Rainer Maria Rilke: Briefe an Gräfin Mirbach-Geldern-Egmont 1918-1924 ISBN:978-3-8260-3025-3

Rainer Maria Rilke gehört neben Thomas Mann und Fontane zu den großen Briefschreibern der deutschen Literatur. Es werden

1,966 175 11MB

German Pages 260 Year 2005

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD FILE

Polecaj historie

Rainer Maria Rilke: Briefe an Gräfin Mirbach-Geldern-Egmont 1918-1924
 ISBN:978-3-8260-3025-3

Citation preview

Rainer Maria Rilke Briefe an Gräfin Mirbach-Geldern-Egmont

1918-1924

Herausgegeben und kommentiert von Hildegard Heideimann '

:

;/'V

'

Digitized by the Internet Archive in 2019 with funding from Kahle/Austin Foundation

https://archive.org/details/rainermariarilke0000rilk_v9p5

Rainer Maria Rilke Briefe an Gräfin Mirbach-Geldern-Egmont 1918-1924

Rainer Maria Rilke Briefe an Gräfin Mirbach-Geldern-Egmont 1918-1924

Herausgegeben und kommentiert von Hildegard Heideimann

Thomas J. Bata Library

TRENT UNIVERSi i i PETERBOROUGH. ONTARIO

Königshausen & Neumann

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

D 20

© Verlag Königshausen &. Neumann GmbH, Würzburg 2005 Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier Umschlag: Hummel / Lang, Würzburg Bindung: Buchbinderei Diehl + Co. GmbH, Wiesbaden Alle Rechte Vorbehalten Dieses Werk, einschließlich aller seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Printed in Germany ISBN 3-8260-3025-7 www.koenigshausen-neumann.de www.buchhandel.de

Für Tassilo von Winterfeldt

Inhaltsverzeichnis

I.

Einleitung.11

II.

Rilkes Briefe an Gräfin Mirbach-Geldern-Egmont

1

Zur Transkription der Briefe.35

2

Zur Datierung der Münchner Briefe.36

3

Briefe 1-41 .37

4

Briefverzeichnis.98

III.

Kommentare.101

IV.

Anhang.205

1

Literaturverzeichnis.205

1.1 1.2 1.3 1.4

Rainer Maria Rilke.205 Zu Rilke.209 Werke, Briefe und Erinnerungen anderer Autoren.215 Allgemeine Literatur.217

2

Verzeichnis der erwähnten Werke Rilkes.221

3

Ortsverzeichnis.222

4

Personenverzeichnis.228

5

Abbildungen.239

9

I. Einleitung

Johannes Graf von Mirbach-Geldern-Egmont Prinz zu Hohenlohe-Jagstberg, Enkel der Gräfin Mariette Mirbach-Geldern-Egmont, verwahrt 41 Briefe Rainer Maria Rilkes an seine Großmutter, zusammen mit den Briefkuverts und den von Rilke beigegebenen Fotografien, Ansichtskarten und der Handschrift „Mitsu“. Beigeschlossen findet sich ein maschinenschriftlicher Brief des Rilke-Archivs in Weimar vom 25. Mai 1937, mit dem Carl Sieber die Gräfin um Zustimmung zur Veröffentlichung von elf der Briefe Rilkes bittet. Er listet diese Briefe und die zum Druck vorgesehenen Auszüge genau auf und bestätigt, dass sie „unter der Ueberschrift ,An Gräfin M.“‘ erscheinen werden.1 Insgesamt befinden sich Ab¬ schriften von 26 der 41 Briefe Rilkes an Gräfin Mirbach-Geldern-Egmont im Rilke-Archiv Gernsbach.2 Die kurzen nachbarschaftlichen Münchner Briefe und Billets waren den damaligen Herausgebern offenbar nicht wichtig genug für eine Übertragung. Alle Briefe wurden von der Gräfin für eine Veröffentlichung vor¬ bereitet. Einklammerungen mit Bleistift von langen und kurzen Passagen priva¬ ten Inhalts und Streichungen von Ortsnamen und der Namen der Kinder bis auf die Anfangsbuchstaben stammen zweifellos von ihrer Hand. Der volle Name der Gräfin erschien im Briefwerk erst in der zweibändigen Ausgabe von 1991, herausgegeben von Horst Nalewski, der fünf der Briefe in seine Auswahl aufnahm. In Werken über Rilke und in Einzelkorrespondenzen erscheint der Name schon früher. Ernst Zinn hatte dazu am 12. April 1950 die Erlaubnis der Gräfin erhalten, als er nach Gedichthandschriften Rilkes in ihrem Besitz fragte.3 Rilke selbst erwähnt den Namen der Gräfin in zwei Briefen an Fürstin Marie von Thurn und Taxis und in einem an Graf Paul ThunHohenstein: Im Brief vom 13. Januar 1919 aus München bestellt Rilke der Fürs¬ tin Taxis Grüße der „Gräfin Mariette Mirbach-Geldern-Hoyos, die mir eine sehr liebe Nachbarschaft bietet.“4 Die Familie der Gräfin wohnte Habsburgerstraße 7. Im zweiten Brief vom 30. Oktober 1922 zählt er „die Gfn. Mariette Mirbach-

1

Zehn Briefe der Liste Carl Siebers stimmen mit den in die Bände V (1937) und VI (1937) der Gesammelten Briefe aufgenommenen überein. Als elfter Brief wurde nicht der als vier¬ ter der Liste aufgeführte Brief vom 14. Januar 1920 (Brief 24) aufgenommen, sondern der Brief vom 26. September 1919 (Brief 22). Über die Gründe dieses Tauschs ist nichts be¬ kannt. Siehe Abb. 3.

2

Freundliche Mitteilung von Hella Sieber-Rilke, die mit ihrem Mann, Christoph SieberRilke, dem Enkel Rainer Maria Rilkes, das Rilke-Archiv in Gernsbach leitet (Brief vom 2. April 2003).

3

Kopien des Schreibens von Ernst Zinn an Gräfin Mirbach-G.-E. vom 30. März 1930 und des Antwortbriefs der Gräfin aus dem Nachlass Ernst Zinns (UB Tübingen: Mu 7-889) siehe Abb. 4 u. 5.

4

BW mit Marie v. T. u. T., S. 572.

11

Geldern“ unter seinen Münchner Freunden auf.5 Aus Bern schrieb Rilke am 5. Juli 1919 an Paul Thun: „[...] wo sind Sie? Da ich wegfuhr, waren Sie nicht in München; die Gräfin Mirbach-Geldern erzählte mir, daß Sie die Aretinsche Wohnung gemietet hätten: ist es dabei geblieben?“6 Graf Paul Thun-Hohenstein und Graf Erwein Aretin gehörten wie Rudolf Kassner zu den gemeinsamen Freunden Rilkes und der Familie Mirbach-Geldern.7 In allen Veröffentlichungen sind es stets die zuerst in den Gesammelten Briefen (GB) gedruckten elf Briefe an die Gräfin, aus denen zitiert oder die ganz oder teilweise abgedruckt werden.8 Der Aufnahme dieser elf, später neun (1950), dann fünf (1991) der Briefe Rilkes an die Gräfin, ganz oder in Auszügen, lagen die Intentionen der jeweiligen Herausgeber zugrunde. Zielsetzung der frühen Herausgeber der Briefe Rilkes war, das dichterische Werk zu ergänzen und zu erhellen. „Alles allzu Persönliche, das private Leben des Dichters Betreffende war nach Möglichkeit auszuscheiden“, heißt es im Vorwort der GB.9 Grundsätz¬ lich außer Zweifel stand die Herausgabe der Briefe Rilkes als Teil seines Werks vor allem wegen folgender Weisung in seinem letzten Willen: „Da ich, von ge¬ wissen Jahren ab, einen Theil der Ergiebigkeit meiner Natur gelegentlich in Brie¬ fe zu leiten pflegte, steht der Veröffentlichung meiner, in Händen der Adressa¬ ten

etwa

erhaltenen,

Correspondenzen

(falls

der

Insel-Verlag dergleichen

Vorschlägen sollte) nichts im Wege.“10 Der Verfügung Rilkes gemäß hatten sich die Herausgeber 1929 unter Wahrung von Persönlichkeitsrechten der Adressaten an ihr Werk gemacht. Im Laufe der Veröffentlichung erhielten sie weit mehr als „Einlaß in des Dichters Werkstatt“. „Jeder Brief war Ausdruck eines Bezugs, Mitteilung von äußerem und innerem Vorgang, an dem der jeweilige Briefemp¬ fänger Anteil bekam und nahm [...]. Hinter den vielen Seiten, die Rilke im Laufe der Zeit ein und demselben Empfänger zuwendete, wurde dieser selbst sicht¬ bar“.11 Die Herausgeber des Briefwerks von 1950 formulierten anders: „Gewählt wurde, was von den grundlegenden inneren und äußeren Lebensbedingungen Zeugnis ablegt, unter denen Rilkes Dichtungen entstanden sind“.12 In der Zeit nach 1914 mehrten sich nach Ansicht der Herausgeber „die Briefe, bei denen die

5

Ebd., S. 733. Im Brief nennt Rilke die Personen, denen er wegen einer Tournee des Wiener Klaviervirtuosen Walther Kerschbaumers, dem „Musiker” der Fürstin Marie von Thurn und Taxis (Schnack, Rilke Chronik, S. 693), nach München schreiben will.

6

Jonas, Rilke und Paul Thun, 1975, S. 88. Vgl. Kommentare zu Briefen 24 und 34.

7

Siehe Briefe 33 und 38.

8

GB V 1937 (Briefe aus den Jahren 1914 bis 1921), Briefe 98, 106, 110, 1 11, 120(2), 127, 131, 144; GB VI 1937 (Briefe aus Muzot, 1921 bis 1926, ergänzte Auflage), Briefe 11, 90.

9

GB I, 1939, S. 7. Auch Nalewski kürzt noch einmal um „allzu Persönliches und die Partner nur momentan Angehendes“ (Bd. 2, S. 454).

10

„Einige persönliche Bestimmungen für den Fall einer mich mir mehr oder weniger enteig¬ nenden Krankheit. Muzot, im Oktober 1925 [...]“ (Beilage 12 zu den Briefen an N. W.-V., S. 1192f.)

11

Vorwort GB, 1939, S. lOf.

12

Vorwort der zweibändigen Ausgabe von 1950, S. VI.

12

Person des Empfängers fast gleichgültig wird, so stark strömt die .Ergiebigkeit der Natur' des Dichters in sie ein“13. Alle Briefe Rilkes an Gräfin MirbachGeldern-Egmont fallen in diese Zeit. Bei den bereits veröffentlichten Briefen führten die Grundsätze der Herausgeber zu Kürzungen um „Unwesentliches“14, nämlich um das, was die Biographie der Korrespondentin betraf, verkennend, dass Rilkes Eingehen auf deren Fragen und Nöte seine Art der Teilnahme am Leben war. Die Briefe Rilkes kennzeichnet ein Nebeneinander von Äußerungen zu Da¬ seinsfragen und politischen Verhältnissen, Selbstaussagen und momentan Erleb¬ tem wie Stadt- und Landschaftseindrücken, Verkleidungsspiel, Mode und Grip¬ pe. Es sind Elemente des Lebens und der Kultur, denen er sich nicht verschließt, auf die er als Mensch eingeht und die er als Dichter zum Kunstwerk fügt, ihnen Gültigkeit verschafft, angestoßen freilich von einem Gegenüber, hier einer Frau, deren Lebenssituation ihn interessierte und zu Beurteilung und Selbstdeutung anregte.15 Übertrieben wäre es, allein aus der Bemerkung zur modischen Hose der Gräfin16 Rilkes Interesse an Kleidung und Mode herzuleiten; es ist jedoch vielfach belegt und stellt den Dichter in den kulturellen Zusammenhang der Zeit. Ohne Traditionen zu opfern war Rilke auch in vielen anderen Bereichen auf der Höhe seiner Zeit. „Poetry is not a product of pure inspiration“ stellt Judith Ryan fest.17 Nicht wenige Autoren haben aus den schon gedruckten Briefen an Gräfin Mirbach-Geldern-Egmont für ihre Forschungen geschöpft: Allemann, Bollnow, Günter, Mason, Schnack und Storck bereits in den Fünfzigerjahren sowie in jüngster Zeit Silke Pasewalck (2002)18 und Sandra Kluwe (2003)l9. Die Briefe werden nun vollständig und ungekürzt vorgelegt. Alle Fragen nach der Adressa¬ tin, die über die äußere Biographie20 hinausgehen, besonders, warum sich Rilke ihr in jahrelanger Brieffreundschaft zuwandte, können nur die Briefe Rilkes be¬ antworten, deren Erwiderungen als verloren gelten müssen. Durch sein Eingehen auf ihre Sorgen und Freuden ist sie in den Briefen präsent. Er wiederum lässt sie teilnehmen

an

seinen

Reflexionen über Zeitgeschehen,

Schaffenskrise

und

Künstlerdasein. Beide Seiten profitierten von dieser Beziehung. Die schöne Adelige besaß auf ihrem Landsitz eine mögliche Bleibe für den Dichter, mehr aber fesselte Ril13

Ebd.

14

Ebd.

15

RMR und Kassner, S. 118: „Er hörte ohne Hintergedanken!“

16

Brief 21.

17

J. Ryan: Rilke, Modernism and poetic tradition. Cambridge 1999, S. 5.

18

Die fünffingrige Hand, S. 264. Sie zitiert aus Brief 31 vom 25. November 1920 (nicht „1925“ wie irrtümlich angemerkt). Siehe Kommentar zu diesem Brief. Die Funde in der Forschungsliteratur wurden den Kommentaren der veröffentlichten Briefe vorangestellt.

19

Krisis und Kairos. Sie zitiert aus den Briefen 31 vom 25. November 1920 und 33 vom 10. März 1921. Siehe Kommentare zu diesen Briefen.

20

Genealogisches Handbuch des in Bayern immatrikulierten Adels XXII (1998), S. 37f.

13

ke, dass sie seine Hilfe brauchte, besonders auf dem Gebiet der Kindererziehung, deren Reform ihm aus seiner eigenen Biographie heraus ein elementares Anlie¬ gen war.21 Der Gräfin mag die Freundschaft mit dem berühmten Dichter ge¬ schmeichelt haben. Sie las nach seinem Weggang, vermutlich im Familienkreise, aus Werken Rilkes.22 Es war jedoch in erster Linie der Mensch und Helfer Rilke, den sie brauchte. Er verstand sie und die Not ihrer Kinder. „Es ist so natürlich für mich, Mädchen und Frauen zu verstehen“23, hatte er schon 1904 von sich ge¬ sagt. Sein Lob der Mutterschaft ist im Werk vielfach belegt. Er stellt die Mutter über den Mann und setzt sie dem Künstler gleich.24 Gern wüsste man, was Grä¬ fin Mariette ihm zu seinen „Elegien“ und „Sonetten“ schrieb. Rilke spielt darauf an mit den Worten: „da Sie, ganz ohne Hülfe, zu soviel Auffassung fähig waren, so hat, scheint mir, doch fast etwas wie ein Wiedersehen zwischen uns stattge¬ funden, bei dem Sie allerdings arg bemüht gewesen sind und ich (was mich per¬ sönlich angeht) arg ausgeschaltet!“, um daran die in der Literatur viel beachtete programmatische Aussage zum Wesen der Poesie anzuschließen. Dieser achtsei¬ tige letzte Brief Rilkes an Gräfin Mirbach-Geldern-Egmont ist nicht nur als Handschrift ein „architektonisches Ereignis“25, das in der Übertragung nicht wiederzugeben ist, sondern auch in Stil und gedanklichem Aufbau ein Meister¬ werk des Abschiedsbriefs.26 Rilke wendet den Blick zurück zum Kennenlernen in den Münchner Kammerspielen, dem Abend, der ihm „gewiß der gegenwärtigste geblieben [ist] von allen diesen Abenden; ich werde ihn immer, um dessentwillen, was er mit sich gebracht hat, zu den liebenswürdigsten Fügungen jener Jahre rechnen, die sonst nicht gerade bedacht waren, einen zu beschenken“27. Anlass war der Besuch der Prinzessinnen Mary und Antoinette Windischgrätz, die die Gräfin aus München kannten und schätzten und deren Jugend und Natürlichkeit Rilke in Bad Ragaz bezauberten. Rilkes Liebenswürdigkeiten gipfeln im Bedau¬ ern über den - von ihm - abgesagten Besuch der Gräfin auf der Rückreise aus

21

Siehe Brief 8. Vgl. Storck, Joachim W.: Emanzipatorische Aspekte im Werk und Leben Ril¬ kes. In: Rilke heute I, S. 247-285, hier S. 257. Ferner: Nalewski, Horst: Rilkes „Samskola“Aufsatz im Kontext der Erziehungsprogramme der Jahrhundertwende. In: BIRG 16/17 (1989/90), S. 167-176.

22

Brief 26 vom 27. Mai 1920 aus der Schweiz nach Pörtschach am Wörthersee, wo die Familie Hoyos ein Landhaus besaß. „Daß Sie ,Rilke* vorlesen, rührt mich sehr - Sie glauben nicht, wie sehr ich Sie dazu autorisiere!“

23

Brief aus Furuborg in Schweden an Emmi Hirschberg vom 20. November 1904: „An ein junges Mädchen“ (Briefe 1950/it 867, S. 103f.). Adressatin war die 19jährige Freundin der Pädagogin Ellen Key (siehe Kommentar zum Brief 8 vom 21. Februar 1919). Der Brief spricht von der „Schwere der Mädchenjahre“.

24

Vgl. Das Florenzer Tagebuch (1898), in: Tagebücher aus der Frühzeit, S. 118: „Die Mütter freilich sind wie die Künstler. Des Künstlers Mühe ist, sich selbst zu finden. Das Weib er¬ füllt sich im Kinde [...]“

25

August Stahl, Rilke-Treffen „Rilkes Briefwerk“, Freiburg 15.-17. September 2001.

26

Brief 41 vom 9. August 1924. Siehe Abb. 8.

27

Ebd.

14

Italien mit den Worten: „Der Ausfall unserer erhofften Begegnung hatte gleich¬ sam ein Loch in dieses Frühjahr gerissen“28.

Gräfin Maria (Mariette) Theresia Felicitas Hoyos wurde am 20. April 1883 in Wien geboren. Einen Teil ihrer Kindheit verbrachte sie in Paris, wo ihr Vater von 1893-1895 an der Österreichischen Botschaft akkreditiert war.29 Ihre Eltern wa¬ ren Ladislaus Maria Graf Hoyos Freiherr zu Stichsenstein (Mauer bei Wien 1834 bis 1901 Wien), k.k. Kämmerer, Geheimer Rat und Botschafter, und Franziska Seraphika Gräfin zu Herberstein (Salzburg 1850 bis 1920 Pörtschach am Wör¬ thersee), Obersthofmeisterin der Erzherzogin Maria Annunziata, k.k. Palastda¬ me und Sternkreuzordensdame. Aus der 1875 in Wien geschlossenen Ehe gingen sechs Kinder hervor. Mariette hatte drei ältere Brüder und zwei jüngere Schwes¬ tern. Die Familie lebte in Wien und in ihrem Landhaus, der „Villa Hoyos“ in Pörtschach am Wörthersee. In Pörtschach traf man im Sommer zusammen und empfing Freunde. Gräfin Mariette blieb ihrer Familie eng verbunden, auch nach ihrer Heirat am 18. Oktober 1902 mit Alfons Rainer Ludwig Wilhelm Franz Jo¬ seph Maria Graf von Mirbach-Geldern-Egmont (München 3. Juni 1872 bis 20. April 1964 Roggenburg), Besitzer des vormaligen Fideikommiss Roggen¬ burg, Königlich bayerischer Kammerherr und Kaiserlicher Legationsrat. Von 1902-1906 war er Legationssekretär an der Kaiserlich Deutschen Gesandtschaft in Bern, anschließend Legationsrat in Paris. Gräfin Mariette genoss die Zeit in Paris in vollen Zügen, wie aus Briefen an ihre Mutter hervorgeht. Zur Zeit der Korrespondenz lebte die Familie Mirbach-Geldern-Egmont in München und im Roggenburger Schloss, dem einstigen Amtshaus des Prämonstratenser-Reichsstifts im bayerischen Schwaben (Abb. 23). Gräfin Mariette starb im 85. Lebensjahr am 26. April 1967 im Kreiskrankenhaus Krumbach, nahe bei Roggenburg. Beerbt wurde sie von ihrem Sohn, Lato Graf von MirbachGeldern-Egmont, Legationsrat auf Roggenburg. Als dieser 1980 seinen Neffen Johannes Maria

Leopold

Prinz

zu

Hohenlohe-Jagstberg,

den

Sohn

seiner

Schwester Sissy, adoptierte, gingen die Briefe Rilkes in dessen Besitz über. Leider ist die kleine Korrespondenz Rilkes mit der jüngsten Tochter der Gräfin, Sissy (Therese) Gräfin Geldern-Egmont, nicht aufzufinden. Erstmals erwähnt er das damals siebenjährige Mädchen in seinem Brief vom 19. Februar 1919, mit dem er der Gräfin und ihren vier Kindern als Erziehungshilfe zwei Bil¬ derbücher des Malers Konrad F. E. von Freyhold schickte. Die wohl besonders unbefangene kindliche Botin und beinahe Nachbarin - die Familie wohnte in unmittelbarer Nähe der Ainmillerstraße - begegnete ihm oft, zuletzt kurz vor

28

Ebd.

29

Am 3. Mai 1893 ging sie dort in der Kapelle des päpstlichen Nuntius zur Erstkommunion (Tagebuch 3. Mai 1903).

15

seiner Abreise in die Schweiz auf der Ludwigstraße.30 Rilke schickte seiner „Kor¬ respondentin” Sissy ganz gegen seine Gewohnheit Ansichtskarten aus der Schweiz.31 Im Brief an die Mutter vom 17. März 1924 amüsiert ihn, dass das „schelmisch-fröhliche Herz” den Gedanken hatte, ins Kloster zu gehen.32 Gräfin Sissy heiratete im September 1936 Albrecht Fürst zu Hohenlohe-Jagstberg und zog ins Schloß Haltenbergstetten in Niederstetten.33 Sie blieb eine Verehrerin Rilkes und befürwortete die Beschäftigung mit den Briefen an ihre Mutter. Lei¬ der hat sie die Arbeit nicht mehr aktiv begleiten können.34 Die Briefe zeigen eine herzliche Verbundenheit Rilkes mit der Korrespon¬ dentin. Die Anreden „meine gnädigste Gräfin“ und „verehrte gnädigste Gräfin“ werden bald durch „liebe“ ergänzt und im überschwänglichen Brief aus Soglio vom 13. August 1919 heißt es im Text gar „liebste Gräfin“35. Bei den Briefschlüs¬ sen wird aus der „größten Verehrung“ und dem „mit nachbarlichen Grüßen herzlich verehrend ergebenen Rilke“ rasch „immer Ihr Rilke“ und „ganz von Herzen der Ihre“. In den Briefen aus der Schweiz betont Rilke Dankbarkeit und Freundschaft: „Mit den Grüßen wärmster und dankbarster Freundschaft. Ihr Rilke“ oder „Immer im Schutze Ihrer Freundschaft. Ihr Rilke“ bis zur „tief erge¬ benen Freundschaft“36, und - ganz freundschaftlich - am Schluss des langen Briefs vom 2. Dezember 1921: „Nun sei’s genug, meine verehrte Gräfin - schi¬ cken Sie mich fort!“37 Seine leichten und schweren, ernsthaft mahnenden und über Kunst und Welt reflektierenden Briefe durfte die Gräfin als ganz allein an sie gerichtet auffassen. Sie bildeten ihren persönlichen Schatz, dessen Inhalt sie vor anderen Menschen verbarg. Sie selbst war eine geübte Briefschreiberin. Wie Lesen und Tagebuchschreiben gehörte das Schreiben von Briefen zu den stan¬ desgemäßen Fertigkeiten. Als sie ihr Tagebuch mit der Geburt ihrer ersten Tochter beendete, wurden ihr als Mutter Briefe umso wichtiger. Dabei veränder¬ te sich zusehends ihre anerzogene Sacre-Coeur-Schrift38. Aus ihrem Lebenslauf 30

Siehe Brief 18 vom 10. Juni 1919: „... ein Brief ist je mehr einer, von je weiter er kommt, so

31

Vgl. Brief 20 vom 3. August 1919 aus Soglio.

32

Brief 40.

freu ich mich darauf, die kleine Correspondenz mit ihr von der Schweiz aus fortzusetzen.“

33

Die Hochzeit in der Münchner Hofkirche fand mit Artikeln und Fotografien in der Ge¬ sellschaftspresse Beachtung.

34

Sie starb am 25. April 2000 in Bad Mergentheim. Ihren Söhnen, Fürst Alexander und Prinz Johannes und seiner Gemahlin, Prinzessin Andrea, danke ich für ihre Bereitschaft, mit Er¬ innerungen an ihre Mutter und an ihre Großmutter Zeit und Tragweite der Korrespondenz zu erhellen und die Gestalt der Briefempfängerin lebendig werden zu lassen.

35

Brief 21.

36

Briefe 21, 27 und 34.

37

Brief 36.

38

Schrift, die in den Schulen der Sacre-Cceur-Schwestern verlangt wurde; charakteristisch ist „eine straffe Girlande, die manchmal in Winkelform übergeht und häufig eine Art .gestürz¬ ter Nebenrichtung’ zeigt“ (Mendelssohn, Anja und Georg: Der Mensch in der Hand¬ schrift. Mit zahlreichen Schriftproben. Leipzig 1928, S. 50-55, zitiert in: Ernst Zinn: Beo¬ bachtungen zu Rilkes Handschrift, in: Korrespondenzen, FS für für Joachim W. Storck,

16

lässt sich ermessen, dass ihr das Briefgespräch mit Rilke lebensnotwendig war. Vermutlich öffnete sie sich in diesem Maße nur in den Briefen an ihn, der bereit war, sie anzuhören. Nach dem Ersten Weltkrieg, aus dem Graf Alfons mit einem nervösen Leiden zu seiner Frau und den vier Kindern - die älteste Tochter Elisa¬ beth eben fünfzehn Jahre alt - zurückkam, als ihre Mutter erkrankte und im Sommer 1920 starb, begann für sie eine Zeit des Existenzkampfes, auf den sie durch ihre Erziehung nicht vorbereitet war. Die eigene Familie und die ihres Mannes gaben Ratschläge, Entscheidungen traf sie allein, nicht nur in finanzieller Hinsicht, sondern auch was die erfolgreiche Behandlung ihres Mannes sowie Schulen und Auslandsaufenthalte der Kinder betraf.39 Mit wem außer mit Rilke sprach sie so offen über die Krise ihrer Tochter40, von wem konnte sie solch fun¬ dierten Rat und Trost erwarten? „Aus Ihren Zeilen hatte ich wieder die Überzeugung von Ihrem Muth, mit dem Sie die Verhältnisse beherrschen, und wenn Sie sagen, daß es Ihnen gelänge, sich gelegentlich bei Kunst und Büchern über das ,Elend des Le¬ bens' zu .täuschen', — so fühle ich, es gelingt Ihnen bedeutend mehr! Sie wissen, unbeirrt, die Kleinlichkeiten und Verworrenheiten des Täglichen einzuordnen in größere Zusammenhänge und diese, für Stunden, für Abende (und im Innersten ganz und gar) zu den gültigen zu machen! Mehr läßt sich nicht leisten, nichtwahr? Und diese Leistung, ehrlich und echt vollzogen, gehört, zum Glück, zu denen, die nicht zehren, nicht Kraft verbrauchen, sondern Kraft sammeln, von einer Anwendung zur ande¬ ren.“41 Gräfin Mariette hat sich ihrer Freundschaft mit Rilke nicht gerühmt, sie hat sie gebraucht. Rilkes Anteil an ihrer Entwicklung hin zu persönlicher Unabhängig¬ keit ist ein wesentlicher, auch wenn er ihr nicht zu Milde und Hingabe verhelfen konnte. Sie blieb im Alltag streng und distanziert mit der anerzogenen Freund¬ lichkeit nach außen. Verständnis und Offenheit sprechen dagegen aus Briefen, die sie Anfang der dreißiger Jahre an den Sohn Lato schrieb. Viele Seiten lang, mit veränderter, fester, fast abstrakter Schrift, erzählt sie von ihren Fahrstunden, dem Auto, das in Roggenburg so notwendig sei, den schlechten Stimmungspha¬ sen ihres Mannes, Graf Alfons, und dem eintönigen, aber nun gesicherten Leben in Roggenburg, das sie durch Reisen auflockerte: zu den Theatern, an denen ihr Sohn Rainer spielte, nach Dresden, um dessen Frau Hilde zur Entbindung nach Roggenburg zu holen42. Von Graf Alfons stammt eine kleine handschriftliche Botschaft auf einem der Briefumschläge Rilkes. Liebevolle Notizen zeugen in

S. 452). Mariette Hoyos besuchte das Wiener Sacre Coeur im ehemaligen Palais Dietrich¬ stein. Vgl. Tagebuchseite, Abb. 28. 39

Nachgelassene Korrespondenz des Sohnes Lato.

40

Brief 33.

41

Brief 39.

42

Brief an Graf Lato vom 8. Februar 1935 (Abb. 29). Gräfin Adelheid wurde am 14. April 1935 in Ulm geboren. Für Hilfe bei der Schriftanalyse danke ich Gisela Haasen.

17

zittriger Schrift von rührender Sorge um die Kinder, die ihm überlassen wurden, als Gräfin Mariette mit ihrer Schwester Felicitas Gräfin Hoyos nach Pörtschach reiste.43

Rilkes Briefe an Gräfin Mariette Mirbach-Geldern-Egmont datieren von De¬ zember 1918 bis August 1924.44 Sie beginnen somit unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg und der Revolution in München. Mehrmals nimmt Rilke in seinen Münchner Briefen an die Gräfin Stellung zum politischen Geschehen.45 Deutlich werden darin seine Sympathie für die Revolutionäre um Eisner und sein Abscheu über den Terror der Weißen Garden. Seine eigene Gefährdung wird greifbar in der Schilderung des Zusammentreffens mit deren Befehlshaber, Ernst von Oven, bei der es sich um ein Verhör Rilkes gehandelt haben muss.46 Die Notzeiten zu Beginn der zwanziger Jahre und den aufkeimenden Nationalsozialismus beob¬ achtete Rilke aus der Schweiz. In seinen Briefen an Gräfin Mariette von dort be¬ stehen politische Äußerungen bis auf den langen Brief vom 2. Dezember 192147 aus Anspielungen auf „die Unsicherheit aller Verhältnisse, trübe Nachrichten aus aller Welt“48 und die „immer mehr verhängnisvollen Verhältnisse in Deutsch¬ land“49, in denen sich seine persönliche Einschränkung durch die politischen Verhältnisse spiegelt.50 Vermutlich war Vorsicht geboten, da die Briefe durch die deutschen Behörden kontrolliert wurden. Sechs der Briefe Rilkes wurden von der Postüberwachung geöffnet und mit einem Aufkleber wieder verschlossen.51 Rilke wohnte von Dezember 1917 bis Juni 1919 ununterbrochen in Mün¬ chen. Es sollte ihm jedoch nicht gelingen, wieder zu dichterischer Arbeit zu fin¬ den, als er nach seiner letzten Reise durch Deutschland von Juli bis Dezember 1917, die ihn nach Berlin und für einige Wochen als Gast Hertha Koenigs auf das westfälische Gut Böckel führte, angekommen war. Den Winter 1917/18 über wohnte er im Hotel „Continental“, bis er in der Ainmillerstraße 34/IV in Schwabing eine eigene Wohnung in enger Nachbarschaft mit Paul Klee (Ainmil¬ lerstraße 32, Rückgebäude) und Karl Wolfskehl (Römerstraße 16) bezog. Hier

43

Brief 30 vom 27. Oktober 1920 aus Paris, Umschlagrückseite (siehe Briefkommentar).

44

Dankbar sei hier auf Ingeborg Schnacks Rilke-Chronik verwiesen, die 1975 erstmals ge¬ druckt wurde und seit 1996 mit Ergänzungen vorliegt. Die Autorin bezog Informationen aus sechs Briefen an die Gräfin. Siehe Kommentare zu Briefen 7, 21, 30, 31, 33, 34.

45

Briefe 12 und 14.

46

Brief 15. Hilfe bei der Kommentierung des Briefs verdanke ich Prof. Hess, Prof. Storck und Tassilo von Winterfeldt.

47

Brief 36. Siehe Kommentar zu diesem Brief.

48

Brief 26 vom 27. Mai 1920 nach Pörtschach.

49

Brief 38 vom 13. September 1923 aus der Kuranstalt Schoeneck bei Beckenried am Vier¬ waldstättersee. Der Brief wurde nicht von den Behörden geöffnet.

50 51

Vgl. Storck: Politisches Bewußtsein bei Rilke, Nachwort zu: Briefe zur Politik, S. 697-725. Briefe 19, 20, 21, 31, 33 und 37. In den mit Schweizer Freunden ausgetauschten Briefen fin¬ den sich mehr politische Äußerungen Rilkes, vgl. Storck, Briefe zur Politik, passim.

18

beginnen die Briefe an Gräfin Mariette Mirbach-Geldern-Egmont am 11. De¬ zember 1918 mit einer Einladung in seine „beinah öffentliche Wohnung“52. Claire Goll war nach einem kurzen leidenschaftlichen Zusammensein mit Rilke eben erst nach Berlin abgereist.53 Schon vorher hatten sich Schriftsteller und Revoluti¬ onäre, darunter Ernst Toller, in dieser Wohnung getroffen54. Es war auch die Zeit, als Rilke mit Elya Maria Nevar befreundet war und mit ihr die Mittwoch¬ abende verbrachte.55 Oskar Maria Graf erinnerte sich 1951 in seiner Rede zum fünfundzwanzigsten Todestag des Dichters:

Rilke ...!‘ Alle Studentinnen und

Kunstgewerblerinnen, die blonden baltischen Baronessen und angealterten, meist sehr reichen Literaturdamen in München von 1917 bis 1920 hauchten die¬ sen Namen jedesmal schwärmerisch aus sich heraus, so, als handle es sich dabei um etwas Kultisches.“56 Graf beobachtete, dass Rilke nicht nur eine erstaunliche Wirkung auf Frauen hatte, „auch die Revolutionäre, die ihn trafen, verwandelten sich in seiner Nähe“57. Frauen suchten die Gegenwart des empfindsamen Dich¬ ters und vertrauten sich ihm in Briefen an. Rilke antwortete mit der „Behutsam¬ keit eines Menschen, der keinem anderen weh tun will“58. Es ist möglich, dass Rilke vor dem Einsetzen seiner Briefe bei der Gräfin zu Gast war. So erinnerte sich die Gräfin Thun-Hohenstein, „dass in ihrer Münch¬ ner Wohnung Rilke in den Jahren des Ersten Weltkriegs gelegentlich aus seinen Gedichten vorlas. Anlässlich einer dieser Lesungen hatte die damals noch unver¬ heiratete Gräfin Gabriella Thurn, später die Ehefrau von Paul Thun-Hohenstein, ihre einzige persönliche Begegnung mit Rilke“59. Zum Kreis, die den Dichter ein¬ luden, gehörten auch die in den Briefen an Gräfin Mariette erwähnte Fürstin Oettingen und die ebenfalls genannten Baroninnen Geyr und Imhof. Obwohl man sich also traf, schrieb Rilke der in nächster Nachbarschaft wohnenden Grä¬ fin achtzehn längere und kürzere Briefe. Die Nähe der Wohnungen machte kurzfristige Einladungen und den Austausch von Lektüre sehr leicht. Radler und die Kinder der Gräfin dienten als Boten, auch für die Blumengeschenke der Grä¬ fin an Rilke. Rilke beklagte in seinen Briefen Münchens „drückende Immobilität“ und seine eigene Verfassung als „Zustand furchtbarer Unterbrechung“ durch die Kriegsjahre.60 Die Dauer des Stillstands macht er visuell und akustisch greifbar

52

„Das Testament“, KA IV, S. 711.

53

BW mit Claire Goll, S. 137.

54

Siehe Kommentare zu den Briefen 14 und 15.

55

Siehe Kommentare zu den Briefen 2-5 und Schnack, Chronik.

56

Oskar Maria Graf: Rilke und die Frauen. In: An manchen Tagen. Reden, Gedanken und

57

Ebd., S. 163. Zur „Unbürgerlichkeit“ Rilkes vgl. Storck, Briefe zur Politik, S. 721-723.

Zeitbetrachtungen (= Werkausgabe Bd. XII), München 1994, S. 156-189, hier S. 156. 58

Ebd., S. 162.

59

Jonas, Rilke und Paul Thun, 1975, Anmerkung zum Brief Rilkes an Paul Thun-Hohenstein vom 5. Juli 1919, S. 88 (Jonas erfuhr dies 1974 mündlich von der Gräfin Thun-Hohenstein, ebd., S. 78).

60

Briefe 13 und 5.

19

durch die graphische Gestaltung von „J-a-h-r-e-n“ im Brief vom 28. März 1919. „Nächstens werd ich mich denn auch wahrscheinlich wiederholen“, ist Rilkes bitteres Fazit. Es wird dadurch gemildert, dass er die Gräfin freundlich dazu be¬ stimmt, über seine zukünftige Produktivität zu wachen.61 Die „gewollte retraite“, der Rückzug in die Arbeit nach strengem „Stunden-Plan“ gelang Rilke nur un¬ vollkommen.62 Er arbeitete in dieser Zeit an Übertragungen aus dem Französi¬ schen und Italienischen, von denen er Gräfin Mariette eine Abschrift des Sonetts „Raub der Proserpina“ von Cassiani zukommen ließ.63 Er fand auch Zeit für eine Teestunde bei ihr und von Lou Andreas-Salome zu berichten, die am 25. März 1919 nach München kam. Sie blieb bis kurz vor Rilkes Ausreise in die Schweiz am 11. Juni 1919.64 Der letzte Brief Rilkes aus Deutschland ist vermutlich der an Gräfin Mariette vom Abend vorher. Der Palazzo Salis in Soglio war Rilkes erster wirklicher Ruheort in der Schweiz. Das „Ur-Geräusch“65 entstand dort auf seiner Suche nach dem Wesen der Dinge und den Ursprüngen der Dichtung und etwa gleichzeitig der „Ent¬ wurf einer politischen Rede“, in der er dem Schrecken des Krieges den Schmerz zur emotionalen Aufarbeitung entgegensetzt. „Die Vorläufigkeit, die Eingeschobenheit jener entsetzlichen fünf Jahre möchte Ihnen am dringendsten zum Bewusstsein kommen, wenn ich Ihnen zeige, wie das einzige Wirkliche in ihnen von Anfang an nicht geleistet werden durfte: der Schmerz.“66 Er spricht weiter von „Schmerzsummen, von nie dagewesener Höhe, die [...] unterschlagen wor¬ den sind“. Später wird er in einem Brief an die Gräfin den „Erschütterungen der Zeit“ die Stille nach der „berühmten Sintfluth“ entgegensetzen.67 Und noch nä¬ her am „Arbeitssturm“68 der „Sonette an Orpheus“ und der „Duineser Elegien“ in Muzot erweist sich die bewusste Hineinnahme von Unheil und Leid ins Da¬ sein in dem Satz „Die Welt ist immer vollzählig“69. Zur „Vollzähligkeit“ gehören

61

Die Gräfin nahm diese Aufgabe ernst. Als Rilke zwei Jahre später immer noch klagte, schrieb sie ihm tröstend: „Ihre Arbeit, Ihre Kunst kommt wann sie will“ (Brief 33). Vgl. auch den Brief an Anita Forrer vom 24. Juni 1920, in dem Rilke befürchtet, dass durch sei¬ ne innerliche Unbeweglichkeit „manches bloße Wiederholung bleibt, statt zu neuer Leben¬ digkeit zu führen“ (BW mit Anita Forrer, S. 51).

62

Briefe 5 und 6 und Schnack, Chronik.

63

Brief 8.

64

Brief 13 und Kommentar. Schnack, Chronik.

65

SW VI, S. 1085-1093. Vgl. die Aufsätze in: Brittnacher, Poetik der Krise, 3. Teil: „Im Kreis der Sinne“.

66

SW VI, S. 1093-1095. Wohl als Vorrede zu einer seiner Lesungen gedacht.

67

Brief 36 vom 2. Dezember 1921.

68

Brief an Gräfin Sizzo vom 17. März 1922 in: Briefe 1950/it 867, S. 767. Vgl. Brief an Marie Taxis vom 11. Febr. 1922: „Alles in ein paar Tagen, es war ein namenloser Sturm, ein Or¬ kan im Geist (wie Damals auf Duino), alles, was Faser in mir ist und Geweb, hat gekracht“ (BW mit M. v. T. u. T., S. 698).

69

Brief 37. Den Gedanken des „Gleichgewichts des Vollzähligen“ als Ergebnis der Kunst, der „Leidenschaft zum Ganzen“, schrieb Rilke im „Testament“ (KA IV, S. 715-734) nieder,

20

in diesem Brief Tradition und Gegenwart, aber auch die Schönheit der achtzehn¬ jährigen Tochter der Gräfin und die widrige „Außenwelt“, in der sie „zu den ei¬ genen reinen Fähigkeiten“ finden möge. Es ist anzunehmen, dass Rilke durch die Aufzeichnungen über das Leiden und Sterben der jungen Tänzerin Wera, die er am Neujahrstag 1922 von ihrer Mutter, Frau Ouckama Knoop, erhalten hatte, für diese Problematik besonders empfänglich war. In den „Sonetten an Or¬ pheus“, die vom 2. bis 23. Februar als ein „Grabmal für Wera Knoop“ entstan¬ den, und den „Duineser Elegien“ sind es „alle Antinomien des Daseins, der Ma¬ schinenwelt ebenso wie der Bereiche von FFässlichkeit und Verwesung, der Sphäre der Kunst ebenso wie der Natur“70, denen Rilke nun zustimmt und die er im weitesten, kosmischen Sinne als Einheit begreift. Nach Vollendung der „Sonette“ und „Elegien“ schrieb Rilke erst am 13. September 1923 wieder an Gräfin Mariette und kündigte ihr die Widmungs¬ exemplare der beiden Bücher an. Es folgten noch drei weitere Briefe, von denen der letzte wegen der darin enthaltenen dichterischen Bekenntnisse Rilkes große Beachtung fand.71

In seiner grundlegenden Arbeit „Rainer Maria Rilke als Briefschreiber“ von 1957 hat Joachim W. Storck Rilkes Briefe in sein Leben und sein dichterisches Werk eingeordnet. Die vorangestellten Betrachtungen über das Wesen des Briefes und über Dichterbriefe lassen den Dichter sprechen. „Ein Mittel des Umgangs ... der schönsten und ergiebigsten eines“ ist auch das Motto der jüngsten zweibändigen Briefausgabe von 1991.72 Wie schwer Rilke die alltägliche Beschäftigung mit sei¬ ner Korrespondenz jedoch manchmal ankam, drückte er 1908 in einem Brief aus Paris an Stefan Zweig aus: „[...] sie nimmt immer wieder Kraft von der einzigen Kraft, die ich habe, und ich habs nicht in der Hand, sie in Grenzen zu halten, wenn ich sie nicht völlig und im Ganzen unterdrücke. Wozu ich denn von Zeit zu Zeit notgedrungen meine Zuflucht nehme. Ein Brief zieht den andern nach sich, und oft passierts mir, daß ich mit einem kleinen Billet die Gespenster von dreißig großen Briefschulden herausrufe, die dann nicht ablassen, bis ich ihnen mit dreißig ordentlichen und ausführlichen Briefen ihr ehrliches Begräbnis nachgetragen habe.“73

den Aufzeichnungen aus dem Winter 1921 in Berg (siehe Kommentar zu Brief 33). Vgl. Görner, Dichterlos, S. 490-492. 70

Storck, Ausstellungskatalog 1975, S. 271.

71

Brief 41 vom 9. August 1924.

72

RMR: Briefe in zwei Bänden. Hrsg, von Horst Nalewski. Frankfurt am Main 1991. Erster Band 1896 bis 1919, S. 5. Das Zitat stammt aus dem Brief an Lisa Heise vom 2. August 1919, ebd., Bd. 2, S. 8. Neuerdings in: BW mit einer jungen Frau, S. 10.

73

Brief vom 8. September 1908 in: Briefe 1991, Bd. 1, S. 317.

21

Dass Rilke dies dennoch vieltausendmal tat, liegt nach Storck an der Möglich¬ keit, durch das Briefschreiben „in seinem Grundkonflikt zwischen Kunst und Leben, zwischen schöpferischer Isolierung und sozialer Bindung, dem schmerz¬ haft vernachlässigten Leben und seinen Ansprüchen auf eine wenigstens indirek¬ te Weise Genüge zu tun“74. Rilkes Briefe sind Monolog und Dialog. Wie sehr Rilke auf seine Gesprächspartner einzugehen vermochte, wird in den Briefen an Gräfin Mirbach-Geldern-Egmont auch ohne die Gegenbriefe deutlich. In einer Folge von vier Briefen Rilkes geht es um einen wegen des ständigen Wechsels seiner Aufenthaltsorte zunächst verlorenen Brief der Gräfin: „Wie oft entbehr ich diesen Brief!“ heißt es am 14. Januar 1920 aus Locarno.75 Am selben Tag schrieb Rilke an Nanny Wunderly-Volkart: „Vorgestern, Montag sagt ich mir,

halt!,

nun wird etwas gethan, und stürzte mich in meine

Briefliste, und nun konnte ich nach und nach fünfzehn Namen auf ihr durch¬ streichen, - es wird durchsichtiger um mich. Gott weiß, wozu ich so viele Bezie¬ hungen unterhalte, manchmal denk ich, es ist ein Ersatz für die Heimath, als ob doch eine Art von fein vertheiltem Irgendwo-sein gegeben sei, mit diesem aus¬ gedehnten Netz von Einflüssen“76. Und drei Tage später, am 17. Januar heißt es: „schreibe Briefe, das ist ja doch wie die Köpfe der Flydra, während man sie ab¬ schlägt, wachsen andere nach; immerhin, als etwas recht Rühmliches liegt die Briefliste vor mir, sieht aus wie ein Noten-Blatt mit vielen Querlinien, gebe der Himmel, daß ich bald vom Blatt weg den Schluß-Gesang anstimmen kann. Ich habs zu arg anwachsen lassen diesmal“77. Um seine Korrespondenz zu organisie¬ ren, führte Rilke Brieflisten. In der Liste für Dezember 1919/Januar 1920, die er als Beilage zum Brief vom 30. Januar 1920 Nanny Wunderly-Volkart schickte, ist aufgeführt: „Gfn. Mirbach rec. (recommandee) 14.1.20“78. Auch auf Schloß Berg machte sich Rilke wieder zunächst an seine angehäufte Post.79 „Entschuldigen Sie die Eile der Schrift, ich ,hole nach', jeden Tag nimmt die Post an die zehn Briefe von mir mit. Nicht alle von diesem Ausmaaß allerdings“80. Im Brief an

74

Storck, Briefschreiber, S. 30.

75

Brief 24.

76

Briefe an N. W.-V., S. 105.

77

Ebd., S. 111.

78

Ebd., S. 1176. Der angegebene Brief an Gräfin Mirbach-G.-E. gehört zu den bisher nicht veröffentlichten.

79

Vgl. Fuerst, Rilke in seiner Zeit, S. 129: „Die Korrespondenz war Rilke zum Pflichtfach geworden, zum lieben Pflichtfach; er schuldete sich seinen Zeitgenossen und er schuldete sich gern. Seine Briefe sind ja immer Antwortbriefe, oft Hilfebriefe, sie versuchen, wohlzu¬ tun. Sie versuchen, die Bedürfnisse der Empfängerin zu sublimieren in Selbstverständnis und innere Fruchtbarkeit. Sie sind so gut den Adressaten zugewendet, dass sie die humans¬ te Seite seiner angewandten Kunst darstellen.“

80

Brief 31 vom 25. November 1920 hat acht Seiten. Sie sind im Vergleich zu den Briefen aus München und Muzot sehr engzeilig beschrieben. Rilke überschreibt, streicht und fügt ein und versucht immer noch ein Wort mehr in die Zeilen zu bringen.

22

Merline (Baladine Klossowska) spricht er von 115 Briefen als „Vor-Arbeiten“ zu seinem Werk und von den Vielen, die sich um Hilfe und Rat an ihn wenden.81 Ein Beispiel ist Rilkes zwölfseitiger Brief vom 10. März 1921, der auf einen Brief der Gräfin vom Januar 1921 anwortet, in dem sie ihm von der Pubertätskri¬ se und Behandlung ihrer Tochter Elisabeth berichtete.82 Ein „Schwerstes“ nennt er die Sorgen der Gräfin und hat sie doch schon mit der Vorwegnahme seiner ei¬ genen Anfechtungen relativiert.83 Als konkreten Rat zur Behandlung der Toch¬ ter bringt Rilke seine Erfahrungen mit der Psychoanalyse und das erstaunliche Verhalten der jungen Lou Andreas-Salome ein, bevor er der Gräfin die Möglich¬ keit eines Kontakts mit der Psychoanalytikerin eröffnet. Wieder war es dazu ein Buchgeschenk, hier die „Forces Eternelles“ Anna de Noailles, mit dem er, wie vorher in München mit den Freyholdschen Bilderbüchern, erfreuen und helfen wollte.84 Es ist Teil seiner „Therapie“, Zusammenhänge mit eigenem Erleben und Empfinden herzustellen, um zu trösten, den Briefpartner Distanz gewinnen zu lassen oder sein Erlebnis zu überhöhen.85 Begeistert heißt es in der Nachschrift des Briefs vom 17. Februar 1920, der auf ein „Gedräng unguter Nachrichten“ der Gräfin antwortet: „Wie reizend ist die Verkleidungsgeschichte —, und daß sie ge¬ lang, herrlich, daß sie gelang! Noch neulich, über einer Stelle bei Goethe, dachte ich, ob ähnliches heute noch möglich sei. Es ist also möglich, und das scheint mir irgendwie tröstlich, inmitten einer Zeit, die nicht mehr spielt und zaubert“86. Die Briefe an Gräfin Mirbach-Geldern-Egmont sind auch Belege für die au¬ ßerordentliche Diskretion Rilkes. Nur seine Vertraute, Frau Wunderly-Volkart, ließ er Anteil nehmen an ihm brieflich vorgetragenen privaten Schicksalen, etwa dem Anita Forrers. Er zeigte ihr deren Briefe und plante eine Begegnung zwi¬ schen ihnen. Die Gleichartigkeit der Entwicklungsstörungen Elisabeth Gelderns und Anita Forrers87, beide Mädchen „in den Jahren des Übergangs“88, war nur ihm bekannt, und dass diese gleichzeitig an ihn herangetragen wurden, bedeutungsvoll. Am 10. März 1921 schrieb Rilke sowohl an Anita Forrer als auch an Gräfin Mariette. Anita Forrer war dem Arzt davongelaufen, die Gräfin warnt er vor gewissen Analysepraktiken.89 Mit einem Gleichnis aus seiner Kind81 82 83 84 85

86 87 88 89

RMR et Merline, Correspondance 1920-1926, Brief vom 16. Dezember 1920, S. 123-134, hier S. 126, vgl. Briefe 1950/it 867, Bd. 2, Brief 325 „ä une amie“, S. 684. Siehe Stellenkommentar des Briefes 33. Ebd. Siehe Brief 7 vom 19. Februar 1919 und Brief 8 vom 21. Februar 1919. Siehe auch Brief 39 vom 31. Januar 1924, in dem Rilke wie staunend über seine Krankheit spricht. Voraus ging die dichterische Rühmung des Daseins, dem Feid und Schmerz zuge¬ hörig sind, in den Sonetten und Elegien. Brief 25. BW mit Anita Forrer. Er begann am 2. Januar 1920 mit einem Brief Anita Forrers. Rilkes letzter Brief an sie datiert vom 1. Februar 1922. Ebd. Brief Rilkes vom 2. Februar 1920, S. 25. Brief 33, siehe Kommentar. Flierher gehört auch noch eine Bemerkung Rilkes im Brief vom 12. September 1919 an Frau Ouckama Knoop (GB IV, Brief 109): „Seltsam übrigens: Die

23

heit weist er sie wenig später auf neue Erkenntnisse über die kindliche Seele hin, die sie sich hätte aneignen können.90 In ihrer Rede zum sechzigsten Geburtstag 1944 sprach die Dichterin Regina Ullmann über die „wunderbar dienende Freundschaft“ Rilkes: „Darum war Rilke auch bemüht, jene, an deren Wachstum er glaubte, in allem, gar allem zu verste¬ hen, doch nicht kritiklos“91. Es fällt in dieser Dankesrede eine Äußerung über den Briefschreiber Rilke, die aufhorchen lässt, wenn man nach dem Stellenwert der Briefe an die Gräfin fragt: „Zuweilen war seine im allgemeinen überaus freundliche Haltung durch die Arbeit bestimmt [...] Derjenige, der zwischen den Zeilen zu lesen vermag, wird dies aus den Briefen des Dichters herausgefühlt ha¬ ben. Zwar möchte ich nicht behaupten, dass diese Art, nämlich die um der Wah¬ rung seiner Ruhe willen geschriebenen Briefe, in der Mehrzahl gewesen seien; doch sind auch sie, wie es von Rilke nicht anders zu erwarten ist, nicht an der Oberfläche geblieben, sondern voller Anteilnahme und ganz von seinem Mitge¬ fühl bestimmt“92. Teilnehmen also, wie es Malte tat, um sich vor der Teilnahme und Besitznahme anderer zu schützen. Folgt man Storcks Charakteristik der Briefe Rainer Maria Rilkes, so dürfen einige der Briefe an Gräfin Mirbach-Geldern-Egmont zu den sogenannten Be¬ kenntnisbriefen gezählt werden. Nicht nur der letzte, auch von ihm angeführte Brief Rilkes an die Gräfin ist dies über ganze Passagen hinweg.93 Besondere Be¬ achtung fand in der Literatur der den Aufzeichnungen des „Testaments“94 nahe Brief vom 10. März 1921 aus Berg, in dem Rilke beklagt, dass er, obwohl die „Arbeit da war“, dem Leben, der Liebe, den Vorzug gab. Er endet fragend: „So lernt man, ach wie langsam, das Leben geht über lauter „Anfangsgründen“ hin wofür kann man’s dann am Ende ein klein wenig?“95 Auf dem Wege von der schmerzhaften Erkenntnis, der dichterischen Berufung verpflichtet, dem Leben eine Absage erteilen zu müssen, bis zur restlosen Annahme dieser Form der Le¬ bensbewältigung durch ihre „Ver-Dichtung“ liegt sein langer Brief aus Muzot Psychoanalyse nimmt hier (wenigstens in Zürich) die eindringlichsten Formen an: fast alle diese ohnehin sauberen und eckigen jungen Leute werden analysiert -, nun denken Sie sich das aus: so ein sterilisierter Schweizer, in dem alle Winkel ausgekehrt und gescheuert sind -, was für ein Innenleben kann in seinem Gemüt stattfinden, das wie ein OperationsZimmer keimfrei und schattenlos beleuchtet ist!“ 90

Brief 36 vom 2. Dezember 1921, S. 10 des sechzehnseitigen Brieforiginals.

91

Regina Ullmann: Erinnerungen an Rilke. St. Gallen 1945, S. 26.

92

Ebd., S. 27f.

93

Siehe Kommentar zu Brief 41. Storck, Briefschreiber, S. 24.

94

KAIV, S. 710-734.

95

Brief 33. Zum „Lebens-Anfänger“ Rilke vgl. Brief an Lou Andreas-Salome vom letzten Juni 1903 in: BW mit Lou A.-S., S. 57. Vgl. auch Brief 34 an Gräfin Mirbach-G.-E.: „Es ist das Verhängnis der mir immer wieder vergönnten, oft so märchenhaften Gastfreundschaften, daß sie den terme eines Ablaufs in sich tragen und daß ich sie (langsam wie ich innerlichst bin und es, scheints, noch immer mehr werde: ich brauche ein biblisches Alter, um nur ei¬ nigermaßen unfragmentarisch auszuwachsen!) fast jedesmal in dem Augenblick verlassen und aufgeben muß, da ich anfangen könnte, sie mir ganz fruchtbar zu machen.“

24

vom 2. Dezember 1921, zwei Monate vor der Niederschrift der Sonette und Ele¬ gien, in dem es heißt: „aber mir wird immer deutlicher, wie ich, wahrhaftig, zwischen Umgang und Arbeit mich zu entscheiden habe, als ob ich thatsächlich nur noch Ei¬ nes zu geben hätte, das entweder unmittelbar an den Nächsten sich mittheilt, oder aber im Tresor der künstlerischen Gestaltung dauernder und gewissermaßen zu allgemeinerem Gebrauch aufbewahrt bleibt [...] als ob nur noch ein Einziges in mir wäre, das entweder so oder so, nach ent¬ schlossener Entscheidung, mitzutheilen bliebe, das sich aber nicht auf zweierlei Arten weitergeben läßt [..,]“.96 Zu Rilkes wichtigsten Briefen zur Ästhetik zählt der im Wesentlichen in der kommentierten Werkausgabe abgedruckte letzte Brief an Gräfin Mariette97, in dem er nach allem vorangehenden Ringen um Gestaltung nun Endgültiges über das Wesen der Poesie sagt. Das autonome Kunstwerk setzt Rilke hier gleich mit den Sternen in den Sternbildern des Firmaments, die in unfassbaren, aber uner¬ schütterlichen Konstellationen aufeinander bezogen sind. Durch ihr Strahlen treten sie in Bezug zu den Menschen, durch seine Wirkkraft tritt das dichteri¬ sche Kunstwerk an die Stelle der „Zeichen jener Erschütterungen, die die Ord¬ nungen zerstört haben, in denen wir aufgewachsen sind“98. Weit über das Zeitge¬ schichtliche hinaus vermag das Kunstwerk solches, weil es wie ein Stern „Verdichtung“ und damit „Essenz“ ist: „Aber es läßt sich ja kaum sagen, bis zu welchem Grade ein Mensch in eine künstlerische Verdichtung von der Konzent¬ ration jener Elegien und einzelner Sonette sich überzuführen vermag; oft ist es seltsam für die Lage des Hervorbringenden, an den dünneren Tagen des Lebens, (den vielen!) solche Essenz des eigenen Daseins, in ihrem unbeschreiblichen Überwiegen, neben sich zu fühlen.“99 Die Dichtungen stehen, „abgelöst“ und „ohne Rückbeziehung auf ihren Schöpfer“, mit ihrer „absichtlosen Ausstrah¬ lung“ im Raum.100 Rilke stellt hier die Frage nach dem Kairos, dem Ursprung der Kunst, nach den „Ausgangspunkten“, die „verborgen sind, wie Wurzelwerk“101. Vor der Niederschrift der „Elegien“ hatte Rilke Lou Andreas-Salome gegenüber geäußert: „Offenbar wird jenes Ordnende, das unter den Kräften des Künstleri¬ schen die unaufhaltsamste ist, durch zwei innere Lagen am dringendsten aufge¬ rufen; durch das Bewußtsein des Überflusses und durch den völligen Einsturz in

96

Brief 3. Vgl. Storck, Briefschreiber, S. 24-26.

97

Siehe Kommentar zu Brief 41.

98

Ebd.

99

Ebd.

100 Storck, Briefschreiber, S. 379-381 zur „Frage der Wirkung“. Im Mittelpunkt steht der Brief an Gräfin Mirbach-G.-E. vom 9. August 1924 (Brief 41). 101 Brief 41. Das Thema behandelt Sandra Kluwe ausführlich und mit Belegen aus den Briefen Rilkes an Gräfin Mirbach-G.-E. in ihrer Dissertation „Krisis und Kairos“.

25

einem Menschen: als welcher ja auch wieder einen Überfluß ergiebt“ [sic]102. Sei¬ ne Überlegung floss in die Neunte Elegie ein: „Siehe, ich lebe. Woraus? Weder Kindheit noch Zukunft / werden weniger. Überzähliges Dasein / entspringt mir im Herzen“ 103. Intensität und Überfluss nennt Rilke als Wurzeln seiner Kunst. Als „Voraussetzung“ bezeichnete er die Offenheit dem Leben gegen¬ über104. Die Briefe waren als selbständige Kunstwerke „eine Seite jener Inner¬ lichkeit, die Rilke anstrebte“105: Auch wenn es unnötig war, ein solch riesiges Gewebe von Verbindungen aufrechtzuerhalten, so war es doch „für ,die Sache“, für das was meine Arbeit ist“ wichtig - „schließlich schwingt doch in allen Brie¬ fen eine Spur ihrer Intensität und theilt sich mit“106. Rilkes Briefe an die Gräfin enthalten einige Briefpassagen in Französisch und schließlich als Weihnachtsgabe das von Rilke „in einem Zuge französisch gedachte“ Vorwort zum Katzenbuch „Mitsou“ von Balthus Klossowski107. Durch beider Parisaufenthalte und die französische Sprache, die sie beherrschten, war viel Gemeinsamkeit geschaffen. Gräfin Mariettes in Roggenburg hinterlassener Bücherschrank zeigt, dass sie der französischen Literatur treu blieb und Proust, Mauriac und Cocteau las. Von Rilke besaß Gräfin Mariette außer Brief- und Werkausgaben auch die bis 1956 (Schnack, Leben und Werk im Bild) erschiene¬ nen Biographien. Schriftstellerisch betätigten sich ihr Mann, Graf Alfons, mit Übersetzungen aus dem Französischen und ihr Sohn, Graf Lato, u.a. mit Ge¬ dichten unter dem Pseudonym Viktor Wenenden108.

Rilke kam nie nach Roggenburg, so sehr die Gräfin auch lockte, aber es ist als beinahe arkadischer Ort in seinen Briefen präsent. Im April 1919 schreibt er: „Wie schön, daß Sie nun nach Roggenburg fahren, nach diesem großen Schnee muß ja das unmittelbarste Frühjahr einsetzen: ich wünsche von ganzem Herzen, daß Sie die Stille draußen und in ihr jede kleine Freude und Zukunft der Natur athmend empfänden“109. Und im Brief vom 13. August desselben Jahres aus Soglio heißt es: „Ich habe, da Sie sich auf sie beriefen, die roggenburger Stille ei¬ nen Augenblick gehört und in ihr begriffen, wie gut ich es dort und bei Ihnen

102 Brief vom 10. September 1921 in: BW mit Lou A.-S., S. 430f. Anlass war das Erscheinen des Buchs von Walter Morgenthaler: Ein Geisteskranker als Künstler. Bern und Leipzig 1921. Zur Antwort Lous vgl. Freedmann/Ebneter 2, S. 367. 103 SW I, S. 720. 104 Brief 6 vom 8. Februar 1919: „nur aus jenen großen, offenen arglosen Voraussetzungen heraus kann ich weiter“ und später im Brief vom 10. März 1921 (Brief 33): „ganz offen und zusagend sein“. 105 Prater, S. 677. 106 Brief an Nanny Wunderly-Volkart vom 14. Januar 1920 (Briefe an N. W.-V., S. 105f.) 107 Anlage zum Brief 32 vom 20. Dezember 1920. 108 Dieses Pseudonym teilte mir der Neffe Graf Latos, Graf Johannes Mirbach-GeldernEgmont Prinz zu Hohenlohe-Jagstberg, mit. 109 Brief 14 vom 12. April 1919.

26

Allen gehabt haben würde. Dies stell ich mir wirklich und fühlbar vor, nicht im Verstände, sondern irgendwo in der Sehweite des Herzens, - und es ist ein rech¬ tes Gedräng und eine Vergeudung des Lebens an mich, daß nun für einen Som¬ mer mir dieses geboten wird und jenes, die Schweiz und Roggenburg.“110 Die Möglichkeit, im Gartenhaus des Roggenburger Anwesens zu wohnen und zu ar¬ beiten, das 1906 zu Mariettes Einzug im Stil der Badehäuser am Wörthersee er¬ richtet worden war, hatte Rilke ins Auge gefasst: „Roggenburg bleibt ein großes Ziel für mich, eines der wenigen, die ich deutlich und dankbar vor mir sehe“* 111. Und noch am 14. Januar 1922 schrieb er aus Muzot: „Wenn ich je, im späteren Frühling 1922 oder auf den Sommer zu, die schweizer Grenze überschreite, muß ich versichern, daß ich dann nicht daran vorüberfahre?!“ Ähnlich hingezogen fühlte er sich zeitweise zur gemeinsamen Heimat Kärnten: „Ob ich einmal diese kärtner Heimath sehen werde und ob ich mich in ihr erkennen und finden wür¬ de? [...] Da hats eine eigene Süßigkeit und Tröstung für mich, daß Sie dieses Land unserer fernsten Herkunft „unbeschreiblich wunderbar“ nennen, als sollte es mir damit nochmal versprochen sein.“112 Wenn zutrifft, was Andre Gide beo¬ bachtete, dass Rilke „mit seinem Körper niemals ganz zugegen gewesen“113 sei, so ist es nicht wichtig, dass er nicht in persona in Roggenburg war. Es war der Brief-Raum, in dem er wirklich nah war. Der Briefwechsel riss mit dem Einzug Rilkes in Muzot nicht ab. Es folgten sieben weitere Briefe. Den störungsfreien Schreibort hätte ihm die Gräfin wohl nicht bieten können. Von der Arbeitsatmosphäre, die er sich wünscht, spricht Rilke häufig. Er schreibt das Wort „Athmosphäre“114. Ist ihm bewusst, dass er es durch das „th“ etymologisch „Athem“ und „athmen“ gleichsetzt? „Der Geruch alter Schränke athmet sich so familial ein“ schrieb er aus Soglio, wo er umgeben von alten Möbeln zwischen Büchern des 16.-18. Jahrhunderts in der Salisschen Bibliothek die rechte Schreibatmosphäre fand. Sie ist für ihn so existentiell wie das Atmen, in dem sich die Räume austauschen.115 Außer „Einsamkeit, Ruhe und Ungeselligkeit [...] (drei Dinge, die mir nach soviel redlich geleisteter Ausgabe noth thun - )“116 sollen ihn „alte Dinge“ umgeben: „[...] nur keine Menschen, [...] -, ach ein halbes Jahr einmal kein Gesicht haben müssen und keine Worte, als die in die Arbeit eingehen [,..]“117. Rilke spielt hier nicht nur die Dinge gegen

110 Brief 21 aus Soglio nach Roggenburg. 111 Brief 22. 112 Brief 26. 113 BW mit Andre Gide, S. 190. 114 Kluge: Lufthülle der Erde (aus gr. atmos = Dunst und sphaTra = Kugel. Die übertragene Bedeutung .Umgebung, Stimmung' findet sich ab dem 18. Jahrhundert. 115 Vgl. das erste Sonett des zweiten Teils der „Sonette an Orpheus“: „Atmen, du unsichtbares Gedicht / immerfort um das eigne Sein / rein eingetauschter Weltraum“ (SW I, S. 761). 116 Brief 23. 117 Brief 24. „Anita Forrer hat diese Eigenart Rilkes einmal zu dem rührend-bedenklichen Wunsch veranlaßt. ,Ich möchte, ich wäre ein Ding. Ein Ding, das von Ihnen betrachtet und

27

die Menschen aus, er ruft aus tiefer Schaffensnot nach Einsamkeit als Bedingung für seine dichterische Aufgabe. Bei dem Wort „Gesicht“ ist Rilke sich sehr wohl dessen doppelten Bedeutung, nämlich Anblick und Gesehenes, bewusst. Es ge¬ hört zu den Eigentümlichkeiten seiner Sprache, den alten Sinn eines Wortes mit einzubeziehen „Vor den gebendsten Dingen“, den Schätzen des Berner Muse¬ ums, hatte er, noch tief in der Krise befindlich, das Versagen seiner Wahrneh¬ mungskraft festgestellen müssen. Er beklagt es im Schweizer Brief vom 26. Juni 1919 an die Gräfin. In Paris hatten ihm einst Kunstwerke durch absichtsloses Schauen seine sachlichen „Neuen Gedichte“118 eingegeben. Die Rettung der Din¬ ge in eine neue Sprache ohne begriffliche Benennungen war ihm dadurch gelun¬ gen119. Wo könnte er sich solche Inspiration wieder erhoffen? Die Schweiz war ihm noch fremd, ihre Landschaft von zu vielen Menschen verstellt. Noch war er angewiesen auf sie, brauchte Zuhörer bei seiner Vortragsreise, die ihm seinen Aufenthalt sicherte und zum Lebensunterhalt beitrug. Einige von ihnen besaßen stilvolle Häuser mit schönen alten Dingen, die ihm für kurze Zeit Wohnung bo¬ ten wie das Gut Schönenberg bei Basel120. Die Spur der Landhäuser und der „alten Dinge“ lässt sich schon früh auf¬ nehmen, verstärkt sich aber in Rilkes durch den Ersten Weltkrieg verursachten Schaffenskrise und tritt besonders im Briefwerk zutage. An Ellen Key schrieb Rilke am 9. Mai 1904: „Ach, daß ich kein ländliches Elternhaus habe, nirgends auf der Welt eine Stube mit ein paar alten Dingen und einem Fenster, dass in große Bäume sieht“.121 Angesichts alter Grabplatten auf Herrenchiemsee heißt es am 15. Juni 1917 im Brief an Alexander Dietrichstein-Mensdorff: „Wie herrlich und zuverlässig sind doch die Kunst-Dinge noch bis ins 17te und 18te Jahrhun¬ dert hinein: wie wahr und ernst, man weiß: so mußten sie sein.“122 Auf der Suche nach einem Schreibort reiste Rilke im September 1918 nach Ansbach, um einen „stillen Gartenpavillon“123 zu besichtigen, der sich als nicht brauchbar erwies. In einem Brief an Marie von Bunsen verfasste er danach eine beinahe programmati¬ sche Kulturkritik:

empfunden würde. Dies möchte ich' (27.5.21).“ Siehe Engel, RMRs „Duineser Elegien“ und die moderne deutsche Lyrik, S. 145). 118 SW I, S. 481-642. Vgl. hierzu Fülleborn in: KA I, S. 906. Zur sinnlichen Wahrnehmung beim späten Rilke vgl. Pasewalck, Die fünffingrige Hand. 119 Im frühen Gedicht (1897) „Ich fürchte mich so vor der Menschen Wort“ heißt die letzte Strophe: „Ich will immer warnen und wehren: Bleibt fern./ Die Dinge singen hör ich so gern./ Ihr rührt sie an: sie sind starr und stumm./ Ihr bringt mir alle die Dinge um“ (1897, Die Frühen Gedichte, SW I, S. 194f.). Vgl. auch die Sprachskepsis bei Hofmannsthal im sog. Chandosbrief (1902 erstveröffentlicht) in: Hugo von Hofmannsthal: Gesammelte Werke in Einzelausgaben. Prosa II. Hrsg. v. Herbert Steiner. Frankfurt (S. Fischer) 1976, S. 7-20. 120 Brief 26. 121 BW mit Ellen Key, S. 81. 122 Briefe 1991, 1. Bd„ S. 623. 121 Brief vom 24. September 1918 an Anton Kippenberg, zitiert in: Schnack, Chronik, S. 602.

28

„[...] Kaum kann ich vor schönen alten Dingen stehen, ohne zu erschre¬ cken vor ihrer Verlassenheit, wie sie in Verlust geraten sind, noch als Da¬ seiende, mitten unter den umschauenden, umsichtigen Menschen, die ne¬ ben ein Schönes ein Großmüthiges, Sich-Verschwendendes, nicht etwa nun ein Nützliches gesetzt haben, nein: ein schamloses Zeichen ihrer Aus¬ beutung, ihrer Nicht-Wirklichkeit, Nichtigkeit. [...] Ich sehne mich nach Menschen, durch die das Vergangene in seinen großen Linien an uns ange¬ schlossen und auf uns bezogen bleibt [,..].“124 Aus „angestammten“ 125 Häusern waren die adeligen und wohlhabenden bürger¬ lichen Freunde Rilkes. Er bezog darauf deren „Weitläufigkeit, die doch, so weit sie sich verbreiten mochte, im eigenen Erdreich nahrhaft befestigt war“126. Die Familie Reinhart wird ihm schließlich den alten, trutzigen Wohnturm Muzot kaufen, in dem er sein Hauptwerk vollenden kann. Verlaine, den Rilke im Brief vom 2. Dezember 1921 an die Gräfin als Zeugen für schöpferische Einsamkeit benennt, preisen die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge als einen, „der ein stilles Haus hat im Gebirge [...] ein glücklicher Dichter, der von seinem Fenster erzählt und von den Glastüren seines Bücherschrankes, die eine liebe einsame Weite - spiegeln“127. Von der Wirklichkeit, die er Dingen, Häusern und Städten mit Geschichte zumaß128, versprach sich Rilke Heilung seiner „Unterbrochenheit“, über die er in den Briefe an die Gräfin immer wieder klagt. Rilkes Traditionalismus, seine Neigung zu schön gestalteten Dingen, die aus der Blütezeit des Handwerks stammten, entsprach dem ästhetisch begründeten Individualismus der Zeit um 1900. Auch Hofmannsthal beklagte den Verlust an Wirklichkeit bei maschinell und aus Profit massenhaft erzeugten Produkten und versuchte wie Rilke, ihn durch poetische Vermittlung wettzumachen. Rilke hoffte auf Venedig. Bei früheren Besuchen hatte er selbst Bücher, Möbel und Kunstgewerbe zur Einrichtung der Wohnung der Fürstin Taxis im Mezzaningeschoss des Palazzo Valmarana ausgewählt. Der Gräfin schrieb er: „Es war wie ein Traum, diese vergessenen Dinge wieder zu berühren, ich merkte erst, wie groß mein innerer Verzicht im Allgemeinen gewesen war, ich hatte in mir

124 Brief vom 22. September 1918 in: Briefe 1951/it 867, S. 556f. Vgl. hierzu die Siebente Ele¬ gie, Vers 50-57. Kulturpessimismus und Technikkritik der Zeit finden sich auch in der Li¬ teratur von George, Hofmannsthal u.a. Rilke preist auch nach den dem Leben zustimmen¬ den Elegien noch die „Weltordnung“ des 18. Jahrhunderts. Siehe Brief an Aurelia GallaratiScotti vom 17. Januar 1926 in: Lettres Milanaises, hrsg. von Renee Lang. Paris 1956, S. 86. 125 Briefe 23 und 35. 126 Brief an Elisabeth von Schmidt-Pauli vom 14. August 1919, zitiert in: Michaela Bertolini: Dissonanzen in Orpheus’ Gesang. Untersuchungen zur Polemik im Prosawerk Rainer Ma¬ ria Rilkes (= Saarbrücker Beiträge zur Literaturwissenschaft, hrsg. von Karl Richter u.a., 48). St. Ingbert 1995, S. 143. 127 Malte, 16. Aufzeichnung, S. 38. 128 Später wird er im Brief an Aurelia Gallarati-Scotti vom 17. Januar 1926 schreiben: „Au moyen äge et jusqu'au XVIII' siede le monde etait un monde singulierement reel [...]“ (Storck, Briefe zur Politik, S. 466. Lettres Milanaises, hrsg. von Renee Lang. Paris 1956, S. 86).

29

eine Gebärde des Aufgebens zurückzunehmen, zu widerrufen, um diese Dinge wieder wahrzuhaben“129. Das Erwachen aus diesem Traum, der einer Trance äh¬ nelte, hin zu neuer Lebendigkeit gelang Rilke jedoch im Sommer 1920 noch nicht. In Venedig empfand er trotz der vertrauten Wohnung lähmenden Still¬ stand, zu dem die Sommerhitze, ja selbst der Streik der Vaporetti, beitrug130. War gerade diese Stimmung geeignet, seine sinnliche Wahrnehmung in einem Maße zu steigern, dass sie unmittelbar in ein Rühmen Venedigs, eines erinnerten und eines in neuer anfechtbarer Schönheit erlebten Venedigs, überging? Besonders der zweite, absichtsvoll „liegengebliebene“ Brief vom 28. Juni 1920 weist auf die zu erwartenden großen Dichtungen hin. Nicht nur in den „hohen Bäumen“, im „Wechselschatten des Weinlaubs“ im „Streifen Zwischen-Welt“, im „Unendli¬ chen“, im „lautlosen Schritt“ und im „nur mit Spiegeln zu Fassenden“ hört man die „Sonette an Orpheus“ klingen. Das Bild des Abschieds weist dazu auf die Vierte und die Achte Elegie hin. In der Vierten Elegie ist die Kulisse des „be¬ kannten Gartens“ - wohl des Garten Edens - „Szenerie des Abschieds“131. Die Achte Elegie endet mit der Zeile: „So leben wir und nehmen immer Abschied“132. Die meisten der nachfolgenden Briefe an Gräfin Mirbach-Geldern-Egmont ste¬ hen im Zusammenhang mit der Erwartung und der Entstehung der Elegien. Fül¬ leborn zitiert Textstellen aus fünf der Briefe in den „Materialien zu den Duineser Elegien“133: aus dem aus Paris vom 27. Oktober 1920, in dem Rilke sein Anheilen an die Arbeit preist, aus dem euphorischen und dem klagenden aus Berg, aus dem langen Dezemberbrief aus Muzot mit der Entscheidung für das Alleinsein und dem letzten selbstdeutenden vom 9. August 1924. Dem „räumlich“ empfundenen „Abschied“ im sommerlichen Venedig steht das „Ankommen“ in seinem „Bewußtsein“ im herbstlichen Paris gegenüber. Sechs Tage Paris genügten Rilke, um nun an die baldige Vollendung der Elegien zu glauben. Vom Weltort Paris zog er am 12. November 1920 in das abgelegene Schloß Berg am Irchel, um sogleich nach Erledigung der wichtigsten Korrespon¬ denz mit der Arbeit zu beginnen. Am 26. November entstand das französische Vorwort zu Balthasar Klossowskis Katzengeschichte „Mitsou“, von dem er Grä¬ fin Mariette zu Weihnachten eine Abschrift schickte. Um den 27. November schrieb er die ersten zehn Gedichte „Aus dem Nachlaß des Grafen C. W.“ „Auf¬ taktgedichte“ zu den Elegien nennt sie Fülleborn13“'. Rilke verbarg sich hinter ei¬ nem imaginierten früheren Bewohners Schloß Bergs, „zu eigener Produktion noch nicht eigentlich fähig und aufgelegt“135. Unmittelbar vorher hatte er Gräfin

129 Brief 27. 130 Brief 28. 131 SW I, S. 697 und Werke II, KW II, S. 211 und 648. 132 SWI, S. 716. 133 Briefe 30, 31, 33, 36, 41 (MDE I: 139, 142, 153, 164, 251). Fülleborn sieht eine breite Ver¬ wurzelung der Duineser Elegien in Rilkes vorletztem und letztem Lebensjahrzehnt. 13“1 Fülleborn, Strukturproblem, S. 121 ff. 135 Brief vom 30. November 1920 an Nanny Wunderly-Volknrt in: Briefe an N. W.-V., S. 349.

30

Mariette sein neues Refugium beschrieben: den Ausblick in den Garten um das Schloß, die Räume und sein „Kaminfeuer (einen rechten französischen Kamin mit allem Zubehör, Spiegel und Pendule)“136. Im Mittelpunkt steht wie in Vene¬ dig die Landschaft, besonders der Park mit dem „spielenden Baum“ der über sich hinaus weisenden Fontäne. Wie in Venedig spiegelt das Wahrgenommene die in¬ nere Verfassung des Dichters. Noch weiß er nicht, wie bald ihm Stille und Ein¬ samkeit und schließlich Berg selbst genommen sein werden und stimmt sich ein auf die Arbeit, die ihm „vor allem am Herzen liegt“137. Es entsteht nach seinem fünfundvierzigsten Geburtstag am 4. Dezember die unvollendete, nicht in die „Duineser Elegien“ aufgenommene „Kindheitselegie“138. In vielen Zeitschriften erscheinen in diesen Wochen Gedichte Rilkes, einige seiner Werke werden neu aufgelegt. Weihnachten verbringt er allein in der geschützten Atmosphäre Bergs. Als er der Gräfin am 10. März 1920 wieder schreibt, hat sich, nachdem „um Neu¬ jahr ungefähr“ die Arbeit „da war“, alles geändert. Sein elegischer Brief ist zwölf Seiten lang. Im alten Konflikt zwischen Kunst und Leben hat er sich dem Leben zugewandt, fühlt sich der Liebe Baladine Klossowskas verpflichtet. Er schreibt, nachdem die Geliebte nach Berlin abgereist ist - nicht die Elegien - sondern die später als „Testament“ veröffentlichten Texte, in denen sich Wörter und Gedan¬ ken des langen Briefes an die Gräfin wiederfinden lassen139. Schon am Palmsonn¬ tag, dem 20. März, weiß Rilke, dass er weiter den Elegienort suchen muss und legt dem Brief an die Gräfin ein Schreiben an Graf Erwein Aretin bei, der zu den Besitzern geeigneter Häuser gehörte. Rilke denkt auch daran, nach Paris oder Spanien zu ziehen140, nach Böhmen oder Kärnten141. Die Bedingungen sind un¬ verändert „ein altes Haus, ländliche Stille und, wenigstens für die Monate leiden¬ schaftlicher Arbeit, die völlige Abwesenheit alles Umgangs“142.

Von Berg zog Rilke nach Etoy am Genfer See und erinnerte sich dort an das Rhonetal und an Sierre, das er im Oktober 1920 mit Baladine besucht hatte. Er ruft sie zurück, um sich mit ihrer Hilfe im Wallis nach einem kleinen Haus um¬ zusehen. Am 1. Juli kommen sie zum ersten Mal nach Muzot, wo Baladine in der Folgezeit bei der Einrichtung „Wunder leisten“ wird, wie Rilke der Gräfin am 2. Dezember 1921 schreibt. Sein Brief vom 20. August enthält eine der farbigsten Beschreibungen Muzots und seiner Umgebung. Mit allen Sinnen nimmt der Dichter sie auf. Im Licht des heißen Sommers mit einer Luft, die zwischen den Dingen „etwas wie einen gesteigerten, beinah fühlenden und oft verklärten

136 Brief 31. 137 Brief 35. 138 SW II, S. 457-461 und KA II, 186f., Kommentar S. 578-580. 139 Siehe Kommentar zu Brief 33. 140 Brief 33. 141 Brief 35. 142 Brief 34.

31

Raum hervorbringt“ sieht er den gehauenen Stein des Turms in „trockenes ge¬ röstetes Gold“ verwandelt, das ihn „glorreich“ macht wie einst alte Gemäuer in der spanischen Landschaft. Er bedauert, dass von den Erscheinungen der Natur die dennoch beigefügte Fotografie nichts erkennen lässt, was man ihr als techni¬ schem Objekt aber „nicht vorwerfen dürfe“.143 Ein halbes Jahr vor Niederschrift der Elegien, sind es nicht mehr die sichtbaren Dinge alter Kulturen, um deren Wirklichkeit er sich bemüht, es haben sich ihm Räume geöffnet, in denen Wider¬ sprüchliches Platz hat. Rilke blieb im alten Wohnturm von Muzot. Sein Hineinbegeben in diese „starke und fast heroische Landschaft“ lässt Rilke die Gräfin miterleben.144 Vom „Erproben“ des „etwas mühsäligen alten manoirs“ spricht er und der Entschlos¬ senheit, sich „eine der größten Landschaften Europas [...] von einem einheimi¬ schen alten Wohnplatz [...] anzueignen“. „Jetzt vergleiche ich längst nicht mehr, - aber ganz aus sich selbst, aus ihrer eigensten Unvergleichlichkeit heraus, ergiebt sie sich nur noch immer großmächtiger und glänzender“, heißt es im nächsten Brief. Sie nimmt ihn auf in „ihren herrlichsten Kanton! Wo sie [...] so gar nicht - Schweiz ist“ 145. Im „stillen Muzot“146 wird Rilkes Bereitschaft zur Arbeit belohnt, die er schon im zu Herzen gehenden Brief vom 14. Januar 1920 aus Locarno spürte: „[...] ich kann hier nicht in den entlegenen Kirchen sein, die verlassen in den Rebhügeln liegen, ohne dass mir die Thränen kommen: einfach aus Glück über die Milde der Stille, die in ihnen anhält - dies, dies, solche Stille, solche innige Stille: ich verspreche nicht ein Heiliger zu werden in ihr, aber mei¬ ne Arbeit würde schon so etwas wie (mindestens): bienheureux ...“147. Im Wallis, das ihm im Februar 1922 in einem unvergleichlichen Arbeitssturm die Vollen¬ dung der Elegien schenkte, setzte Rilke seine Valery-Übersetzungen fort, schrieb 1923 „Sieben Entwürfe aus dem Wallis oder Das kleine Weinjahr“148 und 1924/25 die französischen Gedichtzyklen „Vergers“ und „Les Quatrains Valai-

143 Brief 35. Rilkes Poetik des Sehens steht im Mittelpunkt neuerer Forschung: vgl. Ralph Kühnen: Sehen als Textkultur. Intermediale Beziehungen zwischen Rilke und Cezanne. Bielefeld 1995. - Richard Brittnacher u.a. (Hrsg.): Poetik der Krise. Rilkes „Rettung der Dinge in den Weltinnenraum“. Würzburg 2000. Hier v.a.: Susanne Scharnowski: Rilkes Po¬ etik des Blicks zwischen Einfühlung und Abstraktion. Die Bildbeschreibungen in den Brie¬ fen über Cezanne. S. 250-261. 144 Brief 35. Selbstaussagen Rilkes zum Wallis sind zusammengestellt in: KA, Supplementbd., S. 500-514. 145 Brief 36 vom 2. Dezember 1921. 146 Brief 39. 147

Brief 24. Vgl. zu Rilke und Landschaft: Erwin Damian, Rilkes Gestaltung der Landschaft. In: Zs. für Ästhetik u. allgemeine Kunstwissenschaft 32 (1938), S. 152-167, S. 214-236; Sandford, Landscape; Jutta Wermke: Landschaft als ästhetische Konstruktion zur Über¬ windung der gedeuteten Welt. Ein Interpretationsansatz für Rainer Maria Rilke. In: Jb. des Freien Deutschen Hochstifts 1990, S. 252-307.

148 SW II, S. 145-148.

32

sans“149. An seinem Jungwerden in der neuen Sprache ließ der nun heimisch ge¬ wordene Dichter Gräfin Mariette nicht mehr teilnehmen.150 Vom „Erzählen“ spricht Rilke oft in seinen Briefen an die Gräfin, sich als Dichter zurücknehmend: „Ich wollte Ihnen das alles erzählt haben, wie wir ja gewiß mündlich darauf gekommen wären, gleichviel ob daraus irgendwelche Konsequenzen zu holen sein möchten oder nicht“151. Er weiß: „daß es immer am Zuhörenden liegt, wenn einer gut erzählt“152. Möglichkeiten menschlicher Nähe, Leistung des Dichters, Veränderung der Welt durch Technik und Medien, Chan¬ cen des Natürlichen und kindlich Heilen gehören zur Briefmaterie, die in die „Elegien“ und „Sonette“ einging. J.R. Salis unterscheidet zwischen dem dichteri¬ schen Schaffen Rilkes, das er als „Arbeit“ bezeichnete, und den Beschäftigungen, die ihm „das Gefühl der Annäherung an seinen eigentlichen [...] Werkauftrag gewährten“153. Zu letzteren gehören wesentlich seine Briefe. Meistens berühren sie sich thematisch mit dem Werk und werden durch reiche poetische Bilder selbst zur Dichtung. Die Spannweite der Briefe Rilkes an Gräfin Mariette Mirbach-Geldern-Egmont umfasst Krise und Depression Rilkes, Aufschwung und Neubeginn und den Höhepunkt seines dichterischen Schaffens. Als lebensrele¬ vantes Thema kommt in den Briefen ab 1923 die Erfahrung körperlichen Leidens hinzu. Anfang 1924 wäre es beinahe noch zu einem Besuch der Gräfin in Sierre gekommen, doch Rilke hatte schon begonnen, seine Besucher auszuwählen. Am 9. August 1924 schreibt Rilke seinen Abschiedsbrief an Gräfin Mariette, in dem er den Bogen zurück zum Kennenlernen in München schlägt.

149 Ebd., S. 515-572. 150 „Mein französischer Band: ,Vergers / Suivi des Quatrains Valaisans“, diese leichtere Leyer zur linken Hand, diese späte Nebenjugend auf geborgtem Boden“ (Brief an Katharina Kip¬ penberg vom 9. Juni 1926 in: BW mit Kath. Kippenberg, S. 593). 151 Brief 33 vom 10. März 1921. 152 Brief 13 vom 8. März 1919. 153 Zu Rilkes Lebensgeschichte. Ein biographischer Essay. In: J.R. Salis: Im Laufe der Jahre. Über Geschichte, Politik und Literatur. Zürich 1962, S. 319-377. Zugleich in: Schnack, Le¬ ben und Werk im Bild. 1966 (1956), S. 5-31.

33

II. Rilkes Briefe an Gräfin Mirbach-Geldern-Egmont 1 Zur Transkription der Briefe Es existiert eine maschinenschriftliche Übertragung der Briefe durch Richard Giese, einen Freund der Tochter der Gräfin, Sissy Fürstin zu Hohenlohe, aus den 1980er Jahren.154 Die Veröffentlichung eines Teils der Briefe muss ihm un¬ bekannt gewesen sein. Nach gründlicher Durchsicht empfahl sich wegen zahlrei¬ cher Abweichungen eine vollständige Neuübertragung von den Originalen. Eini¬ ge Auslassungen und sinnverändernde Abweichungen ließen sich auch in den im Briefwerk abgedruckten Briefen feststellen. Das von Anfang an falsch als „angestaunteste“ übertragene Wort „angestammteste“, von Rätus Luck 1994 bezwei¬ felt, konnte bestätigt werden.155 Auf die Korrekturen wird in den Kommentaren zu den einzelnen Briefen hingewiesen. Die Wiedergabe der Briefe Rilkes erfolgt zeichengetreu. Orthographische und grammatikalische Eigenheiten wurden beibehalten. Das gilt im Unterschied zu anderen Veröffentlichungen auch für die Schreibweise „th“, für die Verwen¬ dung von „C“ und „K“ und Getrennt- und Zusammenschreibungen. Zu den Ei¬ genarten gehören auch unterschiedliche Schreibweisen eines Wortes und Großund Kleinschreibungen, wie „am Theilnehmensten“ und „auf das Natürlichste“, aber „münchner Höfe“, „schweizer Berge“. Beibehalten wurde auch Rilkes Gebrauch von Akzent und Apostroph, jedoch wurde bei einem Apostroph über dem fest angehängten Genitiv-s das „s“ durch Apostroph abgetrennt. Nicht im¬ mer klar unterscheidbar sind in Rilkes Handschrift das große und kleine „G“, insbesondere bei der Anrede „gnädigste Gräfin“. In den Übertragungen wurde „gnädigste“ einheitlich klein geschrieben. Von Rilke zur Hervorhebung unterstrichene Wörter wurden auch in den Übertragungen unterstrichen. Sie sind in der Erstauflage der Briefe gesperrt, in denen von 1950-1987 und 1991 kursiv gedruckt. In die Briefe eingeflochtene französische Ausdrücke und Passagen wurden übersetzt und finden sich in den Kommentaren. Für die Worterklärungen (z.B. praticien, Brief 7) wurde ein Larousse von 1896 benutzt.

154 Richard Giese (1920-1988) war Publizist, Redakteur beim deutschen Fernsehen und Über¬ setzer aus dem Englischen und Französischen. 155 Brief 23 vom 1. Dezember 1919. Luck, Briefe an Schweizer Freunde, S. 282 u. 312.

35

2 Zur Datierung der Münchner Briefe Die Münchner Briefe Rilkes erreichten Gräfin Mariette meist per Boten, nur die nach Roggenburg gesandten Briefe 5, 9 und 15 wurden frankiert und gestempelt. Briefe 2, 4, 7-12, 14 und 16 und 17 sind nur mit Wochentagen datiert. Die bei¬ den Billetts tragen weder Wochentag noch Datum. Sie wurden über ihren Inhalt in den Kontext der Briefe eingereiht. Es gelang so, einen schlüssigen Gesamtzu¬ sammenhang herzustellen und die Briefe fast immer genau zu datieren. Gedruckt wurde von den Münchner Briefen nur Brief 7, von Rilke mit „Mittwoch“ be¬ zeichnet. Für diesen im Briefwerk mit „Februar 1919“ oder „nach Mitte Februar 1919“ datierten Brief konnte als präzises Datum der 19. Februar 1919 ermittelt werden, da sich dieser Tag jeweils auf dem Vorsatzblatt der dem Brief beigefüg¬ ten Bilderbücher von Rilkes Hand eingetragen fand.156 Im nachfolgenden Brief vom „Freitag“ nimmt Rilke unmittelbar Bezug auf diesen Brief. Brief 8 stammt also vom 21. Februar 1919. Die Briefe 9-14 wurden vor Ostern geschrieben, zwi¬ schen dem 8. März und Ostersonntag, dem 20. April 1919. Die Gräfin verbrach¬ te dieses Fest mit ihrer Familie auf ihrem Landsitz in Roggenburg in BayerischSchwaben. Einige Male trug die den Tageszeitungen entnommene Wetterlage zur Da¬ tierung bei. Das gilt für das erste der beiden Billetts. Rilke erwähnt darin zu¬ nächst, dass er in der Pinakothek war, um Grünewalds Isenheimer Altar zu se¬ hen, und schließt damit inhaltlich an den vorhergehenden Brief an, in dem er über eine neue Grünewald-Monographie schreibt. Die Formulierungen „Winter¬ rückschlag“ und „Neuwinter“ lassen für den als Schreibtag genannten „Mitt¬ woch“ nur den 5. Februar 1919 zu (Brief 4). Nach einem milden Januar war näm¬ lich der Beginn des Februars bis zur Mitte des Monats äußerst winterlich. Die zweite Hälfte war frühlingshaft und verursachte Rilke „schier unüberwindliche Müdigkeit“ (Brief 7). Die hergestellte Reihenfolge richtete sich aber vor allem nach dem Inhalt der Briefe. So konnte Brief 16, der „Freitag Abend“ datiert ist, erst nach der Rückkehr der Gräfin aus Roggenburg geschrieben sein und kurz vor Rilkes Ab¬ reise in die Schweiz. Auch das Briefpapier wurde zur Datierung herangezogen. So benutzte Rilke für die fünf zwischen dem 13. Januar und dem 19. Februar 1919 geschriebenen Briefe einheitlich graues Briefpapier vom Format 20,6 x 16,3 cm, danach konti¬ nuierlich blaues vom Format 17,8 x 13,5 cm.

156 Nachlass der Tochter Sissy. Abb. 9-13.

36

3 Briefe 1-41

1.

11. Dezember 1918 München, Ainmillerstraße 34 IV. Tel. 33 313 am 11. Dezember 1918 (Mittwoch)

Meine gnädigste Gräfin, es geht mir immer noch recht empfindlich nach, daß ich Sie neulich bei der Ba¬ ronin Imhof versäumt habe. Kann es Ihnen, unter diesen Umständen, nicht allzu unbescheiden erscheinen, wenn ich Sie bitte, Ihnen morgen, Donnerstag, bei mir eine bescheidne Tasse Thee anbieten zu dürfen? Sie fänden den Prinzen und die Prinzessin Reuss, - denselben, der die letzten Jahre in der Botschaft in Wien attachiert war. Sagen muß ich noch, daß unser Lift seit dem Sommer abgestellt ist, so daß ich Ihnen vier Treppen Aufstiegs zumuthen müßte. Empfangen Sie, gnädigste Gräfin, den Ausdruck meiner ganzen Verehrung Rainer Maria Rilke

2.

[13. Januar 1919] Ainmillerstraße 34 IV. (Tel. 33 313) am Montag

Meine gnädigste Gräfin, tausend Dank: die Cloeter’schen Aufzeichnungen haben mich recht freundlich beschäftigt; aber ich gebe sie nicht in Ihre Hände zurück, ohne eine ganz unbe¬ scheidene Bitte: von meinem großen Freunde Emile Verhaeren, dem belgischen Dichter, der während des Krieges einen so grausamen Tod gefunden hat, — ist nun ein herrli¬ ches Buch Gedichte erschienen (Les flammes hautes), das schon vor dem August Neunzehnhundertvierzehn abgeschlossen war: es ist mir wie ein Vermächtnis dieses wunderbar wahrhaftigen Menschen, den ich sehr geliebt habe, aus seinen zugleich erhabenen und schlichten Gedichten vorzulesen. Ich habe vor, das zu¬ nächst Samstag (den 18ten) [zu] thun, in Rücksicht darauf, daß an diesem Nach¬ mittag sowohl die Fürstin Oettingen als auch die Baronin Geyr (die ich eben ge-

37

beten habe) frei wären; machen Sie meine Freude vollkommen, indem auch Sie und Graf Mirbach sich die Mühe geben, meine vier Treppen zu steigen! Hoffent¬ lich paßt Ihnen der Sonnabend. In der größten Verehrung Ihr Rilke

3.

31. Januar 1919 Ainmillerstraße 34 IV. am letzten Januar 1919

Verehrte gnädigste Gräfin, vielleicht, denke ich mir, freut es Sie, das neue Grünewald-Werk durchzusehen in aller Bequemlichkeit: ich brauche es nicht alle diese Tage. Zwar gehört (soweit ich ihn gelesen habe) der Text nicht zu jenen revelations, die das an sich so dis¬ kutable metier des Kunst-Historikers rechtfertigen: er bringt, scheint mir, keine neue Annäherung zu Grünewald mit sich, keine, die einen, der zu diesem herrli¬ chen Werk schon das defin[i]tive Staunen hat, fördern könnte. Aber, im Anschluß an die Abbildungen ist er doch nützlich und mindestens brauchbar, die sachliche Beschäftigung mit jener räthselhaften Malerei zu unterstützen. Und um dieser, um der Abbildungen willen, schicke ich Ihnen das Buch hinüber: die Detail-Ausschnitte (auch die „Rose“ kommt, auf Seite 139, vor) zeigen die er¬ staunlichsten Einzelheiten, Bildstellen von einer für die damalige Zeit unerhör¬ ten Landschaftlichkeit (: die Stücke auf dem Einsiedler-Bilde, auf den Seiten 158 und 159 abgebildet!). Es ist anregend, mit diesen Eindrücken wieder vor das Bild-Werk selbst zu treten, das von einem beinahe rücksichtslosen Reichthum ist, an zwei aufneh¬ menden Augen gemessen. Nur dies in Eile, herzlich verehrte Gräfin, mit nachbarlichen Grüßen Ihres ergebenen Rilke

38

4. [Billett 1]

[5. Februar 1919]

Seit Tagen, verehrte gnädigste Gräfin, hol ich aus, mich bei Ihnen zu einer Theestunde anzusagen

wann darf es sein? Jeder Tag wäre mir recht (außer heute,

Mittwoch) und je eher je lieber! Vorige Woche war ich in der Pinakothek, gewissermaßen zur Probe, — aber ich bin gar nicht schaufähig; zusehr nach Innen gewendet, aber leider auch dort nicht eben herrlich. Viel Störung immerzu, und dieser Neuwinter! Hoffentlich hat Ihnen der Winterrückschlag keinen Schaden gethan. Ihr Rilke

5.

7. Februar 1919 Ainmillerstraße 34 IV. am 7. Februar 1919

Verehrte und liebe Gräfin, Gott weiß, wie es zugeht: ich bring es nicht zustande, am Telephon ganz wahr zu sein, der dumme Apparat verbiegt mich irgendwie, wie ich wahrscheinlich auch schriftlich lügen würde, müßte ich mich einer Schreibmaschine bedienen. Ich möchte Ihnen gegenüber ganz genau und wahrhaftig sein. Es steht so mit mir, daß es wirklich zunächst die anhaltende Indisposition war, die mich zu¬ hause gehalten hat, aus dieser Zurückgezogenheit ist aber nun eine gewollte retraite geworden, die ich, sozusagen, um des Heils meiner Seele willen meine einhalten zu müssen. Es zeigt sich mir erst jetzt, da die entsetzliche Lebensaus¬ nahme der Kriegsjahre sich aufheben soll, in welchen Zustand furchtbarer Un¬ terbrechung ich innerlich gerathen bin: man müßte sich eine Lunge vorstellen, die vier Jahre den Athem angehalten hat, um ungefähr ein Bild von dem Anste¬ hen zu fassen, das ich bei jedem Einblick ins eigene Gemüth in mir vorfinde. So¬ lange Krieg war, hab ich mich nicht geprüft, eben nur gewußt, daß ich um den Preis dieses inneren Sich-tot-stellens mich erhalte, jetzt aber, da ich mich doch wieder rühren will, erweist sichs: ich habe das einfachste Gehen in meiner Emp¬ findung verlernt und muß mit ganz kleinen Schritten des Herzens anfangen! Dazu nun diese Abkehr und Abwehr wider Alles, was nicht reine Besinnung ist! Vielleicht erreich ich durch diese stille Conzentrierung einen kleinen Fortschritt, ich muß es darauf ankommen lassen - und Gott helfe mir dazu.

39

Der Verzicht, nicht mit Ihnen vor den Grünewald-Altar zu gehen, ist das erste wirklich empfindliche Opfer, das ich mir, um der Regelmäßigkeit und Un¬ unterbrochenheit willen, auferlege; auch thu ichs im Vorbehalt, mir diese schöne Ausnahme zu erlauben, wenn ich einmal etwas Belohnendes und Freundliches zu verdienen meine. Im Falle solchen Muthes würde ich bei Ihnen anfragen. Nicht¬ wahr, ich darf es? Auf das Flerzlichste zugethan und ergeben, Ihr Rilke

6.

8. Februar 1919 München, Ainmillerstraße 34 IV, am 8. Februar 1919

Verehrte und liebe Gräfin, Sie können gar nicht wissen, wie gut und schön Sie mir mit Ihrem Verstehen und Ihrer Zustimmung mein stilles Vorhaben gesegnet haben: gerade das that mir noth. Danke. Manchen Tag ist’s recht schwer, wenn man der inneren Verstörung und Unterbrochenheit von früh an rathlos gegenüber steht. Sie haben mich nicht in Pa¬ ris gesehen, ach, da war ich ein anderer Mensch, und ich muß dazu kommen, mir meine damalige Welt, die im Recht war, wieder bewußt und wirklich zu machen: nur aus jenen großen, offenen arglosen Voraussetzungen heraus kann ich weiter. Die Aussicht auf die Theestunde vor dem Bücherschrank mit Paris im inne¬ ren Flintergrund ist mir eine überaus herzliche; vielleicht vergönn ich mir diese Vergünstigung sogar schon vor unserer Kunstwanderung, sozusagen unter der Hand einmal, hinter dem Rücken des Stunden-Plans. Ihre guten Wünsche nehme ich herzlich in Gebrauch und bin dankbar Ihr ganz und gar ergebener Rilke

40

7.

[19. Februar 1919] Ainmillerstraße 34 IV. Mittwoch

Verehrte und liebe gnädigste Gräfin, meinen Sie, daß Ihre Kleinste, Therese, schon zu erwachsen und stolz ist, um an den mitfolgenden Freyhold’schen Büchern Antheil und Freude zu haben? In diesem Fall wird sie sich, denk ich, nochmal überwinden, wenn sie sieht, daß ihre Geschwister und, wie ich voraussehe, Sie selbst sich gerne damit abgeben mögen: sind es nicht die beglückendsten Bilder-Bücher, die es giebt, und wie wenige kennen sie! Um die arge Rodin-Hetze in Paris zu verstehen, muß man wissen, wie stark in der Kammer der Widerstand war, als der Vorschlag eingebracht wurde, es möchte das Hotel de Biron als Musee Rodin dauernd seinem Werk überlassen bleiben: die Stadt Paris sollte dafür dieses ganze Werk erben, aber da waren die guten Bürger immer in Sorge, ob sie damit auch genug an Gegen-Werth empfin¬ gen; viele bestritten das damals schon und suchten den Wert der Rodin’schen Hinterlassenschaft, den die Experten mit nahezu drei Millionen angegeben hat¬ ten, soviel wie möglich herabzusetzen: dies ist nun die Konsequenz ihrer An¬ strengungen! Dieser Meister, dessen erster Schritt in die Öffentlichkeit damit bezeichnet war, daß man ihn anklagte, die Statue des Äge d’airain mittels Natur¬ abgusses verfertigt zu haben, - unterliegt auch noch nach seinem Tod der heim¬ sucherischen rancune, die sein enormes Können nicht wahrhaben wollte. Ein eigenthümlich ausdauerndes Schicksal. Daß Fälschungen, besonders zu Unrecht hergestellte Bronzen, sich in sein Werk eingedrängt hätten, wäre sehr möglich (ich erinnere, daß von seinen klei¬ neren Bronzefiguren fast nie eine von Ausstellungen zurück kam, ohne die verrätherischen Spuren, daß sie zu heimlichen Reproduktionen mißbraucht worden sei), aber daß ein wesentlicher Theil des Werkes nicht von ihm herrühre, das muß natürlich eine boshafte feindsälige Behauptung bleiben. Die Marmorarbei¬ ten sind von M. Lebosse und anderen praticiens nach Rodin’s Thonmodellen bis zu einer gewissen Feinheit der Oberfläche ausgeführt, aber doch wohl immer von ihm selbst aufs Letzte gebracht worden; freilich einzelne von diesen Hand¬ langern waren so sehr im Laufe der Jahre zu „seiner Hand“ geworden, daß es auch wohl denkbar wäre, es gäbe Steine im Handel, die er auch zuletzt nicht mehr berühren mußte: diese waren dann immerhin ganz unter seiner Überwa¬ chung vollendet worden, und wenn er seinen Namen darunter setzte, so mag er das in derselben Verantwortung gethan haben, in der die Meister großer Kunst¬ zeiten so und so viele Werke anerkannten, die aus ihrem unmittelbaren Werk¬ stattumkreis, erfüllt von ihrem eigensten Geiste, hervorgingen. Daß Rodin den Marmor nicht im Blocke angriff, sondern jedesmal sein Thonmodell in den Stein

41

übertragen ließ, das war eine durchaus bekannte, von ihm selbst nie verborgene Thatsache; und ein solches Vorgehen als Fälschung hinzustellen, dürfte auch seinen mächtigsten Widersachern kaum gelingen, da es heute wohl kaum einen Bildhauer giebt, der anders zu verfahren fähig wäre. (Im Ganzen auch wieder ein trister Beweis des Zeitgeistes, der dem andern, selbst dem Größten, ohneweite¬ res zutraut, was er sich selbst erlauben würde.) Der Isenheimer Besuch

darf ich noch weiter um Aufschub bitten?; diese

Frühlingslüfte überstürzen mich mit schier unüberwindlicher Müdigkeit; aber ich leiste gleichwohl, wennauch sozusagen kriechend, mein tägliches pensum, das augenblicklich in Übersetzungen aus dem italiänischen besteht. Damit geht Stunde für Stunde, bis ich, um neun Uhr schon, mich strengverdienter Ruhe überlasse. In der dankbarsten und herzlichsten Ergebenheit, Ihr Rilke

8.

[21. Februar 1919] Freitag

Meine verehrte gnädigste Gräfin, wenn Sie sich unseres Gespräches über die schwedische Schule erinnern, so wer¬ den Sie verstehen, daß ich immer auf Seiten der „Gestraften“ bin, Sissy’s in die¬ sem Fall

ich bilde mir fast ein, ich muß die Noth ihres kleinen Herzens (:

denn welche Noth ist es nicht, böse zu sein!) irgendwie empfunden haben, als ich gerade am Dienstag sooft an das kleine Mädchen dachte und hier herum ging, überlegend, womit ich ihm eine Freude machen könnte; langsam wie ich bin, kam ich dann erst am Mittwoch auf die Bilderbücher: die natürlich ganz für sie (Sissy - Therese) gedacht waren, Bilderbücher kann man doch so wenig borgen wie etwa - Äpfel. Aber ich freu mich sehr, daß Sie Alle schon soviel Freude an den Freyhold’schen Erfindungen gehabt haben. (Es giebt noch ein Hasen-Buch von ihm, das aber leider vergriffen ist.)

42

Zum Schluß darf ich gestehen, daß ich trotzdem auch ein wenig auf Ihrer Seite bin, liebe Gräfin, wie schwer muß Ihnen solche Härte werden; wenn man nur wüßte, daß es wirklich nicht ohne das geht: das eben bestreite ich in meinem Herzen. Mit nachbarlichen Grüßen Ihr herzlich ergebener Rilke P.S. An Michelangelo wag ich mich noch kaum heran; die innere Sammlung und Aufmerksamkeit reicht, trotz aller Abschließung, für ihn noch nicht aus. Aber ich übe mich auf ihn zu an kleineren Göttern des Sette- und Ottocento: beilie¬ gend eine kleine (noch arbeitswarme) Probe.

Giuliano Cassiani (1712-1778)

II ratto di Proserpina Die un alto strido, gittö i fiori, e volta all’ improv[v]isa mano che la cinse tutta in se, per la tema onde fu colta, la siciliana vergine si strinse. II nero Dio la calda bocca involta d’ispido pelo a ingordo bacio spinse, e di stigia fulliggin con la folta barba l’eburnea gota e il sen le tinse. Ella, giä in braccio al rapitor, puntello fea d’una mano al duro orribil mento, dell’ altra agli occhi paurosi un velo. Ma giä il carro la porta; e intanto il cielo ferian d’un rumor cupo il rio flagello, le ferree ruote e il femminil lamento.

43

Giuliano Cassiani (1712-1778)

Der Raub der Proserpina Hoch schrie sie auf, warf fort die Blumen, hin zur Hand gewandt, die jäh sich in sie krallte, und, in der Angst, wie sie sich ihr enthalte, zog sich in sich die Sizilianerin. Der schwarze Gott, den warmen Mund verhängt mit rauhem Haar, drängt gierig schon zum Kusse, sein dichter Bart hat ihr mit stygschem Russe der Brust und Wange Elfenbein bedrängt. Sie, schon im Arme ihres Räubers, stemmt mit einer Hand sich fort von seinem Kinne und hält die andre vor ihr scheues Schaun. Der Wagen fährt. Der Himmel wird es inne und überdonnert dumpf, was er nicht hemmt, und Räderrasseln und Geschrei der Fraun.

9.

[8. März 1919] Samstag

Verehrte gnädigste Gräfin, weit weit entfernt eine Störung zu sein, war’s die fröhlichste Überraschung, die sich denken läßt. Meine kleine Freundin hat mir ja nicht nur diese hellen freudigen Tulpen gebracht, sondern auf das Natürlichste sich selbst: - ja ist’s nicht ein Wunder, daß einem ein Menschliches so blumig in die Stube kommen kann?! - Das trös¬ tet jetzt vielleicht am reinsten und fühlbarsten über die Verzerrungen des Menschlichen, in denen man es kaum erkennen mag —, daß an seinem anderen Pol immer noch Helligkeit und Heilheit des Kindseins möglich ist.

44

Ich wollte Sissy’s Selbständigkeit nicht in Verdacht bringen, - sonst wäre ich gerne die vier Treppen mir ihr hinuntergestiegen, um Sie, liebe gnädigste Gräfin, unten zu begrüßen. Ich thue es schriftlich auf das Dankbarste, noch ganz unter dem Eindruck des lieben kleinen Besuchs. Ihr Rilke

10.

[12. März 1919] Mittwoch

Meine verehrte gnädigste Gräfin, morgen früh hätte Ihnen ein Radler meine Anfrage hinüber getragen, daß ich be¬ reit sei zu einer Ausnahme für einen - unseren - Nachmittag! Ihre Erkrankung, die ich ganz herzlich bedauere, bringt einen kleinen Aufschub mit sich, aber, wie Sie mir in Aussicht stellen, wirklich nur einen kleinen. Auch ist sie von der Art, daß sie nicht eine gewisse behagliche Hingabe an die Stille ausschließt, diese durch die Verhältnisse der münchner Höfe - wie ich weiß — so leicht gefährdete Stille. Ich suche schnell aufs Gerathewohl ein paar Bücher heraus, im Bestreben, vielseitig zu sein und für die oder jene Stimmung etwas passendes hinzulegen: wenn nur ein Richtiges, Willkommenes darunter sein möchte! Mit allen nachbarlichen Wünschen zu rascher Besserung, Ihr herzlich verehrend ergebener Rilke

45

11.

[13. März 1919] Donnerstag

Liebe gnädigste Gräfin, ich weiß nicht, mir ist heute zu muth, als wäre gerade das „liebe angenehme Buch“ doch nicht dabei gewesen: dasjenige, das einen ein wenig für das Krank¬ sein belohnt, das Unterlagen giebt für die Schwäche und leichte Anstiege für die Steigerungen des Fiebers, Anleitung zur Gestaltung und zugleich unverpflich¬ tenden Raum, in dem sich die Erinnerung ausbreiten mag

so ein Buch, - ach

ich weiß ja so gut, was es zu leisten hat. Daraufhin sah ich eben meine Bücherreihen nochmal durch und lege die Hand auf die „Lebensstufen“, eines der reichsten, darstellendsten Bücher von Tolstoj -, dies, scheint mir, müßte es sein! Und so send ich es rasch dem Gestri¬ gen nach, nicht ohne viele viele Wünsche für ein geduldiges mäßiges Kranksein und schöne Wiederherstellung. Immer Ihr Rilke

12.

[17. März 1919] Montag

Meine gnädigste Gräfin, morgen, Dienstag um fünf, wenn es Ihnen also so recht ist; Mittwoch könnte ich nicht. Ja ich habe, können Sie sich vorstellen, viel zu Ihnen gedacht; es ist ja nicht gerade die mildeste Luft für eine Rekonvaleszenz, was sich durch diese Tage spannt. Hoffen wir. Sie wissen ja, wie ich zu Eisner stand: vertrauend; es ist furchtbar, daß dieses noch auf das Conto dieser Zeit geschrieben werden mußte; die Presse trifft böses Verschulden, die keine Gestalt ruchloser entstellt hat, als diese in ihrer Art reine und bedeutende. So leide ich nach allen Seiten, aber hoffe auch nach allen in den besseren Momenten.

46

Ich freue mich, daß meine Auswahl Ihnen ergiebig war. Viele Empfehlungen an Graf Mirbach und herzlichste Freude auf morgen. Ihr ergebenster Rilke

28. März 1919

13. München, Ainmillerstraße 34 am 28. März 1919 Meine verehrte gnädigste Gräfin,

gestern abend, noch eh ich die Glocken entdeckt hatte, noch ehe Rosa mir ange¬ kündigt hatte, es seien „so schöne Blumen“ gekommen: läutete es mir aus dem ganzen Raume, ich wußte nicht recht woher —, hell hell in die Augen: haben Sie Dank für diese gute liebe Überraschung. Wie rasch die Zeit geht: eine Woche schon seit jenem Nachmittag bei Ih¬ nen! Meinem Erzählen thun Sie zu viel Ehre und Güte an, Sie vergessen, daß es immer am Zuhörenden liegt, wenn einer gut erzählt; so halt ich, was Sie so herz¬ lich ausdrücken, mehr für einen Erfolg Ihres Aufnehmen- und Sich-FreuenKönnens, als meines Mittheilens; denn über dem liegt ein Schmerz und ein Vor¬ wurf, der sich nicht leicht beschreiben läßt. Genau wie es nun seit meinen neuesten Büchern Jahre und Jahre her ist, so bin ich auch von allem, was mir je widerfuhr, durch eine inerte, für mich ereig¬ nislose Zone von Jahren — J-a-h-r-e-n - getrennt -: offenbar war jene offene Welt und Zukunft, die wir einmal hatten, die Voraussetzung dafür, daß mir überhaupt etwas geschähe ... Wer nicht nach einem vorgefaßten Plane lebt, nichts aufsucht, sondern alles - und am Liebsten das Entfernteste - kommen läßt nach seinem Gesetz, der bedarf der Einschaltung in den größesten WeltKreislauf aller Länder und Sternbilder, um in seinem unendlichen Sinn lebendig zu sein und Beweise dafür zu haben, daß er’s ist -. Mir fehlt nun, seit wie lange, jeder Beweis für mein inneres Dasein. Das ist bestürzend. Was ich Ihnen von Tolstoj berichtete, ist neunzehn Jahre her, und so könnt ich bei jedem Erzählten eine Distanz angeben, als wär ich seither ein Jahrzehnt tot gewesen. Nächstens werd ich mich denn auch wahrscheinlich wiederholen, da ich nur noch über ein paar, mehrmals erzählte Erinnerungen verfüge, zu denen nichts hinzukam - aber das lassen Sie mir dann nicht durchgehen, liebe Gräfin. Mein Besuch, Frau Lou Andreas-Salome, ist Mittwoch abends spät ange¬ kommen: wehe, wenn man jetzt reisen muß: sie ist von Göttingen seit Montag früh unterwegs gewesen und meistens unter den unmöglichsten Umständen.

47

Aber für mich, fühl ich, könnte der Moment kommen, wo ich, trotz aller Bahnübel, mich in Bewegung setze, - München hat eine drückende Immobilität an sich und ich zweifle, daß die Frühlingslüfte mich die Starrheit vergessen las¬ sen. Vor drei Tagen hatte ich (über Umwege) den ersten Brief aus Venedig. Quelle nostalgie! Dankbar und ganz ergeben, Ihr Rilke

[12. April 1919]

14. Samstag Meine verehrte gnädigste Gräfin,

Ihr kleiner lieber Bote sitzt bei mir: wie gerne hätte ich ihm den dicken Keyserlingk gleich mitgegeben, aber er ist drüben bei meiner Freundin, die ihn aller¬ dings eben ausgelesen hat, so paßt es vortrefflich: morgen im Laufe des Tages kommt das Buch zu Ihnen, wohl noch rechtzeitig zur Mitnahme hinaus. Wie schön, daß Sie nun nach Roggenburg fahren, nach diesem großen Schnee muß ja das unmittelbarste Frühjahr einsetzen: ich wünsche von ganzem Herzen, daß Sie die Stille draußen und in ihr jede kleine Freude und Zukunft der Natur athmend empfänden. Die „dritte Revolution“, die sich Budapest zum Vorbild nimmt, wird, nach allem was ich höre, vorbereitet: ja Gott weiß, was sie bringt, oder ge¬ rade Gott weiß es vermuthlich am Wenigsten. Der Winterrückfall hat mich, was mir selten widerfährt, in eine Erkältung gestürzt, ich bin sogar ein paar Tage zu Bett gewesen, nun aber bessert es sich, nur eine unverhältnismäßige Mattigkeit macht sich geltend. Lou Andreas-Salome hab ich kaum noch gesehen; sie war, erkältet, an ihr Zimmer gebunden, ich an das meine und zwischen uns Schnee genug für drei mittlere Winter. Ich bin glücklich, wenn die „Salons“ und L’äme des Anglais Sie nach Rog¬ genburg begleiten: der Keyserlingk (voll übrigens von meinen Strichen und Randbemerkungen, was Sie entschuldigen müssen) kommt wie gesagt morgen dazu. Für Sie, den Grafen und die Ihren alles erdenklich Gute, einen besonderen lieben Gruß für Sissy (: denn länger soll Ihr Überbringer nun nicht warten!) Ihr Rilke

48

15.

15. Mai 1919 München, Ainmillerstraße 34 IV. am 15. May 1919

Meine liebe gnädigste Gräfin, es ist ja wahr, man kann wieder schreiben: ich kam gar nicht auf den Gedanken, so wenig brachten mir diese letzten Wochen (seit dem ersten May) das Gefühl der Erleichterung und der Normalität; sie standen zu jenen früheren (freilich ar¬ gen, verzweifelten) im Verhältnis von Gegengift und Gift, aber beide Dosen war wider die Natur des jungen volklichen Organismus, der da entstehen und wach¬ sen soll. Das Gift war ein Fremdstoff, aber das Gegengift, helas, war nur allzu einheimisch, le prussianisme tout pur, Sie haben keine Vorstellung, was es an fortwährenden Aufzügen, Militärmusiken und militärischen Auffälligkeiten täg¬ lich hier giebt: das kann nicht anders als aufreizend wirken, wenns auch dem be¬ haglichen Bürger Genugthuung schafft, dem Arbeiter, der seit dem 8. November in der Schule einer gewissen Wandlung war, ist es Herausforderung, Spott und Ärgernis: wenn das die preussischen Herren nur begreifen wollten. Ich war nahe daran neulich, als ich dem General Oven gegenübersaß, mich darüber auszusprechen, aber es ging nicht gut an, an der Stelle, wo ich mit ihm zusammengetroffen war; ich hätte gesagt: Ihre Truppen hätten anders kommen müssen, meinetwegen wie die Erzengel, blendend wirksam und unsichtbar zugleich - : aber nicht so, um Gotteswillen nicht so, mit dem alten Großthun des kleinen Leutnants. Es ist schrecklich zu sagen: aber die Unmenschlichkeit, die auf nichts Rücksicht nahm, alles verdächtigte und grob aufgriff, diese Unmenschlichkeit kam erst mit den „Befreiern“, den „Siegern“ ins Land; was die „Rothen“ anrichteten war Verzweif¬ lung, war Rathlosigkeit, war, in einzelnen, wenigen Fällen, verbrecherische Roh¬ heit (: nur in wenigen, denn die Gerüchte übertrieben viel); - aber Landauer’s Tötung und die Erschießung von Hunderten, vielleicht von Tausenden von un¬ schuldigen Menschen, wie diese Ordnungstifter sie auf ihr unbeschwerbares Gewissen nehmen -: das sind erst die Eingriffe, die zum Himmel schreien, wäh¬ rend die anderen nur wie Geräusche waren zwischen den Menschen. Liebe, ver¬ ehrte Gräfin, es ist fürchterlich, daß man weder hier noch dort zustimmen kann, immer sucht man die menschliche und geistige Mitte zwischen allen diesen ex¬ tremen und haltlosen Vorfällen: aber gerade in ihr läßt sich, wie es scheint, nur schweben, nicht Fuß fassen. Sehr viel hab ich zu Ihnen hingedacht, jeden Tag den Umstand segnend, daß Sie diese Zeit (die lang, lang war) nicht hier erleben mußten. So sehr ich mir ei¬ nerseits wünsche, Sie bald zu begrüßen, so sehr freu ich mich über jeden Tag mehr, den Sie noch in Roggenburg zubringen, ganz besonders jetzt wo die Natur

49

endlich das Einsehen gehabt hat, sich auf die Jahreszeit zu besinnen. Wie herrlich mag der heutige Tag sich draußen anlassen. Einen lieben Gruß der kleinen Sissy, das Herzlichste dem Grafen und Ihnen selbst alle alle Ergebenheit. Ihr

Rilke

16.

[30. Mai 1919] Freitag Abend

Verehrte gnädigste Gräfin, seit drei Tagen fühlte ich, daß Sie zurück sein müßten, es zog mich immer zu Ih¬ rem Hause, - aber auch ich war sehr beschäftigt mit Reisevorbereitungen und -sorgen: denn nun kommt es, über hundertundzehn Schwierigkeiten, doch zur schweizer Reise — vielleicht von heut auf morgen: ich muß bereit sein, jedenfalls. Und vorher geh ich wahrscheinlich noch nach Höhenried zu Wendlands, Sonn¬ tag oder Montag, für ein paar Tage; das alles schwebt augenblicklich; so kann ich für Dienstag oder Mittwoch nichts bestimmen. Aber fortzugehen, dann weit und vielleicht für lange, ohne vorher eine gute Stunde bei Ihnen, wäre mir sehr arg. Die „Uneinigkeiten“, nein, die fürcht ich nicht sehr. Ihr herzlich ergebener Rilke

17. [Billett 2]

[zwischen 2. und 7. Juni 1919]

Wissen Sie, liebe gnädigste Gräfin, daß Sie mir mit dieser Vie des Peres einen sehr bedauerten Verlust schöner ersetzt haben. Unter meinen alten Büchern in Paris war ein ähnlicher Band, in dem ich sogar viel gelesen habe: diese „Beispiele“ stehen mir gar nicht so fern: haben Sie Dank, den allerherzlichsten! Ich verbrin¬ ge meine Tage „anstehend“ vor Thüren, Tischen, Schaltern; denn die schweizer Erlaubnis ist da, und damit fängt, nach momentaner Erleichterung, die rechte Plage erst eigentlich an. Die Schweiz muss schon sehr sehr schön sein, um mir diese Tage zu entgelten! Ihr Rilke

50

18.

10. Juni 1919 Ainmillerstraße 34 IV. am Dienstag nach Pfingsten 1919

Meine liebe gnädigste Gräfin, in den kühnsten Momenten des heutigen Tages hatte ich mir vorgestellt, ich würde gegen Abend bei Ihnen anfragen, ob ich, nach allem Gedräng, ein halbes Stündchen Aufathmens (denn das Gedräng war arg) bei Ihnen zubringen dürfe; aber es war zehn Uhr geworden, als ungefähr die nöthigste Arbeit geleistet war. So beschließ ich den Tag wenigstens mit diesem kleinen Wort: das bestimmt ist, Ihnen noch einmal Lebewohl zu sagen, morgen, während ich schon einen Platz oder wenigstens einen Zwischenraum im Züricher Zuge einnehme. Wie beschäftigt ich in den letzten Tagen war, dafür haben Sie das natürlichs¬ te Maaß, wenn Sie bedenken, daß ich nicht einmal mit Sissy sprechen konnte, als wir einander Samstag in der Ludwigstraße begegneten*! Grüßen Sie sie herzlich: ein Brief ist je mehr einer, von je weiter er kommt, so freu ich mich darauf, die kleine Correspondenz mit ihr von der Schweiz aus fortzusetzen. Grüßen Sie auch Ihre übrige junge Welt und aufs Allerschönste den Grafen. Ich bin zu müde, mehr zu schreiben, auch ragt mirs in’s Bewußtsein, daß ich morgen um fünf Uhr auf sein muß. Dankbar sag ich nur noch: auf Wiedersehen in Roggenburg, oder vielleicht sogar noch hier, je nach Dauer und Dehnbarkeit meiner Erlaubnis. Daß die nicht zu eng bliebe, muß ich ja nun hoffen und erstreben. Auch aus größerem Abstand in der nachbarlichsten Beziehung, Ihr dauernd ergebener Rilke Nachts, elf Uhr. xetwas Verlegenheit, wie ich sie gegen Kinder habe, war, neben der Eile, freilich auch im Weg.

51

26. Juni 1919

19. Palace Bellevue Berne, am 26. Juny 1919 Meine liebe gnädigste Gräfin,

es ist beschämend für mich und steht im Widerspruch zu meinem Gefühl und Gedenken, wenn ich Ihnen noch nicht geschrieben habe: aber Sie glauben nicht, wie das „Draußen“-Sein einen beschäftigt! Vierzehn Tage sinds jetzt seit ich ge¬ reist bin, mir kommts wie ein einziger vor, der erst gestern damit zu Ende ging, daß es zu regnen begann umständlich und ausführlich, nachdem vorher die un¬ unterbrochenste Sonne geherrscht hat, immer wieder unterstützt durch die klä¬ rende „Bise“ des Lac Leman. Drei Tage Zürich, das war mein Anfang. Dann Nyon, wo ich bei der Gräfin Dobrzensky wohnte, wo aber zunächst in dem kleinen Landhaus so viel Men¬ schen wohnten und aus- und eingingen, daß es seinen Namen Ermitage ganz und gar verleugnete. Und diese Gäste, alle voller Unternehmungen, Autofahrten, Motorbootfahrten -, das war nicht das Rechte für meine Besinnungs-Bedürftig¬ keit (von der ich erst recht merke, wie enorm sie ist) - ich floh nach Genf und verspreche mir Nyon für später, wenn die Gräfin allein sein wird oder nur noch wenig Besuch erwartet. Das war also eine Woche in Genf was dann folgte —, strahlend, nur daß diese schweizer Landschaft, selbst in ihren hellsten und glück¬ lichsten Verfassungen mir nicht eben nahegeht (wie ich das ja voraussah) höchstens das oft so silberige Licht und was sonst in Gassen und Gäßchen der alten Stadt an Paris gemahnte, ging mich heimwehlich und oft verwirrend an. Die Buchläden, das „Bouquinieren“ überhaupt; ich muß mich hüten, alte Bücher zu kaufen, denn wohin damit (- auch erlaubt ja der arge Geldkurs keine Ausla¬ gen), aber einiges neue Moderne hab ich doch mitgebracht von meinen Ausgän¬ gen und werde Ihnen, wenn ich länger ausbleiben sollte, das Eine oder Andere schicken, wovon ich annehmen dürfte, daß es Ihnen (besonders für Roggen¬ burg) willkommen sei. Daß ich nicht so rasch wieder zurück muß, ist fürs Näch¬ ste erst nur eine Hoffnung, mais je l’espere, car je suis lent et c’est ä peine que je commence ä me restituer une vie qui rappelle un peu celle d’autrefois. Bern ist schön, sehr schön, würdig, voll noch erkennbarer Überlieferung; ich komme eben aus dem Museum, von den herrlichsten Wandteppichen, - dort ist ein großer Theil der Beute, die Karl dem Kühnen von Burgund abgenommen wurde -, das Fürstlichste, von besonderer Bedeutung für mich, weil diese Gestalt mich viel bewegt und beschäftigt hat. Vielleicht geh ich von hier noch nach Zürich zurück, zu einer kurzen Kur¬ zeit in das Sanatorium Bircher-Benner, denn meine Leistungsfähigkeit versagt zehn mal im Tag und vor den gebendsten Dingen: ce qui m’attriste.

52

Wieviel Fragen nach Ihnen, verehrteste Gräfin, und nach den Ihren! Wieviel gute Gedanken zu Ihnen hin; wann gehen Sie nach Roggenburg? Ich schreibe wieder, bald - aber auch nichtschreibend bin ich ganz von Herzen der Ihre Rilke Dem Grafen das Herzlichste.

20.

3. August 1919 Soglio (Bergell, Graubünden) (Schweiz) am dritten August 1919

Wann wars, liebe gnädigste Gräfin, daß ich Ihnen zuletzt geschrieben habe? Ganz am Anfang meiner schweizer Zeit muß es gewesen sein; ob der Brief Sie wohl erreicht hat? Damals war noch alles so neu für mich, die Reise selbst, jeder Tag ein Versuch, den ich jederzeit aufzugeben bereit war, falls er mißlingen soll¬ te. (Und Nyon, womit ich begann, kam einem Mißlingen beiläufig nahe - ). Seit¬ her hat sich herausgestellt, daß ich mein Auswärtssein möglichst ausdehnen muß, wenn es zu seinen Zwecken reichen soll. Ich bin langsam und meine natür¬ liche Langsamkeit erfährt nun noch eine besondere Abwandlung durch zweierlei Umstände: dadurch, daß ich so lange nicht „draußen“ gewesen bin, und durch die Thatsache, daß ich mich in einem Land finde, das mir eher schwierig ist und das mir in vierzehn Tagen rein unbegreiflich, ein Ungelöstes, eine Charade ohne Ende — geblieben wäre. Denken Sie: Berge und soviel Berge, und so anerkannte Berge, so eingebildete Berge, nichts als die Überlegenheit von lauter Bergen, die den Himmel auf fünf Achtel des gewohnten Aus- und Aufblicks reduzieren: was soll man, in aller Welt, mit denen anfangen? Ja, das ist es eben, was ich nicht weiß, meine primitiv-ebene Natur findet kein Äquivalent in sich für diesen gro¬ ßen (und doch irgendwie mittelmäßigen) Aufwand, diese selbe Natur, die doch immerhin die Pyrenäen zu erleben wußte, oder den Atlas, und über die ein unbe¬ schreibliches Erschauern und Erschauen kam, wenn Tolstoj den Kaukasus be¬ schrieb. Den hiesigen Bergen ist nicht zu helfen, — oder mir nicht an ihnen - wir sind zwei Welten, sie sind zu schön, zu erfolgreich, sie kommen mir vor wie Daudet, die höchsten wie Zola, aber meistens sehen sie wie George Ohnet aus mit ihrem berühmten ewigen Schnee. Wie mich dieser Schnee kränkt, dieser „schöne“ Winter, der da, mit dem Sommerhimmel als Hintergrund, in die Gärten und Wiesen hinabstarrt: damit weiß ich nun rein nichts anzufangen: der „schö¬ ne“ Winter und der „schöne“ Sommer in Einem, ja, das muß freilich für den ge-

53

wohnlichen Reisenden von jeher die „Erfüllung“ gewesen sein, wie etwa für den gewissen unverbesserlichen polnischen Juden: Knoblauch mit Schlagsahne. Üb¬ rigens hab ich unrecht, mich so über die wunderschönen Berge aufzuregen, ich sehe sie hier zum ersten Mal, wo sie gegen Italien hinunter (die Grenze ist eine Wegstunde von hier!) beträchtlich im Abnehmen sind. Bisher, so hoch sie auch sind, sind sie mir immerzu von Menschen verstellt gewesen. Ach, liebe Gräfin, Menschen, Menschen. Ich habe eine Liste angelegt. Nun, das ist wie das Perso¬ nenverzeichnis eines Passionsspieles oder einer „Revüe“ —, wie hab ichs nur ge¬ macht, soviele zu bewältigen? Hun-der-te. Oder nicht? Doch. Zum Glück auch schweizer. Bern war sogar herrlich für mich durch Frau von Wattenwyl, durch ein altes, achtzigjähriges Fräulein von Gonzenbach, durch die schönen Fläuser, Landsitze und Landschaften, die zu diesen vortrefflichen, mir dauernd angeeig¬ neten Menschen gehören; - mit ihnen, wirklichen, tief angestammten Schwei¬ zern, war ich mit einem Schlage der Fremden- und Hotelathmosphäre entrissen, von da ab begann ich die Schweiz zu sehen, wie sie ist, und das that mir noth, denn es ist ein gewaltiges einheitliches Land und mir am Ehesten durch seine Menschen, die soviel Natur aufgenommen haben, begreifbar. Wie ich nun hier¬ her komme? - Begreiflicherweise brauchte ich nach Städten und Begegnungen etwas Abseitigkeit und Stille: denn noch war mir, seit ich fort bin, nicht die min¬ deste Besinnung in mir möglich geworden. Albrecht Bernstorff, als ich ihn, anfangs July, in Bern sah, kam nach Soglio, erzählte, und nun bin ich, gläubig, vor vier Tagen hierher gereist. Ubers Engadin, mit der Postkutsche von St. Moritz herunter. In diesem Thal des Bergeil, das keinen anderen Gedanken hat, als so rasch als möglich nach Italien sich hinabzu¬ senken, liegt auf halber Berghöhe Soglio, ein paar Häuser mit Gneisplatten ge¬ deckt, mit Intarsien ins Gestein gesetzt, eine Kirche (leider leer und protestan¬ tisch) am Abhang, ein alter Palazzo Salis, der, als Hotellerie eingerichtet, noch dem Grafen John Salis (jetzt, glaub, ich britischer Gesandter am Vatikan, aus der anglikanisch gewordenen Branche des Zweiges Soglio) gehört: voll der alten Möbel und Bilder, Säulenbetten, Stucs und Boiserien des frühen Dix-huitieme und, das Schönste, mit einem alten französischen Garten hinter dem Hause, in drei flachen, vierstufig über einander erhobenen Terrassen gegen den Berg ange¬ legt, die Terrassen mit den alten behauenen Steinplatten gerändert und der in den alten Formen zusammengeschnittene Buchs als Rahmen überall um die seeligsten Sommerblumen: was soll ich mehr sagen? Voilä ma residence. Ach aber: jemehr mir nun klar wird, daß ich länger auswärts bleiben soll, und der Sommer vergehen wird, diesmal, ohne daß ich nach Roggenburg kom¬ me, umso größer ist meine Sehnsucht, mich Ihnen ausführlicher mitzutheilen, meine liebe Gräfin (dies ist ein rascher Anlauf dazu) und womöglich auch end¬ lich von Ihnen und den Ihren - Gutes - zu hören! Meine Correspondentin Sissy!: Ich hätte ihr von überall Karten schicken müssen, aber ich denke nie an An¬ sichtskarten, - nun, ich bessere mich: gleichzeitig mit diesem Brief wird eine

54

abgehen. Bitte, bitte, schreiben Sie mir. Dem Grafen Mirbach und ihnen freund¬ schaftlich zugethan und ergeben, Ihr Rilke Haben Sie Nachricht von der Fürstin Sophie Oettingen? Gute? Wie ist sie er¬ reichbar?

21.

13. August 1919 Soglio, Bergell, Graubünden (Schweiz) am 13. August 1919

Meine liebe gnädigste Gräfin, wir haben uns gekreuzt -, ich schrieb Ihnen, wie ich glaube am 4ten, aber damals ist Ihr (so guter) Brief noch nicht in meinen Händen gewesen, ob er gleich am 25. July abgegangen war; denn die Gräfin Dobrzensky war gerade verreist, und so hat mich einige Post, die den Weg über Nyon genommen hatte, erst vor vier Tagen in Soglio eingeholt. Aber nun soll, wenn Sie von Dresden zurückkehren, mein Dank ungefähr zum gleichen Moment in Roggenburg ankommen. Muß ich Ihnen sagen, daß er herzlich und ein bißchen sehnsüchtig ist? Ich habe, da Sie sich auf sie beriefen, die roggenburger Stille einen Augenblick gehört und in ihr begriffen, wie gut ich es dort und bei Ihnen Allen gehabt haben würde. Dies stell ich mir wirklich und fühlbar vor, nicht im Verstände, sondern irgendwo in der Sehweite des Herzens, - und es ist ein rechtes Gedräng und eine Vergeudung des Lebens an mich, daß nun für einen Sommer mir dieses geboten wird und jenes, die Schweiz und Roggenburg, - quand-meme, la vie, toute depourvue qu’elle semble, a encore d’etonnantes generosites - ! Mein Brief, jener vom vierten Au¬ gust, wird Ihnen inzwischen geschildert haben, wo ich lebe -, und nun freilich ist die Aussicht zugewachsen, daß mich dieser Sommer noch zu Ihnen brächte. Wird er mir doch sogar hier viel, viel zu kurz gewesen sein! Das liegt zumtheil an meiner gar nicht zu übertreibenden Langsamkeit. Ich muß überall ein Leben be¬ ginnen dürfen und mich der Einbildung ausliefern, daß an dieser Stelle und an jener, soll sie mir nur einigermaßen zuträglich und zutraulich werden, unendli¬ che Vergangenheiten sich abgespielt haben, die mit einem Zweige mindestens, mir zu- und in mich einwachsen wollen, als wärens meine eigenen oder die mei¬ ner Familie. So wars schon vor dem Kriege in Spanien in einer ganz eindringli¬ chen Weise, die es mit sich brachte, daß ich nach einem halben Jahr mit Uber-

55

windung fortging, - und so ists nun in diesem sehr besonderen Bergnest, das ich Ihnen ja neulich meine vorgestellt zu haben. Alte Häuser, alte Dinge können dann die zwingendste Macht über mich bekommen, der Geruch alter Schränke und Schubfächer athmet sich so familial ein, — ich erzählte Ihnen ja, was hier alles von dieser Art herumsteht -, ich schilderte Ihnen Boiserien, Stucs, mein Säulen¬ bett, nichtwahr? und den alten Garten, in dessen zugeschnittenen Buchsrahmen der wilde Blumen-Sommer sich erneut und aufdrängt —, aber damals war die äu¬ ßerste Verführung mir noch gar nicht widerfahren, denken Sie nur, was noch sich eröffnen sollte?: ein altes, den Gästen sonst nicht zugängliches Bücherzim¬ mer, die alte, hier noch vollständig aufbewahrte Salis’sche Bibliothek! Ein altmo¬ discher Raum, still, nach dem Garten zu (der durch die offenen kleinen Fenster nun grün hereinscheint und hereinsummt) über dem Kamin ein riesiges Wap¬ penbild der salis’schen Weide, ein altes Spinett davor, in der Mitte ein fester qua¬ dratischer Tisch des siebzehnten Jahrhunderts, ihm gegenüber ein großmächti¬ ger Sessel, Louis Quatorze, mit der alten gestickten Polsterung, an einem der drei Fenster eine wehrhafte eiserne Truhe (der riesige, vielfältig bebartete Schlüssel liegt darauf) - und sonst? Bücher, Bücher, Bücher. Reihen entlang und Schränke voll. Bücher des siebzehnten Jahrhunderts, ja noch viele SchweinslederBände und Bändchen des XVIten (darunter einzelne Aldus und Elzevier); die Memoiren-Litteratur des Achtzehnten in reizenden Lederbänden, der ganze Linne und viel Schweizerisches und Bündnerisches natürlich, auch die Dichter: Albrecht von Haller, den ich bei Tage lese (bitte, diese Strophe aus einem Ge¬ dicht „Morgen-Gedanken“, in dem Gott angeredet wird): „Dem Fisch, der Ströme bläßt und mit dem Schwänze stürmet,/ hast Du die Adern ausgehölt;/ Du hast den Elefant aus Erden aufgethürmet,/ und seinen Knochenberg beseelt.“ !!! und Salis-Seewis (in der Edition von 1800), wo sollte man ihn sonst lesen! den ich mir Vorbehalte für die abendlichen Stunden, wenn etwa eine sich etwas gefühliger geben mag. Da les ich ihn laut, den Vergessenen, in diesem Bücher¬ zimmer, und mich rührts, wie er da zu Stimme kommt, nicht eben groß, aber doch, in den schönsten reinsten Zeilen, so amselig und nachtigallig, wie’s zu je¬ ner Zeit gehört hat und zu dem Garten, der da überlebt, überlebender als der einst vom Ewigen bewegte Dichter. / Nun, da begreifen Sie, liebste Gräfin, daß ich verfallen bin. Was sollte ich gegen dieses Zimmer thun, in dem ich noch täg¬ lich Entdeckungen mache -, und dann ruft mich der Garten und dann fallen mir die Kastanienwälder ein: es ist kein Auskommen und kein Fertigwerden. Aber Sie begreifen’s. Der Moment ist so schön, dieser um-mich-geschlossene Venus¬ berg, darin eine verwilderte Rose die Venus ist und Bücher aufglänzen wie das lockende Gestein im Bergraum — hat mich in seiner Gewalt, ich mag nicht dar¬ über hinaus planen, schon erst gar nicht an den Winter denken, für den ich mir weder Ort noch Lebensweise vorzustellen vermag. An München denk ich eigent¬ lich nicht dafür -, aber wohin? Wohin?!

56

Nun kommen Sie von einer Hochzeit zurück, das wird Ihre Hände ein we¬ nig der strengen Arbeit entwöhnt haben. Die „Hose“ bewundere ich, von hier aus, hingegeben, ich bin ohneweiteres überzeugt, daß sie für die Cultur wichtiger ist, als jene berühmte von Sternheim. Nun leben Sie wohl, liebe verehrte Gräfin: Der Weg in Bern in die Bühlstraße wird mit Pietät und Sorgfalt ausgeführt wer¬ den, ich berichte dann; ich freue mich sehr, wieder nach Bern zu kommen. Alles Herzlichste dem Grafen Mirbach und den Kindern. Sissy bekommt wieder eine Karte. Mit den Grüßen wärmster und dankbarster Freundschaft. Ihr Rilke

22.

26. September 1919 Begnins Sur/Gland (Vaud) am 26. September 1919

Meine liebe gnädigste Gräfin, nun ist Soglio weit hinter mir: wenn einige von den Karten angekommen sind, die ich von unterwegs an Sissy schrieb (eine nur mit Bleistift), so wissen Sie schon, welchen Weg ich genommen habe, über Chur und von dort über Zürich ohne Aufenthalt nach Lausanne. Es sollte eine ganz andere Reise werden: ich ge¬ dachte von der alten bündnerischen Bischofs-Residenz nach Disentis zu gehen, von dort in einem Wagen über die Furka zu fahren, was mich instand gesetzt hätte, von Gletsch ab, die Rhone entlang, den Weg von Goethes zweiter schwei¬ zer Reise zu verfolgen, allerdings in entgegengesetzter Richtung. Nun fuhr ich von Soglio in einem eingeübten ausdauernden Regen fort und was unsere alte Kutsche auf den Höhen von Maloja erwartete, war (man kann es nicht schonen¬ der sagen) Winter, war ein Schneetreiben mit allem Zubehör, etwas Betrübliches, ja Bestürzendes für mich, der ich in mir noch so viel Bedürfnis nach Sonne, Wärme, nach gleichmäßigem gutmachendem Sommer unbefriedigt aufgespei¬ chert finde. Entsetzt fuhr ich gleich bis Chur durch, und obgleich dort, am zwei¬ ten Tage, das Wetter sich auf die eigentliche Jahreszeit zu besinnen schien, so war es mir doch gewagt, Laune und Temperament eines zweiten, vielleicht noch unwirscheren Gebirgs auf die Probe zu stellen: ich bin höchst gewöhnlich mit dem Eilzuge in Lausanne angekommen. Wie reizend ist (ich war leider nur einen halben Tag dort, will aber einmal für mehrere hin zurück) wie malerisch und lebendig ist diese Stadt, alles was mir von Genf versprochen war, an französischem Gefühl hab ich in ihr am Werke ge¬ sehen. Wie lebhaft baut sie sich auf und ab, und als ob die Neigung ihrer Straßen

57

die Sensibilität ihrer Bewohner bestimmte, so treibt, drängt, steigt, fällt und pulst das Leben in ihr; auf dem höchsten Platze die alte Kathedrale, zu der eine von Jahrhundert zu Jahrhundert erneute eingedeckte Holztreppe hinaufführt, wie das Leben selbst, das ja auch ein Provisorium ist zu einer uralten und fort¬ währenden Herrlichkeit hinan. Diese Treppe wäre dürftig zu nennen, wenn sie nicht demüthig wäre, wenn nicht die tägliche Vernutzung ihrem Geländer diese Polierung gegeben hätte, die den Glanz und die Kostbarkeit schöner Bronze an¬ genommen hat. Ich freue mich, in Nyon, wo ich nun bei der Gfn. Mary Dobrzensky-Wenckheim eine Weile bleiben will, so nahe an Lausanne zu sein, es zieht mich dorthin viel mehr als nach Genf, das mehr Fremden- und RivieraStimmung mit sich bringt und dessen Domkirche durch die Säulenhalle, die man ihr vorgesetzt hat, so viel von ihrer ursprünglichen Stärke verloren hat. Herrlich ist in allen diesen schweizerischen Städten (wie vor allem auch in Bern) der Platz um die Kathedralen, immer terrassenhaft, mit alten Bäumen bestanden, feierlich, ehrfürchtig, ein rechter Vorhof, von dem dann doch auch wieder der Ausblick in eine eröffnete Weite sich bieten mag. Aber in Nyon werde ich erst in vier, fünf Tagen sein; ich schreibe Ihnen aus Begnins, einem Dorf etwas überhalb Nyon, wo in einem kleinen Schlößchen eine Pension eingerichtet ist, die ich flüchtig kannte, und wo ich nun heute mit einem jungen Mädchen aus Paris Zusammentreffen soll. Das Herz drängt sich mir auf eine eigene Art; Marthe, die ich siebzehnjährig im letzten Elend gefunden, war mein Schützling, eine Arbeiterin, aber von jener unmittelbaren Genialität des Herzens und des Geistes, wie sie doch wohl nur bei französischen Mädchen zu finden ist. Welches Staunen, welches unbeschreiblich volle, ja überfüllte Glück hat sie mir in gewissen Jahren durch ihr waches, mich selbst überholendes Ver¬ stehen des Größten und Vollkommensten bereitet

ich weiß nicht, ob ein

Mensch mir je ähnlich vorgestellt hat, wozu ein Gemüth sich unmittelbar entfal¬ ten kann, wenn man ihm ein bißchen Lebensraum, ein bißchen Stille, ein klein wenig gutes Klima schafft. Das wird für mich fast schon eine Rückkehr nach Pa¬ ris sein, die Begegnung mit diesem im überzeugtesten Herzen von mir wissenden Geschöpf, durch sie -, wenn es auch nur ein paar Tage sind, die ich mit ihr zu¬ bringen kann -, werd ich am ehesten an die Bruchstelle meines einstigen Lebens wieder anheilen können, Marthe’s Hände werden das jähe Ende und den neuen Anfang zart aneinanderhalten. Was weiter mit mir wird, wie lange noch meines Daseins in der Schweiz wird sein können, das wird sich erst in Nyon entscheiden. In meiner münchner Wohnung hab ich einen Neffen von Lou Andreas-Salome nebst seiner Frau un¬ tergebracht, gewissermaßen hinter dem Rücken von Rosa, die auf dem Lande ist. Wenn ichs überlege, so möchte ich Ihnen ganz recht geben, München war längst nur noch drückend für mich, und wenn ich an die Rückkehr nach Deutschland denke —, ja, so wärs erleichternd, anderswohin zurückzukehren.

58

Roggenburg bleibt ein großes Ziel für mich, eines der wenigen, die ich deut¬ lich und dankbar vor mir sehe; ich wünsche fast, daß Sie die Stadt aufgeben und ganz dort bleiben möchten, denn auf dem Lande wird der Winter um vieles er¬ träglicher und natürlicher sein, nach allem, was man erzählt und fürchtet. Von der Fürstin Oettingen hatte ich, noch eben vor dem fortgehen, in Soglio einen langen Brief, ich freue mich, daß sie es in Räuden ziemlich ruhig hat; die Freude an ihren Enkelkindern scheint doch manche Beunruhigung der dortigen Zustän¬ de aufzuwiegen. Auch aus Kärnten (wohin Sie nächstens gehen wollen) hatte ich in der letzten Zeit mehrfach Nachrichten, die mir liebsten von der jungen Gräfin Ahne Kuenburg-Dietrichstein, der ältesten Tochter der Frstin Olga, die bei ih¬ ren Schwiegereltern auf Klünegg einige Wochen zugebracht hat. Nun muß ich Ihnen gewiß schon heute ein gute Reise wünschen? Gehen Sie alle zusammen hinunter? Der Abschied von Soglio war nicht leicht. Viel Inneres ist damit unterbro¬ chen worden. Und was als Freude begann: die kleine alte Bibliothek so passend und so für mich gemacht zu finden, mußte als Wehmuth ausklingen: einmal ei¬ nen solchen Raum, für lange, lange, und alle Einsamkeit eines Hauses und Gar¬ tens dazu -: Gott schaff es mir. Dies nur noch und nichts anderes. Liebes den Kindern und die herzlichsten Grüße für Graf Mirbach. Im freundschaftlichsten Gedenken bin ich, liebe gnädigste Gräfin, Ihr dankbar zugethaner Rilke

1. Dezember 1919

23. Zürich Hotel Baur au Lac am 1. Dezember 1919 (Montag) Meine liebe gnädigste Gräfin,

ja, nun bin ich wirklich besorgt um Ihren Brief, - am 11. November, telegrafier¬ ten Sie, sei er abgegangen, - wenn man ihm noch so viel Frist zugeben mag: er müßte eigentlich da sein. Mich erreicht immer wieder mehreres über Nyon, es ist ein gegangener Weg, - ja über alle möglichen Städte, in denen ich während der letzten Monate gewesen bin, kommt mir Post zu, die schweizerische Verwaltung ist ja von ungewöhnlicher Findigkeit und Zuverlässigkeit; und nun sollte gerade Ihr Brief verloren sein?! Er war „eingeschrieben“, zum Glück, ich warte weiter und reklamiere überdies in Nyon. Wie wohlthuend würde er mir gerade in diesen Wochen gewesen sein, ein kleines Stück Zustand in mitten vieler Unruhe, die umso empfindlicher war, als ich nicht wußte, wie sie sich endlich beenden und

59

verändern soll. Seit Soglio war mir der Boden weggezogen und ich hielt lange die kleinen Würzelchen in der Hand, die ich dort eingeschlagen hatte, schützte und schonte sie, bis sich nichts mehr für sie thun ließ, es dauerte zu lang, - sie star¬ ben ab; nun war ich ja bereit, neue auszutreiben, aber in welchem Erdreich? In Nyon sich zu befestigen, ging nicht recht an, außerdem kam der Termin meiner Vorlesungen heran, - ich begann in Zürich am siebenundzwanzigsten Oktober damit vor sechshundert Menschen, war dann der Reihe nach, immer mit größe¬ ren Zwischenpausen, vorlesendermaaßen, in St. Gallen, Luzern, Basel, Bern und schloß mein kurioses öffentliches Benehmen eben, Freitag, in Winterthur ab, in einem kleinen alten Theater lesend, vor grünem Vorhang bei zwei Kerzen, im Rahmen einer altmodisch einfachen Szene, die rechts und links von einer bie¬ dermaierischen Muse flankiert war. Ich durchbrach dieses Milieu einigermaßen, aber es war doch zunächst, als Voraussetzung, sympathisch hinzunehmen. In Bern las ich im Großraths-Saal vom Pulte des Präsidenten aus; vielleicht am Schönsten und Theilnehmendsten wars in Basel: die Stadt, im Schnee, wunder¬ bar, - eines der schönsten, angestammtesten Häuser, ein Burkhardt’sches, war mir freundschaftlich aufgethan, - auf dem Quai nachmittags, am Ufer des sonni¬ gen „kleinen Basel“ promenierend, trafen wir die hohe Gestalt des Erzherzogs Eugene und sprachen ein paar Worte mit ihm. Die Schweizer, können Sie den¬ ken, sind ein hartes und dichtes Material, es ist nicht eben leicht, sie zu penetrie¬ ren -, umso mehr rühm ich mich, daß es mir im Ganzen gelang; dies war nur möglich, weil ich mir ausdachte (ich las nur Gedichte) vor jeder Abtheilung des Abends kleine Einleitungen, Diskurse zu halten, die ich jedesmal, angesichts des Publikums, aus dem unmittelbarsten Stegreif erfand, — auf diese Weise war eine Basis hergestellt, auf der man ungezwungen sich verständigte, auch noch vor den einzelnen Gedichten schob ich solche Anmerkungen ein -, von Mal zu Mal wars mir leichter, in Bern und Winterthur zuletzt leistete ichs mit wachster Aufmerk¬ samkeit und hatte die Menschen in der Hand wie einen Viererzug. Wenn ich mich in solcher Art immerfort recht herausfordernd benommen habe, von Stadt zu Stadt, so hab ich mir durch eine weitere Herausforderung nun auch meine nächste Zukunft vorbereitet, indem ich eine Einladung ins Tessin ge¬ radezu provozierte (ja: zu meiner Schande sei’s so - ungemildert - gesagt). Leu¬ te, die ich nicht kenne, von deren lebhaftestem Interesse an mir ich allerdings seit 1912 durch gemeinsame Beziehungen unterrichtet war, haben mich (sozusa¬ gen in meinem eigenen Auftrag) eingeladen, ich habe genaue und strenge Bedin¬ gungen gestellt was Einsamkeit, Ruhe und Ungeselligkeit angeht (drei Dinge, die mir nach soviel redlich geleisteter Ausgabe noth thun —) und nicht verborgen, daß ich die Familie Bachrach (früher in Brüssel), die aus Vater, Mutter und Tochter besteht, als dreitheiligen Paravent, nicht anders, zu gebrauchen gedenke. Wirds gelingen? Ein altes Schloß mit Park scheints zu sein (Castello San Mater¬ no) und der alte Pavillon, den ich allein bewohnen soll, liegt ganz abseits in dem großen mit Mauern umgebenen Garten. (Das Ganze überhalb Ascona im Tessin, am Lago Maggiore!)

60

Rasch alle diese Nachrichten, meine liebe und verehrte Gräfin. Hätt ich doch die Ihrigen! Wie mags in München stehen - und bei Ihnen; was ist be¬ schlossen? - Roggenburg oder die Habsburgerstraße? Ich hoffe Sie Alle wohl und habe viel Grußaufträge in mir an die Kinder, meine Freundin Sissy beson¬ ders, und an Graf Mirbach. Freundschaftlichsten Gedenkens und Gefühls Ihr Rilke Und der eigentliche Brief-Anlaß kommt in die Nachschrift: Heut vor einer Wo¬ che gerade hab ich die „rothe Villa“ aufzusuchen unternommen; nun, wenns ge¬ nau eine der Ecken der Bühlstraße und der Länggasse gewesen ist, so ist keine „rothe Villa“ mehr da. Rechts und links „hat es“, wie man hier sagt, große Eck¬ häuser: das linke ein Miethshaus, rechts sogar die „Eidgenössische Alkoholver¬ waltung“! Dahinter in der Bühlstraße, auf den Kleinen Bühlplatz zu, stehen al¬ lerdings noch kleine Villen in Gärten, — aber davon ist es doch wohl keine gewesen? Ich hatte überhaupt den Eindruck, daß die ganze Gegend da oben sich sehr in ihrem Charakter verändert habe; sie war wohl früher, was jetzt das „Kir¬ chenfeld“ ist. Leben Sie wohl. Mir thuts leid, Ihre Erinnerungen nicht bestärken zu kön¬ nen, dafür habe ich den Anlaß, an Sie zu denken, herzlich dabei wahrgenommen. Ihr R.

24.

14. Januar 1920 Locarno (Tessin) Pension Villa Muralto, am 14. Januar 1920

Meine liebe Gräfin, wenn ich nicht irre, so schrieb ich Ihnen nicht seit Bern, damals als ich die Ex¬ kursion vor die „Eidgenössische Alkohol-Verwaltung“ (so hieß es doch?) unter¬ nahm, in Ihr altes Quartier ... Das Jahr ist noch klein: es soll nicht größer werden, ohne daß ich es Ihnen und den Ihren zu einem vollkommen guten gewünscht habe. Das ist einer der ganz wenigen Gründe, weshalb ich zuweilen bedauere, nicht in der AinmillerStraße zu sein, um solche Wünsche und so manches Andere von Zeit zu Zeit zu Ihnen hinüber bringen zu dürfen. Nichtwahr, es schläft nichts ein zwischen uns? - Unsere Nachbarschaft, - daß ich sie so spät erst entdecken mußte, nicht gleich damals nach unserem Theater-Abend in den Kammerspielen! - ist eine von mei-

61

nen Errungenschaften innerhalb der toten und bangen fünf Jahre, - aber die will ich nun auch aus ihnen in alle Zukunft mit hinüber nehmen. Übrigens wars einen Moment ganz nah an meiner Rückkehr, aus ValutaNöthen. Eine Gastfreundschaft in der hiesigen Gegend, die ich hoffte antreten zu dürfen, versagte, erwies sich als unmöglich, und der Rückschlag dieser uner¬ freulichen Thatsache stieß mich bis an den Rand der Rückreise - das ist nun vo¬ rübergegangen, ich halte mich so hin -, aber ohne viel Freude und ohne, daß ich zu dem komme, wonach mich verlangt und wobei ich längst müßte angekommen sein: meiner Arbeit. Sogliox bot halb und halb die Bedingungen dazu, — aber, es hilft nichts, ich muß einmal, für ein halbes Jahr wenigstens, diese Bedingungen ganz verwirklicht finden, ohne Kompromis und ohne Abzug. Muß ich mich schämen, so abhängig vom Äußeren zu sein? Ich wills ja nicht immer bleiben; als Gegenmittel aber gegen diese fünf Jahre, die im Rücksichtslosen und Eingreifen¬ den übertrieben waren, brauch ich nun wirklich (ich fühls immer mehr und im¬ mer ungeduldiger!) eine Übertreibung nach der anderen Seite: Schutz, Allein¬ sein, ununterbrochenes, und eine ununterbrochene Stille, wozu ich ja alle Geräusche der Natur gerne rechnen mag, - nur keine Menschen, statt der Men¬ schen alte Dinge, die so vieles erzählen und überliefern und soviel wahrer und unbeirrender sind -, ach ein halbes Jahr einmal kein Gesicht haben müssen und keine Worte, als die in die Arbeit eingehen -: das wäre meine Rettung und Be¬ freiung. Wird sich das je finden? Ich merke schon, suchen darf man es nicht, es müßte eines Tages dasein, und ich glaube, trotz des Krieges, immer noch an eine Welt-Ordnung, die solche Fügungen für die schafft, die sie ehrlich und dringend nöthig haben. Es sind ihrer ja nicht eben viele mit solchem Bedürfnis und sol¬ chem Geschmack! Meine münchner Installation, sammt der guten Rosa, ent¬ spricht ja auch so wenig diesen Neigungen, das macht mir die Rückkehr beson¬ ders drückend, daß ich, ganz abgesehen von den allgemeinen Erschwerungen, wieder so völlig ins Falsche komme. Denken Sie, ganz unerwartet hat mir der Fürst Max Egon zu Fürstenberg (ich weiß aber auf wessen Anspruch und Fürsprache es geschah) ein paar Räume in einem alten Barockschlößchen Wartenberg (nahe Donaueschingen) angeboten; er sandte eine Abbildung mit; es ist ein liebes altes Kommödchen in schöner Gegend mit Park und Wald, unten wohnt der Schloßverwalter —, das wäre nicht schlimm -, (jetzt muß ein „Aber“ kommen, nach den infamen Gesetzen des Satzbaues, nichtwahr?: es kommt auch:) Aber: dieser Schloßverwalter unterhält leider auch etwas wie eine „Wirthsstube“, in die zu Zeiten (das ist des Fürsten eigener Ausdruck) „zahlreiche“ Ausflügler kommen, um der Aussicht willen. Da stürzte mir schon (konnte es anders sein?) mein neues unvermuthetes Chateau d’Espagne zusammen, denn ist mit diesen „Ausflüglern“ nicht wieder allem und dem aufdringlichsten Zufall Thür und Thor geöffnet? Ich fürchte.

62

Ich kann hier nicht in den entlegenen Kirchen sein, die verlassen in den Rebhügeln liegen, ohne daß mir die Thränen kommen: einfach aus Glück über die Milde der Stille, die in ihnen anhält — dies, dies, solche Stille, solche innige Stille: ich verspreche nicht ein Heiliger zu werden in ihr, aber meine Arbeit wür¬ de schon so etwas wie (mindestens): bienheureux ... Liebe Gräfin, Ihr Brief vom elften November (quoiqu’elle etait recommandee) ist also wirklich verloren; oder zu Ihnen zurückgekehrt? Da ich beim Post¬ amt in Nyon reclamierte, kam die Antwort, es möge am Absende-Ort, also bei Ihnen, das Nöthige eingeleitet werden. Wie oft entbehr ich diesen Brief! Denn bedenken Sie, wie lange ich nun nichts von Ihnen weiß, ich kann mir rein nichts mehr vorstellen. Eine Weihnachtskarte an Sissy sandte ich auf Gut Glück nach Roggenburg ... Wie steht es sonst in München? - Ist Paul Thun wieder da, oder noch in Böhmen? Und ob die Baronin Geyr in Italien ist -? Sehen Sie viele Men¬ schen, angenehme? neue? Und Bücher? Besitzen Sie schon die Aksäkow’sche Familien-Chronik, eines der Bücher, an denen ich vor zwanzig Jahren russisch gelernt habe, ein wunderbares und rührendes Buch: jetzt liegts übersetzt vor, darf ich es Ihnen senden? - Nur ein paar Worte einmal, darüber und über Ihrer Aller Thun und Ergehen. Sie beglücken damit und trösten auch ein wenig Ihren immer treulich ergebenen Rilke Dem Grafen Mirbach und den Kindern das Herzlichste. x(die beiliegenden Bildchen zeigen die kleine alte „Bibliothek“ in Soglio, die mir so ganz vertraut war vom ersten Moment an und während zweier Sommermona¬ te.)

17. Februar 1920

25. Locarno (Tessin) Pension Villa Muralto am 17. Februar 1920 Meine liebe, gnädigste Gräfin,

auch von mir heute nur ein kleines blaues Blättchen, vorläufig und eilig, - aber wenigstens im Moment geschrieben, da ich Ihre Zeilen empfange und mit ihnen den verloren gefürchteten Brief, der eine besondere Antwort bekommt nächs¬ tens (wie freu ich mich, daß er so groß ist!) -, allerdings nicht mehr von hier aus, denn ich sitze zwischen zu drei Viertheilen gepackten Koffern und ziehe in eini-

63

gen Tagen auf ein burckhardt’sches Gut in der Nähe von Basel, wo ich endlich (als Gast) ganz allein hausen werde. Aber was für ein Gedräng unguter Nachrichten, auf Ihrem kleinen Blätt¬ chen. Gottlob, daß alles so weit überstanden ist, aber nun sorgen Sie nur für Ihre eigene Erholung, in Garmisch. Was könnt ich rasch dazu beitragen? - Ich schrieb Ihnen, glaub ich, von der Aksäkow’schen Familien-Chronik und empfahl sie Ihrer Aufmerksamkeit, aber sicher kamen Sie bei aller verdrießlichen Abhal¬ tung nicht dazu, sich das Buch zu bestellen; nun hoff ichs geradezu. Denn mit der heutigen Morgenpost erhielt ich eben wieder ein bestelltes Exemplar (ich ha¬ be immer gern eines im Hause) - nun send ichs Ihnen rasch für Ihre Ruhezeit, liebe Gräfin, ich wüßte nicht, was Ihnen umgehendere und zutraulichere Gesell¬ schaft leisten könnte. Wie wär ich froh, wenn’s noch für Garmisch zurecht käme und Ihnen dort lieb wäre. Nun hoff ich nur meine kleine Freundin Sissy und Lato erholen sich rasch und gut. Seit zwei Monaten spricht man auch hier von nichts als dieser wider¬ wärtigen Grippe, unsere tessinische Ecke ist noch verhältnismäßig verschont geblieben, aber in einigen Städten soll es rechte Verwüstungen geben. Aber ich schließe, daß dieses (und das Buch) rasch, rasch bei Ihnen sei. Dankbar, in freundschaftlicher Ergebenheit Ihr Rilke P.S.: Wie reizend ist die Verkleidungsgeschichte -, und daß sie gelang, herrlich, daß sie gelang! Noch neulich, über einer Stelle bei Goethe, dachte ich, ob ähnli¬ ches heute noch möglich sei. Es ist also möglich, und das scheint mir irgendwie tröstlich, inmitten einer Zeit, die nicht mehr spielt und zaubert.

26.

27. Mai 1920 Gut Schönenberg bei Pratteln Basel/Land Schweiz, am 27. May 1920

Meine liebe, gnädigste Gräfin, Ihr „Probeballon“ hat immerhin - allerdings über Locarno! — fast acht Tage ge¬ braucht -, umso mehr eil ich mich, ihn sofort zu beantworten. Es betrübt mich zu Herzen, daß Ihnen May und Heimath durch die Sorgen um Ihre Mutter ver¬ düstert sind, — möge der Brief, auf den ich mich nun so sehr freue, bessere Nach-

64

richten enthalten können und sonst viel und Gutes von Ihnen. Ob ich einmal diese kärtner Heimath sehen werde und ob ich mich in ihr erkennen und finden würde? Noch neulich schrieb mir ein junger Dichter, Lernet, aus Klagenfurt, er habe unter den Wappen im Stadthause auch das unsere betrachtet und in der That ist es ja eine der Legenden unserer Familie aus jener alten kärntener Wurzel auszugehen, die nicht gerade sehr glänzende, aber immerhin lange und tragende Triebe in die Länder und Jahrhunderte ausgeworfen hat. Da hats eine eigene Sü¬ ßigkeit und Tröstung für mich, daß Sie dieses Land unserer fernsten Herkunft „unbeschreiblich wunderbar“ nennen, als sollte es mir damit nochmal verspro¬ chen sein. Vielleicht auch leg ich solche Bedeutung mit besonderem Eifer hinein, weil die Heimathlosigkeit mir grade wieder dringender zusetzt, so recht von al¬ len Seiten; ich weiß, Sie haben mich immer in Verdacht gehabt, daß ich die Schweiz als ein Sprungbrett ins Weitere benutzen würde, z.B. in’s Italiänische -, und ich wurde selber immer mehr gewahr, wie sehr das meine (zum Theil unbe¬ wußte) Hoffnung wirklich geworden ist; die Einreise wäre nicht schwer, aber die Valuta ist noch weit davon, einen längeren Aufenthalt im Ausland zu gestatten. Auf der anderen Seite hat sich mir München verschlossen durch die zunächst ganz rigoros betriebene Ausweisung aller nach dem ersten August 14 zugezoge¬ nen „Ausländer“, - ich habe ein Gesuch gemacht, aber man schreibt mir, es habe wenig Aussicht auf Erfolg. Ich weiß nicht: soll ich den Umstand, daß ich nun im Besitze eines tschechoslowakischen Passes bin (seit zehn Tagen), als einen Wink auffassen, nach Böhmen zu gehen - ? Es könnte sein, daß dies der Entschluß meines Sommers wird, zumal die Fürstin Marie Taxis mir ein kleines Häuschen im Parke von Lautschin einräumen will, so daß ich Gast sein dürfte, ohne alle die unruhigen und unselbständigen Verpflichtungen, die diese Lage auch noch in den besten Fügungen mit sich bringt. Auch hier empfange und gebrauche ich nun die schönste Gastfreundschaft. Zwei Monate lang war ich sogar allein in dem Herrschaftsstock des alten Pächterhauses, in einer Umgebung von alten Möbeln und Bildern und Büchern, wie sie nie verfehlt, mit wohlzuthun: doch ge¬ lang es ihr diesmal nur auf Umwegen, sozusagen; ohne die Grippe ausdrücklich mitzumachen, war ich doch wochenlang wenig wohl, und die Unsicherheit aller Verhältnisse, trübe Nachrichten aus aller Welt, schließlich auch die Unzufrie¬ denheit mit der etwas formlosen Ausdehnung meines schweizer Provisoriums ließen eine Stabilität und klare Durchsichtigkeit des Gemüths nie recht aufkommen. Ein „Sprungbrett“ ist eben doch kein anhaltendes Logis und seine Ähnlichkeit mit einem Keilkissen macht es in keiner Weise bequemer und be¬ haglicher. Daß ich fort will, ist mir täglich beim Aufwachen klar, aber während des Tages jedesmal umgiebt sich das „Wohin“ mit einem Gestrüpp von Fragezei¬ chen, sodaß ich mit der ganzen Trägheit des Unbeweglichen abends schlafen ge¬ he. Daß Sie „Rilke“ vorlesen, rührt mich sehr -, Sie glauben nicht, wie sehr ich Sie dazu autorisiere! — ich selber thue dergleichen jetzt selten, seit den öffentli¬ chen Abenden. Nur neulich las ich meinen Gastfreunden (dem jungen Ehepaar

65

von der Mühll-Burckhardt) einige Michelangelo-Übertragungen vor

das einzi¬

ge meiner Gebiete, auf dem ich ein paar Furchen gepflügt und geerntet habe; aber wenig. / Lese ich übrigens die Namen recht, die Sie schreiben: „Rotky“ und „Prandau“? Ich habe keinen von beiden je gehört und wäre sehr gespannt, etwas dazu zu erfahren. Daß die Aksakow’sche Chronik Ihnen Freude machen mußte, das konnte keine irrthümliche Annahme sein; aber nun beglückts mich doch, daß Sie mir das so lebhaft bestätigen. / Alles, alles Gute, liebe gnädigste Gräfin! Ich bleibe Ihrer Freundschaft ganz und gar dankbar und empfohlen, als Ihr Rilke

27.

25. Juni 1920 Palazzo Valmarana a San Vio, Venedig, am 25. Juny 1920

Diesen Morgen, meine liebe gnädigste Gräfin, erreichte mich Ihr Brief von Basel, - aber, vor allem, sehen Sie nur: wo! In Venedig, und nicht nur in Venedig, son¬ dern in dem alten unveränderten Mezzanino im Palazzo Valmarana, das der Fürstin Marie Taxis im Ganzen gut erhalten geblieben ist, so daß sie heuer zuerst wieder einige Wochen hier zubringen konnte. Sie zu sehen, fuhr ich am 11. Juny hier herunter, der Fürst Alex war auch da, außerdem noch ein Besuch, die Fürs¬ tin konnte mich nicht logieren, dafür aber zog ich gleich nach ihrer Abreise, An¬ fang dieser Woche, bei ihr ein, in die schönen Zimmer, die für mich mit soviel bewegten und reizenden Momenten des Gewesenen ausgestattet sind. Dieser Charme der venezianischen Mezzanini: nirgends können niedrige Räume so groß sein, so weit, so harmonisch in den Proportionen (: denn alle Weite, wie im Leben, im inneren auch, ist zuletzt Proportionsfrage —), als ob sie sich aus Überfluß die Einschränkung, niedrig zu sein, selbst auferlegt hätten. Und die Fürstin, die von der Kindheit her zu Venedig zugehörig geblieben ist, hat dieses Pied-ä-terre mit besonderer Theilnehmung und Empfindung eingerichtet. Ich selbst hatte im Jahre 13, in der langen Zeit meines hier-Wohnens ein paar Klei¬ nigkeiten zugetragen, wie es die Fügung brachte, — ein paar Gläser, eine kleine italiänische Bibliothek in gleichmäßigen Einbänden des Dix-huitieme, ja sogar den Schreibtisch, an dem ich Ihnen schreibe: es war wie ein Traum, diese verges¬ senen Dinge wieder zu berühren, ich merkte erst, wie groß mein innerer Ver¬ zicht im Allgemeinen gewesen war, ich hatte in mir eine Gebärde des Aufgebens zurückzunehmen, zu widerrufen, um diese Dinge wieder wahrzuhaben. Seltsam,

66

es ist alles wie einst, und wie ich hier sitze, könnte ich mich ohneweiteres mit meiner Umgebung, mit den Geräuschen und mit der Luft selber auf die Jahres¬ zahl 1914 verständigen, auch die Gräfin Valmarana oben (bei der ich gleich in der Fortsetzung der alten Freundschaft arglos aufgenommen war) spricht jedesmal, wenn sie an mein letztes Wohnen im Mezzanino denkt, unwillkürlich von: l’annee passee ... Wenn ich also hoffte, alles unverändert zu finden, so ist, ich muß es zugeben, dieser Wunsch mit jener Genauigkeit in Erfüllung gegangen, mit der die Feen manchmal die Sterblichen zu verblüffen wissen, indem sie mehr erfüllen als menschlich vorsehbar war. In den Märchen ist der Wunsch immer etwas Voreiliges, Unvorsichtiges, - so auch der meine: denn ich habe nicht ge¬ meint, daß auch ich selbst, alledem gegenüber mich so durchaus unverändert empfinden würde. Mein durch die Verhängnisse bis in’s Innerste hinein angehal¬ tenes und abgestelltes Leben, muß doch wohl eine wirkliche Erstarrung durch¬ gemacht haben (ich wollte es so, es war mein einziges Mittel, die allgemeine, ein¬ dringliche Entstellung zu überstehen!), aber nun ist es doch hart, sieben Lebensjahre weiter, älter, abgenutzter zu sein, ohne jene Beweise konsekutiver innerer Verwandlungen, die das Lebendigsein schließlich ausmachen. Vielleicht irr ich mich über den Grad meines Gleichgebliebenseins —, und bin doch irgend¬ wie anders, das bleibt abzuwarten, seit ich nun allein hier bin, lebe ich immer am Rande der Wiederholung, alles macht sich ja zuletzt zur Noth gegenwärtig, aber unter dem Auftreten einer zu nahen Cousinage mit dem damals! / Trotzdem, wie froh bin ich über diesen Ausbruch aus der Schweiz, die ich doch immer mehr nur für ein Wartezimmer halten kann, an dessen vier Wänden ein paar schweizer Ansichten aufgehängt sind. In 8 bis 10 Tagen muß ich zurück nach dem Schö¬ nenberge und will von dort weiter, wenn ich erst nur errathe wohin. Daß Sie für Böhmen sprechen, bestimmt mich sehr, ob ich gleich über die dortigen Zustände recht unangenehmes gehört habe. Aber wo ists besser? Meine Rückkehr nach München ist durch Zechs energische Intervention plötzlich möglich geworden, und vor allem erschein ich jedenfalls dort und - vielleicht — in Roggenburg! Lie¬ be Gräfin, Dank, Dank! Und nun glauben Sie nur noch dies, daß ich Ihnen heute auf jeden Fall würde geschrieben haben, ich hatts schon gestern vor, vor Ihrem lieben Brief. - Gutes, Besseres für den Grafen. Meiner Freundin Sissy halte ich immer noch die Stange, überzeugt, daß sie das für die Obstruktion nöthige Kraftquantum oft schon im Stillen anderen, aufbauenden Anwendungen zuführt. Sie wird uns eines Tages überraschen. Immer im Schutze Ihrer Freundschaft Ihr Rilke Bringen Sie mich bei der Fürstin Sophie Oettingen recht sehr in Erinnerung!

67

28. Juni 1920

28. Montag, den 28. Juny

Der Brief ist liegengeblieben, liebe Gräfin, mit Absicht, ich wollte noch ein we¬ nig weiterschreiben, nun sind wir aber seit drei Tagen mit einer so auflösenden Hitze versehen, daß ich nicht weit kommen werde; ich merke, daß ich die daraus entstehende Erschlaffung stärker empfinde, als vor Jahren, ein Seebad am Lido wäre das richtige, aber die Vaporetti streiken seit einer Woche, man wäre ihnen dankbar für ihre Abwesenheit, wenn nur dabei die Gondeln nicht unerschwing¬ lich geworden wären. Die meisten venezianischen Familien, auch meine Hausge¬ nossen, die Valmaranas, haben die ihrige aufgegeben und so sind alle Wege, die nicht gerade innerhalb der Calli sich machen lassen, außerordentlich erschwert. Ich hätte noch ein anderes Fahrtziel, den Garten der alten Mrs Eaden drüben auf der Giudecca, den letzten überlebenden der einst so reizenden Giudecca-Gärten: hohe Bäume nur einzelne, am Rand, aber ein Garteninterieur aus Weinlaubgän¬ gen, kleinen steinern eingerahmten Wasserstücken, Rosenparterres, Granatbü¬ schen, an denen die Blüthen aufbrennen und, im schwebenden Wechselschatten des Weinlaubs aufragenden Malvenstöcken; Hecken und eine alte Mauer, in de¬ ren Nischen verwitterte Steinfiguren stehen, schließen diese in sich vergnügte Heiterkeit ab und jenseits davon bleibt ein einfacher Rasenstreifen dem Ganzen gegen die Lagune vorgelagert, den man, durch eine der kleinen Pforten hinaus¬ tretend, eigenthümlich leer und ernst empfindet, schon mehr zum Meer als zum Garten gehörig, Platz lassend für den Meer-Raum, der über die einfache Back¬ steinbrüstung herüberdrängt, sich fortwährend aus dem Unendlichen erneuernd. Ich habe immer den großen Takt bewundert, der noch der des Dix-huitieme ist, und veranlaßt hat, daß das fröhliche Gedräng des Gartens nicht bis an die Wasser des Vormeeres heran vorgeschoben wurde; nichts ist ergreifender als dieser Streifen Zwischen-Welt, als sollte man sich in ihm der Vielfältigkeit entwöhnen und auf ein Ewiges vorbereiten, das einfach ist. Wie mag die Düse, die diesen Garten immer sehr geliebt hat, sich selber erkannt haben, wenn sie aus seiner Er¬ fülltheit, in der man versteckt und verspielt wird, tausendmal in’s Offene hinaus¬ schritt, wo man mit einem Male vereinzelt ist, einsam auf einem Wiesenstreifen, verlassen

Gestalt! In gewissen Momenten des Jahres kann dieses Vorland, das

keinen Pfad hat, nur Rasenboden, so daß der Schritt immer lautlos bleibt, wie ein Strand für Abgeschiedene sein -, niemals habe ich das Gefühl des Abschieds so restlos in räumliche Erscheinung umgesetzt gesehen-, jetzt, im zunehmenden Sommer, tritt auch dort eine Art Linderung ein, die Lagune blendet und man wendet sich unwillkürlich zurück, dem Garten zu und bleibt im Bewußtsein sei¬ nes ununterbrochenen Glücks. Die schönen alten Bäume des Hintergrunds ge¬ stalten sich in den durchscheinenden Himmel hinauf und über ihnen, blaß aus Rosa und Grau, Mauer und Kuppel des Redentore! — Ich weiß, liebe Gräfin, daß das keine Beschreibung ist, genau wie ein Gesicht, ein Blick, ein Gemüth, kann

68

der Giardino Eaden nur erlebt sein, nicht erzählt

ja im Grunde ist es doch mit

ganz Venedig so, man nimmt hier nicht wie mit Gefäßen und Händen auf, son¬ dern wie mit Spiegeln, man „faßt“ nichts, man wird nur einbezogen ins Vertrau¬ en seines Entgehens. Von Bildern erfüllt den ganzen Tag, wüßte man für kein einziges einen Beweis aufzubringen, Venedig will „geglaubt“ sein; als ich es zu¬ erst sah, im Jahre 1897, geschahs als Gast eines Amerikaners! Nun, da war’s überhaupt nicht und damit doch etwas Wirklichkeit hineinkomme in dieses Nichts, stach mich eine sehr mächtige giftige Fliege, so daß ich mich um ihren Stich herum einigermaßen lokalisieren mußte! Lang bleib ich nicht mehr diesmal, ja überlege, ob ich nicht schon in drei, vier Tagen fortsoll. Wie in der Schweiz versteck ich mich auch hier doch nur vor der Entscheidung, die ich um so eher zu treffen habe, als ich auch auf dem Schö¬ nenberg, seit meine Gastfreunde hinausgezogen sind, keine Arbeitsathmosphäre vorfinde. Wohin?! - Ja, hätten Sie den Garten-Pavillon, es wäre auf alle Fälle der rechte. Wird es nun Böhmen werden? Oder doch noch einmal München für eine Weile, wenn ich den Herr Dr. Feist, der bei mir eingezogen ist, erst wieder aus¬ logiert habe. Oder, was das Scheußlichste, aber in gewissem Sinne Redlichste wä¬ re, - Leipzig, wo die Anwesenheit des Insel-Verlags mir manche Avantagen bö¬ te? / Scholastica Bergamin kenn ich weder, noch auch den Namen: Sittenberger. Haben Sie, in Klagenfurt, etwas von dem jungen Lernet (Alexander) gehört, von dem ich sehr merkwürdige Produktionen in Händen hatte? — Nun aber Schluß nochmals, und heute soll dies sicher fort. Immer Ihr Rilke

29.

20. August 1920

Hotel Les Bergues, Geneve Am 20. August 1920 Meine liebe gnädigste Gräfin, ob sich das gleich eine enveloppe anmaßt, dem Werthe nach wird es auch nur ei¬ ne Ansichts-Postkarte, der contre-ballon auf Ihren kleinen „Probe-Ballon“ hin, den ich eben vom Schönenberg nachgesendet erhalte. Was werden Sie zu meinem Leichtsinn sagen?!: Kaum von Venedig zurück und fast reisefertig für den Ernst der Grenzrücküberschreitung, bin ich noch einmal an den Genfersee gefahren, wie im Traum. Es fiel mir so aufs Herz, wie ich doch vorigen Herbst vor allem hier fortgegangen war, im Gefühl, noch wie¬ der herzukommen, Bern — Genf - nirgends hatte ich eigentlich Abschied ge¬ nommen. Dabei dachte ich auch an einzelne Menschen, an die Pitoeffs vor allem,

69

Georges Pitoeff und seine Frau, die dieses wunderbare Theater leiten, von dem ich Ihnen damals gewiß geschrieben habe, denn es ging mich nahe an und gehört zu meinen wichtigsten schweizer Erlebnissen. Kurz, das alles wollte ich nicht so ungenau hinter mir zurücklassen, es sollte mir noch einmal im Gefühl lebhaft werden

vier Tage billigte ich mir für Genf zu-, nun bin ich vierzehn hier

gewesen und reiße mich schwer los. Morgen bin ich noch einmal in Bern —, und denke dort wiederum an Sie. Dann Zürich und zurück auf den Schönenberg, aber diesmal nur, um die großen Koffer zu schließen. Ende des Monats dürfte ich (um mich vorsichtig auszudrücken -, wie soll ich mir noch trauen?) dürfte ich aber wirklich in München sein. Rosa reklamiert mich schon mit Ungeduld, bei¬ nah mit Unwillen. Wie mich alles dort anmuthen wird, nach so viel Abwesen¬ heit? Darüber hinaus wartet Böhmen, Lautschin und „reklamiert“ auch schon sehr. Wenn ich von München nicht zu rasch weitergehe, käme ich mit ganzem Herzen nach Roggenburg, nicht allein, um mir das versprochene Buch zu holen, wie Sie denken können, sondern überhaupt, aus allen den lieben Gründen, die dafür vorhanden sind. Aber ich kann nichts versprechen, denn vielleicht muß ich nach Böhmen weiter eilen, - das kleine Haus, das mir die Fürstin Taxis einräumen will, ist im¬ mer in Gefahr, wegen Wohnungsnoth beschlagnahmt zu werden und nur mein leibhaftiges Dortsein könnte das verhüten. Vor der Hand denk ich erst nur noch bis München und werde schon genug verwundert sein, wenn ich bis dorthin gelange. „Daß ein Tag wie der andere in schönster Ruhe dahin geht“ - das les ich mir aus Ihrer Karte mit besonderer Freude heraus. Giebt es jetzt einen kostbareren Zustand als den: ich wüßte kei¬ nen, den ich Ihnen mehr wünschen könnte, keinen freilich auch, der mir inner¬ lich nöthiger wäre. Denn selbst das Schönste hier war für mich immer mit viel Unruhe verbunden, und wo es sich selbst für den Moment vollkommener mach¬ te, wirkte doch die Unsicherheit meiner Zukunft durch alle Fugen herein. Allen Ihnen das treueste Gedenken, gute Tage, noch ganz sommerlich, und viele Rosen! Immer Ihr Rilke

70

30.

27. Oktober 1920 Hotel Foyot, rue de Tournon, Paris, am 27. Oktober 1920

Sie staunen, glaub ich, gar nicht genug, meine liebe gnädigste Gräfin, wenn Sie diese Adresse lesen -? Sie haben mir immer schon dergleichen Fort-Schritte zu¬ getraut, die weitesten! Aber sehen Sie nur, sehen Sie nur!: was soll ich sagen, es ist vollkommen, vollkommen gut; ich empfinde, zum ersten Mal seit den ent¬ setzlichen Jahren, wieder die Continuität meines Daseins, auf die ich schon ver¬ zichten wollte: denn auch die Schweiz setzte nur die Unterbrochenheiten (mil¬ der, gefälliger, verdeckter, wenn Sie so wollen -,) fort, aber hier, hier: la meme plenitude de vie, la meme intensite, la meme justesse meme dans le mal-: ganz unabhängig vom politischen Gedräng und Gemächte, ist alles im Großen geblieben, drängt, treibt, glüht, schimmert: Oktober-Tage: Sie kennen sie. Ich passe an alle Bruchstellen, ja und nun empfind ichs kaum mehr. Dürft ich hier bleiben, ich würde morgen mein Leben haben, alle seine Gefahren, alle seine Seeligkeiten: mein ganzes Leben: ma vie, depuis toujours mienne - Aber, das hindert die Valuta: es werden nur vier, fünf Tage gewesen sein, — aber auch so ist’s mir recht und lieb: ich weiß jetzt wieder, mein Bewußtsein hat seine Ein¬ schränkungen aufgegeben, das auf-der-Stelle-anstehen hat aufgehört, ich kreise wieder in meinem Bewußtsein. Eine Stunde hier, die erste, würde dafür genügt haben. Und ich habe doch hunderte gehabt, Tage, Nächte -, und jeder Schritt war ein Ankommen. Damals als Sie mir zuletzt, in dem gütigen Brief vom Anfang September, den Weg über Roggenburg vorschlugen, glaubten Sie mehr an meine Rückkehr, als ich selbst. In mir war eine Stimme, die das Bleiben anrieth, nun weiß ich, wo¬ zu es sein sollte. Ich gehe vielleicht schon morgen in die Schweiz zurück, erst nach Geneve, dann ist meine Adresse Basel, Ritterhof, Rittergasse 20 (bei Frau D. v. d. Mühll), — und es sieht so aus, als ließe sich das gastfreundliche Element dort noch ein wenig bewohnen, was ich schließlich doch noch (ich kann nicht sagen warum -) der Rückkehr vorziehe. („Rosa“ wird verzweifelt sein). Nun sind Sie schon seit mehr als einem Monate in der Habsburgerstraße: ich hoffe und wünsche, es geht allen Ihrigen aufs Beste. Meine Grüße an Graf Mirbach und Herzliches für die Kinder. Eilig: denn vor der Thür ist der Luxem¬ bourg, schimmernd: wie soll ichs da länger am Schreibtisch aushalten? Vielfälti¬ gen Gedenkens in dankbarer Freundschaft Ihr Rilke

71

25. November 1920

31. Schloß Berg am Irchel Kanton Zürich (Schweiz)

am 25. November 1920 Meine liebe gnädigste Gräfin, Ihre Sendung und Ihr gütiger Brief - beides hat mich erst vor zwei Tagen, von Basel her, erreicht: die liebe Weisung in der Scholastica Bergamin, „zu einer gu¬ ten Abendstunde“ hab ich noch am gleichen Tage befolgt

an meinem schönen

Kaminfeuer (einem rechten französischen Kamin mit allem Zubehör, Spiegel und Pendule, die die Signatur aufweist: (Sie errathen die Schrift): Vanain ä Paris (viel schöner natürlich!). Besser hätte man für das kleine Buch nicht eingerichtet sein können, ich las es in einem Zug, war gerührt und mitgenommen; in man¬ chen Momenten hat er sich recht hineingefunden und ein raccourci des Herzens gegeben, z.B., wenn er die Kleine schreiben läßt: „Eine Nacht in meinem ganzen Leben hat mir gehört.“ Das ist schon Sache eines Dichters, diesen Ausdruck ge¬ wählt zu haben. Anderes, daneben, ist eben nur erzählt, und mir ist „halt“ die ös¬ terreichische Ausdrucksweise für manches nicht zulänglich, ich hätte da und dort reinere Formungen gewünscht, trotzdem man immer denken muß, daß ja Scholastica die Berichtende ist, mit ihrem eingeschränkten Sprachkreis und ih¬ rem privaten klagenfurtischen Gemüth. Aber das imaginäre Journal darf ja, ohne seiner, darin dargestellten Schreiberin Unrecht zu thun, über sie hinaus geschrie¬ ben sein, - seine Unbeholfenheiten müssen nicht nothwendig mit denen iden¬ tisch sein, die die wirkliche Gestalt würde begangen haben, - der Dichter erfinde da (wenn er ausreicht) gewissermaßen die Verklärung aller einzelnen Mängel, er wird völlig und wunderbar im Recht sein und tiefer ergreifen, als die authenti¬ sche, naive Beschränktheit es mit sich gebracht haben würde. — Aber genug, er¬ griffen ist man schon über dieser schicksäligen Geschichte, nur so wie sie ist, mag sie einem zu guter Stunde ausreichend gewesen sein. Aber, liebe Gräfin, ich sehe Sie fragend und so fragend, daß Sie gar nicht recht zugehört haben, während ich da vor Ihnen Herrn Hans Sittenberger in die Strenge nahm -, Kamin, französischer Kamin, Spiegel, Pendule -, und, über dem Ganzen, als Überschrift, : Schloss Berg am Irchel ...? Wie geht da[s] zu? Mit ei¬ nem Wunder geht es zu, - anders ists nicht zu erklären. Wie beeil ich mich nur, es Ihnen beizubringen, was mir da Unbegreifliches widerfahren ist? Denken Sie, die Vergünstigung, die mich nach Paris hat reisen lassen, hat, sozusagen, noch einen zweiten Akt gehabt, indem mir, im Augenblick meiner Rückkehr, das klei¬ ne alte abgelegene Schlößchen Berg (mir, ganz allein!) als winterlicher Wohnsitz angeboten wurde! Sie erkennen es ungefähr auf der beiliegenden Karte: ein festes

72

altes Haus, aus Hausteinen, in seiner letzten Form aufs siebzehnte Jahrhundert zurückreichend, mit seitlich sichtbarem Stufengiebel, - vor sich einen etwas ver¬ nachlässigten Park, darin geschnittene hohe Buchengänge rechts und links die ungerahmte Piece d’eau begrenzen, in deren Mitte, Tag und Nacht, wie ein spie¬ lender Baum (un arbre de luxe) die schlanke Figur der Fontäne steht. (Und die, mit ihrem immerfort abgewandelten Niederfall, ist nun wirklich das Maaß der Geräusche, selten reicht etwas über ihr Rauschen hinaus!) Blickt man, im entge¬ gengesetzten Sinne, wie die Karte ihn giebt, aus einem der Fenster (die meinen sind die des Erdgeschosses) in den Garten hinaus, so sieht man ihn im Hinter¬ grund, jenseits einer weitgestellten Allee alter Kastanien, ohne Abgrenzung in die Landschaft übergehen, in Wiesen, die, im sachtesten Anstieg, an den Fuß des Irchel heranreichen, jenes gleichsam nachgiebigen bewaldeten Hügels, der das Bild schließt, ohne es fühlbar einzuengen. - Meine Räume sind schön, groß, voll alter sympatischer Dinge, - große Kachelöfen sorgen, neben dem Kamin, für die Erwärmung — und, sooft Sonne da ist, scheint sie strahlend zu allen meinen Fenstern herein. Eine stille verständige Wirtschafterin versorgt mich, genau wie ich es brauche, und scheint auch über meine Schweigsamkeit und Verschlossen¬ heit (denn so muß ich mich halten, um zur Arbeit zu kommen!) nicht weiter er¬ staunt zu sein. - Ich erzähle ein Märchen, nichtwahr? Ja, was sagen Sie dazu, daß ich der Mittelpunkt dieses Märchens bin, unversehens? Bin ich eigentlich froh? Nein, mir klopft das Herz vor Besorgnis, ob ich imstande sein werde, diesen, bis ins letzte günstigen und zusagenden Verhältnissen das abzuringen, was sie nun wirklich erlauben und was ich (nach allen Zerstreuungen und Verstörungen der letzten Jahre) von mir selber dringend, unerbittlich, erwarten muß. Nun ist kei¬ ne Ausrede! Werd ichs können? Werd ich stark, rein, fruchtbar, ergiebig sein?: das Wiedersehen mit Paris, das so heilend war, verpflichtet dazu, und hier ist die¬ se Verpflichtung nun wirklich so deutlich und eindeutig um mich herum aufge¬ stellt -, wenn ich diesmal, hier, auf Schloss Berg, versage -, so ist mir nicht zu helfen. Ein Fremder, der hier einträte — sein erstes Wort wäre: Wie muß sichs hier arbeiten lassen! - Werd ichs können? Meine Furcht (meine Feigheit, wenn Sie es so nennen wollen) ist genau so groß, wie meine Freude, — aber diese Freu¬ de ist wirklich immens. Von solcher Stelle aus (durch Jahrhunderte war dieser Edelsitz im Besitze der Escher vom Luchs, deren Wappen noch überall vorkommt, — jetzt gehört Schloß Berg seit Jahrzehnten dem Obersten Ziegler: der mir zusammen mit sei¬ ner Frau /: sie wohnen winters in Thun / diese vollkommene Gast-Freundschaft erweist), von solcher Stelle aus kann ich doppelt gut ermessen, wie wehmüthig es für Sie sein mag, die kärntnische Besitzung aufzugeben: es geht eben doch unbe¬ schreiblich viel Leben in ein Stück ständigen erbauten Besitzes über, und das läßt sich nicht herausziehen, wenn man in die Lage kommt, ihn fortzugeben. Hier überwiegen die Escher’schen Bildnisse, soweit deren im Schloß geblieben sind, immer noch alles, was Zieglers, trotz vier hier herangewachsenen Kindern, den Umgebungen octroyieren konnten.

73

Den Trauerrand Ihres Briefes hab ich mir gleich, noch bevor ich las

im

Sinne jenes großen nächsten Verlustes ausgelegt, der ja leider nicht außerhalb des Bereichs eines gewissen Erwartung lag. Es ist wahr, man muß, gerade bei den jet¬ zigen bodenlosen Verhältnissen, eine Art Versöhnung mit dem Fortgehen derje¬ nigen aufbringen, die so große Veränderungen nicht ohne ein fortwährendes Verwundern und Erleiden auszuhalten wüßten. Ich selbst könnte kaum zu mir und zu eigener Leistung gelangen, müßte ich zuviel von den Rathlosigkeiten merken, die überall nicht zugeben mögen, daß sie es sind, sondern, in der Form falscher Gewißheiten, die Welt überwältigen möchten. Hätte ich die Valuta von der Schweiz aus „ausnutzen“ mögen und können, würde ich am Ende stark geworden sein, Ihre kärntnerische Besitzung zu erwer¬ ben, - das sage ich im Scherz, selbstverständlich, - aber doch mit dem Hinterge¬ danken, daß am Ende die Urheimath der Familie, die ich nie kennen gelernt habe, dasjenige Land wäre, wo mir ein verhältnismäßig heimathliches Wurzel¬ schlagen (wenn ich dazu je kommen sollte) nicht unnatürlich wäre. Für den Frühling denke ich allerdings an Paris -, das dortige Leben fortzu¬ setzen, schiene mir die vollkommenste Aufrichtigkeit meines Schicksals, — aber, allerdings, da ich vom Insel-Verlag, was meine Einkünfte angeht, abhängig blei¬ be, ist nicht recht vorauszusehen, wie mir die deutsche desastreuse Valuta zu die¬ ser Verwirklichung dienen soll. Nein - ich bin nicht länger in Paris gewesen, sechs Tage. Es war so voll¬ kommen, daß die Dauer keine Rolle spielte. Meinem Herzen, meinem Gemüth, meiner leidenschaftlichen Erinnerung an das dort Errungene und Erkämpfte, war schon in der ersten Stunde eine so großartige und sichere Genüge gethan, daß ich nach deren Verlauf hätte abreisen dürfen, ohne eigentliche Entbehrung. Längst hab ich mich ja gewöhnt, die gegebenen Dinge nach ihrer Intensität auf¬ zufassen, ohne, soweit das menschlich leistbar ist, um die Dauer besorgt zu sein, - es ist am Ende die beste und diskreteste Art, ihnen alles zuzumuthen -, selbst die Dauer. Fängt man mit diesem Anspruch an, so verdirbt und fälscht man jedes Erlebnis, ja man hemmt es in seiner eigensten, innersten Erfindung und Frucht¬ barkeit. Das eigentlich Unerflehbare kann immer nur dazu-geschenkt werden, so dacht ich mir auch jetzt: oft im Leben scheint es nur auf die längste Geduld anzukommen! Wenn ich denke, daß ich 1919, im Juny, in die Schweiz gereist bin, um etwas, dem jetzt unversehens Erreichten Ähnliches, in dem Landhause der Gräfin Dobrzensky zu finden, wo es dann nicht gelang, weil die Gräfin erst gar nicht und später nur für vierzehn Tage nach England ging, so daß an ein ein¬ sames und selbständiges Einnisten in der Ermitage zu Nyon nicht mehr zu den¬ ken war. Später, Soglio, obwohl es nicht ganz stimmte, machte sich anpaßlicher mit seinem alten Haus und Garten -, von da ab war alles verfehlt, Locarno und sogar der unwirtliche, obwohl lieb gewährte, Schönenberg-, und nun hat alles doch gedient, mich für Paris und für Berg in der Schweiz zu halten. Daß ich je gemurrt habe!

74

Bitte sagen Sie dem Grafen mein bestes Gedenken. Es betrübt mich, daß er eine Behandlung nöthig hat

Dr. v. Hattingberg kenn ich freilich recht gut und

lange und mag gern bei ihm erinnert sein. / Aber meine Freundin Sissy? Sie schrieben gar nichts von ihr, wahrscheinlich ist sie schon völlig aus unseren Be¬ ziehungen hinausgewachsen. Und mein Namensvetter? Und Lato? Und die gro¬ ße Csse Elisabeth? — Ich freue mich sehr, daß Sie fleißige Einbände als VorWände vor sich aufzustellen haben wider die eindringliche münchner Gesellig¬ keit. Sogar in der Schweiz hatte ich ab und zu Angst vor ihr, - aber zum Glück ohne Grund. In der freundschaftlich-großen Ergebenheit Ihr Rilke P.S. Wenn Sie Paul Thun sehen, entschuldigen Sie mich herzlich bei ihm; seinen Brief, ob es gleich auch eine verspätete Erwiederung von Grüßen war, die ich ihm gemeinsam mit Frau von Wattenwyl vor langer Zeit geschickt hatte, würde ich gewiß nicht ganz unbedankt und unbeantwortet gelassen haben, zumal er einzelne München angehende Fragen enthielt. Rosa aber, wahrscheinlich weil sie immer mit meiner Rückkunft rechnete, hatte die Laune, mir einen großen Theil Post mit so enormer Verspätung nachzuschicken, daß ich noch garnicht lange im Besitz seiner Nachrichten bin. Er verzeihe also nachsichtigst. Er wird wissen, daß Yvonne Wattenwyl jetzt in Winterthur wohnt und daß ihre schöne und geistvolle Mutter Frau von Freudenreich, im Oktober plötzlich gestorben ist. Aber nun muß ich schließen -, sonst hats kein Ende. Entschuldigen Sie die Eile der Schrift, ich „hole nach“, jeden Tag nimmt die Post an die zehn Briefe von mir mit. Nicht alle von diesem Ausmaaß allerdings. R.

32.

20. Dezember 1920 Schloß Berg am Irchel, Kanton Zürich, Schweiz. Am 20. Dezember 1920

Meine liebe gnädigste Gräfin, ich darf annehmen, daß mein Brief (am 25. November, eingeschrieben, abge¬ sandt) Sie erreicht hat und daß Sie also wissen, wie unvoraussichtlich gut sich al¬ les seit Paris für mich gewendet hat; mein Schlößchen und seine Abgeschieden¬ heit bewährt sich -, Schnee und Maul- und Klauenseuche thun nun vollends ein Ergänzendes, seine Unzugänglichkeit noch vollständiger zu machen.

75

Aber wenn ich mir auch niemanden wünsche, der diese genaue consigne, die nach Innen zwingt, überschritte, so überspring ich sie doch selber mit ein paar Weihnachtswünschen und Gedanken, nicht vielen, — aber diesen, zum Beispiel, die aufs Herzlichste zu Ihnen eilen. Das kleine Manuscript ist eine Art Preface zu einem recueil von 40 gezeichneten Blättern, ohne Text, die einer meiner klei¬ nen Freunde, der zwölfjährige Balthazar (Balthusz) Klossowski (Sohn übrigens des jetzt in München wohnenden Malers Erich K.), - polnisch-deutscher Ab¬ kunft — vor etwa zwei Jahren gezeichnet hat. Die kleine, ihm sehr nahegehende Aventure, die ich dem Inhalt nach auch in meinem avant-propos kurz berichte, hat der ebenso schöne als begabte Knabe in seinen Zeichnungen so glücklich und erlebt auszudrücken gewußt, daß man sich sogar zu einer kleinen Edition ent¬ schließen mochte, die, auf das Frühjahr zu, in einem Züricher Verlage erscheinen wird. Ich wollte dem Büchlein bei Ihnen mit meiner kleinen Arbeit zuvorkom¬ men, — sie hat mir Freude gemacht, da ich sie nicht im Geiste übersetzt, sondern in einem Zuge französisch gedacht habe, was nicht hindern mag, daß sie voller Fehler steckt. Nachsicht daher! Den Ihrigen, liebe gnädigste Gräfin, ein gutes Fest. Ihr Rilke

33.

10. März 1921 Schloß Berg am Irchel Kanton Zürich Schweiz am 10. März 1921

Meine liebe gnädigste Gräfin, längst, längst hätte ich Ihnen schreiben mögen! Nun sind über dem Datum Ihres Briefes fast zwei Monate hingegangen -, aber ich lebte unter so großem Drucke, daß jede Mittheilung wie entstellt gewesen wäre. Ich will gleich sagen, mir ist nicht das widerfahren, wovor Sie mich so einsichtig gewarnt haben, vor einem Forcieren, einem an die Arbeit angelegten drängenden, ungeduldigen EntwederOder -, nein; nicht dies. Sie schrieben so tröstlich und gläubig: „Ihre Arbeit, Ih¬ re Kunst kommt wann sie will“ -, ja, so ist es auch -, aber nun, um Neujahr un¬ gefähr, war sie da, sie war da -, und im gleichen Augenblick traten Umstände an mich heran, dringende, schwere -, die mich ganz brauchten und denen ich das Recht einräumen mußte, mich auf der Stelle fort- und aus allem, das eben begin¬ nen sollte -, und wofür die hiesigen Umstände unvergleichlich günstig und vor¬ bereitet waren -, hinauszureißen. Ein Verhängnis: in der Wirkung genau wie da-

76

mals, als ich eben in München anfangen wollte, mich zu besinnen und zusam¬ menzufassen, - da kam die Einrückung; nun wars ja keine Einrückung diesmal, aber ein ebenso Unerbittliches, wider das ein Einspruch nicht geltend zu machen war. Jeder erlebt schließlich nur einen Konflikt im Leben, der sich nur immer anders vermummt und anderswo heraustritt -, der meine ist, das Leben mit der Arbeit in einem reinsten Sinne zu vertragen; wo sichs um die unendliche in¬ kommensurable Arbeit des Künstlers handelt, da stehen die beiden Richtungen wider einander. Viele haben sich durch Leichtnehmen des Lebens geholfen, in¬ dem sie ihm, so zu sagen, unter der Hand entrissen, was sie doch nöthig hatten, oder sich seine Werthe zu Räuschen machten, deren trübe Begeisterung sie dann rasch in die Kunst hinüberwarfen -; andere hatten keinen Ausweg, als die Ab¬ kehr vom Leben, die Askese, und dieses Mittel ist freilich um vieles reinlicher und wahrer, als jener gierige Betrug am Leben zugunsten der Kunst. Aber für mich kommt auch dieses nicht in Betracht. Da doch letzten Grundes meine Pro¬ duktivität aus der unmittelbarsten Bewunderung des Lebens, aus dem täglichen unerschöpflichen Staunen vor ihm hervorgeht (wie wäre ich sonst zu ihr ge¬ kommen?), so sähe ich auch darin eine Lüge, sein mir Zuströmen irgendwann abzulehnen; jede solche Versagung muß auch schließlich innerhalb der Kunst selbst, mag sie potentiel noch so viel durch sie gewinnen, als Härte zum Aus¬ druck kommen und sich rächen: denn wer sollte auf einem so empfindlichen Gebiet ganz offen und zusagend sein, wenn er dem Leben gegenüber eine mißtrauische, einschränkende und beängstigte Haltung hat! - So lernt man, ach wie langsam, das Leben geht über lauter „Anfangsgründen“ hin — wofür kann man’s dann am Ende ein klein wenig? Rodin überlegte das oft in seinem Alter. Manchmal, um fünf Uhr morgens, fand ich ihn im Garten stehen, versunken in der Betrachtung der Hänge von Sevres und St. Cloud, die sich aus den wunderbaren Herbstnebeln der Seine langsam hervorhoben, als kämen sie nun, vollkommen richtig gestaltet, zur Welt -, da stand er, der alte Mann, und überlegte: »wozu kann ichs nun, dieses bewundern, wissen, wie viel dies ist, dieser Morgen ..?“ Und ein Jahr später verstand er auch dieses nicht, konnte es doch nicht, hatte es doch nicht gekonnt, denn ein Einfluß, ein Schicksal, weit unter seinem Niveau, hatte ihn eingehüllt und mit den trübsten Verwirrungen umgeben, aus denen sich keine Herrlichkeit herausklärte!— Liebe Gräfin, ich wollte nur mein Schweigen begründen -, wohin bin ich gerathen? Auch Ihr Brief rührte ja ein Schwerstes im Leben an: Was mögen Sie für Nachrichten haben? Ist das Sanatorium eines, in dem auch die psychoanalytische Behandlung fortgesetzt wird? Oder wird man versuchen, sie vielleicht später nochmals zur Anwendung zu bringen? Ich dachte neulich an die außerordentlich wirkungsvol¬ len und eindringlichen Behandlungen die Lou Andreas-Salome (meine Lreundin seit fünfundzwanzig Jahren!) durchgeführt hat. Es entsteht in psychoanalyti¬ schen Kuren soviel Unheil dadurch, daß der Patient in einem der Zwischenzu-

77

stände im Stich gelassen wird, wenn sich der Analysator selber nicht mehr zu¬ rechtfindet: die Seele des Patienten gleicht dann einer Lade, aus der man, um ein bestimmtes Ding zu finden, alles kunterbunt herausgezerrt hat, und nun ist nie¬ mand imstand, der Leidende am wenigsten, Ordnung zu schaffen, - auch ist ja der gesuchte Gegenstand nicht gefunden: wenn man sich dieses im Praktischen, Handgreiflichen schon so Unerträgliche in eine seelische Situation übersetzt denkt, so entsteht eine Hölle! Viele Behandelte werden in solcher Lage zurück¬ gelassen. Lou Andreas Salome (um rasch einiges zu notieren) - Tochter eines russi¬ schen Generals von Salome - Flügeladjutanten des Kaisers Nikolai I verließ Russland schon als ganz junges Mädchen um ihrer philosophischen Studien wil¬ len; der Schein einer frühen Bekannt-, ja Berühmtheit fiel über sie durch ihre merkwürdige Beziehung zu Nietzsche und ein bald darauf ediertes Buch (einen Roman), das noch heute viel gelesen wird und eindringliche Wirkung unter jun¬ gen Menschen hat. Doch wußte Lou sich diesem Auffälliggewordensein bald zu entziehen, sie heirathete einen der bedeutendsten Orientalisten, F. Andreas (Professor an der Universität Göttingen) und lebt dort ihren vielfältigen Arbei¬ ten. Mehrere ihrer Romane und Novellen hat man gerne gelesen —, ihre bedeu¬ tendsten Arbeiten aber sind unveröffentlicht, darunter die auf psychoanalytische Untersuchungen bezüglichen, - von denen nur ab und zu etwas in den Fachblät¬ tern dieser Wissenschaft zu lesen war. Seit etwa zwölf Jahren hat Lou mit Prof. Freud in Wien gearbeitet - und, wie sie für meine Erfahrung die einzige Frau ist, die eine geistige Existenz mit einer nirgends entstellten weiblichen und frauli¬ chen (vielleicht auf Grund ihrer russischen Natur) zu verbinden vermochte, - so scheint sie mir auch unter allen Forschern und Ausübern der Psychoanalyse die¬ jenige Kraft zu sein, die diese Wissenschaft in die weitesten und gültigsten Zu¬ sammenhänge einsetzt, und, von einem Ganzen aus, erlebt und verantwortet. Ich wollte Ihnen das alles erzählt haben, wie wir ja gewiß mündlich darauf ge¬ kommen wären, gleichviel ob daraus irgendwelche Konsequenzen zu holen sein möchten oder nicht. L. A.-S. übt in Göttingen Behandlungen aus, ist aber auch oft (befreundet mit den Thieme-Töchtern: Baronin Wendland, Frau Heiseier ...) monatelang in München. Wie mag es nun dort sein? Mein Miether, der ob ich ihn gleich nicht persön¬ lich kenne, sich überall, um sein Anrecht auf meine Wohnung, die ihm das stren¬ ge Wohnungsamt, scheint es, streitig machen wollte, nur recht plausibel zu ma¬ chen, - als meinen nächsten Freund ausgiebt, schreibt mir, dieser Rollen entsprechend, manchmal fünf bis sechs große Seiten und nutzt alle gemeinsamen Bekannten aus, um die Brücken zwischen uns zu befestigen: trotzdem erfuhr ich nicht viel vom Ergehen der wirklichen Freunde, z.B. Kassner’s, der ja wohl im¬ mer noch in Obers [t]dorf sein überaus gesichertes und souveränes Wesen treibt. Als ständiger Wohner werde ich wohl kaum nach München zurückkommen, - ich suche so ein „Schlößchen Berg“ irgendwo zu miethen, - es wäre mir fast gleichgültig wo, wenn es nur etwa die Vorzüge der hiesigen Verhältnisse hätte;

78

um eine gewisse Familienähnlichkeit zwischen den Umgebungen festzustellen, würd ich dann am Ende sogar die gute Leni, die Wirtschafterin, von hier mit nehmen, denn sie ist der erste dienstbare Geist, durch den ich nicht geniert bin und der mich wirklich versorgt, ohne sich weiter auf- und eindringlich zu ma¬ chen. Ende Januar hat mich mein Verleger, mit dem befreundet zu sein, ich ja das gute seltene Glück habe -, hier besucht; wir haben am Kaminfeuer versucht, uns das Wo und Wie meiner Zukunft vorzustellen, das ist schon mehr Wahrsagerei -, viel kam auch nicht dabei heraus, - aber er mußte zugeben, daß Schloß Berg + Leni, wie es in „Mitsou“x heißt, eine „somme enorme“ ergäbe, und da[s]s man mir ein dergleichen Vermögen günstiger Zustände irgendwie schaffen müsse. Freilich beim: Wo versagte auch er, wie ich mir rein nichts dabei vorstellen kann. Da fällt mir dann doch wieder nur Paris ein und darüber hinaus: Spanien —: ach wäre das veto der Valuta nicht; - und wäre die Welt versöhnlicher und geheilter: wie wund ist sie doch noch! Ich sende Ihnen, meine liebe Gräfin, die Forces Eternelles, das neue Buch der Csse de Noailles: Sie wissen, wie sehr ich sie bewundere! Erst hat michs ein wenig enttäuscht, aber je mehr man sich hinein liest, desto mehr erkennt man die Grundtöne ihres Plerzens und seine herrliche Sonorität. Der Druck ist pitoyable, zu dem fehlen die meisten Seitenzahlen. Daß Paul Thun in einem Verlag (lequel?) arbeitet, erfuhr ich erst aus Ihrem Brief. -, und daß seine Frau so „theilnehmend“ geworden ist, scheint mir ein ungemein großer Erfolg. Nun ist Elisabeth wohl wieder bei Ihnen, längst, und Sissy -, wie groß mag sie inzwischen schon geworden sein! Wenn ich denke: anderthalb Jahre, mehr schon, bin ich von München fort! - Ob die Fstn. Oettingen noch dort ist?, bitte, bringen Sie mich bei ihr in gnädige Erinnerung. — Ihrer Freundschaft im¬ mer von Fierzen dankbar, bin ich, verehrte Gräfin, Ihr Rilke (x nein, die Bilder sind nicht bei Klossowski, dem Maler, in München, sondern jetzt schon beim Verleger und im Druck!)

79

34.

20. März 1921 Schloß Berg am Irchel Kanton Zürich Schweiz, am 20. März 1921

Meine liebe gnädigste Gräfin, fürchten Sie nicht, wenn Sie mich schon wieder, in so kurzem Abstande eintreffen sehen, daß ich geschwätzig werde. Es ist diesmal eigentlich nur die Bitte, den inliegenden Brief an Erwein Aretin weitergeben zu wollen: darf ich Sie mit dieser kleinen Besorgung bemühen, — sogar das Porto muß ich Ihnen überlassen, da ich über keine bayrischen Briefmarken verfüge. Es ist mir die Nachlässigkeit pas¬ siert, Aretins Adresse nicht in mein Korrespondenten-Buch einzutragen, — und auf das Diktat meines Gedächtnisses mag ich mich in solchen Fällen nicht verlas¬ sen. Seit ich Ihnen schrieb, ist wieder eine neue Beunruhigung aufgetaucht, Berg soll nun vermiethet werden, davon war schon längere Zeit die Rede, da die Besit¬ zer (Oberst Ziegler von Thun), wegen der großen Steuerlasten, zwei große Wohnsitze (in Thun und auf Berg) nicht dauernd zu erhalten vermögen. Das drohte so vaguement, nun aber sind wirklich Miether aufgetaucht, die ernstliche Absichten zu haben scheinen, das ändert die Situation, und wenn deren Gefallen und Lust zu dem Hiesigen sehr lebhaft ist, so könnte es geschehen, daß ich schon bald ausgetrieben werde in das völlig offene Wohin — Es ist das Verhängnis der mir immer wieder vergönnten, oft so märchenhaf¬ ten Gastfreundschaften, daß sie den terme eines Ablaufs in sich tragen und daß ich sie (langsam wie ich innerlichst bin und es, scheints, noch immer mehr wer¬ de: ich brauche ein biblisches Alter, um nur einigermaßen unfragmentarisch aus¬ zuwachsen!) fast jedesmal in dem Augenblick verlassen und aufgeben muß, da ich anfangen könnte, sie mir ganz fruchtbar zu machen. Als neulich mein Verle¬ ger hier war, einigten wir uns darüber, daß etwas wie Berg — wennauch beschei¬ dener natürlich - nun für mich um jeden Preis gefunden werden müsse, damit ich einmal eine solche Stille und Geborgenheit in Besitz nehmen könne, ohne daß sie mir für Monate eingeschränkt ist und ich immer den Schlußpunkt sich nähern sehe. Die Bedingungen: ein altes Haus, ländliche Stille und, wenigstens für die Monate leidenschaftlicher Arbeit, die völlige Abwesenheit alles Umgangs, weil die Vermeidung von Menschen, wie sie dann, wo solche

da wären,

nothwendig würde, gleich wieder etwas unnatürliches und gezwungenes be¬ kommt, was als Reflex die Reinheit der Arbeitsverfassung auch wieder beein¬ trächtigt. - Ich glaube die „Insel“ sucht schon nach einer derartigen retraite für mich, aber ich wollte, daß auch sonst ein paar Menschen von der Art meines, wie

80

ich weiß, sehr schwierigen Wunsches unterrichtet seien, zumal die landsässigen, wie z.B. Freund Aretin. Ach, sehen Sie nun ist, aus einem kurzen Begleitwort, doch noch ein Brief geworden, denn vier Seiten, selbst so eigennützig angefüllte, müssen doch im¬ merhin für dergleichen gehalten werden! Das hätte das Gute, liebe gnädigste Gräfin, daß ich Ihnen, heut am Palmsonntag, Ostergrüße schreiben darf, - ob sie Sie etwa sogar in Roggenburg erreichen? - Es sind alle herzlichsten meiner Ihnen tief ergebenen Freundschaft. Ihr Rilke (Mit einem inliegenden Briefe.)

35.

20. August 1921 Chateau de Muzot sur Sierre Valais am 20. August 1921

Meine liebe gnädigste Gräfin, Ihre gute Karte war vom 31. July und hat über Schloss Berg sehr geschickt den Weg zu mir gefunden

wie sehr hat sie mich nach einem Briefe von Ihnen ver¬

langend gemacht. Und es geschieht auch nur, um diesen Ihren Nachrichten das Ziel anzugeben, daß ich dieses Blatt beginne, nicht um von mir zu erzählen, wo¬ zu ich nun nicht recht fähig bin; zweifeln Sie aber deshalb, bitte, bitte, nicht an meiner Fähigkeit, zu lesen und aufzunehmen, was Ihre Freundschaft mir zuzu¬ wenden gedenkt. Sie sind in Roggenburg -, und da der Sommer, bis zum gleich¬ zeitigen Wettersturz von neulich, überall ungefähr gleich intensiv und konstant gewesen ist, nehme ich an, daß er Ihnen und den Kindern gleichmäßig schöne Tage in der vertrauten Landschaft bereitet hat, viele, viele! Sie fragen, ob ich nicht käme, wie gern geschäh’s, wär ich nicht immer noch tief in der Schweiz. Es geht seltsam mit diesem hier Festgehaltensein, über jeden ursprünglich möglichen und vermuthlichen Termin hinaus. Sooft ich das mir nun schon seit zwei Jahren gastliche Land zu verlassen mich anschicke (ich bin nun schon so lange hier, man denke! daß ich in gewissen Kantonen um das schweizer Bürgerrecht mich bewerben dürfte!) entstehen irgendwie Gegenbewe¬ gungen, unerwartete Möglichkeiten des Bleibens, die gestern noch nicht abseh¬ bar gewesen sind, stellen sich heraus, - und da sich, andererseits, trotz vielen Umsehens und Suchens „draußen“ noch nicht gefunden hat, was ich brauchte, so

81

zeige ich mich immer wieder schwach und nachgiebig gegen die schweizer Fü¬ gungen, wenn sie sich anbieten. - Im Juny traf ich mit der Fürstin Thurn und Taxis im Canton de Vaud zusammen und es war dicht an dem, daß ich mit ihr hinausreiste, nach Böhmen zunächst; seit der gleichen Zeit ungefähr bin ich in Kärnthen

erwartet,

erwartet

umsomehr,

als

die

junge

Frau

Purtscher-

Wydenbruck ein oder zwei Wohnmöglichkeiten in der Gegend von Pörtschach für mich meinte entdeckt zu haben, die besichtigt sein sollten. Stattdessen fand ich mich auf einmal im Valais und nun seit dem ersten August „erprob“ ich hier, überhalb Sierre, das Chateau de Muzot, einen uralten Flerrenthurm, wie derglei¬ chen hier mehrere in der starken und fast heroischen Landschaft ihr angestamm¬ tes Mittelalter überdauern; ich hause in dem etwas mühsäligen alten manoir thatsächlich „zur Probe“, um zu erfahren, ob der tour de Muzot meine Zuflucht bleiben könnte für den kommenden Winter. Nach den bisherigen Erfahrungen, kaum, kaum ... Diese Häuser einer rüden und robusten Zeit sind für uns doch ohne Überwindung nur bewohnbar und wohnlich, wenn sie bis ins Dix-huitieme hinein herrschaftlich bewohnt geblieben sind und in dieser anpaßlichen Periode sich ein wenig „capitonniert“ und gemildert haben. Muzot ging vermuthlich schon während des siebzehnten Jahrhunderts von den de Chevron und de Montheys in Bauernbesitz über -, hat wahrscheinlich auch Jahrhunderte leer ge¬ standen, und so ist es ganz Rüstung geblieben, mildesten Falls Mantel, ist nir¬ gends schmiegsam, umgebend, schonend geworden, ein hartes refuge für einen harten Herrn. - Aber erinnern Sie, daß mir dieses große und großartig gestaltete Rhonethal des Wallis im vorigen Herbst so viel Erstaunung bereitet hat, zu¬ nächst durch seine Verwandschaft mit der Provence und mit Spanien? Dieser erste Eindruck hatte durchaus recht, und ich sah immerhin eine merkwürdige Fügung darin, daß mir die Möglichkeit entstand, eine der größesten Landschaf¬ ten Europas (wofür man das Valais wohl ansprechen darf) von einem einheimi¬ schen alten Wohnplatz aus so vielfältig und nah mir anzueignen. Wie gerne beschrieb ich Ihnen dieses Muzot; da ein paar schöne Möbel des 17ten Jahrhunderts (allerdings in trostloser Vernachlässigung) in den Zimmern herumstanden, konnte ich den einzelnen Räumen leicht eine gewisse Art geben; von Genf kam eine Freundin herüber, mir in der etwas schwierigen Wirtschaft zu helfen, dadurch wurde der Versuch möglich, denn im ganzen Lande war kein brauchbares dienstbares Geschöpf aufzutreiben für den etwas entlegenen Ort. Die Karte zeigt Ihnen eben nur das Haus selber in seiner starken Gestalt; im üb¬ rigen täuscht sie: Miege, das nächste Dorf, liegt lange nicht so nah, wie es das Bild möchte glauben machen; (es ist kein Haus um Muzot, als eine kleine über¬ weißte Kapelle der heiligen Anna); aber die Karte läßt auch nichts erkennen von der wunderbaren Vertheilung der Bäume in dem in vielen Hügeln abgewandelten Land, und eine herrliche wahrzeichenhafte Pappel, die ganz vorn rechts stünde und unvergeßlich zum ersten Anblick von Muzot gehört, hätte unbedingt nicht außen bleiben dürfen. Man darf der Photographie nicht vorwerfen, daß sie in ih¬ ren valeurs nichts von den Farben errathen läßt und nichts von der unbeschreib-

82

lieh an allen Dingen theilnehmenden Luft, die zwischen ihnen etwas wie einen gesteigerten, beinah fühlenden und oft verklärten Raum hervorbringt. Muzot ist aus einem Haustein erbaut, der noch dicht nebenan aus den Bergen gebrochen wird; aber Verwitterung und Sonne von Jahrhunderten hat das Gelb und Lila des Steins theils ins Grau verdüstert, theils in jenes trockene geröstete Gold verwan¬ delt, das auch in der spanischen Landschaft oft ein altes Gemäuer so glorreich macht. - Das also wird Muzot gewesen sein, eine seltsame, oft schwere Episode des heißen Sommers von 1921. (Es war nicht eben vorsichtig, seine Übertrei¬ bungen in dem heißesten Thal der Schweiz zu erleben, - aber es kam nun einmal so). Für den Winter (denn ich glaube nicht sehr an mein Ausharren auf Muzot) scheint sich etwas zu bieten, was ungefähr eine Fortsetzung des mir so wohlthätigen Geborgenseins auf Schloß Berg werden könnte. Dieser Winter ist meine große Sorge und meine große Hoffnung: der vorige, trotz allen Schutzes und al¬ ler Vergünstigung, hat die Arbeit, die mir vor allem am Herzen liegt, nur ein kleines Stück weit gefördert ... wird der kommende glücklicher sein? Wird er das Seinige thun für meinen Gleichmuth, meine Sammlung und Sicherheit -, und ich, wenn er mir alles gewähren mag, werd ich des Meinigen ganz fähig sein?[weiter auf Ansichtskarte:] Nun grüßen Sie mir sehr die Ihrigen, liebe gnädigste Gräfin, besonders meine kleine Freundin Sissy? Gäbe es einmal ein Bild von ihr? Oder noch lieber von Ihnen und den Kindern. Damit würden Sie mir (ob ich gleich gegen Photogra¬ phien im Ganzen mißtrauisch bin) in Anbetracht so langen Fortseins, eine große Freude und eine Spur näherer Gegenwart bereiten, für die Ihnen ganz von Her¬ zen dankbar wäre Ihr getreulich ergebener Rilke

83

2. Dezember 1921

36.

Chateau de Muzot sur Sierre, Valais am 2. Dezember 1921 Meine liebe gnädigste Gräfin, diesmal also war ich es, der nicht schreiben konnte! Ob ich gleich damals (anfang September!) als Ihr langer Brief eintraf, nichts so sehr wünschte, als dies

mit

einigen für Sie wirklich fühlbaren Worten freundschaftlich bei Ihnen zu sein. Aber: es geht uns ja allen gleich: die zerstörenden Einflüsse der letzten Jahre ho¬ len uns bald an der, bald an jener Stelle ein, wenn wir eben meinen konnten, ih¬ nen endlich, mit weitem Vorsprung, entronnen zu sein: sie sind immer noch da. Und wie man wohl, in einem Kleiderschranke, auf den Winter zu, immer noch ein Stück entdeckt, in das die Motten sich eingefressen haben: so stößt man im¬ mer noch auf einen neuen, äußeren oder inneren Schaden, - auf irgend ein Ge¬ fährdetes, Angegriffenes, wo nicht gar Vernichtetes, an dem die Verhängnisse von gestern und vorgestern Schuld haben. Und es gehört schon eine recht stabile Zuversicht dazu, um an die Ausbesserung oder Rettung von so viel Beschädig¬ tem zu glauben oder gar die Sicherheit in sich zu entwickeln, es möchte das meiste Zerstörte und Zerfressene durch ein neues Besseres zu ersetzen sein. Wenn man allein alle die Konflikte bedenkt, die ganz andere beherrschliche Di¬ mensionen würden eingehalten haben, hätten nicht die Erschütterungen der Zeit in alles, was die mindeste Neigung zum Zerfall in sich trug, so entsetzlich zu¬ stimmend eingegriffen. Nun wärs ja ein Wunderbares, wenn dieser (sozusagen) Gelegenheit zum Untergang, die alles rüttelte und auf die Probe stellte -, eine Stille gefolgt wäre, wie damals jener berühmten Sintfluth! Un apaisement, un calme nouveau plus grand que jamais, l’heureux moment du renouveau, l’aurore d’un commencement pur et universel. - Aber nach so viel Rütteln immer noch weiter gerüttelt sein, und bösen Willen und Rathlosigkeit fast überall an der Ar¬ beit zu sehen, an einer durchaus nicht erneuten und gereinigten, sondern an eben jenen gleichen Bethätigungen, aus denen das grenzenlose Verhängnis kam,das erst ist die schlimmste Prüfung nach so vielem Schlimmen. Hätte es damals, einst, als die Sintfluth sinken wollte, Zeitungen gegeben, wie heute, ich bin si¬ cher, die Wasser wären nicht gefallen, oder höchstens künstlich durch die Erfin¬ dung einer ungeheueren Pumpmaschine, die, wie Maschinen nun einmal sind, für die Hülfe, die sie den Menschen erwies, sich auf eine andere gründliche Weise würde gerächt und bezahlt gemacht haben. Aber das Alles, liebe verehrte Gräfin, will für meinen besonderen, im All¬ gemeinen kleinen Fall nur bedeuten, daß zur Zeit, da Ihr Brief kam, alles für

84

mich unsicher geworden war, Muzot, ja die Möglichkeit überhaupt noch länger in der Schweiz zu bleiben und, darüber hinaus, das Wohin und alles mögliche andere. Eigentlich Alles! Und der Rest dieses ausdauernden gleichmäßigen großmüthigen Sommers, der verdient hätte, aus dem Vollen, das er täglich bot, recht sorglos hingenommen zu sein, verzehrte sich mir in mühsamer Sorge und VorSorge um die bevorstehenden Monate, um den Winter, dem ich durchaus meinte Umstände schaffen zu müssen, die, ähnlich denen des vergangenen, meiner Ar¬ beit und Einsamkeit schützend und günstig wären. Schließlich hat sich, über günstigen Fügungen, alles noch in zwölfter Stunde retten lassen, indem nun ein schweizer Freund Muzot für mich miethete und man mit Energie daran gehen konnte, das immer noch etwas unbändige, der ständigen Bewohnung seit Jahr¬ hunderten entwöhnte Haus gewissermaßen zu zähmen und zu überreden. Es ist keine zehn Tage her, seit das in diesem Bezug Erreichbare für ungefähr abge¬ schlossen gehalten werden kann, so daß ich nicht mehr an meinem Hause be¬ müht und beschäftigt bin, sondern (so hoff ich wenigstens) beginnen darf, mich in ihm auf meine - wieder sehr unterbrochene - Art zu beschäftigen. Den Sommer über hab ich ab und zu Menschen gesehen; ja, eine mir nahe Freundin hat sich sogar geopfert, mir die Einrichtung und Bewirtschaftung mei¬ ner Zuflucht zu erleichtern und quasi in Gang zu setzen -, sie hat Wunder geleis¬ tet und hart gearbeitet: denn zu allem kam die Calamität hinzu, daß um keinen Preis eine Bedienung zu bekommen war, — und als schließlich ein Engagement abgeschlossen war und man, was man in der Schweiz eine „Tochter“ nennt, mit vieler Anstrengung aus dem Kanton Solothurn importiert hatte, da erwies sich besagte Tochter so unerfahren und unselbständig, daß erst wieder eine lange Schulung und Einübung nöthig war, um sie im Hiesigen (ja freilich Neuen und vielfach Beschwerlichen) zu akklimatisieren. Dieser zweite Mensch, ohne den man nicht auskommt —: welches Problem! Voriges Jahr, in Berg, wo eben alles so unvergleichlich stimmte, war es gelöst durch ein einfaches, natürliches Mädchen voller Takt, Anstand und Anpassung -, — aber ich wußte gleich, daß dieses eine Ausnahme sei. Hätt ich die Kraft, mich besser zu isolieren, so würd ich ja immer die Hülfe eines gleichgestellten, beistehenden Menschen jedem Dienstverhältnis vorziehen (das doch immer eine zweideutige Sache ist in den heutigen Verhältnissen und gewissermaßen eine Ausrede: seit nämlich in den Menschen, durch soziale Aufklärung, der Instinkt und die Unschuld unterdrückt worden ist, daß „Dienen“ eine ebenso blühende und fruchtende Lebensform sei, wie irgend eine andere Anwendung, wenn sie nur aus lebendigem Gemüth hervorgeht). Aber jede ebenbürtige, auf Hülfe ge¬ stellte, menschliche oder freundschaftliche Beziehung müßte mir, so wie ich einmal bin, einen Grad von Umgang zumuthen, der mir schon gleich wieder zu unabsehlichen Ausgaben des Gemüths verleitend wäre und zu einer Rivalität ge¬ gen die Arbeit führen würde, fast unvermeidlich. Vielleicht ist es nur in diesen Jahren, wo mir soviel Arbeit und Besinnung nachzuholen bleibt, so gefährlich

85

für mich, aber mir wird immer deutlicher, wie ich, wahrhaftig, zwischen Umgang und Arbeit mich zu entscheiden habe, als ob ich thatsächlich nur noch Eines zu geben hätte, das entweder unmittelbar an den Nächsten sich mittheilt, oder aber im Tresor der künstlerischen Gestaltung dauernder und gewissermaßen zu all¬ gemeinerem Gebrauch aufbewahrt bleibt. Andere künstlerisch arbeitende Men¬ schen haben (so scheint es wenigstens) eine Menge Vorräthe für den nahen und nächsten Verkehr, ja, weit entfernt, daß dieser an ihnen zehre, vermehren sie mittels seiner sogar den Besitzstand und die innere Spannung, die dann auf der anderen Seite ihrer künstlerischen Leistung zu gute kommen. Bei mir ist das nie so gewesen, - jetzt aber spaltet es sich immer mehr zum Kreuzweg auseinander, als ob nur noch ein Einziges in mir wäre, das entweder so oder so, nach ent¬ schlossener Entscheidung, mitzutheilen bliebe, das sich aber nicht auf zweierlei Arten weitergeben läßt. Und obgleich es, von einem höchsten Ausblick aus, auch schon wieder gleichgültig sein möchte, ob einer sein Letztes und Wesentli¬ ches so oder so ausgebe: in einem unscheinbar weiterwirkenden Worte an einen Freund, oder, nachweisbarer und weithin sichtbar, in ein, durch seine Verwand¬ lung Überlebendes dauernd eingeformt: so drängt mich doch meine ganze Anla¬ ge und der Verlauf meines Lebens mehr nach dieser letzteren Form der Ausspra¬ che und Weitergabe hin (gewiß nicht aus Eitelkeit!) und verpflichtet mich irgendwie zu ihr. Aber dieser immer neue Konflikt, der aus solcher Bestimmung entspringt, und dieses viele Gerede um die Einsamkeit, die man sich sichern und schützen möchte! In Paris war sie von selbst und unbetont da

und mußte wei¬

ter gar nicht gerechtfertigt und vertheidigt sein; jeder hat sie dort, der sie braucht, und selbst die Bekanntheit eines Namens (die einen ja freilich dort nicht bedrohte!) ist nicht nothwendig ein Hindernis, allein zu sein. (War es nicht Baudelaire: allein! War es nicht Verlaine ...?) - Wie sehr übrigens reicht man doch fürs ganze Dasein mit ein paar, mit fünf, sechs, vielleicht neun thatsächlichen Erlebnissen aus, die, nur abgewandelt, sich immer wieder in die Mitte des Herzens stellen. So erinnere ich, als junger Mensch die erstaunteste Verlegenheit durchgemacht zu haben, wenn ich mir eine Stunde Einsamkeit in meinem Zim¬ mer dadurch gesichert hatte, daß ich, vor der Neugierde, wie sie ja in Familien üblich ist, erklärte, wozu ich diese Stunde brauche, was ich vorhätte mit ihr: das allein genügte, um das errungene begrenzte Alleinsein im vornhinein werthlos zu machen, es gleichsam vorweg zu verkaufen. Der Ton, der auf diese Stunde gefal¬ len war, vereitelte ihre Unschuld, beschlagnahmte sie, machte sie unfruchtbar, leer, und ehe ich noch mein Zimmer betrat, war mir mein Verrath dort zuvorge¬ kommen und erfüllte es bis in alle Ecken mit Ausgegebenheit, Geheimnislosigkeit und Öde. (Und so ähnlich ist es noch heute! Sei es, weil es wirklich so [st, sei es, weil die Suggestion jener frühen Erfahrung so stark alles spätere beeinflußt und bis heute noch überwältigt!) Von solchen Erlebnissen her muß man die Existenz der Kinder ansehen, ihre Enttäuschungen und oft so inkommensurabeln Nöthe, über die sie sich ja, während sie ihnen widerfahren, noch gar

86

keine Rechenschaft geben können; so daß, was wir jetzt retrospektiv begreifen, damals, als es erlitten wurde, nur als Unlust, Unart, als irgend ein Un-Un-Un konnte registriert werden. Nun ich meine immer, wir haben unseren Kindern vieles dergleichen, er¬ leichtert oder erspart, ganz ohne unser Verdienst zum Theil, einfach weil gewisse Thatsachen, aus psychologischen Entdeckungen hervorgegangen, ob wir sie nun wissen oder nicht, in uns zur unwillkürlichen Wirklichkeit geworden sind, aus der heraus wir viel eher handeln als aus den Prinzipien und Moralitäten, die uns etwa noch anhaften und die wir meinten als Eltern, sozusagen „von Berufs we¬ gen“ übernehmen zu müssen. Ja, daß ich’s nicht vergesse: meine Tochter hat sich verlobt und wird voraus¬ sichtlich sehr rasch heirathen. Sie heirathet in die Familie ihrer Großmutter mütterlicher-seits, deren Großneffen; der junge Mann ist gegenwärtig Referendar -, wird aber, als älterer Sohn, wohl einmal sein elterliches Gut übernehmen (im Vogtlande, Sachsen), und so wird Ruth in die Bestimmungen einer Gutsfrau hi¬ neinwachsen, was ihren, auf das greifbare Leben gerichteten Begabungen, besser als alles andere entsprechen mag. Daß Roggenburg (tel quel und sammt Bibliothek) vermiethet werden soll, ist mir ein großer Schrecken gewesen. Ich habe natürlich viel überlegt, ob ich ei¬ nen Miether wüßte, dem man es gönnen möchte —, aber woher ihn nehmen?! Von Kriegsgewinnlern abgesehen, sind ja fast alle Besitzenden (selbst hier in der Schweiz!) in der gleichen Lage, sich von dem ihnen Angestammten trennen zu müssen, - daher ja auch mein frühes Fortmüssen von Berg im Frühjahr, das seine Eigenthümer auch nicht länger zu halten vermochten. Es ist nun für zwei Jahre vermiethet und wird wahrscheinlich in den Händen des Eindringlings bleiben, dem es die Verhältnisse zugespielt haben (oder zugespült, möchte man sagen!) Und so überall, überall. - Ich verstehe vom Wirtschaftlichen nichts, aber auch die Schweizer sind immer weniger gut daran, - ihre hohe Valuta erlaubt ihnen höchstens eine Auslandsreise, aber sonst nicht viel mehr -, und innerhalb des Landes bringt sie nur ein immer ärgeres Anstehen und Erstarren mit sich, das in allen Betrieben verhängnisvolle Lähmungen zur Folge hat. Die Schweiz: (diese mir nun seit zweieinhalb Jahren gastliche!, wer hätte das gedacht, das sie mir das bedeuten würde, damals als ich, aus Abneigung gegen die renommee ihrer Berge, so und so oft hinter absichtlich zugezogenen WaggonFenstern sie durchreiste! Sie rächt sich, muß man ihr lassen, indem sie mich nun so beherbergt, auf eine noble Art). Übrigens ist sie mir erst ordentlich groß und großartig geworden, seit ich diesen Kanton kenne: eigentlich ihren herrlichsten! Wo sie (das muß ich nun doch noch wieder sagen, aus der alten unbesänftigten rancune heraus:) wo sie so gar nicht — Schweiz ist. Ich glaube, ich schrieb Ihnen, wie mir die hiesige Landschaft ursprünglich durch ihre Anklänge an Spanien und an die Provence so ergreifend gewesen sei! Jetzt vergleiche ich längst nicht mehr, - aber ganz aus sich selbst, aus ihrer eigensten Unvergleichlichkeit heraus, er-

87

giebt sie sich nur noch immer großmächtiger und glänzender. Und dieser lange strahlende Sommer über ihr, der vor zwei Tagen fast fast immer noch da war, nur in einem etwas abgekühlterem Raum. Nun sei’s genug, meine verehrte Gräfin, - schicken Sie mich fort! Den Kin¬ dern viel Herzliches, jedem, wies für ihn paßt. Vergessen Sie nicht, mir einmal die Bilder zu schicken und krönen Sie diese freundschaftliche That durch Hinzu¬ fügung eines Ihrigen, - in Anbetracht des langen Noch-nicht-wiedersehens! Immer im Gleichen in theilnehmendster, verehrender Ergebenheit Ihr Rilke

37.

14. Januar 1922 Chateau de Muzot sur Sierre, Valais am 14. Januar 1922

Es kann auch bei mir, meine verehrteste Gräfin, heute nur rasch und in Kürze sein, aber aufschieben mag ich es doch nicht, Ihnen mindestens zu sagen, von wie großer Erfreuung mir, gestern, Ihr guter Brief mit den kleinen Bildern war! Was bin ich froh, sie erbeten zu haben. Die Zeit, da ich Sie nicht gesehen habe, die Jahre! — wurden mir ordentlich kurz darüber, so gut erkenn ich Sie, so ge¬ genwärtig bestätigt sich, was ich in der herzlichsten und genauesten Erinnerung getragen hatte. Auch alle Ihrigen sind mir gleich wieder vertraut gewesen, Sissy vor allem und mein kleiner Namensvetter; Lato’s Gesicht ist nun von einer grö¬ ßeren, freien und stolzen Ausbildung, richtig skulptural geworden —. Überra¬ schung hat mir die Comtesse Elisabeth bereitet, die inzwischen den Schritt ins Erwachsensein gethan hat, aber nicht das allein, sondern offenbar auch den Entschluß durfte sie fassen, ganz wunderbar schön zu sein. Wie, wie schön, das darf ich Ihnen als ihrer Mutter sagen, Gräfin, wie schön ist Ihre junge Tochter geworden! Wenn sie nun „ausgeht“, so wird sie der Glanz dieses Winters sein. Aber ach, giebt es noch eine „Welt“, in die man jemanden „führen“ kann? Es wird freilich dergleichen da sein, — aber wie müßte, sagt man sich wieder, die Welt sein, die man einem Geschöpf von solcher Schönheit und solchem Anstand des Liebreizes eröffnen wollte! Nun möge sie selber, wenn sie nun in die „Welt“ tritt, nicht empfinden, daß etwas „fehlt“ in dieser Außenwelt, daß sie wirr, daß sie rath- und heillos ist; es

88

giebt ja, zum Glück, immer noch menschliche Werthe und Erscheinungen, die sich unabhängig halten und unberührt von der zudringlichen Gegenwart: mögen ihr solche begegnen und möge sie einige jener echten Huldigungen empfangen, die das Gemüth nicht verwöhnen, sondern es gleichsam erhöhen und zu den ei¬ genen reinen Fähigkeiten verpflichten. Die Welt ist immer vollzählig -, und so giebt es auch noch alles Schönste und Edelste und Adlichste in ihr —, wenn es auch jetzt nicht die Herrschaft führt. Wie viel Beruhigung bereitet es mir, liebe gnädigste Gräfin, daß Roggenburg zunächst nicht vermiethet ist und daß Sie wieder dort sein werden. Wenn ich je, im späteren Frühling 1922 oder auf den Sommer zu, die schweizer Grenze über¬ schreite, muß ich versichern, daß ich dann nicht daran vorüberfahre?! - Möge uns in diesem Neuen Jahr ein gutes Wiedersehen vergönnt sein: unter dem weni¬ gen, was ich ihm an Wünschen, an seinem Eingang, vorgelegt habe, war dieser obenauf. - Und im Übrigen bringe es Ihnen und den Ihren das erdenklich Beste und Freudigste und so manche, noch unabsehbare gute Wendung. Ihr, in dankbarster Freundschaft ergebener Rilke P.S. Das Einliegende meiner kleinen getreuen Freundin Sissy.

38.

13. September 1923 Z. Zt. (vorübergehend): Kuranstalt Schoeneck b. Beckenried, am Vierwaldstättersee den 13. September 1923

Meine liebe gnädigste Gräfin, bin ich die Schuld an dieser langen, langen Unterbrechung zwischen uns? Fing ich das Schweigen an, daß so unaufhörlich geworden ist? - Ab und zu merk ich es, wie es dauert, und jedesmal hatte ich dann die Neigung, ihm auf der Stelle ein Ende zu machen. Nur: ich bin, (ich weiß nicht recht wieso) ein schlechter Brief¬ schreiber dieses Jahr, erst durch Arbeit, dann durch die und jene Abhaltung und

89

Veränderung. - Die neuesten Gründe meines Gehemmtseins meldet Ihnen, ohneweiters, die Adresse über diesem Briefblatt; aber obzwar die Kur, die beschäf¬ tigt und ermüdet, eine wahrhaft gültige Entschuldigung darstellen dürfte für mein Weiterschweigen nach allen Seiten, so denke ich doch gerade hier, in der Ausspannung und Stille, die mir diktiert ist, so oft an Sie und fühle so lebhaft das Bedürfnis, von Ihrem Ergehen und Leben unterrichtet zu sein, daß ich Sie, unbe¬ scheiden, um ein paar Zeilen bitte. Mögen sie (soweit die immer noch und immer mehr verhängnisvollen Verhältnisse in Deutschland das zulassen!) Gutes bringen und mir Ihre Freundschaft ganz gegenwärtig machen. Wie würden Sie mich da¬ mit erfreuen. Ich adressiere nach München, ob ich mir gleich gerne vorstellen möchte, daß Sie in Roggenburg sind und nicht in der Stadt, während diesen, nach einem schwankenden Sommer, so strahlend aufgeklärten Septembertagen. Und weiter¬ hin: welches mögen Ihre Pläne sein? Was mich angeht, so halte ich mich immer noch in der Zuflucht meines al¬ ten walliser Thurms, die ihr Hartes hat und ihr Gutes. Aber da ich auch den letz¬ ten Winter wieder fleißig arbeiten konnte, so muß ich glauben, daß das Gute überwiegt und darf nichts wünschen, als daß alles so bleibe. Sollte, verehrteste Gräfin, die Nachricht zu Ihnen gedrungen sein, daß die Arbeiten meines vor¬ letzten Winters im Erscheinen sind -, so denken Sie doch nicht, nie (nicht¬ wahr?), daß ich versäumt oder vergessen hätte, sie in Ihre Hände zu legen. Ich wollte es so einrichten, daß Sie beide Bücher (die sich eigenthümlich ergänzen) zugleich erhielten, und nun erscheint das zweite, in derjenigen Ausgabe, die mir selber zur Vertheilung zukommt, erst in diesen Wochen. Wohin darf ich dann meine Sendung richten. Seit Frühjahr gab es manchen lieben Besuch auf Muzot; darunter Kassner, mit dem ich viel von den Münchener Jahren sprach und der mir von Comtesse Elisabeth erzählte, die er in Oberstdorf zuweilen sah. - Und Sissy? Die Jahre ge¬ hen, gehen ... Erinnert sie sich noch ihres alten Freundes?: der sich Ihnen, gnä¬ digste Gräfin, ganz und gar empfiehlt, als Ihr Rilke

90

39.

31.Januar 1924 Chateau de Muzot sur Sierre Valais Schweiz am letzten Januar 1924

Meine liebe gnädigste Gräfin, ich hätte nicht gedacht, daß ich Ihre guten acht Seiten vom 24. Oktober so spät beantworten würde; daß meine Bücher, die für Sie längst vorbereiteten, nicht einmal für Weihnachten bei Ihnen sein würden; daß das neue Jahr eintreffen soll¬ te, ohne daß ich es Ihnen, als ein günstiges, gewünscht habe! Daß alles dies Thatsache ist, müßte mich ordentlich schuldig machen, wäre ich nicht gewissermaßen in allen meinen Absichten und Arbeiten enteignet gewesen, durch das schlechte Benehmen meiner Gesundheit; mehr und mehr mußte ich einsehen, es sei mit der Kur im Sommer, so genau ich sie auch ausgeführt hatte, nicht gethan gewe¬ sen, — und so schwer es mir ankam, das stille Muzot zu einer Zeit zu verlassen, die sonst ununterbrochen der Beschäftigung mit lieben Plänen und der aufmerk¬ samen Einkehr gehört, - ich war so wenig fähig, dieses thätige und innerliche Programm auszuführen, da[s]s ich nachgab und ein nahe, über Montreux, gele¬ genes Sanatorium aufsuchte. An die dreiundzwanzig Jahre, in wieviel Ländern und Lagen, hab ich mir immer selber zu helfen gewußt, auf Grund eines alten Einverständnisses mit meiner im ganzen einfachen und wohlentschlossenen Na¬ tur ...., da ists mir sehr neu, plötzlich, seit diesem Sommer die Ärzte in Rech¬ nung zu nehmen, und fast so störend, als sollte ich in Schwankungen des Gemüths auf einmal einen Geistlichen zu Rathe ziehen. Was für eine Konfusion das ergäbe! Ich fürchte, ich bin ganz ungeeignet, auf dem einen oder anderen Gebiet de supporter quelque intermediaire ... Auch wär es eine noch ganz unvorstellbare Umschaltung für mich, sollte ich genöthigt werden, einem kränkelnden und nachlassenden Körper die Überlegenheit des Geistigen gegensätzlich gegenüber¬ zustellen. Ich merke erst jetzt, wie wenig Unterschiede ich machen kann zwi¬ schen Leib und Seele und Geist, jedes ist mir auf seine Art köstlich gewesen und an meiner Arbeit und Einsicht ist alles dies in so unauslösbarer Gegenseitigkeit betheiligt, daß immer nur dann Hervorbringung möglich war, wenn alle diese Elemente in gemeinsamer Froh [h] eit und Steigerung zu einem unaussprechli¬ chen Einklang zusammenwirkten. Sollte ich von dieser Einigkeit mich trennen müssen? Es wäre ein arger Abschied! Aber, wo bin ich hin gerathen? Da ich doch nur die Gründe meines neuen Schweigens aufzuzählen gedachte! Verzeihen Sie dieses Sichgehenlassen, es erleichtert und tröstet, wenn es sich freundschaft¬ lich verstanden weiß; Ihr guter Brief, der eine rasche Antwort bekommen haben würde, wenn alles in gewohnter Ordnung geblieben wäre, hat nun diese andere Wirkung, daß ich, verspätet und gehemmt, mich umsomehr über die Umstände

91

ausspreche, die diese Verspätung und daneben die Unterlassung fast alles dessen, was mir sonst lieb ist, verschuldet haben. Sie verstehen und vergessen (denn es lohnt nicht darauf zurückzukommen). Das wäre schlimm, wenn, bei so seltenen Briefen, Beklagungen, und dazu über körperliche Mißstände, die Seiten ausfüllen sollten, die gar keinen Sinn haben, wenn Sie Ihnen nicht, in Ihre von aufdringli¬ chen Erschwerungen ohnehin bedrückten Tage, einige freundschaftlich freudige Abwechslung brächten! Aus Ihren Zeilen hatte ich wieder die Überzeugung von Ihrem Muth, mit dem Sie die Verhältnisse beherrschen, und wenn Sie sagen, daß es Ihnen gelänge, sich gelegentlich bei Kunst und Büchern über das „Elend des Lebens“ zu „täu¬ schen“, — so fühle ich, es gelingt Ihnen bedeutend mehr! Sie wissen, unbeirrt, die Kleinlichkeiten und Verworrenheiten des Täglichen einzuordnen in größere Zu¬ sammenhänge und diese, für Stunden, für Abende (und im Innersten ganz und gar) zu den gültigen zu machen! Mehr läßt sich nicht leisten, nichtwahr? Und diese Leistung, ehrlich und echt vollzogen, gehört, zum Glück, zu denen, die nicht zehren, nicht Kraft verbrauchen, sondern Kraft sammeln, von einer An¬ wendung zur anderen. Sie erzählen aus Pörtschach und Gastein, und nennen Roggenburg nicht; so sind Sie wohl im vergangenen Jahr gar nicht dort gewesen. Wie schön aber, daß Sie noch mit Kärnthen Zusammenhängen; ich war der Meinung, daß in Pört¬ schach alles, seit dem Tode Ihrer Mutter, aufgegeben sei, und lese nun mit Freu¬ de, daß Ihre Geschwister dort angesiedelt geblieben sind. Mit Freude, denn ich weiß, wie lieb Ihnen diese Landschaft war, nicht allein um aller Erinnerungen willen. Ich stelle mir vor, daß sie zu jenen, einen heiter und harmlos umgebenden Landschaften gehöre, in denen man sich unwillkürlich entspannt und ausruht und zu denen man — was vielleicht das Geheimnis dieses Ausruhns ist — in sol¬ chen Zeiten ohne Distanz gehört. Völlig im Gegensatz zu meinem Valais (we¬ nigstens in der spanischen Interpretation, in der ich es auffasse), wo alles Aufga¬ be und Anforderung ist. Ein Glück, daß ich einen Theil seiner Anforderungen in den vergangenen Wintern erfüllt habe. Meine Bücher werden Ihnen zeigen, in welchem Sinn. Dafür, daß sie Schweigen und Erleben von zehn Jahren zusam¬ menfassen, sind es kleine Bücher, dem Umfang nach; aber ich werde es wohl nie zu starken Bänden bringen, trotz meiner Eifersucht auf alle dicken Buchrücken, die sich stattlich ausnehmen. Mein Freund, der Rosenöl- und Ambra-Händler in Tunis, hatte, in seinem winzigen Verschlag in den „Souks“ leere Bretter rechts und links, auf denen sich seine acht kleinen Fläschchen voller Essenzen lächer¬ lich ausnahmen. Aber ich war schon damals entschlossen, es ihm auf meine Wei¬ se im Ver-Dichten nachzuthun! Aber nun zögere ich auch heute wieder, diese meinigen Destillierungen zu verpacken und abzusenden; denn, da ich Ihren Brief wiederlese, scheint mir die Möglichkeit Ihrer Reise nach Ouchy stärker als alles Übrige -, und der Termin,

92

in den sie etwa fallen sollte, ist ja, glücklicherweise, noch nicht vorüber. Da will ich doch erst fragen, ob die Aussicht nicht ganz nahe ist, daß ich Ihnen die Bü¬ cher selber bringen kann? Lausanne-Ouchy (ob ich zwar sonst nie hinkomme) ist mit dem Schnellzug in zweieinhalb Stunden zu erreichen: werd ich Sie, ver¬ ehrte Gräfin, begrüßen dürfen? Oder wird es mir am Ende gelingen, Sie zu über¬ zeugen, daß Sie sich Muzot ansehen sollten? Das wäre bei Weitem das Schönste! Sierre hat ein ausgezeichnetes Hotel („Bellevue“, das alte Palais de Courten), wo ich meine - seltenen - Gäste logiere. Geben Sie mir rasch ein gutes Recht auf ei¬ ne verläßliche Vorfreude! Alle guten Wünsche für Ihre junge Welt, im besonderen für Sissy, die mich hoffentlich in dem kleinen beigelegten Bild erkennt und nicht verleugnet! — Es kommt in dankbarer Erwiederung der guten Pörtschacher Aufnahme, die das Ih¬ rige dazu beigetragen hat, die Herzlichkeit und Gegenwärtigkeit Ihrer Nachrich¬ ten zu steigern. In alter getreuer Ergebenheit, Ihr Rilke Mit einer kleinen Beilage.

40.

17. März 1924 Chateau de Muzot s/Sierre (Valais) Schweiz, am 17. März 1924

Meine liebe gnädigste Gräfin, ich schreibe im gleichen Augenblick, da Ihr guter Brief mich erreicht -, und ich muß, sehe ich, gleich mit dem Verzicht anfangen. Gingen Sie auf alle Fälle nach Venedig, so dürfte ich es offen lassen, ob ein gutes Schicksal mir erlauben möch¬ te, Sie um den 2ten April dort zu erreichen ...; so aber, da Sie’s ein bißchen von mir abhängig machen, muß ich, der Wahrheit gemäß, eingestehen, daß ich nicht recht an die Möglichkeit einer solchen Reise für mich glauben kann. Vor etwa vierzehn Tagen, hab ich nicht minder schweren Herzens darauf verzichtet, nach Viareggio zu gehen (dem schönen Strand mit seinen Pinien-Wäldern, mit dem ich durch alte glückliche Erinnerungen Zusammenhänge). Was mich nun verhin¬ dert, unser so sehr erwünschtes Wiedersehen in Venedig einzurichten, ist von derselben Art: theils meine schlechte Gesundheit, theils die durch sie in Verspä¬ tung und Rückstand gerathene Arbeit, die ich, wegen einer in Vorbereitung be¬ findlichen Gesammtausgabe meiner Schriften, nicht im Stich lassen darf. Aller-

93

dings hoffte ich (und hoffe es noch ein wenig), im Laufe des April nach Paris zu gehen, wo ich dringende Angelegenheiten zu ordnen hätte.; wenn es aber mit meinem physischen Unbehagen so weitergeht, so werd ich wohl, stattdessen, nochmals das Sanatorium überhalb Montreux aufsuchen müssen, dem ich im Ja¬ nuar entronnen bin. Es ist eine im Ganzen recht trübe Zeit für mich; ich finde, ich hätte es für soviel geleistete Arbeit besser verdient gehabt; (aber wer darf da urtheilen, — wer sich eine Belohnung bestellen, oder auch nur sie erwarten!) Ich bin traurig, liebe gnädigste Gräfin! Ihr Vorschlag kam so schön aus dem Vollen Ihrer jetzigen reichen Reise, und da Venedig mir ganz vertraut, fast heimathlich ist, hätte es mich doppelt, dreifach, zehnfach gefreut, es nun mir Ihnen wiederzuerleben. Schade, schade! Indessen freu ich mich für Sie und mit Ihnen über alles das Herrliche, das Ihnen nun geschenkt gewesen ist. Sizilien kenn ich nur, als Passant, von der Rückkehr von Tunis her—, mehr aber wünsch ich mir nun noch dieses seltsame franziskanische Scandriglia, wo Sie an mich denken mußten. Ich würde es umso mehr aufnehmen, sähe ich es einmal, - als mir Assisi — so wie ich es kannte — ei¬ gentlich nie franziskanisch genug gewesen ist! Was giebt es doch für Herrlich¬ keiten, - und die größeste, ist es nicht diese: daß wir so unendlich fähig sind, auf das Herrliche, das wir erfahren und das uns berührt, einzugehen. Was werden Sie für eine innere Freiheit und Frohheit von dieser Reise mitbringen! Das war al¬ lerdings besser als Montreux, das, damit verglichen, die Langweile selbst ist, so¬ weit nicht der See seine strahlenden Tage hat. Und daß die Comtesse Elisabeth das alles miterleben durfte und nun noch glückliche römische Tage haben wird! Nein: was Sissy angeht, so macht mir nur die Nase Sorge, nicht, gar nicht, das Kloster; es hat keine Gefahr, daß sie sich „vernonnen“ ließe, das kleine schel¬ misch-fröhliche Herz! Sie wird sich schon vom Kloster abzuheben wissen. Da¬ gegen die Nase ist ihr näher und ich sorge mich, was mit der geschehen soll? Immerhin möcht ich, zum Schluß dieses eiligen Missive, noch gesagt und erinnert haben, wie nahe Sierre von der italiänischen Grenze ist (bis Mailand ists kaum drei Stunden!); aber das ist, ich geb es gleich zu, nur eine ganz schwache und überdies heillos unbescheidene Hoffnung, daß Sie, statt nach Venedig, bis hierher kommen könnten für die Tage vom 2ten bis 5. April. Das Valais beginnt dann schon seine gute Zeit, und Sie wissen, welche Freude Sie mir herbrächten, in mein altes Gemäuer und mein fast ebenso vermauertes Gemüth. Doch genug! Jedenfalls bitte ich um Ihre Daten gelegentlich, um dann einmal die Bücher schi¬ cken zu können. Dank jedenfalls für Ihren schönen reichen Vorschlag und Alles Gute und Freudige, das sich aus Ihren Zeilen bei mir niederschlug. Immer, in dankbarer Freundschaft, Ihr Rilke

94

41.

9. August 1924 Chateau de Muzot sur Sierre Valais am 9. August 1924

Meine liebe gnädigste Gräfin, ich komme eben von Ragaz und obwohl mich, nach, durch sechs Wochen zu ei¬ nem großen Theil vernachlässigter Korrespondenz, eine bergige Brieflandschaft auf meinen Tischen erwartet hat, so lasse ich es doch allem Übrigen Vorgehen, Ihnen meine Genesungswünsche zu schreiben. Ich hatte sooft Ihrer gedacht in den letzten Wochen -, einen kleinen Moment war dafür auch ein äußerer Anlaß vorhanden

durch

eine

kurze

Anwesenheit

der

zwei

Prinzessinnen

Win-

dischgraetz (Mary und Antoinette), die zuletzt in München gewohnt haben, lie¬ ben und frischen Geschöpfen, die etwas von der Jugend einstiger junger Mäd¬ chen

mitbringen,

ob

sie

gleich

so

muthig in

die

andersartigen

heutigen

Umstände hineingefunden scheinen. Da wir, im Anschluß an münchner Erinne¬ rungen, unsere dort etwa wohnenden gemeinsamen Freunde uns vorschlugen, da kamen Sie, gnädigste Gräfin, die die jungen Mädchen lieben und verehren, immer wieder in Frage und Antwort und schließlich waren Sie, sozusagen, das unvermuthete Fest unserer Gemeinsamkeit. Mary und Antoinette W., die ja in Zürich geboren sind und immer Bezie¬ hungen zur Schweiz behalten hatten, kamen, mit einer uns gemeinsamen Züri¬ cher Freundin nach Ragaz herüber, vor allem, um ihre Tante, die Fürstin Marie Taxis, zu sehen, die zu treffen ich selber für ein paar Wochen, in das alte Bad ge¬ kommen war; denn die gute Fürstin, genöthigt, eine ragazer Kur auf sich zu nehmen, konnte nicht, wie die letzten Jahre, bei mir im Wallis Station machen so trafen wir uns, um das jährliche Wiedersehen nicht aufzugeben, unter den schönen Bäumen um die uralte Heilquelle. - Aber, wie gesagt, auch ohne jene Begegnung mit Ihren jungen Bekannten, wäre meine Erinnerung oft mit Ihnen beschäftigt gewesen: der Ausfall unserer erhofften Begegnung hatte gleichsam ein Foch in dieses Frühjahr gerissen -, und nun mag ich auch irgendwie gefühlt haben, was Sie durchzumachen hatten, und vielleicht auch, daß Ihr starkes Ein¬ gehen auf meine Bücher herüberwirken konnte! So getrennt ist man ja, zum Glück, doch nicht, wie die zeitliche und räumliche Entfernung manchmal glau¬ ben machen möchte! Und indem Sie meine schweren Bücher so lebhaft und unmittelbar aufzu¬ fassen fähig waren, trotz der unendlichen unvermeidlichen Schwierigkeiten, die diese Verse mit sich bringen (nicht so sehr, wegen ihrer Dunkelheit, sondern weil ihre Ausgangspunkte oft verborgen sind, wie Wurzelwerk)

da Sie, ganz

ohne Hülfe, zu soviel Auffassung fähig waren, so hat, scheint mir, doch fast et-

95

was wie ein Wiedersehen zwischen uns stattgefunden, bei dem Sie allerdings arg bemüht gewesen sind und ich (was mich persönlich angeht) arg ausgeschaltet! Aber es läßt sich ja kaum sagen, bis zu welchem Grade ein Mensch in eine künst¬ lerische Verdichtung von der Konzentration jener Elegien und einzelner Sonette sich überzuführen vermag; oft ist es seltsam für die Lage des Hervorbringenden, an den dünneren Tagen des Lebens, (den vielen!) solche Essenz des eigenen Da¬ seins, in ihrem unbeschreiblichen Überwiegen, neben sich zu fühlen. Die Vorhandenheit eines solchen Gedichts steht eigenthümlich hinaus über die Flachheit und Nebensächlichkeit des täglichen Lebens und doch ist aus ihm die¬ ses Größere, Gültigere abgewonnen und abgeleitet worden, man weiß selbst kaum wie; denn kaum ist es gethan, gehört man selbst schon wieder ins allge¬ meine blindere Schicksal, zu denen, die vergessen, oder wissen als wüßten sie nicht, und die durch ein geläufiges Ungefähr- oder Ungenau-sein dazu beitragen, die Fehlersummen des Lebens zu vermehren. So ist jede große künstlerische Leistung, bis in ihr letztes mögliches Gelingen hinein, zugleich Auszeichnung und Demüthigung für den, der dazu fähig war. Freilich hat das dichterische Wort eine Athmosphäre der Freiheit um sich, die uns fehlt; es hat keine Nachbaren, außer wieder andere gleichwerthige Bildungen, und zwischen ihm und ihnen mag eine Geräumigkeit sich ausgestalten, ähnlich der des gestirnten Himmels: unge¬ heuere Distanzen und die unabsehlichen Bewegungen höherer Ordnung, für die uns jede Übersicht abgeht. Mit Bedauern und Theilnehmung erfahre ich, aus Ihrem Briefe, den Tod der Gräfin Marie Hollnstein; gerne gedenke ich manches Abends bei ihr, vor den Reihen russischer Bücher, an dem ich mich in jenes Russland versetzt meinen konnte, an dem ich hing wie an einer mehr und mehr imaginären Heimath. Was war schließlich auch ihr ganzes Dasein für ein Exil geworden, in seiner Absonde¬ rung! Der Abend in den Kammerspielen ist mir aber gewiß der gegenwärtigste geblieben von allen diesen Abenden; ich werde ihn immer, um dessentwillen, was er mit sich gebracht hat, zu den liebenswürdigsten Fügungen jener Jahre rech¬ nen, die sonst nicht gerade bedacht waren, einen zu beschenken. Und wie sehr steht doch noch alles, bis in’s Zufälligste, unter dem Zeichen jener Erschütterungen, die die Ordnungen zerstört haben, in denen wir aufge¬ wachsen sind. Wievieles Natürliche, ja Selbstverständliche, denk ich mir oft, kommt heutzutage nicht zustande, weil die Welt noch aus den Fugen ist und die Luft, die wir athmen und mit dem Gegendruck unserer Adern und Nerven aushalten, voller Rückschläge? Wievieles, was sonst mit dem Gang der normalen Strömungen einem zutrieb, muß man jetzt wollen, um es zu erreichen —, und darüber wird die Welt indiskret und verkrampft; denn das Beste, uns natürlich Zukommende, entstellt sich schon allein dadurch, daß es in die ungeduldigen Be¬ reiche des Willens einbezogen wird. Immerhin, unter den erschütterten und abbröckelnden Schichten, ist Auf¬ bau am Werk, unscheinbar und langsam. Und wie unbeirrlich selbst in so heillo-

96

ser und beirrender Zeit, einfach gesunde und gutentschlossene Naturen sich ausund aufrichten, das sah ich wieder, mit glücklichem Zutrauen, bei den beiden Windisch-Graetz. Sissy wird einem, denk ich, mit einer vielleicht eigenthümlicheren Kraft und Entschlossenheit ausgestattet, nach und nach ein ähnliches Gefühl des Zutrauens geben; gut, daß sie erst dreizehn ist, und die Welt noch ein bißchen Zeit hat, sich zu besinnen und zu regeln, ehe sie selbst persönlich mit Energien, die man wird zu fühlen bekommen, in sie hinauswirken wird! Einen guten Sommer, soviel noch davon da ist, und alles Freudige, liebe gnädigste Gräfin, das mit der Genesung gegeben ist. In dankbarster Freundschaft Ihr Rilke

97

4 Briefverzeichnis Die Briefe Rilkes sind, wenn nicht anders vermerkt, an die Münchner Wohnung der Gräfin, Habsburgerstraße 7, adressiert. 1. 2. 3. 4.

München, München, München, München,

Ainmillerstr. Ainmillerstr. Ainmillerstr. Ainmillerstr.

34 34 34 34

11. Dezember 1918 [13. Januar 1919] 31. Januar 1919 [5. Februar 1919]

5. 6. 7.* 8.

München, München, München, München,

Ainmillerstr. Ainmillerstr. Ainmillerstr. Ainmillerstr.

34 34 34 34

7. Februar 1919 8. Februar 1919 [19. Februar 1919] [21. Februar 1919]

9. 10. 11. 12. 13. 14. 15.

München, München, München, München, München, München, München,

Ainmillerstr. Ainmillerstr. Ainmillerstr. Ainmillerstr. Ainmillerstr. Ainmillerstr. Ainmillerstr.

34 34 34 34 34 34 34

16. 17.

München, Ainmillerstr. 34 München, Ainmillerstr. 34

18. 19. 20.

München, Ainmillerstr. 34 Bern, Hotel Palace Bellevue Soglio (Bergell, Graubünden)

[8. März 1919] [12. März 1919] [13. März 1919] [17. März 1919] 28. März 1919 [12. April 1919] 15. Mai 1919, nach Roggenburg [30. Mai 1919] [zwischen 2. und 7. Juni 1919] 10. Juni 1919 26. Juni 1919 3. August 1919, nach Roggenburg 13. August 1919, nach Roggenburg 26. September 1919 1. Dezember 1919 14.Januar 1920

21.* Soglio (Bergell, Graubünden) 22.* Begnins sur Gland (Vaud) 23.* Zürich, Hotel Baur au Lac 24. Locarno, Pension Villa Muralto 25. 26.

Locarno, Pension Villa Muralto Pratteln, Gut Schönenberg

27.* Venedig, Palazzo Valmarana 28.* Venedig, Palazzo Valmarana

98

17. Februar 1920 27. Mai 1920, nach Pörtschach 25. Juni 1920 28. Juni 1920

2 Seiten 2 Seiten 2 Seiten Billett, beidseitig 3 Seiten 2 Seiten 4 Seiten 3 Seiten u. Cassiani-Sonett 3 Seiten 2 Seiten 2 Seiten 2 Seiten 4 Seiten 3 Seiten 4 Seiten 2 Seiten Billett, beidseitig 3 Seiten 4 Seiten 4 Seiten 4 Seiten 4 Seiten 4 Seiten 4 Seiten, 2 Fotos v. Soglio 3 Seiten 4 Seiten 4 Seiten 4 Seiten

29.

Genf, Hotel Les Bergues

20. August 1920, nach Roggenburg

4 Seiten

30.* Paris, Hotel Foyot

27. Oktober 1920

3 Seiten

31.* Schloß Berg am Irchel

25. November 1920

8 Seiten, Post¬ karte v. Berg

32.

Schloß Berg am Irchel

20. Dezember 1920

Briefkarte, 2 Seiten, Mitsou

33.* Schloß Berg am Irchel

10. März 1921

12 Seiten

34.

Schloß Berg am Irchel

20. März 1921

4 Seiten

35.

Chateau de Muzot, Sierre

20. August 1921, nach Roggenburg

8 Seiten, Post¬ karte Muzot

36.* Chateau de Muzot, Sierre

2. Dezember 1921

16 Seiten

37.

Chateau de Muzot, Sierre

14. Januar 1922

4 Seiten

38.

Schoeneck, bei Beckenried

13. September 1923

4 Seiten

39.

Chateau de Muzot, Sierre

31.Januar 1924

8 Seiten und

40.

Chateau de Muzot, Sierre

17. März 1924,

Foto Rilkes

41.* Chateau de Muzot, Sierre

nach Rom

5 Seiten

9. August 1924

8 Seiten

* = ganz oder teilweise veröffentlicht ! ] = Datum zugewiesen

Aus den Briefen Rilkes ermittelte Briefe der Gräfin an Rilke

1.

25. Juli 1919 nach Nyon

2.

11. November 1919 nach Nyon und

Antwort: Brief 21

2a. 31. Nov./l. Dez. 1919 (Telegramm)

Antwort: Brief 23

3.

17. Februar 1920 nach Locarno

Antwort: Brief 25

4.

Mitte Juni 1920 nach Schönenberg

Antwort: Brief 27/28

5.

Mitte August 1920 nach Schönenberg

Antwort: Brief 29

6.

Anfang September 1920 nach Schönenb.

Antwort: Brief 30

7.

23. November 1920 nach Basel

Antwort: Brief 31

8.

Mitte Januar 1921 nach Berg

Antwort: Brief 33

9.

31. Juli 1921 nach Berg (Karte)

Antwort: Brief 35

10.

Anfang September 1921 nach Muzot

Antwort: Brief 36

11.

12. Januar 1922 nach Muzot (mit Fotos)

Antwort: Brief 37

12.

24. Oktober 1923 nach Muzot (8 Seiten, mit Foto) Antwort: Brief 39

13.

um den 15. März 1924 nach Muzot

Antwort: Brief 40

14.

8. Januar 1924 nach Muzot

Antwort: Brief 41

99

III. Kommentare

Elf der neununddreißig Briefe und zwei Billets (Nrn. 1-41) an Gräfin Mariette Mirbach-Geldern-Egmont sind ganz oder teilweise veröffentlicht. Ritzer zählt in seiner Rilke-Bibliographie zehn Briefe, da er die beiden Venedigbriefe vom 25. und 28. Juni 1920 (Briefe 27 und 28), die Rilke zusammen absandte, als einen rechnet. In den Kommentaren zu diesen Briefen (7, 21, 22, 23, 27, 28, 30, 31, 33, 36 und 41) ist zunächst die Erstveröffentlichung im Briefwerk Rilkes angegeben. Es folgen die Nachweise der weiteren Veröffentlichungen im Briefwerk, danach eine Auflistung der in der Literatur über Rilke aufgefundenen Auszüge, Zitate und Erwähnungen. Dabei werden die Siglen und Kurztitel des Literaturverzeich¬ nisses verwendet. Es wird weitere Zitate und Hinweise geben, gezielt gesucht wurde nicht. Nachdem sich aber immer wieder Briefe an die Gräfin in der Litera¬ tur herangezogen fanden, schien es opportun, diese Funde festzuhalten. Abwei¬ chungen von den Originalbriefen sind aufgeführt. Bei Zitaten aus dem Briefwerk werden die Unterstreichungen Rilkes in der von den Editoren gewählten Weise, kursiv oder gesperrt, wiedergegeben. Ein aus dem inhaltlichen Zusammenhang ermitteltes Briefdatum wurde in eckigen Klammern hinzugefügt. Die Formate der Briefe, Billetts und Briefum¬ schläge geben zuerst die Höhe, dann die Breite an. Bei den Briefbögen wurde das Seitenmaß gewählt. Die Bögen wurden ein zweites Mal gefaltet ins Kuvert ge¬ steckt. Gesiegelt sind die Umschläge mit einem Petschaft, das Rilke sich in Paris schneiden ließ. Abweichend vom Familienwappen auf Rilkes Grabstein zeigt die Helmzier einen steigenden Hund.157 Umfangreiche biographische Angaben zu Personennamen der Brieftexte sollen das Personenregister entlasten, in dem auch die Namen aus den Kommen¬ taren verzeichnet sind. Das Ortsregister ist ein reines Stellenverzeichnis. Die Kommentare als solche sind von unterschiedlicher Ausführlichkeit. Zu knappe Erläuterungen finden umfassendere Behandlung im übergreifenden Text.

157 Zum Wappen Rilkes siehe: Sieber: Die Ahnen Rilkes; Simon, W., in: BIRG 1973, S. 49.

101

1.

11. Dezember 1918

1 Faltbogen, blaues Papier, 17,8 x 13,5 cm. Wasserzeichen der Firma Poensgen & Heyer in Köln: Bogen mit senkrecht nach oben gerichtetem Pfeil, flankiert von den Buchstaben „P“ und „H“, und Schriftzug „Sackleinen“ in Großbuchstaben. Vorderseite und linke In¬ nenseite mit schwarzer Tinte beschrieben. Umschlag zugewiesen 10x15 cm, blau, Lei¬ nenstruktur, kräftiger blaues Seidenpapierfutter, dunkelgraues Siegel, fast ganz abgeplatzt. Brief an Lasche aufgerissen, unter der Lasche Blindprägung: „GESCHW. SORATROY, München“. Adresse: „I. H. G. Frau Gräfin Mariette von Mirbach-Geldern, Habsburger¬ straße 7 I.“ Unfrankiert, wohl durch Boten geschickt (Abb. 7). Unveröffentlicht. Das in den Briefbögen und Umschlägen der Briefe 8 bis 16 wiederkehrende Wasserzei¬ chen erwähnt auch Walter Simon bei der Beschreibung der Briefe Rilkes an Regina Ullmann vom 28.12.1918 und 29.3.1919 (BW mit R. Ullmann u. E. Delp, Anm. zu Briefen 155 und 161, S. 388 und 392). Lieferant des edlen Briefcouverts war die Papier- und Ga¬ lanteriewarenhandlung der Schwestern Maria (geboren 1862 in München) und Pauline (geboren 1873 ebd.) Soratroy in der Brienner Straße 4 (Meldebögen, Stadtarchiv Mün¬ chen).

München, Ainmillerstraße 34 IV.J Rilke wohnte seit dem 8. Mai 1918 in der vier¬ ten Etage des Hauses Ainmillerstraße 34. Das Haus wurde nach Bombenschäden im Zweiten Weltkrieg wiederhergestellt. An Lou Andreas-Salome schrieb Rilke am 21.1.1919: „Die Ainmillerstraße müßtest Du kennen [...] Es ist eine Seiten¬ straße an der Leopoldstraße, links, die dritte, wenn man an der Georgen- und Franz Josefstraße vorüber ist. Der Blick von meinem Arbeitsraum (der ein Ate¬ lier ist) geht über Dächer, über die sich in einiger Entfernung Thurm und Kuppel der Ursula-Kirche aufhebt“ (BW mit Lou A.-S., S. 388). Zu Rilke in der Ainmil¬ lerstraße siehe Heißerer, Wo die Geister wandern, S. 269-274. Aus dem Hotel „Continental“ in der Ottostraße war Rilke „ins Eigene“ gezogen, wie er Marian¬ ne Weininger in einem Brief vom 15.4.1918 angekündigt hatte (Schnack, Chro¬ nik, S. 595). „Ich bekomme ein Atelier mit Terrasse und zwei nette Zimmer da¬ zu, zur Terrasse gehören große Kübel mit Rosen und Nelken und zum Ganzen eine oesterreichische Köchin, die mit einigem Hausrath zu mir übergeht“ heißt es im Brief vom 24.4.1918 an Fürstin Marie Thurn und Taxis (BW mit M. v. T. u. T., S. 553f.). Vorwohner war der österreichische Generalkonsul, Egon Freiherr von Ramberg (1869-1938), „der sich in diesen Tagen in die Ehe stürzt“ (ebd., S. 552). Er heiratete 1918 Gräfin Erna Preysing (Jonas, Rilke und Paul Thun, 1975,

S. 84,

Anm.

13).

Der

österreichische

Diplomat

Paul

Graf

Hohenstein hatte Rilke die Wohnung samt Haushälterin vermittelt

Thun(ebd.,

S. 552). Zu Paul Thun-Hohenstein siehe Briefe 24, 31 und 33. Zur Haushälterin Rosa Schmid siehe Kommentar zu Brief 13. Sie wird auch in den Briefen 22, 24, 29 und 30 erwähnt. Die Einrichtung der Wohnung beschreibt Elya Maria Nevar in ihren Erinnerungen (Nevar, S. 44f.): „Man sehe ein mittelgroßes rechtwinkliges Zimmer, gedämpfte, ockerfar¬ bene Wände, die eine Schmalseite eine große Fensterwand mit kleiner

102

Glastür auf ein flaches Vordach. An diese Glaswand, seiner Länge nach an¬ stoßend, stand der Schreibtisch

daransitzend, die Tiefe des Raumes im

Dämmer hinter sich, durch die Scheiben über Dächer und Kamine des na¬ hen Schwabing schauend, mögen Rilke blasse Erinnerungen an Paris aufge¬ taucht sein. Die eine lange Wand war durch einen Kamin geteilt, je eine Türe rechts und links, die eine zum Vorplatz, die zweite zum Esszimmer führend. Vor diesem Kamin, der damals selten geheizt werden konnte, stand ein hochlehniger, breiter Sesselstuhl mit einem dazugehörigen tiefe¬ ren Sitzschemel, der ganz unter den Stuhl geschoben werden konnte - der ausgewählte Platz zum Vorlesen, Erzählen und hingegebenem Zuhören. An der gegenüberliegenden Seite des Ateliers stand nah an der Fenster¬ wand ein alter Sekretär, ihm gegenüber ein ganz einfaches Stehpult - so war der Schreibtisch flankiert von zwei anderen Schreibgelegenheiten [...].“

Tel. 33 313]

Rilke hatte einen Telefonanschluss, stand aber dieser Errungen¬

schaft kritisch gegenüber. Siehe Brief 4. Baronin Imhof]

Ludowika Baronesse von Imhof war Österreicherin (geboren

18.1.1885 in Dorf an der Enns) und Kunstmalerin. 1918 wohnte sie in Schwa¬ bing, Ohmstraße 11, vorher in der Galeriestraße 6 (Meldebogen im Stadtarchiv München). Im Rilke-Archiv Gernsbach sind laut Mitteilung von Hella SieberRilke vom 2.4.2003 keine Briefe an Baronin Imhof vorhanden. Prinz und Prinzessin Reuss]

Heinrich XXXIII. Prinz zu Reuß wurde 1879 in

Mauer bei Wien geboren, promovierte 1905 in Heidelberg („Der britische Impe¬ rialismus“) und war (vermutlich seit 1916) bis 1918 kaiserlich deutscher Bot¬ schaftssekretär in Wien (Rittmeister a. D. vorm, ä la suite der kgl. preuß. Ar¬ mee). 1913 heiratete er in Potsdam Victoria Margarethe Prinzessin von Preußen (1890-1923). Er starb 1942 in Stonsdorf (Schlesien, preuß. Reg. Bez. Liegnitz). Graf Mirbach-G.-E., der von 1900 bis 1903 an der Deutschen Botschaft in Wien akkreditiert war und Gräfin Mariette, die als Gräfin Hoyos in Wien aufwuchs, mögen Rilke als geeignete Gäste erschienen sein. Es ist wohl nicht abwegig, an¬ zunehmen, dass sich Rilke mit seinen Gästen über seine Absicht, das ihm von Kaiser Karl I. verliehene Offizierskreuz des Franz-Josephs-Ordens abzulehnen, unterhielt. Er gab den Orden am 17. Dezember 1918 mit einem Schreiben an die Nieder-Österreichische Landes-Regierung zurück (GB V 1937, S. 112f., zugleich in: Storck, Briefe zur Politik, S. 236f.; vgl. Schnack, Chronik, S. 615).

103

2.

[13. Januar 1919]

1 Faltbogen, graues Papier, Leinenstruktur, 20,6 x 16,3 cm. Vorderseite und linke Innen¬ seite mit Tinte beschrieben. Ohne Umschlag, da zusammen mit Buch geschickt. Unveröffentlicht.

am Montag] Es handelt sich um den 13.1.1919, da Rilke zur Lesung aus Verhaerens Werk am „Samstag, den 18ll!n“ Januar 1919 einlädt. die Cloeter'sehen Aufzeichnungen] Hermine Cloeter (München 1879 - 1970 Krems a. d. Donau), Tochter eines Wiener Fabrikaten, Schriftstellerin, Feuilletonistin in Wien. 1915 erschien „Häuser und Menschen in Wien“, auf das sich Rilkes Bemerkung beziehen könnte. Weitere Werke: „Geist und Geister aus dem alten Wien“, 1921; „Johann Thomas Trattner. Ein Großunternehmer im There¬ sianischen Wien“, Graz/Köln (Böhlau)

1939. Ein Teil ihrer nachgelassenen

handschriftlichen Aufzeichnungen befindet sich in der Wiener Stadtbibliothek. Rilke kommt in seinen Briefen an die Gräfin nicht wieder auf Hermine Cloeter zurück. von meinem großen Freunde Emile Verhaeren, dem belgischen Dichter, der wäh¬ rend des Krieges einen so grausamen Tod gefunden hat, -ist nun ein herrliches Buch Gedichte erschienen (Les flammes hautes)]

Der belgische Lyriker, Dramatiker

und Sozialist Emile Verhaeren (1855-1916), lebte später in Paris, wo ihm Rilke 1905 begegnete. Er starb während des Ersten Weltkriegs bei einem Eisenbahnun¬ fall. Die junge Schauspielerin Elya Maria Nevar war bei Rilke, als er Anfang Ja¬ nuar 1919 die „Flammes hautes“ in seinen Büchersendungen entdeckte, und be¬ richtet: „Wir schlugen auf und lasen, lasen abwechselnd und vergaßen bald alles um uns. Tage und Wochen blieb es bei jedem Zusammensein eine tiefe Freude, in seinen Rhythmen zu lesen.“ (Nevar, S. 62). Vgl. auch den fast gleichzeitigen Brief Rilkes an Gräfin Caroline Schenk von Stauffenberg vom 5.2.1919 (Briefe 1950/it 867, S. 575): „Und nun lese ich seit zwei Wochen die Verse in den .Flammes hautes“ und lese sie vor und meine manchmal mitten drin, es sei seine Kraft, die meine Stimme in diese Zeilen stößt und mich zwingt zu verkünden und zu verbreiten, wie unbeirrt, wie unüberwindlich gerade zu jener Zeit (denn das Buch lag so wie es ist, im Juli 1914 abgeschlossen vor) in ihm der Glaube an den Menschen und an die Sicherheit jener Zukunft gewesen war, die, wie er meinte, aus menschlicher Vereinbarung, aus brüderlichem Einverständnis — als hohe Flamme - hervorgehen sollte!“ Anfang 1919 übertrug Rilke das Gedicht „Les Morts“ aus dem Gedichtband „Les flammes hautes“, Paris 1917: „Die To¬ ten. An diesen Abenden, da in der Nebeldauer [...]“ (SW VII, S. 292-295, zu Entstehung und Veröffentlichung ebd., S. 1265f.). Aus der Erinnerung an Emile Verhaeren ging der imaginäre „Brief des jungen Arbeiters“ hervor, den Rilke zwischen dem 12. und 15.2.1922 schrieb (SW VI, S. 1111-1127). Zur lebenslan-

104

gen Bewunderung Rilkes für Verhaeren siehe auch Storck, Katalog Marbach 1975, Nrn. 279 und 417. Gräfin Mirbach-G.-E. besaß Gedichte Verhaerens in französischen Ausgaben von 1908 und 1911 und in der deutschen Übertragung von Stefan Zweig (Leipzig, Insel, 1913). Fürstin Oettingen]

Sophie Fürstin zu Oettingen-Oettingen und Oettingen-

Spielberg, geb. Prinzessin von Metternich-Winneburg (Dresden 1857 - Wien 1941), hatte ihr Palais in der Leopoldstraße in München - „ein schönes diskretes graues Haus“ (Brief Rilkes an Fürstin Marie Taxis vom 6.9.1918 in: BW mit M. T. u. T., S. 559). Zusammen mit ihrem Mann, Fürst Franz Albrecht 7. zu Oet¬ tingen-Oettingen und Oettingen-Spielberg (Oettingen 1847 - 1916 München) war sie Gastgeberin vieler Feste, wie sie Richard Voß in seinen „Erinnerungen“ beschreibt (S. 191-194), bis sie im Mai 1919 nach Wien zog. Rilke erwähnt sie auch im Brief an Katharina Kippenberg vom 29.12.1918 (BW mit Kath. Kippen¬ berg, S. 324): „[...] ein anderer [Abend jede Woche], auch an einem Kamin, ver¬ geht mir meistens bei der Fürstin Oettingen (einer Tochter der Fürstin Pauline Metternich), deren Kindheitserinnerungen sich im Paris Napoleons des IIIten bewegen, in einer Historie, die ebenso höflich als ermeßlich scheint [...]“. Rilke wird auch bei der Fürstin Oettingen mit Gräfin Mirbach-G.-E. zusammengetrof¬ fen sein. Beider Töchter heirateten in Hohenloher Adelsfamilien. Rilke erkun¬ digt sich in seinen Briefen an Gräfin Mariette immer wieder nach Fürstin Sophie Oettingen und berichtet aus ihren Briefen an ihn (Briefe 20, 22, 27, 33). Sie war es, die Rilke im September 1918 neue Gedichte der Comtesse Anna Elisabeth de Noailles brachte. Als Gegengabe schrieb Rilke ihr seine Übertragung des Ge¬ dichtes „Tu vis, je bois l’azur [...]“ in ein eigenes Heft mit der Widmung: „Diese Niederschrift des im Herbst 1915 übertragenen Gedichts ist der Fürstin Sophie von Oettingen ehrerbietigst zugeeignet“ (Brief Rilkes an Fürstin Marie Taxis vom 6.9.1918 in: Briefe an M. T. u. T., S. 559, und Schnack, Chronik, S. 1378). Der enge Kontakt zu ihr äußert sich auch in einem Brief Rilkes an Dr. Erich Katzenstein

(Psychiater in München, vgl. Schnack, Chronik, S. 611 f.) vom

15.11.1918, in dem er Namen und Adresse der Fürstin für ein Hilfsprojekt zur Betreuung der Kriegsheimkehrer an ihn weitergibt (Storck, Briefe zur Politik, S. 233f.). In Soglio erhielt Rilke, kurz vor der Abreise am 21.9.1919, einen Brief der Fürstin Oettingen aus Räuden in Oberschlesien, wo sie sich bei der Familie ihrer Tochter aufhielt (siehe Brief 22). Ein weiterer Brief der Fürstin erreichte Rilke um den 11.2.1922, dem Tag der Vollendung der „Duineser Elegien“. Er er¬ wähnt ihn im Brief vom selben Tage an Fürstin Marie Thurn und Taxis und lässt sich ihr empfehlen. Fürstin Marie Taxis kam in Wien oft mit Fürstin Sophie Oettingen zusammen, die ihr „weitaus die angenehmste Frau in Wien“ war (Brief an Rilke vom 26.1.1922, in: BW mit M. T. u. T., S. 695). Nach dem Verbleib des Briefwechsels zwischen Rilke und Fürstin Sophie Oettingen zu for¬ schen, übersteigt den Rahmen dieser Arbeit, wäre aber sicherlich lohnend.

105

Baronin Geyr]

Frieda Freifrau Geyr von Schweppenburg, geb. Gräfin von Ta-

veggi (Bologna 31.5.1875 - 13. 11.1927 München). Sie heiratete 1895 den preußi¬ schen Hauptmann und Major Klemens Geyr von Schweppenburg (1865-1941). Die Familie besaß seit 1911 eine Wohnung in Schwabing, am Englischen Garten: Königinstraße

44

(Meldekarte

im

Münchner

Stadtarchiv).

Im

Brief vom

14.1.1920 (Brief 24) fragt Rilke Gräfin Mariette, ob die Baronin Geyr in Italien sei. Im Rilke-Archiv Gernsbach befindet sich ein Brief der Baronin Geyr aus München an Rilke vom 7.1.1919, in dem sie über ihre Sehnsucht nach Italien schreibt und ihn mit einigen Bekannten für den Samstag (wohl der 11.1.1919) zum Frühstück einlädt (freundliche Mitteilung von Hella Sieber-Rilke vom 2.4.2003). Graf Mirbach]

Alfons Rainer Ludwig Wilhelm Franz Joseph Maria Graf von

Mirbach-Geldern-Egmont, der Ehemann der Gräfin, wurde am 3.6.1872 in Mün¬ chen geboren und starb in Roggenburg am 20.4.1964. Seit 1916 wohnte die Fa¬ milie in Schwabing, Habsburgerstr. 7, nicht weit von Rilkes Wohnung in der Ainmillerstraße.

3.

31. Januar 1919

1 Faltbogen, Papier wie Brief 2. Vorderseite und linke Innenseite mit Tinte beschrieben. Ohne Umschlag, da zusammen mit Buch geschickt. Unveröffentlicht.

das neue Grünewald-Werk] In München erschien 1919 eine Biographie des Ma¬ lers Matthias Grünewald (um 1460/70-1528) von Oskar Hagen (1888-1957), Wölfflin-Schüler und 1918 Professor in Göttingen. Rilkes Brief ist zugleich eine kurze Rezension dieses Werkes. Kritisch äußert sich auch Elya Maria Nevar in ihrem Brief vom 26. Januar 1919 zum Text des Buches, der „von Gemeinplätzen wimmelt“: „wie sehr verwöhnt bin ich doch durch Wölfflins ausschöpfende, aus¬ füllende Art, ein Bild zu sehen“ (Nevar, S. 74). 1909 hatte Rilke in Colmar den Isenheimer Altar erstmals gesehen: „[...] nun hab ich wirklich alle heutige Zeit bis zur letzten in dem Unterlinden-Museum vor den Grünewaldschen Bildern verbracht

[...]"(Brief

Rilkes

an

seinen

Verleger

Anton

Kippenberg

vom

17.9.1909 in: BW mit Anton Kippenberg, Anm. S. 578). Katharina Kippenberg erwartete noch im August 1919 eine Arbeit Rilkes über Grünewald (Brief von Katharina Kippenberg vom 12.8.1919 in: BW mit Kath. Kippenberg, S. 365). revelations] Enthüllungen, Aufdeckungen.

106

Rose] Anspielung auf frühere Gespräche mit der Gräfin, über die nichts Näheres bekannt ist. Zum Symbol der Rose in Rilkes Dichtung siehe Bollnow, Rilke 1956, S. 278ff. Vgl. auch den Gedichtzyklus „Les Roses“ (Muzot 1924, SW II, S. 575-584) und Rilke Grabspruch: „Rose, oh reiner Widerspruch, Lust, Nie¬ mandes Schlaf zu sein unter so viel Lidern.“ Zu „Deutungsaspekten zu Rilke Ro¬ sensymbolik“ siehe auch KA, Supplementband, S. 539-547. Bild-Werk]

Der Isenheimer Altar. Die Beschäftigung mit dem Werk Grüne¬

walds war besonders aktuell, weil dessen Hauptwerk, der Isenheimer Altar, wäh¬ rend des Krieges in München sichergestellt war und dort restauriert wurde.

4. Billett 1

[5. Februar 1919]

Karte, hellbeiger Karton: 5,7 x 9,2 cm, Vorder- und Rückseite mit Tinte beschrieben. Pas¬ sender hellbeiger Umschlag: 7,7 x 12,2 cm. Adresse: „I. H. G. Frau Gräfin Mariette von Mirbach-Geldern, Habsburger Str. 7 I.“ Umschlag nicht zugeklebt, unfrankiert. Unveröffentlicht. außer beute, Mittwoch]

wohl der für Elya Maria Nevar reservierte Mittwoch

(durchgängig in: Nevar). Theestunde]

Vgl. Briefe 12 und 13. Ein Besuch Rilkes bei der Gräfin zum Tee

fand am 18. März 1919 statt. Pinakothek]

In der Alten Pinakothek war Grünewalds Isenburger Altar ausge¬

stellt. Siehe Brief 3. Neuwinter, Winterrückfall]

Nach einem milden Januar gab es Anfang Februar

1919 starken Frost und schließlich Schnee (Tageszeitungen).

5.

7. Februar 1919

1 Faltbogen, Papier wie Briefe 2 und 3. 3 Seiten mit Tinte beschrieben. Umschlag: 11 x 17 cm, grau, braunes Seidenpapierfutter, hellbraunes Siegel, an der linken Seite aufgerissen. Adresse: „I. Hochgeboren Frau Gräfin Mariette von Mirbach-Geldern. München. Habsburgerstraße 7 I.“ Frankiert mit 10-Pfennig-Briefmarke der bayerischen Post. Post¬ stempel: München 7. Febr. 19, 6-7 N. { - Nachmittag). Unveröffentlicht.

107

der dumme Apparat] In den ersten beiden Briefen an die Gräfin gibt Rilke seine Telefonnummer an. Trotz seiner Abneigung war der Apparat ihm gelegentlich von Nutzen, etwa zur Zeit der Ausgangssperren Ende April 1919, siehe Nevar, S. 40, 89, 96. Indisposition] Mit den Worten: „Es giebt, wie in körperlichen, so auch in seeli¬ schen Schwankungen einen Zustand des Nicht-transportabel-seins“ schlägt Rilke eine Einladung in die Schweiz aus (Brief an Sidonie Nädherny vom selben Tage in: Briefe an Sidie N.-B., S. 287). Vgl. auch Nevar, S. 75-77. Retraite]

Rückzug. Rilke hatte sich Zurückgezogenheit verordnet, um sich auf

seine Übersetzungs-Arbeit zu konzentrieren. Um sich aller Besucher zu erweh¬ ren, hatte er am 13. Januar sein Schreibpult in die Mitte des Zimmers geräumt (Schnack, Chronik, S. 621). Zustand furchtbarer Unterbrechung] Rilke findet in diesem Brief eine neue Meta¬ pher für seinen durch die Kriegsjahre verursachten Zustand, den er in vielen gleichzeitigen Briefen beschreibt: „[...] man müßte sich eine Lunge vorstellen, die vier Jahre den Athem angehalten hat, um ungefähr ein Bild von dem Anste¬ hen zu fassen [...]“ und „[...] daß ich um den Preis dieses inneren Sich-totstellens mich erhalte [...]“. reine Besinnung]

In der Schweiz angelangt, beklagt Rilke weiter seine „Besin¬

nungs-Bedürftigkeit“ (Brief 19): „[...] denn noch war mir, seit ich fort bin, nicht die mindeste Besinnung in mir möglich geworden“ (Brief 20). Und, schon in Muzot, schreibt er: „Vielleicht ist es nur in diesen Jahren, wo mir soviel Arbeit und Besinnung nachzuholen bleibt, so gefährlich für mich, aber mir wird immer deutlicher, wie ich, wahrhaftig, zwischen Umgang und Arbeit mich zu entschei¬ den habe“ (Brief 36). Grünewald-Altar]

Rilke betrachtete den Isenheimer Altar in der Pinakothek

auch mit anderen Freunden, so mit der Schweizer Dichterin Claire Studer, späte¬ re Frau Iwan Golls (Schnack, Chronik, S. 627), die ihn Ende 1918 besuchte. Zu Grünewald siehe auch Briefe 4, 6, 7 und Kommentare dazu.

6.

8. Februar 1919

1 Faltbogen, Papier wie Briefe 2, 3 und 5. Vorderseite und linke Innenseite mit Tinte be¬ schrieben (Abb. 6). Passender Umschlag fehlt. Unveröffentlicht.

108

Unterbrochenheit]

Dieses, eine seelische Verfassung Rilkes kennzeichnende,

Wort benutzt er im Briefwerk häufig. In den Briefen an Gräfin Mirbach-G.-E. taucht es in neun Briefen (5, 6, 19, 22, 24, 28, 30, 36, 39) zehnmal auf, in den Formen „Ununterbrochenheit“ (5), „unterbrochen, -e“ (22, 36), „Unterbro¬ chenheit, -en“ (6, 30), „ununterbrochen, -e“ (24, 28, 39) und in der Rilke eigenen Steigerung: „ununterbrochenste“ (19). Sie haben mich nicht in Paris gesehen, ach, da war ich ein anderer Mensch] In sei¬ nen Pariser Jahren war Rilke nicht mit der Gräfin zusammengetroffen. Sie lebte dort von 1906-1909, als ihr Mann an der Deutschen Botschaft in Paris akkredi¬ tiert war. Zur heilsamen Wirkung von Paris und zur produktiven Einsamkeit sie¬ he Briefe 30, 31, 36. Bücherschrank] Die Bibliothek der Münchner Wohnung dürfte neben deutscher und österreichischer Literatur viele französische Bände aus den Pariser Aufent¬ halten der Gräfin enthalten haben. Im ihrem Nachlass fanden sich zahlreiche französische Lyrikbände. Kunstwanderung] Der Gang in die Pinakothek zu Grünewalds Isenheimer Altar. Siehe auch Briefe 4, 5 und 7. Stunden-Plan]

Von einem strengen Stundenplan für seine Arbeit spricht Rilke

auch im Brief vom 13.1.1919 an Fürstin Marie Thurn und Taxis (BW mit M. v. T. u. T., S. 572).

7.

[19. Februar 1919]

1 Faltbogen, Papier wie Briefe 2, 3, 5 und 6. 4 Seiten mit Tinte beschrieben. Umschlag: 11 x 17 cm, grau, braunes Seidenpapierfutter, hellbraunes Siegel, an der linken Seite aufgeris¬ sen. Adresse: „I. Hochgeboren Frau Gräfin Mariette von Mirbach-Geldern. München. Habsburgerstraße 7 I.“ und Zusatz „Mit einem Paket“. Erstveröffentlichung: Brief 98 in: GB V 1937, S. 231-234: „An Gräfin M.“. Der undatierte Brief wurde eingeordnet zwischen Brief 97 vom 15. Februar 1919 an Gräfin Stauffenberg und Brief 99 vom 19. Februar 1919 an Fritz Adolf Hünich. Vollständig abgedruckt unter Auslassung des Namens „Therese“. Brief nicht mehr veröffentlicht in späteren Briefaus¬ gaben. Abweichungen: „Daß Rodin nicht den Marmor im Blocke angriff“. Im Original: „Daß Rodin den Marmor nicht im Block angriff“. „Aus dem Italienischen“, im Original: „aus dem italiänischen“. „Pensum“, im Original: „pensum“. Ferner editorische Anglei¬ chungen, u.a. Trennung der typischen Zusammenschreibungen Rilkes: „ohneweiteres“, „wennauch“.

109

Zitiert und erwähnt in: 1. Ritzer, RMR Bibliographie, S. 47, B 11: „Gräfin M. 1. mn Febr. 19: 4/4a, 98.“ — 2. Schnack, Chronik, S. 627: Auszüge, mit den Abweichungen der Erstveröffentlichung: „Um die arge Rodin-Hetze“ bis „erben“ und Schluss ab „Der Isenheimer Besuch“. 3. Fitzebutze (Marbacher Katalog 54), S. 251: fälschlich „Gräfin Marie Therese MurbachGeldern“. Zitat des ersten Absatzes des Briefes, dabei Übertragungsfehler bei Abschrift im Rilke-Archiv Gernsbach in erster und letzter Zeile des Zitats: der Name „Therese“ oder, stattdessen, Auslassungszeichen fehlen und „Sie“ statt „sie“ im Original. - 4. SW VII, S. 1291: Zitat des letzten Satzes ab „ich leiste gleichwohl“ unter Auslassung von „um neun Uhr schon“. — 5. Langes Zitat in: BW mit Rodin, 2001, S. 360f.: „Um die arge Ro¬ din-Hetze in Paris zu verstehen“ bis „was er sich selbst erlauben würde)“, dabei Abwei¬ chungen wie in Erstveröffentlichung. — 6. Hinweis auf den Brief, die Bilderbücher Freyholds betreffend, in: BW mit Inga Junghanns, S. 274, Anm. zu S. 131.

Mittwoch] Der in Briefwerk und Literatur mit „Februar 1919“ (1. und 3.), „Mit¬ te Februar“ (2. und 5.) oder „nach Mitte Februar“ (4.) datierte Brief wurde am Mittwoch, den 19.2.1919, geschrieben. Dieses Datum trug Rilke mit Bleistift in die beigefügten Bilderbücher Freyholds: „Sport und Spiel“ und „Tiere“ ein, die sich im Nachlass der Tochter der Gräfin, Fürstin Therese (Sissy) Hohenlohe, im Schloss Niederstetten fanden (Abb. 9-13). Therese]

Sissy genanntes jüngstes der vier Kinder der Gräfin, geboren am

11.8.1911 in München. Auch Rilke nennt sie in den nachfolgenden Briefen Sissy. Ihr Name kommt in neunzehn der Briefe vor. Brief 9: „Meine kleine Freundin“. Brief 20: „Meine Correspondentin Sissy“. Rilke schickte ihr Ansichtskarten aus der Schweiz, siehe Briefe 22 und 24. Sie sind nicht auffindbar. Freyhold’sche Bücher] Zwei Bilderbücher des Malers Konrad Ferdinand Edmund von Freyhold (Freiburg im Breisgau 1878 - 1944 Zähringen bei Freiburg): „Sport und Spiel“, 3.-4. Tausend, Köln (H. & F. Schaffstein) o. J. (1907) und „Tiere“, 3.-5. Tausend, Köln (H. & F. Schaffstein) o. J. (1907). Beide Bücher, im Querformat von 25 x 31 cm, im Pappeinband mit Leinenrücken und farbigem Titel und Vorsatzblatt, enthalten zwölf kolorierte lithographierte Tafeln. Eine Mappe mit sechs Farbpostkarten, darunter fünf mit Abb. aus „Sport und Spiel“, erschien im Jahr 2000 zur Ausstellung „Fitzebutze“ in Marbach. Die klaren, kindgerechten Bilder in leuchtenden Farben galten Pädagogen als richtungswei¬ send. Die ersten dieser vielbeachteten Bilder schuf Freyhold für den „Bunt¬ scheck“, das 1904 bei Schaffstein erschienene Kinderbuch Richard Dehmels, an dem auch Ernst Kreidolf, Karl Hofer und Emil Rudolf Weiß mitarbeiteten. Mit diesem von Künstlern gestalteten Kinderbuch, das Texte ausgewählter Autoren enthielt, wollte Dehmel das deutsche Kinderbuch verbessern und durch dem kindlichen Verständnis entsprechende Bilder erzieherisch wirken. Im Jahre 1907 erschienen Carl Spittelers „Mädchenfeinde“, 1908 das „Hasenbuch“ mit Illustra¬ tionen Freyholds (siehe Brief 8). Freyhold studierte in Karlsruhe mit Aufenthal-

110

ten in London, Fiesoie und allwinterlich in Paris (Thieme-Becker). Als Buchil¬ lustrator arbeitete er bereits 1902 für „Die Insel“ (Heft 4) und schuf 1906 die Ti¬ telvignette für „Der neubestellte Irrgarten der Liebe“. Bekannt wurde er vor allem durch seine Aquarelle für Kinderbücher (Stark, Freyhold als Buchillustra¬ tor). Er schuf außerdem impressionistische Landschaften und Stilleben, in denen er Blumen und Früchte mit Glas und Geweben komponierte. Sammler seiner Werke und sein Förderer war Theodor Reinhart in Winterthur, Vater der Brüder Georg, Hans, Oskar und Werner Reinhart, der Freund und Gönner Rilkes in seinen Schweizer Jahren (siehe auch Brief 8). Rodin-Hetze]

Nach dem Tode Auguste Rodins (1840-1917) gab es in Paris

Prozesse mit heftigen Auseinandersetzungen um dessen Testament, auf die die Kunstwelt betroffen blickte. Am 21.2.1919 erschien in Heft 19 der Zeitschrift „Kunstchronik und Kunstmarkt“ ein Aufsatz von Otto Grautoff mit dem Titel „Eine Rodin-Affaire in Paris“. Offensichtlich hatte Gräfin Mirbach-G.-E. nach der Lektüre von Grautoffs kritisch-spöttischem Kommentar der Geschehnisse in Paris bei Rilke nachgefragt. Auf Wunsch Kippenbergs arbeitete Rilke an einer Neuauflage seines Rodinbuchs, die noch 1919 erschien. Vgl. BW mit Anton Kippenberg, Brief vom 7.2.1919 und Brief vom 9.2.1919, S. 113-118. Im Brief 33 an Gräfin Mirbach-G.-E. spricht Rilke gleichnishaft für seine eigene Situation nochmals von Rodin. Zu Rilke und Rodin vgl. auch Rilkes Brief an Hermann Pongs vom 21.10.1924 (GB VI 1937, Nr. 98, S. 320) und Rilke und Rodin 1997. Hotel Biron als Musee Rodin]

Das Palais in der Rue de Varenne 77, 1728-1731

erbaut und nach dem Duc de Biron benannt, einem Feldherrn Ludwigs XIV., ist heute Rodin-Museum. „Mit dem Tode Rodins hat der Staat eine gewaltige Erb¬ schaft angetreten: das schöne ,Hotel de Biron“ umfaßt, als ,Musee Rodin“, seinen gesamten

künstlerischen

Nachlaß,

einschließlich

der

reichen

Sammlungen.

Durch diese Einrichtung ist auch dem fragmentarischen Zurückgebliebenen der Anschluß an das überlebende Werk dauernd gesichert.“ Mit diesem Satz enden Rilkes Ergänzungen zur Auflage seines Rodinbuchs von 1919 (S. 118). Zwischen dem 31.8.1908 und dem 12.10.1911 bewohnte Rilke verschiedene Wohnungen im Hotel Biron (Schnack, Chronik, S. 310). Rodin mietete, kurz nach dem Einzug Rilkes, Anfang September 1908 „eine ganze Reihe von Sälen“ im Hotel Biron (BW mit Rodin, Vorwort, S. 9). Zeitweise wohnten dort auch Clara Rilke und Jean Cocteau, bis 1911 alle Mieter das Hotel räumen mussten (BW mit Andre Gide, S. 46). Age d’airain]

Siehe Rodinbuch [1934], Abb. 4 und 5 und S. 27f. Rilke erinnert

daran, dass Rodins Jünglingsstatue „L’äge d’airain” von 1875/76 wegen ihrer le¬ bensnahen nackten Körperlichkeit bei der Ausstellung in Brüssel 1877 einen Skandal auslöste. „Um sich von dem Vorwurf des Pariser Publikums, Rodin habe es durch einen Abguss nach dem Modell getäuscht, zu befreien, sah Rodin kei-

111

nen anderen Weg, als indem er einen wirklichen Naturabguss nach dem Jüng¬ lingsakt anfertigen ließ und denselben neben seiner Statue ausstellte“ (Burckhardt 1921, S. 18). Rodin gab der Figur zunächst den Titel „L’homme des Pre¬ miers äges“ (Der Mann der ersten Zeiten), dann „L’äge d’airain“ (Das Eherne Zeitalter). Zur Wirkung der schmerzliches Erwachen der Jugend symbolisieren¬ den Figur vgl. Schmoll, Rodin Studien 1983: „Munch und Rodin”, S. 275-296, hier 285f. Lebosse und anderen praticiens] Henri Victor Gustave Lebosse war selbständiger Bildhauer und Atelierchef Rodins in Meudon seit etwa 1890 bis 1917 (Benezit 1952; Descharnes 1967: Fotografie S. 240; Barbier in: Schmoll, Höllentor 1991; Elsen 1981: Aufsatz und Fotografie von 1906). Rilke nennt ihn praticien. Damit bezeichnet der Larousse 1896 in der Bildhauerei einen „ouvrier qui degrossit l’ouvrage et le met en etat d’etre acheve par l’artiste“ (Übersetzung: Handwer¬ ker, der rohe Werkstücke verfeinert und zur Fertigstellung durch den Künstler vorbereitet). Lebosse fertigte auch Wiederholungen und Verkleinerungen von Werken Rodins an und führte Skulpturen Rodins nach dessen Ton- und Gips¬ entwürfen in Marmor aus. Ein Jahr vor dem Brief an Gräfin Mirbach-G.-E., am 1.2.1918, hatte Rilke dem Kunsthistoriker Carl Georg Heise auf seine Frage, ob es sich bei Rodins „Ruhender Nymphe“, die Rilke 1906 dem Elberfelder Bankier und Kunstsammler August von der Heydt vermittelt hatte, um ein Einzelstück handelte, geantwortet: „Daß Rodin dieses Exemplar selbst .gegossen“ haben soll¬ te, ist ganz gewiß nicht zutreffend, doch erinnere ich mich, daß es, in Guß und Patina, nach seiner Meinung vollkommen gelungen war“(Schnack, Chronik, S. 1376). Der Isenheimer Besuch] Besuch des Grünewaldaltars. Siehe auch Briefe 5 und 6. Übersetzungen aus dem italiänischen]

Die Übertragungen von sieben Sonetten

italienischer Dichter sandte Rilke am 7.3.1919 an Katharina Kippenberg, darun¬ ter „Der Raub der Proserpina“ von Guiliano Cassiani (BW mit Kath. Kippen¬ berg, S. 336f.). Siehe Brief 8.

8.

[21. Februar 1919]

1 Faltbogen, blaues Papier, Leinenstruktur, 17,8 x 13,5 cm, mit Wasserzeichen der Firma Poensgen & Heyer wie Brief 1. 3 Seiten mit Tinte beschrieben, dazu 2 karierte weiße Blät¬ ter, 22,5 x 13,5 cm, einseitig beschrieben: das eine mit dem italienischen Sonett „II ratto di Proserpina“ von Cassiani, das andere mit der deutschen Übersetzung Rilkes. Rückseitig mit Tinte von der Hand der Gräfin: „Übersetzung von R. M. Rilke (Manuskript)“. Um¬ schlag: 9,5 x 14,9 cm, grünlichblaugrau, mit dem Wasserzeichen des Briefpapiers, innen

112

bedruckt mit grünlichem Pfauenfedermuster, Siegel abgeplatzt, ursprünglich dunkelgrau. Adresse: „I. H. G. Frau Gräfin Mariette von Mirbach-Geldern, Flabsburger Str. 7 I.“, un¬ frankiert. Umschlag an der linken Seite aufgerissen. Unveröffentlicht. Freitag]

Es handelt sich um den 21.2.1919. Das in Klammern mit Bleistift von

unbekannter Hand hinzugefügte Datum „7. März 1919“ ist falsch. Der Brief be¬ zieht sich inhaltlich unmittelbar auf den zwei Tage früher geschriebenen Brief vom 19.2.1919, der durch die mitgesandten Bilderbücher datiert werden konnte. schwedische Schule] Rilke erinnert die Gräfin an ein Gespräch über die Reform¬ schule „Samskola” in Göteborg, eine „Gesamtschule” mit Koedukation, von de¬ ren freiheitlicher Pädagogik er durch die schwedische Schriftstellerin, Frauen¬ rechtlerin und Pädagogin Ellen Key erfuhr („Das Jahrhundert des Kindes”, 1900). Zu Rilke und Ellen Key vgl. BW mit Ellen Key. Rilke besuchte die Schule im November 1904 und las dort seinen Essay „Samskola”, den er nach einem ers¬ ten Besuch begeistert niedergeschrieben hatte (SW V, S. 672-681): „Was diese Schule versucht, ist dieses: nichts zu stören” und alles zu tun, „was Erwachsene an denen tun können, die nach ihnen kommen sollen“. Auch im Brief vom 24.1.1919 an Eva Cassirer, die an der Reformschule ihres Mannes Kurt Cassirer, der „Odenwaldschule“, unterrichtete, ist die Schule erwähnt: „Ich fürchte an den Erwachsenen ist alles verloren, denke aber mehr denn je an die schwedische ,Samskola“ und ihre heitere Verwirklichung eines liebevoll und unter den glück¬ lichsten Versuchen aufgerichteten Lebens. Nur bei den Kindern beginnt die Zu¬ kunft [...]“ (Schnack, Chronik, S. 624. Zu Rilkes Eintreten für Wandel und Er¬ neuerung der Erziehung siehe auch: Storck, Emanzipatorische Aspekte, u.a. S. 257 u. 266.). Dieses Thema war für Rilke besondes aktuell, weil er eine geeig¬ nete Schule für seine Tochter Ruth suchte. Von der „veralteten Schulmacht“ spricht er im Brief an Adelheid von der Marwitz vom 26.2.1919 (Briefe 1950/it 867, S. 579). Bilderbücher, Hasenbuch] Bücher von Freyhold (siehe Brief 7). Das Hasenbuch, mit Illustrationen von Freyhold und Versen von Christian Morgenstern, war 1908 bei Cassirer erschienen und rasch vergriffen. Zur Entstehungsgeschichte des Oster- oder Hasenbuchs siehe ausführlich Fitzebutze, S. 239-251, Abb. 102— 104. Dieses „wirklich beglückende Hasenbuch” hat Rilke an einige Freunde ver¬ schenkt. Er ließ sich drei Bilderbücher von Freyhold, darunter das Hasenbuch, von Elya Maria Nevar in die Schweiz nachschicken (Nevar, S. 112, 114, 124). Ostern 1923 war der Maler Freyhold mit Werner Reinhart und Freunden bei der von Rilke in Muzot „eingerichteten Bescheerung, die [...] unter großer Lustig¬ keit stattfand” dabei. Freyhold „bekam einen Haasen-Vers und 7 (Isieben!) gro¬ ße und kleine Biscuit-Haasen” (Brief vom 11.4.1923 an Nanny WunderlyVolkart in: Briefe an N. W.-V., S. 886). Rilke liebenswertes, Freyhold gewidme¬ tes Gedicht lautet:

113

Wird erst die Erde österlich, versammeln alle Hasen sich im frühlinglichen Rasen. Sie tanzen zu dem Grasgeruch sehr „frey” und „hold”. Das Hasenbuch steckt doch in jedem Hasen. (SW II, Gedichte 1910-1926, S. 252) Sissy-Tberese] Siehe Brief 7 und Kommentar. Proserpina] (griech. Persephone) Tochter des Jupiters und der Ceres, Göttin der Unterwelt, als Jungfrau auf Sizilien beim Spiel von Pluto in die Unterwelt ent¬ führt (SW VII, S. 1385). Michelangelo] Rilke hatte schon 1912 begonnen, Michelangelo-Sonette zu über¬ tragen. Er setzte diese Arbeit in München und in der Schweiz fort (siehe Brief 26). Die Dichtungen des italienischen Bildhauers und Malers Michelangelo Buo¬ narroti (1475-1564) wurden erst nach dessen Tod bekannt. Sein Großneffe Mi¬ chelangelo II Giovane veröffentlichte die Sonette an Vittoria Colonna und Tommaso Cavalieri im Jahre 1623. Erst 1863 gab Cesare Guasti die gesamten Texte nach Gattungen geordnet heraus. Die erste Übersetzung ins Deutsche legte 1875 Sophie Elasenclever vor. Auch Kunsthistoriker räumten jetzt dem dichterischen Werk Michelangelos Raum ein. 1897 gab der Berliner Professor Carl Frey eine kommentierte Ausgabe der chronologisch geordneten Gedichte heraus. Rilke benutzte diese Ausgabe und das Werk von Guasti für seine Übertragungen. Zu den Vorlagen Rilkes und zur Chronologie der Übertragungen vgl. SW VII, S. 1294. kleinere Götter des Sette- und Ottocento]

Italienische Dichter des 18. und

19. Jahrhunderts. arbeitswarme Probe]

Abschrift des Originals und der Übertragung des Sonetts

„11 ratto di proserpina“ von Giuliano Cassiani, italienischer Dichter und Schrift¬ steller (1712-1778), geboren in Modena und Literaturprofessor ebenda. Einer seiner Schüler, der Marchese de Lucchesini, sammelte seine Dichtungen und ver¬ öffentlichte sie 1770 in Lucca unter dem Titel „Saggio di rime“ bei Guiseppe Rocchi. Zu Cassianis bemerkenswertesten Sonetten zählen „Der Raub der Pro¬ serpina”, die „Geschichte der Susanna“ und „Der Sturz des Ikarus“ (Nouvelle Biographie Universelle, 9. Bd. Paris 1854, Spalte 33f.). Für seine Übertragungen italienischer Sonette benutzte Rilke eine Anthologie italienischer Dichtungen des 18. Jahrhunderts (BW mit Kath. Kippenberg, S. 336.). Katharina Kippenberg äußerte sich zur Übertragung - „Kühn ist das Proserpina-Gedicht [...]“ - im Brief vom 15.3.1919 an Rilke (ebd., S. 346). Eine Abschrift des deutschen und

114

italienischen Textes erhielt auch Claire Studer am 22.3.1919. Zur Überlieferung durch Abschriften Rilkes siehe SW VII, S. 1291.

9.

[8. März 1919]

1 Faltbogen, Briefpapier und Umschlag wie Brief 8, olivgraues Siegel. 3 Seiten mit Tinte beschrieben. Adresse: „I. H. G. Frau Gräfin Mariette von Mirbach-Geldern, Habsburger¬ straße 7 I.“ Frankiert mit 10-Pfennig-Briefmarke der bayerischen Post. Poststempel: München 8. März 19, 4-5 N. Umschlag an der linken Seite aufgerissen. Unveröffentlicht. Samstag]

Daneben mit Bleistift in Klammern, von unbekannter Hand: „8. III.

1919“. Die Datierung dürfte zutreffen. meine kleine Freundin]

Sissy Geldern-Egmont, die Rilke Tulpen als Geschenk

ihrer Mutter brachte. Verzerrungen des Menschlichen] Wohl unmittelbar auf die Gegenwart, die Situa¬ tion in München, bezogen, wo Ministerpräsident Eisner am 21. Februar 1919 ermordet wurde (siehe Brief 12 und Kommentar). Dagegen setzt Rilke die kind¬ liche Unbefangenheit. Heilheit des Kindseins]

Die Lebenserfahrung Rilkes, dass Bedrohung und

Menschlichkeit gleichzeitig bestehen, äußert Rilke auch im Brief 37: „es giebt ja, zum Glück, immer noch menschliche Werthe und Erscheinungen, die sich unab¬ hängig halten und unberührt von der zudringlichen Gegenwart“.

10.

[12. März 1919]

1 Faltbogen, Papier und Umschlag wie Briefe 8 und 9, rotes Siegel. Vorderseite und linke Innenseite mit Tinte beschrieben. Adresse: „I. H. G. Frau Gräfin Mariette von MirbachGeldern, Habsburgerstraße 7 I.“ und Zusatz „Durch Boten, mit einem Paket.“ Umschlag an der linken Seite aufgerissen. Unveröffentlicht. Mittwoch] 12.3.1919. Es kann nur dieser Mittwoch sein, am darauffolgenden war Rilke bei Gräfin Mariette zum Tee (siehe Briefe 12 und 13).

115

Radler] Radelnde Boten in München. münchner Höfe]

Lärm von Kindern und Schulhöfen störte Rilke sehr (M. v. T.

u. T., Erinnerungen, S. 59). Seiner jungen Freundin Elya Marie Nevar berichtete er 1918, als er schon in der Ainmillerstraße wohnte, dass er vor seiner Wohnung in der Keferstraße spielende Kinder eines Tages mit Schokolade bestach, damit sie ihr Geschrei einstellten (Nevar, S. 34). ein paar Bücher] Darunter vermutlich die beiden Bücher, die die Gräfin mit nach Roggenburg nahm: „Salons“ und „L’äme des Anglais“. Siehe Brief 14.

11.

[13. März 1919]

1 Faltbogen, Papier und Umschlag wie Briefe 8-10, rotes Siegel. 2 Seiten mit Tinte be¬ schrieben. Adresse: „I. H. G. Frau Gräfin Mariette von Mirbach-Geldern, Habsburger¬ straße 7 I.“ Umschlag an der linken Seite aufgerissen. Vermutlich durch Boten. Unveröffentlicht. Donnerstag] 13.3.1919. Datierung erschlossen aus dem vorausgehenden Brief. „Lebensstufen“, eines der reichsten, darstellendsten Bücher von Tolstoj] Leo Nikolajewitsch Tolstoi, Graf (1828-1910), russischer Dichter. Seine „Lebensstufen“ in drei Teilen: „Kindheit, Knabenalter, Jünglingsjahre“, geschrieben in den Jah¬ ren 1852-1857, erschienen 1903 im Verlag Diederichs, Leipzig, zweibändig in Deutsch. Sie begründeten Tolstois literarischen Ruhm. Der Held des Buches, Nikolaj Irteniew, ist typisch für den jungen Russen aus adeligem Hause, aber zugleich auch der Typus des Menschen des 19. Jahrhunderts. Tolstois Leistung liegt in der dichterischen Darstellung der psychologischen Schwierigkeiten des Lebens und ihrer Überwindung. Zu Rilke und Tolstoi siehe Kommentar zu Brief 13.

12.

[17. März 1919]

1 Faltbogen, Papier und Umschlag wie Briefe 8-11. 2 Seiten mit Tinte beschrieben. Um¬ schlag mit olivgrauem Siegel, an der linken Seite aufgerissen. Adresse: „I. H. G. Frau Grä¬ fin Mariette von Mirbach-Geldern, Habsburgerstraße 7 I.“ Vermutlich durch Boten. Unveröffentlicht.

116

Montag] 17.3.1919. Datierung erschlossen aus dem nachfolgenden Brief. morgen, Dienstag um fünf, wenn es Ihnen also so recht ist; Mittwoch könnte ich nicht] Für Dienstag, den 18.3.1919, sagt sich Rilke bei Gräfin Mariette zum Tee an. Seine Haushälterin war zu dieser Zeit verreist und konnte Rilke nicht versor¬ gen. Im Brief an Elya Maria Nevar heißt es deshalb am 18.3.1919: „[...] so daß ich mir mein Essen immer noch auswärts mit viel Gesprächigkeit verdienen muß. Auf morgen, Mittwoch [...]“ (Nevar, S. 87). Eisner] Kurt Eisner (1867-1919), Politiker, Schriftsteller und Publizist. Ab Ap¬ ril 1917 Mitglied der aktiv gegen den Krieg eintretenden Sozialdemokratischen Partei (USPD). Nach dem Sturz der Bayerischen Monarchie am 7./8.11.1918 wurde er erster Ministerpräsident der neuen Republik („Freistaat Bayern“). Auf dem Weg zum Landtag, wo er wegen wachsender Radikalisierung seinen Rück¬ tritt verkünden wollte, erschoss ihn am 21.2.1919 der ultrakonservative Leutnant Anton Graf Arco auf Valley. Im Nachlass Rilkes erhielt sich Eisners „Gesang der Völker“, gedruckt im Programm der Revolutionsfeier vom 17.11.1918 in Mün¬ chen (Schnack, Chronik, S. 1167). Am 21.1.1919 hatte Rilke Eisner um seinen Rat wegen einer geplanten Stiftung Hertha Koenigs für „in Not Gerathene“ (Storck, Briefe zur Politik, S. 204-206). Zur Beziehung Rilkes zu Eisner und an¬ deren revolutionären Schriftstellern siehe Storck, ebd., S. 567, 573ff, 59lf. und Storck, Rilke und das Problem der „deutschen Identität, S. 66f. Eine Biographie Eisners von Bernhard Grau erschien 2001 im Verlag C. H. Beck, München. Die Presse trifft böses Verschulden] Im einige Tage früher geschriebenen Brief an Karl von der Heydt vom 13.3.1919 formuliert Rilke: „Die Ermordung Eisners, für den ich eine große Schätzung gehabt habe, ist die entsetzliche Folge eines durch die Presse genährten Mißverstehens dieser durchaus menschlichen Ges¬ talt, mit der gerade eine Kraft der Versöhnung und Mäßigung beseitigt worden ist.“ (Briefe an K. u. E. v. d. H., S. 216). Vom „Lügenfluß der Presse“ spricht Rilke im Brief vom 1.3.1919 an Eva Marie Heyl zu Herrnsheim (GB V 1937, S. 237, und Briefe 1950/it 867, S. 582).

13.

28. März 1919

1 Faltbogen, Papier wie Briefe 8-12. 4 Seiten mit Tinte beschrieben. Blauer Umschlag, 9,5 x 14,9 cm, mit blauem Seidenpapierfutter und olivgrauem Siegel, abgeplatzt, an der linken Seite aufgerissen. Adresse: „I. H. G. Frau Gräfin Mariette von Mirbach-Geldern, Habs¬ burgerstraße 7 I.“ Wohl durch Boten. Unveröffentlicht.

117

Glocken] Osterglocken (Narzissen), die die Gräfin Rilke schickte. Rosa] Rosa Schmid, Österreicherin. Haushälterin Rilkes in der Ainmillerstr. 34, München. Er hatte sie mit der Wohnung übernommen. Rosa hütete Rilkes Wohnung nach seiner Abreise in die Schweiz, sie war 1919 auf dem Lande, als Rilke einen Neffen Lou Andreas-Salomes in seiner Münchner Wohnung wohnen ließ (Brief 22). Noch Ende 1920 wartete Rosa auf Rilkes Rückkunft. Siehe Briefe 22, 24, 29, 30 und 31 sowie Kommentare dazu. eine Woche schon seit jenem Nachmittag hei Ihnen]

Am 18.3.1919 war Rilke

nachmittags bei Gräfin Mariette zum Tee. Siehe Brief 12. von allem, was mir je widerfuhr durch eine inerte, für mich ereignislose Zone von Jahren - J-a-h-r-e-n - getrennt] Jahrzehnt

tot

gewesen“,

Weiter unten: „drückende Immobilität“, „ein

„Starrheit“.

Dagegen

später,

im

Brief

30

vom

27.10.1920, aus Paris: „ich empfinde, zum ersten Mal seit den entsetzlichen Jah¬ ren, wieder die Continuität meines Daseins, auf die ich schon verzichten wollte“. In der auseinandergezogenen Schreibweise des Wortes „Jahren“ verdeutlicht Ril¬ ke bildhaft die lange Zeit seiner Teilnahmslosigkeit. offenbar war jene offene Welt und Zukunft, die wir einmal hatten, die Vorausset¬ zung dafür, daß mir überhaupt etwas geschähe ... Wer nicht nach einem vorgefaßten Plane lebt, nichts aufsucht, sondern alles - und am Liebsten das Entfernteste kommen läßt nach seinem Gesetz, der bedarf der Einschaltung in den größesten Welt-Kreislauf aller Länder und Sternbilder, um in seinem unendlichen Sinn leben¬ dig zu sein und Beweise dafür zu haben, daß er’s ist] Rilke war seit dem Krieg der Blick „ins Offene“ versagt. Er formuliert hier, was er drei Jahre später in den „Duineser Elegien“ in höchste dichterische Form bringen wird, als ihm die „Vor¬ aussetzungen“ dafür in Muzot geschaffen sind. Vgl. Brief 41. Tolstoj]

Die erste Begegnung Rilkes mit Tolstoi fand, zusammen mit Lou An¬

dreas-Salome, am 28.4.1899 in Moskau statt. Zum Besuch bei Tolstoi am 1.6.1900 (19. russischer Mai) in Jäsnäja Poljäna siehe Russlanderinnerungen in: Inselschiff 4, 1928, S. 260-264. Vgl. auch Schmargendorfer Tagebuch in: Tage¬ bücher aus der Frühzeit, S. 279-282 (Aufzeichnung über den ersten Besuch bei Tolstoi) und Lou A.-S., Russland mit Rainer, S. 54-58. Auch später äußerte sich Rilke immer wieder über die Bedeutung Tolstois für ihn, so im Brief an Her¬ mann Pongs vom 21.10.1924 (u.a. in: Storck, Briefe zur Politik, S. 432-440, hier S. 432f.). Zu Rilkes Russlanderlebnis vgl. Rilke und Russland, zur Wirkung Tols¬ tois auf Rilke vgl. Brutzer, Rilkes russische Reisen, S. 50-52. Siehe auch Brief 11 (Tolstois „Lebensstufen“). Erinnerungen an Tolstoi und Russland begleiteten Rilke zeitlebens, siehe Brief 41. Zu Rilkes Kritik an Tolstoi vgl. das gleichnamige Kapitel in: Naumann, Rußland in Rilkes Werk, S. 186-194.

118

Lou Andreas-Salome] Autorin und Psychoanalytikerin (1861-1937), seit 1887 in einer unkonventionellen Ehe mit dem Orientalisten Professor Friedrich Carl Andreas (1846-1930) verheiratet. Rilke lernte die in St. Peterburg geborene Tochter des russischen Generals und hohen Staatsrates, Gustav Ludwig Salome (1807-1879), baltischdeutscher, hugenottischer Abstammung, im Mai 1897 in München kennen. Aus der Begegnung entstand bald eine intensive Liebes- und Geistesbeziehung, die den jungen Rilke entscheidend prägte. Diese Phase der Beziehung hielt bis nach der zweiten gemeinsamen Reise nach Russland im Frühjahr und Sommer 1900 an und wurde durch Lous „letzten Zuruf“ vom 26.2.1901 (BW mit Lou A.-S., S. 53f.) abgeschlossen. Im darauf folgenden April heiratete Rilke die Bildhauerin Clara Westhoff und gründete seinen Hausstand in Westerwede bei Worpswede. Ein Brief Rilkes vom Juni 1903 führte zur Wie¬ deraufnahme der Beziehung auf Freundschaftsbasis, die bis zu Rilkes Tod fort¬ dauerte und einen intensiven Briefwechsel hinterließ. Rilke lud Lou AndreasSalome, die in Göttingen lebte und praktizierte, im Februar 1919 nach München ein und mietete ihr ein Zimmer in der Pension „Gartenheim“, Ludwigstraße 22, das er aus einem Sonderhonorar des Insel-Verlags bezahlte. Sie erreichte Mün¬ chen am 26.3.1919. Reise und Aufenthalt waren von politischen Unruhen und Nachkriegsnot überschattet. Am 2.6.1919 reiste sie zu Freunden nach Höhen¬ ried (Wendland, Heiseier) ab und sah Rilke später nicht wieder (Schnack, Chro¬ nik, S. 640). Siehe auch Brief 33. Vor drei Tagen hatte ich (über Umwege) den ersten Brief aus Venedig] Absender war Pia de Valmarana (siehe Kommentar zu Brief 27). Freundlicher Hinweis von Hella Sieber-Rilke im Brief vom 2.4.2003. Über diese Korrespondenz spricht Rilke im Brief vom 13.1.1919 an die Fürstin Marie Thurn und Taxis: „Der Pia hab ich versucht, zur Wiederaufnahme unserer Buch-Tradition, den neuen Verhaeren zu schicken“ (BW mit M. v. T. u. T., S. 571). In diesem Brief erwähnt Rilke seine „Nachbarschaft“ mit „der Gräfin Mariette Mirbach-Geldern-Hoyos“.

14.

[12. April 1919]

1 Faltbogen, Papier wie Briefe 8-13. 3 Seiten mit Tinte beschrieben. Umschlag (zugewie¬ sen) wie Brief 13, ungesiegelt, an der linken Seite aufgerissen. Adresse: „I. H. G. Frau Gräfin Mariette von Mirbach-Geldern, Habsburgerstraße 7“. Wohl durch Boten. Unveröffentlicht.

Samstag]

Es kann sich nach dem im Brief erwähnten „großen Schnee“ nur um

den 5. oder 12.4.1919 handeln. Auch Thomas Mann erwähnt ihn in seinem Tage¬ bucheintrag vom 1.4.1919: „Unaufhörlicher dichter Schneefall, die Gartenbank völlig ausgefüllt und verschwunden“ (Tagebücher 1918-1925, S. 183). Für die

119

Datierung auf den 12.4.1919 spricht die Nähe zum Osterfest (20.4.1919), das die Gräfin mit ihrer Familie in Roggenburg verbrachte. Vor allem aber die Prokla¬ mation der Münchner Räterepublik am 7. April, die Rilke als „dritte Revolution“ bezeichnet (s.u.). Ihr kleiner lieber Bote]

Vermutlich der jüngere Sohn der Gräfin, Rainer Alfons

Joseph Maria, geboren am 9. April 1908. den dicken Keyserlingk] Graf Hermann Keyserling (1880-1946), Balte, Schrift¬ steller. Er gründete 1920 die „Schule der Weisheit“ in Darmstadt, eine „Gesell¬ schaft für freie Philosophie“ (siehe Brief 31). Zur Schreibweise „ngk“ des Na¬ mens äußert sich Rilke in einem Brief an Hedwig Fischer vom April 1910 aus Rom („Sonntag“, zwischen Ostern und dem 19. April): „[...] ich schreibe den Namen, wie ihn einzelne Linien der Familie schreiben, ich glaube er schreibt sich anders“ (Briefe a. d. Ehepaar Fischer, S. 58). Sein „Reisetagebuch eines Philoso¬ phen“ erschien 1918 (einbändig) und in neuen Auflagen 1919 und 1920 gering¬ fügig geändert in zwei Bänden. Rilke las es erstmals vom 2.-9.3.1919, schickte es auch Karl von der Heydt nach Berlin (Schnack, Chronik, S. 631, 633f.) und ließ es vom Münchner Buchhändler Jaffe an Clara Rilke-Westhoff senden (ebd., S. 673). Rilke las das Werk im Dezember 1920 zum drittenmal. Er fand sich in dem Werk erwähnt, aber nicht verstanden (Ausgabe 1920, 2. Bd., S. 662). Im Brief vom 15.12.1920 schreibt Rilke an Fürstin Marie Thurn und Taxis, wie es es ihn „schmerze“, dass Keyserling, dessen „Unparteilichkeit“ er bewunderte, sei¬ ner „mit so harter und (wie mir scheint) ungerechter Zurechtweisung erwähnt“ und fragt sich und sie warum (BW mit M. v. T. u. T., S. 629). Die Antwort der Fürstin vom 4.1.1921 zeigt, dass auch sie das Buch las und die Stelle sie „sehr be¬ fremdet [e]“. Es folgt ein amüsanter Bericht über einen Besuch in Darmstadt bei Keyserling, den sie für eine „sehr complizirte Natur“ hält (ebd., S. 633f.). Vgl. dazu und die psychologischen Hintergründe die Erinnerungen an Hermann Graf Keyserling in: Burckhardt, Memorabilien, S. 320-337. Zu Rilkes Lektüre des „Reisetagebuchs“ vgl. auch Simon, Rilke als Leser, S. 236-240. drüben bei meiner Freundin] Wohl Lou Andreas-Salome, die in München weilte (siehe vorangehenden Brief), evtl, auch Hertha Koenig, der gegenüber Rilke im Brief vom 4. März 1921 seine Bewunderung für Keyserling ausdrückte, dessen Lesung er später im Lesezirkel Hottingen nicht besuchte (zitiert in: Über mo¬ derne Malerei, S. 125). Roggenburg]

Ort in Bayerisch-Schwaben im Landkreis Neu-Ulm mit Prä-

monstratenserkloster (ehemals Reichsstift) und Schloss im Besitz der Grafen Mirbach-Geldern-Egmont. Als mögliche Bleibe Rilkes Thema vieler seiner Briefe an Gräfin Mariette.

120

nach diesem großen Schnee]

Weiter unten im Brief: „Schnee für drei mittlere

Winter“ - durch viertägiges Schneien in München Ende März/Anfang April (vgl. Brief an Katharina Kippenberg vom 2.4.1919 in: BW mit Kath. Kippenberg, S. 353). Die „dritte Revolution“, die sich Budapest zum Vorbild nimmt] Als „dritte Revo¬ lution“ wird die am 7.4.1919 ausgerufene Räte-Republik mit der Einsetzung von Volksbeauftragten bezeichnet. Ihr gehörten Ernst Toller, Gustav Landauer und Erich Mühsam an. Gegen diese kämpfte die aus der Räte-Regierung ausgeschlos¬ sene KPD unter Führung von Eugen Levine und übernahm am 13.4.1919 die al¬ leinige Gewalt („vierte Revolution“, Spindler IV, 1. Teilband, S. 429f.). Diesen Vorgang vergleicht Rilke mit dem Geschehen in Ungarn: In Budapest war am 22.3.1919 vom Kommunisten Bela Kun eine Diktatur des Proletariats mit einem Rätesystem eingerichtet worden, das bis zum 31.7.1919 bestand. Der Winterrückfall hat mich, was mir selten widerfährt, in eine Erkältung gestürzt] Den „Spätwinter“ und seine Erkältung erwähnt Rilke auch im Brief an Katharina Kippenberg vom 2.4.1919 in: BW mit Kath. Kippenberg, S. 352f., hier S. 353. Noch am 22.5.1919 nennt Rilke seine „langwierige Erkältung“ als Entschuldi¬ gung für sein langes Schweigen gegenüber Anton Kippenberg (BW mit Anton Kippenberg, S. 120). Ich bin glücklich, wenn die „Salons“ und L’äme des Anglais Sie nach Roggenburg begleiten] Wohl Bücher aus Rilkes Besitz, die er der Gräfin im März während ih¬ rer Krankheit geliehen hatte (siehe Brief 7): 1. Valerian Tornius: „Salons. Bilder gesellschaftlicher Kultur aus fünf Jahrhunderten“, 2 Bde. 3. Aufl. Leipzig (Klinkhardt & Biermann) 1918. Diese Bände legte sich die Gräfin später selber zu. In der Roggenburger Bibliothek fanden sich in Bd. 1 die Einträge: „30.5.19, 2 Bde. 15,—“ und „Mirbach Geldern Hoyos“. 2. Augustine Bulteau: „L’Äme des Anglais“. Das Buch erschien 1910 und 1911 bei Grasset in Paris in mehreren Auflagen (freundlicher Hinweis von Curdin Ebneter). Die Autorin veröffent¬ lichte ihre Werke auch unter den Pseudonymen Foemina und Jacque Vontade. (sic: „Jacque“ ohne finales -s). Zur Autorin vgl. Gaston Rageot: „Le succes. Auteurs et Public“, Paris (Felix Alcan) 1906. In Teil I, III („La bourgeoisie anarchiste“), Kapitel III („La neurasthenie des femmes de lettres“), wird neben Anna de Noailles Jacque Vontade mit ihrem bis dato erschienen Werk und ihrem Er¬ folg als Feministin und Schriftstellerin behandelt: „Jacque Vontade et le don juanisme feminin“. Vermutlich kannten sich die Schriftstellerinnen. Hat Rilke, der 1909 Anna de Noailles begegnete, auch Jacque Vontade alias Augustine Bulteau gekannt? Er sandte Marie von Thurn und Taxis mit Brief aus Paris vom 15. Juni 1914 einen „Artikel der Madame Bulteau über Assisi“ aus dem „Figaro“ und schreibt dazu: „Er berührt sich ziemlich mit meinen Eindrücken, soweit ich ohne

121

Übertreibung behaupten kann, solche dort gehabt zu haben [...]“ (BW mit M. v. T. u. T., S. 384). Vgl. hierzu Brief 40. voll übrigens von meinen Strichen und Randbemerkungen, was Sie entschuldigen müssen]

Gräfin Mariette gab das Buch von Keyserling nach der Rückkehr aus

Roggenburg an Rilke zurück. Es befindet sich im Rilke-Archiv in Gernsbach, wie mir Hella Sieber-Rilke am 2.4.2003 freundlicherweise mitteilte.

15.

15. Mai 1919

1 Faltbogen, Papier wie Briefe 8-14. 4 Seiten mit Tinte beschrieben. Umschlag wie Briefe 8-12, mit olivgrauem Siegel, an der linken Seite aufgerissen. Adresse: „I. H. G. Frau Grä¬ fin Mariette von Mirbach-Geldern, Roggenburg bei Weißenhorn, Schwaben“. Einschrei¬ ben, frankiert mit 15- und 20-Pfennig-Briefmarke der bayerischen Post. Die 15-Pf.Briefmarke schwarz überdruckt: „Volksstaat Bayern“. Poststempel: Muenchen, 15. Mai 19, V 11-12, rückseitig Ankunftsstempel: Weissenhorn, 17. Mai 19, 5-6 nach., und Rog¬ genburg, 18. Mai 19, vor. 11-12. Jetzt veröfffentlicht in: BIRG 25/2004, S. 190-193.

man kann wieder schreiben]

Während der bürgerkriegsartigen Verhältnisse in

München im April und Mai 1919 war der Postverkehr eingeschränkt. Die „PostSperre“ und die „Ein- und Übergriffe seit dem ersten May“ erwähnt Rilke auch im Brief an Anton Kippenberg vom 22.5.1919 (BW mit Anton Kippenberg, 2. Bd., S. 120). Nach der Ausrufung der bayerischen Räterepublik am 7. April bekämpften sich seit dem 13. April Kommunisten und revolutionäre Sozialisten. Auf Ersuchen des nach Bamberg ausgewichenen Ministerpräsidenten Hoffmann an Reichswehrminister Gustav Noske besetzten am 1./2. Mai Regierungstruppen und „Freikorps“ die Stadt. Vor allem auf das Unwesen letzterer gingen die Übergriffe des „weißen Terrors“ zurück, unter denen auch Rilke zu leiden hatte. „Sie haben recht, Briefe schreiben kann man nicht [...]“ beginnt Thomas Mann am 11.5.1919 einen Brief an Ida Boy-Ed (Thomas Mann: Briefe an Otto Grautoff und Ida Boy-Ed, S. 203f.) Gift und Gegengift]

Roter und weißer Terror. Im Brief an Karl von der Heydt

vom 20.5.1919 (zitiert nach Storck, Briefe zur Politik, S. 268) schreibt Rilke: „das ,Gift‘ war freilich arg und ein Gegenstand unabsehlichen Missbrauchs, aber der Jubel zum .Gegengift“, wie ihn der Bürger aufbringt, ist für mich doch erst das eigentlich Unmenschliche und Heillose“. In einer auch von Rilke Unter¬ zeichneten Veröffentlichung unabhängiger Persönlichkeiten des Münchner Geis¬ tesleben heißt es denn auch: „[...] wir halten es gerade jetzt für nötig, daß das Bürgertum ernst und ehrlich seinen Sinn darauf richtet, seiner Schicksalsgemein-

122

Schaft mit dem arbeitenden Volke innezuwerden.“ (Briefe zur Politik, Anm. zum genannten Brief an Karl von der Heydt, S. 593; der am 8.5.1919 in den „Münch¬ ner Neuesten Nachrichten“ erschienene Aufruf ist hier S. 593f. abgedruckt.) Thomas Mann, der ebenfalls unterschrieb, nannte die Veröffentlichung einen „warnenden Aufruf gegen Übermut und gefährliche Gewaltthätigkeit“ (Tage¬ bucheintrag vom 7.5.1919 in: Tagebücher 1918-1921, S. 228). Seine Aufzeich¬ nungen über die Ereignisse, deren Kampflärm bis zur Poschinger Straße 1 drang, sprechen am 2. Mai vom „Einzug der Preußen durch die Leopoldstraße unter dem Jubel der bürgerlich Gesinnten“ (S. 220). Ein Vergleich mit den tagebuchar¬ tigen Münchner Briefen Rilkes an Gräfin Mirbach-G.-E. bietet sich an. Helas] ach, leider. le prussianisme toutpur] Rilke war der „Borussianismus“, das militaristische und großsprecherische Preußen, für ihn von Bismarck und Wilhelm II. verkörpert, verhaßt. Gegen die „Kinnbackenbrutalität der uns zeitgenössischen Preußen“ setzte er jedoch die andere Seite des „Preußentums“, für das ihm die preußischen Prinzen Louis Ferdinand und Heinrich, aber auch viele persönliche Bekannte bürgten (Briefe an Nanny Wunderly-Volkart vom 26.5. und 7.12.1921 in: Briefe zur Politik, S. 346 und S. 360). General Oven] Als Besatzungsbefehlshaber in Bayern hatte Generalleutnant Ernst von Oven (1859-1945) von Reichswehrministers Noske am 17.4.1919 den Befehl erhalten, hart gegen die Kommunisten, die in München die Räteregierung bekämpften, vorzugehen. Der Ort, wo Rilke mit Oven zusammentraf, „ihm ge¬ genüber saß“, ist vermutlich das Polizeikommissariat. „Dorthin hatte man ihn unter der Beschuldigung gebracht, er, Rainer Maria Rilke, habe mit einem Ma¬ schinengewehr auf die einrückenden Regierungstruppen geschossen schreibt Alfred Wolfenstein in seiner „Erinnerung an Rilke“ (in: Bohemia, 1.12.1935) und berichtet, daß er ihn dort am 1.5.1919 herausholte (zitiert nach Briefe zur Politik, S. 592). An anderer Stelle heißt es, Rilke habe sich nach einer Haussuchung unter dem Verdacht, Ernst Toller versteckt zu haben, wegen über¬ füllter Gefängnisse jeden Tag bei der Polizei melden müssen (siehe Max Krell: Das alles gab es einmal. Frankfurt am Main, 1965, S. 27). Ob er dabei einem Verhör unterzogen wurde, bei dem von Oven anwesend war? Bei der Nieder¬ schlagung der Revolte, die auch das Ende der Münchner Räterepublik bedeutete, wurden über 1000 Menschen ermordet, darunter Gustav Landauer. Am 3.5.1919, einen Tag nach dessen Ermordung, „konnte Oven nach Berlin melden, daß sich München fest in seiner Hand befinde“ (Wilfried von Oven: Wer war Goebbels? Biographie aus der Nähe. München 1987, S. 149f.). Erzengel, blendend wirksam und unsichtbar zugleich - : aber nicht so, um Gottes¬ willen nicht so, mit dem alten Großthun des kleinen Leutnants] Als Retter hätte

123

es eines Engels aus der höchsten Engel-Hierarchie, der Erzengel, bedurft, nicht der von den Revolutionären so bezeichneten „Weißen Garde“ mit ihren lauten, großspurigen Aufzügen und ihrem maßlosen Gewalteinsatz. Zum Engel als Ret¬ ter, hier aus der eigenen Verstörung, siehe den Brief vom 20.11.1921 an Sidonie Nädherny von Borutin: „[...] ich sagte immer, um das Unheil, das Menschen sich angethan haben, wirklich zu versöhnen, müßten schon Engel eingreifen [...]“ (Briefe an Sidie N.-B., S. 313). was die „Rothen” anricbteten war Verzweiflungj

Auch im Brief an Karl von der

Heydt vom 29.3.1919 heißt es: „Daß es zum Töten kam ist eine Folge der Ver¬ zweiflung jener, die das zuerst erkannten, und die nun an die Zerstörung dieses ,Bodens' gingen.“ (Zitiert nach Briefe zur Politik, S. 264). Landauer’s Tötung]

Gustav Landauer (1870-1919), Dichter, Journalist, Litera¬

turwissenschaftler, Sozialist, Revolutionär. In der Münchner Räterepublik war er „Volksbeauftragter für Volksaufklärung“. Er wurde am 2.5.1919 bei der Einliefe¬ rung in das Münchner Zentralgefängnis Stadelheim im Beisein mehrerer Offizie¬ re von aufgehetzten Soldaten gegenrevolutionärer Truppen erschlagen. Als Re¬ aktion auf Zeitungsmeldungen über die von Augenzeugen berichtete Ermordung Landauers verfügte von Oven auf Weisung Berlins ein Ermittlungsverfahren, das ohne endgültige Feststellung der Täter endete (siehe Ulrich Linse: Gustav Lan¬ dauer und die Revolutionszeit 1918/19. Berlin 1974, S. 252-268; vgl. auch Hansjörg Viesel: Literaten an der Wand. Die Münchner Räterepublik und die Schrift¬ steller. Texte, Materialien und Dokumente. Frankfurt am Main 1980, S. 296).

16.

[30. Mai 1919]

1 Faltbogen, blaues Papier, 18,2 x 14,3 cm. Vorderseite und linke Innenseite mit Tinte be¬ schrieben. Umschlag wie 13 und 14, mit hellgrünem Siegel, an der linken Seite aufgeris¬ sen. Adresse: „I. Hochgeboren Frau Gräfin Mariette von Mirbach-Geldern, Habsburger¬ strasse 7“. Wohl durch Boten. Unveröffentlicht. Freitag Abend]

Wohl der 30. Mai, da Rilke am Wochenende nach Höhenried

wollte (s.u.). Am 2. Juni fuhr Lou Andreas-Salome allein dorthin und besuchte die Familie von Wendland und Frau und Sohn Henry von Heiselers (Schnack, Chronik, S. 640f.). Reisevorbereitungen und -sorgen]

zur Schweizer Vortragsreise. Im Brief vom

3.6.1919, wenige Tage vor Pfingsten (8./9.6.1919), schreibt Rilke an Anton Kip¬ penberg: „[...] meine Paßangelegenheiten sind immer noch nicht ganz geordnet,

124

so daß ich zweifle, ob ich noch vor den Feiertagen zum Antritt meiner Reise komme; hoffentlich ist hernach nicht die politische Lage so gethürmt, daß ich vor unüberwindlicher Grenze umkehren muß“ (BW mit Anton Kippenberg, 2. Bd., S. 125) und am 6.6.1919 an denselben: „Seit heute scheint Aussicht, daß ich am Mittwoch nach Pfingsten reise“ (ebd., S. 126). nach Höhenried zu Wendlands, Sonntag oder Montag, für ein paar Tage] Gut Hö¬ henried bei Bernried am Starnberger See war im Besitz des Freiherrn Alexander von Wendland (1877-1937). Er war verheiratet mit Sophie Thieme, einer Toch¬ ter Karl Thiemes, dem Gründer und Generaldirektor der Münchner Rückversi¬ cherungsgesellschaft. Ebenfalls auf Gut Höhenried wohnte von

1915-1922

Wendlands Schwägerin Emilie von Heiseier, geb. Thieme, die Schwester Sophies und Frau des Lyrikers und Dramatikers Henry von Heiselers (1875-1928) mit ihrem Sohn Bernt. Henry von Heiseier war bei einem Aufenthalt in St. Peters¬ burg 1914 vom Krieg überrascht und zur russischen Armee eingezogen worden und kam nach abenteuerlicher Flucht erst 1922 nach Deutschland zurück (York von Wendland und Bernt von Heiseier: Erinnerungen, S. 412f.). Lou AndreasSalome war mit den „Thieme-Töchtern befreundet“ (Brief 33), seit sie die Fami¬ lie Heiseier 1906 in Berlin kennengelernt hatte (BW mit Lou A.-S., Anm. zum Brief an Rilke aus Höhenried vom 7.6.1919, S. 601; Postkarte von Lou AndreasSalome an Hedwig Fischer vom 13.3.1906. Hierin bittet sie, „Herrn und Frau Heiseier, die Sie neulich im Secessionsclub kennen lernten, zu Ihnen bringen“ zu dürfen. „Es sind so feine reizende Menschen

in: Katalog „Autographen“

des Antiquariats Richard Husslein, Planegg (veröffentlicht in: Zentrales Ver¬ zeichnis antiquarischer Bücher, www.zvab.com, am 28.12.2002). Rilke begleitete Lou Andreas-Salome zum Bahnhof und sah sie später nicht wieder (Schnack, Chronik, S. 641). Am 10.6.1919 sandte er ihr noch eine Widmung für Bernt von Heiseier als Eintrag in den „Cornet”, den er zum zwölften Geburtstag erhielt: „Untergang und Überstehen: beides ist am Jugendlichen selbst schon alt; nur wie An- und Abtun eines Kleides streift es die entsteigende Gestalt“ (SW II, S. 236). Bernt von Heiselers „unsicheres Verhältnis zu Rilke“ scheint auf in: Ril¬ ke und die „unanschauliche Schönheit“. Ein Brief von Bernt von Heiseier. In: Das Deutsche Wort 15, 1935, S. lf. alles schwebt augenblicklich; so kann ich für Dienstag oder Mittwoch nichts bestim¬ men]

Gemeint ist wohl Dienstag, der 3., oder Mittwoch, der 4.6.1919. Rilkes

Einreisebewilligung in die Schweiz stand noch aus. Er erhielt sie am 6. Juni und reiste am 11. Juni in die Schweiz ab (Schnack, Chronik, S. 642). Zu einem Wie¬ dersehen mit Gräfin Mirbach-G.-E. vor der Abreise Rilkes kam es wohl nicht mehr (vgl. Billett 2 = Brief 17). „ Uneinigkeiten

nein, die fürcht ich nicht sehr]

Vermutlich Anspielung auf die

politischen Unsicherheiten, insbesondere der Zusammenbruch Österreichs.

125

[zwischen 2. u. 7. Juni 1919]

17. Billett 2

Kärtchen, hellbeiger Karton: 5,7 x 9,2 cm, Vorder- und Rückseite mit Tinte beschrieben. Umschlag zugewiesen: 9,5 x 14,9 cm, blau, blaues Seidenpapierfutter, olivgraues Siegel. Adresse: „I. H. G. Frau Gräfin Mariette von Mirbach-Geldern, Habsburgerstraße 7 I.“ und Zusatz „d. B.“ (= durch Boten). Umschlag an der linken Seite aufgerissen. Unveröffentlicht. Die Datierung vor Samstag, dem 7. Juni, wurde aus dem nächsten Brief vom Dienstag, dem 10. Juni 1919 hergeleitet, in dem Rilke berichtet, Sissy am „Samstag in der Ludwig¬ straße begegnet“ zu sein.

mit dieser Vie des Peres]

Leben der Väter. Es könnte sich um die im Rilke-

Archiv in Gernsbach befindliche Ausgabe „Les vies des S. S. Peres des deserts d’orient“. M.DCC.XXII = 1722, Paris tome second“ handeln (freundliche Mit¬ teilung von Hella Sieber-Rilke am 2.4.2003). „Väterleben“, wie sie in Paris unter den Titeln „La Vie des Anciens Peres“und „La Vie des Peres hermites“ vom 17. bis 19. Jahrhundert vielbändig erschienen, gehen auf frühere Sammlungen aus la¬ teinischen Quellen zurück. Vgl. Artikel „Vitas patrum“ in: Lexikon des Mittelal¬ ters, Bd. VII (1997), Sp. 1765-1768, Artikel „Vitae Patrum“ in: LThK, Bd. X (2001), Sp. 824, und das Buch von Harmut Leppin: „Die Kirchenväter und ihre Zeit“, München (Beck) 2000. Daneben gab es die nach dem Jahreslauf geordne¬ ten „Heiligenleben“. Rilke erwähnt die „Legenda Aurea“, „la Legende doree de Jacques de Voragine“ aus dem 13. Jahrhundert, und empfahl sie Nanny Wunderly-Volkart, nachdem er sich vergebens beim Inselverlag um „die zwei Bände des Heiligen-Lebens“ für sie bemüht hatte. Dieses Werk, „Der Heiligen Leben und Leiden, anders genannt das Passional“, hrsg. von Severin Rüttgers, Leipzig 1913, war seinerzeit vergriffen (Brief vom 11.3.1921 in: Briefe an N. W.-V., S. 389 und Anm. S. 1253). Rilke hatte vermutlich Gräfin Mariette von seinem Interesse an Heiligenlegenden erzählt. Kurz zuvor, im März 1919 bat er Katharina Kippen¬ berg um eine Ausgabe des 1910 in Leipzig (Fritz Eckard Verlag) erschienenen Werks von Max von Wulf: „Uber Heilige und Heiligenverehrung in den ersten christlichen Jahrhunderten“ (Simon, Rilke als Leser, S. 388). Unter meinen alten Büchern in Paris war ein ähnlicher Band, in dem ich sogar viel gelesen habe: diese „Beispiele“ stehen mir gar nicht so fern] Eigentum Rilkes wurde im Frühjahr 1915 in Paris versteigert, um den ausbleibenden Mietzins zu decken. Auch die „Bekenntnisse des Heiligen Augustinus“ und die Heiligenleben im „Flos Sanctorum“ des Spaniers Pedro Ribadeneira aus dem 17. Jahrhundert ge¬ hörten zu Rilkes Lektüre und fanden in sein Werk Eingang (vgl. Alemparte, Ma¬ rienleben). Zu Rilkes produktiver Auseinandersetzung „mit dem Phänomen Heiligsein“ während seines Spanienaufenthalts

1912/13 vgl.

zuletzt Freed-

man/Ebneter 2, S. 172-176. Bereits im Brief an Lou Andreas-Salome vom 1.3.1912 aus Duino sieht sich Rilke als Dichter dem Heiligen verwandt: „daß diese Lust zu Schmerzen, bis hinein in die Qualen des Martyriums, eine Eile und

126

Ungeduld war, auch vom Ärgsten, das von dieser Seite kommen kann, nicht mehr unterbrochen und gestört zu sein“ (BW mit Lou A.-S., S. 265). Ähnlich später im Brief an Gräfin Sizzo vom 12.4.1923 in dem Rilke von der „List der Märtyrer“

spricht,

die

darin

bestand,

„den

Schmerz,

den

fürchterlichsten

Schmerz, das Übermaß alles Schmerzes, hinter sich zu legen [...] damit dahinter, nach solcher Überstehung, nur noch die Seligkeit sei [...]“ (Briefe 1950/it 867, S. 827). Vgl. auch den Brief an Reinhard Johannes Sorge vom 4.6.1914 (Briefe 1991, Bd. 2, S. 530f.: heiliger Franziskus und „Heiligenleben“ als „Gotteswege von seligstem Aufstieg“). Zu Rilkes Vergleich des Heiligen mit dem Künstler und dem Eingang dieser mit Rudolf Kassner geführten geistigen Auseinander¬ setzung in sein Werk vgl. Klaus Bohnenkamps Kommentar zum Briefentwurf Rilkes aus Duino vom Januar 1912 (RMR und Kassner, S. 66-68). Zu Kassner siehe Brief 33 und Kommentar. Rilke ließ sich nicht gern mit Franz von Assisi vergleichen (RMR und Kassner, Anm. 228, S. 200), musste es aber wohl zulas¬ sen, das man ihn selbst als Heiligen ansah (Nevar, S. 86f.). Wilhelm Hausenstein, dessen Trauzeuge Rilke war, sah ihn durch München gehen mit einem „Heiligen¬ schein“ der „Unmerklichkeit“, wie ihn Heilige tragen, „die sich scheuen, als Hei¬ lige angesehen zu sein“ (Erinnerungen an Rilke. In: Drinnen und Draußen. München 1930, S. 308-314). Zu Rilkes Liebe zum „Franziskanischen“ siehe Brief 40. Ich verbringe meine Tage „anstehend“ vor Thüren, Tischen, Schaltern; denn die schweizer Erlaubnis ist da]

Wörtlich im Brief an Anton Kippenberg vom

6.6.1919 (BW mit Anton Kippenberg, 2. Bd., S. 126: „Meistens ist es ein Anste¬ hen vor Thüren und Tischen und Schaltern, lange Vormittage lang.“ Und im Brief an Lou Andreas-Salome vom 10.6.1919 heißt es: „[...] aber die meiste Zeit verging mit ,Anstehen' an irgendwelchen Tischen, Thüren und Schaltern“ (BW mit Lou A.-S., S. 412).

127

10. Juni 1919

18.

1 Faltbogen, Papier wie Brief 16. 3 Seiten mit Tinte beschrieben. Umschlag zugewiesen: 10 x 16,5 cm, blau, dunkler blaues Seidenpapierfutter, olivgraues Siegel. Adresse: „I. Hochgeboren Frau Gräfin Mariette von Mirbach-Geldern, Habsburgerstrasse 7.“ Um¬ schlag an der linken Seite aufgerissen. Unveröffentlicht.

Am Dienstag nach Pfingsten 1919] Der Dienstag nach Pfingsten war der 10. Juni 1919. Am nächsten Tag reiste Rilke mit einer zunächst befristeten Aufenthalts¬ genehmigung in die Schweiz und kam nie wieder nach Deutschland zurück. Die Nachschrift „nachts elf Uhr“ lässt annehmen, dass dieser Brief der letzte war, den Rilke aus seiner Wohnung in der Ainmillerstraße schrieb.

Züricher Zuge] Rilkes Reiseziel war Zürich. Der Lesezirkel Hottingen hatte ihn eingeladen. Er reiste jedoch von Zürich zunächst in das Haus der Gräfin Dobrcensky in Nyon (Schnack, Chronik, S. 643-645). auf Wiedersehen

in

Roggenburg]

Der Familiensitz

der Mirbach-Geldern-

Egmonts in Roggenburg mit seiner Bibliothek bleibt Thema in der Korrespon¬ denz. etwas Verlegenheit, wie ich sie gegen Kinder habe]

Rilkes Verhalten Kindern ge¬

genüber hat Marie Thurn und Taxis beobachtet: „[...] denn seine Beziehungen zu Kindern waren merkwürdig. Im Grunde hatte er gar keine, wußte nicht was er ihnen sagen, ob er sie ernst oder nicht ernst nehmen sollte. Die Kinder hingegen liebten ihn sehr; sie waren stets glücklich, wenn er kam. Ich mußte oft lachen, wie er dann verlegen sein konnte [...]“ (M. v. T. u. T., Erinnerungen, S. 25). Rilke gebraucht das Wort „Verlegenheit“ auch im Brief 36, sich an ein solches Gefühl in seiner Kindheit erinnernd: „So erinnere ich, als junger Mensch die erstaunteste Verlegenheit durchgemacht zu haben, wenn ich mir eine Stunde Einsamkeit in meinem Zimmer dadurch gesichert hatte, daß ich, vor der Neugierde, wie sie ja in Familien üblich ist, erklärte, wozu ich diese Stunde brauche, was ich vorhätte mit ihr [...]“.

128

19.

26. Juni 1919

1 Faltbogen: Briefbogen des Hotels Palace Bellevue, Bern: links oben ovale Kartusche mit der Ansicht des Hotels über dem Hotelnamen „Palace Bellevue, Berne“, beige, Leinen¬ struktur, 19,1 x 13,2 cm. 4 Seiten mit Tinte beschrieben. Umschlag des Hotels, Aufdruck wie auf Briefbogen, 10 x 14,5 cm, beige, Innenseite hellblau. Adresse: „Madame la Cssc Mariette Mirbach-Geldern, München, Habsburgerstrasse 7 I.“ Vermerke von Rilkes Hand: links unten: „Falls verreist, bitte nachsenden!“ und „Einschreiben“, registriert un¬ ter der Nummer: Bern 8, R 915, frankiert mit zwei 25-Rappen-Briefmarken. 2 Poststem¬ pel: Bern 26. VI. 19 - IX, Fil. Kramgasse. Rückseitig Absender: ,,Env[oyeur]: R. M. Rilke. Hotel Bellevue, Bern“ und Ankunftsstempel: Muenchen 28. Juni 19, Uhrzeit unleserlich, evtl. 3-4 N. Der Umschlag wurde an der linken Seite von den Behörden geöffnet und mit einem weißlichen Aufkleber wieder geschlossen, auf dem gedruckt steht: „Auf Grund der Verordnung

vom

15.

November

1918

(Reichsgesetzblatt

S. 1324)

geöffnet.

Die

Postüberwachung erfolgt im Steuerinteresse und aus wirtschaftlichen Gründen. Reichsfi¬ nanzverwaltung“. Umschlag an der rechten Seite aufgerissen. Unveröffentlicht.

Palace Bellevue, Berne] Vom 25.6. bis 9.7.1919 war Rilke in Bern und wohnte im Hotel Palace Bellevue (Schnack, Chronik, S. 645).

„Bise“ des Lac Leman] Schönwetterwind, der von West nach Ost über den Gen¬ fer See streicht. In Genf hielt sich Rilke vom 19. bis 25.6.1919 auf. Er wohnte im Hotel Richmond (Schnack, Chronik, S. 645). Nyon, wo ich bei der Gräfin Dobrzensky wohnte] In Nyon am Genfer See lag das Chalet „Ermitage“ der Gräfin Dobrcensky, geborene Gräfin Wenckheim (Meran 1889 - 1970 Ascona). Sie lebte auf Schloss Pottenstein in Böhmen. Sidonie Nädherny de Borutin hatte Rilke die Einladung ihrer Freundin nach Nyon ver¬ mittelt (Schnack, Chronik, S. 625). ich floh nach Genf]

Siehe auch Brief an Elya Maria Nevar vom 23. Juni 1919:

„Das kleine Haus war zu sehr voller Gäste und Besuch für’s Erste; ich zog mich nach Genf, und gehe nun weiter nach Bern [...]“ (Nevar, S. 109). Von Nyon aus hatte Rilke eine Verlängerung seines Schweizaufenthalts beantragt. „Bouquinieren“]

Vom Französischen: in Buchläden stöbern. Bouquinisten hei¬

ßen die Antiquare am Seineufer in Paris. mais je Vespere, car je suis lent et c’est ä peine que je commence ä me restituer une vie qui rappelle un peu celle däutrefois]

aber ich erhoffe es, denn ich bin langsam

und beginne nur mühsam, mir ein Leben wiederherzustellen, das ein wenig an das von früher erinnert.

129

Bern ist schön, sehr schön, würdig, voll noch erkennbarer Überlieferung; ich komme eben aus dem Museum, von den herrlichsten Wandteppichen, — dort ist ein großer Theil der Beute, die Karl dem Kühnen von Burgund abgenommen wurde - das Fürstlichste, von besonderer Bedeutung für mich, weil diese Gestalt mich viel bewegt und beschäftigt hat]

Karl der Kühne, geboren 1433 in Dijon, war Herzog von

Burgund von 1467 bis zu seinem Tod 1477. Zur Burgunderbeute aus dem Sieg der Eidgenossen bei Grandson gehörten der Trajansteppich und vier Wandteppi¬ che mit der Geschichte Casars (um 1450). Den Besuch des Bernischen Histori¬ schen Museums und besonders „die Teppiche“ empfahl Rilke auch der Füstin Taxis bei ihrem Besuch in Muzot im Mai 1923 (Brief vom 26.5.1923 in: BW mit M. v. T. u. T., S. 759). Er selbst kehrte oft zu den Teppichen zurück und machte sich Notizen in seinen Ausstellungsführer (Briefe an N. W.-V., Brief

vom

25.8.1920, S. 312-314, hier S. 314 und Anm., S. 1244). Spätestens im Juni 1906 hatte Rilke in Paris die sechs Wandteppiche der Dame ä la Licorne im Pariser Musee de Cluny gesehen und sie in der 38. Aufzeichnung des „Malte” gedeutet (Abbildungen in: Die Dame mit dem Einhorn). Zum weiteren Vorkommen im Werk vgl. „Malte”, Anm. S. 263. Auch Rilkes Schützling Marthe Hennebert webte Teppiche, die Jean Lurgat entwarf (Brief 22 und Kommentar). Sanatorium Bircher-Benner] Der Schweizer Arzt, Dr. med. Max Bircher-Benner (1867-1939), war ein Verfechter der Rohkost als Nahrungs- und Heilmittel (Birchermüsli), weil er Zusammenhänge zwischen Ernährung und Krankheit er¬ kannte. Er unterhielt ein Sanatorium in Zürich und begann 1923 mit der Heraus¬ gabe einer Monatsschrift: „Wendepunkt im Leben und Leiden“. Diesen Titel wählte er „in der Erinnerung an ein Gespräch mit Rainer Maria Rilke“ (BircherBenner, Dr. med. Max: Vom Werden des neuen Arztes. Erkenntnisse und Be¬ kenntnisse. 4. unveränd. Auflage Bern und Stuttgart 1963, S. 122). Rilke konsul¬ tierte Bircher-Benner am 17.7.1919, trat aber eine Kur in seinem Sanatorium „Lebendige Kraft“ nicht an (Briefe an Schweizer Freunde, Anm. zum Brief vom 16.6.1919 an Hans Bodmer, S. 534; Schnack, Chronik, S. 648). ce qui m’attriste] was mich betrübt.

130

20.

3. August 1919

1 Faltbogen, graublau, 20,5 x 16,2 cm: 4 Seiten mit Tinte beschrieben, Schluss links und rechts an den Rändern der ersten Seite. Umschlag: 11x17 cm, graublau, dunkler blau¬ graues Seidenpapierfutter. Adresse: „Madame la Csse Mariette Mirbach-Geldern, Roggen¬ burg bei Weißenhorn (über Ulm), Schwaben, Deutschland“. Links oben von Rilkes Hand der Vermerk „Einschreiben“, registriert unter der Nummer: Soglio R 46. Frankiert mit 50-Rappen-Briefmarke. 2 Poststempel: Soglio 4. VIII. 19. Rückseitig Absender: „Env: R. M. Rilke, Soglio (Bergeil, Graubünden) Schweiz“ und 2 Ankunftsstempel: Weissenhorn 8. Aug. 19, Vor. 7-8; Roggenburg 8. Aug. 19, Vor. 10-11. Der Umschlag wurde an der linken Seite von den Behörden geöffnet und mit einem Aufkleber wie Brief 19 wieder ge¬ schlossen. Umschlag an der rechten Seite aufgerissen. Unveröffentlicht.

Soglio]

Ort im Bergell, Graubünden. Aufenthaltsort Rilkes vom 29.7. bis

21.9.1919. Er wohnte im Palazzo Salis, in dem noch heute ein Gasthaus einge¬ richtet ist, das von den Nachfolgern der damaligen Pension „Willy“ betrieben wird. Am selben Tag schrieb Rilke auch an Katharina Kippenberg (BW mit Kath. Kippenberg, S. 356-359). Es wiederholen sich einige Wendungen im Brief an Gräfin Mariette: „der polnische Jude“, der „Knoblauch und Schlagsahne“ ver¬ trägt; es „kränkt“ der „Überschuß dieser .Schönheit' des ewigen Schnees“. Denken Sie: Berge und soviel Berge] Ähnlich im Brief vom 12.9.1919 an Gertrud Ouckama Knoop: „Ein Berg? bewahre, ein Dutzend auf jeder Seite, einer hinter dem anderen“ und: „Ich kann mir nicht helfen, ich erreiche diese assortierte Na¬ tur am bequemsten mit meiner Ironie“ (GB V 1937, S. 269f.). Ironisch zeigt sich Rilke auch im Brief 23. Zu Rilkes Selbstironie vgl. Otto Betz: Causerien, Witz und Selbstironie. Zum Humor R. M. Rilkes. In: Orientierung 59 (1995), S. 175— 180, und schon früher: Mason, Rilkes Humor, 1972 (siehe auch Brief 21). Den hiesigen Bergen ist nicht zu helfen, — oder mir nicht an ihnen — wir sind zwei Welten, sie sind zu schön ...] Die Berge blieben für Rilke ein „unbetretenes Kol¬ lektiv“ (Mühlberger, S. 35). Zu Rilkes Wahrnehmung der Schweiz vgl. auch den Brief an Elisabeth von Schmidt-Pauli vom 14.8.1919: „[...] sie mutet mich an wie jene gemalten oder modellierten Aktfiguren, die darauf angelegt waren, die .Schönheiten“ vieler Frauen an einer Gestalt in Erscheinung zu setzen [...] wes¬ halb auch ihre Künstler so rasch ins Pädagogische geraten“

(GB V

1937,

S. 262f.). Vgl. auch den Aufsatz von Roland Ris: „Blick auf die Schweiz - durchs Fenster: Erinnerndes Wahrnehmen beim späten Rilke“, in: Steiner, RMR und die Schweiz, S. 81-99. Daudet] Alphonse Daudet (1840-1897), französischer Schriftsteller, volkstüm¬ liche Erzählungen. Im Brief an Gräfin Mirbach-G.-E. zieht Rilke zur Erklärung der Landschaft französische Dichter und Schriftsteller heran. Daß er keine deut-

131

sehen dieser Couleurs suchte, ist ein Zeichen für seine Distanz zu Deutschland, die sich noch verstärken wird (vgl. Briefe 36, 38 und 41). Zola] Emile Zola (1840-1902), französischer Romancier. George Ohnet]

(1848-1918), französischer Schriftsteller und Dramatiker. Sehr

erfolgreich mit seinen massenhaft erschienenen Parisromanen. Ach, liebe Gräfin, Menschen, Menschen. Ich habe eine Liste angelegt. Nun, das ist wie das Personenverzeichnis eines Passionsspieles oder einer „Revüe“ — wie hab ichs nur gemacht, soviele zu bewältigen? Hun-der-te] Dieser Vergleich begegnet ähn¬ lich wieder im Brief an Fürstin Marie Taxis vom 3.2.1925 aus Paris: „Ich sah und sehe täglich ein ganzes Personenverzeichnis, ausreichend für fünf Akte“ (BW mitM.v. T. u.T., S. 819). Frau von Wattenwyl]

Yvonne von Wattenwyl, geb. de Freudenreich (1891—

1976), später Frau Henri Vallottons (1891-1971). Siehe auch Brief 31. Rilke traf Yvonne von Wattenwyl im Juni 1919 in Bern. Sie wurde eine Freundin und Kor¬ respondentin. Den Kontakt verdankte er Graf Paul Thun-Hohenstein. Vgl. den gemeinsamen

Brief

Rilkes

und Yvonne

von

Wattenwyls

an

Paul

Thun-

Hohenstein vom 5.7.1919 aus Bern in: Jonas, Rilke und Paul Thun, 1975, S. 87f. Zu Paul Thun-Hohenstein siehe Kommentar zu Brief 24. Fräulein von Gonzenbach]

Rilke traf Elisabeth von Gonzenbach (1840-1922)

zusammen mit Yvonne von Wattenwyl in Bern und besuchte ihr Landgut in Mu¬ ri. Er war fasziniert von der „wunderbar-wachen Achtzigjährigen“ (Brief vom 5.8.1919 in: Briefe an Sidie N.-B., S. 292). mit ihnen, wirklichen, tief angestammten Schweizern, war ich mit einem Schlage der Fremden- und Hotelathmosphäre entrissen, von da ab begann ich die Schweiz zu sehen, wie sie ist, und das that mir noth, denn es ist ein gewaltiges einheitliches Land und mir am Ehesten durch seine Menschen, die soviel Natur aufgenommen haben, begreifbar] „In Bern lernte ich alte, angestammte Häuser kennen ...“ heißt es im Brief an Elisabeth Schmidt-Pauli vom 14.8.1919, und: „[...] der Schweizer, so verschieden ihn die einzelnen Kantone auch entwickelt haben mögen, trägt das Bewußtsein aller seiner verbündeten Landschaften [...]“ (GB V 1937, S. 263). Albrecht Bernstorff]

Bernstorff, Albrecht Graf von (1890-1945). 1916-1919 Le¬

gationssekretär an der Deutschen Botschaft in Wien. Rilke traf ihn 1916 in Mün¬ chen, wie aus einem Brief an Helene von Nostitz vom 31.12.1916 hervorgeht (BW mit H. v. N., S. 98 und 177) und initierte im November 1916 eine Geld¬ sammlung für Rilke (Knut Hansen: Albrecht Graf von Bernstorff, Frankfurt am Main 1996, S. 64). 1919 und 1920 begegneten sich Rilke und Graf Bernstorff in

132

der Schweiz (Briefe an Nanny W.-V., passim). 1920 war Graf Bernstorff Reichs¬ kommissar für die besetzten Gebiete in Koblenz, 1922 wurde er Botschaftsrat in London, wo er sich um die Wiederherstellung der deutsch-englischen Beziehun¬ gen verdient machte. 1933 verließ er als überzeugter Liberaler den diplomati¬ schen Dienst und trat in das Bankhaus A. E. Wassermann in Berlin ein. 1940 wurde er als Politiker des Widerstands mehrmals verhaftet, 1943 von der Gesta¬ po festgesetzt und im April 1945 ermordet (Knut Hansen, a.a.O.). Vgl. auch: Albrecht Bernstorff zum Gedächtnis. Privatdruck 1952, mit Beiträgen von Carl J. Burckhardt, Marion Dönhoff u.a.). Salis] Schweizer Adelsgeschlecht. John Salis]

Graf John Salis (1864-1929), Besitzer des Palazzo Salis in Soglio,

britischer Botschafter beim Vatikan. Boiserien des frühen Dix-huitieme]

Holzverkleidungen des frühen achtzehnten

Jahrhunderts. Ähnliche Beschreibungen Soglios und des Palazzo Salis mit seinem Garten (Abb. 18) finden sich auch in Briefen an Katharina Kippenberg vom 3. und 11.8.1919 (BW mit Kath. Kippenberg, S. 356-363); an Sidonie Nädherny vom 5.8.1919 (Briefe an Sidie N.-B., S. 290-294); an Gräfin Aline Dietrichstein vom 6.8.1919 (Briefe 1950/it 867, S. 587-594); an Elisabeth Schmidt-Pauli vom 14.8.1919 (GB V 1937, S. 261-264).

21.

13. August 1919

1 Faltbogen, Papier und Umschlag wie 20. 4 Seiten mit Tinte beschrieben, Schluss am lin¬ ken Rand der ersten Seite. Adresse: „M™ la Csse Mariette Mirbach-Geldern, Roggenburg bei Weißenhorn (über Ulm), Schwaben. Deutschland“. Links oben von Rilkes Hand der Vermerk „Einschreiben“, registriert unter der Nummer: Soglio R 89. Frankiert mit 50Rappen-Briefmarke. 2 Poststempel: Soglio 13. VIII. 19. Rückseitig Absender: „Env: R. M. Rilke, Soglio (Bergell, Graubünden) Schweiz“ und 2 Ankunftsstempel: Weissenhorn 17. Aug. 19, Vor. 10-11; Roggenburg 17. Aug. 19, Vor. 11-12. Der Umschlag wurde an der linken Seite von den Behörden geöffnet und mit einem Aufkleber wie Briefe 19 und 20 wieder geschlossen. Umschlag an der rechten Seite sauber aufgeschlitzt. Erstveröffentlichung: Brief 106 in: GB V 1937, S. 258-261: „An Gräfin M.“. Um letzten Absatz gekürzt. „R.“ für Roggenburg. Abweichungen: „eine wahrhafte eiserne Truhe“, im Original: „eine wehrhafte eiserne Truhe“, und „Memoirenliteratur“ statt „MemoirenLitteratur“ bei Rilke. Veröffentlicht, zitiert und erwähnt in: 1. Ritzer, RMR Bibliographie, S. 47, B 11: „Gräfin M. 2. so 13.8.19: 4/4a, 106; 288.“ — 2. Brief 288 in: Briefe 1950 und den späteren Auflagen dieser Ausgabe, zuletzt 1987 (drei Bände, it 867), S. 594-596. Gleiche Fassung wie Erstveröffentlichung. — 3. Wydenbruck,

133

Rilke. Man and Poet, S. 293 (Zu „Countess M.“ Fußnote: „An Austrian lady living in Ba¬ varia“): „Old houses“ bis „has put a spell on me“. - 4. Bollnow, Rilke, 1951, S. 110: „Alte Häuser, alte Dinge können [...] die zwingendste Macht über mich bekommen.“ — 5. Schnack, Chronik, S. 653: „Albrecht von Haller“ bis „Bücherzimmer“ und „Der Mo¬ ment“ bis „planen“. — 6. Schnack, Leben und Werk im Bild (1956), bei Nr. 279/(1966), bei Nr. 302: „ein altmodischer Raum“ bis „zu“ und „in der Mitte“ bis „Sessel“ und „und sonst“ bis „Bücher, Bücher, Bücher“. — 7. BW mit Lou A.-S., Anm. zum Brief vom 20.7.1919, S. 413-415, S. 602: „den Gästen sonst nicht zugängliches Bücherzimmer“. 8. Mühlberger, Rilke und die Berge, S. 35: „Der Moment ist so schön“ bis „an den Winter denken“. - 9. Hinweis auf den Brief in Bezug auf Rilke und Johann Gaudenz von SalisSeewis in: Steiner, Elegien, 1962, S. 248. — 10. Hinweis auf den Brief in: Luck, Schweizer Vortragsreise, S. 30 (Bibliothek). - 11. Hinweis in: Briefe an Resi Hardy, Anm. S. 50. 12. Hinweis, die Bibliothek, das „Gästen sonst nicht zugängliche Bücherzimmer“ betref¬ fend, in: Freedman/Ebneter 2, S. 304.

wir haben uns gekreuzt — , ich schrieb Ihnen, wie ich glaube am 4,en]

Gemeint ist

der Brief vom 3.8.1919, der sich mit einem Brief der Gräfin vom 25.7.1919 ge¬ kreuzt hatte. In ihrem Brief sprach die Gräfin von einem bevorstehenden Dres¬ denbesuch. Am 12.8.1919 fand dort die Hochzeit ihres Bruders, Graf Friedrich Hoyos, mit Wilhelmine von Wuthenau statt. Rilke selbst war im Oktober 1913 letztmals in Dresden (Schnack, Chronik, S. 442f.). Aber nun soll, wenn Sie von Dresden zurückkehren, mein Dank ungefähr zum glei¬ chen Moment in Roggenburg ankommen. Muß ich Ihnen sagen, daß er herzlich und ein bißchen sehnsüchtig ist? Ich habe, da Sie sich auf sie beriefen, die roggenburger Stille einen Augenblick gehört und in ihr begriffen, wie gut ich es dort und bei Ihnen Allen gehabt haben würde] Zu Roggenburg siehe Brief 14. Im Brief 18, dem letz¬ ten Münchner Brief vom 10.6.1919 schrieb Rilke: „Auf Wiedersehen in Roggen¬ burg“. Und nach dem Aufenthalt in Soglio heißt es im Brief 22: „Roggenburg bleibt ein großes Ziel für mich, eines der wenigen, die ich deutlich und dankbar vor mir sehe“. Noch am 14.1.1922 kündigt er seinen Besuch bei einer Reise nach Deutschland an (Brief 37). Sehweite des Herzens] Vgl. den Aufsatz von Rüdiger Görner: „Denken des Her¬ zens“. Zugänge zu einem Motiv in Rilkes Werk. In: BIRG 24 (2002), S. 147-164. quand-meme, la vie toute depourvue qu’elle semble, a encore d’etonnantes generosites]

dennoch hat das Leben, ganz mittellos wie es scheint, noch erstaunliche

Großzügigkeiten. So wars schon vor dem Kriege in Spanien]

Rilke hielt sich vom 1.11.1912 bis

24.2.1913 in Spanien auf. Nach dem Besuch von Toledo, Cordoba und Sevilla blieb er fast zwei Monate in Ronda. Der Vergleich mit Soglio bezieht sich auf die

134

Lage Rondas und auf Rilkes Vorliebe für Orte mit Vergangenheit. Zu Spanien und Wallis siehe Briefe 35 und 36. Salis’sche Bibliothek]

Die Bibliothek im Palazzo Salis schilderte Rilke auch Ka¬

tharina Kippenberg im Brief vom 11.8.1919 (BW mit Kath. Kippenberg, S. 359363). Seinem nächsten Brief an Gräfin Mirbach-G.-E. legte Rilke zwei Fotogra¬ fien der Bibliothek bei (Abb. 19 u. 20). Er verfasste hier am 15.8.1919 das „UrGeräusch“ (SW VI, 1085-1093). Die Bibliothek ist heute nicht mehr in diesem Eckzimmer mit seinen Ausblicken über das Dorf und in den Terrassengarten. Es kann als Hotelzimmer („Rilkezimmer“) gemietet werden. Aldus und Elzevier]

Buchdrucker des 15./16. Jahrhunderts. Aldus Manutius

(1450-1515) war Fürstenerzieher und Verleger und Drucker klassischer griechi¬ scher, hebräischer und lateinischer Literatur und Grammatiken in Venedig. Seine Aldinen genannten Ausgaben zählen zu den schönsten Erzeugnissen der Buch¬ druckerkunst. Die Offizin wurde von Sohn Paulus und Enkel Aldus weiterge¬ führt. Ludwig Elzevier (1540-1617) begründete ein Buchdruckerunternehmen in Leiden, dessen größte Blüte unter Sohn und Enkel in der Zeit von 1622-1652 durch begehrte Drucke klassischer Werke erreicht wurde. der ganze Linne]

Carl von Linne (1707-1778). Schwedischer Arzt und Natur¬

forscher. Werke: „Systema naturae“, „Genera plantarum“, „Species plantarum“. Rilke erwähnt ihn auch in der Beschreibung der Bibliothek im Brief an Kath. Kippenberg vom 11.8.1919 (BW mit Kath. Kippenberg, S. 362). Albrecht von Haller]

Schweizer Dichter, Arzt und Naturforscher (1762-1834).

Hauptwerk: Die Alpen (1729). Er gilt als Vorläufer der Gedankenlyrik. Das Ge¬ dicht „Morgen-Gedanken“ schrieb er am 25. März 1725 im Alter von sechzehn¬ einhalb Jahren. Er setzte ihm später folgende Erklärung voran: „Dieses kleine Gedicht ist das älteste unter denen, die ich der Erhaltung noch einigermaßen würdig befunden habe. Es ist auch die Frucht einer einzigen Stunde und deswe¬ gen auch so unvollkommen, dass ich ein billiges bedenken getragen habe, es bei¬ zubehalten. Die Kenner werden deswegen und in Betracht des unreifen Alters des Verfassers es mit schonenden Augen ansehen.“ (Albrecht von Hallers Ge¬ dichte 1882, S. 3-5). Salis-Seewis (in der Edition von 1800)]

Johann Gaudenz Freiherr von Salis-

Seewis (1762-1834), Schweizer Lyriker, 1793 Erstausgabe der Gedichte. Rilke las in der vierten von 1800.

Die „Hose“ bewundere ich von hier aus, hingegeben, ich bin ohneweiteres überzeugt, daß sie für die Cultur wichtiger ist, als jene berühmte von Sternheim]

Carl Stern¬

heim (1878-1942), deutscher Schriftsteller und Dramatiker, Moralist. Sein Lust-

135

spiel „Die Hose“ von 1909/10 ist eine Satire auf das Bürgertum und seine Ideale (Gesamtwerk, Bd. I, Dramen I, S. 21-135). Unter dem ursprünglichen Titel „Der Riese“ wurde das Stück am 15.2.1911 trotz drohenden Polizeiverbots in den Kammerspielen des Deutschen Theaters, Berlin, uraufgeführt und achtmal gegeben (Hensel II, S. 934f., Sternheim, Briefe II, S. 666, 677, Thea Sternheim, Erinnerungen, S. 165f.). Am 17.4.1911 gab man ein Gastspiel in Budapest (Stern¬ heim, Gesamtwerk Bd. 10/2, S. 1157). Die Erstaufführung im Münchner Lust¬ spielhaus fand am 20.10.1911 statt und war ein großer Erfolg trotz der vorange¬ gangenen negativen Besprechung der Berliner Aufführung in den Münchner Neuesten Nachrichten vom 19.2.1911 (Sternheim, Briefe II, S. 677f). Regisseur in München war Eugen Robert (ebd., S. 681). Die 1910/11 lancierte Hosenmode für Frauen konnte sich erst allmählich durchsetzen. 1919 präsentierte sich die Schauspielerin Else Eckersberg vom Deutschen Theater Berlin, in einem Hosen¬ anzug. Selbst Ende der 1920er Jahre galt dieser noch als eine exklusive Mode der Gesellschaftsdamen (Hosen, weiblich, S. 237-241). Die etwas frivole Briefstelle lässt andererseits auf den Inhalt der Briefe Gräfin Mariettes im Allgemeinen schließen: Themen sind neben den Sorgen mit ihren Kindern, auf die Rilke ein¬ geht, auch Reisen und alltägliche und festliche Ereignisse in ihrer Familie (Hoyos). Bern, Bühlstraße] An der Ecke Bühlstraße/Länggasse lag das Haus mit der ehe¬ maligen Wohnung der Familie, als Graf Alfons an der Gesandtschaft in Bern ar¬ beitete: eine „rothe Villa“, nun „Eidgenössische Alkoholverwaltung“ (siehe Brief 23).

22.

26. September 1919

1 Faltbogen, Papier und Umschlag wie 20 und 21. 4 Seiten mit Tinte eng beschrieben, Schluss am linken Rand der ersten Seite. Adresse: „Madame la Cssc Mariette MirbachGeldern, Munich, Habsburgerstrasse 7, München (Bayern), Baviere“. Links oben von Ril¬ kes Hand der Vermerk „Recommandee“ (Einschreiben), registriert unter der Nummer: Begnins R 467. Frankiert mit 50-Rappen-Briefmarke. 2 Poststempel: Begnins 26. IX. 19 (Vaud). Rückseitig Absender: „Env: R. M. Rilke, Begnins VGland (Vaud) Suisse“ und Ankunftsstempel: Muenchen 2. B. 2. (Datum und Uhrzeit unleserlich) Umschlag an der linken Seite aufgerissen. Erstveröffentlichung: Brief 110 in: GB V 1937, S. 272-276: „An Gräfin M.“. Auslassung eines Absatzes der letzten Briefseite. „S.“ für Sissy, „R.“ für Roggenburg und „M.“ für Mirbach. Einige kleine Abweichungen vom Original: Drei Wörter fehlen an verschiede¬ nen Stellen: auf der zweiten Briefseite: „nun“ („wo ich nun bei der Gräfin“) und „doch“ (von dem dann doch auch wieder“). Auf der dritten Briefseite: „etwas“ („Dorf etwas überhalb Nyon“). Hier auch zwei Wörter vertauscht: „schon fast“ statt „fast schon“ („fast schon eine Rückkehr nach Paris“).

136

Veröffentlicht, zitiert und erwähnt in: 1. Ritzer, RMR Bibliographie, S. 47, B 11: „Gräfin M. 3. be 26.9.19: 4/4a, 110; 293.“ 2. Brief 293 in: Briefe 1950 und den späteren Auflagen dieser Ausgabe, zuletzt 1987 (drei Bände, it 867), S. 609-612. Gleiche Fassung wie Erstveröffentlichung, jedoch Auslassung des Absatzes nicht kenntlich gemacht. — 3. Brief 275 in: Briefe 1991 2. Bd. S. 35f.: „An Marie Therese Mirbach-Geldern“. Auszug von „in Nyon“ bis Schluss in der Fassung von 2., jedoch „Dies“ im vorletzten Abschnitt nicht hervorgehoben. — 4. Briefe an Gudi Nölke („an Gräfin M.“), Anm. zu Brief 2 (29.9.1919 aus Begnins), S. 147 (Hinweis) und S. 148: „Es sollte eine ganz andere Reise werden“ bis „allerdings in entgegengesetzter Richtung“. — 5. Zitat aus einem Satz des Abschnitts über Marthe Hennebert in: Schnack, Leben und Werk im Bild (1956) bei Nr. 185/(1966) bei Nr. 202: „ein bißchen Lebens¬ raum, ein bißchen Stille, ein klein wenig gutes Klima“. — 6. Storck, Briefschreiber, S. 74: „siebzehnjährig im letzten Elend gefunden“. — 7. BW mit Lou A.-S., Anm. zu S. 415 (Brief vom 20. Juli 1919, S. 413-415), S. 602: „Marthes Hände werden das jähe Ende und den neuen Anfang zart aneinanderhalten“. — 8. Stettier, RMR im Historischen Museum Bern („Gräfin M.“), S. 96: „Herrlich ist in allen diesen schweizerischen Städten“ bis „der Ausblick in eine eröffnete Weite sich bieten mag“ (mit der Abweichung der Erstausgabe). - 9. Katalog Marbach 1975, S. 176, zu einer Fotografie von Marthe Hennebert: „Das Herz drängt sich mir“ bis „bereitet“. — 10. BW mit R. Ullmann u. E. Delp, S. 394 (Anm. zum Brief vom 15.12.1920 an Regina Ullmann): „werd ich am ehesten an die Bruchstelle mei¬ nes einstigen Lebens wieder anheilen können“. — 11. Nalewski, Rilke, 1992, S. 155: „Marthe“ bis „ein klein wenig gutes Klima schafft“. — 12. Zwei Zitate in: Steiner, RMR und die Schweiz („an Gräfin M.“): S. 89: „Das wird für mich schon fast eine Rückkehr“ bis „den neuen Anfang zart aneinanderhalten“ mit einer kleiner Auslassung und S. 107: „wie malerisch und lebendig ist diese Stadt“ bis „zu jener uralten und fortwährenden Herrlichkeit hinan“. Im Original heißt es „zu einer uralten und fortwährenden Herrlich¬ keit ...“ — 13. Mühlberger, Rilke und die Berge, S. 20: „auf den Höhen von Maloja“ bis „aufgespeichert finde“. - 14. Freedman/Ebneter 2, S. 302: „unmittelbaren Genialität des Herzens und des Geistes, wie sie doch wohl nur bei französischen Mädchen zu finden“. Und Hinweis auf die Beschreibung der Reise von Soglio über Chur nach Lausanne: S. 306. — 15. Erwähnung in: Mason, Rilke und Goethe, 1958 („an Gräfin M.“), Anm. 57 zu S. 70, Goethes „Reise in die Schweiz“ betreffend.

Begnins sur Gland (Vaud')]

Rilke wohnte bis Ende September in Begnins sur

Gland oberhalb von Nyon in einer Pension, die im Chateau de Martheray einge¬ richtet war (Schnack, Chronik, S. 660). Karten [...] die ich von unterwegs an Sissy schrieb] Nicht bei den Brieforiginalen, bisher nicht aufgefunden. bündnerischen Bischofs-Residenz]

Chur, Hauptstadt des Schweizer Kantons

Graubünden. den Weg von Goethes zweiter schweizer Reise zu verfolgen] Schweizer Reise fand vom 12.9.1779 bis

Goethes zweite

13.1.1780 statt (Goethe, SW 2.2,

Münchner Ausgabe, S. 595-647). Er war von der Rhone kommend über den

137

Furka-Pass nach Chur gefahren. Rilke hatte geplant, diesen Weg „in umgekehr¬ ter Richtung“ zu nehmen. Fast wörtlich im Brief an Yvonne von Wattenwyl vom gleichen Tage (Schnack, Chronik, S. 659). Rilke las „im Oktober 1919“, am An¬ fang seines eigenen Schweizer Aufenthalts, Goethes „Reise in die Schweiz“ (Mason, Rilke und Goethe, S. 70 und S. 114, Anm. 57). Da der Brief an Gräfin Mariette vom 26. September stammt, darf auf eine frühere Lektüre geschlossen werden. Im Brief an Anton Kippenberg vom 5.10.1919 zitiert Rilke aus Goethes Brief vom 11.11.1779 aus der Schweiz „den wunderbaren Bericht“ über den heili¬ gen Alexis (BW mit Anton Kippenberg, 2. Bd., S. 137). Zu Rilke und Heiligenle¬ ben siehe Brief 17. Lausanne] Vom 23.9. bis 2.10.1919 war Rilke in Lausanne am Genfer See. Ähn¬ liche Schilderung der Stadt im Brief an Gudi Nölke vom 29.9.1919 (Briefe an Gudi Nölke, S. 8-12, hier S. 9f.). Nyon, wo ich bei der Gfn. Mary Dobrzensky-Wenckheim eine Weile bleiben will] Am 2. Oktober zog Rilke in das Landhaus „l’Ermitage“ der Gräfin Dobrcensky in Nyon, wo er schon zu Beginn seiner Schweizer Reise einige Tage gewohnt hatte (siehe Brief 19) und blieb bis zum 14. Oktober (Schnack, Chronik, S. 661). wo ich nun heute mit einem jungen Mädchen aus Paris Zusammentreffen soll [...] Marthe, die ich siebzehnjährig im letzten Elend gefunden] Marthe Hennebert (Pa¬ ris 1893 - 1976 Draveil, Ile-de-France). Die französische Arbeiterin in Paris wurde im Jahre 1911 Rilkes Schützling (vgl. Freedman/Ebneter 2, S. 106-109). Im Sommer 1919 besuchte sie mit dem Maler Jean Lurgat, der in Zürich eine Ausstellung hatte, die Schweiz. Rilke traf Lur$at im Juli in Zürich und am 26. September Marthe in Begnins (Schnack, Chronik, S. 648f. und S. 660). Vgl. Brief an Yvonne von Wattenwyl vom gleichen Tage, Auszüge in Schnack, Chro¬ nik, S. 660 und Brief an Gudi Nölke vom 29.9.1919 mit ähnlicher Formulierung: „[...] ich hoffte, mich wieder an die jähe Bruchstelle des unseligen Jahres Vier¬ zehn sanft anschließen zu können“ (Briefe an Gudi Nölke, S. 8). Zur Bedeutung Marthes für Rilke vgl. ferner: BW mit M. v. T. u. T., Brief vom 21.3.1913, S. 275281 und Brief vom 18.1.1920, S. 585-589, und passim: M. T. u. T., Erinnerungen; BW mit Lou A.-S., Brief vom 20.7.1919, S. 413-415, hier 415). Am 15.12.1924 heiratete Marthe Hennebert Jean Lurgat. Schon vorher hatte sie nach Jean Lurgats Entwürfen Teppiche gewebt und gestickt und führte diese Arbeit nach ihrer Trennung im Jahre 1929 fort. In ihrer Werkstatt in Toulon entstanden 1930 „L’ete“ (20 m3) 1931 „La neige“ (18 m3). Vgl. Lurgat 1998, Biographie und Kata¬ log. Auf einen Aufsatz über Marthe Hennebert machte mich Curdin Ebneter aufmerksam: Jean-Luc Cardinaud: „Marthe Hennebert: compagne et lissier de Jean Lurgat“, in: Bulletin de la societe des etudes litteraires, scientifiques et artistiques du Lot, tome CXXII, 3ieme fascicule, juillet-septembre 2002, S. 247-258. Der Autor gibt an, dass M. Hennebert noch in Toulon, wo sie bis 1940 wohnte,

138

einen gewissen Adrien Duret heiratete und in den letzten Lebensjahren mit ei¬ nem aus Südamerika stammenden Maler zusammenlebte, bis sie in 1955 in Draveil starb. Anderenorts heißt es 1972, sie lebte später als Madame Baillou in Paris (vgl. Klaus W. Jonas: Rilke und die Welt des Tanzes. In: Deutsche Weltliteratur von Goethe bis Ingeborg Bachmann. Festgabe für J. Alan Pfeffer. Hrsg, von Klaus W. Jonas. Tübingen 1972, S. 245-270, hier S. 267, Anm. 45). In meiner münchner Wohnung hah ich einen Neffen von Lou Andreas-Salome nebst seiner Frau untergebracht]

Um zu verhindern, dass seine Wohnung beschlag¬

nahmt wurde, vermietete Rilke seine Wohnung an Bekannte. Durch die Auflö¬ sung Österreichs am 10.9.1919 war Rilke zunächst staatenlos geworden. Rosa, die auf dem Lande ist] Rilkes Haushälterin, siehe Brief 13 mit Kommentar. Roggenburg bleibt ein großes Ziel für mich]

Der Landsitz der Familie Mirbach-

Geldern-Egmont, Schloss Roggenburg, bot ländliche Abgeschiedenheit, eine alte Bibliothek und einen Park mit Gartenhaus. Gräfin Mariette hat Rilke viele Male dorthin eingeladen. Siehe auch Brief 21. Räuden] Die barocken Gebäude des ehemaligen Zisterzienserklosters Räuden in Oberschlesien waren 1820 zum Schloss der Herzoge von Ratibor umgebaut worden. Fürstin Sophie Oettingen (siehe Brief 2) hielt sich dort bei der Familie ihrer Tochter Elisabeth (Oettingen 1886 - 1976 Oettingen 1976) auf, die mit Viktor Herzog von Ratibor und Fürst von Corvey, Prinz zu HohenloheSchillingsfürst (Räuden 1879- 1945 Corvey) verheiratet war. Kärnten (wohin Sie demnächst gehen wollen)] In Pörtschach am Wörthersee hat¬ te die Familie Gräfin Mariettes, Hoyos, ihren Landsitz. Siehe Brief 26. Gräfin Aline Kuenburg-Dietrichstein] Aline (Alexandrine) Gräfin DietrichsteinMensdorff-Pouilly (1894-1981), Tochter des Fürsten Hugo und der Fürstin Ol¬ ga Dietrichstein, geb. Prinzessin Dolgorukij (1873-1946), seit 1918 verheiratet mit Graf Wolfgang von Küenburg. Am 3. November 1919 wurde ihr Sohn Graf Hans Wolf Maria von Küenburg geboren. Der Stammsitz der Familie, Klünegg, lag in Kärnten. Rilke war mit Fürstin Olga im Jahre 1916 während seines „Kriegsdienstes“ in Wien bekannt geworden. die kleine alte Bibliothek so passend und so für mich gemacht zu finden] Fotogra¬ fien der Bibliothek sandte Rilke mit Brief vom 14.1.1920 aus Locarno (Brief 24).

139

1. Dezember 1919

23.

1 Faltbogen, Papier und Umschlag wie 20-22. 4 Seiten mit Tinte beschrieben, und Brief¬ karte, 10,7 x 16,7 cm, beidseitig mit Tinte beschrieben. Adresse: „Mme la Cssc Mariette Mirbach-Geldern, Munich, Habsburgerstrasse 7 I. (Schwabing)“. Vermerke von Rilkes Hand: links unten: „Eventuell bitte nachsenden!“, links oben: „Einschreiben“, registriert unter der Nummer: Zürich 1 R 9. Frankiert mit 50-Rappen-Briefmarke. 2 Poststempel: Zürich 2. XII. 19, Brf. Aufg. (Zeit unleserlich). Rückseitig Absender: „Env: R. M. Rilke, Hotel Baur au Lac, Zürich (Suisse)“ und Ankunftsstempel: Muenchen 2 B. Z. 4. Dez. 19, V. 11-12 h. Umschlag an der linken Seite aufgerissen. Erstveröffentlichung: Brief 111 in: GB V 1937, S. 276-279: „An Gräfin M.“, gekürzt um einen langen Absatz auf der vierten Briefseite. Abweichungen: „[Bern]“, von den Edito¬ ren in eckige Klammern gesetzt, bei Rilke: „Bern“. „Angestauntesten“ statt „angestamm¬ testen“ („eines der schönsten angestammtesten Häuser“). Dieser Lesefehler wurde schon 1986 von Rätus Luck bemerkt, taucht aber in 2. wieder auf. Veröffentlicht, zitiert und erwähnt in: 1. Ritzer, RMR Bibliographie, S. 47, B 11: „Gräfin M. 4. zü 1.12. 19: 4/4a, 111.“ - 2. Brief 277 in: Briefe 1991 2. Bd., S. 39f. („An Marie Therese Mirbach-Geldern“), Umfang wie Erstveröffentlichung, gleiche Abweichungen, außerdem: „Ihr“ (erster Absatz), nicht her¬ vorgehoben, bei Rilke; „gerade Ihr Brief“. — 3. Briefe an Gudi Nölke (1953), Anm. zum Brief vom 21.12.1919), S. 175: „und schloß mein kurioses öffentliches Benehmen“ bis „flankiert war“. — 4. Zwei Zitate in: Stettier, RMR im Historischen Museum Bern, S. 96: „im Großraths-Saal vom Pulte des Präsidenten aus“ und „Die Schweizer, können Sie den¬ ken“ bis „wie einen Viererzug“ mit Auslassungen. - 5. Längeres Zitat mit Auslassungen in: Luck, Winterthurer Jahrbuch 1979, S. 7-38, hier S. 14: „ich begann in Zürich“ bis „Vie¬ rerzug“. — 6. Auszug in: Luck, Schweizer Vortragsreise, S. 282f.: „In Nyon sich zu befes¬ tigen“ bis „Viererzug“ mit den Abweichungen der Erstveröffentlichung und 2. - 7. Nalewski, Rilke, 1992, S. 208: „vor grünem Vorhang bei zwei Kerzen“ bis „flankiert war“ und „durchbrach dieses Milieu einigermaßen“. — 8. Hinweis auf den Brief in: Steiner, RMR und die Schweiz, S. 94 („an Gräfin M.“). — 9. Längeres Zitat in: Dichter lesen 3, S. 314: „In Nyon sich zu befestigen“ bis „wie ein Viererzug“ mit den Abweichungen der Erstver¬ öffentlichung und 2. - 10. Schank, RMR in der Schweiz, S. 22: „die Menschen in der Hand wie einen Viererzug".

Zürich Hotel Baur au Lac]

Vom 1.-7.12.1919 wohnte Rilke im Baur au Lac in

Zürich (Schnack, Chronik, S. 664). ja, nun bin ich wirklich besorgt um Ihren Brief, -am 11. November, telegrafierten Sie , sei er abgegangen] Der Brief fand sich später (siehe Brief 25). Die Schweizer, können Sie denken, sind ein hartes und dichtes Material, es ist nicht eben leicht, sie zu penetrieren] „[...] und erstaune selber über die Penetranz, mit der ich den Schweizern durch die Schale dringe“, heißt es im Brief vom 19.11.1919 an Gudi Nölke, der Rilke ebenfalls seine Vorlesungsreise schilderte (Briefe an Gudi Nölke, S. 25). Im Brief mit gleichem Inhalt vom nächsten Tag (2.12.1919) an Anton Kippenberg heißt es: „Ich bin in ein merkwürdiges Verfah-

140

ren gekommen, das am dichten, oft dürren, schwer zu penetrierenden Schweizer von der überzeugendsten Bewährung war [...]“ (BW mit Anton Kippenberg, 2. Bd., S. 145). Zu Rilkes Lesereise, ihren Orten, ihrer Wirkung auf die Zuhörer bis zum Echo in den Zeitungen, vgl. Luck, Schweizer Vortragsreise. eines der schönsten, angestammtesten Häuser, ein Burkhardt'sches, war mir freund¬ lich aufgethan]

Ritterhof in Basel, Haus der Familie Burckhardt-Schatzmann

und von der Mühll. Abb. in: Schnack, Leben und Werk im Bild (1956), Nrn. 283, 284/(1966), Nrn.

306,

307.

Fast wörtlich

im Brief an

Gudi Nölke vom

19.11.1919 (Briefe an Gudi Nölke, S. 25). Rilke war Gast bei der Familie Burck¬ hardt-Schatzmann, deren Tochter Theodora (Dory) von der Mühll seine Gast¬ geberin auf Gut Schönenberg und seine Korrespondentin wurde. Siehe Briefe 25 und 26. die hohe Gestalt des Erzherzogs Eugene]

Eugen Erzherzog von Habsburg-

Lothringen (1863-1954), österreichischer Feldmarschall, lebte von 1919 bis 1934 in Basel. Dorthin war er auf Anraten Carl J. Burckhardts (1891-1974) gegangen. Er „gehörte zum Stadtbild“ Basels, „war in allen Ständen beliebt“ und er rankten sich viele Anekdoten um seine Gestalt (vgl. das Kapitel „Erzherzog Eugen“ mit einem Porträt des Erzherzogs in: Burckhardt, Memorabilien, S. 343-346). Als Großmeister des Deutschen Ordens war der Erzherzog zum Zölibat verpflich¬ tet. Eine Gräfin Jella Szechenyi erschoss sich aus unglücklicher Liebe zu ihm (siehe Briefe an N. W.-V., Anm. zum Brief vom 8.2.1924, S. 1289). und hatte die Menschen in der Hand wie einen Viererzug]

Offensichtlich ge¬

brauchte Rilke diese Metapher nur hier, was einige Zitate dieser Stelle bewirkte (s.o.). Über den Ablauf eines Vortragsabends vgl. den Brief an Dory von der Mühll vom 2.12.1919 (Briefe an Schweizer Freunde, S. 32f.). eine Einladung ins Tessin geradezu provozierte]

Vgl. Brief an Gudi Nölke vom

19. November 1919 (Briefe an Gudi Nölke, S. 23): „[...] ich habe eine Einladung provoziert“. Rilke suchte ein Quartier, in dem er Ruhe und Schreibatmosphäre finden konnte. Siehe auch Storck, Joachim W.: Rilke im Tessin 1919/20. Ein Wiederanheilen an Europa. In: BIRG 24 (2002), S. 16-32. Zur Einladung nach Ascona hier S. 24. Die Erfahrung, sein Schweizer Publikum in der Hand zu ha¬ ben, mag Rilke zur „Provokation“ gegen die Bachrachs ermutigt haben. Die an¬ strengende Vorlesungsreise, sein „kurioses öffentliches Benehmen“, hatte er ge¬ rade beendet. Manche Vortragsräume waren eine Zumutung. So musste er nicht nur das „Milieu“ des kleinen Theaters in Winterthur „vor grünem Vorhang bei zwei Kerzen [...]“ durchbrechen, sondern in Bern die Verlegung in den Großratsssal durchsetzen. Der Winter stand vor Tür. Rilke tat, was ihm sinnvoll er¬ schien, wollte er in angemessener Umgebung zur Arbeit am Werk finden. Ein Schloss in Ascona winkte, er lud sich ein - „provozierte“, wie er selbstkritisch

141

befand - und scheiterte, weil das Quartier ungeeignet war. „Anpassen wollt ich mich nicht“ schrieb er am 21.12.1919 an Gudi Nölke (Briefe an Gudi Nölke, S. 26). Familie (früher in Brüssel), die aus Vater, Mutter und Tochter besteht] Die Fami¬ lie des Kaufmanns Paul Bachrach. Rilkeverehrerin Elvire Bachrach übersetzte das Werk des belgischen Dramatikers Fernand Crommelynck (geb. 1888 in Paris): „Le sculpteur des masques“: „Der Maskenschnitzer“, München 1920 (Schnack, Chronik, S. 1146). als dreitheiligen Paravent]

Diese respektlose und zugleich selbstironische Wen¬

dung benutzt Rilke auch im Briefe vom 19.11.1919 an Gudi Nölke (Briefe an Gudi Nölke, S. 24: „[...] die Familie Bachrach, als dreitheiliger Paravent ge¬ braucht“). Castello San Materno]

Besitz der Familie Bachrach. Die Familie hatte das Cas-

tello bei Ascona 1919 gekauft. Rilke schrieb Elvire Bachrach am 7.11.1919 aus Sankt Gallen in seiner „Winter-Vornoth“ (Briefe an Gudi Nölke, S. 23). Sie tele¬ grafierte am 8.11. ihre Zusage und erwartete ihn für den 21.11. im Castello San Materno (Schnack, Chronik, S. 664). Rilke hielt sich aber noch bis 26.11. in Bern, dann in Winterthur (letzter Abend seiner Vortragsreise) und vom 1.-7.12. in Zürich (Baur du Lac) auf. (Schnack, Chronik S. 666-669.). Vom 7.-17.12.1919 wohnte Rilke im Grand-Hotel in Locarno. Am 8.12. machte er seinen ersten Be¬ such bei der Familie Bachrach und besichtigte die ihm zugedachten Zimmer im Nebengebäude über Stall und Remise. Im Brief an Nanny Wunderly-Volkart vom 9.12.1919 (Briefe an N. W.-V., S. 22-25, hier S. 23f.) berichtet er über die Ubelstände der Wohnung (Heizofen, Hühnerstall davor), die aber einen langen Balkon an der Sonnenseite hatte. Er entschied sich am 13.12. gegen das Castello San Materno und zog am

17.12. in die Pension Villa Muralto in Locarno

(Schnack, Chronik, S. 169f.). Siehe Brief Rilkes vom 19.12.1919 an Elvire Bach¬ rach und Antwortbrief vom 22.12. 1919 in: Rätus Luck: Zur Biographie R. M. Rilkes. Miszellen. In: Steiner, RMR in der Schweiz, S. 157-170, hier S. 162f. Heut vor einer Woche gerade hab ich die „rothe Villa“ aufzusuchen unternommen] Rilke hielt sich vom 17.-26.11.1919 in Bern auf, seine Lesung dort war am 24.11. (siehe Brief 21). Im Postskriptum berichtet er vom Versuch, Wohnung und Wirkungsstätte der gräflichen Familie in Bern zu finden und geht auf die verän¬ derte Situation am Bühlplatz, Ecke Bühlstraße/Länggasse ein. „Kirchenfeld“] Stadtteil Berns.

142

24.

14. Januar 1920

1 Faltbogen, Papier und Umschlag wie 20-23. 4 Seiten mit Tinte beschrieben, Schluss am linken Rand der ersten Seite. Beiliegend zwei Fotografien der Bibliothek im Palazzo Salis in Soglio, je 11,5 x 6,5 cm, rückseitig von Rilke mit Bleistift beschriftet: „Soglio, Biblio¬ thek (Sommer 1919)“. Adresse: „Mme la CS5e Mariette Mirbach-Geldern, Munich, Habs¬ burgerstrasse 7 I. (Schwabing)“. Vermerke von Rilkes Hand: links unten: „Ev: bitte nach¬ senden!“, links oben: „Einschreiben“, registriert unter der Nummer: Locarno Lettere R 163“. Frankiert mit 50-Rappen-Briefmarke. 2 Poststempel: Locarno 14. I. 20. Rücksei¬ tig Absender: „Env: R. M. Rilke, Locarno (Tessin), (Schweiz)“ und Ankunftsstempel: Muenchen 2. B. Z. 18. Jan. 20, h. 3-4 N. Umschlag an der linken Seite aufgerissen. Unveröffentlicht, aber der Brief ist in der Briefliste Rilkes für Dezember 1919/Januar 1920, die er als Beilage zum Brief vom 30.1.1920 an Nanny Wunderly-Volkart sandte, aufgeführt: „Gfn. Mirbach rec. [recommandee] 14. 1. 20“ (Briefe an N. W.-V., S. 1176).

Pension Villa Muralto] Am 17.12.1919 zog Rilke in die Pension Muralto in Lo¬ carno und blieb dort bis zum 27. Februar. Erhellt wird der Aufenthalt besonders durch zahlreiche Briefe Rilkes an Nanny Wunderly-Volkart (Briefe an N. W.-V., Briefe 12-54, S. 33-167). Da die angebotene Wohnung in Ascona ungeeignet war, war Rilke wieder auf der Suche nach einer dauerhaften Bleibe. Er widmete sich der Beantwortung der angesammelten Korrespondenz und kümmerte sich intensiv um die Österreicherin Angela Guttmann, geb. Müllner, später Angelina Rohr (1890-1985), der er am 1.1.1920 in der Buchhandlung Carlson in Locarno begegnet war (Schnack, Chronik, S. 673f.; Schnack, Wer war A. Guttmann?; Briefe an Schweizer Freunde, Anm. zum Brief an Dory von der Mühll vom 31.1.1920, S. 541). Sie hatte in Paris und Russland gelebt und war nach ihrer ers¬ ten Ehe mit dem polnischen Schriftsteller Leopold Hubermann mit dem Berliner expressionistischen Dichter und Fotojournalisten Simon Vilmos

(Wilhelm)

Guttmann (1891-1990), einem Jugendfreund Georg Heyms, verheiratet. Rilke, fasziniert von der Schriftstellerin, die Medizin studiert hatte, von ihrem Werk und ihrem wechselvollen Leben, sammelte bei Freunden und Bekannten Geld für die lungenkranke Frau (vgl. Briefe an Gudi Nölke, S. 42 f. und Anm. S. 146; Briefe an N. W.-V., Brief 29, S. 74, und die nachfolgenden Briefe; BW m. d. Brü¬ dern Reinhart, Brief an Georg Reinhart vom 17.2.1920, S. 37-39 und Anm.; Brie¬ fe an Schweizer Freunde, Anm. S. 541 und passim). wenn ich nicht irre, so schrieb ich Ihnen nicht seit Bern, damals als ich die Exkursi¬ on vor die „Eidgenössische Alkohol-Verwaltung“ (so hieß es doch?) unternahm, in Ihr altes Quartier ...] Rilkes erster Brief aus der Schweiz an Gräfin Mariette vom 26.6.1919 kam aus Bern (Brief 19). Sie schrieb ihm daraufhin wohl von der Zeit, in der die Familie in Bern wohnte und Graf Alfons (1872-1964) Legationssekre¬ tär an der Kaiserlich Deutschen Gesandtschaft war. Am 10.3.1905 wurde dort der älteste Sohn, Ladislaus (Lato) Adolf Rainer Joseph Maria, geboren. Die be¬ schriebene Wohnung in einer roten Villa nahe der „Eidgenössischen Alkohol-

143

Verwaltung“ fand Rilke bei seinem Aufenthalt in Bern vom 17.-26.11.1919 nicht, wie er der Gräfin bereits im Brief vom 1.12.1919 mitgeteilt hatte (siehe Brief 23). Unsere Nachbarschaft, - daß ich sie so spät erst entdecken mußte, nicht gleich da¬ mals nach unserem Theater-Abend in den Kammerspielen] Vermutlich lag dieses Treffen in der Theatersaison 1917/18, jedenfalls einige Zeit vor dem ersten Brief Rilkes vom 11.12.1918. Der Spielplan der Kammerspiele enthielt in dieser Saison Stücke der dort am meisten gespielten Autoren Strindberg und Wedekind, aber auch von Carl Sternheim, auf dessen „Hose“ Rilke in der Nachschrift von Brief 21

Bezug nimmt.

In dem Zyklus expressionistischer Stücke „Das jüngste

Deutschland“, die von Otto Zoff inszeniert wurden, gelangte am 9.10.1918 „Per¬ leberg“ von Carl Sternheim zur Aufführung. Zu den Münchner Kammerspielen vgl. Petzet 1973. In seinem letzten Briefe an die Gräfin vom 9.8.1924, als er schon seine Krankheit spürte, verabschiedete sich Rilke mit der Erinnerung an das Kennenlernen: „Der Abend in den Kammerspielen ist mir aber gewiß der ge¬ genwärtigste geblieben von allen diesen Abenden; ich werde ihn immer, um dessentwillen, was er mit sich gebracht hat, zu den liebenswürdigsten Fügungen je¬ ner Jahre rechnen, die sonst nicht gerade bedacht waren, einen zu beschenken“ (Brief 41). Zu Rilke als Theatergänger vgl. Simon, Rilke als Leser, S. 151-167, passim. Eine Gastfreundschaft in der hiesigen Gegend, die ich hoffte, antreten zu dürfen, versagte] Das Haus der Bachrachs, Castello San Materno bei Ascona, war nicht tauglich für Rilke. Siehe Erläuterungen zu Brief 23. nur keine Menschen, statt der Menschen alte Dinge] Die Suche nach einer Bleibe, nach Alleinsein und Stille bestimmt den Brief. Rilke hatte diese Bedingungen für kurze Zeit in Soglio gefunden. Siehe Brief 21: „Alte Häuser, alte Dinge können dann die zwingendste Macht über mich bekommen“. Nun stellte er diese Bedin¬ gungen ihm unbekannten Menschen, bei denen er sich „sozusagen in meinem ei¬ genen Auftrag“ (siehe Brief 23) einlud. Selbstkritisch bekennt er: „Ich muß ein¬ mal, für ein halbes Jahr wenigstens, diese Bedingungen ganz verwirklicht finden, ohne Kompromis und ohne Abzug. Muß ich mich schämen, so abhängig vom Äußeren zu sein? Ich wills ja nicht immer bleiben; als Gegenmittel aber gegen diese fünf Jahre, die im Rücksichtslosen und Eingreifenden übertrieben waren, brauch ich nun wirklich (ich fühls immer mehr und immer ungeduldiger!) eine Übertreibung nach der anderen Seite: Schutz, Alleinsein, ununterbrochenes, und eine ununterbrochene Stille [...]“. Denken Sie, ganz unerwartet hat mir der Fürst Max Egon zu Fürstenberg (ich weiß aber auf wessen Anspruch und Fürsprache es geschah) ein paar Räume in einem al¬ ten Barockschlößchen Wartenberg (nahe Donaueschingen) angeboten]

Fürst Ma¬

ximilian Egon zu Fürstenberg (1863-1941) hatte Rilke im Januar 1919 auf Ver-

144

mittlung von Katharina Kippenberg eine Wohnung in diesem, noch heute den Fürstenbergs gehörenden Schlösschen angeboten. Rilke sah die Räume nicht an, als er erfuhr, dass es sich um ein beliebtes Ausflugsziel handelte. Chateau d’Espagne] Luftschloss, wörtlich: „Schloss in Spanien“. bienheureux] selig, Seliger. Liebe Gräfin, Ihr Brief vom elften November (quoiquelle etait recommandee) ist also wirklich verloren] Der Brief findet sich später (siehe Brief 25). In der Klam¬ mer: obwohl er eingeschrieben war. Eine Weihnachtskarte an Sissy sandte ich auf Gut Glück nach Roggenburg] Nicht auffindbar. Ist Paul Thun wieder da, oder noch in Böhmen?]

Paul Graf von Thun-

Hohenstein, Dr. jur. (Prag 1884 - 1963 Wien), verheiratet (1919) mit Gräfin Gabriella Thurn-Valsassina. Österreichischer Diplomat und Schriftsteller, Über¬ setzer aus dem Italienischen und Französischen. Zur Briefzeit hielt er sich in München auf (s.u.). Gräfin Mariette war über ihren Mann mit ihm verwandt. Rilke begegnete Paul Thun zuerst 1914 in Berlin (Schnack, Chronik, S. 466) und traf ihn 1916 in München wieder. 1918 verhalf ihm Thun-Hohenstein, der an der östereichisch-ungarischen

Gesandschaft

in

München

akkreditiert

war,

zur

Münchner Wohnung in der Ainmillerstr. 34 (siehe Brief 1). Der von Klaus Jonas im Jahrbuch des Wiener Goethevereins 1975 veröffentlichte Briefwechsel um¬ fasst elf Briefe Rilkes an Thun und acht Gegenbriefe (Jonas, Rilke und Paul Thun, 1975). Der Brief Rilkes an Paul Thun vom 12.3.1926 findet sich auch in: Briefe 1991, Bd. 2, S. 421-423 und in: Storck, Briefe zur Politik, S. 475-477. 1917 war Paul Thun-Hohenstein für ein halbes Jahr zur Vertretung des Leiters der ös¬ terreichischen Kulturpropaganda an die österreichisch-ungarische Gesandtschaft in Bern versetzt worden (Jonas, Rilke und Paul Thun, 1975, S. 83; Luck, Schwei¬ zer Vortragsreise, S. 25). Nach seiner Rückkehr nach München schrieb Rilke ihm am 28.1.1918 und am 3.6.1918 wegen der Bewilligung einer Schweizreise (ebd., S. 83-85). „Puncto Schweiz“ war Rilke Paul Thun auch von Hugo von Hofmannsthal, den er um Hilfe gebeten hatte, empfohlen worden (Brief H. v. H.s aus Rodaun an Rilke vom 8.2.1918 in: BW mit Hugo von Hofmannsthal, S. 92f.) Paul Thun gab nach 1919 den diplomatischen Dienst auf, um sich ganz seiner schriftstellerischen Tätigkeit zu widmen. Nach seiner Heirat lebte er zu¬ nächst in Böhmen, 1920-1922 in München (siehe Kommentar zu Brief 33), dann bis 1926 in Planegg. 1925 erschien ein Aufsatz Paul Thuns in Hermann Keyser¬ lings Jahrbuch der Schule der Weisheit „Der Leuchter“ mit dem Titel: „Der Sinn des Alterns“ (S. 329-337). Zu Keyserling siehe Brief 14. Paul Thun war auch mit Rudolf Kassner bekannt. Vgl. seinen Beitrag in: Rudolf Kassner zum achtzigsten

145

Geburtstag, Gedenkbuch, S. 30-33 und Kommentar zu Brief 33). Der christlich konservative Autor und Anhänger des Ständestaats schrieb Aphorismen und formstrenge Gedichte sowie Essays (DBE, Bd. 10, 1999, S. 30). Zusammen mit seinem Vetter, dem Prinzen Karl Anton Rohan gab er 1925 in Wien die „Europä¬ ische Revue“ heraus, trat jedoch aus der Redaktion bald wieder aus (RMR an Jean Rudolf von Salis in: Briefe an Schweizer Freunde, Brief vom 15.12.1925, S. 474; Jonas, Rilke und Paul Thun, 1975, S. 80). Im ersten Heft des 1. Jahrgangs (April 1925) wurden drei Gedichte von Rilke veröffentlicht, im dritten Heft Valery-Übertragungen Rilkes (ebd., Anm. zum Brief vom 15.12.1925, S. 675). Im Nachlass der Gräfin befinden sich eine Postkarte von Paul Thun zu ihrem Na¬ menstag am 8.9.1921 und folgende seiner Werke: „Sonette“. Wiener Literarische Anstalt Wien-Leipzig 1915 (mit Besitzereintrag „Mariette“), „Gedichte“. Linz 1933, „Österreichische Lebensform“ (= Österreichische Bücherei 1). Brixlegg o.J. [1937]. Und ob die Baronin Geyr in Italien ist -?] Siehe Brief 2. Aksakow’sche Familien-Chronik, eines der Bücher, an denen ich vor zwanzig Jah¬ ren russisch gelernt habe] Aksäkow, Serjej (1791-1859), russischer Erzähler. Die deutsche Übersetzung seiner „Familienchronik“ von 1856, in der er das von feu¬ dalistischen Großgrundbesitzern bestimmte Landleben im zaristischen Russland schildert, war 1919 im Insel-Verlag neu gedruckt worden. Freudig begrüßt Rilke das Buch im Brief an Katharina Kippenberg vom 15.9.1919 (BW mit Kath. Kip¬ penberg, S. 378). Siehe auch Briefe 25 und 26. Er verschenkte es häufig (vgl. Briefe an Gudi Nölke: Brief vom 22.9.1919, S. 7f. und Anm. S. 146.)

25.

17. Februar 1920

1 Faltbogen, blaues Papier, 18,5 x 14,2 cm, 3 Seiten mit Tinte beschrieben. Umschlag: 9,5 x 14,7 cm, farblich passend, ungefüttert. Adresse: „Mme la Csse Mariette Mirbach-Geldern, Munich, Habsburgerstrasse 7 I., München, Bayern“. Vermerke von Rilkes Hand: links unten: „bitte nachzusenden!“, links oben „Express“, überklebt mit gedruckter ExpressMarke. Der Brief wurde eingeschrieben, Registriernummer: Locarno Lettere R 524. Fran¬ kiert mit zwei 40-Rappen-Briefmarken. 2 Poststempel: Locarno 17. II. 20 - 12. Rückseitig Absender: „Env: R. M. Rilke, Pension Villa Muralto, Locarno (Tessin), Suisse“ und An¬ kunftsstempel: München 2. B. Z. 19. Febr. 20, V. 8-10 h. Umschlag an der linken Seite aufgerissen. Auf der Rückseite in der Handschrift der Gräfin mit Bleistift zwei Namen notiert: „Rotky, Prandau" (siehe Brief 26). Unveröffentlicht.

146

den verloren gefürchteten Brief]

Der Brief der Gräfin vom 11.9.1919 erreichte

Rilke mit mehr als fünfmonatiger Verspätung am 17.2.1920.

burckhardt’sches Gut in der Nähe von Basel]

Gut Schönenberg bei Pratteln, im

Besitz von Helene Burckhardt-Schazmann (Schnack, Leben und Werk im Bild 1956 bei Abb. 286 und 287/1966 bei Abb. 309 und 310). Rdke wurde von ihrer Tochter, Theodora von der Mühll (1896-1982), der Schwester Carl Burckhardts, dorthin eingeladen und wohnte vom 3.3. bis 17.5.1920 auf dem „Schönenberge“, wie er sein Domizil in den folgenden Briefen nennt. Er fand dort, was ihm im¬ mer behagte, „eine Umgebung von alten Möbeln und Bildern und Büchern“ (siehe Brief 24). Aksakow’sche Familien-Chronik]

Siehe Brief 24. Außer Gräfin Mariette und

Gudi Nölke schenkte Rilke das Buch am 28.2.1920 auch Theodora von der Mühll-Burckhardt im Ritterhof in Basel mit dem Widmungsgedicht: „Letztes ist nicht, daß man sich überwinde, nur daß man still aus solcher Mitte liebt, daß man auch noch um Not und Zorn das Linde, Zärtliche fühlt, das uns zuletzt umgiebt.“ (GB V 1937, S. 295 und SW II, S. 242, vgl. auch Stahl, Kommentar, S. 293 und KA II, S. 562). Im Brief an Nanny Wunderly-Volkart vom 24.1.1920 äußert sich Rilke näher über diese Art von Literatur, die „das Thatsächliche, das Gewe¬ sene, das sogenannte Wirkliche“ aufschreibe: „[...] es wäre wie die Aksäkows, so einfach, so nah an der Mitte, so warm, so wach, so ruhig in seinen Zusammen¬ hängen, so voller Natur und Milde, auch noch im Gewaltsamen und Schreckli¬ chen.“ (Briefe an N. W.-V., S. 128) Wie wichtig Rilke dieses Buch war, mit des¬ sen Hilfe er seinerzeit Russisch lernte, zeigt seine Absicht, Angela Guttmann dazu anzuregen, über die Aksäkowsche Chronik zu schreiben (ebd.). Zu Angela Guttmann siehe Kommentar zu Brief 24. Sissy und Lato]

Lato (Ladislaus) Adolf Rainer Joseph Maria Graf Mirbach-

Geldern-Egmont (1905-1982) war das Zweitälteste der vier Kinder der Gräfin. Zur Zeit der Korrespondenz besuchte er das Internat im Benediktinerkloster Et¬ tal. Siehe auch Briefe 32 und 37. Zu Sissy siehe Brief 7 und Kommentar. dieser widerwärtigen Grippe]

Die im Raum Basel herrschende Grippe ist auch

Thema im Brief an Gudi Nölke vom 22.2.1920. Rilke will sich aber nicht vom Umzug nach Gut Schönenberg abhalten lassen (Briefe an Gudi Nölke, S. 42). Im Brief vom 16.2.1920 an Nanny Wunderly-Volkart geht es weniger um die Krankheit als um den Umgang damit in den Medien: „Man hört schrecklich viel von der Grippe reden, wie thöricht von den Menschen, daß sie ein Unerfreuli¬ ches nicht diskret nehmen können, Maeterlinck spricht einmal davon, wie viel Unheil schon allein aus der Welt wäre, wenn eine böse Nachricht nicht immer den Reiz mitbrächte, durchaus auch von solchen, die sie nicht näher angeht, ver-

147

breitet zu sein“ (Briefe an N. W.-V., S. 155). Im März 1919 war auch Rilke län¬ gere Zeit erkältet (Schnack, Chronik, S. 685). Verkleidungsgeschichte] Vermutlich eine gelungene Faschingskostümierung. Das Fastnachtswochenende fiel 1920 auf den 14. bis 17. Februar. Der Brief Rilkes da¬ tiert vom Fastnachtsdienstag. Er hatte eben den Brief der Gräfin erhalten. Stelle bei Goethe] Wohl die Verkleidungsgeschichte in „Wilhelm Meisters Lehr¬ jahre“, drittes Buch, zehntes Kapitel (Goethe, SW 5, Münchner Ausgabe, S. 185— 189). Rilke las immer wieder Goethe, im April 1921 auf Schloss Berg, „meistens abends, entweder irgend eine Stelle im Wilhelm Meister oder, eben jetzt, in den Unterhaltungen deutscher Ausgewanderter“ (Brief an Tora Vega Holmström aus Berg am Irchel vom 19.4.1921 in: Briefe an Tora V. Holmström, S. 84). Vgl. Goethes „Schweizer Reise“ im Brief 22. Auf Schloss Berg gab es „keinerlei Bib¬ liothek (außer einem Goethe)“, schreibt Rilke am 15.12.1920 an Fürstin Marie Thurn und Taxis (BW mit M. T. u. T., S. 631).

26.

27. Mai 1920

1 Faltbogen, grünlichblau, 18 x 14,3 cm, 4 Seiten mit Tinte beschrieben, Schluss am linken Rand der ersten Seite. Umschlag: 9,5 x 15,2 cm, blaugrau, Leinenstruktur, kreisförmiges Wasserzeichen „P.-W. Triton“, violettes Seidenpapierfutter. Adresse: „Madame la Csse Mariette Mirbach-Geldern, Pörtschach am Wörthersee, Kärnten, Deutsch-Österreich“. Links oben Vermerke von Rilkes Hand: „Einschreiben, Express“. Express-Marke, Regis¬ triernummer: Pratteln R 45. Frankiert mit 80-Rappen-Briefmarke. 2 Poststempel: Pratteln 27. V. 20. Mit Kopierstift umadressiert nach: München I, Habsburgerstraße 7. Rückseitig Absender: „Env: R. M. Rilke, Gut Schönenberg b/Pratteln, Basel Land/Schweiz“ und An¬ kunftsstempel: Muenchen 2. B. Z. 4. Jun. 20, V. 10-11 h. Umschlag an der Rückseite links aufgerissen. Unveröffentlicht.

daß Ihnen May und Heimath durch die Sorgen um Ihre Mutter verdüstert sind] Gräfin Franziska Hoyos (geboren am 19.10.1850 in Salzburg) starb wenige Mo¬ nate später. Vom 20.5.1920 datierte die Karte, die Gräfin Mariette aus Pört¬ schach an Rilke schickte und in der sie berichtete, dass ihre Mutter erkrankt war. Ob ich einmal diese kärtner Heimath sehen werde] Rilke kam nie nach Kärnten. Über das Rilke-Wappen im Ständehaus in Klagenfurt schreibt Rilke am 3.9.1924 auch Hauptmann Otto Braun, Besitzer von Niederlangenau in Sachsen, einem der Güter aus der Familie des Cornets Christoph Rilke, und fügt hinzu: „Das al¬ les ist freilich mehr oder weniger legendärisch aufzufassen [...]“ (Schnack, Chro-

148

nik, S. 939 und 1155). Rilkes Vorstellung von adeligen Vorfahren in Kärnten, die im 15. Jahrhundert über Sachsen nach Böhmen gekommen seien, wurden erst nach seinem Tod widerlegt. Zu Rilkes Abstammung väterlicherseits vgl. Sieber, Rene Rilke, S. 9-20. Siehe auch Brief 31: „Urheimath Kärnten“. ein junger Dichter, Lernet, aus Klagenfurt]

Lernet-Holenia, Alexander (1897—

1976), österreichischer Lyriker, Dramatiker, Erzähler, Rilkeverehrer. Literatur¬ wissenschaftler zählen ihn zur ersten Generation der Rilkenachfolger, einige hielten seine Werke für „eine Art von unverbindlicher Rilkeimitation“ (Fuerst, Rilke in seiner Zeit, S. 128). Vermutlich erwähnt Rilke hier Lernet erstmals in seinen Briefen. Erst einige Monate später machte Rilke Fürstin Marie Thurn und Taxis mit Gedichten Lernet-Holenias bekannt: „Ave Maria plena gratia“ sandte er ihr am 6.3.1921, „Jüngstes Gericht“ am 8.4.1921 (vgl. BW mit Marie T. u. T., Briefe 330—332, S. 643-654). Rilke erreichte beim Insel-Verlag, dass „der Kanzonnair“ Lernet-FIolenias gedruckt wurde; das Werk erschien 1923. Vgl. Briefe an Katharina Kippenberg vom 9.3.1921 (BW mit Kath. Kippenberg, S. 399f. und Brief vom 16.4.1921, S. 421 f.: hier vor allem Rilkenähe Lernets); Briefe an Anton Kippenberg vom 25.3.1921 (BW mit Anton Kippenberg, 2. Bd., S. 214-217) und vom 23.6.1921 (ebd., S. 225). Einzelne Gedichte Lernet-Holenias wurden in den Insel-Almanachen auf die Jahre 1922 („Die Heiligen drei Könige“ und „Das Ho¬ he Lied“), 1923 („Der Frühling“), 1924 („Die Welt“), 1925 („Der Sommertag“ und „Der Sommer“) veröffentlicht. Immer noch begeistert schreibt Rilke am 9.11.1924 an Elisabeth Ephrussi (de Waal): „Im Insel-Almanach: die zwei wun¬ derbaren Lernet’schen Gedichte, die ihn einleiten; (streifen sie nicht unerhört ans Unsägliche?)“, in: BW mit Elisabeth Ephrussi, S. 72. Das „Inselschiff“ 1927 zum Gedächtnis Rilkes enthält Lernet-Holenias Gedicht „Auf Rainer Maria Ril¬ kes Tod“ und der Insel-Almanach 1928 die „Szene, als Einleitung zu einer To¬ tenfeier für Rainer Maria Rilke“. Im Jahre 1927 erschienen weitere Werke Ler¬ net-Holenias im Fischerverlag. Seine „Tagesliteratur“ galt als „umschattet von der Melancholie des Zusammenbruchs der alten Monarchie“ (Martini, S. 485: genannt sind „Ljubas Zobel“, 1932, und „Die Standarte“, 1934). Siehe auch Brief 28. weil die Heimathlosigkeit mir grade wieder dringender zusetzt] Der Heimat Kärn¬ ten setzt Rilke seine Heimatlosigkeit entgegen. Auch München konnte ihm nicht mehr Heimat sein, nachdem alle nach dem 1.8.1914 zugezogenen Auslän¬ der ausgewiesen werden sollten. Sein deutsch-österreichischer Pass lief am 17.5.1920 ab. im Besitze eines tschechoslowakischen Passes] Am 21.5.1920 schreibt Rilke an die Fürstin Taxis, dass er nun „endlich“ einen tschechoslowakischen Pass habe (BW mit M. T. u. T., S. 598). Er erhielt ihn am 17.5.1920. Seine Aufenthaltserlaubnis

149

für die Schweiz wurde bis zum 17.11.1920 verlängert (Brief an Nanny WunderlyVolkart vom 9.6.1920 in: Briefe an N. W.-V., S. 248). zumal die Fürstin Marie Taxis mir ein kleines Häuschen im Parke von Lautschin einräumen will]

Fürstin Marie Thurn und Taxis, Prinzessin Hohenlohe-

Waldenburg-Schillingsfürst (Venedig 28.12.1855 - 6.2.1934 Lautschin) heiratete 1875 Fürst Alexander von Thurn und Taxis, dem Lautschin (Loucen) in Böhmen gehörte. Von ihrer Mutter, Therese Gräfin Thurn-Hofer und Valsassina, erbte sie Schloß Duino, wo Rilke 1911 seine „Duineser Elegien“ begann. Sie blieb Ril¬ ke, den sie im Dezember 1909 in Paris kennengelernt hatte, eine mütterliche Freundin. Ihre Erinnerungen erschienen 1932, ihr Briefwechsel mit Rilke 1951. Nach Böhmen hätte Rilke nun mit seinem tschechoslowakischen Pass reisen können. Er wollte die Fürstin Taxis jedoch lieber in Venedig als auf ihrem Besitz Lautschin in Böhmen treffen. Ein Visum für Italien erhielt er am 8. Juni (Schnack, Chronik, S. 692). ohne die Grippe ausdrücklich mitzumachen, war ich doch wochenlang wenig wohl] Siehe Brief 25. Uber seinen Gesundheitszustand schrieb Rilke besonders in sei¬ nen Briefen an Nanny Wunderly-Volkart (Briefe an N. W.-V.: Brief vom 15.3.1920 bis Brief vom 28.3.1920, S. 183-201). Am 28.3. klagt er: „[...] ich bin von einer fortgesetzten Müdigkeit und Apathie, immer noch mitten im Malaise [...]“. neulich las ich meinen

Gastfreunden

(dem jungen Ehepaar von der Mühll-

Burckhardt) einige Michelangelo-Übertragungen vor]

Im Besitz von Theodora

von der Mühll befanden sich Reinschriften der Übertragungen einzelner Michel¬ angelo-Sonette, an die sich Rilke auf Gut Schönenberg wieder begeben hatte (SW VII, S. 1268, 1269, 1295). Übertragungen zweier Gedichte Michelangelos sandte Rilke auch an Nanny Wunderly-Volkart mit seinem Brief vom 24.4.1920 (Briefe an N. W.-V., S. 218f.). Siehe SW VII, S. 1302f. und 1304f. „Rotky“ und „Prandau“] Rotky

(1891-1977),

der

Es handelt sich wohl um den steierischen Maler Carl sich

seinerzeit

durch

„Linolschnitte

mit

starker

Schwarzweiß-Wirkung“ („Mitteilungen des Exlibris-Vereins zu Berlin“ 1921, FI. 1, S. 21), Farbholzschnitte und Radierungen hervortat (Thieme-Becker, Bd. 29, 1935, S. 95). Seine Motive fand er vorwiegend in Graz und Umgebung, in der Nazizeit auch in Hitlers Geburtsort Braunau (Velhagen und Klasings Monats¬ hefte, 53. Jg., H. 8, April 1938, Abb. 104 und S. 188). Unter dem Namen Pran¬ dau konnte kein zeitgenössischer Künstler oder Schriftsteller ermittelt werden. Eventuell handelt es sich um einen Nachfahren Franz von Prandaus, der 1789 ei¬ ne „Kritische Geschichte Wiens“ begann und nur den ersten Band vorlegte. Aksakow’sche Chronik] Siehe Briefe 24 und 25.

150

27.

25. Juni 1920

1 Faltbogen, blaugraues Papier, 17,5 x 13 cm. 4 Seiten, eng mit Tinte beschrieben, Brief¬ schluss an den Rändern der ersten Seite. Umschlag: 9,6 x 14 cm, blassblau, innen bedruckt mit bläulichem Leinenmuster, mit Wasserzeichen in Form eine Wappenkartusche: innen Initialen: „C B M“, unten: „7258“, um Wappen: „extra strong“ (in Großbuchstaben), zwei anthrazitfarbene Siegel. Adresse: „Ä Mme la Csse Mariette Mirbach-Geldern, München, Habsburgerstrasse 7, Monaco di Baviera“. Links oben Vermerke von Rilkes Hand: „Raccomandata Einschreiben“, registriert unter der Nummer: Venezia (Centro) R 389. Fran¬ kiert mit zwei 25-Lire-Briefmarken. 2 Poststempel: Venezia Assicura 28. 06. 20. Rücksei¬ tig Absender: „Mittente R. M. Rilke, Palazzo Valmarana a San Vio, Venezia, Italia“ und Ankunftsstempel: Muenchen (Datum und Uhrzeit unleserlich). An linker Seite aufgeris¬ sen. Im selben Umschlag Brief 28 vom 28. Juni 1920. Erstveröffentlichung: Zusammen mit Brief 28 als Nr. 120 in: GB V 1937, S. 298-303 („an Gräfin M.“), geringfügig gekürzt am Schluss, „R.“ für Roggenburg. Abweichungen: „sorglos aufgenommen“; im Original: „arglos aufgenommen“; „Verhältnisse“ statt, im Original: „Verhängnisse“; „Aber wo ists besser?“ statt „wo ists besser?“ (im Original un¬ terstrichen). Veröffentlicht, zitiert und erwähnt in: 1. Ritzer, RMR Bibliographie, S. 47, B 11: „Gräfin M. 5. ve 25.6.20: 4/4a, 120; 298.“ 2. Brief 298 in: Briefe 1950 und späteren Auflagen dieser Ausgabe, zuletzt 1987 (drei Bän¬ de, it 867), 2. Bd., S. 619-623. Gleiche Fassung wie Erstveröffentlichung. — 3. Kurzes Zi¬ tat in: Schnack, Leben und Werk im Bild (1956), bei Bild Nr. 217/(1966), bei Bild Nr. 235: „in die schönen Zimmer, die für mich mit so viel bewegten und reizenden Momenten des Gewesenen ausgestattet sind ..." — 4. Zitat zweier Wendungen in: Mühl, Verwandlung („an Gräfin M.“), S. 167: „Erstarrung“ und „konsekutive innere Verwandlungen“. 5. Hinweis auf den Brief („an Gräfin M.“) in: Beda Allemann 1961, Kap. „Die vollzählige Zeit“, S. 128-136, hier 55, Anm. 18, S. 312. - 6. Hinweis auf den Brief („an Gräfin M.“) in: BW mit Lou A.-S., Anm. S. 603 zum Brief vom 31.12.1920, S. 420-426. - 7. Hinweis in: Briefe an Resi Hardy, Anm. S. 51.

Mezzanino im Palazzo Valmarana] Rilke reiste am 10.6.1920 nach Venedig und blieb bis zum 13.7.1920. Am 22.6.1920 zog er in die Wohnung der Fürstin Marie Thurn und Taxis im Mezzaningeschoss (Zwischengeschoss mit halber Höhe) des Palazzo Valmarana in Venedig. Die Besitzer, Contessa Guistina und Contessina Pia di Valmarana, wohnten gleichzeitig im Palazzo (vgl. Rätus Luck: „Mez¬ zanino“:

Rainer Maria Rilke und die Damen Valmarana.

In:

BIRG

16/17

(1989/90), S. 43-55. Pia di Valmarana (1881-1948) bot Rilke eine Wohnung auf ihrer Besitzung Saonara nahe Padua an (Schnack, Chronik, S. 699 und Brief an Nanny Wunderly-Volkart vom 1.7.1920 in: Briefe an N.W.-V., S. 259). Rilke er¬ wog sie als Bleibe und Schreibort, zog aber nicht dorthin (Schnack, Chronik, S. 809). Fürst Alex]

Alexander Fürst Thurn und Taxis (1851-1939) war mit der Fürstin

bis zum 19.6.1920 in Venedig (Schnack, Chronik, S. 693).

151

Pied-ä-terre] Absteigquartier. im Jahre 13, in der langen Zeit meines hier-V/ohnens]

Rilke verbrachte im Jahre

1912 den Sommer zwischen seinen Aufenthalten in Duino in Venedig. 1913 war er nicht in Venedig (siehe Schnack, Chronik). lännee passee ...] voriges Jahr. Im Brief an Elya Maria Nevar vom 23. Juni 1920 gebraucht Rilke dieselben Ausdrücke und Bilder wie im Brief an Gräfin Mariette, variiert aber den Wortlaut: „[...] daß sowohl die Gräfin Valmarana, wie die Contessina, von unserem letzten Beisammensein sprechend, auf den Ausdruck ,1’annee passee“ gerathen. Der Wunsch, alles recht unverändert wiederzufinden, hat sich wie unter dem Schutz einer Fee bis in alle nicht abgesehenen Details er¬ füllt“ (Nevar, S. 158). Schon am 15.6.1920 hatte er im Brief an Nanny WunderlyVolkart die „Urfassung“ formuliert: „Hätte eine Fee diesen Wunsch [Venedig möglichst unverändert vorzufinden] bemerkt und sich vorgenommen, ihn mit jener Wörtlichkeit und Genauigkeit zu behandeln, mit der in den Märchen ab und zu die Erfüllungen eintreten, alles Erfüllungszubehör mitbringend, das dem einseitigen und kurzen Blick des beschränkt Wünschenden nicht erkennbar war, - es könnte mir kein überraschenderes Unverändertsein vorbereitet gewesen sein“ (Briefe an N. W.-V., S. 250f.). aber nun ist es doch hart, sieben Lebensjahre weiter, älter, abgenutzter zu sein, ohne jene Beweise konsekutiver innerer Verwandlungen, die das Lebendigsein schließlich ausmachen]

Zu „Verwandlung“ siehe auch Brief 36: „durch seine Verwandlung

Überlebendes“, bezogen auf die Dichtung. Zechs energische Intervention] Durch Julius Graf Zech, Diplomat an der preußi¬ schen Gesandtschaft in München, wurde Rilke eine Rückkehr nach München ermöglicht (siehe Brief 26). Er macht nicht nur Gräfin Mariette, sondern auch Elya Maria Nevar Hoffnung auf ein Wiedersehen (Brief vom 23.6.1920 in: Ne¬ var, S. 159). Meiner Freundin Sissy halte ich immer noch die Stange, überzeugt, daß sie das für die Obstruktion nöthige Kraftquantum oft schon im Stillen anderen, aufbauenden Anwendungen zuführt. Sie wird uns eines Tages überraschen] Im Brief der Gräfin ging es erneut um Erziehungsschwierigkeiten mit der nun fast neun Jahre alten jüngsten Tochter. Rilke setzt seine „Erziehungsberatung“ aus Brief 8 fort. Sein kluger Satz, der eine feine Mahnung an die Gräfin enthält, zeigt sein Wissen um Vorgänge der Pubertät. Fürstin Sophie Oettingen] Siehe Briefe 2 und 22.

152

28.

28. Juni 1920

1 Faltbogen, graues Papier, 17,5 x 13 cm. 4 Seiten, eng mit Tinte beschrieben, Briefschluss am linken Rand der ersten Seite. Im Umschlag mit Brief 27. Erstveröffentlichung: Zusammen mit Brief 27 als Nr. 120 in: GB V 1937, S. 298-303, hier S. 301-303: „an Gräfin M.“ Gekürzt um Schlussabsatz. Das Datum „26. Juni 1920“ ist falsch, im Brieforiginal ist das Datum des 28. Juni 1920 gut zu erkennen. Abweichungen: „Ich habe immer den großen Takt bewundert, der noch das Dix-huiteme ist“, im Origi¬ nal: „... der noch der des Dix-huitieme ist“, und wohl doch „Rosenparterre“ im Original, statt „Rasenparterre“. Diese Leseschwierigkeit hatten auch die Herausgeber des Brief¬ wechsels mit Nanny Wunderly-Volkart (S. 257). In der gleichen Fassung aufgenommen als Brief 298 in: Briefe 1950 und die späteren Auflagen dieser Ausgabe, zuletzt 1987 (drei Bände, it 867), S. 619-623. Bibliographiert in: Ritzer, RMR Bibliographie (wie Brief 27). — Zwei kurze Zitate des Briefs „an Gräfin M.“ in: Bernhard Blume: Die Stadt als seelische Landschaft im Werk Rainer Maria Rilkes. In: Monatshefte für den deutschen Unterricht, deutsche Sprache und Literatur, Bd. 43, Nr. 2 (Februar 1951), S. 65-82, hier S. 78, unter dem Datum des 26. Ju¬ nis: „überhaupt nicht war“ (im Original: „da war’s überhaupt nicht“) und „einbezogen ins Vertrauen seines Entgehens“. — Bollnow, Rilke, 1951, S. 176: „tausendmal ins Offene hin¬ ausschritt“. — Sandford, Landscape, S. 35: „niemals hab ich das Gefühl des Abschieds so restlos in räumliche Erscheinung umgesetzt gesehen“.

Montag, den 28. Juny]

Für diese Datierung spricht der von Rilke angegebene

Wochentag. Nicht der 26., sondern der 28.6.1920, fiel auf einen Montag. Außer¬ dem nennt Rilke als Grund für den Aufschub die „seit drei Tagen“ anhaltende Hitze. Lido] Das Bad am Lido, dem Strand von Venedig, schwebt Rilke auch im Brief an Marie Taxis vom selben Tage vor (BW mit M. v. T. u. T., S. 606). Vaporetti] Dampfer Calli] Wege, Gassen der Garten der alten Mrs Eaden drüben auf der Giudecca] Er liegt auf der Vene¬ dig vorgelagerten Insel Giudecca. 1884 gelang es dem gelähmten, reichen Eng¬ länder F. Eden nach langen Verhandlungen, einem Fischer das Gelände abzukau¬ fen. Er baute eine Villa und legte einen Garten an mit Wasserbecken, Pergolen, Rasenflächen und buchsbaumgefassten Wegen. Er ließ alte Bäume fällen und pflanzte Granatäpfel-, Pfirsich- und Orangenbäume, Sträucher und Blumen: Cy¬ clamen, Hibiskus, Azaleen und Rosen aller Art und umgab sein Paradies mit ei¬ ner hohen Mauer gegen die Touristen (Ursula von Kardorff und Helga Sittl: Das Grün hinter der Lagune in: Zeitmagazin vom 23.8.1985, S. 17-26, hier S. 26). Zum Zeitpunkt des Berichts wohnte hier der im Jahre 2000 in Venedig verstor¬ bene Maler Friedensreich Hundertwasser. Die Autorinnen berufen sich auf eine

153

Veröffentlichung aus dem Jahre 1907: „A garden in Venice“ von F. Eden von 1907, mit Vignetten. Rilkes poetische Beschreibung findet sich variiert auch im Brief vom 22.6.1920 an Nanny Wunderly-Volkart (Briefe an N. W.-V., S. 156f.). Im Brief vom Vortag kündigte Rilke ihr an: „Ein Garten ist hier an der Lagune den sollten Sie retten, denn wenn die alte Besitzerin stirbt, wird er zerstört. Dort blühen jetzt hohe Malven im Schattenspiel des Weinlaubs, und die Granatbüsche blühen brennend“ (ebd., S. 255). Rilke nennt den Namen Eaden hier nicht. Im Brief Rilkes an Fürstin Marie Taxis vom 12.8.1920 ist die Rede vom „Giardino Eden“, den er mit ihr besuchte, vermutlich als Anspielung auf den biblischen Garten Eden (BW mit M. v. T. u. T., S. 616). Im Brief von Venedig nach Duino vom 29.4.1910 hieß er „Garden Eeden“ (ebd., S. 16).

Wie mag die Düse, die diesen Garten immer sehr geliebt hat, sich selber erkannt ha¬ ben, wenn sie aus seiner Erfülltheit, in der man versteckt und verspielt wird, tau¬ sendmal in’s Offene hinausschritt, wo man mit einem Male vereinzelt ist, einsam auf einem Wiesenstreifen, verlassen

Gestalt!] Der Schauspielerin Eleonora Dü¬

se (1859-1924) begegnete Rilke im Sommer 1912 in Venedig, vgl. dazu Briefe an Fürstin Marie Taxis in: BW mit M. v. T. u. T., Briefe 106-109, und M. v. T. u. T., Erinnerungen). Die Briefstelle ruft die Gestalt der „weißen Fürstin“ in Rilkes für die Düse geschriebenen „Szene am Meer“ vor Augen. Das Stück, 1898 verfasst und 1904 umgearbeitet, erschien 1909 im Inselverlag (SW I, S. 201-231, Erstfas¬ sung). Vgl. neuere Überlegungen zum Stück in: Stephens, 1997. Bei der Begeg¬ nung mit der Düse im Sommer 1912 fand Rilke es zu unvollkommen für die be¬ rühmte Schauspielerin (vgl. Briefe 108 und 110 in: BW mit M. v. T. u. T., S. 181 — 183, hier S. 183 u. S. 185-190, hier S. 188f.). Der im Stück auftretende Todesbote legt nahe, auf die Verbindung von Venedig und Tod in der Literatur hinzuwei¬ sen, am eindringlichsten und schon im Titel in Thomas Manns: „Tod in Vene¬ dig“ (1912). Vgl. ferner Rehm, Rilke und die Düse, in: Symposion I (1948), S. 337-406. Mauer und Kuppel des Redentore] II Redentore: Erlöserkirche auf der Insel Giudecca, eines der Hauptwerke Andrea Palladios, 1578-1580 erbaut als Votivkir¬ che, die der Rat Venedigs gelobte, wenn die Stadt von der Pest befreit würde. Venedig will „geglaubt“ sein; als ich es zuerst sah, im Jahre 1897, geschahs als Gast eines Amerikaners!]

Rilke erinnert sich an seinen ersten Besuch auf einer Reise

im März/April 1897 als Gast seines Studienfreundes Nathan Sulzberger aus New York, damals Student der Chemie in München, später Industrieller in New York (Schnack, Chronik, S. 66 und 1253). Ja, hätten Sie den Garten-Pavillon, es wäre auf alle Fälle der rechte]

Es gibt im

Park von Roggenburg ein Gartenhaus, das der Schwiegervater der Gräfin, Graf Adolf Geldern-Egmont (Thurnstein 1841 - 1927 Oberstdorf) im Stil der Bade-

154

häuser am Wörthersee wohl zum Einzug der jungen Gräfin Mariette bauen ließ. Hätte er es wirklich dem „Pavillon“ der Fürstin Taxis in Lautschin vorgezogen? Die Fürstin hielt ihn für Rilke frei, doch drohte wegen der Wohnungsnot eine Zwangseinquartierung (siehe auch Brief 29). Im Brief an Sidonie Nädherny vom 20.11.1920 aus Berg heißt es: „Böhmen stand mir immerfort bevor, man erwarte¬ te mich dort, ob ich gleich vor mir selber schon fürchtete, sie zu enttäuschen [...]“ (Briefe an Sidie N.-B., S. 310). Unentschlossen stellt Rilke sich die Frage nach dem Wohin: nach Schönenberg, wo die Gastgeber eingezogen waren, oder nach Roggenburg, Böhmen, München, Leipzig? Herr Dr. Feist, der bei mir eingezogen ist] Der Arzt Dr. Hans Feist (1887-1952), Schriftsteller, Übersetzer und Herausgeber

(Schnack,

Chronik, S. 828 und

1179), war „Einmiether“ Rilkes in seiner Wohnung in der Ainmillerstraße 34 (siehe auch Brief vom 1.7.1920 an Anton Kippenberg in: BW mit Anton Kip¬ penberg, 2. Bd., S. 169). Als „Halbbekannter“, wie ihn Rilke im Briefe an Elya Maria Nevar vom 5.5.1920 (Nevar, S. 154) nennt, zog Feist im Mai 1920 kurz¬ fristig in Rilkes Wohnung, weil eine Beschlagnahmung drohte. Elya Maria Nevar hütete den Schlüssel zu Rilkes Sekretär. Im Februar 1921 benötigte er ihn für den Mitarbeiter des Insel-Verlags zum Packen seiner persönlichen Dinge (Nevar, S. 172), um sie vor dem „Arzt auf litterarischen Abwegen“ in Sicherheit zu brin¬ gen, der dort, wie eine Hausbewohnerin mitteilte, „beinahe ein .Nachtlokal',, mit „Tanz und Geschrei“ unterhielte (Briefe an Nanny Wunderly Volkart vom 18.11. und 23.12.1920 (Briefe an N. W.-V., S. 339 und S. 368). Im April 1922 waren auch Rilkes Möbel durch Kippenberg nach Leipzig geholt und seine Münchner Wohnung aufgelöst (BW mit Anton Kippenberg, Briefe 531, 532 und 560-562). Scbolastica Bergamin kenn ich weder, noch auch den Namen: Sittenherger]

Hans

Sittenberger (Klagenfurt 1863 - 1943 Eisgrub in Mähren/Lednice, Tschechische Republik), Erzähler und Dramatiker, Mittelschullehrer. Autor literaturhistori¬ scher Studien (Das dramatische Schaffen in Österreich, 1898) und historischer Erzählungen und Dramen (Die Wallfahrt nach Kythera, 1912, Drama: Das Evangelium des Teufels, 1897). Kritiker der Wiener Moderne. Er legte 1898 seine erste Novelle „Scholastika Bergamin“ vor, die in der Napoleonischen Zeit spielt. Vgl. E. Nußbaumer, Geistiges Kärnten, 1956. Siehe Briefe 29 und 31. Haben Sie, in Klagenfurt, etwas von dem jungen Lernet (Alexander) gehört, von dem ich schon merkwürdige Produktionen in Händen hatte?] Siehe Brief 26.

155

20. August 1920

29.

1 Faltbogen: Briefpapier des Hotels Les Bergues, Genf, mit gedruckter ovaler Kartusche (Hotelansicht), cremefarben, 18,3 x 14 cm. 4 Seiten mit Tinte beschrieben. Passender Umschlag des Hotelbriefpapiers, 9,7 x 15,1 cm, ohne Futter, Innenseite blau. Adresse: „Madame

la

Csse Mariette

Mirbach-Geldern,

Roggenburg

p.

Weissenhorn,

Schwa-

ben/Bayern/Baviere“. Oben Vermerk von Rilkes Hand: „Recommandee“, registriert unter der Nummer: Geneve 1 R 885. Frankiert mit 50 Rappen-Briefmarke. 2 Poststempel: Ge¬ neve Consig. Lettres 20. VIII. 20-18. Consig. Lettres. Rückseitig Absender: „Env: R. M. Rilke, Hotel des Bergues, Geneve, Suisse“ und 2 Ankunftsstempel: Weissenhorn 23. Aug. 20, Vor. 7-8; Roggenburg 23. Aug. 20, Vor. 8-9. An linker Seite aufgerissen. Unveröffentlicht.

Genfersee] Am 6.8.1920 kam Rilke von Gut Schönenberg über Zürich, wo er ei¬ nige Tage blieb, in Genf an und wohnte bis zum 21.8. im Hotel Les Bergues. Ril¬ ke antwortet auf eine Karte der Gräfin aus Roggenburg. In Genf begegnete Rilke der Malerin Baladine Klossowska (1886-1969) wieder, die er zusammen mit ih¬ rem Mann, dem Kunsthistoriker Erich Klossowski in Paris kennengelernt hatte. Es war der Beginn einer schicksalhaften Liebesbeziehung zwischen Baladine K. und Rilke, die ihn noch einmal in den Konflikt zwischen Leben und Arbeit führ¬ te (siehe Brief 33). Im Herbst bereisten sie von Genf aus zusammen das Wallis und kamen am 8.10. erstmals nach Sierre (Brief vom 12.10.1920 an Hans von der Mühll in: Briefe an Schweizer Freunde, S. 112f. und Anm. S. 554). Zu Erich Klossowski siehe Brief 32 und Kommentar. Merline (oder Mouky, wie Baladine K. von ihren Freunden genannt wurde) begleitete Rilke später nach Berg und Muzot. Zur ihrer Beziehung vgl. Merline und Rilke von D. Bassermann, der auch den Briefwechsel edierte. Der Gräfin gegenüber nannte Rilke sie eine „nahe Freundin“ (Brief 36). die Pitoeffs vor allem, Georges Pitoeff und seine Frau, die dieses wunderbare Thea¬ ter leiten, von dem ich Ihnen damals gewiß geschrieben habe, denn es ging mich na¬ he an und gehört zu meinen wichtigsten schweizer Erlebnissen]

Georges Pitoeff

(1884-1939), russisch-französischer Regisseur, Theaterleiter und Schauspieler. In Genf gründete er 1915 das „Theätre Pitoeff“. Rilke hatte in Lausanne, Genf und Winterthur Aufführungen des Theaters besucht. Pitoeffs Frau Ludmilla (1895-1951) spielte in vielen der von ihm inszenierten Stücke von Shakespeare bis Claudel. Am gleichen Tag schrieb Rilke an Dory von der Mühll: „Pitoeff ist viel für mich - vorgestern abend erzählte er die Inszenierung eines Stückes von Chavannes, die er den ganzen Tag überlegt hatte. Das ist herrlich, herrlich, zu sehen, wie seine Vision die Gegebenheiten des Dichters begreift, befreit und in eine nirgends unentschlossene Sichtbarkeit hebt, die Spiel ist (nicht RealitätsImitation wie oft bei Reinhardt), Spiel, aber Spiel über spiegelnder Tiefe und un¬ erschöpflich in Schwebe gehalten von der einen, seeligen Kraft, aus der alle Schöpfung kommt.“ (Briefe an Schweizer Freunde, S. 99-100). Ein großer Er-

156

folg war die Premiere von „Hamlet“ am 1.12.1920, die Rilke jedoch von seiner Zuflucht Berg aus nicht besuchte. Von Genf gingen die Pitoeffs mit ihrer Bühne nach Paris. Baladine Klossowska sah dort 1926 ihre Inszenierung der Tragödie „Orphee“ von Jean Cocteau im Theätre des Arts und schrieb Rilke darüber be¬ geistert (Schnack, Chronik, S. 1056). Cocteau erzählte später, dass „Rilke, als er starb, gerade eine Übersetzung von Orphee begonnen hatte“ (Jean Cocteau: Vollendete Vergangenheit. Tagebücher 1951-1952. Hrsg, von Pierre Chanel, München 1989, S. 112; vgl. auch Hensel II, S. 1267. Über Rilkes Bewunderung für die Pitoeffs vgl. Brief vom gleichen Tage an Nanny Wunderly-Volkart (Brie¬ fe an N. W.-V., S. 309) und Briefe an Gudi Nölke vom 22.10.1919 (Briefe an Gudi Nölke, S. 15f. und ausführliche Anm. über das Theätre Pitoeff , S. 150) und vom 21.12. 1919 (ebd., S. 30f.). Morgen bin ich noch einmal in Bern — und denke dort wiederum an Sie] vgl. Brie¬ fe 23 und 24. das versprochene Buch]

„Scholastica Bergamin“ von Hans Sittenberger, siehe

Briefe 29, 31.

30.

27. Oktober 1920

1 Faltbogen, blaues Papier, 18 x 14,3 cm, rundes Wasserzeichen: M.-K. (Max Krause, er¬ folgreicher Papierfabrikant, Berlin-Steglitz, 1858-1916; Slogan: „Schreibste mir, schreibste ihr, schreibste auf M.-K.-Papier“). 3 Seiten mit Tinte beschrieben. Umschlag: 9,5 x 15,2 cm, graublau, kreisförmiges Wasserzeichen „P.-W. Triton“, violettes Seidenpapier¬ futter. Adresse: „Madame Mme la Csse Mariette Mirbach-Geldern, Munich, 7, Habsburger¬ strasse 7 I., (München) Bayern. Baviere“. Nicht eingeschrieben. Frankiert mit 25 Centi¬ mes-Briefmarke, Poststempel: Paris 6, R. d. Vaugirard, 27. 10. 20. (Die Rue de Tournon, an der Rilkes Hotel, das Hotel Foyot, lag, mündete in die Rue de Vaugirard. In der Nähe befand sich damals eine Post). Keine Ankunftsstempel. Auf Rückseite nach links aufge¬ rissen. Bemerkenswert ist, dass der Brief nicht eingeschrieben ist und der Umschlag kei¬ nen Absender trägt. So konnte Graf Mirbach-Geldern die Rückseite des ungeöffneten Umschlags gänzlich für folgenden, mit Bleistift geschriebenen Text benutzen, bevor er den Brief mit anderer Post an Gräfin Mariette, vermutlich nach Pörtschach, weiterleitete: „29/X. Es geht uns allen gut. Wetter schön, aber sehr kühl. Ich lasse Lisi [Elisabeth] bei dem kalten Winde noch nicht hinaus. Gestern Abend war D ... [nicht entzifferbar] zum Thee bei mir. Heute kommt O. [Onkel] Ot¬ to [Graf Lerchenfeld] zum Essen und T. [Tante] Clara [Gräfin GeldernEgmont]

zum Klavierspielen mit Elis. Fecie

[Gräfin Felicitas Hoyos,

Schwester Gräfin Mariettes] hat 2 Haarnadeln (Celuloid) hier vergessen. Alles Liebe! A. [Alfons].“ Am oberen Rand: „Innigen Dank für Dem lie¬ bes Telegr.“ Am linken Rand: „Leipzig lässt sehr grüßen.“

157

Erstveröffentlichung: Brief 127 in: GB V 1937, S. 323f.: „an Gräfin M.“, gekürzt um einen Satz im letzten Abschnitt. Abweichungen: im Original „Continuität“ mit C und nur ein Gedankenstrich, statt drei in der Übertragung, hinter „ma vie, depuis toujours la mienne“. Veröffentlicht, zitiert und erwähnt in: 1. Ritzer, RMR Bibliographie, S. 47, B 11: „Gräfin M. 6. pa 27.10.20: 4/4a, 127; 300.“ 2. Brief 300 in: Briefe 1950 und den späteren Auflagen dieser Ausgabe, zuletzt 1987 (drei Bände, it 867), S. 626f. Umfang und Abweichungen wie Erstveröffentlichung. — 3. Wydenbruck, Rilke. Man and Poet, S. 297f. („Countess M.“): „What am I to say“ bis „every Step was an arrival“ mit Auslassungen und Übersetzung des französischen Satzes, ohne ihn als solchen zu kennzeichnen. - 4. Schnack, Leben und Werk im Bild (1956), bei Nr. 288/(1966), bei Nr. 311: „ich empfinde“ bis „schon verzichten wollte“ und „hier“ und „ist alles im Großen geblieben“ bis „Oktober-Tage“. - 5. BW mit Andre Gide („an die Gräfin M.“), S. 108, Anm. zu Brief 50, Rilke an Gide, vom 24.10.1920: „la meme plenitude de vie, la meme intensite, la meme justesse meme dans le mal“. - 6. Längeres Zitat in: Holthusen, S. 136: „Was soll ich sagen“ bis „Oktober-Tage: Sie kennen sie.“ - 7. Mason, Rilke, 1964, S. 114: „Ich empfinde“ bis „an alle Bruchstellen“. - 8. Schnack, Chronik, S. 706: „aber hier, hier“ bis „Oktober-Tage“. - 9. MDE I, S. 178f.: „auch die Schweiz“ bis „Ankom¬ men“. — 10. BW mit R. Ullmann u. E. Delp, S. 394 (Anm. zum Briefe vom 15.12.1920 an Regina Ullmann): „Ich passe an alle Bruchstellen.“ — 11. Nalewski, Rilke, 1992, S. 211: „politische(s) Gedräng und Gemächte“. — 12. BW mit Claire Goll, Nachwort, S. 200: „Was soll ich sagen“ bis „ma vie, toujours la mienne“ (mit Auslassungen). — 13. Zwei Zita¬ te in: Freedman/Ebneter 2, S. 337: „zum ersten Mal seit den entsetzlichen Jahren, wieder die Kontinuität meines Daseins“ und den Absatz, beginnend mit: „Ich passe an alle Bruchstellen“ mit Auslassungen. — 14. Hinweis auf den Brief in: Steiner, RMR und die Schweiz, S. 88. — 15. Hinweis auf den Brief („an Gräfin M.“), bezogen auf Pariserlebnis, in: Mühl, Verwandlung, S. 167 (in Anm. 47, S. 277, irrtümlich als Datum: 27.6.1920).

Hotel Foyot, rue de Tournon, Paris] Das Hotel Foyot existiert heute nicht mehr. Es lag dem Jardin de Luxembourg gegenüber. Rilke reiste am 22.10.1920 mit fi¬ nanzieller Unterstützung Gudi Nölkes für eine Woche nach Paris. Kurz vorher hatte er für den Winter die Einladung nach Schloss Berg angenommen (siehe Brief 31). Er sah in Paris nur wenige Menschen, ging spazieren und fand den er¬ sehnten Anschluss an sein früheres Leben und Schaffen: „la continuite se retablit“ (Die Kontinuität stellt sich wieder ein). So im Brief an Nanny Wunderly-Volkart vom 25.10.1920 und anderen Zeugnissen dieser geglückten Pariser¬ fahrung in: Schnack, Chronik, S. 706. Vgl. Brief 31: „das Wiedersehen mit Paris, das so heilend war“. la meme plenitude de vie, la meme intensite, la meme justesse meme dans le mal] Dieselbe Lebensfülle, dieselbe Intensität, dieselbe Richtigkeit selbst im Bösen. Die Stelle ist von der Herausgeberin des BW mit Andre Gide als „Jubelruf“ be¬ zeichnet (s.o.). Es ist das Paris des „Malte”, das Rilke erlebte (vgl. Brief an Lou Andreas-Salome vom 31.12.1920 in: BW mit Lou A.-S., S. 422f.). Vgl. auch Brief 5 an Gräfin Mariette: „Sie haben mich nicht in Paris gesehen, ach, da war

158

ich ein anderer Mensch.“ Zur beständigen Parissehnsucht Rilkes siehe auch Brie¬ fe 31 und 36. Ich passe an alle Bruchstellen]

Vgl. Brief 22 über die Begegnung mit Marthe

Hennebert: „Das wird für mich fast schon eine Rückkehr nach Paris sein [...] durch sie

wenn es auch nur ein paar Tage sind, die ich mit ihr zubringen kann

werd ich am ehesten an die Bruchstelle meines einstigen Lebens wieder anhei¬ len können.“ ma vie, depuis toujours mienne]

Mein Leben, schon immer das meinige (oder:

meines). ich weiß jetzt wieder, mein Bewußtsein hat seine Einschränkungen aufgegehen, das auf-der-Stelle-anstehen hat aufgehört, ich kreise wieder in meinem Bewußtsein] „Bewußtsein“ ist eine häufiges Wort in den Briefen an Gräfin Mariette. Bewe¬ gungsloses „Anstehen“ spürt Rilke besonders während seiner Krankheit im letz¬ ten Lebensjahr: „Die Horizontalität des zu Ertragenden bringt alles zum Anste¬ hen.“ Geduldig fügt er hinzu: „aber was wir „Anstehen“ nennen, kann ja auch Sammlung sein“ (Brief an Katharina Kippenberg vom 9.2.1926 in: BW mit Kath. Kippenberg, S. 573f.). als Sie mir zuletzt, in dem gütigen Brief vom Anfang September, den Weg über Rog¬ genburg vorschlugen, glaubten Sk mehr an meine Rückkehr, als ich selbst] Im Brief der Gräfin, auf den Rilke antwortet, hatte sie wohl wieder ihrer Hoffnung auf ein Wiedersehen in München oder in Roggenburg Ausdruck gegeben. meine Adresse Basel, Ritterhof, Rittergasse 20 (bei Frau D. v. d. Mühll]

Haus der

Familien Burckhardt und von der Mühll, siehe Brief 23. Rilke ließ seine Post dorthin adressieren, weil er den Zeitpunkt seines Einzugs in Schloß Berg noch nicht wußte. Es wurde der 12. November. „Rosa“ wird verzweifelt sein] Rilke behielt seine Wohnung bis April 1922 (siehe Kommentare zu den Briefen 13, 28 und 31).

159

25. November 1920

31.

2 Faltbögen, zweiter Bogen von Rilke rechts oben nummeriert, blaues Briefpapier, Lei¬ nenstruktur, 17,5 x 13,5 cm, ohne Wasserzeichen, 8 Seiten mit Tinte beschrieben und An¬ sichtskarte von Schloss Berg, 9,2 x 14 cm, rückseitig im Längsformat mit Tinte eng be¬ schrieben. Umschlag: 9,7 x

14,8 cm, blau, passend zum Briefpapier, dunkelgraues

Seidenpapierfutter, graues Siegel. Adresse: „Madame la Cssc Mariette Mirbach-Geldern, München, Habsburgerstrasse 7 I., Deutschland, Bayern“. Links oben Vermerk von Rilkes Hand: „Recommandee Einschreiben“, registriert unter der Nummer: Flaach R 99. Fran¬ kiert mit zwei 25-Rappen-Briefmarken, 3 Stempel: Flaach 26. IX. 20. Rückseitig Absen¬ der: „Env: R. M. Rilke, Schloss Berg am Irchel, Kanton Zürich, Schweiz“ und Ankunfts¬ stempel: München 28. Nov. 20, Uhrzeit unleserlich. Der Umschlag wurde an der linken Seite von den Behörden geöffnet und mit einem Aufkleber wie Briefe 19, 20, 21 wieder geschlossen. An rechter Seite aufgerissen. Erstveröffentlichung: Brief 131 in: GB V 1937, S. 336-342, um letzten, privaten Absatz und Postskriptum

gekürzt, Auslassungen nicht kenntlich gemacht. Abweichungen:

S. 337: „der Dichter erfindet da“, im Original: „der Dichter erfinde da“, S. 338: „schlank die Figur der Fontäne“, im Original: „die schlanke Figur der Fontäne“, S. 339: „Edelsitz der Escher“, im Original: „Edelsitz im Besitze der Escher“, S. 342: „liebgewährte“, im Original: „lieb gewährte“, und Schlussformel: „In der freundschaftlichen und großen Er¬ gebenheit“, im Original: „In der freundschaftlich großen Ergebenheit“. Veröffentlicht, zitiert und erwähnt in: 1. Ritzer, RMR Bibliographie, S. 47, Bll: „Gräfin M. 7. bg 25.11.20: 4/4a, 131; 306.“ 2. Brief 306 in: Briefe 1950 und den späteren Auflagen dieser Ausgabe, zuletzt 1987 (drei Bände, it 867), S. 638-643). Umfang und Abweichungen wie vor. - 3. Brief 295 in: Briefe 1991, 2. Bd., S. 84-89. Umfang und Abweichungen wie in Erstveröffentlichung und 2., dazu vom Original abweichende zusätzliche und fehlende Hervorhebungen. — 4. Wydenbruck, Man and Poet, S. 298 („Countess M."): „if I fail this time“ bis „the latter is im¬ mense“. - 5. Zwei Zitate in: Bollnow, Rilke, 1951, S. 244: „Vor sich einen etwas vernach¬ lässigten Park“ bis „selten reicht etwas über ihr Rauschen hinaus!“ S. 92: „Oft im Leben scheint es nur auf die längste Geduld anzukommen.“ — 6. Langes Zitat (Beschreibung Bergs) in: Zimmermann, Rudolf: Rainer Maria Rilke als Gast im Schloß Berg am Irchel. In: Berg am Irchel und seine Schlösser. Heimatbüchlein. 2. Aufl. Zürich 1955, S. 43-63, hier S. 46-48: „Wie geht das zu“ bis „Diese Freude ist wirklich immens.“ Es fehlen die Wörter „Tag und Nacht“ bei der Beschreibung der Fontäne, Kommasetzung abweichend von Rilke. Ohne Datum („an eine Gräfin M.“) - 7. Steiner, Elegien, 1962, Anm. zur Sechsten Elegie, S. 319 („Gräfin M.“): „vor sich einen etwas vernachlässigten Park“ bis „schlank die Figur der Fontäne steht“. - 8. Mason, Rilke, 1964, S. 114: „Wenn ich diesmal, hier, auf Schloß Berg versage —, so ist mir nicht zu helfen.“ — 9. Schnack, Chronik, S. 71 Of.: „vernachlässigten Park“, „schlanke Figur der Fontäne“, „die, mit ihrem immer¬ fort abgewandelten Niederfall ist nun wirklich das Maß der Geräusche“ und „Eine stille verständige Wirtschafterin“ bis „erstaunt zu sein“. - 10. Sandford, Landscape, S. 105: „Und die, mit ihrem immerfort abgewandelten Niederfall“ bis „über ihr Rauschen hin¬ aus“; S. 113: „einen etwas vernachlässigten Park“ - 11. MDE I, S. 185-187: „Denken Sie“ bis „Daß ich je gemurrt habe!“- 12. Zwei kurze Zitate und eine Erwähnung in: BW mit R. Ullmann u. E. Delp, S. 395f. (Anm. zum Brief vom 15.12.1920 an Regina Ullmann): „Eine stille verständige Wirtschafterin versorgt mich“ (S. 395) und „die, mit ihrem im¬ merfort abgewandelten Niederfall“ bis „über ihr Rauschen hinaus.“ — 13. Steiner, RMR

160

und die Schweiz, S. 87, Anm. 44 („an Gräfin M.“): „wenn ich diesmal hier, auf Schloß Berg versage -, so ist mir nicht zu helfen.“ - 14. Schlicker, Leni, S. 192: „Eine stille ver¬ ständige Wirtschafterin“ bis „erstaunt zu sein“. - 15. Ebneter, Dienen, S. 368: „Schweig¬ samkeit und Verschlossenheit (denn so muß ich mich halten, um zur Arbeit zu kommen!) nicht weiter erstaunt zu sein“ und Hinweis auf den Brief, S. 367, Anm. 4. — 16. Zwei kur¬ ze Zitate in: Freedman/Ebneter 2, S. 342: „verständigen Wirtschafterin“ und „wie ein spielender Baum“. - 17. Pasewalck, „Die fünffingrige Hand“, S. 264: „Maß der Geräu¬ sche“. - 18. Drei Zitate in: Kluwe, Krisis und Kairos, S. 86: „Das eigentlich Unerflehbare kann immer nur dazu-geschenkt werden“, S. 320: „stimmte“ und „unpäßlicher“, S. 321: „Längst habe ich mich ja gewöhnt“ bis „dazu-geschenkt werden“. - 19. Luck, Schweizer Vortragsreise, S. 296 Hinweis auf den Brief. - 20. Hinweis auf den Brief („an Gräfin M.“) in: Mühl, Verwandlung, S. 197f., Anm. 208, S. 285.

Schloß Berg am Irchel, Kanton Zürich]

Schloss aus dem 17. Jahrhundert, Ge¬

richtsherrensitz der Familie Escher (s.u.), am Irchel: Höhenzug nördlich von Zürich, Gipfel bis 677 m hoch. Vgl. Heimatbüchlein Berg am Irchel. Im Aufsatz von Pfarrer R. Zimmermann ist Rilkes Beschreibung von Berg abgedruckt, fer¬ ner Abb., auch der Innenräume. Der Brief ist der erste von vier Briefen aus Schloss Berg, das Rilke vom 12.11.1920 bis zum 10.5.1921 bewohnte, mit einer Beschreibung des Schlosses, dessen Gartenseite die beiliegenden Ansichtskarte zeigt, und des Parks (Abb. 21). In seinem „verzauberten Schlößchen“ fand er die für seine Arbeit notwendige „Ununterbrochenheit“ (Brief an Anita Forrer vom 22.12.1920 in: BW mit Anita Forrer, S. 61 und 62). Die Ansichtskarte erhielten u.a. auch Fürstin Marie Taxis, Gudi Nölke, Inga Junghanns und Sidonie Nädherny de Borutin mit Briefen aus dem November 1920. Rilke antwortet auf einen Brief der Gräfin, in dem sie ihm den Tod ihrer Mutter, Gräfin Hoyos, am 30.8.1920 in Kärnten mitteilte (siehe Brief 26) und mit dem sie ihm „das ver¬ sprochene Buch“ (siehe Brief 29) „Scholastica Bergamin“ von Hans Sittenberger mit der Widmung schickte: „Zu einer guten Abendstunde. Herzlichst M. M. G. Nov. 1920.“ Das Buch befindet sich im Schweizer Literaturarchiv Bern (Signatur Rilke Muz 90). Auskunft und Kopie der Widmung durch Dr. Franziska Knop am 6.1.2004. Herrn Hans Sittenberger in die Strenge nahm]

Rilke verfasst eine vielzeilige,

wohlwollende Rezension des Werkes (zu Sittenberger siehe Brief 28). Er ist dar¬ in nicht ungeübt. 1902 schrieb er zum Gelderwerb Rezensionen für das Bremer Tageblatt, u.a. am 16.4.1902 über Thomas Manns „Buddenbrooks“ (SW V, S. 577-581) und am 8.6.1902 über „Das Jahrhundert des Kindes“ von Ellen Key (SW V, S. 581-592). 1903/04 begutachtete Rilke literarische Manuskripte für Axel Juncker, später für Katharina Kippenberg. Rilke äußert sich häufig in seinen Briefen zu Autoren, Neuerscheinungen und ihm übersandten Büchern. Vgl. Brief an Lou Albert-Lasard vom März 1916 über Heinrich Mann in: L. A.-L., Wege mit Rilke, S. 129f.

161

Pendule, die die Signatur aufweist: (Sie errathen die Schrift): Vanain ä Paris] Spe¬ zialität des französischen Uhrmachers Vanain, der im 18. Jahrhundert arbeitete (biographische Daten bisher nicht zu ermitteln), waren offensichtlich Pendulen, Stutzuhren, die man auf Kommoden und Kaminsimse stellte. Raccourci] Auszug, Konzentrat. Hier „raccourci des Herzens“. Vgl. „Raccourci des Reichtums“, bezogen auf die Werke des französischen Dichters Jean Moreas im Brief an Anton Kippenberg vom 23.6.1921 (BW mit Anton Kippenberg, Bd. 2, S. 226). Etwa im Sinne von Echtheit gebraucht Rilke das Wort auch in seiner Beurteilung des 1911 im Fischer-Verlag erschienenen Buchs „Maria Marken“ von Hans Reisiger: „es ist von guter Arbeit, von einem oft sehr glücklichen rac¬ courci des Ausdrucks“ (Brief an das Ehepaar Fischer vom 9.1.1913 aus Ronda in: Briefe a. d. Ehepaar Fischer, S. 74-76, hier S. 75). Piece d’eau] Teich, Weiher. einen etwas vernachlässigten Park, darin geschnittene hohe Buchengänge rechts und links die ungerahmte Piece d’eau begrenzen, in deren Mitte, Tag und Nacht, wie ein spielender Baum (un arbre de luxe) die schlanke Figur der Fontäne steht. Und die, mit ihrem immerfort abgewandelten Niederfall, ist nun wirklich das Maaß der Ge¬ räusche] Im Brief vom 19.11.1920 an die Fürstin Taxis spricht Rilke vom einem „verlassenen Park, der gegen die stille Landschaft zu offen steht“. Er erklärt ihr seine Entscheidung für Berg und gegen das Gartenhaus im Park von Lautschin (BW mit M. v. T. u. T., S. 623). Vgl. auch die Beschreibung des Parks im Brief an Nanny von Escher vom 9.12.1920 (GB V 1937, S. 344-350, hier S. 349). Im Brief vom 31.12.1920 an Lou Andreas-Salome bezeichnet Rilke die Fontäne in Berg als „das Maaß meiner Stille“ (BW mit Lou A.-S., S. 424). Noch einmal gebraucht er diese Wendung im Brief an Baladine Klossowska vom 8.4.1921, in dem er ihr den Bau eines Sägewerkes in Berg mitteilt: „Wo sind die Zeiten, da ich schrieb, die schöne Fontäne gäbe das Maß aller Geräusche hier an“ (zitiert in: Schnack, Chronik, S. 737). Rilke sah in der Vollmondnacht vom 25. auf den 26.11.1920 „aus den Fenstern seines Wohnzimmers [...] alles blaß und mondsüchtig [...] nur die Fontäne lebte, stieg, fiel, eine Spur bleicher als alles“ (Brief an Nanny Wunderly-Volkart vom 27.11.1920 in: Briefe an N. W.-V, S. 346). Die Fontäne, aller¬ dings eine „immersteigende [...] die wie eine Gestalt in der freieren Landschaft steht“ findet sich auch im Brief an Sidonie Nädherny de Borutin vom 20.11.1920 (Briefe an Sidie N.-B., S. 311) und noch einmal im Brief vom 7.3.1921 an Lisa Heise: „Ich bewohne dieses alte Schlößchen, Berg, ganz allein, den Park und sei¬ ne Fontäne vor den stillen Fenstern“ (Briefe 1950/it 867, S. 667). „Mit sich be¬ schäftigt“ sein, das ist das Wesen der Fontäne, erklärt Rilke in seinem Brief über das „Kunst-Ding“ an Lisa Heise vom 2.8.1919 aus Soglio (Briefe 1950/it 867, S. 585). Die Fontäne begegnet in Rilkes Werk lange vor den Briefen aus Berg. Mit einer Titelvignette von Heinrich Vogeler, die eine Fontäne darstellt, ließ

162

Rilke während der Westerweder und ersten Pariser Zeit sein Briefpapier schmü¬ cken. Storck bezeichnet die Fontäne in diesem Zusammenhang als „Grundsym¬ bol der Rilkeschen Dichtung (Storck, Katalog Marbach 1975, S. 86f, mit Abb. der Vignette). „Von den Fontänen“ heißt ein Gedicht im Buch der Bilder (34, 1900, SW I, 456f.). In seinen „Neuen Gedichten” (1908) besingt Rilke die „Rö¬ mische Fontäne“, bei der es sich um einen Brunnen handelt (SW I, S. 529), vgl. Walter Simon: Zu Rilkes Sonett „Römische Fontäne“, in: BIRG 18 (1991), S. 95110, mit weiterer Literatur. Schon 1907 hatte Rilke das Bild der Fontäne in ei¬ nem Aufsatz über Gedichte Anna Elisabeth de Noailles gebraucht: „Die Klage fällt und steigt wie eine Fontäne in den einsamen Gärten dieser Gedichte“ (SW VI, S. 1019f.). Zu Anna Elisabeth de Noailles siehe auch Brief 33 und Kommen¬ tar zu Brief 2. Im Brief an Fürstin Marie Taxis vom 12.7.1912 aus Venedig schreibt Rilke über seine Begegnung mit der Düse: „Wir waren wie zwei Schalen und bildeten übereinander eine Fontäne und zeigten einander nur, wie viel uns fortwährend entging“ (BW mit M. v. T. u. T., S. 170). Im „Testament“ (siehe Brief 33), das in Berg entstand, als Rilke die Liebe zu Baladine Klossowska zum Verhängnis wurde, ist die Fontäne ein Gleichnis für den hoffnungsvollen Anfang und für die Geliebte: „Und mit einer unwillkürlichen unschuldigen List meines Herzens, damit nichts sei als dies, von dem ich lernen wollte, zu sein, — setzte ich die Fontäne der Geliebten gleich, der fernen, sich verhaltenden, schweigenden“ („Das Testament“, 1975, S. 16). Eine stille verständige Wirtschafterin versorgt mich]

Magdalene (Leni) Gisler

(1893-1971), Bauernmädchen aus Flaach. Siehe auch Brief 33. Über sie schreibt Rilke oft und lobend in seinen Briefen an Nanny Wunderly-Volkart, so am 30.11.1920: „Ja, Leni, um gleich bei ihr zu bleiben,: wie richtig ist auch sie: voll¬ kommen richtig. Sie reift, nicht viel anders als eine Jahreszeit im Stillen, was ge¬ rade fällig ist und .bringt es dar“ [...] sie ist wie ein freundliches Klima im Haus, schon mach ich mir kein Gewissen mehr draus, gegen sie völlig schweigsam zu sein“ (Briefe an N. W.-V., S. 348). Im Brief vom 23.12.1920 heißt es: „Leni hat auch noch diese (seltene!) Eigenschaft für ein in Dienst gerathenes Bauernmäd¬ chen, daß sie Blumen gut vertheilt und hinstellt [...] Wenn ich anfangen wollte, sie zu loben —, ich hörte nicht mehr auf.“ (ebd., S. 367). Vgl. dazu Schlicker, Leni (1992) und Ebneter, Dienen (1999). Escher vom Luchs, deren Wappen noch überall vorkommt] Früherer Besitzer von Schloss Berg war die Familie von Escher. Vgl. Heimatbüchlein Berg am Irchel. Am 19.11.1920 bedankte sich Rilke in einem Brief an die Schriftstellerin Nanny von Escher (1855-1932) für deren Buch „Alt-Zürich“ (Zürich, Leipzig, Wien 1920) und bittet Sie, in einem neuen Buch über Berg zu schreiben. Sie tat dies in einem Artikel in der Neuen Zürcher Zeitung vom 25.12.1921: „Plauderei über Schloß Berg“ (Briefe an Schweizer Freunde, Anm. zum Brief an Lily Ziegler vom 4.1.1922, S. 579). Rilke erwähnt in seinem Brief an Gräfin Mirbach-G.-E. auch

163

die Wappen und Porträts im Hause. Wie schon im Salis-Schloss in Soglio sieht Rilke darin die Kontinuität des Wohnens in einem „Stück ständig erbauten Be¬ sitzes“. Das Fehlen von Aufzeichnungen über die Vorbewohner Bergs inspirierte ihn zu der Niederschrift der ersten zehn Gedichte des Gedichtkreises „Aus dem Nachlaß des Grafen C. W.“ um den 27.11.1920 (SW II, S 112-123; KA II, Kommentar S. 563-575). „Kuriose Sachen, für die ich, angenehmer Weise, gar keine

Verantwortung

habe“

(Briefe

an

Nanny

Wunderly

Volkart

vom

30.11.1920, Briefe an N. W.-V., S. 349f.). Oberst Ziegler]

Richard Ziegler (1872-1944), Schaffhausen, Oberst und Chef

der eidgenössischen Remontenanstalt (Militärpferdegestüt), Besitzer von Schloß Berg. Im Winter lebte er mit seiner Frau Lily und der Familie in Thun. die kärntnische Besitzung] Landsitz der Familie Hoyos in Pörtschach, siehe Brief 26. Nein - ich bin nicht länger in Paris gewesen, sechs Page. Es war so vollkommen, daß die Dauer keine Rolle spielte. [...] Längst hab ich mich ja gewöhnt, die gegebe¬ nen Dinge nach ihrer Intensität aufzufassen, ohne, soweit das menschlich leistbar ist, um die Dauer besorgt zu sein, — es ist am Ende die beste und diskreteste Art, ihnen alles zuzumuthen — selbst die Dauer] Vgl. gleichzeitige Briefe: „Ich aber habe das eigentümliche Glück, durch die D i n g e zu leben“ (Brief an Fürstin Marie Thurn und Taxis vom 19.11.1920 in: BW mit M. v. T. u. T., S. 624). „Für Paris wars günstig, daß ich diesen starken instinktiven und ausgebildeten Anschluß an die Dinge habe und Menschen eigentlich kaum brauche, um mich im Lebens¬ raume

zu orientieren und einzustellen“

(Brief an

Sidonie Nädherny vom

20.11.1920 in: Briefe an Sidie N.-B., S. 313). Paris und die „Dinge“ sind Haupt¬ thema eines poetischen Briefes an Lou Andreas-Salome vom 31.12.1920 (BW mit Lou A.-S., S. 420-426). Durch intensives Sehen und sachliches Erfassen von Dingen ließ Rilke sich zu den „Neuen Gedichten“ (1902-1908) anregen (SW I, S. 481-642). Vgl. Kommentar zum lyrischen Werk von August Stahl (S. 188f.) und die angegebene Literatur. Mühl, der den Brief zitiert (s.o.), stellt den As¬ pekt, dass das leidenschaftliche Empfinden eines einmaligen Erlebens „gleichnis¬ hafte Dauer konstituiert“, in die Nähe der Neunten Elegie. Landhaus der Gräfin Dobrczensky] Hier, in Nyon, wohnte Rilke zu Beginn sei¬ ner Schweizer Reise. Siehe Briefe 19 und 22. Später, Soglio] Siehe Briefe 20 und 21 aus Soglio. Locarno] Siehe Brief 23 aus Zürich und Briefe 24 und 25 aus Locarno.

164

Scbönenberg] Gut Schönenberg bei Pratteln, Besitz der Familie Burckhardt. Sie¬ he Brief 25. Dr. v. Hattingberg kenn ich freilich recht gut und lange]

Hans von Hattingberg

(1879-1944), Dr. jur. und Dr. med. Er hatte in Wien Jura studiert (Promotion 1902) und in München Medizin. 1913 promovierte er in München und und wur¬ de deutscher Staatsbürger. Als Stabsarzt im Krieg leitete er ein Nervenlazarett und erwarb wichtige Kenntnisse über das Wesen der Neurose (Geleitwort von Lise von Hattingberg in: Hans v. H.: Ehekrisen, Entwicklungskrisen. Ein Prob¬ lem unserer Zeit. München 1949). Von 1919-1931 praktizierte er als Psychothe¬ rapeut in München. Er wohnte 1920 in der Kaulbachstraße 33, Pension Südland (Familienbogen im Stadtarchiv München, das Blatt zeigt als frühere Adresse Ainmillerstraße 32/2 an, das Nachbarhaus Rilkes, in dessen Hinterhaus Paul Klee wohnte. Vgl. Heißerer, Wo die Geister wandern, S. 239-241). H. v. Hat¬ tingberg war der Schwager der Pianistin Magda von Hattingberg. Rilke lernte Hans v. H. 1913 in München kennen und interessierte sich für seine „Ammersee-Schule“, eine Reformschule (BW mit Benvenuta, S. 185). Vgl. Brief 8 und die schwedische Reformschule „Samskola“. Vermutlich traf Rilke Hans v. H. im September 1913 beim 2. Psychoanalytischen Kongress in München, an dem auch Freud teilnahm, und dessen Sitzungen er mit Lou Andreas-Salome besuchte (Schnack, Chronik, S. 440). Rilke hatte sich selbst wegen nervöser Störungen ei¬ nige Male in Behandlung begeben. Uber seine Beschwerden schrieb er am 23.10.1909 aus Bad Rippoldsau an Lou Andreas-Salome (BW mit Lou A.-S., S. 229f.). Nach dem endgültigen Zerwürfnis mit Rodin ging Rilke vom 6. Juni bis Anfang Juli

1913

noch einmal nach Rippoldsau, um Ruhe zu finden

(Schnack, Chronik, S. 431 f) und im Oktober 1913 zusammen mit Lou AndreasSalome nach Krummhübel in das Sanatorium Dr. Paul Ziegelroths, bevor er nach Paris zurückkehrte, den Ort, an dem er sich ein Wiederanfangen erhoffte (Schnack, Chronik, S. 44ff,). Rilke erwähnt Hans v. H. und Begegnungen mit ihm und seiner Frau im Brief vom 2.9.1914 aus Irschenhausen an Magda v. H. (BW mit Benvenuta, S. 188). In einem Brief von Ende Mai 1923 an Anton Kip¬ penberg bittet er diesen, der von Hans von Hattingberg geschiedenen Enja v. H. geb. Baur (1888-1939), „einer lieben Freundin“ zu ihrer Wiederverheiratung mit dem Grafen Karl Friedrich von Dürckheim-Monmartin (1896-1988) „Rosen, schöne und viele, zum 3. Juny nach Weimar senden zu lassen“ (BW mit Anton Kippenberg, Bd. 2, S. 291 und Anm. S. 517). Diese Ehe wurde später ebenfalls geschieden. Hans v. H. war Herausgeber der „Zeitschrift für Menschenkunde. Blätter für Charakterologie und verwandte Psychologie“ im Niels Kampmann Verlag, Heidelberg (1925-1959). Zu seinen Veröffentlichungen im AnthroposVerlag, Prien, zählt: „Der seelische Hintergrund der Nervosität“ (1924). Er schrieb auch für das Jahrbuch der von Hermann Keyserling in Darmstadt ge¬ gründeten „Schule der Weisheit“, in dem auch Paul Thun-Hohenstein veröffent¬ lichte: Hans von Hattingberg: Zwischen Leben und Tod. In: Der Leuchter,

165

Bd. 6, 1925, S. 71-100 (zu Keyserling siehe Brief 14, zu Paul Thun Brief 24). 1931 zog Hans v. H. nach Berlin. Siehe Klee, Personenlexikon zum Dritten Reich, S. 231. Bei der Krankheit Graf Alfons handelte es sich vermutlich um eine kriegsbedingte nervöse Störung. meine Freundin Sissy] Die jüngste Tochter der Gräfin: Therese. Siehe Brief 7. Und mein Namensvetter?]

Rainer Alfons Joseph Maria Graf von Geldern-

Egmont, der jüngere der beiden Söhne der Gräfin, geboren am 9.4.1908. Der Name Rainer hatte Tradition im Hause Geldern. Der Ehemann der Gräfin hieß Alfons Rainer Ludwig Wilhelm Franz Joseph Maria Graf von Mirbach-GeldernEgmont, der ältere Sohn hieß Lato (Ladislaus) Adolf Rainer Joseph Maria, Graf Mirbach-Geldern-Egmont. Und Lato?] Graf Ladislaus Mirbach-Geldern-Egmont, der älteste, 1905 gebore¬ ne Sohn der Gräfin. Und die große Csse Elisabeth?]

Elisabeth wurde 1903 geboren und war siebzehn

Jahre alt. Zu ihren pubertären seelischen Störungen, die Gräfin Mariette Rilke auf seine Nachfrage nach den Kindern anvertraute, erteilt Rilke seinen Rat im Brief 33. Gräfin Elisabeth wrnrde Krankenschwester und heiratete 1929 Hans Blohm (1886-1939). Als später ihr Bruder Lato, der nicht heiratete, allein in Roggenburg lebte, zog sie zu ihm und führte seinen Haushalt. Sie starb 1988. Paul Thun] Siehe Briefe 24 und 33. Frau von Wattenwyl]

Siehe Brief 20. Rilke ermutigte sie zur französischen

Übersetzung seines Rodinbuchs - vgl. Rilke und Rodin 2001, S. 363, 365f. Es er¬ schien, wie Curdin Ebneter mir freundlicherweise mitteilte, erst nach Rilkes Tod eine Übersetzung von Maurice Betz. Paris: Emile-Paul Freres, 1928 (Neuauflage 1953). Rosa]

Zur Haushälterin Rosa Schmid siehe Kommentar zu Brief 13. Sie wird

auch in den Briefen 22, 24, 29 und 30 erwähnt. jeden Tag nimmt die Post an die zehn Briefe von mir mit. Nicht alle von diesem Ausmaaß allerdings] Rilke erledigte zu Anfang seines Aufenthalts in Schloß Berg seine angehäufte Korrespondenz. Rosa hatte ihm in München eingegangene Briefe geschickt. Bis zum 16.12. schrieb er 115 Briefe (Brief an Baladine Klossowska vom 16. Dezember 1920, zitiert in: Schnack, Chronik, S. 716). Siehe auch Brief an Nanny Wunderly-Volkart vom 21.12.1920 (Briefe an N. W.-V., S. 363). Poststation war das Dorf Flaach.

166

32.

20. Dezember 1920

Briefkarte, blaugrau, 9,8 x 15,3 cm, beidseitig mit Tinte beschrieben, Schluss auf der Vor¬ derseite am linken und rechten Rand und rechts oben. Umschlag: 10,5 x 16 cm, blaugrau, graublaues Seidenpapierfutter, olivgraues Siegel, links seitlich aufgerissen. Adresse: „Ma¬ dame la Comtesse Mariette de Mirbach-Geldern, Munich“. An linker Seite aufgerissen. Der Karte mit Umschlag war Rilkes Manuskript des Vorworts zu „Mitsou“ (im Original „Mitsu“), beigefügt, dem von Balthazar Klossowski gezeichneten Katzenbuch: 18,6 x

14,8 cm, 20 Seiten, Seidenpapierbögen mit Goldschnitt, mit Goldfaden geheftet, der in der Mitte zur Schleife gebunden ist. Einband aus grüngoldbeige marmoriertem Papier. Widmung auf dem Innentitel. Ein größerer Umschlag hierzu ist nicht auffindbar. Unveröffentlicht.

20. Dezember 1920]

Rilke hatte noch keine Antwort auf seinen letzten Brief

vom 25.11.1920. Maul- und Klauenseuche thun nun vollends ein Ergänzendes, seine Unzugänglich¬ keit noch vollständiger zu machen]

Rilke verschickt seine Weihnachtswünsche

aus dem durch Schnee und eine Ausgangssperre wegen Maul- und Klauenseuche abgeschiedenen Schloß Berg. Er betrachtet diese als zusätzliche Abschirmung, die er für seine Arbeit braucht. In vielen zeitgleichen Briefen erwähnt er sie. consigne] Stubenarrest. Das kleine Manuscript ist eine Art Preface [Vorwort] zu einem recueil [Sammlung] von 40 gezeichneten Blättern]

Dem Brief beigefügt ist Rilkes Manuskript der

Einleitung zur Bildergeschichte Balthazar Klossowskis über die Katze Mitsou. Rilkes Widmung steht in Französisch auf der ersten Seite: „Ce petit manuscrit a ete fait pour Madame la Comtesse Mariette de Mirbach-Geldern en don de l’auteur pour Noel 1920.“ Unten rechts fügte Rilkes hinzu: „Mit dem herzlichs¬ ten Weihnachts-Gedenken! Rilke“. Der Knabe, von Rilke im Text Baltusz (im Brief Balthusz) genannt, erzählt in Tuschzeichnungen ein Erlebnis, das sich in Nyon, als Rilke dort weilte, zutrug (Mitsou 1995, S. 10; Text Rilkes in: SW VI, S. 1099-1103). Rilke schrieb die Einleitung zu „Mitsou“ am 26.11.1920 und be¬ richtete Nanny Wunderly-Volkart am nächsten Tag, dass er seine erste Arbeit in Berg „in einem Zuge niedergeschrieben“ habe (Briefe an N. W.-V., S. 346f.). Am 15.12.1920 kündigte Rilke das kleine „opus“ der Fürstin Marie Taxis an (BW mit M. v. T. u. T., S. 630). Als Weihnachtsgeschenk erhielten es einige Briefpartner Rilkes mit Widmungen übersandt, Carl Burckhardt war am 21.12.1920 einer der ersten (Schnack, Chronik, S. 717). Die schönen Einbände waren handgemachte Papiere Nanny Wunderly-Volkarts.

der zwölfjährige Balthazar (BalthuszJ Klossowski (Sohn übrigens des jetzt in Mün¬ chen wohnenden Malers Erich K.)]

Der 1908 geborenen Maler Graf Balthazar

167

Klossowski de Rola, den Rilke Balthusz und die Kunstwelt Balthus nennt, starb am 18.2.2001 fast 93jährig in Rossiniere, Kanton Waadt, Schweiz. Berühmt machten ihn seine Jungmädchenbildnisse und -akte. Er malte aber auch Porträts, Stillleben, Landschaften und Interieurs. 1937 heiratete er die Tochter Yvonne von Wattenwyls (siehe Brief 20). Im selben Jahr vollendete er sein Gemälde „Les Enfants Blanchard“, das Picasso 1941 erwarb. Nach der Trennung von Antoinet¬ te v. W. im Jahre 1946 lebte Balthus in Paris. 1961-1977 war er Direktor der Villa Medici in Rom. Vgl. Jonas, Rilke und Balthusz, 1985, mit Bibliographie; ferner die entsprechenden Kapitel in den zuletzt erschienenen Biographien des Malers: „Mitsou“ bis „Narcissus“ in: Nicholas Fox Weber: Balthus. A Biography, Lon¬ don 1999, S. 19-106, und Jean Clair: Balthus und Rilke: a Childhood, in: Balthus 2001, S. 35-42. Seinen eigenen Ausführungen nach war Balthus bestrebt, der ihm von Rilke 1923 durch einen Brief zum 15. Geburtstag am 29. Februar, einem ma¬ gischen Tag, eröffneten Bestimmung zum Maler, zu folgen (Erinnerungen, München 2002, S. 83f.). Für Balthus und seinen Bruder Pierre, später philoso¬ phischer Autor und Maler (1905-12.8.2001), setzte sich Rilke jahrelang uner¬ müdlich ein (vgl. RMR et Merline, Correspondance 1920-1926, passim). Ihren Vater, den Kunsthistoriker und Maler Dr. Erich Klossowski, 1875-1949, Mono¬ graphie über Honore Daumier, 1908) hätte Gräfin Mariette seinerzeit in Mün¬ chen aufsuchen können. Er war Bühnenbildner an den Münchner Kammerspie¬ len unter der Direktion Falckenbergs anlässlich

der

Inszenierung

von

(1917-1926). Voller Lob war dieser

Shakespeares

Sommernachtstraum

1920:

„Gleichwohl wußte einer bei dieser Inszenierung bereits besser als ich, worauf es angekommen wäre, und das war mein Bühnenbildner: Erich Klossowski [...]“ (Petzet 1973, 143f.). Im November 1920 befand sich Erich Klossowski auf einer Vortragsreise durch die Schweiz. Rilke traf ihn nicht, weil er allein sein wollte und ihm wegen der Maul- und Klauenseuche der Weg von und nach Berg er¬ schwert war (u.a. Brief an Nanny Wunderly-Volkart vom 21.11.1920 in: Briefe anN. W.-V., S. 342).

avant-propos] Vorwort. in einem Züricher Verlage] Die Bildergeschichte „Mitsou. Quarante Images par Baltusz. Preface de RMR“ wurde im Sommer 1921 im Rotapfel-Verlag Erlenbach, Zürich und Leipzig, veröffentlicht. 1995 erschien das Buch im Inselverlag mit einer zweisprachigen Fassung des Vorworts, herausgegeben und übersetzt von August Stahl. Eine frühere Übersetzung aus den 1960er Jahren von Richard Giese nach der Handschrift für Gräfin Mariette befindet sich bei den Original¬ briefen Rilkes an die Gräfin. da ich sie in einem Zuge französisch gedacht habe, was nicht hindern mag, daß sie voller Fehler steckt] Auch in anderen Begleitbriefen zum Mitsou-Vorwort betont Rilke optisch, dass der Text „französisch gedacht“ war und „nirgends in Gedan-

168

ken übersetzt aus einem deutschen Einfall“ (Brief an Nanny Wunderly-Volkart vom 27.11.1920 in: Briefe an N. W.-V., S. 347). Vor dem Druck arbeitete Rilke kleine Korrekturen ein, die der seit seinem Parisaufenthalt 1913/14 mit ihm be¬ freundete französische Dichter Charles Vildrac (1881-1971) vorgeschlagen hatte (Brief an Nanny Wunderly-Volkart vom 26.5.1921 mit Kommentar Rilkes zum Brief Vildracs, dem Rilke nicht in allem Recht gab, in: Briefe an N. W.-V., S. 447f.). Zu ihrem Geburtstag am 1.3.1921 sollte Baladine Klossowska das über¬ arbeitete Manuskript erhalten (Brief „an B. K.“ vom Ende Februar 1921 in: Brie¬ fe 1950/it 867, S. 664). Zu Vildracs Leben und Dichtung vgl. Paul Maunoury: Charles Vildrac, poete toujours vivant (= Cahiers laiques 188). Paris 1983.

33.

10. März 1921

3 Faltbögen, zweiter und dritter Bogen von Rilke rechts oben nummeriert. Papier und Umschlag wie Brief 31, dunkelgraues Siegel. 12 Seiten mit Tinte beschrieben, mit einer Fußnote auf S. 11. Adresse: „Madame la Csse Mariette Mirbach-Geldern, München, Habs¬ burgerstraße 7, Bayern“.

Links oben von Rilkes Hand der Vermerk: „Einschreiben“, re¬

gistriert unter der Nummer: Flaach R 415. Frankiert mit zwei 40-Rappen-Briefmarken, 3 Stempel: Flaach 10. III. 21. Rückseitig Absender: „Env: R. M. Rilke, Schloss Berg am Irchel, Kanton Zürich, Schweiz“ und Ankunftsstempel: München 12. März 21, 2-3 N. und Stempel der Postüberwachungsstelle München. Der Umschlag wurde an der linken Seite von den Behörden geöffnet und mit einem Aufkleber wie Briefe 19, 20, 21,31 wieder ver¬ schlossen. An rechter Seite aufgerissen. Erstveröffentlichung: Brief 144 in: GB V 1937, S. 336-342, um die zweite Hälfte privaten Inhalts bis auf Schlusssatz gekürzt. Abweichungen: S. 381: „potentiell“, im Original: „potentiel“. Veröffentlicht, zitiert und erwähnt in: 1. Ritzer, RMR Bibliographie, S. 47, B 11: „Gräfin M. 8. bg 10.3.21: 4/4a, 144; 320.“ 2. Brief 320 in: Briefe 1950 und den späteren Auflagen dieser Ausgabe, zuletzt 1987 (drei Bände, it 867), S. 669-671. Umfang und Abweichung wie in Erstveröffentlichung. 3. Brief 310 in: Briefe 1991, 2. Bd., S. 143-145. Umfang und Abweichung wie in Erstver¬ öffentlichung und 2. - 4. Wydenbruck, Rilke. Man and Poet, S. 301 („Countess M.“): „about New Year my work had come“ bis „timid attitude towards life?“ (im Original Aus¬ rufungszeichen) - 5. Storck, Briefschreiber, S. 24: „einen Konflikt“ bis „wider einander“ mit kleiner Auslassung; S. 258: „um Neujahr ungefähr“, „Arbeit da“ und „ein Verhängnis“ bis „nicht geltend zu machen war“; S. 393: „Da doch letzten Grundes“ bis „beängstigte Haltung hat!“ - 6. Schnack, Chronik, S. 732: „um Neujahr ungefähr, war sie da, sie war da“ und „Verhängnis“ und „Jeder erlebt schließlich nur einen (nicht hervorgehoben) Konflikt im Leben“ bis „vertragen“. - 7. Kunisch, S. 36: „Jeder erlebt schließlich“ bis „wi¬ der einander“; S. 38: „aus der unmittelbarsten Bewunderung des Lebens, aus dem tägli¬ chen unerschöpflichen Staunen vor ihm hervorgeht“ (nur Briefnummer der GB V 1937 aufgeführt). - 8. Mason, Rilke, 1964, S. 115: „Jeder erlebt“ bis „wider einander“. - 9. Mason, Lebenshaltung („an Gräfin M.“), S. 215: „war die Arbeit da“. — 10. „Das Testament“,

169

1975, S. 72: „Jeder erlebt“ bis „wider einander“; S. 74: „Sie schrieben so tröstlich“ bis „be¬ ginnen sollte (.) hinauszureißen“. - 11. Storck, Katalog Marbach 1975, S. 260: „Jeder erlebt schließlich nur einen (nicht hervorgehoben) Konflikt“ bis „wider einander“ (mit Auslassung); S. 265: „um Neujahr“ bis „hinauszureißen“ (mit Auslassungen). - 12. Sieben Gedichte (Unseld), S. 127: „Jeder erlebt“ bis „wider einander“. - 13. MDE I, S. 200f.: „mir ist nicht das widerfahren“ bis „keine Herrlichkeit heraus erklärte!“, im Original „heraus¬ klärte“. - 14. KA II, S. 594f., „Jeder erlebt“ bis „beängstigende Haltung hat“. - 15. BW mit Rodin, 2001, S. 371: „Das Leben geht über lauter ,Anfangsgründen‘ hin“ bis „keine Herrlichkeit heraus erklärte!“ - 16. Ruth Hermann, Im Zwischenraum zwischen Welt und Spielzeug. Eine Poetik der Kindheit bei Rilke, S. 23f.: „Sie schrieben so tröstlich“ bis „eine beängstigende Haltung hat“. - 17. Zwei Zitate in: Kluwe, Krisis und Kairos: S. 227: „Jeder erlebt schließlich nur einen Konflikt im Leben, der sich nur immer anders ver¬ mummt und anderswo heraustritt —, der meine ist, das Leben mit der Arbeit in einem reinsten Sinne zu vertragen“. S. 324: „Arbeit“ und „dringende, schwere Umstände“ und „Verhältnis“ statt „Verhängnis“ wie im Original. - 18. Hinweis auf die Stelle „wie damals, als ich eben in München anfangen wollte, mich zu besinnen“ in: Schnack, Über RMR, S. 37.

Sie schrieben so tröstlich und gläubig: „Ihre Arbeit, Ihre Kunst kommt wann sie will“]

Vgl. den Brief Lou Andreas-Salomes vorn 5.1.1921, die sehr ähnlich auf

Rilkes Dezemberbrief an sie reagierte: „Ach, Du brauchtest um nichts zu sorgen, das Deine geschieht Dir, und dann sogar am sichersten, wenn Du ratlos schienst, denn es geschieht ja so ganz ohne Deine Absichten“ (BW mit Lou A.-S., S. 427). im gleichen Augenblick traten Umstände an mich heran, dringende, schwere]

Die

Forderungen der Liebe hatten Rilke in einem günstigen Moment für seine Arbeit davon abgehalten, sie zu leisten. Baladine Klossowska war in Genf erkrankt. Ril¬ ke eilte zu ihr und blieb vom 6. bis 22.1.1921 in Genf. Am 17.1. zog sie zu ihm ins Hotel Les Bergues, am 23.1. reisten beide zusammen nach Berg. Die Geliebte kehrte am 1.2. nach Genf zurück. Bis zum 1.4.1921 wechseln sie 74 Briefe: Rilke schrieb 36, Baladine Klossowska, von Rilke „Merline“ genannt, 38. Im April 1921 zog sie mit ihren Söhnen nach Berlin (Schnack, Chronik, S. 737). Jeder erlebt schließlich nur einen Konflikt im Leben, der sich nur immer anders vermummt und anderswo heraustritt - der meine ist, das Leben mit der Arbeit in einem reinsten Sinne zu vertragen]

Die vielzitierte Briefstelle gehört zu Rilkes

wichtigsten Selbstaussagen. Er erlebte den heftigen Konflikt zwischen „Leben“ und „Arbeit“ durch seine Beziehung zu Merline. Wie ein „Verhängnis“ riss er ihn im Januar 1921 aus der Arbeitsatmosphäre in Schloss Berg und führte ihn in Genf einige Wochen mit ihr und ihren Söhnen zusammen. Am Ende des Auf¬ enthalts in Berg legte er diese Erfahrung in seiner „Testament“ genannten Text¬ sammlung nieder, in der es heißt: „Ich habe Unrecht gethan, Verrath. Ich habe die Umstände, die mir nach sechs Jahren der Zerstreuung und Hinderung mit B... geboten waren, nicht ausgenutzt für die unaufschiebare innere Aufgabe; sie ist mir vom Schicksal unter den Händen entwunden worden. Das muß ich mir

170

nun eingestehen“ („Das Testament“, 1975, S. 51 und KA IV, S. 710-734, hier S. 733). Vgl. auch Brief an Simone Brüstlein vom 28.11.1921, teilveröffentlicht in: Storck, Katalog Marbach 1975, S. 265; Prater, S. 531-554. Zu Entstehung, „Werk-Charakter“ und Bedeutung des „Testaments“ in Rilkes Leben und Werk vgl. Anm. und Nachwort des Herausgebers, Ernst Zinn, S. 67-75. Er sieht in Rilkes Briefen von Februar und März 1921, zu denen der Brief an Gräfin Mariette gehört, „frühere Stufen“ des „Testaments“ (1975, S. 75). Begriffe aus diesem Briefe wiederholt und entwickelt Rilke im „Testament“: „Verhängnis“, „Askese“, „Härte“, „rächen“ und „Leben“ und „Arbeit“, Eckpunkte des Konflikts, in dem sich Rilke befand. Da doch letzten Grundes meine Produktivität aus der unmittelbarsten Bewunde¬ rung des Lebens, aus dem täglichen unerschöpflichen Staunen vor ihm hervorgeht (wie wäre ich sonst zu ihr gekommen?), so sähe ich auch darin eine Lüge, sein mir Zuströmen irgendwann abzulehnen]

Noch spricht Rilke nicht, wie im „Testa¬

ment“, davon, seine Arbeit verraten zu haben. Er räumt dem Leben das Recht zu, ihm „zuzuströmen“ und ihn „herauszureißen“. Erst als es ihm nicht gelingt, in die Arbeit zurückzufinden, erkennt er, dass er zurückgeworfen ist an den An¬ fang: So lernt man, ach wie langsam, das Leben geht über lauter „Anfangsgründen“ hin — wofür kann man's dann am Ende ein klein wenig? Rodin überlegte das oft in sei¬ nem Alter]

„Die Gefährdung des Künstlers ist eben ungeheuer und die Gefahr

wächst um ihn als ein Vielfältiges seiner Größe“ (Brief an Elizabeth de Waal vom 20.3.1922 in: BW mit Rodin, S. 376f., hier S. 377; auch in: Briefe 1950/it 867 (an „E. de W.“, S. 776). Die Präsenz Rodins erklärt sich zu diesem Zeitpunkt auch durch die „Rodin-Fragebogen“, die auszufüllen ihn Inga Junghanns für die ge¬ plante Übertragung des Rodinbuchs gebeten hatte und die Rilke im Januar 1921 nach Kopenhagen schickte (Schnack, Chronik, S. 721). Hänge von Sevres und St. Cloud] Von Meudon aus zu sehende Orte auf zur Sei¬ ne abfallenden Hügelketten. Heute Pariser Außenbezirke Richtung Versailles. In der Porzellanmanufaktur von Sevres hatte Rodin einst gearbeitet; St. Cloud ist berühmt für seinen Landschaftspark des Gartenarchitekten Le Nötre. In St. Cloud hatte Rilke am 22.11.1905 auf Anregung von Ellen Key (siehe Kommen¬ tar zu Brief 8) den Dichter Emile Verhaeren (siehe Brief 2) erstmals besucht. da stand er, der alte Mann, und überlegte: „wozu kann ichs nun, dieses bewundern, wissen, wie viel dies ist, dieser Morgen ..?“ Und ein Jahr später verstand er auch dieses nicht, konnte es doch nicht, hatte es doch nicht gekonnt, denn ein Einfluß, ein Schicksal, weit unter seinem Niveau, hatte ihn eingehüllt und mit den trübsten Ver¬ wirrungen umgeben, aus denen sich keine Herrlichkeit herausklärte! -] Die Ame¬ rikanerin französischer Herkunft, Duchesse de Choiseul, trat 1904 in Rodins

171

Leben und hatte großen Einfluß auf ihn. Sie isolierte ihn nach und nach von sei¬ nen Freunden. 1908-1912 beherrschte sie Rodin im Hotel Biron, während Meudon seiner Hausfrau Rose Beuret überlassen blieb. Vgl. Brief an Clara Rilke vom 3.11.1909 (Briefe 1991, Bd. 1, S. 335f.) und Brief an Fürstin Marie Taxis vom Karfreitag 1913 (BW mit M. T. u. T., S. 281). Auch Ihr Brief rührte ja ein Schwerstes im Leben an: Was mögen Sie für Nachrich¬ ten haben ? Ist das Sanatorium eines, in dem auch die psychoanalytische Behandlung fortgesetzt wird?]

Die älteste, 1903 geborene Tochter der Gräfin, Elisabeth, war

1921 in eine Sinnkrise geraten, die psychiatrische Behandlung erforderte. Wo und durch welchen Arzt diese erfolgte, war nicht zu ermitteln. In Briefen aus München an ihren Bruder Lato schreibt sie noch 1923 von ihrer „Arbeit, ,Anti¬ strömungen1 zu überwinden“, um „dem ewigen ,in sich zerrissenen1 ein Ende zu machen“ und ihre „Form und Erfüllung“ zu finden. Sie hielt sich häufig im „Geldernhaus“ in Oberstdorf auf, wo Kassner sie traf (Brief 38), und in Pörtschach, wo sie bei Purtscher und seiner Frau Pantomime lernte. Zu Nora PurtscherWydenbruck siehe Brief 35. Ich dachte neulich an die außerordentlich wirkungsvollen und eindringlichen Be¬ handlungen die Lou Andreas-Salome (meine Freundin seit fünfundzwanzig Jah¬ ren!) durchgeführt hat]

Indirekt empfiehlt Rilke der Gräfin eine Behandlung ih¬

rer Tochter bei Lou Andreas-Salome (siehe Brief 13) und warnt vor bestimmten Analytikern. Dass es auf das „Wie“ einer Behandlung ankommt, betont Rilke auch im Brief an die Fürstin Taxis vom 24.5.1924, mit der er auf ihre Bitte um Hilfe für die Tochter einer Freundin antwortete (BW mit M. v. T. u. T., S. 806ff.). In einem Brief vom 2.5.1924 teilte Rilke Lou Andreas-Salome mit, dass er ihre Adresse an die Hilfesuchende weitergegeben habe (BW mit Lou A.-S., S. 472f.). Mit dem Hinweis auf das ungewöhnliche und eigenständige Ver¬ halten Lou Andreas-Salome schon in ihrer Jugend, für das er das Wort „Auffäl¬ liggewordensein“ findet, wollte Rilke vermutlich Gräfin Mariette dazu bewegen, ihre Tochter und deren Besonderheit zu akzeptieren. Rilke hatte sich bei Erzie¬ hungsschwierigkeiten schon früher auf die Seite der Kinder gestellt (Briefe 8 und 27). Vgl. Lous eigenen Ansturm der Pubertät, den sie in ihrem „Lebensrück¬ blick“ beschreibt: „Die Übergangsjahre zur körperlichen Reife, die somit natur¬ gemäß am meisten Kämpfe und Gärung auszutragen bestimmt sind, sind deshalb zugleich am stärksten geeignet, inzwischen vorgefallene Verwicklungen oder Hemmungen erneut auszugleichen [...]“ (S. 27f.). Zu Lou Andreas-Salomes von ihrem Lehrer Freud abweichenden philosophischen Grundhaltung der „Lebens¬ zuversicht“ und des „In-der-Welt-geborgen-Seins“ vgl. Wolfgang Riedel, Weltinnenraum. Rilkes poetische Utopie und Lou Andreas-Salomes heterodoxer Freudinanismus. In: Homo Natura, S. 270-292, hier S. 279-287. Kaisers Nikolai I] Nikolaj Pawlowitsch, Zar (1825-1855), geboren 1796.

172

sie heirathete einen der bedeutendsten Orientalisten, F. Andreas (Professor an der Universität Göttingen)] Friedrich Carl Andreas (1846-1930). Prof. Freud in Wien] Sigmund Freud (Freiberg in Mähren 1856 - 1939 London). Neurologe und Psychiater, lebte von 1859 bis zur Emigration im Jahre 1938 in Wien. Es entsteht in psychoanalytischen Kuren soviel Unheil dadurch, daß der Patient in einem der Zwischenzustände im Stich gelassen wird, wenn sich der Analysator selber nicht mehr zurechtfindet: die Seele des Patienten gleicht dann einer Lade, aus der man, um ein bestimmtes Ding zu finden, alles kunterbunt herausgezerrt hat, und nun ist niemand imstand, der Leidende am wenigsten, Ordnung zu schaffen, —auch ist ja der gesuchte Gegenstand nicht gefunden: wenn man sich dieses im Praktischen, Handgreiflichen schon so Unerträgliche in eine seelische Situation übersetzt denkt, so entsteht eine Hölle!] Rilke hatte 1912 eine Psychoanalyse bei dem Arzt Victor Emil Freiherr von Gebsattel abgelehnt. Er begründete seine Abneigung gegen die „Art Erleichterung“, die sie bewirken könnte, in einem Brief an Lou vom 24.1.1912 aus Duino: „Dann dürfte man sich die Teufel austreiben lassen, da sie ja im Bürgerlichen wirklich nur störend und peinlich sind, und gehen die Engel möglicherweise mit aus, so müßte man auch das als Vereinfachung auffassen [...]“ (BW mit Lou A.-S., S. 252). Vgl. auch den Brief an Lou Andreas-Salome vom 20.1.1912 (ebd., S. 249-251) und den Brief an Gebsattel vom 24.1.1912 aus Duino (Briefe 1950/it 867, S. 321-323). Das Wort „Hölle“ lässt an den letzten Brief Rilkes an Lou Andreas-Salome vom 13.12.1926 denken: „Ich [...] glaube den Arzt [Dr. Haemmerli], der mich nun seit drei Jahren wiedersieht, dies mal zum vierten Mal, im Rechten. Aber. Die Höllen.“ (BW mit Lou A.-S., S. 483). Vgl. auch den Ausklang des Gedächtnisbuchs Lou Andreas-Salomes. L. A.-S. übt in Göttingen Behandlungen aus, ist aber auch oft (befreundet mit den Thieme-Töchtern: Baronin Wendland, Frau Heiseier ...) monatelang in München] Zu den befreundeten Familien von Wendland und von Heiseier siehe Brief 16. Zu Lou Andreas-Salome siehe oben und Briefe 13, 14 und 22. Es ist unbekannt, ob Gräfin Mariette Kontakt mit Lou Andreas-Salome aufgenommen hat. Lou Andreas-Salome war, wie sie Rilke am 5.1.1921 schreibt, von Februar bis Juni 1920 in München und Höhenried (BW mit Lou A.-S., S. 428) und kam vermut¬ lich auch später wieder dort hin. Das Interesse der Gräfin an der Psychothera¬ peutin zeigt ihre nachgelassene Bibliothek, in der sich u.a. die Biographie Lous von H. F. Peters (1962) befindet, mit einer Widmung ihrer Tochter Sissy). Mein Miether] Dr. Hans Feist. Siehe Brief 28. Kassner] Der Philosoph und Essayist Rudolf Kassner, geboren 1873 in Groß Pawlowitz (Velke Pavlovice) in Südmähren, gestorben 1959 in Sierre, war ein

173

Freund der Fürstin Marie Taxis, die auch seine Werke ins Italienische übersetzte. Rilke sagte von Kassner: „Eigentlich der einzige Mann, mit dem ich etwas anzu¬ fangen weiß [...] der Einzige, dem es einfällt, aus dem Weiblichen in mir ein klein wenig nutzen zu ziehen“. Siehe Brief an Lou Andreas-Salome aus Duino vom 7.2.1912, in dem er sich über Kassner und seine Bedeutung für ihn ausführlich äußert (BW mit Lou A.-S., S. 255-261, zugleich in: Briefe 1950/it 867, S. 328— 330, hier S. 328). 1907 fand die erste persönliche Begegnung Rilkes mit Kassner in Wien statt. Schon 1901 hatte Rilke dessen Frühwerk „Die Mystik, die Künst¬ ler und das Leben“ (1900) gelesen. Kassner zog mit seiner Frau Marianne im September 1916 nach München und wohnte bis August 1919 in Bogenhausen, Herrscheistraße 13. Rilke und Kassner trafen sich in den drei Jahren vor Rilkes Weggang in die Schweiz oft (Briefe an Elya Maria Nevar vom 26.12.1918, 21.1. und 4.2.1919 in: Nevar, S. 57, 72 u. 78). Anlass und Inhalt von Gesprächen und Lesungen, an denen auch Erwein von Aretin (siehe Brief 34) und Karl Wolfskehl teilnahmen, waren die Werke Kassners (RMR und Kassner, S. 114-121). Die Monate August und September pflegte Kassner auf seinem Gut in Groß Pawlowitz, in Lautschin, dem Schloss des Fürsten Taxis, und in Wien zu verbringen. 1919 zog er nach Oberstdorf in die „Villa Dünsser“, war aber häufig in Mün¬ chen, wo er im Dezember 1920 die Fürstin Taxis traf. Sie schrieb Rilke am 11.12.: „Er war köstlicher denn je; wir gingen zu Antiquariaten zu Buchhandlun¬ gen und zu einem Conzert“ (BW mit M. v. T. u. T., S. 626). Nicht nur in Mün¬ chen, sondern vor allem in Oberstdorf hatte Kassner Kontakt mit den Familien Mirbach-Geldern-Egmont und Geldern-Egmont auf Thurnstein, die dort einen Familiensitz, das „Geldernhaus“, hatten (siehe Brief 38). Im Mai 1921 verließ Kassner mit seiner Frau Oberstdorf und zog nach Wien (RMR und Kassner, S. 136). Der langjährige Briefwechsel Rilkes mit Kassner, der 1908 mit dem Dank Kassners an Rilke für die Übersendung der „Neuen Gedichte“ begann, liegt seit 1997 mit dem Untertitel „Freunde im Gespräch“, hrsg. von Klaus E. Bohnenkamp, vor. Über Kassner lernte die Fürstin Taxis 1909 Rilke kennen und wurde seine lebenslange Freundin, Mäzenin und Übersetzerin. Rilke traf Kassner auch 1910 in Duino. Clara und Ruth Rilke waren mit Kassner befreundet. Durch Poliomyelitis mit neun Monaten an beiden Beinen gelähmt, stemmte er sich mit aller Kraft gegen das Leiden. Er befand: „Nur der Leidende ist unver¬ antwortlich, und es gibt keine subtilere Art, sich der Verantwortung zu entzie¬ hen, als durch das Leiden“ (zitiert in: Ernst Zinn: Begegnungen mit Rudolf Kassner. In: Rilke und Kassner = BIRG 15, 1988, S. 11). Auf sich gemünzt be¬ trachtete Rilke den Satz Kassners: „Wer von der Innigkeit zur Größe will, der muß sich opfern“ (RMR und Kassner, S. 39). Kassners Sämtliche Werke erschie¬ nen zwischen 1969 und 1991 (10 Bände, hrsg. von Ernst Zinn und Klaus E. Boh¬ nenkamp). Unter denen, die Rilke las, sind: „Der Dilletantismus“ (1910), „Die Elemente der menschlichen Größe“ (1911), „Zahl und Gesicht“ (1919) und „Die Verwandlung“ (1925). Vgl. Simon, Rilke als Leser, passim. Kassners Arbeiten über Rilke sind im Band „Rilke. Gesammelte Erinnerungen“ zusammengefasst.

174

Kassner stand philosophisch nicht auf der Seite Rilkes, blieb aber zeitlebens sein Freund. Rilkes Achte Elegie ist „Rudolf Kassner zugeeignet“. Siehe auch Storck, Katalog Marbach 1975, S. 154-157. Zur Verbindung Gräfin Mariette und Kass¬ ner war nicht mehr zu ermitteln, möglich ist außer Begegnungen im Münchner Kreis um Rilke und der Nachbarschaft in Oberstdorf eine Beziehung über die Familie Hoyos, da Kassner mit der Fürstin Herbert Bismarck, einer geborenen Gräfin Hoyos (1871-1945) aus Wien, befreundet war (Kassner, Sämtliche Werke 4, S. 576, Anm. 125). Sie gehörte der II. Linie des Hauses Hoyos an (Genealogi¬ sches Handbuch des Adels, Gräfliche Häuser B Band 1, 1953, S. 189). Kassner war auch mit Paul Thun-Hohenstein bekannt, vgl. Kommentar zu Brief 24. die gute Leni, die Wirtschafterin] Siehe Brief 31. mein Verleger]

Anton Kippenberg (1874-1950), der den Inselverlag in Leipzig

leitete, war Rilkes Freund und Finanzverwalter. Der umfangreiche Briefwechsel, der sich über die Jahre 1906-1926 erstreckt, ist in zwei Bänden veröffentlicht. Umfangreich ist auch der Briefwechsel mit seiner Ehefrau Katharina, die Rilke „Herrin“ nannte. Schloß Berg 4- Leni, wie es in „Mitsou“ heißt, eine „somme enorme“] Gemeint ist die Stelle „la vie 4- un chat, ce qui donne, je vous assure, une somme enorme“ in der Abschrift für die Gräfin (siehe Brief 32). Vgl. Mitsou 1995, S. 14f.: „das Le¬ ben + eine Katze, was, ich versichere euch, eine riesige Summe ergibt“. nein, die Bilder sind nicht bei Klossowski, dem Maler, in München, sondern jetzt schon beim Verleger und im Druck!]

Gräfin Mariette hatte gehofft, den Bilder¬

zyklus des jungen Balthusz zum Katzenbuch „Mitsou“ bei seinem Vater, Erich Klossowski, in München ansehen zu können. Siehe Briefkarte 32 und Kommen¬ tar dazu. die Forces Eternelles, das neue Buch der Cssede Noailles] Anna Elisabeth Comtesse de Noailles, geb. Prinzessin Brancovan (1876-1933): Les Forces Eternelles. Paris (Fayard) 1920. Rilke schickte das Buch mit getrennter Post. Es war im Nachlass der Gräfin nicht zu finden. Zu den Gedichten in „Les Forces Eternel¬ les“ äußert sich Rilke näher und zustimmend im Brief an Yvonne von Wattenwyl vom 28.4.1921 (Schnack, Chronik, S. 739). Rilke hatte die französische Schrift¬ stellerin rumänischer Abstammung wohl schon in Rodins Atelier gesehen, bevor er am 13.121.1909 in Paris bei seiner ersten Begegnung mit der Fürstin Taxis im Hotel „Liverpool“ auch mit ihr zusammentraf (M. v. T. u. T., Erinnerungen, 5. 6-9; Schnack, Chronik, S. 339). Porträtfoto der Comtesse in: Schnack, Leben und Werk im Bild 1956, Nr. 160/1966, Nr. 178. Seinen Aufsatz über die Ge¬ dichtbücher Anna de Noailles mit dem Titel „Die Bücher einer Liebenden“ schrieb Rilke am 14.9.1907 und widmete ihn später überarbeitet der Fürstin Ma-

175

rie Taxis (SW VI, S. 1016-1020 und Anm. S. 1463-1465). Zu seinen Übertragun¬ gen von Gedichten Anna de Noailles siehe SW VII, S. 1239f. Rilke sah sie zum letzten Mal bei seinem Parisbesuch im Jahre 1925 (Schnack, Chronik, S. 962). Zu Anna Elisabeth de Noailles siehe auch Kommentar zu Brief 2 (Fürstin Sophie Oettingen). Vgl. auch folgende Literatur: Rilke und Anna de Noailles, in: Rilke in Frankreich, S. 277-285, mit drei Briefen Rilkes an Anna d. N. Zum Einfluss Anna de Noailles auf Rilke: Anthony Stephens: Das Gedichtbuch der Anna de Noailles, in: Rilke heute I, S. 155-182; Tina Simon: Rilke als Leser, S. 316f. pitoyabel] bemitleidenswert. Daß Paul Thun in einem Verlag (lequel?) arbeitet, erfuhr ich erst aus Ihrem Brief (und daß seine Frau so „theilnebmend“ geworden ist, scheint mir ein ungemein gro¬ ßer Erfolg.)]

Zu Paul Thun siehe Brief 24. Auch im Brief 31 fragte Rilke nach

Paul Thun. Paul Thun arbeitete „anfangs“ beim Verlag Musarion, als er von 1920-1922 in München wohnte (Jonas, Rilke und Paul Thun, 1975, S. 80). Ob die Fürstin Oettingen noch dort ist?] Nach der Fürstin Sophie zu Oettingen erkundigt sich Rilke in vielen Briefen an die Gräfin. Zu ihrer Person siehe Brief 2, zum Aufenthalt in Rauden/Oberschlesien siehe Brief 22 und Kommentare.

34.

20. März 1921

1 Faltbogen, Papier wie Briefe 31 und 33. 4 Seiten mit Tinte beschrieben. Blauer Um¬ schlag, 10,6 x 16 cm, blaugraues Futter, dunkelgraues Siegel. Adresse: „Madame la Csse Mariette Mirbach-Geldern, München, Habsburgerstraße 7 (Bayern)“. Dazu Vermerke von Rilkes Hand: links unten: „Eventuell bitte nachsenden!“, links oben: „Recommandee Einschreiben“, registriert unter der Nummer: Flaach R 453. Frankiert mit 80 RappenBriefmarke, Poststempel: Datum und Zeit unleserlich. Links runder Stempel der Postüberwachungsstelle München. Rückseitig Absender: „Env: R. M. Rilke, Schloss Berg am Irchel, Kanton Zürich, Schweiz“ und Ankunftsstempel: München 23. März 21, 12-1 N. An linker Seite aufgerissen. Unveröffentlicht. die Bitte, den inliegenden Brief an Erwein Aretin weitergeben zu wollen]

Erwein

Freiherr von Aretin (Bad Kissingen 1887 - 1952 München), Schriftsteller, As¬ tronom. Freund Rilkes in München, der oft von seinem Wohnort Solln zu ihm kam. Rilke las im Februar 1915 seine Schriften zur Astronomie (Simon, Rilke als Leser, S. 379). Im Brief an Sidonie Nädherny vom 22.7.1915 charakterisiert ihn Rilke als „Geister- und Sternseher, dabei sehr hiesigen Blicks, kritisch, maßvoll und ausgeglichen“ (Briefe an Sidie N.-B., S. 239). Aretin wurde auch von Kass-

176

ner, der ihn bei Rilke traf, und von Fürstin Marie Taxis, mit der er über seine Frau, Gräfin Marianne Belcredi, verwandt war, geschätzt (BW mit M. T. u. T., Brief Rilkes vom 24.2.1915, S. 401; Antwortbrief der Fürstin vom 6.3.1915, S. 405, sowie Brief der Fürstin vom 14.4.1918, S. 548). Um Politik geht es in zwei Briefen Rilkes an Aretin: Unterschiedliche Ansichten über die politischen Vorgänge sind Gegenstand des Briefes vom 19.1.1918 (Auszug in: Schnack, Chronik, S. 587), das Verhältnis Deutschland-Frankreich ist Thema im Brief vom 31.3.1921, den Rilke schrieb, als er dank Gräfin Mariettes Botendienst den Briefkontakt mit Aretin wieder aufnehmen konnte (GB V 1937, S. 385-390, und Storck, Briefe zur Politik, S. 334-338). Der Grund für Rilkes Fahndung nach Aretin war seine Suche nach einem Wohn- und Schreibort. Die Familie MirbachG. -E. war mit Aretins befreundet, man sah sich in München und Oberstdorf. Aretins Schrift „Wittelsbacher im KZ“, München 1948, fand sich in der Biblio¬ thek in Roggenburg. 1955 erschienen seine Erinnerungen „Krone und Ketten“. Vgl. Gerhard Wulz: Der Uberzeugungsschreiber. Erwein von Aretin: bayerischer Patriot, Monarchist, Katholik und Nazi-Gegner. In: Unser Bayern Jg. 51 (2002) H. 11, S. 166-168. Seit ich Ihnen schrieb, ist wieder eine neue Beunruhigung aufgetaucht, Berg soll nun vermiethet werden] Rilke hatte kurz vorher die Nachricht erhalten, dass die Fa¬ milie Ziegler für den Sommer einen Mieter für Schloss Berg gefunden hatte. Es gab noch keinen Anwortbrief der Gräfin auf den letzten Brief Rilkes. Als neulich mein Verleger hier war, einigten wir uns darüber, daß etwas wie Berg — wenn auch bescheidener natürlich - nun für mich um jeden Preis gefunden werden müsse]

Anton Kippenberg hatte Rilke am 23.1.1921 in Berg besucht. Am

10.5.1921 verließ Rilke Berg und fand Unterkunft in Etoy bei Lausanne in der Pension Le Prieure, die in einer ehemaligen Augustiner-Probstei eingerichtet war. Er wohnte dort bis zum 28. Juni 1921 und bat von hier aus in vielen Briefen an seine Freunde um Hilfe bei der Suche nach „einer Art ,Berg“‘. Auch das klei¬ ne Haus in Lautschin kam wieder ins Gespräch (Brief an Marie v. T. u. T. vom 25.7.1921 in: BW mit M. v. T. u. T., S. 678f.). „Man sucht, man giebt sich Mühe: Böhmen, Württemberg und sogar die alte Urheimath der Rilke, Kärnthen, ist in Betracht gezogen“, heißt es im Brief an Anton Kippenberg vom 31.5.1921 (BW mit Anton Kippenberg, Bd. 2, S. 219). ich wollte, dass auch sonst ein paar Menschen von der Art meines, wie ich weiß, sehr schwierigen Wunsches unterrichtet seien, zumal die landsässigen, wie z.B. Freund Aretin] Die Bedingungen, die Rilke an ein neues Domizil stellte, schildert er der Gräfin ausführlich. Wenn sie selbst ihm diese auch nicht bieten konnte, hatte sie womöglich Freunde mit Landsitzen, die für Rilke taugten. Rilke antwortet am „letzten März 1921“ auf einen inzwischen von Aretin erhaltenen Brief, in dem dieser ihm Vorschläge für Wohnungen machte. Rilke zeigt Interesse an einem

177

Schlösschen des 18. Jahrhunderts, von dem er glaubt, dass es ihm eher Zusagen würde als ein „kleines Haus“, das „keine Vergangenheit“ mitbringt (GB V 1937, S. 389f.). Er erreichte Aretin in Neuburg (an der Kammei) in Schwaben. Kurz vor seiner Abreise in die Schweiz hatte er der Fürstin Marie Taxis berichtet: „Erwein Aretin zieht nach Neuburg in Schwaben, auf eine alte Burg seines Vetters, die ihn allerdings den Sternen nicht näher bringen wird. Er hat die Himmel, fürcht’ ich, aufgegeben“ (Brief an Fürstin Marie Taxis vom 7.6.1919, kurz vor der Abreise Rilkes in die Schweiz, in: BW mit M. T. u. T., S. 575). Zu „Sternen“ s.o.: „Sternseher“ Aretin. dass ich Ihnen, heut am Palmsonntag, Ostergrüße schreiben darf, - ob sie Sie etwa sogar in Roggenburg erreichen?]

Erst am 31.7.1921 antwortete Gräfin Mariette

mit einer Karte aus ihrem Landsitz Roggenburg, die Rilke über Berg erhielt.

35.

20. August 1921

2 Faltbögen, zweiter Bogen von Rilke in der Mitte oben nummeriert, graues Papier, 18 x 13,5 cm. Wasserzeichen (große Wappenkartusche), wohl der Fa. Furrer, Zürich. Beide Bögen mit blaugrau gedrucktem Briefkopf: rechts oben in Großbuchstaben: Chateau de Muzot sur Sierre, Valais: „Sierre“ auf erstem Bogen mit Tinte unterstrichen. 8 Briefseiten und Ansichtskarte des Schlosses von Muzot, 9 x 13,8 cm, rückseitig im Hochformat mit Tinte beschrieben. Umschlag fehlt, der Brief ging wohl nach Roggenburg. Unveröffentlicht. Rilke hatte dieses Briefpapier, „das gewohnte Berg-Papier“ der Papierhandlung Rudolf Furrer Söhne in Zürich, am Münsterhof, mit dem von ihm entworfenen Aufdruck am 20.7.1921 bei Nanny Wunderly-Volkart bestellt und es am 4.8. erhalten. (Briefe an N. W.V., S. 511 und 532).

Chateau de Muzot sur Sierre, Valais, 20. August 1921]

Genau fünf Monate nach

seinem letzten Brief schrieb Rilke den ersten Brief an Gräfin Mariette aus Mu¬ zot. Ihm legte er eine Ansichtskarte bei, die das Turmkastell von Muzot zeigt, von Rilke „Schlößchen“ genannt (vgl. Brief an Marie Taxis vom 25.7.1921 in: BW mit M. v. T. u. T., S. 676). Siehe Abb. 22. Außer der Fürstin Marie Taxis er¬ hielten viele andere Korrespondenten die Ansichtskarte mit ähnlichen Beschrei¬ bungen (vgl. Brief an Nora Purtscher-Wydenbruck vom 17.8.1921 in: GB VI 1937, S. 24-31, hier vor allem S. 30f.). Über die wunderbare Entdeckung Muzots und über Rilkes Einzug, nachdem Werner Reinhart angeboten hatte, es für ihn zu mieten, vgl. die Briefe an Nanny Wunderly-Volkart vom 4.7. bis 27.8.1921 (Briefe an N. W.-V., Nrn. 192-206, S. 492-545).

178

Sie fragen, ob ich nicht käme, wie gern geschäht] Womit Gräfin Mariette in ihrer Karte vom 21.7.1921 lockte, führt Rilke leider nicht aus. War es das Gartenhaus (siehe Brief 28)? Noch hielt sich Rilke Wohnmöglichkeiten neben Muzot offen. Im Juny traf ich mit der Fürstin Thum und Taxis im Canton de Vaud zusammen und es war dicht an dem, daß ich mit ihr hinausreiste, nach Böhmen zunächst] Am 10.6.1921 hatte die Fürstin Rilke in Etoy besucht. Nicht nur Lautschin kam in Böhmen als Wohnsitz für Rilke infrage, auch Schloss Janowitz, wo ihn Sidonie Nädherny de Borutm erwartete (Brief vom 5.6.1921 in: Briefe an Sidie N.-B., S. 318).

Frau Purtscher-Wydenbruck]

Nora Purtscher-Wydenbruck, geborene Gräfin

Wydenbruck (London 15. Januar 1894 - 1959 London), Nichte der Fürstin Ma¬ rie Taxis. Ffinweis auf die seinerzeit „bedeutendste kärntnerische Dichterin“ und ihre Freundschaft mit Rilke, „dessen Ahnenreihe selbst nach Kärnten weist“ (siehe Brief 26) in: Max Pirker: „Kärntnerische Dichtung“. In: Kärnten. Ein Heimatbuch von Josef Friedrich Perkonig. Leipzig, 1925, S. 200. Hier auch zwei Beiträge von Nora P.-W. sowie ein Gedicht von Lernet-Holenia (siehe Brief 26) und ein Text von Sittenberger (siehe Briefe 28 und 31). Nora W. heiratete 1919 den österreichischen Maler Alfons Purtscher (1885-1962). Ihre Rilkebiographie, „Rilke. Man and Poet“, wurde 1949 in London (Lehmann) veröffentlicht. 1948 erschien ihre Übertragung der „Vier Quartette“ von T. S. Eliot (AmandusEdition, Wien). Rilke beabsichtigte im August 1921, nach der Abreise Baladine Klossowskas, ein „bestimmtes altmodisches Haus am See“, das Nora PurtscherWydenbruck für ihn „in Aussicht hätte“, bei Pörtschach am Wörthersee zu be¬ sichtigen (Brief an Marie v. T. u. T. vom 25.7.1921 in: BW mit M. v. T. u. T., S. 679). Vgl. auch Brief an Gudi Nölke vom 22.5.1921 in: Briefe an Gudi Nölke, S. 83, und Brief an Nanny Wunderly-Volkart vom 15.7.1921 in: Briefe an N. W.V., S. 308. Noch zeigte sich Rilke nicht überzeugt von seinem Bleiben im Wohn¬ turm von Muzot: „es ist mir zu hart, zur sehr moyen-äge, ungemildertes“ (Brief an Nora Purtscher-Wydenbruck vom 17.8.1921 in: GB VI 1937, S. 27f.). Der Maler Alfons Purtscher scheint sein Atelier auch anderen künstlerischen Betäti¬ gungen geöffnet zu haben. Im Sommer 1923 probte Gräfin Elisabeth, die älteste Tochter Gräfin Mariettes (siehe Briefe 31 und 33) „fast jeden Abend bis Mitter¬ nacht Pantomime bei Purtscher“, wie sie ihren Bruder Lato aus der Familienvilla der Hoyos schrieb.

capitonniert] ausgepolstert, capitonner = polstern. Auch im Brief an Nora Purt¬ scher-Wydenbruck vom 17.8.1921 gebraucht (GB VI 1937, S. 27).

Muzot ging vermutlich schon während des siebzehnten Jahrhunderts von den de Chevron und de Montheys in Bauernbesitz über] Ausführlich beschreibt Rilke die Geschichte Muzots im Brief an Fürstin Marie Taxis vom 25.7.1921: Darin heißt

179

es: „Zu Beginn des 16,en, ein Jahr vor der Schlacht von Marignan, fand dort die Hochzeit der Isabelle de Chevron mit Jean de Montheys statt (man kennt noch alle Gäste dieser drei Tage dauernden Festlichkeit und wie sie einander geführt haben). Jean de Montheys fiel bei Marignan und wurde der jungen Witwe nach Muzot zurückgebracht.“ Weiter schildert Rilke, dass sich zwei hitzige Freier bald darauf im Duell umbrachten und Isabelle den Verstand verlor. Sie soll auf dem Kirchhof von Miege gestorben sein und nun, wie ihr Mann aus Marignan, immer wieder nach Muzot zurückkehren (BW mit M. v. T. u. T., S. 677). Diese Wiedergänger-Geschichte mag besonders die Fürstin, die sich wie Rilke für ok¬ kulte Phänomene interessierte, gefallen haben. Vgl. Beilage zum Brief Rilkes an Fürstin Marie Taxis vom 3.10.1912: Protokolle der vier Seancen. Duino Herbst 1912 [...] in: BW mit M. T. u. T., S. 897-914. Rilke ließ sich von Friedhöfen in¬ spirieren. Auf magische Weise angezogen, verfasste er Juli/Anfang August 1924 (siehe Brief 41) den Gedichtzyklus: „Im Kirchhof von Ragaz Niedergeschriebe¬ nes“ (SW II, S. 168-174).

Aber erinnern Sie, daß mir dieses große und großartig gestaltete Rhonethal des Wal¬ lis im vorigen Herbst so viel Erstaunung bereitet hat, zunächst durch seine Ver¬ wandschaft mit der Provence und mit Spanien?]

Uber die Schönheit des Wallis

und des Rhonetals, das er mit der Provence, wo er im Mai 1909 war, und mit Spanien (siehe Brief 21) verglich, hat Rilke von seiner Reise, die ihn im Oktober 1920 auch nach Sierre führte, nicht der Gräfin, aber vielen anderen Korrespon¬ denten geschrieben. Vgl. Briefe an Hans von der Mühll vom 12.10.1920 (GB V 1937, S. 321) und an Nanny Wunderly-Volkart vom 14.10.1920 (Briefe an N. W.-V., S. 329f.). Am 25.7.1921, am Tag vor seinem Einzug in Muzot, hatte Rilke der Fürstin Taxis geschrieben: „Der Umstand, dass in der hiesigen landschaftli¬ chen Erscheinung Spanien und die Provence so seltsam ineinanderwirken, hat mich schon damals ergriffen“ (BW mit M. v. T. u. T., S. 673). von Genf kam eine Freundin herüber, mir in der etwas schwierigen Wirtschaft zu helfen, dadurch wurde der Versuch möglich, denn im ganzen Lande war kein brauchbares dienstbares Geschöpf aufzutreiben für den etwas entlegenen Ort] Baladine Klossowska begleitete Rilke nach Muzot und half ihm, den Turm mit Aus¬ stattungsstücken, die Werner Reinhart und seine Cousine Nanny WunderlyVolkart beisteuerten, bewohnbar zu machen. „Von einem Mädchen keine Spur“ schreibt Rilke am 22.8.1921 an Nanny Wunderly-Volkart und fährt fort: „und so hart auf der einen Seite die Haus- und Küchenarbeit für Mouky K. wird, so kann man sich doch andererseits eine dritte und fremde Person in dem engen Thurm kaum erträglich denken“ (Briefe an N. W.-V., S. 541). Miege] Gemeinde und Kirchort, zu dem Muzot gehörte.

180

eine kleine überweißte Kapelle der heiligen Anna]

Rilke ließ diese Kapelle später

auf seine Kosten renovieren. Vgl. Ebneter, Curdin: L’absence mere. Rilkes Be¬ mühen um die Kapelle von Muzot, in: Steiner, RMR in der Schweiz, S. 176-189, mit Abbildungen. Dieser Winter ist meine große Sorge und meine große Hoffnung] Rilke beobachtet weiter die Wohnungsangebote seiner Freunde, würde aber am liebsten in Muzot bleiben. Am 15.10.1920 zog Frieda Baumgartner als Haushälterin ein (Schnack, Chronik, S. 758). meine kleine Freundin Sissy? Gäbe es einmal ein Bild von ihr? Oder noch lieber von Ihnen und den Kindern] Rilke kam im nächsten Briefe nochmals auf seinen Wunsch zurück. Er erhielt die Fotos und kommentiert sie im Brief 38.

36.

2. Dezember 1921

4 Faltbögen, Briefpapier und Umschlag wie Brief 35. Bögen 2-4 von Rilke in der Mitte oben nummeriert, 16 Seiten mit Tinte beschrieben. Umschlag mit dunkelgrauem Siegel. Adresse: „Madame la Comtesse Mariette Mirbach-Geldern, Habsburgerstraße 7 I., Mün¬ chen, Bayern“. Links oben von Rilkes Hand der Vermerk: „Recommandee“, registriert unter der Einschreibnummer: Sierre R 612. Frankiert mit 80-Rappen-Briefmarke, 2 Post¬ stempel: Sierre/Siders 2. XII. 21. - 16. Rückseitig Absender: „Env: R. M. Rilke, Chateau de Muzot VSierre (Valais) Suisse“ und Stempel: München 2. B. Z. 4. Dez. 21 1-2 N. An linker Seite aufgerissen. Erstveröffentlichung: Brief 11 in: GB VI 1937, S. 55-61: „an Gräfin M.“, mit Kürzungen am Anfang und um die letzten dreieinhalb von sechzehn Seiten. Abweichungen: S. 55 (es fehlen fünf Wörter): „auf irgend ein Gefährdetes, an dem die Verhängnisse von gestern und vorgestern Schuld haben“, im Original: „ auf irgend ein Gefährdetes, Angegriffenes, wo nicht gar Vernichtetes, an dem die Verhängnisse von gestern und vorgestern Schuld haben“. S. 58: „jedem Dienstverhältnisse“, im Original: „jedem Dienstverhältnis“. S. 61: nach erstem Absatz Auslassungszeichen: „...", es fehlt jedoch kein Text an dieser Stelle. Veröffentlicht, zitiert und erwähnt in: 1. Ritzer, RMR Bibliographie, S. 47, B 11: „Gräfin M. 9. mu 2.12.21: 5,11; 331.“ - 2. Brief 331 in: Briefe 1950 und den späteren Auflagen dieser Ausgabe, zuletzt 1987 (drei Bände, it 867), S. 705-710. Umfang und Abweichungen wie in Erstveröffentlichung. — 3. Brief 323 in: Briefe 1991, 2. Bd., S. 182-187. Umfang und Abweichungen wie in Erstveröffent¬ lichung und 2., ferner: S. 182: „in allem, was die mindeste Neigung zum Zerfall in sich trug“, im Original: „in alles, was die mindeste Neigung zum Zerfall in sich trug“. Deswei¬ teren fehlen zwei Hervorhebungen (S. 183) aus dem Original: „so daß ich nicht mehr an meinem Hause bemüht und beschäftigt bin, sondern (so hoff ich wenigstens) beginnen darf, mich in ihm auf meine - wieder sehr unterbrochene — Art zu beschäftigen“. 4. Zwei Zitate (nur Nr. des Briefs in GB VI 1937) in: Günther, Weltinnenraum, S. 156: „Einzigefs]"; S. 158 Hinweis auf „Grunderlebnisse“ mit dem vollständigen Zitat in Anm.

181

14, S. 325: „Wie sehr übrigens“ bis „in die Mitte des Herzens stellen.“ - 5. Storck, Brief¬ schreiber: S. 399: „mir wird immer deutlicher“ bis „verpflichtet mich irgendwie zu ihr“ mit Auslassungen. - 6. Langes Zitat in: MDE I., S. 216-218: „Den Sommer über“ bis „konnte registriert werden“. - 7. Mühl, Verwandlung („an Gräfin M.“), S. 174: „weithin sichtbar, in ein, durch seine Verwandlung Überlebendes dauernd eingeformt“; S. 199: ,,dauernd[es]“; außerdem Hinweis auf den Brief in Anm. 197, S. 285. - 8. Storck, Rilke als Staatsbürger der Tschechoslowakischen Republik, S. 45: „Hätte es damals, einst, als die Sintfluth sinken wollte, Zeitungen gegeben, wie heute, ich bin sicher, die Wasser wären nicht gefallen.“ - 9. Schnack, Über RMR, S. 47: „Und obgleich es“ bis „und verpflichtet mich irgendwie zu ihr“ unter Auslassung des eingeklammerten Textes: „Gewiss nicht aus Eitelkeit“. Eine Abweichung: „so drängt doch mich meine ganze Anlage“, im Original: „so drängt mich doch meine ganze Anlage“. - 10. Längeres Zitat in: Ebneter, Dienen, S. 369: „Dieser zweite Mensch, ohne den man nicht auskommt“ bis „fast unvermeidlich“. Abweichungen wie in 1. bis 3. - 11. Hinweis auf den Brief in: Schlicker, Leni, S. 96.

stößt man immer noch auf einen neuen, äußeren oder inneren Schaden, -auf irgend ein Gefährdetes, Angegriffenes, wo nicht gar Vernichtetes, an dem die Verhängnisse von gestern und vorgestern Schuld haben] Rilke beklagt wie schon zwei Jahre zu¬ vor, dass es keine allgemeine, politische und private Besinnung nach dem Krieg gab (Brief 4). Zu seiner eigenen „Besinnungs-Bedürftigkeit“ siehe Briefe 19 und 20 aus Soglio. Nun wärs ja ein Wunderbares, wenn dieser (sozusagen) Gelegenheit zum Unter¬ gang, die alles rüttelte und auf die Probe stellte —, eine Stille gefolgt wäre, wie damals jener berühmten Sintfluth! [...] Hätte es damals, einst, als die Sintfluth sinken woll¬ te, Zeitungen gegeben, wie heute, ich bin sicher, die Wasser wären nicht gefallen, oder höchstens künstlich durch die Erfindung einer ungeheueren Pumpmaschine, die, wie Maschinen nun einmal sind, für die Hülfe, die sie den Menschen erwies, sich auf eine andere gründliche Weise würde gerächt und bezahlt gemacht haben] Am Bild der Sintflut als Zeitungsreportern „willkommene“ Katastrophe, ver¬ deutlicht Rilke seine Skepsis gegenüber den Medien. Vgl. außer Storck (s.o., 8.) den Brief an Bernhard von der Marwitz vom 9.3.1918: „Auf der inzwischen aus¬ gebildeten Ebene, auf der die Zeitungen einen gewissenlosen, wortenen Durch¬ schnitt aller Vorgänge zu geben wissen (ein Gedräng, an dem Überholendes und Vermutetes

neben Tatsächlichem,

Merkantilstes

neben

Unberechenbarstem

steht): auf dieser Ebene wird ein fortwährender Ausgleich aller Spannungen ge¬ schaffen und die Menschheit geübt, eine Welt von Nachrichten beständig anstel¬ le der Wirklichkeiten hinzunehmen, die in sich groß und schwer werden zu las¬ sen, niemand mehr Zeit und Fassung hat“ (Briefe 1991, Bd. 1, S. 669f.). Rilke stellt im Brief an Gräfin Mariette zugleich eine Technik in Frage, die der Mensch nicht mehr beherrschen kann. In den „Duineser Elegien“ (Siebente Elegie) und auch in den „Sonetten an Orpheus“ (u.a. I, 18, 19, 23, II, 14) wird er Maschinen, Technik und Städten die Kraft des Ästhetischen entgegensetzen.

182

Un apaisement, un calme nouveau plus grand que jamais, l’heureux moment du renouveau, läurore d’un commencement pur et universe]

Eine Beruhigung, eine

neue nie dagewesene Stille, der glückliche Augenblick der Erneuerung, die Mor¬ genröte eines reinen und umfassenden Neubeginns. Das Bild der Sintflut taucht im zeitgleichen Gedicht „Für Werner Reinhart/ ins Gäste-Buch auf Muzot“, ge¬ schrieben

am

25.12.1921,

wieder

auf:

„Die

Erde

ist

noch

immer

über¬

schwemmt...“ (SW II, S. 248 und Anm. S. 773). Im Brief ist die Flut Metapher für das Schreckliche, dem die Ruhe folgen möge, im Gedicht ist sie Trägerin der Arche, die das Uberstehen ermöglicht. Vgl. hierzu: Ulrich Fülleborn, Rilkes Gebrauch der Bibel. In: Rilke und die Weltliteratur, S. 19-38. Er bat kurz zuvor Frau Wunderly, ihm seine Bibel mit den Apokryphen zu schicken. Aber das Alles, liebe verehrte Gräfin, will für meinen besonderen, im Allgemeinen kleinen Fall nur bedeuten, daß zur Zeit, da Ihr Brief kam, alles für mich unsicher geworden war, Muzot, ja die Möglichkeit überhaupt noch länger in der Schweiz zu bleiben]

Der Brief der Gräfin datierte vom Anfang September 1921. Zu Rilkes

Zweifeln über Muzot siehe Kommentar zu Brief 35. Baladine K. blieb bis zum 8.11. Allein in Muzot begann Rilke Briefrückstände aufzuarbeiten. Bis zum 14.12. schrieb er „ungefähr 400 Seiten“ (Schnack, Chronik, S. 764). ein schweizer Freund] Werner Reinhart (1884-1951), Kunst- und Musikmäzen. Teilhaber der Firma Gebrüder Volkart in Winterthur, Vetter Nanny WunderlyVolkarts. Vgl. Rätus Luck, BW m. d. Brüdern Reinhart, passim. Es ist keine zehn Tage her, seit das in diesem Bezug Erreichbare für ungefähr abge¬ schlossen gehalten werden kann, so daß ich nicht mehr qn_ meinem Hause bemüht und beschäftigt bin, sondern (so hoff ich wenigstens) beginnen darf, mich in ihm auf meine -wieder sehr unterbrochene -Art zu beschäftigen] Ab Dezember 1921 mie¬ tete Werner Reinhart den Wohnturm Muzot für ein Jahr, doch schon am 9.5.1922 erwarb er ihn (Schnack, Chronik, S. 801). Rilke redete ihn danach in seinen Briefen mit „Mein lieber Lehensherr“ an (Brief an Werner Reinhart vom 11.12.1921 in: BW m. d. Brüdern Reinhart, S. 253-260, v.a. S. 258f.). eine mir nahe Freundin] Baladine Klossowska half Rilke auch bei der Suche nach einem Hausmädchen (siehe Brief 35 und Kommentare zu den Briefen 29, 31 und 33). aber mir wird immer deutlicher, wie ich, wahrhaftig, zwischen Umgang und Arbeit mich zu entscheiden habe, als ob ich thatsächlich nur noch Eines zu geben hätte, das entweder unmittelbar an den Nächsten sich mittheilt, oder aber im Tresor der künst¬ lerischen Gestaltung dauernder und gewissermaßen zu allgemeinerem Gebrauch aufbewahrt bleibt]

Nach der Abreise Baladine Klossowskas zieht Rilke in einer

Reihe von Briefen Bilanz: „[...] immer wieder hinausgerissen, zu Menschen hin-

183

über, abgelenkt [...]“ (Brief vom 30.11.1921 an Inga Junghanns in: BW mit Inga Junghanns, S. 200), sieht er sich unfähig, Beziehung zu Menschen zu haben und gleichzeitig seine künstlerische Arbeit zu leisten. Seine Entscheidung für die Kunst und zugleich ihr Wesentliches zeigen die Worte „dauernd“ und „zu allge¬ meinerem Gebrauch“. Vgl. Brief an Elizabeth de Waal vom 20.3.1922: „[...] in Einem ganz zu sein [,..]“(BW mit Rodin, S. 376; auch in: Briefe 1950/it 867, „E. de W.“, S. 775). als ob nur noch ein Einziges in mir wäre, das entweder so oder so, nach entschlosse¬ ner Entscheidung, mitzutheilen bliebe] Genau zwei Monate vor der Niederschrift der „Duineser Elegien“ und der „Sonette an Orpheus“ ist Rilke „erfüllt vom Ge¬ fühl der neuen Verantwortung, von einem Vor-Wissen“ (Günther, Weltinnenraum, S. 156). und dieses viele Gerede um die Einsamkeit, die man sich sichern und schützen möchte! In Paris war sie von selbst und unbetont da — und mußte weiter gar nicht gerechtfertigt und vertbeidigt sein; jeder hat sie dort, der sie braucht, und selbst die Bekanntheit eines Namens (die einen ja freilich dort nicht bedrohte!) ist nicht nothwendig ein Hindernis, allein zu sein]

Stille und Einsamkeit sind Grundbe¬

dingungen für Rilkes Schaffen, siehe auch Brief 24. Sie stellten sich von selbst in Paris ein, wo er das Alleinseinwollen nicht erklären mußte, wie er es in seiner Kindheit tat (s.u.). Vgl. „Das Testament“, 1975, S. 52: „[...] ich brachte es nicht zu jenem Bewußtsein meiner natürlichen Einsamkeit, aus dem heraus allein ich meiner mächtig werden kann“ und der an den Schluss des „Malte” erinnernde letzte Absatz: „Ich kann mich nicht verstellen und nicht ändern. Genau wie in meiner Kindheit vor der gewaltsamen Liebe meines Vaters, so knie ich auch jetzt in der Welt und bitte die, die mich lieben, um Schonung. Ja, daß sie mich scho¬ nen! Daß sie mich nicht verbrauchen für ihr Glück, sondern mir beistehen, jenes tiefste einsame Glück in mir zu entfalten, ohne dessen Große Beweise sie mich doch am Ende nicht würden geliebt haben.“ Zum „Testament“ siehe auch Kom¬ mentar zu Brief 33. Rivalität gegen die Arbeit]

Diese Wendung und die weiteren Gedanken Rilkes

finden sich ähnlich im Brief an Lou Andreas-Salome vom 29.12.1921: „Mehr als je wird mir jedes Mittheilen zur Rivalität der Leistung, wie es ja wohl bei jedem der Fall wird, der mehr und mehr nur noch Eines meint und daher gebend, sei’s nach innen oder außen, dieses ausgiebt, das Gleiche, Eine“ (BW mit Lou A.-S., S. 438). Es ist Rilkes Konflikt zwischen Arbeit und Leben (siehe Brief 33 und Kommentar dazu), den er hier in neue Worte fasst, jene „alte Feindschaft zwischen dem Leben und der großen Arbeit“ („Requiem für eine Freundin“, Gedicht aus dem Jahre 1908, in diesem Zusammenhang in: Ebneter, Dienen, S. 371, Anm. 17).

184

Baudelaire]

Charles Baudelaire (1821-1867), französischer Dichter, Wegberei¬

ter der Symbolisten und Decadents. In Rilkes Briefen aus Paris von 1902/03 und im „Malte” präsent. Rilkes Übersetzungen dreier seiner Gedichte in: SW VII, S. 10-13. Im Gedicht „Baudelaire“ für Anita Forrer zum 14.4.1921 heißt es: „Der Dichter einzig hat die Welt geeinigt, die weit in jedem auseinanderfällt“ (SW II, S. 246). Vgl. auch Anthony Stephens, Rilke als Leser Baudelaires, in: Rilke und die Weltliteratur, S. 85-106. Verlaine] Paul Verlaine (1844-1896), französischer Dichter. Rilkes Übersetzun¬ gen zweier seiner Gedichte in: SW VII, S. 288-291. Wie sehr übrigens reicht man doch fürs ganze Dasein mit ein paar, mit fünf sechs, vielleicht neun thatsächlichen Erlebnissen aus, die, nur abgewandelt, sich immer wieder in die Mitte des Herzens stellen]

Günther (Weltinnenraum, S. 158) sieht

die „Elegien“ und „Sonette“ der „neuen Abwandlung und Vertiefung der Rilkeschen Grunderlebnisse im Augenblicke ihrer äußersten Verdichtung“ entsprun¬ gen. Vgl. Großmann, Rilke in Skandinavien, 9-6S. 59: „Später verstand ich Rilke besser, und diese Beschränkung auf den geschützten umfriedeten Garten schien mir ein Zug seines Wesens: mit einem Minimum an äußerem Erlebnis auskommen!“ So erinnere ich, als junger Mensch die erstaunteste Verlegenheit durchgemacht zu haben, wenn ich mir eine Stunde Einsamkeit in meinem Zimmer dadurch gesichert hatte, daß ich, vor der Neugierde, wie sie ja in Familien üblich ist, erklärte, wozu ich diese Stunde brauche, was ich vorhätte mit ihr: das allein genügte, um das errun¬ gene begrenzte Alleinsein im vornhinein werthlos zu machen]

Vgl. „Malte“,

31. Aufzeichnung: „[...] es war uns nicht angenehm, wenn irgend jemand eintrat, erst erklären zu müssen, was wir gerade taten.“ Das Kindsein in seiner Familie verarbeitete Rilke in „Ewald Tragy“ (SW IV, S. 512-567). Erst nach Rilkes Tod wurde diese autobiographische Erzählung, die wahrscheinlich im zweiten Halb¬ jahr 1898 in Berlin-Schmargendorf entstand, gedruckt (München 1929. Jahres¬ gabe der Gesellschaft der Münchner Bücherfreunde). Zu Rilkes „Verlegenheit“ Kindern gegenüber siehe auch Brief 18. Von solchen Erlebnissen her muß man die Existenz der Kinder ansehen, ihre Ent¬ täuschungen und oft so inkommensurabeln Nöthe, über die sie sich ja, während sie ihnen widerfahren, noch gar keine Rechenschaft geben können; so daß, was wir jetzt retrospektiv begreifen, damals, als es erlitten wurde, nur als Unlust, Unart, als ir¬ gend ein Un-Un-Un konnte registriert werden]

Rilke begreift diese Erlebnisse

der Kinder, die ihnen selbst unbewußt waren und den Erwachsenen unverstan¬ den blieben, als existentielle Nöte. Er redet hier und im nachfolgenden Ab¬ schnitt ernsthafter als in den vorangegangenen Briefen über Kindheit und indi¬ rekt auch über Einwirkung durch eine Erziehung, die von der Überlegenheit der

185

Erwachsenen ausgeht und nicht die Erkenntnisse der Psychologie über die Be¬ deutung der Kindheit für die Formung der menschlichen Persönlichkeit berück¬ sichtigt. Zum Anlass siehe Brief 33. meine Tochter hat sich verlobt und wird voraussichtlich sehr rasch heirathen. Sie heirathet in die Familie ihrer Großmutter mütterlicherseits, deren Großneffen; der junge Mann ist gegenwärtig Referendar —, wird aber, als älterer Sohn, wohl einmal sein elterliches Gut übernehmen (im Vogtlande, Sachsen), und so wird Ruth in die Bestimmungen einer Gutsfrau hineinwachsen]

Die Verlobung seiner Tochter

Ruth mit Carl Sieber auf dem Gut Alt-Jocketa bei Liebau im Vogtland (Schnack, Chronik, S. 759 und 803) teilte Rilke auch anderen Freunden mit. Der Text der bürgerlich formellen Verlobungsanzeige ist abgedruckt in: BW mit Ellen Key, S. 239. Lou Andreas-Salome kündigte Rilke im Brief vom 29.12.1921 sogar einen möglichen Besuch anlässlich der Reise zur Hochzeit Ruths an (BW mit Lou A.-S., S. 437). Er fuhr weder zur Hochzeit noch später zur Taufe seiner Enkelin Christine, die am 2.12.1923 geboren wurde. Zur finanziellen Sicherheit seiner Frau Clara und der Tochter Ruth trug im Wesentlichen das Geld aus den Veröf¬ fentlichungen der Bücher Rilkes im Insel-Verlag bei, das der Verleger Kippen¬ berg direkt an diese überwies. Daß Roggenburg (tel quel und sammt Bibliothek) vermiethet werden soll, ist mir ein großer Schrecken gewesen] Roggenburg wurde nicht „tel quel“ (so, wie es ist) vermietet, und die gräfliche Bibliothek mit ihren Buchausgaben des 17. und 18. Jahrhunderts blieb erhalten. Rilke sieht auch in der Schweiz eine schlechtere Wirtschaftslage entstehen. Die Schweiz: (diese mir nun seit zweieinhalb Jahren gastliche!, wer hätte das ge¬ dacht, das sie mir da± bedeuten würde, damals als ich, aus Abneigung gegen die renommee ihrer Berge, so und so oft hinter absichtlich zugezogenen Waggon-Fenstern sie durchreiste! Sie rächt sich, muß man ihr lassen, indem sie mich nun so beher¬ bergt, auf eine noble Art)] Vgl. Brief an Gertrud Ouckama Knoop: „[...] und ich erinnere mich der schönen Zeiten, wo ich, hier durchreisend, die Vorhänge des Coupes zuzog“ (GB V 1937, S. 270). Etwas ungehalten hatte Rilke im zweiten Brief aus der Schweiz an die Gräfin (Brief 20) geschrieben: „Berge und soviel Berge, und so anerkannte Berge, so eingebildete Berge, nichts als die Überlegen¬ heit von lauter Bergen“. Nach anfänglicher Abneigung ist er nun dankbar und bewundert besonders das Wallis. Nach Vollendung der „Elegien“ und seine Krankheit spürend zieht Rilke bereits Anfang 1923 ein Fazit: „daß ich diese aus¬ gesparten klaren Jahre in der Schweiz durch Sie, Nike, doch noch gehabt habe und daß ich in ihrer Windstille mein ganzes Lebensgefühl, alle seine je ausgewor¬ fenen Ranken rein aufnehmen, aufbinden und so zur Krone flechten durfte“ (Brief an Nanny Wunderly-Volkart vom 30.1.1923 in: Briefe an N. W.-V., S. 864). Und im Brief vom 17.2.1923 an Yvonne von Wattenwyl heißt es: „Die

186

Schweiz hat mir - jetzt begreif ich erst, wie sehr, - meine zerrissene Arbeit ge¬ rettet, hat mir diese feste Zusammenfassung gewährt, die mir an keiner anderen Stelle, seit dem Eingriff des Krieges, gelingen wollte. Das werde ich ihr nie ver¬ gessen, ihr, und den Freunden, die mit soviel Treue und Vertrauen zu dieser Ret¬ tung zusammengewirkt haben“ (Luck, Schweizer Vortragsreise, S. 296). Vergessen Sie nicht, mir einmal die Bilder zu schicken und krönen Sie diese freund¬ schaftliche That durch Hinzufügung eines Ihrigen, -in Anbetracht des langen Nochnicht-wiedersehensl] Rilke erinnert die Gräfin an die schon im letzten Brief erbe¬ tenen Fotos, die sie ihm vermutlich in ihrem Brief ankündigte.

37.

14. Januar 1922

1 Faltbogen, Briefpapier wie Briefe 35 und 36, 4 Seiten mit Tinte beschrieben. Umschlag blau, 9,7 x 14,8 cm, dunkelgraues Seidenpapierfutter, graues Siegel. Adresse: „Madame la Comtesse Mariette Mirbach-Geldern, München, Habsburgerstraße 7 (Bayern)“. Links oben von Rilkes Hand der Vermerk: „Einschreiben“, registriert unter der Nummer: Sierre R 523. Frankiert mit 80 Rappen-Briefmarke. 2 Stempel: Sierre/Siders 14.1.22. - 13. Rück¬ seitig Absender: „Env: R. M. Rilke, Chateau de Muzot VSierre (Valais) Suisse“, Stempel der Postüberwachungsstelle München und Ankunftsstempel: München 2. B. Z. 26. Jan. 22, 8-9 N. Der Umschlag wurde an der linken Seite von den Behörden geöffnet und mit einem Aufkleber wie Briefe 19-21, 31 und 33 verschlossen. An rechter Seite aufgerissen. Unveröffentlicht, aber für eine Veröffentlichung vorbereitet durch Einklammerungen und Streichungen: auf den Seiten 2 und 4 „Sissy“, auf Seite 2 „Lato“ und „Elisabeth“ durchgestrichen. Der Satz: „Wie, wie schön, das darf ich Ihnen als ihrer Mutter sagen, Gräfin, wie schön ist Ihre junge Tochter geworden!“ auf Seite 2 ist eingeklammert, ferner zwei Sätze auf Seite 4: „Wie viel Beruhigung bereitet es mir“ bis „nicht daran vorüberfah¬ re?!“ sowie Postskriptum.

Es kann auch bei mir, meine verehrteste Gräfin, heute nur rasch und in Kürze sein] Vorausgegangen war ein kurzer Brief der Gräfin, vermutlich als Weihnachtspost, mit Fotografien der Kinder (Abb. 14-17). Kurz fasste sich Rilke auch im einige Tage später, am 25.1.1922, geschriebenen Brief an Inge Blumenthal-Weiß, weil für ihn eine „Brief-Fasten-Zeit“ begonnen habe (Briefe 1950/it 867, S. 734f.). „Innere Aufgaben“, die Entstehung der „Sonette an Orpheus“ und der „Duineser Elegien“ (siehe Brief 41) nahmen ihn ganz in Anspruch (vgl. Brief an Alwina von Keller vom 26.1.1922 in: Briefe 1950/it 867, S. 736). Sissy vor allem und mein kleiner Namensvetter; Lato’s Gesicht ist nun von einer größeren, freien und stolzen Ausbildung, richtig skulptural geworden -. Überra¬ schung hat mir die Comtesse Elisabeth bereitet, die inzwischen den Schritt ins Er¬ wachsensein gethan hat]

Rilke geht sehr angeregt auf die Fotos der Kinder ein,

187

besonders auf das von Elisabeth, deren Schönheit zum Zeitpunkt der Einführung in die Gesellschaft ihm Anlass zu der Hoffung gibt, dass sie der „heillosen Au¬ ßenwelt“ entgehe. Die Welt ist immer vollzählig -, und so giebt es auch noch alles Schönste und Edels¬ te und Adelichste in ihr — wenn es auch jetzt nicht die Herrschaft führt] Schon im Brief 9 befand Rilke nach einer Begegnung mit Sissy, angesichts der „Heilheit der Kindheit“, dass „ Schrecken und Menschlichkeit“ gleichzeitig bestehen. Vgl. „Vollzähligkeit der Welt“ in: Vorrede zu einer Vorlesung aus eigenen Werken (1919), SW VI, S. 1095-1098, hier S. 1097. Wie viel Beruhigung bereitet es mir, liebe gnädigste Gräfin, daß Roggenburg zu¬ nächst nicht vermiethet ist und daß Sie wieder dort sein werden. Wenn ich je, im späteren Frühling 1922 oder auf den Sommer zu, die schweizer Grenze überschreite, muß ich versichern, daß ich dann nicht daran vorüberfahre?! —Möge uns in diesem Neuen Jahr ein gutes Wiedersehen vergönnt sein] Der Erhalt Roggenburgs erhielt Gräfin Mariette ihre Hoffnung auf einen Besuch Rilkes. Er erwog diesen anläss¬ lich der geplanten Reise zur Hochzeit seiner Tochter (siehe Brief 36). Außerdem dachte Rilke daran, sich von der Bildhauerin Renee Sintenis in Berlin porträtie¬ ren zu lassen (Schnack, Chronik, S. 791). Auch Reisen nach Frankreich und Ita¬ lien waren im Gespräch. Nach Wien und Prag, wo Familienmitglieder gestorben waren, fuhr Rilke dann ebenso wenig wie nach Deutschland, wohin er nicht wie¬ der zurückkam (Schnack, Chronik, S. 809, 812, 839 und 842). P. S. Das Einliegende meiner kleinen getreuen Freundin Sissy] Die Beigabe, mög¬ licherweise eine Ansichtskarte, ist nicht auffindbar.

38.

13. September 1923

1 Faltbogen, blaues Papier, Streifenstruktur, Büttenrand („blaue Pariser Bögelchen“ von Howard, Paris, als Block, ohne Briefkopf), 16 x 14 cm. Umschlag, blau, 9,2 x 13,6 cm, dunkler blaues Futter, dunkelgraues Siegel. 4 Seiten mit Tinte beschrieben. Adresse: „I. H. G. Frau Gräfin Mariette von Mirbach-Geldern, München, Habsburgerstraße 7 I., Bay¬ ern“. Vermerke von Rilkes Hand: links unten: „(eventuell bitte nachzusenden!)“, oben links: „Einschreiben“, registriert unter der Nummer: Beckenried R 984. Frankiert mit 80Rappen-Briefmarke, Poststempel: Beckenried 13. IX. 23. - 12. Rückseitig Absender: „Env: R. M. Rilke/ z. Zt. Kuranstalt Schoeneck p. Beckenried (am Vierwaldstättersee) Schweiz“ und Ankunftsstempel: München 2. B. Z. 14. 9. 23, 1-2 N. An linker Seite aufge¬ rissen. Unveröffentlicht, aber für eine Veröffentlichung vorbereitet durch Streichung der Namen „Elisabeth“ und „Sissy“ im Schlussabsatz.

188

Zwei „Blocks“ des Pariser Briefpapiers von Howard bestellte Rilke am 16.1.1923 brieflich bei Nanny Wunderly-Volkart (Briefe an N. W.-V., S. 847); am 11.2.1923 dann „enveloppes zu diesen blauen Bögen“ (ebd., S. 876f.).

Kuranstalt Schoeneck b. Beckenried, am Vierwaldstättersee]

Vom 22.8. bis 22.9.

war Rilke zur Behandlung besorgniserregender körperlicher Beschwerden im Sa¬ natorium Schöneck bei Beckenried. Seit Juni 1923 hatte er Leibschmerzen und Schwellungen und Geschwüre im Mund, Anzeichen der damals noch nicht er¬ forschten Leukämie, an der Rilke drei Jahre später starb. Vgl. hierzu Freedman/Ebneter 2, S. 419-421. Die Bäder und Massagen dieser Kur brachten keine Heilung. bin ich_ die Schuld an dieser langen, langen Unterbrechung zwischen uns?] Zwanzig Monate vergingen nach dem letzten Brief Rilkes vom 14.1.1922, den er vier Wo¬ chen vor Vollendung der „Duineser Elegien“ (SW I, S. 683-726) und der „Sonet¬ te an Orpheus“ (SW I, S. 727-773) schrieb. Vermutlich gab es auch keinen Ge¬ genbrief der Gräfin. Die „Duineser Elegien“, die Rilke im März 1912 in Duino, im Schloss der Fürstin Marie Thurn und Taxis, begonnen hatte, vollendete er mit der Zehnten Elegie am 11.2.1922 auf Chateau Muzot. Die „Sonette an Orpheus“ entstanden dort zwischen dem 2. und 23.2.1922 (Schnack, Chronik, S. 779-789). Danach begann eine Zeit mit vielen Gästen. Die Fürstin Taxis besuchte Rilke vom 6. bis 9.6.1922. Er las ihr die „Elegien“ und „Sonette“ vor. Vom 20.7. bis 20.11.1922 hielten sich Baladine Klossowska und zeitweise auch Balthus zu ih¬ rem letzten Besuch in Muzot auf (Schnack, Chronik, S. 811). Ostern 1923 brachte Rilke den Besuch von Werner Reinhart und dem Maler E. v. Freyhold (vgl. Briefe 7 und 8). ein schlechter Briefschreiber dieses Jahr]

Hauptgrund für das lange Schweigen,

auch anderen Korrespondenten gegenüber (Sidonie Nädherny de Borutin hörte elf Monate, Nora Purtscher-Wydenbruck sechs Monate nichts von Rilke), war die dichterische Arbeit Rilkes; Zusammen mit den „Sonetten“ und „Elegien“ entstand der in Erinnerung an Verhaeren (siehe Brief 2) geschriebene „Brief des jungen Arbeiters“, doch vor allem beschäftigten Rilke seine Übertragungen Valerys (Schnack, Chronik, S. 799 und S. 821 ff), desweiteren die Vorbereitung der Gesamtausgabe seiner Werke (siehe Brief 40) und die Korrektur der französi¬ schen Übersetzung des „Malte” (Schnack, Chronik, S. 842f., 906). die immer noch und immer mehr verhängnisvollen Verhältnisse in Deutschland] Intensiv über die Lage in Deutschland äußerte sich Rilke in seinen Briefen vom Januar und Februar 1923 an verschiedene Korrespondenten. Vgl. Storck, Briefe zur Politik, Briefe 190-196, S. 402-418; Schnack, Chronik, passim, und Storck, Katalog Marbach 1975, S. 293-295. Siehe auch Brief 4L

189

Ich wollte es so einrichten, daß Sie beide Bücher (die sich eigenthümlich ergänzen) zugleich erhielten, und nun erscheint das zweite, in derjenigen Ausgabe, die mir sel¬ ber zur Vertheilung zukommt, erst in diesen Wochen] Die „gewöhnliche“ Ausgabe der „Duineser Elegien“ (1.-10. Tausend) im Pappband mit „lila Papierton“, Titel und Überschriften grün gedruckt, erschien im Insel-Verlag im Oktober 1923. Vgl. Brief an Katharina Kippenberg vom 21.11.1923 in: BW mit Kath. Kippen¬ berg, S. 511. Im November erhielt Rilke seine Exemplare und schickte in den folgenden Monaten die beiden Bücher an viele Korrespondenten. Eine Vor¬ zugsausgabe von 300 Exemplaren auf Bütten und drei auf Japanpapier wurde be¬ reits im Juni 1923 gedruckt (BW mit Anton Kippenberg, S. 516). Die „Sonette an Orpheus“ erschienen erstmals im März 1923 zusammen mit einer Vor¬ zugsausgabe von 300 Exemplaren auf handgeschöpftem Bütten im graumarmo¬ rierten Pappband mit goldgeprägtem Titel auf grünem Feld. Gräfin MirbachG.-E. erhielt die „Sonette an Orpheus“ in dieser Ausstattung mit der hand¬ schriftlich mit Bleistift eingetragenen Widmung Rilkes: „Gräfin Mariette Mirbach-Geldern/herzlichen Gedenkens: Rilke (Muzot, um Ostern 1924)“. Siehe Abb. 26 u. 27. Anmerkungen Rilkes, ebenfalls mit Bleistift, finden sich bei fol¬ genden Sonetten: I/XVI: „An einen Hund“. Siehe Rilkes Anmerkungen zu die¬ sem Sonett in: SW I, S. 772: „Dieses Sonett ist an einen Hund gerichtet. - Unter .meines Herrn Hand1 [vorletzte Zeile] ist eine Beziehung zu Orpheus herge¬ stellt, der hier als ,Herr‘ des Dichters gilt. Der Dichter will diese Hand führen, daß sie auch, um seiner unendlichen Teilnehmung und Hingabe willen, den Hund segne, der, fast wie Esau (lies: Jakob. 1. Mose 27), sein Fell auch nur um¬ getan hat, um in seinem Herzen einer, ihm nicht zukommenden Erbschaft: des ganzen Menschlichen mit Not und Glück, teilhaft zu werden.“ Dies erklärte Ril¬ ke zuerst im Brief an Gräfin Sizzo vom 1.6.1923 (u.a. in: Briefe 1950/it 867, S. 840f.). Bei I/XXI: „Siehe, Anmerkung am Schluss“. Bei II/XI: „Siehe zweite Anmerkung am Schluss“. Diese beiden Anmerkungen, gedruckt hinter S. 62, in: SW I, S. 773f. Zur Bedeutung des Hundes siehe Fülleborn in KA I, S. 2004 und in Bezug auf Rilkes Wahrnehmung des Geruchs vgl. Pasewalck, Die fünffingrige Hand, S. 180-184. Die Widmung Rilkes in dem Exemplar der „Duineser Elegien“ (allgemeine Ausgabe) ist mit Tinte geschrieben und lautet: „Gräfin Mariette MirbachGeldern/ oesterlich/ in ergebener Freundschaft/ Rilke.“ Unter dem Titel trug Rilke die Entstehungszeit ein: „(1912-1922)“. Siehe Abb. 24 u. 25. Mit zwei ro¬ ten Buntstift-Schrägstrichen ist die Achte Elegie, „Rudolf Kaßner zugeeignet“, angestrichen. Seit Frühjahr gab es manchen lieben Besuch auf Muzot; darunter Kassner, mit dem ich viel von den Münchener Jahren sprach und der mir von Comtesse Elisabeth er¬ zählte, die er in Oberstdorf zuweilen sah] Rudolf Kassner (siehe Brief 33) besuch¬ te Rilke vom 30.7. bis 2.8.1923. Wie viele der Freunde wohnte er nicht in Muzot,

190

sondern im Hotel „Bellevue“ in Sierre (siehe Brief 39). Zu Gräfin Elisabeth siehe Brief 33. Und Sissy? Die Jahre gehen, gehen ... Erinnert sie sich noch ihres alten Freundes?] Die 1911 geborene jüngste Tochter der Gräfin war am 11.8.1923 zwölf Jahre alt geworden.

39.

31.Januar 1924

2 Faltbögen, zweiter Bogen von Rilke in der Mitte oben nummeriert, graues Briefpapier, 18 x 13,5 cm (Wasserzeichen der Fa. Furrer, Zürich) mit blau gedrucktem Briefkopf rechts oben: Chateau de Muzot sur Sierre, Valais. Auf dem ersten Bogen „Sierre“ unter¬ strichen und handschriftlich mit Tinte „Schweiz“ hinzugefügt. 8 Seiten mit Tinte be¬ schrieben und Fotoporträt Rilkes. Umschlag, blau, 9,7 x 14,8 cm hoch, leuchtend blaues Futter, dunkelgraues Siegel. Adresse: „I. H. G. Frau Gräfin Mariette Mirbach-Geldern, Habsburgerstraße 7 I., München (Bayern)“. Links oben von Rilkes Hand: „Einschrei¬ ben“, registriert unter der Nummer: Sierre R 477. Frankiert mit 80-Rappen-Briefmarke. 2 Stempel: Sierre/Siders 31.1. 24. - 18. Rückseitig Absender: „Env: R. M. Rilke/Muzot VSierre (Valais) Schweiz“ und Stempel: München 2. 2. 24, 12-1 N. An linker Seite aufge¬ rissen. Unveröffentlicht, aber für eine Veröffentlichung vorbereitet durch Streichung der Orts¬ namen: „Pörtschach“, „Gastein“ und „Roggenburg“ und des Namens „Sissy“ im Schluss¬ absatz und Einklammerungen auf Seite 4f.: „die gar keinen Sinn haben ...“ bis: „von einer Anwendung zur anderen“ sind gekennzeichnet.

ich hätte nicht gedacht, daß ich Ihre guten acht Seiten vom 24. Oktober so spät be¬ antworten würde] Vier Monate vergingen nach seinem letzten Brief. Rilke ant¬ wortete auf einen Brief der Gräfin vom Oktober 1923, wohl aus Pörtschach, mit dem sie ihm ihr Fotoporträt schickte. Der Hauptgrund für die späte Anwort wa¬ ren Rilkes gesundheitliche Beschwerden (s.u. und Brief 38). meine Bücher]

„Duineser Elegien“ und „Sonette an Orpheus“. Wie zu Beginn

des Jahres 1912 in Duino zusammen mit den ersten Elegien das „Marien-Leben“ als Gedichtzyklus entstand, so waren, wie Rilke es im Brief an Anton Kippen¬ berg vom 23.2.1922 ausdrückt, „diesmal, gleichzeitig mit dem Empordrängen der großen Gedichte, ein kleiner Zusammenhang mitaufsteigender Arbeiten mir, gewissermaßen als das Natürliche des Überflusses, hinzugeschenkt worden. Die¬ se Sonette an Orpheus, die ich schon heute der Herrin und Ihnen vorlegen kann“ (BW mit Anton Kippenberg, Bd. 2, S. 261). Siehe Brief 31: „Das eigentlich Unerflehbare kann immer nur dazu-geschenkt werden“. das schlechte Benehmen meiner Gesundheit; mehr und mehr mußte ich einsehen, es sei mit der Kur im Sommer, so genau ich sie auch ausgeführt hatte, nicht gethan ge¬ wesen]

Von seinen gesundheitlichen Problemen schrieb Rilke zuerst Nanny

191

Wunderly-Volkart schon unmittelbar nach der Vollendung der „Elegien“ am 18.2.1922 (Briefe an N. W.-V., S. 675). Er bittet sie, ihm Lactobacilline für seine Magen- und Darmbeschwerden zu besorgen und wird dies in der Folgezeit wie¬ der tun. Auf Kaffee verzichtet er zugunsten von Ovomaltine und klagt über eine „Verfassung und Sorge, die mich bedrückt“ (ebd., Brief vom 26.3.1923, S. 883). Nach dem Kuraufenthalt in Schöneck wurde er Weihnachten 1923 „von wider¬ wärtigen Darmzuständen überfallen“ und suchte die Klinik Val-Mont auf (ebd., S. 952). Im Brief vom 27.5.1922 hatte Rilke auch schon gegenüber der Fürstin Taxis sein langes Schweigen mit seiner „nun seit Monaten nicht recht zufrieden¬ stellenden Gesundheit“ begründet (Schnack, Chronik, S. 804). ein nahe, über Montreux, gelegenes Sanatorium] Zum ersten Mal begab sich Rilke am 29.12.1923 in die „Clinique“ Val-Mont sur Territet über dem Genfer See in ärztliche Behandlung. Georg Reinhart, der Bruder Werner Reinharts (siehe Brief 7) hatte ihn an den befreundeten Arzt Dr. Theodor Haemmerli, den Leiter der Klinik, empfohlen. Auslöser war sein Darmleiden. Rilke hoffte auf Heilung, zu¬ mal eine Röntgenaufnahme die „organische Normalität des anfälligen Gebiets“ feststellte und viel Schlaf zunächst Besserung brachte (vgl. Brief an Anton Kip¬ penberg vom 1.1.1924 in: BW mit Anton Kippenberg, Bd. 2, S. 315). Nach Bera¬ tungen mit Dr. Haemmerli, dem Rilke vertraute, kehrte Rilke am 20.1.1924 nach Muzot zurück und nahm seine Korrespondenz und die dichterische Arbeit wie¬ der auf. (Schnack, Chronik, S. 889-891). Zum Inhalt dieser und späterer Bera¬ tungen

bei

Dr.

Haemmerli vgl.

den

Brief an

Lou

Andreas-Salome

vom

31.10.1925 (BW mit Lou A.-S., S. 475-479).

An die dreiundzwanzig Jahre, in wieviel Ländern und Lagen, hab ich mir immer selber zu helfen gewußt, auf Grund eines alten Einverständnisses mit meiner im ganzen einfachen und wohlentschlossenen Natur ...., da ists mir sehr neu, plötzlich, seit diesem Sommer die Ärzte in Rechnung zu nehmen, und fast so störend, als sollte ich in Schwankungen des Gemüths auf einmal einen Geistlichen zu Rathe ziehen] Ähnlich schreibt Rilke im Brief an die Fürstin Taxis vom 23.2.1924: „[...] denn seit zwanzig Jahren hatte ich mich mit meiner übereingestimmten Natur ohne fremden Beistand vertragen —“ (BW mit M. von T. u. T., S. 785). Und im Brief an Sidonie Nädherny de Borutin vom 3.12.1925 heißt es schließlich: „Die weite Frist, da ich im Wesentlichen ohne Arzt auskam [...], diese weite Frist, wo der Zusammenhang und das Einverständnis mit meiner Natur sich so stark erwies, daß ich mir immer selber am eigenthümlichsten und eingeweihtesten über die unvermeidlichen Schwankungen hinüberhalf, diese Frist scheint abgelaufen“ (Briefe an Sidie N.-B., S. 331). de supporter quelque intermediaire] irgendein Mittelding ertragen.

192

Auch wär es eine noch ganz unvorstellbare Umschaltung für mich, sollte ich genöthigt werden, einem kränkelnden und nachlassenden Körper die Überlegenheit des Geistigen gegensätzlich gegenüberzustellen]

Sehr ähnlich schreibt Rilke am

23.2.1923 an die Fürstin Taxis: „Keine Haltung wäre mir fremdartiger, als die, gegen einen kränkelnden oder nachlassenden Körper einfach ein geistiges Über¬ legensein geltend zu machen“ (BW mit M. von T. u. T., S. 786). Ich merke erst jetzt, wie wenig Unterschiede ich machen kann zwischen Leib und Seele und Geist, jedes ist mir auf seine Art köstlich gewesen und an meiner Arbeit und Einsicht ist alles dies in so unauslösbarer Gegenseitigkeit betheiligt, daß immer nur dann Hervorbringung möglich war, wenn alle diese Elemente in gemeinsamer Froh[h]eit und Steigerung zu einem unaussprechlichen Einklang zusammenwirk¬ ten] Wenig später, im Brief vom 8.2.1924, heißt es an Nanny Wunderly-Volkart: „Was ich hervorbringen durfte, dazu haben alle Elemente meines Daseins, we¬ nigstens

seit meinem 24ten oder 25ten Jahr, in unbeschreiblicher Gleichge¬

sinntheim zusammengewirkt; Geist, Körper, Seele“ (Briefe an N. W.-V., S. 966). Das wäre schlimm, wenn, bei so seltenen Briefen, Beklagungen, und dazu über kör¬ perliche Mißstände, die Seiten ausfüllen sollten, die gar keinen Sinn haben, wenn Sie Ihnen nicht, in Ihre von aufdringlichen Erschwerungen ohnehin bedrückten Tage, einige freundschaftlich freudige Abwechslung brächten!]

Den Klagen der Gräfin

setzt Rilke Lob entgegen für ihre Art der Lebensbewältigung durch „Kunst und Bücher“. Trost spendete Rilke nicht selten durch Schilderung eigenen Leidens. Sie wissen, unbeirrt, die Kleinlichkeiten und Verworrenheiten des Täglichen einzu¬ ordnen in größere Zusammenhänge und diese, für Stunden, für Abende (und im In¬ nersten ganz und gar) zu den gültigen zu machen! Mehr läßt sich nicht leisten, nichtwahr? Und diese Leistung, ehrlich und echt vollzogen, gehört, zum Glück, zu denen, die nicht zehren, nicht Kraft verbrauchen, sondern Kraft sammeln, von einer Anwendung zur anderen]

Lebenshilfe, besonders Erziehungshilfe, leistete Rilke

schon in den Briefen 8, 27, 33 und 36. Sie erzählen aus Pörtschach und Gastein] Gastein ist ein österreichisches Kurbad im Salzburger Land. Pörtschach: siehe Brief 26. in der spanischen Interpretation, in der ich es auffasse] Vgl. Briefe 35 und 36: Rilke verglich Muzot und das Wallis mit spanischen Landschaften. Er hatte auch in Soglio an seine schöpferische Zeit in Ronda denken müssen, wo er u.a. Teile der Sechsten Elegie verfasste (Brief 21). Zur spanischen Landschaft als Inspiration vgl. Künkler, Spanien als Erscheinung. Ein Glück, daß ich einen Theil seiner Anforderungen in den vergangenen Wintern erfüllt habe] Zu den äußeren und inneren Bedingungen des Enstehens der „Dui-

193

neser Elegien“ und der „Sonette an Orpheus“, die im Februar 1922 vollendet wa¬ ren, vgl. Storck, Katalog Marbach 1975, S. 270f. Umfassend zu den „Duineser Elegien“: MDE I—III. Im Winter 1922/23 entstanden viele Valery-Übersetzungen, darunter die des „Eupalinos“ (1923 erschienen): „und nie, scheint mir, bin ich im Übersetzen genauer, glühender und reiner entsprechend gewesen (Herrli¬ che, auch innerhalb des Deutschen grenzenlos gültige Ergebnisse liegen vor)“ schreibt Rilke im Brief an Katharina Kippenberg vom 21.3.1923 (BW mit Kath. Kippenberg, S. 490). Mein Freund, der Rosenöl- und Ambra-Fländler in Tunis, hatte, in seinem winzi¬ gen Verschlag in den „Souks“ leere Bretter rechts und links, auf denen sich seine acht kleinen Fläschchen voller Essenzen lächerlich ausnahmen. Aber ich war schon da¬ mals entschlossen, es ihm auf meine Weise im Ver-Dichten nachzuthun! Aber nun zögere ich auch heute wieder, diese meinigen Destillierungen zu verpacken und ab¬ zusenden]

Rilke war während seiner Nordafrika-Reise vom 25.11.1910 bis

6.4.1911 drei Wochen in Tunis. Am 17.12.1910 beschrieb er Clara Rilke die Souks (mit Holzgittern überdachte Basargassen in den Städten Nordafrikas) und erwähnte den Ambrahändler: „In den Souks der Parfümeure haben wir schon ei¬ nen Freund; wenn man ihm die Hand reicht, reichts für den ganzen Tag, und in der Nacht wacht man davon auf, daß einem die eigenen Finger wunderbar ver¬ geistigt Vorkommen“ (Briefe 1950/it 867, S. 172). Rilke erinnerte sich an diese Erlebnisse, weil Nanny Wunderly-Volkart sich auf eine Reise nach Tunis vorbe¬ reitete. Als Talisman schenkte er ihr eine Duftkapsel aus Indien (Brief vom 16.3.1924 in: Briefe an N. W.-V., S. 986f.). Das Wort „Essenz“ gebraucht Rilke auch im Brief vom 8.2.1924 an Nanny Wunderly-Volkart: „Unser europäisches Leben (außer in Paris), ist Lösung, Verdünnung, trotz seiner scheinbaren Hef¬ tigkeit und Intensität, immer nur ein Theelöffel auf eine Unmenge Wasser. Das arabische dagegen ist Essenz“ (Briefe an N. W.-V., S. 969). Im Brief 41 an Gräfin Mariette spricht Rilke von den „Elegien“ und „Sonetten“ als „künstlerische Ver¬ dichtung“ und „Essenz des eigenen Daseins“. Die Metapher der orientalischen Duftessenzen wendet Rilke auch auf Valerys „La soiree avec Monsieur Teste“ (Paris 1896) an: „Valery, statt einen Roman zu versuchen, gab hier die stärkste Romanessenz, die je destilliert worden ist; ich mußte an meinen Parfümeur in Tunis denken, der aus sieben kleinen Fläschchen die dosierten Bruchteile von Tropfen entließ, die, vermischt und in Lösungen geglättet, erst den gebräuchli¬ chen Wohlgeruch ergaben“ (Brief vom 9.2.1926 an Katharina Kippenberg in: BW mit Kath. Kippenberg, S. 570). OuchyJ

Gräfin Mariette kündigte Rilke einen Besuch in Ouchy bei Lausanne,

an. Es kam wohl nicht zu einem Treffen, da Rilke die Bücher später mit der Post schickte (siehe Brief 40).

194

Sierre hat ein ausgezeichnetes Hotel („Bellevue“, das alte Palais de Courten), wo ich meine - seltenen - Gäste logiere. Geben Sie mir rasch ein gutes Recht auf eine ver¬ läßliche Vorfreude!]

Auch Kassner wohnte hier vom 30.7. bis 2.8.1923 (siehe

Brief 38). Zum „Palais Courten“ und zum Hotel „Chateau Bellevue“ vgl. Familie de Courten, Le Chateau de la Cour et ses hötes illustres ou la Maison du capitaine Jean-Frangois de Courten (XVIIe siede) actuellement Hotel de Ville de Sierre: Le Souvenir de Rilke et de Kassner dans l’Hötel de Ville de Sierre, Martigny 1985. Mit dem bayerischen Zweig der Familie Courten war die Familie Mirbach-G.-E. befreundet. Alle guten Wünsche für Ihre junge Welt, im besonderen für Sissy, die mich hoffent¬ lich in dem kleinen beigelegten Bild erkennt und nicht verleugnet!]

Bei der „klei¬

nen Beilage“, die Rilke auf der ersten Seiten seines Briefes in der linken oberem Ecke ankündigt, handelte es sich vermutlich um die Fotografie Rilkes auf dem Balkon in Muzot (Abb. 1, auch abgebildet in: Schnack, Rilkes Leben und Werk im Bild 1956, Nr. 309/1966, Nr. 335). Für diese Aufnahme bedankte sich auch die Fürstin Taxis im Brief vom 4.4.1924 (BW mit M. v. T. u. T., S. 797). Pörtschacher Aufnahme]

Es handelte sich wohl um eine Fotografie, die zum

40. Geburtstag der Gräfin am 20.4.1923 gemacht wurde (Abb. 2).

40.

17. März 1924

3 Briefbögen, zweiter und dritter Bogen von Rilke oben in der Mitte nummeriert, glattes blaues Briefpapier, auf dem ersten Bogen oben in der Mitte steigender Hund eingeprägt, 20,7 x 15,8 cm, mit Wasserzeichen: geschlossene Krone, daneben in Großbuchstaben „Bond“. 5 Seiten mit Tinte beschrieben. Umschlag dazu passend: blau, 11 x 16,7 cm, ohne Wasserzeichen, Innenseite beige, graues Siegel. Adresse: „Alla N. D. Contessa Mariette Mirbach-Geldern, Palazzo Frascara, Piazza Pilotta 3, Roma, Italia“. Vermerke von Rilkes Hand: „(Prego di far seguire)“ = Bitte nachsenden, links oben: „Raccomandata“, Ein¬ schreibnummer: Sierre R 360. Frankiert mit 80-Rappen-Briefmarke. 2 Stempel: Sierre/Siders 17. III. 24. Rückseitig Absender: „Env. Muzot VSierre (Valais) Suisse und Stempel: Roma Raccomandate 18. 3. 24-22. An linker Seite aufgerissen. Unveröffentlicht, aber für eine Veröffentlichung vorbereitet durch Einklammern zweier Absätze auf der vierten Seite: von „Und daß die Comtesse Elisabeth“ bis „was mit der ge¬ schehen soll“. Vermutlich handelt es sich um englisches Briefpapier. Vgl. Brief an N. W.-V. vom 20.2.1924: „[...] daß Sie mir das glatte englische Briefpapier in Vorschlag bringen, es ist mir fast zu glatt; außerdem bin ich mit reichlichen Vorräthen ausgestattet, sowohl von diesem, pariser, wie von dem Furrer-Papier“ (Briefe an N. W.-V., S. 973f.).

195

ich schreibe im gleichen Augenblick, da Ihr guter Brief mich erreicht]

Brief der

Gräfin aus Italien, der Rilke am 17.3.1924 erreichte und in dem sie den Wunsch äußerte, ihn in Venedig zu treffen. Mit ihrer Tochter Elisabeth machte sie eine Italienreise, die nach Sizilien, Neapel, Pompei und nach Rom, Siena, Florenz und weiter nach Venedig führte, wie die in der Familie erhaltenen Postkarten zeigen. Rilkes Brief ist nach Rom adressiert. Gingen Sie auf alle Fälle nach Venedig, so dürfte ich es offen lassen, ob ein gutes Schicksal mir erlauben möchte, Sie um den 2ten April dort zu erreichen]

Am

2.4.1924 war Rilke in Muzot und erwartete einen Besuch Valerys. Vor etwa vierzehn Tagen, hab ich nicht minder schweren Herzens darauf verzichtet, nach Viareggio zu gehen (dem schönen Strand mit seinen Pinien-Wäldern, mit dem ich durch alte glückliche Erinnerungen Zusammenhänge)] Duchesa Aurelia Gallarati-Scotti, eine Cousine Pia Valmaranas (siehe Brief 27) hatte Rilke nach Via¬ reggio eingeladen, das Rilke von Aufenthalten zwischen 1897 und 1904 bekannt war. Im Brief vom 2.3.1924 an die Duchesa lobt er besonders die „Pineta“ (Schnack, Chronik, S. 904). Gesammtausgabe meiner Schriften]

Bereits beim Besuch Anton und Katharina

Kippenbergs im Juli 1922 in Sierre und Muzot war über die geplante Gesamtaus¬ gabe der Werke Rilkes zu seinem fünfzigsten Geburtstag am 4.12.1925 gespro¬ chen worden. Rilke erhielt eine Aufstellung über den vorgesehen Inhalt der ge¬ planten sechs Bände (Schnack, Chronik, S. 812, Brief an Fürstin Marie Taxis vom 7.1.1923 in: BW mit M. v. T. u. T., S. 741). Format, Papier und Umbrüche waren Themen im Brief Anton Kippenbergs vom 29.5.1923 und in Rilkes Ant¬ wort vom 29.6.1923 (BW mit Anton Kippenberg, Bd. 2, S. 294 und 296f.). Im Mai 1925 sollte das Setzen beginnen, doch wurden von Rilke noch Zusammen¬ stellungen seiner neuesten Gedichte erwartet, die er jedoch wegen seines langen Parisaufenthalts nicht liefern konnte (Brief Anton Kippenbergs vom 11.5.1925 in: BW mit Anton Kippenberg, Bd. 2, S. 373-376). In diesem Brief schlug Kip¬ penberg außerdem eine neue Einteilung der Werke in fünf Bände vor. Trotz Ril¬ kes Bedenken und Wünschen, die er in seinem Antwortbrief vom 26.5.1925 aus Paris äußerte, hielt Kippenberg noch am Erscheinen der ersten Bände zum 4.12.1925 fest (ebd., Bd. 2., S. 378f. und Brief vom 29.5.1925, S. 382-384). Durch Rilkes Zögern erschien die Ausgabe erst nach Rilkes Tod, im Jahre 1927, in sechs Bänden. Die Herausgabe seiner nachgelassenen Gedichte, bei deren Vorberei¬ tung Ernst Zinn auch Gräfin Mirbach-G.-E. nach Widmungsgedichten fragte, er¬ folgte 1953 (eingegangen in SW II). Voraus ging 1950 die Veröffentlichung „Aus Taschenbüchern und Merkblättern - in zufälliger Folge - 1925“. Vgl. BW mit Anton Kippenberg, Anm. zum Brief von Kippenberg vom 29.5.1923, Bd. 2, S. 518.

196

Allerdings hoffte ich (und hoffe es noch ein wenig), im Laufe des April nach Paris zu gehen, wo ich dringende Angelegenheiten zu ordnen hätte] Rilke plante eine Paris¬ reise im April, dann im Oktober 1924 (Brief an Anton Kippenberg vom 4.8.1924 in: BW mit Anton Kippenberg, Bd. 2, S. 349). Er reiste erst am 7.1.1925 nach ei¬ nem weiteren Aufenthalt in Val-Mont auf besonderes Anraten von Dr. Haemmerli, sich ins gesellige Leben zu stürzen, und blieb sieben Monate, bis zum 18.8.1925 (Freedman/Ebneter 2, S. 433). Zu den dringenden Angelegenheiten gehörte, die durch Bemühungen Andre Gides, Romain Rollands und Stefan Zweigs sichergestellten beiden Kisten mit Büchern und Papieren, die er 1914 zu¬ rücklassen musste, wieder an sich zu nehmen. Mit Maurice Betz wollte er die Übersetzung des „Malte” ins Französische fertigstellen (ebd., S.434f.). Er freute sich darauf, Gide und Valery zu treffen, Merline und die Pitoeffs, Marthe, Anna de Noailles und Claire Goll und genoss eine Zeit lang intensiv das gesellige Le¬ ben (ausführlich bei Freedman/Ebneter 2, Kapitel „Je est un autre: Das Fenster nach Frankreich“, Abschnitt 5, S. 434-445). Hier auch sehr deutlich die Angriffe auf den frankophilen Dichter Rilke aus rechtsgerichteten Kreisen in Deutsch¬ land, ferner das Ende des Parisaufenthalts mit Depression und Zusammenbruch. nochmals das Sanatorium überhalb Montreux aufsuchen müssen, dem ich im Januar entronnen bin]

Siehe Brief 39. Rilke wird im November 1924 zum zweiten Mal

in die Klinik Val-Mont gehen. Am 28. Juni fährt er zu einer Kur nach Bad Ragaz (siehe Brief 41). ich hätte es für soviel geleistete Arbeit besser verdient gehabt] Anders am 22.4.1924 an Lou Andreas-Salome: „[...] daß ich nach der Herrlichkeit dieser Leistung, gern ertragen will, was mir möchte als Rückschlag auferlegt werden. Ich halts aus“ (BW mit L. A.-S., S. 467). Sizilien kenn ich nur, als Passant, von der Rückkehr von Tunis her —mehr aber wünsch ich mir nun noch dieses seltsame franziskanische Scandriglia, wo Sie an mich denken mußten. Ich würde es umso mehr aufnehmen, sähe ich es einmal, -als mir Assisi —so wie ich es kannte —eigentlich nie franziskanisch genug gewesen ist!] Rilke verbrachte auf der Reise von Tunis nach Neapel am 28.12.1910 einige Stunden in Palermo und Trapani. Nach seiner Trennung von Magda von Hattingberg (Benvenuta) war er vierzehn Tage lang, vom 9.-23. Mai 1914, in Assisi. Von der Unmöglichkeit, hier die „richtige Armut“ zu finden, handelt Rilkes Brief an die Fürstin Taxis vom 18.5.1914: „Ach lebte dies noch aus seiner eige¬ nen Glut und erhielte sich nicht nur von Herz zu Herz mühsam, wie anders müßte die Spannung sein, in der innigen Unterkirche, in der die Giottos eine un¬ erschöpfliche Nähe jenes Heiligenlebens unterhalten. Wie müßte dort der nur Zuschauende, der Beschauer, sich beschämt und ausgeschlossen fühlen und so gar nicht an seinem Platz, - indessen es geht ausgezeichnet, herumzugehen und sich einfach kunstbetrachtend anzustellen - merkwürdig wenig Ergreifung liegt

197

in der grottigen Dunkelheit“ (BW mit M. v. T. u. T., S. 378). Wie schon zu Brief 17 kommentiert, veranlassten Heiligenleben Rilke zu dichterischer Auseinander¬ setzung. Leben und Werk des heiligen Franz von Assisi, vor allem den „Sonnen¬ gesang“ schätzte Rilke besonders. Sie fanden Eingang in „Das Stunden-Buch“ (1899, SW I, S. 253-366), das Gedicht „Die Heiligen“ (1906, SW II, S. 330) und den „Brief des jungen Arbeiters“ (1922, SW VI, 1111-1127). Vgl. zum Thema: Claire Lucques: La Dette de Rilke ä l’egard de saint Francois d’Assise, in: BIRG 10 (1983), S. 80-93, und August Stahl: Franz von Assisi: der unvergleichliche Heilige Rilkes. Eine Interpretation des Gedichtes „Die Heiligen“ in: Korrespon¬ denzen, FS für Joachim W. Storck, S. 455-471. In der kleinen 535 m hoch gelegenen Gemeinde Scandriglia, 45 km nordöstlich von Rom, befindet sich ein Franziskanerkloster mit einer Wallfahrtskirche, Santa Maria delle Grazie, aus dem 15. Jahrhundert. Und daß die Comtesse Elisabeth das alles miterleben durfte und nun noch glückli¬ che römische Tage haben wird!] Zur ältesten Tochter der Gräfin siehe Briefe 31, 33 und 37. Nein: was Sissy angeht, so macht mir nur die Nase Sorge, nicht, gar nicht, das Klos¬ ter; es hat keine Gefahr, daß sie sich „vernonnen“ ließe, das kleine schelmischfröhliche Herz! Sie wird sich schon vom Kloster abzuheben wissen. Dagegen die Na¬ se ist ihr näher und ich sorge mich, was mit der geschehen soll?] Humorvolle Pas¬ sage, die außerdem Zeugnis vom privaten Inhalt der Briefe Gräfin Mariettes an Rilke gibt. Rilke amüsiert sich über die „Nase“ Sissys, die eine kleine Operation nötig hatte, ähnlich wie über die „Hose“ der Gräfin im Brief 21. Missive] Sendschreiben. daß Sie, statt nach Venedig, bis hierher kommen könnten für die Tage vom 2ten bis 5. April] Am 6. April kam Paul Valery nach Muzot (Schnack, Chronik, S. 911). in mein altes Gemäuer und mein fast ebenso vermauertes Gemüth] „Ein hartes Re¬ fuge für einen harten Herrn“, hatte Rilke im Brief 35 geschrieben. Jedenfalls bitte ich um Ihre Daten gelegentlich, um dann einmal die Bücher schicken zu können] Den Widmungen „oesterlich“ (in den „Elegien“) und „um Ostern“ (in den „Sonetten“) nach erhielt Gräfin Mariette diese wohl vor Ostern 1924 (siehe Brief 39). Der Ostersonntag am 20. April 1924 war in diesem Jahr der Ge¬ burtstag der Gräfin. Um diese Zeit erhielt auch Dorothea von Ledebur die Bü¬ cher als österlichen Gruß (Schnack, Chronik, S. 913f.).

198

41.

9. August 1924

2 Faltbögen, zweiter Bogen von Rilke in der Mitte oben nummeriert, beiges Briefpapier (Furrer Wasserzeichen wie Briefe 35 und 39), 17,8 x 13,5 cm, beide mit grau gedrucktem Briefkopf rechts oben: Chateau de Muzot sur Sierre, Valais („Sierre“ auf erstem Bogen mit Tinte unterstrichen). 8 Seiten mit Tinte beschrieben, einige Streichungen und Über¬ schreibungen (Abb. 8). Umschlag: beige, 9,7 x 14,7 cm, blaues Futter, graues Siegel. Ad¬ resse: „I. H. G. Frau Gräfin Mariette Mirbach-Geldern, München, Habsburgerstraße 7 (Bayern)“. Links oben Vermerk von Rilkes Hand: „Einschreiben“, registriert unter der Nummer: Sierre R 361. Frankiert mit 80-Rappen-Briefmarke. 2 Stempel: Sierre/Siders 9. VIII. 24. - 17. Rückseitig Absender: „Env: Muzot VSierre (Valais) Schweiz“ und Stem¬ pel: München 2. B. Z. 11. 8. 24, 7-8 V. Links aufgerissen. Erstveröffentlichung: Brief 90 in: GB VI 1937, S. 285-288, gekürzt um den privaten zwei¬ ten Absatz des Briefes und zwei kurze Absätze am Schluss. Diese sind im Original in Klammern gesetzt, von der Hand der Gräfin. Veröffentlicht und zitiert in: 1. Ritzer, RMR Bibliographie, S. 47, Bll: „Gräfin M. 10. Mu 9.8.24: 5, 90; 401.“ - 2. Brief 401 in: Briefe 1950 und den späteren Auflagen dieser Ausgabe, zuletzt 1987 (drei Bände, it 867), S. 867-869, mit zusätzlichen Kürzungen am Anfang und um zwei Absätze in der Mitte des Briefs. — 3. Günther, Weltinnenraum, S. 3 („an Gräfin M.“): interpretierende Zitierung des Satzes: „Und indem Sie meine schweren Bücher“ bis „wie Wurzelwerk“. — 4. Storck, Briefschreiber, passim: „Essenz des eigenen Daseins“ und „die Vorhandenheit eines solchen Gedichts“ bis „abgeleitet worden, man weiß selbst kaum wie“ und „So ist jede künstlerische Leistung“ bis „für die uns jede Übersicht abgeht“. — 5. Mason, Rilke, 1964, S. 128: „Oft ist es seltsam“ bis „Fehlersummen des Lebens zu vermehren“. 6. Stahl, Vokabeln der Not, S. 157: „Wurzelwerk“. - 7. Schnack, Ragaz, S. 78: „Ich kom¬ me eben von Ragaz“ bis „hineingefunden scheinen“. - 8. In: Über Dichtung und Kunst, Engelhardt 1974 („an Gräfin M.“), S. 122f., Umfang und Fassung wie in 2. - 9. Schnack, Chronik, S. 933: „gerne gedenke ich manchen Abends bei ihr“ bis „mehr und mehr imagi¬ nären Heimat“. - 10. Hinweis auf den Brief bei Engelhardt, 1973 („an Gräfin M.“), 5. 31 f., und textnahe, interpretierende Zitierung des drittletzten Absatzes unter Verwen¬ dung der Wörter „Erschütterungen, Ordnungen, Willen“. - 11. MDE I, S. 309f.: „indem Sie meine schweren Bücher“ bis „einbezogen wird“. - 12. KA II, S. 599f.: „trotz der un¬ endlichen unvermeidbaren Schwierigkeiten“ bis „jede Übersicht abgeht“ (mit kleinen Auslassungen). Ragaz]

Bad Ragaz, im Rheintal gelegen, gehört zu den bedeutendsten Bädern

der Schweiz. Seine Heilquellen entspringen in der 500 m langen Taminaschlucht, die Rilke bei seinem Aufenthalt im Jahre 1924 mit den beiden Prinzessinnen Windischgrätz besuchte. Rilke war am 18./19 Mai 1920 erstmals in Ragaz, als er Gudi Nölke auf Schloß Wartenstein über Ragaz besuchte (Schnack, Chronik, S. 691). Bei seinem ersten Kuraufenthalt vom 18.6. bis 23.7.1924 wohnte Rilke im Hotel „Hof Ragaz“, wo er auch die Fürstin Taxis traf. Sie erwartete ihn um dieselbe Zeit auch im Jahre 1925, Rilke fuhr jedoch wegen seines Parisaufenthalts erst im September zu einer vierzehntägigen Kur in das alte „großmüthige“ Bad (Schnack, Chronik, S. 994-997). In seinem Todesjahr 1926 weilte Rilke dort

199

vom 20.7. bis 30.8. Es entstand das Gedicht „Die Wasser von Ragaz“ (SW II, S. 274). Umfassend zu Rilke und Ragaz vgl. Schnack, Rilke in Ragaz. der zwei Prinzessinnen Windiscbgraetz (Mary und Antoinette), die zuletzt in Mün¬ chen gewohnt haben]

Prinzessin Marie (Mary) Margarete Edeltrude zu Win-

dischgraetz (Rohrau/Niederösterreich 1896 - 1988 bei Salzburg). Ihre Schwester Antoinette (Zürich 1902 - 1988 Wien), die 1935 Ladislaus Fürst BatthyanyStrattmann heiratete, zog nach Wien (Schnack, Chronik, S. 1267). Die Eltern der Prinzessinnen waren Franz Prinz zu Windischgraetz und Margarete Prinzessin zu Windischgraetz geb. Harrach. 1921/22 studierten beide Prinzessinnen in München, Antoinette ist im Meldeblatt als „Musikstudentin“, Mary als „Privat¬ studierende“ eingetragen. Beide wohnten in der Pension Galanti, Kaulbachstraße 61 (Flöhe Akademie der Künste, nicht weit von der Schwabinger Wohnung Grä¬ fin Mariettes in der Habsburgerstraße). 1924 verzogen sie nach Zürich (Melde¬ bögen im Stadtarchiv München). Ihr starkes Eingehen auf meine Bücher] „Duineser Elegien“ und „Sonette an Or¬ pheus“. Rilkes letzter Brief an Gräfin Mariette antwortet auf einen Brief, in dem sie über ihre Lektüre der beiden Werke schrieb. Es ist hier besonders bedauer¬ lich, dass die Gegenbriefe verloren sind. Gern wüsste man, welche Interpretati¬ onsversuche Rilkes poetologische Selbstaussagen hervorriefen. Und indem Sie meine schweren Bücher so lebhaft und unmittelbar aufzufassen fähig waren, trotz der unendlichen unvermeidlichen Schwierigkeiten, die diese Verse mit sich bringen (nicht so sehr, wegen ihrer Dunkelheit, sondern weil ihre Ausgangs¬ punkte oft verborgen sind, wie Wurzelwerk)] „Schwer“ hat hier einem Doppel¬ sinn: schwer zu verstehen für die Gräfin, aber auch im Sinne von „Schwerem“, das Rilke als Dichter vergönnt war. Rilkes Bekenntnis zum „Schweren“ findet sich auch im „Testament“: „[...] Ich glaube deshalb, dass ich, schon als Kind, nie um etwas anderes gebetet habe, als um mein Schweres“ („Das Testament“, 1975, S. 32; KA IV, S. 724 und Anm. 724,20, S. 1057). Vgl. Brief 33: „Auch Ihr Brief rührte ja ein Schwerstes im Leben an“ und Brief 35: „Das also wird Muzot gewe¬ sen sein, eine seltsame, oft schwere Episode des heißen Sommers von 1921“. Die Stelle findet sich interpretiert bei Werner Günther („Weltinnenraum“, 1952, S. 3). Er erkennt hier eine Hinführung Rilkes zur Deutung seines Werks, bei der es „zuvörderst die .Ausgangspunkte“, dieses .Wurzelwerk“ aufzusuchen und aufzudecken gilt“. da Sie, ganz ohne Hülfe, zu soviel Auffassung fähig waren, so hat, scheint mir, doch fast etwas wie ein Wiedersehen zwischen uns stattgefunden, bei dem Sie allerdings arg bemüht gewesen sind und ich (was mich persönlich angeht) arg ausgeschaltet!] Die Interpretationsversuche der Gräfin lagen Rilke vermutlich sehr fern, was er ihr höflich und leicht ironisch zu verstehen gibt. Kaum Erläuterungen gab Rilke

200

auch in anderen Briefen, eine Ausnahme macht der Brief an Gräfin Sizzo vom 1.6.1923 (u.a. in: Briefe 1950/it 867, S. 839-842). Aber auch hier warnt er: „Sie denken zu weit [...]“. Ihm selbst teilten sich die „Sonette“ beim Vorlesen mit, „und wo ein Dunkel bleibt, da ist es von der Art, das es nicht Auf-Klärung for¬ dert, sondern Unterwerfung“ (Brief an Clara Rilke vom 23.4.1923 in: Briefe 1950/it 867, S. 835). Seine Ausführungen zu den „Duineser Elegien“ an Witold Hulewicz am 13.11.1923 beginnt Rilke mit den Worten: „Und bin ich es, der den Elegien die richtige Erklärung geben darf? Sie reichen unendlich über mich hin¬ aus“ (Briefe 1950/it 867, S. 896-901). Aber es läßt sich ja kaum sagen, bis zu welchem Grade ein Mensch in eine künstleri¬ sche Verdichtung von der Konzentration jener Elegien und einzelner Sonette sich üherzuführen vermag, oft ist es seltsam für die Lage des Hervorbringenden, an den dünneren Tagen des Lehens, (den vielen!) solche Essenz des eigenen Daseins, in ih¬ rem unbeschreiblichen Überwiegen, neben sich zu fühlen.] Siehe Brief 39: Rilke er¬ innerte sich an die Essenzen des Rosenölhändlers in den Souks von Tunis: „Aber ich war schon damals entschlossen, es ihm auf meine Weise im Ver-Dichten nachzuthun!“ denn kaum ist es gethan, gehört man seihst schon wieder ins allgemeine blindere Schicksal, zu denen, die vergessen, oder wissen als wüßten sie nicht, und die durch ein geläufiges Ungefähr-oder Ungenau-sein dazu beitragen, die Lehlersummen des Lehens zu vermehren] „Er war ein Dichter und haßte das Ungefähre“ heißt es im „Malte” (48. Aufzeichnung) über Felix Avers (französischer Dichter, 1806— 1850). Mit der „künstlerischen Verdichtung“ des „Daseins“ (s.o.) in Gestalt der „Duineser Elegien“ und „Sonette an Orpheus“ ist Rilke nicht zugleich von allen menschlichen Unzulänglichkeiten befreit. Das tägliche Leben, das ihm schon bald mit Erschöpfung, Zweifel und Krankheit naht, wird weiter gegen die Arbeit stehen, aber er wird seine Kunst nicht mehr als „Betrug am Leben“ sehen (siehe Brief 33). Lreilich hat das dichterische Wort eine Athmosphäre der Lreiheit um sich, die uns fehlt; es hat keine Nachharen, außer wieder andere gleichwerthige Bildungen, und zwischen ihm und ihnen mag eine Geräumigkeit sich ausgestalten, ähnlich der des gestirnten Himmels: ungeheuere Distanzen und die unahsehlichen Bewegungen hö¬ herer Ordnung, für die uns jede Übersicht ahgeht] Diese Aussage Rilkes über das Wesen der Poesie und die Autonomie des Kunstwerks fand besondere Beach¬ tung in: Storck, Briefschreiber, S. 379-381. Zur kosmischen Metapher siehe auch Brief 13: „Wer nicht nach einem vorgefaßten Plane lebt, nichts aufsucht, sondern alles - und am Liebsten das Entfernteste - kommen läßt nach seinem Gesetz, der bedarf der Einschaltung in den größesten Welt-Kreislauf aller Länder und Sternbilder, um in seinem unendlichen Sinn lebendig zu sein und Beweise dafür zu haben, daß er’s ist.“ Die Verwandlung der Erfahrung Rilkes von Welt im um-

201

fassendsten Sinne geschieht im Raum des Gedichts, dessen „Bedingungen im Spätwerk so selbstverständlich in den Weltraum projiziert sind“ (Beda Allemann 1961, S. 234). Zu seiner „Produktivität“ aus der unmittelbaren Bewunderung des Lebens heraus siehe Brief 33. Die gesamte Briefsequenz (ab „meine schweren Bücher“), in der sich Rilke mit seiner künstlerischen Existenz auseinandersetzt, zählt zu den Schlüsselaussagen Rilkes über Dichtung und Kunst (vgl. Engel¬ hardt, 1974). Gräfin Marie Hollnstein; gerne gedenke ick manches Abends bei ihr, vor den Reihen russischer Bücher, an dem ich mich in jenes Russland versetzt meinen konnte, an dem ich hing wie an einer mehr und mehr imaginären Heimath. Was war schlie߬ lich auch ihr ganzes Dasein für ein Exil geworden, in seiner Absonderung!]

Die

Gräfin Maria Holnstein (im Meldebogen nur ein „1“) geb. Apuchkin (1869— 1924) wurde in Petersburg geboren. Als russische Emigrantin heiratete sie 1894 in Wiesbaden Graf Ludwig Karl von Hollnstein (1868-1930). Nach der Schei¬ dung 1903 lebte sie weiter als „Kunstmalerin“ (Meldebogen) in München, und wohnte zwischen 1911 und 1922 in der Kaulbachstraße 3. Die Nachricht vom Tod der Gräfin Hollnstein ruft Rilkes Erinnerungen an das Russland der Jahr¬ hundertwende wach (vgl. Brief 13). Der Abend in den Kammerspielen ist mir aber gewiß der gegenwärtigste geblieben von allen diesen Abenden; ich werde ihn immer, um dessentwillen, was er mit sich gebracht hat, zu den liebenswürdigsten Fügungen jener Jahre rechnen, die sonst nicht gerade bedacht waren, einen zu beschenken] Siehe Brief 24. Die Briefe Rilkes set¬ zen am 11.12.1918 ein. Man traf sich wohl schon in der Kriegszeit nicht nur im Theater, sondern auch bei Abendgesellschaften und Lesungen in München (Brief 1) und in der Wohnung der Gräfin. Und wie sehr steht doch noch alles, bis ins Zufälligste, unter dem Zeichen jener Er¬ schütterungen, die die Ordnungen zerstört haben, in denen wir aufgewachsen sind] Im Brief 36 drückt Rilke dieses ihn sehr beschäftigende Thema so aus: „Wenn man allein alle die Konflikte bedenkt, die ganz andere beherrschliche Dimensio¬ nen würden eingehalten haben, hätten nicht die Erschütterungen der Zeit in al¬ les, was die mindeste Neigung zum Zerfall in sich trug, so entsetzlich zustim¬ mend eingegriffen.“ Es folgt das Bild der Sintflut, der eine „Stille“ als Zeit der Besinnung folgte. Besonders stark ist Rilkes Deutschlandkritik in den Briefen an Nanny Wunderly-Volkart vom 25. und 30.1.1923 (Briefe an N. W.-V., Briefe 311 und 312, S. 856-868). Wievieles, was sonst mit dem Gang der normalen Strömungen einem zutrieb, muß man jetzt wollen, um es zu erreichen — und darüber wird die Welt indiskret und verkrampft; denn das Beste, uns natürlich Zukommende, entstellt sich schon allein dadurch, daß es in die ungeduldigen Bereiche des Willens einbezogen wird]

202

Siehe

auch hier Brief 36: „Aber nach so viel Rütteln immer noch weiter gerüttelt sein, und bösen Willen und Rathlosigkeit fast überall an der Arbeit zu sehen, an einer durchaus nicht erneuten und gereinigten, sondern an eben jenen gleichen Bethätigungen, aus denen das grenzenlose Verhängnis kam, — — das erst ist die schlimmste Prüfung nach so vielem Schlimmen.“

Und wie unbeirrlicb selbst in so beilloser und beirrender Zeit, einfach gesunde und gutentschlossene Naturen sieb aus- und aufrichten, das sah ich wieder, mit glückli¬ chem Zutrauen, bei den beiden Windisch-Graetz. Sissy wird einem [...] nach und nach ein ähnliches Gefühl des Zutrauens geben] Obwohl Rilke die Welt noch in Unordnung sieht, blickt er hoffnungsvoll auf die Natürlichkeit der Mädchen und bezieht auch die dreizehnjährige Sissy mit ein. Siehe auch Brief 37.

203

IV. Anhang 1 Literaturverzeichnis 1.1 Rainer Maria Rilke 1.1.1 Werke SW = Sämtliche Werke. Hrsg, vom Rilke-Archiv in Verbindung mit Ruth Sie¬ ber-Rilke besorgt durch Ernst Zinn. Bd. I-VI. Frankfurt am Main 19551966. Ausgabe in 6 Bänden (it 1101-1106). Frankfurt am Main 1987. SW VII = Sämtliche Werke. 7. Bd. Die Übertragungen. Hrsg, vom Rilke-Archiv, in Verbindung mit Hella Sieber-Rilke besorgt durch Walter Simon, Karin Wais und Ernst Zinn. Frankfurt am Main 1997. KA I-IV = Werke. Kommentierte Ausgabe in 4 Bänden. Hrsg, von Manfred Engel, Ulrich Fülleborn, Horst Nalewski und August Stahl. Eingeleitet von Beda Allemann. Frankfurt am Main 1996. (KA IV: Schriften zu Literatur und Kunst. Hrsg, von Horst Nalewski.) KA, Supplementband = Rainer Maria Rilke: Gedichte in französischer Sprache. Mit deutschen Prosafassungen. Hrsg, von Manfred Engel und Dorothea Fauterbach. Übertragungen von Rätus Luck. Frankfurt am Main und Leip¬ zig 2003. Cornet = Die Weise von Liebe und Tod des Cornets Christoph Rilke. Leipzig 1912 (Insel-Bücherei Nr. 1). Das Florenzer Tagebuch. In: Tagebücher aus der Frühzeit. Hrsg, von Ruth Sie¬ ber-Rilke und Carl Sieber. Leipzig 1942, S. 13-140. Das Jahrhundert des Kindes (Ellen Key). Rezension, erschienen in: Bremer Ta¬ geblatt und General-Anzeiger, VI. Jg., Nr. 88, 16.4.1902. In: SW V, S. 584592 und KA IV, S. 262-267. Das Testament, 1975 = Das Testament. Edition und Nachwort von Ernst Zinn. Frankfurt am Main 1975. Die Dame mit dem Einhorn. Hrsg, von E. Olessak, Frankfurt am Main 1978. Die Sonette an Orpheus. Leipzig 1923. Duineser Elegien. Feipzig 1923. Ewald Tragy. Erzählung. In: SW VII, S. 512-567. Erstveröffentlichung München 1929. Malte = Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge. Hrsg, und kommentiert von Manfred Engel. Stuttgart 1997. Mitsou 1995 = Balthus, Rilke: Mitsou: Vierzig Bilder von Balthus. Mit einem Vorwort von Rainer Maria Rilke. Hrsg, und aus dem Französischen über¬ setzt von August Stahl. Frankfurt am Main und Leipzig 1995.

205

Rodinbuch = Auguste Rodin. In: KA IV, S. 401-484. Erster Teil 1903. Zweiter Teil: Ein Vortrag 1907. Erstausgabe Berlin 1903 bei Julius Bard, Schmoll Bibliographie 348. 54.-60. Tausend. Leipzig (Insel) [1934]. Schmoll Biblio¬ graphie 1145. Schmargendorfer Tagebuch. In: Tagebücher aus der Frühzeit. Hrsg, von Ruth Sieber-Rilke und Carl Sieber. Leipzig 1942, S. 141-306. Sieben Gedichte (Unseld) = ,Das Tagebuch' Goethes und Rilkes ,Sieben Ge¬ dichte', erläutert von Siegfried Unseld (= Insel-Bücherei Nr. 1000). Frank¬ furt am Main 1978. Über Dichtung und Kunst = Über Dichtung und Kunst. Edition und Nachwort von Hartmut Engelhardt. Frankfurt am Main 1974. Über moderne Malerei = Über moderne Malerei. Texte und Bilder. Zusammen¬ stellung und Nachwort von Martina Krießbach-Thomasberger. Frankfurt am Main und Leipzig 2000.

1.1.2 Briefe GB I-VI = Gesammelte Briefe in 6 Bänden. Hrsg, von Ruth Sieber-Rilke und Carl Sieber. Leipzig 1936-1939. GB V 1937 = Briefe aus den Jahren 1914 bis 1921. GB VI 1937 = Briefe aus Muzot, 1921 bis 1926. Briefe 1950 = Briefe 1897-1926. Hrsg, vom Rilke-Archiv in Weimar. In Verbin¬ dung mit Ruth Sieber-Rilke besorgt durch Karl Altheim. 2 Bde. Wiesbaden 1950. 2. Bd. 1914-1926. Briefe in einem Band. Hrsg, vom Rilke-Archiv. In Verbindung mit Ruth SieberRilke besorgt durch Karl Altheim. Frankfurt am Main 1980. (2. Aufl. mit revidiertem Register = Vollst. Neuausgabe der zweibändigen Ausgabe 1950). Briefe 1950/it 867 = Briefe 1897-1926. Hrsg, vom Rilke-Archiv in Weimar in Verbindung mit Ruth Sieber-Rilke besorgt durch Karl Altheim. 3 Bde. in Kassette (it 867). 3. Aufl. 1987 der Ausgabe von 1950. 2. Bd.: 4.11.1912 bis 12.1.1922; 3. Bd.: 16.1.1922 bis Dez. 1926. Briefe 1991 = Briefe in 2 Bänden. Hrsg, von Horst Nalewski. 1. Aufl. Frankfurt am Main und Leipzig 1991. 1. Bd. 1896 bis 1919. 2. Bd. 1919 bis 1926. Briefe über Cezanne. Hrsg, von Clara Rilke. Besorgt und mit einem Nachwort versehen von Heinrich Wiegand Petzet. Mit siebzehn farbigen Abbildun¬ gen. Frankfurt am Main 1983. Briefe a. d. Ehepaar Fischer = Briefe an das Ehepaar S. Fischer. Hrsg, von Hed¬ wig Fischer (= Vom Dauernden in der Zeit. Kostbarkeiten alter und neuer Dichtung, hrsg. von Werner A. Classen, 35). Zürich 1947.

206

Briefe an Resi Hardy = Poelchau, Maria: Rilkes Briefe an Resi Hardy (1917— 1920). In: Jahrbuch der Deutschen Schillergesellschaft 1987, S. 35-52. Briefe an K. u. E. v. d. H. = Die Briefe an Karl und Elisabeth von der Heydt 1905-1922. Hrsg, von Ingeborg Schnack und Renate Scharffenberg. Frank¬ furt am Main 1986. Briefe an Tora V. Holmström = Briefe an Tora Vega Holmström. Hrsg, von Birgit Rausing und Paul Äström. Jonsered 1989. Briefe an Sidie N.-B. = Briefe an Sidonie Nädherny von Borutin. Hrsg, von Bernhard Blume. Frankfurt am Main 1973. Neue Ausgabe durch Storck in Vorbereitung. Briefe an Gudi Nölke = Die Briefe an Frau Gudi Nölke. Hrsg, von Peter Ober¬ müller. Wiesbaden 1953. Storck, Briefe zur Politik = Briefe zur Politik. Hrsg, von Joachim W. Storck. Frankfurt am Main und Leipzig 1992. Rilke und Russland = Rilke und Russland. Briefe. Erinnerungen. Gedichte. Hrsg, von Konstantin Asadowski. Frankfurt am Main 1986. Briefe an Schweizer Freunde = Briefe an Schweizer Freunde. Erweiterte und kommentierte Ausgabe. Hrsg, von Rätus Luck. Frankfurt am Main 1994. Luck, Schweizer Vortragsreise = Rilkes Schweizer Vortragsreise 1919. Hrsg, von Rätus Luck. Frankfurt am Main 1986. Briefe an Gräfin Sizzo = Briefe an Gräfin Sizzo 1921-1926. Hrsg, von Ingeborg Schnack. Erweiterte Neuausgabe. Frankfurt am Main 1977 (1. Aufl. 1950). Briefe an N. W.-V. = Briefe an Nanny Wunderly-Volkart 1919-1926. Hrsg, im Auftrag der Schweizerischen Landesbibliothek und unter Mitarbeit von Niklaus Bigler besorgt durch Rätus Luck. 2 Bde. Frankfurt am Main 1977.

1.1.3 Briefwechsel BW mit Lou A.-S. = Rainer Maria Rilke - Lou Andreas-Salome: Briefwechsel 1887-1926. Hrsg, von Ernst Pfeiffer. Frankfurt am Main 1975. Erweiterte Ausgabe 1989 (it 1217). BW mit Elisabeth Ephrussi = Catling, Joanna M.: „Alle Werthe einer dauernden Befreundung“ - der unveröffentlichte Briefwechsel Rilkes mit Elisabeth Ephrussi

(1899-1991).

In: Jahrbuch der Deutschen Schillergesellschaft

1997, S. 31-76. BW mit Anita Forrer = Rainer Maria Rilke - Anita Forrer. Briefwechsel. Hrsg, von Magda Kerenyi. Frankfurt am Main 1982. BW mit Benvenuta = Rainer Maria Rilke: Briefwechsel mit Magda von Hattingberg „Benvenuta“. Hrsg, von Ingeborg Schnack und Renate Scharffenberg. Frankfurt am Main und Leipzig 2000.

207

BW mit Andre Gide = Rainer Maria Rilke - Andre Gide. Briefwechsel 19091926. Eingeleitet und mit Anmerkungen versehen von Renee Lang. Stutt¬ gart und Wiesbaden 1957. BW mit Claire Goll = „Ich sehne mich sehr nach Deinen blauen Briefen.“ Rainer Maria Rilke - Claire Goll. Briefwechsel. Hrsg, von Barbara Glauert-Hesse. Göttingen 2000. BW mit Hugo von Hofmannsthal = Hugo von Hofmannsthal - Rainer Maria Rilke. Briefwechsel 1899-1925. Hrsg, von Rudolf Hirsch und Ingeborg Schnack, Frankfurt am Main 1978. BW mit einer jungen Frau = Rainer Maria Rilke: Briefwechsel mit einer jungen Frau [Lisa Heise]. Hrsg, von Horst Nalweski. Frankfurt am Main und Leip¬ zig 2003. BW mit Inga Junghanns = Rilke, Rainer Maria - Inga Junghanns: Briefwechsel. Hrsg, von Wolfgang Herwig. Wiesbaden 1959. RMR und Kassner

= Rainer Maria Rilke und Rudolf Kassner. Freunde im Ge¬

spräch. Briefe und Dokumente. Hrsg, von Klaus E. Bohnenkamp. Frankfurt am Main und Leipzig 1997. BW mit Ellen Key = Rilke, Rainer Maria: Briefwechsel mit Ellen Key. Mit Brie¬ fen von und an Clara Rilke-Westhoff. Hrsg, von Theodore Fiedler. Frank¬ furt am Main und Leipzig 1993. BW mit Anton Kippenberg = Rilke, Rainer Maria: Briefwechsel mit Anton Kip¬ penberg 1905-1926. Hrsg, von Ingeborg Schnack und Renate Scharffenberg. 2 Bde. Frankfurt am Main und Leipzig 1995. BW mit Kath. Kippenberg = Rilke, Rainer Maria - Katharina Kippenberg: Briefwechsel 1910-1926. Hrsg, von Bettina von Bomhard. Wiesbaden 1954. RMR et Merline, Correspondance = Rainer Maria Rilke et Merline. Correspondance 1920-1926. Hrsg, von Dieter Bassermann. Zürich 1954. Nevar = Nevar, Elya Maria: Freundschaft mit Rainer Maria Rilke. Begegnungen - Gespräche - Briefe und Aufzeichnungen. Bern-Bümpliz 1946. BW mit H. v. N. = Rilke, Rainer Maria - Helene von Nostitz: Briefwechsel. Hrsg, von Oswalt von Nostitz. Frankfurt am Main 1976. BW m. d. Brüdern Reinhart = Rilke, Rainer Maria: Briefwechsel mit den Brü¬ dern Reinhart 1919-1926. Hrsg. v. Rätus Luck unter Mitwirkung v. Hugo Sarbach. Frankfurt am Main 1988. BW mit Rodin = Rainer Maria Rilke - Auguste Rodin. Der Briefwechsel und andere Dokumente zu Rilkes Begegnung mit Rodin. Mit Abb. Hrsg, von Rätus Luck. Frankfurt am Main und Leipzig 2001. BW mit M. v. T. u. T. = Rilke, Rainer Maria - Marie von Thurn und Taxis: Brief¬ wechsel. 2 Bde. Besorgt durch Ernst Zinn. Mit einem Geleitwort von Ru¬ dolf Kassner. Zürich 1951. BW mit R. Ullmann u. E. Delp = Rainer Maria Rilke: Briefwechsel mit Regina Ullmann und Ellen Delp. Hrsg, von Walter Simon. Frankfurt am Main 1987.

208

1.2 Zu Rilke 1.2.1 Bibliografien, Zeitschriften BIRG = Blätter der Rilke-Gesellschaft. Nr. 1/1972 - lfd. Nr. 25/2004 (seit 1978 mit fortlaufender Bibliografie). Hrsg, von der Rilke-Gesellschaft. Insel-Almanach. 1906-1911, 1916-1941. Insel-Almanach auf das Jahr 1986: Rilke und die bildende Kunst. Hrsg. v. Gott¬ fried Boehm. Das Insel-Schiff. Eine Zeitschrift für die Freunde des Insel-Verlages. 1920-1941. Heft April 1927: Dem Gedächtnis Rainer Maria Rilkes gewidmet. Ritzer, RMR Bibliographie = Ritzer, Walter: Rainer Maria Rilke Bibliographie. Wien 1951.

1.2.2 Einzelwerke und Aufsätze Alemparte, Marienleben = Alemparte, Jaime Ferreiro: Das Marien-Leben von Rainer Maria Rilke im Lichte der hagiographischen spanisch-deutschen Quelle, P. Ribadeneira/J. Hornig: Der Flos Sanctorum/Die triumphierende Tugend. In: BIRG 22 (1999), S. 49-70. Beda Allemann 1961= Allemann, Beda: Zeit und Figur beim späten Rilke. Pful¬ lingen 1961. Andreas-Salome, Lou: Rainer Maria Rilke. Mit den Fotografien der Erstausgabe. Hrsg, von Ernst Pfeiffer. 1988 (it 1944). Dies.: Lebensrückblick. Grundriss einiger Lebenserinnerungen. Aus dem Nach¬ lass hrsg. von Ernst Pfeiffer. Neu durchgesehene Ausgabe Frankfurt am Main 1978 (Erstausgabe 1951, 1968). Bassermann, Dieter: Merline und Rilke. In: DU (Zs.) 1954, S. 52. Bertolini, Michaela: Dissonanzen in Orpheus’ Gesang. Untersuchungen zur Po¬ lemik im Prosawerk Rainer Maria Rilkes (= Saarbrücker Beiträge zur Lite¬ raturwissenschaft, hrsg. von Karl Richter u.a., 48). St. Ingbert 1995. Rilke in Frankreich = Betz, Maurice: Rilke in Frankreich. Übersetzt von Willi Reich. Wien, Leipzig, Zürich 1938. Bollnow, Rilke, 1951 = Bollnow, Otto Friedrich: Rilke. Stuttgart 1951. 2. Aufl. 1956. Brittnacher, Poetik der Krise = Brittnacher Hans Richard, Stephan Porombka, Fabian Störmer (Hsrg.): Poetik der Krise. Rilkes „Rettung der Dinge in den Weltinnenraum“. Würzburg 2000. Brutzer, Sophie: Rilkes russische Reisen. Diss. Königsberg 1934. Nachdruck Darmstadt 1969.

209

Dichter lesen 3 = Dichter lesen. Bd. 3: Vom Expressionismus in die Weimarer Republik. Hrsg, von Reinhard Tghart (= Marbacher Schriften 38/39). Mar¬ bach am Neckar 1995. Emde, Ursula: Rilke und Rodin. Marburg 1949. Rilke und Rodin 1997 = Ebneter, Curdin u.a.: Rilke und Rodin. Paris 1902— 1913. Hrsg, von der Fondation R. M. Rilke anlässlich der Ausstellung Rilke & Rodin in Sierre vom 21.8. - 16.11.1997. Ebneter, Dienen = Ebneter, Curdin: Dienen als „blühende und fruchtende Le¬ bensform“. Rilkes Beglückung durch Leni. In: Korrespondenzen, FS für Jo¬ achim W. Storck, S. 367-378. Engel, Manfred: Rainer Maria Rilkes „Duineser Elegien“ und die moderne Lyrik. Zwischen Jahrhundertwende und Avantgarde (= Germanistische Abhand¬ lungen 58). Stuttgart 1986. Ders. (Hrsg.): Rilke-Handbuch. Leben - Werk - Wirkung. Unter Mitarbeit von Dorothea Lauterbach. Stuttgart/Weimar 2004. Engelhardt, Hartmut: Der Versuch, wirklich zu sein. Zu Rilkes sachlichem Sa¬ gen. Frankfurt am Main 1973. Freedman/Ebneter 1 = Friedman, Ralph: Rainer Maria Rilke. Der junge Dichter, 1875-1906. Aus dem Amerikanischen von Curdin Ebneter. Bd. 1. Frankfurt am Main und Leipzig 2001. Freedman/Ebneter 2 = Friedman, Ralph: Rainer Maria Rilke. Der Meister, 1906-1926. Aus dem Amerikanischen von Curdin Ebneter. Bd. 2. Frankfurt am Main und Leipzig 2002. Fülleborn, Ulrich: Das Strukturproblem der späten Lyrik Rilkes. 2. Aufl. Hei¬ delberg 1973. Fuerst, Rilke in seiner Zeit = Fuerst, Norbert: Rilke in seiner Zeit. Frankfurt am Main 1976 Gebser, Jean: Rilke und Spanien. 2. ergänzte u. illustrierte Aufl. Zürich 1946 (1. Aufl. 1936, 1. deutsche Aufl. 1940). Görner, Dichterlos = Görner, Rüdiger: Dichterlos. Das Poetische Rilkes in pro¬ saischer Zeit. In: Korrespondenzen. FS für Joachim W. Storck, S. 489-510. Graf, Oskar Maria: Rilke und die Frauen. In: An manchen Tagen. Reden, Ge¬ danken und Zeitbetrachtungen (= Werkausgabe Bd. XII), München 1994, S. 156-189. Erstmals Frankfurt am Main (Nest) 1961. Großmann, Stefan, Rilke in Skandinavien (1904). In: Das Tage-Buch, 1927, S. 59-60. Günther, Weltinnenraum = Günther, Werner: Weltinnenraum. Die Dichtung Rainer Maria Rilkes. 2. Aufl. Berlin 1952. Hermann, Ruth: Im Zwischenraum zwischen Welt und Spielzeug. Eine Poetik der Kindheit bei Rilke (= Epistemata. Würzb. Wissensch. Schriften. Reihe Literaturwiss. 373). Würzburg 2002.

210

Holthusen = Holthusen, Hans Egon: Rainer Maria Rilke. Mit Selbstzeugnissen und Bilddokumenten (rowohlts monographien 22). Hamburg 1990 (1. Aus¬ gabe 1958). Jonas, Ilsedore B.: Rilke und die Düse. Frankfurt am Main und Leipzig 1993. Jonas, Rilke und Paul Thun, 1974 = Jonas, Klaus W.: Rilke und Paul ThunHohenstein. In: Die Tat (Zürich) vom 13. Juli 1974, S. 22f. Jonas, Rilke und Paul Thun, 1975 = Jonas, Klaus W.: Rainer Maria Rilke und Paul Thun-Hohenstein. In: Jahrbuch des Wiener Goethevereins, NF der Chronik, Bd. 79 (1975), S. 78-99. Jonas, Rilke und Balthusz, 1985 = Jonas, Klaus W.: „daß ich die Existenz dieser beiden Knaben fördern durfte“. Rilke und Baltusz. Mit 9 Abbildungen. In: Philobiblon, eine Vierteljahresschrift für Buch- und Graphiksammler. Be¬ gründet von Ernst L. Hauswedell. Im Auftrag der Maximilian-Gesellschaft in Hamburg hrsg. von Rcimar W. Fuchs, Jg. 29 (1985), H. 4, S. 287-313. Kassner, Rudolf: Rilke. Gesammelte Erinnerungen 1926-1956. Hrsg, von Klaus E. Bohnenkamp. Pfullingen 1976. Künkler, Spanien als Erscheinung = Künkler, Anna Lucia Giavotto: Spanien als Erscheinung, Vision, Unmöglichkeit und Aufgabe. Rilke auf dem Weg zur Vollendung der Duineser Elegien. In: BIRG 22 (1999). Rilke in Spanien, S. 11-23. Kluwe, Sandra: Krisis und Kairos. Eine Analyse der Werkgeschichte Rainer Ma¬ ria Rilkes. Diss. Heidelberg 2001/2002 (= Schriften zur Literaturwissen¬ schaft 20, hrsg. im Auftrag der Görres-Gesellsch. v. Bernd Engler, Volker Kapp, Helmuth Kiesel, Günter Niggl). Berlin 2003. Krießbach, Martina: Rilke und Rodin. Wege einer Erfahrung des Plastischen. Frankfurt am Main, Bern u.a. (Lang) 1984. Kunisch = Kunisch, Hermann: Rainer Maria Rilke, Dasein und Dichtung. 2. neu gefasste u. erweiterte Aufl. Berlin 1975. Leppmann, Wolfgang: Rilke, sein Leben, seine Welt, sein Werk. Bern und Mün¬ chen 1981. Luck, Winterthurer Jahrbuch = Luck, Rätus: „Winterthur, dieses berühmte Winterthur ...“ Rainer Maria Rilke und die Eulachstadt. In: Winterthurer Jahrbuch 1979, S. 7-38. MDE I—III = Materialien zu Rilkes „Duineser Elegien“. Bde. 1-3. Hrsg, von Ul¬ rich Fülleborn und Manfred Engel. Frankfurt am Main 1980, 1982, 1982. 1. Selbstzeugnisse, 2. Forschungsgeschichte, 3. Rezeptionsgeschichte. Mühl, Verwandlung = Mühl, Klaus: „Verwandlung“ im Werk Rilkes. Studien zur inneren Genese der Duineser Elegien (= Erlanger Beiträge zur Sprach- und Kunstwissenschaft, hrsg. von den Vorständen an den Instituten der Philo¬ sophischen Fakultät II... 68). Nürnberg 1981. Naumann, Helmut: Rußland in Rilkes Werk (Deutsche und Vergleichende Lite¬ raturwissenschaft 21). Reinfelden und Berlin 1993.

211

Nalewski, Rilke, 1992 = Nalewski, Horst: Rainer Maria Rilke. Leben, Werk und Zeit in Texten und Bildern. 1992. Marx, Reiner: Rilkes österreichische Heimatlosigkeit. In: Rilke und Österreich. Linz 1986, S. 86-101. Mason, Rilke und Goethe = Mason, Endo C.: Rilke und Goethe. Köln, Graz 1958. Mason, Rilke, 1964 = Mason, Eudo C.: Rainer Maria Rilke. Sein Leben und Werk. 2. Aufl. Göttingen 1964. Mason, Lebenshaltung = Mason, Eudo C.: Lebenshaltung und Symbolik bei Rainer Maria Rilke. Oxford 1964. Mason, Rilkes Humor, 1972 = Mason, Eudo C.: Rilkes Humor. In: Deutsche Weltliteratur von Goethe bis Ingeborg Bachmann. Festgabe für J. Alan Pfeffer. Hrsg, von Klaus W. Jonas. Tübingen 1972, S. 216-244. Mell, Begegnung mit RMR = Mell, Max: Begegnung mit Rainer Maria Rilke. In: Corona 6 (1936), H. 6, S. 694-705. Mörchen = Mörchen, Hermann: Rilkes Sonette an Orpheus. Stuttgart 1958. Pasewalck, Die fünffingrige Hand = Pasewalck, Silke: „Die fünffingrige Hand“. Die Bedeutung der sinnlichen Wahrnehmung beim späten Rilke (= Quellen und Forschungen zur Literatur- und Kunstgeschichte, hrsg. von Ernst Os¬ terkamp und Werner Röcke 21 (255). Berlin, New York 2002. Prater = Prater, Donald A.: Ein klingendes Glas. Das Leben Rainer Maria Ril¬ kes. Reinbek 1989. Rehm, Walter: Rilke und die Düse. In: Symposion I (1948), S. 337-406. Riedel, Pathos des Hörens = Riedel, Manfred: Pathos des Hörens. Orphischer Gesang bei Nietzsche und Rilke. In: Korrespondenzen, FS für Joachim W. Storck, S. 33-51. Rilke heute I = Rilke heute. Beziehungen und Wirkungen. Hrsg, von Ingeborg H. Solbrig und Joachim W. Storck. Frankfurt am Main 1975 (suhrkamp taschenbuch 290). Rilke heute II = Rilke heute. Beziehungen und Wirkungen. 2. Bd. (suhrkamp taschenbuch 355). Frankfurt am Main 1976. Rilke heute III = Rilke heute. Der Ort des Dichters in der Moderne. Beziehun¬ gen und Wirkungen. Redaktion Vera Hauschild, Beratung und Register Ste¬ fan Schank. Frankfurt am Main 1997 (suhrkamp taschenbuch 2599). Rilke und die Weltliteratur = Rilke und die Weltliteratur. Hrsg, von Manfred Engel und Dieter Lamping. Düsseldorf/Zürich 1999. Ryan, Judith: Modernism and poetic tradition. Cambridge 1999. Salis, Schweizer Jahre = Salis, Jean Rudolf von: Rainer Maria Rilkes Schweizer Jahre.

Frauenfeld

1936

(Die Schweiz im deutschen

Geistesleben 23).

3. Aufl. 1952. Sandford, Landscape = Sandford, John: Landscape and landscape imagery in R. M. Rilke. London 1980.

212

Schank, RMR in der Schweiz = Schank, Stefan: Rainer Maria Rilke in der Schweiz.

gleich ferne von bekannt und unbekannt“. Freiburg im Breis¬

gau 2000. Schlicker, Leni = Schlicker, Jupp: Leni, eine Plauderei, mit Abschweifungen, über Rilkes guten Schloßgeist in Berg am Irchel. In: Steiner, RMR und die Schweiz. S. 191-198. Schnack, Leben und Werk im Bild = Schnack, Ingeborg: Rilkes Leben und Werk im Bild. Mit einem biographischen Essay von J.R. von Salis. 2. Aufl. Frank¬ furt am Main 1966 (Wiesbaden 1956). Dies.: Rainer Maria Rilke. Leben und Werk im Bild (it 35). Frankfurt am Main 1973. Schnack, Chronik = Schnack, Ingeborg: Rainer Maria Rilke. Chronik seines Le¬ bens und seines Werkes. 1875-1926. Register. Ergänzungen zu den Jahren 1878-1926. Zweite neu durchgesehene und ergänzte Auflage Frankfurt am Main 1996 (1975). Schnack, Ragaz = Schnack, Ingeborg: Rilke in Ragaz. 1020-1026. Privatdruck der Thermalbäder und Grandhotels Bad Ragaz. Ragaz 1970. Schnack, Uber RMR = Schnack, Ingeborg: Über Rainer Maria Rilke. Aufsätze. Frankfurt am Main und Leipzig 1996. Schnack, Wer war Angela Guttmann? = Schnack, Ingeborg: Wer war Angela Guttmann? Zu Rilkes Winter in Locarno 1919/20. In: Steiner, RMR und die Schweiz, S. 108-123. Schwarz, Egon: Das verschluckte Schluchzen. Poesie und Politik bei Rainer Ma¬ ria Rilke. In: Ders.: Zu Rainer Maria Rilke (= Literaturwissenschaft - Ge¬ sellschaftswissenschaft. Materialien und Untersuchungen, hrsg. von Theo Buck u.a., 69). Stuttgart 1983, S. 23-41. Sieber, Die Ahnen Rilkes = Sieber, Carl: Die Ahnen Rilkes. In: Das Inselschiff. Eine Zeitschrift für die Freunde des Insel-Verlags. 12. Jg. Leipzig 1931, S. 254-260. Sieber, Rene Rilke = Sieber, Carl: Rene Rilke. Die Jugend Rainer Maria Rilkes. Leipzig 1932. Simon, Rilke als Leser = Simon, Tina: Rilke als Leser: Untersuchungen zum Re¬ zeptionsverhalten. Ein Beitrag zur Zeitbegegnung des Dichters während des ersten Weltkrieges (= Europäische Hochschulschriften, Reihe 1, Deutsche Sprache und Literatur, Bd.

1785, zugleich Dissertation Leipzig 2000).

Frankfurt am Main 2001. Simon, W., in: BIRG 1973 = Simon, Walter: Philologische Untersuchungen zu R. M. Rilkes ,Cornet’. In: BIRG 2 (1973), S. 26-58. Stahl, Kommentar = Stahl, August: Rilke-Kommentar zum lyrischen Werk. Un¬ ter Mitarbeit von Werner Jost und Reiner Marx. München 1978. Stahl, Vokabeln der Not = Stahl, August: „Vokabeln der Not“ und „Früchte der Tröstung“: Studien zur Bildlichkeit im Werke Rainer Maria Rilkes. Heidel¬ berg 1967.

213

Steiner = Steiner, Jacob: Rilkes Duineser Elegien. Bern und München 1962. Steiner, RMR und die Schweiz = Steiner, Jacob (Hrsg.): Rainer Maria Rilke und die Schweiz. Eine Ausstellung der Präsidialabteilung der Stadt Zürich: Strauhof Zürich 25. September 1992 bis 10. Januar 1993 (= Strauhof Zürich 6). Zürich 1992. Stephens 1997 = Stephens, Anthony: Das Janusgesicht des Momentanen: Rilkes Einakter „Die weiße Fürstin“. In: Rilke heute III, S. 115-139. Stettier, RMR im Historischen Museum Bern = Stettier, Michael: Rainer Maria Rilke im Historischen Museum Bern. In: Jahrbuch des Bernischen Histori¬ schen Museums, Bd. 37/38 (1957/58). Bern 1959, S. 94-108. Storck, Briefschreiber = Storck, Joachim W.: Rilke als Briefschreiber. Freiburg im Br. 1957. Storck, Katalog Marbach 1975 = Rainer Maria Rilke 1875-1975, eine Ausstel¬ lung des Deutschen Literaturarchivs im Schiller-Nationalmuseum Marbach a. N. vom 10. Mai bis 21. Dez. 1975. Ausstellung und Katalog von Joachim W. Storck in Zusammenarbeit mit Eva Dambacher und Ingrid Kußmaul. (Kataloge zu den Sonderausstellungen im Schiller Nationalmuseum. Hrsg, von Bernhard Zeller, 26). München 1975. Storck, Emanzipatorische Aspekte = Storck, Joachim W.: Emanzipatorische As¬ pekte im Werk und Leben Rilkes. In: Rilke heute II, S. 247-285. Storck, Joachim W.: Rilke als Staatsbürger der Tschechoslowakischen Republik. In: BIRG 1986, S. 39-54. Ders.: Rilke und das Problem der „deutschen Identität“. In: BIRG 1991, S. 5976. Korrespondenzen, FS für Joachim W. Storck = Korrespondenzen. Festschrift für Joachim W. Storck aus Anlaß seines 75. Geburtstages. Hrsg, von Rudi Schweikert in Zusammenarbeit mit Sabine Schmidt (= Mannheimer Studien zur Literatur- und Kulturwissenschaft, hrsg. von Jochen Hörisch und Rei¬ ner Wild, 20). St. Ingbert 1999. Storck, Hertha Koenig = Hertha Koenig: Erinnerungen an Rilke und ein Porträt seiner Mutter. Hrsg, von Joachim W. Storck. Frankfurt am Main 2000 (Bie¬ lefeld 1992). Szäsz, Nur ein Brief? = Szäsz, Ferenc: Nur ein Brief? Rainer Maria Rilkes Brief an Lou Andreas Salome vom 25. Juli 1903. In: Korrespondenzen, FS für Jo¬ achim W. Storck, S. 329-349. M. v. T. u. T., Erinnerungen = Thurn und Taxis-Hohenlohe, Marie von: Erinne¬ rungen an Rainer Maria Rilke. 4. Aufl. Frankfurt am Main 1994 (1. Aufl. bei Insel: Frankfurt am Main 1966). Erste deutsche Ausgabe München, Berlin (Oldenbourg) 1932. Wydenbruck, Nora: Man and Poet. A Bibliographical Study. London 1949. Zimmermann, Rudolf (Pfarrer): Rainer Maria Rilke als Gast im Schloß Berg am Irchel. In: Berg am Irchel und seine Schlösser. Heimatbüchlein. 2. Auflage Zürich 1955, S. 43-63.

214

1.3 Werke, Briefe und Erinnerungen anderer Autoren Aksakow, Sergei Timofejewitsch: Familienchronik. Leipzig (Insel-Verlag) 1919. Bulteau, Augustine: L'Äme des Anglais. Paris (Grasset) 1910 und 1911. Die Au¬ torin schrieb auch unter den Pseudonymen „Foemina“ und „Jacque (sic) Vontade“. Burckhardt, Memorabilien = Burckhardt, Carl. J.: Memorabilien. Erinnerungen und Begegnungen. München 1977. Cloeter, Hermine: Johann Thomas Trattner. Ein Großunternehmer im There¬ sianischen Wien. Graz-Köln (Böhlau) 1952. Dehmel, Richard (Hrsg.): Der Buntscheck. Ein Sammelbuch herzhafter Kunst für Ohr und Auge deutscher Kinder. Liebhaber-Ausgabe. Köln (Schaff¬ stein) 1904. Mit kolorierten, teils goldgehöhten Illustrationen von K. F. v. Freyhold, Karl Hofer, Ernst Kreidolf und E. R. Weiß. Texte von Paula und Richard Dehmel, Oskar Wiener, Friedrich Kayßler, Paul Scheerbart, Gustav Falke, Peter Hille, Jakob Wassermann, Alfred Mombert und Robert Walser. Nachdruck: Insel Verlag Frankfurt am Main 1985 mit einem Nachwort von Sabine Knopf. Freyhold, Konrad Ferdinand Edmund von: Tierbilderbuch für die Kleinen. Köln (Schaffstein) 1905 (Abb. 9 u. 10). Ders.: Sport und Spiel. Bilderbuch, erschienen ohne Text. Köln (Schaffstein) 1906 (Abb. 11-13). Ders.: Illustrationen in: Spitteier, Carl (1845-1924): Gerold und Hansli. Die Mädchenfeinde. Eine Kindergeschichte (1890, umgearbeitet 1907). Jena (Diederichs) 1907. Neuauflagen 1909, 1920, 1924, 1938. (Klotz 6936/1). Ders.: Osterbuch mit Versen von Christian Morgenstern. Berlin (Cassirer) 1908 (Klotz, Nr. 4768/8). Neuauflagen Berlin 1920, 1926 (Klotz 4768/2). Wies¬ baden (Insel) 1960, 1978 (Klotz 4768/8). Ders.: Bilder für Kinder (= Mappe: 6 Postkarten von Abb. in „Sport und Spiel“ (1906) und einem Wandbild (Schaffstein 1905)). Marbach a. N. 2000. Goethe, SW 2.2, Münchner Ausgabe = Johann Wolfgang von: Sämtliche Werke nach Epochen seines Schaffens. Münchner Ausgabe. Hrsg. v. Karl Richter in Zusammenarbeit mit Herbert G. Göpfert, Norbert Miller und Gerhard Sauder, Bd. 2.2: Erstes Weimarer Jahrzehnt 1775-1786. Hrsg. v. Hannelore Schlaffer, Hans J. Beckerund Gerhard H. Müller. München 1987. Goethe, SW 5, Münchner Ausgabe = Johann Wolfgang von: Sämtliche Werke nach Epochen seines Schaffens. Münchner Ausgabe. Hrsg. v. Karl Richter in Zusammenarbeit mit Herbert G. Göpfert, Norbert Miller und Gerhard Sauder, Bd. 5: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Ein Roman. Hrsg, von HansJürgen Schings. München 1988. Albrecht von Hallers Gedichte 1882 = Albrecht von Hallers Gedichte. Hrsg, und eingeleitet von Dr. Ludwig Hirzel. Frauenfeld 1882 (Bibliothek älterer

215

Schriftwerke der Deutschen Schweiz und ihres Grenzgebietes. Hrsg, von Jakob Bächtold und Ferd. Vetter, Bd. 3). Kassner, Rudolf: Sämtliche Werke. Hrsg, im Auftrag der Rudolf Kassner Gesell¬ schaft von Ernst Zinn und Klaus Bohnenkamp. 10 Bde. Pfullingen 1969— 1991. Key, Ellen: Das Jahrhundert des Kindes. Studien. Aus dem Schwedischen von Francis Maro. Neu hrsg. mit einem Nachwort von Ulrich Hermann. Wein¬ heim und Basel 1991. Erstausgabe Berlin (S. Fischer) 1902. Keyserling, Hermann: Das Reisetagebuch eines Philosophen. Darmstadt 1918 (einbändig). 1919 und 1920 in 2 Bänden. Klossowski, Erich: Honore Daumier, München 1908. Lernet-Holenia, Alexander: Das lyrische Gesamtwerk. Hrsg, von Roman Rocek. Wien 1989. Mann, Thomas: Tagebücher 1918-1921. Hrsg, von Peter de Mendelssohn. Frankfurt am Main (S. Fischer) 1979. Ders.: Briefe an Otto Grautoff (1894-1901) und Ida Boy-Ed (1903-1928). Hrsg, von Peter de Mendelssohn. Frankfurt am Main (S. Fischer) 1975. Noailles, Anna Elisabeth de: Les Forces eternelles. Paris (Fayard) 1920. Reisiger, Hans: Maria Marken. Berlin 1911. Salis, Jean Rudolf von: Im Laufe der Jahre. Über Geschichte, Politik und Litera¬ tur. Zürich 1962. Sittenberger, Hans: Scholastika Bergamin. Berlin (Deutsches Verlagshaus) 1899. Sternheim, Gesamtwerk = Sternheim, Carl: Gesamtwerk in 10 Bänden. Hrsg, von Wilhelm Emrich. Stuttgart 1963-1976. Sternheim, Briefe II = Sternheim, Carl: Briefe II. Briefwechsel mit Thea Stern¬ heim, Dorothea und Klaus Sternheim. Hrsg, von Wolfgang Wendler. Darm¬ stadt 1988. Thea Sternheim, Erinnerungen = Sternheim, Thea: Erinnerungen. Hrsg, von Helmtrud Mauser in Verbindung mit Traute Hensch. Freiburg im Breisgau 1995. Tolstoi, Leo N.: Lebenstufen. 4. Aufl. Jena 1928. Erstausgabe 1903 bei Diederichs. Verhaeren, Emile: Les flammes hautes. 1914. Voß, Richard: Aus einem phantastischen Leben. Erinnerungen. Stuttgart 1920. Wendland, York von und Bernt von Heiseier: Erinnerungen. In: Leben im Schat¬ ten des Lichts. Marie Hannes und Karl May. Eine Dokumentation. Hrsg, von Hans-Dieter Steinmetz und Dieter Sudhoff. Bamberg 1997, S. 412f. Winterfeldt-Menkin, Joachim von: Jahreszeiten des Lebens, Berlin (PropyläenVlg.) 1942. Wydenbruck, Nora: My two Worlds. An Autobiography. London, New York, Toronto 1956.

216

1.4 Allgemeine Literatur 1.4.1 Nachschlagewerke Baedecker: Paris, 3. verb. Aufl. Coblenz 1860. Benezit 1952 = Benezit, E.: Dictionnaire critique et documentaire des Peintres, Sculpteurs, Dessinateur et Graveurs de tous temps et tous les pays ... Nouvelle Edition, tome 5. 1952. Biographie Universelle Ancienne et Moderne (Michaud). 9. Aufl. Bd. 7. Paris 1844. Brockhaus Enzyklopädie. 16. Aufl. 12 Bde. Wiebaden 1952-1957. Cattelli, J. McKeen: Leaders in Education. New York 1932 (Oskar Hagen). DBE = Deutsche Biographische Enzyklopädie. Hrsg. v. Walther Killy und Ru¬ dolf Vierhaus. Bd. 4. München u.a. 1996; Bd. 10. München u.a. 1999. Dresslers Kunsthandbuch. Das Buch der lebenden deutschen Künstler, Alter¬ tumsforscher, Kunstgelehrten und Kunstschriftsteller. Bd. 2. 9. Jg. Berlin 1930. Klee, Ernst: Das Personenlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945. Frankfurt am Main 2003. Kluge, Friedrich: Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. 22. Aufl. unter Mithilfe von Max Bürgisser und Bernd Gregor völlig neu bearbeitet von Elmar Seebold. Berlin und New York 1989. Kosch = Kosch, Wilhelm: Biographisches Staatshandbuch. Lexikon der Politik, Presse und Publizistik. Fortgeführt von Eugen Kuri. 1. Bd. A I, München 1963. Kosch, Wilhelm: Deutsches Literatur-Lexikon. Biographisches und bibliographi¬ sches Handbuch. 2. vollst. neubearb. u. stark erweiterte Aufl. Bern 1949. Kürschners Deutscher Gelehrten-Kalender auf das Jahr 1926. Lalou, Rene: Histoire de la litterature francaise contemporaine. Paris (Cres) 1928. Larousse = Larousse, Pierre: Dictionnaire complet illustre. 80e edition Paris 1896. Lexikon des Mittelalters. Bd. VII und Bd. VIII (1997). Stadt (Byzantinisches Reich) bis Werl. München 1997. LThK = Lexikon für Theologie und Kirche. 3. Aufl. Bd. X (2001). ThomasChristen bis Zytomyr. 2001. Martini = Martini, Fritz: Deutsche Literaturgeschichte. 19. neu bearb. Aufl. in Zusammenarbeit mit Angela Martini-Wonde. Stuttgart 1991. Nouvelle Biographie Universelle. Hrsg, von Firmin Didot Freres. 9. Bd. Paris 1854. Reallexikon der Deutschen Literatur-Wissenschaft, Bd. I, A-G, Berlin, New York 1997. Renker, Armin: Das Buch vom Papier. 4. Aufl. Leipzig 1951 (1934).

217

Thieme-Becker = Thieme Ulrich/Becker, Felix (Hrsg.): Allgemeines Lexikon der bildenden Künstler von der Antike bis zur Gegenwart. Leipzig 1907— 1950. Genealogisches Handbuch des Adels. Adelige Häuser B, Bd. III. 1958. Genealogisches Handbuch des Adels. Fürstliche Häuser, Bd. IV. 1956, Bd. XV. 1997. Genealogisches Handbuch des Adels. Gräfliche Häuser B, Bd. II. 1953 und 1960. Genealogisches Handbuch des in Bayern immatrikulierten Adels XXII. 1998.

1.4.2 Sonstige Literatur Andresen, Sabine/Baader, Meike Sophia: Wege aus dem Jahrhundert des Kindes. Tradition und Utopie bei Ellen Key. Neuwied 1998. Balthus 2001 = Balthus, Catalogue raisonne: Das Gesamtwerk. Hrsg, von Virginie Monnier unter der wissenschaftlichen Leitung von Jean Clair. München 2000. Barbier = Barbier, Nicole: Katalog: Plastik. In: August Rodin: Das Höllentor. Zeichnungen und Plastik. Hrsg. v. Manfred Fath in Zusammenarbeit mit J. A. Schmoll gen. Eisenwerth. München 1991, S. 141-150. Brandt, Hartwig: Motive der Kunsterziehungsbewegung und Kunstgewerbebe¬ wegung (= Unipress. Reihe Pädagogik 3). Würzburg 1981. Burckhardt 1921 = Burckhardt, Carl J.: Rodin und das plastische Problem. Hrsg, vom Basler Kunstverein. Basel 1921. Descharnes 1967 = Descharnes, Robert/Chabrun, Jean-Frangois: Auguste Ro¬ din. Lausanne u. Paris 1967. Lurgat 1998 = Denizeau, Gerard/Lurgat, Simone: L'oeuvre peint de Jean Lurgat. Catalogue raisonne 1910-1965. Preface: Bernard Dorival. Lausanne (Acatos) 1998. Die Bilderwelt im Kinderbuch. Kinder- und Jugendbücher aus fünf Jahrhunder¬ ten. Katalog zur Ausstellung der Kunst- und Museumsbibliothek und des Rheinischen Bildarchivs der Stadt Köln. Hrsg, von Albert Schug. Köln 1988 (Freyhold, Kat.-Nr. und Abb. 516). Edelstein, Wolfgang: Odenwaldschule. Eine differenzierte Gesamtschule. Ent¬ wicklung und Struktur (= Erziehung und Unterricht heute - Beiträge zur Theorie und Praxis, Schriftenreihe der Odenwaldschule, hrsg. von Wolfgang Edelstein und Walter Schäfer, H. 8). Frankfurt am Main 1967. Elsen 1981 = Elsen, Albert E.: „Rodin's Perfect Collaborateur“, Henri Lebosse. In: Rodin Rediscovered. Hrsg, von Albert E. Elsen. Washington, New York, Boston 1981, S. 249-259. Fiedler, Leonhard M./Heuer, Renate/Taeger-Altenhofer, Annemarie (Hrsg.): Gustav Landauer (1870-1919). Eine Bestandsaufnahme zur Rezeption sei-

218

nes Werkes (= Campus Judaica 2, hrsg. von Renate Heuer, Archiv Bibliographia Judaica, Frankfurt am Main). Frankfurt am Main/New York 1995. Fitzebutze = Fitzebutze. 100 Jahre modernes Kinderbuch. Marbacher Katalog 54, erschienen zur Ausstellung im Deutschen Literaturarchiv vom 18. Juni bis 27. August 2000. Ausstellung und Katalog von Roland Stark unter Mit¬ wirkung von Silke Becker-Kamzelak und Petra Plättner. Marbach 2000. Grau, Bernhard: Kurt Eisner. 1867-1919. München 2001. Grautoff, Otto: Eine Rodin-Affaire in Paris. In: Kunstchronik und Kunstmarkt. Hrsg. v. Gustav Kirstein. Redaktionen in Berlin und Wien. H. 19 (54. Jg., NF XXX, 1918/1919 April bis September) vom 21. Febr. 1919, S. 381 ff. Hagen, Oskar: Matthias Grünewald. Mit 111 Abbildungen. München (Piper) 1919. Heimatbüchlein Berg am Irchel = Berg am Irchel und seine Schlösser. Heimat¬ büchlein. 2. Aufl. Zürich 1955. Heißerer, Dirk: Wo die Geister wandern. Eine Topographie der Schwabinger Boheme um 1900. 2. Aufl. München 1996. Heißerer, Dirk/Jung, Joachim: Ortsbeschreibung. Tafeln und Texte in Schwa¬ bing. Ein Erinnerungsprojekt. München 1998. Hensel = Hensel, Georg: Spielplan. Der Schauspielführer von der Antike bis zur Gegenwart. 2 Bde. 2. erweiterte und überarbeitete Aufl. München 1992. Rudolf Kassner zum achtzigsten Geburtstag. Gedenkbuch. Hrsg, von A. CL. Kensik und D. Bodmer. Erlenbach-Zürich 1953. Klotz, Aiga: Kinder- und Jugendliteratur in Deutschland 1840-1950. Gesamt¬ verzeichnis der Veröffentlichungen in deutscher Sprache. Bde. 3 und 4. Stuttgart 1994, 1996. Köster, Hermann Leopold: Geschichte der deutschen Jugendliteratur. Mit einem Nachwort und einer annotierten Bibliografie von Walter Scherf. Unveränd., berechtigter Nachdruck der 4. Aufl. von 1927 (1. Aufl. 1906-1908). München-Pullach, Berlin (UTB 125) 1976, S. 48f., 72. Ders.: Neue Bilderbücher. In: Jugendschriften-Warte. Jg. 15 1907. Nr. 12, 45-46. Lenormand, H.-R.: Les Pitoeff. Souvenirs. Paris 1943. Linse, Ulrich: Gustav Landauer und die Revolutionszeit 1918/19. Die politischen Reden,

Schriften,

Erlasse

und

Briefe

Landauers

aus

der

November-

Revolution 1918/19. Berlin 1974. Maunoury, Paul: Charles Vildrac, poete toujours vivant (= Cahiers lai'ques 188). Paris 1983. Nickisch 1991 = Nickisch, Reinhard M. G.: Brief. Stuttgart 1991 (= Sammlung Metzler Bd. 260). Oven, Wilfried von: Wer war Goebbels? Biographie aus der Nähe. München 1987. Petzet 1973 = Petzet, Wolfgang: Theater. Die Münchner Kammerspiele 1911— 1972. München 1973.

219

Pressler, Christine: Schöne alte Kinderbücher. Eine illustrierte Geschichte des deutschen Kinderbuches aus fünf Jahrhunderten. München 1980. Auguste Rodin: Das Höllentor. Zeichnungen und Plastik. Hrsg. v. Manfred Fath in Zusammenarbeit mit J. A. Schmoll gen. Eisenwerth. München 1991. Schmoll, Rodin Studien 1983 = Schmoll gen. Eisenwerth, Josef Adolf: RodinStudien. Persönlichkeit - Werke - Wirkung - Bibliographie (= Studien zur Kunst des neunzehnten Jahrhunderts 31). München 1983. Hier: Rodin und Munch, S. 275-296. Schneider, Cornelia: Die Bilderbuchproduktion der Verlage Jos. Scholz (Mainz) und Schaffstein (Köln) in den Jahren 1899-1932. Diss. Frankfurt am Main 1984. Spindler, Max (Hrsg.): Handbuch der bayerischen Geschichte IV. Das neue Bay¬ ern 1800-1970. 1. Teilband. München 1974. S. 429-435: Von der „Scheinrä¬ terepublik“ bis zum Ende der „Diktatur der Roten Armee“. Stark, Roland: Der Schaffstein Verlag. Frankfurt am Main 2003. Steinmetz, Hans-Dieter/Sudhoff, Dieter (Hrsg.): Leben im Schatten des Lichts. Marie Hannes und Karl May. Eine Dokumentation. Bamberg 1997. Waldmann, Emil: Auguste Rodin. Wien 1945. Wolter, Gundula: Hosen, weiblich. Kulturgeschichte der Frauenhose. Marburg 1994. Zorn, Wolfgang: Bayerns Geschichte im 20. Jahrhundert. Von der Monarchie zum Bundesland. München 1986. S. 197-217.

220

2 Verzeichnis der erwähnten Werke Rilkes Aus dem Nachlass des Grafen C. W. 30, 164 Brief des jungen Arbeiters 104, 189, 198 Briefe über Cezanne 32 (Fußnote) Cornet 125, 148 Das Florenzer Tagebuch 14 (Fußnote) Das Jahrhundert des Kindes (Ellen Key), Rezension 161 Das Stunden-Buch 198 Das Testament 24, 31, 111, 163, 170/, 184, 200 Die Dame mit dem Einhorn 130 Die Frühen Gedichte 28 (Fußnote) Die Neuen Gedichte 28, 163f, 174 Die Wasser von Ragaz 200 Die weiße Fürstin 154 Duineser Elegien 14, 20f., 25f., 29 (Fußnote), 30-33, 96, 105, 118, 150, 165, 175, 182, 184-187, 189-194, 198, 200/ Entwurf einer politischen Rede 20 Ewald Tragy 185 Kindheitselegie 31 Les Quatrains Valaisans 32f. Les Roses 107 Malte 24, 29, 130, 158, 184f, 189, 197, 201 Marien-Leben 191 Michelangelo-Übertragungen 43, 66, 114, 150 Mitsou 26, 30, 79, 167-169, 175 Rodinbuch lllf., 166, 171 Samskola 113 Schmargendorfer Tagebuch 118 Sieben Entwürfe oder das Kleine Weinjahr 32 Sieben Gedichte 170 Sonette an Orpheus 14, 20f., 25, 27 (Fußnote), 30, 33, 96, 182, 184f, 187, 189191, 194, 198, 200/ Übertragungen aus dem Italienischen (Cassiani) 20, 43, 112, 114f. Ur-Geräusch 20, 135 Valery-Übertragungen 32, 146, 189, 194 Vergers 32f. Verhaeren-Übertragungen 104 Vorrede zu einer Vorlesung aus eigenen Werken 20, 188

221

3 Ortsverzeichnis Alt-Jocketa (Gut bei Liebau in Sachsen) 87, 186 Ansbach 28 Ascona 60,141-144 Castello San Materno 60, 142, 144 Assisi 94, 121, 197 Atlas (Gebirge) 53 Bad Ragaz 14,95,197,199/. Bad Rippoldsau 165 Basel 60, 64, 66, 72, 141, 147 Promenade „Kleine Basel“ 60 Ritterhof 71, 141, 147, 159 Bayerisch-Schwaben 15, 36, 120 Bayern 117, 123 Beckenried am Vierwaldstätter See 18 (Fußnote), 89, 189 Begnins sur Gland (Vaud) 57f., 137f. Chateau de Martheray 58, 137 Berg, Schloß am Irchel 22, 24, 30f„ 72-76, 78-81, 83, 85, 87, 148, 156-170, 175, 177 Bergell 53-55, 131 Berlin 18f., 31, 120, 123, 125, 133, 145, 166, 170, 188 Deutsches Theater 136 Kammerspiele 136 Schmargendorf 185 Secessionsclub 125 Bern 12, 15, 52, 54, 57f., 60f., 69f., 129f, 132, 141-145, 157 Bühlstraße 57, 61, 136, 142 Eidgenössische Alkoholverwaltung 61, 136, 143 Großrats-Saal 60, 141, 143 Kirchenfeld 61, 142 Museum 28, 52, 130 Palace Bellevue (Hotel) 52, 129 Böckel, Gut in Westfalen 18 Böhmen 31, 63, 65, 67, 69f„ 82, 129, 145, 149f„ 155, 177, 179 Bologna 106 Braunau 150 Brüssel 60, 111, 142 Budapest 48, 121, 136 Burgund 52, 130 Chur 57, 137f. Colmar 106 Unterlinden-Museum 106

222

Cordoba 134 Darmstadt 120, 165 Deutschland 18, 20, 58, 90, 125, 128, 132, 134, 177, 188f, 197, 202 Dijon 130 Disentis 57 Donaueschingen, Schlösschen Wartenberg 62, 144f. Draveil bei Paris 138f. Dresden 17, 55, 734 Duino 126f, 150, 152, 154, 173f, 180, 189, 191 Elberfeld 112 Engadin 54 England 74 Etoy, bei Lausanne 31, 177, 179 Le Prieure 177 Ettal, Kloster 147 Europa 32, 82, 141 Fiesoie 111 Flaach 163, 166 Florenz 196 Frankreich 177, 188 Freiburg im Breisgau 110 Furkapaß 57, 138 Furuborg (Schweden) 14 (Fußnote) Garmisch 64 Gastein 92, 193 Genf 52, 57f„ 82, 129, 156f, 170, 180 Genfer See (Lac Leman) 31, 52, 69f., 129, 138, 156, 192 Hotel Les Bergues 156, 170 Hotel Richmond 129 Gernsbach 11, 103, 106, 122, 126 Gletsch 57 Göteborg 113 Göttingen 47, 78,106, 119, 173 Graz 104, 150 Groß Pawlowitz (Südmähren) 173f. Graubünden 53-56, 131, 137 Heidelberg 103 Herrenchiemsee 28 Höhenried 50, 119, 124f, 173 Hottingen 120, 128 Indien 194 Irschenhausen 165 Italien 15, 54, 63, 106, 146, 150, 188, 196

223

Janowitz, Schloß (Böhmen) 179 Jäsnäja Poljäna 118 Jocketa, Gut Alt-Jocketa bei Liebau im Vogtland 87, 186 Kärnten 27, 31, 59, 82, 92, 139, 148f, 161, 177, 179 Karlsruhe 110 Kaukasus 53 Klagenfurt 65, 69, 148f, 153 Klünegg 59, 139 Koblenz 133 Kopenhagen 171 Krems a. d. Donau 104 Krumbach 15 Krummhübel 165 Lago Maggiore 60 Lausanne 57f., 93, 138, 156, 177, 194 Lautschin (Loucen) 65, 70, 150, 155, 162, 174, 177, 179 Leiden 135 Leipzig 69, 126, 155, 157, 175 Locarno 22, 32, 61, 63f„ 74, 139, 142f, 164 Grand-Hotel 142 Pension Villa Muralto 61, 63, 142f London 111, 133, 179 Lucca 114 Luzern 60 Mailand 94 Maloja 57 Marignan 180 Mauer bei Wien 15, 103 Meudon 112, 171f. Miege 82, 180 Modena 114 Montreux 91, 94, 192, 197 Moskau 118 München llf., 14f., 18-20, 23, 33, 48, 56, 58, 61, 63, 65, 67, 69f., 75-79, 90, 95,

105-107, 110, 114-123, 127, 132, 136, 145, 149, 152, 154/., 159, 165-168, 172177, 190, 200, 202 Ainmillerstraße, 34 IV., Rilkes Wohnung 15, 18, 37, 61, 102, 106, 116, 118, 128, 145, 155 Akademie der Künste 200 Bogenhausen 174 Brienner Straße 102 Continental (Hotel), Ottostraße 18, 102 Englischer Garten 106

224

Franz-Josef-Straße 102 Galanti (Pension) 200 Galeriestraße 103 Gartenheim (Pension) 119 Georgenstraße 102 Habsburgerstraße 7, Wohnung der Gräfin 11, 61, 71, 106, 200 Herrscheistraße 174 Hofkirche 16 (Fußnote) Kammerspiele, Augustenstraße 14, 61, 96, 144, 168, 202 Kaulbachstraße, Pension Südland 165 Keferstraße 116 Königinstraße 106 Leopoldstraße 102, 105, 123 Ludwigstraße 16, 51, 119 Lustspielhaus (ab 1912 „Kammerspiele“) 136 „münchner Höfe“ 45,116 Ohmstraße 103 Pinakothek 36, 39, 107-109 Poschinger Straße 1 123 Römerstraße 18 Schwabing 18, 103, 106, 200 Solln 176 Stadelheim (Gefängnis) 124 Ursula-Kirche 102 Muri bei Bern 132 Muzot 20, 24, 27, 29-32, 81-85, 90f., 93, 108, 113, 118, 130, 156, 178-181, 183,

189f, 192/., 195/, 198, 200 Neapel 196/ Neu-Ulm 120 Neuburg an der Kammei 178 NewYork 154 Niederlangenau (Sachsen) 148 Niederstetten 16, 110 Nyon 52f., 55, 58-60, 63, 74, 128/, 137/, 164, 167 Oberstdorf 78, 90, 172, 174/, 177, 190 Geldernhaus 172, 174 „Villa Dünsser“ 174 Österreich 103, 125, 139, 145 Ouchy-Lausanne 92f., 194 Padua 151 Palermo 197

225

Paris 15, 21, 26, 28, 30f., 40f., 50, 52, 58, 71-75, 79, 86, 94, 101, 103-105, 109,

111, 118, 126, 129f., 132, 138, 143, 150, 15^159, 162, 164f, 168f, 171, 175/., 184/, 194-197, 199 Hotel Biron (Musee Rodin) 41, 111, 172 Hotel Foyot, rue de Tournon 71,157/ Hotel Liverpool 175 Jardin de Luxembourg 71, 158 Musee de Cluny 130 Rue de Vaugirard 157 Seine 77, 129, 171 Planegg 145 Pörtschach 15, 18, 82, 92f„ 139, 148, 164, 172, 179, 191, 193 Villa Hoyos 15,164,179 Potsdam 103 Petersburg 125, 202 Pompei (Pompeji) 196 Pottenstein 129 Prag 188 Pratteln 165 Provence 82, 87, 180 Pyrenäen 53 Ragaz, siehe Bad-Ragaz Räuden (Oberschlesien) 59, 105, 139, 176 Rhone, Rhonetal 31, 57, 82, 137, 180 Roggenburg 15, 17, 26f„ 36, 48f„ 51-55, 59, 61, 63, 67, 70f., 81, 87, 89f„ 92, 106,

116, 120-122, 128, 134, 139, 145, 154-156, 159, 166, 177/, 186, 188 Rom 168, 196, 198 Villa Medici 168 Palazzo Frascara 195 Ronda 134/., 193 Rossiniere 168 Russland 78, 96, 118/., 143, 146, 202 Sachsen 87, 148/., 186 Saint-Cloud 77, 171 Saonara 151 Salzburg, Salzburger Land 193 Sankt Gallen 60, 142 Sankt Moritz 54 Scandriglia 94, 197/ Schoeneck, Kuranstalt bei Beckenried 89, 189, 192 Schönenberg, Gut bei Pratteln (Basel Land) 28, 64, 67, 69f., 74, 141, 147, 150,

155/., 165 Schwaben, siehe Bayerisch-Schwaben

226

Schweiz 16, 18, 20, 27f., 32, 36, 50f„ 54f., 58, 65, 67, 69, 71, 74f., 81, 83, 85, 87, 95, 108, 110, 113f, 118, 125, 128f, 131-133, 138, 145, 150, 168, 174, 178, 183,

186f., 199 Sevilla 134 Sevres 77, 171 Siena 196 Sierre (Siders) 31, 33, 82, 93f„ 156, 173, 178, 180, 195f. Hotel Bellevue 93, 191, 195 Sizilien 94,114,196/ Soglio 16, 20, 27, 53-55, 57, 59f., 62f., 74, 105, 131, 133f, 144, 162, 164, 193 Solothurn 85 Spanien 31f., 55, 79, 82f., 87, 126, 134f, 180, 193 Starnberger See 125 Tessin 60, 64, 141 Thun 73,80,764 Thurnstein 174 Toledo 134 Toulon 138 Trapani 197 Tunis 92, 94, 194, 197, 201 Ulm 17 (Fußnote) Ungarn 121 Val-Mont sur Territet 192,197 Vatikan 54, 133 Vaud, Canton de = Kanton Waadt 82, 137, 168, 179 Venedig 29-31, 48, 66-69, 93f., 119, 135, 150-154, 163, 196, 198 Chiesa del Redentore 68,154 Garten Eden 30, 69, 153f Giudecca 68, 153f. Lido 68, 153 Palazzo Valmarana 29, 66, 151 Versailles 171 Viareggio 93, 196 Vogtland 87, 186 Waadt, Kanton = Canton de Vaud Wallis (Valais) 31-33, 82, 92, 94f., 135, 156,178, 180, 186, 193 Wartenberg, Schlösschen bei Donaueschingen 62, 144 Weimar 11, 165 Westerwede 119, 163 Wien 15, 37, 78, 103-105, 132, 139, 146, 165, 173-175, 188, 200 Palais Dietrichstein 17 (Fußnote) Winterthur 60, 75, 111, 141/, 156, 183 Wörthersee 15, 27, 139, 155, 179

227

Worpswede 119 Württemberg 177 Zürich 52, 57, 59f., 70, 95, 128, 130, 138, 156, 161, 200 Hotel Baur au Lac 140, 142 Sanatorium Bircher-Benner 52, 130

4 Personenverzeichnis Aksäkow, Serjej 63f., 66,146f.,150 Albert-Lasard, Lou, Malerin (Metz 1885-1969 Paris). Ihre Rilkebiografie erschien 1952 unter dem Titel: „Wege mit Rilke“. 161 Aldus, siehe Manutius Alexis, Heiliger 138 Amerikaner, siehe Sulzberger Andreas, Friedrich Carl, Ehemann Lou Andreas-Salomes 78, 119, 173 Andreas-Salome, Lou (Louise) 20, 23, 25, 47f., 58, 77f., 102, 118-120,

124-127, 139, 158, 162, 164f, 172-174, 186, 192, 197 Arco auf Valley, Anton Graf 117 Aretin, Erwein Freiherr von 12, 31, 80f., 174, 176-178 Augustinus, Heiliger und Kirchenlehrer 126 Avers, Felix 201 Bachrach, Familie 60, 141f, 144 Bachrach, Elvire 142 Bachrach, Paul 142 Baillou, Madame (i. e. Marthe Hennebert) 139 Balthusz (Balthus, Baltusz) = Klossowski, Balthazar Arsene Davitcho Comte de Rola 26, 30,76, 167f., 175, 189 Baudelaire, Charles 86, 185 Baumgartner, Frieda 181 Belcredi, Marianne Gräfin, Ehefrau Erwein von Aretins 177 Bernstorff, Albrecht Graf von 54, 132f. Beuret, Rose, Frau Rodins 172 Betz, Maurice 166, 197 Bircher-Benner, Max Oskar, Dr. med. 52, 130 Biron, Duc de, Feldherr Ludwigs XIV. 111 Bismarck, Fürstin Herbert, geb. Gräfin Hoyos 175 Bismarck, Otto Fürst von 123 Blohm, Hans 166 Blumenthal-Weiß, Inge 187 Bodmer, Hans, Gründer des Lesezirkels Hottingen (1863-1948) 130

228

Boy-Ed, Ida, norddeutsche Schriftstellerin (1852-1948) 122 Braun, Otto 148 Brüstlein, Simone, Krankenschwester 171 Bulteau, Augustine. Pseudonyme: Foemina, Vontade 121 Bunsen, Marie von 28 Burckhardt, Carl Jacob, Diplomat und Schriftsteller 133, 141, 147, 167 Burckhardt, Familie 64, 141, 159, 165 Burckhardt-Schazmann, Helene 141, 147 Caesar, Gajus Julius 130 Carlson, Buchhandlung in Locarno 143 Cassiani, Guiliano 20, 43f., 112, 114 Cassirer, Eva, geb. Solmitz (1885-1974), befreundet mit Ellen Key und Emmi Hirschberg 113 Cassirer, Kurt 113 Cassirer, Bruno, Berliner Verleger 113 Cavalieri, Tommaso, junger Römer, begegnete Michelangelo 1532 114 Chavannes, Fernand, Schweizer Dramatiker(l 868-1936) 156 Chevron, de, Schweizer Geschlecht 82, 179 Chevron, Isabelle de 180 Choiseul, Duchesse de 171 Courten, Familie de 93, 195 Claudel, Paul, französischer Dichter und Dramatiker (1868-1955) 156 Crommelynck, Fernand 142 Cloeter, Hermine 37, 104 Cocteau, Jean 26,111,157 Colonna, Vittoria, italienische Dichterin (1492-1547) 114 Daudet, Alphonse 53, 131 Dehmel, Richard, Lyriker (1863-1920), soziale Gedichte Rilke begegnete ihm 1898 erstmals in Hamburg. Er las später Dehmels 1922 veröffentlichte Briefe. 110 Delp, Ellen, Schauspielerin, Freundin Lou Andreas-Salomes 102, 137, 158, 160 Diederichs (Verlag), Leipzig 116 Dietrichstein-Mensdorff-Pouilly, Aline (Alexandrine) Gräfin, verh. Gräfin Küenburg 59, 133, 139 Dietrichstein, Olga Alexandrowna Fürstin, geb. Prinzessin Dolgorukij 59, 139 Dietrichstein zu Nikolsburg, Graf Mensdorff-Pouilly, Hugo Fürst 139 Dobrcensky, Mary Gräfin, geb. Gräfin von Wenckheim 52, 55, 58, 74, 128f.,

138, 164 Dönhoff, Marion Gräfin 133 Dürckheim-Monmartin, Karl Friedrich Graf 165 Duret, Adrien, Ehemann Marthe Henneberts 139

229

Düse, Eleonora 68, 154, 163 Eaden, Mrs 68f., 153f. Eckersberg, Else 136 Eden, F. 153f. Eisner, Kurt 18, 46, 115, 117 Elzevier, Ludwig (Elzevir) 56, 135 Ephrussi, Elisabeth von, verh. de Waal 149, 171, 184 Escher vom Luchs 73,161,163 Escher, Nanny von 162f Erzherzog Eugen, siehe Habsburg-Lothringen, Eugen Erzherzog von Falckenberg, Otto 168 Feist, Hans, Dr. med. 69, 155, 173 Fischer, Ehepaar, der Verleger Samuel Fischer und seine Frau 120, 149, 162 Fischer, Hedwig, Gattin des Verlegers S. Fischer (1871-1952) 120, 125 Foemina, siehe Bulteau und Vontade Forrer, Anita 23, 161, 185 Franziskus (Franz von Assisi) 127, 198 Freud, Sigmund 78, 165, 172f Freudenreich, Frau von 75 Freundin aus Genf, siehe Klossowska, Baladine Frey, Carl 114 Freyhold, Konrad Ferdinand Edmund von 15, 23, 41 f., 110f., 113, 189 Fürstenberg, Max Egon Fürst zu 62, 144f Furrer, Rudolf, Papierhandlung in Zürich 178, 191, 195, 199 Gallarati-Scotti, Duchesa Aurelia 29 (Fußnote) 196 Gebsattel, Victor Emil Freiherr von 173 Geldern-Egmont, Adelheid Gräfin von, Enkelin der Gräfin Mariette 17 (Fußnote) Geldern-Egmont, Adolf Gottfried Hermann Graf von, Schwiegervater der Gräfin Mariette 154 Geldern-Egmont, Clara Gräfin von, geb. Gräfin von Bray-Steinburg (1848-1945) 157 Geldern-Egmont, Elisabeth Gräfin von, verh. Blohm 17, 23, 75, 79, 88, 90, 94,

157, 166, 172, 179, I87f., 190f., 196, 198 Geldern-Egmont, Rainer Graf von, Schauspieler. Als Rainer Geldern spielte er 1951 in dem amerikanischen Spielfilm „Decision Before Dawn“ (Regie Anatol Litvak) neben Oskar Werner, Klaus Kinski, Hildegard Knef, Maria Wimmer 120, 166

230

Geldern-Egmont, Sissy (Therese) Gräfin von, verh. Fürstin Hohenlohe-Jagstberg 15f„ 35, 42, 45, 48, 50f., 54, 57, 61, 63f., 67, 75, 79, 83, 88-90, 93f., 97, 110, 114f, 137, 145, 147, 152, 166, 173, 181, 187f, 191,

195, 198, 203 Geyr von Schweppenburg, Frieda Freifrau von, geb. Gräfin von Taveggi 19, 37, 63, 106, 146 Geyr von Schweppenburg, Klemens Freiherr von 106 Gide, Andre 27, 111, 158, 197 Giese, Richard 35, 168 Giotto, italienischer Maler (um 1266-1337 Florenz) 197 Gisler, Leni 163 Goethe, Johann Wolfgang von 23, 57, 64, 137/, 145, 148 Wilhelm Meisters Lehrjahre 23, 64, 148 zweite Schweizer Reise 57, 137/ Unterhaltung deutscher Ausgewanderter 148 Goll, Claire 19,108,197 Goll, Iwan 108 Gonzenbach, Frl. von 54, 132 Graf, Oskar Maria, Schriftsteller (Berg am Starnberger See 1894 - 1967 New York) 19 Grautoff, Otto 111,122 Grünewald, Matthias (d. i. Mathis Neithardt, auch Gothardt) 36, 38, 40, 106-

109, 112 Guasti, Cesare 114 Guttmann, Angela, geb. Müllner, später Angelina Rohr 143, 147 Guttmann, Simon 143 Habsburg-Lothringen, Eugen Erzherzog von, österreichischer Feldmarschall (1863-1954) 60, 141 Haemmerli-Schindler, Theodor, Dr. med. (1883-1844) 173, 192, 197 Hagen, Oskar (Wiesbaden 1888 - 1957), Kunsthistoriker, gründete 1920 in Göttingen die „Händelfestspiele“, ging 1924 nach Madison/Wisconsin 106 Haller, Albrecht von 56, 135 Hardy, Resi 134, 151 Hasenclever, Sophie 114 Hattingberg, Enja von, nach Scheidung von Hans v. H. Gräfin Dürckheim-Monmartin 165 Hattingberg, Hans von 75, 165 Hattingberg, Magda von (Benvenuta), geb. Richling (Wien 1883 - 1959 Gemunden) 165,197 Hausenstein, Wilhelm 127 Heise, Carl Georg 112 Heise, Lisa 162

231

Heiseier, Bernt von, Sohn Henry von Heiselers 124f. Heiseier, Emilie von, geb. Thieme 78, 119, 124f., 173 Heiseier, Heinrich (Henry), Schriftsteller, Kaufmann und russischer Reserveoffizier 124f. Hennebert, Marthe, verh. mit Jean Lurgat, verh. mit Adrien Duret, später Madame Baillou 58, 130, 138f, 159, 197 Heydt, August von der 112 Heydt, Karl von der 117, 120, 122-124 Heyl zu Herrnsheim, Eva-Marie 117 Heym, Georg, Lyriker (1887-1912) 143 Hirschberg, Emmi (Berlin 1885, gestorben in Tel-Aviv) 14 (Fußnote) Hofer, Karl, Maler (1878-1955), 1904 wie Rilke in Rom 110 Hoffmann, Johannes, Sozialdemokrat, bayerischer Ministerpräsident 122 Hofmannsthal, Hugo von, österreichischer Dichter und Dramatiker (1874-1929) 29, 145 Hohenlohe-Jagstberg, Albrecht Fürst zu verh. mit Sissy Gräfin von Geldern-Egmont 16 Hohenlohe-Jagstberg, Johannes Maria Leopold Prinz zu, Graf von Mirbach-Geldern-Egmont 11, 15 Hohenloher Familien Hollnstein, Marie Gräfin 96, 202 Hollnstein, Ludwig Karl Graf 202 Holmström, Tora Vega, schwedische Malerin (1880-1967) 148 Howard, Papierhandlung in Paris 188f. Hoyos, Familie der Gräfin 15, 103, 136, 139, 164, 175, 179 Hoyos, Felicitas Gräfin, verh. Watkins (1890-1942), Schwester Gräfin Mariettes 18, 157 Hoyos, Franziska Seraphika Gräfin, geb. Gräfin zu Herberstein, Mutter Gräfin Mariettes 15, 148, 161 Hoyos, Friedrich Graf, Bruder Gräfin Mariettes 134 Hoyos, Ladislaus Maria Graf, Vater Gräfin Mariettes 15 Hubermann, Leopold 143 Hünich, Fritz Adolf, Mitarbeiter des Insel-Verlags (1885-1964) 109 Hulewicz, Witold 201 Hundertwasser, Friedensreich 153 Imhof, Baronesse Ludowika von 19, 37, 103 Insel-Verlag, Leipzig 12, 69, 74, 80, 119, 126, 146, 149, 154/., 168, 175, 186, 190 Jaffe, Heinrich, Buchhändler in München 120 Junghanns, Inga 110, 161, 171, 184 Juncker, Axel 161 Karl I. von Österreich, Kaiser (1916-1918) 103

232

Karl der Kühne, Herzog von Burgund 52,130 Kassner, Marianne, Ehefrau Rudolf Kassners (geb. 1885) 174 Kassner, Rudolf 12, 78, 90, 127, 145, 172-176, 177, 190, 195 Katzenstein, Erich 105 Keller, Alwina von, Erzieherin an der Odenwald-Schule (1878-1965) 187 Kerschbaumer, Walther, Klaviervirtuose 12 (Fußnote) Key, Ellen (1849-1926) 28, 113, 161, 171, 186 Keyserling, Hermann Graf von 48, 120, 122, 145, 165f. Kippenberg, Anton (1874-1950), Verleger Rilkes, seit 1905 Leiter, später Inhaber des Insel-Verlages 106, 111, 121, 124f, 127, 138,

140f, 149, 155,162, 165, 175, 177, 186, 190-192, 196 Kippenberg, Katharina, geb. von Düring (1876-1947), Frau des Verlegers Anton Kippenberg 105f, 112, 114, 121, 126, 131, 133, 135,

145f, 149, 159, 161, 175, 190, 194, 196 Klee, Paul, Schweizer Maler (1879-1940) 18, 165 Klossowska, Baladine (eigentlich Elisabeth Dorothee) geb. Spiro (Mouky, Merline) 23, 31, 156f, 162f, 166, 169f., 179f, 183, 189 Klossowski, Balthazar, siehe Balthusz Klossowski, Erich 79, 156, 167f, 175 Klossowski, Pierre 168 Knoop, Gertrud Ouckama, geb. Roth 21, 24 (Fußnote), 131, 186 Knoop, Wera Ouckama (1900-1919) 21 Koenig, Hertha 18,117,120 Krause, Max, Berliner Papierfabrikant 157 Kreidolf, Ernst, Schweizer Maler und Zeichner (1863-1956). Vorläufer des Jugendstils. Er leitete die Epoche des Künstlerbilderbuchsein. 110 Krell, Max 123 Küenburg-Dietrichstein, Aline Gräfin, siehe Dietrichstein-Mensdorff-Pouilly, Aline Gräfin Küenburg, Wolfgang Graf von 139 Küenburg, Hans Wolf Maria Graf von 139 Kun, Bela, Journalist, Führer der ungarischen Kommunisten (1886-1937) 121 Landauer, Gustav 49, 121, 123f. Lebosse, Henri-Victor-Gustave 41, 112 Le Nötre, Andre, französischer Gartenarchitekt (1613-1700) 171 Lerchenfeld, Otto Graf (1869-1936) 157 Lernet-Holenia, Alexander 65, 69, 149, 155, 179 Levine, Eugen 121 Linne, Carl von 56, 135 Lucchesini, Marchese 114

233

Lurgat, Jean, Ehemann Marthe Henneberts 130, 138 Ludwig XIV., französischer König (1643-1715) 111 Maeterlinck, Maurice, belgischer Schriftsteller (1862-1949) 147 Mann, Heinrich 161 Mann, Thomas 119, 122/., 154, 161 Manutius, Aldus 56, 135 Marwitz, Adelheid von der 113 Marwitz, Bernhard von der 182 Mauriac, Frangois, französischer Schriftsteller (1885-1970) 26 Merline, siehe Baladine Klossowska Metternich, Pauline Fürstin, geb. Gräfin Sändor de Szlavnicza (1836-1921), Mutter der Fürstin Sophie Oettingen 105 Michelangelo Buonarroti 43, 66, 114, 150 Michelangelo II, Giovane 114 Mieter, siehe Feist, Hans Mirbach, Kinder, siehe auch Geldern 15, 17-19, 57, 59, 61, 63, 71, 81, 83, 88,

110, 136, 147, 166, 181, 187 Mirbach-Geldern-Egmont, Alfons Graf von, Ehemann der Gräfin Mariette 15, 17, 26, 28, 47f„ 50f., 53, 55, 57, 59, 61, 63, 67, 71, 75,

103, 106, 120, 128, 136, 143, 157, 166 Mirbach-Geldern-Egmont, Johannes Maria Leopold Graf von Prinz zu Hohenlohe-Jagstberg 11, 15 Mirbach-Geldern-Egmont, Ladislaus (Lato) Adolf Rainer Joseph Maria Graf von (Pseudonym Viktor Wenenden) 15, 17, 26, 64, 75, 88, 143, 147, 166, 172, 179, 187 Montheys, de, Schweizer Geschlecht 82, 179/ Montheys, Jean de 180 Moreas, Jean (eigentlich Yanni Papadiamantopoulos), französischer Dichter griechischer Herkunft (Athen 1856 - 1930 Paris). Haupt der 1891 gegründeten neoklassizistischen Ecole romane. Rilke übertrug vier der „Stanzen“ Moreas (siehe Wais, Übertragungen, S. 304-307) 162 Morgenstern, Christian, Lyriker, Redakteur, Dramaturg (1871-1914) 113 Mühsam, Erich, anarchistischer und pazifistischer Schriftsteller (1878-1934 KZ Oranienburg) 121 Musarion, Verlag in München 176 Nädherny von Borutin, Sidonie (Sidie) 108, 124, 129, 132/., 155, 161/., 164,

176/., 179, 189, 192 Napoleon III. (1852-1870) 105 Nevar, Elya Maria (d. i. Else Hotop) 19, 102, 104, 106-108, 113, 116/., 127, 129,

152, 155, 174 Nietzsche, Friedrich 78 Nikolaus I., russischer Zar 78,772

234

Noailles, Anna Elisabeth Comtesse de, geb. Prinzessin Bibesco de Brancovan 23, 79, 105, 121, 163, 175f, 197 Nölke, Gudi (Auguste) geb. Senckel. Rilke lernte sie im Palazzo Salis in Soglio kennen. 138, 140-143, 146f, 157f, 161, 179, 199 Noske, Gustav 122f. Nostitz-Wallwitz, Helene von, geb. von Beneckendorff und von Hindenburg 132 Ohnet, Georges 53, 132 Oettingen-Oettingen und Oettingen-Spielberg, Sophie Fürstin zu, geb. Prinzessin von Metternich-Winneburg 19, 37, 55, 59, 67, 79, 105,

139, 152, 176 Oettingen-Oettingen und Oettingen-Spielberg, Franz Albrecht 7. Fürst zu 105 Oettingen-Oettingen, Elisabeth Prinzessin zu, Tochter Fürstin Sophies und Fürst Albrechts, verh. Herzogin von Ratibor 139 Oven, Ernst von 18, 49, 123/ Palladio, Andrea, italienischer Architekt (1508-1580) 154 Pitoeff, Georges 69f., 156/, 197 Pitoeff, Fudmilla 69f., 156/., 197 Poensgen & Heyer 102,112 Pongs, Hermann 111,118 Prandau 66, 150 Preußen, Fouis Ferdinand (Friedrich Fudwig Christian) Prinz von 123 Preußen, Heinrich (Friedrich Heinrich Ludwig) Prinz von 123 Preysing, Erna Gräfin, heiratete 1919 Egon Freiherr von Ramberg 102 Proust, Marcel, französischer Schriftsteller, (1871-1922) 26 Purtscher, Alfons 172, 179 Purtscher, Nora, geb, Gräfin Wydenbruck 82, 172, 178/., 189 Ramberg, Egon Frh. von 102 Ratibor, Viktor, Herzog von und Fürst von Corvey Prinz zu Hohenlohe-Schillingsfürst, Ehemann der Prinzessin Elisabeth Oettingen 139 Reinhardt, Max, Regisseur und Theaterleiter (1873-1943) 156 Reinhart, Brüder, Schweizer Kunst-, Musik-, Theater- und Fiteraturfreunde, Kunstsammler 29, 143, 187 Reinhart, Georg (1877-1955) 111, 143, 192 Reinhart, Hans (1880-1963) 111 Reinhart, Oskar (1885-1965) 111 Reinhart, Theodor (1848-1919), verh. mit Filly, geb. Volkart, Vater der Brüder Hans, Georg, Oskar und Werner 111 Reinhart, Werner 111, 113, 178, 180, 183, 189, 192

235

Reisiger, Hans, Schriftsteller und Übersetzer (1884-1968) 162 Reuß, Heinrich XXXIII. Prinz 37, 103 Reuß, Victoria Margarethe Prinzessin, geb. Prinzessin von Preußen 37, 103 Ribadeneira, Pedro 126 Rilke, Clara geb. Westhoff 119f. Rilke, Ruth (12.12.1901-27.11.1972), Tochter Rilkes aus der Ehe mit Clara Rilke-Westhoff, 1922 Heirat mit Carl Sieber (1897-1945), 1948 Heirat mit Willy Fritzsche, 1972 gemeinsamer Freitod 87, 113, 174, 186, 188 Robert, Eugen 136 Rocchi, Guiseppe 114 Rodin, Auguste 41, 77, lllf., 165f, 17lf, 175, 184 Rohan, Karl Anton Prinz 146 Rolland, Romain 197 Rosa, siehe Schmid Rotky, Carl 66, 150 Salis, Familie, Schweizer Adelsgeschlecht 133 Salis, Jean Rudolf von 33,146 Salis, John Graf 54, 133 Salis-Seewis, Johann Gaudenz Freiherr von 56, 135 Salome, Gustav Fudwig 119 Schaffstein (Verlag) 110 Schmid, Rosa, Haushälterin 47, 58, 62, 70f., 75, 102, 118, 139, 159, 166 Schmidt-Pauli, Elisabeth (1889-1956), Autorin religiöser Schriften 131-133 Shakespeare, William 156,168 Sieber, Carl 11,87,756 Sieber-Rilke, Christine 186 Sissy, siehe Geldern-Egmont Sintenis, Renee, Bildhauerin 188 Sittenberger, Hans 69, 72, 155, 157, 161, 179 Sizzo-Noris, Margot Gräfin, geb. Gräfin Crouy-Chanel 127, 190, 201 Soratroy, Maria und Pauline 102 Sorge, Reinhard Johannes, deutscher Dichter, Konvertit (1892-1916) 127 Spitteier, Carl, Schweizer Dichter und Nobelpreisträger (1845-1924) 110 Stauffenberg, Caroline Gräfin Schenk von, geb. Gräfin von Uxkull-Gyllenbrand 104 Sternheim, Carl 57, 135f, 144 Sternheim, Thea 136

236

Strindberg, August, schwedischer Dichter und Dramatiker (1849-1912) 144 Studer, Claire, siehe Goll, Claire Sulzberger, Nathan, Dr. 69, 154 Szechenyi, Jella Gräfin 141 Thieme, Karl Wilhelm Rudolph Ritter von 78, 125, 173 Thieme, Sophie, siehe Wendland, Sophie von Thun-Hohenstein, Paul Graf 11 f., 19, 63, 75, 79, 102, 132, 145f, 165/., 175/ Thurn-Valsassina, Gabriella Gräfin, verh. Gräfin Thun-Hohenstein 19 Thurn-Hofer und Valsassina, Therese Gräfin, Mutter der Fürstin Marie Thurn und Taxis 150 Thurn und Taxis, Alexander Fürst von 150/ Thurn und Taxis, Marie Fürstin von, geb. Prinzessin zu Hohenlohe-Waldenburg-Schillingsfürst 11, 29, 65f., 82, 95, 102, 105, 116,

119-121, 128, 130, 132, 138, 148-151, 153-155, 161-164, 167, 172, 174-180, 189, 192f., 195-197, 199 Toller, Ernst, Schriftsteller (1893-1939), Vorstandsmitglied des Zentral-Arbeiterrates in der Münchner Räterepublik, im Juni 1919 verhaftet, bis 1924 in Festungshaft 19, 121, 123 Tolstoi, Leo Nikolajewitsch 46f., 53, 116, 118 Tornius, Valerian 121 Trajan, römischer Kaiser 130 Ullmann, Regina, Schweizer Dichterin (1884-1961) 24, 102, 137, 158, 160 Vanain, Pariser Uhrmacher 72, 162 Valery, Paul 32, 146, 189, 194, 196-198 Valloton, Henri 132 Valmarana, Contessa Guistina di 67f., 151/ Valmarana, Pia (Agapia) Contessina de 68, 119, 151/., 196 Verhaeren, Emile 37, 104/., 119, 171, 189 Verlaine, Paul 29, 86, 185 Verleger, siehe Kippenberg Vildrac, Charles 169 Von der Mühll, Hans, Ehemann Dory v. d. Mühlls 66, 141, 150, 156, 159, 180 Von der Mühll, Theodora (Dory), geb. Burckhardt, Schwester Carl J. Burckhardts 66, 71, 141, 143, 147, 150, 156, 159 Vogeler, Heinrich, Maler und Kunsthandwerker (1872-1942) 162 Vontade, Jacque, siehe Bulteau und Foemina Voragine, Jacques de 126 Voß, Richard 105 Wassermann, Bankhaus A. E. 133 Wattenwyl, Antoinette von, verheiratet mit Balthus 168

237

Wattenwyl, Yvonne Renee von, geb. de Freudenreich 54, 75, 132, 138, 166, 168,

175 Wedekind, Frank, Schriftsteller und Dramatiker (1864-1918) 144 Weininger, Marianne (1883-1966), Frau des Wiener Industriellen Richard Weininger 102 Weiß, Emil Rudolf, Maler, Grafiker und Autor (1875-1942), verh. mit der Bildhauerin Rene Sintenis, illustrierte 1900 Rilkes „Geschichten vom lieben Gott“ (it 43) 110 Wendland, Familie von 50, 124f. 173 Wendland, Alexander Freiherr von 125 Wendland, Sophie von, geb. Thieme 78, 119, 125, 173 Wendland, York von, Sohn Alexander von Wendlands 125 Wenenden, Viktor (Pseudonym Graf Lato Mirbach-Geldern-Egmonts) 26 Wilhelm II., Deutscher Kaiser, König von Preußen 123 Windischgrätz, Antoinette Marie Luise Prinzessin zu 14, 95, 97, 199f, 203 Windischgraetz, Franz Prinz zu 200 Windischgraetz, Margarete Prinzessin zu, geb. Flarrach 200 Windischgrätz, Marie (Mary) Margarete Edeltrude Prinzessin zu 14, 95, 97, 199/, 203 Winterfeldt, Tassilo von (gestorben 1.10.2003), Neffe Joachim v. WinterfeldtMenkins, dem Rilke ein Sonett widmete 18 (Fußnote), 236 Wölfflin, Heinrich, Schweizer Kunsthistoriker (1864-1945) 106 Wolfenstein, Alfred, Dr. jur., Dichter expressionistischer Dramen, Lyrik und Prosa (1888-1945) 123 Wolfskehl, Karl (Darmstadt 1869-1948 Neuseeland) Schriftsteller 18, 174 Wunderly-Volkart, Nanny (1878-1962), Rilkes „Nike“, Nichte Theodor Reinharts 12 (Fußnote) 22f., 26 Fußnote), 31 (Fußnote),

113, 123, 126, 130, 133, 141-143., 147, 150-155, 157/, 162-164, 166-169, 178-180, 183, 186, 189, 191-195, 202 Wuthenau, Wilhelmine von 134 Zech, Julius Graf 67, 152 Ziegelroth, Paul, Leiter des Sanatoriums in Krummhübel 165 Ziegler, Richard, Oberst, Besitzer von Schloß Berg 73, 80, 164, 177 Ziegler, Lily 73, 80, 163/, Zimmermann, Rudolf, Pfarrer in Berg 160/ Zoff, Otto, Schriftsteller (1890-1963) 144 Zola, Emile 53, 132 Zweig, Stefan, österreichischer Erzähler (1881-1942) 21, 105, 197

238

5 Abbildungen 1

Porträt Rilkes, auf dem Balkon von Muzot, 1923 (Beilage zu Brief 39)

2

Porträt der Gräfin Mirbach-Geldern-Egmont

(Foto-Porträt zum

40. Geburtstag 1923) 3 a u. b

Kopie des maschinenschriftlichen Briefs Carl Siebers vom 25. Mai

4

Kopie des Schreibens Ernst Zinns an Gräfin Mirbach-Geldern-

1937, Seiten 1 u. 2 Egmont vom 30. März 1950 5

Kopie des Antwortbriefs der Gräfin vom 12. April 1950

6 und 7

Reproduktionen des Briefs 6 (Schluss) und des Eimschlags zu Brief 1

8

Faksimile der 5. und 8. Seite des letzten Briefs Rainer Maria Rilkes an Gräfin Mirbach-Geldern-Egmont (Brief 41)

9-13

Bilderbücher von K. F. von Freyhold (zu Briefen 7 und 8) Sport und Spiel; Tierbilderbuch, Innentitel mit Datierung links un¬ ten Abbildung aus „Sport und Spiel“

14-17

Porträts der Kinder Elisabeth, Lato, Rainer, Sissy (wohl 1918)

18-20

Palazzo Salis, Soglio, Gartenseite, rechts oben das Fenster der Biblio¬ thek, Foto H. Heideimann, 2001 (zu Brief 21) 2 Fotos der Bibliothek in Soglio (Beilage zu Brief 24)

21

Ansichtskarte von Schloss Berg (Beilage zu Brief 31)

22

Ansichtskarte des Wohnturms Muzot (Beilage zu Brief 35)

23

Ansichtskarte von Schloss Roggenburg, um 1930

24 und 25

„Duineser Elegien“ mit der Widmung für Gräfin Mirbach-GeldernEgmont

26 und 27

„Sonette an

Orpheus“ mit der Widmung für Gräfin Mirbach-

Geldern-Egmont 28 und 29

Handschriften der Gräfin: Tagebucheintrag vom 30. April 1903 (Bern) Brief an den Sohn Lato vom 8. Februar 1935, erste von sechs Seiten

239

RILKE-ARCHIV

WEIMAR WIlMtLM FRICK'STR.* 7

am 25. Mal 1937

Verehrte gnädigste Gräfin ,

endlich ist es so weit, daf ich Ihnen mittellen kann, 'welche Briefe Rilkes an Sie wir gerne aufnehmen möchten, Hs handelt sich dabei um den Rand "Briefe aus Muzot" und einen .im Herbst erscheinen sollenden Band

Vriegs- und

Kachkrlegsbriefe . Wir wollen aufnehmen und Ich erbitte Ihre gütige Zustim¬ mung dazu < v'l, 3nef "Mittwoch" (nach dem S.Febr. 1919) unge¬ kürzt . Brief vom 13. August 1919 bis : "Nun kommen 'Sie von einer Hochzeit zurück ...." ^■3. Brief vom 1. Dezember 1919 bis » "'.Venn ich mich in solcher Art ..." /4. Brief from 14. Januar 1920 bis : "blenheureux" . Stehen bleibt ferner » "Besitzen Sie schon die Aksakowsche Familienchronik ..." bis Unterschrift ohne die Nachschrift , ^—a5. Brief vom 25, Juni 1920 bis "...vor Ihrem lieben Brief ." _«. Brief vom 26. Juni 1920 bis "ArbeltBatmosphäre vorfinden.." 27. Oktober 1920 bis s"Roaa wird-, verzweifelt sein" 8. Brief vom 25. November 1920 ganz ~ 2_ L 2 , ~ r~b1 Brief vom 10. März 1921 bis »"wohin bin ich ge°'raten .." /IO. Brief vom 2. Dezember 192B bis s" da& B.oggen—bürg 11. Brief vom 9. August 1924 ganz .

Abb. 3

241

Unterschrift

und der vorhergehen/de Satz bleiben selbstver¬

ständlich stehen . Die Briefe erscheinen unter der Ueberschrift "An Rräfin Jl," Vir hoffen schon lange Sie auf Ihrer Autotour durch Eeutschla d hier in Weimar begrüßen.zu dürfen ; wir freuen uns schon darafif Ihnen unsere Schätze zeigen zu dürfen . Weine Brau läßt sehr herzlich grüßen und ich bin Ihr gehorsamst ergebener

Abb. 3a

242

J>r

fcrrwl

jo. i ■ /^rz?

(*?+)

^

a^UyVOvj

' -

\

J) uwtcAii ^ *■***-?

u. i &, .

:>ehr verehrt« Gräfin, darf ich mir die Freiheit nehmen, iie mit einer Anfrage zu bemühen. AI3 Mitarbeiter des Rilke-Arohivs bin loh seit langem mit der olchtung von R.U.nilke’s Nachlaß beschäftigt und gegenwärtig im Jegriff, die verstreuten und nachgelassenen Gedichte Rilke’s zu einem Samwelbnnde zu vereini¬ gen, der im Insel-Verlag erscheinen wird. Dabei bin ich ins¬ besondere darum bemüht, die zahlreichen uedicht-Handschriften kennenzulernen, die sich ln Frivatbesitz befinden, sei es daß es sich um anderwärts schon bekannte und gedruckte Jtücke handelt, sei es, daß noch ganz unbekannte Verse ln den Händen der Freunde des Dichters vorhanden 3ind. Da Rilke ja sehr frei¬ gebig war und senr gerne Abschriften einzelner Gedichte aus der Hand gab, auoh, besonders in späteren Jahren, oft Gedichte als Widmung in Bücher schrieb, gibt es vieles dergleichen, und diese Handschriften mit heranzuziehen ist Jetzt fütr den Heraus¬ geber der umständlichste Teil der Aufgabe. So wäre ich Ihnen sehr dankbar, wenn Sie die Güte haben wollten, mich wissen au lassen, ob außer den sohbnen Briefen Rllke's aus den Kriegs¬ und NaohkrlegsJahren auoh aediohte oder Widmungen noch in Ihren Händen sind ? Sollten Sie unbekannte Verse besitzen, so wäre uns schon die Mitteilung der Anfänge wertvoll, da sloh natürlich ln den Fapieren des Nachlasses eine ganze Reihe Konzepte zu Gedichten befinden, die dann offenalchtlloh aus der Hand gegeben wurden und deren Reinschriften bisher noch nicht aufgetaucht sind. )

'f

d‘r

Mich beschäftigt auch die Herausgabe von Rllke's 4 Briefwechsel mltJder Fürstin Marie von Xhurn und Taxis. Rilke'X nennt dort an zwei Stellen Ihren Namen mit großer Dankbarkeit. Einige der an Sie gerichteten Briefe werden Jetzt wiederholt ln einer zweibändigen Auswahl von Rllke's Briefen, d^e der Insel-Verlag in diesem Frühjahr bringt, und die von Dr.Karl Altheim in Frankfurt a/Main sehr sorgfältig betreut wurde. In diesem Zusammenhang war übrigens die Frage aufgetaucht, ob Sie nach wie vor an dem Wunsche festhalten, daß von Ihrem Namen nur^Anfangsbuchstabe genannt werden solle ? Man ist aber auch Jetzt nloht davon abgewichen, wenn auch im allgemeinen natürlich. Je mehr Jahre dahingehen, solche Abkürzungen eher grundlos werden - übrigens pflegen sie die Neugier und Auf¬ merksamkeit eher zu erregen als abzulenken, wie gelegentliche Anfragen uns immer wieder zeigen. Indem loh hoffe, Sie mit diesen Zeller; zu erreichen und Ihnen nicht allzu viel Muhe zu bereiten, bin loh mit den besten Empfehlungen Ihr Ihnen ganz ergebener Ernst Z

cjiI rß £rns~t

til Z

[

rrv

'

w} Abb. 4

243

12.April 1950

Sehr geehrter Herr Doktor

(

'

Leider muss ich Sie auf Ihr's Anfrage v. 30.mürz hin enttäuschen, denn ich "besitze v.Rilke außer raeinen Briefen, von denen viele nicht veröffentlicht sind und dem Vorwort zu n Mitsu "

(Manuskript,zwölfein-

halh Seiten,französisch)

nur noch eine Über¬

setzung aus dem. Italienischen u.z.df-s Sonett " Der Raub der Proserpina " von Gio^Iiano Cassiani (1712 - 1778).

Sollten Sie dafür Interes¬

se haben,würde ich Ihnen gerne ein« Abschrift davon senden. Was meinen Damen betrifft, so habe ich nichts dagegen,wenn derselbe voll ausgeschrieben wird. In den nächsten echt Tagen wäre meine Adresse D i e d e r s t e 11 en, üb er Würzbürg,Vürttembe rg,p.A dr. Pürstin ITohenlohe. Illit den besten Grüßen

Abb. 5

244

-jvL+-AuX~

Ifauu^y

iAfoiAXtf, JU (hdjüfl /tlf fr pJL,.

4

*“X

tuttj üuj «-«y’ ti'‘>

f*41 (Zf f fujuMMM

/

, Pxtxu; uj*, AiUri *LcKi^

Q-u" jXlnt iZxuC' pt-^ntH

hiijifh i{i !

(+UjL

&i>i*Uu

tfxulj\'tcCtxjxnu

fcU xT^j k^Lt!(11 ijxUlß.

*fyjh Ü*.-+{tu

^^^A ^ixicC^jujfut.

Lj’iUu

4IlllXtufi

au S u

ihn*} **(

?

i vv / \ / \ / \ / \ /\/>/\/♦! 1

3

O *C

C

C

O

u

o

® ' ©■

\A/\A/\A/\/Vc C O c O- O O © ec.

o

33anb

O o

f^l

o Sport u. Spiel c^c v - ^ '■

J

V,

Stfbetbucf)/ __>—WX~.

c

c o o

®

H.^öoti^repl^ott. ; O

0

-

"

°^C

o c.

c^c

Mbcrbucbcr Mbci'bücf)cr

o

S. g. »on gm)I)olb

©

-

O

>0

.

>

©

v