Greven, StPO § 95 Rn. 2; dazu auch Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 34 Rn. 11; Schlüchter, Straverfahren, Rn. 291; Radtke, FS Meyer-Goßner, S. 321 (330 f. m.w.N.).

E. Nemo-tenetur-Grundsatz im Verbandssanktionsverfahren

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terlagen von den Strafverfolgungsbehörden angefordert werden können, welche der Verband herausgeben muss und welche bei Negierung des Herausgabeverlangens beschlagnahmt werden könnten.645 Insgesamt geht es folglich um die allgemeine Mitwirkung bei der Gewinnung von Sachbeweisen. Der zuletzt genannte Punkt markiert dabei den Anfang eines möglichen Scheidewegs zwischen den unterschiedlichen Herleitungen und Zweckerwägungen, die man dem Nemo-tenetur-Grundsatz für Verbände beimisst, da es hier maßgeblich für die Reichweite des Rechts sein kann, ob beispielsweise auf die Verfahrensfairness oder auf das Recht des Schutzes auf Verteidigung in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip als Ratio des Nemo-tenetur-Rechts abgestellt wird. (1) Duldungspflichten des Verbandes Wie oben bereits erwähnt, schützt der Nemo-tenetur-Grundsatz in Deutschland den Beschuldigten davor, dazu gezwungen zu werden, aktiv an seiner eigenen strafrechtlichen Überführung mitwirken zu müssen. Im Zuge dessen wird es dennoch als allgemein zulässig erachtet, dass der Beschuldigte die Pflicht zur passiven Duldung staatlicher Maßnahmen hat. Hierin ist explizit kein Verstoß gegen den Nemo-tenetur-Grundsatz zu sehen. Eine derartige Ausgestaltung sollte auch in einem künftigen Verbandssanktionenrecht parallel Anwendung finden bzw. diese sollte übertragen werden, da strafrechtliche Ermittlungen, die zu einem zielführenden Ergebnis kommen, ansonsten nicht denkbar wären. Darüber hinaus kann in den Duldungspflichten eines Verbandes (ausgeübt durch seine gesetzlichen Vertreter/Organe) auch kein Verstoß gegen den Nemo-tenetur-Grundsatz erblickt werden: Durch die Auferlegung von Duldungspflichten der Strafverfolgungsbehörden gegen den Verband, beispielsweise behördliche Maßnahmen wie Kontrollen und Durchsuchungen hinzunehmen, bezieht der Verband hierdurch nicht selbst zu dem Tatvorwurf Stellung und wird deshalb nicht in seiner Verteidigung beschränkt oder festgelegt. Regelungstechnisch könnte hier eine Anwendung der §§ 94 ff. StPO in Betracht kommen, sodass beispielsweise die Sicherstellung und Beschlagnahme von Gegenständen zu Beweiszwecken ausdrücklich zulässig wäre. Es besteht auch die Möglichkeit, dass der Gesetzgeber ein entsprechendes Pendant zu §§ 94 ff. StPO im Verbandssanktionenrecht schafft.646

645 Kommt der Verband diesem Verlangen nicht nach, könnten gegen ihn die gängigen Zwangsmittel verhängt werden, vgl. § 95 Abs. 2 S. 1 StPO, insbesondere käme wohl die Verhängung eines Ordnungsgeldes nach § 70 Abs. 1 StPO in Betracht. 646 Freilich sind auch ggf. informationstechnische Ermittlungen wie insbesondere gemäß § 100a StPO möglich, bei denen sich aber regelmäßig keine Nemo-tenetur-Fragen stellen, da diese Maßnahmen vielfach verdeckt erfolgen. Dazu grundlegend Valerius, Ermittlungen der Strafverfolgungsbehörden in den Kommunikationsdiensten des Internet, passim; vgl. auch ders., JR 2007, 275 ff.

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6. Kap.: Grundstruktur eines Verbandssanktionenrechts de lege ferenda

(2) Abhängigkeit der Mitwirkungspflichten des Verbandes von der Ratio des Nemo-tenetur-Rechts Interessant ist, ob der Verband auch Mitwirkungspflichten haben sollte. Scheint die Sachlage hinsichtlich der Duldungspflichten in einem Verbandssanktionsverfahren noch relativ eindeutig, ergeben sich größere Schwierigkeiten bei dem Topos, ob ein Verband ebenfalls zur aktiven Mitwirkung im Verfahren verpflichtet werden kann oder ob dies gegen sein Nemo-tenetur-Recht verstößt. Wäre hierin ein Verstoß zu sehen, müsste des Weiteren geklärt werden, ob und wie ein solcher Verstoß möglicherweise vermieden werden könnte und dabei die Effizienz des Verbandssanktionsverfahrens auf der einen Seite sichergestellt werden kann, auf der anderen Seite aber der Nemo-tenetur-Grundsatz für den Verband nicht (unangemessen) ausgehöhlt wird. Im Rahmen der Mitwirkungspflichten könnten sich unterschiedliche Ergebnisse je nach Ratio des Nemo-tenetur-Grundsatzes für Verbände ergeben. Schließt sich der Gesetzgeber grundsätzlich einer prozessualen Herleitung der Selbstbelastungsfreiheit für Verbände an, gibt es, wie festgestellt, mehrere Spielarten für die spezifische Herleitung und Ratio, bei denen sich jedenfalls partiell die Möglichkeit ergibt, bei der Selbstbelastungsfreiheit Abstufungen vorzunehmen. (a) Sicherung der prozessualen Beweisführungslast als Ratio der Selbstbelastungsfreiheit Bildet das Prinzip der Verfahrensfairness und damit als eine Komponente dieser die Sicherung der Beweisführungslast die Ratio der Selbstbelastungsfreiheit, bietet der Nemo-tenetur-Grundsatz den Unternehmen einen umfänglichen Schutz, aus welchem keine aktive Pflicht zur Herausgabe erfolgen kann. Dieser Schluss resultiert daraus, dass die Hauptintention bei Herleitung aus dem Fair-Trial-Grundsatz darin besteht, die „prozessuale Beweisführungslastverteilung zwischen Staat und Beschuldigtem abzusichern“.647 Das kann nur erreicht werden, wenn sich das Nemotenetur-Recht ebenfalls (neben Aussagen) auch auf die Herausgabe von Unterlagen und Gegenständen erstreckt. Nach einem derartigen Verständnis würde dem Verband ein extensiviertes Nemo-tenetur-Recht zukommen, da er neben dem Recht, die Aussage zu verweigern, ebenfalls nicht aktiv durch Mitwirkungspflichten gebunden werden könnte. Ein derartiger Weg sollte für ein zukünftiges deutsches Verbandssanktionenrecht aber nicht eingeschlagen werden, da er eine zu weitreichende Extension der Selbstbelastungsfreiheit intendieren würde. Vielmehr soll der Fokus auf 647

So Dannecker, ZStW 2015 (127), 991 (1005) rekurrierend auf EGMR v. 03. 05. 2001 – 31827/96 (J. B. vs. Schweiz) Rn. 64, NJW 2002, 499 (501): In der Entscheidung wird dazu festgehalten: „Das Recht, sich nicht selbst zu beschuldigen, setzt insbesondere voraus, dass die Behörden versuchen müssen, ihre Behauptungen zu beweisen, ohne auf Beweise zurückzugreifen, die durch Zwang oder Druck gegen den Willen der ,angeklagten Person‘ erlangt sind.“ Wenngleich darauf hinzuweisen ist, dass Dannecker, ZStW 2015 (127), 370 (390 ff.) m.w.N.; 991 (1005) jedenfalls nicht ausdrücklich bzw. im Schwerpunkt auf die Sicherung der Beweislastführungsverteilung als wesentliche Komponente des Fair-Trial-Prinzips abstellt.

E. Nemo-tenetur-Grundsatz im Verbandssanktionsverfahren

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der Verteidigungsfreiheit des Prozesssubjekts in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip und den daraus folgenden Konsequenzen liegen. (b) Verteidigungsfreiheit des Prozesssubjekts und Rechtsstaatsprinzip als Ratio der Selbstbelastungsfreiheit Werden der Schutz des Rechts auf Verteidigung, das Rechtsstaatsprinzip und Art. 6 Abs. 3 lit. b und c EMRK, § 148 StPO (als prozessuale Gewährleistung des Nemo-tenetur-Rechts) als Grundlage der Selbstbelastungsfreiheit und somit als Ratio gewählt, können sich hierdurch Einschränkungen für dieses Recht, im Gegensatz zu der Grundlage der Verfahrensfairness, ergeben. Liegt der Fokus demnach auf dem Recht des Schutzes auf Verteidigung dergestalt, „dass der Beschuldigte im Prozess oder in dessen Vorfeld infolge staatlichen Zwangs den Vorwurf nicht einzuräumen verpflichtet ist, so impliziert dies eine Begrenzung des nemo teneturGrundsatzes auf erzwungene kommunikative Selbstbelastungshandlungen des Beschuldigten“.648 Vertreter dieser bevorzugten Annahme rekurrieren dabei auf den Rollenkonflikt des Beschuldigten: Als Prozesssubjekt müsse er auf der einen Seite einen Vorwurf bestreiten, müsse ihn aber auf der anderen Seite ohne Nemo-tenetur als „Zeuge gegen sich selbst“ in tatsächlicher Hinsicht einräumen.649 Der Verband muss sich also effektiv verteidigen können und in einem Verbandssanktionsverfahren als Beschuldigter selbst entscheiden, ob und inwieweit er sich kommunikativ am Prozess (als Prozesssubjekt) beteiligt. Hier ergibt sich der Unterschied: Durch die Herausgabe von Unterlagen (und Sachbeweisen) ist es zwar möglich, dass der Tatnachweis geführt wird, dennoch muss sich der oben genannte Rollenkonflikt nicht (jedenfalls in dem umfassenden Maße) wie bei einer kommunikativen Aussage ergeben, weil es auch denkbar ist, dass der Verband als Beschuldigter in seiner Position gegen den Vorwurf unbeeinträchtigt bleibt, da bzw. wenn der Herausgabe unter bestimmten Voraussetzungen an sich kein eigenständiger Aussagewert zukommt.650 Aus diesem Grunde ist anzunehmen, dass insbesondere eine Herausgabepflicht der Verbände von Sachbeweisen in einem bestimmten umgrenzten Rahmen bestehen kann und diese Konturierung des Nemo-tenetur-Rechts sich bereits aus der Ratio des Schutzes auf Verteidigung ergeben kann. In diesem Zusammenhang soll die Wirkung des originären Nemo-tenetur-Rechts somit im Verbandssanktionsverfahren für den Verband als Beschuldigten eingeschränkt werden, da er unter bestimmten Voraussetzungen zur Herausgabe be648 Dannecker, ZStW 2015 (127), 991 (1005 f.) m.w.N.; ferner in diesem Kontext Lesch, Strafprozessrecht, S. 198 m.w.N., der die Auffassung vertritt, dass sich der Nemo-teneturGrundsatz auf die Aussagefreiheit bei förmlichen Vernehmungen beschränke und daher nicht auf andere Ermittlungsmaßnahmen angewendet werden könne; Queck, Die Geltung des nemotenetur-Grundsatzes zugunsten von Unternehmen, S. 205 f. 649 Dannecker, ZStW 2015 (127), 991 (1006). 650 Ähnlich Queck, Die Geltung des nemo-tenetur-Grundsatzes zugunsten von Unternehmen, S. 205 ff.

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6. Kap.: Grundstruktur eines Verbandssanktionenrechts de lege ferenda

stimmter Dinge verpflichtet werden sollte, während ein Beschuldigter (natürliche Person) nichts herausgeben muss bzw. gegen ihn keine Ordnungsmittel verhängt werden können, wenn er eine Herausgabe verweigert. Dies kann jedoch nur in dem Rahmen gelten, wenn der Herausgabe der Gegenstände an sich kein eigenständiger (selbstbelastender) Aussagewert zukommt, der einer Selbstbelastung durch einen kommunikativen Akt gleichkommen würde. Dafür spricht, dass der Nemo-tenetur-Grundsatz ebenso wie andere grundrechtliche Garantien bzw. Prozessmaximen nicht aus jedem Blickwinkel uneingeschränkt gilt. Somit soll der Nemo-tenetur-Grundsatz zwar auf juristische Personen Anwendung finden, aber eben aufgrund seiner Ratio (im Gegensatz zum uneingeschränkten Nemo-tenetur-Recht für natürliche Personen als Beschuldigte) eingeschränkt. Hierfür lässt sich auch anführen, dass aufgrund der in dieser Arbeit bevorzugten Ratio und Ableitung aus dem Rechtsstaatsprinzip und dem Recht des Schutzes auf Verteidigung eine Abwägung an den Rändern zulässig sein kann, was ebenfalls durch die eingeschränkte Herausgabepflicht abgebildet wird. Zusätzlich dürfte eine Herausgabe weniger invasiv sein als eine Aussagepflicht, da Gegenstände – anders als Aussagen – zumindest regelmäßig auch im Wege der (für den Betroffenen meist keineswegs schonenderen) Durchsuchung und Beschlagnahme erlangt werden können. Darüber hinaus besteht ein Vorteil bzw. Ausgleich für den Verband darin, dass andere das Recht für ihn ebenfalls wahrnehmen können (was beim Individualbeschuldigten so typischerweise nicht der Fall ist). Der Verband ist somit nicht schlechter, sondern nur „anders“ gestellt, und für diese Ungleichbehandlung gibt es plausible Gründe aus der Struktur des Verbandes im Unterschied zu natürlichen Personen. (aa) Zulässige Herausgabepflicht von Beweismitteln: Voraussetzungen Allgemein zulässig sollte es sein, dass die Verbände zur Herausgabe von Dokumenten, Gegenständen (und Dateien) verpflichtet werden können, welche aufgrund gesetzlicher Pflichten bereits entstanden sind. Hinsichtlich der letzten Voraussetzung ist es denkbar, dass genau wie bei § 95 StPO in einem Verbandssanktionsverfahren nur bereits existente Beweismittel herausgegeben werden müssen und keine Pflicht besteht, neue Beweismittel herzustellen.651 Eine derartige Regelung würde ebenfalls für ein Verbandssanktionenrecht Sinn machen, da sich diese Problematik aufgrund der Vielzahl an Sachbeweisen freilich häufig stellen wird. So dürften nach einer solchen Regelung die Sachbeweise, beispielsweise Unterlagen, nicht erst deshalb entstehen, weil die Strafverfolgungsbehörde einen Rechtsverstoß registriert hat, gegen welchen sie nun mit Hilfe der zu erstellenden Informationen ermitteln möchte. Hier hätte die Herstellung solcher Unterlagen einen eigenen Aussagewert, welcher das Verbot des Zwangs, sich nicht selbst belasten zu müssen, tangieren würde.652 651 652

Vgl. statt vieler MüKoStPO/Hauschild, StPO § 95 Rn. 3. Vgl. Dannecker, ZStW 2015 (127), 991 (1004, 1006 ff.).

E. Nemo-tenetur-Grundsatz im Verbandssanktionsverfahren

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Neben dem Erfordernis, dass das Beweismittel bereits existent sein muss, ist eine weitere Voraussetzung unerlässlich, um von einer zulässigen Mitwirkungspflicht des Verbandes sprechen zu können und den Nemo-tenetur-Grundsatz nach der hier zugrundegelegten Ratio und Herleitung in einem Verbandssanktionenrecht konsequent anzuwenden: Die Verfolgungsbehörden müssten verpflichtet werden, die Herausgabepflicht bzw. die Sachbeweise konkret zu nennen. Einzelne Beweismittel müssten derart spezifisch bezeichnet werden, dass der Herausgabe durch den Beschuldigten wiederum kein eigenständiger Erklärungsgehalt mehr zukäme, der einen Rückschluss auf eine Selbstbelastung bzw. unter Umständen sogar ein Geständnis der Tat zulassen könnte.653 Dieses Spezifikeitskriterium würde beispielsweise erfüllt, wenn die Bilanzberichte der Jahre 2000 bis 2002 von einem Verband gefordert würden. Hier sollte der Verband die Herausgabe folglich nicht unter Berufung auf den Nemo-tenetur-Grundsatz verweigern können, da er sich durch die Herausgabe nicht in dem oben genannten Rollenkonflikt befände, denn hierdurch würde keine eigenständige Aussage bzgl. der Tat getätigt. Folglich würde die Verteidigung des Verbandes nicht bereits durch die Pflicht zur Herausgabe dieser konkreten Sachbeweise festgelegt. Eine solche konsequente Anwendung des aus dem Recht des Schutzes auf Verteidigung in Verbindung mit dem Rechtstaatsprinzip folgenden Nemo-teneturRechts für Verbände wäre auch interessengerecht, da ein Unternehmen kein Recht auf die Privatheit von strafrechtlich relevanten Unterlagen (Dateien, Dokumenten und Gegenständen) haben kann. Mögliche Folgen eines Nichtnachkommens dieser Verpflichtung könnten sich aus der Anwendung der §§ 94 ff. StPO oder einem entsprechenden Pendant im Verbandssanktionenrecht ergeben. (bb) Unzulässige Herausgabepflicht von Beweismitteln Unzulässig wäre es nach dem vorgestellten Lösungsweg im Umkehrschluss, wenn das Unternehmen von den Strafverfolgungsbehörden dazu aufgefordert würde, alle mit der Tat zusammenhängenden Bilanzberichte in ihrer Allgemeinheit herauszugeben oder ganz generell alle „maßgeblichen Sachbeweise“ herauszugeben.654 Die Unzulässigkeit ergibt sich daraus, dass durch die allgemeine Aufforderung vom Verband verlangt würde, eine Auswahl hinsichtlich der für die weitere Verfolgung potentiell entscheidenden Beweise zu treffen, was gegen den Nemo-teneturGrundsatz verstoßen würde, da dieser Herausgabe ein eigener Erklärungswert zukäme, der die Verteidigung des Verbandes beschränken bzw. festlegen könnte. Neben dem eigenständigen Aussagegehalt dieser vom Verband auszuwählenden Beweismittel, der gegen die Selbstbelastungsfreiheit verstoßen würde, könnte darüber hinaus nach zutreffender Auffassung von Dannecker mit diesem Verlangen ebenfalls die Verpflichtung verbunden sein, „die Existenz einzelner konkreter Beweismittel zu

653 654

Dazu Dannecker, ZStW 2015 (127), 991 (1006 f.). Dannecker, ZStW 2015 (127), 991 (1006).

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6. Kap.: Grundstruktur eines Verbandssanktionenrechts de lege ferenda

offenbaren, von denen die Ermittlungsbehörden noch keine Kenntnis haben“.655 Das würde ebenfalls eine nicht hinnehmbare Einschränkung des Nemo-tenetur-Grundsatzes bedeuten, da hierbei die Verteidigung möglicherweise nicht mehr geschützt organisiert werden kann. Aus diesem Grund müsste sich der Verband infolgedessen auf sein Nemo-tenetur-Recht berufen und seine Mitwirkung daher verweigern dürfen. Auf der Basis dieser Herleitung und Ratio des Nemo-tenetur-Rechts für den Verband dürfte eine unzulässige Verpflichtung der Herausgabe von, wenn auch von Seiten der Behörden ausreichend konkretisierten, Beweismitteln, also in den Fällen anzunehmen sein, in denen es sich bei diesen Unterlagen und Gegenständen um Verteidigungsunterlagen handelt, welche für die Vorbereitung und Durchführung der Verteidigung erforderlich sind, und eine geschützt organisierte Verteidigung anderenfalls nicht organisiert werden könnte. Hier sollten bei Weigerung der Herausgabe durch die vom Nemo-tenetur-Recht des Verbandes erfassten Personen, wie vor allem den Organen und gesetzlichen Vertretern, keine Ordnungs- oder Zwangsmittel angewendet werden dürfen. Wünschenswert wäre an dieser Stelle ein konkretes Handeln des Gesetzgebers, der festlegen müsste, wie zu bestimmen ist, ab wann es sich bei Unterlagen um „spezifische Verteidigungsunterlagen“ handelt. Anderenfalls droht eine Missbrauchsgefahr seitens der Unternehmen. Dies wirft zwar mitunter enorme Schwierigkeiten auf, da sich allgemein gültige Erfordernisse, ab wann Unterlagen zu Verteidigungsunterlagen zählen, nur schwer statuieren lassen werden. Letztlich sind diese aber nicht anders gelagert als bei den Individualbeschuldigten. Insoweit kann auf die in der Rechtsprechung und Literatur entwickelten (wenn auch vielfach noch unvollständigen sowie vagen) Kriterien zurückgegriffen werden.656

655

Dannecker, ZStW 2015 (127), 991 (1006 f.). Allgemein wird von der Rechtsprechung festgehalten, dass über den Wortlaut § 97 Abs. 1 StPO hinausgehend, Unterlagen, die ein Beschuldigter erkennbar zu seinen Verteidigungszwecken während eines laufenden Strafverfahrens anfertigt, nicht beschlagnahmt oder gegen seinen Widerspruch verwertet werden dürfen. Zur Feststellung, ob es sich um Verteidigungsunterlagen handelt wird von der Rechtsprechung darauf rekurriert, ob für einen Außenstehenden erkennbar ist, ob es sich um Verteidigungsunterlagen handelt. Wenn dies bei einer Durchsuchung nicht sofort erkennbar ist, lässt die Rechtsprechung eine vorläufige Sicherstellung zu. Darüber hinaus soll eine Beschlagnahme vom Beschuldigten nicht dadurch verhindert werden können, dass er Unterlagen lediglich als Verteidigungsunterlagen bezeichnet oder mit letzteren vermischt. So BGH v. 30. 01. 2002 – 2 BvR 2248/00, NJW 2002, 1410 = NStZ 2002, 377 f.; BGH v. 25. 02. 1998 – 3 StR 490/97, NJW 1998, 1963 = NStZ 1998, 309. In diesem Kontext wird weiter davon ausgegangen, dass eine Pflicht zur sofortigen und ungelesenen Herausgabe nur besteht, sofern die Eigenschaft der Unterlagen als „Verteidigungsunterlage“ offensichtlich ist, da anderenfalls eine Durchsicht nötig wäre. So ebenfalls BGH v. 30. 01. 2002 – 2 BvR 2248/00, NJW 2002, 1410 = NStZ 2002, 377 f.; KK-StPO/Greven, StPO § 97 Rn. 24 f.; Köhler, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO § 110 Rn. 2. 656

E. Nemo-tenetur-Grundsatz im Verbandssanktionsverfahren

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dd) Verteidiger, Syndikusanwälte und Rechtsabteilung Die oben genannten Personengruppen haben im Verfahren gegen den Verband für sich selbst die Zeugenstellung inne, sodass ihnen zum einen bei einer möglichen eigenen Selbstbelastung (auch durch die Herausgabe von Unterlagen und Gegenständen) § 55 Abs. 1 StPO, zum anderen aber teilweise kraft ihres Berufes auch § 53 StPO zukommt, weshalb im Rahmen der §§ 94 ff. StPO keine Verpflichtung zur Herausgabe besteht. Hinsichtlich der Frage, ob sie das Nemo-tenetur-Recht für den Verband ausüben dürfen, kann vorliegend wiederum nur ein eingeschränktes Nemo-tenetur-Recht bejaht werden, da es sich nur um das vom Verband abgeleitete Nemo-tenetur-Recht handelt, welches nicht weiter reichen darf als das Nemo-tenetur-Recht des Verbandes selbst, sodass insbesondere die Pflicht zur aktiven Mitwirkung in dem Umfang besteht, wie sie auch für den Verband angenommen wird soweit nicht § 53 StPO entgegensteht. Insofern allerdings davon auszugehen ist, dass eine Herausgabepflicht für solche Unterlagen, die mit der Verteidigung zusammenhängen, nicht besteht, dürfte sie im genannten Personenkreis nur von geringer Bedeutung sein, da die meisten dort verfügbaren Unterlagen, die den Verband belasten können, wohl auch verteidigungsrelevant sind.657 c) Verwertbarkeit der Ergebnisse von Internal Investigations? Wie erwähnt, spielen Internal Investigations im Zusammenhang mit dem Nemotenetur-Grundsatz eine wichtige Rolle. Bereits erörtert wurde, inwiefern die Ergebnisse von natürlichen Personen (zum Beispiel von dem Haftungsauslöser oder anderweitigen Unternehmensangehörigen) in den unterschiedlichen Prozessen verwertet werden dürfen bzw. inwiefern die Selbstbelastungsfreiheit eingreift. Diese Frage ist nicht minder relevant, wenn es um die Ergebnisse von Internal Investigations des Verbandes selbst, ergo um die für ihn handelnden Organe und gesetzlichen Vertreter geht. Auch hier muss wieder zwischen dem Verfahren gegen den Haftungsauslöser und dem Sanktionsverfahren gegen den Verband differenziert werden. aa) Verwertbarkeit der Ergebnisse von Internal Investigations des Verbandes im Strafverfahren gegen den Haftungsauslöser Geht es um die Verwertung der Ergebnisse von Internal Investigations des Verbandes im Verfahren gegen den Haftungsauslöser, ergeben sich keine Unterschiede zu dem oben vorgestellten Lösungsansatz zu den Unternehmensangehörigen. Dies meint, dass die Ergebnisse grundsätzlich im Strafverfahren gegen den Haftungsauslöser verwertet werden können. Eine Ausnahme könnte sich ergeben, wenn der 657

Vgl. S. 365.

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6. Kap.: Grundstruktur eines Verbandssanktionenrechts de lege ferenda

Verband sich mit den beschlagnahmten Unterlagen selbst belasten müsste. Dann sollte die Verwertung wiederum von der Zustimmung des Verbandes und daher von der Zustimmung der Organe und gesetzlichen Vertreter abhängig gemacht werden. Kritikern, die auf etwaige Interessenkonflikte der Organe/gesetzlichen Vertreter hinsichtlich der Zustimmung abstellen, sei mit auf den Weg gegeben, dass, sofern ein Beschlagnahmeverbot angenommen wird, jede Herausgabe der Ergebnisse wohl als Zustimmung zu verstehen sein dürfte, sodass die Bedeutung der Aussagen der Organe/gesetzlichen Vertreter damit letztlich nur gering, jedenfalls aber absehbar sein dürfte. bb) Verwertbarkeit der Ergebnisse von Internal Investigations des Verbandes im Verfahren gegen den Verband Das bereits präsentierte Ergebnis einer „Zustimmungslösung“ ist ebenfalls zu verfolgen, wenn es um die Verwertbarkeit der Ergebnisse aus internen Ermittlungen des Verbandes im Verfahren gegen den Verband selbst geht. Das oben Gesagte kann daher auf den hiesigen Abschnitt transferiert werden. Würde dies anders gesehen und eine vollständige Verwertung zugelassen werden, würde der oben gewährte Nemotenetur-Grundsatz konterkariert und damit letztlich eine „Hülle ohne Kern“ kreiert. Dies sollte auf jeden Fall vermieden werden, was durch eine „Zustimmungslösung“ erreicht werden kann. Hier ist davon auszugehen, dass eine Beschlagnahme der Aufzeichnungen von internen Untersuchungen seitens der Strafverfolgungsbehörden unzulässig wäre, da diese (nach dem hier präferierten Lösungsansatz) vom Beschlagnahmeverbot des § 97 StPO erfasst sind.658 d) Zwischenfazit Aus der vorangehenden Untersuchung wird deutlich, dass es vielfältige ebenso wie partiell komplexe Anwendungsbereiche des Nemo-tenetur-Grundsatzes für Verbände gibt. Hierbei sollte die inhaltliche Ausgestaltung des Rechts im Wesentlichen seiner Herleitung und Ratio folgen. Gangbar wären an dieser Stelle aber, das sei trotz der bevorzugten Lösung über den Rückgriff auf das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit in Verbindung mit dem Recht des Schutzes der Verteidigung erwähnt, mehrere Wege. 3. Die mittelbare Wirkung des Nemo-tenetur-Grundsatzes auf andere Verfahrensarten Nachdem die tragende Bedeutung des Nemo-tenetur-Grundsatzes für Verbände im Rahmen von einem künftigen Verbandssanktionsverfahren festgestellt wurde, da 658 Da es sich hierbei um ein spezifisches Problem der internen Untersuchungen handelt, siehe dazu S. 476.

E. Nemo-tenetur-Grundsatz im Verbandssanktionsverfahren

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für Verbände ebenfalls (wie für natürliche Personen) ein großes Gefahrenpotential zur Selbstbelastung ausgemacht werden konnte, ist nun zu fokussieren, ob der Grundsatz ebenfalls bereits in anderen Verfahren für Verbände zur Anwendung kommen könnte, mithin ob der strafrechtliche Nemo-tenetur-Grundsatz eine Ausstrahlungswirkung zeitigen könnte.659 Dies hängt in weiten Teilen wiederum von seiner Ratio ab, die, wie oben festgestellt, in dem Recht des Schutzes auf Verteidigung in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip gesehen werden soll. Daraus ergibt sich zunächst, dass eine unmittelbare Anwendung in außerstrafrechtlichen Verfahren wie dem verwaltungsund zivilrechtlichen Verfahren abzulehnen ist, da sich der Verband als Beschuldigter in diesen nicht gegen den ihm zur Last gelegten strafrechtlichen Tatvorwurf verteidigen müssen wird bzw. erzwungene Aussagen innerhalb dieser Verfahren zunächst nicht die Verteidigungsfreiheit beschränken. Diese Schlussfolgerung ist konsequent, wenngleich die Verneinung einer unmittelbaren Wirkung des Nemotenetur-Grundsatzes nicht automatisch jegliche Wirkung auf andere Verfahren ausschließt: So könnte der Nemo-tenetur-Grundsatz eine Ausstrahlungswirkung auf andere Verfahren haben und sich, wenn schon nicht unmittelbar, dann jedenfalls mittelbar auswirken, sofern dies im Einklang mit dem geltenden Strafrechtssystem stehen würde. Ebendies soll im Folgenden eruiert werden, wobei auf die unterschiedlichen Pflichten in den außerstrafrechtlichen (bzw. strafrechtsähnlichen) Verfahren, welche die Gefahr einer (wenngleich erst zukünftigen) Selbstbelastung eines Verbandes bergen, kurz eingegangen wird und sodann ein potentieller Lösungsweg dieses scheinbaren Dilemmas aufgezeigt werden soll. a) Die Mitwirkung im Verwaltungsverfahren Jene eben beschriebene Gefahr für einen Verband, sich selbst belasten zu müssen, stellt sich beispielsweise auch in einem Verwaltungsverfahren und nicht, wie auf den ersten Blick vermutet werden könnte, erst im Verbandssanktionsverfahren. Dies resultiert daraus, dass sich im Verwaltungsverfahren zu einem großen Maße bestimmte Mitwirkungspflichten und Pflichten zur behördlichen Überwachung660 wiederfinden, durch welche sich ein Verband unter Umständen strafrechtlich be-

659 Zu beachten ist, dass es zwar bereits de lege lata einige Normen im Verwaltungsverfahren gibt, die Auskunftsverweigerungsrechte statuieren, es jedoch vorliegend um die Auskunft von spezifisch strafrechtlichen Anhaltspunkten im Verwaltungsverfahren und deren Konflikt mit dem Nemo-tenetur-Grundsatz geht. 660 Beispielhaft genannt seien hier statt vieler nur § 93 Abs. 1 S. 1 AO (Auskunftspflicht gegenüber Finanzbehörde); § 22 Abs. 1 Nr. 2 BtMG (Auskunftspflicht gegenüber Personen, die mit der Überwachung beauftragt sind), § 24 Abs. 1 BtMG (Duldungs- und Mitwirkungspflicht).

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6. Kap.: Grundstruktur eines Verbandssanktionenrechts de lege ferenda

lasten muss.661 In concreto besteht die Gefahr des Zwangs zur Mitwirkung an der Selbstbelastung des Verbandes insbesondere bei der Informationsgewinnung im Verwaltungsverfahren, wodurch ein Verstoß gegen den Nemo-tenetur-Grundsatz begründet werden könnte, wenn er (mittelbar) sachlich angewendet werden könnte. Dies soll an den Beispielen der Auskunftspflichten gegenüber einer Behörde und gesetzlichen Anzeige- und Erklärungspflichten sowie weiteren Duldungs- und Mitwirkungspflichten des Verbandes im Verwaltungsverfahren veranschaulicht werden.662 aa) Auskunftspflichten gegenüber einer Behörde Im Rahmen des Verwaltungsverfahrens könnten sich für einen Verband Auskunftspflichten, durch das Verlangen einer Behörde, zur Informationsgewinnung und Sachverhaltsaufklärung, ergeben.663 Wenn der Verband durch sie gezwungen würde, sich selbst einer Straftat zu bezichtigen, würde dies mangels unmittelbarer Anwendung der Selbstbelastungsfreiheit nicht schon an sich vom Nemo-teneturGrundsatz erfasst, da er, wie erwähnt, in außerstrafrechtlichen Verfahren und somit insbesondere im Verwaltungsverfahren bis dato keine Anwendung findet. Denknotwendigerweise folgt daraus, dass sich der Verband nicht auf das Nemo-teneturRecht berufen und so zur Aussage gezwungen werden kann, ohne dass ein Verstoß gegen den Nemo-tenetur-Grundsatz vorliegt, selbst wenn er damit einen strafrechtlichen Vorwurf einräumen muss. Ein möglicher Verstoß gegen den Nemo-tenetur-Grundsatz könnte sich aber aus einer späteren Verwertung der Aussage im Verfahren gegen den Verband ergeben, sodass ein Konflikt zwischen Aussagepflicht und Selbstbelastungsfreiheit entstehen würde, weshalb für derartige Konstellationen für ein Verbandssanktionsverfahren de lege ferenda eine angemessene Lösung gefunden werden muss. Die Notwendigkeit einer Lösung besteht insbesondere deshalb, weil das Gefährdungspotential für Verbände hier herausragend hoch ist, da diesen eine große Anzahl an Anzeige- und Meldepflichten obliegen, denen sie unbedingt nachkommen müssen, um ihre Tätigkeit ausüben zu können. bb) Gesetzliche Anzeige- und Erklärungspflichten Neben den Auskünften, welche auf Verlangen einer Behörde hin zu erteilen sind, gibt es ebenfalls gesetzliche Anzeige- und Erklärungspflichten. Durch sie wird der Betroffene, also der Verband, bereits von Gesetzeswegen verpflichtet, Auskunft zu 661 Zu den Mitwirkungspflichten und der Gefahr der Selbstbelastung eines Unternehmens am Beispiel des Immissionsschutzrechtes Queck, Die Geltung des nemo-tenetur-Grundsatzes zugunsten von Unternehmen, S. 44 ff. 662 Ausführlich zu unterschiedlichen Pflichten des Verbandes im Verwaltungsverfahren Böse, Wirtschaftsaufsicht und Strafverfolgung, S. 437 ff. 663 Zu diesem Aspekt Böse, Wirtschaftsaufsicht und Strafverfolgung, S. 204 ff. m.w.N.

E. Nemo-tenetur-Grundsatz im Verbandssanktionsverfahren

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erteilen.664 Solche Pflichten bestehen für Verbände aufgrund zahlreicher Gesetze in besonderem Maße, wie beispielsweise §§ 29, 67 AMG, § 15 BImSchG sowie die Vorlage von Jahresabschlüssen und Prüfungsberichten nach § 26 KWG oder § 21 Nr. 2 UBGG. Auch durch diese Art der Informationsmitteilung an die Behörde durch Gesetz könnte ein Verband gezwungen werden, sich selbst einer Straftat zu bezichtigen, was wiederum bei einer späteren Verwertung im Verbandssanktionsverfahren zu einer Kollision mit dem Nemo-tenetur-Grundsatz führen könnte. Diese Art der Informationserteilung ist unabhängig von dem Willen bzw. dem Verlangen der Behörde, stellt aber ebenso eine Gefahr der Selbstbelastung des Verbandes dar, wenn derartiges Wissen im Verbandssanktionsverfahren verwertet würde. cc) Duldungs- und Mitwirkungspflichten Daneben ist zu fragen, inwiefern andere Duldungs- und Mitwirkungspflichten des Verbandes zu einer Kollision mit dem Nemo-tenetur-Grundsatz führen könnten. Die Duldungspflicht eines Verbandes, beispielsweise im Verwaltungsverfahren behördliche Maßnahmen wie Kontrollen und Durchsuchungen hinzunehmen, verstößt nicht gegen den Nemo-tenetur-Grundsatz, da der Verband hierdurch nicht selbst zu dem Tatvorwurf Stellung bezieht, was ihn ansonsten in seiner geschützten Verteidigung beschränken könnte. Hier bestünde also eine Ähnlichkeit zu einem Verbandssanktionsverfahren de lege ferenda, sodass der Verband zur Duldung verpflichtet sein sollte und Informationen, die sich aus diesen Duldungsmaßnahmen ergeben, ebenfalls in einem späteren Verbandssanktionsverfahren gegen den Verband verwertet werden könnten. Hinsichtlich aktiver Mitwirkungspflichten bestünden hingegen weitaus größere Schwierigkeiten, da diese im Verbandssanktionsverfahren, wie festgestellt, einige Fragen aufwerfen dürften und partiell sicher im Konflikt mit dem Nemo-teneturGrundsatz stehen könnten, sodass hierfür eine Lösung gefunden werden muss. Präferiert wird ein einheitlicher Lösungsweg für alle im verwaltungsrechtlichen Verfahren betroffenen Auskünfte und Mitwirkungspflichten, wobei im Anschluss an diesen Abschnitt trotzdem mehrere Lösungsoptionen aufgezeigt werden. dd) Lösungsansätze Aus der vorangehenden Untersuchung folgt, dass das Nemo-tenetur-Recht des Verbandes bei einer Verwertung der im Verwaltungsverfahren gewonnenen Informationen im späteren Verbandssanktionsverfahren augenscheinlich sehr schnell und auf vielfache Art und Weise verletzt werden könnte und sich daraus ein schwieriger Konflikt ergibt. Deshalb muss untersucht werden, welche verfahrensrechtlichen Konsequenzen sich daraus ergeben könnten, wie eine künftige Regelung der Materie 664 Vgl. zu diesen Vorgängen ausführlich und mit zahlreichen Beispielen: Böse, Wirtschaftsaufsicht und Strafverfolgung, S. 203 f.

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6. Kap.: Grundstruktur eines Verbandssanktionenrechts de lege ferenda

aussehen könnte und ob es möglich ist, einen Verstoß gegen den Nemo-teneturGrundsatz bereits im Grunde zu vermeiden.665 (1) Das Nemo-tenetur-Recht des Verbandes im Verwaltungsverfahren Es bestehen mehrere Möglichkeiten zur Lösung dieser misslichen Lage:666 Als erste Option könnte der Verband bereits im Grunde von den verwaltungsrechtlichen Auskunfts-, Erklärungs- und Anzeigepflichten befreit werden, indem man ihm ein Mitwirkungsverweigerungsrecht für das Verwaltungsverfahren zuspricht, wenn er sich selbst dadurch einer Straftat belasten müsste. Dies würde bedeuten, den Nemotenetur-Grundsatz auch im Verwaltungsverfahren gelten zu lassen. Anerkanntermaßen soll die Selbstbelastungsfreiheit jedoch gerade nicht vor verwaltungsrechtlichen Auskunftspflichten schützen. Bei einer solchen Lösung entstünden für die Behörden und für das Rechtsleben aller unlösbare Konflikte, da die gesamte Überprüfung von Dokumentationsvorgängen in Unternehmen auf diese Art und Weise unmöglich gemacht werden könnte, was letztlich für alle Beteiligten unüberschaubar würde und so in letzter Konsequenz wohl auch zu nicht nur unerheblichen Sicherheitslücken für Verbraucher führen könnte. Die Verwaltungsbehörden könnten dabei ihren primären Aufgaben nicht mehr nachgehen.667 In der Gewährung eines Mitwirkungsverweigerungsrechts im Verwaltungsverfahren kann dementsprechend keine Lösung, die umsetzbar und für ein Verbandssanktionsverfahren zielführend wäre, gesehen werden. (2) Die Aussetzung des Verwaltungsverfahrens Ein gangbarer Lösungsweg könnte indes darin bestehen, dass das Verwaltungsverfahren bis zum Abschluss des Verbandssanktionsverfahrens ausgesetzt wird, sodass der Verband nicht fürchten muss, sich im Verwaltungsverfahren selbst belasten zu müssen. Nach dem Abschluss des Verbandssanktionsverfahrens könnte das Verwaltungsverfahren wieder aufgenommen werden. Aber auch dieser Weg scheint nur auf den ersten Blick eine effiziente Lösung darzubieten. Bei genauerem Hinschauen ergeben sich enorme Schwierigkeiten bei der praktischen Durchführung, da das Verwaltungsverfahren durch diesen Lösungsweg mitunter über einen erheblichen Zeitraum „gelähmt“ würde, was unter prozessökonomischen Gesichtspunkten nicht zielführend ist. Die Aussetzung des Verwaltungsverfahrens wäre somit zwar eine Möglichkeit, einen späteren Verstoß gegen den Nemo-tenetur-Grundsatz zu vermeiden, keinesfalls, aus den genannten Gründen, jedoch für ein künftiges Ver665 Zu möglichen Lösungswegen auch Mäder, Betriebliche Offenbarungspflichten, S. 258 ff. 666 Siehe zu diesen Lösungsmöglichkeiten und zu weiteren Ansätzen bereits de lege lata ausführlich Böse, Wirtschaftsaufsicht und Strafverfolgung, S. 454 ff. 667 Zur Kritik an bestehenden Auskunftsverweigerungsrechten im Wirtschaftsüberwachungsrecht, Scholl, Behördliche Prüfungsbefugnisse im Recht der Wirtschaftsüberwachung, S. 119 ff.; zu den Zielen des Verwaltungsverfahrens Böse, Wirtschaftsaufsicht und Strafverfolgung, S. 26 ff.

E. Nemo-tenetur-Grundsatz im Verbandssanktionsverfahren

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bandssanktionsverfahren (zumindest unter prozessökonomischen Aspekten) vorzugswürdig. (3) Ein Verwertungsverbot für das Strafverfahren Neben den beiden genannten Varianten besteht die Option, ein Verwertungsverbot der im Verwaltungsverfahren erhaltenen Informationen (zum Beispiel hinsichtlich der Verlesung von Akten aus Verwaltungsverfahren oder Vernehmungen von Verwaltungssachbearbeitern), durch welche sich der Verband selbst belasten musste, für das Verbandssanktionsverfahren vorzusehen.668 Dieser Ansatz stellt darauf ab, dass eine Aussage, die beispielsweise im Verwaltungsverfahren verpflichtend getätigt werden musste, später im Strafverfahren nicht verwertet werden kann, da die Verwertung dieser außerstrafrechtlichen Aussage die Selbstbelastungsfreiheit beeinträchtigen kann.669 Das Ergebnis resultiert primär daraus, dass der Nemo-tenetur-Grundsatz als prozessuale Gewährleistung verstanden wird und daran anknüpfend erst die anschließende strafrechtliche Verwertung einer erzwungenen Aussage die Verbindung zum Strafprozess bildet (und den Verband in seiner Verteidigungsfreiheit einschränkt), da erst durch diese Verwertung der Beschuldigte als Strafprozesssubjekt zum bloßen Objekt herabgewürdigt wird.670 Umgekehrt bedeutet dies jedoch auch, dass beispielsweise im Verwaltungsverfahren verpflichtende Auskünfte nicht schon an sich, nur weil sie auf diese Art und Weise gewonnen wurden, gegen den Nemotenetur-Grundsatz verstoßen, da dieser Grundsatz, wie allgemein anerkannt, im Verwaltungsverfahren selbst keine Anwendung findet.671 So könnte sich eine Verletzung der Selbstbelastungsfreiheit somit nicht schon und ausschließlich aufgrund der Pflicht zu einer vorprozessualen Aussage ergeben und der Verband sich folglich auch nicht bereits auf sie berufen und deshalb die Auskunft verweigern, wohl aber, wenn sie im Verbandssanktionsverfahren verwertet würde, wobei freilich umgekehrt nicht jede Verwertung einer vorprozessualen Aussage im 668

Vgl. dazu Böse, Wirtschaftsaufsicht und Strafverfolgung, S. 456 f., dieser geht zur Lösung des Konflikts mit dem Nemo-tenetur-Grundsatz als weitere Variante noch auf die Option des Verzichts der Verfolgung ein; diff. hier Scholl, Behördliche Prüfungsbefugnisse im Recht der Wirtschaftsüberwachung, der ein strafrechtliches (bzw. ordnungswidrigkeitenrechtliches) Verwendungs- und Weitergabeverbot fordert, ebenso wie das Verbot des Zwangs sich zu straf- und ordnungswidrigkeitenrechtlichen Sachverhalten offenbaren zu müssen, S. 132. 669 So zum Beispiel Dannecker, ZStW 2015 (127), 370 (397 f.), 991 (997 f.): „Die Verwertung ist es, die (…) den strafrechtsspezifischen Eingriff in die Rechte des Beschuldigten darstellt, und zwar völlig unabahängig vom zeitlichen Ansetzen der Aussagepflicht.“ 670 Dannecker, ZStW 2015 (127), 370 (397 f.); zu der Frage de lege lata, ob die Verwendung von Informationen beispielsweise aus dem Verwaltungsverfahren im Ordnungswidrigkeitenund Strafverfahren gegen den Nemo-tenetur-Grundsatz verstößt, ausführlich Böse, Wirtschaftsaufsicht und Strafverfolgung, S. 436 ff. 671 Siehe zur Differenzierung bei verwaltungs- und zivilrechtlichen Auskunftspflichten S. 370; vgl. auch Böse, Wirtschaftsaufsicht und Strafverfolgung, S. 181 f., 198 f., 436 ff.

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6. Kap.: Grundstruktur eines Verbandssanktionenrechts de lege ferenda

Verbandssanktionsverfahren gleichzeitig die Verletzung des Nemo-tenetur-Grundsatzes bedeuten dürfte, außer es handelt sich um eine Aussage, mit der der Verband sich selbst belasten müsste, die ihn also in seiner geschützten Verteidigung insgesamt beschränkt. 672 Dieser Lösung ist der Vorzug zu gewähren, da der Nemo-tenetur-Grundsatz nicht so weit reicht, dass er vor einer generellen Auskunftspflicht schützen soll. Vielmehr besteht (auch) für Verbände in einigen vorprozessualen Sachgebieten die Verpflichtung, Auskunft zu erteilen, welche aber zu dem Zeitpunkt der Erteilung möglicherweise noch keinen Bezug zu einem Verbandssanktionsverfahren hat (und vielleicht gar nie haben wird). Durch eine solche Lösung würde der Kern des Nemo-tenetur-Rechts für Verbände weder ausgehöhlt noch insgesamt eingeschränkt, sondern der Nemo-teneturGrundsatz konsequent angewendet, da eine im Verwaltungsverfahren erzwungene Aussage,673 mit welcher sich der Verband belasten musste, in einem künftigen Verbandssanktionsverfahren unberücksichtigt bleiben müsste, das Verfahren aber abgesehen davon durchführbar bliebe. Überdies ist es allgemein anerkannt, dass der Nemo-tenetur-Grundsatz nicht im Verwaltungsverfahren gilt und eine dort erzwungene Aussage, mit der sich der Betroffene selbst belastet, somit zulässig ist.674 Dieser Weg wird im Ergebnis favorisiert. dd) Zwischenfazit Aus den vorherigen Punkten der Untersuchung wird zweierlei deutlich: Es entsteht bereits in einem Verwaltungsverfahren für einen Verband in mehrfacher Hinsicht aufgrund von Mitwirkungspflichten die Gefahr, sich selbst belasten zu müssen. Diese Gefahr erlaubt jedoch keine Erstreckung des Nemo-tenetur-Rechts auf das Verwaltungsverfahren, sondern zwingt vielmehr zu seiner stringenten Anwendung, welche sich auf Strafverfahren bzw. das Verbandssanktionsverfahren beschränkt. Bereits hierin ist auch originär die Lösung des Konflikts zu finden, indem der Verband in einem Verbandssanktionenrecht de lege ferenda zwar, auch bei möglicher strafrechtlicher Selbstbelastung, zu den Auskünften im Verwaltungsverfahren verpflichtet bleibt, diese jedoch nicht gegen ihn in einem künftigen Verbandssanktionsverfahren verwertet werden dürfen. Ein solcher Ansatz entspricht insbesondere auch dem gewählten Verständnis von dem Nemo-tenetur-Recht als prozessuale Gewährleistung für den Beschuldigten, also für den Verband. 672

Zu dieser Frage auch Böse, Wirtschaftsaufsicht und Strafverfolgung, S. 437 ff. Zur Vereinbarkeit der Informationserhebung mit dem Nemo-tenetur-Grundsatz bei der Eigenüberwachung Mäder, Betriebliche Offenbarungspflichten, S. 192 f. sowie zur Verwertung solcher Informationen im Straf- und Bußgeldverfahren, S. 202 ff.; dazu im Rahmen von Offenbarungspflichten im Umweltschutzrecht auch Hahn, Offenbarungspflichten, S. 163 f.; Michalke, NJW 1990, 417 (419). 674 So statt vieler Böse, Wirtschaftsaufsicht und Strafverfolgung, S. 456 f. m.w.N. 673

E. Nemo-tenetur-Grundsatz im Verbandssanktionsverfahren

377

b) Die Mitwirkung im zivilgerichtlichen Verfahren Da das zivilrechtliche Verfahren im Zusammenhang mit der Geltung des Nemotenetur-Grundsatzes für Verbände nicht Schwerpunkt der vorliegenden Untersuchung ist, jedoch aufgrund der Tätigkeiten von Verbänden ein steter Zusammenhang zum Zivilrecht besteht, soll dieser Themenkomplex ebenfalls umrissen werden, um ein vollständiges Bild hinsichtlich der Geltung der Selbstbelastungsfreiheit in einem künftigen Verbandssanktionenrecht zu erlangen. Auf der zivilrechtlichen Ebene bestehen durch Mitwirkungspflichten auch Selbstbelastungsgefahren für einen Verband.675 Wie bereits oben festgestellt, hat der Nemo-tenetur-Grundsatz keine unmittelbare Geltung in außerstrafrechtlichen Verfahren, sodass im Zivilrecht, ebenso wie im Verwaltungsverfahren, wiederum nur eine mittelbare Ausstrahlungswirkung des Grundsatzes in Betracht kommt. aa) Zivilprozessuale Mitwirkungspflichten Zunächst könnte an zivilprozessuale Mitwirkungspflichten gedacht werden. Vereinfacht dargestellt besteht mangels Zwangswirkung hinsichtlich der Mitwirkung eines Verbandes als Partei eines Zivilprozesses keine Gefahr einer Kollision mit dem Nemo-tenetur-Grundsatz.676 Dies resultiert primär bereits aus dem Beibringungsgrundsatz als einem der maßgeblichen Grundsätze für den deutschen Zivilprozess. Durch den Beibringungsgrundsatz kann ein Verband als Partei eines Zivilprozesses selber entscheiden, welche be- und/oder entlastenden Umstände er in den Zivilprozess einführen möchte, sofern er beweisbelastet ist. Ebenfalls kein Zwang, sich selbst belasten zu müssen, würde resultieren, wenn der Verband als Partei der Gegenseite beweispflichtig wäre, da er auch hier zwischen Mitwirkung und Mitwirkungsverweigerung wählen kann. bb) Materiell-rechtliche und zwangsvollstreckungsrechtliche Mitwirkungspflichten Neben einer Mitwirkung von Verbänden als Parteien im Zivilprozess könnten sie zudem Auskunftsverlangen (Auskünfte sind von den gesetzlichen Vertretern eines Unternehmens vorzunehmen) erfüllen müssen, bei welchen es in Betracht kommen kann, dass ein Verband sich selbst aufgrund der erforderlichen Vollständigkeit und Wahrheitspflicht der Pflichtenerfüllung zwangsweise selbst belasten muss.677 Zu diesen zählen unter anderem § 402 (Auskunftspflicht; Urkundenauslieferung) und § 666 (Auskunfts- und Rechenschaftspflicht) BGB sowie § 8 (Auskunftsanspruch 675 Siehe dazu Queck, Die Geltung des nemo-tenetur-Grundsatzes zugunsten von Unternehmen, S. 58 ff. 676 Zu diesem Aspekt mit Begründung Queck, Die Geltung des nemo-tenetur-Grundsatzes zugunsten von Unternehmen, S. 58 f. 677 Vgl. dazu Queck, Die Geltung des nemo-tenetur-Grundsatzes zugunsten von Unternehmen, S. 59 f.

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6. Kap.: Grundstruktur eines Verbandssanktionenrechts de lege ferenda

des Geschädigten gegen den Inhaber einer Anlage) und § 10 (Auskunftsanspruch des Inhabers einer Anlage) UmweltHG, durch welche sich der Verband potentiell selbst belasten müsste.678 Die genannten Pflichten weisen, im Gegensatz zum eben erwähnten Zivilprozess, einen Zwangscharakter auf, da sie eingeklagt werden können und gemäß § 888 ZPO auch vollstreckt werden können und im Sinne von § 889 ZPO sogar überprüfbar sind.679 Dementsprechend wäre, aufgrund des Zwangscharakters der Mitwirkungspflichten, eine Kollision mit der Selbstbelastungsfreiheit denkbar, wenn beispielsweise aufgrund dieser Auskünfte ein späteres Verbandssanktionsverfahren eingeleitet würde. Dies gilt ebenso für zwangsvollstreckungsrechtliche Mitwirkungspflichten: so zum Beispiel in Form der Pflichten des § 836 Abs. 3 S. 1 ZPO (Verpflichtung des Schuldners dem Gläubiger, die zur Geltendmachung seiner Forderung benötigten Auskünfte zu erteilen und ihm die über die Forderung vorhandenen Unterlagen herauszugeben) und dem damit verbundenen Auskunftsanspruch aus § 836 Abs. 3 S. 2 und 3 ZPO und dem Herausgabeanspruch nach § 836 Abs. 3 S. 5 ZPO, der im Wege des Zwangsvollstreckungsverfahrens geltend gemacht werden kann.680 cc) Lösungsansatz Wie bereits im Verwaltungsverfahren ließe sich eine adäquate Lösung auch hier darüber erreichen, dass ein Verwertungsverbot für ein anschließendes Verbandssanktionsverfahren der Auskünfte besteht, durch welche sich der Verband im zivilrechtlichen Verfahren unter Zwang selbst belasten musste.681 Dieser Lösungsweg bildet die Brücke zwischen den beiden Extrempositionen, dem Nemo-tenetur-Recht außerhalb des Strafverfahrens (bzw. strafähnlichen Verfahrens) gar keine Geltung bzw. Ausstrahlungswirkung zukommen zu lassen oder, im Gegensatz dazu, den Nemo-tenetur-Grundsatz soweit zu erstrecken, auch zivilrechtliche Auskunftspflichten, welche erzwungen werden können, bereits zu erfassen und durch die Selbstbelastungsfreiheit zu schützen. Durch den vorgeschlagenen Weg wird ein Ausgleich der Nachteile beider Extrempositionen erreicht und zugleich ein stabiles Lösungsfundament geschaffen.682

678

Queck, Die Geltung des nemo-tenetur-Grundsatzes zugunsten von Unternehmen, S. 59 f. Zum Ganzen, Queck, Die Geltung des nemo-tenetur-Grundsatzes zugunsten von Unternehmen, S. 60. 680 So bei Queck, Die Geltung des nemo-tenetur-Grundsatzes zugunsten von Unternehmen, S. 60 f. mit weiteren Beispielen im Zwangsvollstreckungsverfahren. 681 So unter Berücksichtigung einzelner zivilrechtlicher Besonderheiten auch Queck, Die Geltung des nemo-tenetur-Grundsatzes zugunsten von Unternehmen, S. 296 ff.; Dingeldey, NStZ 1984, 529 (531 f.). 682 Dazu auch Queck, Die Geltung des nemo-tenetur-Grundsatzes zugunsten von Unternehmen, S. 303 Fn. 383. 679

E. Nemo-tenetur-Grundsatz im Verbandssanktionsverfahren

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dd) Zwischenfazit Folglich lässt sich als Zwischenergebnis festhalten, dass auch im Zivilrecht einige Auskunftspflichten für Verbände bestehen, welche mit Zwang durchgesetzt werden können und so auch außerhalb des Strafverfahrens (bzw. strafähnlichen Verbandssanktionsverfahrens) die Gefahr bergen, dass der Verband sich selbst belasten muss und Aussagen in einem späteren Verbandssanktionsverfahren gegen ihn verwendet werden, wodurch ein Verstoß gegen den Nemo-tenetur-Grundsatz gegeben sein könnte. Auch im Zivilrecht findet sich die Lösung wiederum auf der Ebene eines anschließenden Verwertungsverbotes einer im Zivilrecht erzwungenen Aussage, da hierdurch das Interesse der Behörden an der Informationsgewinnung gesichert und das Nemo-tenetur-Recht des Verbandes nicht ausgehöhlt wird, weshalb hierin der vorzugswürdige Mittelweg besteht und dieser ebenfalls durch die Herleitung und Ratio des Rechts als prozessuale Garantie seine Existenzberechtigung erhält. 4. Regelungen im VerSanG-E Nach der Erörterung eines Lösungsansatzes für die Geltung der Selbstbelastungsfreiheit in einem künftigen Verbandssanktionsverfahren soll der aktuellste Vorschlag einer gesetzlichen Manifestierung, der VerSanG-E, in puncto „Geltung des Nemo-tenetur-Grundsatzes für Verbände“ nicht unberücksichtigt bleiben. § 33 Abs. 1 VerSanG-E normiert die Selbstbelastungsfreiheit für den Verband dergestalt, dass die gesetzlichen Vertreter für den Verband im Verbandssanktionsverfahren ein Aussageverweigerungsrecht ausüben können und die StPO-Vorschriften, welche die Vernehmung des Beschuldigten regeln, entsprechend gelten, wenngleich § 134 StPO nicht anwendbar ist. Gemäß § 33 Abs. 2 VerSanG-E steht es dem gesetzlichen Vertreter des Verbandes in anderen Verfahren zu, als Zeuge die Aussage zu verweigern, wenn er den Verband dabei bezüglich einer Verbandstat belasten müsste. § 55 Abs. 2 und § 56 StPO werden hier entsprechend angewendet. Eingeschränkt wird Selbstbelastungsfreiheit durch § 49 Abs. 1 VerSanG-E, der eine Auskunftspflicht des Verbandes über den Jahresumsatz (der letzten drei Geschäftsjahre) sowie die Herausgabe diesbezüglicher Unterlagen normiert, wenn eine Verbandsgeldsanktion in Betracht kommt und in diesem Fall eine Anwendung des § 27 VerSanG-E ablehnt. § 49 Abs. 2 VerSanG-E stellt für den Fall des Abs. 1 fest, dass der gesetzliche Vertreter des Verbandes hierbei als Zeuge vernommen wird und namentlich die §§ 48 – 71, 95, 161a und 163 StPO angewendet werden, nicht jedoch § 33 VerSanG-E. Weitere Personenkreise oder Spezifizierungen des Nemo-teneturRechts werden im VerSanG-E hingegen nicht vorgenommen. Ob eine Person als gesetzlicher Vertreter des Verbandes oder als Zeuge vernommen wird (und ihr somit ein Schweigerecht zusteht oder nicht), entscheide sich, laut der Begründung des Regierungsentwurfs, anhand des Zeitpunkts der Vernehmung und könne sich demzufolge auch während eines Verfahrens ändern (bei-

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6. Kap.: Grundstruktur eines Verbandssanktionenrechts de lege ferenda

spielsweise, wenn ein gesetzlicher Vertreter während des Verfahrens ausscheidet).683 Diese Restriktion beschneidet das Nemo-tenetur-Recht des Verbandes in einem nicht nur unerheblichen Maße, da es durchaus im Rahmen des Möglichen liegt, dass sich die gesetzlichen Vertreter während des Verfahrens ändern, ausgeschiedene gesetzliche Vertreter jedoch nach der Entwurfsbegründung sodann als Zeugen vernommen werden können, weshalb dem Verband durch den VerSanG-E faktisch auferlegt wird, die gesetzlichen Vertreter während des laufenden Verfahrens nicht auszuwechseln, um einer Einbüßung des Nemo-tenetur-Rechts entgegenzuwirken.684

V. Ausblick auf die künftige Anwendung des Nemo-tenetur-Grundsatzes für Verbände Nachdem die Herleitung und der Geltungsbereich des Nemo-tenetur-Rechts für Verbände diskutiert und konturiert wurden, ist ein Blick auf die Anwendung dieses Grundsatzes in der Praxis zu werfen. Freilich können, mangels derzeitigen Verbandssanktionenrechts in Deutschland, nur hypothetische Erwägungen einfließen, die aber trotzdem nicht unbeachtlich sind. Hinsichtlich eines Ausblicks auf die Praxis des Nemo-tenetur-Rechts für Verbände verbreitet beispielsweise Arzt eher eine weltuntergangsähnliche defätistische Stimmung, wenn er Unternehmen rät, bevor sie sich (hypothetisch) im Verfahren auf den Nemo-tenetur-Grundsatz berufen, doch das Verhältnis zu den Behörden zu bedenken, und darüber hinaus davon ausgeht, dass „bei Straftatverdacht ein Konfrontationskurs meist in geradezu selbstmörderischer Weise rufschädigend wirken“ wird.685 Weiterhin spricht er davon, dass die juristische Person jeden Hebel in Bewegung setzen wird, um ein Verbandssanktionsverfahren so schnell wie möglich, ohne großes Aufsehen in der Öffentlichkeit zu erregen, zu beenden. Nach Arzt wird der Devise gefolgt: „Lieber rasch unschuldig verurteilt als nach langem Verfahren in dubio pro reo freigesprochen. Die juristische Person ist ein neuer Angeklagtentyp, gewissermaßen mit eingebautem Geständniszwang. Wir würden seine Prozessvertreter nur in Verlegenheit bringen, wenn wir solchen Angeklagten den Schutz gegen Selbstbelastung gewähren würden.“686 Dem Grunde nach ist Arzt zuzustimmen: So wird es den Unternehmen selbstverständlich primär darum gehen, ein Verfahren möglichst rasch und ohne großes Aufsehen, was freilich ansonsten zumeist mit einer Reputationsschädigung einherginge, zu beenden. Deshalb ist es durchaus denkbar, dass Unternehmen eine schnelle Verurteilung einem langwierigen Verfahren und möglichen „in dubio pro reo“-Freispruch vorziehen könnten. 683 684 685 686

RegE.-Begr. S. 114. Siehe zu diesem Problemkreis auch S. 352. Arzt, JZ 2003, 456 (460). Arzt, JZ 2003, 456 (460).

E. Nemo-tenetur-Grundsatz im Verbandssanktionsverfahren

381

Ganz so schlecht, wie es ihm Arzt diagnostiziert, scheint es um die Praxis des Nemo-tenetur-Grundsatzes für die Zukunft trotzdem nicht zu stehen. Zwar ist die Aussage, dass es sich hierbei um einen neuen Typus des Angeklagten handelt, nicht von der Hand zu weisen. Jedoch erfordert genau dies auch Modifikationen im Recht, welche durch ein Verbandssanktionenrecht geschaffen werden sollen. Eine dieser Modifikationen sollte, wie oben festgestellt, in der gesetzlichen Normierung des Nemo-tenetur-Rechts bestehen, wenn sich das Unternehmen schon in einem Verfahren verantworten muss. Selbst wenn an diesem Punkt mit Arzt vom „Worst Case“ ausgegangen wird und nur eine geringe Anwendungspraxis für den Nemo-teneturGrundsatz erkennbar sein mag, wird die verfahrensrechtliche Position des Verbandes als Beschuldigter und Angeklagter eines strafrechtsähnlichen Vorwurfs (und bei Verurteilung mit dem Makel des Strafrechts im weiteren Sinne behaftet) trotzdem bereits dadurch gestärkt, dass ihm ein Nemo-tenetur-Recht zugestanden wird bzw. er sich auf dieses berufen kann, da allein hierdurch bereits seine Verhandlungsposition im Verbandssanktionsverfahren gestärkt wird. Daher lassen sich trotz der düsteren Perspektive von Arzt mehrheitlich positive Aspekte für die Praxis ausmachen, die letztlich die prognostizierten Gebrechen überwiegen.

VI. Kritische Würdigung und Fazit Insgesamt ist aufgrund der vorangehenden Untersuchung festzuhalten, dass hinsichtlich eines Nemo-tenetur-Rechts für Verbände in einem künftigen Verbandssanktionenrecht nicht nur unterschiedliche Herleitungsmöglichkeiten bestehen, sondern dass sich darüber hinaus (und vor allem) auch ein sinnvoller, wenngleich partiell nicht unproblematischer, da noch nicht gesetzlich festgelegter, Anwendungsbereich ergibt, der regelungstechnisch zwar vor einigen Herausforderungen, nicht aber vor unüberwindbaren Schwierigkeiten steht. Dieser Anwendungsbereich resultiert vor allem aus dem hohen Gefährdungspotential für eine Selbstbelastung, welchem der Verband sowohl im Verbandssanktionsverfahren als auch in anderen Verfahren ausgesetzt ist. Folglich ist eine besonders klare und ausdrückliche gesetzliche Regelung von großer Bedeutung, um die Behörden und Unternehmen nicht in einer Restrechtsunsicherheit oder gar Aporie zurückzulassen. So sollten insbesondere auch die Personen im Verband, die sich auf die Selbstbelastungsfreiheit für den Verband berufen können, explizit genannt werden und der Anwendungsbereich klar abgesteckt werden. Insgesamt wird sich trotz der aufgefundenen Schwierigkeiten für die Geltung eines Nemo-tenetur-Grundsatzes für Verbände ausgesprochen. Dieses Gesamtergebnis der Anwendung der Selbstbelastungsfreiheit auf Verbände wird weiter dadurch gefestigt, dass die Selbstbelastungsfreiheit des Verbandes ebenfalls in anderen (wenn auch nicht in allen) Rechtsordnungen, welche ein Verbandsstrafrecht in ihr Rechtssystem integriert haben, anerkannt ist. Dies zeigt, dass gerade (da es sich bei

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6. Kap.: Grundstruktur eines Verbandssanktionenrechts de lege ferenda

diesen Ländern insbesondere um Österreich und die Schweiz handelt, deren Rechtssystem dem deutschen sehr ähnlich ist) eine solche Lösung auch für ein Verbandssanktionenrecht in Deutschland durchaus ein großes Zukunftspotential in sich trägt und die Erreichung eines Meilensteins darstellen würde. Die Notwendigkeit der Selbstbelastungsfreiheit für Verbände wurde summa summarum auch von den Verfassern des VerSanG-E erkannt, die, wie herausgestellt, dem Verband dergestalt ein Nemo-tenetur-Recht zubilligen wollen, dass die gesetzlichen Vertreter gemäß § 33 VerSanG-E die Aussage, welche sie für den Verband im Verbandssanktionsverfahren tätigen können, verweigern dürfen. Dies darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass der vorgesehene Anwendungsbereich im VerSanG-E deutlich enger gefasst ist als die oben vorgeschlagene Lösung, da nur aktuelle gesetzliche Vertreter einbezogen werden und der Zeitpunkt der Vernehmung als maßgeblich dafür angesehen wird, ob eine Person als gesetzlicher Vertreter oder als Zeuge, mit den daran anknüpfenden Folgen, vernommen wird und ihr somit das Aussageverweigerungsrecht des Verbandes zusteht oder nicht. Eine derart gelagerte Restriktion kann nicht überzeugen. So bleibt zu hoffen, dass der Gesetzgeber den umfangreichen Anwendungsbereich und die Notwendigkeit (ebenfalls) sieht und sich der Gesamterkenntnis bei der Schaffung eines Verbandssanktionenrechts de lege ferenda nicht verschließen wird, dass ein in einigen Punkten spezifischeres und umfassenderes Nemo-tenetur-Recht für Verbände erforderlich ist.

7. Kapitel

Sonderfragen eines Verbandssanktionsverfahrens „Intelligence is the ability to adapt to change.“ Stephen Hawking

Nachdem vorangehend wesentliche Elemente einer Grundstruktur eines Verbandssanktionsverfahrens erarbeitet wurden, widmet sich das letzte Kapitel der Untersuchung Sonderfragen, die in einem Verbandssanktionsverfahren von besonderer Bedeutung sind. Hierzu gehören insbesondere zum einen die Internal Investigations und zum anderen die Compliance in ihrer ganzen Vielfalt.

A. Internal Investigations I. Allgemeines Ein weiteres wichtiges Feld im Verbandssanktionenrecht stellen die „Internal Investigations“ (Interne Ermittlungen) dar.1 Dies resultiert nicht nur, aber jedenfalls auch daraus, dass sie vielfältige Überschneidungspunkte bzw. untrennbare Zusammenhänge zu anderen Fragestellungen, wie zum Beispiel zur „Compliance“ oder der Anwendung des Nemo-tenetur-se-ipsum-accusare-Grundsatzes auf Verbände, aufweisen. Diese gegenseitigen Bezüge werden jeweils im Zusammenhang erörtert, um ein Gesamtverständnis zu schaffen und ein strukturiertes Vorgehen innerhalb der Problemgestaltungen zu ermöglichen. Aus diesem Grunde wurde in der vorangehenden Untersuchung an unterschiedlichen Stellen bereits Bezug auf die Internal Investigations genommen.2 Da die 1 Einer der berühmtesten Fälle in diesem Zusammenhang in Deutschland dürfte die Causa Siemens gewesen sein, BGH v. 29. 08. 2008 – 2 StR 587/07, NJW 2009, 89 = BGH NStZ 2009, 95; ausführlich Arzt, FS Stöckel, S. 15; siehe zum Ablauf des Verfahrens gegen Siemens Momsen, ZIS 2011, 508 (510 ff.); Graeff/Schröder/Wolf (Hrsg.), passim, Der Korruptionsfall Siemens; weitere öffentlichkeitsrelevante Fälle hierzulande bzgl. Überwachungsmaßnahmen sind die Fälle „Lidl“, „Deutsche Telekom AG“ und „Deutsche Bahn AG“, mit weiteren Verweisen dazu bei Knierim, StV 2009, 324 f.; im Zusammenhang mit der Siemens Affäre Rödiger, Strafverfolgung von Unternehmen, passim; ausführlich zu dem Topos der Internal Investigations Theile/Gatter/Wiesenack, ZStW 2014 (126), 803 ff.; Berndt, in: Berndt/Theile (Hrsg.), Unternehmensstrafrecht, S. 283 ff.; im Kontext zum nemo-tenetur-Grundsatz bei Doege, Bedeutung des nemo-tenetur-Grundsatzes, S. 388 ff.; siehe auch Spoerr, StV 2019, 697 passim. 2 Siehe dazu beispielsweise S. 347 und S. 359.

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7. Kap.: Sonderfragen eines Verbandssanktionsverfahrens

Thematik der Internal Investigations in den anderen relevanten Abschnitten jedoch nur im Zusammenhang zum jeweiligen Problemfeld erörtert wurde, soll hier nicht nur eine vertiefte Darstellung der Problematik für einzelne Aspekte, sondern auch ein Überblick über den Topos der Internal Investigations im Allgemeinen erfolgen. Zum Verständnis werden zunächst die Begrifflichkeit der Internal Investigations erläutert sowie eine typische Ausgangssituation, in welcher interne Ermittlungen relevant werden, geschildert. Im Anschluss daran erfolgt die Erörterung der besonders wichtigen Problemstellungen (Mitwirkungspflicht des Arbeitnehmers versus Selbstbelastungsfreiheit und Übermittlung der Ergebnisse von internen Ermittlungen an Behörden) sowie Lösungsansätze de lege lata. Danach wird ein Blick auf derartige Untersuchungen in anderen Rechtsordnungen geworfen. Erst durch die Erörterung all dieser Aspekte ist es sodann möglich, einen sinnvollen Gesamtüberblick zu erhalten und einen Lösungsansatz de lege ferenda für aktuelle und besonders konfliktträchtige Problemstellungen zu erarbeiten. 1. Begriff der Internal Investigations und Regelbedürftigkeit Zunächst ist zu eruieren, was unter dem Begriff der sogenannten „Internal Investigations“ verstanden wird.3 Einen Anhaltspunkt oder gar eine Legaldefinition lässt das Gesetz bis dato vermissen.4 Rekurriert man deshalb zunächst auf die Übersetzung des englischsprachigen Begriffs „Internal Investigations“, sind damit „interne Untersuchungen“5 in einem Unternehmen gemeint. Darunter werden vielfältige Aufklärungsmaßnahmen6 gefasst, die bezüglich eines Sachverhaltes vorgenommen werden, welcher (straf-)rechtlich relevant sein könnte bzw. ein (potentiell) rechtswidriges Verhalten zum Gegenstand hat.7 Solche Aufklärungsmaßnahmen 3 Hierzu auch Knierim, StV 2009, 324 (326); insgesamt zu den Begrifflichkeiten Rotsch, in: Rotsch (Hrsg.), Criminal Compliance, § 2 Rn. 24; ausführlich Nestler, in: Knierim/Rübenstahl/ Tsambikakis (Hrsg.), Internal Investigations, S. 8 ff. 4 Es lassen sich jedoch bestimmte wiederkehrende wesensimmanente Voraussetzungen interner Ermittlungen (im Zusammenhang mit der Criminal Compliance) ausmachen, vgl. dazu Rotsch, in: Rotsch (Hrsg.), Criminal Compliance, § 2 Rn. 24 m.w.N. 5 Vgl. zu der Begrifflichkeit auch zutr. Wimmer, WiJ 2013, 102 (Fn. 2), die ausschließlich den Begriff der Untersuchungen in diesem Kontext mit der Begründung verwendet, dass es sich hierbei nicht um „Ermittlungen“ handele, da diese ein hoheitliches Handeln seien und daher ausschließlich von staatlichen Organen durchgeführt werden dürfen. 6 Vgl. Rotsch, in: Rotsch (Hrsg.), Criminal Compliance, § 2 Rn. 24 m.w.N.; zu diesen zählen insbesondere Durchsuchungen im Unternehmen und spezifisch an Arbeitsplätzen bestimmter Mitarbeiter sowie die Auswertung von Kommunikation und vor allem im Anschluss daran Mitarbeiterbefragungen. 7 Daneben ist es ebenfalls möglich (und teilweise auch Usus), dass Internal Investigations nicht nur rein repressiv zum Einsatz kommen, sondern bereits präventiv von Unternehmen in einem bestimmten Turnus durchgeführt werden, ohne dass ein entsprechender Verdacht einer Zuwiderhandlung des Verbandes vorliegt. In diesem Abschnitt der vorliegenden Arbeit soll es jedoch ausschließlich um repressive interne Untersuchungen gehen, die erfolgen, sofern der

A. Internal Investigations

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können vom Unternehmen selbst oder externen Dritten (zum Beispiel Kanzleien oder Wirtschaftsprüfern) im Auftrag des Unternehmens vorgenommen werden.8 Wer diese Maßnahmen vornimmt, wird folglich von den Unternehmen autonom entschieden. Häufig werden allerdings externe Dritte mit der Prüfung beauftragt, um den Behörden ein großes Maß an Objektivität der durchgeführten Sachverhaltsaufklärung zu vermitteln und die Glaubwürdigkeit der aufgefundenen Ergebnisse zu steigern.9 Auch in der hiesigen Literatur finden sich Beschreibungen und Erklärungen zu dem Begriff der Internal Investigations. Danach handelt es sich zusammengefasst (begrifflich) um Internal Investigations bei „anlassbezogenen, durch Regelprüfungen nicht abgedeckte(n) Sachverhaltsaufklärungen“.10 Ein derart weites Verständnis der internen Ermittlungen, welches die vorangehende Umschreibung vermittelt und das demzufolge sämtliche Maßnahmen zur Aufklärung eines Sachverhaltes im Unternehmen erfasst, ist auf jeden Fall vorzugswürdig. Ein engeres Verständnis, welches beispielsweise nur bestimmte Maßnahmen erfassen würde, wäre nicht zielführend, da die Sachverhalte in der Lebenswirklichkeit zu vielschichtig sind, um jede einzelne Maßnahme gesetzlich erfassen zu können. Für ein künftiges Verbandssanktionenrecht sollte, sofern es zu einer spezifischen gesetzlichen Regelung für interne Untersuchungen kommt, eine diesbezügliche Norm auch jedenfalls inklusive einer allgemeinen (Legal-)Definition der internen Ermittlungen Eingang in das Gesetz finden.11 Vorzugswürdig wäre eine Formulierung (jedenfalls ähnlich oder gar genauso), wie sie im Kölner Entwurf zu finden ist. § 18 Abs. 1 S. 1 Kölner Entwurf besagt: „Interne Untersuchungen sind Maßnahmen zur Aufklärung verbandsbezogener Zuwiderhandlungen, die im Auftrag des Verbandes durchgeführt werden.“12 Hierbei handelt es sich um eine sehr allgemein gehaltene Definition, was zwar auf den ersten Blick „schwammig“ wirken und daher nicht überzeugend sein könnte; auf den zweiten Blick ergibt sich aber ein anderes Bild. Eine Legaldefinition, wie sie im Kölner Entwurf vorgesehen ist, ist gerade aufgrund ihrer allgemein gehaltenen Verdacht rechtswidrigen Verhaltens im Raume steht, vgl. zu den präventiven Internal Investigations überblicksartig bei Rotsch, in: Rotsch (Hrsg.), Criminal Compliance, § 2 Rn. 24. Im Rahmen dessen bestehen die wesentlichen Maßnahmen in der Überwachung und Kontrolle. 8 Zum weiteren Kreis von Personen, die als externe Ermittler fungieren können Böhmer, in: Bay (Hrsg.) Handbuch Internal Investigations, S. 61 ff. 9 Vgl. im Kontext des englischen Rechts Gearty/Wiebusch, European Human Rights Law Review 2001, 1 (4). 10 Knierim, StV 2009, 324 (328); ebenso abgedruckt bei Rotsch, in: Rotsch (Hrsg.), Criminal Compliance, § 2 Rn. 24. 11 Soweit ersichtlich ist eine Legaldefinition der internen Ermittlungen im VerSanG-E, insbesondere in § 16, der die Überschrift (Verbandsinterne Untersuchungen) trägt und wo eine Legaldefinition erwartet werden könnte, nicht vorgesehen. Dazu auch Rübenstahl, ZWH 2020, 164 (166). 12 § 18 Kölner Entwurf, Henssler/Hoven/Kubiciel/Weigend, NZWiSt 2018, 1 (4).

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7. Kap.: Sonderfragen eines Verbandssanktionsverfahrens

Fassung besonders wirkungsvoll. Kann doch nur so die Vielzahl von unterschiedlichen Möglichkeiten sowie komplexen Sachverhalten, die interne Untersuchungen notwendig werden lassen, um einen Sachverhalt aufzuklären, sinnvoll und in ihrer Gesamtheit erfasst werden. Besonders plausibel und sinnvoll ist bei dieser Definition die Herausstellung, dass es sich bei internen Untersuchungen im Verbandssanktionenrecht um solche handelt, die im Auftrag des Verbandes, ergo im Rahmen eines privatrechtlichen Rechtsverhältnisses, durchgeführt werden. Insgesamt ist dieser Definitionsvorschlag somit nicht nur zur Verständlichmachung der Begrifflichkeit zu begrüßen, sondern er überzeugt aus den oben genannten Gründen. Er wird der vorliegenden Arbeit daher zugrunde gelegt, unabhängig davon, welche Begrifflichkeit (Internal Investigations, interne Ermittlungen oder interne Untersuchungen) verwendet wird. 2. Ausgangssituation Die Ausgangslage, in der es zu Internal Investigations in einem Unternehmen kommt, besteht meist darin, dass ein Unternehmen von den Behörden illegaler Geschäftstätigkeiten (bzw. Regelverstößen) verdächtigt wird, welche durch Mitarbeiter des Unternehmens begangen worden sein sollen bzw. weiterhin begangen werden.13 In einer solchen Situation sieht sich ein Unternehmen von vielen Seiten großem Druck von außen und von innen ausgesetzt.14 Dieser entsteht insbesondere seitens der Medien und der Öffentlichkeit (beispielsweise durch Kunden und Geschäftspartner sowie Konkurrenten) im Allgemeinen, ebenso wie durch in- und sogar durch ausländische Strafverfolgungsbehörden, wenn es sich um Großunternehmen mit internationalem Bezug handelt (zum Beispiel durch drohende Durchsuchungen). Intern ergibt sich die Drucksituation dadurch, dass Rechtsverstöße alsbald abgestellt werden müssen (wofür wiederum ihr Ursprung ausgemacht werden muss) und das Unternehmen auf solche Vorwürfe schnellstmöglich und angemessen reagieren muss. Gerade durch Letzteres steigert sich der Druck zur Lösungsfindung um ein beträchtliches Maß. Alle haben mithin eine Erwartung: die lückenlose Aufklärung des Sachverhaltes. In einer derart kritischen Situation kommen die internen Ermittlungen als Defensive zum Zug.15 Der Verband hat hierfür die Möglichkeit, Wirtschaftsprüfer oder, je nach Erforderlichkeit, ganze Kanzleien (Externe) oder unternehmenseigene Rechtsanwälte (Interne) zu beauftragen, den Verdacht aufzuklären.16 Diese Maß13

Vgl. Zerbes, ZStW 2013 (125), 551 ff. Zur Drucksituation im Zusammenhang mit dem Siemens-Fall Momsen, ZIS 2011, 508 (510); Knauer/Buhlmann, AnwBl 2010, 387; Maßnahmen, die Unternehmen in einem solchen Fall schnellstmöglich einleiten sollten, vgl. Mühl, BB 2016, 1992; insbesondere zur Pflicht, interne Ermittlungen durchzuführen Fuhrmann, NZG 2016, 881 (882 ff.). 15 Vgl. auch Schuster, NZWiSt 2012, 28 f. m.w.N.; Sarhan, wistra 2015, 449. 16 Vgl. ausführlich und grundlegend zum Ganzen Salvenmoser/Schreier, in: Achenbach/ Ransiek/Rönnau (Hrsg.), Handbuch Wirtschaftsstrafrecht, 15. Teil, Rn. 1 ff.; zu den Strafbar14

A. Internal Investigations

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nahme soll dazu dienen, Ergebnisse zu schaffen, welche von den Behörden zur weiteren Aufklärung zu Grunde gelegt werden können bzw. Durchsuchungen seitens der Strafverfolgungsbehörden zu vermeiden und auf einen möglichst milden Ausgang des Verfahrens (sofern es zu einem solchen kommt), beispielsweise durch Kooperation mit den Behörden,17 hinzuwirken. Hierbei wird stets versucht, den Anschein zu vermitteln, dass die Prüfungen völlig, ohne jeden Einfluss der Unternehmensführung, rein nach objektiver Sachlage vorgenommen werden.18 Um diese Untersuchungen vorzunehmen und den Verdacht vollständig aufklären zu können, bedarf es mehrerer Komponenten. Zum einen erhalten die Prüfer die Berechtigung zum Betreten der Geschäftsräume und zur Sichtung geschäftsinterner Unterlagen.19 Zum anderen werden infolgedessen und nach eingehender Auswertung „Interviews“ mit Mitarbeitern geführt, die im Zusammenhang mit dem Verdacht stehen könnten, sei es auf der Wissensebene oder auf der tatsächlichen Ebene in der Hinsicht, dass sie möglicherweise selber in die Straftat verwickelt sind. Diese Interviews haben jedoch nicht den Charakter eines reinen Interviews als „FrageAntwort-Spiel“,20 sondern die betroffenen Mitarbeiter werden mitunter durch das Vorhalten von Unterlagen und die Androhung von (arbeitsrechtlichen) Konsequenzen massiv (persönlich und auch wirtschaftlich existentiell) unter Druck gesetzt.21 Dabei ist das Vorgehen im Rahmen der Internal Investigations allerdings keitsrisiken, welchen die Ermittler durch ihre Aufklärungsmaßnahmen ausgesetzt sind (beispielsweise bei Mitarbeiterbefragungen oder Arbeitsplatzkontrollen) Weiß, CCZ 2014, 136. 17 Zu diesem Aspekt ausführlich Sarhan, wistra 2017, 336. 18 Dazu im Kontext Zerbes, ZStW 2013 (125), 551 (552). Beachtlich ist an dieser Stelle nämlich, dass es im Rahmen dieser privaten Ermittlungen keine Pflicht zur Objektivität wie in regulär strafrechtlichen Ermittlungen im Sinne des § 160 StPO gibt. 19 Da es sich um private Ermittlungen handelt, sind die Prüfer nicht befugt, strafprozessuale Zwangsermittlungsmaßnahmen wie insbesondere Durchsuchungen oder Beschlagnahmen durchzuführen. 20 Krit. zur Begrifflichkeit der „Interviews“ auch Jahn/Kirsch, NZWiSt 2013, 28; zu strafrechtlichen Risiken für die Ermittler bei der Kontrolle von dienstlichen E-Mail-Accounts und anderen Dateien der Mitarbeiter Rübenstahl/Debus, NZWiSt 2012, 129; Mengel, Compliance und Arbeitsrecht, S. 117 ff. 21 Vgl. im Zusammenhang mit dem Fall Siemens Jahn, StV 2009, 41 (42); ähnlich auch im Fall Siemens, wenn der Terminus „Amnestie“ zum Tragen kommt, der bedeutet, dass der Mitarbeiter entweder gänzlich kooperiert oder eine Verdachtskündigung erhält sowie enorm hohe Schadensersatzansprüche drohen, zu diesem Aspekt auch Knauer/Buhlmann, AnwBl 2010, 387 (388); Wastl/Litzka/Pusch, NStZ 2009, 68 (69, 71); insbesondere zur Gestaltung von Amnestien und innerhalb dieser zu einem möglichen (aber wohl letztlich nur geringen) Schutz vor strafrechtlicher Verfolgung Breßler/Kuhnke/Schulz/Stein, NZG 2009, 721 (722, 727). Dieser geringe Schutz vor strafrechtlicher Verfolgung durch Amnestien eines Unternehmens basiert dabei maßgeblich auf dem Legalitätsprinzip des deutschen Strafrechts (§§ 152 Abs. 2, 160 Abs. 1 StPO), nach welchem die Strafverfolgungsbehörden tätig werden müssen, vgl. Theile, StV 2011, 381 (384); eine strafrechtliche Amnestie kann beispielsweise auch im Zusammenhang mit dem US-Recht nicht gewährleistet werden, so Wehnert, NJW 2009, 1190 (1191); zur Verdachtskündigung auch Dann, CCZ 2010, 239 (240), der diese aus Unternehmensperspektive und daher positiv für das Unternehmen bewertet, um Mitarbeiter loszuwerden,

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7. Kap.: Sonderfragen eines Verbandssanktionsverfahrens

weder an eine Verfahrensordnung noch an Grundrechte gebunden, sodass bislang insbesondere keine Belehrung im Sinne der § 136 Abs. 1 S. 2 StPO oder § 55 StPO erfolgt und auch (rein rechtlich) nicht erfolgen muss. Daneben wirken sich die internen Untersuchungen für den Verband dergestalt positiv aus, dass die Unternehmensleitung, wenn sie Kenntnis von dem Verdacht einer Straftat im Unternehmen hat, diesen durch die internen Untersuchungen möglicherweise aufklären kann. Ginge sie dem Verdacht nicht nach und klärte ihn nicht auf, um das missständige Verhalten zu unterbinden, stünde gegebenenfalls eine Verantwortlichkeit wegen weiteren Fehlverhaltens (der Mitarbeiter) im Raume.22 Hier wird deutlich, dass interne Ermittlungen für das Unternehmen sogar von maßgeblicher Notwendigkeit sein können. Interne Ermittlungen stellen indes nicht nur für den Verband einen Vorteil dar. Auch die Strafverfolgungsbehörden profitieren von ihnen.23 Stehen doch gerade, wenn es nur einen Verdacht gibt, die Strafverfolgungsbehörden noch ganz am Anfang ihrer Arbeit, bei der sie hochkomplexe strukturelle und rechtliche Fragen und Probleme aufarbeiten müssen und sich durch riesige, nur schwer überschaubare Mengen an Unterlagen kämpfen müssen, sodass durch vom Unternehmen selbst erbrachte Ergebnisse der internen Untersuchungen die Aufklärung des Sachverhaltes wesentlich erleichtert werden kann. Angesichts dessen verwundert es nicht, dass die Behörden, freilich auch aufgrund von nur begrenzter Kapazität zur Klärung des Verdachts, gerne auf bereits vorhandenes und geprüftes Material zurückgreifen, statt eine großflächige Durchsuchung und Beschlagnahme selbst durchzuführen. Dieses Prozedere wird bereits zum jetzigen Zeitpunkt vor allem mit dem Argument kritisiert, dass es sich bei der Ermittlungstätigkeit der Staatsanwaltschaft im Grunde um eine ihr originär zukommende Aufgabe handele und sie sich hierfür bei Internal Investigations gerade privater Ermittlungsarbeit bediene.24 Möglicherweise bergen die internen Untersuchungen zur Sachverhaltsaufklärung aber die Gefahr, dass das Unternehmen selbst Beweismaterial vernichtet oder nicht gründlich genug aufklärt. Die Gefahr relativiert sich zwar auf der einen Seite dadurch wieder, dass davon auszugehen ist, dass das Unternehmen selbst ein großes Interesse an der Aufklärung der Straftaten und im Zuge dessen an der Verhinderung weiterer zukünftiger Straftaten haben wird. Auf der anderen Seite darf dies nicht den Blick dafür trüben, dass Mitglieder der Unternehmensleitung möglicherweise in die strafrechtlich relevanten Vorgänge involviert sind und deshalb ein eigenes Interesse

welche dem Unternehmen (auch) in Zukunft Schaden zufügen könnten; ausführlich zu Interviews im Rahmen von internen Untersuchungen Eidam, in: Eidam (Hrsg.), Unternehmen und Strafe, S. 925 ff. 22 Vgl. Zerbes, ZStW 2013 (125), 551 (553) m.w.N. 23 Zur Zulässigkeit von Kooperation zwischen Unternehmen und Behörden Sarhan, wistra 2017, 336 ff. 24 Zutr. krit.: Kottek, wistra 2017, 9.

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an möglicher „Beweisverschleierung“ im Rahmen von internen Untersuchungen haben könnten. Neben diesem Problemkreis besteht ein weiteres spannungsgeladenes Feld in der Frage, ob und wenn ja, inwiefern Behörden die Ergebnisse/Aufzeichnungen von Internal Investigations beschlagnahmen dürfen. Auch hierzu lässt sich eine Vielzahl von Meinungen ausfindig machen, auf die später näher eingegangen wird.25 Aus all diesen Gründen kommt den Internal Investigations bereits jetzt schon eine wichtige Rolle zu, welche aber bei einem Verbandssanktionenrecht noch zusätzlich an Bedeutung gewinnen würde. Das rechtfertigt insgesamt eine Analyse der Thematik in Bezug auf die Mitarbeiter eines Unternehmens und die Frage nach der Übermittlung von Aufzeichnungen an Behörden.26

II. Problemstellungen und Lösungen de lege lata 1. Mitwirkung in Interviews versus Selbstbelastungsfreiheit Mit den in der Ausgangssituation geschilderten Abläufen von internen Ermittlungen sind häufig Probleme und Friktionen rechtlicher und tatsächlicher Art verbunden, die nicht erst in einem Verbandssanktionsverfahren relevant werden, sondern an denen sich bereits jetzt die Geister scheiden.27 a) (Arbeitsrechtliche) Mitwirkungspflicht des Arbeitnehmers Ein wesentlicher Problemkreis liegt in dem Zusammenhang von internen Untersuchungen und der Beziehung zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber und dabei in der Frage, inwiefern Mitarbeiter des Unternehmens eine Mitwirkungspflicht in den Interviews der Internal Investigations gegenüber den privaten Ermittlern trifft (generell und vor allem, wenn sie sich dadurch selbst belasten müssten).28

25

Vgl. dazu S. 408 und S. 476. Anders noch im Jahre 1994 nach Krey, Problematik privater Ermittlungen, S. 103, „Demgemäß besitzt die Frage des Verwertungsverbots von sonst im Rahmen anwaltlicher Ermittlungen zur Straftataufklärung rechtswidrig erlangter Beweismittel sicherlich keine nennenswerte Praxisrelevanz“; ausführlich zu internen Ermittlungen Theile/Gatter/Wiesenack, ZStW 2014 (126), 803 ff. 27 Dazu de lege lata Zerbes, ZStW 2013 (125), 551 ff.; Gerst, CCZ 2012, 1 ff.; zur Stellung des Unternehmensanwalts in dieser Situation BRAK Stellungnahme Nr. 35/2010 These 3; insbesondere zu These 3 auch Ignor, CCZ 2011, 143 (144 ff.); Theile, ZIS 2013, 378 (379 ff.). 28 Vgl. Göpfert/Merten/Siegrist, NJW 2008, 1703 (1706); zum Ablauf von Mitarbeiterbefragungen sowie Folgen Wessing, AG Strafrecht, 907 (921 ff.); Anders, wistra 2014, 329; dazu auch Klose, NZWiSt 2018, 11 (18). 26

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7. Kap.: Sonderfragen eines Verbandssanktionsverfahrens

Es lassen sich zu diesem Topos allerhand Ansätze finden, weshalb der Diskussionsstand nur kursorisch in die Untersuchung eingeführt wird.29 Hier haben sich zwei Hauptstränge an Meinungen im Laufe der Zeit herausgebildet. Diese beziehen hauptsächlich Mitarbeiter und kaum Organe und gesetzliche Vertreter des Unternehmens mit ein. Teile der Literatur30 vertreten für die Mitarbeiter beispielsweise die Auffassung, dass interne Ermittlungen strafprozessual verwertet werden können, aber im Rahmen dieser privaten Ermittlungen keine Verpflichtung zur Selbstbelastung bestehe, sodass hierin die Lösung der oben aufgeworfenen Fragestellung gesehen wird. Mit der Begründung wird dann argumentiert, dass ein späterer Schutz durch ein Verwertungsverbot im Strafverfahren nicht mehr notwendig sei, da der Schutz des Mitarbeiters durch die Freiheit, sich in den Mitarbeiterbefragungen nicht selbst belasten zu müssen, bereits ausreichend sei.31 Dieser Anknüpfungspunkt stellt einen sehr früh beginnenden Schutz des Nemo-tenetur-Rechts, bereits außerhalb des Strafverfahrens, dar. Diese Auffassung verkennt allerdings, dass die Selbstbelastungsfreiheit einen Schutz vor Konflikten im Strafrecht, ergo in einem staatlichen Strafverfahren, bieten soll. Wird der Schutz nun auf das Arbeitsverhältnis als privatrechtliches Rechtsverhältnis, ausgedehnt bzw. vorverlagert, verschwimmen nicht nur die Grenzen dieses Rechts, sondern es wird unangemessen extensiviert, weshalb der Ansatz an diesem Punkt abzulehnen ist. Das gilt erst recht, wenn angenommen wird, dass es sich bei internen Ermittlungen um private und gerade nicht quasi-staatliche Ermittlungen handelt.32 Hier kann der Nemo-tenetur-Grundsatz nicht schon in diesem Stadium zum Tragen kommen. Hingegen lässt sich die allgemein vertretene und vorherrschende Meinung dergestalt zusammenfassen, dass davon ausgegangen wird, der Arbeitgeber habe gegenüber dem Arbeitnehmer einen vollständigen Auskunftsanspruch, wenn es um die unmittelbare berufliche Tätigkeit33 im Unternehmen geht, welcher aus § 666 i.V.m.

29 Grundlegend dazu bereits im Jahre 2009 im Zusammenhang mit der Siemens-Affäre Jahn, StV 2009, 41 (45 f.), der für eine Unzulässigkeit einer privaten Ermittlung im Wirtschaftsstrafverfahren plädiert, „wenn sie ein Ausmaß annimmt, welches das aus dem Legalitätsprinzip fließende Ermittlungsmonopol der Staatsanwaltschaft ernsthaft herausfordert (…)“; Zerbes, ZStW 2013 (125), 551 ff.; Greco/Caracas, NStZ 2015, 7 ff.; Knauer/Gaul, NStZ 2013, 192 ff.; Sarhan, wistra 2015, 449 ff.; im Zusammenhang mit der SEC Dann/Schmidt, NJW 2009, 1851 ff.; Kottek, wistra 2017 9 ff.; Krull, in: Bay (Hrsg.), Handbuch Internal Investigations, S. 126 ff. 30 So beispielsweise bei Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO § 136 Rn. 7a m.w.N.; Zerbes, ZStW 2013 (125), 551 (559). 31 Vgl. Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO § 136 Rn. 7a. 32 Siehe dazu S. 397. 33 Zu den Voraussetzungen insgesamt BAG v. 07. 09. 1995 – 8 AZR 828/93, NZA 1996, 637 (638).

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§ 675 Abs. 1 BGB (analog) abgeleitet wird, sowie ebenfalls aus den Treuepflichten/ Nebenpflichten seines Arbeitsvertrages.34 Begründet wird das Ergebnis hauptsächlich damit, dass das Interesse des Arbeitnehmers (nach der Gesamtwertung) hinter dem Informationsbedürfnis des Arbeitgebers zurückzutreten habe.35 Nun werden die Mitarbeiterbefragungen aber, wie erwähnt, meist nicht vom Arbeitgeber selbst, sondern von Dritten, insbesondere von vom Unternehmen mandatierten Kanzleien, durchgeführt, weshalb zu klären ist, ob die Mitarbeiter eines Unternehmens auch diesen Dritten Auskunft erteilen müssen. Hier besteht eine Option für das Unternehmen als Arbeitgeber darin, dass die Ermittler vom Unternehmen (als Arbeitgeber) gemäß § 164 ff. BGB bevollmächtigt werden, die Mitarbeiter zu befragen. In der Konstellation läge eine Bevollmächtigung der Ermittler gemäß § 167 BGB (analog) vor, die Mitarbeiter zu befragen und damit das Recht des Arbeitgebers auszuüben.36 Diese Option wird auch als eine von zwei Optionen37 von Theile angeführt, der ebenfalls davon ausgeht, dass die Ermittler (sofern es sich bei ihnen beispielsweise um Rechtsanwälte handelt), als Stellvertreter im Sinne des § 164 Abs. 1 S. 1 BGB tätig werden, wobei das dem Arbeitgeber zustehende Auskunftsrecht (gegenüber dem Mitarbeiter) auf der Grundlage des Mandatsverhältnisses (was als Geschäftsbesorgungsvertrag im Sinne des § 675 BGB38 ausgestaltet sei) geltend gemacht werde.39 Mit Böhm ist aber zutreffend davon auszugehen, dass ein solcher Lösungsansatz über die Stellvertreterregelungen nur Früchte trägt, wenn es sich bei den Ermittlern nicht um unabhängige private Ermittler, sondern beispielsweise um eine vom Unternehmen mandatierte Kanzlei handelt.40 Dieses Ergebnis folgt daraus, dass private Ermittler nicht für den Arbeitgeber bzw. in seinem Namen tätig werden, wobei in dem Fall eine Lösung über eine Abtretung nach § 185 BGB analog möglich sein soll, 34 BGH v. 30. 04. 1964 – VII ZR 156/62, WM 1964, 795 ff.; BAG v. 21. 11. 2000 – 3 AZR 13/ 00, NZA 2002, 618 (620); Dann/Schmidt, NJW 2009, 1851 (1852 f.); Zerbes, ZStW 2013 (125), 551 (557); Wastl/Litzka/Pusch, NStZ 2009, 68 (70); Diller, DB 2004, 313 ff.; a.A.: Bauer, StraFo 2012, 488 (489 f.); siehe zu diesem Gesamttopos auch Tscherwinka, FS I. Roxin, S. 521 (522 ff.), jedoch ohne Rückgriff auf § 666 i.V.m. 675 Abs. 1 BGB; dazu im Zusammenhang mit der Pflicht zur Herausgabe von Dokumenten auch Göpfert/Merten/Siegrist, NJW 2008, 1703 (1705 f.); Krull, in: Bay (Hrsg.), Handbuch Internal Investigations, S. 83 ff.; Rödiger, Strafverfolgung von Unternehmen, S. 294 ff.; Böhm, WM 2009, 1923 (1924 ff.). 35 Zu den Voraussetzungen für einen Auskunftsanspruch des Arbeitgebers gegen den Arbeitnehmer vgl. BAG v. 07. 09. 1995 – 8 AZR 828/93, NZA 1996, 637 (638); ferner BGH v. 23. 03. 1989 – IX ZR 236/86, BGH NJW-RR 1989, 614. 36 Siehe ausführlich zum Ganzen bei Böhm, Non-Compliance und Arbeitsrecht, S. 202 f. 37 Als weitere Option führt Theile die Übertragung des vollständigen Auskunftsanspruchs an: Theile, StV 2011, 381 (384 ff.). 38 Vgl. zu den Voraussetzungen auch Jauernig/Mansel BGB § 675 Rn. 3 ff. 39 Diff. für den speziellen Fall der Ermittlungen im Fall Siemens/SEC Jahn, StV 2009, 41 (44). 40 Vgl. zum Ganzen und insbesondere zu möglichen Vor- und Nachteilen sowie weiteren Optionen Böhm, Non-Compliance und Arbeitsrecht, S. 20 f.

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durch welche die privaten Ermittler das Weisungsrecht für den Arbeitgeber ausüben können sollen oder der Arbeitgeber sein Direktionsrecht bei entsprechender Anwendung der §§ 413, 398 BGB abtritt.41 Daraus resultiert zunächst einmal, dass ein Mitarbeiter eines Unternehmens (sei es der Haftungsauslöser selbst, sei es ein an der Straftat unbeteiligter Mitarbeiter) grundsätzlich eine Pflicht hat, in Interviews im Rahmen von internen Ermittlungen sowohl seinem Arbeitgeber als auch Dritten Auskunft zu geben, sowie im Umkehrschluss, dass ihm kein Schweigerecht zukommt, auch wenn er sich mit seiner Aussage selbst belasten muss.42 Im Rahmen dessen wird ein späteres Verwertungsverbot im Strafverfahren angenommen, wenn selbstbelastende Aussagen im Vorhinein getätigt wurden.43 Hierfür werden zwar unterschiedliche Begründungsansätze vertreten, die jedoch alle einheitlich in einem Verwertungsverbot für ein späteres Strafverfahren münden.44 Diese Annahme wird der folgenden Untersuchung zugrunde gelegt.45

41

Vgl. Böhm, Non-Compliance und Arbeitsrecht, S. 203. Vgl. zum Gemeinschuldnerbeschluss des BVerfG v. 13. 01. 1981 – 1 BvR 116/77, BVerfGE 56, 37 = NJW 1981, 1431; BGH v. 20. 04. 1964 – VII ZR 156/62, NJW 1964, 1469 (1470); BGH v. 30. 11. 1989 – III ZR 112/88, NJW 1990, 510 (511); so auch insbesondere zu den zivilrechtlichen Konstellationen bzw. Begründungen Kottek, wistra 2017, 9 ff. m.w.N.; dies wurde auch vom LAG Hamm v. 03. 03. 2009 – 14 Sa 1689/08, CCZ 2010, 237 in dem Fall anerkannt, dass ein (ehemaliger) Arbeitnehmer gegen § 60 HGB verstoßen hat und in dieser Hinsicht zur Auskunft gegenüber dem (ehemaligen) Arbeitgeber verpflichtet ist, auch wenn er sich dadurch selbst strafrechtlich belasten muss; krit. an dieser Stelle Gerst, CCZ 2012, 1 (3); vgl. Wastl/Litzka/Pusch, NStZ 2009, 68 (71), die sowohl bei der Bejahung von einer arbeitsrechtlichen Mitwirkungspflicht als auch bei Verneinung in dem Fall der durch die SEC veranlassten Ermittlungen automatisch davon ausgehen, dass die in diesem Rahmen getätigten Aussagen „in einer das Nemo-tenetur-Prinzip berührenden Weise ,erzwungen‘ (sind)“; krit. zur Anwendung des Gemeinschuldnerbeschlusses für diesen Fall Anders, wistra 2014, 329 (332); eine Aussagepflicht verneinend an dieser Stelle Zerbes, ZStW 2013 (125), 551 (559). 43 Statt vieler Kottek, wistra 2017, 9 (17); Theile, StV 2011, 381 (384 ff.), der sich hier für ein Beweisverwertungsverbot mit Fernwirkung in Form eines anschließenden Verwendungsverbotes ausspricht. 44 Siehe unter anderem Kottek, wistra 2017, 9 (12 ff.), der hier zur Begründung und Herleitung des strafprozessualen Verwertungsverbotes de lege lata zum einen auf § 97 Abs. 1 S. 3 InsO (analog) und auf die entsprechende Anwendung des § 136a Abs. 3 S. 2 StPO rekurriert; Momsen, ZIS 2011, 508 (515 f.), der noch weitergeht bzw. für die Lösung des Konflikts den Schwerpunkt auf die Anpassung des Rechts legt: „Richtiger wäre es, die arbeitsvertraglichen und -gesetzlichen Regelungen an die Realität anzupassen um Normen zu ergänzen, welche die Rechte und Pflichten von Arbeitnehmer und Arbeitgeber bei internen Ermittlungen präzise gestalten.“; Knauer/Buhlmann, die ein Beweisverwertungsverbot aber aufgrund der Verletzung des Fair-Trial-Prinzips annehmen, AnwBl 2010, 387; Knauer/Gaul, NStZ 2013, 192 (193 f.); diff.: Dann/Schmidt, NJW 2009, 1851 (1855). 45 Siehe dazu auch S. 399 und S. 474. 42

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b) (Arbeitsrechtliche) Mitwirkungspflicht von Organen und gesetzlichen Vertretern des Verbandes Beachtlich ist darüber hinaus, wie es sich mit Organen und gesetzlichen Vertretern des Unternehmens verhält, ergo, ob sie ebenfalls zunächst eine arbeitsrechtliche Aussagepflicht im Rahmen der internen Ermittlungen haben. Dies ist ebenfalls schwierig zu beurteilen und zugleich viel seltener Gegenstand von Ausarbeitungen zu der Thematik. Nichtsdestotrotz soll der Aspekt nicht außen vorgelassen werden. Teile der Literatur nehmen (neben der Aussagepflicht der Arbeitnehmer) eine Pflicht der Organmitglieder, im Interview bei internen Ermittlungen aussagen zu müssen, an.46 Diese könnten sich im Rahmen der Befragungen nicht auf §§ 55, 136 Abs. 1 S. 2 StPO berufen. Zur Begründung der ebenfalls sehr weitreichenden Pflicht wird zutreffend erkannt, dass die umfassendsten Auskunftspflichten die Führungsebene, also wohl insbesondere Organe von Verbänden haben,47 da sie schon aufgrund ihrer Stellung im Gesellschaftsrecht verwurzelte Treupflichten haben.48 Kraft Gesetzes seien sie zu einer vollständigen Aussage verpflichtet, was insbesondere aus § 37 Abs. 1, § 45 Abs. 1, § 47 Abs. 1 GmbHG und § 111 Abs. 1, § 131 Abs. 1, Abs. 3 AktG resultiere.49 Ihr Verhältnis zum Unternehmen besteht in einem Dienstvertrag (in Form eines Anstellungsvertrages), wobei ihnen in ihrer Position nach einer Auffassung in der Literatur „als Dienstverpflichtete der Gesellschaft in besonderem Maße eine Vertrauensstellung zu (kommt)“.50 Hieraus resultiert, sowohl für Teile der Literatur als auch für die Rechtsprechung, dass auch Organe des Verbandes eine Auskunftspflicht bei Interviews im Zusammenhang mit Internal Investigations jedenfalls aus §§ 666, 675 BGB haben.51 Dieser Auffassung ist zuzustimmen. Es scheint weder angemessen noch zielführend, im Rahmen der Interviews eine Aussagepflicht derer abzulehnen, die gegenüber dem Verband besonders verpflichtet sind, wenn es um die vollständige Aufklärung eines Sachverhaltes bzgl. eines Gesetzesverstoßes geht. Hier ist eine unterschiedliche Behandlung im Verhältnis zu den Mitarbeitern nicht angezeigt. Somit ist festzuhalten, dass auch Organe und gesetzliche Vertreter eine Aussagepflicht haben, selbst wenn sie sich bei diesen Aussagen in den Interviews selbst belasten müssten.

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Kottek, wistra 2017, 9 (10) m.w.N. Vgl. Bittman/Molkenbur, wistra 2009, 373 (375), die in diesem Zusammenhang nur auf Arbeitnehmer in Führungspositionen/Vertrauensstellungen eingehen. 48 Vgl. Bittmann/Molkenbur, wistra 2009, 373 (375). 49 Vgl. Aufzählung so bei Kottek, wistra 2017, 9 (10) m.w.N.; zu unterschiedlichen gesellschaftsrechtlichen Pflichten ausführlich auch Nienaber, Unternehmensinterne Ermittlungen, S. 155 ff.; vgl. zu Verschwiegenheitspflichten von Aufsichtsratsmitgliedern Mülbert/ Sajnovits, NJW 2016, 2540 f. 50 Kottek, wistra 2017, 9 (10). 51 BGH v. 07. 07. 2008 – II ZR 71/07, NZG 2008, 834 = WM 2008, 2019; so auch Kottek, wistra 2017, 9 (10). 47

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c) Kollision von arbeitsrechtlicher Mitwirkungspflicht mit der Selbstbelastungsfreiheit Eine Auskunftspflicht bringt allerhand Probleme mit sich. Eine der maßgeblichen Schwierigkeiten besteht darin, dass der Mitarbeiter (arbeitsrechtlich – vertraglich) dazu verpflichtet ist, Auskunft zu geben, sich durch die Auskunft aber möglicherweise strafrechtlich selbst belasten müsste. Dadurch entsteht ein Konflikt hinsichtlich der Pflichten und der Konsequenzen: arbeitsrechtliche Folgen,52 wie zum Beispiel eine Kündigung („talk or walk“53) bei fehlender Kooperationsbereitschaft in den Interviews kollidieren mit strafrechtlichen Folgen, welche durch eine Selbstbelastung (und ein daraus resultierendes späteres Strafverfahren) hervorgerufen werden können. Der Mitarbeiter befindet sich hier in der schlechtesten Position, vor allem aber kann vor dem Hintergrund nicht von einer freien Entscheidung des Mitarbeiters (hinsichtlich seiner Selbstbelastungsfreiheit) ausgegangen werden, denn insbesondere eine Kündigung ist dazu geeignet, seine wirtschaftliche Existenz zu bedrohen.54 Hier wirken von allen Seiten Zwänge auf den Mitarbeiter ein. Dieses Problem entsteht allerdings nicht zum ersten Mal in einem künftigen Verbandssanktionenrecht, sondern ist bereits zum jetzigen Zeitpunkt vielfach relevant und diskutiert.55 Rechtlich verbindliche Regelungen sind bis dato leider Fehlanzeige. Vor allem gelten die Vorschriften der Strafprozessordnung nicht für interne Ermittlungen, da es sich hierbei um rein private Ermittlungen handelt und die privaten Ermittler keine Adressaten der strafprozessualen Regeln sind. So ist es nur konsequent, dass weder strafprozessual wirksame Belehrungen erfolgen, noch Aussage- oder Zeugnisverweigerungsrechte Anwendung finden können. Insbesondere hat der Mitarbeiter in den Gesprächen nicht den Beschuldigtenstatus im Sinne der StPO nach § 136 StPO. Ein Zeugnisverweigerungsrecht für Arbeitnehmer ist zwar in § 384 Nr. 2 ZPO normiert. Eine (analoge) Übertragung dieses Rechts auf die beschriebenen Aus-

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Dazu überblicksartig Kottek, wistra 2017, 9 (10); Göpfert/Merten/Siegrist, NJW 2008, 1703 (1706 ff.). 53 So abgedruckt bei Kottek, wistra 2017, 9 (10). 54 Vgl. dazu auch Kottek, wistra 2017, 9 (11), der hier noch weitergeht und feststellt, „dass aufgrund der wirtschaftlichen Drucksituation des Arbeitnehmers ein faktischer Zwang zur Auskunftserteilung besteht“. 55 Greco/Caracas, NStZ 2015, 7; Sarhan, wistra 2015, 449 ff.; Theile, StV 2011, 381 (383 ff.); Knauer/Gaul, NStZ 2013, 192 (193); Zerbes, ZStW 2013 (125), 551; im Zusammenhang mit der SEC Dann/Schmidt, NJW 2009, 1851; Kottek, wistra 2017, 9; hier findet sich vielfach ein Einfallstor für Missbräuche seitens des Unternehmens in der Hinsicht, dass der Mitarbeiter zum sogenannten „Bauernopfer“ gemacht wird und ihm vom Unternehmen für den Fall, dass er Kooperationsbereitschaft zeigt, zugesagt wird, die Kosten des Verfahrens zu übernehmen sowie von einer Kündigung und ähnlichen Sanktionen abzusehen. Vgl. zu diesem Problemkreis im Zusammenhang mit den USA Kottek, Kooperation von deutschen Unternehmen mit der SEC, S. 67 ff.; Momsen, ZIS 2011, 508 (510); Wastl/Litzka/Pusch, NStZ 2009, 68; Krull, in: Bay (Hrsg.), Handbuch Internal Investigations, S. 126 ff.

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kunftspflichten des Arbeitnehmers, die insbesondere aus § 666 BGB hergeleitet werden, wird jedoch abgelehnt.56 Die gleiche Problematik ergibt sich nicht nur für den Mitarbeiter eines Unternehmens, sondern auch für Organe und gesetzliche Vertreter. Wie festgestellt, besteht auch für sie eine Auskunftspflicht. Freilich wird sich der oben genannte Konflikt hier eher in abgeschwächter Form ergeben, da es sich bei den Organen und gesetzlichen Vertretern des Verbandes nicht um sonstige Mitarbeiter des Unternehmens, sondern um die mit größten Befugnissen ausgestatteten Personen handelt. Dadurch entsteht in arbeitsrechtlicher Hinsicht kein so weitgehender Konflikt/Druck (beispielsweise wie bei der Drohung mit Kündigung eines Mitarbeiters für den Fall mangelnder Kooperationsbereitschaft) wie bei den sonstigen Mitarbeitern. Insgesamt kommt es aber dennoch zu einer Kollision zwischen der Mitwirkungspflicht und der Selbstbelastungsfreiheit, sodass dies auch im Lösungsansatz Berücksichtigung finden muss. d) Transfer der Ergebnisse von Internal Investigations in das Strafverfahren In Zusammenhang mit der oben erwähnten Kollision ist ebenfalls zu problematisieren, ob (und wenn dies bejaht wird: wie) derartige Beweisergebnisse, die durch private Ermittler gewonnen werden, grundsätzlich in das staatliche Strafverfahren transferiert werden können. Hierbei geht es vor allem um Aufzeichnungen interner Ermittlungen, wie zum Beispiel Protokolle. Auch hierzu gibt es bereits zum jetzigen Zeitpunkt unterschiedliche Auffassungen.57 In dem Kontext dürfte vorrangig der Grundsatz der Unmittelbarkeit (in seinen Ausprägungen in §§ 249, 250 StPO58) sowie ggf. § 254 StPO in Frage stehen, da Aufzeichnungen interner Ermittlungen ausschließlich als Verschriftlichungen persönlicher Äußerungen und nur nach Maßgabe dieser Vorschriften in den Strafprozess eingeführt werden dürfen. Problematisch ist vor allem das Verlesungsverbot als „verlängerter Arm“ des Unmittelbarkeitsgrundsatzes, da es sich bei den Aufzeichnungen von internen Ermittlungen um ein Ergebnis vom „Hörensagen“ handelt.59 Selbst wenn der Anwendungsbereich des § 250 S. 2 StPO als eröffnet angesehen und somit vorausgesetzt wird, dass die Vernehmung nicht durch Verlesung des über eine frühere Vernehmung aufgenommenen Protokolls/schriftliche Erklärung ersetzt werden darf, würde das nur für die Wahrnehmung von Zeugen und Sachverständigen gelten. Diese müssten aufgrund des Vorrangs des Personalbeweises in der Hauptverhandlung als 56

BGH v. 30. 04. 1964 – VII ZR 156/62, NJW 1964, 1469 (1470); zu diesem Aspekt ausführlich Böhm, Non-Compliance und Arbeitsrecht, S. 159 f. 57 Ausführlich dazu zum Beispiel bei Kottek, wistra 2017, 9 (11 f.); Nienaber, Unternehmensinterne Ermittlungen, 296 ff.; Kasiske, NZWiSt 2014, 262 (267 ff.). 58 Vgl. dazu Krause, Urkundenbeweis, S. 129 ff. 59 Vgl. ferner Knierim, StV 2009, 324 (330 f.).

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Zeugen vernommen werden (§ 250 S. 1 StPO). Eine Ersetzung der vorrangigen Vernehmung durch eine Verlesung wäre dann nur bei Vorliegen einer Variante des § 251 Abs. 1 StPO denkbar. Ein solcher Fall des § 250 StPO wäre einschlägig, wenn es um Aussagen anderer Unternehmensmitarbeiter ginge. Möglich wäre es nach dem Ansatz zudem, dass neben anderen Unternehmensmitarbeitern die (privaten) Ermittler als Zeugen vom „Hörensagen“ vernommen werden. Insgesamt liegt hier der Schwerpunkt jedoch auf einem anderen Merkmal, welches eine Entscheidung in dieser Hinsicht obsolet werden lässt. Es müsste sich bei den Aufzeichnungen interner Ermittlungen um „schriftliche Erklärungen“ oder um „Vernehmungsprotokolle“ im Sinne des § 250 S. 2 StPO handeln. Unter schriftlichen Erklärungen werden nach Teilen der Rechtsprechung und Literatur schriftliche Äußerungen einer Person verstanden, welche von Beginn an (und nur in demselben Verfahren60) zu Beweiszwecken oder gegenüber einer Behörde, die sich mit dem Strafverfahren befasst, zu Beweiszwecken abgegeben werden61.62 Schriftliche Aufzeichnungen der Ermittler über ihre Wahrnehmungen im Mitarbeiter-Interview erfolgen zunächst nur für das und gegenüber dem Unternehmen und darüber hinaus nicht gegenüber einer Behörde, die ein Strafverfahren führt.63 Ihr Sinn besteht (wenn überhaupt) darin, ausschließlich als Beweis im Ordnungswidrigkeitenverfahren herangezogen zu werden und nicht im Strafverfahren gegen den Mitarbeiter.64 Aus dem Grunde handelt es sich bei diesen Schriftstücken weder um „Vernehmungsprotokolle“ noch um „schriftliche Erklärungen“ im Sinne des § 250 S. 2 StPO. Demgegenüber können private Ermittler auch als Zeugen vom „Hörensagen“ vernommen werden, wenn es um den Inhalt der Mitarbeiterbefragungen oder Protokolle geht (solange kein Verstoß gegen § 136a Abs. 3 S. 2 StPO vorliegt). Einem solchen Vorgehen steht § 250 S. 2 StPO erst recht nicht entgegen. Geht es aber, wie wohl in den meisten Fällen der vorliegenden Konstellation, um die Verlesung, die sich auf den Angeklagten in dem gegen ihn gerichteten Strafverfahren (beispielsweise den Haftungsauslöser für ein Bußgeldverfahren des Unternehmens) bezieht, wäre § 254 StPO die einschlägige Norm. § 254 StPO bietet nach traditionellem Verständnis Schutz vor der Verlesung polizeilicher Geständnisprotokolle oder geständiger Erklärungen des Angeklagten vor nichtrichterlichen Beamten (im Gegensatz zu den verlesbaren richterlichen Protokollen und zu den Bild-Ton-Aufzeichnungen einer Vernehmung65) zum Zwecke der Beweisaufnahme

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BGH v. 25. 09. 1962 – 5 StR 306/62. BGH v. 07. 01. 1964 – 5 StR 549/63. 62 Krause, Urkundenbeweis, S. 154 ff.; Löhr, Unmittelbarkeit, S. 120 ff.; mit Bedenken BGH v. 16. 12. 1965 – 1 StR 4/65, BGHSt 20, 160 (161) = NJW 1965, 874; diff.: KK-StPO/ Diemer, StPO § 250 Rn. 8. 63 Vgl. Kottek, wistra 2017, 9 (11). 64 So auch Kottek, wistra 2017, 9 (11). 65 Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO § 254 Rn. 1a. 61

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über ihren Inhalt.66 Diese Voraussetzung ist durch die Protokolle der internen Ermittlungen nicht erfüllt, da hier gerade keine staatlichen Stellen tätig werden. Aus dem Grund ist bereits der Anwendungsbereich des § 254 StPO nicht eröffnet.67 Ein anderes Ergebnis würde sich auch bei entsprechender Anwendung der Norm auf geständige Aussagen in Mitarbeiterbefragungen nicht ergeben, da immer noch die Möglichkeit bestünde, die privaten Ermittler als Zeugen über den Inhalt der Mitarbeiterbefragungen zu vernehmen.68 Das ergibt sich daraus, dass auch im unmittelbaren Anwendungsbereich des § 254 StPO zwar nichtrichterliche Protokolle nicht verlesen, sehr wohl aber nach vorherrschender Meinung die nichtrichterlichen Verhörpersonen als Zeugen über die Aussagen vernommen werden dürfen; dabei ist sogar ein Vorhalt des Protokolls möglich. Dieses Resultat, was die Transferierung der Ergebnisse aus internen Ermittlungen in das staatliche Strafverfahren (de lege lata) vorsieht und einen Verstoß gegen § 250 S. 2, § 254 StPO (im Fall des Angeklagten) ablehnt, da die Anwendungsbereiche nicht eröffnet sind, ist im Grunde anzuerkennen.69 Gegen ein solches Ergebnis bestehen insgesamt keine Einwände. Daneben besteht die Möglichkeit des unterstützenden Vorhalts der Interviewprotokolle vor Gericht, der als allgemein zulässig erachtet wird sowie die Möglichkeit des Selbstleseverfahrens. Auch letzteres stellt keinen Verstoß gegen § 250 StPO dar. Eine andere Frage ist hingegen, inwiefern auch eine Verwertung zulässig ist. Dies wird unter anderem Schwerpunkt des folgenden Lösungsansatzes sein. 2. Lösungsansatz de lege lata a) Verwertung von Ergebnissen der Internal Investigations im Strafverfahren gegen natürliche Personen aa) Internal Investigations als private Ermittlungen Besteht, wie angenommen, eine zivilrechtliche Auskunftspflicht, drängt sich die Folgefrage auf, inwiefern die aufgefundenen Ergebnisse in einem später anschließenden Strafverfahren auch verwertet werden können bzw. inwiefern der Nemotenetur-Grundsatz durch die internen Ermittlungen bereits nach geltendem Recht konterkariert werden könnte. Zunächst ist für eine mögliche Antwort festzuhalten, dass Beweismittel, die privat (auch beispielsweise aufgrund staatlich veranlasster Ermittlungstätigkeit) erlangt wurden, nach höchstrichterlicher Rechtsprechung 66 Kottek, wistra 2017, 9 (12); Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO § 254 Rn. 6; BeckOK StPO/Ganter, StPO § 254 Rn. 1 f. 67 A.A.: Kasiske, NZWiSt 2014, 262 (267 f.). 68 Zum Ganzen Kottek, wistra 2017, 9 (12). 69 So auch Kottek, wistra 2017, 9 (12).

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grundsätzlich im Strafverfahren verwertet werden (können).70 Hierzu zählen dem Grunde nach auch insbesondere die Aussagen im Rahmen von Internal Investigations, da sie, wie erwähnt, von privaten Ermittlern gewonnen werden und diese vom Unternehmen (privatrechtlich) beauftragt wurden.71 Daher könnte in den Befragungen eine kommunikative Interaktion rein zwischen Privaten gesehen werden, aus der eben rein privatrechtliche Konsequenzen folgen können. Die typische Zwangssituation, die sich im Strafrecht aus dem Verhältnis Staat–Bürger ergeben kann und vor welcher der Nemo-tenetur-Grundsatz Schutz bieten soll, würde sich nach diesem Verständnis nicht ergeben. Folglich würde eine Anwendung des Nemo-tenetur-Grundsatzes auf derartige Fallkonstellationen auf den ersten Blick nicht naheliegen.72 Bei Lichte betrachtet könnte sich etwas anderes ergeben, wenn die Strafverfolgungsbehörden den Arbeitgeber zur Mitarbeiterbefragung veranlassen und dieser dann beispielsweise bei einer Kooperationsverweigerung (oder nicht vollständigen Kooperation) des Mitarbeiters mit persönlichen (insbesondere arbeitsrechtlichen) Nachteilen droht, da der Mitarbeiter, wie bereits festgestellt, zur Auskunft verpflichtet ist. Hier könnte die Privatheit der Beweismittel an ihre Grenzen stoßen, da belastende Beweismittel nicht mehr freiwillig, sondern aufgrund von (Kooperations-)Zwang erlangt bzw. den Behörden zur Verfügung gestellt werden. Hierdurch würde im Grunde eine Verstaatlichung erfolgen, was eine Anwendung des Selbstbelastungsfreiheitsgrundsatzes rechtfertigen könnte, da anderenfalls ein eklatanter Verstoß gegen diesen Grundsatz vorliegen könnte.73 Grundsätzlich kann zwar davon ausgegangen werden, dass die Unternehmen sich kooperationsbereit zeigen werden, 70 Hierzu hat sich der BGH bereits in früheren Entscheidungen verhalten. Jedoch betraf dies nur Fälle, in denen Privatpersonen aufgrund eines Auftrags des Staates oder durch dessen Unterstützung tätig wurden, vgl. BGH v. 17. 10. 1983 – GSSt 1/83, BGHSt 32, 115 = StV 1983, 490 (V-Mann-Fälle); dazu auch Götting, Beweisverwertungsverbote, S. 172 ff.; BGH v. 13. 05. 1996 – GSSt 1/96, BGHSt 42, 139 = JA 1997, 15 (Hörfalle); zur Hörfalle auch bei Doege, Bedetung des nemo-tenetur-Grundsatzes, S. 264 ff.; diff.: BGH v. 28. 04. 1987 – 5 StR 666/86, BGHSt 34, 362 = JA 1998, 754; (U-Haft-Fälle) BGH v. 13. 05. 1996 – GSSt 1/96, NJW 1996, 2940 (2942); BGH v. 21. 07. 1998 – 5 StR 302 – 97, NJW 1998, 3506; vgl. zu dieser gesamten Problematik bei der Verwertung eines von der Polizei veranlassten Telefongesprächs, BGH v. 20. 12. 1995 – 5 StR 680/94, BGH NStZ 1996, 200 = JA 1996, 632; Roxin, NStZ 1997, 18; Bosch, Jura 1998, 236 in Bezug auf BGH v. 13. 06. 1996 – GSSt 1/96, NJW 1996, 2940; diff. Kudlich, JuS 1997, 696 (700); allgemein und grundlegend zum Bedürfnis privater Ermittlungen, Knierim, FS Volk, S. 247 (256 ff.). 71 Etwas anderes könnte sich aber dann ergeben, wenn die Anwälte nicht nur im Interesse des Unternehmens, sondern auch im Interesse einer Behörde ermitteln, was beispielsweise im Zusammenhang mit der amerikanischen SEC Usus sein kann, vgl. Göpfert/Merten/Siegrist, NJW 2008, 1703 (1706). 72 So auch Knauer/Buhlmann, AnwBl 2010, 387 (388). 73 I. Erg. zutr. a.A. Momsen, ZIS 2011, 508 (513), der darauf rekurriert, dass der Staat nur die Zwangsmittel zur Verfügung stelle, die arbeitsrechtliche Aufklärung aber privatrechtlich bleibe und letztlich auf das Gebot des „fairen Verfahrens“ zurückgreift und daraus ein Verwertungsverbot herleitet sowie Knauer/Buhlmann, AnwBl 2010, 387 (390) für Fälle im internationalen Kontext und insbesondere im Zusammenhang mit der SEC.

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wenn sie nicht großflächige Durchsuchungen und einen hohen Reputationsverlust sowie weitere einschneidende Maßnahmen durch staatsanwaltschaftliche Ermittlungen riskieren wollen.74 Letztlich ist es aber ratsam, die „Kirche im Dorf“ zu lassen: Zunächst besteht immer nur die Kooperationsmöglichkeit, ein Zwang existiert, wenn überhaupt, lediglich faktisch. Hinzu kommt, dass die Ermittler im Regelfall nicht nur selbst vom Unternehmen gewählt, sondern auch nur diesem (und gerade nicht den Strafverfolgungsbehörden) gegenüber (privatrechtlich) verpflichtet sind, weshalb es schwerfallen dürfte, eine Verstaatlichung der privaten Beweismittel anzunehmen.75 Darüber hinaus ist eine Kooperationsmöglichkeit, die mit einer Strafmilderung belohnt wird, dem Strafrecht bereits im Individualstrafverfahren und auch im Ordnungswidrigkeitenverfahren nicht fremd.76 Ein Nemo-tenetur-Recht findet aus diesen Gründen in den internen Ermittlungen (selbst) mangels staatlichen Verfahrens (und daraus resultierend mangels staatlichen Zwangs) keine unmittelbare Anwendung, selbst wenn es so scheint, als würde es sich bei dem Verfahren um den „verlängerten Arm“ der Strafverfolgungsbehörden handeln. bb) Beweisverwertungsverbot bei drohender Selbstbelastung des Haftungsauslösers und anderweitiger Mitarbeiter im späteren Strafverfahren Eine andere Frage ist hingegen, wie die Situation zu bewerten ist, wenn es in einem nächsten Schritt zu einem nachfolgenden Strafverfahren gegen den Haftungsauslöser oder anderweitige Mitarbeiter kommt, weil die Strafverfolgungsbehörden durch die Aufzeichnungen der internen Ermittlungen Kenntnis von einer Straftat erhalten. Da es sich hierbei um ein Strafverfahren handelt, muss der Nemotenetur-Grundsatz Anwendung finden. Würden durch interne Ermittlungen gewonnene selbstbelastende Aussagen des Mitarbeiters nun unreflektiert in den Strafprozess eingeführt, läge in der Verwertung eine Beschneidung des strafrechtlichen Nemo-tenetur-Grundsatzes bzw. dieser würde an Wirkkraft verlieren, sodass der Schutz für den Mitarbeiter zu fordern ist. Aus dem Grund sprechen sich viele Stimmen (mit unterschiedlicher Begründung) für ein Verwertungsverbot von selbstbelastenden Angaben, die in Mitarbeiterge74 Zu diesem Aspekt auch Momsen, ZIS 2011, 508 (512); zu der Frage, wann das Verhalten eines Privaten dem Staat zurechenbar ist (im Zusammenhang mit dem Siemensfall) ausführlich Jahn, StV 2009, 41 (45). 75 So auch Knauer/Buhlmann, AnwBl 2010, 387 (390); im Ergebnis auch Sarhan, wistra 2017, 336 (344); a.A. Wastl/Litzka/Pusch, NStZ 2009, 68 (71), bezogen auf von der SEC veranlasste Ermittlungen unter Berücksichtigung, dass die SEC letztlich eine US-Bundesbehörde ist. 76 Ähnliche Argumentation auch im und für das US-Recht Dann/Schmidt, NJW 2009, 1851 (1852).

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sprächen gemacht wurden, im Rahmen des Strafverfahrens, aus.77 In puncto „Verwertungsverbot“ werden wiederum divergierende Auffassungen vertreten.78 Teilweise wird angenommen, dass ein bloßes Beweisverwertungsverbot im Strafverfahren keinen ausreichenden Schutz biete und daher ein Beweisverwertungsverbot mit Fernwirkung oder (hier scheint die Terminologie je nach Gusto des Verfassers zu variieren) ein sogenanntes Beweisverwendungsverbot im Strafverfahren notwendig wäre.79 Nach dem Ansatz könnte ein Strafverfahren nicht nur aufgrund von Aussagen, welche den Mitarbeiter belasten, nicht geführt werden, sondern die belastenden Aussagen dürften ebenfalls nicht als Ansatz für weitere Ermittlungen dienen. Hiergegen spricht, dass es bei einer solchen Lösung (über ein Beweisverwendungsverbot (bzw. ein Beweisverwertungsverbot mit Fernwirkung)) zu einer (Quasi-)Immunisierung des Mitarbeiters gegenüber den Strafverfolgungsbehörden kommen würde, da diesen kaum ein weiterer Ermittlungsansatz zur Verfügung stünde, den sie gegenüber dem Mitarbeiter weiterverfolgen könnten. Das würde 77 Vgl. BVerfG v. 13. 01. 1981 – 1 BvR 116/77, BVerfG NJW 1981, 1431 (1433) = BeckRS 9998, 103559; LAG Hamm v. 03. 03. 2009 – 14 Sa 1689/08, m. Anm. Dann, CCZ 2010, 237 (238, 239 f.); Kottek, wistra 2017, 9 (12 ff.), der hier zur Begründung und Herleitung des strafprozessualen Verwertungsverbotes de lege lata zum einen auf § 97 Abs. 1 S. 3 InsO (analog) und auf die entsprechende Anwendung des § 136a Abs. 3 S. 2 StPO rekurriert; nicht weiter auf die Frage der analogen Anwendung des § 97 Abs. 1 S. 3 InsO eingehend Dann/ Wessing, CCZ 2010, 239 (240) m.w.N.; Momsen, ZIS 2011, 508 (515 f.); so auch Knauer/ Buhlmann, die ein Beweisverwertungsverbot aufgrund der Verletzung des Fair-Trial-Prinzips annehmen, AnwBl 2010, 387; Knauer/Gaul, NStZ 2013, 192 (193 f.); diff.: Dann/Schmidt, NJW 2009, 1851 (1855); verkennend an dieser Stelle Schuster, NZWiSt 2012, 26 (30); dem oben genannten Ansatz im Grunde zust. Minoggio, Unternehmensverteidigung, § 12 Rn. 71 ff., der aber Ausnahmen zulässt, in denen auch bereits ein arbeits- und zivilrechtliches Verwertungsverbot eingreifen müsse; anders hier Gerst, CCZ 2012, 1 (4 f.), der u. a. fordert, dass ein Unternehmen die Beratung mit einem Anwalt ermöglicht; diff. Jahn, StV 2009, 41 (45 f.); ein Beweisverwertungsverbot ausschließlich aufgrund der Drucksituation des Arbeitnehmers anzunehmen wird hingegen abgelehnt, vgl. Beschlüsse 67. DJT 2008, S. 15, abrufbar unter http:// www.djt.de/fileadmin/downloads/67/djt_67_beschluesse.pdf zuletzt abgerufen am 19. 02. 2018; Theile, StV 2011, 381 (385 f.), der für ein selbstständiges Beweisverwertungsverbot (mit Fernwirkung im Sinne eines nachwirkenden Verwendungsverbotes) aufgrund von Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG plädiert; Neuhaus, in: Kempf/Lüderssen/Volk (Hrsg.), Finanzkrise, Wirtschaftsstrafrecht und Moral, S. 348 (359 f.), der hier ein Verwertungsverbot aufgrund einer Analogie zu § 97 Abs. 1 S. 3 InsO annimmt. 78 Der Topos des „Beweisverwertungsverbots“ ist mithin umstritten, wenn es um die Frage der Fernwirkung geht. Allgemein kann festgehalten werden, dass von einem Beweisverwendungsverbot gesprochen wird, wenn eine Fernwirkung über das Beweisverwertungsverbot hinaus angenommen wird, sodass man entweder von einem „Beweisverwendungsverbot“ oder (synonym verwendet) von einem Beweisverwertungsverbot mit Fernwirkung sprechen kann. Im Zusammenhang mit § 97 Abs. 1 S. 3 InsO sprechen Bittmann/Rudolph, wistra 2001, 81 (84) vom „Verwendungsverbot“; beide Begriffe (Beweisverwertungsverbot mit Fernwirkung und Beweisverwendungsverbot) werden in der vorliegenden Arbeit synonym verwendet, unterscheiden sich aber von einem „normalen“ Beweisverwertungsverbot. 79 So im Ergebnis (gestützt auf Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG) Theile, StV 2011, 381 (385 f.); zur umstrittenen Terminologie im Ganzen auch Götting, Beweisverwertungsverbote, S. 23 ff.

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einen zu weitreichenden Schutz des Mitarbeiters gegenüber den Strafverfolgungsbehörden bedeuten. Ein solches Ergebnis kann schon de lege lata nicht gewollt sein und sollte erst recht nicht de lege ferenda in Gesetzesform gegossen werden. Bestünde hingegen ein bloßes Beweisverwertungsverbot ohne Fernwirkung, würde nur die strafrechtliche Verfolgung und Sanktionierung des Mitarbeiters aufgrund der Ergebnisse von Internal Investigations als Beweis ausscheiden, während eine anderweitige Strafverfolgung und Sanktionierung trotzdem erfolgen könnte.80 Er wäre also keineswegs vollständig sakrosankt. Diese Lösung scheint am meisten die Interessen jeder Partei widerzuspiegeln und ihnen gerecht zu werden bzw. geeignet, einen Interessenausgleich zwischen den Beteiligten herbeizuführen. Zum einen haben die Mitarbeiter dadurch die Möglichkeit, in internen Untersuchungen aussagen zu können bzw. ihrer Auskunftspflicht vollumfänglich gerecht zu werden, ohne dass sie sich bereits deshalb der Gefahr der Strafverfolgung aussetzen müssen. Zum anderen werden die Durchführbarkeit und vor allem authentische Ergebnisse der internen Ermittlungen sichergestellt. Dadurch würden Unternehmen und Strafverfolgungsbehörden gleichermaßen von einer derartigen Vorgehensweise profitieren, sodass letztlich wohl eine Win-win-win-Situation entstehen dürfte. Das Ergebnis entspricht zudem am ehesten dem strafrechtlichen Grundsystem, da der Schutz vor Selbstbelastung erst im strafrechtlichen Verfahren zur Anwendung kommt, was hierdurch bekräftigt wird. Die Lösung beinhaltet freilich aber auch, dass Aussagen grundsätzlich verwertet werden dürfen und nur in dem Fall, dass die Selbstbelastungsfreiheit tangiert sein könnte, einem Verwertungsverbot im späteren Strafverfahren unterliegen. Keinesfalls wird der Mitarbeiter hierdurch von seiner Aussagepflicht befreit. Aus diesen Gründen wird der Weg über ein gängiges Beweisverwertungsverbot (ohne Fernwirkung) im Strafverfahren präferiert, weshalb der Ansatz den folgenden Überlegungen, nicht nur de lege lata, sondern auch de lege ferenda, zu Grunde gelegt wird.81 cc) Beweisverwertungsverbot bei drohender Selbstbelastung der Organe und gesetzlichen Vertreter des Verbandes im späteren Strafverfahren Der Weg über ein Beweisverwertungsverbot muss konsequenterweise bei dem hier vorgeschlagenen Lösungsansatz (de lege lata) ebenfalls für den Fall Geltung erlangen, dass sich Organe und gesetzliche Vertreter des Verbandes aufgrund ihrer Aussagepflicht in Interviews selbst belasten müssen. Anderenfalls würde ein Verstoß gegen den Nemo-tenetur-Grundsatz naheliegen.82 Demzufolge kann der Schutz von

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Vgl. hierzu diff. und die Kritik am nachwirkenden Beweisverwendungsverbot letztlich abl. Theile, StV 2011, 381 (386) m.w.N. 81 So auch in § 18 Abs. 3 Kölner Entwurf, Henssler/Hoven/Kubiciel/Weigend, NZWiSt 2018, 1 (4). 82 Zutr. bei Kottek, wistra 2017, 9 (17).

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Organen und gesetzlichen Vertretern des Verbandes für sich selbst nicht hintenanstehen, sondern muss ebenfalls gewährleistet sein. b) Verwertung von Ergebnissen der Internal Investigations im Ordnungswidrigkeitenverfahren gegen den Verband Dieses weite Problemfeld entsteht für den Verband selbst nicht erst mit Schaffung eines Verbandssanktionenrechts, sondern hat bereits jetzt Relevanz im Ordnungswidrigkeitenverfahren, wobei festzuhalten ist, dass die geltende Rechtslage das Spannungsfeld noch weiter verschärft.83 Es besteht zwar bis dato schon die Möglichkeit der Berücksichtigung von Internal Investigations an unterschiedlichen Stellen, wie zum Beispiel bei der Frage im Rahmen des Opportunitätsprinzips, „ob“ ein Verfahren eröffnet werden soll, oder bei der Bußgeldbemessung, wenn man Internal Investigations als „positives Nachtatverhalten“84 würdigt. Das Dilemma rund um die Mitarbeiterbefragungen vermag aber dadurch nicht gelöst zu werden. Es findet sich dazu, wie festgestellt, zwar eine überzeugende herrschende Auffassung zur Lösung des Konflikts. Rechtlich normiert oder gar durch die ständige (höchstrichterliche) Rechtsprechung bestätigt ist diese allerdings nichts.85 Letzteres resultiert freilich auch daraus, dass Ordnungswidrigkeitenverfahren nur in den seltensten Fällen überhaupt vor den BGH gelangen, sodass sich eine gefestigte höchstrichterliche Rechtsprechung zu dem Topos bei geltender Rechtslage wohl kaum entwickeln können wird. Aus dem Grunde der fehlenden rechtlichen Regelung besteht derzeit Unsicherheit auf allen Seiten: bei den Unternehmen, bei den Mitarbeitern und bei den Behörden. Insgesamt bisher kaum behandelt wird innerhalb des Themenkomplexes, wie es sich mit der Verwertung von Aufzeichnungen der Internal Investigations im Ordnungswidrigkeitenverfahren gegen den Verband derzeit verhält. Mangels abweichender Konzepte hierzu in Rechtsprechung und Literatur ist davon auszugehen, dass sich keine Unterschiede zum Vorgehen im Strafverfahren ausmachen lassen und die Regelungen der StPO über die Verweisungsnorm des § 46 Abs. 1 OWiG anwendbar sind, sodass es insoweit einer weitergehenden Erörterung nicht bedarf. Dies bedeutet freilich nicht, dass sich keine weiteren Fragestellungen ergeben, sondern 83

Vgl. Gerst, CCZ 2012, 1 (2 ff.). In diesem Kontext ist auch das Kartellrecht anzuführen. So sieht beispielsweise das Kartellrecht die sogenannte „Bonusregelung“ vor, die in ihrer originären Form aus dem Jahr 2000 stammt, im Jahr 2006 allerdings eine grundlegende Überarbeitung erfahren hat: Bekanntmachung Nr. 9/2006 v. 07. 03. 2006, https://www.bundeskartellamt.de/SharedDocs/Publi kation/DE/Bekanntmachungen/Bekanntmachung%20-%20Bonusregelung.pdf?__blob=publica tionFile&v=7 zuletzt abgerufen am 09. 11. 2020. Durch diese können Kartellteilnehmer, zusammengefasst, aufgrund ihrer Kooperation mit den Behörden einen Erlass oder eine Reduzierung der Geldbuße erhalten. 85 Vgl. hier auch den Vorschlag „normativer Orientierungsmuster“ für interne Untersuchungen bei Theile, ZIS 2013, 378. 84

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lediglich, dass diese parallel wie im Individualstrafverfahen beantwortet werden können. Ein wesentlicher Unterschied besteht aber: Da sich das Ordnungswidrigkeitenverfahren, wie erwähnt, auch gegen den Verband richten kann, bestehen schon zum jetzigen Zeitpunkt Bedenken gegen die Verwertung von Aussagen der Organe in jenem Verfahren, da diese gerade für den Verband tätig werden bzw. der Verband gerade durch seine Organe handelt. c) Zwischenfazit Als Zwischenfazit kann festgehalten werden, dass sich bereits de lege lata ein schwieriger und mehrstufiger Konflikt entwickelt hat, dessen Abflauen in Zukunft insbesondere in Folge der starken Globalisierung (und der damit untrennbar zusammenhängenden länderübergreifenden Arbeit von Behörden) und auch aufgrund der wirtschaftlichen Schnelllebigkeit, die sich in den vielfältigen wirtschaftsstrafrechtlichen Sachverhalten widerspiegelt, nicht zu erwarten ist. Der vorgeschlagene (und präferierte) Lösungsansatz hinsichtlich der Verwertung scheint zwar de lege lata ein Placet zu erhalten, sollte aber auf jeden Fall spezifisch Eingang in ein Verbandssanktionenrecht de lege ferenda finden, um auch praktische Umsetzung zu erfahren. Hierbei scheinen bis dato die größten Defizite zu herrschen, da eine verlässliche Umsetzungs-/Handhabepraxis nicht erkennbar ist. Erschwerend kommt hinzu, dass der BGH einer horizontalen Wirkung von verfassungsrechtlich abgesicherten Verfahrensrechten eher ablehnend gegenübersteht.86 Deshalb kann sich ein Mitarbeiter derzeit kaum darauf verlassen, dass seine Angaben in einem Strafverfahren nicht verwertet würden. Die nicht nur unerheblich nachteilige Position für den Mitarbeiter wurde durch die zu Recht kritisierte Entscheidung des LG Hamburg in Sachen „HSH Nordbank“ noch weiter manifestiert, indem das Gericht entschied, dass die Unterlagen aus internen Ermittlungen mit den Befragungsprotokollen der Mitarbeiter insbesondere keinem Beschlagnahmeverbot im Sinne des § 97 Abs. 1 Nr. 3 StPO, § 53 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 StPO unterliegen würden.87 Dies wurde im Jahre 2018 durch die „Jones Day-Entscheidung“ des BVerfG bestätigt, in welcher die Durchsuchung und Beschlagnahme von Protokollen der Interviews von Mitarbeitern aus Internal Investigations nicht als verfassungsrechtlich problematisch beanstandet wurde.88 Unabhängig von dem gewählten Lösungsansatz und der damit verbundenen Begründung sollten Mitarbeiter und Organe in einer solchen Fallkonstellation keinesfalls weiterhin (gesetzlich, aber wohl auch tatsächlich) schutzlos stehen.89 Die 86

BGH v. 13. 05. 1996 – GSSt 1/96, NStZ 1996, 502 ff. LG Hamburg v. 15. 10. 2010 – 608 Qs 18/10, NZWiSt 2012, 26. 88 BVerfG v. 27. 06. 2018 – 2 BvR 1405/17 und 2 BvR 1780/17, NJW 2018, 2385 = StraFo 2018, 288 (293); zur Jones Day-Entscheidung Wimmer, StV 2019, 704 passim; Ignor, StV 2019, 693 passim. 89 Vgl. hier auch im Zusammenhang zutr. Theile, StV 2011, 381 (383) m.w.N., der im Rahmen von der Kollision der Mitwirkungspflicht mit der Selbstbelastungsfreiheit davon 87

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große Notwendigkeit einer eindeutigen Regelung dieser Materie für die Zukunft ist letztlich nicht (mehr) von der Hand zu weisen. 3. Übermittlung der Ergebnisse von Internal Investigations an die Behörden Neben der Frage der Verwertbarkeit kommt Durchsuchungen und Beschlagnahmen durch die Strafverfolgungsbehörden im Kontext der Internal Investigations eine tragende Bedeutung zu, die jedoch nicht losgelöst von den Befragungen in einem anderen Kosmos stehen, sondern eng verzahnt sind. Hier sind unterschiedliche Fallgestaltungen denkbar. Um die Problematik richtig einzuordnen, lohnt wiederum ein Blick auf den regulären Ablauf solcher Untersuchungen.90 Die beauftragten (externen) Prüfer erhalten vom Unternehmen Zutritt zu Geschäftsräumen und Zugriff auf unternehmensinterne Unterlagen und prüfen diese. Stoßen sie innerhalb der Untersuchung auf konkrete Hinweise, dass ein rechtswidriges Verhalten eines Mitarbeiters vorgelegen haben könnte, folgen regelmäßig sachdienliche Befragungen derer, die im Zusammenhang mit dem Verdacht stehen oder über Wissen verfügen könnten, das den Sachverhalt aufklärt. Über die Befragungen werden in der Regel Protokolle erstellt, um Wissen zu konservieren und im weiteren Verlauf Vorgänge zu rekonstruieren. Die Protokolle befinden sich zunächst nur im unternehmensinternen Rahmen oder oftmals in speziell dafür vorgesehenen Räumen der Prüfer. Es besteht jedoch die Möglichkeit, dass sie auf unterschiedlichen Wegen zu den Strafverfolgungsbehörden gelangen. An dem Punkt wird für die weitere Untersuchung zwischen einer freiwilligen Übermittlung und dem Zugriff der Strafverfolgungsbehörden auf Aufzeichnungen von Internal Investigations unterschieden. Die größte Gefahr dürfte für einen Mitarbeiter darin bestehen, dass es, nicht nur, aber auch, seitens des Unternehmens keine Gewährleistung dafür gibt, dass es bei einem reinen Internum bleibt, insbesondere besteht auch nur ein sporadischer Schutz vor strafrechtlicher Verfolgung durch sogenannte „Amnestien“.91 Das Unternehmen kann, freilich aus unterschiedlichen Gründen motiviert, die Ergebnisse, sofern der Verdacht der Straftat eines Mitarbeiters vorliegt, zu jedem Zeitpunkt an die Strafverfolgungsbehörden weiterleiten, ohne dass der Mitarbeiter sich hiergegen erfolgreich wehren kann.

ausgeht, dass „beide Gesichtspunkte in Wechselwirkung zueinander (stehen): Je weiter man die zivilrechtliche Aussagepflicht zieht, desto eher wird man von einem strafrechtlichen Beweisverwertungs- oder -verwendungsverbot ausgehen – und umgekehrt“. 90 Freilich kann hier aufgrund von anderen unternehmerischen Gegebenheiten oder Sachlagen auch ein anderer Ablauf zielführender sein. Der oben genannte Ablauf hat hier lediglich eine Beispielsfunktion inne. 91 Siehe dazu auch Fn. 21.

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Neben dieser (Einzel-)Gefahr für den Mitarbeiter besteht die Möglichkeit, dass das Unternehmen insgesamt bereits von Anfang an plant, mit den Behörden zu kooperieren und die Ergebnisse der internen Ermittlungen zur Verfügung zu stellen. Auch hier ergeben sich wiederum Friktionen mit der Selbstbelastungsfreiheit des Mitarbeiters, wobei der oben vorgestellte Ansatz diese zu lösen vermag. Wesentlich problematischer als die Arten der freiwilligen Übermittlung der Ergebnisse an die Behörden (im Sinne einer Sicherstellung nach § 94 Abs. 1 StPO) ist es, wenn die Strafverfolgungsbehörden eine Durchsuchung vornehmen und Aufzeichnungen der internen Ermittlungen beschlagnahmen (§ 94 Abs. 2 StPO), sei es im Unternehmen selbst, sei es in Räumlichkeiten der externen Dritten (Ermittler bzw. Rechtsanwälte), wie zum Beispiel in Kanzleiräumen bzw. wenn ein Beschlagnahmeverbot nicht gilt.92 Eine solche Vorgehensweise der Strafverfolgungsbehörden in Form des Zugriffs des Staates birgt für ein Unternehmen aus mehreren Gründen ein großes Gefährdungspotential, und es scheint mehr als fraglich, ob es sich um ein zulässiges Vorgehen handelt.93 Da es sich bereits de lege lata um ein höchst problematisches Thema handelt, ist zunächst eine Bestandsaufnahme des geltenden Rechts von Vorteil.

4. Lösungsansatz de lege lata a) Freiwillige Übermittlung der Ergebnisse der Internal Investigations an die Strafverfolgungsbehörden aa) Herausgabe der Ergebnisse in Bezug auf Straftaten einzelner Mitarbeiter – eigenständige Meldung der Ergebnisse durch das Unternehmen Möglicherweise hat der Arbeitgeber ein eigenes Interesse daran, die Strafverfolgungsbehörden über die Ergebnisse der internen Ermittlungen zu informieren.94 Dies kann aufgrund ganz unterschiedlicher Motivation geschehen. In Betracht kommt, dass bei den internen Untersuchungen Straftaten einzelner Mitarbeiter aufgedeckt wurden, von denen der Arbeitgeber erst hierdurch Kenntnis erlangt, und daher den Strafverfolgungsbehörden seinen Verdacht basierend auf den Ermittlungsergebnissen meldet sowie letztere zur Verfügung stellt. Grund hierfür kann etwa der Wunsch sein, dem Strafverfolgungsinteresse des Staates gerecht zu werden, oder der Wille, sich sowohl nach innen als auch nach außen rechtstreu zu verhalten. Dieser Weg wird vermutlich vor allem dann verfolgt werden, wenn sich aus den internen Untersuchungen Straftaten von einzelnen Mitarbeitern beispielsweise ohne spezifischen Unternehmensbezug ergeben. Hier sollte wiederum der (schutzbedürftige) 92

So jüngst geschehen vgl. „Jones Day-Entscheidung“ BVerfG v. 27. 06. 2018 – 2 BvR 1405/17 und 2 BvR 1780/17, NJW 2018, 2385 = StraFo 2018, 288. 93 So aber für den konkreten Fall BVerfG v. 27. 06. 2018 – 2 BvR 1405/17 und 2 BvR 1780/ 17, NJW 2018, 2385 = StraFo 2018, 288. 94 Dazu auch Jahn, StV 2009, 41 (44).

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7. Kap.: Sonderfragen eines Verbandssanktionsverfahrens

Mitarbeiter, der ja arbeitsrechtlich zur Auskunft verpflichtet ist, im Mittelpunkt stehen, sodass dem oben gewählten Ansatz eines Beweisverwertungsverbotes (in einem möglicherweise folgenden Strafverfahren) der Vorzug zu gewähren ist bzw. einer Zustimmungslösung, welche im Abschnitt über den Nemo-tenetur-Grundsatz de lege ferenda erörtert wurde. bb) Kooperation: Unternehmen – Strafverfolgungsbehörden Ein anderer Anknüpfungspunkt, wie die Aufzeichnungen von derartigen Untersuchungen zu den Strafverfolgungsbehörden gelangen könnten, wäre im Rahmen einer (gesamten und möglicherweise bereits von Anfang an intendierten) Kooperation, d. h. im Wege einer Bereitstellung der vollständigen Ermittlungsergebnisse und nicht nur derjenigen bezüglich eines einzelnen Mitarbeiters.95 Dies ist bereits de lege lata usus. Wie oben erwähnt, können Internal Investigations schon zum jetzigen Zeitpunkt rechtlich berücksichtigt werden, wenn es zum Beispiel um die Frage geht, ob ein Verfahren überhaupt eröffnet werden soll (ergo im Rahmen des Opportunitätsprinzips), oder wenn über die Bußgeldzumessung zu entscheiden ist. Hieraus kann (und wird vermutlich häufig) für ein Unternehmen deshalb ein Anreiz zur Kooperation mit den Behörden entstehen, die Ergebnisse der internen Untersuchungen zu übermitteln, um ein Verfahren bereits im Ursprung zu verhindern und die Gefahr eines (öffentlichen) Reputationsverlustes möglichst gering zu halten oder wenigstens im Rahmen der Bemessung der Geldbuße Rabatt zu bekommen. Das wird de lege lata die zumeist gewählte Option/der häufigste Beweggrund für die Übermittlung der Ergebnisse vom Unternehmen an die Behörden sein. Dieser Fall scheint für das Unternehmen selbst weitgehend unproblematisch, da es die Unterlagen freiwillig zur Verfügung stellt, daher eine Auswahlentscheidung hat und ein Beschlagnahmeverbot hier deshalb konsequenterweise nicht in Betracht kommt. Rechtlich betrachtet ermöglicht dann die freiwillige Übermittlung eine Sicherstellung im Sinne des § 94 Abs. 1 StPO, welcher über die Brückennorm den § 46 Abs. 1 OWiG zur Anwendung kommt. Für den einzelnen Mitarbeiter ergibt sich indes die gleiche Problematik wie im vorherigen Abschnitt, da wiederum eine Kollision mit dem Nemo-tenetur-Grundsatz zu erwarten ist. An der Stelle ist auf den oben (de lege lata) gewählten Lösungsansatz eines Beweisverwertungsverbotes in einem späteren Strafverfahren zu rekurrieren. Da hierzu, wie festgestellt, bis dato keine rechtliche Regelung existiert, herrscht gegenwärtig große Rechtsunsicherheit, die in einem Verbandssanktionenrecht de lege ferenda ausgeräumt werden sollte. 95 Zu den Grenzen der Zulässigkeit einer solchen Kooperation Sarhan, wistra 2017, 336; zu den unterschiedlichen Formen der internen Untersuchungen Kasiske, NZWiSt 2014, 262 f., der zwischen präventiven, repressiven, kooperativen und substitutiven internen Untersuchungen differenziert; ausführlich zur Kooperation, wie insbesondere Kooperationsgrundlagen, -stufen und -formen, Knierim/Schröder, in: Knierim/Rübenstahl/Tsambikakis (Hrsg.), Internal Investigations, S. 488 ff.

A. Internal Investigations

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b) Zugriff der Strafverfolgungsbehörden auf Aufzeichnungen interner Ermittlungen Aus Unternehmensperspektive wesentlich problematischer als die bereits erwähnten Arten der Übermittlung der Ergebnisse, die alle auf der Freiwilligkeit des Unternehmens basieren, ist es, wenn Strafverfolgungsbehörden Unternehmen durchsuchen und hierbei die Ergebnisse von Internal Investigations herausverlangen oder infolge der Negierung des Herausgabeverlangens beschlagnahmen (wollen) bzw. ein Beschlagnahmeverbot nicht gilt.96 Die vorgelagerte Frage der Zulässigkeit dieser Maßnahmen ist bereits in der Gegenwart ein viel disktuiertes, aber gesetzlich noch nicht geregeltes Problem.97 In diesem Zusammenhang ergeben sich wiederum die genannten Friktionen mit der Selbstbelastungsfreiheit des Mitarbeiters, wobei es für ihn letztlich keinen Unterschied macht, ob die Aufzeichnungen von Internal Investigations auf freiwilliger Basis oder durch Beschlagnahme zu den Behörden gelangen. Aus dem Grund besteht für den Mitarbeiter des Unternehmens die gleiche Schutzbedürftigkeit wie in den bereits genannten Konstellationen. aa) Durchsuchung nach §§ 102 ff. StPO Um mögliche, derzeit noch allein ordnungswidrigkeitenrechtliche Verfahren gegen Unternehmen zu führen, ist es unerlässlich, gängige Geschäftsunterlagen zu prüfen. Dazu können eine Durchsuchung und Beschlagnahme der Aufzeichnungen von internen Ermittlungen angeordnet werden, wobei es sich um einen Zugriff98 durch die Strafverfolgungsbehörden handelt. Geht es um das Bußgeldverfahren gegen ein Unternehmen, finden sich im OWiG keine Spezialregelungen. Vielmehr sind die Regelungen der StPO über die Brückennorm des § 46 Abs. 1 OWiG anwendbar, sodass sich eine Durchsuchung im Unternehmen grundsätzlich nach §§ 102 ff. StPO99 richtet. Hier stellen sich im Zusammenhang mit internen Untersuchungen unterschiedliche Problemgestaltungen, die im Folgenden näher unter-

96 Siehe BVerfG v. 27. 06. 2018 – 2 BvR 1405/17 und 2 BvR 1780/17, NJW 2018, 2385 = StraFo 2018, 288. 97 Vgl. dazu statt vieler grundlegend, aber unzutr. die Entscheidung „HSH Nordbank“ vom LG Hamburg v. 15. 10. 2010 – 608 Qs 18/10, NZWiSt 2012, 26; Bauer, StraFo 2012, 488 ff.; Theile, StV 2011, 381 ff.; Diedrichsen, ZWH 2016, 104 ff.; zur Durchsuchung in Wirtschaftsstrafverfahren und insbesondere zu den Anforderungen an einen Durchsuchungsbeschluss Heinrich, wistra 2017, 219 (220 f.); vgl. BVerfG v. 27. 06. 2018 – 2 BvR 1405/17 und 2 BvR 1780/17, NJW 2018, 2385 = StraFo 2018, 288. 98 Terminologisch indiziert das Wort „Übermittlung“ die Freiwilligkeit, weshalb hier der Begriff des „Zugriffs“ verwendet wurde, da eine „unfreiwillige Übermittlung“ nach diesem terminologischen Verständnis nicht in Betracht kommt. 99 Dazu im einzelnen Krekeler/Schütz, wistra 1995, 296 (297 ff.); Knierim/Schröder, in: Knierim/Rübenstahl/Tsambikakis (Hrsg.), Internal Investigations, S. 493; ausführlich Minoggio, Unternehmensverteidigung, § 6 Rn. 513 ff.; vgl. zu diesem Topos auch Berndt, in: Berndt/Theile (Hrsg.), Unternehmensstrafrecht, S. 235 ff.

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7. Kap.: Sonderfragen eines Verbandssanktionsverfahrens

sucht werden, aber sich nicht allein auf Durchsuchungen beziehen, sondern vielmehr auch im Zusammenhang mit Beschlagnahmen stehen. bb) Herausgabeverlangen und Beschlagnahme nach §§ 94 ff. StPO Da eine Durchsuchung für sich genommen nicht zielführend ist, ist es notwendig, dass die Behörden Unterlagen und Gegenstände des Unternehmens herausverlangen oder dort beschlagnahmen können. Dies geschieht derzeit, da es hierzu ebenfalls keine Sonderreglungen für das OWiG gibt, nach den einschlägigen Regelungen der StPO, ergo nach §§ 94 und 95 StPO. Es bestehen allerdings Kontroversen über den Umfang, den die Maßnahmen haben (können), und somit darüber, was alles von einer Beschlagnahme/Herausgabepflicht erfasst sein kann. Im spezifischen Kontext ist zu klären, ob insbesondere eine Beschlagnahme von Aufzeichnungen über interne Ermittlungen zulässig ist100 oder ob ein Beschlagnahmeverbot (schon nach der geltenden Rechtslage) greift bzw. greifen müsste. cc) Beschlagnahmeverbot nach § 97 Abs. 1 StPO? De lege lata besonders ins Kreuzfeuer geraten ist (nach dem vorher Erörterten) die Anwendbarkeit des § 97 Abs. 1 StPO für die Aufzeichnungen interner Untersuchungen. Das resultiert daraus, da gerade in Frage steht, ob sich aus der Norm für die Aufzeichnungen der internen Untersuchungen ein Beschlagnahmeverbot ergibt/ergeben kann. Diese Thematik wird bereits äußerst kontrovers diskutiert, und die Problematik stellt sich (zwar möglicherweise anders, vgl. näher im Folgenden, aber) keineswegs ausschließlich dann, wenn die Ermittlungen – wie in einer Reihe der bislang entschiedenen Fälle – sich nicht gegen das Unternehmen, sondern gegen einzelne Mitarbeiter richten.101 Eine Option besteht darin, für Unterlagen aus internen Untersuchungen ein Beschlagnahmeverbot nach § 97 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 StPO in Verbindung mit § 53 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 StPO anzunehmen. Demnach unterlägen dann Gegenstände nicht der Beschlagnahme, auf die sich das Zeugnisverweigerungsrecht der in § 53 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 bis 3b StPO genannten Personen bezieht. Zu dem Personenkreis, der das Zeugnis verweigern darf, zählen insbesondere Rechtsanwälte (Nr. 3). Hier liegt der Ursprung des Konflikts, wenn – wie häufig – vom Unternehmen beauftragte Anwälte mit den internen Untersuchungen betraut sind. Aus dem Grund wird im Folgenden zunächst einigen Gerichtsentscheidungen, die in der (mitunter auch jüngeren) Vergangenheit zu diesem Topos ergangen (und sowohl in der Literatur als auch in der

100 So im konkreten Fall BVerfG v. 27. 06. 2018 – 2 BvR 1405/17 und 2 BvR 1780/17, NJW 2018, 2385 = StraFo 2018, 288. 101 Vgl. dazu statt vieler Knauer, NStZ 2019, 164 ff.

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Rechtsprechung vielfach diskutiert worden102) sind, besondere Aufmerksamkeit gewidmet. (1) Entscheidung des LG Hamburg Bereits im Oktober 2010 erging die äußerst kritisch diskutierte Entscheidung „HSH Nordbank“ des LG Hamburg (vorangehend AG Hamburg).103 Das Verfahren wurde gegen Mitglieder des Vorstandes wegen des Verdachts der Untreue geführt; die internen Untersuchungen (die sich sowohl auf die Vorstandsmitglieder als auch auf aktuelle und frühere Mitarbeiter bezogen) waren für die Bank vom Aufsichtsrat angestoßen worden. Das Gericht verneint in seiner Entscheidung ein Beschlagnahmeverbot nach § 97 Abs. 1 StPO für die Ergebnisse von internen Ermittlungen, die durch eine Anwaltskanzlei (unter der Zusage der Vertraulichkeit gegenüber den Mitarbeitern) getätigt wurden und welche vom Unternehmen beauftragt war.104 Hier lag der Sachverhalt so, dass die Behörden nach einem ihnen schon zugestellten Rechtsgutachten über die internen Ermittlungen zusätzlich die Herausgabe sämtlicher Aufzeichnungen über die im Unternehmen erfolgten Untersuchungen von der beauftragten Kanzlei verlangten, welche dem Herausgabeverlangen nicht nachgab.105 Im Zuge dieser Verweigerung wurde sodann eine Beschlagnahme der Aufzeichnungen (in den Geschäftsräumen der Kanzlei), die bereits ausgesondert verwahrt wurden, angeordnet.106 Bei den Aufzeichnungen wurde die Beschlagnahme in der Hinsicht beschränkt, dass von der Anordnung der Beschlagnahme nur Aufzeichnungen erfasst waren, bei denen es sich um aufgrund des Rechtsgutachtens aufgezeichnete Interviewprotokolle, Dateien und handschriftliche Aufzeichnungen, welche zur Erstellung der Protokolle angefertigt worden waren, handelte.107 Es läge, so das LG Hamburg, insbesondere kein Beschlagnahmeverbot nach § 97 Abs. 1 Nr. 3, § 53 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 StPO vor.108 Zur Begründung führt das Gericht aus, dass „§ 97 Abs. 1 Nr. 3 StPO dahingehend einschränkend auszulegen (ist), dass allein das Vertrauensverhältnis des Beschuldigten im Strafverfahren zu einem von ihm in Anspruch genommenen Zeugnisverweigerungsberechtigten durch ein Be102 Besonders prägend LG Hamburg v. 15. 10. 2010 – 608 Qs 18/10, NZWiSt 2012, 26; Bauer, StraFo, 2012, 488 ff.; a.A. und zutr. abl. Jahn/Kirsch, StV 2011, 151 ff.; LG Bonn, Beschluss v. 21. 06. 2012 – 27 Qs 2/12, NZWiSt 2013, 21 (24) m.w.N.; BVerfG v. 27. 06. 2018 – 2 BvR 1405/17 und 2 BvR 1780/17, NJW 2018, 2385 = StraFo 2018, 288; Knauer, NStZ 2019, 164 ff. 103 LG Hamburg v. 15. 10. 2010 – 608 Qs 18/10, NZWiSt 2012, 26; Bauer, StraFo, 2012, 488 ff.; a.A. und zutr. abl. Jahn/Kirsch, StV 2011, 151 ff. 104 Weitergehend wird auch trotz des Nemo-tenetur-Grundsatzes ein Verwertungsverbot für Aussagen von Mitarbeitern, die im Rahmen von internen Ermittlungen getätigt wurden, verneint: LG Hamburg v. 15. 10. 2010 – 608 Qs 18/10, NZWiSt 2012, 26 (28). 105 LG Hamburg v. 15. 10. 2010 – 608 Qs 18/10, NZWiSt 2012, 26. 106 LG Hamburg v. 15. 10. 2010 – 608 Qs 18/10, NZWiSt 2012, 26. 107 LG Hamburg v. 15. 10. 2010 – 608 Qs 18/10, NZWiSt 2012, 26. 108 LG Hamburg v. 15. 10. 2010 – 608 Qs 18/10, NZWiSt 2012, 26.

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7. Kap.: Sonderfragen eines Verbandssanktionsverfahrens

schlagnahmeverbot geschützt sein soll“.109 Im Umkehrschluss fallen somit nach Auffassung des Gerichts nur solche Gegenstände in den Anwendungsbereich des § 97 Abs. 1 Nr. 3 StPO (und unterliegen daher einem Beschlagnahmeverbot), die sich basierend auf dem Vertrauensverhältnis zwischen Beschuldigtem und Zeugnisverweigerungsberechtigtem in dem Gewahrsam von letzterem befinden. Dazu führt das Gericht aus, es komme „als Ergänzung dieser Regelungen (…) § 97 Abs. 1 Nr. 3 StPO der Sinn zu, den Anwendungsbereich des Beschlagnahmeverbots auf ,andere Gegenstände‘ als die in Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 genannten zu erweitern, nicht dagegen der Zweck, das Beschlagnahmeverbot nunmehr umfassend und unter Einschluss am Strafverfahren nicht direkt beteiligter Dritter zu erweitern, wodurch die Ausdifferenzierung des für den Beschuldigten geltenden Beschlagnahmeschutzes aus Abs. 1 Nr. 1 und 2 teilweise unterlaufen würde. (…) Vorliegend kommt es hierauf allerdings nicht an, da die Beschuldigten nicht nur nicht Auftraggeber des Mandats sind, sondern darüber hinaus zwischen ihnen und der Sozietät F. im Zusammenhang mit der Erstellung des von der H. N.-Bank AG in Auftrag gegebenen Rechtsgutachtens auch kein ,mandatsähnliches Vertrauensverhältnis‘ entstanden ist, aus dem sich eine Schutzwirkung des § 97 StPO zugunsten der Beschuldigten ergeben könnte. Die Annahme eines solchen mandatsähnlichen Vertrauensverhältnisses zu den Beschuldigten liegt vorliegend aufgrund der Zielrichtung des Mandats fern. (…) Nach der Natur des Mandats befanden sich die Beschuldigten gegenüber der Sozietät F. gerade nicht in einer dem Auftraggeber vergleichbaren, ,ratsuchenden‘ Stellung. Vielmehr waren sie selbst im Hinblick auf mögliches Fehlverhalten Gegenstand der Untersuchung.“110 Zusammenfassend ist der entscheidene Punkt nach Auffassung des LG Hamburg, dass das (Mandats-)Vertrauensverhältnis nur zwischen dem Unternehmen und den beauftragten externen Prüfern (hier den Rechtsanwälten der Kanzlei), nicht aber zwischen den Rechtsanwälten und den Vorstandsmitgliedern (sowie aktuellen und früheren Mitarbeitern) als bestehend angesehen wird. Das LG betont dabei, dass zwischen den Rechtsanwälten und Vorstandsmitgliedern (und weiteren Mitarbeitern) auch gerade kein mandatsähnliches Vertrauensverhältnis vorliege, welches § 97 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 StPO aber (zumindest) erfordere. Im Ergebnis stellt dieses Verständnis die Mitarbeiter eines Unternehmens (für die erst recht nichts anderes gelten kann als für Vorstandsmitglieder) gänzlich schutzlos, indem hervorgehoben wird, dass gerade sie Gegenstand der internen Untersuchungen seien.111 Letztlich wird eine (geschützte) Beratungssituation zwischen Mitarbeitern und mit den internen Ermittlungen beauftragten Rechtsanwälten somit negiert, weshalb die Aufzeichnungen der internen Ermittlungen (insbesondere die Protokolle der Befragungen) nach Auffassung des Gerichts keinem Beschlagnahmeverbot aus § 97 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 StPO unterliegen. 109 110 111

LG Hamburg v. 15. 10. 2010 – 608 Qs 18/10, NZWiSt 2012, 26 f. LG Hamburg v. 15. 10. 2010 – 608 Qs 18/10, NZWiSt 2012, 26 (27). LG Hamburg v. 15. 10. 2010 – 608 Qs 18/10, NJW 2011, 942 (943).

A. Internal Investigations

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(2) Entscheidung des LG Bonn Neben der Entscheidung des LG Hamburg gab es weitere Entscheidungen in der Rechtsprechung zu dieser Thematik. Zu dem Kreis gehört auch die Entscheidung des LG Bonn vom 21. Juni 2012, der ein gegen das Unternehmen geführtes (Kartell-) Ordnungswidrigkeitenverfahren zugrunde lag. Das Gericht hatte sich hier jedoch gar nicht näher mit § 97 Abs. 1 StPO zu befassen (stellte aber dennoch – etwas überraschend zu Nr. 1 und nicht zu Nr. 3 – ebenfalls fest, dass eine restriktive Auslegung der Norm dahingehend geboten sei, dass „das Beschlagnahmeverbot nicht das allgemeine Zeugnisverweigerungsrecht des Rechtsanwalts aus § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StPO im Sinne einer ebenso umfassenden Freistellung von der Beschlagnahme widerspiegelt“, sondern ausschließlicher Schutzgegenstand des Beschlagnahmeverbotes das Vertrauensverhältnis zwischen Beschuldigtem und einem von ihm bestimmten Zeugnisverweigerungsberechtigten sei112). Denn anders als in dem Fall, den das LG Hamburg zu entscheiden hatte, befanden sich die beschlagnahmten Unterlagen nicht bei der beauftragten Rechtsanwaltskanzlei (vgl. § 97 Abs. 2 StPO).113 Schwerpunktmäßig prüft das LG Bonn hier deshalb die (nicht unumstrittenen114) Voraussetzungen des § 148 StPO.115 (3) Entscheidung des LG Mannheim Eine weitere, thematisch einschlägige Entscheidung traf das LG Mannheim am 3. Juli 2012.116 Entgegen der Entscheidung des LG Hamburg geht das LG Mannheim davon aus, dass auch das Verhältnis eines Nichtbeschuldigten zum Rechtsanwalt vom Schutzkreis des § 97 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 StPO erfasst sein soll. Das Gericht leitet aus verschiedenen Judikaten zur Beschlagnahmefreiheit von Verteidigungsunterlagen jedenfalls für Strafverteidiger den Grundsatz ab, dass sämtliche Unterlagen des Beschuldigten einem Beschlagnahmeverbot unterfielen, soweit sie vom Vertrauensund Beratungsverhältnis zwischen Rechtsanwalt und Mandant erfasst seien, und zwar auch, wenn sie nicht innerhalb desselben entstanden seien.117 Damit – so wird man dies zu verstehen haben – muss es sich gerade nicht um Äußerungen des Mandanten gegenüber seinem Verteidiger handeln, soweit die Unterlagen inhaltlich nur auch Gegenstand des Zeugnisverweigerungsrechts wären.118 In der anschließenden Abwägung zwischen Verteidigungs- und Strafverfolgungsinteresse kann das Gericht im konkreten Fall auch eine „missbräuchliche Inanspruchnahme der Mög112

LG Bonn, Beschluss v. 21. 06. 2012 – 27 Qs 2/12, NZWiSt 2013, 21 (24) m.w.N. LG Bonn v. 21. 6. 2012 – 27 Qs 2/12, NZWiSt 2013, 21 = NZKart 2013, 204 m. Anm. Jahn/Kirsch, NZWiSt 2013, 21 (28); LG Hamburg v. 15. 10. 2010 – 608 Qs 18/10, BeckRS 2011, 1653. 114 Vgl. dazu nur Jahn/Kirsch, NZWiSt 2013, 21 (29 f.). 115 LG Bonn, Beschluss v. 21. 06. 2012 – 27 Qs 2/12, NZWiSt 2013, 21 (24 f.). 116 LG Mannheim v. 03. 07. 2012 – 24 Qs 1, 2/12, NStZ 2012, 713. 117 LG Mannheim v. 03. 07. 2012 – 24 Qs 1, 2/12, NStZ 2012, 713 (714). 118 LG Mannheim v. 03. 07. 2012 – 24 Qs 1, 2/12, NStZ 2012, 713 (717). 113

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lichkeit der Verlagerung beweisrelevanter Unterlagen“ an die Kanzlei nicht feststellen und nimmt daher ein Beschlagnahmeverbot an, soweit anwaltlicher Gewahrsam besteht (§ 97 Abs. 2 StPO).119 (4) Entscheidung des BVerfG Eine grundlegende Entscheidung dieser Thematik traf das BVerfG im Jahre 2018, in der wesentliche Fragen bezüglich der Beschlagnahme von Ergebnissen von Internal Investigations behandelt wurden.120 Der Sachverhalt, der dieser Entscheidung zugrunde lag, war (in gebotener Kürze auf die wesentlichen Probleme fokussiert) so gestaltet, dass eine externe Kanzlei mit internen Untersuchungen beauftragt wurde, ihr jedoch nur von der Muttergesellschaft (Volkswagen AG) und nicht auch von der Tochtergesellschaft (Audi AG) ein Mandat erteilt wurde.121 In dem eigens in der Kanzlei eingerichteten Aktenraum wurden reihenweise Aktenordner mit Dokumenten der den Fall bearbeitenden Rechtsanwälte sichergestellt.122 Das BVerfG hielt hierbei insgesamt (die Fachgerichte bestätigend) fest, dass ein Beschlagnahmeverbot des § 97 Abs. 1 Nr. 3 StPO nur greife, wenn ein „Vertrauensverhältnis zwischen einem Berufsgeheimnisträger und dem im konkreten Ermittlungsverfahren Beschuldigten“ betroffen wäre.123 Letztere Voraussetzung verneinte es (ebenso wie die Fachgerichte) unter Aufgreifung ihrer Begründung:124 Dem Unternehmen käme keine einem Beschuldigten ähnliche Stellung zu, da hierfür eine „künftige Nebenbeteiligung nach objektiven Gesichtspunkten“125 in Betracht kommen müsse. Diese sei aber zu verneinen, da kein hinreichender Verdacht für eine durch eine konkrete Leitungsperson begangene Straftat oder Aufsichtspflichtverletzung (§ 130 OWiG) vorläge und ein nur möglicher oder wahrscheinlicher Verstoß nicht ausreichend wäre, weil infolgedessen auch keine ausreichende Gewissheit für eine Nebenbeteiligung des Unternehmens im Verfahren bestehe.126 Insgesamt beanstandete das BVerfG die Sicherstellung der Unterlagen und die ergangenen Entscheidungen der Fachgerichte aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht, 119

LG Mannheim v. 03. 07. 2012 – 24 Qs 1, 2/12, NStZ 2012, 713 (717). BVerfG v. 27. 06. 2018 – 2 BvR 1405/17 und 2 BvR 1780/17, NJW 2018, 2385 = StraFo 2018, 288. 121 BVerfG v. 27. 06. 2018 – 2 BvR 1405/17 und 2 BvR 1780/17, NJW 2018, 2385 = StraFo 2018, 288. 122 BVerfG v. 27. 06. 2018 – 2 BvR 1405/17 und 2 BvR 1780/17, NJW 2018, 2385 = StraFo 2018, 288. 123 BVerfG v. 27. 06. 2018 – 2 BvR 1405/17 und 2 BvR 1780/17, NJW 2018, 2385 (2387) = StraFo 2018, 288 (290). 124 BVerfG v. 27. 06. 2018 – 2 BvR 1405/17 und 2 BvR 1780/17, NJW 2018, 2385 (2389 f.) = StraFo 2018, 288 (290). 125 BVerfG v. 27. 06. 2018 – 2 BvR 1405/17 und 2 BvR 1780/17, NJW 2018, 2385 (2389) m.w.N. 126 BVerfG v. 27. 06. 2018 – 2 BvR 1405/17 und 2 BvR 1780/17, NJW 2018, 2385 (2390) = StraFo 2018, 288 (292 f.) m.w.N. 120

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wies die Verfassungsbeschwerden ab und ging letztlich noch einmal im Besonderen auf die Protokolle der Interviews im Rahmen der Internal Investigations ein: Es wird dargelegt, dass „die Protokolle über die von den Rechtsanwälten der Kanzlei Jones Day geführten Mitarbeiterinterviews als Beweismittel von erheblicher Bedeutung sind, da sie die Beurteilung von späteren Zeugenaussagen der Mitarbeiter erleichtern. Gerade diese Protokolle stehen der StA jedoch nicht anderweitig zur Verfügung, sondern können nur durch Sicherstellung und Beschlagnahme bei der Kanzlei Jones Day erlangt werden.“127 (5) Kritische Würdigung der Entscheidungen Zunächst sei festgestellt, dass jedenfalls die ersten drei der vorangehend genannten Entscheidungen kein einheitliches Bild aufweisen, sodass jeder einzelnen, für sich gesehen, keine Leuchtturmfunktion zukommt. Darüber hinaus behandeln die Entscheidungen unterschiedliche Konstellationen (teils Verfahren gegen das Unternehmen, teils gegen Mitarbeiter bzw. Vorstände; teils Beschlagnahme im Unternehmen, teils in der Kanzlei). Gemeinsamer Dreh- und Angelpunkt der Problematik ist dennoch, ob bzw. wann die Aufzeichnungen von internen Ermittlungen „andere Gegenstände“ im Sinne des § 97 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 StPO sind, d. h. insbesondere, ob nur das Vertrauensverhältnis zum Mandanten in den Schutzbereich der Norm fällt oder ebenfalls das Vertrauensverhältnis zwischen dem Berufsgeheimnisträger und Zeugen (ergo den Unternehmensmitarbeitern), bzw. ob ein solches Vertrauensverhältnis auch im Fall des § 97 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 StPO überhaupt gefordert wird. Würde dem LG Hamburg gefolgt, würde dies generell bedeuten, dass Gegenstände und insbesondere die Aufzeichnungen von Internal Investigations (z. B. Protokolle, die von Mitarbeiterbefragungen angefertigt werden), die dem Zeugnisverweigerungsberechtigten von einem Dritten zur Verteidigung bereitgestellt werden, ebenso wie alle Aufzeichnungen, die nicht der Verteidigung dienen, beschlagnahmt werden dürften, wenn sich das Verfahren nicht gegen den Mandanten (also das Unternehmen) richtet. Hierdurch würde das Vertrauensverhältnis zwischen dem Zeugnisverweigerungsberechtigten und einem Dritten (wie insbesondere dem Mitarbeiter) keinerlei Schutz genießen.128 Zu offensichtlichen Ergebnissen, die auf der tatsächlichen Ebene gegen die Entscheidung des LG Hamburg sprechen, gelangt man, wenn dessen Lösungsansatz weitergedacht und als feststehend anerkannt würde. Zu fragen wäre nach den (tatsächlichen) Konsequenzen: Unternehmen würden möglichweise auf Internal Investigations verzichten, da sie ihnen, wenn die Behörden eine Beschlagnahme durchführen dürften, wohl eher schaden als nutzen dürften. Ein Schaden könnte aus mehreren Gründen zu befürchten sein: Zum einen könnte die Staatsanwaltschaft, 127 BVerfG v. 27. 06. 2018 – 2 BvR 1405/17 und 2 BvR 1780/17, NJW 2018, 2385 = StraFo 2018, 288 (293). 128 Vgl. dazu auch Nienaber, Unternehmensinterne Ermittlungen, S. 317 ff.

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wenn sie erstmal in den Besitz der Unterlagen kommt, Ermittlungsansätze finden, die sich ihr vorher gegebenenfalls nicht eröffnet hatten. Darüber hinaus wäre es durchaus denkbar, dass einem Unternehmen daran gelegen ist, dass ein Mitarbeiter, der vertragsgemäß und loyal ausgesagt hat, daraus im weiteren Verlauf keine Nachteile erleidet, denn auch hieraus können dem Unternehmen hinsichtlich der öffentlichen Reputation Verluste drohen. Zum anderen besteht die Gefahr, dass ein Mitarbeiter, der sich aufgrund einer potentiellen Beschlagnahme der Aufzeichnungen von internen Ermittlungen in die Enge getrieben fühlt, versuchen könnte, seine eigene strafrechtliche Verantwortung auf das Unternehmen abzuwälzen, was sich in der Folge wiederum negativ für das Unternehmen auswirken könnte. Das zeigt: Obwohl auf den ersten Blick „nur“ Strafverfahren gegen Mitarbeiter und nicht Verfahren gegen das Unternehmen selbst unmittelbar betroffen zu sein scheinen, wirkt sich das restriktive Verständnis des LG Hamburg stets auch auf das Unternehmen aus, weshalb das gesamte Konstrukt der Internal Investigations, bei Verfolgung des Ansatzes des LG Hamburg, wohl in letzter Konsequenz ins Wanken geraten dürfte, weil es nicht mehr zielführend wäre. Unternehmen würden interne Ermittlungen (die ja de lege lata immer noch freiwillig sind) aus der Sorge der Beschlagnahme durch die Behörden nicht mehr durchführen, und auch die Mitarbeiter würden aufgrund der Möglichkeit einer Beschlagnahme nicht mehr (jedenfalls aber nicht vollumfänglich) aussagen. Die Behörden hätten dann keinen Zugriff auf die Untersuchungen (denn es gäbe ja letztlich keine mehr oder nur noch solche mit einem geringeren Umfang), sodass sie sich diese bei der Aufklärung hochkomplexer Sachverhalte nicht zu Nutzen machen könnten. Es entstünde letztlich eine „Loselose-Situation“ für alle Beteiligten. Mit Jahn/Kirsch129 ist ebenfalls davon auszugehen, „dass Rechtssuchende generell auf anwaltlichen Beistand verzichten (würden), weil sie mit der Möglichkeit der Beschlagnahme der aus diesem Verhalten resultierenden Kommunikation und der bei dem Berufsgeheimnisträger verbleibenden Arbeitsergebnisse rechnen müssen“. Ein solcher Ansatz kann daher auf der tatsächlichen/praktischen (Folgen-) Ebene nicht überzeugen. Die Konsequenzen wiegen schon (de lege lata) derart schwer, dass die vom LG Hamburg präferierte restriktive Auslegung des § 97 StPO abgelehnt wird. Vor allem ist dem Ergebnis aber auch auf der rechtlichen Ebene entschieden entgegenzutreten. Hierfür spricht schon die Ratio der Regelung, da der Gesetzgeber mit § 97 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 StPO offensichtlich einen Auffangtatbestand schaffen wollte.130 Das zeigt der Wortlaut der Norm, der nur Gegenstände erfasst, die nicht bereits unter Nr. 1 oder Nr. 2 fallen.131 Dies kann, wenn es um Aufzeichnungen interner Untersuchungen geht, regelmäßig bejaht werden. Hierbei wird es sich aller 129

Jahn/Kirsch, StV 2011, 151 (154). Jahn/Kirsch, StV 2011, 151 (153). 131 Vgl. Jahn/Kirsch, StV 2011, 151 (153); siehe dazu auch Nienaber, Unternehmensinterne Ermittlungen, S. 317 ff. 130

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Voraussicht nach nicht um schriftliche Mitteilungen zwischen dem Beschuldigten und einer in § 53 Abs. 1 Nr. 1 bis 3b StPO genannten Person, wie zum Beispiel dem Rechtsanwalt handeln, weil hier regelmäßig kein Schriftverkehr vorliegt. Darüber hinaus wird Nr. 2 in den meisten Fällen nicht einschlägig sein, da nur die wenigsten Aufzeichnungen interner Untersuchungen auf Mitteilungen „vom Beschuldigten“ beruhen. Problematisch und maßgeblich zugleich ist, ob Nr. 3 ebenfalls ein Vertrauensverhältnis erfordert. Gegen die Annahme der Erforderlichkeit eines Vertrauensverhältnisses in Nr. 3 kann zunächst der Wortlaut angeführt werden. Der Gesetzgeber hat eine Beschuldigteneigenschaft und damit ein Vertrauensverhältnis in Nr. 1 und Nr. 2 ausdrücklich normiert, während sich diese in Nr. 3 nicht wiederfinden lässt. Eine solche in Nr. 3 hinein zu geheimnissen, scheint nicht nur nicht vorzugswürdig, sondern vielmehr der Intention des Gesetzgebers zuwider zu laufen, sodass im Umkehrschluss anzunehmen ist, dass für Nr. 3 kein Vertrauensverhältnis wie in Nr. 1 und Nr. 2 zu fordern ist. Für eine solche Annahme spricht ebenfalls die Gesetzesbegründung,132 sodass die Verweisung auf ein nur redaktionelles Versehen des Gesetzgebers nicht überzeugen kann:133 Ratio der Vorschrift sollte insbesondere sein, die Umgehung des § 53 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 – 3 StPO nicht mehr zu ermöglichen.134 Würde aber das Erfordernis eines Vertrauensverhältnisses bejaht werden, würde das im Umkehrschluss gerade zu einer Umgehung von § 53 StPO führen. Hier drängt es sich auf, dass so etwas eher nicht gewollt war, da ein umfassender Schutz sonst bereits von Anfang an konterkariert würde. Besonders anschaulich wird dies auch bei einem Rückgriff auf § 53 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 – 3b StPO. Danach sind ebenfalls Tatsachen und Umstände vom Zeugnisverweigerungsrecht erfasst, die dem Zeugnisverweigerungsberechtigten von einem Dritten eröffnet wurden. Hier sollte der Dritte (im konkreten Fall der Mitarbeiter) jedenfalls soweit geschützt werden, dass ihn belastende Tatsachen und Umstände bei Berufsträgern vor staatlicher Ausforschung geschützt sind. Dafür bietet § 53 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 – 3 StPO nach allgemeiner Auffassung Gewähr.135 Um diesen Schutz nicht zu umgehen, wird die oben genannte Auslegung des § 97 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 StPO zugrundegelegt. Sinn und Zweck des § 97 StPO werden vor allem darin gesehen, die §§ 53 f. StPO zu bestärken, sodass es, um dies sicher zu stellen, nicht darauf ankommen kann, wann und von wem die Beweismittel der Person, welche ein Zeugnisverweigerungsrecht innehat, erlangt wurden. Maßgeblich darf ausschließlich sein, ob sich die berufliche Schweigepflicht auf die spezifischen 132

BT-Drs. I/3713, S. 49. Hierzu auch Nienaber, Unternehmensinterne Ermittlungen, S. 318; so i. Erg. auch Jahn/ Kirsch, StV 2011, 141 (153). 134 BT-Drs. I/3713, S. 49. 135 Vgl. statt vieler grundlegend Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO § 53 Rn. 7 ff. m.w.N. 133

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Tatsachen bezieht. Handelt es sich hierbei um Tatsachen, die vor oder nach Mandatserteilung (wie beispielsweise Tatsachen, die im Rahmen von internen Ermittlungen durch Mitarbeiterbefragungen) sowie von einem Dritten anvertraut, entstanden sind, muss sich die Schweigepflicht auf die Tatsachen erstrecken. Manifestiert wird dies auch durch § 203 StGB, der eine Weitergabe an Dritte unter Strafe stellt.136 Wertungssystematisch kann darüber hinaus Art. 47 S. 2 GG137 ins Feld geführt werden, nach dem der Sinn und Zweck des Beschlagnahmeschutzes darin zu sehen ist, das Zeugnisverweigerungsrecht zu flankieren und gerade nicht auszuhöhlen, bzw. den Umgehungsschutz zu fördern. Hierbei handelt es sich um eine zu § 97 Abs. 1 StPO vergleichbare Konstellation, weshalb jene Argumentation für die vorliegende Diskussion herangezogen werden kann.138 Auch wenn daher (nach Würdigung der Entscheidungen) gute Gründe für die extensive Auslegung des § 97 Abs. 1 Nr. 3 StPO streiten, ergibt sich für die Praxis seit der „Jones Day-Entscheidung“ des BVerfG aus dem Jahre 2018 ein anderes Bild, die für ein abweichendes Ergebnis – jedenfalls in der Rechtspraxis – zunächst einmal kaum noch Raum lassen dürfte: Das Gericht beanstandet zwar eigentlich nur aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht, wenn die Fachgerichte auch für § 97 Abs. 1 Nr. 3 StPO ein „Vertrauensverhältnis“ zwischen dem Berufsgeheimnisträger und dem konkret im Ermittlungsverfahren Beschuldigten fordern.139 Nicht zuletzt auf Grund einer stark „einfachgesetzlich“ geprägten Argumentation erteilt es damit jedoch der in der Literatur bis dato vielfach vertretenen und auch für die vorliegende Untersuchung präferierten Ansicht, § 97 Abs. 1 Nr. 3 StPO erfordere gerade kein Vertrauensverhältnis, eine klare Absage.140 Dies dürfte die ohnehin schon kontroverse und spannungsgeladene Problematik der Interviews von Mitarbeitern nicht nur nicht entschärft, sondern gar verschlimmert haben. Erschwerend hinzu kommt, dass das BVerfG in der „Jones Day-Entscheidung“ Grundlegendes für interne Untersuchungen entschieden hat, es sich jedoch bei dem Sachverhalt, der zu entscheiden war, um eine absolute Ausnahmekonstellation in mehrfacher Hinsicht handelte:141 Die internen Untersuchungen wurden beim Tochterkonzern (Audi AG) durchgeführt, die aber der Kanzlei Jones Day selbst (im Gegensatz zur VWAG als Mutterkonzern) kein

136

Siehe zur Strafbarkeit bei Mitwirkung von Dritten an der Berufsausübung von schweigepflichtigen Personen Eisele, JR 2018, 79 ff.; ausführlich auch Winkler, Das Vertrauensverhältnis, S. 118 ff. 137 Art. 47 S. 2 GG sieht vor: „Soweit dieses Zeugnisverweigerungsrecht reicht, ist die Beschlagnahme von Schriftstücken unzulässig.“ Zum Ganzen BT-Drs. 16/5846, S. 25, 35. 138 BT-Drs. 16/5846, S. 25, 35; Jahn, ZIS 2011, 453 (456 f.); so auch (unter Verweis auf Jahn) Nienaber, Unternehmensinterne Ermittlungen, S. 320 m.w.N. 139 Zutr. krit. Knauer, NStZ 2019, 164 (166); siehe zu dieser Entscheidung auch Wimmer, StV 2019, 704 passim; Ignor, StV 2019, 693 passim. 140 Knauer, NStZ 2019, 164 (165 f.). 141 Zum Ganzen Jahn/Kirsch, StV 2019, 12 (15).

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Mandat erteilte (Stichwort: External Investigations142),143 die Untersuchungen verfolgten die Zielrichtung, dem US-Justizministerium (DOJ) offenbart zu werden und last, but not least handelte es sich bei der Kanzlei Jones Day um eine US-Kanzlei.144 Festzuhalten ist insgesamt, dass die vorliegende Untersuchung das Erfordernis eines Vertrauensverhältnisses (wie es Nr. 1 und 2 voraussetzen) im Rahmen des § 97 Abs. 1 Nr. 3 StPO de lege lata ablehnt, überdies aber jedenfalls ein mandatsähnliches (und daher ebenso schützenswertes) Vertrauensverhältnis zwischen Mitarbeitern als Dritten und der Kanzlei als Zeugnisverweigerungsberechtigtem annimmt, wenn die Zusicherung einer vertraulichen Behandlung erfolgt. Nichtsdestotrotz dürfte die Causa aufgrund der Entscheidung des BVerfG aus dem Jahre 2018 allerdings erst einmal entschieden sein, wenngleich dies nicht bedeutet, dass ein ähnlicher Schluss für die Problematik rund um die Beschlagnahmen der Internal Investigations de lege ferenda gezogen wird/werden sollte. Auch aus diesen Gründen sollte der derzeitigen Aporie vom Gesetzgeber alsbald durch eine klare rechtliche Regelung ein Ende gesetzt werden. dd) Verhältnis des § 160a Abs. 5 StPO zu § 97 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 StPO Im Dunstkreis der Frage nach der Geltung des Beschlagnahmeverbotes gemäß § 97 StPO wird die Norm des § 160a StPO n.F.145 häufig diskutiert.146 Aus dem Grund bleibt sie bei der vorliegenden Untersuchung ebenfalls nicht unbeachtet, soll aber, um den Rahmen nicht zu sprengen, nur in ihren Grundzügen erläutert werden (zumal der Frage nach einer etwaigen Ausweitung des Beschlagnahme- und Verwertungsschutzes durch die Vorschrift mit Blick auf den hier vertretenen, weiten Anwendungsbereich des § 97 StPO keine erhebliche Bedeutung zukommt). Umstritten war bis vor einiger Zeit (bis zu der „Jones Day-Entscheidung“ des BVerfG) vor allem das Verhältnis der beiden Normen zueinander, welches jedoch spätestens durch die genannte Entscheidung jedenfalls für die Praxis als geklärt angesehen werden dürfte. Für die Relation beider Vorschriften wurde unter anderem

142

BVerfG v. 27. 06. 2018 – 2 BvR 1405/17 und 2 BvR 1780/17, NStZ 2019, 159 (160). BVerfG v. 27. 06. 2018 – 2 BvR 1405/17 und 2 BvR 1780/17, NJW 2018, 2385 = StraFo 2018, 288. 144 Siehe Jahn/Kirsch, StV 2019, 12 (15 f.); zum Aspekt des Grundrechtsschutzes für EUausländische Kanzleien und unter krit. Würdigung der Schlussfolgerungen des BVerfG zutr. Knauer, NStZ 2019, 159 (165). 145 BGBl. 2010 I., S. 2261. 146 So auch in der Entscheidung des BVerfG v. 27. 06. 2018 – 2 BvR 1405/17, 2 BvR 1780/ 17, NJW 2018, 2385 = StraFo 2018, 288 (291); vgl. auch Jahn/Kirsch, StV 2011, 151 (154); dies., NStZ 2012, 718 f.; Jahn, ZIS 2011, 453 (459 f.); Bock/Gerhold, in: Knierim/Rübenstahl/ Tsambikakis (Hrsg.), Internal Investigations, S. 181; ausführlich dazu Winkler, Das Vertrauensverhältnis, S. 106 ff.; Berndt, in: Berndt/Theile (Hrsg.), Unternehmensstrafrecht, S. 242 ff.; Wimmer, StV 2019, 704 ff. 143

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vertreten, dass sie nebeneinander anwendbar seien147 und dass § 97 StPO lex specialis zu § 160a StPO148 sei.149 Eine relevante Neufassung des § 160a StPO war zum 01. 02. 2011 in Kraft getreten.150 Hierdurch wurde der Schutz der Norm, insbesondere des § 160a Abs. 1 StPO (der sich zuvor nur auf Verteidiger, Geistliche und Abgeordnete bezog) auf alle Rechtsanwälte sowie nach § 206 BRAO auf alle in eine Rechtsanwaltskammer aufgenommenen Personen und Kammerrechtsbeistände erstreckt. Auch dieser Personenkreis sollte mit Änderung der Norm vor strafprozessualen Beweiserhebungs- und Verwertungsmaßnahmen geschützt werden. Mit der Änderung hat der Gesetzgeber jedoch ausweislich der Gesetzesbegründung keine Änderung des Regelungsgehaltes des § 97 StPO intendiert, sondern vielmehr soll gemäß § 160a Abs. 5 StPO die Norm des § 97 StPO u. a. „unberührt“ bleiben. Das Wort „unberührt“ bildet den Ausgangspunkt für verschiedene Interpretationen des Konkurrenzverhältnisses/der Reichweite der Normen und den Ursprung der Streitigkeiten.151 Aus der zugehörigen Gesetzesbegründung ergibt sich für das Konkurrenzverhältnis der Normen, dass die spezifisch genannten Erhebungsverbote im Rahmen der Beschlagnahme lex specialis sind und damit auch § 160a StPO vorgehen.152 Demzufolge kann etwa eine Beschlagnahme, die nach § 97 StPO unzulässig ist, nicht dadurch zulässig werden, dass sie nach § 160a StPO zulässig wäre. Dieses Normverständnis wird für die vorliegende Untersuchung bevorzugt. Problematisch ist der Fall, in dem § 97 StPO keine Regelung trifft. Hierzu wird beispielsweise die Konstellation angeführt, in der es um die (Nicht-)Verwertbarkeit von beschlagnahmefreien Gegenständen geht, für welche keine spezielle Regelung in § 97 StPO vorgesehen ist bzw. wenn eine Ermittlungsmaßnahme keinem Beschlagnahmeverbot nach § 97 StPO unterfällt, jedoch einem Beweiserhebungsver147 Vgl. Bertheau, StV 2012, 303 (306); zutr. abl. Nienaber, Unternehmensinterne Ermittlungen, S. 327. 148 So die wohl derzeit h.M. vgl. BVerfG v. 27. 06. 2018 – 2 BvR 1405/17, 2 BvR 1780/17, StraFo 2018, 288 (291); MüKoStPO/Kölbel, § 160a Rn. 7; Jahn/Kirsch, StV 2011, 151 (154) m.w.N.; Köhler, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO § 160a Rn. 17; so hinsichtlich des Verhältnisses der Normen (wenngleich aber mit anderen Schlussfolgerungen) auch Wimmer, WiJ 2013, 102 (103); Peters, NZWiSt 2017, 465 (468) m.w.N. 149 Siehe zum Ganzen auch von Galen, NJW 2011, 945; ausführlich zur Auslegung des § 160a StPO auch Ballo, NZWiSt 2013, 46 (48 ff.), der letztlich davon ausgeht, dass § 160a StPO extensiv auszulegen sei. 150 BGBl. I., S. 2261. 151 Vgl. z. B. Bertheau, StV 2012, 303 (306). 152 BT-Drs. 16/5846, S. 25 f., 38; so auch BVerfG v. 27. 06. 2018 – 2 BvR 1405/17, 2 BvR 1780/17, NJW 2018, 2385 (2387) = StraFo 2018, 288 (291); vgl. Köhler, in: Meyer-Goßner/ Schmitt, StPO § 160a Rn. 17; so auch das LG Mannheim v. 03. 07. 2012 – 24 Qs 1/12, NZWiSt 2012, 424 (430); BeckOK StPO/Sackreuther, StPO § 160a Rn. 20 f.; Zerbes, ZStW 2013 (125), 551 (563).

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bot nach § 160a StPO.153 Auch hierzu findet sich wiederum eine Fülle von Meinungen, die je nach Auffassung über das Verhältnis beider Normen variieren, wobei nur die Hauptstränge Eingang in die Untersuchung finden:154 Vereinzelt wird vertreten, dass § 97 StPO keine Rechtsgrundlage für Beschlagnahmen sei, sondern nur deren Verbote (so wie die Ausnahmen von den Verboten) regeln würde, während die Zulässigkeit der Beschlagnahme nach §§ 94 ff. StPO Voraussetzung wäre.155 Daraus folge sodann, dass § 160a Abs. 5 StPO nur das Beschlagnahmeverbot aus § 97 StPO unberührt lasse, nicht hingegen die Zulässigkeit der Beschlagnahme.156 Infolgedessen bestünde ein Beschlagnahmeverbot nach § 160a StPO eben auch dann, wenn es über den § 97 StPO hinausginge.157 Letztlich geht diese Meinung davon aus, dass beide Vorschriften nebeneinander anwendbar seien.158 So wäre es denkbar, dass eine Beschlagnahme entweder nach § 97 StPO unzulässig ist oder nach § 160a StPO oder nach beiden Vorschriften.159 Diese Lösung (und der Weg dorthin) des Verhältnisses der Normen zueinander entspricht jedoch offensichtlich nicht der Intention des Gesetzgebers bei Schaffung der Norm.160 Aus dem Grund ist der Lösungsvorschlag zu verwerfen. Vielmehr ist sich hinsichtlich dieses Problems dem Norm- und Systemverständnis des LG Mannheim (und somit der vorherrschenden Meinung161) anzuschließen.162 So wird § 97 StPO als abschließende Spezialregelung angesehen, welche § 160a StPO voransteht. § 160a StPO kommt nach diesem Verständnis nur eine eigenständige Bedeutung zu, wenn es um die Ergänzung des Schutzes für die Tele- und elektronische Kommunikation von und mit Rechtsanwälten geht.163 An dem Punkt kann dem BVerfG in der „Jones Day-Entscheidung“ folglich zugestimmt werden. Das Gericht hält hierzu (die Fachgerichte bestätigend) fest, dass § 97 StPO lex specialis zu § 160a StPO sei und auch nach der Gesetzessystematik § 97 StPO als Spezialvorschrift angesehen werden müsse, „weil dessen engere und ausdifferenzierte Regelungen andernfalls durch einen Rückgriff auf § 160a Abs. 1

153

Zu dieser Konstellation BT-Drs. 16/5846, S. 38; Jahn/Kirsch, StV 2011, 151 (154); Bock/Gerhold, in: Knierim/Rübenstahl/Tsambikakis (Hrsg.), Internal Investigations, S. 181. 154 Ausführlich zum Meinungsstand Winkler, Das Vertrauensverhältnis, S. 108 ff. 155 So Bertheau, StV 2012, 303 (306). 156 Vgl. Bertheau, StV 2012, 303 (306). 157 So Bertheau, StV 2012, 303 (306). 158 Vgl. dazu Bertheau, StV 2012, 303 (306). 159 Bertheau, StV 2012, 303 (306). 160 BT-Drs. 16/5846, S. 38. 161 BT-Drs. 16/5846, S. 38; statt vieler Köhler, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 160a Rn. 17. 162 LG Mannheim v. 03. 07. 2012 – 24 Qs 1, 2/12, NStZ 2012, 713 (717) m.w.N. mit überzeugender Anm. Jahn/Kirsch, NStZ 2012, 718 (719 f.). 163 LG Mannheim v. 03. 07. 2012 – 24 Qs 1, 2/12, NStZ 2012, 713 (717).

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S. 1 StPO ausgehebelt würden“.164 § 160a Abs. 5 StPO verweise auf § 97 StPO und räume diesem den Vorrang ein.165 ee) Gewahrsam nach § 97 Abs. 2 StPO an Aufzeichnungen der Internal Investigations (1) Gewahrsam der Rechtsanwaltskanzlei Einer genaueren Erörterung bedarf die Reichweite des Beschlagnahmeverbotes, ergo, in welchen Räumlichkeiten/in wessen Gewahrsam166 es besteht. Nachdem festgestellt wurde, dass die Aufzeichnungen über interne Ermittlungen bereits de lege lata im Grunde dem Beschlagnahmeverbot des § 97 StPO unterfallen müss(t)en, müss(t)en sich die Aufzeichnungen, die Gegenstand des Mandats sind oder noch sein sollen, zusätzlich im Alleingewahrsam des Zeugnisverweigerungsberechtigten, ergo der Kanzlei, befinden. Ist dieser Alleingewahrsam gegeben, weil die Aufzeichnungen beispielsweise in den Räumlichkeiten der Kanzlei lagern, fallen sie, im Zuge des oben dargelegten Argumentationsmusters, unter § 97 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 StPO und dürf(t)en somit nicht von den Strafverfolgungsbehörden beschlagnahmt werden.167 Anders wäre dies freilich zu beurteilen, wenn man, wie das BVerfG in der „Jones Day-Entscheidung“, eine einschränkende Auslegung des § 97 Abs. 1 Nr. 3 StPO annimmt. In dem Fall ist eine Beschlagnahme der Unterlagen in Verfahren gegen Unternehmensmitarbeiter möglich. Anders könnte man freilich selbst dann entscheiden, wenn es sich um Verteidigungsunterlagen im engeren Sinne handeln würde, da man diese einem umfassenden Beschlagnahmeverbot auch dann unterwerfen könnte, wenn die Beschlagnahme im Verfahren gegen einen Mitarbeiter stattfindet (ein Verfahren gegen das Unternehmen wegen der Vorfälle aber nicht auszuschließen ist).168 (2) Gewahrsam des Unternehmens Wird auf den Gewahrsamsbegriff des § 97 Abs. 2 S. 1 StPO rekurriert, ergibt sich ein deutliches Bild, wenn es um den Gewahrsam von Aufzeichnungen interner 164 BVerfG v. 27. 06. 2018 – 2 BvR 1405/17 und 2 BvR 1780/17, NJW 2018, 2385 (2387) = StraFo 2018, 288 (292 f.). 165 BVerfG v. 27. 06. 2018 – 2 BvR 1405/17 und 2 BvR 1780/17, NJW 2018, 2385 (2387 f.) = StraFo 2018, 288 (292 f.). 166 Zum Gewahrsamsbegriff des § 97 Abs. 2 StPO Jahn/Kirsch, StV 2019 12 (13) m.w.N. 167 So auch Zerbes, ZStW 2013 (125), 551 (562 f.). 168 Vgl. auch LG Braunschweig v. 21. 07. 2015 – 6 Qs 116/15, NZWiSt 2016, 37: „Die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen den Betroffenen ist dabei keine notwendige Voraussetzung, da eine schützenswerte Vertrauensbeziehung zur Vorbereitung einer Verteidigung auch dann bestehen kann, wenn dieser lediglich befürchtet, es werde zukünftig ein Ermittlungsverfahren gegen ihn geführt werden. Nichts Anderes kann für Ordnungswidrigkeitenverfahren gelten, in denen eine sachgerechte Verteidigung von Rechts wegen in gleicher Weise ermöglicht werden muss wie in einem Strafverfahren.“

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Untersuchungen beim Unternehmen selbst geht oder dieses jedenfalls Mitgewahrsam hat und sich das Verfahren nicht nur gegen den Mitarbeiter, sondern auch gegen das Unternehmen richtet und letzteres somit Beschuldigter bzw. im Ordnungswidrigkeitenverfahren Betroffener ist. Die absolut vorherrschende Meinung geht hierbei davon aus, dass bereits Mitgewahrsam des Beschuldigten ausreicht, um die Beschlagnahmefreiheit entfallen zu lassen.169 In concreto bedeutet dies, dass ein Beschlagnahmeverbot nach § 97 Abs. 1 StPO nicht greift, wenn sich die Aufzeichnungen interner Ermittlungen beim Unternehmen befinden und das Verfahren auch gegen das Unternehmen geführt wird. ff) Anwendbarkeit und Voraussetzungen des § 148 StPO Daran schließt sich die Frage an, wie es sich mit Aufzeichnungen interner Ermittlungen im Kontext des § 148 StPO170 verhält, welche sich in den Räumen des Unternehmens befinden, ergo, ob sie ebenfalls von einem Beschlagnahmeverbot bereits de lege lata erfasst sein müssten.171 Das könnte der Fall sein, wenn § 148 StPO bereits de lege lata Anwendung finden würde, da dieser die Kommunikation zwischen Beschuldigtem und Verteidiger schützt, von welcher auch die Aufzeichnungen der internen Untersuchungen erfasst sein könnten. Allgemein anerkannt ist, dass die Ratio der Norm in dem Schutz des Beschuldigten auf effektive Verteidigung und somit dem Schutz vor staatlicher Ausforschung der Verteidigung besteht. Herauszustellen ist, ob § 148 StPO auch in derartigen Fallkonstellationen wie der vorliegenden angewendet werden kann, wofür wieder ein Blick auf die bereits vorhandene Rechtsprechung weiterhelfen kann.172 Diese scheint de lege lata eine Tendenz hin zu einem Beschlagnahmeverbot der Aufzeichnungen von internen Ermittlungen auch in den Räumen des Unternehmens (also des Beschuldigten bzw. des im Ordnungswidrigkeitenverfahren Betroffenen) zu befürworten und eine Anwendbarkeit des § 148 StPO daher zu bejahen. Übereinstimmend vertreten wird sowohl vom LG Bonn173 als auch vom LG Gießen174 die Anwendung des § 148 Abs. 1 StPO auf Verteidigungsunterlagen, die sich beim Beschuldigten befinden. Hergeleitet wird die Anwendung aus Art. 6 169 Statt vieler BGH v. 04. 08. 1964 – 3 StB 12/63, BGHSt 19, 374 f.; auf diese Entscheidung verweisend Jahn/Kirsch, StV 2019, 12 (13). 170 Nach allgemeiner Meinung ist § 148 StPO sinngemäß (§ 46 OWiG) auf das Ordnungswidrigkeitenverfahren anzuwenden. Vgl. KK-OWiG/Lampe, OWiG § 46 Rn. 55. 171 Dazu ausführlich Nienaber, Unternehmensinterne Ermittlungen, S. 328 ff. 172 Befürwortend z. B. LG Braunschweig v. 21. 07. 2015 – 6 Qs 116/15, NZWiSt 2016, 37; vgl. dazu auch Nienaber, Unternehmensinterne Ermittlungen, S. 328. 173 LG Bonn v. 21. 6. 2012 – 27 Qs 2/12, NZWiSt 2013, 21 (24) m.w.N. 174 LG Gießen v. 25. 06. 2012 – 7 Qs 100/12, wistra 2012, 409 f., das diese Annahme zunächst auf Art. 6 Abs. 3 MRK, Art. 2 Abs. 1 und Art. 20 Abs. 3 GG stützt, jedoch darüber hinaus ebenfalls § 148 StPO ins Feld führt, nach dem Verteidigungsunterlagen vor einer Beschlagnahme geschützt seien, unabhängig davon, an welchem Ort sie sich befänden.

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7. Kap.: Sonderfragen eines Verbandssanktionsverfahrens

Abs. 3 EMRK, Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 20 Abs. 3 GG.175 Nach Meinung der Gerichte dürfte es aufgrund von § 148 Abs. 1 StPO keinen Unterschied machen, wo sich die Verteidigungsunterlagen befinden.176 Für eine Geltung des § 148 StPO spricht sich für gegen Unternehmen gerichtete Verfahren zutreffend ebenfalls Knauer aus: „(…) zum Zwecke der Verteidigung erstellte Unterlagen (sind) nicht nur beim Verteidiger, sondern auch im Unternehmen beschlagnahmefrei“.177 (1) Formell eingeleitetes Ermittlungsverfahren Die einzelnen Voraussetzungen werden indes unterschiedlich gehandhabt, da das LG Bonn beispielsweise den Schutz nur auf Unterlagen erstreckt, bei deren Erstellung bereits ein formell eingeleitetes Ermittlungsverfahren und ein bereits bestehendes Verteidigungsverhältnis vorliegen, wobei letzteres durch die Annahme des Mandats begründet würde.178 Nach diesem Verständnis der Norm würde § 148 StPO in dem Fall der internen Ermittlungen dann nicht zum Tragen kommen, wenn bei der Durchführung von Internal Investigations noch kein formell eingeleitetes Ermittlungsverfahren vorlag. Anders wird dies in der Entscheidung des LG Gießen179 gesehen. Hier wird kein bereits gegen das Unternehmen formell eingeleitetes Ermittlungsverfahren gefordert, sondern nur, dass der Rechtsanwalt davon ausgeht, dass es sich bei den Handlungen materiell um Verteidigungshandlungen handelt.180 Begründet wird dies mit der Schutzfunktion des § 148 StPO, die bereits vor der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens greife, wenn jemand den Rat und die Vertretung eines Rechtsanwalts bezüglich eines strafrechtlichen Sachverhalts suche und er von jenem betroffen ist.181 Bereits zu dem Zeitpunkt handele es sich um eine „schützenswerte Vertrauensbeziehung“,182 auch „wenn der Betroffene lediglich befürchtet, es werde zukünftig ein Strafverfahren gegen ihn geführt werden und sich insoweit strafrechtlich beraten lässt. Zudem hängt es bisweilen von Zufälligkeiten (…) ab, wann förmlich die Beschuldigteneigenschaft festgestellt wird“.183

175 LG Gießen v. 25. 06. 2012 – 7 Qs 100/12, wistra 2012, 409 unter Verweis auf BGH v. 25. 02. 1998 – 3 StR 490 – 97, NStZ 1998, 309 (310); LG Bonn v. 21. 6. 2012 – 27 Qs 2/12, NZWiSt 2013, 21 (24); siehe dazu auch Nienaber, Unternehmensinterne Ermittlungen, S. 329 m.w.N. 176 LG Bonn v. 21. 6. 2012 – 27 Qs 2/12, NZWiSt 2013, 21 (24). 177 Knauer, NStZ 2019, 164 (166). 178 LG Bonn v. 21. 6. 2012 – 27 Qs 2/12, NZWiSt 2013, 21. 179 LG Gießen v. 25. 06. 2012 – 7 Qs 100/12, wistra 2012, 409 = BeckRS 2012, 15498. 180 LG Gießen v. 25. 06. 2012 – 7 Qs 100/12, wistra 2012, 409 f. m.w.N.; so im Ergebnis auch LG Hamburg v. 17. 08. 2016 – 618 Qs 30/16, BeckRS 2016, 19347. 181 LG Gießen v. 25. 06. 2012 – 7 Qs 100/12, BeckRS 2012, 15498. 182 LG Gießen v. 25. 06. 2012 – 7 Qs 100/12, BeckRS 2012, 15498. 183 LG Gießen v. 25. 06. 2012 – 7 Qs 100/12, BeckRS 2012, 15498.

A. Internal Investigations

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Für eine weitere Klärung kann wiederum auf die Norm und ihre Ratio selbst abgestellt werden. Der Schutzzweck des § 148 StPO besteht darin, die Kommunikation des Beschuldigten184 mit seinem Verteidiger ausnahmslos zu jeder Zeit vor staatlicher Ausforschung zu schützen. Würde der Schutz erst ab der Einleitung eines formellen Ermittlungsverfahrens zum Tragen kommen, wäre der Betroffene im Vorfeld gegenüber den staatlichen Strafverfolgungsbehörden gänzlich schutzlos gestellt. Aus diesem tragenden Grund ist im Ergebnis dem LG Gießen zuzustimmen. Die Auffassung des LG Bonn läuft hingegen dem oben genannten Sinn und (Schutz-) Zweck des § 148 StPO zuwider. Die Einleitung eines formellen staatlichen Ermittlungsverfahrens geht folglich als Voraussetzung für die Anwendung und die Schutzfunktion des § 148 StPO fehl und ist insgesamt abzulehnen. (2) Materielles Verteidigungsverhältnis Anders verhält sich die Sache hingegen bei dem Erfordernis eines materiellen Verteidigungsverhältnisses als Voraussetzung für das Eingreifen des § 148 StPO. Hiervon erfasst ist, nach vorzugswürdiger Auffassung, nicht nur die tatsächliche Erteilung eines Mandats, sondern schon die Anbahnung eines Verteidigungsverhältnisses und zwar, wie festgestellt, ohne die Erforderlichkeit, dass bereits ein formelles Ermittlungsverfahren eingeleitet worden sein muss.185 Ersteres wird bei internen Ermittlungen häufig zutreffen, sodass § 148 StPO im Ergebnis anwendbar sein sollte und ebenfalls der Gewahrsam des Unternehmens von Aufzeichnungen über interne Ermittlungen vom Beschlagnahmeverbot des § 97 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 StPO erfasst ist.186 Dass es sich bei Unterlagen zur Aufklärung eines Sachverhaltes, die von einem Verteidiger aus einer internen Untersuchung erstellt und bearbeitet wurden, um Verteidigungsunterlagen handelt, dürfte, jedenfalls wenn man ein weites Verständnis dieses Begriffs zugrundelegt, nicht von der Hand zu weisen sein.187 gg) Zwischenergebnis Aus der vorangehenden Untersuchung lässt sich bereits de lege lata die Tendenz in Richtung der Annahme eines Beschlagnahmeverbotes nicht nur für Aufzeichnungen 184

Die Beschuldigteneigenschaft erwächst zwar formell erst ab der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens, aber anerkanntermaßen muss auch die vorangehende Kommunikation hinsichtlich der Verteidigung geschützt werden. Vgl. statt vieler MükoStPO/Thomas/Kämpfer, StPO § 148 Rn. 5 m.w.N. 185 So auch in der Rechtsprechung LG Braunschweig v. 21. 07. 2015 – 6 Qs 116/15, NZWiSt 2016, 37; LG Hamburg v. 17. 08. 2016 – 618 Qs 30/16, BeckRS 2016, 19347; für die Einbeziehung der Anbahnung eines Verteidigungsverhältnisses auch Winkler, Das Vertrauensverhältnis, S. 102 f. 186 Den Schutz beider Vorschriften bejahend für schriftliche Aufzeichnungen des Verteidigers zur Aufklärung des Sachverhaltes Jahn/Kirsch, StV 2019, 12 (15). 187 Vgl. dazu Knauer, NStZ 2019, 164 (166 f.); Jahn/Kirsch, StV 2019, 12 (15).

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7. Kap.: Sonderfragen eines Verbandssanktionsverfahrens

interner Untersuchungen, die sich im Gewahrsam der Rechtsanwaltskanzlei befinden, sondern auch solcher, die im Gewahrsam des Unternehmens stehen, erkennen, wenn es sich dabei um Aufzeichnungen zur Verteidigung und um ein Verfahren gegen das Unternehmen handelt.188 Dieser Ansatz wird auch dem Lösungsentwurf de lege ferenda zugrundegelegt. Wird jenes Ergebnis aber, wie teilweise vertreten, verneint, entsteht ein gravierender Problempunkt bei internen Ermittlungen. Die internen Ermittlungen werden regelmäßig in den Räumen des Unternehmens durchgeführt. Dies gilt im Besonderen für die Mitarbeiterbefragungen. Beweiserhebliche Aufzeichnungen der internen Ermittlungen werden sich daher auch meist in den Räumlichkeiten des Unternehmens befinden.189 Hier wäre es (aufgrund der ungeklärten Situation de lege lata), sofern das Unternehmen keine diesbezüglichen Vorkehrungen getroffen hat, jedenfalls ratsam, dass die Kanzlei sich beispielsweise Räume im Unternehmen anmietet und nur die Kanzleimitarbeiter zu diesen Zutritt haben oder die Unterlagen unmittelbar in der Kanzlei selbst verwahrt werden.190 Nach außen hin müsste ohne jeden Restzweifel deutlich werden, dass angemietete Räume der Ausübung der anwaltlichen Tätigkeit dienen, weil sich dort dementsprechende Unterlagen etc. befinden und, dass sie gegen den unbefugten Zutritt Dritter gesichert sind oder eben sämtliche Unterlagen in den Räumlichkeiten der Kanzlei verwahrt werden und beispielsweise Mitarbeiterbefragungen dort durchgeführt werden.191 Nur so kann gegenwärtig gewährleistet werden, dass der Zeugnisverweigerungsberechtigte (hier also die Anwälte der Kanzlei) den Alleingewahrsam hat, den das Beschlagnahmeverbot des § 97 StPO erfordert. Der Auffassung, die ein Beschlagnahmeverbot ablehnt, sollte aus den bereits genannten Gründen sowohl in puncto Herleitung als auch im Ergebnis, trotz der potentiell wegweisenden Entscheidung „Jones Day“ des Bunderverfasssungsgerichts, für die Zukunft nicht gefolgt werden, weshalb sie dem Lösungsansatz de lege ferenda nicht zugrunde gelegt wird. c) Zwischenfazit Aus der gesamten Erörterung folgt, dass es derzeit auf der gesetzlichen Ebene kaum Feststehendes gibt, auf das sich alle involvierten Beteiligten verlassen können, was zu einer großen Unsicherheit führt. Vielmehr zeigen die kontroversen Entscheidungen und Positionen, die nicht nur in Nuancen variieren, sondern gar ge188 Zur vorzugswürdigen Lösung für Verfahren gegen Mitarbeiter de lege ferenda siehe unten S. 476. 189 Zum Ganzen Nienaber, Unternehmensinterne Ermittlungen, S. 322 f. 190 So auch zum Beispiel bei Nienaber, Unternehmensinterne Ermittlungen, S. 322 f. m.w.N. 191 Vgl. zur ersten Konstellation zutr. Jahn/Kirsch, StV 2019 12 (14); im Ergebnis auch Mark, ZWH 2012, 311 (315).

A. Internal Investigations

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gensätzlich sind, dass ein großer Klärungsbedarf seitens des Gesetzgebers angezeigt ist. Dies gilt vor allem hinsichtlich der „Jones Day-Entscheidung“, welche vom Bundesverfassungsgericht im Jahre 2018 ergangen ist und die in rechtstatsächlicher Hinsicht in einigen gravierenden Punkten derzeit kaum mehr Raum für eine andere Auffassung lassen dürfte. Deutlich wird aber auch, dass es bereits valide Ansätze zur Lösung gibt, die ebenfalls für ein Verbandssanktionenrecht de lege ferenda äußerst hilfreich sein können und daher optimiert werden sollten. Bevor ein Lösungsansatz für ein künftiges Verbandssanktionenrecht in der vorliegenden Arbeit entwickelt wird, erfolgt ein Blick auf andere Rechtsordnungen, bei denen interne Ermittlungen bereits seit langer Zeit an der Tagesordnung sind, da von diesen im Sinne einer Vorbildfunktion in bestimmten Punkten profitiert werden könnte.

III. Internal Investigations in anderen Rechtsordnungen Nachdem auf nationaler Ebene eine Menge ungelöster rechtlicher und tatsächlicher Friktionen zutage gefördert wurden, kann ein Blick auf andere Rechtsordnungen für ein künftiges Verbandssanktionenrecht hilfreich für einen Lösungsansatz de lege ferenda oder, sofern keine gesetzliche Regelung gewollt ist, jedenfalls zur Optimierung der tatsächlichen Situation sein. Der Optimierungsbedarf ist, wie bereits herausgestellt, nicht von der Hand zu weisen. In einigen anderen Rechtsordnungen, welche ein Verbandssanktionenrecht in ihr Rechtssystem integriert haben, finden die Internal Investigations bereits rechtliche Berücksichtigung. Populäre Beispiele hierfür dürften die USA, gefolgt von England, sein.192 Ein Blick nach Österreich und in die Schweiz zeigt ebenfalls eine Auseinandersetzung mit der Thematik der internen Ermittlungen. 1. USA a) Ausgangssituation Für den Fall, dass in den USA ein Verdacht auf Unregelmäßigkeiten oder auf einen Verstoß gegen den Foreign Corrupt Practices Act193 (bzgl. der Einhaltung von Verhaltenspflichten, welche mit Geld- oder Haftstrafen sanktioniert werden) bei einem Unternehmen vorliegt und die U.S. Securities and Exchange Commission (SEC),194 die Wertpapier- und Börsenaufsicht, davon Kenntnis erlangt, kann sie (vereinfacht gesagt) zunächst eine allgemeine Ermittlungsanfrage an das Unter192

Vgl. Dann/Schmidt, NJW 2009, 1851 ff.; siehe zur empirischen Bedeutung von Internal Investigations in den USA Behrens, RIW 2009, 22 f. m.w.N.; Wagner, CCZ 2009, 8 ff.; Krull, in: Bay (Hrsg.), Handbuch Internal Investigations, S. 129 ff. 193 Grundlegend dazu Partsch, The Foreign Corrupt Practices Act, passim. 194 Vgl. zur Entwicklung und Geschichte der SEC Behrens, RIW 2009, 22 (24 f.).

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7. Kap.: Sonderfragen eines Verbandssanktionsverfahrens

nehmen stellen, sodass das Unternehmen eine interne Aufklärung des Sachverhaltes durch Internal Investigations anstrengen kann.195 In den USA ist es, sowohl für inländische als auch für ausländische Unternehmen, die an der New York Stock Exchange196 gelistet sind, von größter Wichtigkeit, möglichst eng mit der SEC zusammenzuarbeiten: Letztere kontrolliert den Wertpapierhandel in den USA.197 Jedes Unternehmen, welches den US-Kapitalmarkt nutzen möchte, muss sich bei der SEC registrieren, da es von ihrem Einverständnis abhängt, ob ein Unternehmen an der New York Stock Exchange gelistet wird oder nicht, weshalb die Internal Investigations (bei der Kooperation mit der SEC) eine überragende Rolle für Unternehmen spielen. Hierfür kann das Unternehmen eine Kanzlei beauftragen, welche von Seiten der SEC als vertrauenswürdig eingestuft wird.198 Durch die bewusste Wahl der Kanzlei als externe Prüfer soll sichergestellt werden, dass die SEC die Ergebnisse der internen Untersuchungen anerkennt, wozu dem Grunde nach keine Verpflichtung besteht, weshalb die Überzeugungsarbeit des Unternehmens derart wichtig ist. Weiterhin ist es in den USA üblich, dass das Unternehmen zusätzlich eigene Ermittler einstellt.199 Für die Durchführung der internen Ermittlungen werden von den Kanzleien zunächst Daten und Unterlagen des Unternehmens ausgewertet und in dessen Folge dann zumeist Mitarbeiterbefragungen (sogenannte „Interviews“) durchgeführt. Unternehmen, die in den USA gelistet sind, müssen den Foreign Corrupt Practices Act (FCPA) einhalten. Bei dem FCPA handelt es sich um ein Regelungswerk, welches zwei Bereiche inkludiert: zum einen Antikorruptionsregelungen und zum anderen Buchführungspflichten, auch bekannt als „books and records“.200 Die Antikorruptionsregelungen sanktionieren Korruptionszahlungen (mit dem Zweck der 195 Ausführlich zu Internal Investigations in den USA Kent/Tomas, in: Spehl/Gruetzner (Hrsg.), Corporate Internal Investigations, S. 402 ff.; zu einzelnen Bestandteilen interner Untersuchungen und zu der spezifischen Vorgehensweise der SEC Behrens, RIW 2009, 22 ff.; insgesamt zu diesem Topos (im Zusammenhang mit der Siemens Affäre) auch Theile, StV 2011, 381 ff.; Partsch, The Foreign Corrupt Practices Act, S. 69. 196 Weitere Informationen zur New York Stock Exchange (kurz: NYSE) abrufbar unter https://www.nyse.com/index zuletzt abgerufen am 09. 11. 2020. 197 Vgl. zum Ganzen Göpfert/Merten/Siegrist, NJW 2008, 1703 (1706). 198 Siehe dazu Jahn, StV 2009, 41 m.w.N. rekurrierend auf den Fall Siemens, welche Debevoise & Plimpton beauftragten; Wastl/Litzka/Pusch, NStZ 2009, 68 (69); zu möglichen (auch mitunter schwerwiegenden) Folgen, die (bereits) aus der Anstrengung einer internen Untersuchung resultieren können, wie zum Beispiel ein großer Reputationsverlust Kent/Tomas, in: Spehl/Gruetzner (Hrsg.), Corporate Internal Investigations, S. 402. 199 Vgl. dazu Knauer/Buhlmann, AnwBl 2010, 387 m.w.N. 200 Vgl. ausführlich Partsch, The Foreign Corrupt Practices Act, S. 5 ff.; siehe zu den für Unternehmen wichtigen Vorschriften auch Schulte/Görts, RIW 2006, 561 (562 ff.); insgesamt zu den Strafbarkeitsrisiken nach dem FCPA Grau/Meshulam/Blechschmidt, BB 2010, 652 ff. (653) und insbesondere zu den beiden Bereichen des FCPA; generell zum FCPA Tate, in: Chada/ Sallon/Tate (Hrsg.), Bribery, S. 11 ff. und insbesondere zu den „books and records“, S. 17 f.

A. Internal Investigations

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Durchführung [Abschluss oder Fortsetzung] eines Geschäfts oder der Sicherung eines unzulässigen Vorteils) an ausländische Amtsträger, Parteien oder Bewerber und ebenso an Bewerber um politische Ämter.201 Die Buchführungspflichten richten sich hingegen an alle in den USA agierenden Unternehmen, die bei der SEC gelistet sind oder Papiere eingetragen haben.202 Diese unterfallen sodann dem amerikanischen Foreign Corrupt Practices Act (FCPA), der auch auf Auslandssachverhalte angewendet wird.203 b) Zuständigkeit der SEC und des DOJ Neben der SEC204 als Börsenaufsicht ist das Department of Justice (DOJ), das Justizministerium, von herausragender Wichtigkeit für Unternehmen.205 Die grundsätzliche Rolle und Zuständigkeit des Anklägers im US-Strafverfahren wird bereits im Rahmen der Verfolgung von Unternehmen relevant und deshalb bereits an betreffender Stelle dieser Untersuchung erläutert.206 Das DOJ ist für die strafrechtliche Verfolgung und die SEC als Börsenaufsicht für die nicht-strafrechtlich hoheitliche Sanktionierung (Verwaltungs- sowie Zivilstrafen) zuständig.207 Der Zusammenhang zwischen beiden besteht darin, dass das DOJ von der SEC eingeschaltet wird, sobald bei einer Untersuchung von Verstößen kapitalmarktrechtlicher Art zutage tritt, dass (auch) ein Straftatbestand erfüllt sein könnte.208 Beide können gemeinsam ermitteln und beispielsweise Verstöße gegen das US-Bestechungsstrafrecht, unabhängig vom Tatort oder davon, ob es sich dabei um ein amerikanisches Unternehmen handelt, verfolgen, sofern ein Unternehmen nur, wie oben schon erwähnt, Wertpapiere bei der SEC registriert hat.209 Die beiden Behörden vollziehen 201

Partsch, The Foreign Corrupt Practices Act, S. 5. Partsch, The Foreign Corrupt Practices Act, S. 5. 203 Jahn, StV 2009, 41 m.w.N.; Grau/Meshulam/Blechschmidt, BB 2010, 652; überblicksartig zum FCPA Taschke, NZWiSt 2012, 89 (91). 204 Zur Strukturierung und Vorgehensweise der SEC Wehnert, FS Egon Müller, S. 729 (733 ff.); zu SEC Ermittlungen in Deutschland (im Zusammenhang mit dem Fall Siemens) und zur Vorgehensweise der SEC, Wastl/Litzka/Pusch, NStZ 2009, 68 f.; Rödiger, Strafverfolgung von Unternehmen, S. 196 ff.; zu den Sanktionen und dem internen Aufbau der SEC sowie ebenfalls zur Vorgehensweise Behrens, RIW 2009, 22 (23 ff.). 205 Dazu insgesamt Wehnert, FS Egon Müller, S. 729 (733 ff.); zu SEC-Ermittlungen in Deutschland und zur Vorgehensweise der SEC Wastl/Litzka/Pusch, NStZ 2009, 68 f.; zu den in den USA gelisteten Unternehmen, zu denen u. a. die Siemens AG gehört, weshalb auch diese dem FCPA unterliegt, Dann/Schmidt, NJW 2009, 1851; siehe zur Abgrenzung der Zuständigkeit beider Behörden Partsch, The Foreign Corrupt Practices Act, S. 67 ff.; zur Zuständigkeit auch Görts/Schulte, RIW 2006, 561 (562). 206 Vgl. S. 222. 207 Behrens, RIW 2009, 22 (23); Hugger/Pasewaldt, in: Nietsch (Hrsg.), Unternehmenssanktionen, S. 135 (138 Fn. 10). 208 Siehe Schulte/Görts, RIW 2006, 561 (562); Behrens, RIW 2009, 22 (29). 209 Vgl. Partsch, The Foreign Corrupt Practices Act, S. 67. 202

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7. Kap.: Sonderfragen eines Verbandssanktionsverfahrens

dadurch den FCPA.210 Durch das genannte Tätigkeitsfeld ergibt sich eine extensive Zuständigkeit dieser amerikanischen Verfolgungsbehörden. Aus der weiten Zuständigkeit resultiert letztlich auch eine Gefahr für deutsche Großunternehmen (die an der US-Börse im Wege des sogenannten „dual listing“211 gelistet sind), die dazu führt, dass Internal Investigations auch hierzulande (noch) immer mehr an Bedeutung gewinnen und eine eindeutige rechtliche Klärung notwendig wird.212 Vor allem sind Parallelermittlungen der Behörden bereits in der Gegenwart durchaus schon im Bereich des Möglichen.213 c) (Rechtliche) Bedeutung von Internal Investigations aa) Bei der Anklageerhebung In den USA finden Internal Investigations an zweierlei Stellen Eingang in das (strafrechtliche) Rechtssystem: Zum einen besteht die Möglichkeit, dass Internal Investigations (mit) ausschlaggebend dafür sind, ob überhaupt Anklage erhoben wird bzw. der maßgebliche Faktor dafür sein können, dass das Verfahren eingestellt wird.214 Primär berücksichtigt werden interne Ermittlungen bei der Anklageerhebung in dem Kontext der Kooperation mit den Verfolgungsbehörden nach Entdeckung der Straftat, wenn beispielsweise eine allgemeine Ermittlungsanfrage, wie in der oben genannten Ausgangssituation, an das Unternehmen gestellt wird. Dabei stellen die Internal Investigations einen der Hauptaspekte dar und werden regelmäßig von den Behörden vorausgesetzt.215 Schriftlich niedergelegt wurde diese Art und Weise der Berücksichtigung beispielsweise bereits in den früheren Richtlinien „Federal Prosecution of Corporations“ im Jahre 2000, wenn bei der Aufzählung der relevanten Faktoren (für den Umgang mit Unternehmen, die einer Tat verdächtig sind) die „rechtzeitige und freiwillige Offenlegung von Fehlverhalten durch das Unternehmen und seine Be-

210 Vgl. dazu auch Krull, in: Bay (Hrsg.), Handbuch Internal Investigations, S. 130 ff.; Schulte/Görts, RIW 2006, 561 (562). 211 Zum Dual Listing Harrer, Beck’sches Handbuch der AG, § 20 Rn. 92 ff.; Nestler, in: Knierim/Rübenstahl/Tsambikakis (Hrsg.), Internal Investigations, S. 6. 212 Zur Situation für deutsche Unternehmen und Sachverhalten mit US-Bezug Behrens, RIW 2009, 22 passim. 213 Wybitul, BB 2009, 606. 214 Vgl. dazu auch Behrens, RIW 2009, 22 (25 f.); Kent/Tomas, in: Spehl/Gruetzner (Hrsg.), Corporate Internal Investigations, S. 403. 215 Im Rahmen der vollständigen Kooperation kann das DOJ das Unternehmen sogar dazu auffordern, mit der Befragung seiner Mitarbeiter im Zuge von Internal Investigations so lange abzuwarten bis das DOJ die Mitarbeiter als Zeugen vernehmen konnte. Siehe FCPA Corporate Enforcement Policy, S. 4, abrufbar unter https://www.justice.gov/criminal-fraud/file/838416/ download zuletzt abgerufen am 09. 11. 2020.

A. Internal Investigations

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reitschaft zur Zusammenarbeit bei Ermittlungen“ in Punkt 4 genannt wurden.216 In der Gegenwart finden sich derartige Anhaltspunkte unter anderem in Chap. 9 – 28.000 JM in den „Principles of Federal Prosecution of Business Organizations“ (Vorgaben für die Strafverfolgung von Unternehmen auf Bundesebene bzw. Abwägungskriterien zur Strafverfolgung) und hierbei insbesondere in Chap. 9 – 28.300 JM („Factors to be considered“) wieder.217 Insgesamt kann deshalb festgehalten werden, dass die internen Untersuchungen in den USA eine nicht nur unerhebliche Bedeutung erlangt haben, da sie einer der Punkte bei der Entscheidung sind, ob überhaupt Anklage gegen ein Unternehmen erhoben wird. Die Anklage ist aus dem Grund von so hoher Relevanz, weil bereits durch sie die konkrete Gefahr eines Reputationsverlustes durch die Kenntnisnahme in der Öffentlichkeit geschaffen wird. bb) Bei der Strafzumessung Zum anderen können interne Untersuchungen218 bei der Strafzumessung in den USA von Bedeutung sein, ergo wenn gegen das Unternehmen Anklage erhoben wurde.219 Relevant ist hierbei, dass die Strafzumessung in den USA einen eigenständigen Verfahrensteil bildet, der vom Richter nach der Verurteilung des Unternehmens in der Hauptverhandlung (in letzterer wird nur über Schuld oder Unschuld entschieden) durchgeführt wird.220 Für die Strafzumessung nach den Strafzumessungsrichtlinien werden die erforderlichen Ermittlungen durch einen sogenannten „probation officer“ (zuständigen Beamten) durchgeführt, welcher die vorläufige Strafe berechnet und einen „presentence report“ (Bericht) mit allen Informationen erstellt.221 Dies wird vom Richter oftmals einfach übernommen, wobei keine spezifischen Sorgfaltsstandards für die Erstellung bestehen.222 Für das Strafzumessungsverfahren ist es ausreichend, dass das Vorliegen von Tatsachen, welche für die Strafzumessung relevant sind, wahrscheinlicher ist als ihr Nichtvorliegen.223

216 So beispielsweise abgedruckt bei Partsch, The Foreign Corrupt Practices Act, S. 73; zu weitergehenden Voraussetzungen siehe auch die FCPA Corporate Enforcement Policy, abrufbar unter https://www.justice.gov/criminal-fraud/file/838416/download zuletzt abgerufen am 09. 11. 2020. 217 Siehe dazu allgemein bereits oben S. 229. 218 Hierbei ist anzumerken, dass es keine klare Trennung zwischen den Internal Investigations und Compliance gibt, sodass Internal Investigations insbesondere Teil eines Compliance-Systems sein können. 219 Zum Ganzen auch Behrens, RIW 2009, 22 (25 f.). 220 Vgl. statt vieler Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen, S. 230 f.; zum Ganzen Kelly-Kilgore/Smith, American Criminal Law Review 2011, Vol. 48, 421 (443 ff.); Nagelberg/ Balser/Ford/Frisiello, American Criminal Law Review 2017, Vol. 54, 1073 (1101 ff.). 221 18 U.S.C. § 3552; Federal Rules Criminal Procedure P. 32 (a). 222 So Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen, S. 230 f. 223 Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen, S. 231 m.w.N.

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7. Kap.: Sonderfragen eines Verbandssanktionsverfahrens

Das Unternehmen kann im Strafzumessungsverfahren massive Strafrabatte224 bekommen, wenn es aktiv interne Untersuchungen durchführen ließ bzw. insgesamt mit den Verfolgungsbehörden kooperiert, wenn eine Straftat im Unternehmen entdeckt wurde.225 Das Maß des Strafrabattes hängt entscheidend davon ab, wie groß die Kooperationsbereitschaft des Unternehmens ist. Engelhart hält für diesen Aspekt fest, dass die Anforderungen der Kooperation bei der Strafverfolgung und Strafzumessung in großen Teilen gleich seien.226 Unterschieden werde allgemein (in absteigender Reihenfolge) zwischen der Selbstanzeige,227 der Zusammenarbeit mit den Verfolgungsbehörden und der Übernahme der Verantwortung für die Tat.228 In diese Kooperation fließen die internen Untersuchungen mit ein. Um Milderungen bei der Strafe zu erhalten, mussten und müssen die Unternehmen aber nicht zu unterschätzende Voraussetzungen erfüllen. Eine Voraussetzung, die zu einem Strafrabatt führen kann, weil sie im Kontext der Kooperation berücksichtigt wird, betrifft beispielsweise rechtlich geschützte Ergebnisse von Analysen oder anderweitige Dokumente, auf die die Strafverfolgungsbehörden ansonsten keinen oder maßgeblich erschwerten Zugriff hätten.229 Diesen Ergebnissen gehen im Regelfall die internen Ermittlungen voran, wodurch erstere überhaupt erst gewonnen werden. Die Grundlage für eine Strafrabattgewährung findet sich insbesondere in den U.S. Federal Sentencing Guidelines (im Folgenden USSG) in USSG §2C2.5(g) unter der Überschrift: Self-Reporting, Cooperation, and Acceptance of Responsibility,230 welche Empfehlungen über die Art und Höhe der Strafe enthalten. Hier werden Faktoren genannt, welche die Strafe herabsetzen können.231 Dazu heißt es wörtlich: „(g) Self-Reporting, Cooperation, and Acceptance of Responsibility If more than one applies, use the greatest:

224 Ausführlich zur Strafzumessung im US-Recht in diesem Zusammenhang Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen, S. 115 ff. 225 Vgl. Kelly-Kilgore/Smith, American Criminal Law Review 2011, Vol. 48, 421 (448 ff.); dazu im Kontext Wehnert, NJW 2009, 1190; zu den rechtlichen Hintergründen für Internal Investigations im US-Recht Behrens, RIW 2009, 22 (23 f.); siehe zum Ablauf und insbesondere zum Hauptverfahren vor einem Richter oder einer Jury auch Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen, S. 228 f. m.w.N. 226 Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen, S. 238. 227 Siehe dazu Pasewaldt/DiBari, NZWiSt 2018, 309 ff. 228 Zum Ganzen Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen, S. 174 ff. m.w.N. 229 Siehe dazu beispielsweise auch im JM die Principles of Federal Prosecution of Business Organisations, Chapter 9 – 28.700 ff. 230 United States Sentencing Commission Guidelines Manual Nov. 2018, abrufbar unter https://www.ussc.gov/sites/default/files/pdf/guidelines-manual/2018/GLMFull.pdf zuletzt abgerufen am 09. 11. 2020; anzumerken ist an dieser Stelle, dass es sich bei den U.S. Federal Sentencing Guidelines nicht um rechtlich verbindliche Regelungen handelt, sondern vielmehr um beratende Empfehlungen. 231 Dazu ausführlich Krull, in: Bay (Hrsg.), Handbuch Internal Investigations, S. 132 ff.

A. Internal Investigations

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(1) If the organization (A) prior to an imminent threat of disclosure or government investigation; and (B) within a reasonably prompt time after becoming aware of the offense, reported the offense to appropriate governmental authorities, fully cooperated in the investigation, and clearly demonstrated recognition and affirmative acceptance of responsibility for its criminal conduct, subtract 5 points; or (2) If the organization fully cooperated in the investigation and clearly demonstrated recognition and affirmative acceptance of responsibility for its criminal conduct, subtract 2 points; or (3) If the organization clearly demonstrated recognition and affirmative acceptance of responsibility for its criminal conduct, subtract 1 point.“232

Im Rahmen dessen kann berücksichtigt werden, ob und wie ein Unternehmen Internal Investigations durchführt und mit den Behörden kooperiert, wenn es zu einem rechtlich relevanten Verhalten kommt.233 Insgesamt zeigt sich hier, dass das US-amerikanische Recht ein abgestuftes System der Strafrabattgewährung bei internen Untersuchungen für Unternehmen anerkennt, je nachdem, welche Voraussetzungen bei der Aufklärung der Straftat erfüllt werden. d) Problemstellungen der Internal Investigations in den USA aa) Qualifizierung der internen Ermittlungen und Mitarbeiterinterviews Ebenso wie in Deutschland stellt sich in den USA die problembehaftete Frage nach der rechtlichen Qualifizierung der internen Untersuchungen, mithin, ob es sich um eine rein private oder um eine quasistaatliche Maßnahme handelt.234 Im Grunde können die Internal Investigations in den USA jedenfalls dann als private Maßnahme charakterisiert werden, wenn keine Behörden beteiligt sind.235 Dieser Grundsatz kann aber auch gelten, wenn US-Behörden involviert sind, je nachdem, wie groß der Umfang ihrer Beteiligung an den Ermittlungen ist. Mitunter werden die Behörden stark kritisiert, weil ihnen vorgeworfen wird, Private (Unternehmen) in dem Rahmen oftmals dazu zu zwingen, höchst aufwendige Ermittlungen im In- und Ausland vorzunehmen, die sie selbst kaum bewältigen könnten und darüber hinaus wohl auch, 232 Abrufbar unter https://www.ussc.gov/guidelines/2018-guidelines-manual/2018-chapter8 zuletzt abgerufen am 09. 11. 2020. 233 Zum Ganzen auch Behrens, RIW 2009, 22 (25 f.); daneben finden interne Ermittlungen ebenfalls über USSG §8B2.1 (Effective Compliance and Ethics Program) Berücksichtigung. 234 Zu dem Fall, dass sich SEC Ermittlungen gegen ein deutsches Unternehmen richten, wie zum Beispiel im Fall Siemens, auch Wastl/Litzka/Pusch, NStZ 2009, 68 (74), die bezogen auf die Rechtsfolgen einer solchen Vorgehensweise (Interviews, die von Vertrauenskanzleien der SEC durchgeführt werden) auf einer ersten Stufe von einem Aussageverweigerungsrecht des Mitarbeiters oder bei Verneinung dessen von einem Beweisverwertungsverbot mit Fernwirkung ausgehen. 235 Siehe dazu nur Kent/Tomas, in: Spehl/Gruetzner (Hrsg.), Corporate Internal Investigations, S. 426: „In the vast majority of internal investigations – i. e., those conducted in private with no government agency direction involved (…).“

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7. Kap.: Sonderfragen eines Verbandssanktionsverfahrens

aufgrund des Auslandsbezugs der Sachverhalte, nicht selbst durchführen dürften.236 Hier wären sie nur befugt ein Rechtshilfeersuchen zu beantragen, weshalb in einem solchen Quasi-Zwang ein Überschreiten ihrer Befugnisse liegen kann.237 Hierzu kann aber festgehalten werden, dass es letztlich den Unternehmen in den USA regelmäßig überlassen bleibt (es keine rechtliche Pflicht gibt), zu kooperieren oder eben nicht, sich also beispielsweise um einen Strafrabatt zu bemühen oder (im schlimmsten Fall) ein streitiges Gerichtsverfahren zu führen.238 Seitens der Behörden wird daher in den grundsätzlichen Fällen der Internal Investigations wohl allenfalls ein faktischer Zwang aufgebaut. Für diese Auffassung lässt sich weiterhin anführen, dass die internen Ermittler (rechtlich) grundsätzlich ausschließlich dem Unternehmen verpflichtet sind und daher insbesondere keine Gehilfen der Verfolgungsbehörden darstellen werden. Letztlich zutreffend argumentieren ebenfalls Dann/ Schmidt,239 wenn sie ausführen, „Jede Person, die mit Behörden kooperiert, erleichtert deren Arbeit und wirkt so mittelbar an der Erfüllung öffentlicher Aufgaben mit.“ Etwas anderes gilt aber in den USA nach dem richtungsweisenden Urteil in der Sache U.S. v. Stein,240 wenn, zusammengefasst, die internen Untersuchungen vom Staat bzw. den Behörden erzwungen werden und aus diesem Grund die Rechte von Mitarbeitern von Unternehmen dabei missachtet werden.241 Insbesondere ist es den Strafverfolgungsbehörden nach dieser Entscheidung verboten, Druck auf die Unternehmen dahingehend auszuüben, dass diese ihre Mitarbeiter bedrängen, indem sie die Bezahlung der Honorare der Verteidiger der Mitarbeiter (dies geschah im konkreten Fall, entgegen dem üblichen Usus und internen Richtlinien, den „KPMG Policy on Payment of Legal Fees“,242 in dem Unternehmen) verweigern oder an Bedingungen knüpfen.243 Hierbei handele es sich, so die Entscheidung, dann nicht 236 Zum Ganzen Dann/Schmidt, NJW 2009, 1851 (1852) m.w.N.; in dem Kontext auch BenAsher, ABA Journal of Labor & Employment Law, 2018, Vol. 33, 211 ff.; Werle, Yale Law Journal 2019, Vol. 128, 1366 (1404 f.). 237 Zu diesem Kritikpunkt Dann/Schmidt, NJW 2009, 1851 (1852) m.w.N. 238 So auch Dann/Schmidt, NJW 2009, 1851 (1852) mit Verweis auf die Principles of Federal Prosecution of Business Organizations, Aug. 2008, Chapter 9 – 28.700 A.; Behrens, RIW 2009, 22 (33); anzumerken ist auch, dass es nur in den seltensten Fällen in den USA zu einem streitigen Gerichtsverfahren kommt. 239 Dann/Schmidt, NJW 2009, 1851 (1852). 240 United States v. Stein, 435 F. Supp. 2d 330, S 1 05 Crim. 0888 (LAK), abrufbar unter http://online.wsj.com/public/resources/documents/ruling-kpmg-20060627.pdf zuletzt abgerufen am 09. 11. 2020; ausführlich dazu auch Wehnert, NJW 2009, 1190 (1191 f.). 241 United States v. Stein, 435 F. Supp. 2d 330, S 1 05 Crim. 0888 (LAK), S. 48 ff., abrufbar unter http://online.wsj.com/public/resources/documents/ruling-kpmg-20060627.pdf zuletzt abgerufen am 09. 11. 2020. 242 Abrufbar unter http://online.wsj.com/public/resources/documents/ruling-kpmg-2006062 7.pdf S. 9 ff. zuletzt abgerufen am 09. 11. 2020. 243 United States v. Stein, 435 F. Supp. 2d 330, S 1 05 Crim. 0888 (LAK), S. 48 ff., abrufbar unter http://online.wsj.com/public/resources/documents/ruling-kpmg-20060627.pdf zuletzt ab-

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mehr um private Handlungen, sondern um quasi-staatliche der KPMG, die diese aufgrund des Zwangs der Strafverfolgungsbehörden vornahm.244 Wie erwähnt, gehören auch Mitarbeiterinterviews zum Usus der internen Untersuchungen in den USA.245 Hierbei kommt den Mitarbeitern, jedenfalls bei rein privaten internen Ermittlungen, grundsätzlich kein Schweigerecht zu, wenngleich sich seit der Entscheidung U.S. v. Stein etwas anderes bei einer gravierenden Involvierung staatlicher Behörden in die internen Ermittlungen ergeben kann, sodass dem Mitarbeiter in bestimmten Fällen das Recht der Selbstbelastungsfreiheit zukommen kann246.247 Verweigert ein Mitarbeiter in der Grundkonstellation einer privaten internen Ermittlung die Aussage, beispielsweise aufgrund einer möglichen strafrechtlichen Selbstbelastung, ist insbesondere eine Kündigung möglich, was in den USA in der Hinsicht als probates Mittel des Unternehmens verstanden wird, einen Mitarbeiter zu sanktionieren, der nicht gewillt ist, einen strafrechtlichen Vorwurf mitaufzuklären.248 Ansonsten sieht sich das Unternehmen selbst mit dem Vorwurf konfrontiert, die Aufklärung zu konterkarieren. Vor den Befragungen der Mitarbeiter im Rahmen der internen Ermittlungen werden Belehrungen (sogenannte „Upjohn warnings“249) vorgenommen, die ihnen vor Augen führen, dass die Anwälte, welche das Interview führen, ausschließlich das Unternehmen repräsentieren und gerufen am 09. 11. 2020; so auch bei Wehnert, NJW 2009, 1190 (1191); zum (Nicht-)„Recht“ auf einen Rechtsbeistand in Deutschland bei Mitarbeiterbefragungen Göpfert/Merten/Siegrist, NJW 2008, 1703 (1708). 244 United States v. Stein, 435 F. Supp. 2d 330, S 1 05 Crim. 0888 (LAK), S. 81 f., wo es unter anderem dazu heißt: „The government’s assertion that the legal fee decision was made without ,coercion‘ or ,bullying‘ by the government can be justified only by tortured definitions of those terms.“ abrufbar unter http://online.wsj.com/public/resources/documents/rulingkpmg-20060627.pdf zuletzt abgerufen am 09. 11. 2020; so auch ausführlich bei Wehnert, NJW 2009, 1190 (1192). 245 Vgl. dazu Kent/Tomas, in: Spehl/Gruetzner (Hrsg.), Corporate Internal Investigations, S. 423 f.; insbesondere zu der Frage, ob ein rechtlicher Beistand für die Mitarbeiter während den Interviews anwesend sein sollte bzw. ein Anspruch hierauf besteht dies., in: Spehl/Gruetzner (Hrsg.), Corporate Internal Investigations, S. 429 f.; Krakaur/Junck, in: Seddon u. a. (Hrsg.), Global Investigations, S. 142 ff. 246 „(…) an employee has a legal privilege against self-incrimination only if there is sufficient government involvement in connection with the investigation that the questioner’s actions may be ,fairly attributable‘ to the government.“ Kent/Tomas, in: Spehl/Gruetzner (Hrsg.), Corporate Internal Investigations, S. 426 unter Verweis auf die Entscheidung United States v. Stein. 247 Vgl. Kent/Tomas, in: Spehl/Gruetzner (Hrsg.), Corporate Internal Investigations, S. 426 f.; zu den Mitarbeiterrechten auch Williams/Patel/Gardener, in: Seddon u. a. (Hrsg.), Global Investigations, S. 241 ff. 248 Zum Ganzen Hoven/Weigend, ZStW 2018 (130), 213 (234); zu weiteren Sanktionen Kent/Tomas, in: Spehl/Gruetzner (Hrsg.), Corporate Internal Investigations, S. 431 f. 249 Originär zurückzuführen auf Upjohn Company v. United States, 449 U.S. 383 (1981); vgl. dazu auch Kent/Tomas, in: Spehl/Gruetzner (Hrsg.), Corporate Internal Investigations, S. 417 f.; Schulte/Görts, RIW 2006, 561 (567 Fn. 47); Ben-Asher, ABA Journal of Labor & Employment Law, 2018, Vol. 33, 211 (213).

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letzteres allein Inhaber des Privileges ist (dazu sogleich) und deshalb auch allein über einen dementsprechenden Verzicht entscheidet, sowie dass ihre Aussagen in schriftlicher Form den Behörden zugeleitet werden können und der Umfang der Informationen sowie die Weiterleitung insgesamt im Ermessen des Unternehmens steht, sodass die Mitarbeiter bereits vor den Gesprächen ausdrücklich über ein daraus resultierendes (nicht nur, aber vor allem auch strafrechtliches) Risiko aufgeklärt werden.250 bb) Das Anwalts- und Beratungsgeheimnis In den USA ist es grundsätzlich üblich, dass Unternehmen von Anwälten rechtlich beraten werden. Dies geschieht nicht nur, wenn ein besonderer klärungsbedürftiger Fall auftritt, sondern ist fortwährend Bestandteil des unternehmerischen Daseins, vor allem auch bei internen Ermittlungen. Treten bei diesen potentielle Rechtsverstöße zutage bzw. ergibt sich ein solcher Verdacht dahingehend, ist in vielen Fällen bereits ein Anwalt mit den Vorgängen vertraut. Im Rahmen seiner Tätigkeit erhält er deshalb denknotwendigerweise Kenntnis von unterschiedlichsten vertraulichen (und wohl auch haftungsrelevanten) Unternehmensinterna. Aus diesem Grund ist in den USA im Zusammenhang mit internen Untersuchungen die Frage aufgetaucht, ob das Attorney-Client-Privilege dem Unternehmen das Recht verleiht, die Herausgabe von Informationen zu verweigern, welche in diesem Kontext gewonnen wurden bzw. ob seitens der Behörden von den Unternehmen verlangt werden kann, auf das Anwaltsund Beratungsgeheimnis zu verzichten.251 Hier liegt gleichzeitig der Fokus der Debatte. Wichtig ist hierbei, dass es das Anwalts- und Beratungsgeheimnis in den USA in zwei Varianten gibt, welche jedoch keine absolute Abgrenzung voneinander erfahren252 und insbesondere in Rule 502(g) Federal Rules of Evidence Eingang in das Gesetz gefunden haben: 1. Schutz der unmittelbaren Kommunikation zwischen Anwalt und Mandant (Attorney-Client-Privilege) und 2. Schutz vor dem Zugriff von

250 Grundlegend Kent/Tomas, in: Spehl/Gruetzner (Hrsg.), Corporate Internal Investigations, S. 417 f.; Dann/Schmidt, NJW 2009, 1851 (1852) m.w.N. 251 Zum Ganzen Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen, S. 253 ff.; diese Fragestellung ist ebenfalls im Kontext der Selbstbelastungsfreiheit relevant. Sie wird aber aus Gründen der besseren Übersichtlichkeit, vor allem aber auch wegen des Zusammenhangs zu der Frage, ob und wann Ermittlungen (quasi)staatlich sind, an diesem Punkt behandelt; Burckhardt/ Tbaishat, in: Seitz/Wohlers (Hrsg.), Anwaltsgeheimnis, S. 170 passim; zur grundlegenden Geltung des Attorney Client Privilege für Unternehmen Upjohn Company v. United States, 449 U.S. 383 (1981); Kent/Tomas, in: Spehl/Gruetzner (Hrsg.), Corporate Internal Investigations, S. 416 ff.; Strassberg/Spillane, in: Seddon u. a. (Hrsg.), Global Investigations, S. 629 ff. 252 Siehe zu Unterschieden zwischen beiden Nietsch, CCZ 2019, 49 (53); Burckhardt/ Tbaishat, in: Seitz/Wohlers (Hrsg.), Anwaltsgeheimnis, S. 178 ff.

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Unterlagen, die der Anwalt erstellt hat (Workproduct Privilege).253 Unter das Attorney-Client-Privilege fallen alle Aussagen und Unterlagen (gesamte Kommunikation) zwischen Anwalt und Mandant, die vertraulich für eine rechtliche Beratung getätigt/erstellt werden.254 Dem Schutz des Workproduct Privilege (als Ergänzung zum Attorney-ClientPrivilege255) unterstehen vom Anwalt erstellte Unterlagen, die in Vorbereitung für einen bestimmen Rechtsstreit erstellt werden.256 Hierbei ist es nicht maßgeblich, dass sie aus der Kommunikationssphäre mit dem Mandanten stammen.257 Vielmehr ist auch die Kommunikation mit Dritten erfasst.258 Bei dem Workproduct Privilege ist es aber möglich, dass die Behörden, trotz des Vorliegens aller oben genannten Voraussetzungen und ergo der Bejahung des Workproduct Privileges, ein „substantial need“ (vorrangiges Interesse) an der Übermittlung der Informationen haben bzw. glaubhaft machen, dass eine andere Informationsgewinnung unzumutbar wäre („undue hardship“), worin eine Einschränkung von letzterem liegt, die es dergestalt beim Attorney-Client-Privilege nicht gibt.259 Geschützt werden Informationen von dem Anwalts- und Beratungsgeheimnis, zusammengefasst, allerdings nur, wenn der Anwalt zum einen rechtsberatend tätig wird, wofür er in die internen Ermittlungen grundlegend miteinbezogen werden muss (bzw. in dieser Hinsicht bei der rechtlichen Gestaltung einen aktiven Part übernehmen muss), und es sich zum anderen nicht um die bloße Ermittlung von Tatsachen handelt, die jeder tätigen könnte.260 Dies dürfte auf die Aufzeichnungen interner Untersuchungen und insbesondere auf die Mitarbeiterinterviews in den USA regelmäßig zutreffen.261 Können die Voraussetzungen bejaht werden und sind Infor253 Siehe dazu Kent/Tomas, in: Spehl/Gruetzner (Hrsg.), Corporate Internal Investigations, S. 417 ff.; Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen, S. 254; Rieder/Menne, CCZ 2018, 203 (206); Nietsch, CCZ 2019, 49 (50). 254 Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen, S. 254 m.w.N.; diff. zu den genannten Voraussetzungen auch Nietsch, CCZ 2019, 49 (51, 53); dazu auch Ben-Asher, ABA Journal of Labor & Employment Law, 2018, Vol. 33, 211 (213 ff.). 255 Vgl. Nietsch, CCZ 2019, 49 (53). 256 Einen Anhaltspunkt im Gesetz liefern auch die Federal Rules of Civil Procedures 26(b)(3)(A); grundlegend etwa der leading-case Hickman v. Taylor, 329 U.S. 495 (1947). 257 Zum Ganzen ausführlich Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen, S. 254 f.; Nietsch, CCZ 2019, 49 (53). 258 Mark, ZWH 2012, 311; insgesamt dazu auch Walkowiak, Attorney Client Privilege, S. 327 f. 259 Federal Rules of Civil Procedure 26(b)(3)(A)(ii); siehe zum Ganzen Walkowiak, Attorney Client Privilege, S. 328; Kent/Tomas, in: Spehl/Gruetzner (Hrsg.), Corporate Internal Investigations, S. 419; Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen, S. 254 f. m.w.N. 260 Ausführlich Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen, S. 255; ähnlich Kent/Tomas, in: Spehl/Gruetzner (Hrsg.), Corporate Internal Investigations, S. 419; Rieder/Menne, CCZ 2018, 203 (206) m.w.N. 261 Siehe Kent/Tomas, in: Spehl/Gruetzner (Hrsg.), Corporate Internal Investigations, S. 423 f.

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mationen deshalb durch das Anwalts- und Beratungsgeheimnis geschützt, können sie von den Strafverfolgungsbehörden in den USA nicht herausverlangt werden und auch nicht als Beweis verwertet werden. Möglich ist indes, dass das Unternehmen auf das Anwalts- und Beratungsgeheimnis (vollständig) verzichtet (sog. Waiver262). Dieser Verzicht war/ist ein kritischer und viel diskutierter Punkt in den USA, da die Behörden (insbesondere die Staatsanwaltschaft) Druck auf die Unternehmen dergestalt ausüben, dass (in der Vergangenheit) nur dann, wenn Informationen, die dem Anwalts- und Beratungsgeheimnis unterfielen, preisgegeben wurden, eine ausreichende Kooperation bescheinigt wurde.263 Diese Drucksituation hatte ihren Höhepunkt vor allem zur Zeit des Thompson-Memorandums.264 Es galt das Credo: Nur ein vollständiger Verzicht auf das Anwalts- und Beratungsgeheimnis war eine sogenannte „good corporate citizenship“ und brachte die Bescheinigung einer ausreichenden Kooperation seitens der Strafverfolgungsbehörden ein. Diese Vorgehensweise führte zu heftiger Kritik und als Folge davon zu grundlegenden Veränderungen der Strafzumessungsrichtlinien sowie zu einer einschränkenderen Formulierung der Richtlinien insbesondere im McNulty-Memorandum,265 die vorsah, dass die Herausgabe von Unterlagen, welche dem Anwalts- und Beratungsgeheimnis unterfallen, nicht die Grundvoraussetzung für eine ausreichende Kooperation sei. Durchbrochen wurde der Grundsatz von der Ausnahme, dass die Strafverfolgungsbehörden die Dokumente herausverlangen dürfen, wenn Ermittlungen ansonsten nicht möglich wären.266 Eine weitere wesentliche Überarbeitung und Justierung erfolgte durch das Filip-Memorandum,267 welches festhielt, dass von dem Privileg geschützte Unterlagen zwar nicht herausverlangt werden dürfen und eine Herausgabeverweigerung nicht nachteilig bewertet werden darf, die Unternehmen aber für den Fall relevante Fakten mitteilen 262 Ausführlich zu den unterschiedlichen Ausprägungen Nietsch, CCZ 2019, 49 (54 ff.); Burckhardt/Tbaishat, in: Seitz/Wohlers (Hrsg.), Anwaltsgeheimnis, S. 184 f. 263 Vgl. dazu und den damit verbundenen Folgeproblemen, wie zum Beispiel der „beschränkten Überlassung“ grundlegend Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen, S. 235, 257; Nietsch, CCZ 2019, 49 (54 ff.); Burckhardt/Tbaishat, in: Seitz/Wohlers (Hrsg.), Anwaltsgeheimnis, S. 184 f. 264 Siehe zu dem Thompson-Memorandum bereits oben S. 224. 265 Abrufbar unter https://www.justice.gov/sites/default/files/dag/legacy/2007/07/05/mc nulty_memo.pdf VII. 2. S. 8 zuletzt abgerufen am 09. 11. 2020: „Waiver of attorney-client and work product protections is not a prerequisite to a finding that a company has cooperated in the government’s investigation. However, a company’s disclosure of privileged information may permit the government to expedite its investigation. In addition, the disclosure of privileged information may be critical in enabling the government to evaluate the accuracy and completeness of the company’s voluntary disclosure.“ 266 Siehe hierzu und insbesondere zu den Abwägungskriterien McNulty-Memorandum, VII 2., S. 8 f., abrufbar unter https://www.justice.gov/sites/default/files/dag/legacy/2007/07/05/ mcnulty_memo.pdf zuletzt abgerufen am 09. 11. 2020; vgl. auch Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen, S. 239 f. 267 Abrufbar unter https://www.justice.gov/sites/default/files/dag/legacy/2008/11/03/dagmemo-08282008.pdf zuletzt abgerufen am 09. 11. 2020.

A. Internal Investigations

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müssen.268 Dies gelte auch dann, wenn die Fakten Unterlagen entstammen, welche vom Privileg eigentlich geschützt seien. Nur, wenn jene Voraussetzungen erfüllt würden, würde eine möglicherweise strafmildernde oder anklagerelevante Kooperation bestätigt.269 e) Zusammenhang zwischen USA – Deutschland aa) Interne Ermittlungen auf Aufforderung der US-Behörden in deutschen Unternehmen Neben einer partiellen Vorbildfunktion, die den USA für ein Verbandssanktionenrecht de lege ferenda im Zusammenhang mit internen Ermittlungen zukommen kann, ergibt sich zwischen den USA und Deutschland ein schwieriges Verhältnis, wenn US-Behörden zu internen Ermittlungen in deutschen Unternehmen auffordern.270 Aus dem Grund kann bereits zum jetzigen Zeitpunkt (ohne ein geltendes Verbandssanktionenrecht) die deutsche Rechtslage nicht mehr isoliert, ohne Berücksichtigung der USA, betrachtet werden. Wie bereits erwähnt, gehen die Ermittlungsbefugnisse der US-Behörden sehr weit, machen vor allem aber an der Atlantikküste nicht Halt und greifen daher vielfach auch in Deutschland, wie beispielsweise im Siemens-Fall.271 Zu dieser Vorgehensweise der Aufforderung zur Durchführung interner Ermittlungen findet sich in der Literatur partiell Kritik bereits bzgl. der generellen Zulässigkeit.272 bb) Rechtshilfeabkommen Kritik an dem Vorgehen der USA resultiert zu großen Teilen daraus, dass es zwischen Deutschland und den USA ein Rechtshilfeabkommen gibt.273 Besteht der Verdacht, dass ein deutsches Unternehmen (dies gilt ebenso für den Fall, dass es sich um eine natürliche Person handelt, die die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt) 268 Filip-Memorandum, S. 8 ff., Chapter 9 – 28.710 f. abrufbar unter https://www.justice. gov/sites/default/files/dag/legacy/2008/11/03/dag-memo-08282008.pdf zuletzt abgerufen am 09. 11. 2020; so auch erwähnt in FCPA Resource Guide, S. 53. 269 Filip-Memorandum, S. 11, Abschnitt 9 – 28.720, abrufbar unter https://www.justice.gov/ sites/default/files/dag/legacy/2008/11/03/dag-memo-08282008.pdf zuletzt abgerufen am 09. 11. 2020; zum Ganzen Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen, S. 240; siehe zu den Grundzügen weiterer Memoranda und Entwicklungen diesbezüglich oben S. 224. 270 Vgl. dazu, zum Ablaufplan solcher Ermittlungen sowie Ratschlägen an betroffene Unternehmen Wybitul, BB 2009, 606 ff.; Krull, in: Bay (Hrsg.), Handbuch Internal Investigations, S. 129 f. 271 Grundlegend zur Siemens-Affäre Rödiger, Strafverfolgung von Unternehmen, S. 103 ff. 272 So unter anderem bei Wastl/Litzka/Pusch, NStZ 2009, 68 (71 f.). 273 Vgl. Wastl/Litzka/Pusch, NStZ 2009, 68 (71 f.); in diesem Kontext auch Zerbes, ZStW 2013 (125), 551 (570); allg. krit. ob durch Internal Investigations der Rechtshilfeverkehr umgangen werden darf, Knierim, StV 2009, 324 (325).

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gegen den Sarbanes-Oxley Act (SOA)274 oder den FCPA verstoßen hat und beispielsweise die SEC Ermittlungen in Deutschland für notwendig erachtet, können behördliche Ermittlungen nur durch die Rechtshilfe zwischen beiden Staaten erfolgen. Für die Rechtshilfe maßgeblich ist für Deutschland das Gesetz (vom 26. 10. 2007) zu dem Abkommen vom 25. 06. 2003 (zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten von Amerika) über die Auslieferung und Rechtshilfe, zu dem Vertrag über „Rechtshilfe in Strafsachen“ (im Folgenden: Vertrag über Rechtshilfe in Strafsachen) vom 14. 10. 2003 inklusive Zusatzverträgen vom 18. 04. 2006.275 Gemäß Art. 1 Abs. 1 des Vertrages über Rechtshilfe in Strafsachen sind die Vertragsparteien verpflichtet, sich gegenseitig soweit wie möglich Rechtshilfe, insbesondere in strafrechtlichen Ermittlungsverfahren und Strafverfahren, zu leisten. Ein Rechtshilfeersuchen ergeht gemäß Art. 1 Abs. 5 des Vertrages über Rechtshilfe in Strafsachen beispielsweise, wenn Urkunden u. Ä. in dem Geltungsbereich des Vertrages durch Zwangsmaßnahmen, wie zum Beispiel die Beschlagnahme, erfasst werden sollen. Absatz 2 regelt, was von der Rechtshilfe umfasst ist, wie exemplarisch die Abnahme von Aussagen (Nr. 5) und Durchsuchungen sowie Beschlagnahmen (Nr. 6). Zur Konkretisierung ist dabei nach Art. 17 Abs. 1 Nr. 3 – 5 des Vertrages über Rechtshilfe in Strafsachen insbesondere eine genaue Beschreibung, beispielsweise des Gegenstands und der Art des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens erforderlich, sowie die Beschreibung der erbetenen Beweismittel und die Angabe des Zwecks für jene Beweismittel, welche erbeten werden. Die deutsche Rechtsgrundlage für die Unterstützung ausländischer Strafverfahren durch deutsche Behörden (und Gerichte) bildet dabei das Gesetz über die „Internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRG)“,276 welches durch die Richtlinien für den Verkehr mit dem Ausland in strafrechtlichen Angelegenheiten (RiVASt)277 (die in ihrem Anhang II einen Länderteil enthalten) eine Konkretisierung erfährt, die sowohl für Staatsanwaltschaften als auch für Behörden bindend ist.278 Beispielsweise sieht Nr. 22 Abs. 1 RiVASt (Erledigung des Ersuchens) nach ihrem Wortlaut vor, dass insbesondere, sofern die Bewilligungsbehörde die Voraussetzungen für die Leistung der Rechtshilfe für gegeben erachtet, das Ersuchen (soweit nicht gesetzlich oder vertraglich etwas anderes bestimmt ist) von der Vornahmebehörde nach denselben 274 Durch den Sarbanes-Oxley Act im Jahre 2002 (US-Bundesgesetz) wurden bestimmte Anforderungen an die Corporate Governance der Unternehmen festgelegt sowie die Publikation der Finanzdaten von Unternehmen festgeschrieben, vgl. Behrens, RIW 2009, 22 (27). Hierdurch sollen das Vertrauen und die Verlässlichkeit in Unternehmen gestärkt werden. Insgesamt sollte der SOA den FCPA stärken, siehe zu diesem Aspekt Schulte/Görts, RIW 2006, 561 (566 f.). 275 BGBl. 2007 II, S. 1618. 276 BGBl. 1982 I., 2071. 277 Abrufbar unter http://www.verwaltungsvorschriften-im-internet.de/bsvwvbund_2312201 6_IIB6935088.htm zuletzt abgerufen am 09. 11. 2020. 278 Abrufbar unter http://www.verwaltungsvorschriften-im-internet.de/bsvwvbund_2312201 6_IIB6935088.htm zuletzt abgerufen am 09. 11. 2020.

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Vorschriften auszuführen ist, die gelten würden, wenn das Ersuchen von einer deutschen Behörde gestellt worden wäre; das gleiche gelte für Zwangsmaßnahmen, die bei dieser Erledigung notwendig werden (§ 59 Absatz 3, § 77 IRG). Weiterhin normiert Abs. 1, dass besonderen Wünschen der ersuchenden Behörde zu entsprechen sei, soweit nicht zwingende Vorschriften entgegenstünden.279 Dies ist freilich alles in seiner Gänze zutreffend, wenn es um staatliche Ermittlungsmaßnahmen geht. Verkannt wird hierbei von dieser Auffassung,280 dass es sich bei Internal Investigations gerade nicht um staatliche Ermittlungen handelt, sondern, wie oben bereits festgestellt, um private Ermittlungen, die das (privatrechtlich strukturierte) Unternehmen autonom vornimmt.281 Hierin kann deshalb keine Umgehung des genannten Rechtshilfeabkommens zwischen den USA und Deutschland gesehen werden. Eine solche wäre nur diskussionsbedürftig, wenn angenommen würde, dass es sich bei Internal Investigations um staatliche Ermittlungen handeln würde. cc) Völkerrechtliche Regelungen: Grundsatz der Staatensouveränität Möglicherweise könnte ein Verstoß gegen die allgemeinen völkerrechtlichen Grundsätze vorliegen, wobei ein solcher nicht nur hinsichtlich der USA angenommen werden könnte, sondern gegenüber allen ausländischen Staaten. Freilich wird jene Problematik im Zusammenhang mit den USA und den Ermittlungstätigkeiten der SEC aber besonders relevant. Ausgangspunkt der Überlegung ist, dass Ermittlungen anderer Staaten die Souveränität der Bundesrepublik Deutschland umgehen könnten.282 Ein solcher Verstoß liegt jedoch ebenfalls, wie die Umgehung des Rechtshilfeabkommens, vorliegend nicht nahe, da es sich, wie festgestellt, bei den internen Ermittlungen nicht um ein staatlich gesteuertes Verfahren handelt, und ist daher im Ergebnis nicht zu bejahen.283 f) Zwischenfazit Insgesamt zeigt sich bei einem Blick auf die Situation in den USA, welche bereits seit langer Zeit ein Verbandsstrafrecht kennen, dass dort trotzdem noch nicht alle Probleme bewältigt sind bzw. erst in jüngerer Zeit, beispielsweise hinsichtlich der Internal Investigations, partiell Lösungen in Angriff genommen worden sind, sich aber trotzdem immer wieder Friktionen unterschiedlicher Art ergeben. Aufgrund der vorangehenden Analyse wird offenbar, dass die Internal Investigations nicht nur in 279

Abrufbar unter http://www.verwaltungsvorschriften-im-internet.de/bsvwvbund_2312201 6_IIB6935088.htm zuletzt abgerufen am 09. 11. 2020. 280 So beispielsweise Wastl/Litzka/Pusch, NStZ 2009, 68 (71 f.). 281 So auch Bittmann/Molkenbur, wistra 2009, 373 (374 Fn. 14); a.A.: zu diesem Problem insgesamt von Rosen, BB 2009, 230 f.; Wastl/Litzka/Pusch, NStZ 2009, 68 (71 f.). 282 Vgl. dazu Wastl/Litzka/Pusch, NStZ 2009, 68 (72). 283 So auch Theile, StV 2011, 381 (383 Fn. 25) m.w.N.

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tatsächlicher Hinsicht in den USA relevant sind, sondern auch in rechtlicher Hinsicht an unterschiedlichen Stellen Bedeutung erlangen können. Bei der rechtlichen Berücksichtigung der internen Ermittlungen gibt es in den USA unterschiedliche Möglichkeiten, die von einem Strafrabatt bis hin zum Absehen der Anklage reichen. In Bezug auf die gravierendsten Problemstellungen der internen Untersuchungen in den USA, der Qualifizierung dieser sowie dem Anwalts- und Beratungsgeheimnis, ist zu konstatieren, dass diese eine nicht zu unterschätzende Vielschichtigkeit aufweisen, unter anderem auch, weil sie nicht isoliert nebeneinanderstehen, sondern oftmals einen gegenseitigen Bezug haben. Es wird deutlich, dass es jeweils ein sehr schmaler Grat zwischen Zulässigkeit und Unzulässigkeit bestimmter Maßnahmen oder Forderungen zu sein scheint. Für die Beurteilung der Qualifizierung, ob es sich bei den internen Untersuchungen um eine staatliche oder private Maßnahme handelt, hängt diese, nach der Rechtsprechung, von den spezifischen Gegebenheiten ab, wenngleich grundsätzlich zunächst wohl von einer privaten Maßnahme ausgegangen wird. In dem Kontext ist die U.S. v. Stein-Entscheidung im Endeffekt sehr zu begrüßen, da sie den Strafverfolgungsbehörden Grenzen aufzeigt. Eine Besonderheit gilt in den USA vor der Durchführung der Interviews, da eine Hinweispflicht („upjohn warnings“) existiert, die dem Mitarbeiter vor Augen führt, dass seine Aussagen an die Behörden weitergeleitet werden können, wenngleich bei den Mitarbeiterinterviews ein Schweigerecht nicht gewährt wird und bei dennoch verweigerter Aussage die Kündigung im Raume steht. Hinsichtlich der Geltung des Anwalts- und Beratungsgeheimnisses für Unterlagen interner Untersuchungen können diese in den USA unter bestimmten Voraussetzungen davon geschützt sein, von einem Automatismus kann hierbei jedoch nicht gesprochen werden. Bezüglich des Verzichts auf das Anwalts- und Beratungsgeheimnis erscheint die derzeitige Lösung in den USA ambivalent und einzelfallbezogen. Zwar existiert kein Zwang mehr zum vollständigen Verzicht auf das AttorneyClient-Privilege, wenn eine Kooperation zwischen Unternehmen und Behörden im Raume steht, die sich auf die Frage, ob Anklage erhoben wird, auswirken kann oder im Rahmen der Strafzumessung relevant werden kann. Unterlagen, die diesem Privileg unterfallen, müssen nicht herausgegeben werden, und eine Weigerung diesbezüglich darf für die Unternehmen nicht negativ ins Gewicht fallen. Dennoch hat das Unternehmen, sofern es eine Kooperation mit den Strafverfolgungsbehörden anstrebt, jene Fakten mitzuteilen, welche für den spezifischen Fall von Bedeutung sind, selbst wenn diese eigentlich von dem Privileg erfasst sind. Dies ist zugleich der kritische Punkt, da der Anschein erweckt wird, den Strafverfolgungsbehörden in der Praxis auf diesem Weg ein „Hintertürchen“ offenzulassen, doch an die geschützten Unterlagen zu kommen, auch wenn den Unternehmen in den vergangenen Jahren hierdurch jedenfalls etwas der Rücken gestärkt wurde und die extremen Härten des Thompson-Memorandums, die eine ausreichende Kooperation des Unternehmens

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nur bei völligem Verzicht auf das Anwalts- und Beratungsgeheimnis bescheinigten, jedenfalls etwas abgemildert wurden.284 Hinsichtlich des oben festgestellten Zusammenhangs zwischen den USA und Deutschland tritt zutage, dass auch für deutsche Unternehmen die Vorgehensweise amerikanischer Verfolgungsbehörden ein nicht zu unterschätzendes Gefährdungspotential birgt, es jedoch (nach der hier präferierten Auffassung) keine Einwände gegen das Vorgehen auf der Ebene des Rechtshilfeabkommens oder der Staatensouveränität gibt, sodass Unternehmen zu raten ist, sich im Falle des Falles möglichst kooperativ in Bezug auf interne Ermittlungen zu zeigen oder eben ein streitiges Gerichtsverfahren in den USA in Kauf zu nehmen.285 2. England a) Ausgangssituation Auch in England ist die Durchführung von Internal Investigations in Unternehmen längst keine Seltenheit mehr.286 Ebenso wie in anderen Ländern gibt es auch dort keine abschließende Definition der Internal Investigations. Vielmehr ist eine Vielzahl von unterschiedlichen Untersuchungsmaßnahmen davon erfasst. Als allgemeine Gemeinsamkeiten, welche eine interne Untersuchung kennzeichnen, werden unter anderem folgende genannt: „(i) setting the scope and terms of an investigation; (ii) securing and reviewing evidence; (iii) dealing with issues of legal privilege, data protection and banking confidentiality; (iv) assessing the nature of the company’s risk; (v) dealing with employment issues; (vi) conducting interviews; (vii) assessing jurisdictional reach; (viii) preparing the investigation report.“287 Hieraus ergibt sich, dass die internen Ermittlungen allgemein folgende, grundlegende Merkmale (die aber nicht abschließend sind) aufweisen können: • Festlegung des Rahmens und der Bedingungen der Untersuchung, • Sicherung und Überprüfung von Beweisen, • Fragen bzgl. des Anwaltsprivilegs, Datenschutz und Bankgeheimnissen,288 • Auswertung der Art des Risikos in Bezug auf das Unternehmen,

284

311 ff.

Vgl. zum attorney-client-privilege in Deutschland beispielsweise Mark, ZWH 2012,

285 Vgl. mit Hinweisen zur Vermeidung solcher Ermittlungen und der weiteren Vorgehensweise, falls es zu derartigen Ermittlungen kommt, Wybitul, BB 2009, 606 ff. 286 Grundlegend Ludlam/Garfield, in: Spehl/Gruetzner (Hrsg.), Corporate Internal Investigations, S. 106 ff.; Tate, in: Chada/Sallon/Tate (Hrsg.), Bribery, S. 159 ff. 287 Siehe Pollard/David/Proudlock, GIR 2016, S. 1. 288 Dazu ausführlich Ludlam/Garfield, in: Spehl/Gruetzner (Hrsg.), Corporate Internal Investigations, S. 114 ff.

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7. Kap.: Sonderfragen eines Verbandssanktionsverfahrens

• Arbeitsrechtliche Fragen und Personalfragen,289 • Durchführung von Interviews, • Feststellung des Geltungsbereichs und der Zuständigkeit, • Verfassung des Untersuchungsberichts. Diese Strukturelemente werden im Folgenden an den jeweils relevanten Stellen näher erörtert. Kommt es in England in einem Unternehmen zu dem Verdacht einer Straftat, können Unternehmen Internal Investigations durchführen.290 Hierfür bietet es sich an, bereits im Vorhinein den Rahmen (Gegenstand der Untersuchung, Personen, mit denen Interviews geführt werden etc.) der Untersuchung sorgfältig festzulegen, noch bevor mit der eigentlichen Untersuchung begonnen wird291 (vgl. auch oben den erstgenannten Punkt: „Setting the scope and terms of an investigation“).292 Dafür ist es unter anderem unerlässlich, dass Personen bestimmt werden, die die Verantwortung für die Internal Investigations tragen.293 Dies werden in England im Regelfall der „Company’s general counsel“, ein „representative“, ein „special commitee of the board of directors“ oder das „audit commitee“ sein, wobei die Entscheidung auch maßgeblich davon abhängt, gegen wen sich die Untersuchung richtet.294 Ein weiterer zentraler Aspekt, welcher zur Ausgangssituation der internen Untersuchungen gehört, ist die Sicherung und Überprüfung von Beweisen („Securing and reviewing evidence“). Insbesondere folgende Schritte werden Unternehmen dazu angeraten:295 • Sicherung und Aussonderung (in eine gesicherte Umgebung, wie zum Beispiel einen extra dafür gesicherten Raum) aller zur Verfügung stehender Ausdrucke von 289 Vgl. Ludlam/Garfield, in: Spehl/Gruetzner (Hrsg.), Corporate Internal Investigations, S. 116 ff. 290 Zu den Gründen, warum Internal Investigations in England durchgeführt werden und zu den unterschiedlichen Zielen, die Internal Investigations haben können, Ludlam/Garfield, in: Spehl/Gruetzner (Hrsg.), Corporate Internal Investigations, S. 107; Rauxloh, StV 2019, 706 (707); Tate, in: Chada/Sallon/Tate (Hrsg.), Bribery, S. 159 ff. 291 Siehe Pollard/David/Proudlock, GIR 2016, S. 1 f. 292 Hierzu muss beispielsweise entschieden werden, ob die internen Ermittlungen offen oder verdeckt geführt werden sollen. Ein weiterer Meilenstein dürfte in der Entscheidung liegen, ob externe Prüfer bestellt werden sollen, interne Prüfer die Ermittlungen durchführen oder sowohl externe als auch interne Prüfer gemeinsam (jedoch unter der Leitung der externen Prüfer) tätig werden. Vgl. dazu Ludlam/Garfield, in: Spehl/Gruetzner (Hrsg.), Corporate Internal Investigations, S. 108 f. 293 Vgl. Ludlam/Garfield, in: Spehl/Gruetzner (Hrsg.), Corporate Internal Investigations, S. 110. 294 Vgl. Pollard/David/Proudlock, GIR 2016, S. 1 f.; ähnlich Ludlam/Garfield, in: Spehl/ Gruetzner (Hrsg.), Corporate Internal Investigations, S. 110. 295 Pollard/David/Proudlock, GIR 2016, S. 1 (2); ferner Ludlam/Garfield, in: Spehl/ Gruetzner (Hrsg.), Corporate Internal Investigations, S. 138.

A. Internal Investigations

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Dokumenten; zu diesen Dokumenten zählen (inhaltlich) beispielsweise Verträge, Korrespondenzen und Aufzeichnungen der Rechtsberatung. • Sofortige Beendigung eines jeden Programms, welches Dokumente vernichtet, die für die Untersuchung von Bedeutung sein könnten. • Sicherung elektronischer Quellen/Geräte, wie zum Beispiel Laptops. Im Kontext der Beweise hat die Überprüfung in England einen ebenso großen Stellenwert wie die Sicherung und Sammlung. Hierfür wird zu einem äußerst strukturierten Vorgehen angeraten, bei dem Interne (Investigation Team) und Externe, beispielsweise auf einer Plattform, das gesammelte Beweismaterial kategorisieren sowie Wichtiges und Unwichtiges (aus-)sortieren.296 b) (Rechtliche) Bedeutung von Internal Investigations Die Möglichkeit der rechtlichen Berücksichtigung von internen Untersuchungen in England besteht vor allem dann, wenn es um die Kooperation im Rahmen des Abschlusses eines DPA geht.297 Hier hält der Praxisleitfaden zu den DPA, der von den Strafverfolgungsbehörden geschaffen wurde, fest, dass eine Kooperation des Unternehmens mit den Behörden im Voraus (welche letztlich zum Abschluss eines DPA führen kann) bejaht werden kann, wenn das Unternehmen Zeugen benennt sowie Informationen und Unterlagen zum Beweis bereitstellt.298 Zu Letzteren zählen auch Aufzeichnungen und Ergebnisse über interne Untersuchungen. Möglich ist dabei nicht nur, dass das Unternehmen selbst und allein den Auftrag für eine interne Untersuchung erteilt, sondern dass dieser auch vom Unternehmen in Kooperation mit den Strafverfolgungsbehörden einem externen Dritten erteilt wird.299 In dem Kontext steht auch der oben erwähnte Punkt „The nature of risk“, da Unternehmen zwar auf der einen Seite geraten wird, zu einem relativ frühen Zeitpunkt mit den Behörden zusammenzuarbeiten, vor allem, wenn der Abschluss eines DPA angestrebt wird, weil der (möglichst frühe) Zeitpunkt der Bekanntgabe eines Rechtsverstoßes hierfür maßgeblich sein kann. Jedoch besteht hierbei die Gefahr, dass das Unternehmen aufgrund von Zeitnot in Bedrängnis gerät und Informationen bekanntgibt, ohne vorher alle Auswirkungen abgewogen zu haben und alle Beweise

296

Vgl. Pollard/David/Proudlock, GIR 2016, S. 1 (3 f.); zur Vorgehensweise bei internen Ermittlungen in England auch Rauxloh, StV 2019, 706 (707). 297 Allgemein zu DPA in England siehe S. 232; Beispiele abgeschlossener DPA in Großbritannien bei Hugger/Pasewaldt, RIW 2018, 115 (117 ff.) m.w.N.; ebenso können Internal Investigations aber auch im Rahmen der Compliance relevant werden. 298 Part 2.82. (i) Deferred Prosecution Agreement Code of Practice. 299 Dies geschah beispielsweise bevor es zum Abschluss eines DPA zwischen den Strafverfolgungsbehörden und der Standard Bank kam. Siehe dazu Hugger/Pasewaldt, RIW 2018, 115 (117).

444

7. Kap.: Sonderfragen eines Verbandssanktionsverfahrens

überprüft zu haben.300 Hierin liegt für Unternehmen in England ein nicht zu unterschätzendes Risiko, da „erzwungene Befragungen“ (sogenannte „compelled interviews“) im behördlichen Kontext des Strafprozesses zwar unzulässig sind, Gleiches aber nicht für Informationen gilt, die das Unternehmen außerhalb des Strafprozesses freiwillig bekanntgibt und die somit nicht denselben Schutz genießen.301 Eine der weitreichendsten Internal Investigations wurde in Großbritannien als eine der Voraussetzungen im Vorfeld eines DPA302 mit „Rolls-Royce“ im Jahre 2017 durch das Unternehmen vorgenommen.303 Hierfür hat das Unternehmen Rolls-Royce mehr als 30 Millionen Dokumente geprüft und mehr als 200 Mitarbeiter befragt. Zu den geprüften Dokumenten zählten unter anderem der E-Mail-Verkehr von Führungskräften des Unternehmens, Personalakten sowie Daten von Mitarbeitern auf Computern und Mobiltelefonen.304 An dem Fall wird deutlich, dass die Vorgehensweise für beide Seiten im Grunde vorteilhaft war: Dem Unternehmen wurde (unter anderem) dadurch der Abschluss eines DPA ermöglicht, während die Strafverfolgungsbehörden Informationen und Unterlagen aus einer derart umfangreichen Untersuchung erhielten, die sie ansonsten vermutlich ressourcentechnisch mehr als an ihre Grenzen gebracht hätte.305 c) Problemstellungen der Internal Investigations in England aa) Qualifizierung der internen Ermittlungen und Mitarbeiterinterviews Auch in England lassen sich im Zusammenhang mit den internen Ermittlungen unterschiedliche Problemkreise ausfindig machen. Zu diesen zählen die Qualifizierung der internen Untersuchungen und damit zusammenhängend die Mitarbeiterinterviews.306 Ein Schwerpunkt der internen Untersuchungen dreht sich auch dort um die Mitarbeiter des Unternehmens im Allgemeinen (beispielsweise, wenn es um die Suspendierung verdächtiger Mitarbeiter geht) und die Interviews im Rahmen von

300

So Pollard/David/Proudlock, GIR 2016, S. 1 (5); ferner Ludlam/Garfield, in: Spehl/ Gruetzner (Hrsg.), Corporate Internal Investigations, S. 111. 301 Vgl. Pollard/David/Proudlock, GIR 2016, S. 1 (5); zu dem letzten Aspekt Ludlam/ Garfield, in: Spehl/Gruetzner (Hrsg.), Corporate Internal Investigations, S. 128 f. 302 Das DPA zwischen dem SFO und Rolls Royce wurde letztlich geschlossen, vgl. https:// www.sfo.gov.uk/2017/01/17/sfo-completes-497-25m-deferred-prosecution-agreement-rollsroyce-plc/ zuletzt abgerufen am 09. 11. 2020. 303 Abrufbar unter http://www.sfo.gov.uk/cases/rolls-royce-plc/ zuletzt abgerufen am 09. 11. 2020. 304 Abrufbar unter https://www.sfo.gov.uk/cases/rolls-royce-plc/ zuletzt abgerufen am 09. 11. 2020; siehe dazu auch bei Hugger/Pasewaldt, RIW 2018, 115 (118). 305 Abrufbar unter https://www.sfo.gov.uk/cases/rolls-royce-plc/ zuletzt abgerufen am 09. 11. 2020. 306 Ausführlich Ludlam/Garfield, in: Spehl/Gruetzner (Hrsg.), Corporate Internal Investigations, S. 122 ff.

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Internal Investigations im Spezifischen (Employment Issues and Interviews).307 Ebenso wie hierzulande sehen Internal Investigations in England „Interviews“ von Mitarbeitern vor, wenn diese aufgrund des Verdachts einer Straftat notwendig werden. Auch steht in Frage, ob die Interviews einer polizeilichen Ermittlung gleichkommen („the question arises whether this amounts to a criminal investigation and therefore whether the provisions of the Police and Criminal Evidence Act 1984 (PACE) apply“308). Für England wird dazu festgehalten: „A private employer investigating and interviewing an employee as part of an internal investigation or disciplinary process will not normally amount to a criminal investigation, even if the investigation involves conduct that may constitute criminal offences. It follows that the employer will not generally be bound by PACE, and that any admissions made by the employee are likely to be admissible in subsequent criminal proceedings if handed over to the authorities.“309 Demzufolge wird davon ausgegangen, dass Mitarbeiterbefragungen, die von privaten Ermittlern durchgeführt werden, grundsätzlich privater Natur sind und nicht einer staatlichen bzw. polizeilichen Untersuchung gleichkommen, auch wenn bei der Durchführung der Ermittlung strafrechtlich relevantes Verhalten bekannt wird. Die Ermittler, so Pollard/David/Proudlock, seien dabei nicht an den PACE, ergo an die ermittlungstechnischen Rahmenbedingungen, die regulär für die Strafverfolgung in England gelten, gebunden.310 Ebenso scheint festzustehen, dass beispielsweise ein „Eingeständnis“ eines Mitarbeiters im Rahmen von internen Untersuchungen an die Strafverfolgungsbehörden weitergegeben werden kann und es aller Wahrscheinlichkeit nach in Folge(Straf-)prozessen zugelassen wird, ergo verwertet werden kann. Nichtsdestotrotz ist nach der Rechtsprechung des „Court of Appeal“311 für die Interviews der Mitarbeiter vorgesehen, dass Hinweise ausgesprochen werden müssen, wenn das Interview von Personen durchgeführt wird, wie zum Beispiel von privaten Ermittlern, die von dem Unternehmen engagiert wurden, um Straftaten der Mitarbeiter aufzudecken.312 Es soll insbesondere darauf hingewiesen werden, was der Zweck des spezifischen Interviews ist, dass die Anwälte, die das Interview durchführen, das Unternehmen vertreten, nicht aber den Mitarbeiter (welcher interviewt wird), dass der Inhalt des Interviews vertraulich zu behandeln ist und zuletzt ist der Mitarbeiter darauf hinzuweisen, dass alles, was er sagt, in künftigen Prozessen 307 Vgl. Pollard/David/Proudlock, GIR 2016, S. 1 (6); Day/Hodges, in: Seddon u. a. (Hrsg.), Global Investigations, S. 115 ff. 308 Pollard/David/Proudlock, GIR 2016, S. 1 (6). 309 Pollard/David/Proudlock, GIR 2016, S. 1 (6) m.w.N. 310 Zum Ganzen Pollard/David/Proudlock, GIR 2016, S. 1 (6); zu den Mitarbeiterrechten Carlton/Ganatra/Murphy, in: Seddon u. a. (Hrsg.), Global Investigations, S. 231 ff. 311 Vgl. nur R v Twaites and Brown [1991] 92 Cr App R 106 CA. 312 Abrufbar unter https://globalinvestigationsreview.com/insight/the-european-middle-east ern-and-african-investigations-review-2016/1035887/united-kingdom-handling-internal-investi gations m.w.N. zuletzt abgerufen am 09. 11. 2020.

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7. Kap.: Sonderfragen eines Verbandssanktionsverfahrens

verwendet werden kann.313 Dies stellt ein vergleichbares Vorgehen dar, wie bei den bereits zuvor erwähnten „Upjohn warnings“ in den USA. Unklar hinsichtlich der rechtlichen Einordnung scheint die Situation hingegen, wenn die staatlichen Ermittlungsbehörden schon in die internen Ermittlungen involviert waren und die Interviews als Weg der Berichtssicherung Verdächtiger hinnehmen, wenngleich dieser Fall offenbar seine praktische Bedeutung einbüßt, da die Ermittlungsbehörden in England (insbesondere das SFO314) in den letzten Jahren zunehmend das Risiko der sogenannten „evidence contamination“315 sahen. Hiermit ist das Risiko fälschlicher Angaben im Interviewprozess gemeint, welches sowohl vorsätzlich als auch unvorsätzlich falsche Angaben umfasst. Aufgrund dessen wird es als nicht unwahrscheinlich erachtet, dass das SFO zunehmend Beschränkungen oder sogar die Verhinderung des Interviewprozesses im Rahmen der internen Ermittlungen insgesamt anstrebt und eine Beschränkung der bekanntgegebenen Informationen in den Interviews erwirken möchte.316 In England wird der Standpunkt vertreten, dass die Kooperation in den Mitarbeiterinterviews eine aus dem Arbeitsverhältnis resultierende Pflicht sei.317 Demzufolge komme dem Mitarbeiter eine Mitwirkungspflicht im Interview zu, auch wenn er sich dadurch selbst belasten muss, da die strafrechtliche Selbstbelastungsfreiheit nur im staatlichen Strafverfahren anerkannt ist.318 Indes kann der Arbeitgeber den Mitarbeiter nicht dazu zwingen, sich im Interview selbst zu belasten, aber bei der Verweigerung der Kooperation aufgrund von befürchteter strafrechtlicher Selbstbelastung arbeitsrechtliche Konsequenzen ziehen.319 Unternehmen wird darüber hinaus geraten, sofern die Strafbarkeit eines Mitarbeiters im Raume steht, diesen dazu zu motivieren, sich einen (eigenen, von dem Unternehmen unabhängigen) Rechtsbeistand zu suchen, mit welchem er die Situation besprechen (beispielsweise das „für“ und „wider“ einer Kooperation) und Unterlagen durchsprechen kann.320 Dafür soll das Unternehmen Listen mit unab-

313 Zum Ganzen Ludlam/Garfield, in: Spehl/Gruetzner (Hrsg.), Corporate Internal Investigations, S. 122. 314 Vgl. Ludlam/Garfield, in: Spehl/Gruetzner (Hrsg.), Corporate Internal Investigations, S. 112 f. zu weiteren Ermittlungsbehörden in England. 315 Pollard/David/Proudlock, GIR 2016, S. 1 (6). 316 Pollard/David/Proudlock, GIR 2016, S. 1 (6). 317 Vgl. Pollard/David/Proudlock, GIR 2016, S. 1 (7); Ludlam/Garfield, in: Spehl/ Gruetzner (Hrsg.), Corporate Internal Investigations, S. 123. 318 Ludlam/Garfield, in: Spehl/Gruetzner (Hrsg.), Corporate Internal Investigations, S. 123. 319 Vgl. zum Ganzen und insbesondere zu den Sanktionen, die gegen Mitarbeiter verhängt werden können, welche nicht kooperieren Ludlam/Garfield, in: Spehl/Gruetzner (Hrsg.), Corporate Internal Investigations, S. 124, 126 ff. 320 Vgl. Pollard/David/Proudlock, GIR 2016, S. 1 (7); zum Rechtsbeistand des Mitarbeiters während eines Interviews auch Ludlam/Garfield, in: Spehl/Gruetzner (Hrsg.), Corporate Internal Investigations, S. 124 f.

A. Internal Investigations

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hängigen Rechtsbeiständen bereithalten.321 Ein solches Vorgehen wird als Vorteil für die Unternehmen verstanden, da Informationen, welche ein durch einen Rechtsbeistand beratender Mitarbeiter in einem Interview im Rahmen von Internal Investigations preisgibt, wesentlich verlässlicher seien als Informationen von einem nicht rechtlich beratenden Mitarbeiter.322 Hierbei sollen jedoch die Kosten, die sich aus einem selbst gewählten Rechtsbeistand für den Mitarbeiter ergeben können, bedacht werden.323 bb) Das Anwalts- und Beratungsgeheimnis Ein weiterer Problemkreis, der im Zusammenhang mit den Interviews zu Schwierigkeiten führt, lässt sich auch in England ausfindig machen.324 Er betrifft die Frage, ob bzw. wann Aufzeichnungen von Interviews unter das Beratungs- bzw. Verhandlungsprivileg zwischen Unternehmen und Anwalt fallen.325 Dazu heißt es unter anderem in der Literatur: „The interview scenario is clearly not one to which legal advice privilege will apply, therefore a company may be forced to rely on litigation privilege in relation to these documents.“326 Demzufolge fallen die Interviewaufzeichnungen mit Mitarbeitern jedenfalls nicht automatisch unter das „legal

321

So Pollard/David/Proudlock, GIR 2016, S. 1 (7). So Pollard/David/Proudlock, GIR 2016, S. 1 (7). 323 Vgl. Pollard/David/Proudlock, GIR 2016, S. 1 (7). 324 Zum „legal profession privilege“ grundlegend Ormerod/Perry, Blackstone’s Criminal Practice, F10.16 ff.; Rauxloh, StV 2019, 706 passim; das sogenannte „legal profession privilege“ besteht aus dem „legal advice privilege“ und dem „litigation privilege“. Siehe https:// www.cilex.org.uk/membership/practice_advice/legal_professional_privilege_lpp/what_is_le gal_professional_privilege zuletzt abgerufen am 09. 11. 2020; Ludlam/Garfield, in: Spehl/ Gruetzner (Hrsg.), Corporate Internal Investigations, S. 129; Armbrüster/Wächter, NJW 2019, 1412; zur Bedeutung des Anwalts- und Beratungsprivilegs in England Sheeley/Jones, The Law Society 2019, passim, abrufbar unter https://communities.lawsociety.org.uk/may-2019/thelong-read-privilege-in-a-post-enrc-world/5067532.article zuletzt abgerufen am 09. 11. 2020; dazu auch bei Schubert, Legal privilege und Nemo tenetur im europäischen Kartellermittlungsverfahren, S. 185 ff.; Thanki/Oppenheimer/Loveridge, in: Seddon u. a. (Hrsg.), Global Investigations, S. 581 ff. 325 Historischer Überblick zum Beratungs- und Anwaltsgeheimnis bei Rauxloh, StV 2019, 706 f.; siehe zur „Waiver“-Problematik in Großbritannien Nietsch, CCZ 2019, 49 (56); der Report einer internen Untersuchung darf hingegen von der Staatsanwaltschaft verwertet werden, wenn er im Rahmen des Abschlusses eines letztlich gescheiterten DPAs den Behörden offengelegt wurde. Siehe dazu Part 4.6 (ii). Deferred Prosecution Agreement Code of Practice; zu den unterschiedlichen Privilegien in England Ludlam/Garfield, in: Spehl/Gruetzner (Hrsg.), Corporate Internal Investigations, S. 129. 326 Pollard/David/Proudlock, GIR 2016, S. 1 (7); so auch Ormerod/Perry, Blackstone’s Criminal Practice, F10.19 unter Verweis auf RBS Rights Issue Litigation [2017] 1 WLR 1991 Rn. 79 ff., und Director of SFO v Eurasian Natural Resources Corporation. Ltd. [2018] EWCA Civ 2006, Rn. 85 ff. 322

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7. Kap.: Sonderfragen eines Verbandssanktionsverfahrens

adivce privilege“ (Beratungsprivileg).327 Greift das sogenannte „legal advice privilege“ nicht ein, kann (muss aber nicht zwingend328) das „litigation privilege“329 (Verhandlungsprivileg) für die Dokumente bzw. Aufzeichnungen von Interviews aus Internal Investigations in Betracht kommen, wenn diese mit dem Hauptzweck eines potentiellen Zivil- oder Strafprozesses geführt und erstellt wurden, auch wenn zum Zeitpunkt der Interviewführung noch nicht feststeht, ob der Rechtsstreit zivilrechtlicher oder strafrechtlicher Art sein wird.330 Die Abgrenzung beider Privilegien und die potentielle Anwendung auf Dokumente interner Untersuchungen bedürfen im Folgenden einer näheren Erörterung: Das „legal advice privilege“331 schützt nach der derzeitig herrschenden Rechtsprechung in England (nur) die vertrauliche Kommunikation zwischen Mandant und Verteidiger, die mit der Absicht der rechtlichen Beratung angefertigt wurde (unabhängig davon, ob sich das Material auf einen anhängigen oder zu erwartenden Prozess bezieht).332 Dazu wird festgehalten: „(a): Legal advice privilege protects a confidental communication made between a client and his professional legal advisor that is made for the purpose of seeking and giving legal advice or related legal assistance, irrespective of whether or not the material relates to pending or anticipated litigation.“333 Wesentlich, da letztlich beschränkend hinsichtlich des Privileges, dürfte das Merkmal „Mandant“ sein.334 Aus diesem Grund ist zu fragen, wer in England von der Rechtsprechung als „Mandant“ anerkannt wird bzw. dies muss genau festgelegt werden. Zunächst ist feststehend, dass sich ein Unternehmen in England von natürlichen Personen vertreten lassen muss, um handeln zu können, weshalb die Bestimmung der natürlichen Personen von zentraler Bedeutung ist, da es diese natür327 Vgl. dazu Sprenger, Deferred Prosecution Agreements, Rn. 12.65; zum legal advice privilege auch Wheeler v Le Marchant [1881] 17 Ch D 675. 328 Siehe zu den Abwägungsfaktoren, wann ein Mitarbeiterinterview Gegenstand des Litigation Privilege sein kann, Sprenger, Deferred Prosecutions Agreements, Rn. 12.67. 329 Ormerod/Perry, Blackstone’s Criminal Practice, F10.22 ff. 330 Sprenger, Deferred Prosecution Agreements, Rn. 12.65; ähnlich bei Pollard/David/ Proudlock, GIR 2016, S. 1 (4); zu der Terminologie und Unterscheidung beider Privilegien vgl. Rauxloh, StV 2019, 706 (707): Legal Advice Privilege (Beratungsprivileg) und Legal Litigation Privilege (Verhandlungsprivileg). 331 Ausführlich Ormerod/Perry, Blackstone’s Criminal Practice, F10.19 ff.; Ludlam/Garfield, in: Spehl/Gruetzner (Hrsg.), Corporate Internal Investigations, S. 129 f. 332 So bei Sprenger, Deferred Prosecution Agreements, Rn. 12.17 m.w.N.; vgl. auch Three Rivers District Council v The Governor and Company of the Bank of England [2004] UKHL 48, Rn. 10; Director of SFO v Eurasian Natural Resources Corporation Ltd. [2018] EWCA Civ 2006, Rn. 2; Ormerod/Perry, Blackstone’s Criminal Practice, F10.19; Ludlam/Garfield, in: Spehl/Gruetzner (Hrsg.), Corporate Internal Investigations, S. 130; siehe zum Legal Advice Privilege und zum Litigation Privilege auch Nietsch, CCZ 2019, 49 (56 f.). 333 So abgedruckt bei Sprenger, Deferred Prosecution Agreements, Rn. 12.17 m.w.N. 334 Siehe Ludlam/Garfield, in: Spehl/Gruetzner (Hrsg.), Corporate Internal Investigations, S. 110.

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lichen Personen sind, die das Unternehmen als Mandanten vertreten.335 Nach der vorherrschenden Rechtsprechung sind Mandanten nur die Personen im Unternehmen, die sich auch rechtlich beraten lassen dürfen, ergo befugt sind, Rechtsbeistand einzuholen.336 Hierzu zählt beispielsweise der Vorstand des Unternehmens, regelmäßig wohl aber nicht die Mitarbeiter des Unternehmens im Allgemeinen (welche beispielsweise auch im Rahmen von Internal Investigations befragt werden), wenngleich darauf hingewiesen wird, dass immer gerichtlich geprüft werden müsse, ob der „Firmenvorstand seine Befugnis, Rechtsbeistand einzuholen, an diese Personen weitergeleitet hat“.337 Hierbei wird deutlich, dass oftmals eine Prüfung des konkreten Einzelfalls das Zünglein an der Waage sein wird.338 Mit der Entscheidung Director of SFO v Eurasian Natural Resources Corporation Ltd., in der der Court of Appeal den sehr restriktiven Mandantenbegriff kritisierte,339 betrat es in mehrfacher Hinsicht Neuland, wie Rauxloh zutreffend feststellt, da der Court of Appeal grundsätzlich an seine früher beschlossenen Entscheidungen (in dem Fall also an der Three-River-Entscheidung (No 5)340) gebunden ist und sich durch diese Entscheidung explizit von seiner früheren Leitentscheidung entfernte, wenngleich ebenfalls festgestellt wurde, dass eine Aufhebungskompetenz der frü-

335 Kay/Sime/French, Blackstone’s Civil Practice, Chap. 48.45; zum Ganzen Rauxloh, StV 2019, 706 (708); Armbrüster/Wächter, NJW 2019, 1412 (1413). 336 Three Rivers District Council v The Governor and Company of the Bank of England (No 5) [2003] EWCA Civ 474; [2003] QB 1556; so auch abgedruckt bei Rauxloh, StV 2019, 706 (707 f.); ähnlich bei Ormerod/Perry, Blackstone’s Criminal Practice, F10.19 m.w.N.; Ludlam/Garfield, in: Spehl/Gruetzner (Hrsg.), Corporate Internal Investigations, S. 129; krit. zu diesem engen Mandantenbegriff Director of SFO v Eurasian Natural Resources Corporation Ltd. [2018] EWCA Civ 2006 Rn. 127. 337 Rauxloh, StV 2019, 706 (707 f.) m.w.N. 338 Siehe zu zwei Gerichtsentscheidungen, in denen das Gericht entschied, dass beispielsweise auch die Mitarbeiter von dem Privileg erfasst seien, Rauxloh, StV 2019, 706 (708) unter Verweis auf die Fälle AB v Ministry of Justice, [2014] EWHC 1847 (QB) und Menon v Herefordshire Council [2015] EWHC 2165 (QB), [2015] A.C.D. 144, § H8. 339 Director of SFO v Eurasian Natural Resources Corporation Ltd. [2018] EWCA Civ 2006 Rn. 127: „If legal advice privilege is confined to communications passing between the lawyer and the ,client‘ (in the sense of instructing individual or those employees of a company authorised to seek and receive legal advice on its behalf), this presents no problem for individuals and many small businesses (…). In the modern world, however, we have to cater for legal advice sought by large national corporations and indeed multinational ones. In such cases, the information upon which legal advice is sought is unlikely to be in the hands of the main board or those it appoints to seek and receive legal advice. If a multi-national corporation cannot ask its lawyers to obtain the information it needs to advise that corporation from the corporation’s employees with relevant first-hand knowledge under the protection of legal advice privilege, that corporation will be in a less advantageous position than a smaller entity seeking such advice. In our view, at least, whatever the rule is, it should be equally applicable to all clients, whatever their size or reach.“. 340 Three Rivers District Council v The Governor and Company of the Bank of England (No 5) [2003] EWCA Civ 474; [2003] QB 1556.

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heren Entscheidung allein beim Supreme Court läge.341 Ob die Entscheidung jedoch vom Supreme Court aufgehoben wird, kann zum jetzigen Zeitpunkt nicht prognostiziert werden.342 Auf das Wesentliche konzentriert, kann festgehalten werden, dass insbesondere Interview-Aufzeichnungen in bestimmten (Ausnahme-)Fallkonstellationen unter das „legal adivce privilege“ (Beratungsprivileg) fallen können, aber (derzeit) keinesfalls regelmäßig fallen werden, sodass nicht auf einen Automatismus geschlossen werden kann. Vom „litigation privilege“ (Verhandlungsprivileg) ist die vertrauliche Kommunikation des Mandanten oder seines Verteidigers mit einem Dritten (wie zum Beispiel einem Sachverständigen) erfasst, die beispielsweise zu dem Zweck bzw. in Verbindung mit einem aktuellen, anhängigen Rechtsstreit oder, wenn ein Rechtsstreit in Erwägung gezogen wird, erfolgt ist, weshalb dieses Privileg extensiver ist als das „legal advice privilege“.343 Zum „litigation privilege“ heißt es: „Litigation privilege protects confidential communications made between either the client or his legal advisor and a third party such as an expert or factual witness, in situations where the communication comes into existence for the dominant purpose of being used in connection with actual, pending or contemplated litigation.“344 Damit das Verhandlungsprivileg greift, müssen gemeinhin drei Voraussetzungen gegeben sein: Es muss ein konkreter Rechtsstreit erwartet werden, es muss sich um Dokumente handeln, die mit der hauptsächlichen (aber nicht ausschließlichen) Absicht der Verwendung für diesen Rechtsstreit erstellt wurden und es muss sich um einen kontradiktorischen Rechtsstreit handeln.345 In dem oben genannten Fall Director of SFO v Eurasian Natural Resources Corporation Ltd., den der Court of Appeal im Jahr 2018 entschieden hat, wurden diese Voraussetzungen für unterschiedliche Dokumente aus internen Untersuchungen (Notizen von Mitarbeiterinterviews; von Wirtschaftsprüfern erstellte Dokumente; Präsentationen für den Unternehmensvorstand und Kommunikation der Führungskräfte) bejaht, wenngleich die Vorinstanz (High Court) diesen Fall anders entschieden hat und den Schutzbereich des Verhandlungsprivilegs nur für die Dokumente hinsichtlich der Präsentation für den Unternehmensvorstand als eröffnet ansah, für alle anderen Dokumente jedoch den Schutz des Verhandlungsprivilegs aufgrund der Negierung einer der drei (oben genannten Voraussetzungen) ablehn-

341

Siehe Rauxloh, StV 2019, 706 (708 f.) m.w.N. Vgl. Rauxloh, StV 2019, 706 (709). 343 Grundlegend Ormerod/Perry, Blackstone’s Criminal Practice, F10.22 ff.; Ludlam/ Garfield, in: Spehl/Gruetzner (Hrsg.), Corporate Internal Investigations, S. 132. 344 So abgedruckt bei Sprenger, Deferred Prosecution Agreements, Rn. 12.17 m.w.N. 345 Vgl. nur Three Rivers District Council v The Governor and Company of the Bank of England (No 6) [2005] 1 A.C. 610 (675); so bei Rauxloh, StV 2019, 706 (709 f.) m.w.N.; ähnlich Ormerod/Perry, Blackstone’s Criminal Practice, F10.23. 342

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te.346 Aus diesem Grund lohnt ein Blick auf die Begründungslinie bei der Feststellung der oben genannten Voraussetzungen in dieser (letztlich wohl doch für die Zukunft nicht unerheblich richtungsweisenden) Entscheidung in England: Hinsichtlich der ersten Voraussetzung, der Erwartung eines Rechtsstreits, stellt das Gericht fest, dass diese spätestens zu dem Zeitpunkt gegeben war, als das SFO dem Unternehmen (welches durch einen Hinweisgeber auf mögliche Straftaten innerhalb des Unternehmens aufmerksam wurde und aufgrund dessen eine interne Untersuchung anstrengte) nahelegte, die SFO-Selbstanzeigerichtlinien nicht außer Acht zu lassen, auch wenn seitens des SFO noch keine Strafverfolgung erfolgte.347 Hier sah das Gericht die Erwartung der Strafverfolgung spätestens als gegeben an und schloss daraus auch auf die Bejahung der Erwartung eines Strafverfahrens. Maßgeblich sei hier die Sichtweise des Unternehmens, nicht die der Ermittlungsbehörden.348 Die zweite Voraussetzung besteht darin, dass die Dokumente in der Absicht der hauptsächlichen Verwendung in dem zu erwartenden Rechtsstreit erstellt wurden. Hierfür hielt das Gericht unter anderem fest, dass die Verwendungsabsicht zwar das Hauptmotiv der Erstellung sein muss, dies aber nicht ausschließt, dass auch andere Motive vorliegen können (was häufig bei Dokumenten von Internal Investigations der Fall sein wird).349 Die letzte Voraussetzung ist, dass die Dokumente in Erwartung eines kontradiktorischen Prozesses erstellt worden sein müssen, was vom Court of Appeal mit der Begründung bejaht wurde, dass es sich bei dem zu erwartenden Verfahren um ein Strafverfahren handeln würde, da das SFO die Option der Strafverfolgung offenkundig in Erwägung zog.350 d) Zwischenfazit In England haben Internal Investigations ebenfalls keinen Orchideenstatus inne. Vielmehr zeigen sich auch dort die Problemkreise der Qualifizierungen der Untersuchungen als private oder staatliche Maßnahme im Zusammenhang mit den Mitarbeiterinterviews sowie die Frage, ob und wenn, ja unter welchen Voraussetzungen Unterlagen vom Anwaltsgeheimnis erfasst sein können. Summa summarum lässt sich sagen, dass interne Ermittlungen in England grundsätzlich privater Natur sind und deshalb keine strafprozessualen Garantien für Mitarbeiter in den Interviews Anwendung finden, wenngleich von einer Aussagepflicht der Mitarbeiter in den 346 Director of SFO v Eurasian Natural Resources Corporation Ltd. [2018] EWCA Civ 2006, Rn. 111 ff., 120 ff.; Director of SFO v Eurasian Natural Resources Corporation Ltd. [2017] 1 W.L.R 4205; siehe zum Ganzen, vor allem auch zu Argumentationsmustern und der Entscheidung der Vorinstanz in diesem Fall Rauxloh, StV 2019, 706 (709). 347 So abgedruckt bei Rauxloh, StV 2019, 706 (710). 348 So abgedruckt bei Rauxloh, StV 2019, 706 (710). 349 Ausführlich dazu Rauxloh, StV 2019, 706 (710) m.w.N. 350 Director of SFO v Eurasian Natural Resources Corporation Ltd. [2018] EWCA Civ 2006, Rn. 96; so auch Rauxloh, StV 2019, 706 (711) m.w.N.

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7. Kap.: Sonderfragen eines Verbandssanktionsverfahrens

Interviews ausgegangen wird, die jedoch nicht soweit reicht, dass Mitarbeiter unmittelbar gezwungen werden dürfen, sich selbst strafrechtlich belasten zu müssen. Ähnlich wie in den USA hinsichtlich der sogenannten „upjohn warnings“ müssen Mitarbeiter im Vorhinein darauf hingewiesen werden, wenn die Interviews von Personen durchgeführt werden, die engagiert wurden, um Straftaten aufzudecken. Geht es um die rechtliche Bedeutung, können interne Ermittlungen im Rahmen von DPA eine nicht zu unterschätzende Rolle spielen, was beispielsweise im Fall „RollsRoyce“ deutlich zutage trat. Hinsichtlich des Schutzes von Unterlagen aus internen Ermittlungen, wie beispielsweise Interview-Protokollen, können diese vom Beratungs- oder Verhandlungsprivileg geschützt sein, müssen es aber keineswegs, sodass es hauptsächlich am Unternehmen selbst liegt, diesen Schutz durch ausreichende Maßnahmen herbeizuführen. Dies kann ebenfalls als nicht lückenloser Schutz kategorisiert werden. Jedoch lassen sich auch in England ernstzunehmende Tendenzen erkennen, dass der Schutz von Unternehmen in dieser Hinsicht in der Zukunft erweitert wird. 3. Österreich a) Ausgangssituation Auch in Österreich haben unternehmensinterne Ermittlungen, vor allem seit der Einführung des östVbVG, mehr an Bedeutung gewonnen.351 Ähnlich wie in Deutschland ist es in Österreich Usus, dass diese entweder behördlichen Ermittlungen vorangehen oder parallel dazu vorgenommen werden. Hinsichtlich der Durchführung können sowohl interne als auch externe Prüfer involviert werden.352 Es wird dabei als Hauptaufgabe der internen Untersuchungen angesehen „(i) die bestehenden Missstände, so schonend wie möglich (die mediale Aufmerksamkeit betreffend), dennoch aber vollumfassend, aufzuarbeiten, (ii) diese festgestellten Malversationen sodann den strafrechtlichen Ermittlungsbehörden zur Kenntnis zu bringen sowie (iii) daraus die allfälligen Konsequenzen für die Zukunft zu ziehen, sodass der Strafverfolgungsbehörde (vgl. dazu § 18 VbVG), aber auch den Eigentümern (Aktionären) sowie der Öffentlichkeit ausreichend kommuniziert wird, dass in Hinkunft derartige Missstände (die sehr oft den Ruf des Unternehmens ganz nachhaltig beschädigt haben) bestmöglich verhindert und keinesfalls geduldet werden“.353 In Österreich scheint es teilweise bereits als originäre Hauptaufgabe der

351 Siehe zum Verhältnis von Internal Investigations und Compliance in Österreich Dangl, Unternehmensinterne Untersuchungen, S. 12 f.; vgl. zum Diskussionsstand Madl, in: Kert/ Kodek (Hrsg.), Handbuch Wirtschaftsstrafrecht, Rn. 22.1. ff.; überblicksartig Schima, DRdA 2014, 197 (207 ff.). 352 Vgl. zur genauen Vorgehensweise bei internen Untersuchungen in Österreich Wess, östAnwbl. 2013, 223 ff. 353 Wess, östAnwbl. 2013, 223 (224).

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internen Untersuchungen angesehen zu werden, dass die aufgearbeiteten strafrechtlichen Verstöße den Ermittlungsbehörden zur Verfügung gestellt werden.354 Soweit ersichtlich, haben die internen Ermittlungen begrifflich, hinsichtlich einer Legaldefinition, keinen spezifischen Eingang in das Verbandsverantwortlichkeitsgesetz gefunden.355 So rekurriert beispielsweise Wess356 bei einer Definition nicht auf das östVbVG, sondern auf ein Handbuch zur Wirtschaftskriminalität: „Sonderuntersuchungen sind investigative Untersuchungen an der Nahtstelle des Unternehmens zur Öffentlichkeit, insbesondere Strafverfolgungsbehörden. Auch wenn seitens des Unternehmens Maßnahmen nach außen (z. B. Anzeigen) (noch) gar nicht angedacht sind, muss die Sonderuntersuchung jedenfalls so abgewickelt werden, dass eine inhaltliche Präsentation und Prüfung von außen jederzeit für möglich erachtet wird und auch risikolos erfolgen kann, da die Qualität gewährleistet ist.“357 b) (Rechtliche) Bedeutung von Internal Investigations Grundsätzlich können interne Untersuchungen eines Unternehmens in Österreich rechtliche Berücksichtigung finden. So besteht die Möglichkeit, dass Unternehmen im Rahmen des östVbVG Straffreiheit bzw. eine Diversion oder eine Strafmilderung erlangen (§§ 18 und 19 östVbVG).358 Hierfür muss das Unternehmen allerdings beispielsweise an der Aufklärung des strafrechtlichen Sachverhalts mitwirken.359 Die Mitwirkung kann dabei unter anderem durch interne Untersuchungen verwirklicht werden, da letztere dazu dienen, einen potentiell strafrechtlichen Verstoß aufzuklären und -arbeiten, und regelmäßig nach der Tat durchgeführt werden, sodass es sich hierbei um eine Komponente des Verhaltens des Verbandes nach der Tat handelt (beispielsweise ein Kriterium in § 18 östVbVG).360 Darüber hinaus kann das Unternehmen sodann mit den Behörden kooperieren und die Ergebnisse der internen Ermittlung zur Verfügung stellen.361 Eine Kooperation des Unternehmens bei der Aufklärung des in Frage stehenden Sachverhaltes hat aber (so scheint es jedenfalls) nicht zwingend eine Einstellung des Verfahrens zur Folge, da es sich hierbei um eine 354

Zu diesem Aspekt Staffler, ZWF 2018, 174. So auch Dangl, Unternehmensinterne Untersuchungen, S. 3 f., der infolgedessen für das begriffliche Verständnis auf das amerikanische Begriffsvermögen rekurriert: „Als Internal Investigations werden innerhalb eines Unternehmens durchgeführte Untersuchungen bezeichnet, die bei Voliegen eines Verdachts auf innerbetriebliche Gesetzes- oder sonstige Verstöße, somit anlassbezogen, vom Unternehmen selbst in Auftrag gegeben werden und dabei der systematischen Sachverhaltsaufklärung dienen.“ 356 Wess, östAnwbl. 2013, 223 (224) m.w.N. 357 Wells/Kopetzky, Wirtschaftskriminalität in Unternehmen, S. 441. 358 Vgl. beispielsweise Dangl, Unternehmensinterne Untersuchungen, S. 156. 359 So zum Ganzen Staffler, ZWF 2018, 174; weitergehend ders., JSt 2016, 500 (503); Dangl, Unternehmensinterne Untersuchungen, S. 34. 360 Vgl. Dangl, Unternehmensinterne Untersuchungen, S. 9 f., 34. 361 So bei Dangl, Unternehmensinterne Untersuchungen, S. 156. 355

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7. Kap.: Sonderfragen eines Verbandssanktionsverfahrens

Ermessensentscheidung der Staatsanwaltschaft handele (oft müsse der zuständige Staatsanwalt weitere Zustimmungen, wie zum Beispiel vom Justizminister, einholen).362 c) Problemstellungen der Internal Investigations in Österreich aa) Qualifizierung der internen Ermittlungen Ein Problem, welches ebenfalls in Österreich diskutiert wird, ist, inwiefern bei internen Ermittlungen von privaten Ermittlungen gesprochen werden kann bzw. wo die Grenze zur Verstaatlichung der Maßnahmen verläuft.363 Problematisiert wird dies beispielsweise anhand der sogenannten „Teams“ für unternehmensinterne Ermittlungen, die zwar einerseits nur aus unternehmensinternen Personen bestehen können, oftmals aber auch von Externen (wie zum Beispiel Kanzleien oder Wirtschaftsprüfern) unterstützt werden, wobei die Untersuchungen mitunter gar von diesen geleitet und für die Behörden aufbereitet werden.364 Probleme werden vor allem gesehen, wenn das „Team“, welches die internen Untersuchungen vornimmt, als Ersatz für staatsanwaltliche Ermittlungen fungiert oder diese vollständig für sich beansprucht.365 Diese Konstellation soll insbesondere relevant sein, wenn es sich um ein Ermittler-Team von staatlicher Seite handele und wenn ermittelnde Personen beider Seiten (extern: staatliche Ermittler, wie die Polizei und die Staatsanwaltschaft und die von diesen beauftragten Prüfer und interne sowie externe Prüfer des Unternehmens) zusammengebracht werden und gemeinsam gegenüber dem Unternehmen als Beschuldigten in Erscheinung treten.366 Hierbei dürfte es schwerfallen, noch von rein unternehmensinternen Ermittlungen auszugehen. Problematisch kann es in dem Kontext auch sein, wenn die staatlichen Ermittler, quasi ohne eigenständige Prüfung, die Ergebnisse der internen Untersuchungen für ihre Ermittlungen zugrunde legen.367 Auch wenn keine derartige Spezial-(bzw. Grenz-)Konstellation (wie die oben erwähnte) vorliegt, sondern vielmehr der Regelfall interner Untersuchungen gegeben ist, diese also beispielsweise parallel zu den staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen stattfinden und vom Unternehmen eigenständig in Auftrag gegeben werden, werden 362

Vgl. Sepasiar/Sackmann, Aufsichtsrataktuell 2018, 20 (21). Krit. hierzu: Wess, östAnwbl. 2013, 223 (225); insgesamt dazu auch Zerbes, in: Lewisch (Hrsg.), Wirtschaftsstrafrecht, S. 266 f.; Dangl, Unternehmensinterne Untersuchungen, S. 194 ff. 364 Vgl. zum Ganzen Wess, östAnwbl. 2013, 223, der darauf aufmerksam macht, dass für diese „Teams“ ebenfalls „Strafrechtsexperten“ zusätzlich eingesetzt werden. 365 Siehe dazu Wess, östAnwbl. 2013, 223 (224 f.); zu diesem Problemkreis auch Dangl, Unternehmensinterne Untersuchungen, S. 164 ff. 366 Siehe Wess, östAnwbl. 2013, 223 (225); insgesamt zum „outsourcing“ der Verfolgung in dieser Hinsicht Dangl, Unternehmensinterne Untersuchungen, S. 158 ff. 367 Siehe dazu mit praktischem Beispielsfall Wess, östAnwbl. 2013, 223 (225). 363

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dennoch unterschiedliche Meinungen zur Natur der Untersuchungen vertreten.368 Blickt man auf die Argumentationsstränge und Begründungen der in Österreich geführten Diskussionen, finden sich Ansätze wie insbesondere, dass die Untersuchungen im Grunde formal zwischen „Privaten“ stattfinden,369 hinter ihnen aber staatliche Interessen stehen (können) oder dass private Ermittler (möglicherweise) Aufgaben der Strafverfolgungsbehörden wahrnehmen, allerdings ohne dass strafprozessuale Grundsätze für Betroffene garantiert werden.370 Eine einheitliche Linie oder sogar eine gesetzliche Manifestierung lässt der Diskurs in Österreich, soweit ersichtlich, jedoch vermissen, wenngleich eine Lösung teilweise darüber gesucht wird, dass davon ausgegangen wird, interne Ermittlungen seien grundsätzlich zunächst privater Natur, können aber den Behörden zugerechnet371 werden, beispielsweise wenn diese ihre Ermittlungstätigkeit der Strafverfolgung just vollständig auf das Unternehmen auslagern, um so Missbräuchen der Strafverfolgungsbehörden vorzubeugen, indem diese sich Privater zur Umgehung der Regelungen der östStPO bedienen.372 bb) Mitarbeiterinterviews Ebenso wie in anderen Ländern sind die Mitarbeiterinterviews, die sogenannten „forensischen Interviews“,373 ein Kernbestandteil der internen Untersuchungen in Österreich. Aus der arbeitsrechtlichen Perspektive in Österreich ergeben sich weder nach dem Kollektiv- noch nach dem Individualarbeitsrecht Friktionen zwischen dem Recht des Arbeitgebers auf Aufklärung des Verdachts einer Straftat, der Kontrolle des Arbeitnehmers (die als wesentliches Merkmal des Arbeitsverhältnisses angesehen wird) und dem Recht des Arbeitnehmers auf Privatsphäre.374 Dies folgt daraus, dass bei der grundsätzlichen Vorgehensweise in solchen Interviews die Grenze der Rechte des Arbeitgebers, nicht ohne rechtfertigenden Grund in die Privatsphäre des Mitarbeiters einzugreifen und keine die Menschenwürde beeinträchtigenden Kon368 Beispielhaft hier Sepasiar/Sackmann, Aufsichtsrataktuell 2018, 20 (23) „Problematisch ist in diesem Zusammenhang, dass die Verfahrensvorschriften der StPO bei privaten Ermittlungstätigkeiten nicht angewendet werden müssen.“; zu diesem Topos auch Zerbes, in: Lewisch (Hrsg.), Wirtschaftsstrafrecht, S. 266 ff.; Schumann/Knierim, NZWiSt 2016, 194 (196), die vom „(privatrechtlichen) Instrument der Internal Investigations“ sprechen. 369 Vgl. statt vieler nur Dangl, Unternehmensinterne Untersuchungen, S. 32 ff. 370 Vgl. statt vieler Zerbes, in: Lewisch (Hrsg.), Wirtschaftsstrafrecht, S. 266 ff. 371 Ausführlich zur Zurechnung in dieser Hinsicht Dangl, Unternehmensinterne Untersuchungen, S. 196 ff. 372 Vgl. Dangl, Unternehmensinterne Untersuchungen, S. 158 ff., 194 ff. 373 Wess, östAnwbl. 2013, 223 (226); Kristoferitsch, in: Lewisch (Hrsg.), Wirtschaftsstrafrecht, S. 285; zu dem Topos insgesamt auch Dangl, Unternehmensinterne Untersuchungen, S. 120 ff. 374 Vgl. dazu Kristoferitsch, in: Lewisch (Hrsg.), Wirtschaftsstrafrecht, S. 282 ff.; insgesamt zum Verhältnis Arbeitgeber – Arbeitnehmer bei internen Untersuchungen Schima, DRdA 2014, 197 (208 f.).

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7. Kap.: Sonderfragen eines Verbandssanktionsverfahrens

trollmaßnahmen durchzuführen, regelmäßig nicht überschritten werden wird.375 Es drängt sich nach dieser Feststellung die Frage auf, ob Mitarbeitern im Zuge dessen auch eine Mitwirkungspflicht in den Interviews zukommt. Diesbezüglich gibt es unterschiedliche Standpunkte in Österreich: So geht eine (und so scheint es jedenfalls: die leicht vorherrschende) Ansicht zunächst davon aus, dass dem Mitarbeiter eine Mitwirkungspflicht in den Interviews bzw. eine Auskunftspflicht gegenüber seinem Arbeitgeber376 (in Folge einer Weisung, die Bestandteil der Arbeitspflicht des Arbeitsnehmers ist, und aufgrund der Treupflicht) zukäme.377 Ob er sich hierbei selbst belasten muss, wird in Österreich nicht einheitlich beurteilt, wobei sich die Befürworter einer umfassenden Auskunftspflicht offenbar in der Minderheit befinden, wenngleich diese den Konflikt des Mitarbeiters sodann auf der Verwertungsebene lösen und von einem Verwertungsverbot in einem folgenden Strafverfahren ausgehen.378 Vielmehr ist die Auffassung führend, dass der Mitarbeiter die Aussage verweigern kann, ihm also ein Aussageverweigerungsrecht bzw. die Selbstbelastungsfreiheit im Interview zukommt.379 Begründet wird dieser Ansatz unter anderem380 damit, dass sich interne Ermittlungen bereits auf ein künftiges Strafverfahren richten würden und die Garantien des Strafprozesses deshalb nicht außer Betracht gelassen werden dürften.381 Indes setzt beispielsweise Wess bereits eine Stufe zuvor an und geht davon aus, dass derartige Interviews mit Mitarbeitern schon generell nur „auf Basis der Freiwilligkeit“ geführt würden und auch oftmals „ohne Angabe von Gründen oder evidentermaßen wegen der Gefahr der Selbstbelastung seitens der betroffenen Personen abgelehnt“ würden.382 Trotz des bereits seit einigen Jahren geltenden östVbVG ist die Situation in Österreich ins375

So Kristoferitsch, in: Lewisch (Hrsg.), Wirtschaftsstrafrecht, S. 283 f. Die in Österreich ebenfalls aufgeworfene Frage, ob eine Auskunftspflicht nicht nur gegenüber dem Arbeitgeber, sondern auch gegenüber externen Ermittlerteams besteht, wird dahingehend beantwortet, dass diese grundsätzlich bejaht wird (aufgrund der Delegation des Weisungsrechts des Arbeitgebers), wenn die externen Ermittler vom Arbeitgeber beauftragt wurden. So bei Dangl, Unternehmensinterne Untersuchungen, S. 145 f. 377 So zum Beispiel bei Staffler, ZWF 2018, 174 (176); Kristoferitsch, in: Lewisch (Hrsg.), Wirtschaftsstrafrecht, S. 284 f.; ausführlich Dangl, Unternehmensinterne Untersuchungen, S. 121 ff.; a.A. Wess, östAnwbl. 2013, 223 (226 f.). 378 Angeführt auch bei Dangl, Unternehmensinterne Untersuchungen, S. 126 f.; siehe zum Streitstand auch bei Staffler, ZWF 2018, 174 (176) m.w.N.; für die Selbstbelastungsfreiheit in Interviews zum Beispiel Zerbes, in: Lewisch (Hrsg.), Wirtschaftsstrafrecht, S. 271; überblicksartig bei Schumann/Knierim, NZWiSt 2016, 194 (199). 379 Vgl. Kristoferitsch, in: Lewisch (Hrsg.), Wirtschaftsstrafrecht, S. 284 f.; zum Ganzen Staffler, ZWF 2018, 174 (177) m.w.N.; so im Ergebnis den Zwang zur Selbstbezichtigung verneinend auch Sepasiar/Sackmann, Aufsichtsrataktuell 2018, 20 (23); diff. Dangl, Unternehmensinterne Untersuchungen, S. 126 m.w.N., 143 ff. 380 Es lassen sich hierfür unterschiedliche Begründungsansätze finden. Vgl. im Überblick zu den Begründungsansätzen Dangl, Unternehmensinterne Untersuchungen, S. 126 ff. m.w.N. 381 Vgl. Staffler, ZWF 2018, 174 (177). 382 Wess, östAnwbl. 2013, 223 (226 f.). 376

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gesamt bezüglich dieses Problems also immer noch von Uneinheitlichkeit geprägt, wenngleich sich bestimmte Hauptstränge an Meinungen erkennen lassen. cc) Das Anwalts- und Beratungsgeheimnis Grundsätzlich soll das Anwaltsprivileg in Österreich die Kommunikation zwischen einer (natürlichen oder juristischen) Person und einem Anwalt schützen und es soll nicht davon abhängig sein, ob bereits ein Strafverfahren anhängig ist.383 Gesetzlich niedergelegt ist das Privileg in § 157 Abs. 1 Z 2 östStPO, nach dem Verteidiger, Rechtsanwälte, Patentanwälte, Verfahrensanwälte in Untersuchungsausschüssen des Nationalrats, Notare und Wirtschaftstreuhänder ein Aussageverweigerungsrecht über Informationen haben, von denen sie in ihrer beruflichen Eigenschaft Kenntnis erlangt haben. Dieser Schutz greift ein, sofern eine Vollmacht zur Verteidigung erteilt war, als der Verteidiger die Informationen erhalten hat.384 Der Schutzbereich umfasst dabei alle Informationen, die der Verteidigung mitgeteilt werden.385 Nach § 157 Abs. 2 östStPO darf dieses Recht nicht umgangen werden (§ 144 Abs. 2 östStPO), insbesondere nicht durch Sicherstellung und Beschlagnahme von Unterlagen oder von auf Datenträgern gespeicherten Informationen.386 Wird es dennoch umgangen und werden derartige Beweise sogar im Urteil verwertet, wäre die Nichtigkeit des Urteils die Folge (§ 281 Abs. 1 Z 3 östStPO).387 Hintergrund der Regelung des § 157 Abs. 2 östStPO ist der Schutz des Verhältnisses von Verteidiger und Mandant. Letzterer soll nicht die Befürchtung haben, durch Informationen, die er seinem Verteidiger anvertraut, ein Beweismittel gegen sich selbst zu schaffen.388 Eine wesentliche Änderung erfuhr das österreichische Recht an der Stelle durch die Neuerung des (oben bereits genannten) § 157 Abs. 2 östStPO im Rahmen des Strafprozessrechtsänderungsgesetz I 2016,389 da ein Umgehungsverbot dieses Grundsatzes (beispielsweise, wenn derartige Dokumente durch Umgehung erlangt werden, dürfen sie nicht in einem Strafverfahren gegen den Beschuldigten verwertet werden) sich seit dieser Änderung auch auf Dokumente etc. erstreckt, die sich bei dem Beschuldigten oder anderen Mitbeschuldigten (und nicht nur, wie nach alter Rechtslage, im Gewahrsam der Verteidigung)390 befinden.391 Da dem Verband in 383

Vgl. Stuefer, JSt 2011, 134. Vgl. zum Ganzen Stuefer, JSt 2011, 134 (138). 385 Vgl. Stuefer, JSt 2011, 134 (138). 386 Vgl. dazu auch Sepasiar/Sackmann, Aufsichtsrataktuell 2018, 20 (22); Stuefer, JSt 2011, 134 (139). 387 So Stuefer, JSt 2011, 134 (139) m.w.N. 388 Zum Ganzen Dangl, Unternehmensinterne Untersuchungen, S. 168 m.w.N. 389 ÖstBGBl I 26/2016, S. 5. 390 Zur alten Rechtslage noch Stuefer, JSt 2011, 134 (139). 391 Zu diesem Aspekt auch bei Sepasiar/Sackmann, Aufsichtsrataktuell 2018, 20 (22). 384

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Österreich gemäß § 13 Abs. 1 östVbVG die Rechte eines Beschuldigten zukommen, gilt dieses Recht ebenfalls für beschuldigte Verbände.392 Voraussetzung dieser Schutzgewährung ist zum einen, dass die Informationen (darunter fallen auch Unterlagen und Gegenstände) in beruflicher Eigenschaft erlangt wurden, will sagen: in Eigenschaft einer Rechtsberatung, -vertretung oder -verteidigung.393 Zum anderen sind nur neue und keine bereits existenten Beweismittel erfasst bzw. geschützt. Ein Beispiel für bereits existente und daher nicht geschützte Beweismittel sind Unterlagen und Gegenstände, die nur zur Verwahrung beim Anwalt vom Mandanten hinterlegt sind.394 Übertragen auf den Kontext der internen Untersuchungen in Österreich, die von einem Externen395 (beispielsweise Anwalt) durchgeführt werden, muss herausgestellt werden, ob zunächst die erste der Voraussetzungen gegeben ist. Es wird allgemein davon ausgegangen, dass es sich bei der Durchführung von internen Untersuchungen um eine Informationsgewinnung in beruflicher Eigenschaft des Rechtsanwalts zur Erfüllung seines Mandats handelt.396 Wird nun auf die Interviews der Mitarbeiter rekurriert, sind letztere zwar anders als das Unternehmen nicht Mandanten des Verteidigers. Dennoch ist anerkannt, dass auch diese den Schutz vor einer behördlichen Beschlagnahme genießen, da maßgeblich nur sei, dass der Rechtsanwalt die Informationen im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit (also seines Mandats) erhoben habe.397 Als weitere Voraussetzung müsste es sich bei den Aufzeichnungen interner Untersuchungen um neue, nicht bereits existente Beweismittel handeln. Für die Durchführung von internen Untersuchungen werden regelmäßig bereits vorhandene Dokumente und Unterlagen ausgewertet (sogenannte „alte Beweismittel“).398 Diese Geschäftsunterlagen sind nicht erst durch den Anwalt entstanden, weshalb davon auszugehen ist, dass eine Sicherstellung und Verwertung von diesen bereits bestehenden (und für sich genommen keinen neuen Beweiswert habenden) Geschäftsunterlagen eines Unternehmens in Österreich möglich ist.399 In die Kategorie der neuen Beweismittel sind solche zu fassen, die erst durch die Aufarbeitung der bereits vorhandenen Informationen bzw. den Austausch zwischen

392

So auch ausdrücklich ErläutRV 1058 BlgNr. 25. GP 10. Vgl. zum Ganzen Dangl, Unternehmensinterne Untersuchungen, S. 169 m.w.N. 394 Vgl. Sepasiar/Sackmann, Aufsichtsrataktuell 2018, 20 (22) m.w.N.; Dangl, Unternehmensinterne Untersuchungen, S. 169. 395 Siehe zum Fall der reinen internen Untersuchung in Österreich Dangl, Unternehmensinterne Untersuchungen, S. 180 ff. 396 Statt vieler Dangl, Unternehmensinterne Untersuchungen, S. 171. 397 So bei Dangl, Unternehmensinterne Untersuchungen, S. 172. 398 Zu dieser Differenzierung Sepasiar/Sackmann, Aufsichtsrataktuell 2018, 20 (22). 399 Vgl. Sepasiar/Sackmann, Aufsichtsrataktuell 2018, 20 (22). 393

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Mandant und Rechtsanwalt aufgrund einer Er-/ oder Aufarbeitung entstanden sind.400 Dies dürfte insbesondere auf Aufzeichnungen von Interviews im Rahmen von internen Ermittlungen, wie beispielsweise auch von Interviews mit den Mitarbeitern, zutreffen, da und wenn diese regelmäßig erst als „neue Beweismittel“ durch den Anwalt erstellt werden.401 Erwähnenswert ist zudem, dass es für Informationen, welche dem genannten Schutz unterfallen, nach dem oben Gesagten unerheblich ist, wo sie sich befinden, ob beispielsweise beim Rechtsanwalt oder beim Mandanten (wenn dieser Beschuldigter ist).402 Der Schutz des Berufsgeheimnisses greift im Fall der internen Untersuchungen eines Unternehmens also ein, sofern es sich bei dem Beschuldigten um das Unternehmen handelt, unabhängig davon, ob sich die Unterlagen bei dem Rechtsanwalt oder dem Unternehmen (Mandant und Beschuldigter) befinden.403 Dieser Schutz soll in Österreich auch gelten, wenn das Unternehmen (noch) nicht Beschuldigter ist, die Unterlagen der internen Ermittlungen aber zur (späteren) Verteidigung dienen bzw. für die Verteidigung des Unternehmens angefertigt wurden.404 d) Zwischenfazit In Österreich sind interne Untersuchungen im Unternehmenskontext ebenfalls an der Tagesordnung. Rechtliche Bedeutung erlangen sie insbesondere in §§ 18 und 19 östVbVG, sodass diesbezüglich eine (rechtliche) Sicherheit geschaffen wurde. Geht es um die Frage, ob es sich bei den Internal Investigations um eine staatliche oder private Maßnahme handelt, steht keine einheitliche Linie sicher. Vielmehr finden sich unterschiedliche Auffassungen. Um diese ansatzweise auf einen Nenner zu bringen, lässt sich sagen, dass interne Untersuchungen in Österreich oftmals als private Ermittlungen angesehen werden, dies aber nicht ausschließt, dass es gewisse Fallkonstellationen gibt, in denen sie dem Staat zugerechnet werden können. Uneinheitlichkeit zeigt sich auch bei dem weiteren Problemkreis der Mitarbeiterinterviews. So steht in Frage, ob es eine Mitwirkungspflicht gibt und wenn ja, ob darüber hinaus eine Selbstbelastung zwingend ist oder ein Aussageverweigerungsrecht bei potentieller Selbstbelastung bejaht wird. Leicht vorherrschend scheint hier zu sein, auf erster Ebene eine Mitwirkungspflicht des Mitarbeiters anzunehmen, ihm aber auf der zweiten Ebene ein Aussageverweigerungsrecht zu gewähren. Friktionen mit dem Nemo-tenetur-Grundsatz gäbe es nach diesem Ansatz aufgrund des ge400 So Sepasiar/Sackmann, Aufsichtsrataktuell 2018, 20 (22); Dangl, Unternehmensinterne Untersuchungen, S. 173. 401 Vgl. Sepasiar/Sackmann, Aufsichtsrataktuell 2018, 20 (23). 402 Sepasiar/Sackmann, Aufsichtsrataktuell 2018, 20 (24). 403 Siehe dazu Dangl, Unternehmensinterne Untersuchungen, S. 177 ff., die ebenfalls auf die wesentlich problembehaftetere Konstellation eingeht, dass sich Unterlagen bei Dritten befinden, das Unternehmen nicht Beschuldigter ist oder der Status des Unternehmens noch in der Schwebe ist. 404 So Dangl, Unternehmensinterne Untersuchungen, S. 179 f.

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währten Aussageverweigerungsrechts nicht. Anzumerken ist an dieser Stelle, dass alle aufgezeigten Ansätze letztlich den Mitarbeiter in betreffender Situation protegieren wollen, hierfür aber auf unterschiedlichen Ebenen ansetzen. Ein etwas klareres Bild ergibt sich hinsichtlich des Topos des Anwalts- und Beratungsgeheimnisses. Hier scheint sicher zu stehen, dass bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein müssen, damit Unterlagen und Gegenstände von diesem erfasst und daher beschlagnahmefrei sind. Zum einen müssen die Informationen vom Rechtsanwalt (als Externer) in seiner beruflichen Tätigkeit gewonnen worden sein. Zum anderen kommt es maßgeblich darauf an, ob es sich um „neue oder alte Beweismittel“ handelt. Die Aufzeichnungen interner Untersuchungen dürften, zusammengefasst, grundsätzlich der Kategorie der neuen Beweismittel zuzuordnen sein und deshalb in Österreich Schutz vor einer behördlichen Beschlagnahme genießen. Wichtig ist auch, dass diese Beschlagnahmefreiheit unabhängig davon gilt, ob sich die Unterlagen beim Beschuldigten (Unternehmen) oder beim Rechtsanwalt befinden. Hintergrund dessen ist, dass in Österreich die Beziehung des Rechtsanwaltes zum Mandanten geschützt werden soll und dieser Schutz dadurch hervorgehoben wird. Bestätigt wird die Funktion, die hinter dieser Garantie steht, zum einen dadurch, dass der Schutzmechanismus ebenfalls greift, sofern das Unternehmen (noch) nicht Beschuldigter ist, es sich bei den Informationen aber um verteidigungsrelevante Angaben handelt, die das Unternehmen bei erzwungener Preisgabe in seiner Verteidigung beschränken würden. Zum anderen grundsätzlich nicht von dem Schutz erfasst ist es, wenn Beweismittel nur beim Rechtsanwalt zur Verwahrung hinterlegt werden (um einen Zugriff der Behörden abzuwehren). Hier würde ein Einfallstor für Missbräuche seitens des Unternehmens bestehen, derartige Beweismittel den Strafverfolgungsbehörden zu entziehen. Dies ist erklärtermaßen weder Teil einer effektiven Verteidigung noch angezeigt, um den Schutz des Verhältnisses Rechtsanwalt – Mandant zu gewährleisten, zeigt jedoch die dargelegte genaue Funktionsrichtung des Rechtsinstituts bzw. seine Grenzen deutlich auf. 4. Schweiz a) Ausgangssituation In der Schweiz ist das Phänomen der Internal Investigations ebenso keine Seltenheit.405 Vielmehr ist das Gegenteil der Fall: Auch dort werden interne Untersuchungen von Behörden und Unternehmen präferiert und teilweise sogar explizit dazu genutzt, strafrechtlich relevante Angelegenheiten intern aufzuarbeiten.406 Gesetzlich

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Vgl. statt vieler Wohlers, StV 2019, 712 passim m.w.N. So Thormann, in: Romerio/Bazzani (Hrsg.), Interne Untersuchungen II, S. 92 f.; dazu auch Fritsche/Studer, AJP 2018, 168. 406

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niedergelegt sind sie in der Schweiz allerdings nicht.407 Hinsichtlich des Begriffsverständnisses wird insbesondere die Sachverhaltsaufklärung/-aufarbeitung eines Unternehmens, wenn es interne oder externe Hinweise auf einen Compliance-Verstoß bekommen hat, als interne Untersuchung begriffen.408 Sie wird vor allem auch als einmalig, aufgrund eines spezifischen Anlasses ausgelöst, angesehen.409 Neben den gängigen Vorteilen von Internal Investigations wird ein weiterer Pluspunkt darin gesehen, dass Unternehmen so die Vernehmung in der Schweiz von Mitarbeitern, die im Ausland arbeiten, ermöglichen, da auf dem Wege keine Rechtshilfeersuchen beantragt werden müssten und die Rechte der Parteien wahrgenommen werden könnten.410 Interessant ist, dass nicht nur die Gefahr gesehen wird, dass durch interne Untersuchungen in Unternehmen beispielsweise im Unternehmen Absprachen erfolgen, bevor die Strafverfolgungsbehörden Kenntnis des Sachverhalts bekommen, oder Beweise vernichtet werden können, sondern auch vice versa. Es wird eine Gefahr darin gesehen, dass Ergebnisse eines (mitunter laufenden) Strafverfahrens für interne Untersuchungen verwendet werden.411 Auch in der Schweiz sind Unternehmen die Auftraggeber von internen Untersuchungen bzw. diejenigen, die auf dieses Instrument der Sachverhaltserforschung zurückgreifen. Das resultiert zum großen Teil daraus, dass allgemein bekannt ist, dass Unternehmen durch unaufgeforderte interne Untersuchungen und eine Kooperation mit den Strafverfolgungsbehörden Zwangsmaßnahmen vermeiden können.412 b) (Rechtliche) Bedeutung von Internal Investigations Hinsichtlich der rechtlichen Relevanz von internen Untersuchungen in der Schweiz kommt ihnen dort zum einen Bedeutung zu, wenn es darum geht, Zwangsmaßnahmen der Behörden zu verhindern. So gilt, dass die Einreichung von Ergebnissen von internen Untersuchungen durch Unternehmen bei den Behörden oft ein Mittel ist, Zwangsmaßnahmen (wie zum Beispiel eine Beschlagnahme) zu vermeiden.413 Zum anderen gibt es die Möglichkeit der Berücksichtigung im Rahmen einer Kooperation mit den Behörden, wenn Unternehmen Unterlagen, welche eigentlich durch das Anwaltsgeheimnis geschützt werden, offenlegen.414 Darüber 407

S. 3. 408

Rudolph, SJZ 114/2018, 385 (386); Fritsche, Interne Untersuchungen in der Schweiz,

Vgl. Fritsche, Interne Untersuchungen in der Schweiz, S. 3 m.w.N. Fritsche, Interne Untersuchungen in der Schweiz, S. 3 m.w.N. 410 Vgl. Thormann, in: Romerio/Bazzani (Hrsg.), Interne Untersuchungen II, S. 101. 411 Thormann, in: Romerio/Bazzani (Hrsg.), Interne Untersuchungen II, S. 93. 412 Als Beispiel für diese Konstellation wird in der schweizer Literatur der VW-AbgasSkandal genannt, so bei Thormann, in: Romerio/Bazzani (Hrsg.), Interne Untersuchungen II, S. 101. 413 Vgl. Thormann, in: Romerio/Bazzani (Hrsg.), Interne Untersuchungen II, S. 100. 414 Siehe Fritsche/Studer, AJP 2018, 168 (180). 409

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7. Kap.: Sonderfragen eines Verbandssanktionsverfahrens

hinaus können interne Untersuchungen auch dergestalt berücksichtigt werden, dass sie sich bei der Sanktionsbemessung insgesamt positiv auswirken.415 c) Problemstellungen der Internal Investigations in der Schweiz aa) Qualifizierung der internen Ermittlungen Auch in der Schweiz finden sich zu der Frage, ob es sich bei internen Ermittlungen um rein private oder eben staatliche Maßnahmen handelt, unterschiedliche Auffassungen, wobei die Differenzierung eher ein theoretischer Balanceakt zu sein scheint und die Literatur hierzu eher spärlich gesät ist. Nach einem Teil der Literatur existieren sowohl rein private interne Untersuchungen der Unternehmen als auch interne Untersuchungen, die als Anregung, im Auftrag oder sogar durch Unterstützung der Strafverfolgungsbehörden vorgenommen werden.416 Hier wird demzufolge zwischen den beiden Optionen differenziert. Werden Untersuchungshandlungen auf letzterem Wege durchgeführt, müssen nach diesem Teil der Literatur strafprozessuale Grundsätze für die Untersuchung Anwendung finden. Dies gelte insbesondere in der Hinsicht, dass Betroffene auf ihr Recht der Verweigerung der Aussage und Mitwirkung hingewiesen werden müssen.417 Andere Teile der Literatur kategorisieren die internen Ermittlungen grundsätzlich als eine private (Sonder-) Ermittlung.418 Folglich unterliegt die Untersuchung auch keinen Verfahrensregelungen, wenngleich beispielsweise bestimmte unternehmensinterne Vorgaben Beachtung finden müssen.419 Festgestellt wird hierzu, dass die Ermittlungen zwar grundsätzlich theoretisch ohne die Beteiligung der Behörden stattfinden, wohingegen sie in der Praxis jedoch oftmals auf Anfrage einer Behörde oder parallel zu den behördlichen Ermittlungen vorgenommen werden.420 bb) Mitarbeiterinterviews Neben den vorangehenden Aspekten steht in Frage, ob einem Arbeitnehmer eine Mitwirkungspflicht im Rahmen von internen Untersuchungen, insbesondere in

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Siehe Fritsche, Interne Untersuchungen in der Schweiz, S. 8. Die von den Strafverfolgungsbehörden in Auftrag gegebenen internen Untersuchungen seien nur am Rande und der Vollständigkeit halber erwähnt, da sich das Hauptaugenmerk auf die internen Untersuchungen, welche vom Unternehmen selbst oder durch selbst gewählte externe Prüfer durchgeführt werden, beschränken soll. Vgl. auch Thormann, in: Romerio/ Bazzani (Hrsg.), Interne Untersuchungen II, S. 112. 417 Zum Ganzen statt vieler Thormann, in: Romerio/Bazzani (Hrsg.), Interne Untersuchungen II, S. 112. 418 Siehe nur Fritsche, Interne Untersuchungen in der Schweiz, S. 3 f. m.w.N. 419 Zum Ganzen Fritsche, Interne Untersuchungen in der Schweiz, S. 4 m.w.N. 420 Vgl. Fritsche, Interne Untersuchungen in der Schweiz, S. 7. 416

A. Internal Investigations

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Mitarbeiterbefragungen, zukommt.421 Diese werden, wie auch in anderen Staaten, vorgenommen, um etwaige Straftaten im Unternehmen aufzuklären. Hier wird unterschieden, ob allgemein eine Mitwirkungspflicht besteht oder nicht und, ob sich ein Mitarbeiter selbst belasten muss. Teilweise422 wird eine Rechts- bzw. Mitwirkungspflicht des Mitarbeiters verneint und deshalb nach dieser Sichtweise auch keine Kollision mit dem Nemo-teneturGrundsatz gesehen und ein Beweisverwertunsgverbot abgelehnt.423 Letzteres ist konsequent, denn wenn ein Mitarbeiter sich nicht selbst belasten muss, sondern entscheiden kann, was er in einem Interview einer internen Untersuchung preisgibt, ist es angemessen, diejenigen Aussagen, die er getätigt hat, auch verwerten zu können. Als Argument wird der Vergleich mit Art. 169 Abs. 1 lit. b schwStPO herangezogen, nach dem Zeugen nicht aussagen müssen, wenn sie zivilrechtlich verantwortlich gemacht werden könnten.424 Überwiegend wird aber davon ausgegangen, dass der Mitarbeiter durch Gesetz (Art. 321d Abs. 1 OR Weisungsrecht des Arbeitgebers, Art. 321a OR Treupflicht des Arbeitnehmers) dazu verpflichtet sei, bei einer internen Untersuchung mitzuwirken und insbesondere eine Befragung zu dulden und mitzuwirken, selbst wenn dies im Arbeitsvertrag nicht ausdrücklich vorgesehen sei.425 Zwingende Voraussetzung hierfür sei aber ein Bezug des aufzuklärenden Sachverhaltes zum Arbeitsplatz des Arbeitsnehmers (im Sinne von Art. 328b OR426). Davon ausgeschlossen sind demzufolge private Sachverhalte des Arbeitsnehmers, sodass ihm bei einer internen Untersuchung zu einem privaten Sachverhalt grundsätzlich das Recht zukäme, Antworten zu verweigern.427 Somit ist anzunehmen, dass dem Mitarbeiter bei einer internen Untersuchung in der Schweiz grundsätzlich eine Mitwirkungspflicht zukommt.428 Dabei treten unterschiedliche Probleme zutage: das Machtgefälle zwi421 Grundlegend zu dieser Frage Pieth, Wirtschaftsstrafrecht, S. 267 f.; Rudolph, SJZ 114/ 2018, 385; Strasser, in: Kaenel (Hrsg.), Whistleblowing, S. 72 f. 422 Abl. hier Rudolph, SJZ 114/2018, 385 (389 f.); diff. an dieser Stelle Strasser, in: Kaenel (Hrsg.), Whistleblowing, S. 81. 423 Thormann, in: Romerio/Bazzani (Hrsg.), Interne Untersuchungen II, S. 111 m.w.N. 424 Thormann, in: Romerio/Bazzani (Hrsg.), Interne Untersuchungen II, S. 112. 425 Vgl. dazu statt vieler Rudolph, SJZ 114/2018, 385 (389 f.) m.w.N.; Fritsche, Interne Untersuchungen in der Schweiz, S. 141 ff.; siehe zum Ganzen auch Pieth, Wirtschaftsstrafrecht, S. 267 m.w.N. 426 Die Norm besagt: „Der Arbeitgeber darf Daten über den Arbeitnehmer nur bearbeiten, soweit sie dessen Eignung für das Arbeitsverhältnis betreffen oder zur Durchführung des Arbeitsvertrages erforderlich sind.“ 427 So Rudolph, SJZ 114/2018, 385 (390 Fn. 23), der aber von diesem Regelfall eine Ausnahme macht, wenn es sich um leitende Angestellte oder sogenannte „Tendenzträger“ des Unternehmens handelt. Zu bestimmten Abgrenzungen in dieser Hinsicht Strasser, in: Kaenel (Hrsg.), Whistleblowing, S. 75 f. 428 Vgl. auch Pieth, Wirtschaftsstrafrecht, S. 267, der hier noch weitergehend differenziert zwischen einer Mitwirkungspflicht aufgrund einer arbeitsrechtlichen Treupflicht und einer regulatorischen Mitwirkungspflicht.

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7. Kap.: Sonderfragen eines Verbandssanktionsverfahrens

schen Arbeitgeber und Arbeitnehmer sowie die Existenzangst des Arbeitnehmers aufgrund einer möglichen Kündigung bei Verweigerung der Mitwirkung.429 Wird eine Mitwirkungspflicht bejaht, stellt sich die Frage nach der Kollision mit dem Nemo-tenetur-Grundsatz für den Mitarbeiter bzw. ob ihm in einer Befragung einer internen Untersuchung das Recht zukommt, sich nicht selbst belasten zu müssen.430 Dieses fundamentale Thema scheint bis dato auch in der Schweiz, wo seit Jahren ein Verbandsstrafrecht existiert, noch nicht abschließend geklärt oder gar kodifiziert und wird nur vereinzelt diskutiert.431 Vertreten wird (bei Bejahung einer Mitwirkungspflicht) die Auffassung, dass der Mitarbeiter bei der Befragung kein Verweigerungsrecht hat, auch dann nicht, wenn er sich selbst belasten müsste.432 Da dies aber den Nemo-tenetur-Grundsatz beschneiden könnte, sofern es später zu einem Strafverfahren kommt, wird für letzteres ein absolutes Beweisverwertungsverbot der Protokolle aus Mitarbeiterbefragungen gefordert.433 Letztlich wird dadurch, bei Präferierung dieses Ansatzes, in der Schweiz dem Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit des einzelnen Mitarbeiters Rechnung getragen und dieser vor einem Strafverfahren aufgrund erzwungener Selbstbelastung durch seine Mitwirkungspflicht in internen Untersuchungen geschützt. Wird dem Mitarbeiter ein Verweigerungsrecht für den Fall zuerkannt, in dem er sich selbst im Interview belasten müsste, entstünde indes keine Kollision mit dem Nemo-tenetur-Grundsatz.434 cc) Das Anwalts- und Beratungsgeheimnis (1) Grundlagen Ähnlich wie in anderen Rechtsordnungen steht in der Schweiz in Frage, ob Unterlagen von internen Untersuchungen von den Strafverfolgungsbehörden beschlagnahmt werden dürfen oder beschlagnahmefrei sind.435 Wird zunächst auf die 429 Thormann, in: Romerio/Bazzani (Hrsg.), Interne Untersuchungen II, S. 111; dazu auch Rudolph, SJZ 114/2018, 385 (386 ff.); Strasser, in: Kaenel (Hrsg.), Whistleblowing, S. 72 f. 430 Siehe dazu Fritsche, Interne Untersuchungen in der Schweiz, S. 173 ff., S. 179 ff.; Pieth, Wirtschaftsstrafrecht, S. 267. 431 Zum Ganzen Pieth, Wirtschaftsstrafrecht, S. 267 f.; Rudolph, SJZ 114/2018, 385 (392 f.) m.w.N. und mit Überblick zum Meinungsstand; Meinungsstand auch abgebildet bei Fritsche, Interne Untersuchungen in der Schweiz, S. 179 ff. 432 Vgl. Rudolph, SJZ 114/2018, 385 (392). 433 Siehe Rudolph, SJZ 114/2018, 385 (393) m.w.N.; diese Meinung ebenfalls anführend Fritsche, Interne Untersuchungen in der Schweiz, S. 179 f. m.w.N.; krit. Pieth, Wirtschaftsstrafrecht, S. 267. 434 Vgl. Pieth, Wirtschaftsstrafrecht, S. 267, der konstatiert, dass zwar eine arbeitsrechtliche Mitwirkungspflicht bestehe, jedoch in dem Kontext keine Pflicht besteht, sich selbst zu belasten. 435 Ausführlich Fritsche/Studer, AJP 2018, 168 (169 ff.); Fritsche, GesKR 2016, 376 (384 ff.); dazu auch bei Graf, forumpoenale 6/2015, 345 ff.; zum Ganzen Wohlers, StV 2019, 712 passim; grundlegend auch Wohlers/Lynn, recht 2018, 9 passim; grundlegend zum Anwaltsgeheimnis in der Schweiz Seitz/Wohlers (Hrsg.), Anwaltsgeheimnis, passim.

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Ausgangssituation geblickt, ist zu konstatieren, dass das Anwaltsgeheimnis in der Schweiz durch Art. 8 EMRK und Art. 10 Abs. 2 BV abgesichert ist.436 Auch in der Schweiz haben ein Anwalt (und seine Gehilfen) das Recht, nicht aussagen zu müssen über alles, was ihnen im Rahmen ihrer Tätigkeit anvertraut wird oder was sie währenddessen wahrnehmen (kodifiziert in Art. 171 Abs. 1 schwStPO). Strafbewehrt ist es in der Schweiz nach Art. 321 Abs. 1 schwStGB, wenn Berufsgeheimnisträger, wie zum Beispiel Rechtsanwälte oder Verteidiger, ein Geheimnis offenbaren, das ihnen infolge ihres Berufs anvertraut worden ist oder das sie in dessen Ausübung wahrgenommen haben, wenngleich nach Art. 321 Abs. 2 schwStGB437 die Möglichkeit einer Einwilligung vorgesehen ist, welche die Strafbarkeit entfallen lässt.438 In diesem Kontext verweist Wohlers auf zwei dem schweizerischen Recht immanente besondere Charakteristika:439 Das erste besteht darin, dass das schweizerische Recht für einen Anwalt die Möglichkeit vorsieht, sich von seiner Geheimhaltungspflicht entbinden zu lassen, wenn er dies will, selbst wenn der Mandant dem nicht zustimmt. In dem Fall kann der Anwalt sich trotzdem bei der zuständigen Aufsichtsbehörde von seiner Geheimhaltungspflicht entbinden lassen (Art. 171 Abs. 4 schwStPO). Das zweite Charakteristikum betrifft die Situation, wenn ein Anwalt in der Schweiz durch den Mandanten oder die Aufsichtsbehörde von seiner Geheimhaltungspflicht entbunden wurde.440 Es steht ihm nach der Entbindung dennoch zur freien Disposition, ob er aussagen möchte. Er kann dies tun, muss es aber keinesfalls und kann auch von niemandem, beispielsweise von den Ermittlungsbehörden, zur Offenbarung verpflichtet werden (Art. 171 Abs. 4 schwStPO i.V.m. Art. 13 Abs. 1 BGFA). Ergo kann ein Anwalt in der Schweiz von niemandem dazu gezwungen werden, vertrauliche Informationen zu offenbaren, wenn er selbst es nicht will.441 Ergänzt wird dieses umfassende Recht des Anwalts auf der gesetzlichen Ebene durch die Regelungen zum Beschlagnahmeverbot in Art. 264 Abs. 1 lit. d schwStPO und zum Editionsverweigerungsrecht gemäß Art. 265 Abs. 2 schwStPO.442

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Vgl. Wohlers, StV 2019, 712; Wohlers/Lynn, recht 2018, 9 (13) m.w.N. Art. 321 Abs. 2 schwStGB: „Der Täter ist nicht strafbar, wenn er das Geheimnis aufgrund einer Einwilligung des Berechtigten oder einer auf Gesuch des Täters erteilten schriftlichen Bewilligung der vorgesetzten Behörde oder Aufsichtsbehörde offenbart hat.“ 438 Weitergehend zu diesem Aspekt Wohlers, StV 2019, 712 (713); Weibel/Dietlin, in: Seitz/ Wohlers (Hrsg.), Anwaltsgeheimnis, S. 7 f. 439 Zum Ganzen Wohlers, StV 2019, 712 (713); zur Entbindung vom Anwaltsgeheimnis auch Weibel/Dietlin, in: Seitz/Wohlers (Hrsg.), Anwaltsgeheimnis, S. 14. 440 Dazu BGE 135 III 597 E. 3.3. 441 Insgesamt dazu Wohlers, StV 2019, 712 (713); Weibel/Dietlin, in: Seitz/Wohlers (Hrsg.), Anwaltsgeheimnis, S. 23 m.w.N. 442 Vgl. statt vieler Wohlers, StV 2019, 712 (713); Wohlers/Lynn, recht 2018, 9 (13) m.w.N.; Wohlers/Lynn, in: Seitz/Wohlers (Hrsg.), Anwaltsgeheimnis, S. 117 f.; Schmid/Jositsch, Handbuch des schweizerischen Strafprozessrechts, S. 490. 437

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7. Kap.: Sonderfragen eines Verbandssanktionsverfahrens

Wie eingangs erwähnt, wird die gesamte Thematik besonders relevant, wenn es um interne Untersuchungen in einem Unternehmen und um die Fragestellung geht, ob Unterlagen der internen Ermittlungen beschlagnahmt werden dürfen. Relativ klar ist, dass zwischen dem Unternehmen in der Rolle des Beschuldigten oder dem Unternehmen als Nicht-Beschuldigtem unterschieden werden kann und in der zweiten Variante der Schutz von Informationen des Unternehmens in der Rolle des „Dritten“ relevant wird. Für die letztgenannte Konstellation existiert in der Schweiz Art. 264 Abs. 1 lit. d schwStPO, der seinem Wortlaut nach explizit vorsieht, dass Gegenstände und Unterlagen aus dem Verkehr „einer anderen Person“ mit ihrer Anwältin oder ihrem Anwalt nicht beschlagnahmt werden dürfen, womit der Gesetzgeber nach anerkannter Auffassung deutlich machen wollte, dass es sich dabei gerade um eine „nicht beschuldigte“ Person handele, die vom Schutzbereich der Norm erfasst sein solle.443 Nach dieser Intention des Gesetzgebers käme Aufzeichnungen im Rahmen von internen Untersuchungen in der Schweiz ein umfassender Schutz zu, denn wenn das Unternehmen in der Rolle des Beschuldigten wäre, wären Aufzeichnungen gemäß Art. 264 Abs. 1 lit. a und c schwStPO geschützt, wenn das Unternehmen nicht die Position des Beschuldigten hätte, ergebe sich dennoch ein Schutz aus Art. 264 Abs. 1 lit. d schwStPO.444 Für die Eröffnung des Schutzbereichs des Art. 264 schwStPO, ergo der Einschränkung von Beschlagnahmen, maßgeblich ist ebenfalls nicht, von wem die Unterlagen wann erstellt wurden oder wo sie sich befinden (Art. 264 Abs. 1 schwStPO). Wesentliche Voraussetzung dafür, dass das Beschlagnahmeverbot greift, ist jedoch, dass die Gegenstände und Unterlagen aus einem Mandat stammen, das eine anwaltstypische Tätigkeit zum (Haupt-)Zweck hat, da sich das Anwaltsgeheimnis nur auf Informationen erstreckt, die aus der typischen Berufsausübung eines Anwalts resultieren.445 Diese Voraussetzung ist in der Schweiz Anknüpfungspunkt lebhafter und vielfältiger Diskussionen in Literatur und Rechtsprechung, die zusätzlich in einigen Teilen im Umbruch zu sein scheinen, weshalb im Folgenden die Grundzüge konturiert werden sollen.446 In der Vergangenheit haben sich für die Einordnung, ob eine anwaltstypische Tätigkeit vorliegt oder nicht, Abgrenzungskriterien herausgebildet, wenngleich diese wohl oftmals eine Frage des Einzelfalls sind.447 443 Vgl. dazu Wohlers, StV 2019, 712 (714) m.w.N., der anführt, dass sich dies zwingend aus dem Zusammenhang mit Art. 264 Abs. 1 lit. a–c schwStPO ergebe. 444 Statt vieler Wohlers, StV 2019, 712 (714) m.w.N.; Wohlers/Lynn, in: Seitz/Wohlers (Hrsg.), Anwaltsgeheimnis, S. 118 f. m.w.N. 445 Vgl. zu diesem Aspekt auch Fritsche/Studer, AJP 2018, 168 f.; Fritsche, GesKR 2016, 376 (384 ff.); siehe auch Weibel/Dietlin, in: Seitz/Wohlers (Hrsg.), Anwaltsgeheimnis, S. 12 ff. 446 Siehe dazu Wohlers/Lynn, recht 2018, 9 (15); Weibel/Dietlin, in: Seitz/Wohlers (Hrsg.), Anwaltsgeheimnis, S. 12 ff.; grundlegend auch bei Fritsche, in: Seitz/Wohlers (Hrsg.), Anwaltsgeheimnis, S. 58 ff. 447 Siehe nur BGE 112 Ib 606 (608 f.); BGE 132 II 103 E. 2.1.; Abbildung des Meinungsstandes bei Fritsche/Studer, AJP 2018, 168 (169 f.).

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Grundsätzlich sei eine anwaltstypische Tätigkeit zu verneinen, wenn das kaufmännische Handeln oder die Tätigkeit als Geschäftsmann im Verhältnis zur typisch anwaltlichen Tätigkeit überwiege, sodass die Tätigkeit insgesamt keine anwaltliche mehr sei.448 Zu letzteren Tätigkeiten zählen beispielsweise jene eines Finanzintermediärs oder eines Vermögensverwalters (oder, wie teilweise vertreten, auch Tätigkeiten, die auch von einem Bankier oder Treuhänder durchgeführt werden könnten449), weshalb hierbei keine anwaltstypische Tätigkeit vorliege.450 Als berufstypisch für einen Anwalt gelten hingegen insbesondere die Prozessführung und Rechtsberatung, weshalb auch eine in diesem Zusammenhang durchgeführte interne Ermittlung als anwaltstypisch gilt, wenn der juristische Zweck den Schwerpunkt bildet.451 Das resultiert vor allem daraus, dass durch die Untersuchung ein „rechtserheblicher Sachverhalt“ und seine „rechtliche Würdigung“ erarbeitet werden.452 Daraus folgt ebenfalls, dass die Produkte der internen Untersuchung, welche durch externe Anwälte durchgeführt werden, ergo erstellte Berichte, Untersuchungsergebnisse, Interviewprotokolle und deren Beilagen, dem Anwaltsgeheimnis unterfallen, dementsprechend als „privilegiert“ gelten und Unternehmen dazu berechtigt sind, die Offenlegung gegenüber den Behörden, unter Berufung auf das Anwaltsgeheimnis, abzulehnen.453 Nicht beschlagnahmt werden darf, in weiterer Abgrenzung zu den vorgenannten Varianten, auch der Bericht eines externen Anwalts, in dem er nicht geschützte Dokumente in Kategorien nach Wichtigkeit für den Sachverhalt einordnet. Auch diese Berichte seien vom Berufsgeheimnis geschützt, 448 Dazu auch BGE132 II 103 E. 2.1.; Wohlers, StV 2019, 712 (715); Wohlers/Lynn, recht 2018, 9 (16) m.w.N.; Thormann, in: Romerio/Bazzani (Hrsg.), Interne Untersuchungen II, S. 118; Überblick zum Meinungsstand bei Fritsche/Studer, AJP 2018, 168 (169 f. m.w.N.): Bejaht wird das Anwaltsgeheimnis danach insbesondere bei dem Wissen der Anwälte aus einem gerichtlichen Verfahren sowie Informationen und Unterlagen, welche Teil eines Beratungsmandats sind. Maßgeblich sei nur, ob bei dem Mandat der juristische Aspekt vorrangig war. Trifft dies zu, würden alle Unterlagen dem Anwaltsgeheimnis unterfallen.; Fritsche, in: Seitz/Wohlers (Hrsg.), Anwaltsgeheimnis, S. 59. 449 Krit. und abl. Wohlers/Lynn, recht 2018, 9 (16 f.) m.w.N. 450 Zum Ganzen Fritsche/Studer, AJP 2018, 168 (169 f.) m.w.N.; Thormann, in: Romerio/ Bazzani (Hrsg.), Interne Untersuchungen II, S. 118 m.w.N.; diff. an dieser Stelle Wohlers/Lynn, recht 2018, 9 (16) m.w.N.; eine Auflistung spezifischer Tätigkeiten, die nicht berufstypisch sind auch bei Weibel/Dietlin, in: Seitz/Wohlers (Hrsg.), Anwaltsgeheimnis, S. 12 f. m.w.N. 451 Wohlers/Lynn, recht 2018, 9; Fritsche/Studer, AJP 2018, 168 (169 ff.); die Prozessführung und Rechtsberatung bejahend auch Thormann, in: Romerio/Bazzani (Hrsg.), Interne Untersuchungen II, S. 118 m.w.N.; Weibel/Dietlin, in: Seitz/Wohlers (Hrsg.), Anwaltsgeheimnis, S. 12; zum Meinungsstand bei internen Untersuchungen durch einen externen Rechtsanwalt Fritsche, in: Seitz/Wohlers (Hrsg.), Anwaltsgeheimnis, S. 59 m.wN. 452 Fritsche/Studer, AJP 2018, 168 (180); ausführlich dazu Wohlers/Lynn, recht 2018, 9 (19 ff.). 453 Vgl. zum Ganzen Fritsche/Studer, AJP 2018, 168 (171, 180); Wohlers/Lynn, recht 2018, 9 (17 ff.); a.A. BGEr 1B_85/2016 E.7.8.f., das betont, dass der Auswertungsbericht sowie Aktennotizen im Rahmen von internen Untersuchungen, die von externen Anwälten durchgeführt wurden, nicht vom Anwaltsgeheimnis erfasst seien. So auch bei Weibel/Dietlin, in: Seitz/Wohlers (Hrsg.), Anwaltsgeheimnis, S. 13 f.

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7. Kap.: Sonderfragen eines Verbandssanktionsverfahrens

da es sich nach der vorherrschenden Meinung dabei um eine anwaltstypische Tätigkeit handelt.454 Etwas anderes soll aber für den Kontext der Internal Investigations gelten, wenn es um bereits bestehende Ausgangsunterlagen geht, wie zum Beispiel E-Mails oder interne Notizen des Unternehmens. Diese fallen nicht nachträglich, durch die Erteilung des Mandats, unter das Anwaltsgeheimnis, außer, es hat sich bereits vorher um in der Hinsicht privilegiertes Material gehandelt.455 Sie können ansonsten infolgedessen von den Strafverfolgungsbehörden beschlagnahmt werden. (2) Die Linie der Rechtsprechung des Bundesgerichtes der Schweiz Aufgrund der vorangehenden Ausführungen dürfte eigentlich davon ausgegangen werden, dass die Situation in der Schweiz hinsichtlich der internen Ermittlungen im Zusammenhang mit dem Anwaltsgeheimnis geklärt ist und sich eine stringente feststehende Lösungslinie entwickelt hat, die auch im Gesetz kodifiziert wurde. Bei einem Blick auf die Rechtsprechung des Bundesgerichts entsteht jedoch, jedenfalls für Unternehmen, die den Regelungen der Geldwäsche-Compliance unterliegen, ein anderer Eindruck.456 So gab es bei der Einführung des Art. 264 Abs. 1 lit. d schwStPO einen „Vorbehalt“457 des Bundesgerichts in der Schweiz bzgl. dieser Vorschrift, welche den Schutzkreis der Einschränkungen der Beschlagnahme auf „andere Personen“ erweitert hat. Jener Vorbehalt wurde zwar vom schweizerischen Gesetzgeber gesehen, wenngleich ihm mit der Begründung nicht gefolgt wurde, dass es nicht ersichtlich sei, wieso „die anwaltliche Korrespondenz unverdächtiger Dritter oder Dritter, die potentiell Beschuldigte werden können, weniger Schutz verdient als Unterlagen aus dem Verkehr der beschuldigten Person mit ihrer Verteidigung.“458 Aufgrund dieser sehr deutlichen Stellungnahme sowie der Fassung des Art. 264 Abs. 1 lit. d schwStPO im Gesetz hat der Gesetzgeber sich in der Schweiz offenbar für eine Lösung entschieden. Nichtsdestotrotz scheint diese vom schweizerischen 454 Vgl. Fritsche/Studer, AJP 2018, 168 (171) mit Verweis auf BStGer, BE.2017.2, 04. 09. 2017, E. 6.5. 455 Statt vieler Fritsche/Studer, AJP 2018, 168 (170 m.w.N., 171) auch zu der Bestimmung, wo der Schutz des Anwaltsgeheimnisses beginnt; Fritsche, GesKR 2016, 376 (384); zu den sogenannten „pre-existing documents“ Wohlers/Lynn, in: Seitz/Wohlers (Hrsg.), Anwaltsgeheimnis, S. 123; Fritsche, in: Seitz/Wohlers (Hrsg.), Anwaltsgeheimnis, S. 58. 456 Anzumerken sei an dieser Stelle, dass sich die Entscheidungen des Bundesgerichts bisher nur auf als Finanzintermediäre dem GwG unterfallende Unternehmen bezogen haben. (Siehe auch Art. 2 GwG, nach dem das GwG für Finanzintermediäre und natürliche und juristische Personen, die gewerblich mit Gütern handeln und dabei Bargeld entgegennehmen (Händlerinnen und Händler) gilt.) Vgl. dazu (aber) krit. Wohlers, StV 2019, 712 (717); BGer 1B_85/2016; BGer 1B_433/2017; siehe auch die divergierende Linie des Bundesstrafgerichts in zwei Urteilen der vergangenen Jahre: BStGer, BE.2017.2, 04. 09. 2017 E. 6.4., 6.5.; BStGer, BE.2018.3, 13. 09. 2018, E.9.4.f. 457 Botschaft v. 26. 10. 2011, BBl 2011, S. 8181 (8187). 458 So abgedruckt bei Wohlers, StV 2019, 712 (714) unter Verweis auf Botschaft v. 26. 10. 2011, BBl 2011, S. 8188.

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Bundesgericht konterkariert zu werden: In einer Entscheidung aus dem Jahr 2016459 ging es beispielsweise um die Beschlagnahme von Unterlagen aus internen Ermittlungen, gegen welche die Anwaltskanzleien Art. 264 Abs. 1 lit. d schwStPO ins Feld führten.460 Die Norm wurde vom Gericht offenbar wohl erkannt, jedoch nicht weiter angewendet, und es wurde in der Entscheidung lediglich auf Art. 264 Abs. 1 lit. a schwStPO eingegangen, welcher abgelehnt wurde, da kein Verteidigungsmandat vorgelegen hätte.461 Wie bereits angerissen, ist besonders der Anknüpfungspunkt der „anwaltstypischen Tätigkeit“ in der Schweiz ein großer Diskussionspunkt.462 Resultieren Informationen aus der anwaltstypischen Tätigkeit, unterfallen sie dem Anwaltsgeheimnis. Dies gilt/galt bisher auch dann, wenn der Anwalt im Rahmen desselben Mandats noch weitere, nicht berufstypische Tätigkeiten vornahm, bei denen es sich um „akzessorische Geschäftstätigkeiten“ handelte, da Voraussetzung allein ist/war, dass das Hauptaugenmerk des Mandats nicht auf diesen Geschäftstätigkeiten liegt, weshalb Informationen vom Anwaltsgeheimnis geschützt sind/waren, wenn bei einer Gesamtbetrachtung eine typisch anwaltliche Tätigkeit vorlag.463 Eine wesentliche Änderung scheint sich an der Stelle nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts zu ergeben, wenn und soweit es sich um „Misch- bzw. Globalmandate“ handelt, da für diese festgehalten wird, dass sich die anwaltstypischen Dienstleistungen mit den akzessorischen Geschäftstätigkeiten überlappen würden, was der Grund dafür sei, dass das Anwaltsgeheimnis hier nicht automatisch und umfassend Geltung erlange.464 Zusammengefasst wird der Schutz nunmehr nur noch für Informationen anerkannt, die unmittelbar aus der anwaltstypischen Tätigkeit herrühren. Vereinfacht gesagt und konzentriert sollen davon nicht mehr die Sachverhaltsaufklärung im Vorhinein eines Beratungsmandats erfasst sein und auch nicht die Dokumente der Sachverhaltsaufklärung einer internen Untersuchung, ebenso wenig wie Dokumente, die schon vor der internen Untersuchung existierten und nicht explizit für diese hergestellt wurden, wie auch für Dokumente aus internen Controlling-Maßnahmen im Rahmen des Geldwäschereirechts (welche letztlich nur an externe Anwälte ausgelagert werden und die aufgrund einer Dokumentationspflicht nach Art. 7 Abs. 1 GwG geschaffen wurden).465 Somit würden in der Schweiz nur 459

BG v. 20. 09. 2016 – 1 B 85/216, NZWiSt 2017, 475; Zusammenfassung des Sachverhaltes bei Weibel/Dietlin, in: Seitz/Wohlers (Hrsg.), Anwaltsgeheimnis, S. 33 f. 460 Abgedruckt bei Wohlers, StV 2019, 712 (714). 461 Abgedruckt bei Wohlers, StV 2019, 712 (714). 462 Siehe dazu beispielsweise Fritsche/Studer, AJP 2018, 168 (170 f.); Weibel/Dietlin, in: Seitz/Wohlers (Hrsg.), Anwaltsgeheimnis, S. 12 ff. 463 Wohlers, StV 2019, 712 (715) m.w.N. 464 Zu diesem Aspekt auch bei Fritsche/Studer, AJP 2018, 168 (170); Weibel/Dietlin, in: Seitz/Wohlers (Hrsg.), Anwaltsgeheimnis, S. 13 m.w.N. 465 BGer, 1B_85/2016, E. 7.2.ff.; siehe zur Begründungslinie des Gerichts krit. Wohlers, StV 2019, 712 (716 f.); zum letzten Punkt Fritsche/Studer, AJP 2018, 168 (170); Fritsche, in: Seitz/Wohlers (Hrsg.), Anwaltsgeheimnis, S. 59 f.

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noch Unterlagen interner Untersuchungen dem Anwaltsgeheimnis unterliegen, in denen der Anwalt rechtliche Schlussfolgerungen aus einem Sachverhalt zieht.466 Diese Interpretation bzw. diese erhebliche Einschränkung des Anwaltsgeheimnisses in der Rechtsprechung des Bundesgerichts wird in der Literatur abgelehnt, wenngleich sie sich immer mehr durchzusetzen scheint.467 Etwas anderes kann sich nach dem Schrifttum nur dann ergeben, wenn ein Verteidigungsmandat vorliegt und die Sachverhaltsaufklärung bereits im Rahmen dessen stattgefunden hat.468 Nur in dem Fall dürfte dann auch für die Sachverhaltsaufklärung das Anwaltsgeheimnis gelten. Liegt ein solches Mandat nicht vor, wird empfohlen, die Sachverhaltsaufklärung und die anwaltliche Beratung klar voneinander zu trennen, um nicht alles vor den Behörden offenlegen zu müssen.469 Hinsichtlich der Auslagerung von Controlling-Tätigkeiten werden diese von der Mehrheit der Literatur als nicht vom Anwaltsgeheimnis geschützt angesehen, da es nicht Sinn und Zweck des Anwaltsgeheimnisses sein könne, dass Unternehmen gesetzlich vorgeschriebene Dokumentationsverpflichtungen des Geldwäschereigesetzes (GwG)470 durch den Schutz des Anwaltsgeheimnisses umgehen können, wenngleich mit dieser Argumentation letztlich der Hinweis durch das Schrifttum ergeht, dass die Durchführung einer internen Untersuchung gerade oftmals nicht eine bloße Auslagerung von Controlling-Tätigkeiten in diesem Sinne wäre.471 d) Zwischenfazit Die internen Ermittlungen sind auch in der Schweiz ein sehr relevantes und nicht mehr wegzudenkendes Themengebiet. Ihre Bedeutung kann sowohl in der Theorie als auch in der Praxis des Unternehmensstrafrechts kaum überschätzt werden. Zu den gängigen Problemen in ihrem Dunstkreis zählen die Qualifizierung der internen Ermittlungen als staatliche oder private Maßnahme, die Mitwirkungspflicht von Mitarbeitern in Interviews sowie die Frage, ob Aufzeichnungen interner Ermittlungen unter das Anwalts- und Beratungsgeheimnis fallen bzw. ob diese beschlagnahmt werden dürfen. 466

Siehe Wohlers, StV 2019, 712 (717). Ausführlich zum Ganzen statt vieler Wohlers, StV 2019, 712 (715 ff.) mit Verweis auf die aktuellen Entscheidungen des Bundesgerichts BGer1B_437/2018, E. 2.4.; BGer 1B_453/2018, E.2., die den eingeschlagenen Weg des Bundesgerichts fortführen. 468 Siehe zu diesem Punkt Wohlers, StV 2019, 712 (717). 469 So Wohlers, StV 2019, 712 (717). 470 Siehe beispielsweise Art. 7 Abs. 1 GwG, der eine Dokumentationspflicht dahingehend vorsieht, dass Straf- und Aufsichtsbehörden gerade der Zugang zu Informationen, die für das Geldwäschegesetz relevant sind, gewährt wird. Dazu auch Fritsche, in: Seitz/Wohlers (Hrsg.), Anwaltsgeheimnis, S. 60. 471 Vgl. statt vieler Fritsche/Studer, AJP 2018, 168 (170 f.); zu den GwG Dokumentationspflichten im Überblick bei Wohlers, StV 2019, 712 (716) m.w.N.; Wohlers, in: Seitz/ Wohlers (Hrsg.), Anwaltsgeheimnis, S. 123. 467

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Hinsichtlich des ersten Problemkreises gibt es, vereinfacht gesagt, variierende Auffassungen, da interne Ermittlungen teils als vollständig private Sonderermittlung, teils aber auch als (quasi-)staatliche Ermittlung eingestuft werden. Hierbei scheinen theoretische Nuancen die Differenzierung auszumachen. Bezüglich einer Mitwirkungspflicht der Arbeitnehmer in Interviews ergibt sich ebenfalls kein einheitliches Bild, wenngleich die Auffassungen für sich genommen stringente Lösungswege darbieten: So sieht die Auffassung, die eine Mitwirkungspflicht ablehnt, auch keine Kollision mit der Selbstbelastungsfreiheit (ebenso wie die Auffassung, die zwar eine Mitwirkungspflicht bejaht, den Mitarbeitern aber ein Verweigerungsrecht zugesteht, sofern sie sich selbst belasten müssten), während eine andere Auffassung die Mitwirkungspflicht bejaht und auch im Fall der Selbstbelastung kein Verweigerungsrecht anerkennt, jedoch im letzteren Fall von einem Verwertungsverbot in einem späteren Strafverfahren ausgeht. Eine Beschneidung des Nemo-tenetur-Grundsatzes des Mitarbeiters wollen folglich alle der genannten Ansätze verhindern. Bezüglich des Anwalts- und Beratungsgeheimnisses bzw. des Beschlagnahmeschutzes von Aufzeichnungen der internen Untersuchungen scheint es erhebliche Diskrepanzen einerseits zwischen dem, was der Gesetzgeber durch die Normgebung intendieren wollte und letztlich durch den Wortlaut der einschlägigen Norm geregelt hat, der Literatur und andererseits der Rechtsprechung zu geben. Auf den ersten Blick ist die Rechtslage eindeutig, jedoch scheint diese wenig Umsetzung durch das Bundesgericht der Schweiz zu erfahren, was zu einer gewissen Aporie bezüglich der Geltung des Anwalts- und Beratungsgeheimnisses bei internen Ermittlungen, jedenfalls bei Unternehmen, die der Geldwäsche-Compliance unterliegen, führen dürfte. Hier scheint es in der Schweiz ein letztlich noch nicht entschiedenes Kräftemessen zwischen Gesetzgeber und Rechtsprechung zu geben. 5. Fazit Im Ergebnis haben die internen Ermittlungen, deren begriffliches Verständnis überall ein ähnliches ist, in allen Rechtsordnungen einen großen Stellenwert inne (welcher stetig zunimmt), wenn es darum geht, (straf-)rechtlich relevantes Verhalten in Unternehmen aufzuarbeiten. Die Frage, ob es sich dabei um eine private oder staatliche Maßnahmen handelt, scheint in allen Rechtsordnungen auf, wobei in keiner Rechtsordnung eine starre Lösung verfolgt wird, was es aber nicht ausschließt, ein Grundsatz-Ausnahmeverhältnis anzuerkennen: Grundsätzlich handelt es sich um Maßnahmen privater Natur, ausnahmsweise können diese aber als staatliche Maßnahme gesehen werden. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Umstände des Einzelfalls die maßgeblichen sein dürften. Dahinter steht die Funktion der internen Ermittlungen als Instrument der Unternehmen in allen Rechtsordnungen, zunächst selbst rechtlich relevante Vorgänge aufarbeiten zu können. Geschieht dies unter extremem Druck der Verfolgungsbehörden, gerät diese Funktion (und ihre Authentizität) erheblich ins Wanken, weshalb die Rechtsordnungen oftmals dann nicht mehr von einer nur privaten Maßnahme ausgehen.

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7. Kap.: Sonderfragen eines Verbandssanktionsverfahrens

Ein ebenso bedeutender Problemkreis sind die Interviews mit den Mitarbeitern im Rahmen von internen Ermittlungen. Sie werden als wesentliches Instrument der internen Ermittlungen anerkannt und sind zumeist elementarer Bestandteil dieser, woraus die Anschlussfrage der Mitwirkungspflicht und Selbstbelastungsfreiheit der Mitarbeiter resultiert. Einigkeit besteht in der Hinsicht, dass Mitarbeiter nicht gänzlich schutzlos gestellt werden sollen, wenngleich das Schutzniveau der Mitarbeiter nicht in allen untersuchten Rechtsordnungen gleichermaßen hoch zu sein scheint. Finden sich in den USA und England vor allem „Warnungen“ der Mitarbeiter als einziges Schutzinstrument, die ihnen im vorhinein der Interviews vor Augen führen, dass ihre Aussagen den Behörden weitergeleitet werden können, scheint der Schutz in der Schweiz und Österreich sehr viel weiterzugehen, da zumeist entweder eine Mitwirkungspflicht negiert wird, ein Verweigerungsrecht bei Selbstbelastung gewährt wird oder aber die selbstbelastende Aussage in einem späteren Strafverfahren einem Beweisverwertungsverbot unterliegt. Ein weiterer Problempunkt wird in allen Rechtsordnungen darin gesehen, ob das Anwalts- und Beratungsgeheimnis für die Aufzeichnungen von internen Untersuchungen gilt oder, anders gefragt, ob diese beschlagnahmt werden dürfen oder herausgegeben werden müssen. Hier zeigt sich in den Rechtsordnungen insgesamt, dass nicht davon ausgegangen wird, Aufzeichnungen dürften per se beschlagnahmt werden, aber dass eben auch kein uneingeschränktes Beschlagnahmeverbot gilt. Vielmehr scheinen die einzelnen Rechtsordnungen einen Ausgleich zwischen den Strafverfolgungsinteressen und den Unternehmensinteressen zu suchen, auch wenn sich zwischen den einzelnen Rechtsordnungen teils große Unterschiede hinsichtlich der Anforderungen an Unternehmen ergeben, eine Beschlagnahmefreiheit erwirken zu können. Zentraler Punkt ist hier, dass es in keiner Rechtsordnung gewollt ist, das Anwalts- und Beratungsgeheimnis aufgrund einer umfassenden Beschlagnahmemöglichkeit gänzlich leerlaufen zu lassen und damit ostentativ auszuhebeln. Insgesamt zeigt sich bei einer Gesamtbetrachtung der aufgefundenen Ergebnisse der einzelnen Rechtsordnungen, dass alle Rechtsordnungen vor ähnlichen Problemen und Herausforderungen stehen und die für die deutsche Rechtsordnung oben aufgezeigten Probleme keine spezifisch-deutsch isolierten sind, sondern jene, die im Zusammenhang mit internen Ermittlungen typischerweise aufscheinen, da die Funktion, die Wirkweise und der Stellenwert interner Ermittlungen in allen untersuchten Rechtsordnungen ganz ähnlich sind. Geht es nun darum, die oben aufgefundenen Erkenntnisse für ein deutsches Verbandssanktionenrecht zu verwerten, lassen sich zunächst beispielsweise Parallelen zwischen der Situation in den untersuchten Rechtsordnungen und dem geltenden deutschen Ordnungswidrigkeitenrecht ausmachen. So können, wie oben an verschiedenen Stellen erwähnt, interne Ermittlungen bei der Frage berücksichtigt werden, ob ein Verfahren gegen ein Unternehmen eröffnet wird. Dies gilt ebenfalls de lege lata für das deutsche Ordnungswidrigkeitenrecht, wenngleich der Stellenwert hierbei insbesondere aufgrund einer fehlenden gesetzlichen Regelung geringer sein

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dürfte. Eine andere Berücksichtigungsmöglichkeit besteht in der Wertung der internen Ermittlungen als positives Nachtatverhalten, welches in Deutschland mildernd berücksichtigt werden kann. Die angedachten Berücksichtigungsmöglichkeiten sind denen der untersuchten Rechtsordnungen in ihren Grundstrukturen sehr ähnlich, wenn Unternehmen Strafrabatte für interne Untersuchungen erhalten können. Auch für ein künftiges Verbandssanktionenrecht sollte der Topos der internen Ermittlungen mutatis mutandis auf jeden Fall rechtliche Berücksichtigung finden. Die USA (und auch England) könnten bei der genannten Belehrung bzw. Hinweispflicht der Mitarbeiter vor der Durchführung der Interviews eine Vorbildfunktion haben, sodass eine solche Pflicht auch in Deutschland umgesetzt werden könnte, wenn der Arbeitgeber dazu im Rahmen seiner Fürsorgepflicht verpflichtet wäre, da dies nur einen geringen Aufwand erfordern würde.472 Eine Belehrungspflicht allein wäre aber nur das Beiwerk und nicht die maßgebliche Stellschraube für die Lösung von den grundlegenden Problemen, sollte jedoch aufgrund des geringen Aufwands auch in Deutschland Beachtung finden. Ein solcher Zusatz könnte dann in den Vordergrund rücken, wenn sich der Gesetzgeber dazu entschließt, „nur“ ein Beweisverwertungsverbot ohne Fernwirkung/ kein Beweisverwendungsverbot vorzusehen, da der Schutzumfang für den Mitarbeiter geringer wäre und eine zusätzliche Belehrungspflicht hilfreich sein könnte. Das gilt freilich umso mehr für den Fall, dass der Gesetzgeber für die Zukunft gar kein Beweisverwertungsverbot normieren würde, die Materie also weiterhin ungeregelt bliebe oder sich der Gesetzgeber sogar explizit gegen ein Verwertungsverbot aussprechen würde. Auf den ersten Blick mag dies zu der Frage führen, wer nach einem solchen Hinweis überhaupt noch zu einer Aussage bereit wäre. Wird allerdings von einer zivilrechtlichen Aussagepflicht ausgegangen, ist durchaus vorstellbar, dass ein Arbeitnehmer seine persönliche Abwägung so trifft, dass er (zumal, falls ein Beweisverwertungsverbot bestünde) die Aussage immer noch als kleineres Übel betrachtet als drohende arbeitsrechtliche Konsequenzen (im schlimmsten Fall sogar eine Kündigung). Hinsichtlich der weiteren Problemkreise (Qualifizierung der internen Ermittlungen und Geltung des Anwalts- und Beratungsgeheimnisses) zeigen sich Unterschiede und Abstufungen zwischen den Rechtsordnungen, die für die Schaffung eines deutschen Verbandssanktionenrechts sowohl Vorbild als auch Mahnung sein können. Sie weisen insbesondere mit erhobenem Zeigefinger darauf hin, dass, sofern Regelungen geschaffen werden, diese eine notwendige Flexibilität aufweisen, aber im gleichen Zuge auch eine (rechtliche) Sicherheit (beispielsweise bei der rechtlichen Berücksichtigung und der Geltung von Beschlagnahmeverboten und vor allem hinsichtlich der Anwendungspraxis betreffender Normen) geben müssen, sodass es gilt, insgesamt die Interessen der Verfolgungsbehörden und der Unternehmen sauber auszutarieren. 472

So auch Dann/Schmidt, NJW 2009, 1851 (1852).

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IV. Lösungsansätze für ein Verbandssanktionenrecht de lege ferenda 1. Mitwirkung in Interviews versus Selbstbelastungsfreiheit a) Im Verfahren gegen den Haftungsauslöser: Beweisverwertungsverbot aa) Der Haftungsauslöser selbst und anderweitige Mitarbeiter Die bisher aufgezeigten Lösungen für die oben genannte Problemstellung und das wohl gleichzeitig schwierigste Problem rund um die Internal Investigations beziehen bzw. bezieht sich auf die geltende Rechtslage und somit auf das Verfahren für ein Unternehmen nach dem OWiG.473 Das bedeutet nicht, dass die aufgefundenen Lösungsansätze für ein Verbandssanktionenrecht ungeeignet sind. Vielmehr zeigen sich bei genauerem Hinsehen Parallelen, sodass sie bei (jedenfalls) einer verbandssanktionenrechtlichen Modifizierung Anwendung erfahren könnten. Ein erster Anknüpfungspunkt wäre der oben bereits beschrittene Weg bei der Kollision der Selbstbelastungsfreiheit des die Haftung auslösenden Mitarbeiters mit seiner arbeitsrechtlichen Aussagepflicht für ein späteres gegen ihn gerichtetes Strafverfahren. Der dort gewählte Ansatz (vgl. S. 397 ff.) sollte auch als der tragende für ein Verbandssanktionenrecht zugrundegelegt werden, sodass Mitwirkungspflichten auch bei einer Selbstbelastung bestehen, jedoch ein Verwertungsverbot für ein späteres Strafverfahren zum Zuge käme. Hier könnten für bestimmte Konstellationen Modifikationen notwendig werden. Sinnvoll wäre es zunächst, das Beweisverwertungsverbot in Gesetzesform zu gießen, um keine Restunsicherheit zu hinterlassen. Dies könnte beispielsweise dadurch geschehen, dass die Verwertung der Ergebnisse aus Mitarbeiterbefragungen, bei einer potentiellen Selbstbelastung, von der Zustimmung eines später beschuldigten Mitarbeiters abhängig gemacht wird.474 Gleichwohl sollte an der generellen Aussagepflicht und grundsätzlichen Verwertung der Aussagen im Rahmen der internen Untersuchungen (auch im Strafverfahren) festgehalten werden, sodass ein Regel-Ausnahme-Verhältnis (grundsätzlich Verwertung, ausnahmsweise keine Verwertung) geschaffen würde. bb) Organe und gesetzliche Vertreter (Der Verband selbst) Für die Verwertung von Internal Investigations des Verbandes selbst, ergo der Organe oder gesetzlichen Vertreter, sollte ebenfalls die schon vorgestellte „Zustimmungslösung“ Geltung erlangen, wenn es um das Strafverfahren gegen den Haftungsauslöser geht. 473

Vgl. Kottek, wistra 2017, 9 ff. So auch in § 18 Abs. 3 Kölner Entwurf von Henssler/Hoven/Kubiciel/Weigend, NZWiSt 2018, 1 (4) vorgesehen. 474

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b) Im Verfahren gegen den Verband: Differenziertes Beweisverwertungsverbot aa) Der Haftungsauslöser selbst und anderweitige Mitarbeiter Etwas anderes könnte sich aber in dem (künftigen) Sanktionsverfahren gegen den Verband selbst ergeben. Auch hier ist es notwendig festzulegen, wie mit den Informationen aus den Internal Investigations zu verfahren ist. Geht es um die Selbstbelastungsfreiheit von Unternehmensangehörigen (sowohl Haftungsauslöser als auch anderweitige Mitarbeiter) sollten die Angaben aus Internal Investigations grundsätzlich (und ohne ihre Zustimmung) verwertet werden können, außer es handelt sich dabei spezifisch um Verteidigungsunterlagen (§ 148 StPO) oder um Angaben, die durch eine Methode des § 136a Abs. 1 und 2 StPO erlangt wurden. Der Ansatz fußt maßgeblich auf der vorgeschlagenen Herleitung des Nemo-teneturRechts des Verbandes aufgrund der Rechtsstaatlichkeit und dem Recht auf eine geschützte Verteidigung.475 bb) Organe und gesetzliche Vertreter (Der Verband selbst) Auch für den Verband selbst, ergo seine Organe und gesetzlichen Vertreter, stellt sich die genannte Problematik in gewissen Zügen, da auch ihre Aussagen bei internen Ermittlungen relevant werden können, weshalb wiederum die bereits erwähnte „Zustimmungslösung“ in Form eines Beweisverwertungsverbotes umgesetzt werden sollte. c) Regelungen im VerSanG-E Der VerSanG-E regelt das Problem rund um die Mitarbeiterinterviews in § 17 Abs. 1 Nr. 5 lit. a–c VerSanG-E im Rahmen der Kooperation des Unternehmens mit den Behörden bezüglich der Sanktionsmilderung, welche für interne Untersuchungen in Betracht kommen kann. Summa summarum will der VerSanG-E den Mitarbeitern bereits in den Befragungen der Interviews der internen Untersuchungen einen vollumfänglichen Schutz gewähren, der, sofern er nicht vom Unternehmen eingehalten wird, dazu führt, dass eine Sanktionsmilderung für die Durchführung von internen Untersuchungen in weite Ferne rückt.476 2. Freiwillige Übermittlung der Aufzeichnungen der Internal Investigations De lege ferenda würde sich ebenfalls die Problematik der freiwilligen Übermittlung der Ergebnisse bzw. Aufzeichnungen der internen Untersuchungen an die 475 476

Siehe dazu S. 338. Siehe dazu ausführlich RegE.-Begr. S. 100 f.

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7. Kap.: Sonderfragen eines Verbandssanktionsverfahrens

Strafverfolgungsbehörden durch das Unternehmen stellen. Hinsichtlich des Verbandes bzw. für das Verfahren gegen den Verband ergeben sich keine Unterschiede – was der Verband freiwillig an Dokumenten und Dateien herausgibt, sollte auch verwertet werden können. Anders gestaltet sich die Situation freilich, wenn es um Aufzeichnungen interner Ermittlungen der Mitarbeiter geht, welche freiwillig vom Verband übermittelt werden. An der Stelle sollte der oben vorgeschlagene Weg des Lösungsansatzes de lege lata zum Tragen kommen.477 3. Zugriff der Strafverfolgungsbehörden auf Aufzeichnungen der internen Ermittlungen a) Durchsuchung: §§ 102 ff. StPO anwendbar Hinsichtlich der Durchsuchung in Unternehmen sollten sich für ein Verbandssanktionenrecht keine Besonderheiten zur geltenden Rechtslage ergeben, sodass die oben gemachten Ausführungen weiterhin Geltung behalten sollten. Dies meint, dass die §§ 102 ff. StPO auch im Verbandssanktionenrecht (entsprechend) Anwendung finden sollten oder ein Pendant geschaffen werden kann. Darüber hinaus wäre es bei einem Verband als Beschuldigten in einem Sanktionsverfahren unerlässlich, dass der Durchsuchungsbeschluss durch eine besondere Fassung konkretisiert wird, um der ansonsten nicht nur unerheblich weiten Streubreite, die ein Durchsuchungsbeschluss in einem Unternehmen haben kann, entgegenzuwirken. Weitere besondere Probleme gegenüber dem Recht für natürliche Personen als Beschuldigte lassen sich an der Stelle nicht ausmachen. b) Herausgabepflicht und Beschlagnahme: §§ 94 ff. StPO anwendbar Unterschiede könnten bei der Situation der Beschlagnahme und deren Zulässigkeit und Folgen entstehen. Im Ausgangspunkt sollten bei der Beschlagnahme (und auch bzgl. der Herausgabepflicht) von Aufzeichnungen der internen Ermittlungen in einem Verbandssanktionenrecht de lege ferenda die §§ 94 ff. StPO angewendet werden oder ein entsprechendes Pendant geschaffen werden. c) Beschlagnahmeverbot nach § 97 StPO für Aufzeichnungen interner Ermittlungen Große Diskussionen und, wie festgestellt, große Unklarheit gibt es hinsichtlich des Verständnisses der gesetzlichen Regelung und eines Beschlagnahmeverbotes im Sinne des § 97 StPO. Diese Konflikte sollten in einem künftigen Verbandssanktionenrecht allerdings mittels einer eindeutigen gesetzlichen Regelung gelöst werden. Für ein Verbandssanktionenrecht in der Zukunft wäre es vorzugswürdig, von einem 477

Vgl. S. 405.

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Beschlagnahmeverbot der Ergebnisse von Internal Investigations insgesamt auszugehen. Getragen wird der Lösungsansatz von unterschiedlichen Aspekten, die bereits de lege lata dazu führen, dass ein Beschlagnahmeverbot im Sinne des § 97 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 StPO • sowohl in Verfahren gegen das Unternehmen, das die internen Untersuchungen in Auftrag gegeben hat, als auch in Individual-Verfahren gegen Organe oder andere Mitarbeiter sowie • sowohl für Aufzeichnungen von Internal Investigations, die sich im Gewahrsam der Rechtsanwaltskanzlei befinden, als auch für Aufzeichnungen, die sich im Gewahrsam des Unternehmens befinden (wenn es dabei um Verteidigungsunterlagen geht), (wenn auch entgegen der Auffassung des BVerfG) zu befürworten ist. In Bezug auf den Gewahrsam muss deshalb § 148 StPO zur Anwendung kommen oder ein entsprechendes Pendant geschaffen werden. Insgesamt sollte die bereits oben angeführte Argumentation zu der Geltung des § 97 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 StPO den Gesetzgeber dazu veranlassen, eine Regelung in das Verbandssanktionenrecht aufzunehmen, die explizit vorsieht, dass die Aufzeichnungen von internen Ermittlungen dem Beschlagnahmeverbot unterliegen oder eine entsprechende Anwendung des § 97 StPO vorsehen. Hat die Problematik bereits de lege lata eine große Relevanz, vor allem nach der „Jones Day-Entscheidung“, dürfte sich der Konflikt für den Fall der Schaffung eines Verbandssanktionenrechts bei einer weiteren Nicht-Regelung oder sogar „Kodifizierung“ der Jones-Day Entscheidung ansonsten noch mehr verschärfen. d) Folgen einer Beschlagnahme von Aufzeichnungen der Internal Investigations trotz Beschlagnahmeverbotes Selbst wenn aber davon ausgegangen wird, dass ein solches Beschlagnahmeverbot Gesetz wird, ist zu fragen, wie in dem Fall zu verfahren wäre, dass derartige Unterlagen und Dateien trotzdem von den Strafverfolgungsbehörden beschlagnahmt würden. Hier muss konsequenterweise ein Beweisverwertungsverbot der Aufzeichnungen angenommen werden. Würde selbiges weggedacht, könnte nämlich hierin ein Einfallstor für Missbräuche seitens der Strafverfolgungsbehörden liegen, an das Unternehmen belastendes Beweismaterial zu gelangen. Auch wäre, um keine Restrechtsunsicherheit zu hinterlassen, ebenfalls eine ausdrückliche Regelung im Gesetz notwendig. e) Regelungen im VerSanG-E Auch im VerSanG-E wurde diese brisante Problematik erkannt. Eine Lösung wird hier in der Änderung der StPO gesehen, indem der Wortlaut des § 97 Abs. 1 Nr. 3 StPO dergestalt changiert und beschränkt werden soll, dass künftig auch dort

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7. Kap.: Sonderfragen eines Verbandssanktionsverfahrens

ausdrücklich das „Vertrauensverhältnis“ zwischen Beschuldigten und Zeugnisverweigerungsberechtigten gefordert wird, damit das Beschlagnahmeverbot des § 97 StPO-E greift. Ausweislich der Entwurfsbegründung sollen nach dem neu zu fassenden § 97 Abs. 1 Nr. 3 StPO-E insbesondere Unterlagen, die der Beschuldigte zur Vorbereitung der Verteidigung und Unterlagen die für eine bestimmte Beratungstätigkeit einem Rechtsanwalt, Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer übergeben werden, dem Vertrauensverhältnis zugeordnet werden.478 An diesem Punkt bezieht die Entwurfsbegründung auch explizit zu den Aufzeichnungen von Interviews interner Untersuchungen Stellung und führt zur künftigen Fassung des § 97 Abs. 1 Nr. 3 StPO-E aus:479 Diese seien nur geschützt, wenn sie dem Vertrauensverhältnis zwischen Beschuldigten und Zeugnisverweigerungsberechtigten zugeordnet werden können. Dies gelte aufgrund des Beschuldigtenstatus, den das Unternehmen im Verbandssanktionsverfahren innehabe, für die Interviews mit Leitungspersonen. Nicht erfasst sein sollen nach der Begründung jedoch die Sachverhaltsaufklärung, die vorgenommen wird, bevor der Status der Beschuldigtenstellung vorliegt, oder die insbesondere aufgrund von Compliance Bestrebungen vorgenommen wird, sodass diese im Ergebnis beschlagnahmt werden dürften. Dies gelte insbesondere dann, wenn der Verband den Berufsgeheimnisträger nicht mandatiert habe.480 Darüber hinaus will die Entwurfsbegründung bezüglich der Beschlagnahmeverbote für Geschäftsunterlagen klarstellen, dass, sofern deren Aufbewahrung verpflichtend ist (beispielsweise bei Buchhaltungsunterlagen eines Kaufmanns im Sinne von § 257 HGB), diese vor der Beschlagnahme nicht dadurch geschützt werden können, dass sie den Berufsgeheimnisträgern überlassen werden, sodass selbst dann eine Beschlagnahme möglich ist, wenn sie letzteren zur Aufbewahrung übergeben wurden.481 Insgesamt wird festgestellt, dass sich der Beschlagnahmeschutz nur auf Gegenstände beziehen soll, die dem Vertrauensverhältnis Mandant–Verteidiger entspringen oder spezifisch der Verteidigung dienen und sich dabei auf das Vertrauensverhältnis beziehen.482 § 97 StPO-E soll in einem Absatz 6 die Regelung enthalten, dass die oben dargestellte Linie auch für die Durchsuchung Geltung beanspruche.483 So darf eine Durchsuchung bei der erwartbar nur Ergebnisse zutagetreten, die § 97 StPO-E unterfallen würden, nicht angeordnet werden.484 § 97 Abs. 6 StPO (de lege ferenda) soll § 160a Abs. 5 StPO-E ergänzen, der deutlich macht, dass die Regelungen der §§ 94 – 98 und §§ 105 – 110 StPO Spezialregelungen für die Durchsuchung und Beschlagnahme sind und dementsprechend vorrangig 478 479 480 481 482 483 484

RegE.-Begr. S. 137. Zum Ganzen RegE.-Begr. S. 137 f. RegE.-Begr. S. 138 m.w.N. RegE.-Begr. S. 138. RegE.-Begr. S. 138. RegE.-Begr. S. 138. RegE.-Begr. S. 138.

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sind.485 Darüber hinaus soll § 160a Abs. 5 StPO de lege ferenda dergestalt geändert werden, dass die Absätze 1 – 4 des § 160a StPO auf Maßnahmen nach §§ 94, 95, 100b, 100c, 100 g, 102, 103 und 110 StPO keine Anwendung finden. Die Entwurfsbegründung geht auf die (potentielle künftige) Fassung des Beschlagnahmeverbots des § 97 StPO-E ein und konstatiert, dass die Voraussetzungen hier, wie bereits oben angerissen, ausdrücklich enger gefasst werden sollen und stellt in diesem Kontext klar, dass § 97 StPO-E nur dann Schutz vor einer Beschlagnahme biete, wenn die Informationen dem oben genannten Vertrauensverhältnis entstammen und der Beschuldigte Gewahrsam an ihnen hat.486 In Folge dessen soll für die Beschlagnahme und Durchsuchung „kein absolutes Erhebungsverbot gegenüber Rechtsanwälten“ gelten.487 4. Gestaltung und rechtliche Konsequenzen von „verbandsinternen Untersuchungen“ nach dem VerSanG-E Für ein künftiges Verbandssanktionsrecht ist es unerlässlich, interne Ermittlungen nicht nur im Grunde gesetzlich festzuhalten, sondern vor allem auch festzulegen, inwiefern eine rechtliche Berücksichtigung erfolgt, um den Zustand der derzeitig vorherrschenden Unklarheit und der mangelnden Anreize in einen Zustand der inzentiven Rechtssicherheit zu transformieren.488 Hierbei sind vom Verband durchgeführte Ermittlungen jedenfalls auf der Rechtsfolgenseite bei der Sanktionsbemessung (Milderung oder sogar Absehen von Sanktionen) zu bedenken. Dass nicht jedwede interne Ermittlung ohne weitergehenden Qualitätsanspruch und ohne valides Ergebnis nonchalant zu einer Sanktionsmilderung/einem Absehen von Sanktionen führen sollte, dürfte sich von selbst verstehen. Würde es Unternehmen doch zu stark vereinfacht werden, Sanktionen abzumildern oder möglicherweise sogar in den Genuss der Sanktionsfreiheit zu kommen, ohne gleichzeitig ein ernsthaftes Interesse an der Aufklärung der Verbandstat und Besserung für die Zukunft bekunden und dieses realiter auch durchsetzen zu müssen. In der Konsequenz bedarf es also bestimmter festgelegter Voraussetzungen, die auf der einen Seite als Nachweis der ernsthaften Bestrebungen des Unternehmens an der Aufklärung der Tat ge- und bewertet werden können, die aber auf der anderen Seite in ihren Anforderungen auch für das Unternehmen umsetzbar sind und diesem die Sicherheit der rechtlichen Berücksichtigung geben, sofern es die Voraussetzungen erfüllt. Nur wenn dieses Verhältnis sauber ausbalanciert wird, ist es möglich, Anreizsysteme für Internal

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RegE.-Begr. S. 138. RegE.-Begr. S. 138. 487 RegE.-Begr. S. 138. 488 § 41 VerSanG-E, der das vorläufige Absehen von der Verfolgung bei der Durchführung von internen Untersuchungen nach § 17 VerSanG-E normiert, wird auf S. 258 im Rahmen der allgemeinen Einstellungsgründe erörtert. 486

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Investigations zu schaffen, die in der Zukunft eine präventive Wirkung entfalten können. a) § 17 VerSanG-E (Milderung der Verbandssanktion bei verbandsinternen Untersuchungen) aa) Grundlegendes Als derzeit validester Ansatz für eine derartige Umsetzung soll im Folgenden auf die §§ 16 ff. VerSanG-E genauer Bezug genommen werden, die unterschiedliche Voraussetzungen und rechtliche Berücksichtigungsmöglichkeiten im Hinblick auf Internal Investigations vorsehen, wenngleich darauf hinzuweisen ist, dass die Internal Investigations grundsätzlich einen starken Bezug zur Compliance aufweisen und deshalb nicht losgelöst stehen, jedoch bezüglich ihrer Rechtsfolgen im VerSanG-E separat behandelt werden. Wird auf die im Regierungsentwurf VerSanG vorgestellten Normen rekurriert, fällt auf, dass es sich bei § 17 VerSanG-E, der die Sanktionsmilderung im Fall von internen Untersuchungen zum Regelungsgegenstand hat, nunmehr in dem zuletzt veröffentlichten Entwurf um eine „Soll“-Vorschrift handelt, woraus folgt, dass, sofern die Voraussetzungen erfüllt sind, das Gericht die Verbandssanktion mildern soll, ergo in seinem Ermessen gebunden ist. Dies bedeutet im Gegensatz zu dem vorherigen Entwurf, der hierbei nur eine „Kann“-Vorschrift vorsah, jedenfalls einen Schritt in die richtige Richtung. Bereits an dieser Stelle sei jedoch angemerkt, dass bezweifelt wird, ob ein gebundenes Ermessen der Behörde zum einen angesichts der sehr hohen Anforderungen, die der Entwurf an die Durchführung der Internal Investigations hat, ausreichend ist und ob damit zum anderen dem Interesse an Rechtssicherheit der Unternehmen Genüge getan ist. Jedenfalls müsste hier in der Praxis dergestalt nachjustiert werden, dass von der Milderungsoption des § 17 VerSanG-E angesichts der hohen Voraussetzungen des § 17 VerSanG-E für die Unternehmen, deren Erfüllung auch mit erheblichen Kosten verbunden sein wird, eher großzügig Gebrauch gemacht wird.489 bb) Die einzelnen Voraussetzungen des § 17 Abs. 1 und 2 VerSanG-E § 17 Abs. 1 Nr. 1 VerSanG-E sieht vor, dass der Verband (oder von ihm beauftragte Dritte) tatsächlich und wesentlich zur Sachverhaltsaufklärung beigetragen haben muss/müssen, während Nr. 2 festlegt, dass nur interne Untersuchungen sanktionsmildernd berücksichtigt werden, die nicht vom Verteidiger des Beschuldigten (dessen Verbandstat dem Verfahren zugrundeliegt) oder des Verbandes durchgeführt worden sind. Daraus folgt, dass es zwar durchaus legitim ist, wenn der Verteidiger eines Unternehmens die internen Ermittlungen durchführt, dass diese 489

Siehe dazu auch Rübenstahl, ZWH 2020, 164 (174 f.).

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aber nicht sanktionsmildernd berücksichtigt werden. Der Verband ist daher quasi gezwungen, die internen Untersuchungen von einem Dritten vornehmen zu lassen (oder aber selbst vorzunehmen, was teilweise eher wenig praktikabel sein dürfte). Somit wird zwar nach außen die Hülle der Freiheit der Vornahme der internen Untersuchungen demonstriert. Diese Hülle scheint jedoch kernlos zu sein, da letztlich wohl aufgrund dieser Regelung kein Verband interne Untersuchungen durch einen Verteidiger durchführen lässt, wenn dabei von vorneherein feststeht, dass er sich dadurch die Sanktionsmilderung nach § 17 VerSanG-E bereits abschneidet.490 Ein Versuch der Abmilderung dieser Härte kann zwar bei einem Blick in die Entwurfsbegründung darin gesehen werden, dass die Möglichkeit besteht, eine Kanzlei mit internen Untersuchungen zu beauftragen, der auch der Verteidiger des Unternehmens/des Beschuldigten zugehörig ist (der Verteidiger darf dann freilich aber weder an den internen Untersuchungen mitgewirkt haben noch Zugriff auf diese haben).491 Insgesamt ist dennoch zu konstatieren, dass Nr. 2 für Unternehmen eine relativ große Einschränkung in der Praxis zeitigen wird. Überdies dürfte nicht in Frage stehen, dass diesem „Trennungsgebot“ des VerSanG-E ein seltsam anmutendes Berufsbild des Verteidigers von den Verfassern des VerSanG-E zugrundezuliegen scheint, was hinsichtlich des Berufsethos des Verteidigers einen völlig falschen Eindruck vermittelt:492 So ist der Verteidiger als Rechtsanwalt ein unabhängiges Organ der Rechtspflege (§ 1 BRAO), und gerade keine Marionette, vom Mandanten.493 Insgesamt verfangen die Bedenken, die der VerSanG-E an dieser Stelle äußert, deshalb nicht. Darüber hinaus muss der Verband (oder die von ihm beauftragten Dritten) nach Nr. 3 uneingeschränkt und ununterbrochen mit den Verfolgungsbehörden kooperieren sowie nach Nr. 4 das Ergebnis der internen Untersuchung (inklusive wesentlicher Dokumente) und einen Abschlussbericht abgeben. Die Nr. 5 stellt weitergehende Anforderungen an das Prozedere der internen Untersuchungen, wie die Berücksichtigung des fairen Verfahrens insbesondere dadurch, dass Mitarbeiter vor Befragungen darauf hinzuweisen sind, dass ihre Aussagen in einem Strafverfahren gegen sie verwendet werden können und sie einen anwaltlichen Beistand bei den Befragungen konsultieren können, ebenso wie den Hinweis, dass sie die Auskunft verweigern können, wenn sie durch die Beantwortung von Fragen sich selbst oder einen Angehörigen (im Sinne des § 52 Abs. 1 StPO) belasten müssten. § 17 Abs. 2 VerSanG-E bestimmt eine Dokumentationspflicht der Vorgehensweise der internen Ermittlungen nach Nr. 5. Anlass zur Besorgnis gibt insgesamt zunächst das Erfordernis der „ununterbrochenen und uneingeschränkt(en)“ Kooperation in § 17 Abs. 1 Nr. 3 VerSanG-E. Die 490

Zutr. krit. an dieser Stelle Dierlamm, StV 2019 Heft 11, Editorial. RegE.-Begr. S. 99. 492 So auch Dierlamm, StV 2019 Heft 11, Editorial. 493 Vgl. nur Kudlich/Knauer, in: Hilgendorf/Kudlich/Valerius (Hrsg.), Handbuch des Strafrechts, Bd. I, § 16 Rn. 12 ff. 491

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7. Kap.: Sonderfragen eines Verbandssanktionsverfahrens

Entwurfsbegründung führt hierzu aus: „Die konkrete Ausgestaltung der Zusammenarbeit steht im Ermessen der Verfolgungsbehörde.“494 Hofft man im Weiteren auf Beschränkungen dieses Ermessens, lässt die Enttäuschung nicht lange auf sich warten, da sich weder im Wortlaut noch in der Begründung eine Eingrenzung des Ermessens der Verfolgungsbehörden in dieser Hinsicht finden lässt. Hier ist aber davon auszugehen, dass die Strafverfolgungsbehörden zwar über den Umfang der erforderlichen Kooperation bestimmen dürfen, sich jedoch dabei im Rahmen der Verhältnismäßigkeit bewegen müssen.495 Zutreffend ist mit Knauer anzunehmen:496 „Kooperation heißt (…) nicht Kapitulation.“ Wer vorschnell zu der Annahme gelangt, es hätte mit der vollständigen Kooperation aus Nr. 3 bereits sein Bewenden, worauf man aufgrund des Wortlauts von Nr. 4 gelangen könnte, wird eines Besseren belehrt. Entscheidet sich der Verband für eine Kooperation, sind nicht nur, wie in Nr. 4 genannt, Ergebnisse, wesentliche Dokumente und ein Abschlussbericht erfasst, sondern die „Kooperationsobliegenheit“ entfaltet eine Fortwirkung dergestalt, dass der Verband verpflichtet ist, auch nach der Übergabe (wie in Nr. 3 gefordert) zu kooperieren.497 Die wohl am umfassendsten normierten Voraussetzungen für eine rechtliche Berücksichtigung von Internal Investigations, die bereits oben angerissen wurden, finden sich in § 17 Abs. 1 Nr. 5 lit. a – c VerSanG-E, wenn es darum geht, dass der Verband bei der Durchführung der internen Untersuchungen die Grundsätze eines fairen Verfahrens einhalten muss, die in lit. a – c ausgeführt werden und insbesondere vorsehen, dass der Mitarbeiter vor der Befragung darauf hingewiesen werden muss, dass Auskünfte in einem Strafverfahren (gegen ihn) verwendet werden können (lit. a), ihm anwaltlicher Beistand (oder die Hinzuziehung eines Mitglieds des Betriebsrates) bei den Befragungen gewährt wird sowie der Hinweis darauf (lit. b) und dass ihm das Nemo-tenetur-Recht gewährt wird, worauf der Verband ebenfalls hinzuweisen hat (lit. c). Alle in § 17 VerSanG-E genannten Voraussetzungen müssen hinsichtlich der internen Ermittlungen vom Verband kumulativ erfüllt werden, damit eine Sanktionsmilderung greifbar wird.498 Werden diese Maximen, so wie im Regierungsentwurf vorgesehen Gesetz, ist dies für den Verband im Grunde bereits bei Eingehung der Kooperation mit den Strafverfolgungsbehörden mit erheblichen Risiken verbunden: Denn insbesondere das Konstrukt der Gewährung der Rechte für die Mitarbeiter durch den VerSanG-E ist für den Verband kaum sicher kalkulierbar; sollte beispielsweise ein Mitarbeiter vorbringen, nicht angemessen aufgeklärt worden zu sein, besteht die Gefahr, dass die in Aussicht gestellte Milderung verwehrt wird, sofern der Verband nicht das Gegenteil beweisen kann. Fraglich ist, ob das gleiche 494 495 496 497 498

RegE.-Begr. S. 99. Ausführlich Rübenstahl, ZWH 2020, 164 (168). Knauer, NStZ 2020, 441 (446). RegE.-Begr. S. 100. Vgl. RegE.-Begr. S. 98.

A. Internal Investigations

483

Szenario auch drohen würde, wenn sich die Mitarbeiter, auf deren Wissen es für die Aufklärung des Sachverhaltes ankommt, auf ihr Nemo-tenetur-Recht in den Interviews berufen und der Verband aus diesem Grund den Sachverhalt nicht, wie im VerSanG-E vorgesehen, aufklären kann. Hierüber lässt die Entwurfsbegründung den Leser jedoch im Unklaren. Lediglich hinsichtlich der Begründung der Ablehnung der Widerspruchslösung bezieht der Entwurf dergestalt Stellung, dass sofern eine Widerspruchslösung vorgesehen würde und das Unternehmen durch den Widerspruch keinen wesentlichen Beitrag zur Aufklärung leisten könnte, eine Sanktionsmilderung ausgeschlossen wäre.499 Überdies ist die im Regierungsentwurf vorgeschlagene Lösung problematisch, da sie arbeitsrechtliche Pflichten des Arbeitnehmers gegenüber dem Arbeitgeber konterkariert.500 Insgesamt dürfen diese sehr weitgehenden Voraussetzungen, insbesondere des § 17 Abs. 1 Nr. 5 lit. a–c VerSanG-E, für die Erlangung einer Sanktionsmilderung nicht darüber hinwegtäuschen, dass zwar ohne Zweifel ein Schutz für Mitarbeiter in den Interviews zu fordern ist, sich die Situation insgesamt aber nicht so eindimensional darstellt, wie im Regierungsentwurf geschildert, sondern vielmehr auch die praktische Umsetzung für Unternehmen berücksichtigt werden muss. cc) § 17 Abs. 3 VerSanG-E § 17 Abs. 3 VerSanG-E konkretisiert Abs. 1 dergestalt, dass Umstände angeführt werden, die bei der Entscheidung nach Abs. 1 zu berücksichtigen sind, wie beispielsweise die Art und der Umfang der offenbarten Tatsachen und den Zeitpunkt der Offenbarung. Darüber hinaus wird in Abs. 3 festgelegt, dass es für eine hier angeführte Sanktionsmilderung notwendig ist, dass die Ergebnisse von Internal Investigations vor der Eröffnung des Hauptverfahrens offenbart werden. Anderenfalls (ergo bei einer späteren Offenlegung) käme, ausweislich der Entwurfsbegründung, lediglich eine mildernde Berücksichtigung im Sinne von § 15 Abs. 3 Nr. 7 VerSanG-E (bei der Bemessung der Verbandsgeldsanktion) in Betracht.501 Positiv hervorzuheben ist, dass hierdurch zum einen klargestellt wird, dass die Kooperation mit den Behörden auch noch während des Ermittlungsverfahrens ausreichend ist, um eine Sanktionsmilderung nach § 17 VerSanG-E zu erhalten und zum anderen, dass selbst nach der Eröffnung des Hauptverfahrens eine Berücksichtigung im Rahmen der Bemessung der Verbandsgeldsanktion gemäß § 15 VerSanG-E ermöglicht werden soll. Letzteres gilt ebenfalls, wenn die internen Untersuchungen den Anforderungen des § 17 VerSanG-E nicht genügen.502

499 500 501 502

RegE.-Begr. S. 103. Vgl. zu den Pflichten S. 389. RegE.-Begr. S. 103. RegE.-Begr. S. 97 f.

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7. Kap.: Sonderfragen eines Verbandssanktionsverfahrens

b) § 18 VerSanG-E (Umfang der Milderung) § 18 VerSanG-E sieht für den Fall, dass ein Unternehmen die hohen, nicht zuletzt auch von den Strafverfolgungsbehörden zu setzenden Anforderungen des § 17 VerSanG-E bewältigt, eine Sanktionsmilderung dergestalt vor, dass sich der Sanktionsrahmen halbiert und die öffentliche Bekanntmachung der Verurteilung ausgeschlossen ist.503 In Anbetracht der Tatsache, dass § 17 VerSanG-E enorm hohe Voraussetzungen an das Unternehmen für eine potentielle Sanktionsmilderung stellt, gleichzeitig aber auch eine sehr hohe Obergrenze für den Sanktionsrahmen (vgl. § 9 VerSanG-E) angesetzt ist, wird die Sanktionsmilderung für Unternehmen um die Hälfte und dem Ausschluss der öffentlichen Bekanntmachung zwar auf der einen Seite sehr erstrebenswert sein. Auf der anderen Seite stellen die zu erfüllenden Voraussetzungen des § 17 VerSanG-E aber eine derart schwierige Hürde dar, dass Unternehmen sich ebenfalls fragen müssen, ob eine, wenn auch sehr hohe Geldsanktion, vorteilhafter wäre als die langwierige und unabsehbare Durchführung von Internal Investigations nach § 17 VerSanG-E. Diese Betrachtung erfährt immerhin dadurch eine Abmilderung, bzw. die Dinge werden zumindest auf einer anderen Ebene wieder näher an ihren Ort zurückgerückt, dass der Regierungsentwurf für die Sanktionsmilderung klarstellt, dass ein „gestuftes Anreizsystem“ in Verbindung mit §§ 10, 35, 36 und 50 Abs. 4 VerSanG-E geschaffen werden soll.504 Konkret vorgesehen ist, dass, sofern aufgrund des § 18 VerSanG-E nur eine geringfügige Verbandssanktion zu verhängen wäre und zusätzlich kein öffentliches Interesse an der weiteren Verfolgung des Verbandes besteht, gemäß § 35 VerSanG-E (Absehen von der Verfolgung wegen Geringfügigkeit) von der Verfolgung abgesehen werden kann.505 Ist jedoch weiterhin ein öffentliches Interesse gegeben, werden die Voraussetzungen des § 36 VerSanG-E (Absehen von der Verfolgung unter Auflagen und Weisungen) geprüft.506 Sowohl § 35 als auch § 36 VerSanG-E weisen enge Bezüge zur Verfolgungspflicht auf, jedoch ist eine Erörterung ihres Zusammenspiels mit § 18 VerSanG-E an dieser Stelle unerlässlich.507 Doch auch wenn eine Bejahung der Voraussetzungen nach § 36 VerSanG-E fehlgeht, will der Entwurf Sorge tragen. Dies kann beispielsweise der Fall sein, wenn die Schwere der Verbandstat oder die Höhe der Verbandssanktion trotz durchgeführter interner Untersuchungen gegen ein Absehen von der Verfolgung nach § 36 VerSanG-E sprechen.508 Unter diesen Umständen ist eine Verwarnung mit Verbandsgeldsanktionsvorbehalt nach § 10 VerSanG-E in Betracht zu ziehen, da 503 Zutr. krit. zur „öffentlichen Bekanntmachung“ im Gesamten Rübenstahl, ZWH 2019, 233 (243); siehe auch BR-Drs. 440/20, S. 10 ff., die die Streichung von § 14 VerSanG-E (Öffentliche Bekanntmachung der Verurteilung des Verbandes) empfiehlt. 504 RegE.-Begr. S. 97. 505 RegE.-Begr. S. 97. 506 RegE.-Begr. S. 97. 507 Dazu bereits oben S. 256. 508 RegE.-Begr. S. 97.

A. Internal Investigations

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eine Aufklärung der Verbandstat durch das Unternehmen im Rahmen von internen Untersuchungen als „besonderer Umstand“ im Sinne von § 10 Abs. 1 Nr. 2 VerSanGE gewertet werden könne.509 Wird das Unternehmen den Anforderungen, die § 17 VerSanG-E für die Durchführung von internen Untersuchungen festsetzt und die die Strafverfolgungsbehörden mit Leben füllen, nicht gerecht, besteht dennoch die Möglichkeit der Berücksichtigung auf der Sanktionszumessungsebene dergestalt, dass eine Milderung nach § 15 Abs. 3 Nr. 7 VerSanG-E möglich sein soll.510

V. Kritische Würdigung und Fazit Die Internal Investigations haben mittlerweile einen überragenden Stellenwert sowohl in der juristischen Diskussion als auch in der Praxis inne, wenn es um potentiell rechtswidriges Verhalten eines Unternehmens geht, und erfreuen sich sowohl auf Unternehmens- als auch auf Behördenseite großer Inanspruchnahme, wenngleich an unterschiedlichen Fronten große (Rechts-)Unsicherheit auszumachen ist. Unpopulär sind sie vor allem aus der Mitarbeiterperspektive aufgrund des oftmals verwendeten Instruments der „Mitarbeiterinterviews“. Ihre Bedeutung dürfte, das verwundert nicht, unabhängig davon, ob es in Zukunft in Deutschland ein eigens geregeltes Verbandssanktionsrecht geben wird, noch um ein nicht nur unerhebliches Maß ansteigen. Friktionen und Probleme könnten im Zusammenhang mit der rechtlichen Berücksichtigung, der Selbstbelastungsfreiheit der Unternehmen sowie bei der Compliance bevorstehen. Insgesamt ist ohne jeden Zweifel Handlungsbedarf des Gesetzgebers zu verzeichnen, eine rechtliche Regelung hinsichtlich der Berücksichtigung solcher Untersuchungen zu erlassen, um endlich und für alle Seiten mehr Licht ins Dunkel zu bringen und der derzeitigen Aporie ein Ende zu setzen. Gesetzlicher Handlungsbedarf wird hier für die Zukunft vor allem für drei Problemkreise gesehen: Zum einen bei der Kollision der Mitwirkungspflicht des Arbeitnehmers in Mitarbeiterbefragungen mit der Selbstbelastungsfreiheit, bei der Frage, ob Strafverfolgungsbehörden Ergebnisse interner Ermittlungen beschlagnahmen dürfen, und bei der rechtlichen Berücksichtigung von im Unternehmen durchgeführten internen Untersuchungen. Der erstgenannte Problemkreis würde beispielsweise durch eine Zustimmungslösung (die gesetzliche Normierung eines Beweisverwertungsverbotes) entschärft werden, da hierdurch die Interessen aller Seiten gewahrt würden und die Lösung bereichsübergreifend (vor allem unter dem Aspekt der Selbstbelastungsfreiheit) wirken würde. Darüber hinaus wäre sie dazu geeignet, das erklärte und primäre Ziel eines Verbandssanktionsrechts zu fördern, die Prävention auszubauen, da Anreize geschaffen würden, Internal Investigations durchzuführen bzw. aus Mitarbeitersicht: an diesen mitzuwirken. So würde beispielsweise für Mitarbeiter, die in den Befra509 510

RegE.-Begr. S. 97. RegE.-Begr. S. 97 f.

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7. Kap.: Sonderfragen eines Verbandssanktionsverfahrens

gungen Wissen über Sachverhalte offenbaren, das Risiko künftiger (strafrechtlicher) Repressionen verringert, wenngleich in der Praxis wahrscheinlich nicht auszuschließen ist, dass die Strafverfolgungsbehörden bei tatsächlicher Kenntnis von strafrechtlich relevanten Sachverhalten auch andere Beweismittel „finden“ werden. Den Kritikern des unternehmensfreundlichen Lösungsansatzes sei letztlich ein weiteres Mal mit auf den Weg gegeben, dass auch bei der Anwendung eines Beweisverwertungsverbotes die strafrechtliche Verfolgung/Sanktionierung dadurch nicht gänzlich ausgeschlossen würde, sondern dass lediglich die Aussagen im Rahmen von Internal Investigations oder Aufzeichnungen nicht als Beweis für ein Strafverfahren herangezogen werden dürfen. Die Lösung (bei der eine mittelbare Verwertung der Ergebnisse von Internal Investigations folglich möglich ist und gerade kein Beweisverwendungsverbot statuiert werden soll) stellt insgesamt den größtmöglichen Ausgleich der hier widerstreitenden Interessen dar. Wenig überzeugend ist an dieser Stelle der vorgesehene Ansatz des VerSanG-E, der das „Mitarbeiterdilemma“ auf Ebene der Kooperation des Unternehmens im Rahmen der internen Ermittlungen zu lösen sucht, indem das Unternehmen bei der Befragung bestimmte Grundsätze einhalten muss, da ansonsten eine durch die internen Untersuchungen möglicherweise in Betracht kommende Sanktionsmilderung unwahrscheinlich ist. Denn dies mutet zum einen für den Fall drakonisch an, dass geltend gemacht wird, das Unternehmen habe sich nicht oder nicht umfassend an alle aufgestellten Vorgaben in § 17 Abs. 1 Nr. 5 lit. a–c VerSanG-E gehalten, und zum anderen muss gefragt werden, ob es wahrscheinlicher ist, dass sich Mitarbeiter unter diesen Voraussetzungen tatsächlich auf ihr Schweigerecht berufen werden. Darüber hinaus bleibt unklar, welche Konsequenzen es hat, wenn sich Mitarbeiter tatsächlich auf ihr Nemo-tenetur-Recht berufen und der Verband aus diesem Grund nicht wesentlich zur Aufklärung der Tat beitragen kann. Dieser Umstand würde nämlich nicht aus der Unternehmenssphäre selbst resultieren und das Unternehmen kann hierfür keine Sorge tragen. Vielmehr ist dieser Umstand abhängig vom jeweiligen Mitarbeiter. Das Unternehmen kann somit alles in seiner Macht Stehende getan haben, um die Voraussetzungen des § 17 VerSanG-E zu erfüllen und dennoch besteht die Möglichkeit, dass die Sachverhaltsaufklärung dadurch verhindert wird. An dieser Stelle lässt der Entwurf die daraus folgenden Konsequenzen vermissen. Für den zweiten wichtigen Problemkreis ist festzuhalten, dass ein umfassendes Beschlagnahmeverbot für Aufzeichnungen der Internal Investigations normiert werden sollte bzw. § 97 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 StPO (entgegen der Jones Day-Entscheidung des BVerfG) angewendet werden sollte. Durch derartige positiv-rechtliche Regelungen würden die wesentlichen Friktionen im Zusammenhang mit internen Ermittlungen eine klare Regelungsstruktur erfahren, die, wie die Vergangenheit und Gegenwart (vgl. nur Jones Day-Entscheidung des BVerfG) zeigen, bereits überfällig ist. Die Regelungen, die der VerSanG-E für diesen Problemkreis vorsieht (Änderung der Vorschriften §§ 97 und 160a StPO), letztlich also die Kodifizierung der Jones

A. Internal Investigations

487

Day-Entscheidung des BVerfG im Verbandssanktionengesetz, können nicht überzeugen. Aus den oben bereits angeführten Gründen ist die Kodifizierung des Vertrauensverhältnisses in § 97 Abs. 1 Nr. 3 StPO, wie im Regierungsentwurf vorgesehen, abzulehnen. Auch die Ausführungen, die sich aus der Entwurfsbegründung ergeben, kranken: So soll die Sachverhaltsaufklärung, die das Unternehmen vornimmt, bevor es den Beschuldigtenstatus innehat, beschlagnahmefähig sein und dies soll insbesondere für die Sachverhaltsaufklärung im Rahmen von interner Compliance gelten.511 Gleichzeitig will der VerSanG-E Anreize für Compliance schaffen. Hier ergeben sich nicht lösbare, vom VerSanG-E geschaffene Widersprüche, denn wenn das Unternehmen beispielsweise aufgrund seines Compliance-Systems fündig wird und den Sachverhalt aufklären will, wird es dies im Bewusstsein tun müssen, dass die Strafverfolgungsbehörden uneingeschränkten Zugriff auf diese Sachverhaltsaufklärung haben, worauf die berechtigte Frage folgt: Wie sollen sich die Unternehmen hier „verhalten“ bzw. wie werden sie sich „verhalten“? Möglich wäre beispielsweise, dass bereits die Aufklärung völlig zurückgestuft wird und ein passives Zuwarten vorgezogen wird, bis eine Beschuldigtenstellung vorliegt, um erst sodann mit der Aufklärung zu beginnen oder aber nur noch oberflächlich dergestalt aufzuklären, und das zutage zu fördern, was sich bei einer Beschlagnahme nicht als nachteilig erweisen wird. Hier darf ernsthaft bezweifelt werden, dass solche Regelungen dazu geeignet sind, den spezial-präventiven Grundgedanken eines Verbandssanktionengesetzes zu tragen. Vielmehr lässt der VerSanG-E und auch seine Begründung in Aporie zurück verbunden mit der Hoffnung, dass der Gesetzgeber erkennt, wie praxisfern und kontraproduktiv eine derartige Ausgestaltung sein dürfte. Hinsichtlich des dritten Problemkreises wird zum einen auf die Ausführungen zur rechtlichen Berücksichtigung von Compliance-Maßnahmen verwiesen, da die Internal Investigations (oftmals) einen Teil dieser bilden bzw. in einem untrennbaren Zusammenhang hierzu stehen.512 Zum anderen ist an die oben gemachten Ausführungen zu der rechtlichen Berücksichtigung von Internal Investigations des VerSanG-E anzuknüpfen. Hier ist zu resümieren, dass die Anforderungen in § 17 VerSanG-E an die Durchführung von internen Untersuchungen, die zu einer Sanktionsmilderung für Unternehmen führen können (und von vielfacher Art und Güte sind), nicht aber bei Erfüllung der Voraussetzungen zwingend dazu führen müssen, als nicht nur unwesentlich zu hoch erachtet werden. Dies gilt insbesondere im Kontext der unverhältnismäßig hoch angesetzten Sanktionsobergrenze, da sich Unternehmen aufgrunddessen vielfach um die Erfüllung der Voraussetzungen der Internal Investigations und somit um eine Sanktionsmilderung bemühen werden. Dieses Konglomerat der Regelungen im VerSanG-E kann für die Unternehmen in Zukunft zu einem Kampf gegen Windmühlen werden. Hier besteht somit, sollten diese Regelungen dergestalt Gesetz

511 512

Vgl. RegE.-Begr. S. 137. Vgl. dazu S. 519.

488

7. Kap.: Sonderfragen eines Verbandssanktionsverfahrens

werden, in der Praxis die Notwendigkeit der eher großzügigeren Handhabung der Erfüllung der Voraussetzungen des § 17 VerSanG-E. Etwas anderes und insbesondere ein Hauch Optimismus versprüht die Entwurfsbegründung jedoch in ihren Ausführungen in der Hinsicht des „gestuften Anreizsystems“ der §§ 17, 18 VerSanG-E.513 So soll es möglich sein, dass unter weiteren Voraussetzungen letztlich aufgrund von „erfolgreichen“ (den Anforderungen des § 17 VerSanG-E genügenden) internen Ermittlungen von der weiteren strafrechtlichen Verfolgung des Verbandes abgesehen werden kann oder eine Verwarnung mit Verbandsgeldsanktionsvorbehalt in Betracht kommt. Auch interne Untersuchungen, die den Anforderungen des § 17 VerSanG-E nicht genügen, sollen sanktionsmildernd im Rahmen von § 15 Abs. 3 VerSanG-E berücksichtigt werden können. Insgesamt stehen einer rechtlichen Regelung für die genannten Probleme zwar keine unüberwindbaren Hürden entgegen, sondern es eröffnet sich vielmehr eine zukunftsorientierte Perspektive der internen Ermittlungen, wenngleich diese durch den aktuellen Regierungsentwurf getrübt wird und der Koalitionsvertrag aus dem Jahre 2018 wesentlich mehr Anlass zur Hoffnung gab.514 Dort heißt es: „Um Rechtssicherheit für alle Beteiligten zu schaffen, werden wir gesetzliche Vorgaben für ,Internal Investigations‘ schaffen, insbesondere mit Blick auf beschlagnahmte Unterlagen und Durchsuchungsmöglichkeiten. Wir werden gesetzliche Anreize zur Aufklärungshilfe durch ,Internal Investigations‘ und zur anschließenden Offenlegung der hieraus gewonnenen Erkenntnisse setzen.“515 Zu hoffen bleibt somit, dass der Gesetzgeber den VerSanG-E bzw. insbesondere die Regelungen zu den internen Untersuchungen nicht bedenkenlos in Gesetzesform gießen wird, damit die derzeitige Aporie nicht bestandskräftig wird, sondern durch ein zukünftiges Verbandssanktionengesetz tatsächlich Anreize für die Aufklärung durch interne Untersuchungen geschaffen werden.

B. Compliance I. Allgemeines und Begrifflichkeiten „Compliance-Programs“,516 „Risk Management“ oder „Corporate Governance“517 sind nur einige von vielen Bezeichnungen,518 die Richtlinien oder Vorgaben 513

Siehe RegE.-Begr. S. 97. Siehe in dem Zusammenhang mit dem Koalitionsvertrag gesetzliche Vorgaben für Internal Investigations befürwortend auch Ballo/Reischl, CP 2018, 189 (191 f.). 515 Vgl. Koalititionsvertrag 2018, S. 126, abrufbar unter https://www.cdu.de/system/tdf/me dia/dokumente/koalitionsvertrag_2018.pdf?file=1 zuletzt abgerufen am 09. 11. 2020. 516 Vgl. zu Überschneidungen zu anderen Organisationseinheiten innerhalb eines Unternehmens mit Compliance Renz, ZRFC 2014, 38 (40 f.); siehe zum Compliance-ManagementSystem (CMS) Veit, Compliance, S. 71 ff. 514

B. Compliance

489

von Maßnahmen eines Unternehmens zur Verhinderung von Gesetzesverstößen in Unternehmen beinhalten, ergo insgesamt Konzepte der Unternehmensführung betreffen, Rechtsverstöße im Unternehmen zu vermeiden bzw. aufzudecken und sich folglich rechtstreu zu verhalten.519 Die Begriffe können dabei bisher (nicht nur, aber jedenfalls auch) gesetzlich nicht klar voneinander abgegrenzt werden und spiegeln in ihrer Gesamtheit auf den Punkt gebracht die Ziele und Wertvorstellungen520 eines Unternehmens wider.521 In Deutschland522 wird derweil häufig auf den Begriff der „Compliance-Programme“ oder auch „Compliance-Abteilungen“ in Unternehmen rekurriert bzw. diese werden als gängige Termini verwendet.523 Unter dem Begriff der ComplianceProgramme wird, vereinfacht, das Verfahren zur Einhaltung von (jedenfalls auch, aber nicht nur) gesetzlichen sowie ethischen Zielsetzungen, insbesondere durch Unternehmenstransparenz und -kontrolle, verstanden.524 Eine Compliance-Abteilung oder ein Compliance-Beauftragter im Unternehmen beschäftigt sich mit internen und externen Kontrollen zur Sachaufklärung bei dem Verdacht eines Geset517 Siehe dazu und zu Business Ethics insgesamt auch Hefendehl, JZ 2006, 119 ff. (122), der Compliance als bedeutende Komponente der Corporate Governance beschreibt. Dazu spezifisch auch Rotsch, in: Rotsch (Hrsg.), Criminal Compliance, S. 39 m.w.N., der die Corporate Governance als Begriff des Gesamtsystems betrachtet, welches als Ordnungsrahmen für die Leitung und Überwachung eines Unternehmens fungiert und innerhalb dessen Compliance ein Mittel zur Überwachung des Systems darstellt. Dazu auch Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen, S. 45; im Zusammenhang mit Internal Investigations Knierim, StV 2009, 324 (326 f.); zum Verhältnis von Corporate Governance und Compliance auch Lenze, Compliance, S. 31 f. 518 Siehe zu grundlegenden Begriffsverwendungen rund um Compliance Rotsch, in: Rotsch (Hrsg.), Criminal Compliance, S. 37 ff. 519 Vgl. dazu Sieber, FS Tiedemann, S. 449 (451) m.w.N.; siehe insbesondere auch zum nicht näher festgelegten Berufsbild des Compliance Officer sowie seiner Entwicklung Renz, ZRFC 2014, 38 ff.; zur strafrechtlichen Pflichtenstellung eines Compliance Officer BGH v. 17. 07. 2009 – 5 StR 394/08, NJW 2009, 3173; ausführlich zur Begriffsbestimmung Rotsch, in: Rotsch (Hrsg.), Criminal Compliance, S. 31 ff.; grundlegend auch Rotsch, ZStW 2013 (125), 481 ff.; im Zusammenhang mit dem Unternehmensanwalt Berndt, in: Berndt/Theile (Hrsg.), Unternehmensstrafrecht, S. 275 ff. 520 Zu Compliance und Wertekulturen siehe die PricewaterhouseCoopers Studie zur Wirtschaftskriminalität aus dem Jahre 2016, abrufbar unter http://www.pwc.de/de/risiko-mana gement/assets/studie-wirtschaftskriminalitaet-2016.pdf, S. 62 ff., zuletzt abgerufen am 09. 11. 2020; Lenze, Compliance, S. 21 ff. 521 Dazu ausführlich Sieber, FS Tiedemann, S. 449 (451). 522 Der Ursprung von Compliance in Deutschland wird in der 1970er Jahren im Wertpapierhandelsgesetz gesehen, in welchem sich freiwillige interne Richtlinien für Wertpapierhandelsunternehmen zur Selbstregulierung fanden, vgl. dazu m.w.N. Rotsch, in: Rotsch (Hrsg.), Criminal Compliance, S. 46 f. 523 Siehe zur Diskussion rund um Criminal Compliance hierzulande BeckOK OWiG/Graf, OWiG § 130 Rn. 125 ff. 524 Sieber, FS Tiedemann, S. 449 (452); diesen Begriff erläuternd Dannecker/Bülte, in: Wabnitz/Janovsky/Schmitt (Hrsg.), Handbuch Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 1. Kap. Rn. 133 ff.

490

7. Kap.: Sonderfragen eines Verbandssanktionsverfahrens

zesverstoßes im Unternehmen sowie betriebsinternen Sanktionsmechanismen. Die Maßnahmen werden insgesamt durch die Compliance-Abteilung oder den Compliance-Beauftragten eines Verbandes koordiniert und organisiert. Eine solche Abteilung setzt sich vor allem in Großunternehmen aus mehreren Mitarbeitern zusammen und ist zur Effektivitätswahrung und -sicherung meist dem Unternehmensvorstand direkt unterstellt. Teile der Literatur differenzieren (begrifflich) noch weiter und verwenden den Terminus der Criminal Compliance.525 Unter Criminal Compliance wird zusammengefasst die Einhaltung strafrechtlich relevanter Regelungen bzw. die Vermeidung von strafrechtlichen Sanktionen verstanden. Beachtlich ist, dass die sogenannte Criminal Compliance bereits von dem Überbegriff der „Compliance“ an sich erfasst ist, da ein Unternehmen, das sich beispielsweise in jeder Hinsicht regelkonform und rechtstreu verhält, auch keine Straftaten/Ordnungswidrigkeiten (welche jedenfalls vom Strafrecht im weiteren Sinne erfasst wären526) begeht, weshalb im Folgenden hinsichtlich der Verwendung der Begriffe einheitlich auf die Bezeichnung „Compliance“ zurückgegriffen wird. Die vorangehenden unterschiedlichen Begrifflichkeiten,527 ohne gesetzliche Festlegung in Deutschland, erschweren mithin empirische Untersuchungen zu der Thematik. Als Folge der gesetzlichen Lücke können daher lediglich Trends bzw. Tendenzen in die eine oder die andere Richtung geschildert werden.

II. Empirie: Compliance in Deutschland 1. Der Deutsche Corporate Governance Kodex Trotz fehlender gesetzlicher Regelungen lassen sich hinsichtlich der ComplianceThematik im Gesamten Entwicklungen in Deutschland verzeichnen.528 Ein Werk, 525 So beispielsweise ausführlich bei Rotsch, in: Rotsch (Hrsg.), Criminal Compliance, S. 41 ff.; ders., ZStW 2013 (125), 481 ff. (484 ff.); siehe im Gegensatz dazu beispielsweise überblicksartig zur arbeitsrechtlichen Compliance Vogt, NJW 2009, 3755 ff.; zur Criminal Compliance im Zusammenhang mit Rechtsberatung Stolzenberger, Strafrechtliche Haftungsbegrenzung durch präventiven Rechtsrat und Compliance Systeme, S. 155 ff. 526 Mitsch, Ordnungswidrigkeitenrecht, S. 4 m.w.N.; dazu auch Rotsch, in: Rotsch (Hrsg.), Criminal Compliance, S. 42; in dem Kontext auch KK-OWiG/Mitsch, OWiG § 17 Rn. 4, der die ordnungswidrigkeitenrechtliche Geldbuße als „strafrechtliche Sanktion im weiteren Sinne“ bezeichnet. 527 Vgl. zur Differenzierung von Compliance in der Finanzindustrie im Gegensatz zu NichtFinanzindustrie-Unternehmen Renz, ZRFC 2014, 38 ff., siehe zur Mehrdeutigkeit des Begriffs der Criminal-Compliance auch Bock, wistra 2011, 201. 528 So auch schon Sieber im Jahre 2008, FS Tiedemann, S. 449 (454) „Eine Entwicklung zu Corporate Codes und den mit ihnen verbundenen neuen Steuerungsformen ist daher auch in Deutschland unverkennbar.“; siehe grundlegend zur Rechtsgutslehre des Wirtschaftsstrafrechts schon Tiedemann im Jahre 1969, Tatbestandsfunktionen im Nebenstrafrecht, S. 113 ff.; zur Frage der Compliance durch eine Verbandsstrafbarkeit ausführlich Kudlich, in: Kuhlen/Kud-

B. Compliance

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welches derartige Tendenzen (aktualisiert) wiedergibt, ist der Deutsche Corporate Governance Kodex.529 Der englische Terminus „Corporate Governance“ bezeichnet zusammengefasst den deutschen Begriff der „Unternehmensverfassung“, welche einen rechtlichen und einen faktischen (Ordnungs-)Rahmen beinhaltet, der die Leitung und Überwachung eines Unternehmens umfasst.530 Aufgrund von Häufungen der Missverwaltung von und in internationalen Unternehmen und der stetig voranschreitenden Globalisierung bekommt das Thema der Corporate Governance immer mehr Relevanz. Diese Entwicklung ist (wenn auch erst mit Verspätung531) ebenfalls Deutschland nicht verborgen geblieben, sodass letztlich im Ergebnis hierzulande der bereits erwähnte „Corporate Governance Kodex“ entstanden ist.532 Hierfür wurde die „Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex“ von der Bundesministerin der Justiz eingesetzt. Das geschah erstmals im Jahre 2001.533 Die Kommission besteht unter anderem aus Vertretern der Privatwirtschaft, wie zum Beispiel aus Vorständen und Aufsichtsräten von Unternehmen, die kapitalmarktorientiert sind.534 Ausweislich seiner Verfasser stellt der Kodex „wesentliche gesetzliche Vorschriften zur Leitung und Überwachung deutscher börsennotierter Gesellschaften dar und enthält in Form von Empfehlungen und Anregungen international und national anerkannte Standards guter und verantwortungsvoller Unternehmensführung“.535 Die Standards werden nicht durch die Kommission allein festgesetzt, sondern ihre Formulierung basiert auf den „Dialogen mit Wirtschaft, Politik und Öffentlichkeit“.536 Durch den Kodex entsteht eine Selbstverpflichtung der Wirtschaft.537 Der Corporate Governance Kodex unterliegt einer alljährlichen Prüfung durch die extra hierfür eingesetzte Regierungskommis-

lich/Ortiz de Urbina (Hrsg.), Compliance und Strafrecht, S. 209 ff.; Mengel, Compliance und Arbeitsrecht, S. 11 ff. 529 Zu finden unter http://www.dcgk.de/de/ in der Fassung vom 16. 12. 2019 zuletzt abgerufen am 16. 05. 2020; siehe zu den Zielen und zu den unterschiedlichen Funktionen des Kodex auch Bachmann, in: Kremer u. a. (Hrsg.), Deutscher Corporate Governance Kodex, Vorb. Rn. 33 ff. 530 v. Werder, in: Kremer u. a. (Hrsg.), Deutscher Corporate Governance Kodex, Vorb. Rn. 1 m.w.N. 531 Im internationalen Vergleich, da die eigentliche Corporate-Governance-Bewegung bereits Anfang der 1990er Jahre einsetzte, vgl. dazu auch v. Werder, in: Kremer u. a. (Hrsg.), Deutscher Corporate Governance Kodex, Vorb. Rn. 6 ff. 532 Siehe zu vorangehenden Initiativen und der Entwicklung bis hin zu dem einheitlichen Corporate Governance Kodex v. Werder, in: Kremer u. a. (Hrsg.), Deutscher Corporate Governance Kodex, Vorb. Rn. 6 ff. 533 Überblicksartig Taschke, NZWiSt 2012, 89 (91). 534 Siehe http://www.dcgk.de/de/kommission.html zuletzt abgerufen am 16. 05. 2020. 535 Zu finden unter http://www.dcgk.de/de/ zuletzt abgerufen am 16. 05. 2020. 536 Siehe http://www.dcgk.de/de/kommission.html zuletzt abgerufen am 16. 05. 2020. 537 Siehe dazu http://www.dcgk.de/de/ zuletzt abgerufen am 16. 05. 2020.

492

7. Kap.: Sonderfragen eines Verbandssanktionsverfahrens

sion,538 ob und gegebenenfalls in welchen Punkten Anpassungs-/Optimierungsbedarf besteht.539 Anerkanntes Ziel des Deutschen Corporate Governance Kodex ist es: „Als Instrument der Selbstregulierung der deutschen Wirtschaft (…) auch einen wichtigen Beitrag zum Bürokratieabbau (zu leisten). Der Gesetzgeber gibt die Rahmenbedingungen vor, legt aber die Erarbeitung der Details in die Hände der unmittelbar Betroffenen. Die Effektivität dieses Ansatzes zeigt sich in der Praxisnähe und Flexibilität des Kodex, der genügend Raum für maßgeschneiderte Lösungen lässt.“540 Inhaltlich richtet sich der Kodex primär an börsennotierte Gesellschaften und Gesellschaften mit Kapitalmarktzugang im Sinne des § 161 Abs. 1 S. 2 des AktG, nicht börsennotierten Gesellschaften wird die Befolgung lediglich empfohlen.541 Durch die Selbstverpflichtung des Kodex kommt dem Vorstand und dem Aufsichtsrat (aufgrund des gesetzlich vorgegebenen dualen Führungssystems542 für deutsche Aktiengesellschaften durch das AktG543) im Unternehmen die Aufgabe zu, im Rahmen der sozialen Marktwirtschaft für den „Bestand des Unternehmens und seine nachhaltige Wertschöpfung“ Sorge zu tragen.544 Der Corporate Governance Kodex setzt sich aus drei Strukturelementen zusammen: Er beschreibt gesetzliche Vorschriften, welche vorwiegend im Aktiengesetz geregelt sind, zur Leitung und Überwachung deutscher börsennotierter Gesellschaften (Unternehmensführung) und er enthält international sowie national anerkannte Standards guter und verant538

Die Mitglieder dieser Kommission werden vom Bundesministerium der Justiz für Verbraucherschutz berufen. Vgl. http://www.dcgk.de/de/kommission.html zuletzt abgerufen am 16. 05. 2020. 539 Siehe dazu http://www.dcgk.de/de/ zuletzt abgerufen am 16. 05. 2020. 540 Zitat von Christine Lambrecht, Bundesministerin der Justiz und für Verbraucherschutz, abrufbar unter https://www.dcgk.de/de/kommission.html zuletzt abgerufen am 16. 05. 2020. 541 Nicht kapitalmarktorientierten Gesellschaften wird die Beachtung des Kodex in der Präambel empfohlen, abrufbar unter https://www.dcgk.de/de/kodex/aktuelle-fassung/praeam bel.html zuletzt abgerufen am 16. 05. 2020. 542 Vgl. überblicksartig Liebscher, Beck’sches Handbuch der AG, § 6 Rn. 1; v. Werder, in: Kremer u. a. (Hrsg.), Deutscher Corporate Governance Kodex, 1. Präambel, Rn. 112 ff.; alternativ zu diesem dualen Führungssystem besteht die Möglichkeit, sich in Deutschland durch die Europäische Gesellschaft (SE), wie international häufig, für einen Verwaltungsrat als einheitliches Leitungsorgan eines Unternehmens zu entscheiden. So noch enthalten in der Version des Kodex von 2017 in der Präambel S. 2, abrufbar unter https://www.dcgk.de/de/ko dex/archiv.html zuletzt abgerufen am 16. 05. 2020. 543 §§ 76 ff. und §§ 95 ff. AktG; der Vorstand hat dabei die Aufgabe das Unternehmen eigenverantwortlich zu leiten, wobei dem Vorstandsvorsitzenden die Aufgabe zukommt, die Arbeit der Vorstandsmitglieder zu koordinieren. Hingegen bestellt, überwacht und berät der Aufsichtsrat den Vorstand und wird in grundlegende Entscheidungen des Unternehmens einbezogen. Der Aufsichtsratsvorsitzende koordiniert dabei insbesondere die Arbeit im Aufsichtsrat, vgl. https://www.dcgk.de//files/dcgk/usercontent/de/download/kodex/191216_Deut scher_Corporate_Governance_Kodex.pdf S. 4 f. zuletzt abgerufen am 16. 05. 2020. 544 Siehe dazu https://www.dcgk.de//files/dcgk/usercontent/de/download/kodex/191216_ Deutscher_Corporate_Governance_Kodex.pdf S. 2 zuletzt abgerufen am 16. 05. 2020.

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wortungsvoller Unternehmensführung.545 Seine gesetzliche Grundlage findet der Kodex in § 161 AktG. Demgemäß besteht keine Verbindlichkeit für die Unternehmen, den Anregungen und Empfehlungen nachzukommen, jedoch existiert nach Abs. 1 eine Notations- und Begründungspflicht im Fall des Abweichens von Empfehlungen. Inhaltlich sieht der Kodex Empfehlungen und Anregungen vor (all jene sprachlich mit „soll“ = Empfehlung oder „sollte“ = Anregung gekennzeichneten Phrasen), deren wesentliche Punkte unter anderem in D. II. „Zusammenarbeit im Aufsichtsrat und mit dem Vorstand“ in Punkt D. II. 3. (Informationsversorgung) Grundsatz 15 geregelt sind und vorsehen, dass dem Vorstand gegenüber dem Aufsichtsrat Informationspflichten dergestalt zukommen, dass dieser zeitnah, umfassend und regelmäßig über alle relevanten Fragen der Strategie, Planung, Geschäftsentwicklung, Risikolage, Risikomanagement und Compliance des Unternehmens informiert wird, wobei der Aufsichtsrat in diesem Zusammenspiel ebenfalls sicherstellen muss, die erforderlichen Informationen zu erhalten, darüber hinaus aber auch weitere Informationen vom Vorstand einfordern kann;546 Punkt D. II. 1. Grundsatz 13547 legt fest, dass eine vertrauensvolle Zusammenarbeit von Vorstand und Aufsichtsrat zum Wohle des Unternehmens unerlässlich ist. Grundlegend regelt der Kodex insbesondere die „Geschäftsführungsaufgaben des Vorstands“ (in Punkt A. I.). Hierzu besagt beispielsweise Grundsatz 4, dass es für einen verantwortungsvollen Umgang mit den Risiken der Geschäftstätigkeit notwendig sei, im Unternehmen ein geeignetes und wirksames internes Kontroll- und Risikomanagementsystem zu haben.548 Grundsatz 5 hält fest, dass der Vorstand zum einen für die Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen und der unternehmensinternen Richtlinien Sorge trage sowie auf deren Beachtung hinwirke (Compliance). Empfohlen wird dem Vorstand an dieser Stelle, dass er für ein Compliance-System im Unternehmen sorgt, welches sich an dem spezifischen Risikoprofil des Unternehmens orientiert und dessen Grundstrukturen offenbart.549 Relevant ist darüber hinaus der Passus unter Punkt E. zu den Interessenkonflikten. Dort heißt es in Grundsatz 19, dass Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder dem Unternehmensinteresse verpflichtet seien. Sie dürfen ausweislich dieses Grundsatzes bei ihren Entscheidungen keine persönlichen Interessen verfolgen und dürfen Ge-

545

Zu finden unter http://www.dcgk.de/de/kodex.html zuletzt abgerufen am 16. 05. 2020. So https://www.dcgk.de//files/dcgk/usercontent/de/download/kodex/191216_Deutscher_ Corporate_Governance_Kodex.pdf S. 10 f. zuletzt abgerufen am 16. 05. 2020. 547 Siehe dazu https://www.dcgk.de//files/dcgk/usercontent/de/download/kodex/191216_ Deutscher_Corporate_Governance_Kodex.pdf S. 10 zuletzt abgerufen am 16. 05. 2020. 548 So https://www.dcgk.de//files/dcgk/usercontent/de/download/kodex/191216_Deutscher_ Corporate_Governance_Kodex.pdf S. 4 zuletzt abgerufen am 16. 05. 2020. 549 Siehe dazu https://www.dcgk.de//files/dcgk/usercontent/de/download/kodex/191216_ Deutscher_Corporate_Governance_Kodex.pdf S. 4 zuletzt abgerufen am 16. 05. 2020. 546

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schäftschancen, die dem Unternehmen zustehen, nicht für sich nutzen.550 Vorstandsmitglieder unterliegen ausweislich dieses Grundsatzes für die Zeit ihrer Tätigkeit einem umfassenden Wettbewerbsverbot. Insgesamt ist durch den Corporate Governance Kodex ein gut strukturiertes Compliance-System für börsennotierte Gesellschaften (jedenfalls im Grunde) beschrieben, was durch die stetige Aktualisierung das nötige Maß an Agilität aufweist. Im Punkt der Rechtsqualität des Kodex ist freilich zu beachten, dass dieser nicht vom parlamentarischen Gesetzgeber und auch nicht von der Regierung auf Grundlage einer gesetzlichen Ermächtigung erlassen wurde, sondern von einer Kommission, die durch das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (im Folgenden BMJV) berufen wird. Da dem Kodex jedoch (unter anderem mangels spezifischen inhaltlichen Vorgaben des BMJV) ausschließlich eine „Informationsaufgabe“ zukommt, ist es verfassungsrechtlich ausreichend, seine gesetzliche Grundlage in der Entsprechenserklärung nach § 161 AktG zu sehen.551 Demzufolge sind im Unterschied zu gesetzlichen Vorschriften die Empfehlungen und Anregungen des Kodex zwar nicht verbindlich, allerdings sind Abweichungen zu den Empfehlungen (nicht den Anregungen), wie bereits erwähnt, zu begründen und mit der jährlich abzugebenden Entsprechenserklärung zu veröffentlichen.552 Insgesamt kann festgehalten werden, dass der Corporate Governance Kodex für die allgemeine Situation und Entwicklung von Compliance in Deutschland interessant und (sicher teilweise) aussagekräftig ist, vor allem hinsichtlich variierender Schwerpunkte, welche sich im Laufe der Zeit, beispielsweise aufgrund neuer technischer Herausforderungen und immer komplexer werdenden Unternehmensstrukturen, ergeben haben. Ob sich hieraus jedoch spezifische inhaltliche Anforderungen zur Berücksichtigung von Compliance im Verbandssanktionenrecht ergeben können, erscheint indes eher obskur. 2. Complianceaspekte in der PricewaterhouseCoopers-Studie zur Wirtschaftskriminalität 2018 Bezeichnend und richtungsweisend für die Tendenz zur Implementierung von Compliance-Maßnahmen durch die Unternehmen selbst ist die Studie (veröffentlicht im Februar 2018) von PricewaterhouseCoopers, die alle zwei Jahre in Form einer Umfrage zur Wirtschaftskriminalität durchgeführt wird.553 Hinsichtlich der Bedeu550

Siehe dazu https://www.dcgk.de//files/dcgk/usercontent/de/download/kodex/191216_ Deutscher_Corporate_Governance _Kodex.pdf zuletzt abgerufen am 16. 05. 2020. 551 Vgl. http://www.dcgk.de/de/kodex.html zuletzt abgerufen am 16. 05. 2020; vgl. dazu insgesamt mit Streitstand Bachmann, in: Kremer u. a. (Hrsg.), Deutscher Corporate Governance Kodex, Vorb. Rn. 80 f. m.w.N. 552 Siehe dazu https://www.dcgk.de//files/dcgk/usercontent/de/download/kodex/191216_ Deutscher_Corporate_Governance_Kodex.pdf S. 2 zuletzt abgerufen am 16. 05. 2020. 553 Siehe PricewaterhouseCoopers Wirtschaftskriminalität 2018, https://www.pwc.de/de/ risk/pwc-wikri-2018.pdf zuletzt abgerufen am 09. 11. 2020.

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tung von Compliance-Programmen für Unternehmen werden die Ergebnisse im Folgenden summarisch zusammengefasst, wobei die Studie zusätzlich an anderen Stellen Eingang in die Untersuchung finden wird.554 In der Studie geben 75 % der Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern (bei Unternehmen mit mehr als 10.000 Mitarbeitern sogar 97 %555) an, ein Compliance-Management-System implementiert zu haben, und bei zusätzlichen 10 % der Unternehmen ist ein Compliance-Management-System bereits geplant.556 Darüber hinaus scheint das Sicherheitsbedürfnis der Unternehmen noch wesentlich weiter zu gehen, als ausschließlich Compliance-Strukturen im eigenen Unternehmen zu integrieren, da es für viele Unternehmen von wachsender Relevanz ist, dass auch ihre Lieferanten und Dienstleister ein Compliance-ManagementSystem haben. So gaben 82 % der befragten Unternehmen an, dass es ihnen „wichtig bzw. sogar sehr wichtig“ sei, dass Lieferanten und auch Dienstleister, mit denen sie interagieren, bereits ein Compliance-Management-System integriert haben, jedenfalls aber implementieren und auf diesem Sektor keinesfalls tatenlos passiv zuwarten.557 Hierzu wird in der Studie hervorgehoben: „Viele Unternehmen berichten, dass es inzwischen zur Routine gehöre, Compliance-Standards von ihren Lieferanten und Dienstleistern einzufordern.“558 Die Begründung hierfür scheint vor allem darin zu liegen, dass die Unternehmen, welche Aufträge erteilen bzw. als Auftraggeber fungieren, sich ansonsten zunehmend Haftungs- und Reputationsrisiken ausgesetzt sehen würden, wenn sie es unterließen, auf Compliance-Standards bei ihren Zulieferunternehmen zu verzichten.559 Aufgrund dieses Sicherheitsbedürfnisses der Unternehmen würde auch der Druck auf kleinere Unternehmen steigen, die als Lieferanten oder Dienstleister von Großoder auch mittelständischen Unternehmen agieren, da es mittlerweile gängige Praxis sei, dass diese ihre Zulieferunternehmen vertraglich, insbesondere zu der Einhaltung von Compliance-Mindeststandards verpflichten, und beispielsweise Haftungsklauseln für den Fall von Compliance-Verstößen (sowie auch insbesondere die Option der „Ad-hoc-Prüfung“560) vereinbaren.561 55 % der Großunternehmen, die über mehr als 554

Siehe beispielsweise sogleich S. 496. PricewaterhouseCoopers Wirtschaftskriminalität 2018, S. 24, abrufbar unter https:// www.pwc.de/de/risk/pwc-wikri-2018.pdf zuletzt abgerufen am 09. 11. 2020, wobei ebenfalls deutlich wird, dass die Verbreitung von Compliance-Programmen mit abnehmender Größe des Unternehmens ebenfalls zurückgeht (sogenannter „Top-down-Effekt“). 556 PricewaterhouseCoopers Wirtschaftskriminalität 2018, S. 24, abrufbar unter https:// www.pwc.de/de/risk/pwc-wikri-2018.pdf zuletzt abgerufen am 09. 11. 2020. 557 PricewaterhouseCoopers Wirtschaftskriminalität 2018, S. 4, 33 f., abrufbar unter https:// www.pwc.de/de/risk/pwc-wikri-2018.pdf zuletzt abgerufen am 09. 11. 2020. 558 PricewaterhouseCoopers Wirtschaftskriminalität 2018, S. 4, 33 f., abrufbar unter https:// www.pwc.de/de/risk/pwc-wikri-2018.pdf zuletzt abgerufen am 09. 11. 2020. 559 PricewaterhouseCoopers Wirtschaftskriminalität 2018, S. 34, abrufbar unter https:// www.pwc.de/de/risk/pwc-wikri-2018.pdf zuletzt abgerufen am 09. 11. 2020. 560 PricewaterhouseCoopers Wirtschaftskriminalität 2018, S. 37, abrufbar unter https:// www.pwc.de/de/risk/pwc-wikri-2018.pdf zuletzt abgerufen am 09. 11. 2020. 555

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10.000 Mitarbeiter verfügen, haben die Anforderung an ein implementiertes Compliance-System an ihre Zulieferer und Dienstleister.562 Eine ähnliche Entwicklung ist mittlerweile auch bei den mittelständischen Unternehmen zu verzeichnen: In den Unternehmen mit 1.000 bis 4.999 Mitarbeitern ist es für immerhin 36 % der Unternehmen „sehr wichtig“, dass Lieferanten und Dienstleister über ein Compliance-System verfügen, in Unternehmen mit 500 bis 999 Mitarbeitern hat dieser Aspekt für 28 % der Unternehmen Relevanz.563 Insgesamt spricht das Ergebnis der Studie eine deutliche Sprache: Es zeigt zum einen sehr klar auf, dass Compliance-Programme für Unternehmen in Deutschland immer wichtiger werden und ihre Bedeutung nicht unterschätzt werden darf.564 Dies gilt vor allem für Großunternehmen, welche international agieren und dementsprechend nicht nur dem deutschen Recht unterworfen sind. Zum anderen zeigen die Ergebnisse der Studie auch, dass mit der steigenden Bedeutung und Implementierung von Compliance-Management-Programmen auch große Herausforderungen sowohl auf Auftraggeber-Unternehmen als auch auf Zulieferer und Dienstleister dieser Unternehmen zukommen, wenn es darum geht, bei Compliance-Standards einen gemeinsamen Nenner zu finden.565

III. Defizitäre gesetzliche Regelungen zur (Berücksichtigung von) Compliance in Deutschland Die gesetzliche Realität ist derweil in Deutschland (noch) eine andere: Compliance-Maßnahmen finden für deutsche Unternehmen566 derzeit, beispielsweise unter kriminalpräventiven Aspekten und bezüglich der Herabsetzung von Bußgeldern oder im Ordnungswidrigkeitenverfahren, bei der Festsetzung einer Geldbuße

561 PricewaterhouseCoopers Wirtschaftskriminalität 2018, S. 34 ff., abrufbar unter https:// www.pwc.de/de/risk/pwc-wikri-2018.pdf zuletzt abgerufen am 09. 11. 2020. 562 PricewaterhouseCoopers Wirtschaftskriminalität 2018, S. 34, abrufbar unter https:// www.pwc.de/de/risk/pwc-wikri-2018.pdf zuletzt abgerufen am 09. 11. 2020. 563 PricewaterhouseCoopers Wirtschaftskriminalität 2018, S. 34, abrufbar unter https:// www.pwc.de/de/risk/pwc-wikri-2018.pdf zuletzt abgerufen am 09. 11. 2020. 564 „Compliance und Compliance-Management-Systeme sind zur Selbstverständlichkeit geworden. Compliance wird als klarer Wettbewerbsvorteil empfunden und nicht mehr als ,Geschäftsverhinderung‘.“ PricewaterhouseCoopers Wirtschaftskriminalität 2018, S. 23, 36 (zu potentiellen Konflikten bzgl. unterschiedlicher Compliance-Standards zwischen Auftraggeber und Lieferanten), abrufbar unter https://www.pwc.de/de/risk/pwc-wikri-2018.pdf zuletzt abgerufen am 09. 11. 2020. 565 Siehe dazu ausführlich PricewaterhouseCoopers Wirtschaftskriminalität 2018, S. 36 f., abrufbar unter https://www.pwc.de/de/risk/pwc-wikri-2018.pdf zuletzt abgerufen am 09. 11. 2020. 566 Siehe beispielsweise zu empirischen Untersuchungen hinsichtlich des Corporate Governance Kodex Sieber, FS Tiedemann, S. 449 (452 ff.); v. Werder/Turkali, DB 2015, 1357 ff.

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gegen einen Verband auf der gesetzlichen Ebene eher weniger Berücksichtigung.567 Ebenfalls finden sich, außer in § 25 h KWG (Interne Sicherungsmaßnahmen) für Finanzinstitute, wenig gesetzliche Mindest-Compliance-Vorgaben, die für Unternehmen verbindlich sind und als Orientierung dienen könnten. Nach der aktuellen Rechtslage ist die Berücksichtigung nämlich bisher nicht explizit im Gesetz erwähnt und daher umso fraglicher, ob sogar eine gesetzliche Pflicht dazu besteht.568 Der letzte „tone from the top“ fehlt somit derzeit noch: Die ausdrückliche rechtliche Berücksichtigung von Compliance, festgeschrieben durch den Gesetzgeber. Das führt gleichermaßen dazu, dass es scheinbar nur wenige Anreize gibt, kosten- und strukturintensive Compliance-Programme zu implementieren bzw. bestehende Programme zu optimieren.569 Dies gilt in herausgehobenem Maße für kleine und mittelständische Unternehmen.570 Zu dem Ergebnis kam in der Vergangenheit auch die OECD im Jahre 2011 in ihrem Bericht über die Anwendung des Übereinkommens über die Bekämpfung der Bestechung ausländischer Amtsträger im internationalen Geschäftsverkehr und in der Empfehlung des Rats zur weiteren Bekämpfung der Bestechung ausländischer Amtsträger im internationalen Geschäftsverkehr.571 567

Vgl. (jedoch als Reformvorschlag innerhalb des OWiG) Beulke/Moosmayer, CCZ 2014, 146 (148). Freilich können Compliance-Programme schon jetzt bei der Bebußung des Unternehmens durch die Behörde berücksichtigt werden, jedoch besteht bei der präventiven Anreizfunktion von der Implementierung solcher Programme noch Optimierungsbedarf, um sowohl auf Behörden- als auch auf Unternehmerseite Rechtssicherheit zu schaffen; insgesamt zur empirischen Untersuchungen im Compliance Sektor Sieber, FS Tiedemann, S. 449 (452 ff.); zutr. auch Kubiciel, FS Wessing, S. 69 (70), der von einer unzureichenden Verwirklichung im geltenden Recht spricht; zur Berücksichtigung eines Compliance-Systems, aber ohne Leitlinien für Compliance-Maßnahmen nennend BGH v. 09. 05. 2017 – 1 StR 265/16, NZWiSt 2018, 379. 568 Compliance-Programme können derzeit für die Unternehmensverantwortlichkeit hinsichtlich der Sanktionsbemessung von Bedeutung sein, da (trotz fehlender Verweisung in § 30 OWiG) die Grundsätze des § 17 Abs. 3 OWiG sinngemäß angewendet werden, vgl. dazu auch Sieber, FS Tiedemann, S. 449 (471). Siehe auch zutr. Kubiciel, FS Wessing, S. 69 (71), der Compliance Bemühungen de lege lata als „frustrierte Aufwendungen“ bezeichnet. 569 Dieser Problempunkt wird auch im aktuellen Regierungsentwurf VerSanG, S. 1 gesehen, weshalb Compliance-Maßnahmen gefördert und Anreize diesbezüglich geschaffen werden sollen. Etwas anderes ergibt sich für global agierende Großunternehmen, welche in den meisten Fällen anstreben, ein ausreichend funktionierendes Compliance-System zu integrieren (bzw. mittlerweile fast ausnahmslos Compliance-Systeme implementiert haben), um weitergehenden (unter Umständen ausländischen) rechtlichen Konsequenzen zu begegnen. 570 Kleine und mittelständische Unternehmen können Compliance-Funktionen jedenfalls teilweise auslagern, siehe zu diesem Aspekt und Lösungsansatz in unterschiedlichen Konstellationen Renz, ZRFC 2014, 38 (41). 571 OECD-Evaluationsbericht 2011, Deutschland Phase 3, http://www.oecd.org/investment/ anti-bribery/anti-briberyconvention/48967037.pdf S. 67 zuletzt abgerufen am 09. 11. 2020. Im Follow-Up to the phase 3 report & recommendations für Deutschland aus dem April 2013 erfolgte keine Stellungnahme zur Umsetzung der spezifischen Empfehlung Nr. 7c, abrufbar unter https://www.oecd.org/daf/antibribery/GermanyPhase3WrittenFollowUpEN.pdf zuletzt abgerufen am 09. 11. 2020; zur Phase 4 siehe https://www.oecd.org/corruption/anti-bribery/Ger many-Phase-4-Report-GER.pdf zuletzt abgerufen am 09. 11. 2020 sowie VerSanG-E. S. 52, der

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In diesen wurde Deutschland damals empfohlen, insbesondere kleine und mittelständische Unternehmen zu motivieren, „interne Kontrollsysteme sowie Ethikund Compliance-Programme zu entwickeln, gegebenenfalls in Zusammenarbeit mit Wirtschaftsverbänden“.572 Dieses Gesamtergebnis der „Top-down-Entwicklung“573 wurde ebenfalls durch die Ergebnisse der PricewaterhouseCoopers-Studie 2016 sowie auch 2018 bestätigt, welche aufzeigten, dass Compliance-Systeme vor allem in Großunternehmen weit verbreitet sind, ihre Häufigkeit jedoch abnimmt, je kleiner ein Unternehmen ist.574 Für die derzeitige Nichtregelung im Gesetz besteht kein ersichtlicher Anlass, zumal daraus eine unbefriedigende Situation der Rechtsunsicherheit erwächst, die sowohl auf Seiten der Unternehmen als auch auf Seiten der Behörden besteht, da Bemühungen des Unternehmens, Rechtsverstöße zu verhindern und aufzudecken, nicht ausreichend und angemessen honoriert werden müssen und daher wenig Anreizfunktion haben. Nach der hier vorgeschlagenen Konzeption eines Verbandssanktionenrechts wäre eine solch ausgeprägte Anreizfunktion aus mehreren Gründen sinnvoll und zielführend: Mag man an der Notwendigkeit einer Anreizfunktion gerade für natürliche Personen im Strafrecht noch zweifeln (bzw. hat eine solche, wie sie für ein Verbandssanktionenrecht vorgeschlagen wird, keinen Eingang in das StGB gefunden), lassen sich bei einem Verbandssanktionenrecht viele Gründe ins Feld führen, warum dies sinnvoll wäre. Zum einen besteht ein maßgeblicher Unterschied zwischen natürlicher und juristischer Person. Die natürliche Person kann für sich selbst beschließen, keine Rechtsverstöße zu begehen und bleibt in Folge dessen straffrei. Das ist für eine juristische Person, aufgrund der hohen Komplexität der Strukturen, der Involvierung vieler Menschen und zwischengeschalteter Stellen, nicht derart simpel, sodass es insgesamt für ein Unternehmen sehr viel schwieriger ist, straffrei zu bleiben, da es hierfür vielfältige Vorkehrungen auf unterschiedlichsten Ebenen treffen muss, sodass das Ziel, Rechtsverstöße zu verhindern oder aufzudecken, durch die Anreizfunktion nicht nur unerheblich bestärkt werden könnte. Darüber hinaus ist es äußerst sinnvoll, große Anreize zu schaffen, selbst wenn diese sehr ökonomisch anmuten. Die Ökonomie steht bei Unternehmen im Vordergrund und ist der mitunter maßgebliche darauf hinweist, dass Deutschland in der darauffolgenden 4. Phase der Evaluierung von der OECD-Arbeitsgruppe im Jahr 2018 eine grundlegende Überarbeitung der Verantwortlichkeit der juristischen Personen empfohlen wurde. Abrufbar unter https://www.bmjv.de/SharedDocs/ Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/RegE_Staerkung_Integritaet_Wirtschaft.pdf?__blob=pu blicationFile&v= zuletzt abgerufen am 09. 11. 2020. 572 OECD-Evaluationsbericht 2011, Deutschland Phase 3, S. 67, http://www.oecd.org/in vestment/anti-bribery/anti-briberyconvention/48967037.pdf zuletzt abgerufen am 09. 11. 2020. 573 PricewaterhouseCoopers Wirtschaftskriminalität 2018, S. 24, abrufbar unter https:// www.pwc.de/de/risk/pwc-wikri-2018.pdf zuletzt abgerufen am 09. 11. 2020. 574 Abrufbar unter https://www.pwc.de/de/risiko-management/assets/studie-wirtschaftskri minalitaet-2016.pdf S. 53, zuletzt abgerufen am 09. 11. 2020; zur Studie 2018 PricewaterhouseCoopers Wirtschaftskriminalität 2018, S. 24, abrufbar unter https://www.pwc.de/de/risk/ pwc-wikri-2018.pdf zuletzt abgerufen am 09. 11. 2020.

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Faktor, der ihre Existenz betrifft, weshalb die Einbeziehung dieses Faktors und eine teilweise Ausrichtung danach angemessen scheint. Doch betreffen schlecht ausgearbeitete Anreizstrukturen noch eine weitere Ebene: Durch sie wird die Arbeit der Verfolgungsbehörden erschwert, da die Kooperationsbereitschaft der Unternehmen bei einer ungewissen Bewertung der Compliance-Bemühungen geringer sein dürfte als sie es wäre, wenn gesetzliche Berücksichtigungen zwingend vorgesehen wären. Demzufolge kann hier von einem Defizit gesprochen werden, sodass ein besonderes Augenmerk des Gesetzgebers bei diesbezüglichen Reformvorhaben auf den Bereich der Berücksichtigung von Compliance-Programmen im Verfahren gegen Unternehmen in der Zukunft gerichtet werden sollte.575 Neben jenen tragenden und gewichtigen Aspekten lässt sich zuletzt noch ein weiterer systematischer Grund für die Implementierung von Anreizfunktionen durch Compliance ergänzen. Durch eindeutige Anreizfunktionen im Gesetz bzw. in einem Verbandssanktionenrecht könnte der Gesetzgeber das Ziel der Prävention verwirklichen, was derartige Funktionen legitimieren dürfte. Würden sie nicht geschaffen, wäre zwar ein weitgehender Gleichlauf hinsichtlich der Strafbarkeit einer natürlichen und juristischen Person gegeben, aber der Sinn und Zweck eines (des hier vorgeschlagenen) Verbandssanktionenrechts würde nicht nur nicht gefördert, sondern gar konterkariert. Deshalb erfordert die Natur des Verbandssanktionenrechts gerade derartige Anreizstrukturen, um das Ziel, vor allem präventive Zwecke zu verwirklichen, zu erreichen. Für einen solchen Ansatz spricht auch die PricewaterhouseCoopers-Studie aus dem Jahr 2016, in der deutlich wird, dass die Mehrzahl der Unternehmen Reformvorschläge befürworten, die Anreize bieten, ein Compliance-Management-System aufzubauen, im Falle eines strafbaren Gesetzesverstoßes aber auch eine Honorierung der Kooperation mit den Verfolgungsbehörden vorsehen.576 Hinsichtlich der praktischen Umsetzung sprechen sich 37 % der Unternehmen577 für Mindeststandards hinsichtlich der Compliance aus, und immerhin 47 %578 halten diese jedenfalls für überlegenswert. 575 Vgl. dazu (und dieses Ergebnis stützend) auch Sieber, FS Tiedemann, S. 449 (453), der rekurrierend auf eine Studie von PricewaterhouseCoopers aus dem Jahre 2007 feststellt, dass die Unternehmen kaum präventive Compliance-Maßnahmen entwickelten, sondern Kontrollen vielmehr durch die interne und externe Revision erfolgten. 576 Vgl. http://www.pwc.de/de/risikomanagement/assets/studiewirtschaftskriminalitaet-201 6.pdf S. 74 f. zuletzt abgerufen am 09. 11. 2020. 577 Diese Zahl beinhaltet Unternehmen, die bereits ein funktionstüchtiges CMS integriert haben, vgl. http://www.pwc.de/de/risikomanagement/assets/studiewirtschaftskriminalitaet-201 6.pdf S. 74, zuletzt abgerufen am 09. 11. 2020. 578 Diese Zahl bezieht sich auf Unternehmen, die bereits ein funktionstüchtiges CMS implementiert haben, bei Unternehmen, bei denen sich dieses gerade im Aufbau befindet, sprechen sich nur 15 % dafür aus, vgl. http://www.pwc.de/de/risikomanagement/assets/studiewirt schaftskriminalitaet2016.pdf S. 74, zuletzt abgerufen am 09. 11. 2020.

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Noch deutlicher scheinen die Ergebnisse der PricewaterhouseCoopers-Studie aus dem Jahr 2018: „Über ein Drittel (37 %) der betroffenen Unternehmen gaben an, dass die Tatsache, dass sie über ein CMS verfügten, die Höhe der Geldbuße positiv beeinflusst habe. Bei 43 % der Unternehmen, die ein CMS implementiert hatten, beförderte dies die Einstellung des Verfahrens.“579 Um hier eindeutige Rechtssicherheit zu schaffen, wäre jedoch eine klare gesetzliche Regelung bzgl. der Berücksichtigung unerlässlich.580 Der Forderung nach einer möglichen Honorierung von Compliance-Programmen auf der gesetzlichen Ebene könnte zwar der Einwand entgegengehalten werden, dass ein Unternehmen, sofern es über ein funktionstüchtiges Compliance-System verfügt, dieses (auf mehreren Ebenen) als Gesetzesverstoßabwehrmechanismus hätte greifen und eine Straftat verhindern müssen, sodass kein wirksames Compliance-Management-System vorliegen könne, welches überhaupt rechtlich honoriert werden könne.581 Die Argumentation greift jedoch zu kurz, da die Gefahr der Begehung eines Gesetzesverstoßes sich wie in anderen Bereichen auch niemals ganz ausschließen lassen wird und beispielsweise eine lückenlose Überwachung jedes einzelnen Mitarbeiters rund um die Uhr (sowohl tatsächlich als auch rechtlich) nicht umzusetzen wäre. Das Bekanntwerden eines Gesetzesverstoßes könnte indes Gegenteiliges zum Ausdruck bringen: So kann gerade durch die Aufdeckung eines Gesetzesverstoßes, der sich unter Umständen sogar durch ein mehrstufiges Compliance-ManagementSystem präzise zurückverfolgen lässt, deutlich werden, dass es sich um ein funktionstüchtiges System handelt.582 Ein nicht funktionstüchtiges System hätte den Verstoß vermutlich gar nicht erst aufgedeckt. Neben den tatsächlichen Aspekten könnten mit der Einbeziehung von Regelungen zur Compliance in das Gesetz primär vor allem zwei Ziele verfolgt werden, die die Kriminalitätsprävention auf dem wirtschaftsstrafrechtlichen Sektor optimieren und ausbauen könnten und welche durch ein Verbandssanktionenrecht de lege ferenda beeinflusst werden können, weshalb ein komprimierter Überblick lohnt: Zum einen können durch die Berücksichtigung von Compliance auf der gesetzlichen Ebene Anreizstrukturen für Unternehmen geschaffen werden, ComplianceProgramme zu implementieren oder bereits bestehende Compliance-Programme weiter zu optimieren, was zu einer größeren Kriminalitätsprävention in dem Sektor 579 PricewaterhouseCoopers Wirtschaftskriminalität 2018, S. 53, 56 ff., abrufbar unter https://www.pwc.de/de/risk/pwc-wikri-2018.pdf zuletzt abgerufen am 09. 11. 2020. 580 Zur Berücksichtigung eines Compliance-Systems ihm Rahmen der Bemessung des Bußgeldes, jedoch ohne konkrete Leitlinien vorgebend BGH v. 09. 05. 2017 – 1 StR 265/16, NZWiSt 2018, 379. 581 Diesen Aspekt zutr. krit. diskutierend und im Ergebnis zutr. a.A. Beulke/Moosmayer, CCZ 2014, 146 (151), im Rahmen eines möglichen § 130 OWiG n.F.; siehe dazu ebenfalls zutr. Rotsch, ZStW 125 (2013), 481 (485), nach dem eine im Unternehmen begangene Straftat erstmal ohne weiteres nichts über die Qualität eines Compliance-Programms aussagt. 582 So auch Beulke/Moosmayer, CCZ 2014, 146 (151).

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führen kann, da immer mehr Straftaten entdeckt oder im Optimalfall sogar verhindert werden können und das Dunkelfeld der Wirtschaftsstraftaten sich dadurch verkleinern könnte. Das könnte sich insgesamt positiv auf die Unternehmensführung auswirken,583 was vor allem daraus resultiert, dass die kriminologische Forschung bereits in der Vergangenheit deutlich gezeigt hat, wie enorm groß der Einfluss der Unternehmensführung (wie zum Beispiel Unternehmenswerte, Organisationskultur und Compliance-Management-Systeme) auf die Mitarbeiter letztlich ist.584 Durch funktionstüchtige Compliance-Programme könnten Mitarbeiter darüber hinaus für Risiken, welche in ihrem Sektor besonders gehäuft vorkommen, sensibilisiert werden und so Gesetzesverstöße verhindert werden. Tatsächlich gelebten Compliance-Programmen, die bei der Unternehmensführung beginnen und sich auf allen Stufen und in jedem Bereich eines Unternehmens wiederfinden, kommt daher für die Zukunft und insbesondere unter dem Aspekt der primär bezweckten Spezialprävention ein überragender Einfluss zu. Aus dem Grund müsste die Generierung eines Verbandssanktionenrechts Hand in Hand mit der Schaffung von Regelungen über die Berücksichtigung von Compliance-Programmen gehen, da dieser letztlich eine nicht zu unterschätzende Bedeutung im Hinblick auf die Kriminalitätsprävention zukommt.585 Zusätzlich könnte die Einführung einer gesetzlich vorgeschriebenen Berücksichtigung von Compliance dazu führen, dass sich dadurch die rechtliche Steuerung von Verbänden und unter Umständen sogar der Wirtschaft insgesamt erreichen lassen könnte, was ebenfalls ein nicht zu unterschätzender Faktor sein dürfte.586 Die Möglichkeit der „Steuerung“ durch die strafrechtliche Berücksichtigung von Compliance nicht nur von Verbänden, sondern sogar des gesamten Strafrechts wurde bereits in den 90er Jahren in den USA (in den U.S. Sentencing Guidelines zum damaligen Zeitpunkt bereits durch Strafmilderung587) prophezeit und als „grundlegende Innovation in der Steuerungslogik des Strafrechts“588 gesehen. Ob aus jenem Gedanken auch Lehren für ein deutsches Verbandssanktionenrecht gewonnen werden können, steht zur Diskussion. Insgesamt spricht im Ergebnis alles dafür, Compliance-Programme in Zukunft be-

583 In den USA waren die Compliance-Programme unter anderem eine Antwort auf die Unternehmenszusammenbrüche von Worldcom (Insolvenz durch Bilanzfälschungen), Enron (Insolvenz durch Bilanzfälschungen und Betrug) und Flowtex (Betrug durch Scheingeschäfte) und auf europäischer Ebene des italienischen Unternehmens Parmalat (Bilanzmanipulationen), dazu Sieber, FS Tiedemann, S. 449 f. m.w.N. 584 Vgl. zu diesem Aspekt auch I. Roxin, StV 2012, 116 (118) m.w.N. 585 Vgl. dazu auch Sieber, FS Tiedemann, S. 449 (474) m.w.N. 586 Vgl. schon bereits Sieber, FS Tiedemann, S. 449 (454) im Jahre 2008: „Eine Entwicklung der Corporate Codes und den mit ihnen verbundenen neuen Steuerungsformen ist daher auch in Deutschland unverkennbar.“ 587 Siehe dazu auch FCPA Resource Guide, S. 54 in Bezugnahme auf die U.S. Sentencing Guidelines. 588 Steinherr/Steinmann/Olbrich, Die U.S.-Sentencing Commssion Guidelines, Eine Dokumentation, Diskussionsbeitrag Nr. 90, S.V.

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reits von Gesetzes wegen Beachtung finden zu lassen, um diesen derzeitigen defizitären Zustand der deutschen Rechtslage zu verändern.

IV. Compliance in anderen Rechtsordnungen Besteht in Deutschland hinsichtlich der rechtlichen Integration, Vorgabe und Wirkung von Compliance-Systemen derweil insgesamt noch (Rechts-)Unsicherheit, sind sie in anderen Rechtsordnungen bereits fest integriert und durch (partiell) gesetzliche Mindestvorgaben vor allem auch konturiert.589 Federführend sind in der Compliance-Diskussion vor allem die USA und England, wenngleich die Diskussion auch in der Schweiz und Österreich entflammt ist. Daher ist die Frage aufzuwerfen, ob – und wenn ja, inwiefern – die Gestaltung von Compliance in anderen Rechtsordnungen als Leitbild für die deutsche Rechtsentwicklung auf dem Sektor des Verbandssanktionenrechts geeignet ist bzw. welche Sachprobleme (sofern sie auch in Deutschland relevant werden könnten) durch sie gelöst werden können. 1. USA a) Ursprung Der globale Ursprung der Compliance bzw. ihre Anfänge als Selbstkontrolle von Unternehmen werden im amerikanischen Rechtsraum verortet und stehen im untrennbaren Zusammenhang mit der dort bereits seit langer Zeit eingeführten rechtlichen Verantwortlichkeit von Unternehmen, wenngleich die Anfänge der Compliance, nicht, wie vermutet werden könnte, originär im Strafrecht, sondern hauptsächlich im Kartellrecht liegen.590 Vorliegend sollen die wesentlichsten Punkte der historischen Entwicklung einbezogen werden. Ein Anspruch auf eine lückenlose Darstellung der Historie geht damit nicht einher. Zu den Eckpunkten der geschichtsträchtigen Compliance-Entwicklung in den USA gehört beispielsweise die 589 Mit eigenem (laut Verfassern nicht abschließenden) Maßnahmen-Katalog-Vorschlag Beulke/Moosmayer, CCZ 2014, 146 (151 f.), zu denen folgende gehören: „Die sorgfältige Auswahl und Instruktion sowie Überwachung und Kontrolle von Mitarbeitern und Aufsichtspersonen; die regelmäßige Ermittlung und Bewertung der vom Betrieb oder Unternehmen ausgehenden Gefahren der Begehung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten; der Erlass von Weisungen und die Schulung der Mitarbeiter zwecks Verhinderung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten, die im Zusammenhang mit dem Geschäftsbetrieb stehen; ein Verfahren, das es den Mitarbeitern unter Wahrung der Vertraulichkeit ermöglicht, Hinweise auf mögliche Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten, die im Zusammenhang mit dem Geschäftsbetrieb stehen, an eine geeignete Stelle zu geben; die Aufklärung von Verdachtsmomenten, welche auf Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten im Zusammenhang mit dem Geschäftsbetrieb hindeuten, sowie die Ahndung entsprechenden Fehlverhaltens.“ 590 Vgl. Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen, S. 285 f. m.w.N.; Eidam, in: Eidam (Hrsg.), Unternehmen und Strafe, Kap. 14. Rn. 14 ff.; zur Berücksichtigung von Compliance Hoven/Weigend, ZStW 2018 (130), 213 (226 ff.).

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„Watergate-Affäre“ (rechtswidrige Spenden von Unternehmen für den Wahlkampf der Präsidentschaftswahl 1972).591 Durch die Ermittlungen diesbezüglich wurde die Bestechung von ausländischen Amtsträgern durch US-amerikanische Unternehmen publik. Bereits zur damaligen Zeit wurde von den Behörden erkannt, dass die Möglichkeit besteht, die Ermittlungen wesentlich zu erleichtern, indem ein sogenanntes „disclosure program“ von der U.S. Securities and Exchange Commission (SEC),592 eingeführt wurde, welches eine Milderung im Umgang mit den Unternehmen in Betracht zog, die unternehmensinterne Bestechungsvorgänge anzeigten.593 Dies stellte sich in der Praxis aufgrund der hohen Beteiligung von Unternehmen zwar als erfolgreich heraus, dennoch wurde gesetzgeberischer Handlungsbedarf dergestalt gesehen, dass der Forreign Corrupt Practices Act (FCPA)594 im Jahre 1977 erlassen wurde, da etwaige Kontrollen zuvor lediglich auf freiwilliger Basis des Unternehmens, quasi als Selbstkontrolle, stattfanden. Durch den FCPA wurden Unternehmen gesetzlich dazu verpflichtet, interne Kontrollen vorzunehmen und dadurch Bestechungsfälle in der Zukunft vorzubeugen.595 Um dieser gesetzlichen Verpflichtung nachzukommen, wurden von Unternehmen in den USA gezielt interne Programme eingesetzt, die oftmals als „code of conduct“596 bezeichnet wurden.597 Durch den FCPA sah der Bund in den USA insbesondere neue Straftaten und Verpflichtungen bezüglich der Organisation für Unternehmen vor und bemächtigte eine Bundesbehörde, die SEC (die sich auf den nichtstrafrechtlichen Sektor fokussiert598), mit der Durchsetzung jener Vorgaben, die die Organisation betrafen.599 b) U.S. Federal Sentencing Guidelines Ein weiterer und entscheidender Schritt nach vorne wurde bezüglich der (straf-) rechtlichen Berücksichtigung der Compliance-Programme durch die Reform des Strafzumessungsrechts im Jahre 1991 erzielt,600 oder, um es zutreffend mit Eidam zu 591

Coffee, Virginia Law Review 1977, Vol. 63, 1099 (1115 ff.). Dies ist die Bezeichnung für die amerikanische Börsenaufsichtsbehörde; siehe dazu auch bereits S. 425. 593 Zum Ganzen Rotsch, in: Rotsch (Hrsg.), Criminal Compliance, S. 50 ff.; auch bei Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen, S. 286 m.w.N. 594 Abrufbar unter https://www.justice.gov/criminal-fraud/foreign-corrupt-practices-act zuletzt abgerufen am 09. 11. 2020; zu den Anforderungen der amerikanischen Behörden an Compliance-Systeme nach dem FCPA Rübenstahl/Skoupil, wistra 2013, 209 ff. 595 Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen, S. 286. 596 Siehe dazu beispielsweise den FCPA Resource Guide, S. 57. 597 So bei Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen, S. 286 m.w.N. 598 Siehe zur Zuständigkeit der SEC S. 427. 599 Vgl. Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen, S. 310 m.w.N. 600 Siehe dazu mit weiteren Nachweisen auch Rotsch, in: Rotsch (Hrsg.), Criminal Compliance, S. 50 ff. 592

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sagen: „,Criminal Compliance‘ wurde im Jahre 1991 geboren.“601 In den Strafzumessungsrichtlinien aus dem Jahre 1991 (U.S. Federal Sentencing Guidelines602) wurden Compliance-Programme in den Zusammenhang mit der Vermeidung einer strafrechtlichen Verantwortlichkeit von Unternehmen gebracht bzw. als eines der Elemente hierfür verstanden.603 Durch die Einfügung des Kapitels über die Bestrafung/Verurteilung von Unternehmen und Organisationen604 in den Strafzumessungsrichtlinien605 wurde es möglich, unterschiedliche Faktoren bei der Strafzumessung606 zu berücksichtigen. Die Strafzumessungsrichtlinien enthielten zum hier interessierenden Topos zwei wesentliche Punkte: Zum einen wurde ab dem Zeitpunkt das Verschulden eines Unternehmens miteinbezogen, und zum anderen konnte ein Compliance-Programm von nun an zu einem Strafrabatt für das Unternehmen führen.607 Insbesondere konnten die Unternehmen durch die Regelung sogenannte „Credits“ erhalten, die eine geringere Strafe nach sich zogen, wenn sie beweisen konnten, dass ein wirksames Compliance-Programm implementiert war.608 Dieser Lösungsansatz war jedoch dergestalt von einer Janus-Köpfigkeit geprägt, dass ein ComplianceSystem zwar zu einer Strafmilderung führen konnte, aber die Implementierung eines solchen Systems ebenfalls als Sanktion auferlegt werden konnte, wenn ein solches 601 Eidam, in: Eidam (Hrsg.), Unternehmen und Strafe, Kap. 14. Rn. 19; vgl. zur Version der U.S. Sentencing Commission Guidelines for Organizations aus dem Jahre 1991 bereits Dannecker, in: Alwart (Hrsg.), Verantwortung und Steuerung von Unternehmen in der Marktwirtschaft, S. 5 (6), die einen Strafrabatt gewährten, wenn ein Unternehmen vorbeugende Maßnahmen vorgenommen hatte, um Wirtschaftsstraftaten zu verhindern. Zu diesen Maßnahmen gehörten unter anderem die Ernennung eines Ethikbeauftragten, Informations- und Schulungsmaßnahmen für Mitarbeiter ebenso wie eine betriebsinterne Sanktionierung bei begangenen Gesetzesverstößen durch Mitarbeiter. 602 Abrufbar unter https://www.ussc.gov/guidelines zuletzt abgerufen am 09. 11. 2020; zur Bedeutung der U.S. Sentencing Guidelines für deutsche Unternehmen hinsichtlich Compliance vgl. Withus, CCZ 2011, 63. 603 So bei Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen, S. 289 m.w.N. 604 Dazu auch Pape, Corporate Compliance, S. 75 ff. 605 Abrufbar unter https://www.ussc.gov/guidelines/2018-guidelines-manual/2018-chapter8 zuletzt abgerufen am 09. 11. 2020; Bei den U.S. Sentencing Guidelines handelt es sich grundsätzlich um Vorschriften, welche für die Behörden hinsichtlich der Bemessung der Strafe geschaffen wurden, wenngleich sie keinen rechtlich verbindlichen Charakter haben, sondern vielmehr als Leitlinien dienen. Vereinfacht gesprochen, setzt sich die Strafe aus der Schwere der Straftat und dem Verschuldensgrad zusammen. Siehe zu den FCPA Criminal Penalties FCPA Guide, S. 68 f. 606 Die Strafrahmenbildung erfolgt in den USA nach der Feststellung der Schuld in einem eigenständigen Verfahrensschritt. Beide Entscheidungen hängen dabei jedoch miteinander zusammen, vgl. Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen, S. 115 m.w.N. 607 Vgl. statt vieler Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen, S. 311, der diesen Ansatz auch als „regulierte Selbstregulierung“ bezeichnet. 608 Momsen/Tween, in: Rotsch (Hrsg.), Criminal Compliance, S. 1031; zur Strafberechnung für Unternehmen nach amerikanischem Recht Eidam, in: Eidam (Hrsg.), Unternehmen und Strafe, Kap. 14. Rn. 18 f.

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bis dato fehlte. Eine weitere Entwicklung erfolgte im Jahre 2004 durch die Ergänzung des Ethikaspekts in den Strafzumessungsrichtlinien, der die bisherige Compliance ergänzte (vgl. USSG §8B2.1(a)(2) und §8B2.1.(b)).609 Gegenwärtig ist eine Berücksichtigung von Compliance bei der Strafzumessung ebenfalls noch in USSG §8B2.1(a) i.V.m. §8C2.5(f) vorgesehen. Insgesamt können Compliance-Programme somit bereits seit einiger Zeit in den USA strafmildernd berücksichtigt werden.610 Geht es um die Frage, ob ein effektives Compliance-Programm vorliegt, finden sich in den USSG konkrete Anhaltspunkte bzw. Anforderungen an ein solches in §8B2.1(b):611 • „Policy and procedures“: Das Unternehmen soll Programme schaffen und Maßnahmen durchführen, die Kriminalität im Unternehmen aufdecken und verhindern. • „Board and management responsibility“: Insbesondere dem „board of directors“ kommt die Schirmherrschaft und Leitung des Compliance-Programms zu. Er wird dazu angehalten, das Programm stetig zu überwachen und auf Effektivität laufend zu überprüfen, wenngleich dies nicht in persona geschehen muss, sondern von dafür speziell geschulten, leitenden Mitarbeitern des Unternehmens durchgeführt wird. Darüber hinaus sollen bestimmte ausgewählte Mitarbeiter im Unternehmen die Verantwortung für die alltäglichen Compliance-Maßnahmen haben und regelmäßig Bericht über die Effektivität des Compliance-Programms erstatten. • „Appropriate assignment of responsibility“: Das Unternehmen soll Anstrengungen unternehmen, keinen Personen bedeutende Autorität zukommen zu lassen, bei denen bekannt ist, dass sie in kriminelle Aktivitäten verwickelt sind oder möglicherweise an Aktivitäten teilgenommen haben, die einem effektiven Compliance-Programm zuwiderlaufen würden. • „Communication and training“: Das Unternehmen muss in einem regelmäßigen Turnus, beispielsweise durch gezielte Trainings, über Compliance-Programme und -aktivitäten berichten und die Mitarbeiter diesbezüglich schulen. • „Steps to ensure compliance“: Das Unternehmen muss sicherstellen (zum Beispiel durch Monitoring und Audits), dass das Compliance-Programm und die diesbezüglichen Vorgaben von allen Mitarbeitern eingehalten werden, und regelmäßig die Effektivität des Programms überprüfen. Darüber hinaus muss ebenfalls ein System geschaffen werden, dass es Mitarbeitern ermöglicht, etwaiges Fehlverhalten (anonym oder vertraulich) melden zu können. 609

Siehe dazu auch Momsen/Tween, in: Rotsch (Hrsg.), Criminal Compliance, S. 1032 f. Vgl. zur Compliance als „Decreasing Factor“ in der Strafzumessung Kelly-Kilgore/ Smith, American Criminal Law Review 2011, Vol. 48, 421 (445 ff.); Nagelberg/Balser/Ford/ Frisiello, American Criminal Law Review 2017, Vol. 54, 1073 (1104 ff.); Kent/Tomas, in: Spehl/Gruetzner (Hrsg.), Corporate Internal Investigations, S. 406. 611 So abgedruckt und wiedergegeben bei Kent/Tomas, in: Spehl/Gruetzner (Hrsg.), Corporate Internal Investigations, S. 409 ff. 610

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• „Enforcement of compliance program“: Das Compliance-Programm muss im und durch das Unternehmen konsequent durch- und umgesetzt werden. Hierfür sollen Anreize für Mitarbeiter geschaffen werden, sich rechtstreu gemäß dem Compliance-Programm zu verhalten und geeignete disziplinarische Maßnahmen vorgesehen werden, die Mitarbeiter sanktionieren, welche sich nicht rechtstreu verhalten oder keine Anstrengungen vornehmen, kriminelles Verhalten aufzudecken oder zu verhindern. • „Response to illegal conduct“: Ist kriminelles Verhalten im Unternehmen bekannt geworden, ist das Unternehmen dazu verpflichtet, angemessen zu reagieren. Hierzu zählen insbesondere Maßnahmen, die derartiges Fehlverhalten in Zukunft unterbinden. Hierfür müssen die notwendigen und je nach Unternehmen variierenden angemessenen Modifikationen (insbesondere des Compliance-Programms: no „one-size-fits-all“) umgehend vorgenommen werden. Aufgrund der vorangehenden Punkte zeigt sich, dass von den Unternehmen hinsichtlich ihrer Compliance-Programme Effektivität auf ganzer Linie gefordert wird, die sich durch alle Ebenen im Unternehmen zieht, um letztlich eine Homogenität nicht nur bezüglich des Ziels der Verhinderung von Rechtsverstößen anzustreben, sondern bereits den Weg dorthin gemeinsam durch eine gelebte Wertekultur zu gehen. Neben dem Eingang in die USSG bzgl. der Voraussetzungen eines effektiven Compliance-Systems und bei der Strafzumessung (wenn es zu einer Anklage kommt) findet die Compliance auch Berücksichtigung im Sarbanes-Oxley Act und bei der Strafverfolgung, beispielsweise in den sogenannten Memoranda für das DOJ, ergo bei den Voraussetzungen, ob es überhaupt zu einer Anklage gegen ein Unternehmen, wegen eines Verstoßes gegen den FCPA, kommt.612 c) Sarbanes-Oxley Act Ein anderer wesentlicher Baustein der Compliance in den USA wurde vom Gesetzgeber mit dem „Sarbanes-Oxley Act“613 im Jahre 2002 implementiert und war die Folge der Skandale und Zusammenbrüche der Unternehmen Worldcom und Enron.614 Der „Sarbanes-Oxley Act“ (SOA) sah deshalb eine maßgebliche Verschärfung von (staatlichen) Unternehmenskontrollen vor. Ziel und Hintergrund war es, eine gelebte (Werte- und Leit-)Kultur in Unternehmen auf den Weg zu bringen, die sich durch effektive Compliance auszeichnet.615 Die Anforderungen stiegen vor allem in der Hinsicht, dass die Verpflichtungen für Unternehmen verschärft wurden, 612

Siehe dazu in jüngerer Vergangenheit Pasewaldt/Wick/DiBari, NZWiSt 2020, 55 (56 f.). Sarbanes-Oxley Act (SOA) v. 30. 07. 2002, Pub. L. No. 107 – 204, 116 Stat. 745. 614 Siehe zu diesen Skandalen u. a. Sieber, FS Tiedemann, S. 449 f. m.w.N.: Worldcom (Insolvenz durch Bilanzfälschungen) und Enron (Insolvenz durch Bilanzfälschungen und Betrug); dazu auch Hefendehl, Buffalo Criminal Law Review 2004, Vol. 8, 51 ff.; ders., JZ 2004, 18 ff.; ders., JZ 2006, 119 ff. 615 Vgl. auch Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen, S. 144. 613

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wenngleich es sich dabei immer nur um sogenannte „Rahmenvorgaben“ handelte, wie beispielsweise die Verpflichtung zur Einführung eines „code of ethics“, den das Unternehmen selbst mit Leben füllen musste.616 d) Memoranda und Justice Manual Erstmals fand die Compliance im Holder-Memorandum im Jahre 1999 Eingang, in dem dazu angewiesen wurde, Compliance-Programme in Unternehmen bei der Frage der Strafverfolgung eines Unternehmens zu berücksichtigen.617 In jüngerer Vergangenheit wurde ebenfalls, beispielsweise im „Rosenstein-Memorandum“, festgehalten, dass „angemessene und zeitnahe Compliance-Maßnahmen“ eine der vom Unternehmen zu erfüllenden Voraussetzungen seien, um eine Anklage der Strafverfolgungsbehörden zu verhindern.618 Zu diesen Maßnahmen zählen unter anderem, dass das Unternehmen eine Analyse für die Ursachen des Verstoßes gegen den FCPA vornimmt, ein effektives Compliance-System einführt, Schritte gegenüber Mitarbeitern einleitet, welche für den Verstoß verantwortlich sind, und eine stetige Überprüfung des Bereichs durchführt, in welchem gegen den FCPA verstoßen wurde.619 Zusätzlich müssen Geschäftsunterlagen, die hierfür von Bedeutung sind, aufbewahrt werden, die Unternehmen den Verstoß gegen den FCPA anerkennen und die Verantwortung hierfür übernehmen sowie dafür Sorge tragen, dass weitere Verstöße für die Zukunft verhindert werden.620 Vorgaben gibt es auch für das Qualifikationslevel von Mitarbeitern und für die bereitzustellenden Ressourcen für den Compliance-Sektor.621 Liegen die Voraussetzungen für einen Anklageverzicht nicht vor, sollen jedenfalls Strafrabatte möglich sein, bzw. das DOJ soll kein Ermessen mehr haben, sondern ein Strafrabatt muss dem Unternehmen gewährt werden, wenn es die Voraussetzungen (vollständige Kooperation, zeitnahe angemessene Compliance-Maßnahmen) erfüllt.622

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Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen, S. 305, 315. Abrufbar unter https://www.justice.gov/sites/default/files/criminal-fraud/legacy/2010/ 04/11/charging-corps.PDF zuletzt abgerufen am 09. 11. 2020; siehe dazu statt vieler Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen, S. 233 m.w.N. 618 Siehe FCPA Corporate Enforcement Policy, S. 1 ff., abrufbar unter https://www.justice. gov/criminal-fraud/file/838416/download zuletzt abgerufen am 09. 11. 2020; hierzu und zu den weiteren Voraussetzungen für einen Anklageverzicht Pasewaldt/DiBari, NZWiSt 2018, 309 (311) m.w.N. 619 FCPA Corporate Enforcement Policy, S. 3, abrufbar unter https://www.justice.gov/crimi nal-fraud/file/838416/download zuletzt abgerufen am 09. 11. 2020; so auch bei bei Pasewaldt/ DiBari, NZWiSt 2018, 309 (311) m.w.N. 620 FCPA Corporate Enforcement Policy, S. 3, abrufbar unter https://www.justice.gov/crimi nal-fraud/file/838416/download zuletzt abgerufen am 09. 11. 2020; vgl. Pasewaldt/DiBari, NZWiSt 2018, 309 (311) m.w.N. 621 Dazu auch bei Pasewaldt/DiBari, NZWiSt 2018, 309 (311). 622 So auch bei Pasewaldt/DiBari, NZWiSt 2018, 309 (310 f.). 617

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Im Jahre 2012 erschien ein sogenannter „Resource Guide“ zum FCPA, welcher nicht (rechtlich) verbindlich ist, wenngleich sich auch hier Anhaltspunkte, unter anderem rekurrierend auf Chapter 9. – 28.000 JM (Principles of Federal Prosecution of Business Organizations), zur Berücksichtigung von Compliance wiederfinden. In Chapter 9. – 28.300 JM werden 10 Faktoren genannt, die eine Rolle spielen können, wenn es darum geht, wie das DOJ bei einem (potentiellen) Verstoß eines Unternehmens gegen den FCPA vorgehen kann. Einer dieser Faktoren ist die Existenz und Effektivität eines Compliance-Programms (Chapter 9. – 28.800 JM).623 Dementsprechend kann das Compliance-Programm eines Unternehmens in den USA als einer der wesentlichen Aspekte fungieren, wenn darüber entschieden wird, ob ein DPA oder ein NPA zwischen den Behörden und dem Unternehmen geschlossen wird.624 Insgesamt sind in den USA unterschiedliche Regelungswerke ausfindig zu machen, in welche die Compliance mit oftmals ähnlichen Voraussetzungen Eingang gefunden hat. Rechtliche Berücksichtigung erfährt die Compliance sowohl bei der Frage, wie die Behörden bei einem Verstoß des FCPA weiter vorgehen als auch bei der Strafzumessung.625 2. England Auch in England ist „Compliance“ im Unternehmenskontext von nicht nur unerheblicher Bedeutung. Begrifflich und thematisch findet sich, neben dem Grundbegriff der „Compliance“, zum Beispiel auch die Erwähnung der „Corporate Governance“.626 Diese wird nach allgemeiner Auffassung definiert als „the system by which companies are directed and controlled“.627 Eingang in das Gesetz findet die Compliance über Sec. 7 UKBA, nach dem der UKBA eine Strafbarkeit von Unternehmen vorsieht, die es unterlassen, Bestechung zu verhindern.628 Neben der Frage, wer als „associated person“629 eingestuft wird (vgl. dazu auch Sec. 8 UKBA),

623 FCPA Resource Guide, S. 53; zum neuen Leitfaden des DOJ hinsichtlich der Bewertung und Berücksichtigung eines Compliance-Systems Pasewaldt/Wick/DiBari, NZWiSt 2020, 56 ff. 624 FCPA Resource Guide, S. 56; siehe zum DPA und NPA bereits oben S. 229. 625 Siehe zur Compliance als „Decreasing Factor“ in der Strafzumessung Kelly-Kilgore/ Smith, American Criminal Law Review 2011, Vol. 48, 421 (445 ff.); Nagelberg/Balser/Ford/ Frisiello, American Criminal Law Review 2017, Vol. 54, 1073 (1104 ff.); Kent/Tomas, in: Spehl/Gruetzner (Hrsg.), Corporate Internal Investigations, S. 406. 626 Vgl. zur Entwicklung der Corporate Governance im Vereinigten Königreich, Smerdon, A practical guide to Corporate Governance, S. 7 ff. und ders. zum UK Corporate Governance Code S. 16 ff. 627 Statt vieler Smerdon, A practical guide to Corporate Governance, S. 1 m.w.N. 628 Vgl. Ormerod/Perry, Blackstone’s Criminal Practice, B15.20 ff.; siehe auch Hugger/ Röhrich, BB 2010, 2643 (2645); Dixon/Gößwein/Hohmann, NZWiSt 2013, 361 (365 f.). 629 Siehe dazu die Erläuterungen The Bribery Act 2010, Guidance, S. 16 f.; vgl. dazu auch H. Eidam/Eidam, in: Eidam (Hrsg.), Unternehmen und Strafe, Kap. 5 Rn. 613, wonach darunter

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dürfte es für Unternehmen hinsichtlich der Compliance von großer Relevanz sein, was in Sec. 7 UA 2 UKBA unter den sogenannten „adequate procedures“ (geeigneten Vorkehrungen, die wohl das Einfallstor für Compliance-Maßnahmen bilden dürften) verstanden wird.630 Nach Sec. 7 UA 2 UKBA kann sich eine juristische Person bei Vorliegen einer rechtswidrigen Tat exkulpieren (und somit eine Unterlassensstrafbarkeit abwenden), wenn sie die „adequate procedures“ (angemessenen Vorkehrungen) vorgenommen hat, um ein Fehlverhalten im Unternehmen bzw. Korruption zu vermeiden („the commercial organisation will have a full defence if it can show that despite a particular case of bribery it nevertheless had adequate procedures in place to prevent persons associated with it from bribing“631).632 Hieraus ergibt sich, dass es für das Unternehmen unter Umständen um eine „full defence“ als Honorierung bei den Compliance-Maßnahmen geht. Es besteht hinsichtlich der Berücksichtigung von Compliance-Maßnahmen im Rahmen der „adequate procedures“ jedoch auch die Möglichkeit, dass diese zwar nicht für eine „full defence“ ausreichen, aber einen Milderungsfaktor bei der Strafe darstellen können.633 Dass derartige angemessene Maßnahmen vom Unternehmen vorgenommen wurden und es sich somit bei der Straftat nur um einen Ausnahmefall handelt, muss das Unternehmen im Wege der Beweislastumkehr nachweisen.634 Der Sinn, der hinter dem Instrument der „adequate procedures“ steht, ist, dass der UK Bribery Act nicht einen Einzelfall von Korruption im Unternehmen bestrafen will, sondern zum Ziel hat, die sogenannte „systematische“ Korruption zu sanktionieren, mit der Begründung, dass Einzelstraftaten in jedem Unternehmen vorkommen können und niemand davor zu 100 % geschützt sei, unabhängig davon, wie strikte Maßnahmen auch vorgenommen werden mögen.635 Da der Begriff der „adequate procedures“ für sich genommen ausfüllungsbedürftig war und der UKBA selbst keine weitere Konkretisierung diesbezüglich enthielt, wurden auf der Grundlage von Sec. 9 des UKBA sogenannte „Guidance“ (Anleitungen bzw. Erläuterungen zum UKBA) mit Maßnahmen erstellt, die juristische Personen einführen können und die die Mindestanforderungen an ein Compliance-System darstellen. Zu diesen angemessenen Vorkehrungen (auch als „The six principles“ in den Guidance für den UKBA 2010 bezeichnet) zählen insbesondere, aber nicht abschließend bindend („These principles are not prescriptive. They are intended to be Mitarbeiter als auch Externe, wie zum Beispiel Anwälte oder Wirtschaftsprüfer, gefasst werden können. 630 Siehe dazu Tate, in: Chada/Sallon/Tate (Hrsg.), Bribery, S. 107 ff. 631 The Bribery Act 2010, Guidance, S. 15. 632 Zur Exkulpation aufgrund der „adequate procedures“ Pörnbacher/Mark, NZG 2010, 1372 (1374). 633 So Tate, in: Chada/Sallon/Tate (Hrsg.), Bribery, S. 107. 634 Pörnbacher/Mark, NZG 2010, 1372 (1374); Walther/Zimmer, RIW 2011, 199 (202). 635 Vgl. Walther/Zimmer, RIW 2011, 199 (202).

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flexible and outcome focussed, allowing for the huge variety of circumstances that commercial organisations find themselves in.“636):637 1. „Proportionate Procedures“ (Angemessene Vorkehrungen): „greater efforts to prevent bribery may be expected of larger organisations and those exposed to potentially corrupt overseas markets, and/or high-risk transactions etc.;“638 2. „Top-level-commitment“ (Verpflichtung durch die Führungsebene): „senior management should provide leadership and demonstrate commitment to the prevention of bribery;“639 3. „Risk assessment“ (Analyse des betrieblichen Risikos/Risikofaktoren): „research may be needed to assess the risks relating to markets and clients etc. with whom business is transacted;“640 4. „Due diligence“ (Gebotene Sorgfalt bei Auswahl, Überwachung und Überprüfung aller Involvierten): „this is linked to risk assessment and may be linked to due diligence procedures familiar in other contexts;“641 5. „Communication – including training – “ (Kommunikation und Schulungen): „relevant employees etc. should be aware of the law and receive training proportionate to the risks involved;“642 6. „Monitoring and review“ (Überwachung und Überprüfung): „this may involve internal and/or external review mechanisms that are proportionate to the organisation and the risks to which it is exposed.“643

Im Folgenden werden die sechs Prinzipien inhaltlich kurz erläutert, um eine Vorstellung davon zu erhalten, welche grundsätzlichen Elemente die Compliance in Unternehmen enthalten kann. Das erste der Prinzipien beschäftigt sich mit den angemessenen Vorkehrungen. Hierbei geht es darum, dass das Unternehmen im erforderlichen Verhältnis zum Risiko der Begehung einer Bestechung Vorkehrungen treffen muss.644 Je höher das Risiko einer Bestechung eingestuft wird (beispielsweise wird das Risiko bei Großunternehmen, die international agieren, oftmals größer sein als bei kleineren, nur national tätigen Unternehmen645), desto strenger bzw. desto mehr muss das Unternehmen auf dem Sektor präventiver Vorkehrungen ausrichten. 636

The Bribery Act 2010, Guidance, S. 20. Abrufbar unter http://www.justice.gov.uk/downloads/legislation/bribery-act-2010-gui dance.pdf zuletzt abgerufen am 09. 11. 2020; ähnlich abgedruckt bei Ormerod/Perry, Blackstone’s Criminal Practice, B15.23; Schorn/Sprenger, CCZ 2013, 105; Hugger/Pasewaldt, RIW 2018, 115; ausführlich zu den Prinzipien Tate, in: Chada/Sallon/Tate (Hrsg.), Bribery, S. 121 ff. 638 Ormerod/Perry, Blackstone’s Criminal Practice, B15.23. 639 Ormerod/Perry, Blackstone’s Criminal Practice, B15.23. 640 Ormerod/Perry, Blackstone’s Criminal Practice, B15.23. 641 Ormerod/Perry, Blackstone’s Criminal Practice, B15.23. 642 Ormerod/Perry, Blackstone’s Criminal Practice, B15.23. 643 Ormerod/Perry, Blackstone’s Criminal Practice, B15.23. 644 The Bribery Act 2010, Guidance, S. 21. 645 Siehe dazu und zu weiteren Faktoren The Bribery Act 2010, Guidance, S. 21. 637

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Bei dem nächsten Prinzip geht es um die Verpflichtung der Mitarbeiter (präventiv gegen Korruption zu agieren) durch die Leitungsebene eines Unternehmens, welche nach innen und außen kommunizieren soll, dass Bestechung im Unternehmen unter keinen Umständen geduldet wird, ergo die Schaffung einer (gelebten) Unternehmens- und Wertekultur, die keinen Raum für Bestechung lässt (Stichwort: „zero tolerance to bribery“).646 Auch hierbei liegt der Fokus auf der Anpassung der gelebten Unternehmenskultur. Als Beispiel für einen Faktor unterschiedlich notwendiger Unternehmens- und Wertekulturen wird in den „Guidance“ wiederum die Größe des Unternehmens angeführt, sodass in kleineren Unternehmen insbesondere das persönliche Engagement und die Präsenz der Unternehmensleitung vor Ort bei der Einführung einer solchen Kultur als hilfreich erachtet wird, während die Kommunikation bei Großunternehmen andere Anforderungen hat, da die Unternehmensleitung nur schwerlich persönlich überall vor Ort sein kann und deshalb auf andere (zum Beispiel schriftliche) Kommunikationsformen und Kontrollen angewiesen ist.647 Das dritte Prinzip befasst sich mit der Risikoanalyse und den Risikofaktoren des Unternehmens. Hiervon umfasst sein soll, vereinfacht gesagt, sowohl das Risiko der Bestechung innerhalb als auch außerhalb des Unternehmens, welches es anhand von zu bestimmenden Risikofaktoren einzuschätzen gilt.648 Wenn es um die „due diligence“ (viertes Prinzip) geht, ist hiermit gemeint, dass das Unternehmen die gebotene Sorgfalt hinsichtlich der Auswahl sowie (regelmäßiger) Überprüfung und Überwachung von „associated persons“ (nach Sec. 8 UKBA) walten lässt, um Bestechung im Grunde vorzubeugen.649 Es wird dazu geraten, die „due diligence“-Überprüfungen nach der Risikoeinschätzung auszurichten, um so das erforderliche Prüfungsmaß festzulegen.650 Das fünfte der in den Guidance genannten Prinzipien beinhaltet die (Unternehmens-)Kommunikation hinsichtlich der Bestechungsprävention, will sagen:651 interne und externe Kommunikation, welche in den meisten Fällen (auch aufgrund bestimmter Unternehmensspezifika) unterschiedlich sein dürfte. Der Bereich der internen Kommunikation befasst sich vor allem damit, was und wie die Leitungsebene mit den Mitarbeitern kommuniziert bzw. was sie diesen „vorlebt“ („tone from the top“), und mit der Implementierung der Programme zur Bestechungsprävention, während die externe Kommunikation vor allem darauf fokussiert, insbesondere Informationen über Kontrollen, Ergebnisse von internen Untersuchungen und Sank646 The Bribery Act 2010, Guidance, S. 23; siehe dazu auch die Darstellung bei H. Eidam/ Eidam, in: Eidam (Hrsg.), Unternehmen und Strafe, Kap. 5 Rn. 617. 647 Vgl. The Bribery Act 2010, Guidance, S. 24. 648 Vgl. The Bribery Act 2010, Guidance, S. 25 f.; dazu auch Tate, in: Chada/Sallon/Tate (Hrsg.), Bribery, S. 139 ff. 649 Siehe auch Tate, in: Chada/Sallon/Tate (Hrsg.), Bribery, S. 147 ff. 650 So The Bribery Act 2010, Guidance, S. 28. 651 Siehe auch Tate, in: Chada/Sallon/Tate (Hrsg.), Bribery, S. 151 ff.

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tionen hinsichtlich der Bestechung bekannt zu machen.652 Weiterhin wird dazu geraten, Mitarbeiter zu trainieren, Bestechung zu erkennen, sowie zu schulen, wie mit derartigen Fällen umzugehen ist und wie Bestechungsprävention betrieben werden kann.653 Insbesondere wird darauf hingewiesen, dass sich ein derartiges Training für neu eingestellte Mitarbeiter und Mitarbeiter in verantwortungsvollen Positionen besonders anbietet, wie beispielsweise bei Mitarbeitern, die berechtigt sind, Verträge abzuschließen. Das letzte der in den Guidance angeführten Prinzipien ist „monitoring and review“. Hierbei geht es um die Nachprüfung und Überwachung der Bestechungsprävention bzw. der Maßnahmen und Vorkehrungen, welche hierfür im Unternehmen getroffen werden (Compliance-Programm), sowie um Optimierungsmaßnahmen, wenn Defizite festgestellt werden oder Anpassungen nötig sind.654 3. Österreich Auch in Österreich spielt die Compliance bei der Verbandsverantwortlichkeit eine Rolle, wobei sich auch hier in dem Kontext unterschiedliche Begrifflichkeiten ausfindig machen lassen.655 Allgemein versteht die Literatur in Österreich unter dem Begriff Compliance „die Einhaltung von Gesetzen und Richtlinien, aber auch freiwillige(n) Kodizes in Unternehmen (…). Es kann dabei von Regelüberwachung oder einfach Überwachung gesprochen werden. Die Sicherstellung von Compliance in Unternehmen soll durch organisatorische Maßnahmen erreicht werden.“656 Mit dem Begriff „Corporate Governance“ wird der „rechtliche und faktische Ordnungsrahmen für die Leitung und Überwachung eines Unternehmens“657 beschrieben. Für die Zielrichtung wurde bei der Schaffung des östVbVG ausdrücklich festgehalten, dass die Strafbarkeit von Verbänden „einen starken Anreiz für Unternehmen darstellt, Gefährdungspotentialen im Rahmen des Betriebes noch mehr Aufmerksamkeit als bisher zu schenken und technische, organisatorische, personelle oder andere Maßnahmen zu ergreifen, um die Verwirklichung strafgesetzwidriger Erfolge im Rahmen

652

Vgl. The Bribery Act 2010, Guidance, S. 29 f. Zum Ganzen The Bribery Act 2010, Guidance, S. 30. 654 So The Bribery Act 2010, Guidance, S. 31; Tate, in: Chada/Sallon/Tate (Hrsg.), Bribery, S. 154 ff. 655 Siehe bspw. zum österreichischen Corporate Governance Kodex auch Ernst/Kapitanova-Stix u. a., in: Palkovits/Papp/Rathkolb/Skribe, Unternehmensstrafrecht, Kap. 6.4.1. S. 2 f.; Paulitsch, in: Hilf u. a. (Hrsg.), Unternehmensverteidigung, S. 324 ff. 656 Statt vieler Ernst/Kapitanova u. a., in: Palkovits/Papp/Rathkolb/Skribe, Unternehmensstrafrecht, Kap. 6.1. S. 1 f.; vgl. zur österreichischen Compliance auch Konopatsch, in: Hotter u. a. (Hrsg.), Unternehmensstrafrecht, S. 131 ff. 657 Papp/Karner, in: Palkovits/Papp/Rathkolb/Skribe, Unternehmensstrafrecht, Kap. 4.5. S. 2. 653

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des Betriebes möglichst zu vermeiden („Compliance“-Programme, Risikomanagement)“.658 In Österreich finden Compliance-Maßnahmen für Unternehmen auf der gesetzlichen Ebene sowohl auf materiell-rechtlicher als auch auf prozessualer Ebene Berücksichtigung.659 Für den materiell-rechtlichen Part des östVbVG geschieht dies durch § 3 östVbVG und insbesondere nach § 3 Abs. 3 Nr. 2 östVbVG. Hier wird normiert, dass, sofern ein tatbestandsmäßiges und rechtswidriges Verhalten eines oder mehrerer Unternehmensmitarbeiter vorliegt, der Verband nur dann nach § 3 Abs. 3 östVbVG strafrechtlich belangt werden kann, wenn „die Begehung der Tat dadurch ermöglicht oder wesentlich erleichtert wurde, dass Entscheidungsträger die nach den Umständen gebotene und zumutbare Sorgfalt außer Acht gelassen haben, insbesondere, indem sie wesentliche technische, organisatorische oder personelle Maßnahmen zur Verhinderung solcher Taten unterlassen haben“. Hierfür muss das Unternehmen auch in Bezug auf die Leitungsorgane einstehen. Dementsprechend kann das Unternehmen bei einem strafrechtlichen Verstoß reagieren und durch das Compliance-Programm beweisen, dass alle Präventionsmaßnahmen im Sinne des § 3 Abs. 3 Nr. 2 östvbVG eingehalten wurden, wodurch beispielsweise ein Verfolgungsrücktritt nach § 18 Abs. 1 östVbVG oder eine diversionelle Erledigung nach § 19 östVbVG erreicht werden kann.660 Neben diesem Eingang in das Gesetz finden sich Compliance-Maßnahmen des Weiteren in den Milderungsgründen in § 5 Abs. 3 Nr. 1 östVbVG wieder bzw. als „prozessuales Entlastungsargument“,661 wonach es heißt: „Die Anzahl (bei der Bemessung der Tagessätze der Geldbuße) ist insbesondere geringer zu bemessen, wenn 1. der Verband schon vor der Tat Vorkehrungen zur Verhinderung solcher Taten getroffen oder Mitarbeiter zu rechtstreuem Verhalten angehalten hat.“ Hierdurch wird deutlich, dass Compliance-Maßnahmen, welche der Verband bereits vor der Begehung der Verbandsstraftat integriert hatte, mildernd berücksichtigt werden, wenn dadurch (beispielsweise durch Art oder Umfang der Compliance-Maßnahmen) das Organisationsverschulden des Verbandes weniger schwer ins Gewicht fällt.662 Doch in Österreich werden auch Compliance-Maßnahmen gewürdigt, welche erst nach der Verbandsstraftat ergriffen werden. Dies setzt § 5 Abs. 3 Nr. 5 östVbVG fest, nach dem nachträgliche Maßnahmen bei der Bemessung der Geldbuße mildernd zu 658

ErläuRV 994 BlgNr 22. GP 2. Neben den hier im Folgenden beschriebenen Möglichkeiten zur Berücksichtigung von Compliance-Maßnahmen besteht in Österreich darüber hinaus die Möglichkeit, diese rechtlich nach §§ 6 f. östVbVG im Rahmen der (teil)bedingten Nachsicht der Verbandsgeldbuße zu würdigen, vgl. dazu auch Konopatsch, in: Hotter u. a. (Hrsg.), Unternehmensstrafrecht, S. 157 ff. 660 Vgl. dazu auch Paulitsch, in: Hilf u. a. (Hrsg.), Unternehmensverteidigung, S. 331; ausführlich zu diesem Themenkomplex Konopatsch, in: Hotter u. a. (Hrsg.), Unternehmensstrafrecht, S. 141 ff. 661 Paulitsch, in: Hilf u. a. (Hrsg.), Unternehmensverteidigung, S. 333 f. 662 Vgl. Konopatsch, in: Hotter u. a. (Hrsg.), Unternehmensstrafrecht, S. 155 ff. 659

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berücksichtigen sind. Ein weiterer Präventionsanreiz bezüglich Compliance-Maßnahmen wird durch die Nr. 3 in das Gesetz integriert, nach der es einem Verband zugutekommt, wenn er nach einer Straftat zu der Aufklärung und Wahrheitsfindung beiträgt. Sind hierin die Privilegierungen durch Milderungen für ComplianceMaßnahmen zu sehen, hat der österreichische Gesetzgeber auf der anderen Seite aber auch in § 5 Abs. 2 Nr. 3 östVbVG einen Erschwerungsgrund normiert, für den Fall, dass derartige Maßnahmen unterlassen wurden.663

4. Schweiz Neben den bisher erwähnten Rechtsordnungen ist „Compliance“ auch in der Schweiz ein relevantes Thema. Hinsichtlich des Begriffsverständnisses ähnelt das dortige demjenigen der anderen Rechtsordnungen. So wird davon ausgegangen, dass unter Compliance eine „Legalitätsverpflichtung“ der Unternehmen zu verstehen sei und Unternehmen derart organisiert und überwacht werden müssten, dass Gesetzesverstöße verhindert würden.664 Eine gesetzliche Definition von Compliance gibt es hingegen in der Schweiz, trotz eines eigenen Unternehmensstrafrechts, nicht.665 Eine (gesetzliche) Verpflichtung zur Einführung von Compliance-Programmen besteht in der Schweiz nicht, wenngleich eine „faktische“ Verpflichtung daraus geschlossen wird, dass eine Nichtein- bzw. Nichtdurchführung von ComplianceMaßnahmen mit Sanktionen bedroht ist.666 Dies ergibt sich in der Schweiz vor allem aus den Regelungen der Strafbarkeit von Unternehmen, wenn ein Unternehmen nach Art. 102 Abs. 2 schwStGB dafür zur (strafrechtlichen) Verantwortung gezogen wird, wenn es nicht alle zumutbaren und erforderlichen organisatorischen Vorkehrungen zur Verhinderung der Anlasstat durchgeführt hat. Hinsichtlich einer rechtlichen Berücksichtigung (im Sinne einer Honorierung) von Compliance-Maßnahmen besteht aber auch die Möglichkeit, dass sie die Verantwortlichkeit von Unternehmen ausschließen können.667 Letzteres kann sich nach schweizerischem Recht ebenfalls insbesondere aus Art. 102 Abs. 2 schwStGB ergeben, wenn die Compliance-Maßnahmen, welche das Unternehmen durchgeführt hat, als die erforderlichen und zumutbaren organisatorischen Vorkehrungen im Sinne des Art. 102 Abs. 2 schwStGB angesehen werden können.668 Diese Wirkung scheint auch dort die weitreichendste 663

Vgl. zum Ganzen Konopatsch, in: Hotter u. a. (Hrsg.), Unternehmensstrafrecht, S. 156 f. Vgl. statt vieler Roth, Compliance, S. 1; grundlegend Pieth, Schweizerisches Strafprozessrecht, S. 77 ff. 665 Zur Erläuterung Roth, Compliance, S. 2 f.; Pieth, Schweizerisches Strafprozessrecht, S. 77. 666 So Wohlers, in: Hess u. a. (Hrsg.), Unternehmen im globalen Umfeld, S. 239 (297) m.w.N.; ähnlich bei Pieth, Schweizerisches Strafprozessrecht, S. 78. 667 Vgl. zum Ganzen Wohlers, in: Hess u. a. (Hrsg.), Unternehmen im globalen Umfeld, S. 239 (297); ferner Pieth, Schweizerisches Strafprozessrecht, S. 79: „Mit welchem Programm darf man hoffen, von der Staatsanwaltschaft oder dem Richter auf Gehör zu stossen?“ 668 Vgl. Wohlers, in: Hess u. a. (Hrsg.), Unternehmen im globalen Umfeld, S. 239 (297). 664

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zu sein. Möglich ist jedoch auch, dass Compliance-Maßnahmen eine strafmildernde Wirkung entfalten.669 5. Fazit Die Ausgangssituation in den USA zeigt, dass die gesamte Compliance-Bewegung ihren Ursprung in medienwirksamen Skandalen großer Unternehmen hat, also letztlich auf Problemen in tatsächlicher Hinsicht fußt, denen sodann auf der rechtlichen Ebene an unterschiedlicher Front die Stirn geboten wurde. Deutlich tritt dabei die (rechtliche) Vielfältigkeit hervor, mit der den Skandalen der Unternehmen auf der Compliance-Ebene in den USA begegnet wurde, indem sie an den unterschiedlichsten Stellen Berücksichtigung gefunden hat; auch die praktische Relevanz für Unternehmen ist nicht zu unterschätzen. Auffällig ist hierbei, dass zwar ein rechtlicher Rahmen vorgegeben wird, dieser aber durch das Unternehmen selbst mit Regelungen gefüllt wird und nicht etwa durch ein starres Regelungskorsett des Gesetzgebers (Stichwort: „no one-size-fits-all program“670) vorgegeben wird.671 Zentral ist in Anbetracht der Entwicklung zudem, dass es auf der einen Seite nicht zu unterschätzende Vorgaben an ComplianceSysteme (hinsichtlich der Effektivität672) gibt, auf der anderen Seite aber die Honorierung und Anreizwirkung durch Strafrabatte, mögliche Abschlüsse eines DPA oder NPA oder sogar (unter weiteren Voraussetzungen) ein Anklageverzicht in Aussicht gestellt wird. Die oben dargestellte Entwicklung zeigt die über Jahre gewachsene und immer noch ansteigende Relevanz von Compliance, sodass es sich nunmehr um einen nicht mehr wegzudenkenden Part der strafrechtlichen Verfolgungspraxis in den USA handelt und diese steigende Relevanz mit den Erwartungen der Behörden im Rahmen einer Kooperation korrespondiert, wenngleich anzumerken ist, dass auch in den USA erkannt wird, dass Funktionalität und Effektivität eines Compliance-Systems nicht bedeuten, dass jede Straftat eines einzelnen Mitarbeiters hierdurch aufgedeckt wird und im Umkehrschluss das System versagt hätte, weil eine einzelne Tat nicht entdeckt wurde.673 Dass dies kaum in gerichtlichen Verfahren, sondern vielmehr bereits im Ermittlungsverfahren durch die Staatsanwaltschaft beurteilt und entschieden wird und diese somit Herrin über eine Neu-/Umstrukturierung des Unternehmens durch Compliance als Bewährungsauflage sein kann,674

669

Ferner Jedynak, Interne Erhebungen. S. 316. FCPA Resource Guide, S. 57. 671 Siehe zu diesem Aspekt beispielsweise auch den FCPA Resource Guide, S. 57. 672 Siehe dazu nur FCPA Resource Guide, S. 56 f. 673 Vgl. dazu nur FCPA Resource Guide, S. 56. 674 So zum Beispiel explizit vorgesehen: „(…) prosecutors may consider a company’s remedial actions, including efforts to improve an existing compliance program or appropriate disciplining of wrongdoers.“ FCPA Resource Guide, S. 54 mit Verweis auf USAM. 670

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erscheint auf den ersten Blick zwar problematisch, stellt sich als Problem aber in den USA nicht nur im Zusammenhang mit den Compliance-Programmen. In England ist die Compliance nicht minder relevant, wenn es um den UKBA geht. Als Einfallstor für die Berücksichtigung von Compliance wird Sec. 7 UKBA gesehen, durch die Compliance-Maßnahmen als „adequate procedures“ berücksichtigt werden können. Eine Berücksichtigung ist sogar als „full defence“ denkbar, was einen nicht nur unerheblichen Anreiz zur Implementierung eines vollwertigen Compliance-Systems schaffen dürfte. Wird auf die dazu ausgearbeiteten „Guidance“ geblickt, wird deutlich, dass es in England ebenfalls keine starren Vorgaben oder gar eine Pflicht zur Einführung eines Compliance-Management-Systems gibt, wohl aber Anregungen für Unternehmen, wie ein umfassendes Compliance-System ausgestaltet werden kann. Die sogenannten „six principles“ umfassen dabei organisatorische, personelle und technische Maßnahmen zur Verhinderung von Kriminalität im Unternehmen. Sinn, Zweck und Funktion bestehen vor allem darin, Unternehmen aufzuzeigen, wie nicht nur eine einzelne Compliance-Komponente aussehen kann, sondern vielmehr, wie Compliance in das Unternehmensleben auf allen Stufen integriert werden kann, ergo zu einer Wertekultur im Unternehmen heranwachsen kann. Hierbei wird deutlich, dass eine Vielzahl von Faktoren und vor allem Risiken, die zur Kriminalität führen können, dabei berücksichtigt werden können und auch werden müssen, wie beispielsweise die Größe des Unternehmens oder der (inter-) nationale Tätigkeitsbereich. In Österreich existieren im Rahmen des östVbVG zwei Optionen, durch welche Compliance-Progamme/-Maßnahmen bei der Verbandsverantwortlichkeit berücksichtigt werden können: zum einen auf der materiell-rechtlichen Ebene, wodurch das Unternehmen Straffreiheit erlangen kann und zum anderen bei der Strafzumessung, da Compliance-Systeme strafmildernd berücksichtigt werden können. Darüber hinaus vermittelt der österreichische Ansatz, dass dort ebenfalls gerade kein starres Compliance-System mit spezifischen Vorgaben gewählt wurde, welches den Unternehmen aufoktroyiert wird, sondern die Unternehmen trotz der gesetzlichen Regelungen bzw. des Regelungsrahmens genügend Freiraum haben, ein individuelles Compliance-Programm mit eigenen Regelungen auszuarbeiten, welches auch den (Risiko-)Bedürfnissen und (branchenspezifischen) Besonderheiten gerecht werden kann. Neben dem Ausgleich zwischen strafrechtlichen und unternehmerischen Interessen ist davon auszugehen, dass auf diesem Weg das Ziel der Prävention weiter gefördert wird, da für Unternehmen ein großer Anreiz zur Implementierung oder Verbesserung von Compliance-Systemen bestehen wird, und es für jene, welche bisher kein Compliance-System integriert haben, viel schwieriger sein dürfte, sich effektiv gegen einen strafrechtlichen Vorwurf zu verteidigen, da der Entlastungsbeweis schwieriger zu erbringen sein wird.675 In der Schweiz kommt der Compliance im Rahmen der Verbandssanktionierung ebenfalls Bedeutung zu, wenngleich auch kein System mit verbindlichen Vorgaben 675

Vgl. auch Paulitsch, in: Hilf u. a. (Hrsg.), Unternehmensverteidigung, S. 344.

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bezüglich der Compliance-Programme eingeführt wurde. Auch dort ist es aber möglich, dass ein Unternehmen aufgrund eines Compliance-Programms Straffreiheit erlangen kann oder jedenfalls eine Strafmilderung in Aussicht gestellt wird. Im Ergebnis hat die Compliance in allen untersuchten Rechtsordnungen bereits zum jetzigen Zeitpunkt eine herausragende Bedeutung, die weiter stetig zuzunehmen scheint. Darüber hinaus ist der Entwicklungsprozess von Compliance-Programmen sehr agil und verändert sich mit den wirtschaftspolitischen Strömungen bzw. wird ihnen angepasst, was letztlich unerlässlich ist, wenn die Compliance ihren Sinn und Zweck erfüllen soll. Dies erkennen alle untersuchten Rechtsordnungen, weshalb sich in keiner Rechtsordnung ein gänzlich starres System zur Einführung von Compliance-Maßnahmen wiederfindet. Auch wenn sich zahlreiche unterschiedliche Begrifflichkeiten in dem Kontext ausmachen lassen, gibt es ein gemeinsames Grundverständnis der Materie, welches Unternehmen, die ihr Möglichstes zur Vermeidung von Rechtsverstößen getan haben, ausreichend honoriert (Stichwort: Straffreiheit), es aber ebenso nicht unberücksichtigt lässt, wenn Unternehmen zwar etwas zur Vorsorge, aber möglicherweise nicht alles Erforderliche getan haben (Stichwort: Strafmilderung). Hinsichtlich der Ausgestaltung und Bedeutung bzw. Berücksichtigung von Compliance zeigen sich somit in den grundsätzlichen Ansätzen kaum Unterschiede zwischen den Rechtsordnungen. Allen ist die Berücksichtigung von Compliance und der ihr zugrundeliegende Gedanke bzw. die Funktion, und der Stellenwert, den sie einnimmt, gemein. Darüber hinaus scheint hinter diesem Vorgehen die Wertung der einzelnen Ordnungen zu stehen, Kriminalität in Unternehmen bereits durch Prävention begegnen zu wollen, wenngleich die Vergangenheit gezeigt hat, dass die Compliance vor allem Folge großer Unternehmensskandale, ergo Folge von Fehlverhalten der Unternehmen, war. Durch die Honorierung von ComplianceMaßnahmen wird ebenfalls deutlich, dass die einzelnen Rechtsordnungen erkennen, dass ein Unternehmen ein komplexes Gebilde im Rechtsleben darstellt, bei dem es vielseitiger Schritte in unterschiedliche Richtungen bedarf, um Kriminalität zu verhindern bzw. aufzudecken und das deshalb für die aktive Kriminalitätsprävention honoriert werden kann, im gleichen Atemzug aber, wenn es hierfür nicht tut, was erforderlich ist (und dies ist freilich weitaus mehr als für eine einzelne natürliche Person, die sich selbst entscheidet, nicht straffällig zu werden), sanktioniert werden kann. Insgesamt wird im Folgenden für ein deutsches Verbandssanktionenrecht abzuwägen sein, welche (rechtliche) Berücksichtigung von Compliance-Maßnahmen bei einem vorwiegend präventiv ausgerichteten Verbandssanktionenrecht den größten Sinn macht. In Bezugnahme auf die Situation de lege lata in Deutschland zeigen sich Gemeinsamkeiten mit den untersuchten anderen Rechtsordnungen dergestalt, dass sowohl der Ausgangspunkt für Compliance-Bestrebungen (die Unterbindung von Kriminalität im und aus dem Unternehmen heraus) als auch die Vorgehensweise (Implementierung eines Programms auf unterschiedlichen Ebenen im Unternehmen) sehr ähnlich sind und zu einer gelebten Wertekultur in Unternehmen führen sollen.

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Inwiefern de lege ferenda eine rechtliche Berücksichtigung in Betracht kommt, ist Untersuchungsgegenstand des folgenden Abschnitts.

V. Lösungsansatz 1. Notwendigkeit gesetzlicher Mindest-Compliance-Vorgaben de lege ferenda Hier läge es auf der einen Seite am deutschen Gesetzgeber, einige allgemeingültige (rechtlich verbindliche) Vorgaben für Compliance-Maßnahmen in einem Verbandssanktionenrecht zu schaffen, die sowohl in kleinen als auch in mittelständischen und in Großunternehmen umgesetzt und angepasst werden können, sowie dementsprechend eine flexible Formulierung aufweisen, um Gesetzesverstöße zu verhindern oder aufzudecken. Auf der anderen Seite muss dem Unternehmen ein gewisser Freiraum dergestalt zugestanden werden, ein eigenes, effektives und spezifisch am Unternehmen ausgerichtetes Konzept der Kriminalitätsprävention konstruieren und implementieren zu können. Compliance-Mindestvorgaben könnten hier, ähnlich wie die erwähnten „adequate procedures“ in Sec. 7 UA 2 UKBA in England,676 ausgestaltet werden bzw. es könnten generell geeignete und angemessene Vorkehrungen in organisatorischer und personeller Hinsicht als Mindestvorgaben für Compliance de lege ferenda dienen. Diese Überlegung resultiert daraus, dass die Unternehmen hinsichtlich des Tätigkeitsbereichs in ihrer Branche und ihrer Größe sehr spezifisch organisiert sind und auch individuell agieren können müssen. So können beispielsweise einer mittelständischen (oder kleinen) deutschen Aktiengesellschaft, die § 161 AktG erfüllen möchte, andere strafrechtliche Risiken immanent sein als einem multinationalen Unternehmen, welches Bestechung und Korruption durch ausländische Mitarbeiter verhindern will. Freilich können auch mehrere verschiedene Ziele der ComplianceMaßnahmen zugleich in Betracht kommen, was gerade bei Großunternehmen häufig der Fall sein wird. Eine einzige konkrete Gesamtlösung für sämtliche Unternehmen verbietet sich letztlich aufgrund der Unternehmensspezifika. Vielmehr müssen die Vorgaben des Gesetzgebers flexibel genug sein, um mit den internen Regelungen des Unternehmens harmonieren und ineinandergreifen zu können und so einen Mechanismus zu schaffen, der eine effektive Kriminalitätsprävention durch Anreize zur Compliance-Implementierung und gleichsam eine hohe Aufdeckungsquote von Gesetzesverstößen zum Ziel hat, weshalb dem oben gewählten Ansatz der Vorzug zu gewähren ist. Für den Fall, dass sich der Gesetzgeber in Zukunft weiterhin gegen eine gesetzliche Regelung der Compliance-Thematik entscheidet, wäre es vorzugswürdig, bereits einige Ebenen weiter unten anzusetzen. Vor allem sollte nicht-börsenno676

Siehe dazu auch S. 508.

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tierten Gesellschaften ebenfalls ein System wie der Deutsche Corporate Governance Kodex an die Hand gegeben werden, um auch die breite Masse der kleinen und mittelständischen Unternehmen mit Compliance-Vorgaben erreichen zu können und sie zu der Einführung von Compliance-Systemen zu motivieren. Nicht kapitalmarktorientierten Gesellschaften wird die Einhaltung des Kodex bis dato laut der Präambel zwar empfohlen, jedoch finden sich keine weiteren spezifischen Angaben hierzu.677 Für ein solches Ergebnis einer künftigen Einbeziehung sprechen auch die PricewaterhouseCoopers-Studien zur Wirtschaftskriminalität aus dem Jahr 2016 und aus dem Jahr 2018, in welcher die sogenannte „Top-down-Entwicklung“ deutlich wird.678 2. Berücksichtigung von zum Tatzeitpunkt bestehender Compliance de lege ferenda Stünde erst einmal fest, dass die Compliance unmittelbar auch Eingang in das Gesetz findet, müsste grundlegend entschieden werden, ob und inwiefern die Einhaltung von den Compliance-Mindestvorgaben durch das Gesetz berücksichtigt und honoriert werden könnte. Eingang könnten Compliance-Programme sowohl auf materiell-rechtlicher als auch auf prozessrechtlicher Ebene finden. Da die Lösung stark vom materiell-rechtlichen Part des Verbandssanktionenrechts abhängt, ist es notwendig, im Folgenden das Aufsichtspflichtsverletzungsmodell, das Zurechnungsmodell und das hier als vorzugswürdig erachtete Kombinationsmodell bei der Lösungsfindung partiell zu berücksichtigen, um die unterschiedlichen Ansätze und die daraus folgenden Konsequenzen in ihrer Vielfalt aufzuzeigen.679 a) Compliance-Defense In Betracht kommt, dass Compliance-Programme bzw. die Erfüllung von Compliance-Mindestvorgaben, die zum Tatzeitpunkt vorliegen, die Strafbarkeit des Unternehmens gänzlich ausschließen, indem sie bereits tatbestandsausschließend wirken (sogenannte „Compliance-Defense“ mit den weitreichendsten Konsequenzen). Dafür ließe sich ins Feld führen, dass es grundsätzlich keinen Anlass gibt, ein Unternehmen zu sanktionieren, das etwaige gesetzliche Organisations- und Handlungsverpflichtungen erfüllt hat, um eine Straftat zu vermeiden. Zum anderen scheint 677 Siehe https://www.dcgk.de/de/kodex/aktuelle-fassung/praeambel.html zuletzt abgerufen am 16. 05. 2020. 678 Vgl. http://www.pwc.de/de/risikomanagement/assets/studiewirtschaftskriminalitaet2016. pdf S. 54 bezeichnet als „Top-down-Effekt“, zuletzt abgerufen am 09. 11. 2020; PricewaterhouseCoopers Wirtschaftskriminalität 2018, S. 24, abrufbar unter https://www.pwc.de/de/risk/ pwc-wikri-2018.pdf zuletzt abgerufen am 09. 11. 2020. 679 Siehe zu den unterschiedlichen Modellen bereits oben S. 201; zu unterschiedlichen Konsequenzen der Grundmodelle (Zurechnungs- und Verbandsschuldmodell) bei der Berücksichtigung von Compliance Kubiciel, FS Wessing, S. 69 (75 ff.).

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die Option der (hier tatbestandsausschließenden) Einbeziehung von ComplianceSystemen eine naheliegende Konsequenz zu sein, sofern man entweder ausschließlich ein Aufsichtspflichtverletzungsmodell oder unter Umständen ein Kombinationsmodell verfolgen will, welches auch eine notwendige Komponente der Aufsichtspflichtverletzung vorsieht.680 Der Gesetzesverstoß eines Mitarbeiters kann dabei auf eine unzureichende Aufsicht hindeuten. Zwingend ist dieser Schluss aber nicht, sodass nicht jeder Gesetzesverstoß eine Aufsichtspflichtverletzung einer Leitungsperson beweist. Im Ergebnis kann die konkrete Ausgestaltung des Compliance-Systems also eine gehörige Aufsicht darstellen, die den Tatbestand der Verbandstat ausschließt. Naturgemäß spielt dieser Tatbestandsausschluss keine Rolle, wenn es sich um eine Straftat eines Organs handelt (Zurechnungskomponente), da dann gerade das Verschulden eines Organs feststeht und somit dem Verband zugerechnet wird. Darüber hinaus ist damit noch nicht ausgesagt, dass allein die Implementierung eines Compliance-Systems immer den Haftungstatbestand ausschließen muss. Das zeigt auch die Diskussion im amerikanischen Recht: Hier wird sie unter dem Aspekt der Compliance-Systeme als Verteidigungseinwand der „due diligence“ (gebotene Sorgfalt) mitunter kontrovers diskutiert.681 Dabei plädiert eine Auffassung dafür, dass Unternehmen sich durch den Nachweis der „due diligence“ durch das Management entlasten können sollten, was rechtlich nach dem amerikanischen System eine Unterbrechung der Zurechnung der Anknüpfungstat des Mitarbeiters zum Unternehmen darstellen würde.682 Die Argumentation der Befürworter ähnelt dabei derjenigen hierzulande. Durch ein effektives Compliance-System wäre der Nachweis der gebotenen Sorgfalt erbracht.683 Dagegen spricht sich jedoch die vorherrschende Meinung mit dem Einwand aus, dass ein solcher Lösungsweg zu einer verminderten Abschreckungswirkung und weniger Anreizen führen würde, insgesamt also der Funktion des amerikanischen Verbandsstrafrechts zuwiderläuft, sodass ein Compliance-Programm letztlich auch in den USA wohl keinen wirksamen Verteidigungseinwand darstellt, der die Zurechnung der Tat des Mitarbeiters zum Unternehmen entfallen lässt und automatisch zur Sanktionslosigkeit führt.684

680

Siehe dazu insgesamt Kubiciel, FS Wessing, S. 69 (76 f.). Vgl. dazu mit Nachweisen ausführlich Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen, S. 101 ff.; zur Compliance als Rechtfertigungsgrund auch Hoven/Weigend, ZStW 2018 (130), 213 (226 f.) m.w.N. 682 Beispielhaft hier Dolan/Rebeck, Georgetown Law Journal (1961 – 1962) Vol. 50, 547 (564 f.); Mueller, University of Pittsburgh Law Review (1957 – 1958), Vol. 19, 21 (41 ff.); ähnlich Gruner, Criminal Liability, Chap. § 6.06. 683 Pitt/Groskaufmanis, Georgetown Law Journal (1989 – 1990) Vol. 78, 1559 (1647 ff.); Brown, Loyola Law Review (1995 – 1996) Vol. 41, 279 (327 f.). 684 Vgl. ausführlich dazu Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen, S. 104 m.w.N.; gegen Compliance als defense auch Cox/Hazen, The law of corporations, S. 534 m.w.N.; im Überblick insgesamt auch bei Hoven/Weigend, ZStW 2018 (130), 213 (226 f.) m.w.N.; siehe auch zur Due-Diligence Defense Gruner, Criminal Liability, Chap. § 6.01 und § 6.02. 681

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Gegen einen automatischen Schluss von Compliance-Maßnahmen auf eine gehörige Aufsicht und daher auf einen Tatbestandsausschluss spricht darüber hinaus zum einen die Gefahr eines „race to bottom“. Denn die Existenz eines ComplianceManagement-Systems ist nicht zwingend gleichbedeutend mit dem Vorliegen ausreichender Aufsichtsmaßnahmen. Es bestünde die Möglichkeit, dass ein Compliance-Programm zwar implementiert ist, Aufsichtsmaßnahmen aber trotzdem nicht in gehöriger Weise ausgeführt werden. Das würde durch einen Tatbestandsausschluss aufgrund eines vorhandenen Compliance-Management-Systems aber suggeriert werden. Überdies bestünden auch unüberwindbare Hürden in der Formulierung einer generell tatbestandsausschließenden Compliance-Defense, da sie stark einzelfallabhängig bezogen wäre und eine allgemeine Formulierung, die der erforderlichen Präzision Genüge tun würde, nicht umsetzbar ist. Freilich muss aber, davon abgesehen, trotzdem die Option bestehen, dass ein Unternehmen, unter anderem durch interne Compliance-Regelungen, nachweisen kann, dass es die Aufsicht gehörig ausgeführt hat, da diese Komponenten miteinander zusammenhängen können. Neben den vorangehenden Aspekten, die gegen eine Compliance-Defense sprechen, muss auch die (Außen-)Wirkung einer solchen Regelung auf die Unternehmen bedacht werden. Es würde die Gefahr bestehen, dass die Unternehmen sich primär darauf konzentrieren, ein nach außen überzeugendes Compliance-System zu entwerfen, und weniger auf die Verhinderung von Verbandstaten bzw. auf die Ausübung der Durchführung der ordnungsgemäßen Aufsichtspflicht achten, was als Phänomen des sogenannten „window dressing“ bekannt ist. Infolgedessen würde es zwar zu einer Straflosigkeit (jedenfalls) wegen Tatbestandsausschlusses kommen. Dieser Weg wäre aber nicht geeignet, die Ziele der Anreizwirkung und Kriminalprävention sowie die Bekämpfung von problematischen Anreizsystemen zur Straftatbegehung im Unternehmen zu erreichen. Zusätzlich würde sich eine derartige Regelung auf das Vorgehen der Strafverfolgungsbehörden negativ auswirken: Sie hätten im Ermittlungsverfahren nicht mehr den Gesetzesverstoß selbst, sondern die Effektivität und Tauglichkeit des Compliance-Programms zu beurteilen, was vom Gesetzgeber nicht gewollt werden kann. Letztlich ist die Berücksichtigung von Compliance als automatischer ComplianceDefense insgesamt im materiell-rechtlichen Part eines Verbandssanktionenrechts abzulehnen. b) Compliance als Einstellungsgrund Eine andere denkbare Option der rechtlichen Berücksichtigung von Compliance besteht darin, die Erfüllung etwaiger gesetzlich vorgegebener Compliance-Mindestvorgaben – beim Hinzutreten weiterer Voraussetzungen – als Einstellungsvoraussetzung685 für das Verbandssanktionsverfahren gegen das Unternehmen vorzu685 So auch in der Vergangenheit DAV (Stellungnahme des DAV 75/2012 zum Diskussionsentwurf zur Regelung der Rechtsnachfolge bei Bußgeldverfahren gegen juristische Per-

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sehen und somit eine Lösung auf der prozessualen Ebene zu implementieren.686 Anzumerken ist für die Thematik im Vorfeld, dass die Voraussetzungen für eine Verfahrenseinstellung aufgrund von Compliance sich stark an dem materiellen Teil des Verbandssanktionenrechts orientieren müssen. Entsprechend kommt die folgende Option in der beschriebenen Form vorrangig in Betracht, wenn der Gesetzgeber als materiell-rechtlichen Anknüpfungspunkt ein Zurechnungsmodell oder unter Umständen ein Kombinationsmodell wählen würde, da bei einem Aufsichtspflichtverletzungsmodell die gehörige Aufsicht bereits den Tatbestand entfallen ließe. An dem Punkt wäre zwar ein denkbarer Einwand gegen eine Lösung auf der prozessualen Ebene, wenn man die Gefahr sehen würde, dass die Strafverfolgungsbehörden und Gerichte durch die Einstellung die Hoheit hätten, von der Gleichheit vor dem Gesetz abzuweichen. Die Gefahr würde bei einer solchen Lösung aber dadurch wesentlich entschärft, dass auch eine Einstellung nicht gänzlich frei erfolgen würde, sondern ebenfalls an bestimmte festgesetzte Kriterien geknüpft würde (und somit jedenfalls eine ähnliche Gleichheit wie materiell-rechtlich erreicht und sichergestellt würde). Darüber hinaus würde bei der angedachten Lösung über die prozessuale Ebene die Betrachtung der Gesamtumstände des Einzelfalls sowie die Berücksichtigung seiner Spezifika besser ermöglicht als in einer allgemein materiell-rechtlichen Regel. Insgesamt steht der vorgebrachte Einwand einer Behandlung auf der prozessrechtlichen Ebene daher nicht entgegen. Das Konzept über eine Einstellung scheint jenseits dessen in systematischer Hinsicht nicht nur interessengerecht zu sein, sondern es fügt sich besonders gut ein. Denn die Tatbestände werden beispielsweise bei einem reinen Zurechnungsmodell naturgemäß eher weit formuliert sein, sodass dem Unternehmen möglicherweise jede Straftat eines Mitarbeiters oder Entscheidungsträgers zugerechnet werden könnte. Hier könnte die Compliance als Einstellungsvoraussetzung als ein Korrektiv mit Beschränkungsfunktion für die extensiven Tatbestände dienen. An sich unbescholtene Verbände,687 die Compliance-Systeme integriert haben, könnten so (mit dem Hinzutreten weiterer Voraussetzungen) in den Genuss von Verfahrenseinstellungen kommen. Durch eine solche Lösung könnte man die Ultima-Ratio-Funktion sonen und Personenvereinigungen und zur Anhebung des Bußgeldrahmens für juristische Personen §§ 30, 130 OWiG, S. 6) und der Strafrechtsausschuss der Bundesrechtsanwaltskammer (Stellungnahme 46/2012 der Bundesrechtsanwaltskammer zu Artikel 4 des Entwurfs eines Achten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (E-8. GWB-ÄndG), S. 9. 686 Siehe auch den Vorschlag eines Reformvorhabens des OWiG bei Beulke/Moosmayer, CCZ 2014, 146 (148), die in ihrem Vorhaben eine obligatorische Milderung der Verbandsgeldbuße vorsehen, wenn das Unternehmen geeignete und angemessene Maßnahmen (in organisatorischer und personeller Hinsicht) vornimmt, um mit der Anknüpfungstat vergleichbare Zuwiderhandlungen in Zukunft zu vermeiden; zu möglichen geeigneten Maßnahmen in diesem Kontext ebenfalls dies., CCZ 2014, 146 (151 f.). 687 „An sich unbescholtene Verbände“ meint hier unbescholten trotz der Begehung einer Straftat durch einen Mitarbeiter, da man diese niemals ganz vermeiden können wird.

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des Strafrechts (bei einem Verbandssanktionenrecht als Strafrecht im weiteren Sinne) wahren und zugleich dem staatlichen Sanktionsanspruch gerecht werden. Für den Ansatz lässt sich ebenfalls ins Feld führen, dass der Verband bei Anwendung eines Zurechnungs- oder (im Einzelfall) Kombinationsmodells und bei Vorliegen einer Straftat Unrecht verwirklicht hat (was spiegelbildlich gegen einen Tatbestandsausschluss und somit gegen den oben genannten Punkt der Berücksichtigung als Compliance-Defense spricht), weshalb eine Honorierung auf der Ebene der Einstellungsgründe besonders angemessen scheint. Zu dem Ergebnis der Rechtsfolgenrelevanz von Compliance bei einem materiellrechtlichen Zurechnungsmodell oder einem Kombinationsansatz als Anknüpfungspunkt eines Verbandssanktionenrechts kommt (mit anderer Begründung) auch Kubiciel,688 nach dem das Zurechnungsmodell um die Prävention als legitimierenden Zurechnungsgrund ergänzt werden könnte. Demnach wäre Anknüpfungspunkt der Sanktionierung des Unternehmens der Zweck des Schutzes der Gesellschaft insgesamt vor zukünftigen Verfehlungen des Unternehmens durch die Verbreitung von Präventionsmaßnahmen und nicht die Straftat eines einzelnen Mitarbeiters (als natürlicher Person), welche dem Unternehmen zugerechnet wird.689 Daraus, so Kubiciel,690 resultiere die Folge, dass es die Sanktionslegitimation an sich nicht berühre, ob das Unternehmen ein Compliance-Programm implementiert habe, da dieses keine Tatbestandsvoraussetzung sei, es aber (verfassungsrechtlich) gleichwohl notwendig sei, Compliance bei der Sanktionsentscheidung zu berücksichtigen.691 Die Berücksichtigung sollte insbesondere spezifisch nach „Art und Umfang“ bzw. „ob“ und „wie“ im Rahmen der Sanktionsentscheidung erfolgen. Insgesamt ist festzuhalten, dass sich eine Reihe an Aspekten finden lässt, die den Weg für eine prozessuale Lösung über eine Einstellung nicht nur ermöglichen, sondern aufzeigen, dass dieser bei der Implementierung eines Verbandssanktionenrechts vorzugswürdig ist. Hinsichtlich einer spezifischeren Ausgestaltung sollen die folgenden Abschnitte Einzelheiten näher beleuchten. aa) Einstellung als regelmäßige Folge (Soll-Vorschrift) Regelungstechnisch könnte für bestehende Compliance-Programme ein eigener Einstellungsgrund im Verbandssanktionenrecht vorgesehen werden, sodass die Staatsanwaltschaft bei Vorliegen eines bestimmten Anforderungen genügenden Compliance-Programms von der Verfolgung der Verbandsverfehlung absehen soll,692 wenn zum einen als allgemeine Voraussetzungen (die immer gegeben sein 688

Dazu ausführlich Kubiciel, FS Wessing, S. 69 (76). Vgl. Kubiciel, FS Wessing, S. 69 (76). 690 Kubiciel, FS Wessing, S. 69 (76). 691 So zutr. Kubiciel, FS Wessing, S. 69 (76). 692 Etwas anderes ergibt sich jedoch, wenn es um den spezifischen Fall der (oftmals sehr ressourcenintensiven) Internal Investigations geht. Dies gilt vor allem mit Blick auf die be689

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müssen) die Schwere der Verbandsverfehlung nicht entgegensteht, der Schaden wiedergutgemacht wird693 und ein öffentliches Interesse nicht gegeben ist. Für die letzte Voraussetzung müsste der Gesetzgeber694 festlegen, unter welchen Prämissen ein öffentliches Interesse bei bestehender Compliance zu verneinen wäre. Zum anderen müssten Compliance-spezifische Voraussetzungen erfüllt werden: (1) Vor der Tat existierendes Compliance-Programm Eine Voraussetzung für die Einstellung eines Verfahrens gegen den Verband kann es sein, dass der Verband schon vor Begehung des Gesetzesverstoßes tätig wurde und durch die Umsetzung von Compliance-Maßnahmen/-Systemen versucht hat, Straftaten zu verhindern, die eine Verbandshaftung auslösen können. Zu den ComplianceMaßnahmen zählen insbesondere personelle und technische Maßnahmen, wie beispielsweise spezifisch geschulte Mitarbeiter und bestimmte Systeme, deren (Tätigkeits-)Schwerpunkt darin liegt, (potentielle) Gesetzesverstöße zu verhindern oder zu erkennen. Insgesamt dürften einzelne Maßnahmen für sich genommen nicht bereits ausreichen, um als Voraussetzung für eine Einstellung zu dienen, sondern (und gerade bei Großunternehmen) wird dafür ein umfassendes funktionierendes Compliance-System erforderlich sein. (2) Offenbarung der Straftat und Zusammenarbeit mit den Strafverfolgungsbehörden Eine weitere Voraussetzung könnte darin bestehen, dass der Verband neben einem schon vor der Tat bestehenden Compliance-System auch unmittelbar nach Bekanntwerden der Straftat (welche den Strafverfolgungsbehörden nach internem Bekanntwerden gemeldet wurde695) mit den Verfolgungsbehörden zusammenarbeitet und die, je nach Ausgestaltung de lege ferenda, rechtlich zulässigen und notwendigen Informationen bezüglich der Straftat (beispielsweise aus internen Ermittlungen im Verband, Audits oder „whistleblower hotlines“) der Strafverfolgungsbehörde zukommen lässt. Dadurch könnten zum einen unverhältnismäßige Untersuchungen von (anderen) Verbandsinterna sowie zum anderen langwierige belastende Ermittlungen im Unternehmen vermieden werden. Denn zur Aufklärung sonders hohen Anforderungen, die § 17 VerSanG-E diesbezüglich stellt. Vgl. dazu insgesamt S. 480. 693 Vgl. zu beiden Aspekten auch § 14 Kölner Entwurf Henssler/Hoven/Kubiciel/Weigend, NZWiSt 2018, 1 (3 f.). 694 In Betracht käme hier, sofern dies beispielsweise ein Verbandssanktionenrecht überfrachten würde, ebenfalls die Möglichkeit, eine Regelung der Thematik in der RiStBV vorzusehen. Diese könnte unter Umständen ebenfalls als ausreichend erachtet werden. 695 An dieser Stelle müsste eine Präzisierung erfolgen und klargestellt werden, wie zu verfahren wäre bzw. welche Folgen sich für Compliance als Einstellungs-/Strafmilderungsgrund ergeben könnten, wenn das Unternehmen zunächst irrig davon ausginge, es würde keine Straftat vorliegen und diese deswegen nicht den Behörden meldet. Siehe zu diesem Punkt im amerikanischen Recht (U.S. Sentencing Guidelines, § 8 C. 2.5 (g)) bereits Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen, S. 162.

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eines Sachverhalts im Unternehmen müssen häufig komplizierte Zusammenhänge nachvollzogen werden, welche durch diese Art der Zusammenarbeit zwischen Strafverfolgungsbehörde und Unternehmen effektiver und schneller aufgearbeitet werden könnten. Darüber hinaus könnte die Honorierung bzw. Voraussetzung des eigenständigen Entdeckens und Offenbarens der Verbandsverfehlung, welche sich zum Beispiel an der kartellrechtlichen Bonusregelung696 orientieren könnte, Anreize auslösen, unternehmensbekannte Straftaten zu melden, was zu einer Bekämpfung des Dunkelfeldes der Wirtschaftskriminalität im Zusammenhang mit Straftaten mit Unternehmensbezug beitragen könnte. Hingegen sollte von einer Regelung, dass mit der Kooperation ein Verzicht auf prozessuale Garantien einhergehen kann (wie es in den USA bis vor einigen Jahren vorherrschende Praxis war),697 für ein deutsches Verbandssanktionenrecht Abstand genommen werden. Denn hierdurch würde zusätzlich eine (Rechts-)Unsicherheit kreiert, welche man gerade vermeiden will. Die ablehnende Haltung hinsichtlich der Handhabung aus den USA resultiert noch aus einem weiteren Gesichtspunkt. Führt eine Kooperation zu einem Verlust prozessualer Rechte, würde dies wegen einer drohenden Ungleichbehandlung zu Problemen hinsichtlich der materiellen Gerechtigkeit führen bzw. einer gleichmäßigen Rechtsanwendung entgegenstehen, was ebenfalls gegen eine solche Lösung spricht. Für die positive Berücksichtigung der Offenbarung und Zusammenarbeit als eine der Voraussetzungen zur Einstellung des Verbandssanktionsverfahrens spricht letztlich zudem, dass dadurch sowohl eine gewisse Unrechtseinsicht des Unternehmens sowie die Bereitschaft, derartiges Fehlverhalten zu bekämpfen, deutlich würden, als auch die Dauer des Gesetzesverstoßes in vielen Fällen verringert werden könnte, was insgesamt eine Schadensbegrenzung zur Folge haben kann.698 (3) Sicherstellung geeigneter Maßnahmen zur Verhinderung weiterer Straftaten Neben den beiden genannten Voraussetzungen sollten auch künftige Anforderungen an das Verhalten des Verbandes gestellt werden: Der Verband sollte dafür (kumulativ als dritte Voraussetzung zur Verfahrenseinstellung) als Reaktion auf die bekannt gewordene Tatbegehung bereits geeignete Maßnahmen ergriffen haben, 696 Mit der kartellrechtlichen Bonusregelung aus der „Bekanntmachung Nummer 9/2006 über den Erlass und die Reduktion von Geldbußen in Kartellsachen“ v. 07. 03. 2006 verfolgt das Bundeskartellamt das Ziel Rechtssicherheit und Transparenz für die Unternehmen zu erhöhen, die kooperationsbereit sind, um dadurch Anreize zu schaffen, Wettbewerbsverstöße aufzudecken, abzurufen unter https://www.bundeskartellamt.de/SharedDocs/Publikation/DE/Bekannt machungen/Bekanntmachung%20%20Bonusregelung.pdf?__blob=publicationFile&v=7 zuletzt abgerufen am 12. 02. 2020. 697 So war im Recht der Vereinigten Staaten von Amerika vorgesehen, dass Unternehmen unter Umständen auf bestimmte Garantien, wie zum Beispiel auf das Anwalts- und Berufsgeheimnis (attorney-client privilege) verzichten sollten, siehe dazu § 8 C 2.5 Cmt. 12 a.E. (a.F.). 698 Siehe dazu im Zusammenhang mit einer Kartellordnungswidrigkeit bereits OLG Düsseldorf v. 27. 03. 2006 – VI-Kart 3/05 (OWi), Kart 3/05 (OWi), WuW/E, DE-R, S. 1733.

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derartige weitere Straftaten zu verhindern. Erforderlich wäre jedenfalls, dass der Verband der Strafverfolgungsbehörde die Maßnahmen darlegt und glaubhaft macht. bb) Einstellung als mögliche Folge (Kann-Vorschrift) Im Fokus steht ebenso, wie zu verfahren wäre, wenn gerade nicht alle oben erörterten Compliance-spezifischen Voraussetzungen gänzlich (durch ein bestehendes Compliance-System) vom Verband erfüllt würden.699 Ein Lösungsansatz bestünde darin, dass die Staatsanwaltschaft das Verfahren gegen den Verband fortsetzen müsste. Die Möglichkeit erscheint zum einen wenig bis gar nicht geeignet, Anreizstrukturen für Prävention durch Compliance für Unternehmen zu schaffen, und zum anderen für die Fälle unbillig, in denen der Verband beispielsweise nur eine der Voraussetzungen nur teilweise nicht, die anderen beiden jedoch ganz erfüllt hat, weshalb der Ansatz im Ergebnis nicht weiterverfolgt wird. Überzeugender erscheint es demgegenüber, in solchen Fällen zwar kein gebundenes Ermessen („soll“) anzunehmen, eine Einstellung des Verfahrens gegen den Verband aber zumindest in einer „Kann-Vorschrift“ zu ermöglichen. Der Staatsanwaltschaft würde somit für Fälle der nur teilweisen Erfüllung der Voraussetzungen durch den Verband ein Ermessen bzgl. der Einstellung des Verfahrens eingeräumt, da das teilweise Erfüllen sehr unterschiedlich ausgestaltet sein kann und die Staatsanwaltschaft am konkreten Einzelfall orientiert entscheiden können sollte.700 Um einer Missbrauchsgefahr bereits im Grunde vorzubeugen, sollte das Absehen von der Verfolgung des Verbandes, ergo die Einstellung des Verfahrens, in jedem Fall der nur teilweisen Erfüllung der Voraussetzungen davon abhängig sein, dass der Verband die Erfüllung der zweiten und dritten Voraussetzung (Offenbarung der Tat und Zusammenarbeit mit den Strafverfolgungsbehörden sowie der Sicherstellung geeigneter Maßnahmen zur Verhinderung weiterer Straftaten) sicherstellt, bevor das Verfahren gegen ihn endgültig eingestellt wird.701 Dies ist aus dem Grund der spezialpräventiven Ausrichtung eines künftigen Verbandssanktionenrechts nach dem hier vorgestellten Ansatz zu fordern, da der Verband durch die Erfüllung der zweiten und dritten Voraussetzung glaubhaft machen kann, dass ihm die Verfehlung bewusst ist und für die Zukunft eine Behebung der Defizite ernsthaft angestrebt wird.

699 Siehe dazu auch insbesondere § 14 Abs. 2 Kölner Entwurf Henssler/Hoven/Kubiciel/ Weigend, NZWiSt 2018, 1 (3 f.). 700 Vgl. auch § 14 Abs. 2 Kölner Entwurf Henssler/Hoven/Kubiciel/Weigend, NZWiSt 2018, 1 (3 f.). 701 Siehe S. 524; die Voraussetzung (1) in Gestalt eines vorher bestehenden ComplianceSystems kann denknotwendigerweise nicht nachträglich hergestellt werden.

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Umsetzbar wäre dies durch ein Modell, wie in § 153a StPO702 in Form von Auflagen, wie zum Beispiel die Erfüllung der oben genannten (zweiten und dritten) Voraussetzungen,703 welche zunächst zu einer vorläufigen Verfahrenseinstellung führen könnten (unter denknotwendigem Ausschluss der Voraussetzung des „Vor der Tat existierenden Compliance-Management-Programms“), die Zahlung eines Geldbetrags (vgl. zu den ersten beiden Auflagen auch den § 14 Abs. 3 Kölner Entwurf) oder ein neu erstelltes Risikoprofil, um das Compliance-Programm jeweils spezifisch abstimmen zu können und herauszustellen, welche Bereiche im Unternehmen besonders kriminalitätsanfällig sind und daher in Zukunft regelmäßig überprüft werden müssen.704 Hierbei könnte eine Überwachung der Auflagenerfüllung, zum Beispiel durch ein Monitoring,705 welches von der Staatsanwaltschaft angeordnet und von einem von der Staatsanwaltschaft bestellten Monitor ausgeführt wird, überprüft werden (vgl. auch § 14 Abs. 4 Kölner Entwurf). Sind die Auflagen erfüllt, wird das Verfahren gegen den Verband von der Staatsanwaltschaft eingestellt. cc) Bindung der Einstellung des Verfahrens an richterliche Zustimmung Auf einer zweiten Ebene wäre zu hinterfragen, ob die Einstellung des Verfahrens im Ermittlungsverfahren aufgrund von Compliance durch die Staatsanwaltschaft an die richterliche Zustimmung gebunden werden soll.706 Der Frage kommt grundsätzlich eine tragende Bedeutung zu, da die Staatsanwaltschaft nach dem vorgeschlagenen Lösungsansatz eine enorme Machtposition innehaben würde, die sich ambivalent darstellen kann: Denn der Staatsanwaltschaft kommt durch diese Macht zwar eine größere Flexibilität zu; diese kann sich jedoch für Unternehmen auch nachteilig auswirken, da sie ein nicht nur unerhebliches Missbrauchspotential birgt. Das wird durch die Situation in den USA besonders deutlich: Gerade, weil dort die Staatsanwaltschaft meistens die alleinige Instanz ist, führt dies zu der eben erwähnten und häufigen Problematik der missbrauchsanfälligen Machtstellung der Staatsanwaltschaft, da die Verfolgungs- und Entscheidungsobliegenheit in Wirtschaftsstrafverfahren gerade (in der Realität oft) nicht dem Richter obliegt. Als Folge 702 Vgl. dazu aber § 14 Abs. 1 Kölner Entwurf Henssler/Hoven/Kubiciel/Weigend, NZWiSt 2018, 1 (3 f.), der festhält: „An die Stelle der §§ 153 bis 154 f. der Strafprozessordnung gelten die folgenden Regelungen.“ 703 Siehe S. 524. 704 Vgl. dazu bereits auf der kartellrechtlichen Ebene BDI Leitfaden Kartellrecht, S. 47, abrufbar unter http://bdi.eu/media/themenfelder/wettbewerb/publikationen/201510_LeitfadenKartellrecht.pdf zuletzt abgerufen am 09. 11. 2020. 705 Für die Zukunft müsste bei derartigen Maßnahmen wie insbesondere dem Monitoring festgelegt werden, wer dafür zuständig ist. Jedenfalls mangels Fachkenntnis wird die Zuständigkeit des Monitorings selbst wohl nicht bei der Staatsanwaltschaft persönlich liegen. Vielmehr werden Fachkräfte als Vertreter der StA benötigt, die sowohl einen juristischen als auch einen stark wirtschaftlichen Bezug aufweisen, um komplexe Unternehmensstrukturen nachvollziehen und so ein sinnvolles Monitoring durchführen zu können. 706 Wie es derzeit de lege lata bei § 153a StPO der Fall ist.

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davon finden in den USA kaum Verfahren statt, da bereits im Vorfeld meistens ein Deal (zwischen Staatsanwaltschaft und Unternehmen) ausgehandelt wird, sodass dem Richter in den Verfahren kaum mehr eine Aufgabe zukommt und es nur im Falle des Scheiterns der Verhandlungen im Vorfeld zu einer Gerichtsentscheidung kommt. Das könnte zu einer praktischen Entmachtung der Richter und parallel zu der potentiellen Gefahr einer Wirtschaftslenkung durch die Staatsanwaltschaft führen. Dies gilt insbesondere für den Sektor der Compliance in der Hinsicht, dass die Staatsanwaltschaft Compliance-bezogene Einstellungsauflagen bereits im Ermittlungsverfahren verhängen kann, welche den gerichtlichen Sanktionen vom Schweregrad ähnlich sind.707 Im Gegensatz zum gerichtlichen Verfahren kommt dem Unternehmen in den USA im Ermittlungsverfahren kaum Schutz durch allgemeine Verfahrensstandards zu, was das Ungleichgewicht weiter anwachsen lässt.708 Ein weiterer Grund für die enorme Machtstellung der Staatsanwaltschaft liegt darin, dass die Wirksamkeit eines unternehmenseigenen Compliance-Systems einer von neun Faktoren ist, welche die Staatsanwaltschaft bei der Frage, ob Anklage erhoben wird, berücksichtigen kann.709 Derartigen Risiken sollte insgesamt in Deutschland durch die Bindung der Einstellung des Verfahrens an die richterliche Zustimmung Einhalt geboten werden, sodass der Verdacht eines sogenannten „Erpressungsmodells“ durch die Staatsanwaltschaft gar nicht erst aufkommen kann. Liegen die oben genannten Voraussetzungen für eine Einstellung vor, welche durch die Staatsanwaltschaft als „Herrin des Ermittlungsverfahrens“ festgestellt oder eben nicht festgestellt werden, kann/soll das Verfahren eingestellt werden, wofür in letzter Konsequenz noch die Zustimmung eines Richters notwendig sein sollte. Dies sollte aus dem Grund vorgesehen werden, dass grundsätzlich an der Ausübung des pflichtgemäßen Ermessens mit Zustimmung durch einen Richter weniger Zweifel bestehen dürften als an einer allein staatsanwaltschaftlichen Einstellung. Eine solche Lösung könnte insbesondere einer überdimensionalen Machtstellung der Staatsanwaltschaft und potentiellen Missbräuchen vorbeugen. Zuzugestehen ist, dass diese Kontrolle nur in den Fällen greifen würde, in denen die Staatsanwaltschaft das Verfahren einstellt, obwohl die Einstellungsvoraussetzungen nicht gegeben sind. Dagegen schützt diese Vorgehensweise nicht in die umgekehrte Richtung, wenn keine Einstellung vorgenommen wird, obwohl die Voraussetzungen vorliegen. Dies ist jedoch schon rein logisch die Konsequenz bei der Zustimmung einer zweiten Instanz. Insgesamt ist diese Lage deshalb zwar in dem Punkt misslich, weil das Verfahren für den Betroffenen belastend ist. Es besteht jedoch immer noch die Möglichkeit, dass das Gericht dies auf der Rechtsfolgenseite angemessen berücksichtigen kann. 707 Zu der Position der Staatsanwaltschaft in derartigen Verfahren Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen, S. 202 ff., 316 f. 708 Mit konkretem Beispiel Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen, S. 316 f. 709 So schon Principles of Federal Prosecution of Business Organizations, US Attorney Manual, Title 9, Chapter 9 – 28.000 (2013) (McNulty-Memorandum), vgl. dazu auch Momsen/ Tween, in: Rotsch (Hrsg.), Criminal Compliance, S. 1044 ff.

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Ist ferner bereits Klage gegen den Verband erhoben worden, sollte das Gericht mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft und des Verbandes das Verfahren bis zum Beginn der Hauptverhandlung einstellen können. Dafür wäre entweder eine analoge Anwendung der jeweiligen Absätze 2 StPO der §§ 153 ff. StPO oder ein entsprechendes Pendant im Verbandssanktionenrecht sinnvoll. c) Berücksichtigung im Rahmen der Sanktionszumessung Neben der Berücksichtigung von Compliance als Einstellungsgrund für das Verfahren gegen den Verband sollte diese subsidiär auch im Rahmen der Sanktionszumessung honoriert werden. Zu denken wäre an Fälle, in denen die Compliancespezifischen Einstellungsvoraussetzungen710 nicht (auch nicht teilweise) eingehalten wurden, aber sich der Verband jedenfalls darum bemüht hat. Ein Beispiel wäre, dass der Verband die unternehmensinterne Straftat den Behörden nicht selbst offenbart hat, sondern sie die Straftat entdeckten, der Verband jedoch im Anschluss daran Kooperationsbereitschaft mit den Behörden zur Aufklärung vermittelte. Die Bemühungen könnten durch eine Milderung in der Sanktion mit in die Zumessung einfließen. Eine solche Möglichkeit bietet den Vorteil eines weitergehend differenzierten Vorgehens und der Ausrichtung am Einzelfall, da nuancierte Abstufungen bei der Beachtung der Bemühungen der Unternehmen (im Gegensatz zu Compliance als (Gesamt-)Einstellung) möglich sind. Die Option der Berücksichtigung von Compliance als Sanktionsnachlass ist auch anderen Rechtssystemen grundsätzlich nicht fremd. So gewährt das amerikanische Recht eine Strafmilderung, wenn das Unternehmen zur Zeit der Tatbegehung bereits ein effektives Complianceund Ethikprogramm implementiert hatte, vgl. insbesondere § 8 B 2.1, § 8 C 2.5 (f), U.S. Sentencing Guidelines.711 Hier besteht im US-amerikanischen Recht, freilich abhängig von weiteren Faktoren,712 wie zum Beispiel der Kooperationsbereitschaft eines Unternehmens mit der Strafverfolgungsbehörde zusammenzuarbeiten, für Unternehmen die Möglichkeit, von ihren Bemühungen um Gesetzestreue zu profitieren und einen erheblichen „Strafrabatt“ zu erhalten.713 Grundsätzlich könnten derartige Regelungen auch als Orientierungspunkte für den deutschen Gesetzgeber herangezogen werden.

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Siehe S. 524. Vgl. dazu auch https://www.ussc.gov/guidelines/2018-guidelines-manual zuletzt abgerufen am 09. 11. 2020. 712 Zu den weiteren Bemessungsfaktoren und der Strafrahmenbildung im US-amerikanischen Recht insgesamt Momsen/Tween, in: Rotsch (Hrsg.), Criminal Compliance, S. 1035 ff.; Eidam, in: Eidam (Hrsg.), Unternehmen und Strafe, Kap. 14 Rn. 20 ff.; vgl. zur Compliance in den USA als Strafmilderungsgrund auch Cox/Hazen, The law of corporations, S. 534. 713 Vgl. Momsen/Tween, in: Rotsch (Hrsg.), Criminal Compliance, S. 1035 f., die von einem Strafrabatt „um bis zu 50 % oder mehr“ sprechen; zur Berechnung der Milderung auch Cox/ Hazen, The law of corporations, S. 534 f. 711

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An der Stelle scheint es zudem insbesondere nicht zu genügen, nur auf die Berücksichtigung des Nachtatverhaltens nach der allgemeinen Strafzumessung zurückzugreifen. Die Notwendigkeit einer spezifischen gesetzlichen Regelung ergibt sich vor allem aus dem Sinn und Zweck, der mit einem Verbandssanktionenrecht erreicht werden soll, nämlich, dass eine effektive Verhaltenssteuerung durch Prävention angestrebt wird bzw. die Unternehmen einen eindeutigen Orientierungspunkt und Anreiz haben und hierdurch der primäre Zweck der Prävention verwirklicht wird. Hierfür dürfte eine spezifische gesetzliche Regelung eher geeignet sein, da von ihr eine eindeutige Signalwirkung ausgeht, im Gegensatz zu einer nur vagen Berücksichtigung als allgemeiner Strafzumessungsgrund.

3. Berücksichtigung künftiger Compliance de lege ferenda Hinsichtlich der Einbeziehung von zukünftigen Compliance-Programmen, die sich erst im Planungsstadium bzw. im Aufbau befinden und/oder bei denen die Verbandsverfehlung der Anlass für eine umfassende Umstrukturierung oder Ausbesserung von gravierenden Compliance-Defiziten des Unternehmens ist, müsste hinsichtlich einer Privilegierung differenziert werden. Nicht angemessen wäre es, derartige Maßnahmen gar nicht zu berücksichtigen, da dies dem Grundsatz der positiven Spezialprävention widersprechen würde. Demgegenüber wäre es auch nicht sachgerecht, ein erst künftiges Compliance-Programm, das bei den Ermittlungen noch in den Kinderschuhen steckt oder eben große Defizite aufweist, identisch mit einem bestehenden funktionierenden zu honorieren, da hierdurch Tor und Tür für Missbräuche in der Hinsicht eröffnet würden, dass ein Unternehmen nach dem Bekanntwerden eines Gesetzesverstoßes immer behaupten könnte, auf ein künftiges Compliance-Programm hinzuwirken, selbst wenn es sich (im Worst Case) (noch) gar nicht in Planung befindet oder eine tiefgreifende Optimierung nicht intendiert ist. Vielmehr ist zu fordern, dass die Implementierung bzw. Optimierung eines funktionierenden Compliance-Systems bereits feststeht oder bestenfalls schon im Aufbau ist, was bei Großunternehmen freilich einige Zeit beanspruchen kann (wobei die Anzahl von Großunternehmen, die derzeit noch kein Compliance-System implementiert haben, mittlerweile verschwindend gering sein dürfte).714 Für den Fall, dass die Planung oder Optimierung eines Compliance-Systems zwar abgeschlossen ist, aber der praktische Aufbau noch nicht begonnen hat, ist auf Seiten des Gesetzgebers die Festsetzung von behördlichen Maßnahmen und Aufsichten notwendig, die das Vorhaben des Unternehmens sicherstellen. Umgekehrt wäre es folglich sachgerecht, ein vom Unternehmen festgesetztes Compliance-System, 714 An dieser Stelle müsste ebenfalls die Entwicklung der nächsten Jahre berücksichtigt werden, weshalb die Möglichkeit besteht, dass es sich hierbei nur um eine Interims-Lösung handelt, da es beispielsweise in einigen Jahren völlig üblich sein könnte, dass alle Unternehmen (auch Kleinunternehmen) ein Compliance-System haben. Dies müsste dann auch rechtlich berücksichtigt werden, weshalb bei einer derartigen Weiterentwicklung erst zukünftige Compliance-Systeme unberücksichtigt bleiben oder sehr viel stärker honoriert werden könnten.

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selbst wenn es erst in Zukunft gilt, im Verbandssanktionsverfahren berücksichtigen zu können.715 Für die Problematik könnte die Lösung ebenfalls in einem abgestuften Berücksichtigungssystem liegen: a) Einstellung des Verbandssanktionsverfahrens? Die umfangreichste Berücksichtigung eines „nur“ zukünftigen ComplianceSystems wäre, wenn aufgrund dessen das Sanktionsverfahren gegen den Verband eingestellt würde. Dagegen könnte ins Feld geführt werden, dass, wenn bereits aufgrund eines „nur“ zukünftigen (möglicherweise funktionierenden) ComplianceSystems das Verfahren eingestellt würde, dies nicht nur marginal zu weitreichend scheint, sondern gar verfehlt: Ein nur zukünftiges Compliance-Programm eines Unternehmens hat sich noch nicht bewährt und als funktionstüchtig erwiesen, Verstöße zu verhindern oder aufzudecken. Neben der noch nicht nachweisbaren Funktionalität besteht zusätzlich ein großes Einfallstor für Missbräuche im Rahmen von „Scheincompliancesystemen“, welche sich bei guter und professioneller Ausarbeitung kaum von einem richtigen, aber eben nur zukünftigen Compliance-System unterscheiden lassen dürften. Überdies scheint eine vollwertige Gleichstellung eines bestehenden mit einem erst zukünftig funktionierenden Compliance-System hinsichtlich der weitreichendsten Rechtsfolge in keiner Hinsicht angemessen oder erforderlich. Wird darüber hinaus die Berücksichtigung eines nur künftigen Compliance-Systems eines Unternehmens als Grund für die Einstellung des Verfahrens in das Verhältnis zu Unternehmen gesetzt, die bereits in der Vergangenheit in kostenund ressourcenintensive Compliance und ihre stetige Überprüfung und Optimierung investiert haben, sticht ins Auge, dass letzteres kaum noch eine Möglichkeit hätte, den Strafverfolgungsbehörden deutlich vor Augen zu führen, welche Maßnahmen zu einer Einstellung des Verfahrens führen könnten.716 Diese Vorbehalte mögen für sich genommen alle ihre Berechtigung haben und eine nonchalante Einstellung des Verfahrens sollte bei erst zukünftiger Compliance nicht erfolgen. Dennoch ist der Schluss nicht zwingend, dass gar keine Einstellungsmöglichkeit bei erst künftiger Compliance bestehen kann. Vielmehr fügt sich diese Fallgestaltung in das oben vorgestellte System der Compliance als Einstellungsgrund dergestalt ein, dass die erste Compliance-spezifische Voraussetzung ((1) Vor der Tat existierendes Compliance-Programm) abzulehnen ist, sodass die Einstellung des Verfahrens als „Soll-Vorschrift“ ausscheidet. Eben jenen Fall der Negierung der ersten Voraussetzung erfasst (bei vollständiger Erfüllung der Voraussetzungen (2) und (3)717) jedoch die Einstellung als „Kann-Vorschrift“. Die Berücksichtigung eines nur künftigen Compliance-Systems würde sich an dieser Stelle in das System einfügen, sodass eine Einstellung des Verbandssanktionsverfahrens 715 716 717

So im Ergebnis auch bei Beulke/Moosmayer, CCZ 2014, 146 (148). Ähnlich Kubiciel, FS Wessing, S. 69 (74). Siehe S. 524.

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7. Kap.: Sonderfragen eines Verbandssanktionsverfahrens

aufgrund dessen möglich sein kann. Würden hingegen die Voraussetzungen (2) und (3) nur teilweise erfüllt oder gar nicht, sind weitere Abstufungen unerlässlich (dazu sogleich). Diese Vorgehensweise überzeugt, da zum einen keine Gleichsetzung der Honorierung mit einem bestehenden Compliance-System erfolgt, es also deutlich wird, dass der Verband in der Vergangenheit nicht in ausreichendem Maße tätig wurde, dass die Einstellung als regelmäßige Folge eintritt. Zum anderen wird durch diesen Ansatz die spezialpräventive Ausrichtung des Verbandssanktionengesetzes besonders hervorgehoben und gefördert, da auch Verbänden, dessen Compliance-Systeme Defizite aufweisen oder die keine derartigen Programme implementiert haben, der Weg zurück in die Sanktionsfreiheit nicht abgeschnitten wird, sondern vielmehr Anreize geboten werden, die Verbandstat lückenlos und in Kooperation mit den Strafverfolgungsbehörden aufzuklären, um in der Zukunft Verbandstaten zu vermeiden. b) Bedingte Sanktion bzw. Bewährungsauflage (Compliance und Monitoring) Eine abgestufte Option, sofern von den oben unter (1) – (3). genannten Compliance-spezifischen Einstellungsvoraussetzungen die zweite und dritte Voraussetzung nur teilweise erfüllt werden, ist in jedem Fall geringer anzusiedeln als eine Verfahrenseinstellung (in der „Kann“-Variante).718 Möglich wäre die mildernde Berücksichtigung zu Gunsten des Verbandes in dieser Fallkonstellation durch bedingte Sanktionen bzw. die Verhängung von Bewährungsauflagen, welche vom Verband umzusetzen sind. An der Stelle könnte die Handhabung der USA, welche die Möglichkeit einer Berücksichtigung der Anstrengungen eines Unternehmens, nachträglich ein Compliance-Programm zu implementieren, durch die Staatsanwaltschaft explizit vorsieht, ebenfalls eine grundlegende Anregung für den deutschen Gesetzgeber sein, zukünftige Compliance-Anstrengungen nicht unberücksichtigt zu lassen.719 Solche Auflagen könnten insbesondere durch Vertreter der Strafverfolgungsbehörden umgesetzt werden, wie zum Beispiel durch entsprechendes Monitoring sowie neue Risikoanalysen und ein neues Risikoprofil des Unternehmens. Für einen derartigen Lösungsansatz spricht im Besonderen, dass der Verband die Effektivität seiner Maßnahmen erst unter Beweis stellen, sich insgesamt erst bewähren muss und in diesem vorgegebenen Rahmen auch die Möglichkeit hat, die Funktionsfähigkeit seines Compliance-Systems darbieten zu können, sodass hierdurch keine unberechtigte Privilegierung des Verbandes in kriminalpolitischer Hinsicht erfolgen würde.

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Siehe zu den Voraussetzungen (1) – (3) S. 524. Eidam, in: Eidam (Hrsg.), Unternehmen und Strafe, Kap. 14 Rn. 24.

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Insgesamt sollte zusätzlich darauf geachtet werden, dass an das Unternehmen bei der Auflagenverhängung höhere Anforderungen gestellt werden als an ein Unternehmen, welches bereits bei der Tatbegehung ein Compliance-System implementiert hatte, um an der Stelle eine weitere Abstufung vornehmen zu können. Aufgrund eines solchen abgestuften Sanktionensystems wären die Anreize zur Implementierung (bevor es zu einem Gesetzesverstoß kommt) vermutlich höher, als wenn gleiche Sanktionen bzw. Auflagen gegen Unternehmen, unabhängig davon, ob schon ein Compliance-System bestand oder nicht, verhängt werden. c) Berücksichtigung im Rahmen der Sanktionszumessung Am wenigsten rechtliche Honorierung sollte der Verband in der Variante erfahren, dass keine der Compliance-spezifischen Voraussetzungen (1) – (3),720 erfüllt wurden und ein Compliance-System in der Vergangenheit nicht existierte. In dem Fall wären nur die oben angegebenen Grundvoraussetzungen gegeben, sodass eine Berücksichtigung lediglich im Rahmen der Sanktionszumessung möglich sein sollte.721 Eine Abstufung zu eben jener Konstellation, in der schon ein bestehendes ComplianceSystem existiert, könnte über vorgegebene rechtliche Grenzwerte der Sanktionsmilderung erreicht werden, sodass sichergestellt wird, dass ein Verband, der bereits ein Compliance-System implementiert hat, letztlich bei der Sanktionszumessung nicht schlechter gestellt werden kann als ein Verband, der bis dato kein solches System hat. Generelle Bestrebungen in Richtung der rechtlichen Berücksichtigung von zukünftiger Compliance sind auch (ähnlich) bereits de lege lata spürbar, da der BGH in einem Urteil in der jüngeren Vergangenheit entschieden hat, dass ComplianceMaßnahmen zugunsten von Unternehmen auch dann sanktionsmildernd berücksichtigt werden müssen, wenn das Unternehmen sie erst ergriffen hat, nachdem Ermittlungen bereits eingeleitet wurden und rechtliche Verstöße bekannt wurden, wenngleich keine spezifischen Leitlinien für Compliance-Maßnahmen in diesem Kontext genannt wurden.722 4. Regelungen im VerSanG-E a) § 3 VerSanG-E Eine spezifische Regelung zur Compliance lässt sich im VerSanG-E nicht ausmachen, wenngleich die Compliance an unterschiedlichen Stellen Eingang in den VerSanG-E gefunden hat. Die Wichtigsten sollen im Folgenden erläutert

720 721 722

Vgl. S. 524. Siehe S. 523, 529. BGH v. 09. 05. 2017 – 1 StR 265/16, NZWiSt 2018, 379.

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7. Kap.: Sonderfragen eines Verbandssanktionsverfahrens

werden.723 Beispielsweise spricht der Wortlaut von § 3 Abs. 1 Nr. 2 VerSanG-E (Verbandsverantwortlichkeit) davon, dass gegen einen Verband eine Verbandssanktion verhängt wird, wenn jemand sonst in Wahrnehmung der Angelegenheiten des Verbandes eine Verbandstat begangen hat, wenn eine Leitungsperson des Verbandes die Straftat durch angemessene Vorkehrungen zur Vermeidung von Verbandstaten, wie insbesondere Organisation, Auswahl, Anleitung und Aufsicht, hätte verhindern oder wesentlich erschweren können. Die Entwurfsbegründung füllt diese Vorschrift mit Leben, indem sie ausführt, dass „die Leitungs-, Koordinations-, Organisations- und Kontrollpflichten (…) insbesondere durch Compliance-Maßnahmen erfüllt werden (können)“, der Tatbestand jedoch ein Compliance-Programm nicht verpflichtend vorschreibe.724 Darüber hinaus wird herausgestellt, dass ein Compliance-Programm nicht unmittelbar die Sanktionslosigkeit zur Folge habe.725 Hinsichtlich der Vorkehrungen wird ausgeführt, dass diese sich nur unternehmensspezifisch bestimmen lassen und von Faktoren, wie beispielsweise der Größe des Unternehmens, des Tätigkeitsbereichs und der Risikobehaftung der Tätigkeit, abhängig sind, ergo individuell bewertet werden müssen.726 b) § 10 und § 15 VerSanG-E Ein weiteres ernstzunehmendes Feld, in das die Compliance im VerSanG-E Eingang gefunden hat, ist § 10 VerSanG-E, die Verwarnung mit einem Verbandsgeldsanktionsvorbehalt. § 10 Abs. 1 Nr. 1 VerSanG-E normiert, dass eine Verwarnung mit Verbandsgeldsanktionsvorbehalt in Betracht kommt, wenn zu erwarten sei, dass die Verwarnung ausreichend sei, um Verbandstaten, für die der Verband gemäß § 3 Abs. 1 VerSanG-E verantwortlich sei, in Zukunft zu vermeiden. Aus der Entwurfsbegründung wird deutlich, dass hierdurch Anreize für Compliance-Maßnahmen und eine Schadenswiedergutmachung geschaffen werden sollen, wodurch der Forderung nach einer gesetzlichen Anreizschaffung für Compliance nachgekommen werden soll, die eine Präventions- und Aufklärungswirkung entfalten soll.727 Darüber hinaus findet sich die Compliance auch in § 10 Abs. 1 Nr. 2,728 § 15 Abs. 3 VerSanG-E wieder. Die beiden Vorschriften werden hier deshalb zunächst zusammen angeführt, da die Entwurfsbegründung für § 10 Abs. 1 Nr. 2 VerSanG-E, 723

Neben den genannten Vorschriften spielt die Compliance freilich in die Regelungen zu den Internal Investigations der §§ 16 ff. VerSanG-E rein, welche auf S. 480 genauer erläutert werden. 724 RegE.-Begr. S. 79. 725 RegE.-Begr. S. 79 m.w.N. 726 RegE.-Begr. S. 79. 727 RegE.-Begr. S. 87 m.w.N. 728 „Das Gericht kann den Verband verwarnen, eine Verbandsgeldsanktion bestimmen und deren Verhängung vorbehalten, wenn bei Gesamtwürdigung der Verbandstat und ihrer Folgen besondere Umstände vorliegen, die die Verhängung einer Verbandsgeldsanktion entbehrlich machen.“

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der die Verwarnung mit Verbandsgeldsanktionsvorbehalt regelt, für die dort vorausgesetzte Gesamtwürdigung der Tat und ihrer Folgen (die besondere Umstände darstellen, welche die Verhängung einer Verbandsgeldsanktion verzichtbar machen729) auf die Begründung zu § 15 Abs. 3 VerSanG-E730 verweist.731 § 15 Abs. 3 VerSanG-E (Bemessung der Verbandsgeldsanktion) zählt unterschiedliche Faktoren auf, die bei der Gesamtwürdigung (sowohl für als auch gegen den Verband) „insbesondere“ eine Rolle spielen können. „Dabei kommen insbesondere in Betracht: 1. der Vorwurf, der den Täter der Verbandstat trifft, 2. die Beweggründe und Ziele des Täters der Verbandstat, 3. Gewicht, Ausmaß und Dauer der Verbandstat, 4. Art der Ausführung der Verbandstat, insbesondere Anzahl der Täter und deren Position im Verband, 5. die Auswirkungen der Verbandstat, 6. vorausgegangene Verbandstaten, für die der Verband nach § 3 Absatz 1 verantwortlich ist, sowie vor der Verbandstat getroffene Vorkehrungen zur Vermeidung und Aufdeckung von Verbandstaten, 7. das Bemühen des Verbandes, die Verbandstat aufzudecken und den Schaden wiedergutzumachen, sowie nach der Verbandstat getroffene Vorkehrungen zur Vermeidung und Aufdeckung von Verbandstaten, 8. die Folgen der Verbandstat, die den Verband getroffen haben.“732

Durch den Wortlaut wird deutlich, dass es sich bei der Aufzählung der Kriterien nicht um eine abschließende Aufzählung handelt. Den Blick der Begründung zugewandt, macht diese darüber hinaus deutlich, dass sich die Vorschrift grundsätzlich an § 46 Abs. 2 StGB orientiert.733 Die Compliance wird in § 15 Abs. 3 Nr. 6 und 7 VerSanG-E abgebildet. Dort ist für die Bemessung der Verbandssanktion geregelt, dass als miteinzubeziehende Faktoren insbesondere vorausgegangene Verbandstaten, für die der Verband nach § 3 Abs. 1 VerSanG-E verantwortlich ist, sowie vor der 729

RegE.-Begr. S. 87 m.w.N. Hier wird unter anderem angeführt, dass auch insbesondere Umstände miteinbezogen werden sollen, die aus Sicht der Leitungsperson den Schuldvorwurf mindern können, aber gegen den Verband sprechen. So fiele auf der einen Seite der Vorwurf gegen die Leitungsperson weniger schwer aus, wenn kriminelles Verhalten im Verband zur Tagesordnung gehöre und aufgrund der im Verband etablierten Kriminalität sodann die Hemmschwelle zur Begehung der Tat bei der Leitungsperson geringer war. Auf der anderen Seite sollen nach der Entwurfsbegründung jedoch schulderhöhende Umstände nicht zählen, die nur die Leitungsperson, nicht aber den Verband betreffen. Dies könne dann der Fall sein, wenn die Leitungsperson zur Begehung der Verbandstat bewusst Vorgaben missachten würde oder Compliance-Maßnahmen umginge. So RegE.-Begr. S. 93 f. 731 RegE.-Begr. S. 87. 732 Siehe § 15 Abs. 3 VerSanG-E. 733 RegE.-Begr. S. 93. 730

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Verbandstat getroffene Vorkehrungen zur Vermeidung und Aufdeckung der Verbandstaten (Nr. 6) und das Bemühen des Verbandes, die Verbandstat aufzudecken und den Schaden wiedergutzumachen, sowie nach der Verbandstat getroffene Vorkehrungen zur Vermeidung und Aufdeckung von Verbandstaten (Nr. 7), miteinfließen sollen. § 15 Abs. 3 Nr. 6 VerSanG-E honoriert auf der einen Seite, wenn der Verband bisher keine Verfehlungen begangen hat (wirkt spiegelbildlich sanktionsschärfend bei vorherigen Verfehlungen) und berücksichtigt auf der anderen Seite vor der Tat durchgeführte Vorkehrungen zur Vermeidung und Aufdeckung von Verbandstaten (Compliance-Maßnahmen).734 Über die „Vorkehrungen“ können ComplianceMaßnahmen des Verbandes bei der Sanktionsbemessung honoriert werden, die nicht für das normtreue Verhalten im Sinne des § 3 VerSanG-E erforderlich sind.735 Auch die Verfasser des VerSanG-E haben aber erkannt, dass selbst das beste ComplianceSystem nicht vor jeder Straftat einer Leitungsperson feit und dass diese deshalb kein Anzeichen für ein nicht funktionierendes Compliance-System sein muss oder „gegen die Ernsthaftigkeit des Bemühens, Verbandstaten zu vermeiden“ spräche, weshalb dennoch eine „substantielle Sanktionsmilderung“ in Betracht käme.736 Anders wird die Situation hingegen beurteilt, wenn tatsächlich Defizite im Compliance-System vorliegen und die Verbandstat durch eine ordnungsgemäße Compliance verhindert oder jedenfalls wesentlich erschwert worden wäre.737 In dem Fall käme nur eine geringe Sanktionsmilderung in Betracht, und es wird nur das „grundsätzliche Bemühen“ des Verbandes berücksichtigt.738 Sanktionsschärfend soll hingegen gewichtet werden, wenn der Verband nur ein „Schein-Compliance-System“ implementiert hat, durch welches gelebte kriminelle Strukturen im Unternehmen lediglich verdeckt werden sollen.739 Keine Sanktionsmilderung soll gewährt werden, wenn die Geschäftsleitung an der Verbandstat beteiligt ist, da dies ebenfalls davon zeugt, dass das Compliance-System im Unternehmen nicht gelebt wird.740 § 15 Abs. 3 Nr. 7 VerSanG-E normiert insgesamt die Berücksichtigung des Nachtatverhaltens des Verbandes. Sanktionmildernd berücksichtigt werden können, ausweislich der Entwurfsbegründung, Compliance-Maßnahmen, die der Verband ergreift, um etwaige Defizite auszumerzen sowie die Schadenswiedergutmachung und Bestrebungen zur Aufklärung der Verbandstat.741 Hier sollen insbesondere ein 734 Hinsichtlich der verwendeten Begrifflichkeiten weist RegE.-Begr. S. 95 m.w.N. daraufhin, dass der Begriff der „Vorkehrungen“ weiter als der Begriff der „Aufsicht“ in § 130 OWiG sei mit der Begründung, dass die Compliance extensiver sei als §§ 30, 130 OWiG. 735 RegE.-Begr. S. 95. 736 RegE.-Begr. S. 95 m.w.N. 737 RegE.-Begr. S. 95. 738 RegE.-Begr. S. 95. 739 RegE.-Begr. S. 95 m.w.N. 740 RegE.-Begr. S. 95. 741 RegE.-Begr. S. 96.

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freiwilliges Offenlegen der Verbandstat sowie die Aufklärung des Sachverhaltes sanktionsmildernde Wirkung entfalten.742 c) § 35 und § 36 VerSanG-E Im aktuellen Regierungsentwurf findet sich darüber hinaus in der Entwurfsbegründung der ausdrückliche Hinweis, dass Compliance-Maßnahmen auch bei der Prüfung, ob die Voraussetzungen der §§ 35 und 36 VerSanG-E (Absehen von der Verfolgung wegen Geringfügigkeit und Absehen von der Verfolgung unter Auflagen und Weisungen) vorliegen, miteinfließen können.743 Die Begründung zu §§ 35 und 36 VerSanG-E verweist auf die Kritierien des § 15 Abs. 1 VerSanG-E, über den, wie oben schon erwähnt, letztlich die Compliance-Maßnahmen berücksichtigt werden können. Weitergehende Ausführungen lässt der VerSanG-E an dieser Stelle vermissen.

VI. Berücksichtigung von vergangenen Straftaten im Unternehmen 1. Im Unternehmen selbst Neben den grundsätzlichen Anforderungen, die an Compliance im Unternehmen und ihre Berücksichtigung in der Gegenwart gestellt werden, steht in Frage, ob und wie mit „Altfällen“ umzugehen ist. Denkbar wäre zum Beispiel, dass nach der Entdeckung einer Straftat im Unternehmen ein wirksames Compliance-System in das Unternehmen integriert und gegen das betroffene Unternehmen zusätzlich eine Sanktion verhängt wurde und später ein Fall entdeckt wird, der in der Vergangenheit stattfand. Für eine solche Konstellation muss über potentielle rechtliche Folgen nachgedacht werden: Eine mögliche Option bestünde darin, dass in derart gelagerten Fällen von Sanktionen abgesehen wird. Begründet werden könnte dies mit dem Hauptaspekt der Prävention, denn da das Unternehmen im Nachhinein ein Compliance-System eingeführt hat, welches sich bereits bewährt hat, und wenn Compliance-Aspekte für gegenwärtige Taten berücksichtigt werden, sollte das erst recht für ältere Straftaten des Unternehmens gelten. Hier ist dennoch Vorsicht geboten: Eine derartige Regelung für Altfälle im eigenen Unternehmen könnte zu Missbräuchen hinsichtlich älterer (und ggf. dem Unternehmen bekannten) Taten führen. Erwägenswert ist aber (bei Negierung der genannten Lösung), ob eine zu verhängende Geldsanktion zumindest gemildert werden kann.

742 743

RegE.-Begr. S. 96. RegE.-Begr. S. 79.

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2. Bei Rechtsnachfolge Eng mit diesem Problem verknüpft ist die Haftung eines Unternehmens für Fälle in einem Teil des Unternehmens, der nachträglich hinzugefügt wurde, wenn in jenem Teil in der Vergangenheit Straftaten begangen wurden und nun unterbunden werden oder aber weiterhin in der Gegenwart kriminelles Handeln vollzogen wird. Die Thematik weist einen besonders nahen Bezug zur Praxis auf, da ein primäres ebenso wie strategisches Ziel vieler global operierender Unternehmen die Expansion ihres Unternehmens ist, welche beispielsweise durch Unternehmenskäufe erfolgt, sodass die Fallgestaltung relativ häufig auftritt. Das hat auch der Gesetzgeber erkannt, indem er 2013 den § 30 Abs. 2a OWiG einfügte, der eine Geldbuße des Verbandes wegen im Unternehmen begangener Ordnungswidrigkeiten oder Straftaten gegen den Rechtsnachfolger (ebenso wie partiellen Rechtsnachfolger) vorsieht.744 Hinter der bestehenden Regelung darf ein künftiges Verbandssanktionenrecht nicht zurückstehen, es muss aber beachtet werden, dass laut dem genannten Lösungsansatz bereits von Gesetzes wegen die Berücksichtigung von Compliance im Sanktionsverfahren vorgesehen werden sollte und sich dies ebenfalls in der Haftung der Gesamtrechtsnachfolge auswirken kann: Freilich nicht interessengerecht wäre es, das Unternehmen, welches der „Käufer“ war, ausnahmslos und ohne Beschränkung haften zu lassen, da sich ihm möglichweise nicht alle Fehlstrukturen bereits vor dem Kauf offenbart haben, weil es zum Beispiel keine oder nur nicht ausreichende Informationen vom Verkäufer bezüglich bestimmter Bereiche erhalten hat. Ebensowenig wäre es angemessen, das Unternehmen, welches als „Käufer“ auftrat, gänzlich aus der Haftung herauszunehmen, da ebenfalls die Möglichkeit besteht, dass das Unternehmen auf Käuferseite sich des Risikos der Straftaten im zu kaufenden Unternehmen bewusst war oder (zum Beispiel durch Nachforschungen) bewusst hätte sein können. Ein denkbarer Haftungsmaßstab, welcher auch die Compliance-Strukturen des Unternehmens angemessen berücksichtigt, da er ein Teil dessen ist, könnte sein, die Haftung davon abhängig zu machen, ob es vorher eine ausreichende Prüfung einer „Due Diligence“ im Rahmen von Compliance-Maßnahmen gab, da die intensive Überprüfung in Unternehmen unterschiedlichster Branchen bereits üblich ist. Inhalt der Due-Diligence-Prüfung sind objektiv häufig wertbildende Faktoren des Unternehmens, zu denen eben auch (aber freilich nicht nur) ein gut funktionierendes Compliance-Management-System zählen kann, da ein solches (insbesondere de lege ferenda) Haftungsrisiken minimieren könnte.745 Dieses könnte daher ein erstes Indiz für ein Risikobewusstsein darstellen.

744

Vgl. dazu nur BeckOK OWiG/Meyberg, OWiG § 30 Rn. 42 ff.; KK-OWiG/Rogall, OWiG § 30 Rn. 53 ff. 745 Vgl. zu Compliancerisiken als wertmindernder Faktor auch Andras/Szesny, Deutscher AnwaltSpiegel, 2015, 3 ff.

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Hinsichtlich der Berücksichtigung von Compliance im Verbandssanktionsverfahren könnte der Maßstab der Due-Diligence-Prüfung beispielsweise berücksichtigt werden, wenn das Unternehmen bereits Compliance-Verstöße in der Vergangenheit des zu kaufenden Unternehmens aufgrund einer umfangreichen Hintergrundrecherche registriert hat und sich (je nach der Intensität der begangenen Verstöße ebenso wie zu beachtenden Folgemaßnahmen des zu kaufenden Unternehmens aufgrund der Verstöße) auf jenes Risiko einließ und aufgrund dessen zum Beispiel (k) eine Umstrukturierung des anfälligen Teils des Unternehmens mit oder durch ein Compliance-Management-System erfolgte. Hierfür wäre, wenig überraschend, eine grundlegende Analyse der Compliance-spezifischen Risikostruktur des zu kaufenden Unternehmens notwendig. Eine Orientierung kann sich für die Unternehmen beispielsweise aus der vom Institut der Wirtschaftsprüfer erlassenen Prüfungsstandards IDW PS 980 bezüglich der Überprüfung von Compliance-Management-Systemen ergeben.746 Insgesamt muss im Fall der Rechtsnachfolge daher eine spezifische Einzelfallprüfung der gesamten Transaktion und insbesondere der Due-Diligence-Prüfungen der Compliance-Abteilungen erfolgen, um die Compliance im Verfahren gegen den Verband bei der Rechtsnachfolge angemessen berücksichtigen zu können.

VII. Kritische Würdigung und Fazit Mit der Verfolgung des dualistisch-kombinatorischen Lösungsansatzes könnten die wirksame Implementierung von Compliance-Management-Systemen und der staatliche Sanktionsanspruch in der Art und Weise verzahnt werden, dass der Staat die gesetzlichen Vorgaben verpflichtend vorschreiben, dafür aber auch Anreizstrukturen für das Unternehmen zur Integration von Compliance-ManagementSystemen schaffen würde, die ihre Präventionswirkung entfalten könnten. So würde ein angemessenes Maß staatlicher Steuerung durch ordnungspolitisches Eingreifen, den oben genannten ordoliberalen Ansatz verfolgend, durch das Verbandssanktionenrecht sichergestellt, das sowohl kleine, mittelständische als auch Großunternehmen erfasst und mit der nötigen Flexibilität auf den konkreten Einzelfall reagieren kann, ohne dass diese Flexibilität zu einer völligen rechtlichen Unvorhersehbarkeit führt. Wird darüber hinaus davon ausgegangen, dass „Compliance“ die Einhaltung von Rechtsvorschriften durch Verbände meint, liegt es nicht fern, die Einhaltung auch auf der rechtlichen Seite (etwa durch ein Stufensystem) honorieren zu können.747

746 So auch Andras/Szesny, Deutscher AnwaltSpiegel, 2015, 3 ff.; zur Bedeutung des IDW PS 980 im Kontext der strafrechtlichen Enthaftung durch präventiven Rechtsrat siehe auch Kudlich/Wittig, ZWH 2013 303 (305 f.). 747 Zu dieser Bedeutung von Compliance vgl. I. Roxin, StV 2012, 116 ff.; i. Erg. Kubiciel, FS-Wessing, S. 69 f.

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Eine derartige (gesetzliche) Integration der Wirkung von Compliance-Systemen bringt dabei zum einen Rechtssicherheit und damit einen nicht zu unterschätzenden Vorteil für Unternehmen mit sich, da eine gesetzlich zuverlässige Leitlinie vorgegeben würde.748 Zum anderen entsteht für die Verfolgungsbehörden ebenfalls Rechtssicherheit, da sie durch die bestmögliche Aufklärung des Gesetzesverstoßes durch das Unternehmen selbst im Rahmen seines Compliance-Systems arbeitstechnisch entlastet würden, weil beispielsweise eine ermittlungsintensive Verfolgungsarbeit749 zumindest verringert werden könnte. Dabei würde nicht, wie vielfach bei der potentiellen Berücksichtigung von Compliance-Systemen kritisiert, mit dem Lösungsansatz ein staatlicher Zwang hin zur Einführung von Compliance-Systemen indiziert, sondern diese könnten zusätzlich positiv und letztlich festgeschrieben durch das Gesetz (und nicht mehr nur rudimentär) berücksichtigt werden. Dass die Unternehmen vor der Herausforderung stehen, selbst eine interne Instanz zu sein, die für Werte und Organisationskulturen ebenso wie für eine Verletzung von Normen verantwortlich und ebenfalls in der Pflicht ist, etwaige Verstöße zu offenbaren, dürfte kein Novum sein. Eine wesentliche Neuerung in der Hinsicht wäre die Berücksichtigung der geschaffenen Ebenen der Compliance-Strukturen für die rechtliche Bewertung, welche derzeit vor allem durch (Rechts-)Unsicherheit gekennzeichnet ist. Hierfür wird ein nuanciertes System vorgesehen, welches in Einzelfällen von der „Compliance-Defense“ als stärkster Honorierung bis zur Milderung im Rahmen der Sanktionszumessung als schwächster Honorierung reichen kann, sodass es insgesamt eine große Spannweite an Möglichkeiten gibt. Grundsätzlich positiv zu bewerten ist, dass der VerSanG-E die Berücksichtigung von Compliance auf unterschiedlichen Ebenen vorsieht und diese sowohl sanktionsmildernd als auch sanktionsschärfend wirken kann, abhängig davon, ob es sich bei der Verbandstat um einen Einzelfall oder ein im Unternehmen verankertes System von etabliertem kriminellem Verhalten bzw. der Begehung (oder Beteiligung) der Verbandstat durch eine Person der Geschäftsleitung handelt. Zu begrüßen ist auch, dass sowohl Compliance-Maßnahmen vor als auch nach der Begehung der Verbandstat honoriert werden können sowie dass eine pauschale „Compliance-Defense“ nicht vorgesehen ist. Wünschenswert wäre eine weitergehende Feinjustierung des VerSanG-E dergestalt, dass die Compliance, wie oben vorgestellt, einen eigenständigen Einstellungsgrund bilden kann, um die Präventionsanreize noch mehr zu fördern, wenngleich zuzugestehen ist, dass Compliance-Maßnahmen einen Faktor bei der Prüfung der Voraussetzungen nach §§ 35 und 36 VerSanG-E darstellen und so mittelbar zum Absehen von Sanktionen führen können. 748

Vgl. dazu zutr. Bock, wistra 2011, 201 (203): „Ein Unternehmer, der ja Rechtslaie ist, braucht im Moment der betrieblichen Entscheidung eine zuverlässige Leitlinie für eine spätere Gerichtsfestigkeit.“; so auch Bosch, Organisationsverschulden in Unternehmen, S. 473 „Wie aber soll sich ein Wirtschaftssubjekt ökonomisch rational verhalten können, wenn die strafrechtlichen Kosten nicht kalkulierbar sind?“. 749 Dazu eingehend Rotsch, ZStW 2013 (125), 481 (488) m.w.N.

Gesamtfazit und Ausblick Insgesamt ist zunächst festzuhalten, dass die Sanktionierung von Verbänden, sei es auf der materiell-rechtlichen oder sei es auf der prozessrechtlichen Ebene, in Deutschland unmittelbar vor einem historischen Wandel steht, indem zum wiederholten (und somit vermutlich vorerst letzten) Male der ernsthafte Versuch unternommen wird, die Sanktionierung der Verbände auf eine andere Ebene über dem Ordnungswidrigkeitenrecht und gegebenenfalls unter dem schärfsten Schwert des Gesetzgebers, dem Strafrecht, zu etablieren. War der Schwerpunkt der Diskussionen in der Vergangenheit vor allem auf der materiell-rechtlichen Ebene angesiedelt, stellt die vorliegende Untersuchung prozessrechtliche Aspekte in den Vordergrund, die nicht weniger herausfordernd und relevant sind als ihre materiell-rechtlichen Mitspieler und bei denen klare und rechtssichere Regelungen nicht weniger bedeutsam sind. Auf den ersten Teil der Untersuchung rekurrierend, der die rechtliche und tatsächliche Situation de lege lata umreißt, zeigen sich Lücken bei den rechtlichen Regelungen und ihren Anwendungen, die es für Deutschland als eine der stärksten Exportnationen der Welt in unmittelbarer Zukunft zu schließen gilt, letztlich nicht nur, aber eben auch, um die Wettbewerbsfähigkeit sicherzustellen. Insbesondere sollte dabei prospektiv ein Leerlaufen von Normen bzw. ein Anwendungsdefizit, wie es für § 30 OWiG festgestellt wurde, bereits dem Grunde nach für ein Verbandssanktionengesetz verhindert werden. Es zeigt sich auch, dass der Versuch der mehr als ordnungswidrigkeitenrechtlichen Sanktionierung von Verbänden in der Vergangenheit hierzulande immer wieder unternommen wurde, man jedoch mit Fug und Recht behaupten können wird, dass wir zu keiner Zeit bereiter für ein Verbandssanktionengesetz und -recht sind als jetzt. Zwar werden die meisten Unternehmen aufgrund der Corona-Pandemie derzeit wirtschaftlich besonders stark betroffen sein, doch wird hier ebenso die berechtigte Frage aufkommen, inwiefern gerade diese Situation auch Verbandsverfehlungen hervorrufen könnte. Die Erfassung der (prozessrechtlichen) Situation de lege lata führt vor Augen, dass sich unterschiedliche rechtliche und tatsächliche Herausforderungen (auch in Zukunft) stellen werden, aber sowohl die Empirie (anderer Rechtsordnungen) bezüglich der Sanktionierung von Verbänden als auch die Regelungen auf EU-Ebene zeigen letztlich, dass diese Hürden auch in Deutschland genommen werden können und es in einem Zeitalter, das mehr von der Globalisierung und Internationalisierung der Wirtschaft geprägt ist als bisher jedes andere, auch genommen werden müssen, wobei das Verfahrensrecht eine besonders bedeutende Rolle spielt. Der Fortschritt hat somit, das dürfte aufgrund der Erfassung der Situation de lege lata feststehen, an

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den Landesgrenzen von Deutschland (glücklicherweise) nicht Halt gemacht und bricht sich unaufhaltsam seinen Bann. Nun liegt es am Gesetzgeber, das Verbandssanktionenrecht in Gesetzesform zu gießen – nicht zuletzt deshalb, um im internationalen Wettbewerb bestandsfähig zu sein. Doch vor allem, aber nicht nur aus diesem Grund, dürfte der jahrzehntelange, immer wieder aufs Neue beschrittene mühsame Weg sich letztlich lohnen und zum Ziel führen. Dass für die Regelung der Sanktionierung von Verbänden und insbesondere bei der prozessrechtlichen Ausgestaltung in der Zukunft unterschiedliche Optionen für ein solides rechtliches Fundament bestehen, dürfte nicht von der Hand zu weisen sein, weshalb die Untersuchung möglicher Problemfelder de lege ferenda zwar einem roten Faden folgt, jedoch auch andere Lösungswege und Perspektiven aufzeigen will. Die vorliegende Arbeit versucht dabei staatliche, wirtschaftliche und rechtliche Interessen hierzulande durch ihre Ausrichtung nicht nur auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen, sondern vielmehr zu einen, hat jedoch, wie schon angedeutet, nicht den Anspruch darauf, als Patentrezept sankrosankt die einzig richtige Stoßrichtung anpreisen zu wollen. Im Vordergrund der Untersuchung eines prozessrechtlichen Lösungsansatzes de lege ferenda stehen die künftigen Rechte und Pflichten des Verbandes und der Strafverfolgungsbehörden (im Verfahren) sowie weitere Schwerpunkte und Besonderheiten eines Verbandssanktionsverfahrens. Unerlässlich ist es, dem Verband den Status des Beschuldigten im Verbandssanktionsverfahren ausdrücklich zuzuerkennen. Aus dieser Position müssen sodann notwendigerweise Folgerechte und -pflichten erwachsen. Unstreitig dürfte sein, dass der Verband das Recht auf einen Verteidigerbeistand haben muss sowie zu keinem Zeitpunkt im Verfahren unvertreten sein sollte, ergo eine wasserdichte Vertretungsregelung unverzichtbar ist. Nicht nur als möglich, sondern vielmehr als notwendig wird es aufgrund der vorliegenden Untersuchung erachtet, dass dem Verband gesetzlich ein Nemo-tenetur-Recht zugestanden wird, wobei unterschiedliche Herleitungsmöglichkeiten und Ausgestaltungsmöglichkeiten (insbesondere hinsichtlich des personellen und sachlichen Anwendungsbereiches) in Betracht kommen. Neben den vorangehend genannten Elementen der Grundstruktur eines Verbandssanktionsverfahrens bilden die Topoi der Internal Investigations und Compliance als verbandsspezifische Besonderheiten eines Verfahrens weitere Schwerpunkte der Untersuchung. Im Fokus steht im Rahmen der Compliance insbesondere die rechtliche Berücksichtigung: So wird sich in der vorliegenden Untersuchung dafür ausgesprochen, ein gestuftes Berücksichtigungssystem in einem künftigen Verbandssanktionenrecht zu schaffen, das insbesondere die Compliance als eigenen Einstellungsgrund und regelmäßige Folge („Soll“-Vorschrift) bei der Erfüllung der genannten Voraussetzungen vorsieht. Die Internal Investigations, welche oftmals in der Praxis in Bezug zur Compliance stehen werden, weisen derzeit bereits für sich genommen unterschiedliche Friktionen auf und bringen ihre eigenen Herausforderungen für die Zukunft mit: Die Untersuchung kommt zusammengefasst zu dem Ergebnis, dass insbesondere die Jones Day-Entscheidung aus dem Jahre 2018 kei-

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nesfalls in Gesetzesform gegossen werden sollte, und spricht sich für ein Beschlagnahmeverbot in dieser Hinsicht aus. Auch wenn derzeit noch keine rechtlich verbindliche Regelung einer (über das OWiG hinausgehenden) Sanktionierung von Verbänden besteht und somit die prozessrechtliche Stellung noch nicht in Stein gemeißelt ist, zeichnet sich die Ausrichtung mit ihren einzelnen Stellschrauben bereits unverkennbar im Regierungsentwurf zum VerSanG ab. Die in die Untersuchung eingeflossenen Problemkreise werden allesamt auch im VerSanG-E aufgegriffen, wenngleich der VerSanG-E schnell offenbart, dass er bei weitem restriktiver ausgestaltet ist als der in dieser Untersuchung vorgeschlagene Lösungsweg. Sofern der Entwurf in der derzeitigen Fassung Gesetz wird, dürfte er nicht nur unerhebliche, sondern teils auch nur schwer kalkulierbare negative Auswirkungen in der Praxis hervorrufen. Pain Points des VerSanG-E sind im Rahmen der verfahrensrechtlichen Regelungen vor allem in den Internal Investigations auszumachen. Hier greift der VerSanG-E in wesentlichen Punkten zu kurz, wenn es darum geht, ein auch für Unternehmen umsetzbares Rechtsgebilde zu schaffen, und setzt vielfach zu hohe Hürden für Unternehmen an, um sinnvoll interne Untersuchungen durchzuführen. Geradezu erstaunlich ist das Bild, welches der VerSanG-E von Rechtsanwälten und Verteidigern im Kontext der Internal Investigations (bei der beabsichtigten Trennung zwischen Durchführung der Internal Investigations und Verteidigung) zeichnet und was von tiefem, wohl aber unberechtigtem, Misstrauen gegenüber den Verteidigern gekennzeichnet ist. Grundsätzlich ist für den Regierungsentwurf des VerSanG zwar zu hoffen, dass er nicht, wie seine Vorgänger, im Versuchsstadium stecken bleibt, sondern tatsächlich Gesetz wird – jedoch auf jeden Fall in veränderter Form. Insgesamt krankt der VerSanG-E leider bis dato an einigen Stellen, und es bleibt ihm schlussendlich die Besserung durch Modifizierung an besagten Schlüsselstellen durch den Gesetzgeber zu wünschen, da er, wie aufgezeigt, im Grunde den bisher überzeugendsten Versuch der gesetzlichen Sanktionierung von Verbänden darstellt. Das künftige Verbandssanktionengesetz ist daher, trotz des bereits vorgezeichneten Weges, mit Spannung zu erwarten.

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Stichwortverzeichnis Abführung von Mehrerlös 93 f. Absprache 156 ff. – Anknüpfungstat Ordnungswidrigkeit 157 ff. – Anknüpfungstat Straftat 162 f. Allgemeines Persönlichkeitsrecht 326 ff. Anklageermessen 252 ff. Anspruch auf rechtliches Gehör 294 ff., 328 f. Anwendbarkeit – der StPO 218 ff. – des Verbandssanktionenrechts 213 ff. Anwesenheitspflicht 279 ff. – VerSanG-E 281 f. Arbeitsrechtliche Mitwirkungspflicht bei Internal Investigations 389 ff. Aufsichtspflichtverletzung, § 130 OWiG 88 ff. Aufsichtspflichtverletzungsmodell 203 f. Aussagepflicht 345 ff. siehe auch Selbstbelastungsfreiheit – Verfahren gegen Haftungsauslöser 346 ff. – Verfahren gegen Verband 349 ff.

Begrifflichkeiten – Compliance 488 ff. – Internal Investigations 384 ff. – Juristische Person 68 f., 71 f., 73, 74 ff. – Personenvereinigung 64, 71 f. – Unternehmen 66 ff., 70 f., 72 f. – Verband 69 f. Berücksichtigung bestehender ComplianceMaßnahmen 519 ff. Berücksichtigung zukünftiger ComplianceMaßnahmen 530 ff. Beschlagnahme der Ergebnisse von Internal Investigations 407 ff., 476 ff. Beschlagnahmeverbote bei Internal Investigations 408 ff., 420 ff.

beschuldigtenähnliche Stellung de lege lata 163 ff. Beschuldigtenstellung de lege ferenda 260 ff. Beweisverwertungsverbote bei Internal Investigations 399 ff., 474 ff. Compliance 488 ff. – als Einstellungsgrund 521 ff., 531 f. – Begriff 488 f. – Berücksichtigung bei der Sanktionszumessung 529 f., 533 – Berücksichtigung bestehender Compliance 519 ff. – Berücksichtigung zukünftiger Compliance 530 ff. – Compliance-Defense 519 ff. – Deutscher Corporate Governance Kodex 490 ff. – Empirie 490 ff. – England 508 ff. – gesetzliche Regelungen in Deutschland 496 ff. – Mindestvorgaben 518 f. – Österreich 512 ff. – PricewaterhouseCoopers-Studie 494 ff. – Rechtsvergleichung 502 ff. – Schweiz 514 f. – USA 502 ff. – VerSanG-E 533 ff. Deferred Prosecution Agreement – England 232 ff. – USA 229 ff. Deutscher Corporate Governance Kodex 490 ff. Einstellung auf Grund von ComplianceMaßnahmen 521 ff., 531 f. Einziehung 91 ff.

Stichwortverzeichnis England – Compliance 508 ff. – Crown Prosecution Service 232 – Deferred Prosecution Agreement 232 ff. – Internal Investigations 441 ff. – Selbstbelastungsfreiheit 305 ff. – Serious Fraud Office 232 – UK Bribery Act 120 f. – Verfolgungspflicht 232 ff. – Verteidigung 285 f. – Vertretung 269 ff. Ermittlungspflicht 251 ff. Europäisches Kartellordnungswidrigkeitenverfahren, Selbstbelastungsfreiheit 319 ff. – SGL Carbon AG-Entscheidung 320 ff., 334 Europäisches Recht, Sanktionsmöglichkeiten siehe Sanktionsmöglichkeiten im Europäischen Recht Fair-Trial-Grundsatz 329 ff. – Funke-Entscheidung EGMR 332 f. – Jalloh-Entscheidung EGMR 334 – Orkem-Entscheidung EuGH 331 f. – Saunders-Entscheidung EGMR 333 f. Funktionale Rechtsvergleichung 38 ff. Geldbuße, § 30 OWiG 83 ff. – Anwendung 87 – Materielle Voraussetzungen 83 ff. – Verfahren zur Verhängung einer Geldbuße 130 ff. Historische Entwicklung eines Verbandssanktionenrechts 49 ff. Internal Investigations 347 ff., 359, 369 f., 383 ff. – Arbeitsrechtliche Mitwirkungspflicht 389 ff. – Begriff 384 ff. – Beschlagnahme der Ergebnisse 407 ff., 476 ff. – Beschlagnahmeverbote 408 ff., 420 ff. – Beweisverwertungsverbote 399 ff., 474 ff. – England 441 ff.

– – – – – – – – –

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Interviews 387 ff. Jones Day-Entscheidung 412 f. Österreich 452 ff. private Ermittlungen 397 ff. Rechtsvergleichung 425 ff. Schweiz 460 ff. USA 425 ff. VerSanG-E 479 ff. Verwertbarkeit der Ergebnisse 347 ff., 359, 369 f., 397 ff.

Jones Day-Entscheidung 412 f. Juristische Person, Begriff 68 f., 71 f., 73, 74 ff. Juristische Personen des öffentlichen Rechts 78 ff. Kombinationsmodell 205 ff. Kriminalpolitik 197 ff. Legalitätsprinzip

149 ff., 220 ff.

Materielles Verbandssanktionenrecht (de lege ferenda) 201 ff. – Aufsichtspflichtverletzungsmodell 203 f. – Exzesstaten 207 – Kombinationsmodell 205 ff. – NRW-Entwurf 204 f. – Zurechnungsmodell 201 ff. Mindeststandards für Compliance-Maßnahmen 518 f. Mindesttrias der Sanktionen 105 ff. Nemo-tenetur-Grundsatz 296 ff. – Allgemeines Persönlichkeitsrecht 326 ff. – Anspruch auf rechtliches Gehör 328 f. – Aussage 345 ff. – Duldungs- und Mitwirkungspflichten 363 ff. – Fair-Trial-Grundsatz 329 ff. – Grundlagen der Anwendung für Verbände 324 ff. – Historischer Ursprung 298 f. – Mittelbare Wirkung des Nemo-teneturGrundsatzes 370 ff. – Ratio 299 ff., 336 ff., 338 ff. – Rechtsvergleichung 302 ff.

582

Stichwortverzeichnis

– Sächliche Beweismittel 359 ff. – VerSanG-E 343, 379 f. Normadressaten 77 ff. NRW-Entwurf 204 f. Opportunitätsprinzip 149 ff., 220 ff. – Ermessen 150 ff. Österreich – Compliance 512 ff. – Diversion 238 ff. – Internal Investigations 452 ff. – Machthaber 273 – Selbstbelastungsfreiheit 310 ff. – Verfolgungspflicht 237 ff. – Verteidigung 286 – Vertretung 272 f. PricewaterhouseCoopers-Studie

494 ff.

Rechtskreise 41 ff. – Common Law Rechtskreis 43 f. – Kontinentaleuropäischer Rechtskreis 41 ff. Rechtsvergleichung 38 ff. – funktionale 38 ff. – Rechtskreise 41 ff. – Rechtsordnungen 45 f. – Vergleichsparameter 41 ff. Sächliche Beweismittel 359 ff. – Verfahren gegen Haftungsauslöser 359 ff. – Verfahren gegen Verband 361 ff. Sanktionen 208 ff. – Geldsanktion 209 – Verbandsauflösung 212 – Vermögensabschöpfung 212 – Verwarnung mit Verbandsgeldsanktionsvorbehalt 209 ff. Sanktionsmöglichkeiten im Europäischen Recht 97 ff. – EU-Finanzschutzstärkungsgesetz (EUFinSchStG) 109 – EU-RL 2017/1371 (PIF-Richtlinie) 104 f. – EU-Wettbewerbsrecht 97 ff. – Mindesttrias der Sanktionen 105 ff.

– Zweites Protokoll zum Übereinkommen über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften 103 ff. Schweiz – Compliance 514 f. – Internal Investigations 460 ff. – Selbstbelastungsfreiheit 313 ff. – Verfolgungspflicht 241 ff. – Verteidigung 286 f. – Vertretung 274 Selbstbelastungsfreiheit, Aussage 345 ff. – Faktische Organe 357 f. – Gesetzliche Vertreter des Verbandes 346 f., 351 ff. – Haftungsauslöser 346, 349 ff. – Mitarbeiter 346, 351 – Organe 346 f., 351 ff. – Rechtsabteilung 347, 357 – Syndikusanwälte 347, 357 – Verteidiger 347, 357 Selbstbelastungsfreiheit, Rechtsvergleichung – England 305 ff. – Österreich 310 ff. – Schweiz 313 ff. – USA 302 ff. Selbstbelastungsfreiheit, Sächliche Beweismittel 359 ff. – Gesetzliche Vertreter des Verbandes 360 f., 362 f. – Haftungsauslöser 360, 362 – Mitarbeiter 360, 362 – Organe 360 f., 362 f. – Rechtsabteilung 361, 369 – Syndikusanwälte 361, 369 – Verteidiger 361, 369 Selbstständiges Verfahren 133 ff. – Anknüpfungstat Ordnungswidrigkeit 145 f., 178 ff. – Anknüpfungstat Straftat 133 ff., 171 f. Straftheorien 188 ff. – Absolute Strafzwecktheorien 189 ff. – Generalprävention 192 – Relative Strafzwecktheorien 191 ff. – Spezialprävention 192 f. – Vereinigungstheorien 194 Thompson-Memorandum

224 ff.

Stichwortverzeichnis Unternehmen, Begriff 66 ff., 70 f., 72 f. USA – Compliance 502 ff. – Deffered Prosecution Agreement 229 ff. – Internal Investigations 425 ff. – Selbstbelastungsfreiheit 302 ff. – Verfolgungspflicht 222 ff. – Verteidigung 284 f. – Vertretung 264 ff. Verband, Begriff 69 f. Verbandsauflösung 212 Verbandssanktionenrecht, Anwendbarkeit des 213 ff. Verbundenes Verfahren 131 ff. – Anknüpfungstat Ordnungswidrigkeit 173 ff. – Anknüpfungstat Straftat 167 ff. Verfolgungspflicht 220 ff. – Anklageermessen 253 ff. – England 232 ff. – Ermittlungspflicht 251 ff. – Österreich 237 ff. – Rechtsvergleichung 222 ff. – Schweiz 241 ff. – USA 222 ff. – VerSanG-E 255 ff. Vergleichsparameter der Rechtsvergleichung 41 ff. Vermögensabschöpfung 212 VerSanG-E – Anwendbarkeit 214 – Anwesenheitspflicht 281 f. – Compliance 533 ff.

583

– Einstellungsgründe 256 ff. – Internal Investigations 480 ff. – Nemo-tenetur-Grundsatz 343, 379 f. – Verfolgungspflicht 255 ff. – Verteidigung 292 f. – Vertretung des Verbandes 277 ff. Verteidigung 283 ff. – England 285 f. – Österreich 286 – Recht auf Verteidigerbeistand 288 f. – Rechtsvergleichung 284 ff. – Schweiz 286 f. – Sockelverteidigung 291 f. – USA 284 f. – Verbot der Mehrfachverteidigung 290 – VerSanG-E 292 f. Vertretung 155 f., 263 ff. – England 269 ff. – Österreich 272 f. – Rechtsvergleichung 263 ff. – Schweiz 274 – USA 264 ff. – VerSanG-E 277 ff. Verwarnung mit Verbandsgeldsanktionsvorbehalt 209 ff. Verwertung von Ergebnissen aus Internal Investigations 347 ff., 359, 369 f., 397 ff. Wirtschaftspolitik Yates-Memorandum

183 ff. 226 f.

Zuordnung Verbandssanktionenrecht 182 f. Zurechnungsmodell 201 ff.