Qualitätsmanagement im China Sourcing: Kulturelle Analyse und Praxisempfehlungen für den Einkauf im Beschaffungsmarkt China [2 ed.] 9783896445773, 9783896735775

Die Unsicherheit beim Einkauf in China ist bei deutschen Industrieunternehmen weiterhin bemerkenswert. Viele Unternehmen

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Qualitätsmanagement im China Sourcing: Kulturelle Analyse und Praxisempfehlungen für den Einkauf im Beschaffungsmarkt China [2 ed.]
 9783896445773, 9783896735775

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2., überarb. u. erw. Aufl.

Marco Moder

Qualitätsmanagement im China Sourcing Kulturelle Analyse und Praxisempfehlungen für den Einkauf im Beschaffungsmarkt China

Verlag Wissenschaft & Praxis

Marco Moder

Qualitätsmanagement im China Sourcing Kulturelle Analyse und Praxisempfehlungen für den Einkauf im Beschaffungsmarkt China 2., überarb. u. erw. Aufl.

Verlag Wissenschaft & Praxis

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

ISBN 978-3-89673-577-5 © Verlag Wissenschaft & Praxis Dr. Brauner GmbH 2011 D-75447 Sternenfels, Nußbaumweg 6 Tel. +49 70 45 93 00 93 Fax +49 70 45 93 00 94 [email protected] www.verlagwp.de © Einbandfoto: Fotolia – lianxun zhang

Alle Rechte vorbehalten Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany

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Vorwort zur 2. Auflage Qualitätsmanagement im China Sourcing war und ist ein heißes Thema, wie es die schnellen Verkaufszahlen der 1. Auflage dieses Buchs gezeigt haben. Diese Gelegenheit wurde genutzt, um die 2. Auflage noch stärker auf die Anforderungen der Praxis auszurichten. Während der kulturwissenschaftliche Bereich nur maßvoll überarbeitet wurde, ist das Buch insbesondere in den Bereichen Einkauf, Qualitätsmanagement und den daraus abgeleiteten Empfehlungen umfassend aktualisiert und erweitert worden. Besonders danken möchte ich Herrn Lutz Berners, Geschäftsführer der Berners Consulting GmbH, welcher ein Gastkapitel zur Umsetzung der Empfehlungen in mittelständischen Unternehmungen beigetragen hat. Sein Erfahrungsschatz in der Zusammenarbeit mit dem deutschen Mittelstand macht dieses Buch nun insbesondere auch für kleine und mittelgroße Unternehmen interessant, für die das Thema China grundsätzlich neu ist und die auch nicht die finanziellen und organisatorischen Ressourcen von Großunternehmen haben. Weiterhin Gültigkeit hat einer der Kernsätze der 1. Auflage: Qualität in China ist möglich. Ich hoffe, dass Sie dieses Buch dabei unterstützen kann und wünsche viel Erfolg bei Planung und Implementierung Ihrer China-Aktivitäten. Dr. Marco Moder

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Vorwort zur 1. Auflage Diese Arbeit „Qualitätsmanagement im China Sourcing“ richtet sich an Industrieunternehmen, die mit chinesischen Lieferanten zusammenarbeiten und für die Qualität eine strategische Zielrichtung darstellt. Sie bietet in komprimierter Form eine Einführung in die chinesische Kultur, den Qualitätsbegriff auf dem chinesischen Beschaffungsmarkt sowie Hinweise für ausgewählte Bereiche des Qualitätsmanagements. Wenngleich sich viele der Beispiele in diesem Buch auf die Automobilindustrie beziehen, so sind die Antworten doch gleichsam relevant für alle Industrieunternehmen mit serienbasierter Fertigung und hohem Qualitätsanspruch. Die Arbeit bietet Antworten auf Fragen wie: Ist Qualität in China überhaupt möglich? Was erwartet mich in China? Wie verhalte ich mich in China? Ist unser Einkaufsprozess überhaupt für China geeignet? Bei der Erstellung dieser Arbeit haben mich zahlreiche chinesische und deutsche Geschäftsführer, Qualitätsmanager und Einkäufer internationaler Firmen in China unterstützt. Ein besonderer Dank geht an die Firmen Brose Fahrzeugteile GmbH & Co., PriceWaterhouseCoopers, Robert Bosch GmbH, Roland Berger Strategy Consultants, Schenck Shanghai Machinery Corp. Ltd., SGS-CSTC Standards Technical Services Co. Ltd., Transrapid International sowie TÜV Rheinland Co. Ltd.. Abschließend gilt mein persönlicher und herzlicher Dank Herrn Dipl.-Ing. (FH) Eugen Winter von der Robert Bosch GmbH in Reutlingen, der mich in zahlreichen Gesprächen mit seinen profunden Kenntnissen zum Qualitätsmanagement im Einkauf der Automobilindustrie unterstützt und maßgeblich an der Entstehung dieses Buches mitgewirkt hat. Dr. Marco Moder

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Inhaltsverzeichnis 1

Einleitung .....................................................................................................11

2

Kulturmanagement und chinesische Kultur ............................................15 2.1

Der Kulturbegriff ................................................................................15

2.2

Kulturdimensionen .............................................................................20 2.2.1 Kulturdimensionen nach Hofstede ...........................................20 2.2.2 Kulturdimensionen nach Trompenaars/Hampden-Turner.......24 2.2.3 Kulturdimensionen nach Hall ..................................................28 2.2.4 Kritische Betrachtung der Kulturdimensionen ........................30

2.3

Kultureller Einfluss chinesischer Geschichte und Philosophie..........31

2.4

Chinesische und deutsche Kultur im direkten Vergleich ...................34

2.5

Kulturelle Problemfelder im China-Geschäft.....................................36 2.5.1 Höflichkeit als missverständlicher Grundpfeiler: ‚Li‘.............36 2.5.2 Das chinesische Gesicht: ‚Mianzi‘ und ‚Lian‘.........................36 2.5.3 Die Bedeutung von Beziehungen: ‚Guanxi‘.............................37 2.5.4 Offene Gespräche mit chinesischen Geschäftspartnern ..........38 2.5.5 Die Bedeutung des Unternehmertums......................................39 2.5.6 Das chinesische Bildungssystem ..............................................40 2.5.7 Plagiate und rechtliche Handhabungen: Rechts(un)sicherheit.................................................................41

2.6

Chinesische Kultur: Stabilität im Wandel ..........................................42

8

3

Einkauf und Supply Management.............................................................45 3.1

Die steigende strategische Bedeutung der Einkaufsfunktion .............45

3.2

Ablauf des operativen Einkaufsprozesses ..........................................48

3.3

Global Sourcing ..................................................................................50 3.3.1 Grundlagen von Global Sourcing-Strategien ..........................50 3.3.2 Global Sourcing in China ........................................................51 3.3.3 Bewertung der Risiken einer China Sourcing-Strategie ..........53

4

Qualitätsmanagement.................................................................................57 4.1

Qualitätsorientierte Unternehmensführung ........................................57

4.2

Total Quality Management (TQM) ....................................................58

4.3

Qualitätsmanagementsysteme ............................................................60 4.3.1 Abgrenzung zu Total Quality Management..............................60 4.3.2 Die Richtlinien der DIN EN ISO 9000-Normenreihe ..............62 4.3.3 Automobilspezifische Forderungen ISO/TS 16949 ..................64

4.4

Qualitätsverständnis bei Lieferantenbeziehungen..............................65

4.5

Qualitätsmanagement in Einkauf und Supply Management ..............67 4.5.1 Qualitätsbewertung ..................................................................70 4.5.2 Fehler-Möglichkeits- und Einfluss-Analyse.............................71 4.5.3 Lieferantenbeurteilung .............................................................72 4.5.4 Lieferantenaudit/Qualitätsaudit ...............................................72 4.5.5 Erstmusterprüfbericht ..............................................................73 4.5.6 Lieferantenentwicklung ............................................................73 4.5.7 Messung von Qualitäts-Kennzahlen.........................................74

9

5

6

Qualitätsmanagement in China .................................................................75 5.1

Qualität in China.................................................................................75

5.2

Qualitätsmotivation chinesischer Mitarbeiter.....................................77

5.3

Qualitätsmanagementnormen in China ..............................................80

Empfehlungen zum Qualitätsmanagement im China Sourcing.............83 6.1

Handlungsempfehlungen zur Beschaffungsvorbereitung ..................84 6.1.1 Das Selbstverständnis des chinesischen Marktes ....................84 6.1.2 Gestaltung des Einkaufsprozesses............................................85 6.1.3 Personalmanagement ...............................................................87

6.2

Handlungsempfehlungen zur Beschaffungsentscheidung..................88 6.2.1 Lieferantenvorauswahl und -freigabe ......................................88 6.2.2 Angebotsanfrage und -auswertung ..........................................92 6.2.3 Vertragsgestaltung und -verhandlungen..................................94

6.3

Handlungsempfehlungen zur Beschaffungsabwicklung ....................98 6.3.1 Qualitätstools: Konstruktionsabsprache, Qualitätsbewertungen, FMEA und EMPB...............................98 6.3.2 Prozessaudits............................................................................99 6.3.3 Muster, Vorserie, Serienproduktion und Abkündigung .........101

6.4

Handlungsempfehlungen zum Beschaffungscontrolling..................102 6.4.1 Lieferantenentwicklung und -auszeichnung...........................102 6.4.2 Kennzahlen zur Prozesskontrolle und -steuerung..................104

10

7

Einkauf in China – Anmerkungen für den Mittelstand (Gastbeitrag)..............................................................................................105 7.1

Herausforderungen und Chancen für den Mittelstand......................106

7.2

Planung des China Sourcings für den Mittelstand ...........................109 7.2.1 Einbindung externer Dienstleister .........................................109 7.2.2 China Sourcing als erster Schritt für ein späteres größeres Engagement.............................................................112 7.2.3 Auswahl der Fremdbezugsteile für das China Sourcing........113

7.3

Umsetzung der in Kapitel 6 ausgeführten Handlungsempfehlungen – Perspektive des Mittelstands ................114 7.3.1 Handlungsempfehlungen zur Beschaffungsvorbereitung.......114 7.3.2 Handlungsempfehlungen zur Beschaffungsentscheidung ......117 7.3.3 Handlungsempfehlungen zur Beschaffungsabwicklung.........119 7.3.4 Handlungsempfehlungen zum Beschaffungscontrolling ........119

7.4 8

Abschließende Bemerkungen für den Mittelstand ...........................122

Zusammenfassung.....................................................................................125

Literaturverzeichnis ........................................................................................127

EINLEITUNG

1

11

Einleitung

„Pferd, Pferd. Tiger, Tiger“, so ein altes chinesisches Sprichwort. Oder übertragen: „Ich bin nicht sicher, ob es sich um ein Pferd oder um einen Tiger handelt, aber es hat vier Beine und einen Schwanz“ (Chu 1996, S. 67). Mit nur vier Worten bringt dieses Sprichwort die Qualitätsproblematik auf den Punkt, die durch deutsche Firmen auf dem chinesischen Markt so gefürchtet wird. Sofern die Produkte in Größe, Maß, Form und Farbe ungefähr mit der Bestellung übereinstimmen, sehen manche chinesische Lieferanten ihre Aufgabe als erfüllt an. Eine frühzeitige Planung und Sensibilisierung für das China-Geschäft ist unabdingbar, um ein akzeptables Ergebnis in den Dimensionen Qualität, Zeit und Kosten zu erreichen. Diese Arbeit gibt Hinweise, wie qualitativ hochwertige Lieferungen auch auf dem chinesischen Markt möglich sind. Ausgehend von der Annahme, dass Qualität durch einen gesteuerten Gesamtprozess erreicht werden kann, werden Elemente des Einkaufsprozesses auf Anwendbarkeit für den chinesischen Markt untersucht. Aufbauend auf - theoretischen Erkenntnissen aus der Kulturforschung und - praktischen Erfahrungen von in China tätigen Einkaufsmanagern werden typische Problembereiche identifiziert und daraus Handlungsempfehlungen für Einkäufer und Qualitätsmanager gegeben. Neben der theoretischen Fundierung des Kulturmanagements, Supply Managements und Qualitätsmanagements bietet diese Arbeit praktischen Nutzen für Unternehmen vor allem in den folgenden Gebieten: a) Ist Qualität in China überhaupt möglich? Einführung in Qualitätsmanagementnormen, ihre Umsetzung und Problembereiche in chinesischen Unternehmen, kulturelle Hintergründe individueller Qualitätsmotivation chinesischer Mitarbeiter. b) Was erwartet mich in China? Sensibilisierung für die kulturellen Problemfelder bei Aktivitäten auf dem chinesischen Markt. c) Wie verhalte ich mich in China? Handlungsempfehlungen für Manager, Einkäufer und Qualitätsverantwortliche mit Lieferantenkontakt in China. Die Erklärungen dieser Arbeit zur chinesischen Kultur bauen auf den theoretischen Dimensionen des Kulturmanagements und prägender Elemente chinesischer Denkweise auf. Ein gutes Verständnis dieser Punkte ermöglicht es deutschen Einkäufern, chinesische Verhaltensweisen einordnen, akzeptieren und erklären zu können.

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EINLEITUNG

Jedoch ist Kultur eine komplexe Thematik und stellt sich in einem Land wie China keineswegs homogen dar. China, mit der Größe Europas und der dreifachen Einwohnerzahl, hat sprachliche, geographische und kulturelle Unterschiede, die mit Gesamteuropa vergleichbar sind (Vermeer 2002, S. 68). Es ist eine Herausforderung, elementare Eigenschaften einer solch differenzierten Kultur zu beschreiben und in universell gültige Handlungsempfehlungen überzuleiten. Aus diesem Grund stellen die Empfehlungen dieser Arbeit eine Art Worst-Case-Szenario (aus Sicht eines Deutschen) dar. Verbunden mit dem Anspruch, möglichst viele chinesische Verhaltensweisen abzudecken, mag der Einzelfall im realen Geschäftsleben davon abweichen, üblicherweise positiv. In Abschnitt 2.1 wird als Einstieg ausführlich auf diese Abgrenzungsproblematik eingegangen. Darauf folgend werden kulturelle Dimensionen führender Kulturwissenschaftler und verhaltensbeeinflussende Faktoren der chinesischen Denkweise beschrieben. Anschließend wird die chinesische mit der deutschen Kultur verglichen und im Rahmen einer Sensibilisierung auf relevante Unterschiede für das Geschäftsleben eingegangen. Ein kurzer Einblick über Anpassungserscheinungen der chinesischen Kultur an den Westen schließt Kapitel 2 ab. Unabhängig vom Kulturthema ist Kapitel 3, welches durch die Beschreibung einer strategisch ausgerichteten Beschaffungsfunktion, dem Supply Management, eingeleitet wird. Über eine kurze Darstellung der Aufgaben von Einkauf und Supply Management wird übergeleitet zum Global Sourcing: einer optimierten globalen Ausrichtung des Supply Managements. Diese wird durch relevante volkswirtschaftliche Daten für das China Sourcing und einer Quantifizierung der mit dem China Sourcing zusammenhängenden Risiken präzisiert. Kapitel 4 erläutert neben dem Qualitätsbegriff das Konzept des Total Quality Managements und die Normenreihen DIN EN ISO 9000, QS-9000 und ISO/TS 16949. In Ergänzung zu Kapitel 3 werden ausgewählte Konzepte für das Qualitätsmanagement im Einkauf vorgestellt. Die Frage nach Qualität in China wird in Kapitel 5 aufgegriffen. Die Qualitätseignung chinesischer Unternehmen und die Qualitätsmotivation chinesischer Mitarbeiter werden anhand kultureller Überlegungen analysiert. Die Grundlagen und Methoden der Kapitel 2 bis 4 werden hier zusammengeführt, um einen Überblick über die Qualitätssituation in China zu geben. Eine Erläuterung zu Qualitätsmanagementsystemen in China schließt das Kapitel ab. Kapitel 6 ist auf die Qualitätsprozesse im Einkauf ausgerichtet. Ein idealtypischer Einkaufsprozess mit verschiedenen Qualitätsbausteinen wird vorgestellt. Der Abfolge des operativen Einkaufs folgend – Beschaffungsvorbereitung, -entscheidung, -abwicklung und -controlling – bieten die Abschnitte 6.1 bis 6.4 Handlungsempfehlungen für die einzelnen Schritte im Einkaufsprozess an.

EINLEITUNG

13

Während sich Kapitel 6 auf die idealtypischen Prozesse des Qualitätsmanagements konzentriert, die so zumeist nur in Großunternehmen zu finden sind, zeigt Kapitel 7 auf, mit welchen Abweichungen in mittelständischen Unternehmen zu rechnen ist und inwieweit sich die Handlungsempfehlungen hier unterscheiden. In Kapitel 8 werden die erzielten Ergebnisse thesenartig zusammengefasst. Abbildung 1 zeigt diese Arbeit in einer Gesamtübersicht. Einleitung Kapitel 2: Kulturbegriff, Kulturdimensionen, Kulturvergleich (China vs. Deutschland), Stabilität und Wandel chinesischer Kultur Kapitel 3: Einkauf und Supply Management, Global Sourcing

Kapitel 4: Total Quality Management, QM-Systeme, QM im Einkauf Kapitel 5: Qualitätsbegriff, Qualitätsmotivation und QM-Systeme in China Kapitel 6: Qualitätsrelevante Handlungsempfehlungen zum QM im China Sourcing Kapitel 7: Qualitätsrelevante Handlungsempfehlungen für den Mittelstand (Gastkapitel) Zusammenfassung

Abbildung 1 – Gesamtübersicht der Arbeit Dieser Arbeit liegen Besuche bei Lieferanten und zahlreiche Gespräche mit Managern deutscher Unternehmen in China zugrunde. Ebenso wie in der Literatur zum Thema sind die Praktiker in verschiedenen Problembereichen unterschiedlicher Meinung. Ein Feld wie das Kulturmanagement ist stark durch Erfahrungen geprägt. So sind die Empfehlungen dieser Arbeit durchaus auch subjektiv, orientieren sich aber stets an der Mehrheitsmeinung der Praktiker. Auch ist zu einigen Bereichen dieser Arbeit erst seit etwa zehn Jahren fundierte Literatur verfügbar.

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EINLEITUNG

Abbildung 2 gibt einen Überblick, wann die ersten relevanten Veröffentlichungen in den einzelnen Bereichen zu beobachten waren. 1970

1980

1990

2000

Kulturmanagement Beschaffungsmanagement / Einkauf Total Quality Management (TQM) Global Sourcing China als Wirtschaftsnation Einkauf in China QM in China

Abbildung 2 – Zeitstrahl über die Literaturverfügbarkeit in Bereichen der Arbeit Die kulturellen Unterschiede zwischen den beiden Ländern können vielfältige Auswirkungen auf die Geschäftsbeziehungen haben. Die kritische Frage ist, wie kulturelle Differenzen in der Interaktion mit chinesischen Mitarbeitern gehandhabt werden. Kulturelle Unterschiede sind nicht immer kritisch, sondern setzen in vielen Fällen auch positive Impulse und erleichtern die Durchführung und Abwicklung von Beschaffungshandlungen. Diese Arbeit bietet Empfehlungen, wie in einer interkulturellen Geschäftswelt erfolgreich agiert und Qualität beim Einkauf auf dem chinesischen Markt gesichert werden kann. Diese Empfehlungen sind stets kontextorientiert und ihre Anwendbarkeit im Einzelfall zu überprüfen.

KULTURMANAGEMENT UND CHINESISCHE KULTUR

2

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Kulturmanagement und chinesische Kultur

2.1 Der Kulturbegriff Der Begriff der Kultur beschäftigt Wissenschaftler schon seit Jahrzehnten und bis heute gibt es keine Standard-Definition. Bereits 1952 wurden in einer Zusammenstellung 164 verschiedene Kulturkonzepte beschrieben (Kroeber und Kluckhohn 1952). Eine bedeutende Definition stammt vom holländischen Wissenschaftler Hofstede (1983, S. 76), welcher Kultur als eine kollektive mentale Programmierung beschreibt: „My favorite definition of ,culture‘ is precisely that its essence is collective mental programming: It is that part of our conditioning that we share with other members of our nation, region, or group but not with members of other nations, regions, or groups.“ Eine weitere eingängige Definition stammt vom Kommunikationswissenschaftler Hall (1981, S. 186), der Kultur mit Kommunikation gleichsetzt und damit das Augenmerk darauf lenkt, dass Kommunikation eine zentrale Problematik in der interkulturellen Geschäftswelt ist. Ein dritter Kulturbegriff wird im Rahmen dieser Arbeit als Grundlage gewählt, da auf diesem aufbauend deutlich wird, wie problematisch es ist, ein Land als eine Kulturregion zu beschreiben. Der Passauer Kulturwissenschaftler Hansen (2000, S. 36) klassifiziert menschliches Verhalten in drei Ebenen, um verschiedene Formen des Gleichverhaltens zu erklären: die Gattung, das Kollektiv (Teilmenge) und das Individuum. Hansen erklärt den Unterschied der Ebenen anhand des folgenden Beispiels: „Alle Menschen lachen, wenn sie Spaß haben [Gattung], (...) doch nicht alle schütteln den Kopf, um eine Ablehnung zu signalisieren [Kollektiv]“. Das Individuum kann darüber hinaus völlig andere Verhaltensweisen an den Tag legen. Der weite, nun als Ausgangspunkt genutzte, Kulturbegriff bezieht sich weder auf die Gattung noch auf das Individuum, sondern stellt die mittlere Ebene des Kollektivs in den Vordergrund: Kultur umfasst die Gesamtheit der Gewohnheiten eines Kollektivs (Hansen 2000, S. 17-18). Um die Problematik für China zu verstehen, wird diese Definition nun gegliedert und für diese Arbeit angepasst. Kultur als eine Gesamtheit von Gewohnheiten umfasst mehr als nur alte Bräuche oder symbolische Gesten. Auswirkungen auf das Verhalten von Menschen haben u. a. die Quellen Unternehmen, Nationalität, Religion, Familie, Beruf, Ethnie, Erziehung, Geschlecht, soziale Klasse und Sprache (Usunier und Walliser 1993, S. 30). Andere Autoren fügen noch eine Vielzahl weiterer Dimensionen hinzu, so listet z. B. Gannon (2001, S. 12) 22 Kategorien auf. In ihrer Gesamtheit sind sie kulturelle Quellen. Wie Abbildung 3 zeigt, stehen

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KULTURMANAGEMENT UND CHINESISCHE KULTUR

diese Elemente in einer interdependenten Beziehung, beeinflussen sich also gegenseitig (Rothlauf 1999, S. 31-32). Insofern ist auch wirtschaftlicher Fortschritt eine kulturbeeinflussende Komponente, steht jedoch mit den oben beschriebenen Faktoren in einer interdependenten Beziehung.

Unternehmen Nationalität

Sprache

Soziale Klasse

Geschlecht

Verhalten von Kollektiven und Individuen

Religion

Familie Erziehung

Beruf Ethnie

Abbildung 3 – Kultur als Gesamtheit von Gewohnheiten Solche Faktoren sind für Außenstehende häufig nur schwer zu entdecken. Trompenaars und Hampden-Turner (1997b) beschreiben die kulturellen Gegebenheiten in Form einer Zwiebel. Einige Aspekte, wie Essensgewohnheiten oder Sprache, werden direkt am Flughafen oder am ersten Abend entdeckt. Tiefere Dimensionen der Kultur jedoch werden erst nach längerem Aufenthalt oder sogar nie entdeckt. Kultur stellt sich entsprechend wie ein Eisberg dar. Nur Artefakte sind äußerlich sichtbar, während der große Teil unter der Oberfläche versteckt bleibt (Brake et al. 1995, S. 37). Abbildung 4 gibt einen Überblick über diese Sichtweise des Kulturverständnisses (Trompenaars und Hampden-Turner 1997b, S. 21-24). Die Kenntnis dieser Einflussfaktoren macht es nun möglich, die Kultur eines Kollektivs zu definieren. Die kritische Frage ist die Abgrenzung dieses Kollektivs. Nach Hofstede (1996, S. 191) gibt es Kollektive auf Länder- und Organisationsebene, Trompenaars und Hampden-Turner (1997b, S. 7) sehen darüber hinaus zentrale Unterschiede nach Region, Beruf und ethischer Orientierung. Alle diese

KULTURMANAGEMENT UND CHINESISCHE KULTUR

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Abgrenzungen sind richtig und doch ist es mit keiner möglich, die Komplexität des Kulturbegriffes vollständig zu erfassen.

Artefakte & Produkte Normen & Werte

Grundlegende Annahmen (implizit)

(explizit)

Abbildung 4 – Versteckte Eigenschaften fremder Kulturen im Zwiebelmodell Ein Beispiel verdeutlicht diese Problematik: Wenn im allgemeinen Sprachgebrauch von Kultur gesprochen wird, verwendet man diesen Begriff üblicherweise auf Nationenebene – man spricht über deutsche Kultur, italienische Kultur oder Schweizer Kultur. Aber hat die Schweiz wirklich ein kulturelles Erbe oder sind die Abweichungen in einem viersprachigen Land nicht zu groß, um es als einen Kulturraum bezeichnen zu können (vgl. auch Hofstede 1984, S. 228)? Ist Italien mit seiner einheitlichen Sprache ein Kulturraum trotz der offensichtlich auseinanderklaffenden Realitäten in Nord- und Süditalien (Gannon 2001, S. 21)? Und sollte Deutschland nicht besser in die drei Kulturräume Preußen, Bayern und Ostdeutschland aufgeteilt werden, um unterschiedliche Verhaltensweisen besser erklären zu können (Lord 2001, S. 61)? Eine kulturelle Abgrenzung auf Regionenebene stellt sich noch am einfachsten dar. Kolb und Newig (1997; auch Kolb 1962, S. 42-49) haben unter Berücksichtigung der Faktoren Bevölkerung, Religion, Schrift und Kommunikation die in Abbildung 5 skizzierte Aufteilung vorgenommen.

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KULTURMANAGEMENT UND CHINESISCHE KULTUR

Abbildung 5 – Globale Abgrenzung kultureller Regionen Eine Abgrenzung auf Länderebene jedoch ist aufgrund der kulturellen Vielfalt unserer Welt enorm schwierig. Kultur kann sowohl grenzüberschreitend sein, sich aber auch in vielen unterschiedlichen Facetten innerhalb eines Landes widerspiegeln. Es ist eine zentrale Herausforderung, die chinesische Kultur und qualitätsrelevante Hinweise allgemeingültig für China zu formulieren. Während ein Land wie Deutschland sich kulturell noch relativ uniform darstellt, ist die Situation in China eine andere. Mit einer geographischen Größe Europas bei mehrfacher Einwohnerzahl sind hier große Unterschiede zu erwarten: „Die sprachlichen (und auch mentalen) Unterschiede zwischen Shanghai und Kanton oder Beijing entsprechen denen europäischer Sprachen, nicht etwa den deutschen Dialekten“ (Vermeer 2002, S. 68). Trotzdem ist eine Konzentration auf bestimmte Standards möglich, da das kulturelle Erbe im Verhältnis zur Größe stabil ist (Chu, 1996, S. 77; Stanford 2001, S. 466). Im chinesischen Kulturraum sind trotz aller Abweichungen einheitliche Verhaltensweisen zu beobachten, die sich von der deutschen Kultur eindeutig abgrenzen lassen. Unter chinesischer Kultur wird im Rahmen dieser Arbeit das Folgende verstanden: Chinesische Kultur umfasst die Gesamtheit der Faktoren Unternehmen, Nationalität, Religion, Familie, Beruf, Ethnie, Erziehung, Geschlecht, soziale Klasse und Sprache von Chinesen in der Volksrepublik China.

KULTURMANAGEMENT UND CHINESISCHE KULTUR

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Aus diesem Blickwinkel bietet die Arbeit Stereotype zur Nutzung in Geschäftsbeziehungen mit Chinesen an. Stereotype sind Eigenschaften, „die man als Wissenskomponente für eine Klassenbildung benutzt, also ein relevantes Klassifizierungsmerkmal“ (Tiittula 1999, S. 175). Die üblicherweise negative Konnotation mit Stereotypen (Gannon 2001, S. 20) führt zu deren Abwertung und zu einer Furcht vor Verallgemeinerung. Die in dieser Arbeit eingeführten kulturellen Stereotypen werden jedoch als Basis für ein kulturelles Verständnis genutzt und nicht als umfassende Wahrheit. Es sind mögliche vom deutschen abweichende Verhaltensweisen. Wie auch in Deutschland darf man die Gültigkeit nationaler Kulturstandards nicht unkritisch als für jedes Individuum zutreffend voraussetzen (Hofstede 1983, S. 78). Die eigene Wahrnehmung und Erfahrungen im ChinaGeschäft ermöglichen es aber, sich vom gegebenen Standpunkt aus eigenständig zu bewegen und eine Synergie durch Verschmelzung des hier präsentierten Wissens mit praktischen Gesichtspunkten zu erreichen. Interkulturelle Kompetenz ist in der globalisierten Geschäftswelt keine Zusatzqualifikation, sondern eine ökonomische Notwendigkeit. Eine gewisse Kenntnis der Landeskultur des Geschäftspartners ist unabdingbar, um eine Spirale kultureller Missverständnisse zu vermeiden. „When people do not share (…) conventions, the kind of minor misunderstanding which would hardly bother people with similar conventions become dangerous because the very means that you use to repair a misunderstanding or error are themselves misunderstood. So, you may be wanting to repair a situation and you’re really making it worse“ (Gumperz et al. 1979, S. 8-49). Als Ausgangspunkt werden im Folgenden Kulturdimensionen beschrieben. Durch deren Verknüpfung mit charakterisierenden Elementen aus chinesischer Geschichte und Denkart werden darauf folgend Vergleiche zwischen der deutschen und der chinesischen Kultur möglich. Eine Kulturdimension versucht, „das hypothetische Konstrukt Kultur in verschiedene Dimensionen aufzuspalten, die als Vergleichskriterien für die Beschreibung und den Vergleich einzelner Länder und Kulturen dienen sollen“ (Rothlauf 1999, S. 20-21). Eine Kulturdimension ist also ein Stereotyp, welches ein durchschnittliches Mitglied einer Kultur zwischen zwei Extremen positioniert. Es werden ausgewählte Ansätze für Kulturdimensionen vorgestellt, die von Hofstede, Trompenaars/Hampden-Turner und Hall entwickelt wurden. Ihre Erkenntnisse haben in der einschlägigen Literatur starke Verbreitung gefunden (Layes 2003, S. 61-66; Brake et al. 1995, S. 38-44; Gannon 2001, S. 8-11). Ebenso wie bei den Kulturdefinitionen gibt es jedoch auch hier eine Vielzahl konkurrierender Dimensionsmodelle. Weitere Ansätze gibt es u. a. von Kluckhohn und Strodtbeck (1961) sowie Moon und Choi (2001, S. 28-32). Gannon (2001, S. 15) nutzt darüber hinaus kulturelle Dimensionen, um Nationen charakteristisch zu gruppieren.

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KULTURMANAGEMENT UND CHINESISCHE KULTUR

Die aktuelle Forschung versucht tendenziell, die Modelle zu reduzieren und Nationen mit so wenigen Dimensionen wie möglich umfassend zu beschreiben. Stellvertretend hierzu mag der wissenschaftliche Diskurs zwischen Hofstede und Trompenaars/Hampden-Turner im International Journal of Intercultural Relations als Beispiel dienen (Hofstede 1996; Trompenaars und Hampden-Turner 1997a, S. 149-159; Hofstede 1997b, S. 287-290). Für die vergleichende Darstellung von Deutschland und China werden die kulturellen Dimensionen auf fünf mögliche Positionen begrenzt (vgl. Abbildung 6). Dies wurde vor dem Hintergrund der Nutzung von Stereotypen gewählt – es erleichtert den Vergleich und lenkt die Aufmerksamkeit von zu vernachlässigenden Differenzen zu Dimensionen mit großen Unterschieden im kulturellen Verhalten (vgl. auch Trompenaars und Hampden-Turner 1997a, S. 151). Kulturdimension Ausprägung: Stark

Ausprägung: Schwach 100 .......... 75 .......... 50 ............ 25 ......... 0

Abbildung 6 – Grundmodell zum Kulturvergleich

2.2 Kulturdimensionen 2.2.1 Kulturdimensionen nach Hofstede Geert Hofstede hat 1968 und 1972 die bislang umfangreichsten Kulturstudien durchgeführt. Über 116.000 Fragebögen mit kulturrelevanten Fragestellungen wurden von Mitarbeitern des IBM-Konzerns in 40 Ländern weltweit ausgefüllt (Hofstede 1984, S. 11). Über eine statistische Analyse identifizierte Hofstede vier Dimensionen, die nationale Kulturen weitgehend unabhängig voneinander beschreiben: Individualismus vs. Kollektivismus, große vs. geringe Machtdistanz, starke vs. schwache Unsicherheitsvermeidung und Maskulinität vs. Femininität. In späteren Veröffentlichungen fügte er noch die fünfte Dimension kurzfristige vs. langfristige Orientierung hinzu. Hofstedes Modell wird heute als „die bedeutendste Studie zu dieser Thematik“ (Rothlauf 1999, S. 21; vgl. auch Gannon 2001, S. 10; Mead 1998, S. 43) betrachtet. Die Gültigkeit seiner Kulturdimensionen wurde in Folgestudien bestätigt (von Oudenhoven 2001, S. 100-102).

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KULTURMANAGEMENT UND CHINESISCHE KULTUR

Die Dimension Individualismus vs. Kollektivismus beschäftigt sich mit der Beziehungsgrundlage zwischen einem Menschen und den Menschen in seiner Umgebung: „Individualismus beschreibt Gesellschaften, in denen die Bindungen zwischen den Individuen locker sind: man erwartet von jedem, dass er für sich selbst und seine unmittelbare Familie sorgt. Das Gegenstück, der Kollektivismus, beschreibt Gesellschaften, in denen der Mensch von Geburt an in starke, geschlossene Wir-Gruppen integriert ist, die ihn ein Leben lang schützen und dafür bedingungslose Loyalität verlangen“ (Hofstede 1997a, S. 66). Der Grad an Individualismus hat starke Auswirkungen auf das Management von Mitarbeitern am Arbeitsplatz. So sollten Boni in einer individualistischen Gesellschaft an die Leistung des Einzelnen geknüpft werden, in einer kollektivistischen Gesellschaft mehr an die Leistung von Gruppen. Offene und somit auch kritische Leistungsbeurteilungen einzelner Mitarbeiter stellen sich in gruppenorientierten Gesellschaften als schwierig dar, da enthaltene negative Einschätzungen einen Gesichtsverlust für den Mitarbeiter bedeuten (Hofstede 1993, S. 82-83). Diese Dimension ist die bedeutendste in der modernen Kulturtheorie (Ariel et al. 2001, S. 99), dies ist auch durch die Tendenz begründet, dass Individualismus positiv mit dem Pro-Kopf-Bruttosozialprodukt korreliert (Hofstede 1997a, S. 102). Deutschland stellt sich in dieser Dimension als gemäßigt individualistisch dar, während China eine kollektivistische Gesellschaft ist (vgl. Abbildung 7). Die Werte zur Positionierung in dieser und den folgenden Kulturdimensionen für Deutschland sind Hofstedes (1997a, S. 30/31, 69/70, 115/116, 157/158, 234) ursprünglicher Arbeit entnommen, in welchem China nicht analysiert wurde. Die nachträglich ermittelten Werte für China finden sich im Werk von Rothlauf (1999, S. 29). Individualismus vs. Kollektivismus Individualismus

Kollektivismus

Abbildung 7 – Dimensionsausprägung: Individualismus vs. Kollektivismus Die Dimension der Machtdistanz untersucht, wie Mitglieder einer Gesellschaft mit der Tatsache einer ungleichen Machtverteilung umgehen. Sie definiert „das Ausmaß, bis zu welchem die weniger mächtigen Mitglieder von Institutionen bzw. Organisationen eines Landes erwarten und akzeptieren, dass Macht ungleich verteilt ist“ (Hofstede 1997a, S. 32). Die Machtdistanz beeinflusst vor allem das Verhältnis vom Vorgesetzten zu seinen Mitarbeitern. Bei hohen Indexwerten erwarten die Mitarbeiter klare Vorgaben von ihren Vorgesetzten und ein stark autoritäres oder patriarchalisches Verhalten.

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KULTURMANAGEMENT UND CHINESISCHE KULTUR

Kulturen mit niedrigen Indexwerten betrachten Vorgesetzte und Mitarbeiter als gleichwertig; Kennzeichen sind flache Hierarchien und Beteiligung der Mitarbeiter an Entscheidungen (Hofstede 1993, S. 50-51). Entgegengesetzt zu der gemäßigt niedrigen Machtdistanz in Deutschland liegt in China eine eher hohe Akzeptanz ungleicher Machtverteilung vor (vgl. Abbildung 8).

Machtdistanz Groß

Gering

Abbildung 8 – Dimensionsausprägung: Machtdistanz Die Dimension der Unsicherheitsvermeidung beschreibt, wie eine Gesellschaft mit der inhärenten Tatsache umgeht, dass die Zukunft unbekannt ist: Sie beschreibt den „Grad, in dem die Mitglieder einer Kultur sich durch ungewisse oder unbekannte Situationen bedroht fühlen“ (Hofstede 1997a, S. 156) und diese Unsicherheit durch Regeln zu reduzieren versuchen. Damit ist keine Aussage über die Wirklichkeit, also die Umsetzung der Regeln, gegeben. Alleine deren Existenz charakterisiert eine Gesellschaft (Hofstede 1993, S. 141-142). In Gesellschaften mit starker Unsicherheitsvermeidung werden häufig Regeln entwickelt, nach denen man sich richten soll; in Ländern mit niedriger Ausprägung gibt es einen emotionalen Widerwillen gegen formelle Regeln, die hier nur in Fällen absoluter Notwendigkeit aufgestellt werden. Die deutsche Gesellschaft hat eine gemäßigt starke Ausprägung in der Unsicherheitsvermeidung, China liegt neutral zwischen den beiden Polen (vgl. Abbildung 9). Unsicherheitsvermeidung Stark

Schwach

Abbildung 9 – Dimensionsausprägung: Unsicherheitsvermeidung Die Dimension Maskulinität vs. Femininität beschreibt die Unterschiede in den Geschlechtsrollen einer Gesellschaft: „Maskulinität kennzeichnet eine Gesellschaft, in der die Rollen der Geschlechter klar gegeneinander abgegrenzt sind: Männer haben bestimmt, hart und materiell orientiert zu sein, Frauen müssen bescheidener, sensibler sein und Wert auf Lebensqualität legen. Femininität kennzeichnet eine Gesellschaft, in der sich die Rollen der Geschlechter überschneiden:

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sowohl Frauen als auch Männer sollten bescheiden und feinfühlig sein und Wert auf Lebensqualität legen“ (Hofstede 1997a, S. 113). In einer maskulinen Gesellschaft wird von Männern erwartet, dass sie eine Führungsposition anstreben. Eine aggressive Vorgehensweise ist hier positiv belegt: Leistung soll sich lohnen. Feminine Gesellschaften tendieren zu der Ansicht, dass man arbeitet, um zu leben: Arbeit ist hier mehr ein Miteinander und es ist wichtiger, sich um die Werte und die Entwicklung der umgebenden Gesellschaft zu kümmern (Hofstede 1993, S. 112-115). Diese Dimension wird häufig als Tabu-Dimension nationaler Kultur beschrieben. Tabus existieren primär in maskulinen Gesellschaften und sind ultimative Werte, über welche nicht diskutiert wird (Hofstede 1998, S. 209). Keine andere Dimension beschreibt so viele tabuisierte Vorgehensweisen in einer Gesellschaft wie Maskulinität vs. Femininität. Zu den abzuleitenden Themenbereichen gehören Religion, Sexualität und Geschlechterrollen. Deutschland hat eine gemäßigt maskuline Kultur, China liegt neutral zwischen den beiden Polen (vgl. Abbildung 10). Maskulinität vs. Femininität Maskulinität

Femininität

Abbildung 10 – Dimensionsausprägung: Maskulinität vs. Femininität In Hofstedes jüngsten Veröffentlichungen wurde das Modell um die fünfte Dimension kurzfristige vs. langfristige Orientierung, auch Konfuzianische Dynamik genannt, erweitert. Grund für diese Erweiterung ist die seinen eigenen Untersuchungen zugrunde liegende kulturelle Beschränktheit. Wissenschaftler in Fernost haben im Rahmen einer chinesischen Wertstudie statistische Unregelmäßigkeiten auf der Basis der vier vorliegenden Dimensionen aufgezeigt. Diese klären sich durch Einbeziehung dieser neuen Dimension (Hofstede 1997a, S. 226-233). Sie ist deshalb von großer Bedeutung, da sie mit dem Wirtschaftswachstum der letzten Jahrzehnte zu korrelieren scheint (Hofstede 1997a, S. 234). Zentral für eine langfristige Orientierung sind eine langfristige Zielverfolgung, die Anpassung von Traditionen, Sparsamkeit und die Beachtung der Gebote der Tugend. Kurzfristig orientierte Gesellschaften erwarten rasche Ergebnisse, haben großen Respekt vor ihren Traditionen und legen Wert auf die endgültige Wahrheit (Hofstede 1997a, S. 243). Die Spitzenposition in der langfristigen Orientierung belegt China. Deutschland hat eine gemäßigt kurzfristige Ausrichtung (vgl. Abbildung 11). Die Auswirkun-

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gen dieser Dimension auf den Arbeitsplatz sind noch nicht ausreichend erforscht, um eindeutige Tendenzen abschätzen zu können (Rothlauf 1999, S. 26). Orientierung Langfristig

Kurzfristig

Abbildung 11 – Dimensionsausprägung: Orientierung (Konfuzianische Dynamik) 2.2.2 Kulturdimensionen nach Trompenaars/Hampden-Turner Trompenaars und Hampden-Turners (1997b, S. 245-246) Datenbank baut auf über 50.000 Fragebögen auf, die von Managern aus mehr als 100 Ländern während interkultureller Trainingsmaßnahmen ausgefüllt wurden. Über statistische Auswertungen haben die Autoren insgesamt sieben Dimensionen identifiziert, welche kulturspezifische Schlüssel beschreiben, mit denen Menschen Aufgaben lösen. Diese Aufgaben lassen sich in drei Kategorien aufteilen: Beziehungen mit Mitmenschen, Umgang mit der Zeit, Bezug zur Natur. Während die erste Kategorie fünf Dimensionen umfasst (Universalismus vs. Partikularismus, Individualismus vs. Kollektivismus, Affektiv vs. Neutral, Spezifisch vs. Diffus und Leistungsorientiert vs. Askriptiv), stellen die beiden anderen Kategorien gleichzeitig auch jeweils eine eigene Dimension dar (Trompenaars und Hampden-Turners 1997, S. 8-10). Die Dimension Universalismus vs. Partikularismus beschreibt, ob eine Kultur auf Regeln und Standards basiert oder sich mehr auf Beziehungen und Vertrauen verlässt (Moon und Choi 2001, S. 24). Eine universalistische Kultur hat die gleichen Regeln und Gesetze für jedermann, in einer partikularistischen Kultur gibt es weniger Regeln und deren Anwendbarkeit hängt von der jeweiligen Beziehung zwischen zwei Individuen ab: Ein ‚Freund‘ verdient eine spezielle Rücksichtnahme; unabhängig davon, was die Regeln aussagen (Trompenaars und Hampden-Turners 1997b, S. 31). Als kritisches Beispiel mögen hier Verträge gelten. In einer universalistischen Kultur dokumentiert ein Vertrag eine Vereinbarung zwischen zwei Parteien, die unter allen Umständen eingehalten werden muss. In einer partikularistischen Kultur hat ein Vertrag nur eine geringe Bedeutung und wird allenfalls als Start für die gemeinsame Beziehung angesehen. Verträge sind hier häufig kürzer und allgemeiner gehalten, da eine tragfähige Beziehung zwischen den Partnern wichtiger ist als die genaue Spezifikation von Inhalten. Ein geforderter detaillierter Vertrag durch einen Universalisten mag in diesem Rahmen durch den Partikularisten als Misstrauen ausgelegt werden (Trompenaars und Hampden-Turners 1997b, S. 39-40).

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Die Klassifizierungen nach Trompenaars und Hampden-Turner lassen nur einen Vergleich zwischen zwei Ländern zu. Die Autoren haben bewusst keine Zahlen veröffentlicht, da man Kultur ihrer Ansicht nach nicht quantifizieren sollte. Anders als Hofstede, in dessen Modell eine Kultur nicht an beiden Enden der Skalen platziert sein kann, können Kulturen nach Trompenaars und Hampden-Turner (1997b, S. 155-156) auch Positionen auf beiden Seiten belegen: „Culture dances from one preferred end to its opposite and back.“ Ihre Dimensionen geben daher nur Anhaltspunkte auf kulturelle Eigenschaften verschiedener Nationen. Die fünf Unterteilungen nach Abbildung 6 sind aus diesem Grunde im weiteren Verlauf der Arbeit auf drei reduziert worden. In dieser Dimension (vgl. Abbildung 12) ist Deutschland ein typisches Beispiel einer universalistischen Kultur, während China partikularistisch ist (Thorun 1999, S. 18). Universalismus vs. Partikularismus Universalismus

Partikularismus

Abbildung 12 – Dimensionsausprägung: Universalismus vs. Partikularismus Die Dimension Individualismus vs. Kollektivismus beschreibt, ob eine Kultur mehr auf das Individuum oder die Gruppe fokussiert ist. In Abgrenzung zu Hofstede ist bei Trompenaars/Hampden-Turner die Frage damit verbunden, ob ein Individuum Nachteile für die Gruppe zu seinen eigenen Gunsten in Kauf nimmt oder nicht (vom Individuum zum Kollektiv). Hofstede stellt dagegen die Frage, ob Grundsätze einer Kultur mehr durch das Individuum oder das Kollektiv geprägt werden (vom Kollektiv zum Individuum) (Moon und Choi 2001, S. 24-25). Diese Unterscheidung ist aber mehr akademischer Natur, weshalb im weiteren Verlauf der Arbeit ihre Identität angenommen wird. Die Dimension einer affektiven vs. einer neutralen Kultur beschreibt, ob eine Person in dieser Kultur ihre Emotionen offen ausdrückt oder nicht (Moon und Choi 2001, S. 24). In einer affektiven Kultur zeigen Menschen ihre Emotionen offen, in einer neutralen Kultur ist Selbstkontrolle das oberste Gut. Eine affektive Kultur kann bereits an der Tonhöhe der Kommunikation erkannt werden. Romanische Sprachen sind voll von Betonungen und Gefühlsausdrücken. In angelsächsischer Kommunikation werden nur besonders wichtige Inhalte betont und damit aus dem üblichen Kontext herausgehoben. In orientalischen Sprachen gibt es keine Unterschiede in der Tonhöhe; es ist nicht möglich, Gefühle und Betonungen direkt der Sprache zu entnehmen (Trompenaars und Hampden-Turner 1997b, S. 75). Deutschland wie auch China sind beide als neutrale Kulturen einzu-

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stufen, wobei die Affektivität in Deutschland etwas stärker ausgeprägt ist (vgl. Abbildung 13). Emotionen Affektiv