Rationale Schiiten: Ismailitische Weltsichten nach einer postkolonialen Lekture von Max Webers Rationalismusbegriff 3110273748, 9783110273748

Die dekolonisierte Perspektive auf die Rationalität religiöser Weltbilder eröffnet einen Ansatz für einen historischen V

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Rationale Schiiten: Ismailitische Weltsichten nach einer postkolonialen Lekture von Max Webers Rationalismusbegriff
 3110273748, 9783110273748

Table of contents :
Einleitung
1. Max Weber und der Islam
1.1. Gegenstand und methodischer Zugang
1.2. Orientalismus: der Islam als defizitäre Religion
1.3. Okzidentalismus: „Warum nur hier?“ – Protestantismus als das Maß der Dinge
2. Der Rationalismusbegriff als Schlüssel zu Max Webers Religionssoziologie
2.1. Die Entdeckung des Rationalismus: ein chronologischer und systematischer Blick auf Webers Religionsgeschichte
2.2. Der Rationalismus in der Religionsentwicklung
2.2.1. Der Ursprung der Rationalisierung
2.2.2. Die Wirkweise der Rationalität in der Religion
2.2.3. Begriffliche Ambivalenzen einer ,Entwicklungsrichtung von universeller Bedeutung‘
2.3. Die Zwischenbetrachtung: „Ein Beitrag zur Typologie und Soziologie des Rationalismus selbst“?
3. Eine postkoloniale Lektüre des Rationalismusbegriffs
3.1. Zwei Perspektiven auf das Begriffspaar rational – irrational
3.2. Die polarisierend exkludierende Position
3.2.1. Der sinnvolle Kosmos bürgerlicher Erlösungsreligiosität
3.2.2. Askese und Mystik
3.3. Wechselseitige Komplementarität in der Weltsichtanalyse
3.3.1. Sinnzuweisungssystem I: Kulturwissenschaft
3.3.2. Sinnzuweisungssystem II: Religion
3.3.3. Sinnzuweisungssystem III: Max Webers Wert- und Zwecktheorie
4. Von der Kritik zur Konstruktion
4.1. Zur kritischen Reflexivität der methodologischen Grundlagen
4.1.1. Postkoloniale Islambilder
4.1.2. Der Idealtypus als Werkzeug historischer Darstellung
4.1.3. Zur Terminologie einer religionssystematischen Untersuchung der Ismā‛īlīya
4.1.3.1. Religionshistorische Zugänge für die Ismā‛īlīya
4.1.3.2. Esoterik
4.1.3.3. Neuplatonismus
4.1.3.4. Gnosis
4.2. Rationale Esoteriker: die schiitische Ismā‛īlīya
4.2.1. Gestalten der Rationalität: zur Verortung und Beschreibung der Inkohärenz von Empirie und Sinnzuschreibung
4.2.2. Die Ismā‛īlīya: ein historischer Abriss
4.2.3. Ismā‛īlitische Rationalitäten
4.2.4. Der sinnvolle Kosmos der Ismā‛īlīya in geschichtlicher Perspektive
5. Die präfatimidische Epoche
5.1. Soziopolitische Situation
5.1.1. Anfänge des Schiitentums und erste Deprivationserfahrung
5.1.2. Anfänge der Ismā‛īlīya
5.2. Die al-‛Ālim wa’l-ġulām und ihr Autor
5.2.1. Ǧa‛far ibn Manṣūr al-Yaman
5.2.1.1. Leben des Autors in seiner Zeit
5.2.1.2. Schriften des Autors
5.2.2. Die Schrift aal-‛Ālim wa’l-ġulām
5.2.2.1. Inhaltsangabe
5.2.2.2. Zur neueren Rezeption des Textes
5.3. Theologischer Gehalt
5.3.1. Kosmogonie
5.3.1.1. Die Kosmogonie im Kitāb al-‛ālim wa’l-ġulām
5.3.1.2. Zu Originalität und Kontext der frühismā‛īlitischen Kosmogonie
5.3.1.3. Hybris und Gnosis in der Kosmogonie des Kitāb al-‛ālim wa’l-ġulām
5.3.2. Ismā‛īlitische Imamatslehre
5.3.2.1. Zur ismā‛īlitische Imamatslehre
5.3.2.2. Imamatslehre und Kosmologie im Kitāb al-‛ālim wa’l-ġulām
5.3.2.3. Terminologie und Systematik der Imamatslehre
5.3.2.4. Imamatslehre und Eschatologie
5.4. Zur Wechselwirkung von Politik und Theologie
5.4.1. Zur Struktur einer schiitischen Oppositionsbewegung
5.4.2. Frühe Ismā‛īlīya als „esoterische Erlösungsreligion“?
6. Die fatimidische Epoche
6.1. Das Imamat des ‛Abdallāh al-Mahdi
6.1.1. Die genealogische Neuerung und der Abfall der Qarmaten
6.1.2. Flucht aus Salamya und die Eroberung Nordafrikas
6.1.3. Da‘wa und Daula: Hindernisse bei der Errichtung des Reiches
6.1.4. Die Erweiterung der Heptadenfolge
6.2. Das Imamat des al-Mu‛izz li-Dīn Allāh
6.2.1. Die äußere Gestalt der Reichswerdung
6.2.1.1. Geschichtlicher Überblick
6.2.1.2. Da‘wa und Daula: die Institutionalisierung des Reichs als Recht und höfisches Ritual
6.2.2. Der Fatimiden-Kalif al-Mu‛izz li-Dīn Allāh und der iranische Neuplatonismus
6.2.2.1. Die Begegnung von alter Mythologie und neuer Philosophie
6.2.2.2. Ismā‛īlitische Kosmogonie und Imamatslehre im neuplatonischen Gewand
6.3. Das Imamat des al-Ḥākim bi-Amr Allāh
6.3.1. Der Imam al-Ḥākim bi-Amr Allāh
6.3.2. Ḥamīd al-Dīn al-Kirmānī
6.4. Zur Wechselwirkung von Politik und Theologie
6.4.1. Zur Dynamik eines messianischen Reiches
6.4.2. Die Hierarchie einer elitären Massenreligion
7. Die postfatimidische Epoche
7.1. Vom Niedergang ismā‛īlitischer Herrschaft
7.1.1. Die Ṣulaiḥiden im Jemen (1047–1138)
7.1.2. Die Geschichte der jemenitischen Ṭayyibīya nach dem Ende der Ṣulaiḥiden
7.1.3. Die Lehre der jemenitischen Ṭayyibīya nach dem Ende der Ṣulaiḥiden
7.2. Idrīs ‛Imād al-Dīn
7.2.1. Idrīs ‛Imād al-Dīn: Leben und Werk
7.2.2. Al-Kitāb zahr al-ma‛ānī
7.2.2.1. Inhalt des Kitāb zahr al-ma‛ānī
7.2.2.2. Kosmogonie
7.2.2.3. Imamatslehre: Kosmologie und Eschatologie
7.3. Zur Wechselwirkung von Politik und Theologie
7.3.1. Wenn der Mahdī scheitert
7.3.2. Die Weltverneinung deprivierter Intellektueller
8. Postkoloniale Rationalismen
8.1. Die Religionsgeschichte der Ismā‛īlīya im Prisma des postkolonialen Rationalismusbegriffs
8.1.1. Die komplementäre Rationalität der Erlösungsidee
8.1.2. Die komplementäre Rationalität der Ausdifferenzierung
8.1.3. Die komplementäre Rationalität der Gnosis
8.2. Ein orientaler Sonderweg?
8.3. Zusammenfassung
Literaturverzeichnis
Index

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Markus Wachowski Rationale Schiiten

Religionsgeschichtliche Versuche und Vorarbeiten Herausgegeben von Jörg Rüpke und Christoph Uehlinger

Band 59

De Gruyter

Markus Wachowski

Rationale Schiiten Ismailitische Weltsichten nach einer postkolonialen Lektüre von Max Webers Rationalismusbegriff

De Gruyter

ISBN 978-3-11-027374-8 e-ISBN 978-3-11-027384-7 ISSN 0939-2580 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2012 Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, Berlin/Boston Druck: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen ⬁ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com

Inhalt Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1. Max Weber und der Islam . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 1.1. Gegenstand und methodischer Zugang . . . . . . . . . . . . . . . 8 1.2. Orientalismus: der Islam als defizitäre Religion . . . . . . . . 14 1.3. Okzidentalismus: „Warum nur hier?“ – Protestantismus als das Maß der Dinge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 2. Der Rationalismusbegriff als Schlüssel zu Max Webers Religionssoziologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1. Die Entdeckung des Rationalismus: ein chronologischer und systematischer Blick auf Webers Religionsgeschichte 2.2. Der Rationalismus in der Religionsentwicklung . . . . . . . 2.2.1. Der Ursprung der Rationalisierung . . . . . . . . . . . . 2.2.2. Die Wirkweise der Rationalität in der Religion . . 2.2.3. Begriffliche Ambivalenzen einer ,Entwicklungsrichtung von universeller Bedeutung‘ 2.3. Die Zwischenbetrachtung: „Ein Beitrag zur Typologie und Soziologie des Rationalismus selbst“? . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Eine postkoloniale Lektüre des Rationalismusbegriffs . . . . . . . . 3.1. Zwei Perspektiven auf das Begriffspaar rational – irrational 3.2. Die polarisierend exkludierende Position . . . . . . . . . . . . . 3.2.1. Der sinnvolle Kosmos bürgerlicher Erlösungsreligiosität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.2. Askese und Mystik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3. Wechselseitige Komplementarität in der Weltsichtanalyse 3.3.1. Sinnzuweisungssystem I: Kulturwissenschaft . . . . . 3.3.2. Sinnzuweisungssystem II: Religion . . . . . . . . . . . . 3.3.3. Sinnzuweisungssystem III: Max Webers Wert- und Zwecktheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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4. Von der Kritik zur Konstruktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 4.1. Zur kritischen Reflexivität der methodologischen Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 4.1.1. Postkoloniale Islambilder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93

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Inhalt

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4.1.2. Der Idealtypus als Werkzeug historischer Darstellung 4.1.3. Zur Terminologie einer religionssystematischen Untersuchung der Isma¯ ¯ılı¯ya . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.3.1. Religionshistorische Zugänge für die Isma¯ ¯ılı¯ya . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.3.2. Esoterik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.3.3. Neuplatonismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.3.4. Gnosis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2. Rationale Esoteriker: die schiitische Isma¯ ¯ılı¯ya . . . . . . . . . 4.2.1. Gestalten der Rationalität: zur Verortung und Beschreibung der Inkohärenz von Empirie und Sinnzuschreibung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.2. Die Isma¯ ¯ılı¯ya: ein historischer Abriss . . . . . . . . . . . 4.2.3. Isma¯ ¯ılitische Rationalitäten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.4. Der sinnvolle Kosmos der Isma¯ ¯ılı¯ya in geschichtlicher Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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5. Die präfatimidische Epoche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1. Soziopolitische Situation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1.1. Anfänge des Schiitentums und erste Deprivationserfahrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1.2. Anfänge der Isma¯ ¯ılı¯ya . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ¯ lim wa’l-g˙ula¯m und ihr Autor . . . . . . . . . . 5.2. Die Schrift al- A ˇ a far ibn Mansu¯r al-Yaman . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.1. G 5.2.1.1. Leben˙des Autors in seiner Zeit . . . . . . . . 5.2.1.2. Schriften des Autors . . . . . . . . . . . . . . . . . ¯ lim wa’l-g˙ula¯m . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.2. Die Schrift al- A 5.2.2.1. Inhaltsangabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.2.2. Zur neueren Rezeption des Textes . . . . . 5.3. Theologischer Gehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3.1. Kosmogonie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3.1.1. Die Kosmogonie im Kita¯b al- a¯lim wa’l-g˙ula¯m . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3.1.2. Zu Originalität und Kontext der frühisma¯ ¯ılitischen Kosmogonie . . . . . . . . 5.3.1.3. Hybris und Gnosis in der Kosmogonie des Kita¯b al- a¯lim wa’l-g˙ula¯m . . . . . . . . . . . . . . 5.3.2. Isma¯ ¯ılitische Imamatslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3.2.1. Zur isma¯ ¯ılitischen Imamatslehre . . . . . . .

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Inhalt

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5.3.2.2. Imamatslehre und Kosmologie im Kita¯b al- a¯lim wa’l-g˙ula¯m . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3.2.3. Terminologie und Systematik der Imamatslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3.2.4. Imamatslehre und Eschatologie . . . . . . . . 5.4. Zur Wechselwirkung von Politik und Theologie . . . . . . . 5.4.1. Zur Struktur einer schiitischen Oppositionsbewegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.4.2. Frühe Isma¯ ¯ılı¯ya als „esoterische Erlösungsreligion“? ˘

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6. Die fatimidische Epoche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1. Das Imamat des Abdalla¯h al-Mahdı¯ . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1.1. Die genealogische Neuerung und der Abfall der Qarmaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1.2. Flucht ˙aus Salamya und die Eroberung Nordafrikas 6.1.3. Da wa und Daula: Hindernisse bei der Errichtung des Reiches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1.4. Die Erweiterung der Heptadenfolge . . . . . . . . . . . 6.2. Das Imamat des al-Mu izz li-Dı¯n Alla¯h . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.1. Die äußere Gestalt der Reichswerdung . . . . . . . . . 6.2.1.1. Geschichtlicher Überblick . . . . . . . . . . . . 6.2.1.2. Da wa und Daula: die Institutionalisierung des Reichs als Recht und höfisches Ritual 6.2.2. Der Fatimiden-Kalif al-Mu izz li-Dı¯n Alla¯h und der iranische Neuplatonismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.2.1. Die Begegnung von alter Mythologie und neuer Philosophie . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.2.2. Isma¯ ¯ılitische Kosmogonie und Imamatslehre im neuplatonischen Gewand 6.3. Das Imamat des al-Ha¯kim bi-Amr Alla¯h . . . . . . . . . . . . . . ˙ a¯kim bi-Amr Alla¯h . . . . . . . . . . . . 6.3.1. Der Imam al-H 6.3.2. Hamı¯d al-Dı¯n ˙al-Kirma¯nı¯ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ˙ 6.4. Zur Wechselwirkung von Politik und Theologie . . . . . . . 6.4.1. Zur Dynamik eines messianischen Reiches . . . . . . 6.4.2. Die Hierarchie einer elitären Massenreligion . . . . .

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7. Die postfatimidische Epoche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 7.1. Vom Niedergang isma¯ ¯ılitischer Herrschaft . . . . . . . . . . . . 228 7.1.1. Die Sulaihiden im Jemen (1047 – 1138) . . . . . . . . . 228 ˙ ˙

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Inhalt

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7.1.2. Die Geschichte der jemenitischen Tayyibı¯ya nach dem Ende der Sulaihiden . . . . . . . ˙. . . . . . . . . . . . . ˙ ˙ 7.1.3. Die Lehre der jemenitischen Tayyibı¯ya nach dem Ende der Sulaihiden . . . . . . . ˙. . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2. Idrı¯s Ima¯d al-Dı¯n˙ . . .˙ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.1. Idrı¯s Ima¯d al-Dı¯n: Leben und Werk . . . . . . . . . . . 7.2.2. Al-Kita¯b zahr al-ma a¯nı¯ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.2.1. Inhalt des Kita¯b zahr al-ma a¯nı¯ . . . . . . . . . . 7.2.2.2. Kosmogonie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.2.3. Imamatslehre: Kosmologie und Eschatologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.3. Zur Wechselwirkung von Politik und Theologie . . . . . . . 7.3.1. Wenn der Mahdı¯ scheitert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.3.2. Die Weltverneinung deprivierter Intellektueller . . . ˘

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8. Postkoloniale Rationalismen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.1. Die Religionsgeschichte der Isma¯ ¯ılı¯ya im Prisma des postkolonialen Rationalismusbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . 8.1.1. Die komplementäre Rationalität der Erlösungsidee 8.1.2. Die komplementäre Rationalität der Ausdifferenzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.1.3. Die komplementäre Rationalität der Gnosis . . . . . 8.2. Ein orientaler Sonderweg? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.3. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 Index . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299

Einleitung

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Sowohl der Untersuchungsgegenstand der vorliegenden Arbeit, die Isma¯ ¯ılı¯ya, als auch die ihr zugrundeliegende Fragestellung zur Sinnhaftigkeit religiöser Weltdeutung ergaben sich aus persönlichen Interessen und wichtigen Stationen meiner Biographie. In den Jahren 1996 – 1997 besuchte ich den Jemen zum ersten Mal. Das Land war für mich damals sehr fremd und weitestgehend unverständlich. Das von mir als andersartig empfundene jemenitische Leben – oder besser: die vielen jemenitischen Leben – hatte aber für die Jemeniten die gleiche Evidenz und Selbstverständlichkeit wie mein bisheriges Leben für mich in Deutschland. Das klingt relativ banal, dennoch sollte diese Erkenntnis prägend für mein weiteres Leben und diese Forschungsarbeit sein. Dass etwas Fremdes, Unverständliches, an manchen Stellen auch beängstigend Erscheinendes ebenso sinnhaft, subjektiv richtig wie evident sein sollte wie das vertraute Eigene, ist manchmal schwer zu akzeptieren. Doch genauso wie es für das Erlernen einer neuen Sprache kaum hilfreich und sinnvoll ist, das zunächst noch unverständliche Gesprochene der Muttersprachler als irres Gestammel zu werten, ist es auch bei dem Zusammentreffen mit und Kennenlernen von einer fremden Kultur nicht hilfreich, den Anderen, Fremden von vornherein als unvernünftig, verbohrt und rückständig zu betrachten. Öffnet man sich stattdessen aber für die Akzeptanz anderer Sichtweisen und Sinnzuschreibungen, so kann – wie in meinem glücklichen Fall – die Erfahrung dieser Fremdheit zu einer großen Bereicherung werden. Zusammen mit der Sprache habe ich gelernt, dass auch das, was mir zunächst als fremd und unverständlich erscheint, einer kontextualen Logik folgt, die ihre zeitliche und lokale Berechtigung hat. Auch wenn mir die Meinungsfreiheit bleibt, es dennoch für unvernünftig, verbohrt und rückständig zu halten, weiß ich aber, dass mein Gegenüber einer eigenen Sinnhaftigkeit folgt, die per se weder besser noch schlechter ist als meine Einschätzung der Lage. Dieser Relativismus hat natürlich seine Grenzen, aber darum soll es hier nicht gehen. Die schlichte Schlussfolgerung aus dem Erlebten und die Prämisse für alles weitere Denken und Forschen ist die, dass die oder der Andere erst mal nicht mehr oder weniger verrückt oder vernünftig ist als ich selbst.

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Einleitung

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Über meine Studien zur schiitischen Zaidı¯ya, der Mehrheitsdenomination im Jemen,1 kam ich auch in Kontakt mit einer anderen schiitischen Denomination, der Isma¯ ¯ılı¯ya mit ihren beiden Zweigen der Da¯ u¯dı¯ya (die in Indien Bohra genannt wird) und der Sulaima¯nı¯ya. Im Verlauf meiner Studien und Feldforschungen verschob sich jedoch der Fokus des Interesses weg von einer ethnologischen Arbeit hin zu einer historischen Betrachtung der Gemeinschaft. Der zeitgenössische Jemen ist durch diese Verlagerung des Schwerpunkts etwas in den Hintergrund getreten, während die Epoche der Fatimiden in Nordafrika in dieser Arbeit umso umfangreicher behandelt wird. Dennoch spielt der Jemen eine zentrale Rolle für die frühe Isma¯ ¯ılı¯ya wie auch für den im 7. Kapitel behandelten Zweig der tayyibitischen Isma¯ ¯ılı¯ya. Zu dem im Jemen entwickelten Interesse an ˙schiitischen Denominationen kam außerdem eine schon seit Studienbeginn vorhandene Faszination für gnostischesoterische Denkmodelle in der Spätantike und in der Neuzeit hinzu. Aus diesen unterschiedlichen persönlichen Interessen und biographischen Erfahrungen entwickelte sich früh ein grobes Konzept für diese Arbeit, die schließlich im Januar 2011 als Dissertation am Institut für Religionswissenschaft der Universität Bremen angenommen wurde. Betreuer der Dissertation war Christoph Auffarth (Bremen) und als Zweitgutachter fungierte Heinz Halm (Tübingen). Wenn sich Details der Fragestellung, geplanter Umfang und einige Aspekte des nun vorliegenden Werkes auch änderten, blieb rückblickend betrachtet der Kern doch stets unberührt. Mein Ziel war es im Falle der Isma¯ ¯ılı¯ya zu zeigen, wie sich Theologie und Politik zueinander verhalten. Sowohl die sich entfaltende Dynamik einer religiösen Überzeugung wie ihre Kraft, bestehenden Verhältnissen für Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft einen Sinn zu verleihen, unterliegen einer wechselseitigen Pragmatik und Plausibilität. Kosmogonie als Modell zur Beschreibung der Herkunft sowie die Eschatologie als Horizont des Versprechens erhalten ihre Bedeutung erst und ausschließlich für die je gegenwärtige Situation der Gemeinschaft. In diesem Sinne sind, wie Bourdieu es beschreibt, Theodizeen immer auch Soziodizeen.2 Niemand hat dieses Verhältnis von religiöser Weltsicht und ,äußerer Interessenlage‘, wie er es formuliert, besser beschrieben als Max Weber. Was lag also näher, als sich für die Beantwortung der oben entwickelten Forschungsfrage in Webers Schriften Rat zu holen? ˘

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Vgl. Wachowski (2004): Sa¯da in San a¯ . ˙ S. 70 f. Bourdieu (2000): Das religiöse Feld,

Einleitung

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Die Anwendung Weber’scher Fragestellungen und Methoden auf die Isma¯ ¯ılı¯ya hat sich jedoch keineswegs als so einfach und fruchtbar erwiesen, wie erhofft (Kap. 1.1.) Stattdessen wurde es offensichtlich, dass Weber, wie auch seine Zeitgenossen in der Hochphase des Spätkolonialismus, der Versuchung erlegen war, die privilegierte Position Europas ideologisch zu begründen und die politische, ökonomische und militärische Unterlegenheit außereuropäischer Kulturen und Religionen mit deren unveränderlichem Wesen in Zusammenhang zu bringen und so die Machtverhältnisse zu naturalisieren und zu essenzialisieren. (Kap. 1.2.) Dieser Abwertung außereuropäischer Kulturen stand eine ebensolche Aufwertung innereuropäischer Kultur als ,Maß der Dinge‘ gegenüber. (Kap. 1.3.) Eine derartige koloniale Sichtweise auf globale Zusammenhänge ist heute nicht mehr vertretbar. „Die heutige Welt ist […] postkolonial, weil jede Form von imperialer Herrschaft als Herrschaftsform durch und durch unglaubwürdig geworden ist und wir alle mit Menschen zusammenleben, die aus ehemals kolonisierten Ländern stammen oder zumindest aus Ländern, die in der einen oder anderen Form mit westlicher Vorherrschaft konfrontiert waren.“3 Genau deshalb annonciert die Arbeit in ihrem Untertitel auch eine postkoloniale Lektüre von Max Webers Rationalismusbegriff. Warum aber sollte man überhaupt weiter Weber lesen? Dipesh Chakrabarty schreibt von einem postkolonialen Dilemma: Die europäische Denktradition ist gleichermaßen unverzichtbar wie ungenügend. „Der Einwand, dass das europäische Denken nicht geeignet ist, Gesellschaften mit nichteuropäischen oder nichtwestlichen Vergangenheiten zu erhellen, lässt sich relativ leicht nachvollziehen. […] Unverzichtbar geworden ist das europäische Gedankengut weniger aufgrund seiner analytischen Schärfe als vielmehr wegen seiner emanzipatorisch-visionären Entwürfe – der Visionen von Gerechtigkeit und Freiheit im menschlichen Zusammenleben, die oft den letzten Horizont dieses Denkens absteckten.“4 Bis zu diesem Horizont in der Religionssoziologie Webers vorzudringen und dabei auch noch aus der analytischen Schärfe von Webers Religionssoziologie ihren Nutzen zu ziehen, hat sich diese Arbeit zur Aufgabe genommen. In dem für Webers Religionssoziologie zentralen Begriff, dem Rationalismus, soll diesem Dilemma nachgespürt werden. Weber soll sozusagen dekolonisiert werden. Hierzu wird Webers Verständnis von 3 4

Chakrabarty (2010): Europa als Provinz, S. 15. Ebd., S. 11.

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Einleitung

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Rationalität als Motor der Religionsentwicklung in ausgewählten Passagen seines Werks rekonstruiert. Es wird verständlich, wie eng Weber sowohl die Geschichte des Rationalismus wie auch die der Religionen mit seiner Sicht der okzidentalen Moderne verknüpft hat und wie er dadurch zum Ergebnis der Einzigartigkeit und Überlegenheit der westlich-europäischen Kulturentwicklung kommen musste. (Kap. 2) Die von Weber selbst prominent herausgestellte systematische Beachtung von der Wirkmacht der Werturteile in jeder sozial- oder kulturwissenschaftlichen Studie gibt uns einen Ansatz vor, auch Webers Geschichte der Rationalität nach eben diesen Werturteilen zu untersuchen. (Kap. 3.1.) Denn wie Chakrabarty schreibt, ist die europäische Denktradition nicht nur das Werkzeug zur Unterdrückung, sondern sie enthält auch ein enormes emanzipatorisches Potenzial. Neben einer Verwendung des Rationalismusbegriffs, der zur Hierarchisierung und Exklusion aus der von Weber anvisierten Entwicklungsgeschichte führt (Kap. 3.2.), lässt sich eine Lesart entwickeln, die nicht an die okzidentale Moderne gebunden ist. In dieser postkolonialen Lesart von Rationalität und Irrationalität soll das emanzipatorische Potenzial von Webers Zugang entfaltet werden. Seinem Argumentationsstrang, nach dem Rationalität zur innerweltlichen Askese des Protestantismus als Höhepunkt der Rationalisierung führt, steht eine nichtteleologische Rekonstruktion des Rationalismusbegriffs gegenüber. (Kap. 3.3.) Hiernach kann Rationalität innerhalb eines Systems von Sinnzuschreibungen – wozu auch die Theologie zählt – nie ohne ihr Pendant, die Irrationalität, verstanden werden. Danach muss der Irrationalität in allen Untersuchungen von Kultur ein ebenso prominenter Platz eingeräumt werden wie der Rationalität. Gegenüber dem zur Hierarchisierung und Exklusion taugenden Verständnis von Rationalität wird das Begriffspaar Rationalität – Irrationalität als Werkzeug für nichthierarchische und nichtteleologische Kulturbeschreibungen entwickelt. Die so eingenommene postkoloniale Perspektive erlaubt es, Fragestellungen, die Max Weber entfaltet hat, auf die schiitische Isma¯ ¯ılı¯ya anzuwenden. Hiermit soll nicht weniger versucht werden, als das Begriffspaar rational – irrational in eine nichthierarchische und nichtteleologische Kulturbeschreibung einzubringen, um so einen Beitrag zur Methodologie einer postkolonialen Kulturwissenschaft zu leisten. Erweisen kann sich die Tauglichkeit eines neuen Ansatzes aber immer erst in seiner Anwendung auf den historischen Gegenstand. Aus diesem Grund ist die Arbeit interdisziplinär zwischen Religionswissenschaft, der breiten Weber-Rezeption und der Islamwissenschaft verortet. So hat

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Einleitung

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Kapitel 4 in dieser interdisziplinären Schnittmenge die schwierige Aufgabe, den methodologischen mit dem historischen Teil der Arbeit zu verbinden und die Punkte aufzuzeigen, an denen die in der Systematik entwickelten analytischen Begriffe Anwendung auf ihre historische Konkretisierung finden. Nicht anders als dem Mahdı¯ droht auch dem theoretischen Skelett bei seiner historischen Inkarnation die größte Gefahr. Die Darstellung der präfatimidischen, fatimidischen und postfatimidischen Epoche der Isma¯ ¯ılı¯ya folgt der Einfachheit und Einheitlichkeit halber stets dem gleichen Schema. Die in Anwendung auf die Isma¯ ¯ılı¯ya präzisierte Fragestellung behandelt das Verhältnis von der soziopolitischen Situation der Gemeinschaft und ihrer Theologie mit einem Schwerpunkt auf Kosmogonie sowie den kosmologischen und eschatologischen Aspekten der Imamatslehre. Davon ausgehend, dass isma¯ ¯ılitische Theologie, wie jedes andere Sinnzuschreibungssystem auch, rationale wie irrationale Anteile enthält, wird sowohl der Prozess der Rationalisierung der Doktrin beobachtet als auch jene Stellen, die es vermögen, die der isma¯ ¯ılitischen Deutung widersprechenden Erfahrungen in die Lehre zu integrieren. Dazu werden zunächst die historischen Umstände der Gemeinschaft vorgestellt sowie die Lebenssituationen ausgewählter Protagonisten, wie etwa der Imame oder prominenter theologischer Autoren. Wo möglich und nötig werden die behandelten Werke zusammenfassend dargestellt und in der Literatur ihrer Zeit verortet. Stets werden sie auf ihre Positionen zu Kosmogonie und Imamatslehre befragt. Für die präwie postfatimidische Zeit wurden je ein Autor und ein Text zugrunde gelegt und detailliert analysiert. Für die fatimidische Epoche erwies es sich aufgrund der großen Fülle historischer Ereignisse und der reichhaltigen theologischen Innovationen als angebrachter, sowohl mehrere Imame und ihre Herrschaft wie auch mehrere Autoren mit ihren theologischen Konzepten vorzustellen. Die Behandlung jeder der drei Epochen schließt mit religionssystematischen Überlegungen zur Beschreibung der Isma¯ ¯ılı¯ya und der Dynamik ihrer Theologieentwicklung ab. (Kap. 5 – 7) In Kapitel 8 wird anhand ausgewählter Konzepte wie Esoterik, Messianismus oder Gnosis noch einmal das spezifisch isma¯ ¯ılitische Verhältnis von Empirie und Sinnzuschreibung vor dem Hintergrund der Komplementarität von Rationalität und Irrationalität in der Kulturanalyse verdeutlicht. Dabei wird sowohl die konkrete historische Gestalt der religionssystematischen Konzepte in der Isma¯ ¯ılı¯ya präzisiert als auch das Bild der Isma¯ ¯ılı¯ya im Verlauf ihrer Geschichte, durch die die Terminologie an Schärfe und Tiefe gewinnt. (Kap. 8.1.) Wenn sich religionshis˘

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Einleitung

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torische Phänomene wie die Isma¯ ¯ılı¯ya mithilfe einer dekolonisierten Weber-Lektüre erörtern lassen, so stellt sich die Frage nach dem okzidentalen Sonderweg, wie Weber und andere in seiner Folge proklamiert haben, noch einmal in ganz anderer Gestalt. Wenn sich ein ,okzidentaler Sonderweg‘ neben mehreren anderen – vielleicht auch ,orientalen Sonderwegen‘ – finden lassen, verliert die Besonderheit eines der Wege seine Glaubwürdigkeit und das ,Sonder-‘ des Kompositums wird obsolet. (Kap. 8.2.) Mit dem Anspruch, Elemente aus Max Webers Religionssoziologie kritisch zu hinterfragen und für eine orientalismus- wie okzidentalismuskritische Lektüre anwendbar zu machen, verortet sich die Arbeit innerhalb der postkolonialen Religionssoziologie. Die religionssoziologische Fragestellung weist jedoch über eine postkoloniale Interpretation Webers hinaus. In der Analyse von Pragmatik und Plausibilität der wechselnden isma¯ ¯ılitischen Weltsichten möchte die Arbeit auch aus religionssystematischer Perspektive einen Beitrag zur islamischen Ideengeschichte leisten. Mir ist natürlich bewusst, dass ich mich mit diesem Ansatz und dieser Argumentation vielen Angriffen und Vorwürfen aussetze. Als Autor eines interdisziplinären Textes bleibe ich in der Tat ein belesener Laie in zwei oder mehr für sich schon enorm großen Themenfeldern. Auch in diesem Sinne soll diese Arbeit lediglich als ,Versuch‘ gelten und als ,Vorarbeit‘ für weitere Forschungsarbeiten dienen. Zuletzt möchte ich ein Dankeswort an all diejenigen richten, ohne deren große Unterstützung ich diese Arbeit nicht hätte schreiben können. Mein erster Dank geht daher an meinen Doktorvater Christoph Auffarth, der mich vom Grundstudium bis zum letzten Kapitel der Dissertation begleitet und angeleitet hat. An entscheidenden Stellen hat er mir wichtige Anregungen gegeben und mir dabei immer größte Freiheiten gewährt. Er gab mir auch den Anstoß zu meinen ersten Studien über die Zaidı¯ya im Jemen. Ich danke Heinz Halm für seine Bereitschaft, auch über seine Emeritierung hinaus das Zweitgutachten zu übernehmen und für den frühzeitigen Hinweis, bei einer Forschung zur Isma¯ ¯ılı¯ya mindestens einen Plan B zu haben. Hans G. Kippenberg hat mir mit seinen Hinweisen Orientierung in Webers Rationalitäten und Irrationalitäten gegeben. Dem DAAD und der Universität Bremen gilt meine Dankbarkeit für ihre großzügige finanzielle Unterstützung. In meinem Bremer Doktorandenkolleg Prozessualitt in transkulturellen Kontexten: Dynamik und Resistenz konnte ich Transdisziplinarität und postkoloniale Theorie lernen. Dem Verlag Walter de Gruyter und besonders den Herausgebern der Reihe „Religionsgeschichtliche Versuche und Vorarbeiten“, Jörg ˘

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Einleitung

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Rüpke und Christoph Uehlinger danke ich für die Möglichkeit zur Publikation, Albrecht Döhnert und den weiteren Mitarbeitern des Verlags für die große organisatorische und technische Unterstützung während der Drucklegung. Im Jemen habe ich mehr bekommen, als ich je werde zurückgeben können. Viele langjährige Freunde haben mich gelehrt, das Land und die Geschichte zu lieben. Mein Lehrer Muhammad Abd al-Sala¯m Mansu¯r ˙ seine und andere Familien ˙ nährte mich mit Arabisch und Theologie, sättigten mich mit der wunderbaren jemenitischen Küche. Uta EndersDragässer und Tilman Hannemann brachten den Text durch ihre Korrekturen in eine erste lesbare Form. Bettina Moll nahm die mühevolle Arbeit auf sich, den Text eines stets säumigen Autors für die Publikation zu lektorieren. Ich danke meinen Eltern für ihre geduldige und wohlwollende Unterstützung über all die Jahre. Mara Kuhl ist mir die Partnerin, wie ich sie mir besser nicht hätte wünschen können. Ihnen allen gilt mein Dank. Alle Fehler und Unterlassungen sind selbstverständlich ganz allein meine eigenen.

1. Max Weber und der Islam „In other words, we need to relativise the Protestant Ethic as the key to the exclusively secular outlook of modernity.“ (Höfert & Salvatore: Introduction, S. 16)

1.1. Gegenstand und methodischer Zugang Max Weber ist ein Klassiker, der in den letzten Jahren wieder vermehrt Aufmerksamkeit erfährt. Es liegt daher nahe, sich mit seinen Fragestellungen auch einer Untersuchung des Islam5 zu nähern. Die Beschäftigung mit Max Weber und dem Islam erweist sich aber zunächst als nicht so einfach wie erhofft. Sowohl was Webers Informationsstand über den Islam angeht als auch seine grundlegende Herangehensweise halten einer zeitgenössischen Überprüfung nicht mehr stand. Dennoch bleiben seine Ansätze ausreichend gewinnversprechend. Inwieweit die Anwendung Weber’scher Arbeiten nicht nur hinsichtlich ihrer Aussagen über den Islam, sondern auch inwieweit diese aus methodologischer Perspektive einer zeitgenössischen Betrachtung nicht mehr standhalten und warum das so ist, wird im ersten Kapitel erläutert. Wollten wir aber bei dieser Feststellung stehen bleiben, wäre die Untersuchung von Webers Arbeiten kaum den weiteren Aufwand wert. Die intensive Auseinandersetzung mit Max Weber wird getragen von der Überzeugung, dass wir im Gegenteil wesentliche Erkenntnisse über die „Welt als sinnvoll geordneten Kosmos“6 gewinnen können. Den Zugang zu Webers Werk nehmen wir dabei nicht über seine populärste Arbeit Die Protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus, sondern beginnen mit einem Aufsatz über die 5

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Wenn ich hier und im Folgenden von „Islam“ oder „der Islam“ spreche, so schließe ich mich dabei der gleichermaßen problembewussten wie pragmatischen Position von Gudrun Krämer an, die zwar weiter den Singular nutzt, aber die Pluralität des Phänomens mitdenkt. Vgl. Krämer (2008): Unterscheiden und Verstehen, S. 263 – 270, insb. S. 265 f. Max Weber beschreibt die Not der Intellektuellen, die Welt als einen geordneten Kosmos zu erleben, als eine zentrale Motivation zur Systematisierung und Rationalisierung von Weltbildern. Vgl. Weber (1988=1920d): Einleitung, S. 253 u. ders. (2001): Religiöse Gemeinschaften, S. 273.

1.1. Gegenstand und methodischer Zugang

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Grundlagen sozialwissenschaftlicher Arbeitsweise, auf den wir auch im weiteren Verlauf der Arbeit noch einige Male zurückkommen werden. Im Objektivitätsaufsatz7 entfaltet Weber, wie er sich das Verhältnis von Untersuchungsgegenstand und methodischem Zugang in der sozialwissenschaftlichen Arbeit vorstellt. Die einleitende Darstellung dieses Aufsatzes soll uns sowohl Stärken wie Schwächen des Weber’schen Opus, besonders hinsichtlich des Islam zeigen. In der kritischen Lektüre von Webers Texten sollen die verschiedenen auch heute noch konstruktiv anzuwendenden Ansätze herausgestellt werden. An dieser Stelle soll gleichzeitig ersichtlich werden, warum sowohl die Beurteilung einzelner Gegenstände, wie etwa des Islam, aber auch einige Züge seiner Systematik in der zeitgenössischen Sozial- und Kulturwissenschaft keine Relevanz mehr haben können. Der Bezug zu Weber und dem grundsätzlichen Ansatz seiner Arbeiten soll dabei aber nicht aufgegeben werden, vielmehr sollen die von ihm selbst vertretenen Parameter von Wissenschaftlichkeit extrapoliert und auf seine eigene Arbeitsweise angewandt werden. Der Grundton in der vom Objektivitätsaufsatz ausgehenden Beschäftigung mit Max Webers Texten lautet daher: Mit Weber gegen Weber fr Weber. 8 Am Schluss des Objektivitätsaufsatzes9 benennt Weber das Spannungsverhältnis zwischen empirischen Daten und theorieorientierter Systematisierung mit „Stoffhuber“ und „Sinnhuber“. Dort heißt es: Während der „Stoffhuber“ ein „tatsachengieriger Schlund“ sei, unempfindlich „für die Feinheit des neuen Gedankens“, ergötze sich der „Sinnhuber“ an immer neuen „Gedankendestillaten“ und verderbe sich dadurch den „Geschmack an den Tatsachen“. Webers berühmter Idealtyp bündelt dieses Problem jedoch eher, als dass dieser eine für eine der beiden Seiten befriedigende Lösung anbieten würde.10 Weber selbst war in diesem Spannungsverhältnis von „Sinn-“ und „Stoffhuber“ gefangen, wie sich an der Bearbeitung und Edition der für den Islam wichtigen Stellen in Wirtschaft und Gesellschaft und deren Verhältnis zur Wirtschaftsethik der Weltreligionen aufzeigen lässt. Marianne Weber hatte die von ihrem Mann noch nicht zur Publikation freigegebenen Texte von Wirtschaft und Gesellschaft noch in den beiden Halbbänden als theoretische und praktische Soziologie verstanden wissen 7 8 9 10

Ders. (1988b): Die ,Objektivität‘, S. 146 – 214. Ich danke Gabriele Dietze für den Hinweis auf diese prägnante Formulierung. Weber (1988b): Die ,Objektivität‘, S. 214. Vgl. u. a. ebd. S. 190 – 205.

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1. Max Weber und der Islam

wollen. Der Abschnitt Religiçse Gemeinschaften wäre dem Praxisteil zugefallen. Wolfgang Schluchter hingegen will bei seiner Analyse von Webers Religionssoziologie in Wirtschaft und Gesellschaft eher den theoretisch-begrifflichen Aspekt – wenn auch mit einigen Ausführungen am Material – und in Wirtschaftsethik der Weltreligionen (wohl unter Exklusion von Einleitung und Zwischenbetrachtung als § 11 der Religionssoziologie) die historischen Studien vertreten sehen, die sich komplementär ergänzen.11 Er vertritt die Meinung, Weber hätte die Trennung zwischen Sinn und Stoff noch stärker herausgearbeitet, wenn er mehr Zeit gehabt hätte. Beides sind Zuschreibungen, die in den uns von Weber vorliegenden Texten aber nicht zu finden sind. Dennoch zeigen sie, dass Weber dort unterschiedlich stark zwischen Stoff und Sinn gewichtet und eben jene – ganz im Sinne seines Objektivitätsaufsatzes – als komplementär zueinander verstand. Das Verhältnis von Stoff und Sinn entsteht – und das ist wohl die grundlegendste Annahme Webers überhaupt – erst durch den Umstand, dass wir „Kulturmenschen sind, begabt mit der Fähigkeit und dem Willen, bewusst zur Welt Stellung zu nehmen und ihr einen Sinn zu verleihen“12. Sinn, Zusammenhänge und deren Bedeutung werden der Welt also erst durch die menschliche Fähigkeit und den Willen, Sinn vom je eigenen Standpunkt aus zu verleihen, zuteil. Gleiches gilt natürlich in umso stärkerem Maße für den Kulturwissenschaftler. Sowohl die Auswahl wie die Strukturierung seines Materials werden durch ihn bestimmt, ebenso die Antwort durch seine subjektiv gewählte Fragestellung. Vom Objektivitätsaufsatz (1904) über den Kategorienaufsatz (1913) bis zum posthum veröffentlichten Artikel Soziologische Grundbegriffe (1921) bilden „verstehen wollen“ und „verstehen können“ einer notwendig verstehbaren Handlung die Grundlage der Weber’schen „verstehenden Soziologie“. Sie ist dadurch auch eine rationalistische Soziologie.13 Wissenschaftliche Wahrheit wird damit aber keineswegs der subjektiven Beliebigkeit preisgegeben. Denn durch die „Normen des Denkens“14 bleibt der Einzelne der wissenschaftlichen Methode verpflichtet, deren Wahrheit schließlich für alle gilt, die sich als Wissenschaftler verstehen. Ebenso gilt aber auch, dass es keine endgültige, alles umfassende, abschließende Systematik geben kann, sondern dass der Begriffsapparat 11 12 13 14

Schluchter (1991b): Religion und Lebensführung, Bd. 2, S. 588 f. Weber (1988b): Die ,Objektivität‘, S. 180. Ders.(1988e): Soziologische Grundbegriffe, S. 545. Ders. (1988b): Die ,Objektivität‘, S. 184.

1.1. Gegenstand und methodischer Zugang

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gegenüber Veränderungen offen bleiben muss. Wissenschaftliche Terminologie muss sich also, da sie nicht nur die sich wandelnde Kultur zum Gegenstand hat, sondern auch selbst ein Produkt kulturellen Schaffens ist, so wie die Umstände der Zeit wandeln.15 Der möglichst präzise historisch-rekonstruktive Zugriff auf das Material und das Bestreben, ihm in seiner Differenziertheit gerecht zu werden, steht in Spannung zu dem Versuch, die uneinholbare Vielheit der Empirie in möglichst basalen Kategorien und Mustern zu fassen. Der Konflikt zwischen Differenzierung und Systematisierung besteht also darin, einerseits in der Fülle der Empirie weitere Untereinheiten und Abweichungen zu beschreiben und andererseits dem Versuch, bestehende Kategorien neu zu beschreiben bzw. diese neu zu definieren, da die Empirie der Theorie doch immer einen Schritt voraus bleibt. Ziel ist hierbei die gegenseitige Ergänzung der beiden Zugänge. „Jene echte Künstlerschaft […] pflegt sich gerade darin zu manifestieren, daß sie durch Beziehung bekannter Tatsachen auf bekannte Gesichtspunkte dennoch ein Neues zu schaffen weiß.“16 Doch was bedeutet dieses Verhältnis von Sinn und Stoff für die Beurteilung von Webers Arbeiten zum Islam und deren Rezeption? Im Gegensatz zu anderen Religionen findet sich in Webers Aufsätzen zur Wirtschaftsethik der Weltreligionen keine eigenständige Studie zum Islam. Lediglich verstreute Kommentare und Ausführungen lassen sich, wie Schluchter meint identifizieren zu können,17 hauptsächlich im zweiten Teil von Wirtschaft und Gesellschaft finden. Überhaupt habe sich Weber nur im Zeitraum von 1911 bis 1913 im Rahmen seiner Arbeiten für den zweiten Teil von Wirtschaft und Gesellschaft kurz mit dem Islam beschäftigt18 und ihm jenseits der Ähnlichkeiten mit dem Calvinismus auch aufgrund seines späten Auftretens strukturell nur geringe Bedeutung beigemessen.19 Georg Stauth kommt zu dem Schluss: „Weber hatte eigentlich keine durchgängige Position [zum Islam; M. W.] entwickelt und springt je nach Forschungsgegenstand von der Handlungsperspektive der verstehenden Soziologie auf Formen der strukturellen Determinierung

15 Ebd., S. 207 f. 16 Ebd., S. 212. Zum Perspektivwechsel in der Krise des Historismus vgl.: Hidas (2004): Entzauberte Geschichte. 17 Vgl. Schluchter (1987): Max Webers Sicht des Islams, S. 20. 18 Kaesler (2003): Max Weber. Eine Einführung, S. 31. 19 Schluchter (1987): Max Webers Sicht des Islams, S. 23 f.

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1. Max Weber und der Islam

über. Man kann deshalb auch nicht von einer konsistenten soziologischen Weber-Theorie über den Islam sprechen“.20 Als Folge davon hat die Auseinandersetzung von Max Weber mit dem Islam in der Rezeptionsgeschichte verglichen mit der sonstigen WeberRezeption wenig Widerhall gefunden. Hinzu kommt, dass Weber spätestens nach den Orientalismus- und Postkolonialismus-Debatten der letzten Jahrzehnte der orientalistischen Voreingenommenheit und eurozentristischen Einseitigkeit überführt wurde. Konsens ist, dass Weber viele Züge der islamischen Zivilisation missverstanden hat und folglich auch in seiner Beurteilung des Islam irrte. Seine programmatischen Fragestellungen und analytischen Begriffe haben aber auch für jene eine hohe Attraktivität, die seiner Methode gegenüber kritisch eingestellt sind.21 Wieder scheiden sich die Geister an den unterschiedlich ausgeprägten Präferenzen für eine möglichst präzise begriffliche Weiterführung Weber’scher Arbeiten oder aber für den respektvollen Umgang mit dem Material islamischer Zivilisationsgeschichte. Im Lager der „Sinnhuber“ von Webers Rezipienten gibt es den Versuch, Webers Methode aufnehmen und weiterentwickeln zu wollen und die eurozentristischen Grundlagen wenn nicht zu negieren, so zumindest zu marginalisieren. Der in Webers Texten vorgefundene soziologische Sinn wird über die Präzision im Umgang mit seinem historischen Material gestellt. So attestiert Wolfgang Schluchter, dass Weber dem Islam insgesamt nur wenig Aufmerksamkeit geschenkt habe und dass sein Ansatz durchaus eurozentristisch gewesen sei. Diese Voreingenommenheit sei aber rein heuristisch und keineswegs normativ begründet und insgesamt gebe er den Stand der Islamwissenschaft seiner Zeit korrekt wieder.22 Ebenso Hartmut Lehmann, der trotz Webers Eurozentrismus auf dessen Relevanz verweist.23 Andere, wie Bryan S. Turner24, versuchen 20 Stauth (1993): Islam und westlicher Rationalismus, S. 168. 21 Während alle Autoren in dem 1987 von Schluchter herausgegebenen Sammelband: Max Webers Sicht des Islams, Webers Beurteilung ablehnen, verwerfen nur drei von ihnen (Maxime Rodinson, Peter Hardy u. Michael Cook) auch seine Fragestellung und seine Begriffe. Die Mehrheit bemüht sich um eine ,weiche‘ Adaption, ohne dabei die Konzepte zu groß und die Begriffe zu präzise werden zu lassen. Patricia Crone verfolgt eine Art paradoxen Mittelweg, wenn sie von der Arbeit mit Webers Ergebnissen abrät, aber gleichzeitig mehr Studien in seinem Geiste fordert (Crone [1987]: Max Weber, S. 317 f). 22 Vgl. Schluchter (1991a): Religion und Lebensführung, Bd. 1, S. 85; ders. (1987): Max Webers Sicht des Islams, S. 17. 23 Lehmann (2003b): Zur Einführung, S. 11 f. 24 Turner (1998): Max Weber classic monographs, Bd. 7: Weber and Islam.

1.1. Gegenstand und methodischer Zugang

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einen Mittelweg, indem sie bereit sind, aus forschungspragmatischen Gründen beide Positionen einzuschränken. Turner erkennt Webers orientalistische Perspektive an, gesteht ihr aber nicht so viel Bedeutung zu, indem er darauf verweist, dass er sich vornehmlich mit sozio-ökonomischen Zusammenhängen beschäftigt habe. Der „Stoffhuber“ Michael Cook wendet die von Troeltsch übernommene Kategorisierung Webers von „Kirche“ und „Sekte“ eins zu eins auf den Islam an. Seinem historischen Material das Primat gebend, kommt er – wenig überraschend – zu dem eindeutigen Ergebnis, dass Webers Einteilung für den Islam völlig unbrauchbar ist.25 Aber auch ein Zugang, der sich über die schlichte Dichotomie von Sinn und Stoff hinwegsetzt, bringt keine Befriedigung. Jürgen Paul versucht in seiner Arbeit zur orientalischen Stadt, Webers Methoden nach einer kritischen Prüfung zu adaptieren: „Im Vordergrund sollten Webers Konzepte und Methoden stehen, denn allenfalls sie, nicht aber seine Kenntnisse oder der in seinen Schriften reflektierte Forschungsstand islam-historischer Studien, können heute noch ein anderes als ein wissenschaftshistorisches Interesse beanspruchen.“26 Im Konflikt von Sinn und Stoff verweist Paul auf den Vorrang, den die Selbstwahrnehmung und -konzeptualisierung der Akteure gegenüber Ansätzen aus der Europageschichte zur Kategorienbildung haben.27 Da er diese Herangehensweise bei Weber nicht vorfindet, schließt er seinen Beitrag nach eingehender Prüfung von Webers Aussagen über ,den Islam‘ und ,die islamische Stadt’, ihrer Rezeption bei Wolfgang Schluchter sowie von Webers Methoden und Theorien mit dem Diktum, man solle Webers Kategorien nicht zugrunde legen.28 Die Frage die sich hier für die weitere Untersuchung stellt, ist also nicht: Waren Webers Aussagen über den Islam richtig? Sondern: Wie verhalten sich Sinn und Stoff in Webers Betrachtung des Islam und ebenso in seinen weiteren religionssoziologischen Arbeiten zueinander? Wie kann dieser neue Zugang für eine Untersuchung des Islam mit Weber fruchtbar gemacht werden?

25 26 27 28

Cook (1987): Max Weber und islamische Sekten, S. 334 – 341. Paul (2003): Max Weber und die ,Islamische Stadt‘, S. 111. Ebd. S. 117. Ebd. S. 137.

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1. Max Weber und der Islam

1.2. Orientalismus: der Islam als defizitäre Religion Die unterschiedlichen Rezeptionen von Webers Arbeiten zum Islam seien, so Armando Salvatore, keineswegs überraschend. Doch neben den oben ausgeführten unterschiedlichen Gewichtungen von Material und Systematisierung macht Salvatore die Legitimierung eigener Forschungsprogramme und epistemologischer Standpunkte als weitere Ursache für die Differenzen aus. Insbesondere die Rezeption durch Talcott Parsons habe, auch durch ihre manipulative Übersetzung, den Orientalismus wieder erstarken lassen und stehe somit in einer Linie mit Amerikas hegemonialem Auftreten. „It is no mere speculation, that different schools tried to ,use‘ Weber, without really grasping the original features of his approach. Most prominent […] Parsonian reading of Weber […]. From the point of view of the study of Islam, Weberism helped reshape the Orientalist tradition in conformity with American hegemonic position and the new character of hegemony exercised […].“29 Dass Weber im Kern seiner Islamstudien, sowohl was das verwendete Material als auch den methodischen Zugang betrifft, eurozentristisch argumentiert, ist keineswegs erstaunlich oder ihm gar vorzuwerfen. Eurozentrismus war für die Wissenschaft seiner Generation, inklusive der Islamwissenschaft, der normale Ausgangspunkt, sozusagen die Standardeinstellung. Im Lichte obigen Vorwurfs durch Salvatore wie auch durch die epistemologischen Wenden der letzten Jahrzehnte, insbesondere im Verlauf der Orientalismus- und Postkolonialismus-Debatte, wird nachvollziehbar, „daß Interpreten seiner Schriften sich um den Nachweis bemühen, diese seien nicht, oder nicht im Sinne der Kritiker eurozentrisch“.30 Denn jenseits des Verdachts der ideologischen Vereinnahmung durch Hegemonialmächte würde aus der überwältigenden Mehrheit der kritischen Fachstudien, auch der gemäßigten, folgern, dass man Webers Kategorien nicht zugrunde legen sollte. Weber hat den Stand der Islamwissenschaft für den Zeitraum, in dem er an diesem Thema arbeitete, recht präzise wiedergegeben. Das insgesamt gestiegene Interesse am Islam und die Konjunktur seiner Erforschung lag nicht nur im Religionsvergleich, sondern hatte vor dem Hintergrund des Kolonialismus und den um den Zugang zu den verschiedenen Regionen Asiens konkurrierenden Kontinentalmächten einen sehr praktischen Hintergrund. Webers primäre Informationsquellen 29 Salvatore (1996): Beyond Orientalism?, S. 472. 30 Paul (2003): Max Weber und die ,islamische Stadt‘, S. 112, Fn. 10.

1.2. Orientalismus: der Islam als defizitäre Religion

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zum islamischen Orient waren drei große Islamwissenschaftler, die sein Islambild nachhaltig geprägt haben: Christian Snouck Hurgronje, Ignaz Goldziher, Carl Heinrich Becker.31 Von ihnen hat er den Essenzialismus übernommen, welchen er als Grundlage seiner Analyse ausgebaut.32 In seiner Einleitung zu Religiçse Gemeinschaften in der Max-Weber-Gesamtausgabe (MWG I/22 – 2) nennt Hans G. Kippenberg zwei weitere Weber’sche Quellen: Joseph von Hammer-Purgstalls Geschichte des Osmanischen Reiches (1829) und Julius Wellhausens Monographie Das arabische Reich und sein Sturz (1902).33 Kippenberg führt anderenorts weiter aus, dass Weber von Ignaz Goldziher das Konzept des Islam als Kriegerreligion übernommen habe und dass er sich mit seiner Verbindung von Geschichte und Mentalität im Konsens mit der Mehrheit der deutschen Orientalisten befunden habe.34 „[I]n Deutschland wurden ,ußere Erscheinungen‘ als ,inneres Leben‘ gewertet und gehandelt.“35 Jürgen Paul resümiert und präzisiert: „Nahezu alle diejenigen Islamwissenschaftler also, auf die er sich beruft, waren dem von Edward Said kritisierten Programm des Orientalismus verhaftet. […] An erster Stelle ist Snouck Hurgronje zu nennen, von dem Weber die Aussage hat, es gäbe ,im Islam‘ gar kein Rechtssystem“.36 Von Carl Heinrich Becker habe er die Einschätzung übernommen, dass die muslimische Lehre im Widerspruch zu Besitz, Erwerb und ökonomischer Entwicklung stehe. Ebenso machte Weber sich die unter Orientalisten weit verbreitete Einschätzung zu eigen, dass das klassische Griechenland dem Islam zivilisatorisch überlegen gewesen sei.37 Bryan S. Turner geht in seiner Aussage sogar noch weiter: „In other words, the group of Islamologists from whom Weber sought an insight into Islam clearly embodied the general Orientalist view of Islam as a bleak, bare, parasitic rehash of Christian and Jewish monotheism. It was this aspect of the religion from the Orientalist perspective which provided Weber with an explanation of why Islam as a this-worldly, prophetic, monotheistic and salvational re31 32 33 34 35 36

Salvatore (1996): Beyond Orientalism?, S. 469, Fn. 34. Ebd., S. 471. Kippenberg (2001a): Einleitung/Religiöse Gemeinschaften, S. 79. Ders. (2001d): Religionsentwicklung, S. 83. Ebd., S. 84. Paul (2003): Max Weber und die ,islamische Stadt‘, S. 116; vgl. dazu in: Weber (1972): Wirtschaft und Gesellschaft, S. 474ff; insb. S. 476 f zu schiitischem Recht. 37 Turner (1996): For Weber, S. 270 f.

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1. Max Weber und der Islam

ligion failed to produce an ethic compatible with rationalisation.“38 Gleichzeitig versucht Turner, seine Kritik an Webers Orientalismus etwas zu relativieren, indem er darauf verweist, dass Weber ja sozio-ökonomische Zusammenhänge, Interessen und Trägerschichten analysiert habe und nicht die Mentalität der Muslime.39 Wolfgang Schluchter, der die aktuelle Weber-Forschung auf ein neues Niveau gehoben hat und der auch der prominenteste deutschsprachige Weber-Exeget ist, hat Webers textlichen Nachlass zu einem neuen durchsystematisierten Programm ausgebaut. Schluchter kommentiert die Liste von Webers islamwissenschaftlichen Gewährsmännern knapp mit den Worten: „[D]eren Arbeiten [sind] ja bis heute [noch] lebendig geblieben“.40 Wie Turner ist auch Wolfgang Schluchter der Meinung, dass Webers Eurozentrismus weder seine Methode noch dessen Ergebnisse wesentlich beeinträchtige. Denn sein Eurozentrismus sei nicht normativer, sondern heuristischer Natur, wie er an verschiedenen Stellen ausführt. Weber stelle lediglich einen kulturellen Gegensatz vor, nicht, wie etwa Marx, einen historischen Determinismus. Das Ziel dieser Heuristik sei, dass wir etwas über uns erfahren können. „Er ist deshalb für den Alternativvergleich offen, bei dem eine andere Kultur zur eigenen in einen Gegensatz gebracht, nicht aber als ihre Vorstufe betrachtet wird.“41 Die europäische Perspektive sei nicht nur unvermeidlich, sondern auch berechtigt.42 Folglich sieht Schluchter in der Bearbeitung der Wirtschaftsethik der Weltreligionen aus dem ausschließlichen Interesse an dem modernen europäischen ökonomischen Kapitalismus und dem resultierenden Eurozentrismus kein Problem.43 Letztlich isoliere Weber einzelne Faktoren wie Wirtschaftsformen oder Klassenfragen um den singulären Verlauf des europäischen Kapitalismus zu untersuchen, nicht etwa zum Zwecke umfassender Kulturanalysen. „Es geht nicht allein um Wirtschaft und Religion, sondern um Wirtschaft, Herrschaft (einschließlich Recht) und Religion, um die Strukturformen dieser Ordnungen und ihr Verhältnis zueinander.“44 Schluchter zeigt hier ein recht enges Verständnis von Eurozentrismus und glaubt, man könne dies mit dem Erkenntnisinteresse an das Selbst 38 39 40 41 42 43 44

Ebd., S. 271. Ebd., S. 286. Schluchter (1987): Max Webers Sicht des Islams, S. 18. Ders. (1991a): Religion und Lebensführung, Bd. 1, S. 87. Ebd., S. 87 u. 94. Schluchter (1991b): Religion und Lebensführung, Bd. 2, S. 22 f. Ders. (1987): Max Webers Sicht des Islams, S. 25.

1.2. Orientalismus: der Islam als defizitäre Religion

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rechtfertigen. Auch die Unterscheidung zwischen Wertbeziehung und Wertung erscheint an dieser Stelle etwas überstrapaziert.45 Auch wenn Weber sie nur auf theoretischer Ebene vornimmt, verweist er dennoch auf sein Zugeständnis, dass diese Ebenen fast nicht zu trennen ist und dass eigene Wertung immer eine Rolle spielt.46 Weber kann mit diesem Zugeständnis an die Unvermeidbarkeit von Werturteilen auch als ein politischer Autor verstanden werden – auch wenn man zugegebenermaßen, die Grenzen seiner Methode sehr weit dehnt.47 Ein so angelegter Kulturvergleich, der von dem per definitionem festgelegten Alleinstellungsmerkmal der europäischen Moderne ausgeht, ist aber auch ein Zirkelschluss: Er würde keineswegs das „Warum nur hier?“ als Sonderweg der europäischen Moderne erklären.48 „Diese Vergleichskriterien sind, wie Weber mit aller wünschenswerten Klarheit betont, kulturkreisgebunden, den Kulturwerten unseres Kulturkreises entnommen, was, gemäß der Lehre von der theoretischen Wertbeziehung, zwar zu einem heuristischen, nicht aber zu einem normativen Eurozentrismus führt. Um dies zu bewerkstelligen, braucht man darüber hinaus Grundkenntnisse der anderen Kulturkreise“.49 Hier irrt Schluchter. Erstens hat der heuristische Eurozentrismus Webers auch einen normativen Eurozentrismus zur Folge. Dass Weber das nicht auffällt oder auffallen will, ist nicht verwunderlich, dass aber Schluchter diese Aussage bis heute übernimmt, zeugt von der Attraktivität, Webers Methode möglichst authentisch weiterführen zu wollen. Zweitens kann mit kulturkreisgebundenen Kriterien eben kein Vergleich begründet werden, sondern immer nur das bestätigt werden, wovon mit der ersten Setzung – hier die singuläre Verbindung von Protestantismus und Kapitalismus in der europäischen Moderne – ausgegangen wird. „Schluchter seems rather preoccupied with showing how, and aside some understandable mistakes, Weber’s view of Islam was basically correct, because it was substantially coherent with his own method, and did not contradict basic Orientalist knowledge. We have observed, that in trying to interpret and, to some extent, expand Weber’s Interpretation of Islam (especially in its characterization as Kriegerreligion) Schluchter often 45 Ders. (1991a): Religion und Lebensführung, Bd. 1, S. 87. 46 Vgl. zur Wertfreiheit: Weber (1988d): Der Sinn der ,Wertfreiheit‘, S. 497 – 504 u. zur Heterogenität der Probleme, ebd., S. 509 f. 47 Dazu, dass der Sinn immer erst vom Autor gemacht werden muss, vgl. Weber (1988b): Die ,Objektivität‘, S. 154. 48 Vgl. hierzu Islam (2004): Protestant Ethic. 49 Schluchter (1987): Max Webers Sicht des Islams, S. 17.

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1. Max Weber und der Islam

quotes contemporary works written by authors who are among those most exposed to ,indictments‘ of Orientalism in the Saidian sense (these are Patricia Crone and Daniel Pipes: see Said, 1986 and Sadowski 1993).“50 Hartmut Lehmann folgt in seiner Einführung zu Max Webers Religionssoziologie in interkultureller Perspektive 51 der Argumentation Schluchters im Groben. Er attestiert Weber „heuristischen Eurozentrismus“ zum Zweck der teils expliziten, teils impliziten Versuche, den okzidentalen Sonderweg zu untersuchen. Einen Vorwurf will er hieraus aber nicht ableiten und betont dem gegenüber die Interdisziplinarität Webers und seine Entwicklung von Kategorien und Begriffsapparaten, die auch zur Analyse nichtchristlicher Religionen geeignet seien. Kritik an Webers Voreingenommenheit weist er mit dem Argument zurück, Webers Fragestellungen seien bis heute maßgeblich.52 Lehmanns Einschätzung zur Relevanz und Fruchtbarkeit der Weber’schen Arbeiten sind durchaus zutreffend. Dennoch kann damit weder der heuristische noch der normative Eurozentrismus und seine Folgen aufgehoben werden. Stefan Breuer bezeichnet in seiner Weber-Monographie Max Webers tragische Soziologie den Orientalismus-Vorwurf zunächst als einen Abwehrreflex gegen dessen Magiekonzeption. Diese Auffassung Breuers sticht in seiner Rezeption der Religionssoziologie sehr markant hervor. Er gesteht aber ein, dass Weber zumindest den Eindruck des Orientalismus erwecke und verweist darauf, dass es dem Autor vor allem um die verschiedenen Arten der Rationalität gehe, nicht aber um Diffamierung durch den Gegensatz von Rationalität und Nichtrationalität. Weber habe hier nicht immer ganz deutlich gemacht, dass es ihm bei Irrationalität, bzw. Antirationalität um den Unterschied zur formalen Rationalität der okzidentalen Moderne im strengen Sinne geht, nicht um den Gegensatz zur Rationalität überhaupt.53 Für Bryan S. Turner54 ist die Unterscheidung von normativem und heuristischem Eurozentrismus irrelevant. Er verortet Weber klar in der von Said gebrandmarkten Tradition des Orientalismus und begründet das damit, dass Weber überhaupt nicht die Kapazität besessen hätte, die jeweiligen Fachstudien alle selbst zu unternehmen. Dieser Abhängigkeit sei 50 51 52 53 54

Salvatore (1996): Beyond Orientalism?, S. 476 f, Fn. 50. Lehmann (2003a): Max Webers Religionssoziologie. Ders. (2003b): Zur Einführung, S. 11 f. Breuer (2006): Max Webers tragische Soziologie, S. 27. Turner (1996): For Weber.

1.2. Orientalismus: der Islam als defizitäre Religion

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er sich aber bewusst gewesen.55 Und immerhin, auch hier folgt Turner dem allgemeinen Konsens, habe Weber den Stand seiner Zeit sehr gut referiert. Diese Einschätzungen seien aus heutiger wissenschaftlicher Perspektive natürlich falsch und irreführend. Umso bemerkenswerter sei es, dass es Weber gelungen sei, aus diesem Material kommend die richtigen Fragen zu stellen, Fragen die bis heute Erkenntniswert besitzen. Von der gleichen Prämisse geht auch die vorliegende Arbeit aus, aber trotz der Würdigung von Webers Fragestellung bleibt die Problematik von Eurozentrismus und Orientalismus und die Überlegung, welche Konsequenz aus diesem epistemologischen Standpunkt für die Grundlagen und Formulierung der Fragen folgen. Der zentrale Satz zu Webers Erkenntnisinteresse findet sich zu Beginn der Vorbemerkung: „Universalgeschichtliche Probleme wird der Sohn der modernen europäischen Kulturwelt unvermeidlicher- und berechtigterweise unter der Fragestellung behandeln: welche Verkettung von Umständen hat dazu geführt, daß gerade auf dem Boden des Okzidents, und nur hier, Kulturerscheinungen auftraten, welche doch – wie wenigstens wir uns gern vorstellen – in einer Entwicklungsrichtung von u n i v e r s e l l e r Bedeutung und Gültigkeit lagen?“56

Dieser erste Satz der Vorbemerkung ist, von Weber kurz vor seinem Tod 1920 noch persönlich autorisiert, ein Offenbarungseid in Sachen Eurozentrismus; und zwar in doppelter Hinsicht: Erstens bekennt sich Weber ganz klar zu seinem Forschungsprogramm, die Einzigartigkeit des Okzidents herausstellen und beweisen zu wollen. Es geht ihm also nicht, wie immer wieder – auch bei ihm selbst – anzuklingen scheint, um eine Analyse nicht-okzidentaler Kulturreligionen. Seine gesamten Studien zur Religion bleiben letztlich Vergleichsstudien zur großen ProtestantismusStudie. Zweitens, und hier ist Weber – wenn auch vielleicht wenigstens zum Teil wissentlich – Eurozentrist, ging er von der Einzigartigkeit der universellen Bedeutung und Gültigkeit okzidentaler Kulturentwicklung aus. Ebenso bestimmt er in der Einleitung in den Gesammelten Aufstzen zur Religionssoziologie den Rationalismus des bürgerlichen, okzidentalen 16. und 17. Jahrhunderts als Bezugspunkt der vergleichenden Studien.57 Dass es sich bei Webers Religions- und Rationalismusstudien eindeutig um Eurozentrismus handelt, kann also nicht bestritten werden. Mit Ausnahme der Studie zum antiken Judentum, die die Vorgeschichte des 55 Ebd., S. 268 f. 56 Weber (1988=1920b): Vorbemerkung, S. 1, Sperrung i.O. 57 Ders.: (1988=1920d): Einleitung, S. 265.

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1. Max Weber und der Islam

okzidentalen Rationalismus aufarbeitet, handelt es sich bei den Studien zum Konfuzianismus, Taoismus, Buddhismus und Hinduismus um „eine Art ,Kontra-Studie‘ […], um gerade durch diese vergleichende Methode die Einzigartigkeit der abendländischen Konfiguration herauszuarbeiten.“58 Soweit es um die Vorbemerkung zur Protestantismus-Studie geht, ist der Fokus von Webers Erkenntnisinteresse eindeutig. Aber welche Auswirkung hat dieser Interessenschwerpunkt auf die Behandlung anderer Religionen, speziell des Islam? Bei der Bewertung von Webers Eurozentrismus respektive Orientalismus scheint es sich aber nicht nur um unterschiedliche Einschätzungen von Webers Arbeiten zu handeln, sondern auch um einen Streit darum, was der Vorwurf des Orientalismus eigentlich beinhaltet. Zunächst ist auffällig, dass die Verteidiger Webers dem Begriff „Orientalismus“ die heuristische Perspektive des „Eurozentrismus“ gegenüberstellen, die weniger diskreditiert scheint, zumal, wenn sie lediglich als bescheidene Limitierung des eigenen Erkenntnishorizonts auftritt. Eine derartige Beschneidung der Wirkungsmacht des Eurozentrismus und die Negierung der Auswirkungen auf die Beschreibung des Nicht-Europäischen haben aber sehr wohl Konsequenzen für die in Abgrenzung zum Eigenen beschriebenen. An einer kurzen, als Arbeitshypothese geltenden Definition des Orientalismus kann das verdeutlicht werden. Diese soll aber nur kurz ausgeführt werden, da es im Weiteren nicht um Orientalismus gehen wird. Edward Said, der den Begriff Orientalismus nicht eingeführt und problematisiert hat,59 aber durch seine gleichnamige Monographie von 1978 Initiator der internationalen Diskussion darüber wurde, liefert in seinem Buch keine zusammenhängende Definition des Begriffs – hier übrigens genau wie Weber, der die zentralen Begriffe seines Schaffens stets vage gehalten hat. In Orientalism Reconsidered (1997) benennt Said aber noch einmal die drei Bedeutungsebenen des Begriffs: Erstens handele es sich um eine 4000 Jahre alte Beziehung zwischen Europa und Asien. Zweitens werde damit ab dem frühen 19. Jahrhundert eine Wissenschaftsdisziplin bezeichnet, die orientalische Kulturen und Traditionen erforscht. Und erst drittens werde darunter eine hierarchisierende ideologische Vorstellung von einer Region, die als Orient bezeichnet 58 Stauth (1993): Islam und westlicher Rationalismus, S. 163. 59 1973 hatte der 29. Internationale Orientalistenkongress in Paris den Terminus „Orientalist“ bereits abgeschafft – wenn auch nicht aus den von Said angeführten Argumenten.

1.2. Orientalismus: der Islam als defizitäre Religion

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wird, verstanden.60 Nach rund einem viertel Jahrhundert Diskussion erörtert Jan-Peter Hartung noch einmal die epistemologischen Grundlagen des Orientalismus. Er fasst zusammen: „,Orientalismus‘ bezeichnet eine kulturpolitische Ideologie, die den kulturellen Raum ,Orient‘ als alterum zum kulturellen Raum ,Okzident‘ vor dem Hintergrund okzidentaler Werte in essenzialistischer Weise konstruiert und diese Konstruktion dann mittels Rekonstruktion und ständig wiederholten Übertragungen konsolidiert. Er ist, in seiner auf uns gekommenen Gestalt, am Ausgang des 18. Jahrhunderts als Instrument zur Legitimierung kolonialistischer Hegemonieansprüche entstanden.“61 Der Unterschied zwischen Eurozentrismus und Orientalismus soll hier also – vorläufig – so verstanden werden, dass es sich beim Eurozentrismus um eine einseitige Betrachtung handelt, eine Perspektive, die das Augenmerk auf die europäische Entwicklung legt, ohne dabei andere Kulturkreise zu berühren. Inwieweit eine solche Position überhaupt möglich ist oder ob sie als Definition eine unzulässige Verkürzung und somit eine Selbsttäuschung darstellt, wird im folgenden Kapitel behandelt. Demgegenüber hat der Orientalismus primär einen anderen Gegenstand als das europäische Selbst im Fokus der Betrachtung. Auch wenn es letztlich um die Beziehung zwischen dem Eigenen und ,dem Orientalen‘ geht, steht die Darstellung des Anderen im Vordergrund. Diese ist aber so gehalten, dass das Bild der eigenen Überlegenheit evoziert und bestätigt wird. Der Nachweis von Webers Orientalismus soll hier nicht mehr im Detail erbracht werden. Stattdessen werden die Ergebnisse zusammengetragen, um ein möglichst umfassendes Bild von Webers Voreingenommenheit zu erstellen. In der Umkehrung des Eurozentrismus folgt für die Bearbeitung anderer, nicht-europäischer Kulturen, dass diese nach Kriterien beurteilt werden, die aus der europäischen Herkunftskultur abgeleitet wurden. Dadurch ergibt sich die paradoxe Situation außereuropäische Kulturen auf Merkmale hin zu analysieren, die zu den konstituierenden Phänomenen der europäischer Geschichte zählen „Die aus der Weber’schen, heuristisch eurozentrischen Fragestellung gewonnenen Perspektive hindert so die Untersuchung, wie von Muslimen bevölkerte Gesellschaften in der Geschichte funktioniert haben und funktionieren.“62 So gibt es in den Studien zum Islam keine Analyse der für Weber sonst so 60 Said (1997): Orientalism Reconsidered, S. 128. 61 Hartung (2002): (Re-)Presenting the Other?, S. 137. 62 Paul (2003): Max Weber und die ,islamische Stadt‘, S. 113.

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1. Max Weber und der Islam

zentralen Frage nach der Lebensführung, obwohl das extrem interessant gewesen wäre,63 sondern der Islam wird grosso modo als einer systematisierten Lebensführung abträglich gesehen.64 Schluchter fasst Weber so zusammen: „[D]aß der Islam im Unterschied zum Calvinismus keine ,systematische rationale Gestaltung des ethischen Gesamtlebens‘ züchtet und daß er dort, wo er dies zumindest in Ansätzen tut, die Lebensführung gleichsam ins Politische wendet, bedeutet, daß er die ,Entwicklung einer wirtschaftlich rationalen Lebensführung‘ vielleicht nicht gerade obstruiert, jedenfalls aber nicht begünstigt.“65 Verbunden sei diese mangelhafte Systematisierung mit dem Komplex um die diesseitige Prädetermination im Islam und die jenseitig ausgerichtete Prädestination des Calvinismus. Wo im Calvinismus rastlose Betriebsamkeit herrsche, führe die muslimische Prädetermination im Krieg zu Furchtlosigkeit und im Alltag zu eher unsystematisch zweckutilitaristischem oder fatalistischem Handeln.66 Nach Ansicht von Georg Stauth, kulminieren Webers Analyse und alle Darstellungen des Islam im Fehlen des zentralen Elements des Protestantismus: „Dem Islam fehlt das Doppelgesicht, ihm fehlt die dialektische Verbindung einer nach außen gerichteten praktischen Weltschau und einer auf das Jenseitsschicksal gerichteten Innenschau, zwischen Innen- und Außenbeherrschung und in einem viel weiteren, schicksalhafteren Sinne zwischen Ressentiment und Kulturentfaltung. Das Weber’sche Islambild hat diesen mangelnden Zusammenhang von Innerlichkeit und Diesseitigkeit im Islam nur angezeigt, nicht ausformuliert.“67 Dieses Argument lasse sich sowohl in Wirtschaft und Gesellschaft wie auch in den Aufsätzen aus der Wirtschaftsethik der Weltreligionen belegen. Damit fällt der Islam aus dem Erkenntnisinteresse Webers um die Systematisierung der verschiedenen Formen der Askese heraus. Der Islam lasse sich weder in der innerweltlichen Askese des Protestanten, die sich im Handeln bewährt, noch in der schweigenden, eigentlich mystischen Askese des Fernen Ostens wiederfinden und werde so auch für Webers universalgeschichtliche Perspektive „idealtypisch“ belanglos.68 Der Mangel an theologischer Systematisierung und Entwicklung einer im okzidentalen Sinn systematisierten Lebensführung verweise auf die nicht 63 Stauth beklagt diesen Mangel besonders (ders. [1993]: Islam und westlicher Rationalismus, S. 168). 64 Salvatore (1996): Beyond Orientalism?, S. 467. 65 Schluchter (1987): Max Webers Sicht des Islams, S. 44. 66 Ebd., S. 41 f. 67 Stauth (1993): Islam und westlicher Rationalismus, S. 166. 68 Ebd., S. 160.

1.2. Orientalismus: der Islam als defizitäre Religion

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vollzogene religiöse Rationalisierung.69 Darüber hinaus habe der Islam aufgrund der Idee der Prädetermination die ihm innewohnende Magie nie ganz ausgerottet70 und sei somit schon an der ersten Stufe der religiösen Rationalisierung gescheitert, die eben in der Überwindung der Magie liegt.71 Sowohl die Studien, die versuchten, Weber’sche Begriffe und Konzepte auf die islamische Geschichte anzuwenden, wie auch jene, die beabsichtigten, Webers Beiträge zum Islam kritischer und methodologisch reflektiert zu würdigen, mussten gleichermaßen eingestehen, dass seine Arbeiten zur Untersuchung des Islam inadäquat sind. Damit sind wir nun zu dem epistemologischen Grundstein von Webers Islamanalyse und seinen Religionsstudien insgesamt vorgestoßen. Neben dem Eurozentrismus, der das Erkenntnisinteresse in der europäischen Kultur verortet, lassen sich jetzt auch die Auswirkungen dieses epistemologischen Standpunktes in seinen komparatistischen Arbeiten zeigen. Es ist nämlich keineswegs so, dass wir es hier nur mit Vergleichsstudien zu tun haben. „Der ,heuristische Eurozentrismus‘ Max Webers verwandelt die nichtokzidentalen Gesellschaften dagegen in eine Folie, einen Hintergrund, vor dem das eigentlich Gemeinte, die okzidentale Entwicklung seit dem hohen Mittelalter, sich abheben soll.“72 Mit der Charakterisierung durch Abwesenheit geht die Ontologisierung des Islam einher. Deutlich zeigt sich dies an der Diskussion um die einseitige und verzerrende Aussage „Der Islam ist eine Kriegerreligion.“, die im Gefolge von Webers Systematisierung entbrannte.73 Es ist selbstverständlich, dass eine solche Aussage verschiedener begrifflicher Definitionen sowie zeitlicher, räumlicher und personeller Kontextualisierung bedarf – so man diese Frage überhaupt für sinnvoll erachtet. Die ontologisierende Betrachtung des Islam, sozusagen die totale „Sinnhuberei“ unter Vernachlässigung jeglicher „Stoffhuberei“, bringt Armando Salvatore zu dem Urteil: „Weber did not succeed in incorporating an adequate treatment of knowledge in his general comparative approach, and in the particular case of Islam a specific thematization of knowledge and science is totally absent.“74 69 70 71 72 73 74

Ebd., S. 158 f. Schluchter (1987): Max Webers Sicht des Islams, S. 42. Vgl. dazu Weber (1988=1920e): Konfuzianismus und Taoismus, S. 512. Paul (2003): Max Weber und die ,islamische Stadt‘, S. 114. Ebd., S. 115 f. Salvatore (1996): Beyond Orientalism?, S. 467 f.

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1. Max Weber und der Islam

Diese Formen des Umgangs mit Wissenschaftlichkeit seien verbunden mit einem Phänomen, dass er Weberismus nennt. Er versteht darunter eine unzulässige Verkürzung und Essenzialisierung von Webers Fragestellungen und Methoden. Die Entstehung dieses Phänomens ist nie detailliert untersucht worden. Salvatore meint aber, dass es von Essenzialismus und Orientalismus nicht zu trennen ist.75 Man könnte von einer unzulässigen Essenzialisierung des Forschungsgegenstandes mithilfe des bei Weber enthaltenen „heuristischen Eurozentrismus“ durch die Rezipierenden sprechen. Orientalismus wird so zu einem perpetuum mobile. Nach der Darstellung des landläufigen Essenzialismus und Orientalismus verweist Salvatore auf eine weitere Form, aufgrund der er sich und seine Position in der Orientalismus-Debatte eine „maximale Definition“ des Essenzialismus zuschreibt.76 Neben der klassischen Variante, bei der die Essenz (,Islam‘ vs. ,West‘) im Zentrum der Analyse steht, verweist Salvatore auf die Dichotomie des orientalistischen Essenzialismus, bei der auch die Anwendungen von Kategorien und Strukturen einen Essenzialismus enthalten, insofern sie abgeleitet wurden von westlichem Selbstverständnis und dem Versuch des Verstehens des Anderen. Während der klassisch orientalistische Essenzialismus sich auf die Essenz ,des Islam‘ bezieht, speist sich Salvatores „maximale Definition“ des Essenzialismus aus einem unhinterfragten westlichen Selbstverständnis als Grundlage der Begegnung mit anderen Kulturen und Religionen. Die Frage, die wir uns also hier im Weiteren stellen müssen, ist die nach den Fundamenten der Begriffe und Kategorien, vor allem jene, die aus der Betrachtung der eigenen, westlichen Kultur entwickelt wurden und zu ihrer Beschreibung dienen.

1.3. Okzidentalismus: „Warum nur hier?“ – Protestantismus als das Maß der Dinge In den vorangegangenen Kapiteln habe ich die Probleme in der Rezeption von Max Webers Islam-Studien gezeigt und die Ursache hierfür zunächst im Verhältnis von Stoff und Methode erklärt. Da es aber im Weiteren darum geht, Weber trotz all seiner Arbeiten innewohnenden Probleme nutzbar zu machen, soll an diesem Punkt nicht stehen geblieben werden. Die Faszination seiner Arbeiten und seine erstaunliche 75 Ebd., S. 472 ff. 76 Ebd., S. 482.

1.3. Okzidentalismus: „Warum nur hier?“

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Fähigkeit die richtigen Fragen, trotz des unbefriedigenden Materials zum Islam und der einseitigen und verstellenden Methode, die seiner Fragestellung zugrunde liegt, zu stellen, können so noch nicht erklärt werden. Salvatores „maximale Definition“ des Essenzialismus weist uns auf den Kern des Problems und zugleich auf die Lösung hin. Von Interesse sind hier also nicht mehr „Webers Sicht des Islam“ oder ähnliche, faktennahe Ergebnisse seiner Arbeit. Der sich hierin befindliche Orientalismus wird somit auch aus meinem Gegenstand zunächst ausgeklammert. Armando Salvatore77 hat aber zu Recht auf eine weitere Stufe des Orientalismus hingewiesen, die er in einer essenzialistischen Methodik verortet. Interpretationsmodelle werden dabei aus der europäischen Kultur gewonnen und dort auf andere Kulturkreise angewandt. Um Webers Fragestellungen für den Islam nutzbar zu machen, ist es also geboten, sie auf ihre eurozentrischen Grundlagen hin zu befragen, und sie von diesen anschließend zu befreien. Es geht also, wie Fernando Coronil schreibt, um den Ermöglichungsgrund des Orientalismus, um die „Bedingung seiner Möglichkeit, seine dunkle Seite (wie in einem Spiegel)“78. Die Hochphase des Imperialismus und Kolonialismus geht zeitlich Hand in Hand mit der Systematisierung der (Sozial-)Wissenschaften, die die Dichotomie zwischen Europa und der außereuropäischen Welt in Disziplinen essenzialistisch fixierten. Die Einteilung der Welt in Zentrum und Peripherie findet ihre ihren institutionellen Rahmen in der Institutionalisierung der Wissenschaften, die sich als Soziologie, Nationalökonomie und Politikwissenschaft mit der spezifischen Situation des modernen Selbst und als Anthropologie und Ethnologie mit den marginalen ,Anderen‘ beschäftigen.79 Der gelernte Jurist Max Weber, der sich des ,Sonderwegs‘ des europäischen Rationalismus annahm, wirkt als Soziologe, Nationalökonom und Politikwissenschaftler – als einer der Gründerväter dieser damals noch jungen Disziplinen. Die europäische Moderne und das ,Andere‘ waren sich einander gegenüberstehende, sich ergänzende und einander bedürftige Pole. Wissenschaft war so eine jener kulturellen Technologien zur Durchsetzung des Kolonialismus, nicht nur in den Kolonien selbst, sondern auch im ,Heimatland‘.80 Der Orientalismus Webers, als Betrachtung der ,Anderen‘ vom Standpunkt der europäischen Überlegenheit aus, ist somit nicht vom 77 78 79 80

Salvatore (1996): Beyond Orientalism?, S. 482. Coronil (2002): Jenseits des Okzidentalismus, S. 184. Conrad/Randeria (2002b): Einleitung, S. 11 u. 20 f. Ebd., S. 28 f.

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1. Max Weber und der Islam

Himmel gefallen, sondern Konsequenz der unhinterfragten Vorannahmen und Methoden Webers und seiner Zeitgenossen in Wissenschaft und Politik. In der Betrachtung des Selbst und der eigenen Geschichte findet der Orientalismus sein Pendant im Okzidentalismus. Weber hat ihn in seiner Studie zur Protestantischen Ethik idealtypisch rekonstruiert. ,Okzidentalismus‘ bezeichnet das Komplement bzw. den kommunizierenden Effekt des Orientalismus auf den Westen selbst, die geschönte Selbstwahrnehmung gegen die der Anderen als ,Wilde‘. Untrennbar verbunden mit den vom globalen Kapitalismus getragenen, internationalen Asymmetrien ist der Okzidentalismus „der Ausdruck einer konstitutiven Beziehung zwischen westlichen Repräsentationen kultureller Differenz und weltweiter westlicher Herrschaft“.81 Mit dem nun erfolgenden Wenden des Blicks vom Orientalismus zum Okzidentalismus kann die hegemoniale Deutungsmacht des Westens aber nicht aufgehoben oder eine Umkehrung der Pole erreicht werden. Ziel ist nicht die Umkehrung des Eurozentrismus, sondern die De-Zentrierung des Westens zugunsten komplexer Prozesse.82 Es hat sich gezeigt, dass Webers Eurozentrismus nicht nur eine heuristische Position, sondern die Spiegelseite des Orientalismus ist und damit verstrickt in die Legitimierung kolonialer Ausbeutungsverhältnisse. Was zunächst als epistemologische Position eines bestimmten Erkenntnisinteresses erschien, hat sich damit als Herrschaftsideologie entpuppt. Okzidentalismus ist nicht nur Pendant und Ermöglichungsgrund des Orientalismus, sondern auch der Klarname des Eurozentrismus. Der Versuch, Webers Islamstudien mit dem Hinweis, es handele sich lediglich um einen heuristischen Eurozentrismus, zu retten, muss im Lichte dieser Erkenntnis als gescheitert betrachtet werden. Webers Frage nach dem „Warum nur hier?“ war nicht nur, wie Paul feststellt, „für die Analyse außereuropäischer Gesellschaften eher hinderlich als förderlich“;83 sie hat sie vielmehr völlig desavouiert.84 81 Coronil (2002): Jenseits des Okzidentalismus, S. 186. Ein äquivalentes Okzidentalismus-Verständnis haben ebenso L. Elena Delgado u. Rolando J. Romero, vgl. dies. (2000): Local Histories and Global Designs, S. 7 – 33 u. 28 ff. 82 Conrad/Randeria (2002b): Einleitung, S. 14. 83 Paul (2003): Max Weber und die ,islamische Stadt‘, S. 136. 84 Den Okzidentalismus an sich und ebenso diesen in seiner gegenseitigen Abhängigkeit von dem Orientalismus und umgekehrt haben für die asiatische Religionsgeschichte Peter Schalk, Max Deeg u. a. behandelt; vgl. dies., in: Schalk u. a. (Hg.) (2003): Religion im Spiegelkabinett. In ihrem Sammelband sind zu diesem Thema besonders auch die Aufsätze von Max Deeg und Michael

1.3. Okzidentalismus: „Warum nur hier?“

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Die Wirksamkeit des Doppelbegriffs von Okzidentalismus und Orientalismus zieht sich durch das gesamte europäische Selbstverständnis. Folglich lässt sich die Geschichte des okzidentalen „Warum nur hier?“ aus dieser Perspektive auch von einem anderen Ausgangspunkt erzählen. (Dabei bleiben alternative Erzählungen anschlussfähig an die Analyse von Webers Okzidentalismus.) So datiert Enrique Dussel, ohne dabei auf Weber einzugehen, die Geburt der Moderne auf das Jahr 1492. ,Moderne‘ ist für ihn, hier wieder einvernehmlich mit Weber, ein spezifisch europäisches Phänomen. Wo Weber aber eine Geschichte des Rationalismus vom antiken Judentum bis in seine Gegenwart als Ursprung der Moderne sah, wurde sie nach Dussel auf der dialektischen Ebene zu einem nicht-europäischem Anderen errichtet.85 Wie der Eurozentrismus im Orientalismus seine dunkle Seite hat, so hat auch das rationale europäische Subjekt einen irrationalen Mythos im Gepäck, der, wie Dussel schreibt, als Rechtfertigung von Völkermorden diente. Zusammenfassend lasse sich sagen: Das europäische Selbstverständnis als seit der Antike überlegene Kultur rechtfertige, ja verlange die ,weniger zivilisierten‘ und damit ,minderwertigeren‘ Völker, wenn nötig mit zuweilen rituell anmutender Gewalt zu erziehen und zu zivilisieren. Diese Zwangszivilisierung erlöse die als Barbaren oder Primitiven Markierten aus einem Zustand der Schuld, so dass das Opfer, das den Kolonisierten auferlegt wird, unumgänglich und notwendig sei.86 Der Orientalismus-Begriff wird aber nicht nur in diesem Sinn und Kontext genutzt. Andere Interpretationen liefern James G. Carrier, Ian Buruma und Avishai Margalit. Sie bezeichnen mit Okzidentalismus nicht den Ermöglichungsgrund des Orientalismus und das grundlegende Selbstverständnis der europäischen Moderne, sondern Bilder des Okzidents, zumeist von Nicht-Okzidentalen. So bleibt Carriers Okzidentalismus-Begriff, wie er ihn in seinem Sammelband entwirft weitgehend auf der essenzialisierenden Dichotomie Orient-Okzident stehen und sieht sich als direktes Gegenüber zu Saids Studie Orientalism. 87 Den Sprung zum Okzidentalismus als epistemologischen Standpunkt, wie Coronil ihn entwirft und wie auch ich ihn für den weiteren Verlauf der Studie Pye hervorzuheben. Allgemeiner, die religionswissenschaftliche Theorie und Methode im Blick, hat Morny Joy (2001) zum Postkolonialismus geschrieben: Postcolonial Reflections. 85 Dussel (1993): Eurocentrism and Modernity, S. 65 f. 86 Ebd., S. 75. 87 Carrier (Hg.) (1995): Occidentalism.

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1. Max Weber und der Islam

übernehmen möchte, macht er nicht. Stattdessen behandelt seine Einführung wie die Sammlung der Texte mehr die politischen Umstände der Trennung Okzident-Orient. In der Monographie von Ian Buruma und Avishai Margalit wird Orientalismus als ein entmenschlichendes Bild des Westens von Eliten in anderen Regionen der Welt verstanden.88 Diese aggressive Form des Okzidentalismus ist, über den Nahen und Mittleren Osten hinaus, die Reaktion auf eine Bewegung, die sich als Kolonialismus von Europa aus ausdehnte. Gleichzeitig fassen sie Okzidentalismus aber auch weiter, etwa im Sinne eines Konflikts zwischen Tradition und Moderne.89 – Diese beiden letztgenannten Interpretationen des Begriffs und die konzeptionellen Implikationen sollen aber hier nicht weiter verfolgt werden. Die Betrachtung der ideologischen Grundlagen der Moderne und des Orientalismus aus der Perspektive des Postkolonialismus bezeichnet Fernando Coronil als „Kritischen Okzidentalismus“. Coronil bezieht sich dabei auf das gleiche Verständnis von Okzidentalismus wie Enrique Dussel. Augenfälligstes Merkmal dieses Okzidentalismus bleibt der aus ihm hervorgebrachte Orientalismus, den er wie folgt definiert: „Mit anderen Worten, mit ,Okzidentalismus‘ bezeichne ich all jene Praktiken der Repräsentation, die an der Produktion von Konzepten der Welt beteiligt sind, welche (1) die Komponenten der Welt in abgegrenzte Einheiten unterteilen; (2) ihre relationalen Geschichten voneinander trennen; (3) Differenz in Hierarchie verwandeln; (4) diese Repräsentationen naturalisieren; und so (5) an der Reproduktion existierender asymmetrischer Machtbeziehungen, und sei es auch noch so unbewusst, beteiligt sind.“90 Ein weiteres, strategisch eminent wichtiges Merkmal dieser Position ist, dass sie stets als die unmarkierte, als „Normal Null“ auftritt. Das u. a. hat zur Folge, dass ungenannt bleibt, wer diese Praktik der Repräsentation unterstützt und mit welcher Absicht. Das okzidentalistische Selbst ist keine unveränderliche Entität, die aus dem Nichts heraus entstanden ist, sondern im Austausch mit dem ,Anderen‘. Alle an der Interaktion beteiligten Personen und Personengruppen verändern sich in diesem Prozess auf vielfältigste Weise, wie sich auch ihre Umwelt und Ökonomie verändert. Das gelte aber nicht nur für die beidseitigen Akteure des Okzidentalismus, auch die wissenschaftliche Arbeit ist, wie oben bereits für Moderne und Kolonialismus ausgeführt, an diesen 88 Buruma/Margalit (Hg.) (2004): Occidentalism. 89 Schwanitz (2006): (Rez.). 90 Coronil (2002): Jenseits des Okzidentalismus, S. 186.

1.3. Okzidentalismus: „Warum nur hier?“

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Veränderungsprozessen beteiligt und davon betroffen. Wer über Kolonialismus schreibt, reproduziert automatisch auch Kolonialismus. „Mit anderen Worten, es gibt keine fehlerfreie Repräsentation.“91 In Anbetracht der Verwicklung in koloniale Prozesse und des Wissens um den prekären Status ihrer Darstellung plädiert auch Jan-Peter Hartung bei der (Re)Präsentation des ,Anderen‘, zuerst eine politische Position einzunehmen. „Abschließend gilt es nun, aus den bisherigen Überlegungen eine mögliche Strategie für den wissenschaftlichen Umgang mit dem ,Anderen‘ zu begründen. Dafür ist zuallererst eine politische Position zu beziehen, die sich als Konsequenz aus der zu einem guten Teil gerechtfertigten und der ,Orientalismus‘-Debatte zu dankenden Kritik an den ,orient‘-bezogenen Wissenschaften ergibt.“92 Erstaunlicherweise schließt sich hier einer der Kreise zu Max Weber. Mit einem Verweis auf Webers Aufsatz zur Wertfreiheit der Sozialwissenschaft93 und Wissenschaft als Beruf 94 sieht auch Hartung hierin keine Absage an die Wissenschaftlichkeit. Im Gegenteil bestätigt sogar Weber in seinem Objektivitätsaufsatz die Subjektivität wissenschaftlicher Erkenntnis sowie die Wertgebundenheit des Kulturbegriffs.95 Trotz einer gewissen methodischen Nähe zu Max Webers Wissenschaftslehre offenbart die Untersuchung von Orientalismus und Okzidentalismus die klare Inkommensurabilität der Protestantismus-Studie mit zeitgenössischen Forschungen zum Islam. Vor allem die Ideen, dass es sich bei der europäischen Modernisierungsgeschichte um das Ergebnis eines isolierten Prozesses handelt und dass Modernisierungsprozesse anderer Kulturkreise lediglich Nachahmungen des europäischen und weberianisch protestantischen Modells sind, gehören zum Bereich der inzwischen unhaltbaren Gründungsmythen der Vorstellung von der vielgestaltigen westlichen Überlegenheit. Dies gilt umso mehr, als die als herausragend bestimmten Charakteristika nur eine Auswahl darstellen, und zwar auf beiden Seiten. Neben dem ,Doppelgesicht‘ des Protestantismus und der ,Prädetermination‘ des Islam wäre eine Vielzahl weiterer Merkmale zu Beschreibung und Vergleich möglich gewesen, die 91 Ebd., S. 209. – Zu gegenwärtigen Formen des Orientalismus/Okzidentalismus und der Begründung eines „kritischen Okzidentalismus“ vgl. Dietze (2004): Kollektivkörper im Schüttelfrost u. dies./Brunner/Wenzel (Hg.) (2009): Kritik des Okzidentalismus. 92 Hartung (2002): (Re-)Presenting the Other?, S. 147. 93 Weber (1988d): Der Sinn der ,Wertfreiheit‘, S. 493 f. 94 Ders. (1988 f): Wissenschaft als Beruf, S. 602 – 605. 95 Ders. (1988b): Die ,Objektivität‘, S. 154 u. 175.

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1. Max Weber und der Islam

jedoch womöglich ein vielseitigeres und differenzierteres Bild hervorgebracht hätten. Zunächst ist jedoch die Eigenständigkeit nicht-europäischer Entwicklungen zu betonen und sie nicht nur als kontrastiven Hintergrund für den ,europäischen Sonderweg‘ zu nehmen. Nach der Anerkennung der fundamentalen Eigenständigkeit, muss der dialogische Charakter der Kulturbeziehungen betrachtet werden.96 Webers „Warum nur hier?“ kann nach zeitgenössischer Lesart nicht heißen, dass es Rationalismus nur in der europäischen Moderne habe geben können, sondern diese Frage bestimmt viel mehr, welches spezifisch europäische Phänomen Weber als scheidendes Merkmal gewählt hat. Aus der Perspektive des Kritischen Okzidentalismus gesehen ist Webers Herangehensweise ein heuristischer Zirkelschluss. Er wählt ein Alleinstellungsmerkmal der europäischen Moderne, um dann seine Genese nachzuvollziehen. Webers Methode bestand in der Bearbeitung der Identifikations-, Zurechnungs- und Diagnoseprobleme, bei denen es um die Untersuchung der Besonderheiten, historischen Vorbedingungen und um den Abgleich mit anderen Möglichkeiten geht.97 Wie Walter Mignolo beschreibt, ist es die Frage nach der Besonderheit und ihren historischen Vorbedingungen, die in den neuen epistemologischen Ordnungen von Postkolonialismus und verwandten Phänomenen keine Gültigkeit mehr besitzen.98 Statt des hegemonialen europäischen Subjekts erhebe sich nun die Stimme der Marginalisierten des Kolonialismus gegen ihre Ausgrenzung, und die einseitige Blickrichtung des Westens pluralisiere sich in den vielfältigen Positionen von Personen und Orten, deren Blickwinkel und Erfahrungen unter dem Okzidentalismus verdrängt wurden.99 Weber sei gegenüber den Implikationen des Kolonialismus blind gewesen, schreibt Mignolo.100 Seine Feier der Universalität des okzidentalen Wissens zum Höhepunkt europäischer Expansion und kapitalistischer Akkumulation in der Geschichte des kolonialen Weltsystems veranlasste Mignolo seine Methode des border thinking zu entwickeln.101 96 97 98 99

Höfert/Salvatore (2000a): Introduction, S. 15ff u. 34. Schluchter (1987): Max Webers Sicht des Islams, S. 18. Mignolo (2000): Local histories/global designs, S. 93. Walter Mignolo legt in diesem Kapitel seines Buches eine Geschichte der Epistemologie vor, die sich mit der Entstehung der neuen Perspektiven durch das weite Feld des Postkolonialismus befasst (ebd., S. 91ff). 100 Ebd., S. 4. 101 Ebd., S. 3.

1.3. Okzidentalismus: „Warum nur hier?“

31

Der von Mignolo als Gewährsmann angeführte Enrique Dussel weist uns aber auch wieder den Weg zurück zu Max Weber.102 Er betont, dass die Moderne trotz aller Kritik an ihr und ihren dunklen Seiten ein rationales Konzept von Emanzipation beinhalte. Während er die Gewalt, die von ihr ausging kritisiere, so bejahe er doch die moderne Rationalität selbst.103 Durch diese Unterscheidung werden wir wieder hineingeführt in Webers Methodologie. Während die Frage „Warum nur hier?“, wie oben dargelegt, lediglich in einen Zirkelschluss führt, ist es durchaus legitim festzustellen, dass etwas stattgefunden hat und dass es sich in dieser Form nur in einigen Regionen des Okzidents zugetragen hat. Kritischer Okzidentalismus sähe nun seine Aufgabe darin, Webers Begründung für die Einzigartigkeit des Okzidents und die daraus resultierende Minderwertigkeit anderer Religionen, Kulturen und Regionen auf ihre okzidentalistischen Anteile hin zu befragen und falls möglich, diese zu isolieren. Danach kann die Frage nach der Rationalität der ,Anderen‘ gestellt werden. Es könne nicht darum gehen, den Rationalismus der Aufklärung zu negieren, sondern ihn auch den ,Anderen‘ zuzugestehen.104

102 Ebd. S. 93. 103 Dussel (1993): Eurocentrism and Modernity, S. 66. 104 Ebd., S. 75.

2. Der Rationalismusbegriff als Schlüssel zu Max Webers Religionssoziologie „Wenn zu irgendetwas, dann mçchte dieser Aufsatz dazu beitragen, den nur scheinbar eindeutigen Begriff des ,Rationalen‘ in seiner Vielseitigkeit aufzudecken.“ (Weber: Die Protestantische Ethik, S. 35, Fn. 1)

Im ersten Kapitel wurde bei der Behandlung von Max Webers Eurozentrismus und Orientalismus bei allen herangezogenen Religionsstudien implizit ein gemeinsames Argument von Webers Seite nahegelegt. Ich bin davon ausgegangen, dass es sich bei diesem verbindenden Argument, das sowohl der Protestantischen Ethik, den Arbeiten zur Wirtschaftsethik der Weltreligionen und den Religiçsen Gemeinschaften zugrunde liegt,105 um die Verwendung und Stoßrichtung des Begriffs ,Rationalismus‘ handelt. Als Beleg für diese Gemeinsamkeit kann ja auch der erste Satz der Vorbemerkung aus der Publikation Gesammelte Aufstze zur Religionssoziologie gelten, an den anschließend Weber die Einzigartigkeit des okzidentalen Rationalismus als gemeinsame Einleitung zur Protestantischen Ethik und Wirtschaftsethik der Weltreligionen ausführt. Im Folgenden soll nun der Zusammenhang zwischen den drei großen systematischen Religionsstudien (Die Protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus, Die Wirtschaftsethik der Weltreligionen und Religiçse Gemeinschaften) und Webers Entdeckung und Ausarbeitung des okzidentalen Rationalismus nachgezeichnet werden. Zu diesem Zweck wird ebenso die Funktionsweise des Rationalismus innerhalb der Religionsgeschichte in Webers Werk rekonstruiert und dies mit einem abschließenden kritischen Blick auf die Zwischenbetrachtung, die einen „Beitrag zur Typologie und Soziologie des 105 Zusammen mit der Vorbemerkung bilden Die Protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus, Die protestantischen Sekten und der Geist des Kapitalismus sowie Die Wirtschaftsethik der Weltreligionen die Gesammelten Aufstze zur Religionssoziologie (3 Bde.). Der Text Religiçse Gemeinschaften, der auch als MWG I/22 – 2 neu ediert wurde, erschien zuvor als Kapitel V. Religionssoziologie (Typen religiçser Vergemeinschaftung) im ersten Halbband des zweiten Teils von Wirtschaft und Gesellschaft. Die Wirtschaftsethik der Weltreligionen ist neu ediert als MWG I/19 (1989), MWG I/20 (1996) und MWG I/21 (2005) erschienen.

2.1. Die Entdeckung des Rationalismus

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Rationalismus selbst“106 liefern soll. Das folgende Kapitel intendiert demnach, den Zusammenhang von Religionsgeschichte und Rationalismus in Webers Werk deutlich werden zu lassen.

2.1. Die Entdeckung des Rationalismus: ein chronologischer und systematischer Blick auf Webers Religionsgeschichte Im ersten Kapitel wurde argumentiert, dass sich, ausgehend von der Studie Protestantische Ethik, ein eurozentristischer und orientalistischer Grundton durch Webers Werk zieht. Dort wurde auch bereits der Rationalismusbegriff als Träger der hierarchisierenden Unterscheidung zwischen Okzident und Orient benannt. Nun soll der Strang isoliert werden, der den Rationalismus als eins der zentralen, alles verbindenden Motive von Webers Religionsstudien deutlich macht. Im Anschluss dessen soll dann die Wirkungsweise des Rationalismus in Webers Sicht auf die Religionsgeschichte zusammenfassend dargestellt werden. Bei der Rezeption von Webers Religionssoziologie herrscht weitgehende Einigkeit darüber, dass die Protestantische Ethik, die Religiçsen Gemeinschaften und die Wirtschaftsethik der Weltreligionen in einem engen systematischen und chronologischen Zusammenhang stehen. Worin besteht dieser? Marianne Weber beschreibt im ,Lebensbild‘ ihres Manns, wie dieser nicht nur den umfassenden Zusammenhang von Religion und Wirtschaft sowie die Rolle des okzidentalen Rationalismus zwischen diesen Beiden erkannte, sondern wie er darüber hinaus – erstmalig am Beispiel der Musiksoziologie – die umfassende Wirkmacht des Rationalismus in allen Bereichen des Lebens erfasste.107 In seiner Protestantismus-Studie ging es Max Weber noch primär um den Nachweis des Zusammenhangs zwischen einer auf Rationalismus gegründeten Lebensführung und religiösen Vorstellungen, ein Zusammenspiel, das den in Europa und USA einzigartigen ,Geist des Kapitalismus‘ hervorgebracht hatte. Eine weitergehende Kulturanalyse oder gar ein interkultureller Vergleich schwebten ihm hier noch nicht vor. Weber selbst resümiert: „[D]ie rationale Lebensführung auf Grundlage der Berufsidee, ist – das sollten diese Darlegungen erweisen – geboren aus 106 Weber (1988=1920 f): Zwischenbetrachtung, S. 537. 107 Weber, Marianne (Hg.) (1926): Max Weber, S. 346 – 349; vgl. Kippenberg (2003) Religiöse Gemeinschaften, S. 214 ff.

34 2. Der Rationalismusbegriff als Schlüssel zu Max Webers Religionssoziologie dem Geist der christl ichen Askese.“108 Der Begriff der Kultur war für ihn also untergeordnet und spielte nur insofern eine Rolle, als er eine „kapitalistische Kultur“ bezeichnete. Ziel seiner Untersuchung war „wes Geistes Kind diejenige konkrete Form ,rationalen‘ Denkens und Lebens war, aus welcher jener ,Berufs‘-Gedanke und jenes […] Sichhingeben an die Berufsarbeit erwachsen ist […], welches einer der charakteristischsten Bestandteile unserer kapitalistischen Kultur war und noch immer ist.“109 Ebenso bleiben nach Weber die asketischen Praktiken jenseits des Christentums oder die Systematisierung mystischer Vorstellungen unausgeführt. Mit der gemeinsamen Publikation seiner Studien zum Protestantismus, der Einleitung, der Zwischenbetrachtung und der Konfuzianismus- und Taoismusanalyse (1920) im ersten Band der Gesammelten Aufstze zur Religionssoziologie kommentierte Weber die Weiterführung seiner Protestantismus-Studie als Vorstudie zur Wirtschaftsethik der Weltreligionen: „Statt der ursprünglich beabsichtigten unmittelbaren Fortsetzung im Sinn des weiter oben stehenden Programms habe ich mich, […] um diese Ausführungen ihrer Isoliertheit zu entkleiden und in die Gesamtheit der Kulturentwicklung hineinzustellen, seinerzeit entschlossen, zunächst die Resultate vergleichender Studien über die universalgeschichtlichen Zusammenhänge von Religion und Gesellschaft niederzuschreiben.“110 Dass Weber gegenüber der Erstveröffentlichung der ProtestantismusStudie von 1904/1905 „nicht einen einzigen Satz [s]eines Aufsatzes, der irgendeine sachlich wesentliche Behauptung enthielt, gestrichen, umgedeutet, abgeschwächt oder sachlich abweichende Behauptungen hinzugefügt habe“111, zeigt die Bedeutung, die diese Studie als Grundstein seiner vergleichenden Religionsanalysen für ihn einnahm. Es kann also kein Zweifel darin bestehen, dass Wirtschaftsethik der Weltreligionen nicht nur eine Folgestudie der Protestantischen Ethik ist, sondern dass für Weber ihr Fundament, die Einzigartigkeit der okzidentalen Moderne, auch 1920 noch uneingeschränkte Gültigkeit besaß. Schluchter macht deutlich, dass erst in den Studien zur Wirtschaftsethik der Weltreligionen die Methode der Protestantischen Ethik voll durchgeführt wurde. Er unterscheidet zwischen einer genetischen Analyse, die nach dem Ursprung fragt, und einer typologischen, die die Gleich- und An108 109 110 111

Weber (1988=1920c): Die protestantische Ethik, S. 202, Sperrungen i.O. Ebd., S. 62. Ebd., S. 206, Fn. 1. Ebd., S. 18, Fn. 1, Sperrungen i.O.

2.1. Die Entdeckung des Rationalismus

35

dersartigkeit von Phänomenen und die Möglichkeiten ihres Auftretens untersucht.112 Denn während sich die Protestantismus-Studie noch auf eine genetische Analyse der Lebensführung beschränke, greife die Wirtschaftsethik der Weltreligionen weiter und biete nun die in der Zwischenbetrachtung angekündigte „Typologie und Soziologie des Rationalismus selbst“113. Die Protestantische Ethik habe nur Auswirkungen der Religion auf die Ökonomie betrachtet, wohingegen sich die Wirtschaftsethik der Weltreligionen mit allen wechselseitigen Effekten innerhalb und zwischen Religion, politischer Herrschaft und Wirtschaft beschäftige.114 „Das heißt“, so Weber, „freilich nicht, daß sie deshalb auch umfassende Kulturanalysen sind.“115 Der inzwischen als Band I/22 – 2 der Max Weber Gesamtausgabe erschienene Text Religiçse Gemeinschaften spielt in diesem Kontext eine besondere Rolle. Vor allem Kapitel 11 Religiçse Ethik und „Welt“ wird sowohl von Schluchter als auch vom Herausgeber des Bandes, Hans G. Kippenberg, als direkte Vorstufe der Zwischenbetrachtung in der Wirtschaftsethik der Weltreligionen betrachtet. Die Einleitung der Wirtschaftsethik der Weltreligionen hingegen verweise auf die Herrschaftssoziologie in Wirtschaft und Gesellschaft, finde aber auch eindeutige Parallelen in Religiçse Gemeinschaften, so Schluchter und Kippenberg.116 Die sowohl sachlichen wie chronologischen Positionen von Religiçse Gemeinschaften und Wirtschaftsethik der Weltreligionen zueinander lassen sich im Detail kaum noch rekonstruieren, Schluchter führt seine Interpretation gegen Tenbruck aus und spricht von „einem Verhältnis wechselseitiger Ergänzung und Interpretation“.117 Kippenberg betont in seiner Einleitung zu Religiçse Gemeinschaften die gegenseitige Verschränkung der Religionsstudien, wobei Religiçse Gemeinschaften eine Mittelstellung einnimmt, indem die Schrift selbst einen integralen Bestandteil von Wirtschaft und Gesellschaft darstellt, die soziale Bedingtheit von Religion aus der Protestantismus-Studie wieder aufgreift und die Begriffe für die Wirtschaftsethik der Weltreligionen erarbeitet. Zur Verbindung seiner Wirtschaftsethik 112 113 114 115 116

Vgl. Schluchter (1987): Max Webers Sicht des Islams, S. 26. Weber (1988=1920 f): Zwischenbetrachtung, S. 537. Vgl. Schluchter (1991a): Religion und Lebensführung, Bd. 1, S. 91 f. Weber (1988=1920c): Die protestantische Ethik, S. 92. Vgl. Kippenberg (2001a): Einleitung/Religiöse Gemeinschaften, S. 101; Schluchter (1991b): Religion und Lebensführung, Bd. 2, S. 576. 117 Ebd., S. 561 f. Zu den Raffinessen und Problemen der Werksgeschichte, insb. zum Verhältnis von Webers Religionssoziologie und Wirtschaft und Gesellschaft vgl. ebd., S. 557ff, v. a. die Anlage B, C, S. 593 – 596.

36 2. Der Rationalismusbegriff als Schlüssel zu Max Webers Religionssoziologie der Weltreligionen mit seiner Religionssoziologie in Wirtschaft und Gesellschaft schreibt Weber 1920: „Die Aufsätze waren nebenbei auch bestimmt, gleichzeitig mit der im ,Grundriß der Sozialökonomik‘ enthaltenen Abhandlung über ,Wirtschaft und Gesellschaft‘ zu erscheinen, den religionssoziologischen Abschnitt zu interpretieren und zu ergänzen (allerdings auch in vielen Punkten durch ihn interpretiert zu werden).“118 Die Kontinuität zwischen der Protestantismus-Studie, Wirtschaftsethik der Weltreligionen und Religiçse Gemeinschaften verlief aber keineswegs ohne eine entscheidende Zäsur. Das was in der Protestantismus-Studie angelegt war, sollte nun in den großen religionssoziologischen Studien sich voll entfalten können. Schluchter spricht von einem „Durchbruch“119, Kippenberg von einer „entscheidenden Entdeckung“120. Etwa um 1911 begann Weber, so berichtet seine Frau, nach der spezifischen ersten Protestantismus-Studie den Einfluss der materiellen, wirtschaftlichen und geographischen Lebensbedingungen der verschiedenen Kulturkreise auf ihre religiösen und ethischen Vorstellungen hin zu untersuchen. Sie schreibt: „Der Rationalisierungsprozess löst die magischen Vorstellungen auf, ,entzaubert‘ und entgöttert zunehmend die Welt. Religion wandelt sich aus Magie in Lehre. Und nun zeigen sich nach Zerfall des primitiven Weltbildes zwei Tendenzen: Einmal zur rationalen Beherrschung der Welt und andererseits zum mystischen Erlebnis. Aber nicht nur die Religionen empfangen ihren Stempel durch das sich zunehmend entfaltende Denken – der Rationalisierungsprozess bewegt sich in mehreren Geleisen und seine Eigengesetzlichkeit ergreift alle Kulturgebilde: Wirtschaft, Staat, Recht, die Wissenschaft und die Kunst. Vor allem die abendländische Kultur wird in all ihren Formen entscheidend bestimmt durch eine zuerst im Griechentum entwickelte methodische Denkart, der sich im Zeitalter der Reformation auch eine an bestimmten Zwecken orientierte methodische Lebensführung zugesellt: Diese Vereinigung von theoretischem und praktischem Rationalismus scheidet die moderne Kultur von der antiken, und die Eigenart beider scheidet die moderne abendländische von der asiatischen Kultur. Freilich vollzogen sich auch im Orient Rationalisierungsprozesse, aber weder der wissenschaftliche, noch der staatliche, noch der wirtschaftliche, noch der künstlerische sind

118 Weber (1988=1920d): Einleitung, S. 237, Fn. 1. 119 Schluchter (1991a): Religion und Lebensführung, Bd. 1, S. 102. 120 Kippenberg (2003): Religiöse Gemeinschaften, S. 214.

2.1. Die Entdeckung des Rationalismus

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in die dem Okzident eignen Bahnen eingelenkt.“121 Wolfgang Schluchter weist noch mal auf den zentralen Punkt dieser Entdeckung hin, wenn er betont, dass „nicht nur die Ökonomie, sondern die ganze moderne okzidentale Kultur von einem spezifischen Rationalismus durchdrungen ist“122. Und in eben diesem Punkt liegt nach Weber die Besonderheit des Okzidents. Manifest wurde diese Erkenntnis für Weber, nachdem sie in der Protestantismus-Studie mit dem changierenden Kultur-Begriff immer wieder angedeutet wurde, in seinen Studien zur Musiksoziologie, die er wohl um 1910/1911 verfolgte. Vor allem am Beispiel der Entwicklung der modernen Notenschrift, dem Prinzip der Akkordharmonie und der modernen Musikinstrumente wollte Weber eine zunehmende Rationalisierung aller Lebensbereiche feststellen. Wiederum Marianne Weber berichtet, wie Max Weber entdeckt, „daß auch und gerade in der Musik – dieser scheinbar am reinsten aus dem Gefühl quellenden Kunst – die Ratio eine so bedeutsame Rolle spielt und daß ihre Eigenart im Okzident, ebenso wie die seiner Wissenschaft und aller staatlichen und gesellschaftlichen Institutionen, durch einen spezifisch gearteten Rationalismus bedingt ist“.123 Wie weitreichende Wirkungen diese Omnipräsenz des Rationalismus in der gesamten okzidentalen Kultur hatte, zeigt der von Weber kurz darauf in dem Aufsatz ber einige Kategorien der Verstehenden Soziologie (1913) erstmals verwendete Begriff der „entzauberten Welt“. Das Ergebnis des seit dem antiken Judentum wirksamen Rationalisierungsprozesses war „eine Welt, in der die Götter ihren kosmologischen Ort verloren“124 hatten. Auf diesem Konzept basiert Webers gesamte Religionssystematik, die mit den alttestamentlichen Propheten beginnt und sich, wie Weber eindrücklich in seiner Rede zu Wissenschaft als Beruf ausführt, bis zu Webers Lebzeiten als „Kampf der Götter“ fortsetzt.125 Während sich also aus der von Weber entdeckten Entfaltung der Auswirkungen des Rationalismus eine diachrone Kontinuität ablesen lässt, bietet sie zugleich ein Kriterium zur synchronen Unterscheidung 121 Marianne Weber (1926): Max Weber, S. 348; zit. nach: Kippenberg (2003): Religiöse Gemeinschaften, S. 215. 122 Schluchter (1991a): Religion und Lebensführung, Bd. 1, S. 102 f. 123 Marianne Weber im Vorwort zur zweiten Auflage von Wirtschaft und Gesellschaft (1925), zit. nach: Kippenberg (2001c): Einleitung/„Religionssystematik“, S. 4; ebenso ders. (2001a): Einleitung/Religiöse Gemeinschaften, S. 19 f. 124 Kippenberg (2003): Religiöse Gemeinschaften, S. 216. 125 Vgl. Weber (1988d): Der Sinn der ,Wertfreiheit‘, S. 506 ff.

38 2. Der Rationalismusbegriff als Schlüssel zu Max Webers Religionssoziologie von Religionen und Gesellschaften. Schluchter sieht eine unmittelbare und eine mittelbare Fortsetzung von Webers Erkenntnis der Rationalitätsgeschichte in der Protestantischen Ethik. 126 Unmittelbar ist für Schluchter, bei den Studien zum antiken Judentum folgend weiter auszuholen und das Christen- und Judentum weiter differenzierend zum okzidentalen Rationalismus hin zu verfolgen. Mittelbar dagegen wären Studien zu nicht-okzidentalen Kulturen. Wenn Weber auch ankündigt, die mittelbare Fortsetzung, Studien zu nicht-okzidentalen Kulturen, verfolgen zu wollen,127 finden wir in der mehrbändigen Wirtschaftsethik der Weltreligionen beide Richtungen. Die zum Teil geplanten Studien zum Urchristentum, talmudischen Judentum, Islam, orientalischen Christentum und Christentum des Okzidents sollten einen entwicklungsgeschichtlichen, genetischen Bezug zur Protestantismus-Studie haben und so die diachrone Kontinuität aufzeigen. Dagegen waren die Studien zu den chinesischen und indischen Kulturreligionen als Kontraststudien gedacht.128 Ob Weber aber tatsächlich, wie Schluchter suggeriert, 1904/ 1905 die okzidentale Sonderentwicklung als Gesamtplan im Auge hatte und von ihr ausgehend alle weiteren religionssoziologischen Studien plante, ist keineswegs sicher. Dennoch sollte auch diese kursorische chronologische wie systematische Verortung des Rationalismusbegriffs als Beleg für seine eminente Bedeutung in Webers Werk verstanden werden: ein tertium comparationis in all seinen Facetten und Derivaten sowohl diachron in der genetischen als auch synchron in der typologischen Analyse.

2.2. Der Rationalismus in der Religionsentwicklung Um zu verstehen, wie sich Weber das Verhältnis von Rationalismus und Religionsgeschichte vorstellt, folgt eine kurze Darstellung der Weber’schen Perspektive auf diesen Zusammenhang. Zuerst werden Ursprung und Wirkweise der Rationalisierung betrachtet, um danach ein Augenmerk auf Variationen im Rationalisierungsprozess und auf die Unterscheidungen seines Auftretens in der Religionsgeschichte zu werfen. Von besonderem Interesse ist dabei, welche Rolle der Protestantismus in Webers Ausführungen einnimmt. Abschließend folgen noch 126 Schluchter (1991a): Religion und Lebensführung, Bd. 1, S. 88 ff. 127 Vgl. ebd., S. 91; Weber (1988=1920c): Die protestantische Ethik, S. 206, Fn. 1. 128 Schluchter (1991a): Religion und Lebensführung, Bd. 1, S. 92 f.

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2.2. Der Rationalismus in der Religionsentwicklung

˘

einige kurze allgemeine Bemerkungen über die Aufgabe des Rationalismusbegriffs in Webers Werk. Anders als in den vorangehenden Kapiteln und Unterkapiteln, die sich sehr stark auf die Rezeption Weber’scher Texte stützen, bleibt die folgende Argumentation weitgehend weberimmanent. Die Darstellung soll für die Weiterführung von Webers Ansätzen, so wie einleitend zu Kapitel 1 vorgetragen, zwei Richtlinien folgen. Zum einen darf sie Weber’sche Theorie und Methode als Quellenmaterial nicht historisch verzerrend wiedergeben. Zum anderen soll eine Lesart des Rationalismus extrahiert werden, auf dessen Grundlage in anschließenden Kapiteln eine Weiterführung und Interpretation des Rationalisierungsprozesses mit der Absicht der Überwindung des Weber’schen Orientalismus angeschlossen werden kann. Sie soll so präzise wie möglich Webers Arbeiten abbilden und so frei wie nötig Spielräume für Weiterführungen eröffnen. Aus dem „Steinbruch“129 von Max Webers Gesamtwerk wird dabei schließlich nur eine von vielen möglichen Lesarten vorgestellt. Diese wird zunächst für die Beschreibung der ,Rationalität der Anderen‘ genutzt und darauf aufbauend zu einem Analysewerkzeug weiterentwickelt, mit dem sich die Religionsentwicklung der Isma¯ ¯ılı¯ya interpretieren lässt.

2.2.1. Der Ursprung der Rationalisierung ,Sinn‘ ist der Grundstein des Weber’schen Denkens. Menschsein, Kultur, Religion, Wissenschaft, Zivilisation, Gemeinschaft – all das beruht für Weber auf der Zuschreibung von Sinn durch den Menschen selbst. Der Mensch, der immer schon Kulturmensch ist, verleiht der an sich kontingenten Welt Sinn.130 Kultur selbst heißt nichts anderes, als der Welt, der Wirklichkeit, über die wir nicht anderes sagen können, als dass sie ist, einen Sinn zu verleihen. ,Etwas einen Sinn verleihen‘ heißt für Weber, 129 Kaesler (Hg.) (2002): Max Weber, S. XVIII. 130 Damit kann Max Weber, wenn er auch zeitlich ihm vorausgeht, dem (Radikalen) Konstruktivismus zugerechnet werden (vgl. ders. (2003): Max Weber, S. 224). „Die Reformulierungen der Weberschen Untersuchungen in der Sprache des symbolischen Interaktionismus läßt sich umso leichter und allem Anschein nach umso legitimer bewerkstelligen, als sich ja aus den theoretischen Schriften Max Webers die explizit formulierten Grundzüge einer Theorie des symbolischen Interaktionismus mühelos herausziehen lassen.“ (Bourdieu [2000]: Das religiöse Feld, S. 14).

40 2. Der Rationalismusbegriff als Schlüssel zu Max Webers Religionssoziologie den Willen und die Fähigkeit zu haben, zur Welt Stellung zu nehmen.131 Ebenso sind es auch die Fähigkeit und der Wille der Sinnzuschreibung, die für Weber die Grundlagen für sozialwissenschaftliches Arbeiten bilden. Die menschliche Eigenschaft der Kulturerschaffung durch Sinnzuschreibung ist es, die es auch dem Kulturwissenschaftler gestattet, interpretierend zu analysieren. Denn er ist erstens selbst von dieser Fähigkeit betroffen und zweitens muss er davon ausgehen, dass seine beobachteten Handlungen ebenfalls sinnbeladen sind. Durch den allem zugrunde gelegten Sinn wird eine Gemeinsamkeit zwischen Forschendem und Gegenstand geschaffen. Diese Annahme ist darüber hinaus außerdem notwendig zur Operationalisierung von Handeln in der sozialwissenschaftlichen Forschung. Zwar gibt es empirisch auch sinnlose Handlungen, etwa die psychisch Kranker, diese können nach Weber aber nicht Gegenstand sozialwissenschaftlicher Forschung sein, da sie außerhalb der rationalen Grundannahme stehen. In dieser Voraussetzung liegt aber auch zugleich eine Beschränkung der Kulturwissenschaft. Denn die kulturwissenschaftliche Erkenntnis wird einerseits durch die persönlichen Überzeugungen des Forschenden gelenkt, andererseits ist der gesamte epistemologische Horizont aber auch an die kulturellen Sinnzuschreibungen der Zeit gebunden.132 Die Sinnzuschreibungen für Handlungen erfolgen in allen Lebensbereichen, auf allen Ebenen der wissenschaftlichen Kategorisierung, und folgen intern einer Logik, die sich nach der dem Handeln innewohnenden Absicht (bei Weber: je Zweck oder Wert) ausrichtet. Ziel dieser wissenschaftlichen Untersuchung ist es, diese Ursachen und Kausalzusammenhänge zu erfassen. Hiervon ausgehend hat Weber eine Kasuistik der Handlung, der Handlungsintentionen und des Verstehens entfaltet – exemplarisch in seinem Aufsatz Soziologische Grundbegriffe. Hier schreibt er: „Soziologie […] soll heißen: eine Wissenschaft, welche soziales Handeln deutend verstehen und dadurch in seinem Ablauf und seinen Wirkungen ursächlich erklären will. ,Handeln‘ soll dabei ein menschliches Verhalten […] heißen, wenn und insofern als der oder die Handelnden mit ihm einen subjektiven Sinn verbinden.“133 In dem etwas älteren Aufsatz Ueber einige Kategorien der verstehenden Soziologie von 1913 erklärt Weber sein Verständnis vom Zusammenhang zwischen dem soziologischen Sinn einer Handlung und den Absichten des Akteurs. „Handeln aber (mit Einschluß des gewollten Unterlassens 131 Weber (1988b): Die ,Objektivität‘, S. 180. 132 Vgl. ebd., S. 182. 133 Ders. (1988e): Soziologische Grundbegriffe, S. 542.

2.2. Der Rationalismus in der Religionsentwicklung

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und Duldens) heißt uns stets ein verständliches, und das heißt ein durch irgendeinen, sei er auch immer mehr oder weniger unbemerkt, gehabten oder gemeinten (subjektiven) Sinn spezialisiertes Verhalten zu Objekten“134, was Kippenberg so verstanden sehen will, dass „,Sinn‘ ein objektives Element und von der persönlichen Motivation des Handelnden strikt zu unterscheiden“135 ist. Einen weiteren Hinweis für die Objektivität des Sinns erhalten wir aus Webers Verständnis verschiedener Handlungsrationalitäten, die er idealtypisch vorstellt. Hier spricht er von ,Richtigkeitsrationalität‘, die er von zweckrationalem Handeln unterscheidet. „Subjektiv zweckrational orientiertes und am objektiv Gültigen ,richtig‘ orientiertes (,richtigkeitsrationales‘) Handeln sind an sich gänzlich zweierlei.“136 Als Beispiel hierfür gilt ihm die Magie, die subjektiv zweckrational zielführend sein könne, aber objektiv richtigkeitsrational falsch. Die Kategorie des von der Intention des Handelnden unabhängigen richtigkeitsrationalen Handelns verweist auf ein Motiv, das wir in verwandter Form auch bei Webers grundlegender Fragestellung nach der Singularität der okzidentalen Moderne wiederfinden. Wie er dort einen „heuristischen Okzidentalismus“ zugrunde legt, kann man hier von einem „heuristischen Rationalismus“ sprechen.137 Das Problem dieser Konstruktion liegt nicht darin, auch Phänomene, die sich der soziologischen Betrachtung entziehen, wie etwa scheinbar irrationales oder emotionales Verhalten, durch die Zuschreibung von Sinn operationalisierbar zu machen. Problematisch sind vielmehr der Anspruch auf Objektivität und die implizite Wertung einer Weltsicht gegenüber einer anderen, die sich dahinter verbergen. Im gleichen Maße, wie Weber davon ausgeht, dass der Mensch, der immer schon Kulturmensch ist, gar nicht anders kann, als der Welt Sinn zuzuweisen, geht er ebenso davon aus, dass der Mensch bei der Zuweisung von Sinn auch dem Gebot der Konsequenz unterworfen ist. Im Kontext der Zuordnung von Handlungen zu verschiedenen Rationalitäten, wie hier zweck-, wert- und richtigkeitsrational, bedeutet ,rational‘ nichts anderes als ,gerichtet auf‘. Es handelt sich also um die Gerichtetheit, die sich aus der oben erklärten Stellung zur Welt und damit aus den Sinnzuschreibungen ergibt. Rationalität in dieser einfachen, allgemeinen 134 135 136 137

Ders. (1988c): Über einige Kategorien, S. 429. Kippenberg (2003): Religiöse Gemeinschaften, S. 224. Weber (1988c): Über einige Kategorien, S. 433. Vgl. Schluchter (2003): Handlung, Ordnung und Kultur, S. 58 f.

42 2. Der Rationalismusbegriff als Schlüssel zu Max Webers Religionssoziologie Bedeutung heißt also die Orientierung einer Handlung hinsichtlich einer Konsequenz. Es ist für Weber eine Art urtümliche, natürliche Konstitution des Menschen: „Auch das Rationale im Sinne der logisch oder teleologischen ,Konsequenz‘ einer intellektuell-theoretischen oder praktisch-ethischen Stellungnahme hat nun einmal (und hatte von jeher) Gewalt über den Menschen […]. Gerade die der Absicht nach rationalen, von Intellektuellen geschaffenen, religiösen Weltdeutungen und Ethiken aber waren dem Gebot der Konsequenz stark ausgesetzt.“138 Nachdem die Zuschreibung von Sinn die Basis der Weber’schen Soziologie ist, wird in einem zweiten Schritt mit der ,Rationalität‘139 das Verhältnis zwischen den einzelnen Zuschreibungen als ,Gebot der Konsequenz‘ bestimmt. Wenn es sich also bei Kultur um die Zuschreibung von Sinn handelt, die dem Menschen als ursprünglichste Fähigkeit und angeborenes Bedürfnis mitgegeben ist, dann ist Religion eines ihrer vornehmsten Felder. Entsprechend finden wir bei Weber: „Dies Problem: die Erfahrung von der Irrationalität der Welt war ja die treibende Kraft aller Religionsentwicklung. Die indische Karmanlehre und der persische Dualismus, die Erbsünde, die Prädestination und der Deus absconditus sind alle aus dieser Erfahrung herausgewachsen.“140 An dieser Stelle zeigt sich, dass Sinn über die diesseitige Welt hinausdeutet, dass Sinn nicht nur die Empirie alleine betrifft, sondern ebenso all das, woran geglaubt wird – das, was Bedeutung in der Abwendung der Kontingenz der Welt trägt. Das Begriffspaar rational – irrational nimmt in der weiteren Argumentation der Arbeit noch eine zentrale Rolle ein, soll hier aber nur so kurz eingeführt werden, dass als ,irrational‘ das gilt, was sich dem obigem Gebot der Konsequenz entzieht. Etwas verkürzt lässt sich also sagen, dass mit der Kombination von Sinnzuschreibung und Rationalismus eine systematisierte Weltsicht geschaffen wird. Je weiter und konsequenter aber die Sinnzuschreibung systematisiert wurde, umso größere Probleme bereiten die Bereiche des Lebens, hier von Weber als Irrationalität bezeichnet, die sich nicht ein138 Weber (1988=1920 f): Zwischenbetrachtung, S. 537. 139 Weber hält die Begriffe des „Rationalen“, des „Rationalismus“ und der „Rationalität“ sowie ihre Grenzen zueinander im Vagen. Er definiert sie und ihr Verhältnis zueinander an keiner Stelle genauer. Offensichtlich ist für ihn „Rationalismus“ mehr als eine philosophische Denkschule ab dem 16. Jahrhundert. „Rationalismus“ wäre vielleicht am ehesten zu verstehen als die Wirkungsgeschichte der „Rationalität“, deren Wirken das „Rationale“ als Abstraktum zugrunde liegt. Vgl. hierzu auch Kapitel 3. 140 Weber (1992): Politik als Beruf, S. 241; zit. nach: Kippenberg (2001d): Religionsentwicklung, S. 77.

2.2. Der Rationalismus in der Religionsentwicklung

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fügen lassen. Dem oben genannten Argument über die Religion als vornehmste Sphäre der Kultur zufolge findet Weber systematisierte Sinnzuschreibung beispielhaft in der Theologie: „Alle Theologie ist intellektuelle Rationalisierung religiösen Heilsbesitzes. […] Für jede Theologie […] gilt die Voraussetzung: die Welt müsse einen Sinn haben, – und ihre Frage ist: wie muß man ihn deuten, damit dies denkmöglich ist?“141 2.2.2. Die Wirkweise der Rationalität in der Religion Religion ist dabei nicht nur passiv, indem sie Welt rezipiert und deutet, sondern sie stellt im Weiteren und als Konsequenz der Sinnzuschreibungen Werte und Dogmen auf, die in Gestalt von Geboten das Handeln der Gläubigen bestimmen sollen. Doch weder kann die endliche Zahl der Regeln alle möglichen Ereignisse und ihre Konsequenzen erfassen noch lässt sich das Problem lösen, dass der Sinn, der der Welt zugeschrieben wird, ihr selbst nicht innewohnt, dass folglich Geschehnisse als sinnlos erscheinen können. Dabei handelt es sich um ein prinzipielles Problem aller Systeme zur Deutung von Weltsinn, das in den unterschiedlichen Religionen sehr verschieden bearbeitet wird. So schreibt Weber: „Jede Religion, welche mit rationalen (ethischen) Forderungen der Welt gegenübertritt, gerät ja […] an irgendeinem Punkt mit deren Irrationalität in ein Spannungsverhältnis. Diese Spannungen setzen bei den einzelnen Religionen an sehr verschiedenen Punkten ein und darnach ist sowohl die Art wie der Stärkegrad der Spannung verschieden. Dies hängt in starkem Maße von der Art des durch metaphysische Verheißungen gegebenen Erlösungswegs der einzelnen Religion ab. Vor allem: der Grad der religiösen Entwertung der Welt ist dabei mit dem Grade ihrer praktischen Ablehnung nicht identisch.“142 Die von der Religion geforderte Sinnhaftigkeit der Welt findet, so führt Weber u. a. in seiner Zwischenbetrachtung aus, ihren zentralen Widerspruch im individuellen und gemeinschaftlichen Leiden, welches sich einer weltlichen Deutung entzieht. Die postulierte Sinnhaftigkeit der Welt steht im Konflikt mit der Kontingenz, dem Leiden und der Sünde, in dessen Konsequenz die Welt und mit ihr Kultur als vergänglich abgewertet wurden und die Religion als ewige eine Aufwertung erfuhr. Die 141 Weber (1988 f): Wissenschaft als Beruf, S. 610. 142 Ders. (1988=1920e): Konfuzianismus und Taoismus, S. 513 f.

44 2. Der Rationalismusbegriff als Schlüssel zu Max Webers Religionssoziologie logische Folge daraus ist der Erlösungsgedanke, wo sich die Polarität zwischen Welt und jenseitiger Erlösung durch Religion noch weiter verschärft.143 Für die christlich-jüdische Religionsgeschichte sieht Weber in diesen Prozessen zwischen Welt und Religion eine Form des Rationalismus am Werke, der seine Endform im Kapitalismus und dem „stahlharten Gehäuse“144 durchrationalisierter Lebensführung findet. Grundlage dieser Entwicklung ist ein Rationalismusverständnis, nach dem „das Weltgeschehen im ganzen und im einzelnen erkennbar, berechenbar und beherrschbar sei – nicht de facto, nicht in der Gegenwart oder in der absehbaren Zukunft und schon gar nicht durch alle Menschen, wohl aber ,im Prinzip‘.“145 Die Entwicklung der Dynamik zwischen der empirischen Welt und den ethischen Ansprüchen einer Theologie wird von den religiösen Spezialisten getragen und vorangetrieben. Begonnen hat diese Entwicklung, so Weber, mit der Ablösung der Magie durch prophetische Religion. Entgegen der Ansicht, dass Kapitalismus und Moderne aus der Renaissance und der Aufklärung entstanden seien, sieht Weber deren Ursprünge schon in der altjüdischen Prophetie angelegt. Mit der Lehre der Propheten wurde Leiden von einem aktuellen, singulären Problem, das auch durch eine aktuelle einzelne Handlung zu beheben war, zu einem festen Charakteristikum der Welt, dem man nur durch Verinnerlichung einer systematisierten Lebensführung entgegenwirken konnte. Die Ablösung der Magie durch die Etablierung ethisch-rationalisierter Verhaltensweisen als Lebensführung zur Überwindung des Leidens artikulierte sich gleichermaßen in Askese wie Mystik.146 Dabei befinden sich die prophetischen Religionen in einem eigentümlichen Zwiespalt. Durch ihre Systematisierung und Rationalisierung der Lebensführung befördern sie eine rationale Apologetik, die sich auch durch zunehmenden Intellektualismus auszeichnet. Dieser wiederum wirkt sich auch auf Denkbereiche jenseits des Religiösen aus, wodurch die Religion, deren ursprüngliches Anliegen die Rationalisierung war, Wissenschaft und Philosophie hervorbringt, welche dann wiederum die Religion selbst ins Irrationale verschieben. Vor allem durch diese ambi-

143 Vgl. u. a. ders. (1988=1920 f): Zwischenbetrachtung, S. 567. 144 Ders. (1988=1920c): Die protestantische Ethik, S. 203. 145 Weiß (2003): Das Eigenrecht der Religion, S. 308; zit. nach: Weber (1988 f): Wissenschaft als Beruf, S. 598. 146 Ders. (1988=1920 f): Zwischenbetrachtung, S. 540.

2.2. Der Rationalismus in der Religionsentwicklung

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valente Zwischenstellung bleibt Religion immer in einem Spannungsverhältnis zur Welt.147 Weber betont, dass, entgegen dem bisherigen Anschein, die Interessen der Erlösungsreligionen keineswegs nur jenseitig seien, sondern sehr wohl auch von diesseitigem Interesse: Gesundheit, langes Leben etc. Der diesseitige Nutzen religiös asketischer Virtuosen lag in einer habituellen Befriedigung, der Gewissheit jenseitsrelevante Handlungen vollzogen zu haben.148 Entsprechend interpretiert Pierre Bourdieu in Das religiçse Feld Webers Religionssoziologie so, dass es den Gläubigen nicht nur um eine Begründung und einen Ausweg aus Elend, Leiden und Tod gehe, sondern vor allem um eine Rechtfertigung für die je spezielle gesellschaftliche Position, für Privilegien und Ungerechtigkeiten. Bourdieu pointiert: „Die Theodizeen sind immer auch Soziodizeen.“149 So bestimmt ja auch Weber die Motivation aller Religion als gänzlich diesseitig mit dem Ziel „auf dass es Dir wohlergehe und Du lange lebest auf Erden“150. Neben den umfassenden Sinndeutungsansprüchen ist Religion ebenso auf diese Weise involviert und verwoben mit sämtlichen Bereichen des materiellen und geistigen Lebens. Die Sphäre des Religiösen tritt nicht isoliert vom restlichen Leben der Gläubigen auf. Die äußere, oft materielle Interessenlage und die systematisierte Lebensführung interagieren mit der ethischen Rationalisierung, während diese wiederum mit den religiösen Ideen und Heilsgütern interagiert, so dass letztlich alle drei in einem Wirkzusammenhang stehen (vgl. Schema s.u.). In den verschiedenen Religionen tritt dieser Komplex aus (materieller) Interessenlage der Gläubigen, den Heilsgütern und religiösen Werten als Sinnzuschreibung sowie der ethischen Rationalisierung der religiösen Gebote unterschiedlich auf.151

Rationalität und Rationalisierung einer religiösen Weltbetrachtung werden demnach, wie dargestellt, durch eine Vielzahl von Faktoren 147 148 149 150 151

Vgl. ders. (1988=1920d): Einleitung, S. 253 f. Vgl. ebd., S. 249 f. Bourdieu (2000): Das religiöse Feld, S. 70 f. Weber (2001): Religiöse Gemeinschaften, S. 121. Ders. (1988=1920d): Einleitung, S. 259 f.

46 2. Der Rationalismusbegriff als Schlüssel zu Max Webers Religionssoziologie bestimmt. Vorrangig sind aber die Interessen der sogenannten Trägerschichten einer Religion. Als Trägerschicht gelten dabei vorwiegend jene, die den Charakter einer Religion am nachhaltigsten bestimmen. Weber nennt hier vor allem Bauern, Krieger, Händler, Handwerker und Intellektuelle, die teils in einen mehr theoretischen, teils in einen praktischen Rationalismus drängten.152 So betrieben Intellektuelle und Gewerbetreibende beispielsweise eine eher theoretische, Krieger und Bauern eine eher praktisch orientierte Rationalisierung. Erst die Intellektuellen haben nach Weber aus religiösen Ideen rationalisierte Weltbilder mit einem „sinnvollen Kosmos“153 geformt. Ein Problem, das schon beim ersten Schritt aus der magischen Welt heraus, beim Auseinandertreten von mystischem Erleben und Beherrschung der Welt, auftrat, blieb allerdings weiterhin bestehen: Die Welt war und blieb irrational, zufällig, kontingent. So zeigt sich besonders an den Stätten, welche die am stärksten durchsystematisierten Systeme hervorbrachten, auch immer ein Rest des Irrationalen, der sich in Mystik, Kontemplation oder technischen Finessen zur Überdeckung des Irrationalen Bahn brach. Demgegenüber lag das Interesse praktisch handelnder Schichten wie ritterliche Krieger oder politische Beamte vor allem darin, das Monopol der institutionalisierten Form der Religion wie die ,Anstaltsgnade‘ gegen individuelle Heilssucher zu sichern. Was bei den Intellektuellen die Mystik als Kristallisation des Irrationalen war, war für Bauern die Magie, für Krieger das Schicksal, für Beamte (auch der Hierokratie) das Ritual.154 Weber entwirft eine regelrechte Systematik von Trägerschichten und Religion: „Will man die Schichten, welche Träger und Propagatoren der sog. Weltreligionen waren, schlagwörtlich zusammenfassen, so sind dies für den Konfuzianismus der weltordnende Bürokrat, für den Hinduismus der weltordnende Magier, für den Buddhismus der weltdurchwandernde Bettelmönch, für den Islam der weltunterwerfende Krieger, für das Judentum der wandernde Händler, für das Christentum aber der wandernde Handwerksbursche, sie alle nicht als Exponenten ihres Berufes oder materieller ,Klasseninteressen‘, sondern als ideologische Träger einer solchen Ethik oder Erlösungslehre, die sich besonders leicht mit ihrer sozialen Lage vermählte.“155

152 153 154 155

Ebd., S. 238 ff. Ebd., S. 253; ders. (2001): Religiöse Gemeinschaften, S. 273. Ders. (1988=1920d): Einleitung,S. 254 ff. Ders. (2001): Religiöse Gemeinschaften, S. 282 f.

2.2. Der Rationalismus in der Religionsentwicklung

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Die für Weber in seiner Analyse des Sonderweges der okzidentalen Moderne bestimmende Erlösungsreligion scheint, so Weber in der Einleitung, weltweit am ehesten von den „im westeuropäischen Sinne bürgerlichen Schichten und was diesen entsprach: Handwerker, Händler, hausindustrielle Unternehmer“156 getragen worden zu sein.157 Diese hatten nach Weber die stärkste Tendenz zur systematisierten Lebensführung. Die Prophetie bot die Voraussetzungen, nach denen sich eine ethische Lebensreglementierung gegen den Traditionalismus durchsetzen konnte. Weber gibt an keiner Stelle ökonomischen Bedingungen und materiellen wie ideellen Interessen den Vorrang gegenüber religiösen Vorstellungen. Im Gegenteil, er sieht sie auf das Engste miteinander verquickt und der gleichen Rationalisierung unterworfen wie auch in ihren jeweiligen Rationalismen sich gegenseitig begünstigend. Während Interessen unmittelbar das Handeln bestimmen, wirken die religiösen Ideen als Weichensteller, auf denen sich die Dynamik der Interessen fortbewegt.158 Rationalisierungen lassen sich in allen Kulturen in den unterschiedlichen Lebensbereichen nachweisen. Immer aber ist zur Entwicklung von rationaler Technik, rationalem Recht und ökonomischem Rationalismus eine bestimmte Art der praktisch-rationalen Lebensführung notwendig,159 wie sie vor allem durch religiöse Vorstellungen, dem ,wovon‘ und ,wozu‘ man erlöst werden wollte,160 hervorgebracht wird. Rationalisierung durchdringt so das gesamte Gemeinschaftshandeln und begünstigt die gesellschaftliche Entwicklung. Der ,entzauberte Kosmos‘ ist also nicht das Werk areligiöser Wissenschaftler und religionskritischer Philosophen, sondern Folge einer Rationalisierung, die sich ausgehend von der Ablösung der Magie durch die Prophetie in einer dialektischen Beziehung zwischen Religion und Welt immer weiter fortgesetzt hat. Wie Weber in seiner Vorbemerkung schreibt, gibt es viele rationalisierbare Sphären, die sich in eine Vielzahl von Richtungen rationalisieren lassen. „Charakteristisch für deren kulturgeschichtlichen Unterschied ist erst: welche Sphären und in welche Richtung sie ra156 157 158 159 160

Ders. (1988=1920d): Einleitung, S. 256 f. Vgl. ders. (2001): Religiöse Gemeinschaften, S. 237 f. Ders. (1988=1920d): Einleitung, S. 252. Ders. (1988=1920b): Vorbemerkung, S. 12 f. Ders. (1988=1920d): Einleitung, S. 252.

48 2. Der Rationalismusbegriff als Schlüssel zu Max Webers Religionssoziologie tionalisiert wurden.“161 Die okzidentale Moderne nimmt dann in diesem allgemeinen Modell des Rationalismus einen besonderen Platz ein: Denn die ganze okzidentale Kultur ist von einem spezifischen Rationalismus durchdrungen.162

2.2.3. Begriffliche Ambivalenzen einer ,Entwicklungsrichtung von universeller Bedeutung‘163 Während die oben entworfene Darstellung zu Ursache und Wirkung des Rationalismus in Webers Religionssoziologie sich möglichst um Kohärenz und Konsistenz bemüht, hat sich Weber einer Definition zentraler Begriffe seines Schaffens stets verweigert. Eindeutige Begriffsbestimmungen, wie wir sie in seinem Aufsatz Grundbegriffe der Soziologie oder im Kategorienaufsatz zum Gemeinschaftshandeln,164 zu Anstalt und Verband,165 aber auch zur Soziologie166 vorfinden, fehlen sowohl für den Rationalismus als auch für die Religion. Im Gegenteil schreibt Weber als ersten Satz seiner Religiçsen Gemeinschaften zu seinem Verständnis von Religion: „Eine Definition dessen, was Religion ,ist‘, kann unmöglich an der Spitze, sondern könnte allenfalls am Schlusse einer Erörterung wie der nachfolgenden stehen.“167 Und zum Rationalismus in seinen anderen Schriften: „Nur kann unter diesem Wort [Rationalismus; M. W.] höchst Verschiedenes verstanden werden.“168 „Denn es ist hier vorweg noch einmal daran zu erinnern: daß ,Rationalismus‘ etwas sehr Verschiedenes bedeuten kann.“169 Die Kombination dieser beiden hochgradig diffusen Begriffe: ,Rationalismus‘ und ,Religion‘, ist für Weber dennoch der Ausgangspunkt seiner 1920 veröffentlichen Aufsätze zur Religionssoziologie, wenn er fragt: „[W]elche Verkettung von Umständen hat dazu geführt, daß gerade 161 Ders. (1988=1920b): Vorbemerkung, S. 12 f. 162 Vgl. Schluchter (1991a): Religion und Lebensführung, Bd. 1, S. 102 f. 163 In Anlehnung an: Weber (1988=1920b): Vorbemerkung, S. 1 u. Schluchter (1998) über die „ethische Religion“ in: Die Entstehung des modernen Rationalismus, S. 157, Fn. 150. 164 Weber (1988c): Über einige Kategorien, S. 441. 165 Ebd., S. 465 f. 166 Ebd., S. 542. 167 Ders. (2001): Religiöse Gemeinschaften, S. 121. 168 Ders. (1988=1920b): Vorbemerkung, S. 11. 169 Ders. (1988=1920d): Einleitung, S. 265.

2.2. Der Rationalismus in der Religionsentwicklung

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auf dem Boden des Okzidents, und nur hier, Kulturerscheinungen auftraten, welche doch – wie wenigstens wir uns gern vorstellen – in einer Entwicklungsrichtung von universeller Bedeutung und Gültigkeit lagen?“170 Die Auseinanderstzung mit dieser Fragestellung wird auch weiter der Leitfaden der vorliegenden Arbeit bleiben. Während im ersten Kapitel der universalistische Anspruch kritisch beleuchtet wurde, soll das Augenmerk nun auf die Entwicklungsrichtung gelegt werden. Hintergrund von Max Webers universalgeschichtlichem Religionsvergleich ist die Programmatik einer Entwicklungsgeschichte der Religionen, mehr noch: die einer Entwicklungsrichtung. Kippenberg führt neben anderen Einflüssen auf Webers Religionsverständnis aus, wie Weber die Entwicklungtheorie von Hermann Siebeck übernommen hat.171 Siebeck entwickelte ein Drei-Stufen-Modell der Religionen, bei dem die vorhergehenden Natur- und Moralitätsreligionen in die prophetischen Erlösungsreligionen münden. Charakteristisch für diese Endstufe der Religionsentwicklung war, dass sie sich gegenüber den vorherigen Stufen durch Weltverneinung auszeichneten. Die beiden Begriffe ,Weltflucht‘ und ,Weltüberwindung‘, die Weber ebenfalls von Siebeck übernommen hat, waren für ihn die zentralen Merkmale der beiden Entwicklungsrichtungen der Prophetie: Mystik und Askese. Seiner Meinung nach war Mystik vor allem in den asiatischen Religionen in einem hohen Maß entwickelt, während die Askese mit ihrem Doppelgesicht der innerweltlichen Askese mit Jenseitsorientierung für das Christentum typisch sei.172 Weber bleibt bei der Verknüpfung von Religionstypen mit historischen Formationen erstaunlicherweise hinter dem Stand seiner Zeit zurück. So war es Ernst Troeltsch wie auch Friedrich Max Müller bereits bewusst, dass es sich bei Religion als Gegenstand der Wissenschaft um ein Konstrukt handelt.173 Die hier beschriebene, unzulässige Verknüpfung von Klassifizierung und Darstellung der Geschichte bleibt ein bei Weber bestehendes Problem, das sich im Spannungsfeld von ,Sinn-‘ und ,Stoffhuberei‘ (vgl. Kap. 1.1.) auch mit dem Werkzeug des Idealtypen nicht hat lösen lassen. Selbst Wolfgang Schluchter, der Weber-Exeget, der sonst die Ausführungen Webers widerspruchsfrei zu systematisieren und in Tabellen zu fassen vermag, muss bei seiner Lektüre von Webers Interpretation der 170 171 172 173

Ders. (1988=1920b): Vorbemerkung, S. 1. Kippenberg (2001d): Religionsentwicklung, S. 94 ff. Ebd., S. 98. Ebd., S. 78 ff.

50 2. Der Rationalismusbegriff als Schlüssel zu Max Webers Religionssoziologie ,ethischen Religion‘ in der Zwischenbetrachtung passen und „schwerwiegende begriffliche Ambivalenzen“174 des Begriffs bei dessen Verhältnis zu ,Magie‘ und ,Gedankenreligion‘ konstatieren. Auch die Gewichtung von historischen und definitorischen Gesichtspunkten in der Zwischenbetrachtung bereitet Schluchter Schwierigkeiten, so dass er sich dort eine schärfere Trennung wünscht. Auch hält er die, wie oben dargestellt, von Siebeck übernommenen systematischen Verknüpfungen von Askese und Kontemplation mit Handeln und Mystik für unglücklich.175 Mit Webers Begriff der ,Erlösungsreligion‘ verhält es sich ähnlich. Der bereits ungeklärte Begriff der ,Religion‘ wird ergänzt durch den weiten Begriff der ,Erlösung‘, den Weber lediglich als eine Kasuistik des ,wovon‘ und ,wozu‘ sowie des ,wie‘ der Erlösung umschreibt.176 „Das Kompositum ,Erlösungsreligion‘ setzt sich also zunächst aus zwei von Weber absichtlich offen gehaltenen Begriffen zusammen.“177 In der Religionswissenschaft zur Wende des 19./20. Jahrhunderts nahm die Erlösungsreligion bei den Zeitgenossen Webers den in der Stufenfolge der Religionen höchsten Platz ein. Weber, der eigentlich persönliche Wertungen in sozialwissenschaftlichen Studien ablehnte, übernahm diese implizite Ordnung und mit ihr die ihr zugrunde liegende Trennung der dies- und der jenseitigen Welt sowie die Ablehnung der Weltlichkeit und die Orientierung auf das Jenseits durch ,Weltüberwindung‘ bzw. ,Weltflucht‘. In Religiçse Gemeinschaften § 9 „Erlösung und Wiedergeburt“ und § 10 „Erlösungswege und ihr Einfluß auf die Lebensführung“ exemplifiziert Weber seine Vorstellungen sowohl aus theoretischer als auch aus historischer Perspektive, ebenso in der Einleitung, wo er Erlösungsreligion mit Jenseitsorientierung und Systematisierung bzw. Ethisierung der Lebensführung verbindet.178 In der Zwischenbetrachtung stellt er dar, wie die Erlösungsreligion als Grundlage für eine systematisierte Lebensführung innerhalb der weiteren Formen der Religiosität (Erlösungsprophetie, Virtuosentum, Brüderlichkeitsethik etc.) dient, die mit den innerweltlichen Ordnungen (Kunst, Politik, Wirtschaft u. Wissenschaft) in vielfältigen Konflikt treten.179 Die Punkte, in denen die Welt dabei mit re174 Schluchter (1998): Die Entstehung des modernen Rationalismus, S. 157, Fn. 150. 175 Vgl. ders. (1991b): Religion und Lebensführung, Bd. 2 Lebensführung, S. 94 f. 176 Weber (1988=1920d): Einleitung, S. 252 u. ders. (1988=1921c): Hinduismus und Buddhismus, S. 220. 177 Hanke (2001): Erlösungsreligionen, S. 211. 178 Weber (1988=1920d): Einleitung, S. 241 – 251. 179 Ders. (1988=1920 f): Zwischenbetrachtung, S. 541 ff.

2.2. Der Rationalismus in der Religionsentwicklung

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ligiösen Postulaten in Konflikt gerät, verweisen stets auf den Kern ihrer Erlösungslehre. Die Grenzen der Definitionen – auch mit verwandten Religions- und Prophetiebegriffen – sind in sämtlichen Texten stets fließend. In Webers stärker theorieorientierten Ausführungen, sei es Religiçse Gemeinschaften, Einleitung oder Zwischenbetrachtung, drängt sich aber bei den abstrakt-systematischen Ausführungen immer wieder der Eindruck auf, er habe bestimmte Teile der Religionsgeschichte im Hinterkopf, die ihm die Richtung seiner Systematik vorgaben. Dieses Problems war sich Weber sicherlich bewusst, wenn er auch keine Lösung wusste oder suchte. Gleich einer Entschuldigung schrieb er über die historisch-empirischen Religionen in seiner Einleitung: „Die ,Konsequenz‘ war hier die Ausnahme, und nicht die Regel.“180 Für die religionssoziologischen Studien Webers müssen wir also sowohl schwerwiegende Ambivalenzen auf der terminologischen Ebene, eine problematische Attribuierung und Systematisierung der ihnen zugeordneten Phänomene als auch eine Diskrepanz zwischen der theoretischen Systematisierung und der historischen Erscheinung von Religion feststellen. Die Grundannahmen von Webers Soziologie, dass der Handlung Sinn zuschreibbar und diese Sinnzuschreibung umgekehrt aus Blickwinkel des Betrachters durch den Akteur bereits geschehen sein muss, damit sie Gegenstand einer soziologischen Betrachtung werden kann, geht von dem gleichen Standpunkt aus, wie die Annahme der der Sonderrolle der okzidentalen Moderne zugrundeliegenden Entwicklungsidee hin zum Protestantismus und darüber hinaus: nämlich einer Position übergeordneten, objektiven Verstehens. Ohne also explizite Wertungen aussprechen zu müssen, basieren Webers Arbeiten auf einer Methodik, das vorherige Verstehen des Gegenstandes vorauszusetzen und so das Ergebnis der Untersuchung zu präfigurieren. Gelegt hatte Weber diesen geistigen Eckstein in der Zeit um 1911, nachdem er seine erste Protestantismus-Studie mit dem Antikritischen Schlusswort endgültig abgeschlossen und in der Studie zur Musiksoziologie die Omnipräsenz eines spezifischen Rationalismus im Okzident festgestellt hatte.181 Stets bleibt ihm der Rationalismus des Bürgertums, wie er ihn in der Protestantismus entdeckt hat, Bezugspunkt und Maß der Dinge. So charakterisiert er im ersten Drittel der Protestantismus-Studie seinen Idealtypen des jungen Kapitalisten, der die traditionalistische 180 Ders. (1988=1920d): Einleitung,S. 264. 181 Vgl. dazu Kapitel 2.2.1.

52 2. Der Rationalismusbegriff als Schlüssel zu Max Webers Religionssoziologie Wirtschaftsweise durchbricht: „in harter Lebensschule aufgewachsen, wägend und wagend zugleich, vor allem aber nüchtern und stetig, scharf und völlig der Sache hingegeben[ ] […] mit streng bürgerlichen Anschauungen und ,Grundsätzen‘.“182 In der Einleitung der Wirtschaftsethik der Weltreligionen nennt er das Kriterium für die Klassifikation der bürgerlichen Schicht in Abgrenzung zu den Bauern und Kriegern: „Gemeinsam und durch die Natur ihrer von der ökonomischen Naturgebundenheit stärker losgelösten Lebensführung bedingt war ihnen ja die Tendenz zum praktischen Rationalismus der Lebensführung. Auf technischer und ökonomischer Berechnung und Beherrschung von Natur und Mensch – mit wie primitiven Mitteln auch immer – ruhte ihre ganze Existenz. […] Aber immer bestand, wenn auch in sehr verschiedenem Maße, gerade bei ihr die Möglichkeit, an die Tendenz zum technischen und ökonomischen Rationalismus anknüpfend eine ethisch rationale Lebensreglementierung entstehen zu lassen.“183 Dieses Bürgertum sei nun mit seiner Form des Rationalismus Träger einer breiten Palette von Religiosität, verteilt über den ganzen Globus. „Die sakramentale Anstaltsgnade der römischen Kirche in den mittelalterlichen Städten, […] die mystagogische Sakramentsgnade in den antiken Städten und in Indien, die orgiastische und kontemplative Sufi- und DerwischReligiosität des vorderasiatischen Orients, die taoistische Magie, die buddhistische Kontemplation und die ritualistische Gnadenaneignung unter der Seelendirektion von Mystagogen in Asien, alle Formen der Heilandsliebe und des Erlöserglaubens vom Krischna- bis zum Christuskult in der ganzen Welt, der rationale Gesetzesritualismus und die von aller Magie entblößte Synagogenpredigt der Juden, die pneumatischen antiken und die asketischen mittelalterlichen Sekten, die Prädestinationsgnade und ethische Wiedergeburt der Puritaner und Methodisten und alle Arten individueller Heilssuche“184 – sie alle wurzeln vor allem in der bürgerlichen Schicht bzw. in dem, was Weber als bürgerliche Schicht definieren zu müssen glaubt, damit ihm seine spezifische Form des Rationalismus nicht abhandenkommt. Es ist offensichtlich, dass in dieser extrem bunten Vielfalt an Religiositäten für die Spezifität des Bürgertums, in geradezu konträrer Weise zum extrem abstrakten Merkmal des Rationalismus, nichts gewonnen werden kann. So erfährt das Modell der sozialen Schichten eine weitere Spezifikation von Weber durch das 182 Weber (1988=1920c): Die protestantische Ethik, S. 53 f. 183 Ders. (1988=1920d): Einleitung, S. 256 f. 184 Ebd., S. 256.

2.2. Der Rationalismus in der Religionsentwicklung

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Auftreten verschiedener Arten von Prophetien,185 um im weiteren Verlauf über die Vorbildfunktion der religiösen Virtuosen186 eine Lebensführung der innerweltlichen Askese187 zu etablieren. So gelangt Weber wieder zu seinem eigentlichen Bezugspunkt: dem ökonomischen Rationalismus, „der den Okzident […] seit dem 16. und 17. Jahrhundert zu beherrschen begann“188. Hier zeigt sich deutlich, welches Reisegepäck sich der Nationalökonom Weber als Wegzehrung auf seiner Reise zum Universalhistoriker eingepackt hat. Nachdem er seinen Ausgang von verschiedenen Möglichkeiten mit dem Leiden in der Welt umzugehen genommen hat, kehrt er über einen weiten Bogen wieder zurück zu seinem zentralen Schlüsselmoment der Protestantismus-Studie.189 Georg Stauth stellt daher völlig zu Recht fest: „Gegen Nietzsche […] setzt Weber den im Christentum angelegten Zusammenhang zwischen dem Grad der religiösen Entwertung und dem Grad der praktischen Ablehnung der Welt für alle Religionen absolut: er mißt sie an diesen im Christentum angelegten Mechanismen.“190 Weber ging es aber, wie oben angeführt, nicht nur um einen Religionsvergleich, sondern vor allem um die Untersuchung einer „Entwicklungsrichtung von universeller Bedeutung“191. Der Rationalismus und der ,Geist‘ als sein Träger wirken so als movens, als Motoren des Fortschritts, die letztlich nur ein Ziel haben können.192 Der Rationalisierungsprozess dringt als Triebfeder von Entwicklung in das Gemeinschaftshandeln ein, weshalb es auch insbesondere die religiösen Gemeinschaften sind, die letztlich die Entzauberung der Welt betrieben haben.193 Nicht nur Weber, sondern die gesamte Religionswissenschaft 185 186 187 188 189

190 191 192 193

Ebd., S. 257 – 259. Ebd., S. 259 – 262. Ebd., S. 262 – 264. Ebd., S. 265. Die Argumentation Schluchters über die Konzeption von Einleitung und Zwischenbetrachtung und ihr Verhältnis zueinander sind nicht überzeugend (ders. [1991b]: Religion und Lebensführung, Bd. 2, S. 90ff). In Anbetracht der Einschränkungen und Einfügungen (wie z. B. größere oder geringere Nähe zu Religiçse Gemeinschaften), die er vornehmen muss, reflektieren diese eher Schluchters als Webers Systematik. Da der hier behandelte Punkt bei ihm keine Rolle zu spielen scheint, ist die weitere Auswertung seiner Ausführungen hier nicht von Interesse. Stauth (1993): Islam und westlicher Rationalismus, S. 159. Weber (1988=1920b): Vorbemerkung, S. 1, Hvh. M. W. Vgl. Weber (1988=1920c): Die protestantische Ethik, S. 52 f u. 60 ff. Vgl. Kippenberg (2003): Religiöse Gemeinschaften, S. 222.

54 2. Der Rationalismusbegriff als Schlüssel zu Max Webers Religionssoziologie seiner Zeit atmete den Geist des Entwicklungsgedankens in den Religionen.194 Ihre geistigen Väter und Richtungsgeber waren Immanuel Kant und vor allem Georg Friedrich Wilhelm Hegel, der das Spannungsverhältnis von ,Denken‘ und ,Sein‘, die Erfahrung von der Irrationalität und dem Leiden in der Welt als immer schon historisch vermittelt bestimmte. Weber wollte Entwicklung ebenso nicht im Sinne eines Fortschritts, sondern als „Erkenntnis der zunehmend verschiedenen Möglichkeiten der Sinngebung sozialen Handelns“195 verstanden wissen. Doch ist es bemerkenswert, dass ausgerechnet der geistige Vorfahr Hegel in seiner Philosophie die Geschichte Europas und die okzidentale Kultur an die Spitze der Entwicklung gesetzt und den nicht-europäischen, nichtchristlichen Kulturen Unreife und den Status der Kindheit zugeschrieben hat.196

2.3. Die Zwischenbetrachtung: „Ein Beitrag zur Typologie und Soziologie des Rationalismus selbst“? Joachim Radkau beschreibt die Zwischenbetrachtung 197 euphorisch als „ein Dokument der Erleuchtung, wo eine Vielfalt von Ideen zu einer gedrängten Gedankenfülle zusammenschießt – ein Text, der bei einmaliger Lektüre gar nicht ganz zu begreifen ist, den man vielmehr ein halbes Dutzend mal lesen kann und immer noch Neues entdeckt. Kaum irgendwo anders versteht man besser Webers Not, die auf ihn einstürmenden Ideen ordentlich aneinanderzureihen: nicht nur als chiffriertes erotisches Bekenntnis, sondern auch als Kaleidoskop von Geistesblitzen ist die Zwischenbetrachtung ein Kernstück von Webers Werk.“198 Wovon handelt nun dieses ,Dokument der Erleuchtung‘? Die Zwischenbetrachtung soll, so Weber, als Orientierungsmittel für Lebensordnungen dienen. In ihrer Struktur zeigt sich die Zwischenbetrachtung als ein Text mit einem thematisch weit gespannten Bogen, wo sich Beispiele aus der Religionsgeschichte und systematische Überlegungen aneinanderreihen. Aus religiösen Weltdeutungen sollen religiös motivierte Verhal194 195 196 197

Vgl. ders. (2001d): Religionsentwicklung, S. 95 u. 98 f. Ebd., S. 99. Dussel (1993): Eurocentrism and Modernity, S. 68 ff. Ebenso publiziert in: Weber (1989): Die Wirtschaftsethik der Weltreligionen, S. 479 – 522. 198 Radkau (2005): Max Weber. Die Leidenschaft des Denkens, S. 597 f.

2.3. Die Zwischenbetrachtung

55

tensweisen abgeleitet und deren schwieriges Verhältnis zu weltlichen Sphären untersucht werden. Dieses Spannungsverhältnis schließlich mündet in eine Systematik der Erlösungsreligionen. Das bekannte Thema von Webers Verbundenheit mit der okzidentalen Moderne auf der einen Seite und seinem Interesse an einer allgemeinen Religionssystematik auf der anderen taucht auch in der Zwischenbetrachtung in verschiedenen Gestalten auf. Die Zwischenbetrachtung lässt sich inhaltlich in drei Abschnitte gliedern. Im ersten Abschnitt199 betrachtet Weber das für die Entstehung von religiöser Ethik grundlegende Verhältnis von Askese und Mystik hinsichtlich des jeweiligen Gottesbildes.200 Entgegen Webers weiterführenden Interessen ist der empirische Befund hier jedoch nicht ausreichend für eine eindeutige Verknüpfung von Christentum und Askese. Daher schließt er eine kurze, recht abstrakte Gegenüberstellung von Askese und Mystik bezüglich deren Einstellungen gegenüber der Welt an.201 Weitere Differenzierungen will Weber sich aber für die Einzelstudien der Wirtschaftsethik der Weltreligionen aufheben. – Schon in diesem frühen Abschnitt der Zwischenbetrachtung will der Autor das christliche Gottesbild mit Askese verknüpfen, kommt pikanterweise aber zu dem Ergebnis, dass typischerweise eher der überweltliche Schöpfergott, der eben nicht dem dreieinigen Gott des Christentums entspricht, mit Askese verknüpft ist. Umgekehrt haben Religionen mit überweltlichem Schöpfergott wie Judentum oder Islam eher Mystik als Askese hervorgebracht. Webers Systematik geht also nicht so auf, wie zunächst erhofft. Die von Weber beabsichtigte Verknüpfung der Genese von Askese mit dem Christentum stellt ihn vor ein ernsthaftes Problem. Um dieses zu beheben, relativiert er die Rolle des Gottesbildes und entwirft dagegen seine knappe Systematik von Askese und Mystik so, dass durch die Attribuierung der Askese, diese doch wieder dem Christentum nahe steht. „Weber will ja seine Typologie so fassen, daß Variationen zwischen Gotteskonzeptionen und Erlösungswegen möglich bleiben. Genau dies aber scheint bei der Wahl des Ausgangspunktes verbaut. Die Askese von der hier gesprochen wird, ist die christliche Askese, die Werkzeugkonzeption wird an die christliche Gotteskonzeption gekoppelt. Damit geht eine zwar historisch wichtige, aber keineswegs unbedingte Zusammengehörigkeit in die Definition von 199 Weber (1988=1920 f): Zwischenbetrachtung, S. 536 – 541. 200 Ebd., S. 538. 201 Ebd., S. 538 – 540.

56 2. Der Rationalismusbegriff als Schlüssel zu Max Webers Religionssoziologie Askese ein.“202 Man muss sich an dieser Stelle fragen, ob Weber gewillt war, seine Systematik einer polarisierenden Darstellung von Askese und Mystik sehenden Auges so zu entwerfen, dass er damit zwar das Christentum mit der für seine Systematik relevanten Askese verknüpfen konnte, dafür aber Askese und Mystik extrem einseitig und verengend darstellen musste. Hat er die Konsequenzen nicht gesehen, wollte er sie in Kauf nehmen oder hat ihn sein Erkenntnisinteresse und die okzidentale Moderne so eingenommen, dass er ihnen alles unterordnend gar kein Problem sah? Auch der zweite Abschnitt203 der Zwischenbetrachtung, der den „Spannungsverhältnissen zwischen Welt und Religion im Einzelnen“204 gewidmet ist, birgt einige Schwierigkeiten. Die Sphären, deren Spannungsverhältnis zur Religion er betrachten will, decken das gesamte Spektrum des Lebens ab, kein Bereich bleibt unbeachtet. Weber beginnt zunächst ganz allgemein mit der diesseitigen Welt, der Familie und dem sozialen Umfeld, um sich dann in die Ökonomie, Politik und Staat, Kunst, die geschlechtliche Liebe und schließlich in die wissenschaftliche Erkenntnis zu vertiefen. Bei sämtlichen Sphären treten unüberbrückbare Konflikte mit den Forderungen des Religiösen auf, wobei gilt, dass die Konflikte umso schärfer werden, je konsequenter die jeweiligen Forderungen formuliert werden. „Und zwar pflegte […] je mehr diese ihrerseits nach ihren Eigengesetzlichkeiten rationalisiert und sublimiert wurden, desto unversöhnlicher dieser Zwiespalt sich geltend zu machen.“205 Als initiales Beispiel für die radikale Form der Brüderlichkeitsethik, die nach Weber die Konsequenz von ethisierter Erlösungsreligion ist, kann das Weber’sche Gebot gelten, die Sippenbande zugunsten der religiösen Gemeinschaft aufzulösen. „Wer seinen Hausgenossen, Vater und Mutter, nicht Feind sein kann, der kann kein Jesus-Jünger sein“,206 schreibt er und nimmt damit wieder das Christentum als Paradebeispiel von ethisierter Erlösungsprophetie. Während die erlösungsreligiöse Brüderlichkeitsethik universal und voraussetzungslos sei, basiere die Ethik des Nachbarschaftsverbands erstens auf einem Dualismus von Binnen- und Außenmoral und zweitens in der Binnenmoral auf einem strengen Reziprozi202 203 204 205 206

Schluchter (1991b): Religion und Lebensführung, Bd. 2:, S. 94. Weber (1988=1920 f): Zwischenbetrachtung, S. 541 – 567. Ebd., S. 540. Ebd., S. 544. Ebd., S. 542.

2.3. Die Zwischenbetrachtung

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tätsprinzip. Äquivalent verhält es sich auch mit den anderen behandelten Sphären in Relation zu den Forderungen der Erlösungsprophetie; der Konflikt ist offenkundig. Stets sind die Spannungen fundamental und letztlich unüberwindlich. Weber bedient sich bei seinen konkreteren Beispielen, sei es für die Sphäre der Ökonomie oder die der Erotik, ausschließlich aus dem Schatz der christlich-abendländischen Geschichte: Das Jesus-Wort und der Sippenverband, christliche Klöster und rationale Wirtschaft, die mittelalterliche Minne sowie das katholische Sakrament der Ehe und die Erotik, schließlich der Protestantismus und die rationalen Wissenschaften. So lässt er diesen Abschnitt der Zwischenbetrachtung immer dort, wo er mit historischen Ausführungen konkret wird, sich zu einer Kasuistik der Konfliktfelder von christlicher Ethik und weltlichen Geboten entwickeln. Eingeschoben zwischen die Kasuistik der Sphären befindet sich ein Exkurs über die Rolle des Einzelnen und sein Verhältnis zur Gesellschaft. Die zuvor dargestellten Konflikte treten, da sie alle Bereiche des Lebens betreffen, in unzähligen Gestalten auf. Hier nun entfaltet Weber die Unterscheidung von Virtuosen- und Laiengläubigen und deren jeweilige Lösungen und Kompromisse.207 So werden die Widersprüche für verschiedene Arten von Gläubigen unterschiedlich gelöst. Nur für den religiösen Virtuosen, der sich der Religion verschrieben hat, gilt dabei, dass er sich konsequent zugunsten der Religion entscheiden kann. Alle anderen Gläubigen, die weder persönlich noch aufgrund ihrer sozialen Stellung die Möglichkeit zu so radikalen Lösungen haben und dennoch dem Gebot der Religion unterstellt sind, müssen einen Mittelweg finden. Dieser mündet nach Weber zumeist in eine Form der „organischen Sozialethik“, die eine „Relativierung der religiösen Heilswerte und ihrer ethisch rationalen Eigengesetzlichkeit“208 bedeutet. Ihr Ziel ist die Erlösung aller in der Verwirklichung der Welt als bestmöglichen Lebensort jeglicher Orte. Mit ihrem Ziel, auf moderate Weise sowohl das Leid als auch das Heil einzelner Menschen auf die Schultern aller zu verteilen, ist diese Ethik das genaue Gegenteil der indischen Karmalehre, in der allein individuelle Handlungen für das individuelle Weh und Wohl verantwortlich sind. Unvermittelt greift Weber hier eine weitere systematische Überlegung auf und schiebt eine kurze Reflektion über verschiedene Haltungen zu Religion und Welt und darüber ein, wie deren jeweiligen 207 Ebd., S. 551 f. 208 Ebd., S. 551.

58 2. Der Rationalismusbegriff als Schlüssel zu Max Webers Religionssoziologie Potenziale gesellschaftlich gestaltend wirksam werden können.209 Ausgehend von der idealtypischen Differenzierung von Gesinnungs- und Verantwortungsethik sowie deren konsequenten Einstellungen zur Welt als diesseitig erfolgsorientiert oder jenseitig eigenwertorientiert stellt Weber hier die Frage, welches soziale Potenzial die verschiedenen Haltungen zu den konkurrierenden Sphären bergen. Während er die organische Sozialethik als extrem konservativ beurteilt, birgt die Virtuosenreligiosität den Keim der Revolution: entweder als Durchsetzung des göttlichen Naturrechts, wie prototypisch in den Revolutionen des Puritanismus oder in der radikalen Mystik als zum Irrationalen tendierende Gottesbesessenheit. Die Figuren der Virtuosenrevolution könnten unterschiedlicher nicht sein: hier die innerweltliche Askese des Puritanismus, dort die endzeitliche Erwartung des irrationalen Mystikers. Damit endet der Exkurs und Weber kehrt zurück zur Darstellung der Konfliktfelder zwischen den Sphären. – Die Unvermitteltheit und Knappheit der Aussage in diesem kurzen Einschub sind ebenso erstaunlich wie erhellend. Während es zunächst keinen direkten Anlass für diese Ausführungen und auch im Text davor und danach keinen Bezug gibt, werden die Rollen des Asketen und des Irrationalen mit Blick auf Webers Intention einer Systematik der Erlösungsprophetien vom Beginn der Zwischenbetrachtung an deutlich. In der Vorstellung der Virtuosenreligiosität greift er die Verbindung von Puritanismus und Askese zur Umgestaltung der Welt wieder auf, während die Mystik als Gegenpol zur Askese hinsichtlich ihrer sozialen Gestaltungskraft nur in Irrationalität und Anomismus abgleiten kann. Die traditionelle, konservative organische Sozialethik steht beiden hinsichtlich ihres sozialen Umwälzungspotenzials nach. Obwohl sie als rationaler Kompromiss aus den Konflikten der Sphären abgeleitet wurde, trägt sie den Makel der Tradition, die Weber an anderer Stelle210 als Gegenspieler der innerweltlichen Askese, den entscheidenden Grundzug des Protestantismus, aufgedeckt hat. Der Unterschied zwischen Laien- und Virtuosenethik scheint dabei zu schwinden. In der Art und Weise, wie dieser zweite Abschnitt, der auch der längste der Zwischenbetrachtung ist, die Konflikte zwischen den Sphären und die Entwicklung von Kompromissen unter dem Vorzeichen des Rationalismus als Orientierung hin zur Konsequenz beschreibt, stellt er eindeutig einen Beitrag zur Typologie und Soziologie des Rationalismus 209 Ebd., S. 552 ff. 210 Ders. (1988=1920c): Die protestantische Ethik, S. 52 ff.

2.3. Die Zwischenbetrachtung

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dar und zwar von systematischer Seite aus betrachtet, in einer allgemeinen und unvoreingenommenen Weise, wenn auch bei den Beispielen ein Schwerpunkt auf dem Christentum liegt. In dem kurzen Exkurs zur sozialen Gestaltungskraft treten dann aber die vom Anfang der Zwischenbetrachtungen bekannten Irritationen über das Verhältnis von Gottesbild und Askese wieder auf. Unvermittelt und ohne den Wechsel zu erklären folgt die Passage, die sich wieder streng an Webers eigentlichem Interesse, dem okzidentalen Sonderweg, orientiert. Weber scheint sich nicht recht entscheiden zu können, ob er eine allgemein sachlich systematische Darstellung oder den Beleg für den okzidentalen Sonderweg verfolgen soll. Die Unvermitteltheit der Passagen zueinander zeigen deutlich, dass sich die Entwicklung des okzidentalen Rationalismus nicht bruchlos aus einer allgemeinen Entwicklungsrichtung der Religionsgeschichte ableiten lässt. Im dritten Abschnitt schließlich wird die Spannung zwischen der religiösen und den weltlichen Sphären von den Details auf eine abstraktere Ebene gehoben und in einen größeren Zusammenhang gestellt.211 Das prinzipielle Verhältnis von Welt, Jenseits und Erlösung tritt in den Blick. Die Protestantismus-Studie aufgreifend und zum folgenden Aufsatz zu Buddhismus und Hinduismus überleitend wirft Weber ein Schlaglicht auf die Theodizeen. Denn schließlich hänge auch mit der vorgegebenen metaphysischen Ordnung zusammen, wie mit den Spannungen konkret umgegangen werde. Das fundamentale Missverhältnis zwischen dem Anspruch der Religionen auf die Sinnhaftigkeit der Welt und der Erfahrung der Kontingenz führt zunehmend zu einer Erhöhung der Erlösungshoffnung und durch ihre Unauflösbarkeit zu ihrer Verschiebung in die Zeitlosigkeit. Der Kontrast zwischen Welt und jenseitiger Erlösung wird dadurch ins Extreme getrieben, die Opposition zur Brüderlichkeitsethik entwertet alles Weltliche und lässt es der Vergänglichkeit anheimfallen. Je weiter die Dynamik zwischen der sich selbst beschleunigenden und dabei sich selbst entwertenden Kultur und der Wertsphäre des Religiösen sich radikalisiert, desto mehr entgleitet die Erlösung, „der spezifische Inhalt des Religiösen“,212 ins Abstrakte, Ungreifbare. Historisch differenzierend merkt Weber aber noch einmal an, dass der Umgang mit dem Konflikt für Laien und Virtuose unter den Vorzeichen der konsequenten Theodizeen 211 Ders. (1988=1920 f): Zwischenbetrachtung, S. 567 – 573. 212 Ebd., S. 571.

60 2. Der Rationalismusbegriff als Schlüssel zu Max Webers Religionssoziologie der Prädestinationslehre, des Dualismus und der Karmalehre je sehr unterschiedlich verlaufen sei. Für die als konsequent rational angeführten Theodizeen aber sind die von Weber konstatierten Probleme mit dem Sinnpostulat der Religionen überaus unterschiedlich relevant. Sowohl die unmotiviert ungleiche Verteilung von Glück und Leid als auch die generelle Frage nach dem unde malum stellen sich in der Prädestinationslehre, dem Dualismus und der Karmalehre in sehr verschiedenem Kontext, unterschiedlicher Gestalt und Dringlichkeit. Auch in dieser Passage bekundet Weber sein Interesse an einer Untersuchung zum okzidentalen Rationalismus über die sachliche Darstellung der historischen Religionen, was zu deren verzerrten oder zumindest tendenziösen Darstellung führt. Kippenberg schreibt dazu: „Auch der persische Dualismus, den Weber neben Prädestinationsglauben und indischer Selbsterlösung als konsequente Theodizee ansieht, hat seiner Ansicht nach keinerlei Eschatologie zur Seite gehabt (Gesammelte Aufstze zur Religionssoziologie, Bd. 1, a.a.O., S. 572). Diese Behauptung ist jedoch unzutreffend, wie das auch in Bezug auf den antiken Gnostizismus gesagt werden muss. Weber operiert den Chiliasmus – die innerweltliche Hoffnung in konzentriertester Form – als irrational aus der Geschichte des Rationalismus heraus (Wirtschaft und Gesellschaft, a.a.O. S. 333).“213 Kippenberg folgert daraus: „Man muß als Religionshistoriker darauf bestehen, daß die Kategorien Webers wohl für eine Geschichte des Rationalismus geeignet sind, aber nicht der Religionsgeschichte als ganzer gerecht werden.“214 Webers Herleitung der Relevanz der Theodizeen für die Spannungsverhältnisse zwischen der religiösen Sphäre und den weltlichen Sphären kann ihrem universellen Anspruch nicht gerecht werden. So fokussiert Weber sehr die Feindlichkeit der Erlösungsreligiosität gegenüber Materie und Leib, was in dem von ihm geschilderten Extrem jedoch nur für das Christentum zutrifft. Auf einen Höhepunkt treibt er diesen Gedanken in seiner Darstellung von der Unmöglichkeit eines erfüllten Lebens und eines „lebenssatten“ Todes für den „nach Selbstvervollkommnung im Sinne der Aneignung oder Schaffung von ,Kulturinhalten‘ strebende[n] ,gebildete[n]‘ Mensch“215, dem aber auch die Abwendung vom Leben als Verachtung von Gottes Schöpfungsplan verwehrt bleibt. Zu offensichtlich scheint hinter dieser Darstellung die 213 Kippenberg (1991): Die vorderasiatischen Erlösungsreligionen, S. 79, Fn. 45. 214 Ebd. 215 Weber (1988=1920 f): Zwischenbetrachtung, S. 570.

2.3. Die Zwischenbetrachtung

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Gestalt des abgebildeten Puritaners durch das Papier, als dass noch ein breiteres religionshistorisches Panorama als Bühne für diese Vorgänge glaubhaft bleiben könnte. Als was dürfen wir die Zwischenbetrachtung nach dieser Vorstellung und kritischen Würdigung nun verstehen? Ist sie also, wie der Titel es schon sagt und wie ihre Position nach der Studie zu Konfuzianismus und Taoismus und vor der Studie zu Hinduismus und Buddhismus es nahe legt, ein Ort „um auf die bis dahin gewonnenen Resultate zu reflektieren und eine Perspektive für die weiteren Erörterungen zu entwerfen“216 ? Beide Blickrichtungen der Bezugnahme erscheinen nicht plausibel, denn: Die Studie zu Konfuzianismus und Taoismus endet mit der Polarisierung der Rationalismen von Magie und Prophetie. Weder Askese und Mystik noch die sphärischen Spannungen spielen dort eine Rolle. Auch beim Hinduismus und Buddhismus findet sich kein Anschluss an große Teile der Zwischenbetrachtung. Wenn auch die Unterscheidung von Askese und Mystik thematisiert wird, die Spannung Welt versus Religion findet doch nur in der spezifischen weltablehnend-weltbeherrschenden Religiosität eine Ursache. Damit scheiden Hinduismus und auch Buddhismus wieder aus der Betrachtung aus. Geschaffen wird die Verbindung lediglich durch die Systematik der Theodizeen im letzten Absatz der Zwischenbetrachtung, bei der auch die hinduistisch-buddhistische Karmalehre Erwähnung findet. Sowohl für China wie im Falle Indiens treten die in der Zwischenbetrachtung relevanten Dynamiken und Konflikte wieder nur beim Vergleich ihrer Rationalismen mit dem „geographisch und historisch nächstliegenden: dem Rationalismus des Protestantismus“217 auf. Selbst in seinen breiten historischen Studien bleibt der Protestantismus für Weber immer wieder das tertium comparationis. Hingegen stehen die systematischen Aufsätze Einleitung und Zwischenbetrachtung eindeutig zueinander in Bezug. Dies zeigt sich daran, dass die gegen Ende der Einleitung getroffene Unterscheidung von Askese und Mystik218 zugleich die Eröffnung der Zwischenbetrachtung ist. Das Verhältnis von Rationalismus und praktischer Ethik ist sowohl in der Einleitung 219 als auch in der Zwischenbetrachtung, dort allerdings als durch den Rationalismus kontrastierte, zueinander spannungsreiche weltliche und religiöse Ethik, von Bedeutung. Die Zwischenbetrachtung bezieht sich also 216 217 218 219

Schluchter (1991b): Religion und Lebensführung, Bd. 2, S. 66. Weber (1988=1920e): Konfuzianismus und Taoismus, S. 512. Ders. (1988=1920d): Einleitung, S. 263. Ebd., S. 265 f.

62 2. Der Rationalismusbegriff als Schlüssel zu Max Webers Religionssoziologie am ehesten auf die Einleitung (neben § 11 der Religiçsen Gemeinschaften, der eine direkte Vorstufe der Zwischenbetrachtung darstellt). „Und schließlich und vor allem muß und will ein religionssoziologischer Versuch dieser Art nun einmal zugleich ein Beitrag zur Typologie und Soziologie des Rationalismus selbst sein.“220 Doch Weber lässt uns im Unklaren, ob mit dem „Versuch dieser Art“ nur die Zwischenbetrachtung, gemeint war, wie Dirk Kaesler nahelegt221 oder ob es um die gesamte Wirtschaftsethik der Weltreligionen ging, wie Wolfgang Schluchter222 es meint. Das direkte Umfeld des Zitats gibt keinen eindeutigen Hinweis und für beide Bedeutungen lassen sich Argumente finden. Nach der Lektüre der Einleitung allerdings, die sich an zentraler Stelle mit der Rolle des Rationalismus bei der Entstehung der Erlösungsreligion beschäftigt, wird dessen Funktionsweise dann in der Zwischenbetrachtung sowohl in der religiösen als auch in den anderen Sphären der Welt verständlich. Die Einleitung lenkt den Fokus auf die Askese und Weltablehnung der Erlösungsreligionen. In der Zwischenbetrachtung folgt eine Kasuistik der Spannungen zwischen den Geboten der religiös rationalisierten Lebensführung und den Ordnungen und Anforderungen des weltlichen Alltags. Rationalismus und seine Typologie sind also die impliziten Voraussetzungen einer „Theorie der Stufen und Richtungen religiöser Weltablehnung“, wie der Untertitel der Zwischenbetrachtung lautet. Doch selbst wenn Weber die Programmatik stärker in den weiteren Kontext der Wirtschaftsethik der Weltreligionen stellen wollte, bleibt die Rolle, die der Zwischenbetrachtung als systematisch reflektierenden Exkurs zugedacht ist, exemplarisch und zentraler Teil des religionssoziologischen Versuchs. Die Zwischenbetrachtung unter der Programmatik einer Typologie des Rationalismus zu betrachten, ist also mehr als gerechtfertigt. Diese Annahme wird gestützt durch Webers Verweis auf die Wirkweise des Rationalismus und seinen Sitz im Leben am Anfang des Textes: „Auch das Rationale im Sinne der logischen oder teleologischen ,Konsequenz‘ einer intellektuelltheoretischen oder praktisch-ethischen Stellungnahme hat nun einmal (und hatte von jeher) Gewalt über den Menschen […]. Gerade die der Absicht nach rationalen, von Intellektuellen geschaffenen, religiösen Weltdeutungen und Ethiken aber waren dem Gebot der Konsequenz stark ausgesetzt.“223 Und letztlich, daran sei noch einmal erinnert, ist es 220 221 222 223

Ders. (1988=1920 f): Zwischenbetrachtung, S. 537. Kaesler, Dirk (2003): Max Weber. Eine Einführung, S. 144 f. Schluchter (1991b): Religion und Lebensführung, Bd. 2, S. 23. Weber (1988=1920 f): Zwischenbetrachtung, S. 537.

2.3. Die Zwischenbetrachtung

63

immer wieder der spezifische Rationalismus des Okzidents, der für Weber nicht nur den stetigen Bezugspunkt darstellt, sondern nach dem er auch seine, der Empirie enthobenen, systematischen Ausführungen unterordnet. Wir dürfen die Zwischenbetrachtung daher durchaus als eine systematisch eigenständige Arbeit betrachten, in ihrer Bezugnahme auf die Einleitung und durch die Querverweise zu den historischen Religionen sogar als eine „Typologie und Soziologie des Rationalismus selbst“. Völlig zu Recht schreibt Joachim Radkau, dass die Zwischenbetrachtung ein Text ist, „den man vielmehr ein halbes Dutzend mal lesen kann und immer noch Neues entdeckt“,224 der Text soll also mit dieser kurzen Exegese keineswegs ausgeschöpft sein. Sicher ist er aber, neben anderen möglichen Lesarten, auch ein beredtes Zeugnis von Webers Zwiespalt zwischen seinem Interesse an einer allgemeinen, breit angelegten Religionssystematik und dem Bedürfnis, die Geschichte des okzidentalen Rationalismus aufzuspüren.

224 Radkau (2005): Max Weber. Die Leidenschaft des Denkens, S. 597.

3. Eine postkoloniale Lektüre des Rationalismusbegriffs „Auch wenn die Erfahrung der Irrationalitt der Welt zwingend und universal ist, ist es das Bewußtsein davon nicht.“ (Kippenberg: Die vorderasiatischen Erlösungsreligionen, S. 85)

3.1. Zwei Perspektiven auf das Begriffspaar rational – irrational Nachdem die vorliegende Arbeit bis zu diesem Punkt vor allem von der kritischen Analyse Weber’scher Religionssoziologie bestimmt war, wird seine Systematik und Terminologie im folgenden Kapitel mit der Absicht rekonstruiert, einen Apparat zu schaffen, der es gestattet, Webers Systematik ohne die orientalistisch-okzidentalistischen Implikationen auf Religionsgemeinschaften jenseits der okzidentalen Moderne anzuwenden. Mit diesem Perspektivwechsel geht ein veränderter Umgang mit Webers ambivalenter Begrifflichkeit einher. Bisher ging es vor allem darum, den Vieldeutigkeiten, unterschiedlichen Konnotationen und impliziten Urteilen der Begriffe nachzuspüren. Dabei war der Begriff der ,Rationalität‘ in all seiner Vielseitigkeit und Vielschichtigkeit von zentraler Bedeutung. Er soll nun durch den Begriff der ,Irrationalität‘ ergänzt werden. Auf den engen Zusammenhang von Rationalität und Irrationalität verweist Weber spätestens in der zweiten Auflage der Protestantischen Ethik in einer Replik auf Brentano:“’Irrational‘ ist etwas stets nicht an sich, sondern von einem bestimmten ,rationalen‘ Gesichtspunkte aus. Für den Irreligiösen ist jede religiöse, für den Hedoniker ist jede asketische Lebensführung ,irrational‘, mag sie auch an ihrem letzten Wert gemessen, eine ,Rationalisierung‘ sein. Wenn zu irgendetwas, so möchte dieser Aufsatz dazu beitragen, den nur scheinbar eindeutigen Begriff des ,Rationalen‘ in seiner Vielseitigkeit aufzudecken.“225 Die

225 Weber (1988=1920c): Die protestantische Ethik, S. 35, Fn. 1.

3.1. Zwei Perspektiven auf das Begriffspaar rational – irrational

65

Korrespondenz der beiden Begriffe war ihm aber auch schon 1904 bei der Erstpublikation seiner Protestantischen Ethik bewusst.226 Anhand des Begriffspaars rational – irrational lassen sich bisherige Ergebnisse der Rationalismus-Analyse noch einmal verdeutlichen. Letztlich soll das Paar aber eine Verwendung des Weber’schen Apparats illustrieren, die eine erhebliche Erweiterung der Anwendungsmöglichkeiten zur Folge hat. Möglich werden diese verschiedenen Funktionen des Begriffspaars durch die unterschiedlichen Zugänge und Argumentationsstränge, die sich zeitgleich und stellenweise miteinander verwoben durch Webers Religionssoziologie ziehen. Um das zu verdeutlichen, soll zum einen eine polarisierend exkludierende Verwendung der Begriffe und zum anderen ein wechselseitig komplementäres Verständnis von rational – irrational aufgezeigt werden. Während die polarisierend exkludierende Verwendung mit der bisher vornehmlich analysierten hierarchisch aufgebauten Soziologie Webers und seinem Interesse um die okzidentale Einzigartigkeit korrespondiert, liegt dem wechselseitig komplementären Verständnis von rational – irrational ein egalitär universalistischer Zugang zugrunde. In der Verwendung des Irrationalitätsbegriffs war Weber ebenso inkonsistent, wie es für den Rationalismusbegriff schon gezeigt worden ist. Doch während Weber noch anmerkt, dass der Rationalismus „eine Welt von Gegensätzen in sich schließt“227, erfährt der Begriff der Irrationalität nicht in gleichem Maße Webers systematische Aufmerksamkeit. Er verwendet ihn aber in nicht minder vielschichtiger Weise. So ist ihm Holzhacken, um Erregung abzureagieren,228 ebenso irrational wie Abenteuerkapitalismus229, Wettlust230 oder das „hinterweltliche Reich 226 Vgl. ebd., S. 62. – Zur editorischen Folge der Belegstellen vgl. Schluchter (1991b): Religion und Lebensführung, Bd. 2, S. 73, Fn. 22. Schluchter merkt an, dass der Eintrag in der Protestantischen Ethik, S. 62, in dem Weber ausführt, dass das Leben nach sehr verschiedenen Gesichtspunkten hin rationalisiert werden könne, aus der ersten Fassung stamme. Die Betonung aber, dass dieser Satz am Anfang jeder Studie zum Rationalismus stehen solle (ebd., S. 62), habe Weber ebenso wie die kurze Anmerkung zu Brentano (ebd., S. 35, Fn. 1) erst in der zweiten Auflage von 1920 eingefügt. In beiden Fällen handelt es ich um eine sehr gute und, wichtige Klarstellung zum Verhältnis von ,Rationalismus‘ und ,Irrationalismus‘. 227 Weber (1988=1920c): Die protestantische Ethik, S. 62. 228 Ders. (1988e): Soziologische Grundbegriffe, S. 547. 229 Ders. (1988=1920c): Die protestantische Ethik, S. 61. 230 Ebd., S. 184.

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3. Eine postkoloniale Lektüre des Rationalismusbegriffs

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der Erlösung“231 des Mystikers. In der Rechtssoziologie findet der Begriff Irrationalität gleichfalls reiche Anwendung, von den Beweis- und Entscheidungsmitteln232 bis hin zum schiitischen Recht233 und innerhalb der Religionssoziologie234. Schließlich ist sogar in seinen politischen Schriften die Erfahrung der Irrationalität die treibende Kraft aller Religionsentwicklung.235 Die beiden Interpretationen des Begriffspaares sind extrapoliert aus dieser durchgängig uneinheitlichen Verwendung des Rationalismus- wie des Irrationalismusbegriffs in Webers religionssoziologischen Arbeiten. Als heuristische Interpretationsmuster, deren Synthetisierung für den Zweck ihrer Anwendung in den Kapiteln zur Isma¯ ¯ılı¯ya erfolgte, fügen sie der breiten Rezeptionsgeschichte236 ein weiteres Verständnis hinzu. Die hier entwickelte Interpretation des Begriffspaares rational – irrational lässt sich zwar aus Webers Arbeiten ableiten, ist aber keineswegs in dieser Klarheit dort auffindbar. Da die beiden Begriffe das heuristische Werkzeug der vorliegenden Arbeit darstellen, sollen sie vor ihrer Anwendung kurz näher definiert werden. ,Polarisierend exkludierend‘ soll hier bedeuten, dass die beiden Adjektive ,rational‘ und ,irrational‘ als sich gegenseitig ausschließende Pole zweier entgegengesetzter Bewegungsrichtungen verstanden werden. Sie stellen also keine sich aufeinander beziehende Aspekte einer Dynamik 231 232 233 234

Ders. (1988=1920e): Konfuzianismus und Taoismus, S. 354. Ders. (1972): Wirtschaft und Gesellschaft, S. 395 u. S. 446 ff. Ebd., S. 474 – 477. Vgl. hierzu „Irrationalisierung des Religiösen“ und „Irrationalität“, „irrational“ im Index von Weber (2001): Religiöse Gemeinschaften, S. 536. 235 Ders. (1992): Politik als Beruf, S. 444. 236 Exemplarisch zur Rezeption des Weber’schen Rationalismusbegriffs seien genannt: Brubaker (1984): The Limits of Rationality (findet 16 [!] Bedeutungen von ,rational‘, S. 2); Hu (2004): Die Zähmung der Zweckrationalität in der deutschen Soziologie des 20. Jahrhunderts; Hennis (1987): Max Webers Fragestellung. Studien zur Biographie des Werks (die Rationalisierungsthese ablehnend: S. 21); Schluchter (1998): Die Entstehung des modernen Rationalismus; ders. (1976): Die Paradoxie der Rationalisierung, in: Zeitschrift für Soziologie 3, S. 256 – 284; Sprondel/Seyfarth (Hg.) (1981): Max Weber und die Rationalisierung des Handelns; darin u. a.: Kalberg: Max Webers Typen der Rationalität, S. 9 – 38; Weiß: Rationalität als Kommunikabilität, S. 39 – 58 (worin Weiß nicht weniger als 11 [!] Rationalisierungsformen aufzählt); Parsons: Rationalität und der Prozeß der Rationalisierung im Denken Max Webers, S. 81 – 92; Lash (1987), Max Weber. Rationality and Modernity, hg. v. Whimster. – Bemerkenswerterweise spielt ,Irrationalität‘ in keinem der Beiträge eine auch nur annähernd so prominente Rolle wie ,Rationalität‘.

3.1. Zwei Perspektiven auf das Begriffspaar rational – irrational

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dar, sondern sind schlicht dichotome Gegensätze. Die darin implizierten Werte der Attribute ,rational‘ bzw. ,irrational‘ kennzeichnen die Zugehörigkeit bzw. Abweichung vom Rationalisierungsprozess, der alle Sphären des Okzidents, von Musik und Theologie über Wirtschaft und Wissenschaft bis zu Recht und Verwaltung, durchdringt. Insofern bestimmt die Charakterisierung ,rational‘ bzw. ,irrational‘ die Platzierung des beschriebenen Phänomens in der hierarchischen Ordnung verschiedener Kulturentwicklungen. ,Wechselseitig komplementär‘ stellt die Charakteristika zueinander in Beziehung und geht grundsätzlich davon aus, dass diese sich nicht nur begrifflich, sondern auch innerhalb des Systems, dem sie beide angehören, gegenseitig bedingen und näher bestimmen. Die beiden Begriffe haben daher nur in zuvor definierten Kontexten Sinn. Aus der Aussage, dass Rationalismus etwas je sehr Unterschiedliches bedeuten könne,237 folgt die logische Forderung, dass zu jedem Zeitpunkt auch benannt werden muss, was konkret gemeint ist und in welchem Bezugsrahmen argumentiert wird. ,Rational‘ und ,irrational‘ eignen sich nach diesem Verständnis nicht dazu, um Fortschritt oder Hierarchien zu definieren. Stattdessen können die beiden Begriffe Veränderungsprozesse und unterschiedliche Schwerpunktsetzungen in bestimmten Systemen beschreiben. Die so beschriebenen kulturellen Phänomene haben daher immer gleichzeitig rationale und irrationale Anteile. Es ist dabei selbstverständlich, dass die Auswahl und Interpretation der Beispiele aus Webers Gesamtwerk weder als abgeschlossen noch als ausschließlich gelten. Wie nachgewiessen wurde, ist die Interpretationsbreite des Rationalismusbegriffs in der Weber’schen Rezeptionsgeschichte extrem breit und Einigkeit in der Frage einer allgemeingültigen Definition oder gar ein Schlusswort für die Debatten um Webers Rationalismusbegriff sind keinesfalls in Sicht. Die Absicht dieser Begriffsrekonstruktion liegt darin, einen Zugang zur Religionssystematik Webers zu gewinnen, mit der später auch die schiitische Isma¯ ¯ılı¯ya analysiert werden kann, ohne dem occidental bias zum Opfer zu fallen.

237 Vgl. u. a. Weber (1988=1920d): Einleitung, S. 265.

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3. Eine postkoloniale Lektüre des Rationalismusbegriffs

3.2. Die polarisierend exkludierende Position Die polarisierend exkludierende Verwendung des Rationalismusbegriffs ist uns in ihrer Gestalt von Webers Darstellung der okzidentalen Moderne gegenüber anderen Kulturen bereits bekannt. Im ersten Kapitel wurde die Spannung zwischen Webers universalhistorischen Ansprüchen und seiner europäisch-protestantischen Voreingenommenheit behandelt. Die Argumentation betraf dort vornehmlich Webers Einschätzung des Islam. Nachdem dort die Ebene der Resultate betrachtet wurde, soll nun analysiert werden, auf welchen argumentativen Mustern und impliziten Grundannahmen diese basieren. Die Verwendung des Rationalismusbegriffs, die nun analysiert werden soll, beinhaltet die argumentative Grundlage zur Betrachtung der okzidentalen Moderne als globalen Sonderweg. Die polarisierend exkludierende Version des Rationalismusbegriffs lässt sich zum einen als normative Setzung, zum anderen als diskursive Strategie nachzeichnen. Erstere entspricht mit der Figur der abwertenden Fremdzuweisung dem Orientalismus; durch die Nutzung der fremder Kulturen als Negativfolie gleicht letztere dem Okzidentalismus in Webers Religionssoziologie. Beide, sowohl die parteiische Universalhistorie als auch die Verwendung des polarisierend exkludierenden Rationalismusbegriffs, sind Gestalten eines identischen Phänomens, nämlich die hierarchisierende Betrachtung von Kultur auf der Makro- und auf der Mikro-Ebene der Analyse. Für diese Formen der Hierarchisierungsstrategien lässt sich in den religionssoziologischen und anderen Texten eine Vielzahl verschiedener Beispiele finden, die alle um die europäische Moderne als Prototyp der Rationalisierung kreisen. Beginnen möchte ich meine Argumentation mit der signifikanten Aussage Webers, dass nur das Bürgertum einen „sinnvollen Kosmos“ erzeugt habe, während die Trägerschichten anderer Religiositäten mehr oder weniger in der Magie stecken geblieben bzw. weniger rationalisiert seien. Die hier getroffene Wertung baut auf der Polarität von Magie und Prophetie und auf der Argumentation auf, dass die Austreibung der Magie das Maß der Rationalisierung einer Religion sei. Letzteres wiederum beruht auf Webers wissenschaftstheoretischen Überlegungen und seiner Definition der „Richtigkeitsrationalität“. Die Polarität von ,rational‘ und ,irrational‘ liegt auch Webers Darstellung von Askese und Mystik hinsichtlich deren Systematisierung der Lebensführung zugrunde. Aus diesen Setzungen folgt die Bestimmung politisch aktiver Mystiker als irrational und anomistisch sowie letztlich auch die

3.2. Die polarisierend exkludierende Position

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Ausscheidung der chiliastischen Bewegungen aus der Geschichte des Rationalismus.

3.2.1. Der sinnvolle Kosmos bürgerlicher Erlösungsreligiosität An seine historischen Studien zur protestantischen Ethik anschließend findet Weber im Bürgertum weltweit den Träger einer besonderen Form der Rationalisierung. Während die Fähigkeit zur Rationalisierung anderen, von ihm benannten Trägerschichten, wie etwa Kriegern oder Bauern, und ihren Typen der Religiosität ebenfalls gegeben ist, stellt das Bürgertum für ihn trotzdem einen Sonderfall dar. Die Umsetzung der Theologie in eine ethisch rationale Lebensführung geschah im Bürgertum nicht nur besonders konsequent.238 Auch war die Theologie, die die Grundlage der Systematisierung der Lebensführung bot, als Intellektuellenreligiosität bereits in höchstem Maße der Hervorbringung eben dessen verpflichtet, was Weber als Kernprodukt religiösen Rationalismus versteht: eines „sinnvollen Kosmos“239. Der oben240 beschriebene Prozess der Verdrängung der Religion ins Irrationale, die Spaltung der Welt in rationales Erkennen und Beherrschen sowie mystisches Erleben, alle Folgen der „theoretischen und praktischen intellektuellen und zweckhaften Durchrationalisierung des Weltbildes und der Lebensführung“241 treffen in vollem Umfang letztlich nur auf die Religiosität des Bürgertums zu. Den anderen von Weber angeführten Trägerschichten, den Beamten der Hierokratie, den Kriegerhelden wie auch den Bauern, ihnen allen blieb die Irrationalität zentraler Pfeiler ihres Kosmos, sei es die zentralistische Kulthandlung der Hierokratie, die Schicksalsmacht im Schlachtengetümmel des Kriegers oder die Magie im Zyklus der Naturkräfte des Bauern. Während Weber eingesteht, dass diese Schichten historisch und empirisch unterkomplex beschrieben sind, nimmt er im Gegenzug für das, was er weltweit als Bürgertum identifiziert,242 sowohl 238 239 240 241 242

Ebd., S. 256 f. Ebd., S. 253. Vgl. Kapitel 2.3.2. Weber (1988=1920d): Einleitung, S. 253. Dies ist eine, wie sich leicht zeigen lässt, überaus willkürliche Bestimmung des Bürgertums, für die nicht mal innerhalb Europas eine einheitliche Beschreibung zu finden ist. Vgl. Kocka (Hg.) (1995): Bürgertum im 19. Jahrhundert. Den Begriff auf andere Regionen der Welt anzuwenden, ist offenkundig extrem problematisch.

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3. Eine postkoloniale Lektüre des Rationalismusbegriffs

für ihre sozio-ökonomische Gestalt wie für die „Möglichkeiten ihrer religiösen Stellungnahme“243 eine besondere Vielgestaltigkeit in Anspruch. Als verbindende Gemeinsamkeit des Bürgertums findet Weber „die Tendenz zum praktischen Rationalismus der Lebensführung“ und „die Möglichkeit, an die Tendenz zum technischen und ökonomischen Rationalismus anknüpfend eine ethisch rationale Lebensreglementierung entstehen zu lassen“.244 Sowohl die normativ wie die diskursiv hierarchisierende Verwendung von Rationalität und Irrationalität lassen sich in der Beschreibung der Trägerschichten und den ihnen zugeordneten Religiositäten eindeutig nachweisen. Normativ ist zunächst die Beurteilung der religiösen Weltbilder. Die Sinnhaftigkeit des Kosmos wird nur nach dem Grad der Rationalisierung bestimmt. Das an gleicher Stelle ausgeführte reziproke Verhältnis von Rationalität und Irrationalität, heißt die gleichzeitige Steigerung von Rationalität und Irrationalität, bleibt bei der Bewertung der verschiedenen Religiositäten unberücksichtigt. In Webers Resümee tendiert bürgerliche Religiosität zur Rationalisierung, während die Hierokraten-, Krieger- und Bauernreligiosität im Magischen verhaftet bleibt. Qua normativer Setzung werden diese Schichten und ihre Religiosität durch diese einseitige Betrachtung auf eine niedere Stufe religiöser Entwicklung gestellt. Denn in der exkludierenden Polarität von ,rational‘ und ,irrational‘ bedeutet Rationalisierung ebenso Sinn245 wie an anderer Stelle Magie Irrationalität bedeutet: „Für die Stufe der Rationalisierung, welche eine Religion repräsentiert, gibt es vor allem zwei, übrigens miteinander in vielfacher innerer Beziehung stehende Maßstäbe. Einmal der Grad, in welchem sie die Magie abgestreift hat. Dann der Grad systematischer Einheitlichkeit, in welche das Verhältnis von Gott und Welt und demgemäß die eigene ethische Beziehung zur Welt von ihr gebracht worden ist.“246 Magie ist in dieser hierarchisierenden Betrachtung Signifikant einer geringeren Entwicklung zu fortschreitender Rationalität. Alles andere als normativ reduzierend behandelt Weber bürgerliche Religiosität in einem langen Diskurs durch Zeit und Raum. Interessant ist die Kombination der Spezifikation des Bürgertums als „Handwerker, Händler, hausindustrielle Unternehmer und ihre nur im modernen 243 244 245 246

Weber (1988=1920d): Einleitung, S. 256. Ebd., S. 256 f. Vgl. ebd., S. 253. Ders. (1988=1920e): Konfuzianismus und Taoismus, S. 512.

3.2. Die polarisierend exkludierende Position

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Okzident heimischen Derivate“ und der ihnen zugeordnete Religiosität: „[d]ie sakramentale Anstaltsgnade der römischen Kirche, in den mittelalterlichen Städten […], die mystagogische Sakramentsgnade in den antiken Städten und in Indien, die orgiastische und kontemplative Sufiund Derwischreligiosität des vorderasiatischen Orients, die taoistische Magie, die buddhistische Kontemplation und die ritualistische Gnadenaneignung […], alle Formen der Heilandsliebe und des Erlöserglaubens […], der rationale Gesetzesritualismus und die von aller Magie entblößte Synagogenpredigt der Juden, die pneumatischen antiken und die asketischen mittelalterlichen Sekten, die Prädestinationsgnade und ethische Wiedergeburt der Puritaner und Methodisten und alle Arten individueller Heilssuche“.247 Als intellektuelle Bearbeitung der Sinnfrage sind „ebenso die […] indische Karmanlehre […], wie etwa in Israel das aus vornehmen Intellektuellenkreisen stammende Hiobbuch […], die gnostische Spekulation und der manichäische Dualismus“248 zu nennen. – Es erscheint überaus schwierig, aus dieser Monstrosität von Definition noch irgendeinen Erkenntnisgewinn ziehen zu können. Selbst die zuvor sauber gezogene Abgrenzung zu den anderen Trägerschichten wird bei einer derartigen Ausweitung der Gestalten bürgerlicher Religiosität unscharf. Es folgt daher eine weitere Spezifizierung, die es gestattet, auch zuvor dem Bürgertum zugeschlagene Religionen mit intellektualisiertem, „sinnvollem Kosmos“ der Irrationalität anheimfallen zu lassen: Dreh- und Angelpunkt von Webers Systematik bleibt die Charakterisierung des Bürgertums und seiner spezifischen Entwicklung, so wie er es im Protestantismus vorgefunden hatte. Denn nicht alle der genannten, dem Bürgertum zuzuordnenden Religionen waren nach Weber auch zu dem von ihm geforderten Maß an rationaler Religion und Lebensführung im Stande. Einige, wie beispielsweise die Derwischreligiosität bleiben mit dem Stigma des Irrationalismus behaftet. „[D]iese teils orgiastische, teils mystische, stets aber außeralltägliche und irrationale Religiosität [Derwischreligiosität, M. W.] und ebenso die durch ihre große Einfachheit propagandistisch wirksame offizielle, durchaus traditionalistische Alltagsethik weisen die Lebensführung in Bahnen, welche im Effekt gerade entgegengesetzt der puritanischen und jeder innerweltlich-asketischen Lebensmethodik verlaufen.“249 Der hier geforderte aktiv asketische 247 Ders.: (1988=1920d): Einleitung, S. 256. 248 Ders. (2001): Religiöse Gemeinschaften, S. 272. 249 Ebd., S. 437.

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3. Eine postkoloniale Lektüre des Rationalismusbegriffs

Charakter konnte sich nämlich nur dort voll entfalten, wo die bürgerlichen Schichten sozial ins Gewicht fielen und sich von den traditionalen Mustern emanzipierten.250 Weber hatte diese Geburtsstunde des „Geist [es] des modernen Kapitalismus“ bereits in seiner Protestantismus-Studie beschrieben.251 Wie wir sehen, wird in der hier vorgestellten, der Systematik zugrunde liegenden Polarität von ,rational‘ und ,irrational‘ sowohl durch explizit normative Setzungen wie durch diskursive Hinführung der Argumente eine Hierarchisierung der Kulturphänomene herbeigeführt. Die Attribuierung ,irrational‘ wie auch der Argumentationsverlauf um die rationalen Religion(en) greifen, ohne sich in ihrer begrifflichen Polarität letztlich aufeinander beziehen zu müssen, ineinander und erzeugen so die Zangenbewegung von Orientalismus und Okzidentalismus.

3.2.2. Askese und Mystik Die Behandlung der von Weber als polar verstandenen Begriffe Askese und Mystik basiert ebenfalls zu weiten Teilen auf der polarisierend exkludierenden Position von ,rational‘ und ,irrational‘. Anhand einer werksgeschichtlichen Rekonstruktion zeichnet Wolfgang Schluchter Verwendung und Intention der Begrifflichkeiten nach.252 Er zeigt hierbei, dass es Weber, beginnend mit seiner Protestantismus-Studie, vor allem um eine Differenzierung des Askesebegriffs geht, den er mit asketischer Handlungskultur verknüpft, während er Mystik als Gefühlskultur charakterisiert. Der Begriff der ,Rationalität‘ wird dem des ,Gefühls‘ gegenübergestellt. Entsprechend stellt auch Edith Hanke fest, dass bei Weber die mystisch-kontemplativen Erlösungslehren Ostasiens als ,irrational‘ in größtmöglicher Spannung zu der durch empirisch-rationale Wissenschaften geprägten abendländischen Gesellschaft stehen.253 In der ersten Fassung der Protestantismus-Studie von 1904 legt Weber sein Hauptaugenmerk auf die verschiedenen Formen des Rationalismus innerhalb des Christentums. Er identifiziert hier beide behandelten Formen der Askese als rational: die außerweltliche des Mönchtums und die innerweltliche des Calvinismus. „Es geht also vor allem darum, in250 251 252 253

Ders. (1988=1920d): Einleitung, S. 257. Ders. (1988=1920c): Die protestantische Ethik, S. 52 ff. Schluchter (1991b): Religion und Lebensführung, Bd. 2, S. 81 ff. Hanke (2001): Erlösungsreligionen, S. 225.

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nerhalb des vor- und nachreformatorischen Christentums religiöse Haltungen rationaler planmäßiger Handlungsbestimmtheit zu spezifizieren und von einer religiösen Haltung nichtrationaler planloser Gefühlsbestimmtheit abzugrenzen. Handlungskultur steht gegen Gefühlskultur.“254 Der Begriff der Mystik wird dabei nur wenig und unsystematisch entfaltet. Gefühlskultur und Mystik bleiben unspezifisch synonym. Erst durch die Beschäftigung mit der orthodoxen Kirche und später dem Hinduismus vertieft und differenziert er seine Analyse der Mystik. In der zweiten Auflage der Protestantismus-Studie von 1920 relativiert er die Dichotomie von Askese und Mystik und merkt an, dass sich Mystik und rationalisiertes Berufsleben nicht generell ausschließen.255 Das dem in diesem frühen Stadium der religionssoziologischen Studien innewohnende Desinteresse an Mystik und ihre knappe Ausgrenzung als nicht-, sprich ir-rational, spiegelt eher den Eurozentrismus und die diskursive Polarisierung von planvoll rationalem Handeln gegen irrationale Gefühligkeit wider. Die normative Ausstoßung der Mystik geschieht hier noch gleichsam en passant. Wenn auch weniger vereinfachend, so behält Weber doch diese Einteilung von Erlösungsreligiosität auch bei steigender Ausdifferenzierung und gleich umfänglicher Behandlung von Askese und Mystik in den weiteren Texten von Wirtschaft und Gesellschaft und Wirtschaftsethik der Weltreligionen bei. „Askese dient der Herstellung eines ,konstanten Handelns‘, Kontemplation der Herstellung eines ,konstanten Bewußtseinszustandes‘. Dies ist einer der Gründe, weshalb Weber dazu neigt, Askese mit Ethik und Kontemplation mit Gnosis zu verbinden und darüber hinaus Askese mit Handeln und Kontemplation mit Mystik […] Damit gibt er dem asketischen Handeln eine aktive, der kontemplativen Mystik eine passive Fassung.“256 Selbst zwischen innerweltlicher Askese und innerweltlicher Mystik bleiben trotz ihrer gemeinsamen innerweltlichen Orientierung „fundamentale Unterschiede“ zur Welt und zu Handlungen bestehen.257 Engagiertes soziales Handeln oder gar Anstrengungen zur „rationalen Umgestaltung der irdischen Ordnungen“258 sind auch dem innerweltlichen Mystiker fremd, wohingegen sich für den innerweltlichen Asketen „die Gewißheit des Heils stets im rationalen, 254 255 256 257 258

Schluchter (1991b): Religion und Lebensführung, Bd. 2, S. 81. Vgl. Weber (1988=1920c): Die protestantische Ethik, S. 106 f, Fn. 2. Schluchter (1991b): Religion und Lebensführung, Bd. 2, S. 85. Vgl. ebd., S. 86 ff. Weber (2001): Religiöse Gemeinschaften, S. 332.

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3. Eine postkoloniale Lektüre des Rationalismusbegriffs

nach Sinn, Mittel und Zweck eindeutigen Handeln, nach Prinzipien und Regeln“259 bewährt. Weber parallelisiert diese unterschiedliche Orientierung mit geographischen Räumen und den dortigen religiösen Traditionen. Auch hier verfolgt er überdies die bekannte Zuteilung von ,rational‘ und ,irrational‘: „Die ursprüngliche Regel der buddhistischen Mönche erlegte ihnen, außer in der Regenzeit, unstetes Wandern auf und begrenzte zeitlich jeden Aufenthalt am gleichen Ort, – ausschließlich der in ihren Zielen und Mitteln zunächst gänzlich irrational orientierten, d. h. auf die Abstreifung der Gebundenheit, wie an die ökonomischen, so auch an die physischen Bedingungen des irdischen Daseins und [auf] die Erringung der Vereinigung mit dem Göttlichen gerichteten, Askese [hingegeben].“260 Offensichtlich ist an dieser Stelle die durchgängige Klassifizierung von okzidentalen und orientalen Traditionen, da der restliche Absatz mit Ausnahme dieses Kommentars von den rationalen Leistungen des okzidentalen Mönchtums handelt. Erst in seinen Studien zu Indien hat er, so vermutet Schluchter, den Begriff der Mystik auch mit dem des Rationalismus verbunden. Er schreibt: „In Indien gibt es aber neben dem Rationalismus der Weltflucht eine zweite Form des Rationalismus, der ein Platz in einer Typologie und Soziologie des Rationalismus zukommt: den ,Rationalismus der religiösen organischen Gesellschaftslehre‘, die ,organische Heilspragmatik‘, die ,organische Sozialethik‘, die, trotz des Thomismus, in Webers Augen in Indien am konsequentesten entwickelt und handlungswirksam umgesetzt worden ist.“261 Dennoch lässt sich in der im gleichen Zeitraum verfassten Zwischenbetrachtung noch, z. B. bei den Erlösungswegen, die altbekannte Zuordnung finden. Auch diese Verknüpfung findet wieder ihre Entsprechung in der Betrachtung geographischer Räume. In seinen Ausführungen zu Erlösungswegen und zur Lebensführung verbindet Weber den Okzident mit Askese und Rationalität, den Orient, der vom islamischen Kulturraum bis nach Japan und China reicht, mit Kontemplation und Irrationalität. An dieser drastischen Einteilung ändert auch das Zugeständnis an die Flüssigkeit der empirisch historischen Unterschiede nichts.262 Weber führt diese gegensätzliche Orientierung auf das Bild vom überweltlichen, 259 260 261 262

Ebd., S. 329. Ders. (1972): Wirtschaft und Gesellschaft, S. 695 f. Schluchter (1991b): Religion und Lebensführung, Bd. 2, S. 103; vgl. auch S. 83. Weber (2001): Religiöse Gemeinschaften, S. 332 f.

3.2. Die polarisierend exkludierende Position

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schrankenlos allmächtigen Gott zurück, das der Okzident aus Vorderasien übernommen habe.263 Selbstvergottung bzw. Gottesbesitz wie Weber sie als letztes Ziel der Kontemplation sah, war dem Okzident daher als Heterodoxie ausgeschlossen. Aus ihren jüdischen und römischen Wurzeln übernahm die okzidentale Religiosität sowohl das rationale Recht als auch ihre Ekstasefeindlichkeit und entwickelte sie auf eine Stufe, wie sie nur im Okzident zu finden ist.264 Konsequent betont Weber in diesen Passagen den okzidentalen Sonderweg in der Entwicklung einer allgemein gültigen Rationalität, demgegenüber Vergleichsreligionen als defizitär dargestellt werden. Eine ebensolche Einteilung lässt sich auch noch bei der verwandten, zeitlich aber später anzusetzenden Zwischenbetrachtung aus der Wirtschaftsethik der Weltreligionen finden. Die Verknüpfung von Okzident mit Askese und Orient mit Kontemplation hatte Weber aus der Denktradition Friedrich Max Müllers und Cornelius Petrus Tieles weiterentwickelt. Wenn auch mit unterschiedlicher Betonung der historischen Dynamiken hatten beide die sogenannten Weltreligionen auf arische bzw. semitische Ursprünge zurückgeführt. Verbunden hatten sie mit dieser Einteilung die Idee von verschiedenen Welt-Gott-Verhältnissen, die Tiele mit ,theanthropisch‘ und ,theokratisch‘ bezeichnete.265 Bei den Religionen arischen Ursprungs wirke Gott in Natur und Mensch, wohingegen bei jenen semitischen Ursprungs Gott der Natur als absoluter Herrscher gegenüberstehe. Aus diesen Weltverhältnissen leitet Weber nun praktische Handlungskonzepte ab: „Es ist nun der historisch entscheidende Unterschied der vorwiegend morgenländischen und asiatischen, gegenüber den vorwiegend okzidentalen Arten der Erlösungsreligiosität, daß erstere wesentlich in Kontemplation, die letztere in Askese ausmünden.“266 Bemerkenswert ist an dieser Übernahme Webers die leichte Verschiebung der Herkunftskriterien. Denn wo Müller und Tiele noch nach semitischem und arischen Ursprüngen unterschieden, muss Weber, damit er Gottesbild und Weltverhältnis in der von ihm intendierten Weise mit Mystik und Askese verknüpfen kann, die Zugehörigkeiten auf neue Füße stellen und den semitischen Islam als morgenländische Erlösungsreligion mit den asiatischen Erlösungsreligionen in eins setzen. Ge263 Ebd., S. 334 u. ders. (1988=1920d): Einleitung, S. 257 f. 264 Ders. (2001): Religiöse Gemeinschaften, S. 335 ff. 265 Kippenberg (2001d): Religionsentwicklung, S. 91ff; hier auch die Angaben zu den Primärtexten. 266 Weber (2001): Religiöse Gemeinschaften, S. 332.

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3. Eine postkoloniale Lektüre des Rationalismusbegriffs

kennzeichnet sind Askese und Mystik durch ihre Rationalität bzw. Irrationalität: So schreibt Weber in seiner Zwischenbetrachtung: „Mit jener ,glücklichen Borniertheit‘, welche man dem typischen Puritaner zuzuschreiben pflegt, vollstreckt die innerweltliche Askese die in ihrem letzten Sinne ihr verborgenen positiven göttlichen Ratschlüsse, wie sie in den von Gott verfügten rationalen Ordnungen des Kreatürlichen vorliegen, während dem Mystiker gerade nur die Ergreifung jenes letzten, gnzlich irrationalen, Sinnes im mystischen Erlebnis allein heilsbedeutsam ist.“267 Wie aber in den Ausführungen zur Zwischenbetrachtung 268 bereits dargestellt, führt diese Hinführung der Weltverhältnisse auf die asketische respektive mystische Lebensführung zu erheblichen systematischen Komplikationen. Wolfgang Schluchter verweist zu Recht darauf, dass die Unterscheidung von klassifikatorischer und historischer Bestimmung unklar ist und die Gleichsetzung von Askese mit rationaler Aktivität und Mystik als irrationaler Passivität die Erkenntnismöglichkeiten der Analyse eher behindert als befördert.269 Zugunsten der teleologischen begrifflich-typologischen Analyse wird die materialhistorische Betrachtung verkürzt. Tiele war zwar davon ausgegangen, dass allein im Christentum sich arisch-theanthropische und semitisch-theokratische Ursprünge zu einer wahren Weltreligion verschmolzen hatten, er sah aber beide Traditionen als zueinander kompatibel an. Bei Max Webers Geschichte des okzidentalen Alleinstellungsmerkmals des Rationalismus standen sie sich dann wieder unvereinbar gegenüber.270 In der monolithischen Gegenüberstellung von Askese und Mystik, Aktivität und Passivität, Rationalität und Irrationalität werden sowohl Okzident wie Orient Opfer der verkürzten, einseitigen Darstellung, wenn auch unter den entgegengesetzten Vorzeichen von Okzidentalismus und Orientalismus. Weber treibt seine Einordnung der Mystik als irrational auf einen Höhepunkt zu, wo er sie mit der Forderung politischer Teilnahme und Gestaltung konfrontiert sieht. Selbst unter extremen Umständen wird der Asket bei Weber seinen Pfad der Rationalität nicht verlassen: „Immer aber wird es eine ethisch rationale Ordnung und Disziplinierung der Welt sein, die er dabei, entsprechend seiner methodisch rationalen Selbstdis267 268 269 270

Ders. (1988=1920 f): Zwischenbetrachtung, S. 539 f; (Hvh. M. W.). Vgl. Kapitel 2.3. Schluchter (1991b): Religion und Lebensführung, Bd. 2, S. 85 f u. S. 90 – 95. Kippenberg (2001d): Religionsentwicklung, S. 93.

3.2. Die polarisierend exkludierende Position

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ziplin, verlangt.“271 Dagegen droht dem Mystiker schon bei der Suche nach dem Heilsgut unter normalen, dem politischen Leben fernen Bedingungen der Zustand des Anomismus, „an keine Regeln des Handelns mehr gebunden zu sein“272. Im Fall gesteigerter politischer Aktivität bis hin zur Revolution verschärft sich diese Latenz aber noch einmal drastisch. Die politische Umgestaltung der Welt steht beim Mystiker unter gänzlich anderen Voraussetzungen als beim Asketen und ist daher entweder vom Rückfall in die Magie oder aber vom Chaos bedroht. Der Mystiker fühlt „als Magier Götter und Dämonen in seiner Gewalt“273, und steht ihm dieser Weg nicht zur Verfügung so „wird seine revolutionäre Predigt an die Welt chiliastisch irrational, jeden Gedanken einer rationalen ,Ordnung‘ verschmähend.“274 Gleichlautendes lässt sich auch in der Zwischenbetrachtung finden.275 Um zu verdeutlichen, wie sehr diese religionshistorische Analyse politischen Engagements unter der Prämisse von Webers Geschichte des Rationalismus steht, kommen wir noch einmal zurück auf Kippenbergs Einwand. „Weber operiert den Chiliasmus – die innerweltliche Hoffnung in konzentriertester Form – als irrational aus der Geschichte des Rationalismus heraus (Wirtschaft und Gesellschaft, a.a.O. S. 333). […] Man muss als Religionshistoriker darauf bestehen, daß die Kategorien Webers wohl für eine Geschichte des Rationalismus geeignet sind, aber nicht der Religionsgeschichte als ganzer gerecht werden.“276 Irrationalität, wie er sie in dieser Gestalt nicht nur dem Orient, sondern auch den Schwärmern und der Täuferbewegung im 16. Jahrhundert attestiert, kann nach diesem Verständnis von Rationalität und Irrationalität kein konstruktiv gestaltender Teil okzidentaler Geschichte sein. An diesem zugespitzten Punkt einer politisch aktiven Religiosität zeigt sich exemplarisch Webers Verständnis von Religionsgeschichte, die nur entweder irrational, wie etwa der Chiliasmus, oder aber rational, wie die abendländische Askese, sein kann. Rationalität und Chiliasmus kann Weber, solange für ihn der Rationalismusbegriff durch die protestantische Ethik bestimmt wird, aus systematischen Gründen nicht zusammenbringen. Rationalität und Irrationalität stehen sich unvereinbar und sich gegenseitig ausschließend 271 272 273 274 275 276

Weber (2001): Religiöse Gemeinschaften, S. 330. Ebd., S. 329. Ebd., S. 330. Ebd., S. 330 f. Ders. (1988=1920 f): Zwischenbetrachtung, S. 553 f. Kippenberg (1991): Die vorderasiatischen Erlösungsreligionen, S. 79, Fn. 45.

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3. Eine postkoloniale Lektüre des Rationalismusbegriffs

gegenüber. Sie treten sich als Pole zweier entgegengesetzter Entwicklungsrichtungen gegenüber und sind keine sich aufeinander beziehende Aspekte einer Dynamik. Sie dienen so als Kennzeichen einer In- und Exklusion in bzw. aus der Geschichte des okzidentalen Rationalismus und hierarchisierenden kulturellen Phänomenen innerhalb einer Ordnung verschiedener Kulturentwicklungen.

3.3. Wechselseitige Komplementarität277 in der Weltsichtanalyse Der polarisierend exkludierenden Lesart von Webers Rationalismusbegriff wird nun die Gegenstrategie einer komplementären Lesart des Begriffspaares rational – irrational gegenübergestellt. Die Identifikation dieser Lesart ist getragen von der Intention, Rationalität als einen Aspekt in der Entstehung der Sinndeutung und ihrer Anwendung auf das alltägliche Leben zu bewahren, ohne dabei die irrationalen Anteile zu unterschlagen oder sie wertend der Rationalität gegenüberzustellen. Die entkolonialisierte Interpretation von Rationalität wird von Merkmalen bestimmt, die sie deutlich von der zuvor beschriebenen okzidentalistischorientalistischen Lesart unterscheidet. Mehr noch als bei der polarisierend exkludierenden Lesart gilt für das Folgende, dass das argumentative Gebäude, das hier errichtet wird, sich aus dem reichen Fundus des Weber’schen Steinbruchs bedient. Die Zusammenstellung und ihre Nutzbarmachung für eine neue Rezeption schiitischer Theologie sind hingegen eine eigenständige Arbeit. Die Begriffe ,rational‘ und ,irrational‘ stehen hier in Bezug zueinander und zwar sowohl zunächst sprachlich als gegenseitige Negationen wie inhaltlich als unter konträren Vorzeichen aufeinander bezogen. Sie machen daher als Attribute nur Sinn in zuvor definierten Kontexten und begrifflich definierten Systemen, die ihre Bezogenheit aufeinander bestimmen. Die so beschriebenen Systeme kultureller Phänomene haben 277 Das genaue Verhältnis von Rationalität und Irrationalität ist mehrschichtig und veränderlich. Genetisch ist Rationalität eher der Versuch, Irrationalität zu kompensieren. Das Unterfangen einer rationalisierten Sinnzuschreibung ist so die Reaktion auf die Erfahrung der Irrationalität der Welt. In Systemen der Sinnzuschreibung aber verhalten sich Rationalität und Irrationalität komplementär zueinander. Da es hier nicht um Empirie, sondern um die Untersuchung von Sinnzuschreibungssystemen gehen soll, wird das Verhältnis vordringlich als komplementär beschrieben.

3.3. Wechselseitige Komplementarität

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immer einen rationalen und einen irrationalen Anteil. Die Gewichtung beider Aspekte kann sich innerhalb des Systems verschieben, folgt dabei aber keiner eindeutigen oder universellen Entwicklungsrichtung, sondern ist zu allen Seiten hin offen. Die Benennungen ,rational‘ und ,irrational‘ eignen sich folglich auch nicht um Fortschritt oder Hierarchien zu definieren, sondern lediglich zur Beschreibung von Veränderungen und unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen. Anders als beim polarisierend exkludierenden Verständnis, nach dem Rationalität einer „Entwicklungsrichtung von universeller Bedeutung und Gültigkeit“278 unterliegt, soll Rationalität hier zunächst nur verstanden werden als das Gebot der Konsequenz in Denken und Handeln.279 In Abgrenzung zur dominanten polarisierenden Verwendung Webers schlägt Kippenberg vor „ein Handeln rational zu nennen, bei dem die Beteiligten ihre Handlungen mit Hilfe von Konzepten und Weltbildern aufeinander abstimmen“.280 Doch nicht nur im Handeln sondern auch in der Systematisierung von Konzepten und Weltbildern selbst wirkt das Gebot der Konsequenz, so dass auch Systeme der Sinnzuschreibung als mehr oder weniger rational und irrational beschrieben werden können. Besonders gilt das natürlich auch für eines der umfassendsten Systeme der Weltdeutung, die Theologie in Gestalt von Lehre und Dogmen, Ritual und Ethik. Entsprechend schreibt auch Max Weber im Aufsatz Wissenschaft als Beruf: „Alle Theologie ist intellektuelle Rationalisierung religiösen Heilsbesitzes. […] Für jede Theologie […] gilt die Voraussetzung: die Welt müsse einen Sinn haben.“281 Die Zuschreibung von Sinnhaftigkeit der Welt als Voraussetzung von Rationalität und Irrationalität wird folgend noch genauer betrachtet werden. Irrationalität verhält sich nun komplementär zu verschiedenen Erscheinungen der Rationalität. Hier wird Irrationalität zunächst im weitesten Sinne als das Inkommensurable verstanden, das sich dem Gebot der Konsequenz entzieht. Gemäß dem relationalen Charakter der Begriffe soll die weitere, einleitende Beschreibung möglicher Begriffsverwendungen gebunden werden an Ebenen der Artikulation von Rationalität. Dabei gilt es zunächst, auf basalster Ebene dem Anspruch einer Sinnzuschreibung durch das Kulturwesen Mensch die empirische Kontingenz der Welt gegenüberzustellen. Der Rationalität als Wunsch nach 278 279 280 281

Weber (1988=1920b): Vorbemerkung, S. 1. Vgl. ders. (1988=1920 f): Zwischenbetrachtung, S. 537 f. Kippenberg (1991): Die vorderasiatischen Erlösungsreligionen, S. 52. Weber (1988 f): Wissenschaft als Beruf, S. 610.

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3. Eine postkoloniale Lektüre des Rationalismusbegriffs

Systematisierung der Weltsicht steht die empirische Erfahrung der Irrationalität der Welt und ihre durch Denkmodelle uneinholbare Überkomplexität entgegen. In dieser unauflösbaren Differenz findet Weber auch den Ursprung des Theodizeeproblems, das der Protestantismus mit der überaus irrationalen Prädestinationslehre, Hinduismus und Buddhismus mit der formal rationalen Karmalehre zu lösen versucht.282 Dieses äußerst fundamentale Spannungsverhältnis findet danach seine Repräsentation innerhalb der Denk- und Deutungsmodelle, denn auf die eine oder andere Weise sind alle Weltsichten gezwungen mit der Zufälligkeit der Welt, wie sie nach Weber z. B. in Gestalt von Krankheiten, Leiden, Unglück und den weiteren Wechselfällen des Lebens erscheinen, umzugehen.283 Das Inkommensurable findet sich entsprechend in den von Weber ausgiebig behandelten Systematisierungen sowohl von Heilswegen wie Heilszielen repräsentiert. So gilt für den Protestantismus die rationalisierte Lebensführung, welcher, wie Weber selbst feststellt,284 letztlich die irrationale Berufsidee unterliegt. Ebenso führt gerade die durch die prophetische Religion vorangetriebene Rationalisierung zu deren Verschiebung ins Irrationale.285 Schließlich finden wir die Korrespondenz von Rationalität und Irrationalität auch auf der Handlungsebene. Das Begriffspaar taugt hier zur Beschreibung von Pragmatik wie z. B. der praktischen Umgestaltung der Welt durch den Protestanten oder der Systematisierung asketisch mystischer Leistungen wie z. B. der des Yogi, die beide dem Gebot der Konsequenz folgen. Die Heilswege mit ihren mystischen, ekstatischen oder kontemplativen Zuständen selbst bleiben aber letztlich immer irrational, auch wenn sie einer systematisierten Methodik folgen. Sowohl im Puritanismus wie auch in asiatischen Meditationspraktiken lässt sich nachvollziehen, wie sich die verschiedenen Ebenen hinsichtlich ihrer rationalen und irrationalen Anteile miteinander verbinden und aufeinander bezogen sind. Die Pragmatik des Puritanismus wird bestimmt durch die rational systematisierte Lebensführung, die aber durch die auf der Prädestinationslehre basierende und daher irrationale Berufsidee getragen wird. Demgegenüber spiegelverkehrt basieren die von Weber beschriebenen asiatischen Meditationspraktiken des Buddhismus oder der als Hinduismus bezeichneten Reli282 283 284 285

Ders. (2001): Religiöse Gemeinschaften, S. 291 – 301. Ders. (1988=1920d): Einleitung, S. 241 ff. Ders. (1988=1920c): Die protestantische Ethik, S. 62. Ders. (1988=1920 f): Zwischenbetrachtung, S. 572; ders. (2001): Religiöse Gemeinschaften, S. 271 f.

3.3. Wechselseitige Komplementarität

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giosität auf der formal rationalsten Lösung des Theodizeeproblems, der Karmalehre. In ihrer Praxis systematisiert, ist ihr eigentlicher Gegenstand, die Kontemplation irrational. Zur Omnipräsenz der Irrationalität schreibt Weber: „Jede Religion welche mit rationalen (ethischen) Forderungen der Welt gegenübertritt, gerät ja […] an irgendeinem Punkt mit deren Irrationalitäten in ein Spannungsverhältnis. „286 Der Dynamik von Rationalität und Irrationalität lässt sich also vom bloßen empirischen Befund über die Systematisierung von Weltsicht bis hin zu den daraus abgeleiteten Handlungen nachspüren. Neben den zuvor vorgestellten Lesarten wird mit der komplementären Lesart des Begriffspaars ,rational‘ und ,irrational‘ eine weitere Interpretation von Webers Rationalitätsbegriff entwickelt. Es sei an dieser Stelle aber noch einmal angemerkt, dass sämtliche Versuche, Webers Ausführungen zum Rationalitätsbegriff zu systematisieren sich letztlich immer auf Weber beziehen müssen. Sie stellen aber, da Webers Opus in diesem Punkt keine Klarheit gestattet, allesamt Extrapolationen und somit eigene Entwürfe des Autors dar. Eine richtige oder abschließende Darstellung kann es also nicht geben. „Die fehlende Systematik, die prinzipielle Unentschlossenheit, die vorhandenen Widersprüche und die unterschiedlichen Präzisionsstufen lassen und ließen das Gesamtwerk Max Webers zu einem riesigen ,Steinbruch‘ werden, der in unterschiedlichster Weise ausgebeutet, bewahrt, bewundert und besichtigt werden kann.“287 Die im Folgenden verwendeten Steine stammen aus diesem Steinbruch. Die komplementäre Lesart von Webers Rationalismusbegriff verhält sich in gewisser Weise zur polarisierend exkludierenden Position wie die beiden Grundströmungen seiner Religionssoziologie. Während Weber einerseits dem Rationalismus als eine okzidentale „Kulturerscheinung von […] universeller Bedeutung und Gültigkeit“288 nachspüren will, hat er gleichzeitig das Anliegen, „die Ausführungen ihrer Isoliertheit zu entkleiden und in die Gesamtheit der Kulturentwicklung hineinzustellen, […] die Resultate vergleichender Studien über die universalgeschichtlichen Zusammenhänge von Religion und Gesellschaft niederzuschreiben“.289 Exklusivität und Universalismus prallen aufeinander und die Ambivalenz durchzieht sein gesamtes Werk. Wenn auch noch nicht in 286 287 288 289

Ders. (1988=1920e): Konfuzianismus und Taoismus, S. 513. Kaesler (Hg.) (2002): Max Weber, S. XVIII. Weber (1988=1920b): Vorbemerkung, S. 1. Weber (1988=1920c): Die protestantische Ethik, S. 206, Fn. 1.

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3. Eine postkoloniale Lektüre des Rationalismusbegriffs

einen engen konstruktiven Zusammenhang gestellt, so taucht auch schon in der Protestantismus-Studie die Irrationalität immer wieder im Umfeld der Rationalität auf. In einer Replik auf Brentano betont Weber noch einmal deutlich, dass es sich beim Kapitalismus um eine „,Rationalisierung‘ zu einer ,irrationalen Lebensführung‘“290 handelt. In dieser, 1920 eingefügten, Fußnote extrapoliert er auch den in seinem Text von 1904/ 1905 bereits impliziten Zusammenhang der beiden Begriffe. „,Irrational‘ ist etwas stets nicht an sich, sondern von einem bestimmten ,rationalen‘ Gesichtspunkte aus.“291 Absicht des Aufsatzes sei es aber die Vielseitigkeit des Rationalismusbegriffs aufzudecken. Ebenso beendet er eine Passage zum ökonomischen Rationalismus mit dem Verweis auf den irrationalen Kern der Berufsidee.292 Die hier entwickelte komplementäre Lesart des Begriffspaares soll zunächst an einigen Punkten zu Webers Wissenschaftsverständnis als Kulturtheorie verdeutlicht werden. Dann soll Religion als Sinnzuweisungssystem aus dieser komplementären Perspektive betrachtet werden. Abschließend folgen Ausführungen zur nicht minder prominenten Zweck- und Werttheorie Webers.

3.3.1. Sinnzuweisungssystem I: Kulturwissenschaft Die Dynamik von Rationalität und Irrationalität nimmt ihren Ausgangspunkt von einem altbekannten Problem aus: der Spannung zwischen Sollen und Sein. Der Mensch wird in seinem Willen und Bedürfnis nach Sinnzuschreibung und Systematisierung konfrontiert mit der kontingenten Empirie, die in sich keinen Sinn trägt. Weber formuliert: „Das Schicksal einer Kulturepoche, die vom Baum der Erkenntnis gegessen hat, ist es, wissen zu müssen, daß wir den Sinn des Weltgeschehens nicht aus dem noch so sehr vervollkommneten Ergebnis seiner Durchforschung ablesen können, sondern ihn selbst zu schaffen imstande sein müssen, daß ,Weltanschauungen‘ niemals Produkt fortschreitenden Erfahrungswissen sein können […].“293 Dem Rationalismus als Gebot der Konsequenz, oder wie Kippenberg formuliert, als Abstimmung von Handlungen und Weltbildern, tritt allerorten der „kreatürliche[ ], 290 291 292 293

Ebd., S. 35, Fn. 1. Ebd. Ebd., S. 60 – 62. Ders. (1988b): Die ,Objektivität‘, S. 154.

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ethisch irrationale[ ] empirische[ ] Charakter“294 der Welt entgegen. Neben ihrer Kontingenz, die sich jeder Sinnzuschreibung sperrt, ist die Empirie mit dem Problem der Unreduzierbarkeit behaftet. Gegenüber der uneinholbaren Realität ist ihre analysierende Betrachtung immer ungenügend.295 Als unleugbare Anteile des menschlichen Daseins besteht aber die Notwendigkeit, mit diesen Wechselfällen des Lebens umzugehen. Entsprechend muss dem als Irrationalität mit dem Sinnzuschreibungssystem Inkommensurablen ein Ort und ein Name zugewiesen werden. Irrationalität ist die empirische Konstante mit der die sinnhafte Systematisierung umgehen muss. Daher ist jede Form von Systematisierung der Sinnzuweisung rational, auch in ihrem Umgang mit der Irrationalität, der sie einen Platz geben muss. Die hier dargestellte Sinnzuschreibung und Systematisierung durch den Menschen betrifft aber nicht nur die Entstehung von Weltanschauungen, kosmologischen Ordnungen und Werten, sondern sie ist selbstverständlich ebenso Grundlage der Sozialwissenschaft und muss als solche bei der Betrachtung der Sozialwissenschaft bedacht werden. Das heißt, bei der Überlegung zum Gegenstand der Wissenschaft, ihren methodologischen Grundlagen und was sie zu leisten vermag, muss stets in Betracht gezogen werden, dass Urteile und Bedeutungen durch den ihnen zugewiesenen Sinn entsteht. „Transzendentale Voraussetzung jeder Kulturwissenschaf t ist nicht etwa, daß wir eine bestimmte oder überhaupt irgend eine ,Kultur‘ wertvoll finden, sondern daß wir Kulturmenschen sind, begabt mit der Fähigkeit und dem Willen, bewußt zur Welt Stellung zu nehmen und ihr einen Sinn zu verleihen. Welches immer dieser Sinn sein mag, er wird dazu führen, daß wir im Leben bestimmte Erscheinungen des menschlichen Zusammenseins aus ihm heraus beurteilen, zu ihnen als bedeutsam (positiv oder negativ) Stellung nehmen.“296 Weber will hier nicht dem Relativismus das Wort reden, haben die Werte und Urteile für ihn doch ihre volle Gültigkeit und Berechtigung. Er betont aber die Relationalität in der Entstehung von Sinnzuschreibungssystemen und ihre Abhängigkeit von Geschichte und Umfeld ihrer Genese. Wenn die Wissenschaft, ihr Erkenntnisinteresse und ihre Fragestellungen auch von persönlichen Werturteilen geleitet werden, so ist sie in ihrer Methodik in Bezug auf die empirische Wirklichkeit doch an Regeln gebunden, die sie über ihre Kulturbezogenheit 294 Ders. (2001): Religiöse Gemeinschaften, S. 328 f. 295 Vgl. ders. (1988b): Die ,Objektivität‘, S. 172 ff. 296 Ebd., S. 180 f.

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3. Eine postkoloniale Lektüre des Rationalismusbegriffs

intelligibel machen müssen und ihre sachliche Richtigkeit garantieren.297 Wenn Wissenschaft also ebenso wie alle anderen Kulturleistungen durch die Schaffung von Sinn bestimmt wird, dann sind von diesem Standpunkt aus gesehen hierarchisierende Kulturvergleiche mit einer sozialwissenschaftlichen Arbeitsweise nicht mehr in Einklang zu bringen. Soziologie ist nach Weber die Wissenschaft vom deutenden Verstehen und Erklären einer Handlung, die der oder die Handelnde mit Sinn belädt und auf andere bezieht.298 Die Signifikanten von Rationalität wie Irrationalität sind innerhalb jedes dieser Sinnzuweisungssysteme, in der die Handlung vollzogen wird, zu finden. Die Abstimmung von Handlung und Weltbildern umfasst daher nicht nur die rationalen Anteile eines Systems von Ordnungen und Handlungen, sondern notwendigerweise auch deren irrationale Phänomene, Anschauungen und Handlungen. Im soziologischen Deutungsprozess kann die Sinnadäquatheit „bei rationalen (wert- oder zweckrationalen) Begriffen und Regeln besonders vollständig erreicht werden. Aber die Soziologie sucht auch irrationale (mystische, prophetische, pneumatische, affektuelle) Erscheinungen in theoretischen und zwar sinnadäquaten Begriffen zu erfassen“299. Das Beispiel der Magie und der in diesem Kontext von Weber verwandten ,Richtigkeitsrationalität‘ unterstreicht die Wichtigkeit, die emische und etische Rekonstruktion deutlich zu unterscheiden.

3.3.2. Sinnzuweisungssystem II: Religion Parallel zum Verhältnis von Rationalität und Irrationalität in der Wissenschafts- und Kulturtheorie finden sich auch in der Religionssoziologie Ansätze, die die Dynamik der beiden Begriffe erkennen lassen. In der Religion als dem System der Sinnzuschreibung und Weltdeutung par excellence ringen Systematisierungsstreben und Kontingenz um nicht weniger als um den Sinn des Lebens selbst. Die Korrespondenz von Rationalität und Irrationalität lässt sich in Webers Texten auf allen Ebenen von der Empirie über die Systematisierung bis hin zur Handlungsebene nachzeichnen. In seinem Resultat zu Konfuzianismus und Puritanismus schreibt Weber zum Konflikt vom menschlichen Anspruch auf Sinn und der 297 Vgl. ebd., S. 155 u. 183 f. 298 Vgl. ders. (1988e): Soziologische Grundbegriffe, S. 542. 299 Ebd., S. 560.

3.3. Wechselseitige Komplementarität

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empirischen Wirklichkeit: „Jede Religion welche mit rationalen (ethischen) Forderungen der Welt gegenübertritt, gerät ja […] an irgendeinem Punkt mit deren Irrationalität in ein Spannungsverhältnis.“300 Weber geht sogar noch weiter und schreibt in Politik als Beruf von 1919, dass die scheinbare Sinnlosigkeit der Welt überhaupt erst Grundlage der Religionsentwicklung war. „Dies Problem: die Erfahrung von der Irrationalität der Welt war ja die treibende Kraft aller Religionsentwicklung.“301 Religion versucht auf diese Erfahrung der Sinnfreiheit zu antworten und daher sind auch die verschiedenen Theodizeen, die für Weber die Kristallisationspunkte religiöser Systematisierung darstellen, durch diese Grundlage menschlichen Seins begründet. „Die indische Karmanlehre und der persische Dualismus, die Erbsünde, die Prädestination und der Deus absconditus sind alle aus dieser Erfahrung herausgewachsen.“302 Der Wunsch, Irrationalität zu kompensieren, ist somit der Ursprung der Sinnzuweisung an Handlung. Rationalität und Irrationalität sind also nicht ursprünglich komplementär, vielmehr ist Rationalität als Produkt und Grundlage von Kultur der Versuch, die Erfahrung der Irrationalität zu kompensieren. Erst auf der Ebene der Systematisierung, wo rationale und irrationale Anteile einer beschreibenden, deutenden und wertenden Weltsicht ineinandergreifen, wirken sie komplementär zueinander, um sowohl Sinnwille wie Zufälligkeit abzubilden und zueinander in Beziehung zu setzen. Wie jede kulturelle Äußerung muss auch die religiöse Weltdeutung die Sinnhaftigkeit der Welt postulieren, um von dort aus ihre weitere Systematik zu entwerfen. „Für jede Theologie […] gilt die Voraussetzung: die Welt müsse einen Sinn haben, – und ihre Frage ist: wie muss man ihn deuten, damit dies denkmöglich ist?“303 Der Sinnlosigkeit der Welt steht das gegenüber, was Weber als den Kern des Religiösen ausmachte, das Heilsgut. Dieses Heilsgut, sei es jenseitige Erlösung, kontemplative Gottesschau oder eine günstige Wiedergeburt, ist bezogen auf den Aspekt der Weltsicht, der als Zeichen die Kontingenz und Irrationalität der Welt trägt, sei es in Gestalt der Prädestination, launischer Götter oder eines bösen Gegenspielers des guten Gottes. Wie Weber schreibt: „Stets steckte dahinter [hinter der Systematisierung der Heilsgüter; M. W.] eine Stellungnahme zu etwas, was an der realen Welt als spezifisch 300 301 302 303

Ders. (1988=1920e): Konfuzianismus und Taoismus, S. 513. Ders. (1992): Politik als Beruf, S. 444. Ebd. Ders. (1988 f): Wissenschaft als Beruf, S. 610.

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3. Eine postkoloniale Lektüre des Rationalismusbegriffs

,sinnlos‘ empfunden wurde und als die Forderung: daß das Weltgefüge in seiner Gesamtheit ein irgendwie sinnvoller ,Kosmos‘ sei oder: werden könne und solle.“304 Religion beantwortet so als umfassendes Sinnzuschreibungssystem die Fragen nach dem Wer, Woher und Wohin und vermittelt damit Werte und Orientierungen gegenüber den unverständlichen Erscheinungen der Natur und den Wechselfällen des Lebens. Durch die Theologie erfährt diese Sinnzuschreibung eine zunehmende Systematisierung und Abstimmung der Lehraussagen aufeinander. Systematisierung und Abstimmung bedeutet dabei, die Lehrinhalte dem Gebot der Konsequenz zu unterwerfen, sie zu rationalisieren. „Alle Theologie ist intellektuelle Rationalisierung religiösen Heilsbesitzes.“305 Doch in der Juxtaposition von Heilsmittel und Kontingenz als Kompensation oder Komplement teilen sie auch ein wesentliches Merkmal, denn sie sind beide letztlich immer irrational. „Immer blieb die Außeralltäglichkeit und Irrationalität der Heilsmittel bestehen. Entweder waren sie orgiastischer Natur […] [oder] sie waren zwar rational in der Methodik, aber irrational im Ziel.“306 Die Religion, die die Welt eigentlich durch ihre Sinnzuschreibung der Sinnlosigkeit entreißen wollte, muss also in der Gestaltung ihrer Heilsmittel selbst wieder der Irrationalität Rechnung tragen. Die hier gezeigte Parallele zwischen der irrationalen Empirie und dem Sinnzuschreibungssystem Religion lässt sich in zwei Richtungen weiterverfolgen. Wenn Weber schreibt, Heilsmittel seien entweder orgiastischer Natur und damit irrational oder methodisch rational aber hinsichtlich des Ziels irrational, dann zeigt er, wie sich die Kontinuität der Dynamik von Rationalität und Irrationalität verfolgen lässt bis auf die Handlungsebene. Die Verflechtung ist aber noch etwas weniger eindeutig als Weber sie hier herbeisystematisiert. Denn die den methodisch rationalen und im Ziele irrationalen Heilsmittel (er hat hier wohl die protestantische Berufsethik mit der Prädestinationslehre im Hinterkopf) gegenübergestellten orgiastischen Praktiken (wohl auf alles zielend, was bei ihm unter Mystik fällt) sind ja in ihrer Planmäßigkeit letztlich nicht weniger systematisiert und rationalisiert, wenn sich auch die konkreten Handlungen (Gewinnakkumulation versus Gottesschau) der soziologischen Methode unterschiedlich fügen. 304 Ders. (1988=1920d): Einleitung, S. 253. 305 Ders. (1988 f): Wissenschaft als Beruf, S. 610. 306 Ders. (1988=1921c): Hinduismus und Buddhismus, S. 360.

3.3. Wechselseitige Komplementarität

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Darüber hinaus verweist die Parallele aber auch auf eine grundlegende Dynamik im Prozess der Systematisierung und zwar hinsichtlich der Rationalisierung wie der Irrationalisierung. Der Fortschritt hinsichtlich der Systematisierung, der Rationalisierung einer fortlaufenden Anpassung an das Gebot der Konsequenz muss nämlich an anderer Stelle mit einer Steigerung der Irrationalität erkauft werden. Im Verhältnis von Wissenschaft, die Weber als direkten Ausfluss religiöser Intellektualität sieht, und Religion zeichnet Weber diese Entwicklung folgendermaßen nach: „[D]as Bedürfnis nach ,Erlösung‘ [reagierte] derart, daß, je systematischer das Denken über den ,Sinn‘ der Welt, je rationalisierter diese selbst in ihrer äußeren Organisation, je sublimierter das bewußte Erleben ihrer irrationalen Inhalte wurde, desto unweltlicher, allem geformten Leben fremder, genau parallel damit, das zu werden begann, was den spezifischen Inhalt des Religiösen ausmachte. Und nicht nur das theoretische Denken, welches die Welt entzauberte, sondern gerade der Versuch der religiösen Ethik, sie praktisch ethisch zu rationalisieren, führte in diese Bahn.“307 Weber fasst diesen Prozess damit zusammen, dass jede Religion das Opfer des Intellekts fordert. „[C]redo non quod, sed quia absurdum.“308 Die Religion ist in ihrem Verhältnis zur Welt in einer eigentümlichen Zwischenposition gefangen. Denn einerseits deutet sie Phänomene und weist ihnen damit Sinn zu, sie bringt also Kultur hervor. Andererseits entwertet sie Kultur durch ihren Bezug auf eine wie auch immer geartete Idee von Erlösung, Transzendenz oder ähnlichem. „[D]er ,Sinn‘ des spezifisch religiösen Sichverhaltens wird, parallel mit jener Rationalisierung des Denkens, zunehmend weniger in rein äußeren Vorteilen des ökonomischen Alltags gesucht, und insofern also das Ziel des religiösen Sichverhaltens ,irrationalisiert‘, bis schließlich diese ,außerweltlichen‘, d. h. zunächst: außerökonomischen Ziele als das dem religiösen Sichverhalten Spezifische gelten.“309 Sowohl prophetische wie priesterliche Religion bedürfen daher umso mehr der rationalen Apologetik und bringen so Bildung hervor, die sich dann als Laienbewegung gegen die Priester richtet. Daneben benötigen auch der rationale Charakter der religiösen Ethik und das spezifisch intellektualistische Erlösungsbedürfnis den Intellektualismus.310 307 308 309 310

Ders. (1988=1920 f): Zwischenbetrachtung, S. 571. Ebd., S. 566; ebenso ders. (1988 f): Wissenschaft als Beruf, S. 611. Ders. (2001): Religiöse Gemeinschaften, S. 156 f. Vgl. ders. (1988=1920 f): Zwischenbetrachtung, S. 564 f. – Dass dieser Prozess nicht nur singulär in der Religionssoziologie stattfindet, zeigt eine Passage aus

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3. Eine postkoloniale Lektüre des Rationalismusbegriffs

In der Theodizeefrage kulminiert die Frage nach dem Sinn der Welt unter den ethischen, heißt rationalen Ansprüchen. In einer durch und durch intellektualisierten Welt kristallisiert sich in der Theodizeefrage, in Kosmogonie und Eschatologie, die Frage nach dem Gesamtsinn. Der von Weber gefeierte Protestantismus ist insofern die rationalste und irrationalste Religion zugleich. „Gerade weil dieser Glaube [der Prädestinationsglaube; M. W.] keine rationale Lösung des praktischen Theodizeeproblems enthält, birgt er die größten Spannungen zwischen Welt und Gott, Sollen und Sein.“311 Hier entsteht das lustvolle Paradox, dass „die Grundlagen einer Kultur, deren vornehmliches Kennzeichen Rationalität war, in letzter Instanz religiös und damit irrational begründet waren“312. Den Gegenpol hierzu findet Weber in Indien: „Die formal vollkommenste Lösung des Problems der Theodizee ist die spezifische Leistung der indischen ,Karman‘-Lehre, des sog. Seelenwanderungsglaubens.“313 – Weber spricht hier wohlweislich von der „formal vollkommensten Lösung“, keineswegs aber von einer rationalen. Denn wenngleich sich auch eine relativ rationale Lösung des Theodizeeproblems finden lässt, bricht sich die Irrationalität komplementär doch an anderer Stelle der Theologie Bahn und der Konflikt von Systemwille und Kontingenz bleibt unlösbar. Dieser Gedanke kann dahingehend zusammengefasst werden, dass es keine Rationalität ohne Irrationalität geben kann und dass je mehr die Rationalität ein System beherrscht, umso stärker bricht sich auch die Irrationalität ihre Bahn. „Diese Spannungen setzen bei den einzelnen Religionen an sehr verschiedenen Punkten ein und darnach ist sowohl die Art wie der Stärkegrad der Spannung verschieden. Dies hängt in starkem Maße von der Art des durch metaphysische Verheißungen gegebenen Erlösungswegs der einzelnen Religion ab.“314

311 312 313 314

Webers Rechtssoziologie: „Alle, auch und gerade die irrationalistischen, Spielarten der Abkehr von der in der gemeinrechtlichen Wissenschaft entwickelten rein logischen Rechtssystematik sind aber andererseits auch wieder Konsequenzen der sich selbst überschlagenden wissenschaftlichen Rationalisierung und voraussetzungslosen Selbstbesinnung des Rechtsdenkens. Denn soweit sie nicht selbst rationalistischen Charakter haben, sind sie doch, als Form der Flucht in das Irrationale, eine Folge der zunehmenden Rationalisierung der Rechts t e c h n i k – eine Parallelerscheinung der Irrationalisierung des Religiösen.“ Weber (1972): Wirtschaft und Gesellschaft, S. 509. Weber (2001): Religiöse Gemeinschaften, S. 298. Kippenberg (1991): Die vorderasiatischen Erlösungsreligionen, S. 25. Weber (2001): Religiöse Gemeinschaften, S. 299. Ders. (1988=1920e): Konfuzianismus und Taoismus, S. 513 f.

3.3. Wechselseitige Komplementarität

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Einen neuen, konstruktiveren Umgang durch die wechselseitig komplementäre Lesart des Begriffspaars ergibt sich auch bei der Betrachtung von Webers Magieverständnis. Weber ist sich nämlich durchaus darüber im Klaren, dass die in Kapitel 2.2.1. behandelte Richtigkeitsrationalität, auf der letztlich seine Beurteilung der Magie beruht, Ergebnis einer okzidentalen Wissenschaftsentwicklung ist. Nach der voranstehenden Betrachtung der Sozialwissenschaft als Sinnzuweisungssystem bekommt auch sein Kommentar hierzu größeres Gewicht. „Nur wir, vom Standpunkt unserer heutigen Naturanschauung aus, würden dabei objektiv ,richtige‘ und ,unrichtige‘ Kausalzurechnungen unterscheiden und die letzteren als irrational, das entsprechende Handeln als ,Zauberei‘ ansehen können.“315 Wie sehr die Zuschreibung von Gültigkeit vom jeweiligen Sinnzuschreibungssystem abhängt und von okzidental wissenschaftlicher Perspektive abweichen kann, macht Weber in seinem Kategorienaufsatz deutlich. Er schreibt, dass magisches Verhalten subjektiv absolut zielführend sein könne, während es „objektiv richtigkeitsrational total falsch sein“316 könne.317 Magisches Sichverhalten kann also durchaus Rationalität für sich in Anspruch nehmen. Gleichzeitig ist es aber auch ein Mechanismus, der z. B. dem letztlich starren System formaler Rechtsprechung Flexibilität und Lebensnähe einhaucht. Weber spricht in seiner Rechtssoziologie vom Eid als irrationales Beweismittel oder der Wirksamkeit der Magie in allen Formen der Schlichtung und der Schaffung neuer Normen.318 Stefan Breuer resümiert: „Wenn Kultur das ,Heraustreten des Menschen aus dem organisch vorgezeichneten Kreislauf des natürlichen Lebens‘ ist ([MWG I/19], 519), dann ist Magie eine Art Gravitationsfeld, das die Kultur dazu bringt, sich nicht zu weit von diesem Kreislauf zu entfernen.“319 Entsprechend lässt sich nach dem oben entwickelten Interpretationsmuster sagen, dass, wenn Kultur die rationale Systematisierung des Lebens gegenüber der Zufälligkeit der Empirie ist,

315 Ders. (2001): Religiöse Gemeinschaften, S. 122. 316 Ders. (1988c): Über einige Kategorien, S. 433. 317 Die von Weber hier beanspruchte Objektivität und Totalität schließen nach obiger Untersuchung zur Wissenschaft als Sinnzuweisungssystem noch einmal den Zirkel zum zuvor herausgearbeiteten Interesse Webers an der Einzigartigkeit des okzidentalen Rationalismus. Seine Position bleibt unentschlossen zwischen der Überlegenheit der okzidentalen Moderne und seinen Anforderungen an die Soziologie. 318 Weber (1972): Wirtschaft und Gesellschaft, S. 395 u. 446 ff. 319 Breuer (2006): Max Webers tragische Soziologie, S. 16.

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3. Eine postkoloniale Lektüre des Rationalismusbegriffs

dann Magie die Reintegration der irrationalen Kreatürlichkeit in die Kultur darstellt.

3.3.3. Sinnzuweisungssystem III: Max Webers Wert- und Zwecktheorie Nicht weniger prominent als Webers Rationalismustheorie wurde seine Werttheorie rezipiert. Wolfgang Schluchter sieht zwischen beiden eine Beziehung: „Die Werttheorie und die Theorie des Rationalismus bzw. der Rationalisierung hängen natürlich zusammen.“320 Für die hiesige Untersuchung soll der Zusammenhang zwischen den beiden Großtheorien in Webers Werk wieder hinsichtlich der Dynamik des Begriffspaares rational – irrational untersucht werden. Wenn ,Rationalität‘ die Ausrichtung von Handlungen und Konzepten am Gebot der Konsequenz bedeuten sollte, und ,Irrationalität‘ dagegen jene Elemente einer Beschreibung bezeichnet, die dem entzogen sind, liegt eine Parallele zur Theorie der Wert- und Zweckrationalität auf der Hand. In seinem posthum veröffentlichten Artikel Soziologische Grundbegriffe stellt Weber in der Grundlegung seiner Soziologie neben dem traditionalen und affektuellen auch sein Verständnis von zweck- und wertrationalem Handeln vor. Zweckrationalität ist demnach unter Abwägung verschiedener möglicher Ergebnisse orientiert an den Zwecken, Mitteln und Nebenfolgen. Demgegenüber ist Wertrationalität orientiert an letzten Richtpunkten, der Sinn der Handlung liegt in der Handlung selbst, nicht in ihren Konsequenzen und Effekten.321 Während für die Zweckrationalität die Vorstellung eines Erfolges Ursache einer Handlung ist, wird wertrationales Verhalten bestimmt durch die Vorstellung einer Geltung.322 Das hier beschriebene zweckrationale Handeln ist also wie die oben dargestellte Rationalität dem Gebot der Konsequenz und Abstimmung unterworfen. Wertrationales Handeln wird wie das obige Konzept von Irrationalität durch die Setzung von Werten und das Zuweisen von Sinn bestimmt. Rationalität und zweckrationales Handeln richten sich letztlich immer nach den durch die Kultur geschaffenen Werten und Sinnzuschreibungen. Wie stets bei derartigen Systematisierungen bleibt, dass die Grenzen empirisch fließend sind. So stellt Weber auch fest, dass 320 Schluchter (1991b): Religion und Lebensführung, Bd. 2, S. 39, Fn. 66. 321 Weber (1988e): Soziologische Grundbegriffe, S. 566 f. 322 Vgl. Schluchter (2003): Handlung, Ordnung und Kultur, S. 64.

3.3. Wechselseitige Komplementarität

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zweckrationales Handeln, das wertrational orientiert ist, lediglich in seinen Mitteln zweckrational ist und dass wertrationales Handeln nur einen Bruchteil aller Handlungen ausmacht. Einen prototypischen Konflikt zwischen den beiden Modi der Handlungsorientierung beschreibt Weber in seiner Zwischenbetrachtung. Hier konkurrieren die ,religiöse Brüderlichkeitsethik‘ und die ,Eigengesetzlichkeiten des zweckrationalen Handelns in der Welt‘ miteinander.323 Weber selbst legt den Zusammenhang seiner beiden Großtheorien nah: „Vom Standpunkt der Zweckrationalität aus aber ist Wertrationalität immer, und zwar je mehr sie den Wert, an dem das Handeln orientiert wird, zum absoluten Wert steigert, desto mehr: irrational […]. Absolute Zweckrationalität des Handelns ist aber auch nur ein im wesentlichen konstruktiver Grenzfall.“324 Parallel zu obiger Darstellung zeigt es sich, dass beide, Rationalität und Irrationalität, feste Bestandteile einer systematisierten Beschreibung sind. Der Bezug zur Empirie bleibt durch die aus rationalisierter Sicht immer irrationalen Wert- und Sinnzuschreibungen erhalten. Und aufgrund der Unumgänglichkeit des empirischen Bezugs sind sowohl rein rationale Systematisierungen sowie absolut zweckrationale Handlungen nicht denkbar, stets erhalten sie Sinn und Orientierung erst aus der Setzung der Werte.

323 Vgl. Weber (1988=1920 f): Zwischenbetrachtung, S. 554. 324 Ders. (1988e): Soziologische Grundbegriffe, S. 567.

4. Von der Kritik zur Konstruktion „We affirm the ,reason of the Other‘.“ (Dussel: Eurocentrism and Modernity, S. 75)

4.1. Zur kritischen Reflexivität der methodologischen Grundlagen ˘

Am Anfang der Arbeit stand der Wunsch, ein Instrumentarium zu gewinnen, welches gestattet, das Lehrgebäude der schiitischen Isma¯ ¯ılı¯ya hinsichtlich ihres gemeinschaftsbildenden Gehalts zu untersuchen. Ausgelöst und angeleitet von diesem Anspruch waren im ersten Kapitel die theoretischen Überlegungen zu Max Webers Orientalismus und ihnen folgend der Versuch, aus seiner Religionssoziologie eine postoloniale Lesart zu entwickeln. In den ersten beiden Kapiteln wurde also zunächst herausgearbeitet, wie Webers Orientalismus gemeinsam mit seinem Okzidentalismus operiert und wie diese beiden Seiten ein und derselben Voreingenommenheit miteinander in einen Wirkzusammenhang treten. Danach wurde am Schluss des zweiten Kapitels aus Webers Religionssoziologie eine Lesart zum Begriffspaar rational –irrational entwickelt, die nicht mehr die herkömmlichen, hierarchisierenden Einseitigkeiten reproduziert. Zentral war dabei die Annahme, dass der Begriff der Rationalität nicht ohne den der Irrationalität zu verstehen ist und dass beide zusammen konstitutive Bestandteile einer Weltsicht sind. Beide, Rationalität wie Irrationalität, müssen also auch gleichwertige Elemente bei der Analyse solcher Sinnzuweisungssysteme sein. Fortfahrend soll jetzt gezeigt werden, dass und wie das zuvor entworfene Instrumentarium zur Analyse einer religiösen Weltsicht und der damit eng verknüpften soziopolitischen Situation der Gemeinschaft dient. Das vierte Kapitel fungiert als Scharnier zwischen theoretischmethodologischen Reflektionen der ersten drei Kapitel und den historischen und theologiegeschichtlichen Studien der anschließenden drei Kapitel. Bei der Untersuchung von Webers Religionssoziologie ging es nach der Aufdeckung von Webers Orientalismus und seinem Okziden-

4.1. Zur kritischen Reflexivität der methodologischen Grundlagen

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˘

talismus darum, eine Perspektive zu entwickeln, die die Essenzialisierungen und Hierarchisierungen in der Untersuchung von außereuropäischen Kulturen und Religion vermeidet. Besonders eine religionswissenschaftliche Untersuchung der Isma¯ ¯ılı¯ya muss sich aber der weiterhin bestehenden Fallstricke bewusst sein. Mit anderen Disziplinen, die sich mit dem Islam und generell außereuropäischen Kulturen beschäftigen, teilt sie das bis heute nicht gelöste Problem, wie mit dem Erbe des Kolonialismus umzugehen ist. Einen postkolonialen Ansatz zu verfolgen oder orientalismuskritisch zu sein, bedeutet nicht, dass diese historischen Verwerfungen aufgehoben sind, sondern lediglich, dass man sich ihrer bewusst ist. Gemeinsam mit anderen historisch arbeitenden Disziplinen muss auch die hier vertretene Religionswissenschaft immer wieder abwägen zwischen den erhobenen empirisch-historischen Daten und ihrer Systematisierung. Weder im Umgang mit den Problemen des Postkolonialismus und des Orientalismus noch in der Gewichtung von ,Stoff‘ und ,Sinn‘ gibt es einen Königsweg oder eine sich abzeichnende abschließende Lösung – aber immerhin wird darum seit Jahrzehnten gerungen. Anders ist das mit dem originär religionswissenschaftlichen Problem, Fragestellungen in den Islam zu tragen, die vor allem im christlichen Kontext entwickelt wurden. Wie können Phänomene wie ,Parusieverzögerung‘, ,Esoterik‘ oder ,Gnosis‘ im Islam interpretiert werden? Aber auch Begriffe wie ,Minderheit‘ oder ,Verländlichung‘ bergen immense Probleme, da sie ihre spezifische analytische Prägung in der Untersuchung von spätantiken oder mittelalterlichen Religionsgemeinschaften, Ketzern bzw. Katharern, entwickelt haben. Die angerissenen Desiderata können nicht behoben, müssen aber benannt werden.

4.1.1. Postkoloniale Islambilder Die im ersten Kapitel als Orientalismus und Okzidentalismus behandelten Probleme beschreiben die prinzipiellen Schwierigkeiten in der Darstellung kultureller Fremdheit und die Fragestellungen, die sich für die sich damit beschäftigende Wissenschaft stellen. Dass sich die Problematik einer solchen Fremddarstellung bis in die Gegenwart kontrovers erstreckt und dass es hierbei auch um Fragen der Methoden und Disziplinen geht, belegen die Reaktionen auf den Artikel Die Ebenbrtigkeit des Fremden des Arabisten Tilman Nagel325. Neben dem Artikel des Politologen und 325 Nagel (1998): Die Ebenbürtigkeit des Fremden, S. 367 – 378.

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4. Von der Kritik zur Konstruktion

Historikers Thomas Philipp326 finden sich einige pointierte Repliken auch in dem Sammelband Das Unbehagen in der Islamwissenschaft 327. Paradoxerweise geht Nagels Text in seiner Abwehrschlacht gegen die Sozialwissenschaften selbst hinter den von ihm kritisierten Punkt zurück. Mit seiner Darstellung des Orients als das „unvergleichbar Fremde“328 betreibt er ein nicht geringeres othering als die Sozialwissenschaft, die aus einer europäischen Tradition von Epistemologien und Kategorien kommend nach Nagels Lesart den Orient angeblich ideologisch vereinnahmt. Nagel wirft der Sozialwissenschaft das vor, was Coronil als „Die Einverleibung des Anderen in das Selbst“329 bezeichnet, nämlich die unhinterfragte Beurteilung des Anderen nach den aus europäischer Perspektive gewonnenen Kategorien. Nagel selbst charakterisiert seinen Forschungsgegenstand allerdings aus einer Perspektive, die von Coronil als „Die Auflösung des Anderen durch das Selbst“330 analysiert wird, die letztlich auf das Geschichtsbild Hegels zurückgeht. Neben der Kritik an Nagels Alleinvertretungsanspruch der Orientwissenschaften durch die Philologie und seiner Fehlinterpretation der Sozialwissenschaften bemängeln die diversen Autoren auch Nagels Konzept des Fremden, das vor allem Thomas Philipp zu schwammig ist. Was sind also die methodologischen Grundlagen, von denen aus das ,Andere‘, das ,Fremde‘ behandelt werden kann? Coronil merkt hierzu sehr treffend an, dass es keine fehlerfreie Darstellung gebe, und dass wer über Kolonialismus schreibe, automatisch auch Kolonialismus reproduziere.331 Die Position der wissenschaftlichen Neutralität ist spätestens seit der Writing-culture-Debatte in der Ethnographie der frühen 1980er Jahre unhaltbar geworden, wenn man nicht schon bei Weber entsprechende Zitate in diesem Kontext interpretieren möchte. Für Forschungsgegenstände aus dem islamischen Kulturraum oder dem Nahen oder Mittleren Osten kann spätestens seit der Orientalismus-Debatte, angestoßen durch Edward Said, die Konsequenz gezogen werden, dass zunächst des Autors eigene Position benannt werden muss, um über (Re-)Präsentationen des Anderen zu sprechen.332 Erkenntnisinteresse, Vorannahmen und Me326 Philipp (2000): Das unvergleichbar Fremde, S. 515 – 518. 327 Poya/Reinkowski (Hg.): Das Unbehagen in der Islamwissenschaft, S. 178 (Sing), S. 253ff (Poya) u. S. 272ff (Ammann/Fächer). 328 Nagel (1998): Die Ebenbürtigkeit des Fremden, S. 376. 329 Coronil (2002): Jenseits des Okzidentalismus, S. 192 ff. 330 Ebd., S. 187 ff. 331 Ebd., S. 209. 332 Vgl. Hartung (2002): (Re-)Presenting the Other?, S. 147.

4.1. Zur kritischen Reflexivität der methodologischen Grundlagen

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thoden müssen offen gelegt werden, um die Studie in ihrem Setting verorten zu können. Die auftretende Fehlerhaftigkeit, wie die Einseitigkeit der Studie, kann so verstanden werden und die Versuchung, Schlüsse aus dem Material oder dem Ergebnis abzuleiten, die in diesen nicht enthalten sind, wird gemindert. Es ist selbstverständlich, dass diese Vorbehalte gleichermaßen für die Arbeit mit Texten wie mit empirischem Material gelten. Hiervon ausgehend, kann man also Aussagen über ,Andere‘ machen, und es „lässt sich der Vorwurf des ,Orientalismus‘ durchaus entkräften“.333 Denn „das ,Andere‘ des kolonialen Diskurses entspricht nicht mehr dem ,Anderen‘ im postkolonialen Diskurs. Letzteres hat ja […] unter dem Einfluss des kolonialen ,Orientalismus‘ hybride Formen hervorgebracht, also zur Durchdringung zweier einst unvereinbarer Wertesets geführt“.334 Es bleibt aber ein Dilemma der postcolonial-studies, dass Wissenschaft insofern ein selbstreferentielles System ist, als dass sie sich, so wie sie ihre eigenen Regeln und ihren eigenen Standard formuliert, nur im Okzident entwickelt hat. Postkoloniale Wissenschaftskritik kann sich also nur selbst zum Gegenstand haben und ist zugleich ihr einziges Werkzeug. Es gibt keine gültige nicht-okzidentale Wissenschaft und Epistemologie. Der Anschluss dieser Problemlage an Max Weber und seine im Objektivitätsaufsatz entfaltete Wertgebundenheit des Kulturbegriffs und der Kulturwissenschaft liegen auf der Hand.335 Für die Religionswissenschaft und andere sich selbst auch als „Kulturwissenschaften“ bezeichnende, meist kleinere Fächer hat sich diese Erkenntnis auch durchgesetzt. Otto Gerhard Oexle macht diesen Ansatz über die „gedanklichen Zusammenhänge der Probleme“336 auch in der Geschichtswissenschaft stark.337 Bezeichnenderweise findet auch er die Spuren dieser Auseinandersetzung mit dem, was er als ,Problemgeschichte‘ bezeichnet eher in den Kulturwissenschaften als in der deutschen Geschichtswissenschaft. Er geht mit Weber ganz d’accord, wenn er betont, dass Erkenntnis notwendig an Bedeutungszuweisung und somit an die Gegenwart gebunden ist. Ganz im Sinne des oben beschriebenen Dilemmas okzidentaler Epistemologie nach dem Orientalismus betont Oexle die Stabilität von Problemlagen gegenüber der Wechselhaftigkeit 333 334 335 336 337

Ebd., S. 146. Ebd., S. 147. Weber (1988b): Die ,Objektivität‘, S. 175 – 182. Ebd., S. 166. Oexle (2001b): Max Weber.

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disziplinärer Perspektiven. Andere Autoren suchen ihre je eigenen Wege mit diesem Umstand umzugehen, der wohl letztlich weniger ein ,Problem‘ als eher eine epistemologische Grundlage darstellt. Für Jürgen Osterhammel, von dessen Genres eines die ,Weltgeschichte‘ ist, begegnet dem Problem des Eurozentrismus „nicht durch die illusionäre ,Neutralität‘ eines allwissenden Erzählers oder die Einnahme einer vermeintlich ,globalen‘ Beobachterposition, sondern durch ein bewußtes Spiel mit der Relativität von Sichtweisen. […] Vorwissen und kulturelle Selbstverständlichkeiten sind [demnach] nicht standortneutral“.338 Auf die Suche nach alternativen Beobachterpositionen machen sich auch Walter Mignolo und Hans Belting, die ganz bewußt versuchen, den okzidentale Standort hinter sich zu lassen.339

4.1.2. Der Idealtypus als Werkzeug historischer Darstellung Die Fragen nach den Problemen der Fremddarstellung hängen eng mit dem generellen Status von Aussagen der historischen Kulturwissenschaft zusammen. So muss auch das Weber’sche Werkzeug des Idealtypus noch einmal kurz vorgestellt werden. Dirk Kaesler zeichnet mit Max Weber den Gründervater jener Ansätze, „die von einer gesellschaftlichen Konstruktion der Wirklichkeit ausgeh[en]“,340, einem Wissenschaftsverständnis also, wo ein epistemologischer Zugang vor jedem empirischen oder historischen Befund als Ausgangsbasis vorhanden sein muss. Ob Weber hier allerdings schon so weit zu interpretieren ist, dass er auch in einer Linie mit dem Radikalen Konstruktivismus, wie ihn z. B. Siegfried J. Schmidt vertritt, steht ist nicht unstrittig. Sicher aber lassen sich Denktraditionen aus etwas weniger radikalen Konstruktivismen wie dem Symbolischen Interaktionismus herstellen.341 In den Kontext dieser theoretischen Perspektive muss auch das prominenteste Werkzeug Weber’scher Gesellschaftsanalyse gestellt werden, der Idealtypus. In seinem Aufsatz Die ,Objektivitt‘ sozialwissenschaftlicher und sozialpolitischer Erkenntnis setzt sich Weber detailliert mit

338 Osterhammel (2009): Die Verwandlung der Welt, S. 19 f. 339 Vgl. Mignolo (2000): Local histories/global designs; Belting (2008): Florenz und Bagdad. 340 Kaesler, Dirk (2003): Max Weber. Eine Einführung, S. 266. 341 Ebd., S. 224.

4.1. Zur kritischen Reflexivität der methodologischen Grundlagen

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seiner Funktion und seinen Grenzen auseinander.342 In diesem Artikel, in dem er sich auch noch einmal intensiv mit der Bedeutung der Theorie für die Erkenntnis der Kulturwirklichkeit auseinandersetzt,343 stellt er detailliert die Charakteristika,344 Entwicklung,345 Erscheinungsformen,346 Funktion,347 und Grenzen348 des Idealtypus und sein Verhältnis zu Werturteilen349 vor. Dirk Kaesler sieht den Idealtypus durch die folgenden fünf Punkte charakterisiert. Demnach hat der Idealtypus als genetischer Begriff (1) die Funktion, Ursachen und Entwicklungen kultureller Phänomene rekonstruierbar zu machen. Er ist dabei selbst aber keine Hypothese (2), sondern dient bei der ständigen Weiterentwicklung idealtypischer Konstruktionen als heuristisches Mittel (3). Sein Verhältnis zur Empirie wird dadurch bestimmt, dass er eine Systematisierung (4) unter Berücksichtigung der Mikro- sowie gleichermaßen der Makroebene erlaubt. Dieser Prozess ist aber nie abgeschlossen und unterliegt einer ständigen Umdeutung (5) im möglichst engen Abgleich zwischen Empirie und Systematisierung.350 Für die hiesigen Zwecke sind, im Gegensatz zu den methodologisch-theoretischen Grundlagen, die in der Analyse von Webers Orientalismus und Okzidentalismus freigelegt wurden, weitergehende Ausführungen oder Problematisierungen nicht nötig. Umso deutlicher soll aber noch einmal auf die Prozessualität und Unabgeschlossenheit beim Arbeiten mit dem Idealtypus hingewiesen werden. „Sie sind nicht Ziel der Erkenntnis, nicht Gesetze des Geschehens, sondern Mittel, das Eigentümliche der jeweiligen menschlichen Wirklichkeit zu klarstem Bewußtsein zu bringen.“351 Schließlich muss auch noch einmal auf den dezidiert nicht-essenzialistischen Ansatz hingewiesen werden. Die mit dem Erkenntnisinteresse an Systematik entworfene Darstellung der Isma¯ ¯ılı¯ya ist weder mit den Essenzialismen des Orientalismus respektive Okzidentalismus zu verwechseln noch mit den (re-)romantisierenden Bildern Subalterner, Marginalisierter oder auto342 343 344 345 346 347 348 349 350

Weber (1988b): Die ,Objektivität‘, S. 190 ff. Ebd., S. 185 ff. Ebd., u. a. S. 190 f. Ebd., u. a. S. 191 f. Ebd., u. a. S. 193 ff. Ebd., u. a. S. 198 f u. 201 f. Ebd., u. a. S. 204 f u. 208 f. Ebd., u. a. S. 192 f u. 199 f. Kaesler, Dirk (2003): Max Weber. Eine Einführung, S. 229 – 234; zu ausgewählter Sekundärliteratur vgl.: ders. (Hg.) (2002): Max Weber, S. 300. 351 Jaspers (1988): Max Weber, S. 85.

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nomer kultureller Entwicklung, wie sie in der Folge des Postkolonialismus den im Kolonialismus entmündigten Objekten westlicher Historiographie zugeschrieben werden sollten.352 Die in dieser Arbeit extreme und stellenweise überbordend wirkende theoretische Rahmung ist der Versuch eine Antwort auf das Problem zu finden, wie sich die Geschichte der Anderen ohne westliche Hierarchien und Wertungen rekonstruieren ließe.

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4.1.3. Zur Terminologie einer religionssystematischen Untersuchung der Isma¯ ¯ılı¯ya ˘

4.1.3.1. Religionshistorische Zugänge für die Isma¯ ¯ılı¯ya Wenn eine Untersuchung wie diese hier versucht Neuland in der Schnittmenge der beiden sie umgebenden Disziplinen, Religionswissenschaft und Islamwissenschaft, zu erschließen, dann entstehen nicht nur bei der Aufbereitung des Materials große weiße Flecken auf der Karte dieses bislang nicht erforschten Gebietes, sondern auch die Suche nach einer passenden Terminologie, Benennung des jeweils Entdeckten bleibt ein schwieriges und unsicheres Unterfangen. Die epistemologischen Unwägbarkeiten innerhalb einer postkolonialen Wissenschaft und im Verhältnis von Sinn und Stoff bleiben in jedem Fall bestehen. Denn es gibt bislang keine Debatten darüber, ob an dieser Stelle ein Begriff oder eine Sichtweise nicht eurozentristisch oder an jener Stelle das Material zugunsten der Deutung arg verbogen oder nicht ausreichend interpretiert worden ist. Sicher gibt es seit einigen Jahrzehnten auch eine Soziologie des Islam, aber religionswissenschaftliche Fragestellungen, wie etwa die, welche den Umgang mit dem Ausbleiben einer Endzeiterwartung untersuchen, bleiben randständig, gleichermaßen bleibt die entsprechende Terminologie defizitär. Folglich geht es auch kaum um ein präziseres Gewichten oder begriffliche Tiefenschärfe. Stattdessen müssen religionswissenschaftliche Fragestellungen und Terminologien überhaupt erst dafür angepasst werden. Im Gefolge von Montgomery Watt operiert Kippenberg mit den Begriffen „Aktivismus“ und „Quietismus“ um verschiedene Verhaltensmodi der Hamas in Palästina mit Blick auf deren heilsgeschichtliche Erwartungen zu untersuchen.353 Er kann zeigen, wie beide Handlungs352 Vgl. Conrad/Randeria (2002b): Einleitung, S. 37. 353 Kippenberg (2008): Vom Quietismus zum Aktivismus.

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formen gleichermaßen in einer apokalyptischen Gegenwartsdeutung aktiviert werden können und unter welchen Bedingungen die Glaubensgemeinschaft von dem einen Modus in den anderen wechselt. Er analysiert, wie politische und religiöse Interpretationen ineinandergreifen, konstatiert aber auch, dass das Gegensatzpaar Quietismus und Aktivismus in seiner Interpretation durch europäische Religionsphilosophen im Falle der islamischen Hamas nicht passt.354 Es wird deutlich, dass der apokalyptisch gerahmte Aktivismus der Hamas erst in einer anderen Konstellation von Politik und Religion, von Staatlichkeit und Zivilgesellschaft verständlich wird. Hannes Möhring kann in seinem Vergleich von Endkaiser- und Mahdı¯-Erwartung zeigen, dass es zwar in der Motivik der Endkaiser- und der Mahdı¯-Figur vielerlei Entsprechungen und Parallelen gab, dass aber im islamischen Orient Mahdı¯-Prätendenten ungleich häufiger auftraten als Endkaiser in Europa. Neben sogenannten Mentalitätsunterschieden, seien die Gründe auch „zum guten Teil politischer, rechtlicher und sozialer Natur“355, um in bester orientalistischer Manier zu schließen, dass die starke Hoffnung auf den Mahdı¯ „Ausdruck fehlender Antworten auf Herausforderungen, Ausdruck fehlender Alternativen zur Bewältigung von Problemen, die sich aus religiös-politischen und sozialen Spannungen ergaben“356 gewesen sei. In der Anwendung des Gegensatzpaares Quietismus und Aktivismus hat sich ebenso wie im naheliegenden Vergleich von Endkaiser- und Mahdı¯vorstellungen gezeigt, dass das Übertragen von Konzepten und Begriffen aus der Wissenschaftstradition des christlichen Europa auf den islamischen Orient nur ein vorläufiger, erster Schritt sein kann. Der im Kapitel zur Geschichte und Theologie der Fatimiden auftretende Begriff der ,Parusie‘, bzw. ,Parusieverzögerung‘ ist genauso ein vorläufiger Versuch, einer Motivkonstellation einen Namen zu geben, wie sie sich im Christentum des 19. Jahrhunderts entwickelt hat. ,Parusieverzögerung‘ wurde dort eingeführt, um ,Kirche‘ versus jenseitiges ,Gottesreich‘ oder ,Himmelreich‘ zu konzipieren. Das Spannungsverhältnis im Fatimidenreich zwischen angebrochener, verstetigter und noch ausstehender Endzeit findet in einem völlig anderen sozialen und politischen Umfeld statt, zeigt aber die Parallele, dass im Anbrechen der jenseitigen Versprechungen stets auch die Furcht vor dem Gratifikationsverlust ent354 Ebd., S. 282 f. 355 Möhring (2002): Endkaiser- und Mahdı¯-Erwartung, S. 327. 356 Ders. (2000): Der Weltkaiser der Endzeit, S. 420.

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steht.357 Wie sich verschiedene Gruppen zu der Bedrohung des Gratifikationsverlustes verhalten zeigt sich sowohl in den ablehnenden wie schwärmerischen Reaktionen auf das Anbrechen und damit auf die Profanisierung des messianischen Reiches. Die postkoloniale Lektüre von Webers Religionssoziologie (vgl. Kap. 1 – 3), sollte für die mit dem Begriff des Rationalismus verbundenen Vorstellungen und ihren Implikationen für die kulturhistorische Forschung eben jene Aufbereitung für außereuropäische Kontexte leisten. Diese Form des re-reading soll daher als Beispiel für die weiteren, hier benötigten Begriffe verstanden werden. Aber nicht nur ideologisch oder theologisch aufgeladene Begriffe, wie die eben vorgestellten, bergen ihre Tücken. Auch scheinbar neutralere, objektivere Sachverhalte beschreibende Termini müssen zumindest mit Vorsicht betrachtet werden. In der Darstellung der postfatimidischen Isma¯ ¯ılı¯ya im Jemen liegt es nahe, diese als ,verfolgte Minderheit‘ zu bezeichnen. Tatsächlich wurde von ihren zahlenmäßig überlegenen Erzrivalen, den Zaiditen, ein erheblicher, auch gewaltsamer Druck auf sie ausgeübt. Wie problematisch der Begriff der Minderheit im Zusammenhang mit einer abweichenden Denomination ist, zeigt beispielsweise Dietrich Kurze.358 Er resümiert am Beispiel mittelalterlicher Häresien, dass ,Minderheit‘ eine in keiner Hinsicht passende Kategorie ist. Weder zeige sich eine Korrelation zwischen ,Minderheit‘ oder ,Mehrheit‘ und Rechtfertigung der jeweiligen Glaubenssätze, noch könne nachgewiesen werden, dass Minderheiten auffällig häresieaffin wären. Letztlich diene der Begriff nur zur Quantifizierung und werde erst durch Bezüge zu Recht, Schutz, Ethnie etc. zu einem qualitativen Kriterium. Wie problematisch der scheinbar naheliegende Vergleich der postfatimidischen Isma¯ ¯ıliten im Jemen mit z. B. den Katharern im 14. Jahrhundert ist, offenbart sich, betrachtet man einige zugrunde liegende Strukturen. Stoodt hat in seiner hervorragenden Untersuchung zum Katharer Petrus Auterii herausgearbeitet, wie die Organisation der Gemeinschaft, sowohl für die Ämter wie auch für die Sakramente, eng mit der Struktur der Landschaft und den Siedlungsbedingungen verknüpft ist.359 Aber schon die Verbindung zwischen den Laien, den credenti, und den Spezialisten, den perfecti, gestaltet sich bei den Katharern aufgrund der ˘

357 Auffarth (2002): Irdische Wege und himmlischer Lohn, S. 71 f. 358 Kurze (1996b): Häresie und Minderheit im Mittelalter. 359 Stoodt (1996): Katharismus im Untergrund.

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notwendigen Sakramente, wie z. B. das immens wichtige Sterbesakrament, völlig anders als bei den Isma¯ ¯ıliten, die außer der Anerkennung des Imam deutlich weniger an die Heilsvermittlung durch Personen gebunden sind. Neben solchen dogmatischen Unterschieden hat aber auch die Orientierung der jemenitischen Isma¯ ¯ılı¯ya an tribalen Affiliationen fundamentale Bedeutung für die Organisation der Glaubensgemeinschaft. Studien wie jene von Stoodt zum Katharismus können einen anregenden Vergleich liefern, Blaupausen für die Untersuchung anderer ,minoritärer Häretiker‘ können sie aber keinesfalls sein. Um die Verwirrung zu komplettieren, gibt es auch eine Gruppe von Begriffen, die aus verschiedenen Traditionen kommen, inzwischen alle ihren selbstverständlichen Platz in der Religionswissenschaft gefunden haben und die sich sehr gut in die Untersuchung der Isma¯ ¯ılı¯ya einfügen lassen. Bezeichnenderweise handelt es sich bei den drei vorgestellten Begriffen am ehesten um Gedankenmodelle, die sich natürlich nach historischen Gegebenheiten ausgeprägt haben. Diese Gedankenmodelle haben sich aber, und das mag der Unterschied zu den oben behandelten Begriffen sein, durch ihre Verwendung in verschiedenen religionshistorischen Kontexten von ihrem Ursprung emanzipiert und haben so ein gewisses Maß an Abstraktheit erreicht. In der folgenden Betrachtung der Isma¯ ¯ılı¯ya spielen die Begriffe Esoterik, Neuplatonismus und Gnosis stets eine zentrale Rolle zur Beschreibung der Theologie. Sie sind aber bisher, wie auch in großen Teilen der Literatur bisher ohne eine genauere Definition verwandt worden. An dieser Stelle sollen sie genauer betrachtet werden, so dass im Falle ihrer Nutzung auch ein Mehr an Erkenntnis gewonnen werden kann. Wenn auch in unterschiedlichem Maße, so sind doch alle drei Begriffe unscharf, was ihren Gebrauch besonders im Vergleich verschiedener Interpretationen erheblich mindert. Um diesen Verlust zu reduzieren, sollen Arbeitsdefinitionen entwickelt werden, die sich an den heuristischen Ansprüchen, entsprechend dem Weber’schen Idealtypus, bei der Einordnung der Isma¯ ¯ılı¯ya orientieren. Die je erhebliche Begriffsgeschichte wird dabei nicht miteinbezogen. ˘

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4.1.3.2. Esoterik ˘

Das herausragende Merkmal der Isma¯ ¯ılı¯ya ist die Trennung ihrer Theologie in eine äußere Gestalt, die Exoterik, za¯hir und einen inneren Gehalt, ˙ wird in vielerlei Weisen verdie Esoterik, ba¯tin. Der Begriff der Esoterik ˙ wendet, und eine einheitliche Definition hat sich nicht durchgesetzt. Wie uneinheitlich und teils unpräzise hier formuliert wird, lässt sich auch in der

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Standardliteratur nachweisen. „For the Isma¯ ¯ıliyya, the haqa¯ iq in effect formed a gnostic system, representing in esoteric world of ˙hidden spiritual reality.“360 Weder ,Gnosis‘ noch ,Esoterik‘ werden hier eindeutig verwandt. ,Gnosis‘ bedeutet für Daftary ,Wissen‘ im weitesten Sinn und ,Esoterik‘ ist alles, was innere Bedeutung hat. Es ist einleuchtend, dass mit dieser Terminologie keine Erkenntnisse weder für die Beschreibung des Einzelfalls noch im religionshistorischen Vergleich gewonnen werden können. Diese unklare Terminologie zieht sich durch die Mehrheit der Arbeiten zur Isma¯ ¯ılı¯ya.361 In seiner Untersuchung zu früherer isma¯ ¯ılitischer Koranexegese (ta wı¯l) verknüpft Hollenberg das Vorwort des Kita¯b al-fatara¯t mit Antoine Faivres Esoterik-Interpretation, die durch sieben Charakteristika bestimmt wird. „Typologically, the prologue to the Kita¯b al-fatara¯t fits Antoine Faivre’s List of traits for esoteric traditions.“362 Dabei ist Esoterik nach Faivre bestimmt durch: (1) eine Korrespondenz aller sichtbaren und unsichtbaren Teile des Universums, (2) die Vorstellung einer belebten Natur als einem intelligiblen und lebendigen System, (3) die vollständige Verstehbarkeit der Welt durch Imagination und Mediation, (4) das Transmutationsprinzip, wonach alle Erscheinungen ineinander übergehen können und dabei ihrer Erfüllung entgegenstreben, (5) ihre essenzielle Wesensgleichheit in allen Religionen und Philosophien durch alle Kulturen und Zeiten hindurch und (6) die persönliche Übertragung dieses Wissen vom Meister zum Schüler.363 Faivre entwickelte aus den durch diese Merkmale als Esoterik bestimmten Traditionen das Konzept der Esoterik als Denkform. Ein derartiger Zugang gestattet eine systematische Betrachtung von Phänomenen, die zuvor als getrennt voneinander behandelt wurden.364 Esoterik ist dann nicht mehr eine bestimmte historisch eingrenzbare Praxis, sondern durch die Betrachtung von Esoterik als Denkform ist sie als eine eigene Perspektive der Erkenntnis in verschiedenen religiösen oder philosophischen Traditionen identifizierbar. Alte Konfliktlinien, wie die zwischen Religion und ˘

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360 Daftary (1990): The Isma¯ ¯ılı¯s, S. 137. 361 Wouter J. Hanegraaff gibt einen Überblick über ,esoterische Traditionen‘ bei verschiedenen Autoren, allerdings nur begrenzt auf den western esotericism: ders. (1998): On the Construction of „Esoteric Traditions“. 362 Hollenberg (2006): Interpretation after the End of Days, S. 208 f. 363 Vgl. Faivre (1998a): Renaissance Hermeticism and Western Esotericism, ebenso: ders./Schmidt (Hg.) (2001): Esoterik im Überblick, S. 24 – 34. 364 Ders. (1994): Access to Western esotericism, insb. S. 19 – 35, wo er seine key concepts vorstellt.

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Aufklärung oder Wissenschaft konnten durch diese Perspektive aufgeweicht werden, was zu sehr ergiebigen Analysen führte. Faivre wurde für seine Vorgehensweise aber auch kritisiert. Da er die Auffassung vertrat, dass wenigstens die ersten vier der oben genannten sechs Merkmale erfüllt sein müssten, um von Esoterik sprechen zu können, setzte er sich dem Vorwurf aus, seine aus Hermetismus der Renaissance, Naturphilosophie, christlich transformierter Kabbalah und protestantischer Theosophie abgeleitete Definition sei zirkulär und historisch zu eng gefasst.365 Einen historisch wie kulturell völlig anderen Rahmen zur Beschreibung wählt Carsten Colpe zur Einführung in das Corpus Hermeticum.366 Seine Liste für die Hermetik im hellenisierten Ägypten zeigt starke Ähnlichkeiten mit der Faivres für Esoterik, weist aber auch an einigen Stellen über sie hinaus: (1) Es gibt keinen prinzipiellen Unterschied zwischen ,tote‘ und ,lebende‘ Wesen. Alles ist von denselben geheimnisvollen Kräften durchdrungen, die in sympathischen und antipathischen Beziehungen zueinander stehen. (2) Diese Kräfte sind Funktionen von Seelen, die dieselbe Substanz haben. (3) Die Seele ist als Substanz von den Körpern nicht grundsätzlich unterschieden. Sie ist im Wesentlichen nur dünner als diese und namentlich allen Metallen gemeinsam. (4) Die materia ist allenthalben nur eine. Die Welt ist einheitlich und nicht dualistisch gebrochen, weder zwischen geistigem und materiellem Kosmos noch zwischen Licht und Finsternis. (5) Das Wesen der Materie wird nicht durch Zusammensetzung aus gewissen Elementen oder Atomen, sondern durch seine hervorstechendste Eigenschaft, seine Farbe, bestimmt. Die Kritik von von Stuckrad und anderen an Faivres Merkmal-Katalog trifft sicher ebenso auf Colpe und seinen Hermetismus-Begriff zu.367 Die wohlbegründeten Einwände lassen mich die Charakteristika eines hier zu beschreibenden ,Esoterischen‘ deshalb selbst zusammenstellen. Zunächst stellen die hier gesammelten Merkmale keinen Widerspruch zu von Stuckrads Ansatz der Diskursfelder dar, sondern versuchen vielmehr aus einer Betrachtung des Diskurses über „isma¯ ¯ılitische Esoterik“ (bei allen Vorbehalten über das, was im Moment darüber gesagt werden kann) 365 Stuckrad (2004): Was ist Esoterik?, S. 12 – 14. 366 Colpe (2013b; in Vorbereitung): Von der kultischen Hermesverehrung. 367 Stuckrad (2004): Was ist Esoterik?, S. 14 f. Der Autor kommt aber nicht umhin, selbst, wenn auch methodologisch gerahmt und abgeschwächt, unter der Überschrift „Das Esoterische als Diskurselement“ eine Art Merkmalskatalog für das ,Esoterische‘ in der Europäischen Religionsgeschichte aufzustellen (ebd., S. 20 – 22).

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eine Erweiterung der bisherigen Beschreibungen zu gewinnen und die bei Faivre kritisierten Limitierungen zu überwinden. Letztlich kann, wie von Stuckrad völlig richtig anmerkt, „die Esoterik“ nie ohne ihr akutes Diskursfeld dargestellt werden. Die folgende Liste zur Arbeitshypothese „Esoterik der Isma¯ ¯ılı¯ya“ beschreibt, ohne dabei direkt auf die muslimische oder isma¯ ¯ılitische Provenienz einzugehen, das Phänomen, wie es im Kita¯b al- a¯lim wa’l-g˙ula¯m vorzufinden ist. (1.) herrscht innerhalb des Systems eine universelle Korrespondenz. Es gibt (2.) keinen prinzipiellen Unterschied zwischen „toten“ und „lebenden“ Wesen. (3.) ist die materia allenthalben nur eine. Die Welt ist einheitlich und nicht dualistisch gebrochen, weder zwischen geistigem und materiellem Kosmos noch zwischen Licht und Finsternis. Das Wesen der Materie wird (4.) nicht durch Zusammensetzung aus gewissen Elementen oder Atomen, sondern durch seine hervorstechendste Eigenschaft bestimmt. (5.) stimmen alle Lehren seit Anbeginn der Zeit überein. Und (6.) wird das Wissen direkt von Person zu Person übertragen.368 ˘

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4.1.3.3. Neuplatonismus

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Im Vergleich zu ,Esoterik‘ und ,Gnosis‘ ist der Begriff des Neuplatonismus weniger schillernd und ambivalent. Für eine kurze Einführung des Begriffs ist es nicht nötig, die historischen Wandlungen und Adaptionen neuplatonischer Modelle in isma¯ ¯ılitischer Theologie zu rekonstruieren. Lediglich wird eine knappe Definition vorgestellt, um den Ausgangspunkt von Neuplatonismus in der Isma¯ ¯ılı¯ya zu markieren. Die Kosmogonie, die im Zentrum des Neuplatonismus steht, hat bei ihrem Übergang in den Islam kleine Veränderungen erfahren: Während im hellenistischen Neuplatonismus Plotins der Intellekt aus dem Einen aus dessen Fülle emaniert, wird er in der Isma¯ ¯ılı¯ya durch das Wort Gottes erschaffen.369 In der Kosmogonie Muhammad al-Nasafı¯s (gest. 331/942), der als erster Da¯ ¯ı ein neuplatonisches˙ System integrierte, erzeugt Gott dagegen durch sein Wort den Intellekt als erstes Wesen. Als Erzeuger des Universums ist Gott in Nasafı¯s Theologie jenseits jeglicher Eigenschaften oder Verstehbarkeit und vor aller Existenz. Der Intellekt ist als seine erste Schöpfung vollständig, perfekt und der Zeit enthoben. Aus dem Intellekt emaniert, dann wieder ganz plotinisch, die Seele, aus der dann die hin˘

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368 Die Punkte 1, 5 und 6 stammen von Faivre; die Punkte 2, 3, 4 wurden Colpes Arbeit entnommen: vgl. Fn. 363 u. 366. 369 Halm (1978): Kosmologie und Heilslehre der frühen Isma¯’ı¯lı¯ya, S. 130.

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länglich bekannten sieben Sphären mit ihren Sternen und Bahnen entstehen. Aus der Bewegung und Vermischung von Elementen, Naturen und ihren Eigenschaften entstehen Pflanzen, Tiere und Menschen. In Abgrenzung zum Intellekt ist die Seele und alles, was in ihrer Folge steht, unvollständig und mangelhaft. Ihre Aufgabe ist es nach der ursprünglichen Perfektion und Vollständigkeit zu streben. Die Veränderungen und Kontroversen betreffen hierbei nicht nur die Ausformulierung des Neuplatonismus innerhalb der Isma¯ ¯ılı¯ya, sondern ebenso die Integration älterer, sogenannter mythologischer Elemente der isma¯ ¯ılitischen Lehre in die neuplatonisch überformte Doktrin. So wurde weiter an der Korrespondenz einer inneren, spirituellen Welt mit der äußeren, materiellen Welt festgehalten und innerhalb der Systems fanden Termini Einzug, die denen des Neuplatonismus fremd waren, ihm aber funktional angeglichen wurden. So wurden die alten, mythologischen Begriffe Stift (qalam) und Thron ( arsˇ) mit dem ersten Intellekt und Tafel (lauh) und Stuhl (kursı¯) mit der Seele funktional gleichgesetzt.370 Als zentralen˙ Unterschied zum alten, vor-neuplatonischen Weltbild der Isma¯ ¯ılı¯ya muss man aber die unterschiedliche Stellung der Schöpfung gegenüber der Gottes festhalten. Trotz aller Unvollkommenheit war die isma¯ ¯ılitische Haltung zur Schöpfung rundweg positiv, und sie wurde vor allem als Hinweis auf seine Herrlichkeit und als Beweis für seine Existenz und Offenbarung verstanden. Gottes Schöpfung war für Isma¯ ¯ıliten vor allem der Auftrag, an Gottes Heilsplan mitzuwirken. Unter dem neuplatonischen Einfluss wandelte sich diese Haltung dahingehend, dass die durch die Entstehung der Materie erwachsene Gottesferne und Imperfektion vor allem den Impetus zu ihrer Überwindung hatte und rückgängig gemacht werden sollte. Auch finden wir tendenziell einen graduellen Rückzug Gottes aus dem Prozess der Schöpfung. ˘

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4.1.3.4. Gnosis „Wer weiß, daß ein gnostischer Mythos nicht mehr als die plastische Wiedergabe eines religiösen Gedankens ist, der versteht auch, wie wenig etwa durch Änderungen in der Nomenklatur oder durch Verlegung von Schwerpunkten von den einen auf andere Figuren die Lehre umgeformt wird.“371 Wir haben es bei der Gnosis, als vom Wesen her betrachtet, mit ˘

370 Art. Isma¯ ¯ıliyya, in: EI2, S. 203 f; Walker (1992): The Universal Soul, S. 151 f und etwas ausführlicher zum Verhältnis von Neuplatonismus und Islam: Morewedge (1992): Neoplatonism and Islamic thought. 371 Böhlig (1997): Die Gnosis, Bd. 3: Der Manichäismus, S. 55.

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einem Phänomen zu tun, das dem der Esoterik verwandt ist. Beide Begriffe bezeichnen eher Denkfiguren als definierte theologische oder philosophische Systeme. Was bedeutet das aber für das Wesen der Gnosis? Wie soll ein offenkundig so wandelbares Gebilde beschrieben oder gar definiert werden? Hans Jonas, wohl die Schlüsselfigur in Bezug auf das zeitgenössische Verständnis der Gnosis, nannte den gnostischen Mythos eine „sekundäre Mythologie“. Er meint damit, „daß der Mythus eine frei gewählte Ausdrucksform der Spekulation ist, die in Konkurrenz, vielleicht sogar in Reaktion zu der der Philosophie steht, die als andere mögliche Wahl ebenfalls vorhanden war. […] Sie schließt die freie Verfügbarkeit von Traditionen ein, die nicht mehr bindend, aber geladen mit neu festlegbarer Bedeutung sind, und diejenigen, die sich ihrer in gnostischer Art bedienten, waren ,Intellektuelle‘ (vielleicht halbgebildet), die wußten, was sie taten.“372 Entsprechendes Personal mit eben diesem Arbeitsethos dürfen wir auch im Falle der Isma¯ ¯ılı¯ya erwarten, umso mehr dort, wo tatsächlich gnostische Elemente Einzug gehalten haben. So zieht auch Halm die Verbindung dieser Form der Textkompilation und Denkfiguren mit den verschiedenen Einflüssen frühisma¯ ¯ılitischen Gedankenguts in Betracht: „Die zuvor isolierten Motivkomplexe erweisen sich also als Bruchstücke eines gnostischen Kunstmythos, einer ,Mythologie von Begriffen‘ (Harnack), die mit ihren Varianten die ursprüngliche isma¯ ¯ılitisch-qarmatische Lehre darstellt. Dieser Mythos hat ˙ Stufen des Kosmos spiegeln sich in den die Form einer Kosmogonie; die Rängen der irdischen da wa-Hierarchie wieder. Der kosmogonische Mythos ist zugleich Vehikel und eigentlicher Inhalt der isma¯ ¯ılitischen Verkündigung […]. [D]ie Kosmologie hat soteriologische Funktion.“373 Was macht also diesen kosmogonischen Mythos mit soteriologischer Funktion aus und wie werden seine weiteren Merkmale bestimmt? Unabhängig von hellenistischer oder muslimischer Provenienz374 lässt sich ein ,harter Kern‘375 bestimmen, der zur näheren Bestimmung des ˘

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372 Jonas (1975): Typologische und historische Abgrenzung der Gnosis, S. 640 f. 373 Halm (1978): Kosmologie und Heilslehre, S. 120. 374 Halm entwickelt in Anlehnung an die spätantike hellenistische Gnosis das Modell einer isma¯ ¯ılitischen Gnosis in einer Art Idealtypus frühisma¯ ¯ılitischer Theologie – ohne sich dabei auf einzelne Texte zu reduzieren (ebd., S. 115 – 127). Vgl. ebenso seine Geschichte und Eingrenzung der islamischen Gnosis (ders. [1982]: Die islamische Gnosis, insb. S. 11 – 23) sowie Nagel (1994): Geschichte der islamischen Theologie, S. 205 – 222. 375 Jonas (1975): Typologische und historische Abgrenzung der Gnosis, S. 626 – 645, hier S. 645.

4.1. Zur kritischen Reflexivität der methodologischen Grundlagen

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Begriffs dienen soll. Dieser lässt sich wie folgt zusammenfassen: Im Ursprung des gnostischen Weltentstehungsmythos steht stets ein Dualismus. Dem unnennbaren fremden und allen Verstehens entzogenen Gott stellt sich eine seiner Kreaturen in der Annahme, selbst Ursprung allen Seins zu sein, entgegen. Sie bekommt dadurch, auch wenn die Anmaßung außerzeitlich kurz ist, einen eigenen Status als dem Gott entgegengesetzte Kraft. Sie bleibt aber auch stets in einer Minderwertigkeit gegenüber dem göttlichen Ursprung gefangen. Ihre Hybris (istikba¯r) stellt einen Konflikt in den Anfang des Schöpfungsmythos, der sich je nach System unterschiedlich drastisch gestaltet. In allen Fällen aber führt der Dualismus zwischen den beiden Kräften zur Entstehung der weiteren Schöpfung inklusive der materiellen Welt. Die Entstehung von Welt und Materie aus dem Konflikt eines Urpaares bzw. eines Gottes mit einem abtrünnigen Wesen verleiht der Schöpfung eine latente bis offene Materiefeindlichkeit.376 Die Welt ist nicht wie im Mehrheitsislam der Ort der gottgewollten Bewährung, sondern trägt – hier ähnlicher dem christlichen Jammertal – den Makel der Verfehlung, die Ursache ihrer Entstehung war. Die Wechselwirkung vom Handeln des guten, wenn auch entrückten Gottes und der ihm entgegengestellten Kraft des aufbegehrenden Prinzips führte zu einer Vermischung der beiden Prinzipien aus der die Negativierung der Welt gegenüber der Positivierung des Wissens resultierte. Daher zielt alle Erlösungshoffnung auf die Umkehrung und Überwindung des Weltentstehungsprozesses, auf eine Entmischung der beiden Prinzipien. Die gnostische Erlösergestalt ist – und hierin liegt das entscheidende Alleinstellungsmerkmal der Gnosis – keine von außen kommende Gestalt, die diesem Umstand der Verunreinigung enthoben wäre, sondern ist ein Erlöser, der selbst der Erlösung bedarf, der salvator salvandus 377. Denn durch die Vermischung der beiden Prinzipien ist auch ein Tropfe oder Funke der ursprünglichen Göttlichkeit in jeder Kreatur. Diese Wesensidentität zwischen göttlichem Ursprung und allen Krea376 An dieser Stelle bricht die Gnosis am deutlichsten mit den Vorstellungen von Esoterik und Neuplatonismus. 377 Vgl. zur Figur des salvator salvatus wie der des salvator salvandus, insb. in der christlich-jüdischen Gnosis: Rudolph (1994): Die Gnosis, S. 137 – 147, insb. S. 141 f und außerdem Colpes Art. Gnosis II (Gnostizismus), RAC, Bd. 11, S. 537 – 659, hier insb. S. 611 f; ders. (2003b): Die ,Himmelsreise der Seele‘, S. 120 – 122. – Auch Rudolph weist auf den engen Zusammenhang von ,salvatus‘ und ,salvandus‘ hin, dem Colpe sicher zustimmt, dennoch müssen beide klar unterschieden werden.

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turen macht die Aufgabe der Erlösung zum Werk aller, und so bedarf auch der höchste Mittler der göttlichen Botschaft der Erlösung und Befreiung. Die Gnosis (d. h. ,Wissen‘), wie sie im Mythos von sich selbst berichtet, ist aufgrund ihres Charakters eine Heilsgarantie. Das Wissen um die Beschaffenheit der Dinge, um Theologie, Kosmogonie, Anthropogonie und Eschatologie garantiert Erlösung. Die Eigenart des gnostischen Mythos besteht darin, in mythologischer Form von sich selbst zu berichten und dadurch wirksam zu werden.378 Die Gnosis als Inhalt des Wissens ist daher kein Aspekt des Mythos selbst,379 sondern die vertikale Achse, die die verschiedenen Schichten des Mythos zusammenhält und bestimmt. Ihr autonarrativer Charakter und ihr spielerisches, sich aber immer selbst reproduzierendes Wesen sind der eigentliche, paradoxe Kern der Gnosis. Diese hier recht abstrakt dargestellte Gestalt der Gnosis als Denkfigur hat ihr– dabei meist in Referenz auf den Manichäismus und dessen Nachwirken – immer wieder auch das Attribut ,Weltreligion‘ eingetragen. Welchen Weg eine solche religiöse Idee nehmen kann, zeigt Colpe, wenn er den Übergang dieser Denkform von ihren Ursprüngen im Hellenismus bis in den Islam der Gegenwart hinein nachzeichnet.380 Bemerkenswert ist sein Hinweis, dass man bei „isma¯ ¯ılitischer Gnosis“ als orientalisierter Gnosis nicht davon ausgehen müsse, „daß die Isma’iliya als solche gnostisch ist, sondern daß, wenn Isma¯ ¯ıliten sich in Gnosis hineinwagen, eine besondere Form davon entsteht, die wir eben nur ,isma¯ ¯ılitische Gnosis‘ nennen können – ähnlich wie ,christliche Gnosis‘ nicht besagte, daß das Christentum an sich gnostisch oder auch nur besonders zur Gnosis bereit sei, sondern daß eine besondere Form derselben entsteht, wenn eine christliche Lehre sich doch einmal von innen heraus zu einer Gnosis wandelt oder sich auf Grund einer Affinität von außen mit einer solchen verbindet.“381 ˘

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378 Vgl. Die Exzerpte aus Theodot, in: Förster (1997), Die Gnosis, S. 297. 379 Jonas (1975): Typologische und historische Abgrenzung der Gnosis, S. 638. 380 Colpe (2008b): Vom ,besonnenen‘ Platonismus zur ,übertreibenden‘ Isma’iliya, S. 389 – 406. 381 Ebd., S. 402.

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4.2. Rationale Esoteriker: die schiitische Isma¯ ¯ılı¯ya

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4.2. Rationale Esoteriker: die schiitische Isma¯ ¯ılı¯ya

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An dieser Stelle sollen nun die bisher erarbeiteten Teile der Untersuchung als Ausgangsbasis für den eigentlichen Kern dieser wissenschaftlichen Arbeit zusammengeführt werden: der systematischen Analyse der Isma¯ ¯ılı¯ya. Das Ziel der vorangegangenen theoretischen Erörterungen ist die praktische Anwendung für die allgemeine Erörterung religionshistorischer Fragestellungen. In den folgenden Kapiteln wird sich also der Wert obiger Reflexionen zeigen. Ich möchte aber noch einmal betonen, dass das Primat des historischen Materials die Vorgängigkeit von theoretischen (Selbst-)Reflexionen keineswegs aufhebt oder relativiert. Wenn auch das eigentliche Ziel der methodologischen Überlegungen stets auf ein besseres Verstehen der Empirie, liege sie nun in Textform oder anderen Daten oder Zeugnissen menschlichen Handelns vor, ausgerichtet ist, so sind wir durch unsere eigene Verfasstheit als kultur- und sinnerzeugende Wesen immer auf die eigene Person und Perspektive zurückgeworfen, die den Ausgangspunkt allen Arbeitens darstellt. Von diesen Prämissen ausgehend wird nun das Erkenntnisinteresse der Untersuchung zur Isma¯ ¯ılı¯ya formuliert: Erstens soll die Dauerhaftigkeit einer gnostisch-esoterischen Gemeinschaft gezeigt und dabei insbesondere die Spannung zu deren wechselnd virulenten Endzeiterwartungen reflektiert werden. Die gemeinschaftsformenden Charakteristika Esoterik und verschiedene Gestalten der Geheimhaltung begünstigten in der Vergangenheit die Fähigkeit der Gemeinschaft, auch extreme Brüche ihrer Geschichte zu verkraften und sie in eine Erlösungsgeschichte fruchtbar zu integrieren. Dem Anspruch, die o.g. Dauerhaftigkeit nachzuweisen, kann man bereits mit einer kurzen Übersicht über einige Abschnitte der isma¯ ¯ılitischen Geschichte gerecht werden. Die Begriffe Esoterik, Gnosis, Geheimhaltung und Erlösung werden im weiteren Verlauf der Arbeit bei einer detaillierteren Betrachtung der Geschichte in ihrem Kontext illustriert. Zweitens soll dieser Wirkkomplex in der Untersuchung dreier historischer Momentaufnahmen aus der isma¯ ¯ılitischen Geschichte und zentralen theologischen Werken erhellt werden. Dabei gilt die besondere Aufmerksamkeit der Integrationskraft wechselnder Figuren des Imam in Kosmologie und Eschatologie sowie der Kosmogonie unter wechselnden Lebensbedingungen. Die Interdependenz von Theologie, soziopolitischer Situation und den Interessen der Gemeinschaft wird auf diese Weise anschaulich. Hiermit soll die Dynamik und Flexibilität muslimischer und speziell isma¯ ¯ılitischer Theologie als Weltdeutungs- und Sinnzuschrei˘

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bungssystem veranschaulicht werden. Diese, auch als Kommentar zu Webers Beschreibung des Islam zu verstehende Analyse greift vor dem Hintergrund des dekolonisierten Rationalismusbegriffs eine zentrale Perspektive Webers auf. In seiner religionssystematischen Einleitung untersucht er, wie die Rationalisierung den Zusammenhang von Lebensführung und materieller Interessenlage einerseits und religiösen Ideen und Heilsgütern andererseits bestimmt.382 Der schiitische Islam und insbesondere das schiitische Recht galten Weber als ein Paradebeispiel der Irrationalität, das die wirtschaftliche Prosperität, ein systematisiertes Recht und allgemein den Fortschritt der Gemeinschaft verhindert. Die Isma¯ ¯ılı¯ya gehört zum schiitischen Islam. Doch sowohl die Dauerhaftigkeit als auch die kulturelle Blüte, zu der die Isma¯ ¯ılı¯ya, insbesondere in der Gestalt des Fatimidenreiches vom 10./3. bis 12./6. Jahrhundert aufstieg, konfligieren mit Webers Diktum. Wo immer seine Rede auf die Schiiten kommt, betont er deren Irrationalität. Rationalität, die jene Elemente umfasst, wie die Planbarkeit, juristische und organisatorische Verlässlichkeit oder eine Struktur, die sich der Logik auf ein Ziel hin unterwirft, findet er kaum. Dass Weber sich auf die Imamı¯ya, die sogenannte Zwölfer-Schia, bezieht, macht in diesem Kontext keinen Unterschied. „Im Schi’itentum, welches in Persien die offizielle Konfession ist, steigert sich die Irrationalität des heiligen Rechts noch weiter. Es fehlen die immerhin relativ festen Anhaltspunkte, welche die sunna gibt; der Glaube an den unsichtbaren, theoretisch mit Unfehlbarkeit ausgestatteten Imam ist dafür gewiß kein Ersatz.“383 Gleiches hätte Weber auch über die Isma¯ ¯ıliten geurteilt, wären sie ihm eine Erwähnung wert gewesen. Die Kritik an Weber dreht sich aber nicht um den Punkt, ob Weber von dem isma¯ ¯ılitischen Fatimidenreich und seiner kulturellen Blüte wusste, sondern dass er ihre Bearbeitung systematisch ausschloss. Mission und Herrschaftsübernahme der Isma¯ ¯ıliten im Fatimidenreich, die mit ihrer esoterischen Lehre Webers Begriff der Mystik zuzuordnen sind, müssten nach seiner Logik beim Auftreten zur „Beherrschung der Welt“ entweder ins „[M]ystagogische“ abdriften oder aber „chiliastisch irrational“ werden.384 „[D]ie Gebote, die er [der Mystiker; M.W.] ver˘

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382 Vgl. Weber (1988=1920d): Einleitung, S. 259. 383 Ders. (1972): Wirtschaft und Gesellschaft, S. 476. 384 Vgl. ders. (2001): Religiöse Gemeinschaften, S. 329 – 331.

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kündet, haben keinen rationalen Charakter“385 – die geglückte Reichsgründung und die Beherrschung des Mittelmeerraumes bis Sizilien und Palästina erscheint ausgeschlossen. Dem ,chiliastischen Irrationalismus‘ steht die historische Faktizität des Fatimidenreiches ebenso entgegen wie das Rechtskompendium Da a¯ im al-isla¯m des fatimidischen Gelehrten und Hofjuristen Qa¯d¯ı al-Nu ma¯n dem behaupteten irrationalen Rechtspartikularismus. Es ˙stellen sich also nun die Fragen, wer sind diese Isma¯ ¯ıliten und welche Formen von Rationalität und Irrationalität lassen sich in ihrem Weltbild finden? ˘

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4.2.1. Gestalten der Rationalität: zur Verortung und Beschreibung der Inkohärenz von Empirie und Sinnzuschreibung

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Die im Folgenden verwandten Begriffe von Rationalität und Irrationalität beziehen sich zunächst auf die in Kapitel 3.3. entwickelte wechselseitig komplementäre Interpretation des Begriffspaares. Doch weitergehend als in der dortigen Verwendung, die sich vor allem auf eine Interpretation von Webers Religionssoziologie bezog, steht jetzt die Anwendungsorientierung der neuen Begrifflichkeiten im Mittelpunkt. Sie werden daher nicht mehr so eng an Webers Texte angelehnt sein, sondern stärker hinsichtlich ihrer neuen Funktion, der Beschreibung und Analyse eines Zweiges der Isma¯ ¯ılı¯ya, entwickelt. Irrationalität war in der Analyse von Webers Texten vor allem noch durch ihre Inkommensurabilität bestimmt, ein Verständnis, das jetzt etwas in Bezug auf die Funktionalität des Begriffes erweitert werden soll, auch um zu klären, was dem Begriff speziell auf der Ebene der religiösen Systematisierung zu leisten obliegt. Während Inkommensurabilität auf der empirischen Ebene für Irrationalität eine passende Beschreibung für jene Phänomene ist, die sich dem Wunsch nach einer sinnvollen Deutung des Daseins sperren, trägt dieses Verständnis von Irrationalität bei der weiteren Entwicklung nur noch bedingt. Hilfreicher wird der Begriff, wenn wir ihn auf der Ebene der Systematisierung um die Gehalte von Letztbegründungen, wie sie in der Gestalt von Dogmen auftreten, erweitern. Letztbegründungen sind Träger der auf empirischer Ebene erfahrenen Kontingenz und sie können als Endpunkte einer immer weiter fortschreitenden Systematisierung und Rationalisierung in verschie385 Ders. (1988=1920 f): Zwischenbetrachtung, S. 553 f bzw. ders. (1989): Die Wirtschaftsethik der Weltreligionen, S. 449.

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densten Gestalten auftreten. Sie sind zwar eingebettet in Argumentationen und Herleitungen, können aber in ihrer konkreten Gestalt letztlich nur geglaubt respektive gesetzt werden; außerdem bleibt ihnen auch hier die Inkommensurabilität erhalten. Diese Betrachtung zeigt die Äquivalenz von Irrationalität und der Setzung von Werturteilen, da beide überhaupt erst die Voraussetzung von Sinnzuweisung und damit von Kultur überhaupt sind. Die Analyse von Webers Rationalismusbegriff in seiner Religionssoziologie hat gezeigt, dass für ihn die Probleme von Rationalität und Irrationalität am pointiertesten in der Fragestellung der Theodizee auftreten. Hier finden die hoch elaborierten Systematisierungen von Sinnzuschreibung als Theologie ihren begrifflichen Endpunkt. Welche Signifikanz er den Theodizeen in der Beschreibung des spannungsvollen Verhältnisses von Rationalität und Irrationalität zuschreibt, wird am Ende der Zwischenbetrachtung deutlich, wo er die drei formalen Lösungen Prädestinationslehre, Dualismus und Karmalehre behandelt.386 Denn, wie bereits mehrfach zitiert, „[d]iese Spannungen setzen bei den einzelnen Religionen an sehr verschiedenen Punkten ein und darnach ist sowohl die Art wie der Stärkegrad der Spannung verschieden. Dies hängt in starkem Maße von der Art des durch metaphysische Verheißungen gegebenen Erlösungswegs der einzelnen Religion ab.“387 Die Untersuchung von Sinnzuschreibungssystemen mit dem Modell einer wechselseitigen Komplementarität von Rationalität und Irrationalität eröffnet weitere Horizonte. Das hier behandelte Problem taucht in vielfältigen Gestalten auch in anderen Disziplinen auf. So lassen sich Verbindungslinien zu verschiedenen soziologischen und philosophischen Schulen ziehen. Beispielhaft sei Hans Jonas genannt, der das gleiche Phänomen aus einer anderen Perspektive beschreibt. In seinem Text Zur hermeneutischen Struktur des Dogmas 388 schreibt er, Dogmen seien „Hypostasierungen von Existenzialphänomenen des menschlichen Seinsgrundes“. In seiner von Heidegger kommenden, entwickelten Existenzialanalyse nimmt er seinen Ausgang vom genau entgegengesetzten Ende des Problemfeldes. Während Weber, ganz Soziologe, feststellt, dass die Rationalität in der empirischen Welt an ihre Grenzen stößt, und dann Theodizeen die Inkommensurabilität der empirischen Welt mit der systematisierten Weltdeutung kompatibel machen müssen, beginnt der 386 Ebd., S. 571 f. 387 Ders. (1988=1920e): Konfuzianismus und Taoismus, S. 513 f. 388 Jonas (Hg.) (1965): Augustin und das paulinische Freiheitsproblem, S. 80 – 89.

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Philosoph Jonas bei dem, was er nach Martin Heidegger als „Seinsgrund“ beschreibt. Hieraus emanieren existenzielle Erfahrungen als „Selbstobjektivation des Geistes“, welche sich als Dogmen verdichten und artikulieren. Dogmen sind für ihn begriffliche Rationalisierungen der reflexiv dialektischen und vorbegrifflichen menschlichen Existenzialien. Sie stellen also eine Terminologie für die grundsätzliche Verfasstheit des Menschen. Bezeichnenderweise ist eins der zwei von Jonas behandelten Dogmen das Prädestinationsdogma.389 Ihm ordnet Jonas „[ j]ene Erfahrung vermutlich“ zu, „in der […] wir vorgreifende Bestimmung erahnen, die über alles Wissen und Sich-vergewissern-Können hinweg bereits über den Sinn unseres zeitlichen Daseins entschieden hat“390. Die Lehre von der Prädestination ist für Max Weber der Begriff der Irrationalität im Protestantismus schlechthin. Für beide, Weber wie Jonas, stellen die Dogmen und hier besonders das Prädestinationsdogma, Kulminationen eines Spannungsverhältnisses dar, die nur durch die besondere Struktur der Dogmen aufrecht erhalten werden können. Auch der Philosoph und Soziologe Pierre Bourdieu setzt sich in seinen Arbeiten zu Max Webers Religionssoziologie mit dem Thema der Theodizee auseinander.391 Als Soziologe, für den aus dem Marxismus kommend die Frage nach Macht im Zentrum seiner Aufmerksamkeit steht, verwendet er nicht die Terminologie der Theologie. Für ihn ist die Frage nach der Theodizee vorrangig die Frage nach der Soziodizee.392 Damit lenkt er wieder den Blick auf die Frage nach der Rettung der sozial konstruierten Weltsicht in Anbetracht offensichtlicher Ungereimtheiten, Inkonsistenzen und Kontingenzen, wenn auch auf einer anderen Systematisierungs- und Begründungsebene als Weber es tat. Dadurch, dass Bourdieu die Frage nach Machtkonstellationen zwischen den sozialen Akteuren stärker in den Blick nimmt als Weber, kulminiert für ihn das Problem der Kontingenz in der Theologie weniger in der Frage nach der Rechtfertigung Gottes, sondern vielmehr in der Legitimation der oftmals als ungerecht empfundenen sozialen und ökonomischen Situation der Einzelnen – wobei ihm Weber in seiner Analyse materieller Interessen da wohl kaum widersprochen hätte. Denn das Verhältnis zwischen der Empirie und ihrer Deutung stellt sich stets als eine Frage nach dem Sinn

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Ebd., S. 88. Ebd. Bourdieu (2000): Das religiöse Feld. Ebd., S. 70 f.

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der menschlichen Existenz, unabhängig davon, ob es als unde malum? in der Theologie oder als soziale Frage formuliert wird. Es ist kein Zufall, dass sich ausgerechnet bei diesen beiden Wissenschaftlern Parallelen zur Fragestellung Max Webers finden lassen. Schon für sein frühes Hauptwerk Gnosis und sptantiker Geist hatte Jonas an zentralen Stellen religionssoziologische Erkenntnisse Webers weiterentwickelt. Ja, man könnte sogar sagen, dass Jonas die Weltverneinung als zentrales Charakteristikum der Gnosis beschrieb, was einer Weiterführung von Webers Konzept gleichkommt, dass auf die vorderasiatische Erlösungsreligiosität in der Deprivationserfahrung der spätantiken Intellektuellenschichten fußt.393 Und auch Bourdieu berichtet in einem Interview, wie ihm Weber schon bei seinen Feldforschungen in der Kabylei hilfreich war.394 Trotz dieser letztlich gemeinsamen Fragestellung ist es aber nicht beliebig, an welcher Stelle und mit welchen Begrifflichkeiten das Problem von Sinn und Empirie verhandelt wird. Im Gegensatz zu Jonas, für den Theodizee ein zentraler Begriff seiner Existenzialanalyse ist, beschreibt Bourdieu das Problem der Theodizee vor allem als eines der Soziodizee. Gleichermaßen wird natürlich auch im Konstruktivismus das Problem der umfassenden und schlüssigen Zuschreibung von Sinn an eine letztlich zufällige Welt nicht unter dem Begriff der Theodizee diskutiert. Wie auch in seiner gesamten Religionssoziologie geht Weber hier von seiner Untersuchung der Protestantischen Ethik aus und verwendet daher den Begriff der Theodizee auch für die Karmalehre und den Dualismus. Es wäre naiv anzunehmen, es sei Weber nicht bewusst gewesen, dass dieser Begriff hier nicht adäquat ist. Das Problem einer Rechtfertigung Gottes stellt sich als theologisches Problem überhaupt nicht für z. B. Dualismen, wie sie der Zoroastrismus kennt, Polytheismen, wie im sogenannten Hinduismus oder Atheismen wie sie bei einigen Gestalten des Buddhismus vorkommen. Was Weber mit Theodizee bezeichnete, verweist auf das in verschiedenen Facetten behandelte, hier als Kontingenz bezeichnete Problem. Theodizee ist daher nur eine mögliche Antwort auf das Kontingenzproblem. Nur das Christentum mit seinem ganz spezifischen Gottesbild kommt überhaupt in die Not, Gott rechtfertigen zu müssen. In dieser Formulierung des Problems zeigt sich wieder das terminologische wie methodische Problem Webers sowie auch der 393 Vgl. Weber (2001): Religiöse Gemeinschaften, S. 269 – 271 u. Jonas (1988): Gnosis und spätantiker Geist, Teil 1: Die mythologische Gnosis, S. 69. 394 Bourdieu (2000): Das religiöse Feld, S. 111 – 129.

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meisten seiner Zeitgenossen, globale Kulturanalysen aus der europäisch christlichen Perspektive heraus zu betreiben. Die Lokalisierung des Kohärenzproblems zwischen Empirie und Sinnzuschreibung hängt also gleichermaßen von der zu betrachtenden Kultur sowie von den sie betrachtenden Forschenden ab. ˘

4.2.2. Die Isma¯ ¯ılı¯ya: ein historischer Abriss ˘

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Die hier nun behandelte Isma¯ ¯ılı¯ya ist der zweitgrößte Zweig der schiitischen Muslime, die ca. 10 – 20 Prozent aller Muslime stellen.395 Die Trennung der Sunniten von den Schiiten erfolgte nach dem Tod des Propheten Muhammad aufgrund von Meinungsverschiedenheiten über ˙ die legitime Nachfolge und Leitung der Gemeinschaft der Muslime (umma). Während die Gläubigen, die später als Sunniten bezeichnet werden, auf einer Wahl des Nachfolgers bestanden, beharrten jene, die in der Folge Schiiten genannt werden, auf die Designation, die Ernennung eines Nachfolgers durch den Vorgänger, wobei dieser ein Nachfahre des Propheten Muhammads sein muss. Nach schiitischem Verständnis hätte ˙ der Nachfolger sein müssen, da er, so seine Anhänger, Alı¯ ibn Abı¯ Ta¯lib ˙ von Muhammad kurz vor seinem Tod 10/632 in Humm zwischen ˙ ˘ Mekka und Medina dazu ernannt worden war. Die späteren Sunniten lehnten diese Interpretation ab, ernannten Abu¯ Bakr zum ersten Kalifen und begründeten so das Reich der Umayyaden. Diese Uneinigkeit in der Nachfolgeregelung ist der bis heute gültige fundamentale Unterschied zwischen Sunniten und Schiiten und hat weitreichende Konsequenzen in Theologie, religiöser Praxis und Gemeindebildung nach sich gezogen. In der Sunna sind vier große Rechtsschulen entstanden, die sich – wenn auch mit wechselnden Präferenzen der jeweils Herrschenden – weitgehend unabhängig von den politischen Umständen entwickelten. In der schiitischen Geschichte dagegen benennt die Zugehörigkeit zum jeweiligen Zweig der Schia sowohl die Kette der legitimierten Imame/ Kalifen wie auch die anerkannte Rechtstradition. Cum grano salis hat die

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395 Im Folgenden wird auf die einzelnen Belege verzichtet, da der historische Abriss unstrittiges Gemeingut ist. Zur Vertiefung bieten sich an: Halm (1988): Die Schiah; ders. (1991): Das Reich des Mahdi; ders. (2003): Die Kalifen von Kairo; Daftary (1990): The Isma¯ ¯ılı¯s; ders. (1998a): A Short History of the Ismailis; Madelung: EI2, Art. Isma¯ ¯ıliyya; ders. (1961): Das Imamat in der frühen isma¯ ¯ılitischen Lehre. ˘

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Schia also den stärker theokratischen Anspruch, während sich in der Sunna Recht und Herrschaft tendenziell unabhängiger voneinander entwickelt haben. Entsprechend wurden die weiteren Spaltungen innerhalb der Schia auch durch Konflikte um die Nachfolge in der Führung der Gemeinde ausgelöst. Fast zwei Jahrzehnte nach der abbasidischen Revolution (132/749 – 750) gegen die Umayyaden, die wieder nicht den erhofften Einfluss der ˇ a far al-Sa¯diq (148/765) und stürzte Schia brachte, verstarb der Imam G ˙ große Krise, der mehrere die schiitische Gemeinde damit in ihre erste Spaltungen folgten. Bereits zwei Generationen zuvor hatten sich die Zaiditen, auch Fünfer-Schiiten genannt, vom Hauptstrom der restlichen Schiiten abgespalten. Von den verschiedenen Gruppen, die sich dann ˇ a far al-Sa¯diqs abspalteten haben nur zwei bis heute nach dem Tod G überlebt, die Imamı¯ya, die˙ so genannte Zwölfer-Schia, und die Isma¯ ¯ıliten. Isma¯ ¯ıl, der zuerst zum Nachfolger ernannte Sohn des Imam al-Sa¯diq ˙ ˇ a fars Erstgeverstarb zehn Jahre vor dem Tod seines Vaters, während G borener Abdalla¯h den Vater nur um wenige Monate überlebte. Hier taucht zum ersten Mal die „Abwesenheit“ eines Imam auf. Einige Anhänger des Imam al-Sa¯diq glaubten nämlich nicht, dass dieser verstorben ˙ sei, sondern behaupteten, er sei in der g˙aiba, der ,Abwesenheit‘ oder ,Entrückung‘ in einer Art Zwischenwelt. Aufgrund des übermenschlichen Status, den Imame in der Schia genießen, kann diese g˙aiba bei den Imamiten die Lebenszeit eines normalen Menschen weit überschreiten. So warten die Imamiten auf die Rückkehr von Muhammad al-Mahdı¯ alMuntazar, der im 3./9. Jahrhundert nach dem Tod˙ des elften imamiti˙ schen Imam Hasan al- Askarı¯ (gest. 251/865) direkt in die ,Entrückung‘ gegangen ist. ˙Auch bei den Isma¯ ¯ıliten wird den Imamen ein besonderer Status zugesprochen, sie glauben allerdings nicht an die g˙aiba und sie messen ihren Imamen auch nur die Lebensspanne eines normalen Menschen zu. Die Stammbäume der isma¯ ¯ılitischen Imame sind daher bis in die Gegenwart fortgesetzt, wenngleich ihre Imame ebenfalls zu gegebenen Zeiten maktu¯m, verborgen bzw. versteckt, leben. ˇ a far al-Sa¯diqs Tod dessen Sohn Während für die Imamiten nach G ˙ Mu¯sa¯ zum neuen und dann siebten Imam designiert worden war und er den Beinamen al-Ka¯zim erhielt, gingen die später als Isma¯ ¯ıliten Bezeichneten davon aus,˙ dass der früh verstorbene Sohn al-Sa¯diqs, Isma¯ ¯ıl, ˙ der aber zu wiederum einen Sohn mit Namen Muhammad gehabt habe, ˙ ˘

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seinem Schutz vor der Öffentlichkeit geheim gehalten worden sei.396 Die Spur Muhammad ibn Isma¯ ¯ıls verliert sich und die Isma¯ ¯ılı¯ya verschwindet,˙ um rund einhundert Jahre später wieder im syrischen Salamya aufzutauchen. Zentralistisch organisiert entwickelt die jetzt schnell wachsende Gemeinschaft ein aktives und erfolgreiches Missionswesen. Änderungen in der Lehre und in der Imamsfolge lösen aber auch eine innere Legitimitätskrise aus. Der in Salamya auftretende Abdalla¯h, der später den Imamtitel Abdalla¯h al-Mahdı¯ bi- lla¯h annahm, proklamierte, dass das Imamat von Muhammad Isma¯ ¯ıl auf ihn und seine Nachkommen ˙ übergegangen sei, während er sich vorher noch lediglich als obersten Missionar, da¯ ¯ı, bezeichnet hatte. Erklärbar wurde diese Wendung und Innovation in Politik und Doktrin durch die Trennung der isma¯ ¯ılitischen Lehre in einen inneren Gehalt (ba¯tin, Esoterik) und eine äußere Gestalt (za¯hir, Exoterik) sowie durch die˙ Fähigkeit des Imam, zu den ihm als ˙gemäß erscheinenden Zeiten je mehr das eine oder andere zu offenbaren. Die Unterscheidung einer äußeren Gestalt und tiefer liegenden Bedeutungen kennt die Isma¯ ¯ılı¯ya bereits aus ihrer frühesten Zeit. Da sich die tieferen Bedeutungen der Esoterik in immer weiteren Stufen bis zum göttlich inspirierten Wissen des Imam fortsetzen, kann der Imam auch stets neue Wahrheiten aufdecken. Dies umso mehr, da auch er die Pflicht und Notwendigkeit kennt, zu seinem Schutz und dem der Gemeinschaft Vorsicht, taqı¯ya, walten zu lassen und das religiöse Bekenntnis und die tieferen Gehalte der religiösen Wahrheit nicht zu jedem Zeitpunkt und vollständig zu offenbaren. Die Qarmaten, inzwischen mit einem eigenen Staat in Bahrain, weigerten sich aber, diesen Wechsel in der Imamsfolge anzuerkennen˙ und spalteten sich in mehreren Schlachten von der Isma¯ ¯ılı¯ya, deren Missionserfolge darunter aber kaum litten. Ende des 3./9. Jahrhunderts fanden sich isma¯ ¯ılitische Werber in Nordafrika, der Levante, auf der Arabischen Halbinsel, im Zweistromland und in Persien bis ins heutige Pakistan. Die Expansionsbestrebungen mündeten 297/910 in die Gründung des Fatimidenreiches in Nordafrika mit Abdalla¯h al-Mahdı¯ als erstem isma¯ ¯ıliti˘

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396 Zur Namensgebung vgl. Daftary (1990): The Isma¯ ¯ılı¯s, S. 93 – 96; zur Frage der Zählung vgl. u. a. Halm (1978): Kosmologie und Heilslehre, S. 6. Ivanow geht auch davon aus, dass an den Anfängen der Isma¯ ¯ılı¯ya keine neue Lehre gestanden habe, stattdessen sei die schlichte Frage gewesen, welcher Imam Anspruch darauf erheben durfte, der gerechtfertigte zu sein – was bis heute das Kernproblem zwischen Isma¯ ¯ıliten und Imamiten darstellt (Ivanow [1955]: Studies in Early Persian Ismailism [2. Aufl.], S. 3). ˘

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schen Kalif-Imam. Das Fatimidenreich war bis zu seinem offiziellen Ende 567/1171 die Blütezeit isma¯ ¯ılitischer Kultur. Um der abbasidischen Verfolgung zu entgehen, verließ Abdalla¯h alMahdı¯ 289/902 sein Versteck im syrischen Salamya und ging nach Nordafrika, wo es seinem Missionar Abu¯ Abdalla¯h al-Sˇ¯ı ¯ı gelungen war, Teile der maghrebinischen Berber für die Isma¯ ¯ılı¯ya zu werben. Während sich Abdalla¯h al-Mahdı¯ in Sigˇilma¯sa, dem heutigen Rissani im Südosten Marokkos, verbarg, trieb Abu¯ Abdalla¯h al-Sˇ¯ı ¯ı weiter den militärischen Aufbau des Fatimidenreiches voran und eroberte 297/910 die nordafrikanische Stadt Raqqa¯da im heutigen Tunesien. In der nordafrikanischen Phase bis 362/973 wurde 308/921 zunächst Mahdı¯ya Hauptstadt des Fatimidenreiches, um 337/948 durch das neu erbaute Mansu¯rı¯ya abgelöst ˙ zu werden. Die ersten drei Fatimiden-Imame Abdalla¯h al-Mahdı ¯, dessen Sohn Imam al-Qa¯ im bi-Amr Alla¯h (322 – 334/934 – 946) und dessen Sohn Imam al-Mansu¯r bi- lla¯h (334 – 341/946 – 953) waren vor allem mit der Konsolidierung˙ des Reiches gegen innere und äußere Unruhen beschäftigt. Erst unter Imam al-Mu izz li-Dı¯n Alla¯h (341 – 365/953 – 375) gelang die Stabilisierung des Reiches. Zusammen mit der Eroberung Ägyptens 358/969 und der Ernennung des neu errichteten Kairo 362/ 973 zur Hauptstadt endete die nordafrikanische Phase des Fatimidenreiches und die ägyptische Phase begann. Nach der langen Zeit der Konsolidierung des Reiches in Nordafrika entwickelte es sich in Ägypten zur vollen Blüte. Durch den Aufstieg von einer Regionalmacht zur Dynastie erweiterten sich nicht nur die Möglichkeiten der Isma¯ ¯ılı¯ya, sondern es wuchsen auch die an sie gestellten Anforderungen. Aufgrund des nun massiven Hervortretens der Religionsgemeinschaft gegenüber der vorher praktizierten Verbergung und der Errichtung der eigenen Herrschaft waren die Imame gezwungen, sich in einem breiteren theologisch-philosophischen Diskurs zur verorten, wie sie auch genötigt waren, ein Staatswesen samt Rechtsprechung zu begründen. In diesem Kontext ist der Autor al-Qa¯d¯ı al-Nu ma¯n (gest. 363/ ˙ allem unter Imam al974) von besonderer Prominenz. Er verfasste vor Mu izz li-Dı¯n Alla¯h (gest. 365/975) neben anderen klassischen theologischen und historiographischen Werken das bei den Tayyibi-Isma¯ ¯ıliten ˙ m sowie dessen bis heute gültige Rechtskompendium Da a¯ im al-isla ¯ esoterische Interpretation Ta wı¯l da a¯ im al-isla¯m. Während der Herrschaftsraum der Isma¯ ¯ılı¯ya zuvor noch sehr begrenzt gewesen war, sah sie sich nun damit konfrontiert, eine Bevölkerungsmehrheit zu regieren, die nicht dem isma¯ ¯ılitischen Glauben anhing. Obwohl es zu keinem Zeitpunkt Bestrebungen gab, die sunnitische Mehrheitsbevölkerung zur ˘

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Konversion zu bewegen, verwandte die Isma¯ ¯ılı¯ya viel Mühe in die Erneuerung und den Ausbau ihres da wa-Apparats. Wo in der Sunna da wa meist eindimensional für Mission verwandt wird, hat die da wa der Isma¯ ¯ılı¯ya einen dreifachen Wortsinn, der neben der Missionierung die esoterischen Gehalte der Theologie sowie die klerikale Organisation der Da¯ ¯ıs bis hinauf zum Imam umfasst. Neben der bis heute bekannten AlAzhar-Universität wurden spezielle Ausbildungsinstitute für Isma¯ ¯ıliten errichtet, in denen sowohl die exoterischen (äußeren) wie die strikt hierarchisch mehrstufig esoterischen (inneren) Gehalte der isma¯ ¯ılitischen Lehre vermittelt wurden. Sowohl inhaltlich wie organisatorisch erreichte die isma¯ ¯ılitische Da wa unter dem achten fatimidischen Imam Ma add alMustansir bi- lla¯h (427 – 87/1036 – 1094) ihre größte Entfaltung. Eine ˙ rege intellektuelle Aktivität entfalteten die Da¯ ¯ıs in der persibesonders schen Provinz, wenn auch deren Disputationen nicht immer mit der offiziellen Lehrmeinung der kairiner Institute unter der Aufsicht des Imam konform gingen. In der Regierungszeit des genannten Imam al-Mustansir konnte die ˙ NachIsma¯ ¯ılı¯ya noch einen weiteren territorialen Erfolg verzeichnen. dem es bereits in der Frühzeit der Isma¯ ¯ılı¯ya mit den beiden Da¯ ¯ıs Ibn Hausˇab Mansu¯r al-Yaman und Alı¯ ibn al-Fadl (beide gestorben 302/915) ˙ im Jemen gegeben hatte, ˙ erfolgreiche Missionstätigkeit eine rege und gelang es nun Alı¯ ibn Muhammad al-Sulaih¯ı 429/1037 – 1038 einen ˙ und 454/1062 ˙ sogar Mekka zu erobern ˙ isma¯ ¯ılitischen Staat zu errichten und dort die Freitagspredigt im Namen des FatimidenImam zu halten. Das isma¯ ¯ılitische Sulaihidenreich unter der Anerkennung der fatimidi˙ Kontakt mit Kairo bestand im Jemen bis 532/ schen Imame und im engen 1138 und wurde einer der Zufluchtsorte der sich nach dem Tod des Imam Mustansir spaltenden isma¯ ¯ılitischen Gemeinschaft unter dem Ansturm ˙ der Ayyubiden. Als Imam al-Mustansir 487/1094 in Kairo starb, wurde sein eigentlich ˙ ernannte Sohn Abu¯ Mansu¯r Niza¯r (437 – 488/ von ihm zum Nachfolger ˙ 1045 – 1095) Opfer der Ränkespiele durch die machtvollen Wesire am fatimidischen Hof, die statt seiner den jüngeren Halbbruder Abu¯’l-Qa¯sim Ahmad unter dem Imamstitel al-Musta lı¯ bi- lla¯h (487 – 495/1094 – 1101) ˙ inthronisieren. Der eigentliche Kronprinz Niza¯r widersetzte sich diesem Staatsstreich und revoltierte 488/1095, wurde von dem fatimidischen Wesir Abu¯’l-Qa¯sim Sˇa¯ha¯nsˇa¯h al-Afdal besiegt, festgenommen und hin˙ gerichtet. Der Konflikt über die Nachfolge al-Mustansirs spaltete die Isma¯ ¯ılı¯ya dauerhaft in die Zweige der Niza¯rı¯ya und ˙der Musta lı¯ya. Während al-Musta lı¯ von den Gemeinschaften in West-Indien, Jemen, ˘

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Ägypten und dem fatimidischen Hof in Kairo anerkannt wurde, setzten sich die Anhänger Niza¯rs in den folgenden Jahrzehnten unter der Führung Hasan al-Sabba¯h im Osten von Syrien bis nach Irak und Persien ab. ˙ im Wesentlichen ˙ ˙ Das nun auf Ägypten beschränkte Fatimidenreich überlebte nach der Spaltung in Musta liten und Niza¯riten nur noch weitere acht Jahrzehnte, die von dessen schnellen Verfall gekennzeichnet waren. Unter der Herrschaft der alles kontrollierenden Wesire spaltete sich die Da wa ein weiteres Mal nach der Regierungszeit von Imam alMusta lı¯s in die Tayyibı¯- und die Ha¯fiz¯ı-Fraktion. Während die Ha¯fiziten ˙ der fatimidischen ˙ Kalifen ˙ ˙ ˙auch die offizielle Linie in Kairo fortsetzten und mit dem offiziellen Ende des Fatimidenreiches 567/1171 zu existieren aufhörten, wandten sich die Tayyibiten nach Jemen und überlebten dort ˙ die Verlegung der tayyibitischen Da wa in als Minderheit bis heute. Durch ˙ den Jemen konnte auch der Großteil der fatimidischen Literatur vor der Vernichtung gerettet werden. Nach zwei Jahrhunderten fatimidischer Herrschaft hatte Sala¯h al-Dı¯n al-Ayyu¯bı¯ wieder die abbasidische Kon˙ ˙ errichtet trolle über Ägypten und das Fatimidenreich endete nach insgesamt 262 Jahren Herrschaft. Lediglich zwei Zweige des einstmals mächtigen Fatimidenreiches überlebten bis in die Gegenwart: die vor allem in Persien und Zentralasien verbreiteten Niza¯riten und die mehrheitlich in Indien und dem Jemen lebenden Tayyibiten. Mit der Festung von Alamu¯t war es den ˙ kurzen Zeitraum noch einmal gelungen, einen Niza¯riten für einen Territorialstaat zu begründen, der aber unter dem Ansturm der Mongolen 654/1265 unterging. Die weitere Geschichte der Niza¯riten und ihrer Imame bleibt bis dato über weite Strecken obskur und wechselhaft. Zweifelhafte Berühmtheit erlangten sie aber vor allem durch die Kreuzfahrererzählungen als sogenannte „Assassinen“397 unter der Führung Hasan al-Sabba¯hs, dem Alten vom Berg. Die Imame der Niza¯rı¯ya ˙ ˙ Untergang lebten˙nach dem Alamu¯ts über lange Zeit in der Verbergung und die weit zersplitterte Gemeinschaft hat ihre Gestalt durch verschiedene lokale Einflüsse gewandelt. Im persischen Raum gewann der Sufismus einen wesentlichen Einfluss auf die Niza¯riten, während in Indien hinduistische Traditionen, besonders Vishnuismus auf die Niza¯rı¯ya einwirkten. Mit dem frühen 19. Jahrhundert traten die Niza¯riten in die moderne Phase ihrer Geschichte ein. Der 42. Niza¯rı¯-Imam Sayyid Hasan Alı¯, A¯g˙a¯ Kha¯n I. (1804 – 1881) verlegte das Zentrum der Da wa ˙nach Bombay. Er und seine Nachfolger leiteten eine Vielzahl organisatorischer ˘

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397 Vgl. Daftary (1994): The Assassin legends.

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und inhaltlicher Reformen ein, die die Niza¯rı¯ya zu einer prosperierenden und modernen Denomination des Islam werden ließen. Das Aga Khan Development Network (AKDN) ist bis heute die größte private NichtRegierungs-Organisation weltweit und unterstützt eine Vielzahl von Bildungs- und Entwicklungsprojekten. Mit dem Verschwinden von Imam al-A¯mir bi-Ahka¯m Alla¯h (495 – ˙ 524/1101 – 1130) Sohn, dem Imam al-Tayyib 525/1131 bzw. dessen ˙ unbesehener Entrückung endete für die Tayyibı¯ya die Reihe der öffentlich agierenden Imame. Anders als die ˙Imamı¯ya, die Zwölfer-Schia, ist der Imam in der Verbergung aber nicht dem Alterungsprozess entzogen, sondern gibt das Imamat stets an seinen designierten Nachfolger weiter, so dass sich die Kette der lebenden Imame bis heute im Verborgenen fortsetzt. Vor der Gemeinschaft werden die Imame durch ihre obersten Da¯ ¯ıs vertreten, die sowohl die Identität wie auch den Aufenthaltsort des je aktuellen Imam kennen, mit ihm in Kontakt stehen und von ihm instruiert und überwacht werden, so dass die göttliche Autorität in allen Lehrfragen und in der Da wa-Verwaltung erhalten bleibt. Dennoch kam es 999/1591 zu einer erneuten Spaltung der Tayyibı¯ya, ˙ Indien nachdem zwei Generationen zuvor der Sitz der Da wa nach verlagert worden war, und nun nach dem Tod des Da¯ ¯ı Da¯ u¯d ibn Agˇabsˇa¯h sowohl der jemenitische Da¯ ¯ı Sulaima¯n ibn Hasan al-Hindı¯ wie auch der in Indien ansässige Da¯ u¯d Burha¯n al-Dı¯n ibn˙ Qutbsˇa¯h die Nachfolge für ˙ auch als Maka¯rima sich beanspruchten. Die Sulaima¯nı¯-Fraktion, später bekannt, verblieb mehrheitlich im Jemen, mit einigen Anhängern in Indien, die Da¯ u¯dı¯-Fraktion, auch als Bohra bezeichnet, lebt heute mehrheitlich in Indien, mit einer Anzahl von Anhängern im Jemen. Über die letzten Jahrhunderte sind die Tayyibiten weder durch Literatur noch ˙ politische Aktivitäten auffällig geworden. Allein in der Gemeinschaft der Bohra scheint sich eine schrittweise Öffnung und Modernisierung, verbunden mit ökonomischer Prosperität, zu entwickeln.398 Wie die frühe europäische Rezeption isma¯ ¯ılitischer Geschichte mit eingeschränktem Fokus auf die der Assasinen und die Verbreitung von Gruselgeschichten über isma¯ ¯ılitische Lehre und Praxis bei anderen muslimischen Denominationen bereits erahnen lassen, sind für die Erforschung isma¯ ¯ılitischer Theologie und Geschichte mehrfach Hindernisse aus dem Weg zu räumen. Zusätzlich muss man leider feststellen, dass das literarische Erbe der Gemeinschaft teils wegen Verfolgung und Vernichtung, teils aufgrund eigener Geheimhaltung des Wissens stark ˘

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398 Vgl. Blank (2001): Mullahs on the mainframe.

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limitiert ist, und der Zugang hierzu auch erst seit wenigen Jahrzehnten nicht mehr sowohl von Seiten der Gemeinschaft wie ihrer Gegner verhindert wird. Wesentliche Fortschritte in der Erforschung der Isma¯ ¯ılı¯ya kann man im Westen erst seit den 1930er Jahren ausmachen.399 Aufgrund der der Esoterik wesenseigenen Vorgabe, dass Wissen nur stufenweise vermittelt werden soll, haben Initiierte der Gemeinschaft auch weiterhin nur wenig Ambitionen, ihr Wissen für eine breitere Öffentlichkeit zu publizieren. Doch neben dem esoterischen Gehalt sind es auch stets die Angriffe aus anderen Lagern des Islam, die die Isma¯ ¯ılı¯ya zur Zurückhaltung bewegen. Die esoterische Grundorientierung der Isma¯ ¯ılı¯ya führt aber auch dazu, dass theologische Texte mehr Wertschätzung erfahren als historiographische. So können wir nur auf wenige Informationen über die isma¯ ¯ılitische Geschichte aus erster Hand zurückgreifen. Und letztlich hat die durch die Geheimhaltung und Verfolgung begünstigte theologische und regionale Zersplitterung der Isma¯ ¯ılı¯ya zu großen Varianzen sowohl im Erscheinungsbild wie in den Praktiken und Lehren geführt. Dieser relativ kleine Zeig des Islam erfährt also letztlich aufgrund der schwierigen Quellenlage nur wenig wissenschaftliche Aufmerksamkeit, was wiederum dazu führt, dass die Lage der Primär- wie Sekundärliteratur bis heute schwierig bleibt und zu wünschen übrig lässt. ˘

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4.2.3. Isma¯ ¯ılitische Rationalitäten ˘

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Der kurze historische Abriss zur Isma¯ ¯ılı¯ya enthält bereits die relevanten Eckpfeiler für die Beschreibung der isma¯ ¯ılitischen Lösung für den Umgang mit der Inkohärenz von Empirie und Sinnzuschreibung. Die Empirie, mit der sich die Isma¯ ¯ılı¯ya arrangieren und der sie einen Sinn zuweisen musste, gestaltet sich für die Gemeinschaft äußerst wechselhaft. Ausgestattet mit der Gewissheit, die von Gott legitimierte Nachfolge des Propheten Muhammad antreten zu sollen, findet sie sich von Anfang an in der Situation˙ einer subjektiv zu Unrecht verfolgten Minderheit. Auch die kurze abbasidische Hoffnung wird schnell zerschlagen. Dennoch gelingt ihr die Gründung eines zwei Jahrhunderte währenden Reiches, um danach wieder in den Status einer verfolgten Minderheit zu geraten. Derartige Umbrüche und Inkohärenzen zwischen Anspruch und Realität ˘

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399 Hierzu und zur modernen Forschungslage vgl. Daftary (1990): The Isma¯ ¯ılı¯s, S. 26 ff.

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verlangen nach einer adäquaten Erklärung und einer Struktur oder Institution, die in der Lage ist, diese glaubhaft den Anhängern zu vermitteln. Das Fortbestehen der Isma¯ ¯ılı¯ya bis in die Gegenwart – wenn auch aufgespalten in mehrere Zweige – belegt eindrucksvoll das Vorhandensein der o.g. Notwendigkeit sowie die Leistungsfähigkeit der Gemeinschaft, mit variierenden Inkohärenzen von Empirie und Sinnzuschreibung umzugehen. Es ist hier bereits mehrfach dargestellt worden, wie Systeme kultureller Sinnzuschreibung, sei es als Theologie oder Herrschaftslegitimation, sei es als Wissenschaft, die rationalen und irrationalen Anteile der Welt zueinander ins Verhältnis setzen müssen. Was nun die rationalen Elemente zur Beschreibung der rationalisierbaren Anteile der Empirie betrifft, so sind sie so augenfällig, dass die Auswahl scheinbar zufällig werden kann. Sie können sämtliche kulturellen Erzeugnisse geistiger wie materieller Art umfassen. Theologie, dogmatische, juristische oder historiographische Schriften, ihre Entsprechung in der Organisation der Da wa als hierokratischer oder administrativer Apparat ebenso wie die Errichtung eines Reiches – dies alles sind beredte Zeugnisse isma¯ ¯ılitischer Systematisierungs- und Rationalisierungsfähigkeit, denn in ihnen ist das Gebot der Konsequenz in Denken und Handeln wirksam. In den Kapiteln 5 – 7 dieser Arbeit werden ausgewählte Elemente isma¯ ¯ılitischer Theologie als Zeugnisse der systematisierten Sinnzuschreibung in ihrer Wechselwirkung mit der historischen Empirie behandelt. Wenn Theologie als Beleg von Systematisierungswille und Unterwerfung von Denken und Handeln unter das Gebot der Konsequenz mithin als Zeugnis von Rationalität betrachtet werden soll, dann stellt sich die dringliche Frage, wo innerhalb des Sinnzuschreibungssystems ,isma¯ ¯ılitischer Theologie‘ die irrationalen, mit dem Gebot der Konsequenz inkommensurablen Elemente der Empirie ihren Niederschlag gefunden haben. Von welcher Stelle aus können die Wechselfälle des individuellen Lebens sowie der weiteren Geschichte in die mit Sinn beladene Gesamtbetrachtung eingefügt werden? Welche Figur ist in der Lage so flexibel auf den fundamentalen Anspruch der Sinnzuschreibung vor einer doch offensichtlich kontingenten Welt zu reagieren, dass keine Brüche oder Widersprüche in der isma¯ ¯ılitischen Weltsicht auftreten? Die beiden von Max Weber in seiner Untersuchung des Protestantismus zur Kontingenzbewältigung400 herausgeschälten Figuren waren ˘

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400 Der Begriff ,Kontingenzbewältigung‘ sucht hier Anschluss an den Konstruktivismus. Er meint das, was bei Weber mit Religion als Antwort auf die „Erfahrung

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4. Von der Kritik zur Konstruktion

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der deus absconditus und die Prädestinationslehre. In der vernunftregierten und wissenschaftlich entzauberten Welt des modernen Okzidents hat die empirische Erfahrung von Zufälligkeit keinen Platz. Machbarkeit und Beherrschung prägen die Grundhaltung. Zufälle, Unvorhersehbarkeiten, Leiden, die Wechselfälle des Lebens werden daher im Protestantismus auf die unbeeinflussbare, nicht dem Wissen zugängliche, jeder Einsicht entzogene Prädestination des fernen Gottes projiziert. Während wir also im Protestantismus – zumindest als Anspruch – maximale Rationalität und systematisierte Lebensführung auf Seiten der Gläubigen finden, hat die Irrationalität in der Lehre der komplett dem Verständnis entzogenen Prädestination des abwesenden Gottes ihren Ausdruck gefunden. Im dogmatischen Gebäude der Isma¯ ¯ılı¯ya fällt besonders die Imamatslehre ins Auge. Die nun zugrunde liegende These lautet, dass die Irrationalität isma¯ ¯ılitischer Weltsicht in der Figur des Imam ihren Träger gefunden hat. Die Herleitung ihrer historischen Gestalt, wie Weber es für den Protestantismus ausgeführt hat, würde den Rahmen der Darstellung sprengen, weshalb jetzt nur die Rolle des Imam und die Bindung der Gemeinschaft an ihn beleuchtet werden soll. Historisch finden wir in der Imamatslehre der Isma¯ ¯ıliten die Radikalisierung der gemeinschiitischen und volksreligiösen Vorstellung von der menschlichen wie spirituellen Vorzüglichkeit der leiblichen Nachfahren des Propheten Muhammad, die, so die schiitische Lesart, von den sunnitischen Umayyaden ˙um ihr Erbe der Gemeindeführung gebracht wurden und seitdem um die Wiederherstellung der legitimen, göttlichen Ordnung ringen. Die dem Imam von Gott verliehene absolute Autorität ist ein wesentlicher Zug seiner Person. Gemäß der esoterischen und zeitweise gnostischen isma¯ ¯ılitischen Lehre besitzt nur er absolutes und annähernd gottgleiches Wissen. Als transzendierende Mittlerfigur ist er der irdische Beweis für die Existenz Gottes. In seiner Person wird die ewige, esoterische Wahrheit in aktuelles, gegenwärtiges Wissen transformiert. Nach isma¯ ¯ılitischem Verständnis leitet er bis heute die ihm anhängende Gemeinschaft durch die Wirren der Zeit. Durch ihre Doppelrolle als Übermittler und Interpret der göttlichen Wahrheit ist die Figur des Imam wie dafür geschaffen – innerhalb bestimmter Grenzen –, ˘

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der Irrationalität“ und oben in Kapitel 3.2.2. als „Sinnzuweisungssystem“ bezeichnet wird. Da Max Weber und der Konstruktivismus argumentativ in einer Linie stehen (vgl. Kaesler, Dirk [2003]: Max Weber. Eine Einführung, S. 224), soll der Begriff der ,Kontingenzbewältigung‘ hier bruchlos angeschlossen werden.

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Wandlungen, Leiden und der Kontingenz der Welt einen Sinn zu verleihen und somit die Teile des Lebens korrigierend innerhalb eines Gesamtkontextes zu deuten, der mit den festgeschriebenen, zuvor offenbarten Geboten und Dogmen nicht in Einklang zu bringen ist. Die Rolle des Imam gestattet, die konfliktfreie Integration der weltlichen Irrationalitäten in das isma¯ ¯ılitische Weltbild. Perspektivwechsel, Neuinterpretationen, Änderungen der Lehre – all diese die Weltsicht maßgeblich bestimmenden Optionen obliegen ausschließlich und vollumfänglich dem Imam. Die vermittelnde und interpretierende Funktion des Imam bekommt durch die durchgehende Esoterik der Lehre, die allen Aussagen und Erscheinungen einen äußeren, augenscheinlichen, materiellen und einen inneren, wahren, spirituellen Sinn zuschreibt, erst ihre volle Machfülle. Die Vermittlung zwischen der Exoterik und Esoterik obliegt allein dem Imam. Die beiden so getrennten Bedeutungsebenen gestatten eine höhere Flexibilisierung in der Interpretation von Aussagen und Ereignissen. Tatsachen und Geschehnisse der äußeren Welt sowie die Legitimität einer Imamsgenealogie, konkrete Endzeiterwartungen, ethische Grundsätze und selbst rechtliche oder kalendarische Fragen können je nach Bedarf mit einem neuen, spirituellen Gehalt verknüpft werden. Dies gilt umso mehr, als der Imam gleichlautende Aussprüche und identische Geschehnisse zu unterschiedlichen Zeiten oder gegenüber verschiedenen Personen je neu auslegen kann. Der Zugang zur Wahrheit oder Realität im Sinne einer letztgültigen, göttlichen Instanz wird also zeitlich wie situativ kontextualisiert erst durch den Imam bestimmt. Neben den mehrfachen Änderungen der Doktrin, z. B. in der Kosmologie, waren selbstverständlich auch solche für das Selbstverständnis der Gemeinschaft vitalen Punkte wie die Genealogie der Imame und ihre Namen und Titulaturen der Deutungshoheit des je amtierenden Imam unterworfen.401 ˘

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401 Die vom ersten Fatimiden-Imam Abdalla¯h al-Mahdı¯ vorgenommene Reinterpretation des fatimidischen Stammbaums zeigt, wie wichtig aber auch heikel eine solche Modifikation war. Ohne sie wäre sein Herrschaftsanspruch wie auch der seines Sohnes nicht durchsetzbar gewesen, waren sie doch bis zu ihrer Entbergung immer nur als Mittler zwischen Imam und Gemeinschaft aufgetreten. Gleichzeitig führte die neue Genealogie mit dem Abfall der Qarmaten zur ersten großen Spaltung der Isma¯ ¯ıliten. (Vgl. Halm [1991]: Das Reich des Mahdi, S. 64ff; Madelung [1961]: Das Imamat, S. 65ff; ders. [1996a]: The Fatimids and the Qarmat¯ıs of Bahrayn). ˙ ˙

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Im gleichen Maße, wie sich die Figur des Imam aus der Vorzüglichkeit der Nachfahren Muhammads zur Unfehlbarkeit und Sünden˙ freiheit entwickelt hatte, bewirkte der dauernde Minderheitenstatus, sowohl als Herrschende wie als Verfolgte, dass dem Schutz der Gemeinschaft Priorität gegenüber allen anderen Belangen eingeräumt wurde. Getragen und strukturiert wird auch heute dieser Gemeinschaftssinn durch die sogenannte wala¯ya, die Anerkennung des aktuellen Imam und die bedingungslose Gefolgschaft ihm gegenüber. In dem Maße, wie der Imam die Quelle allen göttlichen Wissens und dessen Repräsentant auf Erden ist, repräsentiert die wala¯ya das sine qua non der isma¯ ¯ılitischen Religionspraxis und der Voraussetzung der Erlösung aus dem irdischen Leiden. Am eindrücklichsten wird die Bedeutung der wala¯ya durch ihre prominente Stellung in Den Sulen des Islam. Anders als der sunnitische Mehrheitsislam, der fünf Säulen kennt, wird die Isma¯ ¯ılı¯ya durch sieben Säulen getragen, deren erste die wala¯ya ist. In seinem bis heute gültigen juristischen Standardwerk Da a¯ im al-isla¯m (Die Sulen des Islam) stellt al-Qa¯d¯ı al-Nu ma¯n die sieben Säulen wala¯ya (Gefolgschaft), taha¯ra (Reinheit), ˙sala¯t (Gebet), zaka¯t (Armensteuer), sawm (Fasten), hagˇgˇ ˙(Pilgerfahrt) und ˙gˇihad (Kampf gegen den Unglauben) ˙ vor, mit einer ˙ ¯ Vorbemerkung zum ¯ıma¯n (Glauben) und einem Einschub über die gˇana¯ iz (Beerdigungen). Poonawala bemerkt in der Einführung des ersten Teils seines Werkes über The Pillars of Islam, dass die erste Säule (wala¯ya) die wichtigste und der Schlüssel zum Verständnis der restlichen sei.402 Durch die Wechselfälle der Geschichte, die immer wieder radikale Umstellungen in der äußeren Gestalt der Isma¯ ¯ılı¯ya erforderlich machten, war die innere zentralistische Struktur ein dauerhaftes Merkmal der Gemeinschaft. So sind allein das Wissen vom Imam und das Bekenntnis zu ihm erlösungsrelevant. Schon die Zugehörigkeit zur Gemeinschaft und die Kenntnis des Imam versprechen das Seelenheil. Auch wenn dem Imam die situations- und zeitbedingte Interpretation der Lehre obliegt, gestatten ihm die Trennung von Exoterik und Esoterik einen unvorstellbar weiten Spielraum für seine Aussagen. Durch die wala¯ya werden seine herausgehobene Stellung und die Bindung der Gemeinschaft an ihn zum zentralen Bekenntnis der Isma¯ ¯ılı¯ya. In der Figur des Imam sind dabei verschiedene Bedeutungsebenen voneinander zu trennen, die durch die Anhänger auch je unterschiedliche Zuschreibungen erfahren. Dennoch sind die Ebenen auf das Engste miteinander verbunden und bedingen sich gegenseitig. So tritt der Imam zunächst als ˘

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402 Qa¯d¯ı an-Nu ma¯n/Pu¯nwa¯la¯ (Hg.) (2002–): The Pillars of Islam, S. XXXI. ˙

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historische Figur auf, leitet die Gemeinde politisch und organisiert Inhalte wie beispielsweise die Vermittlung der esoterischen Lehre. Dieses Amt kann er aber nur ausfüllen, da die Figur des Imam auf anderer Ebene selbst Gegenstand der Lehre ist und dadurch außergewöhnliche Fähigkeiten zu seinen Attributen zählen kann. Ihre stärkste Ausprägung findet diese besondere Ebene im Mahdı¯, dem von Gott geleiteten Herrscher der Endzeit. Die oben beschriebenen beiden Ebenen lassen sich als die exoterische und die esoterische Gestalt der Imamfigur bezeichnen. In der Figur des Mahdı¯ kulminieren beide sozusagen, da mit dem Anbrechen des endzeitlichen Reiches auch die Trennung von Esoterik und Exoterik aufgehoben wird. Obgleich Protestantismus und Isma¯ ¯ılı¯ya zunächst so unvergleichlich erschienen, lassen sich mit dem analytischen Blick durch die Brille der wechselseitigen Komplementarität in der Weltsichtanalyse durchaus funktionale Parallelen finden. Während der Protestantismus der Irrationalität und der Kontingenz der Welt in der Prädestinationslehre einen Platz zuweist, kann die Isma¯ ¯ılı¯ya Leiden und Wechselfälle durch die Allmacht des Imam auffangen. Wie die Seele im Protestantismus durch die Berufsethik, so soll sie in der Isma¯ ¯ılı¯ya durch die Gefolgschaft gegenüber dem Imam gerettet werden. Die der protestantischen Prädestinationslehre entsprechende Chiffre für das Irrationale sowie die mit dem Gebot der Konsequenz inkommensurablen Elemente der Empirie liegen im Falle der Isma¯ ¯ılı¯ya in der Rolle des Imam begründet. Dabei entspricht der protestantischen Ethik bei der Isma¯ ¯ılı¯ya die äquivalente Institution der wala¯ya, als gemeinschaftliche Gefolgschaft. ˘

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4.2.4. Der sinnvolle Kosmos der Isma¯ ¯ılı¯ya in geschichtlicher Perspektive

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Nach den vorangehenden theoretischen Ausführungen über die Dynamik von Rationalität und Irrationalität zwischen theologischen Konzepten und materieller Interessenlage sollen die zuletzt gezogenen Schlussfolgerungen in den folgenden Kapiteln bei den Untersuchungen der Gemeinschaft der Isma¯ ¯ılı¯ya als Ausgangsbasis dienen. Die materiellen Ausgestaltungen theoretischer Konzepte werden illustriert durch die Ereignisgeschichte der jeweiligen Religion. Nimmt man diese Forschungsperspektive historischer Art für die folgende Untersuchung der Isma¯ ¯ılı¯ya ein, müssen sowohl die soziopolitische Situation der Gemeinschaft als auch die des Imam zu Gegenständen der anschließenden Analyse werden. Dies bedeutet insbesondere auch zu fra˘

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4. Von der Kritik zur Konstruktion

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gen, ob der Imam offen oder verborgen lebt und von welcher institutionellen Ordnung seine Herrschaft ist. Zum Verständnis der anderen Seite der Dynamik, der theologischen Konzepte, wird anhand mehrerer Texte die Entwicklung isma¯ ¯ılitischer Theologie nachvollzogen, womit Änderungen und Umbrüche der Lehre verdeutlicht werden sollen. In dem direkten Nebeneinander von Theologie und Geschichte wird über drei Abschnitte hinweg ein Bogen gespannt, der die Dynamik und Wandlungsfähigkeit von Rationalität und Irrationalität im Sinne der kritischen Weber-Lektüre illustrieren wird. Bei den vorgestellten Texten handelt es sich um theologische Literatur aus drei Stadien der isma¯ ¯ılitischen Geschichte. Der erste Text wird auf die vorfatimidische Periode, heißt spätes 3./9. Jahrhundert, datiert, während der zweite bzw. dritte Text im frühen 5./11. Jahrhundert und im 9./15. Jahrhundert, also in der Blütezeit des Fatimidenreiches, sowie rund drei Jahrhunderte nach dessen offiziellem Ende verfasst wurden. Welcher Platz und Rang den Texten in der isma¯ ¯ılitischen Da wa eingeräumt wird, variiert dabei. Für die präfatimidische Zeit kann kaum von einer vereinheitlichten Lehre ausgegangen werden. Der Text Kita¯b ala¯lim wa’l-g˙ula¯m kann daher auch keine offiziellen Weihen beanspruchen. Die Wahl dieses Textes liegt neben der vermuteten Popularität auch in seiner Anschaulichkeit und nicht zuletzt in der Dauerhaftigkeit seiner Bedeutung begründet. Zur Illustration der fatimidischen Periode wurde auf die Briefe des ersten Kalifen al-Mahdı¯, das juristische Werk des Qa¯d¯ı al-Nu ma¯n sowie das theologische Hauptwerk Ra¯hat al- aql von Hamı¯d˙ al-Dı¯n al-Kirma¯nı¯ ˙ zurückgegriffen. Während die Texte des Kalifen˙ al-Mahdı¯ und des Qa¯d¯ı ˙ al-Nu ma¯n volle Autorität genossen, hat der Text von Hamı¯d al-Dı¯n al˙ Kirma¯nı¯ nie die offizielle Anerkennung der fatimidischen Imam-Kalifen erhalten. Dennoch hat er in der weiteren, besonders jemenitischen Tradition große Bedeutung erlangt und markiert mit der vollständigen Integration des Neoplatonismus in die isma¯ ¯ılitische Lehre eine wichtige Innovation in der isma¯ ¯ılitischen Lehrtradition. Der postfatimidische Text Kita¯b zahr al-ma a¯nı¯ von Idrı¯s Ima¯d al-Dı¯n kann zwar ebenso Autorität beanspruchen, da Idrı¯s Ima¯d al-Dı¯n selbst oberster Da¯ ¯ı war. Jedoch muss dabei berücksichtigt werden, dass der Verbreitung des Textes nicht nur durch die regionale und zahlenmäßige Begrenztheit der jemenitischen Isma¯ ¯ılı¯ya Einhalt geboten war, sondern auch durch seine Komplexität und seinen hohen philosophischen Anspruch, der deshalb nur wenigen Anhängern inhaltlich zugänglich wurde und darum ebenso seine Verbreitung limitierte. ˘

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4.2. Rationale Esoteriker: die schiitische Isma¯ ¯ılı¯ya

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Die Relevanz der hier behandelten Texte liegt also stärker darin, zu bestimmten historischen Momenten signifikante Charakteristika der Isma¯ ¯ılı¯ya aufzuzeigen als in ihrer offiziellen Autorität. Die Interpretation theologischer Texte der Isma¯ ¯ılı¯ya ist nicht nur deswegen prinzipiell schwierig, weil selbst Texte eines Autors oder einer Zeit unter Umständen erhebliche Unterschiede in der Terminologie oder der Ausgestaltung der Lehre aufweisen können, sondern auch deshalb, weil die Texte aufgrund ihrer vielschichtigen, esoterischen Allegorik nicht eindeutig zu interpetieren sind. Des Weiteren tritt die esoterische Grundhaltung der Gemeinschaft als flexibilisierender Faktor in der Verbindung von Theologie und Politik auf. Neben der Verbindung von politischem Handeln und religiöser Legitimation wirkt die Esoterik auch auf die Struktur der isma¯ ¯ılitischen Gemeinschaft selbst, indem sie eine Hierarchisierung ihrer Mitglieder bewirkt. In der Betrachtung der Theologie interessieren nun vor allem die Kosmogonie sowie einige Aspekte der Imamatslehre. Kosmogonie ist insofern interessant, als in ihr die grundsätzliche Haltung zur Welt vermittelt wird, heißt: wo sie herkommt, wie sie entstand, welche Funktion sie für die Gläubigen hat, sei es als Geschenk, Ort der Bewährung, Jammertal oder als etwas anderes. Der zentrale Pfeiler der Isma¯ ¯ılı¯ya ist ihre Imamatslehre. Er, der Imam, ist die zentrale Figur – sowohl der Theologie wie auch ihrer Vermittlung und Umsetzung. Er ist der lebende Beweis Gottes, der die Welt zusammen hält, er ist sündenfrei, unfehlbar und allwissend. Für Isma¯ ¯ıliten sind bereits das Wissen um seine Person sowie der Glaube an ihn erlösungsrelevant. Die vorgestellten Aspekte der Imamatslehre, seine kosmologische sowie seine eschatologische Funktion, beleuchten noch einmal den direkten Handlungsimperativ gegenüber den Gläubigen, vermitteln Autorität und weisen auf Sinn und Zweck des Daseins hin. Abgeschlossen werden die parallelen Betrachtungen von Lebensumständen und religiösen Vorstellungen durch eine religionssystematische Betrachtung. Die historische Untersuchung zum Zusammenhang von Lebensführung und materieller Interessenlage einerseits und religiösen Ideen und Heilsgütern andererseits bedient sich religionssystematischer Begriffe wie der Esoterik, Erlösungsreligion und Gnosis, um zum einen Zusammenhänge und Prozesse der Sinnstiftung zu verdeutlichen und zum anderen, um ihre Funktionalität und Wirksamkeit für diesen Zweig des schiitischen Islams zu betrachten. ˘

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5. Die präfatimidische Epoche ˘

„Und denken wir nun selbst darber nach, ob dieser Geist etwas vermag nicht nur in den Auseinandersetzungen, in denen die Isma¯ ¯ıliten stehen, sondern berhaupt in den Konflikten unserer Tage.“ (Colpe: Vom ,besonnenen‘ Platonismus zur ,übertreibenden‘ Isma’iliya, S. 406)

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Das erste Kapitel zur historischen Untersuchung der Isma¯ ¯ılı¯ya behandelt eine Phase, die noch immer weitgehend im Dunkeln liegt. Wenig ist über die Anfänge der Religionsgemeinschaft bekannt und in Bezug auf Autorschaft und exakter Datierung früher Texte gibt es zwar einen relativen Konsens, die Datenlage bleibt aber trotz der nach wie vor grundlegenden Arbeiten von Wilferd Madelung und Heinz Halm vergleichsweise schwach. Im folgenden Kapitel wird die isma¯ ¯ılitische Da wa von ihren Anfängen bis zum Auftreten des ersten Fatimiden-Kalifen Abdalla¯h (297/ ˇ a far ibn Mansu¯r al-Yaman war 909) behandelt. Der hier vorgestellte G ˙ Autoren seiner einer der prominentesten Missionare und produktivsten Zeit. Er ist auch der mutmaßliche Verfasser des hier vorgestellten Kita¯b ala¯lim wa’l-g˙ula¯m, obgleich diese Annahme nicht unumstritten ist. Nach der Darstellung der historischen Umstände und der Vorstellung des Textes sowie seines Autors schließen einige religionssystematische Fragen zum frühen Stadium der Erlösungsreligion das Kapitel ab. Das folgende Kapitel kann, wie die beiden anderen Kapitel zu den späteren Zeitpunkten isma¯ ¯ılitischer Geschichte, nur einen holzschnittartigen Eindruck vermitteln. Auch können viele Themen, die von großem Interesse wären, hier leider nicht untersucht werden. In diesem Zusammenhang kann deshalb auf das Verhältnis von sufischer Mystik und schiitischer Esoterik sowie auf die Frage, ob diese Begriffe überhaupt sinnvolle Beschreibungen darstellen, leider ebenso wenig eingegangen werden wie auf die Frage nach einer breiteren Einbettung des vorgestellten Textes in die literarische Tradition seiner Zeit. Dabei entsteht immer wieder die Versuchung, die Geschichte und Entwicklung der Isma¯ ¯ılı¯ya aus der Perspektive des aufgetretenen Imam und des Fatimidenreichs zu interpretieren, und nur allzu oft wird in der Darstellung der frühesten Phase der isma¯ ¯ılitischen Bewegung schnell der Vergleich oder ˘

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5.1. Soziopolitische Situation

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die Abgrenzung zu späteren und deutlich besser dokumentierten und erforschten Zeiten gesucht. Rückwärtige Deutung ist aber, wie Morris anmerkt, einer der Fallstricke im Verständnis der isma¯ ¯ılitischen wie auch prinzipiell jeder Geschichte.403

5.1. Soziopolitische Situation 5.1.1. Anfänge des Schiitentums und erste Deprivationserfahrung

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Die Trennung der Gläubigen in zwei Gruppen, die später als Schiiten und Sunniten bezeichnet wurden, hat ihren Ursprung in den Ereignissen direkt nach dem Tod des Propheten Muhammad (11/632) sowie den Streitigkeiten um seinen rechtmäßigen ˙Nachfolger als Leitung der Muslime. Der Streit entbrannte zwischen den Unterstützern Abu¯ Bakrs und der sogenannten Partei Alı¯s (sˇ¯ı at Alı¯). Im Gegensatz zur Mehrheit und zum Machtzentrum der Muslime unterstützten sie nicht Abu¯ Bakr als rechtmäßigen Nachfolger Mohammads, sondern den nach ihrer Meinung designierten Alı¯ ibn Abı¯ Ta¯lib, der, so die Parteigänger Alı¯s (sˇi at ˙ ˙ adı¯r Humm kurz vor dem Alı¯), in G Tod des Propheten Mohammed als ˘ Nachfolger auserwählt wurde.404 Die Kalifen Abu¯ Bakr (11/632 – 13/ 634), Umar (13/634 – 23/644) und Utma¯n (23/644 – 35/656) wurden ¯ von einem Gremium aus den engsten Gefolgsleuten des Propheten gewählt und von der Mehrheit der Muslime akzeptiert. Nach schiitischem Verständnis war aber Alı¯ ibn Abı¯ Ta¯lib, der schließlich vierter Kalif (35/ 656 – 40/661) wurde, von Anfang˙an der einzig legitime Nachfolger des Propheten Muhammad, während die drei anderen Kalifen lediglich als ˙ Usurpatoren betrachtet wurden. Die schiitische Anhängerschaft an den nächsten männlichen Verwandten Mohammeds folgte zwei Prinzipien, die sich gegenseitig nicht zwingend unterstützen: erstens dem Prinzip der Designation (nass) und zweitens dem des Glaubens an die Vorzüglichkeit ˙˙ der leiblichen Verwandten des Propheten, den ahl al-bait. Gegenüber dem sunnitischen Verständnis, wonach dem Kalif vorrangig die Leitung der Gemeinde oblag, hatte der Imam, wie er in schiitischer Abgrenzung genannt wurde, eine zentrale spirituelle Funktion in der Leitung der ˘

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403 Morris (o. J.): Paradigms and Pitfalls, S. 2 f. 404 Daftary (1998a): A Short History of the Ismailis, S. 23; ders. (1990): The Isma¯ ¯ılı¯s, S. 37.

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Gemeinde und Auslegung der Religion.405 Nach schiitischer Vorstellung war der menschliche Verstand allein nicht ausreichend, um den Islam zu verstehen und zu praktizieren. Stattdessen bedürfe es eines autorisierten Interpreten und Lehrers. Die Imamatslehre kann als der frühe und zentrale Punkt der Schia bezeichnet werden.406 Die nur fünfjährige Kalifatszeit Alı¯s (35/656 – 40/661) war durch dauerhafte Unruhen und Bürgerkriege bestimmt. Kontinuierlich in blutige Konflikte um die Legitimität des Kalifats verstrickt wurde er schließlich in Kufa Opfer eines Attentats und es begann damit eine Zeit, in der ein schiitischer Märtyrertod nach dem anderen folgte, deren nächst prominenter der seines Sohnes Husain (61/680 in Kerbala) sein sollte. Vor allem dieses Ereignis definierte˙ das grundsätzliche Gefühl der Schia gegenüber der später als Sunniten bezeichneten Abspaltung. „The bitterness of the Shı¯ ites against the rest of the Isla¯m as the enemies of Alı¯ has a sober historical foundation.“407 Nach Hodgson hatte Alı¯s Verdrängung vom Imamat für den jungen Islam vor allem zwei Konsequenzen: Erstens bestärkten sie die Entwicklung konfessioneller Bewegungen, die Alı¯ eine Sonderrolle zuschrieben, andererseits habe sich aber auch ein großer Teil der Sunna inhaltlich an schiitische Positionen angenähert. Auch gab es zu diesem Zeitpunkt noch keine Trennung der Muslime in eigenständige Denominationen, sondern lediglich konkurrierende Positionen zum Imamat.408 Das islamische Milieu war in dieser frühen formativen Phase vielmehr fluid und von einer Vielfalt an Meinungen und Lehren bestimmt. Wie wenig streng die Grenzen in theologischen Fragen gezogen wurden, zeigt der Umstand, dass die doktrinären Aussagen, die später die Substanz der Imamı¯ya bildeten, zu jener Zeit, vor der Bildung eigenˇ a far al-Sa¯diq ständiger, klar distinkter Denominationen – heißt vor G ˙ (gest. 765) – noch von allen streitenden Parteien als g˙ulu¯w (Übertreibung) 409 bezeichnet wurden. Verbreitung fand die junge schiitische Bewegung vor allem in der Garnisonsstadt Kufa, wo vornehmlich die Stammessoldaten aus dem südlichen Arabien stationiert waren.410 Nach Alı¯s Tod (40/661) ließ sich sein prominentester Gegenspieler, der in Damaskus residierende Mu a¯wiya ibn Alı¯ Sufya¯n zum Kalifen ˘

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405 Ebd., S. 38 f. 406 Inwieweit die sich hier abzeichnende Trennung eher doktrinärer oder stärker politischer Natur war, lässt sich heute nicht mehr nachvollziehen (ebd., S. 39). 407 Hodgson (1955): How Did the Early Shi’a Become Sectarian, S. 1. 408 Ebd., S. 2 f. 409 Ebd., S. 4. 410 Daftary (1998a): A Short History of the Ismailis, S. 24.

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ausrufen und erhielt auch, mit Ausnahme der Anhänger Alı¯s, die breite Unterstützung der muslimischen Umma. Für die Schiiten folgte dagegen gemäß Alı¯s Designation dessen ältester Sohn al-Hasan als nachfolgender ˙ Imam. Al-Hasan enthielt sich aber jeglichen politischen Aktivitäten und ˙ unterzeichnete sogar ein Friedensabkommen mit dem sunnitischen Opponenten, dem Umayyaden Mu a¯wiya in Damaskus. Nach al-Hasans ˙ aus Tod411 folgte sein Bruder Husain 61/680 dem Ruf seiner Anhänger ˙ Kufa, um sich von dort gegen die Umayyaden zu erheben. Noch auf dem Weg dahin wurde er mit seinen Gefährten von einem Heer aus Kufa vernichtet. Ein Entsatzheer von Anhängern, ebenfalls aus Kufa, erreichte ihn nicht mehr. Der Tod Husains begründete den schiitischen Ethos mit ˙ starken messianischen Anteilen, die sich immer wieder über die Geschichte der Schia und ihrer Splittergruppen in zeitweiligen eschatologischen Ausbrüchen entluden. Dieser Messianismus zog besonders die mawa¯lı¯, die nicht-arabischen Muslime an, die von den Umayyaden als Gläubige zweiter Klasse behandelt wurden.412 In diesen Splittergruppen kommen zwei Attribute zusammen, die nicht originär zusammengehören, aber die Voraussetzungen für Erlösungsreligiosität im Weber’schen Sinne sind. Erstens gehörten die Gruppen nicht der Elite an, sondern wurden von den neuen Machthabern nach deren Eroberung des sassanidischen Reiches deklassiert. Zweitens kennt das Zweistromland eine lange Geschichte des Synkretismus und viele messianische wie auch gnostische Bewegungen von den Zoroastriern über die Bardesaniten bis hin zu den Manichäern und vielfältigen christianisierenden Gruppierungen, verfügt also über einen reichen und vielfältigen intellektuellen und mythologischen Hintergrund. Seinen greifbarsten Ausdruck fand diese eschatologische Stimmung in der Revolte des al-Muhta¯r 66/685, ˘ der einen Halbbruder Husains als Mahdı¯ proklamieren ließ. Obgleich die ˙ Konkretisierung der revolutionären endzeitlichen Erwartungen als bewaffneter Aufstand bald kollabierte, führte sie zu einer zahlenmäßigen Vergrößerung sowie einer Verbreiterung und Diversifizierung der schiitischen Anhängerschaft unter den verschiedenen Bevölkerungs˘

411 Auch Hasan ist nach schiitischem Verständnis Opfer der sunnitischen Ver˙ geworden und wurde zwischen 51/670 und 61/680 in Medina von schwörung einer seiner Ehefrauen vergiftet (Halm [1994]: Der schiitische Islam, S. 20). Daftary gibt 49/669 als al-Hasans Todesjahr an (ders. [1998a]: A Short History of ˙ the Ismailis, S. 25). 412 Ebd., S. 26.

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gruppen.413 Doch blieb die Führung trotz der Diversität der Anhängerschaft in arabischen Händen.414 Ihre nächste schwerwiegende Enttäuschung erlebten die Anhänger der Schia mit der abbasidischen Revolution. Angetreten unter dem Vorzeichen, die Nachfahren des Propheten wieder ins Recht zu setzen, fand der abbasidische Umsturz gegen die Umayyaden Widerhall bei Schiiten und nicht-arabischen Muslimen. Deren Hoffnungen wurden aber bald enttäuscht, denn der sunnitische Islam wurde offizielle Doktrin, während die Schia und die Nachkommen des Propheten unter abbasidischer Verfolgung litten.415 Währenddessen wurde das schiitische Imamat nach dem Tod von Husain ibn Alı¯ ibn Abı¯ Ta¯lib (gest. 61/680) weitergereicht an Alı¯ Zain al˙¯ bidın (gest. 95/714), ˙dessen Sohn Zaid Begründer der Zaidıya wurde. A ¯ ¯ Imamiten und Isma¯ ¯ıliten favorisierten dagegen die Designation von Zaids Bruder Muhammad al-Ba¯qir (gest. ca. 114/732). Aufbauend auf dem ˇ a far Werk seines ˙Vaters Muhammad al-Ba¯qir erwarb sich dessen Sohn G ˙ al-Sa¯diq auch über die Schia hinaus einen Ruf als akzeptierter Rechts˙ 416 gelehrter. Er war der letzte Imam, der gleichermaßen von den späteren Imamiten wie der Isma¯ ¯ılı¯ya anerkannt wurde. Die von ihm gelegten doktrinären Grundlagen formierten das Verständnis beider Schulen.417 Seine elaborierte Imamatslehre basiert auf die bereits genannte Qualifikation des Imam, durch vor allem spirituelles Wissen ilm und die Desiˇ a far al-Sa¯diq der irdische gnation nass durch den Vater. Der Imam ist bei G ˙˙ ˙ Interpret und Beweis Gottes und als solcher der sünden- und fehlerfreie Lehrer des muslimischen Glaubens sowie der spirituelle Führer der Gemeinschaft. Er vermittelt und interpretiert die äußeren/exoterischen und inneren/esoterischen Gehalte der Religion. Die Lehre beinhaltet ausdrücklich die Praxis der Geheimhaltung bzw. der taqı¯ya (Verbergung), die neben einem flexiblen Verhältnis von Wortlaut und Wesensgehalt der Lehre auch politische Konsequenzen hat. Das vormals vitale Streben nach der den Schiiten nach eigenem Verständnis zustehenden Herrschaft war ˇ a far al-Sa¯diq eine quievöllig verebbt. Wie sein Vater verfolgte auch G ˙ tistische Politik und vermied jedes öffentliche Streben nach Macht.418

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Ebd., S. 26 – 28. Art. Schiism, ER, Bd. 13, S. 242. Daftary (1998a): A Short History of the Ismailis, S. 31. Vgl. Art. Dja far al-Sa¯dik, EI2, S. 374 f. ˙ 13,˙ S. 243 Art. Shiism, ER, Bd. Daftary (1998a): A Short History of the Ismailis, S. 32. ˘

413 414 415 416 417 418

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5.1.2. Anfänge der Isma¯ ¯ılı¯ya419 ˘

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ˇ a far alDer letzte gemeinsame Imam der Imamiten und Isma¯ ¯ıliten war G Sa¯diq (gest. 148/765). Mit ihm findet die geteilte Geschichte der Ima˙ ya und Isma ılıya ihr Ende. Aus seiner Zeit und von ihm mehrheitlich mı ¯ ¯¯¯ entwickelt stammen die drei Charakteristika, die ab diesem Zeitpunkt den Sonderweg der Schia prägen. Obgleich sich die Bestimmung des Nachfolgers für den Imam durch Designation (nass) des Vorgängers auch ˙˙ bei Sunniten findet, nimmt sie in der Schia ein weitaus zentralere Rolle ein und ist, je innerhalb der schiitischen Denominationen, auch unstrittig, während die Sunna hier insgesamt uneinheitlicher verfährt. Die Überzeugung der Autorität des Imam über das esoterische Wissen eint alle schiitischen Denominationen und trennt sie zugleich vom sunnitischen Islam. Durch diese Charakteristik des Imam ergab sich eine gewisse Unabhängigkeit davon, ob er auch faktisch politischer und militärischer Führer war, denn er blieb in allen Fällen die zentrale Erlösergestalt. Und schließlich wurde die junge Schia durch ein hohes Maß philosophischer Spekulation geeint.420 Durch diese drei Spezifika, die Designationslehre, die Imamatslehre sowie die starke Affinität zur Philosophie entwickelte sich ein starkes Band, das unterschiedliche Strömungen und Schulen miteinander verbinden sollte. ˇ a far al-Sa¯diq (gest. 148/ In diese Zeit, nach dem Ableben des Imam G ˙ 765), lassen sich auch die Anfänge der Isma¯ ¯ılı¯ya als distinkter Bewegung datieren. Über die Frühphase der Isma¯ ¯ılı¯ya wie auch der gesamten Schia gibt es wenige gesicherte Angaben. Die Gruppen und Bewegungen mit schiitischem und alidischem Bezug waren vergleichsweise wenig ausgeformt und geeint, lediglich in ihrer Opposition zu den Umayyaden und Abbasiden, nachdem auch letztere die Hoffnungen auf eine Sonderstellung der Nachkommenschaft des Propheten enttäuscht hatten. Nachdem sich die frühe Isma¯ ¯ılı¯ya noch unter wechselnden Namen nach dem Tod ˇ a far al-Sa¯diq und dessen Sohn Isma¯ ¯ıl zu formieren begann, des Imam G hatte sie ihr Zentrum˙ im heute irakischen Kufa. Der erste für die Isma¯ ¯ılı¯ya verwandte Name war wohl al-muba¯rakı¯ya, abgeleitet von al-Muba¯rak, der Gesegnete, einem Beinamen Isma¯ ¯ıls, den ihm seine Anhänger verliehen ˘

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419 Die beiden hier immer im Hintergrund stehenden isma’ilitischen Primärquellen sind die Texte Risa¯lat iftita¯h al-da wa von Qa¯d¯ı Nu ma¯n, verfasst 346/957 im ˙ Maghreb, und das siebenbändige Uyu¯n al-ahba¯r ˙(insb. Bd. 4 u. 5 zu den Anfängen ˘¯ d al-Dı¯n (gest. 872/1468). der jemenitischen Da wa) von des Idrı¯s Ima 420 Hodgson (1955): How Did the Early Shi’a Become Sectarian, S. 10 ff. ˘

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hatten.421 Der verfrühte Tod des vom Vater zum Nachfolger designierten Isma¯ ¯ıl führte zu einigen Turbulenzen und neben der Entstehung verschiedener kleiner Gruppierungen, die sich aber nur kurz halten konnten, zur nachhaltigsten Konsequenz: zur Trennung von Isma¯ ¯ıliten und ˇ a far al-Sa¯diqs und Isma¯ ¯ıls Imamiten.422 Bereits in den Querelen nach G Tod sind die Muster folgender Konflikte angelegt, die˙sich vor allem um die Frage der legitimen Nachfolge drehen. Kann das Imamat zu Lebzeiten weitergereicht werden? Ist das Imamat zwischen zwei Brüdern oder Onkel und Neffe übertragbar oder ist nur die direkte Linie zwischen Vater und Sohn gültig? Während diese Fragestellungen auf den eigentlichen Gehalt der isma¯ ¯ılitischen Lehre wenig Einfluss hatten, waren sie für den Fortbestand als politischer Verband von eminenter Bedeutung. ˇ a far alNach einer isma¯ ¯ılitischen Überzeugung übergab Isma¯ ¯ıl ibn G 423 Sa¯diq das Imamat an seinen Sohn Muhammad , der alsbald, womöglich ˙ nach Hu¯zista¯n, verschwand.424 Eine ˙andere Gruppe bestritt Isma¯ ¯ıl ibn ˇ a far ˘al-Sa¯diqs Tod während der Lebzeit des Vaters und erwartete dessen G ˙ als Mahdı.425 Über die Beziehung beider Gruppen zueinWiederkehr ¯ ander sowie über ihren weiteren Verbleib wissen wir nichts. Offenkundig aber ist, dass wir rund einhundert Jahre später, ab der zweiten Hälfte des 3./9. Jahrhunderts, plötzlich eine dynamische Organisation mit einem dichten Netz an Missionaren finden, bei der wohl von einer starken zentralen Leitung ausgegangen werden muss.426 Die Erforschung der Zeit zwischen der Verbergung des Muhammad ibn Isˇ a far al-Sa¯diq und dem Auftreten der neuen˙ isma¯ ¯ılitischen ma¯ ¯ıl ibn G ˙ Halm schreibt, die Isma¯ ¯ılı¯ya sei unvermittelt Da wa bleibt ein Desiderat. und mit einer fertig ausgebildeten Organisation aus dem Dunkel hervorgetreten.427 Der stark zentralistischen Organisation war es unter Leitung des Imam trotz der Verfolgung durch die Abbasiden und der Verbergung in Scheinidentitäten gelungen, in dem weit gespannten Gebiet von Ma˘

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421 Art. Shiism, ER, Bd. 13, S. 248. 422 Vgl. Daftary (1990): The Isma¯ ¯ılı¯s, S. 93 ff. ˙ a¯lib amtierte Muhammad ibn Isma¯ ¯ıl von 132/750 bis 193/809 (ders. 423 Nach G ˙ S. 447 – 454). Daftary macht hierzu keine festen [1964]: A la¯m al-Isma¯ ¯ılı¯ya, Angaben (ders. [2004]: Ismaili Literature, S. 8 f u. [1990]: The Isma¯ ¯ılı¯s, S. 102 f). 424 Ders. (1998a): A Short History of the Ismailis, S. 36. 425 Ebd., S. 35. 426 Ders. (1990): The Isma¯ ¯ılı¯s, S. 105 f. 427 Halm (1978): Kosmologie und Heilslehre, S. 1; vgl. Rudolph (1996b): Das Problem der „islamischen Gnosis“. ˘

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rokko bis in den Iran und von Syrien bis in den Jemen Missionszellen zu gründen. Die Organisation mit ihrem Zentrum im syrischen Salamya agierte dabei unter höchst konspirativen Bedingungen. Nach der verˇ a far al-Sa¯diq nach muteten Flucht des Muhammad ibn Isma¯ ¯ıl ibn G ˙ Hu¯zista¯n sowie der erneuten Flucht der später auftretenden ˙Da wa, erst ˘ nach Basra, dann schließlich nach Salamya in Syrien erschien die strenge Geheimhaltung geboten. Daftary stellt fest: „Organising a revolutionary movement in the name of a hidden imam who could not be pursued by the Abbasid agents must have had its obvious advantages.“428 Wohl auch aus diesem Grund war die zweite isma¯ ¯ılitische Da wa vor allem in den ländlichen Gebieten aktiv und erfolgreich, wo der Zugriff der abbasidischen Fahnder schwächer war.429 Die Anfänge der neuen isma¯ ¯ılitischen Bewegung werden auf einen gewissen Abdalla¯h al-Akbar430 zurückgeführt, der nach isma¯ ¯ılitischer Vorstellung der Sohn des Muhammad ibn Isma¯ ¯ıl ist. Wie über das Leben ˙ wir wenig. Auch er musste aus Huzistan seines angeblichen Vaters wissen ¯ ¯ ˘ wo er nach Basra fliehen und von dort weiter nach Salamya in Syrien, irgendwann nach 261/875 oder 264/878 verstarb.431 Von dort aus leiteten nun seine Nachkommen die Da wa. Von Abdalla¯hs Sohn Ahmad ist so gut wie nichts bekannt. Deutliche Erfolge konnte die Da wa˙ erst gegen Ende des Imamats von Ahmads jüngeren Sohn mit Namen Abu¯ Alı¯ Muhammad Abu¯’l-Sˇalag˙lag˙˙ (gest. ca. 286/899) verbuchen. Auffällig ist ˙ dass sich die Isma ılıya ausgerechnet zu eben jenem Zeitpunkt dabei, ¯¯¯ formierte und an Aufschwung gewann als der elfte Imam der Imamiten al-Hasan al- Askarı¯ 260/874 verstarb und dessen Sohn Muhammad ˙ ˙ ohne verschwand. Die spätere 12er-Schia (itna¯ asˇarı¯ya) stand plötzlich ¯ Imam da. In dieser Zeit der Desorientierung liefen viele enttäuschte Imamiten zu den Isma¯ ¯ıliten über – einer von ihnen war der später noch zu behandelnde Ibn Hausˇab.432 Innerhalb eines˙ geschätzten Vierteljahrhunderts spannte die isma¯ ¯ılitische Da wa ein Netz von Stützpunkten über die gesamte islamische ˘

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428 Daftary (1998a): A Short History of the Ismailis, S. 37. 429 Ebd., S. 40. 430 Die Namensgebung Abdalla¯h ibn Maimu¯n al-Qadda¯h ist ungewiss bis un˙ wahrscheinlich und vermutlich auf antifatimidische Polemik zurückzuführen (vgl. Halm [1991]: Das Reich des Mahdi, S. 17 – 20; ders.: Art. Shiism, ER, Bd. 13, S. 249). 431 Ders. (1991): Das Reich des Mahdi, S. 17 – 23. 432 Daftary (1998a): A Short History of the Ismailis, S. 40 f; Halm (1991): Das Reich des Mahdi, S. 38.

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Welt, die so weit ausgebaut wurden, dass sie sich sogar wagten, den offenen, bewaffneten Konflikt mit den lokalen Autoritäten zu suchen.433 Auf seiner Flucht nach Syrien soll Abdalla¯h al-Akbar in Dailam, am südlichen Ende des Kaspischen Meeres missioniert und auch familiäre Bande geknüpft haben.434 Die Region, insgesamt sehr Schia-affin, wurde schnell zu einem Zentrum isma¯ ¯ılitischer Aktivitäten und das sollte auch für die folgenden Jahrhunderte so bleiben. Schon 261/874 war es einem isma¯ ¯ılitischen Werber gelungen, Hamda¯n Qarmat zu missionieren, der ˙ ˙ wurde und dessen Namensgeber eines später eigenständigen Zweiges Name fälschlicherweise volksläufig auch für die gesamte Isma¯ ¯ılı¯ya als Qara¯mita verwendet wird. Hamda¯n Qarmat gründete die irakische Zelle ˙ der Stadt Kufa. ˙ ˙ Von hier aus wurde auch im sogenannten Sawa¯d, nahe ˇ ana¯bı¯ ge286/899 der Missionspunkt in Bahrain durch Abu¯ Sa ¯ıd al-G ˙ gründet. Bereits 267/881 oder 268/882 betraten die beiden Missionare Abu¯’l-Qa¯sim al-Hasan ibn Farah ibn Hausˇab ibn Za¯da¯n aus Kufa sowie ˙ al-Fad ˙ l jemenitischen Boden, um dort sein jemenitischer˙ Gefährte Alı¯ ibn ˙ zu beginnen. Alı ibn al-Fadl ihre überaus erfolgreiche Missionstätigkeit ¯ ˙ war bereits 266/880 in Kerbala für die isma¯ ¯ılitische Sache gewonnen worden.435 Zwei Jahre später brach vom jemenitischen Hafen Aden der erste Missionar der Isma¯ ¯ılı¯ya nach Indien auf. Nur wenige Jahre später gelang es Abu¯ Abdalla¯h al-Husain ibn Ahmad ibn Zakarı¯ya¯ , genannt al˙ Vertrauen ˙von Stammeskriegern aus der Sˇ¯ı ¯ı, 279/893 in Mekka das Kabylei zu gewinnen. Er zog mit ihnen und errichtete im heutigen Algerien schließlich den Stützpunkt, von dem aus das fatimidische Unternehmen seinen kriegerischen Siegeszug aus antreten sollte.436 Vom Zentrum der isma¯ ¯ılitischen Da wa in Salamya selbst sind jedoch keine Missionsaktivitäten bekannt, was als Lehre aus der Verfolgung in Hu¯zista¯n ˘ und Basra gedeutet werden kann. 272/885 – 886 läutete Ibn Hausˇab eine neue Etappe in der isma¯ ¯ıli˙ mit der offiziellen Genehmigung aus tischen Mission ein und begann Salamya die Durchsetzung seiner Interessen mit kriegerischen Mitteln. Gleiches taten 277/890 oder 279/892 auch Hamda¯n Qarmat und sein ˙ nur einen Tagesmarsch ˙ Schwager Abda¯n im irakischen Sawa¯d, bei Kufa, 437 vom Sitz der Abbasiden in Baghdad entfernt. Die nach Hamda¯n ˙ ˘

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Ebd., S. 55 – 60. Ebd., S. 30 – 33. Ebd., S. 38 – 42. Ebd., S. 44 – 47. Ebd., S. 57.

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¯ lim wa’l-g˙ula¯m und ihr Autor 5.2. Die Schrift al- A

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Qarmat benannten Bahrain-Qarmaten eroberten ab dem Jahr 286/899 ˙ ˙ von Basra gelegenen ˙ die südlich Bahrain-Oasen. Im fernen Westen, in der ˙ Kabylei, besetzten 289/902 Abu¯ Abdalla¯h al-Sˇ¯ı ¯ı und seine Kuta¯maBerber die Stadt Mı¯la.438 Halm beschreibt diesen Moment, an dem ich die Beschreibung isma¯ ¯ılitischer Geschichte für dieses Kapitel abbrechen möchte, mit den Worten: „Tausende von gläubigen Anhängern, straff organisiert und mit Geld, Waffen und festen Plätzen versehen, warteten nun auf das ersehnte Ereignis, das Hervortreten des verheißenen Mahdi Muhammad ibn Isma¯ ¯ıl, und sein Signal zum Losschlagen.“439 Nun, über 250 ˙Jahre nach dem Tod des Propheten Muhammad, schien die Zeit der ˙ Eigentum und religiösem Unterdrückung und Verfolgung von Leben, Bekenntnis endlich vorbei zu sein und der Mahdı¯ sollte das Reich der Rechtgläubigen errichten. Für die marginalisierte und verdrängte Isma¯ ¯ılı¯ya lag die Herrschaft nun scheinbar endlich in greifbarer Nähe, die Zeit der Ungläubigen sollte ein Ende haben. ˘

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¯ lim wa’l-g˙ula¯m und ihr Autor 5.2. Die Schrift al- A ˘

In diesem Erwartungshorizont ist die Schrift Kita¯b al- a¯lim wa’l-g˙ula¯m 440 ˇ a far ibn Mansu¯r al-Yaman zu verorten. Vor der Präsentation und des G ˙ zuerst, um den Hintergrund zu erleuchten, soweit Analyse des Textes soll als möglich auf den Autor, sein Wirken und seine Lebensumstände eingegangen werden. Danach folgt die Darstellung des Textes, wobei einige Punkte, wie die dort dargestellte Kosmogonie und Imamatslehre näher betrachtet werden sollen. ˘

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ˇ a far ibn Mansu¯r al-Yaman 5.2.1. G ˙ 5.2.1.1. Leben des Autors in seiner Zeit ˇ a far ibn Mansu¯r al-Yaman und die AbfassungsDie Lebensdaten von G daten seiner Texte sind weitgehend ˙unbekannt. Lediglich einige Eckdaten können annähernd, aber nicht sicher bestimmt werden. Morris ˘

438 Ebd., S. 55 – 59. 439 Ebd., S. 60. 440 Der Text wurde erstmals vollständig kritisch ediert, übersetzt und mit einer Einleitung versehen von James W. Morris als The Master and the Disciple. An early islamic spiritual Dialogue.

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ˇ a far ibn Mansu¯r al-Yamans Geburt nach 268/882 und seinen datiert G ˙ Vater Ibn Hausˇab Mansu¯r al-Yaman starb als Tod vor 346/957.441 Sein ˙ alter Mann im Jahr 302/914 – 915.442 Nach diesem˙ Ereignis irgendwann ˇ a far an den Fatimidenhof in Tunesien gegangen. Mustafa¯ G ˙ a¯lib ist G ˙ ˙ 443 datiert den Umzug in den Maghreb ins Jahr 322/934. Auch Madelung ˇ a fars Umzug nach al-Mahdı¯ya nach dem Tod al-Mahdı¯s ins Jahr datiert G 322/934. Dort habe er unter dem Imam al-Qa¯ im gedient und dessen größten Respekt genossen. Unter dem Imam al-Mu izz li-Dı¯n Alla¯h in Kairo wurde er zum ba¯b al-abwa¯b, dem höchsten Amt der Da wa ernannt.444 Erster datierbarer Beleg für den Aufenthalt in Nordafrika ist ein Gedicht während der berühmten Revolte des Abu¯ Yazı¯d in den letzten beiden Regierungsjahren des Imam al-Qa¯ im (333 – 334/945 – 946).445 Die letzten beiden Jahrzehnte hat er mit der Überarbeitung der Fatimidengenealogie und Imamatslehre unter al-Mu izz zugebracht. Hollenberg ˇ a far ibn Mansu¯r al-Yamans Tod auf 348/960.446 datiert G ˙ Etwas mehr Informationen haben wir über seinen berühmten Vater, dessen voller Name Abu¯’l-Qa¯sim al-Hasan ibn Farah ibn Hausˇab ibn ˙ ˙ Mans ˙ u¯r al-YaZa¯da¯n al-Ku¯fı¯ lautet, mit dem ehrenvollen Beinamen ˙ˇab gibt es 447 man. Zur von Halm rekonstruierten Biographie Sı¯rat Ibn Haus ˙ im Kita¯b al- a¯lim wa’l-g˙ula¯m signifikante Parallelen. Beiden ist gemein, dass der Vater und die Familie einen 12er-schiitischen Hintergrund haben. Morris sieht die Parallelen in beiden Texten und eine Kontinuität zwischen Vater und Sohn in drei Punkten: erstens in einer enormen formalen Kenntnis der breiten schiitischen Tradition, zweitens in der Betonung des politischen Engagements des Imam in der Welt und schließlich in der Bedeutung, die die awliya¯ , die ,Freunde Gottes‘, als Mittler innerhalb der spirituellen Hierarchie haben. Während es sich beim Kita¯b al- a¯lim wa’lg˙ula¯m um einen offensichtlich fiktionalen Text handelt, proklamiert die ˘

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441 Morris (2001): Master, S. 24. – Der Kurztitel „Morris: Master“ bezieht sich auf den englischsprachen Titel der Edition The Master and the Disciple. An early islamic spiritual Dialogue und wird im Folgenden immer dann verwandt, wenn ich auf die englischsprachige Einleitung von Morris Bezug nehme. Die Zitation der Absätze in eckigen Klammern (Abs. xy) ist sowohl auf den englischen wie arabischen Text ˇ a far ibn Mansu¯r in o.g. Edition von Morris zu beziehen. des G ˙ S. 22. 442 Morris (2001): Master, ˙ a¯lib (1964): A la¯m al-Isma¯ ¯ılı¯ya, S. 185. 443 G 444 Madelung (1961): Das Imamat, S. 81, Fn. 197. 445 Morris (2001): Master, S. 23. 446 Zu dessen Beschreibung der Vita, vgl.: Hollenberg (2006): Interpretation after the End of Days, S. 48 ff. 447 Morris (2001): Master, S. 25. ˘

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Sı¯rat Ibn Hausˇab Authentizität, sie kann aber dennoch als archetypische ˙ spirituelle Biographie gelesen werden.448 Zur weiteren Illustration der ˇ a far ibn Mansu¯r al-Yamans früherer Zeit im Jemen, Umstände von G unter denen auch das Kita¯b al- a¯˙lim wa’l-g˙ula¯m verfasst wurde, soll daher die Sı¯rat Ibn Hausˇab kurz vorgestellt werden. ˙ Im Jahr 267/881 verlässt Ibn Hausˇab in Begleitung des ihm bei- und ˙ al-Fadl al-G ˇ aisˇa¯nı¯449 mit einer Piluntergeordneten Jemeniten Alı¯ ibn ˙ gerkarawane Kufa in Richtung Jemen, wo sie sich bei Ankunft trennen. Ibn Hausˇab wird im Norden, Alı¯ ibn al-Fadl im Süden des Landes aktiv. ˙ Nach˙ zwei Jahren geheimer Mission im politisch instabilen Jemen tritt die Da wa 270/883 – 884 offen und auch mit Waffengewalt auf den Plan. Etwas über zwei Jahrzehnte später, ab 293/905 war das gesamte jemenitische Hochland unter Kontrolle der Isma¯ ¯ıliten.450 Diese und weitere militärische Bestrebungen sind jedoch von wechselhaftem Erfolg und nach über 30 Jahren zerbricht die Zusammenarbeit von Ibn Hausˇab und ˙ Alı¯ ibn al-Fadl 299/911, ohne dass wir dafür einen konkreten Grund ˙ erfahren. Währenddessen setzt sich der fatimidische Siegeszug in Nordafrika nach dem Auftreten des Imam Abdalla¯h al-Mahdı¯ 297/909 immer weiter fort.451 Den mit dem Hervortreten des Imam zusammenhängenden Wechsel der Doktrin mochte Alı¯ ibn al-Fadl 299/912 ˙ von der wohl aber nicht mittragen. Deshalb erklärt er sich als unabhängig fatimidischen Da wa, zieht prompt gegen den loyal gebliebenen Ibn Hausˇab zu Felde und feiert, so die Sı¯rat seines Opponenten Ibn Hausˇab, ˙ ˙ scheußliche Orgien, bei denen er gegen alle Sitten und Gebote verstößt. Nach weiteren fünf Jahren Krieg untereinander und den umliegenden Dynastien versterben beide Da¯ ¯ıs 302 – 303/915 unversöhnt miteinander, womit die isma’ilitische Da wa ein baldiges Ende nimmt und bis auf ˇ a far wenige Reste reduziert wird. Ibn Hausˇabs prominentester Sohn G ˙ flüchtet, nachdem auch sein ältester Bruder al-Mansu¯r von der Da wa abgefallen war, an den Fatimidenhof in Nordafrika.452˙ ˘

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448 Morris weist explizit darauf hin, dass die literarische und religiöse Dimension des Textes in Halms Rekonstruktion keine Beachtung findet. Auch werden die alQa¯d¯ı al-Nu ma¯n zugeschriebenen Änderungen nicht problematisiert (ders. ˙ Master, S. 53 f, Fn. 48). Zu Mansu¯r al-Yaman und seinem Sohn Dja far [2001]: ˙ 6, S. 438 f; Art. Dja far b. Mansu¯r alvgl. auch: Art. Mansu¯r al-Yaman, EI2, Bd. ˙ ˙ Yaman, EI2-Suppl., S. 236 f. ˙ a¯lib (1964): A la¯m al-Isma¯ ¯ılı¯ya, S. 386 ff. 449 Vgl. G 450 Halm (1981): Die Sı¯rat Ibn Hausˇab, S. 123. ˙ 451 Ebd., S. 126. 452 Ebd., S. 130 ff. ˘

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5. Die präfatimidische Epoche

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In diesem Umfeld erstellt, werden zwei Anliegen des wohl vor dem Tod des Vaters 302/914 und vor dem Auftreten al-Mahdı¯s 297/909 – 910 verfassten Kita¯b al- a¯lim wa’l-g˙ula¯m überaus plausibel: a) die Notwendigkeit einer in Doktrin wie Politik geeinten Da wa unter dem göttlich legitimierten Imam und b) die Aufrechterhaltung der äußeren Gebote und die radikale Ablehnung aller antinomistischen Tendenzen – und zwar sowohl zur Vermeidung von übler Nachrede wie zur Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit und Schlagkraft der Da wa.453 ˘

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5.2.1.2. Schriften des Autors ˘

So wie die biographischen Daten nur ein unvollständiges Bild gestatten, ˇ a far ibn Mansu¯r alsind auch die Informationen zur Bibliographie des G ˙ Yaman unsicher und divergent. Die große stilistische wie inhaltliche ˇ a far ibn Mansu¯r al-Yamans im Laufe der Bandbreite der Texte, die G ˙ verschiedenen Stadien seines Lebens zugeschrieben werden, zeigen, wie schwer es ist, sowohl zeitliche wie personale Zuordnungen vorzunehmen. James W. Morris, der Editor und Übersetzer des Kita¯b al- a¯lim wa’lg˙ula¯m, summiert, dass Madelung in seiner klassischen Studie Das Imamat in ˇ a far ibn Mansu¯r alder frhen isma¯ ¯ılitischen Lehre drei Phasen der hier G 454 Yaman zugeschriebenen Literatur unterscheidet: zunächst die˙ frühe jemenitische Phase mit dem Kita¯b al- a¯lim wa’l-g˙ula¯m, der Sı¯rat Ibn Hausˇab ˙ und womöglich der Kompilation des Kita¯b al-kasˇf,455 dann eine Periode früher theologischer Literatur,456 wahrscheinlich schon in Nordafrika zu verorten wie das Kita¯b al-fara¯ id wa-hudu¯d al-dı¯n und das Kita¯b al-sˇawa¯hid ˙ ˙ und schließlich eine letzte Phase,457 nach den Neuerungen der Doktrin durch al-Mu izz mit dem Text Kita¯b ta wı¯l al-zaka¯t 458. Während Morris die ˘

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453 Morris (2001): Master, S. 24. 454 Ebd., S. 53, Fn. 47. 455 Madelung (1961): Das Imamat, S. 51 – 58; Madelung definiert zwar diese frühe Phase, schreibt aber mit Bezug auf Ivanow weder das Kita¯b al- a¯lim wa’l-g˙ula¯m ˇ a far ibn Mansu¯r al-Yaman zu (ebd., noch das Kita¯b al-kasˇf der Autorschaft des G S. 51; vgl. auch Morris [2001]: Master, S. 57, Fn. 57). Die˙von Halm ca. 20 Jahre später rekonstruierte Sı¯rat Ibn Hausˇab findet allerdings keine Erwähnung. 456 Madelung (1961): Das Imamat,˙ S. 95, Fn. 275. 457 Ebd., S. 95 – 101. ˇ a far ibn Mansu¯r zuschreibt, findet sich 458 Das Kita¯b ta wı¯l al-zaka¯t, das Madelung G ˙ isma¯ ¯ılitischer Literatur im Index der Primärtexte von Daftarys Bibliographie (ders. [2004]: Ismaili Literature) nicht. ˘

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frühe Datierung des Kita¯b al- a¯lim wa’l-g˙ula¯m unterstützt, bezweifelt er aber Madelungs Urteil zur späten Datierung des Kita¯b ta wı¯l al-zaka¯t. 459 ˇ a far auch noch Neben den oben bereits genannten schreibt Morris G ˇ die Texte Kita¯b al-kasf, Sara¯ ir al-nutaqa¯ , Asra¯r al-nutaqa¯ , Kita¯b al-rida¯ fı¯’lˇ a fars ba¯tin und Sˇarh dala¯la¯t huru¯f al-mu ˙gˇam zu.460 Halm˙461 bezweifelt G ˙ ˙ ˙ ¯ Autorschaft für al- Alim wa’l-g˙ula¯m, erkennt aber wie auch Morris seine Autorschaft für das neuplatonisch adaptierte Kita¯b al-fatara¯t wa’l-qira¯na¯t an, während Daftary462 in seiner Ismaili Literature lediglich die fünf Werke Kita¯b al- a¯lim wa’l-g˙ula¯m 463, Kita¯b al-fara¯ id wa hudu¯d al-dı¯n, Kita¯b al-kasˇf ˙ aqa G sowie die beiden Sara¯ ir al-nutaqa¯ und Asra¯˙r al-nut ¯ ˇ a far ibn Mansu¯r al˙ ˙ ˙ 464 Yaman zuschreibt. David Hollenberg , der sich in seiner Dissertation ˇ mit Ga fars Text Sara¯ ir al-nutaqa¯ beschäftigt, folgt den bibliographischen ˇ a far ebenfalls Hinweisen von Poonawala ˙und Brockelmann, wenn er G ˙ a¯lib465 nicht für den Autor des Kita¯b al- a¯lim wa’l-g˙ula¯m hält. Mustafa¯ G ˙ ˙ führt in seinem Gelehrtenlexikon der Isma¯ ¯ıliten das Kita¯b al- a¯lim wa’lˇ a far ibn Mansu¯r al-Yaman produzierten g˙ula¯m nicht unter den von G Texten. Die Archaik sowohl in Stil wie Inhalt˙verweisen nach Ivanow auf einen noch früheren Autor als Ibn Hausˇab Mansu¯r al-Yaman. Für noch ˙ ˙ von ihm als Enkel Ibn unwahrscheinlicher hält Ivanow allerdings, dass der ˇ a far als Autor in Frage komme. Eher sei der für Hausˇabs bezeichnete G ˙ Ivanow unbekannte Autor des Kita¯b al-rusˇd wa’l hida¯ya auch der Urheber vom Kita¯b al- a¯lim wa’l-g˙ula¯m, was aber auch nicht sicher zu nachzuweisen sei.466 Ivanows Referenzwerk Kita¯b al-rusˇd wa’l hida¯ya wird heute Ibn Hausˇab Mansu¯r al-Yaman zugeschrieben.467 Einigkeit besteht aber darin, ˙ es sich beim ˙ dass Kita¯b al- a¯lim wa’l-g˙ula¯m um ein sehr frühes, präfatimidisches Werk handelt und ohne dass neue, schlagende Beweise jenseits stilistischer Parallelen und historischer Plausibilitäten aufgetaucht sind, hat ˇ a far sich in den letzten Jahren ganz im Sinne Morris‘ die Autorschaft des G ibn Mansu¯r al-Yaman als Konsens etabliert. ˙ ˘

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Morris (2001): Master, S. 51, Fn. 42. Ebd., S. 26 u. 209 f. Halm (1978): Kosmologie und Heilslehre, S. 15, 23 u. 137. Daftary (2004): Ismaili Literature, S. 121 f. In seinem Standardwerk „The Isma¯ ¯ılı¯s“ (1990) ist sich Daftary mit dieser Zuordnung noch nicht sicher (ebd., S. 92). Hollenberg (2006): Interpretation after the End of Days, S. 11, Fn. 1; S. 59. ˙ a¯lib (1964): A la¯m al-Isma¯ ¯ılı¯ya, S. 186. G Ivanow (1948): Studies in Early Persian Ismailism, S. 85ff u. 107 f. Daftary (2004): Ismaili Literature, S. 6 u. 117. ˘

459 460 461 462 463

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5. Die präfatimidische Epoche

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¯ lim wa’l-g˙ula¯m 5.2.2. Die Schrift al- A 5.2.2.1. Inhaltsangabe

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Der Text wird in einer Rahmenhandlung präsentiert, die, wie auch der gesamte weitere Text, vor allem in Dialogen gestaltet ist. Er liefert eine klassische Geschichte von religiöser Suche und Konversion. (Abs. 1 – 2) 468 In der Rahmenhandlung erbittet die Gemeinschaft von ihrem Da¯ ¯ı weitere Unterrichtung. Dieser erzählt daraufhin die Ge¯ lim wa’l-g˙ula¯m: schichte von dem Gelehrten und seinem Schüler, al- A ¯ lim, zieht (Abs. 3 – 26) Ein Mann, ein Suchender und Wissender, al- A durch das Land und findet Anschluss an eine diskutierende Gruppe, der er darlegt, dass es zu allem ein Innen und ein Außen, Exoterik und Esoterik gibt. Die Exoterik sind die allen auferlegten Pflichten, während das Innere geschützt aber allen zugänglich ist. (Abs. 27 – 83) In dieser Gruppe befindet sich ein junger Mann mit Namen Sa¯lih, der um weitere Unterweisung bittet. Diesem erzählt er, die ˙ Welt sei ˙keineswegs zufällig und Gott habe seine Botschafter gesandt, um die Menschen zu unterrichten, da sie als unwissende Kinder auf die Welt kommen. Die Mittler dieses Wissens befinden sich auf verschiedenen Stufen, die alle auf ein und dieselbe Quelle zurückgehen. Diese Quelle war auch der Ursprung der anderen (nicht-isma¯ ¯ılitischen) Muslime, die ¯ lims Schüler. diesen aber dann verlassen haben. Sa¯lih wird des A ˙ ˙ ¯ (Abs. 84–-210) Der Alim doziert über Kosmogonie mit mehrfachem Verweis auf die Bedeutung der Exoterik. In der Kosmogonie bekommt die Zahl Sieben eine zentrale Stellung. Nach der Vorstellung der Syste¯ lim nun, dass es matik als Exoterik za¯hir und Esoterik ba¯tin eröffnet der A ˙ ˙ noch eine Wahrheit hinter der Wahrheit gebe, ba¯tin al-ba¯tin, das Innere ˙ ˙ des Inneren, die die wahre Essenz darstelle. Während der Name nur den äußeren Aspekt za¯hir darstelle, stehe das spezifische Charakteristikum für ˙ den inneren Aspekt ba¯tin, wobei beide verweisen auf Gottes Wissen und ˙ Gottes Religion, welche die innerste Dimension ba¯tin al-ba¯tin sei. In einer ˙ ˙ eben solchen Dreistufigkeit seien die Lebewesen geschaffen: Tiere, ¯ lim lehnt in verschiedenen Explikationen Menschen und Engel. Der A und Konstellationen, den der Isma¯ ¯ılı¯ya so oft unterstellten Antinomismus klar ab, sei es bei dem Verweis, dass Exo- und Esoterik sich gleichermaßen gegenseitig bedürften oder dass die Befolgung von Gottes Geboten nicht zu einer Missachtung der materiellen Welt führen dürfe. Denn die ma˘

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468 Die Zählung der Absätze folgt der Edition von Morris, vgl. oben Fn. 441.

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terielle Welt sei nicht schlecht oder verachtungswürdig, sondern eben nur die äußere Gestalt einer wichtigeren, tieferen Wahrheit. (Abs. 211 – 311) Nach einem kurzen ethischen Exkurs über das rechte ¯ lim die Zeit für reif, seinen eigenen Streben und Wirtschaften hält der A Meister, wa¯liduhu¯ al-akbar, zu befragen, ob er ihm seinen Adepten Sa¯lih vorstellen könne. Bei diesem handelt es sich möglicherweise um ˙ den˙ Imam selbst.469 Nach einem ersten Treffen hält der auch als Sˇaih be˘ die zeichnete Meister dem Anwärter Sa¯lih eine Predigt, in deren Zentrum ˙ ˙ vollständige Konversion und spirituelle Neugeburt des Adepten steht. Nach siebentägiger Wartezeit nimmt der Sˇaih Sa¯lih den Eid ab, und die ˙ ˙ Sa¯lih wird Ausbildung Sa¯lihs zum vollwertigen Da¯ ¯ı wird˘ abgeschlossen; ˙ ˙ ˙Vaters ˙ mit Missionsauftrag wieder nach Hause geschickt. Im Hause seines ¯ lim. bleibt er aber noch in losem Kontakt zu seinem ersten Meister, dem A (Abs. 312 – 554) Nach einem Gespräch mit seinem Vater konvertiert dieser, was wiederum die Theologen, mit denen er früher verbunden war, auf den Plan ruft. Diese beraten sich unter der Führung eines geˇ abba¯r Abu¯ Ma¯lik zunächst untereinander. Ihr Tenor ist wissen Abd al-G dabei erstaunlich offen und Isma¯ ¯ılı¯ya-freundlich. Voll Erwartung brechen sie zu Sa¯lih und dessen leiblichem Vater auf. Sa¯lih weist Abu¯ Ma¯lik nach, ˙ ˙ ˙ ˙ dass Grundlagen und Methode des mu tazilitischen kala¯m ungenügend seien und dass alles theologische Wissen der spirituellen Führung und der fortgesetzten Übermittlung durch einen Imam bedürfe. Sa¯lih erklärt Abu¯ ˙ ˙ Imame, Ma¯lik, dass es verschiedene Arten von Gesandten, heißt gebe. Diese wiederum hätten ihre Emissäre, die sich mit dem ewig störrisch ignoranten Volk abgeben müssten. Die Wahrheit erweist sich aber in der Wahrheit und der fortgesetzten Offenbarung. Weil aber die Mehrheit dem Bösen verfallen ist und die Unrechtmäßigen, die übrigens ebenfalls in einem Dreierschema beschrieben werden, an der Herrschaft sind, muss die Wahrheit im Geheimen, taqı¯ya, weitergegeben werden. Abu¯ Ma¯lik wird von Sa¯lih der Gesellschaft jener angeklagt, die die Wahrheit un˙ verfolgen. Er sieht sein Unrecht ein und will zukünftig terdrücken˙ und der Wahrheit folgen. ˘

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469 Um wen es sich bei dem als Sˇaih bezeichneten Mann wirklich handelt, darüber ˘ besteht kein Einvernehmen. Ivanow (ders. [1948]: Studies in Early Persian Ismailism, S. 99 – 103) hält den Sˇaih für den nächstranghöheren Da¯ ¯ı, ebenso Halm (ders. [1996b]: The Isma ili oath˘of allegiance, S. 92 f), Corbin hält ihn für den Imam (ders. [1983]: Cyclical Time and Ismaili Gnosis, S. 132) und Morris ist unentschlossen (ders. [2001]: Master, S. 189, Fn. 108). Da es sich bei dem Text aber um eine idealtypische Konversionsgeschichte handelt, ist die Idee, dass hier auf den Imam verwiesen wird, nicht abwegig. ˘

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5. Die präfatimidische Epoche

(Abs. 556 – 558) Und so setzen sich Sa¯lihs Missionserfolge auch ˙ zur Rahmenhandlung künftig durch. – An dieser Stelle geht der ˙Text zurück. Der Erzähler bekräftigt noch einmal, dass es sich bei dieser Geschichte um eine wahre Begebenheit handelt. Der Text schließt zuletzt mit einem großen Gotteslob schiitischer Provenienz. 5.2.2.2. Zur neueren Rezeption des Textes ˘

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Der Text Kita¯b al- a¯lim wa’l-g˙ula¯m wurde bereits vor seiner Edition durch Morris schon einmal umfassend von Ivanow vorgestellt.470 Doch während Morris, und ihm folgend Daftary in seinem Ismaili Literature 471, das ˇ a far ibn Mansu¯r al-Yaman zuschreibt und den poetiBuch eindeutig G ˙ schen und dessen rhetorischen Gehalt überaus goutiert, kommt Ivanow über fünf Jahrzehnte früher noch zu einer ganz anderen Einschätzung. Nach Ivanow ist es schwierig zu sagen, ob der Text tatsächlich die zeitgenössische isma¯ ¯ılitische Lehre widerspiegelt. Falls dem so sei, müsse der Text wirklich antik und lange vor der Einführung des Hellenismus entstanden sein.472 Ivanow schätzt anders als Morris die tatsächlich esoterischen Gehalte des Kita¯b al- a¯lim wa’l-g˙ula¯m als sehr gering ein. Das System sei krude kabbalistische Trickserei gewesen und habe letztlich nur den Zweck gehabt, das Interesse der Adepten aufrecht zu erhalten und diese so langsam an den echten Imam heranzuführen. Eine Einschätzung, die kaum zu teilen ist, denn erstens wäre die Frage, was jenseits grundlegender Fragen von Imamatslehre, Kosmogonie oder Eschatologie, die alle behandelt werden, noch hätte dargestellt werden sollen. Zweitens verkennt Ivanow die handwerkliche Kunstfertigkeit und philosophische Weitsichtigkeit in der Erschaffung eines Konstrukts, wie es bei Jonas als sekundärer Mythos bezeichnet wird.473 Morris hat sich von Ivanows Beurteilung des Textes offensichtlich wenig beeinflussen lassen, denn Ivanow schreibt: „A complete edition of the text and its translation would be scarcely worth time, labour and expense which these would entail.“474 Insgesamt stößt der Text, dessen Lektüre Ivanow unumwunden als langweilig und ermüdend bezeichnet, auf wenig Sympathie. Er schwelge in überflüssiger Weitschweifigkeit und ˘

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470 471 472 473 474

Ivanow: (1948): Studies in Early Persian Ismailism, S. 85 ff. Daftary (2004): Ismaili Literature, S. 121 f. Ivanow (1948): Studies in Early Persian Ismailism, S. 92. Jonas (1975): Typologische und historische Abgrenzung der Gnosis, S. 640. Ivanow (1948): Studies in Early Persian Ismailism, S. 87.

¯ lim wa’l-g˙ula¯m und ihr Autor 5.2. Die Schrift al- A ˘

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höflichen Phrasen. Kombiniere man dies mit der erstaunlichen Sentimentalität des Autors, so lasse sich sein Umfang mindestens auf das Doppelte anschwellen. Aus diesem Grunde hält Ivanow auch eine grobe Zusammenfassung mit einigen wenigen Exzerpten für völlig ausreichend. Morris hingegen kommt zu einer völlig anderen Einschätzung und betont die breite Resonanz der Schrift. So wolle das Kita¯b al- a¯lim wa’lg˙ula¯m alle Muslims ansprechen, nicht nur die Isma¯ ¯ıliten, es bestünden deutliche inhaltliche Parallelen zum Sufismus und in Argumentationsstil und Dialogform reflektiere das Kita¯b al- a¯lim wa’l-g˙ula¯m die gängigen Figuren der Zeit. Zur zeitlosen Relevanz des Textes betont Morris außerdem, dass das Kita¯b al- a¯lim wa’l-g˙ula¯m bis heute kopiert und studiert werde.475 Die breite Kenntnis der religiösen Diskurse, der sokratische bzw. platonische Dialogstil, die rhetorische Gewandtheit und die Fähigkeit zur Dialektik – all das verweist nach Morris‘ Meinung auf die Belesenheit des Autors und auf die intellektuelle Tiefenschärfe der Erzählung im Aufgreifen und Verwenden mannigfaltiger Traditionen.476 Die drei Quellen, ˇ a far aber bezieht und aus denen er seinen Text speist, sind auf die sich G ˇ a fars vor allem: 1. Koran (mit tafsı¯r und qisas al-anbiya¯ ein Schwerpunkt G ˙ ˙ theologischer Beschäftigung), 2. Hadithe und 3. zeitgenössische religiöse und theologische Disputationen (muna¯zara¯t).477 Trotz dieser enormen ˙ zu Ivanow, werde G ˇ a far stiTiefe und Breite, so Morris im Gegensatz listisch gesehen dabei aber wenig formal oder trocken, sondern bleibe durchgängig unterhaltsam humorvoll.478 Ivanow beschreibt die Raffinesse des Missionars jene auszusuchen, die, wie der junge Sa¯lih, willig und gelehrig gegenüber jenen sind, die ein ˙ ˙ wie spirituelles Verständnis haben. Er leitet geringeres intellektuelles davon eine Beschreibung der realen frühen Da wa ab, bei der der professionelle Missionar an den jeweiligen Orten geeignete Personen findet, welche er unterrichtet und denen er die weitere Mission vor Ort überlässt. Aus einigen von ihnen werden dann sukzessive ebenfalls professionelle, hochgraduierte Missionare, andere schaffen es nicht über die Leitung der lokalen Gemeinde hinaus. Mit diesem Verfahren sei der Erfolg der isma¯ ¯ılitischen Da wa, schnell große Territorien zu bekehren, ˘

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Morris (o. J.): Paradigms and Pitfalls. Ders. (2001): Master, S. 6 f. Ebd., S. 7. Ebd., S. 8.

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5. Die präfatimidische Epoche

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verständlich. Ebenso war das Da wa-Netz wahrscheinlich von Anfang an selbst subsistent.479 Die zwischen den Dialogen liegenden Informationen zu Reisen, Ortsangaben, den Umständen der Treffen etc. sind sehr knapp gehalten, um den Dialogen möglichst viel Raum zu lassen. Häufig ist dabei die Verdreifachung von Argumenten (Ruf/Wissen/Praxis oder Exoterik/ Esoterik/Eso-Esoterik480, o. ä.). So kann z. B. das Thema der ProphetenZyklen in dreifacher Weise verstanden werden: 1. historisch, materialiter, kosmologisch (za¯hir); 2. als Element politischer Theologie zur Recht˙ fertigung von z. B. Herrschaftsansprüchen (ba¯tin) und 3. als symbolische ˙ Rede für die Typen spiritueller Realisierung und Verstehens (ba¯tin al˙ ˇ a far indicates, necessarily ba¯tin). „The ,real‘ meaning of such symbols, as G ˙ depends on the situation and intentions of each author and reader (or guide and disciple) alike, but it certainly cannot be reduced to, nor exhausted by, a single ,exoteric‘ plane of socio-political interpretation.“481 Ebenso verhält es sich z. B. mit hudu¯d Alla¯h, (Gottes Limitierungen), diese ˙ bedeuten manchmal einfach nur: Gottes Gebote, spirituelle Hierarchie von Gott bis zu den Engeln (asba¯b Alla¯h) und hinab bis zum Menschen, menschlich soziale Ordnungen in Politik und Religion und schließlich als Hinweis auf innere Grenzen und Bedingungen des Seins in Moral, Metaphysik etc.482 Es gibt ein Oszillieren von Esoterik/Exoterik und Exoterik/Esoterik/Eso-Esoterik, wobei in den Beispielen meist nur auf die Zweiteilung verwiesen wird. Die Eso-Esoterik spielt überhaupt nur in der Unterrichtung des vorzüglichen Sa¯lih eine Rolle, alle anderen (Abu¯ ˙ ˙nur bis zur Esoterik. Außerdem Malik oder sein leiblicher Vater) kommen werden hier die gängigen Topoi von Konversionsgeschichten bedient: Wiedergeburt, neue Namensgebung, biologische vs. spirituelle Elternschaft. Parallelen zum Sufismus und esoterischem Schiismus sind auf Ebene der religiösen Ideen, der individuellen Umsetzung wie auch der sozioinstitutionellen Einrichtungen evident. Die jeweiligen Linien der gegenseitigen Einflussnahme sind schwer zu rekonstruieren, da beide auch auf gleiche Quellen zurückgreifen. Deutliche Parallelen zum Sufismus 479 Ivanow (1948): Studies in Early Persian Ismailism, S. 109 f. 480 „Eso-Esoterik“ ist meine nahezu wörtliche Übersetzung des im Arabischen als ba¯tin al-ba¯tin bezeichneten Inneren des esoterischen Wissens, womit letztlich die ˙ ˙Essenz bezeichnet wird. göttliche 481 Morris (2001): Master, S. 19. 482 Ebd., S. 47, Fn. 29.

¯ lim wa’l-g˙ula¯m und ihr Autor 5.2. Die Schrift al- A ˘

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finden sich darin, dass 1. prinzipiell alle Adepten das höchste, letzte Wissen erlangen können und dass 2. bekannte (ältere) theologische Konzepte und Begriffe spiritualisiert und innerhalb der Teilung za¯hir, ˙ ba¯tin und ba¯tin al-ba¯tin verinnerlicht werden. Dennoch hat die Isma¯ ¯ılı¯ya ˙ ˙ ˙ einen universellen, weltlichen wie spirituellen und alle Muslime und Menschen umfassenden Anspruch. – Sie formuliert aber ebenso einen Anspruch der Exklusivität gegenüber anderen Schulen und beschreibt ihren eigenen Weg der Umsetzung.483 Auch S. Hamdani, W. Madelung und P. Walker bestätigen, dass die Dialogform eine zu dieser Zeit gängige Lehrform gewesen ist.484 Die Dialogform verweist auf hellenistische Quellen, wenn auch sicher ist, dass sie durch das Christentum übermittelt wurde. Gnostischer Einfluss läßt sich durch die Drei-Typen-Lehre der Menschheit nachweisen: Hyliker, Psychiker, Pneumatiker.485 Vor allem werde im Kita¯b al- a¯lim wa’l-g˙ula¯m die Methode der da wa erhellt sowie Details der Initiation.486 Im Gegensatz zu notorisch Isma¯ ¯ılitenfeindlichen Unterstellungen finden sich keine Hinweise für einen wie auch immer gearteten Antinomismus (iba¯ha). Das Buch grenzt sich klar gegen die sogenannten g˙ula¯t, ˙ Übertreiber, ab. Historisch verortbar wird die Position in der Lebensgeˇ a fars Vater, der gegen seinen einstigen Partner und späteren schichte von G Renegaten Alı¯ ibn al-Fadl, wie oben ausgeführt, kämpfen musste. Beinahe zur gleichen Zeit verfasst˙ al-Qa¯d¯ı al-Nu ma¯n die Rechtstexte, die zu den ˙ Gründungsdokumenten des Fatimidenreichs zählen. Hier wie dort bleibt die Offenbarung unangetastet gültig, wenn auch in schiitischer Interpretation.487 Wie weit die Schrift zu ihrer Zeit Gültigkeit hatte, ist kaum zu sagen, da zum einen die Umsetzung eines zentralistischen Anspruchs zumindest zweifelhaft und wahrscheinlich bruchstückhaft war und zum anderen hierüber keine Quelle Auskunft gibt. Besonders die im Buch betonte ˘

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483 Ebd., S. 10 ff. 484 Hamdani, S. (2006): Between Revolution and State, S. 10; vgl. auch Ibn alHaitam (2001): The advent of the Fatimids. ¯ bestreitet, dass sich im Kita¯b al- a¯lim wa’l-g˙ula¯m eine den Psychikern 485 Halm äquivalente Gruppe findet (ders. [1978]: Kosmologie und Heilslehre, S. 21). Ob und wie sich die in Abs. 154 – 158 dargestellte Differenzierung mit der der spätantiken Gnostiker parallelisieren lässt, ist eine schwierige Frage. Halm hat insofern Recht, als dass auch die hier als „a¯damiyyu¯n“ Bezeichneten – anders als die Psychiker – Teil haben am erlösenden Wissen. 486 Ivanow (1948): Studies in Early Persian Ismailism, S. 108. 487 Morris (2001): Master, S. 20 f u. 57, Fn. 55.

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5. Die präfatimidische Epoche

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Trennung von ba¯tin und ba¯tin al-ba¯tin verweist aber auf eine noch lockere ˙ ˙ Verbindung von ˙theologisch-ideologischem Anspruch und dessen realer Umsetzung unter den Bedingungen individueller Prädisposition, kontinuierlicher spiritueller Disziplin und göttlicher Gnade unter der korrekten Führung eines wahren Meisters.488 Der Text wurde aber durch die gesamte Historie bis in die Gegenwart hinein kopiert und gelesen und ist bis heute von Bedeutung, insbesondere in der jemenitischen Tayyibı¯ya.489 ˙ sowohl als Für die Musta ilı¯ya bezeugt Morris die Verwendung des Textes Text für Anfänger als auch in späten, fortgeschrittenen Stadien des Studiums.490

5.3. Theologischer Gehalt ˘

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Die hier zur Diskussion stehende frühe präfatimidische Isma¯ ¯ılı¯ya trägt auch hinsichtlich ihrer Doktrin einige Schwierigkeiten in sich. Als Erstes muss der auch hier schwache Quellenbefund genannt werden. Dieser hat vor allem zur Folge, dass eine Chronologie früher Texte kaum zu gewährleisten ist. Madelung geht sogar davon aus, dass man bewusst Texte in Vergessenheit geraten ließ, da sie den späteren fatimidischen Lehren nicht mehr entsprachen.491 Halm berücksichtigt neben den konspirativen Umständen der zentralistischen Da wa auch die enorme räumliche Ausdehnung zwischen Nordafrika und dem Iran. Er stellt fest, dass man kaum wird „annehmen können, dass die isma¯ ¯ılitische Verkündigung unter diesen Bedingungen völlig homogen gewesen sei“ – und zwar sowohl in regionaler wie in historischer Hinsicht. Einzig die Übernahme des Neuplatonismus gestatte es, einen Schnitt in verschiedene Schichten früher isma¯ ¯ılitischer Doktrin zu legen.492 Für die Terminologie der Organisation der Mission stellt Hollenberg das Gleiche fest. „Moreover, the nomenclatura for the da wa hierarchy in tenth-century Isma¯ ¯ılı¯ sources is highly inconsistent.“493 Die Theologie jener frühen Epoche ist alles andere als vereinheitlicht und vielen Texten lässt sich weder eindeutig ein Autor noch ein Abfas˘

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488 Ebd., S. 18. 489 Dieser Befund konnte auch während eines Aufenthalts im Jemen im Jahr 2005 von mir selbst bestätigt werden. 490 Morris (2001): Master, S. 21 f. 491 Madelung (1961): Das Imamat, S. 50 f. 492 Halm (1978): Kosmologie und Heilslehre, S. 16 f. 493 Hollenberg (2006): Interpretation after the End of Days, S. 197 f.

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5.3. Theologischer Gehalt

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sungszeitraum zuordnen. Dennoch lassen sich verbreitete Motive benennen, die sich teilweise auch im Kita¯b al- a¯lim wa’l-g˙ula¯m finden lassen. Zunächst wäre da der die Schöpfung einleitende wörtliche Befehl Gottes kun! (sei!), aus dessen beiden Buchstaben, ka¯f und nu¯n, die weitere Schöpfung nach einer zahlen- und buchstabenmystischen Vorstellung entsteht. Halm macht diesbezüglich mehrere Komplexe aus. „[D]ie Prophetenzyklen, das Urpaar Ku¯nı¯/Qadar mit seinen Äquivalenten, die Buchstaben, die Pentade, die Verblendung des Demiurgen, die Sieben und die Zwölf, Adam-Anthropos-Vorstellung und das Schicksal der menschlichen Seele. Die Zugehörigkeit dieser Einzelkomplexe zu der älteren, vor-neuplatonischen ,mythologischen‘ Schicht der isma¯ ¯ılitischqarmatischen Lehre ist […] gesichert.“494 Dazu wäre sicher auch die ˙ Vorstellung zu nennen, dass mit dem erwarteten Mahdı¯-Imam auch die letzte Imamsheptade vollendet wird und die Endzeit mit der Errichtung des Gottesreiches anbricht. Auch wenn nicht davon auszugehen ist, dass alle diese Motive feste Plätze innerhalb eines geschlossenen Lehrsystems hatten, so darf man mit Halm doch annehmen, dass der Isma¯ ¯ılı¯ya zumindest gemäß eigenem Anspruch und Verständnis eine einheitliche Lehre zugrunde lag, die allerdings wiederum von regionalen Sonderentwicklungen beeinflusst war. Ebenso gehört die Trennung von Esoterik (ba¯tin), und Exoterik (za¯hir), dem inneren und äußeren Gehalt der ˙ den konstitutiven ˙Elementen der isma ılitischen Doktrin. Sie ist Lehre, zu ¯¯ schon in den ältesten Texten zu finden, so selbstverständlich auch im Kita¯b al- a¯lim wa’l-g˙ula¯m. 495 Sehr früh kam es allerdings zu einem Phänomen, das der isma¯ ¯ılitischen Lehre einen ungeheuren Gestaltungsreichtum gestattete, aber auch zu scharfer Kritik führte. Im sogenannten Kunstmythos496 oder sekundären Mythos497 werden Elemente anderer oder älterer Systeme aufgegriffen und zu einem neuen Mythos synthetisiert. Im Gegensatz zum mythologischen Ursprungsmaterial, dem noch ein gewisser Gehalt an Unbewusstem zugeschrieben werden kann, sind diese theologischen Neuschöpfungen nun bewusstes Produkt intellektueller Spekulation und setzen ein hohes Maß an Abstraktionsmöglichkeit voraus. Kombiniert mit der Esoterik wurde hier ein Weg religionsphilosophischer Spekulation eröffnet, der eine enorme Vielgestaltigkeit ermöglichte und einen ˘

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494 495 496 497

Halm (1978): Kosmologie und Heilslehre, S. 115. Ebd., S. 23. Ebd., S. 123. Jonas (1975): Typologische und historische Abgrenzung der Gnosis, S. 640.

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5. Die präfatimidische Epoche

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Schritt auf dem Weg zur stärkeren Durchdringung der Lehre mittels philosophischer Konzepte darstellt. Halm berichtet exemplarisch: „Wenn es stimmt, was Hamda¯nı¯ über die in je einem Himmel wohnenden ,Götter‘ der Qarmaten sagt, dann ist diese alte Vorstellung in Sigˇista¯nı¯s ˙ Iftiha¯r bereits vollständig spiritualisiert und ihres ursprünglichen mytho˘ logischen Sinnes entkleidet.“498 Die Einschätzung Halms ist dahingehend zu ergänzen, dass der „mythologische Sinn“ bereits im Gewand eines sekundären Mythos daherkam, die weitere Spiritualisierung durch den iranischen Da¯ ¯ı Abu¯ Ya qu¯b al-Sigˇista¯nı¯ (gest. nach 360/971) rund ein Jahrhundert nach den hier behandelten Texten also nur eine weitere Stufe philosophischer Überarbeitung und Aktualisierung darstellte. Befeuert wurde diese Bereitschaft zur philosophischen Spekulation durch die Überzeugung, dass der wahre, innerste Gehalt, die haqa¯ iq, der isma¯ ¯ıli˙ tischen Lehre durch alle Zeiten und Gestalten hindurch unverändert blieb. 5.3.1. Kosmogonie ˘

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Nach einigen ersten, allgemeinen Bemerkungen zur frühen isma¯ ¯ılitischen Theologie soll nun die Kosmogonie und zwar so, wie sie im Kita¯b al- a¯lim wa’l-g˙ula¯m dargestellt wird, analysiert und kurz in ihrem Kontext nachgezeichnet werden. ˘

5.3.1.1. Die Kosmogonie im Kita¯b al- a¯lim wa’l-g˙ula¯m ˘

Die Darstellung der Kosmogonie, also die Entstehung des Kosmos, der spirituellen wie materiellen Welt, wird im Kita¯b al- a¯lim wa’l-g˙ula¯m in zwei Etappen dargestellt. In den Abs. 84 bis 142 wird die Schöpfungsgeschichte nach den Prinzipien der Exoterik (al-za¯hir) und Esoterik (al-ba¯tin) ˙ ˙ unterteilt; dann in den Abs. 142 bis 158 kommt noch eine weitere tieˇ a far ibn Mansu¯r ferliegende, innere Dimension, das ba¯tin al-ba¯tin, hinzu. G ˙ al-Yaman bedient bei sich bei beiden ˙Etappen˙ vieler Zitate aus Koran und Hadithen:499 ˇ a far ibn Mansu¯r al-Yaman lässt keinen Zweifel aufkommen, dass G ˙ vom Anfang bis Ende Verursacher und Lenker des Gott in allen Schritten ˘

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498 Halm (1978): Kosmologie und Heilslehre, S. 69. 499 Vgl. dazu Morris (2001): Master, S. 178, Fn. 38 bis S. 184, Fn. 76, wo er spezifische Termini, Koran- und Hadith-Zitate und deren weiteren literatur- und gattungsgeschichtlichen Kontext erläutert.

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5.3. Theologischer Gehalt

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Schöpfungsprozesses ist. Er beschreibt wie Gott aus seinem heiligen Licht heraus mit seinem Willen durch seinen Befehl „sei!“ (kun!) (Abs. 84 u. 90) schuf und „es wurde“, „fa-yaku¯n“. Aus den sieben Buchstaben dieser ersten Worte „k-n-f-y-k-u¯-n“ entstanden die sieben Urprinzipien Luft, Wasser, Dunkelheit, Licht, Rauch, Erde und Feuer (Abs. 85) und aus Rauch und Erde wiederum sieben Himmel und sieben Erden. Den Himmeln wurden je zwölf Tierkreiszeichen und sieben Herrscher, den Erden je zwölf Regionen und sieben Meere beigeordnet. Gott trennte Tag und Nacht in sieben Tagen, um seine Schöpfung dann paarweise gemäß ihrer Exzellenzen zu ordnen (Abs. 86 – 89). Die Zusammenstellung in Paaren ist das Prinzip, dem die anschließende Beschreibung der weiteren Schöpfung folgt. Sie verbinden den äußeren und den inneren Aspekt, Exoterik und Esoterik (za¯hir und ba¯tin). ˙ weshalb˙ die Sie sind Signifikant und Signifikat (Abs. 91 – 92, 106 – 107), Geringschätzung der äußeren, materiellen Welt auch ein Zeichen von Unkenntnis über ihre Funktion als Symbol des inneren Gehalts ist ˇ a far ibn Mansu¯r al-Yaman in mehreren Be(Abs. 95 – 97). So stellt G ˙ reichen die durch Zahlen- und Buchstabenmystik gestaltete Systematik der äußeren, materiellen Schöpfung und ihrer inneren, spirituellen Bedeutung dar, die in einer Hierarchie der durch Gott bestimmten Mittler zur Unterrichtung seiner wahren Religion besteht (Abs. 91, 99, 105 – 133). An der Spitze dieser spirituellen Hierarchie stehen die sogenannten Sprecherpropheten, nutaqa¯ (Sg. na¯tiq), gefolgt von ihren Stellvertretern, ˙ weiteren˙ Funktionsträgern der isma ılitischen nuqaba¯ , (Sg. naqı¯b) und ¯¯ Missionsorganisation, da wa – jeweils korrespondierend mit Teilen der Schöpfung wie Himmel, Erde, Flüsse oder Sterne (Abs. 108 – 121). Eine Ausnahme hierin, so die Aussage der Schrift, stelle Gott selbst dar, der nicht symbolisiert oder repräsentiert werden könne, sondern auf den die Luft lediglich hinweise, ohne ihn damit bestimmen zu können (Abs. 126 – 141). An diesem Punkt kommt ein weitere Bedeutungsebene hinzu: Denn ¯ lim, nun dem Schüler, g˙ula¯m, in der Erzählung offenbart der Gelehrte, A dass es eine weitere Ebene, das Innere des Inneren, ba¯tin al-ba¯tin, gebe auf ˙ Alles˙ habe einen das alle bisher vorgestellten Paare letztlich hinwiesen. äußeren Aspekt, den Namen, dann einen inneren Aspekt, eine spezifische Charakteristik und schließlich eine letzte Essenz: die wahre Religion Gottes. Die wahre Bedeutung liegt in der Essenz, während der Name nur zu ihr gehört und die Charakteristik nur auf sie verweist. So kann auch die Religion Gottes nur leben durch die geoffenbarten Wege, ihre Exoterik und ihre Spiritualität, ihre Esoterik (Abs. 144 – 156). Nachdem das Äu˘

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5. Die präfatimidische Epoche

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ßere (za¯hir) auf das Innere (ba¯tin) notwendig verwiesen hat, bedarf auch ˙ der innerste Gehalt der Lehre˙ (ba¯tin al-ba¯tin) der beiden anderen, weiter ˙ ˙ diese auf eben diese Weise. außen liegenden Gestalten und legitimiert In einer ebensolchen Dreistufigkeit habe Gott auch seine Kreaturen geschaffen. Das Innere des Inneren ist das Wissen der Engel, das Wissen vom Inneren ist das Wissen der wahren Menschen und das Wissen vom Äußeren entspricht dem der wilden Tiere. Es gibt also nur zwei Sorten von Menschen: erstens jene, die spirituelles Wissen haben und jene, die danach suchen auf dem Weg zur Erlösung. Der Rest der Menschheit ist Lumpengesindel und Pack, denn ˇ a far, erhalten sie wissen nichts und werden ihre gerechte Strafe, so G 500 (Abs. 157). ˘

5.3.1.2. Zu Originalität und Kontext der frühisma¯ ¯ılitischen Kosmogonie

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In seiner Kommentierung der Kosmogonie unterstreicht Morris die von ihm immer wieder betonte Gelehrsamkeit des Autors und die Verweisstruktur des Textes auf zeitgenössische Debatten, Hadithsammlungen und den Koran. So kann Morris nachweisen, dass zentrale und frühe Stellen der hier dargestellten Kosmogonie sowohl auf eine Vielzahl von Koranzitaten, vor allem aber auch auf Hadithsammlungen aus allgemein schiitischer Tradition, aber ebenso auch auf solche aus sunnitischen Sprüchesammlungen zurückgehen. Sowohl die Licht- wie auch die ˇ a fars VerwenLuftmetapher sind theologisches Gemeingut und auch G dung des ˇsarı¯ a-Begriffs reflektiert den zeitgenössischen Gebrauch im weiteren Sinn als Referenz für verschiedene Lehr-, Interpretations- und Hadith-Traditionen.501 Doch selbstverständlich lassen sich in diesem zentralen Stück des Textes auch Schlüsseltermini der isma¯ ¯ılitischen Lehre finden: rasu¯l, na¯tiq, naqı¯b, ba¯b, asba¯b, walı¯502 , ta wı¯l,503 za¯hir, ba¯tin, ba¯tin al˙ ebenfalls in ihrem spezifischen Verständnis ˙ ˙ erläutert. ˙ ba¯tin,504 die Morris ˙ Wie für eine frühe islamische Splittergruppe nicht anders zu erwarten, ˘

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500 Vgl oben in Fn. 485 die Anmerkung Halms zum Vergleich der menschlichen Typenlehre in der frühen Isma¯ ¯ılı¯ya und bei den Gnostikern (ders.: [1978]: Kosmologie und Heilslehre, S. 21). 501 Morris (2001): Master, S. 175, Fn. 18 u. 20 sowie S. 178, Fn. 39. 502 Ebd., S. 180 f, Fn. 51, 53 f u. 57 f. 503 Ebd., S. 182, Fn. 66. 504 Ebd., S. 182 f, Fn. 62 u. 71.

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5.3. Theologischer Gehalt

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finden wir also eine Melange aus allgemein islamischen, im breiteren Sinne schiitischen und spezifisch isma¯ ¯ılitischen Lehren.505 In Anbetracht der Besonderheiten der isma¯ ¯ılitischen Schöpfungslehre, wie etwa die fortgesetzte Interpretationsbedürftigkeit der Offenbarung, die Zahlen- und Buchstabenmystik der Kosmogonie, die doppelte, materielle wie spirituelle Schöpfung der Welt sowie die Trennung in Exoterik und Esoterik, besteht die Frage nach deren Ursprung fort. Daftary betont, dass die Doktrin der frühen Isma¯ ¯ılı¯ya mehrheitlich muslimischer Provenienz war, wenn sie auch – möglicherweise über den Umweg sogenannter schiitischer ,Übertreiber‘ (g˙ula¯t) – ältere, nicht-islamische Traditionen integriert hätten.506 Keine dieser Mythologien aber habe als direktes Vorbild gedient und so muss die isma¯ ¯ılitische Kosmogonie als ein eigenständiges Modell gelten, das in einem schiitisch-islamischem Milieu entstand. Im Vergleich der Kosmogonie aus dem Kita¯b al- a¯lim wa’l-g˙ula¯m mit zeitgenössischen Kosmogonien iranischer Provenienz sowie mit späteren Texten desselben Autors lassen sich einige exemplarische Parallelen aber auch Unterschiede deutlich machen. Im vorliegenden Text ist Gott Verursacher der ersten Schöpfung und ihr Schöpfer in allen weiteren Etappen. Erst später tritt in der Isma¯ ¯ılı¯ya die Idee auf, dass keine Verbindung zwischen Gott und der Schöpfung bestehe. Hierin liegt auch ˇ a far ibn Mansu¯r al-Yaman zubereits ein Unterschied zwischen dem G ˙ geschriebenen Kita¯b al-fatara¯t wa’l-qirana¯t und den zeitgenössischen iranischen Da¯ ¯ıs, die Gott nicht als al- illa al- u¯la¯ (erste Ursache) bezeichnen würden. Während der iranische Da¯ ¯ı al-Sigˇista¯nı¯ Gott noch als al-fa¯ il alawwal, als ersten Verursacher, bezeichnet, vermeidet auch er es, ihn als ,Grund‘ zu benennen.507 In diesen feinen Differenzierungen zur exakten Rolle Gottes und zur Frage, inwieweit er in den weiteren Schöpfungsprozess involviert ist, zeigt sich ein deutlicher Einfluss der Mu taziliten, der vorherrschenden Theologenschule unter den zeitgenössischen Abbasiden. Diese unterschieden nämlich zwischen illa, der Ursache, die notwendig einen Effekt nach sich zieht und sabab, der Grund, der frei ist und dem Effekt vorausgeht.508 ˘

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505 Noch einmal allgemeiner zu den Verbindungen von Sufismus und esoterischem Schiismus vgl. ebd., S. 9 – 12. 506 Daftary (1990): The Isma¯ ¯ılı¯s, S. 143. 507 Hollenberg (2006): Interpretation after the End of Days, S. 149 ff. 508 Ebd., S. 151, Fn. 251.

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5. Die präfatimidische Epoche

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ˇ a far ibn Mansu¯r al-Yaman zu dieser frühen Zeit im Jemen Wenn G ˙ noch unbeeinflusst von iranischer Religionsphilosophie war, finden sich in seinen späteren nordafrikanischen Texten, in den Kita¯b al-fatara¯t wa’lqira¯na¯t, die Positionen der bekanntesten iranischen Da¯ ¯ıs al-Nasafı¯, al-Ra¯zı¯ und al-Sigˇista¯nı¯ vermischt. Dies aber in einer Weise, dass keine Position vollständig übernommen wurde.509 Die dort prominenten Begriffe aql (Intellekt) und nafs (Psyche), parallel mit den älteren Begriffen qalam (Schreibrohr) und lauh (Tafel), spielen im Kita¯b al- a¯lim wa’l-g˙ula¯m noch ˙ gar nicht erwähnt, während qalam, nafs und aql keine Rolle. Lauh wird ˙ weit von ihrer späteren, spiritualisierten Bedeutung entfernt benutzt werden. Nach der Schilderung von Daftary zieht sich das Motiv einer ursprünglichen Heptade durch die gesamte frühe Doktrin, die er aber insgesamt als kruden Mythos aus mehreren Motivkomplexen beschreibt, die zu einer, wie er findet, gnostischen Kosmogonie zusammengefügt wurden.510 Wenn auch die Buchstabenkombinationen selbst variierten, so blieb doch ihre Siebenzahl konstant. Doch statt der Prinzipien, aus denen die materiellen und spirituellen Welten entstehen sollten, symbolisieren die sieben hohen Buchstaben die sieben Sprecher-Propheten, aus denen in weiteren Heptaden die restlichen Buchstaben entstanden. Halm fasst ˇ a fars Kita¯b al-kasˇf zusammen, dass „nicht die Welt und die Geschöpfe für G […] aus den Buchstaben hervor[gehen], sondern die Offenbarung“.511 Dieser Befund, dass der Koran selbst die erste Schöpfung ist, bringt ihn zu dem Ergebnis, dass – auch wenn sich keine ursächliche Beziehung nachweisen lässt – Texte wie das jüdische Traktat Sefer Jezirah bekannt waren und diese die Kosmogonie im Kita¯b al-kasˇf inspiriert haben.512 Wie sich an diesen wenigen und kurzen Ausführungen zeigen lässt, steht die Kosmogonie des Kita¯b al- a¯lim wa’l-g˙ula¯m in engem Austausch mit theologischen Debatten der Zeit und so lässt sich die Schrift als frühes ˇ a far ibn Mansu¯r al-Yaman Werk auch in die Entwicklung ihres Autors G ˙ einfügen. Sie behält aber gerade durch ihr vermutlich frühes Abfassungsdatum noch einen distinkten, eigenen Charakter, der uns einen Einblick in die präfatimidischen Vorstellungen der Isma¯ ¯ılı¯ya gestattet. ˘

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Ebd., S. 158. Daftary (1990): The Isma¯ ¯ılı¯s, S. 141 – 143. Halm (1978): Kosmologie und Heilslehre, S. 44. Ebd., S. 48 – 50. ˘

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5.3.1.3. Hybris und Gnosis in der Kosmogonie des Kita¯b al- a¯lim wa’l-g˙ula¯m ˘

In der Frage, welche Vorläufer sich für die Kosmologie der frühen Isma¯ ¯ılı¯ya finden lassen, resümiert auch Halm, dass sich durch synkretistische Aneignung ein völlig neues genuin islamisches Modell um einen schiitischen Kern kristallisiert hat.513 Als eine ganz wesentliche Innovation sieht er dabei die gnostischen Elemente der Lehre. Bemerkenswerterweise hebt eine Vielzahl von neueren Autoren auf Hybris in der isma¯ ¯ılitischen Kosmogonie und auf gnostische Motive ab. Mit Ausnahme von Morris514 beschreiben Corbin, Halm, Madelung, Daftary und Hollenberg die frühe isma¯ ¯ılitische Kosmogonie als gnostisch. So schließt Corbin beispielsweise die gesamte Isma¯ ¯ılı¯ya in sein gnostisches Verdikt mit ein. Selbst das Kita¯b al- a¯lim wa’l-g˙ula¯m wird darin integriert, wenn er bei seiner Analyse der Verleihung von Sa¯lihs neuem ˙ ˙ himself Namen (Abs. 268 – 289) mit dem Fazit endet: „He who knows knows his lord“, um dann ungeachtet der Kosmogonie den Text der Gnosis zuzuschreiben.515 Halm bemerkt ganz zu Recht, dass Corbin sich im Falle der Gnosis „selbst weit über das wissenschaftliche Interesse hinaus persönlich betroffen zeigt“.516 In dem bei Stern als „earliest cosmological doctrines of Isma¯ ¯ılism“ publizierten Text517 des Abu¯ ¯Isa¯ al-Mursˇid (gest. ca. 369/980) findet Halm selbst die für ihn notwendigen Charakteristika, um ihn als gnostisch zu deklarieren.518 Der Text des Abu¯ I¯sa¯ al-Mursˇid, aufgrund dessen Halm die Isma¯ ¯ılı¯ya auch in seiner Arbeit Kosmologie und Heilslehre der frhen Isma¯ ¯ılı¯ya als seit ihren Anfängen gnostische Glaubensgruppierung klassifiziert, ist aber erst aus der Zeit des Imam al-Mu izz (341/953 – 365/975). Entsprechend notiert Madelung seinen ersten Beleg für gnostische Kosmologie ebenfalls für die Zeit von al-Mu izz‘ Imamat.519 In seiner Monographie Die islamische Gnosis behandelt Halm dann ausschließlich die schiitischen g˙ula¯t, obgleich er auch hier die Isma¯ ¯ılı¯ya in summa als gnostisch bezeichnet.520 In seinem Artikel Shiism: Isma¯ ¯ılı¯yah von 1987 nennt Madelung die präfatimidische isma¯ ¯ılitische ˘

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Ebd., S. 123. Morris (2001): Master, S. 19 f. Corbin (1983): Cyclical Time and Ismaili Gnosis, S. 134. Halm (1982): Die islamische Gnosis, S. 13. Stern (1983): Studies in early Isma¯ ¯ılism, S. 7 – 16. Halm (1996a): The cosmology, S. 81. Madelung (1961): Das Imamat, S. 87. Halm (1982): Die islamische Gnosis, S. 15. ˘

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5. Die präfatimidische Epoche

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Kosmologie plötzlich gnostisch.521 Daftary etikettiert ebenso generalisierend.522 Letztlich folgt auch Hollenberg der Theorie von der präfatimidischen Gnosis: „[A] Gnostic drama of pre-creation in which the letters of the hypostases are distributed to a hiero-historical heptad of speaker-prophets, an emphasis on the interior sense of law, and a fixed system of proportions between the pleroma, cosmos, and earthly Da wa – derive from the pre-Fatimid periods.“523 Für das Kita¯b al- a¯lim wa’l-g˙ula¯m trifft diese Zuschreibung aber genau nicht zu. Im Gegenteil finden wir, wie auch oben dargestellt (Abs. 84ff), ein Bekenntnis zu Gottes vollumfänglicher Täterschaft, sowohl anfänglich als auch den gesamten Verlauf begleitend. Die Idee der Hybris erscheint nirgendwo und das Motiv einer sonst als explizit gnostisch gedeuteten weiblichen Emanation wird sogar eindeutig abgelehnt (Abs. 89). Aufgrund dieses offensichtlichen Widerspruchs soll ein kurzer Blick auf die Verbindung von gnostischen Mythologumena und dem ˇ a far geworfen werden. Text des G Bei dem ägyptischen Da¯ ¯ı Abu¯ ¯Isa¯ al-Mursˇid (gest. ca. 369/980) 524 findet sich, wie Halm feststellt, die einzige, relativ frühe und eindeutige Erwähnung von Hybris.525 In Sara¯ ir wa asra¯r al-nutaqa¯ , einem Spätwerk ˙ ˇ a far ibn Mansu¯r al-Yaman (gest. vor 346/957), von G wird die neupla˙ tonisierte Variante im Rahmen der Begründung der ˇsiha¯da erläutert, und die Geschichte der Hybris gar nicht direkt erklärt, ˙sondern lediglich darauf Bezug genommen. Die Hybris hat hier nicht die Auswirkung, die Welt zu negativieren, sondern Gott beweist nur kurz seine Überlegenheit.526 Während die Hybris ein erstes, notwendiges Kriterium für einen gnostischen Mythos ist, finden wir bei Abu¯ I¯sa¯ al-Mursˇid keinen salvator salvandus und auch keine Vermischung der himmlischen und irdischen ˘

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Art. Shiism, ER, Bd. 13, S. 248. Daftary (1990): The Isma¯ ¯ılı¯s, S. 139 – 143. Hollenberg (2006): Interpretation after the End of Days, S. 20 f. Der Autor findet übrigens keine Erwähnung bei Daftary (ders. [2004]: Ismaili Literature). Zum Text des al-Mursˇid als Beleg für frühen Gnostizismus vgl. auch Walkers salomonisches Urteil: ders. (1993): Early philosophical Shiism, S. 47. Doch selbst wenn es möglich sein sollte, auf diesem Weg Traditionslinien aus früheren Epochen der Isma¯ ¯ılı¯ya zu rekonstruieren, entbehrt der Text m. E. gnostischer Färbung. Hierzu fehlen ihm schlicht der salvator salvandus und die Negativierung der materiellen Welt. Zum hier verwendeten Gnosis-Begriff vgl. Kap. 4.1.3.4. 525 Halm (1978): Kosmologie und Heilslehre, S. 75ff; ders. (1996a): The cosmology, S. 78 f. 526 Hollenberg (2006): Interpretation after the End of Days, S. 243 – 246. ˘

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5.3. Theologischer Gehalt

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Prinzipien als Gefangenschaft oder Verunreinigung. Über 50 Jahre nach der Abfassung des Kita¯b al- a¯lim wa’l-g˙ula¯m finden wir hier also ein Kokettieren mit gnostischen Topoi, aber nicht ihre konsequente Anwendung bzw. als Folge die Negativierung der Welt. Eine Wechselwirkung zwischen den beiden genannten Texten ist jedoch vorstellbar. Mögliˇ a far den Text von al-Mursˇid und übernahm das cherweise kannte G Element der Hybris dann in seinen eigenen sowie zur Bestärkung der ˇsiha¯da das Element der Hybris. Sichere Belege hierfür wurden aber noch nicht gefunden, zumal die exakte Datierung der Texte bislang noch nicht möglich erscheint. ˇ a far Auch in der Traktatsammlung Kita¯b al-kasˇf, die er dem Autor G bin Mansu¯r al-Yaman zuschreibt, findet Halm gnostisierende Texte.527 Vor allem˙ in den Traktaten II und V kann er zahlreiche gnostisierende Motive nachweisen. Die Idee vom siebenfachen Prophetenzyklus,528 offenkundige Parallelen in der esoterischen Schriftallegorese,529 aber auch Übereinstimmungen mit der Zahlen- und Buchstabenmystik,530 verweisen auf gnostische Vorbilder im Judentum und im Christentum. Halm selbst bemerkt jedoch einschränkend, dass die Vielzahl an Motiven nicht zwingend zusammenhingen und konstitutive Bestandteile eines Lehrsystem waren.531 Diese Eingrenzug Halms muss aber noch weitergeführt werden. Wie in Kapitel 4.1.3.4. dargestellt, ist für ein gnostisches System nicht allein eine Gruppe von Motiven notwendig. Im Gegenteil können Teile des gnostischen Kunstmythos ausgetauscht werden, ohne dabei den wesentlichen Kern der Gnosis zu berühren. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass die Anwesenheit gnostischer Motivik noch keinen gnostischen Mythos begründet. Erst die Konstellation aus kosmogonischer Hybris, Vermischung der Prinzipien, Negativierung der Welt und salvator salvandus qualifiziert ein System als gnostisch. In einem anderen Detail der Kosmogonie des Kita¯b al- a¯lim wa’l-g˙ula¯m, der Typisierung der Menschheit, lässt sich eine Nähe zu gnostischer Systematik finden. Interessanterweise wird aber gerade diese von Halm, dem intimen Kenner islamischer Gnosis als kritisch bewertet. Halm schreibt, es gäbe zu den „Psychikern“ der gnostischen Anthropologie ˘

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Halm (1978): Kosmologie und Heilslehre, S. 18. Ebd., S. 20 f u. 27. Ebd., S. 24. Ebd., S. 49 f. Ebd., S. 115.

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keine Parallele in der Isma¯ ¯ılı¯ya.532 Im Abs. 154 – 158 des Kita¯b al- a¯lim wa’l-g˙ula¯m finden wir jedoch eine dreistufige Schöpfung der gesamten Welt und mit ihr korrespondierend auch drei Typen von Menschen (Abs. 157). Ebenso werden dort auch drei Typen von religiös Suchenden aufgeführt (Abs. 388 u. 392). Diese Unterscheidung aber betrifft nur den Gebrauch des Verstands, denn prinzipiell sind alle Menschen gleich und können Gottes Botschaft durch seine Mittler empfangen (Abs. 202 u. 266). Insofern hat Halm Recht, denn die Hyliker der spätantiken Gnosis haben keinerlei Aussicht auf das erlösende Wissen.533 Der Topos einer dreistufigen Anthropologie selbst ist auch noch nicht gnostisch, er kann ˇ a far ibn Mansur alaber als ein Hinweis darauf gelesen werden, dass G ˙ Yaman Zugang zu gnostisch inspirierten Texten hatte. Zu einer eigenen gnostischen Mythologie, so wie sie oben spezifiziert worden ist, haben ihn diese aber offensichtlich nicht veranlasst. ˘

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5.3.2. Isma¯ ¯ılitische Imamatslehre ˘

Die Figur des Imam ist in ihren verschiedenen Gestalten und Funktionen der zentrale Dreh- und Angelpunkt der isma¯ ¯ılitischen Lehre. An ihr lassen sich sämtliche Spezifika zeigen, in ihr laufen alle Elemente der Lehre zusammen. Seit der Frühzeit, also seit der Zeit unmittelbar nach dem Tod des Propheten Muhammad, ist die Frage nach dem Imamat politisch wie theologisch stets˙zum Kristallisationspunkt von Konflikten und Entwicklungen geworden und war, wie oben dargestellt, auch das Kernelement aller schiitischen Bewegungen. In der folgenden Darstellung werden aber nur zwei Aspekte der Imamatslehre betrachtet. Zum einen die kosmologische Position des Imam und zum anderen seine eschatologische Funktion. Beide sind eng miteinander verbunden. Während Schöpfungsmythen ein vergleichsweise bekanntes Sujet sind, ist die Analyse der Imamatslehre komplexer und voraussetzungsreicher. Daher wird den Befunden aus dem Kita¯b al- a¯lim wa’l-g˙ula¯m jetzt, anders als zuvor, eine allgemeinere Einführung zur Imamatslehre vorangestellt. Daran schließen sich, nun wieder wie oben, die Ergebnisse aus der Untersuchung des Kita¯b al- a¯lim wa’l-g˙ula¯m und eine erste Kontextualisierung an. ˘

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532 Ebd., S. 21. 533 Ivanow sieht hierin klare Spuren gnostischen Einflusses (ders. [1948]: Studies in Early Persian Ismailism, S. 108).

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5.3. Theologischer Gehalt

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5.3.2.1. Zur isma¯ ¯ılitischen Imamatslehre ˘

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Die Imamatslehre ist der zentrale Angelpunkt der schiitischen Isma¯ ¯ılı¯ya. Das gilt zunächst, wie oben bereits geschildert, als Distinktionsmerkmal für die Auseinandersetzung mit anderen islamischen, vor allem aber den sunnitischen Traditionen. Aber auch innerhalb der schiitischen Traditionslinien hat sich die Imamatslehre und die damit auf das Engste verknüpfte Frage der legitimen Nachfolge in der Leitung der Gemeinschaft sowohl zum einenden wie auch trennenden Punkt entwickelt. Deshalb gehen die Grundlagen der isma¯ ¯ılitischen Imamatslehre auch auf die Imamı¯ya zurück. Doch auch die Doktrin lässt sich ohne die besondere Rolle des Imamats nicht verstehen. Die Figur des Imam nimmt eine kontinuierlich zentrale Rolle ein. Aufgrund der Trennung von Exoterik und Esoterik geht die Isma¯ ¯ılı¯ya davon aus, dass die göttliche Offenbarung ständig durch den Imam vermittelt und interpretiert werden muss. Die Gläubigen bedürfen seiner Führung in allen Belangen von Leben und Tod. Er ist des vollumfänglichen Wissens teilhaftig und überblickt neben den inneren und äußeren Gehalten der Welt auch Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Darüber hinaus ist er der sünden- und fehlerfrei (ma su¯m) lebende Beweis Gottes in der Welt. Er ist das vermittelnde ˙ Bindeglied zwischen Gott und der Schöpfung sowie zwischen der spirituellen und materiellen Welt. Es führt daher kein Weg zur Erlösung, denn durch ihn.534 Trotz aller Veränderungen, denen die Ausgestaltung der isma¯ ¯ılitischen Lehre in den Jahrhunderten unterzogen wurde, ist die zentrale Stellung des Imamats ein identitätsbildendes Kontinuum geblieben. Verbunden mit der politischen Führung durch den Imam existierte ein zyklisches Zeitverständnis und ein Glauben an die Ankunft des letzten, des Mahdı¯-Imam, der die Endzeit einleiten und Gottes gerechte Ordnung wieder herstellen sollte. In der Debatte um die Imamatslehre verbinden sich philosophische wie juristische Fragestellungen.535 In der historischen Konkretisierung der Imamfiguren von Adam bis Muhammad und darüber hinaus entwickelte sich eine an den jeweiligen˙ Erfordernissen orientierte Typologie. So wurde neben rasu¯l, dem Propheten, der eine neue Offenbarung brachte, wie Muhammad den Koran, der Sprechende (na¯tiq) wie der Schweigende (sa¯mit) ˙und der ihm Nachfolgende (was¯ı) oder˙ asa¯s unterschieden und ˙weiterhin der Treuhänder (mustauda ) ˙und der permanente (mustaqarr), aber auch der ˘

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534 Art. Ima¯ma, EI2, Bd. 3, S. 1166 f. 535 Art. The Imamate in Ismailism, EIr, Bd. 14, S. 210 – 212.

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5. Die präfatimidische Epoche

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verborgene Imam (mustatı¯r). In einzelnen Abschnitten isma¯ ¯ılitischer Theologiegeschichte wurden auch die Begriffe ba¯b (Tür) oder hugˇgˇa ˙ (Beweis) 536 für Imame verwandt.537 Mit dem letzten (dem rechtgeleiteten) Imam, dem mahdı¯-ima¯m, synonym mit al-qa¯ im (der sich Erhebende), sollte die Kette der Imame abgeschlossen werden. Der Begriff ima¯m kann dabei in verschiedener Weise, sowohl funktional als auch nominal, verwandt werden. Während es immer nur einen ima¯m als oberste Leitung der Gemeinschaft geben konnte, so war es zu verschiedenen Zeiten möglich, einen Sprecher-Imam (na¯tiq) und neben ihm einen Schweigenden (sa¯mit) ˙ ˙ zu haben, der als sein bevollmächtigter Nachfolger (was¯ı) nach ihm die ˙ Leitung der Gemeinschaft übernehmen sollte. Teils wurde der Oberbegriff ima¯m ausdrücklich genannt, teils jedoch nur die Spezifikationen.538 Entsprechend ihrer historischen Modifikationen waren diese verschiedenen Typen von Imamen in die sich ebenfalls unter den Wechselfällen der Geschichte entwickelnde weitere Kosmologie eingebettet. Die ausbleibende Endzeit und die wechselnden politischen Verfasstheiten der Gemeinschaft zwischen Verbergung (taqı¯ya) und Herrschaft zwang die Isma¯ ¯ılı¯ya zu fortgesetzten Modifikationen ihrer Lehre und zu einer kontinuierlichen Ausweitung des eschatologischen Horizonts. Es ist ebenso bemerkenswert wie bezeichnend, dass in diesem für die schiitische Isma¯ ¯ılı¯ya zentralen Punkt keine Eindeutigkeit oder Einheitlichkeit zu erreichen ist. Diese äußeren, exoterischen Wandlungen stellen jedoch nach isma¯ ¯ılitischer Vorstellung keine Veränderung für den eigentlichen ˘ ˘

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536 Der Terminus hugˇgˇa kann aber, wie Madelung (ders. [1961]: Das Imamat, S. 61 – 64) beispielhaft˙ auch für andere Termini der Imamatslehre zeigt, mehrere Bedeutungen erhalten. So ist er, ebenfalls nach imamitischer Lehre, erstens der Imam als Zeugnis Gottes in der Abwesenheit des Propheten. Zweitens bezeichnet hugˇgˇa einen Rang in der Hierarchie der religiösen Würdenträger der ˙ und drittens ist er die Bezeichnung für den „ernannten Nachfolger des Isma¯ ¯ıliten, Sprechers oder Imams vor dessen Tod“ (ebd., S. 62). 537 Vgl. Art. Isma¯ ¯ıliyya, EI2, Bd. 4, S. 203; Morris (2001): S. 180 u. 182, Fn. 51, 53 u. 64 f. 538 Ein schönes Beispiel für die komplizierte Terminologie in der Imamatslehre gibt Madelung: „In the esoteric (ba¯tin) Isma¯ ¯ılı¯ doctrine, the ima¯m represents a grade (hadd) in the religious hierarchy˙ below the na¯tiq and the asa¯s and above the hujja. ˙ ima¯m in his time assumes the function ˙ of the na¯tiq in expounding˙ and The preserving the exoteric (za¯hir) meaning of the revealed ˙law, while his hujja succeeds to the role of the ˙asa¯s in revealing its esoteric interpretation (ta wı¯˙l)“ (Art. Ima¯ma, EI2, Bd. 3, S. 1167). Auch in seinem klassischen Artikel „Das Imamat in der frühen isma¯ ¯ılitischen Lehre“ von 1961 unterlässt er es bezeichnenderweise, den Beriff Imamat zu problematisieren. ˘

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5.3. Theologischer Gehalt

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inneren, esoterischen Gehalt der Lehre dar. Viel wichtiger ist allerdings, dass sich an der Flexibilität dieses identitätsstiftenden Kerns die Notwendigkeit stetiger Adaptionen der Lehre an die Lebensumstände der Gemeinschaft zeigen lässt. Dies nachzuweisen ist das zentrale Anliegen in den historischen Ausführungen zur Kosmologie sowie zur Eschatologie in der Imamatslehre.539 Auch im Kita¯b al- a¯lim wa’l-g˙ula¯m tritt uns die Figur des Imam in verschiedenen Gestalten entgegen. Zunächst taucht sie als Rang oder Stufe in der oben schon dargestellten kosmologischen Erzählung auf. Danach übernimmt sie die Rolle als Meister des A¯lim in leibhaftiger Gestalt, um anschließend den Schüler Sa¯lihs zu unterrichten, einzuwei˙ zu entsenden. Schließlich sen, einer Initiation zu unterziehen und˙ diesen beziehen sich sowohl der A¯lim wie auch Sa¯lih in verschiedenen Lehr˙ ˙ dialogen auf die historischen Imame. Sie garantieren hier in ihrer kosmologischen Funktion die korrekte Übermittlung der Lehre und die Aufrechterhaltung des Offenbarungsgeschehens. Sie sind die Garanten für die Authentizität der Lehre und den Fortbestand der Welt und binden so die drei Erscheinungen wieder zu einer Funktion zusammen. Gleichzeitig fließen alle drei Gestalten ineinander, da die kosmologische und die eschatologische Gestalt eng zusammen gehören und erst durch die historische Vermittlung wirksam werden können. Umgekehrt resultiert aus der Loyalität der Gläubigen für den Imam und seinen hugˇgˇa (i. S. eines ˙ Stellvertreters) die politische, ökonomische und soziale Unterstützung, ohne die sie kaum als Spitze einer religiösen Gemeinschaft hätten agieren können.540 ˘

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5.3.2.2. Imamatslehre und Kosmologie im Kita¯b al- a¯lim wa’l-g˙ula¯m

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Bereits die erste Nennung der Imame (Abs. 90) erklärt unmissverständlich deren Aufgabe und Platz in der Schöpfung.541 Sie und die ihnen nachgeordnete Ordnung der isma¯ ¯ılitischen Mission (da wa) sind herausge-

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539 Vgl. hierzu Makarem (1967): The philosophical significance of the Imam u. A. Hamdani (1976): Evolution of the Organisational Structure. Während Makarem sich vor allem an al-Kirma¯nı¯s System orientiert, gibt Hamdani einen geschichtlichen Überblick. 540 Morris (2001): Master, S. 17. 541 Im Folgenden werden nicht systematisch alle Nennungen des Imam im Kita¯b ala¯lim wa’l-g˙ula¯m dargestellt, sondern nur jene, die direkt zur Illustration der Position des Imam in der Kosmologie dienen. Zur umfassenden Darstellung des Imamats sei auf die Indizes verwiesen.

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5. Die präfatimidische Epoche

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hoben aus der sonstigen Schöpfung und dienen der Wahrung, Übermittlung und Übertragung von Gottes Wort. Gemäß ihrem Rang stehen sie wie die Sterne mit dem Imam als Sonne an erster Stelle. In der Esoterik- und Exoterik-Analogie entsprechen der Sprecherprophet, na¯tiq (Pl. ˙ nutaqa¯ ), und seine zwölf Stellvertreter, naqı¯b (Pl. nuqaba¯ ), dem Himmel ˙ und den zwölf Sternzeichen (Abs. 108 – 111). Die Erde und ihre zwölf Regionen entsprechen dem ba¯b als Zugang zum Sprecherpropheten und den zwölf hugˇagˇ (Sg. hugˇgˇa) die als Beweise den Nachfolgern, ausiya¯ (Sg. ˙ ˙ 112 – 115). Die Verbindung von Exoterik ˙ was¯ı), assistieren (Abs. und ˙ Esoterik wird auch in der Figur des Imam selbst noch einmal aufgegriffen, wenn der Gelehrte seinem Schüler ausführt, der lebende, äußere Imam sei für den Suchenden Verbindung, Beweis (hugˇgˇa) und Zugang (ba¯b) zum ˙ 166 – 167). Die Imame der eigenen, inneren Imam des Gläubigen (Abs. materiellen Welt in ihren verschiedenen Gestalten und Positionen in der Hierohierarchie weisen also lediglich auf einen, dem Gläubigen inhärenten immateriellen Imam als spirituellen Führer hin. In allen diesen Variationen ist der Imam aber immer Inbegriff des höchsten Wissens, des ba¯tin al-ba¯tin teilhaftig und Herr über Himmel und Hölle (Abs. 157). ˙ ˙ Insgesamt ist der gesamte Text Kita¯b al- a¯lim wa’l-g˙ula¯m ein Nachweis für die Wichtigkeit des Imam und des Imamats auf allen Ebenen der Vermittlung, der Exoterik (za¯hir), der Esoterik (ba¯tin) und der Eso-Eso˙ wirkt in den entsprechenden ˙ terik (ba¯tin al-ba¯tin). Der Imam Repräsen˙ ˙ tanzen auf allen Ebenen und verbindet sie miteinander und stellt so in seiner Person den Weg von der niederen, äußeren Welt bis hin zum höchsten Wissen dar. Folglich unterlässt auch Morris es nicht, in seinem Vorwort hierauf noch einmal eindrücklich hinzuweisen: „No doubt the most obvious and most practically important of those distinctive features is Ja far b. Mansu¯r’s thoroughgoing insistence […] on the wider, universal political role of ˙the Ismaili imamate and the da wa structure as guides, not just for a relatively small spiritual elite, but potentially for the Islamic community (and indeed even humankind) as a whole.“542 ˘

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5.3.2.3. Terminologie und Systematik der Imamatslehre ˘

Halm und Madelung berichten in ihren auch hier wieder grundlegenden ˇ a far ibn Mansu¯r al-YaTexten von terminologischen Variationen des G ˙ ˇf heißt man zur Imamatslehre in seinen weiteren Texten. Im Kita¯b al-kas der na¯tiq z. B. auch ima¯m na¯tiq und der was¯ı ist zugleich der erste Imam des ˙ ˙ ˙ 542 Morris (2001): Master, S. 11.

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5.3. Theologischer Gehalt

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ˇ a far. nachfolgenden Zyklus in der dann zyklischen Zeitvorstellung des G Asa¯s ist das jüngere Äquivalent für was¯ı und „die Hugˇgˇas sind nicht mehr ˙ ˙ die Chefs der zwölf Meister der Sekte, sondern, wie ihre Zwölfzahl zeigt, Missionsgebiete“.543 Die zyklische Zeitvorstellung, eine mindestens ebenso grundlegende Innovation, die die Lehre der Isma¯ ¯ılı¯ya bestimmen sollte, nimmt im Kita¯b al- a¯lim wa’l-g˙ula¯m noch keinen prominenten Platz ein. Lediglich an einer kurzen Stelle (Abs. 528 – 529) werden wir über die Abfolge der Imame unterrichtet. Die zyklische Zeitvorstellung bzw. die arabischen Begriffe für Zeitalter (daur) oder Aeon (kaur) werden nicht verwandt. Für Zeit wird lediglich der Begriff al-a¯wa¯n benutzt, der aber nach Morris Zeit im allumfassendsten Sinne meint, sozusagen als ,Container‘ aller Zeiten.544 Stattdessen wird mit dem Begriff fatra (Zeitabschnitt), der Zeitraum zwischen den Sprecherpropheten benannt (Abs. 529). Wie auch schon in der Kosmogonie findet sich in den Imamsfolgen das Heptadenmodell. Auf einen Sprecherpropheten na¯tiq mit neuer göttlicher Offenbarung in ˙ Text oder Gesetzesform folgen sechs stille Propheten (sa¯mit), die keine ˙ neue Offenbarung bringen, sondern die vorhergehende lediglich auslegen und in Anwendung bringen (Abs. 528 – 529). Auch die Folge der Imame, die nach Muhammad kommen und sein Werk vollenden, ist auf ˙ 91 u. 181 – 183). Für diese Vorstellung einer irsieben beschränkt (Abs. dischen Zeit, die in ihrem frühen Stadium in sieben Kreisläufen zu je sieben Imamen gedacht wird, finden sich im späteren Kita¯b al-kasˇf weitere ausführliche Belege. Obwohl das Kita¯b al-kasˇf wahrscheinlich während ˇ a far kompiliert worden ist, wird die der nordafrikanischen Phase des G erste Abfassung auf die vorfatimidische Zeit datiert, da das Kommen des siebten ima¯m na¯tiq noch aussteht und bald erwartet wird – ein deutlicher Beleg, dass das ˙Fatimidenreich noch nicht etabliert wurde.545 Wie auch schon zur Kosmologie können wir hier auch voneinander leicht abweichende Aussagen desselben Autors aus verschiedenen Abschnitten seines Lebens ausmachen. Hollenberg widmet sich diesbeˇ a fars Sara¯ ir al-nutaqa¯ intensiv den züglich in seiner Dissertation über G ˙ variierenden Terminologien und Systematiken, die sich um die SprecherPropheten entwickelten. Die in der Auseinandersetzung mit der Lehre ˘

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543 Halm (1978): Kosmologie und Heilslehre, S. 32; vgl. ebenso dazu Madelung (1961): Das Imamat, S. 62. 544 Morris (2001): Master, S. 183 Fn. 70. 545 Halm (1978): Kosmologie und Heilslehre, S. 31, zu Strothmanns Edition des Kita¯b al-kasˇf, S. 168 u. 170.

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5. Die präfatimidische Epoche

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ˇ a far im Vergleich zu den iranischen Missionaren gewonnenen des G Erkenntnisse sollen hier jedoch nicht näher verfolgt werden.546 Sie illustrieren aber noch einmal auf eindrückliche Weise die Vielfalt und Wandlungsfähigkeit dieses elementarsten Bestandteils isma¯ ¯ılitischer Doktrin. Dass der Siebener-Zyklus tatsächlich zu den frühesten, vorfatimidischen Gehalten der Lehre gehört haben könnte, wird dadurch gestützt, dass auch in der Kosmologie die Siebenzahl eine bedeutende Rolle hat und mehr noch dadurch, dass er auch in dem noch früheren Kita¯b ar-rusˇd wa’l-hida¯ya des Ibn Hausˇab Mansu¯r al-Yaman genannt ˙ ˙ sieben Zyklen hinaus wird.547 Die Ausweitung der Imamsfolge über die setzte sich aber erst nach Abdalla¯hs politischen Erfolgen durch.548 ˘

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5.3.2.4. Imamatslehre und Eschatologie ˘

Bereits bei der allgemeinen Einführung in die Imamatslehre und bei der Beschreibung der kosmologischen Stellung des Imam im Kita¯b al- a¯lim wa’l-g˙ula¯m wurde immer wieder dessen zentrale Position mit seiner eschatologischen Aufgabe begründet. Es überrascht daher nicht, dass sich die entsprechenden Belege auch im Kita¯b al- a¯lim wa’l-g˙ula¯m finden lassen. ˇ a far listet die Stufen der Da wa-Hierarchie direkt auf: Imam, die G Sprecher-Propheten (nutaqa¯ ), die ,Beweise‘ (hugˇagˇ), die Stellvertreter ˙ ˙ (nuqaba¯ ), die Missionare (du a¯h) sowie die Gelehrten ( ulama¯ ). Ihnen allen ist ein besonderer Status gewiss, denn ihnen wurde Gottes Wissen und Weisheit offenbart; sie sind die Übersetzer seiner Offenbarung und weisen den Weg zu irdischer wie himmlischer Erlösung (Abs. 90). Entsprechend halten die Imame, die gleich den Engeln den innersten Gehalt der Lehre kennen, das ba¯tin al-ba¯tin, auch die Schlüssel zum Paradies in ˙ ˙ Händen. Wer ihnen folgt, tritt ins Himmelreich, wer sich ihnen verweigert, verfällt der Hölle (Abs. 157). Erwerb und Umsetzung des religiösen Wissens werden für den Gläubigen von Gott honoriert werden, ˇ a far schreibt, hat Gott seine Botschafter und mit ihnen und denn wie G durch sie seine Botschaft nicht ohne Grund gesandt (Abs. 159 – 165). Nach seiner letzten Initiation legt der Protagonist des Buches, der einstige Schüler Sa¯lih, im Dialog mit dem Theologen Abu¯ Ma¯lik selbst die ˙ ˙ einer fortgesetzten Offenbarung und Interpretation Notwendigkeit durch die Imame dar (Abs. 474 – 483). In der Fortsetzung des Dialogs ˘

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546 Vgl. Hollenberg (2006): Interpretation after the End of Days, S. 268 – 293. 547 Halm (1978): Kosmologie und Heilslehre, S. 91 ff. 548 Ebd., S. 31 u. Madelung (1961): Das Imamat, S. 53 f.

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5.3. Theologischer Gehalt

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(484 – 521) unterrichtet Sa¯lih den Theologen Abu¯ Ma¯lik über die Logik ˙ ˙ dies allerdings auf einer Ebene, die kaum der isma¯ ¯ılitischen Imamatslehre, Einsichten in die esoterischen Gehalte gestattet, sondern lediglich die Autorität der Imame und ihrer Offenbarung unterstreichen soll. Dabei wendet er sich auch gegen die Tradition und den Altersbeweis als sonst gängige autoritätsstiftende Methoden der Theologie (Abs. 508 f). Mit diesen Positionen fügt sich die Eschatologie und Imamat im Kita¯b al- a¯lim wa’l-g˙ula¯m in das Gesamtbild ein, das wir von der frühisma¯ ¯ılitischen Lehre haben. Auch Daftary betont die Bedeutung des Imam, die Texte auszulegen und so die Differenz zwischen ba¯tin und za¯hir zu ˙ ˙ überbrücken. Die Vermittlung der inneren, esoterischen Wahrheiten (haqa¯ iq) bedurfte eines sünden- und fehlerfreien Imam, der diese stu˙ fenweise je nach Lage und Fähigkeiten des Adepten erklärte. Aus der Kompliziertheit der Lehre resultiert auch die Notwendigkeit einer formalen wie spirituellen Hierarchie innerhalb der Da wa. Sowohl organisatorisch wie spirituell wurde den Gläubigen lediglich das schrittweise Eindringen gestattet. Die oberste Kontrolle zur exoterischen wie esoterischen Da wa liegt beim Imam. Ihm allein obliegt auch der ta wı¯l, die spirituelle bzw. hermeneutische Exegese des tanzı¯l, der göttlichen Offenbarung, hinsichtlich der haqa¯ iq, der esoterischen Wahrheiten. Anders als bei der konventionellen˙ Koranexegese tafsı¯r, bei der nach isma¯ ¯ılitischem Verständnis lediglich die offensichtliche, oberflächliche Bedeutung des heiligen Textes dargelegt wird, erläutert der Imam in seinem ta wı¯l die esoterischen, wahren Gehalte.549 In seiner Analyse der Sara¯ ir wa asra¯r al-nutaqa¯ hebt Hollenberg neben der spirituellen Leitung durch den Imam auch˙ die Wichtigkeit von dessen politischen Aktivitäten in der Leitung der Gemeinde hervor.550 Folglich betont er in seiner Zusammenfassung zu neuplatonischen Elementen in den Prologen von Kita¯b al-fatara¯t wa’l-qirana¯t und Sara¯ ir wa asra¯r al-nutaqa¯ , ˙ dass das Bekenntnis zum Imam der Zeit relevanter ist als alles philosophische Wissen.551 In dieser pragmatischen Orientierung bis hin zur Errichtung einer materiellen Da wa-Strukur in Nordafrika sieht er auch einen Unterschied zu Texten aus zeitgenössischen iranischen Diözesen, deren Imamatslehre stärker an philosophischer Spekulation interessiert war. Diese iranischen Spekulationen hat Halm im Blick, wenn er schreibt: „Was die Seele zu ihrem Wiederaufstieg befähigt, ist ein be˘

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549 Daftary (1990): The Isma¯ ¯ılı¯s, S. 137 f. 550 Hollenberg (2006): Interpretation after the End of Days, S. 334. 551 Ebd., S. 261 ff.

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5. Die präfatimidische Epoche

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sonderes Wissen ( ilm, gnosis); […] Der Inhalt dieses esoterischen Wissens ist vordergründig die Kenntnis des wahren Imam und die Gewissheit des Kommens des Mahdı¯/Qa¯ im, der als letzter Bringer der unverhüllten Gnosis, als ,Enthüller‘ (sa¯hib al-kasˇf) die endgültige Erlösung bringen wird. ˙ ˙ Diese Erlösung wird erst ermöglicht durch die Kenntnis der Herkunft der Seele und die Erkenntnis ihres Fremdseins in der materiellen Welt.“552

5.4. Zur Wechselwirkung von Politik und Theologie 5.4.1. Zur Struktur einer schiitischen Oppositionsbewegung ˘

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ˇ a far ibn Mansu¯r al-Yamans Text Kita¯b al- a¯lim In der Untersuchung von G wa’l-g˙ula¯m bleiben zwar einige Fragen ˙offen, es lassen sich aber auch wesentliche Erkenntnisse gewinnen. Zunächst müssen wir beim Kita¯b ala¯lim wa’l-g˙ula¯m von einem frühen, wenn nicht dem frühesten Stadium dessen ausgehen, was als originäre isma¯ ¯ılitische Theologie bezeichnet ˇ a fars spätere Texte oder auch jene, die wie die Sara¯ ir wa werden kann. G asra¯r al-nutaqa¯ nur noch einmal überarbeitet worden sind, enthalten ˙ sämtlich, wie Hollenberg nachgewiesen hat, eindeutig neuplatonische Elemente, die im Kita¯b al- a¯lim wa’l-g˙ula¯m noch nicht enthalten sind. Wenn verschiedene Male, besonders im Zusammenhang mit der Imamatslehre die Gemeinsamkeiten mit der Zwölfer-Schia, der Imamı¯ya, ˇ a far al-Sa¯diqs herausgestellt wurden, so kann für die im geteilten Erben G Zeit zwischen diesem und ˙ der ersten Verbergung der isma¯ ¯ılitischen Imame keine eigene isma¯ ¯ılitische Theologie identifiziert werden. Die spätere Literatur, sowohl an den Fatimidenhöfen wie auch zeitgleich in den iranischen Diözesen, enthält sämtliche neuplatonische Elemente. Diese Mittelstellung zwischen der ersten Verborgenheit und der neuplatonischen Innovation lässt dem Kita¯b al- a¯lim wa’l-g˙ula¯m eine Sonderstellung in der isma¯ ¯ılitischen Theologie zukommen. Die wissenschaftliche Rezeption blieb erstaunlicherweise dennoch sehr verhalten. Angeführt wird der Text meist nur als Beispiel für die mythologische Isma¯ ¯ılı¯ya vor dem Einfluss des Neuplatonismus,553 ohne allerdings einer genaueren Untersuchung und Kontextualisierung unterzogen zu wer-

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552 Halm (1978): Kosmologie und Heilslehre, S. 113. 553 Z.B. Halm (1978): Kosmologie und Heilslehre, S. 15 u. 23 sowie Madelung (1961): Das Imamat, S. 51.

5.4. Zur Wechselwirkung von Politik und Theologie

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den. Ivanows stark abschätzige Darstellung des Textes dürfte das Ihrige dazu beigetragen haben.554 Morris bemüht sich in der Einleitung zu seiner Edition des Kita¯b ala¯lim wa’l-g˙ula¯m immer wieder die Parallelen zur sunnitischen wie schiitischen Koranexegese, den Hadithsammlungen, aber auch zu den mystischen Traditionen des Sufismus herzustellen, und den Text so im Diskurs seiner Zeit zu verorten. Gleichzeitig zeigt es sich, dass die Imamatslehre auf frühere gemeinschiitische Quellen aufgebaut ist. Über die muslimische Tradition hinaus waren auch die spätantiken Vorstelllungen gnostischer und neuplatonischer Provenienz im östlichen Mittelmeerraum bis in den Iran zugänglich. Obwohl wir wissen, dass diese Denktraditionen zur Zeit der Anfänge der Isma¯ ¯ılı¯ya noch lebendig waren, gibt es keine direkten Hinweise auf mögliche Autoren oder Texte, die hier rezipiert wurden. „Aus welchen obskuren Quellen der Stifter der isma¯ ¯ılitischen Lehre das Grundmuster seiner Kosmologie auch bezogen haben mag – seine Lehre mit dem Versprechen der Gewährung erlösenden Wissens entsprach einem in den alten Ländern der Gnosis offenbar noch immer zutiefst lebendigen Bedürfnis.“555 Der Umstand, dass wir nicht wissen, auf welche literarischen Quellen sich die frühen Autoren ˇ a far ibn Mansu¯r al-Yaman bezogen haben, und selbstverständlich auch G ˙ und die Beurteilung lässt das Auftreten des isma¯ ¯ılitischen Synkretismus der frühesten Texte noch schwerer erscheinen. Die dogmatische Innovation der Isma¯ ¯ılı¯ya beinhaltet so eigentümlicherweise Elemente aus verschiedenen Traditionen und Erscheinungsformen von Religiosität. Denn in den muslimischen und nichtmuslimischen Ursprüngen der Theologie finden sich verschiedene Stufen der Intellektualisierung von einfacher Volkgläubigkeit bis hin zu elaborierten religionsphilosophischen Spekulationen in hochkomplexen Theologien. Neben Erlösungsvorstellungen aus dem östlichen Mittelmeerraum und den astralen Kulten aus dem Zweistromland556 hat die frühe Schia, auch im Unterschied zum sunnitischen Islam, verschiedene altarabische Ideen aufgegriffen, die dann vor allem in den extremen Flügeln, bei den sogenannten g˙ula¯t, Verbreitung fanden. „These earlier Ghula¯t can no doubt be regarded as relatively unsophisticated;“557 – und damit waren diese recht volksnah. ˘

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554 Ivanow (1948): Studies in Early Persian Ismailism, S. 85 ff. 555 Halm (1978): Kosmologie und Heilslehre, S. 127; er bezieht sich hier mit den „alten Ländern der Gnosis“ auf den „syrisch-mesopotamischen Raum“. 556 Ebd., S. 97. 557 Hodgson (1955): How Did the Early Shi’a Become Sectarian, S. 5.

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5. Die präfatimidische Epoche

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Auf diesem Wege hielten Auffassungen von z. B. Weissagung, Alı¯s und Muhammads hervorragender Status, von der fortgesetzten Offenbarung und˙immer wieder auch von der Seelenwanderung Einzug in isma¯ ¯ılitische Vorstellungen. Die unterschiedlichen Niveaus intellektuellen Anspruchs, die sich alle in einem Lehrgebäude wiederfinden, sowie die Kombination von altarabischen Vorstellungen und philosophischen Spekulationen des Zweistromlands ermöglichte es der Isma¯ ¯ılı¯ya Anhänger in den verschiedensten Milieus zwischen Iran und Marokko zu gewinnen. Besonders in ländlichen Regionen außerhalb des administrativen Zugriffs der Abbasiden hatte die isma¯ ¯ılitische Mission mit ihren volksnahen und antiabbasidischen Vorstellungen bei Beduinen und Bauern Erfolg. Im Iran dagegen erfuhren die isma¯ ¯ılitischen Werber vor allem in der städtischen Bildungselite ihre größte Wertschätzung.558 Dabei handelte es sich keineswegs um zufällige Passungen, vielmehr waren sowohl der Typus des Da¯ ¯ı, sei er Asket, Händler oder Handwerker als auch die dialogische Form des Missionsgesprächs früh systematisiert und dabei an die jeweiligen Gegebenheiten angepasst worden.559 Das messianische Auftreten der Isma¯ ¯ılı¯ya appellierte an unterprivilegierte Grupen von verschiedenem sozialen Hintergrund. Die Isma¯ ¯ılı¯ya agierte so als sozialer und religiöser Protest gegen die Abbasiden und ihre städtischen Zentren und privilegierten Eliten.560 Die Interaktion zwischen ruralem und urbanem Milieu wurde weiter bestärkt durch die Beobachtungen, die Kippenberg zur Verländlichung der Gnosis gemacht hat und die hier cum grano salis auf die frühere Isma¯ ¯ılı¯ya übertragen werden können.561 Erstens hatten die Isma¯ ¯ıliten mit ihrer Praxis der Verbergung und der Trennung von Esoterik niemals ein Problem damit, sich und ihre Absichten gegenüber ihren Gegnern zu tarnen, was ihnen auch unter den schwierigen Umständen der Verfolgung das Überleben ermöglichte. Und zweitens gestattete der stufenweise Aufbau der esoterischen Lehre, dass alle Interessenten ihrem kulturellen und intellektuellen Hintergrund gemäß initiiert werden konnten. Die Organisation der Da wa mit ihren unabhängig operierenden Zellen spiegelte diese Hierarchie wider und bot auf diese Weise die optimale Struktur, sich an die Bedürfnisse der lokalen Mission anzupassen. Die Da wa-Struktur, wie wir sie in ihrer präfatimidischen Form ˘

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Vgl. Daftary (1999): The Ismaili dawa outside the Fatimid dawla. Halm (2003): Methods and Forms. Vgl. Daftary (1998a): A Short History of the Ismailis, S. 40. Kippenberg (1988): Verländlichung des Gnostizismus, S. 318.

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5.4. Zur Wechselwirkung von Politik und Theologie

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vorfinden, wurde gewählt als taktische Option für die antiabbasidische Opposition.562 Messianismus, Esoterik, die altarabischen Elemente und später auch die Gnosis – sie alle verweisen wieder auf die die Isma¯ ¯ılı¯ya auszeichnende und das gesamte Lehrgebäude tragende Figur des Imam. Auch die autonom operierenden Zellen der Da¯ ¯ıs erhielten ihre Legitimität und ihre Autorität vom Imam. Die Figur des Imam ist so konstruiert, dass sie sowohl auf theoretisch abstrakter wie auch auf der Ebene der Gemeindebindung als Zentrum und Kristallisationspunkt der verschiedenen Gestalten der Isma¯ ¯ılı¯ya fungiert. In ihr werden die verschiedenen theologischen Konzepte, aber auch die Interessen der unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen gebündelt. ˘

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5.4.2. Frühe Isma¯ ¯ılı¯ya als „esoterische Erlösungsreligion“?

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Die Erkenntnisse, die aus der Untersuchung eines einzelnen Textes, bei dem zudem weder Autor noch Abfassungsdatum und -ort zweifelsfrei festgestellt werden können, gewonnen werden konnten, müssen natürlich unter Vorbehalt betrachtet werden. Sie gestatten aber als Blitzlicht eine Momentaufnahme, die im weiteren Verlauf durch weitere festzuhaltende Bilder einen Verlauf rekonstruieren lassen. Wie also stellt sich die frühe Isma¯ ¯ılı¯ya vor der Gründung des Fatimidenreichs dar? Was sind ihre herausragenden Merkmale und wie geht sie mit den Inkonsistenzen ihrer Weltsicht vor dem Hintergrund ihrer soziopolitischen Situation um? Nach der historischen Analyse und der Präzisierung der Terminologie wird noch einmal zusammengefasst, was die Theologie der frühen Isma¯ ¯ılı¯ya kennzeichnet, um diese Essenz der Lehre dann zuerst zu typologisieren und anschließend hinsichtlich ihres Umgangs mit der Rationalität in Relation mit den soziopolitischen Umständen zu betrachten. Nach dem bisherigen Stand stellt sich uns die frühe Isma¯ ¯ılı¯ya in Gestalt des Kita¯b al- a¯lim wa’l-g˙ula¯m also als schiitische Denomination des Islam dar, deren Theologie durch Esoterik bestimmt wird, ohne dabei Einflüsse von Neuplatonismus oder Gnosis aufzuweisen. Die Lehre weist besonders in ihrer Kosmologie ein hohes Maß an islamischen wie nichtislamischen Einflüssen auf, die in einer Art Kunstmythos oder sekundärer Mythologie miteinander verarbeitet sind. Diese Form der Textverarbeitung ist sowohl Ausweis der souveränen Intellektualität ihrer ˘

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562 Hamdani, A. (1976): Evolution of the Organisational Structure, S. 86.

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5. Die präfatimidische Epoche

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Produzenten als auch gleichzeitig ein attraktives Identifikationsangebot an die Anhänger der verschiedenen, auch volksnahen Ideen und Vorstellungen in städtischen wie ländlichen Milieus. Die Erwartung der Gläubigen richtet sich dabei keineswegs auf ein fernes Ziel mit unklarer Umsetzung. Stattdessen wird die Wiederkehr des Mahdı¯-Imam und mit ihm die Errichtung der göttlichen Ordnung innerhalb der eigenen Lebensspanne erwartet. Der gesamte Grundzug der Lehre ist entsprechend politisch revolutionär. Können wir für die frühe, präfatimidische Isma¯ ¯ılı¯ya von Erlösungsreligiosität sprechen? Entsprechend den vorhergehenden Kapiteln der Arbeit orientiert sich diese Fragestellung an der Begriffsentwicklung Max Webers563 und wird mit einem „Ja – aber“ beschieden. „Eine Erlösungsreligiosität entwickeln sozial privilegierte Schichten eines Volkes normalerweise dann am nachhaltigsten, wenn sie entmilitarisiert und von der Möglichkeit oder vom Interesse an politischer Betätigung ausgeschlossen sind. Daher tritt sie typischerweise dann auf, wenn die, sei es adligen, sei es bürgerlich herrschenden Schichten entweder durch eine bürokratisch-militärische Einheitsstaatsgewalt entwickelt und entpolitisiert worden sind, oder sich selbst aus irgendwelchen Gründen davon zurückgezogen haben, wenn also die Entwicklung ihrer intellektuellen Bildung in ihren letzten gedanklichen und psychologischen inneren Konsequenzen für sie an Bedeutung über ihre praktische Betätigung in der äußeren diesseitigen Welt das Übergewicht gewonnen hat.“564 – Deprivation, heißt aktiver oder passiver Verlust von politischen Einflussmöglichkeiten, Intellektualität, die Sinnfrage an das Dasein, eine Differenzierung der diesseitigen äußeren Welt von der inneren und die Bevorzugung der Innerlichkeit. Sämtliche hier aufgezählten Punkte treffen auf die Isma¯ ¯ılı¯ya zu. Darüber hinaus kommen aus der Beschreibung der frühen Isma¯ ¯ılı¯ya noch die Esoterik und die ausgedehnte Praxis ˘

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563 Vgl. dazu Hanke (2001): Erlösungsreligionen. Wie so oft ist aber auch dieser Begriff bei Weber stark an den jeweiligen Kontexten orientiert: „Die Begriffsverwendung bei Weber ist jedoch nicht statisch, sondern selbst einem Wandel unterworfen“ (ebd., S. 210). Wenn Weber auch benennen kann, wovon und wozu (Weber [1988=1920d]: Einleitung, S. 252) und auch wie (ders. [1988=1921c]: Hinduismus und Buddhismus, S. 220 f) erlöst werden soll, gibt es nirgendwo eine Definition des Begriffs „Erlösungsreligion“, so wie er ja auch „Religion“ unbestimmt lässt, vgl. (Weber (2001): Religiöse Gemeinschaften, S. 121. 564 Ebd., S. 269.

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5.4. Zur Wechselwirkung von Politik und Theologie

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der sekundären Mythologie hinzu, die in der Praxis die oben genannten Aspekte noch bestärken. Lediglich der politische Impetus der Naherwartung des Mahdı¯-Imam passt nicht in das Bild von Webers Erlösungsreligiosität. Nach Weber liegt der Erlösungsreligiosität ein dauerhaftes und prinzipielles Spannungsverhältnis zugrunde. Weber nennt drei darauf mögliche Reaktionen: 1. die Errichtung eines Gottesstaats, 2. die Anpassung der Weltsicht oder 3. die Bearbeitung der unvollkommenen Menschennatur. Die Isma¯ ¯ılı¯ya wählte für ihr frühes Stadium, vor dem Ausbleiben des Mahdı¯ und der Errichtung des göttlichen Reiches, die erste Option, die Errichtung einer Theokratie, – wenn auch nur als antizipierten Erwartungshorizont. Die Erlösungsreligiosität ist bei Weber immer auch das Ergebnis der Sinnsuche der Intellektuellen, die den Kosmos als geordnet sinnvoll erleben wollen.565 Er verknüpft die Sinnsuche mit seiner Geschichte der Rationalität. Die innerweltliche Lösung für die Spannung zwischen Sollen und Sein, wie die Isma¯ ¯ılı¯ya sie in ihrem frühen Stadium anstrebte, muss er daher aus seiner Religionssystematik ausschließen.566 Dass dieser Ausschluss Webers einem einseitigen Rationalismusbegriff geschuldet ist, habe ich in Kapitel 3 kritisiert und daraufhin einen alternativen Zugang entwickelt. Das prinzipielle Problem des Begriffs „Erlösungsreligion“ kann mit Blick auf die Geschichte des Rationalismusbegriffs aber nicht gelöst werden. Aufgrund der Bedeutungsvielfalt hat Colpe den Begriff für wissenschaftssprachlich untauglich befunden.567 Weder „Erlösung“ noch „Religion“ seien geeignet die Vieldeutigkeit des Determinativkompositums einzuschränken. Colpe erkennt aber an, dass es unvermeidbar und zulässig ist, aufgrund der „Von-Her und Auf-Hin-Grundverhältnisse das verallgemeinernde Interpretament ,Erlösung‘ zu setzen“568. Da es bei der Analyse der Isma¯ ¯ılı¯ya auch nicht um Religionstypologie569 im komparatistischen Sinne geht, sondern um den Versuch die internen Dynamiken zu erfassen, halte ich am Begriff der Erlösungsreligiosität fest. Denn die Problematik der Sinnzuschreibung anhand eines religiösen Modells spielt sich bei der Isma¯ ¯ılı¯ya von ihrem Anfang im Spannungsverhältnis des ,wovon‘ und ,wozu‘ in Konflikt mit den empirischen Gegebenheiten ab. Die zentralen Fragen dieser wissenschaftlichen Abhandlung konzen˘

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Hanke (2001): Erlösungsreligionen, S. 217. Vgl. ebd., S. 215. Art. Erlösungsreligion, HrwG, Bd. 2, S. 323 – 329. Ebd., S. 328. Art. Religionstypologie, HrwG, Bd. 4, S. 425 – 434.

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5. Die präfatimidische Epoche

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trieren sich deshalb darauf zu analysieren, wie die Isma¯ ¯ılı¯ya mit dieser Spannung umgeht und wie sie sich dauerhaft darin einrichtet.

6. Die fatimidische Epoche „Nichts aber ist einer messianischen Bewegung tçdlicher als der Erfolg.“ (Ess: Chiliastische Erwartungen, S. 55)

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Nachdem im vorangegangenen Kapitel mit den Anfängen der Isma¯ ¯ılı¯ya die präfatimidische Periode behandelt wurde, wird im Folgenden die Politik und Theologie des Fatimidenreiches selbst Gegenstand der Untersuchung sein. Im Vergleich zum Zustand der isma¯ ¯ılitischen Gemeinschaft vor der Etablierung des neuen Reiches hatten sich nun nahezu alle Umstände geändert: Aus der geheimen und minoritären Gemeinschaft wurde eine Gesellschaft, die sich selbst bestimmte und Herrschaft über andere ausübte. Nur die Vorhersage, dass sich der Mahdı¯ entbergen und offen zutage treten sollte, verband die neue Situation der Gemeinschaft mit den alten Erwartungen und Vorhersagungen. Doch über das Faktum des Entbergens hinaus tat sich ein herber Spalt zwischen den messianischen Erwartungen und den tatsächlichen Ereignissen auf. Beginnend mit der Person, die als Mahdı¯ auftrat und das Imamat für sich beanspruchte, hatte der gesamte Prozess zur Einsetzung der göttlichen Ordnung keineswegs den endgültigen und abschließenden Charakter, wie man es sich bislang in den endzeitlichen Hoffnungen ersehnt hatte. Statt des Reiches Gottes etablierten die Fatimiden mittels der in Marokko missionierten und rekrutierten Kuta¯ma-Heere ihr Reich, zunächst in Nordafrika, dann über weite Teile des südlichen Mittelmeerraums und auf der Arabischen Halbinsel.570 Im Jahre 973 verlegte der vierte Fatimiden-Kalif Abu¯ Tamı¯n al-Mu izz seinen Sitz nach Kairo. Von hier aus fungierte der offen hervorgetretene Imam in dem nun vom Geheimbund zum Staat avancierten Gemeinwesen sowohl als spiritueller wie auch als weltlicher Führer. Der dunkel markierte Raum zeigt die Ausdehnung, die das Fatimidenreich in der zweiten Hälfte des 10. Jahrhunderts zur Regierungszeit ˘

570 Für einen kurzen und präzisen Überblick: Daftary (1998a): A Short History of the Ismailis, S. 63 – 119; detaillierter zu einzelnen Themen wie je: Halm (1991): Das Reich des Mahdi u. ders. (2003): Die Kalifen von Kairo. Ebenso, wenn auch mit anderer Fragestellung: Brett (2001): The rise of the Fatimids; vgl. zu dieser Publikation auch die Rezension von Madelung (2002): (Rez.).

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6. Die fatimidische Epoche

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des Imam al-’Azı¯z (975 – 996) erreichte. Diese ist umso bemerkenswerter, wenn man bedenkt, dass sich der isma¯ ¯ılitische Imam nur knapp 80 Jahre zuvor noch in wilder Flucht vor den abbasidischen Verfolgern unter falscher Identität verbergen musste. Wenngleich dieser Erfolg wahrlich sagenhaft war, so blieb er hinter den hohen Erwartungen des real eintretenden eschatologischen Reiches dennoch zurück, ging es doch nicht um die Errichtung eines irdischen Staates, sondern um nicht weniger als um eine Zeit unmittelbarer Gottesherrschaft. Die Abweichungen von den alten Prophezeiungen mussten dabei ebenso erklärt werden, wie die real eingetretenen Ereignisse in die isma¯ ¯ılitische Heilsgeschichte integriert werden mussten. Hierzu waren, das liegt auf der Hand, verschiedene Adaptionen, vor allem auf Seiten der Theologie nötig. Auch das Fortbestehen des Abbasidenreiches war ein dauerhafter Stachel, zeigte es doch nur allzudeutlich, dass die Feinde der Isma¯ ¯ıliten noch immer ungestraft blieben. Aus religionssystematischer Perspektive sind in dieser Phase der Isma¯ ¯ılı¯ya zwei Ereignisse von besonderer Bedeutung: erstens die Inkarnation des Mahdı¯-Imam mit der Errichtung des fatimidischen Reiches und zweitens die Parusieverzögerung in Gestalt der dauerhaften Etablierung des Fatimidenstaats. Mit Letzterem hing außerdem das Ausbleiben der Endzeit zusammen, woraus wiederum zwingend zunächst die Weitergabe und schließlich die schrittweise Aufgabe des unmittelbaren „Erlöser-Amtes“ resultierten. Die Isma¯ ¯ılı¯ya entwickelte sich vom millenaristischen Bekenntnis einer verfolgten Minderheit zur verstetigten Religion der Herrschenden. Die isma¯ ¯ılitische Theologie musste auf diese fundamental neuen Umstände in der Situation der Gemeinschaft adäquat reagieren. Die durch die Inkarnation des Mahdı¯ auftretenden Turbulenzen sollten durch verschiedene, später wieder revidierte Änderungen in der Genealogie der Imame eingedämmt werden, während das unmittelbare Ausbleiben der Endzeit durch die Integration einer Stufenfolge in die sich nun schrittweise vollziehende und damit paradoxerweise verstetigte Endzeit ausgeglichen werden sollte. Entsprechend wurde, wenn auch mit einiger zeitlicher Verzögerung, das diesem gesamten heilsgeschichtlichen Prozess zugrundliegende kosmologische Modell hierarchisch ausdifferenziert. Durch die Reform der Kosmologie wurde Gott dem direkten Schöpfungsgeschehen entrückt und die Figur des Imam fand gemäß ihrer Mehrstufigkeit ihren Platz innerhalb der neuen, jetzt neuplatonischen Schöpfungsordnung. ˘

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6. Die fatimidische Epoche

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Wieder, wie auch schon in der vorfatimidischen Epoche, zeigt sich dabei die große intellektuelle Fähigkeit der Isma¯ ¯ılı¯ya darin, dass sie sich aus dem reichhaltigen religionsphilosophischen Fundus ihrer Zeit bedient, ohne dabei ihre Identität aufzugeben: „The Isma¯ ¯ılı¯ doctrine did not borrow indiscriminately but rather selected what it found congenial to its basic convictions and amalgamated it into a coherent synthesis of its own.“571 In den Kapiteln zur prä- und postfatimidischen Periode wurde je eine zentrale Schrift zur Erläuterung zentraler Elemente der Lehre vorgestellt, um diese mit der Ereignisgeschichte zu korrelieren. In diesem Kapitel zum Fatimidenreich selbst wird dieses Prinzip zugunsten einer breiteren Quellenlage aufgegeben. Die Manifestation des fatimidischen Reiches brachte im Vergleich zu den Phasen danach und davor so viel mehr an Material hervor, dass eine punktuelle Betrachtung der Fülle an Material nicht gerecht wird. Außerdem kann der Umwandlungsprozess von einer verfolgten messianischen Gemeinschaft zur kontinentübergreifenden Dynastie nicht auf eine Schrift oder die Lebensspanne eines Autors oder Regenten reduziert werden. Und weiter zeigt es sich, dass einige der prominentesten Protagonisten unter mehreren aufeinander folgenden Imamen gedient haben. Daher wird der Aufbau des Kapitels an den für die Systematik relevanten Kategorien chronologisch orientiert und Autoren, Biographien und Texte werden diesen untergeordnet. Musste für die beiden anderen historischen Kapitel (Kap. 5 u. 7) unter der Prämisse des religionssystematischen Ansatzes die Auswahl des historischen Materials schon stark limitiert werden, so gilt dies für das mittlere Kapitel (Kap. 7) mit dem vergleichsweise langen Zeitabschnitt und den verschiedenen Protagonisten umso mehr. Die detaillierte Analyse von Primärtexten wie dem Kita¯b al- a¯lim wa’l-g˙ula¯m tritt daher gegenüber der übersichtsartigen Darstellung und der Verwendung von modernen Studien zurück.572 Dennoch bleiben die inhaltlichen Schwerpunkte die gleichen wie in den anderen Kapiteln. Die Geschichte der Etablierung und Verfestigung des Reiches wird gemeinsam mit den Veränderungen in Kosmogonie und ˘

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571 Madelung (1985c): Aspects of Isma¯ ¯ılı¯ Theology, S. 54. 572 Anders als im Neuplatonismus bedeutet zunehmende Ferne zum Ursprung – hier zu den Primärtexten – in der Erforschung der Isma¯ ¯ılı¯ya keinen Qualitätsverlust. In seiner Monographie zu den Quellen der fatimidischen Geschichte bescheinigt Paul E. Walker den modernen Studien – den sogenannten Sekundärtexten – keineswegs weniger Qualität oder Verlässlichkeit als die arabischsprachigen Primärtexte zu haben (ders. [2002]: Exploring an Islamic Empire, S. 93 f u. 186ff).

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6.1. Das Imamat des Abdalla¯h al-Mahdı¯

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Imamatslehre betrachtet, wobei die Imamatslehre ebenfalls wieder weitgehend auf die kosmische Position des Imam und seine eschatologischen Funktion reduziert wird. Von diesem Punkt ausgehend sind nicht alle Imam-Kalifen gleich interessant. Lediglich jene, unter denen bedeutsame doktrinäre Änderungen vollzogen wurden, werden nachfolgend dargestellt. Zunächst ist natürlich das Auftreten und die Regierungszeit des elften isma¯ ¯ılitischen Imam und ersten fatimidischen Kalifen Abdalla¯h al-Mahdı¯ (297/909 – 322/934) von größter Bedeutung. In ihm inkarnierte sich um den Preis einer geänderten Genealogie die endzeitliche Figur des Mahdı¯ – eine Neuerung, die zur Abspaltung der Bahrain-Qarmaten führte. Er er˙ ˙ richtete die erste, nordafrikanische Etappe des Fatimidenreiches. Die beiden Imame al-Qa¯ im bi-Amr Alla¯h (322/934 – 334/946) und alMansu¯r bi- lla¯h (334/946 – 341/953) waren dagegen auf doktrinärer Seite ˙ zu wenig prägend, um im Folgenden von Bedeutung zu sein. Erst mit dem 14. Imam und vierten Kalifen al-Mu izz li-Dı¯n Alla¯h (341/953 – 365/975) und dessen Umzug nach Kairo (362/973) vollzogen sich wieder theologisch tiefgreifende Wandlungen wie die Wiederherstellung der alten Genealogie und die Integration des Neuplatonismus in die isma¯ ¯ılitische Lehre. Danach haben wir erst nach al- Azı¯z bi- lla¯h (365/ 975 – 386/996) mit al-Ha¯kim bi-Amr Alla¯h (386/996 – 411/1021) wie˙ mit theologisch interessanten Aktivitäten. An der einen Imam-Kalifen dieser Stelle, in der Blütezeit des Fatimidenreichs, soll die Untersuchung dann wieder enden, um zu abschließenden religionssystematischen Überlegungen zurückzukehren. ˘

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6.1. Das Imamat des Abdalla¯h al-Mahdı¯ Regierungszeit (297/909 – 322/934)

6.1.1. Die genealogische Neuerung und der Abfall der Qarmaten ˙ ˘

Schon der Entbergung des Mahdı¯-Imam und ersten fatimidischen Kalifen Abdalla¯h gingen einige interne Wirrungen voraus. Denn bis zu dessen Offenbarung gegenüber den qarmatischen Gemeinden im Jahr 286/899, dass er selbst in der Nachfolge seines˙ Onkels der erwartete Mahdı¯ sei, war es innerhalb der isma¯ ¯ılitischen Gemeinde Konsens, der Wiederkehrende ˇ a far al-Sa¯diqs Enkel Muhammad ibn Isma¯ ¯ıl. Zur Zeit von Abdalla¯hs sei G ˙ ˙ ˘

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6. Die fatimidische Epoche

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Auftreten gab es eine Vielzahl, heute kaum noch nachvollziehbarer Splittergruppen und -grüppchen, die dieser und jener Erbfolge anhingen. Eine Gemengelage, die sich erst durch die o. g. Ereignisse nach der Korrespondenz zwischen Abdalla¯h al-Mahdı¯ und Hamda¯n Qarmat ˙ ˙ langsam auflöste.573 Nachdem Abdalla¯h al-Mahdı¯ 286/899 im syrischen Salamya die Nachfolge seines Vorgängers und Onkels Abu¯ Alı¯ Muhammad Abu¯’lSˇalag˙lag˙ angetreten hatte, bemerkte Hamda¯n Qarmat˙, der populäre ˙ ˙ Veränderung Führer einiger östlicher isma¯ ¯ılitischer Gemeinschaften, eine in Vokabular und Duktus der Korrespondenz und entsandte seinen Schwager Abda¯n zur Klärung. Entgegen der alten Lehre, dass sie nur die ˇ a far alhugˇgˇas des erwarteten Mahdı¯-Imam Muhammad ibn Isma¯ ¯ıl ibn G ˙ ˙ Sa¯diq seien, enthüllte Abdalla¯h (al-Mahdı¯) nun, der auch unter dem ˙ Namen Sa ¯ıd firmierte, dass er selbst der Erwartete sei. Die östlichen Diözesen waren jedoch nicht gewillt, diesen gravierenden Wechsel in der Doktrin mitzumachen. Sie ließen auch das Argument nicht gelten, der wahre Imam der Zeit habe sich aus Sicherheitsgründen nicht zeigen können. Stattdessen hielten sie am Imamat des Muhammad ibn Isma¯ ¯ıl ˙ fest. Auch ein aus Ta¯leqa¯n in Dailam entsandter Da¯ ¯ı vermochte nicht, sie ˙ umzustimmen. Die allgemein nach dem populärsten Werber Hamda¯n Qarmat als Qarmaten bezeichneten Gemeinschaften im Irak ˙und in ˙ Bahrain˙ sowie die Mehrheit der iranischen Gruppen spalteten sich von der˙ fatimidischen Bewegung ab und kehrten nie wieder zu ihr zurück. Hamda¯n Qarmat und Abda¯n verschwanden bzw. wurden umgebracht. ˙ Halm resümiert:˙ „Das Hervortreten des Mahdı¯ stürzte also die Da wa in eine schwere ideologische Krise und spaltetet sie für immer. ,Qarmatische‘ und ,fatimidische‘ Isma¯ ¯ıliten-Gemeinden standen sich von nun an ˙unversöhnlich gegenüber“.574 Während die anderen dissidenten Gemeinschaften zerfielen, entwickelte der kleine Qarmaten-Staat in Bahrain nach einigen Jahren der ˙ Bis er 470/1077 sein Ende ˙ Ruhe eine enorme kriegerische Aktivität. fand, terrorisierten die Bahrain-Qarmaten die Arabische Halbinsel und ˙ Mesopotamien, plünderten˙ die Pilgerkarawanen, überfielen Kufa und ˘

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573 Hamdani, S. (2006): Between Revolution and State, S. 2 ff. 574 Halm (1991): Das Reich des Mahdi, S. 67. – Zu einer sowohl detaillierteren wie auch breiteren Darstellung der Qarmaten und ihrer Beziehungen zu den Fati˙ miden vgl. Ivanow (1940): Ismailis and Qarmatians; Stern (1983): Studies in early Isma¯ ¯ılism, S. 289 – 298 u. Madelung (1996a): The Fatimids and the Qarmat¯ıs of ˙ Bahrayn. ˙

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6.1. Das Imamat des Abdalla¯h al-Mahdı¯

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Basra und 317/930 sogar Mekka, von wo sie den Schwarzen Stein der Kaaba entführten und erst 339/951 gegen ein hohes Lösegeld zurückgaben.575 Von den Lehren der Qarmaten ist wenig bekannt, außer einer hohen Affinität zu antinomistischem ˙und endzeitlichem Gedankengut, das sich 316/928 in Bahrain für einige Jahre in der Ernennung zum Mahdı¯ ˙ Knaben entlud. Die Knabenherrschaft währte und der Apotheose eines aber nur wenige Jahre und der junge Mann wurde als falscher Mahdı¯ entlarvt. Schrecken und Beschämung über den Irrtum der fälschlichen Erhebung war erheblich und führte zur Trennung der Qarmaten in Irak ˙ und Bahrain.576 Der˙ nun neu als Imam angetretene Abdalla¯h hatte tatsächlich einen fundamentalen Wechsel vollzogen.577 Statt weiter dem verschwundenen Muhammad ibn Isma¯ ¯ıl anzuhängen, wurde das Imamat nach der neuen ˙ von Muhammad ibn Isma¯ ¯ıl an seinen als Abdalla¯h al-Akbar beLesart ˙ kannten Sohn weitergegeben. Dessen Sohn Ahmad hatte wiederum zwei ˙ Söhne: Abdalla¯hs Vater al-Husain (gest. ca. 268/881) und seinen Onkel ˙ ˇ ¯ Abu¯ Alı¯ Muhammad Abu¯’l-Salag˙lag˙ (gest. 286/899), in deren Linie nun Abdalla¯h das˙Amt des Mahdı¯-Imam für sich beanspruchte. Muhammad ˙ ˇ a far hätten im Übrigen selbst ibn Isma¯ ¯ıl und sein Vater Isma¯ ¯ıl ibn G nie Anspruch auf das Imamat gehabt, da statt Isma¯ ¯ıl sein Bruder Abdalla¯h ibn ˇ a far al-Sa¯diq rechtmäßiger Imam gewesen wäre. Die echte Imamsfolge G sei durch˙ ein System esoterischer Decknamen verborgen gewesen.578 Alles in allem war die Abstammung Abdalla¯hs und damit die Legitimität seines Imamats ständiger Grund zu Spekulationen. Um diesen zu begegnen und wohl auch um sich selbst ein wenig aus der Schusslinie zu bringen, ernannte er kurz nach seinen ersten militärischen Erfolgen in Nordafrika seinen Nachfolger.579 Die von Abdalla¯h vorgestellte Genealogie wurde allerdings von den späteren fatimidischen Imamen wieder zugunsten des alten Modells verworfen. Spätestens seit Imam al-Mu izz ˇ a fars Linie wieder anerkannt wurde. Daran knüpfte galt, dass Isma¯ ¯ıl ibn G ˘

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575 Zur Klage über den Angriff von 317/930 vgl. Bosworth (1972): Sanawbarı¯’s ˙ elegy on the pilgrims. 576 Daftary (1998a): A Short History of the Ismailis, S. 45 – 48; Halm (1991): Das Reich des Mahdi, S. 64 – 66 u. 225 – 236; Art. Karmat¯ı, EI2, Bd. 4, S. 660 ff. ˙ 577 Zur Namensgebung und Genealogie und ihrer˙ Bedeutung vgl. auch Halm (1991): Das Reich des Mahdi, S. 144 – 148. 578 Vgl. Hamdani, A. (1983): A re-examination of al-Mahdı¯’s letter. 579 Madelung (1961): Das Imamat, S. 65 – 80.

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6. Die fatimidische Epoche

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man als Kompromiss auch al-Mahdı¯s Herkunft an, über die zwischenˇ a fars konstruiert worden war.580 zeitlich die Nachfolge Abdalla¯h ibn G 6.1.2. Flucht aus Salamya und die Eroberung Nordafrikas

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Doch es waren nicht die abtrünnigen, sondern ausgerechnet seine treuesten Anhänger aus derselben Region, die den Imam in höchste Bedrängnis brachten.581 So wie die Qarmaten an der Echtheit des Mahdı¯˙ sehr überzeugt, dass sie das Imam zweifelten, waren andere davon so öffentliche Auftreten des Mahdı¯ herbeizwingen wollten.582 Die Söhne des Da¯ ¯ı Zikrawaih ibn Mihrawaih, besonders al-Husain, auch genannt ,der Mann mit dem Muttermal‘, und Abu¯’l-Qa¯sim˙ Yahya¯, genannt ,der Mann mit der Kamelstute‘, missionierten 289/902 so erfolgreich unter den Beduinen Syriens, dass sie den offenen Krieg gegen Damaskus wagten und auch die Identität und den Aufenthaltsort von Abdalla¯h al-Mahdı¯ in Salamya aufdeckten. Nach der Eroberung des syrischen Hims ließen sie ˙ ˙583 Dieser sogar Münzen im Namen des Abdalla¯h al-Mahdı¯ prägen. konnte sich nach seiner wohl kaum mit ihm abgesprochenen Entbergung nur knapp vor den abbasidischen Häschern erst ins palästinensische alRamla und 291/904 nach Ägypten retten. Doch der Aufstand der Eilfertigen in Syrien währte nur bis er 291/903 durch Truppen aus Baghdad zerschlagen wurde.584 Als mögliche Ziele der weiteren Flucht boten sich vom ägyptischen al-Fusta¯t aus entweder Nordafrika oder der Jemen an. In beiden Re˙ gionen˙ waren die Da¯ ¯ıs des Mahdı¯-Imam erfolgreich gewesen und hatten ihrem Führer auch während der Irritationen um die Erbfolgeänderung und die explodierende Naherwartung die Treue gehalten. Die Ent˘

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580 Hamdani, A. (1983): A re-examination of al-Mahdı¯’s letter, S. 195. 581 Die wichtigste Primärquelle, auf die sich auch alle weiteren Arbeiten beziehen, ist wieder Qa¯d¯ı al-Nu ma¯ns Iftita¯h al-da wa wa ibtida¯ al-dawla, inzwischen mehrfach ˙ ˙ und herausgegeben neu aufgelegt von Wadad Kadi (Beirut 1970), Farhad Dachraoui (Tunis 1975) und Arif Tamir (Beirut 1997). 582 Vgl. Halm (1991): Das Reich des Mahdi, S. 68 ff. 583 Als Grundlage der entsprechenden Kapitel in Halms „Das Reich des Mahdi“ vgl. ders. (1979): Die Söhne Zikrawaihs. Halm berichtet hier auch von der ersten Nennung der Bezeichnung Fa¯timı¯yu¯n (Fatimiden), dort aber noch nicht für das ˙ Herrscherhaus, sondern als Selbstbezeichnung der Anhänger. Der Grund für diese Namensgebung bleibt Spekulation (ebd., S. 35 u. ebenso ders. [1991]: Das Reich des Mahdi, S. 71). 584 Ebd., S. 73 – 92.

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6.1. Das Imamat des Abdalla¯h al-Mahdı¯

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scheidung, im Jahr 292/905 statt in den Jemen nach Nordafrika weiterzuziehen, hatte Abdalla¯h erst im letzten Moment getroffen und verkündet.585 Der Jemen war ein zivilisiertes, arabisch-muslimisches Land und zu jener Zeit vollständig unter der Kontrolle der beiden isma¯ ¯ılitischen Da¯ ¯ıs Ibn Hausˇab Mansu¯r al-Yaman und A¯lı¯ ibn al-Fadl, während ˙ ¯ Abdalla¯h˙al-Sˇ¯ı ¯ı im noch kaum arabisierten ˙ Maghreb der Missionar Abu nur die Eroberung der Stadt al-Mı¯la¯ vorweisen konnte. Dennoch erscheint Abdalla¯hs Entscheidung, die Begründung seines Reiches vom Maghreb aus zu versuchen, plausibel, bedenkt man, dass es im Jemen mit den Zaiditen und Yufriden starke lokale Rivalen gab und auch der abbasidische Einfluss erheblich war. Letztlich war der Streit zwischen Ibn Hausˇab Mansu¯r al-Yaman und A¯lı¯ ibn al-Fadl über die weitere Vorge˙ ˙ hensweise bereits entbrannt. Dagegen bargen˙ die maghrebinischen Kuta¯ma höheres militärisches Potenzial in einem zersplitterten und durch die Ag˙labiden nur ungenügend kontrollierten Land.586 Die Wahl des Imam, nach Ifrı¯qiya zu gehen, sollte sich als die richtige herausstellen. ˇ a far Nach dem Verschwinden des Imam Muhammad ibn Isma¯ ¯ıl ibn G ˙ wird die erste Phase der al-Sa¯diq in der Mitte des 2./8. Jahrhunderts ˙ Verbergung (istita¯r) mit dem Einzug des Imam Abdalla¯h al-Mahdı¯ in Raqqa¯da 297/910 beendet. Zuvor hatte er sich vier Jahre lang unbemerkt als Händler in Sigˇilma¯sa (heute südöstliches Marokko) verborgen. Unter der Führung des Da¯ ¯ı-Missionars Abu¯ Abdalla¯h al-Sˇ¯ı ¯ı hatten die Kuta¯maHeere bis dahin das Reich der Ag˙labiden erobert, inklusive deren Hauptstadt Raqqa¯da im heutigen Tunesien. Bei seiner Leitung der Kuta¯ma konnte Abu¯ Abdalla¯h neben dem Versprechen reicher Beute vor allem durch Anstand und Moral beeindrucken. So erwarb er Autorität und regte zur Nachahmung an.587 Neben der Schwäche der Ag˙labiden waren es verschiedene populäre Maßnahmen, die Abu¯ Abdalla¯hs Ruf mehrten: so z. B. die Rückgabe unrechtmäßig erworbener Steuern, die strikte Einhaltung des islamischen Rechts sowie die weitgehende Verhinderung von Plünderungen bei der friedlichen Kapitulation einer Stadt.588 Berichtet man aber von derlei hehren Taten, darf man nicht vergessen, dass dabei vor allem der unmittelbare materielle Vorteil im ˘

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Ebd., S. 89. Jiwa (1986): The Initial Destruction of the Fatimid Caliphate. Vgl. Hamdani, S. (2006): Between Revolution and State, S. 7 f. Ebd., S. 19. – Die Missionierung und Leitung der Kuta¯ma darf man sich wohl als einen ähnlichen Prozess wie die Implementierung der Zaidı¯ya im Jemen zur ungefähr gleichen Zeit vorstellen. Vgl. dazu: Wachowski (2004): Sa¯da in San a¯ , ˙ S. 65 – 70.

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6. Die fatimidische Epoche

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Vordergrund stand: „Die Kuta¯ma, ohne deren militärisches Potential der Mahdı¯-Staat nicht hätte errichtet werden können, waren die eigentlichen Nutznießer des neuen Regimes; das fatimidische Kalifat in Nordafrika war nichts anderes als die religiös legitimierte Hegemonie der Kuta¯ma über die anderen Berbervölker und die Städte des Maghreb.“589 Nachdem Abu¯ Abdalla¯h al-Sˇ¯ı ¯ı also seine Macht in Ifrı¯qiya gesichert hatte, zog er mit einem Heer nach Sigˇilma¯sa, wo der Imam und sein Sohn von dem lokalen Fürsten auch bereits wieder unter Hausarrest gestellt worden waren. Abu¯ Abdalla¯h befreite seinen Herrn, und zum ersten Mal trat dieser als Kalif mit dem vollen Namen Abu¯ Muhammad Abdalla¯h alMahdı¯ bi- lla¯h auf. Nach dreimonatiger Reise hielt˙ Abdalla¯h al-Mahdı¯ am 21. Rabı¯ II 297/5. Januar 910 seinen triumphalen Einzug in die Stadt Raqqa¯da, die ihm bis zum Umzug nach al-Mahdı¯ya 308/921 als Regierungssitz dienen sollte.590 ˘

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6.1.3. Da wa und Daula: Hindernisse bei der Errichtung des Reiches ˘

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Als Kopf eines jungen Staates sah sich Abdalla¯h al-Mahdı¯ mit völlig neuen Aufgaben konfrontiert. So wie er den Erwartungen seiner Anhänger und der für ihn kämpfenden Kuta¯ma als Mahdı¯-Imam gerecht werden musste, galt es auch, das Staatswesen mit all seiner Verwaltung und Jurisdiktion zu führen.591 Da es sich bei der Mehrzahl seiner neuen Untertanen um Sunniten, Hanafiten und Malikiten, handelte, musste er vor allem die Administration seiner neuen Herrschaft im Austausch mit deren Verwaltungs- und Rechtstraditionen entwickeln.592 Nach der Eroberung von al-Qairawa¯n 297/910 waren der Imam und seine Da¯ ¯ıs zum ersten Mal mit Nicht-Isma¯ ¯ıliten als Untergebenen konfrontiert, wobei von den beiden traditionell ansässigen Rechtsschulen die Malikiten größere Probleme mit der Isma¯ ¯ılı¯ya hatten als die Hana˘

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589 Halm (1991): Das Reich des Mahdi, S. 139. 590 Ebd., S. 121 – 138. 591 Detailliert zeichnet S. Hamdani zunächst die Eroberung Nordafrikas, dann aber vor allem die Auseinandersetzungen mit den Sunniten und die sich daraus entwickelnde, für die nun Herrschenden nötig gewordene, verfassungsförmige exoterische Lehre der frühen Fatimiden nach (dies. [2006]: Between Revolution and State). 592 Der Text Kita¯b al-Munaza¯ra¯t von ibn al-Haitam zeigt in welchem Umfeld sich ¯ Verwaltung entwickelten (Ibn werdendes isma¯ ¯ılitisches˙ Recht und isma¯ ¯ılitische al-Haitam [2001]: The advent of the Fatimids). ¯

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fiten.593 Die alte Konkurrenz zwischen Hanafiten und Malikiten brachte weitere Spannungen für das Verhältnis von Herrschern und Untertanen, wodurch zusätzlich bereits vorhandene Probleme verstärkt wurden, was zu weiteren anti-fatimidischen Ressentiments führte. Erstes Ansinnen der Fatimiden muss es also gewesen sein, die Verwaltung aufrechtzuerhalten und an ihre eigenen Bedürfnisse anpassen.594 In Verwaltung, Steuerwesen sowie den Domänen der Münzherstellung und der Armee beließ Abdalla¯h meist die ideologisch indifferenten Experten und Technokraten, die ihre Ämter schon vor dem Einzug des neuen Herrn ausgeübt hatten. Lediglich stellte er ihnen bei besonders wichtigen staatlichen Einrichtungen Männer seines Vertrauens zur Kontrolle an die Seite, wie z. B. den ihm lang vertrauten Da¯ ¯ı Abu¯ ˇ a far al-Hazarı¯ an der Spitze des Schatzhauses. In Ermangelung eines G ˘ isma¯ ¯ılitischen Rechts war Abdalla¯h zur Improvisation gespezifischen zwungen. Für al-Qairawa¯n ernannte er al-Marwarru¯d¯ı, einen Schiiten ¯ der Ankunft der nicht weiter spezifizierter Denomination, der bereits vor Fatimiden dort lebte, während für die Palaststadt Raqqa¯da der Kuta¯maBerber Aflah ibn Ha¯ru¯n al-Malu¯sı¯ als Oberrichter eingesetzt wurde. Ersterer war˙ kein originärer Isma¯ ¯ılit, letzterer kaum ein Gelehrter.595 Tatsächlich standen in dieser frühen Phase die werdenden isma¯ ¯ılitischen Rechtsgelehrten in engem Austausch mit der hanafitischen Rechtsschule.596 Wie sehr sich die neuen Anforderungen auf theologisch-juristischem Gebiet von den Bedürfnissen der vor-fatimidischen Zeit unterschieden, fasst Hamdani zusammen: „It is clear that the encounters between the two [Isma¯ ¯ıliten und Sunniten; M.W.] involved something of a hermeneutical shift for the da wa, which found it necessary to structure its inquiry around issues and questions of usul al-fiqh and the history of the first Islamic state, as distinct from the more spiritual and esoteric concerns reflected in, say, the Kitab al- alim wa’l-ghulam of Ja far b. Mansur al-Yaman. The need to engage the Sunnis on their own zahiri or exoteric terms, and at the least to establish a way of rendering acceptable the political authority of the Fatimid state, if not to convert their Sunni interlocutors, resulted in re˘

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593 Zu den Quellen über die Anfänge der Fatimiden in Nordafrika und ihren Begegnungen mit den Sunniten, vor allem in Raqqa¯da, vgl. Ibn al-Haitam (2001): ¯ The advent of the Fatimids, S. 41 – 51. 594 Hamdani, S. (2006): Between Revolution and State, S. 24 – 28. 595 Halm (1991): Das Reich des Mahdi, S. 140 – 143. 596 Ibn al-Haitam (2001): The advent of the Fatimids, S. 24 – 31. ¯

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course to a shared discourse characterized by theological and legal argumentation.“597 Doch die neuen Anforderungen an den Imam, der bis dahin vor allem als Händler und Sektenführer in Erscheinung getreten war, gingen weit über die Probleme der Staatsführung hinaus. Mit seiner Person waren Erwartungen verknüpft, denen er nicht gerecht werden konnte. Die Inkarnation und das Erscheinen des Mahdı¯ waren in schiitischer wie in sunnitischer Tradition mit einer Vielzahl von eschatologischen Zeichen verknüpft. Dazu zählten Aufruhr, Bürgerkriege, Himmelserscheinungen, Sonnenfinsternisse, Kometen und die Sonne sollte im Westen aufgehen. Der Mahdı¯ selbst sollte ein Jüngling sein, mit einem Zeichen zwischen seinen Schulterblättern und mit ihm sollte der rasche Sieg über seine Widersacher kommen. Er sollte Wunder wirken und das Reich Gottes in Gerechtigkeit und Überfluss errichten.598 Das war eine enorme Herausforderung. In Anbetracht der offenkundigen Differenzen zwischen der Prophezeiung und den tatsächlich eingetretenen Ereignissen musste der Imam-Kalif Abdalla¯h al-Mahdı¯ diesen Erwartungen entgegentreten und der Hoffnung auf ihre wortwörtliche Erfüllung eine Anpassung widerfahren lassen.599 Schon vom Vorabend der fatimidischen Revolution an gibt es die beiden für sich je extremen Reaktionen auf die Inkarnation der endzeitlichen Figur des Mahdı¯. Während die Qarmaten sie ablehnten, affirmierten Zikrawaih und seine Söhne sie so sehr,˙ dass sie des Mahdı¯s Unterfangen mit ihrem übereilten Eifer fast vereitelt hätten. Doch auch mit den Anfängen des Reiches, dem offenen Hervortreten des Mahdı¯Imam Abdalla¯h und den neuen Segenswünschen nach der Freitagspredigt waren die überschießenden oder enttäuschten Erwartungen noch nicht gestillt. So gab es bereits im ersten Jahr seiner Regentschaft Zweifel am neuen Mahdı¯-Imam, denn gegenüber den Prophezeiungen war Abdalla¯h alMahdı¯ zu alt, er wirkte keine Wunder und niemand hatte das für den Mahdı¯ prophezeite Mal auf seinem Rücken gesehen. Auch seine offensichtliche Vorliebe für Luxus erregte Argwohn bei den Kuta¯ma und ˘

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597 Hamdani, S. (2006): Between Revolution and State, S. 46. 598 Halm (1991): Das Reich des Mahdi, S. 149. 599 Hamdani, S. (2006): Between Revolution and State, S. 35 f.

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6.1. Das Imamat des Abdalla¯h al-Mahdı¯

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ihrem Führer des Mahdı¯s Da¯ ¯ı Abu¯ Abdalla¯h.600 Neben den beiden Da¯ ¯ıs Abu¯ Abdalla¯h al-Sˇ¯ı ¯ı und seinem Bruder Abu¯’l- Abba¯s fungierten vor allem die Kuta¯ma-Fürsten als Triebfeder des Aufstandes gegen Abdalla¯h al-Mahdı¯. Für sie, die sowieso neben der religiösen insbesondere eine stark materielle Motivation hatten, war das tatsächliche Erscheinen des Mahdı¯ mit einem Machtverlust verbunden. Während die möglichen Gründe für den Da¯ ¯ı Abu¯ Abdalla¯h al-Sˇ¯ı ¯ı nicht genau eruiert werden können, bleibt es unwahrscheinlich, dass sein ebenfalls ermordeter Bruder Abu¯’l- Abba¯s tatsächlich gegen den Mahdı¯ revoltierte.601 Der Unmut der Kuta¯ma entlud sich in einer Sitzung, in der die Gruppe um Abu¯’l- Abba¯s von Abdalla¯h einen Beweis forderte. Als dieser sich weigerte, einen Nachweis zu liefern, reifte der Entschluss, ihn zu beseitigen. Durch Verrat aus den eigenen Reihen wurde die Verschwörung derer, die al-Mahdı¯ an die Macht gebracht hatten, verraten und vereitelt. Abdalla¯h al-Mahdı¯ ließ mehrere Kuta¯ma-Führer von seinem Hof entfernen, und die führenden Kräfte des Umsturzes Abu¯ Abdalla¯h al-Sˇ¯ı ¯ı, Abu¯’l- Abba¯s und deren Vertrauten, den Kuta¯ma-Fürsten Abu¯ Za¯kı¯ Tamma¯m ermorden.602 Auch der zweite Aufstand gegen den Mahdı¯-Imam kam wieder aus den Reihen der Kuta¯ma. Diese betrachteten nämlich die eroberten Regionen und Städte als ihre legitime Kriegsbeute, weil sie sich durch Abdalla¯h al-Mahdı¯s Sicherheitsgarantien für die Städte um ihr vermeintliches Recht zum Plündern betrogen fühlten. Auf der anderen Seite standen aber die angestammte Bevölkerung, die lokalen Stämme und stärker noch die gebildeten Städter den Kuta¯ma so ablehnend gegenüber, dass deren selbstherrliches Benehmen zu ständigen Konflikten führte. Diese Spannungen entluden sich 299/912 in al-Qairawa¯n in einem Gemetzel im Su¯q, bei dem 700 Kuta¯ma getötet worden sein sollen. AlMahdı¯ beließ es bei einer Ermahnung und einer Geldstrafe, was die Kuta¯ma entsetzte und einige von ihren Stämmen schließlich veranlasste, einen eigenen Mahdı¯ auszurufen und die Fatimiden anzugreifen. Daraufhin entsandte Abdalla¯h al-Mahdı¯ ein Heer aus treuen Kuta¯ma unter der Führung seines frisch zum Nachfolger berufenen Sohnes Abu¯ Qa¯sim. Dieser schlug in zwei Feldzügen 299/912 nach Ikgˇa¯n und im nachfolgenden Winter 300/913 in Tripolis die Aufständischen nieder. Nach der ˘

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600 Halm (1991): Das Reich des Mahdi, S. 148 ff. – Ein gutes Stimmungsbild der Motivationen und Hoffnungen der Kuta¯ma zeichnet Nagel, Frühe Isma¯ ¯ılı¯ya und Fatimiden im Lichte der Risa¯lat Iftita¯h ad-Da wa, S. 65 ff. 601 Ibn al-Haitam (2001): The advent of ˙the Fatimids, S. 31 – 37. ¯ Das Reich des Mahdi, S. 153 – 156. 602 Halm (1991): ˘

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öffentlichen Hinrichtung ihres Gegen-Mahdı¯s unterwarfen sich die Aufständischen und fanden erneute Gnade. Beide, sowohl der fatimidische Imam wie auch die Kuta¯ma-Truppen als Herzstück seines Heeres gingen gestärkt aus dem Konflikt hervor.603 Doch noch ein weiteres Mal sollte in Abdalla¯hs Regierungszeit religiöser Überschwang die Massen ergreifen. Die endzeitlichen Erwartungen aufgreifend, hoben die beiden ˙ a¯zı¯ 309/921 in al-Qairawa¯n und Tunis die Häretiker al-Balawı¯ und Ibn G Ritualgebote auf und erklärten Weinkonsum und Schweinefleisch für erlaubt. Al-Mahdı¯ setzte dem schwärmerischen Treiben ein Ende. Dennoch blieb die Aufhebung der Gebote als Zeichen der Endzeit auch nach über zehn Jahren des Imamats in den Köpfen der Anhänger lebendig.604 Nachdem Abdalla¯h erst zu seinem Einzug in Raqqa¯da (297/910) den Titel al-Mahdı¯ bi- lla¯h annahm, ernannte er nur zwei Jahre später, Ende Sˇa ba¯n oder Anfang Ramada¯n 299/April–Anfang Mai 912, seinen Sohn ˙ Abu¯’l-Qa¯sim zum Thronfolger und verlieh ihm den Regierungstitel alQa¯ im. Die Titel von Vater und Sohn, Mahdı¯ und Qa¯ im, waren zuvor noch gleichmäßig für den einen erwarteten Fürsten der Endzeit benutzt worden.605 Die Aufteilung der beiden Bezeichnungen für eine ursprünglich singuläre Figur ist eines der deutlichen Zeichen dafür, dass sich der Herrscher des Fatimidenreiches keineswegs so endzeitlich orientierte, sondern vielmehr eine Verstetigung der Herrschaft im Blick hatte. Gleichzeitig nahm auch der Verweis auf seinen Sohn akut drängenden Erwartungen einiger seiner Anhänger die Spitze. „These subtle changes in designation, genealogical disclosures and the elimination of political and religious opposition helped al-Mahdi to diffuse messianic expectations and consolidate control over his constituency at home and abroad.“606 Doch trotz dieser Maßnahmen waren die ersten vier fatimidischen Imam-Kalifen bis al-Mu izz bei der Konsolidierung ihrer Macht immer wieder aufs Äußerste gefordert.607 ˘

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603 604 605 606 607

Ebd., S. 156 – 162. Ebd., S. 222 – 224. Madelung (1961): Das Imamat, S. 65 f. Hamdani, S. (2006): Between Revolution and State, S. 36. Daftary (1998a): A Short History of the Ismailis, S. 72.

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6.1. Das Imamat des Abdalla¯h al-Mahdı¯

6.1.4. Die Erweiterung der Heptadenfolge

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Für die Argumentation der Arbeit sind die Begegnungen mit den nichtschiitischen Untertanen der Fatimiden zwar von Bedeutung, wie aber die Entwicklungen in der Jurisdiktion zeigen, vor allem eine Frage exoterischer Theologie. Die esoterischen Gehalte, wie die auch oben schon ausgeführten Fragen zur Genealogie waren vornehmlich innerisma¯ ¯ılitische Diskussionen. Nach den Ausführungen zur äußerlichen Adaption isma¯ ¯ılitischer Lehre an die neue Situation wollen wir uns jetzt wieder den mehr esoterischen Gehalten der Doktrin und den Spannungen zuwenden, die aus der Inkarnation des Mahdı¯ entstanden waren. Die oben vorgestellten Neuerungen in der Genealogie und die schnelle Weitergabe und gleichzeitige Aufsplittung der Erlöserfigur zwischen Abdalla¯h und seinem Sohn al-Qa¯ im bi-Amr Alla¯h verweisen auf das generelle Problem der Parusie, ihrer Verzögerung und den Versuch des Imam, die auftretenden Konflikte abzufangen. Die Reform der Genealogie war nämlich keineswegs ausreichend, um den Problemen um die Inkarnation des Messias in den Fatimiden-Kalifen gerecht zu werden. Abdalla¯h sah sich jenseits der genealogischen Legitimität seiner Erscheinung als Mahdı¯ mit zwei weiteren Problemen konfrontiert. Zunächst bestand die Unstimmigkeit, dass er gemäß der alten Zählung eben nicht der siebte Imam nach dem Propheten Muhammad war. Schwerer ˙ das Ende der Welt in wog aber noch das Ausbleiben der Prophetien für kosmischen wie persönlichen Wundern und der Errichtung der Gottesordnung (s. o.). Für beide Probleme nimmt Abdalla¯h Zuflucht zu einem Kunstgriff in der Interpretation der oben bereits eingeführten Imamheptade von Sprecherprophet zu Sprecherprophet. Von dieser Problemlösung erfahren wir zum ersten Mal in den Briefen ˇ a far ibn Mansu¯r al-Yaman berichtet von einem des Abdalla¯h al-Mahdı¯. G Brief bzw. zwei Briefen des Abdalla¯h˙ al-Mahdı¯ an seine jemenitische Gemeinde, die er in seinem Buch Kita¯b fara¯ id wa hudu¯d al-dı¯n aus dem ˙ ˙ 608 Gedächtnis vermutlich erst 25 Jahre später zusammenfasst. Die Datierung des Briefes oder der Briefe von al-Mahdı¯ an die Jemeniten ist nicht ˇ a far ibn Mansu¯r al-Yaman schreibt, der Brief sei nach ganz eindeutig. G ˙ ya 308/920 verfasst worden. Abbas al-Mahdı¯s Ankunft in al-Mahdı ¯ ˘

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608 Erstmals von H. Hamdani (ders. [1958]: On the genealogy of Fatimid caliphs) publiziert, wurde die Passage über den Brief des Abdalla¯h noch einmal untersucht von A. Hamdani und François De Blois (dies. [1983]: A re-examination of alMahdı¯’s letter).

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6. Die fatimidische Epoche

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Hamdani und Wilferd Madelung bezweifeln das aber und vermuten einen ˇ a fars, wonach er stattdessen nach al-Mahdı¯s Ankunft in Raqqa¯da Irrtum G 297/910, also über zehn Jahre früher, geschrieben wurde.609 Beiden erscheint es unwahrscheinlich, dass Abdalla¯h al-Mahdı¯ zehn Jahre gewartet haben dürfte, bis er seine Gemeinde im Jemen informiert habe. Der Übersetzung von A. Hamdani und De Blois ist zu entnehmen, wie der Imam berichtet, dass der Mahdı¯ in der Zeit zwischen dem Propheten Muhammad und dem Herrn der Auferstehung kommt.610 ˙ Und die alte Heptade von Sprecherprophet zu Sprecherprophet korrigiert Abdalla¯h dahingehend, dass es sich dabei lediglich um eine Stufenfolge handele, die sich beliebig wiederhole, bis Gott das Erscheinen des na¯tiq wünsche: „But they are seven steps, which succeed one another in the˙ way in which the days [of the week] succeed one another; in them there will be as many imams as God wills, until all of a sudden the speaker appears when God Almighty desires.“611 Abdalla¯h splittet also das Amt des Mahdı¯. Zu der Inkohärenz, dass er nicht der siebte Imam nach dem Propheten Muhammad sei, erklärt er, ˙ sei, sondern eher im dass die Heptade keine singuläre Folge von Imamen Sinne eines Zyklus sich immer wiederhole, bis dann, auf Gottes unerforschlichen Ratschluss hin, schließlich der letzte Mahdı¯, der Herr der Auferstehung, komme. Dessen Kommen werde aber wegen des Gerichts mit großem Schrecken verbunden sein. Man solle sich daher nicht allzu sehr darauf freuen. Fast klingt es, als wolle Abdalla¯h seinen Anhängern mitteilen, sie sollten doch zufrieden sein mit ihm, denn ob sie auch zum Endgericht noch Grund zur Freude hätten, sei kaum gewiss. Abdalla¯h ist also trotz seines Amtstitels al-Mahdı¯ nur einer von mehreren noch kommenden Mahdı¯s. Damit sei auch zu erklären, warum mit Abdalla¯h noch nicht alle Zeichen der Endzeitprophetie eintreten konnten. Er selbst werde als Erster zunächst das Recht zu Gunsten der Prophetenfamilie und ihrer Anhänger wieder herstellen, danach würden noch weitere Mahdı¯s folgen und Gottes Werk vollenden.612 Abdalla¯hs Innovation als neue Interpretation zur Siebenerfolge der Sprecherpropheten wurde auch von allen späteren fatimidischen Imamen übernommen.613 ˘

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609 Ebd., S. 174; Madelung (1961): Das Imamat, S. 81, Fn. 197. 610 Hamdani, A./De Blois (1983): A re-examination of al-Mahdı¯’s letter, S. 178, Satz 45 f. 611 Ebd., S. 178, Satz 53. 612 Madelung (1961): Das Imamat, S. 81 ff. 613 Vgl. Halm (1978): Kosmologie und Heilslehre, S. 10 f. Das heißt jedoch nicht, dass dieser zentrale Punkt der Imamatslehre nicht auch darüber hinaus Gegen-

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Wie schon im Falle der genealogischen Neuerung ist auch diese Reform des Abdalla¯h ungeheuer. Die Endzeit ist gleichzeitig angebrochen und verstetigt. In Abgrenzung zu den Diskussionen um die politische Führerschaft des Imam zwischen den Isma¯ ¯ıliten und der mehrheitlich sunnitischen Bevölkerung hat diese innerisma¯ ¯ılitische Auseinandersetzung die Notwendigkeit des Imam als spirituellen Führer zum Gegenstand.614 Er führt gleichzeitig die Endzeit herbei und interpretiert sie. Die von Abdalla¯h vorgenommenen Reformen, sowohl die Anpassung der Genealogie wie auch die Neuinterpretation der Heptade der Sprecherpropheten in der Imamatslehre mögen einem heutigen Leser möglicherweise ebenso fremd wie unbedeutend vorkommen. Aus isma¯ ¯ılitischer Perspektive der damaligen Zeit jedoch bedeutete die neue Lehre eine Revolution des innersten Kerns des schiitischen Dogmas: „Sie war, soviel läßt sich wohl sagen, staatspolitisch weise, ja unumgänglich, wenn die isma¯ ¯ılitische Lehre jemals tatsächlich zur Staatsreligion erhoben werden sollte.“615 Resignierend fügt Madelung aber auch an, dass sich die Isma¯ ¯ıliten mit dieser Doktrin von der muslimischen Gemeinschaft ausschlossen und auch innerhalb des Fatimidenreichs nur eine Geheimsekte bleiben konnten. ˘ ˘

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6.2. Das Imamat des al-Mu izz li-Dı¯n Alla¯h Regierungszeit (341/953 – 365/975) 6.2.1. Die äußere Gestalt der Reichswerdung

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Nach dem Auftreten des ersten Fatimidenimam al-Mahdı¯ und dessen Reichsgründung, zunächst begrenzt als Lokalmacht in Nordafrika, waren dessen Nachfolger bis zur Regierungszeit des vierten Fatimiden Kalifen al-Mu izz li-Dı¯n Alla¯h (341/953 – 365/975) vor allem mit der Sicherung ihrer Macht im Maghreb beschäftigt. Das Ziel blieb die Expansion nach Osten, zunächst nach Ägypten, dann rückte aber Baghdad in den Fokus, der Sitz der Abbasiden. Tatsächlich scheiterten die Versuche, Stabilität zu stand weiterer Kontroversen gewesen ist. Im Gegenteil gab es weiterhin eine lebhafte und kontroverse Diskussion über die Details dieser neuen Lehre (vgl. Hollenberg [2006]: Interpretation after the End of Days, S. 268ff). 614 Hamdani, S. (2006): Between Revolution and State, S. 34 – 36. 615 Madelung (1961): Das Imamat, S. 86.

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erreichen oder gar zu expandieren bis zur Zeit des al-Mu izz. Die militärisch unsichere Lage hatte zur Folge, dass nicht nur die Errichtung eines regelrechten Staatsapparates verzögert wurde, sondern auch, dass in Gemeinden von Anhängern der Fatimiden mit deren Lehren völlig unvereinbare Anschauungen fortleben konnten.616 Also blieben nach den ersten Jahren drei grundlegende Aufgaben bestehen: Zunächst musste das neue Reich militärisch stabilisiert werden; anschließend galt es, die Herrschaft der Fatimiden in Gesetzen und Verwaltung vor allem gegenüber der mehrheitlich sunnitischen Bevölkerung durchzusetzen und um Vertrauen zu werben; schließlich mussten die inneren theologischen Spannungen ausgeglichen werden. Dabei waren nicht nur die eschatologischen Erwartungen zu dämpfen und zu kanalisieren, sondern auch weitere, das gesamte kosmologische System betreffende konfligierende Meinungen mussten eingebunden werden, wollte man nicht, wie im Falle der Qarmaten, weitere Teile der Gemeinde verlieren. ˙ Um diese Vorhaben in ihrem historischen Kontext verstehen zu können, wird im Folgenden in groben Zügen die damalige Militär- und Siedlungsgeschichte nachgezeichnet. Ein besonderes Augenmerk muss dabei auf die Bestrebungen des sich entwickelnden Staatskörpers gelegt werden, der durch den Aufbau eines Rechtswesens, eines höfischen Protokolls sowie durch die sukzessive Vermittlung der isma¯ ¯ılitischen Ideenwelt an Schiiten wie Sunniten zugleich die neue Orientierung der Isma¯ ¯ılı¯ya zeigt. Nach der erfolgreichen Missionierung unter dem Banner des Messias galt es nun, die diesseitige Herrschaft als Verstetigung der Endzeit zu etablieren. ˘

6.2.1.1. Geschichtlicher Überblick

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Nach seinem ersten Regierungssitz in Raqqa¯da617 übersiedelte al-Mahdı¯ 308/921 in die neu ausgebaute Hafenstadt al-Mahdı¯ya im heutigen Tunesien.618 Doch auch mit der Übersiedelung wollten sich die militärischen Erfolge nicht einstellen. Die Feldzüge von al-Mahdı¯s Sohn, dem designiertem Nachfolger al-Qa¯ im, in Richtung Ägypten blieben alle erfolglos. Das Regnum des zweiten Imam-Kalifen al-Qa¯ im, der nach dem Tod seines Vaters 322/934 offiziell inthronisiert wurde, blieb durch 616 Ebd., S. 101. 617 Für eine knappe Übersicht über die Ereignisse vgl. Daftary (1998a): A Short History of the Ismailis, S. 68 – 81; für eine umfassendere und detailreichere Darstellung vgl. erneut Halm (1991): Das Reich des Mahdi. 618 Daftary (1998a): A Short History of the Ismailis, S. 74.

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6.2. Das Imamat des al-Mu izz li-Dı¯n Alla¯h

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die Vielzahl lokaler Aufstände jedoch instabil. Insbesondere der Ha¯rigˇit ˘ Abu¯ Yazı¯d Mahlad ibn Kaida¯d stellte eine für das Fatimidenreich äußerst ˘ ernste Bedrohung dar. Unter seiner Führung gelang es nordafrikanischen Berberstämmen, das gesamte zuvor von den Fatimiden besetzte Gebiet zurück zu erobern und sogar die Hauptstadt al-Mahdı¯ya wurde für mehrere Monate belagert.619 Auf dem Gipfel der Revolte starb schließlich der Imam al-Qa¯ im und sein Sohn Abu¯ Ta¯hir Isma¯ ¯ıl übernahm 334/946 ˙ llah die bedrohte Herrschaft. unter dem Regierungstitel al-Mansu¯r bi¯ ˙ Einzig durch den Seeweg war es letztlich möglich, die Blockade zu durchbrechen und der Eroberung zu entgehen. 336/947 gelang es alMansu¯r schließlich, den Aufstand endgültig niederzuschlagen. Nur ein ˙ Jahr später verlegte er 337/948 ein weiteres Mal den Sitz der Fatimiden, diesmal nach der neu erbauten und nach ihm benannten Stadt al-Mansu¯rı¯ya.620 ˙ Al-Mansurs Sohn sollte es dann 358/969 gelingen, Ägypten zu er¯ ˙ ohne einen einzigen Schwertstreich. Nach al-Mansu¯rs obern und dies Tod 341/953 regiert sein Nachfolger Abu¯ Tamı¯m Ma add al-Mu izz˙ liDı¯n Alla¯h bis 356/975. Nach dem Scheitern sämtlicher militärischer Bestrebungen waren es letztendlich innerägyptische Querelen, die alFusta¯t derart destabilisierten, dass es angeraten schien, die Fatimiden als ˙˙ ordnende Macht selbst ins Land zu holen. Gebeten die Herrschaft zu übernehmen, entsandte al-Mu izz 358/969 seine Armee unter dem beˇ auhar.621 rühmten General G ˇ auhar schlug sein Lager außerhalb von al-Fusta¯t auf und regierte vier G ˙ ˙izz in al-Mansu¯rı¯ya Jahre als Vizekönig in Ägypten, während al-Mu ˙ verblieb. Militärische Expansionen nach Syrien und Palästina waren hingegen immer nur mit kurzem Erfolg gesegnet. Wie auch schon in ˇ auhar in Ägypten den Löwenanteil der Verwaltung in Nordafrika beließ G alten Händen. Die Ägypter bekamen aber teilweise Kuta¯mas als Aufpasser an die Seite gestellt. Ganz wie es bisher auch Staatspolitik gewesen war, wurden die Bewohner Ägyptens nie gezwungen, zum neuen Glauben überzutreten. Die meisten blieben bis über die Zeit der Fatimiden hinaus schafiitische Sunniten. ˇ auhar eine neue Stadt mit Im Auftrag von al-Mu izz errichtete G Namen „al-Qa¯hira al-Mu izzı¯ya“ (die Siegreiche des al-Mu izz). Mit der Übersiedelung des Imam al-Mu izz und seiner ganzen Familie, den ˘

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619 Madelung (1961): Das Imamat, S. 80. 620 Daftary (1998a): A Short History of the Ismailis, S. 75. 621 Ebd., S. 79.

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6. Die fatimidische Epoche

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Notablen, den Kuta¯ma-Fürsten, dem fatimidischen Thronschatz und vor allem mit dem Richter und Autor al-Nu ma¯n an seiner Seite endete die nordafrikanische Periode (297/909 – 362/973) der Fatimiden. Al-Mu izz regierte nur noch zwei Jahre in seiner neuen Stadt al-Qa¯hira, dann starb er 365/975.622 ˘

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6.2.1.2. Da wa und Daula: die Institutionalisierung des Reichs als Recht und höfisches Ritual

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Die Eroberung Nordafrikas und Ägyptens sowie die mehrfache Verlegung der Hauptstadt schließlich bis nach Kairo beschreiben den Übergang von einer messianistischen Revolutionsbewegung zur Etablierung eines neuen Reiches. Neben dieser militärischen Entwicklung war langfristig wesentlich relevanter, dass damit die institutionelle Transformation einer in geheimen Zellen operierenden Organisation zu einem Staatswesen mit einem Rechtskorpus, höfischem Zeremoniell und Institutionen einherging, um den Untertanen die tragenden Ideen zur Legitimierung der Herrschaft zu vermitteln. Die zentrale Person in diesem Transformationsprozess ist al-Qa¯d¯ı al-Nu ma¯n. Er gestaltete fast ˙ im Alleingang die durch die neue Situation unabdingbar wichtig gewordenen Bereiche: Recht, Geschichtsschreibung und Verhältnis von Souverän und Volk.623 Damit formulierte er eine Art Verfassung und gab den Isma¯ ¯ıliten nicht weniger als ein neues Selbstverständnis. Isma¯ ¯ılitisches Recht ist untrennbar mit dem Namen al-Qa¯d¯ı Abu¯ ˙ alHanı¯fa al-Nu ma¯n ibn Muhammad ibn Mansu¯r al-Tamı¯mı¯ oder kurz ˙ Sein persönlicher ˙ dı al-Nu man verbunden. ˙ Aufstieg ist eng verknüpft Qa ¯ ¯ ¯ ˙ mit dem Aufstieg der Fatimiden von einer nordafrikanischen Regionalmacht zu einem Reich. Begonnen hatte al-Qa¯d¯ı al-Nu ma¯n unter dem Imam al-Mahdı¯ als ˙ Sammler und Kopist von Büchern, stieg aber bereits 334/946 unter alMansu¯r, dem Nachfolger seines Sohnes al-Qa¯ im, zum Obersten Richter (qa¯d¯ı˙al-quda¯t) auf, um unter al-Mu izz den Höhepunkt seines Schaffens zu ˙ ˙ erreichen.624 Auch die Leitung der offenen juristischen sowie der esoterischen Lehrsitzungen der Isma¯ ¯ıliten unterlag seiner Obhut. Neben ˇ a far ibn Mansu¯r al-Yaman, der sich aber mehr der allegorischen InG ˙ terpretation widmete, ist al-Qa¯d¯ı al-Nu ma¯n neben den Imamen die ˙ ˘ ˘

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622 Ebd., S. 81. 623 Vgl. Hamdani, S. (2006): Between Revolution and State. 624 Halm (1991): Das Reich des Mahdi, S. 328.

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6.2. Das Imamat des al-Mu izz li-Dı¯n Alla¯h

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zentrale Figur bei der Institutionalisierung des fatimidischen Staates. „When al-Mu izz acceded to the throne in 341/953, al-Qadi al-Nu man reached the zenith of his career as not only supreme judge of the Fatimid domains, but also the head of the mazalim and in charge of the majalis alhikma. He was also the imam’s friend and confidant.“625 Ebenso hatten auch seine Söhne und Enkel wichtige Positionen als Juristen am Hof inne. Al-Qa¯d¯ı al-Nu ma¯n muss ein unermüdlicher Arbeiter gewesen sein. ˙ Denn neben seinem reichhaltigen literarischen Wirken, allein 62 Werke unter seinem Namen, bestellte und kontrollierte er als Oberster Richter die Gerichte, er predigte an den hohen Feiertagen, dozierte in der Moschee über isma¯ ¯ılitisches Recht und auch die esoterischen Lehrsitzungen der Eingeweihten unterstanden seiner Leitung.626 Nachdem bereits unter den ersten qa¯d¯ı al-quda¯t unter al-Mahdı¯ die ˙ hatte, betonte auch Entwicklung eines isma¯ ¯ılitischen Rechts ˙begonnen die fatimidische Theologie unter al-Mu izz die Untrennbarkeit von esoterischer und exoterischer Lehre.627 Mit dieser Richtlinie, die nicht übertreten werden durfte, sollte allen antinomistischen Tendenzen die Grundlage entzogen werden. Eine Diskussion über die Legitimität weltlichen Rechts war das Letzte, was ein im Entstehen begriffenes Staatswesen gebrauchen konnte. Neben der Abwehr der endzeitlich antinomistischen Ideen war das Verhältnis gegenüber der sunnitischen Mehrheitsbevölkerung ein weiterer zentraler Punkt in der Entwicklung eines Rechtskorpus. Al-Nu ma¯ns Die Sulen des Islam, Da a¯ im al-isla¯m,628 verfasst zur Zeit des al-Mu izz, ist das letzte Werk einer Serie von juristischen Werken und eine Art summa seines Wirkens.629 Die Intention dieses Buches war es, entstehendes isma¯ ¯ılitisches Recht in maximaler Konformität mit dem anderer Rechtsschulen des Islam erscheinen zu lassen. So war es die Rolle des Imam, wie sie im Da a¯ im al-isla¯m dargestellt wird, historisch wie theologisch alle muslimischen Denominationen zu vertreten, einschließlich der sunnitischen Mehrheit in Ägypten. „[T]he Da a im focused on the ruling Fatimid imam as the guarantor of law and a just society in this world.“630 Mit dieser Stoßrichtung konnten zum einen ˘

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Hamdani, S. (2006): Between Revolution and State, S. 50. Halm (1991): Das Reich des Mahdi, S. 329 f. Daftary (1998a): A Short History of the Ismailis, S. 76. Zu den Ursprüngen des isma¯ ¯ılitischen Rechts in Al-Nu ma¯ns Da a¯ im al-isla¯m vgl.: Strothmann (1954): Recht der Isma¯ ¯ıliten, S. 131 – 146; Madelung (1985b): The Sources of Isma¯ ¯ılı¯ law, S. 29 – 40. 629 Hamdani, S. (2006): Between Revolution and State, S. 51. 630 Ebd., S. 132. ˘

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6. Die fatimidische Epoche

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antinomistische Tendenzen abgewehrt und zum anderen auch der nichtisma¯ ¯ılitischen Bevölkerungsmehrheit ein legitimes Staatsoberhaupt angeboten werden. Die Figur des Imam war, wie auch schon zu den Anfängen der Isma¯ ¯ılı¯ya, das verbindende Element zwischen Exoterik und Esoterik. Die erste der sieben von al-Nu ma¯n ausgearbeiteten Säulen behandelt das Thema der wala¯ya, die Gefolgschaft gegenüber dem Imam. Sie ist das Fundament und der Schlüssel zum Verständnis des gesamten Rechtssystems.631 Beide, Glaube (ı¯ma¯n) und Gefolgschaft (wala¯ya), hängen für al-Nu ma¯n auf das Engste zusammen und bilden das Zentrum seiner Imamatslehre.632 Es zeigt sich aber, dass gegenüber der zuvor rein esoterischen Imamatslehre nun eine exoterische Argumentation im Vordergrund steht, die die Bedürfnisse aller Adressaten befriedigen musste, Isma¯ ¯ıliten, Imamiten und Sunniten. Entsprechend lässt sich die neue staatstragende Rolle der Imamatslehre auch daran ablesen, dass sie im Vergleich zu den 12er Schiiten, der Imamı¯ya, wo sie meist als Teil der Theologie verstanden, jetzt im fiqh, der Rechtswissenschaft, verhandelt wird. Ein lebender und herrschender Imam war nicht mehr nur eine rein kosmologisch-eschatologische Notwendigkeit, sondern ab diesem Zeitpunkt verbürgte der Imam staatliche Autorität.633 War das Recht und seine Akzeptanz bei der heterogenen Bevölkerung auch von zentraler praktischer Bedeutung und sozusagen das Rückgrat des Staates, so bedurfte es auch einer darüber hinausgehenden Selbstdarstellung in Historiographie, äußerem Erscheinungsbild und der Vermittlung der staatlichen Ideologie. Auch hier ist al-Qa¯d¯ı al-Nu ma¯n ˙ des neuen wieder der Autor der Transformation und der Begründer Selbstverständnisses. Wie mit der isma¯ ¯ılitischen Theologie, in den Da a¯ im al-isla¯m, so schuf al-Nu ma¯n auch mit seiner isma¯ ¯ılitischen Historiographie, allen anderen Texten voran das Iftita¯h al-da wa, die Grundlagen zur ˙ in einer ausgewogenen MiLegitimität des fatimidischen Reiches, stets schung zwischen isma¯ ¯ılitisch-schiitischen Prinzipien und sunnitischen Traditionen.634 Neben den Regelungen zum legalen Umgang zwischen den Untertanen verschiedener Herkunft und einem historischen Narrativ, das den Fatimiden einen herausragenden Platz in der Geschichte des Islam einräumte, bedurften die fatimidischen Imam-Kalifen wie auch ihre ˘

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Qa¯d¯ı an-Nu ma¯n/Pu¯nwa¯la¯ (Hg.) (2002–): The pillars of Islam, S. XXXXI. ˙ Hamdani, S. (2006): Between Revolution and State, S. 64 – 72. Ebd., S. 51 ff. Ebd., S. 93 – 111.

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6.2. Das Imamat des al-Mu izz li-Dı¯n Alla¯h

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sunnitischen Vorgänger eines höfischen Protokolls, das das Verhältnis von Herrscher und Untertanen adäquat darzustellen vermochte. Auch hier verlangten wieder die komplexen Beziehungen zwischen der herrschenden schiitischen Minderheit und der großen nicht-isma¯ ¯ılitischen Bevölkerung, dass einerseits das Imamat in seiner zentralen Rolle für die Isma¯ ¯ıliten gewahrt blieb, anderseits der Bruch für die Nicht-Schiiten nicht allzu eklatant wurde. Außer in den bekannten Da a¯ im al-isla¯m äußert sich al-Nu ma¯n hierzu speziell in seinem Kita¯b al-himma fı¯ a¯da¯b atba¯ ala imma. Sämtliche Argumentationen im Kita¯b al-himma kreisen immer wieder um die isma¯ ¯ılitische Imamatslehre und die zentrale Rolle eines lebenden Imam. So wird der stetige Rückgriff auf die Da a¯ im al-isla¯m verständlich, die ganz auf der in den ersten beiden Kapiteln ausgebreiteten Imamatslehre fußen. Al-Nu ma¯n schlägt dabei die Brücke von der Theologie zum Verwaltungsrecht und verbindet die herausgehobene religiöse Stellung des Imam mit dessen Privilegien auf Steuer- und Abgabenerhebung. Neben einer Binnendifferenzierung der Muslime in mu minu¯n (den Gläubigen im Sinne der Isma¯ ¯ılı¯ya) und muslimu¯n (den muslimischen Nicht-Isma¯ ¯ıliten) wird auch die Stellung der Juden und Christen gegenüber dem Imam festgeschrieben. Ebenso wird das höfische Zeremoniell und Protokoll in allen Facetten vorgegeben und im isma¯ ¯ılitischen Sinne interpretiert. So ist als Beispiel – anders als in allen andern Denominationen des Islam – die Prostration, die Niederwerfung, vor dem Imam ausdrücklich geboten. Sie bedeutet allerdings nicht dessen Vergöttlichung, sondern gilt als Zeichen der Verehrung – ähnlich, aber unterschieden von der Verehrung Gottes.635 So wie das sich entwickelnde Recht, die Darstellung der Geschichte und die Staatstheorie war auch das höfische Zeremoniell Ausdruck des neuen Selbst- und Staatsverständnisses. Die Selbstdarstellungen der Imame in ihren Höfen, Palästen und Moscheen, aber auch in den Inszenierungen an hohen Feiertagen oder bei Umzügen waren dazu angehalten, integrativ im Sinne des neuen Staatsgebildes zu wirken. Insignien wie Krone oder Schirm galten als Zeichen für den fatimidischen Anspruch auf Autorität. Auch Kairo wurde als neu geschaffene Palaststadt zur Bühne, auf der durch die Gebäude sowie die Route zeremonieller Umzüge eine lingua franca des städtebaulichen Herrschaftsanspruchs geschaffen wurde. Wie auch in allen anderen äußeren Erscheinungsformen ihres jungen Staates waren die Fatimiden darauf bedacht, eine Sprache zu ˘

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entwickeln, die einerseits den Imam und die Gefolgschaft ihm gegenüber als unverrückbares Zentrum der Weltanschauung zeigte, andererseits aber sunnitische Vorstellungen so weit zu integrieren versuchte, dass Spannungen vermieden wurden.636 Auch die Auswahl der Feste, die im Jahreszyklus begangen wurden, zeigt ein vorsichtig austariertes Verhältnis von lokal ägyptischen, allgemein muslimischen und spezifisch isma¯ ¯ılitischen Feierlichkeiten. So war das jährliche Parfümieren des Nilometers eine alte ägyptische Tradition. Während jedoch das Ende des Ramadan und das große Opferfest von allen Muslimen begangen wurde, war ˙die ˙ adı¯r Khumm eine speZeremonie des Jahrestages der Ereignisse von G zifisch fatimidische Innovation. Die Kombination offizieller Feiertage verschiedenen Ursprungs zeigen deutlich die Not der Isma¯ ¯ıliten die nicht-schiitische Mehrheitsbevölkerung einzubinden, ohne dabei den eigenen Führungsanspruch aufzugeben.637 Neben der Regelung juristischer Fragen und der Repräsentation des Imamats in Geschichtsschreibung und höfischem Zeremoniell musste den Imamen an der Vermittlung der isma¯ ¯ılitischen Ideologie gelegen sein. Anders jedoch als beim Recht oder höfischen Zeremoniell bestand hier nicht die Notwendigkeit, die Balance zwischen isma¯ ¯ılitischer Imamatslehre und sunnitischen Traditionen zu wahren. Wie oben schon in der Einteilung der verschiedenen Bevölkerungsgruppen nach Denominationen offenkundig zutage trat, gab es für die Lehrvorträge ein zweigliedriges System. Erste Belege für die sogenannten magˇa¯lis al-hikma (Lehrsitzungen zur Esoterik) finden sich seit Da¯ ¯ı Abu¯ Abdalla¯h ˙al-Sˇ¯ı ¯ı, der diese bei den Kuta¯ma noch vor dem Auftreten des Imam al-Mahdı¯ gehalten hatte.638 Voraussetzung zur Teilnahme an dieser Veranstaltung war die Einweihung in die isma¯ ¯ılitische Lehre, die von einem Eid begleitet wurde. Die Adepten erwarben hierbei das Recht stufenweise in der esoterischen Lehre unterrichtet zu werden und unterwarfen sich zugleich auch strikteren Regeln der Lebensführung.639 Die Form des Lehrdialogs wurde nicht nur dem Grad der Initiation angepasst, sondern auch dem jeweiligen ˘

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636 Sanders (1994): Ritual, politics, and the city in Fatimid Cairo, S. 39 – 82. 637 Die Semiotik städtischer Herrschaftsinszenierung hat Paula Sanders an verschiedenen städtischen Orten sowie in ihrer historischen Entwicklung eindrücklich dargestellt (ebd.). 638 Halm (2001): The Fatimids and their traditions of learning, S. 24; ders. (1991): Das Reich des Mahdi, S. 332. 639 Zu dem oftmals auch beargwöhnten Eid vgl. Halm (1996b): The Isma ili oath of allegiance.

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6.2. Das Imamat des al-Mu izz li-Dı¯n Alla¯h

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Hintergrund der Unterrichteten. So wurde für Beispiele auf die Erfahrungswelt der verschiedenen Geschlechter oder auch auf die aus unterschiedlichen Berufen zurückgegriffen.640 Nach dem Auftreten der Imame wurden die esoterischen Lehrsitzungen (magˇa¯lis al-hikma) meist in den ˙ Räumlichkeiten des Palasts abgehalten. In ihnen wurde neben anderen allegorischen Textinterpretationen auch das Ta wı¯l al-da a¯ im des al-Qa¯d¯ı ˙ al-Nu ma¯n behandelt, die esoterisch-allegorische Interpretation von 641 dessen Rechtstexten, den Da a¯ im al-isla¯m. Für die Vermittlung der exoterischen Lehre der Isma¯ ¯ılı¯ya finden sich erst spätere Belege. Ein regelrechtes Unterrichtszentrum für Recht wurde erst 378/988 unter dem Imam al- Azı¯z (365/975 – 386/996) und dessen Wesir Ya qu¯b ibn Killis neben der Al-Azhar-Moschee errichtet. Diese Sitzungen waren für alle Bewohner Kairos und Gäste geöffnet und sollten der Verbreitung des isma¯ ¯ılitischen fiqh dienen. Eingerichtet wurde die Sitzungen bereits 365/975, damals noch in der Al-Azhar-Moschee642 selbst. Ebenso dürften auch die oben schon genannten Sitzungen des alNu ma¯n im Anschluss an das Freitagsgebet isma¯ ¯ılitisches Recht zum Gegenstand gehabt haben.643 395/1005 wurde schließlich unter dem Imam al-Ha¯kim das da¯r al- ilm (Haus des Wissens), auch genannt da¯r al˙ der Weisheit), innerhalb des Palastes als Akademie mit eihikma (Haus ˙gener Bibliothek gegründet, um dort Koran, Hadithe, die Texttradition des Propheten Muhammad, und fiqh, Recht, aber ebenso Logik, ˙ Astronomie und Mathematik zu lehren und zu Grammatik, Philologie, lernen.644 ˘

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6.2.2. Der Fatimiden-Kalif al-Mu izz li-Dı¯n Alla¯h und der iranische Neuplatonismus

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Nach den ersten Innovationen in der Genealogie und der Weitung der Heptadenfolge nach dem Auftreten des Imam Abdalla¯h al-Mahdı¯ wird die Reform der Doktrin auch unter den folgenden Imamen fortgesetzt. 640 Ders. (2001): The Fatimids and their traditions of learning, S. 27 u. 45 – 49. 641 Ebd., S. 26 – 29. – Zu den Lehrsitzungen unter dem Imam al-Ha¯kim, vgl, ders. (2003): Die Kalifen von Kairo, S. 253 – 257; Daftary (1998a): A˙Short History of the Ismailis, S. 94 – 96. 642 Zur Al-Azhar-Moschee und den dort abgehaltenen Vorträgen zum fiqh vgl. Köhler (1994): Die Wissenschaft unter den ägyptischen Fatimiden, S. 26 – 33. 643 Halm (2001): The Fatimids and their traditions of learning, S. 44 f. 644 Vgl. Daftary (1998a): A Short History of the Ismailis, S. 96.

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6. Die fatimidische Epoche

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Die theologische Innovation, die sich ab der zweiten Hälfte des 4./10. Jahrhunderts vollzog, ist die Auseinandersetzung mit dem und teilweise Übernahme des Neuplatonismus, wie er vor allem in den Gemeinden des Iran lebendig war. Wann aber und unter welchen Umständen hielt neuplatonisches Gedankengut in die isma¯ ¯ılitische Theologie, Kosmologie und Imamatslehre, Einzug? Diesen Fragen wollen wir im nächsten Kapitel nachgehen. 6.2.2.1. Die Begegnung von alter Mythologie und neuer Philosophie ˘

Über das Auftreten der Neoplatonica besteht weitgehende Einigkeit, und zwar sowohl was deren Verwendung innerhalb der fatimidischen Da wa unter der Ägide der Imam-Kalifen angeht, wie auch in den Diözesen des Mutterlands des isma¯ ¯ılitischen Neuplatonismus, im Iran. Lediglich die konkrete Verbindung zwischen beiden konnte noch nicht zweifelsfrei geklärt werden. Offensichtlich war der erste Imam, der sich mit den neuen Ideen auseinandersetzte al-Mu izz li Dı¯n Alla¯h (341/953 – 365/975). Seine Vorgänger waren, wie auch zuvor schon geschildert, anscheinend zu sehr mit der Sicherung der Lage in Nordafrika beschäftigt, um sich mit theologischen Fragen auseinanderzusetzen. Auch band die lokale Instabilität zu viele Kräfte, um sich intensiv um Austausch und Annäherung an die östlichen Gemeinden zu kümmern. Entsprechend heterogen waren die Lehren, die in den Diözesen zwischen Marokko und Zentralasien fortleben konnten.645 Erst mit der Verlegung der Kalifenresidenz von alMahdı¯ya nach al-Qa¯hira, dem heutigen Kairo, konnte sich der Neuplatonismus auch am ˙fatimidischen Hof durchsetzen. Dabei gab es eine Gleichzeitigkeit der als mythologisch bezeichneten älteren Lehre der Isma¯ ¯ılı¯ya und dem nun präsenter werdenden Neuplatonismus. „Während der ganzen nordafrikanischen Epoche des fatimidischen Kalifats fanden die neuplatonischen Spekulationen dort keinen Eingang: die in ˇ a far ibn Mansu¯r al-Yaman Ifrı¯qiya entstandenen Schriften, etwa die des G oder später des Kadi an-Nu ma¯n, sind davon noch völlig frei,˙ während das neue Denken im Osten Irans durch an-Nahˇsabı¯s Schüler und Nachfolger ˘ 646 al-Sigˇista¯nı¯ systematisch vorangetrieben wurde.“ Kompliziert wird diese Einteilung isma¯ ¯ılitischer Theologie durch den Befund von Hollenberg. Er ist zwar auch der Meinung, dass sich die ˘

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645 Madelung (1961): Das Imamat, S. 101. 646 Halm (1991): Das Reich des Mahdi, S. 265.

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6.2. Das Imamat des al-Mu izz li-Dı¯n Alla¯h

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beiden Hofautoren der ersten drei Fatimiden, al-Qa¯d¯ı al-Nu ma¯n und ˙ ˇ a far ibn Mansu¯r al-Yaman, der philosophischen Spekulation G enthielten. ˙ „Despite the fact that al-Mu izz had access to the thought of Neoplatonist thinkers such as al-Sigˇista¯nı¯, al-Qa¯d¯ı al-Nu ma¯n and Ja fa¯r b. Mansu¯r al˙ was ˙ Yaman refrained from the new, philosophically stylized ta wı¯l that popular in Iran. They instead composed ta wı¯l in the same style as the old da wa that is generally referred to Gnostic (descriptions of the origination of the pleroma, cyclical hiero-history, parallels between the supernal world and the administration of the da wa, and letter symbolism).“647 Dennoch attestiert er Neoplatonica im Prolog der Sara¯ ir al-nuta¯qa¯ des ˇ a far ibn Mansu¯r (gest. 348/960) – und damit über zehn Jahre ˙vor dem G ˙ 648 Umzug nach Ägypten. Aber auch in den bereits vorgestellten Texten des Abu¯ ¯Isa¯ al-Mursˇid finden sich sowohl ältere, sogenannte mythologische Elemente, als auch Versatzstücke neuplatonischer Spekulation – selbst wenn daraus kein geschlossenes philosophisches System zu rekonstruieren ist. Und diese ˇ a far ibn Mansu¯rs als offizielle Lehre des müssen genauso wie die Texte G ˙ Imam al-Mu izz aufgefasst werden. Selbst in einem, dem späten al-Qa¯d¯ı ˙ al-Nu ma¯n zugeschriebenen Text, der Risa¯la mudhiba, tauchen Begriffe ¯ neuplatonischer Provenienz in einer eigentümlichen Melange mit älteren Vorstellungen auf.649 Zusammenfassen kann man demnach sagen, dass alle ˇ a far ibn Mansu¯r al-Yaman wie die diese Texte, sowohl der Prolog von G Briefe des Abu¯ I¯sa¯ al-Mursˇid und des al-Qa¯d¯ı al-Nu˙ ma¯n Belege für den ˙ zur Zeit al-Mu izz sind. lebendigen Austausch des fatimidischen Hofes Der Umzug nach Kairo markiert also lediglich eine Zäsur. Er stellt wie die neue Theologie ein Zeichen der neuen Epoche dar, nicht aber ihre Voraussetzung. Diese neue Epoche findet ihren Niederschlag in der Reform des alMu izz, die geprägt wurde durch die Lehren der östlichen isma¯ ¯ılitischen Gemeinden. „Es war al-Mu izz, der die Ideen neuplatonischer Philosophie in die fatimidische Lehre aufnahm.“650 Madelung fasst die Reform, ˘

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647 Hollenberg (2006): Interpretation after the End of Days, S. 30 f. – Hollenberg folgt hier Madelungs Darstellung. Er macht sich darüber hinaus mit der Klassifizierung des „ta wı¯l of the old da wa“ als gnostisch auch dessen Terminologie zu eigen. Damit tritt das bereits bekannte terminologische Problem wieder auf, denn das, was Hollenberg hier auflistet, kann nicht als gnostisch, sondern lediglich als sekundäre esoterische Mythologie bezeichnet werden. 648 Ders. (2006): Interpretation after the End of Days, S. 239 ff. 649 Halm (1978): Kosmologie und Heilslehre, S. 135. 650 Madelung (1961): Das Imamat, S. 112.

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die vor allem Fragen der Genealogie betreffen, gegenüber der Lehre ˇ a far und seines Vorgängers Abdalla¯h wie folgt zusammen: Isma¯ ¯ıl ibn G sein Sohn Muhammad ibn Isma¯ ¯ıl kommen wieder an ihren alten Platz, dadurch wurde˙ al-Mu izz auch zum siebten Imam der zweiten Heptade. Abdalla¯hs Vater wird zum rechtmäßigen Imam ernannt, sein Onkel Muhammad, der faktische Leiter der Da wa, nur zum Vertreter bzw. ˙ Ursupator degradiert. Muhammad ibn Isma¯ ¯ıl bekommt wieder den Rang ˙ Sprechers. Da Muhammad ibn Isma¯ ¯ıl aber des Mahdı¯-Qa¯ im, des siebten ˙ seine Nachfolger die in der Zeit der Verhüllung gekommen war, sollten Handlungen als Verkörperungen seines Prinzips ausführen. Auch wenn sie selbst weder Mahdı¯ noch Qa¯ im sind, wie Abdalla¯h noch behauptet hatte, sind sie ihm im Rang nicht untergeordnet.651 Diese Reform der Lehre bedeutete in mehrfacher Hinsicht, am augenfälligsten aber bei der Einordnung des Muhammad ibn Isma¯ ¯ıl als ˙ der Qarmaten. Und Mahdı¯-Qa¯ im, eine Anpassung an die alten Ideen ˙ östtatsächlich sollte es al-Mu izz gelingen, einen Teil der abgefallenen 652 lichen Gemeinden in das fatimidische Lager zurückzuführen. Durch seine Reformen konnte al-Mu izz die Anhänger in Hura¯sa¯n, Sı¯sta¯n, Makra¯n und Zentralasien gewinnen. Er suchte auch die ˘Annäherung an die militärisch starken Qarmaten.653 Es ist also durchaus kein Zufall, dass ˙ al-Mu izz zu einer Zeit, da er seine Herrschaft in Nordafrika gesichert und Ägypten erobert hatte, nun mithilfe einer Reform der offiziellen Doktrin sich den starken östlichen Gemeinden weiter annähern wollte.654 Entwickelt hatte sich die Integration des Neuplatonismus und die Harmonisierung mit älteren Lehren als die Fatimiden im Westen noch mit der Sorge ums Überleben konfrontiert waren und als Machtfaktor in den inneriranischen Kontroversen zwischen Nasafı¯, Ra¯zı¯ und Sigˇista¯nı¯ noch keine Rolle spielten.655 Entsprechend fanden die beiden ersten Neuplatoniker und Vorgänger des al-Sigˇista¯nı¯ bei al-Mu izz noch keine Gnade. Sowohl Abu¯ Ha¯tim al-Ra¯zı¯ (gest. 322/934) als auch Muhammad al˙ ˇsabı¯, gest. 332/943) erkennt der Imam˙ sowohl die Nasafı¯ (auch al-Nah ˘ Fähigkeit zum Philosophieren ab wie auch die Kenntnis der isma¯ ¯ılitischen Theologie.656 Erst für Abu¯ Ya qu¯b al-Sigˇista¯nı¯ stellen Madelung wie ˘

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Ebd., S. 100 f. Ebd., S. 114. Daftary (1998a): A Short History of the Ismailis, S. 78. Die gleiche Meinung vertritt auch S. Hamdani (dies. [2006]: Between Revolution and State, S. 63). 655 Halm (1978): Kosmologie und Heilslehre, S. 135 ff. 656 Ders. (1991): Das Reich des Mahdi, S. 335.

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Walker eine Annäherung in der Imamatslehre zwischen ihm und alMu izz fest: „Unverkennbar nähert sich Abu¯ Ya qu¯b hier der Reformlehre des al-Mu izz. Die Anklänge sind so stark, daß man eine unmittelbare Abhängigkeit zwischen ihnen annehmen muß. Leider läßt anscheinend nichts in den erhaltenen Teilen von Abu¯ Ya qu¯bs Buch das Datum seiner Abfassung erkennen. Übernahm er hier die neue Lehre des Fatimiden oder war er ihr eigentlicher Schöpfer? Auch wenn manches für die erste Alternative spricht, darf man annehmen, daß al-Mu izz seinerseits bei seiner Reform wesentlich auf der älteren Lehre Abu¯ Ya qu¯bs aufbaute. Sicher ist auch, daß Abu¯ Ya qu¯b, zum mindesten seit der Zeit der Abfassung des Kita¯b itba¯t an-nubu¯wa¯t, die Fatimiden als Imame ¯ al-Nasafı offensichtlich der erste der iraanerkannt hat.“657 Wenn auch ¯ nischen Da¯ ¯ıs war, der die isma¯ ¯ılitische Lehre in neuplatonischem Gewand präsentierte,658 schätzt wenigstens Walker Abu¯ Ya qu¯b al-Sigˇista¯nı¯ als wesentlich bedeutsamer ein. Er stellt ihn in der Wichtigkeit für die Entwicklung der Fatimiden auf eine Stufe mit al-Qa¯d¯ı al-Nu ma¯n.659 Al˙ Sigˇista¯nı¯ war dabei ein exzeptionell orthodoxer Neuplatoniker, dessen zentrale Thesen zum Kernbestand des Neuplatonismus zählen. So transzendiert Gott alles Seiende wie auch das Nicht-Seiende, er ist weder eine Ursache für etwas noch besitzt er Substanz. Der Intellekt als erstes Seiendes kann nicht vervielfältigt werden und die ihm nachfolgende Seele ist von eigenständiger Universalität.660 Welche Auswirkung diese Dogmen auf die Gestalt von Kosmogonie und Imamatslehre hatten, soll nun betrachtet werden. ˘

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6.2.2.2. Isma¯ ¯ılitische Kosmogonie und Imamatslehre im neuplatonischen Gewand Das philosophische Erbe der Griechen war seit Ende des 3./9. Jahrhunderts bekannt. Es wurde aber wenig differenziert wahrgenommen. Die Unterschiede zwischen der Philosophie des Platon und der des Plotin 657 Madelung (1961): Das Imamat, S. 109; ebenso: Walker (1993): Early philosophical Shiism, S. 21 f. – Zum Personal des iranischen Neuplatonismus und vor allem zu al-Sigˇista¯nı¯s Vorgängern und deren Umfeld vgl. ders. (1996): Abu Ya’qub al-Sijistani. Intellectual Missionary, S. 14ff sowie ders. (1993): Early philosophical Shiism, S. 46 – 63. 658 Ebd., S. 55ff; Daftary (1998a): A Short History of the Ismailis, S. 84; Madelung (1961): Das Imamat, S. 102. 659 Walker (1996): Abu Ya’qub al-Sijistani, S. 19. 660 Ders. (1993): Early philosophical Shiism, S. 37.

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und Porphyrios konnten aufgrund mangelnder Kennzeichnung der Autoren nicht auf verschiedene Schulen zurückgeführt werden. Die Rezipienten dieses Erbes waren naturgemäß die intellektuellen und gebildeten Schichten. Gegenüber der Lehre des Aristoteles fanden bei ihnen vor allem Platon und seine Nachfolger Beachtung, weil hier die Idee eines anfänglichen Gottes noch lebendig war. Beherrschend war der Gedanke von Aufstieg und Abstieg. Die neuplatonische Idee einer Weltentstehung in der Gestalt von Emanationen wurde als Lehre einer sich stufenweise entwickelnden Schöpfung rezipiert. Der Prozess der Kosmogonie verlief dabei von Gottes Wort ausgehend in einer Abwärtsbewegung. Entsprechend wurden Soteriologie und Erlösung in der umgekehrten Reihenfolge als Wiederaufstieg und damit erneute Annäherung an Gott gedacht.661 Die Rezeption des Neuplatonismus in der Persischen Schule hatte aber die ältere, stärker am Mythos orientierte Darstellung der Kosmogonie nicht einfach vergessen gemacht. Zwei Aspekte mögen die Aufnahme des Neuplatonismus begünstigt haben. Da ist zunächst das Zweistromland, das seit jeher ein melting pot der Ideengeschichte, eine räumliche Nähe zwischen den Gelehrtenzirkeln erzeugte und damit eine Tradition der Gleichzeitigkeit und des intellektuellen Austauschs begründete. Daneben gab es aber auch eine Affinität zwischen der griechischen Philosophie und der isma¯ ¯ılitischen Theologie, die die weitere Entwicklung und Amalgamierung des Kunstmythos beförderte. Trotz der fortschreitenden Verdrängung der alten, zahlen- und buchstabenmythologischen Elemente blieb die Grundidee der isma¯ ¯ılitischen Kosmogonie erhalten. Die Übernahme der durch die griechische Philosophie beeinflussten Terminologie und der Emanationslehre ließen den neuen Kunstmythos als modernere Form der gleichen Wahrheit erscheinen.662 Al-Sigˇista¯nı¯ ist wie auch alle anderen Neuplatoniker ein Verfechter der absoluten Transzendenz Gottes. Der Mensch hat schlechterdings keine Möglichkeit, etwas über Gott zu erfahren, keine Beschreibung trifft ihn, keine Vorstellung kann ihn fassen. Gott steht in jeder Hinsicht außerhalb aller Schöpfung und allen Seins. Die Theologie al-Sigˇista¯nı¯s ist hart an der Grenze zum Agnostizismus. Und in der Tat gibt es keine Verbindung zwischen Gott und der Schöpfung des Seienden bis auf das Wort kun! (sei!), der aus seinem freien Willen gekommene Befehl.663 ˘

661 Daftary (1998a): A Short History of the Ismailis, S. 81 u. 84 662 Halm (1978): Kosmologie und Heilslehre, S. 135. 663 Walker (1993): Early philosophical Shiism, S. 84.

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ˇ a far ibn Mansu¯r Doch völlig anders als noch in der oben bei von G ˙ vorgestellten Kosmogonie tritt Gott nun völlig vom weiteren Schöpfungsprozess zurück. Einzig sein Wort, kalima, tritt als Mittler zwischen ihn und die Welt. Hier zeigt sich auch der zentrale Unterschied zum ursprünglichen Neuplatonismus. Der Intellekt als erstes Seiendes ist nicht wie bei Plotin aus dem „Einen“ emaniert. Sigˇista¯nı¯ verbindet die alte Mythologie mit der neuen Philosophie, wenn er den Intellekt mit dem ersten aus dem Befehl geschaffenen Namen ku¯nı¯ gleichsetzt. Und aus diesem Ersten – wobei der Befehl kun! selbst noch nicht zählt – entstehen mittels Prädestination die intelligiblen Formen.664 Die Welt des Intellekts ist noch perfekt und ewig, frei von Unvollkommenheit. Die erste Schöpfung des Intellekts durch den Befehl ist durch nichts hervorgebracht worden und auch der Befehl kun! hat keine eigene Vorgängigkeit, sondern ist unerschaffen. Diese Äußerung ist Gottes einzige Tat gewesen, aus der alles Weitere folgen soll. Während der Intellekt noch außerhalb der Zeit, also zeitlos ist und ex nihilo geschaffen wurde, ist alles weitere Seiende aus etwas geschaffen und innerhalb der Zeit. Ab diesem Moment kommt alle weitere Existenz aus etwas, was zuvor bereits existierte.665 Die aus dem Intellekt folgende Emanation ist die Seele. Im Gegensatz zum Intellekt, der potenziell wie aktuell vollkommen ist, ist die Seele nur potenziell vollkommen, tatsächlich aber ist sie mangelhaft. „[I]hre Unvollkommenheit besteht in ihrer relativen Entferntheit vom Schöpfer. Nähe ist also Vollkommenheit, Ferne ist Mangel. Die Entfernung bewirkt, daß sie von ihrem Schöpfer nur mittelbar, eben durch den Intellekt, Kenntnis erlangt.“666 Während der Intellekt in vollem Wissen um den Ursprung kein Begehren kennt, verzehrt sich die Seele nach ihrem Schöpfer und sucht die Nähe zum Intellekt, durch den allein sie Ruhe finden kann. Das Begehren und die Bewegung sind die Stigmata der Unvollkommenheit. Durch ihre Mangelhaftigkeit sinkt die Seele in die körperliche Welt, die durch sie überhaupt erst ermöglicht wird. Materie und Form und aus ihnen wiederum die vier Elementarqualitäten entstehen aus der Seele. Dabei nimmt die Mangelhaftigkeit mit größer werdender Ferne zum Schöpfer zu. Bemerkenswert ist dabei, dass das

664 Halm (1978): Kosmologie und Heilslehre, S. 130 f. 665 Walker (1993): Early philosophical Shiism, S. 83. – Walker legt diesen ersten Akt der Schöpfung in all seiner Kompliziertheit und Verstricktheit dar; vgl. ebd., S. 81 – 86. 666 Halm (1978): Kosmologie und Heilslehre, S. 132.

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6. Die fatimidische Epoche

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Böse, ganz platonisch gedacht, keinen eigenen Status hat, sondern lediglich aus Gottesferne entsteht. Al-Sigˇista¯nı¯s Kosmogonie hat zwei Gesichter. Neben der neuplatonischen Emanationslehre lebt bei ihm auch die ältere Mythologie mit ihrer koranischen Sprache fort. Dabei bleibt die Argumentationsstruktur des Neuplatonismus dominant und die koranischen Termini werden darüber gelegt. Halm beschreibt am Beispiel des Kita¯b al-iftiha¯r, wie dies geschieht und dass die beiden Vorstellungswelten nicht zu ˘völliger Deckung zu bringen sind. „Die älteren Begriffe werden einfach zu Synonymen für Intellekt und Seele oder zu ,äußeren‘ (za¯hir) Namen. So heißt ˙ der Vorangehende, der Intellekt auch Schreibrohr, Thron, der Erste, Qada¯ oder Sonne; für die Seele werden die entsprechenden Gegenstücke ˙ verwendet: Tafel, Schemel, der Zweite, der Folger, Qadar oder Mond.“667 Es wird offensichtlich, dass es sich bei der Beibehaltung der alten Begriffe letztlich nur um eine Art Kosmetik handelt. Die dem Intellekt und der Seele zugeschriebenen Attribute finden jenseits dessen, dass es sich bei Ku¯nı¯ und Qadar ebenfalls um ein Begriffspaar handelt, keine Äquivalente bei den älteren Bezeichnungen. Auch bleibt die alte Buchstaben- und Zahlenmystik auf der Strecke. Der Anknüpfungspunkt, der die beiden Systeme aber generell zueinander anschlussfähig macht, ist das Prinzip der Stufen und Hierarchien. Aber in der Einschätzung dessen, welche Konsequenzen die Kette der Emanationen bzw. Kreationen zur Folge hat, besteht ein fundamentaler Unterschied. In der neuplatonischen Version der isma¯ ¯ılitischen Lehre korrespondiert Ferne vom Ursprung mit zunehmender Mangelhaftigkeit, wo in der alten, präfatimidischen Kosmogonie Gottes Größe und Gegenwart sich noch in jedem Stern und Fluss widerspiegelt. Trotz des gemeinsamen historischen Ursprungs bestanden zu Beginn des Fatimidenreichs erhebliche Differenzen zwischen den iranischen Da¯ ¯ıs und der Leitung der Da wa in Nordafrika. Während die ImamKalifen gerade auftraten, um nach der ersten Anpassung der Genealogie durch Abdalla¯h ihre Ansprüche auf die Leitung der Gemeinschaft durchzusetzen, hielten die Neuplatoniker im Osten gemäß der alten qarmatischen Lehre zunächst noch an der Wiederkehr des Muhammad ˙ dass ˙ ¯ ¯ıl als Mahdı¯ fest. Es ist daher keinesfalls überraschend, ibn Isma Abdalla¯h nicht nur al-Nasafı¯s Lehre vom Mahdı¯-Qa¯ im, sondern auch seine neuplatonischen Spekulationen grundsätzlich ablehnte.668 Neben ˘

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667 Ebd., S. 134. 668 Madelung (1961): Das Imamat, S. 103.

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6.2. Das Imamat des al-Mu izz li-Dı¯n Alla¯h

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al-Nasafı¯s Missbilligung der fatimidischen Imame war auch der bei ihm anklingende Antinomismus Ursache der Ablehnung durch Abdalla¯h. AlNasafı¯ war der Ansicht, Adam habe noch kein Gesetz gebracht und lebte stattdessen die Einheit Gottes ohne Werk. Erst die Anwesenheit anderer Menschen und die Vermischung mit ihnen machte das Gesetz notwendig. Diese Ansicht hatte aber direkte Auswirkungen auf die Mahdı¯-Vorstellungen. Denn wenn es Adam möglich war, Gott ohne ein (Ritual-)Gesetz zu verehren, dann bestand der gleiche Anspruch an den Mahdı¯. Die Aufhebung der Gesetze lag aber, wie im vorangehenden Kapitel ausgeführt, im völligen Widerspruch zu allen Intentionen der frühen Fatimiden, ihre irdische Herrschaft zu legitimieren. Erst al-Sigˇista¯nı¯, den Walker der dritten Generation iranischer Reformern zuordnet,669 entwickelte in einem noch näher zu bestimmenden Verhältnis im Austausch mit dem vierten fatimidischen Kalifen al-Mu izz eine Imamatslehre, nach der die Fatimidenimame legitime Herrscher waren. Das genaue Verhältnis zwischen al-Mu izz und den Missionaren der östlichen Diözesen, allen voran al-Sigˇista¯nı¯, ist nicht rekonstruierbar. Es herrscht aber ein Konsens darüber, dass die unter al-Mu izz vollzogenen Reformen durch die Auseinandersetzung mit den neuplatonischen Lehren der iranischen Gemeinden maßgeblich geprägt wurden.670 Die von Madelung zur Imamatslehre zusammengefasste Reform des alMu izz betrifft, abgesehen von einem Punkt, den Madelung als Integration einer ,gnostischen‘ Kosmologie bezeichnet, vor allem Fragen der fatimidischen Genealogie. Hält man sich noch einmal den engen Zusammenhang, ja eigentlich die Identität, von göttlicher und profaner Geschichte vor Augen, wird klar, dass diese Fragen mitnichten nur dynastische Spielereien sind, sondern nicht weniger als die Wahrhaftigkeit göttlichen Offenbarungswissens in der isma¯ ¯ılitischen Lehre betreffen. Schließlich handelt es sich bei den Imamen, unabhängig von der je aktuellen philosophischen Färbung der isma¯ ¯ılitischen Imamatslehre, um die zentralen Figuren in der Vermittlung zwischen Gott und Welt. Die Wiedereinsetzung Muhammad ibn Isma¯ ¯ıls und seines Vaters Isma¯ ¯ıl ibn ˙ ˇ a far al-Sa¯diq in die Reihe G der Imame stellt sicher ein Zugeständnis an ˙ Gemeinden und deren Festhalten an der älteren Lehre dar, die östlichen korrigiert aber vor allem die von Abdalla¯h als nötig erachteten Manipulationen zugunsten der Version, die auch heute noch ihre Gültigkeit beansprucht. Entgegen der historischen Evidenz sieht sich al-Mu izz aber ˘

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669 Walker (1996): Abu Ya’qub al-Sijistani, S. 16. 670 Madelung (1961): Das Imamat, S. 101.

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6. Die fatimidische Epoche

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auch gezwungen Abdalla¯hs Vater zum rechtmäßigen Imam zu ernennen, während sein Onkel Muhammad, der die Da wa tatsächlich leitete, das ˙ Vertreteramt (mustauda ), zugewiesen bekommt. Durch einen Trick wird schließlich die Kompatibilität zweier Theorien möglich, die vorher unvereinbar erschienen. Die Qarmaten und mit ihnen die iranischen Da¯ ¯ıs hielten daran fest, dass Muhammad˙ ibn Isma¯ ¯ıl der erwartete Mahdı¯ sei. Diese Lehre wurde aber von˙ Abdalla¯h mit dem eigenen Anspruch auf das Erlöseramt abrogiert. Al-Mu izz‘ Lösung des Problems lag darin, zwar einerseits Muhammad ibn Isma¯ ¯ıl als Mahdı¯-Qa¯ im anzuerkennen, da er ˙ gekommen war, als sich die Imame verbergen mussten, aber in einer Zeit Muhammad ibn Isma¯ ¯ıl sein Amt also nicht offen ausfüllen konnte, sollten seine˙ Nachfolger, zu denen al-Mu izz nun nach seiner erneuten Reform auch die fatimidischen Imame zählte, als Verkörperungen seines Prinzips und ihm gleichgestellt das Werk vollenden.671 Al-Nu’man hatte bereits zurzeit Abdalla¯h al-Mahdı¯s die erst auf einen, dann auf zwei Heptaden limitierte Zahl der Imame bis zur Endzeit vollständig geöffnet und damit eine potenziell unendliche Kette an Imam-Kalifen legitimiert.672 Im Rahmen der Imamatslehre des al-Mu izz li-Dı¯n Alla¯h wurde jetzt auch die Figur des Mahdı¯ zu einer Folge von Imamen erklärt, in dem Sinne, dass die Wiederkehr des Qa¯ im stufenweise geschehe und bis zu ihrem endgültigen Abschluss in spiritueller Form stattfinde.673 In seinem al-Risa¯la al-mudhiba erklärt al-Qa¯d¯ı al-Nu ma¯n, ˙ dass der Qa¯ im drei Grade (hudu¯d) habe:¯ den Grad des Körperlichen, den ˙ Grad der Auferstehung in der geistigen Welt und den Grad der Abrechnung (des Jüngsten Gerichts). Darüber hinaus habe er zwei Stufen: die Stufe der Geheimhaltung und die der Offenbarung. Den ersten Grad habe der Qa¯ im nach al-Nu ma¯n in Muhammad ibn Isma¯ ¯ıl erreicht. Er ˙ aber und auch seine ersten ihm nachfolgenden Stellvertreter wären, so alQa¯d¯ı al-Nu ma¯n, in der Verborgenheit geblieben. Erst mit den fatim˙ idischen Imam-Kalifen seien diese in die Stufe der Offenbarung eingetreten, die auch einen Teil der über den Mahdı¯ geweissagten Taten vollbringen sollten. Entgegen der naheliegenden endzeitlichen Erwartung gehöre aber die Aufhebung der äußeren Gesetze nicht dazu. Ganz im Sinne der fatimidischen Staatsdoktrin betont der Jurist al-Nu ma¯n, dass ˘

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671 Ebd., S. 100 f. 672 Ebd., S. 82 – 86. 673 Hollenberg (2006): Interpretation after the End of Days, S. 29 f.

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6.2. Das Imamat des al-Mu izz li-Dı¯n Alla¯h

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nichts vom äußeren Gestz aufgehoben sei oder werde bis zum Jüngsten Gericht.674 Al-Mu izz selbst äußert sich zu den Imamen, ihren Graden, den Stufen und ihren je spezifischen Aufgaben in der Umsetzung der Mahdı¯Figur. Isma¯ ¯ıl ibn Muhammad bleibt der Mahdı¯ aber auch seinem Vor˙ der Fatimiden Abdallah, weist er als Vierten und gänger, dem Begründer ¯ Mittleren einer Heptade eine besondere Bedeutung zu. Schließlich unterlässt er es auch nicht, auf seine eigene besondere Position als Vollender der ersten Heptade nach Isma¯ ¯ıl ibn Muhammad in seiner insgesamt sehr ˙ 675 zur Spiritualisierung neigenden Lehre hinzuweisen. ˇ a far ibn Mansu¯r al-Yaman entfaltet in seinem Ta wı¯l al-zaka¯t, Auch G das er 364/975 – 365/976˙ unter al-Mu izz verfasste, die neue Imamatslehre der fortgesetzten Mahdı¯-Folge entsprechend ihren Graden. Offenund Verborgenheit bekommen bei ihm aber einen neuen Kontext und die Aufhebung der Gesetze und das Ende der Gebote, die auch er mit dem Kommen des Mahdı¯ verbindet, finden bei ihm vor allem in der allegorischen Interpretation statt. Al-Nu ma¯ns exoterischer Ablehnung der Gesetzesfreiheit fügt er nun die esoterische Interpretation bei, die er aber selbstverständlich nur den fortgeschrittenen Eingeweihten unterbreitet haben will. „Das Äußere benötigt das Innere, das Innere aber bedarf des Äußeren nicht, es sei denn, um es erkennbar zu machen, denn es (das Innere) kann nur durch feste Gelübde (gemeint ist der Initiationseid) erlangt werden. Trotzdem ,ist das Äußere allein Unglaube und Polytheismus und ebenso das Innere allein Ketzerei in Bezug auf die Zeichen Gottes und Übertretung seiner Gebote; denn das Äußere verhält sich zum Inneren wie der Körper zum Geist.‘“676 Auch Abu¯ Ya qu¯b al-Sigˇista¯nı¯ befindet sich in eben jenem Widerspruch. Einerseits sind mit dem Kommen des Mahdı¯ klar die Aufhebung des Gesetzes und die Verehrung Gottes ohne Werke verbunden. Andererseits lässt sich auf dieser Grundlage natürlich kein Staat gründen, geschweige denn aufrechterhalten. Antinomistische Tendenzen hätten die Fatimiden für die Mehrheit ihrer sunnitischen Untertanen als ungläubige Ketzer entlarvt. Die treuen und eingeweihten Anhänger der isma¯ ¯ılitischen Lehre dagegen wussten vom Unterschied zwischen der äußeren und der inneren Wahrheit, von Exoterik und Esoterik. ˘

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674 Madelung (1961): Das Imamat, S. 88 f. 675 Ebd., S. 90 – 94. 676 Ebd., S. 97; Zitat aus dem Ta wı¯l al-zaka¯t.

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6. Die fatimidische Epoche

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Die Bedeutung des Imam lag für al-Sigˇista¯nı¯ in seiner Theologie begründet. Wie oben im Zusammenhang mit der neuplatonischen Kosmogonie vorgestellt, stellt die Unvergleichlichkeit und Unvorstellbarkeit Gottes (ta t¯ıl) die Isma¯ ¯ıliten vor das Problem, wie sich selbst ex ˙ negativo dennoch etwas über Gott und seine Schöpfung aussagen lässt. In dieser extremen Spannung wird die Funktion des Imam als Mittler und Interpret von Gottes Botschaft umso relevanter.677 Al-Sigˇista¯nı¯ hat es dennoch, mit Ausnahme des oben schon angesprochenen Kapitels im Kita¯b al-iftiha¯r, im Gegensatz zu den meisten schiitischen Autoren seiner ˘ Zeit vermieden, zum Imamat als Institution zu schreiben.678 Für seine frühe Phase, also bevor al-Sigˇista¯nı¯ in den Austausch mit dem fatimidischen Hof trat, muss seine Abwertung der Werke und religiösen Gebote noch über die seines Vorgängers al-Nasafı¯ hinausgegangen sein. Ebenso war für ihn die Fortführung der Imamsfolge über die Heptade nach dem erwarteten Mahdı¯ Muhammad ibn Isma¯ ¯ıl hinaus oder gar die Vervielfachung des Mahdı¯ nicht ˙vorstellbar. Von dieser These rückte er aber später ab und nannte ab diesem Moment die Stellvertreter des Qa¯ im Imame – eine offensichtliche Konzession an die Herrschaft der Fatimiden in Ägypten.679 ˘

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6.3. Das Imamat des al-Ha¯kim bi-Amr Alla¯h ˙ Regierungszeit (386/996 – 411/1021)

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Die Behandlung der Fatimiden, selbst in einer kurzen, schlaglichtartigen Betrachtung, wie sie hier unter vornehmlich religionssystematischer Fragestellung vorgenommen wird, kann nicht beendet werden, ohne dabei zwei weitere Protagonisten zu behandeln. Der Imam al-Ha¯kim bi˙ Amr Alla¯h, als 11-jähriger Knabe zum Oberhaupt des Fatimidenreiches und Befehlshaber der Gläubigen designiert, ist aufgrund des ihm nachgesagten extremen Charakters wohl der berühmteste aller fatimidischen Imamskalifen gewesen.680 Während der Regierungszeit des al-Ha¯kim ˙ d al(386/996 – 411/1021) wirkte der Da¯ ¯ı und hochgelehrte Autor Hamı ¯ ˙ Dı¯n Abu¯’l-Hasan Ahmad ibn Abdalla¯h al-Kirma¯nı¯. Ein prominentes ˙ ˙ ˘

677 678 679 680

Walker (1996): Abu Ya’qub al-Sijistani, S. 94. Ders. (1993): Early philosophical Shiism, S. 114. Madelung (1961): Das Imamat, S. 106 f u. 109. Halm (2003): Die Kalifen von Kairo, S. 167 – 170.

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6.3. Das Imamat des al-Ha¯kim bi-Amr Alla¯h ˙

Betätigungsfeld, das sie gemeinsam betraf, wenn auch mit unterschiedlicher Haltung dazu, war die Bewegung derer, die später als Drusen bekannt wurden. Diese beiden herausragenden Persönlichkeiten sollen kurz anhand ausgewählter Situationen in ihrem Leben vorgestellt werden. Auch wenn der folgende Exkurs keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben kann, kann er jedoch dazu dienen, die Darstellung der Fatimiden um eine weitere Facette zu bereichern.

6.3.1. Der Imam al-Ha¯kim bi-Amr Alla¯h ˙

681 Ebd., S. 303.

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Der Imam al-Ha¯kim bi-Amr Alla¯h ist der Nachwelt vor allem durch seine ˙ heute als fundamentalistisch einzuordnenden Bestrebungen bekannt geworden: Kampf gegen Alkohol, Schachspiel und Musik, Ausgangsbeschränkungen für Frauen, Sittlichkeitsgesetze, Diskriminierung der Nichtmuslime. Gleichzeitig trat er, besonders in seinen späten Jahren, auch als Asket auf. Er verschenkte seine Schätze mit vollen Händen, mischte sich unter das Volk und ließ die Staatsgeschäfte schleifen. Bei all dem blieb er höchst misstrauisch gegen sein Umfeld und verhängte allzu schnell die Todesstrafe. Selbst der sonst so moderat formulierende Halm attestiert ihm eine ungünstige Persönlichkeitsentwicklung.681 Sein Charakter galt als überaus sprunghaft und gern wurde er in die Nähe des Irrsinns gerückt. Die einzige Inkonsequenz al-Ha¯kims, die aber ˙ Edikte zum tatsächlich aus den Quellen belegt werden kann, sind seine Gebetsruf, zu den zusätzlichen sunnitischen Gebeten am Vormittag und in den Ramada¯n-Nächten sowie die Aufführungen zum A¯ˇsu¯ra¯ -Fest. ˙ Nach andauernden Konflikten zwischen seinen schiitischen und sunnitischen Untertanen und dem Aufstand des Abu¯ Rakwa 395/1005, der im Namen der Sunna eine Revolte angezettelt und sich zum Gegenkalif ernannt hatte, versuchte al-Ha¯kim nun, das Verhältnis zwischen den beiden Denominationen neu˙ auszutarieren. Im Laufe von fünf Jahren hatte er sich dann bis 400/1010 von der Unterbindung anti-sunnitischer Ausfälle hin zur Gleichstellung von Sunna und Schia den Sunniten angenähert, indem er den sunnitischen Ruf „Gebet ist besser als Schlaf“ gestattet und den schiitischen Zusatz „Auf zum besten Tun“ untersagt hatte. Die schiitischen Schmähungen der altvorderen Kalifen wurden ebenfalls untersagt. Auch die esoterischen Lehrsitzungen wurden eingestellt. Der sunnitische Frühling währte aber nur kurz. Bereits ein halbes

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6. Die fatimidische Epoche

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Jahr später erfolgten Gebete und Ruf wieder nach schiitischer Regel. Auch die A¯ˇsu¯ra-Festlichkeiten und die Lehrsitzungen wurden wieder aufgenommen.682 Wie schon seine Vorgänger musste al-Ha¯kim nicht nur die Bedürfnisse der Mehrheitsbevölkerung befriedigen,˙ sondern auch seine eigenen Anhänger im Auge behalten, was ihm insgesamt jedoch im Gegensatz zum Ausgleich mit den Sunniten weniger gut gelang. Die Trennung von za¯hir und ba¯tin (Exoterik und Esoterik) und der Imam als mittelnde Figur ˙sind der Kernbestand ˙ der isma¯ ¯ılitischen Lehre. Seit dem öffentlichen Hervortreten der fatimidischen Imame aus der Verborgenheit und ihrem Versuch, ihr Reich zu errichten, waren wiederholt Gruppen aufgetreten, die sich von den endzeitlichen Erwartungen und der Überhöhung des Mahdı¯-Imam davontragen ließen. In der Tradition jener schon seit dem ersten Kalifen Abdalla¯h al-Mahdı¯ enthusiasmierten Anhänger stehen auch die später als Drusen bezeichneten. In der, wie folgend auch noch einmal für Hamı¯d al-Dı¯n al-Kirma¯nı¯, zu zeigenden Verstetigung und Verzögerung˙ der endzeitlichen Vorgänge liegt auch eine erhebliche Depotenzierung des Imam begründet. Nicht alle Anhänger waren gewillt, diese Hinhaltetaktik hinzunehmen, und so trieben sie in den erneut aufwallenden Endzeiterwartungen Esoterik und Imamatslehre auf ihr Extrem hin. Die zunehmende Spiritualisierung der Lehre und ihre Verschiebung in immer abstraktere Konstrukte ließ zumindest einige Kreise der fatimidischen Anhänger offenbar unbefriedigt zurück. Sie sehnten sich nach der Konkretheit der alten Lehre.683 Erste Zeugnisse erhalten wir von al-Kirma¯nı¯, der, womöglich zur Bekämpfung dieser neuen Irrlehre ab 405/1015, selbst in Kairo weilte. In einem Schreiben argumentiert er gegen Hasan al-Farg˙a¯nı¯, ein Höfling al˙ Ha¯kims, der behauptete, das äußere Gesetz sei aufgehoben, al-Ha¯kim ˙ ˙ selbst sei Gott und die Zeit der Auferstehung sei nun angebrochen. Während sich in der Idee, Gott sei ohne Gesetze und nur durch die Anerkennung seiner Einzigkeit (tauh¯ıd) zu verehren, der stets latente ˙ brach, ist die Vergöttlichung alAntinomismus der Isma¯ ¯ılı¯ya wieder Bahn Ha¯kims die originäre Idee der Drusen. Nachdem al-Farg˙a¯nı¯ unter dem ˙ steten Widerspruch al-Kirma¯nı¯s einige Jahre seine Lehre verbreitet hatte, wurde er schließlich 409/1019 bei einem Ausritt des Imam al-Ha¯kim, an ˙ dem er teilzunehmen eingeladen war, von einem Unbekannten erschlagen. Der Imam hatte dem Treiben wohl länger zugesehen, ohne ˘

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682 Ebd., S. 209 – 217. 683 Madelung (1961): Das Imamat, S. 119.

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6.3. Das Imamat des al-Ha¯kim bi-Amr Alla¯h ˙

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Position zu beziehen. Er sühnte im Anschluss sogar die Ermordung seines extremistischen Höflings und schützte auch dessen Nachfolger.684 Inzwischen war ein zweiter Lehrer, Hamza al-Labba¯d, ein persischer ˙ Filzmacher aufgetreten. Seine Lehre unterschied sich nicht wesentlich von der des al-Farg˙a¯nı¯ und ist in dem mehrbändigen Kanon der Drusen bis heute erhalten geblieben. Die Drusen verehrten al-Ha¯kim damals ˙ offen als inkarnierten Gott und unter seinen Augen missionierten und trugen sie Konflikte mit den Anhängern der traditionellen isma¯ ¯ılitischen Lehre und anderen Muslimen aus. Da sie sich der Unterstützung des Imam gewiss waren, muss es dabei wohl auch zu Übergriffen in Moscheen gekommen sein. Zum offenen Ausbruch der Konflikte kam es aber erst unter dem dritten Lehrer und Namensgeber der Gruppierung, dem Türken Anu¯ˇstegı¯n al-Darzı¯. Ihre Gegner nannten sie Drusen, vom Plural des Beinamens: al-duru¯z. Tatsächlich waren es Türken, die, provoziert von den blasphemischen Reden, den Kopf des al-Darzı¯ forderten. Dieser flüchtete sich vor seinen Landsleuten in das Schloss al-Ha¯kims, der ˙ Auch alihn aber dann, um die Gemüter zu beruhigen, hinrichten ließ. Darzı¯s Gefährte Hamza musste flüchten und konnte seine Sendschreiben ˙ überraschenden Tod des Imam al-Ha¯kim 411/1021 ab 410/1019 bis zum ˙ nur noch aus einem Versteck versenden.685 Bereits 404/1013 regelte al-Ha¯kim seine Nachfolge und brach dabei ˙ der Fatimiden eklatant mit der Traein weiteres Mal in der Geschichte dition, indem er statt einen, zwei Nachfolger bestimmte. Er ernannte in öffentlicher Proklamation einen ,Thronfolger der Muslime‘ (walı¯ ahd almuslimı¯n), der nach seinem Tod Kalif sein sollte. Daneben ernannte er aber ebenfalls, diesmal allerdings ohne große Öffentlichkeit, einen ,Thronfolger der Gläubigen‘ (walı¯ ahd al-mu minı¯n). Die Trennung der Muslime in ,normale Muslime‘ und ,Gläubige‘ referiert dabei auf Nicht-Isma¯ ¯ıliten und Isma¯ ¯ıliten. Hinzu kam, dass keiner der Ernannten sein Sohn war. Mit dieser Regelung wurde al-Ha¯kim nicht nur, wie oben bereits erwähnt, ˙ traditionsbrüchig, sondern handelte entgegen dem Gebot der Imamatslehre, dass die Folge nur vom Vater auf den Sohn übergehen kann. Was genau al-Ha¯kim damit beabsichtigte, ist nicht bekannt.686 Wir werden es auch nicht˙ erfahren, da keiner der beiden sein Amt antrat, sondern sein ˘

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684 Halm (2003): Die Kalifen von Kairo, S. 281 – 286. – Dort finden sich auch alle Belege und weiterführende Literatur. 685 Ebd., S. 286 – 292. 686 Ebd., S. 279 ff.

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6. Die fatimidische Epoche

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leiblicher Sohn Alı¯, der unter der Protektion von al-Ha¯kims Schwester ˙ Sitt al-Mulk stand.687 Trotz der schwärmerischen Umtriebe, al-Ha¯kims schwieriger Per˙ sönlichkeit und der gescheiterten Nachfolgeregelung zieht Halm dennoch eine positive Bilanz für al-Ha¯kims Leben. Der Verlust des Maghreb ˙ die Erfolge in Nordsyrien, besonders wog nämlich weniger schwer als durch die kampflose Eroberung Aleppos. Mit Byzanz schloss al-Ha¯kim ˙ einen Friedensvertrag und Baghdad unternahm keine nennenswerten Aktivitäten gegen den Fatimidenstaat. Innenpolitisch zeichnete al-Ha¯kim ˙ zusich durch den Versuch aus, sunnitische und schiitische Muslime sammenzuführen und so die Akzeptanz seiner Herrschaft zu erhöhen. Auch die Ernennung zweier Thronfolger, einen als Oberhaupt des Reiches und einen als Imam der isma¯ ¯ılitischen Minderheit zeigt das Bestreben, die Macht in Anerkennung der verschiedenen Denominationen zu sichern.688

6.3.2. Hamı¯d al-Dı¯n al-Kirma¯nı¯ ˙ ˘

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In vielerlei Hinsicht ist auch Hamı¯d al-Dı¯n al-Kirma¯nı¯ eine große ˙ Da ıs.689 Wir wissen, im Gegensatz Ausnahme unter den isma¯ ¯ılitischen ¯¯ zum restlichen Personal der Fatimiden, nichts über ihn aus den Quellen zeitgenössischer Autoren. Al-Kirma¯nı¯ ist uns und seiner Nachwelt ausschließlich über seine eigenen Texte bekannt geworden. Die Popularität und Bedeutung seiner Texte weisen uns auf seine große Gelehrsamkeit hin. Er rezipierte das hebräische Alte Testament, das syrische Neue Testament und nach-biblische jüdische Literatur. Er war ein herausragender Theologe und Philosoph sowie der Verteidiger des Imamats gegen die drusischen Blasphemien. Dennoch wurde seine Lehre niemals von der fatimidischen Da wa übernommen, sondern erst unter den jemenitischen Tayyibiten rezipiert.690 ˙ ˘

Ebd., S. 307. Ebd., S. 304. Vgl. dazu Walker (1999): Hamid al-Din al-Kirmani. Art. Isma¯ ¯ıliyya, EI2, S. 204. – Auch in der Zeit al-Ha¯kims blieben die Lehren des al-Sigˇista¯nı¯ der Standard und die offizielle Lehre˙mit der alle Da¯ ¯ıs arbeiteten. Auch der spätere Na¯sir Husraw (gest. nach 462/1070) übernahm al-Sigˇista¯nı¯s ˘ (gest. nach 361/971) ˙Kosmologie. (Walker [1999]: Hamid al-Din al-Kirmani, S. 89). ˘

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6.3. Das Imamat des al-Ha¯kim bi-Amr Alla¯h ˙

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Entsprechend wenig wissen wir über sein Leben. Geboren wurde er wohl im Irak und war dort, vor allem in Baghdad und Basra, aktiv. Der Titel hugˇgˇat al- ira¯qain verweist darauf, dass er auch im heutigen Iran aktiv ˙ war. Seine Missionstätigkeit, besonders unter Stammesführern und Lokalfürsten, war so erfolgreich, dass sich die Abbasiden gezwungen sahen, militärisch und 402/1011 mit dem sogenannten Baghdad-Manifest gegen die Fatimiden vorzugehen.691 Zur Abwehr der drusischen Häresie, gegen die er sich mit großem Eifer wandte, wurde er 405/1014 nach Kairo gerufen und verfasste dort viele, heute noch bekannte Polemiken gegen die Eiferer. Sein opus magnum, das berühmte Ra¯hat al- aql, die summa seiner ˙ Lehren verfasste er aber erst 411/1020, nachdem er wieder in den Irak zurückgekehrt war.692 Sein Todesdatum ist unbekannt. In seinen kairiner Traktaten wandte er sich gegen die drusische Vorstellung, die reine Verehrung von Gottes Einheit, der tauh¯ıd, sei Ersatz ˙ für die Verehrung Gottes in Wissen und Werken.693 Die Drusen begründeten ihre Ablehnung des Gesetzes, der ˇsarı¯ a, mit der Überzeugung, dass es sich bei allen Gesetzen stets um das Gesetz Adams handele, den sie mit dem gnostischen Demiurgen gleichsetzten.694 Insgesamt widerspiegelt die große Spannung zwischen den neuplatonisierten Lehren der Fatimiden und den Vorstellungen der Drusen nicht nur unterschiedliche Systeme, sondern vor allem unterschiedliche Stufen der Konkretisierung. „Man kann die ursprüngliche Lehre der Drusen weitgehend als eine Materialisierung und Mythisierung der spiritualisierten, von der Philosophie bestimmten Anschauungen ihrer fatimidisch-isma¯ ¯ılitischen Vorgänger sehen. […] Die Krönung des neuen Systems bildet der Glaube, daß der höchste Gott selbst sich auf Erden manifestiert hat, derselbe Gott, um dessen für die Vernunft unfaßbaren Einheit zu wahren, die isma¯ ¯ılitische Theologie alle seine koranischen Attribute, ja sogar den Namen Alla¯h, auf seine Schöpfung übertrug.“695 Plastischer, lebendiger und unmittelbarer als in der Gestalt der drusischen Lehre kann eine esoterische Erlösungs˘

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691 Vgl. Daftary (1999): The Ismaili dawa outside the Fatimid dawla. ˙ a¯lib, Beirut 1983); 692 Vgl. zur Analyse von al-Kirma¯nı¯s Ra¯hat al- aql (hg. v. Mustafa¯ G ˙˙ vgl. diesbezüglich auch einführend:˙ Walker (1999): Hamid al-Din al-Kirmani, S. 104 – 117 u. 131 – 141 sowie die grundlegende Arbeit von De Smet (1995): La Quiétude de l’Intellect und dazu die Rezensionen von Walker (1997) und Daftary (1997). 693 Walker (1999): Hamid al-Din al-Kirmani, S. 21 u. 62 – 79. 694 Halm (1978): Kosmologie und Heilslehre, S. 140. 695 Madelung (1961): Das Imamat, S. 118.

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6. Die fatimidische Epoche

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religion nicht werden. Dass demgegenüber die Ansprüche an die Kohärenz des Systems zurückgestellt werden, liegt auf der Hand. Auch al-Kirma¯nı¯ konnte darum keine Antwort auf die drusische Sehnsucht nach Greifbarem geben. Stattdessen betonte er die ununterbrochene und fortgesetzte Kontinuität des Imamats. Und auch er blieb dabei, dass die Da wa der inneren und ebenso der äußeren Lehre bedürfe, wie die Verehrung Gottes durch das esoterische Wissen und durch die Einhaltung der Gebote ( iba¯datain). Gegenüber der alten fatimidischen Lehre unter al-Mu izz bedeutete diese Ansicht al-Kirma¯nı¯s eine erhebliche Neuerung. Von einer Verstetigung der Endzeit und Umsetzung in Stufen war nun nicht mehr die Rede. „Die Erwartung der Endzeit ist damit zum ersten Mal in die weite Ferne gerückt und der gefährlichen Spekulation um sie, durch die so viele Anhänger der Imame zu ketzerischen Ansichten über Mohammed und die Gültigkeit seines Gesetzes verführt worden waren, der Boden entzogen.“696 Die Ablehnung der Drusen sollte aber keineswegs bedeuten, dass alKirma¯nı¯ Gottes Einheit (tauh¯ıd) ablehnte. Im Gegenteil war dies die ˙ daraus sich weiter entwickelnde System Grundlage seiner Theologie. Das unterschied sich aber fundamental von den Vorstellungen der Drusen. Denn nach al-Kirma¯nı¯ mussten alle Muslime prima facie (und nicht allegorisch) glauben, dass es Himmel und Hölle gibt, die Toten auferstehen und dass Adam lediglich der Vater der Menschheit und nicht das geheime Prinzip hinter allen Sprecherpropheten (nutaqa¯ ) und Imamen war.697 ˙ Eine weitere, ebenso nachhaltige Änderung, die al-Kirma¯nı¯ vornahm, betraf seine Theologie und Kosmogonie. Neben einer radikaler nicht zu denkenden Form des deus absconditus erneuerte er die Kosmogonie dahingehend, dass an die Stelle des Begriffspaars Intellekt und Seele nun eine Folge von zehn Intellekten trat, die je aus ihrem Vorgänger heraus emanierten. Wenn al-Kirma¯nı¯ an verschiedenen Stellen seiner kosmologischen Ausführungen auf das ihm vorangegangene neuplatonische System verwies, indem er dessen Begriffe, wie Stift, Tafel oder Thron, nannte, schaffte er so zwar einen Anknüpfungspunkt, markierte aber auch gleichzeitig seine eigene Position in Abgrenzung dazu.698 Al-Kirma¯nı¯s Lehre von den zehn Intellekten basiert auf den kosmologischen Modellen des al-Fa¯ra¯bı¯ und Ibn Sı¯na¯ und reflektiert so die Philosophie ihrer Zeit. Al-Kirma¯nı¯ war dennoch der erste, der diese ˘

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696 Ebd., S. 126. 697 Hollenberg (2006): Interpretation after the End of Days, S. 31 f. 698 Walker (1999): Hamid al-Din al-Kirmani, S. 98.

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6.3. Das Imamat des al-Ha¯kim bi-Amr Alla¯h ˙

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Lehre in die isma¯ ¯ılitische Da wa trug. Seine Annäherung an die zeitgenössische Philosophie geschah jedoch nicht auf Augenhöhe. Wie übrigens auch al-Sigˇista¯nı¯ betrachtete al-Kirma¯nı¯ die Philosophie gegenüber der isma¯ ¯ılitischen Theologie als defizitär. Dort, wo sich die Philosophen nur auf ihren Verstand beziehen konnten und ihre Vernunft die letzte Autorität sein musste, speiste sich aus isma¯ ¯ılitischer Sicht die Wahrhaftigkeit isma¯ ¯ılitischer Lehre aus ihren Propheten und Imamen und hatte damit einen epistemologisch völlig anderen Status als die Systeme der Philosophen.699 Die Wahrhaftigkeit der isma¯ ¯ılitischen Lehre konnte sich aber nicht aus Gott selbst ableiten lassen, sondern nur aus seiner Schöpfung. In seinem Ra¯hat al- aql verwendet al-Kirma¯nı¯ den ganzen zweiten von ˙ insgesamt sieben Abschnitten darauf, dass Gott absolut jenseits aller Wahrnehmbarkeit und Denkbarkeit sei. Nichts könne über ihn gesagt werden, weder positiv noch negativ. Auch mit dieser Lehre unterscheidet sich al-Kirma¯nı¯ wieder radikal von seinem Vorgänger Abu¯ Ya qu¯b alSigˇista¯nı¯, der, wie oben ausgeführt, Gottes Schöpfungsbefehl ,sei!‘ (kun!) als Mittler zwischen Gott und dem Intellekt verstand. Diese Interpretation hätte aber Gott in ein Verhältnis zu seiner Schöpfung gesetzt – eine für al-Kirma¯nı¯ an Blasphemie grenzende Behauptung.700 Al-Kirma¯nı¯ überwindet den Hiatus zwischen Gott und Schöpfung schließlich mit einem terminus technicus. In einem einmaligen Akt kreiert Gott den ersten Intellekt. Der Begriff für die Hervorbringung, Schöpfung bzw. Kreation dieses ersten Intellekts durch Gott ist ibda¯ , den al-Kirma¯nı¯ auch ausschließlich hierfür benutzt. Mit diesem Akt, der Schöpfung des Ersten Intellekts, beginnt das Sein. Es ist das erste Sein im Kosmos, der Urgrund, der Beweger, perfekt und ewig. Aus der Freude des Ersten Intellekts über sich selbst emaniert aus ihm der Zweite Intellekt.701 In bekannter neuplatonischer Manier emanieren auch die restlichen der insgesamt zehn Intellekte und in ihrem Gefolge die materielle Welt in der vertrauten Verbindung von Form und Materie.702 Wenngleich die zunehmende Ferne zum Ersten Intellekt auch wieder, wie bei allen bekannten neuplatonischen Vorstellung, mit Mangelhaftigkeit verbunden war, hat die Selbstgefälligkeit des ersten Intellekts, die die weiteren Emanationen und damit schließlich auch die materielle Welt zur Folge ˘

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699 700 701 702

Ebd., S. 89 ff. Ebd., S. 93. Ebd., S. 93 ff. Ebd., S. 99 – 103.

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6. Die fatimidische Epoche

hatte, das Entstehen der Welt mit einem insgesamt positiven Vorzeichen versehen.703 Für die gnostische Negativierung der Welt als Folge ihrer Entstehung durch die Hybris des Demiurgen, wie sie im spätantiken Gnostizismus und in der jemenitischen Tayyibı¯ya gelehrt wurde, finden ˙ wir hier noch keine Anzeichen.704

6.4. Zur Wechselwirkung von Politik und Theologie ˘

Mit dem öffentlichen Auftreten des Imam als Mahdı¯, der Errichtung des Fatimidenreichs und dessen dauerhaftem Bestand waren die isma¯ ¯ılitische Gemeinde und ihr Imam in einer völlig neuen Situation. Der hier betrachtete Zeitraum umfasst die ersten 120 Jahre von insgesamt ca. 270 Jahren des fatimidischen Kalifats. Er deckt damit nach der unmittelbaren Zeit vor dem Auftreten des Imam als Mahdı¯ insbesondere die Anfangsjahre unter Abdalla¯h al-Mahdı¯ und die Zeit der Konsolidierung unter den Imamen al-Mu izz und al-Ha¯kim ab. Was die territorial-militärische ˙ sowie die institutionelle Situation des Fatimidenreichs anbelangt, erleben wir hier eine extreme Wandlung. Wohingegen die theologischen Fragestellungen und das Problem der Anhänger nach religiöser Sinnstiftung erstaunlich konstant bleiben. Insgesamt sehen wir uns bei den folgenden religionssystematischen Betrachtungen mit einer Fülle an Material konfrontiert, an dem, wie in der Einleitung des Kapitels schon angekündigt, aus systematischer Perspektive vor allem zwei Aspekte interessant sind. Zum einen ist das die Inkarnation des Mahdı¯ und zum anderen die Parusieverzögerung. Während Ersteres sehnlichst erwartet wurde und mit entsprechenden Hoffnungen verbunden war, deren dauerhafte Enttäuschung hier eine große Rolle spielen wird, war die Parusieverzögerung705 die andere, die problematische Seite desselben Phänomens: das Ausbleiben der Endzeit und die Verstetigung des Imamats. ˘

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703 Halm (1978): Kosmologie und Heilslehre, S. 85. 704 Das „Himmlische Drama“ als gnostische Ursünde findet erst in Ibra¯hı¯m alHa¯midı¯s Kirma¯nı¯-Rezeption in seinem Kita¯b Kanz al-Walad statt; vgl. De Smet ˙ (1995): La Quiétude de l’Intellect, S. 248 – 251. 705 Zu diesem Begriff und weiteren hier verwendeten Termini vgl. Kapitel 4.1.3.

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6.4. Zur Wechselwirkung von Politik und Theologie

6.4.1. Zur Dynamik eines messianischen Reiches ˘

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Die Missionsbestrebungen der isma¯ ¯ılitischen Gemeinde stießen auf ein erstaunliches Echo und waren in der Lage, eine große Gruppe von Anhängern zu mobilisieren. Ebenso wirkt die militärische Durchschlagskraft erstaunlich. Wenn sich auch eine vielleicht ähnliche Dynamik schon für die Anfänge des Islam zur Zeit des Propheten Muhammad finden lässt, stellt sich dennoch auch in diesem Fall die Frage, ˙was die Grundlagen einer solchen Dynamik waren. Nagel beschreibt in seinem Aufsatz über die frühe Isma¯ ¯ılı¯ya706 sehr gut das allgemeine Klima innerhalb der Gemeinschaft und entwirft ein klares Bild der Motivationen und Hoffnungen, die die Schiiten beflügelt haben mögen. Nagel zeichnet hier ein Bild mit einer Vielzahl an Bewegungen, die seiner Meinung nach mit der Forderung nach Gerechtigkeit und einem moralischen Rigorismus aufgetreten sein müssen.707 Insbesondere für das präfatimidische Nordafrika stellt er fest, dass der dortige isma¯ ¯ılitische Missionar Abu¯ Abdalla¯h al-Sˇ¯ı ¯ı an vorhandene ha¯rigˇitische Traditionen anknüpfen konnte. Dieser hohe moralische ˘ Anspruch und der ihm innewohnende Rigorismus habe maßgeblich die Selbstwahrnehmung bestimmt. „Nach innen stiftet er unter den bekehrten Mitgliedern ein neues Gemeinschaftsgefühl; nach außen verleiht er der Gemeinde ein unübersehbares Sendungsbewußtsein, das sich in kriegerischen Aktionen entlädt.“708 Dieses kämpferische Element der Schia im 3./9. Jahrhundert führt Nagel auf ha¯rigˇitische und mu tazilitische Einflüsse zurück und verortet die Schia ˘auch in einem Umfeld, das von einem reformerischen Impetus getragen war. Der Erfolg der Isma¯ ¯ılı¯ya zu jener Zeit ist so auch damit zu erklären, dass sie nicht die einzige Glaubensgemeinschaft war, die aus Unzufriedenheit mit der Situation bereit war, einen neuen Weg zu beschreiten. An diesem Punkt unterscheidet sich die Isma¯ ¯ılı¯ya von der zu jener Zeit ebenfalls populären Mystik, die die Verwirklichung ihrer Ideale in einer reinen Innerlichkeit sieht. In der fatimidischen Isma¯ ¯ılı¯ya hingegen hat die Perspektive auf die Errichtung des Gottesreiches und die Verhaltensmaxime des wa d und wa ¯ıd, Versprechen und Drohung, eine klar diesseitige, politische Orientierung. Der Garant des Erfolges war der Imam, der als diesseitiger ˘

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706 Nagel (1972): Frühe Isma¯ ¯ılı¯ya und Fatimiden im Lichte der Risa¯lat Iftita¯h Ad˙ Da wa. 707 Ebd., S. 12ff u. 17 ff. 708 Ebd., S. 19.

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6. Die fatimidische Epoche

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Führer, Mittler in die Erlösung und Herrscher der Endzeit ein greifbarer Bezugs- und Kristallisationspunkt der Hoffnungen sein konnte.709 Dass ein nennenswertes Potenzial an Suchenden bereit war, sich der Isma¯ ¯ılı¯ya zuzuwenden, hatte wahrscheinlich auch mit dem Umbruch in dem anderen großen Zweig der Schia, der Imamı¯ya, zu tun. Die isma¯ ¯ılitische Mission ist erst für die Zeit nach 260/874 bezeugt. Der Erfolg der isma¯ ¯ılitischen Werber fällt im gleichen Jahr zusammen mit dem Verschwinden des elften Imam der Imamiten, ohne dass dieser einen offen auftretenden Nachfolger hinterlassen hätte. Die plötzliche Leerstelle verursachte einige Verwirrung unter den Anhängern, und der plötzliche Aufschwung der isma¯ ¯ılitischen Mission hängt möglicherweise damit zusammen, dass ein guter Teil der nun führerlos gewordenen Imamiten die Idee der Wiederkehr des Muhammad ibn Isma¯ ¯ıl bestärkte. ˙ „Jedenfalls darf man annehmen, daß das Aussterben der husainidischen Hauptlinie der Mission der ,Siebener‘ eine ganze Reihe von˙ Enttäuschten zugeführt hat.“710 Die Idee, die beide eigentlich konkurrierenden schiitischen Zweige gegenüber dem orthodoxen sunnitischen Islam verband, war die des Imam als Mittler zwischen za¯hir und ba¯tin sowie als ˙ ˙ Herrscher der Endzeit. Das Auftreten des erwarteten Mahdı¯-Imam ist zwar theologisch der Höhepunkt der Eschatologie, aber zugleich soziologisch ein überaus heikler Moment. In den Ereignissen rund um die Errichtung und Verstetigung des isma¯ ¯ılitischen Kalifats finden wir sämtliche Möglichkeiten, auf die Inkarnation des Erlösers zu reagieren. An dieser Stelle muss noch einmal auf das eigentümliche Verhältnis zwischen dem Imam und seiner Anhängerschaft hingewiesen werden. Der Imam tritt seinen Anhängern in verschiedenen, aber auf Engste miteinander verwobenen Funktionen gegenüber. Zunächst ist er eine historische Figur innerhalb der Realgeschichte. Als solche agiert und reagiert er wie jede andere Person auch in seinem Umfeld. Er tritt uns als die Person gegenüber, die Feldzüge befiehlt, Reformen für Verwaltung, Recht und Theologie anordnet, aufsässige Untertanen köpfen lässt und schließlich verstirbt, nicht ohne vorher einen Nachfolger ernannt zu haben. In der besonderen Lehre der Isma¯ ¯ılı¯ya, die profane und heilige Geschichte als identisch versteht, ist er, ˘

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709 Ebd., S. 40 – 44. – Nagel kontrastiert das noch einmal drastischer im Vergleich zur Mystik, deren Angebot seiner Meinung nach zu unklar und zu wenig politisch gewesen ist und die erst dann an Popularität gewann, als sie in Orden organisiert einen gesicherten Heilsweg anbieten konnte (ebd., S. 44). 710 Halm (1978): Kosmologie und Heilslehre, S. 8 f.

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6.4. Zur Wechselwirkung von Politik und Theologie

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und darin ist er singulär, immer auch die Fleisch gewordene Wahrhaftigkeit; dabei verkörpert er das exoterische wie esoterische Wissen der Isma¯ ¯ılı¯ya als steter Garant für die Aufrechterhaltung der Gebote wie auch der gesamten Welt. In der Imamatslehre als Teil der isma¯ ¯ılitischen Theologie, za¯hir und ba¯tin, ist er das zentrale Element der Hierohistorie ˙ ˙ und als solcher Gegenstand seiner eigenen theologischen Reformen, durch die er im eingeschränkten Rahmen die endzeitlichen Erwartungen an seine Person binden kann. Schließlich ist er ein Platzhalter für die verschiedenen Interessen seiner Anhänger, vom beutegeleiteten Beduinen über den ordnungsorientierten Juristen bis zum endzeitseligen Schwärmer. Welche konkreten Hoffnungen sich dabei an ihn heften, lässt sich am ehesten durch die Reaktionen der Enttäuschten feststellen. In den Reaktionen der Anhänger fließen die entfalteten drei Figuren wieder in konkreten Handlungen zusammen. In Kapitel 2.3.2. wurde dargestellt, wie Handlungen durch die Dynamik zwischen Lebensführung und Interessenlage einerseits und Sinnstiftung durch religiöse Ideen und Heilsgüter andererseits bestimmt werden. Der jetzt in der isma¯ ¯ılitischen Geschichte eingetretene Umbruch, die Inkarnation des Mahdı¯, das Ausbleiben der Endzeit und ihre gleichzeitige Verstetigung in einem neuen, spiritualisierten Verständnis stellen eine Situation dar, in der die oben beschriebenen handlungsleitenden Parameter par excellence wirken. Die Umbrüche auf die die Gemeinde reagieren muss, könnten größer nicht sein. Das Ende der Verborgenheit, die plötzliche und überaus erfolgreiche Expansion und Institutionalisierung des Reiches, die mehrfachen und tiefgreifenden Änderungen der Lehre sowie die für alle offensichtlichen Differenzen zwischen den Prophetien und den Tatsachen müssen selbst über den hier behandelten Zeitraum von ca. 120 Jahren eine extrem bewegende Erfahrung gewesen sein. In der hier behandelten, fatimidischen Epoche isma¯ ¯ılitischer Geschichte lässt sich so auch die gesamte Bandbreite möglicher Reaktionen wiederfinden. Diese möglichen Handlungsoptionen bestanden zunächst in der Anerkennung oder Ablehnung der Inkarnation. Wenn also die Endzeit ausblieb und die Anhänger, die die Inkarnation des Mahdı¯ akzeptiert hatten, sich gezwungen sahen, mit der Parusieverzögerung umzugehen, gab es entweder die Option der Verzögerung und demzufolge der Verstetigung, eine angebrochene Endzeit zu akzeptieren oder aber diese abzulehnen. Wie zu Beginn blieb auch später, zu jedem anderen Zeitpunkt, die Möglichkeit, die Rechtmäßigkeit der Erlöserfigur anzuzweifeln und sich von ihr abzuwenden. Wollten die Anhänger nun aber nicht von ihrer Hoffnung Abstand nehmen und war das Auftreten der ˘

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6. Die fatimidische Epoche

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historischen Gestalt für sie nicht ausreichend, ihre Erwartungen zu erfüllen, so mussten sie selbst Hand anlegen und die Endzeit herbeiführen. Da auch die Intervention der Anhänger nicht die Endzeit herbeiführen konnte, war diese Lösung nur temporär und es blieb letztlich nur die Alternative zwischen Abfall von der Lehre oder Abfinden mit dem Gegebenen. Es besteht keine Notwendigkeit die einzelnen, im vorangehenden Abschnitt ausgebreiteten Widerstände und Gegenbewegungen nun noch einmal in dem Schema der verschiedenen Funktionen der Imamsfigur und alternierenden Handlungsoptionen durchzudeklinieren. Von der qarmatischen Ablehnung des Imam Abdalla¯h über die Ernennung eines ˙ Gegen-Mahdı ¯ durch Abdalla¯h al-Sˇ¯ı ¯ıs Kuta¯makrieger bis hin zur Vergottung des al-Ha¯kim durch die Drusen finden sich mannigfaltige For˙ men der Ablehnung in den verschiedenen Stadien der Reichswerdung, deren unterschiedliche Motivationen vorausgehend spezifiziert wurden. Geeint wurden sie in ihrem Protest durch die Sorge um den Gratifikationsverlust, den Verlust von Belohnung, sei es im Dies- oder im Jenseits. ˇ a far ibn Mansu¯r al-Yaman, al-Qa¯d¯ı al-Nu ma¯n, Abu¯ Dagegen waren G ˙ ¯n al-Kirma¯nı¯ nur˙ die Profiliertesten Ya qu¯b al-Sigˇista¯nı¯ oder Hamı¯d al-Dı ˙ der Bejaher von Inkarnation, Verzögerung und Verstetigung. Auf dem Weg, sich in der Geschichte einzurichten, hat ihre Unterstützung der messianischen Minderheitenbewegung eine stattliche Gestalt verliehen. ˘

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6.4.2. Die Hierarchie einer elitären Massenreligion

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Mit einer einmaligen Bejahung des Auftretens des Mahdı¯ war es aber nicht getan. Im Gegenteil haben wir gesehen, dass mit jeder neuen Stufe der Staatswerdung auch Entscheidungen getroffen und Änderungen vorgenommen werden mussten, die mal mehr, mal weniger in Spannung zur alten Lehre standen und letztlich eine vollständige Neuorientierung des isma¯ ¯ılitischen Selbstverständnisses bedeuteten. Die inhaltlichen Innovationen geschahen aber nicht einfach als Austausch einzelner Positionen in der Struktur der Da wa-Organisation oder an einzelnen Punkten der Lehre, sondern wurden getragen von einer kontinuierlichen Anpassung an die Vielfalt der neuen Herausforderungen, auf die die Isma¯ ¯ılı¯ya auf ihrem Weg von einer klandestinen Mission zu einer der beherrschenden Mächte des Mittelmeerraums Antworten finden musste. Alle Bereiche der religiösen Bewegung waren davon betroffen, ihre Verwaltung wie ihre Lehre. Die institutionelle Ausdifferenzierung des ˘

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6.4. Zur Wechselwirkung von Politik und Theologie

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Gemeinwesens als Staat korrespondierte mit einer hierarchischen Differenzierung in der kosmogonischen Ordnung. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Kosmogonie wie Imamatslehre im Mittelpunkt der Beobachtungen zu den Veränderungen im Verlauf der fatimidischen Theologie stehen müssen. Für beide gilt, dass sie auf die Inkarnation und das Ausbleiben der Endzeit mit Ausdifferenzierung reagieren. Im Falle der Kosmogonie lässt sich eine starke Zunahme der Hierarchisierung innerhalb der Schöpfung feststellen, während die Imamatslehre von starker Spiritualisierung bestimmt wird. So musste sich Abdalla¯h al-Mahdı¯ beispielsweise noch die Frage nach dem Muttermal auf seinem Rücken und dem Sonnenaufgang im Westen stellen. Die Imamatslehre des al-Qa¯d¯ı al-Nu ma¯n baute entsprechend auf der Absage ˙ all jener Mahdı¯-Erwartungen auf, aus der die Isma¯ ¯ılı¯ya ihr einstmals so revolutionäres Potenzial geschöpft hatte. Die ursprünglich eine Heptade bis zum Auftreten des Imam der Endzeit wurde deshalb zunächst ˇ a far ibn mehrfach neu berechnet. Schon al-Qa¯d¯ı al-Nu ma¯n und G ˙ Mansu¯r al-Yaman öffneten die Folge der Imam-Heptaden ins potenziell ˙ 711 Unendliche. Zusätzlich wurde die Parusieverzögerung durch eine Dreiteilung der endzeitlichen Ereignisse abgemildert. Al-Kirma¯nı¯ spricht dann in seinen Kita¯b ra¯hat al- aql nur noch davon, dass das Imamat eine dauerhafte Einrichtung˙ sei. Endzeitliche Spekulationen, die al-Qa¯d¯ı al˙ ˇ a far ibn Mansu¯r al-Yaman noch spalteten und spirituNu ma¯n und G ˙ alisierten, spielen dementsprechend anschließend bei al-Kirma¯nı¯ nur noch eine untergeordnete Rolle. Die Lehre vom Imamat des Abdalla¯h hatte, obwohl sie zur Zeit seines ersten Auftretens noch als innovativ galt, im Vergleich zu der des al-Kirma¯nı¯ sämtliche Vorzeichen gewechselt. Jenseits des Kerns, dass sie Garanten für Gottes Existenz und Mittler zwischen Esoterik und Exoterik sein sollten, verband sie nur noch wenig. Sowohl alle weiteren Aufgaben wie auch das kosmogonische Umfeld, in dem die beiden Lehren standen, war komplett ausgetauscht. Die Kosˇ a far ibn Mansu¯r al-Yaman mit ihrer Buchstabenmogonie des frühen G und Zahlenmystik hatte nichts mehr ˙gemein mit dem strengen System der emanierenden Intellekte bei al-Kirma¯nı¯. Von der revolutionären Dynamik und dem moralischen Rigorismus, wie ihn Nagel für die Frühzeit beschreibt, finden wir in dieser Theologie nichts mehr. Die Funktion dieser Lehre liegt nicht mehr in der Sinnstiftung als Leitfaden für die Lebensführung. Die spiritualisierte Lehre, die wohl nur noch einem kleinen Kreis Intellektueller zugänglich gewesen ˘

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711 Halm (1991): Das Reich des Mahdi, S. 311.

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sein konnte, diente nicht mehr zur Legitimation des Kampfes gegen die Usurpatoren der weltlichen Macht. Wenn Max Weber auch nicht an die Vorgänge im Fatimidenreich dachte, so ist seine Analyse auch dort zutreffend „daß das Erlösungsbedürfnis und die ethische Religiosität noch eine andere Quelle hat, als die soziale Lage der negativ Privilegierten und den durch die praktische Lebenslage bedingten Rationalismus des Bürgertums: den Intellektualismus rein als solchen, speziell die metaphysischen Bedürfnisse des Geistes, welcher über ethische und religiöse Fragen zu grübeln nicht durch materielle Not gedrängt wird, sondern durch die eigene innere Nötigung, die Welt als einen sinnvollen Kosmos [zu] erfassen und zu ihr Stellung nehmen zu können.“712 Mit Weber können wir also an dieser Stelle wieder zurückkommen zum zentralen Anliegen religiöser Ideen: der Sinnstiftung. Die These, die Hollenberg zusammen mit Michael Brett vertritt, dass die Annäherung an die iranischen Da¯ ¯ıs und die Übernahme des neoplatonischen Systems von al-Sigˇista¯nı¯ für al-Mu izz lediglich ein Vehikel zur Macht war,713 bedarf also mindestens der Flankierung. So stellt auch Simonetta Calderini714 den engen Zusammenhang von Kosmogonie mit politischer Autorität heraus, beschränkt sich dabei aber weitestgehend auf eine Parallelisierung der esoterischen und exoterischen Da wa. Mit Weber können wir nun aber noch weitergehen und verstehen, warum sich ausgerechnet der Neuplatonismus zur Sinnstiftung anbot. Nur wenige Seiten weiter betrachtet Weber den Prozess, dem eine intellektualistische Erlösungslehre – und als solche kann die Isma¯ ¯ılı¯ya sicher seit ihren Anfängen gelten – unterliegt, wenn sie ihren minoritären Status verliert, und zur Massenreligion wird. Die Isma¯ ¯ılı¯ya im Fatimidenreich wird dabei nur unter Einschränkungen als Massenreligion zu bezeichnen sein. Zwei Aspekte scheinen den Begriff aber dennoch zu rechtfertigen. Erstens ist der Kontrast zu der Zeit vor dem öffentlichen Auftreten der Imame zu betrachten. Die Isma¯ ¯ılı¯ya bestimmte das öffentliche Leben, die großen religiösen Feste, die Freitagspredigten, den Gebetsruf und das höfische Zeremoniell, auch wenn den Sunniten die weitgehende Beibehaltung ihrer Traditionen gestattet wurde. Und wenn auch keine konkreten Zahlen vorliegen, so ist stark anzunehmen, dass sich die Zahl ihrer Anhänger im Vergleich zur Zeit der Verbergung vervielfacht hatte. Zum anderen war die Perspektive, obgleich keine Berichte über Zwangs˘

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712 Weber (2001): Religiöse Gemeinschaften, S. 265. 713 Hollenberg (2006): Interpretation after the End of Days, S. 93 f. 714 Calderini (1996): Cosmology and authority.

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6.4. Zur Wechselwirkung von Politik und Theologie

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konversionen vorliegen, doch auf eine Ausbreitung und Vertiefung der isma¯ ¯ılitischen Denomination, zunächst in Ägypten, dann aber auch weiter in den Osten gerichtet. Die Beibehaltung der Missionsorganisation sowie die Lehrsitzungen zu allgemein exoterischem Recht wie esoterischer Lehre belegen dies. Wenn auch niemals zu Zeiten des Fatimidenreiches die Mehrheit der ägyptischen Bevölkerung dem isma¯ ¯ılitischen Credo folgte, so ist der Begriff der Massenreligion dennoch gerechtfertigt. Weber schreibt: „Die intellektualistische Provenienz einer Erlösungslehre und ebenso einer Ethik hat, wenn dann die betreffende Religiosität Massenreligiosität wird, ganz regelmäßig die Konsequenz, daß entweder eine Esoterik oder doch eine vornehme Standesethik für die Bedürfnisse der intellektuell Geschulten innerhalb der popularisierten, magisch heilandssotereologisch umgeformten und den Bedürfnissen der Nichtintellektuellen angepaßten, offiziellen Religiosität entsteht.“715 Die universalistische isma¯ ¯ılitische Erlösungsreligiösität, wie sie noch im Kapitel über die präfatimidische Isma¯ ¯ılı¯ya beschrieben wurde, reagierte auf ihre Vermassung sowohl in ihrer äußeren Gestalt wie in ihrer Theologie mit einer drastischen Ausdifferenzierung und Hierarchisierung. Die Philosophie der iranischen Da¯ ¯ıs bot hierfür ein hervorragendes System auf der wissenschaftlichen Höhe ihrer Zeit. Ob und in wieweit es al-Mu izz bewusst war oder ob er es nur erahnte, dass die intellektualistische, stark hierarchisch argumentierende Philosophie des Neuplatonismus der Entfaltung und Vermassung der Erlösungsreligiosität eine perfekte Gestalt bot, kann retrospektiv nicht erschlossen werden. Die Auswahl und nachhaltig erfolgreiche Implementierung deuten aber darauf hin, dass es sich hier um mehr als um einen Zufall gehandelt haben muss. ˘

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715 Weber (2001): Religiöse Gemeinschaften, S. 272.

7. Die postfatimidische Epoche „Sicher ist etwas in der Gnosis, das einem hilft, Menschsein besser zu verstehen, als wenn man niemals etwas von Gnosis gehçrt htte.“ ( Jonas: A Retrospective View, S. 13)

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Nach den Anfängen der Isma¯ ¯ılı¯ya und ihrem Höhepunkt im fatimidischen Reich betrachten wir nun den letzten der drei Abschnitte isma¯ ¯ılitischer Geschichte, der hier untersucht werden soll. Der alles verändernde Umstand, zu der die folgenden historischen Ausführungen zu Fatimiden und Sulaihiden nur das Vorspiel darstellen, ist die Depri˙ Verlust militärischer, politischer und ökono˙ der vation der Isma¯ ¯ılı¯ya, mischer Einflussmöglichkeiten. Weder in Ägypten noch im Jemen war es ihr gelungen über das 12. Jahrhundert hinaus ein Staatswesen zu errichten. Nach über zweihundert Jahren Herrschaft in Nordafrika und Ägypten und einer erfolgreichen Mission im Jemen, die in den fatimidischen Vasallenstaat der Sulaihiden von 429/1037 – 532/1138 mündete, ˙ Status einer verfolgten Minderheit716 war die Isma¯ ¯ılı¯ya wieder˙ in den zurückgefallen. Vor dem Verlust jeglicher politischer Relevanz verlieren die Details der Geschichte zwar ihre Bedeutung, sie können aber dazu dienen, in der Fallhöhe den Umfang des Verlorenen und damit die Größe des Traumas zu ermessen. Dem voraus ging ein Ereignis von nicht minder großer Tragweite. Nach der Ermordung des Imam al-A¯mir bi-Ahka¯m Alla¯h im Jahr 524/ ˙ Nizariten sollte nach 11129 durch die um das Imamat rivalisierenden ¯ Überzeugung einiger Anhänger sein minderjähriger Sohn al-Tayyib der ˙ designierte Nachfolger sein.717 Die Ernennung des wohl erst zweijährigen Jungen zum Imam führte aber nur im Jemen zu einer Anhängerschaft von dauerhaftem Bestand. Damit entwickelte sich die jemenitische Da wa der Tayyibı¯ya zu einem eigenständigen Zweig innerhalb der Isma¯ ¯ılı¯ya. Dem ˙ gemäß waren es auch die jemenitischen Da¯ ¯ıs, die sich um den Nachweis bemühten, dass al-Tayyibs Designation (nass) rechtmäßig sei.718 Mit ˙ ˙ die Epoche der offen ˙auftretenden seinem Imamat endete Imame, denn ˘

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716 Vgl. Kap. 4.1.3. 717 Traboulsi (2005): The formation of an Islamic sect, S. 7 ff. 718 Ebd., S. 125 – 131.

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7. Die postfatimidische Epoche

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al-Tayyib ging zeitgleich mit seiner offiziellen Ernennung in die Ver˙ bergung. Zum zweiten Mal in ihrer Geschichte traten die nun tayyibi˙ ein. tischen Isma¯ ¯ıliten in den dawr al-satr, die Periode der Verbergung, Möchte man die politischen Wirren und mehrfachen Schismen darstellen, die zum Ende isma¯ ¯ılitischer Herrschaft geführt haben und die als gemeinschaftliche Erfahrung des enormen Machtverlustes und der Desorientierung bereits eine extreme Belastung dargestellt haben müssen, scheint es angebracht, sich noch einmal die fundamentale719Eigenheit der Schia vor Augen zu halten. Hatte man sich erst für den einen oder anderen Herrscher entschieden, spielte die Frage der Sukzession in anderen muslimischen, sunnitischen Dynastien keine große Rolle mehr, außer für den Historiker. Jenseits der Frage, ob es eine Verpflichtung gab, gegen einen ungerechten Herrscher Widerstand zu leisten, konnte das Amt prinzipiell von jedem Muslim ausgefüllt werden. Für die Schia und besonders die Isma¯ ¯ılı¯ya, die an einer fortgesetzten Kette lebender Imame festhalten, betrifft die Frage der Sukzession dagegen den innersten Kern der Lehre. Nur der echte Imam garantiert die unverfälschte Vermittlung der wahren Lehre, nur die Gefolgschaft gegenüber dem echten Imam garantiert den Anhängern Erlösung. Für gläubige Isma¯ ¯ıliten handelt es sich bei den politischen Kämpfen um die legitime Designation (nass) der ˙˙ Imame nicht nur um Ränkespiele der Macht, sondern um nicht weniger als den Sinn ihres Daseins und die Hoffnung auf das Jenseits. So ist es folgerichtig und wiegt daher umso schwerer, dass ein isma¯ ¯ılitisches Staatswesen im Kern nur als Theokratie gedacht werden kann.720 Nachdem das Kapitel über Politik und Theologie der Fatimiden von einem Übermaß an Material, sowohl primär wie sekundär, bestimmt war, kehrt die Darstellung im folgenden Kapitel wieder zurück zur Betrachtung einer ausgewählten, spezifisch aussagekräftigen Quelle. Gegenüber dem Kapitel zur präfatimidischen Isma¯ ¯ılı¯ya, wo das theologische Material von historischen Abhandlungen verschiedener, zum Teil nicht eindeutig datierbarer Autoren flankiert wurde, stellen wir bei den hier folgenden Untersuchungen mit Idrı¯s Ima¯d al-Dı¯n einen Autor ins Zentrum, der sich gleichermaßen als Geschichtsschreiber und auch als Theologe betätigte. Wir erhalten also sowohl die historische Darstellung als auch ihre theologische Interpretation aus einer Hand. Idrı¯s Ima¯d al-Dı¯n stellt damit eine erfreuliche Ausnahme in der Reihe isma¯ ¯ılitischer Autoren dar, die an ˘

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719 Ebd., S. 131 – 139. 720 Stern (1951): The succession, S. 193 f.

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7. Die postfatimidische Epoche

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Geschichtsschreibung sonst wenig Interesse zeigten.721 Die Historiographie Idrı¯s Ima¯d al-Dı¯ns ist außerdem auch dort überaus wertvoll, wo dieser nicht selbst Augenzeuge war. Denn diese Stellen zeigen, dass er erstens auf die Berichte zeitgenössischer Autoren verschiedener Denominationen zurückgreifen konnte und zweitens ihm als obersten Da¯ ¯ı des tayyibitischen Da wa sämtliches Schriftgut der Gemeinschaft zur Verfü˙gung stand – was Außenstehenden in der Regel verschlossen blieb.722 ˘

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7.1. Vom Niedergang isma¯ ¯ılitischer Herrschaft

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Unter dem Ansturm der Ayyubiden, namentlich Saladin, Sala¯h al-Dı¯n al˙ ˙ Ayyu¯bı¯, fiel das seit geraumer Zeit instabile Fatimidenreich im 12. Jahrhundert und Ägypten geriet wieder unter abbasidische Kontrolle. Das Ende des sulaihidischen Vasallenstaats im Jemen wird sogar noch drei ˙ offiziellen Ende der Fatimiden in Kairo (567/1171) Jahrzehnte vor˙ dem datiert. Die Besetzung Kairos durch die Ayyubiden spielte für die jemenitische Da wa jedoch nur eine untergeordnete Rolle, da für die Sulaihiden das Fatimidenreich schon mit dem Verschwinden des 21. ˙ ı˙litischen Imam al-Tayyib (524/1130) in seiner bisherigen Form zum isma ¯¯ Ende gekommen war.˙ Mehrere interne Spaltungen aufgrund von Nachfolgestreitereien hatten die Da wa nachhaltig geschwächt. Nach dem nun endgültigen Zusammenbruch der isma¯ ¯ılitischen Herrschaft kehrten die Isma¯ ¯ıliten, ihrer Macht und Einflussnahme beraubt, wieder zu ihrem vormaligen Status als kleine, verfolgte Glaubensgemeinschaft zurück. Nach den vormals glorreichen Tagen war der Imam nun wieder gezwungen, in der Verbergung zu verschwinden und hielt, so die offizielle Lehre, lediglich über seinen obersten Missionar (da¯ ¯ı) Kontakt zu seiner Gefolgschaft, welche sich zu ihrem Schutz in die abgelegenen Bergregionen des Nordjemen zurückgezogen hatte. ˘

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7.1.1. Die Sulaihiden im Jemen (1047 – 1138) ˙ ˙ ˘

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Der isma¯ ¯ılitische Sulaihidenstaat konnte mit seiner Mission an die ältere ˙ im ˙Jemen anknüpfen. Nach den großen Erfolgen zur isma¯ ¯ılitische Da wa 721 Sayyid/Walker/Pomerantz (Hg.) (2002): The Fatimids and their Successors in Yaman, S. ix. 722 Ebd., S. 8.

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7.1. Vom Niedergang isma¯ ¯ılitischer Herrschaft

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Anfangszeit der Da wa im Jemen war diese nach dem Tod der beiden Da¯ ¯ıs Ibn Hausˇab Mansur al-Yaman und des Dissidenten Alı¯ ibn al-Fadl im Jahr ˙ 723 wieder ˙ zerfallen, und man war gezwungen, ausschließlich ˙ 303/915 konspirativ zu operieren. Etwas über einhundert Jahre später sollte die Da wa aber wieder öffentlich ihr Haupt erheben und ein Jahrhundert lang einen zweiten Siegeszug über den gesamten Jemen antreten.724 Die Geschichte der Sulaihiden im Jemen kann jedoch nicht erzählt ˙ die˙ der Fatimiden in Ägypten zu betrachten. werden, ohne dabei auch Denn der sulaihidische Vasallenstaat war in vielfältiger Weise abhängig ˙ es aber auch, sich zur rechten Zeit von dem sich selbst von Kairo, ˙verstand auflösenden Fatimidenreich zu lösen. Wenn auch das Fatimidenreich nicht wie zu Beginn der islamischen Eroberungen, noch unter Muhammad, von der militärischen Stärke der jemenitischen Stämme pro˙ fitieren konnte, so waren die wirtschaftlichen Beziehungen doch eindeutig von Vorteil für Kairo.725 Im Gegenzug erhielten die jemenitischen Machthaber Legitimität und ihre Da¯ ¯ıs, allen voran der Da¯ ¯ı al-Qa¯d¯ı ˙ Lamak ibn Ma¯lik al-Hamma¯dı¯, ihre theologische Ausbildung, auf der die ˙ jemenitische Da wa letztlich erst gegründet werden konnte. Die sicher nachhaltigsten Auswirkungen in der Beziehung zwischen dem Jemen und Ägypten hatte aber der Transfer der fatimidisch-isma¯ ¯ılitischen Literatur durch Mu ayyad fı¯-’l-Dı¯n al-Sˇ¯ıra¯zı¯ und den bereits genannten al-Qa¯d¯ı ˙ Lamak. Von diesem geretteten Schatz profitierten und profitieren bis heute sowohl die isma¯ ¯ılitische Da wa als auch die mit ihr befassten Wissenschaften. Zeitgleich mit letzten Triumphen der ägyptischen Fatimiden erreichte auch die isma¯ ¯ılitische Da wa im Jemen ihren Zenith. Unter dem Imam al-Mustansir fiel nicht nur Baghdad kurzzeitig in die Hände der ˙ auch die Organisation der Da wa erlebte ihren HöFatimiden, sondern hepunkt. Gleichzeitig gelang dem Sulaihiden-König Alı¯ al-Sulaih¯ı die ˙ Banner der Fatimiden. ˙Den˙ Einigung des gesamten Jemen unter˙ dem noch waren die Umstände der Ereignisse in den beiden Ländern, wenn auch nicht mit sofortiger Wirkung, eher dazu angehalten, die Instabilität zu befördern und die Möglichkeiten der isma¯ ¯ılitischen Da wa zu be˘

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723 Vgl. Kap. 5.2.1.1. 724 Hamdani, H. (1407/1986): Al-Sulayh¯ıyu¯n, S.27 – 61. ˙ der beiden Staaten die Verwendung von ˙ 725 Al-Hamda¯nı¯ behandelt in der Beziehung Titulaturen zu verschiedenen Anlässen, den – recht einseitigen – Austausch von Geschenken und die Wirtschaftsbeziehungen (ders. [1407/1986]: Al-Sulay˙ h¯ıyu¯n, S. 212 – 231). ˙

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schränken. Die Geschichte des späten ägyptischen Fatimidenreiches war – ¯ mir – geprägt durch die bis auf eine kurze Unterbrechung durch al-A Machtlosigkeit der Imame unter der Kuratel ihrer Militärwesire. Die Geschichte des Jemens wurde auf diese Weise, mit der kurzen Ausnahme von Alı¯ al-Sulaih¯ıs kurzer Herrschaft über den ganzen Jemen, vor allem ˙ sich bekriegenden Kleinstaaten und wechselnden ˙ bestimmt von Machtkonstellationen.726 Der Siegeszug der Sulaihiden begann mit dem Da¯ ¯ı Alı¯ ibn Mu˙ hammad al-Sulaih¯ı, der ˙429/1038 die Standarte der Fatimiden auf dem ˙ˇ abal Sˇiba¯m˙aufstellte ˙ G und damit zum ersten Mal seit über hundert Jahren den Machtanspruch der Isma¯ ¯ılı¯ya im Jemen, vor allem gegenüber ihrem alten Erzfeind, der Zaidı¯ya, öffentlich machte. In Laufe der folgenden 25 Jahre war es Alı¯ al-Sulaih¯ı 455/1063 gelungen, vor allem mithilfe der ˙ Stämmen den ganzen Jemen zu unterwer˙ Banu¯ Hamda¯n und anderen fen.727 Ein zweites Mal in seiner Geschichte war der gesamte Jemen unter isma¯ ¯ılitische Kontrolle geraten. Die Verbindungen mit dem in Kairo residierenden Imam al-Mustansir waren von Anfang an eng und Alı¯ al˙ seiner Herrschaft um das Wohlwollen Sulaih¯ı bemühte sich seit Beginn ˙ ˙des Imam, wie der erhaltene Briefwechsel zwischen dem Imam und den Sulaihiden belegt.728 So entsandte Alı¯ al-Sulaih¯ı im Jahr 455/1063 auch ˙ ˙ die˙ jemenitische Da wa eine ˙ Mann den an den fatimidischen Hof, der für zentrale Rolle spielen sollte: Al-Qa¯d¯ı Lamak ibn Ma¯lik al-Hamma¯dı¯.729 ˙ ˙ Jemen wurde vom Imam Die Rückreise des Lamak in den al-Mustansir (gest. 487/1094) mehrfach verzögert. Lamak nutzte den schließlich ˙fünfjährigen Aufenthalt in Kairo, um bei niemand geringerem als dem oberten aller Da¯ ¯ıs, Mu ayyad fı¯-’l-Dı¯n al-Sˇ¯ıra¯zı¯, zu studieren.730 Als Alı¯ al-Sulaih¯ı 460/1068 auf einer Pilgerfahrt nach Mekka ermordet wurde, ˙hielt ˙al-Mustansir den Zeitpunkt für gekommen, die Ausbildung ˙ ˘ ˘

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726 Einen ausführlichen Überblick darüber mit einem Fokus auf Jemen gibt Hamdani, H. (1407/1986): Al-Sulayh¯ıyu¯n; dazu ebenso der letzte Band des ˙ ba¯˙r von Idrı¯s Ima¯d al-Dı¯n, hg. v. Sayyid/ siebenbändigen Werks Uyu¯n al-Ah ˘ Fatimids and their Successors in Yaman. Walker/Pomerantz (Hg.) (2002): The 727 Halm (2003): Die Kalifen von Kairo, S. 395 – 400; Hamdani, H. (1407/1986): Al-Sulayh¯ıyu¯n, S. 62 – 112 u. Daftary (1998a): A Short History of the Ismailis, ˙ ˙ S. 104. 728 Die Briefe des al-Mustansir werden zum Teil von Idrı¯s Ima¯d al-Dı¯n wieder˙ im Ma¯gˇid [1959]: Kita¯b al-Sigˇilla¯t al-Mustansiriyya). gegeben (hg. v. Abd al-Mun ˙ 729 Hamdani, A. (1985): The Tayyibı¯-Fa¯timid Community, S. 152. ˙ ˙ 730 Zu Mu ayyad fı¯-’l-Dı¯n al-Sˇ¯ıra¯zı¯ vgl. Klemm (1989): Die Mission des fa¯timidi˙ schen Agenten al-Mu ayyad fı¯ d-dı¯n in Sˇ¯ıra¯z u. dies. (2003): Memoirs of a mission (dort auch weitere Angaben zu seiner Beziehung zur jemenitischen Da wa). ˘

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des Lamak abzuschließen und ihn als seinen Emissär zurückzusenden. AlQa¯d¯ı Lamak ibn Ma¯lik al-Hamma¯dı¯ kehrte 460/1068 aus Kairo in den ˙ dort gemäß den Anweisungen des Imam das ˙ zurück und übernahm Jemen Amt des obersten Da¯ ¯ı im Jemen.731 Von da an trug er auch den Titel Da¯ ¯ı al-Bala¯g˙ – der vorher nicht belegt worden war – und den Titel Qa¯d¯ı alQuda¯ . Mit seiner Rückkehr aus Kairo überbrachte al-Qa¯d¯ı Lamak˙ au˙ ßerdem die Nachricht des Imam al-Mustansir, dass Alı¯ al-S˙ ulaih¯ıs Sohn ˙worden ˙ ˙ und Nachfolger al-Mukarram vom Fatimiden-Imam anerkannt 732 war. Noch während der Regentschaft des Vaters Alı¯ al-Sulaih¯ı heiratete ˙ ˙ sein Sohn al-Mukarram 458/1066 Sayyida Arwa¯ bint Ahmad. Vermutlich als Folge von Verletzungen, die al-Mukarram sich ˙in verschiedenen Schlachten zugezogen hatte, traten bei ihm bleibende Lähmungen ein, weshalb er die Regierungsgeschäfte umgehend seiner Frau übertrug. Kurz danach, im Jahr 467/1074, siedelte er in die südlicher gelegene Stadt ˇ ibla über, die die Königin Sayyida Arwa¯ bint Ahmad als eine ihre Du¯ G ¯ ˙ gewählt hatte.733 ersten Amtshandlungen nach San a¯ zum neuen Amtssitz ˙ Zehn Jahre später, im Jahr 477/1084, starb er dort, während sein minderjähriger Sohn Alı¯ Abd al-Mustansir nominell zum Nachfolger er˙ Witwe Arwa bint Ahmad noch nannt wurde. Faktisch aber regierte seine ¯ weitere fünf Jahrzehnte bis zu ihrem Tod im Jahr 532/1137.˙734 Es bleibt festzuhalten, dass die Vorgänge um die Ernennung und Anerkennung von Da¯ ¯ıs und Königen im Jemen gleich mehrfach bedeutsam waren, denn im Gegensatz zum Imamat war das Amt des Da¯ ¯ı nicht erblich. Und so galt die Entsendung des al-Qa¯d¯ı Lamak zur Bestätigung des al-Mukarram durch al-Mustansir als ein ˙überaus wichtiger ˙ Akt. Tatsächlich kann er als der eigentliche Gründer der zweiten isma¯ ¯ılitischen Da wa im Jemen bezeichnet werden.735 Gleichzeitig war zudem mit der Entsendung Lamaks auch eine Innovation eingeführt ˘

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731 Sayyid/Walker/Pomerantz (Hg.) (2002): The Fatimids and their Successors in Yaman, S. 62 f. 732 Hamdani, A. (1974): The Da¯ ¯ı Ha¯tim Ibn Ibra¯hı¯m al-Ha¯midı¯ and his Book ˙ ˙ Tuhfat, S. 260 f. 733 Zu˙San a¯ und ihrer Zeit als sulaihidischer Hauptstadt vgl. Smith (1983): The Early and ˙Medieval History of S˙an a¯ ,˙ S. 58 f. 734 Hamdani, A. (1974): The˙ Da¯ ¯ı Ha¯tim Ibn Ibra¯hı¯m al-Ha¯midı¯ and his Book ˙ Tuhfat, S. 163 f. Zu Malika Arwa˙¯ bint Ahmad vgl. Daftary (1998b): Sayyida ˙ ˙ Hurra, S. 117 – 130; Traboulsi (2003): The Queen was actually a Man, ˙S. 96 – ˙ u. Hamdani, H. (1407/1986): Al-Sulayh¯ıyu¯n, S. 142 – 211. 108 ˙ sect, S. 23. 735 Traboulsi (2005): The formation of an ˙Islamic ˘

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worden, denn das politische und das religiöse Amt des Da¯ ¯ıs wurden voneinander getrennt. Al-Qa¯d¯ı Lamak wurde zum da¯ ¯ı bi’l-qalam (,Da¯ ¯ı ˙ mit dem Stift‘), während al-Mukarram zum da¯ ¯ı bi’l-saif (,Da¯ ¯ı mit dem Schwert‘) wurde, wie das Tuhfat al-qulu¯b des späteren dritten Da¯ ¯ı mutlaq ˙ Ha¯tim ibn Ibra¯hı¯m (596/1199) berichtet. Königin Arwa¯ hingegen ˙er˙ nannte al-Mustansir nach ihrer Approbation in der Folge des Todes ihres Gatten auch zum ˙hugˇgˇa, ein rein politisch repräsentatives Amt ohne re˙ ligiöse Kompetenzen.736 Der Titel hugˇgˇa trug eine große Bedeutungs˙ vielfalt in sich und wurde sowohl für Imame als auch für Ämter in der 737 Da wa-Organisation verwandt. Damit hatte Königin Arwa¯ das höchste Amt in der jemenitischen Da wa inne. Die Übertragung eines Da waAmtes an eine Frau stellte damals eine ungeheuerliche Neuerung dar; der Titel ihres verstorbenen Mannes, da¯ ¯ı bi’l-saif (,Da¯ ¯ı mit dem Schwert‘), wäre hierfür wohl völlig unpassend gewesen. Eine ähnliche Trennung für das Amt des Imamats hatte es unter al-Ha¯kim schon einmal andeutungsweise in dessen Designation gegeben,˙wenngleich sie auch vereitelt wurde.738 Auch im Fall der Königin Arwa¯ könnten pragmatische Erwägungen, wie die gegenseitige Kontrolle, aber auch die Entkopplung zur Verbesserung der Überlebenschancen, der Hintergrund dieser Entscheidung gewesen sein. Durch die Sondersituation im Jemen (eine nicht-fatimidische aber trotzdem isma¯ ¯ılitische Herrschaft) wurde die Verbindung von politischer und religiöser Führung erstmalig aufgehoben.739 Zu fragen wäre auch, ob es sich bei dieser Entscheidung um des Imam präferierte Lösung gehandelt hat oder ob er nur gezwungen war, in seiner offensichtlichen Ohnmacht gegenüber der mächtigen Königin die zweitbeste Lösung zu akzeptieren. Dass sich Kairo eine engere Kontrolle über den Jemen wünschte, zeigte auch die Entsendung des Ibn Nagˇ¯ıb alDaula – offiziell zur Unterstützung der Königin, tatsächlich aber wohl zu ihrer Disziplinierung – mit seinen armenischen Reitern im Jahr 513/ 1119.740 ˘

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736 Hamdani, A. (1974): The Da¯ ¯ı Ha¯tim Ibn Ibra¯hı¯m al-Ha¯midı¯ and his Book ˙ ˙ Tuhfat, S. 262 – 263 u. 273. 737 Vgl.˙ Daftary (1990): The Isma¯ ¯ılı¯s, S. 127 f; Madelung (1961): Das Imamat, S. 61 – 64. 738 Halm (2003): Die Kalifen von Kairo, S. 279ff u. 307. 739 Hamdani, A. (1974): The Da¯ ¯ı Ha¯tim Ibn Ibra¯hı¯m al-Ha¯midı¯ and his Book Tuhfat, S. 273; Daftary (1998b): S˙ayyida Hurra, S. 122. ˙ ˙ ˙ Ibra¯hı¯m al-Ha¯midı¯ and his Book ˙ a¯tim Ibn 740 Hamdani, A. (1974): The Da¯ ¯ı H ˙ ˙ Tuhfat, S. 267 f. ˙ ˘ ˘

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Zeitgleich mit der zweiten Blüte der Isma¯ ¯ılı¯ya im Jemen wurde in Kairo das Lied vom Untergang gespielt. Zum Ende von Imam al-Mustansirs turbulenter Herrschaft 487/1094 waren die Fatimiden in ˙ Nordafrika auf Ägypten reduziert und hatten Syrien und Palästina bis auf einige wenige Küstenstädte an die Selgˇuken verloren.741 Das Reich war durch und durch korrupt, die Regierung handlungsunfähig oder unwillig und das in seine ethnischen Gruppierungen zersplitterte Heer bediente sich, wo es wollte, wenn es nicht mit internen Kämpfen beschäftigt war. Selbst die kurze Eroberung Baghdads war nur der noch größeren Schwäche der Abbasiden geschuldet, während die Selgˇuken in das Machtvakuum stoßend ihre Herrschaft vom Osten her kommend ausdehnten. Statt unter der Führung des Imam zu stehen, war der Kalifenhof eine Manege im Kampf um den eigenen Vorteil verschiedener Familienzweige, Verwalter, Wesire und anderer Günstlinge. Der 18. Imam und achte Fatimidenkalif al-Mustansirs wusste sich keine andere Hilfe und ˙ Entscheidung seiner langen Regieersuchte, als wohl einzige eigene rungszeit, wie Halm schreibt, den armenischen Mamlukenoffizier Badr ˇ ama¯lı¯ um Unterstützung – allerdings um den Preis der Regentschaft al-G Ägyptens. Al-Mustansir hatte sich somit selbst entthront.742 ˙ Eigentlich hatte al-Mustans ir seinen ältesten Sohn Abu¯ Mansu¯r Niza¯r ˙ ˙ (437/1045 – 488/1095) zu seinem Nachfolger bestimmt. Aber dem Oberbefehlshaber des Heeres amı¯r al-gˇuyu¯ˇs und inzwischen eigentlichen Führer des Fatimidenreiches Abu¯’l-Qa¯sim Sˇa¯ha¯nsˇa¯h, genannt al-Afdal, ˙ missfiel dies und er ernannte stattdessen den viel jüngeren und komplett von al-Afdal abhängigen Halbbruder Qa¯sim Ahmad (467/1074 – 495/ ˙ unter dem Regen1101) zum˙ 19. Imam und neunten Fatimidenkalif tennamen al-Musta lı¯ bi- lla¯h. Nach der geglückten Palastrevolte gegen Niza¯r floh dieser nach Alexandria, von wo aus er gegen al-Afdal oppo˙ Niza¯r nierte. Doch sein Widerstand währte nur kurz. 488/1095 wurde nach seiner Festnahme in Kairo hingerichtet. Das Schisma der Isma¯ ¯ıliten in Niza¯riten und Musta liten erwies sich als dauerhafter als der inzwischen nur noch auf Ägypten reduzierte fatimidische Reststaat, der nach weiteren 77 Jahren sein Ende durch die Ayyu¯biden fand. Die Musta lı¯-Imame waren nur noch machtlose Figuren unter der Kontrolle ihrer Militärwesire. Nach al-Musta lı¯s kurzer Herrschaft (gest. 495/1101) platzierte al-Afdal dessen fünfjährigen Sohn unter dem Titel al-A¯mir bi-Ahka¯m Alla¯h˙auf dem Imamsthron, während die Teilnehmer des Kreuzzugs ˙unter ˘

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741 Daftary (1998a): A Short History of the Ismailis, S. 106. 742 Halm (2003): Die Kalifen von Kairo, S. 348 – 420.

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Balduin I., König von Jerusalem, vom Osten her vordrangen. 515/1121 wurde al-Afdal, womöglich auf Betreiben des jungen Imam selbst, ˙ schließlich ermordet und al-A¯mir übernahm endlich eigenhändig die 743 Regierungsgeschäfte. Bis zu diesem Zeitpunkt waren die jemenitischen Isma¯ ¯ıliten trotz all dieser Wirren Kairo stets treu geblieben. Doch das sollte sich von da an ändern. Denn die Nachfolge von al-Musta lı¯s ¯ mir bi-Ahka¯m Alla¯h, Sohn, des 10. fatimidischen Imam-Kalifen al-A ˙ führte nach dessen Ermordung durch Niza¯riten im Jahr 524/1130 zu 744 einer erneuten Spaltung der Da wa. Idrı¯s Ima¯d al-Dı¯n berichtet uns in seinem historiographischen ¯ mirs Hauptwerk Uyu¯n al-ahba¯r über die Geburt und Designation von al-A ˘ ¯ mir an die jemeSohn al-Tayyib und führt als Beleg den Brief des al-A ˙ nitische Königin Arwa¯ bint Ahmad über eben diese Vorgänge an.745 ˙ Offensichtlich war es al-A¯mir wichtig, sowohl seinen eigenen Tod wie auch seine Nachfolge seinem Umfeld mitteilen zu können. Immer wieder prophezeite er – gemäß tayyibitischer Tradition – seine Ermordung.746 ˙ Jemen zunächst keine Irritationen aus, denn Der Tod des Imam löste im nach offizieller tayyibitischer Lesart hatte sich al-A¯mirs Sohn al-Tayyib ˙ ˙ beim Ableben seines Vaters verborgen. Nach über zweihundert Jahren offenen Auftretens waren die isma¯ ¯ılitischen Imame wieder in die Verborgenheit gegangen, was in Anbetracht der erheblichen Gefahren, eine durchaus plausible Option war. Abd al-Magˇ¯ıd, ein Cousin al-A¯mirs, übte als stellvertretender Regent in Kairo zusammen mit al-Afdals Sohn Abu¯ ˙ Alı¯ al-Afdal als militärischem Oberbefehlshaber stellvertretend die ˙ Herrschaft aus. Der Konflikt mit der jemenitischen Da wa trat aber offen ¯ mirs, sich 526/1132, zwei zutage, als sich Abd al-Magˇ¯ıd, ein Cousin al-A ¯ Jahre nach al-Amirs Ermordung, selbst zum Imam al-Ha¯fiz li-Dı¯n Alla¯h ˙ ˙ ausrufen ließ. Die Jemeniten kündigten Kairo die Gefolgschaft und er747 nannten sich selbst zu den wahren Hütern der Da wa. Darüber, dass es einen Sohn al-A¯mirs mit Namen al-Tayyib gab und ˙ Vater hatte, dass dieser die Designation zum Imam (nass) von seinem ˙ ˙ besteht historisch kein Zweifel, wie aus verschiedenen Quellen belegt werden kann. Was aber mit dem Jungen geschah, dessen Vater nur wenige ˘

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743 Daftary (1998a): A Short History of the Ismailis, S. 106 – 109. 744 Hamdani, A. (1974): The Da¯ ¯ı Ha¯tim Ibn Ibra¯hı¯m al-Ha¯midı¯ and his Book ˙ ˙ Tuhfat, S. 258. ˙ 745 Sayyid/Walker/Pomerantz (Hg.) (2002): The Fatimids and their Successors in Yaman, S. 85 u. 247 – 256. 746 Stern (1951): The succession, S. 202 – 212. 747 Ebd., S. 223 – 227.

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7.1. Vom Niedergang isma¯ ¯ılitischer Herrschaft

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Monate nach seiner Geburt ermordet wurde, ist unklar. Anhänger des al¯ mirı¯ya genannt, fanden sich nicht nur Tayyib, in jener Frühzeit noch al-A ˙ Jemen, sondern ebenso in Ägypten und möglicherweise auch in anim deren Ländern.748 Al-Tayyibs Aufenthalt im Jemen kann also ebenso ˙ wenig belegt wie widerlegt werden. In der Zwischenzeit hatte sich die jemenitische Da wa als religiöse Organisation weiterentwickelt.749 Al-Qa¯d¯ı Lamak ibn Ma¯lik al-Ham˙ ma¯dı¯, der als der eigentliche Begründer der˙ Tayyibı¯ya bezeichnet werden ˙ 750 kann, starb aller Wahrscheinlichkeit nach kurz vor 491/1097. Sein Sohn Yahya¯ wurde bis zu seinem Tod 520/1126 sein Nachfolger als ˙ ¯ ¯ı des Jemen.751 Nach dem Ende dieser beiden Da¯ ¯ıs finden wir oberster Da eine neue Nomenklatur. Arwa¯ bint Ahmad ernannte den ihr treu erge˙ benen Du aib ibn Mu¯sa¯ al-Wa¯di ¯ı kurz nach 526/1132 zum obersten Da¯ ¯ı, ¯ mit dem von ihr eingeführten Titel des Da¯ ¯ı mutlaq, der auf seine all˙ Jahr von Abd alumfassenden Kompetenzen verweist.752 Im selben Magˇ¯ıds Selbstproklamation zum Imam al-Ha¯fiz demonstrierte Arwa¯ bint ˙ ihren ˙ Ahmad in ihrer neuen Da wa-Terminologie Anspruch auf Auto˙ nomie und Souveränität. Mit Du aib ibn Mu¯sa¯ al-Wa¯di ¯ı begründete sich ¯ daraufhin eine neue, eigenständige Da wa-Tradition, die bis in die Gegenwart hinein Bestand hat. Malika Arwa¯ bint Ahmad hatte wohl verschiedene Gründe, al-Tayyib ˙ ˙ und als Imam zu folgen. Neben dem schlichten Grund der Genealogie ¯ mir an die Königin einer Designation, die auch in einem Brief von al-A belegt ist, bot sich durch die sofort auftretende Verbergung des al-Tayyib ˙ auch die Möglichkeit, sich endlich von dem schon lange strauchelnden Fatimidenreich und seinen wechselnden Regentschaften in Ägypten zu lösen. Letzter Anlass für das tiefe Misstrauen gegen Kairo war wohl Ibn ¯ mir entsandt wurde, um Nagˇ¯ıb al-Daula, der 513/1119 vom Imam al-A Jemen unter strenge administrative Kontrolle der Fatimiden zu bringen. Ibn Nagˇ¯ıb al-Daula konnte aber nichts ausrichten, sondern musste im Gegenteil, nachdem er sich mit seinen Soldaten den großen Unmut der Bevölkerung zugezogen hatte, wieder abziehen und wurde auf dem ˘

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748 Ebd., S. 194 – 202. 749 Daftary (1990): The Isma¯ ¯ılı¯s, S. 284 – 286. 750 Hamdani, A. (1974): The Da¯ ¯ı Ha¯tim Ibn Ibra¯hı¯m al-Ha¯midı¯ and his Book ˙ ˙ Tuhfat, S. 161. ˙ 751 Daftary (1998a): A Short History of the Ismailis, S. 109. 752 Ders. (1998b): Sayyida Hurra, S. 126. ˙ ˙ ˘

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7. Die postfatimidische Epoche

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Rückweg nach Kairo, womöglich auf Geheiß der Königin Arwa¯, ertränkt.753 Waren wechselnde Allianzen bei den strikt patriarchalischen jemenitischen Stämmen auch sonst nichts Ungewöhnliches, so hatte die, wenn auch erfolgreiche Führung der Da wa in der Hand einer Frau bei einigen jemenitischen Fürsten Missfallen erregt und – womöglich befeuert durch einen von Arwa¯ bint Ahmad vereitelten Heiratsversuch – die Instabilität ˙ Gebiet befördert.754 Während die natürliche vor allem auf militärischem Hauptstadt des Jemen, San a¯ , in jenen Jahren unter wechselnder Konˇ ibla die stabilen trolle stand, blieben das ˙Gebirgsmassiv Hara¯z und Du¯ G ¯ ˙ Zentren isma¯ ¯ılitisch-sulaihidischer Herrschaft. Wie stark das militärisch˙ Sulaihiden an die Person der Arwa bint ˙ der politische Fortbestehen ¯ Ahmad gebunden war, zeigte ˙sich, ˙als mit ihrem Tod 532/1137 auch das ˙ idenreich im Jemen endete. Die isma ılitisch-tayyibitische Da wa Sulaih ¯¯ ˙ aber mit dem neuen Amt des Da ı mutlaq an˙ der Spitze hiervon ˙ konnte ¯¯ ˙ unabhängig fortbestehen. Saladin, Sala¯h al-Dı¯n Yu¯suf al-Ayyu¯bı¯, beendete das Fatimidenreich ˙ als˙ er nach 262 Jahren isma ılitischer Herrschaft am 7. dann offiziell, ¯¯ Muharram 567/10. September 1171 die Predigt in Kairo im Namen der ˙ Abbasiden lesen ließ. Während im Jemen die Anhänger al-Tayyibs ihre ˙ Mission fortsetzen konnten, wurden die jemenitischen Anhänger alHa¯fiz’, vornehmlich die Familien der Zurai iden und Hamda¯niden, nur ˙ ˙Jahre später durch die Ayyubiden ausgelöscht.755 zwei ¯ ˘

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7.1.2. Die Geschichte der jemenitischen Tayyibı¯ya nach dem Ende der Sulaihiden ˙ ˙ ˙

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Mit dem Ende der Sulaihiden verschlechtert sich die Quellenlage er˙ ist besonders darauf zurückzuführen, dass es ˙ heblich. Dieser Umstand keine Dynastie mehr gab, über die in den nicht-isma¯ ¯ılitischen Annalen Berichte hätten auftauchen können. Idrı¯s Ima¯d al-Dı¯n hatte beispielsweise zu seiner Geschichtsschreibung in den Uyu¯n al-ahba¯r neben seinen ˘ ˘

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753 Hamdani, A. (1974): The Da¯ ¯ı Ha¯tim Ibn Ibra¯hı¯m al-Ha¯midı¯ and his Book ˙ ˙ Tuhfat, S. 267 f. ˙ 754 Ebd., S. 264. 755 Ebd., S. 259; Stern (1951): The succession, S. 229 – 232 u. Daftary (1990): The Isma¯ ¯ılı¯s, S. 281.

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7.1. Vom Niedergang isma¯ ¯ılitischer Herrschaft

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isma¯ ¯ılitischen Quellen auch sunnitische Quellen nutzen können.756 Für die Zeit vom Ende der Sulaihiden bis einschließlich der Lebenszeit des ˙ ˙ Idrı¯s gibt es jedoch nur eine Quelle, aus der sich ein klares Bild der jemenitischen Da wa jener Epoche nachzeichnen lässt, das Kita¯b nuzhat alafka¯r wa-rawdat al-ahba¯r fı¯ dikr man qa¯ma bi’l-yaman min al-mulu¯k al-kiba¯r ˙ yar. Der ¯ wa’l-du a¯t al-ah ¯ ˘ Bericht des Idrı¯s Ima¯d al-Dı¯n (gest. 872/1468) ist ˘ in zwei Bände gegliedert. Der erste Band behandelt die fünf Jahrhunderte von Ibn Hausˇab Mansu¯r al-Yaman (gest. 302/914) bis zum 16. Da¯ ¯ı ˙ ¯h ibn Alı¯ ibn Muhammad al-Ha¯tim (gest. 809/ mutlaq des Jemen Abdalla ˙ ˙ 1407). Der zweite Band enthält die Biographien der ˙ beiden direkten Vorgänger des Idrı¯s. Neben der Geschichte der Da wa im engeren Sinne berichtet uns Idrı¯s auch über die Beziehungen zwischen den Tayyibiten ˙ und Niza¯riten im Jemen und über die isma¯ ¯ılitische Mission in Indien. Das 757 Nuzhat al-afka¯r liegt allerdings nur als Handschrift vor. Die Historiographie dieser Epoche der tayyibitischen Da wa hat bislang, ob mangels Quellen oder fehlendem˙ genuinem Interesse sei dahingestellt, wenig Beachtung gefunden. Qutb al-Dı¯n Sulaima¯n Bur˙ al-afka¯r als Quelle für ha¯npu¯rı¯ (gest. 1241/1826) verwendet das Nuzhat Da¯ ¯ı-Biographien in seinem Buch Muntaza al-ahba¯r fı¯ ahba¯r al-da wat alahya¯r 758. Und Husayn Hamdani bezieht sich bei˘ seiner˘Darstellung der ˘ ¯ ¯ılitisch-tayyibitischen Da wa auf die Texte des Idrı¯s Ima¯d al-Dı¯n, vor isma allem auf das˙ Nuzhat al-afka¯r. 759 Der Niedergang der isma¯ ¯ılitischen Reiche im Jemen und in Ägypten sowie die Eroberung des Jemen durch die Ayyu¯biden bedeutete für die tayyibitische Da wa zwar das Ende ihrer politischen Aktivitäten und ˙Einflussmöglichkeiten, aber dennoch gelang es ihr, auch unabhängig von einer politischen Organisation fortzubestehen und sich weiterzuentwickeln. Die Hara¯z-Region blieb dabei ihr Zentrum.760 Die Ablösung der ˙ religiösen Organisation der Da wa von ihrer militärisch-politischen hatte sie zwar davor bewahrt, mit dem Ende der Sulaihiden selbst aufzuhören ˙ ˙ danach zu existieren. Es fand sich aber auch für die Zeit keine Macht, die sie an sich gebunden und protegiert hätte. Die Trennung der politischen und religiösen Ämter in der jemenitisch-tayyibitischen Da wa war obsolet ˙ ˘

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756 Sayyid/Walker/Pomerantz (Hg.) (2002): The Fatimids and their Successors in Yaman, S. 16 – 22. 757 Ebd., S. 12 f. 758 Hg. v. Samer Traboulsi, Beirut 1999. 759 Hamdani, H. (1931): The Doctrines and History of the Isma¯ ¯ıli Da wat in Yemen, S. 46 – 83. 760 Hamdani, A. (1985): The Tayyibı¯-Fa¯timid Community of the Yaman, S. 152. ˙ ˙

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geworden und die Da¯ ¯ı mutlaq waren verpflichtet, neben ihren religiösen ˙ Überleben zu sichern. Da aber die Da¯ ¯ıs, wie Aufgaben auch das politische uns an vielen Stellen berichtet wird, neben ihren intellektuellen auch herausragende militärische Fähigkeiten besaßen, gelang es ihnen, die Gemeinschaft auch ohne Bindung an eine starke Herrscherfamilie zu führen. Ha¯tim ibn Ibra¯hı¯m al-Ha¯midı¯ (gest. 596/119), der dritte Da¯ ¯ı mutlaq ˙ ˙ des Jemen, gab den von Königin Arwa¯ gewählten Sitz der Da wa in ˙Du¯ ¯ ˇ ibla wieder auf und zog sich zurück in das Hara¯z-Gebirge, das G ˙ Stammland der jemenitischen Isma¯ ¯ılı¯ya. Hier in der Hochburg der Su˙ ¯ı laihiden eroberte er wieder den Berg Sˇiba¯m, von dem aus Alı¯ al-Sulaih ˙ ˙ ˙ 429/1038 seinen Siegeszug über den gesamten Jemen angetreten hatte. Als seinen Sitz wählte er das benachbarte Hutaib, wo sich auch sein Grab ˙ ˙ befindet.761 Als die Ayyu¯biden rund dreißig Jahre später 569/1173 den Jemen besetzten, trafen sie auf eine Vielzahl von Kleinstaaten: die Mahdı¯den von Zabı¯d (553/1158 – 569/1173), die Sˇarı¯fen in der nördlichen Region des Mihla¯f Sulaima¯n (diskontinuierlich seit 450/1058), die Zaidı¯-Imame von ˘ (diskontinuierlich seit 280/893), die Hamda¯niden von San a¯ (492/ Sa dah ˙1098 – 569/1173), die Zurai iden in Adan (476/1083 – 569/1173), ˙ die die Ha¯fiz¯ı-Da wa der späten Fatimiden unterstützten und schließlich die ˙ ¯-Da ˙ wa im Gebirgsmassiv des Hara¯z als Fortsetzung der Tayyibı ˙ sulaihidischen Herrschaft seit 533/1138.762 ˙ ˙ die nächsten dreihundert Jahre blieben das Haraz-Gebirge und ˙ Für ¯ die Region um San a¯ die Hochburg der Tayyibiten.˙ Mit den verschie˙ den Ayyu¯biden (569/1173 – ˙ Machthabern im Jemen, denen sunnitischen 626/1229), den Rasu¯liden (626/1229 – 858/1454) und den Ta¯hiriden (858/1454 – 923/1517) hatten sie generell gute Beziehungen.763˙Ganz im Gegensatz dazu ist jedoch ihre Beziehung zu ihrem Erzfeind, den Zaiditen, zu betrachten, mit denen sie sich offen und heftig bekriegten. Die Beziehungen mit den Zurai iden, partiell sogar mit den Hamda¯niden blieben allerdings gut und eng. Insgesamt kann man sagen, dass sich die Qualität dieser Beziehungen daran messen lässt, wer mit wem gegen wen ˘

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761 Daftary (1990): The Isma¯ ¯ılı¯s, S. 287. 762 Hamdani, A. (1985): The Tayyibı¯-Fa¯timid Community, S. 151; zur parzellierten ˙ Herrschaft der Stämme im˙ 6./12. Jahrhundert vgl. Traboulsi (2005): The formation of an Islamic sect, S. 24 – 31. 763 Die guten Beziehungen zu den wechselnden sunnitischen Herrscher-Clans des Jemen hielten auch bis zur ersten osmanischen Besatzung im 10./16. Jahrhundert. Vgl. Traboulsi (2009): The Ottoman Conquest of Yemen.

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Krieg führte. So lesen sich die wenigen Berichte, die uns über die Geschichte der tayyibitischen Da wa vorliegen auch als eine an den Biographien der˙ Da¯ ¯ıs orientierte Aneinanderreihung von Allianzen, Eroberungen, Rückzügen und Friedensschlüssen, die dann durch neue Kriegszüge baldigst wieder gebrochen werden.764 Auch Traboulsi resümiert: „As has been shown, the second stage on the history of the Tayyibı¯ da wa was one of almost continuous military involvement. The˙ da wa achieved numerous victories and was met with catastrophic defeats.“765 Diese Darstellung der Geschichte mag unbefriedigend erscheinen, sie trifft aber den Kern der mittelalterlichen Geschichte des Jemen, der bis zur Revolution 1962 von den Stämmen und ihren Angelegenheiten im Wechselspiel mit denen der religiösen Autoritäten bestimmt wurde. Serjeant pointiert das mit dem jemenitischen Ausspruch: „Man qalla fulla wa-man fulla ukila wa-man zafara qatala, Those who are few are defeated and those who are defeated˙ are consumed and he who conquers slays.“766 ˘

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7.1.3. Die Lehre der jemenitischen Tayyibı¯ya ˙ nach dem Ende der Sulaihiden ˙ ˙

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Während die politischen Ereignisse in ihrem ständigen Wechsel von erobern und erobert werden einer gewissen Monotonie nicht entbehren, spielten sich auf dem Feld der isma¯ ¯ılitischen Doktrin spektakuläre Wandlungen ab. Um wie viel bedeutsamer die Da wa in Lehre und Organisation gegenüber der militärisch-politischen Herrschaft ist, zeigt sich auch daran, dass Traboulsi in seiner Dissertation zur Geschichte der tayyibitischen Da wa im Jemen den Zeitraum von 686/1287 bis 832/ ˙1428, und damit über ein Jahrhundert nach dem Ende der Sulaihiden, als ˙ ˙ ihren Höhepunkt beschreibt.767 ˘

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764 Nach dem unedierten Nuzhat al-afka¯r berichten uns neben den genannten Qutb ˙ al-Dı¯n Burha¯npu¯rı¯ in seinem Muntaza al-ahba¯r und Husayn al-Hamdani in seiner ˘ Dissertation auch: Fyzee (1934): A chronological list of the Imams and Da’is, S. 8 – 16; Poonawala (1977): Biobibliography of Isma¯ ¯ılı¯ Literature u. Daftary (1990): The Isma¯ ¯ılı¯s, S. 286 – 291. 765 Traboulsi (2005): The formation of an Islamic sect, S. 51. 766 Serjeant (1982): The Interplay between Tribal Affinities and Religious (Zaydi) Authority in Yemen, S. 11 f. Zum Jemen und seinen Stämmen berichtet unüberboten: Dresch (1993): Tribes, Government and History in Yemen. 767 Traboulsi (2005): The formation of an Islamic sect, S. 42 – 51. ˘

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Fußend auf der Da wa-Organisation entwickelte sich im Jemen eine eigenständige Gestalt, am deutlichsten erkennbar in der Figur des Da¯ ¯ı mutlaq. Ha¯tim ibn Ibra¯hı¯m al-Ha¯midı¯, der dritte Da¯ ¯ı mutlaq (gest. 596/ ˙ ˙ Kapiteln seines Tuhfat al-qulu ˙ beschäftigt ˙ 1199), sich in einigen ¯ b auch mit Geschichte und Aufbau (tartı¯b) der Mission und ˙liefert uns eine Beschreibung ihrer endgültigen jemenitischen Gestalt, wie sie für die gesamte Zeit der tayyibitischen Da wa beibehalten worden sein soll.768 Die ˙ Organisation bestehe demnach aus einer, auf dem Wissensstand der Amtsinhaber basierenden Hierarchie: An oberster Stelle stehen die Da¯ ¯ıs in folgender Rangfolge: (1) Da¯ ¯ı bala¯g˙, (2) Da¯ ¯ı mutlaq und (3) Da¯ ¯ı ˙ drei Rangpomahsu¯r. Es folgen anschließend die Ma du¯n mit ebenfalls ˙ ¯ ˙ sitionen: (4) Ma du¯n mutlaq, (5) Ma du¯n mahsu¯r und (6) Ma du¯n mahdu¯d ¯ min al-ba ˙ ˙ lig und (9) al-Mustag ¯ ˙ ˇ ıb. ˙ (8) al-Mu und letztlich: (7)¯ Muka¯sir, ¯ ˙ ¯ Diese Gestalt sei also die Idealform. Al-Qa¯d¯ı Lamak wurde damals üb˙ und die Ämter unter dem rigens als einziger Da¯ ¯ı als Da¯ ¯ı bala¯g˙ bezeichnet Da¯ ¯ı mutlaq konnten je nach Bedarf mit mehreren Personen oder auch gar ˙ nicht besetzt sein. Mustagˇ¯ıb bezeichnete den einfachen Gläubigen ohne 769 Amt. Ha¯tim ibn Ibra¯hı¯m gab in seinen Schriften sogar zu, dass nicht ˙ Da ıs die eigentlich notwendige Bildung für ihre Ämter beimmer alle ¯¯ saßen, da aber die Stufen der Hierarchie besetzt werden mussten, blieb zuweilen keine Wahl.770 Sie, wie die gesamte Zahl der eingeweihten Isma¯ ¯ıliten, wurden idealiter aber diszipliniert durch die ihnen in der strikten Hierarchie Voranstehenden, an die sie per Gelübde gebunden waren.771 Gleiches, wenn auch in der Organisation etwas vereinfacht, berichtet auch Husain ibn Alı¯ al-Walı¯d (gest. 667/1268), der 8. Da¯ ¯ı mutlaq in seinen˙ Büchern.772 Strothmann bestätigt diese Organisations˙ struktur der tayyibitischen Da wa aus einer späten Quelle ohne genauere Datierung.773˙ Korrespondierend zur Unabhängigkeitserklärung von Kairo und der neuen Gestaltung der Organisation geschahen in der Theologie der Is˘

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768 Hamdani, A. (1974): The Da¯ ¯ı Ha¯tim Ibn Ibra¯hı¯m al-Ha¯midı¯ and his Book ˙ ˙ Tuhfat, S. 285. ˙ 769 Ebd., S. 277. 770 In dieser Differenz liegt auch Traboulsis Zweiteilung seiner Darstellung der Da wa in History vs. Theory begründet. Vgl. ders. (2005): The formation of an Islamic sect, S. 19ff u. 75 ff. 771 Hamdani, A. (1985): The Tayyibı¯-Fa¯timid Community of the Yaman, S. 156. ˙ ˙ ba¯r fı¯ ahba¯r ad-du a¯h al-ahya¯r, S. 97 – al-ah 772 Vgl. Burhanpu¯rı¯ (1999): Muntaza ˙ ˘ ˘ ˘ 102 ff. 773 Strothmann (Hg.) (1943): Gnosis-Texte der Isma¯ ¯ıliten, S. 57. ˘

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ma¯ ¯ılı¯ya kaum überraschend nach dem traumatischen Verlust des Fatimidenreichs und dem endgültigen Ausbleiben aller eschatologischen Hoffnungen ebenfalls drastische Veränderungen. Diese neue Kosmogonie und Eschatologie wird von Daftary wie folgt zusammenfassend dargestellt: Die Lehre der Tayyibı¯ya basierte weitest˙ Kosmologie aus zehn gehend auf der Lehre des al-Kirma¯nı¯ und seiner Intellekten. Dieses Modell wurde angereichert mit Motiven aus den Rasa¯ il Ihwa¯n al-Safa¯ 774. Unter Beibehaltung und Pointierung der neo˙ ˘ platonischen Emanationslehre durch Hamı¯d al-Dı¯n al-Kirma¯nı¯ wurde dieser etwas beigefügt, was Corbin als˙ „Drama im Himmel“ bezeichnet.775 In der Hierohistorie addierte die Tayyibı¯ya unzählige Zyklen von Imamen bis zur großen Erlösung. Nach˙ seiner Begründung durch das Kanz al-walad von Ibra¯hı¯m al-Ha¯midı¯ (gest. 557/1162) fand das System ˙ d al-Dın (gest. 872/1468) seinen Endim Zahr al-ma a¯nı¯ von Idrı¯s Ima ¯ ¯ und Höhepunkt. Aus der Schöpfung der intelligiblen Welt wurde zunächst der vorzügliche erste Intellekt geschaffen, um Gott in seiner Einzigartigkeit zu loben und zu preisen. Die beiden ihm nachgeordneten, aus ihm emanierten Intellekte sollten es ihm gleich tun, gerieten aber in Streit, da der dritte seine Unterordnung unter den zweiten nicht akzeptieren wollte. Daraufhin wurde der dritte auf den Rang des zehnten Intellekts unterhalb der anderen sieben Intellekte verbannt, als welcher er auch die Be¯ dam al-ru¯ha¯nı¯, spiritueller Adam, trug. Andere Elemente der zeichnung A ˙ außerhalb der Zeit geschaffenen Welt, des Pleromas, wurden durch das Vorbild des dritten Intellekts verführt und leugneten ebenfalls die Vorzüglichkeit des zweiten Intellekts. Jene ignoranten Geschöpfe des Pleroma, die die Überheblichkeit und den Sturz des dritten Intellekts teilten, gaben der materiellen Welt Form und Leben. Die materielle Welt war also die direkte Folge der Hybris. Der in den zehnten Rang gefallene Intellekt versuchte nach einem Moment der Einsicht, durch Reue seinen Fehler zu korrigieren und die Tat somit ungeschehen zu machen. Einige der an˘

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774 Das schwierige Verhältnis von Isma¯ ¯ılı¯ya und den Verfassern der Rasa¯ il Ihwa¯n alSafa¯ und deren Provenienz kann hier nicht behandelt werden. Für die˘weitere ˙Argumentation des Textes spielt es auch keine Rolle. 775 Zit. in: Makarem (1967): The philosophical significance of the Imam in Isma’ilism (Fn. 23) u. Corbin (1964): Histoire de la philosophie islamique, S. 124. Jenseits dieser Begriffsschöpfung sind die Arbeiten von Corbin hier leider nicht anschlussfähig. Zu ahistorisch und dekontextualisiert bedient Corbin sich aus unterschiedlichen Traditionen und kombiniert seine Motive zu dem, was er als „gnostisch“ bezeichnet.

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7. Die postfatimidische Epoche

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deren Gefallenen folgten ihm, andere verharrten in ihrer Leugnung. Sie waren die Gegenspieler der Da wa. Diese neue Kosmogonie, mit der materiellen Welt als Folge der Hybris, stellte die eigentlich originäre Innovation der Tayyibı¯ya dar. Nach dieser Auffassung steigen die Seelen ˙ Lichtfunken durch die materiellen und spirituellen der Gläubigen als Stufen der Schöpfung hinauf in einen Lichttempel, der die Heiligkeit des Imam repräsentiert. Mit seinem eigenen Tempel, bestehend aus den Tempeln aller Imame des Zyklus erhebt sich dann der Qa¯ im und kehrt in die spirituelle Welt zurück, wo er den Rang des zehnten Intellekts einnimmt. In Korrespondenz von spiritueller und materieller Welt steigt anschließend der gefallene Intellekt mit jedem Zyklus in der himmlischen Hierarchie, bis er schließlich seinen ursprünglichen Rang eingenommen hat und die qiya¯ma al-qiya¯ma¯t, die Auferstehung der Auferstehungen, erfolgt.776 In Korrespondenz zur Deprivationserfahrung der Isma¯ ¯ıliten nach dem Untergang des Fatimidenreichs und der erneuten Verbergung des Imam hatte sich dementsprechend auch deren gesamte Haltung zur Diesseitigkeit gewandelt. Die nun negativ konnotierte Welt war zu einem zu überwindenden Verunreinigungszustand geworden. Die zuvor einmalige, später mehrfach erweiterte Heptadenfolge wurde nach Ausbleiben und endgültiger Enttäuschung aller endzeitlichen Hoffnungen in eine nur noch imaginativ erfassbare Ferne geschoben. Die Heptadenfolge hatte man komplett geöffnet und aus der Figur des Imam als Mittler und Lehrer wurde nun eine mythische Gestalt, die in Identität mit dem spirituellen Adam gleichsam einem Reinigungsprozess von der materiellen Welt Stufe um Stufe die Leiter der kosmischen Ordnung erklomm, um dadurch die Ursünde, Hybris und Fall des dritten Intellekts, ungeschehen zu machen. Bevor im folgenden Abschnitt mit Idrı¯s Ima¯d al-Dı¯ns Zahr al-ma a¯nı¯ der End- und Höhepunkt des tayyibitischen Systems behandelt wird, muss zunächst das Kanz al-walad,˙ der Grund- und Eckstein der tayyibi˙ vertischen Lehre, erwähnt werden. Sein Verfasser ist der 557/1162 storbene zweite Da¯ ¯ı mutlaq des Jemen: Ibra¯hı¯m ibn al-Husain al-Ha¯midı¯. ˙ ˙ ˙ Mustafa G In ihren Rezensionen zu ¯ ˙ a¯libs Edition des Buches bestätigen ˙ ˙ Madelung und Halm den mit dem Sturz der All-Seele durch die Pla˘

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776 Daftary (1990): The Isma¯ ¯ılı¯s, S. 291 – 297; vgl. Traboulsi (2005): The formation of an Islamic sect, S. 85 – 97.

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7.1. Vom Niedergang isma¯ ¯ılitischer Herrschaft

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netensphären entstandenen gnostischen Charakter des Werkes.777 Auch die Nennung der Rasa¯ il Ihwa¯n al-Safa¯ sowie die Darstellung eines spi˙ sich innerhalb der Isma ılıya erst˘ finden rituellen Adam Pananthropos ¯¯¯ malig in al-Ha¯midı¯s Kanz al-walad. Die Masse des Buches besteht aber, ˙ wie Halm betont, aus kurz kommentierten Zitaten früherer isma¯ ¯ılitischer ˇ Texte von Ga far ibn Mansu¯r al-Yaman und al-Qa¯d¯ı al-Nu ma¯n bis hin zu ˙ ˙ den iranischen Theoretikern al-Sigˇista¯nı¯ und al-Kirma ¯ nı¯. Madelung deutet al-Ha¯midı¯s exzessives Zitieren älterer Texte als den Versuch, seine ˙ ihrer fundamentalen Umbrüche in der Kontinuität der Lehre trotz isma¯ ¯ılitischen Tradition zu verankern. Ibra¯hı¯m al-Ha¯midı¯ hatte so der ˙ Doktrin der tayyibitischen Da wa mit seinem Kanz al-walad ihre Gestalt 778 ˙ gegeben. Die genaue Ausgestaltung der tayyibitischen Doktrin in Kosmogonie, ˙ uns im Abschnitt zum Zahr al-ma anı Eschatologie und Imamatslehre wird ¯ ¯ noch beschäftigen. Bemerkenswert ist, auf wie viel Resonanz al-Ha¯midı¯s, ˙ wie Halm schreibt,779 „bizarre Synthese“ gestoßen ist und wie beständig das neue System tradiert wurde. Offensichtlich wohnte dem neuen Mythos eine große Attraktivität inne. „Die tayyibitischen Autoren haben das Drama immer wieder dargestellt: Alı¯ ibn˙ al-Muhammad ibn al-Walı¯d [gest. 612/1215] in der Dah¯ıra (32 ff.), Alı¯ ibn˙ Hanzala al-Wa¯di ¯ı ¯ ˘ ˙ (Simt ˙ [gest. 626/1229] in seiner ,Perlenschur der Wahrheiten‘ al-haqa¯ iq ˙ ˙ 28 f.) oder Husain ibn Alı¯ ibn Muhmmad ibn al-Walı¯d [gest. 667/1268] in der Risa¯lat˙ al-mabda wa’l-ma a¯d.“˙780 Husain ibn Alı¯ ibn Muhmmad ibn al-Walı¯d behandelt die Hybris auch in˙ seinem Risa¯lat al-ı¯da¯h˙ wa’l-baya¯n ˙ mit einer mehrstufigen Interpretation von Adams Fall.781˙Auch Strothmann präsentiert uns vom selben Autor Textpassagen mit entsprechender Motivik. Dezidiert gnostisch sind die von Strothmann vorgestellten, deutlich jüngeren Texte, deren Abfassungsdatum wir aber nicht genau kennen. Sie belegen, dass die gnostische Lehre in der Tayyibı¯ya bis ˙ mindestens ins 19./13. Jahrhundert tradiert wurde, wahrscheinlich aber sogar bis in die Gegenwart hinein.782 ˘

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777 Halm (1972): (Rez.), S. 318 f; zur gleichen Edition vgl. Madelung (1974): ˙ a¯libs erschien 2000 in Beirut die letzte (Rez.), S. 151 – 153. Von der Edition G unveränderte Neuauflage. 778 Vgl. Traboulsi (2005): The formation of an Islamic sect, S. 90 ff. 779 Halm (1978): Kosmologie und Heilslehre, S. 85. 780 Ebd., S. 88. 781 Vgl. Lewis (1937 – 1997): An Ismaili Interpretation of the Fall of Adam, S. 691 – 704. 782 Strothmann (Hg.) (1943): Gnosis-Texte der Isma¯ ¯ıliten, S. 17 – 50.

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7. Die postfatimidische Epoche

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7.2.1. Idrı¯s Ima¯d al-Dı¯n: Leben und Werk ˘

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Von den klassischen biographischen Werken wird Idrı¯s Ima¯d al-Dı¯n allein von Qutb al-Dı¯n Burha¯npu¯rı¯ (gest. 1241/1826) in seinem Muntaza al˙ 783 ahba¯r erwähnt. Aber auch er greift zurück auf Idrı¯s Ima¯d al-Dı¯ns eigene ˘ Angaben, die einzige Quelle, die wir zur Rekonstruktion seines Leben haben.784 Auch Husayn al-Hamdani stützt sich zur Beschreibung der Lebensumstände auf die von Idrı¯s Ima¯d al-Dı¯n in seinen historiographischen Texten bereitgestellten Informationen.785 Idrı¯s Ima¯d al-Dı¯ns dreiteiliges Werk der isma¯ ¯ılitischen Geschichte ist nicht vollständig ediert. Dagegen sind die sieben Bände des Uyu¯n al-ahba¯r ˘ wa-funu¯n al-a¯ta¯r alle auf dem ( jemenitischen) Buchmarkt erhältlich. ¯ Teilweise handelt es sich dabei aber nur um die gebundene Kopie einer Handschrift.786 Die Bände der Uyu¯n al-ahba¯r, die wissenschaftlich ˘ Qualität.787 Idrı¯s Ima¯d überarbeitet wurden, sind von unterschiedlicher al-Dı¯n deckt mit seiner Hierohistoriographie der Uyu¯n al-ahba¯r die Zeit ˘ von den Anfängen des Islam bis zum Ende der Fatimiden in Ägypten und der Sulaihiden im Jemen ab. 1995 hat Muhammad ibn Alı¯ al-Akwa¯ al˙ al-asmar fı hawadit al-Yaman ˙¯ lı¯ in˙ San a¯ das Rawdat al-Ahba¯r wa nuzhat Hawa ¯ ¯ ¯ ˙ ˙ und¯letzte Teil ˙ ˙ ˘ al-kiba¯r wa’l-husu¯n wa’l-amsa¯r herausgebracht. Dieser dritte ˙ ˙d al-Dıns Historiographie ˙ beschäftigt sich, beginnend mit von Idrı¯s‘ Ima ¯ ¯ 854/1450, vor allem mit den letzten anderthalb Jahrzehnten seiner eigenen Lebensspanne und schließt nur zwei Jahre vor seinem eigenen Tod 870/1466. Dagegen liegt sein zweibändiges Werk Nuzhat al-afka¯r warawdat al-ahba¯r fı¯ dikr man qa¯ma bi’l-Yaman min al-mulu¯k al-kiba¯r wa’l-du a¯t ˙ yar, das ¯ al-ah ¯ ˘ die rund dreihundert Jahre vom Ende der isma¯ ¯ılitischen ˘ ˘

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783 Zu Idrı¯s Ima¯d al-Dı¯ns Leben und Werk im Überblick vgl. Hamdani, H. (1931): The Doctrines and History of the Isma¯ ¯ıli Da wat, S. 1 – 26; Burha¯npu¯rı¯ (Hg.) ˙ a¯lib(1964): (1999): Muntaza al-ahba¯r fı¯ ahba¯r ad-du a¯h al-ahya¯r, S. 166 – 175; G ˘ Poonawala (1977): ˘ A la¯m al-Isma¯ ¯ılı¯ya, S. ˘137 – 139; Biobibliography of Isma¯ ¯ılı¯ literature, S. 169 – 175 sowie Daftary (1990): The Isma¯ ¯ılı¯s, S. 258 f u. 290 f. 784 Sayyid/Walker/Pomerantz (Hg.) (2002): The Fatimids and their Successors in Yaman, S. 9. 785 Hamdani, H. (1931): The Doctrines and History of the Isma¯ ¯ıli Da wat, S. 1 – 18. 786 Zu den Editionen vgl. Daftary (2004): Ismaili Literature, S. 120 f. 787 Vgl. Sayyid/Walker/Pomerantz (Hg.) (2002): The Fatimids and their Successors in Yaman, S. 11 ff. ˘

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Reiche in Jemen und Ägypten bis zur Lebenszeit des Idrı¯s behandelt, nur in Manuskriptform vor. Wie auch Qutb al-Dı¯n Burha¯npu¯rı¯ zeichnet Hamdani aus Idrı¯s‘ Textzeugnissen ein˙ Leben, das bestimmt wird vom Krieg gegen die Zaiditen und dem Bemühen, die Da wa und die mit ihr alliierten Stämme zu stärken. Geboren wurde Idrı¯s Ima¯d al-Dı¯n 794/1392 im Hara¯z-Ge˙ voller birge, in der Stammburg der Isma¯ ¯ıliten auf dem Berg Sˇiba¯m. Sein Name lautet Idrı¯s Ima¯d al-Dı¯n ibn al-Hasan al-Walı¯d al-Anf. Er war ˙ als dreihundert Jahren die Mitglied der Familie Quraisˇ, die seit mehr 788 Da wa im Jemen leitete. Nachdem sich der junge Idrı¯s bereits früh als Kriegsherrr erweisen musste, blieb sein Leben auch nach seiner Ernennung zum 19. Da¯ ¯ı mutlaq 832/1428 durch seinen Onkel und Vorgänger Alı¯ ibn Abdalla¯h ibn˙ al-Walı¯d (821/1418 – 832/1428) durch stetige Kriegsgänge bestimmt. Die Ta¯hiriden wie auch große Stammesverbände ˙ treue und, da die Tayyibıya keine eigenen der Hamda¯nis erwiesen sich als ¯ ˙ Truppen in nennenswerter Stärke besaßen, unerlässliche Verbündete. Mit ihrer Hilfe gelang es Idrı¯s Ima¯d al-Dı¯n den Zaiditen einige Festungen und Burgen zu entreißen.789 Insgesamt liest sich der Bericht, den Hamdani790 aus Idrı¯s Angaben in dessen Kita¯b nuzhat al-afka¯r und dem Kita¯b rawdat al˙ der ahba¯r zusammenstellt, wie ein ständiges Hin- und Herschwanken ˘ Kräfte, bei dem es keiner Kraft gelingt, über einen längeren Zeitraum eine stabile Ordnung herzustellen. 872/1468 stirbt Idrı¯s Ima¯d al-Dı¯n nach über 40 Jahren als Da¯ ¯ı mutlaq an der Spitze der tayyibitischen Da wa ˙ an dem Ort, wo er ˙ geboren wurde, in im Jemen im Alter von 78 Jahren Sˇiba¯m, Hara¯z. ˙ weit größerem Maße als so viele seiner Vorgänger war Idrıs In noch ¯ Ima¯d al-Dı¯n nicht nur als Politiker und Krieger eine herausragende Persönlichkeit. Sein Ruf gründet sich bis zum heutigen Tage vor allem auf seine literarischen Tätigkeiten. Bemerkenswerterweise kann das literarische Werk des Idrı¯s, das sowohl von traditionell tayyibitischer wie von ˙ moderner wissenschaftlicher Seite große Wertschätzung erfährt, nicht exakt eingegrenzt werden. Durch den Umstand, dass nur ein kleiner Teil veröffentlicht wurde,791 liegt der Großteil seiner Arbeiten nur in Manuskriptform, teils in privaten Bibliotheken, vor. Sicher bestimmt werden ˘ ˘

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788 Hamdani, H. (1931): The Doctrines and History of the Isma¯ ¯ıli Da wat, S. 1 f. 789 Sayyid/Walker/Pomerantz (Hg.) (2002): The Fatimids and their Successors in Yaman, S. 10. 790 Hamdani, H. (1931): The Doctrines and History of the Isma¯ ¯ıli Da wat, S. 1 – 18. 791 Daftary (2004): Ismaili Literature, S. 120 f.

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können die historiographischen Titel (s. o.) sowie sein theologisches Hauptwerk, das esoterische Kompendium Zahr al-ma a¯nı¯ fı¯ tauh¯ıd al-mubdi al-haqq subha¯nahu¯ wa ma rifat al-kala¯main al-awwal wa’l-ta¯nı¯ wa h˙usu¯l a¯lam al˙ wa-irtiqa ˙ uhu ila al- alam al-ruhanı fi’l-haqa iq. Es ˙ ˙1991 von ¯ wurde gˇism ¯ ¯ ¯ ¯ ¯ ¯ ¯ ˙ Text wird ˙ ˙ a¯lib in Beirut ediert. Der Mustafa¯ G in der Dissertation von ˙ ˙ Husayn F. al-Hamdani ausführlich behandelt.792 Darüber hinaus hat er aber so gut wie keine Beachtung von wissenschaftlicher Seite erfahren. ˙ a¯lib, Sayyid793 und Hamdani794 Bei weiteren Titeln zur Doktrin sind bei G sowie auch bei Poonawala795 Variationen in Anzahl und Titelbezeichnung zu finden. Sayyid fügt den elf bei Burha¯npu¯rı¯ genannten Titeln noch drei weitere hinzu. Hamdani zählt 13 Bücher, gibt aber nur elf Titel an, er nennt drei Bücher weniger als Sayyid, kennt dafür ein weiteres und für einen womöglich gemeinsamen Text finden sich zwei verschiedene ˙ a¯lib aufgezählten Werken findet sich ein Titel Namen. Unter den elf bei G des Idrı¯s’, den nur er kennt, für einen weiteren könnte eine Namensvariation vorliegen. Das bei ihm Kita¯b dikr al-ma a¯nı¯ genannte dürfte wohl ¯ für die bei Hamdani796 angedas bekannte Zahr al-ma a¯nı¯ sein. Auch ˙ a¯lib797 ein allgemein mit Dı¯wa¯n, bzw. kündigte Poesie findet sich nur bei G 798 Dı¯wa¯n ˇsi r tituliertes Werk. ˘

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7.2.2. Al-Kita¯b zahr al-ma a¯nı¯

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Die im vorigen Abschnitt aufgezählten Ungereimtheiten in der Beschreibung des literarischen Gesamtwerks haben aber keinerlei Auswirkung auf die Beurteilung des Kita¯b zahr al-ma a¯nı¯. Das vom 19. Da¯ ¯ı mutlaq 838/1434 abgeschlossene Werk stellt in mehrfacher Hinsicht ˙ ˘

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792 Die Dissertation „The Doctrines and History of the Isma¯ ¯ıli Da wat in Yemen as based on the Da¯ ¯ı Idrı¯s Ima¯d u’d-Dı¯n’s Kita¯b Zahr u’l-ma a¯nı¯ and other works“ an der University of London (1931) liegt nur als Typograph vor und wurde nicht gedruckt. Der Artikel A Compendium of Ismaili Esoterics (1937) von H. Hamdani gibt einen zusammenfassenden Überblick über die nicht publizierte Monographie. 793 Sayyid/Walker/Pomerantz (Hg.) (2002): The Fatimids and their Successors in Yaman, S. 14 – 16. 794 Hamdani, H. (1931): The Doctrines and History of the Isma¯ ¯ıli Da wat, S. 24 – 26. 795 Poonawala (1977): Biobibliography of Isma¯ ¯ılı¯ literature, S. 169 – 175. 796 Hamdani, H. (1931): The Doctrines and History of the Isma¯ ¯ıli Da wat, S. 19. ˙ a¯lib (1964): A la¯m al-Isma¯ ¯ılı¯ya, S. 139. 797 G 798 Sayyid/Walker/Pomerantz (Hg.) (2002): The Fatimids and their Successors in Yaman, S. 16. ˘

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7.2. Idrı¯s Ima¯d al-Dı¯n

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einen Höhe- und Endpunkt isma¯ ¯ılitischer Lehrentwicklung dar. Erstens handelt es sich um die elaborierteste Zusammenfassung der tayyibitischen Lehre, die mehrere Texte vorangehender Generationen˙ und unterschiedlicher Autoren kompiliert.799 Zweitens ist es das letzte Buch des Adepten auf dem Weg durch die esoterische Lehre der Isma¯ ¯ılı¯ya800 und schließlich ebenso das letzte originäre Werk tayyibitischer Doktrin: „In ˙ book Zahr ul-Ma anı is the History of the Isma¯ ¯ılı¯ da wat in Yemen the ¯ ¯ remarkable, for it is the last systematic attempt towards bringing together the material handed down by the old masters […].“801 Das Zahr al-ma a¯nı¯ ist somit gleichermaßen Höhepunkt und Endpunkt, da darauffolgend zur tayyibitischen Doktrin nur noch wenige originär neue Beiträge geleistet ˙wurden. Die Da wa beschränkte sich von da an nämlich weitestgehend auf die Tradierung der vorhandenen Texte.802 Der undatierte Zufallsbefund aus der Beute des Feldzugs des Zaiditen-Imam al-Mutawakkil Yahya¯ (1869/1286 – 1948/1367) gegen die jemenitischen Isma¯ ¯ıliten im Jahr˙ 1905 belegt das auf eindrucksvolle Weise.803 ˘

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7.2.2.1. Inhalt des Kita¯b zahr al-ma a¯nı¯ ˘

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Die folgende inhaltliche Zusammenfassung des Kita¯b zahr al-ma a¯nı¯ orientiert sich an der Darstellung von Husayn al-Hamdani.804 Er erschließt das Buch zunächst systematisch in seinem historischen Kontext – hinsichtlich der Theologie, Kosmogonie, Anthropologie und Eschatologie und stellt anschließend das ganze Buch noch einmal anhand seiner Kapitelstruktur vor. Das Kita¯b zahr al-ma a¯nı¯ gibt in seinen 21 Kapiteln einen Überblick über die Essenz isma¯ ¯ılitischer Lehre und erklärt den Werdegang des Seins, ausgehend von der Darstellung der Unbeschreiblichkeit Gottes, der Entstehung der spirituellen Welt und der Hybris. Thematisch folgen Ausführungen zur materiellen Schöpfung in allen Gestalten, der Verlauf der irdischen Welt, beginnend mit dem historischen Adam bis hin zu allen ˘

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Hamdani, H. (1931): The Doctrines and History of the Isma¯ ¯ıli Da wat, S. 25 f. Ebd., o.S. Ebd., S. 138. Daftary (1990): The Isma¯ ¯ılı¯s, S. 259 u. 291. Strothmann (Hg.) (1943): Gnosis-Texte der Isma¯ ¯ıliten. Hamdani, H. (1931): The Doctrines and History of the Isma¯ ¯ıli Da wat, S. 137 – 253. Die folgende Untersuchung des Zahr al-ma a¯nı¯ stützt sich auf diese ebenso singuläre wie hervorragende Darstellung des Textes. Verweise auf das Zahr al˙ a¯lib, Beirut 1991. ma a¯nı¯ beziehen sich auf die Edition von Mustafa¯ G ˙˙ ˘

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799 800 801 802 803 804

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7. Die postfatimidische Epoche

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Propheten und Imamen der Gegenwart. Letztlich endet das Buch in seinen letzten vier Kapiteln mit einer Illustration von Gestalt und Funktionsweise des Imamats, der himmlischen und irdischen Da wa, dem Tag der Auferstehung mit schlussendlicher Rückkehr der Gläubigen in das Pleroma sowie dem Verbleib der Ungläubigen im Höllenfeuer. 7.2.2.2. Kosmogonie ˘

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Hamdani beschreibt die Erzählung des Zahr al-ma a¯nı¯ als einen Kreis, der bei Gott – seinem Zenit– beginnt, im Verlauf der Schöpfung hinabfällt bis in die irdische Materie, um von dort aus den Weg zurück hinauf zu seinem göttlichen Ursprung zu suchen, bis er schließlich in der Umkehrung des Schöpfungsprozesses wieder zu seinem Ausgangspunkt zurückkehren wird805 Idrı¯s übernimmt die Theologie al-Kirma¯nı¯s in ihrer ganzen Radikalität. Der Schöpfer wird entsprechend mit mubdi bezeichnet, dem terminus technicus, den wir schon von al-Kirma¯nı¯ kennen. Die Existenz und Einheit Gottes ist dabei jedoch nicht bestimm- oder beweisbar. Sie kann nur indirekt abgeleitet werden, wobei selbst jene abgeleiteten Beschreibungen unpassend wirken, denn aufgrund der Beschränktheit des Menschen, Gottes Attribute der Vollkommenheit geistig und in Worte zu fassen, muss das Reden und Schreiben darüber stets Defizite aufweisen. Trotz der fundamentalen Unüberbrückbarkeit des Verstehens bleiben aber die unternommenen Beschreibungen, die einzig denkbare Möglichkeit, über den Schöpfer zu reden und sind daher verzeihbar. Idrı¯s geht so weit, die 99 Namen Gottes aus dem Koran nicht auf den ersten Gott bezogen wissen zu wollen, sondern auf den von ihm geschaffenen ersten Intellekt.806 Gott schuf ex nihilo die intelligible Welt, das Pleroma, als Einheit ohne Zeit und Raum, als perfekte Ordnung all seiner Kreaturen ohne Unterschied. Idrı¯s rekurriert auf al-Kirma¯nı¯, wenn er betont, dass die intelligible Welt weder Zeit noch Raum noch Materie besaß, sondern ausschließlich Form war.807 In seiner Unfähigkeit, sich selbst zu erkennen, erkannte der Erste Intellekt (al- aql al-awwal) seine Herkunft vom Schöpfer und war so die erste der Kreaturen, die Gottes Einzigartigkeit (tauh¯ıd) 808 pries, wodurch ˙ ˘

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Hamdani, H. (1931): The Doctrines and History of the Isma¯ ¯ıli Da wat, S. 139. Ebd., S. 155 – 159; Ima¯d al-Dı¯n (1411/1991): Kita¯b Zahr al-ma a¯nı¯, S. 17 – 33. Ebd., S. 33. Tauh¯ıd ist mit Einzigartigkeit oder Einheit nur unzureichend übersetzt. Tat˙ ist tauh¯ıd als Gottes Charakteristikum der Anfang aller Theologie und das, sächlich ˙ ˘

805 806 807 808

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7.2. Idrı¯s Ima¯d al-Dı¯n

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der Erste Intellekt Vorrang vor allen anderen Kreaturen gewann. Die weitere hierarchische Ordnung des durch Gott egalitär geschaffenen Pleromas entstand aus der Bereitschaft bzw. dem Verharren der Elemente, Gott als Schöpfer zu erkennen und zu preisen. Die Fähigkeit Gottes’, Heiligkeit zu sehen, ist also damit verbunden, sich der Beschränktheit der eigenen Kreatürlichkeit im Verhältnis zu der aller anderen Elemente bewusst zu werden: „This means, therefore, that the proper understanding of the divinity of Supreme God is interrelated with and attained by the knowledge of the grades of the Intelligences in the world of subtlety.“809 Das selbstgenügsame Verharren in dieser Ordnung, ohne danach zu streben, durch den Lobpreis von Gottes Einzigartigkeit in der Hierarchie nach oben aufzusteigen, gilt als der Ursprung des Bösen. Von den Verfassern der Rasa¯ il Ihwa¯n al-Safa¯ übernimmt Idrı¯s also in gut neupla˘ und ˙Weise der Entstehung des Bösen in der tonischer Manier die Art willentlichen Ablehnung von Gottes Lobpreis.810 Böses und absichtliche Gottesferne sind demnach Synonyme. Aus der Vorzüglichkeit des Ersten Intellekts entstehen dann alle weiteren Intellekte, analog aller der Eins folgenden Zahlen, die eben jene erste Zahl zur Basis haben. Aber weder gibt er etwas von seinem Wesen preis noch entstehen die weiteren Rangstufen als Folge seines Handelns. Er bleibt in seinem All-Wissen und in seiner Einheit unberührt. Er ist der perfekte Ursprung, aus dem die weiteren Intellekte emanieren.811 Durch die Freude über die Vollkommenheit, die ihm Gott verliehen hat, emaniert aus dem Ersten Intellekt der Zweite. Dessen Aufgabe ist es, alle anderen Intellekte dazu aufzurufen, es ihm gleich zu tun und Gottes Einzigartigkeit zu preisen sowie den Vorrang des Ersten Intellekts zu erkennen. Die Zahl der Intellekte im Pleroma ist unendlich; sie formen eine unendliche Zahl an Welten, die wiederum in insgesamt zehn Großabteilungen zusammengefasst werden, denen je ein Intellekt vorsteht. Diese Intellekte sind es, die als Erster bis Zehnter Intellekt be-

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was eigentlich Theologie als Lehre von Gott beinhaltet. Gleichzeitig stellt sie auch die Betonung des radikalen Monotheismus dar, beispielsweise in Abgrenzung zur christlichen Trinitätslehre. Stärker noch als bei anderen muslimischen Denominationen ist auch die Betonung der Unbeschreibbarkeit und Unfassbarkeit Gottes Grundlage isma¯ ¯ılitischer Theologie. Im Zahr al-ma a¯nı¯ befassen sich die ersten drei Kapitel mit tauh¯ıd. ˙ and History of the Isma¯ ¯ıli Da wat, S. 159. 809 Hamdani, H. (1931): The Doctrines 810 Ima¯d al-Dı¯n (1411/1991): Kita¯b Zahr al-ma a¯nı¯, S. 36. 811 Hamdani, H. (1931): The Doctrines and History of the Isma¯ ¯ıli Da wat, S. 161 – 164. ˘

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7. Die postfatimidische Epoche

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zeichnet werden. Alle, bis auf den Dritten Intellekt, folgen dem Aufruf des Zweiten zum Gotteslob und der Anerkennung der Ordnung. Jener Dritte Intellekt erkennt und lobt zwar Gottes Einzigartigkeit und auch die Vorzüglichkeit des Ersten Intellekts, leugnet aber den Vorrang des Zweiten, da dieser doch, wie er selbst, lediglich emaniert sei. Als Folge dieser Fehleinschätzung verfällt der Dritte Intellekt der Dunkelheit und Verwirrung, während die anderen Intellekte im Lobpreis Gottes und in der Anerkennung der Ordnung ihre Plätze einnehmen, bis schließlich alle neun Intellekte ihre Ränge eingenommen haben. Der Dritte Intellekt bemerkt seinen Irrtum, sieht die Ferne zum Ersten Intellekt sowie die vielen Intellekte dazwischen und bereut seinen Fehler. In der Erkenntnis seiner Sünde bittet er um Vergebung und wird als Folge seiner Einsicht in die wahre Ordnung des Pleroma wieder in die himmlische Ordnung aufgenommen, allerdings jetzt nicht mehr auf seinem ursprünglich dritten, sondern auf dem zehnten Rang. Die ihm untergeordneten Intellekte folgen jedoch nicht alle seinem Vorbild, um Vergebung zu bitten und reuig die himmlische Rangfolge anzuerkennen. Jene, die sich standhaft weigern, bilden die materielle Welt. Sie werden dreidimensional und verdichten sich zu den Körpern der irdischen Welt. Da sie aber in ihrer Entscheidung nicht selbstständig waren, sondern dem Vorbild des auf den zehnten Rang herabgefallenen Dritten Intellekts folgten, steht dieser in der Pflicht, die verstockten Intellekte zurückzuführen. Seine Aufgabe ist es, die Schöpfung der materiellen Welt bis zum Tag der letzten Auferstehung ungeschehen zu machen.812 Die materielle Welt der gefallenen Intellekte ist nur grobe, ungeteilte Materie, lediglich bestimmt durch die drei Dimensionen, die ihre verdichteten Körper angenommen haben. Der Zehnte Intellekt, der das erkennt und sieht, dass es hieraus kein Entkommen mehr gibt, wendet sich der materiellen Welt zu, formt sie und gibt ihr Struktur. Diese Struktur weist auf die Existenz Gottes hin und ist gleichzeitig der Weg, auf dem die Intellekte die Materie verlassen können. Schon in der Kosmoˇ a far ibn Mansu¯r al-Yaman haben gonie des Kita¯b al- a¯lim wa’l-g˙ula¯m des G wir die Gestaltung der Erde als Abbild der Da wa ˙kennengelernt. Die Erscheinungen der irdischen Schöpfung haben also darin, wie sie über eine andere, spirituelle Ordnung berichten und so auf sie verweisen, gleichsam Lehrcharakter.813 ˘

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812 Ebd., S. 169 – 171; Ima¯d al-Dı¯n (1411/1991): Kita¯b Zahr al-ma a¯nı¯, S. 63 – 67. 813 Hamdani, H. (1931): The Doctrines and History of the Isma¯ ¯ıli Da wat, S. 172 – 176.

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7.2. Idrı¯s Ima¯d al-Dı¯n

7.2.2.3. Imamatslehre: Kosmologie und Eschatologie

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Während die Kosmogonie mit ihrer Entstehung der spirituellen Welt und dem Sturz der Seelen in die materielle den absteigenden Teil der kreisförmigen Erzählung des Zahr al-ma a¯nı¯ beschreibt, wird in der Kosmologie und Eschatologie der Imamatslehre ihre Aufwärtsbewegung behandelt. Möglicherweise bestimmt durch den Umstand, dass der Imam mit dem Beginn der tayyibitischen Da wa in die Verbergung gegangen ˙ Figur eine vorrangig historische Rolle. Nach der war, spielt er als lebende Abhandlung über die historischen Propheten und Imame,814 beginnend mit Adam bis zum Verschwinden al-Tayyibs, werden die Imame der ˙ Verbergung vor allem in ihrer eschatologischen Funktion innerhalb der Kosmologie der Da wa dargestellt. Sie sind mythische Gestalten in einem dichten Geflecht allegorischer Interpretationen und Vergleiche der himmlischen und materiellen Welt. Das Kita¯b zahr al-ma a¯nı¯ behandelt die Imamatslehre im dafür eigens vorgesehenen 18. Kapitel815 unter der Überschrift „Über das Imamat und den Imam und was darüber in der Theologie von der Gottheit und der Menschheit gesagt wird“. Bereits die erste Bestimmung dessen, was das Imamat ist, offenbart den Unterschied zu den bisher vorgestellten Konzepten. Dort heißt es, das Imamat sei die Versammlung der edlen und anmutigen Seelen, die nach oben strebten. Sie seien durch die rechtmäßigen Taten erzogen und durch vorzüglich königliche Moral geschaffen worden; außerdem seien sie mit der edlen Säule des Lichts verbunden.816 Daraufhin wird beschrieben, wie die Seelen der Gläubigen aus der materiellen in die spirituelle Welt übergehen. War schon in den Kapiteln zu den Fatimiden viel von Spiritualisierung der philosophischen Konzepte die Rede, so finden wir in der tayyibitischen Imamatslehre ˙ ihren endgültigen Höhepunkt. Nach tayyibitischer Lehre werden die Seelen aller Mitglieder der ˙ einfachen Gläubigen (mustagˇıb) bis hinauf zum Rang unter Da wa – vom ¯ dem Imam – nach dem Tod von den ihnen in der Da wa-Hierarchie817 übergeordneten Rängen geläutert. Die Seelen werden magnetisch angezogen und steigen durch eine Lichtsäule hinauf bis zum dem direkt dem ˘

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814 Ebd., S. 190 – 232; Ima¯d al-Dı¯n (1411/1991): Kita¯b Zahr al-ma a¯nı¯, S. 106 – 273. 815 Ebd., S. 273 – 280. 816 Ebd., S. 274. 817 Zur Hierarchie vgl. Hamdani, H. (1931): The Doctrines and History of the Isma¯ ¯ıli Da wat, S. 236 – 244.

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7. Die postfatimidische Epoche

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Imam untergeordneten Rang, der ba¯b genannt wird. Dieser gilt als der allumfassende Zugang zum Imam, in ihm sammeln sich die Seelen der Gläubigen und erhalten von ihm das letzte Wissen über den Imam. Der Ba¯b ist der Ort, zu dem die Seelen nach ihrer Trennung vom Körper zurückkehren.818 Der Körper der Gläubigen hingegen wird drei Tage nach dem Tod in seiner ätherischen Substanz (al-rı¯h¯ıya) zum Mond hinaufgezogen und von ˙ die Sphären der Planeten hindurch. dort aus weiter zur Sonne durch Währenddessen reinigen die Sonnenstrahlen den ätherischen Leib von den Resten des physischen Körpers. Wenn nun der neue Imam geboren werden soll, dann findet die gereinigte Substanz über Tautropfen ihren Weg auf Früchte und so in den Körper des Imam sowie seiner Frau, die im Geschlechtsakt die Substanz vereinigen. Aus ihr entsteht der menschliche Körper des neuen Imam. Im Alter von vier Jahren übergibt der Ba¯b des Vaters dem nachkommenden Imam die in ihm gesammelten Seelen aller Gläubigen. Der so geformte Körper wird ,Imam‘ genannt, während die Sammlung der Seelen ,Imamat‘ heißt. Nachdem er zu Lebzeiten bereits seinen Nachfolger ernannt hat, steigt der Imam nach seinem Tod mit der Gesamtzahl der in ihm zu einer Seele vereinigten Seelen in die Sphäre des Zehnten Intellekts auf, wohin sich alle Imame bis zum Kommen des letzten Qa¯ im-Imam erheben. Der Qa¯ im-Imam sammelt zuletzt in der Sphäre des Zehnten Intellekts alle Seelen der Imame und Propheten vor ihm und tritt mit diesen an die Stelle des Zehnten Intellekts, der dafür eine Stufe in der himmlischen Ordnung der Intellekte aufsteigt.819 Jene Seelen, die sich dem Ruf zur Läuterung beharrlich verweigern, fallen in immer tiefere Formen der irdischen Existenz bis hinab auf die mineralische Stufe. Beim Erscheinen des Qa¯ im erhalten sie noch einmal die Chance zur Läuterung und werden dann, bei fortwährender Weigerung, in einem Feuer zu Asche und Stein verbrannt, worin sie auf ewig liegen bleiben.820 Das hier dargestellte Prinzip der sich durch den je übergeordneten Rang reinigenden Seelen findet seine Entsprechung im gesamten, tief gestaffelten allegorischen System der spirituellen und materiellen Welt. Auf allen Ebenen finden sich die Strukturen der Da wa, die substanziell stets gleich bleibend nur ihre Gestalt wechselt. Der je übergeordnete Rang bedeutet Erlösung für alle ihm untergeordneten Ränge. Wir haben ˘

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818 Ebd., S. 233. 819 Ebd., S. 233 – 235. 820 Ebd., S. 249 – 253; Ima¯d al-Dı¯n (1411/1991): Kita¯b Zahr al-ma a¯nı¯, S. 322 – 244.

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7.2. Idrı¯s Ima¯d al-Dı¯n

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gesehen, dass die Zuordnung von himmlischen Prinzipien, philosophischen Stufenfolgen, Buchstaben und Zahlen zu Erscheinungen der irdischen Welt sowie Rängen und Ämtern der Da wa ein durchgängiges Motiv isma¯ ¯ılitischer Theologie ist. Im Kita¯b zahr al-ma a¯nı¯ findet dieses Motiv sogar seinen Höhepunkt. Denn hier werden verschiedene Modelle von Korrespondenzen aus der isma¯ ¯ılitischen Geschichte vorgestellt und es wird versucht, diese unter dem übergeordneten System der zehn Prinzipien zur Deckung zu bringen. Wie die zehn Intellekte der spirituellen Welt die zehn Sphären der Sterne und Planeten verwalten, so haben die zehn Ränge der irdischen Da wa-Organisation ihre Aufgaben in der Verwaltung der Gläubigen. So wie Reinigung und Erlösung nur durch den je Übergeordneten geschehen kann, besteht auch die Pflicht zur Gefolgschaft nur gegenüber den Höherstehenden, während alle untergeordneten Personen stets weisungsgebunden sind.821 Wie sich das Prinzip der stufenweisen Erlösung in seiner Vielfältigkeit durch alle Ebenen der himmlischen wie irdischen Welt hindurchzieht, setzt es sich auch in einer Folge von Zyklen bis zum letzten Zeitalter fort. Innerhalb dieses Zeitraums gibt es Abschnitte, in denen die Verehrung Gottes allein durch Wissen ( ilm) und nicht durch Werke ( amal) geschieht. Diese Zeit der Entbergung (al-kasˇf) dauert 50.000 Jahre und beginnt mit der Schöpfung des universellen Adams, der das irdische Pendant zum Ersten Intellekt und der erste Imam ist. Darauf folgt eine Zeit der Verbergung (al-satr) mit der Schöpfung des historischen Adams. Wie der dritte Intellekt widersetzt sich dieser dem göttlichen Gebot, woraufhin die esoterische Wahrheit verborgen und Adam den Obligationen der (Ritual-)Gesetze unterworfen wird. Während sich die Perioden der Entund Verbergung abwechseln, erscheint in einer festgelegten Folge von allen 7.000 bzw. 10.000 Jahren der Qa¯ im und der oben beschriebene Zyklus der Reinigung der Seelen im Aufstieg zum Imam vollzieht einen weiteren Schritt. Nach ungezählten Wechseln der Perioden ist nach 360.000 mal 360.000 Jahren der Große Zyklus (al-Kaur al-a zam) abge˙ schlossen und das Universum endet, um mit seiner Neuschöpfung einen 822 neuen Großen Zyklus zu beginnen. ˘

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821 Ebd., S. 236 – 243. 822 Ebd., S. 178 – 186.

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7. Die postfatimidische Epoche

7.3. Zur Wechselwirkung von Politik und Theologie ˘

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Mit diesem Kapitel schließt der kursorische Blick über die Geschichte der Isma¯ ¯ılı¯ya. Wie der Vergleich mit den ersten beiden Epochen isma¯ ¯ılitischer Historie erweist, hat sich auch in der letzten hier dargestellten Etappe ein enormer Wandel vollzogen. Wir konnten nachvollziehen, wie sich aus der von der Macht verdrängten Opposition Alı¯ Ibn Abı¯ Ta¯libs eine zunächst gemeinschiitische Bewegung entwickelte, die sich ˙dann verzweigte und in verschiedene Denominationen mündete, darunter die Isma¯ ¯ılı¯ya. Getragen war diese Bewegung von einer Theologie, die die Welt als Manifestation göttlichen Willens und als Zeichen der wahren Ordnung sah, deren Umsetzung mit dem baldigen Kommen des Mahdı¯ geschehen sollte. Mit dem Kommen des Mahdı¯ und der Errichtung des fatimidischen Reiches wurden aber die eschatologischen Hoffnungen mitnichten erfüllt. Weder vollzogen sich die prophezeiten Zeichen und Wunder noch wurde Gottes gerechte Ordnung durchgesetzt und auch der Fall der feindlichen Abbasiden in Baghdad geschah erst zeitgleich mit dem eigenen Untergang. Die fatimidischen Imame herrschten zwar über Ägypten und zeitweise auch über Teile der Levante und Nordafrikas, die Isma¯ ¯ılı¯ya blieb aber stets eine von der Mehrheitskonfession beargwöhnte Minderheit. Die neue Reichstheologie war also bestimmt von einem Lavieren zwischen dem proklamierten Anbruch der Endzeit und ihrer gleichzeitigen Verstetigung. Das neue Reich bedurfte der Symbole, Ordnungen, Institutionen und Herrschaftsinstrumente, die zum einen die diesseitige Ordnung repräsentierten und umsetzten, zum anderen aber auch Anknüpfungspunkte und Identifikationen für Gläubige und Untertanen boten. Die an die Imame gerichtete konkrete Naherwartung auf ein Ende der Welt konnte dabei nur sukzessive, im Laufe der zwei Jahrhunderte währenden Herrschaft aufgegeben werden. Nahezu zeitgleich zum Ende des Fatimidenreichs in Ägypten und Nordafrika fand auch der jemenitische Vasallenstaat sein Ende. Es scheint so, dass der Untergang des jemenitischen Sulaihidenstaats ebenso unab˙ wie auch sein Aufstieg ˙ hängig vom Zerfall fatimidischer Macht geschah, von ägyptischer Seite nicht nennenswert gefördert wurde. Auf dem Feld der Doktrin allerdings hatte der Jemen seine entscheidenden Impulse aus Nordafrika erhalten. Zunächst wirkte die Anerkennung der Sulaihiden durch die Fatimiden wie eine ideologische Schirmherrschaft. ˙Vor ˙allem aber wurde die Neugründung der isma¯ ¯ılitischen Da wa im Jemen durch die Ausbildung des Da¯ ¯ı Lamak in Kairo erst ermöglicht. Es ist anzu˘

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7.3. Zur Wechselwirkung von Politik und Theologie

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nehmen, dass mit ihm auch die isma¯ ¯ılitische Schrifttradition ihren Weg in den Jemen und damit in die Sicherheit vor der Vernichtung durch die ayyubitischen Sunniten gefunden hatte. Diese Konstellation, der rapide Machtverlust und die reiche religionsphilosophische Tradition, bestimmte dann auch das, was das Profil der jemenitischen Tayyibı¯ya aus˙ machte: die Innovationen in der Doktrin in inhaltlicher Korrespondenz mit ihrer neuen Situation als einer in abgelegene Bergregionen verdrängten und verfolgten Glaubensgemeinschaft. Die ehemals aufstrebende Revolutionsbewegung war nach Erreichen ihres Ziels wieder zu einer ständig von den benachbarten Lokalmächten bedrohten Denomination unter anderen geworden. Von ihrer einstmaligen Größe war nichts weiter übriggeblieben außer ihrer literarischen Tradition, die von Zeiten zeugt, da die Realisierung der eschatologischen Hoffnungen noch zum Greifen nahe schien. Wenn das fatimidische Reich als eine zumindest partielle Gratifikation der wahren Da wa betrachtet werden konnte, so musste nun sein Endes als Entzug der göttlichen Gnade interpretiert werden. 7.3.1. Wenn der Mahdı¯ scheitert

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Nach dem Ende der Sulaihiden fanden sich die Tayyibiten in einem ˙ ˙ vorhergehenden ˙ wenig Szenario wieder, das nur gemein hatte mit den Zeiten der Herrschaft. Wenngleich man sich noch auf die Tradition berufen konnte, die gemäß ihrem Selbstverständnis bis zur Zeit des Propheten Muhammad zurückreichte, war die Situation in jeder Hinsicht ˙ nie zuvor. Zersplittert in mehrere Denominationen, war so ungünstig wie das Fatimidenreich zerschlagen und die Reste der Isamiliya hatten sich in schwer zugängliche Gebirgsregionen zurückgezogen, im Falle der Niza¯riten in die des Elburz-Gebirges und im Falle der Tayyibiten in die nicht minder festungsartigen jemenitischen Berge. Der˙ Imam war verborgen, die Gemeindeleitung oblag dem obersten Da¯ ¯ı. Die jemenitische Da wa war in ständige Kriegszüge gegen die Zaiditen verwickelt, ohne Perspektive jemals wieder eine ähnlich machtvolle Position wie in der Vergangenheit einzunehmen. Die Verlusterfahrung beschränkte sich aber nicht nur auf den militärischen, politischen und wohl auch ökonomischen Niedergang, sondern – und das mag noch schwerer gewogen haben – das Unterfangen, das Abdalla¯h al-Mahdı¯ über 250 Jahre zuvor von Sigˇilma¯sa aus gestartet hatte, war offenkundig gescheitert. Was bei den Fatimiden noch unter Aufschub ˘

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7. Die postfatimidische Epoche

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und Verstetigung der Endzeit firmierte, musste im Jemen als Scheitern des Mahdı¯ erkannt werden. Angesichts der eminenten Bedeutung, die der Imam insbesondere in seiner Rolle als Mahdı¯ in der isma¯ ¯ılitischen Lehre einnimmt, lassen sich die Auswirkungen, die diese Erfahrung des Scheiterns zur Folge haben musste, erst in ihrer alles umwälzenden Dimension erfassen. Im Zahr al-ma a¯nı¯ finden wir die endzeitlichen Erwartungen tatsächlich aufgehoben. Das Imamat wird hier als eine niemals endende Institution beschrieben. Die Entrückung der Imame hat diese zu mythischen, völlig spiritualisierten Gestalten werden lassen, die in Tempeln aus Licht die Seelen der Gläubigen auf die Stufen zur Erlösung transportieren. Hier ist allerdings nicht mehr die Rede von Lehrübermittlung und Tradition. Wenn auch der Anspruch aufrechterhalten wird, dass jede Zeit ihren Imam haben müsse und dass die Welt nicht ohne einen Imam existieren könne, so liegt die Begründung hierfür jetzt vollständig im Bereich spekulativer Philosophie. Der menschliche Körper des Imam ist nicht mehr mit der Vorstellung eines Heerführers oder eines Regierenden an der Spitze eine Staates verbunden, sondern mit den durch Mond- und Sonnenstrahlen purifizierten Materieteilchen der Gläubigen, die mittels Tautropfen ihren Weg in den Zeugungsakt des neuen Imam finden. Umso wichtiger wird in dieser Situation die Da wa als Gemeinschaft der Da¯ ¯ıs, ihre Organisationsstruktur und ihre Leitung. Es ist kein Zufall, dass das Amt des unbeschränkten Da¯ ¯ı, des Da¯ ¯ı mutlaq, ausgerechnet in ˙ von himmder jemenitischen Da wa entsteht. In den Parallelisierungen lischen und irdischen Ämtern im Zahr al-ma a¯nı¯ offenbaren sich die Kopplung und damit die Legitimierung der irdischen Da wa. Die Ämter der Missionsorganisation erfahren eine Sakralisierung. Diese ist allerdings nicht neu und schon im Kita¯b al- a¯lim wa’l-g˙ula¯m werden die Ämter der Da wa mit den Sternen, Bergen und Flüssen von Gottes guter Schöpfung gleichgesetzt. Aber erst in der tayyibitisch radikalisierten Version des Neuplatonismus kann dann die ˙Struktur der spirituellen Welt der irdischen Organisation Sakralität in einer sonst bösen Welt vermitteln. Die Ausgestaltung der Da wa korrespondiert daher in ihrer Entwicklung immer auch mit den philosophischen Konstruktionen und theologischen Argumentationen. Gerade unter den Bedingungen der jemenitischen Tayyibı¯ya erwies sich eine straffe Hierarchie als notwendig, um auch ohne ˙ schützendes Herrscherhaus und in Abwesenheit des Imam bestehen zu können.823 ˘

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823 Hamdani, A. (1976): Evolution of the Organisational Structure, S. 86 f.

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7.3. Zur Wechselwirkung von Politik und Theologie

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Jenseits der oben ausgeführten Angaben zur Organisationsstruktur der Da wa haben wir keine Informationen, etwa über die Zusammensetzung der Gemeinden, ihre Größe etc. Wir wissen, dass jeweils ganze Stämme bzw. Familienverbände als Einheiten behandelt und betrachtet wurden. Überlegungen über Schichtzugehörigkeit oder darüber, ob es sich hier eher um ein städtisches oder ländliches Phänomen handelt, können aufgrund der Struktur des Jemen nicht angestellt werden. Da wir keinerlei Kenntnisse darüber besitzen, auf welchem Weg das gnostische Gedankengut seinen Weg in den Jemen fand, kann auch die Frage nicht beantwortet werden, ob dies – wie in anderen Fällen von Gnostizismus – in Zusammenhang mit der Städteherrschaft geschehen sein könnte. Vor dem Hintergrund der jemenitischen Gesellschaftsstruktur und Geographie stellt sich außerdem die Frage nach der Dynamik in der Verbreitung und Durchsetzung dieser Ideen ganz anders als diese sich z. B. für die Katharer des europäischen Mittelalters stellt, untersucht und beantwortet werden kann.824 Ebenso besitzen wir aus der Zeit Idrı¯s‘ keine Gemeindebücher, wie wir sie für die Gegenwart besitzen, die uns Aufschluss über Gebete, Feiertage, Rituale etc. geben könnten.825 Bekannt ist lediglich, dass die Da a¯ im al-isla¯m des al-Qa¯d¯ı al-Nu ma¯n kontinuierliche Autorität als Rechtskompendium genossen˙haben.826 Eine ebenso hohe Geschwindigkeit wie in der Anpassung der Da waStruktur an die neuen Verhältnisse nach dem Verlust der Macht lässt sich auch bei der Neuausrichtung der tayyibitischen Doktrin nachweisen. Der ˙ erste Text, bei dem sich die fundamentalen Umwälzungen nach dem Ende der Fatimiden und der Sulaihiden niederschlagen, ist das Kanz al˙ ˙ zweite walad des Ibra¯hı¯m al-Ha¯midı¯, der Da¯ ¯ı mutlaq des Jemen. 25 Jahre ˙ iden und 32 nach der Entrückung ˙ nach dem Ende der Sulaih des Imam al˙ ˙ Tayyib starb er im Jahr 557/1162. Ob al-Ha¯midı¯ Vorstellungen aus den ˙ il Ihwan al-Safa und den von ihm rezipierten ˙ Rasa Neuplatonikern ra¯ ¯ ¯ ˙ ˘ und mit den historischen Erfahrungen seiner Zeit verband dikalisierte oder ob er aus anderer Quelle mit gnostischer Motivik vertraut war, lässt ˘

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824 Für Europa vgl. das relativ gut erforschte Katharertum bei: Kippenberg (1983): Gnostiker zweiten Ranges, Stoodt (1996): Katharismus im Untergrund u. Auffarth (2005): Die Ketzer, S. 84 – 90. 825 Aktuelle Bücher unter dem Titel Sah¯ıfa al-salawa¯t werden von den gegenwärtigen ˙ ˙ haben ˙ Gemeinden im Jemen benutzt. Dabei die weiteren Splittergruppen der Sulaima¯nı¯s und Da¯ u¯dı¯s je eigene, leicht unterschiedliche Versionen, so, wie es auch Titel extra für Kinder gibt. 826 Daftary (1990): The Isma¯ ¯ılı¯s, S. 303. ˘

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7. Die postfatimidische Epoche

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sich nicht mehr rekonstruieren.827 Bei al-Ha¯midı¯ findet sich erstmalig das ˙ eine völlig neue Haltung zur Motiv der Hybris, die, wie oben dargelegt, Welt zur Folge hat und die auch in der Eschatologie ihre Wirkung entfaltet. Die Bedeutung der materiellen Welt von ihren Planetensphären bis hinab zu den vier Elementen – Feuer, Luft, Wasser und Erde – geht später im Zahr al-ma a¯nı¯ aber über eine blanke Verdammung hinaus. Im Gegenteil ist ihre konkrete Ausgestaltung, wie im zehnten Kapitel des Zahr al-ma a¯nı¯ dargelegt, die Antwort auf die Renitenz der mit dem erstmals Dritten, dann Zehnten Intellekt gefallenen niederen Intellekte. Nachdem diese durch ihre Eigenbewegung die physisch dreidimensionale Welt initiiert hatten, war es dem inzwischen reuigen Zehnten Intellekt aufgetragen, die Angelegenheiten der Welt so zu ordnen, dass ein Wiederaufstieg der gefallenen, inzwischen ebenfalls teilweise reuigen anderen Intellekte möglich wurde. Er ist der Verwalter (mudabbir) der Welt.828 Ihm obliegt es, die materielle Schöpfung so zu gestalten, dass sie in annähernder Korrespondenz zur spirituellen Schöpfung die Umkehrung dieses zweiten Schöpfungsaktes ermöglicht. In gleichem Maße, wie Seele und Materie in der irdischen Welt wieder gereinigt werden und in den Imamen ihren Weg zurück in die spirituelle Welt finden, steigt auch der Zehnte Intellekt wieder die Stufen der Intellektfolge hinauf, bis er seinen ursprünglichen Platz wieder einnimmt. Der Zehnte, ehemals Dritte Intellekt bringt also der Welt als ihr Verwalter die Erlösung und ist gleichzeitig Profiteur des von ihm gesteuerten Reinigungsvorgangs. Wie in Kapitel 4.1.3. zur Bestimmung der Gnosis dargestellt, kommt die Gestalt des Erlösers nicht von außen, als dem Vorgang enthoben, sondern sie bedarf selbst der Erlösung. Der Zehnte Intellekt spielt als salvator salvandus die Hauptrolle im gnostischen Drama von der Welt. Auf welchen Wegen die gnostischen Vorstellungen al-Ha¯midı¯s, die ˙ seitdem tradiert wurden, ihren Weg in die jemenitische Bergwelt gefunden haben mögen, bleibt, wie auch bei älteren Elementen der Lehre, völlig unklar: „Ein bestimmter Vorläufer ist nicht auszumachen. Es ist daher fraglich, ob die Isma¯ ¯ılı¯ya überhaupt auf einem älteren gnostischen ˘

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ˇ a far 827 Die Hybris, als ein zentrales Element der Gnosis, findet sich auch schon bei G ibn Mansu¯r al-Yaman (gest. vor 346/957) und Abu¯ I¯sa¯ al-Mursˇid (gest. ca. 369/ 980). Bei˙ den Schriften beider Autoren entwickelt sich jedoch aus der Selbsterhebung über die göttliche Ordnung nicht die Figur des Demiurgen und diese führt auch nicht zu der für die Gnosis signifikanten Negativierung der Welt. (Vgl. dazu auch Kap. 5.3.1.3.). 828 Hamdani, H. (1931): The Doctrines and History of the Isma¯ ¯ıli Da wat, S. 172 – 176. ˘

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7.3. Zur Wechselwirkung von Politik und Theologie

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System fußt, oder ob sich nicht vielmehr um einen schiitischen Kern durch synkretistische Aneignung allgegenwärtiger gnostischer Mythologumena ein völlig neues, genuin islamisches Gnosismodell kristallisiert hat.“829 Strukturell finden sich aber Anklänge an jene Modelle, die von Jonas als syrischer Typus bezeichnet werden und sich vorrangig bei den Valentinianern, aber auch bei Simon Magus, den Ophiten oder auch in der Barbelo-Gnosis finden lassen.830 Diese Modelle zeichnen sich, im Gegensatz z. B. zum Manichäismus, durch die Vermeidung eines Urdualismus aus und lassen sich so leichter an islamische Kosmogonie anschließen. Hier ist es wie in der tayyibitischen Lehre die Überheblichkeit ˙ einer Kreatur Gottes, die das böse Gegenprinzip zur göttlichen Fülle hervorbringt.831 Als ein weiteres Beispiel für die Entsprechungen zur Barbelo-Gnosis sei das Apokryphon des Johannes genannt, in dem sich die Idee eines Adam als Urmenschen findet, der im Erkennen von Gottes Größe diesen preist. Wie im Zahr al-ma a¯nı¯ wird eine Korrespondenz zwischen dem ersten Intellekt, dem Urmenschen und dem spirituellen Adam gedacht, die in ihrer Gottesverehrung alle das göttliche Prinzip repräsentieren.832 Aber auch zu dem sonst wegen seines radikalen Dualismus geschmähten Manichäismus finden sich in der Eschatologie des Zahr al-ma a¯nı¯ Parallelen. Sowohl die Idee der zu reinigenden Körperteilchen wie auch die eines abschließenden Weltbrands am Ende der Zeit und der Einschließung der bösen Seelen in einen Stein respektive Ascheklumpen sind auch in dieser weit verbreiteten und überaus wandlungsfähigen Tradition bekannt.833 Hamdani will sogar auch den kreisförmigen Verlauf der Weltgeschichte mit der spirituellen Schöpfung, dem Tiefpunkt in der Materie und dem Aufstieg der Seelen durch die Menschen bis zum letzten Qa¯ im, mit dem alles zu seinem Ursprung zurückkehrt, als vom Manichäismus beeinflusst sehen.834 Die persische Idee, die Geschichte in mehrere Perioden mit bestimmter Länge einzuteilen, wurde von nahezu allen gnostischen Systemen übernommen. So ˘

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829 Halm (1978): Kosmologie und Heilslehre, S. 123. 830 Jonas (1999): Gnosis, S. 137 u. 280 f. 831 Halm (1978): Kosmologie und Heilslehre, S. 123 f; Daftary (1990): The Isma¯ ¯ılı¯s, S. 142. 832 Vgl. zum Apokryphon des Johannes: Foerster (Hg.) (1997): Die Gnosis, Bd. 1, S. 136 f u. 147 f u. ebenso: Jonas (1999), Gnosis, S. 239 – 247. 833 Für Originaltexte mit Einführung zum Manichäismus vgl. Böhlig (1997): Die Gnosis, Bd. 3: Der Manichäismus, S. 276 – 279. 834 Hamdani, H. (1931): The Doctrines and History of the Isma¯ ¯ıli Da wat, S. 139. ˘

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7. Die postfatimidische Epoche

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war auch der isma¯ ¯ılitische Zeithorizont zunächst auf einen Zyklus von sieben Imamen beschränkt, wurde dann aber immer weiter ausgedehnt bis hin zu der Vorstellung von Perioden bzw. Äonen der Enthüllung und der Verborgenheit sowie dem letzten Großen Äon.835 Die im Zahr al-ma a¯nı¯ dargestellte Lehre der Isma¯ ¯ılı¯ya belegt eindrucksvoll mit ihren elaborierten Lehren und ihrem spielerisch spekulativen Umgang mit den Elementen aus unterschiedlichen Zeiten und Denktraditionen, wie sehr es sich bei den hier vorgestellten Glaubensmodellen um Intellektuellenreligiosität836 handelt. Zur Entwicklung einer Alltagsethik taugen derartige Texte jedoch kaum. Um eine, wie auch immer systematisierte Lebensführung begründen zu können, bedarf es ihrer Interpretation wie der Flankierung durch weitere, den Alltag strukturierende Texte. Für die Zeit des Idrı¯s Ima¯d al-Dı¯n konnten solche Texte bisher nicht nachgewiesen werden. Ob die bereits angesprochenen Gemeindebücher wie die Sah¯ıfat al-salawa¯t auf Vorgänger aus dem 9./ ˙ ˙ ˙ 15. Jahrhundert zurückgeführt werden können, ist völlig unklar. Die Rekonstruktion des Zusammenhangs von Lebensführung, ethischer Rationalisierung und religiösen Heilsgütern wird so erheblich verkompliziert, zumal wir auch davon ausgehen müssen, dass jene intellektuellen Rezipienten des Zahr al-ma a¯nı¯, die an der Spitze der Da wa standen, hieraus kaum unmittelbare Handlungsanleitungen entwickeln konnten. Einen möglichen Hinweis auf die Pragmatik der Gemeinschaft liefert uns aber die strikte Ordnung der tayyibitischen Da wa. Die unbedingte ˙ Loyalität der Isma¯ ¯ıliten gegenüber dem Imam als Voraussetzung zur Erlösung konnte nach dessen Entrückung nur auf die ihn in himmlischer Korrespondenz repräsentierende Organisation mit dem Da¯ ¯ı mutlaq an ˙ der Spitze übergehen. Die extreme Komplexität der tayyibitischen ˙ Doktrin sowie die nur stufenweise Einweihung der Adepten dürften ebenfalls de facto zu einer Trennung von Laien und Virtuosen geführt haben. Die tiefe Staffelung der Ämter ließ in der Vielzahl ihrer Funktionen837 genügend Raum, um allen Gläubigen gemäß ihrer intellektuellen Fähigkeiten und materiellen Möglichkeiten zum Textstudium einen Platz zuweisen zu können. Die bei den Fatimiden begonnene Hierar˘

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835 Ebd., S. 147. 836 Zum Begriff Intellektuellenreligiosität vgl. Rudolph (1989): Intellektuelle, S. 23 – 34; Kippenberg (1989): Intellektuellen-Religion, S. 181 – 201; Art. Intellektuellenreligion, Metzler Lexikon Religion, Bd. 2, S. 101 – 104; Hübinger (2001): Intellektuelle, Intellektualismus, S. 297 – 313. 837 Hamdani, H. (1931): The Doctrines and History of the Isma¯ ¯ıli Da wat, S. 238.

7.3. Zur Wechselwirkung von Politik und Theologie

261

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chisierung von Kosmos und Da wa hatte unter den verschärften Bedingungen der Tayyibı¯ya eine weitere Radikalisierung erfahren. Eine ˙ mögliche Interpretation könnte in dem Wunsch liegen, den Mitgliedern der Gemeinschaft eine soziale Ordnung anbieten zu können. Dass sich die Lehre dennoch schnell in hohe intellektuelle Gefilde emporschwang, zeigt die von Ha¯tim ibn Ibra¯hı¯m geschilderte Schwierigkeit, die Ämter ˙ qualifiziertem Personal zu besetzen.838 mit ausreichend

7.3.2. Die Weltverneinung deprivierter Intellektueller ˘

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Nach den Überlegungen zu den Neuerungen in der tayyibitischen Da wa ˙ Schritt zurückzuin Lehre und Organisation gilt es noch einmal einen treten und den weiteren Kontext von Kosmologie und Eschatologie vor dem Hintergrund der politisch sozialen Verhältnisse nach dem Ende isma¯ ¯ılitischer Herrschaft zu beleuchten. Dabei interessiert uns die Frage, wie es zu dieser Umwertung des weltlichen Daseins kommen konnte, was die Dynamik in diesem Prozess ausmachte und an welchen Punkten sich die entscheidenden Wendungen vollzogen haben. Hintergrund auch dieser Überlegungen stellt die in den Kapiteln 3.1.–3.2. dargestellte Dynamik zwischen Lebensführung und Interessenlage einerseits und zwischen Sinnstiftung durch religiöse Ideen und Heilsgüter andererseits dar.839 In der tayyibitischen Imamatslehre sind Kosmologie und Eschatologie ˙ nicht zu trennen und kaum voneinander zu unterscheiden. Die neue tayyibitische Doktrin erfüllt ein zentrales Kriterium des gnostischen ˙Kunstmythos, der von sich selbst berichtet und dadurch wirksam wird, wie in Kapitel 4.1.3. beschrieben. Das Wissen um die Beschaffenheit der Dinge garantiert Erlösung. In einer negativ gewordenen Welt vermittelt das gnostische Wissen eine positive, sofort wirksame Würde. Es ist – im Gegensatz zur messianischen Lehre der Fatimiden – nicht mehr nötig, auf das Weltende zu warten. Erlösung geschieht unabhängig vom Lauf der Welt.840 Während geschichtliche Verläufe vor dieser Sicht auf die Eschatologie an Bedeutung verlieren, gewinnt die Vermittlung des Wissens an Gewicht. Die Weitergabe der esoterisch-gnostischen Lehre wird, im Gegensatz zu früheren Zeiten zur vordringlichsten Aufgabe der 838 Hamdani, A. (1985): The Tayyibı¯-Fa¯timid Community of the Yaman, S. 156. ˙ 839 Weber (1988=1920d): Einleitung, S. ˙259. 840 Kippenberg (1983): Gnostiker zweiten Ranges, S. 149.

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7. Die postfatimidische Epoche

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Da wa, wie Traboulsi nachweist. „It has become a necessity to reveal it to most of the faithful (awliya¯ ) in our times because of the magnitude of this concealment.“841 Für diese radikale Aufwertung der Idee einer sich bereits vollziehenden Erlösung auf Kosten der aufgehobenen Erlösungshoffnung durch eine messianisch endzeitliche Mahdı¯-Figur war die Umkehrung der kosmischen Vorzeichen die Voraussetzung. In der Zusammenfassung zu den kosmogonischen Erzählungen vom Kanz al-walad bis zum Zahr alma a¯nı¯ und darüber hinaus findet sich durchgängig die Erzählung von der Hybris des Dritten Intellekts als Ursache für die Entstehung der materiellen Welt. Sie ist die am nachhaltigsten wirksame Neuerung in der tayyibitischen Lehre und wirkt sich auf alle ihre weiteren Elemente aus. ˙Die im Neuplatonismus bereits vorhandene Geringschätzung der Materie, verstanden als Gottesferne, erfährt eine neue Qualität durch die aktive Ignoranz des Dritten Intellekts und wird weiter radikalisiert durch die ihm folgenden, weiter in der Ablehnung des Gotteslobes verharrenden, niederen Intellekte. Hans Blumenberg schreibt über das Verhältnis von Neuplatonismus und Gnosis: „Die Gnosis ist von einem radikaleren metaphysischen Typus. Wo sie das neuplatonische System benutzt, ist sie doch nicht dessen Konsequenz, sondern besetzt die Stellen des Systems um. Der Demiurg ist zum Prinzip des Übels geworden“.842 Zum Verständnis dieser Umbesetzung kehren wir noch einmal zurück zu Max Webers Analyse der Erlösungsreligionen und dem auch bei Kippenberg843 angeführten Zitat: „Die vorderasiatischen Erlösungsreligionen, sei es mystagogischen, sei es prophetischen Charakters und ebenso die vom Laienintellektualismus getragenen, orientalischen und hellenistischen, sei es mehr religiösen, sei es mehr philosophischen Erlösungslehren, sind (soweit sie überhaupt sozial privilegierte Schichten erfassen) fast ausnahmslos Folgeerscheinung der erzwungenen oder freiwilligen Abwendung der Bildungsschichten von politischem Einfluss und politischer Betätigung.“844 Hintergrund dieser Bemühungen ist die, oben bereits beschriebene, innere Not der Intellektuellen, die Welt als einen sinnvollen Kosmos zu erfassen.845 ˘

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841 Al-Husain ibn A¯lı¯ in al-Walı¯d (gest. 667/1268), zit. nach: Traboulsi (2005): The ˙ formation of an Islamic sect, S. 87. 842 Blumenberg (1996): Die Legitimität der Neuzeit, S. 140. 843 Kippenberg (1991): Die vorderasiatischen Erlösungsreligionen, S. 86. 844 Weber (2001): Religiöse Gemeinschaften, S. 270 f. 845 Ebd., S. 265 ff.

7.3. Zur Wechselwirkung von Politik und Theologie

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Dieses Verständnis von Erlösungsreligiosität findet auch schon in der Betrachtung der präfatimidischen Isma¯ ¯ılı¯ya als einer „esoterische[n] Erlösungsreligion“ seine Anwendung (vgl. Kapitel 5.4.2.). Nach Weber kann die Erlösungssehnsucht sich noch weiter steigern, wenn sie mit intellektueller Heilsqualifikation in „eine starke Deklassierung des Naturhaften, Körperlichen, Sinnlichen“846 mündet, wie sie im Neuplatonismus existiert und bei den gnostischen Spekulationen auf die Spitze getrieben wird. In diesem Sinne wird Weber auch von Jonas in dessen grundlegendem Werk „Gnosis und spätantiker Geist“ rezipiert.847 Auch Kurt Rudolph verweist auf die von Weber analysierte Bedeutung des Intellektualismus und des gerade für die Gnosis kennzeichnenden Laienintellektualismus in der Entwicklung der spätantiken Gnosis.848 Bei der Gegenüberstellung der präfatimidischen Isma¯ ¯ılı¯ya als „esoterische[ ] Erlösungsreligion“ und der Weber-Rezeption zum Verständnis der Entstehung der Gnosis stellt sich sogleich die Frage, warum die Isma¯ ¯ılı¯ya nicht schon zur Zeit ihrer ersten Deprivation durch die Umayyaden und Abbasiden eine Motivik gnostischer Weltablehnung entwickelte, stattdessen aber die Bejahung und das Lob der Schöpfung als Zeichen von Gottes Wirken in der Welt hochhielt und weiter, wie die Tayyibiten plötzlich dazu kamen, dieses Verständnis des Kosmos so radikal ˙ umzukehren, bis für sie die Lehre des Imam nur noch als Anleitung zur Umkehr des minderwertigen Schöpfungsprozesses diente. Zur Beantwortung dieser Frage soll ein Gedanke Jacob Taubes‘ aufgegriffen werden, den er am Ende seiner Einleitung zu dem von ihm herausgegeben zweiten Band von Religionstheorie und Politische Theologie, Gnosis und Politik äußert.849 Der Text beschäftigt sich mit dem Streit um die Neuzeit als gnostischem Zeitalter und weist bei der Debatte um Marcion und den Messianismus des gescheiterten BarKochba-Aufstands (132 – 135) auf einen Zusammenhang hin, der auch für die Geschichte der Isma¯ ¯ıliten und die tayyibitische Revolution ˙ fruchtbar gemacht werden kann. In der Weiterführung von Leon Festingers Apokalyptik-Interpretation „when prophecy fails“850 will Taubes die Gnosis mit der Formel „when apocalypticism fails“ verstanden wis˘

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846 Ebd., S. 271. 847 Jonas (1988): Gnosis und spätantiker Geist, Teil 1: Die mythologische Gnosis, S. 69. 848 Rudolph (Hg.) (1975b): Randerscheinungen des Judentums, S. 777, Fn. 17. 849 Taubes (1984b): Einleitung, S. 15. 850 Festinger/Riecken/Schachter (1956): When prophecy fails Prophecy.

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7. Die postfatimidische Epoche

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sen.851 Taubes setzt mit diesem Vorschlag Prophetie, Apokalyptik bzw. Messianismus852 und Gnosis in einen Zusammenhang, nach dem das Scheitern der vorhergehenden Voraussetzung des Folgenden ist. Diese Idee ist in ihren einzelnen Schritten nicht neu, findet sich aber selten als Summa bis zur Gnosis hin entfaltet. Ungeachtet der Problematik, ob hier eine religionshistorische Kausalkette intendiert sein könnte, wirft dieser Blick ein neues Licht auf die Geschichte der Isma¯ ¯ılı¯ya. Muhammad war ˙ der Prophet, der nach gemeinschiitischer Lesart seine Nachfolge auf die Nachfahren seines Hauses, die ahl al-bait, gründen wollte. Doch der Partei Alı¯s war es nicht gelungen sich gegen die Umayyaden durchzusetzen und auch die kurzzeitige Hoffnung auf die Abbasiden war enttäuscht worden. In dieser Lesart wird plausibel, warum die Mahdı¯-Idee grosso modo im schiitischen Islam so viel lebendiger ist als in der Sunna. Das Scheitern dieser Prophetie und die Entwicklung der Isma¯ ¯ılı¯ya als messianische Erlösungsreligion wurden in Kapitel 5 bereits dargestellt. Das darauf folgende Kapitel berichtet von der problematischen Inkarnation des Mahdı¯-Imam und der Errichtung des fatimidischen Reiches, das aber mehr weltliche als jenseitige Züge trug. Wollte man nicht schon hierin ein Scheitern des Messianismus sehen, war dessen Misserfolg spätestens im Untergang der Fatimiden und Sulaihiden offenkundig. Mit Taubes‘ ˙ ˙ Lesart, Gnosis als die Folge des Scheiterns von Messianismus zu interpretieren, wird verständlich, warum die Isma¯ ¯ılı¯ya zunächst die erste Stufe der isma¯ ¯ılitischen Erlösungsreligiosität in Gestalt des präfatimidischen Messianismus durchleben musste. Erst nach dessen Verstetigung, der Stagnation und schließlich dem Scheitern der Mahdı¯-Erwartungen im fatimidischen Reich konnten sämtliche endzeitliche Hoffnungen auf eine Umgestaltung der Welt aufgegeben und die Erlösung nur noch von außen in der Überwindung und in der Ausscheidung aus der Welt gesucht werden.

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851 Taubes (1984b): Einleitung, S. 15. 852 Zur Nähe von Messianismus und Apokalyptik in diesem Kontext vgl. Art. Apokalyptik/Messianismus/Chiliasmus, HrwG, Bd. 2, S. 9 – 26.

8. Postkoloniale Rationalismen ˘

8.1. Die Religionsgeschichte der Isma¯ ¯ılı¯ya im Prisma des postkolonialen Rationalismusbegriffs

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Abschließend soll noch einmal der Blick auf das in den Kapiteln 3 und 4 entworfene Modell zum Umgang mit Rationalität und Irrationalität im Hinblick auf die Zufälligkeit der empirischen Welt geworfen werden. In Kapitel 4.2. und den sukzessiven Unterkapiteln wurde die Funktion des Imam in der Isma¯ ¯ılı¯ya zur Integration inkompatibler Kontingenzen in das isma¯ ¯ılitische Weltbild behandelt. Es wurde untersucht, wie der Imam es schafft, nicht nur die weltlichen Wechselfälle sinnhaft zu interpretieren, sondern wie er darüber hinaus auch noch den Zusammenhalt innerhalb der Gemeinschaft sowie deren Bindung gegenüber seiner Person als Imam stärkt. Hierzu wurde in den voranstehenden Analysen isma¯ ¯ılitischer Theologie neben der Imamatslehre auch die Kosmogonie betrachtet. Diese beschreibt die Grundhaltung der Gemeinschaft gegenüber der Welt und definiert so gleichermaßen das Maß an Spannung, das im Verhältnis zur Welt besteht. Jene Spannung ist es, die nach Weber Voraussetzung zur Entwicklung von Erlösungsreligiosität ist. Sie kann schwanken von durchweg positiver Bejahung, wie etwa im sunnitischen Islam, bis hin zur totalen Verwerfung, wie etwa bei gnostischen Sekten der Spätantike. Kosmogonie und Imamatslehre zusammen geben ein umfassendes Bild zur Wahrnehmung der Welt und zum Umgang mit den aus dieser Wahrnehmung entstandenen Spannungen zu ihr. Die Darstellung zur Geschichte der Isma¯ ¯ılı¯ya und ihrer Theologie unter besonderer Berücksichtigung von Kosmogonie und Imamatslehre soll jetzt noch einmal zusammengeführt werden, um die empirisch erfahrbare Welt und ihre Sinnzuschreibungen im Modell der komplementären Weltsichtanalyse miteinander zu korrelieren. ˘

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8.1.1. Die komplementäre Rationalität der Erlösungsidee ˘

Der empirische Befund zur Frühgeschichte der Isma¯ ¯ılı¯ya lässt sich nach der ausführlicheren Darstellung jetzt relativ knapp fassen. Die Gemein-

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8. Postkoloniale Rationalismen

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schaft ist organisiert als ein zentralistischer Geheimbund, der sich von Syrien bis in den Jemen und vom Iran bis nach Marokko erstreckt. Dabei ist sie ständig der abbasidischen Verfolgung ausgesetzt und in der Gefahr, aufgedeckt und zerschlagen zu werden. Nachdem die Schia bis zur Zeit ˇ a far al-Sa¯diq (gest. 148/765) in offener Opposition erst zu des Imam G ˙ zu den Abbasiden gestanden hatte, wurde der den Umayyaden, dann Verfolgungsdruck in genau dem Moment zu hoch, als die Isma¯ ¯ılı¯ya als eigenständige Bewegung hervortrat und sich von der Imamı¯ya trennte. Zu diesem Zeitpunkt gingen auch ihre Imame in die erste Verbergung und führten ihre Gemeinschaft, ohne selbst in das Licht der Öffentlichkeit zu treten. Bereits im Ursprung ihrer Geschichte sah sich die Isma¯ ¯ılı¯ya also mit dem Missverhältnis konfrontiert, dass sie sich als „die rechtgeleitete Da wa“ (al-da wa al-ha¯diya) keineswegs in der ihr nach eigenem Befinden eigentlich angemessenen Position befand.853 Ihre Herrschaft – sofern man davon zu einem so frühen Zeitpunkt und in einem so begrenzten Rahmen überhaupt sprechen möchte – betraf lediglich ein versprengtes Häufchen Gläubiger und keineswegs die Welt, ja nicht einmal alle Muslime oder wenigstens alle Schiiten. Der Erfahrung der Verdrängung und Unterdrückung stand allerdings der manifesten Erwartung gegenüber, dass der Mahdı¯-Imam mit seinen Heeren die politisch, religiös und militärisch falsche Weltordnung in naher Zukunft umstürzen würde, um dann Gottes gerechtes Reich zu errichten.854 Wie schon dargestellt, ergibt sich die Bedeutung der Kosmogonie für diese Studie aus ihrer Eigenschaft, die Grundposition der isma¯ ¯ılitischen Gemeinschaft zur Welt zu beschreiben. Die Kosmogonie, wie sie im Kita¯b al- a¯lim wa’l-g˙ula¯m dargestellt wird, zeigt noch keine Spannung zur Welt. Die Schöpfung entsteht aus Gottes Willen durch sein Wort und ist so in ihrer gesamten Gestalt Zeugnis seines Tuns und Beweis seiner Existenz. Die Kosmogonie ist in der Weise, wie sie sich vollzieht, Zeugnis seines Willens, sich den Menschen mitzuteilen und ihnen nach isma¯ ¯ılitischem Verständnis die wahre, heißt isma¯ ¯ılitische Religion zu bringen. Die oben für die Erlösungsreligiosität dargestellte Spannung zur Welt, wie sie in dem Missverhältnis der Isma¯ ¯ılı¯ya als verfolgte Minderheit vor dem Hintergrund ihrer Lehre eigentlich auftreten müsste, findet in der Kosmogonie noch keinen Niederschlag. Die Spannung hat sich stattdessen vollständig in der Imamatslehre und in der mit ihr verbundenen Esoterik niedergeschlagen. Mit dem Kom˘

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853 Daftary (1990): The Isma¯ ¯ılı¯s, S. 93. 854 Halm (1991): Das Reich des Mahdi, S. 60.

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8.1. Die Religionsgeschichte der Isma¯ ¯ılı¯ya

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men des nächsten Imam ist das Ende oder doch mindestens die Umgestaltung der Welt auf das Engste verknüpft. Sowohl seine Position in der Kosmologie wie auch seine eschatologische Funktion weisen auf die unmittelbar bevorstehende Umwandlung der Welt hin, mit der sich auch die Spannung lösen wird. Der erwartete Mahdı¯-Imam ist der letzte aus der Imamsheptade und schließt nicht nur die Heptade, sondern alle sieben Heptadenfolgen ab. Mit ihm kommt die Kosmogonie endgültig zu ihrem messianischen Ende. Alle eschatologischen Hoffnungen werden auf den Imam projiziert und in seiner Figur gebündelt. Ohne ihn verliert die gesamte Konstruktion ihren Zusammenhalt. Der Mahdı¯-Imam und die messianische Erlösung sind identisch. Durch die Esoterik wird einerseits die Position des Imam gestärkt, schließlich ist er der letztgültige Mittler zwischen Innen und Außen, andererseits gewinnt die Isma¯ ¯ılı¯ya theologischen Spielraum. Die Differenz zwischen der Situation der Isma¯ ¯ılı¯ya und ihrem theologischen Anspruch findet ihren Ausdruck im nahen Ende des Missverhältnisses zugunsten der dann einzusetzenden göttlichen Ordnung. In kontrastierender Darstellung zu den folgenden Abschnitten isma¯ ¯ılitischer Geschichte soll die schon zu diesem frühen Zeitpunkt überlebenswichtige Rolle des Mahdı¯-Imam kurz illustriert werden, denn das Ausbleiben der Endzeit machte es unabdingbar notwendig, die damit verknüpften Erwartungen auf ein anderes Ziel hin umzulenken. Ohne die interpretatorischen Möglichkeiten, die die esoterische Interpretation der Lehre bot, wäre weder die veränderte Zählung und Interpretation der Imamszyklen noch die personelle Neuorientierung für die Imam-Kalifen unter den Fatimiden möglich gewesen. Die Umwandlung der endzeitlichen Hoffnung und damit das Lösen der Spannung im Verhältnis zur Welt werden innerweltlich erwartet, denn der Erwartungshorizont ist greifbar nah. Eine so umwälzende Änderung der Lehre wie die Negativierung der Welt in der Kosmogonie, wie wir sie für die postfatimidische Isma¯ ¯ılı¯ya im Jemen finden, war jedoch noch nicht nötig. In diesem frühen präfatimidischen Stadium genügten die Kombination von Esoterik und Imamatslehre vollauf, um die bestehende Spannung zu sublimieren. Erst mit der Parusieverzögerung und dem Sicheinrichten darin wird eine Neubewertung der Welt nötig, sollte die Erwartung auf den kommenden Messias nicht überstrapaziert werden. Webers Ablehnung, die innerweltliche Erlösung, wie sie die Isma¯ ¯ılı¯ya in ihrer frühen Phase anstrebte, als Erlösungsreligiosität zu interpretieren, ist daher aus zwei Gründen übereilt gewesen. Denn erstens bezeichnet der vorhandene Messianismus bereits ein Spannungsverhältnis im zuvor ˘

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8. Postkoloniale Rationalismen

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beschriebenen Sinne vom Sein der Empirie und dem Sollen der theologischen Sinnzuschreibung und zweitens unterschlägt Weber die Entwicklungspotenziale dieser frühen Erlösungsreligiosität in der Parusieverzögerung. Die Sorge des Gratifikationsverlusts und die Lösungsangebote der fatimidischen Imam-Kalifen im Angesicht der ausbleibenden Endzeit trotz des erschienenen Mahdı¯ und der Errichtung des isma¯ ¯ılitischen Reiches haben einige grundsätzliche Verschiebungen zur Folge oder wie Ess schreibt: „Wieder einmal stellt sich das Problem der Parusieverzögerung, und wieder einmal muß die Theologie alles ausflicken.“855 Mit dem theologischen Flickwerk verschieben sich aber auch die Aufgaben von Kosmogonie und Imamatslehre hinsichtlich ihrer Aufgabe, die Kontingenzerfahrung zu bewältigen.

8.1.2. Die komplementäre Rationalität der Ausdifferenzierung

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Nach den Ausführungen in Kapitel 6.5. zur Dynamik bei der Entstehung und Verstetigung eines messianischen Reiches und der Plausibilisierung, warum und wie sich die Ausdifferenzierung und Hierarchisierung in Kosmogonie und Imamatslehre gestaltete, soll der Blick nun doch wieder auf die generelle Fragestellung der Arbeit gerichtet werden. Denn die Parallelisierung von Ereignisgeschichte und theologischen Sinnzuschreibungssystemen ist von der Überzeugung getragen, dass, ohne jeglichen Determinismus, beide Seiten, Empirie und Sinn, zueinander in einem Spannungsverhältnis stehen. Dieses Spannungsverhältnis besteht in dem Sinndefizit der Empirie, das die Isma¯ ¯ılı¯ya vor allem in ihrer Kosmogonie und Imamatslehre artikuliert und auch in ihrer fatimidischen Epoche kompensieren muss. Die Prozesse im Verlauf der überaus erfolgreichen ersten 120 Jahre des Fatimidenreichs sind hinreichend beschrieben worden, so dass man sich noch einmal die Vorhersage Webers für die mit ihm als mystisch zu klassifizierende Isma¯ ¯ılı¯ya vor Augen führen kann. Der Anspruch auf die Beherrschung der Welt ist entgegen Webers Vorhersage weder mystagogisch abgedriftet, noch chiliastisch irrational geworden.856 In der Geschichte der Gruppen und Bewegungen, die sich im Umfeld der Fatimiden – sei es als Gegenbewegung oder als Radikalisierung – entwickelten, lassen sich diese Tendenzen aber sehr wohl nachweisen. Dass ˘

855 Ess (1977): Chiliastische Erwartungen, S. 55. 856 Weber (2001): Religiöse Gemeinschaften, S. 329 – 331.

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die Fatimiden nun, gegen Webers Vorhersage, doch in der Lage waren, einen Staat rationalen Charakters zu begründen, verweist noch einmal deutlich auf die Notwendigkeit, die Rationalität respektive Irrationalität isma¯ ¯ılitischer Theologie zu beleuchten. Rationalität wurde in den vorherigen Kapiteln als das bezeichnet, was dem Gebot der Konsequenz unterliegt; Rationalisierung findet folglich dann statt, wenn ein Gedanke, System, Vorgang oder eine Organisation durch eine aktive Handlung oder auch durch einen unpersönlichen Prozess dem Gebot der Konsequenz unterstellt wird. Die Errichtung des Fatimidenreichs ist so als eine enorme Rationalisierung auf allen Ebenen zu beschreiben. Die institutionellen wie theologischen Neuschöpfungen, ihre Reformen als Ausdifferenzierung, Hierarchisierung und Intellektualisierung zeigen alle in dieselbe Richtung, dem Gebot der Konsequenz zu folgen. Die gedankliche Durchdringung und Systematisierung sowohl der staatlichen Organisation wie der theologischen Sinnzuschreibungssysteme sind die Konstanten der Reichswerdung. Die Isma¯ ¯ılı¯ya musste folglich Lebenszusammenhänge militärisch, juristisch, administrativ und theologisch gestalten und Leitfäden zur Lebensführung entwickeln, wo sie bis zum Auftreten der Imame lediglich wala¯ya, Treue zum Imam, verlangte. Da sich, wie mehrfach dargelegt, Rationalität und Rationalisierung nicht ohne ihr komplementäres Gegenteil, die Irrationalität, denken lassen, stellt sich allgemein die Frage, welche Konsequenz ein derart resoluter Zugriff der Rationalisierung auf das Verhältnis der beiden hat. Bereits im Resumee zur präfatimidischen Isma¯ ¯ılı¯ya wurde der Imam als unmittelbarer Träger der Erlösungshoffnung beschrieben. In dieser Figur war er, gleichsam als Chiffre für das Irrationale, auch in der Lage, die Wechselfälle der Empirie und ihre Inkommensurabilität mit der systematisierten Sinnzuschreibung aufzufangen. Durch die Inkarnation des Mahdı¯-Imam, das Ausbleiben der Endzeit und die Verstetigung der Parusieverzögerung hat sich die Spannung zwischen aktuellem Sein und ehemaligem Sollen erheblich verschärft. Durch die absolute Deutungshoheit des Imam war es möglich, die Sinnzuschreibung an die neue Situation anzupassen. Die lange Reihe der Dissidenten zeigt aber auch, dass längst nicht alle Anhänger gewillt waren, die doktrinären Wechsel mitzutragen. Auch in dem Werk, das als eines der Gründungsdokumente der Fatimiden gelten darf, nimmt die wala¯ya einen zentralen Platz ein. Sie ist die erste und alles begründende Säule in al-Qa¯d¯ı al-Nu ma¯ns Rechts˙ korpus: Da a¯ im al-isla¯m. Die Kontinuität der Wichtigkeit der wala¯ya zeigt, dass der Imam seine Funktion als sine qua non von Welt und Erlösung nicht ˘

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verliert. Die herausragende Position des Imam hatte sich also nicht geändert; das Umfeld aber, in das seine Person eingebettet werden musste, war nicht mehr die Welt unter der Herrschaft abbasidischer Usurpatoren, sondern die Welt der isma¯ ¯ılitischen Herrschaft. Die Spannungen zwischen dem Ist-Zustand und dem Heilsplan hatten sich damit von der Grenze der Isma¯ ¯ılı¯ya in ihr Innerstes verlagert. Die neue Theologie der Imamatslehre beschäftigte sich also weniger mit dem Konflikt zwischen dem Imam und seinen Feinden als vielmehr mit der Rolle des Imam in der sich verstetigenden Endzeit. Die jetzt hinzugekommene Parusieverzögerung erhöhte aber massiv die Spannung zur Welt. Auch die Versuche, sie durch neue Heptadenzählungen oder die Dreiteilung der endzeitlichen Ereignisse zu plausibilisieren, bedeuten letztlich nur eine Rationalisierung, wo zuvor noch akute Jenseitshoffnung die empirische Kontingenz und den Konflikt von Welt und Heilsplan aufgefangen hatte. Die Frage nach dem unde malum, die der kommende Mahdı¯ weniger beantworten als vielmehr aufheben sollte, war nach der Rationalisierung dessen, was zuvor das Refugium der Inkommensurabilität gewesen war, durch die neue Philosophie nur verschoben worden. Die Frage nach dem Bösen in der Welt, letztlich die Ursache des menschlichen Suchens nach Sinn, beantworteten die neuplatonischen ˇ a far ibn Mansu¯r alKosmogoniker nämlich ganz anders, als es der frühe G Yaman es getan hatte. Bei ihm lag die Ursache allen Übels noch ˙in der Verstocktheit der Gegner von Imam und Isma¯ ¯ılı¯ya. Die Trennlinie zwischen der vollständig guten eigenen, wenn auch unterdrückten Lehre und der Verderbtheit der übelwollenden Usurpatoren war klar zu ziehen. Nach dem Erscheinen des Mahdı¯ und der Errichtung des Reiches war diese Begründung nicht mehr haltbar. Die Mangelhaftigkeit der Welt fand ihren Ursprung nun nicht mehr nur in der Ablehnung, also außerhalb der Isma¯ ¯ılı¯ya, sondern in der Gottesferne der diesseitigen Welt. Durch die Übernahme der Neuplatonischen Kosmogonie wurde auch der Gedanke einer Mangelhaftigkeit und Erlösungsbedürftigkeit der Welt eingeführt. Begründet wurde der Mangel durch die wachsende Ferne zum ersten Prinzip, dem ersten Intellekt und damit schließlich auch zu Gott. Die Rolle des Imam blieb durch seinen Aufstieg in der kosmischen Hierarchie somit zentral für die Erlösung. Die Verbindung von isma¯ ¯ılitischer Esoterik und neuplatonischer Kosmogonie hatte dann bei alKirma¯nı¯ ihren Höhepunkt erreicht. In der präfatimidischen Lehre waren Koran und Kultobligationen das Äußere und die dahinter liegende Da wa-Hierarchie das Innere der Lehre. Unter der Herrschaft der fatimidischen Imam-Kalifen konnte diese Hierarchie offen hervortreten ˘

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und zum Äußeren (za¯hir) der Exoterik werden, während die Kenntnis der ˙ neuplatonischen Grade im Aufstieg der Seele zum Inneren (ba¯tin) der ˙ esoterischen Lehre wurde.857 Die Welt wurde aber trotz ihrer Mangelhaftigkeit aufgrund ihrer Gottesferne keineswegs abgelehnt. Die Minderung hatte sowohl bei al-Sigˇista¯nı¯ wie auch bei al-Kirma¯nı¯ keine Negativierung zur Folge. „Auf diese Weise wird das Problem des Bösen gut platonisch gelöst: das Böse hat kein selbständiges Sein, sondern ist Ferne vom Ursprung, wachsender Mangel an Selbständigkeit.“858 Dasselbe neuplatonische Argument wandte Augustinus gegen die Manichäer an. Hybris als eigenständige Ursache des Bösen galt als Kennzeichen der Gnosis, wie sie uns in der tayyibitischen Kosmogonie begegnet ist. Der ˙ traumatischen Erfahrungen vom Ende der Kosmos erhielt dort nach den Fatimiden ein negatives Vorzeichen.

8.1.3. Die komplementäre Rationalität der Gnosis ˘

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Welchen Aufschluss über die komplementäre Rationalität der isma¯ ¯ılitisch-tayibitischen Weltsicht können wir aus der Kosmogonie sowie der ˙ Kosmologie und Eschatologie der Imamatslehre gewinnen? Wie sind sie in der Lage, den historischen Verlauf zu erklären, ihm einen Sinn zuzuweisen und die Teile der Empirie zu integrieren, die sich dem Gebot der Konsequenz entziehen, inkommensurabel bleiben? Schon im Vergleich von präfatimidischer und fatimidischer Isma¯ ¯ılı¯ya hat sich gezeigt, dass die Elemente der Sinnzuschreibung, Kosmogonie und Imamatslehre, die in dieser Arbeit vordringlich behandelt werden, in den unterschiedlichen Situationen je verschiedene Aufgaben übernommen haben. Die Ausdifferenzierung der Theologie im Verlauf der Fatimidengeschichte hat sich gegenüber der Zeit vor der Reichsgründung in der Imamatslehre als Ausweitung der Imam- und Mahdı¯-Figuren und ihrer historischen Gestalten erwiesen, während sie in der Kosmogonie das Prinzip der Devolution als Minderwertigkeit durch Gottesferne eingeführt hatte. Ebenso ist offensichtlich, dass das Fatimidenreich von einer starken Rationalisierungstendenz bestimmt war. Das Ende der fatimidischen Herrschaft und der Rückzug der tayibitischen Da wa in das je˙ menitische Bergland hatten von da an einen radikalen theologischen ˘

857 Halm (1978): Kosmologie und Heilslehre, S. 138. 858 Ebd., S. 132.

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Bruch zur Folge, der oben besonders in der Beschreibung einer isma¯ ¯ılitischen Gnosis verständlich gemacht wurde. Im metaphysisch radikaleren Typus der Gnosis859 werden im Vergleich zu den neuplatonischen Vorgängermodellen isma¯ ¯ılitischer Theologie einige Umstellungen vorgenommen, die uns zu verstehen helfen, wie Sinn, Kontingenz, Rationalität und Irrationalität in der tayyibitischen Isma¯ ¯ılı¯ya gedacht werden können. ˙ Während sich die Widersacher der Isma ılıya zur Zeit des G ˇ a far ibn ¯¯¯ Mansu¯r al-Yaman als irdische Erscheinung freier, aber verirrter Geister ˙ spielten sich der Beginn des anti-isma ılitischen Widerstands bei zeigten, ¯¯ den Tayyibiten auf himmlischer Ebene ab. Die Ignoranz und Ver˙ bohrtheit, die selbstverliebte Leugnung der göttlichen Ordnung wurde in den Entstehungsprozess des Kosmos verlegt. Folglich erhält die als Folge der Hybris entstehende irdische Schöpfung ein negatives Vorzeichen. Im Einklang mit dem Kita¯b al- a¯lim wa’l-g˙ula¯m bleibt die Welt der Verweis auf die spirituelle Ordnung. Wieder muss man die Welt lesen – diesmal aber nicht, um ihre göttliche Herkunft zu erkennen, sondern als Plan zu ihrer Beendigung. Beide Kosmogonien, die prä- wie postfatimidische, unterscheiden sich grundlegend von der der Fatimiden, die nicht als Verweis auf den Heilsplan zu lesen ist, sondern als der Vorgang, gegen den das erlösende Kommen des Mahdı¯ gehalten werden muss. In dieser ganzen Darstellung von Kosmogonie und Eschatologie durch den Imam und durch die Treue zu ihm hat die Lehre der isma¯ ¯ılitischen Tayyibı¯ya gegenüber ihren historischen Vorstufen eine ˙ eigenartige selbstreferentielle, autonarrative Qualität. Kosmogonie und Eschatologie sind miteinander verschmolzen. Damit stoßen wir zum Kern der Gnosis vor, in mythologischer Form von sich selbst zu berichten und bereits dadurch wirksam zu werden.860 Schon das Wissen von der Kosmogonie ist Teil der Eschatologie. Können wir auch davon ausgehen, dass schon die frühesten isma¯ ¯ılitischen Mythologien sogenannte sekundäre, oder Kunst-Mythologien sind, so nimmt doch erst der tayyibitische Mythos für sich in Anspruch, selbsttätig Erlösung vermitteln˙ zu können. Auch bei der Gnosis als radikalem Typus einer Erlösungsreligion stellt sich die Frage nach dem „Von-Her- und Auf-Hin-Grundverhältnis“ einer Erlösungsreligion.861 Für die präfatimidische Isma¯ ¯ılı¯ya war der zu ˘

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859 Blumenberg (1996): Die Legitimität der Neuzeit, S. 140. 860 Vgl. Epiphanius, Excerpta ex Theodoto, § 78, 2, in: Foerster (Hg.) (1997): Die Gnosis u. a., Bd. 1, S. 297. 861 Art. Erlösungsreligion, HrwG, S. 328

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8.1. Die Religionsgeschichte der Isma¯ ¯ılı¯ya

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überwindende Zustand die Verdrängung von der Macht mit der Perspektive auf den kommenden Mahdı¯. Im Fatimidenreich verschob sich dieser Blick auf ein Verharren im Dazwischen. Für die jemenitische Tayyibı¯ya fällt die ganze irdische Welt unter das Verdikt ihrer Verfal˙ lenheit. Mit dem Imam als Vehikel gilt es, die Welt als Ganzes zu überˇ a far ibn Mansu¯r winden. Wir hatten oben im Vergleich zur Lehre des G ˙ die Verlagerung der Verstocktheit und Ignoranz in die himmlischen Sphären im Hinblick auf die Lesart der Welt gedeutet. Die so verschobene Grenze markiert aber auch den neuen Bereich des Inkommensurablen, des Irrationalen. Das Von-her der Erlösungsreligion ist immer auch das Irrationale als Inkommensurables der Sinnzuschreibung. Für die Tayyi˙ die bı¯ya ist die Welt als solche das Reich des Bösen. In dem Verlauf, den isma¯ ¯ılitische Da wa in ihren verschiedenen Stadien genommen hat, ist sie mit dem ihr zugedachten Sinn nur noch durch ihre vollständige Überwindung in Einklang zu bringen. Ihr gegenüber steht die himmlische Da wa als gerechter Lobpreis Gottes, als das Auf-hin der Sinnstiftung durch religiöse Ideen und Heilsgüter. Die geistige und die materielle Welt stehen als Antipoden zueinander in einem Verhältnis, das erst mit dem Ende der materiellen Welt aufgelöst werden kann. Trotz seiner sonst so kritischen Haltung ist auch Max Weber nicht die Konsequenz dieser Antwort auf die Kontingenz der Empirie entgangen: „Systematisch durchdachte Erledigungen des Problems der Weltunvollkommenheit geben außer der Prädestination nur noch zwei Arten religiöser Vorstellungen. Zunächst der Dualismus, […] namentlich die Endformen der babylonischen ( jüdisch und christlich beeinflußten) Religion im Mandäertum und in der Gnosis […]. Gott ist nicht allmächtig und die Welt nicht seine Schöpfung aus dem Nichts. Ungerechtigkeit, Unrecht, Sünde, alles also, was das Problem der Theodizee entstehen läßt, sind Folgen der Trübung der lichten Reinheit der großen und guten Götter durch Berührung mit der ihnen gegenüber selbständigen Macht der Finsternis und, was damit identifiziert wird, der unreinen Materie […]. Der schließliche Sieg der lichten Götter in dem nun entstehenden Kampf steht meist – eine Durchbrechung des strengen Dualismus – fest. Der leidvolle, aber unvermeidliche Weltprozeß ist eine fortgesetzte Herausläuterung des Lichtes aus der Unreinheit. […] Die allgemeine Folge solcher Vorstellungen muß ein aristokratisches Prestigegefühl der Reinen und Erlesenen sein.“862 – Hier schließt sich der Kreis wieder zur historischen Darstellung der Tayyibı¯ya im Jemen. Aus der ˙ ˘

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862 Weber (2001): Religiöse Gemeinschaften, S. 298 f.

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zahlenmäßig stark geschwächten, militärisch wie propagandistisch in die Defensive gedrängten Glaubensgemeinschaft unter dem ständigen Vorwurf der Häresie durch ihr Umfeld wurde durch die Umkehrung der Vorzeichen die Gruppe der wenigen Auserwählten. Durch die Negativierung der Welt wird hier die eigene missliche Lage umgedeutet in einen Status der Erwähltheit. Derart erweist sich die komplementäre Rationalität der jemenitischen Tayyibı¯ya als ebenso konsequenter Endpunkt intellektueller Systemati˙ sierung wie die der protestantischen Prädestinationslehre bei Max Weber.

8.2. Ein orientaler Sonderweg? Jürgen Osterhammel schreibt in seiner Globalgeschichte des 19. Jahrhunderts: „Noch vor zwei oder drei Jahrzehnten hätte eine neuzeitliche Weltgeschichte Europas unbesorgt unter dem Motiv des ,europäischen Sonderwegs‘ daherkommen können. Heute versucht man, diese Frage jenseits europäischer (oder ,westlicher‘) Selbstgefälligkeit zu studieren und nimmt dem Sonderweggedanken durch Verallgemeinerung und Relativierung seine Schärfe.“863 Wenn auch die Idee vom europäischen Sonderweg keine herausgehobene Legitimität mehr besitzt, wird er doch offensichtlich nicht völlig aufgegeben und stattdessen gegen ,viele Sonderwege von Kulturräumen‘864 ausgetauscht. Und in der Tat besitzt der Gedanke ja auch eine gewisse Attraktivität. Die Art und Weise, wie in Europa der Rationalismus durch eine intellektuelle Systematisierung der verschiedenen gesellschaftlichen Sphären umfassend vorangetrieben worden ist, hat in dieser Gestalt eben nur dort stattgefunden. Diese Tatsache kann und soll auch kaum bestritten werden. Die Frage, die sich aber stellt, ist die nach der postulierten Besonderheit, nach Webers ,Warum nur hier?‘. Diese Frage und ihre Implikationen im Umgang mit nicht-europäischen Kulturen wurden in den ersten drei Kapiteln des Buches bearbeitet. Dabei konnte gezeigt werden, dass die Idee einer Exklusivität mitnichten so harmlos ist, wie sie daherkommt. Den Gefahren der Essenzialisierung und Hierarchisierung wird mit einer Aufweichung zur einer ,Vielzahl von Sonderwegen‘ nur unzureichend begegnet. Letztlich impliziert das Kompositum ,Sonderweg‘ immer auch einen ,Hauptweg‘. Wo aber sollte der für ,die Moderne‘ sein? 863 Osterhammel (2009): Die Verwandlung der Welt, S. 21. 864 Ebd.

8.2. Ein orientaler Sonderweg?

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Untrennbar mit dem Begriff der Moderne als europäischer Sonderweg ist das okzidentale Selbstverständnis als rationales verbunden. Eine veränderte Lesart von Rationalität und Rationalismus, wie es hier entwickelt wurde, muss also auch zwingend Auswirkungen auf den Begriff der Moderne haben. Eisenstadt hat in seinem Entwurf von der Vielfalt der Moderne einen Ansatz geliefert, der in vielen Punkten mit der hier entwickelten Beschreibung religiöser Dynamiken kongruiert.865 Das von Eisenstadt vertretene Konzept von der Vielfalt der Moderne (multiple modernities) versteht die gegenwärtige, moderne Welt als eine sich ständig wiederholende Einsetzung von kulturellen Programmen, deren Akteure höchst unterschiedliche Vorstellungen davon haben können, was eine Gesellschaft modern macht. Zentral aber ist für seine Gegenwartsdiagnose, dass Modernisierung und die Einführung westlicher Kultur nicht identisch sind. Stattdessen entwickelt Eisenstadt sein Modell von Moderne und Modernisierung entlang dem Verlust von zuvor sicher geglaubten Ordnungsstrukturen. Traditionelle Legitimationen der politischen Ordnung werden durch variierende Möglichkeiten in der Konstruktion einer neuen Ordnung in Frage gestellt.866 Die Spannungen entstehen dabei vor allem (1) im Verhältnis von Zentrum und Peripherie, (2) durch die Politisierung der Interessenvertretung von gesellschaftlichen Gruppen und (3) über die Definitionshoheit des Politischen. Grundsätzlich unterscheidet Eisenstadt die neu auf den Plan tretenden sozialen Akteure in solche, die plurale Ordnungsvorstellungen akzeptieren und solche, die dagegen ein totalitäres Weltbild vertreten.867 Über das initiale Stadium des Nationalstaats ab dem Beginn des 20. Jahrhundert, so Eisenstadt, entwickelten nahezu alle Staaten weltweit ein je eigenes, ambivalentes Verhalten gegenüber der Moderne im Allgemeinen und dem Westen im Besonderen.868 In ihrem Konflikt untereinander wie mit der vorausgehenden Delegitimierung der alten Ordnung können die neuen weltweiten modernen Bewegungen, seien sie postmodern/multikulturalistisch, fundamentalistisch oder ethnisch motiviert, keine endgültigen Antworten finden. Gegenüber einer Deutung von Moderne, die ihren Ursprung in Europa haben will, macht Eisenstadt eine, wenn auch zeitlich 865 Eisenstadt (2000b): Multiple Modernities, S. 1 – 29. 866 In dieser Aufhebung und Neuverhandlung der ehemals gegebenen Ordnung sieht Eisenstadt eine starke Parallele zu der von Weber beschriebenen ,Entzauberung‘ (ebd., S. 8). 867 Ebd., S. 7. 868 Ebd., S. 15.

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verschobene, multilokale Entwicklung von Modernen aus, die im Sinne einer ,Entwestlichung‘ das europäische Monopol auf Ursprung und Bestimmung der Moderne in Frage stellen.869 Eisenstadt beschreibt einen extrem vielseitigen, lokal sehr unterschiedlichen und obendrein auch zeitlich verschoben auftretenden Prozess, den er unter dem Merkmal der Delegitimierung traditionaler Ordnungsvorstellungen als Moderne versteht. Fast scheint es, als drohe Eisenstadt bei dem Versuch, den okzidentalen Hegemonieanspruch zu widerlegen, der Verlust seines Gegenstands unter der ausufernden Definition. Was nutzt der Begriff der Moderne, wenn alle modern sind? Auch der hier entwickelten und an der Isma¯ ¯ılı¯ya erprobten Komplementarität von Rationalität und Irrationalität in der Weltsichtanalyse droht, dass mit ihr für alles und jeden eine ,Rationalität‘ bestimmt werden kann. Osterhammel schätzt den Fortschritt, den das Theorieprogramm von Eisenstadts ,Vielfalt der Moderne‘ gebracht hat.870 Als Historiker fragt er aber auch nach dem Nutzen und sieht sich vor der Herausforderung, soziologische Großtheorien auf die historische Wirklichkeit zu beziehen. Er folgt der Charakterisierung wie dem Verlauf der Modernisierung, wie bei Eisenstadt beschrieben,871 findet aber kein Konzept, das alle genannten Merkmale der Moderne in neutraler Ausgewogenheit fassen könnte. Das Problem der Merkmalsvielfalt wird durch ihre Ungleichzeitigkeit im globalen wie im lokalen Kontext so drastisch verschärft, dass Osterhammel sein Kapitel zum Begriff der Moderne mit der Frage schließt: „Aber was ist mit solchen Wertungen gewonnen?“872 Von einem orientalen Sonderweg, wie es der Titel dieses Kapitels suggeriert, sollte also aus zwei Gründen besser nicht gesprochen werden. Erstens nicht, weil es bei den hier behandelten Epochen isma¯ ¯ılitischer Geschichte nicht um einen Zeitraum geht, der auch nur im weitesten Sinne unter den Begriff der Moderne zu fassen wäre – selbst dann nicht, wollte man wie Weber die Ursprünge des Rationalismus der europäischen Moderne bis in die Zeit der christlich-jüdischen Prophetie zurückverfolgen und dieses mutatis mutandis auf die Isma¯ ¯ılı¯ya übertragen. Und zweitens nicht, weil die Idee einer Sonderentwicklung dem Grundgedanken des vorliegenden Buches fundamental zuwider läuft. Das ˘

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Ebd., S. 24. Osterhammel (2009): Die Verwandlung der Welt, S. 1281. Eisenstadt (2000a): Die Vielfalt der Moderne, Kap. 1 – 3. Osterhammel (2009): Die Verwandlung der Welt, S. 1284.

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Konzept einer Analyse außereuropäischer Theologiegeschichte hinsichtlich ihrer Rationalität und Irrationalität ist ja gerade die Antwort auf die ehemals behauptete europäische Sonderstellung, die zu den beschriebenen und zu überwindenden Verzerrungen der Historiographie erst geführt hat. Die wissenschaftlichen Kategorien von den Prämissen des Orientalismus und Okzidentalismus zu befreien und dann zu einer neuen, präziseren Darstellung der Dynamik von Geschichte und Theologie zu kommen, darin liegt die Antwort auf Osterhammels Frage nach dem Gewinn solcher Untersuchungen. Wie Almut Höfert es in ihrem Aufsatz zu den Möglichkeiten eines transkulturellen Vergleichs in der Vormoderne gefordert hat, wurde mit der Komplementarität von Rationalität und Irrationalität in der Weltsichtanalyse eine generalisierende Perspektive bestimmt, die es gestattet, mit der Geschichte und Theologie der Isma¯ ¯ılı¯ya eine individualisierende Perspektive vorzustellen. Um die Brücke zwischen der abstrakten Theorie und der historischen Wirklichkeit zu schließen, schlägt Höfert vor, „daß für den transkulturellen Vergleich grundsätzlich moderne, allgemeine Kategorien für die entsprechenden Fallstudien gesamthaft angewendet werden, die jedoch dem generellen geschichtswissenschaftlichen Postulat unterliegen, die sowohl in ihrer zeitlichen als auch räumlichen Distanz zum historischen Material überprüft werden.“873 Statt die Modi möglicher Sonderwege zu beschreiben, werden Ansätze zum transkulturellen Vergleich auf Augenhöhe entwickelt.

8.3. Zusammenfassung ˘

Das Anliegen der vorliegenden Arbeit ist es, die Plausibilität und Sinnhaftigkeit der isma¯ ¯ılitischen Weltsicht in drei Epochen ihrer Geschichte aufzuzeigen und zu begründen. Das sollte geschehen in einem allgemeinen Modell von Sinnzuschreibung durch Religion. Den hierzu umfassendsten und nachhaltigsten Ansatz hat Max Weber mit seinen religionssoziologischen Studien geliefert, in denen er die Verbindung von religiösen Vorstellungen und lebensweltlicher Situierung untersucht hat. Die in der Orientalismus-Debatte geschärfte Kritik an Weber hat aber gezeigt, das Max Weber – wie für einen Autor seiner Zeit nicht anders zu erwarten – eine Interpretation von Religion vertrat, die auch der Legitimierung kolonialer Herrschaftsansprüche verpflichtet war. Da diese 873 Höfert (2008): Europa und der Nahe Osten, S. 570.

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8. Postkoloniale Rationalismen

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Religionsanalyse auf der Idee okzidental-europäischer Überlegenheit beruhte, durchzieht sie als Grundton Webers gesamtes Werk. Die Ergebnisse von Webers Islam-Interpretation, wie auch sein methodologischer Zugang zum Islam werden heute nicht mehr angewandt. Die Orientalismusdebatte der letzten Jahrzehnte hat gezeigt, dass diese Art der Forschung ihren Gegenstand aufs Gröbste entstellt. Eine postkoloniale Kritik, die neben dem Orientalismus auch den Okzidentalismus als sein Spiegelbild mit in den Blick nimmt, macht offensichtlich, dass die Konstruktion westlicher Überlegenheit über nicht-europäische Kulturen auch eine Essenzialisierung und verkürzte Darstellung okzidentaler Kultur zur Folge hat. Die Erfindung der okzidentalen Moderne als Erfolgsgeschichte des Rationalismus wie auch die Diffamierung der Kolonien als das wilde, irrationale Andere sind die zwei unterschiedlichen Seiten einer Medaille, die einander ebenso bedürfen, wie sie auch ihre je eigene Darstellung verkürzen und verzerren. (Kap. 1) In Webers Geschichts- und Religionsanalyse beruht der Unterschied zwischen dem Okzident und dem Rest der Welt auf einer unterschiedlichen Durchdringung der Lebenswelten mit dem, was bei ihm vieldeutig als Rationalismus bezeichnet wird. Die vom Rationalismus bestimmten Kulturerscheinungen des Okzidents sind für ihn gleichzeitig von universeller Bedeutung und bestimmen so Webers gesamte weitere Fragestellung universalgeschichtlicher Probleme. Der Rationalismus wird als das zuvor identifizierte Alleinstellungsmerkmal der okzidentalen Moderne zum Maßstab aller Kulturen. (Kap. 2) Diese Hierarchisierung und Essenzialisierungen lassen sich aber vermeiden, stärkt man eine andere, weniger offensichtlich angelegte und vor allem weniger prominent vertretene Lesart von Max Webers Rationalismusbegriff, wie ich sie in meiner Arbeit für eine Untersuchung der Isma¯ ¯ılı¯ya entwickelt habe. Grundlage dieser Lesart ist, dass der Mensch als Kulturwesen stets Sinn erzeugt wie er auch der Sinnzuweisung bedürftig ist. Die Systeme, in denen Sinnzuschreibungen für die sonst prinzipiell sinnfreie Welt zusammengeführt werden, finden sich in vielerlei Gestalten. Religion nimmt dabei als Sinnzuschreibungssystem einen besonderen Platz ein, da sie einen universalistischen Anspruch hat, heißt sie beansprucht, die Gesamtheit aller empirischen Phänomene in ein mit Sinn und Bedeutung beladenes System zu integrieren. Der Zuschreibung von Sinn durch Religion, klassischerweise in Gestalt einer Theologie, steht aber die universelle Kontingenzerfahrung entgegen, christlich formuliert, die Frage nach dem Übel in der Welt: und malum? Gegenüber dem kolo-

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8.3. Zusammenfassung

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nialen Rationalismusbegriff, bei dem Rationalismus als movens der Geschichte verstanden wird und Irrationalität demgegenüber ein Stadium minderen Fortschritts bezeichnet, finden sich gemäß der von mir vertretenen alternativen, postkolonialen Lesart Rationalität und Irrationalität nicht als Pole, sondern als Paar in jeder Kultur- und Religionsbeschreibung. Rationalität bezeichnet demnach die systematisierte Sinnzuschreibung und unter Irrationalität wird der Versuch verstanden, die mit der Systematisierung inkommensurable Kontingenzerfahrung sinnhaft in das Gesamtgebäude der Weltsicht einzufügen. (Kap. 3) Für die Untersuchung der Isma¯ ¯ılı¯ya ergibt sich daraus ein, wie sich folgend zeigen wird, überaus erhellender Ansatz. Die Theologie der Isma¯ ¯ılı¯ya wird in besonderer Weise bestimmt durch ihre Esoterik, die Trennung der Lehre in eine äußere Gestalt und einen inneren Gehalt. Wenn auch das Wesentliche der isma¯ ¯ılitischen Lehre in ihrer inneren Bedeutung liegt, so bedarf sie dennoch notwendig ihrer äußeren Repräsentation, so konnten sich antinomistische Vorstellungen– entgegen den Unterstellungen ihrer Gegner – in der Isma¯ ¯ılı¯ya nie dauerhaft durchsetzen. Die Vermittlung zwischen der Esoterik und der Exoterik wird durch die Figur des Imam geleistet. In seiner Unfehlbarkeit und Allwissenheit obliegt es ihm, die Gemeinschaft zu leiten. In der Kombination von der Entkopplung der äußeren Gestalt und dem inneren Gehalt der Lehre einerseits und den allumfassenden Kompetenzen des Imam andererseits liegt ein enormes Potenzial zur Flexibilisierung der Lehre. Die Figur des Imam ist wie geschaffen dafür, die Wechselfälle isma¯ ¯ılitischer Geschichte mit Sinn zu belegen und sie in die Weltsicht der Isma¯ ¯ılı¯ya einzufügen. Der Imam kompensiert die Kontingenz. Neben der Lehre vom Imamat liegt der zweite Schwerpunkt meiner Untersuchung isma¯ ¯ılitischer Theologie auf der Kosmogonie. In der Erzählung von der Entstehung der Welt artikuliert sich die grundsätzliche Haltung der Gemeinschaft zu ihrer soziopolitischen Situation. Die Genese der gegenwärtigen Situation wird in der Kosmogonie in einen weiteren Kontext eingebettet, der ihr Sinn verleiht und diese auf einen antizipierten Heilsplan hin öffnet. Für die wechselnden soziopolitischen Konstellationen, in denen sich die Isma¯ ¯ılı¯ya in dem hier untersuchten Zeitraum vom 4./10. bis 9./15. Jahrhundert befand, lassen sich mit einem postkolonialen Rationalismusbegriff sowohl für die Kosmogonie wie auch für die Gestalt und Funktion des Imam signifikante, doch wie ich zeigen werde, ebenso plausible wie pragmatische Anpassungen nachweisen. (Kap. 4) ˘

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8. Postkoloniale Rationalismen

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Die äußeren Umstände für die erste, hier zur Betrachtung stehende präfatimidische Epoche wurden durch die Verdrängung der Isma¯ ¯ılı¯ya durch die Umayyaden und die Enttäuschung durch die Abbasiden bestimmt, dem aber die Hoffnung auf das baldige Kommen des Mahdı¯ entgegenstand. Die Isma¯ ¯ılı¯ya existierte als oppositioneller Geheimbund mit ihrem Sitz zunächst in der Nähe des irakischen Kufa, dann im syrischen Salamya und betrieb ihre Mission in allen Teilen des damaligen islamischen Reiches mit großem Erfolg. Der als präfatimidisch zu klassifizierende Text Kita¯b al- a¯lim wa’l-g˙ula¯m, der dem jemenitischen Autor ˇ a far bin Mansu¯r al-Yaman zugeschrieben wird, berichtet uns von einer G ˙ in Gottes Schöpfungsbefehl ihren Ursprung nimmt, aus Kosmogonie, die dem sich die spirituelle wie die materielle Welt in einer Zahlen- und Buchstabenmystik entfaltet und so in ihrer Lesbarkeit auch als Beweis Gottes fungiert. Hiermit ganz konform sieht die Imamatslehre, wie wir sie dem Kita¯b al- a¯lim wa’l-g˙ula¯m entnehmen mit der Vollendung der letzten prophetischen Heptade die Endzeit mit dem Kommen des Mahdı¯ anbrechen. Betrachten wir die in der postkolonialen Kritik an Weber herausgearbeitete Dynamik von Rationalität und Irrationalität, von systematisierter Sinnzuschreibung und Kontingenzerfahrung in Anwendung auf die so umrissene Theologie, so finden wir, dass sich in der Kosmogonie keinerlei Spannung zur Welt artikuliert. Die Grenze zwischen dem Sollen des isma¯ ¯ılitischen Heilsplans und dem Sein der tatsächlichen empirischen Umstände liegt zwischen dem erwarteten Mahdı¯ und der Verstocktheit und Ignoranz der Andersgläubigen. Das Lösen dieser Spannung wird in die Figur des Mahdı¯ hineinprojiziert. Indem sein baldiges kommen versprochen wird, trägt und erklärt er die mit dem isma¯ ¯ılitischen Heilsplan inkommensurable Gegenwart der Gesellschaft. (Kap. 5) Mit dem Hervortreten des ersten fatimidischen Imam-Kalifen Abdalla¯h al-Mahdı¯ im Jahr 903 und der darauf folgenden Errichtung des Fatimidenreiches, zunächst 909 in Nordafrika und ab 973 in Ägypten, trat die Isma¯ ¯ılı¯ya in eine völlig neue Epoche ihrer Geschichte ein. Während dieser scheinbare Vollzug isma¯ ¯ılitischer Prophetie einerseits einen nur wenige Jahre zuvor kaum zu hoffenden Triumph darstellte, war die konkrete Ausgestaltung des sich bildenden Reiches andererseits mit den hohen Erwartungen an die isma¯ ¯ılitische Endzeit konfrontiert. Wie reagierte die isma¯ ¯ılitische Theologie auf die Diskrepanz, dass mit dem Auftreten des Mahdı¯ nicht auch das verheißene Reich Gottes angebrochen war? Es ist vor allem das Verdienst des Hofjuristen al-Qa¯d¯ı al˙ Nu ma¯n nicht nur ein isma¯ ¯ılitisches Rechtskorpus entwickelt, sondern ˘

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8.3. Zusammenfassung

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darüber hinaus auch die Imamatslehre den neuen Umständen angepasst zu haben. Nach seiner Öffnung der alten Heptadenfolge von Imamen haben weitere, insbesondere iranische Theologen von dieser Öffnung Gebrauch gemacht und so ein Modell mit einer potenziell endlosen Zahl an Siebenerfolgen von Imam-Kalifen legitimiert. Ebenso wurde die Ankunft des letzten, des Mahdı¯-Imam von einem singulären Ereignis in eine Stufenfolge umgewandelt, die sich zunächst körperlich, dann in der Auferstehung in der geistigen Welt und schließlich als Abrechnung am Tag des Jüngsten Gerichts vollziehen sollte. Die Verstetigung des kommenden Mahdı¯ in der Gestalt des fatimidischen Reiches und seiner Imam-Kalifen war somit in die neue Imamatslehre integriert. Doch nicht nur die Imamatslehre, sondern auch die Kosmogonie musste auf neue Füße gestellt werden. War in der präfatimidischen Kosmogonie die Welt noch die Artikulation von Gottes Schöpfungswille und seiner Gestaltungskraft, trat Gott in den fatimidischen Kosmogonien zunehmend zurück, bis unter Hamı¯d al-Dı¯n al-Kirma¯nı¯ sogar der göttliche Schöpfungsbefehl entfiel.˙ Mit der Übernahme neuplatonischer Emanationslehre hatte dann ebenso eine Entwertung der Materie Einzug gehalten, die mit der zunehmenden Gottesferne begründet wurde. Aus dem präfatimidischen Befehl kun fa yaku¯n wurde von nun an ein Devaluationsprozess. Auf die Spannung von einsetzender und sich verstetigender Endzeit reagierten die isma¯ ¯ılitischen Theologen und die fatimidischen Institutionen mit einer enormen Ausdifferenzierung und Hierarchisierung, die nicht anders, denn als fortschreitende Rationalisierung verstanden werden kann. Die zunehmende Differenz zwischen isma¯ ¯ılitischem Heilsplan und der empirischen Situation artikulierte sich aber auch auf der Seite der Irrationalität. Sollte in der präfatimidischen Isma¯ ¯ılı¯ya der kommende Imam noch allein die Kontingenz im Gottesreich aufheben, nahm die Theologie jetzt auch die Kosmogonie zur Erklärung für die Differenz zwischen Sollen und Sein in Anspruch. Durch die Integration der neuplatonischen Schöpfungslehre wurde die Frage nach der Mangelhaftigkeit der Welt in die Schöpfung hineinverlagert, wo zuvor noch jeder Baum und Stein als ein Zeichen Gottes gegolten hatte. Auch an dieser Stelle isma¯ ¯ılitischer Geschichte kann der postkoloniale Rationalismusbegriff einen Beitrag zum Verständnis leisten. Denn aus der Sicht der Komplementarität von Rationalität und Irrationalität, der gegenseitigen Bezogenheit von systematisierter Sinnzuschreibung und Kontingenzerfahrung lassen sich die enormen Veränderungen in der isma¯ ¯ılitischen Weltdeutung plausibilisieren. Die Grenze zwischen Rationalität und Irrationalität, zwischen systematisierter Sinnzuschreibung und ˘

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8. Postkoloniale Rationalismen

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Kontingenzerfahrung läuft jetzt mitten durch Imamatslehre und Kosmogonie. (Kap. 6) Durch die Zerschlagung des fatimidischen Reiches in Ägypten 1171 und dem Ende des sulayhidischen Vasallenstaats im Jemen nur zwei Jahre ˙ ˙ später durch die Ayyubiden hatten die Isma¯ ¯ıliten wieder den Großteil ihrer politischen, militärischen und finanziellen Einflussmöglichkeiten verloren. Der tayyibitische Zweig, der sich in das Bergland des nördlichen ˙ Jemen zurückgezogen hatte, sah sich zudem in drastischer Rivalität zu den zahlenmäßig weitaus stärkeren Zaiditen. Bereits 1131 war nach Überzeugung der jemenitischen Ismaililten der letzte offen aufgetretene Imam al-Tayyib unbesehen entrückt worden. Die Führung der isma¯ ¯ıli˙ tischen Gemeinschaft lag wieder in den Händen der Missionare, der Da¯ ¯ıs. Die Berichte vom Ende der Sulayhiden bis 1434, dem Abfassungsdatum ˙ d al-Dın, werden von Kriegszügen ˙ s Ima des Kita¯b zahr al-ma a¯nı¯ von Idrı ¯ ¯ ¯ und ständig wechselnden politischen Allianzen bestimmt. Die nun gnostische Kosmogonie der Isma¯ ¯ılı¯ya, wie sie uns im Kita¯b zahr al-ma a¯nı¯ dargestellt wird, basiert auf der radikalisierten neuplatonischen Emanationslehre Hamı¯d al-Dı¯n al-Kirma¯nı¯s, fügt ihr aber ein, wie Corbin es ˙ im Himmel‘ hinzu. Aus der Hybris eines der Sphärennennt, ,Drama geister resultiert die Entstehung der Materie. Die Minderwertigkeit der Materie wird nicht mehr als Devaluation beschrieben und durch ihre Gottesferne begründet; sie ist stattdessen von einem, dem Göttlichen gegenüberstehenden, eigenen Status. Die Welt als Verbindung von göttlich spirituellen Anteilen und jetzt böser Materie ist ein zu überwindender Verunreinigungszustand. Rund drei Jahrhunderte nach seiner Entrückung ist auch der Imam zu einer rein spirituellen Figur geworden. Statt der Hoffnung auf das offene Wirken des Mahdı¯-Imam in der Welt wurde sein Leib zu einem Träger der Seelen der Gläubigen in einem Tempel aus Licht. In diesem letzten Stadium isma¯ ¯ılitischer Geschichte zeigt sich ein weiteres Mal die lebensweltliche Situierung isma¯ ¯ılitischer Theologie. Der Verlust sämtlicher fatimidischer Herrschaftsprivilegien lässt die gesamte Schöpfung unter das Verdikt der Inkommensurabilität fallen. Die extreme Deprivationserfahrung hat zu einer weiteren Verschiebung der Grenze von Rationalität und Irrationalität geführt. Der rational durchsystematisierten Erlösungsreligiosität der Isma¯ ¯ılı¯ya steht ihr diesseitiges Scheitern als weltumfassende Kontingenzerfahrung mit der Kosmogonie als initialer Katastrophe gegenüber. Dem entgegen präsentiert sich der Imam als Lichtwesen aus den Seelenfunken seiner Gläubigen. Als abso˘ ˘

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8.3. Zusammenfassung

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lutes Erlösungsversprechen kompensiert er die absolute Differenz zwischen Sollen und Sein. (Kap. 7) Als Resümee soll nun Folgendes festgehalten werden: Mit der in dieser Arbeit entwickelten postkolonialen Lesart von Webers Rationalismusbegriff konnte gezeigt werden, wie die Isma¯ ¯ılı¯ya in den drei ausgewählten und präsentierten Epochen ihrer Geschichte in der Lage gewesen war, eine plausible Erklärung für die Herkunft ihrer soziopolitischen Situationen in Gestalt einer Kosmogonie zu liefern und diese zu begründen. Mittels oben genannter Lesart erschloss sich außerdem, wie Umgestaltungen der Imamatslehre zu jedem Zeitpunkt einen pragmatischen Ansatz boten, die isma¯ ¯ılitische Kontingenzerfahrung von dem Hintergrund ihres Heilsplans in das Gesamtkonzept der Theologie zu integrieren. In einer Verlaufsgeschichte vom präfatimidischen Messianismus über die fatimidische Ausdifferenzierung einer Erlösungsreligiosität bis hin zur postfatimidischen Gnosis der Tayyibı¯ya hat ˙ es sich erwiesen, dass die Grenze zwischen den rationalisierbaren Elementen der Weltsicht und jenen Erfahrungen, die sich als inkommensurabel erwiesen haben, immer mehr in die Diesseitigkeit hinein verschoben wurde. Was aussieht wie die Ablehnung der Welt ist tatsächlich ein Deutungsmuster, das die Gegenwart der Glaubensgemeinschaft unter Integration ihrer Geschichte in einen Erwartungshorizont zu stellen vermag. Das so unter wechselnden historischen Bedingungen aktualisierte System der Sinnzuschreibung ist die Antwort auf die dauerhafte Sorge um den Deprivationsverlust. Der vordergründig extremen Jenseitsorientierung gnostischer Vorstellungen steht das austarierte Balancieren von rationalen und irrationalen Anteilen in der isma¯ ¯ılitischen Weltsicht gegenüber, mit dem tatsächlich eine plausible Begründung für die Diesseitigkeit der Gemeinschaft gewährleistet wird. Auf diese Art und Weise wird belegt, dass die isma¯ ¯ılitische Theologie nicht nur flexibel reagiert, sondern zu jeder Zeit rational zu argumentieren und die universelle Erfahrung der Irrationalität in ihre Weltsicht zu integrieren vermag. (Kap. 8) ˘

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Abbasiden 116, 118, 120, 122, 134ff., 137f., 155, 170, 177, 182f., 191, 215, 233, 228, 236, 254, 263f., 266, 270, 280 Abdalla¯h al-Akbar 137f., 181 Abdalla¯h ibn Alı¯ ibn Muhammad al˙ Ha¯tim 237, ˙ ¯ h ibn G ˇ a far al-Sa¯diq Abdalla 118, ˙ 181f., 202 Abu¯ Bakr 115, 131 ˇ a far al-Hazarı¯ 185 Abu¯ G ˘ ¯ zı¯ Abu¯ Ha¯tim al-Ra 202 Abu¯ I¯˙sa¯ al-Mursˇid 157f., 201, 258 Abu¯ Mansu¯r Niza¯r 119, 233 ˇ ana¯bı¯ Abu¯ Sa ¯ıd˙al-G 138 Abu¯ Yazı¯d Mahlad ibn Kaida¯d 140, ˘ 193 Abu¯ Za¯kı¯ Tamma¯m 187 Abu¯’l-Qa¯sim Yahya¯ ibn Zikrawaih ibn Mihrawaih 182 Abu¯’l-Sˇalag˙lag˙, Abu¯ Alı¯ Muhammad 137, 180f. ˙ Adam 151, 161, 207, 215f., 241–243, 247, 251, 253, 259 Aden 138 Afdal, Abu¯’l-Qa¯sim Sˇa¯ha¯nsˇa¯h 119, ˙ 233f. Aflah ibn Ha¯ru¯n al-Malu¯sı¯ 185 A¯g˙a¯ ˙Kha¯n I., Sayyid Hasan Alı¯ 120 ˙ Agnostizismus 204 Ägypten 103, 118, 120, 182, 191–195, 201f., 210, 225f., 228f., 233, 235, 237, 244f., 254, 280, 282 ahl al-bait 131, 264 Aktivismus 98f. Alamu¯t 120 Al-Azhar-Universität 119, 199 Aleppo 214 Algerien 138 Alı¯ ibn Abdalla¯h ibn al-Walı¯d 245

300

Index

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˘

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˘

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104, 117, 119, 121, 128, 141, 144f., 152, 155f., 158, 170f., 180, 182–185, 187, 198, 203, 206, 208, 210, 214, 224–226, 228–232, 234–240, 246, 254–256, 282 240 Da¯ ¯ı bala¯g˙ da¯ ¯ı bi’l-qalam 232 da¯ ¯ı bi’l-saif 232 Da¯ ¯ı mahsu¯r 240 ˙ Da¯ ¯ı mut˙laq 232, 235–238, 240, 242,˙ 245f., 256f., 260 Dailam 138, 180 Damaskus 132f., 182 da¯r al-hikma 199 199 da¯r al-˙ilm Da¯ u¯d Burha¯n al-Dı¯n ibn Qutbsˇa¯h 121 Da¯ u¯d ibn Agˇabsˇa¯h 121 da wa 106, 119–121, 123, 128, 130, 135–138, 140–142, 147–150, 153, 158, 163f., 166f., 170, 180, 184f., 187, 194, 200–202, 206, 208, 214, 216f., 219, 222, 224, 226, 228–232, 234–240, 242f., 245, 247f., 250–257, 260–262, 266, 270f., 273 De Blois, François 189f. Deprivation 114, 131, 172, 226, 242, 261, 263, 282 Derwisch 52 Designation, siehe auch: nass 115, ˙˙ 232, 131, 133–135, 188, 226f., 234f. deus absconditus 42, 85, 124, 216 Devolution 271 Dı¯wa¯n ˇsi r 246 Dogma 112, 191 Drusen 211–213, 215f., 222 ˇ ibla Du¯ G 231, 236, 238 ¯ u aib ibn Mu¯sa¯ al-Wa¯di ¯ı D 235 ¯ Dualismus 42, 56, 60, 71, 85, 107, 112, 114, 259, 273 Dussel, Enrique 27f., 31, 54, 92 ˘

˘

Da a¯ im al-isla¯m 111, 118, 126, 195–197, 199, 257, 269 Daftary, Farhad 102, 115, 117, 120, 122, 131–134, 136f., 142f., 146, 155–158, 167, 170, 175, 181, 188, 192f., 195, 199, 202–204, 215, 230–236, 238f., 241f., 244f., 247, 257, 259, 266 Dah¯ıra 243 ¯ ˘

Da¯ ¯ı

˘ ˘ ˘ ˘ ˘

Calvinismus 11, 22, 72 Carrier, James G. 27 Chakrabarty, Dipesh 3f. China 38, 61, 74 Colpe, Carsten 103f., 107f., 130, 173 Cook, Michael 12f. Coronil, Fernando 25–28, 94 Crone, Patricia 12, 18

˘

ba¯b 140, 154, 162, 164, 252 ˇ ama¯lı¯ Badr al-G 233 Baghdad 138, 182, 191, 214f., 229, 233, 254 Bahrain 138f., 180f. Bah˙ rain-Qarmaten 139, 179f. ˙ ¯ Hamda¯n ˙ 230 Banu Bar-Kochba-Aufstand 263 Basra 137–139, 181, 215 ba¯tin 101, 117, 144, 148–154, 162, ˙ 164, 166f., 212, 220f., 271 Belting, Hans 96 Blumenberg, Hans 262, 272 Bohra 2, 121 Böse 85, 145, 206, 249, 256, 259, 270f., 273, 282 Bourdieu, Pierre 2, 39, 45, 113f. Brentano, Lujo 64f., 82 Breuer, Stefan 18, 89 Buddhismus 20, 46, 50, 59, 61, 80, 86, 114, 172 Bürger 19, 47, 52, 69–72, 172 Bürgertum 51f., 68–71, 224 Burha¯npu¯rı¯, Qutb al-Dı¯n 237, ˙ 239, 244–246 Bürokrat 46 Buruma, Ian 27f. Byzanz 214

Einleitung 1, 8, 10, 15, 19, 25f., 32, 34–37, 45–48, 50–53, 61–63, 67, 69–72, 75, 80, 86, 98, 110, 139f., 169, 172, 218, 261, 263f.

Index

Eurozentrismus 12, 14, 16–21, 23f., 26f., 32, 73, 96 Exklusion 4, 10, 78 Exoterik 101, 117, 119, 125–127, 134, 144, 148, 151–153, 155, 161f., 164, 167, 184, 189, 195f., 199, 209, 212, 221, 223–225, 271, 279 Faivre, Antoine 102–104 Festinger, Leon 263 fiqh, Recht 185, 196, 199 Fusta¯t 182, 193 ˙˙ ˇ a far al-Sa¯diq 116, 132, 134–136, G 168, ˙179, 202, 266 ˇ a far ibn Mansu¯r al-Yaman 130, G ˙ 139–143, 146–149, 152f., 154–156, 158–160, 164–166, 168f., 189f., 194, 200f., 205, 209, 222f., 243, 250, 258, 270, 272f., 280 g˙aiba 116 ˙ a¯lib, Mustafa¯ G 136, 140f., 143, ˙˙ 215, 242–244, 246f. ˇ auhar G 193 Gefolgschaft, siehe auch wala¯ya: 126f., 196, 198, 227f., 234, 253 Geheimnis, Geheimhaltung 109, 117, 121f., 134, 137, 141, 145, 175, 194, 208, 216 Genealogie 125, 177, 179, 181, 189, 191, 199, 202, 206f., 235 Gnosis, Gnostizismus 2, 5, 60, 71, 73, 93, 101f., 104–109, 114, 124, 129, 133, 136, 145f., 149, 151, 156–160, 168–171, 201, 201, 215, 218, 226, 240f., 243, 247, 257–259, 261–265, 271–273, 282f. Goldziher, Ignaz 15 Gottesferne 105, 206, 249, 262, 270f., 281f. Gratifikation 255 Gratifikationsverlust 99f., 222, 268 Griechenland 15 g˙ula¯t 132, 149, 155, 157, 169 ˘ ˘

Eisenstadt, Shmuel N. 275f. Emanation 104, 113, 158, 204–206, 216f., 223, 241, 249f., 281f. Empirie 5, 9, 11, 40, 42, 44, 51, 55, 63, 69, 72, 74, 78–86, 89–91, 93, 95–97, 109, 111f., 113–115, 122–124., 127, 173, 265, 268–271, 273, 278, 280f. Endzeit 99, 127, 151, 161f., 177, 188, 191f., 208, 216, 218, 220–223, 254, 256, 267–270, 280f. Entbergung, siehe auch: -kasˇf 125, 179, 182, 253 Epistemologie 14, 19, 21, 23, 26f., 30, 40, 94–96, 98, 217 Erbsünde 42, 85 Erlösung 44, 50, 57, 59, 66, 85, 87, 107–109, 126, 154, 161, 166, 168, 173, 204, 220, 227, 241, 252f., 256, 258, 260–262, 264, 267, 269f., 272 Erlösungsgedanke 44 Erlösungslehre 46, 51, 72, 224f., 262 Erlösungsreligion 45, 47, 49f., 55f., 60, 62, 64, 72, 75, 77, 79, 88, 129f., 171–173, 216, 262–264, 272f. Eschatologie 2, 60, 88, 108f., 146, 163, 166f., 220, 241, 243, 247, 251, 258f., 261, 271f. Esoterik 2, 5, 93, 101–104, 106f., 109f., 117–119, 122, 124–127, 129f., 134f, 144, 146, 148, 151–153, 155, 159, 161, 163f., 167f. 170–172, 181, 189, 194–196, 198f., 201, 209, 211f., 215, 221, 223–225, 246f., 253, 261, 263, 266f., 270f., 279 Ess, Josef van 175, 268 Ethik 35, 42, 46, 55–57, 61f., 73, 79, 87, 225 Ethisierung 50 Ethnographie 94 Europa 3, 20, 25, 28, 33, 54, 69, 99, 257, 274, 276f.

301

302

Index

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Hollenberg, David 102, 140, 143, 150, 155, 157f., 165–168, 191, 200f., 208, 216, 224 hugˇgˇa 162–164, 165, 180, 232 ˙Humm 115, 131 ˘ ura¯sa¯n H 202 ˘ Hurgronje, Christian S. 15 Husain ibn Alı¯ ibn Abı¯ Ta¯lib al-Ha¯˙ tim ˙ ˙ 132–134 Husain ibn Alı¯ ibn Muhmmad ibn al˙ ˙ Walı¯d 243 Husain ibn Zikrawaih ibn Mihra˙ waih 182 Hutaib 238 ˙ u¯˙zista¯n H 136–138 ˘ Hybris, siehe auch: istikba¯r 107, 157–159, 218, 241–243, 247, 258, 262, 271f., 282

˘

˘

Ibn Hausˇab, Mansu¯r al-Yaman ˙ 137f., 140–143, ˙ 119, 166, 183, 229, 237 Ibn Nagˇ¯ıb al-Daula 232, 235 Ibra¯hı¯m ibn al-Husain al-Ha¯midı¯ 218, 231f., ˙234–236, ˙238, 240f., 243, 257f. Ibra¯hı¯m ibn al-Husain al-Ha¯midı¯ ˙ ˙ 242 Idealtyp 9, 49, 51, 96f., 101, 106 128, 227f., 234, Idrı¯s Ima¯d al-Dı¯n 236f., 241f., 244–246, 248f., 257, 260, 282 Ifrı¯qiya 183f., 200 135, 182, 196 Iftita¯h al-da wa ˙ Imamat 115, 117, 121, 125, 132, 134, 136f., 140, 142, 150, 157, 160–168, 175, 179–181, 188, 190f., 193, 197f., 200f., 203, 206f., 209f., 212, 214–216, 218, 223, 226, 231f., 248, 251f., 256, 279 Imamatslehre 5, 124, 129, 132, 134f., 139f., 146, 160–164, 166–169, 179, 190f., 196–198, 200, 203, 207–209, 212f., 221, 223, 243, 251, 261, 265–268, 270f., 280–283 ˘

˘

Hadith 147, 152, 154, 199 Ha¯fiz li-Dı¯n Alla¯h (Kalif) 234–236 ˙ a¯kim ˙ bi-Amr Alla¯h (Kalif) H 179, ˙ 199, 210–214, 218, 222, 232 Halm, Heinz 2, 6, 106, 130, 136, 139–140, 150–152, 156–160, 164, 167f., 180, 206, 214, 220, 233, 242f. Hamda¯n Qarmat 138f., 180 ˙ Hamdani, Abbas˙ 163, 189f Hamdani, Husain 189, 237, 244–248, 259 Hamdani, Sumaiya 149, 184f. Hamda¯niden 236, 238 Hammer-Purgstall, Joseph von 15 Hamza al-Labba¯d 213 ˙ Händler 46f., 70, 170, 183, 186 Handwerk 46f., 70, 170 haqa¯ iq 102, 152, 167, 246 ˙Hara¯z 236–238, 245 ˙ Häresie 100, 215, 274 Hartung, Jan-Peter 21, 29, 94 Hasan al- Askarı¯ 116, 137 Hasan al-Farg˙a¯nı¯ 212 ˙ asan al-Sabba¯h H 120 ˙ asan ibn˙ Alı¯ ibn ˙ Abı¯ Ta¯lib 133 H ˙ Ha¯tim Ibn Ibra¯hı¯m ibn ˙al-Husain al˙ Ha¯midı¯ ˙ 261 232, 238, 240, ˙ Georg F. W. Hegel, 54, 94 Heidegger, Martin 112f. Heil 57, 73 Heilsbesitz 43, 79, 86 Heilsgut 77, 85 Heilsmittel 86 Heilsweg 80, 220 Hellenismus 104, 106, 108, 146, 149, 262 Heptade 156, 190f., 202, 208–210, 223, 267, 280 Hermetismus 103 Heuristik 16 Hierokratie 46, 69, 123 Hims 182 ˙ ˙ Hinduismus 20, 46, 50, 59, 61, 73, 80, 86, 114, 172 Hodgson, Marshall G. S. 132, 135, 169 Höfert, Almut 8, 30, 277

303

Index

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Kaaba 181 Kabbalah 103, 146

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Jemen 1f., 6f., 100, 119–121, 137, 141, 150, 156, 182f., 190, 226, 228–240, 242, 244f., 254–257, 266f., 274, 282 Jenseits 11, 14, 22, 25f., 28, 34, 44f., 50, 58f., 64, 85, 94, 99, 104, 143, 146, 189, 206, 217, 222f., 227, 241, 257, 264, 274 Jonas, Hans 106, 108, 112–114, 146, 151, 226, 259, 263 Judentum 19, 27, 37f., 46, 55, 159, 263

Kabylei 114, 138f. Kaesler, Dirk 11, 39, 62, 81, 96f., 124 Kairo 115, 118–120, 140, 175, 179, 193f., 197, 199–201, 210, 212f., 215, 228–236, 240, 254 Kalif 115, 118, 120, 128, 130–132, 175, 179, 184, 186, 188f., 191f., 196, 199f., 206–208, 210–213, 230, 232–234, 267f., 270, 280f. Kant, Immanuel 54 Kapitalismus 8, 16f., 26, 32f., 44, 72, 82 Karma 88 Karmalehre 42, 57, 60f., 71, 80f., 85, 112, 114 kasˇf, siehe auch: Entbergung 168, 253 Katharer 93, 100, 257 Kerbala 132, 138 Kippenberg, Hans G. 6, 15, 35f., 41, 49, 60, 64, 77, 79, 82, 98, 170, 262 Kirche 13, 52, 71, 73, 99 Kirma¯nı¯, Hamı¯d al-Dı¯n 128, 163, ˙ 214–217, 222f., 241, 210, 212, 243, 248, 270f., 281f. Kita¯b al- a¯lim wa’l-g˙ula¯m 104, 128, 130, 139–143, 146f., 149, 151f., 155–160, 163–169, 171, 178, 250, 256, 266, 272, 280 Kita¯b al-fara¯ id wa-hudu¯d al-dı¯n 143, ˙ ˙ 189 Kita¯b al-fatara¯t wa’l-qira¯na¯t 143, 156 Kita¯b al-himma fı¯ a¯da¯b atba¯ al-a imma 197 Kita¯b al-iftiha¯r 206, 210 Kita¯b al-kasˇ˘f 142f., 156, 159, 164f., Kita¯b al-rida¯ fı¯’l-ba¯tin 143 ˙ ¯ ya Kita¯b al-rusˇd wa’l hida 143, 166 Kita¯b al-sˇawa¯hid 142 246 Kita¯b dikr al-ma a¯nı¯ Kita¯b ¯fara¯ id wa hudu¯d al-dı¯n 142 ˙ ¯ wa¯t Kita¯b itba¯t ˙an-nubu 203 ¯ Kita¯b kanz al-walad 241–243, 257, 262 Kita¯b nuzhat al-afka¯r 237, 239, 244f. ˘

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Imamı¯ya 110, 116, 121, 132, 135, 161, 168, 196 Imamsheptade 151, 267 Imperialismus 25 Indien 2, 38, 42, 52, 57, 60f., 71, 74, 85, 88, 119–121, 138, 237 Inkarnation 5, 177, 186, 189, 218, 220–223, 264, 269 Inkohärenz 111, 122f., 190 Inkommensurabilität 29, 79f., 83, 111f., 123, 127, 269f., 273, 279f., 282 Intellekt, siehe auch: aql 87, 104f., 156, 203, 205f., 216f., 223, 241f., 248–250, 252f., 258f., 262, 270 Intellektualismus 44, 87, 224, 260, 263 Intellektuelle 8, 42f., 46, 62, 69, 71, 79, 86, 106, 119, 133, 147, 151, 170, 172f., 178, 204, 223, 238, 260–263, 274 Irak 120, 180f., 215 Irrationalität 4–6, 18, 27, 41–44, 46, 54, 58, 60, 64–74, 76–92, 110–113, 123–125., 127f., 265, 268f., 272f., 276–283 Islamwissenschaft 4, 12, 14, 94, 98 ˇ a far al-Sa¯diq Isma¯ ¯ıl ibn G 136, 181, ˙ 207 istikba¯r, siehe auch: Hybris 107 Ivanow, Wladimir A. 117, 142f., 145–149, 160, 169, 180

304

Index

Laie 6, 58f., 100, 260 Lamak ibn Ma¯lik al-Hamma¯dı¯, al˙ 235, 240, 254 Qa¯d¯ı 229–232, ˙ Hartmut Lehmann, 12, 18 Levante 117, 254 Madelung, Wilferd 130, 140, 142f., 149f., 157, 162, 164, 190f., 201f., 207, 242f. 240 Ma du¯n Ma d¯ u¯n mahdu¯d 240 Ma d¯ u¯n mah˙ su¯r 240 ˙ Ma d¯ u¯n mut˙laq 240 ¯ ˙ magˇa¯lis al-hikma 198f. Magie ˙23, 36, 41, 44, 46f., 50, 52, 61, 68–71, 77, 84, 89f. Mahdı¯ 5, 99, 127, 133, 136, 139, 151, 161f., 168, 172f., 175, 177, 179–182, 184, 186–190, 202, 206–210, 212, 218, 220–223, 254–256, 262, 264, 266–273, 280–282 117f., Mahdı¯, Abdalla¯h (Kalif) 125, 128, 130, 140–142, 166, 179–192, 194f., 198f., 206–209, 212, 218, 223, 255, 280 Mahdı¯den 238 Mahdı¯ya 140, 184, 189, 192f., 200 Maka¯rima 121 Makra¯n 202 Manichäismus 105, 108, 259 118, 179, Mansu¯r bi- lla¯h (Kalif) ˙ f. 193 Mansu¯rı¯ya 118, 193 ˙ Marcion 263 Margalit, Arishai 27f. ˘

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59, 68, 83, 85, 87–90, 93, 102, 109, 112, 115, 118, 274f., 278f. Kulturkreis 17, 21, 25, 29, 36 Kulturmensch 10, 39, 41, 83 Kulturwissenschaft 4, 9, 10, 40, 82f., 95f. ku¯nı¯ 151, 205f. Kurze, Dietrich 100 Kuta¯ma 139, 175, 183–188, 193f., 198

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Kita¯b ra¯hat al- aql 128, 215, 217, 223˙ 142f., 209 Kita¯b ta wı¯l al-zaka¯t 128, 241–243, Kita¯b zahr al-ma a¯nı¯ 246–253, 256, 258–260, 262, 282 Kohärenz 48, 216 Kolonialismus 14, 25, 28–30, 93f., 98 komplementär 10, 78f., 81f., 85, 88, 265, 268f., 271, 274 Konfuzianismus 20, 23, 34, 43, 46, 61, 66, 70, 81, 84f., 88, 112 Konsequenz 19f., 26, 29, 41–43, 51, 56, 58, 62, 79f., 82, 86–88, 90, 94, 115, 123, 127, 132, 134, 136, 172, 206, 225, 262, 269, 271, 273 Konstruktivismus 39, 96, 114, 123f. Kontemplation 46, 50, 52, 71, 73–75, 81 Kontingenz 42f., 59, 79, 83–86, 88, 111, 113f., 125, 127, 265, 270, 272f., 279, 281 Koran 147, 152, 154, 156, 161, 199, 248, 270 Koranexegese 102, 167, 169 Kosmogonie 2, 5, 88, 104, 106, 108f., 129, 139, 144, 146, 152, 154–157, 159, 165, 178, 203–206, 210, 216, 223f., 241–243, 247f., 250f., 259, 262, 265–268, 270–272, 279–283 Kosmologie 104, 106, 109, 117, 125, 136, 143, 149–152, 154, 156–159, 162f., 165f., 168f., 171, 177, 190, 200–202, 204f., 207, 214f., 218, 220, 241, 243, 251, 259, 261, 267, 271 Kosmos 8, 46f., 68–71, 86, 103f., 106, 127, 152, 173, 217, 224, 261–263, 271f. Krieger 46, 52, 69f., 245 Kriegerreligion 15, 17, 23 Kufa 132f., 135, 138, 141, 180, 280 Kultur 1, 3f., 11, 16, 20f., 23–25, 27, 31, 34, 36–39, 41–43, 47f., 54,

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Index

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Muka¯sir 240 Müller, Friedrich Max 49, 75 multiple modernities 275 Mu min al-ba¯lig˙ 240 237, 239f., 244 Muntaza al-ahba¯r ˘ Mu¯sa¯ al-Ka¯zim 116 ˙ 67, 211 Musik 37, Musiksoziologie 33, 37, 51 Mustagˇ¯ıb 240 Musta ilı¯ bi- lla¯h (Kalif) 119f., 150, 233f. 119, 150 Musta ilı¯ya Mustansir bi- lla¯h (Kalif) 119, ˙ 229–233 mustaqarr 161 161, 208 mustauda Mutawakkil, Yahya¯ 247 ˙ 49f., 55f., 58, 61, Mystik 44, 46, 68, 72–77, 86, 110, 130, 219f. Mythologie 105f., 108, 114, 133, 151f. 155, 160, 168, 171, 173, 200f., 205f., 263, 272 Mythos 27, 105f., 108, 146, 151f., 156, 158f., 204, 24f., 251, 256 272 Mythos, sekundär, auch: Kunstmythos 106, 146, 151f., 159, 171, 173, 201 204, 264, 272 ˘

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Marokko 118, 137, 170, 175, 183, 200, 266 Marwarru¯d¯ı 185 Marx, Karl¯ 16 Materie 60, 103–105, 107, 205, 217, 248, 250, 258f., 262, 273, 281f. mawa¯lı¯ 133 Medina 115, 133 Mekka 115, 119, 138, 181, 230 Mesopotamien 180 Messianismus 5, 100, 133, 170f., 175, 178, 219, 222, 261–264, 267f., 283 Mignolo, Walter 30f., 96 Mihla¯f Sulaima¯n 238 ˘ Mı¯la 139 Minderheit 93, 100, 120, 122, 177, 197, 214, 226, 254, 266 Moderne 4, 16–19, 25, 27f., 30f., 34, 36f., 41, 44, 47f., 50f., 55f., 64, 66, 68, 70, 72, 89, 120–122, 124, 178, 245, 275–278 Möhring, Hannes 99 Mönch 74 Mongolen 120 Morris, James W. 131, 139–150, 152, 154, 157, 162–165, 169 Mu a¯wiya ibn Alı¯ Sufya¯n 132 Muhammad (Prophet) 115, 122, ˙124, 126, 131, 160f., 165, 170, 189f., 199, 219, 229, 255, 264 Muhammad al-Ba¯qir Alı¯ Zain al- A¯b˙idı¯n 134 Muhammad al-Nasafı¯ 104, 202 Muh˙ ammad ibn al-Hasan al- As˙karı¯ 116, 137˙ Muhammad ibn Alı¯ al-Akwa¯ al-Ha˙ ˙wa¯lı¯ 244 ˇ Muhammad ibn Isma¯ ¯ıl ibn Ga far al˙Sa¯diq 117, 136f., 139, ˙ 179–181, 183, 202, 206–208, 210, 220 Mu izz li-Dı¯n Alla¯h (Kalif) 118, 140, 142, 157, 175, 179, 181, 188, 191, 193–195, 199–203, 207–209, 216, 218, 224f. Mukarram ibn Alı¯ al-Sulaih¯ı 231f. ˙ ˙ ˘

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nafs 156 Nagel, Tilman 93f., 106, 187, 219f., 223 naqı¯b 153f., 164, 166 nass, siehe auch: Designation 131, ˙˙ 134f., 226f., 234 na¯tiq 153f., 161f., 164–166, 190, ˙ 216 Neuplatonismus 104f., 143, 151, 167–169, 177, 200f., 202–204, 206f., 210, 216f., 249, 257, 262, 270–272, 281f. Neuzeit 2, 262f., 272 Niza¯r 119–121, 233 Niza¯riten 120, 226, 233f., 237, 255 Niza¯rı¯ya 119, 120, 121 Nordafrika 2, 117f., 140–142, 150, 167, 175, 181–185, 191,

Index

Radkau, Joachim 54, 63 Ramla 182 Raqqa¯da 118, 183–185, 188, 190, 192 241, 243, 249, Rasa¯ il Ihwa¯n al-Safa¯ ˙ 257˘ rasu¯l 154, 161 Rasu¯liden 238 rational 4f., 22, 27, 31–34, 36, 40–44, 47, 52, 57f., 60, 62, 64–92, 109, 111, 123, 269, 275, 282f. Rationalisierung 4f., 8, 23, 37–39, 43–47, 64, 66, 68–70, 79f., 82, 86–88, 90, 110f., 113, 260, 269f., 281 Rationalismus 3f., 12, 19f., 22, 25, 27, 30–33, 35–39, 41f., 44, 46–48, 50–54, 58–63, 65–67, 69f., 72, 74, 76–78, 81f., 89f., 100, 224, 274–276, 278f. Rationalität 4–6, 18, 31, 39, 41–43, 45, 64, 66, 70, 72, 74–82, 84–86, 88–92, 110–112, 122–124, 127f., 171, 173, 265, 268f., 271f., 274–277, 279–282 Rawdat al-Ahba¯r 244 ˙ ˘ ˘

Pakistan 117 Palästina 98, 111, 182, 193, 233 Parsons, Talcott 14, 66 Parusie 99, 189 Parusieverzögerung 93, 99, 177, 218, 221, 223, 267–270 Paul, Jürgen 13–15, 21, 23, 26, 178 Persien 42, 60, 85, 110, 117, 119f., 204, 213, 259 Philip, Thomas 94 Pipes, Daniel 18 Platon 203f. Pleroma 158, 201, 241, 248–250 Plotin 104, 203, 205 polarisierend exkludierend 65f., 68, 72, 78f., 81 Poonawala, Ismail K. H. 126, 143, 239, 244, 246 Porphyrios 204 Postkolonialismus 12, 14, 27f., 30, 93, 98 Prädestination 22, 42, 85, 113, 124, 205, 273

qadar 151, 206 162, 168, 188, 202, 206, Qa¯ im 208, 210, 242, 252f., 259 Qa¯ im bi-Amr Alla¯h (Kalif) 118, 140, 179, 188f., 192–194 Qairawa¯n 184f., 187f. Qara¯mita 138 ˙ Qarmaten 117, 125 Quietismus 98f. Quraisˇ 245 ˘

Objektivität 9f., 17, 29, 40f., 82f., 89, 95–97 Objektivitätsaufsatz 9f., 29, 95 Oexle, Gerhard Otto 95 Okzident 4, 6, 18–23, 27f., 30–34, 37f., 41, 47–49, 51, 53–56, 59f., 63–65, 67f., 71, 74–78, 81, 89, 95f., 124, 275f., 278 Okzidentalismus 24–31, 41, 68, 72, 76, 92–94, 97, 277f. Orient 13 15, 20f., 27–29, 33, 36, 38, 52, 71, 74–77, 94, 99, 262 Orientalismus 6, 12, 14–16, 18–21, 24–29, 32, 39, 68, 72, 76, 92–95, 97, 277f. Osterhammel, Jürgen 96, 274, 276f.

Prädetermination 22f., 29 Priester 87 Prophetenzyklus 151, 159 Prophetie 44, 47, 49, 53, 61, 68, 189, 221, 264, 276, 280 protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus, Die 8, 26, 32–35, 38, 44, 52f., 58, 64f., 69, 72f., 77, 80f., 114, 127

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193f., 200, 202, 206, 219, 226, 233, 254, 280 111, 118, 126, Nu ma¯n, al-Qa¯d¯ı ˙ 182, 194–197, 199, 128, 141, 149, 201, 203, 208f., 222f., 243, 257, 269, 281

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Index

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238 Sa dah S˙ ah¯ıfat al-salawa¯t 260 ˙Said, ˙ Edward ˙ 15, 18, 20f., 27, 94 Sala¯h al-Dı¯n al-Ayyu¯bı¯ 120, 228, ˙ ˙236 Salamya 117f., 137f., 180, 182, 280 salvator salvandus 107, 158f., 258 salvator salvatus 107 Salvatore, Armando 8, 14f., 18, 22–25, 30 sa¯mit 161f., 165 ˙San a¯ 2, 183, 231, 236, 238, 244 ˙ ¯ ir al-nutaqa¯ Sara 143 Sˇarh dala¯la¯t ˙huru¯f al-mu gˇam 143 ˙ 215 ˇsarı¯˙a 154, satr, siehe auch: Verbergung 227, 253 Säulen des Islam 126, 195 Sawa¯d 138 231, 246 Sayyid, Fu a¯d A. Schluchter, Wolfgang 10–13, 16–18, 22f., 30, 34–38, 41, 48–50, 53, 56, 61f., 65f., 72–74, 76, 90 Schmidt, Siegfried J. 96, 102 Schöpfung 104f., 107, 151, 153, 155f., 160f., 163f., 204f., 210, 215, 217, 223, 241f., 247f., 250, 253, 256, 258f., 263, 266, 272f., 281f. Schöpfungsbefehl 217, 280f. Seele, siehe auch: nafs 103–105, 107, 127, 151, 167f., 203, 205f., 216, 242, 251–253, 256, 258f., 271, 282

Sefer Jezirah 156 Sekte 13, 32, 52, 71, 165, 265 Selgˇuken 233 semitisch 75f. Sˇiba¯m 230, 238, 245 Siebeck, Hermann 49f. Siebenzahl 102, 105, 126, 144, 151, 153, 156, 165f., 196, 217, 220, 241, 244, 260, 267 Sigˇilma¯sa 118, 183f., 255 152, 155f., Sigˇista¯nı¯, Abu¯ Ya qu¯b 200–204, 206f., 209f., 214, 217, 222, 224, 243, 271 118, 138f., Sˇ¯ı ¯ı , Abu¯ Abdalla¯h 183f., 187, 198, 219, 222 243 Simt al-haqa¯ iq Sinn˙ ˙ 2, 6, 9–14, 17f., 22, 27–29, 34, 37, 39–43, 47, 49, 51, 54, 60, 62, 67, 70, 74, 76, 78f., 82–85, 87f., 90f., 93, 95, 98, 102, 113f., 122f., 125, 128f., 133, 143, 152, 154f., 165, 173, 190, 197, 208, 227, 237, 263, 268, 270–273, 276, 278f. Sinnzuschreibung 1, 4f., 40–43, 45, 51, 78f., 82–84, 86, 90f., 111f., 115, 122f., 173, 265, 268f., 271, 273, 277–283 Sı¯rat Ibn Hausˇab 140–142 ˙ ayyad fı¯-’l-Dı¯n 229f. Sˇ¯ıra¯zı¯ , Mu Sı¯sta¯n 202 Sitt al-Mulk 214 Soteriologie 106, 204 Sozialwissenschaft 29, 83, 89, 94 Soziodizee 2, 45, 113f. Soziologie 9–11, 18, 25, 32, 35, 37, 40, 42, 48, 51, 54, 58, 62f., 65f., 74, 84, 89f., 98 Soziologische Grundbegriffe 10, 40, 65, 84, 90f. Spätantike 2, 93, 106, 114, 149, 160, 169, 218, 263, 265 Stauth, Georg 11f., 20, 22, 53 Stern, Samuel M. 105, 153, 157, 164, 180, 206, 227, 234, 236, 253, 256 Stoodt, Hans Christoph 100f., 257 ˘

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Religionsentwicklung 4, 15, 38f., 42, 49, 54, 66, 75f., 85 Religionssoziologie 3, 6, 10, 18f., 32–36, 45, 48, 60, 64–66, 68, 81, 84, 87, 92, 100, 111–114 Religionswissenschaft 2, 4, 50, 53, 93, 95, 98, 101 Renaissance 44, 102f. Risa¯la mudhiba 201, 208 Risa¯lat al-ı¯¯da¯h wa’l-baya¯n 243 ˙ ˙ wa’l-ma a¯d Risa¯lat al-mabda 243 Rudolph, Kurt 107, 136, 260, 263

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Index

Strothmann, Rudolf 165, 195, 240, 243, 247 Stuckrad, Kocku von 103f. Sufismus 52, 71, 120, 147f., 169 Sulaihiden 226, 228–230, ˙ ˙ 236–239, 244, 254f., 257, 264 Sulaima¯n ibn Hasan al-Hindı¯ 121 Syrien 120,˙ 137f., 182, 193, 233, 266

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tafsı¯r 147, 167 Ta¯hiriden 238, 245 T˙ a¯leqa¯n 180 ˙ Taoismus 20, 23, 43, 61, 66, 70, 81, 85, 88, 112 taqı¯ya 117, 134, 145, 162 Taubes, Jakob 263f. 102, 118, 154, 162, 167, 201 ta wı¯l Ta wı¯l al-da a¯ im 199 Tayyib ibn al-A¯mir bi-Ahka¯m Alla¯h ˙ (Kalif) ˙ 121, 226–228, 234–236, 251, 257, 282 Tayyibı¯ya 2, 120f., 150, 218, ˙ 226–228, 234–237, 239f., 242f., 245, 247, 251, 255–257, 259–263, 271274., 282f. Theodizee 2, 45, 59–61, 85, 88, 112–114, 273 Theokratie 75f., 116, 173, 227 Tradition 14, 18, 20, 28, 58, 74, 76, 94, 101f., 106, 120, 128, 130, 140, 147, 154f., 161, 167, 169, 186, 196, 198f., 204, 212f., 219, 224, 234f., 241, 243, 255f., 259 Trägerschicht 16, 46, 68–71 Troeltsch, Ernst 13, 49 Tuhfat al-qulu¯b 232, 240 ˙ Tunesien 118, 140, 183, 192 Türken 213 Turner, Bryan S. 12f., 15f., 18f. ˘ ˘ ˘

Umar 131 Umayyaden 115f., 124, 133–135, 263f., 266, 280 Utma¯n 131 ¯ ¯ n al-ahba¯r Uyu 135, 234, 236, 244 ˘

Verbergung, siehe auch: -satr 118, 120f., 134, 136, 162, 168, 170, 183, 224, 227f., 235, 242, 251, 253, 266 Virtuose 45, 53, 57, 59, 260 wala¯ya, siehe auch: Gefolgschaft 126f., 196, 269 walı¯ 154, 213 Walker, Paul E. 105, 149, 158, 178, 203–205, 207, 210, 214–216, 228, 230f., 234, 237, 244–246 was¯ı 161f., 164f. ˙ Montgomery Watt, 98 Weber, Marianne 9, 33, 37 Weber, Max 2–4, 6, 8–27, 29–92, 94–97, 100f., 110–114, 123f., 128, 133, 172f., 224f., 261–263, 265, 267–269, 273–278, 280, 283 wechselseitig komplementär 65, 67, 89, 111 Wellhausen, Julius 15 Welt, Spannung zur 43, 45, 56f., 59–62, 80–82, 85, 88, 99, 109, 112f., 173f., 189, 192, 210, 265–270, 280f. Weltsicht 2, 6, 41f., 80f., 85, 92, 113, 123–125, 171, 173, 271, 277, 279, 283 Weltsichtanalyse 78, 127, 265, 276f. Wert 1, 8, 21, 40f., 43, 45, 64, 67, 83f., 86, 90f., 109f. Wertbeziehung 17 wertrational 90f. Wirtschaft und Gesellschaft 9–11, 15, 22, 32, 35–37, 60, 66, 73f., 77, 88f., 110 Wirtschaftsethik der Weltreligionen, Die 9–11, 16, 22, 32–36, 38, 52, 54f., 62, 73, 75, 111 Wissenschaft 14, 25f., 29, 36f., 39f., 43f., 49f., 57, 67, 72, 79, 83–89, 93, 95, 98, 103, 123, 199, 229

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Index

Zikrawaih ibn Mihrawaih 182 236, 238 Zurai iden Zweck 16, 18, 32, 36, 40f., 66, 74, 82, 90, 97, 129, 146 zweckrational 41, 84, 90f. Zweistromland 117, 133, 169f., 204 Zwischenbetrachtung 10, 32–35, 42–44, 50f., 53–63, 74–77, 79f., 87, 91, 111f. ˘

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za¯hir 101, 117, 144, 148f., ˙ 151–154, 162, 164, 167, 206, 212, 220f., 271 134 Zaid ibn Alı¯ Zain al- A¯bidı¯n Zaiditen 100, 116, 183, 238, 245, 247, 255, 282 Zaidı¯ya 134, 183, 230 Zauberei 89 Zentralasien 120, 200, 202 Zikrawaih 182, 186