RaumKleider: Verbindungen zwischen Architekturraum, Körper und Kleid 9783839436257

Dresses reflect ways of living just as much as buildings and architectures are; reform, modernity, practicality, and reg

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German Pages 324 Year 2018

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RaumKleider: Verbindungen zwischen Architekturraum, Körper und Kleid
 9783839436257

Table of contents :
Inhalt
Vorwort
Formen der Distinktion
Strategien der Anmaßung Eine kleine Kulturgeschichte der Architektenkleidung
Die Neorenaissance als bürgerliche Selbsttechnik und Gegenbild der Klassischen Moderne
Bauhaus und Bubikopf Der Typenschnitt im genormten Raum
Verhüllen und Enthüllen
Von der Leinwand zum Körper Die Kleiderentwürfe von Sonia Delaunay
Pavillon, Shop und Schaufenster Moderne Mode und (temporäre) Architekturen im Paris der Surrealisten
»Monumentalität der Form« Zur Verbindung von Mode und Architektur im europäischen Faschismus
Behausung, Bekleidung, Blöße
Technische Imaginationen
Hausanzug und Raumkapsel Utopische Raumkonzepte um 1970
The skins we live in Zu Archigrams Cushicle and Suitaloon (1966-1968)
Overall all over Superstudios Monumento Continuo
Welten und Gegenwelten
Das Kleid zum Raum, der Raum zum Kleid Perspektiven und Positionen in Zeiten der Wende. Bruno Taut in Deutschland und Japan
Die Erfindung der Schweizer Trachten Kleid, Kultur und Nation als Gesamtkunstwerk
Die Caprihose unter der Kuckucksuhr Kleidung und Interieur im Heimatfilm der 1950er-Jahre
»Unser Sandmännchen« Kleiderordnung und Weltvorstellung im Sozialismus
Literaturverzeichnis
Autorinnen und Autoren
Index

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Karl R. Kegler, Anna Minta, Niklas Naehrig (Hg.) RaumKleider

Architekturen  | Band 37

Karl R. Kegler, Anna Minta, Niklas Naehrig (Hg.)

RaumKleider Verbindungen zwischen Architekturraum, Körper und Kleid

Wir danken den folgenden Institutionen für die Förderung von Projekt und Veröffentlichung: Schweizerischer Nationalfonds, Mittelbauvereinigung mvub der Universität Bern, Departement Architektur und Institut gta der ETH Zürich, Hochschule München, Fakultät Architektur.

© 2018 transcript Verlag, Bielefeld Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Umschlagkonzept: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildung: Priesterin in griechischer Manier (18. Jh.), nach einem Stich aus der Bibliothèque de l’Arsenal, Paris Satz: Francisco BraganÇa, Bielefeld Druck: docupoint GmbH, Magdeburg Print-ISBN 978-3-8376-3625-3 PDF-ISBN 978-3-8394-3625-7 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Inhalt

Vorwort RaumKleider | dressed for architecture  | 9 Karl R. Kegler, Anna Minta, Niklas Naehrig

F ormen der D istink tion Strategien der Anmaßung Eine kleine Kulturgeschichte der Architektenkleidung  | 21 Niklas Naehrig

Die Neorenaissance als bürgerliche Selbsttechnik und Gegenbild der Klassischen Moderne  | 41 Rolf Füllmann

Bauhaus und Bubikopf Der Typenschnitt im genormten Raum  | 57 Ita Heinze-Greenberg

V erhüllen und E nthüllen Von der Leinwand zum Körper Die Kleiderentwür fe von Sonia Delaunay  | 79 Kathleen James-Chakraborty

Pavillon, Shop und Schaufenster Moderne Mode und (temporäre) Architekturen im Paris der Surrealisten  | 99 Burcu Dogramaci

»Monumentalität der Form« Zur Verbindung von Mode und Architektur im europäischen Faschismus  | 119 Julia Bertschik

Behausung, Bekleidung, Blöße  | 135 Rahel Hartmann Schweizer

T echnische I maginationen Hausanzug und Raumkapsel Utopische Raumkonzepte um 1970  | 157 Karl R. Kegler

The skins we live in Zu Archigrams Cushicle and Suitaloon (1966-1968)  | 179 Stamatina Kousidi

Overall all over Superstudios Monumento Continuo  | 195 Marie Theres Stauffer

W elten und G egenwelten Das Kleid zum Raum, der Raum zum Kleid Perspektiven und Positionen in Zeiten der Wende. Bruno Taut in Deutschland und Japan  | 219 Manfred Speidel

Die Erfindung der Schweizer Trachten Kleid, Kultur und Nation als Gesamtkunstwerk  | 239 Isabelle Raboud-Schüle

Die Caprihose unter der Kuckucksuhr Kleidung und Interieur im Heimatfilm der 1950er-Jahre  | 249 Barbara Schrödl

»Unser Sandmännchen« Kleiderordnung und Weltvorstellung im Sozialismus  | 269 Anna Minta

Literaturverzeichnis  | 285 Autorinnen und Autoren  | 305 Index  | 309

Vorwort RaumKleider | dressed for architecture Karl R. Kegler, Anna Minta, Niklas Naehrig

Nach dem 11. März 2011 konnte man in den japanischen Medien dramatische und bedrückende Bilder verfolgen. Nach Erdbeben, Tsunami und im Verlauf der Atomkatastrophe von Fukushima wurden die täglichen Treffen in der Zentrale des Krisenstabes zu bestimmenden und zugleich theatralisch inszenierten Ereignissen. Der japanische Premierminister Naoto Kan und sein Kabinett traten in diesen Tagen fast durchgehend in hellblauen Arbeitsoveralls an die Öffentlichkeit, die mit dem Abzeichen der Regierung bestickt waren. Dresscode und Uniformierung des Ausnahmezustandes verdrängten die sonst in der japanischen Politik bestimmenden Kleiderkonventionen. Erst als sich die Situation in Teilen beruhigt hatte, kehrten Kan und sein Beraterstab am 1. April 2011 in einer von der Presse wohlverstandenen Geste zum herkömmlichen Auftreten in dunklem Anzug und Krawatte zurück. Die beschriebene Episode verdeutlicht einen grundlegenden und bekannten Zusammenhang: Arbeitsanzug, Festgewand, Uniform oder Staatskleid waren und sind vestimentäre Bedeutungselemente, die etwas über ihre Träger und die Situation, in der sie sich befinden, aussagen. Im Fall der Katastrophenbewältigung nach dem 11. März 2011 formulierte die japanische Regierung über ihr Auftreten im Arbeitsoverall eine dreifache Botschaft: Solidarität mit den Bergungs- und Reparaturteams in den zerstörten Gebieten, Selbstmobilisierung durch Verzicht auf ein konventionell korrektes Auftreten und zuletzt ihre Wahrnehmung der Lage als außergewöhnliche Gefahren- und Einsatzsituation. Es waren diese Gesichtspunkte, welche den Grund für die beschriebene vestimentäre Inszenierung darstellten. Aus funktionalen Zwängen für die Entscheidungsfindung in den klimatisierten und geschützten Lage- und Besprechungsräumen, in denen sich der Krisenstab zu seinen Treffen versammelte, war die Einkleidung der Experten und Spitzenpolitiker in schmutzabweisende und wasserundurchlässige Arbeitsuniformen dagegen nicht notwendig. Gerade durch den Kontrast zwischen den für den Arbeits- und Außeneinsatz konzipierten Overalls auf der einen Seite und ihrem Erscheinen in den offiziellen

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Regierungsräumen auf der anderen Seite entwickelte das ungewöhnliche Auftreten des Premierministers und seines Stabes seine Aussagekraft.

Kleid und Raum Das Beispiel erlaubt eine Reihe von Rückschlüssen. Kleid und Bekleidung sind grundsätzlich eine funktionale Ergänzung und Erweiterung des menschlichen Körpers. Darüber hinaus ist Kleidung ein kulturell eingebettetes Referenzsystem. Beide Charakteristika haben Kleid und Bekleidung mit dem gebauten Raum der Architektur gemeinsam. Resonanz beziehungsweise Komplementarität von Kleid und Raum ermöglichen insofern die Verstärkung oder bewusste Inszenierung spezifischer Aussageabsichten. So naheliegend eine Zusammenschau von Architektur und Bekleidung aus dieser Perspektive auch erscheint, so selten ist sie in Geschichte und Theorie von Architektur und Kostümkunde praktisch versucht worden. Dies hat viel mit eingeschliffenen Konventionen der Architektur- und Modepräsentation zu tun. Bis heute werden Architekturräume und Interieurs in idealisierenden Bildern und Fotos häufig menschenleer dargestellt, Mode- und Bekleidungsentwürfe ohne korrespondierenden Architekturhintergrund. Dies liegt in der Ökonomie der Aufmerksamkeit begründet, mit der die Gestalterinnen und Gestalter von Kleidung oder Architektur Interesse auf ihre Schöpfungen lenken wollen. Menschen im Bild sollen nicht von der Gestaltung eines Interieurs, ein Architekturhintergrund nicht von der Form eines Kleiderentwurfs ablenken. Eine andere Darstellungskonvention besteht in der Kombination von Architektur oder Mode mit quasi auswechselbaren Statisten oder Hintergründen, die stellvertretend für Landleben oder Großstadt, Country-Look oder urbanen Lebensstil stehen. Nur in den seltensten Fällen, die dann aber von besonderer Aussagekraft sind, wird das Zusammenwirken einer spezifischen Bekleidung mit einer spezifischen Architektur gesucht. Eine metaphorische Redeweise, welche die Oberfläche von Architekturen als Bekleidung anspricht, wird dem Verhältnis zwischen dem bekleideten Menschen zum Architekturraum ebenfalls nicht gerecht. Auch wenn diese Metapher in der Architekturtheorie eine lange Tradition besitzt und sich auf Gottfried Semper1 und Adolf Loos2 berufen kann, nimmt sie die menschliche Kleidung als Analogie für die Materialität und Oberflächenbeschaffenheit von Architekturen, betrachtet jedoch nicht das Zusammenspiel oder Spannungsverhältnis der gebauten und geschmückten Raumhülle zu ihrem bekleideten oder unbekleideten Nutzer. Wenn in diesem Buch von Raumkleidern die Rede ist, sind entsprechend nicht Architekturoberflächen oder »Hauskleider«3 im Sinne verhüllter oder durch besondere Materialien gestalteter Fassaden angesprochen. Die Autorinnen und Autoren unseres Bandes gehen einen anderen Weg und untersuchen Konzeptionen und Repräsentationen von Kleid

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und Architekturraum, deren Bedeutung sich erst aus dem Zusammenwirken von Raum und Kleid erschließt. Der zeitliche Schwerpunkt der Beiträge liegt im 20. Jahrhundert, das mit seinen technischen und kulturellen Auf brüchen, seinen historischen und politischen Umwälzungen vielfältige Bezugnahmen zwischen Mode, Kunst, Design und Architektur befördert hat. Das Phänomen selbst reicht, wie die Beiträge in diesem Band deutlich machen, aber über diese zeitliche Einschränkung hinaus und verweist auf grundlegende Zusammenhänge.

Kleid und Repräsentation Um die enge Verbindung zwischen Architekturraum, Körper und Kleid zu verdeutlichen, ist schon der Verweis auf die Idee des Gesamtkunstwerkes ausreichend. Reform und Modernität, Sachlichkeit und Regionalität veranschaulichen sich in Kleid und Anzug ebenso wie in architektonischen Formen. Die Ahnenreihe dieser Interaktionen von Bekleidung und Architekturraum reicht von Ordenshabit, Hoftracht und Hofkleid bis zu den Entwürfen futuristischer Weltraumoutfits. Wichtige Architekten und Theoretiker der Architektur des 20. Jahrhunderts haben nicht allein über die Wechselwirkungen und Zusammenhänge von Architektur, Kleid und Bekleidung geschrieben, sondern auch eigene Kleider-Entwürfe angefertigt. Darüberhinaus nutzten gerade Architektinnen und Architekten Kleidung als Zeichen ihrer sozialen Stellung. Mit diesem Zusammenhang befasst sich Niklas Naehrig in einem Beitrag, der die Verbindung von Kleidung und öffentlicher Selbstdarstellung des Architekten nachzeichnet. Seine historische Analyse verortet die Entstehung der (schwarzen) Gewandung in Spätmittelalter und Renaissance. Die vestimentären Vorbilder des Gelehrten und des Hofmannes, der sich auf diese Weise seinen Auftraggebern anpasst, spiegeln sich in den frühesten bekannten Darstellungen. Das Beispiel Le Corbusiers verdeutlicht die Kontinuität dieser seit der frühen Neuzeit etablierten Repräsentationstrategien. Wie wenige andere Architekten richtete Le Corbusier die Wahl seiner Bekleidung nach den gesellschaftlichen und räumlichen Situationen seines Auftretens aus. Rolf Füllmann deutet in Anlehnung an Michel Foucault die Ausgestaltung einer privaten, historistisch-symbolischen Kunst- und Gegenwelt als spezifisch moderne »Technologie des Selbst«. Gegenstand seiner Untersuchung ist die Münchner Neorenaisancevilla Alfred Pringsheims, des Schwiegervaters Thomas Manns, dessen Selbststilisierung durch Kunst, Architektur, Bild und Kleid Füllmann anhand literarischer Quellen nachverfolgt. Nur wenige Jahrzehnte später stellte genau diese Art der Identitätsstiftung in Übernahme historischer Formen für die Architektur-Avantgarde der 1920er Jahre einen Anachronismus dar, die in Schriften der Wohnungsreformer als grundsätzliche Fehlentwicklung gekennzeichnet wurde. Im letzten Beitrag dieses ersten

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Abschnittes stellt Ita Heinze-Greenberg dem Historismus des 19. Jahrhunderts ein Konzept gegenüber, das sich ganz explizit der alten Zöpfe entledigen wollte. Sie betrachtet Strategien der Selbststilisierung und kann belegen, dass der »Bubikopf« als Kurzhaarfrisur der Frauen am Bauhaus keineswegs allein einer zeitgenössischen Mode folgte, sondern auch politische und emanzipatorische Bestrebungen zum Ausdruck brachte. Darüber hinaus entsprach der Bubikopf als »Typenschnitt« den am Bauhaus gelehrten Standardisierungstendenzen.

Kleid und Raum als Gesamtkunstwerk Das folgende Kapitel vereint unter dem Oberbegriff »Verhüllen und Enthüllen« übergreifende Strategien in Mode- und Architektur, die vom Konzept des Gesamtkunstwerks als Kunst- und Lebenspraxis bestimmt sind. Exemplarisch wird dieser Zusammenhang in der Arbeit der Malerin und Designerin Sonia Delaunay deutlich. Kathleen James-Chakraborty legt den Schwerpunkt ihrer Untersuchung auf die Übertragung von Darstellungsformen, die Sonia Delaunay zunächst für ihre abstrakten Simultangemälde entwickelte, auf ihre dreidimensionalen Entwürfe für Mode und Theater. Theaterbezogene Projekte wurden für Delaunay in einer wirtschaftlichen Krisenzeit, in die ihre Familie durch den Ersten Weltkrieg und die Russische Revolution geraten war, zu einem Einstieg in den Entwurf avantgardistischer Mode. Zugleich stellen Experimente im Theaterbereich eine entscheidende Quelle für die Entwicklung der Abstraktion in Malerei und Architektur dar. Burcu Dogramaci widmet sich in ihrem Beitrag ebenfalls den Impulsen der künstlerischen Avantgarde auf die französische Mode- und Luxusindustrie der Zwischenkriegszeit, die in Ausstellungen, Pavillons, Shops und Schaufenstern surrealistische Experimente wagte. Sie betrachtet die Zusammenarbeit zwischen dem Bildhauer Robert Couturier und der Modeschöpferin Elsa Schiaparelli, die im Rahmen der Pariser Weltausstellung von 1937 gemeinsam im Pavillon de l’Elegance vertreten waren. Couturier hatte für die Ausstellung bedrohlich wirkende, gesichtslose Schaufensterpuppen mit überlängten Proportionen entworfen. Schiaparelli steigerte den Surrealismus dieses Settings, indem sie die Puppe in dem von ihr gestalteten Teil der Ausstellung unbekleidet ließ und ihr Kleid auf dem Boden drapierte. Ähnlich unkonventionelle und mehrdeutige Inszenierungsformen, die aus dem Zusammenwirken von Kleid, Dekoration und Raum ihre Wirkungsmacht gewannen, entwickelte Schiaparelli für ihre Boutique an der Place Vendôme. Julia Bertschik geht der Verbindung von Mode uns Baukunst im Kontext des europäischen Faschismus an Beispielen aus Deutschland und Italien nach. Modegestalter in beiden Regimen suchten auch jenseits von militärischer Uniformierung Anschluss an technikaffine Einheitsideen der Kunstgewerbebewegung, die um die Zielvorstellung kreisten, das modische Kleid zur Einheit

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mit einer monumentalen Architektursprache zu gestalten. Rahel Hartmann Schweizer diagnostiziert eine genau entgegengesetzte gestalterische Strategie in ihrer Detailanalyse des in Wermatswil errichteten Privathauses schweizerisch-amerikanischen Architekt Otto Kolb. Hier inszeniert das Fallenlassen konventioneller architektonischer Hüllen die Rehabilitierung einer paradiesischen Atmosphäre in Anspielungen an die Genealogie von literarischen und künstlerischen Darstellungen der ersten höhlen- oder zeltartigen Wohnstätten des Menschen. Die dieser Architektur eingeschriebenen Verweise auf eine fiktionale Urbehausung lassen sich als Rekurs auf den gemeinsamen nomadischen, temporären und mobilen Charakter deuten, der in der biblischen Überlieferung der ersten Bekleidung und der ersten Behausung des Menschen gemeinsam war.

Technosphäre Der Bedeutung technologischer Imagination für die Konzeption von Behausung und Bekleidung als Stufen eines ingenieurmäßig entwickelten Gesamtsystems der Versorgung und Klimakontrolle geht das folgende Kapitel nach. Karl R. Kegler untersucht explizite und unausgesprochene Verbindungen zwischen Hauskleid und Raumkapsel in Ausstellungen und programmatischen Texten von der Mitte der 1950er bis zur Mitte der 70er Jahre. Ein gemeinsamer Bezugspunkt, der in dieser Zeit Architektinnen und Architekten, Gestalterinnen und Gestalter zur Entwicklung neuartiger technikbasierter Haus- und Bekleidungskonzepte anregte, waren die Perspektiven von Massenproduktion, Kunststoffen und Raumfahrt, aber auch die Frage, wie der Mensch in der Konsumgesellschaft seine größer werdende Freizeit in zunehmend künstlichen Lebenswelten verbringen würde. Das Bild einer privaten, in Serie produzierten und mit Technik hochgerüsteten Wohnwelt korrespondiert in zeitgenössischen Zukunftsentwürfen mit der Propagierung nicht-einengender Hausanzüge als Bequem- und Freizeitkleidung für den klimatisierten Raum. Stamatina Kousidi betrachtet in ihrer Studie Philip Webbs 1968 entstandenes Projekt Cushicle and Suitaloon, das sich auf der Schnittstelle zwischen am Körper getragenem Raumanzug und mobiler Architektur bewegt. Kousidi kann nachweisen, dass Webbs avantgardistischer Entwurf im neunzehnten Jahrhundert einen konzeptionellen Vorläufer in Ernst Kapps Theorie der Technologie als Organprojektion besitzt. Gemeinsame Basis ist ein Verständnis der stofflichen Umhüllung des Körpers als Erweiterung der menschlichen Haut. Kleidung wird zu einer Membran, die zwischen Körper und Umgebung vermittelt, eine eigene räumliche Logik besitzt und Ausdruck der Person des Trägers sein kann. Gerät die technisch hochgerüstete Körpermembran als Konsumprodukt zur selbstgewählten Stilisierung, wird in letzter Konsequenz allerdings ununterscheid-

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bar, ob sich die Membran dem Körper oder der Körper den Zwängen seiner technoid-künstlichen Umhüllung anpassen muss. Geht es bei Webb um Fragen der Plausibilität einer technisch-funktionalen Konzeption, beschäftigt sich der anschließende Beitrag von Marie Theres Stauffer mit einem Prozess der zunehmenden Abstraktion einer omnipräsenten Technosphäre, wie sie in den Visualisierungen der Florentiner Architektengruppe Superstudio zwischen 1969 und 1972 entgegentritt. Superstudios Monumento Continuo stellt eine anonyme weltumspannende Rasterarchitektur dar. In den ersten Fotocollagen der Gruppe steht sie in ihrer geometrischen Perfektion zunächst in äußerlichem Kontrast zu realen Städten und Landschaften und gewinnt in den späten Arbeiten der Serie eine existentielle Dimension, wenn die Menschen, die sich auf ihrer Oberfläche bewegen, nackt dargestellt werden. Das weiße monotone Rasterkleid einer omnipräsenten Technik versetzt den Menschen in einen unbekleideten Urzustand zurück.

Kleid, Interieur, Identität Der letzte Abschnitt des Buches thematisiert Architekturraum und Kleid aus der Perspektive kultureller Identitäten. Manfred Speidel geht in seiner Analyse der Beobachtung des Architekten Bruno Taut nach, der 1923 das farbige Gewand und den neutralen, unfarbigen Raum der traditionellen japanischen Architektur miteinander in Beziehung setzte. In Japan dient der gedämpft getönte Raum als Hintergrund für die stark farbigen Kleider, in Deutschland – so schlussfolgerte Taut – müsse der gedeckten Kleidung dann ein stark farbiger Raum entsprechen. Taut verband mit dieser Beobachtung Bestrebungen zur Reformierung des Wohnens: »Der gute Raum ohne die Bewohner ist nichts und ›leer‹. Er wird erst etwas, ›voll‹ und fertig durch die sich darin aufhaltenden Menschen.« Als Taut 1933 das nationalsozialistische Deutschland verließ und in Japan Jahre des Exils verbrachte, hatte er Gelegenheit, den Zusammenhang von europäischer und japanischer Bekleidung und Architektur im direkten Vergleich zu betrachten. Es entstand eines der wichtigsten und frühesten Bücher zur traditionellen japanischen Architektur, Houses and People of Japan. Wo der Reformer Taut ein Gegenbild und Korrektiv zur europäischen Praxis des Wohnens und Sich-Kleidens in Japan suchte, fanden kulturkritische Beobachter konservativer Prägung ein solches Vorbild in der vernakulären bäuerlichen Kultur, die durch die fortschreitende Industrialisierung mehr und mehr zu verschwinden drohte. Isabelle Raboud-Schüle betrachtet in ihrer Studie, die auf der reichhaltigen Kostüm- und Quellensammlung des Musée Gruérien in Bulle fußt, die Entstehung und Kodifizierung der Schweizer Trachten und räumt zugleich mit der Legende auf, die heutigen Trachten seien das Ergebnis einer langen und gleichsam organischen Entwicklung. Trachten wurden in der Schweiz vielmehr Ende des 19. Jahrhunderts im Sinne nationaler Identitäts-

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bildung kodifiziert, als der Zusammenhang zwischen traditioneller Lebensweise, Mode und Architektur bereits mehr oder weniger künstlich hergestellt werden musste. Kleid, Bauernhaus, Kultur und Nation treten in dieser Schöpfung, die ihren Niederschlag nicht zuletzt in nationalen Ausstellungen fand, als ein sorgsam inszeniertes und überhöhtes Gesamtkunstwerk entgegen. Heimatschützer und Trachtenvereine haben seitdem die Anmutung der zu bestimmten Anlässen in der Gruppe präsentierten Trachten gemäß der Wünsche der jeweiligen Gruppierungen modifiziert. Gleichwohl oder eben darum bleibt Tracht bis heute ein auf Anhieb verstandenes visuelles Verweis für einen ländlich traditionellen Lebensentwurf. Dies ist so, weil ländliche und städtische Bekleidungs- oder Wohnformen als Anzeiger für unterschiedliche Lebenswelten auch von anderen Medien aufgenommen wurden. Barbara Schrödl untersucht derartige Inszenierungen für den deutschsprachigen Heimatfilm der 1950er Jahre, in dem Gegensätze zwischen Stadt und Land, Tradition und Fortschritt, Generationen, Geschlechtern und sozialen Schichten einerseits über vestimentäre Praktiken, Wohnformen und Techniknutzung vermittelt werden. Andererseits visualisiert der Heimatfilm eine Vielzahl von Mischformen, die im Filmbild Modernes und Traditionelles miteinander verbinden. Genau darin besteht das Grundthema des Genres: Die schlussendliche aber keineswegs konfliktfreie Aussöhnung von Altem und Neuem als Heimisch-Werden in der Nachkriegsgesellschaft wird über die Verbindung Architekturhintergründen, Interieurs und Bekleidungsstilen bildhaft zum Ausdruck gebracht. Abgeschlossen wird das Buch durch einen Beitrag, der sich mit der architektonischen und vestimentären Repräsentation der eigenen und fremder Kulturen in einer besonders prägenden Phase kindlicher Medienerfahrung befasst. Anna Minta untersucht die DDR-Fernsehsendung Unser Sandmännchen und kann zeigen, wie Wohnform, Kleidung und sozialer Habitus zu einem sozialistischen Weltentwurf zusammentreten. In Verbindung mit der ostdeutschen Design- und Möbelgeschichte wird deutlich, wie sich der Uniformisierungsdrang in der sozialistischen Lebenswelt auch in den Bildern eines Kinderprogramms niederschlägt. Erweitert wird dieses Dispositiv in der Darstellung fremder Länder und Völker in Stereotypen von Nationaltracht und Behausung.

Resonanzen Die Beiträge des Bandes verdeutlichen, dass Lesbarkeit und Bedeutung von Kleid und Bekleidung weit über eine Verortung als vorübergehende Zeiterscheinung im Sinne von »Mode« hinausreichen. In den vorgestellten Fallstudien ermöglichen die Koordinaten Resonanz und Komplementarität die Analyse und vergleichende Betrachtung der Wechselbeziehungen zwischen Kleidung und Architektur in historischer und kulturwissenschaftlicher Per-

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spektive. Dabei ist nicht zu vergessen, dass die Rahmenbedingungen zum Verständnis derartiger Verweismuster durch kulturelle Codes vermittelt beziehungsweise produziert werden. In der Inszenierung von Renaissancekleid und Renaissanceeinrichtung in den bürgerlichen Interieurs des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts ist der intendierte historische Verweis Mittel einer historisierenden und kulturellen Selbstinszenierung. Die spezifische Wahl von Kleid und Interieur wirkt verstärkend miteinander. Das häufig bemühte Resonanzmuster von alpinen Trachten und alpinen Architekturen ist Ergebnis einer analogen und ebenfalls vergleichsweise jungen Inszenierung. Ein ähnlicher Mechanismus, der freilich auf andere Bildwelten verweist, ist in den 1960er Jahren die Inszenierung privater Wohnwelten durch futuristische Interieurs und das Tragen neu aufkommender Hausanzüge, die als Bequemkleidung klimatisierte Innenräume voraussetzen. In diesem Beispiel ist die Selbstinszenierung durch Kleid und gestalteten Architekturraum durch den Wunsch getragen, am Zukunftsversprechen der bemannten Raumfahrt zu partizipieren. In verwandter aber reziproker Weise kann Komplementarität zum Mittel vestimentär-architektonischer Inszenierung werden. Tauts kulturvergleichende Raum- und Farbenlehre etwa fußt auf der Entgegensetzung von Raum und Gewand in der gestalterischen Kontrastierung von farbig und nicht-farbig. Die von Gegensätzen geprägte Beziehung zwischen modischen Kleidkörpern und traditionellen Interieurs im Heimatfilm bringt durch die Komplementarität der zitierten Bildwelten die Spannung zwischen ländlicher Traditionsbestimmung und modisch-urbaner Modernität zum Ausdruck. In den abschließenden Photomontagen des Monumento continuo suggeriert der Kontrast zwischen der monotonen Rasterung der Großstruktur und der archaischen Nacktheit der menschlichen Bewohner eine Rückkehr zu einem Urzustand, in dem eine omnipräsente Technik an die Stelle der Natur getreten ist.

Dank Die Beiträge dieses Bandes gehen auf eine internationale Tagung des Instituts für Kunstgeschichte der Universität Bern sowie der Professur für Kunst- und Architekturgeschichte und der Professur Architekturtheorie der ETH Zürich zurück, die im Juni 2014 in Zürich stattfand. Nicht alle Referate der Tagung konnten in diesem Band publiziert werden, einige neue Beiträger wurden hinzugewonnen. Die Herausgeberin und die Herausgeber danken den Autorinnen und Autoren für ihre Texte und ihre Geduld bei der Redaktion der Veröffentlichung sowie allen Kolleginnen und Kollegen der beteiligten Institute, die zum Gelingen der Tagung beigetragen haben. Ein besonderer Dank gilt Rabea Kalbermatten, Julian Oggier, Ozan Enginsal und Maximilian Rank. Unvergessen ist die eindrucksvolle Performance der im Januar 2018 verstorbenen

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Christa de Carouge im Rahmen der Konferenz, in der sie die expressive und raumbildende Qualität von Kleidung in der Schichtung ihrer Kleiderentwürfe am Körper nachvollziehbar werden ließ. Tagung und Publikation wurden durch den Schweizerischen Nationalfonds, die Mittelbauvereinigung mvub der Universität Bern, das Departement Architektur und das Institut gta der ETH Zürich sowie durch die Hochschule München unterstützt. Die Herausgeberin und die Herausgeber danken diesen Institutionen für die großzügige Förderung. Gleicher Dank gilt den Institutionen und Archiven, die Abbildungen für die Veröffentlichungen zur Verfügung gestellt haben. Für Übersetzungen aus dem Französischen und Englischen danken die Herausgeber Dr. Thomas Amos, für die verlegerische Betreuung Frau Bierschenk, Frau Wichmann und dem Team des transcript-Verlages.

A nmerkungen 1 | Gottfried Semper: Der Stil in den technischen und tektonischen Künsten oder praktische Ästhetik. Band 1: Die textile Kunst für sich betrachtet und in Beziehung zur Baukunst. Frankfurt a. M. 1860. Hier vor allem §59: »Das Prinzip der Bekleidung hat auf den Stil der Baukunst und der anderen Künste zu allen Zeiten und bei allen Völkern grossen Einfluss geübt« S. 217-227. 2 | Adolf Loos: »Das Prinzip der Bekleidung« [4.9. 1898]. In: Adolf Loos: Ins Leere gesprochen. 1897-1900. Paris, Zürich 1921. Nachdruck Wien 1981, S. 139-145. 3 | Siehe: Karin Harather: Haus-Kleider. Zum Phänomen der Bekleidung in der Architektur. Wien, Köln, Weimar 1995. In ähnlicher Weise: Daidalos 29 (1988) »ArchiteXtur/ ArchiteXture«; kritische berichte 36 (2008) Heft 1 »ArchiTexture«.

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»Meine Kleider sind keine Mode. Sie sind Wohnraum für den Menschen, schenken Wohlbefinden, Geborgenheit und Schutz.«

Christa de Carouge bei ihrer Performance auf der Tagung RaumKleider | dressed for architecture (13. Juni 2014).

Formen der Distinktion

Strategien der Anmaßung Eine kleine Kulturgeschichte der Architektenkleidung Niklas Naehrig

In der Außensicht des Architektenberufs halten sich einige hartnäckige Stereotype, wie etwa das des schwarze Kleidung tragenden Architekten.1 Aber gibt es eine wiedererkennbare Berufsbekleidung des Architekten? Um die Antwort gleich vorweg zu nehmen: Es gibt sie nicht. Sogar das Gegenteil ist der Fall: Architekten haben zu keiner Zeit eine eigene Bekleidungsidentität entwickelt, sondern sich immer anderen Bezugsgruppen, vor allem ihren Aufraggebern, angepasst. Diese Anpassungsleistung besitzt allerdings eine durchgehende Kontinuität im Sich-Kleiden des Architekten. Aus ihr resultiert eine spezifische Sensibilität in Kleidungsfragen, die man modern gesprochen auch als Modebewusstsein bezeichnen könnte. Gerade bei jüngeren Architekten ist gelegentlich ein Hang zur vestimentären Selbstkonstruktion zu beobachten. Dass die Abgrenzung gegenüber NichtArchitekten durch die Kleidung zu einer Uniformität innerhalb der Architektenschaft selbst führt, entbehrt dabei nicht einer gewissen Ironie. Genau darauf wies ein Plakat mit der Überschrift: »Architektur-Studium Starter Kit« hin, dem man auf einem Streifzug durch die Räumlichkeiten der Architekturabteilung der ETH Zürich zu Beginn des Herbstsemesters 2015 begegnen konnte (Abb. 01). Nicht etwa irgendwelche Zeichenutensilien oder unentbehrliche Handbücher waren dort abgebildet, sondern Kleidungsgegenstände. Zweifellos mit humoristischer Absicht hat der oder die unbekannte Urheber/-in eine Reihe von personal items zusammengestellt, die gerade nicht für die Arbeit im Entwurfsstudio, sondern für den Habitus einer angehenden Architektin unverzichtbar sein sollen: Neben dem Logo einer bekannten amerikanischen Kaffeehauskette (wohl als Hinweis auf den zu erwartenden arbeitsbedingten Kaffeekonsum) und der Abbildung eines Smartphones in Exklusivität suggerierender goldener Farbgebung, sind es die Frisur und vor allem die Kleidung, die die Architektin auszeichnen. Die Frisur, ein hochangesetzter, locker gebundener Haarknoten, in dieser Form auch messy bun genannt, zeugt von stilhistorischem Bewusstsein, ist der Dutt doch ein geradezu klassisches Merkmal

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Abb. 01: »Architektur-Studium Starter Kit.« 2015.

arbeitender Frauen. Bei den gezeigten Kleidungsgegenständen handelt es sich zunächst um eine schwarze Leggins, die als sowohl sportlich-komfortable wie modische Variante der enganliegenden Hose seit einigen Jahren eine Renaissance erlebt. Dazu sollen schwarze Schnürstiefeletten mit hohem Blockabsatz und Gummisohle getragen werden. Komplettiert wird das Architektinnenoutfit durch ein auffälliges, über schwarzer, körperbetonter Kleidung getragenes, selbst aber sehr weit geschnittenes und faltenreiches, ärmelloses Cape in Beige. Offenbar wurde durch das Aufhängen der DIN A4-Seite in der ETH ein kleiner Diskurs angeregt, denn ein Kommentator setzte zu einem späteren Zeitpunkt schriftlich seine Meinung hinzu. Grundsätzlich scheint er mit dem präsentierten Erscheinungsbild einverstanden gewesen zu sein, wie an großen Häckchen erkennbar wird. Lediglich bei der Farbe des Smartphones und des Capes plädierte er statt Gold und Beige (»Country-Style?«) für Schwarz und die Schuhe markierte er ohne weitere Präzisierung mit dem Zusatz »Falsch!«. Doch auch ohne Einbeziehung des Schuhwerks ergibt sich in der Kombination der gezeigten Kleidungsgegenstände ein Gesamtbild, das der zeitgenössischen Modeerscheinung des Casual Chic entspricht.

Strategien der Anmaßung

Casual Chic lässt sich definieren als ein Bekleidungsstil, der Lässigkeit mit Seriosität und Eleganz mit Sportlichkeit verbindet. Ein universeller Look also, den man im Büroalltag gleichermassen tragen kann wie zum abendlichen Dinner. Was aber hat Casual Chic mit Architektur zu tun? Auf den ersten Blick natürlich nichts. Viele junge, urbane und modebewusste Frauen mit unterschiedlichsten Berufen dürften sich im Herbst 2015 genau so gekleidet haben. Keinesfalls lässt sich aus dem Einzelbeispiel ein verbindlicher Dresscode für den Berufsstand als Ganzes ableiten – auch nicht für den weiblichen Teil. Aber, so die These dieses Aufsatzes: Es gibt bestimmte Anforderungen für das SichKleiden des Architekten, die eine historische Konstanz besitzen und auch auf dieses scheinbar beliebige Einzelbeispiel zutreffen. »Das Sich-Kleiden stellt nach Auffassung der modernen kulturanthropologischen Kleiderforschung eine fundamentale Körpertechnik und Handlung dar, die den Körper kulturell gestaltet und kommunizierbar macht.«2 Das SichKleiden ist nun das eine, das Sich-angemessen-Kleiden aber das andere und hier beginnen für den Architekten die Schwierigkeiten. Zwar ist Angemessenheit spätestens seit Leon Battista Alberti ein etabliertes Kriterium guter Architektur und damit des Architekten täglich Brot, aber anders als die Architektur ist der Architekt selbst ständig in Bewegung. Im Sinne eines postmodernen anything goes könnte man diese Problematik nun als Nebensächlichkeit abtun, tatsächlich scheint sie aber auch heute noch eine gewisse Relevanz zu besitzen: Als er im Jahr 2008 gefragt wurde, warum er als Architekt schwarze Kleidung bevorzuge, antwortete Dominique Perrault mit dem Hinweis auf das vielseitige Anforderungsprofil und die unterschiedlichen sozialen Räume denen ein Architekt in seinem Tagesablaufs gerecht werden muss: »Der letzte Beruf der Renaissance, am gleichen Tag: - auf der Baustelle- beim Essen mit einem Präsidenten - in einem Architekturbüro- in einem Flugzeug - in gesellschaftlichen oder politischen Diskussionen - in einem Nachtclub Schwarz ist perfekt.« 3

Besondere Beachtung verdient hier der Gebrauch des Wortes »Renaissance«. Perrault setzt es offenbar ein, um auf die Vielseitigkeit des Architektenberufs hinzuweisen. In seiner Vorstellung lebt im Architekten der ideale Renaissancemensch, der uomo universale, weiter. In atemloser Kürze brachte Perrault die Problematik der Architektenkleidung auf den Punkt und legte zugleich seinen Umgang damit offen: Schwarze Kleidung als neutrale und somit universell angemessene Kleidung. Diese ausweichende Strategie ist aber nur eine, wenngleich sehr häufig anzutreffende Möglichkeit des Umgangs mit der Problematik der vestimentären Anpassung des Architekten an unterschiedliche soziale

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Räume. Das Sich-Anpassen scheint tatsächlich ein Grundprinzip des SichKleidens des Architekten zu sein, besonders seitdem in der Renaissance Architekten die Nähe zur Macht gesucht und gefunden haben. Anders als etwa für den modernen Künstler steht für den Architekten weniger die Betonung der Individualität4 im Vordergrund, sondern eine Anpassung an die Auftraggeber. Da diese historisch gesehen fast immer einer gesellschaftlich höher stehenden Schicht entstammten als die Architekten selbst, kommt diese Anpassung freilich über weite Strecken der Geschichte einer Anmaßung gleich.

D er A rchitek t als G elehrter im M it tel alter Der soziale Aufstieg des Architekten im Mittelalter machte sich nicht zuletzt auch habituell bemerkbar. Als Hugues Libergier, einer der Baumeister der Kathedrale von Reims, 1263 verstarb, wurde für ihn eine Grabplatte angefertigt und in der Abteikirche St. Nicaise aufgestellt (Abb. 02).5 Sie ist eines der frühesten Architektenportraits überhaupt. Neben den traditionellen Insignien der Architektur, Winkelmaß und Zirkel, zeichnet sich Libergier durch seine Kleidung aus. Er trägt ein Birett als Kopf bedeckung, dazu ein langes, weitfallendes, faltenreiches, ärmelloses, am Hals zusammengebundenes Gewand mit Kapuze. Dabei handelt es sich um eine cappa rotunda wie sie im 13. Jahrhundert an der Pariser Sorbonne als Gelehrtenbekleidung vorgeschrieben war.6 Das Gewand zeichnet den Architekten also als Gelehrten aus. Aber nicht nur das: Da Universitäten des Mittelalters stets an Klöster angebunden waren, entspricht dieses Gewand zugleich auch der zeitgenössischen Priesterkleidung, genauer gesagt, der außerliturgischen Priesterkleidung, also der Alltagskleidung eines Klerikers. Wir haben es also mit einem Architekten zu tun, der als Akademiker in Erscheinung tritt – was er nach mittelalterlichen Maßtäben allerdings nicht war, denn Architektur konnte man bekanntlich bis zum 19. Jahrhundert nicht studieren. Das Tragen von Akademikerkleidung war alles andere als eine Nebensächlichkeit, wie Astrik L. Gabriel feststellte: »The outward expression of his [the academic] clerical and magistral state was his academic dress. This external garment was a symbol of his separation from any other class of medieval society.« 7 Die Aneignung des habitus scholasticus durch Architekten widersprach den mittelalterlichen Standesregeln und konnte schon deshalb nicht unbemerkt und auch nicht unwidersprochen bleiben.8 So stellte etwa der Dominikaner Nicolas de Biard fest: »Die Baumeister sagen, indem sie eine Rute und Handschuhe tragen, den anderen: ›Hier, behaue mir diesen Stein‹ – sie selbst aber arbeiten nichts; dennoch erhalten sie den höchsten Lohn, so wie es auch viele Prälaten machen […] Einige arbeiten nur mit

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Abb. 02: Grabplatte von Hugues Libergier (1229-1263) in der Kathedrale Notre-Dame von Reims.

dem Mund. Merke: An den großen Bauwerken pflegt es einen Hauptmeister zu geben, der allein mit dem Wort befiehlt, der selten oder niemals Hand anlegt und dennoch eine höhere Bezahlung erhält als die anderen. So gibt es auch viele in der Kirche, die fette Pfründen haben, und die nur mit dem Munde tätig sind, indem sie sagen: ›So müsst Ihr es machen‹, während sie selbst nichts dergleichen tun.« 9

In diesen Worten ist ein gewisses staunendes Unverständnis gegenüber dem neuen Typus des Baumeisters deutlich, der – um eine moderne Wendung zu benutzen – vor allem eine »geistig-ideelle Leistung« erbringt. Der Architekt ist eine Person, die auf der Baustelle nicht mehr selbst Hand anlegt, sondern Handschuhe trägt und »allein mit dem Wort befiehlt«. Die Handschuhe, darauf dürfte Biard angespielt haben, galten neben dem Birett als Zeichen der Standeswürde des Doktors.10 Sie dienten nicht etwa dem Schutz, sondern symbolisierten den akademischen Status des Trägers. In gleichem Maße, in dem sich Architekten von den handwerklich-zünftischen Ursprüngen ihres Berufs emanzipierten, veränderte sich der Habitus mit dem sie in neu erschlossenen sozialen Räumen auftraten. Die Architekten grenzten sich von ihren berufsständischen Wurzeln im Handwerk ab und brachten ihren Anspruch auf sozialen Aufstieg durch ihre Kleidung zum Ausdruck. Ohne im eigentlichen Sinne Akademiker oder Kleriker zu sein, be-

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Abb. 03: Philibert Delorme (um 1514-1570), L’architecte mauvais, in: Le premier tome de l’architecture (1567), S. 281.

anspruchten sie einen vergleichbaren Status. Dieser wurde ihnen offenbar in seltenen Fällen auch zugestanden. So wurde etwa Pierre de Montreuil (um 1200-1267), einer der Baumeister von Saint Denis, auf seinem Grabstein als doctor lathomorum bezeichnet.11 Insofern könnte Kleidung als ein Indikator für den sozialen Aufstieg von Architekten gelesen werden. Allerdings lässt sich etwa anhand der Grabplatte von Hugues Libergier nicht mit Sicherheit sagen, ob die Kleidung Ausdruck des tatsächlichen Aufstiegs oder nur ein Wunschbild davon war. In jedem Fall wird deutlich, dass Architekten durch ihr berufliches Handeln die Grenzen der mittelalterlichen Ständegesellschaft überschritten und mit einem Bein im Handwerk und mit dem anderen in der klerikal geprägten Welt der Gelehrsamkeit standen. Dieser Spagat zwischen unterschiedlichen sozialen Räumen ist ein Strukturmerkmal des Architektenberufs, das in der Architektenkleidung ablesbar wird.

D er A rchitek t und die M acht in der R enaissance Wenn man heute vom Architektenberuf als einer Profession sprechen kann,12 so ist dies in erster Linie ein Ergebnis des 19. Jahrhunderts.13 Die Anfänge der Professionalisierung des Architektenberufs liegen allerdings in der Renais-

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sance. Für den französischen Architekten Philibert Delorme (ca. 1514-1570) war die Konstruktion einer professionellen Identität ein wesentliches Anliegen. Wie kaum ein neuzeitlicher Architekt vor ihm drängte er auf eine Verbindung von Berufspraxis und Theorie zum Zweck der Nobilitierung des Architektenberufs. Unter Hinweis auf Bildung, Fachwissen und ethische Grundwerte verlangte er für sich und seinen Berufsstand eine Teilhabe an Macht und politischem Einfluss wie sie bürgerlichen Eliten, zum Beispiel Rechtsgelehrten, bereits seit Langem zugestanden worden war. Die Mitglieder dieser »Funktionselite« wurden in Frankreich nicht ohne Grund als noblesse de robe bezeichnet, drückten sie ihren gesellschaftlichen Status doch ganz besonders über ihre Bekleidung aus. Zum Selbstentwurf des Architekten bei Delorme gehören drei allegorische Architektenportraits, die in seinem Traktat Le premier tome de l’architecture (1567) abgedruckt wurden.14 Die Holzschnitte sind zum Teil als Selbstportrait, zum Teil als Portraits der Profession des Architekten als Ganzes zu sehen. Dabei repräsentieren sie wahrscheinlich weniger ein Abbild tatsächlicher Verhältnisse als ein Wunschbild.15 Besondere Aufmerksamkeit verdienen die komplementären Allegorien des schlechten und des guten Architekten, die gleichsam als Zusammenfassung von Delormes Architekturlehre ganz am Ende des Premier Tome stehen (Abb. 03, 04). Die Beschreibung des schlechten Architekten im begleitenden Text beginnt – wie auch die des Guten – mit der Kleidung. Der architecte mauvais, so Delorme, sei zwar »habillé ainsi que un sage«, mache dabei aber den Eindruck als sei er gehetzt und in Eile. Delorme weist hier bildhaft darauf hin, dass die sprichwörtliche Kutte noch keinen Mönch macht und man sich seiner Kleidung stets würdig erweisen müsse.16 Zugleich warnt er davor, sich durch die Kleidung über die wahren Eigenschaften ihres Trägers täuschen zu lassen. Das mantelähnliche Kleidungstück, das beide Architekten über dem Wams tragen, entsprach der zeitgenössischen Hofmode und verdient eine genauere Betrachtung. Es ist weit geschnitten und wird offen getragen. Die Ärmel sind in Obermarmhöhe geschlitzt, so dass die Arme bequem hindurchgesteckt werden können. Das Gewand erlaubt offensichtlich eine große Bewegungsfreiheit und verdeckt zugleich die Konturen des Körpers. Im Vergleich zur mittelalterlichen Gelehrtentracht wirkt es schon allein durch die Menge des verwendeten Stoffes überaus prächtig. Der veränderte Schnitt des Mantels unterscheidet die Architektengewandung bei Delorme von der Gelehrtenkleidung des Mittelalters. Die sogenannte »Schaube« hatte sich als wohl charakteristischstes Kleidungsstück der Männerbekleidung der Renaissance im Verlauf des 15. Jahrhunderts entwickelt. Sie entsprach sowohl der Forderung nach Bequemlichkeit wie der nach Repräsentation. Zugleich war sie ein durch und durch bürgerlich-weltliches Bekleidungsstück. Es war vor allem das städtische Bürgertum, das sich der Schaube als bevorzugtes Kleidungsstück bediente. Als

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Abb. 04: Philibert Delorme (um 1514-1570), Le bon architecte, in: Le premier tome de l’architecture (1567), S. 283.

Gelehrtentracht setzte sie sich erst mit der Reformation durch, und zwar als sichtbares Zeichen gegen die Vormachtstellung der Kirche in den Wissenschaften. Die Gelehrtentracht, die Delorme präsentiert, war um 1570 alles andere als konventionell, deutet sie doch auf eine fortschreitende Säkularisierung der Gelehrsamkeit hin: eine Provokation, die nur wenige Jahre zuvor noch undenkbar gewesen wäre. An katholischen Universitäten, unter denen die Pariser Sorbonne bekanntlich eine herausgehobene Stellung einnahm, blieb im übrigen die traditionelle, am Priestergewand orientierte Gelehrtentracht mit geschlossener Tunika, Schulterkragen und Birett weiterhin gültig. Ein weiteres bedeutendes Detail der Kleidung des gelehrten Architekten bei Delorme ist die Kopf bedeckung. Im Gegensatz zum Mantel handelt es sich beim Birett um ein eindeutig klerikal geprägtes Kleidungsstück. Offenbar versuchte Delorme in der Bekleidung einen Mittelweg zwischen geistlicher und weltlicher Orientierung zum Ausdruck zu bringen – ein Hinweis auf seine im Premier Tome immer wieder geäußerte christliche Gesinnung. Attribute des Architektenberufs, wie Zirkel und Winkelmaß, sucht man auf den beiden Abbildungen dagegen vergeblich. Im Gegenteil: mit der Schriftrolle, gleichsam als licentia docendi in der Hand, könnte der gute Architekt in der Darstellung Delormes genauso gut auch ein hoher Beamter oder ein sonstiges Mitglied der noblesse de robe sein. Und genau darauf scheint Delormes

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Polemik abzuzielen, nämlich den Beruf des Architekten zu einer Profession zu machen, die etwa der Juristerei bezüglich ihrer Eignung als Grundlage für die Bekleidung hoher Ämter im Staat in nichts nachsteht. Die Kleidung des Architekten zeichnet ihn nicht als Architekten aus, sondern als Mitglied einer höfischen Elite. Delorme ging es nicht darum – und daran wird die Modernität seines Denkens deutlich – nach außen als Architekt in Erscheinung zu treten, sondern um das Privileg, sich vestimentär den Mächtigen anzugleichen für die er arbeitete und denen er sich zugehörig fühlte. Der gute Architekt erscheint als Beispiel eines rechtschaffenden und tugendhaften Bürgers, der Premier Tome als Verhaltenskodex einer Profession, die sozialen Status und politische Teilhabe durch Sachverstand und ethische Zuverlässigkeit begründet – und deshalb zu Recht die nobilitierende Kleidung des Beamtenadels trägt. Wie zuvor im Mittelalter sieht Delorme den Architekten im Kreis der Gelehrten. Allerdings trägt der Architekt nicht mehr das Priestergewand, sondern die Tracht des humanistischen Gelehrten, wie es dem Wandel der Wissenschaften im 16. Jahrhundert entspricht. Als Zugeständnis an die Kirche und vor dem Hintergrund, dass er selbst mit kirchlichen Benefizien ausgestattet war, bleibt das Birett als Kopf bedeckung. Kompromisshaft versucht Delorme mit seinen idiosynkratischen Architektenportraits eine ganze Reihe von Gegensätzen zu überwinden – den Gegensatz zwischen christlichen Glaubensinhalten und Wissenschaft, vor allem aber den zwischen dem tatsächlichen Status der Architektur als Profession und seinem Wunsch nach politischer Teilhabe. Damit formuliert er ein multifunktionales Anforderungsprofil, das kaum erfüllbar erscheint. Verstanden als Allegorie auf die vielfältigen und oft gegensätzlichen Ansprüche, zwischen denen zu vermitteln Teil der Aufgabe des Architekten ist, besitzen die Holzschnitte Delormes noch immer Aktualität. Der von Delorme dargestellte Gelehrtenhabit spiegelt den wachsenden Einfluss bürgerlicher Identität nicht nur im Bereich der Wissenschaft, sondern auch auf die Hofmode wieder. Zwar lässt sich über die Farbigkeit der Bekleidung des Architekten in Delormes Illustrationen keine Aussage machen, aber für die erstaunliche Karriere der Farbe Schwarz in der Kleidung der frühen Neuzeit lässt sich ebenfalls feststellen, dass sie ihren Anfang in bürgerlichen Kreisen genommen hat.17 Das Tragen von schwarzer Kleidung hat seinen Ursprung nicht im Klerus und auch nicht im Adel. Schwarz war zu Beginn der Neuzeit die Farbe der urbanen Eliten, des Bürgertums. Es waren Bürger, wie zum Beispiel Matthäus Schwarz (1497-1574), der Buchhalter der Familie Fugger in Augsburg, die schwarze Kleidung trugen und diese auch als Ausdruck ihres Wertesystems verstanden (Abb. 05).18 Die Farbe Schwarz wurde zum Ausdruck von Ehrbarkeit und Anstand als den maßgebenden Normen der bürgerlichen Gesellschaft.19 Vergleichbares gilt übrigens für die Farbe Weiß. Aufwendige weiße Hemdkragen wurden zum sichtbaren Zeichen einer nicht nur äußerlichen sondern vor allem innerlichen

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Abb. 05: Matthäus Schwarz (1497-1574), ca. 1560. Abbildung aus: Trachtenbuch des Augsburgers Matthäus Schwarz (1560), S. 129, Landesbibliothek Hannover.

Reinlichkeit.20 Kein Wunder also, dass die Reformatoren nicht nur bürgerliche Kleidung trugen, sondern sich auch die Farbe Schwarz zu eigen machten. Auch die katholische Kirche konnte sich diesem Trend nicht entziehen und schrieb die Farbe Schwarz 1565 für das Priestergewand verbindlich vor.21 In der Hofmode wurde spätestens mit Philipp II. von Spanien (1527-1598) das Tragen von schwarzer Kleidung zu einem europaweiten Phänomen und zugleich zu einem Zeichen der Gegenreformation. Obwohl gerade die französische Hofmode sich dieser Dominanz wiedersetzte, führte Katharina von Medici (1519-1589) als Zeichen der Verbundenheit und Treue zu ihrem verstorbenen Ehemann Heinrich II. von Valois (1519-1559) das schwarze Trauergewand in Frankreich ein. Das Aufkommen der Farbe Schwarz im 16. Jahrhundert veränderte das vestimentäre Erscheinungsbild der westlichen Welt dauerhaft und radikal. Nicht nur in Hinblick auf die Farbe der Kleidung, sondern auch auf die damit verbundenen Werte bezeichnete Michel Pastoreau die Reformation als Geburtsstunde einer Welt in Schwarz und Weiss.22 Dennoch ist es bemerkens-

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Abb. 06: Die tugendhaften Frauen zeichnen sich durch ihre schwarze Kleidung aus. Isaac Oliver (um 1565-1617), Die Landpartie (um 1590), Statens Museum for Kunst, Kopenhagen.

wert, dass das Tragen von schwarzer Kleidung eben gerade nicht auf ideologische oder topografische Grenzen beschränkt blieb: um 1600 wurde Schwarz am spanischen Hof genau so getragen wie in den Rathäusern der reformierten Niederlande, in anatomischen Theatern oder auf Kirchenkanzeln. Über alle Grenzen hinweg galt Schwarz als universeller Ausdruck von Tugenden wie Moralität, Vernunft, Bildung und Ernsthaftigkeit (Abb. 06). Dadurch verlieh sie dem Träger größere Autorität und Glaubwürdigkeit. In der Kombination von bürgerlichen, höfischen und klerikalen Elementen, gelegentlich verbunden mit der Farbe Schwarz als universell verständlicher Formel für Seriosität, sind die Grundlagen der Architektenkleidung der Neuzeit zu suchen.

D er A rchitek t als A ristokr at im 19. J ahrhundert »Gut gekleidet zu sein, wer möchte das nicht? Unser jahrhundert hat mit den kleiderordnungen aufgeräumt und jedem steht nun das recht zu, sich wie der könig anzuziehen. Als gradmesser für die kultur eines staates kann der umstand gelten, wie viele seiner einwohner von dieser freiheitlichen errungenschaft gebrauch machen«. 23

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Wenn in der Renaissance die Angleichung an die Kleidung der Mächtigen eine Strategie des Sich-Kleidens für den Architekten gewesen war, so verkehrte sich diese Herangehensweise im 19. Jahrhundert in ihr Gegenteil. Nicht die Anpassung, sondern die individuelle Abgrenzung stand nun im Vordergrund. »Wurden Diskurse über Mode und Modeverhalten bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts von rechtlichen und ökonomischen oder religiösen Fragen beherrscht, so wandern die Diskurse über Modeverhalten nun in die Arenen von Politik, Wissenschaft und Kunst. In den Mittelpunkt der Betrachtungen rückt dabei die Beziehung zwischen Modeverhalten, Individuum und Gesellschaft.« 24

Gut gekleidet zu sein wurde zu einem herausragenden Distinktionsmerkmal, setzte allerdings ein ausgeprägtes Modebewusstsein voraus. In England kultivierten bereits gegen Ende des 18. Jahrhunderts junge Männer in nie vorher dagewesener Art ihre äußere Erscheinung.25 Anders als häufig vermutet, ging es »Dandys« wie dem englischen Offizier und Diplomaten George Bryan Brummell (1778-1840) nicht darum, durch ihr Äußeres aufzufallen oder sogar zu provozieren. Ihr Ziel war es vielmehr, einer als im Niedergang befindlich empfundenen gesellschaftlichen Elite das Ideal des Menschen als eines »freien, auserwählten, aristokratischen Geist[es], existierend in überlegener Form«26 gegenüberzustellen. Der Dandy verkörpert also in erster Linie ein kulturelles Ideal, ist in dieser Hinsicht eher von konservativer als von revolutionärer Gesinnung. Brummels Kleidungsstil bestach nicht durch grelle Farben, Rüschenhemden und Kniebundhosen, wie es noch zu Beginn des 19. Jahrhunderts in der englischen Herrenmode durchaus üblich war, sondern zielte mit gedeckten Farben, kunstvoll gebundenen Krawatten, schmal und schnörkellos geschnittenen Jacketts und vor allem langen Hosen, auf eine »zurückhaltende Vollkommenheit.«27 Damit wurde er nicht nur für die männlichen Mitglieder des englischen Königshauses zum Stilvorbild. Von England ausgehend, verbreitete sich der Dandyismus – zu dem im Übrigen auch ein geschliffener Intellekt und vollkommene Umgangsformen gehörten – und mit ihm der moderne Herrenanzug über ganz Europa. Eine treffende Definition des Dandyismus stammt von Charles Baudelaire, der selbst ein bekennender Dandy war: »Der Dandyismus besteht nicht einmal, wie viele Personen glauben, in einer maßlosen Vorliebe für gutes Aussehen und äußerliche Eleganz. Dergleichen ist dem vollkommenen Dandy lediglich ein symbolischer Ausdruck für die aristokratische Überlegenheit seines Geistes. Darum auch besteht, in seinen Augen, denen es vor allem um Distinktion geht, die Vollkommenheit des Anzugs in der absoluten Einfachheit, die in der Tat immer noch die beste Art ist, sich zu unterscheiden.« 28

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Abb. 07: Alexis Lemaistre, Der Architekturstudent, in: L’École des Beaux-Arts (1889), S. 74.

Architekturstudenten an der École des Beaux-Arts in Paris galten in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts als die bestangezogenen Studenten.29 Im Vergleich zu Studenten der Malerei und der Skulptur kamen sie zumeist aus bessergestellten bürgerlichen Familien und konnten sich entsprechende Kleidung leisten. Auf einem Holzstich von Alexis Lemaistre erscheint ein Architekturstudent mit enganliegenden, karierten Röhrenhosen, sportlich kurzer doppelreihiger Jacke mit Klappkragen, darüber getragenem weit geschnittenen Kurzmantel sowie modischen Accessoires wie dem besonders hohen Zylinder und Handschuhen, und entspricht in dieser Aufmachung genau dem Pariser Dandy der Zeit (Abb. 07). Als ein Anhänger des Dandyismus kann der Wiener Architekt Adolf Loos (1870-1933) betrachtet werden.30 Auf einer Fotografie aus dem Jahr 1902/03 stilisiert er sich als vollendeter Gentleman, trägt einen formell-lässigen Morning Dress, mit Morning Coat, Weste und den dazugehörigen gestreiften Wollhosen (Abb. 08). Trotz seiner Bestimmung für weniger formelle Anlässe bleibt der Morning Dress eine protokollarisch beschriebene Uniform, zu der auch der mit einer Krawattennadel fixierte Plastron gehört. Loos hat das Foto perfekt inszeniert. Bis hin zur akkuraten Frisur bleibt nichts dem Zufall überlassen. Die aufrechte, etwas steife Körperhaltung mit den geziert im Schoss gefalteten Händen wird durch die locker übereinandergeschlagen Beine konterkariert. Nicht zufällig zeigt sich Loos in aristokratischer Pose, wozu auch der thronar-

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Abb. 08: Adolf Loos (1870-1933), Fotografie von Otto Mayer ca. 1904, Österreichische Nationalbibliothek.

tige Stuhl beiträgt, auf dem er sitzt. Sein Fotograf Otto Meyer war ansonsten auf Portraits königlicher Hoheiten spezialisiert. Insofern passt das Bild gut zu seiner Aussage, dass jeder das Recht habe, sich wie der König anzuziehen. Das Zitat steht am Anfang seines erstmals 1898 veröffentlichten Beitrags »Die Herrenmode« in der Neuen Freien Presse. Loos beschäftigt sich darin mit der Frage, wie man gut angezogen sei, und kommt zu dem Schluss, dass es nicht um »schönheit« und auch nicht um Begriffe wie »chic, elegant, fesch und forsch« gehe, sondern darum, »korrect« oder »so angezogen zu sein, dass man am wenigsten auffällt«, um Angemessenheit also.31 Loos präzisiert diese Aussage noch durch einen »englischen gesichtspunkt«, wie er ihn nannte, nämlich dem, dass ein Kleidungsstück dann modern sei, »wenn man in demselben im kulturcentrum bei einer bestimmten gelegenheit in der besten gesellschaft möglichst wenig auffällt«.32 Letztlich sah Loos in der Kleidung ein Medium der Integration in einen kulturellen Kontext. Das Prinzip der Unauffälligkeit, um nicht zu sagen der Uniformität, übertrug Loos auch auf die Architektur: »Das haus sei nach außen verschwiegen, im inneren offenbare es seinen ganzen reichtum«.33 Zugleich wird deutlich, dass Loos eine entschiedene Trennung von öffentlicher Außenwelt und privater Innenwelt macht. Seine Äußerungen zur Kleidung, wenigstens zur Herrenkleidung, sind somit hauptsächlich auf die Fassade übertragbar. Allerdings gibt es auch im Inneren der Häuser von Loos Abstufungen des Privaten, die mit entsprechenden Raumkleidern versehen wurden: »So wie jeder gesellschaftliche Anlass die passende Garderobe

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Abb. 09: Le Corbusier als Vertreter seiner Art. Abbildung in: César Abin, Leurs figures. 56 portraits d’artistes, critiques et marchands d’aujourd’hui, avec un commentaire de Maurice Raynal, Paris 1933, Tafel 32.

verlangt, so erfordert auch jede Wohnsituation den passenden atmosphärischen Rahmen.«34

D er moderne A rchitek t als L e C orbusier »Der Modernist kontrollierte – und zensierte – sein öffentliches Bild wie sein privates. In Geschäftssachen posiert er in seiner Architekten-Uniform, im Anzug mit Fliege; Filzpantoffeln und Morgenrock trägt er als Haus-Dandy; ein kariertes amerikanisches Holzfällerhemd beim Posieren in der freien Natur. Steht er neben Fernand Léger, trägt er wie dieser eine Schirmmütze; stellt er sich mit Picasso vor eine Kamera, ist sein Hemd wie bei jenem brustbreit offen. Und ist er Gast in der Sowjetunion, trägt er sichtbar schlechte und zerknitterte Kleidung. Le Corbusier ist, wo die Macht ist – und wie die Macht ist.« 35

Die wohl wirksamste persönliche Architekten-Ikonografie des 20. Jahrhunderts ist die von Le Corbusier (1887-1965). Das erstaunliche an seiner persönlichen Repräsentationsstrategie ist vielleicht weniger der unbedingte Wille zur Selbstdarstellung als seine Fähigkeit, sich an Situationen oder Personen anzupassen und klare Hierarchien, zum Beispiel zwischen öffentlichem und privatem Bereich, einzuhalten. Mit einem untrüglichen Gespür für die Übereinstimmung von Raum und Kleid einerseits, und für mediale Selbstvermittlung andererseits, prägte Le Corbusier das öffentliche Image des Architekten bis heute. Die »Architekten-Uniform« war dabei nur eine von einer ganzen Reihe

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von Kostümierungen, in die Le Corbusier in Abhängigkeit von Raum, Zeit und Gesellschaft schlüpfen konnte (Abb. 09). Der Funktionalist unterteilte sein Leben in klar getrennte Bereiche, von denen der öffentliche und der private nur die augenscheinlichsten sind. In der Öffentlichkeit war er der Architekt Le Corbusier. Privat blieb er der Maler Charles Edouard Jeanneret. Zusätzlich passte er sich durch seine Kleiderwahl Räumen und Personen an. Ob Le Corbusier selbst diese Anpassung als Zwang erlebte, bleibt dahingestellt. Sicher ist nur, dass er sich in Augenblicken größter Privatheit, in seinem Cabanon in Roquebrune-Cap-Martin an der Côte d’Azur, nackt fotografieren ließ. Hier war er – ein Raumkleid im reinsten Wortsinn – tatsächlich nur mit der nach Modulormaßen auf ihn zugeschnitten Architektur bekleidet. Le Corbusiers Praxis des Sich-Kleidens setzte ein tiefes kulturelles Verständnis für Fragen der Bekleidung voraus. Hier kam es ihm zugute, dass er über seine Bekanntschaft mit Amédée Ozenfant in den Kreisen der Pariser Mode-Avantgarde verkehrte. Germaine Bongard, die Geliebte von Ozenfant, stellte den beiden nicht nur ihr Ateliergeschäft, die Galerie Thomas, für Ausstellungen zur Verfügung, sie war auch die Schwester des berühmten Modemachers Paul Poiret.36 In diesem Umkreis lernte Le Corbusier auch das Mannequin Yvonne Gallis, seine spätere Ehefrau, kennen. Mit der Publikation von Vers une Architecture 1923 hatte sich Le Corbusier ganz der Architektur verschrieben, und spätestens zu diesem Zeitpunkt dürfte er sich Gedanken um sein Erscheinungsbild als Architekt gemacht haben. Le Corbusier war ein belesener und weitgereister, kurzum ein gebildeter Mann. Auf seinen Visitenkarten pflegte er sogar, sich als »homme des lettres« – nicht als Architekt – vorzustellen. Obwohl sein gebautes Werk das geschriebene bei Weitem übersteigt, pflegte er den Habitus eines Intellektuellen. Die breite Schildpattbrille, eine exklusive Maßanfertigung der Gebrüder Bonnet in Sens, verlieh ihm die dazu passende asketische Glaubwürdigkeit. Schon zu Beginn des 19. Jahrhunderts hatte die Brille als Insignie des gelehrten Architekten den Zirkel und das Winkelmaß ersetzt.37 Auch die Fliege, ein Accessoire mit militärischer Abstammung, hatte sich im Verlauf des 19. Jahrhunderts und verstärkt nach dem 1. Weltkrieg als Erkennungsmerkmal gebildeter Schichten, besonders von Professoren etabliert – und galt schon damals als etwas angestaubt. Es ist ein bemerkenswertes Detail, dass Le Corbusier als erklärtes Mitglied der Pariser Avantgarde auf die Modesymbolik des Bildungsbürgertums zurückgriff. Der von Le Corbusier bevorzugte Zweireiher rückt ihn hingegen in die Nähe von Staats- und Unternehmenslenkern und macht ihn zum idealen Vertreter des »International Style« im Sinne einer Architektur für global operierende Wirtschaftsunternehmen. Wie kein anderer moderner Anzug verfügt der Zweireiher zudem über geradezu architektonische Qualitäten, denn er verhüllt die Figur vollständig und erzeugt eine eigene, überindividuelle Sil-

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houette, ein Effekt den Le Corbusier durch die Wahl schwerer Stoffe und weiter Schnitte noch zusätzlich verstärkte. Es ist die Balance zwischen Bildungs- und Wirtschaftselite, zwischen Bohème und Bürgerlichkeit, die im Gesamtbild den einzigartigen Erfolg von Le Corbusiers Architekten-Uniform ausmacht. Sie schöpft aus einem konventionellen Zeichenvorrat und ist unverwechselbar ohne aufzuregen. Zu dieser Identität tritt ein aus ethischer Überzeugung heraus empfundenes Sendungsbewusstsein, das bisweilen mit pastoralem Pathos unterlegt wird. Le Corbusiers gelehrter Habitus, seine Nähe zur Macht in Kombination mit seiner monastischen Lebensführung erscheint somit wie eine Synthese aus Elementen der Architekten-Ikonografie seit Beginn der Neuzeit. Wenn Le Corbusier mit der vestimentären Anpassung an die Auftraggeber ohne Verzicht auf eine künstlerisch-intellektuelle Identität ein zeitloses Modell entwickelt hat, erweist er sich in seiner strikten Trennung zwischen »öffentlich« und »privat« aber als ein durch und durch von bürgerlichen Lebensvorstellungen des 19. Jahrhunderts geprägter Mensch. Der Strukturwandel der Öffentlichkeit im Sinne von Jürgen Habermas,38 das Ineinanderfließen von öffentlicher und privater Sphäre, ließen dagegen seine persönliche Ordnung der Welt altmodisch erscheinen. Die Hierarchien, Trennlinien und Differenzierungen, die Le Corbusiers persönliche Repräsentationsstrategie konstituierten, lösten sich in diesem Prozess zunehmend auf. Gegen Ende seines Lebens erkannte er diese Entwicklung und eröffnete dem Magnum Fotografen René Burri Einblick in seine Privatsphäre. Nicht zuletzt die dort entstandene Fotoserie in Form einer »Homestory« machte Le Corbusier zu einem »Star«, der keine habituelle Vorbildfunktion für die Profession als Ganzes mehr haben konnte, musste doch jeder Nachahmer fortan eigentlich als »Le Corbusier«, nicht aber als »Architekt« erscheinen.

A nmerkungen 1 | Vgl. Cordula Rau (Hg.): Why Do Architects Wear Black? Wien, New York 2008. 2 | Gabriele Mentges: »Uniform – Kostüm – Maskerade«, in: Dies. (Hg.): Uniformierungen in Bewegung. Vestimentäre Praktiken zwischen Vereinheitlichung, Kostümierung und Maskerade, Münster 2007, S. 14. Zu dieser Auffassung siehe grundlegend: Roland Barthes: Die Sprache der Mode, Frankfurt a. M. 1985. Marshall McLuhan: Understanding Media, 9. Aufl., Cambridge, Mass. 2001 (1964), S. 119-122; Joanne B. Eicher/ Sandra Lee Evenson/Hazel A. Lutz (Hg.): The visible self. Global perspectives on dress, culture, and society. New York 2008. (3. Überarb. Ausg.). 3 | Rau 2008 (vgl. Anm. 1), (ohne Seitenangabe).

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Niklas Naehrig 4 | Sven Drühl hat in diesem Zusammenhang den Begriff der »individuellen Künstleruniform« geprägt. Siehe hierzu: Sven Drühl: »Der uniformierte Künstler. Uniformität in der bildenden Kunst«. In: Mentges 2007 (vgl. Anm. 2), S. 115-136. 5 | Kurt Bauch: Das mittelalterliche Grabbild. Figürliche Grabmäler des 11. bis 15. Jahrhunderts in Europa. Berlin, New York 1976., S. 286. 6 | Vgl. Martha Bringemeier: Priester- und Gelehrtenkleidung. Tunika, Sutane, Schaube, Talar. Ein Beitrag zu einer geistesgeschichtlichen Kostümforschung, Münster 1974, S. 27-33. Andrea von Hülsen-Esch: Gelehrte im Bild. Repräsentation, Darstellung und Wahrnehmung einer sozialen Gruppe im Mittelalter. Göttingen 2006, S. 61-202. 7 | Astrik L. Gabriel: »The Ideal Master of the Medieval University«. In: The Catholic Historical Review 60 (1974), S. 1-40, hier S. 26. 8 | Zur Problematik der Kleiderordnungen siehe: Neithard Bulst: »Zum Problem städtischer und territorialer Kleider-, Aufwands- und Luxusgesetzgebung in Deutschland (13. - Mitte 16. Jahrhundert)«. In: André Gouron (Hg.): Renaissance du pouvoir législatif et genèse de l’état, Publications de la Société d’Histoire du Droit et des Institutions des Anciens Pays de Droit Ecrit, Montpellier 1988, S. 29-57. 9 | Nicolaus Biard, um 1260. Zitiert nach Martin Warnke: Bau und Überbau. Soziologie der mittelalterlichen Architektur nach den Schriftquellen. Frankfurt a. M. 1976, S. 137. 10 | Hülsen-Esch 2006 (vgl. Anm. 6), S. 179. 11 | Günther Binding, »Der Architekt im Mittelalter«. In: Winfried Nerdinger (Hg.): Der Architekt. Geschichte und Gegenwart eines Berufsstandes, Bd. 1, München 2012, S. 59-79, hier S. 65. 12 | Die hier zugrundeliegende Definition des Begriffs Profession stammt von Hannes Siegrist: »Der soziologische Begriff Profession meint eine besondere Sorte von Beruf, dessen Ausübung eine spezialisierte, tendenziell wissenschaftlich fundierte Ausbildung voraussetzt, in der berufsbezogenes, generalisierbares und theoriehaltiges Wissen zusammen mit ethischen Einstellungen vermittelt wird«. Hannes Siegrist: »Bürgerliche Berufe. Die Professionen und das Bürgertum«. In: Ders. (Hg.): Bürgerliche Berufe. Zur Sozialgeschichte der freien und akademischen Berufe im internationalen Vergleich. Göttingen 1988, S. 11-50, hier S. 14. 13 | Vgl. Magali Sarfatti Larson: The Rise of Professionalism. A sociological Analysis. Berkeley 1977. 14 | Philibert Delorme: Le premier tome de l’architecture, Paris 1567, Fol. 51v, 281r und 283r. 15 | Zum problematischen Verhältnis von Abbild und Wunschbild in Bürgerportraits des 16. Jahrhunderts siehe: Neithard Bulst/Thomas Lüttenberg/Andreas Priever: »Abbild oder Wunschbild? Bildnisse Christoph Ambergers im Spannungsfeld von Rechtsnorm und gesellschaftlichem Anspruch«. In: Saeculum 53/1 (2002), S. 21-74. 16 | Das Sprichwort entstammt den Beschlüssen des Konzils von Trient zur Einhaltung der priesterlichen Kleiderordnung vom 15. November 1551. 17 | Zur Kulturgeschichte der Farbe Schwarz siehe: Michel Pastoureau: Black. The History of a Color, Princeton 2009.

Strategien der Anmaßung 18 | Valentin Groebner: »Die Kleider des Körpers des Kaufmanns: Zum ›Trachtenbuch‹ eines Augsburger Bürgers im 16. Jahrhundert«. In: Zeitschrift für Historische Forschung 25 (1998), S. 323-358. 19 | Christopher Breward: The culture of fashion. A new history of fashionable dress. Manchester 1995, S. 93. 20 | Bernd Hamm: Bürgertum und Glaube. Konturen der städtischen Reformation. Göttingen 1996. 21 | Bringemeier 1974 (vgl. Anm. 6), S. 63. 22 | Pastoureau 2009 (vgl. Anm. 17), S. 130. 23 | Adolf Loos, »Die Herrenmode« (1898), zitiert nach: Adolf Loos, Sämtliche Schriften. München 1962, S. 19. 24 | Gabriele Mentges: »Europäische Kleidermode (1450-1950)«. In: Europäische Geschichte Online, hg. vom Institut für Europäische Geschichte, Mainz 22.02.2011. Online: http://www.ieg-ego.eu/mentgesg-2011-de, (Abruf Juli 2015) A. 54. 25 | Zur Geschichte des Dandyismus siehe: Otto Mann: Der Dandy. Ein Kulturproblem der Moderne. Heidelberg 1962. 26 | Ebd. S. 66. 27 | Ebd. S. 107. 28 | Charles Baudelaire: Aufsätze zur Literatur und Kunst, 1857-1860. München 1989, S. 242. Sämtliche Werke/Briefe 5. 29 | Alexis Lemaistre: L’Ecole des Beaux-Arts dessinée et racontée par un élève. Paris 1889, S. 68. 30 | Vgl. Manfred Russo: »Hätte Loos adidas getragen?« In: Inge Podbrecky/Rainald Franz (Hg.): Leben mit Loos. Wien, Köln, Weimar 2008, S. 27-51, hier S. 44-49. 31 | Loos 1962 (vgl. Anm. 23), S. 20. 32 | Ebd. S. 21. 33 | Adolf Loos: »Heimatkunst« (1914), zitiert nach: Adolf Loos: Sämtliche Schriften, München 1962, S. 339. Siehe hierzu auch: Eva Stricker, »Raum als Bekleidung. Zur Bekleidungsthematik bei Adolf Loos«. In: Ákos Moravánszky/Bernhard Langer/Elli Mosayebi (Hg.): Adolf Loos. Die Kultivierung der Architektur. Zürich 2008, S. 238-242. 34 | Ebd. S. 240. 35 | Daniele Muscionico: »Le Corbusier. Der Weltarchitekt«. In: DIE ZEIT, 4.10.2012 Nr. 41. Online: http://www.zeit.de/2012/41/Le-Corbusier (Abruf Oktober 2015). 36 | Mary E. Davis: Classic Chic. Music, Fashion and Modernism. Berkeley 2006, S. 100-106. 37 | Siehe hierzu: Matteo Burioni: »Das Antlitz in der Baukunst – Gesicht, Hand und Körper des Architekten in der Frühen Neuzeit (1200-1800)«. In: Winfried Nerdinger (Hg.): Der Architekt. Geschichte und Gegenwart eines Berufsstandes, Bd. 2. München 2012, S. 429-445, hier S. 441. 38 | Vgl. Jürgen Habermas: Strukturwandel der Öffentlichkeit. Untersuchungen zu einer Kategorie der bürgerlichen Gesellschaft. Frankfurt a. M. 1990, S. 225-274.

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Die Neorenaissance als bürgerliche Selbsttechnik und Gegenbild der Klassischen Moderne Rolf Füllmann

D ie (N eo -)R enaissance als bildungsbürgerliche S elbstästhe tik (F oucault) in der G ründerzeit In der Gründerzeit prägte das Renaissancebild des Kulturhistorikers Jacob Burckhardt (1818-1897) die Lebenswelt, ja die Lebenshaltung von mehreren Generationen. Auch der Architekt und Architekturtheoretiker Gottfried Semper (1803-1879), »der es in seinen Publikationen aber in auffälliger Weise vermied, den Renaissancebegriff auf seine eigenen Arbeiten anzuwenden«,1 könnte in diesem Zusammenhang genannt werden. Das Italien des 15. und 16. Jahrhunderts war das große Vorbild der bürgerlichen Kultur und Lebensart in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Man spricht in diesem Zusammenhang von der Renaissance der Renaissance oder der Neorenaissance. Da der französische Historiker Jules Michelet (1798-1874), der den Renaissancebegriff einerseits wesentlich prägte2 und in ihr »die Geburtsstunde des modernen Denkens« sah, andererseits »keinen einzigen Italiener« zu »den großen Geistern« der Epoche zählt,3 ist die Begriffsbildung der italophilen Neorenaissance nach der Auffassung von Karlheinz Stierle diskursiv jedoch vor allem durch den Basler Gelehrten Burckhardt begründet worden: »Fünf Jahre nach Michelets Renaissance erschien Jacob Burckhardts Buch Kunst und Kultur der Renaissance in Italien [sic!], das von Michelet nicht nur die Formel ›Entdeckung der Welt und des Menschen‹, sondern vor allem auch seine Konzeption der Renaissance als Frühzeit der Moderne übernahm. In die […] Paradoxie von Burckhardts Titel, für die die Gewohnheit des Sprachgebrauchs uns inzwischen unsensibel gemacht hat, ist eine Geschichte der Epochenbildung, wie Nietzsche sagen würde, semiotisch zusammengefasst: Das französische Wort Renaissance, zum deutschen Fremdwort

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Rolf Füllmann geworden, dient zur Bezeichnung einer italienischen Epoche als Ursprung der europäischen Moderne.« 4

Der so geprägte Epochenbegriff inspirierte ebenfalls die Renaissance der Renaissance in der Architektur und der Innenarchitektur in der Gründerzeit, denn »die Renaissance fand als Vorbild bei der Ausstattung der Wohnungen mit Möbeln und Gegenständen aus Glas, Keramik und Metall oder auch in der Baukunst in vielfältiger Weise Verwendung.«5 Bis heute ist dieser Neo-Stil in den Städten der U.S.A. und Europas, hier vor allem im deutschsprachigen Raum, im Alltag präsent. Das auf diese Weise und auch mit den Medien in der Moderne neu simulierte Epochenbild der Renaissance stand für den Bildungsbürger als Leitbild überdies mehr als andere historistischen Stilrichtungen für eine individualistische Lebensart und einen prächtigen Lebensstil: »War der Renaissancebegriff im deutschen Sprachraum um 1830 noch vollkommen unbekannt, so entwickelte er sich im späteren 19. Jahrhundert zu einem zentralen Kulturbegriff, der nicht allein für eine untergangene Kunstepoche stand, sondern in einem weit umfassenderen Sinn die Identitätsvorstellungen des Großbürgertums im späten Historismus verkörperte.« 6

Der gründerzeitliche (Industrie-)Bürger wollte ein freier Renaissancemensch, die Bürgersfrau eine stolze Edeldame der Renaissance sein. Sie richteten demzufolge ihre Wohnung im Renaissancestil ein und benutzten dabei Accessoires wie Trinkbecher und Kleinschränke in den betreffenden Stilformen, die heute selbst Kunsthistoriker nur anhand von Details oder Punzen von Originalen des 16. Jahrhunderts unterscheiden können. Auch die Kleidermode war betroffen. Doch darüber hinaus sind auch heute noch ganze Straßenzüge über ihre Stuckaturen im Neorenaissancestil gehalten, in dem sich das Bürgertum der Industrialisierung gleichsam symbolisch zu Florentiner Patriziern aufwertete. Die nach ihrem Stifter, einem führenden amerikanischen Industriellen, benannte New Yorker Carnegie Hall (1897), aber etwa auch die alten Rathäuser von Fürth (1850) und Bielefeld (1904) dokumentieren dies. Diese kollektive Identitätskonstruktion entwickelte sich zu einer Selbsttechnik im Sinne Foucaults, der sich selbst theoretisch auf Jacob Burckhardt bezieht. Foucault definiert den zentralen Begriff der Selbsttechnologien in seiner späten Philosophie wie folgt: »[M]an könnte sie die ›Künste der Existenz‹ nennen. Darunter sind gewusste und gewollte Praktiken zu verstehen, mit denen die Menschen nicht nur die Regeln ihres Verhaltens festlegen, sondern sich selber zu transformieren, sich in ihrem besonderen Sein zu modifizieren und aus ihrem Leben ein Werk zu machen suchen, das gewisse ästhetische Werte trägt und gewissen Stilkriterien entspricht. Diese ›Existenzkünste‹,

Die Neorenaissance als bürgerliche Selbsttechnik und Gegenbild diese ›Selbsttechniken‹ haben zwar einiges von ihrem Gewicht und von ihrer Autonomie verloren, als sie mit dem Christentum in die Einübung einer Pastoralmacht integriert wurden […] Nichtsdestoweniger wäre die lange Geschichte jener Ästhetiken der Existenz und jener Selbsttechnologien – wieder – in Angriff zu nehmen. Es ist lange her, dass Burckhardt ihre Bedeutung in der Renaissance unterstrichen hat, aber ihr Fortleben, ihre Geschichte und ihre Entwicklung sind damit nicht zuende.« 7

Als »Existenzkünste« sieht Foucault die Selbsttechnik und die Selbstästhetik als zwei Seiten einer Medaille. In diesem Zusammenhang ist ein Blick auf den französischen Originaltext sinnvoll. Der hier verwendete Ars-Begriff verweist auf die Tradition der Ars Vivendi der antiken Philosophie, an die Foucault explizit anknüpft. Castigliones Der Hofmann ist der entsprechende Leitfaden zur Lebensart in der Renaissance. Wenn Foucault desweiteren von »valeurs esthétiques« und gar von »certains critères de style«8 im Zusammenhang mit seinem Konzept der Selbsttechnologie spricht, dann ist auch für ihn der Weg zum gründerzeitlich-modernen Renaissancebild, einem Konzept eines alle Lebensbereiche erreichenden Renaissancestils und damit zur Neorenaissance, die Burckhardt über seinen Renaissancebegriff erst ermöglicht hat, nicht weit. Es geht Foucault um die »Ästhetik der Existenz«. Er nennt, was bislang kaum beachtet wurde, den in Frankreich recht wenig bekannten »Burckhardt« mit seiner kulturhistorisch fundierten »Ästhetik«9 an hervorgehobener Stelle als denjenigen, der für das diskursive Fortleben jener Renaissance-Techniken gesorgt hat. Jacob Burckhardts Menschen- und Epochenbild schlug sich ebenfalls in den literarischen Texten anderer Autoren nieder. So heißt es zeitkritisch bei dem späteren Literaturnobelpreisträger Paul Heyse, einem engen Freund Burckhardts, in seiner gründerzeitlichen Novelle in Versen Die Madonna im Ödwald von 1879: »Zwar schwärmt man für den Renaissancestil heute Und ahmt ihn nach in Möbeln und Gerät, Will ihm getreu Paläst’ und Hütten bauen: Vom Geist der Renaissance ist nichts zu schauen.«10

Der promovierte Romanist und Italienkenner Heyse kritisiert hier die sinnentleerte Formsprache eines modischen Stils. Doch noch auf die folgenden Generationen wirkten die Paläste der Neorenaissance tief beeindruckend. Das – inzwischen abgerissene – Münchner Neorenaissance-Palais des Großvaters Alfred Pringsheim (Abb. 01) wird beim Enkel Klaus Mann in seinem Lebensbericht Der Wendepunkt von 1942 zum Erinnerungsraum, auch in Zeiten der Verbannung, des ortlosen Exils: »Ofeys kostbarer Renaissancepalast verlor nie seinen erregenden geheimnisvollen Zauber und war doch auch der vertrau-

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Abb. 01: Die Neorenaissance als lebensweltlich erweiterte »Technologie des Selbst« in Form der Innenarchitektur. Das Innere des Palais Pringsheim in der Arcisstraße in München (1889). Erbauer war der Schwiegervater Thomas Manns, Prof. Dr. Alfred Pringsheim. Die Neorenaissance schuf sich Symbolräume, in der die vorbildhafte Epoche der Renaissance bildhaft – etwa mit Wandgemälden von Hans Thoma – simuliert wurde. Hans Wysling/ Yvonne Schmidlin: Thomas Mann. Ein Leben in Bildern. Zürich 1994, S. 162.

teste Ort, das Kindheitsschloss, das große Haus der Erinnerung. Es existierte immer, hat nie aufgehört zu sein.«11 Klaus Manns nostalgisches und autobiografisches »Heimweh […] nach einem schönen verlorenen Land«, nämlich nach dem »an zauberhaften Überraschungen reiche[n] Land des neunzehnten Jahrhunderts«,12 orientiert sich an den symbolischen Formen13 der Neorenaissance, den Rauminstallationen jenes großväterlich-großbürgerlichen Palais Pringsheim in der Münchner Arcis-straße 12.14 Die Diskrepanz zwischen technologischer Modernität im Inneren und einer sie umhüllenden historistischen Simulation der Vergangenheit ist ein Spezifikum der Neorenaissance zu Ende des 19. Jahrhunderts, was dann im Verlauf des 20. Jahrhunderts auf vielfache Kritik stieß. Alexander Krause umreißt diese moderne Fortschrittlichkeit hinter altertümelnder Fassade in seiner Monografie über jenes »Kindheitsschloss« Klaus Manns wie folgt:

Die Neorenaissance als bürgerliche Selbsttechnik und Gegenbild

Abb. 02: Hans Thoma: Wandfries aus dem Musiksaal des Hauses Pringsheim, München: Orpheus in südlicher Landschaft, vor Hirten und Tieren zur Leier singend, 1890-1891. Öl auf Leinwand. Staatsgalerie Stuttgart. Hier wird auch in der Neorenaissance anknüpfend an die Vorbildepoche die hellenische Antike mit ihren Mythen wiedergeboren. Bastek/Pfäfflin 2014 (vgl. Anm. 20), S. 121.

»1889 zog Familie Pringsheim […] in eine Neorenaissance-Villa in der Arcisstraße […]. Das vom Berliner Büro Kayser & von Großheim geplante Haus, dessen Inneneinrichtung von Joh. Wachter und Hofmöbelfabrikant O. Fritsche in München stammte, war mit Türmchen und Erkern verziert, die Ziegelfassade im südlichen Teil zurückgesetzt. Die Breite des Hauses betrug 24,20 m, die maximale Tiefe 25,48 m. Neuartig waren eine Zentralheizung und elektrisches Licht, für das ein eigenes kleines Maschinenhaus im Garten errichtet wurde.«15

Der Raum der Neorenaissance wird hier zugleich zum Ort der Modernität und historistisch-symbolischen »Multiversum«,16 zum Gesamtkunstwerk im Sinne Richard Wagners,17 den Alfred Pringsheim, der Großvater Klaus Manns und der Schwiegervater Thomas Manns, als junger Mann ja auch eifrig förderte. Die bildungsbürgerliche Lebenswelt wird an den Wänden des Hauses reflektiert. Hans Thomas »Fries in der Villa Pringsheim (1890) enthält […]« Allegorien in Form von »personenhaften Vertretungen allgemeiner Lebenssituationen.«18 Dieser Raum, sein »unsäglich schöner Fries von Hans Thoma«19

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(Thomas Mann) mit teilweise antik-mythologischen Motiven20 (Abb. 02), und auch seine literarische Darstellung (etwa bei seinem Sohn Klaus Mann) gehören zu einem »kulturellen Multiversum«21 im Sinne Ernst Cassirers. Die Neorenaissance gewinnt auf diese Weise lebensweltliche Totalität. Doch das Urteil Thomas Manns ist wiederum schwankend: Die »eitlen Modegrillen«22 der Renaissanceimitate und das »Cesare Borgia-Leben« einer »hysterischen«23 wie »ruchlosen«24 nietzscheanischen Neorenaissance als Selbsttechnik des Fin de Siècle kritisiert er in seinen Betrachtungen eines Unpolitischen (1918): »Das hatte sich damals mit Überzeugung und hinlänglicher Ruchlosigkeit den Sinnen hingegeben, das schwärmte für dick vergoldete Renaissance-Plafonds und fette Weiber, das lag mir in den Ohren mit dem ›starken und schönen Leben‹ und mit Sätzen des Inhalts ›Nur Menschen mit starken, brutalen Instinkten können große Werke schaffen!‹« 25

Das Interieur der Neorenaissance verbindet sich hier mit der Selbsttechnologie des neuen entfesselten wie individualistischen Renaissancemenschen, der kein Produkt der Renaissance, sondern der Moderne und ihrer Diskurse ist. Die Selbstästhetik des gründerzeitlichen modernen Selbst erfolgt bisweilen sogar im Renaissancekostüm. So entstehen wahrhaftige Raumkleider in Anknüpfung an historische Vorbilder. Auch der Wiener Hans Makart (18401884), ein künstlerischer Protagonist der Neorenaissance, bildete sich selbst malend in Renaissancekleidung ab und ließ sich »in der Tradition der Künstlerfeste […] in Renaissance-Kleidung«26 fotografieren. In seinem Selbstbildnis »im Renaissancekostüm« erinnert er laut Elke Doppler »an den […] Künstlertypus des virtuoso.«27 Der Spiegeleffekt aus der Geschichte als stilistische Technologie des Selbst dient dazu, »die intellektuellen und künstlerischen Fähigkeiten und die gehobene gesellschaftliche Stellung des Künstlers zu betonen.«28 In gleicher Weise lassen sich Mitglieder der Familie Pringsheim in Renaissancekostümen (Abb. 03) vom Hofmaler Anton von Werner (1843-1915) malen. Der historistische Zeitsprung in die Vergangenheit geht hier bis auf die Haut. Dieser Umstand fließt auch in die zeitgenössische Literatur ein. So leitet Peter Philipp Riedl diese zeittypische Variante der Neorenaissance, die auch in Walther Rehms grundlegender Studie Das Werden des Renaissancebildes in der deutschen Dichtung auftaucht, wie folgt her: »Den Begriff hysterische Renaissance übernahm Walther Rehm aus Heinrich Manns Die Göttinnen oder Die drei Romane der Herzogin von Assy (1903). Im zweiten Band Minerva, charakterisiert der Maler Jakobus Halm, dem Heinrich Mann die Züge Franz von Lenbachs verliehen hat, mit dieser exaltierten Wendung seine eigene künstlerische Tätigkeit, die darin besteht, Damen der hohen italienischen Gesellschaft in Renaissancekostümen darzustellen: ›Ich habe mein eigenes Genre entdeckt, ich nenne es heimlich:

Die Neorenaissance als bürgerliche Selbsttechnik und Gegenbild

Abb. 03: Anton von Werner: Die Familie Pringsheim in Renaissance-Kostümen. Wandbild im Herrenzimmer des Berliner Hauses Pringsheim, 1879. Die gründerzeitliche Identifikation mit dem Idealbild des Renaissancemenschen führt zur vestimentären Travestie. Die Neorenaissance ist hier eine Ästhetik (bürgerlicher) Existenz, wie sie Foucault unter Verweis auf Burckhardt entwickelt. Bartmann 1997 (vgl. Anm. 31), S. 126, Abb. 83.

die hysterische Renaissance! Moderne Ähnlichkeiten und Perversitäten verkleide und schminke ich mit überlegener Geschicklichkeit, dass sie am vollen Menschentume des Goldenen Zeitalters teilzuhaben scheinen. Ihr Elend erzeugt keinen Widerwillen, sondern Kitzel. Das ist meine Kunst.‹« 29

Bürger treten leibhaftig in das Renaissancebild ein. Der Eisenbahnunternehmer Rudolf Pringsheim, (1821-1906), der Großvater der Ehefrau Thomas Manns, erscheint gar in Fresken Anton von Werners als Cosimo de Medici auf der Fassade seines Berliner Stadtpalais (Abb. 04), des sogenannten »bunten Hauses«. Es wurde erbaut in den Jahren 1872-74 und ist natürlich selbst im (Neo-)Renaissancestil gehalten (Abb. 05). Ein moderner jüdischer Bildungsbürger deutscher Nationalität, im Gegensatz zu seinen Ahnen dem mittelalterlichen Ghetto entronnen, lässt sich auf der Fassade seines Hauses in eine Zeit projizieren, in der seine Vorfahren im Renaissancevenedig und anderenorts30 nur als Außenseiter existierten. Er erscheint ohne Judenhut, im Rollenkostüm des Gonfaloniere. Die italienisch-deutsche Doppelfigur Cosimo/Pringsheim betrachtet Kunstwerke der wiederentdeckten und wiedergeborenen vorchristlichen Antike, in deren symbolischer Formsprache sich die Renaissance

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Abb. 04: Anton von Werner: Ars, Farbenskizze zum Mosaikfries im Hause Pringsheim mit Rudolf Pringsheim als Cosimo di Medici, 1872.Bartmann 1997 (vgl. Anm. 31), S. 124, Abb. 81.

selbst identitätssuchend widerspiegelt. Der Großunternehmer der Gründerzeit erscheint in Gestalt und Kostüm des Mäzens. Es ist für Peter Springer eine »ideale Darstellung der Renaissance in Gestalt einer Figurengruppe mit einem vornehmen weißbärtigen ›Patricier‹ (wohl ein Porträt des Hausherren) und einem Künstler mit seinem Gehilfen. […] Pringsheim in der Rolle Cosimos I. als Kunstmäzen und Sammler Repräsentant der neuen Medici.«31 Bilder der Renaissance wie der Neorenaissance haben auch nach Hugo von Hofmannsthal eine Vorbildfunktion für die moderne Selbstästhetik im Sinne Foucaults: »Diese gemalten Menschen erziehen die Seele durch das Beispiel ihres edlen Betragens.«32 Auch als kollektives Ereignis des Bürgertums werden die Renaissancebilder panoramatisch wie öffentlich gestaltet. Der österreichische Maler Hans Makart »schuf mit seiner aufsehenerregendsten Arbeit das Zeugnis für die damalige Bedeutung des Neorenaissancestils schlechthin: Er führte Regie beim Wiener Huldigungsfestzug zur Feier der Silbernen Hochzeit von Kaiser Franz Joseph mit Kaiserin Elisabeth«33 (Abb. 06). »Makart historisiert – in Ermanglung eines aktuellen zeitgenössischen Stils – sogar jene Gruppen des Festzugs, die ganz besonders die Gründerzeit bestimmen. Er ästhetisiert damit den Auftritt der Zünfte und Gewerke, indem er sie zugleich jenem Zeitalter historisierend zuweist, das der kulturelle Fluchtpunkt der zweiten Jahrhunderthälfte ist. Dem Positivismus wird hier eine ästhetisierende Zielrichtung gegeben.«34 Die präzise Abbildung der Renaissancetableaus hat dabei eine stark intermediale

Die Neorenaissance als bürgerliche Selbsttechnik und Gegenbild

Abb. 05: Der architektonische Triumph der Neorenaissance in der modernen Reichshauptstadt. Das Neorenaissance-Palais des Eisenbahnunternehmers Rudolf Pringsheim in Berlin (1874) in der Wilhelmstrasse 67, auf dem der Eigentümer auf einem Fresko Anton von Werners als Cosimo di Medici abgebildet war. Er war der Großvater Katia Manns. Quelle: http://abload.de/img/wilhelm67_palaispring3fs6j.jpg

Komponente, eine Tendenz zum lebendigen Bild als Aneignung der Geschichte und Methode der Selbstästhetik. Hier wird jedoch auch anverwandelt, was in der Renaissance selbst noch gar nicht vorhanden war – moderne technischbürgerliche Berufe beispielsweise, die auch beim Bau der Neorenaissancepalais der Pringsheims zum Einsatz kamen. Ein lebendiges Renaissancegemälde spiegelt sich in verschiedenen Performanzen: »Mit gigantischem Aufwand und unter enormer Beteiligung der Bevölkerung wurde der Festzug von 1879 zu einem eintägigen Massenspektakel am Ring. Der Wunsch nach Verewigung dieses Events ist verständlich. Es erstaunt, wie aus der Idee eines Malers Bilder entstanden, die dann zum Leben erweckt, anschließend fotografisch festgehalten und schließlich in grafischer Übersetzung vervielfältigt und vermarktet wurden. Hier fand eine Übertragung der Kunst in verschiedene Medien statt, die äußerst modern ist.« 35

Die materielle Raumgestaltung weitet sich mittels des Festzugs aus zum Stadtraum des gründerzeitlichen Wiens. Diese alltagsnahe Simulation der Renaissance bildet sich nicht allein in der Wohnraumgestaltung des Alltags in der gründerzeitlichen Neorenaissance ab (Abb. 01), die später von Apologeten der Avantgarde wie Bruno Taut kritisiert wurde: Die intermediale Transgression geht vom (historischen oder später historistischen) Text, etwa Jacob Burckhardts, in die dreidimensionale Materialität und von dort bisweilen wieder

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Abb. 06: Hans Makart: Gründerzeitbürger in Renaissancekostüm aus dem Wiener Makart-Festzug vom Sonntag, dem 27. April 1879, anlässlich der Silberhochzeit des österreichischen Herrscherpaars. Die Bürgerinnen und Bürger Wiens formen durch den Festzug gemeinsam eine neue theatralische Ästhetik ihrer Existenz nach alten Mustern. Gleis 2011 (vgl. Anm. 26), S. 245.

in Texte, etwa in diejenigen literarischen Dokumente von Klaus und Thomas Mann, die hier zitiert wurden.

D ie » unmoderne « N eorenaissance als G egenbild der A rchitek tur avantgarde im frühen 20. J ahrhundert Im Ausgang der Moderne von 1909 schildert der Zeitgenosse Samuel Lublinski (1868-1910) auch den allmählichen Abschied vom Neorenaissance-Interieur in der sich entfaltenden Moderne kurz nach der Jahrhundertwende: »Die Schule van de Veldes erhob den Zweck zum Prinzip des Kunstgewerbes wie der Baukunst. […] die Renaissanceschränke verschwanden aus Bürgerhäusern der Großstadt.«36 Für den Avantgarde-Architekten Walter Gropius (1883-1969) war 1910 de »aktuelle Mode in der Architektur […] eine fatale Mischung aus Überladenheit und falscher Romantik, die an die Stelle guter Proportionen und praktischer Einfachheit getreten seien.«37

Die Neorenaissance als bürgerliche Selbsttechnik und Gegenbild

Abb. 07: Der üppig ausgestattete gründerzeitliche Salon der Neorenaissance von 1883 als Gegenbild der Architektur-Avantgarde der zwanziger Jahre des 20. Jahrhunderts. Taut 1924 (vgl. Anm. 38), S. 12.

Ornamentale, historistische Stilrichtungen wie die Neorenaissance werden zum Gegenstand, ja Feindbild einer neuen Kulturkritik, etwa des Theoretikers und Praktikers des Neuen Bauens Bruno Taut (1880-1938). Er fordert 1924 in seiner Schrift Die neue Wohnung eine Distanzierung vom »Fetischismus mit den Gegenständen«38, der geradezu psychopathologische Züge aufweisen soll. Bruno Taut entwickelt einen ausgeprägten Zäsurbedarf der Klassischen Moderne gegenüber der jüngsten Vergangenheit und rechnet aus der Perspektive des 20. Jahrhunderts mit dem Lebensstil sowie der Lebenswelt der Gründerzeit, in die er hineingeboren wurde, ab. Die Abbildung eines Neorenaissance-Salons, wie ihn noch Klaus Mann in seinen Erinnerungen beschrieb, dient Taut als abschreckendes Beispiel (Abb. 07) und Gegenbild zur tabula rasa der schlichten Moderne des noch relativ neuen Jahrhunderts. Den weltweit renommierten Architekten und Architekturtheoretiker überkommen angesichts der überladenen Pracht geradezu kulturpessimistische Anwandlungen:

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Der in Anknüpfung an Nietzsches Vom Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben 40 so bezeichnete »Urväter Hausrat«41 im Stil der Renaissance erscheint endgültig als obsolet. Einer der Vordenker der Neorenaissance, Gottfried Semper, wird von Taut zudem für diese überladene Ästhetik des Überflusses verantwortlich gemacht.42 Wie auch im Zuge der Kleidungsreformbewegung der gründerzeitliche gestärkte Stehkragen, etwa in Die Welt von Gestern von Stefan Zweig, als unnatürlich gebrandmarkt wird,43 so erscheint der opulente Wohnungsstil für Taut sogar als hygienisch problematisch. »Wir möchten hinzufügen: auf Gesundheit, Lust und Laune der Hausfrau! Es wird von seriösen, durchaus glaubwürdigen älteren Damen berichtet, dass in jener Zeit durch Zeitungsannoncen junge Mädchen aus ›besserer‹ Familie zum – Staubwischen und pinseln gesucht wurden. Und der Salon musste möglichst nach Norden liegen, damit die Plüschpracht nicht zu rasch unter der Sonne dahinschwindet.« 44

Die Raumkleider wirken hier geradezu erdrückend. Auch die Berliner Illustrierte Zeitung (B.I.Z.) aus dem Ullstein-Verlag kritisierte unter der Überschrift »Die Überwindung des Wohnungskitsches« am 21.1.1926 die Wohnung der wilhelminischen Epoche als »Museum für Hausgräuel«.45 Sowohl das »Schlafzimmer im falschen Renaissance-Stil« als auch das »Wohnzimmer im alten Stil«, gekennzeichnet durch »[u]nruhige Wirkung, unbequeme, überverzierte Möbel in falschen Renaissanceformen, lichtraubende, staubfangende Gardinen, unnötige[n] Krimkrams auf dem Vertiko und auf den Tischen«,46 stehen im Focus der Kritik. Das beliebte Wochenblatt kommt wie Bruno Taut zu dem Schluss: »Man staunt, wenn man heute Abbildungen von solch besonders reichen Zimmern zu sehen bekommt, wo an den Möbeln, Wänden und Decken alles untergebracht wurde, was nur Platz hatte«.47

Die Neorenaissance als bürgerliche Selbsttechnik und Gegenbild

Bemerkenswert ist jedoch, dass Burckhardts Renaissancediskurs im Gegensatz zu den symbolischen Formen des Neorenaissancestils in der Architekturkritik der Klassischen Moderne keineswegs generell verworfen wird. Die angeblich echte Renaissance des alten Italien gilt für Bruno Taut vielmehr als Vorbild der tabula rasa der neuen einfachen Wohnästhetik des 20. Jahrhunderts, die wiederum dem Historismus des 19. Jahrhunderts den Garaus gemacht hat: »Die italienische Renaissance kannte im Wohnraum ganz und gar nicht das, was man später aus ihr gemacht hat. Man muss heute geradezu ihre Ehrenrettung vornehmen. […] [W]elche Größe und Einfachheit des Ganzen, wie einfach und frei stehen dort die Möbel.«48 Bruno Tauts Ausführungen belegen: Das Renaissanceideal übt seine Macht auch nach dem und gegen den gleichnamigen Stil aus. Die bildungsbürgerliche Wertschätzung der Renaissance als Vorbild überlebt die kunsthandwerkliche Hochschätzung der Renaissance der Renaissance im Interieur und in der Architektur der alltäglichen Lebenswelt. Sowohl die (innen-)architektonische Üppigkeit als auch ihre radikale Abschaffung berufen sich auf die spätestens seit Burckhardts Schriften etablierte Autorität des Renaissance-Leitbilds.

A nmerkungen 1 | Henrik Karge: »Renaissance. Aufkommen und Entfaltung des Stilbegriffs in Deutschland im Zuge der Neorenaissance-Bewegung um 1840«. In: Walter Krause/Heidrun Laudel/Winfried Nerdinger (Hg.): Neorenaissance – Ansprüche an einen Stil. 2. HistorismusSymposium Bad Muskau, Dresden 2001, S. 39-66, S. 56. Vgl. auch: Helmut Koopmann: »Renaissancismus um 1900. Grandiose Rückbesinnung oder ärgerlicher Schwindel?« In: Ders./Frank Baron (Hg.): Die Wiederkehr der Renaissance im 19. und 20. Jahrhundert. Münster 2013, S. 13-38. 2 | August Buck: »Der Beginn der modernen Renaissanceforschung im 19. Jahrhundert«. Georg Voigt/Jacob Burckhardt. In: Ders./Cesare Vasoli (Hg.): Il Rinascimento nell’ Ottocento in Italia e Germania/Die Renaissance im 19. Jahrhundert in Italien und Deutschland. Bologna, Berlin 1989, S. 23-36, S. 25. Vgl. auch: Karlheinz Stierle: »Renaissance. Die Entstehung eines Epochenbegriffs aus dem Geist des 19. Jahrhunderts«. In: Reinhart Herzog/Reinhart Koselleck (Hg.): Epochenschwelle und Epochenbewusstsein. München 1987, S. 453-492, hier: S. 488. 3 | Buck 1989 (vgl. Anm. 2), S. 25. Dies kann jedoch auch nicht weiter verwundern, ist doch sein Band über die Renaissance der siebte Teil einer genuinen Geschichte Frankreichs im Gesamtüberblick. 4 | Stierle 1987 (vgl. Anm. 2), S. 491. 5 | G. Ulrich Großmann/Petra Krutisch (Hg.): Renaissance der Renaissance. Ein bürgerlicher Kunststil im 19. Jahrhundert. München, Berlin, S. VII. 6 | Karge 2001 (vgl. Anm. 1), S. 39.

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Rolf Füllmann 7 | Michel Foucault: Der Gebrauch der Lüste. Sexualität und Wahrheit 2. Frankfurt a. M. 1991, S. 18. 8 | Michel Foucault: Histoire de la sexualité, tome 2. Paris 2013, S. 18. 9 | Philipp Sarasin betont die Sonderstellung der »expliziten Referenz« auf Burckhardt an hervorgehobener Stelle angesichts der Tatsache, »dass Jacob Burckhardt als Historiker in Frankreich kaum wahrgenommen wurde.« Philipp Sarasin: »Foucault, Burckhardt, Nietzsche – und die Hygieniker«. In: Jürgen Martschukat (Hg.): Geschichte schreiben mit Foucault. Frankfurt a. M./New York 2002, S. 195-218, hier: S. 198. 10 | Paul Heyse: »Die Madonna im Ödwald.« In: Ders: Gesammelte Werke. Zweite Reihe. Band V. Stuttgart, Berlin-Grunewald: o. J. [1924], S. 729. 11 | Klaus Mann: Der Wendepunkt. Ein Lebensbericht. Reinbek bei Hamburg 1984, S. 36. 12 | So Klaus Mann 1935 in seiner Selbstanzeige: »Symphonie Pathétique.« In: Ders.: Zahnärzte und Künstler. Aufsätze und Reden 1933-1936. Hg. von Uwe Naumann und Michael Töteberg. Reinbek bei Hamburg 1993, S. 379-380, hier: S. 380. 13 | Vgl. zu Cassirers Modell der symbolischen Form in der Kunstsphäre u. a.: Hans Jörg Sandkühler/Detlev Pätzold (Hg.): Kultur und Symbol. Ein Handbuch zur Philosophie Ernst Cassirers. Stuttgart, Weimar 2003, S. 204. 14 | Zur Bedeutung der Neorenaissance-Räume für das Renaissancebild Thomas Manns vgl.: Hanno-Walter Kruft: »Renaissance und Renaissancismus bei Thomas Mann.« In: August Buck (Hg.): Renaissance und Renaissancismus von Jacob Burckhardt bis Thomas Mann. Tübingen 1990, S. 94-95. 15 | Alexander Krause: Arcisstraße 12: Palais Pringsheim – Führerbau – Amerika Haus – Hochschule für Musik und Theater. München 2005, S. 17. 16 | Barbara Naumann: Philosophie und Poetik des Symbols. Cassirer und Goethe. München 1998, S. 15. 17 | Vgl. u. a. die ausführliche Darlegung von Anno Mungen in: Daniel Brandenburg/Rainer Franke (Hg.): Das Wagner-Lexikon. Laaber 2012, S. 255-265. 18 | Richard Hamann/Jost Hermand: Gründerzeit. Deutsche Kunst und Kultur von der Gründerzeit bis zum Expressionismus. Bd. 1. 2. Aufl., München 1974 (1965), S. 52-53. 19 | Thomas Mann: Brief vom 27.2.1904 an Heinrich Mann. In: Thomas Mann: Briefe I. 1889-1913. Große kommentierte Frankfurter Ausgabe 21. Hg. v. Thomas Sprecher u. a. Frankfurt a. M. 2001, S. 271. 20 | Etwa Orpheus in südlicher Landschaft, vor Hirten und Tieren zur Leier singend (Abb. 02). Vgl.: Alexander Bastek/Anna Pfäfflin (Hg.): Thomas Mann und die bildende Kunst. Katalog. Petersberg 2014, S. 121. 21 | Naumann 1998 (vgl. Anm. 16), S. 15. 22 | Heyse 1924(vgl. Anm. 10), S. 176. 23 | Thomas Mann: Betrachtungen eines Unpolitischen. In: Ders.: Reden und Aufsätze. Bd. 2. In: Ders.: Gesammelte Werke in 13 Bänden. Bd. 12. Frankfurt a. M. 1990., S. 540. 24 | Ebd. S. 538. 25 | Ebd. S.539.

Die Neorenaissance als bürgerliche Selbsttechnik und Gegenbild 26 | Elke Doppler: »Die Inszenierung des Künstlers. Hans Makarts Selbstbildnisse und Fotoporträts«. In: Ralph Gleis (Hg.): Makart. Ein Künstler regiert die Stadt. München, London, New York 2011, S. 40-49, S. 47. 27 | Ebd., S. 46. 28 | Ebd. 29 | Peter Philipp Riedl: Epochenbilder – Künstlertypologien: Beiträge zu Traditionsentwürfen in Literatur und Wissenschaft 1860 bis 1930. Frankfurt a. M. 2005, S. 535-36. Das Abendland, hg. von Eckhard Heftrich, N.F. 33. 30 | Vgl. die Renaissancenovelle zum jüdischen Außenseiterstatus Der Kaufmann von Venedig (1378) von Giovanni Fiorentino, die das Vorbild für William Shakespeares gleichnamiges Drama (EA 1600) bildete. 31 | Peter Springer: »Geschichte als Dekor. Anton von Werner als Dekorationsmaler und Zeitzeuge«. In: Dominik Bartmann (Hg.): Anton von Werner. Geschichte in Bildern. München 1997, S. 117-138, hier: S. 123. 32 | Hugo von Hofmannsthal: »Über moderne englische Malerei 1894«. In: Ders.: Gesammelte Werke in 10 Einzelausgaben. Hg. v. Bernd Schoeller in Beratung mit Rudolf Hirsch. Reden und Aufsätze I. 1891-1913. Frankfurt a. M. 1979, S. 546-552, hier: S. 551. 33 | Herbert Zeman: »›Die Geschichte wird nur von starken Persönlichkeiten ertragen, die schwachen löscht sie vollends aus.‹ Größe und Grenzen des Historismus in der Dichtung«. In: Hermann Fillitz (Hg.): Der Traum vom Glück. Die Kunst des Historismus in Europa. Wien, München 1996, S. 284-290, S. 285. 34 | Ebd. 35 | Gleis 2011 (vgl. Anm. 26), S. 256. 36 | Samuel Lublinski: Der Ausgang der Moderne. 1Berlin 1909, Verlag Siegfried Cronbach. Nachdruck Hg. v. Gotthart Wunberg Tübingen 1976, S. 261. 37 | Peter Gay: Die Moderne. Eine Geschichte des Aufbruchs. Frankfurt a. M. 2008, S. 347. 38 | Bruno Taut: Die neue Wohnung. Die Frau als Schöpferin. Leipzig 1924, S. 10. 39 | Ebd., S. 11-12. 40 | Vgl. Friedrich Nietzsche: »Vom Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben.« In: Ders.: Werke in sechs Bänden. Bd. 1. München, Wien 1980, S. 225. 41 | Taut 1924 (vgl. Anm. 38), S. 14. 42 | Ebd., S. 13. 43 | Stefan Zweig schildert in Die Welt von gestern von 1942 die Kleidung der Gründerzeit »als unnatürlich, unbequem, unhygienisch, unpraktisch kostümierte Narren; sogar uns, die wir unsere Mütter und Tanten und Freundinnen in diesen absurden Roben noch gekannt haben, die wir selbst in unserer Knabenzeit ebenso lächerlich gewandet gingen, scheint es gespenstischer Traum, daß eine ganze Generation sich widerspruchslos solch einer stupiden Tracht unterwerfen konnte. Schon die Männermode der hohen steifen Kragen, der ‹Vatermörder‹, die jede lockere Bewegung unmöglich machten, der schwarzen schweifwedelnden Bratenröcke und der an Öfenröhren erinnernden Zylinderhüte fordert zur Heiterkeit heraus, aber wie erst die ›Dame‹ von einst in ihrer mühseligen und gewalt-

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Rolf Füllmann samen, ihrer in jeder Einzelheit die Natur vergewaltigenden Aufmachung!« Stefan Zweig: Die Welt von Gestern. Erinnerungen eines Europäers. Frankfurt a. M. 1991, S. 91-92. 44 | Taut 1924 (vgl. Anm. 38), S. 13-14. 45 | Friedrich Luft (Hg.): Facsimile-Querschnitt durch die Berliner Illustrirte Zeitung. Berlin o. J., S. 139. 46 | Ebd., S. 138. 47 | Ebd. 48 | Taut 1924 (vgl. Anm. 38), S. 23.

Bauhaus und Bubikopf Der Typenschnitt im genormten Raum Ita Heinze-Greenberg »Der Ort, den eine Epoche im Geschichtsprozeß einnimmt, ist aus der Analyse ihrer unscheinbaren Oberflächenäußerungen schlagender zu bestimmen als aus den Urteilen der Epoche über sich selbst.« S iegfried K racauer : D as O rnament der M asse (1927)

G ruppenbild mit D ame Eines der bekanntesten Dokumente der visuellen Historiografie des Bauhauses ist jene Fotografie, für welche sich das Meisterkollegium des Bauhauses auf dem Dach des Dessauer Schulgebäudes für ein Gruppenbild zusammenfand (Abb. 01). Das Zeugnis entstand im Dezember 1926 zur Eröffnung des Bauhauses in Dessau. Der Fotograf war aller Wahrscheinlichkeit nach der junge Erich Consemüller, der unter Marcel Breuer eine Tischlereilehre am Bauhaus absolvierte und sich mit einer fotografischen Dokumentation des Bauhauses profilierte.1 Auf dem Foto ist unschwer zu erkennen, dass die berühmte deutsche Reformanstalt männlich besetzt war. Die einzige weibliche Person outet sich als solche allein durch ein paar kleine Abweichungen von der maskulinen Norm: Sie ist zwar nicht die einzige, die keinen Hut trägt, wohl aber die einzige unter den Anwesenden, welche die Kopf bedeckung abgenommen hat und in der Hand hält. Im Beinbereich herrscht vergleichsweise mehr Sicht auf die Anatomie, wenngleich ein Kollege, Mitte links – es handelt sich um Herbert Bayer in Knickerbockern –, diesbezüglich durchaus mit ihr mithält. Die auffälligste Differenz ist im Hals-Brust-Bereich festzustellen, wo zwar der eckige Kragen dem durchgängigen Kanon entspricht, doch fehlt die auf weissem Hemduntergrund besonders hervorstechende Fliege oder Krawatte, mit der alle männliche Kollegen dekoriert sind. Die Haartracht – traditionell das geschlechtsspezifische Unterscheidungsmerkmal schlechthin – lässt keine Abweichung vom männlich beherrschten Umfeld erkennen.

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Abb. 01: Die Meister auf dem Dach des Bauhausgebäudes in Dessau, 1926, Foto vermutl. von Erich Consemüller. Musée national d’art moderne, Centre Pompidou, Paris.

Gunta Stölzl, die Leiterin der Weberei, trug wie ihre Schülerinnen zeitgemäß Bubikopf. Der folgende Beitrag beschäftigt sich mit dem Kurzhaarschnitt der modernen Frau, der in der Zwischenkriegszeit zum allgemeinen Modetrend in der westlichen Welt avancierte. Das Phänomen soll hier exemplarisch für die weiblichen Lehrlinge, beziehungsweise Studentinnen am Weimarer und Dessauer Bauhaus untersucht werden.2 Diese Verortung bietet die Möglichkeit – über den Genderdiskurs und die Sportaffinität der Zwanziger Jahre hinaus –, die neue Frisur im Kontext der Normung zu analysieren. Die Hypothese, dass der typisierte Haarschnitt der Bauhäuslerinnen den Triumph der Gleichform bediente, eröffnet neue Fragestellungen auf das Designverständnis der Avantgarde sowie auf das Image der fortschrittlichen Frau. »Bubikopf« und »Bauhaus« werden dabei zu Synonymen für die Neue Frau und das Neue Bauen.

E manzipation Die neue Haarmode des Bubikopfes – wahlweise auch unter Pagen-, Garçonoder Herrenschnitt laufend – des weiblichen Geschlechts war, politisch gesehen, ein Novemberprodukt und muss zweifellos zunächst auf dem Terrain revolutionär-emanzipatorischer Bestrebungen der Frau verortet werden. Für viele (insbesondere männliche) Zeitgenossen war sie ein »Kriegsruf und erste Sprosse auf der Leiter zum Manne empor«.3

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Der Bubikopf tauchte, zumindest in Deutschland, nicht zufällig als Begleiterscheinung zum erlangten Wahlrecht der Frauen auf – nicht zuletzt in Anlehnung oder Rückbezug auf die Französische Revolution. Die Wahlsprüche, die sich die Neuen Frauen auf ihre Banner schrieben, waren nicht weit entfernt von den Losungen, für welche die Männer der Französischen Revolution ihre Fahnen geschwenkt hatten. Zum festen Bestandteil der Ikonografie der Französischen Revolution gehörte, dass sich die Männer symbolisch ihrer Zöpfe (Zopfperücken) entledigten. Nur die Konservativen hielten an der Mode des Ancien Régime fest. Der Zopf degradierte damit zum Sinnbild der Rückständigkeit, eine Bedeutung, die ihm bis heute im Begriff des alten Zopfes anhaftet. Auch Kleidung und Frisur der Frauen änderten sich im Zuge der Französischen Revolution. Für die Haartracht kam wieder die natürliche Form und Farbe in Mode. Es gab sogar kurzlebige Tendenzen, in denen sich die Kleidung der Frauen der Männermode annäherte: So kamen damals Jacken für Frauen auf. 4 Mit dem sozialen Modernisierungsprozess ging eine stufenweise Modifikation des traditionellen Rollenverständnisses der Geschlechter einher. Die Frau, die selbständig und selbstbewusst ihr Leben in die Hand nimmt, wurde im 19. Jahrhundert zunächst in von Schriftstellerinnen verfassten Romanen aus- und vorgelebt. In der sogenannten Frauen-Literatur von Autorinnen wie Bettina von Arnim, Charlotte Brontë bis hin zu Virginia Woolf wurden neue weibliche Lebenspläne vorgedacht, die erst nach dem Ersten Weltkrieg in die Alltagsrealität Eingang fanden.5 Durch die Abwesenheit der an der Front kämpfenden oder gefallenen Männer, wurden traditionell männlich besetzte Aufgabenbereiche zwangsläufig von Frauen übernommen. Sie standen – wie es im Volksmund heißt – »ihren Mann«. Das zog eine radikale Veränderung im Auftreten wie im Erscheinungsbild der Frauen nach sich, das als symbolisch für die tiefere seelische und soziale Metamorphose der Frau gesehen werden kann. Von Zeitgenossen wurde der neue »vermännlichte« Frauentypus nicht immer positiv als Ausdruck weiblicher Emanzipation, sondern vielfach – mit vorwurfsvollem Unterton – als ausgesprochene Negierung von Weiblichkeit verstanden.6 Das Kaschieren femininer Rundungen durch die Kleidermode, vor allem aber der kurze Haarschnitt wurden als Beschneidung genderspezifischer Qualitäten empfunden. Das seit der Antike als »unwiderstehlich feminin« geltende lange Haar wurde traditionell als fraulicher Schmuck und Geschlechtsmerkmal von sinnlich-erotischer Ausstrahlung empfunden.7 Mit teils offener Häme wurde von männlicher Seite der angebliche Verzicht auf das Attribut weiblicher Verführungskunst kommentiert. Symptomatisch sind die bubiköpfigen Loreley-Karikaturen, die Ende der Zwanziger Jahre gehäuft auftauchten (Abb. 02). Der satirische Tenor reichte von einer vorgeschobenen Erleichterung ob der nun nicht mehr bestehenden Gefahr unheilbringender

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Abb. 02: Loreley-Postkarte, 1920er Jahre. Privatsammlung Karl Josef Perscheid, Urbar.

Verlockung bis hin zu prognostizierten neuen Fährunglücken aufgrund des lähmenden Entsetzens, welches durch das Erscheinungsbild der Neuen Frau bei den Schiffern ausgelöst wurde. Auf die Seite der »maskulinen« Frauen schlug sich der wortgewaltige und modebewusste Adolf Loos, der die psychologischen Hintergründe der männlichen Kritik beim Namen nannte. Als Auf hänger für seinen 1928 in der Neuen Freien Presse publizierten Essay diente ihm eine Begebenheit in einem Zürcher Krankenhaus. Dort war kurzerhand eine Wärterin entlassen worden, weil sie sich – so die Begründung – eine unweibliche Kurzhaarfrisur zugelegt hatte. Loos konterte gegen den Leiter des Hospitals zunächst mit einer Belehrung über die Relativität und Kurzlebigkeit von Modeerscheinungen, der er eine demontierende Attacke auf dessen männlichen Chauvinismus folgen ließ. Es sei eine pure »Frechheit«, »Frauen vorschreiben zu wollen, sie müßten ihr Haar lang tragen, da das lange Haar Lustgefühle erzeuge und die Frauen nur dazu da sind, ihnen diese erotische Spannung zu verschaffen.« 8 Galt der maskuline Look – dazu gehörten neben Bubikopf, Hemd, untaillierte Kleider, Krawatte, manchmal Monokel (Abb. 03) – zu Anfang der Zwanziger Jahre noch als Provokation, Aufruhr, Revolte, wurde er schnell von der Mode und Werbung aufgegriffen und instrumentalisiert. Die Formen, die zuvor genuiner Ausdruck des Lebensgefühls der Neuen Frauen waren und dessen, was sie erreicht hatten, wurden mehr und mehr zu einer reklamewirksamen Inszenierung einer Wunschvorstellung, eines Fortschritt-Versprechens für die Massen. Ab Mitte der Zwanziger Jahre beherrschten die

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jungen Damen mit praktischem Kurzhaarschnitt die städtische Szene und standen Modell für alles, was sich einen progressiven Anstrich geben wollte.

(H a ar -)S chnit te Am Bauhaus wurde der Bubikopf zur Norm. Ricarda Schwerin, die 1929 – damals noch Ricarda Meltzer – 17-jährig aus Göttingen ans Dessauer Bauhaus kam und später in Israel als Fotografin arbeitete, erinnerte sich in einem persönlichen Gespräch an zwei Begebenheiten, die ihre erste Woche an der Schule charakterisierten und dazu angetan waren, sie auf das Bauhaus-Kollektiv einzuschwören: Im Coop-Laden in Dessau, wo alle Bauhäusler einkauften, stand sie am Gemüsestand und verlangte nach einem Pfund Tomaten: »Aber bitte geben Sie mir nur gute, feste!« – bat sie die Verkäuferin. Unmittelbar hinter ihr ertönte es: »Fräulein, und mir geben Sie dann bitte von den übriggebliebenen, schlechten, matschigen Tomaten!« Es war Hannes Meyer, der ihr da eine

Abb. 03: Friedrich Winckler-Tannenberg: Die neue Zeit, 1926. Handke 1926 (vgl. Anm. 3).

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Abb. 04: Etel Fodor-Mittag: Portrait Ricar­ da Meltzer (Schwerin), 1930. Bauhaus-Ar­ chiv Berlin.

Lektion in Sachen Sozialverhalten am Bauhaus erteilte! Die zweite Geschichte betraf ihre Zöpfe. Der ganze Stolz ihrer Mutter wurde an einem der ersten Abende von ihren Kommilitoninnen abgeschnitten. Ricarda Schwerin erlebte den Akt des Haareschneidens als einen Übergangsritus, als eine Loslösung und Absage – vielleicht auch Befreiung – von ihrem Elternhaus bei Eintritt in das Bauhaus-Kollektiv, das von nun an die Familie ersetzte.9 (Abb. 04) Das Haareschneiden als Initiationsritus hat eine lange, vielschichtige Tradition.10 Beim Manne vorgenommen, ist es nicht selten eine Art symbolischer Kastrations- oder Beschneidungsakt, beziehungsweise zahmer ausgedrückt, Teil einer Disziplinierung. Beim Militär wird das Haar kurzgeschnitten, auch bei Gefangenen und bei Mönchen. Manchmal ist es Teil einer Strafe, manchmal eine mehr oder minder freiwillige Unterwerfung unter eine strenge soziale Kontrolle. Aber nicht immer ist es Zeichen von Gehorsam, sondern oft auch Symbol für eine geistige Verwandlung oder für die Aufnahme in eine Gruppe, in eine Kommunität – wie hier bei Ricarda Schwerin der Eintritt in die aufeinander eingeschworene Bauhaus-Gemeinschaft. In vielen Kulturen wird auch der Übergang von der Kindheit zum Erwachsensein von einer Veränderung der Frisur begleitet. Auch in der westlichen Kultur ist damit oft ein Sich-Loslösen von Eltern, ein Bruch mit der vorhergehenden Generation verbunden. Die andere Frisur ist Ausdruck einer

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neuen sozialen Rolle. Kaum ein ästhetischer Ansatz hat der vorgehenden Generation eine so scharfe Absage erteilt, wie das explizit traditionslose, ja antihistorische Bauhaus, dessen erklärtes Ziel es war, über neue Formen den Neuen Menschen zu kreieren. Ein Abstecher zu den männlichen Kollegen am Bauhaus zeigt, dass auch sie mitunter über ihre Haar- und Kleidertracht visuelle Signale aussandten. Johannes Itten, dessen Geist das frühe Weimarer Bauhaus prägte, erklärte eines Tages – so Lothar Schreyer –, Haare seien ein Zeichen der Sünde, worauf seine treuesten Anhänger sich allesamt kahlscheren ließen.11 Aber damit setzte er sich ebenso wenig durch wie mit der von ihm entworfenen Bauhaustracht, einer Mischung zwischen Malerkittel und Mönchskutte. »Man war eher auf moderne sehr breite Oxfordhosen aus«, berichtete ein ehemaliger Bauhausschüler. Aber als »etwas spezifisch Bauhäuslerisches« beschrieb dieser die Caesarenfrisur, »eine unkonventionelle Haartracht, bei der die Haare in die Stirne gekämmt wurden. Diese natürlichste Form d. Haarwuchses, und die beste Glatzen zu verdecken, wurde zeitweilig auch von den Meistern Gropius, Muche, Marcks, Albers, Breuer, Schmidt gepflegt. Aber sonst verzichtete man auf die Antike und gab sich zeitgemäß und weltbürgerlich.« 12

Abb. 05: Lotte Beese: Gruppenbild der Bauhaus-Weberinnen, ca. 1927. Bauhaus-Archiv, Berlin.

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D istink tion So gab es am Bauhaus vorübergehend parallel Cäsaren- und Bubiköpfe. Doch Herrenschnitt ist nicht gleich Herrenschnitt! Man muss nicht gleich Pierre Bourdieux bemühen, um die feinen Unterschiede 13 herauszuarbeiten: Hier die Herren, dort die Pagen – durch ein paar differenzierte Scherenschnitte am Kopfhaar manifestiert. Ohne die hermeneutische Aufgabe überstrapazieren zu wollen, bleibt doch festzustellen, dass sich die Strategien der Distinktion in einer klaren geschlechterspezifischen Zuordnung zu den jeweiligen Ausbildungswerkstätten fortsetzten. Cäsar Gropius war der Auffassung, dass Frauen kein dreidimensionales Vorstellungsvermögen besäßen und ihre körperliche Konstitution nicht kompatibel mit den physischen Anstrengungen auf der Baustelle sei. Eine Qualifikation als Architektin gestand er Frauen deshalb nicht zu.14 Unter seiner Ägide wurden die weiblichen Lehrlinge in der Regel in die Webereiwerkstatt vermittelt, also in eine eher feminin konnotierte Handwerkskunst – eine Zuordnung, die teilweise von den weiblichen Bauhaus-Lehrlingen selbst mitgetragen wurde.15 (Abb. 05) Es gab abweichende Fälle, aber diese wussten von Durchsetzungsschwierigkeiten zu berichten. So gab Marianne Brandt – ein von László Moholy-Nagy gefördertes Ausnahmetalent in der Metallwerkstatt – später zu Protokoll, sie sei zunächst von ihren männlichen Kommilitonen »nicht eben freudig aufgenommen« und ausschließlich für untergeordnete, ihnen zuarbeitende Aufgaben eingeteilt worden.16 Im Gegensatz zu den weiblichen Studierenden standen dem »starken Geschlecht« alle Werkstätten offen, inklusive der Weberei. Die Gender orientierte Zuordnung zu den einzelnen Ausbildungsabteilungen am Bauhaus weichte erst unter Hannes Meyer und Ludwig Mies van der Rohe mehr und mehr auf.17 Es wäre also falsch anzunehmen, mit dem neuen maskulinen Haarschnitt, der sich zum integralen Teil eines ikonografisch festgefügten Erscheinungsbildes der Neuen Frau entwickelte, wäre parallel – sozusagen automatisch – eine weibliche Unabhängigkeit und/oder Gleichberechtigung mit den männlichen Kollegen einher gegangen. Nicht am Bauhaus, nicht in der Metropole und nicht im Rest des Landes. Es scheint eher so, als hätte die Form ihre eigenen Inhalte überholt, um sich schließlich von ihnen zu lösen und zu einem modischen Klischee zu gerinnen. Das ist nichts Neues und lässt sich in der Geschichte der Visualisierungsstrategien immer wieder beobachten. Für das Neue Bauen ist eine durchaus vergleichbare Kluft zwischen ästhetischer Form und sozialen Inhalten festzustellen. Der demokratische Anspruch des Bauhauses, der sich formal besonders deutlich in der Typografie mit der Entscheidung zur Kleinschreibung äußerte, suchte auch in der Architektur nach entsprechendem Ausdruck. So sind die Bestrebungen zur Überwindung traditioneller Tektonik, von oben und unten, leicht und schwer, Tragen und Lasten als Zeichensetzungen für die Aufhebung gesellschaftlicher Vertikal-

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Strukturen deutbar. Im Widerspruch dazu stand die Beibehaltung einer aus dem 19. Jahrhundert tradierten Hierarchie zwischen Hausherr und Bediensteten wie sie sich in den Grundrissen wiederspiegelte. Hausangestellte, so man sie sich leisten konnte, lebten bei Gropius, Mies van der Rohe und anderen Architekten des Neuen Bauens immer noch in subalternen Räumen – meist im Keller-, beziehungsweise Sockelgeschoss mitunter ohne ausreichende natürliche Lichtquellen. Auch die Bedürfnisse der modernen Frau wurden von Gropius und seinen Berufskollegen unter Beibehaltung der traditionellen Hausfrauenrolle formuliert und konzipiert: »[U]nser leben ist heute ein anderes als das unserer vorfahren, unsere gesellschaftsund familienverhältnisse haben sich gewandelt. die stellung der heutigen frau im erwerbsleben, die verminderte seßhaftigkeit und die knapperen wohnverhältnisse stellen bestimmte forderungen, die erfüllung heischen. […] die zunehmende schwierigkeit der hausangestelltenfrage, […] spricht für die disposition des wohnorganismus entscheidend mit. organisation und technik müssen die hausfrau davor bewahren, daß ihre kräfte allein im hausdienst verbraucht werden, statt daß sie für die eigene geistige entwicklung und für die erziehung der kinder frei bleiben.«18

Bei aller Anerkennung für die Rationalisierungsmassnahmen im Haushalt haftet dem Bemühen darum etwas Gönnerhaftes an. Die Planungen für die Hausfrau sind von diesem paternalistisch-patriarchalischen Beigeschmack befreit, wenn sie von Frauen wie Margarete Schütte-Lihotzky oder Erna Meyer ausgehen, und dann eher den Charakter einer Selbsthilfe annehmen.19 Walter Gropius ließ seine Frau Ise als Beweis für die Effizienz seiner Planungen antreten. Sie debütierte als Protagonistin – natürlich mit Kurzhaarschnitt – in einem Informationsfilm über das rationalisierte Neue Wohnen, und wusste selbst traditionelle Hausfrauenvereine bei Führungen durch das Meisterhaus von dessen zeitsparender funktionaler Einrichtung zu überzeugen.20 Mit großer Überzeugungskraft stellte sie den Typus der Neuen (Haus-)Frau und Nutznießerin des Konzeptes ihres Gatten dar: »die hausfrau, an die in dem erschöpfenden trubel des lebens heute soviel mehr anforderungen gestellt werden als früher, und die sich in den seltensten Fällen ausreichende haushaltshilfe beschaffen kann, wird es dankbar begrüßen, wenn sie sich in ihrem heim nicht mehr einer überwältigenden fülle von nutzlosen gegenständen und verschnörkelten möbeln gegenüber sieht, deren pflege ihr die zeit stiehlt.« 21

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K örperkultur Zeit sollte modernen Frauen wie Ise Gropius unter anderem für die Pflege ihres Körpers eingeräumt werden. Dabei war – ganz im Einklang mit der Absage an überladene Raumausstattungen – nicht mehr an die aufwändige, Stunden in Anspruch nehmende große Toilette gedacht, sondern an eine gesunde, körperorientierte Lebensweise. Für sie wurden neue Zeitfenster in den weiblichen Alltag integriert. In diesem Zusammenhang stieg der Sport – unterstützt von den Printmedien – zum Symbol der neuen Ära schlechthin auf: »Wir leben nicht nur in der Mechanisierung der Zeit, sondern auch in der Versportlichung.«22 Die Mode reagierte proaktiv und forcierte den Trend. Der Moden-Spiegel, die illustrierte Wochenschrift des Berliner Tageblatts, verkündete kategorisch: »Wie nie zuvor beherrscht die neue Sportfreudigkeit alle Kreise.«23 Zu diesen zählte nun auch und insbesondere die Neue Frau, für deren Entwicklung Körperertüchtigung nun geradezu zu einer conditio sine qua non erklärt wurde, um ihrer neuen Rolle gerecht werden zu können: »Der Backfisch von heute,« versicherte der Moden-Spiegel, »schwimmt, turnt, macht seine gymnastischen Übungen, treibt seinen Sport, um für den Lebenskampf gewappnet zu sein.«24 Sport, und dazu zählte auch das Autofahren, war einer der Bereiche, in denen sich der Wandel traditioneller Weiblichkeitskonzepte am deutlichsten darstellte. In den Modejournalen wurden Sportlerinnen zu neuen Vorbildern, zu role models erkoren, der Sport selbst als Garant für Jugendlichkeit und schöne Körperformen propagiert: »Sport hat die Bewegungen der Frau erlöst. Nun sind sie frei,«25 heißt es in der deutschsprachigen Ausgabe der renommierten Modezeitschrift Vogue.26 Neben Tanz, Gymnastik, Leichtathletik und Reiten eroberten Frauen auch traditionell bislang ausschließlich männlich besetzte Domänen. So wurde beispielsweise der eleganten Dame das Boxen als Frühsport anempfohlen.27 Auch Skifahren, Hockey und Tennis etablierten sich als neue Frauensportarten: »Herrliche Betätigung der Glieder, des Verstandes, der zielschnellen Überlegung, der Geistesgegenwart«.28 Auch wenn es sich auf den ersten Blick anders darstellen mag, die sportliche Erziehung der Frau lief der traditionellen Distinktion zwischen dem starken und dem schönen Geschlecht – auf die sich auch der Gründer des Bauhauses gern berief29 – nicht grundsätzlich zuwider. Ziel blieb weiterhin die schöne Frau, nicht aber das starke oder durchtrainierte Weib. Waren die schlanken Taillen des zarten Geschlechts über Jahrhunderte durch Korsetts und Mieder, also durch formenden Druck von außen, erzielt worden, so sollte die weibliche Idealfigur nun sozusagen von innen heraus aufgebaut werden: neben entsprechender Ernährung vor allem durch sportliche Aktivität. Am Bauhaus spielten Nahrung und Körperertüchtigung durchaus eine Rolle – und fanden sogar phasenweise Eingang in das Lehrprogramm. In der

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frühen Weimarer Zeit entwickelten sich vor allem im Umkreis von Johannes Itten Diätkonzepte, die auf eine Reinigung des Körpers zielten. Zudem leitete er seinen Vorkurs mit Atem- und Bewegungsübungen ein.30 Eine Ausbildung des Körperbewusstseins und eine damit einhergehende Bewegungslust waren Teil der Harmonisierungslehre, die Gertrud Grunow von 1919 bis 1923 am Bauhaus in Weimar erteilte. Ab 1928 gehörte Gymnastik zum festen Bestandteil des Lehrprogramms in Dessau.31 Auf Initiative Hannes Meyers wurde die bei Gret Palucca als Tänzerin ausgebildete Karla Grosch ans Bauhaus berufen, die bis 1932 Sport unterrichtete und in den Bühnenstücken Oskar Schlemmers mitwirkte. In jenen Jahren erweiterte sie neben der Leiterin der Weberei-Werkstatt Gunta Stölzl die Riege der weiblichen Lehrkräfte am Bauhaus auf zwei. Als Subtext mitzudenken ist bei aller Sportbegeisterung stets die Korrelation zwischen gesundem Körper und gesundem Geist. Nicht von ungefähr stand das Konterfei der jungen Gymnastiklehrerin Grosch neben der Überschrift »Mädchen wollen etwas lernen«, mit der die Illustrierte Die Woche einen 1930 erschienenen Beitrag über die Bauhäuslerinnen betitelte. In der Legende unter dem Foto der jungen, selbstbewusst erscheinenden Sportlehrerin mit Kurzhaarschopf wurde sie zum »Typ des Bauhausmädels« erkoren: »Sie weiß, was sie will und wird es auch zu etwas bringen.«32 (Abb. 06)

Abb. 06: »Typ des Bauhausmädels«: Portrait Karla Grosch, in: Die Woche 1930.

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Abb. 07: Lux Feininger: Karla Grosch in einer Aufführung des Metall-Tanzes von Oskar Schlemmer, 1929. The J. Paul Getty Museum, Los Angeles.

T ypisierung Der Typ des – man ist unweigerlich versucht, das Adjektiv »deutsch« als im Sinne des Publizisten zu ergänzen – »Bauhausmädels« impliziert, dass Karla Grosch sie alle repräsentierte: Grit Kallin, Benita Otte, Florence Henri, Grete Reinhard, Ricarda Meltzer, Ivana Tomljenović, Lotte Rothschild, Lis Beyer, Gertrud Arndt, Otti Berger, Marianne Brandt, Etel Fodor, Ruth Kaiser, Tonja Rapoport, Bella Ullmann, Grete Stern, Regine Bruynzeel und all die anderen der insgesamt ca. 500 Bauhäuslerinnen, die an der Reformschule während ihres 14jährigen Bestehens in Weimar, Dessau und Berlin eingeschrieben waren. Zweifel seien auch dahingehend angemeldet, ob Karla Grosch jener Sorte handfester Menschen angehörte, der sie das Wochenmagazin mit geradezu unerträglich paternalistischem Duktus zuordnete. Sich selbst charakterisierte die Tanz- und Sportlehrerin als zwischen widersprüchlichen Polen zerrissen (Abb. 07). Auch ihr weiteres Schicksal entsprach mitnichten den stereotypen, journalistischen Prognosen: Karla Grosch, die keine Jüdin war, emigrierte Anfang 1933 nach Palästina. Wenige Wochen nach ihrer Ankunft erlitt die zu diesem Zeitpunkt schwangere Sportlerin beim Baden im Mittelmeer vor der Küste Tel Avivs einen tödlichen Herzstillstand.33 Der Zeitschriftenartikel über die lernbegierigen Mädchen am Bauhaus ist an und für sich von völlig marginaler Bedeutung. Er lässt sich jedoch paradigmatisch für die Typisierung anführen, die bereits von zeitgenössischen Analysten als übergreifendes soziales Phänomen beschrieben wurde. Das Bauhaus selbst verstand sich als Produktionsstätte normierter Fabrikate, für die der

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standardisierte Mensch das Maß aller Dinge war. »Ich will Menschen-Typen schaffen und keine Portraits«, heisst es bei Oskar Schlemmer. Und wenn er zum Beweis der dem menschlichen Körper innewohnenden Mathematik die »Geometrie der Leibesübungen, Rhythmik und Gymnastik« anführt sowie die »körperlichen Effekte, die […] in den Massenriegen des Stadions […] zum Ausdruck kommen«, so assoziiert man über seine Bauhaus-Kollegin Karla Grosch hinaus Siegfried Kracauers Ornament der Masse. Ausgehend von dem Phänomen der Tiller-Girls hatte der Frankfurter Journalist und Soziologe in seinem berühmten Aufsatz auf die »stillen« Veränderungen auf dem Gebiet der Körperkultur verwiesen. Stil und Ökonomie standen für ihn dabei in direktem Zusammenhang: Im Massenornament sah er den ästhetischen Reflex einer vom herrschenden Wirtschaftssystem erstrebten Rationalität.34 Walter Benjamin hatte ähnlich geschlussfolgert, indem er »die zunehmende Proletarisierung der heutigen Menschen und die zunehmende Formierung von Massen« als »zwei Seiten eines und desselben Geschehens« beschrieb.35 Im Mann ohne Eigenschaften orakelt Robert Musils Protagonist Ulrich: »Was man heute noch persönliches Schicksal nennt, wird verdrängt von kollektiven und schließlich statistisch erfaßbaren Vorgängen.«36 Die Entwicklung am Bauhaus verlief paradigmatisch und programmatisch in exakt diesen Bahnen. Waren die Anfänge der Kunstschule in Weimar unter dem Einfluss Johannes Ittens noch einer Handwerksromantik und einem Selbstfindungsprozess der individuellen Künstlerpersönlichkeit verpflichtet, so hatte Gropius 1923 unter dem Motto »Kunst und Technik – eine neue Einheit« die Wende hin zu fordistischen Prinzipien eingeläutet. Mit dem Weggang Ittens und der Anstellung László Moholy-Nagys als neuen Formmeister in den Werkstätten wurde im Sinne des Bauhaus-Direktors an Entwürfen von Prototypen gearbeitet, die sich für eine serielle Produktion und universelle Anwendbarkeit eigneten. Gropius wollte dies in »kollektiver Arbeitsform« erreichen, welche die »autokratische Arbeit des einzelnen Individuums« ablösen sollte. Er sprach in diesem Zusammenhang von »gelebter Objektivität, d.h. Ich-Überwindung«.37 Seine Konzeption betraf nicht allein die Art der Produktion, sondern ebenso die Gestaltung der Produkte selbst, die sich zu einem Einheitskunstwerk zusammenfügen sollten, in dem »jedes Teilwerk in Beziehung zu einer größeren Einheit« steht. Typisierung, Normierung und Standardisierung waren die Voraussetzungen, damit »die realen und geistigen Mittel zur räumlichen Gestaltung von allen am gemeinsamen Werk Vereinten gekonnt und gewußt werden.«38 Unter Hannes Meyer wurden diese Ziele weiter kondensiert: »Typ, Norm und Standard sind die neuen formalen Maßstäbe«.39 Vor diesem Hintergrund lässt sich die Frauenmode der Zwanziger Jahre neu lesen (Abb. 08). Ihre Vermännlichung – Herrenschnitt, Hosenanzug, Krawatte – mag als Ausdruck von Revolte, Emanzipation, Gleichstellungsanspruch, neuer Körperkultur überzeugen, aber sie kann zugleich als Zuge-

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Abb. 08: Jumpermode nach Entwürfen und Zeichnung von Ernst Dryden. In: Die Dame, 2. Märzheft 1926.

ständnis an Konformität, als Anpassung oder Unterordnung unter maskulin orientierte ästhetische Standards verstanden werden. Wenn Ludwig Hilberseimer in seiner Grosstadtarchitektur von 1927 forderte: »Das Maß wird Herr, das Chaos gezwungen, Form zu werden: logisch, unzweideutig, Mathematik, Gesetz …«40 so lässt sich das als Unterwerfung der traditionell als individuell, subjektiv, natürlich konnotierten Weiblichkeit lesen. Deutlicher noch findet man eine anti-feminine Haltung – der Mann wird Maß – bei den Vertretern des holländischen De Stijl formuliert. Theo van Doesburg, 1921 und 1922 in Weimar lehrend, proklamierte eine neue durch die Möglichkeiten der Maschine geschaffene Ästhetik, welche »die Überwindung des Natürlichen durch den Geist« vollbrächte.41 In seinem von polaren Gegensatzpaaren bestimmten Weltbild entsprach die Natur dem weiblichen, der Geist dem männlichen Prinzip. Die Forderungen seines Malerkollegen Piet Mondrian nach formaler Strenge und Schmucklosigkeit basierten ebenfalls expressis verbis auf dem Diktat einer maskulin ausgerichteten Ästhetik. Offen bekundete Mondrian seine Sympathie für den Frauenhass der Futuristen, die in Filippo Tommaso Marinettis Suche nach der artifiziellen Maschinenfrau kulminierten.42

Bauhaus und Bubikopf: Der Typenschnitt im genormten Raum

Abb. 09: Ernst Neufert: Menschen, Abmessungen und Platzbedarf. In: Neufert 1936 (vgl. Anm. 44).

Unter diesen Prämissen sieht es so aus, als hätte sich die Kompatibilität der Frau innerhalb der von Gropius und seinen Mitstreitern geforderten Technik des Miteinanderfunktionierens von Teilen nur über ihre Vermännlichung und Uniformierung erreichen lassen. Ihre geschlechtliche Nivellierung wurde dabei durch das medial vermittelte Bild der Neuen Frau unterstützt. Über Kleidung und Haarfrisur wurden individuelle Unterschiede, vor allem weibliche Rundungen – Brust, Hüfte, Locken – kaschiert, beziehungsweise beschnitten. So gesehen waren Bubikopf und der mit ihm einhergehende Jumper oder Hosenanzug die adäquate Antwort auf eine angesagte universelle, eindeutig maskulin konnotierte Konformität. Sie bedienten den »Triumph der Gleichform und des Zusammenpassens«.43 Der genormte Look des »Bauhausmädels« korrespondierte eins zu eins mit den Typisierungsbestrebungen des Neuen Bauens, dessen ultimatives Ergebnis mit der Bauentwurfslehre des Bauhaus-Schülers Ernst Neufert vorgelegt wurde.44 Hier treten Heerscharen von standardisierten gesichtslosen Gestalten an, um für Funktions-Schemata und Bautypologien, Raumbedarf, Abstandsberechnungen, Einrichtungen und Geräte Maß zu stehen (Abb. 09).

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Z um S chluss »Bubikopf« und »Bauhaus« im Gleichschnitt? Letztlich ist der weibliche Kurzhaarschnitt in seiner Ambivalenz zwischen Protest und Anpassung, zwischen Emanzipation und Typisierung nicht eindeutig zu verorten. Die faszinierenden Zwischenräume, in denen sich androgyn schimmernde Kunstfiguren tummelten – die Lust an der Maskerade, der spielerische Rollentausch, die ironisierende Koketterie –, böten einmal mehr Stoff für spannende Untersuchungen. Sie können hier nur angedeutet werden. Wenngleich weiterhin vermessen wurde und für Massen projektiert wurde, mit dem Aufstieg der Nationalsozialisten gingen beide, »Bauhaus« und »Bubikopf«, ins Exil. »Heute sehen die Häuser vielerorts wie reisefertig drein«, so sollte Ernst Bloch die moderne Architektur charakterisieren. »Obwohl sie schmucklos sind oder eben deshalb, drückt sich in ihnen Abschied aus. […] Ja die Feinfühligkeit der westlichen Architektur geht so weit, daß sie ziemlich lange schon, auf Umwegen, den Krieg witterte, der das Hitlerische ist, und sich auf ihn bereitete.«45 Selbiges ließe sich von den Bubiköpfen sagen, die immer gekämmt, ausgehbereit, reisefertig waren. Für diejenigen, die nicht ins Exil gingen, lieferten Modemagazine die entsprechenden Anleitungen, die einen Kurzhaarschnitt in überraschender Wandlungsfähigkeit zu einer weiblichen Knotenfrisur umgestalteten.

A nmerkungen 1 | Foto vermutlich von Erich Consemüller vgl.: https://www.bauhaus100.de/de/da​ mals/koepfe/studierende/erich-consemueller/(Abruf November 2017); in verschiedenen Publikationen über das Bauhaus wird der Fotograf auch als unbekannt bezeichnet. Zu seinen fotografischen Arbeiten vgl. Wulf Herzogenrath/Stefan Kraus (Hg.): Erich Consemüller. Fotografien Bauhaus-Dessau. München 1989. 2 | Zu den Frauen am Bauhaus vgl. Anja Baumhoff: »Frauen am Bauhaus – ein Mythos der Emanzipation«. In: Jeannine Fiedler/Peter Feierabend (Hg.): Bauhaus. Potsdam 2013, S. 96-107. Sowie: Ulrike Müller: Bauhaus-Frauen. Meisterinnen in Kunst, Handwerk und Design. München 2009. 3 | Hermann Handke: Der Bubikopf von Agamemnon bis Stresemann. Berlin 1926, S. 46. 4 | Zur Haarmode um 1800 vgl.: Almut Junker: »Revolution in der Mode«. In: Viktoria Schmidt-Linsenhoff (Hg.): Sklavin oder Bürgerin? Französische Revolution und Neue Weiblichkeit. Marburg 1989, S. 520-525. Irene Antoni-Komar: »›Die Ohren ganz nackt und frey‹. Zur Rezeption der Frisur à la Titus am Ende des 18. Jahrhunderts«. In: Christian Janecke (Hg.): Haar Tragen. Eine kulturwissenschaftliche Annäherung. Köln, Weimar, Wien 2004, S. 209-231.

Bauhaus und Bubikopf: Der Typenschnitt im genormten Raum 5 | Vgl. Gisela Brinker-Gabler/Karola Ludwig/Angela Wöffen (Hg.): Lexikon deutschsprachiger Schriftstellerinnen 1800-1945. München 1986. Karin Tebben (Hg.): Beruf: Schriftstellerin. Schreibende Frauen im 18. und 19. Jahrhundert. Göttingen 1998. 6 | Gesa Kessemeier: Sportlich, sachlich, männlich. Das Bild der »Neuen Frau« in den Zwanziger Jahren. Zur Konstruktion geschlechtsspezifischer Körperbilder in der Mode der Jahre 1920 bis 1929. Dortmund 2000, S. 2. Vgl. ebenfalls: Adelheid Rasche: »Der männliche Blick. Das Bild der ›Neuen Frau‹ in Männer-Zeitschriften«. In: Stefanie Bung/ Margarete Zimmermann (Hg.): Garçonnes à la Mode im Berlin und Paris der Zwanziger Jahre. Querelles Jahrbuch für Frauen und Geschlechterforschung 11. Göttingen 2006, S. 118-132. 7 | Nina Bolt: »Rites de passage – Über das Haareschneiden als Initiationsritus«. In: Dies.: Haare. Eine Kulturgeschichte der wichtigsten Hauptsache der Welt. Bergisch Gladbach 2001, S. 68. 8 | Adolf Loos: »Kurze Haare. Kurz oder lang – männlich oder weiblich.« (11928). In: Adolf Loos. Gesammelte Schriften, hg. v. Adolf Opel. Wien 2010, S. 690. 9 | Persönliches Gespräch der Autorin mit Ricarda Schwerin in Jerusalem im Juni 1984 – Aufzeichnung aus dem Gedächtnis. Für weitere Angaben zu Ricarda Schwerin vgl.: Ines Sonder/Werner Möller/Ruwen Egri: Vom Bauhaus nach Palästina – Chanan Frenkel, Ricarda und Heinz Schwerin. Reihe Bauhaus Taschenbuch 6, Leipzig 2013. 10 | Vgl. hierzu: Bolt 2001 (vgl. Anm. 7), S. 183-198. 11 | Lothar Schreyer: »Hoffnung auf eine neue Welt«. In: Eckhard Neumann (Hg.): Bauhaus und Bauhäusler. Erinnerungen und Bekenntnisse. Köln 1985, S. 122. 12 | S’ew W. Joffe: »Erinnerungen an das Bauhaus«. In: Israel Nachrichten 20.6.1980, S. 6. 13 | Pierre Bourdieu: La distinction. Critique sociale du jugement. Paris 1979. In der dt. Übersetzung: Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft. Frankfurt a. M. 1982. 14 | Müller 2009 (vgl. Anm. 2), S. 10. 15 | Vgl. Baumhoff 2013 (vgl. Anm. 2), S. 102. Sowie Helene Nonné-Schmidt: »Das Gebiet der Frau im Bauhaus«. In: Vivos voco, Bd. V, H. 8/9, August-September 1926. Abdruckt in: Hans M. Wingler: Das Bauhaus. Weimar, Dessau, Berlin, 1919-1933. Bramsche 1962, S. 126. 16 | Marianne Brandt: »Briefe an die junge Generation« (11971), zit. n. Müller 2009 (vgl. Anm. 2), S. 118. 17 | Vgl. Baumhoff 2013 (vgl. Anm. 2). 18 | Walter Gropius: Bauhausbauten Dessau. Bauhausbuch Bd. 12. München 1930 (Nachdrucke Mainz 1974, Berlin 1997), S. 100 und 137. 19 | Vgl. Ulla Terlinden: »Philanthropie und Emanzipation. Konzepte und Praktiken von Frauen im 19. und frühen 20. Jahrhundert zur Wohnreform und zum Städtebau«. In: Katia Frey/Eliana Perotti (Hg.): Theoretikerinnen des Städtebaus. Texte und Projekte für die Stadt. Berlin 2015, S. 47-88. Hier ebenfalls Abdruck des Textes von Erna Meyer: »Das Küchenproblem auf der Werkbundausstellung« (11927), S. 85-88.

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Ita Heinze-Greenberg 20 | Ebd., S. 99-131. 21 | Ebd., S. 144. Ise Gropius brachte sich neben organisatorischen Aufgaben teilweise auch gestalterisch mit ein. Jedoch tritt sie eindeutig hinter ihrem Mann zurück und wird in keiner Publikation als Designerin aufgeführt. Allerdings gewinnt sie als Autorin von Feuilletonbeiträgen und von Artikeln für die Bauhaus-Kataloge Anerkennung. Vgl. hierzu: Mercedes Valdivieso: »Frau Bauhaus. Ise Gropius and her role in the Bauhaus«. In: Haruhiko Fujita (Hg.): Another Name for Design. Words for Creation. Proceedings of the 6th International Conference on Design History and Design Studies. Osaka 2008, S. 422-425. 22 | Sport im Bild, Nr. 17/1926, S. 755, zit. n. Kessemeier 2000 (vgl. Anm. 6), S. 67. 23 | Moden-Spiegel, Nr. 18/1922, S. 1, zit. n. Kessemeier 2000 (vgl. Anm. 6), S. 66, Anm. 59. 24 | Moden-Spiegel, Nr. 30/1928, o.S., zit. n. Burcu Dogramaci: »›Frauen, die ihr Geld selbst verdienen‹. Lieselotte Friedländer, der ›Moden-Spiegel‹ und das Bild der großstädtischen Frau«. In: Bung/Zimmermann 2006 (vgl. Anm. 6), S. 47-67, hier: S. 47. 25 | Vogue, Ausgabe vom 12.9.1928, S. 27, zit.n. Kessemeier 2000 (vgl. Anm. 6), S. 67, Anm. 59. 26 | Die deutschsprachige Ausgabe der Vogue erschien von April 1928 bis Oktober 1929 in Berlin. Künstlerischer Leiter war Herbert Bayer, der zuvor die Werkstatt für Druck und Reklame am Bauhaus geleitet hatte. 27 | Elegante Welt (1928), zit. n. Petra Bock/Katja Koblitz (Hg.): Neue Frauen zwischen den Zeiten. Berlin 1995, S. 20. 28 | »Der Backfisch aller Zeiten«. In: Moden-Spiegel, Nr. 30/1928 v. 7.8.1928, S. 3. 29 | Bei seiner ersten Ansprache an die Bauhaus-Lehrlinge verkündete Gropius: »Keine Unterschiede zwischen dem schönen und starken Geschlecht«. Zit. n. Müller 2009 (vgl. Anm. 2), S. 9. 30 | Vgl. Ernest W. Uthemann: Johannes Itten. Alles in Einem − alles im Sein. Ostfildern 2003. 31 | Magdalena Droste: »Unterrichtsstruktur und Werkstattarbeit am Bauhaus unter Hannes Meyer«. In: hannes meyer. 1889-1954. Architekt, urbanist, lehrer. Ausst.-Kat. hg. v. Bauhaus-Archiv, Berlin und dem Deutschen Architekturmuseum. Frankfurt a. M., Berlin 1989, S. 134-165, hier S. 135. 32 |  Zitiert nach: https://www.bauhaus100.de/de/damals/koepfe/meister/karlagrosch/index.html (Abruf November 2017). Zum Sport am Bauhaus vgl.: Ute Ackermann: »Körperkonzepte der Moderne am Bauhaus«. In: Fiedler/Feierabend 2013 (vgl. Anm. 2), S. 88-95. 33 | Friedewald 2015 (vgl. Anm. 32). 34 | Siegfried Kracauer: »Ornament der Masse« (11927). In: Ders.: Ornament der Masse. Essays. Frankfurt a. M. 1963, S. 50-63. 35 | Walter Benjamin: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit (11939). Ausgabe Suhrkamp Studienbibliothek I. Frankfurt a. M. 2007, S. 47.

Bauhaus und Bubikopf: Der Typenschnitt im genormten Raum 36 | Robert Musil: Der Mann ohne Eigenschaften. [1. Bd. Berlin 1930; 2. Bd. Berlin 1933]. Hamburg 1994, S. 722. Die folgende Passage entlehnt ihren Inhalt einem früheren Beitrag der Autorin: »Oskar Schlemmer und Ernst Neufert. Typisierung und Normierung am Bauhaus«. In: trans 24, Zürich 2014, S. 46-53. 37 | Walter Gropius: »Der Architekt als Organisator der modernen Bauwirtschaft und seine Forderungen an die Industrie« (11928), zitiert nach: Karl-Heinz Hüter: »Vom Gesamtkunstwerk zur totalen Architektur. Synthesekonzeptionen bei Gropius und dem Bauhaus«. In: Bauhaus-Kolloqium. Weimar 1976, S. 507. 38 | Walter Gropius: »Der Baugeist der neuen Volksgemeinde«. In: Die Glocke 10, 1 (1924), S. 311. 39 | Droste 1989 (vgl. Anm. 31), S. 138. 40 | Ludwig Hilberseimer: Großstadtarchitektur. Stuttgart o.J. (1927), S. 103. 41 | Theo van Doesburg: »Der Wille zum Stil« (11922). Zit. n. Sokratis Georgiadis: »Er oder sie?: Anmerkungen zum Geschlecht in der Architektur«. In: Werk, Bauen + Wohnen. 78 (1991), S. 26. 42 | Ebd. 43 | Vgl. Wolfgang Voigt: »›Triumph der Gleichform und des Zusammenpassens.‹ Ernst Neufert und die Normung der Architektur«. In: Winfried Nerdinger (Hg.): Bauhaus-Moderne im Nationalsozialismus. Zwischen Anbiederung und Verfolgung. München 1993, S. 179-193. 44 | Ernst Neufert: Bauentwurfslehre. Grundlagen, Normen, Vorschriften. 1. Aufl. Berlin 1936. 41. erw. Aufl. Wiesbaden 2015. Ernst Neufert ist aus dem Bauhaus und dem Büro Gropius hervorgegangen. Mit seiner Bauentwurfslehre, die aus seinen »Hilfsblättern« für die Studierenden an der Bauhochschule in Weimar resultierte, entwickelte er sich mit zur internationalen Autorität für alle Mass-Fragen in der Architektur. 45 | Ernst Bloch: Das Prinzip Hoffnung. Vierter Teil: Grundrisse einer besseren Welt. Kapitel 38: Bauten, die eine bessere Welt abbilden, architektonische Utopien. Frankfurt a. M. 1998, S. 858-859.

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Verhüllen und Enthüllen

Von der Leinwand zum Körper Die Kleiderentwürfe von Sonia Delaunay Kathleen James-Chakraborty

Abb. 01: Zwei Models tragen von Sonia Delaunay entworfene und von Heim hergestellte Pelzmäntel; das Auto, vor dem sie stehen, ist nach dem Vorbild eines Stoffes von Sonia Delaunay bemalt; dahinter ist die Frontseite von Robert Mallet-Stevens Pavillon du Tourisme auf der internationalen Exposition des Arts décoratifs et industriels modernes, Paris, 1925, zu sehen. Bibliothèque Nationale de France, Paris.

Sonia Delaunay (1885-1979) erweiterte ihr Tätigkeitsfeld als Künstlerin sehr früh in ihrer Karriere über die Malerei hinaus. Sie beschäftigte sich mit einer Vielzahl von Themen, von der Buchgestaltung bis hin zum Automobildesign. Ein Großteil ihrer Arbeiten war allerdings Textilien und der Mode gewidmet. Diese verschiedenen Tätigkeitsfelder werden in einer exemplarischen Auf-

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nahme aus dem Jahre 1925 deutlich. Das Bild zeigt ein Mannequin am Steuer eines Citroën B12, dessen Chassis Delaunay grafisch und farblich gestaltet hatte; das Mannequin am Steuer und ein weiteres Model neben dem Wagen tragen Kleidung, die – einschließlich der Pelzmäntel – von Delaunay entworfen wurde (Abb. 01). Delaunay beschäftigte sich erstmals 1911 mit Textilien. In diesem Jahr fertigte sie eine Collage aus Stoffen an, die als Quilt für ihren kleinen Sohn bestimmt war. Zwei Jahre später kleidete Dalaunay sich und ihren Ehemann Robert in Outfits, die Themen ihrer damals neuartigen SimultanGemälde aufgriffen. Zwischen 1918 und 1926 folgten dann Kostüme für die Ballets russes, für mindestens sieben Filme, für Dada-Aufführungen und Wohltätigkeitsbälle. In den 1920er Jahren entwarf Delaunay Kleider im Kontext der Dada-Bewegung und verdiente anschließend den Lebensunterhalt für sich und ihre Familie als professionelle Stoffdesignerin und Modeschöpferin. Obwohl sie sich schließlich 1929 aus dem Haute Couture-Geschäft zurückzog, entwarf auch in den folgenden drei Jahrzehnten Vorlagen für bedruckte Textilien. Aus dienen Gründen überrascht es nicht, dass sich die heute rasch anwachsende Literatur über diese faszinierende und gut vernetzte Frau auf die Verbindungen zwischen Mode und Malerei konzentriert.1 Wie aber sieht es aus, wenn man Delaunay aus der Perspektive der Architektur betrachtet? Oder anders: Welche Rolle spielen konstruktive Prinzipien beim Transfer von zweidimensionalen Entwürfen auf dreidimensionale Kleidungsstücke? Wie verändert die Tatsache, dass diese Kleider auf sich bewegenden Körpern getragen werden, die Art der Wahrnehmung? – Streng genommen sind dies keine architekturspezifischen Fragen. Aber sie sind entscheidend, um Sonia Delaunays Weg von der Malerei zum Entwurf von Textilien und den daraus hergestellten Kleidungsstücken zu beschreiben. Jeder Versuch einer Antwort muss auf die Bedeutung der Architektur von Robert Mallet-Stevens für Sonia Delaunay eingehen. Dies ist bereits auf der eingangs erwähnten Fotografie ersichtlich. Der von ihr gestaltete Wagen steht nicht zufällig vor Mallet-Stevens Tourismuspavillon auf der Exposition des Arts décoratifs et industriels modernes in Paris. Gleichfalls bemerkenswert sind Art und Weise, wie Delaunay und ihr Ehemann Robert andere dazu inspirierten, einen abstrakten dreidimensionalen Gebrauch von Farbe zu verinnerlichen. Sonia Delaunay stand sich auf der Schnittstelle mehrerer Kulturen, beherrschte mehrere Sprachen fließend und war in besonderer Weise fähig, das deutsche Konzept des Gesamtkunstwerkes in der Arbeit mit farbigen Oberflächen ohne einen Umweg über die zugrundeliegenden Räume und Konstruktionen neu zu interpretieren. In dieser Zugangsweise wurde sie von neuen Strömungen des Theaters inspiriert und gestaltete sie mit. Die Bedeutung dieser theaterbezogenen Projekte als entscheidende Quelle für die Entwicklung der Abstraktion in Malerei und Architektur wird heute noch häufig übersehen.2

Von der Leinwand zum Körper

Sonia Delaunay war eine der ersten abstrakten Malerinnen, später, zwischen 1917 und den 1930er Jahren, bestritt sie den Lebensunterhalt für sich und ihre Familie allerdings teilweise dadurch, dass sie Kostüme, Kleider und Stoffe entwarf.3 Ihre Beschäftigung mit Mode und Textilien war in diesen Jahren zweifelsohne vor allem wirtschaftlich motiviert, ist jedoch auch als Teil der Art und Weise verstehen, in der die Avantgarde in den 1920er Jahren für die Herstellung von Luxusgütern vereinnahmt wurde. Dies gilt vor allem für Paris, wo Delaunay von 1905 bis zu ihrem Tod lebte.4 Die Verbindung zwischen Luxusindustrie und Avantgarde wird häufig übersehen, während andererseits die Verbindungen der modernen Architektur und des modernen Designs zu Sozialismus und Arbeiterklasse überbewertet werden. Möglicherweise war Sonia Delaunay eine Revolutionärin, doch ihre Radikalität war eher künstlerischer und sozialer Natur als politisch motiviert. Sarah Ilnichna Stern kam in der heutigen Ukraine zur Welt. Als kleines Kind wurde sie von ihrem Onkel mütterlicherseits, Henri Terk, und seiner Ehefrau adoptiert. Bis zum Ausbruch der Russischen Revolution im Jahre 1917 ermöglichte Terks Erfolg als Rechtsanwalt Sonia – wie sie nun von ihrer Familie genannt wurde, vielleicht, um ihren Namen weniger jüdisch klingen zu lassen – ein angenehmes Leben. Schon als Teenager waren ihre künstlerischen Fähigkeiten vielversprechend. Sie studierte in Karlsruhe, bevor sie 1905 im Alter von zwanzig Jahren nach Paris zog. Dort schloss sie eine Zweckehe mit dem Galeriebesitzer und Kunsthändler Wilhelm Uhde, begann eine Affäre mit dem Maler Robert Delaunay und heiratete diesen im Jahr 1910. Das Ehepaar Delaunay begründete einen eigenständigen abstrakten Weg in der Malerei, den ihr Freund Guillaume Apollinaire 1912 »Orphismus« taufte, während sie selbst eher das Adjektiv »simultan« verwendeten.5 In ihren Bildern, deren starke Farben und runde Formen einen scharfen Bruch mit der gedämpften Farbpalette und den spitzen Kanten des frühen Kubismus vollzogen, betonten sie optische Kontraste. In einem 1926 geschriebenen Brief schilderte Sonia Delaunay den Ansatz, den sie und Robert vierzehn Jahre zuvor entwickelt hatten: »Wir teilen Farben auf, oder besser: Wir teilen die Schatten von Farben in heiß und kalt auf. Wir beginnen mit einem reinen Farbelement und schaffen dadurch Ebenen, Formen, Tiefen und Perspektiven. Linie oder Chiaroscuro existieren nicht mehr: Sie wurden ersetzt durch die Fotografie und ihren deskriptiven Einfluss auf das Gehirn. Malerei und Dekor haben einzigartige Farbbeziehungen, die in der Lage sind, die Natur wahrheitsgetreuer und sorgfältiger nachzubilden als das Chiaroscuro. Die auf diese Weise konzipierte Farbskala wird realistischer und lebendiger.« 6

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Von Anfang an praktizierte das Ehepaar Delaunay einen multimedialen Ansatz. Die Wurzeln ihrer abstrakten Versuche mit Farbe hat die jüngere Forschung bis zu einer Patchwork-Bettdecke zurückverfolgt, die Sonia Delaunay 1911 für das Bett ihres kleinen Sohnes anfertigte, sowie zu einer Stickarbeit, die noch früher im Jahr 1909 entstand.7 1913 entwarf sie für sich und ihren Ehemann Simultan-Kleidungsstücke für einen Pariser Tanzpalast namens Bal Bullier, der auch Gegenstand eines ihrer bedeutendsten frühen Gemälde ist. Sonia Delaunays Auftritt in diesem Kleid inspirierte den Dichter Blaise Cendrars zu einem Gedicht mit dem Titel »Sur la robe elle a un corps.«8 Sonia und Robert arbeiteten später gemeinsam an einer zwei Meter langen Edition des Gedichtes »La Prose du Transsibérien et de la Petite Jehanne de France«, die gleichermaßen ein Meilenstein in der Entwicklung der abstrakten Kunst, der modernen Kunst und des Künstlerbuchs ist.9 Die Wirkung der dekorativen Künste und besonders der Textilien auf die Avantgarde des frühen 20. Jahrhunderts wurde zwar in Bezug auf Wassily Kandinsky, Henri Matisse und Paul Klee erforscht, nichtsdestotrotz übersehen Darstellungen der modernen Malerei aber im allgemeinen die Verbindung der Avantgarde zu den sogenannten »minderen« Künsten.10 Eine solche Zusammenarbeit in der künstlerischen Praxis war in Frankreich weniger üblich als in Deutschland. Dort waren der Einfluss der englischen Arts and Crafts-Bewegung und der daraus entstandene Jugendstil von größerem Einfluss, mit Peter Behrens, Richard Riemerschmid und Henry van de Velde; letzterer war Belgier, lebte aber von 1901 bis 1917 erst in Deutschland, dann in der Schweiz. Behrens, Riemerschmid und van de Velde kamen von der Malerei zum Design und zur Architektur. Van de Velde entwarf Reformkleider wie jene weit taillierte Jugendstil-Kreation, die seine damals wohl schwangere Ehefrau auf einer Schwarz-Weiß-Fotografie aus dem Jahre 1901 vorführt.11 Das Kleid ist (in einem konventionellen Sinne) deutlich weniger modisch als jenes, das sie auf dem ein Jahrzehnt früher von Théo van Rjsselberghe geschaffenen Gemälde trägt, das im Hintergrund der Fotografie zu sehen ist. Sonia Delaunay, die Deutsch, Russisch und Französisch sprach und ursprünglich im Stil des deutschen Expressionismus malte, muss sich der Möglichkeit derartiger künstlerischer Transfers und facettenreicher Karrieren wie jener van de Veldes bewusst gewesen sein. In den 1910er Jahren und dann erneut in den 1920er Jahren, als ihre Mode Gegenstand mehrerer Artikel in der deutschen Presse war, stand das Ehepaar Delaunay in engem Kontakt zum deutschsprachigen Europa.12 Sie korrespondierten ab 1911 mit dem damals in München lebenden Kandinsky und später mit August Macke und Franz Marc. Paul Klee besuchte sie im Jahre 1912 in Paris, und im gleichen Jahr stellten sie auf Einladung von Hans Arp in Zürich aus. Der Herbstsalon, den die Berliner Sturm-Galerie 1913 veranstaltete, schloss eine Anzahl dekorativer Arbeiten von Sonia Delaunay ein.13

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Abb. 02: Sonia Delaunay in einem Simultan-Kleid, 1913. Fotos Germaine Krull. In: Montjoie! Organe de l’impérialisme artistique francais. Gazette bimensuelle illustrée (1914, 4-56) Avril-Juin, S. 24. Bibliothèque Nationale de France, Paris.

Die Beziehung zwischen Sonia Delaunays Gemälden und ihren zwei- und dreidimensionalen Stoffentwürfen ist offensichtlich. Wie neuartig ihre Experimente auf dem Gebiet der Abstraktion tatsächlich waren, wird klar, wenn man bedenkt, dass sie den bereits erwähnten Quilt ein Jahr vor Picassos erster kubistischer Collage angefertigt hat. Die Unterschiede zwischen ihren Gemälden und dem Simultan-Kleid (Abb. 02) sind jedoch ebenfalls wichtig. Sie verdeutlichen, was Delaunay von dem Umfeld – dem Pariser Nachtleben – lernte, in dem man das Kleid an ihr sehen sollte. Das Kleid enthält beinahe ebenso viele Stofftypen und -texturen wie helle Töne. Die Webart des Stoffes ist für das Kleid von sehr viel größerer Bedeutung als dies bei der Leinwand ihrer Gemälde der Fall ist. Ebenfalls wichtig ist die Art und Weise, wie das Kleid die Bewegungen seiner Trägerin präsentieren soll. Sein asymmetrischer Schnitt mit einem Puffärmel und einem gerade geschnittenen Ärmel sowie die umwickelten Ränder mit der Turnüre auf nur einer Gesäßhälfte erwachten zum Leben, als Sonia Delaunay tanzte. Der kinetische Charakter des Tanzpalastes, für den sie das Kleid trug, war ihr so wichtig, dass sie bei ihrer weitgehend abstrakt malerischen Darstellung die menschlichen Figuren nicht völlig verbarg. Das Wesen der im Bal Bullier aufgeführten Darbietungen könnte Delaunays Kunst und durchaus auch die ihres Ehemannes beeinflusst haben. Pascal Rousseau hat in seiner 1999 erschienenen Untersuchung die Vermutung formuliert, dass die Kunst von Sonia und Robert Delaunay teilweise vom neu-

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artigen Gebrauch des farbigen elektrischen Lichts bei der Ausstattung des Ball Bullier beeinflusst war. Einen weiteren Einfluss sieht Rousseau in den Aufführungen der amerikanischen Tänzerin Loïe Fuller, deren Namen Sonia Delaunay einem ihrer Aquarelle gab.14 Farbiges Licht war ebenfalls Bestandteil des modernen Theaters im deutschsprachigen Europa; die Produktionen von Adolphe Appia, Gordon Craig und Max Reinhardt sind für den Gebrauch dieses Mediums bekannt. Robert Delaunay hatte eine Lehre in Bühnen- und Dekorationsmalerei und keine akademische Kunstausbildung absolviert; beide Eheleute waren sich vermutlich bewusst, dass der Ursprung des Gesamtkunstwerks in den Schriften von Richard Wagner lag und weniger in der englischen Arts and Crafts-Bewegung, mit der man den Begriff häufig in Verbindung brachte.15 Sonia Delaunays Patchwork-Arbeiten waren mit großer Sorgfalt von einer verhältnismäßig wohlhabenden Künstlerin gemacht, die von der großzügigen finanziellen Unterstützung ihres Onkels lebte. Als sich ihre wirtschaftlichen Verhältnisse jedoch änderten, wurden diese Arbeiten zum Ausgangspunkt einer neuen Karriere; Sonia Delaunay begann, mit ihrer Arbeit den Lebensunterhalt für sich, ihren Ehemann und ihren gemeinsamen Sohn zu verdienen. Bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs im August 1914 machte die Familie Delaunay Urlaub in Spanien. Dort und im benachbarten Portugal verbrachten sie die nächsten sechs Jahre. Robert Delaunays Ansehen in Frankreich erholte sich nie wieder völlig von seiner Entscheidung, nicht zum Waffendienst einzurücken.16 Unterdessen bedeutete der Ausbruch der Russischen Revolution im Jahre 1917, dass die Delaunays finanziell auf sich allein gestellt waren. Sonia erwies sich nun als überaus geschickt, ihre Erfahrung, mit Farbe zu arbeiten, wirtschaftlich erfolgreich für Aufträge für Theaterkostüme, Kleidermode und bedruckte Textilien zu nutzen. Sonia Delaunays erster Durchbruch in Spanien kam durch die Unterstützung eines befreundeten Russen zustande, der ein starkes Interesse an der modernen Bildenden Kunst hatte. Während sich Serge Diaghilev in Spanien aufhielt, machten seine Ballets russes eine Tournee durch Südamerika; dabei wurden das Bühnenbild und die Kostüme der Inszenierung von Cleopatra durch einen Brand zerstört.17 Ende 1917 begann das Ehepaar Delaunay mit der Arbeit an der Ausstattung des Balletts Cleopatra, das im folgenden Jahr in London aufgeführt wurde. Die Inszenierung, die zuerst 1908 in St. Petersburg und 1909 in Paris mit einem Bühnenbild und Kostümen von Léon Bakst aufgeführt worden war, erhielt in ihrer neuen Fassung ein Bühnenbild von Robert und Kostüme von Sonia Delaunay.18 Diaghilevs Beauftragung des Ehepaares Delaunay war Teil einer umfassenden Neuorientierung; er orientierte sich nun nicht länger an dem Russen Bakst, der grundsätzlich dem Symbolismus verpflichtet war, sondern an der Pariser Avantgarde der Vorkriegszeit, die sich nun in Richtung Mainstream bewegte. Zu diesem Zeitpunkt war Picasso der

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einzige in Paris lebende Maler, an den sich Diaghilev zwecks einer Zusammenarbeit wandte; dieser hatte bereits 1917 für die Inszenierung von Parade Kostüme und Bühnenbilder entworfen. Das jetzt im Besitz des Los Angeles County Museum of Modern Art befindliche, von Delaunay für die Figur der Cleopatra entworfene Kostüm wurde ursprünglich von Lubov Tchernicheva getragen (Abb. 03). Es bezieht sich zwar auf Sonias zweidimensionale Gemälde, weist aber eine Reihe charakteristischer Unterschiede auf.19 Man beachte den Unterscheid zu dem fünf Jahre zuvor entstandenen Simultan-Kleid. Delaunay spielt nun viel stärker mit der Struktur des Kleides als Mittel, um die Formen ihrer Bilder im wörtlichen Sinne dreidimensional auszufalten. Die eigentliche Komposition jedoch ist ruhiger, und es ist paradoxerweise weniger naheliegend, dass sich ein Körper in dieser Hülle in einer ähnlichen Weise bewegen sollte wie in ihrem Simultan-Kleid von 1913. Stoffeinlagen und -überlagerungen, die mit goldener Einfassung hervorgehoben sind, erinnern an die für den Orphismus charakteristischen Kreismotive. Die Art und Weise, wie sich diese Motive zu konischen Brüsten formen oder die Streifen des Rocks und der Kopf bedeckung beziehen sich aber in gleicher Weise auf das exotische Thema des Balletts.

Abb. 03: Das Kostüm von Kostüm für Lubov Tchernicheva als Cleopatra; Entwurf Sonia Delaunay 1918. Los Angeles County Museum of Modern Art; Copyright: National Gallery of Australia.

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Zu diesem Zeitpunkt war Sonia Delaunay Geschäftsfrau und Künstlerin. In Madrid eröffnete sie für kurze Zeit eine Boutique mit dem Namen Casa Sonia. Nach ihrer Rückkehr zeigte ihr erstes Projekt in Paris allerdings sogleich ihre ungebrochene Vorliebe für die Avantgarde. Während ihr Ehemann Porträts von Tristan Tzara und anderen Modellen malte, die in ihre Stoffe gekleidet waren, bezog Sonia weiterhin die Literatur in ihre Arbeit ein und entwarf – in ihren Worten – robes poèmes, die mit Texten von Tzara, Cendrars und anderen Dada-Dichtern beschrieben waren. Ob diese Entwürfe tatsächlich ausgeführt wurden, ist allerdings ebenso eine offene Frage wie der Aspekt, inwieweit sich Delaunay in diesen Schöpfungen an Struktur und Bewegung des Körpers orientierte oder eher zweidimensionale Entwürfe auf dem Papier schuf.20 Struktur und Bewegung des Körpers spielten demgegenüber bei den Kostümen ganz eindeutig eine Rolle, die Sonia Delaunay für die zweite Inszenierung von Tzaras Stück Le Cœur gaz entwarf, das 1923 in Paris aufgeführt wurde.21 Hier experimentierte Delaunay eher mit der Vorstellung eines Kostüms als mit der eines realen Kleides, indem sie eine weibliche Figur der Mehrdeutigkeit zwischen dem Körper als gemaltem Blld, dem Körper als Skulptur und dem realen Körper, der das (gemalte zweidimensionale) Kostüm trug, aussetzte. Noch viel radikaler hinsichtlich der Einbeziehung von Kostüm und Bühnenbild, Farbe und Bewegung war das Tanz-Stück La danseuse aux Disques, das ebenfalls 1923 in der Licorne-Galerie aufgeführt wurde. Ein Dichter namens Iliazd, der 1894 in der georgischen Stadt Tiflis geboren und 1921 nach Paris gekommen war, organisierte den Abend. Ein anderer osteuropäischer Exilant, die rumänische Tänzerin Lizica Codreanu, führte das Stück vor.22 1926 schrieb Sonia Delaunay die Handlung des Tanz-Stückes für den Film Le P’tit Parigot um, dessen künstlerische Leitung sie und ihr Mann innehatten; auf diese Produktion wird noch zurückzukommen sein (Abb. 04). Vorführungen wie die eben beschriebenen haben in der Kunst- und Mediengeschichte bislang wenig Beachtung gefunden. Ihre besondere Qualität besteht darin, die Grenzen zwischen der Bildenden Kunst, Tanz, Theater und gelegentlich auch der Literatur in einer Weise aufzulösen, welche spätere surrealistische Inszenierungen vorwegnimmt, ganz zu schweigen von der Performance-Kunst der 1960er Jahre. Obwohl diese Vorführungen streng genommen keinen eigentlich architektonischen Charakter besitzen, stand die Wahrnehmung von Architektur in den improvisierten Bühnenbildern häufig stärker im Vordergrund als bei realen Gebäuden, deren Bewohner nach Besuch der Aufführung das Gefühl nicht losgeworden sein dürften, dass ihre Wohnräume jenen Bauten gleichen, die sie eben auf der Bühne gesehen hatten. Auch wenn sie nur unterschwellig wirkte, war die räumliche Wirkung dieser Stücke ein Schlüsselfaktor. Sonia Delaunay erinnerte sich später an Codreanus Vorführung:

Von der Leinwand zum Körper »Ihr sehr einfach gemachtes Kostüm bestand aus drei Elementen: einer großen Kartonscheibe, die mit Stoffen aus verschiedenem Material und in verschiedenen Farben, Orange und Grün, bedeckt und um das Gesicht der Tänzerin gebunden war und den oberen Teil ihres Körpers vollständig verbarg. Ein Halbkreis, auf dem zwei Rot- und Blautöne angeordnet waren, bildete ihren kurzen Rock, und ein schwarzer Kreis schließlich war mit ihrer rechten Hand, ein weißer mit ihrer Linken verbunden. Die Steifheit des Kostüms verdiente unbedingte Beachtung. Die Tänzerin musste sich frontal bewegen, und ihre Bewegungen hatten die Fläche zu berücksichtigen. Während sie die Position der Fläche mit großem Gespür veränderte, schuf und verwandelte Codreanu unaufhörlich Beziehungen zwischen den Farben.« 23

1923 entwarf Sonia Delaunay schließlich auch kommerziell hergestellte Textilien. Sie folgte dabei, wie bei ihrer Mitwirkung am experimentellen Theater, dem Beispiel zweier zeitgenössischer russischer Künstler, die in der Sowjetunion geblieben waren. Lyubov Popova und Varvara Stepanova arbeiteten in der Nachfolge konstruktivistischer Versuche, für den neuen Sowjetstaat Kunst und Alltagsleben miteinander zu verbinden.24 Sonia Delaunay allerdings war die persönliche Befreiung wichtiger als die politische Revolution. Obwohl sie

Abb. 04: Lizica Codreano am Set von René Le Somptiers Film Le P’tit Parigot im Pierrot-Éclair-Kostüm von Sonia Delaunay, 1926. Copyright L & M SERVICES B.V. The Hague 20100623.

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später – trotz der Tatsache, dass sie durch de Revolution um ein regelmäßiges Einkommen gebracht wurde – behauptete, die Russische Revolution begrüßt zu haben, sympathisierte sie in gleicher Weise mit den Opfern.25 So beschäftigte sie emigrierte Russen zum Nähen ihrer Entwürfe und lieferte Kostüme für mindestens einen Wohltätigkeitsball der großen russischen Exil-Gemeinde in Paris.26 Sonia Delaunay sah sich in Paris allerdings auch einer großen russischen Konkurrenz gegenüber. Einmal abgesehen von vielen talentierten Näherinnen gab es Natalia Goncharova, die 1916 begann, für die Ballets russes Entwürfe anzufertigen und 1921 schließlich von Moskau nach Paris kam. Auch sie hoffte, ihren Lebensunterhalt teils als Kostümbildnerin zu verdienen.27 Goncharova übertrug in ihrer Arbeit Erinnerungen an russische Volkskunst auf zeitgenössische Stilrichtungen. Obwohl ihre Abendkleider elegant waren, fehlt ihnen der starke Bezug sowohl zur abstrakten Malerei als auch zur modernen Architektur, der Sonia Delaunays neues Haute Couture-Geschäft charakterisierte. Dieses Geschäft bestand anscheinend hauptsächlich, um eine Nachfrage nach ihren Stoffen zu schaffen.28 Obwohl es sich – verglichen mit dem Aufgebot an internationalen Berühmtheiten, die ihre Mitbewerber Chanel und Lavin aufsuchten –, um einen Nischenmarkt handelte, waren Sonia Delaunays Entwürfe, die besonders von den Ehefrauen moderner deutscher Architekten geliebt wurden, zwar luxuriös, aber auch komfortabel und praktisch. Ise Gropius und Luise Mendelsohn zählten wie auch Elsie Altmann-Loos zu Delaunays Kundinnen.29 Obwohl vorzüglich gearbeitet, waren die Schnitte üblicherweise recht einfach. Als Beispiel sei ein Mantel genannt, der dem amerikanischen Filmstar Gloria Swanson gehörte, die sich im Winter 1924/25 in Paris aufhielt, um den Film Madame Sans-Gêne zu drehen.30 Ihr Delaunay-Mantel wies verhältnismäßig gedämpfte Farben auf. Das Linienmuster der auf einem Baumwoll- und Leinengrund aufgenähten Wollstickerei erzeugt den Eindruck einer verwinkelten Struktur. Robert Delaunay kommentierte später Arbeiten wie diese mit Worten, die eine Vertrautheit mit der zeitgenössischen Architekturtheorie nahelegen: »Für Sonia ist ein Kleid oder ein Mantel Teil des Raumes, arrangiert und entworfen und, in Gehalt und Dimensionen, im Ergebnis ein planvolles Ganzes, das jenen Gesetzen folgt, die zu einem Standard ihrer Kunst werden.«31 Delaunays Vorstöße auf das Gebiet der Mode dürfen nicht vereinfachend als Beispiel einer Kommerzialisierung von Avantgarde-Kunst gesehen werden. Sie stellen auch einen neuen Ansatz dar, der Farbe und Muster in Richtung der Dreidimensionalität erweitert. Dies schloss nicht nur die Kleider selbst ein, sondern auch die Ausgestaltung der Wohnung des Paares am Boulevard Malesherbes. Von dieser Wohnung aus leitete Sonia ihr Geschäft und in dieser Wohnung wurden ihre Kreationen oft fotografiert. Obwohl sich ihre modische Linie im großen und ganzen nicht von der anderer Modeschöpfer der Epoche

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unterschied, waren ihre Kleider durch die zunehmende Betonung ihrer rechtlinigen Struktur und ihrer geometrischen Muster leicht zu erkennen, wenn sie auch nicht unbedingt in überwältigender Weise populär wurden. Ihr Markenzeichen waren die gewagten, sorgfältig abgestimmten Farbblöcke, die jetzt häufiger die rechten Winkel modernistischer Bauten aufnahmen als die Kunst ihres Ehemannes, der kreisrunde Formen bevorzugte. 1924 posierte Sonia Delaunay mit zwei Mannequins vor Gemälden ihres Mannes – eines der Bilder war seine 1912-14 geschaffene Hommage an den französischen Piloten Blériot (jetzt Eigentum des Kunstmuseums Basel), ein Bild jüngeren Datums war das Gemälde Propeller aus dem Jahre 1923.32 Selbst Kleider, die leicht von diesem rechtwinkligen Schema abwichen, wurden typischerweise vor damit übereinstimmenden Beispielen ihrer eigenen Stoffe fotografiert.33 Häufig erinnern diese Kompositionen an Bühnenbilder, nicht zuletzt in der Art und Weise, in der ebene Flächen als Hintergrund für die auf unübliche Weise angeordneten menschlichen Figuren arrangiert wurden. Sonia Delaunay erreichte den Höhepunkt ihrer Karriere als Modeschöpferin im Jahre 1925, als die Exposition des Arts décoratifs et industriels modernes in Paris stattfand. Sie betrieb dort ein Verkaufsgeschäft in Zusammenarbeit mit dem jungen Kürschner Jacques Heim, der später selbst ein bekannter Couturier wurde.34 Erhalten haben sich eine Reihe von Fotografien von Sonia Delaunay und ihren Models, die auf der Messe vor den Gebäuden Mallet-Stevens und den kubistischen Beton-Bäumen Modell standen, die dieser zusammen mit den Zwillingsbrüdern Jan und Joel Martel entworfen hat (vgl. Abb. 01).35 Die gewagte Geometrie der Kleidung und der Architektur verstärkten gegenseitig unmissverständlich die modische Modernität zu einer Zeit, da die Verbindung der beiden Pole als Schlüssel für die fortgesetzte wirtschaftliche und künstlerische Vitalität des französischen Handwerks und der davon abhängigen Luxusindustrie angesehen wurde. Die Konstruktivisten und das Bauhaus entwickelten zu dieser Zeit abstrakte Entwürfe, welche die Erfahrungen der Arbeiterklasse darstellen und – zumindest später einmal – für Konsumenten aus der Arbeiterschaft zur Verfügung stehen sollten.36 Der Zweck der Messe von 1925 war demgegenüber, französisches Design einer wohlhabenden internationalen Klientel zu verkaufen, indem das, was in den 1910er Jahre zur Avantgarde der Bildenden Kunst zählte, mit dem traditionsreichen französischen Handwerk für Luxusgüter verschmolzen wurde.37 Diese grundlegende Unterscheidung und die Bedeutung eines Gefühls für das Theatralische, die für diese Marketingstrategie charakteristisch ist, werden in Sonia Delaunays Arbeiten für die Ausstattung von Filmen offensichtlich, die sie ein Jahr nach der Pariser Ausstellung anfertigte. Gemeinsam mit ihrem Ehemann übernahm sie mit Mallet-Stevens, Marie Laurencin und André Lurcat die künstlerische Leitung des Films Le Vertige. Die Kulissen wurden später erneut für die sechsteilige Serie Le P’tit Parigot verwendet, mit deren

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künstlerischer Leitung ebenfalls das Ehepaar Delaunay beauftragt war und in der Roberts Kunst und Sonias Textilien eine noch wichtigere Rolle spielten.38 Roberts Gemälde des Eiffelturms erscheint im Hintergrund einer Szene in Le Vertige, auf dem ein Schauspieler einen von Sonia entworfenen Morgenmantel trägt; die Kombination soll unterstreichen, dass es sich um ein Beispiel spezieller französischer Raffinesse handelt (Abb. 05). In ähnlicher Weise hängt in einer Kulisse von Le P’tit Parigot Robert Delaunays Manège de Cochons (1922) hinter einem Bett, doch stellen die unruhigen Muster auf den Kissen, der Bettdecke und den von Sonia entworfenen Kleidern das Bild in den Schatten.39

Abb. 05: Standbild aus dem Film La Vertige: Jacques Catelain in einem Morgenrock von Sonia Delaunay, 1927. Copyright: Marie-Ange l’herbier/Restauration CNC.

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Abb. 06: Bauhaus-Kleid von Lis Beyer-Volger, 1928. Stiftung Bauhaus Dessau.

Sonias Entwürfe sind zwar modern, aber auf eine ganz andere Weise als die Raumexperimente des freien Grundrisses, der Corbusiers zwei Jahre früher begonnener Villa Savoye seine Kraft verleiht. Abstrakte Muster auf Oberflächen ersetzen hier das gestalterische Experiment, Raum über neuartige Strukturprinzipien zu gliedern. Der Unterschied zwischen der im Bauhaus produzierten und der von Sonia Delaunay entworfenen Kleidung könnte nichtsdestotrotz auch deutlich kleiner ausfallen als der Abstand, der die Architektur von Robert Mallet-Stevens von den Arbeiten Le Corbusiers oder Walter Gropius’ trennt. Ein Kleid der Bauhaus-Studentin Lis Beyer-Volger aus einem selbst gewebtem Stoff und eines von Sonia Delaunay, bei dem eine metallene Stickerei auf bedrucktem Seidenatlas angebracht ist, verdeutlichen den Unterschied.40 Das sehr kurze, aus Baumwolle und einer synthetischen Seidenmischung gemachte Kleid von Lis Beyer-Volger weist in Dicke und Abstand unterschiedliche blaue und graue Streifen auf, die Bestandteile des handgewirkten Gewebes sind (Abb. 06). Sonia Delaunays Seidenkleid präsentiert hingegen gewagtere Farben in einem unregelmäßigen Muster, das mit silbernem Faden in ähnlich ausgerichteten, aber unregelmäßigen Streifen bestickt ist (Abb. 07). Die allgemeine Ähnlichkeit zwischen den beiden gestreiften Schichten ist nicht zufällig, da der Lehrer des Webkurses am Bauhaus kein anderer war als Paul Klee, den Sonia

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Abb. 07: Kleid aus bedrucktem Seidensatin mit metallischer Stickerei. Sonia Delaunay, Entwurf zwischen 1925 und 1928.

Delaunays Beiträge zum Berliner Herbstsalon 1913 stark beindruckt hatten.41 Man beachte jedoch, wie durchdacht Sonia Delaunays verschlankendes Design einer mit weißem Stoff abgesetzten bestickten Stoffsäule ist. Es scheint beinahe, als tanzten die dynamischeren Muster und Farben. Da ihr Kleid allerdings auch beträchtlich länger ist, wirkt es nicht annähernd so jugendlich und schockierend. Der Vergleich der beiden Kleider erinnert an die Schlüsselrolle, die das Ehepaar Delaunay bei befreiten abstrakten Experimenten mit Farbe spielte. Derartige Experimente waren jedoch nur selten primär architektonischer Art. Eine ungewöhnliche Ausnahme ist eine Reihe von Entwürfen des gebürtigen Tschechen August Wenzel Hablik (Abb. 08).42 Hablik könnte durchaus die Arbeiten des Ehepaars Delaunay gekannt haben, hatte er doch 1912 im Salon Der Sturm ausgestellt und in Kreisen expressionistischer Architekten im Berlin der Nachkriegszeit verkehrt, wo er Mitglied der Gläsernen Kette war. Außerdem war seine Ehefrau Elizabeth Weberin.43 Obwohl Hablik kein Architekt war, war

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seine Herangehensweise an Farbe weitaus stärker von der Architektur geprägt als jene von Sonia Delaunay. Sonia Delaunay wiederum war in Paris nicht die einzige, die sich bemühte, Avantgarde-Kunst und -Bühne in kommerziell rentable Haute Couture umzuwandeln und durch Bezugnahmen zwischen Luxus und Avantgarde ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Die gebürtige Irin Eileen Gray war in diesem Marktsegment ebenfalls aktiv. Gray begann ihre Arbeit 1917 mit der prachtvollen Art-Déco-Wohnung in der Rue de Lota und eröffnete 1922 die Galerie Jean Désert, wo sie abstrakte Teppiche sowie Einrichtungsgegenstände verkaufte. Sieben Jahre älter als Sonia Delaunay, wechselte sie im Laufe der 1920er Jahre allmählich vom offensichtlichen Luxus ihrer frühen Arbeiten zu einem anderen Stil, für den ihr rationalistisches Haus E.1027 steht, das 1929 fertiggestellt wurde und zu dessen häufigen Besuchern Le Corbusier zählte. In einer berühmt gewordenen Episode der Architekturgeschichte verunstaltete Le Corbusier schließlich die Wände des Hauses mit seinen Malereien. Grays Teppiche, welche der De-Stijl-Bewegung und dem Konstruktivismus näherstanden als der Kunst des Ehepaares Delaunay, bringen auch Vorstellungen der jüngsten Malerei in die Inneneinrichtung ein.44

Abb. 08: Wenzel Hablik. Entwurf für einen Festsaal, 1924. Foto © Wenzel-Hablik-Stiftung, Itzehoe.

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Abb. 09: Zwei Models in Strandkleidung von Sonia Delaunay, um 1927. Bibliothèque Nationale de France, Paris.

Die 1903 geborene Charlotte Perriand war achtzehn Jahre jünger als Sonia Delaunay. Gegen Ende der 1920er Jahre arbeitete sie in Le Corbusiers Büro, wo sie unter anderem Möbel entwarf. In den späten 1920er Jahren wurde sie zusammen mit Alfred Roth in mindestens zwei verschiedenen Kleidern fotografiert, deren Stoff mit abstrakten Mustern bedruckt war, die den von Sonia Delaunay entworfenen sehr ähnlich waren.45 Zu beachten ist allerdings, dass diesen Kleidern Sonia Delaunays eleganter Zuschnitt abgeht. Es ist leicht, sich die schicke junge Charlotte Perriand beim Sport in einem von Sonia Delaunays Badeanzügen vorzustellen. Hier verbindet sich Sonia Delaunays Talent für Muster und für das Kreieren von Ensembles, welche die Aufnahme des Gedankens des Gesamtkunstwerks zeigen, nicht allein mit Luxus, sondern ebenso mit dem körperbewussten Geist der jungen »Flapper« (Abb. 09). Man bedenke, wie gewagt die zweiteiligen Anzüge mit Sonnenschirmen und grafisch abgestimmten offenen Mänteln, welche die Mannequins über dem Badedress trugen, noch in den späten 1920er Jahren erschienen; ein Jahrzehnt zuvor hätten ehrbare Frauen ihre Knie kaum in der Öffentlichkeit gezeigt, sei es auch nur am Strand. Dies erinnert daran, dass derartige Bade-

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anzüge keineswegs teurer Firlefanz waren. Wie die Karriere der Frau, die sie entwarf, waren sie Teil einer breiteren sozialen Bewegung, die jungen Frauen, deren Schwestern und Mütter noch stark einengende Korsette getragen hatten, erstmals die Gelegenheiten zu körperlicher Ertüchtigung, Fitness und zum Geldverdienen einräumte. Und es waren solche Frauen, die nicht nur neue Gebäude entwerfen, sondern auch in Auftrag geben und bewohnen würden, Gebäude, die ihrerseits jene gesundheitsfördernden Aktivitäten gewährleisten sollten, zu denen diese informellen, jedoch sorgfältig entworfenen Kostüme den Anstoß gaben. Die Verbindungen zwischen Sonia Delaunays Beschäftigung mit Theaterkostümen, Kleidung, Textilien und der Architektur bleiben tastend und spekulativ, aber provokativ. Hätte eine ehrgeizige Künstlerin wie sie auf diese Weise zu experimentieren begonnen, wenn sie ihre Arbeit nur als Erweiterung der sehr stark durch Gender-Aspekte geprägten Arts and Crafts-Bewegung verstanden hätte? War für sie das Beispiel der in Deutschland wirkenden Künstler, die sich wie van de Velde auf die Idee des Gesamtkunstwerkes beriefen, nicht ebenso entscheidend? Hätten sich Sonia oder Robert Delaunay auch dann dem Thema der Abstraktion verschrieben, wenn es die Präzedenzen und Anregungen der von ihnen besuchten Theater und Tanzpaläste nicht gegeben hätte? Wie wichtig war die von Sonia Delaunay geschaffene Ausstattung ihres Geschäftes am Boulevard Malesherbes für den Entwurf und für den Verkauf ihrer Haute Couture? Warum fanden ihre Modeentwürfe so besonderen Anklang bei den Ehefrauen von Architekten? Wie trug Sonia Delaunay in Verbindung mit Architekten wie Mallet-Stevens und Designern wie Eileen Gray dazu bei, Bildwelten des modernen Luxus’ zu schaffen? Und schließlich: Wie haben Sonia Delaunays dreidimensionale Abstraktionen einer neuen architektonischen Formensprache zum Erfolg verholfen, obwohl diese eine abweichende Beziehung zu Raum und Struktur besaß? – Endgültige Antworten zu diesen Themen fehlen, doch schon die Fragen allein regen zum Nachdenken an.

A nmerkungen Übersetzung: Thomas Amos, Karl R. Kegler 1 | Die Literatur zu Sonia Delaunay in französischer, englischer und deutscher Sprache ist umfangreich. Diese Darstellung beruht, sofern nicht anders vermerkt, auf: Jacques Demase/Sonia Delaunay: Sonia Delaunay. Rhythms and Colours. London 1972. Sonia Delaunay: A Retrospective. Exhibition-Cat. Albright-Knox Gallery. Buffalo 1980. Stanley Barron/Jacques Demase: Sonia Delaunay. The life of an Artist. London 1995. Elizabeth Morano: Sonia Delaunay. Art into Fashion. New York 1996. Matilda McQuaid/ Susan Brown (Hg.): Color Moves: Art and Fashion by Sonia Delaunay. Exhibition-Cat.

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Kathleen James-Chakrabor ty Cooper Hewitt Museum. New York 2011. Tadeo Kohan (Hg.): Sonia Delaunay. London 2014. 2 | Zur These, dass das Bühnenbild eine entscheidende Quelle der architektonischen Abstraktion war, vgl. meine Studie: German Architecture for a Mass Audience. London 2000, S. 37-38. 3 | Eine Bewertung jüngeren Datums zu Sonia Delaunays Bedeutung für die Entstehung der abstrakten Kunst findet sich bei: Leah Dickerman (Hg.): Inventing Abstraction, 1910-1925. How a Radical Idea Changed Modern Art. Exhibition-Cat. Museum of Modern Art. New York 2013. Vgl. auch Griselda Pollock: »Art Criticism and the Problem of the non-modern Story of Modern Art.« In: Kohan 2014 (vgl. Anm. 1), S. 218-22. 4 | Zwei wichtige Ausnahmen stammen von Nancy J. Troy. Vgl. ihr Werk: Modernism and the Decorative Arts in France. Art Nouveau to Le Corbusier. New Haven 1991. Dies.: Couture Culture. A Study in Modern Art and Fashion. Cambridge 2002. 5 | Die jüngere Forschung konzentriert sich hauptsächlich auf Sonia und Robert Delaunay als Ehepaar oder nur auf Robert Delaunay. Vgl. zum Beispiel Sonia & Robert Delaunay. Exhibition-Cat. Bibliothèque Nationale. Paris 1977. Arthur A. Cohen (Hg.): The New Art of Color. The Writings of Robert and Sonia Delaunay. New York 1978. David Shapiro/ Arthur A. Cohen (übers. Hajo Düchting): Robert and Sonia Delaunay. The Triumph of Color. Köln 1994. Zu Robert Delaunays Karriere im besonderen vgl. Roland Wetzel (Hg.): Robert Delaunay: Hommage à Blériot. Bielefeld 2009. Sowie: Gordon Hughes: Resisting Abstraction: Robert Delaunay and Vision in the Face of Modernism. Chicago 2014. 6 | Zitiert bei Cohen 1978 (vgl. Anm. 5), S. 202. Barron 1995 (vgl. Anm. 1), S. 30. Vgl. auch: Jacques Demase: Sonia Delaunay. Fashion and Fabric. London 1991, S. 67. 7 | Barron 1995 (vgl. Anm. 1), S. 30. Vgl. auch: Demase 1991 (vgl. Anm. 6), S. 67. 8 | Karin Schick: »›Auf dem Kleid trägt sie einen Körper.‹ Kunst als Hülle und Raum bei Sonia Delaunay.« In: Robert Delaunay, Sonia Delaunay. Köln 1999, S. 23-29. Radu Stern: Against Fashion. Clothing as Art, 1850-1930. Cambridge 2004, S. 63-68. 9 | Vgl. Matthew Afron: »Constrasts of Colors, Contrasts of Words.« In: Dickermann 2013 (vgl. Anm. 3), S. 82-85. 10 | Peg Weiss: Kandinsky in Munich. The Formative Jugendstil Years. Princeton 1985. Hilary Spurling: The Unknown Matisse. A Life of Henri Matisse. The Early Years, 18691908. New York 1998. Jenny Anger: Paul Klee and the Decorative in Modern Art. Cambridge 2004. 11 | Stern 2004 (vgl. Anm. 8), S. 11-22. 12 | Tag Gronberg: »Sonia Delaunay’s Simultaneous Fashions and the Modern Woman.« In: Whitney Chadwick/Tirza True Latimer (Hg.): The Modern Woman Revisited. Paris Between the Wars. New Brunswick 2003, S. 109-23. 13 | Diese Kontakte sind auf den Vorsatzpapieren bei Dickerman 2013 (vgl. Anm. 3) dokumentiert; man sieht daran, dass Sonia Delaunay besser vernetzt ist als ihr Ehemann. Vgl. auch Peter-Klaus Schuster (Hg.): Delaunay und Deutschland. Köln 1985. Anger 2004 (vgl. Anm. 10), S. 48-50.

Von der Leinwand zum Körper 14 | Pascal Rousseau: »Das Schauspiel der Malerei.« In: Robert Delaunay, Sonia Delaunay 1999, S. 14. Ann Cooper Albright: Traces of Light. Absence and Presence in the Work of Loïe Fuller. Middletown 2007. 15 | Mehr zum Gesamtkunstwerk im damaligen Frankreich und Deutschland bei Katherline M. Kuenzli: The Nabis and Intimate Modernism. Farnham 2010. Juliet Koss: Modernism after Wagner. Minneapolis 2010. 16 | Kohan 2014 (vgl. Anm. 1), S. 43, bemerkt, dass Robert Delaunay »1908 wegen Herzproblemen für untauglich zum Militärdienst erklärt wurde«. 17 | Juliet Bellow: Modernism on Stage. The Ballets Russes and the Parisian AvantGarde. Farnham 2013, S. 129. 18 | Ebd. 19 | http://collections.lacma.org/node/236410 (Abruf August 2015). 20 | Petra Timmer: »Sonia Delaunay: Fashion and Fabric Designer.« In: McQuaid/Brown 2011 (vgl. Anm. 1), S. 29-31. 21 | Sherry A. Buckberrough: »A Biographical Sketch: Eighty Years of Creativity.« In: Exhibition-Cat. Buffalo 1980 (vgl. Anm. 1), S. 61-63. 22 | Demase 1991 (vgl. Anm. 7), S. 171. 23 | Sonia Delaunay: »The Color Dance.« In: Cohen 1978 (vgl. Anm. 5), S. 212. 24 | Ihre Tätigkeiten wurden in der Literatur über den Konstruktivismus eingehend besprochen. Vgl. zum Beispiel Christina Kiaer: »His and Her Constructivism.« In: Margarita Tupitsyn (Hg.): Rodchenko & Popova. Defining Constructivism. London 2009, S. 14259. Vgl. auch Valérie Guillaume: »›Sonia‹ und ›Tissus Delaunay.‹ Sonia Delaunay als Unternehmerin.« In: Robert Delaunay, Sonia Delaunay, 1999 (vgl. Anm. 14), S. 30-37. 25 | Sonia Delaunay: »Sonia Delaunay«. In: Cohen 1978 (vgl. Anm. 5), S. 196. 26 | Buckberrough 1980 (vgl. Anm. 20), S. 64. 27 | Alla Chilova und Beate Kemfert (Hg.): Natalia Goncharova. Between Russian Tradition and European Modernism. Ostfildern 2010. 28 | Timmer 2011 (vgl. Anm. 20), S. 35. 29 | »Interview with Sonia Delaunay.« In: Cohen 1978 (vgl. Anm. 5), S. 218. 30 | Illustriert in Timmer 2011 (vgl. Anm. 20), S. 38-39. 31 | Wie zitiert bei Damase 1991 (vgl. Anm. 6), S. 63. 32 | Illustration bei Timmer 2011 (vgl. Anm. 20), S. 36-37. 33 | McQuaid/Brown 2011 (vgl. Anm. 1), S. 68. 34 | Nach Stern 2004 (vgl. Anm. 8), S. 68, begegneten sie sich 1923. Zu Heims späterer Arbeit vgl. http://issuu.com/mifagallery/docs/mfa_frenchfashion_2012_ (Abruf September 2016). 35 | Dorothée Imbert: The Modernist Garden in France. New Haven 1993, S. 32, 36-40. 36 | Zu einer scharfsichtigen Kritik der Grenzen des Bauhauses in dieser Hinsicht vgl. Robin Schuldenfrei: »The Irreproducibility of the Bauhaus Object.« In: Jeffrey Saletnik/ Robin Schuldenfrei (Hg.): Bauhaus Construct: Fashioning Identity, Discourse and Modernism. London 2009, S. 38-45. 37 | Imbert 1993 (vgl. Anm. 35), S. 29-30.

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Kathleen James-Chakrabor ty 38 | Buckberrough 1980 (vgl. Anm. 21), S. 78. 39 | http://mondo-blogo.blogspot.ie/2012/06/designing-dreams-modern-architecture-in.html (Abruf September 2016). 40 | Wolfgang Joop »Bauhaus Dress, Lis Volger.« In: Bauhaus: A Conceptual Model. Ostfildern 2009, p. 251. Matilda McQuaid: »Introduction,« In: McQuaid/Brown 2011 (vgl. Anm. 1), S. 15. 41 | Anger 2004 (vgl. Anm. 10). 42 | Für diesen Hinweis danke ich Karl Kegler. Einer dieser Entwürfe erscheint bei Elisabeth Fuchs-Belhamri: Wenzel Hablik. Innenarchitektur und Design. Izehoe 1998. 43 | http://www.monumente-online.de/09/06/streiflichter/Villa_Hablik.php (Abruf September 2016). 44 | Peter Adam: Eileen Gray. Her Life and Work. London 2009. Caroline Constant: Eileen Gray. London 2000. Cloé Pitiot (Hg.): Eileen Gray. Paris, 2013. 45 | Mary McLeod (Hg.): Charlotte Perriand. An Art of Living. New York 2003, vgl. S. 30 zu der Fotografie mit Roth von 1927 und S. 42 zu einer Fotografie von 1928, auf der sie das gleiche Kleid trägt wie auf einer Fotografie, die auf http://ventricularprojects.blog​ spot.ie/2011/04/charlotte-perriand.html (Abruf September 2016) geposted ist. Sonia Delaunay und Perriand waren beide 1953 an der Innendekoration des Tunesischen Pavillions in der Cité Université in Paris beteiligt. Sonia entwarf das Farbkonzept für ein Bücherregal von Perriand. Vgl. Domitille d’Orgeval, »Conquering the Paris art scene in the 1950s and 1960s«, in Kohan 2014 (vgl. Anm. 1), S. 244-45.

Pavillon, Shop und Schaufenster Moderne Mode und (temporäre) Architekturen im Paris der Surrealisten Burcu Dogramaci

P oire ts B ark assen auf der S eine

Abb. 01: Paul Poiret, Barkassen »Amours«, »Délices«, »Orgues«, Exposition internationale des Arts decoratifs et industriels modernes, Rive gauche, Paris 1925, Autochrome Fotografie: Auguste Léon. Paul Poiret 2013 (vgl. Anm. 1), S. 39.

Drei Barkassen lagen im Jahr 1925 auf der Seine nahe dem Pont AlexandreIII, die für einen neuen Ansatz in der Repräsentation textiler Gestaltung einstanden: »Amours«, »Délices« und »Orgues« nannte der Couturier Paul Poiret die schwimmenden Ausstellungskörper, die während der Exposition internationale des Arts decoratifs et industriels modernes die drei Tätigkeitsfelder des

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Modeschöpfers präsentieren sollten (Abb. 01).1 Neben dem 1903 gegründeten La Maison de Couture Paul Poiret zeigte auch das 1911 ins Leben gerufene Dekorationsstudio Les Ateliers Martine sowie Poiret Parfum Rosine auf den Schiffen Präsenz. Auf den Barkassen fanden Modeschauen statt, zudem war ein Restaurant integriert.2 Indem der Couturier einen ungewöhnlichen Ort oder Offspace bespielte, der traditionell weder der Ausstellung von Mode, noch der von Kunst vorbehalten war, sondern der Passage diente, störte und veränderte Poiret den Erfahrungsraum seines Publikums. Das feste Land musste verlassen, die Barkasse betreten werden, um auf einer symbolischen Reise in die andere Welt der Textilien und der Mode überzutreten. Die fotografisch überlieferten, üppigen Dekorationen betonen, dass es Poiret hier tatsächlich weniger um die Simulation einer wahrhaftigen Schiffsatmosphäre als vielmehr um das Ausstellen ging, um das Zeigen aktueller Kollektionen, um den Gestus der Vorführung mit einem eigens erschaffenen Setting. »De ne pas s’asseoir«3 – bitte nicht hinsetzen – lautet der Schriftzug auf einem Schild im Inneren der Barkasse, der deutlich darauf verweist, dass es hier um das Erblicken, vielleicht auch um das Fühlen von Textilien geht, jedoch niemals um das Suggerieren von Häuslichkeit oder Privatheit. Obgleich sich dieser Beitrag vorrangig mit der Modeschöpferin Elsa Schiaparelli und der Präsenz von Mode in der Ausstellung surrealistischer Kunst beschäftigen wird, bietet Poirets ungewöhnliche Partizipation an der für Art Déco zentralen Pariser Ausstellung von 1925 einen wichtigen Ausgangspunkt, um über das Verhältnis von Mode und Architektur nachzudenken. Spätestens mit Poiret suchten künstlerisch ausgerichtete Modedesigner nach progressiven Formen der Öffentlichkeitspräsenz; sie arbeiteten eng mit bildenden Künstlern zusammen, entweder, um ihre Entwürfe in Mappen oder Zeitschriften zu repräsentieren, oder um gemeinsam Modeentwürfe zu erarbeiten. Poiret nahm mit den schwimmenden Showrooms Tendenzen vorweg, die sich in den letzten 20 Jahren zur festen Repräsentationsstrategie von Modehäusern entwickelten: Modeschauen finden mitunter an Orten statt, die in ihrer industriellen oder ruinösen Anmutung ein besonderes, bühnenhaftes Environment für den Auftritt neuer Kollektionen bieten. 4 Für Poiret läutete das Intermezzo auf der Seine den finanziellen Ruin ein: 1929 folgten im Zuge der Weltwirtschaftskrise der Bankrott und die Schließung seiner Atelierhäuser.5 Damit stand die Beteiligung an der Ausstellung 1925 am Ende der Ära Poiret, der seine wichtigste Zeit in den frühen 1910er Jahren hatte, als er korsettlose Kleider im Empire-Stil, Humpelröcke, orientalisierte Pluderhosen und Turbane salonfähig machte. Doch in der Zwischenkriegszeit nahm die Popularität Poirets ab; Couturiers wie Coco Chanel mit ihrem sachlichen und sportiven Look standen ein für eine moderne, technisierte Zeit. Die Sorgfalt der Dessins, die aufwendigen Muster und die Opulenz sowohl seiner Modeschauen als auch der von ihm ausgerichteten Feste

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schienen einer untergegangenen Zeit der Dekadenz anzugehören. Poirets Extravaganz und seine betont künstlerische Ausrichtung lebten jedoch fort im Werk einer Modeschöpferin, die 1927 ihr erstes Geschäft in Paris eröffnete, fünf Jahre, nachdem sie Paul Poiret auf einer seiner Modenschauen begegnet war. Elsa Schiaparelli und Poiret gehörten zwar verschiedenen Generationen an, pflegten jedoch freundschaftliche Verbindung. Über Schiaparellis kreativen Umgang mit Farbe hieß es beispielsweise im November 1934 in Harper’s Bazaar: »For colours she is the feminine Paul Poiret.«6 In den 1930er Jahren kollaborierte Schiaparelli mit den Pariser Surrealisten; eine Zusammenarbeit, die nicht nur ihre Entwürfe prägen sollte,7 sondern auch in die Inszenierungen ihrer Mode durch Fotografie und in Ausstellungen hinein wirkte. Ende der 1930er Jahre beteiligte sich die Modeschöpferin Elsa Schiaparelli an zwei extravaganten Schauen: 1937 eröffnete im Kontext der Pariser Weltausstellung der »Pavillon de l’Élégance«, der Kreationen französischer Modehäuser in einem ungewöhnlichen Display ausstellte. Ein Jahr später fand in der Galerie Beaux-Arts in Paris die Exposition Internationale du Surréalisme statt. Beide Ausstellungen stehen in sehr unterschiedlicher Art und Weise für die Verschränkung von Mode, Architektur und künstlerischer wie künstlicher Inszenierung.

C outuriers P uppen und S chiaparellis S kimaske Anlässlich der Pariser Weltausstellung 1937, der Exposition internationale des arts et des techniques dans la vie moderne, bespielte die französische Haute Couture den an der Seine gelegenen »Pavillon de l’Élégance«, darunter auch das Modehaus Elsa Schiaparelli. Die ausgestellte Mode präsentierte sich an 200 gesichtslosen Modepuppen aus Gips (Abb. 02), entworfen vom französischen Bildhauer Robert Couturier und von der Firma Siègel hergestellt. Es war durchaus nicht ungewöhnlich, dass ein Bildhauer mit der Aufgabe »Schaufensterpuppe« beauftragt wurde; so entwarf der Berliner Bildhauer Rudolf Belling im Jahr 1921 eine Modenplastik, deren stark stilisierter, mit Goldbronze überzogener, spitz zulaufender Rumpf auf einer Kugel steht, die wiederum von einem Tetraeder getragen wird.8 Couturiers Puppen von 1937 waren dagegen über zwei Meter hoch und damit überlebensgroß. Sie hatten eine markante, deformiert anmutende Silhouette und eine grobe, rosafarbene Oberfläche.9 Eben diese Oberflächengestaltung, die in Kontrast zu zeitgenössischen Schaufensterpuppen stand, sowie die Körperauffassung ließen Couturiers Puppen »unfertig« erscheinen. Die großen Puppenhände wirkten grob und erstarrten in manierierten, jedoch wenig eleganten Gesten. Diese merkwürdigen Wesen waren im Ausstellungsgebäude in szenischen Settings arrangiert; die Kritik beschrieb die Ausstellung als »Galerie der Monster«.10

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Abb. 02: Robert Couturier, Modepuppen für den Pavillon de l’Élégance, Weltausstellung, Paris 1937, Fotografie: Wols. Hering 2013 (vgl. Anm. 13), S. 302.

Der Pavillon wurde anlässlich der Weltausstellung von den Architekten Émile Aillaud und Max Vibert entworfen; auf der Wellblechfassade war ein blauer Himmel mit Wolken gemalt, die Innenarchitektur stammte von Étienne Kohlmann.11 Stilistisch bot der Bau eine Hybridisierung neoklassizistischer Architektur und Art Déco, wobei ein theatrales Setting mit Ballustraden, Wolkenprojektionen und angedeuteten Landschaften in Pastellfarben geschaffen wurde. Die künstlerische Gesamtleitung übernahm das Modehaus Lanvin.12 Zwar erinnern das Motiv der Balustrade oder die Andeutung einer mediterranen Kulisse (Abb. 03) tatsächlich an zeitgenössische Modefotografien oder -grafiken, dennoch war ein Moment der Dekonstruktion und Zerstörung inkludiert – was sich in den fragmentierten Wanddekorationen äußerte und bei Kritikern latente Assoziationen an Pompeji weckte.13 Für jedes Modehaus wurden Inseln gebildet, die individuell bespielt wurden und die Anmutung von Bühnen besaßen. Darin äußerte sich der theatrale Gestus, der der Moderepräsentation innewohnt. Roland Barthes spricht im Kontext der Modefotografie von einer Welt, die »gewöhnlich zum Dekor, Hintergrund, Schauplatz, kurz: zum Theater« wird.14 In seinen Fotografien betonte der surrealistische Künstler Wols, der mit der Dokumentation des Pavillons beauftragt worden war, die expressive Inszenierung, indem er mit starken Schattenwürfen und ungewöhnlichen Perspektiven arbeitete (Abb. 04) und die groteske Atmosphäre noch einmal in eigener Weise in das Medium des fotografischen Bildes übersetzte.15

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Abb. 03: Pavillon de l’Élégance, Weltausstellung, Paris 1937, Fotografie aus Art et Décoration, 1937. Da Costa 2000 (vgl. Anm. 9), S. 28.

Abb. 04: Robert Couturier, Modepuppe, Pavillon de l’Élégance, Weltausstellung, Paris 1937, Fotografie: Wols. Hering 2013 (vgl. Anm. 13), S. 279.

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Abb. 05: Pavillon de l’Élégance, Weltausstellung, Paris 1937, rechts der von Elsa Schiaparelli gestaltete Bereich, Fotografie: Wols. Blum 2003 (vgl. Anm. 18), S. 112.

In der zeitgenössischen Kritik wurde der »Pavillon der Eleganz« mit Beschreibungen vorgestellt, die auf die zeitgleich agierenden surrealistischen Künstler verweisen. So bezeichnet Raymond Isay den Pavillon als »l’atelier des hallucinations, le studio de la fantaisie, le laboratoire du songe, la rêve de notre temps«,16 so als beziehe er sich auf die Schreckenskammer des Marquis de Sade und nicht auf ein Messegebäude, das die Anmut französischer Haute Couture preisen sollte. Allerdings fiel der Pavillon im Gewand des Abgründigen sicherlich so sehr aus zeitgenössischen durchschnittlichen Schaufensterdekorationen heraus, das ihm Aufmerksamkeit sicher war. Zwischen den Modeinszenierungen der in der Ausstellung von 1937 vertretenen Salons der Haute Couture fiel das Setting von Elsa Schiaparelli aus dem Rahmen (Abb. 05). 1925 hatte sich Paul Poiret geweigert, anlässlich der Art Déco-Ausstellung im damals ebenfalls allein der Mode vorbehaltenen Élégance-Pavillon auszustellen und sich für einen eigenen, unkonventionellen Ort, die genannten Barkassen auf der Seine, entschieden.17 1937 beteiligte sich Elsa Schiaparelli zwar an der Élégance-Leistungsschau französischer Mode; doch vermutlich in einem Akt der Verweigerung18 und sicherlich auch wegen ihrer Vorliebe für dramatische Inszenierungen beließ sie das rosa Mannequin in

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ihrer Präsentation unbekleidet (Abb. 06). Zunächst war geplant, die Puppe wie eine Tote unter einen Baum und auf Blumen zu drapieren, doch die Reaktionen erster Besucher über die ausgestellte »Tote«, für die sogar eine Kondolenzkarte abgelegt wurde, ließ Schiaparelli das Setting ändern. Die Puppe wurde nun sitzend an den Baum gelehnt.19 Neben der Puppe arrangierte Schiaparelli ein Paar Handschuhe, einen Strohhut und ein Kleid, während weitere Kleidungsstücke, Unterwäsche und Strandsandalen von einer Leine hingen, so als habe sich die Figur ihrer Kleidung entledigt und genieße nackt ein Sonnenbad unter freiem Himmel – Schiaparelli erklärte, dass ihr Display den »Waschtag« einer eleganten jungen Frau evozieren sollte. Sie schreibt in ihrer Autobiografie: »The mannequins we were obliged to make use of were in some respects hideous. All one could to was to hide their absurdity under voluminous skirts. I naturally protested. […] So after much discussion I went and made my own show myself. I laid the dreary plaster mannequin, naked as the factory had delivered it, on some turf and piled flowers over to cheer it up. I then stretched a rope across an open space and, as after washing-day, hung up all the clothes of a smart woman, even to panties, stockings, and shoes.« 20

Weitaus intensiver als die anderen Aussteller versuchte Schiaparelli auf diese Weise, eine natürliche Situation zu simulieren, um damit zugleich die unheimliche Nähe von Puppe und Mensch in den Blick zu rücken. Diese Ver-

Abb. 06: Setting von Elsa Schiaparelli, Pavillon de l’Élégance, Weltausstellung, Paris 1937. da Costa 2000 (vgl. Anm. 9), S. 45.

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Abb. 07: Exposition Internationale du Surréalisme, Galerie Beaux-Arts, Paris 1938, Fotografie: Robert Valençay. Begierde im Blick 2005 (vgl. Anm. 28), S. 184.

künstlichung des Menschen oder die Verlebendigung der Puppe begegnet ebenfalls in Schiaparellis Parfum Shocking, das seine Markteinführung im Jahr der Weltausstellung 1937 erlebte: Die surrealistische Künstlerin Léonor Fini entwarf die Parfumflasche als Schneiderpuppe in Miniaturform, mit Maßband um den Hals und Blumenbouquet als Kopf.21 Eine kleine Glashaube diente als Schutz und Schmuck und evoziert die Vitrine, die den wertvollen Gegenstand umhüllt, in gleicher Weise wie eine Schneekugel eine künstliche Alternativwelt beherbergt. Weniger als ein Jahr nach der Weltausstellung eröffnete im Januar 1938 in der Pariser Galerie Beaux-Arts eine weithin beachtete Ausstellung surrealistischer Künstlerinnen und Künstler.22 Zwischen Dalís Taxi-Pluvieux, in dem es auf eine von Weinranken und Schnecken okkupierte Schaufensterpuppe regnete, und Marcel Duchamps installativer Raumgestaltung des Hauptsaales befanden sich 16 Schaufensterpuppen (Abb. 07), die von den beteiligten Künstlern in Szene gesetzt wurden.23 Der »Plus belle rue de Paris« genannte Gang präsentierte die leicht bekleideten Puppen mit ihren schrillen Erscheinungsbildern als Prostituierte, die sich den Besuchern als potentiellen Freiern anboten. Das Konzept des urbanen Raums manifestierte sich zudem in einem begleitenden Buch, dem von André Breton und Paul Eluard publizierten Dictionnaire abrégé du surréalisme (Paris 1938), in dem die Ausstellung als »La Ville Surréaliste 1938« betitelt und mit fiktiven (»Rue de la Transfusion-de-Sang«) wie real existierten Straßennamen (»Rue Vivienne«) operiert wurde. In der

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Ausstellung vermengten sich auf diese Weise Stadt- und Innenraumerfahrungen, Kunst, künstliche und reale Welt. Zugleich integrierte die Präsenz der Schaufensterpuppen auch die Welt des Konsums in den Ausstellungsraum, der zugleich Galerieraum, Straßenstrich und Boutique oder Kaufhaus war. Allen drei Orten gemein ist der Wille zum Verkaufen; Kunst, Mensch, Mode werden hier gleichermaßen zur Ware, die eine potentielle Käuferschaft adressiert.24 In ihre Inszenierungen integrierten die Künstlerinnen und Künstler Kleidungsstücke, Accessoires, Perücken, aber auch Netze, Seile oder aber Pflanzen. Die Puppen können als Typologien des Weiblichen gelesen werden, da neben der Witwe auch die Madonna begegnet; andere Puppen sind beispielsweise als Verführerin oder als mythologische, sich in eine Pflanze verwandelnde Figur (Flora, Daphne) stilisiert. Auffällig ist, dass oftmals Geschlechtsteile betont wurden, so etwa bei Duchamp, der mit dem Schriftzug »Rose Sélavy«, der auf sein weibliches alter ego verweist, die Androgynität in der Erscheinung der Puppe unterstrich. Die der Puppe zugeschriebene Beziehung zu einem künstlerischen alter ego oder ihre Inszenierung als Prostituierte korrespondieren mit Themen, die im Surrealismus mehrfach angesprochen wurden. Elena Filipovic hat beschrieben, dass das erotisch aufgeladene Interesse an der weiblichen Schaufensterpuppe mit den künstlerischen Ansätzen der Surrealisten korrespondierte: »Die Schwellenstellung der Simulakrenfigur – zwischen schierer Leibhaftigkeit und tödlicher Reglosigkeit, zwischen Phantasie und industriell hergestellter Materialität – faszinierte die Surrealisten, war wie sie der Überschreitung der Schranken zwischen Traum und Wirklichkeit verpflichtet.«25 Auf dieser Ausstellung war die Modeschöpferin Elsa Schiaparelli ebenfalls mittelbar präsent: Salvador Dalí integrierte in eine von ihm gestaltete Installation eine pinkfarbene, wollene Skimaske aus Schiaparellis Winterkollektion 1937/1938, der zusätzlich ein Vogelkopf aufgesetzt war (Abb. 08).26 Diese maskenhafte Mütze bedeckt das Gesicht ihrer Trägerin fast vollständig, nur kleine Öffnungen für Mund und Augen sind neben Schlitzen an der Wangenpartie freigelassen. Wie bei vielen ihrer Entwürfe artikulieren sich in diesem Entwurf Schiaparellis, der an Fetischkleidung erinnert, Momente des erotischen Verlangens und des Verschleierns. Dalí adaptierte diese Dialektik für seine Puppe, indem er die westliche kulturelle Praxis des Bekleidens verkehrte, bei der für gewöhnlich der Körper verdeckt und das Gesicht sichtbar ist. Bei Dalí korreliert die Nacktheit des Körpers, über den kleine Silberlöffel zu fliegen scheinen, mit dem verdeckten oder versteckten Gesicht. Auch in anderen Entwürfen, die Schiaparelli teilweise in Kooperation mit Dalí realisierte, werden normative vestimentäre Regeln aufgehoben. So verbindet der Shoe hat (1937) Funktion und Bildlichkeit von Kopf- und Fußbedeckung. Das in einen neuen Kontext transponierte modische Accessoire, das von Dalís Frau Gala getragen wurde, reflektierte psychologische Deutungen von Kleidungsstücken als Feti-

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Abb. 08: Exposition Internationale du Surréalisme, Galerie Beaux-Arts, Paris 1938, Puppe von Salvador Dalí mit Shelm von Elsa Schiaparelli, Fotografie: Man Ray. Blum 2003 (vgl. Anm. 18), S. 136.

sche oder sexuell konnotierte Symbole. So heißt es in The Psychology of Clothes von John Carl Flügel, einer 1930 erschienenen Abhandlung über den psychologischen Symbolwert der Kleidung: »We know, however, that a great many articles of dress, such as the shoe, the tie, the hat, the collar […] may be phallic symbols, while the shoe, the girdle, and the garter (as well as most jewels) may be corresponding female symbols.«27 Dalí und Schiaparelli schufen, um mit Flügel zu sprechen, einen modischen Gegenstand als Zwitterwesen, halb Hut, halb Schuh, halb Phallus, halb Vulva.28 Dalís Installation verkörpert die Zweiheit von »Désir und Plaisir«, Verlangen und Lust, die für die surrealistische Literatur wie auch Malerei, Objektkunst und Fotografie ein wichtiger Antrieb waren.29 Mit der Skimaske, nach bisheriger Erkenntnis das einzige Exponat in der Ausstellung, das tatsächlich einer aktuellen Haute Couture-Kollektion entnommen war, wurde eine von der Kunst kontaminierte Mode wieder zurück in das Gehäuse der Kunst verbracht.

N ature morte – P uppen , M oden und S chaufenster Die Puppe als unheimliche Stellvertreterin der lebendigen Trägerin der Mode hat ihren eigenen Platz in der Geschichte der Mode. Die Doppelsemantik von Mensch und Puppe, die in E.T.A. Hoffmanns Novelle Der Sandmann ebenso begegnet wie in Fritz Langs Stummfilm Metropolis, äußert sich in der ursprüng-

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lichen Bedeutung des »Mannequins«, das bereits seit dem 19. Jahrhundert die Vorführ- und Probierdame, jedoch ursprünglich den »Gliedermann« meinte, eine Puppe aus Holz, Pappe oder Wachs.30 Schaufensterpuppen substituieren die potentielle Kundin oder den Kunden, indem sie an ihrer Stelle ein Kleid, einen Rock oder eine Hose tragen. Sie sind das abstrahierte Ich und idealisierte Ersatzträgerinnen, die, gerahmt durch das Schaufenster, in einer eigenen Welt existieren.31 Dabei obliegt es der Schaufenstergestaltung, wie schmal die Differenz zwischen den Welten der Betrachtenden und der Betrachteten ausfällt, wie sehr sich die Puppe den umgebenden Gegenständen anverwandelt, und welches Maß an Abgründigkeit und Horror sich in den Repräsentation des Modischen ablagern darf. 1925 inszenierte Poiret ein künstliches Mannequin am Frisiertisch in seiner Boutique Les Parfums de Rosine an der Champs-Élysées, so als habe sich die Puppe soeben einer sie ansprechenden Person zugewandt (Abb. 09). Dieses Moment der Spontanität ist irritierend. In der Blickregie der Fotografie und der Inszenierung der Puppe begegnen sich der menschliche und der künstliche Blick, was Verunsicherung, Unbehagen aber auch Seh-Lust provoziert. Die Kunsthistorikerinnen Pia Müller Tamm und Katharina Sykora konstatieren: »Den menschenähnlichen Artefakten wohnt […] immer auch das irritierende Potential einer plötzlichen Emanzipation von ihren Schöpfern inne. Mit unserem ›natürlichen Wahrnehmungsorgan, dem Auge, stehen wir dem möglichen Aufstand der Dinge in menschlicher Gestalt verunsichert gegenüber.« 32

Abb. 09: Paul Poiret, Boutique Les Parfums de Rosine, Rond-Point des Champs-Élysées, Fotografie: Boris Lipnitzki. Paul Poiret 2013 (vgl. Anm. 1), S. 136.

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Abb. 10: Elsa Schiaparelli, Boutique an der Place Vendôme, Paris 1947, Fotografie: Hans Wild. Blum 2003 (vgl. Anm. 18), S. 158.

Abb. 11: Exposition Internationale du Surréalisme, Galerie BeauxArts, Paris 1938, Puppe von André Masson, Fotografie: Raoul Ubac. Begierde im Blick 2005 (vgl. Anm. 28), S. 195.

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Abb. 12: Ernst Dryden, Modezeichnung für Die Dame, späte 1920er Jahre.Lipmann 1989 (vgl. Anm. 33), S. 117.

Angesichts der historischen Tatsache, dass es Poiret war, der die ersten Modells über den Laufsteg schickte und damit als Erfinder dieses Berufsbildes gilt, lässt sich im Fall der Schaufensterinstallation durchaus von einem zur Puppe zurückverwandelten Mannequin sprechen. Auch Elsa Schiaparelli bediente sich verwandter Inszenierungen. In ihrer Boutique am Place Vendôme führte sie einen Bereich nur für ihre Parfums, der als Käfig gestaltet war (Abb. 10). Der Vogelkäfig hat sowohl in der zeitgenössischen Kunst, als auch der Mode seinen festen Platz: Auf der Exposition du Surréalisme gehörte André Massons Puppe zu den verstörenden Ausstellungsstücken; ein Stiefmütterchen penetriert den Mund der Puppe, eine Scheibe verbirgt die Scham, und der Kopf der Puppe steckte in einem Vogelkäfig (Abb. 11). Dieser Käfig ist lesbar als Ausdruck einer gefangenen Sexualität, der eine radikale und voyeuristische Entblößung entgegensteht. Der Vogel sexuellen Verlangens blickt aus dem Käfig, kann aber noch nicht hinaus. In der Mode ist das Motiv des Vogelkäfigs gleichzusetzen mit dem Geheimnis der Modeneuheit, das solange im Verborgenen bleibt, bis die nächste Modenschau die Entwürfe in die Öffentlichkeit bringt. In einem Titelblattentwurf für die Zeitschrift Die Dame schuf der Modezeichner Ernst Dryden in den 1920er Jahren im Sinne dieser Bildlichkeit eine Allegorie auf die Mode: Eine Frau öffnet einen Käfig, aus dem eine kleine, gut gekleidete Dame entfliegt (Abb. 12). Symbolisch wird hier die Mode der neuen Saison entlassen.33 Dabei ist die Gestalt der modisch gekleideten Dame auch als Modepuppe zu lesen. Eine andere Zeichnung Drydens aus dem Jahr 1929 verwendet ein ähnliches Motiv: Hier öffnet eine elegante Dame eine Schatulle, auf deren Deckel der Schriftzug »Herbstmode«

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zu lesen ist und der sie eine kleine, nach der neuesten Mode gekleidete Puppe entnimmt.34 Dryden bezieht sich hier auf die strenge Geheimhaltung, mit der ein Modehaus seine neuesten Kreationen bis zur Modenschau unter Verschluss hielt. Die Kundin jedoch kann wie die mythische Gestalt der Pandora ihre Neugier nicht zähmen und öffnet die verschlossene Schatulle, der aber nicht die für die Menschheit bestimmten Übel entweichen, sondern die Herbstmode von 1929. Dabei enthält der Begriff der Pandora noch eine weitere Anspielung, da dies der Name französischer Modepuppen war, die seit dem 18. Jahrhundert ins Ausland entsandt wurden, um Modeneuheiten zu verbreiten.35 Schiaparellis Käfig ist in übertragenem Sinne eine Büchse der Pandora, der – öffnet sich die Käfigtür – die bislang sorgfältig gehüteten Modegeheimnisse entfliehen können. In der Anspielung auf Pandora und die von ihr in die Welt gesetzten Schrecken verkörpert sich zugleich der Schauder, das Unheimliche36 und das Skandalöse, das einigen Entwürfen der Modemacherin Elsa Schiaparelli zu Eigen ist und sich beispielsweise in der Etablierung einer Farbe wie »Shocking Pink« oder einer Benennung eines Flagship-Parfüms wie Shocking äußert. So ist beispielsweise überliefert, dass Schiaparelli einen von Salvador Dalí in ihr Emblem-Pink gefärbten und ausgeweideten Teddybären in ihrem Schaufenster ausstellte; aus einer Schublade in seinem Bauch quollen Schmuckstücke.37 Derart verstörende Beschädigungen und Umwidmungen eines Kinderspielzeugs dürften großes Publikumsinteresse erzeugt haben, waren zugleich anziehend und abstoßend. Insofern war Schiaparellis Geschäft kein Ort eines nur erbauenden Modegenusses, in dem die Kundin oder der Kunde sich weihevoll an den Modekreationen des Hauses erfreuen konnte. Vielmehr wurden Störungen, Be- und Entfremdungen38 in die Mode und ihre Repräsentationen integriert – Störungen, die durch ungewöhnliche Kombinationen, das Einschleusen von eigentlich sachfremden Gegenständen oder die Metamorphose hervorgebracht wurden. Schiaparellis Modeentwürfe forderten die Seh- und Modegewohnheiten des Publikums heraus, die Räume, in denen sie ihre Mode präsentierte oder in denen ihre Modeobjekte exponiert wurden, erkundeten Grenzen der Konvention und des Assoziativen. Der goldene Käfig in Schiaparellis Shop eröffnete gleichermaßen Bezüge auf Erotik und Sexualität, ebenso wie auf das Geschäft der Mode – er enthielt aber auch einen ironischen Kommentar auf die solvente Kundschaft der Haute Couture, die im goldenen Käfig sitzend Gefangene der Normen, Doktrinen und Konventionen der Hautevolée waren. Diese Interventionen markieren die Boutique – auch jenseits des ökonomischen Interesses, das Schiaparelli als Geschäftsfrau zu Eigen war – zugleich als einen bühnenhaften und künstlerischen Raum. Dabei hatte Schiaparelli als Couturier zugleich ein Interesse an den Möglichkeiten der Verwandlung durch Mode, die ihre Trägerin zumindest auf Zeit in ein anderes Wesen transformieren konnte. Die Aufweichung der Grenzen findet sich in der surrealis-

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tisch inspirierten Modeinszenierung als konsequent verfolgtes Thema: So wie der Schuh zum Hut, die Puppe zum Mensch wird, der Körper nackt und das Gesicht bekleidet sein konnte, so war der Raum der Mode nicht unmittelbar vom Raum der Kunst zu unterscheiden. Diese Idee hatte bereits die institutions- und kunstkritische Ausstellung der Surrealisten 1938 getragen. Präfiguriert wurden Schiaparellis Konzepte durch die Inszenierungsstrategien Paul Poirets, der seine Modekollektionen in extrovertierten Repräsentationen – auf exotischen Künstlerfesten, in hochwertigen Künstlermappen, bei Modeschauen – in die Öffentlichkeit brachte. Die Migration seiner textilen Entwürfe auf die Seine-Barkassen sind 1925 in Poirets Bemühungen einzuordnen, Orte und Kommunikationsformen jenseits tradierter Verkaufsmöglichkeiten in Kaufhäusern oder Modeboutiquen zu suchen. Damit war er ein Vorreiter späterer Inszenierungsformen, die etwa von Elsa Schiaparelli verwirklicht wurden.

A nmerkungen 1 | In der Betitelung der Barkassen vermutet Ellena eine Reminiszenz an Henri Matisses Gemälde Luxe, Calme et Volupté (1904, Musée d’Orsay, Paris). Jean-Claude Ellena: »Paul Poiret et les Parfums de Rosine.« In: Paul Poiret, Couturier-Parfumeur, Ausst.-Kat. Musée International de la Parfumerie. Grasse 2013, S. 86-97, hier S. 97. 2 | Eine Barkasse zeigte seine Modekollektion, die zweite war ein Restaurant, die dritte stellte textile Gestaltung, Dekoration und Parfums aus. Ebd., S. 97. Zu den verschiedenen Geschäftszweigen von Paul Poirets Imperium siehe Catherine Parpoil/Grégory Couderc: »Paul Poiret, Couturier-Parfumeur: Un Empire.« In: Paul Poiret 2013 (vgl. Anm. 1), S. 20-39. Poirets Studio für Innenausstattungen, Les Ateliers Martine, war unter dem Erlebnis und Einfluss der Wiener Werkstätten entstanden. 3 | Siehe die Innenaufnahme der Barkasse in: Paul Poiret 2013 (vgl. Anm. 1), S. 134135. 4 | Siehe u.a. die Schau der Herbst/Winter-Kollektion 2013 von Chanel im Pariser Grand Palais, in dem eine Theaterruine als Setting errichtet wurde, oder die Show des deutschen Labels Joop auf der Berliner Fashion Week 2008, die im Wriezener Bahnhof, einem ehemaligen Heizkraftwerk, stattfand. 5 | Im November 1925 musste Poiret seine Kunstsammlung versteigern lassen. Vgl. Palmer White: Paul Poiret. 1879-1944. Ein Leben für Mode und Eleganz in Paris. Herford 1989, S. 220. 6 | Ebd., S. 49. Zu Aspekten von Weiblichkeit und Moderne bei Poiret und Schiaparelli vgl. Ilya Parkins: Poiret, Dior and Schiaparelli. Fashion, Feminity and Modernity. London, New York 2012. 7 | Zur Zusammenarbeit zwischen Schiaparelli und Protagonisten des Surrealismus wie Jean Cocteau oder Salvador Dalí siehe Richard Martin: Fashion and Surrealism. New York 1987, S. 107-119. Siehe auch Burcu Dogramaci: »Kreative Liaisons in Paris. Inter-

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Burcu Dogramaci ferenzen von Mode, Kunst und Fotografie bei Paul Poiret und Elsa Schiaparelli.« In: Rainer Wenrich (Hg.): Die Medialität der Mode. Kleidung als kulturelle Praxis. Perspektiven für eine Modewissenschaft. Bielefeld 2015, S. 147-165.. 8 | Zu dieser Skulptur siehe Christa Gustavus: »... diese Göttinnen aus Aluminium. Zur Modenplastik Rudolf Bellings von 1921.« In: Mode der 20er Jahre. Ausst.-Kat. Berlin Museum. Berlin, Tübingen 1991, 2. erweit. Aufl. 1993, S. 40-44. 9 | Couturier entwarf auch die Skulptur für den »Esplanade du Trocadéro« auf der Pariser Weltausstellung. Den Auftrag für den Pavillon de l’Élégance erhielt er von Émile Aillaud, einem der Architekten des Baus. Vgl. Valérie da Costa: Robert Couturier. Paris 2000, S. 219. 10 | Germaine Decaris: »La Galerie de monstres.« In: L’Oeuvre, 22.7.1937. Kritik abgedruckt in Costa 2000 (vgl. Anm. 9), S. 33. Die Armhaltung der Puppen erinnert entfernt an die unter Lava erstarrten Bewohner von Pompeji. 11 | Kurzer Hinweis auf den Bau in: Dominique Lefrancois/Paul Landauer: Émile Aillaud. Paris 2011, S. 18. 12 | Vgl. Costa 2000 (vgl. Anm. 9), S. 31. 13 | Dazu Couturier: »Ce pavillon de l’Élegance avait une structure comme une voûte de metro. Les bas-reliefs représentaient une ville, une ville méditerranéenne après une catastrophe qui rappelait Pompéi. L’architecture était un peu ironisée et accompagnée de projections de nuages sur la voûte. Des fragments de sculptures traînaient au sol. Une main de deux mètres tenait un flacon et un personnage de dix mètres était à moitié enterré.« Couturier, zit. n. Costa 2000 (vgl. Anm. 9), S. 32. Ganz anders liest Nina Schleif den Pavillon in ihrem Essay zu den Fotografien Wols als wenig künstlerisch inspiriert. Vgl. Nina Schleif: »Die Modefotografie in Paris 1937. Ein Blick auf alte und neue Quellen.« In: Michael Hering (Hg.). Wols Photograph. Der geteilte Blick. Bestandskatalog Kupferstichkabinett Dresden 2013, S. 38-49, hier S. 40-42. 14 | Roland Barthes: Die Sprache der Mode. Frankfurt am Main 1985, S. 311. 15 | Im Kontext der Weltausstellung soll Wols ca. 4.000 Negative von 200 Motiven im Format 6 x 6 cm angefertigt haben. Durch diesen Auftrag kam Wols wohl in Gespräche mit Harper’s Bazaar, Womens Wear und Life. Vermittelt wurde ihm die Arbeit vermutlich durch das Modehaus Lanvin. Vgl. Schleif 2013 (vgl. Anm. 13), S. 42. Zur Inszenierung der Ausstellung durch Wols’ Fotografien siehe Christine Mehring: Wols Photographs, Ausst.-Kat. Busch-Reisinger-Museum, Harvard University Art Museums. Cambridge/ Mass. 1999, S. 20. 16 | Isay schreibt weiter über die Mannequins von Couturier: »Ce pavillon, qui n’est pas un pavillon, est peuplé de mannequins, qui ne sont pas des mannequins, mais plutôt des ébauches, des figures en terre rose, largement, grossièrement traitées. […] Les robes de ces héroïnes sans visage, on ne les a jamais portées, on ne les portera sans doute jamais. Elles nous jettes en pleine fantaisie, en plein fantastique, en plein mystère.« Raymond Isay: »Le Pavillon de l’Élégance.« In: La Revue des deux mondes, 15.11.1937, S. 381-392. Kritik abgedruckt in Costa 2000 (vgl. Anm. 9), S. 33.

Pavillon, Shop und Schaufenster 17 | Zur Weigerung Poirets dort auszustellen siehe Florence Müller: »Paul Poiret. La Mode en plan large.« In: Paul Poiret 2013 (vgl. Anm. 1), S. 108-120, hier S. 120. 18 | Schiaparelli beschreibt ihre Entscheidung in ihrer Autobiografie als Form des Protests gegen die Auflagen des Organisationskomitees: »This decrees struck me as being the end of individuality. I felt like Don Quixote and the windmills.« Elsa Schiaparelli: Shocking Life. The Autobiography of Elsa Schiaparelli. London 2007, S. 73. Die Auslegung der Inszenierung als Akt der Verweigerung ist dann in der Literatur zu Schiaparelli übernommen worden, u.a. in: Dilys E. Blum: Shocking! The Art and Fashion of Elsa Schiaparelli, Ausst.-Kat. Philadelphia Museum of Art. Philadelphia 2003, S. 112: »Displaying her genius for publicity, she defied the expectations of the display committee headed by couturier Jeanne Lanvin. Instead of harmonizing with the other displays in the pavilion, she iconoclastically chose to leave her mannequin undressed, covering the single, bare reclining figure with a blanket of flowers much as one would drape a coffin«. 19 | Schilderungen bei Blum 2003 (vgl. Anm. 18), S. 112. 20 | Schiaparelli 2007 (vgl. Anm. 18), S. 73f. 21 | Die Silhouette der Schneiderpuppe war inspiriert von einer Puppe, die für Mae West hergestellt wurde, da Schiaparelli der bekannten und kurvenreichen Hollywood-Schauspielerin kurz zuvor Filmkostüme entworfen hatte. Vgl. Schiaparelli 2007 (vgl. Anm. 18), S. 89. Abb. des Parfümflakons in: Blum 2003 (vgl. Anm. 18), S. 114. 22 | Görgen weist darauf hin, dass die Ausstellung von 1937 vermutlich die Entscheidung der Surrealisten prägte, Schaufensterpuppen auszustellen. Annabelle Görgen: Exposition Internationale du Surréalisme Paris 1938. Bluff und Täuschung. Die Ausstellung als Werk. Einflüsse aus dem 19. Jahrhundert unter dem Aspekt der Kohärenz. München 2008, S. 40. Siehe auch: Lewis Kachur: Displaying the Marvelous. Marcel Duchamp, Salvador Dalí, and the surrealist exhibition installations. Cambridge (Mass.), London 2001, S. 37-67. 23 | Das Faltblatt zur Ausstellung nennt Yves Tanguy, André Masson, Kurt Seligmann, Sonja Mossé, Hans Arp, Oscar Dominguez, Léo Malet, Max Ernst, Marcel Duchamp, Joan Miro, Marcel Jean, Man Ray, Espinoza, Matta Echaurren, Maurice Henry, Salvador Dali. Vgl. Exposition Internationale du Surréalisme, Janvier-Février 1938, Ausst.-Kat. Galerie Beaux-Arts 1938, S. 1. Matta Echaurren jedoch stattete in der endgültigen Ausstellung keine Puppe aus. 24 | Zum institutionskritischen Potential der Ausstellung siehe Görgen 2008 (vgl. Anm. 22), S. 21-27. Die in der Ausstellung erkennbare Allusion auf das Schaufenster als »Theater der Straße« wird thematisiert bei Pia Müller-Tamm/Katharina Sykora: »Puppen Körper Automaten. Phantasmen der Moderne.« In: Dies. (Hg.): Puppen Körper Automaten. Phantasmen der Moderne, Ausst.-Kat. Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen. Düsseldorf 1999, S. 65-93, hier S. 77-80. Görgen 2008 (vgl. Anm. 22), S. 55-56. Katharina Sykora: »Ware Verführerin – Die surrealen Verlockungen der Schaufensterpuppe.« In: Max Hollein, Christoph Grunenberg (Hg.): Shopping. 100 Jahre Kunst und Konsum, Ausst.-Kat. Schirn Kunsthalle. Frankfurt 2002, S. 130-135.

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Burcu Dogramaci 25 | Elena Filipovic: »Abwesende Kunstobjekte. Mannequins und die Exposition Internationale du Surréalisme von 1938.« In: Müller-Tamm/Sykora 1999 (vgl. Anm. 24), S. 200-218, hier S. 208. Bei Filipovic findet sich auch eine Berücksichtigung der von den Surrealisten besonders ausgestatteten Genitalzonen der Schaufensterpuppen. Ebd. S. 211. 26 | Hinweis auf die Kollektion mit dem wollenen Skihelm bei Blum 2003 (vgl. Anm. 18), S. 136. Hier wird auch darauf verwiesen, dass Schiaparelli von traditionellen peruanischen Wollmützen, den »Chullos«, inspiriert worden sei, die ihr im peruanischen Pavillon auf der Weltausstellung 1937 auffielen. Dies ist m.E. aber nicht wirklich nachvollziehbar, da Schiaparelli hier mit extensiven Verdeckungen der Gesichtspartie arbeitet. 27 | John Carl Flügel: The Psychology of Clothes. London 1930, S. 27. 28 | Ähnlich erotisch aufgeladen und hybrid ist Dalís Téléphone-Homard (1936) mit einem Hummer als Telefonhörer, das verlebendigtes Objekt und vergegenständlichtes Tier zugleich ist und damit im Sinne animistischer Theorien die dichotomischen Grenzen von Natur/Ding in Frage stellt. Dieses Telefon war in der endgültigen Inszenierung neben Dalís Schaufensterpuppe plaziert. Vgl. Begierde im Blick. Surrealistische Photographie, Ausst.-Kat. Hamburger Kunsthalle. Hamburg 2005, S. 186. 29 | Vgl. das Kapitel »Désir und Plaisir« in: Begierde im Blick 2005 (vgl. Anm. 28), S. 91-148 mit vielen interessanten Werkbeispielen. 30 | Gretel Wagner: Mode in alten Photographien. Eine Bildersammlung. Berlin 1979, S. 3. Vgl. auch José Teunissen: »Die Frau von ihrem Sockel stürzen.« In: Elke Bippus/Dorothea Mink (Hg.): fashion body cult. mode körper kult. Stuttgart 2007, S. 177-179. Die Autoren führen die Invention des menschlichen Mannequins auf den »ersten« Couturier Charles Frederick Worth und in seiner Nachfolge auf Paul Poiret zurück. 31 | Zum Schaufenster als Bühne siehe: Schaufenster, Ausst.-Kat. Württembergischer Kunstverein. Stuttgart 1974, hier besonders 100-105. 32 | Müller-Tamm/Sykora (vgl. Anm. 24), S. 65. 33 | Vgl. Anthony Lipmann: Der Dandy als Designer. Ernst Dryden. Plakatkünstler und Modeschöpfer. München, Luzern 1989, S. 117. 34 | Zu dieser und weiteren Modezeichnungen Drydens im Kontext der Modegrafik der 1920er Jahre siehe Burcu Dogramaci: Lieselotte Friedlaender (1898-1973). Eine Künstlerin der Weimarer Republik. Ein Beitrag zur Pressegraphik der zwanziger Jahre. Tübingen 2001, S. 125-127. 35 | Allgemein zur Modepuppe Pandora vgl. Gertrud Lehnert: Mode. Models. Superstars. Köln 1996, S. 45f. Der Name Pandora verweist darauf, dass die Modepuppe zwar ein Leitbild der schönen und sinnlichen Frau war, aber auch ein Inbegriff für die Schrecken, die sie über die Menschheit bringen konnte: »Aus ihrer Büchse kommen nur Modetorheiten.« 36 | Das Unheimliche war eine Wortfigur, die von Sigmund Freud diskutiert wurde, die Surrealisten inspirierte und beschäftigte. Sigmund Freud: »Das Unheimliche.« In: Imago. Zeitschrift für Anwendung der Psychoanalyse auf die Geisteswissenschaften, Bd. 5/6, 1919, S. 297-324.

Pavillon, Shop und Schaufenster 37 | Schiaparelli 2007 (vgl. Anm. 18), S. 90. 38 | Zum Begriff der Entfremdung im Kontext surrealer Objekte siehe Ingrid Pfeiffer: »Surreale Dinge gestern und heute.« In: Surreale Dinge. Skulpturen und Objekte von Dalí bis Man Ray, Ausst.-Kat. Schirn Kunsthalle. Frankfurt am Main 2011, S. 15.

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»Monumentalität der Form« Zur Verbindung von Mode und Architektur im europäischen Faschismus Julia Bertschik

Die Massenwelt im Kampf um ihre Form, so nennt sich 1934 ein Werk des Frankfurter Soziologen Heinz Marr. Es verdeutlicht, wie nachdrücklich gerade Form in einer Zeit, die sich selbst als formlos erfährt, zum utopischen Ziel wird, auf das sich künstlerisches wie gesellschaftliches Engagement richten: »Was über eine Form verfügt, […] gewinnt [schon] in der Weimarer Zeit eine erhöhte Relevanz bei der Bewältigung kontingenter Wirklichkeit und der Generierung von Orientierungswissen«, konstatiert Barbara Wildenhahn in ihrer Studie über die Zwischenkriegszeit.1 Am Übergang zum NS-Staat stehen »Formfiktionen «,2 wie Wildenhahn es nennt, daher nicht nur den Tendenzen zur Formauflösung in den künstlerischen Avantgarden entgegen. Sondern das Konstruktionsbestreben nach Form sowie nach Formierung bezeichnet hier auch »die Wendung zum totalen Staat«, wie es bei Heinz Marr heißt.3 Wildenhahns Vermutung, »daß Form immer latente Funktion ist«,4 lässt sich nirgendwo besser dokumentieren, als an der traditionsreichen, schon von Hegel konstatierten Verschränkung von vestimentärer und architektonischer »Bekleidungs«-Konstruktion,5 von Architektur und Mode, welche im nationalsozialistischen Deutschland wie im faschistischen Italien eine neuerliche Konjunktur erfährt.6 Dass Architektur unter Hitler und Mussolini zur Heroisierung der faschistischen Ideologie eines totalitären Regimes eingesetzt wurde, ist hinlänglich bekannt. Weniger bekannt ist hingegen, inwiefern das im Medienverbund von Mode, Architektur und Fotografie, abseits oder aber in Kombination von Tracht- und Uniformenkult, geschah. Denn der architektonische Raum kann, wie am historisch besonders brisanten Beispiel des europäischen Faschismus zu sehen, insbesondere durch seine symbolische Codierung die Bewegung, Haltung und Inszenierung des modischen Körpers ermöglichen und steuern.7 Dies soll zunächst an den Wechselwirkungen zwischen den in ornamentali-

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sierte Form gebrachten Menschenmassen bei der Inszenierung politischer Feiern und Sportveranstaltungen mit der modernen Entwicklung sichtbar getragener Modelabels im Italien der 1930er Jahre gezeigt werden. Danach folgt ein Blick auf Text und Modestrecke des programmatischen Artikels Mode und Baukunst in der von offizieller Seite initiierten, exklusiven deutschen Zeitschrift Die Mode von 1942 sowie ein Ausblick auf die Situation der Nachkriegszeit in Deutschland mit ihrer Inszenierung von »Trümmermode«. Hier stellt sich abschließend die Frage nach Brüchen oder aber möglichen Kontinuitätslinien heroischer Formfiktionen im wechselseitigen Bezug der signifikanten Oberflächen aus Architektur und Mode.

I. Der Führerkult des italienischen Faschismus visualisiert sich in den 1930er Jahren vor allem durch das »M« Mussolinis. In allen möglichen Varianten zwischen ornamentalisierter Menschenmasse, »lebendiger« und steinerner Architektur, Sportdress, Uniform und nicht zuletzt auch Mode wird es ins Bild gesetzt (Abb. 01). So zum Beispiel bei einem entsprechend geformten Aufmarsch der Teilnehmer auf der ehemaligen Anlage des Circus Maximus in Rom bei den Littoriali-Spielen 1939. Es handelt sich um eine seit 1932 regelmäßig im Winter und im Sommer stattfindende Sport- und Kulturveranstaltung in Anlehnung an antike Vorbilder sogenannter ludi lictorialis (die Liktoren waren die Träger des fascis, des römischen Amtssymbols eines Rutenbündels mit Beil, von Mussolini zum faschistischen Parteiabzeichen instrumentalisiert).8 Die Sportler selbst trugen das »M« zugleich als Abzeichen auf ihrer sommer- beziehungsweise winterlichen Sportmontur, ebenso wie beispielsweise auch die faschistische, an den römischen Gründungsmythos von Romulus und Remus angelehnte Kinderorganisation der 6- bis 8-jährigen Figli della lupa (»Kinder der Wölfin«) auf ihrer Uniform. Aber auch in der rationalistischen Architekturbewegung wurde das »M« Mussolinis zum Beton gewordenen Monument, so etwa bei der Gestaltung des Eingangs zum venezianischen Hauptquartier der Generalkommandantur der Gioventù Italiana del Littorio (GIL), der »Faschistischen Jugend Italiens«. Das »Corporate Design« einer solchen Formperformance vom »totalen Staat« in allen Lebensbereichen, dem sich der Einzelne kaum entziehen konnte beziehungsweise sollte, nutzt das aus der Mathematik bekannte Muster selbstähnlicher Strukturen, sogenannter Fraktale, und suggeriert damit eine Teil-Ganzes-Relation, welche dem alltagsweltlichen Verständnis vom Teil als lediglich unvollständigem Ganzen widerspricht:9 Im Sinne des faschistischen »M«-Fraktals scheint jeder Teil nicht nur Teil eines großen Ganzen zu sein,

»Monumentalität der Form«

Abb. 01: Das »M« Mussolinis. Mario Lupano/Alessandra Vaccari (Hg.): Fashion at the Time of Fascism. Italian Modernist Lifestyle 1922-1943. Bologna 2009, S. 238f.

sondern zugleich das Ganze selbst zu enthalten (Sportler mit »M«-Abzeichen in »M«-Formation auf dem Spielfeld). Eine solche Inszenierung vom »totalen Staat« wäre indes unvollständig geblieben, hätte sie sich lediglich auf die eher hegemonial männlich konnotierten Felder von Sportveranstaltungen und militärisch ausgerichteten Jugendorganisationen bezogen. Und dies war tatsächlich auch nicht der Fall. Denn das Monogramm Mussolinis eignete sich ebenso gut als Stoffdesign in der Damenmode, wie es zwei Kleidentwürfe aus Wolle und Seide von 1938 beziehungsweise 1936 dokumentieren (Abb. 02). Damit schloss man an die zeitgleich entstehende Monogramm- und LogoMode an und beförderte ihre Entwicklung zwischen regional-lokaler und globaler Sphäre für ein erfolgreiches, transnationales Marketing – ein Bereich aus dem ursprünglich auch die Begriffe der Globalisierung und des »Glokalen« stammen. Denn Markennamen verbürgen nicht nur eine zeit- und ortsunabhängige Qualität der Ware, sondern sind sogar in der Lage, diese metonymisch zu ersetzen, bedeuten also mehr als die Ware selbst. So kann Nicola Chini in der italienischen Sportkleidung als ein Pionier auf dem Gebiet der bis heute

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Abb. 02: »M«-Mode. Mario Lupano/Alessandra Vaccari (Hg.): Fashion at the Time of Fascism. Italian Modernist Lifestyle 1922-1943. Bologna 2009, S. 239.

sichtbar getragenen Modelabels gelten, da er schon 1935 Ski-Sweatshirts mit dem geometrisch gestalteten »C«-Monogramm seiner Modemarke Nicky Chini versah.10 Eine daran orientierte »Politik des Stils« mit »M«, der imperialistischen »Marke Mussolini«, trieb aber zugleich die faschistische Konsens-Maschinerie an und sollte – ganz im didaktischen Sinne eines Embodiment vestimentärer Habitustheorien à la Bourdieu – schon einmal in heroische Haltungen einüben: »Heldenhaft zu sein in stilistischer Hinsicht ist oftmals schon der erste Schritt in Richtung wahren Heldentums«, schrieb etwa Francesco Salvori 1934 in seinem Beitrag Vestire alla fascista (»Faschistischer Kleidungsstil«).11 Eine solche, ästhetisch argumentierende Propaganda funktionierte im faschistischen Italien zudem besonders wirkungsvoll, wenn die Kleidungsstruktur

»Monumentalität der Form«

Abb. 03: »Littoriali-Kleid.« Mario Lupano/Alessandra Vaccari (Hg.): Fashion at the Time of Fascism. Italian Modernist Lifestyle 1922-1943. Bologna 2009, S. 241.

architektonischen Prinzipien folgte oder aber mit Architektur in Beziehung gesetzt wurde, wie etwa beim sogenannten »Littoriali-Kleid« (Abb. 03). Ebenso wie in der zeitgenössischen Architektur, etwa bei der Säulengestaltung des Siegesdenkmals Monumento alla Vittoria (1928) des Architekten Marcello Piacentini in Bozen, ist auch das Modedesign an die Struktur der Fasces (Rutenbündel und Beil) angelehnt. Mit diesem Kleidentwurf, der durch die parallel und überkreuzt angeordneten Stoff bahnen aus weißer Seide den weiblichen Körper zugleich modelliert und ihm eine aufrecht-»heroische« Haltung verleiht, gewann Frare di Treviso 1934 den ersten Preis bei der Turiner Ausstellung von Modezeichnungen.12

II. Ein besonders eindrückliches Exempel für die sowohl stilistisch-formgebende wie habituskonstruierende Bandbreite in der fotografischen Kombination von Mode und Architektur bietet das nationalsozialistische Prestigeobjekt der zwischen 1941 und 1943 von offizieller Seite aus Goebbels Propagandaministerium geförderten Zeitschrift Die Mode. Unter dem Titel Mode und Baukunst findet sich hier 1942 ein programmatischer Beitrag des Wiener Malers und Graphikers Eduard Gaertner. Ganz im Sinne der ursächlichen Verbindung zwischen schützender vestimentärer und architektonischer »Bekleidung«, wie

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sie sein Landsmann, der österreichische Architekt Adolf Loos, bereits 1898 in seinem Essay mit dem doppelsinnigen Titel Das Prinzip der Bekleidung aufgestellt hatte, geht auch Gaertner von einer Formverwandtschaft zwischen Architektur und Mode aus.13 Während Loos Historismus und Jugendstil durch eine unauffällige Funktionalität überwinden wollte, strebt Gaertner jetzt eine Propaganda der Bau- und Modekunst des NS-Staats als adäquatem Ausdruck nationalsozialistischen Zeitgeistes an. Zur Indoktrination nutzt er das Analogisierungsprinzip und den bilddidaktischen Vergleich Gottfried Sempers, was dieser allerdings lediglich im historischen Rückblick anzuwenden wusste. Schon im ersten Band seiner kunsttheoretischen Abhandlung über den Stil in den technischen und tektonischen Künsten (1860) diente Semper dies zur anschaulichen Unterstützung seiner einflussreichen These vom engen Zusammenhang zwischen Kostümwesen und Baukunst, ja vom kulturgeschichtlichen Vorausgehen der textilen Künste vor der Architektur; hier demonstriert am Beispiel eines ägyptischen Kapitells, dessen vertikaler Säulenabschluss Analogien zum zeitgenössischen weiblichen Kopfschmuck horizontal eingesteckter Lotosblumen aufweisen soll (Abb. 04).

Abb. 04: Gottfried Semper: Die textile Kunst für sich betrachtet und in Beziehung zur Baukunst (1860). Gottfried Semper: Gesammelte Schriften. Hg. v. Henrik Karge. Bd. 2: Der Stil in den technischen und tektonischen Künsten. Erster Band: Textile Kunst [11860]. Hildesheim, Zürich, New York 2008, S. 211.

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Abb. 05: Eduard Gaertner: Mode und Baukunst (1942). Eduard Gaertner: »Mode und Baukunst«.In: Die Mode 2 (1942) 8/9, S. 7. Staatliche Museen zu Berlin, Kunstbibliothek.

Die Spannung zwischen der vegetabilischen Elastizität der Lotosknospe und der steinernen Wucht des sie nach oben abschließenden Würfels interpretierte Semper als Spannung zwischen altem und neuem Reich. Denn seine phänomenologischen Analogiebildungen sah er als kulturphysiognomische »Emanationen eines besonderen Kulturgedankens, der sich gleichmäßig klar in ihnen allen abspiegelt und ausspricht«.14 Wiederum auf parallel angeordneten Fotos ist den unterschiedlich repräsentativen Zwecken der einzelnen Gebäude in Gaertners Artikel daher jetzt der entsprechend kleidermodisch ausgestattete Frauentyp zugeordnet. Erstmalig für Deutschland beanspruchte die Modefotografie dazu häufig eine ganze Seite. Schließlich diente sie im NS-Staat nicht mehr nur einer käuflichen, sondern vielmehr einer ideologischen Welt – transportierte die scheinbare Objektivität der Bilder unter Verwendung von architektonischen Versatzstücken aus der Realität doch weniger ein modisches Einzelstück als einen ganzen Kleidungs- als Lebensstil. Dessen Varianten stimmten mit einer zugleich auf der Textebene entworfenen Vorstellung vom Aufgehen heterogener weiblicher Typen in der »nationalsozialistischen Volksgemeinschaft« überein. Dazu wurde über ein bewusstes Nebeneinander von festlicher Abendgarderobe, Sport-, Büro- und Arbeitskleidung die zukunftsweisende Synthese einer berufstätigen Mütterlichkeit angestrebt, im Sinne einer auch Goebbels Kriegsrhetorik ent-

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sprechenden, »›totale[n]‹ Frau«.15 Ihre damit intendierten realen Mehrfachbelastungen an der »Heimatfront« sollten durch die so in Aussicht gestellte Möglichkeit, »in einem neuen Sinne ›Herrinnen‹« sein zu können, in Form einer klassenüberwindenden »Ersatz-Emanzipation«, überhöht werden.16 In den Modeaufnahmen zu Gaertners Artikel soll Albert Speers neoklassizistischmonumentalem Turmgebäude des Deutschen Pavillons auf der Pariser Weltausstellung von 1937 beispielsweise die damenhaft-schlanke Silhouette eines aus Zellwolle hergestellten Abendmantels entsprechen (Abb. 05).17 Dem sachlich-eleganten Straßenkleid aus dunklem Tuch mit eingearbeiteten Samtteilen und den dazu neuartig gestalteten Schuhen mit durchsichtigem Plexiglasabsatz scheint dagegen Paul Ludwig Troosts Vorhalle des Münchner Hauses der Kunst adäquat zu sein – ein ebenfalls repräsentatives bauliches Großprojekt der Nationalsozialisten. Das Kleidmodell selbst ist hingegen vor der ausschnitthaft präsentierten Architektur des 1931 durch Hans Poelzig im monumentalisierten Bauhausstil fertiggestellten Frankfurter IG Farben-Gebäudes fotografiert worden (Abb. 06). Das emanzipiert-forsche Auftreten des vorführenden Models findet in Analogie zum berufstätig-urbanen Typ der sogenannten Neuen Frau jetzt vor der Kulisse einer modernen Macht- und Herrschaftszentrale des größten Chemie- und nicht zuletzt auch Kunstfaserkonzerns der NS-Zeit statt.18 Der funktional-schlichten weiblichen Arbeitskleidung wird in Gaertners Gegenüberstellung Speers Brücke über die Reichsautobahn zugeordnet, ein ebenfalls medial inszeniertes, modernistisches Prestigeobjekt der Nationalsozialisten. Ein von Emy Grassegger für den Bund Deutscher Mädel entworfener Sonnenschutzhut aus Strohborten mit seiner bäuerlich wirkenden Schutenform wird dagegen vor dem volkstümlich-ländlich konturierten Umfeld der Regensburger Schottenheimsiedlung aufgenommen (Abb. 07).19 Im Gegensatz zu den neoklassizistisch oder neusachlich gestalteten Repräsentations- und Industriebauten des NS-Staats handelt es sich um eine betont »volksverbunden«-heimatlich ausgerichtete Architekturströmung. Sie ist vorzugsweise im Wohnungsbau eingesetzt worden. Ein solch kompromisshaftes Nebeneinander von »Industrie- und Landschaftsflügel« hatte sich um die Jahrhundertwende bereits in den unterschiedlichen Fraktionen des Deutschen Werkbunds abgezeichnet. Diese Entwicklung unterlag jetzt allerdings einer strikten Aufgabenteilung. Analog zur Modegestaltung konnte so auch im architektonischen Bereich die systematisch verordnete Vielfalt nationalsozialistischer »Volksgemeinschaft« propagiert werden.20 Im Unterschied zur Fotografie des »Neuen Sehens« der Weimarer Republik fehlt den zwar stilistisch weiterhin durch Untersichten und Ausschnitte, grafische Licht- und Schattenstrukturen oder geometrische Formgestaltung an ihr orientierten Fotos allerdings die unbeschwert-leichte Stimmung großstädtischen Vergnügens. Die im öffentlichen Raum moderner Architektur im NS-Staat angesiedelte Modefotografie huldigt vielmehr einer schon für die

»Monumentalität der Form«

Abb. 06: Eduard Gaertner: Mode und Baukunst (1942). Eduard Gaertner: »Mode und Baukunst«.In: Die Mode 2 (1942) 8/9, S. 11. Staatliche Museen zu Berlin, Kunstbibliothek.

Abb. 07: Eduard Gaertner: Mode und Baukunst (1942). Eduard Gaertner: »Mode und Baukunst«. In: Die Mo de 2 (1942) 8/9, S. 36. Staatliche Museen zu Berlin, Kunstbibliothek.

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Endphase der Weimarer Republik charakteristischen »Verbindung von ›monumentaler Sachlichkeit‹ und ›technoider Eleganz‹«. Im Vorfeld des Zweiten Weltkriegs profilierte sie sich, laut Peter Reichel, schließlich zu einer Art »Nazi-Sachlichkeit«.21 Ähnlich wie in der zeitgenössischen Architektur oder bei der Inszenierung politischer Feiern sollte sich diese durch eine, vor allem im Abendmodebereich festzustellende, »Monumentalität der Form« dokumentieren.22 Sie wird auf den Fotos unterstützt durch eine zumeist deutlich konturierte, statuarisch aufrechte, allenfalls noch gemessenen Schritts dargestellte Körperhaltung mit ernstem Gesichtsausdruck. Für ihre Darstellung scheint eher die architekturnahe, ruhende Plastik Vorbild gewesen zu sein. In deutlichem Unterschied zu dem häufig in rascher Bewegung oder aber in technikaffinen, Geschwindigkeit suggerierenden Mensch-Maschine-Kombinationen gezeigten Typs der Neuen Frau der 1920er Jahre, vermitteln die Abbildungen der Zeitschrift Mode im Medienverbund von Architektur, Skulptur und Fotografie also gerade den Eindruck überzeitlicher Dauerhaftigkeit.23 Sie entsprechen damit der zeitgleichen Monumentalitäts-Definition des Schweizer Architekturtheoretikers Peter Meyer im etymologischen Sinne von »Verewigung, Festlegung; nicht umsonst kommt ›monumentum‹ = Denkmal von ›monere‹ = erinnern – an Gewesenes und Gegebenes«.24 Mode scheint sich dadurch ihrer typischen Wechselhaftigkeit, ihres transitorischen Charakters, geradezu entledigt zu haben. Insbesondere vor dem häufig eingesetzten Hintergrundambiente monumentaler, im staatspathetisch erhebenden Sinne symbolisch »sprechender Architektur«25 nimmt der so präsentierte Modestil ebenfalls überzeitlich-heroische Züge an und verleiht dem hier propagierten Ideal »nationalsozialistischer Herrinnen« eine neuartige und faszinierend wirkende Aura. Denn gerade in ihrer luxuriös wirkenden Aufmachung und in ihrer Ästhetik einer rechten Avantgarde unterscheidet sich die Zeitschrift Die Mode grundsätzlich von den antimodisch-völkischen Frauenbüchern und -zeitschriften des NS-Staats. Durch eine solche Politik der Form aus Mode und Architektur sprach man aber vor allem jene Frauen an, »die im Nationalsozialismus etwas Neues suchten und ihn als einen Auf bruch verstanden«,26 wurde ihnen so doch nach wie vor Mode auf internationalem Niveau geboten. Darüber hinaus ließ sich die mit der antimodischen Kampfformel »Bubikopf versus Gretchenzopf« verbundene antisemitische Propaganda gegen einen traditionell jüdisch konnotierten Luxus und die jüdische Beteiligung an der deutschen Modebranche27 auch auf diese Weise wirksam fortsetzen: indem nämlich die im Magazin Die Mode demonstrierte, scheinbar eigenständige Überlegenheit im Modebereich die seit 1938 weitgehend vollzogene Vertreibung von Juden aus Bekleidungswirtschaft und Modejournalismus legitimieren und verdrängen half. Auch in dieser Hinsicht entfaltete die ikonotextuelle Verbindung von Mode- und Architekturdiskurs im Nationalsozialismus ihre gesellschafts(de)strukturierende Kraft

»Monumentalität der Form«

Abb. 08: Trümmermode. »Bilder vom ersten Friedens-Modentee« (8.9.1945). Staatliche Museen zu Berlin, Kunstbibliothek.

als »ein verführerisches und faszinierendes Konstrukt, das Zugehörigkeit und Macht verheißt und das, obschon nicht ›real‹, reale Konsequenzen zeitigt«.28

III. Die realen Konsequenzen aus dem Zweiten Weltkrieg wurden nach 1945 in den architektonischen Trümmerlandschaften Deutschlands sichtbar. Schon bald jedoch wurden auch sie als ästhetisch faszinierende Kulisse, in ihrer erschreckend-schönen Wirkung noch gesteigert durch dramatisch ausgeleuchtete Licht- und Schatteneffekte, für die Filmindustrie genutzt. So zum Beispiel für Wolfgang Staudtes »Trümmerfilm« Die Mörder sind unter uns von 1946, aber auch für die Inszenierung von Mode. Hier lässt sich ebenfalls ein rasches Comeback beobachten, mit Kleidung kreiert aus ausrangierten Uniformen, militärischen Flaggen oder Vorhangstoffen, vorgeführt von Laienmodels in gut besuchten Modenschauen bei Kerzenlicht unter zeittypischen Mottos wie »Schwarzmarkt« oder »Stromausfall«.29 Für die neuerliche Interaktion von Architektur und Mode kann insbesondere ein damals vielfach abgedrucktes Foto der ersten Nachkriegs-Modenschau des Modedesigners Walter Friedrich Schulz vom 8. September 1945 in Berlin als symptomatisch gelten (Abb. 08). Es zeigt Gabriele Gräfin von und zu Trauttmansdorff-Weinsberg, eine von Schulz’ illustren Kundinnen, in einem sogenannten »Flickenkleid«, aus unterschiedlichen Stoffresten in Patchwork-Technik zusammengestellt, vor dem Hintergrund der zerstörten Gedächtniskirche auf dem einst glamourösen

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Kurfürstendamm.30 Mit der Kombination aus Trümmerarchitektur und Trümmermode wurde so die Hoffnung auf ein Comeback von Normalität, Schönheit und Lebensfreude ins Bild gesetzt, wobei auch hier – vergleichbar mit Francesco Salvoris Credo eines heldenhaft-faschistischen Kleidungsstils – die Wiederherstellung des eigenen, modischen Aussehens aus vorhandenen Stoff»Trümmern« diesmal dem Wiederauf bau von Architektur, Stadt und Land im wahrsten Sinne des Wortes voranschreitet. Die Wechselwirkung zwischen architektonischer Ruine und Mode scheint jedoch vielschichtiger zu sein als es die gängige Annahme eines symbolisch eindeutigen Kontrasts zwischen Zerfall und Zerstörung auf der einen sowie Schönheit und Optimismus auf der anderen Seite zunächst zu suggerieren vermag.31 Denn zum paradoxen Wesen der Mode gehören Transitorik und Vergänglichkeit, die variierende Aufnahme des Vergangenen im Hier und Jetzt, also die Verschwisterung von Mode und Tod, wie Walter Benjamin es genannt hat.32 Die Ruine liefert als monumentales memento mori hingegen ein sichtbares Zeugnis vergangener Zeiten und Katastrophen über eine spezielle Ästhetik des Zerfalls, der Versehrung und des Fragments, wobei formgewordene Vergangenheit und Gegenwart im spannungsreichen zeitlichen Gegensatz ebenfalls aufeinandertreffen: »[…] gegenüber der Ruine, dieser äußersten Steigerung und Erfüllung der Gegenwartsform der Vergangenheit, spielen so tiefe und zusammenfassende Energien unserer Seele, daß die scharfe Scheidung zwischen Anschauung und Gedanke völlig unzureichend wird. Hier wirkt eine seelische Ganzheit und befaßt, wie ihr Objekt die Gegensätze von Vergangenheit und Gegenwart in eine Einheitsform verschmilzt, die ganze Spannweite des körperlichen und des geistigen Sehens in die Einheit ästhetischen Genießens […]. So lösen Zweck und Zufall, Natur und Geist, Vergangenheit und Gegenwart an diesem Punkte die Spannung ihrer Gegensätze, oder vielmehr, diese Spannung bewahrend, führen sie dennoch zu einer Einheit des äußeren Bildes, der inneren Wirkung.« 33

In diesem Sinne versuchte Georg Simmel bereits 1911 die Lehre aus den Ruinen zu destillieren, welche im 18. und 19. Jahrhundert eine regelrechte Modewelle in Literatur und Kunst ausgelöst hatte. Ähnlich wie bei der Ausbildung des klassizistischen Schönheitsideals über die Beschäftigung mit antiken Skulpturen-Torsi, also mit gleichfalls unvollständigen, zerstörten Körper-Bruchstücken, kann daher gerade das durch menschliche Gewalt beschädigte Kunst- beziehungsweise Bauwerk in einer Art »Ergänzungsphantasie« als Formfiktion in Richtung auf ein Ideal hin überschritten werden, von dessen Schönheit selbst das verstümmelte Fragment noch letzte Spuren bewahrt.34 Der chronotopische Charakter von Torso und Ruine ist in diese Sinne nicht allein als ein Vergehen, sondern auch als ein Werden zu begreifen: »Entstehung statt Verfall, Auf bau statt Reduktion«. Auf

»Monumentalität der Form«

diese Weise scheint sich »die Spannung zwischen dem Glück über das Vorhandene und der Trauer über das Fehlende in ästhetischen Genuß aufzulösen«, um »Trost […] in der gedanklichen Vervollkommnung des Fragmentierten« zu finden.35 So interpretiert etwa Irmela Krüger-Fürhoff Winckelmanns Beschreibungen des Torso vom Belvedere aus der Mitte des 18. Jahrhunderts, welcher die Reste eines antiken Heros im Zustand gewaltsamer körperlicher Anspannung darstellt. Wie Hans-Georg von Arburg gezeigt hat, oszillierten auch Goethes ästhetisch ambivalente Reflexionen über die Anschauung der Ruinen von Paestum und Rom zwischen Trauer und Freude über deren Größe zwischen Vergangenheit und Gegenwart, »ästhetischer Erhabenheit und purem Schrecken«.36 Die Ruinenästhetik von durch kriegerische Ereignisse zerstörten Städten lässt sich in ähnlicher Weise im Aufrufen gemischter Gefühle zwischen Weh- und Frohsein, Vernunft und Sinnlichkeit im Sinne Kants, Schillers und Lyotards als »erhaben« bezeichnen, gerade indem sie in ihrer bizarren Unvollkommenheit den Trost des harmonisch schönen Formganzen zunächst verweigert: »Das Erhabene ist ein Denken, das sich anläßlich der Formlosigkeit eines Gegenstandes fühlt. […] Gewaltsam, mit sich uneins, ist es zugleich Faszination, Entsetzen und Erhebung.«37 Aus dieser Perspektive hat die Kombination aus Trümmerarchitektur und Mode mehr mit den zuvor gezeigten Traditionslinien heroischer Fiktionen im »Kampf um die Form« zu tun als bislang vermutet. Die Wechselwirkung aus Mode und Architektur fungiert als eine Art Brückenfigur, welche Tendenzen aus der Zwischenkriegszeit, aus Faschismus, NS-Staat und der unmittelbaren Nachkriegszeit miteinander verbindet.38 Von einer Zäsur, von einem sogenannten »Nullpunkt« kann keine Rede sein.

A nmerkungen 1 | Barbara Wildenhahn: Feuilleton zwischen den Kriegen. Die Form der Kritik und ihre Theorie. München 2008, S. 301. 2 | Ebd., S. 303. 3 | Heinz Marr: Die Massenwelt im Kampf um ihre Form. Zur Soziologie der deutschen Gegenwart. Hamburg 1934, S. 447. 4 | Wildenhahn 2008 (vgl. Anm. 1), S. 303. 5 | Georg Friedrich Hegel: Vorlesungen über die Ästhetik [1835-1838]. Bd. 2. In: Ders.: Werke. Bd. 14. Frankfurt a. M. 1986, S. 407-408: »Das Prinzip für die künstlerische Art der Gewandung liegt nun darin, daß sie gleichsam wie ein Architekturwerk behandelt wird. […] Ferner ist das Architektonische des Tragens und des Getragenen für sich selbst seiner eigenen mechanischen Natur nach gestaltet. Ein solches Prinzip befolgt die Bekleidungsart, die wir in der idealen Skulptur der Alten [d.h. der griechischen Antike,

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Julia Ber tschik J. B.] befolgt finden. Besonders der Mantel ist wie ein Haus, in welchem man sich frei bewegt.« 6 | Vgl. zur Beziehung zwischen Kleidung und Architektur allgemein Angelika Jäkel: »Stoffe, Schnitte und Nähte. Zur Beziehung zwischen Kleidung und Architektur.« In: Wolkenkuckucksheim. Internationale Zeitschrift für Theorie und Wissenschaft der Architektur 7 (2002) 1: Urban Bodies, S. 1-8. (http://www.cloud-cuckoo.net/openarchive/wol​ ke/deu/Themen/021/Jaekel/Jaekel.htm (Abruf März 2014). Und am Beispiel Gottfried Sempers: Hans-Georg von Arburg: Alles Fassade. »Oberfläche« in der deutschsprachigen Architektur- und Literaturästhetik 1770-1870. München 2008, S. 264-344. Sowie zu Mode und Architektur im nationalsozialistischen Deutschland auch Julia Bertschik: Mode und Moderne. Kleidung als Spiegel des Zeitgeistes in der deutschsprachigen Literatur (1770-1945). Köln, Weimar, Wien 2005, S. 274-349. 7 | Vgl. Gertrud Lehnert/Alicia Kühl/Katja Weise (Hg.): Modetheorie. Klassische Texte aus vier Jahrhunderten. Bielefeld 2014, S. 47-50. Sowie Bradley Quinn: The Fashion of Architecture. Oxford 2003. 8 | Vgl. hier und im Folgenden: Mario Lupano/Alessandra Vaccari (Hg.): Fashion at the Time of Fascism. Italian Modernist Lifestyle 1922-1943. Bologna 2009, S. 238-239. Vgl. auch: Harald Oelrich: »Sportgeltung – Weltgeltung«. Sport im Spannungsfeld der deutsch-italienischen Außenpolitik 1918-1945. Münster, Hamburg, London 2003, S. 240-241. 9 | Vgl. Ina Dietzsch/Ullmann: »Jenseits von Oberfläche und Tiefe. Auf mathematischkulturwissenschaftlicher Spurensuche.« In: Österreichische Zeitschrift für Volkskunde LXVII/116 (2013) 1,2: Äußerungen. Die Oberfläche als Gegenstand und Perspektive der Europäischen Ethnologie, S. 221-237, hier S. 232-235. 10 | Vgl. Lupano/Vaccari (Hg.) 2009 (vgl. Anm. 8), S. 228-229. Sowie Roland Robertson: »Glokalisierung: Homogenität und Heterogenität in Raum und Zeit«. [Glocalization: Time-Space and Homogeneity-Heterogeneity, 1995]. Übers. v. Bettina Engels. In: Ulrich Beck (Hg.): Perspektiven der Weltgesellschaft. Frankfurt a. M. 1998, S. 192-220. KaiUwe Hellmann: Soziologie der Marke. Frankfurt a. M. 2003, S. 46-53 u. S. 77-88. 11 | Zit. bei Lupano/Vaccari (Hg.) 2009 (vgl. Anm. 8), S. 239: »Being heroes in style at least is very often the first step toward the substance of real heroes«. (Übersetzung J. B.). Vgl. außerdem Pierre Bourdieu: La distinction. Critique sociale du jugement. Paris 1979. 12 | Lupano/Vaccari (Hg.) 2009 (vgl. Anm. 8), S. 241. 13 | In diesem Sinne zu Loos vgl. bereits Bertschik 2005 (vgl. Anm. 6), S. 96-97. 14 | Gottfried Semper: Gesammelte Schriften. Hg. v. Henrik Karge. Bd. 2: Der Stil in den technischen und tektonischen Künsten. Erster Band: Textile Kunst [11860]. Hildesheim, Zürich, New York 2008, S. 211-212 u. S. 422. Semper ging es damit vor allem auch um einen Nachweis der Polychromie antiker Baukunst. 15 | Kitty: »Vom Sinn der modernen Frisur«. In: Die Mode 1 (1941) 5, S. 40. 16 | Vgl. M. W.: »Weltgeltung der deutschen Frau – Weltgeltung der deutschen Mode«. In: Die Mode 1 (1941) 5, S. 13, S. 53 u. S. 58-59, hier S. 58-59 Sowie Tim Mason: »Zur

»Monumentalität der Form« Lage der Frauen in Deutschland 1930-1940. Wohlfahrt, Arbeit und Familie«. In: H.G. Backhaus u.a. (Hg.): Gesellschaft. Beiträge zur Marxschen Theorie 6. Frankfurt a. M. 1976, S. 118-193, hier S. 148-149. 17 | Eduard Gaertner: »Mode und Baukunst«. In: Die Mode 2 (1942) 8/9, S. 7-11 u. S. 36, hier S. 7. 18 | Ebd., S. 11. 19 | Vgl. ebd., S. 36 und [Emy] Grassegger: »Der Sonnenschutzhut des Reichsarbeitsdienstes«. In: Die Mode 2 (1942) 6, S. 10-11. Grasseggers Hutentwurf erhielt zwar ein Patent, wurde aber letztlich nicht beim BDM eingeführt. 20 | Vgl. Hartmut Frank: »Welche Sprache sprechen Steine? Zur Einführung in den Sammelband ›Faschistische Architekturen‹.« In: Ders. (Hg.): Faschistische Architekturen. Planen und Bauen in Europa 1930 bis 1945. Hamburg 1985, S. 7-21, hier S. 10. 21 | Peter Reichel: Der schöne Schein des Dritten Reiches. Faszination und Gewalt des Faschismus. Frankfurt a. M. 1993. (21991), S. 103 u. S. 319. 22 | Die Mode 1 (1941) 2, S. 38-39. Nicht unerwähnt bleiben soll an dieser Stelle, dass in Reaktion auf die »Ausschaltung« der französischen Modebranche durch die Nazis auch in patriotisch orientierten Artikeln und Sonderheften der New Yorker Ausgabe der Modezeitschrift Vogue spezifisch amerikanische, zum Teil sogar in den Nationalfarben gehaltene Modeerzeugnisse in »typisch amerikanischem« Ambiente fotografiert worden sind. Dabei handelt es sich beispielsweise um »heroische Landschaften« wie den Grand Canyon oder aber um die neoklassizistischen Repräsentationsbauten und Präsidentendenkmäler in der Bundeshauptstadt Washington. Im Unterschied zur nationalsozialistischen Propagandazeitschrift Die Mode bilden solch monumentalisierende Formfiktionen hier allerdings eher die Ausnahme als die Regel. Vgl. [Anonym:] »American Fashion on its Own«. In: Vogue (Febr. 1941) 1: »Americana Number« (»U.S.A. Fashion on its Own«), S. 78-83. (Fotos v. Luis Lemus). [Anonym:] »Red White and Blue Shoes«. In: ebd., S. 102. Sowie [Anonym:] »Washington .... the Unfinished City 1790-1941«. In: Vogue (July 1941) 1, S. 28-32. (Fotos v. Toni Frissell). 23 | Vgl. Silke Wenk: »Volkskörper und Medienspiel. Zum Verhältnis von Skulptur und Fotografie im deutschen Faschismus«. In: Kunstforum international 114 (1991), S. 226236. 24 | P. M. Aufsätze von Peter Meyer 1921-1974. Mit Zeichnungen von P. M. Hg. v. Hans Jakob Wörner. Zürich 1984, S. 172-175, hier S. 173: »Monumentale Architektur?« [11937]. An anderer Stelle weist Meyer der architektonischen Monumentalität zudem Aspekte des Sakralen, des Heroischen und des Erhabenen zu; vgl. ebd., S. 201 (»Überlegungen zum Problem der Monumentalität …« [11938], S. 201-209) sowie S. 235 u. S. 237 (»Diskussion über Monumentalität« [11940], S. 231-238). 25 | Hans-Ulrich Thamer: Verführung und Gewalt. Deutschland 1933-1945. Berlin 1986, S. 424. Die Deutschen und ihre Nation. Neuere Deutsche Geschichte 5. 26 | Johannes Christoph Moderegger: Modefotografie in Deutschland 1929-1955. Norderstedt 2000, S. 101.

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Julia Ber tschik 27 | Vgl. Franziska Schößler: »Konsumkritik um 1900. ›Jüdische Parvenüs‹ in Heinrich Manns Roman ›Im Schlaraffenland‹«. In: Michael Jäckel/Franziska Schößler (Hg.): Luxus. Interdisziplinäre Beiträge zu Formen und Repräsentationen des Konsums. Trier 2008, S. 145-166. Sowie Uwe Westphal: Berliner Konfektion und Mode. Die Zerstörung einer Tradition 1836-1939. 2. erw. Aufl. Berlin 1992. 28 | So, in anderem Kontext: Christian Huck: Fashioning Society, or, The Mode of Modernity. Observing Fashion in Eighteenth-Century Britain. Würzburg 2010, S. 298: »a seductive and fascinating construct, promising belonging and power, which, though not ›real‹, has real consequences« (Übersetzung J. B.). 29 | Vgl. Mila Ganeva: »Fashion Admidst the Ruins: Revisiting the Early Rubble Films And the Heavens Above (1947) and The Murderers are Among Us (1946)«. In: German Studies Review 37 (2014) 1, S. 61-85, v.a. S. 64-67. 30 | Ebd., S. 66. 31 | Ebd., S. 81. 32 | Vgl. Walter Benjamin: Das Passagen-Werk [11940]. In: Ders.: Gesammelte Schriften. Bd. V/1. Hg. v. Rolf Tiedemann. Frankfurt a. M. 1991, S. 110-132 [B: Mode], v.a. S. 110-111 u. S. 130. Und Elena Esposito: Die Verbindlichkeit des Vorübergehenden: Paradoxien der Mode. Übers. v. Alessandra Corti. Frankfurt a. M. 2004, S. 9-11 u. S. 96-113. Sowie Bertschik 2005 (vgl. Anm. 6), S. 7-17. 33 | Vgl. Georg Simmel: »Die Ruine«. In: Ders.: Philosophische Kultur. Über das Abenteuer, die Geschlechter und die Krise der Moderne. Gesammelte Essais. Berlin 1983, S. 106-112, hier S. 112. Und: Alain Schnapp: Was ist eine Ruine? Entwurf einer vergleichenden Perspektive. Übers. v. Andreas Wittenburg. Göttingen 2014, S. 95. Historische Geisteswissenschaften. Frankfurter Vorträge 7. Sowie demnächst auch Susan Stewarts Studie The Ruins Lesson. A Book of Critical Prose. 34 | Irmela Marei Krüger-Fürhoff: Der versehrte Körper. Revisionen des klassizistischen Schönheitsideals. Göttingen 2001, S. 35-36. 35 | Ebd., S. 38 u. S. 44. 36 | Von Arburg 2008 (vgl. Anm. 6) S. 171 u. S. 182-186 (»Ästhetik der Ruine«). 37 | Vgl. Jean-François Lyotard: Die Analytik des Erhabenen (Kant-Lektionen, »Kritik der Urteilskraft«, §§ 23-29) [Leçons sur l’Analytique du sublime (Kant, Critique de la faculté de juger, §§ 23-29), 1991]. Übers. v. Christine Pries. München 1994, S. 254. Friedrich Schiller: »Über das Erhabene [11795]«. In: Ders.: Werke und Briefe in zwölf Bänden. Hg. v. Otto Dann u.a. Bd. 8: Theoretische Schriften. Hg. v. Rolf-Peter Janz. Frankfurt a. M. 1992, S. 822-840, hier S. 826 u. S. 838 (zu den Kriegsruinen von Karthago). Sowie María Isabel Peña Aguado: Ästhetik des Erhabenen: Burke, Kant, Adorno, Lyotard. Wien 1994. 38 | In ähnlicher Hinsicht vgl. auch Julia Bertschik: »Nationalsozialistische Popularisierung des Wissens. Das Textilsachbuch im ›Dritten Reich‹.« In: Andy Hahnemann/David Oels (Hg.): Sachbuch und populäres Wissen im 20. Jahrhundert. Frankfurt a. M. u.a. 2008, S. 149-158.

Behausung, Bekleidung, Blöße Rahel Hartmann Schweizer

»Der Mensch begann sich die Erde Untertan zu machen, indem er Klimakapseln mit sich herumschleppte wie Zelt, Jurte und überall baute, wo er hinkam. Das ›frühe Haus‹ übernahm im widrigen Klima nicht nur die Funktion des Urhauses, sondern darüber hinaus auch die des unmittelbar angrenzenden Reviers. […] Das frühe Menschenhaus wurde in vor- und frühgeschichtlicher Zeit zumindest vor 40000 Jahren entwickelt. Es wurde von den Bewohnern selbst gebaut, war veränderbar und anpassungsfähig. Es war nur haltbar, wenn es gepflegt wurde. Sonst verschwand es umweltfreundlich von selbst.«1

»Und Gott der HERR rief Adam und sprach zu ihm: Wo bist du? Und er sprach: Ich hörte dich im Garten und fürchtete mich; denn ich bin nackt, darum versteckte ich mich. […] Da wies ihn Gott der HERR aus dem Garten Eden, dass er die Erde bebaute, von der er genommen war. […] Und Gott der HERR machte Adam und seiner Frau Röcke von Fellen und zog sie ihnen an.«2 Von ebensolchem temporären, mobilen Charakter wie die Bekleidung ist die Hütte, wie sie in der Bibel beschrieben wird. Sie wird meist nur für eine beschränkte Zeit gebraucht und kann daher auch verfallen (Am 9,11). Sie dient als Schutz vor Sonne und Regen (Jes 4, 6), als Versteck in Gefahr (Ps 27,5; Ps 31,21) oder hat als Laubhütte Festcharakter. Hütte wird aber auch im übertragenen Sinn gebraucht und meint dann den von Gott erschaffenen Kosmos (Ps 18,12) oder den Tempel zu Jerusalem (Ps 76,3), der an anderer Stelle auch als Zelt bezeichnet wird (Klgl 2,4-6).3 In einem zerlegbaren zeltartigen Tempel, der Stiftshütte, wurden – so überliefert die Tora – die Steintafeln mit den Zehn Geboten aufbewahrt, die in der Bundeslade umhergetragen wurden. Im Neuen Testament taucht »Zelt/Hütte« (σκηνή skēnē) ferner als Umschreibung für den vergänglichen Leib auf (2Kor 5,1-4, 6-8; 1Petr 1,13-14).4 Die quasi synonyme Verwendung der Bezeichnungen »Hütte«, »Zelt« und »Tempel« verweist auf die Beschaffenheit der Behausungen, die je nach verfügbarem Material aus Geflecht, Gestrüpp oder Gewebe bestanden, beziehungsweise aus Kombinationen von Ästen, Blattwerk und Stoff. Materialisierung und Mobilität wiederum indizieren ihre temporäre Eigenschaft. Mit »Tempel«

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wird gelegentlich auch eine Höhle assoziiert (Ri, 9,46)5, die in der Regel als geradezu flüchtig definiert wird. Sie hat mehrheitlich die Funktion einer Zufluchtsstätte6 (1Sam 13,6), kommt indes in Jes 32,14 in einer Schreibweise vor, die mit »Blöße« übersetzt wird.7 Behausung, Bekleidung, Blöße: die Menschen vagabundieren zwischen Realität und Utopie, zwischen Wüste und Paradies, beziehungsweise dem Garten Eden: »Das verwüstete Land wird wieder bebaut, statt daß es öde daliegen muß vor den Augen aller Vorüberziehenden. »Dann wird es heißen: ›Dieses verwüstete Land ist wie der Garten Eden geworden, die zertrümmerten, verwüsteten und zerstörten Städte sind neu befestigt und bevölkert‹.«8 Jürgen Ebach hat darin nach Adams und Evas Garten Eden die zweite in der Bibel thematisierte Form der Utopie gesehen.9 Es sind Heterotopien à la Michel Foucault avant la lettre insofern, als in ihnen das Versprechen auf das gelobte Land, in dem Milch und Honig fließen, mitschwingt (Ex 3,8).10 Foucault definierte die dauerhaften und die temporären Heterotopien (realisierte Utopien): »Museen und Bibliotheken sind Heterotopien, in denen die Zeit nicht aufhört, sich auf den Gipfel ihrer selber zu stapeln und zu drängen, […]. Gegenüber diesen Heterotopien, die an die Speicherung der Zeit gebunden sind, gibt es Heterotopien, die im Gegenteil an das Flüchtigste, an das Vorübergehendste, an das Prekärste der Zeit geknüpft sind: in der Weise des Festes. Das sind nicht mehr ewigkeitliche, sondern absolut chronische Heterotopien.«11 Mit Adams Gewahrwerden der eigenen Nacktheit brachte Filarete (um 1400- um 1469) die virtuvianische Urhütte in Verbindung. Er erkor Adam gleichsam zum ersten Architekten, wobei die Urhütte in Filaretes Darstellung zunächst nur aus vier vertikalen Stämmen mit Astgabeln und darauf liegenden horizontalen Hölzern bestand. Abbé Marc-Antoine Laugier (1713-1769) knüpfte daran an, und Joseph Rykwert steht im 20. Jahrhundert stellvertretend für die Faszination, welche die Beschaffenheit der Urhütte bis heute ausübt.12 Filaretes und Laugiers Darstellungen kamen ohne Wand aus, und es waren diese Illustrationen einer unverkleideten Behausung, die vornehmlich reproduziert wurden, um die Auflösung der Wand mittels Stahl und bewehrtem Beton um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert zu feiern. Noch im späten 20. Jahrhundert verknüpfte Colin Rowe Giovanni Battista Piranesis (1720-1778) Erscheinen der sechzehn Platten der Carceri d’invenzione in Rom und MarcAntoine Laugiers (1713-1769) Essai sur l’architecture in Paris. Rowe machte um das Jahr 1750, mit der Edition dieser Werke, einen Wendepunkt aus, der sich darin manifestiert habe, dass das »unterkühlte Wesen Laugiers und die hitzige Unruhe Piranesis, das Frostige und das Heisse« immer wieder Verbindungen eingingen.13 Wie Piranesis Ideen durch die Lehren Laugiers sowohl auf die Spitze getrieben als auch gezähmt wurden, hat Rowe für Bauwerke des 19. und frühen 20. Jahrhunderts anschaulich illustriert.

Behausung, Bekleidung, Blöße

A ntipoden : V erhüllen und E ntblössen Die Schwärmerei für Stahlskelettbauten im Rohbauzustand, die eine eigentliche Rohbauästhetik in der Tradition Laugiers generierte, ist gleichsam die Umkehrung der sich im Gefolge Piranesis entwickelnden Ruinenromantik. »Das ›im Bau befindliche‹, also das Unfertige und somit eigentlich das Unwirkliche, erscheint als der ästhetisch wirkungsvollste Zustand, der für die endgültige Erscheinung maßgeblich wird. Das Skelett, in dem sich die harte Grazie des ingenieurmäßig Konstruierten am deutlichsten offenbart, wird zum Ideal.«14

Die Maxime dahinter war die Forderung nach konstruktiver Ehrlichkeit. Gleichsam als ihr Katalysator, gar als ihr Lackmuspapier fungierte Glas: »Glass revealed the raw beauty of structure […]. Transparency was in this way the foundation of glass’s moral effect: it revealed truths of structure and lives spent within.« 15 Walter Benjamin bezeichnete das Leben in einem Glashaus denn gar als »moralischen Exhibitionismus« 16. Speist sich dieser nicht aus der Imagination eines paradiesischen Zustands? Die Tragstruktur, die Mies van der Rohe mit Akribie inszenierte, ästhetisierte Fritz Neumeyer verbal: »Die Suche nach dem Wesen hatte mit ihrer Methode der Abstraktion dem Baukörper förmlich die Haut abgezogen, die ihn als historische Bekleidung bis dahin umgab, und entdeckte das dahinterliegende Wesentliche.«17 Der Baukörper wird bis zu seiner letzten Wesensform (Stahlskelett) aufgelöst, übrig bleibt der Haut- und Knochenbau, die simple Struktur »wie der molekulare Auf bau der Elemente«.18 Vorbilder waren die Hütten der »Wilden«, die frühen Pfahlbauten und die vitruvianische Urhütte. Als Ahnentafel für das Prinzip des Haut- und Knochenbaus stellte Mies van der Rohe in einem Vortrag vor dem Bund Deutscher Architekten (BDA) 1923 in Berlin Bauten wie das Indianerzelt, die Blatthütte aus dem Urwald, das Eskimohaus oder das Sommerzelt eines Inuit vor.

V om Z elt zum Tempel und zur R uine Der schweizerisch-amerikanische Architekt Otto Kolb (1921-1996) bewegte sich intensiv zwischen diesen Polen der realisierten, paradiesischen Utopie der Auflösung der Hülle (Heterotopie) und dem in der Ruine sich manifestierenden Verschwinden (der Dystopie). Er hatte dabei die Architektur als Haut im Sinn – in je unterschiedlicher Weise vor allem in seinem ersten und in seinem letzten Bau, dem Umbau einer Scheune in Brüttisellen im Schweizer Kanton Zürich in ein Atelierhaus (1944/45) und der Villa Kolb (1980-1982) in Wermatswil, Kanton Zürich.

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Dabei spielte das eigene zeitweise intensiv nomadische Leben wohl keine untergeordnete Rolle. Nach seiner Ausbildung am Technikum in Winterthur, der Tätigkeit als Bürochef von Alfred Roth und dem Bau des Atelierhauses war er 1948 von Serge Chermayeff ans Institute of Design nach Chicago berufen worden, blieb dort bis zu dessen Fusion mit dem Illinois Institute of Technology 1951 und arbeitete anschließend im Raum Chicago und New York als selbständiger Architekt und Designer. Nach seiner Rückkehr in die Schweiz 1960 machte er Furore mit einer Spindelnormtreppe, die er patentieren ließ, und erfüllte sich mit der Villa in Wermatswil den Traum eines gebauten Manifests. Die intimste Wahrnehmung von Kolbs Erstlingswerk – einer umgebauten Scheune im zürcherischen Brüttisellen, bei der die ganze Wohnung in den Ästen der Bäume klemmt – kleidete Lotte Schwarz (1910-1971) in Worte. Sie vermittelte sie in der Vorgeschichte ihres Tagebuchs über das Haus, das ihr Ehemann Felix Schwarz 1952/53 für die Familie im Selben Ort Brüttisellen baute. Die einstige Emigrantin, die als Bibliothekarin des Zürcher Sozialarchivs während des Zweiten Weltkriegs Anlaufstelle vieler Flüchtlinge war, beleuchtete die Zeit, die sie in Kolbs »Glasnest« verlebt hatte. »Die Wohnung befand sich im ersten Stock eines Schopfes und ruhte mit dem weit ausladenden Balkon wie ein Nest zwischen den schweren Ästen der Obstbäume. Der Wohnraum war sieben Meter breit und elf Meter lang. Nach Süden und Westen gerichtet war er weitgehend verglast. Am Tage bildeten die Bäume die stets lebendigen Wände, und nachts wurden Vorhänge vor die Scheiben gezogen.«19

Auf der Terrasse des Atelierhauses fühlt man sich tatsächlich, als schwebe man in der Krone des Apfelbaums. Die Zeitschrift Interiors schrieb 1949, ihrer Kenntnis nach habe es noch niemand geschafft, so erfolgreich das zweite Geschoss eines Hauses in den Außenraum zu integrieren.20 Der Charakter der zweiten Hülle resultiert daraus, dass Kolb dem bestehenden Bau das neue Dach wie ein Zelt überstülpte und die auskragenden Bereiche inklusive der Terrasse an den neuen, gegenüber dem ursprünglichen Dachgebälk verlängerten Dachsparren aufhing. Selbst die Treppe, die vom Garten zum Balkon führt, ist an ihnen befestigt und nicht auf dem Boden abgestützt – sie berührt ihn also nicht, sondern schwebt darüber. Kolb gab der Atelierwohnung den Charakter einer mobilen Einheit – einem Möbelstück gleich, ähnlich der Hängeliege, die Ludwig Mies van der Rohe in den Jahren 1931/32 für das Haus Lange in Krefeld (1935) entworfen hatte.21 Zur Behandlung des Hauses als Möbelstück gesellt sich der Blick auf den Bau als Kunstwerk, das ebenfalls ein mobiler Gegenstand ist. Kolb gliederte die Verglasung der Fassaden, indem er sie mit einer Mondrianschen Komposition hinterlegte. Er hat dafür sogar eine eindeutige Spur in seinem Archiv hinterlassen: eine Collage, in der er zwei Fotografien von Ausblicken (gegen Süden und

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Abb. 01: Innenraumperspektive des Projekts für ein Junggesellenhaus im sanktgallischen Wildhaus um 1948 Die Farbflächen sind nach dem Prinzip der »sieben Gruppen in verschiedenen Dimensionen« des Kunstwerks von Richard Paul Lohse Konkretion III, 1945/46, komponiert.

Abb. 02: Villa Kolb (1980-1982): In der Nachtaufnahme und mit künstlicher Be­ leuchtung verschmelzen die Farben des Dreiklangs Rot-Blau-Gelb mit dem Grün der Natur zu einem stimmungsvollen Gemälde. Archiv Otto Kolb.

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Westen) und ein Gemälde von Piet Mondrian – Komposition mit Blau und Gelb (1932) – miteinander kombinierte. Beim Haus für einen Junggesellen übertrug er das Prinzip auf die Dreidimensionalität und verfuhr analog in der Villa Kolb (Abb. 01, Abb. 02). Er anverwandelte nicht die Kunst der Natur, sondern die Natur der Kunst. Indem er die Landschaft rahmte, in Bildausschnitte gliederte und sie sublimierte, vollzog er gleichsam den Abstraktionsprozess der De-Stijl-Künstler nach – vom naturalistisch gefassten Objekt zu seiner abstrahierten Figuration. Er verlieh ihr den Ausdruck eines Kunstwerks, eines marching mural: »A Picture Window is made by setting into one wall of a room a single piece of fine polished glass, considerably larger than an ordinary window, so that the ever changing vista through it paints what is, in effect, a marching mural on your wall.« »[…] priceless painting hung by nature on your walls […] a Turner, Innis or Gaugin […] getting the finest art for the cost of a window […].« 22

Nicht nur die vielleicht sensibelste Beschreibung des Atelierhauses stammt von einer Frau, sondern auch ein Bau, dessen augenscheinliche Verwandtschaft mit dem Atelierhaus frappiert: Die Architektin Lisbeth Sachs (1914-2002) brachte die Zelttypologie 1967 in dem Haus Strauss im luzernischen Aesch am Hallwilersee gleichfalls zum Ausdruck. Das Haus »Im Schilf« hat zwar mit seinen acht Ecken einen polygonalen Grundriss. Doch mit seinem einerseits nach oben spitz zulaufenden, andererseits über der Terrasse wie eine Schirmmütze tief gezogenen Dach erinnert es an ein Zelt. Auch die Fenstergliederung, die Sachs dort vornahm, mutet Kolbs Atelierhaus verwandt an. Damit sei nicht suggeriert, Sachs habe Kolb imitiert. Ihr Haus zeugt vielmehr von einem ähnlich motivierten Zugang: dem Rückzug in die Natur, verbunden mit einer sie einbeziehenden, ja durch künstlerischen Eingriff sublimierenden Architektur.23 Die Entwicklung ihres Hauses um einen zentralen Kern, der Kamin und Treppe aufnimmt sowie als Steigzone und (Wind-)Versteifung dient, hat es außerdem mit Kolbs Villa im zürcherischen Wermatswil gemein. Das Haus, das Kolb als sein »Lebenswerk« bezeichnete24, lässt sich als eine eigentliche Rückeroberung des Paradieses lesen, als eine Hülle, die bis an die Grenze ihrer Auflösung geht, Mikro- und Makrokosmos in eins fallen lässt. Die Villa bietet etliche Lesarten des mobilen und vergänglichen Raumkleids. Es ist eine in ihrer Konsequenz exemplarische Körpererweiterung, eine Evokation des Garten Eden, eine erste Haut, verräumlichtes Ornament, Urhütte, Jurte aus Stahl und Glas mit Räumen als Benjaminsche Etuis25, sie ist Tempel und potentielle Ruine – und sie ist Spiegel. Je nach Blickwinkel thront der Glaszylinder auf der Anhöhe des Geländes oder erscheint in das Grün der Vegetation eingebettet (Abb. 03). Der sich über kreisrundem Grundriss erhebende, nahezu vollverglaste Baukörper, abge-

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Abb. 03: Die Villa Kolb erinnert an einen, in die idyllische Szenerie eines englischen Landschaftsgartens, platzierten Tempietto. Reto Guntli.

Abb. 04: Das äußere Wasserbecken umfließt das Haus Kolb zu einem Drittel. Archiv Otto Kolb.

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Abb. 05: Die Ruine des Teatro Marittimo der Villa Adriana in Tivoli. Zanner. Quelle: http://upload.wikimedia.org/wikipedia/com.

stützt auf schlanken Stahlblechstützen, schwebt ebenso über dem Terrain wie er auf der Wasserfläche des vorgelagerten Beckens treibt, das den ›Sockel‹ des Untergeschosses zu einem Drittel umfließt (Abb. 04). Dieser äußere Pool hat nicht nur die Funktion, als Reflexionsbecken das Innenklima zu beeinflussen, sondern dient auch dem Schwimmen. Und er macht die Villa in ähnlicher Weise zur Insel wie der Wasserkanal das Teatro Marittimo der antiken Villa Adriana bei Tivoli, der ebenfalls der körperlichen Ertüchtigung diente und dessen eigentliche Bezeichnung Natatorium war (Abb. 05). Gespiegelt wird das Becken des Hauses Kolb im Innern, im Zentrum des Erdgeschosses. Das mit Pflanzen bestückte und von Nishiki-goi (jap. Brokatkarpfen) bevölkerte Binnenbiotop (Abb. 06) wird von Bibliothek, Essbereich sowie Salon umkreist und umspült die mit einer geschwungenen Polsterbank ausgestattete Cozy-Zone, in der man sich wie auf einer Insel wähnt.

G rot te und K ristall Der Grundriss ist ebenso konstruktiv (nahezu) frei wie räumlich offen – und zwar nicht nur in der Horizontalen, sondern auch in der Vertikalen, was die Villa zum Panoptikum und Panauditum macht. Die Transparenz erstreckt

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sich sowohl auf die visuelle Perzeption, als auch auf die auditive. Das Haus ist ebenso ein Erlebnis von visuellen Eindrücken wie von Schallereignissen. So wie das Auge von immer wieder neuen Bildern überrascht wird, ist das Gehör nicht lokalisierbaren Tönen ausgesetzt. Dabei ist es fast unmöglich, Geräusche und Stimmen in dem Haus zu orten. Kolb kreierte einen fließenden, kontinuierlichen Raum von einer abenteuerlichen Erlebnisqualität. Es wechseln sich weiträumige, offene Zonen mit geschlossenen, engen Schlünden ab; Bereiche, die einem erlauben, den Innenwie den Außenraum panoramaartig in den Blick zu nehmen, mit solchen, die Bildausschnitte definieren. Doch nicht mehr die Fassade, beziehungsweise die Verglasung fungiert als Projektionsfläche eines Kunstwerks, das ganze Haus ist eine raumgreifende künstlerische Installation. War beim Atelierhaus Piet Mondrians Komposition mit Blau und Gelb (1932) die Referenz, ist es nun Richard Paul Lohses Konkretion III 1945 – 46 (sieben Gruppen in verschiedenen Dimensionen). Kolb kombinierte aufgetragene Farbanstriche in Rot, Blau, Gelb mit den dem Material immanenten Farben des ockerfarbenen Travertinbodens, der gelblichen Sperrholzverkleidungen der Galerie, der mit dunkelrosa Marmor verkleideten Bibliothekswand, der orangefarbenen Polsterbezüge von Sesseln und Liegen und der blauen Bettbezüge sowie der durch den Anstrich des Beckens blauen Wasseroberfläche, um die Villa in ein dreidimensionales Kunstwerk à la Lohse

Abb. 06: Villa Kolb: Blick vom oberen Niveau auf das Binnenbiotop. Archiv Otto Kolb.

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zu verwandeln, das »picture window« gleichsam in ein raumhaltiges Ornament zu übersetzen. Es bieten sich verschiedene Routen an, die Villa zu erkunden. Zwei davon führen zu den Räumen des Erd- und den Ebenen des Galeriegeschosses: Bewegt man sich radial, gelangt man durch eine schleusenartige Verengung und über eine kurze, den Binnenteich traversierende Brücke zur zentralen Wendeltreppe und abgesenkten Lounge-Zone im Zentrum. Wählt man hingegen einen tangentialen Weg im Uhrzeigersinn, umkreist man das Becken, indem man durch den äußeren Wohnbereich mit Bibliothek, Küche, offenem Essplatz, Salon und Musikecke wandelt. Dabei begleitet einen eine Galerie mit Kunstwerken, die sich im Unter- und im Obergeschoss fortsetzt: Bilder und Skulpturen von Le Corbusier, Georges Vantongerloo, Fernand Léger, Richard Paul Lohse, Jean Arp, Xanti Schawinsky, Carlo Vivarelli, Lucio Fontana, Max und Jakob Bill, Marcello Morandini, Hans Jörg Glattfelder und Serge Chermayeff. Von der Küche aus führt eine enge, in einen Schacht eingelassene Wendeltreppe ins Untergeschoss. Die Bullaugen, die Kolb in den Boden des inneren Wasserbeckens einließ, fungieren dort als Oberlichter. Diese erinnern außerdem an das Ochsenauge in der von Bernardo Buontalenti (1531-1608) zwischen 1583 und 1593 geschaffenen Grotta Grande im Giardino di Boboli in Florenz: Über dem Oculus im Zenit des Deckengewölbes gab es ein Laternen-Aquarium, in dem ebenfalls Fische schwammen, deren Schatten im Lichtspiel auf den Fels fielen.26

Abb. 07: Tagsüber dringt durch die in das Becken eingelassenen Oculi natürliches Licht ins Untergeschoss der Villa Kolb. Nachts taucht künstliche Beleuchtung von unten das obere Niveau in eine grottenähnliche Atmosphäre. Archiv Otto Kolb.

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Das Bild der Grotte ist von suggestiver Kraft (Abb. 07). Es evoziert die Höhle als Urbehausung, ähnlich wie das Zelt, und birgt eine Genealogie von literarischen und künstlerischen Darstellungen – von biblischen Gruben, über das antike Nymphäum bis zum Barockgarten. Wenn die Sonne schemenhaft die Umrisse von einem Baum, einem Vogel oder einem durch den Garten wandelnden Bewohner auf die Wände des Kerngehäuses wirft, assoziiert man die Zeilen des englischen Dichters Alexander Pope (1688-1744). Er schrieb sie dem Freund Edward Blount 1725 über die Grotte, die er sich nach seinem Umzug nach Twickenham 1719 in einem Tunnel unterhalb seiner Villa anlegen ließ: »When you shut the Doors of this Grotto, ›it becomes on the instant, from a luminous Room, a camera obscura‹, on the walls of which inset with bits of looking glass ›all the objects of the River, Hills, Woods, and Boats, are forming a moving picture in their visible radiations‹.«27 Der Kontrast zwischen der oberirdischen Kristallarchitektur und der unterirdischen Grotte verweist schließlich auf den jahrhundertalten, mythisch-literarischen Schatz der Licht-Dunkel-Metaphorik, den Rosemarie Haag Bletter für die 1919 gegründete deutsche Künstler- und Architektenvereinigung Gläserne Kette sowie für Mies van der Rohe gehoben hat.28 Umgekehrt taucht man vom Untergeschoss durch den Turm eines Unterseeboots wieder an der Oberfläche auf, wo einen ein Oberlicht empfängt. Die Strecke zu den auf der Galerie gelegenen Schlafräumen, die einer Krone gleich um den Kern organisiert sind, führt über die zentrale Rundtreppe. Auf diesem oberen Niveau mit seinem amöbenförmigen Grundriss und den schwungvollen Rampen wandelt man mäandrierend – sowohl horizontal als auch vertikal. Die fantasievolle Wegführung im Obergeschoss lässt einen immer wieder unvermittelte Durchblicke bis hinunter ins Erdgeschoss erhaschen. Leicht federnde Rampen verbinden die auf verschiedenen Höhen gelegenen, nur von Brüstungen gefassten, balkonartig ausgebildeten Räume. Insofern als diese mit Sperrholz verkleideten »Raumtaschen« des Obergeschosses die eigentlichen Binnenräume definieren, die sich wie Futterale um die Bewohner schmiegen, nehmen sie ebenso Maß an Gottfried Sempers Bekleidungstheorie wie an Walter Benjamins »Etui-Menschen«.29 Die für das Erdgeschoss umgekehrt als Baldachine fungierenden Taschen erinnern aber auch an die Hängematten, denen sich Sigfried Giedion in Die Herrschaft der Mechanisierung (1948) im Kapitel »Die nomadischen Möbel des neunzehnten Jahrhunderts« widmete und eine direkte Linie zwischen ihnen und Alexander Calders (1898-1976) Mobiles zog.30 Calders Mobile Black Dots (1941) hatte Kolb schon in jungen Jahren mit dem Entwurf einer Mobile-Lampe von der Kunst in ein Möbel zurück übersetzt. Mit seinem Rundhaus ging er aber noch weiter: So »grotesk« Giedion das Patent für eine mit einem Dreirad kombinierte Hängematte – »um das Fahrzeug in ein Schlafzimmer zu verwandeln«31 – erschienen war, in Kolbs Haus ist es gewissermaßen umgesetzt. Die Räume sind

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in die wie die Speichen eines Rades konzipierte Stahlstruktur eingespannt. Und auch die Verbindung zwischen dem Zelt, das Giedion buchstäblich ins Feld führt – illustriert er es doch mit Napoleons III. Feldzelt von 1855 – und der Hängematte ist bei Kolb virulent. Nicht umsonst sagte Max Bill über das Haus: »Kolb hat auf moderne Art eine Jurte gebaut, wie die Mongolen.«32 An das ursprüngliche Nomadische des Menschen appellierte Kolb dann 1994 in einem Vortrag an der ETH: »einst war der mensch der mobile, universelle, der zugleich in der funktion als jäger, gärtner, baumeister, planer, metzger, arzt, koch, krieger etc. tätig war.«33 Modernem Nomadentum gleich arbeitete Kolb ausgiebig mit Recycling- Material – einerseits Stahl, das in seiner Treppenproduktion anfiel, andererseits Baumaterial – Travertin, Marmor –, das er sich aus Abbrüchen anderer Gebäude beschaffte.

S piegel z wischen M ikro - und M akrokosmos Aus der schwebend konzipierten Möblierung – ein Entwurf, den er während seiner Unterrichtszeit am Institute of Design schuf, bestehend aus Sofa und Stuhl, die an einem zwischen Boden und Decke eingespannten Pfosten hingen – macht Kolb Räume. Und, wenn »das Mobiliar […] sich ganz deutlich aus dem Immobiliar entwickelt« hat,34 dann führt Kolb das Möbel wieder zurück auf das Haus. Konzeptionell hat das Vorgehen Ähnlichkeit mit der Strategie Eileen Grays beim Haus E.1027 (Roquebrune sur mer, 1926-29). »Ein Haus ist keine Maschine zum Wohnen. Es ist die Hülle des Menschen, seine Erweiterung […].«35 »Man muss für den Menschen bauen, damit er für sich selbst in der architektonischen Anlage, wie in einem ihn erweiternden und ergänzenden Ganzen, die Freude des Fühlens wiederentdecken kann. So, dass das Mobiliar selbst seiner Individualität verlustig geht und mit der architektonischen Anlage verschmilzt!«36 Allerdings war es bei Kolb stärker der konstruktive Ansatz. Er transformierte die Treppe, als ursprünglich – im Atelierhaus – mobiles Objekt, in einen Tempel. Und dieser Tempel »ist« der Tholos von Epidauros oder vielmehr eine Verschmelzung zwischen diesem und Mies van der Rohes Farnsworth House: »Certainly the [Farnsworth] house is more nearly a temple than a dwelling, […].«37 Ein Tempel ist Kolbs Villa in Wermatswil auch, aber die Beziehung zwischen innen und außen ist eine wechselseitige, ja austauschbare. Das Innere ist das umgestülpte Äußere und umgekehrt. Das Biotop, das rund einen Drittel der Fläche des Erdgeschosses bedeckt, fungiert als der Garten des Hauses und ist ein verkleinertes Abbild der umgebenden Natur. Es ist eine Miniatur-

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landschaft, in der Art der japanischen shakkei: Es verinnerlicht die vom südlich liegenden Weiher geliehene Landschaft. Das Haus ist die Apotheose der Interaktion zwischen innen und außen – nicht so sehr, weil Kolb die Grenzen zwischen beiden mittels der Glasfassade auflöst, als vielmehr, weil er diese Grenze in der Schwebe hält. Die beiden Bereiche sind nicht definiert. Die Ambiguität entsteht, weil das Innere mit dem Binnenbiotop im Zentrum, dem ausgedehnten Luftraum und den Galerielogen gleichsam Außenraum ist. Umgekehrt lässt sich die umgebende, analog mit Teich, Balkonen und Lufthülle ausgestattete Natur auch als Innenraum betrachten. Die durchlässige Membran der Glashaut wird ebenso von der Landschaft gefasst, wie sie die gestaltete Natur (des Binnenbiotops) umgibt. Sie birgt das Innere ebenso wie das Äußere, den Mikrokosmos und den Makrokosmos. Überdies transformiert die Glashülle das marching mural in eine Projektionsfläche für eine filmische Abfolge ständig wechselnder Landschaftsbilder. Die Bewohner figurieren als partizipierendes Publikum. Sie bewegen sich auf

Abb. 08: Der Teich am Rande des Grundstücks der Villa Kolb ist die Schnittstelle zwischen Utopie und Heterotopie: Man befindet sich gleichzeitig in dem realen Raum, wie in dem, der von der Wasserfläche reflektiert wird. Archiv Otto Kolb.

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der Bühne des filmischen Bildraums und steuern diesen gleichzeitig – die Einstellungen, das Tempo, die Schnitte, die Überblendungen – und machen die Villa zur beweglichen kinematografischen Einrichtung. Schließlich generiert sie das, was Foucault in seinem dritten Grundsatz über Heterotopie schrieb. Die Heterotopie vermag »an einen einzigen Ort mehrere Räume, mehrere Plazierungen zusammenzulegen, die an sich unvereinbar sind. […] vielleicht ist die älteste dieser Heterotopien mit widersprüchlichen Plazierungen der Garten. […] Der traditionelle Garten der Perser war ein geheiligter Raum, der in seinem Rechteck vier Teile enthalten musste, die die vier Teile der Welt repräsentierten, und außerdem einen noch heiligeren Raum in der Mitte, der gleichsam der Nabel der Welt war (dort befanden sich das Becken und der Wasserstrahl); und die ganze Vegetation des Gartens musste sich in diesem Mikrokosmos verteilen.« 38

Und auch Foucaults Analyse des Phänomens des Spiegels (Abb. 08), den der Philosoph als Mischerfahrung, gleichermaßen als Utopie (ein Ort ohne Ort) wie als Heterotopie beschrieb, mischt sich förmlich ein: Das sich gleichzeitig in dem Raum befinden, der vom Spiegel zurückgeworfen wird, und in dem man sich tatsächlich aufhält, wie in dem (virtuellen) Raum, der sich hinter dem Spiegel, beziehungsweise der Verglasung öffnet und in dem man sich nicht wirklich befindet: »Der Spiegel funktioniert als eine Heterotopie in dem Sinn, dass er den Platz, den ich einnehme, während ich mich im Glas erblicke, ganz wirklich macht und mit dem ganzen Umraum verbindet, und dass er ihn zugleich ganz unwirklich macht, da er nur über den virtuellen Punkt dort wahrzunehmen ist.«39

P ostscrip tum : E rinnerung und V ersprechen Kolb rekurriert und antizipiert. Die Rehabilitierung paradiesischer Atmosphäre, das Fallenlassen der Hüllen, die Absteckung eines geheiligten Bezirks geht einher mit dem Versuch der realen energetischen Umsetzung, indem er das Biotop als Quelle der Kühlung und des Sauerstoffs, den Boden als Speichermasse für die wärmende Sonnenstrahlung im Winter, das Hang-, Sicker- und Dachwasser zum Füllen des Reservoirs und Kollektoren auf dem Dach zur Energieerzeugung nutzte. Seine Villa ist Brennglas zwischen den Design Metaphors, die Ettore Sottsass Jr. zwischen 1972 und 1979 schuf und der physiologischen Architektur des Westschweizer Architekten Philippe Rahm. Sottsass ephemere Installationen – ein Haus ohne Wand und Dach, abgesteckt nur mittels Stäben und Seilen, oder eine Bettstatt in Form lediglich einer Trage aus Holzbrettern und einer Wolldecke, die er über ein Bachbett legte, eine aufgehängte Plane und

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Abb. 09: La Posa, Zurite (Peru): als Geviert lediglich mittels Stä­ ben abgesteckt, eignet ihr doch der Charakter eines schützenden Raums. Juan Muñoz (http://www.floecknerschnoell.com/fund​ stue​cke/architektur/laposa.html).

ein Stuhl, den er in verschiedenen Richtungen platzierte und entsprechende Bildunterschriften setzte: Vuoi guardare il muro…, O vuoi guardare la valle?, (1973)…40 – sind nicht nur Zeugnisse von Sottsass Bedürfnis seinerzeit, die Beziehung des Menschen mit dem Kosmos zu ergründen. Sie haben auch ritualhaften Charakter, wie die von André Friedmann beschriebene rituelle, ephemere Konstruktion, genannt La Posa, in Zurite, einem Dorf im peruanischen Hochland, die Juan Muñoz fotografisch festgehalten hat (Abb. 09). Die »Posa« bedarf keiner Wände, um als schützender Ort wahrgenommen zu werden, und sie wird jedes Jahr aufgebaut und nach kurzer Zeit nonchalant verbrannt.41 Umweltfreundlich wieder verschwinden könnte die Villa Kolb, wenn sie nicht im Jahr 2012 von der Kantonalen Denkmalpflege Zürich als Schutzobjekt von regionaler Bedeutung eingestuft worden wäre, insofern, als sie durch ihre experimentelle Bauweise einerseits vergleichsweise diffizil ist, andererseits auch gemessen an konventionellen Bauten einfach zurückgebaut werden könnte. Philippe Rahms Annäherung an die Architektur ist eine Potenzierung von Kolbs Auflösung der Grenze zwischen Innen und Außen sowie seinem ökologischem Impetus, insofern als für ihn Bauen überhaupt in erster Linie eine Funktion aus physischen, biologischen, elektromagnetischen und chemischen Prozessen darstellt. Damals noch mit seinem Büropartner Jean-Gilles Décosterd entwarf Rahm im Jahr 2002 den Jardin d’Hybert im Département Vendée an der französischen

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Westküste. Bei dem Haus für den Künstler Fabrice Hybert, war der Name in seiner phonetischen Nähe zu Jardin d’hiver Programm. Hier thematisierten die beiden einerseits ein Phänomen von Globalisierung und Medialisierung – das Zusammenfallen von Raum und Zeit. »Während es in Paris Nacht ist, können wir via Webcam das taghelle Melbourne erleben«, so Philippe Rahm im Gespräch.42 Die Architekten suchten, dem Künstler einen Zufluchtsort vor den unwirtlichen klimatischen Bedingungen der Vendée in Frankreich im Winter zu kreieren – ein Refugium. Im Winterhaus sollten klimatische und astronomische Verhältnisse wie in Tahiti herrschen. Andererseits steuerten sie auch den physiologischen Aspekt an und befassten sich wie die Wissenschaft gleichermaßen mit makroskopischen wie mit mikroskopischen Prozessen. Beim Jardin d’Hybert wollten die Architekten das unendlich Kleine sichtbar und fühlbar machen, nicht aber mittels Szenografie: »Wir reproduzieren nicht ein Bild von Tahiti, sondern erreichen die Adaption über die klimatische und astronomische Inversion – das elektromagnetische Spektrum, die Feuchtigkeit und den Duft der Pflanzen.«43 Der Heizungsraum war der Kern des architektonischen Konzepts. In ihm sollte im Winter eine Temperatur von 20 °C generiert und die Luftfeuchtigkeit auf 50  % eingestellt werden. Der Heizungsraum beherbergt außerdem exotische Pflanzen, Erde, Mikroorganismen und Mineralien aus dem südpazifischen Raum. Die Pflanzen werden auch die chemische Qualität – Duft und Sauerstoffgehalt – der Luft generieren, die in den Wohnraum geblasen wird. Schließlich war auch die Beleuchtung so ausgelegt, dass sie entsprechend dem astronomischen Rhythmus Tahitis getaktet worden wäre. So wissenschaftlich das Fundament der Arbeiten von Rahm ist, so wenig entbehren sie jener transzendenten Komponente, die vernachlässigt zu haben er die Moderne kritisiert. Im Frühling 2003 installierte er ebenfalls noch zusammen mit Jean-Gilles Décosterd im Migros-Museum in Zürich in der Ausstellung Bewitched, bothered and bewildered einen Sakralraum, in dem der Sauerstoffgehalt auf sechs Prozent reduziert war – ein Raum an der Grenze zum Tod, in dem Wahrnehmung und Bewusstsein in die Nähe von mystischen Erfahrungen rücken. Im selben Jahr gaben sie an der Ausstellung Paradise now! in der Fondation Cartier in Paris dem islamischen, dem christlichen und dem jüdischen Paradies mit Duftstoffen und Ingredienzen von Milch, Honig und Wein über Moschus, Aloe und Weihrauch bis zu Balsam Gestalt.44 Wie folgerte doch Rykwert? »Ich glaube deshalb, dass sie weiterhin ein Modell für jeden darstellt, der mit dem Bauen beschäftigt ist, eine primitive Hütte, ständig vielleicht jenseits der Reichweite des Historikers oder des Archäologen, an einem Ort gelegen, den ich Paradies nennen muss. Und das Paradies ist sowohl ein Versprechen, als auch eine Erinnerung.«45 (Das sind fast wörtlich Ebachs zwei Formen der Utopie: erhoffte Vergangenheit und erinnerte Zukunft.)

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Abb. 10: Foto einer Nachbildung der Ebstorfer Weltkarte mit Paradiesdarstellung. Nach jüngsten Forschungen wird sie um das Jahr 1300 datiert. Das Original ging im Bombardement des 2. Weltkriegs verloren. Es wurde nach faksimilierten Kopien rekonstruiert. http://www. landschaftsmuseum.de/Bilder/Ebstorf/Ebstorf-neu_ganz​-2.jpg

Die Villa Kolb oszilliert zwischen diesen Polen. Sie amalgamiert eine Genealogie von Paradiesvorstellungen – den »wahren«, wie sie bis ins 15. Jahrhundert auf den Weltkarten noch ihren Platz hatten (Abb. 10), und den künstlichen Vom Barocktheater zum Filmpalast.46 Sie ist ein Ort, dem auf einem Globus Platz gebühren würde.

A nmerkungen 1 | Frei Otto: »›Wie weiter?‹: Festvortrag zum 122. Schinkelfest des Architekten- und Ingenieursvereins zu Berlin.« In: Schweizerische Bauzeitung 95 (1977), H. 16 »Frei Otto: Architektur in der Bundesrepublik – wohin?« S. 229-234, hier S. 231.

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Rahel Har tmann Schweizer 2 | »Der Sündenfall.« Das Erste Buch Mose (Genesis 1. Mose 3,1-3,21). Die Bibel nach Martin Luther. Stuttgart 1984. 3 | 4 Er hat seinen Bogen gespannt wie ein Feind; seine rechte Hand hat er geführt wie ein Widersacher und hat alles getötet, was lieblich anzusehen war im Zelt der Tochter Zion, und hat seinen Grimm wie Feuer ausgeschüttet. Vgl. »Klage über die Verwüstung Judas und Jerusalems«. Die Klagelieder Jeremias (Klgl 2,4-6). Die Bibel nach Martin Luther (vgl. Anm. 2). 4 | 1 Denn wir wissen: wenn unser irdisches Haus, diese Hütte, abgebrochen wird, so haben wir einen Bau, von Gott erbaut, ein Haus, nicht mit Händen gemacht, das ewig ist im Himmel. 2 Denn darum seufzen wir auch und sehnen uns danach, dass wir mit unserer Behausung, die vom Himmel ist, überkleidet werden, 3 weil wir dann bekleidet und nicht nackt befunden werden. 4 Denn solange wir in dieser Hütte sind, seufzen wir und sind beschwert, weil wir lieber nicht entkleidet, sondern überkleidet werden wollen, damit das Sterbliche verschlungen werde von dem Leben. [...] 6 So sind wir denn allezeit getrost und wissen: solange wir im Leibe wohnen, weilen wir fern von dem Herrn; 7 denn wir wandeln im Glauben und nicht im Schauen. 8 Wir sind aber getrost und haben vielmehr Lust, den Leib zu verlassen und daheim zu sein bei dem Herrn. Vgl. »Sehnsucht nach der himmlischen Heimat«. In: Der zweite Brief des Paulus an die Korinther (2Kor 5, 1-4, 6-8). In: Die Bibel nach Martin Luther (vgl. Anm. 2). 5 | »Als das alle Männer der Burg von Sichem hörten, gingen sie in das Gewölbe des Tempels des Baal-Berit« Vgl. »Abimelechs Königtum«. In: Richter (Ri, 9,46). In: Die Bibel nach Martin Luther, 1984 (vgl. Anm. 2). 6 | »Als aber die Männer Israels sahen, dass das Volk in Gefahr und Bedrängnis war, verkrochen sie sich in die Höhlen und Klüfte und Felsen und Gewölbe und Gruben.« Vgl. »Beginn des Krieges gegen die Philister.« Das Erste Buch Samuel (1. Sam 13,6). In: Die Bibel nach Martin Luther (vgl. Anm. 2). 7 | »Denn der Palast ist verlassen, Hügel und Warte ist geworden/Die Wonne der Wildesel, die frohlockende Stadt! Der Stadtlärm verödet, Blöße für immer. Vgl. Bernhard Duhm, Das Buch Jesaja übersetzt und erklärt, Göttingen, 1902, S. 206, 1968, S. 237. 8 | »Die Verheißung eines neuen Lebens. In: Das Buch Ezechiel (Ez 36, 34/35). In: Die Bibel nach Martin Luther (vgl. Anm. 2). 9 | Jürgen Ebach: Ursprung und Ziel. Erinnerte Zukunft und erhoffte Vergangenheit. Biblische Exegesen – Reflexionen – Geschichten. Neukirchen-Vluyn 1986, S. 9-15. 10 | Moses Berufung. Das Erste Buch Mose (2. Mose, Ex 3,8). In: Die Bibel nach Martin Luther (vgl. Anm. 2). 11 | Michel Foucault: »Andere Räume«. In: Karlheinz Barck u.a. (Hg.): Aisthesis. Wahrnehmung heute oder Perspektiven einer anderen Ästhetik. Leipzig 1992, S. 34-46, hier S. 45. 12 | Joseph Rykwert: Adams Haus im Paradies – Die Urhütte von der Antike bis Le Corbusier. Berlin 2005. 13 | Colin Rowe: »Die wundersamen Wandlungen des Klassizismus.« In: Ders.: Die Mathematik der idealen Villa und andere Essays. Basel 1998, S. 166.

Behausung, Bekleidung, Blöße 14 | Fritz Neumeyer: Mies van der Rohe, Das kunstlose Wort. Berlin 1986, S. 148. 15 | Sandy Isenstadt: The Modern American House – Spaciousness and Middle Class Identity. New York, 2006, S. 160. 16 | Walter Benjamin: »Surrealismus« [11929]. In: Ders.: Reflections: Essays, Aphorisms, Autobiographical Writings, New York, 1978, S. 180. 17 | Neumeyer 1986 (vgl. Anm. 14), S.154 und S.156. 18 | Neumeyer 1986 (vgl. Anm. 14), S. 156. 19 | Lotte Schwarz: Tagebuch mit einem Haus. Zürich, 1956, S. 8. 20 | »From hay to glass wool. A young architect hangs his home and studio, complete with penthouse from the sturdy rafters of an old Swiss barn.« In: Interiors and Industrial Design 108 (1949), H. 1, S. 88-100, hier S. 88. 21 | Zeichnung der Hängeliege, Bleistift auf Papier, 29,6 x 20,9 cm, im Museum of Modern Art in New York; vgl. Alexander von Vegesack/Mateo Kries (Hg.): Mies van der Rohe. Architecture and Design in Stuttgart, Barcelona, Brno, Ausst.-Kat. Vitra Design Museum. Weil am Rhein 1998, Abb. S. 118. 22 | Sandy Isenstadt: The Modern American House – Spaciousness and Middle Class Identity. New York 2006, S. 202. 23 | Rahel Hartmann Schweizer: Otto Kolb – Architekt und Designer. Zürich 2013, S. 23. http://www.rahelhartmann.ch/resources/pfahlbau-und-zelt.pdf (Abruf September 2016). 24 | Vgl. Rahel Hartmann Schweizer: »Pfahlbau und Zelt für (Ferien-) Nomaden.« In: TEC21 131 (2005), H. 35 »Lisbeth Sachs und Peppo Brivio«, S. 14-17. http://www.ra​ helhartmann.ch/resources/pfahlbau-und-zelt.pdf (Abruf September 2016). 25 | Zum »Etui«, vgl. Walter Benjamin: »Der destruktive Charakter.« In: Ders.: Illuminationen. Frankfurt a. M. 1977, S. 289-90. 26 | »Sulle pareti della grotta la luce che filtrava da una sorta di lanterna-acquario posta sulla sommità, creava strani giochi di movimenti, riflettendone le ombre dell’acqua e dei pesci ivi contenuti.« Paola Maresca: Giardini incantati, boschi sacri e architetture magiche. Florenz 2004, S. 120. 27 | Alexander Pope: »Brief an Edward Blount, 2.6.1725«, zit. n.: Maynard Mack: Collected in Himself. Essays, Biographical, and Bibliographical on Pope and Some of His Contemporaries. Newark 1982, S. 67. 28 | Rosemarie Haag Bletter: »The Interpretation of the Glass Dream-Expressionist Architecture and the History of the Crystal Metaphor.« In: The Journal of the Society of Architectural Historians 40 (1981) H. 1, S. 20-43. 29 | Benjamin (vgl. Anm. 25), S. 289-90. 30 | Sigfried Giedion: Die Herrschaft der Mechanisierung. Ein Beitrag zur anonymen Geschichte, 2. Aufl. Frankfurt a. M. 1994, S. 511-524. (Originalausgabe: Mechanization Takes Command. A Contribution to Anonymous History, New York 1948) 31 | Giedion 1994 (vgl. Anm. 30), S. 515. 32 | Max Bill: zit. n. Lettow von Hagen/Christa Grüning/Michael Grüning u. a.: Otto Kolb – Portrait eines Architekten. Filmdokumentation 1996 (Erstaufführung im Museum für

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Rahel Har tmann Schweizer Gestaltung, Zürich, 5.11.1996; ausgestrahlt auf 3sat, 11. 5.1998, rezensiert in: Neue Zürcher Zeitung 219 (1998), Nr. 107, S. 32). 33 | Otto Kolb: »Otto Kolb’s Lichtbildervortrag und seine Design Philosophie«, Typoskript zum Vortrag an der ETH Zürich in der Reihe Konstruktive Konzepte der Moderne, Wahlfach Wintersemester 1994/95: »Otto Kolb, Arch. Wermatswil – Otto Kolb Design. Eigene Arbeiten seit 1944«, Lehrstuhl Prof. Arthur Rüegg, Wermatswil 1994, S. 2. 34 | Adolf Behne: Neues Wohnen – neues Bauen. Leipzig 1927, S. 59. Zitiert nach: Walter Benjamin: »Das Interieur, Die Spur.« In: Ders.: Gesammelte Schriften, hg. von Rolf Tiedemann, Bd. V.1: Das Passagen-Werk. Frankfurt a. M. 1991, S. 281-300, hier S. 281. 35 | Caroline Constant/Wilfried Wang (Hg.): Eileen Gray. Eine Architektur für alle Sinne. Ausst.-Kat. Deutsches Architekturmuseum. Tübingen 1996, S.68-71, hier S.71. 36 | Constant/Wang 1996 (vgl. Anm. 35), S. 109. 37 | »Certainly the [Farnsworth] house is more nearly a temple than a dwelling, […].« Vgl. Franz Schulze: Mies van der Rohe. A Critical Biography. Chicago 1985, S. 256. »Das Farnsworth House ist einem Tempel ähnlicher als einem Wohnhaus, […].« Übers. d. Aut. 38 | Foucault: 1992 (vgl. Anm. 11), S. 42. 39 | Foucault: 1992 (vgl. Anm. 11), S. 39. 40 | »Willst Du die Wand sehen oder willst Du das Tal sehen?« Abb. http://www.artwort.com/2015/04/30/architettura/ettore-sottsass-metafore-nel-paesaggio/ (Abruf Juli 2015). 41 | Neal Benezra u. a., (Hg.): Juan Muñoz, Hirschhorn Museum and Sculpture Garden. Washington D.C., Chicago 2001, S. 70. 42 | Rahel Hartmann Schweizer: »Décosterd & Rahm – physiologische Architektur«. In: TEC21 130 (2004) H. 40 »Architektur in der Romandie«, S. 7-11, hier S. 10. http://www. rahelhartmann.ch/resources/decosterd-und-rahm.pdf (Abruf September 2016). 43 | Hartmann Schweizer 2004 (vgl. Anm. 42), S. 10. 44 | Zu den Arbeiten von Décosterd und Rahm, vgl. Jean-Gilles Décosterd/Philippe Rahm: distorsions – architecture 2000-2005. Orléans 2005. 45 | Rykwert 2002 (vgl. Anm. 12), S. 181. 46 | Florian Nelle: Künstliche Paradiese. Vom Barocktheater zum Filmpalast, Würzburg, 2005. Die Raumbalkone in der Villa Kolb evozieren den Gedanken an den Pavillon in den Vauxhall Gardens, einem Vergnügungspark am Südufer der Themse in London, der von 1660 bis 1859 existierte. Thomas Rowlandson (1756 –1827) hielt 1785 die Szenerie einer Konzertaufführung fest, bei der Orchester und Sängerin in den Logen musizierten und das Publikum im Park lauschte. Vgl. http://www.loc.gov/pictures/ item/2006676679/ (Abruf September 2016).

Technische Imaginationen

Hausanzug und Raumkapsel Utopische Raumkonzepte um 1970 Karl R. Kegler

Es ist ein traditionelles Rollenbild, das dem Betrachter in den szenografischen Aufnahmen des House of the Future des Jahres 1956 entgegentritt: eine Frau in der Küche, beschäftigt mit Hausarbeiten oder sich vor dem Schminkspiegel betrachtend. Ihr Partner wartet lesend in einem futuristischen Schalensessel oder beobachtet sie sinnend und mehrdeutig. Das Projekt des Zukunftshauses, das die Architekten Alison und Peter Smithson zusammen mit Ted Tinling, einem zu seiner Zeit bekannten Designer von Tenniskleidung, auf der von der Zeitung Daily Mail organisierten Ideal Home Exhibition vorstellten, sollte fünfundzwanzig Jahre voraus in die Zukunft des Jahres 1981 weisen; ein weiter reichender Ausblick schien den Entwerfern als zu unrealistisch.1 Die Präsentation eröffnete den Besuchern der Ausstellung über zwei umlaufende Ebenen den Einblick in ein ganz nach innen orientiertes Haus, das wie ein Rahmen um einen kleinen, organisch geformten Innenhof organisiert war. In dieser Mitte befand sich ein künstlich angelegtes Rasenstück mit frühlingshaften Narzissen, Vogeltränke und ausschlagenden Gehölzen. Vom frischen Grün der Natur hoben sich die in Bernstein- und Rottönen gehaltenen Innenräume deutlich ab. Die Sperrholzkonstruktion der Hausattrappe war in geschwungenen Formen so gestaltet und lackiert, dass sie den Eindruck erweckte, als sei sie aus Kunststoff gefertigt. Organisch geformte und ergonomisch optimierte Einbauschränke, Stühle aus Fiberglas, ein versenkbarer Esstisch, die neuesten Errungenschaften der Haustechnik wie ein fahrbarer Elektroherd und selbstreinigende Sanitärgegenstände sorgten für eine futuristische Anmutung. Im funktionalen Schlafzimmer konnte auf Bettwäsche verzichtet werden, da eine perfekte Klimatisierung für angenehme Temperaturen sorgte.

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S trumpfhose und F eenkleid Eine weitere Attraktion waren die Bewohner des Hauses. Zwei Darsteller verkörperten ein junges kinderloses Paar, das den Besuchern der Ausstellung die Technik und die Funktionen des Zukunftshauses erläuterte und praktisch vorführte (Abb. 01). Auf den erhaltenen Pressefotos sieht man bis zu vier Personen. Zwei Paare wechselten sich bei den Präsentationen ab und posierten für einige Aufnahmen gemeinsam. Ihre Kleidung, die das Lebensgefühl im Haus der Zukunft vermitteln sollte, wirkt auf den heutigen Betrachter fremdartiger als die damals fortschrittliche Haustechnik. Die jungen Frauen trugen taillierte, ärmellose Kleider mit gezackten Säumen, die eine Handbreit über den in rote Nylonstrümpfe gehüllten Knien endeten. Die helle Grundfarbe des bedruckten Kleiderstoffes war mit den Flechtwerklinien eines Rautenmusters überzogen, in dessen Feldern Blumenbouquets zu sehen waren. Der helle Grundton der Kleider harmonierte mit der weiß gefärbten Kurzhaarfrisur, die über der Stirn sorgfältig in künstliche Locken gelegt war. Die jungen Männer trugen grob strukturierte helle Strickstumpfhosen und ein wamsartiges, mit breiten Querstreifen gemustertes Oberteil mit gepolsterten Schultern und einem eingearbeiteten weißen Kragen.

Abb. 01: Alison und Peter Smithson (Architektur), das »House of the future« auf der Daily Mail Ideal Homes Exhibition, London 1956. Die Darsteller Esme Cellier und Robin Jenkins posieren als Bewohner des Jahres 1986 in Kleiderentwürfen von Ted Tinling. Alamy Stock Photo.

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In einer luziden Analyse hat die Architekturhistorikerin Beatriz Colomina herausgearbeitet, dass trotz des vermeintlichen Zukunftsoptimismus der Präsentation in den Details des Hauses die Obsessionen des Kalten Krieges und Atomzeitalters ablesbar sind. Das Haus – so die zeitgenössischen Erläuterungen, die Teil der vorgestellten Zukunftsvision sind2 – ist ein ganz nach innen orientierter Rückzugsort, kein Fenster geht nach außen, eine schwere Schiebetür schließt die Innenräume hermetisch ab. Tritt ein Besucher ins Innere, verhindert ein Warmluftvorhang das Eindringen der äußeren Atmosphäre und ihrer Keime. Die Innenräume sind klimatisiert, alle Oberflächen hygienisch und abwaschbar, die vakuumverpackten Lebensmittel durch Gammastrahlen zusätzlich haltbar gemacht. Colominas Deutung: das House of the Future ist eine Mischung aus Raumschiff und Bunker, organisiert um das winzige Stück Restnatur des Innenhofes, vor deren potentiellen Gefahren noch eine (in der Fiktion) schmutzabweisende und selbstreinigende Glasfassade schützt.3 Die Kleidung der Bewohner steht in einem eigentümlichen Gegensatz zu diesem Szenario. Sucht man nach modischen Querbezügen im Kontext der 50er Jahre, weisen die Referenzen weniger in die Moderne des Raumfahrtzeitalters als ins Mittelalter. 1954 kam als ein Teil einer ganzen Welle von Ritterfilmen Prince Valiant (Regie: Henry Hathaway, dt. Prinz Eisenherz) in die europäischen Kinos. Dem Geist seiner Comicvorlage folgend zeigte der Film eher »Hollywoods Traum von Camelot« als ein historisch korrektes Bild höfisch mittelalterlicher Lebenswelten und Kleidermode.4 Bunte, pastellfarbige Damenkleider, welche die durch figurformende Unterwäsche unterstützen weiblichen Formen der Darstellerinnen betonten, aufwendige, mit Haarspray fixierte Frisuren und – für den männlichen Teil der Besetzung – Kettenhemden, Waffenröcke und Strumpfhosen waren die vestimentären Leitmotive. Tinling ließ sich von diesen Vorbildern für seine Kostümentwürfe inspirieren und unterstrich damit stereotype Rollenbilder: der Mann als Ritter, die Frau als Elfe. Dabei konnte sich der bekannte Entwerfer von Tennisoutfits auf eine Inspirationsquelle beziehen, die – wie Mark Girouard aufgewiesen hat5 – schon der Entstehung der Sportswear zugrunde lag. Der moderne Sportlerdress mit seinen auffälligen Farben entstand im 19. Jahrhundert in Nachempfindung der mit heraldischen Motiven gestalteten Textilien mittelalterlicher Turnierkämpfe. Vergleicht man Tinlings Modeentwürfe für das Haus der Zukunft mit Kostümbildern von Janet Leigh und Robert Wagner, dem jugendlichen Paar aus Prince Valiant, werden die Parallelen augenscheinlich. Ohnehin war das Mittelalter auf der Ideal Home Exhibition, die im Jahr 1956 unter dem Thema »The Englishman’s home is his castle« stand, schon in anderer Weise präsent. Die Stirnseite der benachbarten Grand Hall auf dem Ausstellungsgelände war von der riesigen Kulisse einer französischen Burg eingenommen,6 während die Stände der Aussteller einem Zeltlager mit ausgestellten Rüstungen nachempfunden waren.7

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Für die Gestalter des Hauses, Alison und Peter Smithson, war der Zusammenklang zwischen Tinlings Bekleidungsentwurf und ihrer architektonischen Konzeption durchaus erwünscht. Das Haus sollte eine Atmosphäre von glamour erzeugen.8 Dazu war die körperbetont-sportliche Bekleidung Tinlings mit ihren Anklängen an ein cineastisch umgeformtes Mittelalter gut geeignet. Ein Zitat aus dem zeitgenössischen Ausstellungskatalog verbindet den Hausanzug des Mannes gar mit dem Dress von Superman,9 während das betont feminine Feenkleid für die weibliche Bewohnerin einen Gegenentwurf für die Zwänge des Weltraumzeitalters darstelle.10 Kleid und Kleidung waren Projektionsfläche für die im Inneren des klimatisierten und von der Außenwelt abgeschotteten Hauses gewonnenen Freiheiten.

I n der K apsel Auf einer anderen Ebene war der Querbezug zur Spitzentechnologie des aufziehenden Weltraumzeitalters sehr viel deutlicher. Die Smithsons stellten sich ein hermetisch geschlossenes Haus vor, das zwar in Serie produziert werden konnte, allerdings einem individuellen Geschmack entsprach11 – etwa so, wie die am Fließband gefertigte, selbsttragende Karosserie eines spezifischen Automodells zugleich als Ausweis für den persönlichen Lebensstil und Lebenszuschnitt seines Besitzers gelesen werden kann. Auf die kunststoff beschichtete Gips- und Sperrholzkonstruktion des Hausmodells wurden eigens Fugen aufgemalt, die auf die antizipierte industrielle Produktionsweise aus vorgefertigten Elementen verweisen sollten. Die Smithsons nahmen damit einen technologischen Umschwung vorweg, der Bauwesen und Technologie als Prozesse definierte, welche die Gesellschaft in ihrer Gesamtheit verändern würden. Der Rekurs auf solche, durch die jeweils aktuellen Spitzentechnologien vorgegebenen »Wendepunkte im Bauen«12 gehört zu den wiederkehrenden Themen in der Ideengeschichte der Architektur im 20. Jahrhundert. Fließbandfertigung, Atomtechnologie, Raumfahrt oder Kybernetik wurden zu argumentativen Ansatzpunkten, die überlieferten Produktionsverhältnisse in der Architektur ebenso in Frage zu stellen wie die Gestaltung des Arbeits- und Privatlebens. »Innovation ist unerläßlich, um das für die zivilisatorische Entwicklung zu konstruierende Modell wandlungsfähig und anpassungsfähig genug zu machen«,13 resümiert anderthalb Jahrzehnte später Wolfgang Döring, der in den 1970er Jahren für seine Entwürfe von stapelbaren Kunststoff häusern bekannt wurde. »Bei Originalität denken wir an das Unwiederholbare, das Seltene, das Einmalige. Aber ist Originalität in unserer expansiven Gesellschaft mehr als eine Nichtigkeit? Es kommt vielmehr darauf an, Stempel zu konstruieren, die vielseitig und häufig anwendbar, unsere Umwelt ändern können. Zur Herstellung eines solchen ›Stempels‹ bedarf es nicht der

Hausanzug und Raumkapsel Originalität einer Einzelpersönlichkeit, die Unwiederholbares nur einmal herstellt und damit etwas völlig Bedeutungsloses schafft: bedeutungslos, weil es nicht anwendbar sein kann auf die große Zahl und damit unerreichbar wird für das Individuum in einer pluralistischen Gesellschaft.«14

Das technologische Modell, das Döring im Jahr 1970 für die Zukunftsaufgaben der Architektur empfahl, war die Raumfahrt. »Das einzige ›Haus‹, das alle als Orientierungsmodell für eine neue Architektur denkbaren Forderungen erfüllt, ist die Raumkapsel der Astronauten.«15 Die klassische Moderne habe sich zu einseitig auf Ästhetik und Konstruktion der Architektur konzentriert: »[…] es wird nur ein Drittel eines Hauses vorgestellt: die Konstruktion. Die anderen zwei Drittel eines Hauses, die Installation, die Elementierung, der Ausbau usw., werden nicht vorgestellt.«16 Genau dies sei der Raumfahrt als programmierter Forschung anders. Hochqualifizierte Spezialisten arbeiteten an jedem Detail. In der Raumkapsel »finden wir alle Vorkehrungen für Isolation, Abwasserbeseitigung, Lüftung, Energieversorgung, Klimatisierung, alle Details von Konstruktion unter extremsten Belastungen, von Raumausnutzung, Dienstleistungsvorrichtungen, Kommunikationstechniken, Serienherstellung, Planung, Programmierung der Entwurfsdetails usw.: ein Modell, das ständig schneller verbessert wird, ein Modell, das den jeweiligen Aufgaben schnell und sicher angepaßt werden kann, ein Modell für die Entwicklung und Ausnutzung von neuen Materialien, ohne deren Entwicklung die Raumfahrt unmöglich wäre.«17 »Das Ergebnis wäre nicht abzusehen,« fügt Döring in Hinblick auf die enormen Ressourcen an, die in die Weltraumprogramme der Supermächte fließen, »würde man die gleiche Anzahl von Ingenieurstunden auf das Bauen verwenden.«18 Döring argumentierte damit ganz ähnlich wie der international ungleich bekanntere Richard Buckminster Fuller, von dessen Schriften er fraglos beeinflusst war.19 Fuller, der seit den späten 1920er Jahren an hochintegrierten Haussystemen arbeitete, die sich an der Technologie des Flugzeugbaus orientierten, für eine industrielle Massenanfertigung entworfen waren, am Markt allerdings erfolglos blieben,20 gehört zu den wichtigen Impulsgebern für die Architektengeneration, die sich in den 1960er und 70er Jahren mit Konzeptionen industriellen Wohnens befassten. In seinen späten Schriften oder als Redner auf internationalen Technologie- und Architekturkongressen21 propagierte Fuller die Vorstellung einer integral von Technik und dem technischen Fortschritt bestimmten Lebenswelt, die dazu zwinge, das Verhältnis zu den begrenzten Ressourcen der Erde zu überdenken. Dem Vorbild der Raumfahrt und der Raumkapsel der Astronauten entsprechend werde es andererseits in Zukunft möglich sein, die gesamte technische Ausstattung eines Hauses so zu perfektionieren und zu miniaturisieren, dass sie als kompaktes Wohlfühlund Versorgungspaket günstig produziert und an jeden Ort der Welt mitgenommen werden könne.22 Zu diesen Leistungen der Haustechnik gehört die

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Klimatisierung des Innenraums, die Fuller bereits 1929 für sein Dymaxion Haus berücksichtigt hatte. Um die Wohlfühltemperatur hinter der vollverglasten Fassade des Hauses zu verdeutlichen, hatte Fuller im Schlafzimmer des Präsentationsmodells, das er bei Vorträgen nutzte, eine nackte Frauenfigur postiert.23 »Ostensibly, this was a demonstration of the perfect climate control that removed the need for bedclothes«, erläutert John Gorman im Jahr 2005.24 Die Abgrenzung einer klimatisierten, mit allen technischen Installationen ausgestatteten Innenwelt, die ihren Bewohnern zusätzliche Gerade von Freiheit, Mobilität oder Selbsterfahrung im Konsum ermöglichen sollte, ist gemeinsames Motiv einer Vielzahl von Architekturvisionen zwischen Mitte der sechziger und Mitte der siebziger Jahre. Progressive Gruppen wie Archigram oder die japanischen Metabolisten, Architekten-Designer-Künstlergemeinschaften wie Coop Himmelblau, Haus Rucker Co, Superstudio oder Archizoom experimentierten mit neuen Materialien, konstruktiven und räumlichen Konzepten für die Ansprüche einer technikbestimmten Konsumgesellschaft. Klimakontrolle wurde zu einem Konzept, das in Entwürfen wie Philipp Webbs Suitaloon oder Cushicle 25 die am Körper getragenen Kleidung und die Hülle eines Hauses ineinander integrierte. Hatte der Raumanzug der Astronauten nicht vorgeführt, dass ein am Körper getragenes technisches System ein Überleben in der Kälte und Schwerelosigkeit des Weltalls ermöglichte? »[…] housing is an effort to extend the body’s heat-control mechanism. Clothing tackles the problem more directly but less fundamentally, and privately rather than socially. Both clothing and housing store warmth and energy and make these readily accessible for the execution of many tasks otherwise impossible«,26 verdeutlichte im Jahr 1964 der Medienwissenschaftler Marshall McLuhan und schlug eine gedankliche Brücke zwischen der klimatischen und sozialen Organisation menschlicher Gemeinschaft in einer sich ändernden Umwelt: »Clothing and housing, as extensions of skin and heat-control mechanisms, are media of communication, first of all, in the sense that they shape and rearrange the patterns of human association and community. Varied techniques of lighting and heating would seem only to give new flexibility and scope to what is the basic principle of these media of clothing and housing; namely, their extension of our bodily heat-control mechanisms in a way that enables us to attain some degree of equilibrium in a changing environment.« 27

Wie zur Untermauerung der These Marshall McLuhans lieferte der Architekturhistoriker und -kritiker Reyner Banham mit The architecture of the well-tempered environment 1969 eine Geschichte des klimatisierten Raumes, welche die Organisation und Inszenierung von Heizungs- und Lüftungssystemen als bisher unzureichend berücksichtigten Faktor in der Entwicklung der Architektur darstellte.28

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Mit der Betrachtung historischer Entwicklungstrends und ihrer Interpolation in die Zukunft befasste sich auch die zu dieser Zeit neuentstehende Wissenschaft der Futurologie. Hier war das Thema der Klimatisierung ebenfalls präsent. »Im Wohnungsbau werden die Möglichkeiten, das Klima innerhalb der vier Wände selbst zu gestalten, auch der großen Masse die Vorzüge reiner Luft, wohliger Wärme und Abschirmung gegen Lärm bieten, die man früher nur durch Reisen an entlegene Erholungsorte genießen konnte«, vermutete etwa Emmet Finley Carter, ein Vorstand des Stanford Research Institute, der 1964 auf eine Umfrage des Wissenschaftsmagazins New Scientist nach der Zukunft des Jahres 1984 antwortete.29 Nigel Calder, der zwischen 1962 und 1966 als Herausgeber des New Scientist gearbeitet und dort eben diese Serie von Zukunftsvorhersagen publiziert hatte, veröffentlichte 1967 einen eigenen prognostischen Text, in dem er eine grundsätzliche Trennung zwischen einer weitgehend unberührten Natur und der menschlichen Lebenswelt empfahl. Die Menschheit sollte, so seine Empfehlung, ihre industriellen Zusammenballungen auflösen und sich auf dezentrale Siedlungen in bisher unerschlossenen Regionen oder auf schwimmende Städten auf dem Meer verteilen. In diesen Siedlungen könnten, von einer vervollkommneten Technik ermöglicht, quasi paradiesische Zustände eintreten. »Innerhalb der Städte – sowohl auf dem Lande als auch in den schwimmenden Städten der Meere – werden Temperatur, Luftfeuchtigkeit und die elektrische Aufladung der Luft reguliert werden. Außerdem wird man durch Überdachung und Beleuchtung das ganze Jahr hindurch ein Frühlingsklima aufrechterhalten oder auf allgemeinen Wunsch Klimaänderungen vornehmen können. […] In vielstöckigen Wohnhäusern werden Wohnungen, die voneinander sowie von den Hauptstraßen schalldicht abgeschlossen sind, die Intimsphäre des Privatlebens sichern. Vor allem aber wird durch das Bauen eine interessante und sich ständig wandelnde Umwelt geschaffen werden. Das gleiche gilt von der Kleidung: sie wird mehr dem Schmuck als dem Schutz dienen.« 30

D rinnen und dr aussen So spekulativ und phantastisch derartige Szenarien auch erscheinen mögen, gemeinsam ist ihnen der Dreiklang aus Klima- und Umweltkontrolle im regulierten Innenraum, die Vorstellung von einem potentiell fremdartigen und bedrohlichen »Außen« und die gedankliche Verknüpfung zwischen Bekleidung und Technologie als Teilen der veränderten Lebenswelt des Menschen. Serge Chermayeff, der als Büropartner von Erich Mendelsohn in England zur Gründergeneration des Internationalen Stils zählte und später als einflussreicher Architekturlehrer an den Fakultäten von Harvard und Yale wirkte, veröffentlichte 1963 eine Schrift, die er dem Thema Gemeinschaft und Privatbereich im

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neuen Bauen widmete. Eines der Grundprinzipien, die Chermayeff in diesem Buch empfiehlt, ist die Gestaltung abgeschlossener Privatbereiche für alle Bewohner eines Hauses. Dies impliziert die Notwendigkeit von Schleusen zwischen »der relativ unkontrollierbaren oder sogar feindlichen weiteren Umwelt und dem leicht zu kontrollierenden kleineren Raum«:31 »Gegenwärtig ist der zivilisierte, unpraktisch angezogene Mensch zum ständigen Anund Ausziehen von Überkleidung verurteilt – das ist eine Notlösung, die ihn in den meisten Fällen nicht einmal passend gekleidet zurück läßt. […] Die Kleider für draußen könnten jeweils am Eingang der Wohnung an- oder abgelegt werden, womit gleichzeitig der Innenraum vor Schmutz oder Ansteckung geschützt würde. Im kontrollierten Innenraum könnte man sich nach privatem Geschmack passende Gewänder anlegen – in bester japanischer Tradition. Um die Hierarchie klimatischer Bedingungen zu vervollständigen, könnte der Privatbereich in Bezug auf Temperatur, für feuchte oder fast nackte Körper eingerichtet werden. Der Übergangspunkt zwischen dem privaten und dem Familienbereich fungierte dann gleichzeitig als Übergangszone zwischen Räumen für Unbekleidete und für Bekleidete.« 32

Hintergrund für diese Gedanken war ein emanzipatorischer Anspruch. Chermayeff verwies auf die Feststellung des Stadthistorikers und -theoretikers Lewis Mumford, ein Kind müsse ebenso einen ungestörten Rückzugsort haben

Abb. 02: Kauf hof Systemmöbel. Design Verner Panton. Marketingfoto 1965-66/67. In der »Landschaft« aus farblich changierenden Systemstühlen posiert ein Model in einem Bo­ dysuit. Verner Panton Design, Basel.

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Abb. 03: »Alice entra nel puzzle.« Möbelsystem der Designerin Antonia Astori De Ponti. Doppelseite aus Domus 496 (März 1971).

Abb. 04: Hausanzug und Bubble Chair (Design Eero Aarnio). Werbeanzeige der Firma Balamundi. August 1971.

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wie ein Liebespaar und plädierte daher für eine Raumorganisation, die neben Räumen der Gemeinschaft jedem Mitglied einer Familie oder Gruppe einen abgetrennten Privatbereich zumaß.33 Vorstellungen, welche genau diese Themen aufgreifen, zeigen sich auf einer weniger grundsätzlichen oder spekulativen Ebene zu Beginn der 1970er Jahre in Entwürfen für zeitgenössische Wohnwelten. Eine neue Produktfamilie, die als Weiterentwicklung früherer Anbaumöbel in dieser Zeit das Angebot der großen Einrichtungshersteller für den breiten Markt erweiterte, waren Systemmöbel aus Kunststoffmaterialien (Abb. 02). Der Konsument erhielt die Möglichkeit, aus einem Katalog zusammenpassender Teile individuelle Lösungen für seinen privaten Wohnbereich zusammenzustellen und aus diesen wand- und raumfüllende Strukturen zu kombinieren, wobei aus verschiedenen Dekor- oder Farbalternativen ausgewählt werden konnte. Die Zeitschrift Domus zeigte im Februar 1971 beispielsweise ein aus Kunststoffschalen geformtes selbsttragendes Ausstellungs- und Einrichtungssystem des Architekten Hans Hollein, das für die Errichtung von Wänden, Decken oder Fußböden verwendet werden konnte und die Integration von Beleuchtungskörpern an dafür vorgesehenen Stellen zuließ.34 Das System erlaubte innerhalb einer schon bestehenden architektonischen Hülle den Auf bau einer völlig neuen, modular gerasterten Innenwelt, die durch besondere Lichtstimmung, Farbe und die glänzende Oberfläche des Kunststoffmaterials bestimmt war. In der Märzausgabe präsentierte die Zeitschrift unter der Überschrift »Alice entra nel puzzle« (Alice tritt ins Puzzle ein) ein Sitz- und Regalmöbelsystem der Designerin Antonia Astori De Ponti, das sich auf vielfache Weise neu kombinieren ließ (Abb. 03). Aus »Alice im Wunderland« wurde die Bewohnerin eines dreidimensionalen Möbelsystems, das – so suggerierten die Fotografien, in denen der Fußboden unter einer dichten Decke von gefiederten Farnen verborgen blieb – zu einer zweiten Natur werden konnte.35 Eine andere Strategie verfolgte der Designer Joe Colombo, dessen prototypische Wohnung für sich und seine Frau im Januarheft 1971 vorgestellt wurde. Das Konzept war von technisch aufgerüsteten Großmöbeln bestimmt, in denen alle denkbaren Funktionen kompakt zusammengeführt waren. Die Schlafeinheit ließ sich beispielsweise mit einem elektrisch faltbaren Verdeck »hermetisch« verschließen und klimatisieren, verfügte über Zigarettenanzünder, Telefon, Ventilator, Thermostat, Lautsprecher, eine Steuerkonsole sowie über Schrankfächer und einen Spiegel auf der Rückseite.36 Selbst Entwürfe für einzelne Funktionen spielten in diesen Jahren mit der Bildlichkeit eines kapselähnlich abgetrennten Rückzugsortes, so der 1968 geschaffene »Bubble Chair« des Finnen Eero Aarnio. Gefertigt als transparente Kugel aus Acrylglas stellt er eine Wohn-, Raum- oder besser: Sitzkapsel für eine Person dar, die wie eine Schaukel von der Decke abgehängt wurde und so ihrem Benutzer die Erfahrung eines abgehobenen Schwebens vermittelte (Abb. 04)

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Abb. 05: Joe Colombo, Visiona 1. Blick durch das Bad- auf das Schlafmodul. Ausstellung der Bayer AG, Internationale Möbelmesse Köln 1970. Die Statistin im Hintergrund trägt einen silbrig-weißen Hausanzug. Bayer AG Corporate History & Archives.

Abb. 06: Verner Panton, Visiona 2, Phantasy landscape. Ausstel­ lung der Bayer AG, Internationale Möbelmesse Köln 1970. Der gerippte Trikotanzug des Mannes erinnert an die Collant-Mode Courrèges. Verner Panton Design, Basel.

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Joe Colombo war der deutschen (Fach-)Öffentlichkeit 1969 bekannt geworden, als er auf der internationalen Möbelmesse in Köln im Auftrag der Firma Bayer eine Wohnlandschaft aus hochintegrierten Funktionscontainern – Küche, Bad und Wohn-Schlafinsel – präsentiert hatte (Abb. 05).37 Die Ausstellung des Bayer-Konzerns, welche unter dem Namen »Visiona« die Anwendungsmöglichkeiten von Kunststoffen und Kunstfasern im Wohnbereich demonstrieren sollte, fand in den folgenden Jahren ihre Fortsetzung.38 1970 gestaltete der dänische Designer Verner Panton mit stark farbigen Kunststoffinterieurs und einer »Phantasy Landscape«, die in ihren organischen, mit Kunststoffgewebe bespannten Formen mehr einer Höhle als einem konventionellen Innenraum glich, die Ausstellung Visiona 2 (Abb. 06). 1971 entwarf der Franzose Olivier Mourgue eine Wohnlandschaft, welche »als über technische Mittel übersetzte Natur«39 die Atmosphäre einer Waldlichtung nachahmen sollte. In eine Oberfläche aus weichem, hochflorigem Teppichboden waren Schlaf-Iglus und versenkte Sitzgruppen in Weiß und Grüntönen eingestellt. Für den Kunsthistoriker Heino Möller, der sich 1981 mit Werbebildern bürgerlicher Interieurs beschäftigte, stellten die Wohnutopien der Visiona-Reihe mit ihren fensterlosen Räumen »ohne sichtbare Verbindung zur Außenwelt« Raumkonzepte vor, die sich nur graduell von den Werbeanzeigen realer Möbelhersteller dieser Zeit unterschieden: »das Individuum ist ganz aus dem Funktionszusammenhang gesellschaftlicher Prozesse, aus Zeit und Geschichte entlassen und Freizeit konsumierend auf sich selbst verwiesen.«40 Möller konstatierte: »Die gesamte Umwelt außerhalb der Wohn-Umwelt – gesellschaftliches Leben und Arbeitswelt – wird offensichtlich als problematisch und bedrohlich empfunden oder soll so empfunden werden. Spezifische Begriffe wie »Wohnlandschaft« für den Wohnraum oder »Sitzlandschaft« für eine Sitzgruppe – ebenso auch »Rauminsel«, auf die man sich zurückzieht – offerieren das Environment als »zweite Natur«. Die Wohnlandschaft ist die Landschaft, in der man heute überhaupt noch wohnen kann; als Kunstlandschaft im Innenraum stellt sie genau das dar, was in einer verbrauchten oder privatisierten Natur nicht mehr zu haben ist.« 41

J umpsuit Der »zweiten Natur« der Wohnwelten der Designavantgarde entspricht die besondere Bekleidung der auf den Werbefotos abgebildeten Models. Meist in liegenden Posen oder halb sitzend auf niedrige Möbel gelagert, trugen die in der Regel weiblichen Fotomodelle, welche die Bewohner der präsentierten Textil- und Möbelarrangements vorstellten, keine normale Straßenkleidung, sondern Hausanzüge: körpernah, aber bequem geschnittene Einteiler oder Kom-

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binationen aus Jersey oder strukturierten Strick. Die Kleidung signalisierte die Behaglichkeit der klimatisierten Wohnung als privaten Rückzugsort; die ausgestreckte Haltung der Models, die figurnahe Passform der Kleidung und die betont private Situation inmitten weicher Oberflächen erzeugten unterschwellig aber auch eine erotische Konnotation (vgl. Abb. 02, 04, 05, 06). Als Impulsgeber für die Gestaltung derartiger Haus- und Hosenanzüge kann der französische Modeschöpfer André Courrèges angeführt werden. 1965 stellte Courrèges, der zuvor den Hosenanzug in die Damenmode eingeführt hatte, eine sportliche Modelinie mit einfachen geometrischen Schnitten, aufsehenerregend kurzen Röcken, helmartigen Hüten und flachen Lederstiefeln vor, die in der Modewelt umgehend mit den Begriffen »Space Age«42 oder »astronautic look«43 apostrophiert wurde. 1968 führte er den Collant intégral in die Mode ein – einen in Rippenmuster gewirkten »Strumpf«, der den (weiblichen) Körper vom Fußgelenk bis zum Hals einhüllte (Abb. 07). Courrèges sah in diesem nicht einengenden Kleidungsstück die Befreiung des weiblichen Körpers vom Diktat figurformender Mode, die Ende der 1950er Jahre noch eine deutlich taillenbetonte Silhouette favorisiert hatte. Eine der Inspirationsquellen der vestimentären Inszenierung Courrèges’ waren die Raumanzüge der Astronauten, die auf bauend auf einer unmittelbar am Körper getragenen Unterbekleidung aus einem System von Schichten bestanden und insgesamt ein eher klobiges Erscheinungsbild aufwiesen. Motive dieser exklusiven Spezialkleidung, die in Zusammenhang mit den Weltraum-

Abb. 07: André Courrèges’ collant intégral. »Haute Couture. Parti-pris pour une mode actuelle.« Doppelseite 96-97 aus Jardin des modes. September 1969. Von Parish Kostümbibliothek/ Münchner Stadtmuseum.

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programmen tausendfach in Populärmedien reproduziert wurde, beeinflussten – wie Nicolas de Monchaux aufgewiesen hat44 – in verfremdeter Form auch das »System« der Haute Couture. Courrèges’ Linie von 1969 verband einen körpernahen Ganzkörperanzug aus Strickmaterial mit weißen Stiefeln oder Strümpfen, welche die halbe Wade bedeckten, maskenartige Kopf bedeckungen und übergroße Sonnenbrillen. Auch die Farben – bevorzugt Weiß und Silber – nahmen das Vorbild des Raumanzugs auf. Courrèges begründete das reine Weiß der Collants mit den Hygieneansprüchen einer modernen Welt: »Die Leute tragen Schwarz, weil es nicht gleich schmutzig aussieht. Also ziehen sie jeden Tag aufs neue schmutzige Kleider an. Das moderne Leben verlangt aber; daß man innerlich und äußerlich sauber ist.«45 Für Courrèges gehörte die Waschmaschine zu den integralen Bestandteilen einer zeitgemäßen Lebensweise, eine Tatsache, die auch ein Entwickler moderner Bekleidung zu berücksichtigen habe. »Moi, je vis avec une machine à laver! Donc, en plus, je suis obligé de penser qu’un vêtement doit passer à la machine à laver, puisque ça fait partie de notre époque.«46 Die Innenausstattung von Courrèges’ Pariser Studio, in dem er seine Modeschauen abhielt, war in gleicher Weise in monochromem Weiß gestaltet.47 Ausgelegt für einen modernen, bewegungsorientierten Lebensstil, stellten die Strickanzüge Courrèges’ ein Bekleidungssystem mit eigener Logik dar. Ergänzt mit Add-Ons aus kurzen, teils stark farbigen Röcken, Gürteln, Regencapes oder Jacken aus glänzendem Kunststoffmaterial, ließ sich die seconde peau an die jeweilige meteorologische oder soziale Situation anpassen (Abb. 07). Das Kleidungsstück selbst wies dabei formal und funktionell auf Vorbilder aus dem späten 19. Jahrhundert zurück: auf die patentierte maschinengewirkte Unterbekleidung des Docteur Rasurel, die in Deutschland und Frankreich bis in die 1920er Jahre populär war,48 oder auf das »Normaltrikothemd« und die gewirkten Wollanzüge des Lebens- und Bekleidungsreformers Gustav Jäger.49 Obwohl der Collant auch von weiteren Pariser Modegestaltern jener Jahre – so etwa von Pierre Cardin50 – als Grundelement einzelner Kollektionen übernommen wurde, nimmt es daher nicht wunder, dass Courrèges’ seconde peau der durchschlagende Erfolg versagt blieb. Von der breiten Kundschaft wurde die neue Bekleidungslinie vor allem mit Sport- und Unterwäsche assoziiert. Hatte Courrèges 1971 noch selbstbewusst vermutet: »Ich denke, daß es noch drei oder vier Jahre dauern wird, bis jeder diese Mode trägt. Der Trend in der Mode geht unausweichlich in diese Richtung«,51 räumte er gute zehn Jahre später in einem Interview ein: »Je me suis retrouvé, en 1968, tout seul à faire des collants! Depuis, j’essaie de le faire passer tous les ans, tous les ans … Mais ça ne réussit pas, parce que le monde n’est pas prêt.«52 Eine große Chance, den Collant einem breiten Publikum bekannt zu machen, entging Courrèges 1972. Das Organisationskomitee für die Olympischen Spiele in München hatte Courrèges zunächst mit der Gestaltung der Bekleidung für das etwa 10.000

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Personen starke Dienstpersonal beauftragt, machte Ende 1971 aber einen Teilrückzieher. Statt der ursprünglich vorgesehenen Strickanzüge wurden die Olympiahostessen in eine modernisierte Form des Dirndl gekleidet.53 Präsent blieben die Spekulationen über die Mode des Weltraumzeitalters so vor allem in medialer Form über Aufnahmen futuristischer Interieurs, Filme oder populäre Serien. Kubricks 2001 – A Space Odyssey (1968) oder Roger Vadims Barbarella (1968) stellen solche Pole zeitspezifischer Zukunftsspekulation zwischen einer metaphysisch überhöhten Deutung des technischen Fortschritts und einer befreiten Sexualität dar – sie inszenieren vestimentäre Zukunftsbilder zwischen dem Körperpanzer des Raumanzugs und einer erotisierten Bequemkleidung für klimatisierte Innenräume. Auch die Akteure der imaginierten interstellaren Zukunft in Science-Fiction-Serien der 60er Jahre wie Star Trek oder Raumpatrouille Orion sind wie selbstverständlich in bequeme Ganzkörperkombinationen gekleidet, die zwischen Pyjama, Hausanzug und Uniform einzuordnen sind und auf die vorgestellt angenehm klimatisierten Verhältnisse an Bord eines Raumschiffs verweisen. Die Querverbindung zu Courrèges ist hier sicher nicht unberechtigt; auch seine weißen Collants besitzen den Charakter einer futuristischen Uniform.54 Parallel zu diesen medialen Fiktionen besetzte und erweiterte eine Allianz aus Modefotografie und des Modemarketing bereitwillig die Assoziationsräume, die sich aus der Verbindung von Zukunftsprognostik, Raumfahrt und Innenarchitektur ergaben.55 Im März 1969 brachte beispielsweise die Pariser Ausgabe der Vogue Aufnahmen von Hosenanzügen und Vinylkombinationen von Courrèges, Cardin und Paco Rabanne mit Mannequins auf einer stilisierten Mondsichel »sur les plages de la lune«.56 Im April 1965 publizierte die Modezeitschrift Harper’s Bazaar die neuen Modelle Courrèges’ zusammen mit Models in Raumanzügen oder Kleidern im schwarz-weißen Punktemuster der Op-Art mit dazu passenden Kopf bedeckungen, die an Helme von Astronauten erinnern. Die begleitenden Textabschnitte sind mit »The fingernails in your future« oder »The Galactic Beauty to the Rescue …« überschrieben; sie verbinden eine lose Rahmenerzählung mit Verweisen auf aktuelle Modeprodukte.57 Die »Galactic Beauty« (Abb. 08) besticht auch unter dem Helm ihres Raumanzuges durch perfektes Make-Up und trägt unter dessen silberner Hülle ein enganliegendes Kleid und rosa Strumpfhosen – eine Reminiszenz an den von Tinling 1956 herausgestellten Gegensatz zwischen neutraler Alltagskleidung und ultra-femininer Stilisierung. Allerdings ist dies nicht das einzige vestimentäre Konzept, das auf den Seiten der Zeitschrift begegnet. Eine weitere Serie von Fotografien zeigt Wäschemodels in Bodies und kugelförmigen Plexiglashelmen in einer kargen, wüstenartigen Landschaft (Abb. 09). Das fotografische Arrangement verwies einerseits auf Raumfahrt und die antizipierte Mondlandung, verknüpfte diese Vorstellung aber mit einem Kleidungsstück, das eher dem privaten oder häuslichen Bereich zuzurechnen war. Der Triko-

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Abb. 08: »The Galactic Beauty to the Rescue.« Doppelseite 144-145 aus Harper’s Bazaar April 1965.

tagebody als »Look-of-the-future knicker jumpsuit, […] celestially white as the Milky Way« wurde zum Vehikel für das Lebensgefühl des Weltraumzeitalters. Die Liste von Beispielen, die sich leicht erweitern lässt, illustriert ein komplexes und mehrdeutiges Spiel mit Elementen aus Kunst, Fiktion und Technologie. Die Verbindung von klimatisierter Innenwelt und korrespondierendem Hausanzug um 1970 hat allerdings weitere Implikationen. Die korrespondierenden Konzepte verstärkten sich gegenseitig und führten zu einem zunehmenden Ausschluss der Um- und Außenwelt von einem abgeschirmten Privat- und Behaglichkeitsbereich. In seiner Wohnung von einer allgegenwärtigen Technik mit jedem Notwendigen versorgt ist der Zellenbewohner – weil sonst nichts mehr geschieht – vor allem mit der Gestaltung seiner Freizeit, dem Erleben von Medien, Stimmungen und Atmosphären beschäftigt. Von jeder Arbeit befreit fällt der Bewohner in ein zweites Kindheitsstadium zurück. In einem Werbefilm der Bayer AG, der die Ergebnisse der Visiona-Ausstellungen resümiert, spielen die erwachsenen Besucher von Pantons Environments mit den Lichteffekten der Beleuchtungskörper, planschen im Wasser oder liegen in embryonaler Haltung mit vor der Brust verschränkten Armen auf bodentiefen Polstern.58 Die Ästhetik des Hauskleides korrespondiert mit diesem Effekt. Courrèges Collant wirkt wie ein übergroßer »Strampelanzug«, der in Kombination mit Minirock und kurzen Kleidchen erwachsenen Frauen eine kindlich-verspielte Silhouette verleiht.59 All diese Elemente »entstammen der reinen und unschuldigen Welt der Kindheit, die im Zentrum der Kreationen von Courrèges steht«, kommentierte Valérie Guilleaume Courrèges’ Entwurfs-

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Abb. 09: »Galactic Girl in the Sun.« Doppelseite 162-163 aus Harper’s Bazaar April 1965.

philosophie im Jahr 1998.60 Das Architektonische und das Urbane als Rahmen für Arbeit, gesellschaftliche Anteilhabe und kritische Öffentlichkeit, die das Leben eines erwachsenen und mündigen Bürgers auszeichnen, verschwinden um 1970 zunehmend aus der gestalterischen Phantasie progressiver Gruppen wie Superstudio oder Archigram. Die Umwelt des Menschen verwandelt sich in eine Technosphäre, die einerseits von den Mechanismen und Infrastrukturen der Versorgung und des Konsums bestimmt ist, andererseits in der Abgeschlossenheit des Privatbereichs mit der von Chermayeff oder Nigel Calder antizipierten Klimatisierung »für feuchte oder fast nackte Körper« das Wiederkehren archaischer Zustände evoziert. Ihre psychologische Plausibilität finden diese Spekulationen im Auseinanderfallen von realem Erleben und medial vermittelter Zukunftserwartung im technologischen Großprojekt von Raumfahrt und Mondlandung Ende der 1960er Jahre. In der medialen Präsenz der Raumfahrtprogramme wird der Menschheit suggeriert, dass etwas Entscheidendes stattfindet, während der Normalbürger erkennt, dass er an diesen Entwicklungen niemals als Nutzer teilhaben wird. Nur eine verschwindend kleine Zahl von Astro- und Kosmonauten machte tatsächliche Erfahrungen im Weltraum und in Raumfahrzeugen. Mode, Architektur, Innenarchitektur und Design stellen Transmissionsmechanismen dar, die in einem mehrbödigen Spiel von Kommerz und Pop-Kultur einerseits alternative Teilhabemöglichkeiten eröffnen und andererseits zugleich technologische Entwicklungszwänge suggerieren. Auch die diskutierten Thesen Dörings stellen, obwohl sie mit technischen und wirtschaftlichen Zwängen argumentieren, letztlich eine Art Selbstsuggestion dar.

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Suggestion und Selbstsuggestion erklären die Wirkungsweise von Mode, aber auch von Architektur. Deshalb ist die Relation von Kleid und Raum Teil der Ideen- und Ideologiegeschichte der Architektur.

A nmerkungen 1 | Beatriz Colomina: »Unbreathed Air 1956.« In: Grey Room 15 (2004), S. 28-59 (Colomina 2004a). Wieder in: Dirk van den Heuvel/Max Risselda (Hg.): Alison and Peter Smithson – from the House of the Future to a house of today. Rotterdam 2004 (Colomina 2004b), S. 30-49. Hier Colomina 2004b, S. 39, etiam 57, Anm. 54. Siehe auch: Deborah S. Ryan: The Ideal Home Through the 20th Century. London 1997, S. 112-116. 2 | Ausstellungskatalog Daily Mail Ideal Home Exhibition. Olympia 1956. 3 | Colomina 2004b (vgl. Anm. 1), S. 43-44. In zugespitzter Form: Beatriz Colomina: »Fort aus der Gegenwart. Das Haus der Zukunft.« In: Alexander von Vegesack/Jochen Eisenbrand (Hg.): Open House. Architecture and Technology for Intelligent Living. Weil am Rhein 2006, S. 227-256, 239-243. 4 | Prince Valiant ist Teil einer ganzen Welle von Ritter- und Mittelalterfilmen, die zu dieser Zeit produziert wurden. Einen allgemeinen Überblick zur Darstellung des Mittelalters im Film gibt: John Aberth: A Knight at the Movies. Medieval History on Film. London, New York 2016 (1 2003). Zeitgeschichtliche Bezüge sind in diesen Produktionen häufig deutlich ablesbar; Prince Valiant thematisiert in der Ära des US-Senators Joseph Mc Carthy und seines Kommittees gegen unamerikanische Umtriebe die Furcht vor einer kommunistischen Unterwanderung; im Film repräsentieren die heidnischen Wikinger als ein Feind aus dem Norden und der Kälte diese Gefahr. Cf. Alan Lupack: »Valiant and Villainous Vikings.« In: Kevin J. Harty (Hg.): The Vikings on film. Essays on depictions of the Nordic Middle Ages. Jefferson 2011, S. 46-55. 5 | Mark Girouard: The Return to Camelot. Chivalry and the English Gentleman. New Haven 1981, S. 239-240. 6 | Dirk van den Heuvel. »Without Rhetoric. Prototypes for the Suburban House.« In: van den Heuvel, Risselda 2004 (vgl. Anm. 1), S. 78-103. 80. 7 | Ryan 1995 (vgl. Anm. 1), S. 106-108. Siehe auch die Wochenschauaufnahmen der Ideal Home Exhibition 1956, »British Pathé,« youtube (Abruf Oktober 2016). 8 | Colomina 2004b (vgl. Anm. 1), S. 37. 9 | Wie die Sportswear greift die farbige Kleidung der Comic- und Superhelden – unter anderem – auf mittelalterliche Referenzen zurück; jeder Superheld hat seine »heraldischen« Farben und ein entsprechendes Symbol. Vgl. hier auch Friedrich Weltzien. »Masque-ulinities: Changing dress as a display of masculinity in the superhero genre.« In: Fashion Theory 9 (2005) Heft 2, S. 229-250. 10 | »The clothes worn by the man are plain and unembellished. This is in keeping with the times, a kind of Superman trend to fit the Space Age. [... Women] will wear ultra-feminine clothes in the home. Out-of-doors their clothes will have to be almost as severe

Hausanzug und Raumkapsel as men’s. A woman’s space suit, for instance, will be much the same as a man’s . As a reaction to this, I feel sure she will want light, pretty clothes to wear in her well heated home.« Ausstellungskatalog Daily Mail Ideal Home Exhibition, Olympia, 1956, 100, zitiert nach Colomina 2004b (vgl. Anm. 1), S. 39. 11 | Colomina 2004b (vgl. Anm. 1), S. 32. 12 | Der Begriff stammt von Konrad Wachsmann: Wendepunkt im Bauen. Wiesbaden 1959. 13 | Wolfgang Döring. Perspektiven einer Architektur. Frankfurt a. M. 1970, S. 75. 14 | Ebd. S. 74. 15 | Ebd. S. 83. 16 | Ebd. S. 45. 17 | Ebd. S. 83-85. 18 | Ebd. S. 85. 19 | Döring präsentiert in seinem Text Fullers Dymaxion Haus von 1927 und Dymaxion Automobil von 1933 in ihrer von Technologie bestimmten Gestaltung als Gegenmodelle zum bloß ästhetisch motivierten Bauen des Internationalen Stils, das »nur auf der Oberfläche etwas Neues ist«. Döring 1970 (vgl. Anm. 13), S. 39-48, hier 42. Seine 1970 bei Suhrkamp erschienene Schrift Perspektiven einer Architektur war 1968 zunächst unter dem Titel »Gegenentwürfe. Zur Modell-Ablösung in der Architektur« in der von Christian Chruxin und Joachim Krausse herausgegebenen Buchreiche »Projekte und Modelle« der Frankfurter Edition Voltaire angekündigt, in der auch zwei Texte von Buckminster Fuller veröffentlicht wurden. Die Veröffentlichung in dieser Reihe kam allerdings nicht zustande und erfolgte dann als Suhrkamp Taschenbuch. 20 | Zu Fuller übersichtsartig: Joachim Krausse, Claude Lichtenstein (Hg.): Your Private Sky. R. Buckminster Fuller. Design als Kunst einer Wissenschaft. Zürich 1999. 21 | Hierzu: Andreas Kalpakci: »UIA, R. Buckminster Fuller and the Architectural Consequences of ›Total Environment‹«. In: Ákos Moravánszky, Karl R. Kegler (Hg.): Re-Scaling the Environment. New Landscapes of Design, 1960-1980. Basel 2017, S. 271-289. 22 | So in: Utopia or oblivion. The prospects for humanity. Toronto, 1969. Deutsche Ausgabe: Konkrete Utopie. Die Krise der Menschheit und ihre Chance zu überleben. Wien 1974, hier: S. 394-395. 23 | Zu sehen in Aufnahmen des zweiten und dritten Präsentationsmodells von Fullers Dymaxion Haus von 1929. In einer der Aufnahmen des zweiten Präsentationsmodells, das Fuller für seine Vorträge benutzte, sind im Schlafraum sogar drei nackte Frauenfiguren zu erkennen, während eine männliche Figur im Anzug gerade durch die Wohnungstür tritt. Ebd. S. 44. Cf. Michael John Gorman: Buckminster Fuller. Designing for Mobility. Mailand 2005, S. 43, 44. 24 | Ebd. S. 45. Gorman betrachtet die Figur als eine Art exotisches Ausstellungsstück – »a nude woman lying on the bed, like an exotic bird inside an aluminium cage.« 25 | Michael Webb: »The Cushicle.« In: Archigram 7 (1966). Etiam: A Guide to Archigram 1961-1974. London, Berlin 1994. S. 186-189, 207-208. Neill Spiller: Visionary Architecture. Blueprints of the Modern Imagination. London, New York 2006. S. 82-85.

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Karl R. Kegler 26 | Marshall McLuhan. Understanding Media. The Extensions of Man. New York 1964. Hier zitiert: Critical Edition, hg. v. W. Terrence Gordon, Berkeley 2003, S. 171. 27 | Ebd. S. 173. 28 | Reyner Banham: The architecture of the well-tempered environment. London 1969. Zuvor hatte Banham 1965 in einem locker-spekulativen Text vorgeschlagen, ein standard-of-living package als mobile Environment Bubble zu konzipieren, die mittels kompakter Versorgungssysteme ein ungebundenes aber komfortables Leben in der Natur ermöglichen sollte. Reyner Banham: »A Home is not a House.« In: Art in America April 1965, S. 70-79. Banhams nicht ganz ernst gemeinter Vorschlag griff eine Konzeption Buckminster Fullers aus dem Jahr 1949 auf. Fullers Standard of Living Package (vgl. Gorman 2005 (vgl. Anm. 23), 101-109) hatte noch die Maße eines Lkw-Anhängers. 29 | Emmet Finley Carter. »Haus und Wohnen in der Zukunft.« In: Robert Jungk, Hans Josef Mundt (Hg.): Unsere Welt 1985. Hundert Beiträge internationaler Wissenschaftler, Schriftsteller und Publizisten aus fünf Kontinenten. München, Wien, Basel 1965, S. 194-197. 195. Die Umfrage des New Scientist, an der sich einhundert Experten beteiligt hatten, wurde 1965 unter dem Titel The World in 1984 in einem zweibändigen Sammelband (Nigel Calder (Hg.): The World in 1984. The Complete New Scientist Series. Harmondsworth 1965. 2 Bde.) veröffentlicht und erschien 1965 in deutscher Übersetzung. 30 | Nigel Calder: The Environment Game. London 1967. Deutsche Ausgabe: Vor uns das Paradies? Entwurf eines gelobten Landes. München, Wien, Basel 1968, S. 174. 31 | Serge Chermayeff, Christopher Alexander: Community and privacy. Toward a new architecture of humanism. Garden City (NY) 1963. Deutsche Ausgabe: Gemeinschaft und Privatbereich im neuen Bauen. Auf dem Wege zu einer humanen Architektur. Mainz, Berlin 1972, S. 180. 32 | Ebd. S. 180-181. 33 | Ebd. S. 178. Chermayeff bezieht sich auf Lewis Mumford: The Culture of Cities. New York 1938. Hier: Ausgabe San Diego, New York, London 1970, S. 432, 433. 34 | »Sistema per allestimenti.« In: Domus 495 (Februar 1971), S. 20-21. 35 | »Alice entra nel puzzle.« In: Domus 496 (März 1971), S. 36-37. 36 | »Milano: La Casa Vip di un Designer Vip.« In: Domus 494 (Januar 1971). S. 20-24. Vgl. auch: Mateo Kries, Alexander von Vegesack (Hg.): Joe Colombo. Die Erfindung der Zukunft. Weil am Rhein 2005, S. 228-229. 37 | Kries, von Vegesack 2005, S. 218-221. »A Colonia per la Bayer.« In: Domus 478 (September 1969), S. 26-31. 38 | Karl R. Kegler: »Flucht(t)räume des Privaten. ›Visiona.‹ Innenwelten zwischen Höhle und Raumkapsel.« In: Thomas Le Blanc, Bettina Twrsnick (Hg.): Utopische Räume. Phantastik und Architektur. Wetzlar 2008, S. 37-65. Die Visiona-Ausstellugen 1-3 fanden von 1969 bis 1971 in einem Schiff auf dem Rhein statt, das von Bayer zur Erweiterung der Ausstellung genutzt wurde. Die artifizielle Umgebung des Schiffes korrespondierte mit den artifiziellen Interieurs. 39 | »Visiona. Retrospektive und Reflexionen über vier internationale Wohnmodelle.« Werbefilm der Bayer AG, o.J. (Mitte der 1970er Jahre).

Hausanzug und Raumkapsel 40 | Heino Möller: Innenräume Aussenwelten. Studien zur Darstellung bürgerlicher Privatheit in Kunst und Warenwerbung. Gießen 1981, S. 64. 41 | Ebd. S. 46. 42 | Brenda Polan, Roger Tredre: The Great Fashion Designers. Oxford, New York 2009. »André Courrèges« S. 123-126, hier S. 125. 43 | Viola Hofmann: »Their own Teenage Look? Der Minirock als Gegenstand von Jugendmode, Modeindustrie und historischer Rekonstruktion.« In: Jürgen Kramer, Anette Pankratz, Claus-Ulrich Viol (Hg.): Mini & Mini. Ikonen der Popkultur zwischen Dekonstruktion und Rekonstruktion. Bielefeld 2009, S. 40. 44 | Nicolas de Monchaux: Spacesuit. Fashioning Apollo. Cambridge (Mass.), London, 2011, S. 29-33. 45 | Radioscopie von Jacques Chancel, 1973, zitiert nach dem Officiel de la couture, Dezember 1993, S. 38. Hier Zitat nach Valérie Guilleaume: Courrèges. München 1998, S. 13. 46 | Eugénie Lemoine-Luccioni: »Entretiens avec André Courrèges.« In: Eugénie Lemoine-Luccioni: La robe, Essai psychanalytique sur le vetement. Paris 1983, S. 158. 47 | Guilleaume 1998 (vgl. Anm. 45), 12. Courrèges’ Privatappartment in Neuilly-surSeine war ebenfalls in kompromisslosem Weiß gehalten; die Inneneinrichtung hatte der ursprünglich als Bauingenieur ausgebildete Couturier zu großen Teilen selbst entworfen. Wohnbereich, Küche und Dusche waren – wie bei Colombo – jeweils ein einziges großes Möbel, das mehrere Installationen integrierte. »Rendezvous with André Courrèges at Home. 31. Juli 1969.« Bildquelle und Legende bei www.gettyimages.com. Abruf September 2016. 48 | Guilleaume 1998 (vgl. Anm. 45), S. 11. 49 | Monika Burri: Bodywear. Geschichte der Trikotkleidung, 1850-2000. Zürich 212, S. 83-113. 50 | Elisabeth Längle: Pierre Cardin, 1922-2005. Wien 2005, S. 16-26, 88-103. Colleen Hill: Paris Refashioned, 1957-1968. New Haven, London 2017. 63-86. 51 | Courrèges in: Sportswear International 1971. Zitiert nach: Guilleaume 1998 (vgl. Anm. 45), S. 11. 52 | Lemoine-Luccioni 1983 (vgl. Anm. 46), S. 154. 53 | Ingrid Schünemann: »Die Olympia-Bosse hätten es gern biederer.« In: Zeit Magazin 1971 Nr. 40 (3. Dezember 1971), S. 4-7. 54 | Vgl. Jane Pavitt: Fear and Fashion in the Cold War. London 2008. Pavitt konstatiert: »One crucial element of futuristic fashion was the idea of clothing as a uniform, as a means of stressing the practical and ordered nature of quasi-military dress.« Ebd. S. 49. 55 | Vgl. Elizabeth Way: »Looking Back at the Future. Space Suits and Space Age Fashion«. In: Patricia Mears (Hg.): Expedition. Fashion from the Extreme. London, New York 2017. S. 125-157. 56 | Vogue Paris März 1969, S. 250-255. 57 | Harper’s Bazaar April 1965, S. 140-165.

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Karl R. Kegler 58 | Bayer AG, »Visiona. Retrospektive und Reflexionen« o.J. (vgl. Anm. 39). 59 | Siehe auch: Hofmann 2009 (vgl. Anm. 43), S. 43. 60 | Guilleaume 1998 (vgl. Anm. 45), 17. Beatriz Colomina konstatiert beinahe analog mit bezug auf das deutlich frühere House of the Future von 1956. »There are no children in this house because the adults themselves have become children, playing with their toys, with their new electric gadgets, the peek-a-boo table and bed, the electrically operated doors, and so on.« Colomina 2004b (vgl. Anm. 1), S. 40.

The skins we live in Zu Archigrams Cushicle and Suitaloon (1966-1968) Stamatina Kousidi

Abb. 01: Michael Webb für Archigram, Cushicle and Suitaloon (1966): »Transformation 2: Pat clad in suit«, Fotoabzug Cut Out, Archigram Archive, Copyright bei den Künstlern.

Im Jahre 1968 vollendete Michael Webb, Mitglied der Architekturgruppe Archigram, den letzten farbigen Pinselstrich an seinem spekulativen Projekt Cushicle and Suitaloon: einer auf blasbaren, mit technischen Vorrichtungen versehenen Wohneinheit, die der jeweilige Nutzer auf einfache Weise zerlegen und transportieren kann. Eine Darstellung des Konzeptes mit dem Titel Transformation 2 zeigt eine weibliche Figur (sie trägt den Namen Pat), die das Modul angelegt hat; sie trägt die Wohneinheit als transparente ätherische Schicht um

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ihren Körper (Abb. 01). Wie der Titel des Bildes andeutet, ist das architektonische Artefakt wandlungsfähig; es erzeugt einen Raum, der den menschlichen Körper beherbergt und umschließt. Vor dem Hintergrund der Technologien zur Klimatisierung des häuslichen Lebens verdeutlicht das Cushicle and Suitaloon-Projekt damit einerseits die Vorstellung des Ersatzes der konventionellen Architektur durch hochaggregierte technische Mittel. Wenn die Umweltbedingungen im Inneren auf effiziente Weise in der Lage sind – so ließe sich die Grundüberzeugung des Projektes zusammenfassen – den menschlichen Körper und seine Aktivitäten zu beherbergen, kann das Konzept von Architektur als festes Gehäuse in Frage gestellt werden. Andererseits kann Webbs Projekt aber auch als Schlüssel für ein alternatives Verständnis der membranartigen – und kurzlebigen – Architekturprojekte gelesen werden, die in der Mitte des 20. Jahrhunderts entstanden: ein Verständnis, das auf die gedankliche Konzeption der Gebäudehülle als Kleid ausgerichtet ist. Das Konzept der Bekleidung hat über Zeiten hinweg eine wegweisende Bedeutung in der Diskussion über die gebaute Umwelt eingenommen. Adrian Forty vertritt die Ansicht, »dress has a long pedigree as a metaphor in architectural thought, and is the one material artifact to have appeared regularly before the nineteenth century«.1 Metaphern mit Bezug zur Bekleidung haben das Verständnis von Architektur bei Vitruv, Gottfried Semper oder Adolf Loos ergänzt und bereichert. Wenn Vitruv beispielsweise die Kannelierung der ionischen Ordnung mit dem »Faltenwurf der Gewänder der Matronen«2 verglich, folgte für Loos ein Haus in seiner äußeren Erscheinung dem Evolutionsprozess eines Dinnerjackets.3 In den 1990er Jahren diskutierten Architekturgeschichte und -theorie4 erneut über die Wechselbeziehungen von Architektur und Bekleidung und gingen hier über Fragen morphologischer und stilistischer Ähnlichkeit zwischen den beiden Bereichen hinaus. Nun wurde die Architektur der Moderne zum Gegenstand der Debatte. Um eine These Mark Wigleys aufzugreifen: die Betrachtung der bislang übersehenen Beziehungen zwischen Körper- und Kleidkonzepten im Kontext der Membran-Architekturen der 1960er Jahre impliziert notwendigerweise »to re-address the role of theory in the constitution of architecture«.5 Der vorliegende Beitrag widmet sich genau diesem Anliegen. Wegen der Nähe zum Körper und der Wechselbeziehung mit dem Körper werden die Begriffe Kleid und Bekleidung hier als theoretische Werkzeuge verwendet, um das Cushicle and Suitaloon-Projekt zu diskutieren. Architekturkritiker und -theoretiker haben eine vielfältige Terminologie zur Beschreibung von Webbs Projekt eingesetzt; von »an environment of dematerialized transience« (Jennifer Johung)6 bis zu »a minimum survival kit of commodities« (Robert Kronenburg);7 diese Bezugnahmen zu Vorstellungen von Körper und Bekleidung sind Gegenstand der Untersuchung. Der Schwerpunkt liegt also darauf, denkbare Bedeutungsdimensionen des Vestimentären und die mit

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ihnen verknüpften Ideen von Raumproduktion zu verdeutlichen. Der Begriff Kleid wird entsprechend in einer sehr weitreichenden Bedeutung verwandt; zu ihren Implikationen zählt die Umhüllung und Ergänzung des menschlichen Körpers, Ergänzung und Ersatz der Funktionen der Haut, das Verbergen und Präsentieren des Körpers usw. Webbs Projekt ist Untersuchungsgegenstand, um den schillernden Charakter der so konstruierten Raumvorstellungen durch das Prisma der Bekleidungsmetapher zu erkunden. Die Betrachtung der verschiedenen Bestimmungen zielt vor allem darauf ab, das Verständnis der Beziehung zwischen Architektur und Kleidung von einem bloß formalen Vergleich auf eine Ebene zu bringen, die sich mit gleichartigen Leistungen und Effekten befasst.

H aut-A nhang In seinem 1999 erschienenen Buch, das Michael Webb der Gruppe Archigram widmete, beschreibt der Autor die Struktur von Cushicle and Suitaloon als Verbindung zweier Teile. »One constituent part is the ›armature‹ or ›spinal‹ system«, schreibt Webb mit Bezug auf das Cushicle, »the other major element is the enclosure part which is basically an inflated envelope with extra skins as viewing screens«, führt er mit Bezug auf den Suitaloon aus.8 Indem die Beschreibung Begriffe verwendet, die wie Rückgrat und Haut aus dem Bereich der Anatomie stammen, verweist Webb auf die dezidierte Bezugnahme des Projekts auf den Bereich der Körperlichkeit. Die Konzeption geht insofern über »an invention that enables a man to carry a complete environment on his back«9 hinaus und fragt nach der Bedeutung von Architektur als körperhafter Maschinerie. So gesehen kann das Cushicle and Suitaloon-Projekt aus der Perspektive von Körper-Diskursen interpretiert werden, die sich in den 1960er- und 70er Jahren in Disziplinen jenseits der Architektur etablierten. »Clothing and housing are near twins«, schreibt Marshall McLuhan im Jahr 1964, »for housing extends the inner heat-control mechanisms of our organism, while clothing is a more direct extension of the outer surface of the body.«10 Ausgehend von der Soziologie stellte McLuhan die Verwandtschaft von Wohnung und Kleidung heraus und betonte, dass beide die gleiche Fähigkeit haben, den Körper im Raum zu beherbergen und den Menschen im sozialen Bereich zu definieren. McLuhan betrachtete Kleidung konzeptionell als eine Erweiterung der Haut, die im Verbund mit weiteren Medien bestimmte Fähigkeiten des Körpers verstärken könne. So wie die Fotografie unseren Gesichtssinn, das Telefon unser Gehör und der Telegraf unser Nervensystem erweitert, ergänzt, wie McLuhan betonte, Kleidung die Fähigkeit der natürlichen Hitzeregulierung der Haut. Im Sinne McLuhans beinhaltet Webbs Projekt sowohl einen Teil, der alle erforderlichen technischen Vorrichtungen umfasst, um ein

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angemessenes Haus-Erlebnis bereitzustellen (das ist das Gerüst des Projekts), als auch einen Teil, der den Menschen in den sozialen Bereich einbindet (das ist die Haut des Projekts). Da das Projekt in seiner Gesamtheit »die verletzliche Oberfläche des Körpers ersetzt und den nomadischen Körper wieder zu einem tragbaren Heim umgestaltet«,11 ist es weiter eine Reflexion über die Auswirkung von Technologie auf das intimste Umfeld des Menschen. Architektur lässt sich in diesem Falle als eine Erweiterung der Haut ihres Bewohners verstehen. Vorläufer dieser Vorstellung lassen sich deutlich weiter als bis zu den Medientheorien der 1960er Jahre zurückverfolgen. Im Jahr 1877 formulierte beispielsweise Ernst Kapp eine Theorie der Technologie als Organprojektion, indem er alltägliche Dinge wie Kleidung, Werkzeuge und Bedarfsgegenstände in Analogie zu Körperfunktionen betrachtete. Im Kapitel »Das morphologische Grundgesetz« (in: Grundlinien einer Philosophie der Technik. Zur Entstehungsgeschichte der Cultur aus neuen Gesichtspunkten, 1877) stellte Kapp nicht allein die etymologische Beziehung zwischen den Ausdrücken »Gewand« und »Wandung«12 fest, sondern betonte außerdem, dass Architektur und Kleidung aufgrund ihrer grundlegenden Eigenschaft, den Körper zu schützen, als »tragbare Wohnung« entstanden seien.13 Laut Kapp erlangte das Konzept der Bekleidung eine umfassende Bedeutung und bezieht sich auf die ureigensten Bedürfnisse von Abgrenzung und Bedachung; und schließlich entwickelt sich Architektur über Dienstbarkeit und Nützlichkeit hinaus hin zu einer organischen Idee.14 Kapp sah Wohnung und Bekleidung als Vorrichtungen des Körpers, die sich von der Natur des Menschen und seiner Kultur nicht trennen lassen. Die konzeptionelle Vorstellung der Vernetzung von Architektur mit Alltagsmedien und Technik, die als Erweiterung, Tragbarkeit und Geborgenheit durch und von Technologie wirksam wird, zieht sich in ähnlicher Weise durch Webbs Projekt. Webb stellte sich vor, dass Cushicle and Suitaloon eine Reihe von zusätzlichen, durch technische und mechanische Eigenschaften verbesserten »Häuten« besitzen; das Projekt verarbeitet auf diese Weise die Vorstellung von Architektur als Erweiterung der Oberfläche des Körpers. Archigram war zu dieser Zeit nicht die einzige Gruppe, die das Thema der Behausung als Erweiterung der menschlichen Haut betrachtete. Eine Reihe weiterer Architekten experimentierte zwischen 1950 und 1970 mit Formen des Wohnens als Funktion der Außenhaut sowie der Bekleidung. Das House of the Future von Alison und Peter Smithson sollte im Jahr 1956 beispielsweise aus einer Außenhülle aus Kunststoff und einer Inneneinrichtung aus dem gleichen Material bestehen, die stellenweise die Rundungen des menschlichen Körpers nachempfand. Die Kleidung, die von den hypothetischen Bewohnern des von den Smithsons entworfenen Hauses auf der Daily Mail Ideal Home Exhibition getragen wurden, war eigens für diesen Innenraum entworfen worden. Beatriz Colomina betont, »perhaps more interesting than the clothing in

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the house, is the way that the house was understood by the architects as a form of clothing.«15 Wie zuvor Alison und Peter Smithson interpretierte Archigram die Hülle des Hauses als technische Haut. Den oben dargestellten Ideen entsprechend geschah dies allerdings auf eine Art und Weise, die eher mit den frühen Arbeiten von Coop Himmelb(l)au oder Frederick Kiesler identifiziert werden kann. Ihre Projekte produzierten in ihrer neuartigen Wahrnehmung des Raumes eine »alternative domestic experience« als »model of the private sphere, mediated through the mind via a bodily appendage.«16 Archigrams Erkundung von »spaces that are an extra skin to the body«17 wurde von Konzeptionen angeregt, die Raumbildung nicht mehr allein als eine Form statischer Ab- und Eingrenzung verstanden und in den Begriffsraum einer körperlichen Hülle hineinspielten. Eine umfangreiche Sammlung von Zeitungsausschnitten verdeutlicht das Interesse der Gruppe an den Möglichkeiten, verschiedenartige Materialien am Körper zu applizieren. In den Archivmaterialien von Dennis Crompton finden sich unter dem Titel Ephemera neben einer Vielzahl von Mode-, Film- und Make-up-Anzeigen das Mondrian-Kleid (1965) von Yves Saint-Laurent, ein Kleid mit metallisch-goldener Stickerei und eine Illustration der Melodie Lady on the Moon. Daneben finden sich Bilder der schwarzen Kleider von Roberto Capucci, die seinerzeit provozierenden Nacktaufnahmen des nackten Fleisches von John Lennon und Yoko Ono sowie das Foto eines Roboterarmes, um nur einige Motive zu nennen. Als das Cushicle and Suitaloon-Projekt entstand, lancierte die Modebranche – unter dem Einfluss von Pop und Op-Art, Weltraumtechnologien und Nacktheit – eine neuartige Umhüllung des Körpers: eine Haut, die durch innovative Materialien, neue Funktionen, Technologien und Medien weiterentwickelt war. 1966 stellte Paco Rabanne eine erste Kollektion von Kleidern vor, die aus Plastikschuppen bestanden, die durch Metall- oder Fadenverbindungen miteinander verknüpft waren. André Courrèges hatte einige Jahre zuvor Kleider aus Metall und PVC präsentiert. So wie der Körper Kleider aus alternativen Materialien anlegte, so sollte auch die Architektur eine neue Haut anlegen. Dennoch, so könnte man einwenden, sind die körperhaften, hautnahen und taktilen Architekturen aus der Mitte des 20. Jahrhunderts weniger mit Tendenzen der Modeindustrie dieser Jahre verknüpft, als vielmehr mit zeitlich weiter zurückliegenden Designphänomenen. Statt der Ähnlichkeit zwischen Webbs Cushicle and Suitaloon-Projekt und der Beschäftigung der Mode mit der Artikulation von neuartigen Oberflächen nachzugehen, könnte man sich in gleicher Weise den Bemühungen von Mariano Fortuny, Louise Flöge, Paul Poiret und Madeleine Vionnet zuwenden, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts den weiblichen Körper von den Zwängen zu befreien suchten, die ihm Kleidungsstücke wie Korsetts und Turnüren auferlegten. In Madeleine Vionnets Entwürfen fielen die Kleider locker über den weiblichen Körper und artikulierten dessen inhärente Form und ihre Besonderheiten. Vionnets oft

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Abb. 02: Ernesto Michahelles (Thayaht) für Madeleine Vionnet, De La Fumée: Robe de Madeleine Vionnet, Tafel 13 aus der Gazette du Bon Ton, v. 1, n. 2, handkolorierte Lithographie (Schablone). Übergeben von der William Morris Hunt Memorial Library. In: http://www.mfa. org/collections/object/de-la-fumée-robe-de-madeleinevionnet-plate-13-from-gazette-du-bon-ton-volume-1no-2-450110. Abruf Juli 2016.

im besonders elastischen Diagonalschnitt gefertigten Kleider waren »based on the dynamics of movement« 18 und provozieren ein Nachdenken über die Beziehung zwischen dem Körper und der ihn beherbergenden Umgebung. Diese Dynamik löste eine kreative Auseinandersetzung aus, die in der Zusammenarbeit zwischen Madeleine Vionnet und dem futuristischen Künstler Ernesto Michahelles (Thayaht) ihren Ausdruck fand. Thayahts Skizze für Madeleine Vionnets Firmenzeichen beinhaltet beispielsweise verschiedene Bewegungssequenzen einer weiblichen Figur und unterstreicht damit das Potential von Kleidung, einen intimen Raum um den Körper zu erzeugen. Während die Figur innerhalb einer plasmatischen Membran zu tanzen scheint, umspielt der fließende Stoff19 ihre Gliedmaßen und ist zugleich Raum der Bewegung und verhüllendes Kleid (Abb. 02). Als Teil einer Serie von Zeichnungen, die zwischen 1919 und 1925 geschaffen wurden, um Vionnets visuelle Linie zu

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bestimmen, betont Thayahts Darstellung die vergänglichen und dynamischen Eigenschaften der Kleidung. Sie zeigt »dynamic lines of force that would put a model into swirling motion«.20 Das Kleid ist keine statische Einheit, sondern Teil eines »Energiefeldes«.21 Derartige Bilder von Kleidung als energiegeladener Bereich, der zwischen Körper und Umgebung vermittelt, verdeutlichen spezifische Raumvorstellungen und sind in ähnlicher Weise in den oben diskutierten Membranarchitekturen präsent. Um was also handelt es sich – um ein überdrehtes Couture-Kleidungsstück oder um eine architektonische Minimalstruktur?22

H aut N achfolge »Sexuality became a topic pertinent to Archigram’s interest in ›skin‹ architecture«, kommentiert im Jahr 2005 Architekturkritiker Simon Sadler das Cushicle and Suitaloon-Projekt und eine Serie von korrespondierenden Zeichnungen, in denen »a woman joins a man at his Suitaloon bachelor pad, an expanding, possessive second skin inspired by space suits«.23 So wie an der Wende zum 21. Jahrhundert Glasarchitekturen als Anzeiger gesellschaftlicher Offenheit und politischer Transparenz gelesen wurden, infiltrierten transparente Membran-Hüllen in der Mitte des 20. Jahrhunderts die Vorstellungswelten der sich damals vollziehenden sexuellen Befreiung. Zwischen diesen Polen liegt eine Neubewertung der architektonischen Hülle, die in der Analogiesetzung zwischen der menschlichen Haut und der Fassade eines Gebäudes von sozialen, kulturellen und technologischen Phänomenen jener Zeit beeinflusst war. Das Konzept von Architektur als »possessive second skin« wird in Archigrams Projekt in besonderer Weise in einer Öl-auf-Karton-Zeichnung von 1964 mit dem Titel Rear View of Pat nachvollziehbar (Abb. 03). Die Zeichnung präsentiert die weibliche Gestalt hinter der Kontur einer Version des Cushicle; man kann nicht sagen, ob die Wohnhülle ihren Umriss übernommen hat oder ob umgekehrt ihr Körper sich den von der architektonischen Hülle auferlegten Grenzen anpassen musste. Der aufgespannte Raum wird als dünner, kurvenreicher Zwischenbereich dargestellt. Die Betonung liegt auf der räumlichen Schichtung des Materials auf dem Körper – auf der vestimentären Bedeutung einer Architekturtypologie, die sich in organischer Beziehung zum menschlichen Körper herausbildet. Es geht um eine Art Architektur, die den Körper in vermittelnde Räume einschließen möchte und damit die Vorstellung fester Mauern übersteigt. Unter dem Einfluss neuer Technologien gewann diese Perspektive auch in Diskussionen im Bereich der Architektur an Bedeutung. Der Architekturhistoriker und -theoretiker Reyner Banham sah beispielsweise den Bau von Häusern vor allem als unerlässliche Bedingung für die Erzeugung passender

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Abb. 03: Michael Webb für Archigram, Cushicle and Suitaloon (1966): Rear View of Pat (1964), Öl auf Karton. Archigram Archives, Copyright of Archigram 1968.

Umweltbedingungen für menschliche Aktivität. Zur Verdeutlichung zog Banham die Metapher des Kleides heran und betrachtete dessen Fähigkeit, den Körper in einer Abfolge von konzentrischen Hüllen zu beherbergen (Abb. 04). »A snowy landscape may be rendered fit by means of a ski-suit, gloves, boots and a balaclava«,24 schreibt er im Februar 1960 in seinem Beitrag »Stocktaking. Tradition and Technology«, der Teil einer gleichnamigen Artikelserie in der Zeitschrift The Architectural Review war. Seine neuartige Sichtweise ermöglichte ihm auch, zeitgenössische Architekturprojekte zu diskutieren, etwa die experimentellen semi-transitorischen Architekturen von Frei Otto oder das Murondin-Projekt von Le Corbusier, das einfachste Bestandteile zu archetypischen Strukturen verschmolz – Zelt und Lehmhütte. Ein Text Banhams, in dem dieser im Geiste von Adolf Loos den Ursprüngen der Architektur bis zu »the first furs worn by our earliest ancestors«25 nachspürt, ist durch eine Zeichnung illustriert, die eine Abfolge konzentrischer Hüllen zeigt. Der Bildtext »personal architecture: vest to overcoat«26 verdeutlicht das System textiler Schichten, die den Körper wie ein Futeral in seinem Lebensbereich umgeben und eine Hülle bilden, welche die traditionellen Formen des Bauens überflüssig machen könnte. Die Zeichnung stammt

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bemerkenswerter Weise aus dem Zusammenhang von Bernard Rudofkys Ausstellung Are Clothes Modern?, die 1944 im Museum of Modern Art stattfand; sie ist auf einem der erhaltenen Bilder der Ausstellung zu sehen.27 In der Ausstellungspräsentation befand sich die Zeichnung neben einer Röntgensimulation der Geschäftskleidung der 40er Jahre, die deren Übermaß an Schichten, Knöpfen und Taschen verdeutlichen sollte (Abb. 05). Der damalige Titel The Seven Veils of the Male Stomach kann zugleich als Kommentar auf die »numerous layers modern man wraps around his midriff«28 gelesen werden wie als Hinweis auf die organgleiche Beziehung zwischen dem Menschen und die ihn umgebenden Schichten aus Stoff. Unter dem Einfluss der in die häusliche Umwelt vordringenden Technik wurden architektonische Gehäuse Mitte des 20. Jahrhunderts als fortentwickelte organische Schichten konzipiert. In einer ähnlichen Weise wie Glasfassaden heute mit Membranen verglichen werden29 – eine Folge der weiten Verbreitung transparenter Fassaden zu Beginn des 21. Jahrhundert – wurde das Cushicle and Suitaloon-Projekt verstanden als »membrane pushed out by its occupant«.30 Diese Parallele wird auf Basis von Siegfried Ebelings Studie Raum

Abb. 04: Diagramm Personal Architecture: Vest to Overcoat. Banham 1960 (vgl. Anm. 24), S. 96.

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Abb. 05: Ansicht einer Installation in der Are Clothes Modern?-Ausstellung im Museum of Modern Art, kuratiert von Bernard Rudofsky (28.11.1944 – 4.3.1945). Foto: Kinney 1999 (vgl. Anm. 4), S. 479.

als Membran von 1926 nachvollziehbar. Ebeling verstand den von der Membran umschlossenen Raum als etwas, »[which] oscillates between abstraction and figuration, whilst it signals a continuous process of enveloping that takes the form of a reciprocal exchange between body and environment«.31 Für Ebeling war der Begriff der Membran ein entscheidender Vermittler für ein erneuertes Verständnis der belebten Umwelt. Er ermöglichte die Vorstellung eines dynamischen Systems, das äußere Impulse wie Klima, Licht und die Wahrnehmung von Strahlung über die Haut des Körpers reguliert. »Architecture, evolving on a broad working basis, relates to the human body more directly than ever, as a creative form that is increasing infinitely within the sphere of a magical environment«,32 schreibt Ebeling 1932, als er einen Raumtyp erkundet, der sich unmittelbarer als je zuvor auf den Körper seines Bewohners bezieht und Fragen zu den Analogien zwischen Körper und Bauwerk auslöst. Wenn Jonathan Hill im Jahr 2005 das Cushicle and Suitaloon-Projekt als »example of the development of flexibility by technical means towards an ever more symbiotic relation between a body and a building«33 beschreibt, nimmt er Ebelings Theorie einer organischen Beziehung zwischen dem Körper und den ihn umgebenden Raumhüllen auf. Das Cushicle and Suitaloon-

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Projekt ist eine transformierbare Membran. Es illustriert die »succession of steps toward ever more extensive spaces«, welche zuletzt zu einem allumfassenden Raum führt.34 Archigrams Projekt ist ein Vorläufer späterer künstlerischer Initiativen, die in den 1990er Jahren entstanden. Unter dem drängenden Eindruck von Obdachlosigkeit und Flucht entwickelte in dieser Zeit Lucy Orta35 eine transformierbare Bekleidung, den Habitent (1992-1993), Michael Rakowitz den auf blasbaren Schutzraum paraSITE (1997). In Hinblick auf diese Projekte erleichterte Archigram in der modernen Historiografie die Diskussion über die dynamische Beziehung zwischen Architektur und Konzepten der Bekleidung. Das Cushicle and Suitaloon-Projekt erkundete nicht allein Tendenzen in der Architektur, die Gebäudehülle so dünn wie eine Membranschicht zu machen, sondern untersuchte auch das Verhältnis dieser Membran zu einer immer größeren Folge räumlicher Einheiten als »totality of the material objects that enclose individuals in a personal shell.«36 Die prismatische »Konzeption einer Kontinuität zwischen Kleidern, Möbeln, Innen- und Außenbereichen«,37 so Alina Payne im Jahr 2012, unterstützt die Entsprechung zwischen Webbs Projekt und dem Konzept der Bekleidung. Es illustriert eine gegenseitige Verbindung zwischen Gegenstandsbereichen unterschiedlichen Zwecks und Maßstabs. Und das Phänomen setzt sich bis heute fort, insofern die gebaute Umwelt »in terms of the superimposition of various spheres«38 wahrgenommen und gestaltet wird. Diese sich überlagernden Sphären reichen von unsichtbaren WLAN-Netzwerken über klimatisierte Innenräume bis hin zu intelligenten, reaktionsfähigen Kleidungsstücken. Archigrams Vision einer nahen, tragbaren und dynamischen Architektur, die den Körper »unmittelbarer als je zuvor « umgeben würde, wirkt bis heute im Bezugssystem der zeitgenössischer Wohnkonzeptionen nach. Gemeinsam mit den radikalen Architekturentwürfen der 1960er Jahre erinnert das Cushicle and Suitaloon-Projekt so einerseits an die Tatsache, dass architektonische Ideen mit alternativen Theorien der Gestaltung zusammenwirken können – wie dies im vorgeführten Beispiel mit dem Konzept der Bekleidung der Fall gewesen ist. Da Kleidung als unsere unmittelbarste Umgebung wahrgenommen wird, die »its own room within a room and its own climate within the larger climate of our surroundings«39 hervorbringt, werden Architektur und Konzeptionen der Bekleidung häufig als Gegensätze einander gegenübergestellt. »Clothing for living in, or if it wasn’t for my Suitaloon I would have to buy a house«40 – der Slogan Webbs, der für Cushicle und Suitaloon warb, verdeutlicht die Suche nach einer effizienten Alternative für die herkömmliche Architektur, eine Alternative, die leicht, tragbar und transformierbar sein sollte (Abb. 06). Auf der anderen Seite aber stimuliert das Projekt Archigrams eine konzeptionelle Verschiebung von der tragbaren Kleidung hin zu tragbarem Raum. Mit der Definition einer dynamischen Hülle, die zwi-

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Abb. 06: Michael Webb für Archigram, Suitaloon, Side elevation of empty suit attached to Cushicle in reclining, Fotografie (Ausdruck auf Transparent-Zeichenpapier mit Filmüberzug). Alain Guiheux et al.: Archigram. Paris 1994, S. 116.

schen der Außenwelt und der menschlichen Haut vermittelt, entsteht die Vision, den Menschen sowohl mit einem komfortablen (cush[y]-icle) Wohn-Raum als auch mit einer ihn komplett umschließenden Hülle (suit-aloon) auszustatten – beides ist nach wie vor relevant für die Diskussion von Embodiment und Performativität in der Architektur.

A nmerkungen Übersetzung: Thomas Amos, Karl R. Kegler 1 | Adrian Forty: »Of Cars, Clothes and Carpets: Design Metaphors in Architectural Thought«. In: Journal of Design History, 2:1 (1989), S. 10. 2 | Vitruv: De Architectura, Buch IV, Kapitel I, Absatz 7. Hier nach: Forty 1989 (vgl. Anm. 1), S. 10. 3 | Adolf Loos: Architektur, S. 107. Hier nach: Beatriz Colomina: Sexuality and Space. New York 1992, S. 93. 4 | Ich nenne in der Reihenfolge ihrer Entstehung weitere Literatur zur Wechselbeziehung zwischen Architektur und Kleidung, wie sie im Laufe der 1990er Jahre heraus-

The skins we live in kam: Deborah Fausch et al. (Hg.): Architecture: In Fashion. New York 1994. Mark Wigley: White Walls, Designer Dresses. The Fashioning of Modern Architecture. Cambridge 1995. Elizabeth Diller/Ricardo Scofidio (Hg.): Flesh. Architectural Probes. New York 1996. Leila Kinney: »Fashion and Fabrication in Modern Architecture«. In: Journal of the Society of Architectural Historians, 58:3 (1999), S. 472-481. 5 | »To address the question of fashion here, as anywhere else, will necessarily be to address the role of theory. To address ›Architecture: In Fashion‹ will necessarily be to re-address the role of theory in the constitution of architecture.« Mark Wigley: »White Out: Fashioning the Modern.« In: Deborah Fausch et al. (Hg.): Architecture: In Fashion. New York 1994, S. 148-269, hier S. 171. 6 | »Beyond architecture, Webb imagined an environment of dematerialized transience where his expandable ›Cushicle‹ sack and inflatable ›Suitaloon‹ membrane would replace the static and solid built structure with the organic form of skin.« Jennifer Johung: »Replaceable Skins. Clothing as Mobile Home«. In: Arijit Sen/Jennifer Johung (Hg.): Landscapes of Mobility. Culture, Politics, and Placemaking. Surrey 2013, S. 21. 7 | Robert Kronenburg: Transportable Environments. London 2013. 8 | Peter Cook: Archigram. New Haven 1999, S. 64. 9 | Cook 1999 (vgl. Anm. 8), S. 64. 10 | Marshall McLuhan: Understanding Media. The Extensions of Man. Cambridge (Mass.), London 1964, S. 119. 11 | Sen/Johung 2013 (vgl. Anm. 6), S. 21. 12 | Die etymologische Beziehung zwischen den Wörtern »Gewand« und »Wand« kennzeichnet die Unterscheidung zwischen Konzepten der Umhüllung und der Produktion von Raum. Im Werk von Gottfried Semper entwickelt sich diese Beziehung zwischen den Begriffen Bekleidung und Kleidung hinaus. Mary McLeod: »Undressing Architecture. Fashion, Gender, and Modernity«. In: Fausch 1994 (vgl. Anm. 4), S. 38-123, hier S. 48. 13 | Ernst Kapp: Grundlinien einer Philosophie der Technik. Zur Entstehungsgeschichte der Cultur aus neuen Gesichtspunkten, S. 266-267. Hier nach: Alina Payne: From Ornament to Object. Genealogies of Architectural Modernism. New Haven 2012, S. 79. 14 | Ernst Kapp: Grundlinien einer Philosophie der Technik. Zur Entstehungsgeschichte der Cultur aus neuen Gesichtspunkten. Braunschweig 1877, S. 268. 15 | Beatriz Colomina: »Unbreathed Air 1956«. In: Grey Room 15 (2004), S. 39. 16 | Hadas A. Steiner: Beyond Archigram: The Structure of Circulation. London 2013, S. 172. 17 | Jonathan Hill: Actions of Architecture. Architects and Creative Users. London 2003, S. 34. 18 | Brenda Polan/Roger Tredre: The Great Fashion Designers. Oxford 2009, S. 124125. 19 | »Film enhanced the impact of movement on the relationship between fabric and body. In the footage of Vionnet’s model Sonia, it is the fluidity of the material floating around her limbs that is most striking.« Rebecca Arnold: »Vionnet and Classicism«. In:

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Stamatina Kousidi Peter McNeil (Hg.): Fashion. Late Medieval to Renaissance. Oxford 2009, S. 228-242, hier 231. 20 | Richard Harrison Martin, Metropolitan Museum of New York: Cubism and Fashion. New York 1998, S. 128. 21 | Martin 1998 (vgl. Anm. 20), S. 129. 22 | »The space suit could be identified as a minimal house. In the previous Cushicle, the environment for the rider was provided by the Cushicle – a mechanism like a car. In this project the suit itself provides all the necessary services, the Cushicle being the source of (a) movement, (b) a larger envelope than the suit can provide, (c) power.« Michael Webb im Online-Archiv-Project zu Archigram. http://archigram.westminster. ac.uk/project.php?id=92 (Abruf September 2016). 23 | Simon Sadler: Archigram. Architecture without Architecture. Cambridge (Mass.) 2005, S. 130. 24 | Reyner Banham: »Stocktaking«. In: The Architectural Review 127 (1960), S. 93100, hier S. 96. 25 | Ebd. 26 | Ebd. 27 | Kinney 1999 (vgl. Anm. 4), S. 479. 28 | Vom Museum of Modern Art New York herausgegebene Presseveröffentlichung zur Ausstellung Are Clothes Modern? unter Leitung von Bernard Rudofsky, The Bernard Rudofsky Estate, Wien. 29 | Arthur Korn nimmt Bezug auf Glas als unabhängige Haut und beschreibt, wie dieses die »Negation« der Außenwand erlaubt, die seit Jahrtausenden aus starken Materialien gemacht werden musste. Glas ist da, so Korn, und zugleich nicht da; es ist eine große geheimnisvolle Membran, zugleich zart und hart. Arthur Korn: Glas im Bau und als Gebrauchsgegenstand, 1929. Hier nach: Sadler 2005 (vgl. Anm. 23), S. 114. 30 | Ebd. 31 | Spyros Papapetros (Hg.): Siegfried Ebeling. Space as Membrane. London 2010, S. xvi. 32 | Siegfried Ebeling, zit. hier: Papapetros 2010 (vgl. Anm. 31), S. 34. 33 | Hill 2003 (vgl. Anm. 17), S. 34. 34 | Ebd. 35 | Viele Werke von Lucy Orta betonen das ambivalente Konzept der Körpereinhüllung und machen zum Thema, wie der Körper in einem modernen Verständnis von Wohnung von Schichten umgeben ist. Paul Virilio schreibt in Bezug auf ihre früheren Arbeiten: »[that] after the overcoat there is the sleeping bag, that after the sleeping bag comes the tent, that after the tent comes the container.« Paul Virilio: »Urban Armour«. Hier nach: Lucy Orta Refuge Wear, Paris 1997. 36 | In den frühen 1970er Jahren bezog sich Abraham Moles auch auf die »totality of the material objects that enclose individuals in a personal shell«. Moles bestimmte ihre Beziehung zur Welt als ›design of the setting‹: »the design task is to reconceptualize the various external shells that surround human beings in order that a means of deriving the

The skins we live in greatest possible satisfaction from their position in the world«. Victor Margolin: Design Discourse. History, Theory, Criticism. Chicago 1989, S. 78. 37 | Alina Payne bemerkt: »the concept of continuity between clothes, furniture, interiors, and exteriors (that is, architecture) was certainly ›in the air‹ and lay implicit in so many statements and publications«. Payne 2012 (vgl. Anm. 13), S. 79. 38 | Georges Teyssot: A Topology of Everyday Constellations. Cambridge (Mass.) 2013. 39 | »Clothing is our most intimate environment. What makes it a unique environment is that it is carried everywhere with an individual, creating its own room within a room and its own climate within the larger climate of our surroundings.« Susan Watkins: Clothing. The Portable Environment. Ames 1995, S. xv. Bereits deutlich früher hatte John Carl Flügel in ähnlicher Weise beobachtet, »[that] clothes, like the house, are protective; but, being nearer the body and actually supported on it, they are (unlike the house) portable. With their help we carry – like snails and tortoises – a sort of home upon our backs, and enjoy the advantages of shelter without the disadvantages of becoming sessile«. John Carl Flügel: The Psychology of Clothes. London 1930, S. 83. 40 | Michael Webb, zit. im Online-Archivprojekt zu Archigram. http://archigram.west​ minster.ac.uk/project.php?id=92 (Abruf September 2016).

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Abb. 01: Superstudio, Monumento continuo: River, 1969. © Archivio Superstudio, Florenz.

Das Projekt Il monumento continuo, das die Florentiner Architektengruppe Superstudio zwischen 1969 und 1972 in Bildern und Texten entwickelt hatte, zeichnet sich durch zwei Aspekte besonders aus: Erstens ist es als orthogonale Struktur konzipiert, die endlos über ein Territorium ausgedehnt werden kann. Diese Struktur ist zweitens ausschließlich mit einer weißen Oberfläche verkleidet, die eine dunkle Rasterung aufweist (Abb. 01).1 Wie sich jedoch das Verhältnis zwischen diesem uniformen, hermetischen »Rasterkleid« und dem gestaltet, was dieses »einkleidet«, ist auf den ersten Blick nicht ersichtlich, denn es gibt weder Innenansichten des Monumento continuo, noch existieren Grundrisse, Aufrisse oder Schnitte.2

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Abb. 02: Superstudio, Monumento continuo: St. Moritz, 1969. © Archivio Superstudio, Florenz.

Im folgenden Beitrag werden Hypothesen darüber aufgestellt, was unter der sichtbaren Oberfläche liegen könnte, um davon ausgehend nach der Funktion und Bedeutung des »Rasterkleids« zu fragen. Weiter wird in die hier vorgestellten Überlegungen auch Superstudios Weiterentwicklung des Monumento continuo im Projekt Supersuperficie/La vita einbezogen, da es ebenfalls Elemente enthält, die im Hinblick auf Superstudios Umgang mit den Themen der Raum(be)kleidung und den Kleidern der Menschen aufschlussreich sind.

O berfl äche versus K örper Angesichts der ersten Serie von Photomontagen, welche Superstudio 1969 und 1970 zum Monumento continuo publiziert hatte, kann man einerseits vermuten, dass die weißen, gerasterten Oberflächen innenliegende Räumlichkeiten umfangen (Abb. 02). In einer solchen Konzeption kann der Monumento continuo für die im vorliegenden Band gestellte Thematik der Raumkleider – im Sinne eines raumgenerierenden, raumwirksamen und raumdeterminierenden Elements – einen relevanten Diskussionsgegenstand bilden. Andererseits ist es auch möglich, den Monumento continuo als ein Volumen zu denken, das gänzlich aus einer Rasterstruktur besteht, deren Hohlräume von einem weißen Material unbekannter Beschaffenheit ausgefüllt werden, respektive als einen Körper, der aus massiven weißen Würfeln mit feinen dunklen Kanten

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aufgebaut ist. In diesem Fall wäre es nicht möglich, zwischen einer Oberfläche einerseits und von dieser bekleideten, innenliegenden Strukturen andererseits zu unterscheiden. Dementsprechend gäbe es auch nichts zum hier gestellten Thema der Raumkleider auszuführen. Für die Prüfung der zweiten Hypothese erscheint insbesondere ein Abschnitt aus der Projektfassung von 1971 relevant, die unter dem Titel »Deserti naturali e artificiali« in der Zeitschrift Casabella publiziert wurde. Sie stellt die ausführlichste Version des Projektes dar und ist als Filmstoryboard konzipiert, das sich wie ein Comicstrip liest. Das Storyboard erstreckt sich über vier Druckseiten und ist in insgesamt 10 Abschnitte gegliedert. Im dritten Abschnitt ist vom Würfel (»blocco squadrato«) und seiner Bedeutung für Architektur vor einem breiten historischen Horizont die Rede. Der Würfel stellt gemäß Superstudio nämlich den ersten und letzten Akt in der Ideengeschichte der Architektur dar: »Il blocco squadrato è il primo e l’ultimo atto nella storia delle idee di architettura«3 (Abb. 03). Doch beginnen die Superstudio-Architekten die Überlegungen zum Würfel nicht mit diesem Satz. Vielmehr fangen sie den Abschnitt mit Bezug auf das an, was in der abendländischen Kultur als »Anfang der Anfänge« gelten kann, nämlich mit der ersten biblischen Genesis: »Die Erde war ein Gegenstand ohne Form und leer.«4 Diese Leere wird auf Bildebene durch zwei Zeichnungen dargestellt, die eine Wüste zeigen (Abb. 04).

Abb. 03: Superstudio, Monumento continuo, Ausschnitt aus »Deserti naturali e artificiali. Il monumento continuo. Storyboard per un film«, 1971. Genese des Würfels. Casabella. 358 1971, S. 21-25.

Abb. 04: Superstudio, Monumento continuo, Ausschnitt aus »Deserti naturali e artificiali. Il monumento continuo. Storyboard per un film«, 1971. Entwicklungsstadien des Würfels in der Wüste. Casabella. 358 1971, S. 21-25.

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Auf den unmittelbar anschließenden Vignetten lässt Superstudio einen Würfel aus dem Wüstensand aufsteigen, ein Vorgang, mit dem Gegenständliches erscheint und Form findet. Dieses Heraustreten aus dem disparaten und unverfestigten Material des Sandes ist eine Geste, die sich als Gründungsakt der Architektur im Sinne einer Genese von Form verstehen will. Superstudio begreift den Ursprung der Architektur demnach nicht als prozessuales (Auf-)Bauen, sondern als unmittelbare creatio ex nihilo. Damit privilegiert die Gruppe die Form gegenüber der Funktion. Denn Architektur ist für sie ein »geschlossener [d.h. selbstgenügsamer, M.T.S] und stillstehender Gegenstand, der auf nichts anderes außer sich selbst und den Gebrauch der Vernunft verweist«.5 An dieser Stelle manifestiert sich eine Architekturauffassung, die einen Bezug zu Reflexionen von Hans Hollein und Walter Pichler hat. Diese postulierten 1962 in ihrem Manifest »Absolute Architektur«: »Ein Bauwerk ist es selbst. Architektur ist zwecklos. […] Form folgt nicht der Funktion. Form entsteht nicht von selbst. Es ist die große Entscheidung des Menschen, ein Gebäude als Würfel, als Pyramide oder als Kugel zu machen«.6 Dieser Ansatz bildet ein Strang in Diskursen der 1960er Jahre über die »Autonomie« der Architektur, die durch Aldo Rossi, Oswald Matthias Ungers oder James Stirling geprägt waren.7 Sie forderten »möglichst prägnante und bedeutsame architektonische Formen, die das sich Anpassen unterschiedlichster Funktionen erlauben.«8 Wohlverstanden wird hier nicht der gestalterischen Willkür das Wort geredet. Vielmehr ist »Autonomie der eigenen Disziplin« der Verzicht auf die »Unterordnung unter das Primat von Technik und bauwirtschaftlichen Profitstrebens«9. Ein wichtiger Teil des Ansatzes bildet zudem das »Zurückgreifen auf bereits vorhandene architektonische Typen und Grundformen, die sich über die Jahrhunderte bewährt haben.«10 Der Abschnitt über den Würfel zeugt weiter auch von Superstudios Interesse an (der Geschichte der) architektonischen Ursprungsmythen: »Genau genommen ist unsere Geschichte eine Formalisierungsparabel«11. Dieser Satz beinhaltet außerdem weitere wichtige Aspekte zum Verständnis des Projekts. Es wird als eine »Geschichte« bezeichnet, was verdeutlicht, dass es sich nicht um ein realisierbares Architekturprojekt handelt, sondern um einen fiktionalen Beitrag. Dieser Punkt ist bedeutungsvoll für das Verständnis von Superstudios Ansatz. Nicht minder wichtig ist auch der Ton, in dem der zitierte Satz formuliert ist – und mit ihm die gesamten Manifeste zum Projekt: Die Florentiner Architekten sprechen hier nämlich nicht mit affirmativem Pathos, sondern verwenden eine ironische Rhetorik.12 Dies zeigt sich auch im Satz, der unmittelbar auf den schon zitierten folgt. Darin betonen sie, dass ihre »Geschichte« von »natürlichen und künstlichen Wüsten« handle. Insofern nun Superstudios Würfel (»blocco squadrato«) aus dem Wüstensand ersteht, wird das Projekt Il monumento continuo kurzerhand zu einer künstlichen Wüste erklärt, woran erneut die ironische Dimension des Projekts angezeigt wird.

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Ironie ist eine rhetorische Form, mit der etwas anderes gemeint werden kann als das, was gesagt wird.13 Das eigentlich Gemeinte ist dabei oft das Gegenteil dessen, was explizit gemacht wird. Doch kann Ironie auch auf Gegenstände angewendet werden, die Ideale darstellen.14 Mit dieser Art der Ironie wird die Distanz zum Ausdruck gebracht, die zwischen der unvollkommenen Wirklichkeit und dem uneinholbaren Ideal besteht. Meines Erachtens macht Superstudio im Monumento continuo von beiden Arten der Ironie Gebrauch, was der Gruppe erlaubt, Problematisches zu bezeichnen und zugleich Befürwortetes zu bewahren. Superstudios Ironie führt somit zu einem ambivalenten Ton, der das ganze Projekt durchzieht; je nach Akzentuierung kann entweder zwischen verstärkter Ablehnung oder vermehrter Zustimmung nuanciert werden.15

G eome trie und K ultur Wenn wir uns nun erneut der Frage nach der Beschaffenheit des Monumento continuo zuwenden, so könnte der Abschnitt zur Genese des Würfels zum Schluss führen, dass der gesamte Monumento continuo aus Würfeln besteht. Es ist jedoch auch eine Schlussfolgerung mit etwas anderen Akzenten möglich. Insofern der Würfel einen idealen geometrischen Körper darstellt, kann man darin – gerade im Sinne der »autonomen Architektur« – ein emphatisches Eintreten für prägnante geometrische Formen sehen, Formen, die sich aufgrund intrinsischer Qualitäten abheben und die deshalb in der »Geschichte« überdauert haben. Wenn wir diese Interpretation dem Bildmaterial zum Monumento continuo gegenüberstellen, so sehen wir, dass die verschiedenen Darstellungen des Projekts einen gemeinsamen Nenner in ihrer prägnanten geometrischen Form haben. Die Bedeutung der Geometrie wird bereits in den ersten beiden Abschnitten der Projektfassung von 1971 nachdrücklich hervorgehoben, ja geradezu zur Voraussetzung menschlicher Kulturtechniken gemacht. Dazu führt Superstudio im ersten Abschnitt, der acht Vignetten mit Begleittexten umfasst, Beispiele aus verschiedenen historischen und kulturellen Kontexten an (Abb. 05): In der ersten Vignette wird Johannes Keplers Machina mundi artificialis (1596) zitiert, ein nach den fünf geometrischen Körpern aufgebautes Kosmosmodell.16 Die Vignetten 2, 4 und 5 zeigen verschiedene Vorstellungen des Verhältnisses zwischen Mensch und Geometrie,17 während in der Vignette 3 die grundlegenden Dispositions- und Proportionierungsprinzipien angeführt werden. Diesen abendländischen Ordnungsvorstellungen folgt in der vierten Vignette mit dem Mandala ein asiatisches Kosmosmodell.18 In den Vignetten 7 und 8 ist schließlich eine um 1617 entstandene Zeichnung Robert Fludds angeführt, in der die Analogiebeziehungen zwischen Mikro- und Makrokosmos als Konstellationen von Kreisen dargestellt sind.

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Im anschließenden zweiten Abschnitt folgen in weiteren acht Vignetten Beispiele von Monumentalarchitekturen, die durch Geometrie respektive durch Proportionierungsregeln strukturiert sind und diese wiederum repräsentieren (Abb. 06). Eine erste Kategorie besteht aus Monumenten, die auf geometrischen Elementarformen basieren: Die Anlage von Stonehenge, die Pyramiden von Gizeh, Idealstädte mit quadratischen, kreis- und sternförmigen Grundrissen, die Kaaba und das Vertical Assembly Building.19 Eine zweite

Abb. 05: Superstudio, Monumento continuo, Ausschnitt aus »Deserti naturali e artificiali. Il monumento continuo. Storyboard per un film,« 1971, geometrisch strukturierte Monumentalarchitekturen. Casabella. 358 1971, S. 21-25.

Abb. 06: Superstudio, Monumento continuo, Ausschnitt aus »Deserti naturali e artificiali. Il monumento continuo. Storyboard per un film,« 1971, geometrisch strukturierte Monumentalarchitekturen. Casabella. 358 1971, S. 21-25.

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Kategorie umfasst lineare Bauwerke: Die chinesische Mauer, Aquädukte und Autobahnen, aber auch Dämme und großmaßstäbliche technische Bauwerke. Alle diese angeführten Artefakte exemplifizieren also, dass die Geometrie im Allgemeinen und elementargeometrische Formen im Besonderen die Basis des Monumento continuo in dem Sinne bilden, als er eine prägnante und bedeutungsvolle Form darstellt. Davon ausgehend erscheint es vertretbar, Superstudios Projekt nun nicht als eine aus Würfeln aufgebaute Struktur zu verstehen, sondern die an den Oberflächen sichtbaren Quadrate als (symbolischen) Verweis auf ein konstituierendes Prinzip zu lesen, nämlich auf die Vorrangigkeit der Geometrisierung im entwurflichen Prozess. Dass es sich dabei tatsächlich um eine Oberfläche handelt, die Raum umfängt, lässt sich an der zweiten Serie von Bildern zum Monumento continuo festmachen, die in den Jahren 1970/71 publiziert wurden.20 In einigen dieser Photomontagen ist die gerasterte Oberfläche des Monumento continuo leicht transparent dargestellt und erscheint somit als eine »Hülle«, die einen geometrisierten Raum definiert. Dies lässt es zumindest als möglich erscheinen, dass eine solche Konzeption bereits der ersten Fassung des Projekts zu Grunde gelegt war. Auf einigen der Montagen, die einen transparenten Monumento continuo zeigen, tauchen zudem Menschen auf (Abb. 07). Ihre Kleidung entspricht den Normen des jeweiligen kulturellen Umfeldes und erscheint nicht von den Forderungen nach Geometrisierung und formaler Prägnanz betroffen zu sein. Somit sind Architektur und menschliche Kleidung für die Florentiner unterschiedliche Bereiche menschlichen Gestaltens, die je eigenen Regeln unterstehen.

Abb. 07: Superstudio, Monumento continuo, 1969. © Archivio Superstudio, Florenz.

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Die Hülle, die den Monumento continuo determiniert und einen Raum definiert, soll im Folgenden als Kleid eigener Ordnung aufgefasst werden. Der Begriff Kleid wird hier als Metapher verwendet, die zu weiteren Einsichten über den Monumento continuo führen soll. Dabei möchte ich zuerst auf einige Parallelen eingehen, die zwischen den Kleidern des Menschen im modernen Alltagsgebrauch und einer kleidartig gedachten Oberfläche des Monumento continuo bestehen könnten.

(B e -)K leidungsweisen Die Kleider unseres Alltagsgebrauches sind jeweils an der Peripherie unseres Leibes situiert. Ebenso liegt die Rasterhülle des Monumento continuo peripher, bildet also einem Kleidungsstück ähnlich eine Schicht zwischen Innen und Außen. Doch befindet sich unter der menschlichen Kleidung ein belebter Körper, der sich in seiner Materialität und Vitalität vom umhüllenden Stoff unterscheidet. Dieser Stoff kann – je nach seiner Lage am Körper – diesen in seinen Formen direkt abzeichnen, punktuell modellieren oder gar gänzlich überformen. Aus dem späteren Darstellungen des Monumento continuo muss man hingegen schließen, dass sich unter der Rasterhülle nichts als bloßer Raum befindet. Dieser wird durch die gerasterte Hülle erst und eigentlich konstituiert, so dass es keine Wechselwirkung zwischen einer inneren Entität und deren Verkleidung geben kann. In materieller Hinsicht besteht der Monumento continuo also ausschließlich aus dieser überformenden Oberfläche. Anders gesagt, setzt Superstudio der geometrisierten Form und dem daraus resultierenden Raum ein Monument – wie es im Namen des Projekts schon angesprochen wird. Insofern dieses Monument nun nicht nur als lokales Objekt in Erscheinung tritt, sondern zu einer unendlich kontinuierbaren Struktur anwachsen kann, ist die gerasterte Oberfläche einem »Stoff am Laufmeter« vergleichbar: Der prinzipiell endlose Rasterstoff verweist einerseits auf die maschinelle Produktion von Geweben, die kontinuierlich fortlaufen kann. Andererseits kann Superstudios »Rasterstoff« ähnlich einem textilen Gewebe in einer weiten Bandbreite von Formen gestaltet werden – die Superstudio allerdings dem Grundsatz der Orthogonalität untergeordnet hat. Superstudios Rasteroberfläche ist flächenförmigen textilen Gebilde schließlich auch darin ähnlich, dass diese rechtwinklig verkreuzte Fadensysteme aufweisen.21 Allerdings bleiben uns die Florentiner Architekten Erklärungen schuldig, woraus ihr »Rasterstoff« gefertigt ist – ein Aspekt, der in einer fiktionalen »Architekturgeschichte« vermutlich keine Priorität haben kann. Hingegen erläutert Superstudio im Storyboard von 1971 die Funktion und das Potential dieses gänzlich gleichförmigen Projekts: Dieses erlaube, die Erde für eine zunehmend verarmende

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Abb. 08: Superstudio, Monumento continuo, Ausschnitt aus »Deserti naturali e artificiali. Il monumento continuo. Storyboard per un film«, 1971. Casabella. 358 1971, S. 21-25.

und anwachsende Bevölkerung effizient zu bebauen. Dabei seien ausschließlich die am besten geeigneten Erdbereiche zu wählen, alle übrigen Zonen bleiben frei von baulichen Interventionen.22 Die extrem reduzierte und homogene Gestaltung des Monumento continuo hat für Superstudio jedoch nicht nur pragmatische Gründe, wie eine effiziente, flexible und dadurch ökonomische Bauweise. Vielmehr wird mit dem Monumento continuo auch die Umwelt um 1970 reflektiert, die den Florentiner Architekten zufolge durch »Technik, Kultur und all‹ die unvermeidlichen Imperialismen« zu einem universal gleich strukturierten Kontext »homogenisiert« wird.23 Über zeitgenössische Bedingungen hinaus stellt Superstudio sein »Modell einer totalen Urbanisation« auch in historische Begründungszusammenhänge. Wie wir aus dem Filmstoryboard erfahren haben, bilden Monumentalarchitekturen aller Zeiten und Kulturen den breiten Horizont ihrer Reflexion. Hinsichtlich der unmittelbaren Vergangenheit beziehen sich die Florentiner explizit auf die Entwicklung der Architektur der Moderne (Abb. 08). Entsprechend figurieren die um 1800 entstandenen so genannten Revolutionsarchitekturen als Ausgangspunkte einer Evolution, die im Rationalismus der 1920er Jahre kulminierte und im international style der Nachkriegszeit kodifiziert wurde – wofür auf der Bildebene exemplarisch Etienne-Louis Boullées Kenotaph für Newton, Joseph Paxtons Crystal Palace, Le Corbusiers Ville Contemporaine sowie anonyme Zeilenbauten auf Stützen stehen.24 Mit den referierten Architekten und Projekten teilt Superstudio »die genaue Beachtung rationaler, objektiven Notwendigkeiten verpflichteter Gestaltungsprinzipien, die sich in der geometrischen Strenge und Schlichtheit der Formensprache« zeigen.25 Der Moderne der 1920er Jahre verbunden ist auch die Verwendung

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Abb. 09: Superstudio, Monumento continuo, Ausschnitt aus »Deserti naturali e artificiali. Il monumento continuo. Storyboard per un film«, 1971. Casabella. 358 1971, S. 21-25.

von Rastern sowie das Prinzip der Serialität, die sowohl ästhetisch wie auch konzeptionell wirksam ist. Insbesondere der letztere Ansatz mündet in der Zeit nach 1945 in Praktiken, die in vielen Fällen ästhetisch verarmt und planerisch aufs Banalste reduziert sind: Zu denken ist einerseits an ein epigonales Anknüpfen an das Bauen Le Corbusiers oder Mies van der Rohes, das deren Formensprache auf einen sterilen Stil reduzierte. Andererseits wird die mit dem Wirtschaftswunder der 1950er und 1960er Jahre sich ausbreitende spekulative Architektur, in welcher »modern« erscheinende Gesten gleichsam vorgeblendet sind, zu einem negativen Bezugspunkt. Superstudio reflektiert im Monumento continuo also die ästhetischen, produktiven und problematischen Dimensionen von Prägnanz, Rhythmus und Reduktion. Ihr fiktionales Projekt beinhaltet somit ein dezidiert kritisches Überdenken der aktuellen Situation in der Architektur, die in einen breiten historischen Zusammenhang gestellt wird. Dass dabei auch eine Auseinandersetzung mit bildender Kunst eine Rolle spielt, wird in einem der nachfolgenden Abschnitte des Storyboard explizit gemacht: Dort wird die in der modernen Architektur erreichte Schlichtheit und Abstraktheit der Formensprache durch den parallelen Entwicklungsverlauf in der Malerei ergänzt: Zitiert ist Kasimir Malewitschs Gemälde Schwarzes Quadrat (1915) als exemplarische Form des letztmöglichen Abstrakten (Abb. 09).26 Seit Studienbeginn anfangs der 1960er Jahre hatten sich die Florentiner zudem für zeitgenössische Kunst begeistert. Künstler der Pop Art wie Roy Lichtenstein, Andy Warhol, Tom Wesselmann, James Rosenquist oder Claes Oldenburg interessierten, weil sie Möglichkeiten ausloteten, ihre Kunst von der individuellen Signatur zu befreien. Über Pop hinaus befassten sich die Florentiner auch mit Minimal-Art und Konzeptkunst – der gemeinsame Nenner mit dem Monumento continuo besteht in der reduzierten Formensprache, in Themen wie Serialität und Progression sowie im Fokus auf das Konzept, das gegenüber der Ausführung den Vorrang hat. Im Titel dieses Beitrags wird zudem auch auf das so genannte »all over painting« angespielt, das sich durch die nicht-differenzierte Behandlung

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einer Oberfläche und den Verzicht von bildimmanenten Schwerpunkten auszeichnet, um jedem Bereich der Komposition gleiche Aufmerksamkeit und Bedeutung zu geben. Superstudios uniforme Rasteroberflächen können als eine Übersteigerung dieses Ansatzes in eine komplette Homogenität gesehen werden.27 Über jeden dieser Bezugnahmen müsste man differenziert sprechen.28 In diesem Beitrag soll es jedoch bei Verweisen bleiben, auch im Hinblick auf einen theoretischen Bezug, der hier nur kurz erörtert werden soll. Er besteht zur so genannten Semiologie-Debatte, die im Italien der 1960er Jahre geführt wurde.

N ull zustände Die Semiologie-Debatte hatte eine eigene Intensität an der Architekturfakultät der Universität Florenz. Sie war geprägt durch italienische Protagonisten wie den Literaturwissenschaftler und Schriftsteller Umberto Eco oder den Architekturhistoriker Giovanni Klaus Koenig, die beide in den 1960er Jahren an der Universität Florenz unterrichteten.29 Wesentliche Impulse für die italienischen Diskurse lieferte auch der französische Philosoph und Literaturkritiker Roland Barthes. Im Zusammenhang mit der Diskussion über die höchst reduzierte Gestaltung der gerasterten Oberfläche ist Barthes Text Le degré zéro de l’écriture, der 1953 erschienen ist und 1954 unter Il grado zero della scrittura auf Italienisch vorlag, besonders aufschlussreich.30 Insbesondere was Barthes über die spezifische Schreibweise31 moderner Autoren der 1940er und 1950er Jahre sagt, ist für den Monumento continuo interessant. So zeigt sich nach Barthes bei Autoren wie Maurice Blanchot, Albert Camus, Raymond Queneau oder Alain Robbe-Grillet eine Tendenz zur Überwindung der »Schreibweise« überhaupt, ein Streben nach dem »degré zéro«, dem »Nullzustand« der Literatur. Dieser »Nullzustand« besteht, so Barthes weiter, in einer traditionslosen Unmittelbarkeit der Sprache, gleichsam einer Neutralität. Diese ist jedoch nicht realisierbar, sondern stellt eine Utopie dar, auf welche sich das Schreiben ausrichtet. Realisierbar ist nur eine fortdauernde Negierung, um die jeweils aufgestellten formalen Werte zu zerbrechen. Auch Superstudio steuert auf eine Art »Nullniveau« zu: Mit dem Monumento continuo lassen sie ihre Formensprache durch eine systematisch betriebene Reduktion gegen das »Nichts« im Sinne einer neutralen oder »Nicht«Form tendieren; die extrem reduzierte Form des Rasters verweist also auf ein formales »Nichts«.32 Diese Deutung stützt sich aber nicht nur auf den formalen Befund der Zeichnungen und Photomontagen, sondern auch auf die in diesem Zusammenhang verwendete Begrifflichkeit der Architekten.

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Superstudio hat die Tendenz zu einer Schreibweise am »Nullpunkt« bereits vor dem Monumento continuo-Projekt in vorgängigen Manifesten als Voraussetzung festgelegt, etwa in den 1969 entstandenen Istogrammi d’architettura. Dort stellt die Gruppe ihre Arbeitssituation und eine darin begründete Vorgehensweise dar, die in einem umfassenden Reduktionsprozess besteht: »Häuser, Möbel und Objekte zu entwerfen war weder die Lösung der Wohnnoch der Lebensprobleme und diente noch weniger der Rettung der Seele«.33 Keine »beautification« oder Kosmetik reicht für Superstudio aus, um die Schäden der Zeit, die Irrtümer des Menschen und die Bestialität der Architektur zu kurieren. Folglich geht es für die Florentiner darum, die Theorie des geringsten Aufwands »in einem generellen Reduktionsprozess« anzuwenden: »in un processo riduttivo generale.«34 Dieser Reduktionsprozess führt zu einem »disegno unico« genannten Entwurfsprinzip, einem bloßen Gitterwerk und damit einer Form des Dreidimensionalen, die nicht mehr weiter reduzierbar ist. Dass dieser Prozess auf einen Moment zuläuft, der als eine Art »Nullpunkt« gedacht wird, kommt am Ende des Manifests in einer Metapher zum Ausdruck: »Gli istogrammi si chiamavano anche ›Le Tombe degli Architetti‹.«35

J enseits der O berfl äche Mit dem Gitterwerk ist eine Grundlage geschaffen, die im Monumento continuo in eine Rasteroberfläche überführt wird und ab 1972 auch Möbel »einkleidet« (Abb. 10). Im selben Jahr wird die Arbeit am und mit dem Raster im Filmprojekt La Vita/Supersuperfice vorangetrieben. Dieses Projekt, zu dem auch ein Storyboard publiziert wird, stellt eine weiterentwickelte Variante des Monumento continuo dar, die für die Ausstellung Italy: The New Domestic Landscape im New Yorker Museum of Modern Art entworfen wurde.36 Auch hier ist ein architektonischer Nullpunkt in den Blick genommen, lautet doch die Überschrift zu Superstudios Beitrag im Ausstellungskatalog: »A short moral tale on design, which is disappearing«.37 Im nachfolgenden Text wird ein weiterer Reduktionsschritt propagiert. Fortan soll gänzlich auf eine volumetrisch-körperliche Architektur verzichtet und somit das dreidimensionale »Rasterkleid« auf zweidimensionale, rechtwinklig verlaufende Rasterfläche reduziert werden. Dabei bilden die Linien des Rasters Bahnen, die den Menschen mit allem Lebensnotwendigen versorgen, um ihm ein Leben in existenzieller Freiheit zu ermöglichen: »Wir können uns ein Energie- und Informationsnetz vorstellen, dass in jedes bewohnbare Gebiet ausgedehnt wird und das befähigt ist, ein von Arbeit befreites Leben einer neuen (weiterentwickelten) Menschheit zu unterstützen.«38 Dass hier eine utopische Fiktion verhandelt wird, kommt in folgenden Aussagen zum Ausdruck: »Dieses Netz [ist] durch eine kartesianische

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rechtwinklige Oberfläche dargestellt, die natürlich nicht im materiellen Sinn zu verstehen ist, sondern einzig als eine visuell-verbale Metapher der geordneten und rationalen Ressourcenverteilung.«39 Auch die kritische Haltung, die Superstudio schon mit dem Monumento continuo demonstriert hat, wird hier wieder eingenommen, wenn die Gruppe ihr Filmprojekt als »Visualisierung

Abb. 10: Superstudio, Möbelserie Misura, ab 1969. © Archivio Superstudio, Florenz.

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Abb. 11: Superstudio, La vita/Supersuperficie: L’isola felice, 1972. © Archivio Superstudio, Florenz.

Abb. 12: Superstudio, La vita/Supersuperficie: Pulizia di primavera, 1972. © Archivio Superstudio, Florenz.

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einer kritischen Haltung gegenüber (oder einer Hoffnung für) Entwurfsaktivitäten« bezeichnen.40 In La vita/Supersuperficie gibt es auch aufschlussreiches zu Menschen und ihren Kleidern zu sehen, sind doch Männer, Frauen und Kinder auf vielen von Superstudios Bildern präsent. Als moderne Nomaden, die sich vom Materiellen abwenden, um das Ideelle zu privilegieren, sind sie von zunehmend weniger Gütern begleitet. So bildet die Frau, die einen Garderobenständer, Haushaltgeräte und weitere Unentbehrlichkeiten einer Dame mit sich führt, einen Kontrast zu den Vielen, die mit wenigen Konsumgütern unterwegs sind (Abb. 11). Dementsprechend ist auch die Kleidung dieser Menschen zumeist einfach gehalten und zeigt ihrerseits die Tendenz zum »Verschwinden«. Etwa trägt das Mädchen auf der Photomontage Pulizia di primavera (Frühlingsputz, 1972) ein schlichtes weißes Kleid und ist bereits damit beschäftigt, die Güter der Zivilisation wegzufegen (Abb. 12). Im Bild La frutta e il vino (Früchte und Wein, 1972) stehen nicht mehr Objekte des Lifestyle im Zentrum, sondern primäre Bedürfnisse wie die Ernährung und menschliche Interaktionen (Abb. 13). Gleichsam in Entsprechung dazu sind einige Teilnehmer dieses Picknicks auch nur spärlich bekleidet. Dieser Prozess scheint in der Photomontage Accampamento (Camping, 1972) zu kulminieren, wo sich eine ganze Familie ohne Kleidung vor einem rudimentären Unterschlupf versammelt hat (Abb. 14). Alle Bereiche des Design, von der Architektur bis zur Mode, scheinen dem utopischen »Nullpunkt« so nahe wie kaum zuvor. Der Umstand, dass das behelfsmäßige Zelt der Familie an die Iglus des italienischen Künstlers Mario Merz erinnern, die dieser seit 1968 in verschiedensten Varianten gestaltet hat, soll unsere Aufmerksamkeit zum Schluss noch auf einen weiteren Aspekt lenken. Auch bei Merz’ Konstruktionen, die den Florentiner Architekten bekannt waren, geht es um die Themen der Urhütte, des Nomadismus, der Bedeutung der Sippschaften und der elementaren Bedürfnisse. Darüber hinaus geht es aber auch um das Erschaffen von Artefakten. Superstudio vermerkt im Zusammenhang der Accampamento-Collage: »Es besteht keinerlei Bedürfnis nach einem Obdach, denn die klimatischen Bedingungen und die körperlichen Mechanismen der Wärmeregulierung wurden [durch die Rasteroberfläche, M.T.S.] verändert, um so einen umfassenden Komfort zu garantieren. Höchstens macht man spaßeshalber einen Unterschlupf, um Haus zu spielen, ja um Architektur zu spielen.«41 Mit diesem Satz wird grundsätzlich das elementare menschliche Bedürfnis nach Spiel thematisiert, aber auch das Spiel als kreativen Akt, aus dem ein (ästhetisches) Artefakt resultiert. Die Werke der Florentiner, für die an diesem Punkt stellvertretend das Zelt steht, wie auch die Iglus von Merz sind ästhetische Artefakte, deren Bedeutung über die historische und kulturelle Aktualitäten hinaus reichen. Superstudios bildreiche »Geschichten« über drei- und zweidimensionale Oberflächen zeugen

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Abb. 13: Superstudio, La vita/Supersuperficie: La frutta e il vino, 1972. © Archivio Superstudio, Florenz.

Abb. 14: Superstudio, La vita/Supersuperficie: L’accampamento, 1972. © Archivio Superstudio, Florenz.

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dementsprechend von der überdauernden und uneinholbaren Bedeutung des Poetischen.

A nmerkungen 1 | Der Monumento continuo war als Ausstellungsbeitrag für die Biennale trigon entworfen worden, die im Herbst 1969 in Graz stattfand. Siehe Superstudio: »Modell einer totalen Urbanisation«. In: Trigon ’69, Katalog der Ausstellung Biennale Graz. Graz 1969, o.S. (1969a). Dies.: »Lettera da Graz«. In: Domus. Nr. 481 1969, S. 49-54 (1969b). 2 | Im Ausstellungskatalog der trigon wird das Projekt im Oktober 1969 unter dem Titel »Architektonisches Modell einer totalen Urbanisation« zunächst in deutscher Sprache veröffentlicht. Im selben Jahr erscheint es in der Dezemberausgabe der Zeitschrift Domus. 481, S. 44-45 (1969c), unter dem Titel »Superstudio: Discorso per immagini«, nun in italienischer Sprache, mit leicht verändertem Bildmaterial und gekürztem Manifest. In voller Länge wird die italienische Version veröffentlicht unter: »Da: ›Il Monumento Continuo‹ un Modello Architettonico di Urbanizzazione Totale – 1969«. In: Adolfo Natalini (Hg.): Superstudio. Storie con figure 1966-73, Katalog der Ausstellung in der Galleria Vera Biondi. Florenz 1979, S. 9 (Superstudio 1979a). Weiterentwicklungen des Projekts erscheinen unter »Superstudio«, in: Architectural Design 4 (1970), S. 171-172. Superstudio: »Deserti naturali e artificiali. Il monumento continuo. Storyboard per un film«. In: Casabella 358 (1971), S. 21-25 (Superstudio 1971a). Wieder abgedruckt in: Natalini 1979, S. 10-21 (Superstudio 1979b). Siehe auch: Marie Theres Stauffer: Figurationen des Utopischen. München 2008. Peter Lang/William Menking: Superstudio. Life without objects. Mailand 2003. Gianni Pettena (Hg.): Superstudio 1966-1982. Storie – figure – architettura. Florenz 1982. 3 | Superstudio 1971a (vgl. Anm. 2), S. 1819. 4 | »17. Dalla Genesi: ›In principio Iddio creò il cielo e la terra, la terra era una cosa senza forma e vuota.‹« Im Wüstensand findet nach Superstudio auch die »Geschichte« (storia) ihr Ende. So fährt die Gruppe fort: »E poi dall’Appocalisse: ›La città era un quadrato, e la sua lunghezza era uguale alla sua larghezza‹. Tutta la storia sta tra il caos e l’architettura.« Mit dem anschliessenden Bild und Text erfolgt die Genese des »blocco squadrato«. Superstudio 1971a (vgl. Anm. 2)., S. 18. 5 | »L’architettura diviene un oggetto chiuso e immobile che non rimanda ad altro se non a se stesso e all’uso della ragione.« Superstudio 1971a (vgl. Anm. 2), S. 19. 6 | Hans Hollein/Walter Pichler: »Absolute Architektur« (1962), wieder abgedruckt in: Ulrich Conrads (Hg.): Programme und Manifeste. Gütersloh 1964, S. 174-175. 7 | Aldo Rossi: Die Architektur der Stadt. Skizze zu einer grundlegenden Theorie des Urbanen. Düsseldorf 1973 (Originalfassung in Italienisch, 1966 publiziert). Ders.: »Introduzione«. In: Ezio Bonfati u.a. (Hg.): Architettura Razionale. 15-a Triennale di Milano. Sezione internazionale di architettura. Mailand 1973, S. 13-60, Collana di architettura ARC 1. Siehe auch Oswald Matthias Ungers/Reinhard Gieselmann: »Zu einer neuen

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Marie Theres Stauffer Architektur« (1960). Wieder abgedruckt in: Ulrich Conrads: Programme und Manifeste. Gütersloh 1964, S. 158-159. Für die Debatte war nicht zuletzt die Relektüre der Utopien Claude Nicolas-Ledoux und Charles Etienne Boulées wichtig, die auch durch Emil Kaufmanns Buch Von Ledoux bis Le Corbusier. Ursprung und Entwicklung der autonomen Architektur (1933) geprägt war. 8 | Thomas Listl: Gegenentwürfe zu Moderne: Paradigmenwechsel in Architektur und Design, 1945-1975. Köln 2014, S. 231. Siehe auch Rossi 1973 (vgl. Anm. 7), S. 174. Sowie Ingo Bohning: »Autonome Architektur« und »partizipatorisches Bauen«: Zwei Architekturkonzepte. Basel 1981. 9 | Listl 2014 (vgl. Anm. 8), S. 230. 10 | Listl 2014 (vgl. Anm. 8), S. 231. 11 | »La nostra storia è appunto una parabola di formalizzazione«. Superstudio 1971a (vgl. Anm. 2), S. 18. 12 | Die Ironie wird ausführlich untersucht in Stauffer 2008 (vgl. Anm. 2), S. 103-122. 13 | Siehe Stauffer 2008 (vgl. Anm. 2), S. 106-109. Ernst Behler: Ironie und literarische Moderne. München u.a. 1997. Ders: »Ironie«. In: Gert Ueding (Hg.). Historisches Wörterbuch der Rhetorik, Bd. 1, Tübingen 1992, S. 599-624. Uwe Japp: Theorie der Ironie. Frankfurt a. M. 1992 (1983). Beda Allemann. Ironie und Dichtung, Pfullingen 1969. 14 | Siehe Stauffer 2008 (vgl. Anm. 2), S. 110-122. Ernst Behler: Klassische Ironie, Romantische Ironie, Tragische Ironie, Darmstadt 1972. Ingrid Strohschneider-Kohrs: Die romantische Ironie in Theorie und Gestaltung, Tübingen 1977. 15 | Superstudio 1971a (vgl. Anm. 2), S. 18. 16 | Superstudio 1971a (vgl. Anm. 2), S. 22, 1. Dargestellt ist ein seitenverkehrt gezeichneter Ausschnitt aus Keplers Machina mundi artificialis, in Prodromus Dissertationum Cosmographicum continens Mysterium Cosmographicum […], Tübingen, 1596. 17 | Superstudio 1971a (vgl. Anm. 2), S. 22, 2.; siehe etwa Frank Zöllner: Vitruvs Proportionsfigur. Worms 1987. 18 | Zum »Mandala«: in Superstudio 1971a (vgl. Anm. 2), S. 22, 4. 19 | Superstudio 1971a (vgl. Anm. 2), S. 22, 9.–12.. Die »quadrat-, kreis- und sternförmigen Städte« sind genannt in Superstudio 1969a (vgl. Anm. 1), S. 44. »Vertical Assembly Building (V.A.B.)« hieß eine Montagehalle in Cape Canaveral, in welcher die Rakete der ersten bemannten Mondlandung erbaut wurde. 20 | Siehe Superstudio 1970 (vgl. Anm. 2), S. 171-172. Superstudio 1971a (vgl. Anm. 2), S. 22. 21 | »[U]na [sic] architettura unica da prolungare su tutta la terra, un’architettura capace di dar forma a tutta la terra o a una sua piccola parte, un’architettura riconoscibile (anche da extraterrestri) come prodotto di civilità.« Superstudio 1979a (vgl. Anm. 2), S. 9. »Il monumento continuo è il polo estremo di una serie di operazioni progettuali incentrate sull’idea del »disegno unico», un disegno che si trasporta da un’area all’altra, rimanendo immutato: un’immagine impassibile e inalterabile la cui statica perfezione muove attraverso l’amore che fa nascere per sé.« Superstudio 1971a (vgl. Anm. 2), S. 25.

Overall all over 22 | Superstudio 1971a (vgl. Anm. 2), S. 21. 23 | »[L]a terra resa omogenea dalla tecnica, dalla cultura e da tutti gli inevitabili imperialismi.« Superstudio 1969c (vgl. Anm. 2), S. 44. In der 1979 wiedergedruckten Version steht »tutti gli altri imperialismi.« Superstudio 1979a (vgl. Anm. 2), S. 9. 24 | Superstudio 1971a (vgl. Anm. 2), S. 23, 36.–39. Das Interesse an Boullée und Ledoux war in italienischen Architektenkreisen der 1960er Jahre groß. Für Superstudio besonders bedeutungsvoll war, dass Aldo Rossi 1967 Boullées Buch Architecture. Essai sur l’art (ca. 1793) auf italienisch übersetzt und mit einer Einführung publiziert hatte (Etienne-Louis Boullée: Architettura. Saggio sull’arte. Übersetzt und eingeführt von Aldo Rossi. Padua 1967). 1973 erschien Emil Kaufmanns Studie Von Ledoux bis Le Corbusier. Ursprung und Entwicklung der autonomen Architektur (1933) in italienischer Übersetztung: Da Ledoux a Le Corbusier. Origine e sviluppo dell’architettura autonoma. Mailand 1973. 25 | Listl 2014 (vgl. Anm. 8), S. 231. Listl selber spricht hier vom Bezug zwischen der (neo-)rationalen Architektur der 1960er Jahre und dem Rationalismus der 1920er Jahre. 26 | Superstudio 1971a (vgl. Anm. 2), S. 24, 41.–42. 27 | Siehe etwa Helen A. Harrison: Jackson Pollock. London 2014. Michael Morris: Ad Reinhardt. London 2008. Robert Carleton Hobbs: Lee Krasner. New York 1999. 28 | Zu Superstudios Auseinandersetzung mit Pop-Art siehe Stauffer 2008 (vgl. Anm. 2), S. 149-182. 29 | Die Mitglieder Superstudios waren damals Studenten oder Assistenten am Florentiner Architekturdepartement und hatten Eco und König persönlich erlebt. Gespräche der Autorin mit ehemaligen Mitgliedern der Gruppe, Florenz, Oktober 2001. Siehe Umberto Eco: Opera aperta. Mailand 1962. Ders.: La struttura assente. Mailand 1968. Ders.: Segno. Mailand 1973. Ders.: Trattato di semiotica generale. Mailand 1975. Giovanni Klaus Koenig: Architettura e comunicazione. Preceduta da elementi di analisi del linguaggio architettonico. Florenz 1970. 30 | Roland Barthes: Il grado zero della scrittura. Turin 1954. Der Bezug zu Barthes wird ausführlich analysiert in in Stauffer 2008 (vgl. Anm. 2), S. 86-88. 31 | Nach Barthes besteht Schreibweise grundsätzlich im selbstreflexiven Moment eines literarischen Werkes. Dieses Moment sei weder mit dem Begriff der Sprache noch jenem des Stils zu fassen. Denn mit dem Begriff der Sprache meint Barthes das System Sprache, das verfügbar und allen zugänglich ist, während er dem Stil die Bedeutung einer individuellen Ausdrucksweise zuschreibt, die persönlich, subjektiv und in diesem Sinne unbewusst ist. Dem gegenüber ist Schreibweise eine »Form als Wert«: Sie ist intentional, denn sie entsteht aus der dezidierten und reflektierten Wahl eines Tones, eines Ethos, einer formalen Realität. Schreibweise bezeichnet also das spezifische literarische Engagement einer Autorschaft mit einer signifikant politischen Dimension, die sich in der Art und Weise des erzählerischen, literarischen oder gestaltenden Umgangs mit einem Gegenstand manifestiert. Siehe Roland Barthes: Le degré zéro de l’écriture, Paris 1953. Die Übersetzung von »écriture« mit Schreibweise richtet sich nach der

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Marie Theres Stauffer deutschsprachigen Ausgabe, siehe ders.: Am Nullpunkt der Literatur. Übers. v. Helmut Scheffel. Frankfurt a. M. 1985. 32 | Es wäre falsch, hier zu fordern, dass die konsequente »Nicht-Form« in einer Darstellung zu bestehen hätte, die »Nicht(s)« (mehr) wäre. Eine solche »Nicht«-Darstellung würde gleichsam in der Homogenität des »Nichts« versinken und so dem thematischen Kontext entfallen. Um also das »Nichts« in einem spezifischen Diskussionszusammenhang anzusprechen, wie hier dem der Reduktion des Formalen auf das »Nichts« hin, muss mit der Verweisform operiert werden. 33 | »In quegli anni poi divenne molto chiaro che continuare a disegnare mobili oggetti e simili casalinghe decorazioni non era la soluzione dei problemi dell’abitare nemmeno di quegli della vita e tantomeno serviva a salvarsi l’anima.« Superstudio: »Istogrammi d’architettura«. In: Domus. 497 (1971), S. 46 (1971b). Die Datierung vor den monumento continuo stammt von den Architekten. Siehe Adolfo Natalini: »Ricerce, progetti e realizazioni principali.« In: Natalini 1979 (vgl. Anm. 2), S. 91. Bei der Veröffentlichung der Istogrammi in Domus wurde das Manifest nicht gedruckt; hier wird nach dem Wiederabdruck von 1979 zitiert, siehe Superstudio: »Istogrammi d’architettura«. In: Natalini 1979 (vgl. Anm. 2), S. 7 (Superstudio 1979c). 34 | »Diviene anche chiaro come nessuna beautificazione o cosmesi era bastante a rimediare i danni del tempo, gli errori del uomo e le bestialità dell’architettura … Il problema quindi era quello di distaccarsi sempre più da tali attività del design adottando magari la teoria del minimo sforzo in un processo riduttivo generale.« Superstudio 1971b (vgl. Anm. 29), S. 46. 35 | Superstudio 1979c (vgl. Anm. 29), S. 7. 36 | Zugleich bildet »Supersuperficie« den Ausschnitt »Vita« aus Superstudios Filmprojekt über die Atti fondamentali. Siehe »Gli atti fondamentali della vita. Cinque storie: Vita.« In: Casabella. 367 1972, S. 15-26. Es folgten die Publikationen zum Thema »Educazione 1« (1972), »Educazione 2»(1972), »Ceremonia« (1973), »Amore« (1973) und »Morte«. »La vita/Supersuperficie« wurde zudem wieder abgedruckt in: Natalini 1979 (vgl. Anm. 2), S. 43-86 (Superstudio 1979d). 37 | Dass hier der Begriff des »design« steht, kann auf zweierlei Weisen verstanden werden. Zum einen bezeichnet er im Sinne von »disegno« den Entwurf überhaupt, von der Stadtplanung bis zum Kleinobjekt. Anderseits wird er aber im spezifischen Kontext dieser Ausstellung verwendet, die der italienischen Produktegestaltung, dem »industrial« respektive »product design« gewidmet war. 38 | »Possiamo immaginare una rete d’energia ed informazioni estesa ad ogni area abitabile e capace di divenire il supporto per una vita libera dal lavoro di una nuova (potenziata) umanità.« Superstudio 1979d, S. 46 (vg. Anm. 36). 39 | »Nel modello, questa rete è rappresentata da una superficie cartesiana squadrettata, che naturalmente non è da intendere nel suo senso fisico, ma solo come una metafora visivo-verbale di distribuzione ordinata e razionale delle risorse.« Superstudio 1979d (vgl. Anm. 36), S. 46 u. 48. Dieser Text wurde erstmals in englischer Sprache veröffentlicht, siehe Superstudio: »Description of the Microevent/Microenvironment«.

Overall all over In: Emilio Ambasz (Hg.): Italy: The new domestic landscape, Katalog zur Ausstellung, Museum of Modern Art, New York u.a., 1972, S. 242: »We can imagine a network of energy and information extending to every properly inhabitable area. Life without work and a new ›potentialized‹ humanity are made possible by such a network. (In the model, this network is represented by a Cartesian ›squared‹ surface, which is of course to be understood not only in the physical sense, but as a visual-verbal metaphor for an ordered and rational distribution of resources.)« Die Übersetzung unternahm Francis Brunton, die Ehefrau Adolfo Natalinis, weshalb davon ausgegangen werden kann, dass der Wortlaut den Intentionen der Architekten in hohem Maße entspricht. Die später publizierte italienische Version weist denselben Gehalt auf, aber die Satzordnung wurde verändert. 40 | »[…] è la visualizzazione di un atteggiamento critico verso (o una speranza per) l’attività progettuale […].« Superstudio in: Natalini 1979 (vgl. Anm. 2), S. 46. 41 | »Non c’è nessun bisogno di ripari, poiché le condizioni climatiche e i meccanismi corporei di termoregulazione sono stati modificati così da garantire un comfort totale. Tutt’al più si fa un riparo per gioco, per giocare alla casa, anzi per giocare all’architettura.« Superstudio 1979d (vgl. Anm. 36), S. 47.

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Welten und Gegenwelten

Das Kleid zum Raum, der Raum zum Kleid Perspektiven und Positionen in Zeiten der Wende. Bruno Taut in Deutschland und Japan Manfred Speidel

Im Herbst 1923, am Höhepunkt der Inflation in Deutschland, als nichts mehr gebaut werden konnte, schrieb Bruno Taut das Buch Die neue Wohnung, das 1924 erschien.1 Nach 10-jähriger, durch den Krieg unterbrochener Tätigkeit im Siedlungsbau von Gartenstädten und nach drei Jahren als Stadtbaurat in Magdeburg, kam er zu der Überzeugung, es lohne sich erst wieder Siedlungen zu planen und Häuser zu bauen, wenn der einzelne Bewohner »in seinen Wänden räumliche Verpflichtungen kennt«, das heisst, wenn die Frage der Wohnung durchgearbeitet und den Menschen bewusst gemacht wurde. In gewisser Weise waren Taut die Architekten der niederländischen Bewegung De Stijl, die er bei Vorträgen 1923 kennen gelernt hatte, aber auch das seit 1919 von Walter Gropius geleitete Bauhaus in Weimar Vorbild. Sie hatten in Ausstellungen und Publikationen bereits Vorschläge zu neuer Architektur gemacht, stofflich und geometrisch radikal durchgestaltete Innenräume und Möbel präsentiert und mit Farben einen neuen Stil der Abstraktion und gar eine neue Art von Gesamtkunstwerk propagiert.2 Bruno Taut stand den Ergebnissen in Holland und Weimar, die er in seinem Buch Die neue Wohnung als gute Beispiele zeigte, insofern skeptisch gegenüber, als er in ihnen einen neuen Formalismus erkannte. Er wollte andererseits den Kollegen nicht nachstehen und mit dem Buch einen eigenen Beitrag zur Reform des Wohnraumes leisten, ihn grundsätzlicher angehen und tiefer begründen.

D er M ensch soll im R aum dominieren Tauts Vorstellungen vom Wohnen hatten sich bis 1923 stark gewandelt. Seine nach der Hochzeit 1906 in Stuttgart eingerichtete Mietwohnung (Abb. 01) hatte noch alle bürgerlichen Merkmale der Wohnlichkeit, die Taut in

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Abb. 01: B. Taut. Wohnraum in Stuttgart, 1906, Pastell. Taut Sammlung, Baukunstarchiv der Aka­ de­mie der Künste, Berlin.

einer Pastellskizze festgehalten hatte: farbig gestrichene oder tapezierte Wände geschmückt mit selbstgemalten Landschaftsbildern, Perserteppich, ZierTischdecke mit Blumenstrauß, geraffte Gaze-Vorhänge, Blumentöpfe auf der Fensterbank, ein mächtiger Tisch mit gedrechselten Beinen, dominant in der Mitte des Zimmers, und Biedermeier-Stühle bestimmen das Bild der Einrichtung. Selbst entworfen war lediglich das Sofa. Die Frau am Fenster in knöchellangem Kleid und dem aufgesteckten Haar, Tauts Ehefrau Hedwig, wirkt wie »Teil« der Möblierung. Tauts Neue Wohnung im Jahr 1923 wendete sich zunächst gegen die überfüllten Wohnräume der bürgerlichen, bemittelten Schichten der Gründerzeit,3 welche wie Möbellager, Bildergalerien und Büchersammlungen eher zum Versteckspielen als zum Wohnen einluden. Auch Tauts Wohnung von 1906 erscheint in diesem Sinne als weitaus zu voll eingerichtet. Das neue Wohnideal sollte andererseits keine »moderne« Raumkunst à la Bauhaus oder im Sinne des De Stijl, sondern – wenn man den Vergleich erlauben möchte – so etwas wie ein schlichter Garten sein, der von zuviel Gestaltung wie auch von wuchernden Pflanzen radikal befreit wurde. Sinnlose Möbel und Wanddekora-

Das Kleid zum Raum, der Raum zum Kleid

Abb. 02: Umgestaltung eines bürgerlichen Wohnzimmers, aus: Taut 1928 (vgl. Anm. 1), Abb. 44.

tionen, das ist Tauts These, zerstören den architektonischen Raum, und der ist für ein anständiges Zusammenleben notwendig. Den vorhandenen und durchweg soliden Möbeln der bürgerlichen Wohnräume sollen nun lediglich die überflüssigen Ornamente abgenommen werden. Sie erhalten ihre »Urform« zurück (Abb. 02). Zierborde und Bilder werden von den Wänden abgenommen, die Aufsätze von den Schränken entfernt und die Räume so »ausgelichtet«, dass die Möbel nicht höher als die Köpfe der Sitzenden aufragen, die dann wieder »freier« atmen können. Die kahlen Wände und Decken werden farbig gestrichen, ohne Ansprüche auf abstrakte Malerei zu stellen, damit sie für das Auge zusammengeführt werden. Die Räume erscheinen nun größer, die Menschen, die sitzen oder stehen, treten deutlicher hervor. Das »Neue«, dem sich Taut in einem historischen Rückblick des zweiten Kapitels versichern will, ist ein »Altes« und – so stellt Taut es dar – ein überall auf der Welt Gültiges: die Reinheit der Raumgestaltung lässt den Menschen zur Hauptsache werden. Die kahlen italienischen Räume in den Malereien des 15. Jahrhunderts (Abb. 03), sind mit wenigen Kästen als Bänke, Podeste und

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Abb. 03: F. Pesellino, Wunderheilung, Schlafzimmer in Florenz um 1450, aus: Taut 1928 (vgl. Anm. 1), Abb. 15.

Truhen wie auf einer Theaterbühne so arrangiert, dass das Augenmerk auf das Geschehen, auf die dargestellten Heiligen oder die vollzogenen Wunder gerichtet ist, so dass man sagen kann: Der Mensch dominiert im Raum. Das scheint Tauts wichtigstes Anliegen für die »neue« Wohnung zu sein. Er hebt in den historischen Bildern die »klar gebauten Räume ohne jeglichen formalen Aufwand« hervor, die »mit äußerster Strenge nur räumlich mit Fußboden, Decke und Wänden gestaltet« sind.4 Taut will sagen: Der Mensch ist das Wesentliche in ihnen. Um seine Position zu belegen, bleibt Taut nicht in Europa. Er sucht Weltvergleiche (Abb. 04). Das bedeutet auch, dass er allen Kulturen eine gleichartige Anschauung zusprechen möchte. Er versucht dies anhand von Bilddarstellungen, kann aber nicht aus eigener Erfahrung argumentieren; seine wenigen Reisen blieben bis 1933 auf das nördliche Europa beschränkt. Taut hatte allerdings bereits 1917 bei der Erarbeitung seines Buches Die Stadtkrone5 Beispiele aus dem Orient, aus Indien, Indochina und dem Fernen Osten gesammelt und in der Durchmischung der Bilder mit den europäischen Hochleistungen ihre Ebenbürtigkeit behauptet. Die Auswahl der Wohnräume, die Taut hier zusammenstellt, mag dieselbe Intention haben, aber es überrascht doch, wenn er vor den italienischen Beispielen ein Wohnhaus in Bagdad zeigt. Auf der Buchseite erscheint so oben ein Bild aus Bagdad, unten eine Darstellung aus Florenz.6 Zwar sind die Wohnsitten, welche auf die Gestaltung der Räume eingewirkt haben, wie Taut betont, zum Beispiel im Orient völlig andere, aber die »eigentliche Raumauffassung ist überall gleich.« Der klimatisch bedingte hohe Raum des orientalischen Hauses werde nicht durch kleinliche Möblierung gestört. »Höchstens Gelegenheitsmöbel, Diwane und dergl. sind hier denkbar Aus der vorwiegend liegenden Körperhaltung des Orientalen im Zimmer ergibt sich eine besonders reiche Ausstattung der Decke«,7 zum Besipiel eine Holzvertäfelung mit Spiegelornamenten. Die kahlen, weiß getünchten Wände lenken das Auge des Ruhenden nicht ab, sondern sammeln sie.

Das Kleid zum Raum, der Raum zum Kleid

Abb. 04: oben: Wohnzimmer in Bagdad, Decke und Wände; unten: Palazzo Davanzati in Florenz, Zimmer im 2. Stock, aus: Taut 1928 (vgl. Anm. 1), Abb. 9-11.

D er bekleide te M ensch soll mit dem R aum harmonieren Nach den Bildern aus Italien, die eine »vergangene Epoche« darstellen, leitet Taut unvermittelt zu einer ausführlicheren Beschreibung der, wie er betont, »noch lebendigen Wohnkultur in Japan« über (Abb. 05). 8 Das mag den Leser überrascht haben, da er sicherlich japanische Räume nur klischeehaft vor Augen gehabt haben dürfte. Dem Architektur-Leser war allerdings 1922 ein großes »neu gebautes, japanisches Wohnhaus« in der Zeitschrift Wasmuths Monatshefte für Baukunst mit einer Serie von zwölf Fotos, aber ohne Erläuterungen, in krassem Kontrast zu deutschen expressionistischen Innenräumen gezeigt worden.9 Erst im folgenden Jahr, im März 1923, brachte die Zeitschrift Qualität einen euphorisch beschwingten Kommentar zu vieren der Fotos.10 Zudem wurde im September

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Abb. 05: Shinden des Sanboin, Daigoji, Kyoto, Ende 16. Jahrhundert, aus Taut 1928 (vgl. Anm. 1), Abb. 19.

1923, nach dem großen und verheerenden Erdbeben in Tokyo und Umgebung, die Realität des japanischen Holzbaus auch dem Zeitungsleser vor Augen geführt.11 Aus Tauts ausführlicher Beschreibung nehme ich nur einige Zeilen heraus, um seine ungewöhnliche Sichtweise herauszuheben. Die Verwandelbarkeit des Holzskelettbaus vom verschließbaren, in viele Räume unterteilbaren Haus bis zur offenen Halle mittels leichter Schiebewände aus Holz und Papier »ist für uns nicht das Wesentliche, wohl aber die Tatsache, dass der Japaner grundsätzlich gar keine Möbel in seinem Wohnraum hat, wenn er sie nicht braucht«, die wenigen aber in geräumigen Wandschränken verwahrt werden. Der Japaner sitzt auf dem mattenbelegten Boden12 und breitet dort auch seine Matratzen zum Schlafen aus. »Es bleibt der schlichte, leere Raum frei.« Er zerstört nicht den Raum durch Dekorationen. Für ein Bild gibt es die Nische des Tokonoma und für schöne Gefäße die Zierregale. Die Papierwände sind höchstens zart bemalt. Der Leser mag befürchten, ein solch leerer Raum sei öde. Taut zeigt ihm mit eindringlichen Worten, dass er, im Gegenteil, eine großartige Steigerung ermöglicht (Abb. 06): »Die Zartheit und Zurückhaltung der Farbe und die Verschmelzung der zarten Farben mit den großen, aber milden Lichtflächen steht in Einheit zu der Kleidung des Japaners. Wie er leuchtend farbige Kissen auf den Boden legt, so sind seine Gewänder von farbiger Seide. [Man muss einschränken: der Frauen und Mädchen]. Dieser Mensch ist in seinem Raum vollkommen er selbst und betont dies aufs nachdrücklichste durch Schlichtheit der Formen und Farben des Raumes und durch Hervorhebung seines Gewandes.«13

Das Kleid zum Raum, der Raum zum Kleid

Abb. 06: Keisai Eisen, Die Kurtisane Hitomoto, frühes 19. Jahrhundert, aus: Seiichiro Takahashi, Traditional Woodblockprints of Japan. Tokyo 1972, S. 105.

Der harmonische Zusammenklang von farbig bekleidetem Mensch und zurückhaltenden Farben des Raumes in Japan ist eine bemerkenswerte Beobachtung Tauts, denn Abbildungen in Publikationen waren in der Regel schwarzweiß. Ausnahmen waren farbig angelegte Postkarten. Wahrscheinlich konnte Taut auf die Farbigkeit der Gewänder auch aus den Darstellungen der japanischen Farbholzschnitte schließen, die seit der Mitte des 19. Jahrhunderts in Europa, insbesondere in Paris, gehandelt wurden. Interessant ist Tauts Vorstellung, dass ein solcherart ästhetisches Gleichgewicht von Mensch und Raum psychisch positiv wirke, wünschenswert sei und daher nach Konsequenzen rufe. Taut zieht nun nicht den Schluss, Japan sei zu imitieren, vielmehr führt er den Leser und die Leserin auf die eigene, europäische Kultur zurück: »[…] für uns würde aus dem japanischen Vorbild analog zu schließen sein, dass zu unserer vorwiegend unfarbigen Kleidung farbige Wände gehören. Und es ist Tatsache, dass ein grau oder schwarz gekleideter Mensch vor einer reinen Farbenfläche körperhafter erscheint als vor einer grauen.«14 Japan hat also den gedämpft getönten Raum als Hintergrund für die stark farbigen Kleider, Deutschland den stark farbigen Raum zur dunklen, farbig bedeckten Kleidung. Oder umgekehrt, Taut benutzt die Analyse des japanischen

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Abb. 07: Bruno Taut, Sprech- und Schreibzimmer, 1919. Text: Decke, Möbel, Stofffe und Fußbodenumrahmung schwarz, Fußbodenfelder weiß, blau, gelb, schwarz, Wän­ de blau, rot, gelb, grün, braun, aus: Taut 1928 (vgl. Anm. 1), Abb. 34.

Wohnraumes, um seine eigene Vorliebe für farbige Räume gerechtfertigt und ihren Sinn bestätigt zu finden. Blicken wir noch einmal auf die spätmittelalterlichen Heiligendarstellungen der Altäre. Maria, Heilige oder Stifter tragen reich gemusterte oder gewirkte Gewänder mit einem unglaublich aufwendigen Faltenwerk, das sie in den schlichten Räumen in der Tat dominieren lässt. Ich habe auch die Taut’sche »Umkehrung« in Isfahan erlebt: vor den farbigen, kachel-verkleideten Wänden der Moscheen wirken die Geistlichen in ihren weiten, schwarzen oder weißen Soutanen und Turbanen außerordentlich festlich und monumental. Taut selbst, immer sorgfältig gekleidet, lebte seit 1919 zwischen farbigen Wänden. Er hatte in Dahlewitz, südlich von Berlin, ein Haus gekauft, es wohl nicht radikal umgebaut, aber Wände und Decken farbig gestrichen (Abb. 07). Im Buch Die neue Wohnung bildet er drei der renovierten Räume als SchwarzWeiß-Skizzen mit Grautönen ab und macht dazu detaillierte Farbangaben. Personen sind nicht gezeichnet, aber die wenigen Möbel, die wie Individuen im Raum stehen, vertreten sie: sie sind durchweg schwarz angestrichen oder schwarz bekleidet, wohl so, dass die bedeckten Farben der Kleidung sich noch abheben, jedoch zusammenklingen. Unsere Rekonstruktion der Farben zeigt, dass Taut keine eingeschränkte Farbenskala hatte, wie die Niederländer der De Stijl Bewegung van Doesburg oder Mondrian, an deren geometrische Flächenteilung einige von Tauts Entwürfen erinnern. Bei der Darstellung seines 1925 gebauten Wohnhauses in Dahlewitz beschreibt er die Beziehung der Wandfarben zum Außenraum und zu den Himmelsrichtungen, das heisst zu Sonnenlicht und Schatten.15

Das Kleid zum Raum, der Raum zum Kleid

Taut betont, dass die reinen Farbenflächen auch deshalb eine starke Wirkung haben, weil die westliche Architektur im Gegensatz zu Japan anstelle von transluzenten Papierwänden, die ein gedämpftes Licht abgeben, Glasflächen für die Öffnungen verwendet. Damit ist nicht nur das durchsichtige Spiegelglas für Fenster und Türen gemeint, sondern, wie Taut einige Seiten später erläutert auch die farblose Glasprismenwand, die er zum ersten Mal am Glashaus bei der Kölner Werkbundausstellung 1914 anwendete und nun bei seinem überarbeiteten Entwurf der Berliner Villa Samek wieder als Raumtrennung vorschlägt.16 Den runden Speiseraum fasste er in den ersten Skizzen von 1919 ornamental mit farbigem Glas, das mit Glaskristallen besetzt sein sollte. Jetzt wählte er Wände aus farblosen Glasbausteinen (Abb. 08). Wiederum sind die Stühle stellvertretend für die Bewohner in schwarzer Farbe dargestellt, wie in seinem eigenen Hause, aber edler im Material mit schwarzem Leder bespannt.

D er bekleide te R aum Der Schlafraum im Geschoss über dem Speiseraum der überarbeiteten Villa Samek (Abb. 09), ebenfalls kreisrund mit nur einer geraden Seite als Wand zu einem außen liegenden Flur, sollte ganz leer sein. Der Boden ist in zwei Stufen völlig mit Bärenfellen, weiße Felle des Eisbären und braune des Grislybären,

Abb 08: Bruno Taut, Haus Samek, Eßzimmer, 1923, aus: Taut 1928 (vgl. Anm. 1), Abb. 42.

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Abb. 09: Bruno Taut, Haus Samek, Schlafzimmer, 1923, aus: Taut 1928 (vgl. Anm. 1), Abb. 43.

wie ein Teppichboden ausgelegt als weiches Material für den ungeschützten Körper im Schlafanzug. Das Bett überhöht in einer zweiten Stufe das Bodenkontinuum nur wenig ganz wie die ausgelegte Matratze in einem japanischen Raum. Die einzigen »Möbel« sind zwei drehbare, asymmetrisch auf einen Fuß gesetzte Glastische. Bettdecke und Wandbespannung sollen von blanker, farbiger Seide sein. Der Raum, der im Bilde so kühl und nüchtern erscheint, entspricht der Beschreibung eines Schlafraumes, den Sir Galahad, alias Bertha EcksteinDiener, in ihrem Roman Die Kegelschnitte Gottes17 aus dem Jahr 1921 für den Knaben Horus und sein »Liebesgespiel« Gargi erdacht hatte: Das junge Paar sollte sich in seinem allmählichen Reifungsprozess ganz auf das Wesentliche seiner Liebesspiele in seinem Schlafgemach konzentrieren können. Wesentlich, weil in ihm nichts Alltägliches die »Erotik des Auges« verletzen könne. Es ist ein leerer Raum. In einem möblierten Alltagsraum, so schreibt Sir Galahad, »schaut kalt ein Fenster zu. Möbel leiern hölzerne Litaneien taktlos weiter: »Wasch dich,« – »setz dich.« »Dass im Liebesraum kein Ding von Alltagstun noch trächtig …, die hohe Tugend der Wollust beflecke, hat das Fundament aller menschlichen Lebenshaltung zu sein.« Darum ist das Schlafgemach der Liebenden ohne Fenster, »[…] eckenlos zu einer Ellipse geschlossen. Ozonisierte und durchduftete Luft erneuerte sich unmerklich in ihm. Es war nichts als ein immenses, hingebreitetes Pfühl – nur verschieden überhöht und durch-

Das Kleid zum Raum, der Raum zum Kleid

tieft… Linde Kurven aus dunkelglühenden Samten, schräge Lichter und Spiegel,… warteten… Ganz der Nacktheit und ihren Festen geweiht.«18 Tauts Raum zelebriert das »japanisch Leere« des Galahadschen Schlafgemaches als »bekleideten Raum«, dessen »Kleid« in Form einer Seidenbespannung nicht durch aufwendige Fenster durchbrochen wird, vielmehr sorgen Kippöffnungen über der durchgehenden Leiste für Licht und Durchlüftung, und die Türen zu den Ankleiden, wie die Balkontür als solche kaum wahrzunehmen, da sie das Gliederungsmuster der Wandleisten bilden.19 Es scheint nicht viele Beispiele für textile Wandbekleidungen in der »modernen« Architektur zu geben. Eines ist »Das Schlafzimmer meiner Frau« von Adolf Loos, das er 1903 in seiner Wohnung eingerichtet hatte.20 In einer Publikation stand die Beschreibung: »Weiße Tünche/Weiße Vorhänge/Weiße Angorafelle« und weiter zur Erläuterung: »Frau Lina Loos war eine zarte blauäugige Blondine von damals 19 Jahren. Die Vorhänge aus Batiste rayée verschleierten (die Schränke und) auch die Wände. Der Boden war blau bespannt.« Zu unserem Beitrag passt, dass es sich um ein Schlafzimmer handelte, und einen wenig bekleideten Körper wohl sanft umhüllen sollte. Taut hat die Publikation in Peter Altenbergs Zeitschrift Kunst von 1903, in der zwei Fotos des Schlafzimmers abgebildet waren, wahrscheinlich nicht gekannt. Zudem hätte die zeltartige Verkleidung der Wände mit Gaze-Vorhängen Tauts Anspruch, Räume architektonisch, das heisst, kantig wirken zu lassen, nicht genügt. Taut wollte daher auch die Seidenbespannung im Haus Samek, die zudem austauschbar sein sollte, auch nicht wie eine Tapete ankleben, sondern mit Leisten befestigen, die eine architektonische Gliederung von gleichartigen Elementen andeuten.

W ohnr äume in J apan Taut hatte seine Vermutung über den Zusammenklang von farbiger Kleidung und Raumfarben in Japan mehrfach bestätigt gefunden, als er 1933 dorthin emigriert war. Im Tagebuch erinnert er immer wieder mit gewissem Stolz über sein offenbar richtiges Urteil von 1923 daran.21 Zum Beispiel, als er am 7. Mai 1933 das althöfische Kemari-Ballspiel besucht, bemerkt er: »Kostüme 600 Jahre alt. Solche Kostüme (Männer) früher auch im Hause – daher die sehr zarten Töne der Räume.« Oder am 4. März 1934, am Tag nach dem Mädchenfest schreibt er (Abb. 10): »Farben an Häusern haben in Japan keinen Sinn. Die Häuser mit Stroh, Holz und Papier (in den Fenstern) rein und sehr schön im Material, dem sich der wenige Putz im gelben oder weissen »Naturton« anschliessen muss. Dazu die wässrig-dünne Atmosphäre – das Blau des Himmels, auch in klarster Wintersonne, ist keine ›Farbe‹, nur eigentlich ›Luft‹. Daraus und aus dem vorwiegend braunen Inneren der Häuser [sind] die intensiven Farben der Kleider zu verstehen, besonders bei den Kindern: sehr intensives Rot.«

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Abb. 10: Japanische Familie beim Essen. Aus einer Diaserie um 1965.

Taut entdeckt allerdings ein neues Problem, das mit der modernen Architektur zusammenhängt. Wie passt der traditionelle, farbige Frauenkimono zur modernen, nach westlichen Vorbildern entworfenen Architektur? Also, wie passt das Kleid zum Raum? Und welches moderne Kleidungsstück passt zum traditionellen Wohnraum? Könnte er dafür eine verbindliche Aussage machen, wäre das die Probe aufs Exempel seiner Theorie. Auf einem Foto, das im Imperial Hotel in Tokyo entstand, sind Taut und seine Frau Erica selbstverständlich europäisch gut und korrekt angezogen: Kleid, Anzug, weißes Taschentuch in der Brusttasche, glänzend polierte Lederschuhe; das passt durchaus zu Wrights ornamentaler Architektur (Abb. 11). Am 11. Mai 1933 in Kyoto beim Besuch eines modernen Hauses muss er allerdings feststellen: »Haus vor sechs Jahren gebaut, gute Raumgliederung, Einrichtung ohne Architekten, nicht geschmacklos, gegen Europa sogar gut, nur die im Kimono hübsche Frau geht ganz vor den (noch ruhigen) Tapeten unter. Es fehlt noch die Beziehung der Wände zu der japanischen Kleidung und [der] europäischen.« Das heißt, der Architekt hatte sich diese Frage wohl gar nicht gestellt. Taut bemerkt umso mehr und immer wieder die für die Japaner bis zur Lächerlichkeit schwierig zu handhabende europäische Tracht beim Hocken in den japanischen Räumen. Das hat Taut, zum Beispiel beim Sitzen auf dem Boden vor dem Tokonoma selbst so empfunden, da er gewohnt war, auch zu

Das Kleid zum Raum, der Raum zum Kleid

Abb. 11: Bruno und Erica Taut im Imperial Hotel, Tokyo, 1933. Taut Fotoalbum, Taut Sammlung des Iwanami Verlages, Toyko.

Hause seinen guten Anzug und Lederschuhe zu tragen, nun aber Hausschuhe anziehen musste (Abb. 12).

K leiderfr age im japanischen H aus In seinem 1936 erschienenen Buch Japans Kunst mit europäischen Augen gesehen22 widmet Taut einen längeren Abschnitt, der recht pessimistisch klingt, der Kleiderfrage. »Wenn man gerecht ist, so wird man finden, daß dieses Versagen (des modernen Kunstgewerbes) des sonst so rasch modernisierten, technisierten Japan gar nicht so verwunderlich ist. Man vergegenwärtige sich: noch heute gerät der Europäer beim Betreten eines Hauses in Japan in einen Zwiespalt, den er auf keine Weise überwinden kann. Die gute Sitte verbietet es, daß er die Schuhe anbehält; doch wenn er sie ablegt, so kommt er sich wie krank vor oder als wenn er im Schlafzimmer sei und zu Bett gehen möchte. Er fühlt sich in seinem Anzug ohne Schuhe todunglücklich, und dieses Gefühl bleibt, auch wenn er lange im Lande lebt. Die Harmonie seiner äußeren Erscheinung ist zerrissen, die der Damen fast mehr als der Herren, da ein Damenkleid ohne Schuhe überhaupt ein Unding ist. Der Europäer hat

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Abb. 12: Bruno Taut am Tokonoma im Senshintei- Wohnhaus, Shorin-zan, 1934. Taut Fotoalbum, Taut Sammlung des Iwanami Verlages, Toyko.

nach diesem ersten »Entkleidungsakt« das Gefühl, daß es nun, wo er in Strümpfen oder in Pantoffeln ist, auch auf weiteres gar nicht mehr ankommt.« 23

Er spottet denn auch über die Konsequenzen an europäisch angezogenen Japanern im Tagebucheintrag vom 18.9.1933 mit einer Chaplin-Karikatur: »Komisch nur das Mixpickle einiger ›europäisch‹ angezogener Herren: Cut, weiße Weste, gelbe Schuhe! Japan erwache.« (Abb. 13).

Abb. 13: Karikatur Charly Chaplin, aus: Speidel 2013 (vgl. Anm. 21), S. 121.

Das Kleid zum Raum, der Raum zum Kleid »Spiralfalten an der Hose, Vorgucken des Hosenrandes mit Gürtel unter der Weste, Offenstehen von wichtigen Knöpfen, ja Aufknöpfen der Weste und sonstige zahllose Disharmonien, besonders der Krawatten, Hüte, Stoffmuster und Farben etc., eine unabreißbare Kette, nicht anders als für einen Japaner der Anblick eines Europäers wäre, der ohne Kenntnis der Regeln des Kimonos etwa den Unterkimono bedenklich vorgucken ließe und was sonst der endlosen, die Augen des Japaners tödlich beleidigenden Möglichkeiten wären… Der leidlich intelligente Europäer wird Angst haben, sich ohne genannte Kenntnis aller Regeln in Kimonodress zu werfen, weil er weiß, daß er die Augen der Japaner auf Schritt und Tritt beleidigen muß. Doch der durchschnittliche Japaner tut ohne Weiteres das Entsprechende.« 24

Einen anderen Gedanken entfaltet Taut in einer Eintragung in sein Japan-Tagebuch zum 21.1.1934. Nach einem Zwischenfall in der Bahn mit einem europäisch gekleideten Japaner, der sich sehr schlecht benommen hatte, meint Taut: »Der Mann sah nicht so schlecht aus in gutem europäischen Anzug. Daß uns die Japaner ihre unangenehmen Seiten nur in europäischen Kleidern zeigen!« Noch einmal weiter geht Taut in einer Passage in Japans Kunst: »Die Kleiderfrage ist hier ein Bild zur Erklärung jenes Versagens des modernen Japan.«25 Das mag in der Öffentlichkeit sich so ereignet haben. Im traditionellen japanischen Haus ist die Kleiderfrage aber durch das ständige Umziehen beherrschbar: morgens im dunklen Anzug zur Arbeit, abends im Kimono zu Hause. Das ist einerseits aufwendig, entspricht durchaus heutigen Gewohn-

Abb. 14: Tauts mit Gästen im 7,5 qm großen Tatamiraum mit Feuerstelle, SenshinteiWohnhaus, Shorin-zan, 1934. Taut Fotoalbum, Taut Sammlung des Iwanami Verlages, Toyko.

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heiten auch bei uns. Statt des Kimono zieht man bequeme Sportkleidung an. Man hat das Problem im Sinne Tauts allerdings damit nicht gelöst. Man hat sich lediglich an alles gewöhnt. Ein kulturelles Bewusstsein und damit auch ein ästhetisches Urteilsvermögen ist, so beobachtet Taut, dabei weitgehend verloren gegangen. Tauts enges Tatami-Zimmer von 7,2 Quadratmetern im Winter, in dem die Tauts auf Stühlen mit gepolsterten Stuhlbeinen sitzen und ein Gast im Anzug auf dem Boden hockt, bestätigt das. Die Unlösbarkeit des »Knotens« erzeugt unfreiwillige Komik (Abb. 14). Als ein mögliches Kleidungsstück, das beide Formen des Wohnens verbinden könnte, schlägt Taut die Arbeitsbluse über einer Pumphose vor (jap. happi),26 die innen und außen seitlich mit einer Schlaufe gebunden wird (Abb. 15). In der Tat ist dies auch heute noch eine verbreitete und bequeme Arbeitskleidung, die gut aussieht. In einer Tagebucheintragung vom 18.8.1933 notiert er hierzu: »Eines Abends bringt Frau Kurata aus Shirokiya ein Einschlagetuch für Erica (Furoshiki) und für mich japanische Arbeitsblusen (Happi) des Warenhauses als Geschenk. Dabei Gespräch mit Kurata darüber, daß dies das moderne japanische Kleidungsstück sei. Kurata sieht darin nur den Standesunterschied als Hinderung, es zu tragen. Tracht: soziale Frage!« 1935 erfand Taut auch eine architektonische Lösung zum Sitzen auf dem Boden für die im westlichen Anzug gekleideten Herren. In den zentralen

Abb. 15: Arbeitsbluse und Pumphosen. Angestellter in einem Schrein, Hiraizumi, um 2005. Foto Speidel.

Das Kleid zum Raum, der Raum zum Kleid

Abb. 16: Bruno Taut. Wohnhalle mit Sitztreppe, Hyuga Villa, Atami, 1936. NTT Facilities, Sammlung Yoshida Tetsuro, Tokyo.

Raum der Villa Hyuga in Atami baute er, aus der Lage an einem steilen Abhang erzwungen, eine raumfassende Sitztreppe ein. Das einzige Foto mit Personen von der Einweihungsfeier im September 1936 ist leider schwarz-weiß (Abb. 16). Die seidenbespannten Wände in kräftigem Bordeaux-Rot erfüllten zudem Tauts alte Forderung, die dunkel gekleideten Menschen plastischer wirken zu lassen. Wie beim geplanten Haus Samek ist die Wandbespannung mit schwarzen Leisten befestigt, die zugleich eine japanisch architektonische Gliederung schaffen. Tauts Buch zur »neuen Wohnung« aus dem Jahre 1923, greift zum ersten Mal die Frage nach dem Zusammenhang von Raum und Kleidung auf. Die Frage hat bei Taut weniger etwas mit Mode zu tun, auch nicht mit dem Praktischen oder Bequemen der Kleidung. Sie versteht die Wohnung als etwas wie eine (Theater-)Bühne, auf der Kostüme und Umgebung für ein Spiel zusammenstimmen und die Spieler bedeutend erscheinen sollten. Auch wenn die Abbildungen in Tauts Buch seinem Anspruch nicht gerecht werden, so schließt er doch überzeugend das Kapitel III »Die neue Bewegung« ab mit den Worten: »Der gute Raum ohne die Bewohner ist nichts und ›leer‹. Er wird erst etwas, ›voll‹ und fertig durch die sich darin aufhaltenden Menschen.«27 Dann wird sich erweisen, ob der gekleidete Mensch und der bewohnte Raum im Gleichgewicht sind.

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A nmerkungen 1 | Bruno Taut: Die neue Wohnung. Die Frau als Schöpferin. Leipzig 1924, fünfte erweiterte Auflage 1928. 2 | Taut gibt Beispiele davon in seinem Buch. 3 | Taut 1928 (vgl. Anm. 1), Abb.1, S. 12. 4 | Taut 1928 (vgl. Anm. 1), S. 27. 5 | Bruno Taut: Die Stadtkrone. Jena 1919. 6 | Taut 1928 (vgl. Anm. 1), S. 22. 7 | Taut 1928 (vgl. Anm. 1), S. 21. 8 | Taut 1928 (vgl. Anm. 1), S. 28-31. 9 | Wasmuths Monatshefte für Baukunst 6 (1921/22), S. 249 ff. 10 | Hans Schiebelhuth: »Japanische Innenräume«. In: Qualität 3 (August 1922/März 1923), Schlussheft S. 70-73. 11 | Hermann Muthesius: »Der japanische Hausbau«. In: Berliner Tageblatt, 13. September 1923, 1. Beiblatt. 12 | Tatami, gepresste Strohplatten von 5 cm Dicke mit Massen von ungefähr 90 auf 180 cm. »Matratzen« sind futon aus wattierter Baumwolle in einer Stoffhülle, die sich zusammenlegen lassen. 13 | Taut 1928 (vgl. Anm. 1), S. 30. 14 | Taut 1928 (vgl. Anm. 1), S. 31. 15 | Bruno Taut: »Kosmische Farbenliebe«. In: Frühlicht Heft 14 (1920), S. 66. 16 | Taut 1928 (vgl. Anm. 1), S. 50 bis 52 und S. 54. 17 | Sir Galahad: Die Kegelschnitte Gottes. München 1921. Sir Galahad, war die Feministin und Schriftstellerin Bertha Eckstein-Diener. In ihrem Roman beschreibt sie ein konsequent sinnvoll und funktional durchgestaltetes Haus, das die Mutter des jungen Helden für dessen Erziehung fernab von Europas Zivilisation im fernen Ceylon errichten ließ. Sie war wohl eines der Vorbilder, für die Taut 1923 seinem Buch Die neue Wohnung den Untertitel »Die Frau als Schöpferin«, gab. 18 | Sir Galahad 1921 (vgl. Anm. 17), S. 47 bis S. 48. 19 | Taut 1928 (vgl. Anm. 1), S. 51 und 54. Taut wollte einen Ausschnitt aus Sir Galahads Roman in seinem Heft 5 »Frühlicht« 1923 publizieren, was die Inflation verhinderte. Man darf auch im Auge behalten, dass Bruno Taut seit 1918 nicht mehr mit seiner Ehefrau Hedwig, sondern mit Erica Wittich zusammenlebte, mit ihr zusammen eine Tochter hatte und seit 1919 in Dahlewitz wohnte. 20 | Ludwig Münz/Gustav Künstler: Der Architekt Adolf Loos. Wien 1964. S. 46. 21 | Manfred Speidel (Hg.): Bruno Taut in Japan. Das Tagebuch 1933. Berlin 2013. Ders.: Das Tagebuch 1934, Berlin 2015. 22 | Manfred Speidel (Hg.): Bruno Taut. Japans Kunst mit europäischen Augen gesehen. Berlin 2011. 23 | Ebd. S. 124-125 24 | Ebd.

Das Kleid zum Raum, der Raum zum Kleid 25 | Ebd. S. 125 26 | Tagebucheintrag 2. Juni 1934. »Mein Buch hat als Einband das Leinen des Happi, der Arbeiterbluse, die ich darin als Herrentracht empfehle.« Ebd. S. 152-153. 27 | Taut 1928 (vgl. Anm. 1), S. 55.

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Die Erfindung der Schweizer Trachten Kleid, Kultur und Nation als Gesamtkunstwerk Isabelle Raboud-Schüle

D ie E rfindung regionaler Tr achten Die Schweiz besitzt eine große Zahl und Vielfalt an Trachten. Es ist der besondere Stolz zahlreicher Vereinigungen, Trachten zu tragen und ihnen die gebührende Präsenz und Geltung zu verschaffen. Anlässlich der Ausstellung »Dresscode – die Kleidung in den Sammlungen Fribourgs« im Jahr 2014 untersuchte das Musée gruérien in Bulle auf der Grundlage seiner reichhaltigen Sammlungen die Geschichte der Kleidung von 1800 bis 1930. Mehrere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler beschäftigten sich mit der regionalen Tracht und ihrer Entwicklung, die sich vor allem auf das 19. und 20. Jahrhundert konzentriert.1 Ausgehend von den regionalen Gegebenheiten des District de la Gruyère und des Kantons Fribourg konnten die Forschungen den Nachweis erbringen, dass regionale Trachten eine gezielte Erfindung und kunstvolle Schöpfung sind, die innerhalb der Schweizer Konföderation jeden einzelnen Kanton repräsentieren sollten. Diese kreativen Prozesse stehen im Zusammenhang mit der vom ausgehenden 19. Jahrhundert bis zum Zweiten Weltkrieg verfolgten Identitätspolitik in der Schweiz, die den Geist eines patriotischen Föderalismus kultivierte.2 Mit geringfügigen Anpassungen an lokale Besonderheiten lässt sich dieses Phänomen der bewusst kreierten Trachten nicht nur in jedem Schweizer Kanton, sondern zugleich auch in anderen Regionen Europas beobachten.

D ie K leidung der L andbe völkerung wird visuelles M otiv Die Kleidung der Bauern, die zugunsten einer den städtischen Moden folgenden Kleidung aufgegeben wurde, zieht bereits am Ende des 18. Jahrhunderts die Aufmerksamkeit der Maler und Grafikverleger auf sich. »Kleinmeister« malen Paare in Trachten, und Graveure sind bei ihren Reproduktionen darauf

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Abb. 01: Alfons Alois Joseph Reinhard (1749-1824), Costumes du Canton de Fribourg 1775. Musée gruérien, E-0120.

bedacht, ihre Stiche mit den für jede Region charakteristischen Merkmalen zu versehen (Abb. 01). Dazu verwenden sie für alle Anlässe passende Zusammenstellungen: Hirt und Hirtin, Gruppen von drei Figuren, die einige für die Landwirtschaft ihrer Region typische Gerätschaften tragen, oder Frauen in liturgischer Fest- oder Brautkleidung. Im Jahr 1805 veranstaltet das Berner Patriziat das erste Unspunnenfest, ein Schweizer Alphirtenfest, um den Bauern Wertschätzung entgegenzubringen und somit die Beziehungen zwischen dem Oberland und der Kantonshauptstadt zu verbessern. Bei dieser Gelegenheit kreiert man Trachten, fördert das Alphornspiel und setzt in einer Arena Spiele und Sportarten wie Ringkampf und Steinwurf für ein massenhaft herbeiströmendes Publikum in Szene (Abb. 02). Franz Niklaus König (1765-1832) porträtiert damals die Paare eines jeden Kantons und dessen Festtrachten. Die Schweiz wird seitdem von 22 Paaren symbolisiert, die jeweils einen Kanton repräsentieren. Am Ende des 20. Jahrhunderts wird die Schweiz weiterhin durch diese föderale Vielfalt repräsentiert, die nach der Schaffung des Kantons Jura 23 Paare umfasst.

Die Er findung der Schweizer Trachten

Abb. 02: Franz Niklaus Koenig (1765-1832), Das Schwingen. Uri, Freiburg, Hasli, Emmental. Musée gruérien E-0518.

Abb. 03: Christian Gottlieb Théophile Steinlen (1779-1849), Fête des Vignerons, Vevey 1833. Musée gruérien IG-8195.

Was die Tracht des Kantons Fribourg betrifft, so nimmt die Darstellung der »armaillis« (Senner) unter anderem durch den Einfluss der Winzerfeste in Vevey Gestalt an. Seit den Ausgaben von 1819 wird dort der ranz des vaches, der sogenannte Kuhreigen, gesungen. Der Umzug besteht aus von Hirten flankierten Kühen, denen kostümierte Frauen und ein Wagen folgen, der mit all den für die Herstellung des Alpkäses notwendigen Gerätschaften beladen ist. Der Katalog von 1833 veröffentlicht den vollständigen Umzug der Teilnehmerinnen und Teilnehmer in Form einer mehrere Meter langen, aus miteinander verbundenen Stichen bestehenden Rolle (Abb. 03).3 Die Form der Kleidungsstücke ist geprägt von der zeitgenössischen Mode und weist bereits typische Kennzeichen auf: lange

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Hosen, kombiniert mit einer Weste aus kurzen Puffärmeln, widerstandsfähige gestreifte Stoffe in Blau und Grau, Accessoires wie farbige, um die Taille oder den Hals getragene Ziertücher, eine Salztasche aus besticktem Leder mit Schulterriemen sowie, für Männer, einen hohen Strohhut und eine Pfeife. Eine Latzschürze und ein Strohhut mit breiten Rändern, die ein Band aus schwarzen Spitzen betont, sind charakteristisch für die wenigen im Zug mitlaufenden Damen.

D er P ostk arten -S enner , ein S ymbol der N ation Am Ende des 19. Jahrhunderts wird das erste Trachtenfest vom Lesezirkel Hottingen in Zürich veranstaltet. Im gleichen Jahr, 1896, errichtet man auf der Schweizerischen Landesausstellung in Genf ein Schweizer Dorf, das von Tracht tragenden Hirten bevölkert ist. Zwei Jahre später bringt die Einweihung des Schweizerischen Landesmuseums in Zürich erneut Trachtengruppen aus allen Kantonen an die Ufer der Limmat. Die Organisation obliegt Persönlichkeiten der Epoche. Für Fribourg sind mit dem Projekt der Maler Joseph Reichlen und der Notar Placide Currat aus Bulle betraut, der sich einen bemerkenswerten Ruf als Solosänger des ranz des vaches beim Winzerfest, auf verschiedenen Schießturnieren und sogar in Paris erwarb (Abb. 04). Er wird für Postkarten fotografiert und gezeichnet, aber seine Tracht ist umstritten. Mit

Abb. 04: Placide Currat. Sänger des ranz des vaches, um 1889. Musée gruérien, E-0336.

Die Er findung der Schweizer Trachten

Abb. 05: Trachtengruppe VIII Freiburg, Feier zur Eröffnung des Schweizerischen Landesmuseum in Zürich am 25. Juni 1898, Fotografien Philipp Link, Zürich. Musée gruérien PHOT-031 und PHOT-034.

seiner aus Samt gefertigten, rotgesäumten und mit Accessoires überladenen Tracht stellt er eher die offizielle Schweiz dar als den arbeitenden Hirten seines Herkunftsgebietes, des District de la Gruyère. Da der Kanton Fribourg keine Trachtengruppe besitzt, gilt es, eine solche zu bilden, um mit einer Delegation in Zürich vertreten zu sein. Dazu rekrutieren die Organisatoren Teilnehmer, leihen und sammeln alte Kleidungsstücke, vervollständigen diese und lassen schließlich einige Stücke für Komparsen nähen. So versammelt die Delegation Trachten der vorigen Winzerfeste von Vevey, wo die Herren am Knie geschlossene, die Mode der Aristokraten des 18. Jahrhunderts nachahmende Hosen trugen. Die Damen wiederum zeigten Kleider mit langen Ärmeln verschiedener Art, in sich verbreitende Formen oder Keulenärmel, Schürzen aus bestickter Seide oder große Schultertücher mit Fransen. Während der Zürcher Festlichkeiten lässt die Gelehrte Julie Heierli die Trachten fotografieren und abzeichnen (Abb. 05). 4 Sie sammelt auch die Trachten und überzeugt das Landesmuseum von der Notwendigkeit, diese zu erwerben. Diese Kleidungsstücke bilden den Grundstock der Sammlung. Im Kanton Fribourg bewahrt auch der Maler Joseph Reichlen Trachten auf, um damit die Modelle seiner Gemälde auszustaffieren. Der in Paris lebende Schriftsteller Victor Tissot zeigt ebenfalls Interesse. Bei seinem Tod im Jahr 1917 hinterlässt er der Stadt Bulle ein Vermögen zur Gründung eines Museums. Im folgenden Jahrzehnt wird eine bedeutende Zahl Kleidungsstücke in die Bestände dieses noch jungen Musée gruérien aufgenommen, während die Sammlung von J. Reichlen schließlich ins Musée cantonal d’art et d’histoire gelangt.

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Abb. 06: Chor von Abbé Bovet, um 1918; Fotografie Lorson & fils, Freiburg.Musée gruérien MG-22839.

Zu dieser Zeit komponiert der Abbé Joseph Bovet Le vieux Chalet (1917), den bekanntesten der zahlreichen, von ihm für die Laienchöre des Kantons geschriebenen Gesänge (Abb. 06). Er stellt eine kleine Gesangsgruppe zusammen, die Tracht trägt – nämlich verschiedene Kleidungsstücke, die von den Sängern bei Verwandten entdeckt wurden, und wirkt damit ebenfalls an der Selbstdarstellung des Kantons mit. Folglich wird die Fribourger Tracht in erster Linie zur Schau gestellt, um sowohl einer von außen herangetragenen Bitte zu entsprechen als auch um dem Repräsentationsbedürfnis des Kantons nachzukommen.

N eukre ation der Tr achten für das 20. J ahrhundert Die Ligue Suisse pour la beauté/Heimatschutz wird 1905 gegründet. Sie beschäftigt sich nicht nur mit der Bewahrung des architektonischen Kulturerbes, sondern auch mit den Trachten (Abb. 07).5 Die Bewegung des Heimat- und Traditionsschutzes entwickelt sich in den Berner Kantonen in Verbindung mit der Schweizerischen Landesausstellung von 1914, danach auch in den Kantonen Vaud und Neuchâtel. Eine eigenständige Schweizer Trachtenvereinigung entsteht offiziell 1926 mit dem Ziel, bei der Landbevölkerung eine zeitlose, ohne soziale Unterscheidungen auskommende Tracht einzuführen. Die Schweizer Bauernvereinigung unter der Ägide von Ernst Laur spielte dabei eine ent-

Die Er findung der Schweizer Trachten

Abb. 07: Trachtengruppe, Postkarte um 1920, Fotografie Charles Morel, Bulle. Musée gruérien CM 10-15-1309.

scheidende Rolle. Das Wiederaufleben der Tracht stützt sich auf die ländlichen Hauswirtschaftsschulen. Bei dem von den Befürwortern der Tracht gepriesenen Ideal tragen die Landfrauen schlichte, von Moden unbeeinflusste Kleidung, die vor Ort aus Stoffen einheimischer Herstellung genäht wurde. Die Modelle nehmen disparate Elemente verschiedener Moden des 20. Jahrhunderts auf. In fast allen Kantonen trägt man Kleider, welche die Puffärmel des Hemdes und weiße Strümpfe zeigen. Strenge Regeln werden erlassen, um aus diesem Kleidungsstück eine Nationaltracht zu machen, die jedoch für jeden Kanton beziehungsweise jede seiner Regionen charakteristisch ist. Die sozialen Unterschiede der Kleidung werden vermieden, um eine Verortung im Heimatgebiet zu begünstigen. Im District de la Gruyère engagiert sich seit 1923 der Genfer Henri Naef, Konservator am Musée gruérien, für die Tracht der Gruyère und trägt 1928 unmittelbar zur Gründung der regionalen Vereinigung (AGCC/Association gruérienne pour le Costume et les Coutumes) und der Fédération fribourgeoise des costumes bei. Mit seinem Komitee entwickelt er eine neue, an den Ideen Ernst Laurs ausgerichtete Tracht für Frauen, die auch den praktischen Anforderungen der Zeit entsprechen soll. Es geht darum, die Gefährtin des Mannes anzukleiden, der den Bredzon trägt, jene Hirtentracht, die ein Jahrhundert zuvor gezeigt wurde, um die Senner auf den Winzerfesten darzustellen. Das Kleid der Frauen wird mithin konzipiert als sommerliches Arbeitskleid, das

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heißt als Kleid einer Bäuerin bei der Heuernte. Es wird auf Grundlage alter Dokumente »dzaquillon« genannt, was ein regionales Wort für »Korsett« ist. Geschnitten aus widerstandsfähigem Baumwollstoff, dessen Herstellung man einigen Weberinnen der Region beibringt, ist es mit Linien und farbigen Karos geschmückt. Die weißen Hemdärmel werden oberhalb des Ellbogens zu Puffärmeln, wie es bei den meisten Trachten der Schweiz und entsprechend der damaligen Mode üblich ist. Die Schürze aus dickem Baumwollstoff und das feinere karierte Schultertuch weisen Linien aufeinander abgestimmter Farben auf. Einige Jahre später wird man dieser ländlichen Tracht ein Schultertuch aus Klöppelspitze hinzufügen, um sie festlicher zu machen. Die Tracht erlaubt somit den Fortbestand des textilhandwerklichen Könnens, während diese Techniken der Stoffproduktion seit dem späten Mittelalter im Kanton Fribourg keine große Rolle mehr gespielt hatten.

D ie regionale Tr acht als U niform einer V ereinigung In den 1970er Jahren verlagert sich das Interesse für Volkskunst auf alternative Lebensweisen, und das Tragen einer Tracht, einer handgefertigten und sehr kostspielig gewordenen Kleidung, verschwindet größtenteils aus dem öffentlichen Raum. Tracht wird noch bei religiösen Festen in einigen katholischen Kantonen wie Appenzell oder dem Wallis getragen, dort kann man sie vor allem bei Alpenfesten wie dem Almabtrieb oder den Sennerfesten sehen (Abb. 08, 09). Außerhalb dieses recht engen Rahmens beschränkt sich das Tragen der Tracht auf organisierte Gesellschaften, Kirchenchöre, Tanz- und Musikgruppen sowie Mundart-Vereine. Die Satzungen der Schweizer Vereinigung schreiben vor, nur die Tracht der eigenen Geburts- oder Wohngemeinde zu tragen. Außerdem wird das Tragen der Tracht immer mehr ausschließlich mit der Teilnahme an einer organisierten Gruppe und deren Aktivitäten verbunden. Am Ende des 19. Jahrhunderts hatten bereits einige Blaskapellen das Kostüm des Senners übernommen, um einen einheitlichen Eindruck herzustellen, ohne dabei auf die aus der napoleonischen Epoche überkommenen Uniformen zurückzugreifen. Am Ende des 20. Jahrhunderts stellt man fest, wie sehr die Tracht nach den Wünschen einer jeden Gruppierung modifiziert wird, um beim Auftritt vor allem eine gute Wirkung zu erzielen. Die Länge der Röcke und der Westen der Männer hinken der Mode ein wenig hinterher, sind aber bei der ganzen Chorgruppe einheitlich. Die eingesetzten Farben sind bedingt durch das Angebot an Stoffen und die für das gewünschte Gesamtbild getroffene Wahl. Im 21. Jahrhundert erfährt vor allem die regionale Tracht neue Beliebtheit bei Musik-, Gesangs- und Tanzgruppen, da zeitgemäßere Trachten und die von der Polizei inspirierten Uniformen der Blaskapellen viel schneller aus der Mode kommen.

Die Er findung der Schweizer Trachten

Abb. 08 und 09 : POYA, Alpaufzugfest in Estavannens, 1976 und 1989. Musée gruérien, G-C-20-090-01.

Da sie in festen Regeln und in der Suche nach überzeitlicher und folglich unveränderlicher Authentizität erstarrt sind, entwickeln sich die Regionaltrachten der Schweiz nur geringfügig. Sie können keine Modeschöpfer inspirieren, denn es ist weder erlaubt, sie stark zu variieren, noch eigene Vorstellungen

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auszudrücken, wie man das bei den österreichischen und Münchner Trachten sehen kann. Andere Formen der Bekleidung, die ein flexibleres Spiel mit Identitäten ermöglichen, haben sie abgelöst. Im Sport spielen Trikots und Oberbekleidung in Vereinsfarben eine wichtige identifikatorische Rolle und sind außerordentlich populär. Das Bauernhemd erlebte in den 1970er Jahren, begünstigt durch die Eröffnung des Freilichtmuseums am Ballenberg, erneut eine große Popularität. Das Arbeitshemd der Bauern aus groben Baumwollstoffen, aufgerauht und mit Blümchen übersät, wird zu einer Art neuer Schweizer Tracht, die einfacher, verfügbarer und weniger kodifiziert ist. Dieses für Ringkämpfer obligatorische Edelweiß-Hemd funktioniert als Zeichen der Bauernschaft und des Handwerks und wird von Personen getragen, die sich so in der Natur, der Tradition und der Region verankern wollen. Mehrere Blaskapellen haben daraus eine zweite Uniform gemacht, die bei weniger formellen Anlässen getragen wird. Das Edelweiß-Hemd entspricht im 21. Jahrhundert mehreren Werten, die von den Gründern der Trachtengruppen in den 1920er Jahren angestrebt wurden: Bescheidenheit, leichte Verfügbarkeit und Robustheit. Aber da dieser in verschiedenen Farben durchdeklinierte Stoff geschichtlich nicht vorbelastet ist, erlaubt er jedem, sei es Frau, Mann oder Kind, mit den Codes der Identität und des Landlebens zu spielen. Diese wenigen im Kanton Fribourg beobachteten Phänomene spiegeln die Kreation, Modernisierung und Evolution der Schweizer Trachten wider. Mit den jeder Region eigenen Charakteristika, wie sie die Stiche vom Anfang des 19. Jahrhunderts zeigen, wurden diese Trachten von den Eliten kleiner Städte erdacht, entworfen und getragen. Sie entsprachen damit der Notwendigkeit, die Kantone (und in jüngster Zeit die Tradition an sich) bei großangelegten Festlichkeiten zu repräsentieren.

A nmerkungen Übersetzung: Thomas Amos 1 | Anne Philipona (red.): A la mode. Cahier du Musée gruérien no 9-2013. Bulle, Société des Amis du Musée gruérien. 2 | Christine Burckhardt-Seebass: »Trachten«. In: Historisches Lexikon der Schweiz. URL: http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D16426.php (Abruf September 2016). 3 | Christian Gottlieb Théophile Steinlen (1779-1849): Cortège de la Fête des vignerons 1833. Trente feuillets collés pour une longueur de 1470 cm. Musée gruérien, Bulle. 4 | Die Schweizer-Trachten vom 17.-19. Jahrhundert nach Originalen. Musée gruérien, Bulle. Julie Heierli: Die Volkstrachten von Bern, Freiburg und Wallis. Erlenbach-Zürich 1928. 5 | Stefan Bachmann: »Heimatschutz«. In: Historisches Lexikon der Schweiz. URL: http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D16450.php (Abruf September 2016).

Die Caprihose unter der Kuckucksuhr Kleidung und Interieur im Heimatfilm der 1950er-Jahre Barbara Schrödl

Abb. 01: Eine Gruppe modisch gekleideter Jugendlicher und zwei kleine Buben in Lederhosen hören im Dorfgasthaus Rock ’n’ Roll. Videostandbild aus: Der Wilderer vom Silberwald (Otto Meyer, BRD 1957). © Kineos GmbH

Im Film Der Wilderer vom Silberwald (Otto Meyer, BRD 1957) versammeln sich in einer Szene männliche und ein weiblicher Teenager sowie zwei Buben in einem Dorfgasthaus um eine Musikbox, die gerade von einem jungen Mann mit neuen Platten bestückt wird (Abb. 01). Sein Berliner Akzent weist den Mann als Fremden aus. Gemeinsam genießt die Gruppe die Musik, klatscht mit, lässt sich treiben und amüsiert sich. Einer der Buben spielt die Melodien auf dem Akkordeon mit. Ein Paar tanzt. Die Stimmung ist beschwingt und heiter. Selbst der Wirt, ein Mann in den besten Jahren, bewegt sich im Takt der Musik. Der zeitgenössische Rock ’n’ Roll steht im Gegensatz zum traditionellen Ambiente des Gasthofes. Der die Gruppe umgebende Raum ist durch ein weißgeschlemmtes Gewölbe, einfache Möbel aus hellem Holz und eine Dekoration mit karierten Tischdecken sowie geblümten Vorhängen charakterisiert. Nur die Musikbox mit ihrem blitzenden Metall und Glas und in ihrer

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modisch geschwungenen Form fällt aus dem scheinbar zeitlosen Ambiente ländlicher Rustikalität heraus. Im Falle des Filmkostüms ist es genau anders. Nur die Buben tragen mit ihren kurzen, grauen Lederhosen eine traditionelle alpenländische Kleidung. Der Wirt hinter dem Tresen präsentiert sich dagegen mit seinem weißen Hemd zur schwarzen Weste in einer für Gastwirte typischen Arbeitskleidung, und die Filmkostüme der Schar der Jugendlichen lassen sich der in den 1950er-Jahren neu aufgekommenen Freizeitmode zuordnen. Das junge Mädchen ergänzt eine taillierte Bluse mit kurzen Hosen und einem kokett wippendem Pferdeschwanz, während die männlichen Teenager bunte, kurz- oder langärmlige Freizeithemden zu kurzen oder langen Hosen aus leichten Stoffen kombinieren; der Techniker aus Berlin präsentiert sich gar in Jeans und in einem modischem Freizeithemd mit quergeknöpftem Verschluss. Liest man Mode, Musik und Architekturraum als Referenzen für Moderne und Tradition, erweist sich die von Heiterkeit und Harmonie getragene Szene als von spannungsreichen Gegensätze durchzogen: Ländliches und Städtisches, Traditionelles und Modernes, Einheimische und Fremde, Jung und Alt treffen aufeinander. Die Gegensätze werden keineswegs synthetisiert: innerhalb des traditionsbezogenen, ländlichen Rahmens des Gasthauses setzen die Musikbox sowie die Kleidkörper der Jugendlichen städtisch-moderne Akzente.1 Der beschwingte Rock ’n’ Roll, dem man sich gemeinsam hingibt, trägt dazu bei, diese Spannung positiv zu besetzen. Mediengeschichtlich bietet die voranstehend beschriebene Konstellation aus einem Heimatfilm der 1950er-Jahre spannende Untersuchungsperspektiven. Architektur, Kleidung und Körper sind grundsätzlich in enger Beziehung zu sehen. Kleidung umhüllt Körper und Architektur umgibt die bekleideten Körper. Meist zeigen die ästhetischen Ideale nach denen Architektur, Kleidung und Körper gestaltet beziehungsweise modelliert werden, wie auch die Bedeutungskonstruktionen in die sie eingebunden sind Analogien. Dies gilt auch für das Kino. Nur im Ausnahmefall sind die Beziehungen zwischen Set-Design, Filmkostüm und Körperbildern der SchauspielerInnen demonstrativ von Gegensätzen durchzogen. Ein exemplarisches Beispiel dafür ist der Heimatfilm der 1950er-Jahre. Die Filme spielen stets in der zeitgenössischen Gegenwart und weisen wiederholt Szenen auf, in denen in einem traditionsbezogenen Interieur Kleidkörper aufeinandertreffen, die ebenfalls regionale Bekleidungstraditionen aufgreifen oder aber der internationalen Mode folgen. Interessant ist dabei, in welcher Weise die Pole von Modernität und Tradition zueinander ins Verhältnis gesetzt, in andere Kontexte eingebunden und bewertet werden. Meine These ist, dass die von Gegensätzen geprägte Beziehung zwischen den Kleidkörpern und den sie umgebenden Innenräumen im Heimatfilm auf die in diesen Jahren deutlich präsente Spannungen zwischen einem Willen zur Modernisierung und dem Festhalten an althergebrachten Traditionen verweist. Die Filmhandlung nimmt dieser Spannung durch Kom-

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promissbildung an Sprengkraft. Das Heimatbild, das im Heimatfilm entworfen wird, erweist sich auf diese Weise als Bild einer Heimat im Prozess der Modernisierung. Die gesellschaftspolitische Spannung zwischen Auf bruch und Stillstand der 1950er-Jahre eröffnet in Zusammenspiel mit den grundlegenden Charakteristika des Heimatfilms eine historische und inhaltliche Perspektive, um das Filmkostüm, das Set-Design der Innenräume und deren Zusammenspiel in exemplarischen Filmszenen auf ihre gesellschaftlichen Bedingtheiten hin zu befragen.

D ie 1950 er -J ahre : Z wischen A ufbruch und S tillstand Die langen 1950er-Jahre, die Zeit zwischen 1947 und den beginnenden 1960erJahren, stellen sich aus heutiger Perspektive als eine widersprüchliche Zeit dar: Einerseits riefen das Ende des Nationalsozialismus, das Wissen um den Holocaust, die Erfahrung von Krieg und bedingungsloser Kapitulation unter den Deutschen, die mehrheitlich vor wenigen Jahren noch Mitglieder der nationalsozialistischen »Volksgemeinschaft« gewesen waren, eine grundlegende Verunsicherung hervor. Auf die Zerschlagung beziehungsweise In-Frage-Stellung vieler kurz zuvor noch akzeptierter politischer, gesellschaftlicher sowie weltanschaulicher Überzeugungen und Strukturen reagierten viele Menschen mit der Sehnsucht nach einer guten alten Zeit, andere waren dagegen von einer freudigen Auf bruchsstimmung getragen. Gleichzeitig waren die 1950er-Jahre von einen Modernisierungsschub bestimmt, der den Alltag und die Erfahrungswelt der Menschen im Westen Deutschlands und in Österreich, aber auch in der Schweiz entscheidend veränderte. Am deutlichsten war dieser Umschwung in der jungen Bundesrepublik Deutschland fühlbar. Unter den Bedingungen des Kalten Krieges war sie mit dem anderen, nun sozialistischen Teil Deutschlands in eine Konkurrenzsituation geraten, die unter anderem über die Ökonomie ausgetragen wurde. Eine zentrale Rolle spielte dabei der um 1954 in der Bundesrepublik Deutschland einsetzende Wirtschaftsaufschwung, der Konsumprodukte für einen großen Teil der Bevölkerung in eine erreichbare Nähe rückte.2 Die wichtigsten Konsumgüter waren das Essen, die Kleidung und das Wohnen. Ernährung und Bekleidung hatten zwar ihren Preis, doch hatte sich die Versorgungslage gegenüber der Kriegszeit bereits deutlich verbessert und es ging stetig weiter voran. Das Wohnen – der Wohnraum und dessen Ausstattung mit Möbeln, technischen Geräten und Dekorationsgegenständen – war dagegen ein kritischerer Punkt. Insbesondere Wohnraum war kostspielig und rar. Durch den Zweiten Weltkrieg waren vor allem in den Städten ein beträchtlicher Anteil der Häuser und Wohnungen zerstört worden. Zudem trug der anhaltende Zustrom von Vertriebenen und Flüchtlingen aus dem Osten dazu bei, dass sich die Bevölkerungszahl gegen-

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über dem Vorkriegsstand deutlich erhöhte. Es herrschte ein gravierender Wohnungsmangel.3 Aber nicht nur der Mangel rückte das Wohnen ins Zentrum der Aufmerksamkeit, sondern auch der Trend zum Rückzug ins Private und zur Konzentration auf die Familie. Innerhalb der Familien wiederum galt es, das Verhältnis der Geschlechter und Generationen neu zu regeln. Vor 1945 war die Mehrheit der arbeitsfähigen Männer als Soldat an der Front gewesen, während die Frauen und Kinder den Alltag an der »Heimatfront« fast alleine bewältigt hatten. In den 1950er-Jahren galt es, die aus Krieg und Gefangenschaft zurückkehrenden Männer wieder in das zivile Leben und in die Familien einzugliedern. Dabei musste sowohl über Fragen der Identitätskonstruktionen des Kollektivs als auch der Individuen kommuniziert werden. Das Frauenbild der 1950er-Jahre erhob den Wandel der starken und unabhängigen Frau, die während der Kriegsjahre das Überleben der Familie gesichert hatte, zu einer adretten Hausfrau und Mutter zum Ideal, die ihre Arbeit im Haus wie nebenher erledigte und sich Zeit für Mann und Kinder nahm. An die Männer wurde dagegen die Forderung gerichtet, die verstörenden Erfahrungen des Krieges hinter sich zu lassen, als Ernährer der Familie zu fungieren und sich als Ehemann und Vater zu engagieren.

D er H eimatfilm . E nt würfe der H eimat als W irtschaf tswunder -H eimat In den 1950er-Jahren kam dem Kino im deutschsprachigen Raum große Bedeutung zu. Es erreichte ein so großes Publikum wie nie zuvor und nie danach. Ein Kinobesuch stellte ein häufiges und preiswertes Freizeitvergnügen für die ganze Familie dar.4 Vor allem der deutsche Film war beliebt. Zu seiner Beliebtheit trugen insbesondere die meist in Farbe gedrehten Heimatfilme wie Der Wilderer vom Silberwald bei. Der Heimatfilm ist eng mit dem westdeutschen Nachkriegskino verbunden, doch fallen auch einige österreichische und schweizerische Filme darunter.5 Die »Heimatfilmwelle« nahm um 1950 ihren Anfang, erreichte zwischen 1952 und 1956 eine Hochphase und endete mit diesem Jahrzehnt. Die Heimat wird in diesen Filmen meist mit wiederkehrenden ländlichen Gegenden Deutschlands oder Österreichs – Heide, Schwarzwald, Alpen – assoziiert. Porträtiert werden jedoch nicht konkrete Landschaften, sondern es werden verschiedene Schauplätze kombiniert um die gewünschten Naturansichten hervorzubringen.6 Die Natur erscheint sorgfältig zum harmonischen Bild arrangiert. Bevorzugt werden Panorama-Einstellungen. Hell erleuchtet, tiefenscharf, klar und übersichtlich und in der typisch bunten Farbigkeit der Filme der 1950er-Jahre erinnern die Filmbilder an Ansichtspostkarten. Die Bilder der als Idylle inszenierten Natur vermitteln den Eindruck einer heilen und

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überschaubaren Welt. Die Welt des Heimatfilms ist jedoch gar nicht so heil. Die Heimat – kleine in bildschönen Landschaften gelegene Dörfer – dient als Schauplatz von Handlungen, die drängende Fragen der Gegenwart thematisieren: Den Umgang mit Flüchtlingen und Waisen, Verlusterfahrungen, sozialen Unterschieden, Frauenerwerbstätigkeit, Technisierung der Produktion, Ausbau der Marktwirtschaft, Umbau der Autoritätsstrukturen und anderem mehr. Auch ist die Heimat stets bedroht: Ungehemmtes Profitstreben, Unvernunft und mangelnde Solidarität gefährden die Natur und die Gemeinschaft. Zudem ist sie von Gegensätzen zwischen Stadt und Land, Tradition und Fortschritt, den Generationen, Geschlechtern und sozialen Schichten durchzogen. Zu Beginn wird meist ein Spannungsverhältnis zwischen der in der Tradition verwurzelten scheinbar ewigen natürlichen Ordnung der Heimat und der modernen urbanen Zivilisation des Wirtschaftswunders inszeniert, das im Laufe des Films in Richtung eines Integrationsmodells vorschoben wird. In der Mehrzahl der Heimatfilme ist der bereits lang tradierte Konflikt zwischen städtischer Moderne und ländlicher Tradition in eine Konkurrenz zwischen Wirtschaft und Kultur eingelassen. Dies spielt auf die im politischen Diskurs als Gegenmodelle gehandelten Vorschläge zur Neukonstruktion der Nation als Kulturnation oder als Wirtschaftsnation an.7 Heimatfilme stellen die beide Vorschläge jedoch nicht gegenüber, sondern schlagen über Bilder – beispielsweise fahren VW-Käfer-Cabriolets mit modisch gekleideten Insassen durch idyllische Landschaften – und narrative Elemente – beispielsweise finden Städter in der Natur Erholung während die Landbevölkerung eine Tourismusindustrie auf baut – mit Bedeutungen in beide Richtungen eine Verbindung vor. Die Wirtschaftswunder-Heimat stellt sich als eine Folie dar, um Prozesse der Gemeinschaftsbildung durchzuspielen. Das Figurenrepertoire der Heimatfilme ist in Einheimische und Fremde unterteilt, und der Heimatbegriff wird herangezogen, um das Fremde hervorzubringen, über dessen Integration der weitere Handlungsverlauf verhandelt. Die Fremden werden unter bestimmten Voraussetzungen – dem Einsatz für Natur und Gemeinschaft oder der Liebe zur richtigen PartnerIn – in die Dorfgemeinschaft integriert. Die Umstrukturierung der dörflichen Gemeinschaft ist offenbar darauf angelegt, dass das Publikum die politischen und gesellschaftlichen Umstrukturierungsprozesse im Nachkriegsdeutschland assoziiert. Im Rahmen der Heimatdarstellung kann im scheinbar unpolitischen Medium des Spielfilms relativ offen über diese Fragen kommuniziert werden, die im Feld der Politik mit Tabus belegt waren. Die Mehrzahl der Heimatfilme wirkt deshalb wie ein Experimentierfeld, das den ZuschauerInnen individuelle Anpassungsleistungen an die gesellschaftliche Modernisierung vorführt und nahelegt. Es kommt zu einer wechselseitigen Modellierung zwischen Film, Individuum und Gesellschaft: Populäre Filme schließen an die Sehnsüchte und Ängste eines breiten Publikums an und verleihen ihnen eine spezifische ästhetische

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Gestalt, die wiederum auf dessen Vorstellungswelten zurückwirkt. Elisabeth Bronfen verortet das Kino daher an der »Schnittstelle zwischen intimen und öffentlich hergestellten und vertriebenen Phantasieszenarien, zwischen einem individuellen Genießen und einem kollektiv anerkannten Gesetz.«8

B ilder des A ufbruchs : D as F ilmkostüm öffne t sich für die ak tuelle M ode An der Schnittstelle zwischen Individuum und Gesellschaft lässt sich auch die Mode, insbesondere die Kleidermode verankern. Kleidung ist eng mit der Identität ihrer TrägerInnen verbunden. Seit dem Fall der Kleiderordnungen zu Beginn der bürgerlichen Gesellschaft zeigt die Kleidung nicht mehr den Stand einer Person an, sondern gilt vor allem als Ausdruck der Persönlichkeit. Die vestimentäre Kommunikation der Mode basiert auf permanenter Selbst- und Fremdkontrolle. Hohe Aufmerksamkeit und Reflexivität sind nötig, um stets das richtige Bild zu verkörpern. Unablässig gilt es durch modisches Handeln am Selbst zu arbeiten. Mit der Mode zu gehen, erfordert stets in Bewegung zu bleiben. Mode ist immer auch eine Alltagspraxis. Sie muss getragen werden. Die cultural performance der Mode ist jedoch kein freies Spiel, sondern in Machtstrukturen eingelassen.9 Ökonomisches, soziales und kulturelles Kapital erfordernd, setzt sie ebenso auf den Geschlechterkonstruktionen, dem Generationsverständnis, der sozialen Schichtung wie dem Verhältnis von Regionalität und Internationalität auf, wie sie diese mit formt. Kollektives wird dabei mit Individuellem verzahnt. Die Mode wird von einer Dialektik zwischen Anpassung und Abgrenzung bestimmt, die, wie bereits Georg Simmel herausgearbeitet hat, »einen sozialen Gehorsam ermöglicht, der zugleich individuelle Differenzierung ist.«10 Sie reagiert auf gesellschaftliche Veränderungen und bindet den Einzelnen mit dem Effekt darin ein, den Prozess der Veränderung voranzutreiben.11 Medien der Vermittlung wie Modeschauen, Modezeitschriften oder das Kino spielen für das Aushandeln des Modischen eine wichtige Rolle. In den 1950er-Jahren war gerade das Kino eines der zentralen Medien der vestimentären Kommunikation.12 Das Filmkostüm bringt die Mode zur Aufführung, verbindet sie mit den ProtagonistInnen und belegt sie dabei mit zusätzlichen Bedeutungen. Diese Aufladung wirkt wiederum auf die Mode zurück. Das Filmkostüm des Heimatfilms umfasst heterogene Tendenzen: Historische Trachten, Trachtenkleidung, internationale Haute Couture sowie Freizeitund Jugendmode. Die historische Tracht tritt im Heimatfilm fast ausschließlich als der Vergangenheit zugeordnete Kleidung in Erscheinung, die vor allem von weiblichen Figuren bei Trachtenfesten getragen wird.13 Trachtenkleidung als eine sich nur langsam im historischen Verlauf wandelnde, doch nicht in vergleichbar feste Formen wie die Tracht gefasste regionaltypische Kleidung ist

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dagegen im Heimatfilm fast allgegenwärtig. Sie dient dazu, eines der konstitutiven Elemente des Genres, die Gegenüberstellung von Land und Stadt sowie von Tradition und Moderne, hervorzubringen. Städter werden fast durchgehend durch ein an der internationalen Haute Couture orientiertes Filmkostüm charakterisiert, die Landbevölkerung dagegen eher durch die scheinbar zeitlose Trachtenkleidung. In der zweiten Hälfte des Jahrzehnts wird diese Zuordnung gelockert, indem zunehmend städtische Kleidung in das Kleidungsrepertoire der auf dem Land beheimateten Figuren integriert wird. Zuvor setzt das Filmkostüm die Aufnahme Fremder in die Heimat gerne durch den Wandel ihrer Garderobe ins Bild. So wechselt im Film Der Förster vom Silberwald (Alfons Stummer, AT 1954) die weibliche Hauptfigur von modischer Kleidung – enger Hose, Strickbluse und Schürze im Atelier, Kleidern mit weitem Rock am Nachmittag, schmalen Kleidern am Abend, Skihose und Pullover zum Wintersport und Trachtenkostüm zum Wandern in den Bergen – zu Dirndlkleidern und Trachtenkostümen, die sie auch visuell in die Dorfgemeinschaft integrieren. Das Trachtenkostüm findet sich in beiden Kleidungsrepertoires, doch ändert es seinen Status: Es wechselt vom Ferienoutfit zur Alltagskleidung der Figur. In späteren Heimatfilmen dagegen tragen auch in der Heimat, wie beim Eingangsbeispiel gesehen, meist nur noch die älteren Filmfiguren und die Kinder überwiegend Trachtenkleidung. Wechselt eine Figur nun zwischen beiden Kleidungsrepertoires, so führt der Weg von der traditionellen zur modernen Garderobe. In Die Fischerin vom Bodensee (Harald Reinl, BRD 1956) beispielsweise signalisiert der Übergang der Fischerin vom dirndlähnlichen Outfit (mit Schnürmieder, Bluse oder Brusttuch und einem mit Schürze getragenem Rock für den Alltag sowie historischer Tracht für Festtage) zur modischen Kleidung (ein elegantes spitzenbesetztes Hochzeitkleid mit enger Taille, korsettgeformter Büste, abgerundeten Schultern und ausgestelltem Rock), dass sie ihre fortschrittsfeindliche Haltung aufgegeben hat. Gegen Ende der 1950er-Jahre ist im Heimatfilm die modische Kleidung auch auf dem Land angekommen. Das Filmkostüm nimmt deutlich auf die beiden dominanten Silhouetten der Zeit – New Look und Bleistiftlinie – Bezug. Wie im gesamten deutschen Kino der 1950er-Jahre erscheint auch im Heimatfilm die junge Heiratskandidatin im New Look, die etwas ältere Berufstätige dagegen in der Bleistiftlinie.14 Der Heimatfilm bekennt sich damit zur Mode, jedoch geschieht dies in einer moderaten Art und Weise: Das »Pariser Liniendiktat« – der jährliche Silhouettenwechsel der Haute Couture, findet selbst in der gemäßigten Abwandlung des Pariser Vorbildes durch deutsche Modemacher wie Heinz Oestergraard kaum Niederschlag. Diese Zurückhaltung korrespondierte mit der Kleidung der realen deutschen Frauen. Zwar ging man mit der Mode, doch konnte sich kaum jemand Haute Couture-Kleider leisten und die Konfektionskleidung sowie die Hausschneiderei nahmen Neuerungen nur langsam auf.15

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Abb. 02: Eine junge Dame im modisch-eleganten Kleid, welches an die Sacklinie Christian Diors erinnert. Videostandbild aus: Ferien auf Immenhof (Hermann Leitner, BRD 1957). © Kineos GmbH

Abb. 03: Der Medizinalrat trägt in seinen Ferien auf dem Ponyhof ein leuchtendrotes kurzärmliges Freizeithemd. Videostandbild aus: Ferien auf Immenhof (Hermann Leitner, BRD 1957). © Kineos GmbH

In einigen Beispielen finden sich jedoch auch im Heimatfilm ausgefallenere Silhouetten. In Ferien auf Immenhof (Hermann Leitner, BRD 1957) oder Die Landärztin (Paul May, BRD 1958) werden beispielsweise die für den deutschen Markt mit Gürteln versehene Sacklinie Christian Diors getragen, eine Nachmittagsgarderobe mit enger Hose oder ein Kostüm, das mit dem berühmten ab 1954 von Coco Chanel entwickelten Tweedkostüm in Verbindung steht (Abb. 02). Besonders spannend ist, wie die in den 1950er-Jahren neu aufkommende Freizeitmode eingesetzt wird. Sie wird vor allem Männerfiguren zugeordnet. Deutlich wird mit den männlichen Kleidungstraditionen der vorherigen Jahre gebrochen (Abb. 03). In der nationalsozialistischen Zeit trugen die »Volks-

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genossen« zunächst als Parteimitglieder und später als Soldaten Uniformen. Diese brachten Kleidkörper hervor, die in der Tradition des von Klaus Theweleit herausgearbeiteten militärisch straffen und streng gegenüber der Umgebung abgegrenzten Körperpanzers der Zeit des Ersten Weltkriegs standen.16 Nach der totalen Niederlage war das Soldatische in der Öffentlichkeit diskreditiert. Es galt, neue Männerbilder zu entwerfen. In den 1950er-Jahren sollte der Mann nicht nur beruflich erfolgreich sein, sondern auch seine Freizeit genießen und am Konsum teilhaben. Der Heimatfilm macht dies ebenso über die Narration wie über das Filmkostüm zum Thema. In dem zu Beginn des Jahrzehnts gedrehten Film Das Schwarzwaldmädel (Hans Deppe, BRD 1950) fahren beispielsweise zwei Städter zur Erholung auf Land. Auf der Reise trägt einer der beiden Männer mit einer Kombination aus Jackett und Tuchhose eine klassisch informelle Kleidung, während der andere zur klassischen Tuchhose ein buntes Freizeithemd und einen modischen Blouson kombiniert. Gegen Ende des Jahrzehnts gewinnt die Freizeitmode im Heimatfilm weiter an Gewicht. In Filmen wie Ferien auf Immenhof bleiben Sakkoanzug und Kombinationen von Tuchhose und Jackett tendenziell den offiziellen Anlässen vorbehalten. Junge Männer und männliche Teenager tragen überwiegend Freizeitmode: kurzärmlige, weiße oder bunte Freizeithemden, mitunter sogar in der neuen quergeknöpfte Variante, Hosen aus leichten Stoffen und bequem geschnittene Freizeitjacken. Es finden sich aber auch Szenen, die aus diesem Rahmen herausfallen. In Ferien auf Immenhof kleiden sich beispielsweise die Kinder und Teenager bei einem Pony-Umzug in der nahegelegenen Stadt im Westernstil. Mit ihren Jeans und bunten Karohemden tragen sie die Kleidung der von Amerika inspirierten Jugendkultur der Halbstarken. In anderen Heimatfilmen taucht die Kleidung der Halbstarken sogar im normalen Alltag auf – und ist ausgesprochen positiv konnotiert. Ein exemplarisches Beispiel ist Die Landärztin. Der Film plädiert explizit dafür, mit der Zeit zu gehen und weibliche Berufstätigkeit selbst in vormals Männern vorbehaltenen Gebieten zu akzeptieren. Die attraktive Landärztin reitet nicht nur in einer nach dem Vorbild der Caprihose geschnittenen Jeans aus (Abb. 04), sondern macht darin auch beim Tête-a-tête mit dem Tierarzt eine gute Figur.17 Die im Heimatfilm entworfenen Kleidkörper dürften sich gegenüber der Garderobe seines Publikums durch einen gewissen Glanz auszeichnet haben. Ihre Ausstrahlung reicht aber nicht an den Glamour der Kleidkörper des Hollywoodkinos heran. Dabei spielt eine Rolle, dass die Körper- und Bekleidungsmobilität im Heimatfilm generell stark zurückgenommen ist, ohne dass stattdessen theatralische Posen visuelle Prägnanz ins Spiel bringen. Ich beziehe mich dabei auf Heide Schlüpmann, die beobachtet, dass die Frauen im deutschen Kino der 1950er-Jahre wie gepanzert wirken und der Schaulust kaum mehr viel bieten könnten.18 Dies gilt auch für das Genre des Heimatfilms. Allenfalls schwingen weite Röcke, während die Oberkörper eine mit-

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Abb. 04: Die junge Landärztin in Jeans und Karobluse beim Nachmittagstee. Videostandbild aus: Die Landärztin (Paul May, BRD 1958). © Kineos GmbH

Abb. 05: Teenager-Zwillinge rennen in flatternden College-Kleidern über eine Sommerwiese. Videostandbild aus: Die Fischerin vom Bodensee (Harald Reinl, BRD 1956). © Kineos GmbH

unter fast unheimliche Statik aufweisen. Diese Statik folgte zwar dem Vorbild Christian Diors, der seine Modelle steif abgefütterte, doch reduziert sie die Möglichkeit spektakulärer Bilder. Verzichtet wird auf das Spiel mit dynamischer Bewegtheit, weit in den Raum ausgreifenden Stoffmassen und effektvollen Faltenwürfen. Nur im Ausnahmefall bringen die Kleidkörper Bewegung in die filmischen Bilder. Ein solcher Ausnahmefall ist Die Fischerin vom Bodensee. Hier sorgt ein Zwillingspaar weiblicher Teenager für Wirbel in der Heimat. Sie sind reich, übermütig und ständig in Bewegung. In einer Szene rennen sie beispielsweise durch eine Wiese. Ihre College-Kleider umspielen die Büsten zwar körpernah, zeigen aber im Rockbereich eine füllige Weite. Unter den Kleidern wird kein Korsett getragen, sondern ein Petticoat. Jede der dynamischen Körperbewegungen wird dadurch in ein reiches Faltenspiel des Stoffes übersetzt. Die wogenden in strahlendem weiß-gelb gehalten Röcke heben sich deutlich

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vom intensiven Grün der sonnenbeschienenen Wiese ab (Abb. 05). Die Szene lässt an Aby M. Warburgs Deutungen der »antiken Nympha« und ihrer Nachfolgerinnen als Pathosformel – als bildlich gefasste Energie – denken.19 Die Energie, die die schwingenden Röcke und die schnellen Bewegungen in die Filme bringen, scheint davon zu erzählen, dass das Lebensgefühl gegen Ende des Jahrzehnts durch neue Bewegung geprägt wurde. Die Power der Teenager lässt den von der Jugend ausgehenden gesellschaftlichen Auf bruch der 1960er-Jahre bereits erahnen.

B ilder des S tillstands : I nterieurs von zeitloser S chönheit Während das Filmkostüm des Heimatfilms ein breites Spektrum umfasst, das eingesetzt wird, um städtisch Modernes in die traditionell geprägte Heimat zu integrieren, ist das Set-Design der Innenräume fast durchgehend an Einrichtungsstilen orientiert, die bereits das Interieur der Zeit des Nationalsozialismus prägt hatten: dem repräsentativen Dekorationsstil, dem sachlichen Einrichtungsstil und dem rustikalen Einrichtungsstil.20 Diese werden jedoch jeweils in Aspekten abgewandelt. Heimatfilme spielen überwiegend auf dem Land. Das Interieur in der ländlichen Heimat wird durch den rustikalen Einrichtungsstil dominiert. Dadurch gehen die Heimat und ein an der Tradition orientiertes rustikales Wohnen eine enge Verbindung ein. Die bäuerlich-ländlichen Materialien und Formen, die im Nationalsozialismus mit dem Ziel einer Stärkung der »Volksgemeinschaft« vor allem dem halböffentlichen Raum zugeordnet wurden, finden sich nun in privaten, halböffentlichen und öffentlichen Räumen. Dennoch dient der rustikale Einrichtungsstil dazu, in der Heimat Unterschiede zu markieren. Diese betreffen aber nicht die Unterscheidung zwischen einer privaten und einer öffentlichen Sphäre, sondern sie tragen dazu bei, soziale Differenzen ins Bild zu setzen. Im Film Die Fischerin vom Bodensee wird beispielsweise die Armut der sich traditioneller Fangmethoden bedienenden Familie der Fischerin dem Publikum nicht nur durch die Beengtheit ihres kleinen Hauses vermittelt, sondern auch dadurch, dass die Innenraumgestaltung und das Mobiliar aus einfachen, Materialien bestehen, ohne großen handwerklichen Aufwand hergestellt wurden, an kleinbäuerliche Traditionen angelehnt sind und starke Gebrauchsspuren zeigen (Abb. 06). Der Wohlstand der konkurrierenden, sich moderner Fangmethoden bedienenden Familie ihres Verehrers wird dagegen durch ein geräumiges Bauernhaus mit vertäfelten Wänden und einer anspruchsvolleren Möblierung vermittelt, die neben bäuerlichen auch aus dem städtischen Kontext stammende Antiquitäten umfasst. Das rustikal-bäuerliche Einrichtungsideal der nationalsozialistischen Zeit wird also nicht nur durch eine soziale Ausdifferenzierung,

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sondern auch durch eine demonstrative Einbeziehung städtischer Elemente abgewandelt. Auch der repräsentative Dekorationsstil mit seinen getäfelten Wänden, voluminösen Polstermöbeln und an neubarocken oder neuklassizistischen Vorbildern orientierten Möbeln wird im Heimatfilm durch Antiquitäten ergänzt. Ein exemplarisches Beispiel für ein solches Ambiente findet sich mit dem Salon des in der Stadt verorteten Industriellen im Film So lange noch die Rosen blühen (Hans Deppe, BRD 1956). Die beiden durch eine große Flügeltür verbundenen weitläufigen Räume mit ihrem hohen Decken sind mit wertvollen Rokokomöbeln, einer raumgreifenden Sofagarnitur, dicken Teppichen, schweren Vorhängen, gesteiften Tapeten und zahlreichlichen Zimmerpflanzen ausgestattet. Zuweilen, wie im Falle des im Film Ferien auf Immenhof entworfenen Landhotels, kommen zudem betont moderne Details ins Bild. So ist ein Jugendzimmer mit profilierter dunkler Holztür, gewölbten Deckenansätzen und hell getünchten Wänden mit Furnierholzmobiliar, Polsterstuhl, modisch pastellfarbenem Streifenstoff, zierlicher Zimmerpflanze, zarten Zeichnungen und einem Tischlämpchen im hochaktuellen Tütenschirmdesign ausgestattet (Abb. 07). Wenn, wie im Fall des Jugendzimmers in Ferien auf Immenhof, in einem in den Grundzügen traditionsbezogenen Interieur einzelne Wohnaccessoires durch ihre modisch dynamischen Formen und/oder ihre zeitgenössische pastellene Farbigkeit auf die Gegenwart verweisen, kann man auch an eine vor allem in kleinbürgerlichen Kreisen der Zeit beliebte Einrichtungspraxis denken, die ein traditionelles Ambiente im Stil des »Gelsenkirchener Barocks« mit einzelnen demonstrativ modernen Elementen in asymmetrischer Formgebung und pastelliger Farbgebung mischte. In den Bildwelten des Heimatfilms findet der repräsentative Dekorationsstil sowohl zur Inszenierung des Wohnens

Abb. 06: Die von Armut gekennzeichnete Stube der traditionell arbeitenden Fischerfamilie. Videostandbild aus: Die Fischerin vom Bodensee (Harald Reinl, BRD 1956). © Kineos GmbH

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Abb. 07: Das Jugendzimmer im Ponyhof verbindet ein traditionsbezogenes Interieur mit modischen Wohnaccessoires. Videostandbild aus: Ferien auf Immenhof (Hermann Leitner, BRD 1957). © Kineos GmbH

der gehobenen bürgerlichen Schichten in der Stadt, als auch dem Land Verwendung. Beispiele für einen sachlichen Einrichtungsstil finden sich im Heimatfilm dagegen nur wenige. Wenn doch, dann handelt es sich dabei in der Regel um Funktionsräume, wie Arztpraxen, Krankenhausräume oder Büros. Das helle, sparsam möblierte und betont klar strukturierte Büro des modernen Neuerungen gegenüber aufgeschlossenen Fischereibetriebsinhabers in Die Fischerin vom Bodensee mit seinem schlichten Holzmobiliar ist dafür ein Beispiel. Deutlich zeigt sich: »Zeitlos« – der Schlüsselbegriff der nationalsozialistischen Ästhetik 21 – charakterisiert auch das Interieur des Heimatfilms, ja er gewinnt, indem er die beiden historischen Perioden miteinander verbindet, sogar noch an Überzeugungskraft. Nur in einigen Ausnahmefällen werden im Heimatfilm an der zeitgenössischen Moderne orientierte Interieurs entworfen, so in Der Förster vom Silberwald. Das einem abstrakten Künstler zugeordnete Atelier könnte man als ein typisches Beispiel der Nachkriegsmoderne beschreiben. Prominent ist im Raum eine freitragende Treppe mit filigranem Geländer platziert. Zudem findet sich ein Regal aus fragilen Metallleitern und eingehängten Böden, das nicht nur eine Wand einnimmt, sondern auch als Raumteiler fungiert (Abb. 08). Dekorativ sind darin pastellfarbene organisch geformte Keramikvasen zur Schau gestellt. Das filigrane Treppengeländer korrespondiert in mehreren Sequenzen mit den langen dünnen Armen einer in Arbeit befindlichen Skulptur und verbindet auf einer formalen Ebene die angewandte und die freie Kunst. Dadurch wird die Skulptur mit dem Verdacht belegt Design und keine hohe Kunst zu sein, während umgekehrt der Raum einen artifiziellen Charakter erhält. Die Szene eines Atelierfestes entwickelt diese Anmutung von Künstlichkeit noch

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weiter. Durch einige wenige Veränderungen – ein Sofa mit gesteiftem Bezug, Cocktailsessel, Beistelltischchen und Tütenlampen – wird das Atelier zum mondänen Partyraum (Abb. 09). Mitunter sehen wir den blonden Bildhauer und seine schwarzhaarige Freundin zusammen im Bild. Er ist fast ganz in Schwarz gekleidet, während sie ein Abendkleid aus einem abstrakt gemusterten Stoff trägt, der in grau-schwarz-weiß Tönen gehalten ist (Abb. 10). Im Hintergrund hängen zwei abstrakte Zeichnungen in komplementärer Hell-DunkelVerteilung. Interieur, Kunst und KunstproduzentInnen erscheinen in dieser Szene gleichermaßen gewollt dekorativ. Dekorativ sind auch die ausschließlich schwarz-weiß gekleideten Gäste des Paares. Die weiblichen Figuren tragen Cocktailkleider oder Hosen mit Pullovern und die männlichen Figuren Anzüge oder Tuchhosen mit Hemden beziehungsweise Pullovern. Die Perfektion der Bilder – Farben, Formen und Bewegungen sind streng kalkuliert sowie Kunst, Kleidung und Interieur akkurat aufeinander abgestimmt – lässt die Gruppe als zwanghaft vom Willen zur Modernität beherrscht erscheinen. Beim zeitgenössischen Publikum, das überwiegend noch im Ambiente der Vorkriegszeit wohnte, dürften diese Bilder kompromissloser Modernität eher Ablehnung denn Konsumträume hervorrufen haben.

D ie C aprihose unter der K uckucksuhr : K leidkörper und I nterieur in der W irtschaf tswunder -H eimat Im Heimatfilm wird im kleinen Rahmen der dörflichen Gemeinschaft auf dem Land ein breites Spektrum der in den 1950er-Jahren ebenso die Individuen wie auch die Gemeinschaft betreffenden Herausforderungen themati-

Abb. 08: Das betont moderne Atelier des abstrakt arbeitenden Künstlers. Videostandbild aus: Der Förster vom Silberwald (Alfons Stummer, AT 1954). © Kineos GmbH

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Abb. 09: Das Atelierfest. Videostandbild aus: Der Förster vom Silberwald (Alfons Stummer, AT 1954). © Kineos GmbH

Abb. 10: Kleidung und Interieur in perfektester Harmonie: Der Künstler und seine Freundin auf dem Fest im Atelier. Videostandbild aus: Der Förster vom Silberwald (Alfons Stummer, AT 1954). © Kineos GmbH

siert. Einheimische und Fremde, Stadt und Land, Tradition und Fortschritt sowie verschiedene Generationen, Geschlechter und soziale Schichten treffen konfliktreich aufeinander. Diese Konflikte werden im Verlauf der Filme nur oberflächlich geglättet. Gegensätze werden nicht aufgelöst, sondern zusammengeführt. Die Heimat wird in einer spezifischen Weise modernisiert, bei der die Tradition als Rahmen fungiert in den moderne Elemente eingebunden werden. Dies geschieht – nicht ausschließlich, aber in einer besonders sichtbaren Weise – mittels der von Gegensätzen durchzogenen Beziehung zwischen den Kleidkörpern und dem Interieur (Abb. 11). Die ewige natürliche Ordnung der Heimat mit ihren traditionsbezogenen Interieurs bildet den Rah-

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Abb. 11: Teenager-Zwillinge in Caprihosen in der traditionell eingerichteten Stube der reichen Bauern- und Fischereiunternehmerfamilie. Videostandbild aus: Die Fischerin vom Bodensee (Harald Reinl, BRD 1956). © Kineos GmbH

men in dem zunehmend deutlicher an aktuellen Modeerscheinungen orientierte Kleidkörper integriert werden. Die gegenüber dem Filmkostüm stärkere Bindung des Interieurs an die Tradition, eröffnete nicht nur ein Experimentierfeld für die Modernisierung der Kleidkörper, sondern schloss zudem an den Erfahrungshorizont des zeitgenössischen Publikums an. Denn auch die breite Bevölkerung ging weitaus deutlicher in ihrer Kleidung mit der Mode als in ihrem Einrichtungsstil. Filmkostüm und Set-Design der Innenräume wie auch ihr Zusammenspiel nehmen damalige Alltagserfahrungen auf, um sie umzuformen, und konnten so einen entscheidenden Beitrag dazu leisten, dass die filmischen Bilder als Ausgangmaterial für Phantasieszenarien dienten, die Handlungsspielräume zwischen individuellen Befindlichkeiten und kollektiven Zwängen beziehungsweise Freiheiten der sich modernisierenden Gesellschaft der Nachkriegszeit ausloteten. Das Filmkostüm und das Set-Design der Innenräume erweisen sich somit als Faktoren von hoher gesellschaftspolitischer Relevanz: In ihrem spezifischen Zusammenspiel von Modernität und Zeitlosigkeit fungierten sie als Agenten, die zu einer ständigen (Re)konstruktion sowohl der nationalen Identitäten als auch der Identität der einzelnen Menschen im deutschsprachigen Raum der Nachkriegszeit beitragen konnten.

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A nmerkungen 1 | Kleidkörper ist ein Fachbegriff der kulturwissenschaftlichen Bekleidungswissenschaft. Er zielt auf das Zusammenspiel von Körper und Kleidung bekleideter Körper ab. Das Körperbild wird in hohem Maße durch die Kleidung bestimmt. Kleidung kann den Körper in unterschiedlicher Weise sichtbar machen, auf seine Bewegung verweisen, sein Bewegungspotential regulieren, die Körpersilhouette definieren oder den Körper neu konstruieren. Der Körper wird durch Kleidung zum Kleidkörper. Das modische Handeln zielt auf eine der aktuellen Mode entsprechende Modellierung des Kleidkörpers. Vgl.: Barbara Schrödl: »Mode und Krieg. Der Kleidkörper in nationalsozialistischen Filmen der späten 1930er und frühen 1940er Jahre.« In: Christer Petersen (Hg.): Zeichen des Krieges in Film, Literatur und den Medien. Kiel 2004, S. 231-255. Gertrud Lehnert spricht statt von Kleidkörper von Modekörper. Vgl.: Gertrud Lehnert: »Zur Räumlichkeit von Mode – Vestimentäre räumliche Praktiken.« In: Rainer Wendrich (Hg.): Die Medialität der Mode. Kleidung als kulturelle Praxis. Perspektiven für eine Modewissenschaft. Bielefeld 2015, S. 233-250, hier S. 233-235. 2 | Zwar profitierten alle vom Wirtschaftsaufschwung, gleichzeitig aber nahmen die materiellen Unterschiede zwischen den Menschen zu. Gegen die These Helmut Schelskys, in der Gegenwart der 1950er-Jahre könne der Hauptteil der Gesellschaft als Mittelstand bezeichnet werden und es gäbe in dieser großen Gruppe kaum wirkliche Konflikte, erhoben bereits damals zahlreiche AutorInnen Einspruch. Der liberale Soziologe Ralph Dahrendorf beispielsweise betont in Soziale Klassen und Klassenkonflikt in der industriellen Gesellschaft, dass es in der Gesellschaft empirisch feststellbare soziale Ungleichgewichte gäbe. Vgl.: Ralf Dahrendorf: Soziale Klassen und Klassenkonflikt in der industriellen Gesellschaft. Stuttgart 1957. 3 | Axel Schildt: »Gesellschaftliche Entwicklung.« In: Bundeszentrale für politische Bildung (Hg.): Informationen zur politischen Bildung 256 (2002). http://www.bpb.de/ izpb/10124/gesellschaftliche-entwicklung?p=all (Abruf Februar 2016). 4 | Spitzenorganisation der Filmwirtschaft e.V. (Hg.): Filmstatistisches Jahrbuch 1965. Zusammengestellt und bearbeitet v. Richard Knierim. Wiesbaden 1965, S. 20. 5 | Für die deutschen und österreichischen Heimatfilme arbeitet Gertraud Steiner heraus, dass diese kaum nationale Unterschiede aufweisen, die Filmindustrien waren eng miteinander verflochten und es wurde der gleiche Absatzmarkt – in dessen Zentrum der westdeutsche Markt stand – anvisiert. Bezogen auf die Narration und die ästhetische Gestaltung zeigen sich meines Erachtens auch deutliche Analogien zum schweizerischen Heimatfilm der 1950er-Jahre. Vgl.: Gertraud Steiner: Die Heimat-Macher. Kino in Österreich 1946-1966. Wien 1987, S. 65. 6 | Ebd., S. 163. 7 | Zur Konkurrenz zwischen der Deutung Westdeutschlands als Kulturnation oder als Wirtschaftsnation in der Nachkriegszeit siehe: Katja von der Bey: »Maler und Hausputz im deutschen Wirtschaftswunder. Künstlermythen der Nachkriegszeit zwischen ›Kultur-

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Barbara Schrödl nation‹ und ›Wirtschaftsnation‹.« In: Kathrin Hoffmann-Curtius/Silke Wenk (Hg.): Mythen von Autorschaft und Weiblichkeit im 20. Jahrhundert. Marburg 1997, S. 234-244. 8 | Elisabeth Bronfen: Heimweh. Illusionsspiele in Hollywood. Berlin 1999, S. 44. Zum Verhältnis von Film, Individuum und Gesellschaft im deutschsprachigen Kontext siehe auch: Barbara Schrödl: Das Bild des Künstlers und seiner Frauen. Beziehungen zwischen Kunstgeschichte und Populärkultur in Spielfilmen des Nationalsozialismus und der Nachkriegszeit. Marburg 2004. Studien zur visuellen Kultur 3. S. 17-46. 9 | Zur cultural performance der Mode siehe: Gertrud Lehnert: »Das vergängliche Kleid.« In: Kunstforum International 197: DRESSED! Art en Vogue (2009), S. 265-283. 10 | Georg Simmel: »Philosophie der Mode.« (11905). In: Gertrud Lehnert/Alicia Kühl/ Katja Weise (Hg.): Modetheorie. Klassische Texte aus vier Jahrhunderten. Bielefeld 2014., S. 108. 11 | Karen Ellwanger: »Mobilität in der Bekleidung I. Mobilität und Geschwindigkeit in der Modetheorie der Moderne.« In: Bettina Heinrich/Christel Köhle-Hezinger (Hg.): Gestaltungsspielräume. Frauen in Museum und Kulturforschung. 4. Tagung der Kommission Frauenforschung in der Deutschen Gesellschaft für Volkskunde. Marburg 1992, S. 161-176, hier S. 168-169. 12 | Exemplarisch kommt die enge Beziehung zwischen Kino und Mode in der Nachkriegszeit in der Illustrierten Film und Frau zum Ausdruck, deren zentrale Themen das Kino und die Mode bildeten. 13 | Auch die historischen Trachten, die sich in ihren Grundformen auf das 19. Jahrhundert herausbildeten, stehen nicht außerhalb der Mode, entwickeln sich aber nur sehr langsam fort. 14 | Karen Ellwanger: »Schnittform der Liebe. Mode und Film zu Beginn der 50er.« In: Heidi Lerche-Renn (Hg): Kleid und Menschenbild. Köln 1992, S. 95-117. 15 | Private Fotoalben lassen vermuten, dass in den 1950er-Jahren die breite Bevölkerung modische Neuerungen nur langsam aufnahm. Zwar wurden die neuen Grundlinien – enge Linie und New Look – bereits Ende der 1940er-Jahre entwickelt, doch zeigen die Fotografien noch zu Beginn der 1950er-Jahre überwiegend einen bequemen und stoffsparenden Hemdblusenstil. Die enge Linie und der New Look werden in den Alben erst in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts präsenter. 16 | Zum Konzept des Körperpanzers siehe: Klaus Theweleit: Männerphantasien. Bd. 2: Männerkörper. Zur Psychoanalyse des weißen Terrors. Reinbek bei Hamburg 1987 (11978). 17 | Als Caprihose wird eine schmale Hose in 7/8 Länge mit seitlichem Verschluss und kurzen Schlitzen an den Säumen der Hosenbeine bezeichnet. Ende der 1940er-Jahre entwickelt, wurde sie in den 1950er-Jahren modern. Beim Sonnenbaden am Strand war das Tragen einer Caprihose fast Normalität. Auf die Straße wurde sie aber nur von modemutigen Mädchen und Damen getragen. 18 | Heide Schlüpmann: »›Wir Wunderkinder‹. Tradition und Regression im bundesdeutschen Film der Fünfziger Jahre..« In: Frauen und Film 35: Die fünfziger Jahre (1983), S. 4-11.

Die Caprihose unter der Kuckucksuhr 19 | Aby M. Warburg formuliert diese Gedanken in seinem »Nymphenfragment.« Vgl.: Ernst H. Gombrich: Aby Warburg. Eine intellektuelle Biografie. Frankfurt a. M. 1981 (11970), S. 141-164. 20 | Joachim Petsch: »Möbeldesign im Dritten Reich und die Erneuerung des Tischlergewerbes seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert..« In: Sabine Weißler (Hg.): Design in Deutschland 1933 – 1945. Ästhetik und Organisation des Deutschen Werkbundes im »Dritten Reich.« Gießen 1990. Werkbund-Archiv 20. S. 42-55, hier S. 44. 21 | Vgl.: Sabine Weißler (Hg.): Design in Deutschland 1933 – 1945. Ästhetik und Organisation des Deutschen Werkbundes im »Dritten Reich«. Gießen 1990. WerkbundArchiv 20. S. 7.

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»Unser Sandmännchen« Kleiderordnung und Weltvorstellung im Sozialismus Anna Minta

Versteht man unter Mode gewöhnlich den sich wandelnden Geschmack in verschiedenen Lebensbereichen, so nahm die 1974 in der DDR erscheinende Leipziger Ausgabe von Meyers Neuem Lexikon eine viel engere und der sozialistischen Doktrin entsprechende Definition vor: Mode sei eine »gesellschaftliche Erscheinung, die sich in Abhängigkeit von den bestehenden Produktionsverhältnissen und dem Entwicklungsstand der Produktivkräfte formt. Die Mode widerspiegelt den materiellen sowie geistig-kulturellen Entwicklungsstand und die Lebensweise einer Gesellschaft bzw. bestimmter gesellschaftlicher Klassen […] Im Sozialismus erhält die Mode eine neue Qualität. […] Als Bekleidungskultur wird sie immanenter Bestandteil der Kultur der sozialistischen Gesellschaft.«

Mode und Kleidung dienen hier nicht als persönliches Ausdruckmittel einer individuellen Distinktion und Geschmacksvorliebe, sondern sie sind, so das Lexikon weiter, ein zentrales Mittel, »zur allseitigen Entwicklung der sozialistischen Persönlichkeit und deren Lebensweise beizutragen. […] Der Prozess der Entwicklung der Mode vollzieht sich nicht spontan, sondern erfordert eine Lenkung und Einordnung in den gesellschaftlichen Reproduktionsprozess mit dem Ziel, die Übereinstimmung des einzelnen mit denen der sozialistischen Gesellschaft herzustellen.«1 Mit dieser autoritären Umschreibung wird deutlich, dass Modekonzepte und Kleiderproduktionen in der DDR weitgehend dem klar definierten politischen Auftrag unterstanden, kollektive, uniforme Gruppenzugehörigkeit zu etablieren und zugleich soziopolitische Ordnungsvorstellungen des sozialistischen Arbeiterstaates zu vermitteln. Kleidung und letztendlich die gesamte gestaltete Lebensumwelt von der Siedlung und Wohnung bis zum Interieur dienten – zumindest idealiter – der autoritativen Erziehung im Sinne des Sozialismus. Dabei ging es immer auch um eine Abgrenzung gegenüber dem liberalen und kapitalistischen Westen. In der offiziellen Haltung der DDR, wie sie immer wieder von sozialistischen Ideologen unter

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anderem am 1952 neu gegründeten Institut für Bekleidungskultur in Ostberlin formuliert wurde, waren die wechselhaften und konsumorientierten Modeerscheinungen des Westens ein Symptom für den »moralischen Verfall« der kapitalistischen Klassengesellschaft und für die »Verkümmerungen des guten Geschmacks«.2 »Bekleidungskultur« statt »Mode« fungierte in der DDR gleichermaßen wie andere Gegenstände des Alltäglichen als Ideologieträger, die von der sozialistischen Kulturpolitik zur soziomoralischen Formung der neuen Gesellschaft vereinnahmt werden sollten.3 Wolfgang Fröbel, seit 1953 Mitarbeiter, ab 1967 Direktor des Deutschen Modeinstituts, sowie parteitreue Vertreter aus der Bekleidungsindustrie unterstellten die Modeschöpfung dem politischen System- und Klassenkampf: »Es muss alles getan werden, damit sich unsere Bevölkerung noch besser kleiden kann, um auch äußerlich die Überlegenheit des sozialistischen Systems zu beweisen.«4 Der vorliegende Beitrag ist nicht an der historischen Rekonstruktion von Designprozessen einzelner Gebrauchsgüter in der DDR interessiert, sondern er konkretisiert Beobachtungen, wie die Ausstattung des Alltäglichen in Form von Kleidung und Wohnungsinterieur, insbesondere Möbel, den sozialistischen Gesellschaftsentwürfen entsprechend politisch-ideologisch aufgeladen und der Öffentlichkeit vermittelt wurden. Die offizielle Haltung lässt sich dabei nicht nur parteikonformen Publikationen entnehmen. Es sind, so die These, besonders auch Unterhaltungsformate wie Modezeitschriften und Kinderfilme, die sozialistische Lebensentwürfe bildreich in weite Bevölkerungsteile verbreiteten. Insbesondere Kinderbücher und TV-Sendungen transportierten teils subtil, teils offensiv sozialistische Leitbilder, um darüber bereits die Jugend an der Formung eines neuen Gesellschaftsideals teilhaben zu lassen. Mit steigender Popularität erreichte beispielsweise das Kinderprogramm des Ost-Sandmännchens ein breites und zunehmend auch grenzüberschreitendes Publikum und konnte damit – verkleidet in kurzweilige Kindergeschichten – unterschwellig politische Botschaften in die ostdeutschen Wohnzimmer ausstrahlen. Die in diesen Medien vermittelten Bilder rezipieren den DDR-Alltag und dokumentieren teils klar zu identifizierende Stadträume und Landschaften sowie historische und politische Ereignisse, um den Wiedererkennungswert und damit das Identifikationspotential zu erhöhen. Zugleich antizipieren die Bilder und Filme in ihrer Ausstattung und ihrem sozialen Handlungsraum das Ideal sozialistischer Gemeinschaft und Lebenswelt.

»Unser Sandmännchen«

S andmännchen – F rontmann sozialistischer E rz ählungen und B ildwelten im ostdeutschen K inderfernsehen Die Entstehung der Sandmännchen-Vorabendsendung steht im Zeichen des Kalten Krieges. Im November 1959 strahlte das DDR-Fernsehen die erste Folge von Unser Sandmännchen – ein Abendgruß für Kinder aus.5 Zuvor hatte es seit 1956 bereits im Hörfunk den sogenannten Abendgruß gegeben, in dem auch der Sandmann auftrat. Die ersten Sendungen des Fernseh-Sandmännchens waren unter Hochdruck in nur wenigen Wochen Produktionszeit entstanden, denn im Sommer des Jahres hatte der Westberliner Sender Freies Berlin (SFB) für den 1. Dezember die Ausstrahlung einer neuen Sendereihe unter dem Titel Sandmännchen – ein Gute-Nacht-Gruß für die Kinder angekündigt. In der DDR war Walter Heynowski, stellvertretender Intendant des Deutschen Fernsehfunks (DFF), über die Übernahme ihrer Idee eines sandmännischen Abendgrußes alarmiert. Er hatte die gesellschaftliche Wirkungsmacht des Sandmännchens erkannt und sprach im Rahmen einer dringlichen Petition für eine eigene Verfilmung von der »große[n] politische[n] Wirkung durch Emotionen«.6 Mit der Ausstrahlung am 22. November schlug das Ost-Sandmännchen um nur wenige Tage die Erstausstrahlung seines westdeutschen Pendants. Der Trickfilmer Gerhard Behrendt hatte hastig ein kleines Sandmännchen mit Zipfelmütze, großen Schlafaugen und Spitzbart entwickelt, das am Ende seiner Geschichte selbst – erschöpft an eine Hauswand angelehnt – im Schnee einschläft.

Abb. 01: Sandmännchens Reisen durch Afrika, Postkarte 1973. Privatbesitz.

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Die Figur des Sandmännchens erfuhr nachfolgend diverse kleine Umgestaltungen. 1960 erhielt sie von der Puppengestalterin Diethild Dräger die noch heute weitgehend gültige Gestalt: Mit seinem jugendlichen Gesicht und dem weißen Spitzbart kann das Sandmännchen zugleich als junger Gefährte der Kinder und als altweises Vorbild auftreten. Nach dem anfänglich müden Einstieg des Sandmännchens nahm es im Lauf der Fernsehserie an Mobilität zu: Es nutzte alle möglichen Fahrzeuge von Roller über Pferdekutsche und Panzer bis Rakete und verfolgte, ab 1966 in Farbe, vielfältige Reiseziele. Es besuchte unterschiedliche geografische und kulturelle Regionen in der DDR und reiste durch ferne Länder, meist sozialistische Bruderstaaten (Abb. 01). Dabei traf das Sandmännchen auf vorbildliche Kinder und Gemeinschaften im sozialistischen Alltag, die sich in systemkonformen Siedlungsformen und Wohnungseinrichtung bewegten. Es sind zwei Motiv- und Themenfelder, die sich kontinuierlich durch die bis Ende 1991 für das DDR-Fernsehen produzierten Filmserien ziehen und die Gegenstand der folgenden Abhandlung sind: Auf der einen Seite ist zu zeigen, wie die gebauten und gestalten Lebensräume in den Sandmännchen-Filmen als Abbild und Projektionsfläche sozialistischer Lebensformen fungieren und auf der anderen Seite wird deutlich, dass insbesondere die Fortbewegungsmittel des Sandmännchen als propagandistischer Ausdruck technischer Innovation im Sozialismus genutzt werden. In den Bildwelten beider Themenkomplexe lassen sich besonders deutlich die Konzepte sozialistischer Lebenswelten, aber auch die Ambivalenzen zwischen Wunsch und Wirklichkeit ablesen.

L ebensr äume im F ilm – W elt vorstellungen im S ozialismus Sandmännchen entfaltet in den Serien eine ausgeprägte Reisetätigkeit, die in großen Teilen den Aktionsradius sozialistischer Politik nachzeichnet. Dabei ist die szenische Einbettung des Sandmännchen-Auftritts nicht nur landesspezifisch auf Ostdeutschland ausgerichtet, sondern in der geografischen Ausrichtung der Reiseziele wird auch die Stellung der DDR im internationalen Mächtesystem thematisiert. Bei zahlreichen Reisen des Sandmännchens durch die DDR ist ein stark dokumentarischer Charakter zu beobachten. Mit großer Sorgfalt sind lokale oder regionale Besonderheiten der Landschaft und des kulturellen Lebens en-miniature detailreich nachgebaut worden. Hierzu gehören beispielsweise die mächtigen Felsformationen des Elbsandsteingebirges mit der Festungsanlage Königstein oder ein Besuch bei der ethnischen Minderheit der Sorben und Wenden im Spreewald, wobei die Anreise zu den traditionellen reetgedeckten Holzhäusern mit einem Spreewaldkahn erfolgt. Durch den Harz wiederum reist Sandmännchen mit der Bahn, mit der es sich durch die regionaltypische Waldlandschaft dem traditionellen Fachwerkdorf nähert.

»Unser Sandmännchen«

Abb. 02: Sandmännchens Reise auf den Mond, Postkarte 1975. Privatbesitz.

Für die Wintermonate wurden Schneeszenarien entwickelt: In der 1973 ausgestrahlten Folge flog Sandmännchen in einer utopischen Bobrakete zu dem kurz zuvor eröffneten, hoch modernen Interhotel Panorama (1967-69, Kresimir Martinkovic und Kollektiv) in Oberhof im Thüringer Wald.7 Die Architektur in Form zweier gegenläufiger Sprungschanzen steht dabei zeichenhaft für die Erfolge im DDR-Leistungssport. So war, mit ganz ähnlicher architektonischer Formgebung, um 1960 die Thüringer Schanzenanlage am Rennsteig zur Förderung des Wintersportes errichtet worden. Zur Propagierung des Skisports ist daher auch das Sandmännchen als Skispringer und Skifahrer unterwegs. Ein wichtiger Ideengeber für die Sandmännchen-Reisen stellen die frühen Erfolge in der sowjetischen Raumfahrt dar. Hatte die Sowjetunion im Oktober 1957 mit dem ersten Satelliten Sputnik ihre technische Überlegenheit gegenüber den USA demonstriert, flog im April 1961 mit Juri Gagarin der ersten Mensch in den Weltraum. Bereits im August des gleichen Jahres flog auch Sandmännchen ins All, kurz darauf bekam es seine eigene Weltraumstation. Nur ein Jahr nach dem Vorbild des sowjetischen Kosmonauten Pawel Beljajew schwebte 1966 Sandmännchen erstmals frei im Raum. Die Mondlandung vollzog Sandmännchen schließlich 1973 (Abb. 02). 1987 nahm Sigmund Jähn als erster deutscher Kosmonaut das mit einem Raumanzug bekleidete Sandmännchen auf seinen Weltraumflug mit. Mit den sowjetischen Kollegen und deren Puppe Mascha feierten sie in einer live-Übertragung eine kosmische Hochzeit. Es wird damit deutlich, dass die sozialistische Sicht auf die Weltkarte und eine ebensolche Interpretation der politischen Ereignisgeschichte in den Sandmännchen-Serien abgebildet und damit kindgerecht in die breite Öffentlichkeit vermittelt werden sollten.

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Für das Verhältnis von gestaltetem Raum, bekleideten AkteurInnen und politischer Codierung sind besonders die stärker abstrakten Szenerien interessant, die keine eindeutige, namentlich zu benennende Rückbindung an spezifische Vorbilder besitzen. Mit ihrem Abstraktionsgrad erheben sie Anspruch auf Omnipräsenz in der sozialistischen Realität und hoffen auf ein größtmögliches Identifikationspotential bei den Zuschauenden. Programmatisch vereinnahmt werden bevorzugt Szenerien aus Pioniergemeinschaften und aus dem Alltag in ostdeutschen Wohnsiedlungen. Exemplarisch für Sandmännchens Nähe zur sozialistischen Gesellschaftsdoktrin ist das set design eines Pionierlagers (Abb. 03). In der Waldidylle mit Lagerfeuer sitzt Sandmännchen im Kreis der Kinder, während der FDJ-Pionierleiter stehend das Feuer bewacht. In den sozialistischen Ländern wurden Kinder frühzeitig in ideologisch ausgerichteten Organisationen vereint, um das Gemeinschaftsgefühl und das politische Bewusstsein zu lenken und stärken. Im Drehbuch zur Filmsequenz heißt es 1979 daher auch, das Sandmännchen folge hier seinen Aufgaben der staatsbürgerlichen Erziehung: »[Hier] ist kein Platz für imperialistische Unkultur. […] In einem Ferienlager muss es singen und klingen, doch nicht aus den Tonsäulen eines schlagerfanatischen Lagerfunks […].«8 Die traditionelle Uniform eines Jungpioniers mit weißem Hemd, blauer Hose und blauem Halstuch sowie blauer Pionier-Kappe trägt allerdings nur ein Junge, die anderen Kinder sind leger gekleidet. Zur Produktion der Filmsequenz war das doktrinäre Tragen der Uniform bereits seit Ende der 1960er Jahre gelockert worden. 1971, mit dem Amtsantritt von Erich Honecker als Generalsekretär des Zentralkomitees der Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED) liberalisierten sich die Kleidervorschriften noch weitgehender. Die Kinder tragen daher im Film leichte Freizeitbekleidung und der Pionierleiter nur das Oberhemd der Uniform der Freien Deutschen Jugend (FDJ). Die in den 1960er Jahren zum Teil noch verbotene Jeans wird als »kapitalistisches Teufelszeug« nicht getragen. Offizielle Stellen warnten: »Wie lange wollen wir dulden, dass Mädchen und Jungen unserer Republik, die in einer sauberen sozialistischen Umgebung aufwachsen, diese ideologische Verkaufsmasche westlicher Prägung mitmachen? Sie verkaufen sich selbst, und zwar an die, die von teuflischem Hass gegen den Sozialismus erfüllt sind und spekulieren, die Jugend der DDR demoralisieren zu können.«9 Doch auch wenn die Partei glaubte, dass Kleidung in Form einer Freizeithose zum moralischen Verfall der Gesellschaft beitragen würde, kam sie bei der zunehmenden Popularität der Jeans-Hose auch in der DDR nicht darum herum, ein vergleichbares eigenes Produkt auf den Markt zu bringen. Die in den 1960er Jahren in der DDR produzierten Jeans beziehungsweise Campinghosen und Cottino-Hosen in sogenannter Jeansoptik konnten allerdings nicht annähernd die gleiche Popularität erzielen. Auch wenn der Pionierleiter im Sandmännchen versucht, in ebensolchen Cottino-Hosen eine besonders gute Figur zu machen.

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Abb. 03: Sandmännchens Besuch im Pionierlager, 1979. Aus: Petzold 2009 (vgl. Anm. 5), S. 159 [Sandmannstudio Trickfilm GmbH © MDR und rbb / TELEPOOL GmbH].

S ozialistische W ohnwelten – mit S andmännchen zu H ause Weitaus programmatischer wurden Filmfolgen gestaltet, die in den Räumen ostdeutscher Wohnsiedlungen spielen. Als habitualen Handlungsstrang gibt es hier stets spielende Kinder und wohlwollend zusehende oder gärtnernde Erwachsene, die als generationsübergreifende Gemeinschaft eine sozialistische Musteridylle suggerieren. Verortet sind die kurzen Geschichten in Wohnsiedlungen, die selbst in ihrer Ausschnitthaftigkeit die DDR-Baupolitik sowie die sozialistischen Wohndoktrinen widerspiegeln. Von der Partei oktroyierte Richtungswechsel im Bauschaffen werden zeitlich versetzt in den Filmen aufgegriffen. Zentral steht hier der sogenannte Formalismusstreit, der kurz nach der Gründung der DDR am 7. Oktober 1949 ausbrach und alle Künste – die bildende Kunst wie die Architektur und das Interieur – einschloss.10 Von politischer Seite wurde eine klare Abgrenzung des DDR-Kunstschaffens vom westlichen als imperial und dekadent empfundenen Kunstbetrieb gefordert. Nach dem Zweiten Weltkrieg hatte man zunächst in Ost- wie Westdeutschland als Distanzierung zum nationalpathetischen Nationalsozialismus grundsätzlich ideologisch wie formal an die Moderne der Weimarer Republik anknüpfen wollen. Der Schriftsteller Bernhard Kellermann beispielweise visionierte in seiner Schrift Was sollen wir tun? Auferstehung aus Schutt und Asche (1946) eine »neue Epoche des Bauens […] mit neuen Methoden, neuen Baustoffen, neu-

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Abb. 04: Gustav Hassenpflug: Baukastenmöbel, 1949, Cover.

en Maschinen und neuer Arbeitsweise, gewiss auch an vielen Stellen neuem Stil.«11 Die früheren Stahlrohrmöbel waren für ihn Ausgangpunkt dieser neuen Wohnkultur, mit der zugleich eine politische Läuterung einhergehen sollte. Prominente Vertreter der Vorkriegsmoderne wie Mart Stam und ehemalige Bauhäusler, darunter Franz Ehrlich, Gustav Hassenpflug und Selman Selmanagic, unterstützten in Ostdeutschland die Forderungen nach einer modernen, rational-funktionalistischen Architektur und Innenraumgestaltung.12 So griffen auch die Deutschen Werkstätten Hellerau in Dresden anti-historistische Vorkriegskonzepte der Möbelproduktion auf, darunter Bruno Pauls Programm der »wachsenden Wohnung«, das bis Mitte der 1930er Jahre produziert worden war. Gustav Hassenpflug, ab 1946 Professor für Städtebau in Weimar bevor er 1950 nach Hamburg wechselte, publizierte 1949 seine Schrift zu »Baukastenmöbeln« (Abb. 04).13 Hierin sprach er sich emphatisch für industriell fabrizierte und standardisierte Möbelkombinationen ohne historistisches Ornament aus. Geschlechts- und altersneutral sollten sich die Baukastenmöbel flexibel und unkompliziert in jeden Wohnungsgrundriss einbauen lassen. Solche Möbelsysteme erfreuten sich in beiden Teilen Deutschlands großer Beliebtheit.14 Die steigende Spannung im Kalten Krieg und auch die massenhafte Abwanderung wichtiger Arbeitskräfte in die Bundesrepublik stellten das sozialistische Ideal des Arbeiterstaates vermehrt in Frage und forderten

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zur eigenen Profilierung eine klare Abgrenzung vom kapitalistischen Westen. Der 3. Parteitag der SED im Sommer 1950 brachte die Kehrtwende in den ostdeutschen Kulturdebatten. Moderne und Abstraktion wurden als »volksfremde und volksfeindliche Strömungen« erkannt. Im »unerbittlichen Kampfe gegen die kannibalische Lehre der imperialistischen Kriegshetzer« sei es die Aufgabe, einen Umschwung auf allen Gebieten des kulturellen Lebens zu erzielen. Mit einer neuen Kulturpolitik, die der von Stalin vorgeschriebenen Devise »national in der Form, sozialistisch im Inhalt« folgte, galt es, so das Programm weiter, »die Menschen zu wahren Demokraten, zu selbständig und verantwortungsbewusst handelnden Bürgern« zu erziehen.15 Die Nachkriegsmoderne, die zuvor noch als Errungenschaft der sozialistischen Produktion gepriesen worden war, wurde nun als formalistischer Internationalismus, falscher Kosmopolitanismus und amerikanischer Imperialismus stigmatisiert. Gefordert wurde nun die ›Schaffung einer neuen fortschrittlichen Wohnraumkultur unter Beachtung des kulturellen Erbes‹.16 In der Innenarchitektur wie auch der Architektur kehrten das Ornament und folkloristisch-vernakuläre Verweise zurück. Jacob Jordan, Direktor des Forschungsinstituts für Innenarchitektur der Deutschen Bauakademie, nannte 1953 die Berliner Stalinallee ein »architektonisches Ensemble, das den Humanismus unserer demokratischen Ordnung unter Anknüpfung an das fortschrittliche nationale Architekturerbe zum Ausdruck bringt.«17 Gleiches müsse in der Möbelkunst erzielt werden, da sie einen starken Einfluss auf die Bewusstseinsbildung des Menschen ausübe. Die Renaissance und der Klassizismus wurden als adäquate Vorbilder für eine

Abb. 05: Ausstellung und Publikation Besser leben – schöner wohnen!, 1953, Arbeitszimmer, VEB Ostthüringer Möbelwerke, Zeulenroda. S. 88.

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Abb. 06: Sandmännchen beim Auf bau von Hochhausstädten, Postkarte 1973. Privatbesitz.

neue sozialistisch-realistische Möbelproduktion empfohlen, wobei auf jeden Fall der additive Charakter der Baukastenmöbel zu vermeiden sei (Abb. 05). Durch das Prinzip der Addition ergäbe sich eine Vielzahl von Kombinationsmöglichkeiten, wodurch sich das Aufstellen der Möbel der Kontrollierbarkeit entzog. Die weit verbreitete Publikation und gleichnamige Ausstellung »Besser leben – schöner wohnen« gab dafür Musterbeispiele zur Gestaltung systemkonformer Wohnungen, mit denen es gelingen würde, ein »Leben in Glück und Wohlstand […] aufzubauen«.18 Der Versuch der Partei und sozialistischer Organisationen, Staat, Gesellschaft und auch das private Leben zu kontrollieren, scheiterte jedoch auch an den hohen Produktionskosten der neuen Möbelserien. Nach Stalins Tod 1953 erfolgte eine Neuformulierung der Bau- und Kulturpolitik. Standardisierung, industrielle Vorfabrikation und Massenfertigung wurden die neuen Schlagworte. Gewaltige Siedlungen in additiver Plattenbauweise fanden im Interieur ihr Pendant in entsprechenden Möbelserien. Franz Ehrlich sprach bei seinem 1957 in den Deutschen Werkstätten Hellerau entwickelten Möbel-Typenserie Typ 602 jedoch nicht mehr von Baukasten- oder Montagemöbeln, sondern neu von »komplettierungsfähigen« oder »anbaufähigen« Einzelmöbeln. Ehrlich, als Vertreter einer funktionalistischen Moderne, versuchte, über diese Namenänderung und unter Verwendung reduzierter Dekorationselemente seiner Überzeugung serieller Möbelproduktion treu zu bleiben.19 Solche in den 1960er und 1970er Jahren produzierten Programme zeigten zum Teil geringe, zum Teil aufwändigere Ansätze von Dekoration durch Profile und Farbigkeit. In den 1980er Jahren folgten dann mit dem Möbelprogramm Deutsche Werkstätten

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MDW und Themasett-Möbel noch stärker reduzierte, funktionalistische Möbel in Holz- und Aluminiumausführung, die in ihrer industriellen Fertigungsund Montagepraxis dem Prinzip der Wohnungsbauserie WBS 70 entsprachen.20 Diese doktrinären Wandel im DDR-Wohnungs- und Möbelbau wirkten sich auch auf die Sandmännchen-Produktion aus. Die ersten Folgen von 1959 fanden im kleinstädtischen Milieu in historischen Baustrukturen statt. Die Wohnung wird hier ganz im Sinne der reduzierten Nachkriegsmoderne mit einem einfachen ornamentlosen Interieur präsentiert. Insbesondere in nachfolgenden Sequenzen mit regionalem Bezug oder märchenhafter Rahmenhandlung finden sich weitgehend die im Formalismusstreit propagierten »Stil-Möbel« wieder. Gegen Ende der 1960er Jahre, der politischen Kehrtwende zur Modernisierung und industriellen Massenfertigung folgend, wurden auch die Sandmännchen-Ausstattungen programmatischer. Aus den niedrigen Zeilenbauten, die noch einzelne Dekorationsformen in den Fassaden aufzeigen, wurden sukzessiv Großsiedlungen in Plattenbauweise. Sandmännchen trifft auf die Werktätigen des sozialistischen Auf baus oder hat selbst – als Kipplaster-, Zementsilowagen- oder Planierraupenfahrer – an ihm teil. Sandmännchen, und mit ihm die zuschauenden Kinder, bekamen damit Einblicke in die DDRVolkswirtschaft und das sozialistische Bauwesen. Schließlich zeigen gewaltige Hochhaussiedlungen und monumentale Autobahnkreuze (Abb. 06) urbanistische Zukunftsvisionen amerikanischen Maßstabs, die in diesem Ausmaß jedoch zu DDR-Zeiten nicht realisiert wurden.

F ortschrit tsgl auben – S andmännchen als Technikpionier im S ozialismus Es ist nicht nur das Bauwesen, über welches das Sandmännchen das Bild des fortschrittlichen Sozialismus vermitteln will. Neben tatsächlichen Großprojekten, wie die Nutzung des Ostberliner Flughafens Schönefeld für die zivile Luftfahrt der DDR seit 1955, die sich in der Kindersendung wiederfindet, entwickelten sich insbesondere Verkehrsmittel bis hin zur Raumfahrt zu einem nahezu unerschöpflichen Bildvorrat des Progressiven. Entsprechend propagandistisch reist Sandmännchen in modernsten Hubschraubern und Düsenjets, die sowjetischen Prototypen nachempfunden sind. 1970 saß Sandmännchen in einem Senkrechtstarter und flog über das Leipziger Universitätshochhaus (1968-73, Kollektiv Hermann Henselmann, Horst Siegel, Ambros G. Gross und Helmut Ullmann) zur Leipziger Messe. 1964 fuhr es mit dem Trabant in Duroplastkarosse auf dem Berliner Alexanderplatz vor; 1969 erschien er mit dem Wartburg auf dem Berliner Alexanderplatz und setzte die neuen Bauten des DDR-Fortschritts in Form des Haus des Lehrers (1962-64, Hermann Henselmann) und des Fernsehturms (1965-69, Kollektiv um Hermann Henselmann) in Szene.

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Nur fünf Jahre später (1974) flog Sandmännchen in einem futuristischen Luftschiff über den neu bebauten Alexanderplatz. In dieser Reihe zeichenhafter Repräsentationsbauten durfte der 1976 nach langen politischen Diskussionen um das repräsentative Zentrum der Hauptstadt eröffnete Palast der Republik (1973-76, Heinz Graffunder und Kollektiv) nicht fehlen (Abb. 07).21 Abweichend von dem Konzept eines reinen Politbaus als Sitz der Volkskammer, waren in diesem Staatsgebäude öffentliche Kulturund Freizeiteinrichtungen integriert, um seine Attraktivität und Akzeptanz in der breiten Bevölkerung zu steigern. Sandmännchen vollzieht in der entsprechenden Folge die herrschende Ideologie allumfassender Völkerfreundschaft im Zeichen des Sozialismus. Im großen Hauptfoyer, in dem tatsächlich zahlreiche Fest- und Tanzveranstaltungen stattfanden, trifft Sandmännchen auf die Jugend der Welt. Das Staatswappen der DDR hängt prominent in der Bildmitte des Hintergrundes. Neben einigen Märchenfiguren sind hier Kinder aus allen Teilen der Welt – aus Ost (Persien, Asien und sozialistische Nachbarländer) und West (Indianer) versammelt. Auch ein Kosmonaut im Raumanzug darf als Verweis auf frühere Errungenschaften in der deutsch-sowjetischen Raumfahrt nicht fehlen.

Abb. 07: Sandmännchen und die Jugend der Welt im Palast der Republik (1973-76), Berlin; am Bildrand links: Gläserne Blume, Reginald Richter und Richard Wilhelm, 1975/76. © Bundesarchiv, Bild 183-1984-1126-313/CC-BY-SA.

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Mit diesem ideologisch codierten Bild und der Illusion sozialistischer Bild- und Lebenswelten vor Augen sollten die Kinder in der DDR beruhigt einschlafen, um dann – indoktrinär gefestigt – an der Verwirklichung der sozialistischen Gesellschaftsutopie im realen Leben teilzuhaben. Trotz der begrenzten Zugriffsmöglichkeiten auf westliche Markenprodukte und trotz des eingeschränkten Material- und Warenangebots in der DDR bleibt jedoch anzumerken, dass sich jenseits offizieller Politvorgaben auch im Sozialismus ganz eigene, individuelle und vom System als rebellisch empfundene Modevorstellungen entwickelten.

A nmerkungen 1 | Stichwort »Mode«. In: Meyers Neues Lexikon, 2. Auflage in 18 Bänden. Leipzig 1974, Bd. 9, S. 459-461, hier zit. 459 und 460. Vgl. auch Stadtgeschichtliches Museum Leipzig (Hg.): Malimo & Co. Mode in der DDR zwischen Traum & Wirklichkeit. Ausst.-Kat. Bielefeld u.a. 2011, S. 9. 2 | Stichwort »Mode«. In: Margot Pfannstiel (Hg.): Sybilles Modelexikon. ABC der Mode. Leipzig 1968, S. 103-108, hier zit. S. 106. Vgl. auch Anna Pelka: Jugendmode und Politik in der DDR und in Polen: eine vergleichende Analyse 1968-1989. Osnabrück 2008, S. 17. Auch Meyers Neues Lexikon 1974 (vgl. Anm. 1) spricht vom Kulturverfall der Mode im westlichen Kapitalismus und Imperialismus, die sie zu einem Instrument der sozialökonomischen Ausgrenzung und des bourgeoisen Machterhalts der herrschen Klasse werden lasse. 3 | Vgl. Anna-Sabine Ernst: »Mode im Sozialismus. Zur Etablierung eines ›sozialistischen Stils‹ in der frühen DDR«. In: Krisztina Mänicke-Gyöngyösi/Ralf Rytlewski (Hg.): Lebensstile und Kulturmuster in sozialistischen Gesellschaften. Köln 1990, S. 73-94, hier S. 75. Zit. aus dem Ministerialblatt der DDR, 6.12.1952, das als Zielsetzung des Instituts für Bekleidungskultur definiert: »die Gestaltung einer fortschrittlichen, unserer gesellschaftlichen Entwicklung entsprechenden und an unser nationales Kulturerbe anknüpfenden Bekleidungskultur.« Trotz Abgrenzungsbemühung gegenüber den »zersetzenden kosmopolitischen Einflüssen« einer Mode konnte sich die Bezeichnung als Bekleidungskultur nicht durchsetzen. 1957 erfolgte die Umbenennung in Deutsches Modeinstitut, das dem Ministerium für Leichtindustrie unterstand. 4 | Vgl. Wolfgang Fröbel: »Zur Problematik der Mode in der Übergangsperiode vom Kapitalismus zum Sozialismus«. In: Deutsche Textiltechnik, 9 (1959), S. 13-12. Zit. Gustel Hey: »Die Stellung der Bekleidungsindustrie in der Volkswirtschaft der DDR und ihre Perspektivaufgaben«. In: Bekleidungsfertigungen, Bd. 1, 1959, S. 33. Beide zit. nach Ernst 1999 (vgl. Anm. 3), S. 77. 5 | Das Sandmännchen, eine kleine, freundliche Figur mit Zipfelmütze, weißen Wollhaaren und Spitzbart, kündigt in wandelnden Szenarien eine kurze Gute-Nacht-Geschichte an, an deren Ende er den Kindern Schlafsand in die Augen streut. Zur Geschichte des

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Anna Minta Sandmännchens grundlegend: Volker Petzold: Das Sandmännchen. Alles über unseren Fernsehstar. Hamburg 2009. 6 | Walter Heynowski: Hausmitteilung an das Kinderfernsehen, 4. 11.1959. Bundesarchiv Berlin, BArch-SAPMO, DR 8/224, zit. nach Petzold 2009 (wie Anm. 5), S. 38. 7 | Die Interhotels der 1965 gegründete DDR-Hotelkette waren zunächst vorrangig ausländischen TouristInnen vorbehalten, erst ab 1971 standen sie auch DDR-BürgerInnen offen, so dass sie ab diesem Zeitpunkt öffentlichkeitswirksam als sozialistisches Freizeitprogramm vermarktet werden konnten. 8 | Zit. nach Petzold 2009 (vgl. Anm. 5), S. 159. 9 | Zit. nach Malimo & Co. 2011 (vgl. Anm. 1), S. 104. Vgl. auch Rebecca Menzel: Jeans in der DDR. Vom tieferen Sinn einer Freizeithose. Berlin 2004, S. 26-28. 10 | »Der Kampf gegen den Formalismus in Kunst und Literatur, für eine fortschrittliche deutsche Kultur. Resolution des Zentralkomitees der SED, 17.3.1951«. In: Dokumente der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands. Beschlüsse und Erklärungen des Parteivorstandes, des Zentralkomitees sowie seines Politbüros und seines Sekretariats, Bd. 3, Berlin 1952, S. 431-446. 11 | Bernhard Kellermann: Was sollen wir tun? Auferstehung aus Schutt und Asche. Berlin 1946, S. 17. 12 | Mart Stam lebte von 1948 bis 1952 in der DDR und war zunächst als Rektor der Dresdner Akademie der Künste und ab 1950 als Rektor der Hochschule für angewandte Kunst Berlin-Weißensee tätig. Vgl. Kerstin Schankweiler: »Mart Stam und das Design in der DDR. Kultur als Ausdruck der Nation?« In: Gabriele D. Grawe/Christina Threuter (Hg.): Gute Stube, Gute Form - Neues Heim, Neue Heimat: Vom Bauhaus zur Produktund Objektkultur in den 50ern. Ausst.-Kat. Kunsthalle der Europäischen Kunstakademie Trier. Trier 2000, S. 54-62. Hans Hirdina: Gestalten für die Serie. Design in der DDR 1849-1958. Dresden 1988. 13 | Gustav Hassenpflug: Baukastenmöbel. Pössneck 1949. 14 | Zum Vergleich in West-Deutschland: Aus den 1912 gegründeten Deutschen Werkstätten für Wohnkunst, die im Nationalsozialismus geschlossen worden waren, entstand 1948 die Neue Gesellschaft für Wohnkultur e. V. in Stuttgart. 15 | »Die gegenwärtige Lage und die Aufgaben der SED. Entschliessung des III. Parteitages, 20.-24.7.1950«. In: Dokumente 1952 (vgl. Anm. 10), S. 118/119. 16 | Vgl. dazu die Propagandapublikation: Deutsche Bauakademie und das Ministerium für Leichtindustrie (Hg.): Besser leben – schöner wohnen! Raum und Möbel. Leipzig o.J. [1954]. 17 | Jacob Jordan: »Vorwort«. In: Besser leben 1954 (vgl. Anm. 16), S. 3. Die Publikation stellt exemplarisch gute und schlechte Wohnbeispiele einander gegenüber. In der »falschen« Tradition zum Interieur der Vorkriegsmoderne, beispielsweise durch Ludwig Mies van der Rohe (»Primitivität der ausdruckslosen Innenräume – in Wirklichkeit der Versuch von Industrie- und Bankherren, hinter dieser Schlichtheit die Fratze ihres Ausbeutergesichtes zu verbergen«), steht in der DDR exemplarisch als »krasser Formalis-

»Unser Sandmännchen« mus« das von Hans Hartl entworfene Hotel Astoria in Dresden, 1950/51, ebd., S. 14f. und 44-46. 18 | Besser leben 1954 (vgl. Anm. 16), S. 74. Ähnlich beschrieb etwa zeitgleich Gerhard Hillnhagen die Wohnung als »Kraftquelle […] für die tägliche Arbeit, sie soll der Ort eines frohen Familienlebens sein und darüber hinaus muss sie die Voraussetzung für das Aufwachsen gesunder Kinder bieten«. Zit. Gerhard Hillnhagen: Anbaumöbel. Anbau-, Aufbau-, Baukasten- und Montagemöbel: Kritische Betrachtung. Berlin 1955, S. 16 (Deutsche Bauakademie. Schriften des Forschungsinstituts für Innenarchitektur). 19 | Bauhaus Dessau/Lutz Schöbe (Hg.): Franz Ehrlich, 1907-1984. Bauhaus Dessau: Kunst und Gestaltung. Ausst.-Kat. Bauhaus Dessau, Dessau 1987. Vgl. auch Günter Höhne (Hg.): Die geteilte Form: Deutsch-deutsche Designaffären. Köln 2009. 20 | Heinz Klemm u. a.: Wohnungsbauserie 70. Ersteinführung im VEB (B) Wohnungsbaukombinat Neubrandenburg. Berlin 1974 (Bauakademie der DDR, Schriftenreihen der Bauforschung, Reihe Wohn- und Gesellschaftsbauten 25). 21 | Zu den Zentrumsplanungen vgl. Peter Müller: Symbolsuche. Die Ost-Berliner Zentrumsplanung zwischen Repräsentation und Agitation. Berlin 2005. Zum Palast der Republik vgl. Thomas Beutelschmidt/Julia M. Novak (Hg.): Ein Palast und seine Republik. Ort, Architektur, Programm. Berlin 2001. Anke Kuhrmann: Der Palast der Republik. Geschichte und Bedeutung des Ost-Berliner Parlaments- und Kulturhauses. Petersberg 2006.

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Mentges, Gabriele (Hg.): Uniformierungen in Bewegung. Vestimentäre Praktiken zwischen Vereinheitlichung, Kostümierung und Maskerade. Münster 2007. Menzel, Rebecca: Jeans in der DDR. Vom tieferen Sinn einer Freizeithose. Berlin 2004. Meyer, Hannes. 1889-1954. Architekt, urbanist, lehrer. Ausst.-Kat. hg.  v. Bauhaus-Archiv, Berlin und dem Deutschen Architekturmuseum. Frankfurt a.M., Berlin 1989. Meyer, Peter: P. M. Aufsätze von Peter Meyer 1921-1974. Mit Zeichnungen von P. M. Hg. v. Hans Jakob Wörner. Zürich 1984. Meyers Neues Lexikon, 2. Auflage in 18 Bänden. Leipzig 1974. Moderegger, Johannes Christoph: Modefotografie in Deutschland 1929-1955. Norderstedt 2000. Möller, Heino: Innenräume Aussenwelten. Studien zur Darstellung bürgerlicher Privatheit in Kunst und Warenwerbung. Gießen 1981. Möller, Werner/Ruwen Egri/Ines Sonder: Vom Bauhaus nach Palästina – Chanan Frenkel, Ricarda und Heinz Schwerin. Leipzig 2013. Reihe Bauhaus Taschenbuch 6. Morano, Elizabeth: Sonia Delaunay. Art into Fashion. New York 1996. Moravánszky, Ákos/Bernhard Langer/Elli Mosayebi (Hg.): Adolf Loos. Die Kultivierung der Architektur. Zürich 2008. Moravánszky, Ákos/Karl R. Kegler (Hg.): Re-Scaling the Environment. New Landscapes of Design, 1960-1980. Basel 2017. Morris, Michael: Ad Reinhardt. London 2008. Müller-Tamm, Pia/Katharina Sykora: Puppen Körper Automaten. Phantasmen der Moderne. Düsseldorf 1999, S. 65-93. Müller, Florence: »Paul Poiret. La Mode en plan large.« In: Musée International de la Parfumerie 2013, S. 108-120. Müller, Peter: Symbolsuche. Die Ost-Berliner Zentrumsplanung zwischen Repräsentation und Agitation. Berlin 2005. Müller, Ulrike: Bauhaus-Frauen. Meisterinnen in Kunst, Handwerk und Design. München 2009. Mumford, Lewis: The Culture of Cities. [1938]. San Diego, New York, London 1970. Muscionico, Daniele: »Le Corbusier. Der Weltarchitekt.« In: Die Zeit, 4.10.2012 Nr. 41. Musée International de la Parfumerie (Hg.): Paul Poiret, Couturier-Parfumeur. Grasse 2013. Musil, Robert: Der Mann ohne Eigenschaften. [1. Bd. Berlin 1930; 2. Bd. Berlin 1933]. Hamburg 1994. Muthesius, Hermann: »Der japanische Hausbau.« In: Berliner Tageblatt, 13. September 1923, 1. Beiblatt. Natalini, Adolfo (Hg.): Superstudio. Storie con figure 1966-73. Florenz 1979.

Literatur verzeichnis

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Literatur verzeichnis

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Literatur verzeichnis

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Autorinnen und Autoren

Julia Bertschik ist Privatdozentin an der Freien Universität Berlin. Sie lehrte an den Universitäten Duisburg-Essen, Bonn und Frankfurt am Main sowie an weiteren Universitäten in Europa, China und den USA. Bertschik forscht und publiziert zu Themen der Literatur des 18. bis 21. Jahrhunderts, Kultur-, Medien-, Verlags- und Wissensgeschichte, Drama und Theater, Probleme literarischer Wertung, Diskursanalyse, Gender und Fashion Studies Burcu Dogramaci ist Universitätsprofessorin mit Schwerpunkt Kunst des 20. Jahrhunderts und der Gegenwart am Institut für Kunstgeschichte der LudwigMaximilians-Universität München. Forschungsschwerpunkte: Exil und Migration, Malerei, Skulptur und Architektur der Moderne, Mode, Fotografie. Rolf Füllmann ist Privatdozent für Neuere deutsche Literaturwissenschaft am Institut für deutsche Sprache und Literatur 2 der Universität zu Köln. Gastund Forschungsaufenthalte an den Universitäten Prag und Venedig. Füllmann forscht und publiziert zur Motiv- und Diskursgeschichte, Phänomenologie und Literatur, Gender- Theorien, Mode als Zeichensystem politischer und geschlechtlicher Identitäten in Alltag und Literatur, deutschen Kulturgeschichte von 1789 bis in die 1950er Jahre, zu literarischem Historismus als Auseinandersetzung mit der Gegenwart und zur Geschichte der deutschen Novelle im Kontext der Weltliteratur. Rahel Hartmann Schweizer ist Architektur- und Kunsthistorikerin, freiberufliche Architekturpublizistin und Kuratorin. Hartmann Schweizer hat sich in Forschung und Publikationen eingehend mit dem Architekten und Designer Otto Kolb und dem Maler, Zeichner und Lithografen Peter Thalmann beschäftigt. Andere Themenschwerpunkte sind leichte und schwebende Architekturkonzepte sowie die Baukultur in der Ostschweiz.

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RaumKleider Ita Heinze-Greenberg ist Professorin für Architekturgeschichte der Moderne am Institut für Geschichte und Theorie der Architektur der ETH Zürich. Davor forschte und unterrichtete sie an der TU München, dem Technion, Israel Institute of Technology in Haifa, der Bezalel Academy in Jerusalem, der Universität Augsburg und der TU Delft. Sie forscht und publiziert zu Erich Mendelsohn, zur Geschichte von Architektur und Städtebau in Israel, israelischen Siedlungsgeschichte und zum Projekt der europäischen Mittelmeerakademie. Kathleen James-Chakraborty ist Professorin für Kunstgeschichte am University College Dublin. Zuvor lehrte sie an der University of Minnesota, der University of California Berkeley, der Ruhr Universität Bochum und der TU Dortmund. JamesChakraborty forscht und publiziert zur Architektur der Moderne in Deutschland und den USA. Sie interessiert sich besonders für Sakralbauten des 20. Jahrhunderts und bereitet aktuell eine Monografie zu Louis Kahn vor. Karl R. Kegler ist Professor für Geschichte und Theorie der Stadt und der Architektur an der Hochschule München. 2011-2015 wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Professur Architekturtheorie am Institut für Geschichte und Theorie der Architektur der ETH Zürich. Mitherausgeber der »Aachener Studien für Technik und Gesellschaft« und Mitbegründer der online-Zeitschrift archimaera. Keglers Forschungsschwerpunkte sind Architekturgeschichte, Kulturgeschichte der Technik, Geschichte der Raumplanung in Deutschland, Utopien in der Architektur. Stamatina Kousidi ist außerordentliche Professorin an der School of Architecture, Urban Planning and Construction Engineering des Politecnico di Milano und Mitarbeiterin am Department of Architecture and Urban Studies. Zuvor forschte sie als Postdoktorandin am Institut für Geschichte und Theorie der Architektur der ETH Zürich, der Humboldt Universität zu Berlin und am Dessauer Institut für Architektur der Hochschule Anhalt. Kousidi arbeitet über Wechselbeziehungen zwischen Architektur, Wissenschaft und Körper. Sie befasst sich in Forschung, Lehre, Theorie und Kritik moderner und zeitgenössischer Architektur mit den Themen Körperhaftigkeit, Materialität, Nachhaltigkeit und Performanz als Konzepten des Bauens. Anna Minta ist Professorin für Geschichte und Theorie der Architektur an der Katholischen Privatuniversität Linz und leitet das vom Schweizerischen Nationalfonds im Rahmen einer SNF-Förderungsprofessur finanzierte Projekt »Heilige Räume in der Moderne. Transformationen und architektonische Manifestationen« (2014-18). Zuvor war sie wissenschaftliche Assistenten am Institut für Kunstgeschichte der Universität Bern. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen in der Architektur-, Kunst- und Designgeschichte vom 19. Jahrhundert bis in die

Autorinnen und Autoren Gegenwart. Sie folgt raumsoziologischen Theorien, um Identitätskonstruktionen und Herrschaftsdiskursen im öffentlichen Raum zu untersuchen. Aktuell forscht sie über auratische Raumkonstruktionen und Sakralisierungsprozesse in der Moderne.

Niklas Naehrig ist Architekt und Architekturhistoriker. Bis 2017 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut gta, Professur für Kunst- und Architekturgeschichte an der ETH Zürich. Naehrig wurde 2013 mit einer Arbeit zur Architekturtheorie von Philibert Delorme bei Professor Dr. Andreas Tönnesmann promoviert. Naehrig war er Stipendiat des SNF Pro*Doc »Kunst als Kulturtransfer seit der Renaissance«. Er forscht und publiziert zur Geschichte und Theorie der Architektur in der frühen Neuzeit in Frankreich, sowie zur Geschichte des Architektenberufs und der amerikanischen Architektur. Isabelle Raboud-Schüle ist seit 2006 Direktorin des Musée gruérien in Bulle. Nach einem Lizentiat in Ethnologie und Musikologie an der Universität Neuenburg war sie in verschiedenen Walliser Ortsmuseen tätig und gründete 1989 das Walliser Reb- und Weinmuseum in Siders. 1994 wurde sie Konservatorin im Alimentarium in Vevey. Sie arbeitete an der Inventarisierung des Kulinarischen Erbes der Schweiz mit und koordinierte das Inventar der Lebendigen Traditionen im Kanton Freiburg. Barbara Schrödl studierte Kunstgeschichte, Soziologie und Geschichte der Naturwissenschaft und Technik an Universitäten in Stuttgart und Berlin. Auf baustudium »Kulturwissenschaftliche Geschlechterstudien« an der Universität Oldenburg. Promotion 2001 an der Universität Bremen (Das Bild des Künstlers und seiner Frauen im faschistischen und nachfaschistischen deutschsprachigen Spielfilm). Habilitation 2015 an der Katholisch-Theologischen Privatuniversität Linz (Korrespondenzen zwischen Architekturgeschichte, Fotografie und Film. Beitrag zu einer Medienarchäologie der Kunstgeschichte). Aktuell Assistenz-Professorin am Fachbereich Kunstwissenschaft der Katholischen Privat-Universität Linz und Senior Researcher am Austrian Center for Fashion Research der Akademie der bildenden Künste Wien. Manfred Speidel war von 1975-2003 Professor für Architekturtheorie an der RWTH Aachen. Speidel lehrte und forschte in früheren Positionen an der HFG Ulm und der Waseda Universität, Tokio. Er forscht und publiziert zur Religionsgeografie in Japan, zur japanischen Architektur, zu Themen der Gegenwarts- und Glasarchitektur und vor allem zu Bruno Taut, dessen Schriften er zur Zeit neu herausgibt.

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Marie Theres Stauffer ist Professorin für Architekturgeschichte an der Unité d’histoire de l’art der Universität Genf (Université de Genève). Davor unterrichtete sie an den Universitäten Konstanz, Bern, Zürich sowie an der ETH Zürich und absolvierte Forschungsaufenthalte in Berlin, Rom und Florenz. Sie forscht und publiziert zur Geschichte und Theorie der modernen und frühneuzeitlichen Architektur, zur bildenden Kunst des 20. Jahrhunderts und zur Wissensgeschichte des 16./17. Jahrhunderts.

Register

Kursive Seitenzahlen verweisen auf Abbildungen. Aarnio, Eero 165, 166 Akademikerkleidung (Gelehrtenbekleidung, Gelehrtenhabit, Gelehrtentracht) 24, 27, 28, 29 Alberti, Leon Battista 23 Alltag 23, 24, 42, 49, 53, 59, 66, 87, 120, 171, 182, 202, 228, 246, 251, 252, 254, 255, 257, 264, 270, 272, 274 Alpen, alpin 16, 246, 250, 252 Altmann-Loos, Elsie 88 Anatomie 57, 181 Angemessenheit 23, 34 Antike, antik 43, 45, 46, 47, 59, 63, 120, 130, 131, 131 Anm. 5, 132 Anm. 14, 142, 145, 259 Anzug 9, 11, 13, 16, 32, 35, 36, 69, 71, 94, 95, 157, 160, 162, 165, 167, 168, 169, 170, 171, 172, 175 Anm. 23, 228, 230, 231, 233, 234, 257, 262, 273, 280 Arbeitskleidung (Berufsbekleidung) 21, 125, 126, 234, 250 Arburg, Hans-Georg von 131 Archigram 162, 173, 179, 179, 181, 182, 183, 185, 186, 189, 190 Architekt/Architektin 11, 13, 14, 21, 22, 23, 24, 25, 26, 27, 28, 29, 31, 32, 33, 35, 36, 37, 41, 50, 51, 64, 65, 88,

92, 95, 102, 114 Anm. 9, 123, 124, 136, 137, 138, 140, 145, 148, 150, 157, 161, 162, 166, 179, 180, 182, 195, 197, 198, 202, 203, 205, 209, 213 Anm. 24, 214 Anm. 33, 215 Anm. 39, 219, 230 Architektenkleidung 21, 23, 26, 31 Architektur (Baukunst) 10, 11, 12, 13, 14, 15, 16, 17, 21, 22, 23, 24, 27, 29, 33, 33, 34, 36, 41, 42, 44, 50, 51, 51, 53, 64, 70, 72, 75 Anm. 44, 80, 81, 82, 86, 88, 89, 91, 93, 95, 99, 100, 101, 102, 119, 120, 123, 124, 124, 125, 126, 127, 128, 128, 130, 131, 137, 140, 145, 148, 149, 149, 158, 159, 160, 161, 162, 163, 171, 173, 174, 179, 180, 181, 182, 183, 185, 186, 189, 190, 190 Anm. 4, 197, 198, 199, 200, 200, 201, 202, 203, 204, 205, 206, 209, 213 Anm. 25, 219, 220, 223, 227, 229, 230, 250, 273, 275, 276, 277 Archizoom 162 Arp, Hans 82, 115 Anm. 23 Arts and Crafts-Bewegung 82, 84, 95 Association gruérienne pour le Costume et les Coutumes 245 Atomzeitalter 159 Autonomie 43, 198

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RaumKleider

Avantgarde 11, 12, 36, 49, 50, 51, 58, 81, 82, 84, 86, 88, 89, 93, 119, 128, 168 Bakst, Léon 84 Ballets russes 80, 84, 88 Banham, Reyner 162, 176 Anm. 28, 185, 186, 187 Barthes, Roland 102, 205, 213 Anm. 31 Baudelaire, Charles 32 Bauernhaus 15, 259 Bauhaus 12, 57, 58, 58, 61, 62, 62, 63, 63, 64, 66, 67, 67, 68, 69, 71, 72, 72 Anm. 1, 74 Anm. 21, 26, 75 Anm. 44, 89, 91, 91, 126, 219, 220, 276 Baukastenmöbel 276, 276, 278 Baukunst (siehe Architektur) Bayer AG 167, 168, 172 Bayer, Herbert 57, 74 Anm. 26 Behrendt, Gerhard 271 Behrens, Peter 82 Bekleidung (siehe Kleid) Benjamin, Walter 69, 130, 137, 140, 145 Berlin 45, 47, 47, 49, 52, 66, 68, 74 Anm. 26, 82, 92, 101, 113 Anm. 4, 129, 137, 226, 249, 250, 270, 271, 277, 279, 280, 280 - Alexanderplatz 279, 280 - Herbstsalon 82, 92 - Palast der Republik 280, 280 - Stalinallee 277 - Sturm-Galerie 82 Berufsbekleidung (siehe Arbeitskleidung) Beyer-Volger, Lis 91, 91 Biard, Nicolas de 24, 25 Bleistiftlinie 255 Blériot, Louis 89 Bongard, Germaine 36 Bourdieu, Pierre 64, 122 Bovet, Abbé Joseph 244, 244 Brandt, Marianne 64, 68

Breuer, Marcel 57, 63 Brummell, George Bryan 32 Bubikopf 12, 57, 58, 59, 60, 61, 64, 71, 72, 128 Bund Deutscher Mädel 126 Bundesrepublik (BRD, Westdeutschland, westdeutsch) 249, 249, 252, 255, 256, 256, 257, 258, 260, 260, 261, 264, 265 Anm. 7, 271, 275 Burckhardt, Jacob 41, 42, 43, 47, 49, 53, 54 Anm. 9 Burri, René 37 Caesarenfrisur, 63 Calder, Alxander 145 Calder, Nigel 163, 173 Caprihose 249, 257, 262, 264, 266 Anm. 17 Capucci, Roberto 183 Cardin, Pierre 170, 171 Carouge, Christa de 17, 18, 292 Carter, Emmet Finley 163 Cassirer, Ernst 46 Cendrars, Blaise 82, 86 Chanel, Coco 88, 100, 113 Anm. 4, 256 Chermayeff, Serge 138, 144, 163, 164, 173 Chini, Nicola 121, 122 Christentum 43 Codreanu, Lizcia 86, 87 Colombo, Joe 166, 167, 168, 177 Anm. 47 Colomina, Beatriz 159, 178 Anm. 60, 182 Consemüller, Erich 57, 58 Coop Himmelblau 162, 183 Courrèges, André 167, 169, 169, 170, 171, 172, 177 Anm. 47, 183 Crompton, Dennis 183

Register

Dada 80, 86 Dandy, Dandyismus 32, 33, 35 DDR (Ostdeutschland, ostdeutsch) 15, 256, 269, 270, 271, 272, 273, 274, 275, 276, 277, 279, 280, 281, 282 Anm. 6, 17 De Ponti, Antonia Astori 165, 166 De Stijl 70, 93, 140, 219, 220, 226 Delaunay, Robert 81, 83, 84, 88, 90, 95, 97 Anm. 16 Delaunay, Sonia 12, 79, 79, 80, 81, 82, 83, 83, 84, 85, 86, 87, 87, 88, 89, 90, 91, 92, 92, 93, 94, 94, 95, 96 Anm. 13, 98 Anm. 45 Delorme, Philibert 26, 27, 28, 28, 29 Demokratie, demokratisch 64, 277 Design 11, 12, 15, 58, 74 Anm. 21, 79, 80, 81, 82, 89, 92, 95, 100, 120, 121, 123, 129, 138, 146, 148, 157, 162, 166, 168, 173, 183, 192 Anm. 36, 206, 209, 214 Anm. 37, 250, 251, 259, 260, 261, 264, 270, 274 Dessau 57, 58, 58, 61, 67, 68 Deutsche Bauakademie 277 Deutscher Fernsehfunk (DFF) 271 Deutscher Werkbund 126 Deutschland, deutsch 12, 14, 15, 41, 42, 46, 47, 57, 59, 66, 68, 80, 82, 84, 88, 95, 113 Anm. 4, 119, 120, 125, 126, 128, 129, 137, 145, 168, 170, 211 Anm. 2, 219, 223, 225, 251, 252, 253, 255, 256, 257, 264, 265 Anm. 5, 270, 271, 272, 273, 274, 275, 276, 277, 278, 280, 281 Anm. 3 Diaghilev, Sergei 84, 85 Dior, Christian 256, 256, 258 Distinktion 32, 64, 66, 269 Doesburg, Theo van 70, 226 Dräger, Diethild 272 Dresscode 9, 23, 239 Duchamp, Marcel 106, 107, 115 Anm. 23

Ebeling, Siegfried 187, 188 Eco, Umberto 205, 213 Anm. 29 Edelweiß-Hemd 248 Ehrlich, Franz 276, 278 Emanzipation, emanzipatorisch 12, 58, 59, 69, 72, 109, 126, 164 Embodiment 122, 190 Erhabenheit 131 Erster Weltkrieg 12, 36, 59, 84, 257 Europa 12, 14, 30, 32, 42, 82, 84, 86, 119, 159, 222, 225, 230, 231, 232, 233, 236 Anm. 17, 239 Expressionismus 52, 82 Farbe (farbig) 14, 16, 21, 22, 29, 30, 31, 32, 59, 80, 81, 82, 84, 86, 87, 88, 89, 91, 92, 93, 98 Anm. 45, 101, 102, 107, 112, 126, 133 Anm. 22, 139, 143, 158, 159, 164, 166, 168, 170, 174 Anm. 9, 179, 219, 220, 221, 224, 225, 226, 227, 228, 229, 230, 233, 242, 246, 248, 252, 260, 261, 262, 272, 278 Faschismus 12, 119, 120, 131 Fédération fribourgeoise des costumes 245 Feininger, Lux 68 Ferienlager 274 Fernsehen 271, 272 Film 15, 16, 65, 80, 86, 87, 88, 89, 90, 108, 129, 147, 148, 151, 159, 171, 172, 174 Anm. 4, 183, 190, 191 Anm. 19, 197, 197, 200, 203, 203, 204, 206, 207, 249, 250, 251, 252, 253, 254, 255, 256, 257, 258, 259, 260, 261, 262, 263, 264, 265 Anm. 1, 270, 271, 272, 274, 275, 275 Filmkostüm 115 Anm. 21, 250, 251, 254, 255, 257, 259, 264 Fin de Siècle 46 Florenz 144, 205, 222, 222, 223 Flügel, John Carl 108, 193

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RaumKleider

Form 10, 11, 12, 15, 21, 31, 32, 34, 37, 42, 43, 44, 44, 47, 52, 53, 58, 59, 60, 63, 64, 66, 69, 70, 71, 81, 85, 89, 95, 100, 101, 106, 113, 119, 120, 121, 123, 124, 126, 128, 130, 131, 133 Anm. 22, 136, 137, 145, 148, 150, 157, 159, 168, 169, 170, 171, 181, 182, 183, 186, 188, 191 Anm. 6, 197, 198, 199, 200, 201, 202, 203, 204, 205, 206, 212 Anm. 21, 213 Anm. 31, 214 Anm. 32, 219, 221, 222, 224, 229, 234, 241, 243, 248, 250, 254, 255, 259, 260, 261, 262, 264, 266 Anm. 13, 270, 272, 273, 274, 275, 277, 279 Formalismusstreit 275, 279 Formfiktion 119, 120, 130, 133 Anm. 22 Fortschritt 15, 44, 58, 60, 158, 161, 171, 253, 255, 263, 277, 279, 281 Anm. 3 Forty, Adrian 180 Fotografie 33, 36, 46, 57, 80, 81, 82, 88, 89, 94, 98 Anm. 45, 101, 102, 108, 109, 119, 125, 126, 128, 133 Anm. 22, 138, 166, 171, 181, 242, 243, 266 Anm. 15 Foucault, Michel 11, 41, 42, 43, 47, 48, 136, 148 Fragment 102, 114 Anm. 13, 130, 131 Fraktal 120 Freie Deutsche Jugend (FDJ) 274 Freizeit 13, 168, 172, 250, 252, 254, 256, 256, 257, 274, 280, 282 Anm. 7 Frisur 12, 21, 33, 58, 59, 60, 62, 63, 71, 72, 158, 159 Fukushima 9 Fuller, Loïe 84 Fuller, Richard Buckminster 175 Anm. 19, 161, 162 - Dymaxion Haus 162, 175 Anm. 19, 23 Funktionalität 124

Futurismus, Futuristen 11, 16, 70, 157, 171, 184, 280 Futurologie 163 Gaertner, Eduard 123, 124, 125, 125, 126, 127 Gagarin, Juri 273 Gallis, Yvonne 36, 139 Gemeinschaft 62, 125, 126, 162, 163, 166, 251, 253, 255, 259, 262, 270, 272, 274, 275 Generation 15, 41, 43, 55 Anm. 43, 62, 63, 101, 161, 163, 252, 253, 254, 263, 275 Geometrie 14, 69, 89, 122, 126, 169, 199, 200, 200, 201, 202, 203, 219, 226 Gesamtkunstwerk 11, 12, 15, 45, 80, 84, 94, 95, 219, 239 Geschlecht 15, 57, 58, 59, 64, 66, 71, 107, 252, 253, 254, 263, 276 Gewand (siehe Kleid) Girouard, Mark 159 Glas (Glasarchitektur, Glasfassade) 42, 92, 106, 126, 137, 138, 140, 143, 145, 147, 148, 159, 162, 166, 171, 185, 187, 192 Anm. 29, 227, 228, 249, 280 Globalisierung 121, 150 Goebbels, Joseph 123, 125 Goethe, Johann Wolfgang 131 Goncharova, Natalia 88 Grassegger, Emy 126 Gray, Eileen 93, 95, 146 Gropius, Ise 66, 74 Anm. 21, 88 Gropius, Walter 50, 63, 65, 69, 71, 74 Anm. 29, 75 Anm. 44, 91, 219 Grosch, Karla 67, 67, 68, 68, 69 Gründerzeit 41, 42, 43, 46, 47, 48, 49, 50, 51, 51, 52, 55 Anm. 43, 220 Grunow, Gertrud 67

Register

Gruyère 239, 243, 245 Gymnastik 66, 67, 69 Habermas, Jürgen 37 Habitus 15, 21, 24, 25, 36, 37, 122, 123 Hablik, August Wenzel 92, 93 Hablik, Elizabeth 92 Harmonie 158, 223, 231, 233, 250, 263 Harper’s Bazaar 101, 171, 172, 173 Hassenpflug, Gustav 276, 276 Haus Rucker Co 162 Hausanzug 13, 16, 157, 160, 165, 167, 168, 171, 172 Hausfrau 52, 65, 252 Haut 13, 46, 137, 140, 147, 181, 182, 183, 185, 188, 190, 192 Anm. 29 Haute Couture 80, 88, 93, 95, 101, 104, 108, 112, 169, 170, 254, 255 Hegel, Georg Friedrich 119 Heierli, Julie 243 Heimat 15, 16, 126, 244, 245, 249, 250, 251, 253, 254, 255, 256, 257, 258, 259, 260, 261, 262, 263, 265 Anm. 5 Heimatfront 126, 252 Heimatschutz 15, 244 Heinrich II. von Valois 30 Henselmann, Hermann 279 Heynowski, Walter 271 Heyse, Paul 43 Hilberseimer, Ludwig 70 Historismus 12, 42, 53, 124, 287 Hitler, Adolf 72, 119 Hofmannsthal, Hugo von 48 Hofmode 27, 29, 30 Hollein, Hans 166, 198 Hollywood 115 Anm. 21, 159, 257 Honecker, Erich 274 Hosenanzug 69, 71, 169, 171 Hülle 10, 12, 13, 44, 85, 137, 138, 140, 146, 147, 148, 162, 166, 171, 180,

182, 183, 184, 185, 186, 188, 189, 190, 201, 202, 229, 236 Anm. 12 IG Farben 126 Iliazd (Eli Eganbjuri) 86 Institut für Bekleidungskultur (Ostberlin) 270, 281 Anm. 3 Interieur 10, 14, 15, 16, 46, 50, 53, 168, 171, 176 Anm. 38, 249, 250, 259, 260, 261, 261, 262, 263, 263, 264, 269, 270, 275, 278, 279 Internationaler Stil 36, 163, 203 Ironie, ironisch 21, 52, 112, 198, 199 Italien 12, 41, 42, 43, 46, 47, 53, 119, 120, 121, 122, 205, 209, 214 Anm. 37, 215 Anm. 39, 221, 222, 223 Itten, Johannes 63, 67, 69 Jäger, Gustav 170 Jähn, Sigmund 273 Japan 9, 14, 147, 162, 164, 219, 223, 224, 225, 225, 227, 228, 229, 230, 230, 231, 232, 233, 234, 235 Jeanneret, Charles Edouard 36 Jordan, Jacob 277 Jugendstil 52, 82, 124 Kalter Krieg 159, 251, 271, 276 Kandinsky, Wassily 82 Kan, Naoto 9 Kant, Immanuel 131 kapitalistisch 269, 270, 274, 277 Kapp, Ernst 13, 182 Kellermann, Bernhard 275 Kiesler, Frederick 183 Kimono 230, 233, 234 Klassische Moderne 41, 51, 53, 161 Klee, Paul 82, 91 Kleid, Kleidung, (Bekleidung, Gewand, vestimentär) 9, 10, 11, 12, 13, 14, 15, 16, 17, 18, 21, 22, 23, 24, 25, 26, 27, 28, 29, 30, 31, 31, 32, 33, 34, 35, 36, 37,

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314

RaumKleider

42, 46, 47, 47, 52, 55 Anm. 43, 59, 60, 63, 71, 79, 80, 81, 82, 83, 83, 84, 85, 86, 88, 89, 90, 91, 91, 92, 92, 94, 94, 95, 100, 104, 105, 106, 107, 108, 109, 111, 112, 113, 119, 121, 122, 123, 123, 124, 125, 126, 128, 129, 130, 131 Anm. 5, 135, 136, 137, 138, 140, 143, 145, 152 Anm. 4, 157, 158, 158, 159, 160, 162, 163, 164, 168, 169, 170, 171, 172, 174, 174 Anm. 9, 180, 181, 182, 183, 184, 185, 186, 187, 189, 191 Anm. 12, 195, 196, 197, 201, 202, 206, 209, 219, 220, 223, 224, 225, 226, 227, 229, 230, 231, 232, 233, 234, 235, 239, 240, 241, 243, 244, 245, 246, 248, 249, 249, 250, 251, 253, 254, 255, 256, 256, 257, 258, 258, 262, 263, 263, 264, 265 Anm. 1, 269, 270, 273, 274, 281 Anm. 3 Kleidkörper 16, 250, 257, 258, 262, 263, 264, 265 Anm. 1 Kleidungsstil 15, 23, 32, 122, 130 Klima, Klimatisierung, Klimakontrolle (klimatisiert) 9, 13, 16, 135, 142, 150, 157, 159, 160, 161, 162, 163, 164, 166, 169, 171, 172, 173, 180, 188, 189, 209, 222 Koenig, Giovanni Klaus 205 Kolb, Otto 13, 137, 138, 139, 140, 141, 142, 143, 143, 144, 144, 145, 146, 147, 147, 148, 149, 150, 154 Anm. 46 Komfort 22, 88, 176 Anm. 28, 190, 209 Kommerz, kommerziell 87, 88, 93, 173 Komplementarität 10, 15, 16, 27, 262 König, Franz Niklaus 240 Konstruktivismus 87, 89, 93 Konsum, Konsumgesellschaft, Konsumgüter 13, 21, 89, 107, 162, 166, 168, 173, 209, 251, 257, 262, 270

Kopf bedeckung 24, 28, 29, 57, 85, 170, 171 Korn, Arthur 192 Anm. 29 Körper, Körperlichkeit 10, 11, 13, 14, 16, 17, 22, 23, 27, 33, 64, 66, 67, 69, 79, 80, 85, 86, 87, 94, 95, 99, 101, 107, 113, 119, 123, 128, 130, 131, 137, 140, 142, 160, 162, 164, 166, 168, 169, 170, 171, 172, 173, 180, 181, 182, 183, 184, 185, 186, 188, 189, 192 Anm. 35, 196, 199, 202, 206, 209, 222, 225, 228, 229, 250, 254, 257, 258, 262, 263, 264, 265 Anm. 1 Kracauer, Siegfried 57, 69 Krawatte 9, 32, 33, 57, 60, 69, 233 Kubismus 81, 83, 89 Kubrick, Stanley 171 Kuhreigen 241 Kunst 11, 12, 13, 15, 16, 24, 32, 37, 41, 42, 43, 45, 46, 47, 48, 49, 50, 52, 53, 59, 64, 69, 72, 79, 80, 81, 82, 83, 84, 86, 87, 88, 89, 90, 93, 94, 95, 100, 101, 102, 104, 106, 107, 108, 109, 111, 112, 113, 119, 120, 123, 124, 124, 125, 126, 127, 130, 131 Anm. 5, 138, 139, 140, 143, 144, 145, 149, 150, 162, 168, 172, 184, 189, 204, 209, 219, 220, 223, 229, 231, 233, 239, 246, 261, 262, 262, 263, 275, 277 Kunststoff 13, 157, 160, 166, 168, 170, 182 Kurzhaarschnitt 58, 61, 65, 72 Laur, Ernst 244, 245 Le Corbusier (Charles Edouard Jeanneret) 11, 35, 35, 36, 37, 91, 93, 94, 144, 186, 203, 204, 212 Anm. 7 - Cabanon (Roquebrune-Cap-Mar tin) 36 - Vers une Architecture 36 - Villa Savoye (Poissy) 91 - Ville Contemporaine 203

Register

Léger, Fernand 35, 144 Leitbild 42, 53, 116 Anm. 35, 270 Lennon, John 183 Libergier, Hugues 24, 25, 26 Licht 45, 52, 65, 84, 126, 129, 144, 144, 145, 166, 168, 172, 188, 224, 226, 227, 229 Littoriali 120, 123, 123 London 84, 158 Loos, Adolf 33, 34, 34, 60, 124, 180, 186, 229 Loreley 59, 60 Luxus 12, 81, 88, 89, 93, 94, 95, 128 Makart, Hans 46, 48, 50 Malewitsch, Kasimir 204 Mallet-Stevens, Robert 79, 80, 89, 91, 95 Mann, Heinrich 46 Mann, Klaus 43, 44, 45, 46, 51 Mann, Thomas 11, 44, 46, 47, 50 Männlichkeit, männlich 32, 57, 58, 59, 60, 63, 64, 66, 69, 70, 71, 121, 159, 175 Anm. 23, 249, 250, 256, 257, 262 Marinetti, Filippo Tommaso 70 Marke 89, 121, 122, 281 Marr, Heinz 119 Maschine 45, 70, 122, 128, 146, 170, 181, 202, 276 Massenproduktion 13 Mathematik 69, 70, 120 McLuhan, Marshall 162, 181 Mechanisierung 66, 145 Medici, Cosimo de 47, 48, 48, 49 Medici, Katharina von 30 Medien, medial 9, 15, 35, 42, 48, 49, 66, 71, 82, 86, 119, 126, 128, 150, 162, 170, 171, 172, 173, 181, 182, 183, 250, 254, 270 Meltzer (Schwerin), Ricarda 61, 62, 68

Membran 13, 14, 147, 180, 184, 185, 187, 188, 189, 191 Anm. 6, 192 Anm. 29 Mendelsohn, Erich 163 Mendelsohn, Luise 88 Merz, Mario 209 Meyer, Hannes 61, 64, 67, 69 Meyer, Otto 34, 249, 249 Meyer, Peter 128 Michahelles, Ernesto (Thayaht) 184, 184 Michelet, Jules 41 Mies van der Rohe, Ludwig 64, 65, 137, 138, 145, 146, 204, 282 Anm. 17 Militär, militärisch 12, 36, 62, 121, 129, 177 Anm. 54, 257 Möbel 15, 42, 43, 45, 52, 53, 65, 94, 138, 145, 146, 164, 165, 166, 167, 168, 177 Anm. 47, 189, 206, 207, 219, 220, 221, 222, 224, 226, 226, 228, 249, 251, 260, 270, 276, 276, 277, 277, 278, 279 Mobilität, mobil 9, 13, 79, 135, 138, 140, 145, 146, 162, 176 Anm. 28, 214 Anm. 33, 257, 272 Mode, modisch (Modebewusstsein, Modeerscheinung) 10, 11, 12, 15, 16, 18, 21, 22, 23, 27, 29, 30, 32, 33, 34, 36, 42, 43, 46, 50, 55 Anm. 43, 58, 59, 60, 64, 66, 69, 70, 72, 79, 80, 81, 82, 84, 88, 89, 95, 99, 100, 101, 102, 102, 103, 104, 107, 108, 109, 111, 111, 112, 113, 119, 120, 121, 122, 122, 123, 124, 125, 125, 126, 127, 128, 129, 129, 130, 131, 133 Anm. 22, 159, 167, 169, 169, 170, 171, 173, 174, 183, 209, 235, 239, 241, 243, 245, 246, 247, 249, 250, 253, 254, 255, 256, 256, 257, 260, 261, 264, 265 Anm. 1, 266 Anm. 9, 12, 15, 269, 270, 281, 281 Anm. 2, 3 - Damenmode (Frauenmode) 69, 121, 169

315

316

RaumKleider

- Herrenmode 32, 34 - Freizeitmode 250, 256, 257 Modernität, Moderne, modern 11, 15, 16, 21, 23, 24, 25, 29, 32, 34, 35, 36, 41, 42, 43, 44, 45, 46, 47, 48, 49, 49, 50, 51, 53, 58, 59, 63, 65, 66, 72, 79, 80, 81, 82, 84, 85, 88, 89, 91, 95, 99, 99, 100, 101, 120, 121, 122, 123, 126, 146, 150, 159, 161, 170, 171, 180, 187, 188, 189, 192 Anm. 35, 202, 203, 204, 205, 206, 209, 220, 229, 230, 231, 233, 234, 248, 250, 251, 253, 255, 259, 260, 261, 262, 262, 263, 264, 266 Anm. 17, 273, 275, 276, 277, 278, 279, 282 Moholy-Nagy, László 64, 69 Möller, Heino 168 Mondlandung 171, 173, 273 Mondrian, Piet 70, 138, 140, 143, 183, 226 Monogramm 121, 122 Montage (Photomontage) 16, 196, 201, 205, 209, 278, 279 Montreuil, Pierre de 26 Monument, Monumentalität, Monumentalarchitektur 13, 14, 16, 119, 120, 123, 126, 128, 130, 133 Anm. 22, 195, 195, 196, 196, 197, 198, 199, 200, 200, 201, 201, 202, 203, 203, 204, 204, 205, 206, 207, 212 Anm. 21, 226, 279 Morning Dress 33 Mourgue, Olivier 168 Multiversum 45, 46 Mumford, Lewis 164 München 44, 45, 45, 82, 170 Museum Ballenberg 248 Musil, Robert 69 Mussolini, Benito 119, 120, 121, 121, 122 Nachkriegszeit 92, 120, 131, 203, 264 Nationalfarben 133 Anm. 22

Nationalsozialismus, Nationalsozialisten, nationalsozialistisch, NSStaat 14, 72, 119, 123, 124, 125, 126, 128, 131, 133 Anm. 22, 251, 256, 259, 261, 275 Neoklassizismus 102, 126, 133 Anm. 22 Neorenaissance 41, 42, 43, 44, 44, 45, 45, 46, 47, 48, 49, 49, 50, 51, 51, 52, 53 Netzwerk 189 Neue Frau 58, 59, 60, 64, 66, 71, 126, 128 Neues Bauen 51, 65, 71, 164 Neufert, Ernst 71, 71 - Bauentwurfslehre 71, 75 Anm. 44 New Look 255, 266 Anm. 15 New Scientist 163, 176 Anm. 29 New York 42, 133 Anm. 22, 138, 206 - Carnegie Hall 42 - Museum of Modern Art 187, 206 Nietzsche, Friedrich 41, 46, 52 noblesse de robe 27, 28 Normung, Norm, normiert 29, 57, 58, 61, 68, 69, 71, 107, 112, 130, 170, 173, 201, 266 Anm. 17 Nullpunkt 131, 206, 209 Oberfläche 10, 14, 57, 80, 91, 101, 120, 143, 145, 159, 166, 168, 169, 175, 182, 183, 195, 196, 197, 201, 202, 205, 206, 207, 209 Olympische Spiele 170 Ordnung 31, 37, 180, 199, 202, 253, 254, 263, 269, 277 Organprojektion 13, 182 Orphismus 81, 85 Orta, Lucy 192 Anm. 35 Otto, Frei 186 Overall 9, 195 Ozenfant, Amédée 36

Register

Panton, Verner 164, 167, 168, 172 Paris 12, 24, 28, 33, 36, 79, 80, 81, 82, 83, 84, 85, 86, 88, 89, 93, 98 Anm. 45, 99, 99, 100, 101, 102, 103, 104, 105, 106, 106, 108, 110, 113 Anm. 4, 114 Anm. 9, 126, 136, 150, 169, 170, 171, 225, 242, 243, 255 - Bal Bullier 82, 83 - École des Beaux-Arts 33 - 9Exposition internationale des Arts décoratifs et industriels modernes 79, 80, 89, 99 - Galerie Beaux-Arts 101, 106, 106, 108, 110 - Galerie Jean Désert 93 - Licorne-Galerie 86 - Sorbonne 24, 28 - Weltausstellung (1937) 12, 101, 102, 102, 103, 104, 105, 106, 114 Anm. 15, 116 Anm. 26, 126 Pastoreau, Michel 30 Paul, Bruno 276 Performativität (performance) 18, 49, 86, 120, 190, 254 Perrault, Dominique 23 Perriand, Charlotte 94, 98 Anm. 45 Philipp II. von Spanien 30 Piacentini, Marcello 123 Picasso, Pablo 35, 83, 84 Poelzig, Hans 126 Poiret, Paul 36, 99, 99, 100, 101, 104, 109, 109, 111, 113, 183 Politik 9, 11, 12, 23, 27, 29, 32, 46, 58, 81, 87, 120, 122, 128, 185, 213, 239, 251, 253, 264, 269, 270, 271, 272, 273, 274, 275, 276, 277, 278, 279, 280, 281 Anm. 3 Priestergewand, Priesterkleidung 24, 28, 29, 30 Pringsheim, Alfred 11, 43, 44, 45 Profession 26, 27, 29, 37, 38 Anm. 12, 80

Propaganda 122, 123, 124, 128, 133 Anm. 22 Rabanne, Paco 171, 183 Rakowitz, Michael 189 Raum 9, 10, 11, 12, 13, 14, 16, 17, 18, 21, 23, 24, 25, 26, 31, 34, 35, 36, 42, 43, 44, 44, 45, 46, 49, 52, 53, 57, 65, 66, 69, 71, 72, 80, 86, 88, 91, 95, 100, 106, 107, 112, 113, 119, 126, 138, 139, 140, 142, 143, 144, 145, 146, 157, 147, 148, 149, 150, 154 Anm. 46, 157, 159, 160, 161, 162, 163, 164, 166, 168, 169, 170, 171, 172, 173, 174, 175 Anm. 23, 180, 181, 182, 183, 184, 185, 187, 188, 189, 190, 191 Anm. 12, 196, 197, 201, 202, 219, 220, 220, 221, 222, 223, 224, 225, 226, 227, 228, 229, 230, 233, 235, 246, 249, 250, 251, 252, 258, 259, 260, 261, 262, 264, 270, 272, 273, 274, 275, 276, 277, 279, 280 Raumanzug 13, 162, 169, 170, 171, 273, 280 Raumfahrt, Raumfahrtzeitalter 13, 16, 159, 160, 161, 171, 173, 273, 279, 280 Reform 11, 14, 28, 30, 31, 52, 57, 68, 82, 170, 219 Reformation 28, 30, 31 Reichlen, Joseph 242, 243 Reklame 60, 74 Anm. 26 Renaissance 11, 16, 22, 23, 24, 26, 27, 32, 41, 42, 43, 44, 44, 45, 45, 46, 47, 47, 48, 49, 49, 50, 50, 51, 51, 52, 53, 277 Repräsentation 10, 11, 15, 27, 35, 37, 99, 100, 102, 109, 112, 113, 126, 133 Anm. 22, 148, 174 Anm. 4, 200, 239, 240, 244, 248, 280 Resonanz 10, 15, 16 Revolution 12, 32, 58, 59, 81, 84, 87, 88, 203

317

318

RaumKleider

Riedl, Peter Philipp 46 Riemerschmid, Richard 82 Rjsselberghe, Théo van 82 Rock ›n‹ Roll 249, 249, 250 Rom, römisch 120, 131, 136 Rossi, Aldo 198, 213 Anm. 24 Roth, Alfred 94, 138 Rousseau, Pascal 83, 84 Rudofsky, Bernard 88 Ruine 130, 137, 140, 142 Sacklinie 256, 256 Saint-Laurent, Yves 183 Salvori, Francesco 122, 130 Sandmännchen 15, 269, 270, 271, 271, 272, 273, 273, 274, 275, 275, 278, 279, 280, 280, 281 Anm. 5 Schaufensterpuppe 12, 101, 106, 107, 109, 115 Anm. 22, 116 Anm. 25 Schlemmer, Oskar 67, 68, 69 Schönheit 34, 130, 253, 259, 277, 278 Schulz, Walter Friedrich 129 Schütte-Lihotzky, Margarete 65 Schwarz (Farbe) 11, 21, 22, 23, 29, 30, 31, 31, 55 Anm. 43, 82, 87, 170, 171, 183, 204, 225, 226, 226, 227, 235, 242, 250, 262 Schwarz, Matthäus 29, 30 Schweizer Heimatschutz/Ligue Suisse pour la beauté 244 Schweizer Trachtenvereinigung 244 Schweizerische Landesausstellung 242, 244 Schweizerisches Landesmuseum 242, 243, 243 Schwerin, Ricarda (Ricarda Melzer) 61, 62, 62 Selbsttechnik, Selbstästhetik 41, 42, 43, 46, 48, 49 Semper, Gottfried 10, 41, 52, 124, 124, 125, 145, 180, 191 Anm. 12 Sender Freies Berlin (SFB) 271

Set-Design 250, 251, 259, 264, 274 Sexualität 111, 112, 171 Simmel, Georg 130, 254 Simultan 12, 80, 81, 82, 83, 83, 85 Smithson, Alison und Peter 157, 158, 160, 182, 183 - House of the Future 157, 158, 159, 178 Anm. 60, 182 Sowjetunion, sowjetisch 35, 87, 273, 279, 280 Sozialismus 15, 81, 251, 269, 270, 271, 272, 273, 274, 275, 276, 277, 278, 279, 280, 281, 282 Anm. 7 Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED) 274 Speer, Albert 126 Sphäre 13, 14, 37, 121, 163, 173, 189, 259 Sport, Versportlichung (Körperertüchtigung) 22, 23, 33, 58, 66, 67, 68, 94, 100, 120, 121, 125, 159, 160, 169, 170, 174 Anm. 9, 234, 240, 248, 255, 273 Stalin, Josef 277, 278 Stand, Status 24, 25, 26, 27, 29, 234, 254, 255 Standard, Standardisierung 12, 69, 70, 71, 88, 176 Anm. 28, 276, 278 Staudte, Wolfgang 129 Stierle, Karlheinz 41 Stölzl, Gunta 58, 67 Strahlung 59, 148, 159, 188, 257, 258, 270, 271, 273 Struktur 16, 26, 37, 65, 85, 86, 88, 89, 91, 95, 120, 122, 123, 126, 128, 137, 146, 158, 166, 169, 173, 181, 185, 186, 195, 196, 197, 200, 200, 201, 202, 203, 251, 253, 254, 261, 279 Superstudio 14, 162, 173, 195, 195, 196, 196, 197, 197, 198, 199, 200, 201, 201, 202, 203, 203, 204, 204, 205, 206, 207, 207, 208, 209, 210

Register

- Il monumento continuo 195, 197, 198, 200, 203, 204, 212 Anm. 21 Systemmöbel (Anbaumöbel) 164, 166 Taut, Bruno 14, 16, 49, 51, 51, 52, 53, 219, 220, 220, 221, 221, 222, 222, 223, 223, 224, 224, 225, 226, 226, 227, 227, 228, 229, 230, 231, 231, 232, 233, 233, 234, 235, 235, 236 Anm. 17, 19 - Die neue Wohnung 51, 219, 226, 236 Anm. 17 - Die Stadtkrone 222 - Japans Kunst mit europäischen Augen gesehen 231 - Haus Samek 227, 227, 228, 229, 235 - Villa Hyuga (Atami, Japan) 235 - Wohnhaus Dahlewitz (Berlin) 226, 236 Anm. 19 Tchernicheva, Lubov 85, 85 Technologie 11, 13, 42, 43, 44, 44, 46, 160, 161, 163, 172, 173, 175 Anm. 19, 180, 182, 183, 185 Technologie des Selbst 11, 42, 43, 44, 46 Technosphäre 13, 14, 173 Terk, Henri 81 Textil, textil 79, 80, 81, 82, 84, 87, 90, 95, 99, 100, 113, 124, 124, 159, 168, 186, 202, 229, 246 Theater 12, 31, 80, 84, 86, 87, 95, 102, 151, 222, 235 Thoma, Hans 44, 45, 45 Tinling, Ted 171, 157, 158, 159, 160, 171 Tracht 11, 14, 15, 16, 29, 30, 55 Anm. 43, 119, 230, 234, 239, 240, 241, 242, 243, 243, 244, 245, 245, 246, 247, 248, 254, 255, 266 Anm. 13 Trauttmansdorff-Weinsberg, Gabriele Gräfin von und zu 129 Troost, Paul Ludwig 126

Trümmerarchitektur 130, 131 Trümmermode 120, 129, 130 Typ, Typus, Typisierung 12, 15, 21, 25, 46, 57, 58, 59, 64, 65, 67, 67, 68, 69, 71, 72, 83, 107, 125, 126, 128, 140, 159, 166, 185, 186, 188, 198, 278, 279 Tzara, Tristan 86 Umwelt 135, 149, 160, 162, 163, 164, 168, 173, 180, 186, 187, 188, 189, 203, 269 Uniform, Uniformierung 9, 12, 15, 21, 33, 34, 35, 37, 71, 119, 120, 129, 171, 177 Anm. 54, 195, 205, 246, 248, 257, 269, 274 Urhütte 136, 137, 140, 209 Utopie, utopisch 119, 136, 137, 147, 148, 150, 157, 168, 205, 206, 209, 212 Anm. 7, 273, 281 Vadim, Roger 171 Van de Velde, Henry 50, 82, 95 Van Doesburg, Theo 70, 226 Verkleidung 47, 136, 143, 145, 195, 202, 226, 229, 270 vestimentär (siehe Kleid) Vevey 241, 241, 243 Vionnet, Madeleine 183, 184, 184 Visiona 167, 168, 172 Vitruv 137, 180 Volksgemeinschaft 125, 126, 251, 259 Wagner, Richard 45, 84 Warburg, Aby M. 259 Webb, Michael 179, 179, 180, 181, 182, 183, 186, 189, 190, 191 Anm. 22 Webb, Philip 13, 14, 162 - Cushicle 13, 162, 179, 179, 180, 181, 182, 183, 185, 186, 187, 188, 189, 190, 191 Anm. 6, 192 Anm. 22

319

320

RaumKleider



- Suitaloon 13, 162, 179, 179, 180, 181, 182, 183, 185, 186, 187, 188, 189, 190, 191 Anm. 6 Weiblichkeit, weiblich 23, 57, 58, 59, 60, 64, 66, 67, 70, 71, 72, 86, 107, 123, 124, 125, 126, 159, 160, 168, 169, 179, 183, 184, 185, 249, 254, 255, 257, 258, 262 Weimar 58, 63, 67, 68, 69, 70, 75 Anm. 44, 119, 126, 128, 219, 275, 276 Weimarer Republik 126, 128, 275 Weiß (Farbe) 14, 29, 48, 82, 87, 92, 123, 158, 167, 168, 170, 171, 177 Anm. 47, 195, 196, 209, 222, 225, 226, 226, 227, 229, 230, 232, 235, 245, 246, 249, 250, 257, 258, 262, 272, 274, 281 Anm. 5 Wermatswil 13, 137, 138, 140, 146 Werner, Anton von 46, 47, 47, 48, 49 Wigley, Mark 180 Wildenhahn, Barbara 119 Winzerfest 241, 242, 243, 245 Wohnen, Wohnkultur, Wohnlichkeit, Wohnideal 14, 65, 95, 109, 146, 152 Anm. 4, 161, 168, 182, 206, 219, 220, 223, 234, 251, 252, 259, 260, 276, 277, 278 Wohnung, Wohnraum 11, 18, 42, 49, 51, 52, 53, 86, 88, 93, 126, 138, 150, 163, 164, 166, 168, 169, 172, 181, 182, 192 Anm. 35, 219, 220, 220, 221, 222, 224, 226, 229, 230, 235, 251, 252, 269, 270, 272, 276, 277, 278, 279 Wohnzimmer 52, 221, 223, 270 Zelt 13, 135, 137, 138, 140, 145, 146, 152 Anm. 3, 159, 186, 209, 229 Zopf 12, 59, 62, 128

Zürich 21, 82, 137, 149, 150, 242, 243, 243 Zwanziger Jahre (siehe Zwischenkriegszeit) Zweig, Stefan 52, 55 Anm. 43 Zweiter Weltkrieg 128, 129, 138, 151, 239, 251, 275 Zwischenkriegszeit (Zwanziger Jahre) 12, 51, 58, 59, 60, 69, 100, 119, 131

Christa de Carouge (1936-2018)

Architektur und Design Gerrit Confurius

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