Prozeduralisierung im europäischen Binnenmarktrecht: Die Verfahrensdimension der Grundfreiheiten und des Beihilfenrechts [1 ed.] 9783428532759, 9783428132751

Der wachsende Einfluss des Europarechts auf die nationale Rechtsordnung wird allenthalben konstatiert. Zu wenig Beachtun

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Prozeduralisierung im europäischen Binnenmarktrecht: Die Verfahrensdimension der Grundfreiheiten und des Beihilfenrechts [1 ed.]
 9783428532759, 9783428132751

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Schriften zum Europäischen Recht Band 154

Prozeduralisierung im europäischen Binnenmarktrecht Von Sebastian Hirschberger

Duncker & Humblot · Berlin

SEBASTIAN H IRSCHBERGER

Prozeduralisierung im europäischen Binnenmarktrecht

Schriften zum Europäischen Recht Herausgegeben von

Siegfried Magiera · Detlef Merten Matthias Niedobitek · Karl-Peter Sommermann

Band 154

Prozeduralisierung im europäischen Binnenmarktrecht Die Verfahrensdimension der Grundfreiheiten und des B eihilfenrechts

Von Sebastian Hirschberger

Duncker & Humblot · Berlin

Die Juristische Fakultät der Universität Regensburg hat diese Arbeit im Sommersemester 2009 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2010 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübernahme: TextFormA(r)t, Daniela Weiland, Göttingen Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0937-6305 ISBN 978-3-428-13275-1 (Print) ISBN 978-3-428-53275-9 (E-Book) ISBN 978-3-428-83275-0 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 Internet: http://www.duncker-humblot.de

Meinen Eltern Meiner Frau

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde von der Juristischen Fakultät der Universität Regensburg im Sommersemester 2009 als Dissertation angenommen. Mein erster Dank gilt Herrn Prof. Dr. Thorsten Kingreen, der das Thema vorgeschlagen, die Entstehung der Arbeit betreut und das Erstgutachten erstellt hat, für die Förderung an seinem Lehrstuhl. Weiter danke ich Herrn Prof. Dr. Jürgen Kühling, LL. M., für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens. Den Herausgebern der „Schriften zum Europäischen Recht“ habe ich für die freundliche Aufnahme in diese Schriftenreihe zu danken. Besonderer Dank gebührt Frau Dr. Cornelia Mielitz, die mit zahlreichen Anregungen eine kritische Überprüfung des eigenen Standpunktes ermöglicht hat. Ebenso danke ich Frau Barbara Plutz für die genaue Durchsicht des Manuskripts. Meinem Lehrstuhl-Kollegen, Herrn Dr. Tibor Szabados, danke ich herzlich für die gemeinsam er- und durchlebte Promotionszeit. Vor allem danke ich meinen Eltern für die persönliche und finanzielle Förderung meines Studiums. Die (Aus-)Bildung ihrer Kinder war und ist ihnen stets ein besonderes Anliegen. Meinen Großeltern bin ich für die finanzielle Beihilfe zu dieser Drucklegung dankbar. Schließlich möchte ich mich besonders bei meiner Frau für die stetige Unterstützung und unentwegte Ermunterung bedanken. Sie hat nicht nur die Entstehung dieser Arbeit in allen Höhen und Tiefen begleitet, sondern auch die Vorbereitung auf zwei juristische Staatsexamina geduldig miterlebt. Regensburg, im Januar 2010

Sebastian Hirschberger

Inhaltsübersicht Einleitung I.

Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

25

II.

Begriff der Prozeduralisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

26

III.

Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

27

Teil 1

1

Prozeduralisierung und Recht A. Prozeduralisierung des Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

31

I.

Begriff der Gerechtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

31

II.

Prozedurale Gerechtigkeit am Beispiel von John Rawls . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

32

III.

Diskurstheorien: Von der prozeduralen Gerechtigkeit zur Prozeduralisierung des Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

41

IV.

Rechtssoziologischer Ansatz bei Luhmann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

47

V.

Prozedurales Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

51

VI.

Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

54

B. Prozeduralisierung im (Verwaltungs-)Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

55

I.

Verfassungsrechtliche Grundlagen des Verwaltungsverfahrens . . . . . . . . . . . . .

56

II.

Insbesondere: Verfahrensdimension der Grundrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

62

III.

Entwicklung des Verwaltungsverfahrensrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

83

IV.

Prozeduralisierung durch Europäisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

94

V.

Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102

Teil 2

2

Der Verfahrensgedanke im Recht des Europäischen Binnenmarktes A. Grundfreiheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 I.

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104

II.

Funktionen der Grundfreiheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105

Inhaltsübersicht

10 III.

Genehmigungsvorbehalte am Beispiel der Lebensmittelzusätze . . . . . . . . . . . . 114

IV.

Erstattungsfähigkeit von Aufwendungen für Arzneimittel . . . . . . . . . . . . . . . . . 130

V.

Anerkennung von Berufsqualifikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150

VI.

Vergabe öffentlicher Aufträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172

VII. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 B. Beihilfenrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 I.

Primärrechtliche Grundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224

II.

Prozeduralisierung des Beihilfentatbestandes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229

III.

Materieller Vergleichsmaßstab der Vermögensprivatisierung . . . . . . . . . . . . . . . 238

IV.

Prozeduraler Vergleichsmaßstab der Vermögensprivatisierung . . . . . . . . . . . . . . 246

V.

Materieller Vergleichsmaßstab der Aufgabenprivatisierung . . . . . . . . . . . . . . . . 263

VI.

Prozeduraler Vergleichsmaßstab der Aufgabenprivatisierung . . . . . . . . . . . . . . . 277

VII. Konvergenz von Beihilfen- und Vergaberecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 VIII. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298 Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 334

Inhaltsverzeichnis Einleitung I.

Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

25

II.

Begriff der Prozeduralisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

26

III.

Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

27

Teil 1

1

Prozeduralisierung und Recht A. Prozeduralisierung des Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

31

I.

Begriff der Gerechtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

II.

Prozedurale Gerechtigkeit am Beispiel von John Rawls . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

32

1. Rawls’ „Eine Theorie der Gerechtigkeit“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

32

III.

31

a) Einordnung in die Gesellschaftstheorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

32

b) Rawls’ Gesellschaftsvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

33

aa) Urzustand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

34

bb) Zwei Prinzipien der Gerechtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

36

cc) Zwei Begründungsebenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

37

2. Prozedurale Gerechtigkeit bei Rawls . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

38

a) (Un-)Vollkommene Verfahrensgerechtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

39

b) (Quasi-)Reine Verfahrensgerechtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

39

c) Vier-Stufen-Gang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

40

d) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

41

Diskurstheorien: Von der prozeduralen Gerechtigkeit zur Prozeduralisierung des Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

41

1. Allgemeine Diskurstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

42

a) Begriff des Diskurses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

42

b) Bedingungen des idealen Diskurses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

43

2. Diskurstheorie des Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

44

a) Grundlagen des Rechtssystems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

44

b) Theorie der juristischen Argumentation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

45

3. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

46

Inhaltsverzeichnis

12 IV.

V.

Rechtssoziologischer Ansatz bei Luhmann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

47

1. Einordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

47

2. „Legitimation durch Verfahren“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

47

3. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

50

Prozedurales Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

51

1. Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

51

2. Komplementäre und kompensatorische Prozeduralisierung . . . . . . . . . . . . . .

52

Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

54

B. Prozeduralisierung im (Verwaltungs-)Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

55

VI.

I.

II.

Verfassungsrechtliche Grundlagen des Verwaltungsverfahrens . . . . . . . . . . . . .

56

1. Demokratieprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

57

2. Rechtsstaatsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

61

Insbesondere: Verfahrensdimension der Grundrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

62

1. Abwehrfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

63

2. Schutzfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

63

a) Schutz vor Gefahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

64

b) Schutz durch Teilhabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

65

3. Verfahrensdimension der Grundrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

65

a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

65

b) Rechtsprechung des BVerfG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

66

aa) Erste Ansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

66

bb) Gestaltung des Verwaltungsverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

67

cc) Auslegung von Verfahrensvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

68

(1) Mülheim-Kärlich-Beschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

68

(2) Minderheitsvotum zum Mülheim-Kärlich-Beschluss . . . . . . . . . .

69

(3) Beschluss „Gerichtliche Prüfungskontrolle“ . . . . . . . . . . . . . . . . .

71

(4) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

72

dd) Schaffung von Verfahrensvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

73

ee) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

74

c) Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

74

aa) Vorbereitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

75

bb) Dogmatische Einordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

76

d) Problem des Konkretisierungsgrades . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

78

aa) Konkretisierende Auslegung von Verfassungsrecht . . . . . . . . . . . . . .

78

bb) Grenzen der Grundrechtskonkretisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

79

e) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

82

4. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

83

Inhaltsverzeichnis III.

IV.

13

Entwicklung des Verwaltungsverfahrensrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

83

1. Kodifiziertes Verwaltungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

83

2. Verhältnis von materiellem und Verfahrensrecht i. R. d. VwVfG . . . . . . . . . .

86

3. Neue Typen des Verwaltungsverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

89

4. Begriff des Verwaltungsverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

92

5. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

93

Prozeduralisierung durch Europäisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

94

1. Begriff der Europäisierung

......................................

94

2. Prozeduralisierung mittels Gemeinschaftsverwaltungsrechts . . . . . . . . . . . .

96

a) Direkte Europäisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

97

b) Indirekte Europäisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

98

aa) Effektivitätsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

99

bb) Äquivalenzgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 cc) Grundfreiheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 3. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 V.

Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102

2

Teil 2

Der Verfahrensgedanke im Recht des Europäischen Binnenmarktes A. Grundfreiheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 I.

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104

II.

Funktionen der Grundfreiheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 1. Abwehrrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 2. Schutzrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 a) Rs. C-265/95 (Kommission/Frankreich) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 b) Rs. C-112/00 (Schmidberger) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 c) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 3. Verfahrensrechtliche Dimension . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 a) Schutzrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 b) Abwehrrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 c) Grundfreiheiten und Harmonisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113

III.

Genehmigungsvorbehalte am Beispiel der Lebensmittelzusätze . . . . . . . . . . . . 114 1. Prinzip der gegenseitigen Anerkennung im Lebensmittelrecht . . . . . . . . . . . 114 2. Rechtfertigung von Verkehrsverboten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 a) Absolute Verkehrsverbote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 b) Relative Verkehrsverbote: Zulassungserfordernis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118

Inhaltsverzeichnis

14

3. Materielle Anforderungen an Zulassungserfordernisse . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 4. Prozedurale Anforderungen an Zulassungserfordernisse . . . . . . . . . . . . . . . . 121 a) Zugänglichkeit des Genehmigungsverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 aa) Rechtliche Grundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 (1) Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 (2) Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 bb) Verfahrensaufwand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 cc) Begründungs- und Beweislast . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 b) Gerichtlicher Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 c) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 5. Auswirkungen auf das deutsche Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 a) § 54 LFG B . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 b) Anwendbarkeit des VwVfG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 6. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 IV.

Erstattungsfähigkeit von Aufwendungen für Arzneimittel . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 1. Gemeinschaftsrechtliche Anforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 a) Kostenerstattung und Binnenmarktrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 b) EuGH, Rs. 238/82 (Duphar/Niederlande) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 c) Mitteilung der Kommission zur Arzneimittel-Preiskontrolle und -Kostenerstattung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 aa) Materielle Anforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 bb) Prozedurale Anforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 d) Arzneimittel-Transparenzrichtlinie (RL 89/105/EWG) . . . . . . . . . . . . . . . 135 e) Bewertungskriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 f) Bewertungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 aa) Anwendungsbereich der Art. 6, 7 RL 89/105/EWG . . . . . . . . . . . . . . 137 bb) Entscheidungsfrist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 cc) Begründete Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 dd) Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 ee) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 2. Auswirkungen auf das deutsche Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 a) Regelungen im SGB V . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 b) Adressat der Verfahrensanforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 c) Normative Anknüpfung der Verfahrensanforderungen . . . . . . . . . . . . . . . 145 d) Prozedurale Anforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 e) Sonderproblem „Anhörung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 3. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149

V.

Anerkennung von Berufsqualifikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150

Inhaltsverzeichnis

15

1. Berufsqualifikationen und Binnenmarkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 2. Sekundärrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 a) Vertikale und horizontale Richtlinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 b) Berufsqualifikationsrichtlinie (RL 2005/36/EG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 3. Verhältnis von Sekundär- und Primärrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 4. Grundfreiheitliche Anforderungen in der Rspr. des EuGH . . . . . . . . . . . . . . 154 a) Grundfreiheitskonforme Anwendung nationalen Rechts . . . . . . . . . . . . . . 155 b) Recht auf Durchführung eines Überprüfungsverfahrens ohne Harmonisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 aa) EuGH, Rs. 222/86 (Unectef/Heylens) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 bb) EuGH, Rs. C-340/89 (Vlassopoulou) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 c) Pflicht zur Normierung eines Homologierungsverfahrens . . . . . . . . . . . . 162 d) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 5. Homologierungsverfahren für Berufsqualifikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 a) Zugänglichkeit des Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 b) Transparenzgebot und Ermessensbegrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 c) Unparteiische Entscheidungsinstanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 d) Anhörung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 e) Entscheidungsfrist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 f) Begründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 g) Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 6. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 VI.

Vergabe öffentlicher Aufträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 1. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 2. Gemeinschaftsrechtlicher Rahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 a) Primärrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 b) Sekundärrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 3. Paradigmenwechsel: Von der kompensatorischen zur komplementären Prozeduralisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 a) Zweck des Vergabeverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 b) Kompensatorische Prozeduralisierung im Haushaltsvergaberecht . . . . . . 179 aa) Prozedurale Kompensation i . R. d. Wirtschaftlichkeitsgrundsatzes . . . 179 bb) Komplementärer Grundrechtsschutz im Vergabeverfahren . . . . . . . . . 181 c) Komplementäre Prozeduralisierung im EG-primärrechtlichen Vergabeverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 aa) Auftragsvergabe im Binnenmarkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 bb) Komplementärfunktion des Vergabeverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 cc) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 d) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186

Inhaltsverzeichnis

16

4. Primärvergaberecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 a) Reichweite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 aa) Öffentliche Auftraggeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 bb) Binnenmarktrelevanz durch grenzüberschreitendes Interesse . . . . . . . 188 (1) Interesse potenzieller Bieter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 (2) Binnenmarktrelevanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 cc) Konkretisierungsmaßstab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 dd) Keine Übertragung der Anforderungen der Vergaberichtlinien . . . . . . 194 ee) Beschränkung durch den Effizienzgrundsatz? . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 b) Materielle Anforderungen der Grundfreiheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 aa) Produktbezogene Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 bb) Bieterbezogene Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 cc) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 c) Primärrechtliche Vergabegrundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 aa) Transparenzgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 bb) Grundsatz der Gleichbehandlung der Bieter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 cc) Kein allgemeiner Wettbewerbsgrundsatz im Primärvergaberecht . . . . 202 d) Prozedurale Anforderungen der Grundfreiheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 aa) Publizität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 (1) Vorinformation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 (2) Vergabebekanntmachung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 (a) Form . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 (b) Ausnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 (c) Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 bb) Frist zur Angebotsabgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 cc) Auftragsvergabeverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 dd) Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 (1) Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 (2) Anforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 5. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 VII. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 B. Beihilfenrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 I.

Primärrechtliche Grundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 1. Zweck des Beihilfenverbotes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 2. Begünstigung i. S. v. Art. 107 Abs. 1 AEUV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 a) Leistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 b) Marktgerechte Gegenleistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 3. Art. 106 AEUV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227

Inhaltsverzeichnis II.

17

Prozeduralisierung des Beihilfentatbestandes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 1. Marktmechanismus und Staat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 2. Privatisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 a) Begriff der Privatisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 b) Privatisierung durch Europäisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 aa) Vermögensprivatisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 bb) Aufgabenprivatisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 3. Kompensatorische Prozeduralisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235

III.

Materieller Vergleichsmaßstab der Vermögensprivatisierung . . . . . . . . . . . . . . . 238 1. Market-Economy-Investor-Test . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 a) Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 b) Konkrete Anwendung am Beispiel der staatlichen Kapitalzuführung an Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 aa) Eigenkapitalzuführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 bb) MEIT bei Fremdkapitalzufuhr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 c) Diversifizierung des Investorenbildes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 d) Private Seller Test . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 e) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 2. Gutachten eines Sachverständigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 a) Methode der Wertermittlung bei Grundstücken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 b) Ausdehnung auf Unternehmensprivatisierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 c) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246

IV.

Prozeduraler Vergleichsmaßstab der Vermögensprivatisierung . . . . . . . . . . . . . . 246 1. Ausschreibungsverfahren bei Grundstücksverkauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 2. Ausschreibungsverfahren bei Unternehmensprivatisierung . . . . . . . . . . . . . . 248 3. Keine beihilfenrechtliche Ausschreibungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 4. Gestaltung des qualifizierten Ausschreibungsverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . 249 a) Wettbewerbsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 aa) Benachrichtigung ausgewählter potenzieller Bieter . . . . . . . . . . . . . . 251 (1) Entscheidungspraxis der Kommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 (2) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 bb) Öffentliche Bekanntmachung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 b) Transparenzgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 aa) Information . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 bb) Frist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 c) Bedingungsfreiheit und Nichtdiskriminierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 aa) Kommissionspraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 bb) Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 cc) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259

Inhaltsverzeichnis

18

d) Notwendiger Bieterausschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 e) Zuschlagskriterium: Veräußerung an den Meistbietenden . . . . . . . . . . . . . 261 5. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 V.

Materieller Vergleichsmaßstab der Aufgabenprivatisierung . . . . . . . . . . . . . . . . 263 1. Begriff der „Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse“

263

2. Spannungsverhältnis zwischen DAWI und europäischem Wettbewerbsprinzip

265

a) Wettbewerb als binnenmarktrechtliches Grundprinzip . . . . . . . . . . . . . . . 265 b) Sonderstellung der DAWI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 3. Materielle Ermittlung der angemessenen Gegenleistung

. . . . . . . . . . . . . . . 268

a) Rechtfertigungslösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 b) Tatbestandslösung und subjektive Kosten: Das Urteil Ferring . . . . . . . . . 269 c) Kritik am Urteil Ferring . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 d) Objektive Kosten: Das Urteil Altmark Trans . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 aa) Kriterium des Nettomehrkostenprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 bb) Kriterium des objektiven Kostenmaßstabs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 e) Ermittlung der objektiven Kosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 f) Kritik am Altmark-Trans-Urteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 g) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 VI.

Prozeduraler Vergleichsmaßstab der Aufgabenprivatisierung . . . . . . . . . . . . . . . 277 1. Eigenständigkeit des prozeduralen Modus: Kompensatorische Prozeduralisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 2. DAWI und Wettbewerbsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 3. Beihilfenrechtliche Ausschreibungspflicht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 a) Obligatorische Ausschreibung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 b) Optionale Ausschreibung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 aa) EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 bb) Kommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 cc) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 4. Qualifiziertes Ausschreibungsverfahren in der Aufgabenprivatisierung . . . . 285 a) Altmark-Kriterien und Ausschreibung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 b) Zuschlagskriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 c) Zeitliche Begrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 d) Verfahrensgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 5. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288

VII. Konvergenz von Beihilfen- und Vergaberecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 1. Verhältnis von Beihilfenrecht und Vergaberecht im AEUV . . . . . . . . . . . . . . 289 2. Schnittmengen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 a) Vermögensprivatisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291

Inhaltsverzeichnis

19

b) Aufgabenprivatisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 c) Beschaffungsfremde Kriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 aa) Vergaberechtliche Zulässigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 bb) Beihilfenrechtliche Zulässigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 cc) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296 3. Konvergenz

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296

VIII. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298 Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 334

Abkürzungsverzeichnis Abkürzungsverzeichnis a. A. ABl. Abs. AEUV a. F. allg. AMR Anm. AO AöR ARSP Art. Az. BayGO BayHO BayVBl. BB Bd. BeckOK BGBl. BGH BHO bspw. BVerfG BVerfGE BVerwG BVerwGE CML Rev. d. DAWI ders. d. h. DÖV DVBl. EEA EG EGKS EGV EL

andere(r) Ansicht Amtsblatt Absatz Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union alte(r) F assung allgemein Arzneimittelrichtlinie Anmerkung Abgabenordnung Archiv des öffentlichen Rechts Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie Artikel Aktenzeichen Bayerische Gemeindeordnung Bayerische Haushaltsordnung Bayerische Verwaltungsblätter Betriebs-Berater – Zeitschrift für Recht, Steuern und Wirtschaft Band Beck-Onlinekommentar Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Bundeshaushaltsordnung beispielsweise Bundesverfassungsgericht Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bundesverwaltungsgericht Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts Common Market Law Review der Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse derselbe das he ißt Die öffentliche Verwaltung Deutsches Verwaltungsblatt Einheitliche Europäische Akte Europäische Gemeinschaft Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft Ergänzungslieferung

Abkürzungsverzeichnis ELRev. Entsch. EU EuG EuGH EuGRZ EuR eur. EUV EuZW EWG EWGV EWS f. FamRZ ff. FGO Fn. FPR FS GA GBA GG GKV GKV-WSG GR(e) GRUR GS GuG GVO GWB h. A. h. M. HbGR HbJAO Hdb. EU-WirtschR HGrG h. Lit. Hrsg. HStR HTM i. d. F. i. d. R. i. d. S. i. E. i. e. S. insbes.

21

European Law Review Entscheidung Europäische Union Europäisches Gericht erster Instanz Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaft Europäische Grundrechte-Zeitschrift Europarecht europäisch(e, er, es) Vertrag über die Europäische Union Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Europäische Wirtschaftsgemeinschaft Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft Europäisches Wirtschafts- und Steuerrecht folgende(r) Zeitschrift für das gesamte Familienrecht fortfolgende Finanzgerichtsordnung Fußnote Familie, Partnerschaft, Recht – interdisziplinäres Fachjournal für die Anwaltspraxis Festschrift Generalanwalt Gemeinsamer Bundesausschuss Grundgesetz Gesetzliche Krankenversicherung(en) GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz Grundrecht(e) Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht Gedenkschrift Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten Gruppefreistellungsverordnung(en) Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen herrschende Ansicht herrschende Meinung Handbuch der Grundrechte in Deutschland und Europa Hamburgische Juristenausbildungsordnung Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts Haushaltsgrundsätzegesetz herrschende Literatur Herausgeber Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland Head Tyrolia Mares in de r F assung in de r R egel in de m/diesem Si nn im Er gebnis im e ngeren Si nn insbesondere

22 insg. IQWiG i. R.(d.) i. R. v. i. S. d. i. S. e. i. S. v. IVU-RL i. w. S. JoP Jura JuS JZ KJ KOM LFGB m. MedR MEIT Mio. m.N. Mrd. m. w. N. Nachw. n. F. n. i. Slg. NJ n.n.i. NVwZ NZBau o. OLG ÖPNV OTC OVG PharmR RL Rn. RÖDS Rspr. Rtheorie s. S. Schlussantr. SDBO SGB

Abkürzungsverzeichnis insgesamt Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen im Rahmen (des/der) im R ahmen v on im S inne de s/der im Si nne e ines/einer im S inne v on Richtlinie über die integrierte Vermeidung und Verminderung von Umweltverschmutzung im w eiteren Si nn The Journal of Philosophy JURA – Juristische Ausbildung Juristische Schulung Juristenzeitung Kritische Justiz Legislativvorschläge und sonstige Mitteilungen der Kommission an die anderen Organe der Europäischen Union Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch mit Medizinrecht Market-Economy-Investor-Test Million(en) mit Nachweisen Milliarde(n) mit w eiteren N achweisen Nachweis(e) neue(r) F assung nicht in der amtlichen Sammlung Neue Justiz noch nicht in Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht Neue Zeitschrift für Baurecht und Vergaberecht oben Oberlandesgericht öffentlicher Personennahverkehr over the counter Oberverwaltungsgericht PharmaRecht Richtlinie Randnummer(n) Recht und Ökonomik des Dritten Sektors Rechtsprechung Rechtstheorie siehe Seite Schlussantrag Société de Banque Occidentale Sozialgesetzbuch

Abkürzungsverzeichnis SGg SGG Slg. s. o. sog. st.Rspr. s. u. T. d. T. d. L. u. u. a. UAbs. UmwGB UVPG UVP-RL v. v. a. Verb. Rs. Verf. VerfEU VergabeR Verw VerwArch VG vgl. VgV VO VOB VOF VOL Vorb. VSSR VV-BHO VVDStRL VwGO VwVf VwVfG VwVfR WB WissR WuW zahlr. z. B. ZESAR ZEuS

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Die Sozialgerichtsbarkeit Sozialgerichtsgesetz Sammlung siehe obe n so genannt ständige Rechtsprechung siehe unt en Teil(e) de s/der Teil(e) de r Le hre unten unter a nderem Unterabsatz Umweltgesetzbuch Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung Umweltverträglichkeitsprüfungsrichtlinie von/vom vor a llem verbundene Rechtssachen Verfasser Vertrag über eine Verfassung für Europa Zeitschrift für das gesamte Vergaberecht Die Verwaltung – Zeitschrift für Verwaltungswissenschaft Verwaltungsarchiv – Zeitschrift für Verwaltungslehre, Verwaltungsrecht und Verwaltungspolitik Verwaltungsgericht vergleiche Verordnung über die Vergabe öffentlicher Aufträge (Vergabeverordnung) Verordnung Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen Verdingungsordnung für freiberufliche Leistungen Verdingungsordnung für Leistungen Vorbemerkung Vierteljahresschrift für Sozialrecht Verwaltungsvorschriften zur Bundeshaushaltsordnung Veröffentlichung der Vereinigung Deutscher Staatsrechtslehrer Verwaltungsgerichtsordnung Verwaltungsverfahren Verwaltungsverfahrensgestz Verwaltungsverfahrensrecht Wirtschaftsbericht Wissenschaftsrecht Wirtschaft und Wettbewerb, Zeitschrift für deutsches und europäisches Wirtschaftsrecht zahlreiche(n) zum B eispiel Zeitschrift für europäisches Sozial- und Arbeitsrecht Zeitschrift für europarechtliche Studien

24 ZfA ZfBR ZfRSoz ZHR ZIP zit. ZLR ZögU ZÖR ZRP ZUM ZUR

Abkürzungsverzeichnis Zeitschrift für Arbeitsrecht Zeitschrift für deutsches und internationales Bau- und Vergaberecht Zeitschrift für Rechtssoziologie Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Wirtschaftsrecht Zeitschrift für Wirtschaftsrecht und Insolvenzpraxis zitiert Zeitschrift für das gesamte Lebensmittelrecht Zeitschrift für öffentliche und gemeinwirtschaftliche Unternehmen Zeitschrift für öffentliches Recht Zeitschrift für Rechtspolitik Zeitschrift für Urheber- und Medienrecht Zeitschrift für Umweltrecht

Einleitung Einleitung

I. Problemstellung Die „Prozeduralisierung im europäischen Binnenmarktrecht“ scheint auf den ersten Blick ein reichlich abstraktes Phänomen zu beschreiben. Seine konkrete Anwendung jedoch kann einen Konzern von der Größenordnung der Deutschen Bahn AG erschüttern. Deren Tochtergesellschaft DB Regio wird durch ein Beihilfenverfahren der Kommission „vor ernste, fast existenzbedrohende Konsequenzen gestellt“1. Ein privater Wettbewerber der Bahn hatte bei der Europäischen Kommission eine Beschwerde wegen verbotener staatlicher Beihilfen der Bundesländer Berlin und Brandenburg an die Deutsche Bahn AG eingereicht. Diese Regionalverkehrsverträge über 2,5 Milliarden Euro und einer Laufzeit von 10 Jahren würden den Wettbewerb im Schienennahverkehr verzerren. Insgesamt erwirtschaftete die DB Regio im Jahr 2006 einen Gewinn von 725 Mio. _. Zahlungen der Bundesländer machten 66 % des Umsatzes aus.2 Die Europäische Kommission überprüft nun, ob die Regionalverkehrsverträge zwischen der DB Regio und den Bundesländern eine marktübliche Gegenleistung enthalten. Da sie nicht öffentlich ausgeschrieben wurden, bestehe der Verdacht überhöhter Preise und unzulässiger Koppelungsgeschäfte.3 Die Kommission hinterfragt daher die Berechnung der staatlichen Gegenleistung im Detail.4 Zwar haben die Bundesländer aus beihilfenrechtlicher Sicht die Wahl, ob sie solche Aufträge direkt vergeben oder zuvor ausschreiben.5 Entspricht die staatliche Leistung jedoch nicht dem Marktpreis, kann es sich um eine verbotene staatliche Beihilfe

1 So zitiert der Spiegel (26/2008 vom 23.6.2008), S. 56 aus einem internen Memo der Bahn für die Bundesregierung. 2 DB Regio AG, Geschäftsbericht, S. 2 (http://www.db.de/site/shared/de/dateianhaenge/ berichte/geschaeftsbericht__2006__regio.pdf, abgerufen am 29.10.2008). 3 Kommission, Staatliche Beihilfe C 47/07 (ex NN 22/05), ABl. EU C 35 vom 8.2.2008, S. 13 (14). 4 Zu Einordnung des Verfahren gegen die DB Regio s. u. Teil 2 B. V. 3. e). 5 Aus EG-vergaberechtlicher Sicht ist eine Ausschreibungspflicht umstritten, vgl. Ottling/ Scheps, NVwZ 2008, 499 (505); Tödtmann/Schauer, NVwZ 2008, 1 (6). Der Gemeinschaftsgesetzgeber hat nunmehr eine Ausnahme von gemeinschaftsrechtlichen Ausschreibungspflichten vorgesehen, Art. 5 Abs. 6 der Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2007 über öffentliche Personenverkehrsdienste auf Schiene und Straße und zur Aufhebung der Verordnungen (EWG) Nr. 1191/69 und (EWG) Nr. 1107/70 des Rates, ABl. EU L 315 vom 3.12.2007, S. 1 ff.; hierzu Pünder, EuR 2007, 564 (566 ff.).

Einleitung

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gem. Art. 107 Abs. 1 AEUV handeln. In Ermangelung eines Ausschreibungswettbewerbs lässt sich über die Berechnungsgrundlage trefflich streiten. Hierdurch wird die Finanzierung des deutschen Schienennahverkehrs in weiten Teilen in Frage gestellt. Lassen sich die deutschen Bundesländer von der Kommission zu einer Änderung ihres Vergabeverhaltens bewegen, werden die Weichen auf diesem Markt neu gestellt. Ein erstes Zeichen hat nun der Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg gesetzt, indem er zwei Drittel der Nahverkehrsleistungen im Wert von 1,3 Milliarden Euro europaweit ausschrieb.6 Nächster Halt: Wettbewerb! Dieses Beispiel zeigt, welcher Stellenwert dem Verfahrensgedanken auf der Ebene des Europäischen Binnenmarktrechts zukommt. Die Prozeduralisierung im Anwendungsbereich der Grundfreiheiten und des Beihilfenrechts steht im Zentrum dieser Arbeit. Nicht nur die Kommission, sondern in besonderem Maße auch der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat prozedurale Instrumente zur Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts eingefordert. Diese Instrumente folgen in den genannten Rechtsgebieten jeweils eigenen Vorzeichen und Gesetzmäßigkeiten. Was sie eint, ist ihre oftmals erstaunliche Reichweite und ihr Detailreichtum. Diese Arbeit soll zeigen, welche Funktionen Verfahren in der Theorie sowie in der Dogmatik und Praxis des Gemeinschaftsrechts übernehmen können.

II. Begriff der Prozeduralisierung Eine gängige Definition für den Begriff der Prozeduralisierung findet sich im rechtswissenschaftlichen Schrifttum nicht, ruft er bei vielen Juristen doch eher ein Stirnrunzeln hervor. Er wird im Zusammenhang verschiedenster Sach- und Rechtsgebiete gebraucht.7 Der Terminus bezeichnet eine Verschiebung des Regelungsschwerpunktes vom materiellen in das formelle Recht. Um die Funktion rechtlicher Verfahren zu isolieren, bedarf es der Unterscheidung zwischen formellem, d. h. Verfahrensrecht, und materiellem Recht. Materielles Recht bezeichnet „die (primären und sekundären) Verhaltensnormen sowie die Vorschriften über den Inhalt rechtlicher Sanktionen (Strafe, Schadensersatz)“8. Als Verfahren sollen für die Zwecke dieser Arbeit „institutionalisierte Prozesse der Entscheidungs- und Konsensbildung“9 verstanden werden, die über die Verteilung von knappen Gütern und die Zuweisung von Lasten befinden. Verfahren 6

Die Welt vom 26.10.2008, S. B 2. Bspw. Mager, ZeuS 2003, 471 ff. (zum Subsidiaritätsprinzip im europäischen Verfassungsrecht); Pöcker, EuZW 2007, 167 ff. (zum Beihilfenrecht); Sandforth, Prozeduraler Steuerungsmodus, 2002; Vesting, Prozedurales Rundfunkrecht, 1997. 8 Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 497. 9 Röhl, ZfRSoz 14 (1993), 1 (3). 7

Einleitung

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verfolgen keinen Selbstzweck. Sie haben vielmehr eine dienende Funktion in dem wohlverstandenen Sinne „Mittel zum Zweck der Findung eines gerechten Urteils“10 zu sein. Findet der Prozess der Entscheidungs- und Konsensbildung innerhalb oder unter Beteiligung der staatlichen Verwaltung statt, so ist im weitesten Sine von einem Verwaltungsverfahren zu sprechen.11 Da sich das Gemeinschaftsrecht überwiegend an die Mitgliedstaaten wendet, war hier der Schwerpunkt zu setzen. „Prozeduralisierung“ charakterisiert dabei einerseits den konkreten Vorgang der Schwerpunktverlagerung, andererseits den Befund einer Häufung dieses Geschehens. Der Begriff hat somit zwei wechselbezügliche Bedeutungen: – Zunächst ist darunter das Phänomen zu verstehen, dass ein Verfahren materielle Entscheidungskriterien ausfüllt, verstärkt oder ersetzt. Prozedurales Recht12 tritt insoweit an die Seite oder gar an die Stelle materiellen Rechts. – Gleichzeitig ist die Häufung dieses Phänomens als Prozeduralisierung zu bezeichnen. Beide Bedeutungen stehen in einem untrennbaren Zusammenhang. Ihnen soll in dieser Arbeit Rechnung getragen werden, indem die Prozeduralisierung verschiedener Regelungsbereiche des Europäischen Binnenmarktrechts dargestellt wird, um die Diagnose der Prozeduralisierungstendenz zu verifizieren. Prozeduralisierung lässt sich daneben fundamentaler, über das positive Recht hinaus, begreifen. So hat der Gerechtigkeitsbegriff in den letzten Jahrzehnten eine prozedurale Ausprägung erfahren. Prozeduralisierung beschränkt sich nicht auf rechtsinterne Vorgänge, sondern verändert grundlegend das Bewusstsein von der Legitimationsgrundlage des Rechts. Es kann daher die „Prozeduralisierung des Rechts“ von der schon beschriebenen „Prozeduralisierung im Recht“ unterschieden werden.13

III. Gang der Untersuchung Den Schwerpunkt der vorliegenden Untersuchung bildet die Prozeduralisierung im Recht, speziell im Europäischen Binnenmarktrecht (Teil 2). Ihr liegt jedoch die Prozeduralisierung des Rechts zugrunde (Teil 1). 10

Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 501. Näher zum Begriff des Verwaltungsverfahrens u. Teil 1 B. III. 4. 12 Zum Begriff des prozeduralen Rechts u. Teil 1 A. V. Zur vielfältigen Terminologie in der aktuellen Diskussion Sandforth, Prozeduraler Steuerungsmodus, S. 311; s. auch schon Röhl, ZfRSoz 14 (1993), 1 (24). 13 So bspw. Eder, Prozedurales Recht, in: Grimm (Hrsg.), Wachsende Staatsaufgaben, S. 155 (156 f.); Sandforth, Prozeduraler Steuerungsmodus, S. 293 ff. (Hervorhebung bei Sandforth, d. Verf.). 11

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Einleitung

Den Ausgangspunkt der Untersuchung bilden daher die prozeduralen Gerechtigkeitstheorien von Rawls, Habermas und Alexy (Teil 1 A.). Sowohl der gesellschaftstheoretische Ansatz in Rawls’ „Theorie der Gerechtigkeit“ als auch die juristische Diskurstheorie beschränken die Prozeduralisierung des Rechts nicht auf die theoretische Ebene philosophischer Gerechtigkeitsvorstellungen. Für die Ebenen der Gesetzgebung und Einzelfallentscheidungen der Verwaltung legen sie ebenfalls ein prozedurales Fundament. Einen weiteren Beitrag leistet die rechtssoziologische Untersuchung Luhmanns. Dieser stellt die „Legitimation durch Verfahren“, d. h. die gesellschaftliche Wirkung rechtlicher Verfahren, in den Vordergrund. Auf dieser rechtstheoretischen Grundlage lässt sich die Kategorie des prozeduralen Rechts näher beschreiben. Diese Kategorisierung bringt die erwähnte Dichotomie von formellem und materiellem Recht zum Ausdruck. Gleichzeitig wird zu zeigen sein, dass eine derartige Einteilung keinen Exklusivitätsanspruch erhebt. Vorschriften, die zunächst materielle Verhaltensnormen sind, können gleichzeitig einen prozeduralen Gehalt aufweisen. Mit dem Verwaltungsverfahren widmet sich Teil 1 B. einem klassischen Gebiet prozeduralen Rechts. Es ist Ausdruck seiner Aktualität, dass es stetigen Verwerfungen ausgesetzt war und ist. In der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts standen die verfassungsrechtlichen Einflüsse z. B. des Demokratie- und des Rechtsstaatsprinzips im Zentrum der Aufmerksamkeit. In diesem Zusammenhang wird insbesondere die Verfahrensdimension der Grundrechte des Grundgesetzes näher zu beleuchten sein. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG), welche die Wirkung der Grundrechte auf das Verwaltungsverfahren „entdeckte“, hat maßgeblich zur Stärkung des Verfahrensgedankens im deutschen Verwaltungsrecht beigetragen. Will man die Stellung des Einzelnen im Verwaltungsverfahren bestimmen, ist zu beachten, dass die Grundrechte „selbst Verfahrensgarantien ihrer Verwirklichung durch den einzelnen“14 sind. Im Hinblick darauf soll die Rechtsprechung des BVerfG zur prozeduralen Dimension der Grundrechte und deren Echo in der Literatur näher beleuchtet werden. Die Frage, ob den Grundfreiheiten eine ähnliche Wirkung zukommt, wird Gegenstand von Teil 2 A. sein. Zu einer Aufwertung des Verfahrensgedankens führt indes die allmähliche Europäisierung des deutschen Verwaltungsrechts. Dem Gemeinschaftsrecht sind verstärkte Prozeduralisierungstendenzen zu entnehmen, die sich auf das nationale Recht übertragen. Hierbei dürfte es sich um mehr als eine „kleine verbale Transferleistung“15 von verfassungsrechtlichen Vorgaben zu gemeinschaftsrechtlichen Verfahrensgrundsätzen handeln. Das Gemeinschaftsrecht wirkt insbeson-

14 15

Goerlich, Grundrechte, S. 59 f. So aber Wahl, DVBl. 2003, 1285 (1288 f.).

Einleitung

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dere über den Effektivitäts- und den Äquivalenzgrundsatz auf das innerstaatliche Verwaltungsverfahren ein.16 Die Wirkung der Grundfreiheiten dahingehend hat bislang im deutschen Schrifttum vergleichsweise wenig Aufmerksamkeit erfahren. In Teil 2 A. ist daher, nach einer kurzen dogmatischen Einordnung in die Funktionen der Grundfreiheiten, deren prozeduraler Gehalt zu eruieren. Dazu wird die Rechtsprechung des EuGH sowie ggf. das in ihrer Umsetzung erlassene Sekundärrecht in vier exemplarischen Bereichen auf prozedurale Vorgaben untersucht. Beachtung sollen die Verfahren zur – Zulassung von Lebensmittelzusätzen, – Erstattungsfähigkeit von Aufwendungen für Arzneimittel, – Anerkennung von Berufsqualifikationen und – Vergabe öffentlicher Aufträge finden. Es wird jeweils zu zeigen sein, dass der Gerichtshof neben den materiellen Anforderungen auch erhebliche und teilweise detaillierte Verfahrenserfordernisse aus den Grundfreiheiten ableitet. Dies zeigt sich in besonderem Maße in der Zugänglichkeit des Verfahrens, welches für die Grundfreiheitsträger das „Tor zum Binnenmarkt“ bildet. Soweit sich im deutschen Recht einschlägige, zentrale Regelungen finden lassen, werden diese exemplarisch auf ihre Grundfreiheitskonformität untersucht. Das öffentliche Auftragswesen nimmt eine Sonderstellung ein, da es seit jeher ein verfahrensgeprägtes Rechtsgebiet ist. Besondere Beachtung verdient daher der Paradigmenwechsel, der mit der Europäisierung dieser Materie verbunden war und ist: Anstelle der kompensatorischen Prozeduralisierung i. R. e. kostensparenden staatlichen Beschaffung rückt die komplementäre Prozeduralisierung, d. h. die Wirkung der Grundfreiheiten als Verfahrensgarantien für die Verwirklichung der Rechte des Einzelnen im Sinne Goerlichs, in den Vordergrund. Vor diesem Hintergrund wird die Rechtsprechung des EuGH zum Primärvergaberecht ausgewertet. Die Anforderungen an das Vergabeverfahren außerhalb des Sekundärvergaberechts werden so weit wie möglich konkretisiert. Zu Recht ist jedoch von einem „Vergaberecht light“17 die Rede. Da die Grundfreiheiten als subjektiv-öffentliche Rechte den Schutz des Einzelnen im Blick haben, können ihnen nur Mindestanforderungen für den konkreten Fall entnommen werden. Demzufolge kann am Ende dieser Analyse keine ausgereifte Verfahrensordnung stehen. Eine zentrale Frage des Primärvergaberechts ist daher, wie sich dessen Gebote im Einzelfall erschließen lassen. 16

Rodriguez Iglesias, EuGRZ 1997, 289 (291); Schwarze, Europäisches Verwaltungsrecht, S. C IV m . w. N. 17 Burgi, NZBau 2005, 610.

30

Einleitung

Teil 2 B. richtet den Blick auf eine umfassend verstandene Prozeduralisierung auf dem Gebiet des Europäischen Beihilfenrechts. Treten Staat und Wirtschaft in ein Austauschverhältnis ein, so steht der Verdacht verbotener staatlicher Beihilfen im Raum. Dies gilt in besonderem Maße für die Übertragung von staatlichem Vermögen oder staatlichen Aufgaben, kurz für die Fälle der Privatisierung. Steht der staatlichen Leistung keine marktangemessene Gegenleistung des Privatisierungsadressaten gegenüber, so kann sie zu einer Begünstigung des privaten Marktteilnehmers führen. Um Rückzahlungsverpflichtungen zu vermeiden, gilt es, derartige Ungleichgewichte im Vorhinein auszuschließen. Dieser Ausschluss kann auf materiellen oder prozeduralen Methoden beruhen. Im Gegensatz zur komplementären Prozeduralisierung, die Gegenstand von Teil 2 A. war, ist die Prozeduralisierung im Beihilfenrecht, wie eingangs erwähnt, nicht ohne Alternative. Dennoch ist sowohl in der Rechtsprechung des EuGH als auch in der Kommissionspraxis eine deutliche Präferenz für einen prozeduralen Vergleichsmaßstab in Form eines Ausschreibungsverfahrens erkennbar. Der Grund hierfür liegt in den aufzuzeigenden Unzulänglichkeiten der materiellen Methoden. Diese Mängel kompensiert der prozedurale Modus. Daher lässt sich hier von kompensatorischer Prozeduralisierung sprechen. Diese wird sowohl für die Vermögens- als auch für die Aufgabenprivatisierung nachzuweisen sein. Den Abschluss werden punktuelle Konvergenzen des primären Vergaberechts und des Beihilfenrechts bilden. Dort fließen die komplementäre und die kompensatorische Prozeduralisierung ineinander.

Teil 1

1

Prozeduralisierung und Recht A. Prozeduralisierung des Rechts Teil 1, A. Prozeduralisierung des Rechts Am Beginn der Untersuchung steht die Bedeutung des Verfahrensgedankens auf makrokosmischer Ebene, also die Frage, wie das Recht als System von Verfahren abhängig ist oder sich durch Verfahren legitimieren lässt. Dieser komplexen Fragestellung kann i. R. d. vorliegenden Untersuchung nicht annähernd abschließend nachgegangen werden. Das Ziel ist vielmehr zu zeigen, dass prozedurale Elemente des Rechts neben dessen materiellen Gehalten nicht marginalisiert werden können, sondern einen nicht zu leugnenden Eigenwert besitzen. Dieser Bedeutungszuwachs hat sich in den letzten Jahrzehnten besonders deutlich in den prozeduralen Gerechtigkeitstheorien1 niedergeschlagen. Seit Rawls’ „A Theory of Justice“2 haben diese eine kaum noch überschaubare Diversifizierung erfahren.3 In vielfältiger Weise treten hier Verfahren an die Stelle materieller Gerechtigkeit. Röhl hat dies im rechtssoziologischen Zusammenhang treffend als Substitutionstheorie bezeichnet.4 Nicht näher konkretisierbare Gerechtigkeitsmaßstäbe werden durch Verfahrensanforderungen ersetzt. Sicher liegt diesen normativ-philosophischen Konstrukten keine normative Wirkung im juristischen Sinne zugrunde. Sie können aber helfen, die rationale Grundlage solcher Verfahren zu beschreiben.

I. Begriff der Gerechtigkeit I. Begriff der Gerechtigkeit

Der Begriff „Gerechtigkeit“ zieht sich durch die Geschichte der Philosophie.5 Eine Definition hängt von der angestrebten Reichweite des Begriffs sowie dem disziplinären Ausgangspunkt ab; der theologische Gerechtigkeitsbegriff muss mit dem rechtlichen nicht übereinstimmen. So könnte man schon die gleichförmige 1

Umfassend zum Begriff Tschentscher, Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit, S. 132 ff.; systematische Einordnung bei Rüthers, Rechtstheorie, Rn. 373 ff.; Bsp. für neuere materielle Gerechtigkeitstheorien bei Tschentscher, Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit, S. 89 ff. 2 Rawls, A Theory of Justice, 1971. 3 Überblick über die Klassifizierungsversuche bei Tschentscher, Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit, S. 134 ff. 4 Röhl, ZfRSoz 14 (1993), 1 (17). 5 Ritter/Gründer/Gabriel, Historisches Wörterbuch, Bd. 3, S. 330.

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Teil 1, A. Prozeduralisierung des Rechts

Befolgung von Normen als gerecht bezeichnen. Man spricht insoweit von formeller Gerechtigkeit.6 Maßgeblich für den Gerechtigkeitsbegriff im rechtlichen Sinne ist wohl die auf Ulpian zurückgehende klassische Formulierung „Gerechtigkeit ist der feste und dauernde Wille, jedem sein Recht zuzuteilen“7. Allerdings stellt sich die Folgefrage, wie diese Rechte des Einzelnen auszufüllen sind.8 Hier setzen die sogleich näher zu beschreibenden prozeduralen Gerechtigkeitstheorien an, die ein Verfahren zur Verfügung stellen wollen, das diese Frage beantwortet.

II. Prozedurale Gerechtigkeit am Beispiel von John Rawls II. Prozedurale Gerechtigkeit am Beispiel von John Rawls

1. Rawls’ „Eine Theorie der Gerechtigkeit“ a) Einordnung in die Gesellschaftstheorien „A Theory of Justice“9 hat schon kurz nach der Veröffentlichung viel Aufmerksamkeit erfahren.10 Rawls knüpft darin an die Tradition der klassischen politischen Philosophie an und verhilft dieser zu neuem Leben.11 Sein Ausgangspunkt ist der Gedanke des Gesellschaftsvertrags. In der Struktur baut der Ansatz auf den klassischen Kontraktualisten auf.12 Wie andere vor ihm führt er ein Gedankenexperiment in drei Schritten aus: Von einem (fiktiven) Naturzustand ausgehend, einigen sich die Beteiligten auf einen Vertrag, welcher die Grundlage der zu schaffenden Gesellschaft darstellt.13 Hobbes ging in Leviathan vom Naturzustand des „Krieges aller gegen alle“14 aus. Diese kaum erträgliche Situation wird als Motivation zum Abschluss eines 6 Grundlegend Perelman, Über die Gerechtigkeit, S. 58: „[G]erecht sein heißt eine Regel zu beachten, welche die Verpflichtung formuliert, alle Wesen einer bestimmten Kategorie auf eine bestimmte Weise zu behandeln“; ausführlich zu diesem vgl. Schroth, ARSP 83 (1997), 483 ff. Auch Luhmann (zu diesem u. Teil 1 A. IV.) vertritt einen formalen Gerechtigkeitsbegriff: „adäquate Komplexität des Rechtssystems“, Luhmann, Gerechtigkeit in den Rechtssystemen, in: Luhmann (Hrsg.), Ausdifferenzierung des Rechts, S. 384 (388). 7 Ulpian, Fragment 10, zit. nach Ritter/Gründer/Gabriel, Historisches Wörterbuch, Bd. 3, S. 331. 8 Zur Kritik der Inhaltsleere Kunz/Mona, Rechtsphilosophie, Kap. 6, Rn. 3 ff. 9 Rawls, A Theory of Justice, 1971. 10 Braun, Rechtsphilosophie, S. 250: „Eines der bemerkenswertesten Ereignisse in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts“. S. auch die Nachweise zur Rezeption bei Lübbe, Rtheorie 8 (1977), 185 (Fn. 2). 11 Kersting, Rawls, S. 18 ff. 12 Rawls, Theorie der Gerechtigkeit, S. 12: „versucht, die herkömmliche Theorie des Gesellschaftsvertrags von Locke, Rousseau und Kant zu verallgemeinern und auf eine höhere Abstraktionsstufe zu heben“. 13 „[T]riadische Struktur“: Kersting, Rawls, S. 32. 14 „[S]uch a war as is of every man against every man“: Hobbes, Leviathan, Kap. 13, Rn. 8.

II. Prozedurale Gerechtigkeit am Beispiel von John Rawls

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Gesellschaftsvertrages verstanden, der eine Gesellschaft konstituiert, welche diesen Naturzustand überkommt. Hobbes begründete die Bindungswirkung staatlicher Hoheitsmacht mit der im Gesellschaftsvertrag ausgedrückten Zustimmung aller, den Naturzustand gegen die staatliche Ordnung einzutauschen. Rawls will seinen Naturzustand (original position) instrumentalisieren, um zu einer Einigung über Gerechtigkeitsgrundsätze zu kommen. Diese sollen sowohl die Zuweisung von Rechten und Pflichten an soziale Institutionen als auch die Verteilung von Nutzen und Lasten der Gesellschaft steuern. Ihm geht es also nicht um Gerechtigkeit in Bezug auf individuelle Handlungen, sondern in einem gesellschaftlichen Kontext.15 Schon diese Zielsetzung macht deutlich, dass Rawls, im Gegensatz bspw. zu Hobbes, nicht von einem primitiven Naturzustand, sondern von einem Urzustand ausgeht, der bereits gesellschaftliche Verfestigungen kennt.16 Nicht der irrationale status belli ist Ausgangspunkt seiner Überlegungen, sondern eine Gesellschaft, die auf der Interaktion und Kooperation von Individuen basiert. Diese umfasst die wichtigsten gesellschaftlichen Institutionen und bezieht auch wirtschaftliche und soziale Verhältnisse mit ein.17 Nicht die Begründung staatlicher Herrschaft steht im Vordergrund, sondern die Begründung gesellschaftlicher Verteilungsentscheidungen, die staatlicherseits zu vollziehen sind. Die Rawlssche Gerechtigkeitstheorie ist damit besser geeignet, auf moderne, komplexe Gesellschaften Anwendung zu finden.18 Man kann daher, im Gegensatz zu den klassischen, von einer modernen Gesellschaftsvertragstheorie sprechen.

b) Rawls’ Gesellschaftsvertrag Es gehört zu den Eigenheiten der kontraktualistischen Idee, dass ihr „Endprodukt“ – die Grundaussagen der Theorie – schon in der Ausgangssituation wurzeln und von ihrer Gestaltung abhängig sind.19 Diese muss sorgfältig ausgestaltet sein, um keine Widersprüche zum Ergebnis zu erzeugen. Nach Rawls sind solche Prinzipien gerecht, auf die sich alle Beteiligten unter fairen Bedingungen einigen würden (Gerechtigkeit als Fairness).20 Er setzt dabei „freie und vernünftige Menschen“21 voraus, die im Vorhinein entscheiden können, welche Gestalt eine nach ihrem Empfinden gerechte Gesellschaft anzunehmen habe.

15 16 17 18 19 20 21

Braun, Rechtsphilosophie, S. 251. Kersting, Rawls, S. 33, 38. Rawls, Theorie der Gerechtigkeit, S. 23. Pogge, Rawls, S. 39 ff. Rawls, Theorie der Gerechtigkeit, S. 28; Kersting, Jura 2002, 381. Rawls, Theorie der Gerechtigkeit, S. 29. Rawls, Theorie der Gerechtigkeit, S. 28.

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Teil 1, A. Prozeduralisierung des Rechts

aa) Urzustand Der Urzustand bezeichnet die hypothetische Situation, in der sich die Gerechtigkeit als Fairness verwirklichen soll. Alle ungerechten Elemente realer Entscheidungssituationen müssen unwirksam gemacht werden, um die Rationalität der Entscheidung zu gewährleisten. Der Urzustand muss einen fairen Beschluss ermöglichen, also ein faires Beschlussverfahren enthalten. Dazu stellt Rawls mehrere Bedingungen auf, die schon an und für sich konstitutiv für die späteren Ergebnisse sind. Die Bedingungen betreffen nicht nur die Situation der Beschlussfassung, sondern auch die Eigenschaften der Beschließenden selbst. Zunächst sind folgende Festlegungen über die persönlichen Eigenschaften zu unterstellen: Die Menschen im Urzustand haben einen natürlichen, formalen Gerechtigkeitssinn. Dieser bewirkt, dass gerechte Prinzipien als solche erkannt werden können. Aus dem Bewusstsein, was gerecht ist, folgt die Bereitschaft, diese Grundsätze auch einzuhalten. Beschlossene Gerechtigkeitsprinzipien gelten dann verbindlich.22 Weiter sollen die Beteiligten vernünftig sein. Als vernünftige Wesen können sie erkennen, welche Konsequenzen ein Prinzip für sie hat und dieses mit anderen Lösungsmöglichkeiten wertend vergleichen. Sie erkennen, welche Konsequenzen eine Regel für ihren Lebensplan haben würde, und entscheiden sich für den gewinnbringendsten.23 Nur so ist im Ergebnis eine Entscheidung über die gerechte, weil letztendlich für alle beste Verteilung möglich. Als „Zusatzannahme“24 setzt Rawls voraus, dass vernünftige Menschen nicht von Neid geleitet sind. Ansonsten wäre jede ungleiche Verteilung, bei der einer mehr als der andere hat, schon von vorneherein ausgeschlossen. Rawls geht also von einem wechselseitigen Desinteresse aus. Somit können die Entscheidungsträger eine rationale, von Altruismus oder Neid unbeeinflusste Wahl treffen.25 Weiter müssen die Entscheidungsbedingungen eine gerechte Prinzipienwahl zulassen. Die Beteiligten sollen sich dazu in einem Verhältnis der Gleichheit befinden, d. h. jeder hat das gleiche Recht an der Entscheidungsfindung teilzunehmen und Vorschläge einzubringen.26 Eine einstimmige Entscheidung über Gerechtigkeitsgrundsätze wäre aber aufgrund individueller Egoismen de facto nicht zu erreichen. Der zentrale Kunstgriff der Rawlsschen Theorie besteht darin, einen Filter gegen diese subjektivindividuellen Interessen einzubauen. Die Beteiligten sollen hinter einem Schleier des Nichtwissens (veil of ignorance) über die Gerechtigkeitsprinzipien entschei22 Rawls, Theorie der Gerechtigkeit, S. 168 f.; zur Gerechtigkeit zwischen den Generationen vgl. S. 163. 23 Zum Widerspruch zwischen rationaler Entscheidung und Gerechtigkeitssinn sogleich. 24 Rawls, Theorie der Gerechtigkeit, S. 167. 25 Lübbe, Rtheorie 8 (1977), 185 (187). 26 Rawls, Theorie der Gerechtigkeit, S. 36 f.

II. Prozedurale Gerechtigkeit am Beispiel von John Rawls

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den.27 Niemand kenne „seinen Platz in der Gesellschaft, seine Klasse oder seinen Status; ebenso wenig seine natürlichen Gaben, seine Intelligenz, Körperkraft, (…) seine Vorstellung vom Guten, die Einzelheiten seines persönlichen Lebensplanes, ja nicht einmal die Besonderheiten seiner Psyche“28. Jedes Wissen über die eigene persönliche Situation wird dadurch vorenthalten. Damit ist der Einzelne nicht versucht, die Entscheidung über allgemeine Gerechtigkeitsgrundsätze in Richtung seines eigenen Vorteils zu steuern. Weiter sollen die Beteiligten auch in Unkenntnis über „die besonderen Verhältnisse in ihrer eigenen Gesellschaft“29 sein, also keine spezifischen Informationen über den wirtschaftlichen Entwicklungsgrad, Zivilisationsstand oder auch ihre Generationszugehörigkeit haben. Der Schleier des Nichtwissens lässt nur solche Informationen erkennen, die nicht für die individuellen Interessen einer bestimmten Person in einer Gesellschaft ausschlaggebend sind. An zentraler Stelle steht die Tatsache der Ressourcenknappheit. Es wird vorausgesetzt, dass nahezu alle zu verteilenden Güter nur in endlicher Menge vorhanden sind. Für unendliche Vorräte bedürfte es keiner gerechten Verteilung, weil sich jeder unabhängig von allen anderen saturieren könnte. Der einzelne Beteiligte wird sich im verschleierten Zustand nicht für eine Position einsetzen, die Vor- und Nachteile ungerecht verteilt, da er nicht wissen kann auf welcher Seite der Verteilung er letztendlich tatsächlich stehen wird.30 Die Unkenntnis über die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Generation verhindert eine „Nach-mir-die-Sintflut-Mentalität“. Auch der Widerspruch zwischen dem Gerechtigkeitssinn der Beteiligten und einer rationalen, auf das eigene Interesse gerichteten Entscheidung lässt sich so aufheben: Da der Einzelne nicht weiß, welche Regelung ihm in seiner konkreten Position einen Vorteil vor anderen verschaffen wird, wird sich seine vom Egoismus geleitete Vernunft nicht gegenüber seinem Gerechtigkeitssinn durchsetzen müssen und können. Eine ungerechte, weil einseitig vorteilhafte Regelung kann für ihn ebenso gut nachteilig sein. Aus der verallgemeinerten, transsubjektiven Perspektive hinter dem Schleier des Nichtwissens bilden Gerechtigkeit und Vernunft keine Gegensätze. Der „veil of ignorance“ stellt kein Hindernis für solche Informationen dar, die nötig sind, um die grundsätzliche Funktionsweise einer Gesellschaft vorhersehen zu können. Diese „allgemeinen Tatsachen über die menschliche Gesellschaft“31 umfassen Grundlagen der Politik- und Wirtschaftstheorie, der Psychologie und andere allgemeine Gesetze und Theorien, die einer Gesellschaft zugrunde liegen können. Diese Informationen sind notwendig, um das Koordinatensystem einer, nach Ansicht der Beteiligten, gerechten Gesellschaft abstecken zu können. Andererseits fehlt ihnen das Wissen, ihre eigene zukünftige Position darin zu bestimmen. 27 28 29 30 31

Rawls, Theorie der Gerechtigkeit, S. 159 ff. Rawls, Theorie der Gerechtigkeit, S. 160. Rawls, Theorie der Gerechtigkeit, S. 160. Kersting, Rawls, S. 44 f. Rawls, Theorie der Gerechtigkeit, S. 160.

Teil 1, A. Prozeduralisierung des Rechts

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Die Entscheidungsträger hinter dem Schleier des Nichtwissens kennen somit nicht ihre Partikularinteressen, aber die Funktionsweise einer Gesellschaft. Während sie nicht für ihre besonderen Bedürfnisse „vorbauen“ können, wissen sie doch, dass sie bestimmte Grundgüter (primary social goods) in jedem Fall benötigen werden. Hierzu zählt Rawls’ „Rechte, Freiheiten und Chancen, sowie Einkommen und Vermögen“32 und das Selbstwertgefühl. Den Beteiligten muss es darum gehen, möglichst viel von jedem dieser Grundgüter zu erhalten. Gleichzeitig kommen sie nicht ohne eines davon aus. Sie müssen also unter unsicheren Voraussetzungen eine Entscheidung treffen. Nachdem geklärt ist, aus welcher Situation heraus die Beteiligten die Verfassung ihrer Gesellschaft wählen, stellt sich die Frage, worüber und wie sie abstimmen. Hier zeigt Rawls die Grenzen seiner Theorie auf: Das von ihm skizzierte Verfahren soll nicht zu einer Neukreation bisher unbekannter Gerechtigkeitsprinzipien beitragen. Die Verfassungswähler sollen vielmehr aus einer Liste der „herkömmlichen Theorien“33 anhand des vorgeschlagenen Verfahrens die wahrhaft gerechten auswählen.

bb) Zwei Prinzipien der Gerechtigkeit Der Schwerpunkt von Rawls’ „Theorie der Gerechtigkeit“ liegt auf den materiellen Ergebnissen, die im Urzustand entstehen würden. Diese Ergebnisse fasst er in zwei Gerechtigkeitsprinzipien zusammen: „1. Jedermann soll gleiches Recht auf das umfangreichste System gleicher Grundfreiheiten haben, das mit dem gleichen System für alle anderen verträglich ist. 2. Soziale und wirtschaftliche Ungleichheiten sind so zu gestalten, daß (a) vernünftigerweise zu erwarten ist, daß sie zu jedermanns Vorteil dienen, und (b) sie mit Positionen und Ämtern verbunden sind, die jedem offen stehen.“34

Beide sollen „in lexikalischer Ordnung“35 Anwendung finden.36 Die Maximen seiner Gerechtigkeitstheorie sind Freiheit und Gleichheit. Das erste Prinzip fordert Gleichheit im Bezug auf politische Rechte bei gleichzeitig maximaler Verwirklichung persönlicher Freiheit. Die Forderungen dieses Prinzips laufen parallel zu den Idealen westlich-demokratischer Staaten. Sie richten sich sowohl gegen eine diskriminierend-ungleiche Verteilung des politischen Einflusses als auch gegen eine autoritäre Begrenzung persönlicher Freiheit.37

32 33 34 35 36 37

Rawls, Theorie der Gerechtigkeit, S. 112. Rawls, Theorie der Gerechtigkeit, S. 147. Rawls, Theorie der Gerechtigkeit, S. 81. Rawls, Theorie der Gerechtigkeit, S. 82. Kritisch hierzu Kersting, Rawls, S. 74 f. Kersting, Rawls, S. 72 f.

II. Prozedurale Gerechtigkeit am Beispiel von John Rawls

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Das zweite Prinzip zielt auf die Verteilung sozialer und wirtschaftlicher Güter i. w. S.38 Dabei geht Rawls nicht von einem Gleichheitsautomatismus aus. Allgemeiner formuliert er: „Alle sozialen Werte (…) sind gleichmäßig zu verteilen, soweit nicht eine ungleiche Verteilung jedermann zum Vorteil gereicht.“39

Die Beteiligten der Verfassungswahl sollen also eine ungleiche Güteraufteilung akzeptabel finden, sofern sie auch für den Fall, zu den Schlechtergestellten zu gehören, davon profitieren würden. Eine ungleiche Verteilung von Gütern ist also rechtfertigungsbedürftig. Legitim sind nur solche Ungleichheiten, die sich auch auf die Schlechtestgestellten positiv auswirken. Ungleichheiten müssen daher auch den Diskriminierten zum Vorteil gereichen. Diese Betrachtungsweise nennt Rawls „Differenzprinzip“40 (difference principle). Sie ist nur schlüssig, wenn man eine arbeitsteilige Gesellschaft zugrunde legt, die eine Gütervermehrung erreichen kann. Rawls „sieht die Gesellschaft als ein Unternehmen der Zusammenarbeit zum gegenseitigen Vorteil“41, denn der Gesellschaftsvertrag in seiner vorliegenden Gestalt beruht gerade darauf, dass sich die Beteiligten hinter dem Schleier des Nichtwissens von einer kooperativen Gesellschaft einen Mehrwert erwarten. Daneben muss jedermann die gleiche Chance haben, einer der Bessergestellten der Gesellschaft zu sein oder zu werden, indem der gleichberechtigte Zugang zu Ämtern und Positionen gewährleistet wird. Diese Chancen ergänzen das Differenzprinzip insofern, als sie soziale Grundgüter in geronnener Form darstellen. Rawls geht davon aus, dass eine Gesellschaft, die allein auf dem Differenzprinzip beruht, von den Verfassungswählern nicht als gerecht empfunden werden würde. Neben die Möglichkeit, von der Besserstellung anderer zu profitieren, müsse auch die Aussicht treten, im Rahmen seiner Fähigkeiten eine faire Chance auf eine bessere Stellung zu haben. Diese faire Chance soll sich in einem gerechten Verfahren, möglichst als Ausprägung reiner Verfahrensgerechtigkeit, niederschlagen.42

cc) Zwei Begründungsebenen Das Vertragsmodell Rawls beinhaltet das prozedurale Element seiner „Theorie der Gerechtigkeit“. Der Urzustand hat den Zweck, die oben erläuterten Gerechtigkeitsprinzipien abstrakt zu erschließen. Daneben stützt er seine so gewonnenen Grundsätze aber noch auf ein zweites Begründungsmodell: Die abstrakten Prinzipien müssen sich als mit gerecht emp38

Pogge, Rawls, S. 79: „sozioökonomische Ordnung“. Rawls, Theorie der Gerechtigkeit, S. 83. 40 So die übliche Übersetzung, vgl. Rawls, Gerechtigkeit als Fairneß, S. 104 ff.; Pogge, Rawls, S. 79 ff. In der Übersetzung Rawls, Theorie der Gerechtigkeit, S. 96 ff.: „Unterschiedsprinzip“. 41 Rawls, Theorie der Gerechtigkeit, S. 105. 42 Rawls, Theorie der Gerechtigkeit, S. 107 ff. 39

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Teil 1, A. Prozeduralisierung des Rechts

fundenen Alltagsurteilen kohärent erweisen. Diese Kohärenz ist fortlaufend zu überprüfen. Entsteht zwischen der konkreten und der abstrakten Ebene ein Widerspruch, muss entweder das Einzelurteil aufgegeben oder das Gerechtigkeitsprinzip modifiziert werden. Dieser Prozess soll sich fortsetzen, bis ein Überlegungsgleichgewicht erreicht ist – Alltagsentscheidungen und Gerechtigkeitsprinzipien also in jedem Fall übereinstimmen.43 Notwendige Voraussetzung hierfür ist ein naturgegebener Gerechtigkeitssinn des Menschen – die intuitive Erkenntnis darüber, was gerecht ist.44

2. Prozedurale Gerechtigkeit bei Rawls Für Rawls war der kontraktualistisch-prozedurale Ansatz das zentrale Element seiner Theorie. Sowohl ein Früh-45 als auch ein Spätwerk46 tragen den bezeichnenden Titel „Gerechtigkeit als Fairneß“. Mitunter wird dieser Ansatz aber für gänzlich entbehrlich gehalten, weil er den Ergebnissen „rein gar nichts hinzufügen“47 könne. Es handle sich um einen bloßen Zirkelschluss.48 Die Verfahrenselemente der Gerechtigkeitstheorie stellten lediglich eine Blaupause der substantiellen Gerechtigkeitsvorstellungen dar. Das Verfahren sei schon im Hinblick auf das Ergebnis modelliert.49 Solche Überlegungen greifen jedoch zu kurz. Am Ende einer jeden Gerechtigkeitstheorie stehen konkrete substantielle Ergebnisse in Form von normativen Aussagen zur Gerechtigkeit. Ihre Aufgabe ist es ja gerade, Gerechtigkeit zu produzieren.50 Rawls erkennt jedoch an, dass prozedurale Gerechtigkeit – also Gerechtigkeit aufgrund von Verfahren – in unterschiedlichen Abstufungen verwirklicht werden kann. Er unterscheidet – vollkommene, – unvollkommene, – reine und – quasi-reine Verfahrensgerechtigkeit.51 43

Rawls, Theorie der Gerechtigkeit, S. 65. Ausführlich zum Überlegungsgleichgewicht Kersting, Rawls, S. 126 ff. 45 Rawls, JoP 54 (1957), 653 ff. 46 Rawls, Gerechtigkeit als Fairness, 2003. 47 Lübbe, Rtheorie 8 (1977), 185 (191). 48 So m. w. N. Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 291 ff.; von zunächst irritierendem Prozeduralismus spricht Schiller, Diskurs, S. 202. 49 Insgesamt kritisch zu den prozeduralen Gerechtigkeitstheorien Kaufmann, Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit, S. 28 ff. 50 So auch Tschentscher, Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit, S. 139 f. 51 Rawls, Theorie der Gerechtigkeit, S. 106 ff. 44

II. Prozedurale Gerechtigkeit am Beispiel von John Rawls

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a) (Un-)Vollkommene Verfahrensgerechtigkeit Verfahren, deren Ergebnis in (un-)vollkommener Gerechtigkeit besteht, sind dabei solche, die einer verfahrensexternen, substantiellen Gerechtigkeitsvorstellung bedürfen. Aufgrund des durchlaufenen Verfahrens entspricht das Ergebnis im Einzelfall einem als gerecht empfundenen Gerechtigkeitskriterium. Ist dies mit Sicherheit der Fall, so kann von vollkommener Verfahrensgerechtigkeit gesprochen werden: Wird das Verfahren eingehalten, erfüllt das Ergebnis immer die substantiellen Anforderungen der Gerechtigkeit. Diese Kategorie von Verfahren ist in der Realität nicht zu erreichen, sondern dient allein als theoretisches Ideal. Fördert das Verfahren hingegen nur eine Annäherung an Gerechtigkeit oder macht sie wahrscheinlicher, handelt es sich um einen Fall unvollkommener Verfahrensgerechtigkeit. Das Strafverfahren dient bspw. dem Zweck, den Schuldigen seiner Schuld entsprechend zu bestrafen und ist diesem Zweck auch förderlich. Aller rechtsstaatlichen Vorkehrungen zum Trotz kann es jedoch dazu kommen, dass Unschuldige bestraft oder Schuldige unangemessen (schwer oder leicht) bestraft werden.52 Verfahrensgerechtigkeit wird damit nur unvollkommen erreicht. Das Verfahren bleibt in jedem Fall auf eine dienende Funktion beschränkt. Es sichert lediglich die Erfüllung substantieller Gerechtigkeitsanforderungen.

b) (Quasi-)Reine Verfahrensgerechtigkeit Dem gegenüber stellt Rawls die reine Verfahrensgerechtigkeit (pure procedural justice): „Im Gegensatz dazu liegt reine Verfahrensgerechtigkeit vor, wenn es keinen unabhängigen Maßstab für das richtige Ergebnis gibt, sondern nur ein korrektes und faires Verfahren, das zu einem ebenso korrekten und fairen Ergebnis führt, welcher Art es auch sei, sofern das Verfahren ordnungsgemäß angewandt wurde.“53

Als Beispiel dient Rawls das Glücksspiel: Die Vermögensverteilung am Ende eines Glücksspiels ist gerecht, wenn dessen Regeln eingehalten wurden und es unter fairen Bedingungen, insbesondere freiwillig, stattgefunden hat.54 Reine Verfahrensgerechtigkeit ist die grundlegendste, theoretische Form von Verfahrensgerechtigkeit. Sie ist auf die Theorie beschränkt, denn sie kann nur im hypothetischen Urzustand, hinter dem Schleier des Nichtwissens erreicht werden.55 Fast reine Verfahrensgerechtigkeit (quasi-pure procedural justice) liegt vor, wenn kein verfahrensunabhängiger Maßstab für Gerechtigkeit existiert, aber auch 52 53 54 55

Bsp. bei Tschentscher, Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit, S. 127. Rawls, Theorie der Gerechtigkeit, S. 107. Rawls, Theorie der Gerechtigkeit, S. 107 ff.; vgl. auch Röhl, ZfRSoz 14 (1993), 1 (17). Ebenso Schiller, Diskurs, S. 203.

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Teil 1, A. Prozeduralisierung des Rechts

das Verfahren selbst nicht immer zu einem gerechten Ergebnis kommt. Die Einhaltung des Verfahrens ist nicht absoluter, sondern nur Anscheinsbeweis für ein gerechtes Ergebnis. In der fast reinen Verfahrensgerechtigkeit erkennt Rawls das Mittel der Wahl zur Errichtung einer (annähernd) gerechten Gesellschaft.

c) Vier-Stufen-Gang Zu Errichtung und Durchsetzung einer gerechten Gesellschaft werden diese Spielarten prozeduraler Gerechtigkeit in Reihe geschaltet.56 Auf der ersten Stufe steht die Auswahl der Gerechtigkeitsprinzipien. Seine zwei Prinzipien der Gerechtigkeit sieht er als Ergebnis reiner Verfahrensgerechtigkeit. Sie sind gerecht, weil sich die Beteiligten in einem fairen Verfahren – nämlich hinter dem Schleier des Nichtwissens – auf sie geeinigt haben.57 Auf der zweiten Stufe entscheidet das gleiche Personenkollektiv über eine konkrete Verfassung, welche die beiden Gerechtigkeitsprinzipien respektiert. Dazu sind genauere Informationen über die externen Umstände ihrer Gesellschaft notwendig. Ohne Kenntnis der vorhandenen Ressourcen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung und Überzeugungen lässt sich keine durchführbare Verfassung für diese Gesellschaft entwerfen.58 Der Entwurf einer Verfassung unter diesen Bedingungen ist bereits ein Anwendungsfall der unvollkommenen Verfahrensgerechtigkeit.59 Denn die auf der ersten Stufe wurzelnden Gerechtigkeitsprinzipien binden als substantielle Vorgaben den Prozess der Verfassungswahl ebenso wie das Ergebnis. Das Verfahren tritt also neben materielle Vorgaben. Gleichzeitig gesteht Rawls zu, dass „jedes praktikable politische Verfahren zu einem ungerechten Ergebnis führen“60 kann. Die vollkommene prozedurale Gerechtigkeit, also ein Verfahren, das in jedem Fall zu einem den materiellen Anforderungen entsprechenden Ergebnis führt, ist als Idealzustand auf die Theorie beschränkt. Entsprechendes gilt für die dritte (gesetzgeberisches Tätigwerden) und vierte Stufe (Einzelfallentscheidungen) von Rawls’ Modell. Beide erfüllen die Kriterien der unvollkommenen Verfahrensgerechtigkeit.

56 Rawls, Theorie der Gerechtigkeit, S. 223 ff.: „Vier-Stufen-Gang“. In Bezug auf das GG Koller, Moderne Vertragstheorien, in: Brugger (Hrsg.), Legitimation des GG, S. 361 (381 ff.). 57 Tschentscher, Function of Procedural Justice, in: Röhl/Machura (Hrsg.), Procedural Justice, S. 105 (110). 58 Rawls, Theorie der Gerechtigkeit, S. 224 f. 59 A. A. Tschentscher, Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit, S. 128 f., der einen Fall quasireiner Verfahrensgerechtigkeit annimmt, dabei aber die Geltung der Gerechtigkeitsprinzipien ausblendet. 60 Vgl. Rawls, Theorie der Gerechtigkeit, S. 225 f.

III. Von der prozeduralen Gerechtigkeit zur Prozeduralisierung des Rechts

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d) Fazit Die Prozeduralität der Rawlsschen Gerechtigkeitstheorie geht nicht so weit, jeglichen substantiellen Entscheidungsmaßstab durch ein Verfahren zu ersetzen. Gerade konkrete Einzelfallentscheidungen unterlegt auch Rawls mit materiellen Vorgaben. Das Verfahren hinter dem Schleier des Nichtwissens gibt aber den inhaltlichen Gerechtigkeitsvorstellungen eine Gestalt, ist sozusagen Letztursache oder eben reine Verfahrensgerechtigkeit: Entscheidungen, die unter den Bedingungen des Urzustands getroffen werden, sind in jedem Falle gerecht. Rawls geht davon aus, dass es keine per se existierenden Gerechtigkeitsmaßstäbe gibt, die sich abstrakt erkennen und formulieren ließen. Sie bedürfen immer eines intuitiven Elements. Gerechtigkeit „für den Menschen“ ist also ohne den Menschen nicht machbar. Sie ist nur insofern rational, als sie auf einer menschlichen Entscheidung aus einer neutralen Situation heraus beruht. Daher bedarf sie auch der Rückversicherung des Überlegungsgleichgewichts. Der oben erwähnte Einwand der Tautologie61 geht daher fehl. Sind diese Prinzipien auf dem beschriebenen Wege erst einmal gewonnen, bilden sie das substantielle Fundament jeder Verfahrensgerechtigkeit. Reine, oder auch nur quasi-reine prozedurale Gerechtigkeit ist in der Realität gar nicht zu erreichen. Sie dienen der Gerechtigkeitsbegründung62 in einem hypothetisch-metaphysischen Sinn, die sich nicht auf die Gerechtigkeitserzeugung im real-konkreten Einzelfall erstreckt. „Gerechtigkeit als Fairneß“ ist somit in einem doppelten Sinne als prozedural zu verstehen. Zunächst werden die gerechtigkeitstheoretischen Inhalte (zumindest schwerpunktmäßig63) durch Verfahren gewonnen ([quasi-]reine Verfahrensgerechtigkeit). Darüber hinaus dienen Verfahren aber auch der Umsetzung der so gewonnenen Gerechtigkeitskriterien ([un-]vollkommene Verfahrensgerechtigkeit).

III. Diskurstheorien: Von der prozeduralen Gerechtigkeit zur Prozeduralisierung des Rechts III. Von der prozeduralen Gerechtigkeit zur Prozeduralisierung des Rechts

Ähnlich wie die Rawlssche Theorie ist die Diskurstheorie nicht auf das Recht zu beschränken, sondern erstreckt sich als umfassende Argumentationstheorie auf alle Bereiche menschlicher Koexistenz.64

61

s. o. Teil 1 A. II. 2. Zur Unterscheidung von Gerechtigkeitserzeugung und Gerechtigkeitsbegründung vgl. Tschentscher, Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit, S. 139 f. 63 Vgl. Tschentscher, Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit, S. 140 f. 64 Engländer, Diskurs, S. 15. 62

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Teil 1, A. Prozeduralisierung des Rechts

1. Allgemeine Diskurstheorie Die Diskurstheorie gehört nicht, wie die Gesellschaftsvertragstheorien, zum klassisch-historischen Bestand abendländischer (Rechts-)Philosophie.65 Sie ist in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts entstanden66 und kann als prozedurale Variante des klassischen Vernunftrechts gesehen werden.67 Die Gesellschaftsvertragstheorien gehen von einer hypothetischen Urentscheidungssituation aus und leiten daraus Gerechtigkeitsgrundsätze für die reale Gesellschaft ab (sog. Entscheidungstheorie). In der Diskurstheorie steht hingegen das Bild eines idealen Diskurses im Zentrum. Grundsätze, über die in einem idealen Diskurs Konsens68 hergestellt werden kann, gelten als gerecht (sog. Argumentationstheorie).69 Diesem Idealbild sind die real stattfindenden Diskurse so weit wie möglich anzunähern, um zu gerechten Einzelfallentscheidungen zu kommen.70

a) Begriff des Diskurses Der Diskursbegriff ist eng mit der Habermasschen Theorie des kommunikativen Handelns verbunden. Ein Diskurs ist Kommunikation unter ganz bestimmten, nämlich rationalen Voraussetzungen. Man kann daher auch von einer Theorie der kommunikativen Rationalität71 sprechen. Im Diskurs handeln die Teilnehmer kommunikativ. Sie tauschen Argumente aus, um zu einem einvernehmlichen, von allen akzeptierten Ergebnis zu gelangen. Dem stellt Habermas strategisches Handeln gegenüber: eine „wechselseitige Einflussnahme zwecktätig aufeinander einwirkender Aktoren“72. Diese zielen nicht auf einen wahren Konsens (Verständigungsorientierung), sondern lediglich auf die maximale Verwirklichung ihrer jeweiligen Interessen (Einverständnisorientierung).73 Ziel jeden Diskurses muss es sein, zwischen den Beteiligten einen Konsens herzustellen. Dieser Konsens ist die Rechtfertigungsgrundlage für die normative Geltung diskursiver Ergebnisse.74 65

Vgl. aber Kaufmann, Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit, S. 16. Grundlegend Apel, Diskurs und Verantwortung, 1981; Habermas, Theorie des kommunikativen Handelns, 1988. 67 Engländer, Diskurs, S. 10; Tschentscher, Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit, S. 217; Habermas, Faktizität und Geltung, S. 135 ff. 68 Ausführlich zum Konsensbegriff Tschentscher, Rtheorie 34 (2002), 43 ff.; vgl. auch Calliess, Prozedurales Recht, S. 32 ff. 69 Tschentscher, Function of Procedural Justice, in: Röhl/Machura (Hrsg.), Procedural Justice, S. 105 (111). 70 Tschentscher, Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit, S. 233. 71 Röhl, Rechtssoziologie, S. 157. 72 Habermas, Faktizität und Geltung, S. 33. 73 Engländer, Diskurs, S. 16 ff. m. w. N.; Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 157. 74 Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 157 f. 66

III. Von der prozeduralen Gerechtigkeit zur Prozeduralisierung des Rechts

43

Unter einem Diskurs sind Sprechsituationen zu verstehen, in denen alle Beteiligten „gemeinsam und ohne Zwang nach dem suchen, was für alle richtig ist und auf dieser Grundlage freiwillig zu einem Konsens finden, der durch neue Argumente in Frage gestellt werden kann und dadurch diskursiv kontrolliert bleibt“75. Ideal ist ein Diskurs, wenn diese ideale Sprechsituation keinerlei Einschränkungen unterliegt. Ein realer Diskurs kann sich ihm immer nur zu nähern versuchen. Gegenüber der Gesellschaftsvertragstheorie zeigt sich schon hier ein Vorteil: Diskurse beinhalten als Teil unserer Lebenswirklichkeit ein empirisches Element, während das Gedankenexperiment des Urzustands immer hypothetisch bleiben muss. Allerdings unterliegt diese Feststellung aufgrund der erheblichen Anforderungen an einen idealen Diskurs beachtlichen Einschränkungen. Die ideale Sprechsituation bezeichnet das zentrale prozedurale Kriterium: Nur weil ein Konsens in dieser Konstellation erreicht worden ist, ist das Ergebnis empirisch oder normativ richtig.

b) Bedingungen des idealen Diskurses Damit er diese normative Kraft entfalten kann, muss der ideale Diskurs bestimmte Voraussetzungen erfüllen. Nicht der de facto erzielte Konsens trägt das Ergebnis, sondern die Einhaltung seiner rationalen Voraussetzungen im Diskurs. Die Diskursregeln legen fest, wann ein Argument in einem Diskurs gültig ist. Insbesondere müssen die folgenden Diskursregeln eingehalten werden: Soll mit sprachlichen Mitteln der Richtigkeit eines Handelns nachgegangen werden (d. h. ein Diskurs geführt werden), so sind bestimmte kommunikative Grundregeln76 zu beachten: Zunächst muss jeder Sprecher den Standpunkt widerspruchsfrei vertreten, den er auch wirklich einnimmt. Diesen Standpunkt muss er auf vergleichbare Diskursgegenstände zu übertragen bereit sein. Schließlich muss terminologische Klarheit herrschen. Ein wahrer Konsens ist nur zu erreichen, wenn sich die Diskursteilnehmer über die Bedeutung ihrer Aussagen einig sind.77 Von zentraler Bedeutung sind die Bedingungen von Freiheit und Gleichheit im Diskurs. Ein idealer Diskurs muss herrschaftsfrei sein.78 Freiheit erstreckt sich dabei auf die Teilnahme am Diskurs, die Themenwahl und die Freiheit von Zwang. Teil dieser Zwangsfreiheit ist auch die Freiheit vom Zwang zur Entscheidung.79 Ein idealer 75

Kunz/Mona, Rechtsphilosophie, Kap. 6, Rn. 60; s. auch Tschentscher, Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit, S. 101. 76 Alexy, Theorie der jur. Argumentation (1983), S. 234: „Bedingungen der Möglichkeit jeder sprachlichen Kommunikation“. 77 s. hierzu Tschentscher, Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit, S. 223 f: Regeln der Konsistenz und Kohärenz. 78 Kunz/Mona, Rechtsphilosophie, Kap. 6, Rn. 62. 79 Tschentscher, Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit, S. 224 f.

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Teil 1, A. Prozeduralisierung des Rechts

Diskurs unterliegt keiner zeitlichen Beschränkung, da diese eine Entscheidung notwendig machen würde, selbst wenn der Diskurs noch nicht abgeschlossen ist. Allein an dieser Voraussetzung muss jeder ideale Diskurs in der Wirklichkeit scheitern. Bei Habermas steht der Konsens im Zentrum der Diskurstheorie. Für ihn ist ein Ergebnis dann richtig und gerecht80, wenn es konsensfähig ist. Daher formuliert er folgendes Diskursprinzip: „Gültig sind genau die Handlungsnormen, denen alle möglicherweise Betroffenen als Teilnehmer an rationalen Diskursen zustimmen können.“81

2. Diskurstheorie des Rechts Die allgemeinen Diskurstheorien wollen dem richtigen Handeln insgesamt eine rationale Grundlage in Gestalt eines Argumentationsverfahrens geben. Die Diskurstheorien des Rechts untersuchen die Funktionen des Rechts hierbei.

a) Grundlagen des Rechtssystems Prima facie scheint die Existenz einer Rechtsordnung mit der Diskurstheorie unvereinbar. Wenn bereits Normen existieren, die die Diskursteilnehmer binden, ist ein (annähernd) idealer Diskurs schon nicht mehr möglich. Die Bedingung der Herrschaftsfreiheit sei jedenfalls nicht mehr zu erfüllen.82 Dem ist jedoch entgegenzuhalten, dass die Gesellschaft in weiten Teilen von strategischem und nicht rein kommunikativem Handeln bestimmt wird. Nach Habermas macht die moderne ausdifferenzierte Gesellschaft solches Handeln sogar unentbehrlich.83 Die diskursiv zu begründende Rechtsordnung fungiere als Rückkopplung dieser von Individualinteressen geleiteten Handlungen auf den gemeinwohlorientierten Konsens. Der von der Rechtsordnung ausgehende Zwang sei insofern legitim, als er zu einem größeren Freiheitsraum jedes Einzelnen führe.84 Während der im idealen Diskurs erzielte Konsens die moralisch richtige Verhaltensweise markiere, stelle die Rechtsordnung die Verbindlichkeit dieses Konsenses sicher.85 In der Realität bedarf es also des Rechts als Mittel, um die konsentierten Handlungsnormen durchzusetzen.86 80 Zur Habermasschen Diskurstheorie als Gerechtigkeitstheorie Tschentscher, Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit, S. 239. 81 Habermas, Faktizität und Geltung, S. 138. 82 Kritik bei Höffe, Politische Gerechtigkeit, S. 26 ff. 83 Habermas, Faktizität und Geltung, S. 42. 84 Habermas, Faktizität und Geltung, S. 46 ff. 85 Habermas, Faktizität und Geltung, S. 137; Funaba, Philosophia Osaka 2006, 57 (60). 86 Zur Normbegründung bei Habermas auch Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 157 ff.; zum Ganzen Engländer, Diskurs, S. 25 ff.

III. Von der prozeduralen Gerechtigkeit zur Prozeduralisierung des Rechts

45

Für die Form der Rechtsetzung hat dies die folgenden Konsequenzen: Nur diskursiv gerechtfertigte Normen sind legitim. Allein eine demokratisch verfasste Rechtsordnung kann daher legitime Normen erzeugen. Diese demokratische Verfassung muss Rechte enthalten, welche die diskursive Mitwirkung aller Beteiligten an der Normsetzung sichern.87 Habermas versteht das Demokratieprinzip als ein System von Rechten,88 welche sich die Bürger gegenseitig zugestehen müssen, um Normen diskursiv zu legitimieren. Dabei kommt er zu einem Katalog von Grundrechten, der ähnlich den Grundfreiheiten Rawls’ ausgestaltet ist.89 Die Grundrechte stellen die Durchsetzung des Diskursprinzips sowie die politische Autonomie innerhalb des Systems sicher. Daneben müssen sie ausreichend tatsächliche Ressourcen zur Verfügung haben, um diese Rechte auch verwirklichen zu können. Von Bürgern einer demokratisch verfassten Gesellschaft, die mit diesen Rechten ausgestattet sind, kann dann im realen praktischen Diskurs legitimes Recht gesetzt werden (Rechtsetzungsdiskurs).90

b) Theorie der juristischen Argumentation Mit der Theorie der juristischen Argumentation umschreibt Alexy einen Sonderfall des praktischen Diskurses. Er findet unter einschränkenden Bedingungen statt. Zwar überprüft auch dieser die Richtigkeit normativer Aussagen, ist aber durch Gesetzesbindung, Beachtung von Präjudizien sowie der rechtswissenschaftlichen Dogmatik umgrenzt.91 Ein dieser Art eingegrenzter Diskurs ist jedoch nicht prädeterminiert. Abstrakte Normen halten nicht für jeden Einzelfall ein definitives Ergebnis bereit. Dieses muss im juristischen Diskurs gefunden werden. Um den Spielraum in diesen juristischen Diskursen näher zu beschreiben, greift Alexy auf die Unterscheidung zwischen Regeln und Prinzipien zurück.92 Regeln sind definitive Gebote, die an einen Tatbestand eine Rechtsfolge knüpfen.93 Sie besitzen eine konditionale Struktur. Prinzipien dagegen versteht Alexy als Optimierungsgebote, die verwirklicht werden sollen, soweit es die tatsächlichen und rechtlichen Gegebenheiten zulassen.94 Prinzipien beinhalten also eine finale Programmierung. 87

Habermas, Faktizität und Geltung, S. 151 ff. Habermas, Faktizität und Geltung, S. 155. 89 Vgl. o. Teil 1 A. II. 1. b) bb); Kunz/Mona, Rechtsphilosophie, Kap. 6, Rn. 77; Tschentscher, Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit, S. 246. Auf eine Wiedergabe der Kategorien wird hier verzichtet; s. dazu Habermas, Faktizität und Geltung, S. 155 ff. 90 Engländer, Diskurs, S. 31 ff. 91 Alexy, Theorie der jur. Argumentation (1983), S. 33 f., 263 ff. 92 Hierzu Dworkin, Bürgerrechte, 1984; s. auch Engländer, Diskurs, S. 34 ff. 93 Alexy, Begriff und Geltung des Rechts, S. 119 f. 94 Alexy, Begriff und Geltung des Rechts, S. 120. 88

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Teil 1, A. Prozeduralisierung des Rechts

Regeln werden im diskursiv begründeten Verfahren der Gesetzgebung (s. o.) geschaffen. Sie lassen aber notwendigerweise Lücken für die Entscheidung im juristischen Diskurs. Im Rahmen des Regelwerks muss der juristische Diskurs dann die Prinzipien beachten, d. h. möglichst weitgehend zur Geltung bringen. Wo mehrere Prinzipien aufeinanderstoßen, ist die Verwirklichung jedes einzelnen nur teilweise möglich. Die Theorie der juristischen Argumentation soll die Mittel an die Hand geben, für die verbleibenden Lücken diskursiv legitimierter Normen (d. h. Regeln und Prinzipien) eine wiederum diskursiv zu legitimierende Lösung zu finden.

3. Ergebnis Im Ergebnis führt die Anwendung der Diskurstheorie auf die Rechtsordnung zu einem mehrstufigen Modell. Auf der ersten Stufe steht das Demokratieprinzip. Die Grundrechte ermöglichen und sichern eine Teilnahme aller Bürger am Diskurs, soweit dies in einer komplexen, modernen Gesellschaft möglich ist. Damit lassen sich auch Eingriffe in die Freiheit des Einzelnen rechtfertigen. Diese Verfassung, als oberste Stufe der Rechtsordnung, regelt den Erlass verbindlicher Normen. Sie ist selbst diskursiv legitimiert, also gerecht aufgrund eines prozeduralen Kriteriums. Daher können auf der zweiten Stufe auch die Ergebnisse solcher Diskurse, die innerhalb dieses Regelwerks stattfinden (bspw. Gesetzgebungsverfahren), als gerechtfertigt angesehen werden. Produkt dieser Stufe sind abstrakte Normen: Regeln und Prinzipien. Die dritte Stufe bilden juristische Diskurse, die unter Beachtung der geltenden Normen Einzelfälle entscheiden sollen. Auf jeder Stufe gilt das Leitbild des idealen Diskurses. Diesem sind die realen Diskurse so weit wie möglich anzugleichen. Auch reale, praktische Diskurse, die aus einem sozialen Kontext heraus stattfinden, müssen möglichst frei von Zwang und Herrschaft sein, um ihre rechtfertigende Wirkung entfalten zu können. Demnach muss das Zivilgerichtsverfahren rechtlich so ausgestaltet werden, dass trotz des regelmäßig strategischen Handelns der Parteien ein rationales, verständigungsorientiertes Verfahrensergebnis möglich ist. In der Gestalt des unparteiischen Richters soll ein legitimes Ergebnis sichergestellt werden.95

95

Habermas, Faktizität und Geltung, S. 283.

IV. Rechtssoziologischer Ansatz bei Luhmann

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IV. Rechtssoziologischer Ansatz bei Luhmann IV. Rechtssoziologischer Ansatz bei Luhmann

1. Einordnung Luhmann untersucht „[r]echtlich geordnete Verfahren der Entscheidungsfindung“96. Wie noch zu zeigen sein wird, handelt es sich auch hier um eine prozedurale Theorie. Diese ist aber nicht den Gerechtigkeitstheorien zuzuordnen. Sie befasst sich nämlich nicht mit der Legitimität von Verfahrensergebnissen, sondern allein mit ihrer Legitimierung97, also ihrem Akzeptanzpotential.98 Der Wert des Verfahrens wird nicht in der Tatsache gesucht, dass es in jedem Fall zu einem richtigen oder gerechten Ergebnis führen muss und dieses daher von allen zu akzeptieren ist. Nach Luhmann besteht der Verdienst von Verfahren darin, unabhängig von Gerechtigkeitserwägungen oder substantiellen Maßstäben die Akzeptanz des Ergebnisses zu gewährleisten.99 Er vertritt keine normativ-philosophischen, sondern einen (rechts-)soziologischen Ansatz.

2. „Legitimation durch Verfahren“ Die prozeduralen Theorien der Gerechtigkeit gehen davon aus, dass ein Zustand dann richtig und gerecht ist, wenn er in einem entsprechenden Verfahren zustande gekommen ist oder in hinreichender Weise darauf beruht. In diesem Verfahren wird, auf die eine oder andere Weise, die Zustimmung aller unterstellt. Luhmann fragt hingegen nicht nach Lösungen, denen jeder – unter den richtigen Bedingungen – zustimmen könnte. Seine Überlegungen zielen darauf, warum den Lösungen der bestehenden Rechtsordnung nicht von den Benachteiligten oder auch der Allgemeinheit widersprochen wird, sie also stillschweigend akzeptiert werden. Die Antwort hierauf findet Luhmann im Verfahren. Ein Ergebnis, dass auf einem adäquaten Verfahren beruhe, sei eher in der Lage Akzeptanz zu erzielen. Er nimmt also nicht die Position desjenigen ein, der nach Gerechtigkeit strebt, sondern die des Verlierers in einem Konflikt. Ähnlich wie Alexy sieht Luhmann das Gerichtsverfahren, den Ort letztinstanzlicher Einzelfallentscheidungen, als das Paradigma juristischer Verfahren.100 Dieses bildet den Schwerpunkt seiner Untersuchung.101 Entsprechend legt er seinen

96

Luhmann, Legitimation durch Verfahren, S. 11. Zum Begriff Luhmann, Legitimation durch Verfahren, S. 120. 98 Ähnlich Röhl, ZfRSoz 14 (1993), 1 (19 ff.). 99 Einer grundsätzlichen Gerechtigkeitsorientierung realer Rechtsverfahren steht er skeptisch gegenüber, Luhmann, Legitimation durch Verfahren, S. 20. 100 Luhmann, Legitimation durch Verfahren, S. 53: „Grundbestand abendländischer Rechtskultur“ an dem sich das „Problem der Legitimation durch Verfahren relativ konkret und empirisch“ untersuchen lasse. 101 Luhmann, Legitimation durch Verfahren, S. 55 ff. 97

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Teil 1, A. Prozeduralisierung des Rechts

soziologischen Überlegungen ein kontradiktorisches Gerichtsverfahren zwischen zwei (oder mehr) Parteien zugrunde. Der Staat findet nicht als Beteiligter, sondern lediglich als Garant institutionell verfestigter Verfahren wie dem Zivilprozess Beachtung. Luhmann bettet den Verfahrensgedanken in den systemtheoretischen Ansatz autopoietischen Rechts102 ein. Das Recht als soziales Teilsystem dient der Reduktion von Komplexität. Röhl hat Luhmanns These zutreffend als Isolierungstheorie beschrieben.103 Verfahren seien Mittel der Konfliktlösung. Konflikten wohne generell eine Ausweitungstendenz inne. Sie dehnten sich „auf alle Eigenschaften, Lagen, Beziehungen und Mittel der Gegner“104, aber auch auf weitere Themen und andere Personen, aus. Verfahren dienten dazu, den Gegenstand dieser Konflikte so weit zu spezifizieren, dass ihre Ausdehnung limitiert werde.105 Wer in ein Konfliktlösungsverfahren eintrete, habe schon einen wesentlichen Schritt dazu getan. Die Beteiligten müssten dem Gegner dann eine potenzielle Gewinnchance zubilligen106 und den Ausgang des Verfahrens hinnehmen.107 Verfahren ziehen Luhmann zufolge eine doppelte Bindungswirkung nach sich, die das Verfahrensergebnis legitimiert. Zum einen setzt sich eine Partei, die sich auf das Verfahren zwar freiwillig eingelassen hat, dessen Ergebnis aber nicht anerkennen will, zu sich selbst in Widerspruch. Dieser lässt sich nicht sozialadäquat äußern. Dem Unterlegenen bleibt keine Wahl, als das ungünstige Ergebnis zu akzeptieren. Darin sei kein Einsehen in die Richtigkeit, sondern allein in die Unabänderlichkeit zu sehen.108 Zum anderen hat das Verfahren auch Wirkung auf Unbeteiligte. Handelt es sich bei jenem um eine etablierte, öffentliche Institution, wird die Allgemeinheit das Ergebnis als richtig akzeptieren und eine Eskalation durch den Unterlegenen nicht unterstützen.109 Diesen Effekt nennt Luhmann „Trichter des Verfahrens“110. Wer oben in das Verfahren einsteigt, muss damit rechnen, auf dem – durch Fakten und Normen – vorgezeichneten Weg unten wieder herauszukommen; ebenso wird i. d. R. kein Unbeteiligter im Ausgang etwas Ungerechtes erkennen, wenn es sich um ein gesellschaftlich anerkanntes Verfahren handelt. Damit wird das Verfahren mit dem 102

Zum Begriff und zur Kritik Kunz/Mona, Rechtsphilosophie, Kap. 7, Rn. 8 ff.; Morawski/ Molter, Autopoiese und reflexives Recht, in: Schreckenberger (Hrsg.), Praktische Vernunft, S. 12 8 ff. 103 Röhl, ZfRSoz 14 (1993), 1 (19). 104 Luhmann, Legitimation durch Verfahren, S. 101. 105 Vgl. auch Luhmann, Legitimation durch Verfahren, S. 115 ff. 106 Luhmann, Legitimation durch Verfahren, S. 103 f. 107 Röhl, Rechtssoziologie, S. 412. 108 Röhl, ZfRSoz 14 (1993), 1 (20): „Verstrickungs-Hypothese“. Einen echten inhaltlichen Lerneffekt lehnt Luhmann ab. Die unterlegene Partei werde sich immer einen Sündenbock suchen oder eine soziale Opferrolle zulegen, Luhmann, Legitimation durch Verfahren, S. 107 ff. 109 Luhmann, Legitimation durch Verfahren, S. 122 ff. 110 Luhmann, Legitimation durch Verfahren, S. 115.

IV. Rechtssoziologischer Ansatz bei Luhmann

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umgebenden Sozialsystem verbunden;111 es ist Teil des Subsystems Recht unserer Gesellschaft. Den Gerichtsverfahren vorgeschaltet sind die politischen Verfahren der Parlamentswahl und der Gesetzgebung. Diese können nach Luhmann nicht durch Isolierung legitimierend wirken, da sie zu unspezifisch sind. Die politischen Wahlen zögen im Gegenteil „hohe Komplexität und strukturelle Unbestimmtheit“112 nach sich. Da sie keinen konkreten Auftrag und eine große Bandbreite an Interessen zu beachten hätten, könnten sich die so Gewählten einer opportunistischen Entscheidungspraxis befleißigen, die eine flexible Interessenberücksichtigung möglich mache.113 Weiter dienten sie der Absorption von Protesten. Da jeder Wähler die gleiche (unwesentliche) Einflussmöglichkeit habe, sehe er sich nicht als anderen gegenüber benachteiligt.114 Entsprechendes will Luhmann für das Verfahren der Gesetzgebung gelten lassen. Durch politische Wahlen an kein Programm gebunden, hätten die gewählten Vertreter einen so großen Handlungsspielraum, dass sie auf die Vorarbeit der Ministerialbürokratie angewiesen seien, um eine Entscheidung treffen zu können.115 Auf der politischen Ebene basiere die Legitimation durch Verfahren auf Egalität. Da vor dem Verfahren alle (Wähler, Abgeordnete) gleich seien, werde darin ein Konsens hergestellt, dem jeder potenziell angehören könne. Eine „institutionelle und rechtliche Verankerung“116 dieser Verfahren ziehe ein Systemvertrauen nach sich, das faktisch legitimierende Wirkung entfalte. Skeptisch steht Luhmann hingegen der legitimierenden Wirkung von Verwaltungsverfahren gegenüber. Angesichts zunehmender Rationalisierungsanforderungen moderner Massenverwaltungsverfahren wären sie mit zusätzlichen Legitimationsleistungen überfordert. Sie müssten möglichst ressourcensparend gestaltet werden. Rein konditional programmierte Entscheidungen, deren Ergebnis schon durch Gesetz vorgegeben ist, müssten das Ergebnis auch nicht selbst legitimieren. Luhmann fordert vielmehr ein „hinreichendes Maß funktioneller Differenzierung“117: die Legitimationswirkung sei entweder auf der politisch-gesetzgeberischen Ebene vorzuleisten oder im Gerichtsverfahren nachzuholen.118

111 112 113 114 115 116 117 118

Röhl, ZfRSoz 14 (1993), 1 (20). Luhmann, Legitimation durch Verfahren, S. 173. Vgl. auch Röhl, Rechtssoziologie, S. 416. Insg. Luhmann, Legitimation durch Verfahren, S. 155 ff. Röhl, Rechtssoziologie, S. 417. Luhmann, Legitimation durch Verfahren, S. 199. Luhmann, Legitimation durch Verfahren, S. 218. Luhmann, Legitimation durch Verfahren, S. 209, 216.

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Teil 1, A. Prozeduralisierung des Rechts

3. Fazit Der empirisch-soziologische Ansatz Luhmanns lässt sich mit den vorher dargestellten normativen Theorien nicht direkt vergleichen. Dies kann in der Unterscheidung von Legitimation und Legitimität119 ausgedrückt werden. Die prozeduralen Gerechtigkeitstheorien suchen ein Verfahren zu konstruieren, das im Ergebnis zu legitimen, weil gerechten Ergebnissen führt. Eine Entscheidung ist also dann richtig, wenn sie das Ergebnis eines solchen Verfahrens sein könnte. Nach Luhmann sind hingegen im Einzelfall auch ungerechte Ergebnisse legitim, wenn sie das Resultat eines akzeptierten Verfahrens sind. In der Tat spricht viel für diese Sichtweise, um die faktische Wirkung von Verfahren in der Rechtsordnung zu erklären. Als Begründung für die Verfahrensgestaltung hilft sie allerdings wenig weiter.120 Verfahren, die die von Luhmann beschriebene gesellschaftliche Befriedungsfunktion erfüllen sollen, müssen sich eben an normativen Werten und nicht allein an jener empirisch zu beobachtenden Funktion orientieren.121 Gäbe man den Anspruch auf, gerechte Ergebnisse zu erzielen, um sich mit akzeptablen Resultaten zu begnügen, würden die Entscheidungen gleichzeitig ihre Legitimierung verlieren. Eine Entscheidung, die nicht der Richtigkeit verpflichtet ist, kann keine Akzeptanz hervorrufen. Die „Legitimation durch Verfahren“ findet ihren Nutzen aber als Instrument zur kritischen Überprüfung bestehender Verfahren. Rechtstatsächlich kann es nämlich nicht unerheblich sein, wenn Verfahren i. d. R. nicht zu gesellschaftlich konsensfähigen Ergebnissen führen.122 Luhmanns Bewertung von Verwaltungsverfahren ist erkennbar vom Aufstieg der EDV-Technik und der damit zu bewältigenden Massenverfahren geprägt.123 Er sucht sie auf rein konditionale Programme zu reduzieren. Solche Verfahren werfen in der Tat kaum Legitimationsprobleme auf, wenn sie sich auf die buchstabengetreue Umsetzung parlamentarischer Gesetze beschränken. Schwierigkeiten bereiten aber komplexe Verfahren, die eine eigenständige Wertung durch die

119 Legitimation verstanden als faktische Akzeptanz, Legitimität als normative Akzeptanzwürdigkeit; so auch Schmidt, ZfRSoz 14 (1993), 80 (85), Fn. 5 m. w. N. Allerdings spricht auch Luhmann selbst von Legitimität, Luhmann, Legitimation durch Verfahren, S. 27 ff. Vgl. auch Hofmann, Legitimität und Rechtsgeltung, S. 77 f.: Legitimität als „Eigenschaft von Herrschaft“, Legitimation als „Vorgang ihrer Beschaffung“. 120 Gegenkritik zur rechtstheoretischen Kritik an Luhmann vgl. Röhl, Rechtssoziologie, S. 418 ff. 121 Ebenso Schmidt-Aßmann, AöR 116 (1991), 329 (369 ff.) unter Hinweis auf die Bedeutung von Art. 20 Abs. 2 GG für Verwaltungsverfahren. Zum Paradox in der Systemtheorie Kunz/ Mona, Rechtsphilosophie, Kap. 7, Rn. 21 ff. 122 Vgl. Würtenberger, NJW 1991, 257 ff. 123 s. hierzu Luhmann, Recht und Automation, 1966.

V. Prozedurales Recht

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Verwaltung erfordern. Die Komplexität kann sich aus der Zahl der Betroffenen, dem planerischen Umfang, den schwer absehbaren Folgen oder eben einer finalen Programmierung ergeben. In diesen Fällen kann die Legitimation nur begrenzt auf die gesetzgeberische oder gerichtliche Ebene verlagert werden. Erstere ist nicht einzelfallbezogen und zweitere notwendigerweise nur begrenzt zugänglich. Damit wird die von Luhmann bezweckte Isolierungsfunktion vom Verfahrensgegenstand auf die Verfahrensbeteiligten ausgedehnt. Darunter leidet die Akzeptanz bei denjenigen Betroffenen, die unberücksichtigt bleiben. Die besondere Sensibilität von Verwaltungsverfahren wird sich insbesondere bei der Rolle der Grundrechte im Verfahren zeigen.124

V. Prozedurales Recht V. Prozedurales Recht

1. Begriff Die vorstehend dargestellten rechtstheoretischen Überlegungen führen zu einer grundlegenden Unterscheidung von Normen: Materielles bzw. regulatives Recht125 beinhaltet allein Vorgaben bzgl. eines Endzustands. Dabei legt es den Schwerpunkt auf die Perspektive ex post. Wie dieser Zustand zu erreichen ist, bleibt für das regulative Recht von zweitrangiger Bedeutung. Prozedurales Recht hingegen orientiert sich nicht am Ergebnis, sondern an dem Weg dorthin. Mit seiner Hilfe sollen die Interaktionen von Gruppen oder Individuen, die an diesen beteiligt sind, koordiniert werden. Am Ende dieser gesteuerten Interaktion kann wiederum regulatives Recht stehen Es ist dem prozeduralen logisch nachgeschaltet.126 Denn auch die Genese regulativen Rechts findet notwendig in Verfahren statt. Als Verfahren i. S. d. Prozeduralisierung kommen „alle rechtlich geordneten Beschlussund Entscheidungsverfahren“127 in Betracht. Die Spannweite reicht von der Verfassunggebung bis hin zu einzelnen Verwaltungsverfahren. Die Prozeduralisierung des Rechts gebiert also eine Normenkategorie, die ihrer Umsetzung dient. Prozedurales Recht kann unterschiedliche Formen annehmen. Eine deutliche Manifestation erfährt es z. B. in den Vorschriften zur Umweltverträglichkeitsprüfung, §§ 5 ff. UVPG. Für Verfahren, die einfach-rechtlich nicht geregelt sind (bspw. die Verteilung von Spenderorganen), ist der Befund prozeduralen Rechts diffus, aber dennoch nicht zu leugnen. Selbst ohne spezialgesetzliche Normierungen finden diese Verfahren, wie noch zu zeigen sein wird, nicht im rechtsfreien Raum statt. Grundrechte spielen hier eine wichtige Rolle. Diese Funktionenvielfalt der Grundrechte zeigt gleichzeitig aber die Schwierigkeiten der

124 125 126 127

Dazu u. Teil 1 B. II. 3. Eder, Prozedurales Recht, in: Grimm (Hrsg.), Wachsende Staatsaufgaben, S. 155 f. Eder, Prozedurales Recht, in: Grimm (Hrsg.), Wachsende Staatsaufgaben, S. 155 (156). Röhl, ZfRSoz 14 (1993), 1 (4).

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Teil 1, A. Prozeduralisierung des Rechts

Grenzziehung zwischen prozeduralem und materiellem Recht auf. Denn gerade die Grundrechte gehören zum Kernbestand rechtsstaatlichen materiellen Rechts. Die Daseinsberechtigung der Kategorie des prozeduralen Rechts zeigt sich u. a. in der Verwirklichung der Grundrechte im Verfahren.128 Prozedurales Recht dient mithin der Kommunikation aller Beteiligten und übt Steuerung aus, indem es „Verteilung und Zuteilung von Diskurschancen, Öffentlichkeitspflichten und Begründungspflichten“129 regelt. Am Beispiel der Grundrechte und insbesondere der europäischen Grundfreiheiten wird sich zeigen, dass die Unterscheidung von prozeduralem und materiellem Recht keine absolute Klassifizierung von Rechtsnormen mit sich bringt. Eine Norm kann also sowohl prozeduralen als auch substantiellen Gehalt haben.130 Der Begriff des prozeduralen Rechts fasst damit alle Kompetenz-, Organisations- und Verfahrensnormen zusammen, die dem Auffinden eines gerechten und legitimen Ergebnisses dienen.131

2. Komplementäre und kompensatorische Prozeduralisierung Innerhalb der Rechtsordnung manifestiert sich der Verfahrensgedanke im prozeduralen Recht. Jedes rechtliche Verfahren ist, neudeutsch ausgedrückt, Interessenmanagement. Es können nur solche Interessen angemessen Beachtung finden, die auf irgendeine Art und Weise in das Verfahren eingebracht werden. Ein Kernelement der Prozeduralisierung ist daher die Öffentlichkeit von Verfahren. Diese lässt sich durch Informations- und Partizipationsmöglichkeiten sowie Rechtsschutz implementieren.132 Abstrakte materielle Entscheidungskriterien können nur dann im Verfahren konkretisiert oder gar durch ein solches ersetzt werden, wenn die mit ihnen verfolgten Ziele und Interessen Eingang in dieses Verfahren finden. So kann ein Planungsverfahren die Verwaltungsentscheidung für die „bestmögliche Planungsalternative“ nur dadurch erleichtern und auch inhaltlich determinieren, dass die maßgeblichen Informationen ausgetauscht, die betroffenen Interessen geltend gemacht und ggf. auch eingefordert werden können. Normen, welche dieses Ziel verfolgen, sind dem prozeduralen Recht zuzurechnen.133

128

Dazu u. Teil 1 B. II. Eder, Prozedurales Recht, in: Grimm (Hrsg.), Wachsende Staatsaufgaben, S. 155 (157). 130 Calliess, Prozedurales Recht, S. 175 f. 131 Definition nach Calliess, Prozedurales Recht, S. 177. 132 Historischer Überblick zur Öffentlichkeit staatlicher Verfahren bei Ekardt, Information, Partizipation, Rechtsschutz, S. 71 ff. 133 Dass diese Kategorie keine absolute ist, wurde bereits klargestellt. Eine Norm kann prozedurale und zugleich substantielle Aussagen treffen. 129

V. Prozedurales Recht

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Je nach dem Zweck des Verfahrens können zwei Funktionen prozeduralen Rechts unterschieden werden:134 – Komplementärfunktion, – Kompensationsfunktion. Die komplementäre Prozeduralisierung manifestiert sich im Verfahrensgehalt subjektiver Rechte wie den Grundrechten oder den europäischen Grundfreiheiten. Die Träger dieser Rechte können sich nicht allein auf deren materielle Abwehroder Schutzgehalte,135 sondern auch auf ihre Verfahrensdimension136 berufen. Mittels Information, Partizipation und Rechtsschutz verteidigen sie ihre Rechte selbst im Verfahren. Die Verfahrensteilhabe steht dabei gleichberechtigt neben der materiellen Rechtsverwirklichung. Die Komplementärfunktion des Verfahrens für die deutschen Grundrechte und die europäischen Grundfreiheiten wird in Teil 1 B. bzw. Teil 2 A. untersucht. Die kompensatorische Prozeduralisierung kommt zum Tragen, wenn materielle Maßstäbe fehlen. Nach dem Grundgedanken der Verfahrensgerechtigkeit soll das Verfahren zu einem sachgerechten Ergebnis führen. Diese Funktion des Verfahrens wird in der vorliegenden Untersuchung in Gestalt des Wettbewerbsgrundsatzes in Erscheinung treten. Dieser ist für das europäische Beihilfenrecht von zentraler Bedeutung. Damit eine staatliche Leistung nicht als gemeinschaftsrechtswidrige Beihilfe eingestuft wird, muss ihr eine angemessene Gegenleistung gegenüberstehen. Hierfür lassen sich materielle Maßstäbe nur schwer definieren.137 Um diese Schwäche des materiellen Rechts zu kompensieren, wird auf Verfahren zurückgegriffen. Ergibt sich die Gegenleistung aus einem wettbewerblichen Verfahren, so kann sie als angemessen betrachtet werden.138 Der Kompensationsfunktion in Bezug auf das europäische Beihilfenrecht ist Teil 2 B. gewidmet. Ein Verfahren kann indes beide Funktionen in sich vereinen. So kann eine Leistungsvergabe im Wettbewerb nicht nur die beihilfenrechtlichen, sondern auch die vergaberechtlichen Anforderungen erfüllen. Komplementäre und kompensatorische Funktion des Verfahrens stehen dann nebeneinander.139

134 135 136 137 138 139

Unterscheidung und Terminologie nach Kingreen, VSSR 2006, 379 (394). Dazu u. Teil 1 B. II. 1. und 2. sowie Teil 2 A. II.1. und 2. Bzgl. der Grundrechte s. Teil 1 B. II. 3. und der Grundfreiheiten s. Teil 2 A. II. 3. s. u. Teil 2 B. III. und Teil 2 B. V. s. u. Teil 2 B. IV. Dazu Teil 2 B. VII. 3.

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Teil 1, A. Prozeduralisierung des Rechts

VI. Zusammenfassung VI. Zusammenfassung

In diesem Abschnitt wurde die Prozeduralisierung des Rechts in ihren rechtstheoretischen Grundlagen dargestellt. Ausgehend vom Begriff der Gerechtigkeit ließ sich anhand Rawls’ „Eine Theorie der Gerechtigkeit“ die fundamentale Bedeutung des Verfahrensgedanken für alle Ebenen der Rechtsordnung aufzeigen. Rawls unterscheidet verschiedene Qualitäten prozeduraler Gerechtigkeit danach, ob sie auf materielle Kriterien zurückgreifen müssen und ob sie in der Rechtsordnung zu realisieren sind. Allein auf der Ebene seines konstruierten Urzustandes sollen zwei Gerechtigkeitsprinzipien aus reiner Verfahrensgerechtigkeit, d. h. allein aufgrund der Entscheidungssituation, gewonnen werden. Auf diesen Grundsätzen fußt sodann die Verfassung, aus der sich die Vorgaben für das Gesetzgebungsverfahren ergeben. Beide werden in einem Prozess mit unvollkommener Verfahrensgerechtigkeit gewonnen. Rawls verzichtet somit nur für die erste, theoretische Stufe zur Gänze auf materielle Kriterien. Auf den darunterliegenden Stufen der Verfassung- und Gesetzgebung sowie konkreter Einzelfallentscheidungen greift er jeweils auf inhaltliche Ergebnisse der höheren Stufe zurück. Das Verfahren ist für Rawls somit nicht nur Quelle der Gerechtigkeitskriterien, sondern sorgt zugleich für deren weitest gehende Verwirklichung. Die Diskurstheorie geht einen ähnlichen Weg. Mittels Kommunikation unter rationalen Bedingungen soll ein für alle annehmbares, d. h. gerechtes Ergebnis erzielt werden. Ein idealer Diskurs ist, ebenso wie reine Verfahrensgerechtigkeit, auf die Theorie beschränkt. Der reale Diskurs ist ihm so weit wie möglich anzunähern. Der Rechtsordnung kommt nach diesem Verständnis die Funktion zu, die Umsetzung des diskursiven Konsenses sicherzustellen. Rechtsnormen müssen daher selbst im Diskurs gerechtfertigt werden. Dies ist nur i. R. e. demokratischen Verfassung möglich. Einzelfallentscheidungen sind innerhalb der Rechtsordnung in einem juristischen Diskurs zu begründen. Dieser orientiert sich nach Alexy an Regeln und Prinzipien. Im Gesetzgebungsverfahren geschaffene Regeln lassen für den konkreten Fall einen Entscheidungsspielraum, welcher unter Beachtung der verfassungsrechtlichen Prinzipien auszufüllen ist. Auf jeder Stufe der Normsetzung gilt es, den idealen Diskurs weitest gehend zu verwirklichen. Im Gegensatz zu diesen rechtsphilosophischen Prozeduralisierungsthesen erklärt Luhmann die Funktion des Verfahrens mit seiner akzeptanzsteigernden Wirkung. Die jeweilige Entscheidung legitimiere sich als Produkt eines gesellschaftlich anerkannten Verfahrens. Dadurch werden Konflikte gelöst oder zumindest isoliert. Diese rechtssoziologische Betrachtung Luhmanns erhebt keinen Anspruch, richtige i. S. gerechter Ergebnisse hervorzubringen, sondern versucht allein die gesellschaftliche Bedeutung juristischer Verfahren zu beschreiben. Als Ausgangspunkt für die rechtliche Verfahrensgestaltung ex ante ist sie daher nicht geeignet. Sie kann jedoch im Nachhinein als Gradmesser dienen.

VI. Zusammenfassung

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Kritisch zu bewerten ist Luhmanns zurückhaltende Einstellung zum Verwaltungsverfahren als bloßem konditionalen Gesetzesvollzug. Wie im nächsten Abschnitt zu zeigen sein wird, gehen die Leistungen des Verwaltungsverfahrens weit über den Vollzug hinaus und tragen selbstständig zu einem gerechten Ergebnis bei. Auf dieser theoretischen Grundlage ist zwischen materiellem und prozeduralem Recht zu differenzieren. Das erste ist zweiterem logisch nachgeordnet. Regulative Maßstäbe werden stets in einem Verfahren gewonnen. Alle rechtlich geordneten Beschluss- und Entscheidungsverfahren kommen als Verfahren i. S. d. Prozeduralisierung in Betracht. Diese Kategorisierung von Rechtsnormen schließt hingegen einen Doppelgehalt nicht aus. Materielle Kriterien werden nicht nur aus Verfahren gewonnen, sondern eine Ebene tiefer wiederum mit Verfahren umgesetzt. Vordergründig materiellen Normen kann daher eine prozedurale Dimension innewohnen. Diese prozedurale Dimension kann eine komplementäre oder eine kompensatorische Funktion erfüllen. Von komplementärer Prozeduralisierung ist auszugehen, wenn subjektive Rechte sich nicht in materiellen Ge- oder Verboten erschöpfen, sondern auch Verfahrensvorkehrungen einfordern. Die kompensatorische Prozeduralisierung zeigt sich in Verfahren, die in Ermangelung materieller Maßstäbe oder zu deren Ausfüllung durchgeführt werden. Beide Funktionen können dabei nebeneinander stehen.

B. Prozeduralisierung im (Verwaltungs-)Recht Teil 1, B. Prozeduralisierung im (Verwaltungs-)Recht Nach der vorstehenden Darstellung der Prozeduralisierung des Rechts, soll im Folgenden die Prozeduralisierung im Recht, insbesondere im Verwaltungsrecht dargestellt werden. Hier haben die Verfahrenselemente in den letzten Jahrzehnten eine beeindruckende Entwicklung erfahren. Zurückzuführen ist diese auf mehrere Faktoren. Zu Beginn standen Überlegungen des Rechtsstaatlichkeits- und Demokratieprinzips im Vordergrund (u. Teil 1 B. I.).1 Diese fanden nicht zuletzt – neben anderen rechtspolitischen Erwägungen – in der Kodifikation des VwVfG2 ihren Niederschlag (u. Teil 1 B. III. 1.). Darüber hinaus wurden die Grundrechte für das Verfahren fruchtbar gemacht (u. Teil 1 B. II.).3 Von fortwährend großer, wenn nicht gar wachsender Bedeutung für die Stärkung des Verfahrensgedankens im Verwaltungsrecht sind die Impulse des europäischen Gemeinschaftsrechts (u. Teil 1 B. IV.).4 1

Zusammenfassend Ule/Laubinger, Verwaltungsverfahrensrecht, § 1, Rn. 6 ff. Der Übersichtlichkeit halber bleibt die Darstellung auf das VwVfG des Bundes beschränkt, ohne jeweils landesrechtliche Normen parallel zu zitieren. 3 Pünder, in: Erichsen/Ehlers, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 12, Rn. 7. 4 Umfassend hierzu Schwarze, Europäisches Verwaltungsrecht, 2005; s. u. Teil 1 B. IV. 2

Teil 1, B. Prozeduralisierung im (Verwaltungs-)Recht

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Prozeduralisierung bedeutet Verlagerung materieller Entscheidungen auf das Verfahren. Im Verwaltungsverfahren stehen sich typischerweise der Staat und einzelne Bürger oder Gruppen gegenüber.5 In diesem Verfahren tritt der Staat in Gestalt der Verwaltungsbehörde (idealerweise) als Sachwalter der Gemeininteressen6 auf. Ihm steht der Einzelne mit seinen Partikularinteressen gegenüber. Anhand des Verwaltungsverfahrens lässt sich die Prozeduralisierung im Recht besonders gut nachzeichnen. Standen in der Mitte des letzten Jahrhunderts noch das materielle Recht sowie der Verwaltungsrechtsschutz im Vordergrund, rückte in den 1970er Jahren das Verwaltungsverfahren in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Dies wurde als Ausdruck einer Krise des materiellen Verwaltungsrechts und seiner Steuerungsfähigkeit verstanden.7 Mit der Stärkung des Verfahrensgedankens sollte ein Ausgleich zwischen Rechtsschutzfunktion und Effizienz gefunden werden.8 In diesen Zusammenhang ist auch die Kodifikation des VwVfG zu stellen. Letzteres führte zu einer weitgehenden Vereinheitlichung von Verfahrensregeln, jedoch nicht zu einer Vereinheitlichung des Verwaltungsverfahrensbegriffes.9

I. Verfassungsrechtliche Grundlagen des Verwaltungsverfahrens I. Verfassungsrechtliche Grundlagen des Verwaltungsverfahrens

Die Verfassung ist Nahtstelle zwischen Gesellschaft und Staat; erst sie verfasst Gruppen und Individuen zu einem Staatsganzen. Im Bild des Rawlsschen VierStufen-Gangs10 findet die Verfassunggebung auf der zweiten Stufe statt. Sie erfasst die grundlegenden Strukturprinzipien und Institutionen des Staates; die Ausübung politischer Herrschaft wird geregelt.11 Verwaltungsrecht ist demgegenüber konkretisiertes Verfassungsrecht.12 Dies ist keine neue oder überraschende Erkenntnis, sondern ergibt sich aus der Tatsache, dass staatliche Maßnahmen schlussend5

Schmitz, NJW 1998, 2866. Nach Schmidt-Aßmann, Ordnungsidee, Kap. 1, Rn. 10 hat das Verwaltungsrecht gerade auch die Aufgabe, die Verfolgung von Sonderinteressen, die „von Fachverwaltungen und den ihnen zugeordneten Klientelorganisationen nur zu gern in den Mittelpunkt ihrer Aktivitäten gerückt werden“, zu disziplinieren. 7 Pitschas, Verwaltungsstaat in der Krise, in: Konrad (Hrsg.), Grundrechtsschutz und Verwaltungsverfahren, S. 23 (25 f.) m. w. N.; Pünder, in: Erichsen/Ehlers, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 12, Rn. 8; Schmitt Glaeser, Position der Bürger, in: Lerche/Schmitt Glaeser/ Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Verfahren, S. 37 (53 ff.). 8 Ossenbühl, NVwZ 1982, 465 ff.; Pietzcker, VVDStRL 41 (1983), 193 ff.; Wahl, VVDStRL 41 (1983), 151 ff. 9 s. u. Teil 1 B. III. 10 Dazu o. Teil 1 A. II. 2. c). 11 Koller, Moderne Vertragstheorien, in: Brugger (Hrsg.), Legitimation des GG, S. 361 (380 f.). 12 Viel zitiert: Werner, DVBl. 1959, 527 ff.; s. auch Ule/Becker, Verwaltungsverfahren im Rechtsstaat, S. 4. 6

I. Verfassungsrechtliche Grundlagen des Verwaltungsverfahrens

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lich meist in Verwaltungsentscheidungen im Verhältnis zum Bürger konkretisiert werden.13 Es steht dem Verfassungsrecht bedeutend näher als privatrechtliche Regelungen. Damit hat sich auch das Verwaltungsverfahrensrecht an verfassungsrechtlichen Geboten des Grundgesetzes zu orientieren.14 Dazu zählen, neben dem Sozialstaatsgrundsatz15 und der Menschenwürde16, insbesondere das Demokratieund das Rechtsstaatsprinzip.17 Eine besondere Bedeutung haben seit den 1970er Jahren auch die Grundrechte erlangt.18 Das Verwaltungsverfahren steht demnach „an einer Schnittstelle zwischen grundrechtlich-rechtsstaatlichen und demokratischen Verfassungsstrukturen“19.

1. Demokratieprinzip Von fundamentaler Bedeutung für die Ausübung politischer Herrschaft unter dem Grundgesetz ist das Demokratieprinzip. Alle Staatsgewalt ist auf das Volk zurückzuführen, Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG. In Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG kommt die prozedurale Natur des Demokratieprinzips zum Ausdruck.20 Das Volk übt seine Herrschaft v. a. durch Wahlen aus, die nach dem Mehrheitsprinzip entschieden werden.21 Diesem zufolge kann die Minderheit durch die Mehrheitsentscheidung gebunden werden, ohne dass jene aber verpflichtet wäre, die Mehrheitsmeinung anzunehmen.22 Diese Herrschaft der Mehrheit über die Minderheit lässt sich nur über ihre Funktionsweise, d. h. das Entscheidungsverfahren legitimieren. Demokratische Mehrheitsentscheidungen kommen in einem Verfahren offener Kommunikation und Willensbildung zustande23 und erheben keinen Anspruch auf endgültige Richtig13

Kopp, Verfassungsrecht, S. 187; näher sogleich. Pitschas, Verwaltungsstaat in der Krise, in: Konrad (Hrsg.), Grundrechtsschutz und Verwaltungsverfahren, S. 23 (47); Ule, Verwaltungsreform als Verfassungsvollzug, in: Ule u. a. (Hrsg.), FS-Heymanns-Verlag, S. 53 ff. 15 Hill, Verfahren, S. 206; Laubinger, Verfahrensgedanke im Verwaltungsrecht, in: König/ Merten (Hrsg.), Verfahrensrecht, S. 47 (59 f.); Pitschas, Verwaltungsverantwortung, S. 446 ff. 16 Hierzu Kopp, Verfassungsrecht, S. 16 ff. 17 Pitschas, Verwaltungsstaat in der Krise, in: Konrad (Hrsg.), Grundrechtsschutz und Verwaltungsverfahren, S. 23 (48); Bonk/Schmitz, in: Stelkens/Bonk/Stelkens, VwVfG, § 1, Rn. 45. 18 s. u. Teil 1 B. II. 19 Schmidt-Aßmann, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR V, § 70, Rn. 14. 20 Zur Verfassung als prozeduralem Legitimationskonzept Pitschas, Verwaltungsverantwortung, S. 458 ff. 21 Häberle, JZ 1977, 241 ff.; Hillgruber, AöR 127 (2002), 460 ff.; Höfling/Burkiczak, Jura 2007, 561 ff.; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 20, Rn. 15; Sachs, in: Sachs, GG, Art. 20, Rn. 21 ff. 22 BVerfGE 2, 143 (172); Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 20, Rn. 3. 23 Daher ist keine demokratische ohne grundrechtliche Freiheit denkbar, Starck, in: Isensee/ Kirchhof (Hrsg.), HStR III³, § 33, Rn. 13. 14

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Teil 1, B. Prozeduralisierung im (Verwaltungs-)Recht

keit.24 Als lediglich „temporäre Fixierung“25 legitimiert sich die Mehrheitsentscheidung gegenüber der Minderheit, indem sie ihr die Chance erhält, in der Zukunft die Mehrheit zu erringen. Dieses zeitliche Element hat auch schon sehr früh Aufnahme in die Rechtsprechung des BVerfG gefunden: Es sei eine „Grundanschauung der freiheitlichen Demokratie, daß nur die ständige geistige Auseinandersetzung (…) der richtige Weg zur Bildung des Staatswillens ist“26. Das Demokratieprinzip weist damit deutliche diskursive Elemente auf: Staatsherrschaft begründet sich aus fortgesetztem Meinungswettstreit.27 Zwar kommen die verfassungsrechtlichen Verfahren, wie Verfassungsänderung, Wahl und Gesetzgebung, zu Ergebnissen, die eben auf einer Mehrheitsentscheidung beruhen. Diese gelten aber nicht als zeitlos richtig, sondern unterliegen aufgrund ihrer Abänderbarkeit einem dauernden Rechtfertigungsdruck.28 Allerdings gilt diese Abänderbarkeit unter dem Demokratieprinzip nicht absolut. Insbesondere die demokratischen Verfahrensregeln selbst müssen als Funktionsbedingungen erhalten bleiben. Darüber hinaus wirkt sich auch das Rechtsstaatsprinzip prädeterminierend auf die demokratische Grundordnung aus.29 In der Demokratie legitimiert allein der Volkswille die Staatsgewalt, Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG. Das Volk ist verfassunggebende Gewalt.30 Von ihm muss sich jede staatliche Gewalt ableiten lassen. Für die Legislative ist dies besonders augenfällig; aber auch für Exekutive und Judikative stellt sich nicht die grundsätzliche Frage der Legitimationsquelle, sondern lediglich des Legitimationsniveaus.31 Demokratisch entstandene Gesetze müssen in Einzelfallentscheidungen zur Anwendung gebracht werden. Auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts handelt es sich dabei meist um Verwaltungsentscheidungen, i. d. R. Ergebnisse eines Verwaltungsverfahrens. Dieses stellt die Verbindung zwischen der demokratisch legitimierten generell-abstrakten Norm und der individuell-konkreten Anwendung her.32 Die Exekutive vollzieht nicht bloß den gesetzgeberischen Willen, sie muss ihn umsetzen.33 24

Hierzu Dreier, in: Dreier, GG, Art. 20, Rn. 76 ff. Dreier, in: Dreier, GG, Art. 20, Rn. 78. 26 BVerfGE 5, 85 (135). 27 Dreier, in: Dreier, GG, Art. 20, Rn. 76; Hillgruber, AöR 127 (2002), 460 (465 f.). 28 Die bloße temporäre Fixierung durch demokratische Gesetzgebung kommt auch in dem Grundsatz „No parliament can bind its successor“ der britischen parliamentary sovereignty zum Ausdruck; hierzu Bradley, Sovereignty of Parliament, in: Jowell/Oliver (Hrsg.), The Changing Constitution, S. 21 (28 ff.). 29 Zu den inhärenten und externen Grenzen des Demokratieprinzips vgl. Hillgruber, AöR 127 (2002), 460 (465 ff.). 30 Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 20, Rn. 1. 31 BVerfGE 49, 89 (125); E 83, 60 (71 f.); Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 20, Rn. 74 ff.; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 20, Rn. 9 ff.; Pieroth, EuGRZ 2006, 330 (333); Schmidt-Aßmann, AöR 116 (1991), 329 (337 ff.). 32 Pitschas, Verwaltungsstaat in der Krise, in: Konrad (Hrsg.), Grundrechtsschutz und Verwaltungsverfahren, S. 23 (34 f.); Schmidt-Aßmann, Verfahrensgedanke, in: Lerche/Schmitt Glaeser/Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Verfahrensgedanke, S. 1 (12). 33 Schmidt-Aßmann, AöR 116 (1991), 329 (364). 25

I. Verfassungsrechtliche Grundlagen des Verwaltungsverfahrens

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Allerdings werden Reichweite und Struktur dieser Beeinflussung unterschiedlich gesehen. T. d. L. gehen von einer prägenden Wirkung auf die Verfahrensgestaltung, gerade in Bezug auf Beteiligungsrechte,34 aus. Problematisch ist aber, ob diese eine Legitimations-35 oder lediglich eine Akzeptanzsteigerung36 mit sich bringt. Insbesondere Kopp37 hat, beispielhaft für die ausgedehnten Demokratisierungstendenzen der 1970er Jahre, mit dem Demokratieprinzip recht weit gehende Vorgaben für das Verfahren verbunden. Er geht von einer Mitverantwortung der betroffenen Bürger für das öffentliche Geschehen aus. Um diese Verantwortung effektiv wahrnehmen zu können, müssten diese mit Teilnahmerechten ausgestattet werden.38 Dazu gehöre zunächst ein Anhörungsrecht, dass nicht nur der Sachverhaltsaufklärung, sondern auch der Erforschung der „allgemeinen Anschauungen“39 diene. In der Auseinandersetzung zwischen Behörde und Bürger könne auf die bestmögliche Lösung hingearbeitet werden.40 Eine wirksame Kontrolle durch die Gesellschaft könne weiter nur bei einem ausreichenden Maß an Publizität erreicht werden. Daher sei jedenfalls für Beteiligte ein Akteneinsichtsrecht zu fordern, dass auch maßvoll auf eine breite Öffentlichkeit ausgedehnt werden könnte.41 Schließlich lasse sich aus dem Demokratieprinzip eine Begründungspflicht der Verwaltung ableiten. Die Entscheidungsbegründung stelle den Abschluss des Verfahrens und damit auch der Auseinandersetzung mit dem Standpunkt des Bürgers dar. Nur mittels einer Begründung werde für den Bürger ersichtlich, ob sein Vorbringen adäquat berücksichtigt worden ist; damit ist sie auch für einen effektiven Rechtsschutz unerlässlich.42 Dieses Verständnis des Demokratieprinzips soll einen Kontrast der grundgesetzlichen Ordnung zu früheren totalitären oder monarchischen Strukturen deutlich werden lassen. Die heute wohl h. M. sieht die Funktion des Demokratieprinzips nicht weniger grundlegend, aber doch insgesamt zurückgenommen. Die Forderung nach bestimmten Verfahrensgestaltungen in Bezug auf Teilnahmerechte43 ist nicht gänz34

Ausführlich Fisahn, Demokratie und Öffentlichkeitsbeteiligung, S. 216 ff. Hill, Verfahren, S. 206 m. w. N. 36 s. Würtenberger, NJW 1991, 257 (261). 37 Kopp, Verfassungsrecht, 1971. 38 Kopp, Verfassungsrecht, S. 181 ff. 39 Kopp, Verfassungsrecht, S. 189. 40 Damit legt Kopp seinem Verständnis des Verwaltungsverfahrens einen diskursiven Ansatz zugrunde. Die Einlassungen der Betroffenen sollen nicht nur i. R. d. pflichtgemäßen Ermessens Beachtung finden, sondern einen argumentativ-sachlichen Austausch auf Augenhöhe ermöglichen. Die Entscheidungsmacht bleibt dabei allerdings bei der staatlichen Behörde, Kopp, Verfassungsrecht, S. 188. Auf einen tatsächlichen Konsens ist sie damit nicht angewiesen. 41 Kopp, Verfassungsrecht, S. 191 ff. 42 Kopp, Verfassungsrecht, S. 194 ff.; unter Berufung auf die Akzeptanz fördernde Wirkung des Verwaltungsverfahrens i. E. ebenso Pünder, in: Erichsen/Ehlers, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 12, Rn. 14. 43 Hierzu Starck, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR III³, § 33, Rn. 42 ff.; Ule/Laubinger, Verwaltungsverfahrensrecht, § 1, Rn. 11. 35

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Teil 1, B. Prozeduralisierung im (Verwaltungs-)Recht

lich aufgegeben worden. Gerade die Publizität44 wird weiterhin als „demokratisches Grundanliegen“45 begriffen, welches auch für die Exekutive gelte46. Eng damit verbunden sind Anforderungen an die Transparenz demokratischer Vorgänge. Nur wenn die Öffentlichkeit diese nachvollziehen kann, ist das Zusammenspiel von Mehrheit und Minderheit aufrechtzuerhalten. Transparente Meinungsbildungs- und Entscheidungsverfahren gehören zu den Funktionsvoraussetzungen der Demokratie. Nur sie eröffnen die nachvollziehbare Chance, der eigenen Überzeugung zur Mehrheit verhelfen zu können.47 Differenzierter wird aber die Stellung des einzelnen Bürgers im Verwaltungsverfahren gesehen.48 Dieser sei als Teil des Staatsvolkes nicht per se Vertreter des Allgemeinwohls, sondern zunächst Vertreter seiner eigenen Individualinteressen. Dadurch könnten diese im Vergleich zu den Allgemeininteressen im Verfahren zu sehr in den Vordergrund rücken.49 Zur Verfolgung der Gemeinschaftsinteressen sei die – demokratisch legitimierte – Exekutive verpflichtet.50 Ihr obliege es daher, Beteiligte und Öffentlichkeit dergestalt in das Verwaltungsverfahren einzubinden, dass das Ergebnis dem Allgemeinwohl diene. Den dargelegten Überlegungen ist zuzustimmen. Die demokratische Legitimation des Verwaltungsverfahrens speist sich nicht aus der möglichst umfassenden Beteiligung der Betroffenen. Diese kann auch zu Verwerfungen bei den demokratischen Mitwirkungsmöglichkeiten des Einzelnen führen. Denn die Betroffenen sind nicht „das Volk im Besonderen“, sondern daran interessiert eigene Partikularinteressen durchzusetzen.51 Weit reichende Mitwirkungs- oder gar Mitbestimmungsrechte aus dem Demokratieprinzip abzuleiten, hieße, diese Staatszielbestimmung zu überdehnen.52 Eine adäquate Mitwirkung Betroffener am Verwal44

„Erosionsprozesse“ befürchtet Kühling, DVBl. 2008, 1098 (1100 ff.). Pieroth, Verfassungsrecht der Öffentlichkeit, in: Erbguth (Hrsg.), FS-Hoppe, S. 195 (197). 46 Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 20, Rn. 13. 47 Zum Zusammenhang von Transparenz und Mehrheitsprinzip Bröhmer, Transparenz, S. 134 ff. sowie umfassend zum Verhältnis zum Demokratieprinzip S. 38 ff. 48 Zur Unterscheidung von Transparenz und Publizität vgl. Hufen, Fehler, Rn. 52. 49 So auch Sommermann, in: Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 20 Abs. 1, Rn. 79. Schon die Begründung des Regierungsentwurfs zum VwVfG hat den Ausgleich „zwischen den Interessen des Gemeinwesens und den Interessen des Individuums“ als Aufgabe des Verwaltungsverfahrens gesehen, BT-Drs. 8/910, S. 29. 50 Laubinger, Verfahrensgedanke im Verwaltungsrecht, in: König/Merten (Hrsg.), Verfahrensrecht, S. 47 (59); Pieroth, Verfassungsrecht der Öffentlichkeit, in: Erbguth (Hrsg.), FSHoppe, S. 195 (197). 51 Mit etwas anderer Blickrichtung urteilte das BVerfG im ersten Urteil zum Ausländerwahlrecht (BVerfGE 83, 37 [51]): „Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG hat daher nicht zum Inhalt, dass sich die Entscheidungen der Staatsgewalt von den jeweils Betroffenen her zu legitimieren haben; vielmehr muß die Staatsgewalt das Volk als eine zur Einheit verbundene Gruppe von Menschen zu ihrem Subjekt haben.“ 52 Pieroth, Verfassungsrecht der Öffentlichkeit, in: Erbguth (Hrsg.), FS-Hoppe, S. 195 (198); Schmidt-Aßmann, AöR 116 (1991), 329 (375 f.). 45

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tungsverfahren sicherzustellen ist hingegen eine Aufgabe, die den Grundrechten zuzuordnen ist.53 2. Rechtsstaatsprinzip Weitaus konkretere Anforderungen stellt nach ganz h. M. das Rechtsstaatsprinzip an das Verwaltungsverfahren.54 Bei der Umsetzung von Gesetzen muss es Rechtssicherheit, d. h. „einen geregelten Verlauf des Rechtsfindungsverfahrens“55 bieten. Nicht nur in der materiell-rechtlichen Entscheidung, sondern auch im Verwaltungsverfahren manifestiert sich die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung gem. Art. 20 Abs. 3 GG. Denn dort muss die Behörde den Einzelfall unter den Tatbestand abstrakt-genereller Normen subsumieren.56 Diese rechtswahrende Funktion erfüllt das Verwaltungsverfahren durch „Konkretisierung, Spezialisierung und Individualisierung eines zunächst in seinen Auswirkungen auf Rechte und Interessen häufig noch konturenunscharfen Problems“57. Diese Sachverhaltsaufklärung ist vielfach nur durch Zuziehung Betroffener zu erreichen, um der Verwaltung die notwendigen Informationen zugänglich zu machen. Dem Rechtsstaatsprinzip wird daher ein Anhörungs-58 und Akteneinsichtsrecht für Betroffene ebenso wie der Untersuchungsgrundsatz59 entnommen.60 Um die Rechtsumsetzung zu gewährleisten, muss das Verfahren auch von unparteiischen Amtsträgern durchgeführt werden (Unparteilichkeitsgrundsatz).61 Daneben tritt die Forderung nach einer Begründungspflicht.62 Als Konsequenz aus dem Rechtsstaatsprinzip stellt sie sich aus zwei Erwägungen dar: Zum einen 53

Ebenso Sommermann, in: Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 20 Abs. 1, Rn. 77. BVerfGE 42, 64 (73); E 46, 325 (333). S. auch Schmidt-Aßmann, Ordnungsidee, Kap. 2, Rn. 68. 55 BVerfGE 2, 380 (403); s. auch BVerfGE 86, 288 (327); Kopp, Verfassungsrecht, S. 61. 56 Kopp, Verfassungsrecht, S. 62; Pünder, in: Erichsen/Ehlers, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 12, Rn. 11; Schmidt-Aßmann, Ordnungsidee, Kap. 2, Rn. 16 f. 57 Wahl, VVDStRL 41 (1983), 151 (161). 58 Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 20, Rn. 31a. 59 Speziell zu diesem im Verhältnis zum Vorbehalt des Gesetzes Holoubek, Rechte, Lasten und Pflichten von Beteiligten und Behörden, in: Hoffmann/Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Verwaltungsverfahren, S. 193 (194 ff.). 60 Kopp, Verfassungsrecht, S. 70 ff., 83 ff.; Laubinger, Verfahrensgedanke im Verwaltungsrecht, in: König/Merten (Hrsg.), Verfahrensrecht, S. 47 (58); Pünder, in: Erichsen/Ehlers, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 12, Rn. 11; Spanner, DÖV 1958, 951 (653); Ule/Laubinger, Verwaltungsverfahrensrecht, § 1, Rn. 8 und § 3, Rn. 12; in Bezug auf das gerichtliche Verfahren für eine Ableitung des Rechts auf Gehör aus dem Rechtsstaatsprinzip BVerfGE 9, 89 (95). 61 Kopp, Verfassungsrecht, S. 88 f.; Pünder, in: Erichsen/Ehlers, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 1, Rn. 11. 62 Kischel, Begründung, S. 64 ff. m. w. N.; Kopp, Verfassungsrecht, S. 90 ff.; Laubinger, Verfahrensgedanke im Verwaltungsrecht, in: König/Merten (Hrsg.), Verfahrensrecht, S. 47 (58); Pünder, in: Erichsen/Ehlers, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 1, Rn. 11.; Ule/Laubinger, Verwaltungsverfahrensrecht, § 1, Rn. 10. 54

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Teil 1, B. Prozeduralisierung im (Verwaltungs-)Recht

macht die Verpflichtung, die eigene Entscheidung zu begründen, eine tatsächliche Auseinandersetzung des Entscheidungsträgers mit der gesamten Sach- und Rechtslage sowie dem Vorbringen der Beteiligten notwendig. Die Behörde muss „sich gewissermaßen selbst Rechenschaft über ihr Handeln und seine Übereinstimmung mit Gesetz und Recht geben“63. Zum anderen steigert die Begründung die Transparenz der Entscheidung. Erst die (schriftlich) fixierte Begründung ermöglicht es einer breiten Öffentlichkeit, sich über die Legitimität einer Entscheidung eine Meinung zu bilden.64 Ein gewisses Maß an Publizität ist damit eine der Grundvoraussetzungen der Transparenz.65 Das Rechtsstaatsprinzip in Gestalt des Gesetzesvorbehalts bietet also weitaus konkretere Anknüpfungspunkte für die Gestaltung von Verwaltungsverfahren als das Demokratieprinzip. Diese Konsequenzen sind notwendig, um die materiellrechtlich normierten Vorgaben im Verwaltungsverfahren Wirklichkeit werden zu lassen. Je dünner aber die gesetzlichen Vorgaben für die Verwaltung und je größer die Rolle prozeduraler Elemente bei der Rechtsanwendung sind, desto schwächer wird die Leistung des Gesetzesvorbehalts für die Verfahrensgestaltung. Insoweit dürfte der Schwerpunkt der verfassungsrechtlichen Vorgaben bei den Grundrechten zu suchen sein, da diese die Position des einzelnen Betroffenen in den Blick nehmen.66

II. Insbesondere: Verfahrensdimension der Grundrechte II. Insbesondere: Verfahrensdimension der Grundrechte

„Der einzelne ist, weil er Person ist, nur begrenzter Gewalt unterworfen.“67 Diese Feststellung von Georg Jellinek ist bezeichnend für das ursprüngliche Bild von den Grundrechten: Als Abwehrrechte gegen den Staat68 sichern sie einen individuellen Freiheitsraum.69 Erst nach und nach hat die Dogmatik in Bezug auf verschiedene „Funktionen“ der Grundrechte eine Differenzierung erfahren:70 Die Diskussion um die Reichweite der Schutzpflichten dauert bis heute an.71 63

Kopp, Verfassungsrecht, S. 90; ähnlich auch Hufen, Fehler, Rn. 295. Kopp, Verfassungsrecht, S. 91; zu beiden Begründungsansätzen Ule/Laubinger, Verwaltungsverfahrensrecht, § 1, Rn. 10. Zu der Rechtsschutz sichernden Funktion der Begründungspflicht s. sogleich; umfassend zu den Funktionen der Begründung Kischel, Begründung, S. 39 ff. 65 Für das Vergabeverfahren u. Teil 2 A. VI. 4. c) aa). 66 Ähnlich Pieroth, Verfassungsrecht der Öffentlichkeit, in: Erbguth (Hrsg.), FS-Hoppe, S. 195 (199), der den Schwerpunkt insgesamt auf die Grundrechte und Art. 19 Abs. 4 GG legt. 67 Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 419. 68 BVerfGE 7, 198 (204 f.); E 20, 150 (154 ff.); E 68, 193 (205). 69 Dreier, in: Dreier, GG, Vorb., Rn. 66, spricht von „Reaktionsansprüchen“; vgl. auch Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 58; allg. Schlink, EuGRZ 1984, 357. 70 Diese „Dichotomie“ oder „Multidimensionalität“ ist jedoch nicht gänzlich unumstritten, vgl. Lindner,Grundrechtsdogmatik, S. 431; gegen einen abwehrrechtlichen „Monismus“ aber schon Dolderer, Grundrechtsgehalte, S. 71 ff. 71 Überblick bei Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 20, Rn. 5 ff.; Lindner,Grundrechtsdogmatik, S. 19 (Fn. 78) spricht gar von „Multidimensionalisierung“ und „Dimensionskumulation“. 64

II. Insbesondere: Verfahrensdimension der Grundrechte

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Die Vorstellung von einer verfahrensgestaltenden oder -determinierenden Wirkung der Grundrechte begann erst in der Rechtsprechung und Literatur der 1970er und 1980er Jahre Formen anzunehmen.72 Diese Entwicklung soll hier kurz nachgezeichnet werden.

1. Abwehrfunktion Grundrechte dienen im Gefüge des Grundgesetzes zuerst der Abwehr staatlicher Eingriffe.73 Klassisch ist in diesem Zusammenhang das „Lüth-Urteil“ des Bundesverfassungsgerichts zu nennen. Tatsächlich hat das Gericht dort ausdrücklich die herausgehobene Stellung der abwehrrechtlichen Funktion der Grundrechte betont.74 Die Grundrechte geben damit dem Einzelnen subjektive negatorische Rechte gegen den Staat. Gleichzeitig ist darin aber auch eine Einschränkung zu sehen: Die Grundrechte kommen nur da zum Tragen, wo ein Betroffener dem handelnden Staat gegenübersteht, die Grundrechtsbeeinträchtigung also vom Staat ausgeht.75 Die Betätigung Privater76 wird zunächst nicht tangiert.

2. Schutzfunktion Neben der Abwehrfunktion werden den Grundrechten auch Schutzpflichten des Staates bzw. Schutzgewährrechte der Bürger77 entnommen. Unter dem Begriff der Schutzpflichten werden Situationen zusammengefasst, die über die bipolare Abwehrfunktion hinausgehen, d. h. das unmittelbare Staat-Bürger-Verhältnis verlassen78. Der Staat wird durch die Grundrechte in einem mehrpoligen Verfassungsverhältnis79 zum Handeln verpflichtet.80 Zum Schutz einiger weniger Grundrechte fordert schon deren Wortlaut staatliche Aktivität, so Art. 1 Abs. 1 S. 2 und Art. 6 Abs. 1 und 4 GG. Darüber hinaus sind staatliche Schutzpflichten als abstrakte Grundrechtsfunktion, also für alle Grundrechte, anerkannt. 72

Hervorzuheben Häberle, VVDStRL 30 (1972), 43. Zur historischen Entwicklung ausgehend von einer objektiv-rechtlichen Funktion der Grundrechte s. Dreier, Dimensionen, S. 27 ff.; Stern, StaatsR III/1, S. 477 ff.; aktuell Cornils, Ausgestaltung, S. 36 f. Zur zentralen Bedeutung der Abwehrfunktion für die Grundrechtsdogmatik Cremer, Freiheitsgrundrechte, S. 66 ff. 74 BVerfGE 7, 198 (204 f.); s. auch BVerfGE 50, 290 (337). 75 Jarass, in: Merten/Papier (Hrsg.), HbGR II, § 38, Rn. 17 ff. 76 Zu den Grenzfällen vgl. Cremer, Freiheitsgrundrechte, S. 74 m. w. N. 77 Zum Begriff Kingreen, Sozialstaatsprinzip, S. 133; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 82/83. 78 Böckenförde, Der Staat 29 (1990), 1 (7). 79 Zum Begriff Calliess, JZ 2007, 321 ff. 80 Umfassend zum Ganzen Dietlein, Grundrechtliche Schutzpflichten; Isensee, in: Isensee/ Kirchhof (Hrsg.), HStR V, § 111, Rn. 1 ff.; s. auch Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 415 ff. 73

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Teil 1, B. Prozeduralisierung im (Verwaltungs-)Recht

Im Lüth-Urteil spricht das Bundesverfassungsgericht zum ersten Mal von einer objektiven Wertordnung, die das Grundgesetz gerade mit dem Grundrechtsteil aufgerichtet habe.81 Damit geht das Gericht schon 1958 über die auf ein reines Abwehrdenken reduzierte Perspektive hinaus. Auch außerhalb dieser Konstellation sollen die Grundrechte Wirkung in der Rechtsanwendung entfalten.

a) Schutz vor Gefahren Als Ausgangspunkt der Lehre von den Schutzpflichten gilt das erste Urteil des BVerfG zum Schwangerschaftsabbruch.82 Hier war das ungeborene Kind durch den Staat vor Dritten zu schützen. Diese Konstruktion wurde durch die Rechtsprechung des Gerichts konsequent weiterentwickelt83 und in der Literatur übernommen.84 Die Beeinträchtigung einer grundrechtsgeschützten Position eines Bürgers geht in diesen Fallgestaltungen nicht vom Staat, sondern von Privaten, ausländischen staatlichen Stellen oder Naturgewalten aus.85 Der Staat ist also nicht gehalten, eigene Eingriffe zu unterlassen, sondern solche „Dritter“ zu verhindern oder ihnen gar vorzubeugen.86 Der Schutzbegriff ist so zu verstehen, dass der Grundrechtsträger ein Recht auf Schutz auch vor staatsexternen Beeinträchtigungen hat, d. h. solchen, die nicht vom Grundrechtsadressaten ausgehen. Dem Schutz vor Gefahren kommt in der modernen Grundrechtsdogmatik ein hoher Stellenwert zu: Verhindert der Staat Beeinträchtigungen der Grundrechte eines Bürgers durch private Dritte, beschränkt er damit zwingend die Freiheit eines anderen.87 Zu ihrer wirksamen Durchsetzung benötigen Schutzrechte demnach korrespondierende Schutzermächtigungen. Schon hier zeigen sich die weit reichenden Folgen dieser Diversifizierung der Grundrechte. Die Lehre von den Schutzpflichten trägt mit dazu bei, dass Grundrechte in der deutschen Dogmatik des öffentlichen Rechts eine weitaus größere Rolle spielen als in anderen Ländern.88 81

BVerfGE 7, 198 (204 f.). BVerfGE 39, 1; schon angedeutet in BVerfGE 1, 97 (104 f.). 83 Überblick der sachlichen Zusammenhänge bei Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 94. 84 Ausführlich zur Rspr. des BVerfG s. Szczekalla, Sog. grundrechtliche Schutzpflichten, S. 92 ff.; m. w. N. zur Literatur Hermes, Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, S. 58 ff. 85 Manssen, Grundrechte, Rn. 50. 86 Zu dieser Dreieckssituation anschaulich Calliess, in: Merten/Papier (Hrsg.), HbGR II, § 44, Rn. 18; Mielitz, Kindesabgabe, S. 172 f. 87 Zur Notwendigkeit einer gesetzlichen Grundlage vgl. Szczekalla, Sog. grundrechtliche Schutzpflichten, S. 258 ff. Zum Zusammenhang von Abwehr- und Schutzfunktion Calliess, in: Merten/Papier (Hrsg.), HbGR II, § 44, Rn. 29. 88 Vgl. hierzu Krings, Grund und Grenzen grundrechtlicher Schutzansprüche, S. 87 ff.; Wahl, Herausforderungen und Antworten, S. 35 ff. 82

II. Insbesondere: Verfahrensdimension der Grundrechte

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b) Schutz durch Teilhabe Neben dem Schutz vor staatsexternen Beeinträchtigungen ergeben sich aus den Grundrechten auch Teilhaberechte.89 Diese werden im Schrifttum zunehmend den Schutzrechten zugeordnet.90 Dies umfasst Situationen, in denen der Grundrechtsträger für die Wahrnehmung seiner Grundrechte auf die Teilhabe an staatlichen Einrichtungen oder Systemen angewiesen ist. Von besonderer Bedeutung ist diese Schutzfunktion für die Wissenschaftsfreiheit91 oder die Ausbildungsfreiheit92. Hier spielen insbesondere Gleichheitsaspekte eine wichtige Rolle. Das Teilhaberecht zielt nicht auf einen bestimmten Erfolg, wie die Unterlassung eines Eingriffs, sondern auf eine gleichberechtigte Teilhabe. Der Schutz durch Teilhabe weist einen engen Zusammenhang mit der Verfahrensdimension der Grundrechte auf.93

3. Verfahrensdimension der Grundrechte a) Allgemeines Die oben dargestellten Funktionen der Grundrechte haben gezeigt, dass der Anwendungsbereich der Grundrechte über das materielle Abwehrrecht hinausgeht. Die Grundrechte des Grundgesetzes stellen einen prägenden Faktor der deutschen Rechtsordnung dar. Die moderne Rechts- und Wirtschaftsordnung ist in zunehmendem Maße von komplexen und prognostischen Entscheidungen geprägt. Der technische Fortschritt einerseits und die Verflechtung von Staat, Gesellschaft und Wirtschaft andererseits machen Instrumente notwendig, um diese Entscheidungen auf ein verlässliches Fundament zu stellen. Durch diese Entwicklung können auch Grundrechte verstärkt tangiert werden. Beispielhaft hierfür sind neue, gefahrgeneigte oder belastende Technologien und Großprojekte: Der Bau eines Kernkraftwerkes oder Großflughafens kann intensiveren Einfluss auf mehr Menschen in einem größeren Gebiet haben als dies bei kleineren, lokalen Vorhaben der Fall ist. Der Gesetzgeber ist in solchen Fällen berufen, alle betroffenen Interessen in Einklang zu bringen. Statt allein materielle Voraussetzungen aufzustellen, die oftmals schwer zu finden und zu bewerten sind, bieten sich besondere Verfahren an. Diese zielen darauf ab, die notwendigen Informationen sowie die betroffenen 89 Nicht zu verwechseln mit den Teilnahmerechten i. S. d. status activus, Stark, in: Mangoldt/ Klein/Starck, GG, Art. 1 Abs. 3, Rn. 186. 90 Jarass, in: Merten/Papier (Hrsg.), HbGR II, § 38, Rn. 22 ff.; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 88 ff. 91 BVerfGE 56, 192 (211); E 95, 193 (211 ff.). 92 BVerfGE 33, 303 (311 f.); E 85, 36 (53 f.). 93 Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 88.

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Interessen zu erfassen und angemessen in die Entscheidungsfindung einzubringen.94 Die Informations- und Partizipationsmöglichkeiten der Bürger spielen dabei eine wichtige Rolle.95 In dem Maße wie der Staat auf verschiedene Bereiche – Technik, Soziales, Wirtschaft – vermehrt Einfluss nahm oder die Sensibilität für solche Einflussnahme wuchs, stieg auch die Bedeutung der entsprechenden Verfahren.

b) Rechtsprechung des BVerfG Die prozedurale oder verfahrensrechtliche Dimension96 der materiellen Grundrechte fand ihren ersten Ausdruck in Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts. Hier stehen v. a. die Art. 2 Abs. 3, Art. 3, Art. 12, Art. 14 und Art. 16 GG im Vordergrund.

aa) Erste Ansätze Ausgehend von der Deichbau-Entscheidung97 soll die Entwicklung der Rechtsprechung nachgezeichnet werden. Das Urteil gehört zum Kanon der Verfassungsrechtsprechung im Bereich des Art. 14 GG.98 Es hebt nicht nur die Bedeutung des persönlichen Eigentums für die Freiheit des Einzelnen hervor.99 Gleichzeitig betont es den Zusammenhang zwischen der Grundrechtsverwirklichung und dem zur Verfügung stehenden verfahrensrechtlichen Schutz. Ein bestehendes Grundrecht müsse auch durchsetzbar sein.100 Die Durchsetzbarkeit ist zunächst nur auf das gerichtliche Verfahren bezogen. Ein Recht auf effektiven Rechtsschutz ergebe sich nicht ausschließlich aus Art. 19 Abs. 4 GG, sondern auch aus dem betroffenen materiellen Grundrecht selbst.101 Dieser Gedanke wird in späteren Entscheidungen für andere Grundrechte, zunächst Art. 12102 und Art. 2 Abs. 2 GG103, fruchtbar gemacht. Über den gerichtlichen Rechtsschutz hinaus wird zunächst das Zwangsvollstreckungsverfahren von dieser 94

s. z. B. §§ 7, 9b AtG; §§ 5 ff. UVPG. Hierzu bes. Schmitt Glaeser, Position der Bürger, in: Lerche/Schmitt Glaeser/SchmidtAßmann (Hrsg.), Verfahren, S. 37 ff. 96 Vgl. zum Begriff Dreier, in: Dreier, GG, Vorb., Rn. 106. 97 BVerfGE 24, 367. 98 s. nur Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 893. 99 BVerfGE 24, 367 (389). 100 BVerfGE 24, 367 (401); E 41, 251 (265); E 84, 34 (45). 101 Zu Art. 14 Abs. 1 GG s. ebenfalls BVerfGE 35, 267 (276 ff.); E 35, 348 (361); E 37, 132 (148); E 45, 297 (322); E 46, 325 (334); E 49, 220 (235); E 51, 150. 102 Vgl. BVerfGE 39, 276 (294); E 41, 251 (265); E 44, 105 (119 ff.); E 48, 292 (297 f.); E 50, 16 (30). 103 Hierzu BVerfGE 51, 324; E 52, 214 (219); zu Art. 16 GG s. BVerfGE 52, 391 (408). 95

II. Insbesondere: Verfahrensdimension der Grundrechte

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Rechtsprechung erfasst. Dieses diene der Findung „richtiger, (…) gerechter Entscheidungen“ im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 und Art. 14 GG.104 Ein Recht auf effektiven Rechtsschutz müsse sich daher bereits aus der Eigentumsfreiheit ergeben.105

bb) Gestaltung des Verwaltungsverfahrens Bald übertrug das Gericht diese Überlegung auf das Verwaltungsverfahren.106 Die Auswirkung der Grundrechte beschränke sich nicht auf die Möglichkeit, effektiven Rechtsschutz zu erlangen, sondern beeinflusse auch die Gestaltung des behördlichen Verfahrens, soweit die behördliche Entscheidung ein Grundrecht berühre.107 Damit fordert das Gericht eine frühzeitige Beachtung der Grundrechte schon im Vorfeld der Verwaltungsentscheidung. Der Entscheidung lag eine mündliche Prüfung i. R. d. ersten juristischen Staatsprüfung zugrunde. Der Prüfling hatte im mündlichen Teil der Wiederholungsprüfung die an ihn gerichteten Fragen nahezu alle nicht beantwortet. Alle vier Prüfungsfächer wurden daher mit „ungenügend“ bewertet. Dies allein hätte zum Bestehen der Staatsprüfung ausgereicht. Der Ausschuss erklärte die Prüfung jedoch für insgesamt nicht bestanden, da sich der Kandidat über eine bloße Anwesenheit hinaus nicht an der Prüfung beteiligt habe. Dieses Verhalten sei als Unterbrechung der Prüfung zu werten, was wiederum gem. § 24 Abs. 4 Hamburgische Juristenausbildungsordnung (HbJAO) das endgültige Nichtbestehen der ersten juristischen Staatsprüfung nach sich zog.108 Das BVerfG kam zu dem Ergebnis, dass dieses Verhalten des Prüfungsausschusses mit Art. 12 Abs. 1 GG nicht vereinbar sei. § 24 Abs. 4 HbJAO treffe keine Regelung über die inhaltlichen Prüfungsanforderungen und die Bewertung von Prüfungsleistungen, sondern sei eine Vorschrift über das Prüfungsverfahren. Das Nichtbestehen sei nicht Ergebnis einer Leistungsbewertung, sondern habe die Rechtsnatur einer Sanktion.109 Das Gericht maß jedoch nicht die Verfahrensvorschrift selbst an der Berufsfreiheit, sondern ihre Anwendung durch die Prüfungskommission im konkreten Verfahren. Es stellte fest, dass „der Einfluß dieses Grundrechts auf die Verfahrensgestaltung außer acht geblieben“110 sei. Die Auswirkungen des Grundrechts beschränkten sich nicht auf das Verfahren der gerichtlichen Überprüfung, sondern 104 105 106

BVerfGE 42, 64 (73); E 46, 325 (333). BVerfGE 46, 325 (334). BVerfGE 52, 380 (Schweigender Prüfling); bestätigt in BVerfGE 84, 34 (45); E 84, 59

(72). 107 108 109 110

BVerfGE 52, 380 (390). BVerfGE 52, 380 (381 f.). BVerfGE 52, 380 (389). BVerfGE 52, 380 (389).

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beeinflussten auch „die Gestaltung des behördlichen Verfahrens, soweit die behördliche Entscheidung ein Grundrecht“111 berühre. Entsprechend hätte die Prüfungskommission den Prüfling bereits während der Prüfung darauf hinweisen müssen, dass sein Verhalten als Unterbrechen i. S. d. Sanktionsvorschrift des § 24 Abs. 2 HbJAO gewertet werden könnte. Da dies nicht geschehen sei, habe der Kandidat darauf vertrauen können, nach materiellen Gesichtspunkten, d. h. mit „ungenügend“ bewertet zu werden. Ohne diesen rechtzeitigen Hinweis sei ihm eine entsprechende Risikoabwägung jedoch nicht möglich gewesen. Das BVerfG hat mit dieser Rechtsprechung einen weiteren Schritt in Richtung Prozeduralisierung des Grundrechtsschutzes getan. Stand bisher die Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes im Vordergrund, hat das Gericht dem Verwaltungsverfahren in dieser Entscheidung eine eigenständige Bedeutung zuerkannt. Aus Art. 12 Abs. 1 GG leitete es eine Pflicht für die Gestaltung des Verwaltungsverfahrens ab. Die Verwaltung hat ihre Verfahren auch jenseits einer gesetzlichen Regelung so auszugestalten, dass sie die Grundrechte Betroffener nicht verletzt. Die buchstäbliche Einhaltung des gesetzlich normierten Verwaltungsverfahrens allein reicht somit nicht aus. Die Verwaltung ist darüber hinaus verpflichtet, ihr Handeln grundrechtsschonend zu gestalten, wenn hierdurch Grundrechtsverletzungen verhindert werden können. Insbesondere können Betroffene nicht in jedem Fall auf den Rechtsweg verwiesen werden. Das Verwaltungsverfahren hat als Entscheidungsfindungsprozess einen Selbstwert, der nicht in jedem Fall durch nachfolgenden Rechtsschutz wiederhergestellt werden kann. Im vorliegenden Fall ergab sich dieser Selbstwert aus der nicht wiederherzustellenden Reaktionsmöglichkeit des Prüflings. Wäre er darauf hingewiesen worden, dass seine mangelhafte Mitwirkung als Prüfungsunterbrechung ausgelegt werden könnte, hätte er sein Verhalten ändern können. In diesem partizipativen Element des Verwaltungsverfahrens kommt seine eigenständige prozedurale Bedeutung zum Tragen. Das Verfahrensergebnis kommt in einem Prozess zustande, der sich in vielen Fällen nicht beliebig wiederholen oder durch gerichtliche Handlungen ersetzen lässt.

cc) Auslegung von Verfahrensvorschriften (1) Mülheim-Kärlich-Beschluss Der so genannte Mülheim-Kärlich-Beschluss112 betraf das Genehmigungsverfahren eines Kernkraftwerks. Im siebten Freigabebescheid i. R. d. ersten Teilgenehmigung hatte das zuständige Landesministerium Änderungen an der Bauweise des 111 112

BVerfGE 52, 380 (390). BVerfGE 53, 30.

II. Insbesondere: Verfahrensdimension der Grundrechte

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Kraftwerkes genehmigt. Dieser Bescheid wurde für sofort vollziehbar erklärt. Den Antrag einer Anwohnerin auf einstweiligen Rechtsschutz hatte das OVG Rheinland-Pfalz letztinstanzlich mit der Begründung verworfen, die möglicherweise verletzten Verfahrensvorschriften bzgl. Bekanntmachung und Auslegung beinhalteten keine subjektiven Rechte. Materielle Rechte der Klägerin seien zwar womöglich verletzt, eine Anfechtungsklage aber nicht offensichtlich begründet. Ihr Interesse an einer Aussetzung der sofortigen Vollziehbarkeit überwiege auch nicht das Interesse der Betreiberin am Vollzug. Mit der Errichtung der genehmigten Abschnitte würden keine unabänderlichen Tatsachen geschaffen.113 Der Erste Senat des BVerfG entsprach der Verfassungsbeschwerde mehrheitlich zwar nicht: Die Interessenabwägung des OVG sei i. E. nicht zu beanstanden. Rechtsschutz sei auch noch im Hauptsacheverfahren möglich. Er stellte jedoch klar, dass das atomrechtliche Genehmigungsverfahren nicht allein der Information der Genehmigungsbehörde diene. Es verwirkliche auch die Schutzpflicht des Staates aus Art. 2 Abs. 2 GG. Der Grundrechtsschutz werde nicht allein durch materiell-rechtliche Vorgaben, sondern auch durch die Gestaltung von Verfahren erreicht. Verfahrensvorschriften, die diese Aufgabe erfüllten, könnten ebenfalls subjektive Rechte begründen.114

(2) Minderheitsvotum zum Mülheim-Kärlich-Beschluss In einem Minderheitsvotum kamen die Richter Simon und Heußner abweichend von der Senatsmehrheit zu dem Ergebnis, dass die Anwendung der Verfahrensvorschriften nicht verfassungskonform gewesen sei.115 Sie stimmten den Ansätzen des Beschlusses zwar zu, gingen in ihren Folgerungen aber auf zweierlei Weise darüber hinaus. Zum einen gewichteten sie die verfahrensprägende Wirkung schon im einstweiligen Rechtsschutz stärker. Die Senatsmehrheit begründete ihre Entscheidung mit der Erwägung, der Betroffene könne noch in der Hauptsache seine Rechte geltend machen. Dem widersprach das Sondervotum: Seien grundrechtsschützende Verfahrensnormen grundsätzlich missachtet worden, dürfe dies nicht erst in der Hauptsache berücksichtigt werden, wenn in der Zwischenzeit schon Fakten geschaffen würden.116 Betroffene fänden so weder im Verwaltungsverfahren (z. B. mittels Anhörung) Berücksichtigung, noch würde ihr Widerspruch aufschiebende Wirkung entfalten, obwohl dies der gesetzliche Regelfall sei, § 80 Abs. 1 S. 1 VwGO. Sie würden gleich zweifach schlechter gestellt. Damit betonten die dissen-

113 114 115 116

BVerfGE 53, 30 (36 ff.). BVerfGE 53, 30 (59 ff.). BVerfGE 53, 30 (69 ff.). BVerfGE 53, 30 (79).

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tierenden Richter die Rolle der Grundrechte für das Verwaltungsverfahren und die Einhaltung von Verfahrensvorschriften. Zum anderen hätte eine verfassungskonforme Interessenabwägung unter Beachtung der grundsätzlichen Bedeutung des Verfahrensrechts für die Grundrechte jedenfalls zu einem anderen Ergebnis führen können. Der Senatsbeschluss ging davon aus, dass die Interessenabwägung des OVG nur begrenzt nachprüfbar sei, solange in der Hauptsache effektiver Rechtsschutz gewährleistet werden könne. Dieser Auffassung stellte sich das Sondervotum entgegen. Denn das OVG hätte in seine Erwägungen mit einbeziehen müssen, dass das einfachgesetzlich geregelte Verfahren auch dem Schutz der Grundrechte betroffener Dritter dient. Ein bestmöglicher Grundrechtsschutz lasse sich nur erreichen, wenn dies auch in die Interessenabwägung des einstweiligen Rechtsschutzes mit eingestellt würde. Daher sei auch die Interessenabwägung hinsichtlich der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung in Frage zu stellen.117 Simon und Heußner versuchten weiter, grundrechtsschützende Verfahrensvorschriften von „gewöhnlichen“ zu differenzieren. Zur ersten Gruppe gehörten solche, die „zum Schutz gefährdeter Dritter eine richtige Entscheidung“118 bezweckten. Dazu sei insbesondere die Verfahrensbeteiligung der Betroffenen zu zählen. Insoweit stimmten sie mit der Senatsmehrheit überein, die formulierte, grundrechtsschützende Verfahrensvorschriften seien solche, die „der Staat in Erfüllung seiner Pflicht zum Schutz der in Art. 2 Abs. 2 GG genannten Rechtsgüter erlassen“119 habe. Dazu zählten jedenfalls solche, die der Drittbeteiligung dienten. Schließlich warf das Sondervotum noch einen Blick auf andere Vorzüge des Verfahrensrechts gegenüber rein materiellen Anforderungen. Sozusagen als Nebenzwecke unterhalb des Grundrechtsschutzes nennen sie die Akzeptanz steigernde Wirkung des Verfahrens und die vereinfachte Handhabung für die Gerichte. Je mehr die Verwaltung an die Beachtung von Verfahrenserfordernissen gebunden sei, desto weiter könnten sich die Gerichte nämlich aus der schwierigen Überprüfung materieller Erfordernisse zurückziehen, die einen hohen nichtjuristischen Sachverstand erforderten.120 Damit gewinnt die verfahrensrechtliche Dimension der Grundrechte zwei Seiten: Einerseits soll der Bürger frühzeitige Einflussmöglichkeiten erhalten. Indem er in das Verfahren einbezogen wird, soll er aktiv eigene Grundrechte verteidigen können. Die Grundrechte führen so zu einer komplementären Prozeduralisierung. Andererseits wird die Verwaltung in die Lage versetzt, frühzeitig Interessenskonflikte zu erkennen und zu lösen. Geschieht dies bereits im ersten Verfahrensschritt, lassen sich zeit- und kostenintensive Widerspruchs- und Gerichtsverfahren 117 118 119 120

BVerfGE 53, 30 (70). BVerfGE 53, 30 (79 f.). BVerfGE 53, 30 (66 f.). BVerfGE 53, 30 (81 f.).

II. Insbesondere: Verfahrensdimension der Grundrechte

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zumindest beschränken und vereinfachen. Denn schon das Verwaltungsverfahren dient der Erreichung eines gerechten Ergebnisses. Das Sondervotum der Richter Simon und Heußner blieb keine isolierte Erscheinung in der Rechtsprechung des Verfassungsgerichts. In späteren Urteilen begründete das Gericht seine Entscheidungen auch unter Bezugnahme auf das hier Dargestellte.121

(3) Beschluss „Gerichtliche Prüfungskontrolle“ Diese Bedeutung unterstreicht eine spätere Entscheidung des BVerfG, die ebenfalls die verfahrensrechtliche Dimension von Art. 12 Abs. 1 GG zum Gegenstand hatte.122 In diesem Fall richteten sich die Beschwerdeführer nicht gegen das Prüfungsverfahren an sich, sondern gegen das Verfahren der Leistungsbewertung. Sie verlangten eine effektive Nachprüfung ihrer Einwendungen gegen die kritischen Bemerkungen der Prüfer im Wege des Widerspruchsverfahrens.123 Die zuständigen Landesjustizprüfungsämter hatten die verfahrensgegenständlichen Prüfungsentscheidungen jeweils nur daraufhin überprüft, ob die Prüfer bei ihrer Bewertung von falschen Tatsachen ausgegangen seien, gegen allgemeingültige Bewertungsmaßstäbe verstoßen oder sachfremde Erwägungen angestellt hätten.124 Das BVerfG hatte zu entscheiden, in welchem Verhältnis die Nachprüfung einer Verwaltungsentscheidung durch die Widerspruchsinstanz zu einer gerichtlichen Kontrolle steht. Als maßgebliches Abgrenzungskriterium bezog sich das Gericht auf einen effektiven Schutz der Grundrechte. Diese beeinflussten „auch das Verfahrensrecht soweit dieses für einen effektiven Grundrechtsschutz Bedeutung“125 habe. Die Reichweite dieser Bedeutung belegt das Gericht anhand zweier Kriterien: „Ob und inwieweit Garantien für das Verwaltungsverfahren grundrechtlich gefordert sind, richtet sich zum einen nach Art und Intensität des Grundrechtseingriffs, zum anderen danach, inwieweit der Grundrechtsschutz durch die nachträgliche Kontrolle der Gerichte gewährleistet ist.“126

Nach Ansicht des Gerichts sind die Grundrechte des Betroffenen im Verwaltungsverfahren umso genauer zu beachten, je intensiver der drohende Eingriff ist. Darüber hinaus richtet sich die Reichweite der Grundrechte für das Verwaltungsverfahren danach, inwieweit die nachträgliche Kontrolle der Gerichte gewährleistet ist. Im Prüfungsrecht stoße die gerichtliche Kontrolle an ihre Grenzen, weil 121 122 123 124 125 126

s. z. B. BVerfGE 66, 155 (155). BVerfGE 84, 34 (Gerichtliche Prüfungskontrolle). BVerfGE 84, 34 (46). BVerfGE 84, 34 (37, 40). BVerfGE 84, 34 (46). BVerfGE 84, 34 (46, Hervorhebung durch Verf.).

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Teil 1, B. Prozeduralisierung im (Verwaltungs-)Recht

der Bewertungsvorgang von zahlreichen Unwägbarkeiten bestimmt sei, die sich in einem Gerichtsprozess nur schwer und teilweise gar nicht erfassen ließen.127 Diese Schwäche des gerichtlichen Rechtsschutzes sei bei der Gestaltung des Verwaltungsverfahrens auszugleichen. Es sei der „Kern grundrechtlicher Verfahrensgarantien, daß die Betroffenen ihren Standpunkt wirksam vertreten“128 könnten, sie also rechtzeitig über den Verfahrensstand zu informieren seien und die Berücksichtigung ihres Vorbringens bei der Entscheidung gewährleistet sein müsse.

(4) Stellungnahme Insbesondere der zweite genannte Gesichtspunkt betont die prozedurale Eigenständigkeit des Verwaltungsverfahrens. Sein Selbstwert und seine Bedeutung für den Schutz der Grundrechte gewinnen in dem Maße an Bedeutung, wie ein Ausgleich durch gerichtlichen Rechtsschutz ausscheidet. Eine volle Wiedergutmachung ist nicht mehr möglich, wenn vor der Wirksamkeit gerichtlichen Rechtsschutzes – dieser kann bspw. in einem Suspensiveffekt bestehen – Fakten geschaffen werden, die durch eine gerichtliche Entscheidung nicht mehr zu beseitigen sind. Zum anderen können die Gerichte ein mangelhaftes Verwaltungsverfahren nicht kompensieren, wenn das Ergebnis dieses Verfahrens im Gerichtsprozess aufgrund von behördlichen Beurteilungsspielräumen nicht vollständig nachgeprüft werden kann.129 Ein ordnungsgemäßes Verwaltungsverfahren ist für einen effektiven Grundrechtsschutz unerlässlich, wo es eine eigene Ergebnisrelevanz besitzt, die Entscheidung der Behörde also untrennbar mit dem Entscheidungsverfahren verbunden ist. Dies hat das BVerfG gerade für Auswahlentscheidungen anerkannt: Durch die Gestaltung des Auswahlverfahrens werde unmittelbar Einfluss auf den Bewerberkreis und damit auf das Ergebnis der Auswahlentscheidung genommen.130 Die prozeduralen Gehalte treten damit neben die materiell-rechtlichen Vorgaben der Grundrechte und führen zu einer komplementären Prozeduralisierung. Das BVerfG ist hier nicht stehen geblieben. Als Teilaspekt des Grundrechtsschutzes wird die Rolle des Verfahrens eine Konstante in seiner Rechtsprechung. Über Art. 2 Abs. 2 und Art. 12 Abs. 1 GG hinaus wird zunächst die Bedeutung besonders solcher Grundrechte für das Verwaltungsverfahren akzentuiert, deren Ver127 BVerfGE 84, 34 (46). Insoweit ging das Gericht jedoch von einem begrenzten Entscheidungsspielraum der Behörde aus, der auch i. R. v. Art. 19 Abs. 4 GG nicht zu beanstanden sei, BVerfGE 84, 34 (49 f.); Vgl. hierzu Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 19 IV, Rn. 1 91 ff. 128 BVerfGE 84, 34 (46). 129 BVerfGE 84, 34 (46 f.). 130 BVerfG, NVwZ 2007, 693 (694).

II. Insbesondere: Verfahrensdimension der Grundrechte

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wirklichung wesentlich von Verfahren abhängt.131 Darüber hinaus stellt es aber auch fest, dass die Grundrechte schlechthin eine solche Wirkung entfalten.132 Die verfahrensprägende Rolle der Grundrechte lässt das Gericht regelmäßig in seine Entscheidungen einfließen.133

dd) Schaffung von Verfahrensvorschriften Die verfahrensrechtliche Bedeutung der Grundrechte ist nach der Rechtsprechung des BVerfG nicht auf die behördliche Verfahrensgestaltung oder Auslegung von bestehenden Verfahrensvorschriften beschränkt. In einer Entscheidung zur Auswahl von Notarassessoren rügte das Gericht die fehlende gesetzliche Grundlage nicht nur für die Auswahlkriterien,134 sondern auch für das Auswahlverfahren.135 Art. 12 Abs. 1 S. 2 GG erlaube Eingriffe nur aufgrund einer gesetzlichen Regelung. Die Auswahl und der damit verbundene Ausschluss von Bewerbern erfordere als Eingriff daher eine gesetzliche Grundlage.136 Wieder betonte das Gericht die selbstständige Funktion des Verfahrens bei der Bewerberauswahl: Die Gestaltung des Auswahlverfahrens nehme unmittelbar Einfluss auf die Konkurrenzsituation und damit auf das Ergebnis der Auswahlentscheidung.137 Ein grundrechtskonformes Verfahren müsse daher gewährleisten, dass „tatsächlich von allen potenziellen Bewerbern derjenige gefunden wird, der am ehesten den gesetzten Anforderungen“138 entspreche. Eine „gesetzliche Regelung der grundlegenden Anforderungen, welche die Verwirklichung des Rechts aus Art. 12 Abs. 1 GG sicherstellen“139, sei daher geboten. Zumindest die Pflicht zur Stellenausschreibung müsse gesetzlich vorgesehen werden. Die Behörden hätten, so das Gericht weiter, die Gestaltung ihres Auswahlverfahrens bereits vor Erlass einer entsprechenden gesetzlichen Grundlage an Art. 12 Abs. 1 GG zu orientieren.140 Die Verwaltung darf demnach nicht den Erlass grundrechtskonformer Verfahrensnormen abwarten, sondern hat von sich aus 131 Zu Art. 4 Abs. 3 S. 1GG s. BVerfGE 69, 1; zu Art. 16a GG vgl. BVerfGE 56, 216 (236); E 65, 76 (94). 132 BVerfGE 69, 315 (355). 133 s. nur BVerfGE 63, 131; E 113, 57 (57 f.) (zu Art. 2 Abs. 1, informationelle Selbstbestimmung); BVerfGE 69, 315 (355); E 110, 77 (87) (zu Art. 8 GG); BVerfGE 87, 181 (205) (zu Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG); BVerfGE 96, 288 (309); BVerfG, NJW-RR 2004, 577 (578) und BVerfG, FamRZ 2007, 1625 zu Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG). 134 BVerfGE 73, 280 (295). 135 BVerfGE 73, 280 (296). 136 BVerfGE 73, 280 (294 f.). 137 BVerfGE 73, 280 (296). 138 BVerfGE 73, 280 (296, Hervorhebung im Original, d. Verf.). 139 BVerfGE 73, 280 (296). 140 BVerfGE 73, 280 (299).

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Teil 1, B. Prozeduralisierung im (Verwaltungs-)Recht

ein Verfahren anzuwenden, welches die verfahrensrechtliche Funktion der Grundrechte beachtet. Das BVerfG dehnt in dieser Entscheidung die Konsequenzen der verfahrensrechtlichen Funktion der Grundrechte folgerichtig auf den Gesetzgeber aus. Der Gesetzesvorbehalt findet ebenfalls auf Beeinträchtigungen Anwendung, die in Gestalt eines Verwaltungsverfahrens vorgenommen werden. Derartige Verfahren, durch die in ein Grundrecht eingegriffen wird, sind daher gesetzlich zu regeln. Das Gericht hat insbesondere das Publizitätserfordernis hervorgehoben. ee) Fazit Diese nur exemplarisch dargestellte Rechtsprechung des BVerfG zeigt die zunehmende Bedeutung, die den Grundrechten im Verwaltungsverfahren zugesprochen wird. Das Verfahren erfüllt eine eigenständige Funktion bei der Wahrung der Grundrechte. Es kann von einer „Komplementärfunktion“141 des Verfahrens und damit des Verfahrensrechts gesprochen werden. Für diesen Ansatz, der das Verfahren als zweiten Schutzwall neben das materielle Recht stellt, bietet sich der Begriff der komplementären Prozeduralisierung an.142 Das Gericht hat der Verwaltung in der Entscheidung „Schweigender Prüfling“ die grundrechtsoptimierende Gestaltung des Verwaltungsverfahrens auferlegt. Diese Pflicht erschöpft sich nicht in der Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften. Selbst wenn prozedurale Instrumente wie Informations- oder Partizipationsmöglichkeiten dem normierten Verwaltungsverfahren nicht zu entnehmen sind, haben die Behörden bei ihrer Entscheidung die verfahrensrechtlichen Auswirkungen der Grundrechte zu beachten. Daran ist die konkrete Verfahrensgestaltung auszurichten. Wird durch das Verfahren selbst in ein Grundrecht eingegriffen, so sind bestehende Gesetzesvorbehalte auch insoweit zu beachten. Derartige Verfahren bedürfen jedenfalls dann einer gesetzlichen Grundlage, wenn das einschlägige Grundrecht einen Gesetzesvorbehalt vorsieht. c) Literatur Mit der Erkenntnis der komplementären verfahrensrechtlichen Wirkung stand das BVerfG nicht allein. Das Schrifttum hat die Entwicklung einer komplementären verfahrensrechtlichen Bedeutung nicht nur vorbereitet, sondern auch (teilweise kritisch) begleitet. Es dominierten Systematisierungsversuche, die sich entweder an den einschlägigen Grundrechten oder den betroffenen Verfahrenselementen orientierten. Die dogmatische Einordnung der Verfahrensdimension ist nach wie vor umstritten. 141 142

BVerfGE 73, 280 (296); BVerfG, NJW 2004, 2725 (2727). Zum Begriff schon o. Teil 1 A. V. 2.

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aa) Vorbereitung Als einer der ersten erkannte Häberle, dass „Grundrechte im Leistungsstaat immer mehr zur Sache staatlicher Organisation und Verfahren werden“143. Er fand im Verfahren die grundrechtsoptimierende Wirkung. Die Relevanz des Themas steige mit dem Verstrickungsgrad zwischen Staat und Wirtschaft, da mit einer breiteren Palette an faktischen Eingriffsmöglichkeiten auch die Schutzwirkungen der Grundrechte diversifiziert werden müssten.144 Die rein materiell-rechtlich verstandene Abwehrfunktion der Grundrechte hielt Häberle also nicht mehr für ausreichend. Unter Fortentwicklung der Jellinekschen Statuslehre145 begründete Häberle einen status activus processualis. Eine grundrechtsadäquate Teilhabe solle durch grundrechtlich geschützte Teilnahme an den betreffenden Verfahren erreicht werden.146 Ähnlich argumentierte Hesse, der die „Grundrechtsverwirklichung und -sicherung durch Organisation und Verfahren“147 neben soziale Teilhaberechte stellte. Er hielt die verfahrensrechtliche Wirkung der Grundrechte dort für unverzichtbar, wo der Einzelne seine Freiheit nur unter Inanspruchnahme staatlicher Einrichtungen, Leistungen oder anderer beschränkter Mittel ausüben kann.148 Hier wird zum ersten Mal deutlich, dass die prozedurale Seite der Grundrechte eng mit Teilhabe und Verteilungsgerechtigkeit verbunden sein kann. Es gilt nicht nur, das Handeln des Staates gegenüber einem Individuum im bipolaren Verhältnis zu regeln, sondern es auch in Beziehung zur Behandlung Dritter zu setzen.149 In der Folge der oben dargestellten Entwicklung in der Rechtsprechung des BVerfG und besonders des Mülheim-Kärlich-Beschlusses entwickelte sich in der Literatur ein wahres Buschfeuer.150 Heute hat die Verfahrensdimension einen festen Platz in der deutschen Grundrechtsdogmatik gefunden und ist weit mehr als eine „Modewelle“151. 143 Häberle, VVDStRL 30 (1972), 43 (52): bei Häberle steht noch allein die Teilhabe an staatlichen Leistungen im Vordergrund. Auf ihn nehmen auch die Richter Simon und Heußner in ihrem o.g. Sondervotum ausdrücklich Bezug, BVerfGE 53, 30 (80). 144 Häberle, VVDStRL 30 (1972), 43 (59). 145 Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte. 146 Häberle, VVDStRL 30 (1972), 43 (81); zur Verfahrensbeteiligung im Verwaltungsrecht s. auch Schmitt Glaeser, Position der Bürger, in: Lerche/Schmitt Glaeser/Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Verfahren, S. 37 ff. 147 Hesse, EuGRZ 1978, 427 (434). 148 Hesse, EuGRZ 1978, 427 (436). 149 s. näher hierzu Goerlich, Grundrechte, S. 243 ff. 150 U. a. Bethge, NJW 1982, 1 ff.; Blümel, Grundrechtsschutz, in: Blümel (Hrsg.), Frühzeitige Bürgerbeteiligung, S. 23 ff.; Dolde, NVwZ 1982, 65 ff.; Held, Grundrechtsbezug des Verwaltungsverfahrens, S. 106 ff.; Laubinger, VerwArch 73 (1982), 60 ff.; Ossenbühl, Grundrechtsschutz, in: FS-Eichenberger, S. 183 ff.; Redeker, NJW 1980, 1593 ff. M.w.N. auch Bredemeier, Kommunikative Verfahrenshandlungen, S. 297, 303 ff. 151 Ossenbühl, DÖV 1981, 1 (6).

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Teil 1, B. Prozeduralisierung im (Verwaltungs-)Recht

bb) Dogmatische Einordnung Die Fortentwicklung der Grundrechtsfunktionen durch das Bundesverfassungsgericht ist im Schrifttum weitgehend angenommen worden.152 Insbesondere Goerlich hat die Grundrechte als Verfahrensgarantien umfassend ausgeschöpft: Nicht nur die Drittwirkung von Grundrechten, sondern auch der Vorbehalt des Gesetzes sollen darauf zurückzuführen sein.153 Die dogmatische Einordnung der Verfahrenswirkungen der Grundrechte ist noch nicht endgültig geklärt. In neuerer Zeit ist die Tendenz erkennbar, die Verfahrensdimension der Grundrechte den Schutzpflichten zuzuordnen.154 Gleichzeitig wird diese gleichberechtigt neben die Eingriffsabwehrfunktion gestellt.155 Letzterer Ansatz stützt sich normativ v. a. auf Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG sowie auf das Gewaltmonopol des Staates.156 In einem modernen Staat stehe neben dem Schutz vor Eingriffen durch den Staat gleichberechtigt der Schutz vor Übergriffen157 durch Dritte oder durch Teilhabe. Der Staat kommt seinen grundrechtlichen Schutzpflichten auch dadurch nach, dass er Verfahren schafft und durchsetzt, die eine grundrechtsschützende Wirkung durch die Regelung mehrpoliger Verfassungsrechtsverhältnisse entfalten. Eine andere Ansicht verortet die Verfahrensdimension im Abwehrrecht. Diese komplettiere den gerichtlichen Rechtsschutz der Grundrechte und gebe dem Grundrechtsträger die Handlungsoptionen, sich gegen staatliche Eingriffe zu wehren.158 Schließlich wird eine selbstständige verfahrensrechtliche Funktion der Grundrechte propagiert, die sich aus dem objektiv-rechtlichen Gehalt der Grundrechte herleitet.159 Die Durchführung eines Verfahrens sei als eigenständige staatliche Leistung einzuordnen.160 152 Bethge, NJW 1982, 1; Goerlich, Grundrechte, 1981; Laubinger, VerwArch 73 (1982), 60; Lerche/Schmitt Glaeser/Schmidt-Aßmann, Verfahren als staats- und verwaltungsrechtliche Kategorie; Ossenbühl, Grundrechtsschutz, in: FS-Eichenberger, S. 183; Redeker, NJW 1980, 1593; Steinbeiß-Winkelmann, Grundrechtliche Freiheit, S. 423 ff.; Stern, StaatsR III/1, S. 953 ff.; zusammenfassend: Denninger, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR V, § 113, Rn. 1 ff. 153 Goerlich, Grundrechte, S. 248 ff.; kritisch zu einem ausufernden Ansatz der Grundrechtsprozeduralisierung Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 428 f. m. w. N. 154 So auch der Befund bei Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 82/83; hierzu Calliess, in: Merten/Papier (Hrsg.), HbGR II, § 44, Rn. 24 f.; Dolderer, Grundrechtsgehalte, S. 253 ff. 155 Vgl. insbes. Calliess, Rechtsstaat und Umweltstaat, S. 455 ff. 156 Zum „doppelten Gewaltmonopol“ s. Calliess, Rechtsstaat und Umweltstaat, S. 455 f.; zur Kritik der unterschiedlichen Begründungsansätze s. Herdegen, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 1 III, Rn. 21 f.; Huber, in: Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 19 Abs. 4, Rn. 196 sieht im modernen Bestand der Schutzpflichten eine Verfassungsfortbildung. 157 Zur Terminologie vgl. Calliess, in: Merten/Papier (Hrsg.), HbGR II, § 44, Rn. 18. 158 s. nur Goerlich, Grundrechte, S. 54; Held, Grundrechtsbezug des Verwaltungsverfahrens, S. 38 ff., 190 ff.; Hufen, NJW 1982, 2160 (2164); Murswiek, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR V, § 112, Rn. 19; Wahl, VVDStRL 41 (1983), 151 (169 f.). Kritisch Gellermann, Grundrechte, S. 263 f. 159 Dreier, in: Dreier, GG, Vorb., Rn. 106 m. w. N. 160 So Starck, in: Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 1 Abs. 3, Rn. 202.

II. Insbesondere: Verfahrensdimension der Grundrechte

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Im Vordringen ist hingegen die Auffassung, welche die verfahrensrechtlichen Auswirkungen „quer zu den Grundrechtsfunktionen liegend“161 sieht. Da sie in Verbindung mit allen Funktionen, jedoch nie allein auftreten könne, läge sie gewissermaßen quer zu diesen, ohne eine eigenständige Funktion zu beinhalten.162 Die Selbstständigkeit ist dieser Kategorie abzusprechen, weil es sich lediglich um eine Handlungsmodalität handelt. Regelmäßig stehen der jeweiligen staatlichen Stelle auch andere Handlungs- oder Regelungsoptionen zur Verfügung.163 So spielen Verfahren i. R. v. Schutzpflichten in der Tat eine bedeutende Rolle. Gerade bei mehrpoligen Rechtsverhältnissen leisten Verfahren einen gewichtigen Beitrag zum Ausgleich von Rechtspositionen.164 Insofern wird der Staat durch sein „prozedurales Handeln“ schützend tätig. Dies gilt in besonderem Maße für Rechtsgebiete, die dem Ausgleich gegenläufiger Privatinteressen dienen, einem Unterfall des Schutzes vor Gefahren165. Exemplarisch ist das Atomrecht zu nennen. Hier wendet sich ein Privater gegen die Tätigkeit eines Dritten. Der Staat hat als Garant der Grundrechte ein Verfahren zur Verfügung zu stellen, in dessen Verlauf die grundrechtlichen Interessen der Beteiligten bewertet und abgewogen werden können.166 Diese Konstellation lag dem Mülheim-Kärlich-Beschluss zugrunde. Im Verfahren verwirklichte sich die grundrechtliche Schutzpflicht des Staates. Daneben wirkt sich die prozedurale Grundrechtswirkung auch in den Fällen des Schutzes durch Teilhabe167 aus. Hierzu kann bspw. auf die Entscheidung zur Auswahl von Notarassessoren verwiesen werden.168 Geht es dem Grundrechtsträger um Teilhabe an einer staatlichen Leistung oder Einrichtung, wird oftmals auf Verfahren zurückgegriffen.169 In diese Kategorie von Verfahren gehört dasjenige der öffentlichen Auftragsvergabe. Denn die Gefährdung einer Grundrechtsposition geht hier von staatlicher Seite aus. Diese setzt sich bei ihrer Entscheidung für einen bestimmten Bieter ggf. über die geschützten Interessen anderer Bieter hinweg. Unterlegene oder gar verhinderte Bieter und Interessenten können ihre „Ansprüche“ auf Teilhabe am öffentlichen Auftragswesen nur i. R. e. Verfahrens anmelden. Sie richten sich dabei aber nicht primär gegen den erfolgreichen Bieter, sondern das Verhalten der vergebenden Stelle.170 161

Jarass, AöR 120 (1995), 345 (353). Zusammenfassend zu den verschiedenen dogmatischen Einordnungen Schmidt-Aßmann, in: Merten/Papier (Hrsg.), HbGR II, § 45, Rn. 22 ff. m. w. N. 163 Cremer, Freiheitsgrundrechte, S. 400 f. 164 s. insbes. Calliess, Rechtsstaat und Umweltstaat, S. 465 ff. 165 s. o. Teil 1 B. II. 2. a). 166 Calliess, in: Merten/Papier (Hrsg.), HbGR II, § 44, Rn. 27 f. 167 Dazu o. Teil 1 B. II. 2. b). 168 s. o. Teil 1 B. II. 3. b) dd). 169 Jarass, in: Merten/Papier (Hrsg.), HbGR II, § 38, Rn. 55; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 88. 170 Zur Rolle der Grundrechte bei der Vergabe öffentlicher Aufträge u. Teil 2 A. VI. 3. b) bb). 162

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Teil 1, B. Prozeduralisierung im (Verwaltungs-)Recht

Gleichermaßen sind Verfahren aber auch i. R. v. Abwehrkonstellationen von Bedeutung. Dient das Verfahren allein dem Zweck, einen Eingriff im bipolaren Verfassungsverhältnis abzumildern oder abzuwehren, tritt der Gesichtspunkt der staatlichen Leistung hinter der Abwehreigenschaft zurück.171 Einen derartigen Sachverhalt behandelt das Urteil „Schweigender Prüfling“.172 Im Gegensatz bspw. zur Notarassessorauswahl handelte es sich hier nicht um eine Teilhabeproblematik. Die Prüfungsentscheidung wird für jeden Prüfling separat, ungeachtet anderer Prüfungsergebnisse getroffen. Dort stellte das vom BVerfG eingeforderte Verfahren nur eine grundrechtskonforme Handlungsmodalität dar. Der Staat hätte den Eingriff auch gänzlich unterlassen oder auf andere Art und Weise grundrechtskonform gestalten können.173 Der Grundrechtsschutz durch Verfahren ist damit nicht auf eine Grundrechtsfunktion beschränkt, sondern kann als Facette der Grundrechtsverwirklichung in allen Grundrechtsfunktionen eine Rolle spielen.174

d) Problem des Konkretisierungsgrades Abschließend stellt sich die Frage nach der Reichweite der Verfahrensdimension der Grundrechte: Wie weit lassen sich grundrechtliche prozedurale Forderungen im Einzelfall konkretisieren? Die Brisanz dieser Frage hängt wiederum wesentlich vom konkreten Kontext ab.

aa) Konkretisierende Auslegung von Verfassungsrecht Stets ist jedoch bei der Interpretation der Grundrechte zu beachten, dass es sich hierbei um Verfassungsrecht handelt. Aufgabe der Verfassung ist es, staatlichem Handeln einen Rahmen zu geben, nicht aber es in allen Einzelheiten zu prädeterminieren.175 Zugleich ist damit das Verhältnis zwischen Verfassungsgerichtsbarkeit und parlamentarischem Gesetzgeber angesprochen. Zwar leidet das Verfassungsrecht nach Grimm an einer Durchsetzungsschwäche, weil die Rechtsdurchsetzungsorganisation in der Verfassung selbst erst reglementiert werde. Verfassungsrecht müsse die Voraussetzungen seiner Verwirklichung daher in sich selbst tragen.176 171

Hierzu Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 1, Rn. 11. s. o. Teil 1 B. II. 3. b) bb). 173 Ebenso für die Hamburger-Deichbau-Entscheidung (BVerfGE 24, 367) Cremer, Freiheitsgrundrechte, S. 401 f. 174 I. E. so auch Cremer, Freiheitsgrundrechte, S. 400; Denninger, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR V, § 113, Rn. 4; Jarass, in: Merten/Papier (Hrsg.), HbGR II, § 38, Rn. 55. 175 Zur Verfassung als Rahmenordnung Badura, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR VII, § 163, Rn. 5; Wahl, Der Staat 20 (1981), 485 ff. 176 Grimm, Verfassungsfunktion, in: Grimm (Hrsg.), Zukunft, S. 313 (327). 172

II. Insbesondere: Verfahrensdimension der Grundrechte

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Diese Durchsetzung erreicht das Grundgesetz mithilfe der Verfassungsgerichtsbarkeit. Der Vorrang der Verfassung vor dem einfachen Recht bringt notwendig den Nachrang des Gesetzes mit sich und bestimmt auch die funktionell-institutionelle Beziehung zwischen Verfassungsgericht und Gesetzgeber. Die Frage nach der Konkretisierung von Verfassungsrecht – insbesondere der Grundrechte – trägt die Frage nach der Differenzierung und Distanz zwischen den Normebenen in sich.177 Die Unterscheidung kontrollierbaren „spezifischen Verfassungsrechts“ von nicht kontrollfähigen Rahmengehalten der Verfassung wurzelt v. a. im materiellen Recht der Grundrechtsinterpretation.178 So gilt Verwaltungsverfahrensrecht zwar als konkretisiertes Verfassungsrecht;179 gleichzeitig bleibt es aber einfaches Recht. Beide in ihrem Normierungsgehalt gleichzusetzen, hieße die Distanz zwischen den Normebenen aufzugeben.180 Dann gäbe es für den Gesetzgeber nur eine einzige verfassungskonforme Regelungsmöglichkeit.181

bb) Grenzen der Grundrechtskonkretisierung Die h. M. im Schrifttum differenziert bei der Begrenzung der Grundrechtsinterpretation zwischen der Abwehr- und der Schutzfunktion. Die Reichweite des Grundrechtsschutzes in der bipolaren Staat-Bürger-Konstellation sei nicht problematisch, da insoweit nur eine Handlungsoption bestehe: Ein rechtswidriger Eingriff sei zu unterlassen. Demgegenüber besitze die Schutzfunktion keinen definitiven Inhalt, der dem konkreten Unterlassungsanspruch auf Eingriffsabwehr vergleichbar wäre. Regelmäßig käme ein Bündel möglicher Schutzhandlungen in Frage.182 Die Schutzfunktion bedürfe, um der Verfassungsfunktion der Rahmenordnung gerecht zu werden, in jedem Fall der Vermittlung, d. h. der Konkretisierung durch den Gesetzgeber oder die Exekutive.183 Die Notwendigkeit der legislativischen Konkretisierung geht Hand in Hand mit einer Beschränkung der Prüfungskompetenz des BVerfG. Diese erkennt auch das Gericht selbst grundsätzlich an: „Bei der Erfüllung dieser Schutzpflicht kommt dem Gesetzgeber wie der vollziehenden Gewalt ein weiter Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsbereich zu, der auch Raum läßt, etwa konkurrierende öffentliche und private Interessen zu berücksichtigen.“184

177

Wahl, Der Staat 20 (1981), 485 (487). Wahl, Der Staat 20 (1981), 485 (503). 179 s. o. Teil 1 B. I. 180 Kritisch zum Verwaltungsverfahren als konkretisiertes Verfassungsrecht Steiner, NZS 2002, 113 (114). 181 Böckenförde, Der Staat 29 (1990), 1 (30). 182 Statt vieler Wahl, DVBl. 1996, 641 (646 f.). 183 Isensee, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR V, § 111, Rn. 151 ff.; Jarass, in: Merten/Papier (Hrsg.), HbGR II, § 38, Rn. 31; Stark, in: Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 1 Abs. 3, Rn. 194; Wahl, DVBl. 1996, 641 (647). s. auch den Überblick bei Cremer, Freiheitsgrundrechte, S. 291 ff. 184 BVerfGE 77, 170 (214); E 79, 174 (202). Vgl. jüngst auch BVerfGE 115, 118 (159 f.). 178

Teil 1, B. Prozeduralisierung im (Verwaltungs-)Recht

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Unbestreitbar bedarf die mehrpolige Schutzpflichtenkonstellation einer vertieften Abwägungsentscheidung, da gegenläufige Privat- und Allgemeininteressen zu berücksichtigen sind. Ob sich die Differenzierung der Funktionen in der Rechtsfolge dennoch so trennscharf aufrechterhalten lässt, erscheint gerade mit Blick auf die Verfahrensdimension der Grundrechte fraglich. Diese kann, wie gesehen, sowohl in der Abwehr- als auch in der Schutzfunktion zum Tragen kommen. Das Abwehrrecht fordert bei genauem Hinsehen nicht das Unterlassen des Eingriffs, sondern ein Unterlassen der Grundrechtsverletzung. Statt den Eingriff ganz zu unterlassen, kann die staatliche Stelle ihre Handlung auch dergestalt vornehmen, dass eine Verletzung des Grundrechts unterbleibt. Diese Modifikation kann insbesondere darin bestehen, ein bestimmtes Verfahren einzuhalten. Zur Verdeutlichung sei auf das Urteil „Schweigender Prüfling“ verwiesen. Dort lag der Eingriff in der Entscheidung, die Prüfung mit „nicht bestanden“ zu bewerten.185 Aus dem abwehrrechtlichen Gehalt des Art. 12 Abs. 1 GG hat das BVerfG aber keine Unterlassungspflicht bzgl. dieser Entscheidung abgeleitet. Vielmehr verlangt sie auch in dieser bipolaren Bürger-Staat-Situation ein zusätzliches staatliches Handeln prozeduraler Art: „Unter Berücksichtigung der verfahrensrechtlichen Auswirkungen des Art. 12 Abs. 1 GG hätte die Prüfungskommission es nicht unterlassen dürfen, den Beschwerdeführer bereits während der Prüfung darauf hinzuweisen, daß sein Schweigen nach der Sanktionsvorschrift des § 24 Abs. 4 JAO beurteilt werden könnte.“186

Das BVerfG erlegte der Verwaltung auch hier Handlungspflichten auf, die über das einfache Recht hinausgingen. Hier hätten der Prüfungskommission oder dem Gesetzgeber ebenfalls Handlungsalternativen offengestanden. Der Hinweis an den Prüfling, d. h. die Einhaltung des grundrechtsgebotenen Verfahrens bringt den Eingriff mit der Verfassung in Einklang. Hierin verwirklicht sich die Komplementärfunktion des Verfahrens. Allein dessen Durchführung stellt ein grundrechtskonformes Verwaltungshandeln sicher. Nicht anders verhält es sich i. R. d. Schutzfunktion. Jedenfalls in Bezug auf die Verfahrensdimension stellt sich die Frage nach dem zulässigen Konkretisierungsgrad der Grundrechte für Abwehr- und Schutzfunktion gleichermaßen. Es handelt sich, hier wie dort, nicht um eine Hop-oder-TopEntscheidung. Der grundrechtliche Einfluss auf das Verwaltungsverfahren ist in abstracto nach Inhalt und Umfang nur in wenigen Einzelpunkten bestimmbar187. Die grundrechtskonforme Verfahrensgestaltung kann demnach nur bezogen auf den konkreten Fall überprüft werden. Diese unbestimmte Reichweite der Grund185

BVerfGE 52, 380 (389). BVerfGE 52, 380 (390). 187 So auch Schmidt-Aßmann, in: Merten/Papier (Hrsg.), HbGR II, § 45, Rn. 71, der bspw. eine Anhörung im Verwaltungsverfahren für unabdingbar hält (Rn. 38); skeptisch diesbzgl. Steiner, NZS 2002, 113 (114). 186

II. Insbesondere: Verfahrensdimension der Grundrechte

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rechte ergibt sich auch daraus, dass sich das GG i. d. R. auf materielle Aussagen beschränkt.188 I. E. handelt es sich um eine Verhältnismäßigkeitsprüfung.189 Wahl hat dieses Dilemma – unter dem Blickwinkel des Drittrechtsschutzes – als die „doppelte Abhängigkeit des subjektiven öffentlichen Rechts“190 bezeichnet: „Das subjektive öffentliche Recht kommt aus der Hand des Gesetzgebers, der aber dabei gebunden ist an die prinzipienhaften Gehalte der Grundrechte.“191 Die Funktion der Verfassung als Rahmenordnung gebiete es einerseits, die letztendliche Festlegung detaillierter grundrechtlicher Verbürgungen erst auf der Ebene des einfachen Rechts vorzunehmen.192 Insofern sei das subjektive öffentliche Recht rechtssatzabhängig. Andererseits seien dem Gesetzgeber aber Grenzen gesetzt, soweit subjektiv-öffentliche Rechte grundrechtsabhängig, soll heißen grundrechtlich geboten seien.193 Zwangsläufig stellt sich dann aber die für die Praxis zentrale „Frage nach dem pathologischen Fall“194, dass das einfache Recht die Grundrechte nur unzureichend konkretisiert. Zunächst ist hier auf die grundrechtskonforme Auslegung zurückzugreifen.195 Versagt diese, so lehnt Wahl es dennoch ab, die Grundrechte „als unmittelbare Quelle subjektiver öffentlicher Rechte“196 anzuerkennen. Vielmehr bedürften die Grundrechte der Vermittlung durch den Richter. Bestehende Lücken des Grundrechtsschutzes müssten mittels Richterrecht geschlossen werden.197 Die Distanz zwischen Verfassungsrecht und einfachem Recht wird so freilich nur mit Hilfe eines Kunstgriffs aufrechterhalten. Der Rückgriff auf eine richterliche Rechtsfortbildung ist jedenfalls im Verwaltungsverfahren selbst nicht zielführend. Gerade für dieses bleibt das Verhältnis zwischen Verfassungskonkretisierung und gesetzgeberischem Spielraum stark einzelfallabhängig. Umso mehr gilt dies für gesetzlich gar nicht geregelte Sachverhalte. Die Feststellung, grundrechtliche Schutzpflichten würden im Hinblick auf ihre Unbestimmtheit – die, wie gesehen, auch für die Verfahrensdimension zu konstatieren ist – nur das „Ob“, nicht aber das „Wie“ staatlichen Handelns gewährleisten,198 hilft insoweit nicht weiter. Das Fehlen legislativer Anknüpfungspunkte würde dazu führen, dass Grundrechts-

188

Schmidt-Aßmann, in: Merten/Papier (Hrsg.), HbGR II, § 45, Rn. 32. So i. R. d. Schutzpflichten Böckenförde, Der Staat 29 (1990), 1 (20); Wahl, Der Staat 20 (1981), 485 (503). 190 Wahl, DVBl. 1996, 641. 191 Wahl, DVBl. 1996, 641 (642). 192 Wahl, DVBl. 1996, 641 (644). 193 Wahl, DVBl. 1996, 641 (645 f.). 194 Wahl, DVBl. 1996, 641 (647). 195 Wahl, DVBl. 1996, 641 (647). 196 Wahl, DVBl. 1996, 641 (647). 197 Wahl, DVBl. 1996, 641 (648). 198 So die ganz h. M.: Dreier, in: Dreier, GG, Vorb., Rn. 102; Dietlein, Grundrechtliche Schutzpflichten, S. 180 f.; Isensee, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR V, § 111, Rn. 151 f. 189

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Teil 1, B. Prozeduralisierung im (Verwaltungs-)Recht

träger grundsätzlich auf den Rechtsweg verwiesen würden199 und ein Anspruch des Grundrechtsträgers auf legislatives Handeln anzunehmen wäre.200 Die Verwaltungsbehörden sind in Ermangelung gesetzlicher Regelungen vielmehr bereits von sich aus verpflichtet, den prozeduralen Gehalt der Grundrechte zu beachten. Das durchzuführende Verwaltungsverfahren ist so auszugestalten, dass es die Grundrechte Betroffener nicht in unverhältnismäßiger Weise beschneidet. Der Konflikt zwischen dem parlamentarischen Gesetzgeber und dem BVerfG als authentischem Interpret der Verfassung bleibt damit allerdings ungelöst. Nimmt man die Grundrechte als subjektive Rechte ernst und beschränkt sie nicht in Teilbereichen auf objektive Grundsatznormen, so entwickeln sie eine allseitig dirigierende Funktion, welche sich auf allen Norm- und Handlungsebenen des Staates zeigt.201 Die Befürchtung, der „verfassungsrechtliche Jurisdiktionsstaat“202 stehe damit ins Haus, hat sich bislang wohl nicht bewahrheitet. Die Beruhigung in der Diskussion um die Ausweitung der Grundrechtsfunktionen spricht eher dagegen. Die maßvolle Kontrolle gesetzgeberischer Freiräume zeigt sich somit nicht in einer abstrakten Begrenzung verfassungsgerichtlicher Prüfungskompetenzen, sondern in einer punktuellen Einzelfallkontrolle. Das BVerfG hat demgemäß entweder speziell einzelne Verfahrenshandlungen203 angemahnt oder aber den Gesetzgeber zur Regelung eines Verfahrens angehalten und dessen Einzelheiten in das gesetzgeberische Ermessen gestellt.

e) Ergebnis Das BVerfG fordert in st.Rspr. eine grundrechtskonforme Gestaltung des Verwaltungsverfahrens, soweit die behördliche Entscheidung Grundrechte berührt. Verfahrensvorschriften sind grundrechtskonform auszulegen. Wird durch ein Verfahren in Grundrechte mit Gesetzesvorbehalt eingegriffen, bedarf das Verfahren einer gesetzlichen Grundlage. Nach anfänglicher Diskussion ist die Verfahrensdimension der Grundrechte auch in der Literatur anerkannt. Nach hier vertretener Ansicht kann sie sowohl in abwehr- wie auch in schutzrechtlichen Konstellationen zum Zuge kommen. Ein staatlicher Eingriff kann durch Verfahrensvorkehrungen auf ein verhältnismäßiges Maß beschränkt werden. Ebenso kann der Staat seinen Schutzpflichten in einem mehrpoligen Verfassungsverhältnis mittels Verfahren nachkommen. 199 Zum Rechtsschutz bei legislativem Unterlassen Cremer, Freiheitsgrundrechte, S. 324 ff.; Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 226. 200 Bspw. Krings, Grund und Grenzen grundrechtlicher Schutzansprüche, S. 245. Allg. Dietlein, Grundrechtliche Schutzpflichten, S. 175 f.; Möstl, DÖV 1998, 1029 ff. 201 Böckenförde, Der Staat 29 (1990), 1 (31). 202 Böckenförde, Der Staat 29 (1990), 1 (25). 203 So in BVerfGE 52, 380.

III. Entwicklung des Verwaltungsverfahrensrechts

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Mit den Schutzpflichten hat die Verfahrensdimension gemein, keine definitive Rechtsfolge aufzuweisen. Sie bedarf in jedem Einzelfall der Konkretisierung, welche den legislativen Spielraum zu achten hat. Der Konflikt zwischen authentischer Verfassungsinterpretation durch das BVerfG und dem Spielraum des parlamentarischen Gesetzgebers bleibt insoweit ungelöst. Es wird daher von Interesse sein, die Verfahrensdimension der Grundfreiheiten ebenfalls auf mögliche Kompetenzkonflikte zu untersuchen. In Anbetracht der Schwierigkeiten einer Systematisierung und ihrem begrenzten Nutzen wird der Abschnitt zur Verfahrensdimension der Europäischen Grundfreiheiten einem kasuistischen Ansatz folgen. Innerhalb der jeweiligen Fallkonstellationen wird die Funktion des Verfahrens in die Struktur der Grundfreiheiten einzuordnen sein.

4. Fazit Das Verwaltungsverfahren zeigt sich starken verfassungsrechtlichen Einflüssen ausgesetzt. Gerade aus dem Rechtsstaatsprinzip und den materiellen Grundrechten ergeben sich mitunter konkrete Anforderungen an die Verfahrensgestaltung. Im Zentrum stehen Informations-, Partizipations- und Rechtsschutzanforderungen. Als wesentliche Verfahrenselemente sind v. a. Information, Anhörung und Begründung zu nennen. Die Grundrechte erfahren komplementär zu ihrer materiellrechtlichen Wirkung eine effektive Durchsetzung mittels Verfahren. Allerdings birgt die Verfahrensdimension der Grundrechte die Gefahr nicht unerheblicher Rechtsunsicherheiten. Es lassen sich kaum abstrakte Aussagen über ihre Reichweite treffen. Im Einzelfall erfordert dies eine genaue Untersuchung der jeweiligen Verfahrenssituation. Die Notwendigkeit einer kasuistischen Betrachtungsweise stärkt die Rolle der Verfassungsgerichtsbarkeit. Dieser Befund wird auf der Ebene des Gemeinschaftsrechts erneut zu erheben sein.

III. Entwicklung des Verwaltungsverfahrensrechts III. Entwicklung des Verwaltungsverfahrensrechts

1. Kodifiziertes Verwaltungsverfahren Im Grundgesetz finden sich keine unmittelbaren Regelungen zum Verwaltungsverfahren.204 Lediglich das Verwaltungsprozessrecht wird bspw. durch Art. 19 Abs. 4, Art. 103 Abs. 1 GG prädeterminiert und hat schon früh eine einfachrechtliche Konkretisierung und Kodifikation erfahren.205 204 Zur vorkonstitutionellen Geschichte des Verwaltungsverfahrens s. Pünder, in: Erichsen/ Ehlers, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 12, Rn. 4; Ule/Laubinger, Verwaltungsverfahrensrecht, § 6, Rn. 1 ff. jew. m. w. N. 205 Durch das SGG (vom 3.9.1953, BGBl. I, S. 1239 ff.), die VwGO (vom 21.1.1960, BGBl. I, S. 17 ff.) und die FGO (vom 6.10.1965, BGBl. I, S. 1477 ff.).

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Teil 1, B. Prozeduralisierung im (Verwaltungs-)Recht

Nach langer Vorarbeit trat 1977 das Verwaltungsverfahrensgesetz des Bundes206 in Kraft. Das VwVfG brachte nicht nur Vorteile für Bund und Länder mit sich, sondern war auch bürgerfreundlicher. Büßt kodifiziertes Recht auf der einen Seite an Flexibilität ein, wird es andererseits nicht nur für den Anwender, sondern auch für den Adressaten durchschaubarer.207 Damit werden dessen Rechte nicht nur im Sinne des Rechtsstaates einfachrechtlich festgeschrieben, sondern für den Einzelnen erst rechtstatsächlich zugänglich. Die Rechtsstellung und Partizipationsmöglichkeiten des Einzelnen im Verwaltungsverfahren werden erst dadurch greifbar, dass sie in einer zentralen Rechtsquelle niedergelegt sind.208 Dieser Vereinfachungs- und Konkretisierungseffekt wird durch Ausnahmen und bestehende Spezialregelungen eingeschränkt. Eine grundlegende Einschränkung erfährt das VwVfG dadurch, dass gem. § 1 Abs. 1 nur öffentlich-rechtliche Verwaltungstätigkeiten von Behörden und gem. § 9 VwVfG nur solche Verwaltungsverfahren dem Gesetz unterfallen, die auf einen VA oder einen öffentlich-rechtlichen Vertrag gerichtet sind. Diese Beschränkung des sachlichen Anwendungsbereiches ist vielfach kritisiert worden.209 Das Konzept des VwVfG ist auf die hoheitliche, entscheidungsorientierte Verwaltungstätigkeit begrenzt.210 In der Tat schwächen diese Einschränkungen die Wirkkraft des VwVfG.211 In dem Maße wie schlicht-hoheitliches oder (verwaltungs-)privatrechtliches Handeln212 der Verwaltung zunehmen, verliert es an Vorbildfunktion.213 Stattdessen muss auf Analogien, allgemeine Rechtsgrundsätze oder verfassungsrechtliche Grundsätze zurückgegriffen werden. Im Hinblick auf die Europäisierung des Verwaltungsrechts mag sich dieser Umstand jedoch als Vorteil erweisen. Eine einheitliche Kodifikation der Mehrzahl der Verwaltungsverfahren wäre für Konvergenzen mit dem europäischen Verwaltungsrecht214 wohl weitaus weniger empfänglich.

206

§ 103 VwVfG vom 25.6.1976 (BGBl. I, S. 1253). So auch Stelkens/Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, Einl., Rn. 13. 208 Ule/Laubinger, Verwaltungsverfahrensrecht, § 1, Rn. 5. 209 Zum Ganzen Pünder, in: Erichsen/Ehlers, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 12, Rn. 6; Schoch, Verw 25 (1992), 21 (33 f.). Kritik der „künstlichen Beschränkung“ durch § 9 VwVfG schon bei Pietzcker, VVDStRL 41 (1983), 193 (214 f.); für teilweise verfassungswidrig hält die Regelung Pitschas, Verwaltungsverantwortung, S. 44. 210 Schmidt-Aßmann, NVwZ 2007, 40 (41 f.). 211 Die Bezeichnung „Grundgesetz der Verwaltung“ (Schily, NVwZ 2000, 883 [887]) verdient es mit abnehmender Prägewirkung immer weniger. Für eine steigende Bedeutung gerade in Hinblick auf die zunehmende Diversifizierung des Verwaltungsrechts Stelkens/Schmitz, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 9, Rn. 2 f. 212 Zu Letzterem Ehlers, Verwaltung, 1984. 213 s. auch Schmidt-Aßmann, NVwZ 2007, 40 (41), der zwar eine positive Konzentrationswirkung des VwVfG konstatiert, aber Ansätze zu einem konzeptionellen prozeduralen Denken vermisst. 214 Zum Begriff Wahl, DVBl. 2003, 1285 (1291 ff.); zur Europäisierung des Verwaltungsverfahrensrechts u. Teil 1 B. IV. 207

III. Entwicklung des Verwaltungsverfahrensrechts

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Ein auf allgemeinen Rechtsgrundsätzen beruhendes Verfahren215 erleichtert eine Annäherung. An die Kodifizierung 1977 schloss sich eine Phase der Rechtsbereinigung und Vereinheitlichung an, innerhalb derer Sonderregelungen abgebaut und die Rolle des VwVfG gestärkt wurden.216 In den 1990er Jahren entwickelte sich ein gegenläufiger Trend.217 Rechtspolitisch waren Beschleunigung und Effizienzsteigerung erwünscht. Diese sollten in einem volkswirtschaftlichen Mehrwert resultieren, damit wirtschaftliche Entwicklungen und Entscheidungen nicht durch langwierige Verwaltungsverfahren verzögert würden.218 Die lange Dauer gerade von Planungsund Genehmigungsverfahren wurde als Innovationshindernis empfunden. T. d. L. standen dieser pauschalen Verfahrensreduktion jedoch kritisch gegenüber. Eine einseitige Rücknahme des Verwaltungsverfahrens könne zu einer Verlagerung auf die gerichtliche Ebene führen und damit jeden Zeitgewinn zunichte machen.219 Auch müssten solche umfassenden Reformbestrebungen bemüht sein, die verfassungsrechtlichen Bindungen des Verwaltungsverfahrensrechts einzuhalten.220 In der Folgezeit wurde eine Reihe von Gesetzen zur Verfahrensbeschleunigung und -vereinfachung erlassen.221 Eine grundsätzliche Bedeutung kommt den Änderungen in den §§ 45 f. VwVfG zu.222 Die Heilungsmöglichkeiten von und Unbeachtlichkeitsregelungen für Verfahrens- und Formfehler wurden ausgedehnt. Dies kann nicht nur als Akzentverschiebungen im Gleichgewicht der Mitwirkungsrechte Betroffener und der Öffentlichkeit gesehen werden. Auf dem Gebiet der Verfahrensfehlerfolge änderten sich vielmehr die Vorzeichen.223 215 Zu denken ist hier insbesondere an die Wirkung der Grundrechte auf für Verfahren, die nicht unter das VwVfG fallen. 216 Erstes Gesetz zur Bereinigung des Verwaltungsverfahrensrechts vom 18.2.1986 (BGBl. I, S. 265); Erstes Rechtsbereinigungsgesetz vom 24.4.1986 (BGBl. I, S. 560); Zweites Rechtsbereinigungsgesetz vom 16.12.1986 (BGBl. I, S. 2441); Drittes Rechtsbereinigungsgesetz vom 28.6.1990 (BGBl. I, S. 1221); hierzu Bonk, NVwZ 1997, 320 (321). 217 Pünder, in: Erichsen/Ehlers, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 12, Rn. 8; Voßkuhle, Strukturen und Bauformen, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Verwaltungsverfahren, S. 277 (282 ff.). Kritischer Überblick mit Bezug auf das Verwaltungsgerichtsverfahren bei Stelkens, NVwZ 1995, 325 (329). 218 Dafür bspw. Ronellenfitsch, NVwZ 1999, 583 (585 f.); Schlichter, DVBl. 1995, 173 ff. m. w. N.; kr itisch Voßkuhle, Verw 34 (2001), 347 ff. 219 Zum Zusammenhang von Verwaltungs- und Verwaltungsgerichtsverfahren insbes. Stelkens, NVwZ 1995, 325 ff. 220 Kritisch u. a. Hufen, Fehler, Rn. 5, 584 ff.; Schmidt-Aßmann, Ordnungsidee, Kap. 6, Rn. 55 f.; Schoch, Europäische Perspektive, in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem (Hrsg.), Strukturen, S. 279 (294 f.); Stelkens/Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, Einl., Rn. 30 f.; positive Bilanz in Bezug auf die Fehlerfolgenlehre Schmidt-Preuß, NVwZ 2005, 489 (491 f.). 221 Bsp. bei Stelkens/Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, Einl., Rn. 23a; Voßkuhle, Strukturen und Bauformen, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Verwaltungsverfahren, S. 277 (282, Fn. 20); s. auch Hufen, JuS 1999, 313. 222 Vgl. auch die parallel ausgestalteten Regelungen in den §§ 126 f. AO und §§ 41 f. SGB X; zu Letzteren Felix, NZS 2001, 341 ff. 223 Wahl, DVBl. 2003, 1285 (1292).

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Teil 1, B. Prozeduralisierung im (Verwaltungs-)Recht

2. Verhältnis von materiellem und Verfahrensrecht i. R. d. VwVfG Das Verhältnis von materiellem und Verfahrensrecht ist in der deutschen Verwaltungsrechtslehre nach wie vor ein vieldiskutiertes Thema. Die Debatte dreht sich um das Reizwort der „dienenden Funktion“224 des Verwaltungsverfahrens. Dahinter verbirgt sich die Frage, ob dem Verfahren eine eigenständige Richtigkeitsgewährfunktion innewohnt. Die normative Situation des allgemeinen Verwaltungsverfahrens nach dem VwVfG zeigt ein gemischtes Bild. Prozedurale Elemente wie Informations-, Anhörungs- und Begründungspflichten sieht das Gesetz verpflichtend vor. Die weitgefassten Fehlerfolgenregelungen schränken deren Wirksamkeit jedoch erheblich ein. Eine im Wege des § 45 VwVfG nachgeholte Anhörung erfüllt nicht mehr den gleichen Zweck wie eine Anhörung vor dem Erlass eines Verwaltungsaktes. Denn auf dessen Gestaltung hat sie gerade keinen Einfluss mehr. Sie kann ihn allenfalls ex post rechtfertigen. Für Bereiche des reinen Gesetzesvollzugs ist dieser Befund kaum als tragisch zu bezeichnen. Verfahrensfehler werden selten auf die Ergebnisrichtigkeit durchschlagen.225 Ist die Verwaltung hingegen berufen, aufgrund gesetzlicher Zielsetzungen eine möglichst optimale Lösung zu ermitteln,226 ergibt sich ein anderer Befund. Denn die Entscheidung der Verwaltung ist von der Gestaltung des Verfahrens abhängig. Hier besteht ein direkter Zusammenhang von Verfahren und Ergebnis. Es ist in solchen Fällen bereits zweifelhaft, ob sich, wie von § 46 VwVfG vorausgesetzt, überhaupt klären lässt, inwieweit das fehlerhafte Verfahren für die Entscheidung ausschlaggebend war. Ebenso bedenklich kann eine Heilung gem. § 45 Abs. 2 VwVfG erst im Verwaltungsprozess sein. Denn eine nachgeholte Anhörung i. R. e. komplexen Abwägungsverfahrens gibt der entscheidenden Behörde die Möglichkeit der Ex-ante-Abwägung nicht zurück.227 Dies offenbart ein – aus prozeduraler Sicht – konzeptionelles Problem des VwVfG. In dessen Mittelpunkt steht nicht das Verfahren, sondern die Entscheidung der Verwaltung in der Form des Verwaltungsaktes oder Verwaltungsvertrags.228 Diese Entscheidungen sind vom Verfahren losgelöst und rechtlich verselbstständigt. Darüber hinaus stehen mit dem Verwaltungsakt einseitige Regelungen durch die Verwaltung im Vordergrund.229 224

BT-Drs. 7/920, S. 65. Zur gesetzlich determinierten Verwaltungsentscheidung als Ursprung der dienenden Funktion des Verfahrens Pitschas, Verwaltungsstaat in der Krise, in: Konrad (Hrsg.), Grundrechtsschutz und Verwaltungsverfahren, S. 23 (38 f.). 226 Pitschas, Verwaltungsstaat in der Krise, in: Konrad (Hrsg.), Grundrechtsschutz und Verwaltungsverfahren, S. 23 (37): „Metajuristische Zweckverwirklichung“. 227 Hufen, Fehler, Rn. 600 ff. So für das Verfahren nach dem SGB X auch der 4. Senat des BSG, SozR 3-8850, § 5, S. 79 ff.; ausdrücklich offen gelassen vom 7a. Senat BSG, Urteil vom 6.4.2006 (Az.: B 7a AL 64/05 R = SGg 2006, 351), Ziff. 15. 228 Stelkens/Schmitz, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 9, Rn. 56 ff. 229 Schmidt-Aßmann, NVwZ 2007, 40 (41). Kooperative Tendenzen sieht dagegen Calliess, Prozedurales Recht, S. 133. 225

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Diese Diagnose bestätigt sich im Zusammenspiel von Verwaltungsverfahren und Verwaltungsprozess.230 Insoweit stellt sich die Frage, ob Betroffene einen Anspruch auf Durchführung eines „richtigen“ Verwaltungsverfahrens231 prozessual durchsetzen können. Die Verwaltungsgerichte sind berufen, die Rechtmäßigkeit von Verwaltungsentscheidungen zu überprüfen, § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO. Gem. Art. 20 Abs. 3 GG ist die Exekutive an Recht und Gesetz gebunden. Die Gesetzesbindung der Verwaltung differenziert grundsätzlich nicht nach formellen und materiellen Vorgaben.232 Dennoch schränkt die VwGO die Überprüfung von Verfahrensfehlern an mehreren Stellen erheblich ein. Die Klagebefugnis setzt zum einen die mögliche Verletzung eines subjektiv-öffentlichen Rechts voraus, § 42 Abs. 2 VwGO. Diese nach der Schutznormtheorie zu bestimmenden Rechte233 gehen von einem materiell-rechtlich geprägten Leitbild aus.234 Die Rechtsprechung misst Verfahrensrechten nur ein geringes Gewicht bei.235 Für die Klagebefugnis unterscheidet sie daher zwischen absoluten und relativen Verfahrensrechten. Nur die Verletzung der ersten Kategorie führt ohne materielle Auswirkungen zum Erfolg der Klage.236 Dies gilt insbesondere für enteignungsrechtliche Verfahrensvorschriften237 oder die früheren Beteiligungsrechte anerkannter Naturschutzverbände.238 Ansonsten lehnt die Rechtsprechung eine Ausdehnung der Kategorie absoluter Verfahrensrechte ab.239 Sog. relative Verfahrensrechte sind nach der Rechtsprechung hingegen auf eine „dienende Funktion“240 reduziert. Sie sollen nur Beachtung finden, wenn sie für ein fehlerhaftes materiell-rechtliches Ergebnis kausal waren.241 Relative Verfahrensrechte Drittbetroffener hat die Rechtsprechung bspw. für das immissionsschutzrechtliche Verfahren anerkannt.242 Hier ordnet sie auch grundrechtsschützende Verfahrensvorschriften ein.243 230 Gerhardt, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 113, Rn. 14 m. umfassenden N. in Fn. 51. 231 So schon Danwitz, DVBl. 1993, 422. 232 Schmidt-Aßmann, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Einleitung, Rn. 212. 233 So die ganz h. M.; vgl. nur Wahl/Schütz, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 42 Abs. 2 , R n. 45 f. m. w. N. 234 BVerwGE 70, 96 (99); Dolde, NVwZ 2006, 857 (858); Wahl, in: Schoch/SchmidtAßmann/Pietzner, VwGO, Vorb § 42 Abs. 2, Rn. 1, 45 ff.; Wahl/Schütz, in: Schoch/SchmidtAßmann/Pietzner, VwGO, § 42 Abs. 2, Rn. 72. 235 BVerwGE 92, 258 (261): „Verfahrensbeteiligungen erfüllen keinen Selbstzweck; sie haben, wie das Verfahren insgesamt, grundsätzlich dienende Funktion gegenüber dem Verfahrensziel.“ 236 Schmidt-Kötters, in: Posser/Wolff, BeckOK VwGO, § 42, Rn. 195. 237 Wieland, in: Dreier, GG, Art. 12, Rn. 177 m. w. N. 238 Gem. § 29 Abs. 1 BNatSchG a. F.; hierzu OVG Schleswig, NVwZ 1994, 590 ff. 239 Wahl/Schütz, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 42 Abs. 2, Rn. 73 a. E. m. w. N. 240 BVerwGE 105, 348 (354); E 92, 258 (261). 241 Schmidt-Kötters, in: Posser/Wolff, BeckOK VwGO, § 42, Rn. 197; Wahl/Schütz, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 42 Abs. 2, Rn. 74. 242 BVerwGE 85, 368 (374). 243 Zum atomrechtlichen Genehmigungsverfahren BVerwGE 61, 256 (275); E 75, 285 (291 f.).

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Teil 1, B. Prozeduralisierung im (Verwaltungs-)Recht

Insgesamt vertritt das BVerwG eine restriktive Linie in Bezug auf die Durchsetzbarkeit von Verfahrensrechten, die in der Literatur vermehrt auf Kritik trifft244. Die pauschale Reduzierung auf eine rein dienende Funktion des Verwaltungsverfahrens wird dessen vielfältigen Wirkungsweisen nicht (mehr) gerecht. Weiter eingeschränkt wird die Sanktionierbarkeit von Verfahrensfehlern durch die Regelung des § 44a VwGO. Diese Norm ist in unmittelbarer Verbindung mit den §§ 45, 46 VwVfG zu sehen.245 Sie dient ebenso dem Zweck, die rechtliche Angreifbarkeit von Verfahrensfehlern einzuschränken und verstärkt die Entscheidungszentriertheit des VwVfG. Die Geltendmachung von Verfahrensfehlern wird nicht in der Sache, wohl aber zeitlich eingeschränkt. Solange die Verwaltung noch keine Sachentscheidung getroffen hat, sind Rechtsbehelfe gegen Verfahrenshandlungen unzulässig, § 44a S. 1 VwGO. Diese Vorschrift hat schon früh grundsätzliche Kritik nicht nur im Hinblick auf sprachliche Ungenauigkeiten, sondern auch bzgl. des Art. 19 Abs. 4 GG und des Grundrechtsschutzes durch Verfahren ausgelöst.246 Eine verfassungskonforme Anwendung darf nicht dazu führen, dass Verfahrensfehler durch die Verwaltung, auch im Zusammenspiel mit den §§ 45 f. VwVfG, gänzlich folgenlos bleiben.247 Die gerichtliche Durchsetzung eines ordnungsgemäßen Verwaltungsverfahrens ist insbesondere für Drittbeteiligte nur sehr eingeschränkt möglich. Die nahezu zwangsläufige Folge ist ein geschmälerter Stellenwert des Verwaltungsverfahrens insgesamt. Sowohl das Fehlerfolgenregime des VwVfG als auch das Verhältnis von Verwaltungsverfahren und Verwaltungsprozess sind auf hoheitliche Verfahren ausgerichtet, die in einem Verwaltungsakt enden. Die Gestalt des Verwaltungsverfahrens hat sich aber mit der ausgeweiteten Staatstätigkeit diversifiziert. Daher muss die Rolle des Verfahrens für die Verwaltungstätigkeit außerhalb der klassischen hoheitlichen Betätigungsfelder neu definiert werden.

244 Statt vieler Hufen, Fehler, Rn. 540; Huber, Konkurrenzschutz, S. 272; Wahl/Schütz, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 42 Abs. 2, Rn. 77 ff.; a. A. wohl Schmidt-Kötters, in: Posser/Wolff, BeckOK VwGO, § 42, Rn. 195 ff. 245 Stelkens, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 44a, Rn. 2. 246 s. nur Grimm, NVwZ 1985, 865 (871); Hufen, Fehler, Rn. 634; Niedobitek, DÖV 2000, 761 (761); Pagenkopf, NJW 1979, 2382 f.; Redeker, NJW 1980, 1593 (1597); Stelkens, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 44a, Rn. 5 m. w. N. 247 So auch Hufen, Fehler, Rn. 635 m. w. N.; Stelkens, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 44a, Rn. 5.

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3. Neue Typen des Verwaltungsverfahrens Die Aufgaben der Verwaltung gehen heute weit über hoheitliches Handeln durch den Erlass von Verwaltungsakten hinaus. Besonders deutlich wird dies an Schlagwörtern wie dem „Gewährleistungsstaat“248, dem „neuen Steuerungsmodell“249 oder dem „kooperativen Verwaltungshandeln“250. Vor diesem Hintergrund ist eine Typenarmut der Verwaltungsverfahren zu konstatieren.251 Die Verwaltungsverfahren des VwVfG regeln nur einen Ausschnitt aus der Verwaltungstätigkeit. Das Regelverfahren der §§ 9 ff. VwVfG252 ist dogmatisches Prisma für den Erlass von Verwaltungsakten und den Abschluss öffentlich-rechtlicher Verträge. Daneben finden sich nur das förmliche Verfahren der §§ 63 ff. VwVfG sowie das Planfeststellungsverfahren der §§ 72 ff. VwVfG als besondere Verfahrensarten.253 Während für diese kodifizierten Verfahren der Befund von der Hilfsfunktion des Verfahrens bestehen bleibt, wirken sich die Einflüsse des Gemeinschaftsverwaltungsrechts wie bspw. im Umweltrecht gerade auf Spezialmaterien aus. Hier kommt es also zu Reibungen zwischen dem traditionellen und dem europäischen Verfahrensverständnis. Die mit dem VwVfG gewonnene dogmatische Einheit des Verwaltungsverfahrens ist ein hohes Gut. Soll sich die erwähnte Ausfransung der verschiedenen Verfahren nicht zu einer Spaltung entwickeln,254 bedarf es einer Typologie der Verwaltungsverfahren.255 Innerhalb dieser Verfahrenstypen kann die Rolle des Verfahrens dann differenziert untersucht werden. Eine solche Typenbildung hat Voßkuhle mittels einer Aufgabendifferenzierung vorgenommen: Anstatt die Form des Verwaltungshandelns in den Vordergrund zu stellen, soll die zu erfüllende Verwaltungsaufgabe strukturgebend für das Verfahren wirken.256 Diese Herangehensweise überzeugt insbesondere im Hinblick auf die oben beschriebene umfassende Grundrechtsbindung der Verwaltung im Verfahren. Deren Reichweite wird weniger von der Handlungsform, als von ihren rechtlichen und tatsächlichen Auswirkungen bestimmt. Daher scheint es folgerich248

Franzius, Der Staat 45 (2006), 547 ff.; Pünder, in: Erichsen/Ehlers, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 14, Rn. 54; Voßkuhle, VVDStRL 62 (2003), 266 (307 ff.); in Bezug auf das Vergaberecht auch Burgi, VergabeR 2007, 457 ff. 249 Ziekow, Modernisierung des Verfahrensrechts, in: König/Merten (Hrsg.), Verfahrensrecht, S. 69 ( 75 ff.) m . w. N. 250 Dreier, SuS 1993, 647 ff. Schneider, VerwArch 87 (1996), 38 ff.; Schröder, NVwZ 1998, 1011 ff.; Wolff u. a., VerwR I, § 2, Rn. 4. 251 Wahl, NVwZ 2002, 1192. 252 Ausführlich Pünder, in: Erichsen/Ehlers, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 13. 253 Bonk/Neumann, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 72, Rn. 1. 254 Wahl, DVBl. 2003, 1285 (1291) sieht die Gefahr der „Zweispurigkeit des Verwaltungsverfahrensrechts“. 255 Schmidt-Aßmann, Ordnungsidee, Kap. 6, Rn. 163 ff. 256 Voßkuhle, Strukturen und Bauformen, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Verwaltungsverfahren, S. 277 (286 ff.).

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tig, die Motive der Verwaltungstätigkeit in den Mittelpunkt zu stellen. Voßkuhle unterscheidet zunächst bestehende und neue Verfahrenstypen. Zur ersten Kategorie zählt der Autor die Verfahren der schlichten Gefahrenabwehr, die Verfahren zur Kontrolle privater Freiheitsbetätigung sowie solche der Anlagenzulassung. Die „klassische“ Gefahrenabwehr als erste Gruppe stellt das homogenste Gebilde dar. Sachlich divers fällt die zweite Gruppe aus. Hierunter zählt Voßkuhle weniger trennscharf alle Verfahren der abstrakten Gefahrenabwehr durch individuelle Betätigung wie Asyl- oder andere personenbezogene Genehmigungsverfahren. Beiden ist gemein, dass sie sich in einer bipolaren Konstellation, also begrenzt auf die Verwaltung und ihren Gegenüber, bewegen und in einer Verwaltungsentscheidung münden. Die dritte Gruppe umfasst formelle Genehmigungs- und Planfeststellungsverfahren. Zwar enden auch diese in einer Verwaltungsentscheidung, doch ist hier aufgrund der komplexen Interessenlage der Bedarf an einem spezifischen Verfahren wesentlich größer.257 Es handelt sich daher um sog. multipolare Verwaltungsbeziehungen.258 Diesen drei Gruppen klassischer und im VwVfG (teil-)kodifizierter Verfahren stellt Voßkuhle exemplarisch drei „neue“ Verfahrenstypen gegenüber: Verteilungsverfahren, Qualitätssicherungsverfahren und Risikoverfahren.259 Diesen ist gemein, dass der Gesetzgeber sie nicht an zentraler Stelle einheitlich geregelt hat. Sie sind, wenn überhaupt, in bereichsspezifischen Sonderregelungen zu finden. Zu den Verteilungsverfahren zählt Voßkuhle alle Verfahren, die der „(sach-)gerechten Verteilung knapper Güter bei einer Überzahl von Bewerbern“260 dienen. Als Differenzierungsmerkmal von herkömmlichen Verteilungsproblemen im Verwaltungsrecht sieht er die rationalisierende, wettbewerbsgesteuerte Bewerberauswahl. In dieser Kategorie, die neben der Vergabe von öffentlichen Aufträgen, Konzessionen und Subventionen auch die Besetzung von Beamtenstellen umfasst, spielten die Grundrechte wegen der staatlichen Mangelverwaltung eine besondere Rolle.261 Trotz der sachlichen Unterschiede sieht Voßkuhle bei diesen Verfahren strukturelle Gemeinsamkeiten: So sei das Verfahren selten durchgängig geregelt und damit auch die grundrechtssichernde Funktion des Verfahrens nicht einfachgesetzlich verfestigt. Weiter werde die realiter multipolare Interessenkonstellation mitunter künstlich auf eine bipolare Antragssituation reduziert.262 Dadurch würden Konkurrenten auf die Rolle des Drittbetroffenen verkürzt. Schließlich kritisiert Voßkuhle die Tren257 Zum Ganzen Voßkuhle, Strukturen und Bauformen, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Verwaltungsverfahren, S. 277 (287 ff.). 258 Hierzu passim Schmidt-Preuß, Kollidierende Privatinteressen im Verwaltungsrecht, 2005. 259 Zustimmend Schmidt-Aßmann, Ordnungsidee, Kap. 6, Rn. 163, weitere mögliche Verfahrenstypen unter Rn. 164. 260 Voßkuhle, Strukturen und Bauformen, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Verwaltungsverfahren, S. 277 (290 f.). 261 s. auch Koenig, Verteilungslenkung, S. 207 ff. 262 Voßkuhle, Strukturen und Bauformen, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Verwaltungsverfahren, S. 277 (293 f.).

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nung von Verfahren und materiell-rechtlichen Entscheidungskriterien. Oft werde die Verwaltung bei der Umsetzung unbestimmter Rechtsbegriffe allein gelassen.263 Strukturell sind diesen Verteilungsverfahren einige Verfahrenselemente gemeinsam.264 So kommt ein gerechtes und grundrechtssensibles Verteilungsverfahren nicht ohne eine gleichmäßige Information aller Interessenten und Bieter vor bzw. nach der eigentlichen Vergabeentscheidung aus. Um eine sachliche Entscheidung und ein faires Verfahren zu gewährleisten, bedarf es gewisser neutralitätssichernder Verfahrensmechanismen (z. B. Befangenheitsregelungen) sowie eines rationalen Auswahlmodus.265 Das Vergaberecht oberhalb der Schwellenwerte266 nimmt innerhalb dieser Gruppe eine gewisse Sonderstellung ein. Die innerstaatlichen und gemeinschaftsrechtlichen Regelungen sehen oberhalb der Schwellenwerte ein detailliertes und eher formstrenges Verfahrensregime vor. Insofern greift die dargestellte Kritik hier nicht. Vielmehr lässt sich an der Entwicklung dieses Rechtsgebiets die Metamorphose vom „Nicht-Verfahren“ zum eigenständigen Verfahrenstyp besonders gut nachvollziehen. Für Vergaben im Unterschwellenbereich fehlen diese einfachrechtlichen Vorgaben hingegen weit gehend, sodass es sich um ein klassisches, aber nahezu unreguliertes Verteilungsproblem handelt. Den verteilenden Verfahren stellt Voßkuhle solche des Qualitätsmanagements und der Risikosicherung zur Seite. Erstere sollen Zertifizierungs-, Akkreditierungs- und Audit-Verfahren umfassen. Diese seien rechtlich freiwillige Verfahren, die jedoch auch als faktische Marktzugangsvoraussetzung ausgestaltet sein könnten.267 Zwei der im nächsten Abschnitt zu untersuchenden Verfahren weisen Schnittmengen mit der Gruppe der Akkreditierungsverfahren auf, nämlich das Homologierungsverfahren268 sowie das Verfahren der Arzneimittelbewertung269. Bereits hier müssen die „gemeinschaftsrechtlichen Alarmglocken“ läuten. Derartige Verfahren, die eine Marktzugangsvoraussetzung darstellen, sind für Beeinträchtigungen der Grundfreiheiten prädestiniert. Den Akkreditierungsverfahren ist gemein, dass sie ein ausdifferenziertes Anforderungsprofil zugrundelegen,270 welches im Verfahren zu überprüfen ist. Es wird zu zeigen sein, dass der EuGH in seiner Rechtsprechung aus Gründen der Kompetenzverteilung weniger Einfluss auf die materiellen Akkreditierungsvoraussetzungen selbst nimmt als auf das Akkreditierungsverfahren. 263 Voßkuhle, Strukturen und Bauformen, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Verwaltungsverfahren, S. 277 (294). 264 Hierzu schon Koenig, Verteilungslenkung, S. 255 ff. 265 Voßkuhle, Strukturen und Bauformen, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Verwaltungsverfahren, S. 277 (307 ff.). 266 Zur Zweiteilung des Vergaberechts u. Teil 2 A. VI. 2. b). 267 Voßkuhle, Strukturen und Bauformen, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Verwaltungsverfahren, S. 277 (309 ff.). 268 s. u. Teil 2 A. V. 5. 269 s. u. Teil 2 A. IV. 1. f). 270 Voßkuhle, Strukturen und Bauformen, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Verwaltungsverfahren, S. 277 (318 f.).

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Teil 1, B. Prozeduralisierung im (Verwaltungs-)Recht

Risikoverfahren hätten schließlich die Regelung risikoträchtiger technischer Innovationen zum Ziel. Hier habe die Verwaltung eine Prognoseentscheidung zu treffen.271 Prominente Beispiele finden sich im Gentechnikrecht und der Arzneimittelzulassung.272 Im Rahmen dieser Untersuchung bietet es sich aufgrund der vorliegenden Judikate des EuGH an, das Verfahren zur Zulassung von Lebensmittelzusätzen einer näheren Betrachtung zu unterziehen.273 Gerade an diesem Verfahrenstyp zeigt sich, dass eine Verwaltungsentscheidung ohne ein entsprechendes Verfahren nicht sinnvoll getroffen werden kann. Die sachliche Richtigkeit einer Prognoseentscheidung kann kaum losgelöst von ihrem Entstehungsprozess beurteilt werden. Typischerweise wird die Verwaltung in dieser Verfahrenskategorie externen wissenschaftlichen Sachverstand hinzuziehen.274 Wie zu zeigen sein wird, ergeben sich aus der Kompetenzverteilung zwischen der Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten besondere gemeinschaftsrechtliche Vorgaben für das Verfahren, während die materiellen Kriterien der Prognoseentscheidung den Mitgliedstaaten überlassen bleiben.275 Diese Kategorisierung von Verfahren hilft, Verfahrensstrukturen zu vergleichen und für ähnlich gelagerte Aufgaben vergleichbare Lösungen zu finden. Aus dieser Abstraktion lassen sich freilich keine normativen Schlüsse ziehen. Ihr Nutzen liegt darin, für ein breiteres dogmatisches Fundament der Verfahrensrechtslehre erste Orientierungspunkte zu liefern.276 Weiter zeigt dieser Überblick über neu entstandene Verfahrenstypen den fließenden Übergang von hoheitlichen zu verwaltungsprivatrechtlichen oder gar gänzlich privaten277 Entscheidungen. Die Entscheidungsform als Fixstern verwaltungsrechtlicher Dogmatik verliert damit an Strahlkraft.

4. Begriff des Verwaltungsverfahrens Der Terminus des Verwaltungsverfahrens ist vielschichtig.278 Eine allgemein anerkannte Typologie besteht nur ansatzweise.279 Zunächst ist an das Verfahren i. S. d. VwVfG zu denken. Gem. § 9 VwVfG ist Verwaltungsverfahren i. S. d. VwVfG

271 Voßkuhle, Strukturen und Bauformen, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Verwaltungsverfahren, S. 277 (330 ff.). 272 Voßkuhle, Strukturen und Bauformen, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Verwaltungsverfahren, S. 277 (330 ff.). 273 s. u. Teil 2 A. III. 4. 274 Voßkuhle, Strukturen und Bauformen, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Verwaltungsverfahren, S. 277 (331). 275 Teil 2 A. III. 3. 276 Schmidt-Aßmann, Ordnungsidee, Kap. 6, Rn. 162, 164. 277 V.a. i. R. d. Q ualitätssicherung. 278 Wahl, DVBl. 2003, 1285 (1286). 279 Statt vieler Maurer, Allg. VerwR, § 19, Rn. 1 ff.

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„die nach außen wirkende Tätigkeit der Behörden, die auf die Prüfung der Voraussetzungen, die Vorbereitung und den Erlaß eines Verwaltungsaktes oder auf den Abschluß eines öffentlich-rechtlichen Vertrages gerichtet ist.“

Kennzeichnend ist insoweit die Entscheidungsform, d. h. der abschließende Rechtsakt. Jedoch lässt sich der Begriff des Verwaltungsverfahrens nicht auf die Definition des VwVfG reduzieren, da dieses nur einen Ausschnitt des Verwaltungshandelns umfasst.280 Als Verwaltungsverfahren wird vielmehr jedes „rechtlich geordnete Verfahren zur Sachverhaltsermittlung, Vorbereitung und Erlass einer Entscheidung der Verwaltung“281 verstanden, oder knapp: „Verwaltungsverfahren ist das Verfahren der Verwaltungsbehörden“282. Es stellt ein Handlungsgefüge zwischen der öffentlichen Verwaltung und dem Bürger zur Verfügung283 und kann daher nicht auf die Handlungsform reduziert werden. Nach wie vor stellen die Verwaltungsverfahren i. S. d. VwVfG und administrative Rechtsetzungsverfahren die wichtigsten und weit reichendsten Verfahrensarten dar. Die rechtsstaatliche und grundrechtliche Bindung der Verwaltung erstreckt sich aber über diesen engen Bereich hinaus. Auch auf dem Gebiet des Vergaberechts kann die Verwaltung nicht vollkommen frei von diesen Vorgaben agieren.284 Mit Blick auf das deutsche Recht stellt die Frage nach der Handlungsform nur eine Vorentscheidung für das Ausmaß der Bindung dar. Aus der europarechtlichen Perspektive kommt der Handlungsform, gar der Unterscheidung zwischen öffentlichem und Privatrecht nur eine untergeordnete Rolle zu. Denn das Gemeinschaftsrecht differenziert in seiner Bindungswirkung nicht zwischen den verschiedenen Rechtsregimen. Die Wahl der Umsetzungsmittel bleibt dem nationalen Recht überlassen.285 Das Effektivitätsgebot bedingt daher die Gleichbehandlung privatrechtlicher und öffentlich-rechtlicher Handlungen der Verwaltung.286

5. Fazit Die vorstehende Darstellung zeigt ein Erstarken des Verfahrensgedankens im Verwaltungsrecht. Mit der Kodifikation des VwVfG hat das Verwaltungsverfahren eine Verankerung erfahren, die die starke verfassungsrechtliche Prägung einfachrechtlich verarbeitet. Ein grundlegender struktureller Wandel aus dem nationalen Recht heraus ist jedoch noch nicht zu erkennen. Das deutsche Verwaltungsrecht wird nach wie vor von materiellen Anforderungen dominiert.287 Dies wirkt sich 280

s. o. Teil 1 B. III. 4. Clausen, in: Knack, VwVfG, Vor § 9, Rn. 3. 282 Bettermann, VVDStRL 17 (1959), 118. 283 Schmidt-Aßmann, Ordnungsidee, Kap. 6, Rn. 48; Schoch, Verw 25 (1992), 21 (24). 284 Schmidt-Aßmann, Ordnungsidee, Kap. 6, Rn. 48. 285 Skouris, EuR 1998, 111 (117 f.). 286 Näher zum Vergabeverfahren als Verwaltungsverfahren u. Teil 2 A. VI. 3. b) bb). 287 Kritisch zur unterschiedlichen materiellen Kontrolldichte Gerhardt, in: Schoch/SchmidtAßmann/Pietzner, VwGO, § 113, Rn. 21. 281

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auch auf das Verhältnis zum Verwaltungsprozess aus. Die deutschen Verwaltungsgerichte sehen es – in Übereinstimmung mit den Vorstellungen des Gesetzgebers – weiter als ihre Aufgabe an, Verwaltungsentscheidungen in weitem Umfang auch inhaltlich zu überprüfen. Dem steht notwendig eine zurückgenommene Kontrolle des Verwaltungsverfahrens gegenüber, die auf dem Fehlerfolgenregime der §§ 45, 46 VwVfG gründet. I. R.d. reinen Gesetzesvollzuges stehen dieser Schwerpunktsetzung keine Bedenken entgegen. Kritik ist jedoch angebracht, soweit die Verwaltung zur Ausfüllung unbestimmter Rechtsbegriffe berufen ist oder sich privatrechtlicher Handlungsformen bedient. Eine Verfahrenstypologie, die den verschiedenen Aufgabestellungen der Verwaltung Rechnung trägt, kann jedoch als Ausgangspunkt dogmatischer Ausdifferenzierungen dienen. So obliegt der Verwaltung die Durchführung vielfältiger und komplexer Verteilungs- und Qualitätssicherungsverfahren. Die Kategorisierung von Verwaltungsverfahren erleichtert es, Verfahrensstrukturen zu analysieren und prozedurale Funktionsweisen zu differenzieren. Dieser Blickwinkel erweist sich insbesondere unter dem Einfluss des Gemeinschaftsrechts also vorteilhaft. Aus diesem erhält das nationale Recht starke prozedurale Impulse, die im Widerspruch zu den eben dargestellten Beschleunigungsbestrebungen stehen288.

IV. Prozeduralisierung durch Europäisierung IV. Prozeduralisierung durch Europäisierung

1. Begriff der Europäisierung Unter dem Schlagwort der Europäisierung wird der zunehmende Einfluss des Gemeinschaftsrechts auf die nationalen Rechtsordnungen verstanden.289 Dieser vielschichtige Prozess290 lässt sich im Großen und im Kleinen beobachten. Dementsprechend ist er auf makro- und mikrokosmischer Ebene beschrieben. Im wohl höchsten Abstraktionsgrad ist die Idee des europäischen Verfassungsverbundes anzusiedeln.291 Der Begriff des Verfassungsverbundes beschreibt die Entstehung einer Gesamtverfassung, die sich aus dem Primärrecht der Union und den Verfassungen der Mitgliedstaaten zusammensetzt.292 Da die Europäische Union in ihrer Entwicklung von den Mitgliedstaaten abhängig ist, handelt es sich um ein „System wechselseitiger Verfassungsbefruchtung und -stabilisierung“293. 288 Voßkuhle, Strukturen und Bauformen, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Verwaltungsverfahren, S. 277 (283 f.); Wahl, DVBl. 2003, 1285 (1292). 289 Zur Europäisierung als interdisziplinärer Begriff vgl. Sturm, Europäisierung, in: Schuppert/Pernice/Haltern (Hrsg.), Europawissenschaft, S. 101 ff. sowie zur Europäisierung als Integrationsprozess Haltern, Europarecht, Rn. 41 ff. 290 Europäisierung als Prozess: Schoch, JZ 1995, 109 (114). 291 Grundlegend hierzu Pernice, EuR 1996, 27 ff. 292 Steinberg, ZRP 1999, 365 f.; zum Begriff auch Kingreen, Sozialstaatsprinzip, S. 381 ff. 293 Calliess, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 1 EUV, Rn. 38.

IV. Prozeduralisierung durch Europäisierung

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Unterhalb der verfassungsrechtlichen Ebene zeigt sich ein ähnliches Bild. Historisch fand zuerst ein Transfer vom nationalstaatlichen in den Bereich des Gemeinschaftsrechts statt. Die Rechtstraditionen der Mitgliedstaaten dienten und dienen dem EuGH als Rechtserkenntnisquelle294 für das Gemeinschaftsrecht. Das Recht der Mitgliedstaaten bildet die Basis der europäischen Rechtsordnung. Der Transfer in die entgegengesetzte Richtung, d. h. der Einfluss des europäischen auf das nationale Recht, ist jedoch inzwischen qualitativ und quantitativ von größerer Bedeutung und Aktualität.295 Je reichhaltiger und umfassender der Acquis communautaire wird, desto größer wird sein Einfluss auf das nationale Recht. Teilweise wird schon von einer Angleichung gesprochen.296 Besonders stark wirkt sich das Gemeinschaftsrecht auf das öffentliche Recht aus,297 ist jedoch nicht auf dieses beschränkt.298 Inzwischen lässt sich für nahezu jedes Rechtsgebiet299 ein gewisser Grad an Europäisierung konstatieren.300 Das Verwaltungsrecht ist hiervon in besonderem Maße betroffen, ist es doch Mittel der Wahl, das Verhalten staatlicher Stellen zu steuern.301 Darüber hinaus steht es ob seiner vergleichsweise hohen Regelungsdichte einer gemeinschaftsrechtskonformen Auslegung nur begrenzt offen.302 Die Einwirkungsmechanismen und Auswirkungen des Europarechts auf das Verwaltungsrecht sind in den letzten 15 bis 20 Jahren Gegenstand einer wachsenden Zahl von Untersuchungen geworden.303 Strukturelle Unterschiede finden sich v. a. im Bereich des Verwaltungsverfahrensrechts. Das Besondere Verwaltungsrecht ist konkret und sachbezogen. Die Angleichung nationaler Regelungen an die europäischen Vorgaben ist insoweit auch punktuell möglich. Für das Allgemeine Verwaltungsrecht – und das Verwaltungsverfahren insbesondere – gilt dies nicht ohne Weiteres. Denn zum einen ist das Verfahren eng mit der Verwaltungsorganisation verbunden.304 Zum anderen wirkt Verfahrensrecht durch Standardisierung der Verfahrensabläufe als Ordnungsmodell.305 294 Schmidt-Aßmann, Zur Europäisierung des allgemeinen Verwaltungsrechts, in: Badura (Hrsg.), FS-Lerche, S. 513 (518); Streinz, Europarecht, Rn. 361. 295 Schwarze, Europäisches Verwaltungsrecht, S. XCII. 296 Schwarze, Europäisches Verwaltungsrecht, S. XCIII; Wahl, DVBl. 2003, 1285 (1291 f.). 297 Wahl, Der Staat 38 (1999), 495 ff. 298 Auch das BGB ist inzwischen von einer ganzen Reihe von Richtlinien geprägt. 299 Auch für gänzlich wirtschaftsferne Rechtsgebiete wie das Familien- oder Erbrecht, vgl. nur Boele-Woelki/Mom, FPR 2006, 232 ff.; Stumpf, EuZW 2006, 587 ff. 300 Zur „Omnipräsenz des Europarechts“ schon Schoch, JZ 1995, 109 f.; Wahl, DVBl. 2003, 1285. 301 Kuntze, Allgemeines Verwaltungsrecht, in: Bergmann/Kenntner (Hrsg.), Verwaltungsrecht unter europäischem Einfluss, S. 133 (136, Rn. 4); Schmidt-Aßmann, Problemskizze, in: SchmidtAßmann/Hoffmann-Riem (Hrsg.), Strukturen des Eur. VerwR, S. 12 (15). 302 Classen, NJW 1995, 2457. 303 Insbes. Kadelbach, Allgemeines Verwaltungsrecht unter europäischem Einfluß, 1999; Schwarze, Europäisches Verwaltungsrecht, 2005. 304 Zur Auswirkung des Gemeinschaftsrechts auf die Verwaltungsorganisation Ehlers, in: Erichsen/Ehlers, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 4, Rn. 52. 305 Schmidt-Aßmann, NVwZ 2007, 40.

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Teil 1, B. Prozeduralisierung im (Verwaltungs-)Recht

Es kann aber zur Rationalität, Effizienz und Rechtmäßigkeit von Verwaltungsentscheidungen nur beitragen, wenn ex ante verlässliche Verfahrensstrukturen bestehen. Punktuelle, gar fallbezogene Betrachtungen können zu erheblicher Rechtsunsicherheit sowohl beim Rechtsanwender als auch bei den Betroffenen führen. Die Notwendigkeit eines dogmatisch fundierten Systems der Verwaltungsverfahren im „Kraftfeld des europäischen Gemeinschaftsrechts“306 wird umso offensichtlicher, je breiter und tiefer sich der Einfluss des Gemeinschaftsrechts auf das nationale Verwaltungsverfahren gestaltet.307 Diese Untersuchung unterzieht die Verfahrensdimension des Gemeinschaftsrechts in der Rechtsprechung des EuGH einer näheren Betrachtung. Einen dogmatischen Ansatz zur Einordnung kann sie auf der Grundlage der einzelfallgeprägten Judikatur nicht erbringen. Allerdings bildet ein Verständnis des Verhältnisses von materiellen und prozeduralen gemeinschaftsrechtlichen Anforderungen an das mitgliedstaatliche Verfahren die Grundlage für jede dogmatische Weiterentwicklung. Im Gegensatz zum deutschen Recht ersetzt das Gemeinschaftsrecht inhaltliche Maßstäbe in vielen Fällen durch prozedurale Anforderungen. Im Gemeinschaftsverwaltungsrecht stoßen diese unterschiedlichen Ansätze aufeinander.

2. Prozeduralisierung mittels Gemeinschaftsverwaltungsrechts Das Gemeinschaftsverwaltungsrecht bezeichnet die rechtlichen Bindungen der Mitgliedstaatlichen Verwaltung beim Vollzug des Gemeinschaftsrechts. Vollzug ist hierbei in einem weiten Sinne zu verstehen. Darunter fällt nicht nur die (un-)mittelbare Anwendung des Gemeinschaftsrechts, sondern auch die Beachtung europarechtlicher Vorgaben bei der Anwendung nationalen Rechts.308 Dieses Feld ist bei Weitem größer als das des direkten Vollzugs. Es stellt sich daher die Frage, wie weit die Befugnisse der Gemeinschaft gehen, ein Verfahren für den indirekten Vollzug zu regeln.309 Eine Totalkodifikation,310 also ein allgemeines Gemeinschaftsverwaltungsverfahren, findet sich nicht. Die EG ist insoweit durch den Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung311 gebunden. Jedoch sieht der AEUV spezielle Ermächtigungen vor. Diese sind nicht auf materiell-rechtliche Regelungen eines Sachgebiets beschränkt, sondern lassen sich auch für prozedurale Anforderungen fruchtbar machen. Der Gemeinschaft

306

So Classen, Verw 31 (1998), 307. Ebenso schon Schoch, JZ 1995, 109 (111) m. Bsp. zur „Tiefenwirkung“ der Europäisierung des Verwaltungsrechts. 308 Hegels, EG-Eigenverwaltungsrecht, S. 27. 309 Kahl, NVwZ 1996, 865 (869). 310 Zur Total- und Teilharmonisierung u. Teil 2 A. III. 1. 311 Calliess, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 5 EGV, Rn. 8 ff.; vgl. auch Hatje, Gemeinschaftsrechtliche Steuerung, S. 105 ff. 307

IV. Prozeduralisierung durch Europäisierung

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wird insoweit eine Annexkompetenz (sog. „implied powers“) eingeräumt.312 Ein Beispiel hierfür stellt Art. 46 lit. b AEUV dar, der die EG zu Maßnahmen ermächtigt, um Verwaltungsverfahren zu beseitigen, die die Herstellung der Arbeitnehmerfreizügigkeit hindern.313 Die Kompetenz der EG zur Regelung nationaler Verwaltungsverfahren beschränkt sich somit auf sachspezifische Zusammenhänge. Abstrakt-generelle Anforderungen kann sie jedoch nicht aufstellen; der Grundsatz der mitgliedstaatlichen Verfahrensautonomie314 behält – im juristischen Sinne „grundsätzlich“ – seine Gültigkeit. Die Europäisierung des Verwaltungsverfahrens beruht damit nicht auf der Brute-force-Methode der Totalkodifikation, sondern wird von zwei anderen Komponenten getragen.

a) Direkte Europäisierung Zunächst existiert eine Vielzahl sekundärrechtlicher Vorschriften, die auf speziellen Ermächtigungen beruhen. Die Einwirkung dieser Normen auf das nationale Verwaltungsrecht kann als direkte Europäisierung bezeichnet werden.315 Kraft des Anwendungsvorrangs des Gemeinschaftsrechts316 setzen sich diese Vorgaben gegen nationale Verfahrensvorschriften durch.317 Sekundärakte dieser Art finden sich neben dem Vergaberecht318 u. a. im Bereich des Umweltrechts. Die Europäisierung des Verwaltungsrechts zeigt sich hier sehr eindrucksvoll in Gestalt des geplanten Umweltgesetzbuchs (UmwGB), welches in weiten Teilen auf den folgenden sekundärrechtlichen Vorgaben beruht.319 Die Verfahren des europäischen Umweltrechts bieten ein großes Arsenal an Informations-, Partizipations- und Rechtsschutzmöglichkeiten.320 Interessierte und Betroffene setzen sich bei der Wahrnehmung dieser Rechte nicht nur für eigene Rechte oder die Umwelt ein. Gleichzeitig fungieren sie als Katalysator des Gemeinschaftsrechts, indem sie den betreffenden Mitgliedstaat zum effektiven Vollzug zwingen.321

312

Classen, Verw 31 (1998), 307 (331 f.); Danwitz, DVBl. 1998, 421 (430); Pünder, in: Erichsen/Ehlers, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 12, Rn. 19. 313 Hierzu auch Schwarze, Europäisches Verwaltungsrecht, S. 50. 314 Pünder, in: Erichsen/Ehlers, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 12, Rn. 18. 315 Terminologie nach Wahl, DVBl. 2003, 1285 (1285). 316 Grundlegend EuGH, Rs. 11/70 (Internationale Handelsgesellschaft), Slg. 1970, 1125, Rn. 3. 317 Pünder, in: Erichsen/Ehlers, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 2, Rn. 103, § 12, Rn. 18. 318 Ausführlich u. Teil 2 A. VI. 2. b). 319 Kloepfer, Einführung, in: Kloepfer (Hrsg.), UmwGB, S. 9 (14). 320 Umfassend hierzu Ekardt, Information, Partizipation, Rechtsschutz, 2004. 321 Zu diesem Zusammenhang Calliess, Vorgaben für ein UmwGB: Europarecht, in: Kloepfer (Hrsg.), UmwGB, S. 35 (51 ff.).

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Teil 1, B. Prozeduralisierung im (Verwaltungs-)Recht

Die Umsetzung dieser Richtlinien führt zu einem Konflikt des stark materiellrechtlich und konditional geprägten deutschen Verwaltungsrechts mit den prozeduralen, mithin finalen Programmierungen des Gemeinschaftsrechts.322 Dieser Gegensatz hat die Integration der europäischen Vorgaben in das Gefüge des deutschen Verwaltungsrechts erheblich erschwert.323 Aus diesem Grund kann das Umweltrecht als Beispiel für die direkte Europäisierung des deutschen Verwaltungsrechts dienen. Die hohe Dichte sekundärrechtlicher Vorgaben hat die strukturell unterschiedlichen Vorstellungen des europäischen und des nationalen Rechts zu Tage treten lassen. Das deutsche Planungsrecht war und ist von umfassenden Abwägungsentscheidungen geprägt, die auch gerichtlich nachprüfbar sind. Der Schwerpunkt des Gemeinschaftsrechts liegt dagegen auf prozedural unterfütterten Zielvorgaben. Der unterschiedlich stark ausgeprägte Einfluss des Gemeinschaftsrechts macht einen konzeptionellen Ansatz zur Auflösung dieses Konflikts allerdings schwierig. Jedoch ist bei der Umsetzung gemeinschaftsrechtlicher Vorgaben darauf zu achten, die bestehenden Kongruenzen auszunutzen und die Unterschiede nicht zu verstärken.

b) Indirekte Europäisierung Der Einfluss des Europarechts auf das nationale Verwaltungsverfahrensrecht geht über die Beachtung und Umsetzung von Sekundärrecht hinaus. Auch das „autonome“ Verwaltungsverfahren unterliegt europäischen Einflüssen. Dies kann als indirekte Europäisierung bezeichnet werden.324 Ebenso wie im EG-Eigenverwaltungsrecht spielen richterrechtliche allgemeine Rechtsgrundsätze eine herausragende Rolle. Hier wie dort finden rechtsstaatliche Verfahrensanforderungen besondere Beachtung.325 Neben dem Ziel, ein rechtsstaatliches Verwaltungsverfahren zu gewährleisten, verfolgt das Gemeinschaftsrecht einen weiteren Zweck: Wo es mangels Kompetenz nicht selbst den Vollzug regeln kann, muss dennoch ein einheitlicher Rechtsstandard gewahrt bleiben.326 Auf dem Gebiet des mittelbaren Vollzugs richtet sich das Verfahren grundsätzlich nach nationalem Recht. Allgemeine Verfahrensgrundsätze zielen hierbei nicht auf die Ausformung eines gemeinschaftsrechtlichen Verfahrens, sondern steuern die Wechselwirkungen des Gemeinschaftsrechts mit nationalen Vorschriften. Daher kann bei der Herleitung der Grundsätze dieser zweiten Kategorie auch nicht sinn322

Breuer, NVwZ 1997, 833 (837); Calliess, Vorgaben für ein UmwGB: Europarecht, in: Kloepfer (Hrsg.), UmwGB, S. 35 (58 f., 61); Hansmann, NVwZ 2006, 51 f. Zur konditionalen und finalen Programmierung s. o. Teil 1 A. III. 2. b). 323 Hansmann, NVwZ 2006, 51 (53 ff.); Pernice/Kadelbach, DVBl. 1996, 1100 (1108). 324 Wahl, DVBl. 2003, 1285. 325 Rodriguez Iglesias, EuGRZ 1997, 289 (290); Pünder, in: Erichsen/Ehlers, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 12, Rn. 20. 326 Hegels, EG-Eigenverwaltungsrecht, S. 164 ff.: „integrationsspezifische Zielsetzungen“.

IV. Prozeduralisierung durch Europäisierung

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voll auf die gemeinsame Tradition der Mitgliedstaaten zurückgegriffen werden. Etwas anderes gilt nur, wenn dem Gemeinschaftsrecht eigenständige Vorgaben zu entnehmen sind.327 Von besonderem Interesse sind also die Grundsätze des Gemeinschaftsrechts, welche für ein System der Mehrebenenverwaltung bezeichnend sind. Die Ziele der Gemeinschaft lassen sich nur verwirklichen, wenn sichergestellt werden kann, dass die nationalen Verwaltungsbehörden sie nicht durch ihr Handeln konterkarieren. Die Mitgliedstaaten müssen daher insbesondere dem Grundsatz der Effektivität, der Äquivalenz und den Grundfreiheiten Genüge tun.328

aa) Effektivitätsgrundsatz Ohne die Wirksamkeit des Europarechts wäre eine einheitliche europäische Rechtsordnung nicht zu erreichen.329 Der Effektivitätsgrundsatz (=Grundsatz der praktischen Wirksamkeit)330 findet in Art. 4 Abs. 3 EUV seine normative Grundlage. Der Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit verpflichtet die Mitgliedstaaten auch bei der Anwendung innerstaatlichen Rechts. Dieses darf die Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts nicht „praktisch unmöglich machen oder erheblich erschweren“.331 Die Modalitäten des Vollzugs, d. h. das Verwaltungsverfahren, stehen hier im Vordergrund.332 So hat der EuGH bspw. Ausschlussfristen für die Rückforderung gemeinschaftsrechtswidriger Abgaben333 daraufhin überprüft, ob sie die Durchsetzung gemeinschaftsrechtlicher Vorschriften praktisch unmöglich machen.334 Hierbei wird der Prinzipiencharakter des Effektivitätsgebots deutlich. Denn der Gerichtshof wägt dieses regelmäßig mit dem Grundsatz der Rechts327 Hegels, EG-Eigenverwaltungsrecht, S. 45 f., die zwischen negativen und konstruktiven Vorgaben unterscheidet. Einen engeren Bezug zum EG-Eigenverwaltungsrecht sieht Pünder, in: Erichsen/Ehlers, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 12, Rn. 20. 328 Rodriguez Iglesias, EuGRZ 1997, 289 (291); Schwarze, Europäisches Verwaltungsrecht, S. C IV m . w. N. 329 Zuleeg, Wirksamkeit des Europarechts, in: Colneric u. a. (Hrsg.), FS-Rodríguez Iglesias, S. 221 (222 ff.). 330 EuGH, Rs. C-264/95 (Palmisani), Slg. 1997, I-4025, Rn. 27 f.; Rs. C-1/06 (Bonn Fleisch), Slg. 2007, I-5609, Rn. 41; differenzierend Kadelbach, Allgemeines Verwaltungsrecht unter europäischem Einfluß, S. 115. Zur veränderten Terminologie des EuGH vgl. Bogdandy/Bast, in: Grabitz/Hilf, EU, Art. 10 EGV, Rn. 45; Kahl, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 10 EGV, Rn. 31. 331 Aus jüngster Zeit EuGH, Rs. C-241/06 (Lämmerzahl), Slg. 2007, I-8415, Rn. 52; Rs. C-1/06 (Bonn Fleisch), Slg. 2007, I-5609, Rn. 41 m. w. N. Umfassende Nachweise bei Kadelbach, Allgemeines Verwaltungsrecht unter europäischem Einfluß, S. 116 f. (Fn. 345). 332 Hegels, EG-Eigenverwaltungsrecht, S. 165. 333 EuGH, Rs. C-264/95 (Palmisani), Slg. 1997, I-4025, Rn. 28; Rs. C-231/96 (Edis), Slg. 1998, I-4951, Rn. 20 m. w. N. 334 Überblick über die jüngere Rechtsprechung zu Ausschlussfristen nunmehr bei GA Maduro, Schlussantr. zu Verb. Rs. C-222-225/05 (van der Weerd u. a.), Slg. 2007, I-4223, Rn. 20 ff. Vgl. auch Hatje, Gemeinschaftsrechtliche Steuerung, S. 260 ff.

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Teil 1, B. Prozeduralisierung im (Verwaltungs-)Recht

sicherheit ab, behandelt beide also als Optimierungsgebote. Ähnliches zeigt sich bei der Rücknahme gemeinschaftsrechtswidriger Verwaltungsakte, gerade im Bereich des Beihilfenrechts.335 Dort gilt es, das Effektivitätsgebot mit dem Vertrauensschutz abzuwägen.336 Eine nationale Regelung, die einseitig den Vertrauensschutz des Empfängers in den Vordergrund stellt, indem sie die Rückforderung gezahlter Beihilfen regelmäßig unmöglich macht, hindert die praktische Wirksamkeit des europäischen Beihilfenrechts. Der EuGH sieht einen Subventionsempfänger dann nicht als schutzwürdig an, wenn dieser die Durchführung eines Nachprüfungsverfahrens gem. Art. 108 Abs. 3 AEUV nicht überprüft hat.337 Dieses Beispiel zeigt anschaulich, dass das Effektivitätsgebot auch einen Wettbewerbsaspekt enthält. Den Mitgliedstaaten wird so die Möglichkeit genommen, zugunsten eigener Staatsbürger das Beihilfenregime der Gemeinschaft zu umgehen. Der Grundsatz der Effektivität des Gemeinschaftsrechts trägt in erheblichem Maß zur Durchdringungskraft des innerstaatlichen Rechts bei.

bb) Äquivalenzgrundsatz Der Äquivalenzgrundsatz ergänzt das Gebot der praktischen Wirksamkeit und ist ebenso in Art. 4 Abs. 3 EUV zu verankern. Er fordert, Verfahren mit Gemeinschaftsbezug nicht anders zu behandeln als rein innerstaatliche Vorgänge.338 Formelle wie materielle Voraussetzungen dürfen also nicht ungünstiger ausfallen.339 Nationales Verfahrensrecht muss daher in gemeinschaftsrechtlichen Zusammenhängen mit der gleichen Sorgfalt angewendet werden.340 Auch die Kontrolle und Sanktionierung von Verstößen muss gleichwertig sein.341 335

Grundlegend EuGH, Verb. Rs. 205-215/82 (Deutsche Milchkontor), Slg. 1983, 2633, Rn. 25 ff. Hierzu Hatje, Gemeinschaftsrechtliche Steuerung, S. 251 ff.; Sachs, in: Stelkens/ Bonk/Sachs, VwVfG, § 48, Rn. 30 ff.; Suerbaum, VerwArch 91 (2000), 169 ff.; Tilmann/ Schreibauer, GRUR 2002, 212 ff. 336 Umfassend Hatje, Gemeinschaftsrechtliche Steuerung, S. 271 ff. Weiter Hoenike, EuZW 1997, 279 ff.; Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 48, Rn. 171 ff.; Triantafyllou, NVwZ 1992, 436 ff. 337 EuGH, Rs. C-24/95 (Alcan Deutschland), Slg. 1995, I-1591, Rn. 50, 54; Bogdandy/Bast, in: Grabitz/Hilf, EU, Art. 10 EGV, Rn. 47. 338 Grundlegend EuGH, Rs. 199/82 (San Giorgio), Slg. 1983, 3595, Rn. 12; hierzu Rodriguez Iglesias, EuGRZ 1997, 289 (291). S. auch EuGH, Rs. 33/76 (Rewe), Slg. 1976, 1989, Rn. 5; Rs. C-1/06 (Bonn Fleisch), Slg. 2007, I-5609, Rn. 41 m. w. N. 339 Zum Staatshaftungsrecht EuGH, Verb. Rs. C-6 u. 9/90 (Francovich), Slg. 1991, 5357¸ Rn. 41 ff. 340 So urteilte der EuGH, Verb. Rs. 205-215/82 (Deutsche Milchkontor), Slg. 1983, 2633, Rn. 23, dass „bei der Anwendung nationalen Rechts (…) keine Unterschiede im Vergleich zu Verfahren gemacht werden (dürften), in denen über gleichartige, aber rein nationale Rechtsstreitigkeiten entschieden“ werde. Nationale Behörden müssten ebenso sorgfältig vorgehen wie in vergleichbaren Fällen. 341 Bogdandy/Bast, in: Grabitz/Hilf, EU, Art. 10 EGV, Rn. 45.

IV. Prozeduralisierung durch Europäisierung

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Der Äquivalenzgrundsatz etabliert kein uniformes europäisches Verfahren. Er nimmt die Unterschiede zwischen den nationalen Rechtsordnungen hin und beschränkt sich darauf, die gleichwertige Behandlung innerstaatlicher Sachverhalte und solcher mit Gemeinschaftsbezug sicherzustellen.

cc) Grundfreiheiten Die Grundfreiheiten des AEUV verfolgen, ebenso wie die Grundsätze der Effektivität und der Äquivalenz, das Ziel der europäischen Integration. Sie gehören zu den materiellen Determinanten des europäisierten Verwaltungsrechts.342 Die Rechtsordnungen der Gemeinschaft und der Mitgliedstaaten sollen in Einklang gebracht, Hemmschwellen für den Binnenmarkt abgebaut werden.343 Die Grundfreiheiten wirken damit in die gleiche Richtung wie die schon dargestellten Grundsätze des Gemeinschaftsrechts. Ihre Besonderheit liegt darin, dass sie ihre Träger mit subjektiven Rechten ausstatten.344 In Wahrnehmung dieser Rechte kann sich der Einzelne aber nicht nur gegen Diskriminierungen zur Wehr setzen und ein bloßes Unterlassen des Mitgliedstaates einfordern, sondern auch ein Tätigwerden der Adressaten zum Schutze dieser Rechte verlangen.345 Diese Handlungen können in der Durchführung eines Verwaltungsverfahrens bestehen. Die Grundfreiheiten können daher bei der Ausgestaltung eines nationalen Verwaltungsverfahrens von Bedeutung sein.346

3. Fazit Die Europäisierung des Rechts erstreckt sich auf alle Rechtsebenen und -gebiete. Ein „europäisches Verwaltungsrecht“ lässt sich dagegen erst schemenhaft erkennen. Neben wenigen positivrechtlichen Vorgaben stellt es sich als primärrechtlich geprägte Materie dar. Im Vordergrund steht die vielschichtige Einflussnahme des Gemeinschaftsrechts auf das innerstaatliche Verwaltungsrecht. Hier lassen sich die direkte und die indirekte Europäisierung unterscheiden. Während erstere mehr oder weniger konkrete Umsetzungsmaßnahmen im nationalen Recht verlangt, sind die Auswirkungen der indirekten Europäisierung auf das Verwaltungsverfahren subtiler. Der Gemeinschaft kommen insoweit keine Regelungskompetenzen zu. Gemeinschaftsrechtliche Rechtsakte können nur i. R. v. implied powers auf das

342

Schmidt-Aßmann, Ordnungsidee, Kap. 7, Rn. 34 f. Kingreen, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 28–30 EGV, Rn. 2. 344 EuGH, Rs. 26/62 (van Gend & Loos), Slg. 1962, 3 (25); Ehlers, in: Ehlers, GuG, § 7, Rn. 8; Kingreen, Struktur der Grundfreiheiten, S. 23 ff. 345 Ehlers, in: Ehlers, GuG, § 7, Rn. 34; Frenz, Handbuch Europarecht I, Rn. 190 ff. Näher u. Teil 2 A. II. 2. 346 Pünder, in: Erichsen/Ehlers, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 12, Rn. 20. 343

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Teil 1, B. Prozeduralisierung im (Verwaltungs-)Recht

mitgliedstaatliche Verwaltungsverfahren Einfluss nehmen. I. R. dieser Einflussnahme gewinnen prozedurale Regelungsansätze an Bedeutung. In Bezug auf das Verwaltungsverfahren überwiegt die indirekte Europäisierung. In deren Zentrum stehen die allgemeinen Rechtsgrundsätze der Effektivität und Äquivalenz sowie die Grundfreiheiten. Sie erweitern den Einfluss des Gemeinschaftsrechts auf das Verwaltungsverfahren der Mitgliedstaaten erheblich. Da sie nicht auf eine bestimmte Sachmaterie beschränkt sind, verlangen sie umfassende Geltung. Die Mitgliedstaaten haben in jeder Verfahrensphase auf die praktische Wirksamkeit der Grundfreiheiten zu achten. Ob noch von einer autonomen nationalen Verfahrensordnung gesprochen werden kann, wird daher teilweise bezweifelt.347

V. Zusammenfassung V. Zusammenfassung

Noch mehr als das Verwaltungsrecht im Allgemeinen zeigt sich das Verwaltungsverfahrensrecht im Besonderen als konkretisiertes Verfassungsrecht. Das Demokratie- und das Rechtsstaatsprinzip haben schon früh Einfluss auf das Recht des Verwaltungsverfahrens genommen. Seit den 1970er Jahren steht demgegenüber die Verfahrensdimension der Grundrechte im Zentrum der Diskussion. Die prozedurale Seite der materiellen Grundrechte ist inzwischen allgemein anerkannt. Den materiellen Grundrechten wohnen sowohl eine Abwehr- als auch eine Schutzfunktion inne. In beiden Konstellationen kann der Staat gehalten sein, seine Eingriffsoder Schutzhandlung eine grundrechtskonforme prozedurale Gestalt zu geben und Verfahrensanforderungen zu erfüllen. Bei der Gestaltung dieser Anforderungen kommt dem Gesetzgeber aufgrund der vielschichtigen Möglichkeiten ein weiter Entscheidungsspielraum zu. Inwieweit den Grundrechten, ohne gesetzliche Grundlage oder über deren verfassungskonforme Auslegung hinaus, Verfahrensanforderungen entnommen werden können, ist eine Frage des Einzelfalles. Hierbei gilt es einerseits die Distanz zwischen den Ebenen des einfachen Rechts und der Verfassung zu wahren, andererseits aber den Grundrechten als subjektiven Rechten zur Durchsetzung zu verhelfen. Dieser Befund bringt eine starke Rolle des BVerfG als authentischem Verfassungsinterpreten mit sich. Das Gericht entscheidet letzten Endes über die Reichweite der Grundrechte. Auf gemeinschaftsrechtlicher Ebene wird diese Gerichtsfunktion v. a. als Kompetenzkonflikt in Erscheinung treten. Die Funktion und Wertschätzung des Verwaltungsverfahrens spiegeln sich in dem Verhältnis von materiellem und formellem Recht wider. Das VwVfG entstand 347 Kahl, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 10 EGV, Rn. 31; Kahl, VerwArch 95 (2004), 1 (13 ff.). Positiver Schmidt-Aßmann, Europäisches Verwaltungsverfahrensrecht, in: MüllerGraff (Hrsg.), Perspektiven des Rechts in der Europäischen Union, S. 131 (140) m. w. N. Vgl. auch Streinz, in: Streinz, EUV/EGV, Art. 10, Rn. 29 m. w. N.

V. Zusammenfassung

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als Teilkodifikation in den 1970er Jahren, d. h. in engem zeitlichem Zusammenhang mit der Verfahrensdimension der Grundrechte. Der zurückgenommene Stellenwert des Verfahrens lässt sich besonders an den weitgehenden Regelungen zu den Fehlerfolgen (§§ 45 f. VwVfG) ablesen. In der Literatur gibt es Bestrebungen, Verwaltungsverfahren losgelöst von der entscheidungszentrierten Betrachtungsweise anhand ihres Zwecks zu systematisieren und auf Parallelen zu untersuchen. Mit Blick auf die Europäisierung des Verwaltungsrechts bietet sich diese Herangehensweise an, da das Gemeinschaftsrecht die Wahl des Rechtsregimes und damit der Entscheidungsform i. d. R. dem innerstaatlichen Recht überlässt. Dies führt zu einem weiten Begriff des Verwaltungsverfahrens, der die Entscheidungsfindung der Verwaltungsbehörden im Handlungsgefüge zwischen Staat und Bürger umfasst. Neben den verfassungsrechtlichen Einflüssen ist die Europäisierung des Verwaltungsverfahrens von wachsender Bedeutung. Neben sachspezifischen Einzelfallregelungen findet sie auf indirektem Wege über die Rechtsgrundsätze der Effektivität und Äquivalenz sowie die Grundfreiheiten statt. Deren Einfluss auf die mitgliedstaatlichen Verwaltungsverfahren wird im folgenden Abschnitt zu untersuchen sein.

Teil 2

2

Der Verfahrensgedanke im Recht des Europäischen Binnenmarktes A. Grundfreiheiten Teil 2, A. Grundfreiheiten

I. Einleitung I. Einleitung

Weder im EUV noch AEUV findet sich der Begriff der europäischen (wirtschaftlichen) Grundfreiheiten.1 Er bringt jedoch treffend zum Ausdruck, welch grundlegende Bedeutung diese für das – weit verstandene – europäische Wirtschaftsverfassungsrecht haben.2 Zu den Grundfreiheiten zählen die Warenverkehrsfreiheit (Art. 28, 34 ff. AEUV), die Personenverkehrsfreiheit (einschließlich Niederlassungsfreiheit und Arbeitnehmerfreizügigkeit, Art. 49, 45 AEUV), die Dienstleistungsfreiheit (Art. 56 AEUV) sowie die Kapital- und Zahlungsverkehrsfreiheit (Art. 63 AEUV).3 Der EuGH wird nicht müde, die Grundfreiheiten – und in besonderem Maße die Warenverkehrsfreiheit als Vorreiterfreiheit4 – den „tragenden Grundsätzen des Vertrages“5 zuzurechnen. Die Evolution und Expansion der Grundfreiheiten in den 50 Jahren europäischer Integration ist beachtlich. Die wirtschaftliche Integration diente dem europäischen Projekt als Treib- und Schmierstoff.6 Je weiter sich die politische Integration verdichtete, umso näher rückten sich auch die nationalen Märkte der Mitgliedstaaten. Auf der Ebene des Wirtschaftsrechts schlägt sich dies in einer verstärkten Rechtsetzungstätigkeit der Gemeinschaft nieder. Hierzu stehen ihr neben Spezialkompetenzen wie Art. 43 AEUV7 solche zur spezifischen Durchsetzung der Grundfreiheiten (z. B. Art. 46, 50, 59 AEUV) und zur Rechtsangleichung (Art. 114 f. AEUV) zur Verfügung.8 1

Zwischenzeitlich war er in Art. I-4 VerfEU zwar vorgesehen, fand schließlich im Vertrag von Lissabon jedoch keine Aufnahme. 2 Ehlers, in: Ehlers, GuG, § 7, Rn. 1; Kingreen, Struktur der Grundfreiheiten, S. 13; Streinz, Europarecht, Rn. 652. 3 Kilian, Europäisches Wirtschaftsrecht, Rn. 234. 4 Classen, EWS 1995, 97 (98); Kingreen, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 28–30 EGV, Rn. 1. 5 EuGH, Rs. C-265/95 (Kommission/Frankreich), Slg. 1997, I-6959, Rn. 24; Rs. C-112/00 (Schmidberger), Slg. 2003, I-5659, Rn. 51; Rs. C-65/05 (Kommission/Griechenland), Slg. 2006, I-10341, Rn. 25. 6 Haltern, Europarecht, Rn. 55. 7 Umfassende Aufzählung bei Kahl, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 94, Rn. 3. 8 Überblick bei Herrnfeld, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 94, Rn. 1 ff.

II. Funktionen der Grundfreiheiten

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Gerade dort, wo Gemeinschaftskompetenzen fehlen oder brachliegen, spielen die Grundfreiheiten eine herausgehobene Rolle. Die Reichweite der Grundfreiheiten unterliegt noch immer gewissen Unsicherheiten, jedoch mit Tendenz zur Expansion. Zu Beginn der europäischen Einigung wurden diese lediglich als völkerrechtliche Verpflichtung der Vertragsparteien eingeordnet. Demgegenüber hat der EuGH sie bereits in den Anfangsjahren der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaften zu subjektiv-öffentlichen Rechten ausgebaut.9 Im rechtlichen Gefüge zwischen Träger und Adressat erfüllen die Grundfreiheiten mehrere Funktionen:10 In erster Linie sind sie Abwehrrechte;11 daneben haben die Grundfreiheiten auch eine schutzrechtliche Relevanz.12 Die Wirkungsweise der Grundfreiheiten als Verfahrensrechte soll hier ausgehend von den Funktionen genauer untersucht werden. Dazu wird die Rechtsprechung des EuGH in vier ausgesuchten Bereichen auf ihren prozeduralen Gehalt analysiert.

II. Funktionen der Grundfreiheiten II. Funktionen der Grundfreiheiten

1. Abwehrrecht In ihrer abwehrrechtlichen Funktion schützen die Grundfreiheiten den Marktteilnehmer vor ungerechtfertigten Eingriffen eines Mitgliedstaates, die gegen seine Teilhabe am Binnenmarkt gerichtet sind.13 Sie ermöglichen die Bildung eines europäischen Binnenmarktes, indem sie staatliche Beschränkungen des Binnenhandels untersagen.14 Die Mitgliedstaaten treten insoweit selbst als Gefahrenquelle für die Grundfreiheiten in Erscheinung. Maßgeblich für die Beurteilung ist allein die bipolare Beziehung zwischen dem beteiligten Grundfreiheitsträger und -adressaten. In der Konsequenz fordern die Grundfreiheiten als Abwehrrechte vom betreffenden Mitgliedstaat zumeist ein Unterlassen solch beschränkender Maßnahmen.15 9

EuGH, Rs. 26/62 (van Gend & Loos), Slg. 1962, 3 (25). Ehlers, in: Ehlers, GuG, § 7, Rn. 8; Frenz, Handbuch Europarecht I, Rn. 83 f.; Kingreen, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 28–30 EGV, Rn. 9. 10 Zu den Funktionen der Grundfreiheiten mit teilweise unterschiedlicher Systematik Ehlers, in: Ehlers, GuG, § 7, Rn. 17 ff.; Frenz, Handbuch Europarecht I, Rn. 77 ff.; Kingreen, Struktur der Grundfreiheiten, S. 188 ff.; Schneider, NJ 1996, 512 ff. Vgl. hierzu auch die Funktionen der deutschen Grundrechte o. Teil 1 B. II. 11 s. u. Teil 2 A. II. 1. 12 s. u. Teil 2 A. II. 2. 13 Zu den Grundfreiheiten als Teilhaberechten s. Kingreen, Struktur der Grundfreiheiten, S. 19 0 ff. 14 Kilian, Europäisches Wirtschaftsrecht, Rn. 236. 15 Vgl. hierzu auch die Verpflichtung aus Art. 4 Abs. 3 UAbs. 3 EUV (Art. 10 Abs. 2 EGV a. F.), „Maßnahmen, die die Verwirklichung der Ziele der Union gefährden könnten“, zu unterlassen. Hierzu GA Stix-Hackl, Schlussantr. zu Rs. C-231/03 (Coname), Slg. 2005, I-7287, Ziff. 52.

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Teil 2, A. Grundfreiheiten

Nicht jeder Beeinträchtigung muss aber ein absoluter Unterlassungsanspruch gegenüberstehen. Die Grundfreiheiten als Abwehrrechte können auch eine Modifikation des geplanten beeinträchtigenden Handelns verlangen. Die Mitgliedstaaten sind in ihren Handlungsoptionen nicht darauf beschränkt, entweder in eine Grundfreiheit einzugreifen oder diesen Eingriff gänzlich zu unterlassen. Dazwischen liegt eine Bandbreite möglicher Verhaltensweisen. Diese lassen sich mit der Dichotomie von Tun und Unterlassen nur ungenügend abbilden. Die Beurteilung der Eingriffshandlungen wird dadurch erschwert, dass der EuGH von einem weiten Eingriffsbegriff ausgeht. Der Ausgangspunkt hierfür ist die sog. Dassonville-Formel. In dieser Entscheidung hatte der EuGH eine Regelung zu beurteilen, die für bestimmte Importwaren eine Ursprungsbescheinigung verlangte. Diese war für Direktimporte wesentlich leichter zu erhalten als für Importe, die den Umweg über einen dritten Mitgliedstaat gegangen waren.16 Hierzu stellte der Gerichtshof fest, dass „jede Maßnahme, die geeignet ist, den innergemeinschaftlichen Handel unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potenziell zu behindern“17, eine Maßnahme gleicher Wirkung i. S. d. Art. 34 AEUV und damit eine rechtfertigungsbedürftige Beschränkung der Warenverkehrsfreiheit darstelle. Diese Rechtsprechung hat vor den anderen Grundfreiheiten nicht Halt gemacht18 und die Reichweite der Grundfreiheiten ausgedehnt. In der Folge musste sich der EuGH um eine Konkretisierung seiner Anforderungen bemühen.19 In der Entscheidung „Cassis de Dijon“20 verbot eine deutsche Regelung den Verkauf von Fruchtsaftlikören mit weniger als 25 Vol.-%. Der Rewe AG wurde untersagt, französischen Cassis de Dijon mit weniger als 20 Vol.-% in den Verkehr zu bringen.21 Diesen Fall nahm der EuGH für eine weitere Präzisierung der Beeinträchtigung zum Anlass: Maßnahmen gleicher Wirkung gem. Art. 34 AEUV seien auch solche, die Einfuhr oder Inverkehrbringen von Waren, die in einem anderen Mitgliedstaat rechtmäßig hergestellt und in den Verkehr gebracht worden sind, verhindern.22 Der Gerichtshof nahm also einen Vergleich der Regelungen von Herkunfts- und Bestimmungsland vor. Wirken sich die Unterschiede zwischen diesen beiden Rechtsordnungen dergestalt aus, dass der Verkehr zwischen den Mitgliedstaaten darunter leidet, so treten die Anforderungen des Bestimmungslandes hinter die des Herkunftsstaates zurück.23 Im Gegensatz zur Dassonville-Formel, 16

EuGH, Rs. 8/74 (Dassonville), Slg. 1974, 837, Rn. 7/9. EuGH, Rs. 8/74 (Dassonville), Slg. 1974, 837, Rn. 5. Die Formel wird bis heute aufrecht erhalten, vgl. EuGH, Rs. C-319/05 (Kommission/Deutschland), Slg. 2007, I-9811, Rn. 80. 18 Überblick bei Kingreen, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 28–30 EGV, Rn. 42 ff. 19 Leible, in: Grabitz/Hilf, EU, Art. 28–30 EGV, Rn. 18. 20 EuGH, Rs. 120/78 (Rewe/Bundesmonopolverwaltung für Branntwein), Slg. 1979, 649. 21 EuGH, Rs. 120/78 (Rewe/Bundesmonopolverwaltung für Branntwein), Slg. 1979, 649, Rn. 4. 22 EuGH, Rs. 120/78 (Rewe/Bundesmonopolverwaltung für Branntwein), Slg. 1979, 649, Rn. 15. In diese Richtung bereits EuGH, Rs. 8/74 (Dassonville), Slg. 1974, 837, Rn. 7/9. 23 Kilian, Europäisches Wirtschaftsrecht, Rn. 375 f. Zum Prinzip der gegenseitigen Anerkennung s. auch u. Teil 2 A. III. 1. 17

II. Funktionen der Grundfreiheiten

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die allein auf die Auswirkung der betreffenden mitgliedstaatlichen Maßnahme auf den Binnenverkehr schaute, muss sich eine nationale Regelung nach der CassisRechtsprechung an der Regelung des Ursprungslandes messen lassen. Damit wird dessen Rechtsordnung indirekt zum Maßstab der Grundfreiheitsbeeinträchtigung. Gleichzeitig beschränkte der EuGH die Durchschlagskraft des Herkunftslandprinzips. „Hemmnisse für den Binnenhandel der Gemeinschaft, die sich aus den Unterschieden der nationalen Regelungen (…) ergeben“ hielt er für gerechtfertigt,24 „soweit diese Bestimmungen notwendig sind, um zwingenden Erfordernissen gerecht zu werden“25. Als zwingende Erfordernisse nannte das Gericht u. a. eine wirksame steuerliche Kontrolle, den Schutz der öffentlichen Gesundheit und die Lauterkeit des Verbraucherschutzes.26 Diesen hat es in seiner Rspr. weitere Belange hinzugefügt, eine abschließende Aufzählung oder Definition aber nicht unternommen.27 In der vorliegenden Untersuchung soll die Möglichkeit dargestellt werden, die beeinträchtigende Maßnahme in ein Verfahren einzukleiden, um zu einer grundfreiheitskonformen Verhaltensweise zu gelangen. Besondere Probleme werfen legislative Beeinträchtigungen seitens der Mitgliedstaaten auf. Dem Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts folgend, hat innerstaatliches grundfreiheitswidriges Recht unangewendet zu bleiben. Die Mitgliedstaaten werden also zu einem Unterlassen verpflichtet. Handlungspflichten lassen sich auf dieser normativen Ebene hingegen nur schwer begründen. Eine Pflicht zum Erlass grundfreiheitskonformer Normen lässt sich den Marktfreiheiten in aller Regel nicht entnehmen. Es wird daher auch zu klären sein, ob die verfahrensrechtliche Dimension der Grundfreiheiten eine mitgliedstaatliche Pflicht zur Normierung grundfreiheitskonformer Verwaltungsverfahren umfasst.

2. Schutzrecht Die schutzrechtliche Funktion der Grundfreiheiten ist erst nach der abwehrrechtlichen „entdeckt“ worden. Die Grundfreiheiten als Abwehrrechte verpflichten den Staat dazu, ungerechtfertigte Eingriffe in die Grundfreiheiten zu unterlassen oder die Eingriffshandlung grundfreiheitskonform auszugestalten. In ihrer schutzgewährrechtlichen Funktion verpflichten sie die Adressaten zum Schutz gegen Übergriffe Privater. Es kann als Zeichen des Fortschritts der europäischen Integration gelten, dass neben staatlichen Maßnahmen, die den Binnenmarkt be24

So auch Becker, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 28 EGV, Rn. 109; Schroeder, in: Streinz, EUV/EGV, Art. 28 EGV, Rn. 73 m. w. N. A. A. Leible, in: Grabitz/Hilf, EU, Art. 28–30 EGV, Rn. 20. 25 EuGH, Rs. 120/78 (Rewe/Bundesmonopolverwaltung für Branntwein), Slg. 1979, 649, Rn. 8. 26 EuGH, Rs. 120/78 (Rewe/Bundesmonopolverwaltung für Branntwein), Slg. 1979, 649, Rn. 8. 27 Schroeder, in: Streinz, EUV/EGV, Art. 28 EGV, Rn. 71 f. m. w. N.

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Teil 2, A. Grundfreiheiten

schränken, schließlich auch binnenmarktfeindliches Verhalten Privater Beachtung fand. Freilich muss diese größere Brennweite der Grundfreiheitsdogmatik vorsichtig gehandhabt werden, da sie sich an der Schwelle zwischen Staat und Gesellschaft bewegt. Der Gerichtshof hat erst in seiner jüngeren Rspr. die Anwendung der Grundfreiheiten in multipolaren Verfassungsrechtsverhältnissen bejaht.

a) Rs. C-265/95 (Kommission/Frankreich) In der Entscheidung „Kommission/Frankreich“28 befasste sich der EuGH mit gewalttätigen Ausschreitungen französischer Landwirte gegen den Import ausländischer Agrarprodukte, insbesondere spanischer Erdbeeren und belgischer Tomaten. In einem Zeitraum von über zehn Jahren kam es immer wieder zu Zwischenfällen, in deren Verlauf Waren aus anderen Mitgliedstaaten vernichtet oder Druck auf Importeure ausgeübt wurde. Nach Beobachtung der Kommission blieben die französischen Behörden demgegenüber untätig.29 Trotz mehrfacher Beschwerden Betroffener und der Europäischen Kommission schritten die Sicherheitsbehörden auch bei massiven Rechtsverletzungen und erpressungsähnlichem Vorgehen nicht ein.30 Der Sachverhalt bot aufgrund des drastischen Tatsachenhintergrunds eine ideale Vorlage dafür, das Verhältnis von privatem Verhalten und staatlicher Duldung näher zu bestimmen. Ausgangspunkt für die Überlegungen des EuGH war die Tatsache, dass diese Ausschreitungen i. S. d. Dassonville-Formel31 „Hemmnisse für den innergemeinschaftlichen Handel“32 gem. Art. 34 AEUV darstellten. Fraglich war allein, ob und wie das Verhalten der französischen Demonstranten dem Staat zugerechnet werden konnte.33 Der Verweis des EuGH auf Art. 2 und 3 lit. c EGV a. F.34 bleibt hierfür fruchtlos. Aus den Aufgaben der Gemeinschaft lassen sich nur schwerlich Handlungspflichten der Mitgliedstaaten gegenüber ihren Bürgern herleiten.35 Einen Zweiklang entlockt der Gerichtshof der Warenverkehrsfreiheit aber i. V. m. dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit gem. Art. 4 Abs. 3 EUV.36 Art. 34 AEUV selbst sei die Pflicht der Mitgliedstaaten zu entnehmen, „eigene Handlungen oder Verhaltensweisen, die zu einem Handelshemmnis führen könnten“ zu unterlassen. I. V.m. Art. 4 Abs. 3 EUV erstrecke sich die Verpflichtung aber 28

EuGH, Rs. C-265/95 (Kommission/Frankreich), Slg. 1997, I-6959. GA Lenz, Schlussantr. zu Rs. C-265/95 (Kommission/Frankreich), Slg. 1997, I-6959, Ziff. 4 ff. 30 EuGH, Rs. C-265/95 (Kommission/Frankreich), Slg. 1997, I-6959, Rn. 48. 31 EuGH, Rs. C-265/95 (Kommission/Frankreich), Slg. 1997, I-6959, Rn. 29. 32 EuGH, Rs. C-265/95 (Kommission/Frankreich), Slg. 1997, I-6959, Rn. 38. 33 GA Lenz, Schlussantr. zu Rs. C-265/95 (Kommission/Frankreich), Slg. 1997, I-6959, Ziff. 13. 34 EuGH, Rs. C-265/95 (Kommission/Frankreich), Slg. 1997, I-6959, Rn. 25. 35 Kühling, NJW 1999, 403. 36 Zum Begriff Streinz, in: Streinz, EUV/EGV, Art. 10, Rn. 2. 29

II. Funktionen der Grundfreiheiten

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auch darauf, „alle erforderlichen und geeigneten Maßnahmen zu ergreifen, um in ihrem Gebiet die Beachtung dieser Grundfreiheit sicherzustellen“37. Der EuGH stellt der Pflicht der Mitgliedstaaten, die Warenverkehrsfreiheit bei ihrem eigenen Handeln zu beachten, eine weitere Komponente an die Seite. Auch Beeinträchtigungen, die von privater Seite ausgehen, hat der Staat entgegenzutreten und die beeinträchtigten Binnenmarktteilnehmer zu schützen. Diese Schutzpflicht schränkte der Gerichtshof auf zweierlei Weise ein: Mangels Kompetenz der Gemeinschaft bleibt es erstens dem Mitgliedstaat überlassen, über die geeignete Art und Weise der Schutzgewährung zu befinden. Insoweit stehe ihm, zweitens, ein weites Ermessen zu.38

b) Rs. C-112/00 (Schmidberger) Die schutzrechtliche Bedeutung der Grundfreiheiten bekräftigte der Gerichtshof im Urteil Schmidberger.39 Der Entscheidung lag eine Schadenersatzklage eines deutschen Transportunternehmens zugrunde. Dieses war durch eine 30-stündige Blockade der Brenner-Autobahn daran gehindert worden, Waren nach Italien zu liefern. Die Blockade ging von einer Demonstration aus, durch die auf die ökologischen und gesundheitlichen Belastungen des Fernverkehrs aufmerksam gemacht werden sollte. Der Kläger machte Schadenersatzansprüche gegen den österreichischen Staat geltend. Dieser war unter Hinweis auf die Grundrechte der Versammlungs- und Meinungsfreiheit nicht gegen die Demonstranten vorgegangen.40 Der Gerichtshof hatte die Frage zu entscheiden, ob den Art. 34 ff. AEUV eine mitgliedstaatliche Pflicht zur Freihaltung der Transitrouten zu entnehmen sei.41 Zwar verneinte der EuGH eine solche Pflicht im konkreten Fall. Doch betonte er, dass auch die Nichtbeseitigung von Behinderungen durch Private eine Maßnahme gleicher Wirkung gem. Art. 34 AEUV sein kann: „Der innergemeinschaftliche Handelsverkehr kann nämlich ebenso wie durch eine Handlung dadurch beeinträchtigt werden, dass ein Mitgliedstaat untätig bleibt oder es versäumt, ausreichende Maßnahmen zur Beseitigung von Hemmnissen für den freien Warenverkehr zu treffen, die insbesondere durch Handlungen von Privatpersonen in seinem Gebiet geschaffen wurden, die sich gegen Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten richten.“42 37 Jew. EuGH, Rs. C-265/95 (Kommission/Frankreich), Slg. 1997, I-6959, Rn. 32. Der Rückgriff auf Art. 10 EGV a. F. (jetzt Art. 4 Abs. 3 EUV) dient jedoch eher der Verdeutlichung, als dass er dogmatischen Notwendigkeiten entspränge, vgl. Kingreen, in: Calliess/Ruffert, EUV/ EGV, Art. 28–30 EGV, Rn. 10: „normative Anknüpfung“; Szczekalla, DVBl. 1998, 219: „wohl nur unterstützend“. 38 EuGH, Rs. C-265/95 (Kommission/Frankreich), Slg. 1997, I-6959, Rn. 33. 39 EuGH, Rs. C-112/00 (Schmidberger), Slg. 2003, I-5659. 40 EuGH, Rs. C-112/00 (Schmidberger), Slg. 2003, I-5659, Rn. 14 ff. 41 EuGH, Rs. C-112/00 (Schmidberger), Slg. 2003, I-5659, Rn. 25. 42 EuGH, Rs. C-112/00 (Schmidberger), Slg. 2003, I-5659, Rn. 58.

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Teil 2, A. Grundfreiheiten

Die Warenverkehrsfreiheit „schützt“ ihre Träger damit nicht nur vor Eingriffen durch den Staat. Daneben verleiht sie auch das Recht auf Schutz vor Beeinträchtigungen durch Private. Die Mitgliedstaaten sind u. U. verpflichtet, aktive Maßnahmen zu ergreifen.43

c) Fazit Die Grundfreiheiten enthalten neben der abwehrrechtlichen Funktion auch Schutzpflichten der Mitgliedstaaten. Diese haben die Grundfreiheitsträger auch vor staatsexternen Beeinträchtigungen zu schützen.44

3. Verfahrensrechtliche Dimension Der EuGH hat in seiner Rechtsprechung den Grundfreiheiten für die verschiedensten Sachgebiete prozedurale Vorgaben entnommen. Auch im Schrifttum wird eine prozedurale Wirkung der Grundfreiheiten vermehrt aufgegriffen. Da der Staat ein Verfahren zur Verfügung stellen müsse, werden verfahrensrechtliche Forderungen zumeist unter die schutzrechtliche Ausrichtung der Grundfreiheiten eingeordnet45 oder als eigenständige Funktion dargestellt46. Bei genauerer Betrachtung der Konstellationen, die der Rechtsprechung des EuGH zugrundelagen, zeigt sich jedoch, dass sich die Verfahrensdimension der Grundfreiheiten in beiden Funktionen wiederfindet. Sie liegt, wie schon für die deutschen Grundrechte festgestellt werden konnte,47 „quer“ zu diesen.

a) Schutzrecht Die Erweiterung der Grundfreiheiten zu Schutzrechten ist zwar folgerichtig und, wie die Entscheidungen des EuGH zeigen, auch notwendig. Darüber hinaus lässt sich die schutzrechtliche Dimension ohne Probleme in das dogmatische Gerüst der Grundfreiheiten einpassen.48 Prozedurale Wirkung haben die Grundfreiheiten insoweit aber, soweit ersichtlich, bislang noch nicht entfaltet. In der Konstellation der beiden oben49 angeführten Entscheidungen ging es um ein Einschreiten des Staates als Ordnungsmacht gegen eine staatsexterne Gefahren43

Lindner, BayVBl. 2003, 623 f.; Stachel, Schutzpflichten der Mitgliedstaaten, S. 77 ff. Zur Abgrenzung von staatlichen und nichtstaatlichen Gefahrenquellen s. Stachel, Schutzpflichten der Mitgliedstaaten, S. 133 ff. 45 Kingreen, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 28–30 EGV, Rn. 12 ff. m. w. N. 46 Ehlers, in: Ehlers, GuG, § 7, Rn. 34; Frenz, Handbuch Europarecht I, Rn. 186 ff. 47 s. o. Teil 1 B. II. 3. c) bb). 48 Kingreen, Struktur der Grundfreiheiten, S. 195 ff. 49 Teil 2 A. II. 2. 44

II. Funktionen der Grundfreiheiten

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quelle.50 Es handelt sich also um eine klassische Schutzpflichtenkonstellation im mehrpoligen Verfassungsrechtsverhältnis51: Die zu schützende Partei wendet sich an den Staat, weil sie aufgrund des staatlichen Gewaltmonopols (oder der eigenen schwachen wirtschaftlichen Stellung) nicht selbst gegen den Störer vorgehen darf und kann.52 Im Gegensatz zur grundrechtlichen Schutzpflichtenkonstellation53 kommt es hier allerdings nicht zur Kollision von Grundfreiheiten. Letztere ist auch nur schwer vorstellbar, da alle Grundfreiheiten auf die Ermöglichung des freien Verkehrs im Binnenmarkt gerichtet sind. Die Träger der Grundfreiheiten haben als Marktteilnehmer im Grundsatz gleichgerichtete Interessen. I. d. R. kollidieren Schutzpflichten aus den Grundfreiheiten mit Grundrechten Dritter.54 Insoweit ist die prozedurale Wirkung der Grundfreiheiten aber noch nicht virulent geworden. Dieser beschränkte Wirkungskreis der Schutzpflichtenfunktion ist u. a. einer weiteren Besonderheit des Gemeinschaftsrechts geschuldet. Mit den primärrechtlichen Kartellvorschriften der Art. 101 ff. AEUV steht ihm ein eigenes Regime zur Verfügung, welches Wettbewerbseingriffen Privater begegnen soll. Adressaten sind hier, im Gegensatz zu den Grundfreiheiten, nicht die Mitgliedstaaten, sondern die privaten Wettbewerber. Sie sind direkt an die Art. 101 ff. AEUV gebunden, die einen unverfälschten Wettbewerb im Gemeinsamen Markt zum Ziel haben55. Die Mitgliedstaaten trifft eine Komplementärpflicht, für die Einhaltung dieser Maßgaben des Primärrechts Sorge zu tragen. Kartellrecht und Grundfreiheiten können daher als parallele Rechtsregime betrachtet werden. Strukturell sehr ähnlich,56 unterscheiden sie sich insbesondere im Adressaten. Aber ebenso wie die Grundfreiheiten mittels der Schutzpflichtenfunktion indirekt auf das Verhalten Privater einwirken können, so werden auch die Mitgliedstaaten durch das Kartellrecht in die Pflicht genommen. Sie sind, wie stets, der Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts verpflichtet, Art. 4 Abs. 3 EUV. Im Bereich der Art. 101 ff. AEUV umfasst dies nicht nur die Pflicht, die Förderung kartellrechtswidrigen Verhaltens zu unterlassen, sondern auch die Pflicht, gegen dieses i. R. d. nationalstaatlichen Zuständigkeit vorzugehen. Das wettbewerbswidrige und damit binnenmarktschädigende Verhalten privater Wettbewerber unterliegt also einem gesonderten Rechtsregime.57 Für die Grundfreiheiten lässt sich also eine atrophe Schutzfunktion diagnostizieren.58 50

Stachel, Schutzpflichten der Mitgliedstaaten, S. 19. Zum Begriff Calliess, JZ 2007, 321 (325 ff.). 52 Calliess, JZ 2007, 321 (325 ff.) 53 Dazu o. Teil 1 B. II. 2. 54 s. nur EuGH, Rs. C-36/02 (Omega), Slg. 2004, I-9609, Rn. 34 ff. 55 Vgl. den 1. Erwägungsgrund der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in den Artikeln 81 und 82 des Vertrags niedergelegten Wettbewerbsregeln, ABl. EU L 1 vom 4.1.2003. 56 Frenz, Handbuch Europarecht I, Rn. 33. 57 Näher zum Verhältnis von Grundfreiheiten und Kartellrecht Frenz, Handbuch Europarecht II, Rn. 33 ff. 58 So für die Schutzfunktion in der deutschen Grundrechtsdogmatik Calliess, JZ 2007, 321 (324, 327), der allerdings eine dogmatische Gleichstellung fordert. 51

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Teil 2, A. Grundfreiheiten

Zwischen Grundfreiheiten und Kartellrecht ergeben sich zwar viele Parallelen, doch sind sie nicht kongruent. Das Kartellrecht entfaltet seine Wirkung nur zwischen Unternehmen. Eine Schutzpflichtenkonstellation scheint bspw. im Verhältnis von Arbeitnehmer und Arbeitgeber denkbar.

b) Abwehrrecht Der weit überwiegende Teil der EuGH-Rechtsprechung hat die abwehrrechtliche Funktion der Grundfreiheiten zum Gegenstand. Hierbei sollen staatliche Eingriffe in die Grundfreiheiten abgewehrt werden. Die folgende Analyse der Rechtsprechung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Sie soll vielmehr die Einsatzmöglichkeiten prozeduraler Vorkehrungen verdeutlichen. In den herausgegriffenen Fallgruppen hat der Gerichtshof aus den Grundfreiheiten prozedurale Anforderungen abgeleitet. Unter Bezugnahme auf Art. 4 Abs. 3 EUV verpflichtet er die Mitgliedstaaten, Maßnahmen zu treffen, welche die Verwirklichung der Grundfreiheiten ermöglichen, und solche zu unterlassen, die diese Ziele gefährden könnten.59 Der Gerichtshof hat den Mitgliedstaaten insbesondere vorgeschrieben, bei Beeinträchtigungen der Grundfreiheiten Verfahren vorzusehen. Jedoch werden die Mitgliedstaaten nicht allein dadurch, dass sie (Verfahrens-)Handlungen zugunsten der Grundfreiheiten vornehmen, schützend tätig. Der Gerichtshof stellt lediglich klar, dass die Ausübung der Grundfreiheiten nicht vom Erlass von Harmonisierungsrichtlinien abhängig gemacht werden kann. Solche Richtlinien sind keine Voraussetzung für das Bestehen grundfreiheitlich geschützter Betätigungen, sondern sollen allein ihre Ausübung erleichtern.60 Dies zeigt sich besonders an den hier zu untersuchenden prozeduralen Anforderungen der Grundfreiheiten. Nicht mit jedem Verfahren stellt sich der Staat schützend vor die betroffene Grundfreiheit.61 Die verfahrensrechtliche Dimension des Abwehrrechts kommt zum Tragen, wenn sich das Verfahren als Modifikation der eingreifenden Maßnahme begreifen lässt. Durch das Verfahren wird die Verhältnismäßigkeit des Eingriffs sichergestellt. Gleichzeitig hält der Mitgliedstaat als Grundfreiheitsadressat die (gerechtfertigte) Beeinträchtigung jedoch aufrecht. Dies kann auf zwei Stufen stattfinden: Das Verfahren kann einerseits die Wahl des mildesten Mittels verifizieren. Bei näherer Betrachtung zeigt sich, dass viele der Fallgruppen, in denen sich eine prozedurale Dimension der Grundfreiheiten in der Rspr. nachweisen lässt, eng mit 59

EuGH, Rs. 71/76 (Thieffry), Slg. 1977, 765, Rn. 15/18. GA Tizzano, Schlussantr. zu Rs. C-411/03 (SEVIC Systems), Slg. 2005, I-10805, Rn. 68. 61 Eine derartige Schutzpflichtenkonstellation lag bspw. dem Mülheim-Kärlich-Beschluss (o. Teil 1 B. II. 3. b) cc) zugrunde: In dem Genehmigungsverfahren waren die Grundrechte von Betreibern und potenziellen Geschädigten gegeneinander abzuwägen. 60

II. Funktionen der Grundfreiheiten

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dem Prinzip der gegenseitigen Anerkennung62 verbunden sind. Beachtung sollen hier die Komplexe der Nahrungsergänzungsmittel und der Berufsqualifikationen finden. In diesen Bereichen fehlt (bislang) eine vollständige gemeinschaftsrechtliche Harmonisierung. Verfahren kommen an dieser Stelle zur Anwendung, um die Äquivalenz der unterschiedlichen mitgliedstaatlichen Standards zu durchleuchten. Nur wo diese voneinander abweichen, lässt sich eine Ausnahme vom Prinzip der gegenseitigen Anerkennung rechtfertigen. Entsprechen sich die Schutzniveaus zweier Mitgliedstaaten, ist eine zweite materielle Kontrolle nicht erforderlich und damit nicht verhältnismäßig. Weichen die Sicherheitsvorstellungen voneinander ab, so ist eine innerstaatliche Kontrolle auf das erforderliche Maß zu beschränken. Andererseits vermag der prozedural modifizierte Eingriff die Angemessenheit der Entscheidung sicherzustellen. Eine prozedural interessante und in Deutschland aktuell diskutierte Konstellation betrifft den Ausschluss bestimmter Arzneimittel von der Kostenerstattung durch nationale Pflichtversicherungssysteme.63 Hierbei handelt es sich um eine „Hop-oder-Top-Entscheidung“. Der Träger der sozialen Sicherheit kann die Kosten für das Medikament entweder übernehmen oder eine Erstattung vollständig verweigern. Das Entscheidungsverfahren dient dazu, nur solche Medikamente von der Erstattung auszuschließen, bei denen dies objektiv gerechtfertigt, d. h. verhältnismäßig i. e. S. ist.

c) Grundfreiheiten und Harmonisierung Das unmittelbar grundfreiheitlich induzierte Verfahren bewegt sich zwischen der Regelungskompetenz der Mitgliedstaaten und dem Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts.64 Die Mitgliedstaaten können zwar nationale Standards bspw. für den Gesundheitsschutz oder die Ausübung bestimmter Berufe festlegen. Bei der Wahrnehmung dieser Kompetenz sind sie jedoch an die Grundfreiheiten gebunden. Der Gerichtshof hat in diesem Spannungsverhältnis nicht nur auf materielle, sondern auch auf prozedurale Anforderungen zurückgegriffen. Während erstere in die Sachentscheidung der Mitgliedstaaten eingreifen, gehen die verfahrensrechtlichen Ansprüche schonender mit den mitgliedstaatlichen Kompetenzen um. Der nationale Gesetzgeber wird nicht inhaltlich, sondern lediglich in der Form der Entscheidungsfindung gebunden. Insofern führen die Grundfreiheiten nicht zu einer Harmonisierung durch die Hintertür. Eine derartige versteckte Harmonisierung wird dem EuGH unter dem Schlagwort des „majoritarian activism“65 vorgeworfen. 62

Hierzu sogleich Teil 2 A. III. 1. Zur aktuellen Diskussion im deutschen Recht Gassner, PharmR 2007, 441 ff.; Kingreen, MedR 2007, 457 ff.; Kingreen/Henck, PharmR 2007, 353 ff. 64 Zum Anwendungsbereich der Grundfreiheiten Kingreen, Struktur der Grundfreiheiten, S. 151 f. 65 Grundlegend Maduro, We, The Court, S. 68 ff.; ihm folgend Stone Sweet/McCown, in: Stone Sweet, Judicial Construction of Europe, S. 134 ff. 63

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Teil 2, A. Grundfreiheiten

Verfahrensanforderungen lassen den Mitgliedstaaten mehr Raum für autonome Entscheidungen. Gleichzeitig stellen sie durch eine adäquate Betroffenenbeteiligung die effektive Durchsetzung der Grundfreiheiten sicher. Andererseits sind Bedenken angebracht, wenn der Gerichtshof aus der Verfahrensdimension der Grundfreiheiten eine Normierungspflicht für bestimmte Verfahren ableitet. Derartige Normierungspflichten kommen einer Umsetzungspflicht gleich. Das Gemeinschaftsrecht kennt diese jedoch allein für sekundärrechtliche Akte. Es wird daher zu fragen sein, ob allein aus den Grundfreiheiten eine mitgliedstaatliche Pflicht zur Regelung bestimmter Verfahren abgeleitet werden kann.

III. Genehmigungsvorbehalte am Beispiel der Lebensmittelzusätze III. Genehmigungsvorbehalte am Beispiel der Lebensmittelzusätze

1. Prinzip der gegenseitigen Anerkennung im Lebensmittelrecht Die Schaffung eines barrierefreien Binnenmarktes ist seit jeher eines der zentralen Ziele der Europäischen Gemeinschaft. Für die Erreichung dieses Ziels spielt die Warenverkehrsfreiheit eine nicht zu überschätzende Rolle. Der Bereich des Lebensmittelrechts ist für protektionistische, d. h. direkt oder indirekt diskriminierende Regelungen der Mitgliedstaaten besonders anfällig. Auf diesem Gebiet bestanden und bestehen bis heute wesentliche Unterschiede in den Vorstellungen, Ernährungsgewohnheiten und Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten. Dies zeigt sich bereits in der Tatsache, dass Urteile des Gerichtshofs zum Lebensmittelrecht prägend für die Dogmatik der Grundfreiheiten waren.66 Es kann daher als „Schrittmacher“67 für den freien Warenverkehr bezeichnet werden. Gleichzeitig hat die Gemeinschaft erhebliche gesetzgeberische Aktivitäten entwickelt und eine Vielzahl von Harmonisierungsmaßnahmen für den Lebensmittelbereich erlassen.68 Soweit diese Maßnahmen reichen, scheidet eine Anwendung der Grundfreiheiten aus. Dies trägt dem Anwendungsvorrang des sekundären Gemeinschaftsrechts Rechnung.69 Soweit eine sekundärrechtliche Regelung eines Bereiches besteht, sind mitgliedstaatliche Maßnahmen nicht an den Grundfreiheiten zu messen, sondern allein an dem jeweils einschlägigen Sekundärrecht. Hierin zeigt sich der

66 EuGH, Rs. 120/78 (Rewe/Bundesmonopolverwaltung für Branntwein), Slg. 1979, 649; Rs. 8/74 (Dassonville), Slg. 1974, 837. 67 Streinz, ZLR 2004, 203. 68 Umfassender Überblick bei Hagenmeyer/Teufer, in: Dauses, Hdb. EU-WirtschR, C. IV., Rn. 1 2 ff., 69 ff. 69 Kingreen, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 28–30 EGV, Rn. 18.

III. Genehmigungsvorbehalte am Beispiel der Lebensmittelzusätze

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Übergang von der negativen Integration durch die Grundfreiheiten zur positiven Integration im Wege sekundärrechtlicher Harmonisierung.70 Dabei ist zwischen Totalharmonisierungen und Teilharmonisierungen zu unterscheiden. Eine Anwendbarkeit der Grundfreiheiten auf einen Regelungsbereich kommt nicht mehr in Betracht, sobald der Gemeinschaftsgesetzgeber diesen abschließend harmonisiert hat.71 Mitgliedstaatliche Akte sind allein an Sekundärrecht zu messen.72 Spiegelbildlich betrachtet, fehlt den Mitgliedstaaten die Kompetenz, Regelungen zu schaffen, die von der harmonisierten Rechtslage abweichen. Liegt eine bloße Teilharmonisierung vor, finden die Grundfreiheiten außerhalb des Anwendungsbereichs der sekundärrechtlichen Norm Anwendung.73 Gleichzeitig können die Mitgliedstaaten eigene Bestimmungen erlassen, solange und soweit es an einer Harmonisierung fehlt.74 Zur Bestimmung des Harmonisierungsgrades ist die Sekundärrechtsnorm anhand des Wortlauts, deren Systematik und allgemeinen Struktur und des mit ihr verfolgten Zwecks auszulegen.75 Eine Totalharmonisierung war für den Bereich des Lebensmittelrechts nicht beabsichtigt, was u. a. auf nationale Unterschiede zurückzuführen sein dürfte.76 Insbesondere im Bereich der Nahrungsergänzungsstoffe bestehen, trotz einer Tendenz zu umfassenden Gemeinschaftsregelungen, Harmonisierungslücken.77 Gem. Art. 12 Abs. 3 der Zusatzstoffe-Rahmen-Richtlinie78 verbleibt den Mitgliedstaaten die Regelungskompetenz in Bezug auf nicht harmonisierte Zusatzstoffe. In diesem Bereich existiert eine seit mehreren Jahrzehnten durchgängige Rechtsprechung. In ihr kommt die verfahrensrechtliche Dimension der Grundfreiheiten besonders klar zur Geltung. Dennoch hat dieser Aspekt bislang kaum Aufmerksamkeit gefunden.79 70

EuGH, Rs. C-322/01 (Deutscher Apothekerverband), Slg. 2003, I-14887, Rn. 64 m. w. N.; Ehlers, in: Ehlers, GuG, § 7, Rn. 7. 71 EuGH, Rs. C-37/92 (Vanacker und Lesage), Slg. 1993, I-4947, Rn. 9; Rs. C-309/02 (Radlberger Getränke und S. Spitz), Slg. 2004, I-11763, Rn. 53. 72 Frenz, Handbuch Europarecht I, Rn. 350. 73 Frenz, Handbuch Europarecht I, Rn. 354. 74 EuGH, Rs. 222/86 (Unectef/Heylens), Slg. 1987, I-4097, Rn. 10; Rs. C-340/89 (Vlassopoulou), Slg. 1991, I-2357, Rn. 9 ff.; Rs. C-104/91 (Aguirre Borrell), Slg. 1992, I-3003, Rn. 7; Rs. C-456/05 (Kommission/Deutschland), Slg. 2007, 10517, Rn. 48. 75 EuGH, Rs. 251/78 (Denkavit Futtermittel), Slg. 1979, 3369, Rn. 15 f.; Rs. C-330/03 (Colegio de Ingenieros de Caminos, Canales y Puertos), Slg. 2006, I-801, Rn. 17. 76 Streinz, ZLR 2004, 203. 77 Hagenmeyer/Teufer, in: Dauses, Hdb. EU-WirtschR, C. IV., Rn. 53, 150 ff. 78 Richtlinie 88/107/EWG vom 21. Dezember 1988 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Zusatzstoffe, die in Lebensmitteln verwendet werden dürfen, ABl. EWG L 40 vom 21.12.1988, S. 27, zuletzt geändert durch die Richtlinie 94/94/EWG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. Juni 1994 zur Änderung der Richtlinie 89/107/EWG zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Zusatzstoffe, die in Lebensmitteln verwendet werden dürfen, ABl. EG L 237 vom 10.9.1994, S. 1. 79 Ehlers, in: Ehlers, GuG, § 7, Rn. 34.

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Teil 2, A. Grundfreiheiten

Seit der Entscheidung „Cassis de Dijon“ wendet der EuGH auf diese nicht harmonisierten Gebiete das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung an.80 Als Maßnahmen gleicher Wirkung wie mengenmäßige Beschränkungen gelten demzufolge alle mitgliedstaatlichen Regelungen, welche „die Einfuhr von in einem anderen Mitgliedstaat rechtmäßig hergestellten und in den Verkehr gebrachten“81 Waren verbieten. Ein Importeur von Waren, die bereits rechtmäßig in der Gemeinschaft im Verkehr sind, wird in der Wahrnehmung seiner Grundfreiheit beeinträchtigt, wenn er nicht nur die Anforderungen herkunftsstaatlichen Rechts, sondern daneben auch die des Bestimmungsstaates erfüllen muss.82 Den Grundfreiheiten wird daher ein koordinationsrechtlicher Gehalt entnommen. Das Recht des Herkunftslandes soll insoweit zur Geltung kommen, als dem Grundfreiheitsträger andernfalls Doppelbelastungen drohen.83 Ein Mitgliedstaat berücksichtigt das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung nicht, wenn er eine Ware allein an den innerstaatlichen Vorschriften misst, obwohl diese bereits rechtmäßig in einem anderen Mitgliedstaat in den Verkehr gebracht wurde. Verwehrt ein Mitgliedstaat Lebensmitteln den Marktzugang, obwohl sie den rechtlichen Anforderungen des Herkunftsstaates genügen, handelt es sich somit um eine rechtfertigungsbedürftige Maßnahme gleicher Wirkung gem. Art. 34 AEUV.84

2. Rechtfertigung von Verkehrsverboten Die Rechtsprechung des EuGH zur Warenverkehrsfreiheit behandelt – mangels Harmonisierung in diesem Bereich – insbesondere nationale Regelungen über Lebensmittelzusätze wie Vitamine oder Mineralstoffe. Die Mitgliedstaaten rechtfertigen Beschränkungen beim Inverkehrbringen von Lebensmitteln regelmäßig mit dem Schutz der Gesundheit und des Lebens gem. Art. 36 S. 1 AEUV, d. h. einem geschriebenen Rechtfertigungsgrund. Der Rechtfertigungsgrund des Gesundheitsschutzes bildet einen Schwerpunkt der Rechtsprechung zu Art. 36 AEUV.85 Er nimmt unter den Rechtfertigungsgründen 80

Synonym wird auch der Begriff des Herkunftslandprinzips gebraucht. Zum Verhältnis von gegenseitiger Anerkennung und Harmonisierung vgl. auch Kommission, Vollendung des Binnenmarktes, Weißbuch der Kommission an den Europäischen Rat vom 14.6.1985, KOM (1985) 310 endg., Ziff. 64 f. 81 EuGH, Rs. 120/78 (Rewe/Bundesmonopolverwaltung für Branntwein), Slg. 1979, 649, Rn. 15. 82 Hoffmann, Grundfreiheiten, S. 56 f.; Kingreen, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 28–30 EGV, Rn. 152. 83 Hoffmann, Grundfreiheiten, S. 155 ff. 84 EuGH, Rs. 174/82 (Sandoz), Slg. 1983, 2445, Rn. 8; Rs. 120/78 (Rewe/Bundesmonopolverwaltung für Branntwein), Slg. 1979, 649, Rn. 15. 85 Vgl. Müller-Graff, in: Groeben/Schwarze, EUV/EGV – Band 1, Art. 30 EGV, Rn. 58 m. zahlr. N. aus der Rspr.

III. Genehmigungsvorbehalte am Beispiel der Lebensmittelzusätze

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des Art. 36 AEUV mit den Worten des EuGH den „ersten Rang“86 ein. Soweit keine gemeinschaftsrechtliche Harmonisierung besteht, obliegt die Bestimmung des angestrebten Schutzniveaus den Mitgliedstaaten.87 Damit geht erhebliches Konfliktpotential einher. Die Allgemeininteressen des Art. 36 AEUV einschließlich des Gesundheitsschutzes lassen sich von protektionistischen nationalen Interessen nicht gänzlich trennen.88 Die Rechtfertigungsgründe des Art. 36 AEUV bergen die Gefahr in sich, das Binnenmarktziel in Teilbereichen aufzuweichen. Eine umso gewichtigere Rolle kommt daher dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu. Als Schranken-Schranke beschneidet er die Handlungsmöglichkeiten der Grundfreiheitsadressaten bei der Beschränkung der Grundfreiheiten.89 Er bildet die Grenze zwischen mitgliedstaatlichem Regelungsspielraum und gemeinschaftsgerichtlicher Kontrolle. An die Verhältnismäßigkeit sind umso geringere Anforderungen zu stellen, je gewichtiger der Rechtfertigungsgrund der Beeinträchtigung ist.90 Das Herkunftslandprinzip wird ebenfalls vom Verhältnismäßigkeitsgrundsatz berührt. Die Prüfung der Verhältnismäßigkeit einer Maßnahme erfolgt primär durch den handelnden Mitgliedstaat selbst. Bei der Bestimmung der zugrundeliegenden Allgemeininteressen geht dieser von der eigenen Werte- und Rechtsordnung aus. Andere Mitgliedstaaten bleiben auf dieser Stufe außer Betracht.91 Das angestrebte Schutzniveau kann von Staat zu Staat unterschiedlich sein. Allerdings fehlt es an der Erforderlichkeit einer Maßnahme, wenn deren Ziel bereits durch Maßnahmen im Herkunftsland der Ware erreicht wurde.92 Eine derartige Doppelbelastung schließen die Grundfreiheiten aus. Die Mitgliedstaaten dürfen die Grundfreiheiten somit durch gem. Art. 36 S. 1 AEUV grundsätzlich gerechtfertigte Maßnahmen des Gesundheitsschutzes nicht unverhältnismäßig beschneiden.

a) Absolute Verkehrsverbote In Hinblick auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit problematisch sind insbesondere absolute Verkehrsverbote. In seinem zweiten „Bier-Urteil“ hat der Gerichtshof das Verbot jeglicher Zusatzstoffe für bestimmte Lebensmittel für unverhältnismäßig gehalten. Dies führe zum „Ausschluss aller in den anderen Mit86

EuGH, Rs. C-473/98 (Toolex Alpha), Slg. 2000, I-5681, Rn. 38. EuGH, Rs. 174/82 (Sandoz), Slg. 1983, 2445, Rn. 16; Rs. C-192/01 (Kommission/Dänemark), Slg. 2003, I-9693, Rn. 42; Rs. C-41/02 (Kommission/Niederlande), Slg. 2004, I-11375, Rn. 42 (st.Rspr.). 88 Für den Umweltschutz Allgemeininteressen und nationale Interessen gleichsetzend Heselhaus, EuZW 2001, 645 (647). 89 Kingreen, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 28–30 EGV, Rn. 87. 90 Ehlers, in: Ehlers, GuG, § 7, Rn. 96 m. w. N. 91 Heselhaus, EuZW 2001, 645 (647). 92 Ehlers, in: Ehlers, GuG, § 7, Rn. 96 m. w. N. 87

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Teil 2, A. Grundfreiheiten

gliedstaaten zugelassenen Zusatzstoffe“93. Der EuGH sah hierin zu Recht eine ungerechtfertigte Maßnahme gleicher Wirkung. Denn ein derartiger Ausschluss berücksichtigt das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung nicht. Ist ein Lebensmittel mit Zusatzstoffen „in einem anderen Mitgliedstaat rechtmäßig hergestellt und/ oder in den Handel gebracht worden“94, so haben die Behörden anderer Mitgliedstaaten dies zu berücksichtigen. Ein absolutes Verkehrsverbot für Zusatzstoffe in bestimmten Lebensmitteln ist mit dem Herkunftslandprinzip nicht in Einklang zu bringen und daher unverhältnismäßig.

b) Relative Verkehrsverbote: Zulassungserfordernis Pauschale Verbote von Zusatzstoffen stellen eine unverhältnismäßige Beschränkung der Warenverkehrsfreiheit dar. Aber auch eine im Einzelfall verweigerte Genehmigung kann einen ungerechtfertigten Eingriff in Art. 34 AEUV bedeuten. In st.Rspr. erkennt der Gerichtshof ein Zulassungserfordernis unter bestimmten Voraussetzungen für neue Zusatzstoffe als verhältnismäßiges Mittel an.95 Beim Schutz von Gesundheit und Leben handelt es sich grundsätzlich um ein legitimes Ziel.96 Eine gesonderte Zulassung für jeden Zusatzstoff in bestimmten Lebensmitteln ermöglicht es, die konkrete Gefahr zu ermitteln, welche unter Berücksichtigung der Essgewohnheiten im Bestimmungsland in Bezug auf das jeweilige Lebensmittel besteht.97 Daher handelt es sich auch um ein geeignetes Mittel. Den Schwerpunkt der Verhältnismäßigkeitsprüfung bildet, wie regelmäßig in der Rspr. des EuGH, die Erforderlichkeit.98 Hier unterscheidet der Gerichtshof zwischen materiellen und prozeduralen Anforderungen an einen verhältnismäßigen Zulassungsvorbehalt des innerstaatlichen Rechts.99 Das Verbot des Inverkehrbringens von Lebensmitteln, die aus anderen Mitgliedstaaten, in denen sie rechtmäßig in den Verkehr gebracht worden sind, eingeführt werden, sei mit den Art. 34 ff. AEUV vereinbar, „sofern das Inverkehrbringen dieser Erzeugnisse in einem für die Wirtschaftsteilnehmer leicht zugänglichen Verfahren genehmigt wird, wenn der Zusatz des betreffenden Stoffes einem echten Bedürfnis entspricht und die Gesundheit gefährdet.“100 93

EuGH, Rs. 178/84 (Kommission/Deutschland), Slg. 1987, 37, Rn. 47. EuGH, Rs. C-24/00 (Kommission/Frankreich), Slg. 2004, I-1277, Rn. 16. 95 Grundlegend EuGH, Rs. 174/82 (Sandoz), Slg. 1983, 2445; Rs. 247/84 (Motte), Slg. 1985, 3887; Rs. 304/84 (Ministère Public/Muller), Slg. 1986, 1511. 96 Kingreen, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 28–30 EGV, Rn. 90. 97 EuGH, Rs. 178/84 (Kommission/Deutschland), Slg. 1987, 37, Rn. 47. 98 Ehlers, in: Ehlers, GuG, § 7, Rn. 96. 99 Eine zweistufige Prüfung sieht auch GA Maduro, Schlussantr. zu Rs. C-41/02 (Kommission/Niederlande), Slg. 2004, I-11375, Ziff. 13. 100 EuGH, Rs. 304/84 (Ministère Public/Muller), Slg. 1986, 1511, Rn. 26 (Hervorhebung durch Verf.). 94

III. Genehmigungsvorbehalte am Beispiel der Lebensmittelzusätze

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Der EuGH greift also – von der Literatur eher unbeachtet101 – i. R. d. Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes auf die verfahrensrechtliche Dimension der Grundfreiheiten zurück. Er macht die Verhältnismäßigkeit eines Grundfreiheitseingriffs nicht allein von materiellen Kriterien abhängig. Darüber hinaus erklärt er ein bestimmtes Verfahren zur conditio sine qua non für die Rechtfertigung des Eingriffs. Selbst bei Vorliegen der materiellen Voraussetzungen eines Verkehrsverbots102 ließe sich dieses ohne vorherige Durchführung eines grundfreiheitskonformen Verfahrens nicht rechtfertigen. Hierin zeigt sich deutlich die gegenseitige Abhängigkeit materieller und prozeduraler Entscheidungselemente. Insbesondere wird es für den Importeur möglich zu überprüfen, nach welchen Kriterien die nationalen Stellen die Gesundheitsgefährdung durch den fraglichen Zusatzstoff bewertet haben. Dies effektiviert die Durchsetzung der Grundfreiheiten als subjektiv-öffentliche Rechte. Wie zu zeigen sein wird, verfolgt der EuGH mit seiner Rspr. den Ansatz einer komplementären Prozeduralisierung. Die Beachtung der Grundfreiheiten bemisst sich nicht allein an materiellen, sondern auch an verfahrensrechtlichen Gesichtspunkten.

3. Materielle Anforderungen an Zulassungserfordernisse Der Gerichtshof grenzt mit Hilfe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes die Regelungskompetenzen der Mitgliedstaaten und seine eigenen Prüfungsbefugnisse von einander ab. Grundsätzlich erkennt er die Kompetenz der Mitgliedstaaten an, mangels gemeinschaftsrechtlicher Harmonisierung auf dem Gebiet der Nahrungszusatzstoffe eigene Regelungen zu treffen. Dabei obliege es den Mitgliedstaaten „unter Berücksichtigung der Erfordernisse des freien Warenverkehrs innerhalb der Gemeinschaft zu bestimmen, in welchem Umfang sie den Schutz der Gesundheit und des Lebens von Menschen gewährleisten wollen“103. Dieses Schutzniveau darf die Warenverkehrsfreiheit jedoch so wenig wie möglich belasten. Die Regelungskompetenz der Mitgliedstaaten ist nicht mit einer Blankovollmacht zu verwechseln. Die Mitgliedstaaten haben im Rahmen ihres Ermessens den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit einzuhalten. Ihre Maßnahmen sind auf das Maß dessen zu beschränken, was zum Schutz der öffentlichen Gesundheit tatsächlich erforderlich ist.104 Der Gerichtshof überprüft daher, nach welchen Kriterien die Mitgliedstaaten über die Zulassung entscheiden. 101

Vgl. aber Kingreen, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 28–30 EGV, Rn. 203. Zu diesen sogleich Teil 2 A. III. 3. 103 EuGH, Rs. 174/82 (Sandoz), Slg. 1983, 2445, Rn. 17; Rs. C-192/01 (Kommission/Dänemark), Slg. 2003, I-9693, Rn. 42; Rs. C-41/02 (Kommission/Niederlande), Slg. 2004, I-11375, Rn. 42; Rs. C-24/00 (Kommission/Frankreich), Slg. 2004, I-1277, Rn. 46; Rs. C-319/05 (Kommission/Deutschland), Slg. 2007, I-9811, Rn. 86. 104 GA Maduro, Schlussantr. zu Rs. C-41/02 (Kommission/Niederlande), Slg. 2004, I-11375, Rn. 46. 102

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Teil 2, A. Grundfreiheiten

Ein Antrag auf Zulassung eines Lebensmittelzusatzes darf nur abgelehnt werden, wenn dieser Stoff tatsächlich ein Risiko für die Gesundheit der Bevölkerung birgt.105 Dies ist konsequent, da weiter gefasste Kriterien nicht vom Rechtfertigungsgrund des Schutzes der Gesundheit und des Lebens gedeckt wären. Folgerichtig hat der Gerichtshof seine frühere Rspr. – der zufolge eine Zulassung abgelehnt werden konnte, wenn der Stoff keinem Ernährungsbedürfnis der Bevölkerung entsprach106 – aufgegeben. Das Fehlen eines solchen Bedürfnisses allein kann ein völliges Verbot nicht rechtfertigen.107 Die Änderungen des Konsumverhaltens gehören zu den Wesensmerkmalen eines gemeinsamen Binnenmarktes. Ein Verkehrsverbot lässt sich somit inhaltlich ausschließlich auf die Ergebnisse einer Risikountersuchung stützen.108 Diese hat auf einer Prüfung „im Licht der Ernährungsgewohnheiten und unter Berücksichtigung der Ergebnisse der internationalen wissenschaftlichen Forschung“109 zu beruhen. Der Grad des Risikos bemisst sich anhand zweier Kriterien. Zum einen ist der Wahrscheinlichkeitsgrad der Risikoverwirklichung maßgeblich, zum anderen die Schwere der potenziellen Auswirkungen.110 Der wahrscheinliche Eintritt leichter Gesundheitsschäden kann ein Verkehrsverbot daher ebenso rechtfertigen, wie die geringe Wahrscheinlichkeit tödlicher Verläufe.111 Dabei können die Einschätzungen der Mitgliedstaaten aufgrund der verschiedenen nationalen Ernährungsgewohnheiten unterschiedlich ausfallen.112 Besondere Bedeutung erhält das Ermessen der Mitgliedstaaten, wenn keine gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnisse vorliegen.113 Lassen sich weder Ausmaß noch Wahrscheinlichkeit des Gesundheitsrisikos ermitteln, so rechtfertigt das Vorsorgeprinzip114 den Erlass beschränkender Maßnahmen.115

105 EuGH, Rs. C-192/01 (Kommission/Dänemark), Slg. 2003, I-9693, Rn. 42; Rs. C-95/01 (Greenham und Abel), Slg. 2004, I-1333, Rn. 36. 106 So noch EuGH, Rs. 174/82 (Sandoz), Slg. 1983, 2445, Rn. 19; Rs. 247/84 (Motte), Slg. 1985, 3887, Rn. 21; Rs. 304/84 (Ministère Public/Muller), Slg. 1986, 1511, Rn. 25. 107 EuGH, Rs. C-192/01 (Kommission/Dänemark), Slg. 2003, I-9693, Rn. 54; Rs. C-95/01 (Greenham und Abel), Slg. 2004, I-1333, Rn. 46. 108 GA Maduro, Schlussantr. zu Rs. C-41/02 (Kommission/Niederlande), Slg. 2004, I-11375, Ziff. 22. 109 EuGH, Rs. C-192/01 (Kommission/Dänemark), Slg. 2003, I-9693, Rn. 46. 110 EuGH, Rs. C-192/01 (Kommission/Dänemark), Slg. 2003, I-9693, Rn. 48. 111 GA Maduro, Schlussantr. zu Rs. C-41/02 (Kommission/Niederlande), Slg. 2004, I-11375, Rn. 24. 112 Dauses/Brigola, in: Dauses, Hdb. EU-WirtschR, C. I., Rn. 210. 113 EuGH, Rs. C-41/02 (Kommission/Niederlande), Slg. 2004, I-11375, Rn. 43 m. w. N. 114 Differenzierend GA Maduro, Schlussantr. zu Rs. C-41/02 (Kommission/Niederlande), Slg. 2004, I-11375, Ziff. 29 ff. 115 EuGH, Rs. C-192/01 (Kommission/Dänemark), Slg. 2003, I-9693, Rn. 48; Rs. C-95/01 (Greenham und Abel), Slg. 2004, I-1333, Rn. 48; Rs. C-41/02 (Kommission/Niederlande), Slg. 2004, I-11375, Rn. 44.

III. Genehmigungsvorbehalte am Beispiel der Lebensmittelzusätze

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4. Prozedurale Anforderungen an Zulassungserfordernisse Eine Entscheidung auf der Grundlage einer Risikobewertung genügt jedoch allein nicht, um die Verhältnismäßigkeit eines Verkehrsverbotes sicherzustellen. Es müssen daneben zwingend die prozeduralen Anforderungen erfüllt sein. In st.Rspr. fordert der EuGH, „das Inverkehrbringen dieser Erzeugnisse in einem für die Wirtschaftsteilnehmer leicht zugänglichen Verfahren zu genehmigen, wenn sich dies mit den genannten Zielen vereinbaren lässt.“116

Zumeist betrifft dieses Verfahren die Aufnahme in eine innerstaatliche Positivliste.117 Die prozeduralen Anforderungen lassen sich in Erfordernisse der Zugänglichkeit und des gerichtlichen Rechtsschutzes unterteilen.

a) Zugänglichkeit des Genehmigungsverfahrens Der Gerichtshof legt i. R. d. prozeduralen Anforderungen den Schwerpunkt auf eine leichte Zugänglichkeit des Verfahrens. Wie gesehen, ordnet er das Genehmigungserfordernis als Eingriff in die Warenverkehrsfreiheit ein. Damit das Genehmigungsverfahren die Verhältnismäßigkeit des Eingriffs sicherstellen kann, darf es selbst keine zusätzlichen Hürden aufstellen. Es muss dem Grundfreiheitsträger das Tor zum Markt dieses Mitgliedstaates öffnen und darf diesen nur insoweit behindern, als dies für den Gesundheitsschutz geboten ist. Das Verfahren selbst unterliegt als „Teil des Eingriffs“ ebenfalls der Verhältnismäßigkeitsschranke.118 Unverhältnismäßig ist ein Genehmigungsverfahren bspw., wenn der Gesundheitsschutz durch ein milderes Mittel, wie eine Kennzeichnungspflicht, gewährleistet werden kann.119 Der Rspr. lassen sich nur punktuelle Anforderungen an die leichte Zugänglichkeit entnehmen. Diese betreffen sowohl die Einleitung als auch die Durchführung des Verfahrens.120

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EuGH, Rs. 304/84 (Ministère Public/Muller), Slg. 1986, 1511, Rn. 23. So in EuGH, Rs. C-95/01 (Greenham und Abel), Slg. 2004, I-1333, Rn. 35. 118 EuGH, Rs. C-420/01 (Kommission/Italien), Slg. 2003, I-6445, Rn. 31; Rs. C-270/02 (Kommission/Italien), Slg. 2004, I-1559, Rn. 22. 119 So in EuGH, Rs. C-24/00 (Kommission/Frankreich), Slg. 2004, I-1277, Rn. 75. 120 Dauses/Brigola, in: Dauses, Hdb. EU-WirtschR, C. I., Rn. 209. 117

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Teil 2, A. Grundfreiheiten

aa) Rechtliche Grundlage Zunächst fordert der Gerichtshof sowohl für die Verfahrensregelung121 als auch für die Zulassungsentscheidung122 einen „Rechtsakt von allgemeiner Wirkung“ als Grundlage. Dabei unterscheidet er selbst nicht immer trennscharf zwischen diesen Verfahrensstadien. Jedoch handelt es sich notwendig um zwei unterschiedliche Regelungen.

(1) Verfahren Für das Verfahren selbst hat der EuGH, soweit ersichtlich, in nur einer Entscheidung eine rechtliche Grundlage gefordert. Eine rechtliche Fundierung wäre im Sinne der Rechtssicherheit zu begrüßen. Generalanwalt (GA) Maduro fordert weiter gehend sogar eine klare Formulierung der anwendbaren Vorschriften, „damit die Wirtschaftsteilnehmer leicht Zugang zu diesem Verfahren finden“123. Die Mitgliedstaaten wären demnach nicht nur zum Normerlass, sondern sogar zum „good lawmaking“ verpflichtet. Derart umfassende Anforderungen aus der verfahrensrechtlichen Dimension der Grundfreiheiten erscheinen jedoch zu weit gehend. Die Marktfreiheiten kommen gerade dort zum Tragen, wo die Gemeinschaft nicht harmonisierend tätig wird. Insbesondere eine Umsetzungspflicht, wie bei Richtlinien, besteht für die Mitgliedstaaten grundsätzlich nicht. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts.124 Der Anwendungsvorrang ist nicht auf sekundäres Gemeinschaftsrecht beschränkt, sondern bezieht sich auch auf das Primärrecht.125 Innerstaatliches Recht, welches mit den Grundfreiheiten in Widerspruch steht, hat damit außer Anwendung zu bleiben. Würde eine mitgliedstaatliche Norm im vorliegenden Zusammenhang den Zugang zu einem Genehmigungsverfahren verwehren, müsste sie unangewendet bleiben, da eine indirekte Kollision126 mit Art. 34 AEUV bestünde. Eine Pflicht zur Aufhebung innerstaatlichen Rechts ergibt sich aus dem Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts hingegen nicht. Dabei ist die Kompetenzabgrenzung zwischen den Mitgliedstaaten und der Gemeinschaft zu beachten. Zwar wird der Anwendungsbereich der Grundfreiheiten 121

EuGH, Rs. C-24/00 (Kommission/Frankreich), Slg. 2004, I-1277, Rn. 37. EuGH, Rs. C-42/90 (Bellon), Slg. 1990, I-4863, Rn. 15; Rs. 176/84 (Kommission/Griechenland), Slg. 1987, 1193, Rn. 41; Rs. 178/84 (Kommission/Deutschland), Slg. 1987, 37, Rn. 42 ff. 123 GA Maduro, Schlussantr. zu Rs. C-41/02 (Kommission/Niederlande), Slg. 2004, I-11375, Ziff. 19. 124 Zu diesem Ruffert, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 249, Rn. 22 ff. 125 Jarass/Beljin, NVwZ 2004, 1 (2). 126 Zum Begriff Jarass/Beljin, NVwZ 2004, 1 (4). 122

III. Genehmigungsvorbehalte am Beispiel der Lebensmittelzusätze

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nicht durch die Gesetzgebungskompetenzen der Gemeinschaft beschränkt. Sie gelten auch in den Kompetenzbereichen der Mitgliedstaaten.127 Eine Regelungspflicht würde jedoch die Differenzierung zwischen gemeinschaftsrechtlicher Harmonisierung und dem Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts nivellieren. Die nationalen Rechtsordnungen würden „durch die Hintertür“ harmonisiert. Der Anwendungsvorrang kann daher nur so weit gehen, wie der Schutz der Grundfreiheiten dies gebietet. Das Gemeinschaftsrecht genießt Anwendungsvorrang, weil seine praktische Wirksamkeit ansonsten nicht gewährleistet wäre.128 Der Vorrang geht jedoch nicht weiter, als der Effektivitätsgrundsatz dies erfordert. Die Entscheidung, wie ein grundfreiheitskonformer Zustand zu erreichen ist, muss daher den Mitgliedstaaten überlassen bleiben. Vorliegend sind zwei Konstellationen zu unterscheiden: Eine gesetzliche Regelung mit absolutem Verkehrsverbot wäre in jedem Fall unverhältnismäßig. Sieht innerstaatliches Recht ein derartiges Verbot vor, so stellt sich die Frage nach der Normverwerfungskompetenz nationaler Behörden bzgl. gemeinschaftswidrigen innerstaatlichen Rechts.129 Hat sich der nationale Gesetzgeber hingegen für ein relatives Verkehrsverbot mit Zulassungsvorbehalt entschieden, ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als Maßstab heranzuziehen: Die Beeinträchtigung der Grundfreiheiten lässt sich nur im Wege einer verhältnismäßigen Umsetzung des Verkehrsverbotes rechtfertigen. Dies beinhaltet die Durchführung eines Genehmigungsverfahrens als milderes Mittel. Die zuständige Behörde hat bei der Durchführung des Verwaltungsverfahrens auf eine grundfreiheitskonforme Umsetzung zu achten. Ein „Rechtsakt von allgemeiner Wirkung“ ginge wesentlich über diese grundfreiheitskonforme Verfahrensgestaltung und über den Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts hinaus. Die Pflicht, ein grundfreiheitsadäquates Verfahren zu normieren, würde die gemeinschaftsverfassungsrechtliche Kompetenzverteilung in Frage stellen. Wie die Mitgliedstaaten ihren primärrechtlichen Verpflichtungen nachkommen, muss diesen selbst überlassen bleiben. Schließlich sagt dieses Ergebnis nichts über innerstaatliche Normierungspflichten aus. Aus dem grundgesetzlichen Vorrang des Gesetzes kann sich die Notwendigkeit ergeben, ein entsprechendes Verwaltungsverfahren zu normieren.130 Es handelt sich jedoch um zwei separate Begründungsansätze, die auf unterschiedlichen Normebenen greifen.

127 128 129 130

Kingreen, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 28–30 EGV, Rn. 17. Ruffert, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 249, Rn. 28. Zu diesem Problem statt vieler Streinz/Herrmann, BayVBl. 2008, 1 ff. s. zur Lösung im deutschen Recht u. Teil 2 A. III. 5.

124

Teil 2, A. Grundfreiheiten

(2) Entscheidung Wesentlich eindeutiger hat der Gerichtshof in Bezug auf die Zulassungsentscheidung einen „Rechtsakt von allgemeiner Wirkung“131 gefordert. Verhältnismäßig sei ein relatives Verkehrsverbot, mit dem „die Verwendung von Zusatzstoffen von einer vorherigen Zulassung abhängig gemacht wird, die durch einen Rechtsakt mit allgemeiner Wirkung für bestimmte Zusatzstoffe erteilt wird und sich auf alle oder nur auf einige Erzeugnisse oder aber auf bestimmte Verwendungszwecke bezieht.“132

Insoweit dürfte sich der Gerichtshof jedoch nicht notwendigerweise auf einen Normativakt beziehen.133 Eine Entscheidung in Form einer Rechtsverordnung oder einer Allgemeinverfügung erfüllt ebenfalls den angestrebten Zweck. Unverhältnismäßig wäre allein, jedem Importeur eine Genehmigungspflicht für Zusatzstoffe aufzuerlegen, die bereits in anderen Fällen genehmigt wurden. Im Ergebnis läuft dies auf die Erstellung von Positivlisten hinaus, wie sie auch die Harmonisierungsmaßnahmen der Gemeinschaft vorsehen. Hat ein Mitgliedstaat also einmal die Unbedenklichkeit eines Zusatzstoffes für alle oder bestimmte Nahrungsmittel festgestellt, dürfen Importeure nicht mehr mit einem Genehmigungserfordernis belastet werden. Insoweit würde es sich nicht mehr um ein geeignetes Mittel für den Gesundheitsschutz handeln.

bb) Verfahrensaufwand Erfordert ein Verfahren erheblichen Aufwand in zeitlicher oder finanzieller Hinsicht, entfaltet es eine abschreckende Wirkung.134 Die Verfahrensanforderungen dürfen jedoch nicht über das hinausgehen, was zur Zweckerreichung notwendig ist. Das Verfahren muss innerhalb einer angemessenen Frist abgeschlossen werden können.135 Eine deutliche zeitliche Verzögerung brächte für den Importeur erhebliche Nachteile mit sich. Insbesondere würde eine übermäßige Verfahrensdauer

131 EuGH, Rs. 178/84 (Kommission/Deutschland), Slg. 1987, 37, Rn. 42 ff.; Rs. 176/84 (Kommission/Griechenland), Slg. 1987, 1193, Rn. 41; Rs. C-42/90 (Bellon), Slg. 1990, I-4863, Rn. 15. 132 EuGH, Rs. C-42/90 (Bellon), Slg. 1990, I-4863, Rn. 12 m. w. N. 133 Dauses/Brigola, in: Dauses, Hdb. EU-WirtschR, C. I., Rn. 209. 134 Rs. C-192/01 (Kommission/Dänemark), Slg. 2003, I-9693, Ziff. 19. 135 EuGH, Rs. 178/84 (Kommission/Deutschland), Slg. 1987, 37, Rn. 45; Rs. C-42/90 (Bellon), Slg. 1990, I-4863, Rn. 15; Rs. C-344/90 (Kommission/Frankreich), Slg. 1992, I-4719, Rn. 9; Rs. C-24/00 (Kommission/Frankreich), Slg. 2004, I-1277, Rn. 26; Rs. C-95/01 (Greenham und Abel), Slg. 2004, I-1333, Rn. 50.

III. Genehmigungsvorbehalte am Beispiel der Lebensmittelzusätze

125

bei einer parallelen Antragstellung in mehreren Mitgliedstaaten die Fraktionierung des Binnenmarktes verstärken. Ähnliches gilt auch für die Verfahrenskosten. Diese stellen ebenfalls ein Hindernis für den Binnenmarkt dar. Sie sind daher auf ein verhältnismäßiges Maß zu begrenzen.136 Schließlich haben die zuständigen Stellen innerhalb des Verfahrens das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung zu berücksichtigen. Da der Gesundheitsschutz in den Kompetenzbereich der Mitgliedstaaten fällt, bestimmen diese – i. R. d. materiellen Anforderungen der Grundfreiheiten – das von ihnen angestrebte Schutzniveau selbst. Das nationale Genehmigungsverfahren soll hingegen nicht die wissenschaftliche Beurteilung durch andere Mitgliedstaaten grundsätzlich in Frage stellen. Bei der Ermittlung des Sachverhalts haben die zuständigen Stellen daher ggf. auf die Erkenntnisse der anderen Mitgliedstaaten zurückzugreifen. Dies bedeutet, dass Analysen und Laboruntersuchungen, die bereits in anderen Mitgliedstaaten durchgeführt wurden, soweit wie möglich zu berücksichtigen sind.137 Eine erneute, deckungsgleiche Untersuchung würde zu einer Doppelbelastung des Antragstellers führen.138 Diese Anforderung darf nicht mit einer versteckten Harmonisierung der nationalen Sicherheitsanforderungen gleichgesetzt werden. Das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung sichert durch dieses Mehrfachverwertungsgebot nur die Anerkennung der Gleichwertigkeit bereits durchgeführter Prüfungen.139 cc) Begründungs- und Beweislast Für den Antragsteller wäre es mit großen Belastungen verbunden, die Ungefährlichkeit seines Produktes zu beweisen. Dies gilt umso mehr bei wissenschaftlichen Unsicherheiten. Nach der st.Rspr. des Gerichtshofs obliegt es daher dem Mitgliedstaat, „darzutun, dass die von ihnen erlassene Regelung erforderlich ist, um die in Artikel 36 EWG-Vertrag (jetzt Art. 36 AEUV, d.Verf.) genannten Rechtsgüter wirksam zu schützen, insbesondere, dass der Vertrieb des in Frage stehenden Erzeugnisses eine Gefahr für die Gesundheit darstellt.“140

136 GA Maduro, Schlussantr. zu Rs. C-41/02 (Kommission/Niederlande), Slg. 2004, I-11375, Ziff. 19. 137 EuGH, Rs. 272/80 (Frans-Nederlandse Maatschappij voor Biologische Producten), Slg. 1981, I-3277, Rn. 14; Rs. C-293/94 (Brandsma), Slg. 1996, I-3159, Rn. 12; Rs. C-400/96 (Harpegnies), Slg. 1998, I-5121, Rn. 35. 138 GA Maduro, Schlussantr. zu Rs. C-41/02 (Kommission/Niederlande), Slg. 2004, I-11375, Ziff. 19; Dauses/Brigola, in: Dauses, Hdb. EU-WirtschR, C. I., Rn. 214. 139 Borries/Petschke, DVBl. 1996, 1343 (1345). 140 EuGH, Rs. 304/84 (Ministère Public/Muller), Slg. 1986, 1511, Rn. 25; so auch EuGH, Rs. 178/84 (Kommission/Deutschland), Slg. 1987, 37, Rn. 46; Rs. C-42/90 (Bellon), Slg. 1990, I-4863, Rn. 16.

126

Teil 2, A. Grundfreiheiten

Er kann jedoch von den Importeuren „die Vorlage der in ihrem Besitz befindlichen Unterlagen verlangen, die für die Beurteilung des Sachverhalts von Nutzen sein könnten“141.142

b) Gerichtlicher Rechtsschutz Schlusspunkt der prozeduralen Forderungen des EuGH ist die Möglichkeit gerichtlichen Rechtsschutzes.143 Bei einer ablehnenden Entscheidung muss der Rechtsweg zu den nationalen Gerichten offen stehen.

c) Fazit Der Gerichtshof hat seit Ende der 1970er Jahre prozedurale Anforderungen an die Zulassung von Nahrungsergänzungsstoffen aufgestellt und konkretisiert. Die Zusammenschau dieser Rechtsprechung ergibt, dem Grundsatz der Verfahrensautonomie folgend, kein geschlossenes Verfahren; hierfür sind die Mitgliedstaaten zuständig. Allerdings leitet der EuGH aus Art. 34 AEUV mitunter detaillierte Mindestanforderungen an das Verwaltungsverfahren ab.

5. Auswirkungen auf das deutsche Recht Der deutsche Gesetzgeber hat auf die Rspr. des EuGH und das Drängen der Kommission reagiert und eine entsprechende rechtliche Grundlage geschaffen.

a) § 54 LFGB Bereits seit dem Jahr 1993 spiegelt die deutsche Rechtslage das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung für den Bereich der Lebensmittel wider. Nunmehr findet sich in § 54 LFGB144 eine entsprechende Regelung, welche die oben dargestellte Rspr. widerspiegelt:

141

EuGH, Rs. 178/84 (Kommission/Deutschland), Slg. 1987, 37, Rn. 46. s. auch Oliver, Free movements of goods, Rn. 8, 65 f. 143 EuGH, Rs. 178/84 (Kommission/Deutschland), Slg. 1987, 37, Rn. 46; Rs. C-42/90 (Bellon), Slg. 1990, I-4863, Rn. 16; Rs. C-344/90 (Kommission/Frankreich), Slg. 1992, I-4719, Rn. 9; Rs. C-24/00 (Kommission/Frankreich), Slg. 2004, I-1277, Rn. 26; Rs. C-95/01 (Greenham und Abel), Slg. 2004, I-1333, Rn. 50. 144 Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch vom 26.4.2006, BGBl. I S. 945, zuletzt geändert durch Art. 12 des Gesetzes vom 26.2.2008, BGBl. I S. 215. 142

III. Genehmigungsvorbehalte am Beispiel der Lebensmittelzusätze

127

(1) Abweichend von § 53 Abs. 1 Satz 1 dürfen Lebensmittel, kosmetische Mittel oder Bedarfsgegenstände, die 1. in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum rechtmäßig hergestellt oder rechtmäßig in den Verkehr gebracht werden oder 2. aus einem Drittland stammen und sich in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum rechtmäßig im Verkehr befinden, in das Inland verbracht und hier in den Verkehr gebracht werden, auch wenn sie den in der Bundesrepublik Deutschland geltenden Vorschriften für Lebensmittel, kosmetische Mittel oder Bedarfsgegenstände nicht entsprechen. Satz 1 gilt nicht für die dort genannten Erzeugnisse, die 1. [gemeinschaftsrechtlichen Regelungen] nicht entsprechen oder 2. anderen zum Zweck des § 1 Abs. 1 Nr. 1, auch in Verbindung mit Abs. 2, erlassenen Rechtsvorschriften nicht entsprechen, soweit nicht die Verkehrsfähigkeit der Erzeugnisse in der Bundesrepublik Deutschland nach Absatz 2 durch eine Allgemeinverfügung des Bundesamtes für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit im Bundesanzeiger bekannt gemacht worden ist. (2) Allgemeinverfügungen nach Absatz 1 Satz 2 Nr. 2 werden vom Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit im Einvernehmen mit dem Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle erlassen, soweit nicht zwingende Gründe des Gesundheitsschutzes entgegenstehen. Sie sind von demjenigen zu beantragen, der als Erster die Erzeugnisse in das Inland zu verbringen beabsichtigt. (…) Allgemeinverfügungen nach Satz 1 wirken zugunsten aller Einführer der betreffenden Erzeugnisse aus Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft oder anderen Vertragsstaaten des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum. (3) Dem Antrag sind eine genaue Beschreibung des Erzeugnisses sowie die für die Entscheidung erforderlichen verfügbaren Unterlagen beizufügen. Über den Antrag ist in angemessener Frist zu entscheiden. Sofern innerhalb von 90 Tagen eine endgültige Entscheidung über den Antrag noch nicht möglich ist, ist der Antragsteller über die Gründe zu unterrichten. (4) Weichen Lebensmittel von den Vorschriften dieses Gesetzes oder der auf Grund dieses Gesetzes erlassenen Rechtsverordnungen ab, sind die Abweichungen angemessen kenntlich zu machen, soweit dies zum Schutz der Verbraucherinnen oder Verbraucher erforderlich ist.

Bei § 54 LFGB handelt es sich um eine Sonderregelung für Waren i. S. v. Art. 28 Abs. 2 AEUV (§ 54 Abs. 1 S. 1 LFGB). Diese dürfen grundsätzlich im Inland in den Verkehr gebracht werden, auch wenn sie den in Deutschland geltenden Normen nicht entsprechen, sofern sie nicht bereits durch sekundäres Gemeinschaftsrecht untersagt werden (§ 54 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 LFGB).145 Allerdings ist eine Genehmigung in Form einer Allgemeinverfügung des Bundesamtes für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit notwendig, wenn sie gegen andere dem Schutz der Gesundheit dienende Vorschriften verstoßen (§ 54 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 i. V. m. § 1 Abs. 1 LFGB).

145

Hagenmeyer/Teufer, in: Dauses, Hdb. EU-WirtschR, C. IV., Rn. 60.

128

Teil 2, A. Grundfreiheiten

Gem. § 54 Abs. 2 S. 1 LFGB hat das Bundesamt die Genehmigung zu erteilen, soweit nicht zwingende Gründe des Gesundheitsschutzes entgegenstehen. Ihm steht kein Ermessen zu.146 Den Antrag kann stellen, wer als Erster die Erzeugnisse in das Inland zu verbringen beabsichtigt, § 54 Abs. 2 S. 2 LFGB. Die stattgebende Allgemeinverfügung wirkt „zugunsten aller Einführer der betreffenden Erzeugnisse aus Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft oder anderen Vertragsstaaten des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum“, § 54 Abs. 2 S. 3 LFGB. Damit sind die Anforderungen an den positiven „Rechtsakt von allgemeiner Wirkung“ i. S. d. Rspr. erfüllt. Ist eine Genehmigung einmal erteilt, brauchen weitere Importeure keinen Antrag mehr zu stellen. Dem Antragsteller werden zwar gem. § 54 Abs. 3 S. 1 LFGB Mitwirkungspflichten auferlegt, jedoch gehen diese nicht über die in der Rspr. genannten Obliegenheiten hinaus. Weiter erscheint auch die Frist von 90 Tagen gem. § 54 Abs. 3 S. 2 und 3 LFGB angemessen. Schließlich bietet § 54 Abs. 4 LFGB mit einer Kennzeichnungspflicht ein mögliches milderes Mittel zu einer Zulassungsversagung. Dies trägt dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Rechnung.147

b) Anwendbarkeit des VwVfG Die Genehmigung des Inverkehrbringens erfolgt gem. § 54 Abs. 2 S. 2 LFGB in Form einer Allgemeinverfügung. In der Folge findet das VwVfG Anwendung, §§ 1, 35 S. 2 VwVfG. Diesem sind die weiteren Verfahrensanforderungen zu entnehmen. Insbesondere wird die Forderung des EuGH nach gerichtlichem Rechtsschutz erfüllt. Gem. §§ 40 Abs. 1, 42 Abs. 2 VwGO steht der Weg zu den Verwaltungsgerichten offen. Die Untätigkeitsklage gem. § 75 VwGO ermöglicht es dem Antragsteller darüber hinaus, die Einhaltung einer angemessenen Frist durchzusetzen.

6. Fazit Soweit die Verkehrsfähigkeit von Lebensmitteln keiner Harmonisierung unterliegt, sind die Mitgliedstaaten für die Genehmigung von Zusatzstoffen zuständig. Sie sind hierbei an die Warenverkehrsfreiheit gebunden. Dabei haben sie nicht nur materielle, sondern auch prozedurale Anforderungen zu beachten. Gerade Letztere tragen dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Rechnung. Im Gegensatz zu materiellen Bedingungen prädeterminieren sie die Entscheidung 146 147

Hagenmeyer/Teufer, in: Dauses, Hdb. EU-WirtschR, C. IV., Rn. 62. Hagenmeyer/Teufer, in: Dauses, Hdb. EU-WirtschR, C. IV., Rn. 65.

III. Genehmigungsvorbehalte am Beispiel der Lebensmittelzusätze

129

der Mitgliedstaaten nicht inhaltlich. Sie stellen allein Anforderungen an die Entscheidungsfindung. Damit greifen sie zwar in die Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten ein, schonen jedoch deren sachliche Entscheidungskompetenz. Der Gerichtshof ist nicht genötigt, in jedem Fall die fachlichen Erwägungen der innerstaatlichen Stellen einer genauen Überprüfung zu unterziehen, sondern kann maßgeblich auf die Einhaltung der prozeduralen Sicherungen abstellen. I. R. dieses verfahrensrechtlichen Gerüsts können die Betroffenen selbst für eine effektive Durchsetzung ihrer Rechte eintreten. Die prozedurale Dimension der Warenverkehrsfreiheit vereint damit zwei Vorteile: Einerseits effektiviert sie die Durchsetzung der Grundfreiheit. Andererseits verhilft sie mittels des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nicht nur dem Prinzip der gegenseitigen Anerkennung, sondern ebenso den mitgliedstaatlichen Interessen gem. Art. 36 AEUV zur bestmöglichen Geltung. Die Verfahrensdimension der Grundfreiheiten kann damit einen Beitrag zum Gleichgewicht zwischen den Kompetenzbereichen der Gemeinschaft und der Mitgliedstaaten leisten. Dieses Gleichgewicht geriete jedoch ins Wanken, wenn man aus der verfahrensrechtlichen Dimension der Grundfreiheiten eine legislative Normierungspflicht ableiten würde. Dadurch würde ein primärrechtlicher Harmonisierungsdruck erzeugt. Dem Effektivitätsgebot wird Genüge getan, wenn die mitgliedstaatliche Rechtsordnung den zuständigen innerstaatlichen Stellen die Durchführung eines grundfreiheitsadäquaten Verwaltungsverfahrens ermöglicht. Bestehende Regelungen sind dabei grundfreiheitskonform auszulegen. Schließlich fällt auf, dass der Gerichtshof sich bei den Verfahrensanforderungen auf die komplementäre Prozeduralisierung beschränkt. Das Verfahren dient ausschließlich dem Schutz der Warenverkehrsfreiheit. Eine weiter gehende kompensatorische Wirkung, d. h. die Ergebnisrelevanz des Verfahrens, wie sie der Prozeduralisierung ebenso zugrundeliegt, findet sich nicht. Dies dürfte aber der Tatsache geschuldet sein, dass der EuGH in der vorliegenden Konstellation das Genehmigungsverfahren als Teil des Eingriffs betrachtet. Diskursive Verfahrenselemente, wie Anhörung oder Begründung, spielen bei der untersuchten Rechtsprechung keine Rolle. Sie waren auch nicht zu problematisieren, wo die Mitgliedstaaten die Darlegungslast gänzlich auf die Antragsteller abwälzen wollten. Wie die anderen zu untersuchenden Konstellationen zeigen werden, misst der Gerichtshof diesen Instituten jedoch eine hohe Bedeutung bei. Dies wird bereits im nächsten Abschnitt deutlich werden. In Bezug auf Nahrungsergänzungsmittel entspricht die deutsche Rechtslage den Anforderungen des Art. 34 AEUV. Die verfahrensrechtliche Dimension der Warenverkehrsfreiheit hat das innerstaatliche Recht geprägt und dessen Prozeduralisierung auf direktem Wege verstärkt.

130

Teil 2, A. Grundfreiheiten

IV. Erstattungsfähigkeit von Aufwendungen für Arzneimittel IV. Erstattungsfähigkeit von Aufwendungen für Arzneimittel

Die nachfolgende Fallkonstellation wird zeigen, dass die verfahrensrechtliche Dimension der Grundfreiheiten auch bei Harmonisierungsmaßnahmen der Gemeinschaft greift. Die Grundfreiheiten tragen indirekt zu einer Prozeduralisierung des Sekundärrechts und des innerstaatlichen Rechts bei.

1. Gemeinschaftsrechtliche Anforderungen a) Kostenerstattung und Binnenmarktrecht In den mitgliedstaatlichen Krankenversicherungssystemen decken die Träger der sozialen Sicherheit einen Großteil der Bevölkerung ab. Um die Finanzierbarkeit dieser Systeme zu gewährleisten, greifen die zuständigen mitgliedstaatlichen Stellen verbreitet auf Arzneimittellisten zurück, welche die Erstattungsfähigkeit von Aufwendungen für Medikamente regeln. Sog. Positivlisten können einen Katalog erstattungsfähiger Arzneimittel enthalten.148 Negativlisten wiederum nehmen einzelne Produkte oder Gruppen von Arzneimitteln aufgrund wirtschaftlicher oder therapeutischer Erwägungen von der Erstattungsfähigkeit aus. Eine staatliche Regelung, welche die Erstattungsfähigkeit i. R. d. Systems vorschreibt, hat erhebliche Auswirkungen auf den Arzneimittelmarkt in diesem Mitgliedstaat. Das Verbrauchsverhalten der Mitglieder der nationalen Versicherungssysteme wird hierdurch zwangsläufig berührt. Beschränken sich diese Listen nicht auf einheimische Produkte, sondern beziehen auch Importarzneimittel ein, so kann ein Konflikt mit Art. 34 AEUV entstehen.149

b) EuGH, Rs. 238/82 (Duphar/Niederlande) Mit diesem Problem musste sich der EuGH zum ersten Mal im Jahre 1984 auseinandersetzen.150 Dem Urteil des Gerichtshofs lag ein Beschluss des niederländischen Gesundheitsministeriums zugrunde, mit dem Negativlisten aufgestellt wurden. Hierzu gehörten Arzneimittel, die nicht erstattet wurden, weil es billigere und gleichwertige alternative Erzeugnisse gab, und solche, die nur erstattet wurden, wenn vernünftigerweise anzunehmen war, dass die Nichtgewährung des betref148 Vgl. auch Streinz/Ritter, in: Dauses, Hdb. EU-WirtschR, C. V., Rn. 85 sowie Art. 6 f. der Richtlinie 89/105/EWG betreffend die Transparenz von Maßnahmen zur Regelung der Preisfestsetzung bei Arzneimitteln für den menschlichen Gebrauch und ihre Einbeziehung in die staatlichen Krankenversicherungssysteme, ABl. EWG L 19 vom 24.1.1989, S. 16 (Arzneimittel-Transparenzrichtlinie). 149 Plute, NZS 1993, 526. 150 EuGH, Rs. 238/82 (Duphar/Niederlande), Slg. 1984, 523.

IV. Erstattungsfähigkeit von Aufwendungen für Arzneimittel

131

fenden Arzneimittels sich nachteilig auf das Ergebnis der Behandlung auswirken würde. Schließlich sollten auch außerhalb von Apotheken erhältliche Drogerieartikel von der Erstattung ausgeschlossen werden.151 Der Gerichtshof hatte v. a. die Frage zu klären, ob es sich bei dieser Begrenzung der Erstattungsfähigkeit um eine ungerechtfertigte Maßnahme mit gleicher Wirkung wie mengenmäßige Einfuhrbeschränkungen gem. Art. 34 AEUV handelte. Nach den Angaben der Klägerinnen des Ausgangsverfahrens, einer Gruppe von Arzneimittelherstellern, wurden 70 % der verbrauchten Arzneimittel auf Kosten der Krankenversicherungen abgegeben und 80 % der verbrauchten Arzneimittel aus dem Ausland importiert.152 Dem EuGH zufolge berührt das Gemeinschaftsrecht nicht die Befugnisse der Mitgliedstaaten, ihre Systeme der sozialen Sicherheit auszugestalten und insbesondere zur Erhaltung des finanziellen Gleichgewichts ihrer Krankenversicherungssysteme Maßnahmen zur Regulierung des Arzneimittelverbrauchs zu treffen.153 Dennoch sei es grundsätzlich mit dem Gemeinschaftsrecht unvereinbar, wenn ein Mitgliedstaat abschließende Listen aufstelle, durch die bestimmte Erzeugnisse von der Kostenerstattung ausgeschlossen werden.154 Zwar bestehe zwischen der Erstattungsfähigkeit und der Einfuhr von Arzneimitteln kein unmittelbarer Zusammenhang, doch könne sich eine derartige Maßnahme je nach ihrer Ausgestaltung und ihrer Durchführung auf die Möglichkeiten des Absatzes der Erzeugnisse und insofern mittelbar auch auf die Importmöglichkeiten auswirken. Ein Ausschluss von der Erstattung durch die öffentlich-rechtliche Krankenversicherung könne angesichts deren Marktmacht zu einer Verdrängung vom Inlandsmarkt führen.155 Schon nach der früheren Rechtsprechung ließ der EuGH für eine Beeinträchtigung des Art. 34 AEUV genügen, dass eine Maßnahme zur Behinderung des innergemeinschaftlichen Handels geeignet war. Des Nachweises tatsächlicher Auswirkung bedürfe es nicht.156 Der Arzneimittelhandel weise jedoch die Besonderheit auf, dass der Träger der sozialen Sicherheit anstelle des Verbrauchers die Kosten für Medikamente trage. Unter gewissen Voraussetzungen könne eine Regelung wie die oben beschriebene daher als gerechtfertigte Beschränkung der Warenverkehrsfreiheit eingestuft werden. Bei der Auswahl der erstattungsunfähigen Arzneimittel müsse jede 151

EuGH, Rs. 238/82 (Duphar/Niederlande), Slg. 1984, 523, Rn. 3 f. EuGH, Rs. 238/82 (Duphar/Niederlande), Slg. 1984, 523, Rn. 19. 153 EuGH, Rs. 238/82 (Duphar/Niederlande), Slg. 1984, 523, Rn. 16. Vgl. auch Art. 168 AEUV. 154 EuGH, Rs. 238/82 (Duphar/Niederlande), Slg. 1984, 523, Rn. 17. 155 EuGH, Rs. 238/82 (Duphar/Niederlande), Slg. 1984, 523, Rn. 18 f. 156 EuGH, Rs. 12/74 (Kommission/Deutschland), Slg. 1975, 181, Rn. 14. Vgl. hierzu Kingreen, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 28–30 EGV, Rn. 37. 152

Teil 2, A. Grundfreiheiten

132

Diskriminierung unterbleiben. Die Kriterien, anhand derer diese Auswahl erfolgt, müssen – objektiv, – vom Ursprung der Erzeugnisse unabhängig und – für jeden Importeur überprüfbar sein.157 Die Auswahl könne bspw. davon abhängig gemacht werden, – dass auf dem Markt andere, billigere Erzeugnisse mit gleicher therapeutischer Wirkung erhältlich seien, – dass die Maßnahme Erzeugnisse betreffe, die ohne ärztliche Verordnung frei gehandelt werden oder – dass auf diese Weise Erzeugnisse aus Gründen arzneimitteltherapeutischer Art von der Kostenerstattung ausgeschlossen würden, die durch den Schutz der öffentlichen Gesundheit gerechtfertigt seien. Eine Änderung der Listen müsse jederzeit möglich sein, wenn die Einhaltung der vorstehenden Kriterien dies verlange.158 Der EuGH stellt in seiner Entscheidung materielle Gesichtspunkte in den Vordergrund. Das Urteil weist jedoch einen nicht zu unterschätzenden prozeduralen Gehalt auf. Insoweit fordert der Gerichtshof zweierlei: Zum einen muss die Auswahlentscheidung des Mitgliedstaates für das betroffene Unternehmen überprüfbar sein. Zum anderen muss die Liste für Änderungen offen sein, sollten die objektiven Kriterien dies erfordern. Der erste Aspekt der Überprüfbarkeit weist dem Antragsteller eine eigenständige Rolle zu. Den Mitgliedstaat trifft nicht nur eine objektiv-rechtliche Pflicht zur Achtung der Warenverkehrsfreiheit. Der Betroffene muss vielmehr in die Lage versetzt werden, selbst auf die praktische Wirksamkeit seiner Grundfreiheiten hinwirken zu können. Um die mitgliedstaatliche Entscheidung überprüfen zu können, bedarf der Antragsteller hinreichender Informations- und Partizipationsmöglichkeiten. Die praktische Wirksamkeit der Warenverkehrsfreiheit wird also maßgeblich von prozeduralen Instrumenten bestimmt. Der Arzneimittelerzeuger wird durch die Antragstellung in das Verwaltungsverfahren einbezogen. In seinem Antrag kann er der Behörde die aus seiner Sicht maßgeblichen Informationen mitteilen. Eine Überprüfung der nachfolgenden Entscheidung ist ihm jedoch nur möglich, wenn er davon Kenntnis erlangt. Diese Grundlage ist auch bei der Auslegung des im Anschluss an das Duphar-Urteil erlassenen Sekundärrechts zu beachten. Das Duphar-Urteil bezieht sich zwar ausschließlich auf Negativlisten. Allerdings schließen Positivlisten ebenfalls Arzneimittel, die nicht aufgenommen werden, 157 158

EuGH, Rs. 238/82 (Duphar/Niederlande), Slg. 1984, 523, Rn. 21. EuGH, Rs. 238/82 (Duphar/Niederlande), Slg. 1984, 523, Rn. 22.

IV. Erstattungsfähigkeit von Aufwendungen für Arzneimittel

133

de facto von der Erstattung und damit weiten Marktteilen aus. Für sie kann daher nichts anderes gelten.159 Dieser Ansicht war offenkundig auch die Kommission:

c) Mitteilung der Kommission zur Arzneimittel-Preiskontrolle und -Kostenerstattung Die Kommission hat noch im gleichen Jahr eine Mitteilung veröffentlicht, in der sie die vom EuGH aufgestellten Voraussetzungen zu präzisieren suchte.160 Nach eigenem Bekunden will die Kommission mit dieser Mitteilung nicht der (zu diesem Zeitpunkt noch nicht erlassenen) Arzneimittel-Transparenzrichtlinie vorgreifen, sondern lediglich die direkt aus den Art. 30 ff. EWGV (heute Art. 34 ff. AEUV) ableitbaren Verpflichtungen darstellen.161 Hierbei unterscheidet sie, deutlicher als der Gerichtshof dies getan hatte, zwischen materiellen und prozeduralen Anforderungen.

aa) Materielle Anforderungen Zunächst macht sie auf der Grundlage der o.g. Beispiele des Gerichtshofs nähere Ausführungen zu den materiellen Auswahlkriterien.162 Sie unterscheidet hierzu den Ausschluss von Erzeugnisgruppen und von bestimmten Erzeugnissen. Der Ausschluss von Erzeugnisgruppen sei auf allgemeine objektive Kriterien therapeutischer Art zu stützen. Eine Erzeugniskategorie (z. B. Venenmittel) dürfe nicht auf ein einziges Erzeugnis reduziert werden, da dies ermöglichen würde, ein bestimmtes Erzeugnis zu erstatten und durch den Ausschluss einer anderen Klasse ein anderes Erzeugnis mit gleicher Heilwirkung nicht zu erstatten. Jedoch müssten nicht notwendig alle Erzeugnisse einer Kategorie erstattungsfähig sein.163 Den Ausschluss einer Arzneimittelgruppe macht die Kommission mithin allein von therapeutischen Kriterien abhängig. Die staatliche Stelle darf bei der Erstattungsfähigkeit also ausschließlich auf den Nutzen der Medikamentenkategorie abstellen. Im Gegensatz dazu legt die Kommission dem Ausschluss bestimmter Erzeugnisse eine Abwägung wirtschaftlicher und therapeutischer Gesichtspunkte zugrunde. 159

Streinz/Ritter, in: Dauses, Hdb. EU-WirtschR, C. V., Rn. 92. Mitteilung der Kommission zur Frage der Vereinbarkeit der von den Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Arzneimittel-Preiskontrolle und der -Kostenerstattung getroffenen Maßnahmen mit Art. 30 EWG-Vertrag, ABl. EWG C 310 vom 4.12.1986, S. 7 ff. (Arzneimittel-Mitteilung). Hierzu auch Streinz/Ritter, in: Dauses, Hdb. EU-WirtschR, C. V., Rn. 93 ff. 161 Abschnitt II Arzneimittel-Mitteilung 162 Abschnitt IV B Arzneimittel-Mitteilung. Hierzu Streinz/Ritter, in: Dauses, Hdb. EUWirtschR, C. V., Rn. 94 ff. 163 Abschnitt IVB Nr. 1 Arzneimittel-Mitteilung. 160

134

Teil 2, A. Grundfreiheiten

Die Mitgliedstaaten sollen demnach auf das Kosten-Nutzen-Verhältnis abstellen. Als wirtschaftliche Kriterien seien die Behandlungskosten unter Zugrundelegung der Dosierung und Behandlungsdauer heranzuziehen. Für den Nutzenfaktor seien die unterschiedlichen Indikationen und Nebenwirkungen eines jeden Arzneimittels maßgeblich. Nach Ansicht der Kommission können daher ohne Verletzung des Art. 34 AEUV nur solche Medikamente von der Erstattung ausgeschlossen oder nicht zur Erstattung zugelassen werden, die bei gleicher therapeutischer Wirkung höhere Behandlungskosten verursachen.164 Für unvereinbar mit diesen Grundsätzen hält die Kommission die grundsätzliche Bevorzugung von „generics“ gegenüber Markenerzeugnissen sowie die ausschließliche Zulassung einer zuvor festgelegten Zahl von Medikamenten zur Erstattung für jede oder alle therapeutischen Klassen.165 Maßnahmen dieser Art würden direkte Eingriffe in den Markt für Arzneimittelerzeugnisse darstellen. Sie gründen nämlich nicht auf dem Preis als objektivem Marktkriterium, sondern schließen bestimmte Produkte unabhängig von ihrem Kosten-Nutzen-Verhältnis von der Erstattung aus. Der Rechtfertigungsgrund der Finanzierbarkeit der öffentlich-rechtlichen Krankenversicherung greift dann nicht.

bb) Prozedurale Anforderungen Im Anschluss leitet die Kommission aus dem Duphar-Urteil prozedurale Mindestanforderungen ab. Die Entscheidung über die Zulassung zur Erstattung oder über den Ausschluss hiervon müsse bestimmte Verfahrens- und Formbedingungen erfüllen. Die in der Mitteilung aufgeführten primärrechtlichen Verpflichtungen der Mitgliedstaaten, „wie diese vom Gerichtshof ausgelegt worden sind und wie die Kommission sie in eigener Verantwortung anzuwenden gedenkt“166, stimmen weitest gehend mit den im Folgenden erläuterten Regelungen der Arzneimittel-Transparenzrichtlinie überein. Die Kommission entnimmt die Pflicht zur Entscheidung innerhalb einer bestimmten Frist, zur Begründung und zur Eröffnung von Rechtsschutzmöglichkeiten unabhängig von einer sekundärrechtlichen Umsetzung direkt der Warenverkehrsfreiheit.167 Die Kommission forderte die Mitgliedstaaten schließlich auf, „ihre Rechtsvorschriften und ihre Verwaltungspraxis im Lichte der in dieser Mitteilung dargelegten Grundsätze zu überprüfen und sie diesen gegebenenfalls anzupassen“168. Eine Durchsetzung der o.g. Verpflichtungen im Wege des Vertragsverletzungsverfahrens schloss die Kommission nicht aus. Nach Erlass der Arzneimittel-Trans164 165 166 167 168

Abschnitt IV B Nr. 2 Arzneimittel-Mitteilung. Abschnitt IV B Nr. 3 Arzneimittel-Mitteilung. Abschnitt IV C Arzneimittel-Mitteilung. Abschnitt IV C Nr. 2 lit. a-c Arzneimittel-Mitteilung. Abschnitt V Arzneimittel-Mitteilung.

IV. Erstattungsfähigkeit von Aufwendungen für Arzneimittel

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parenzrichtlinie kann dahinstehen, ob die Mitgliedstaaten – nach Ansicht der Kommission – nur zur Beachtung dieser Anforderungen oder gar zum Erlass entsprechender Vorschriften verpflichtet gewesen wären.

d) Arzneimittel-Transparenzrichtlinie (RL 89/105/EWG) Die Rechtsprechung des EuGH in der Sache Duphar fand ihren sekundärrechtlichen Niederschlag in der Arzneimittel-Transparenzrichtlinie. Deren Rechtsgrundlage war Art. 100a EWGV (jetzt Art. 114 AEUV). Die Arzneimittel-Transparenzrichtlinie unterscheidet Positiv- (Art. 6) und Negativlisten (Art. 7).169 Sie verlangt, wie schon das Duphar-Urteil, objektive und überprüfbare Kriterien als Entscheidungsgrundlage. Die Auswahl dieser Kriterien überlässt sie den Mitgliedstaaten, Art. 6 Nr. 3 und Art. 7 Nr. 2 RL 89/105/EWG. Die Richtlinie verpflichtet die Mitgliedstaaten, die zur Umsetzung der Richtlinie erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften (Art. 11 Abs. 1 RL 89/105/ EWG) zu erlassen, d. h. zur Normierung eines entsprechenden Verwaltungsverfahrens. Dem Vorrang der Mitgliedstaaten bei der Ausgestaltung ihrer Sozialsysteme trägt die Richtlinie also dadurch Rechnung, dass sie auf materielle Vorgaben verzichtet und sich auf prozedurale Anforderungen beschränkt.170 Darin zeigt sich wiederum171, dass die verfahrensrechtliche Dimension des Gemeinschaftsrechts zum Erhalt nationaler Regelungsspielräume beiträgt. Für das Verwaltungsverfahren enthält die Richtlinie Mindestanforderungen. Der 6. Erwägungsgrund der Richtlinie stellt klar, dass dieser prozedurale Minimalstandard der Verwirklichung der Warenverkehrsfreiheit dient. Zur Beseitigung der Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten erweise sich „die Festlegung einer Reihe von Anforderungen als dringend notwendig, die darauf abzielen, sicherzustellen, daß alle Betroffenen überprüfen können, daß die einzelstaatlichen Maßnahmen keine mengenmäßigen Beschränkungen für die Ein- oder Ausfuhr oder Maßnahmen gleicher Wirkung darstellen.“

Die Verfahrensanforderungen der RL 89/105/EWG haben zum Zweck, den Betroffenen die selbstständige Durchsetzung ihrer subjektiven Rechte zu ermöglichen. Die Richtlinie und ihre Umsetzungsakte sind also stets unter Beachtung des Ziels auszulegen, die Verwirklichung der Warenverkehrsfreiheit zu ermöglichen. Über einen Antrag auf Aufnahme eines Arzneimittels in eine Positivliste ist innerhalb einer Frist von 90 Tagen zu entscheiden. Reichen die vom Hersteller mit169 Kingreen, Gemeinschaftsrechtliche Vorgaben, in: Schwarze/Becker (Hrsg.), Arzneimittel, S. 145 (160 ff.). 170 Becker, Steuerung der Arzneimittelversorgung, S. 383. 171 s. schon oben zur Kompetenzverteilung bei den Lebensmittelzusätzen Teil 2 A. II.

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Teil 2, A. Grundfreiheiten

geteilten Informationen nicht für eine Entscheidung aus, kann die Frist bis zur Vervollständigung ausgesetzt werden, Art. 6 Nr. 1 RL 89/105/EWG. Eine ablehnende Entscheidung bedarf einer Begründung, die dem Antragsteller zuzuleiten ist. Dieser Begründung müssen sich die tragenden objektiven und überprüfbaren Kriterien entnehmen lassen. Weiter ist der Begründung eine Belehrung über Rechtsmittel und Rechtsmittelfristen beizufügen, Art. 6 Nr. 2 RL 89/105/EWG. Gleiches gilt für die Streichung von einer Positivliste, Art. 6 Nr. 5 RL 89/105/EWG. Wird eine ganze Arzneimittelkategorie von der Liste gestrichen, ist die Begründung samt Rechtsbehelfsbelehrung in einer amtlichen Bekanntmachung zu veröffentlichen, Art. 6 Nr. 6 RL 89/105/EWG. Ein entsprechendes Verfahren gilt für die Aufnahme in eine Negativliste. Auch diese Entscheidungen sind zu begründen und, soweit sie einzelne Produkte betreffen, dem Betroffenen zuzuleiten sowie bei der Streichung ganzer Arzneimittelkategorien zu veröffentlichen, Art. 7 Nr. 1, 3 RL 89/105/EWG. Zur Durchsetzung ihrer Rechte räumt die Arzneimittel-Transparenzrichtlinie den Betroffenen Informationsrechte und Rechtsschutzmöglichkeiten ein. Den Erzeugern wäre es ohne diese Rechte nahezu unmöglich zu überprüfen, ob sie durch die Entscheidung in ihren Grundfreiheiten verletzt sind. Es erstaunt, dass die Arzneimittel-Transparenzrichtlinie vor Aufnahme in eine Negativliste keine Anhörung des Betroffenen vorsieht. Allerdings würde es die Erstellung einer Negativliste erheblich erschweren, wenn zuvor sämtliche Erzeuger einer Kategorie von Medikamenten kontaktiert und gehört werden müssten.172 Dieser Mangel wird durch die gewährten Informationsrechte und Rechtsschutzmöglichkeiten größtenteils kompensiert. Hier spielen auch Fragen der Verfahrenseffizienz eine Rolle.

e) Bewertungskriterien Die Auswahl der zur Erstattung zuzulassenden Arzneimittel, sei es im Wege einer Positiv- oder einer Negativliste, hat anhand objektiver und überprüfbarer Kriterien zu erfolgen, Art. 6 Nr. 2, 5, 6 und Art. 7 Nr. 1, 3 RL 89/105/EWG. Die Festlegung dieser Kriterien überlässt die Richtlinie den Mitgliedstaaten. Denn ihr Ziel ist es allein „einen Überblick über die einzelstaatlichen Vereinbarungen zur Preisfestsetzung zu erhalten, einschließlich ihres Funktionierens in bestimmten Fällen und aller ihnen zugrunde liegenden Kriterien, und sie allen Teilnehmern am Arzneimittelmarkt in den Mitgliedstaaten allgemein zugänglich zu machen“.173 172

Auch die Kommission geht wohl nicht von einem Anhörungsrecht aus, vgl. EuGH, Rs. C-229/00 (Kommission/Finnland), Slg. 2003, I-5727, Rn. 21 f. 173 5. Erwägungsgrund der RL 89/105/EWG.

IV. Erstattungsfähigkeit von Aufwendungen für Arzneimittel

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Die Ausgestaltung ihrer Sozialsysteme obliegt den Mitgliedstaaten.174 Daher bestimmen diese, unter welchen Voraussetzungen Leistungen der sozialen Sicherheit gewährt werden.175 Die Union besitzt insoweit keine Regelungskompetenz. Allerdings haben die Mitgliedstaaten darauf zu achten, dass sie Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten nicht diskriminieren und dadurch den innergemeinschaftlichen Handel behindern. Die Richtlinie enthält keine materiellen Anforderungen, die über das grundfreiheitlich Gebotene hinausgingen. Sie präzisiert die Anforderungen des Art. 34 AEUV nahezu ausschließlich in prozeduraler Weise. Die Bewertungskriterien müssen allen Marktteilnehmern allgemein zugänglich gemacht werden, soweit diese betroffen sind. In Bezug auf die Erstattungsfähigkeit enthält die Arzneimittel-Transparenzrichtlinie somit konkretisierte Anforderungen der komplementären Verfahrensfunktion der Grundfreiheiten.

f) Bewertungsverfahren In Ermangelung materieller Vorgaben, kommt dem Bewertungsverfahren eine besondere Bedeutung zu. Der EuGH hat sich mit diesen prozeduralen Aspekten der Richtlinie bereits näher befasst.

aa) Anwendungsbereich der Art. 6, 7 RL 89/105/EWG Mehrfach war der Anwendungsbereich der Richtlinie zwischen der Kommission und den Mitgliedstaaten umstritten. In der bisherigen Judikatur hatte sich der EuGH mit dem personalen Anwendungsbereich sowie dem Begriff der Positivliste zu befassen. Der EuGH hat sich Versuchen entgegengestellt, den Anwendungsbereich der Richtlinie zu begrenzen. Nach einer finnischen Regelung wurde in einem richtlinienkonformen Verfahren über die reguläre Erstattungsfähigkeit von Arzneimitteln entschieden. Für erweiterte Erstattungsregeln gab es jedoch ein abweichendes Verfahren. In diesen Fällen entschied der finnische Ministerrat über die Aufnahme von Wirkstoffen in eine Positivliste. Eine Beteiligung der Arzneimittelhersteller war insofern nicht vorgesehen. Die Volksrentenanstalt nahm im Anschluss einzelne Arzneimittel, die diese Wirkstoffe enthielten, in eine eigene Positivliste auf. Sie war bei dieser Entscheidung an die Vorauswahl des Ministerrates gebunden. Dem EuGH zufolge sei bereits die Entscheidung des Ministerrates 174 EuGH, Rs. 238/82 (Duphar/Niederlande), Slg. 1984, 523, Rn. 16; Rs. C-70/95 (Sodemare u. a.), Slg. 1997, I-3395, Rn. 27. 175 EuGH, Rs. C-245/03 (Merck, Sharp & Dohme), Slg. 2005, I-637, Rn. 8 m. w. N. (st. Rspr.).

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Teil 2, A. Grundfreiheiten

bzgl. der Wirkstoffe ein Bündel von Einzelentscheidungen über die Aufnahme bestimmter Arzneimittel in eine Erstattungsregel des Sozialsystems.176 Zur Begründung verwies der Gerichtshof auf Art. 1 RL 89/105/EWG, wonach „alle einzelstaatlichen Maßnahmen in Form von Rechts- oder Verwaltungsvorschriften (…) zur Einschränkung der unter ihre staatlichen Krankenversicherungssysteme fallenden Arzneimittel die Anforderungen dieser Richtlinie erfüllen“ müssen. Hinter dieser Norm verbirgt sich die Feststellung aus dem Duphar-Urteil, dass derartige Vorschriften „sich je nach ihrer Ausgestaltung und ihrer Durchführung auf die Möglichkeiten des Absatzes der Erzeugnisse und insofern mittelbar auch auf die Importmöglichkeiten auswirken können“177. Die Richtlinie betrifft somit nicht bloß Entscheidungen, die direkt die Erstattungsfähigkeit von Arzneimitteln regeln. Maßnahmen gem. Art. 1 RL 89/105/EWG sind auch Entscheidungen, die sich zwingend, wenn auch nur mittelbar, auf die Erstattungsfähigkeit und damit auf die Importmöglichkeiten auswirken.178

bb) Entscheidungsfrist In zwei Vorlageverfahren hatte der Gerichtshof zu entscheiden, ob es sich bei der 90-Tage-Frist gem. Art. 6 Nr. 1 UAbs. 1 RL 89/105/EWG um eine Ordnungsoder eine Ausschlussfrist handelt. Der Gerichtshof unterschied bei seiner Auslegung den Charakter der Frist und die Folgen einer Fristüberschreitung.179 Nach Ansicht des Gerichtshofs handelt es sich bei der o.g. Frist um eine Ausschlussfrist, die von dem mitgliedstaatlichen Entscheidungsträger zwingend einzuhalten ist. Die zuständige Behörde habe eine rechtzeitige Entscheidung „sicherzustellen“.180 Die Verlängerungsoption gem. Art. 6 Nr.1 UAbs. 2 RL 89/105/EWG wäre gegenstandslos, wenn die staatlichen Stellen die Frist eigenmächtig ausdehnen könnten.181 Auch der Zweck der Richtlinie, Betroffenen die Überprüfung zu ermöglichen, ob die Entscheidung nach objektiven Kriterien und in nichtdiskriminierender Weise erfolgt ist (6. Erwägungsgrund RL 89/105/EWG), spreche für dieses Verständnis.182 176

EuGH, Rs. C-229/00 (Kommission/Finnland), Slg. 2003, I-5727, Rn. 33 f. EuGH, Rs. 238/82 (Duphar/Niederlande), Slg. 1984, 523, Rn. 18. 178 So auch GA Tizzano, Schlussantr. zu Rs. C-229/00 (Kommission/Finnland), Slg. 2003, I-5727, Ziff. 48. 179 EuGH, Rs. C-245/03 (Merck, Sharp & Dohme), Slg. 2005, I-637, Rn. 19; Rs. C-296/03 (GlaxoSmithKline), Slg. 2005, I-669, Rn. 25. 180 EuGH, Rs. C-245/03 (Merck, Sharp & Dohme), Slg. 2005, I-637, Rn. 21; Rs. C-296/03 (GlaxoSmithKline), Slg. 2005, I-669, Rn. 27. 181 EuGH, Rs. C-245/03 (Merck, Sharp & Dohme), Slg. 2005, I-637, Rn. 22; Rs. C-296/03 (GlaxoSmithKline), Slg. 2005, I-669, Rn. 28. 182 EuGH, Rs. C-245/03 (Merck, Sharp & Dohme), Slg. 2005, I-637, Rn. 23; Rs. C-296/03 (GlaxoSmithKline), Slg. 2005, I-669, Rn. 29; bestätigt in EuGH, Rs. C-311/07 (Kommission/ Österreich), n. i. Slg., Rn. 33. 177

IV. Erstattungsfähigkeit von Aufwendungen für Arzneimittel

139

Dieser Auslegung ist zuzustimmen. Sähe man in der 90-Tage-Frist eine reine Ordnungsvorschrift, ließen sich die Anforderungen der Richtlinie und damit auch die in ihr enthaltenen grundfreiheitlichen Mindeststandards beliebig umgehen. Diese sind nur effektiv geschützt, wenn der Antragsteller nicht nur gegen eine abweisende Entscheidung, sondern nach einer gewissen Zeit auch gegen eine unterbliebene Entscheidung vorgehen kann. Denn hierin könnte eine diskriminierende Verwaltungspraxis der zuständigen Behörden liegen. Mit der unterlassenen Entscheidung fehlt auch jede Begründung für das Verhalten der Behörde. Damit hat der betroffene Erzeuger keine Möglichkeit, dies nachzuprüfen.183 Die Folgen der Fristversäumung i. R. v. Art. 6 RL 89/105/EWG sind nicht geregelt. Es stellt sich insbesondere die Frage, ob eine Überschreitung die Aufnahme eines Arzneimittels in die Positivliste fingiert. Nach Ansicht des EuGH ergibt sich diese Folge weder aus dem Telos noch der Systematik der Richtlinie. Zum einen beinhalte diese in Art. 2 Nr. 1 eine solche Folge für die Fristüberschreitung i. R. d. Preisfestlegungsverfahrens. Im Umkehrschluss könne nicht auf eine derartige Rechtsfolge geschlossen werden, wenn eine ausdrückliche Regelung fehle.184 Zum anderen erfordere auch die Zielsetzung der Richtlinie keine Fiktion einer positiven Entscheidung. Die Arzneimittel-Transparenzrichtlinie wolle lediglich so weit in die nationalen Systeme der sozialen Sicherheit eingreifen, wie dies für die Transparenz i. S. d. Richtlinie notwendig sei. Dem Gedanken einer minimalen Einwirkung folgend, richteten sich die Folgen der Fristversäumung nach nationalem Recht. Allerdings seien die Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität185 zu beachten.186 Auch hier ist dem Gerichtshof zuzustimmen. Das gewonnene Ergebnis lässt sich schon der zugrundeliegenden Überlegung entnehmen, durch prozedurale Anforderungen Transparenz herzustellen. Eine fingierte positive Entscheidung würde hierzu nichts beitragen. Die mitgliedstaatlichen Kriterien würden nicht einer kritischen Überprüfung zugeführt, sondern schlicht unangewendet bleiben. Ein Gewinn an Transparenz wäre hiermit nicht verbunden. Für eine automatische Aufnahme in die Positivliste würde allenfalls ein gewisser Sanktionscharakter sprechen.187 Aber eine derartige Fiktionsregel birgt die Gefahr diskriminierender Anwendung, wenn nämlich einheimische Erzeuger unter der erwähnten Umgehung der Kriterien eine fingierte Aufnahmeentscheidung erhalten. Nichts anderes lässt der EuGH in Fällen gelten, da eine negative behördliche Entscheidung durch ein Gericht aufgehoben oder für nichtig erklärt worden ist. 183 GA Tizzano, Schlussantr. zu Rs. C-245/03 (Merck, Sharp & Dohme), Slg. 2005, I-637, Ziff. 42. 184 EuGH, Rs. C-245/03 (Merck, Sharp & Dohme), Slg. 2005, I-637, Rn. 31 ff. 185 Zu diesen s. o. Teil 1 B. IV. 2. b). 186 EuGH, Rs. C-245/03 (Merck, Sharp & Dohme), Slg. 2005, I-637, Rn. 26 ff. 187 In diese Richtung auch GA Tizzano, Schlussantr. zu Rs. C-245/03 (Merck, Sharp & Dohme), Slg. 2005, I-637, Ziff. 52, dem zufolge Belgien eine derartige Regelung eingeführt hat.

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Teil 2, A. Grundfreiheiten

Effektiver Rechtsschutz sei gewährleistet, wenn ein Anspruch auf eine neue Entscheidung über den Aufnahmeantrag bestehe. Diese habe innerhalb eines angemessenen Zeitraums zu ergehen und dürfe nicht die Frist des Art. 6 RL 89/105/ EWG überschreiten.188

cc) Begründete Entscheidung Die fristgerechte Entscheidung ist den Betroffenen, mit einer Begründung und einer Rechtsbehelfsbelehrung versehen, mitzuteilen, Art. 6 Nr. 2, 5 und Art. 7 Nr. 3 RL 89/105/EWG. Art. 6 Nr. 2 der Richtlinie hat der EuGH als inhaltlich unbedingt und hinreichend genau angesehen und damit für unmittelbar anwendbar erklärt.189 Sehe das Recht eines Mitgliedstaates kein entsprechendes Verfahren vor, folge ein subjektives Recht auf eine begründete und mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehene Entscheidung direkt aus der Richtlinie.190

dd) Rechtsschutz Entscheidungen, welche ein bestimmtes Arzneimittel von der Erstattungsfähigkeit ausschließen, müssen – neben einer Begründung – eine Belehrung über Rechtsmittel und Rechtsmittelfristen enthalten. Dies gilt sowohl für verweigerte Aufnahmen in (Art. 6 Nr. 2 RL 89/105/EWG) oder die Streichung von einer Positivliste (Art. 6 Nr. 5 RL 89/105/EWG), als auch für die Aufnahme in eine Negativliste (Art. 7 Nr. 3 RL 89/105/EWG). Art. 6 und 7 RL 89/105/EWG normieren in erster Linie eine Belehrungspflicht. Über die Art der „Rechtsmittel“ finden sich keine näheren Bestimmungen. In der Entscheidung „Kommission/Österreich“191 hatte sich der EuGH mit der näheren Ausgestaltung dieser Rechtsmittel zu befassen. Das österreichische Recht sah für den Fall der Ablehnung eines Aufnahmeantrags in eine Positivliste lediglich die Möglichkeit vor, schriftliche Einwendungen einzureichen. Über diese entschieden ausschließlich Fachbeiräte, die dem Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger zugeordnet waren.192 Der Gerichtshof ordnete dies als einen verwaltungsbehördlichen Rechtsbehelf ein, der den Anforderungen an ein Rechtsmittel i. S. d. Art. 6 Nr. 2 RL 89/105/

188 189 190 191 192

EuGH, Rs. C-296/03 (GlaxoSmithKline), Slg. 2005, I-669, Rn. 35 ff. EuGH, Rs. C-317/05 (G. Pohl-Boskamp), Slg. 2006, I-10611, Rn. 40 ff. EuGH, Rs. C-317/05 (G. Pohl-Boskamp), Slg. 2006, I-10611, Rn. 44. EuGH, Rs. C-424/99 (Kommission/Österreich), Slg. 2001, I-9285. EuGH, Rs. C-424/99 (Kommission/Österreich), Slg. 2001, I-9285, Rn. 12 f.

IV. Erstattungsfähigkeit von Aufwendungen für Arzneimittel

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EWG nicht genüge.193 Aus dieser Norm folge „notwendig, dass den betreffenden Personen Rechtsmittel zur Verfügung stehen müssen, die einen wirksamen Rechtsschutz gewährleisten“194. Rechtsmittel i. d. S. seien nur solche vor echten Rechtsprechungsorganen.195 Der Grundsatz gerichtlicher Überprüfbarkeit stelle überdies einen allgemeinen Grundsatz des Gemeinschaftsrechts dar.196 Sieht eine Norm des Gemeinschaftsrechts Rechtsbehelfe zum Schutz der sich aus dieser Norm ergebenden Rechte vor, so erfordert dies nach st.Rspr. des EuGH ein System der gerichtlichen Nachprüfung vor unabhängigen Gerichten.197

ee) Fazit Die Zusammenschau der Rspr. zur Entscheidungsbegründung und zum Rechtsschutz ergibt folgendes Bild: Mangels Umsetzung in nationales Recht resultiert unmittelbar aus der RL 89/105/EWG ein subjektives Recht auf eine Entscheidung, die sowohl eine Begründung als auch eine Rechtsmittelbelehrung enthält. Sieht das Gemeinschaftsrecht zwingend eine Rechtsmittelbelehrung vor, so haben die Mitgliedstaaten ein System der gerichtlichen Nachprüfung zur Verfügung zu stellen. Dieses muss unabhängigen Gerichten übertragen sein. Die Arzneimittel-Transparenzrichtlinie garantiert Arzneimittelerzeugern somit Rechtsschutz nicht nur gegen materiell falsche Entscheidungen. Ein Rechtsschutzanspruch besteht auch gegenüber Verfahrensfehlern. Eine Ergebnisrelevanz dieser Fehler ist dafür nicht Voraussetzung.198 Insbesondere setzt die Geltendmachung von Verfahrensrechten keine Verfälschung des innergemeinschaftlichen Handels voraus.199 Die Verfahrensanforderungen der Richtlinie sollen den Binnenmarktteilnehmern zur eigenen Durchsetzung ihrer Grundfreiheiten die notwendigen Informationen zugänglich machen.200 Nur so können sich die Betroffenen „vergewissern, dass die Aufnahme von Arzneimitteln durch die Behörden nach objektiven Kriterien erfolgt und inländische Arzneimittel und solche aus anderen Mitgliedstaaten nicht unterschiedlich behandelt werden“201. Ohne diese Möglichkeit ist die praktische 193

EuGH, Rs. C-424/99 (Kommission/Österreich), Slg. 2001, I-9285, Rn. 43. EuGH, Rs. C-424/99 (Kommission/Österreich), Slg. 2001, I-9285, Rn. 42. 195 EuGH, Rs. C-424/99 (Kommission/Österreich), Slg. 2001, I-9285, Rn. 43. 196 EuGH, Rs. C-424/99 (Kommission/Österreich), Slg. 2001, I-9285, Rn. 45. 197 GA Tizzano, Schlussantr. zu Rs. C-424/99 (Kommission/Österreich), Slg. 2001, I-9285, Ziff. 45 m. w. N. 198 Vgl. allerdings die gegensätzliche deutsche Rechtslage gem. § 46 VwVfG und § 44a VwGO sowie allg. o. Teil 1 B. III. 2. Speziell zum Verfahren der Erstattungsfähigkeit sogleich. 199 EuGH, Rs. C-317/05 (G. Pohl-Boskamp), Slg. 2006, I-10611, Rn. 28. 200 EuGH, Rs. C-317/05 (G. Pohl-Boskamp), Slg. 2006, I-10611, Rn. 29 und 5. Erwägungsgrund der RL 89/105/EWG. 201 EuGH, Rs. C-229/00 (Kommission/Finnland), Slg. 2003, I-5727, Rn. 39. 194

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Teil 2, A. Grundfreiheiten

Wirksamkeit der Richtlinie nicht gewährleistet.202 Einerseits lassen sich die Grundfreiheiten effektiv durchsetzen, andererseits führt die ermöglichte Kontrolle durch die Betroffenen zur Entwicklung des Binnenmarktes für Arzneimittel. Der Träger der Warenverkehrsfreiheit wird durch diese prozeduralen Schutzmechanismen zum Wächter seiner eigenen subjektiven Rechte. Erst mit der Einhaltung des Verfahrens kann er Verstöße gegen das materielle Diskriminierungsverbot nachvollziehen und angreifen. Der komplementäre prozedurale Schutz der Betroffenenrechte ist eng mit dem Effektivitätsgrundsatz verknüpft. Die Verfahrensgarantien der Betroffenen verhelfen dem Gemeinschaftsrecht zu praktischer Wirksamkeit. Schließlich führt die Betonung prozeduraler Gesichtspunkte auch zu weniger intensiven Eingriffen in die Regelungskompetenzen der Mitgliedstaaten. Diesen bleibt die Festlegung materieller Kriterien weit gehend überlassen.

2. Auswirkungen auf das deutsche Recht a) Regelungen im SGB V In der zuvor untersuchten Fallgestaltung, der Genehmigung von Nahrungsergänzungsmitteln, hatte die Rspr. des Gerichtshofs in der deutschen Rechtsordnung direkten Niederschlag gefunden. Für die Erstattungsfähigkeit von Arzneimitteln zeigt sich eine deutlich differenziertere Rechtslage. Gem. §§ 31 Abs. 1 S. 1, 34 Abs. 1 S. 1 SGB V haben gesetzlich Versicherte Anspruch auf Versorgung mit allen apotheken- und verschreibungspflichtigen Arzneimitteln. Von dieser Regel sind positive und negative Abweichungen möglich. So kann der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) gem. §§ 34 Abs. 1 S. 2, 92 Abs. 1 S. 2 Nr. 6 SGB V nicht verschreibungspflichtige Medikamente in den Kreis erstattungsfähiger Arzneimittel aufnehmen. Umgekehrt hat er bspw. die Erstattung bestimmter Arzneimittel für zulassungsüberschreitende Indikationen ausgeschlossen.203 Der GBA erlässt hierzu Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen über die Verordnung von Arzneimitteln in der vertragsärztlichen Versorgung (Arzneimittel-Richtlinie/AMR). Die Grundlage hierfür bildet eine Nutzen- bzw. Kosten-Nutzen-Bewertung, § 35b Abs. 1 S. 1 SGB V. Bis zum 1.4.2007 war das Verfahren der Arzneimittelbewertung gesetzlich nur rudimentär geregelt.204 Die oben analysierte Rechtsprechung des EuGH hat teilweise zu einer Anpassung der deutschen Rechtslage geführt. Eine Besonderheit des deutschen Systems liegt in der Zweiteilung des Entscheidungsverfahrens. Während der GBA die eigentliche Entscheidung über die Erstattungsfähig202 EuGH, Rs. C-229/00 (Kommission/Finnland), Slg. 2003, I-5727, Rn. 39; Rs. C-317/05 (G. Pohl-Boskamp), Slg. 2006, I-10611, Rn. 26. 203 Vgl. die Übersicht bei Gassner, PharmR 2006, 545 (551 ff.). 204 Kingreen/Henck, PharmR 2007, 353.

IV. Erstattungsfähigkeit von Aufwendungen für Arzneimittel

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keit von Arzneimitteln trifft (§ 92 Abs. 1 S. 2 Nr. 6 SGB V), ist für die fachliche Bewertung das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) zuständig (§ 35b SGB V). Durch das GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz (GKV-WSG)205 wurde das IQWiG über die reine Nutzenbewertung hinaus damit beauftragt, das Kosten-Nutzen-Verhältnis von Arzneimitteln zu bewerten, § 35b Abs. 1 S. 1 SGB V. Die prozedurale Gesetzesbasis ist nach wie vor fragmentarisch. § 139a Abs. 5 SGB V verpflichtet das IQWiG, Sachverständigen, Interessengruppen und auch den Arzneimittelherstellern Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Diese Stellungnahmen sind in die Entscheidung einzubeziehen. Methoden und materielle Kriterien sind ebenfalls nur andeutungsweise geregelt, § 35b Abs. 1 S. 5 SGB V.206 Für die Entscheidung des GBA bestehen hingegen keinerlei gesetzliche Verfahrensanforderungen. Die geltende Regelung soll daher daraufhin untersucht werden, ob sie den dargestellten gemeinschaftsrechtlichen Anforderungen genügt.

b) Adressat der Verfahrensanforderungen Zunächst stellt sich die Frage, welche Einrichtung die „einzelstaatlichen Maßnahmen zur Einschränkung der unter ihre staatliche Krankenversicherungssysteme fallenden Arzneimittel“ (Art. 1 Nr. 1 RL 89/105/EWG) treffen. Das IQWiG nimmt i. d. R. die fachliche Bewertung vor, während der GBA den außenwirksamen Beschluss über die Erstattungsfähigkeit fasst. Die Nutzenbewertung durch das IQWiG soll keine unmittelbare rechtliche Wirkung entfalten.207 Dementsprechend sind gem. § 35b Abs. 4 SGB V gesonderte Klagen gegen Bewertungen durch das IQWiG unzulässig. Als Adressat des prozeduralen Pflichtenkatalogs nennen die Art. 6 f. RL 89/105/ EWG die „zuständigen Behörden“. Sowohl das IQWiG als auch der GBA kommen hier in Betracht. Aus dem gemeinschaftsrechtlichen Blickwinkel muss die Auslegung anhand des Zwecks der Richtlinie erfolgen. Es muss sichergestellt sein, dass alle Betroffenen überprüfen können, dass die einzelstaatlichen Maßnahmen keine mengenmäßigen Beschränkungen für die Ein- oder Ausfuhr oder Maßnahmen gleicher Wirkung darstellen.208 Schwierigkeiten treten nicht auf, wenn der GBA in seiner außenwirksamen Entscheidung der Empfehlung des IQWiG folgt. Dies ist der vom Gesetzgeber vor205 Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der Gesetzlichen Krankenversicherung, BGBl. I, S. 378. 206 Hierzu s. Becker, Steuerung der Arzneimittelversorgung, S. 179 ff. 207 So die Gesetzesbegründung zu § 35b Abs. 4 SGB V n. F., BT-Drs. 15/1525, S. 89. 208 6. Erwägungsgrund RL 89/105/EWG.

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Teil 2, A. Grundfreiheiten

gesehene Regelfall: Der GBA hat die Empfehlungen gem. § 139b Abs. 4 S. 2 SGB V zu berücksichtigen.209 Weiter werden auch nur für die Entscheidungen des IQWiG die methodischen Anforderungen und die Beteiligungsrechte Betroffener konkretisiert.210 Das Institut entscheidet selbst auftragsbezogen über die anzuwendenden Methoden und Kriterien für die Bewertungen. Arzneimittelhersteller, die richtlinienkonform am Verfahren des IQWiG beteiligt wurden, hatten damit die effektive Möglichkeit, die Entscheidungskriterien zu überprüfen.211 Dem steht auch die Rspr. des EuGH nicht entgegen, eine (dort primärrechtliche) Begründungspflicht treffe nur die Behörde, welche die endgültige Entscheidung erlasse. Denn soweit die endgültige Entscheidung inhaltlich und im Ergebnis mit der vorbereitenden Stellungnahme übereinstimmt, erfüllt die Begründung ihre Funktion in vollem Umfang. Problematisch sind hingegen Entscheidungen des GBA, die von den Empfehlungen des IQWiG abweichen. Eine gesetzliche Bindung steht insoweit nicht entgegen.212 Nach der Konzeption des SGB V hat der GBA die Möglichkeit, eine eigenständige Entscheidung nach Kriterien, die von denen des IQWiG abweichen, zu treffen. Gleichzeitig sieht das deutsche Recht keine Beteiligungsrechte der Hersteller (oder anderer Betroffener) vor.213 Dies lässt sich mit dem Zweck der Richtlinie nicht vereinbaren. Die betroffenen Arzneimittelhersteller sind ohne prozedurale Beteiligung außer Stande, die verwendeten Kriterien auf ihre diskriminierende Wirkung zu überprüfen. Damit ist die Achtung der Warenverkehrsfreiheit nicht mehr gewährleistet. Eine Dispositionsmöglichkeit des GBA über Beteiligungsrechte der Arzneimittelhersteller im Wege einer Abweichungskompetenz würde damit gegen die grundfreiheitsschützende Arzneimittel-Transparenzrichtlinie verstoßen. Die Organisation der Sozialsysteme ist jedoch Sache der Mitgliedstaaten. Das Gemeinschaftsrecht, und damit auch die Grundfreiheiten, nehmen keinen Einfluss auf die Verteilung der Entscheidungsverantwortung. Allerdings erfordert die praktische Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts, dass diejenige staatliche Stelle, die die Entscheidungskriterien festlegt und anwendet, die prozeduralen Mindestanforderungen zu beachten hat. Wer Adressat der gemeinschaftsrechtlichen Verfahrensanforderungen ist, hängt davon ab, durch wen die Entscheidungskriterien festgelegt und angewendet werden. Folgt der GBA insoweit der Empfehlung des IQWiG, so ist die Einhaltung der

209

Für eine faktische Bindungswirkung daher Gassner, PharmR 2007, 441 (444). Kingreen/Henck, PharmR 2007, 353 (362). 211 EuGH, Rs. 222/86 (Unectef/Heylens), Slg. 1987, I-4097, Rn. 16. 212 Becker, Steuerung der Arzneimittelversorgung, S. 182; Gassner, PharmR 2007, 441 (444); Kingreen/Henck, PharmR 2007, 353 (363). 213 Kritisch Kingreen/Henck, PharmR 2007, 353 (363). 210

IV. Erstattungsfähigkeit von Aufwendungen für Arzneimittel

145

Verfahrensstandards durch das Institut notwendig214 und ausreichend. Entscheidet der GBA hingegen aufgrund eigener oder externer Kriterien, so hat er selbst die prozeduralen Garantien der Art. 6 f. RL 89/105/EWG zu beachten.215

c) Normative Anknüpfung der Verfahrensanforderungen Die Verfahrensanforderungen für die Nutzen- und Kosten-Nutzen-Bewertung durch das IQWiG bzw. den GBA werden im SGB V nur angedeutet. Die Mindeststandards der Art. 6 f. RL 89/105/EWG finden sich dort nicht wieder. Das IQWiG hat für seine Bewertungen Methodenpapiere216 entwickelt und ein spezielles Stellungnahmeverfahren217 eingerichtet. Unverbindliche Handlungsanleitungen einer privaten Stiftung haben jedoch keine Normqualität. Darüber hinaus werden sie regelmäßig und ohne förmliches Verfahren aktualisiert. Als Umsetzungsmittel reichen sie daher nicht aus.218 Auch die Verfahrensordnung des GBA219 gem. § 91 Abs. 4 S. 1 Nr. 1 SGB V ist als solche nicht ausreichend. Auf den Erlass der Richtlinien des § 92 SGB V, d. h. abstrakt-genereller Normen, zugeschnitten, sieht sie in § 32 lediglich eine kollektive Beteiligung von Interessenverbänden vor.220 Das Beschlussgremium des GBA ermittelt den Kreis stellungnahmeberechtigter Organisationen, welche „maßgebliche Spitzenorganisationen auf Bundesebene“ sein müssen, und gibt diesen bekannt. Als normative Anknüpfung kommen die Regelungen des SGB X in Betracht. Dort finden sich wesentliche Verfahrensrechte (z. B. § 24 SGB X). Verwaltungsverfahren i. S. d. SGB X sind gem. § 8 SGB X jedoch nur solche Verfahren, die auf den Erlass eines Verwaltungsaktes oder Abschluss eines öffentlich-rechtlichen Vertrages gerichtet sind. Eine direkte Anwendung scheidet daher aus. T. d. L. bringen das SGB X analog zur Anwendung.221 Dessen Vorschriften seien „jedenfalls dem Grunde nach zugrunde zu legen“222 und sachgebietsspezifisch zu 214

A. A. i nsoweit Becker, Steuerung der Arzneimittelversorgung, S. 179. I. E. ebenso, allerdings aus grundgesetzlicher Perspektive Kingreen/Henck, PharmR 2007, 353 (363). 216 IQWiG, Allgemeine Methoden, Version 3.0 vom 27.5.2008 (http://www.iqwig.de/download/ IQWiG_Methoden_Version_3_0.pdf) sowie IQWiG, Methoden für die Bewertung von Verhältnissen zwischen Nutzen und Kosten im System der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung, Version 1.0 vom 24.1.2008 (http://www.iqwig.de/download/08-01-24-Methoden_ Kosten-Nutzen-Bewertung_Version_1_0.pdf). 217 http://www.iqwig.de/stellungnahmeverfahren.507.html. 218 Zu diesen Ruffert, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 249, Rn. 59. 219 Abzurufen unter http://www.g-ba.de/downloads/62-492-83/VerfO_2006-04-18.pdf. 220 Gassner, PharmR 2006, 545 (549). 221 Kingreen/Henck, PharmR 2007, 353 (357); Kügel, NZS 2006, 297 (298). 222 Kingreen/Henck, PharmR 2007, 353 (357). 215

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Teil 2, A. Grundfreiheiten

konkretisieren. In der Tat müssen im Bewertungsverfahren Mindestanforderungen beachtet werden, die sich aus den Grundfreiheiten, den Grundrechten oder dem Rechtsstaatsprinzip ergeben. Die analoge Anwendung des SGB X auf das Verfahren des IQWiG wirft jedoch in mehrfacher Hinsicht Schwierigkeiten auf. So handelt es sich bei dieser Kodifikation, ebenso wie beim VwVfG, um eine bewusste Teilkodifikation des Verwaltungsverfahrensrechts.223 Auch fällt das IQWiG nicht ohne Weiteres in den personalen Anwendungsbereich gem. § 1 Abs. 2 SGB X.224 § 35b Abs. 1 S. 6 SGB V spricht systematisch gegen eine analoge Anwendung des SGB X. Hohe Verfahrenstransparenz und eine angemessene Beteiligung der Betroffenen müssten nicht eingefordert werden, wenn schon die Verfahrensrechte des SGB X Anwendung fänden. Aus gemeinschaftsrechtlicher Perspektive kann diese Frage jedoch dahinstehen. Jedenfalls für die Umsetzung der Arzneimittel-Transparenzrichtlinie genügt eine analoge Anwendung des SGB X nicht. Der EuGH fordert in st.Rspr., dass bei der Umsetzung die Erkennbarkeit und Durchsetzbarkeit von subjektiven Rechten, wie Art. 6 f. RL 89/105/EWG sie gewähren, gewährleistet sein muss.225 Wie allein die bisherige mangelhafte Praxis226 zeigt, sichert eine Analogie die subjektiven Rechte der betroffenen Arzneimittelhersteller nicht. Es ist daher mit dem Gerichtshof von der unmittelbaren Anwendbarkeit der Richtlinie auszugehen.227 Sowohl das IQWiG als auch der GBA kommen als Adressaten der unmittelbar anwendbaren Richtlinie in Betracht. Nach st.Rspr. „kann eine Richtlinie (…) nicht nur gegenüber staatlichen Behörden geltend gemacht werden, sondern auch gegenüber Organisationen oder Einrichtungen, die dem Staat oder seiner Aufsicht unterstehen oder mit besonderen Rechten ausgestattet sind, die über diejenigen hinausgehen, die sich aus den für die Beziehungen zwischen Privatpersonen geltenden Vorschriften ergeben, wozu Gebietskörperschaften oder Einrichtungen gehören, denen unabhängig von ihrer Rechtsform durch Hoheitsakt die Erbringung einer Dienstleistung im öffentlichen Interesse unter der Aufsicht des Staates übertragen worden ist.“228

Beide Institutionen sind in ihrem Handeln unmittelbar an die RL 89/105/EWG gebunden. Das Bewertungsverfahren ist daher an den Art. 6 f. RL 89/105/EWG auszurichten.

223

s. o. Teil 1 B. III. 1. Hierfür wiederum Kingreen/Henck, PharmR 2007, 353 (355 ff.); Kügel, NZS 2006, 297 (298). 225 EuGH, Rs. C-340/96 (Kommission/Vereinigtes Königreich), Slg. 1999, I-2023¸ Rn. 37; Ruffert, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 249, Rn. 54 m. w. N. 226 Vgl. EuGH, Rs. C-317/05 (G. Pohl-Boskamp), Slg. 2006, I-10611, Rn. 8 ff. 227 EuGH, Rs. C-317/05 (G. Pohl-Boskamp), Slg. 2006, I-10611, Rn. 37 ff. Für eine unmittelbare Anwendung auch Becker, Steuerung der Arzneimittelversorgung, S. 383 m. w. N. 228 EuGH, Rs. C-180/04 (Vassallo), Slg. 2006, I-7251, Rn. 26 m. w. N. Zustimmend Gassner, PharmR 2006, 545 (547). 224

IV. Erstattungsfähigkeit von Aufwendungen für Arzneimittel

147

d) Prozedurale Anforderungen Während das Duphar-Urteil mit einer Entscheidung zu Negativlisten den Grundstein für das Verfahren der Arzneimittelbewertung legte, beschäftigt sich die Rspr. zur RL 89/105/EWG ausschließlich mit den Positivlisten. Das SGB V kennt v. a. die sog. OTC-Listen („over the counter“), welche die Verschreibungs- und Erstattungsfähigkeit nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel regeln, § 34 Abs. 1 S. 2.229 Daneben sind noch die Listen gem. § 35 Abs. 3 SGB V zu erwähnen. Die dort aufgenommenen zugelassenen Arzneimittel können auch für bestimmte nicht zugelassene Anwendungsgebiete verschrieben und erstattet werden.230 Auch hierbei handelt es sich um Positivlisten i. S. d. Art. 6 RL 89/105/EWG.231 Die Richtlinie verlangt für Positivlisten ausdrücklich die folgenden Verfahrenselemente: – Antragsrecht (Art. 6 Nr. 1), – Entscheidungsfrist (Art. 6 Nr. 1), – Begründungspflicht (Art. 6 Nr. 2 u. 5; Art. 7 Nr. 3), – Rechtsschutz (Art. 6 Nr. 2, 5; Art. 7 Nr. 3). Arzneimittelherstellern muss demnach ein Antragsrecht auf Aufnahme in die Positivliste gewährt werden. Dieser Antrag ist innerhalb von 90 bzw. 180 Tagen zu bescheiden, Art. 6 Nr. 1. Wird ein Antrag abgelehnt oder ein Arzneimittel aus einer Positivliste gestrichen (Art. 6 Nr. 3 u. 5), hat die Entscheidung eine Begründung und eine Belehrung über Rechtsmittel und Rechtsmittelfristen zu enthalten.

e) Sonderproblem „Anhörung“ Die Richtlinie enthält erstaunlich wenig diskursive Elemente. Arzneimittelhersteller haben lediglich bei Antragstellung und i. R. d. gerichtlichen Rechtsschutzes die Möglichkeit, selbst auf das Verfahren Einfluss zu nehmen. Gerade bei komplexen Entscheidungsverfahren ist jedoch die angemessene Beteiligung der Betroffenen von ausschlaggebender Bedeutung für die Richtigkeit der Entscheidung, ihre Legitimität232 und Legitimation233. 229 Diese wurden in EuGH, Rs. C-317/05 (G. Pohl-Boskamp), Slg. 2006, I-10611, Rn. 36 als Positivlisten i. S. v. Art. 6 RL 89/105/EWG eingeordnet. 230 Zu diesen Becker, Steuerung der Arzneimittelversorgung, S. 184. 231 Gassner, PharmR 2006, 545 (551 f.). 232 Teil 1 B. I. 1. 233 Teil 1 A. IV. 2.

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Teil 2, A. Grundfreiheiten

Ein Anhörungsrecht sieht jedoch weder die Richtlinie vor,234 noch hat der EuGH sie in seiner bisherigen Rspr. eingefordert. In der Literatur wird die Bedeutung des Anhörungsrechts dennoch mit Recht betont.235 Erst die Beteiligung der betroffenen Arzneimittelhersteller ermöglicht der mitgliedstaatlichen Stelle – hier dem GBA oder IQWiG – eine sachgerechte Entscheidung. Schon bei der Entscheidungsfindung ist die praktische Wirksamkeit der gemeinschaftsrechtlichen subjektiven Rechte der Arzneimittelhersteller zu wahren. Dazu ist eine umfassende Sachverhaltsermittlung unerlässlich. Die Anhörung der Betroffenen stellt eine Grundfeste des rechtsstaatlichen Verfahrens dar. Ein begrenztes Anhörungsäquivalent kann das Antragsrecht darstellen. Der Antragsteller kann dort Einfluss auf die Tatsachenermittlung der staatlichen Stelle nehmen. Entsprechend sieht Art. 6 Nr. 1 RL 89/105/EWG vor, dass der Antragsteller den zuständigen Behörden ausreichende Angaben macht. Das Schweigen der Richtlinie erklärt sich aus der Differenzierung von Arzneimittel und Arzneimittelkategorie. Die Entscheidung über die Erstattungsfähigkeit einer Arzneimittelkategorie unterliegt gem. Art. 6 Nr. 6, Art. 7 Nr. 1 geringeren prozeduralen Anforderungen.236 Hierbei handelt es sich um abstrakt-generelle Regelungen des staatlichen Systems der sozialen Sicherheit, die nicht an bestimmte Hersteller gerichtet sind. Die Entscheidung, ein Arzneimittel nicht in eine Positivliste aufzunehmen (Art. 6 Nr. 2), aus einer solchen zu streichen (Art. 6 Nr. 5) oder in eine Negativliste aufzunehmen (Art. 7 Nr. 3), stellt demgegenüber nach gemeinschaftsrechtlichem Verständnis eine Einzelfallentscheidung gegenüber dem jeweiligen Arzneimittelerzeuger dar. Diese unterliegen der gerichtlichen Kontrolle. Hierdurch wird eine Beteiligung der betroffenen Hersteller zumindest im Gerichtsverfahren erreicht. Die Richtlinien des GBA gem. § 92 SGB V sind im Gegensatz hierzu als abstrakt-generelle Normen konzipiert. Ihre Rechtsnatur sowie die bestehenden Rechtsschutzmöglichkeiten sind nach wie vor streitig.237 Jedenfalls unterliegen sie nur einer eingeschränkten gerichtlichen Überprüfbarkeit, insbesondere in Bezug auf die Herausbildung eines einheitlichen Bewertungsmaßstabes.238 Die Mitgliedstaaten sind in der Gestaltung ihrer Rechtsordnung grundsätzlich frei. Dabei haben sie aber die praktische Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts zu beachten, Art. 4 Abs. 3 EUV. Unterwirft die nationale Rechtsordnung Maßnahmen, welche die Grundfreiheiten beeinträchtigen können, nur einer einge234 A. A. jedenfalls für Negativlisten Becker, Steuerung der Arzneimittelversorgung, S. 385; Gassner, PharmR 2006, 545 (552) unter Berufung auf Art. 7 Nr. 3 RL 89/105/EWG. 235 Unter Verweis auf § 24 SGB X Kingreen/Henck, PharmR 2007, 353 (360 ff.); Kügel, NZS 2006, 297 (300 f.). 236 Becker, Steuerung der Arzneimittelversorgung, S. 385. 237 Zum Streitstand s. Gassner, PharmR 2006, 545 (549 ff.) m. w. N. 238 Becker, Steuerung der Arzneimittelversorgung, S. 183.

IV. Erstattungsfähigkeit von Aufwendungen für Arzneimittel

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schränkten gerichtlichen Kontrolle, bedarf dies einer prozeduralen Kompensation bereits im Verwaltungsverfahren. Eine erhöhte Beteiligung im Verwaltungsverfahren kann nämlich eine eingeschränkte gerichtliche Kontrolle staatlicher Entscheidungen kompensieren.239 Dies kann, insbesondere wo kein Antrag gestellt wird, nur im Wege einer Anhörung der betroffenen Arzneimittelhersteller geschehen. Legt man die Eigenheiten des deutschen Rechts zugrunde, so lässt sich ein ausreichender prozeduraler Schutz der Grundfreiheiten nur mittels einer Anhörung durch die inhaltlich entscheidende Stelle erreichen. Eine Anhörung der betroffenen Arzneimittelhersteller ist ein Gebot der praktischen Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts.

3. Fazit Die Erstattung von Arzneimittelkosten durch die staatlichen Sozialsysteme hat erhebliche Auswirkungen auf den Binnenmarkt. Der Gerichtshof hat daher bereits vor über 20 Jahren materielle und prozedurale Anforderungen aus der Warenverkehrsfreiheit abgeleitet. Der nunmehr harmonisierte Arzneimittelmarkt wird nach wie vor durch diese Rechtsprechung beeinflusst. Die verfahrensrechtliche Dimension der Grundfreiheiten hat in der RL 89/105/ EWG als Rechtsangleichungsmaßnahme ihren Niederschlag gefunden. Die komplementäre Prozeduralisierung des Binnenmarktrechts setzt sich dort fort: Die materiellen Anforderungen beschränken sich auf objektive und überprüfbare Bewertungskriterien. Dem EuGH folgend hat der Gemeinschaftsgesetzgeber prozedurale Elemente in den Vordergrund gestellt. Diese finden sich in den deutschen Regelungen nicht ausreichend wieder. Die innerstaatlichen Behörden haben daher die unmittelbar anwendbaren Vorschriften der Richtlinie zu beachten, selbst wenn sich Entscheidungen oder Regelungen nur mittelbar auf die Erstattungsfähigkeit auswirken. Bei der vorgesehenen Kosten-Nutzen-Prüfung hat die Verwaltung das Verfahren gemeinschaftsrechtskonform auszugestalten. Die prozeduralen Anforderungen des Gemeinschaftsrechts gehen nicht in denen des (nicht anwendbaren) SGB X auf, sondern haben eine eigenständige Bedeutung. In zeitlicher Hinsicht werden die Marktteilnehmer durch eine Ausschlussfrist geschützt. Die fristgerechte Entscheidung ist zu begründen. Weiter muss gerichtlicher Rechtsschutz gewährleistet sein. Sowohl das primäre als auch das sekundäre Gemeinschaftsrecht weisen eine prozedurale Dimension in Gestalt der komplementären Prozeduralisierung auf. Diese führt zu einer direkten und indirekten Europäisierung des Verwaltungsverfahrensrechts. Damit wachsen die Anforderungen an die Verwaltung. Die zu239 Vgl. zur rechtswahrenden Funktion des Verwaltungsverfahrens Wahl, VVDStRL 41 (1983), 151 (160 ff.).

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Teil 2, A. Grundfreiheiten

ständigen Behörden haben bei der Verfahrensgestaltung nicht nur einschlägiges innerstaatliches Recht zu beachten, sondern daneben auch gemeinschaftsrechtliche Verfahrensrechte Betroffener zu berücksichtigen.

V. Anerkennung von Berufsqualifikationen V. Anerkennung von Berufsqualifikationen

1. Berufsqualifikationen und Binnenmarkt Im Mittelpunkt dieses Abschnitts stand bislang die verfahrensrechtliche Dimension der Art. 34 ff. AEUV. Neben der Warenverkehrsfreiheit lassen sich ebenfalls für die Dienstleistungs- und Personenverkehrsfreiheiten Verfahrensauswirkungen nachweisen. Die Verwirklichung des europäischen Binnenmarktes hängt für Selbstständige und Arbeitnehmer davon ab, dass sie ihren Beruf in anderen Mitgliedstaaten als demjenigen ausüben können, in dem sie ihre berufliche Qualifikation erworben haben. Mitgliedstaatliche Normen stellen jedoch vielfältige Anforderungen an die Berufsqualifikation. Dies stellt ein bedeutendes Mobilitätshindernis für den Personen- und Dienstleistungsverkehr dar.240 Diese Anforderungen anzugleichen war schon früh eine Bestrebung der Gemeinschaft.241 Dies spiegelt sich in den Art. 46, 53 und 62 AEUV als den zentralen Rechtsgrundlagen für die Harmonisierungen242 im Bereich des Personen- und Dienstleistungsverkehrs wider. Schon in den 1970er Jahren erließ die Gemeinschaft zahlreiche Anerkennungsrichtlinien, insbesondere für die medizinischen Berufe.243 Trotz dieser frühen und zunehmenden gesetzgeberischen Tätigkeit der Gemeinschaft sind die sekundärrechtlichen Grundlagen, nicht zuletzt aufgrund des Prinzips der begrenzten Einzelermächtigung, unvollständig geblieben. Dieses Harmonisierungsvakuum suchte der Gerichtshof mithilfe der Grundfreiheiten zu füllen. Wie zu zeigen sein wird, hat er dazu, neben materiellen Anforderungen, wiederum maßgeblich prozedurale Forderungen entwickelt. Der EuGH fordert in st.Rspr. ein Verfahren, welches die Gleichwertigkeit der erworbenen und der erforderlichen Qualifikationen überprüft. Dieses Homologierungsverfahren hat durch die Rspr. eine detaillierte Ausformung erfahren. Die aus den Grundfreiheiten abgeleiteten Mindestanforderungen für die Anerkennung von Berufsqualifikationen aus anderen Mitgliedstaaten kommen allerdings nur zum Tragen, wenn keine der Liberalisierungs- oder Harmonisierungsrichtlinien einschlägig ist. Das sekundärrechtliche Panorama soll daher kurz beleuchtet werden. 240

Weber, WissR 30 (1997), 20. Vgl. Allgemeines Programm zur Aufhebung der Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs innerhalb der Gemeinschaft, ABl Nr. 2 vom 15.1.1962, S. 32 ff. 242 s. nur Bröhmer, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 47 EGV, Rn. 1. 243 Überblick bei Stumpf, in: Dauses, Hdb. EU-WirtschR, E. II, Rn. 77 ff. 241

V. Anerkennung von Berufsqualifikationen

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2. Sekundärrecht a) Vertikale und horizontale Richtlinien Auf der Basis der Art. 40, 47 und 55 EGV a. F. (jetzt: Art. 46, 53 und 62 AEUV) erließ die Gemeinschaft in den vergangenen Jahrzehnten eine ganze Reihe von Richtlinien. Zunächst beschränkten sich die jeweiligen Richtlinien auf einzelne Berufe und harmonisierten insoweit die Ausbildung, Zulassung und Ausübung in den Mitgliedstaaten.244 Dieser berufsspezifische, „vertikale“ Ansatz stieß jedoch bei der Umsetzung aufgrund der unterschiedlichen mitgliedstaatlichen Regelungen auf Schwierigkeiten.245 Daher wurde der sog. horizontale Ansatz entwickelt, der eine raschere Verwirklichung der Personenverkehrsfreiheiten erwarten ließ246: Diese Richtlinien fanden auf eine unbestimmte Vielzahl von Berufen Anwendung.247 Zu nennen sind v. a. die Hochschuldiplomrichtlinie248, die zweite Anerkennungsrichtlinie249 sowie die Anerkennungsverfahrensrichtlinie250.

244 Bspw. die Richtlinie 85/384/EWG des Rates vom 10. Juni 1985 für die gegenseitige Anerkennung der Diplome, Prüfungszeugnisse und sonstigen Befähigungsnachweise auf dem Gebiet der Architektur und für Maßnahmen zur Erleichterung der tatsächlichen Ausübung des Niederlassungsrechts und des Rechts auf freien Dienstleistungsverkehr, ABl. EWG L 223 vom 10.6.1985, S. 15 ff.; Richtlinie 1993/16/EWG des Rates vom 5. April 1993 zur Erleichterung der Freizügigkeit für Ärzte und zur gegenseitigen Anerkennung ihrer Diplome, Prüfungszeugnisse und sonstigen Befähigungsnachweise, ABl. EG L 165 vom 7.7.1993, S. 1 ff.; Richtlinie 1998/5/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Februar 1998 zur Erleichterung der ständigen Ausübung des Rechtsanwaltsberufs in einem anderen Mitgliedstaat als dem, in dem die Qualifikation erworben wurde, ABl. EG L 77 vom 14.3.1998, S. 36 ff. 245 Frenz, Handbuch Europarecht I, Rn. 2160. 246 Vgl. Erwägungsgrund 3 der RL 89/48/EWG zur Umstellung vom vertikalen auf den horizontalen Ansatz. 247 Weber, WissR 30 (1997), 20 (23). 248 Richtlinie 89/48/EWG des Rates vom 21. Dezember 1988 über eine allgemeine Regelung zur Anerkennung der Hochschuldiplome, die eine mindestens dreijährige Berufsausbildung abschließen, ABl. EWG L 19 vom 24.1.1989, S. 16 ff. 249 Richtlinie 92/51/EWG des Rates vom 18. Juni 1992 über eine zweite allgemeine Regelung zur Anerkennung beruflicher Befähigungsnachweise in Ergänzung zur Richtlinie 89/48/EWG, ABl. EWG L 209 vom 24.7.1992, S. 25 ff. 250 Richtlinie 1999/42/EG des europäischen Parlaments und des Rates vom 7. Juni 1999 über ein Verfahren zur Anerkennung der Befähigungsnachweise für die unter die Liberalisierungs- und Übergangsrichtlinien fallenden Berufstätigkeiten in Ergänzung der allgemeinen Regelung zur Anerkennung der Befähigungsnachweise, ABl. EG L 201 vom 31.7.1999, S. 77 ff.

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Teil 2, A. Grundfreiheiten

b) Berufsqualifikationsrichtlinie (RL 2005/36/EG) Der Großteil der Richtlinien zur Anerkennung von Berufsqualifikationen ist im Jahr 2005 in der Berufsqualifikationsrichtlinie251 aufgegangen. Die Umsetzungsfrist dieser Richtlinie lief zum 20.10.2007 aus, Art. 63 RL 2005/36/EG. Sie setzt den horizontalen Ansatz konsequent fort252 und umfasst alle reglementierten Berufe, d. h. Tätigkeiten, bei denen die Aufnahme oder Ausübung direkt oder indirekt durch Rechts- und Verwaltungsvorschriften an den Besitz bestimmter Berufsqualifikationen gebunden sind, Art. 3 Abs. 1 lit. a RL 2005/36/EG. Ebenso fallen Berufe, die (nur) von Mitgliedern näher bezeichneter Verbände oder Organisationen ausgeübt werden, darunter, Art. 3 Abs. 2 RL 2005/36/EG. Lediglich der Beruf des Rechtsanwalts unterliegt weiterhin Sonderregelungen.253 Die Richtlinie unterscheidet zum einen zwischen der Wahrnehmung der Dienstleistungsfreiheit (Titel II) und der Wahrnehmung der Niederlassungsfreiheit (Titel III). Die Dienstleistungsfreiheit darf aufgrund der Berufsqualifikation nicht eingeschränkt werden, wenn der Dienstleister denselben Beruf rechtmäßig in seinem Niederlassungsstaat ausübt oder ihn dort mindestens zwei der letzten zehn Jahre ausgeübt hat, Art. 5 Abs. 1 RL 2005/36/EG.254 Für die Niederlassung in einem anderen Mitgliedstaat gelten dagegen höhere Anforderungen. Zum anderen differenziert die Berufsqualifikationsrichtlinie zwischen dem Marktzugang und der Tätigkeit auf dem Markt des Zielstaates, vgl. Art. 4 Abs. 1 RL 2005/36/EG.255 Der Marktzugang unterliegt dem Prinzip der gegenseitigen Anerkennung. Aufgrund der Regulierung der Berufe ist der Zielstaat zur Anerkennung der Berufsqualifikationen verpflichtet.256 Die Tätigkeit in diesem Mitgliedstaat richtet sich hingegen nach dessen Vorschriften. Die begünstigte Person übt ihre Tätigkeit gem. Art. 4 Abs. 1 RL 2005/36/EG „unter denselben Voraussetzungen wie ein Inländer“ aus. Insoweit gilt also das Bestimmungslandprinzip.257 Die Voraussetzungen der Niederlassung in einem anderen Mitgliedstaat richten sich nach einem mehrstufigen System. Gem. Kapitel III des Titels über die Niederlassungsfreiheit erfolgt eine automatische Anerkennung im Hinblick auf solche Berufe, die bereits einer vertikalen Harmonisierung unterzogen worden waren (s. o.). Kapitel II regelt die Anerkennung von Berufserfahrung. Eine Harmonisierung der Berufsqualifikation ist nicht vorgesehen. In einem Anhang differenziert

251 Richtlinie 2005/36/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7. September 2005 über die Anerkennung von Berufsqualifikationen, ABl. EG L 255 vom 30.9.2005, S. 22 ff. 252 Lippert, EuR 2007, 631 (636 f.). 253 Vgl. Erwägungsgrund 42 der RL 2005/36/EG. 254 Kluth/Rieger, EuZW 2005, 486 (487). 255 Kluth/Rieger, EuZW 2005, 486 (487); Lippert, EuR 2007, 631 (637). 256 Kluth/Rieger, EuZW 2005, 486 (487). 257 Kluth, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 52 EGV, Rn. 67.

V. Anerkennung von Berufsqualifikationen

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die Richtlinie die für verschiedene Berufsgruppen erforderliche Dauer der Berufserfahrung. In Kapitel I finden sich schließlich allgemeine Regeln für die Anerkennung von Ausbildungsnachweisen.

3. Verhältnis von Sekundär- und Primärrecht Primärrechtliche Anforderungen an die Anerkennung von Berufsqualifikationen kommen nur zum Tragen, wenn die einschlägigen Richtlinien nicht anwendbar sind.258 Der Gerichtshof geht in st.Rspr. zu Recht von einer Teilharmonisierung aus. Die Mitgliedstaaten sind befugt, die Zulassung zu und Ausübung von Berufen zu reglementieren. Dann seien sie aber verpflichtet, „ihre Befugnisse in diesem Bereich unter Beachtung der durch die Artikel 52 (nach Änderung jetzt Artikel 43 EG) und 59 EG-Vertrag garantierten Grundfreiheiten“259 auszuüben.260 In seiner jüngeren Rechtsprechung hat der EuGH den sachlichen Anwendungsbereich der Berufsanerkennungsrichtlinien einer einschränkenden Betrachtungsweise unterzogen und eine Sperrwirkung verneint: Im Gegensatz zu den Anerkennungsmechanismen der Richtlinien sieht der EuGH für die Berücksichtigung beruflicher Qualifikationen i. R. e. primärrechtlichen Äquivalenzprüfung keinen sog. „Endprodukt“-Vorbehalt. Die Konzeption der Richtlinie verlangt für die Anerkennung von Berufsqualifikationen nicht lediglich einen bestimmten Ausbildungsstand. Vielmehr setzen sie, soweit nicht Sonderregelungen zur Berufserfahrung greifen (Art. 16 ff. RL 2005/36/EG), eine nach den Maßgaben des Herkunftslandes abgeschlossene Berufsausbildung als „Endprodukt“261 voraus.262 Sind die Voraussetzungen der einschlägigen Richtlinie erfüllt, macht dies den Rückgriff auf die Grundfreiheiten unnötig. Jedoch sollen die Harmonisierungsrichtlinien lediglich die Aufnahme und Ausübung einer Tätigkeit erleichtern. Sie beschränken daher nach der Rspr. den Anwendungsbereich der grundfreiheitlichen Anforderungen nicht.263 Liegen also die Voraussetzungen für eine Anerkennung nach den Richtlinien nicht vor, entfalten diese mangels Totalharmonisierung keine Sperrwirkung für die Grundfreiheiten.264

258 Die Richtlinien waren bspw. zeitlich noch nicht anwendbar in EuGH, Rs. 222/86 (Unectef/Heylens), Slg. 1987, I-4097, Rn. 11; Rs. C-340/89 (Vlassopoulou), Slg. 1991, I-2357, Rn. 1, 2; sachlich lagen keine sekundärrechtlichen Regelungen u. a. in EuGH, Rs. C-104/91 (Aguirre Borrell), Slg. 1992, I-3003, Rn. 6; Rs. C-164/94 (Aranitis), Slg. 1996, I-135, Rn. 29 vor. 259 EuGH, Verb. Rs. C-193 u. 194/97 (de Castro Freitas), Slg. 1998, I-6747, Rn. 23; Rs. C-58/98 (Corsten), Slg. 2000, I-7919, Rn. 31. 260 Obwexer/Happacher Brezinka, ZÖR 56 (2001), 465 (467 ff.). 261 Leibrock, EuZW 1993, 634 (635). 262 I. R.d. RL 89/48/EG wäre dies bspw. ein abgeschlossenes Hochschulstudium. 263 EuGH, Rs. C-238/98 (Hocsman), Slg. 2000, I-6623, Rn. 31 f. 264 s. o. Teil 2 A. III. 1.

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Teil 2, A. Grundfreiheiten

Vielmehr kommen die primärrechtlichen Grundsätze zur Anwendung, wenn die Anerkennungsvoraussetzungen der Richtlinie nicht vorliegen. Der EuGH ist in einem jüngeren Urteil noch einen Schritt weiter gegangen und hat die Möglichkeit einer partiellen Anerkennung von Befähigungsnachweisen eröffnet.265 Dort erstrebte ein italienischer Wasserbauingenieur in Spanien Zugang zum Beruf des „Ingenieurs für Wege-, Kanal- und Hafenbau“. I. E. eröffnete der Gerichtshof den Weg zu einer Teilanerkennung als Wasserbauingenieur, obwohl das spanische Recht diesen Teilberuf nicht kannte. Unterscheiden sich die Anerkennungsvoraussetzungen zweier Mitgliedstaaten derart, dass der Betroffene im Zielstaat eine vollständige Ausbildung absolvieren müsste, lässt sich eine vollständige Integration mit den Mitteln der Richtlinie nicht erreichen. Eine Sperrwirkung hat ihr der EuGH dennoch nicht entnommen. Lässt sich die berufliche Tätigkeit, die der Betroffene im Aufnahmestaat ausüben möchte, objektiv von der Gesamtheit der Tätigkeiten trennen, die der entsprechende Beruf im Aufnahmestaat umfasst, so wäre dieser von einem völligen Verbot unverhältnismäßig betroffen. In derartigen Fällen habe eine Berufszulassung anhand der primärrechtlichen Vorgaben zu erfolgen.266 Die primärrechtlichen Anforderungen bleiben somit auch angesichts der fortschreitenden Harmonisierung von Bedeutung. Eine Nebenwirkung dieser Rechtsprechung besteht in der gestärkten Kontrollkompetenz des Gerichtshofs, die auf harmonisiertem Terrain nur eingeschränkt gegeben ist.267

4. Grundfreiheitliche Anforderungen in der Rspr. des EuGH Der EuGH hat seit den 1970er Jahren eine Pflicht zur Anerkennung von Berufsqualifikationen aus den jeweils einschlägigen Grundfreiheiten hergeleitet. Dabei hat er nicht nur materielle Kriterien zur Verhinderung von Diskriminierungen bzw. Beschränkungen268 aufgestellt. Als Konstanten dieser Rechtsprechung zeigen sich prozedurale Anforderungen, die jedoch in der Literatur nur ein geringes Echo gefunden haben. Sie bilden das Fundament für die Durchsetzung der Rechte des Einzelnen. Als unabdingbares Pendant zu den materiellen Anforderungen sind die prozeduralen Gebote des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung eine Ausformung komplementärer Prozeduralisierung. Sie treten dem materiell-rechtlichen 265

EuGH, Rs. C-330/03 (Colegio de Ingenieros de Caminos, Canales y Puertos), Slg. 2006, I-801. 266 EuGH, Rs. C-330/03 (Colegio de Ingenieros de Caminos, Canales y Puertos), Slg. 2006, I-801, Rn. 35 ff. 267 Kritisch Lippert, EuR 2007, 631 (641 f.). 268 Zur Diskussion um die Reichweite der Grundfreiheiten vgl. allgemein Frenz, Handbuch Europarecht I, Rn. 141 ff.; Kingreen, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 28–30 EGV, Rn. 66 ff. jew. m. zahlreichen w.N.

V. Anerkennung von Berufsqualifikationen

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Prüfungsmaßstab an die Seite und ermöglichen erst eine effektive Wahrnehmung durch die Grundfreiheitsträger. Die Rechtsprechung des Gerichtshofes lässt sich anhand der Reichweite der prozeduralen Forderungen in mehrere Phasen unterteilen.

a) Grundfreiheitskonforme Anwendung nationalen Rechts In den Urteilen Thieffry und Patrick ordnete der Gerichtshof die (verweigerte) Anerkennung von Berufsqualifikationen in die Systematik der Niederlassungsfreiheit ein. Im Ergebnis forderte er bei fehlender Harmonisierung die Gewährleistung der Grundfreiheit i. R. d. geltenden nationalen Rechts. In der Rs. Thieffry269 hatte ein belgischer Rechtsanwalt, dessen Diplom von einer französischen Universität als gleichwertig anerkannt worden war, in Frankreich die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft beantragt. Dieser Antrag war mit der Begründung zurückgewiesen worden, der Antragsteller sei nicht Inhaber eines entsprechenden französischen Diploms. Dem Antrag war allein deshalb nicht stattgegeben worden, weil der Beschwerdeführer „trotz der anerkannten akademischen Gleichwertigkeit seines Grunddiploms und trotz des Erwerbs eines Zeugnisses [des Niederlassungsstaates, d. Verf.] über die Befähigung zum Rechtsanwaltsberuf dem Inhaber eines Diploms, der Licence oder des Doctorat im Sinne der französischen Rechtsvorschriften nicht gleichgestellt werden könne“270. Der zuständige Conseil de l’Ordre war der Ansicht, der EWG-Vertrag bewirke zwar die Abschaffung jeder Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit. Die Gleichwertigkeit der Prüfungszeugnisse könne sich aber nur aus einer Richtlinie gem. Art. 57 EWGV (jetzt Art. 53 AEUV) ergeben, welche zum damaligen Zeitpunkt für den Beruf des Rechtsanwalts noch nicht ergangen war.271 Der EuGH hatte die Reichweite der Anerkennung des Prüfungszeugnisses durch die Hochschulverwaltung des Niederlassungsstaates zu prüfen.272 Der Beschwerdeführer war aufgrund dieser Anerkennung zur vorgeschriebenen Befähigungsprüfung zugelassen worden und hatte diese auch bestanden. Die Zulassung zur Anwaltschaft wurde ihm allein verweigert, weil sein als gleichwertig anerkanntes Prüfungszeugnis nicht aus dem Niederlassungsstaat stammte. Der Gerichtshof stellte zunächst fest, dass die Niederlassungsfreiheit unter Beachtung im Allgemeininteresse gerechtfertigter Berufsregelungen zu den Zielen des Vertrages gehöre. Damit ordnete er Berufsregelungen als Eingriffe in die Niederlassungsfreiheit ein, die einer Rechtfertigung aus Gründen des Allgemein269 270 271 272

EuGH, Rs. 71/76 (Thieffry), Slg. 1977, 765. EuGH, Rs. 71/76 (Thieffry), Slg. 1977, 765, Rn. 2/5. EuGH, Rs. 71/76 (Thieffry), Slg. 1977, 765, Rn. 2/5. EuGH, Rs. 71/76 (Thieffry), Slg. 1977, 765, Rn. 20/23.

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Teil 2, A. Grundfreiheiten

wohls zugänglich sind. Diesen Ansatz hat der EuGH beibehalten. An die rechtfertigenden Allgemeinwohlbelange hat er keine hohen Anforderungen gestellt. Im Gegenzug prüft er die Eingriffsmodalitäten, u. a. in Form des durchzuführenden Verfahrens, umso intensiver.273 Schreiben Mitgliedstaaten für den Zugang zu bestimmten Berufen den Besitz eines Diploms gesetzlich vor, so stellt dies ein Hindernis für die wirksame Ausübung der Niederlassungsfreiheit dar.274 Erkennt der Mitgliedstaat gleichwertige Diplome anderer Mitgliedstaaten an, ist der Eingriff angemessen. Solange eine sekundärrechtliche Harmonisierung noch nicht erfolgt sei, könne die Verwirklichung der Niederlassungsfreiheit durch Maßnahmen der Mitgliedstaaten gesichert werden, Art. 5 EWGV (jetzt Art. 4 Abs. 3 EUV): „Die tatsächliche Ausübung der in Artikel 52 [EWGV, d. Verf.] vorgesehenen Niederlassungsfreiheit darf also, wenn diese Freiheit in einem Mitgliedstaat auf der Grundlage der geltenden Rechtsvorschriften oder auf der Grundlage der Praktiken der öffentlichen Verwaltung oder berufsständischer Organisationen gewährleistet werden kann, einer dem Gemeinschaftsrecht unterstehenden Person nicht allein deshalb verwehrt werden, weil die in Artikel 57 des Vertrages vorgesehenen Richtlinien für einen bestimmten Beruf noch nicht erlassen worden sind. Da sich der tatsächliche Gebrauch der Niederlassungsfreiheit demnach unter gewissen Umständen nach den innerstaatlichen Rechtsvorschriften und Praktiken richten kann, haben die zuständigen öffentlichen Stellen – einschließlich der gesetzlich anerkannten Organisationen des Berufsstandes – sicherzustellen, dass diese Rechtsvorschriften und Praktiken in einer den Zielen der Vertragsbestimmungen über die Niederlassungsfreiheit entsprechenden Weise angewendet werden.“275

Diese Aussage ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass die akademische Qualifikation des Beschwerdeführers als gleichwertig anerkannt war und er alle darüber hinausgehenden Voraussetzungen des Niederlassungslandes erfüllte. Daher sah es der EuGH als unzulässige Beschränkung an, den Zugang zu einem Beruf allein deshalb zu versagen, „weil der Betreffende nicht im Besitz des seinem eigenen als gleichwertig anerkannten Prüfungszeugnis entsprechenden Prüfungszeugnisses dieses Landes“276 sei. Eine unterschiedliche Beurteilung der Gleichwertigkeit von akademischer und beruflicher Befähigung lehnte der EuGH ab, soweit diese nicht durch die Erfordernisse des jeweiligen Berufs gerechtfertigt sei.277 Im Ergebnis machte der Gerichtshof die Verwirklichung der Niederlassungsfreiheit von den jeweiligen mitgliedstaatlichen Vorschriften abhängig. Er forderte, die innerstaatlichen Rechtsvorschriften und Praktiken in grundfreiheitskonformer Weise anzuwenden.278 Die normative Grundlage für das Handeln der zuständigen mitgliedstaatlichen Stellen sollte damit weiter das mitgliedstaatliche Verwaltungs273 274 275 276 277 278

Dazu sogleich. EuGH, Rs. 11/77 (Patrick), Slg. 1977, 373, Rn. 16/17. EuGH, Rs. 71/76 (Thieffry), Slg. 1977, 765, Rn. 15/18 (Hervorhebung durch Verf.). EuGH, Rs. 71/76 (Thieffry), Slg. 1977, 765, Rn. 19. EuGH, Rs. 71/76 (Thieffry), Slg. 1977, 765, Rn. 20/23. Vgl. die Hervorhebungen im obigen Zitat.

V. Anerkennung von Berufsqualifikationen

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(verfahrens)recht bilden. Damit war die Durchsetzung der Niederlassungsfreiheit von der mitgliedstaatlichen Rechtsordnung abhängig. Zu diesem Ergebnis kommt auch die Analyse des Generalanwalts Jacobs: Der Gerichtshof habe in den Urteilen Thieffry und Patrick lediglich festgestellt, dass diejenigen Mitgliedstaaten, die von sich aus die Gleichwertigkeit von Befähigungsnachweisen aus anderen Mitgliedstaaten anerkennen, verpflichtet seien, dieser Anerkennung Rechtswirkung zu verleihen.279 Diese Rechtsprechung wurde in der Rs. Patrick280 bestätigt. Auch hier begrenzte der EuGH die Pflicht des Mitgliedstaates auf eine grundfreiheitskonforme Anwendung geltenden innerstaatlichen Rechts. Der Antrag eines britischen Architekten auf Anerkennung seines Diploms in Frankreich war mit der Begründung abgelehnt worden, eine solche Genehmigung habe nach geltendem Recht immer Ausnahmecharakter. Ein bilaterales Abkommen oder eine gemeinschaftsrechtliche Harmonisierung, die eine andere Sichtweise gerechtfertigt hätten, lägen nicht vor.281 Wiederum sah der Gerichtshof ein Hindernis für die wirksame Ausübung der Niederlassungsfreiheit als gegeben an, wenn ein Mitgliedstaat für den Zugang zu bestimmten Berufen den Besitz eines Diploms gesetzlich vorschreibt.282 Die Beseitigung dieser Hindernisse solle nach der Vertragskonzeption zwar generell mittels Harmonisierung erfolgen. Jedoch berechtige der Umstand, dass diese Richtlinien noch nicht erlassen worden seien, „einen Mitgliedstaat nicht, einer dem Gemeinschaftsrecht unterstehenden Person die tatsächliche Ausübung der (…) Niederlassungsfreiheit zu verwehren, wenn diese Freiheit in diesem Mitgliedstaat insbesondere auf der Grundlage der bereits geltenden Rechtsvorschriften gewährleistet werden kann.“283

Über die generelle Anerkennungspflicht hinaus leitete der EuGH bereits in dem frühen Thieffry-Urteil Verhaltens-, d. h. Verfahrenspflichten, für die Verwaltung des Mitgliedstaates ab. Sie habe „eine Würdigung des Sachverhalts vorzunehmen, die sie in die Lage versetzt, zu beurteilen, ob die von einer Universitätsstelle ausgesprochene Anerkennung über ihre akademische Wirkung hinaus als Nachweis beruflicher Befähigung gelten kann.“284

Die Richter sahen damit die materiellen Anerkennungspflichten zwar durch das mitgliedstaatliche Recht bedingt; die prozeduralen Anforderungen an die Sachverhaltserschließung waren hiervon jedoch nicht betroffen.

279 280 281 282 283 284

GA Jacobs, Schlussantr. zu Rs. C-104/91 (Aguirre Borrell), Slg. 1992, I-3003, Ziff. 18. EuGH, Rs. 11/77 (Patrick), Slg. 1977, 373. EuGH, Rs. 11/77 (Patrick), Slg. 1977, 373, Rn. 6. EuGH, Rs. 11/77 (Patrick), Slg. 1977, 373, Rn. 16/17. EuGH, Rs. 11/77 (Patrick), Slg. 1977, 373, Rn. 16/17 (Hervorhebung durch Verf.). EuGH, Rs. 71/76 (Thieffry), Slg. 1977, 765, Rn. 24/26.

158

Teil 2, A. Grundfreiheiten

Die eingeforderte Sachverhaltswürdigung macht die Durchführung eines Verwaltungsverfahrens unabdingbar. Zur Informationsbeschaffung ist insbesondere eine Mitwirkung des Betroffenen erforderlich. Ohne diese kann die Behörde den Sachverhalt, dessen Kern die Berufsausbildung und -erfahrung des Antragstellers bildet, nicht vollständig erfassen. Die grundlegende Bedeutung des Anhörungsrechts im Verwaltungsverfahren wurde bereits mehrfach hervorgehoben.285 Nur die Beteiligung des Betroffenen versetzt die zuständige Stelle in die Lage, die Qualifikationen des Herkunftsstaates zutreffend einordnen zu können. Dies hat umso größere Bedeutung als nur die zutreffende Ermittlung des Sachverhaltes die Verhältnismäßigkeit des Eingriffs in die Niederlassungsfreiheit sicherstellen kann. In dem Verfahren zur Prüfung der Gleichwertigkeit manifestiert sich der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.286 Dies zeigt, dass die verfahrensrechtliche Dimension der Niederlassungsfreiheit i. R. d. Abwehrrechts zum Tragen kommt.287

b) Recht auf Durchführung eines Überprüfungsverfahrens ohne Harmonisierung aa) EuGH, Rs. 222/86 (Unectef/Heylens) In den Urteilen Unectef/Heylens und Vlassopoulou verpflichtete der Gerichtshof die Mitgliedstaaten, in denen der Inhaber eines in einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Befähigungsnachweises tätig sein oder sich niederlassen will, zu prüfen, ob die Befähigungsnachweise den im eigenen Recht vorgesehenen entsprechen. Eine materielle Anerkennungsmöglichkeit im innerstaatlichen Recht machte der EuGH hingegen nicht mehr zur Voraussetzung; damit ging er wesentlich über die Entscheidungen Thieffry und Patrick hinaus. Für diese Prüfung stellte er grundlegende Verfahrensregeln auf.288 In der Rs. Unectef/Heylens war ein belgischer Fußballtrainer von einem französischen Fußballklub angestellt worden, obwohl er kein französisches oder als gleichwertig anerkanntes ausländisches Diplom besaß. Sein Antrag auf Anerkennung des belgischen Diploms war von der zuständigen Stelle mit der Begründung abgelehnt worden, der zuständige beratende Ausschuss habe eine negative Stellungnahme abgegeben.289 Der EuGH hatte zu prüfen, ob diese Ablehnung unter Verletzung der Arbeitnehmerfreizügigkeit zustande gekommen war. Der Gerichtshof stellte zunächst das Verhältnis zwischen der harmonisierten Anerkennung von Berufsqualifikationen (nunmehr Art. 46 AEUV) und primär285 286 287 288 289

s. o. Teil 1 B. I. 1. und 2. Görlitz, EuR 2000, 836 (841). s.o Teil 1 B. II. 3. d) bb). GA Jacobs, Schlussantr. zu Rs. C-104/91 (Aguirre Borrell), Slg. 1992, I-3003, Ziff. 18 f. EuGH, Rs. 222/86 (Unectef/Heylens), Slg. 1987, I-4097, Rn. 4.

V. Anerkennung von Berufsqualifikationen

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rechtlichen Verpflichtungen klar. Solange eine Harmonisierung fehle, könnten die Mitgliedstaaten zwar festlegen, welche Kenntnisse und Fähigkeiten zur Ausübung eines Berufes notwendig seien, und die Vorlage eines Diploms verlangen.290 Letzteres stelle jedoch ein Hindernis für die Freizügigkeit der Arbeitnehmer dar.291 Die Richter machten im Anschluss genauere Ausführungen zu den prozeduralen Anforderungen: „Da das Verfahren zur Anerkennung der Gleichwertigkeit das Erfordernis der für die Ausübung eines bestimmten Berufs verlangten Befähigung mit den Geboten der Freizügigkeit der Arbeitnehmer in Einklang bringen muss, muss es den innerstaatlichen Behörden ermöglichen, objektiv festzustellen, ob ein ausländisches Diplom seinem Inhaber die gleichen Kenntnisse und Fähigkeiten wie das innerstaatliche Diplom oder diesem zumindest gleichwertige Kenntnisse und Fähigkeiten bescheinigt.“292

Maßgebend hierfür seien Art und Dauer des Studiums sowie der praktischen Ausbildung, deren Abschluss das Diplom bescheinige. Das Verfahren verfolgt insoweit also den Zweck, der Verwaltung eine sachgerechte Entscheidung zu ermöglichen.293 Weiter hebt der EuGH aber die Bedeutung des Verfahrens für den Individualrechtsschutz hervor. Der freie Zugang zur Beschäftigung sei ein Grundrecht, dass jedem Arbeitnehmer individuell vom Vertrag verliehen sei. Effektiver Rechtsschutz hänge wesentlich davon ab, dass Entscheidungen vor Gericht angefochten werden könnten. Hierbei handle es sich um einen allgemeinen Grundsatz des Gemeinschaftsrechts, der sich aus den gemeinsamen Verfassungstraditionen der Mitgliedstaaten ergebe.294 Diese gerichtliche Kontrolle entfalte jedoch nur Wirksamkeit, wenn der Betroffene von der Behörde vorher die Begründung der anzufechtenden Entscheidung verlangen könne. Auf diese habe sich der gerichtliche Rechtsschutz zu erstrecken. Nur sie ermögliche es den Betroffenen, „in Kenntnis aller Umstände zu entscheiden, ob es für sie von Nutzen ist, vor Gericht zu gehen“295. Die Behörde sei daher verpflichtet, die Gründe, auf die ihre ablehnende Entscheidung gestützt ist, entweder in der Entscheidung oder auf Antrag später bekanntzugeben.296 Der EuGH stellt hier die zwei Funktionen der komplementären Prozeduralisierung nebeneinander. Zum einen unterstreicht er die Ergebnisrelevanz des Prü290

EuGH, Rs. 222/86 (Unectef/Heylens), Slg. 1987, I-4097, Rn. 10. EuGH, Rs. 222/86 (Unectef/Heylens), Slg. 1987, I-4097, Rn. 11 f. unter Verweis auf die Urteile Thieffry und Patrick; bestätigt in EuGH, Rs. C-340/89 (Vlassopoulou), Slg. 1991, I-2357, R n.13 ff. 292 EuGH, Rs. 222/86 (Unectef/Heylens), Slg. 1987, I-4097, Rn. 13. 293 EuGH, Rs. 222/86 (Unectef/Heylens), Slg. 1987, I-4097, Rn. 13. 294 EuGH, Rs. 222/86 (Unectef/Heylens), Slg. 1987, I-4097, Rn. 14. 295 EuGH, Rs. 222/86 (Unectef/Heylens), Slg. 1987, I-4097, Rn. 15. 296 Dies wirft Fragen im Hinblick auf das in § 114 S. 2 VwGO vorgesehene Nachschieben von Gründen auf, denen hier jedoch nicht weiter nachgegangen werden kann. 291

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Teil 2, A. Grundfreiheiten

fungsverfahrens; nur die Einhaltung des Verfahrens versetze die zuständigen Stellen in die Lage, die Gleichwertigkeit der Qualifikationen richtig zu erfassen. Diese Verfahrensfunktion bedingt auch eine Beteiligung des Betroffenen. Zum anderen sichert das Verfahren die subjektiv-individuellen Rechte des Betroffenen. Diesem stehen eine Begründung und Möglichkeiten effektiven Rechtsschutzes zu. Ohne diese prozeduralen Garantien wird der materielle Gehalt der Arbeitnehmerfreizügigkeit entwertet.

bb) EuGH, Rs. C-340/89 (Vlassopoulou) In der Entscheidung „Vlassopoulou“ hat der Gerichtshof seine Anforderungen an die mitgliedstaatliche Rechtsordnung weiter konkretisiert. Eine in Griechenland zugelassene, aber in Deutschland promovierte und tätige Rechtsanwältin beantragte in Deutschland die Zulassung als Rechtsanwältin. Die Zulassung wurde von der zuständigen Stelle abgelehnt, da sie nicht die Befähigung zum Richteramt gem. § 4 BRAO erworben habe.297 Noch im Heylens-Urteil hatten die Richter einen Grundfreiheitseingriff durch eine ablehnende Entscheidung nur bejaht, wenn „diese Freiheit in diesem Mitgliedstaat insbesondere dadurch gewährleistet werden kann, dass dessen Rechtsvorschriften die Anerkennung ausländischer Diplome als gleichwertig erlauben“298. Diese Betrachtung legte auch GA van Gerven zugrunde. Die Untersuchung der Gleichwertigkeit müsse „in Anwendung der einschlägigen nationalen Rechtsvorschriften vorgenommen werden“299. Dabei seien allerdings der Effektivitätsgrundsatz zu beachten und die innerstaatlichen Vorschriften in grundfreiheitskonformer Weise anzuwenden.300 Nunmehr stellte der EuGH Anforderungen nicht allein an die Anwendung, sondern auch an den Inhalt nationaler Rechtsvorschriften. Ein Eingriff liege auch vor, wenn „die fraglichen nationalen Vorschriften die von dem Betroffenen in einem anderen Mitgliedstaat bereits erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten unberücksichtigt lassen“301. Dies bedeutet den Übergang von einer grundfreiheitskonformen Anwendung mitgliedstaatlicher Normen zu einer grundfreiheitskonformen Gestaltung der Gleichwertigkeitsprüfung auch über nationalstaatliche Regelungen hinaus. Im Ergebnis stellt der Gerichtshof eine allgemeine Äquivalenzprüfungspflicht für Berufsqualifikationen auf, die in zwei Stufen zu erfolgen hat302. Zunächst ist 297

EuGH, Rs. C-340/89 (Vlassopoulou), Slg. 1991, I-2357, Rn. 2 ff. EuGH, Rs. 222/86 (Unectef/Heylens), Slg. 1987, I-4097, Rn. 11. 299 GA Van Gerven, Schlussantr. zu Rs. C-340/89 (Vlassopoulou), Slg. 1991, I-2357, Ziff. 15. 300 GA Van Gerven, Schlussantr. zu Rs. C-340/89 (Vlassopoulou), Slg. 1991, I-2357, Ziff. 15. 301 EuGH, Rs. C-340/89 (Vlassopoulou), Slg. 1991, I-2357, Rn. 15. 302 GA Fenelly, Schlussantr. zu Rs. C-234/97 (Fernández de Bobadilla), Slg. 1999, I-4773, Ziff. 42. 298

V. Anerkennung von Berufsqualifikationen

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zu prüfen, ob das vorgelegte ausländische und das erforderliche innerstaatliche Diplom gleichwertig sind.303 Kommt die zuständige Stelle zu dem Ergebnis, dass sich die Diplome nur teilweise entsprechen, kann sie in einem zweiten Schritt „von dem Betroffenen den Nachweis, daß er die fehlenden Kenntnisse und Fähigkeiten erworben hat, verlangen. Insoweit müssen die zuständigen nationalen Behörden beurteilen, ob die im AufnahmeMitgliedstaat im Rahmen eines Studienganges oder praktischer Erfahrungen erworbenen Kenntnisse ausreichen.“304

Diese, als „Vlassopoulou-Grundsätze“305 bezeichnete zweistufige Pflicht zur Äquivalenzprüfung hat die Behörde in ein Verfahren einzubetten, „das mit den Erfordernissen des Gemeinschaftsrechts in bezug auf den effektiven Schutz der den Gemeinschaftsangehörigen vom Vertrag verliehenen Grundrechte in Einklang steht“306. Die zuständigen Stellen sind somit zur Durchführung eines Homologierungsverfahrens verpflichtet, in dem sie die Gleichwertigkeit der Berufsqualifikationen zu überprüfen haben. Die einschlägige Grundfreiheit verleiht dem Betroffenen ein subjektives Recht auf dessen ordnungsgemäße Durchführung.307 Hierin zeigt sich die Komplementärfunktion des Verwaltungsverfahrens bei der Verwirklichung der Grundfreiheiten. Die Rechte des Gundfreiheitsträgers beschränken sich nicht auf materielle Elemente, wie die Frage, ob sich die Qualifikationen objektiv ganz oder teilweise entsprechen. Die Einhaltung eines adäquaten Verfahrens ist vielmehr notwendige Voraussetzung, um ein Ergebnis zu sichern, welches sowohl den objektiven als auch den subjektiv-rechtlichen Anforderungen entspricht. Die grundfreiheitskonforme Gestaltung der Äquivalenzprüfung ist schließlich auch i. R. d. Verwaltungsverfahrens zu beachten. Die Pflicht zur Durchführung eines grundfreiheitskonformen Homologierungsverfahrens bedarf nicht der Vermittlung durch innerstaatliches Recht. Sieht dieses kein adäquates Homologierungsverfahren vor, ergeben sich die prozeduralen Anforderungen direkt aus der jeweils anwendbaren Grundfreiheit. Insbesondere hat das Verwaltungsverfahren die Begründungs- und Rechtsschutzanforderungen zu erfüllen.308 Insoweit wird der Grundsatz der Verfahrensautonomie durch den Effektivitäts- und den Äquivalenzgrundsatz begrenzt.309 303 EuGH, Rs. C-340/89 (Vlassopoulou), Slg. 1991, I-2357, Rn. 16; bestätigt in EuGH, Rs. C-104/91 (Aguirre Borrell), Slg. 1992, I-3003, Rn. 11; Rs. C-319/92 (Haim), Slg. 1994, I-425, Rn. 28. 304 EuGH, Rs. C-340/89 (Vlassopoulou), Slg. 1991, I-2357, Rn. 19 f.; so auch EuGH, Rs. C-104/91 (Aguirre Borrell), Slg. 1992, I-3003, Rn. 14. 305 Vgl. nur Görlitz, EWS 2002, 20; Obwexer/Happacher Brezinka, ZÖR 56 (2001), 465 (477) oder auch der EuGH selbst in der Rs. C-313/01 (Morgenbesser), Slg. 2003, I-13467, Rn. 57. 306 EuGH, Rs. C-340/89 (Vlassopoulou), Slg. 1991, I-2357, Rn. 22. 307 Görlitz, EuR 2000, 836 (841 f.). 308 EuGH, Rs. C-104/91 (Aguirre Borrell), Slg. 1992, I-3003, Rn. 15. 309 GA Jacobs, Schlussantr. zu Rs. C-104/91 (Aguirre Borrell), Slg. 1992, I-3003, Ziff. 23.

162

Teil 2, A. Grundfreiheiten

c) Pflicht zur Normierung eines Homologierungsverfahrens In einem der wenigen Vertragsverletzungsverfahren aus dem Problemfeld der Berufsqualifikationen wurde der Gerichtshof mit der Frage befasst, ob die Mitgliedstaaten die Pflicht zur Schaffung von Homologierungsverfahren trifft.310 In Spanien war es nach der damaligen – gemeinschaftsrechtswidrigen311 – Rechtslage nur Personen mit spanischer Staatsangehörigkeit gestattet, den Beruf des Fremdenführers auszuüben. Das spanische Recht sah kein Homologierungsverfahren vor.312 Unter Verweis auf die Vlassopoulou-Rechtsprechung stellte der Gerichtshof zunächst fest, dass die Mitgliedstaaten einer Äquivalenzprüfungspflicht unterliegen.313 Spanien habe seine Verpflichtungen aus den Personenverkehrsfreiheiten dadurch verletzt, dass es „kein Verfahren für die Prüfung und für den Vergleich der von einem Gemeinschaftsbürger, der im Besitz eines in einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Diploms eines Fremdenführers (…) ist, erworbenen Qualifikationen mit den in Spanien verlangten Qualifikationen vorsieht.“314

Eine Begründung für dieses Ergebnis bleibt der Gerichtshof leider schuldig. Erstaunlicherweise findet sich in dem Urteil nicht einmal ein Hinweis auf Art. 10 EGV a. F. Bei den vorhergehenden Entscheidungen hatte der EuGH die Norm herangezogen, um eine Pflicht der Mitgliedstaaten zur Durchführung eines Homologierungsverfahrens zu begründen.315 Die Anwendung des Art. 10 EGV a. F. überrascht. Zwar stellt diese Norm die allgemeine primärrechtliche Grundlage für die gemeinschaftsrechtskonforme Auslegung mitgliedstaatlichen Rechts dar.316 Doch lässt sich das Recht eines Trägers der Personenverkehrsfreiheiten auf Durchführung eines Homologierungsverfahrens unmittelbar aus der einschlägigen Grundfreiheit ableiten.317 Dieses Verfahren dient der Sicherung subjektiver Rechte. Im Hinblick auf die objektiv-rechtliche Pflicht, eine gesetzliche Grundlage für Homologierungsverfahren zu schaffen, scheint ein Rückgriff auf Art. 4 Abs. 3 EUV 310

EuGH, Rs. C-375/92 (Kommission/Spanien), Slg. 1994, I-923. EuGH, Rs. C-375/92 (Kommission/Spanien), Slg. 1994, I-923, Rn. 10. 312 EuGH, Rs. C-375/92 (Kommission/Spanien), Slg. 1994, I-923, Rn. 14 ff. 313 EuGH, Rs. C-375/92 (Kommission/Spanien), Slg. 1994, I-923, Rn. 12. 314 EuGH, Rs. C-375/92 (Kommission/Spanien), Slg. 1994, I-923, Rn. 18 (Hervorhebung durch Verf.). 315 So in EuGH, Rs. 71/76 (Thieffry), Slg. 1977, 765, Rn. 15/18; Rs. 222/86 (Unectef/ Heylens), Slg. 1987, I-4097, Rn. 12; Rs. C-340/89 (Vlassopoulou), Slg. 1991, I-2357, Rn. 7; Rs. C-104/91 (Aguirre Borrell), Slg. 1992, I-3003, Rn. 9. In neuerer Zeit hat er sich jedoch starker allein auf die Grundfreiheiten als Grundlage für diese Rspr. berufen, vgl. EuGH, Rs. C-238/98 (Hocsman), Slg. 2000, I-6623, Rn. 24. 316 Kahl, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 10 EGV, Rn. 59. 317 So auch GA Lenz, Schlussantr. zu Rs. C-375/92 (Kommission/Spanien), Slg. 1994, I-923, Ziff. 35 f. m. w. N. 311

V. Anerkennung von Berufsqualifikationen

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(früher: Art. 10 EGV) eher angezeigt.318 Dem Urteil lassen sich insoweit jedoch keine Anhaltspunkte entnehmen. GA Lenz kommt in seinen Schlussanträgen in Übereinstimmung mit der Kommission zu dem Ergebnis, die Mitgliedstaaten seien zur „ausdrücklichen Regelung“319 verpflichtet. Die Verpflichtung zur Anpassung des innerstaatlichen Rechts an die Vlassopoulou-Grundsätze ergebe sich direkt aus der einschlägigen Grundfreiheit.320 Zur Begründung greift er auf die Grundsätze der Rechtssicherheit und des Rechtsschutzes zurück. Eine explizite Normierung prozeduraler Rechte sei notwendig, um „den betroffenen Parteien die klare und genau Kenntnis ihrer Rechte und Pflichten“321 zu ermöglichen und nationale Gerichte in die Lage zu versetzen, deren Einhaltung sicherzustellen. Auf den ersten Blick verdient diese Überlegung Zustimmung. Sie erinnert an die Rechtsprechung zum Genehmigungsverfahren für Lebensmittelzusätze. Ein Wildwuchs prozeduraler Rechte und Pflichten führt zu einer undurchschaubaren Rechtslage. So wird es dem Einzelnen erschwert, sich auf subjektive Rechte zu berufen. Die zuständige Behörde muss sich das durchzuführende Verfahren ebenfalls im Einzelfall erst „erschließen“. Dies dürfte zu erheblichen Reibungsverlusten beim individuellen Rechtsschutz führen. Dennoch ist eine Normierungspflicht bei näherer Betrachtung abzulehnen. Dies verdeutlicht ein Vergleich mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Das BVerfG hat in seiner Entscheidung zur Auswahl von Notarassessoren eine staatliche Pflicht zur gesetzlichen Normierung des Auswahlverfahrens gefordert. Dies begründete es mit dem Gesetzesvorbehalt des Art. 12 Abs. 1 S. 2 GG.322 Wie bei der Auswahl von Notarassessoren handelt es sich auch hier um ein Verfahren, welches den staatlichen Eingriff modifiziert. Ein Gesetzesvorbehalt besteht für die Grundfreiheiten, im Unterschied zu Art. 12 GG, jedoch nicht.323 Die Unterschiede in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten machen solche vereinheitlichenden Anforderungen unmöglich. Ein Gesetzesvorbehalt ist der hier untersuchten Rechtsprechung des EuGH nicht zu entnehmen. Weiter ist zu berücksichtigen, dass eine Normierungspflicht keine Senkung des Rechtsschutzniveaus zur Folge haben darf. Die Pflicht zur gesetzlichen Regelung eines rechtsschützenden Verfahrens darf dessen Durchführung nicht von der Exis318 Insoweit a. A. GA Lenz, Schlussantr. zu Rs. C-375/92 (Kommission/Spanien), Slg. 1994, I-923, Ziff. 35. 319 GA Lenz, Schlussantr. zu Rs. C-375/92 (Kommission/Spanien), Slg. 1994, I-923, Ziff. 26. 320 GA Lenz, Schlussantr. zu Rs. C-375/92 (Kommission/Spanien), Slg. 1994, I-923, Ziff. 35. 321 GA Lenz, Schlussantr. zu Rs. C-375/92 (Kommission/Spanien), Slg. 1994, I-923, Ziff. 27. 322 s.o.Teil 1 B. II. 3. b) dd). 323 Kingreen, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 28–30 EGV, Rn. 86 m. w. N. Allerdings weisen Ehlers/Lackhoff, JZ 1997, 465 (467) darauf hin, dass eine gesetzliche Regelung in Deutschland aufgrund des innerstaatlich geltenden Vorbehalts des Gesetzes notwendig werden kann.

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Teil 2, A. Grundfreiheiten

tenz einer normativen Grundlage abhängig machen. Sonst würde die Durchsetzung subjektiv-öffentlicher Recht vom Tätigwerden des Gesetzgebers abhängig gemacht. Das BVerfG sah dementsprechend eine Verpflichtung der Behörden, bereits vor Erlass der fehlenden gesetzlichen Grundlage die verfahrensrechtliche Funktion der Grundrechte zu beachten.324 Gleiches müsste jedenfalls auch für grundfreiheitliche Normierungspflichten gelten Handlungspflichten rechtsetzender Organe aus Art. 4 Abs. 3 EUV sind i. R. d. Ergänzung von Verordnungsrecht und im Umfeld der Umsetzung von Richtlinien anerkannt.325 Weiter kann ein Mitgliedstaat auch verpflichtet sein, gemeinschaftswidriges Recht aufzuheben.326 Maßgeblich ist der Grundsatz der Effektivität. Die Mitgliedstaaten werden aus Art. 4 Abs. 3 EUV verpflichtet, soweit es notwendig ist, um den effet util des Gemeinschaftsrechts sicherzustellen.327 Es kommt vorliegend also darauf an, ob die effektive Durchsetzung des prozeduralen Gehaltes der Grundfreiheiten einer gesetzlichen Regelung bedarf. Wie die zahlreichen Entscheidungen zum Homologierungsverfahren zeigen, herrschte im nichtharmonisierten Bereich der Berufsqualifikationen eine nicht unerhebliche Rechtsunsicherheit. Andererseits würde eine primärrechtliche Normierungspflicht die vom Gemeinschaftsgesetzgeber gewollte Teilharmonisierung in Frage stellen. Über eine Pflicht der Mitgliedstaaten zur Anpassung ihres innerstaatlichen Rechts würde eine Harmonisierung „durch die Hintertür“ erreicht. Eine Normierungspflicht ist daher auch im Hinblick auf die Gewaltenteilung auf Gemeinschaftsebene äußerst problematisch. Die Mitgliedstaaten hätten auf einer zweiten Ebene nicht nur einen Konflikt zwischen ihrem nationalen Recht und den Grundfreiheiten mittels Aufhebung oder Änderung von Gesetzen zu vermeiden. Sie müssten darüber hinaus auch in umfangreichem, schwer einzugrenzendem Maße ihre praktische Wirksamkeit auf legislativem Wege sicherstellen. Dies würde einen erheblichen Eingriff in die Kompetenzen der Mitgliedstaaten bedeuten. Daher ist es aus Gründen der Subsidiarität den Mitgliedstaaten zu überlassen, wie sie die praktische Wirksamkeit der Grundfreiheiten sichern wollen. Eine grundfreiheitskonforme Verwaltungspraxis, die einem effektiven gerichtlichen Rechtsschutz unterliegt, erfüllt die objektive Pflicht der Mitgliedstaaten aus den Grundfreiheiten in hinreichendem Maße. Die Existenz ausgedehnter Harmonisierungskompetenzen gem. Art. 46, 53 und 62 AEUV spricht ebenso gegen eine Pflicht zum legislativen Handeln auf diesem Gebiet. Endlich lässt sich die genaue Reichweite grundfreiheitlicher Normierungspflichten kaum bestimmen. Es ist nicht abstrakt vorherzusagen, auf welchen Gebieten 324

BVerfGE 73, 280 (299). Bogdandy/Bast, in: Grabitz/Hilf, EU, Art. 10 EGV, Rn. 38 ff. m. w. N.; Kahl, in: Calliess/ Ruffert, EUV/EGV, Art. 10 EGV, Rn. 24 ff. 326 Bogdandy/Bast, in: Grabitz/Hilf, EU, Art. 10 EGV, Rn. 41 m. w. N. 327 Kahl, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 10 EGV, Rn. 24. 325

V. Anerkennung von Berufsqualifikationen

165

die Grundfreiheiten eine prozedurale Brisanz entfalten, die eine gesetzliche Regelung notwendig erscheinen ließe. Es fehlt nämlich das subjektiv-rechtliche Korrelat in Gestalt der Beschränkung individueller Rechte. Eine mitgliedstaatliche Pflicht zur Normierung eines Homologierungsverfahrens ist daher abzulehnen. Zwar ist dies mit Einbußen für den Rechtsschutz und die Rechtssicherheit des Einzelnen verbunden. Es ist jedoch in erster Linie Aufgabe der Verwaltung und der Judikative, den individuellen Rechten im Einzelfall zur Geltung zu verhelfen. Schließlich würde eine derartige Verpflichtung die Kompetenzverteilung zwischen der Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten stören. Im Sinne des Subsidiaritätsgrundsatzes ist das Urteil des EuGH anders zu interpretieren: Mitgliedstaatliches Recht hat ein Homologierungsverfahren in dem Sinne vorzusehen,328 dass es seiner Durchführung nicht entgegensteht. Die zuständigen Behörden müssen die Möglichkeit zur Anerkennung gleichwertiger Qualifikationen i. R. e. grundfreiheitskonformen Verfahrens haben. Die Wahl der (legislativischen oder exekutivischen) Mittel bleibt damit den Mitgliedstaaten überlassen. Innerstaatliche Regelungsverpflichtungen, wie sie sich aus dem Vorrang oder Vorbehalt des Gesetzes ergeben können, werden hiervon nicht berührt. Diese Lesart stimmt auch mit späteren Äußerungen des Gerichtshofs überein. In der Rs. Bobadilla urteilte er, die Behörde habe die Äquivalenz von Diplomen selbst zu prüfen, wenn „vom Aufnahmestaat kein allgemeines Homologierungsverfahren auf nationaler Ebene geschaffen worden“329 sei oder dieses nicht den Vlassopoulou-Grundsätzen entspreche.

d) Ergebnis Die Mitgliedstaaten dürfen die Berufszulassung oder -ausübung von bestimmten Qualifikationen abhängig machen. Dadurch können sie allerdings die Niederlassungsfreiheit oder die Arbeitnehmerfreizügigkeit beeinträchtigen. Die Verhältnismäßigkeit des Eingriffs lässt sich nur mittels eines Homologierungsverfahrens sichern. Hierin zeigt sich, dass die verfahrensrechtliche Dimension in dieser Konstellation in der abwehrrechtlichen Funktion wurzelt. Qualifikationen, die in anderen Mitgliedstaaten erworben wurden, sind i. R. dieses Verfahrens auf ihre Gleichwertigkeit zu überprüfen. Die zuständigen Behörden sind verpflichtet, die prozeduralen Anforderungen der Grundfreiheiten einzuhalten. Sie müssen ein Homologierungsverfahren daher auch durchführen, wenn dieses nicht im innerstaatlichen Recht vorgesehen ist.

328 329

EuGH, Rs. C-375/92 (Kommission/Spanien), Slg. 1994, I-923, Rn. 18. EuGH, Rs. C-234/97 (Fernández de Bobadilla), Slg. 1999, I-4773, Rn. 34.

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Teil 2, A. Grundfreiheiten

Eine primärrechtliche Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur ausdrücklichen Regelung von Homologierungsverfahren besteht indes nicht. Allerdings haben die Mitgliedstaaten ihr Recht insoweit anzupassen, als es der Anerkennung der Gleichwertigkeit und damit der Durchführung des Verfahrens entgegensteht.

5. Homologierungsverfahren für Berufsqualifikationen Der Gerichtshof hat die grundfreiheitlichen Anforderungen an das Homologierungsverfahren anhand der o.a. Rspr. zur Anerkennung ausländischer Diplome entwickelt. Diese prozedurale Ausprägung der Grundfreiheiten hat darüber hinaus auch für andere Konstellationen Bedeutung. Soweit ersichtlich, hat der EuGH das Homologierungsverfahren in den folgenden verwandten Konstellationen zur Anwendung gebracht: – Führung von ausländischen akademischen Titeln,330 – Einstufung von arbeitsuchenden Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten,331 – Qualifikationserfordernisse i. R. v. Tarifverträgen,332 – im Ausland erworbene Berufserfahrung als Äquivalent innerstaatlicher Zulassungsvoraussetzungen,333 – begrenzte Anerkennung von Berufsqualifikationen.334 Das Homologierungsverfahren als prozedurales Fundament der VlassopoulouGrundsätze hat daher eine umfassende Bedeutung für die Verwirklichung der Personenverkehrsfreiheiten im Europäischen Binnenmarkt. Das Verfahren kompensiert die im Einzelfall fehlende Harmonisierung. Aus einer Gesamtschau der Rechtsprechung des EuGH zum Homologierungsverfahren ergeben sich die folgenden Verfahrenserfordernisse.

a) Zugänglichkeit des Verfahrens Das Homologierungsverfahren verfolgt den Zweck, die Verhältnismäßigkeit des Grundfreiheitseingriffs, der mit dem Qualifikationserfordernis verbunden ist, zu sichern.335 Das Verwaltungsverfahren soll den subjektiv-öffentlichen Rechten des 330

EuGH, Rs. C-19/92 (Kraus), Slg. 1993, I-1663. EuGH, Rs. C-164/94 (Aranitis), Slg. 1996, I-135. 332 EuGH, Rs. C-234/97 (Fernández de Bobadilla), Slg. 1999, I-4773. 333 EuGH, Rs. C-238/98 (Hocsman), Slg. 2000, I-6623. 334 EuGH, Rs. C-330/03 (Colegio de Ingenieros de Caminos, Canales y Puertos), Slg. 2006, I-801. 335 EuGH, Rs. C-19/92 (Kraus), Slg. 1993, I-1663, Rn. 37. 331

V. Anerkennung von Berufsqualifikationen

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Betroffenen Geltung verschaffen. Dieses Ziel muss die durchführende Behörde bei der Verfahrensgestaltung im Auge behalten. Das Verfahren darf nicht selbst zu einem Hindernis bei der Ausübung der Grundfreiheiten werden. Dies wurde bereits beim Genehmigungsverfahren für Lebensmittelzusätze deutlich.336 Das Homologierungsverfahren muss daher „für alle Betroffenen leicht zugänglich sein und darf insbesondere nicht von der Zahlung überhöhter Verwaltungsgebühren abhängen“337.

b) Transparenzgebot und Ermessensbegrenzung Nach der st.Rspr. des Gerichtshofs muss ein verhältnismäßiges System der vorherigen Genehmigung auf „objektiven und nicht diskriminierenden Kriterien beruhen, damit dem Ermessen der Behörde Grenzen gesetzt werden, die seine missbräuchliche Ausübung verhindern“338. Diese Aussage beinhaltet zwei Anforderungen an das Verwaltungsverfahren. Zum einen müssen die Entscheidungskriterien dem Antragsteller vorher bekannt sein; zum anderen wird dem Ermessensspielraum der mitgliedstaatlichen Behörden durch die Grundfreiheiten Grenzen gesetzt. Überlässt das innerstaatliche Recht den Behörden einen Beurteilungs- oder Entscheidungsspielraum, so ist dieser mithin grundfreiheitskonform zu reduzieren. Die Ermessensausübung der Verwaltung darf den Grundfreiheiten nicht ihre praktische Wirksamkeit nehmen.339 Ein Homologierungsverfahren würde zu einem unverhältnismäßigen Hindernis für die Ausübung der Grundfreiheiten, wenn die zuständigen Behörden unter intransparenten Bedingungen entschieden. Ohne vorherige Kenntnis der entscheidungserheblichen Kriterien sind die Erfolgsaussichten für den Antragsteller kaum abzuschätzen. Allein dies würde eine erhebliche Schwelle für die Antragstellung bedeuten und die Berufsausübung für Unionsbürger aus anderen Mitgliedstaaten erheblich erschweren. Die zentralen Entscheidungskriterien müssen daher ex ante und abstrakt feststehen sowie für die Betroffenen zugänglich sein. Die mit den Grundfreiheiten verbundene Ermessensreduktion findet in den festgelegten Kriterien ihre prozedurale Absicherung. Betroffene erhalten hierdurch die Möglichkeit, selbst nachzuvollziehen, ob die Entscheidung auf objektiven und nicht diskriminierenden Kriterien beruht. Der Einzelne kann damit nicht nur auf die effektive Ausübung seiner subjektiven Rechte hinwirken, sondern wird mittels der Grundfreiheiten zum Wächter des Binnenmarktes.

336

Teil 2 A. III. 4. a). EuGH, Rs. C-19/92 (Kraus), Slg. 1993, I-1663, Rn. 39. 338 EuGH, Rs. C-205/99 (Analir u. a.), Slg. 2001, I-1271, Rn. 38;Rs. C-157/99 (Smits (épouse Geraets) und Peerbooms), Slg. 2001, I-5473, Rn. 90; Rs. C-389/05 (Kommission/Frankreich), n. i. Slg., R n. 94. 339 EuGH, Rs. C-205/99 (Analir u. a.), Slg. 2001, I-1271, Rn. 37. 337

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Teil 2, A. Grundfreiheiten

c) Unparteiische Entscheidungsinstanz Weiter kann ein System vorheriger behördlicher Genehmigung nur mit den Grundfreiheiten vereinbar sein, wenn die Unparteilichkeit des Verfahrens gesichert ist. In einem Vertragsverletzungsverfahren prüfte der Gerichtshof eine französische Regelung, die für eine Tätigkeit als Besamungstechniker einen Vertrag mit einer privaten, aber staatlich zugelassenen Besamungsstation voraussetzte.340 Der EuGH beanstandete nicht nur das grundfreiheitswidrig unbeschränkte Ermessen des Präsidenten der Besamungsstation. Die innerstaatliche Regelung delegiere das Homologierungsverfahren drüber hinaus an einen potenziellen Wettbewerber des Antragstellers. Die Einhaltung objektiver und nicht diskriminierender Kriterien sei daher nicht gewährleistet.341 Die Grundfreiheiten wirken damit auch auf die verwaltungsorganisatorische Basis des Verfahrens ein. Die Einhaltung materieller und prozeduraler Vorgaben muss somit auch in personaler Hinsicht gesichert sein.

d) Anhörung Auf die prozedurale Bedeutung der Anhörung wurde bereits mehrfach hingewiesen. Sie ist nicht nur aus rechtsstaatlichen Gesichtspunkten unverzichtbar. Auch für eine korrekte und umfassende Sachverhaltsermittlung ist sie von wesentlicher Bedeutung. Die Behörde ist verpflichtet, im Verfahren eine Würdigung des Sachverhalts vorzunehmen, die sie in die Lage versetzt, zu beurteilen, ob die beruflichen Qualifikationen aus einem anderen Mitgliedstaat als Nachweis für die berufliche Befähigung gelten können.342 Nach der Rspr. des Gerichtshofes sind dabei nicht nur Diplome und andere berufsqualifizierende Abschlüsse einzubeziehen, sondern auch die erworbene Berufserfahrung.343 Eine adäquate Ermittlung der vorhandenen Berufserfahrung ist ohne Mitwirkung des Betroffenen ausgeschlossen. Der Sachverhalt könnte nicht vollständig erfasst werden. Gleichzeitig wird die Anhörungsproblematik dadurch entschärft, dass das Verfahren stets von einem Antrag des Betroffenen ausgeht. Da der Betroffene die entscheidungserheblichen Kriterien bereits kennt oder kennen kann, sofern das Verfahren die Transparenzanforderungen erfüllt, kann er die relevanten Informationen in seinen Antrag aufnehmen. 340

EuGH, Rs. C-389/05 (Kommission/Frankreich), n. i. Slg. EuGH, Rs. C-389/05 (Kommission/Frankreich), n. i. Slg., Rn. 94. 342 s. schon EuGH, Rs. 71/76 (Thieffry), Slg. 1977, 765, Rn. 24/26. 343 Hierbei ist sowohl die Berufserfahrung aus anderen Mitgliedstaaten wie auch aus dem Mitgliedstaat in Rechnung zu stellen, in dem der Antrag gestellt wurde, EuGH, Rs. C-319/92 (Haim), Slg. 1994, I-425, Rn. 28. 341

V. Anerkennung von Berufsqualifikationen

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e) Entscheidungsfrist Der Rspr. des EuGH zum Homologierungsverfahren lassen sich, soweit ersichtlich, keine unmittelbaren Anforderungen an die zeitliche Dimension des Verfahrens entnehmen. Ließe sich das Verfahren allerdings beliebig in die Länge ziehen, könnte es seine Funktionen nicht mehr erfüllen. Solange das Verfahren andauert, kann der Betroffene mangels Zulassung seinen Beruf nicht ausüben. Die Betroffenen müssen daher innerhalb einer vernünftigen Frist eine endgültige Entscheidung über die Gleichwertigkeit ihrer Befähigungsnachweise erhalten. Ein mehrmonatiger Entscheidungsvorlauf würde ein beträchtliches Hindernis für die einschlägige Grundfreiheit darstellen.344 Die Mitgliedstaaten haben daher einen zügigen Verfahrensverlauf sicherzustellen.345

f) Begründung Die Begründungspflicht ermöglicht es den Betroffenen, „in Kenntnis aller Umstände zu entscheiden, ob es für sie von Nutzen ist, vor Gericht zu gehen“346. Die Bedeutung des Begründungserfordernisses für das Homologierungsverfahren hat der EuGH immer wieder betont.347 Denn ohne Begründung einer ablehnenden Entscheidung können Betroffene gerade nicht überprüfen, ob die objektiven und nicht diskriminierenden Kriterien348 eingehalten wurden. Adressat dieser Begründungspflicht ist die zuständige Stelle, welche die endgültige Entscheidung trifft, mit der die Anerkennung der Gleichwertigkeit abgelehnt wird. Vorangehende Handlungen in der Vorbereitungs- und Sachermittlungsphase bedürfen hingegen keiner Begründung.349

344 So auch GA Jacobs, Schlussantr. zu Rs. C-104/91 (Aguirre Borrell), Slg. 1992, I-3003, Ziff. 23; GA Fenelly, Schlussantr. zu Rs. C-234/97 (Fernández de Bobadilla), Slg. 1999, I-4773, Ziff. 43. 345 Vgl. zur angemessenen Frist bereits o. Teil 2 A. IV. 1. f) bb). 346 EuGH, Rs. 222/86 (Unectef/Heylens), Slg. 1987, I-4097, Rn. 15. 347 EuGH, Rs. 222/86 (Unectef/Heylens), Slg. 1987, I-4097, Rn. 15; Rs. C-340/89 (Vlassopoulou), Slg. 1991, I-2357, Rn. 22; Rs. C-104/91 (Aguirre Borrell), Slg. 1992, I-3003, Rn. 15; Rs. C-19/92 (Kraus), Slg. 1993, I-1663, Rn. 40; Rs. C-389/05 (Kommission/Frankreich), n. i. Slg., R n. 93. 348 s. o. Teil 2 A. V. 5. b). 349 EuGH, Rs. 222/86 (Unectef/Heylens), Slg. 1987, I-4097, Rn. 16. Vgl. zu der parallelen Problematik für Entscheidungen des IQWiG bzw. des GBA o. Teil 2 A. IV. 2. b).

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Teil 2, A. Grundfreiheiten

g) Rechtsschutz Die Forderung nach effektivem Rechtsschutz ist eine Konstante in der Rechtsprechung des Gerichtshofs.350 Diesen prozeduralen Gesichtspunkt betont er auch für das Homologierungsverfahren.351 Jede Äquivalenzprüfung muss vor Gericht angefochten werden und auf ihre Rechtmäßigkeit hin überprüft werden können.352 Nur so lässt sich die praktische Wirksamkeit der Grundfreiheiten sicherstellen.353 Im gerichtlichen Verfahren werden auch die primärrechtlichen Anforderungen an das Homologierungsverfahren überprüft. Es verleiht der prozeduralen Kontrolle des Verwaltungshandelns erst Durchschlagskraft. Der Einzelne wird durch Anhörungs- und Begründungsrechte in die Lage versetzt, die Äquivalenzprüfung daraufhin nachzuvollziehen, ob sie anhand objektiver und nicht diskriminierender Kriterien erfolgte. Wird er dieser Möglichkeit beraubt, weil die Behörden kein grundfreiheitskonformes Verwaltungsverfahren einhalten, bleibt ihm nur der gerichtliche Rechtsschutz. Weit gehend ungeklärt ist noch, inwiefern Rechtsschutz gegen Verfahrensfehler geboten ist. Die vorstehenden Ausführungen haben auch gezeigt, dass es mit der praktischen Wirksamkeit der Grundfreiheiten nicht vereinbar ist, Verfahrensfehler im Rechtsschutz auszuklammern. Auch eine Nachholung von Anhörung oder Begründung stellen deren Funktion nicht in jedem Falle wieder her. Die zuständigen Stellen haben daher wohl auf eine grundfreiheitskonforme Anwendung der §§ 45 f. VwVfG, §§ 44a, 113 VwGO zu achten. Wie diese im Einzelnen auszusehen hat, kann i. R. dieser Untersuchung nicht geklärt werden.

6. Fazit Die gegenseitige Anerkennung von Berufsqualifikationen ist eine wesentliche Mobilitätsvoraussetzung des gemeinsamen Binnenmarktes. Sie liegt daher nicht nur im Augenmerk des Gemeinschaftsgesetzgebers, der sich in jüngster Zeit um eine umfängliche Harmonisierung bemüht hat. Sie besitzt daneben eine hohe primärrechtliche Relevanz. Jede Berufsregulierung bedeutet eine Beschränkung der Personenverkehrs- oder Dienstleistungsfreiheit. In seiner Rechtsprechung zur Anerkennung von Berufsqualifikationen hat der EuGH ein umfassendes System prozeduraler Anforderungen entwickelt und mit 350 In Bezug auf die Grundfreiheiten s. Ehlers, in: Ehlers, GuG, § 7, Rn. 99 ff.; Kingreen, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 28–30 EGV, Rn. 13; allg. Tonne, Effektiver Rechtsschutz, 1997. 351 Beginnend mit EuGH, Rs. 222/86 (Unectef/Heylens), Slg. 1987, I-4097, Rn. 14. 352 EuGH, Rs. C-340/89 (Vlassopoulou), Slg. 1991, I-2357, Rn. 22; Rs. C-104/91 (Aguirre Borrell), Slg. 1992, I-3003, Rn. 15; Rs. C-19/92 (Kraus), Slg. 1993, I-1663, Rn. 40. 353 Epiney, NVwZ 2008, 736 (739 f.).

V. Anerkennung von Berufsqualifikationen

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expansiver Tendenz angewendet. Wie schon bei den anderen untersuchten Fallgruppen lässt sich die Verhältnismäßigkeit des Grundfreiheitseingriffs durch innerstaatliche Berufsreglementierungen nur herstellen, wenn diese Verfahrensanforderungen erfüllt sind. Dem primärrechtlichen Homologierungsverfahren kommt trotz der zunehmenden Harmonisierung weiterhin ein nicht zu unterschätzender Anwendungsbereich zu. Sowohl nicht regulierte Berufe als auch partielle Anerkennungen unterfallen keiner der Richtlinien und sind an den Grundfreiheiten zu messen. Neben materiell-rechtlichen Erfordernissen lassen sich der Rechtsprechung des EuGH umfangreiche prozedurale Anforderungen entnehmen. Zu Anfang berief sich der Gerichtshof nur subsidiär auf die grundfreiheitlichen Anforderungen. Schon bald erkannte er subjektive Verfahrensrechte unabhängig von innerstaatlichen Regelungen an. Schließlich entnahm der EuGH den Grundfreiheiten eine – wohl objektiv-rechtliche – Normierungspflicht. Die Mitgliedstaaten hätten die normative Grundlage für ein grundfreiheitskonformes Verwaltungsverfahren zu schaffen. Diese Forderung ist jedoch aus systematischen und dogmatischen Gründen abzulehnen. Sie wirft zum einen Probleme hinsichtlich der Gewaltenteilung auf Gemeinschaftsebene auf. Weiter beschränkt sie in unzulässiger Weise die Kompetenzen der Mitgliedstaaten. Der primärrechtliche Einfluss auf die Regelungskompetenzen der Mitgliedstaaten kann nicht weiter gehen, als für die praktische Wirksamkeit der Grundfreiheiten erforderlich ist. Aus Subsidiaritätsgründen bleibt die Wahl der Mittel dabei den Mitgliedstaaten überlassen. Schließlich ließen sich auch die Auslöser und Reichweite einer solch objektiv-rechtlichen Regelungspflicht354 kaum bestimmen, da ihr das subjektiv-rechtliche Korrelat fehlt. Im Zentrum der Verfahrensanforderungen steht die leichte Zugänglichkeit. Das Homologierungsverfahren kann seiner Funktion, den Eingriff in die Grundfreiheiten auf ein angemessenes Maß zu beschränken, nicht gerecht werden, wenn es selbst unverhältnismäßige Hürden aufstellt. Weiter hat die Entscheidungsfindung den Grundsätzen der Transparenz und Unparteilichkeit zu folgen. Die Entscheidung ist schließlich innerhalb angemessener Frist zu erlassen und zu begründen. Sie muss vor Gericht anfechtbar sein.

354 Kritisch zu objektiv-rechtlichen Konsequenzen aus den Grundfreiheiten Kingreen, Struktur der Grundfreiheiten, S. 200.

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Teil 2, A. Grundfreiheiten

VI. Vergabe öffentlicher Aufträge VI. Vergabe öffentlicher Aufträge

1. Einführung Das Vergaberecht regelt die Beschaffung von Gütern und Leistungen durch die öffentliche Hand. Private Marktteilnehmer sind i. R. ihrer Privatautonomie bei der Wahl des Vertragspartners frei. Der Staat hingegen ist an gewisse Regeln gebunden, darf jedenfalls nicht willkürlich zwischen Anbietern auswählen.355 Das Vergaberecht, oder Recht der öffentlichen Auftragsvergabe, ist kein genuin gemeinschaftsrechtliches Gebiet. Es entstand vielmehr schon wesentlich früher356 aus dem Bestreben des Staates, eine effektive und möglichst kostengünstige Beschaffung von Leistungen zu gewährleisten.357 Daraus erklärt sich die traditionelle Verknüpfung des deutschen Vergaberechts mit dem Haushaltsrecht.358 Mit dem Erstarken des Gemeinschaftsrechts trat eine andere Intention in den Vordergrund: Eine berechenbare Auftragsvergabe sollte für Marktteilnehmer aus anderen Mitgliedstaaten nationale Märkte öffnen.359 Im Zentrum aktueller Debatten steht das problematische Verhältnis von effektiver Beschaffung und Marktöffnung.360 Das Vergabewesen bietet einen nahezu idealen Nährboden für die Entwicklung prozeduraler Strukturen. Die gerade angeführten Ziele dieses Rechtsgebiets, auf die später noch ausführlicher einzugehen sein wird,361 sind materiell-rechtlicher Natur. Sie ermöglichen eine kritische Betrachtung des angewandten Verfahrens und dessen Überprüfung hinsichtlich seiner Effektivität und Effizienz. Ausgehend von wenigen materiell-rechtlichen Vorgaben geht es im Kern immer um die Einhaltung eines bestimmten Verfahrens. Ein spezielles vergaberechtliches Regime ist nötig, da der Staat als Nachfrager nur begrenzt mit Privaten verglichen werden kann.362 Damit erfüllt das Vergaberecht für den Binnenmarkt eine elementare Funktion. Dies wird besonders deutlich bedenkt man den jährlichen Umfang staatlicher Aufträge in der EU. Die Kommission schätzt das jährliche Volumen der öffentlichen Aufträge der „EU der 15“ auf über 1.500 Mrd. Euro oder 16 % des Bruttoinlandsprodukts der 355

So deutlich jüngst BVerfGE 116, 135 (153 ff.) unter Bezug auf Art. 3 Abs. 1 GG. Vgl. z . B. Huber, Submissionswesen, 1885. 357 Zu den Bestrebungen Anfang des 20. Jahrhunderts eine einheitliche Rechtslage zu schaffen s. Regler, VergabeR, S. 30 ff. 358 Schon die Reichshaushaltsordnung vom 31.12.1922 (RGBl. 1923 II, S. 17 ff.) enthielt mit § 46 eine Ausschreibungsverpflichtung. 359 Marx, Vergaberecht, in: Brinker/Scheuing/Stockmann (Hrsg.), Recht und Wettbewerb, S. 305 (321). 360 Engagiert Marx, Vergaberecht, in: Brinker/Scheuing/Stockmann (Hrsg.), Recht und Wettbewerb, S. 305 (308 ff.): Vergaberecht als „Waffe gegen den Staat“. 361 s. u. Teil 2 A. VI. 3. 362 Dies ist in verfassungsrechtlicher Hinsicht strittig, s. nur BVerfGE 116, 135 (152 f.). Allgemein Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 36, Rn. 1 ff. 356

VI. Vergabe öffentlicher Aufträge

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Union.363 Das Vergaberegime bringe den Mitgliedstaaten Preisvorteile von ca. 30 %.364 Die Impulse für das Vergaberecht gehen heute ganz überwiegend von der Europäischen Gemeinschaft aus.

2. Gemeinschaftsrechtlicher Rahmen a) Primärrecht Das Vergaberecht hat im europäischen Primärrecht selbst kaum Niederschlag gefunden. Die ergangenen Akte sekundären Gemeinschaftsrechts stützen sich insbesondere auf die Kompetenz zur Rechtsangleichung gem. Art. 95 EGV a. F.365 Der AEUV gibt die Reichweite vergaberechtlicher Regelungen nur insofern vor, als diese der Schaffung eines Gemeinsamen Marktes dienen müssen, Art. 114 Abs. 1 S. 2 AEUV.366 Regelungen zum Beschaffungswesen finden sich ansonsten nur für zwei Sonderfälle: Art. 179 Abs. 2 HS. 2 AEUV stellt sicher, dass gemeinschaftsfinanzierte Investitionen in Forschung und Entwicklung auch dem Wettbewerb auf Gemeinschaftsebene unterliegen. Die mit der Gemeinschaft assoziierten überseeischen Länder und Hoheitsgebiete haben gem. Art. 199 Nr. 4 AEUV Investitionen der Gemeinschaft unter Zuhilfenahme eines offenen Ausschreibungsverfahrens zu verwenden. Beiden Normen ist gemeinsam, dass nicht mitgliedstaatlicher Protektionismus verhindert werden soll. Das Ziel ist vielmehr, Zahlungen der Gemeinschaft nicht nur dem Förderungsempfänger, sondern auch der Entwicklung des Gemeinsamen Marktes zugutekommen zu lassen.367 Potentieller „Störer“ ist also nicht ein Mitgliedstaat, sondern die Gemeinschaft selbst. Das Vergaberecht findet seine primärrechtliche Prägung im Ziel des Binnenmarktes. Mittel der Wahl zur Verwirklichung des Binnenmarktes sind die Grund363

Kommission, Pressemitteilung vom 3.2.2004, IP/04/149. Kommission, Pressemitteilung vom 7.3.2006, IP/06/272; die Nennung solcher Zahlen zu Beginn vergaberechtlicher Ausführungen scheint „Pflicht“: s. nur Frenz, Handbuch Europarecht III, Rn. 1696; Prieß, Hdb. VergabeR, S. 1; Schäfer, Öffentliche Belange, S. 31; skeptisch zu den Angaben der Kommission Marx, Vergaberecht, in: Brinker/Scheuing/Stockmann (Hrsg.), Recht und Wettbewerb, S. 305 (306). 365 Vgl. die Richtlinie 2004/17/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 zur Koordinierung der Zuschlagserteilung durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie der Postdienste, ABl. EU L 134 vom 30.4.2004, S. 1 sowie die Richtlinie 2004/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge, ABl. EU L 134 vom 30.4.2004, S. 114. 366 Näher Kahl, in: Calliess/Ruffert, EUV/EUG, Art. 95, Rn. 9 ff.; s. auch Herr, EuZW 2005, 171 ff. 367 Cremer, Forschungssubventionen, S. 195; kritisch Trute, in: Streinz, EUV/EGV, Art. 163 EGV, Rn. 26. 364

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Teil 2, A. Grundfreiheiten

freiheiten. Sie sollen eine gleiche Teilhabe der Angehörigen aller Mitgliedstaaten am Gemeinsamen Markt ermöglichen.368 Wie gezeigt,369 machen öffentliche Aufträge einen beträchtlichen Teil dieses Marktes aus. Außerhalb des Anwendungsbereichs der Vergaberichtlinien beruft sich der EuGH auf die „Grundregeln des Vertrages im Allgemeinen“370 sowie auf das „Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit im Besonderen“371. In seinem „wegweisenden“372 Telaustria-Urteil lässt es der Gerichtshof mit dieser Forderung genügen.373 Damit beruft er sich scheinbar auf das allgemeine Diskriminierungsverbot aus Art. 25 AEUV.374 Daneben benennt er auch den allgemeinen Gleichheitssatz (als allgemeinen gemeinschaftsrechtlichen Rechtsgrundsatz) als Grundlage seiner Schlussfolgerungen. Die nachfolgenden Entscheidungen zeigen jedoch, dass der EuGH die spezielleren Grundfreiheiten anwendet.375 Sowohl der Gleichbehandlungsgrundsatz als auch das Diskriminierungsverbot dienen als Ausgangspunkt für die Anwendung der Grundfreiheiten.376 In neuester Zeit legt der EuGH gesteigerten Wert auf die Abgrenzung der genannten Grundsätze. So rügte er in einem Vertragsverletzungsverfahren – welches jedoch schon an der Zulässigkeit scheiterte – die Klageschrift der Kommission. Diese beziehe „sich gleichzeitig auf Art. 28 EGV, grundlegende Bestimmungen 368

Kingreen, Struktur der Grundfreiheiten, S. 15. s. o. Teil 2 A. VI. 1. 370 EuGH, Rs. C-324/98 (Telaustria und Telefonadress), Slg. 2000, I-10745, Rn. 60; Rs. C-59/00 (Vestergaard), Slg. 2001, I-9505, Rn. 20; Rs. C-410/04 (ANAV), Slg. 2006, I-3303, Rn. 18. Vgl. auch GA Stix-Hackl, Schlussantr. zu Rs. C-231/03 (Coname), Slg. 2005, I-7287, Rn. 30. 371 EuGH, Rs. C-324/98 (Telaustria und Telefonadress), Slg. 2000, I-10745, Rn. 60; Rs. C-458/03 (Parking Brixen), Slg. 2005, I-8612, Rn. 49; Rs. C-410/04 (ANAV), Slg. 2006, I-3303, Rn. 18. 372 Frenz, EWS 2006, 347. 373 EuGH, Rs. C-324/98 (Telaustria und Telefonadress), Slg. 2000, I-10745, Rn. 60 f. 374 So explizit EuGH, Rs. 31/87 (Beentjes), Slg. 1988, 4635, Rn. 30. 375 EuGH, Rs. C-458/03 (Parking Brixen), Slg. 2005, I-8612, Rn. 48 sowie zuletzt EuGH, Rs. C-220/06 (Asociación Profesional de Empresas de Reparto y Manipulado de Correspondencia), Slg. 2007, I-12175, Rn. 73 ff. So auch Burgi, NZBau 2005, 610 (612); Hailbronner, in: Grabitz/Hilf, EU, B 2, Rn. 33; Wollenschläger, NVwZ 2007, 388 (390); für eine „Gesamtschau“ aus den Grundfreiheiten, Art. 12 EGV a. F. (jetzt: Art. 25 AEUV) und dem allgemeinen Gleichheitssatz Frenz, Handbuch Europarecht III, Rn. 1835. Zur Abgrenzung der Dienstleistungsfreiheit von Art. 25 AEUV vgl. Pache, in: Ehlers, GuG, § 11, Rn. 47. Allg. zur Subsidiarität des allgemeinen Diskriminierungsverbots Kingreen, in: Calliess/Ruffert, EUV/ EGV, Art. 28–30 EGV, Rn. 20. 376 Frenz, Handbuch Europarecht III: „‚Mutter‘-Grundsätze“; hiervon geht offensichtlich auch die Kommission aus, vgl. GA Sharpston, Schlussantr. zu Rs. C-195/04 (Kommission/ Finnland), Slg. 2007, I-3351, Ziff. 37, 43. Nunmehr hat der Gerichtshof klargestellt, dass jedenfalls die Dienstleistungsfreiheit auch für den Bereich der Auftragsvergaben „kein allgemeines Gebot der Gleichbehandlung, sondern (…) ein Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit“ enthält, EuGH, Rs. C-412/04 (Kommission/Italien), Slg. 2008, I-619, Rn. 106. 369

VI. Vergabe öffentlicher Aufträge

175

des Vertrags, den Grundsatz der Nichtdiskriminierung und die Verpflichtung zur Transparenz“377. Damit habe die Kommission die tatsächlichen und rechtlichen Grundlagen ihrer Klage nicht hinreichend genau benannt und mache dem EuGH eine konkrete Beurteilung unmöglich.378 Die Anwendbarkeit der Grundfreiheiten auf die öffentliche Auftragsvergabe stößt in der Literatur auf nahezu ungeteilte Zustimmung,379 auch wenn ihre Reichweite noch umstritten ist. Die Grundfreiheiten bilden das Fundament gemeinschaftsrechtlicher Vergaberegeln und das Koordinatensystem für die beteiligten Interessen.380 Allerdings finden die Grundfreiheiten nur dort direkte Anwendung, wo kein einschlägiges Sekundärrecht besteht. Letzteres ist vorrangig anzuwenden.381

b) Sekundärrecht Nach dem „Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung“382 kann die Gemeinschaft nur aufgrund einer vertraglichen Befugnisnorm tätig werden, Art. 13 Abs. 2 EUV (früher: Art. 5 Abs. 1 EGV).383 Dies schützt die Kompetenz-Kompetenz der

377

EuGH, Rs. C-195/04 (Kommission/Finnland), Slg. 2007, I-3351, Rn. 25. EuGH, Rs. C-195/04 (Kommission/Finnland), Slg. 2007, I-3351, Rn. 22; ähnlich EuGH, Rs. C-412/04 (Kommission/Italien), Slg. 2008, I-619, Rn. 103 ff. Freilich ist dieses Urteil im Zusammenhang mit anderen Urteilen zu sehen, in denen der Kommission oberflächliche Sachverhaltsaufklärung zum Vorwurf gemacht wird; so in EuGH, Rs. C-507/03 (Kommission/ Irland), Slg. 2007, I-9777, Rn. 32; Rs. C-532/03 (Kommission/Irland), Slg. 2007, I-11353, Rn. 32 ff. Kritisch auch schon GA Jacobs, Schlussantr. zu Rs. C-174/03 (Impresa Portuale di Cagliari), ABl. EU C 178 vom 29.7.2006, S. 28 (Ziff. 77); GA Stix-Hackl, Schlussantr. zu Rs. C-507/03 (Kommission/Irland), Slg. 2007, I-9777, Ziff. 71 ff. Wesentlich großzügiger ist der EuGH i. R. v. Vorabentscheidungen: Die Bitte um Auslegung einer (tatsächlich nicht anwendbaren) Vergaberichtlinie deutete er um und machte Ausführungen zu den seiner Ansicht nach einschlägigen Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts, EuGH, Rs. C-6/05 (Medipac – Kazantzidis), Slg. 2007, I-4557, Rn. 33 f. 379 Hailbronner, in: Grabitz/Hilf, EU, B 2, Rn. 9; Kingreen, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 28–30 EGV, Rn. 13; Prieß, Hdb. VergabeR, S. 8 ff.; Ziekow, VergabeR 2003, 1 (6). Vgl. i. d. S. auch den 2. Erwägungsgrund der Richtlinie 2004/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge, ABl. EU L 134 vom 30.4.2004, S. 114. 380 EuGH, Rs. C-360/96 (BFI Holding), Slg. 1998, I-6821, Rn. 41 ff.; Rs. C-380/98 (University of Cambridge), Slg. 2000, I-8035, Rn. 16 ff.; Rs. C-231/03 (Coname), Slg. 2005, I-7287, Rn. 16 ff.; Braun/Hauswaldt, EuZW 2006, 176 ff. 381 Teilweise wird missverständlich Spezialität angenommen, so Bitterich, EuZW 2008, 14 (15). 382 Zum Begriff vgl. Calliess, Subsidiaritäts- und Solidaritätsprinzip, S. 63 ff.; Ipsen, Gemeinschaftsrecht, S. 275 ff. 383 s. Bogdandy/Bast, in: Grabitz/Hilf, EU, Art. 5 EGV, Rn. 8. 378

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Teil 2, A. Grundfreiheiten

Mitgliedstaaten.384 Der AEUV sieht für das Beschaffungswesen keinen selbstständigen Kompetenztitel vor, im Gegensatz etwa zum Beihilfenrecht, das gem. Art. 109 AEUV näher geregelt werden kann. Daher griff der Gemeinschaftsgesetzgeber zumeist auf Art. 95 EGV a. F. zurück. Gegenstand und damit zentraler Begriff des Vergaberechts ist der öffentliche Auftrag. Art. 1 Abs. 2 lit. a RL 2007/18/EG definiert diese als „zwischen einem oder mehreren Wirtschaftsteilnehmern und einem oder mehreren öffentlichen Auftraggebern geschlossene schriftliche entgeltliche Verträge über die Ausführung von Bauleistungen, die Lieferung von Waren oder die Erbringung von Dienstleistungen im Sinne dieser Richtlinie.“

Öffentliche Aufträge sind Verträge zwischen Wirtschaftsteilnehmern und öffentlichen Auftraggebern, Art. 1 Abs. 2 lit. a RL 2004/18/EG und RL 2004/17/ EG. Nur Letztere sind Adressaten der Vergaberichtlinien.385 Der Begriff des „öffentlichen Auftraggebers“ ist eine der Grenzlinien zwischen dem primären und sekundären Vergaberecht. Ist der personelle Anwendungsbereich der Richtlinien nicht eröffnet, stellt sich die Frage, ob der jeweilige Auftraggeber an das Primärvergaberecht gebunden ist. Dies ist nur bei Grundfreiheitsadressaten386 der Fall. Art. 2 Abs. 1 lit. a UAbs. 1 RL 2004/17/EG und Art. 1 Abs. 9 RL 2004/18/EG definieren den öffentlichen Auftraggeber als „den Staat, die Gebietskörperschaften, die Einrichtungen des öffentlichen Rechts und die Verbände, die aus einer oder mehreren dieser Körperschaften oder Einrichtungen des öffentlichen Rechts bestehen.“387

In sachlicher Hinsicht begrenzen in erster Linie die so genannten Schwellenwerte den Anwendungsbereich des sekundären Vergaberechts.388 Sie haben den Zweck, Nutzen und Aufwand eines Vergabeverfahrens ins Verhältnis zu setzen, sollen „unnötige Formalitäten vermeiden“389. Ein formales Vergabeverfahren ist für alle Beteiligten mit beachtlichen Kosten verbunden. Wäre es auf jeglichen Beschaffungsvorgang eines öffentlichen Auftraggebers anzuwenden, könnte dies eher zu einer Verteuerung als zu Einsparungen führen. Auch ein grenzüberschreitender Handel wird umso seltener zu erwarten sein, je geringer der Auftragswert ist.390

384

Calliess, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 5 EGV, Rn. 12. Zur Umsetzung im deutschen Recht s. §§ 98 f. GWB. 386 s. u. Teil 2 A. VI. 4. a) aa). 387 Umfassend Egger, Europäisches Vergaberecht, Rn. 441 ff. 388 Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 37, Rn. 33. 389 Vgl. Begründung der Richtlinie 92/50/EWG des Rates vom 18. Juni 1992 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge, ABl. EWG L 209 vom 24.7.1992, S. 1 ff. 390 s. nur Hailbronner, in: Grabitz/Hilf, EU, B 5, Rn. 102 m. w. N.; Stickler, in: Reidt/Stickler/ Glahs, VergabeR, § 100 GWB, Rn. 4. 385

VI. Vergabe öffentlicher Aufträge

177

Aufträge unterhalb der Schwellenwerte fallen nicht unter das sekundäre Vergaberecht.391 Die aus den Schwellenwerten folgende Zweiteilung des Vergaberechts ist vielfach kritisiert worden.392 Entlang einer nicht objektiv ermittelten, sondern im politischen Prozess festgelegten Grenze wird das Vergaberecht auf sehr unterschiedlichen Grund gestellt. Oberhalb der Schwellenwerte sehen die Richtlinien dezidierte Verfahren vor, darunter bestimmen – noch näher zu betrachtende – primärrechtliche Vorgaben den Beschaffungsvorgang.393 Von außerordentlicher und steigender praktischer Bedeutung sind Dienstleistungskonzessionen. Nach gesicherter Rechtsprechung des EuGH ist das sekundäre Vergaberecht nicht auf sie anwendbar.394 Ihnen kommt aufgrund des regelmäßig hohen Wertes erhöhte Aufmerksamkeit zu.395 Ein Großteil der EuGH-Entscheidungen zum primären Vergaberecht bezieht sich auf Dienstleistungskonzessionen.

3. Paradigmenwechsel: Von der kompensatorischen zur komplementären Prozeduralisierung a) Zweck des Vergabeverfahrens Die Struktur eines Verwaltungsverfahrens richtet sich zunächst nach dem zugrundeliegenden materiellen Recht. Dies ergibt sich aus der Rechtsverwirklichungsfunktion des Verfahrens.396 Eine gesteigerte Bedeutung erfährt das Verfahren, wo es nicht darauf beschränkt bleibt „Verwirklichungsmodus“ materiellen Rechts zu sein,397 sondern unbestimmte Rechtsbegriffe erst konkretisiert, also selbst Steuerungsinstrument wird.398 Es reicht für die kritische Analyse von Verfahren daher 391 Die VO (EG) Nr. 1177/2009 der Kommission vom 30.11.2009 zur Änderung der Richtlinien 2004/17/EG, 2004/18/EG und 2009/81/EG des Europäischen Parlaments und des Rates im Hinblick auf die Schwellenwerte für Auftragsvergabeverfahren hat mit Wirkung zum 1.1.2010 die in Art. 7 RL 2004/18/EG vorgesehenen Schwellenwerte für Liefer- sowie Dienstleistungsaufträge auf 125.000 _ bzw. 193.000 _, für öffentliche Bauaufträge auf 4.845.000 _ abgesenkt. I. R.d. Sektorenkoordinierungsrichtlinie (Art. 16, 61) gelten nunmehr Schwellenwerte von 387.000 _ für Liefer- und Dienstleistungsaufträge sowie 4.845.000 _ für Bauaufträge. 392 Bspw. von Hollands/Sauer, DÖV 2006, 55 (57). 393 Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 37, Rn. 33. 394 EuGH, Rs. C-324/98 (Telaustria und Telefonadress), Slg. 2000, I-10745. 395 Umfassend zum Begriff Ruhland, Dienstleistungskonzession, S. 23 ff. Vgl. auch die Mitteilung der Kommission zu Auslegungsfragen im Bereich Konzessionen im Gemeinschaftsrecht, ABl. EG C 121 vom 29.4.2000, S. 2 ff. 396 Pitschas, Verwaltungsverantwortung, S. 651 f. spricht von der „Interdependenz“ von materiellem und Verfahrensrecht. 397 Wahl, VVDStRL 41 (1983), 151 (153 ff.). 398 s. auch Pietzcker, VVDStRL 41 (1983), 193 (201 f.).

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Teil 2, A. Grundfreiheiten

nicht aus, existierende formelle Regelungen zu betrachten. Darüber hinaus muss auch das zugrundeliegende materielle Recht, einfaches und übergeordnetes, erfasst werden. Von entscheidender Bedeutung sind die von einem bestimmten Verfahren zu erfüllenden Aufgaben.399 Aus diesen lassen sich wiederum Schlüsse auf die adäquaten Handlungsformen, den Beteiligtenkreis und die Form der Beteiligung ziehen. Hieraus ergeben sich die von der Verwaltung zu erfüllenden Rechtspflichten, die in der Mehrzahl der Fälle, jedoch nicht notwendigerweise, einfachrechtlich kodifiziert sein werden. Die Ausgestaltung eines Verwaltungsverfahrens ist von den damit verfolgten Zielen abhängig. Jedes Verwaltungshandeln ist auf Rechtmäßigkeit, Wirtschaftlichkeit (i. S. v. Effizienz), Zweckmäßigkeit und (idealer Weise) Bürgernähe ausgerichtet.400 Da das Verwaltungsverfahren sowohl möglichst effizient also auch rechtsschützend wirken soll, ergeben sich notwendig Konflikte und Abwägungsschwierigkeiten bzgl. dieser Funktionen. Um beide in ein Gleichgewicht zu bringen, ist der mit dem jeweiligen Verfahren verfolgte Zweck genau zu bestimmen. Hier hat eine grundlegende Änderung des Vergabewesens stattgefunden. Der traditionelle haushaltsrechtliche Ansatz bediente sich des Ausschreibungsverfahrens, um eine wirtschaftliche und sparsame Beschaffung zu gewährleisten. Die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit standen für eine haushaltsund damit staatszentrierte Betrachtungsweise. Diese kann unter dem Einfluss des Europarechts nur noch begrenzt aufrechterhalten werden.401 Ein zentrales Ziel der EG ist die Schaffung eines Binnenmarktes, Art. 3 Abs. 3 S. 1 EUV, Art. 28 AEUV. Nationalstaatliche Grenzen sollen für den innergemeinschaftlichen Handel kein Hindernis mehr darstellen. Bei der Durchsetzung dieses Ziels spielen die Grundfreiheiten des AEUV eine herausragende Rolle. Das objektiv-rechtliche Ziel des Binnenmarktes wird durch diese subjektiven Rechte der Marktteilnehmer gleichsam aufgerüstet. Auf diesem Gedanken beruht auch der Einfluss des Gemeinschaftsrechts auf die Vergabe öffentlicher Aufträge.402 Das einzuhaltende Verfahren dient nicht mehr allein der wirtschaftlichen und sparsamen Verwendung staatlicher Mittel. Vielmehr soll es die Entwicklung des europäischen Binnenmarktes fördern. Die Grundfreiheiten sind das Mittel der Wahl, dieses Ziel in das konkrete Vergabeverfahren hineinzutragen. 399

Pitschas, Verwaltungsverantwortung, S. 101 f. So Wahl, VVDStRL 41 (1983), 151 (157). 401 Pernice/Kadelbach, DVBl. 1996, 1100 (1106). 402 So formuliert der 2. Erwägungsgrund der RL 2004/18/EG: „Die Vergabe von Aufträgen in den Mitgliedstaaten (…) ist an die Einhaltung der im Vertrag niedergelegten Grundsätze gebunden, insbesondere des Grundsatzes des freien Warenverkehrs, des Grundsatzes der Niederlassungsfreiheit und des Grundsatzes der Dienstleistungsfreiheit sowie der davon abgeleiteten Grundsätze.“ 400

VI. Vergabe öffentlicher Aufträge

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Es wird zu zeigen sein, dass dieser Paradigmenwechsel für den Geltungsbereich des Primärvergaberechts eine Schwerpunktverlagerung von der kompensatorischen zur komplementären Prozeduralisierung bedeutet.403

b) Kompensatorische Prozeduralisierung im Haushaltsvergaberecht Ausgangspunkt des deutschen Vergaberechts war und ist der Grundsatz der Wirtschaftlichkeit.404 Das Bundesverfassungsgericht sieht die Funktion der Ausschreibung öffentlicher Aufträge in seiner jüngsten Rechtsprechung gar hierauf beschränkt.405 § 6 Abs. 1 HGrG, § 7 Abs. 1 S. 1 BHO bestimmen, dass bei der „Ausführung des Haushaltsplans die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit zu beachten“ sind.406 Der Erteilung von öffentlichen Aufträgen muss gem. § 55 BHO eine öffentliche Ausschreibung vorausgehen. Es handelt sich damit um eine „besondere Ausprägung des Wirtschaftlichkeitsgebots“407.

aa) Prozedurale Kompensation i. R. d. Wirtschaftlichkeitsgrundsatzes Eine genaue Definition des Wirtschaftlichkeitsgrundsatzes wirft einige Probleme auf. Im Gegensatz zu konditionalen Rechtssätzen macht der Wirtschaftlichkeitsgrundsatz seinen Adressaten keine inhaltlichen Vorgaben. Stattdessen ist das in Frage stehende Verhalten – neben der Recht- und Zweckmäßigkeit – an seiner Wirtschaftlichkeit zu messen.408 Richtig verstandene Wirtschaftlichkeit muss die Relation von Nutzen und Kosten im Blick behalten (sog. Optimalprinzip). Wirtschaftlich handelt die Verwaltung, 403 In Literatur und Rechtsprechung hat diese, durch den wachsenden Einfluss des Gemeinschaftsrechts ausgelöste, Neuorientierung jedoch verhältnismäßig wenig Aufmerksamkeit erfahren. Insbesondere die höchstrichterliche Rechtsprechung lässt das Gemeinschaftsrecht – natürlich auch im Hinblick auf den eigenen Prüfungsmaßstab – außen vor, vgl. BVerfGE 116, 135; BVerwG, NJW 2007, 2275 ff. Aus dem Schrifttum aber Pietzcker, ZHR 162 (1998), 427 ff.; Voßkuhle, Strukturen und Bauformen, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Verwaltungsverfahren, S. 277 (296); Wollenschläger, NVwZ 2007, 388 ff. 404 Classen, VerwArch 88 (1997), 645 (662); Ruthig/Storr, Öffentliches Wirtschaftsrecht, Rn. 706; Dabringhausen/Sroka, VergabeR 2006, 462 (468 f.) sehen diese Funktion des Vergabeverfahrens im Unterschwellenbereich nach wie vor als vorrangige. 405 BVerfGE 116, 135 (152 f.). 406 Aus Gründen der Übersichtlichkeit werden hier allein die einschlägigen Bundesnormen angeführt. Das Wirtschaftlichkeitsprinzip ist aber auf allen föderalen Ebenen normativ verwurzelt, vgl. nur Art. 7 BayHO, Art. 61 Abs. 2 BayGO. 407 Helm, in: Piduch, Haushaltsrecht, § 7 BHO, Rn. 3; ebenso Rahm, in: Heuer, Haushaltsrecht, § 55 BHO, Rn. 1. 408 Arnim, Wirtschaftlichkeit, S. 33 ff.

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Teil 2, A. Grundfreiheiten

wenn sie diejenige Alternative wählt, bei der die Differenz von Nutzen und Kosten am größten ist.409 Gleichzeitig wird die Schwierigkeit für die rechtliche Handhabung ersichtlich: Um beurteilen zu können, ob ein Verhalten wirtschaftlich richtig ist, müssen Kosten und Nutzen, Zweck und Mittel bezifferbar sein.410 Dabei sind auch mögliche Alternativverhalten in die Überlegung einzubeziehen. Die Handlungszwecke der Exekutive lassen sich jedoch nicht immer bis ins Letzte determinieren. Ebenso verhält es sich mit den dafür aufzuwendenden Mitteln.411 Diese materielle Relativität führt dazu, dass sich bei der Beschaffung Leistung und Gegenleistung nicht ex ante bestimmen lassen. § 55 BHO verlangt daher zur Verwirklichung des Wirtschaftlichkeitsgebots die Ausschreibung öffentlicher Aufträge.412 Das in Teil A Abschnitt 1 von VOB/A und VOL/A festgelegte Ausschreibungsverfahren soll diesen Funktionszusammenhang ausfüllen. Hier wird die Funktion des Vergabeverfahrens i. S. kompensatorischer Prozeduralisierung augenscheinlich. Die Verpflichtung zur Ausschreibung gewährleistet zunächst, dass die Verwaltung den Beschaffungsgegenstand genau bestimmt, vgl. § 8 VOL/A und § 9 Nr. 1 VOB/A. Die Herstellung von Wettbewerb stellt sodann die Einhaltung des Wirtschaftlichkeitsgrundsatzes sicher. Für einen vorher festgelegten Zweck, d. h. den spezifischen Beschaffungsgegenstand, wird im Vergabeverfahren durch die Verpflichtung zur Ausschreibung gem. § 3 Nr. 2 VOB/A und VOL/A der geringstmögliche Aufwand ermittelt. § 97 Abs. 1 GWB schreibt die Auftragsvergabe im Wettbewerb vor. Ähnliches findet sich in § 2 Nr. 1 S. 2 VOB/A, § 2 Nr. 1 Abs. 2 VOL/A, § 4 Abs. 1 VOF.413 Das Kartellvergaberecht wurde erst nach dem Scheitern der sog. haushaltsrechtlichen Lösung in das GWB eingefügt. Vor 1999 fand der Wettbewerbsgedanke allein in der BHO und den Verdingungsordnungen Ausdruck.414 Im Ursprung privatrechtliche Verfahrensregelungen, wurden Letztere als Verwaltungsvorschriften415 über409

Hierzu mit graphischer Darstellung Arnim, Wirtschaftlichkeit, S. 21 ff. sowie ausführlich Krems, Online-Verwaltungslexikon olev.de, Stichwort „Wirtschaftlichkeit“; s. auch Schmidt, Wirtschaftlichkeit, S. 46 f. 410 Zur Tragweite des Kostenbegriffs vgl. Hoffmann-Riem, Einleitende Problemskizze, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Effizienz als Herausforderung an das Verwaltungsrecht, S. 11 (20 f.); Reinermann, Verwaltungsmanagement, S. 11 f. 411 Schliesky, DVBl. 2007, 1453 (1454) plädiert daher für die Einordnung des Wirtschaftlichkeitsgrundsatzes als abwägungsfähigen Ermessensbelang in die Beurteilungs- und Ermessensspielräume der Verwaltung. 412 Statt aller s. nur Helm, in: Piduch, Haushaltsrecht, § 7 BHO, Rn. 3. 413 Weitere Verankerung des Wettbewerbsprinzips in den Verdingungsordnungen führt Glahs, in: Kappellmann/Messerschmidt, VOB/A, § 2, Rn. 33 an. 414 Niebuhr, in: Niebuhr u. a., GWB, § 97, Rn. 2. 415 s. Nr. 2.2.1 und 2.2.2 VV-BHO zu § 55; allg.A., statt aller Rahm, in: Heuer, Haushaltsrecht, § 55 BHO, Rn. 4.

VI. Vergabe öffentlicher Aufträge

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nommen. Haushaltsrecht ist objektives Recht.416 Als solches räumt es dem Einzelnen keinerlei subjektive Rechte ein.417 Diese innerstaatliche Verpflichtung, bei der Auftragsvergabe soweit wie möglich Wettbewerb herzustellen, ist als kompensatorische Prozeduralisierung einzuordnen. Die Vergabe im Wettbewerb sichert dem Staat eine wirtschaftliche Beschaffung. Insofern lässt sich also von einem eigenständigen, weil verfahrensprägenden Wettbewerbsgrundsatz sprechen. Wettbewerb ist aus dieser Perspektive das Mittel zur Erreichung des Verfahrenszwecks der wirtschaftlichen Beschaffung. Wie zu zeigen sein wird, steht dem auf gemeinschaftsrechtlicher Ebene eine komplementäre Prozeduralisierung gegenüber.

bb) Komplementärer Grundrechtsschutz im Vergabeverfahren Eine Reduzierung der Unterschwellenvergaben auf die Wahrung des Wirtschaftlichkeitsgebots und damit auf objektives Recht griffe aber zu kurz. Zu beachten sind daneben auch subjektive Rechte interessierter Anbieter aus den nationalen Grundrechten. Zu denken ist hier, neben Art. 12 Abs. 1 GG, an den allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG. Die Reichweite dieser komplementären Prozeduralisierung auf nationalstaatlicher Ebene ist allerdings bei weitem noch nicht gesichert. So wird vertreten, staatliche Stellen seien frei von jeder Grundrechtsbindung, wenn sie lediglich privatrechtlich tätig werden. Erfülle die Exekutive mit der Beschaffung keine hoheitliche Aufgabe, sei sie nicht als „vollziehende“ Gewalt i. S. v. Art. 1 Abs. 3 GG an die Grundrechte gebunden.418 Grundrechtsfreie Räume sind dem Grundgesetz jedoch fremd.419 Schon die Instrumentalisierung von Auftragsvergaben für vergabefremde – z. B. sozial- oder umweltpolitische – Zwecke zeigt, dass der privatrechtlich handelnde Staat doch nicht „aus seiner Haut“ kann. Auch wenn sich die Exekutive allein zivilrechtlicher Mittel bedient, verfolgt sie doch im Einzelfall öffentliche Zwecke.420 Die diversen Handlungsfelder danach zu unterscheiden, ob sich die Verwaltung privatrechtlicher Mittel zur unmittelbaren oder nur mittelbaren Erledigung öffentlicher Auf-

416

Arnim, Wirtschaftlichkeit, S. 102 f. Vgl. nur Pünder, VerwArch 95 (2004), 38 (39); Ruthig/Storr, Öffentliches Wirtschaftsrecht, Rn. 707. Zur Subjektivierung qua Selbstbindung vgl. aber Wollenschläger, DVBl. 2007, 589 (597 ff.). 418 So v. a. der BGH in BGHZ 36, 91 (96) und BGHZ 91, 84 (88). 419 Vgl. Dreier, in: Dreier, GG, Vorb., Rn. 49; Hermes, JZ 1997, 909 (912); Jarass, in: Jarass/ Pieroth, GG, Art. 19, Rn. 28; Pache, DVBl. 2001, 1781 (1787); Pünder, VerwArch 95 (2004), 38 (41); Schnapp, in: Münch/Kunig, GG, Art. 20, Rn. 40; Stern, StaatsR III/1, S. 1411, 1416; jetzt auch BVerwG, NJW 2007, 2275 (2277). Dezidiert gegen eine Differenzierung von Exekutive und Fiskus Ehlers, Verwaltung, S. 214 ff. Das BVerfG hat insoweit zumindest die Bindung an Art. 3 Abs. 1 GG jüngst bejaht, BVerfGE 116, 135 ff. 420 Pünder, VerwArch 95 (2004), 38 (41). 417

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Teil 2, A. Grundfreiheiten

gaben bedient, ist im Einzelfall nur sehr schwer durchzuhalten.421 Als Grenze für die Grundrechtsbindung der „vollziehenden Gewalt“ i. S. v. Art. 1 Abs. 3 GG taugt diese Differenzierung daher nicht. Auch wenn die Bindung der Verwaltung an die Grundrechte auch im Privatrecht nunmehr anerkannt ist,422 besteht nach wie vor Uneinigkeit über die Reichweite der Grundrechtsbindung. Auf den Bereich des Beschaffungswesens bezogen wird vielfach eine Beschränkung auf das Willkürverbot das Wort geredet.423 Nach a. A. soll sich bereits aus Art. 3 Abs. 1 GG und Art. 12 Abs. 1 GG ein Mindeststandard an materiellen und prozeduralen Anforderungen ergeben.424 Daneben wird insbesondere die Bedeutung der Berufsfreiheit für Vergaben im Unterschwellenbereich diskutiert. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht diese Frage ausdrücklich offen gelassen.425 Akzeptiert man jedoch eine Bindung auch der privatrechtlich handelnden Exekutive gem. Art. 1 Abs. 3 GG an die Grundrechte, entbehrt eine nach einzelnen Grundrechten differenzierte Bindung jeder Grundlage.426 Über die Intensität der Bindung sowie den verfassungsgerichtlichen Kontrollmaßstab ist damit jedoch noch nichts gesagt. Die Rechtsnatur der Abschlusshandlung ist für die Geltung der Grundrechte in diesem Bereich nicht relevant, denn Grundrechte beeinflussen die kontinuierliche Rechtsbeziehung zwischen Staat und Bürger.427 Für das Vergabeverfahren ergeben sich hieraus Anforderungen zur Effektuierung einschlägiger Grundrechte. Eine Außenwirkung der Verdingungsrichtlinien mit ggf. subjektiven Rechten für benachteiligte Bieter erreicht die h. M. mittels der Selbstbindung der Verwaltung (Selbstbindungslehre). Die ständige Anwendung der einschlägigen Verwaltungsvorschriften steht einer sachlich nicht gerechtfertigten Ungleichbehandlung Einzelner entgegen.428 Bei genauer Betrachtung findet eine Bindung der Verwaltung aber nicht durch die Verwaltungsvorschriften selbst, hier also die Verdingungsordnungen, statt. Nur die gleichbleibende Handlungsweise der Verwaltung begründet ein Recht aus Art. 3 Abs. 1 GG.429 Aus der Berufsfreiheit ergibt sich nicht nur ein materieller Abwehranspruch. Die Grundrechtsträger können sich 421

Vgl. Ehlers, Verwaltung, S. 216. Marx, Vergaberecht, in: Brinker/Scheuing/Stockmann (Hrsg.), Recht und Wettbewerb, S. 305 (312). 423 Bspw. Pietzcker, Zweiteilung im Vergabewesen, S. 34 ff.; Wolff u. a., VerwR I, § 23, Rn. 42. 424 Insb. Cremer, Normsetzung im Vergaberecht, in: Pünder/Prieß (Hrsg.), Vergaberecht im Umbruch, S. 29 ff.; Pünder, VerwArch 95 (2004), 38 (42 ff.); vgl. auch Burgi, NZBau 2001, 64 (69 f.). 425 BVerfGE 116, 135 (152 ff.). 426 Ebenso Siegel, DVBl. 2007, 942 (945). 427 Goerlich, Grundrechte, S. 285. 428 Hierzu BVerwGE 19, 48 (58); E 34, 278 (280); Maurer, Allg. VerwR, § 24, Rn. 20; Ossenbühl, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR III², § 65, Rn. 44 ff.; zur Möglichkeit der Verhaltensänderung aus sachlichen Gründen BVerwGE 104, 220 (223); BVerwG, NVwZ 2006, 33 (1189). 429 Zu dieser Unterscheidung vgl. Bull/Mehde, Allg. VerwR, Rn. 233; Maurer, Allg. VerwR, § 24, Rn. 22. 422

VI. Vergabe öffentlicher Aufträge

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auch auf die Verfahrensdimension der Grundrechte berufen.430 Zu dieser Ansicht kann man für die Auftragsvergabe freilich nur dann kommen, wenn der Staat nicht als gewöhnlicher Teilnehmer am marktwirtschaftlichen Wettbewerb gesehen wird. Denn Art. 12 Abs. 1 GG schützt Marktteilnehmer nicht vor Wettbewerb schlechthin.431 Problematisch ist, ob das staatliche Verhalten bei der Auftragsvergabe als Beeinträchtigung qualifiziert werden kann. Eine ablehnende Haltung hat hier das BVerfG eingenommen. Sogar für den Fall, dass der Staat als nahezu einziger Abnehmer des fraglichen Auftragsgegenstands denkbar ist, lehnt es eine Bindung an Art. 12 Abs. 1 GG ab. Es entstehe keine eingriffsäquivalente Situation.432 Gerade diese besondere Fallkonstellation macht aber deutlich, dass ein Eingriff bei der öffentlichen Auftragsvergabe nicht kategorisch ausgeschlossen werden kann. Es ist daher berechtigt, für die Fälle der Auftragsvergabe von mittelbar-faktischen Eingriffen in die Berufsfreiheit zu sprechen.433 Dem Staat kommt auf vielen Märkten eine Alleinstellungsfunktion zu. Zusätzlich ist er per se nicht an marktwirtschaftliche Überlegungen gebunden, sondern kann primär politische Ziele verfolgen. Eine Eingriffsäquivalenz, wie das BVerfG sie verlangt, impliziert einen Abwägungsvorgang zur Bestimmung des Eingriffs. Dies würde die Aufteilung von Schutzbereich, Eingriff und Rechtfertigung weiter erschweren. Konsequenter scheint es, die Abwägung auf die Ebene der Rechtfertigung zu verlegen und entsprechend der Eingriffsintensität die Anforderungen der Verhältnismäßigkeit zu variieren. Im Ausblick auf die Grundfreiheiten ist an dieser Stelle Folgendes anzumerken: Auf die deutschen Grundrechte bezogen mag man die Position des BVerfG einnehmen, dass sich der Staat bei Beschaffungsvorgängen nicht von privaten Marktteilnehmern unterscheidet, wenn er seinen Bedarf am Markt zu dessen eigenen Bedingungen deckt. Anders muss das Ergebnis aber für die Grundfreiheiten lauten. Denn gerade wenn der Staat für ein Produkt als nahezu einziger Abnehmer in Frage kommt, entscheidet sein Verhalten am Markt allein über die Einfuhrmöglichkeiten ausländischer Anbieter dieser Waren. Eine inadäquate Berücksichtigung solcher Bieter steht dann in direktem Konflikt mit der Warenverkehrsfreiheit. Die Gefahr mittelbarer Diskriminierungen ist damit stets gegeben.434 430

s. o. Teil 1 B. II. 3. Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 12, Rn. 15 f.; Wieland, in: Dreier, GG, Art. 12, Rn. 89 f. 432 BVerfGE 116, 135 (153); in diese Richtung Burgi, NZBau 2001, 64 (66); Pietzcker, NZBau 2003, 242 (243 f.); i. E. auch Marx, Vergaberecht, in: Brinker/Scheuing/Stockmann (Hrsg.), Recht und Wettbewerb, S. 305 (318 ff.). 433 Ausführlich Cremer, Normsetzung im Vergaberecht, in: Pünder/Prieß (Hrsg.), Vergaberecht im Umbruch, S. 29 (43 ff.) sowie Kingreen, VSSR 2006, 379 (391). 434 Vgl. die Ausführungen von GA Fenelly, Schlussantr. zu Rs. 45/87 (Kommission/Irland), Slg. 1988, 4929, Ziff. 34 f. zu einem ähnlich gelagerten Fall: Ein Produkt, das „überwiegend, wenn nicht ausschließlich“ für öffentliche Bauaufträge benötigt wird, bedurfte nach irischem Recht der Zulassung nach einem nationalen Verfahren. Darin sei eine mittelbare Einfuhrbehinderung zu sehen. Anstelle dieser materiellen Zulassungsvoraussetzung wäre aber ein Verfahren zur Vergleichbarkeitsprüfung zulässig gewesen. 431

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Teil 2, A. Grundfreiheiten

c) Komplementäre Prozeduralisierung im EG-primärrechtlichen Vergabeverfahren aa) Auftragsvergabe im Binnenmarkt Ein Leitgedanke der europäischen Rechtsordnung war und ist die wirtschaftliche Verflechtung der Mitgliedstaaten. Diese Idee lag schon der Gründung der EGKS und EWG zugrunde.435 Die Europäische Union ist auf die Schaffung eines europäischen Binnenmarktes gerichtet (Art. 26 Abs. 1 AEUV); dieser ist „zentrales, rechtlich verbindliches Ziel“436 des AEUV. Ein legislativer Schwerpunkt der Gemeinschaft ist daher das Sekundärrecht zur Herstellung des Binnenmarktes, vgl. Art. 3 Abs. 1 lit. h EGV a. F. Hier ist das sekundäre Vergaberecht einzuordnen. Das Weißbuch der Kommission von 1985 nannte das nationale Vergabewesen mit seinen protektionistischen Tendenzen als „eine der augenfälligsten Schranken auf dem Weg zur Vollendung eines echten Binnenmarktes“437. Das Volumen der öffentlichen Aufträge mache eine sekundärrechtliche Regelung zur Herstellung des Binnenmarktes notwendig. In Bezug auf die Beteiligten müssen die einschlägigen subjektiv-öffentlichen Rechte Beachtung finden. Diese Ansprüche finden ihren Niederschlag nicht nur in den einschlägigen materiell-rechtlichen Regelungen, sondern wirken sich daneben auch auf die Verfahrensgestaltung aus. Allein durch die Einhaltung grundlegender Verfahrensanforderungen kann der öffentliche Auftraggeber sicherstellen, die Ansprüche aller Beteiligten hinreichend zu beachten.

bb) Komplementärfunktion des Vergabeverfahrens Aus dieser Überlegung heraus ergibt sich der strukturelle Unterschied zwischen dem nationalen, haushaltsrechtlichen Vergaberecht und dem europäischen Ansatz.438 Ersteres zielt mit der Durchführung des Vergabeverfahrens auf die Einsparung öffentlicher Mittel. Der aus Sicht des Auftraggebers beste, d. h. vornehmlich der günstigste Bieter soll sich im Wettbewerb durchsetzen. Die primäre Zielrichtung des europäischen Binnenmarktrechts ist eine andere. Es ist auf die Ermöglichung freien Handels in seinem gesamten Ausdehnungsbereich gerichtet. In der Möglichkeit zur Teilnahme an Vergabeverfahren verwirklicht sich die individuelle Beteiligung am Binnenmarkt, die in den Grundfreiheiten zum Ausdruck kommt. 435 Schon die legendäre Schumann-Erklärung vom 9.5.1950 stellte eine „Verschmelzung der Märkte“ in Aussicht (http://europa.eu/abc/symbols/9-may/decl_de.htm, Abruf vom 18.9.2007). Vgl. auch Art. 2 EWG i. d. F. von 1957: „Errichtung eines Gemeinsamen Marktes“. 436 So zu Art. 94 EGV a. F. Kahl, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 94, Rn. 12. Die Streichung des Art. 3 Abs. 1 lit. c EGV a. F. dürfte hieran nichts ändern. 437 KOM 83 (310) endg., Ziff. 81. 438 Braun, VergabeR 2007, 17 (23).

VI. Vergabe öffentlicher Aufträge

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Die Auftragsvergabe durch Vergabeverfahren ist damit nicht allein Mittel zur Erreichung des Zwecks, das wirtschaftlichste Angebot zu ermitteln. Das Verfahren steht vielmehr als Partizipationsinstrument im Zentrum des Binnenmarktgedankens. Die Grundfreiheiten verwirklichen sich nicht erst im Erfolg eines ausländischen Bieters, sondern bereits in seinen Chancen, die sich aus der Teilnahme an einem fairen und diskriminierungsfreien Ausschreibungsverfahren ergeben. Auf jene „gleiche Chance“439 hebt der EuGH ab, wenn er eine Gleichbehandlung der Bieter fordert. Damit tritt das Vergabeverfahren neben die materiell-rechtlichen Gewährleistungen der Grundfreiheiten440 und erfüllt eine Komplementärfunktion. Von rechtspolitischer Bedeutung für das Sekundärvergaberecht ist daneben selbstverständlich das Einsparpotential öffentlicher Ausschreibungen im Wege der kompensatorischen Prozeduralisierung. Die Kommission wird nicht müde, die fiskalischen Vorteile von Ausschreibungsverfahren zu betonen. So betont sie in der Einleitung ihrer Auslegungsmitteilung, dass dem „effizienten Einsatz öffentlicher Gelder eine ganz besondere Bedeutung“441 zukomme. Mit Hilfe öffentlicher Ausschreibungen könne die Verwaltung interessantere Angebote erzielen. Im Jahr 2004 widmete die Kommission den Einsparungsmöglichkeiten in Beschaffungswesen eine eigene Pressemitteilung, in der sie von einer Kostensenkung um 30 % allein durch die Vergaberichtlinien ausgeht.442 Dieser Umstand dient der Kommission als Argumentationshilfe. Für die Mitgliedstaaten ist ein sparsames Vergabewesen reizvoller als ein „bloß“ grundfreiheitskonform ausgestaltetes System. Dementsprechend ist auch darauf hinzuweisen, dass die Vergaberichtlinien nur zwei Kriterien für die Auftragsvergabe zulassen: den niedrigsten Preis oder das wirtschaftlich günstigste Angebot, Art. 53 Abs. 1 RL 2004/18/EG, Art. 55 Abs. 1 RL 2004/17/EG. Diese Doppelfunktion des Sekundärvergaberechts entspricht dem Willen des Gemeinschaftsgesetzgebers. Aus Sicht der subjektiv-individuellen Grundfreiheiten stellt die wirtschaftliche Beschaffung lediglich einen Nebeneffekt dar.443

cc) Ergebnis Im sekundären Vergaberecht kommen sowohl die Umsetzung des Wirtschaftlichkeitsgrundsatzes als auch die Verwirklichung der Grundfreiheiten zur Geltung. Dessen prozeduraler Ansatz ist somit ein doppelter. Es verfolgt sowohl die Kompensations- als auch die Komplementärfunktion des Verfahrens. 439

EuGH, Rs. C-458/03 (Parking Brixen), Slg. 2005, I-8612, Rn. 48. Zu diesen in Bezug auf das Primärvergaberecht u. Teil 2 A. VI. 4. b). 441 Mitteilung der Kommission zu Auslegungsfragen in Bezug auf das Gemeinschaftsrecht, das für die Vergabe öffentlicher Aufträge gilt, die nicht oder nur teilweise unter die Vergaberichtlinien fallen, ABl. EU C 179 vom 1.8.2006, S. 2 (Auslegungsmitteilung). 442 Kommission, Pressemitteilung vom 3.2.2004, IP/04/149. 443 Zur möglichen Beschränkung durch den Effizienzgrundsatz s. u. Teil 2 A. VI. 4. a) ee). 440

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Teil 2, A. Grundfreiheiten

Im Gegensatz hierzu sind die Grundfreiheiten auf den Schutz individueller Rechte beschränkt. Sie schützen die Möglichkeit ausländischer Bieter, an dem Vergabeverfahren teilzunehmen. Dieser Anspruch auf Verfahrensteilnahme tritt an die Seite materiell-rechtlicher Gehalte der Grundfreiheiten. Er nimmt besonders in Gestalt des Transparenzgrundsatzes Form an, aus dem der EuGH prozedurale Anforderungen ableitet.444 Für das primäre Vergaberecht lässt sich somit eine komplementäre Prozeduralisierung der Auftragsvergabe feststellen.

d) Fazit Nationales und europäisches Vergaberecht unterscheiden sich in ihren rechtlichen Grundlagen, die die Zweckrichtung des Vergabeverfahrens bestimmen.445 Dieser Verfahrenszweck lässt sich mit der Unterscheidung von komplementärer und kompensatorischer Prozeduralisierung fassen.446 Das Haushaltsvergaberecht ist traditionell dem Wirtschaftlichkeitsgrundsatz verpflichtet. Es sucht das Kosten-Nutzen-Verhältnis bei der Auftragsvergabe zu optimieren. Das Gemeinschaftsvergaberecht richtet den Fokus demgegenüber auf die Teilnahmemöglichkeiten der Bieter. Gemeinsam ist beiden, dass sie diese Ziele im Wege eines Verfahrens zu erreichen suchen. Der Wirtschaftlichkeitsgrundsatz allein bedarf keiner subjektivrechtlichen Untermauerung, da er den Wettbewerb allein aus der Perspektive staatlicher Sparmöglichkeiten betrachtet. Daher sucht man jene im traditionellen Haushaltsvergaberecht vergebens. Das Vergabeverfahren kompensiert insofern allein das Fehlen materieller Kriterien zur Bestimmung des Kosten-Nutzen-Verhältnisses. Das Binnenmarktziel hingegen ist untrennbar mit der Marktteilnahme des Einzelnen verbunden. Die Grundfreiheiten, mit deren Hilfe der Einzelne sich diese Marktteilnahme „erkämpfen“ kann, tragen im Wege der komplementären Prozeduralisierung zur Verwirklichung des gemeinsamen Heimatmarktes bei.447 Das Gemeinschaftsrecht bringt eine starke Subjektivierung mit sich, die sich in ausgedehnten Informations- und Partizipationsmöglichkeiten niederschlägt. Deren Reichweite und Ausgestaltung wird im Folgenden zu untersuchen sein.

444

s. u. Teil 2 A. VI. 4. d). So auch Summann, Vergabegrundsätze, S. 32. 446 Diese Differenzen werden allerdings abgemildert durch eine immer mehr zu Tage tretende Bedeutung der (nationalen) Grundrechte für das Vergabeverfahren: Cremer, Normsetzung im Vergaberecht, in: Pünder/Prieß (Hrsg.), Vergaberecht im Umbruch, S. 29 ff.; Frenz, EuZW 2006, 748 ff.; Pünder, VerwArch 95 (2004), 38 ff. Zur Subjektivierung der Verdingungsordnungen Wollenschläger, DVBl. 2007, 589 (597 ff.). Nach wie vor zurückhaltend ist allerdings die höchstrichterliche Rechtsprechung BVerfGE 116, 135; BVerwG, NJW 2007, 2275. 447 Summann, Vergabegrundsätze, S. 32. 445

VI. Vergabe öffentlicher Aufträge

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4. Primärvergaberecht Die Vergaberichtlinien stellen für ihren Geltungsbereich ein detailliertes Vergabeverfahren zur Verfügung. Darüber hinaus, an den Schwellenwerten gemessen „darunter“, sind die rechtlichen Vorgaben im Primärrecht zu suchen.448

a) Reichweite Welche der Grundfreiheiten auf eine bestimmte Auftragsvergabe Anwendung findet, hängt von der in Frage stehenden grenzüberschreitenden Tätigkeit ab. I. d. R. wird diese mit dem Auftragsgegenstand deckungsgleich sein,449 insbesondere wenn sich die mögliche Beeinträchtigung aus dem Vergabeverfahren selbst ergibt. Es kommen regelmäßig die Warenverkehrsfreiheit (Art. 34 ff. AEUV) oder die Dienstleistungsverkehrsfreiheit (Art. 56 ff. AEUV) zur Anwendung.

aa) Öffentliche Auftraggeber Der Anwendungsbereich des Primärvergaberechts wird zunächst in personeller Hinsicht dadurch begrenzt, dass sich die Grundfreiheiten nur an einen beschränkten Kreis von Adressaten richten. Dies sind in erster Linie die Mitgliedstaaten. Ähnlich dem Auftraggeberbegriff der Richtlinien ist auch der Begriff des Mitgliedstaates nicht formalistisch, sondern funktional zu interpretieren.450 Die Kriterien hierzu lassen sich der Rechtsprechung des EuGH entnehmen.451 Gebunden sind zunächst sämtliche Stellen, die Träger von Staatsgewalt sind, d. h. die unmittelbare und mittelbare Staatsverwaltung.452 Hierzu zählen Bund, Länder, Kommunen und andere juristische Personen des öffentlichen Rechts, sowie von diesen beherrschte privatrechtliche Personen. Es kommt auf die tatsächlichen, nicht nur die rein rechtlichen Einflussmöglichkeiten an. Weder die formale Zuordnung zum Staat noch die Rechtsform sind daher entscheidend.453 Vielmehr spielen organisatorische, funktionale und finanzielle Faktoren eine Rolle.454 Mit den öffentlichen Auftraggebern i.S.d Vergaberichtlinien ergibt sich aufgrund des jeweiligen funktionalen Verständnisses eine große Schnittmenge. Die beiden Gruppen sind jedoch nicht notwendig deckungsgleich; insbesondere in Bezug auf die Sektorenauftraggeber sind deutliche Abweichungen festzustellen. 448

Burgi, NZBau 2005, 610 (612); Siegel, EWS 2008, 66 ff. spricht von einer „Auffangordnung“. 449 Wollenschläger, NVwZ 2007, 388 (390). 450 Kingreen, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 28–30 EGV, Rn. 105. 451 Egger, Europäisches Vergaberecht, Rn. 115. 452 Ehlers, in: Ehlers, GuG, § 7, Rn. 43. 453 Wollenschläger, NVwZ 2007, 388 (389 f.). 454 Egger, Europäisches Vergaberecht, Rn. 116 m. w. N.

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Teil 2, A. Grundfreiheiten

Teilweise wird eine Bindung der Mitgliedstaaten bei rein privatwirtschaftlichen Tätigkeiten abgelehnt.455 Dies ist insbesondere mit Blick auf die umstrittene Grundrechtsbindung öffentlicher Auftraggeber nach deutschem Recht interessant. Nach Ansicht des BVerfG unterscheidet sich der Staat als öffentlicher Auftraggeber in seiner Rolle als Nachfrager am Markt nicht grundlegend von anderen Marktteilnehmern und unterfällt daher nicht Art. 19 Abs. 4 GG.456 Ein solches Problembewusstsein ist aus der Rechtsprechung des EuGH zum Vergabewesen nicht ersichtlich. Die Bindung der Mitgliedstaaten als öffentliche Auftraggeber an die Grundfreiheiten setzt er voraus.457

bb) Binnenmarktrelevanz durch grenzüberschreitendes Interesse (1) Interesse potenzieller Bieter Die Grundfreiheiten schützen die – weit verstandene – wirtschaftliche Betätigung auf dem Binnenmarkt. Daher spielen sie nur bei Sachverhalten eine Rolle, die ein grenzüberschreitendes Element aufweisen. In einem frühen Urteil zum Primärvergaberecht458 lehnte es der EuGH ab, die Vergabe einer Dienstleistungskonzession an der Niederlassungs- oder Dienstleistungsfreiheit zu messen. Ein einheimisches Unternehmen hatte gegen die Auftragsvergabe einer italienischen Gemeinde an ein anderes einheimisches Unternehmen geklagt. Auf einen Sachverhalt, der mit „keinem seiner Elemente über die Grenzen eines Mitgliedstaats hinausweist und der deshalb keinen Bezug zu einem der Tatbestände hat, die das Gemeinschaftsrecht auf dem Gebiet des freien Personen- und Dienstleistungsverkehrs regelt“, fänden die Grundfreiheiten keine Anwendung.459 Ein derart restriktives Verständnis hätte die Reichweite des Primärvergaberechts erheblich verringert. Nur die tatsächliche Beteiligung eines Bieters aus einem anderen Mitgliedstaat an der Auftragsvergabe hätte dann den Schutzbereich der Grundfreiheiten berührt. Diesen Ansatz hat der EuGH jedoch nicht aufrechterhalten. Schon in der Rechtssache Coname nahm er das potenzielle Interesse von Bietern aus anderen Mitgliedstaaten zum Anknüpfungspunkt für die diskriminierende Vergabe.460 Im Urteil Parking Brixen lehnte er die Argumentation der Stadt Brixen sogar aus-

455 So Becker, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 28 EGV, Rn. 85; a. A. Kingreen, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 28–30 EGV, Rn. 108. 456 BVerfGE 116, 135 (144). 457 s. jüngst EuGH, Rs. C-412/04 (Kommission/Italien), Slg. 2008, I-619, Rn. 66. 458 EuGH, Rs. C-108/98 (RI.SAN), Slg. 1999, I-5219. 459 EuGH, Rs. C-108/98 (RI.SAN), Slg. 1999, I-5219, Rn. 23. Kritisch GA Stix-Hackl, Schlussantr. zu Rs. C-231/03 (Coname), Slg. 2005, I-7287, Ziff. 27. 460 EuGH, Rs. C-231/03 (Coname), Slg. 2005, I-7287, Rn. 17. Zur „lapidaren“ Änderung der Rspr. Bitterich, EuZW 2008, 14 (17).

VI. Vergabe öffentlicher Aufträge

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drücklich ab, welche an die o.g. Rspr. anknüpfte: Auch wenn alle Beteiligten ihren Sitz in Italien hätten, sei es doch nicht auszuschließen, dass Unternehmen aus anderen Mitgliedstaaten an dem Auftrag interessiert gewesen wären.461 Für den Bereich der Vergaberichtlinien war dies schon vorher st.Rspr. gewesen.462 Vereinzelt wurde aus dieser Haltung der Schluss gezogen, dass der EuGH zumindest i. R. d. Vergabewesens die Grundfreiheiten auch auf rein innerstaatliche Sachverhalte zur Anwendung bringen wolle.463 Diese Annahme widerspricht nicht nur der Systematik der Grundfreiheiten, sondern lässt sich auch mit den Äußerungen des Gerichtshofs nicht in Einklang bringen. Abzustellen ist nämlich nicht auf den benachteiligten inländischen Bieter, sondern auf die „zumindest potenzielle Diskriminierung zu Lasten der Unternehmen aus den anderen Mitgliedstaaten“464. Die erfolgte Vergabe macht der EuGH zum Gegenstand der folgenden Überlegung: Sie ist als diskriminierender Eingriff in die Grundfreiheiten zu sehen, wenn ausländische Bieter keine Gelegenheit hatten, ihr potenzielles Interesse an einem Auftrag geltend zu machen. Die Ursache für diese fehlende Möglichkeit kann sowohl in den materiellen Vergabeanforderungen465 als auch in der Gestaltung des Vergabeverfahrens466 liegen. Die Grundfreiheiten schützen also nicht allein den unterlegenen Bieter aus einem anderen Mitgliedstaat, sondern bereits die potenziell interessierten Binnenmarktteilnehmer. Deren fehlende Beteiligung an einem Vergabeverfahren deutet nicht notwendigerweise auf ein mangelndes Interesse, sondern ggf. auf diskriminierende Teilnahmemöglichkeiten materieller oder prozeduraler Art hin.467 Diesen Fällen fehlt es infolgedessen nicht an einem grenzüberschreitenden Bezug. Allerdings zeigt sich dieser nicht in konkreten ausländischen Sachverhaltselementen. Die Vergabe wird schon dann grundfreiheitlich relevant, wenn Bieter aus einem anderen Mitgliedstaat möglicherweise interessiert sind. Die öffentliche Vergabe von Aufträgen ist grundsätzlich nur notwendig, weil der öffentliche Auftraggeber aus eigener Anschauung das „beste Angebot“ kaum zu finden, den besten Bieter anhand bloßer materieller Gesichtspunkte nicht zu bestimmen vermag. Der EuGH prüft, ob ein potenzielles Interesse an dem Auftrag bestanden haben könnte. Die Verwaltung als öffentlicher Auftraggeber muss sich vice versa bereits 461

EuGH, Rs. C-458/03 (Parking Brixen), Slg. 2005, I-8612, Rn. 55. So zur RL 90/531/EWG EuGH, Rs. C-87/94 (Kommission/Belgien), Slg. 1996, I-2043, Rn. 33 und zur RL 92/50/EWG EuGH, Rs. C-360/96 (BFI Holding), Slg. 1998, I-6821, Rn. 41. Umfassend EuGH, Rs. C-380/98 (University of Cambridge), Slg. 2000, I-8035, Rn. 16; Rs. C-470/99 (Universale-Bau AG), Slg. 2002, I-11617, Rn. 51 m. w. N. 463 So Braun/Hauswaldt, EuZW 2006, 176 (178). 464 EuGH, Rs. C-458/03 (Parking Brixen), Slg. 2005, I-8612, Rn. 55. 465 s. u. Teil 2 A. VI. 4. b). 466 s. u. Teil 2 A. VI. 4. d). 467 So auch GA Stix-Hackl, Schlussantr. zu Rs. C-231/03 (Coname), Slg. 2005, I-7287, Ziff. 27. 462

Teil 2, A. Grundfreiheiten

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vor einer De-facto-Vergabe oder dem Beginn eines Vergabeverfahrens Gedanken machen, ob dem Auftrag ein grenzüberschreitendes Interesse entgegengebracht werden könnte.

(2) Binnenmarktrelevanz Die gerade dargestellte Rechtsprechung wirft die Frage auf, unter welchen Umständen davon auszugehen ist, dass ein öffentlicher Auftrag für Bieter aus anderen Mitgliedstaaten potenziell von Interesse ist. In einem obiter dictum zum Coname-Urteil erwog der EuGH die Möglichkeit, eine Verletzung der betreffenden Grundfreiheit wegen einer „sehr geringfügigen wirtschaftlichen Bedeutung“468 des in Frage stehenden Auftrags abzulehnen. Wäre der Auftrag aus diesen oder anderen besonderen Umständen für Bieter aus anderen Mitgliedstaaten nicht von Interesse, seien die „Auswirkungen auf die betreffenden Grundfreiheiten daher zu zufällig und zu mittelbar“469. Hierfür ergaben sich im konkreten Fall aber keine Anhaltspunkte. Eine sachgerechte und mit der Rspr. des EuGH in Einklang stehende Lösung bietet das Kriterium konkreter Binnenmarktrelevanz. Dieses fragt nicht nach der Intensität der grenzüberschreitenden Bezüge, sondern nach deren Wahrscheinlichkeit. Eine Vergabe genügt den primärrechtlichen Anforderungen nicht, wenn sie ein grenzüberschreitendes Interesse missachtet. Die Auswirkungen auf die betreffenden Grundfreiheiten sind jedoch „zu zufällig und zu mittelbar“470, wenn nicht davon auszugehen ist, dass der konkrete Auftrag das Interesse potenzieller Bieter aus anderen Mitgliedstaaten weckt. Damit werden solche Fälle vom Regime des Primärvergaberechts ausgenommen, die nur hypothetisch einen ausländischen Interessenten finden könnten. Eine freihändige Vergabe – d. h. insbesondere ohne Bekanntmachung – ist aus gemeinschaftsrechtlicher Sicht zulässig, solange mangels potenziellen grenzüberschreitenden Interesses keine Binnenmarktrelevanz besteht. Der Gerichtshof differenziert das gemeinschaftsrechtliche Vergaberegime damit weiter aus. Öffentliche Aufträge können nach ihrer Binnenmarktrelevanz in drei Kategorien eingeteilt werden: – Öffentliche Aufträge im Anwendungsbereich der Vergaberichtlinien; – Öffentliche Aufträge, die dem (insgesamt weniger strengen) Primärvergaberecht unterliegen; – Öffentliche Aufträge, die mangels Binnenmarktrelevanz keinen gemeinschaftsrechtlichen Bindungen unterliegen. 468 469 470

EuGH, Rs. C-231/03 (Coname), Slg. 2005, I-7287, Rn. 20. EuGH, Rs. C-231/03 (Coname), Slg. 2005, I-7287, Rn. 20. EuGH, Rs. C-231/03 (Coname), Slg. 2005, I-7287, Rn. 20.

VI. Vergabe öffentlicher Aufträge

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Diese weiter gehende Unterscheidung ist von großer praktischer Bedeutung, wohnt ihr doch das Potenzial inne, die aus den Grundfreiheiten abgeleiteten Vergabeanforderungen einzudämmen.471 Tatsächlich fungiert das Erfordernis der Binnenmarktrelevanz als Untergrenze für die einzelfallbezogenen, nach der Auftragsbedeutung gestaffelten Transparenzanforderungen.472

cc) Konkretisierungsmaßstab Vorstehend wurden die Maximen für die Konkretisierung der Anforderungen durch die Rechtsprechung beschrieben. Es bleibt zu klären, anhand welches Maßstabs diese zu erfolgen hat. Der EuGH ist der Aufforderung der GAin Stix-Hackl, seine Vorstellungen zu konkretisieren,473 nur zum Teil gefolgt: Eine Auftragsvergabe sei dann intransparent und diskriminierend, wenn ein grenzüberschreitendes Interesse aller Voraussicht nach bestehe und mangels eines angemessenen Grades von Öffentlichkeit nicht befriedigt werden könne.474 Nach dem bisher Gesagten sind die Anforderungen an die jeweilige Vergabe in zwei Schritten zu bestimmen: Zunächst hat der Auftraggeber die Binnenmarktrelevanz zu eruieren. Ist von dem dazu erforderlichen grenzüberschreitenden Interesse auszugehen, hat er den im Einzelfall angemessenen Grad von Öffentlichkeit zu ermitteln.475 Dieser bestimmt sich nach dem potenziellen Markt für den konkreten Auftrag.476 Die Entscheidung über die Vergabemodalitäten hängt somit von den Eigenarten des Auftrags ab.477 Die Schwierigkeiten bei der Bestimmung der Binnenmarktrelevanz setzen sich hier fort. Auch hier erscheint die einseitige Orientierung am Auftragswert nicht sachgemäß. Um einen Auftrag an der Skala des grenzüberschreitenden Interesses zu messen, ist ein ganzer Strauß an Kriterien in Rechnung zu stellen.478 Nach Auffassung der Kommission sind die folgenden Faktoren ausschlaggebend:479 471

Mit dieser Tendenz bspw. GA Sharpston, Schlussantr. zu Rs. C-195/04 (Kommission/ Finnland), Slg. 2007, I-3351, Ziff. 86 ff. Zur Rolle des Effizienzgrundsatzes u. Teil 2 A. VI. 4. a) ee). 472 Zu diesen u. Teil 2 A. VI. 4. d). 473 GA Stix-Hackl, Schlussantr. zu Rs. C-231/03 (Coname), Slg. 2005, I-7287, Ziff. 91. 474 EuGH, Rs. C-231/03 (Coname), Slg. 2005, I-7287, Rn. 17; Rs. C-507/03 (Kommission/ Irland), Slg. 2007, I-9777, Rn. 29 ff. 475 Frenz, EWS 2006, 347 (349 f.); Wollenschläger, NVwZ 2007, 388 (392 f.). 476 GA Sharpston, Schlussantr. zu Rs. C-195/04 (Kommission/Finnland), Slg. 2007, I-3351, Ziff. 83. 477 GA Stix-Hackl, Schlussantr. zu Rs. C-507/03 (Kommission/Irland), Slg. 2007, I-9777, Ziff. 80. 478 GA Stix-Hackl, Schlussantr. zu Rs. C-231/03 (Coname), Slg. 2005, I-7287, Ziff. 76 ff. 479 Kommission, Auslegungsmitteilung, S. 3; zustimmend Egger, Europäisches Vergaberecht, Rn. 253.

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Teil 2, A. Grundfreiheiten

– Auftragsgegenstand, – geschätzter Auftragswert, – Besonderheiten des betreffenden Sektors (Größe und Struktur des Marktes, wirtschaftliche Gepflogenheiten), – geographische Lage des Ortes. Neben dem bloßen Auftragswert ist auch der Gegenstand der Beschaffung von Bedeutung. D. h. der öffentliche Auftraggeber hat i. R. e. Marktanalyse das potenzielle grenzüberschreitende Interesse abzuschätzen.480 Hierbei kann an die Differenzierungskriterien des Sekundärvergaberechts angeknüpft werden, soweit diese sachgerecht sind. Die Richtlinien unterscheiden u. a. zwischen Lieferungen, Dienstund Bauleistungen.481 Für Bauleistungen dürfte bspw. die geographische Lage des Auftragsortes entscheidender sein als für Lieferungen. Auch die sektorspezifischen Marktbedingungen können sehr unterschiedlich sein. Lässt sich schon ein hohes Maß an Verflechtung zwischen den nationalen Märkten erkennen, ist eher von einem grenzüberschreitenden Interesse auszugehen, als bei einer heimatorientierten Haltung der Marktteilnehmer. Diese Einzelfallbetrachtung findet sich in der Entscheidungspraxis der Kommission wieder: Deutsche Museen vergaben regelmäßig Aufträge über Kunsttransporte im Zusammenhang mit vorübergehenden Ausstellungen, die unterhalb der Schwellenwerte lagen, ohne jegliche Ausschreibung. Eine Verletzung primärrechtlicher Anforderungen begründete die Kommission insbesondere mit der Tatsache, dass es in Europa einen „hochentwickelten Markt für Kunsttransporte“482 gebe. Darüber hinaus seien gerade solche geringeren Aufträge für mittelständische Unternehmen besonders interessant.483 Die bereits vorhandenen Verflechtungen und Geschäftsbeziehungen machten aus Sicht der Kommission auch verhältnismäßig kleine Aufträge für Unternehmen aus anderen Mitgliedstaaten interessant. Dieser Betrachtungsweise ist zuzustimmen. Die Erfahrungen mit der Liberalisierung des öffentlichen Auftragswesens zeigen, dass sich ein grenzüberschreitender Markt nicht stante pede herstellen lässt, sondern sich schrittweise entwickelt.484 Entsprechendes lässt sich auch bzgl. der geographischen Lage des Auftragsortes feststellen. Grenznahe kommunale öffentliche Auftraggeber werden eher mit dem Interesse von Unternehmen aus benachbarten Mitgliedstaaten zu rechnen haben als solche in zentraler Lage.485 Hierbei handelt es sich nicht um ein auf das 480

GA Stix-Hackl, Schlussantr. zu Rs. C-231/03 (Coname), Slg. 2005, I-7287, Ziff. 100. GA Stix-Hackl, Schlussantr. zu Rs. C-231/03 (Coname), Slg. 2005, I-7287, Ziff. 76. 482 Kommission, Pressemitteilung vom 14.1.2005, IP/05/44. 483 Kommission, Pressemitteilung vom 15.7.2005, IP/05/949. 484 Auch langfristig kritisch sieht dies allerdings Marx, Vergaberecht, in: Brinker/Scheuing/ Stockmann (Hrsg.), Recht und Wettbewerb, S. 305 (322 f.). 485 Umgekehrt ist die räumliche Nähe der Bieter zum Auftragsort jedoch keine zulässige Zuschlagsvoraussetzung, EuGH, Rs. C-315/01 (GAT), Slg. 2003, I-6351, Rn. 69 ff. (zu einem Fall 481

VI. Vergabe öffentlicher Aufträge

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Vergabewesen beschränktes Phänomen. Grundsätzlich bietet der europäische Binnenmarkt für grenznahe Marktteilnehmer mehr Teilnahmemöglichkeiten als für solche im Inneren eines Mitgliedstaates.486 Das Maß an potenziellem grenzüberschreitendem Interesse ergibt sich somit nicht allein aus dem Auftragswert. Vielmehr hat der öffentliche Auftraggeber vor Beginn der Vergabe anhand der genannten Kriterien die Binnenmarktrelevanz seines Auftrages zu ermitteln. Dieser Vorgang unterliegt, als Voraussetzung für das folgende Vergabeverfahren, der gerichtlichen Überprüfung.487 Am Grad des potenziellen grenzüberschreitenden Interesses orientiert sich der „angemessene Grad von Öffentlichkeit“. Nach einer Je-desto-Formel sind umso größere Anforderungen an die Auftragsvergabe zu stellen, je eher von einem grenzüberschreitenden Interesse ausgegangen werden kann.488 Diese Abstufung wird in der Rechtsprechung des Gerichtshofs deutlich. In der Rs. Telaustria überließ der EuGH dem nationalen Gericht die Entscheidung, ob der angemessene Grad von Öffentlichkeit eingehalten worden war.489 Im Urteil Parking Brixen stellte er hingegen fest, dass die Vergabe einer umfangreichen Dienstleistungskonzession, die „weder bekannt gemacht noch ausgeschrieben“490 werde, mit den Grundfreiheiten nicht vereinbar sei. Berücksichtigt man die dargestellte Abstufung der Anforderungen, steht die Feststellung des Coname-Urteils, die Grundfreiheiten umfassten nicht „notwendigerweise eine Verpflichtung zur Vornahme einer Ausschreibung“491 hierzu nur in einem scheinbaren Widerspruch.492 Die Ausprägung der Anforderungen ist von den Eigenschaften des fraglichen Auftrags abhängig. Den vorläufigen Schlusspunkt dieser Rechtsprechung bildet die Aussage des EuGH, „das völlige Fehlen einer Ausschreibung im Fall der Vergabe eines öffentlichen Dienstleistungsauftrags“493 entspreche grundsätzlich nicht den Anforderungen des Primärvergaberechts.

i. R. d. Richtlinien); explizit für eine diskriminierende Wirkung dieses Kriteriums GA Geelhoed, Schlussantr. zu Rs. C-315/01 (GAT), Slg. 2003, I-6351, Ziff. 57 ff. 486 Zur Belastung ausländischer Unternehmen durch das deutsche Versandhandelsverbot im Arzneimittelhandel Kingreen, ZESAR 2004, 102 (104). 487 EuGH, Rs. C-458/03 (Parking Brixen), Slg. 2005, I-8612, Rn. 50. 488 Frenz, VergabeR 2007, 1 (3). 489 EuGH, Rs. C-324/98 (Telaustria und Telefonadress), Slg. 2000, I-10745, Rn. 62 f. 490 EuGH, Rs. C-458/03 (Parking Brixen), Slg. 2005, I-8612, Rn. 55, 72. 491 EuGH, Rs. C-231/03 (Coname), Slg. 2005, I-7287, Rn. 21. 492 Frenz, EWS 2006, 347 (350). 493 EuGH, Rs. C-220/06 (Asociación Profesional de Empresas de Reparto y Manipulado de Correspondencia), Slg. 2007, I-12175, Rn. 76.

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Teil 2, A. Grundfreiheiten

dd) Keine Übertragung der Anforderungen der Vergaberichtlinien Die Richtlinien dienen der „Koordinierung der nationalen Verfahren für die Vergabe solcher Aufträge“494, die einen bestimmten Wert überschreiten. Für unterschwellige Aufträge und andere vom Geltungsbereich ausgenommene Sachverhalte hat der Gemeinschaftsgesetzgeber die strengen Vorgaben der Richtlinien nicht für notwendig oder rechtspolitisch opportun erachtet.495 Eine entsprechende Anwendung der Richtlinien im Primärvergaberecht hieße, sie als „geronnenes Verfassungsrecht“ zu interpretieren. Der Entscheidungsspielraum des Gemeinschaftsgesetzgebers würde negiert. Den Geltungsbereich der Richtlinien unter dem Deckmantel der Grundfreiheiten auszudehnen, liefe dem erklärten Willen des Gesetzgebers zuwider. Damit würde auch das Rechtssetzungsverfahren gem. Art. 114, 293 AEUV umgangen, welches u. a. eine Einigung der Mitgliedstaaten im Rat voraussetzt.496 Dies wäre weder mit dem Gewaltenteilungsgrundsatz noch mit dem Demokratieprinzip vereinbar.497 Insbesondere ergäbe sich ein Kompetenzkonflikt zwischen der Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten, denen die Regelungskompetenz zukommt, solange keine Totalharmonisierung erfolgt ist. Eine Übertragung der Richtlinien-Anforderungen auf Auftragsvergaben, die nicht in deren Anwendungsbereich fallen, scheidet somit aus. Zu nachhaltigen Irritationen hat in diesem Zusammenhang die Auslegungsmitteilung der Kommission geführt. Mangels Regelungskompetenz konnte die Kommission jedoch mit dieser Mitteilung keine eigenständigen Anforderungen aufstellen. Die „Konkretisierungslast“498 für die Ausfüllung der allgemeinen Grundsätze trägt damit in erster Linie der jeweilige öffentliche Auftraggeber.499 Er hat nicht nur das Recht, sondern auch die schwierige Aufgabe, das Vergabeverfahren nach den Besonderheiten seines zu vergebenden Auftrages zu gestalten und dabei die Anforderungen der Grundfreiheiten zu beachten. Hierbei handelt es sich keineswegs um eine unzumutbare Sonderbelastung der nationalen Verwaltungsstellen,

494

Vgl. 2. Erwägungsgrund der RL 2004/18/EG. In der Rs. C-220/06 (Asociación Profesional de Empresas de Reparto y Manipulado de Correspondencia), Slg. 2007, I-12175, Rn. 72 stellte der EuGH fest, „dass der Gemeinschaftsgesetzgeber der Auffassung war, dass die in den Richtlinien über öffentliche Aufträge vorgesehenen besonderen und strengen Verfahren nicht angemessen sind, wenn es sich um Aufträge von geringem Wert handelt“. Vom Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts seien sie deswegen jedoch nicht ausgenommen. 496 Hierzu GA Stix-Hackl, Schlussantr. zu Rs. C-231/03 (Coname), Slg. 2005, I-7287, Ziff. 82 f.; Egger, Vergabe- und Privatisierungsmaßnahmen, S. 30. 497 Burgi, NZBau 2005, 610 (613). 498 Begriff bei Frenz, EWS 2006, 347. 499 Kommission, Auslegungsmitteilung, S. 3; Frenz, VergabeR 2007, 1 (3). 495

VI. Vergabe öffentlicher Aufträge

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die i. d. R. von diesen Anforderungen betroffen sind.500 Denn es ist grundsätzlich die Aufgabe der öffentlichen Verwaltung, bei ihrem Handeln die öffentlich-rechtlichen Bindungen zu beachten und in ein entsprechendes Verwaltungsverfahren einzubetten. Insofern unterscheiden sich die Bindungen aus den Grundfreiheiten in keiner Weise von den Anforderungen der Grundrechte oder des Rechtsstaatsprinzips.501 Dennoch zeigen sich hier die gleichen Schwierigkeiten bei der Konkretisierung von Verfassungsrecht, welche auch schon für die innerstaatliche Ebene festgestellt wurden.502 Solange weder eine Regelung der Materie durch den Gemeinschaftsgesetzgeber noch eine etablierte Entscheidungspraxis besteht, bleibt die rechtliche Situation für Auftraggeber und potenzielle Bieter unwägbar. Jedenfalls insoweit ist die Auslegungsmitteilung der Kommission zu begrüßen.503 Eine grundfreiheitskonforme Normierung durch den nationalen Gesetzgeber würde der Kompetenzabgrenzung und dem Bedürfnis nach Rechtssicherheit am Ehesten gerecht.

ee) Beschränkung durch den Effizienzgrundsatz? Der EuGH hat sich, bezogen auf die Vergabe öffentlicher Aufträge, bislang nicht zu der Frage geäußert, inwieweit Dauer und Aufwand des Vergabeverfahrens in Rechnung zu stellen sind. Auch die Auslegungsmitteilung der Kommission enthält hierzu keine Ausführungen. Eine derartige Begrenzung der Vergabeanforderungen wird unter Berufung auf die Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit gefordert.504 Der Subsidiaritätsgrundsatz gem. Art. 5 EUV (früher: Art. 5 EGV) fordere eine Abwägung der Vor- und Nachteile bei der Einschränkung des nationalen Rechts durch gemeinschaftsrechtliche Vorgaben.505 Dieses weite Verständnis des Subsidiaritätsprinzips ist allerdings zweifelhaft. Art. 5 EUV begrenzt die Tätigkeit der Gemeinschaft, d. h. ihre tatsächlichen und rechtsetzenden Handlungen.506 Vorliegend wird die Gemeinschaft jedoch gar nicht tätig. Die Vergabeanforderungen entstammen gerade nicht einem Rechtsakt der Gemeinschaft, sondern dem Primärrecht selbst. Weiter sind sie nicht auf objektivrechtliche Vorgaben gegenüber den Mitgliedstaaten, sondern auf die Grundfreiheiten als subjektive Rechte zurückzuführen. Die Forderung nach einer Begrenzung 500

In diese Richtung aber Dabringhausen/Sroka, VergabeR 2006, 462 (463). Zu diesen o. Teil 1 B. II. und Teil 1 B. I. 2. 502 s. o. Teil 1 B. II. 3. d). 503 So auch Schnieders, DVBl. 2007, 287 (291). 504 Egger, Vergabe- und Privatisierungsmaßnahmen, S. 21 m. w. N.; einseitigen Schutz des Wettbewerbs kritisiert Kühling, JZ 2008, 1117 (1122 ff.). 505 GA Sharpston, Schlussantr. zu Rs. C-195/04 (Kommission/Finnland), Slg. 2007, I-3351, Ziff. 88. 506 Calliess, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 5 EGV, Rn. 8 f. 501

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Teil 2, A. Grundfreiheiten

gemeinschaftsrechtlicher Verpflichtungen zielt nicht auf eine Handlungsbeschränkung, sondern auf eine restriktivere Auslegung des Primärrechts.507 Hinter dem Postulat der Subsidiarität vergaberechtlicher Verpflichtungen steht daher nicht Art. 5 EUV, sondern die Kritik am Judicial Activism des EuGH.508 Die Kritik an einer ausufernden Auslegung der Grundfreiheiten ist insoweit berechtigt, als eine unverhältnismäßige Verfahrensverzögerung den prozeduralen Schutz selbst ad absurdum führen würde.509 Es ist daher zu beachten, dass den Grundfreiheiten nur ein prozeduraler Mindeststandard zu entnehmen ist.510 D. h. die Anforderungen gehen nur soweit, wie es für die Durchsetzung der Bieterrechte unabdingbar notwendig ist. Es verbieten sich daher auch überfrachtete Verfahrensgestaltungen, die letztendlich die Auftragsvergabe nicht nur für den Staat, sondern auch für die anderen Beteiligten impraktikabel machen. Eine hierüber hinausgehende Beschränkung des primärrechtlich gebotenen Vergabeverfahrens allein aus Subsidiaritäts- oder Effizienzerwägungen ist jedoch abzulehnen. Solche Eingriffe in die Grundfreiheiten unterliegen den allgemeinen Rechtfertigungsanforderungen.511

b) Materielle Anforderungen der Grundfreiheiten Die materiellen Anforderungen der Grundfreiheiten an die Vergabe öffentlicher Aufträge richten sich nach der einschlägigen Grundfreiheit. Wie die prozeduralen Vorgaben512 lassen sich Beeinträchtigungen nach den allgemeinen Regeln rechtfertigen. Je nach Auftragsgegenstand sind produkt- und bieterbezogene Vorgaben zu unterscheiden.513 Dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung kommt hier besondere Bedeutung zu.514

aa) Produktbezogene Vorgaben Der Auftragsgegenstand darf nicht in diskriminierender Weise näher bestimmt sein. Vorschriften, die die grenzüberschreitende Auftragsvergabe erschweren, sind 507 Zum Verhältnis von Subsidiaritätsprinzip und der Auslegungsmethode des „effet util“ Calliess, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 5 EGV, Rn. 17. 508 Auch in Beziehung auf die Kompetenzabgrenzung wird des Öfteren Kritik am EuGH laut, vgl. Everling, EuZW 2002, 357 ff.; Oppermann, Europarecht, § 9, Rn. 11; Wegener, in: Calliess/ Ruffert, EUV/EGV, Art. 220, Rn. 17 ff. jew. m. w. N. 509 Schmidt-Aßmann, NVwZ 2007, 40 (44). 510 Burgi, NZBau 2005, 610. 511 Weiter gehend Kühling, WiVerw 2008, 239 (245 f.). Zur Rechtfertigung einer unterbliebenen Bekanntmachung s. u. Teil 2 A. VI. 4. d) aa) (2) (b). 512 Zu diesen sogleich. 513 Ausführliche Darstellung bei Hailbronner, in: Grabitz/Hilf, EU, B 2, Rn. 13 ff. 514 Frenz, EWS 2006, 347 (350).

VI. Vergabe öffentlicher Aufträge

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als „Maßnahmen gleicher Wirkung“ i. S. v. Art. 34 AEUV einzuordnen, wobei eine objektive oder faktische Eignung hierzu ausreicht.515 Können produktbezogene Vorgaben von Bietern aus anderen Mitgliedstaaten schwerer erfüllt werden als von einheimischen, kann eine mittelbare Diskriminierung vorliegen.516 In der Beschreibung darf daher nicht auf eine bestimmte Produktion oder Herkunft oder auf Marken, Patente, Typen etc. verwiesen werden, soweit dies nicht durch den Auftragsgegenstand gerechtfertigt und mit dem Zusatz „oder gleichwertig“ versehen ist.517 Allerdings lassen sich den Grundfreiheiten nicht derart spezifische Anforderungen an die Leistungsbeschreibung entnehmen wie den Vergaberichtlinien.518 Ob es sich bei den Waren um den Auftragsgegenstand selbst handelt oder um Produkte, die bei der Erfüllung des Auftrags verwendet werden sollen, macht in der Sache keinen Unterschied. Insbesondere hat der EuGH Vorgaben für rechtswidrig angesehen, das Produkt müsse – aus dem Inland519 oder – aus einer bestimmten Region des Mitgliedstaates stammen520 oder – einer inländischen Industrienorm entsprechen521.522

bb) Bieterbezogene Vorgaben Mit den Grundfreiheiten unvereinbar sind auch offen oder versteckt diskriminierende bieterbezogene Vorgaben.523 Kommen unmittelbar diskriminierende Regelungen nur selten vor,524 so existiert eine reichhaltige Rechtsprechung zu mittelbar diskriminierenden Anforderungen. Diese gelten zwar unterschiedslos für In- und Ausländer, sind für Letztere i. d. R. aber nicht oder schwerer zu erfüllen als für inländische Bieter.525 Der EuGH stellt keine hohen Anforderungen an den Nachweis mittelbarer Diskriminierungen.

515

Hailbronner, in: Grabitz/Hilf, EU, B 2, Rn. 11. Pünder, NZBau 2003, 530 (535). 517 Kommission, Auslegungsmitteilung, S. 5. 518 Egger, Europäisches Vergaberecht, Rn. 263. 519 EuGH, Rs. 263/85 (Kommission/Italien), Slg. 1991, I-2457; Rs. C-243/89 (Kommission/ Dänemark), Slg. 1993, I-3353, Rn. 23. 520 EuGH, Rs. C-21/88 (Du Pont de Nemours Italiana), Slg. 1990, I-889, Rn. 10 ff.; Rs. 263/85 (Kommission/Italien), Slg. 1991, I-2457. 521 GA Fenelly, Schlussantr. zu Rs. 45/87 (Kommission/Irland), Slg. 1988, 4929, Rn. 18. 522 Zusammenfassend Wollenschläger, NVwZ 2007, 388 (391). 523 Kommission, Auslegungsmitteilung, S. 6; Hailbronner, in: Grabitz/Hilf, EU, B 2, Rn. 11. 524 Z. B. EuGH, Rs. C-113/89 (Rush Portuguesa), Slg. 1990, I-1417, Rn. 12. 525 EuGH, Rs. 31/87 (Beentjes), Slg. 1988, 4635, Rn. 30; Wollenschläger, NVwZ 2007, 388 (391). 516

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Teil 2, A. Grundfreiheiten

Indirekt diskriminierende bieterbezogene Vorgaben sind etwa: – Eintragung in ein inländisches Berufsverzeichnis,526 – Bezeichnung von Losen nach nationalen Klassifizierungen.527 Daneben hat der Gerichtshof in einer ganzen Reihe von Entscheidungen das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung betont, welches Doppelbelastungen ausländischer Marktteilnehmer verhindern soll.528 Die öffentlichen Auftraggeber haben als Diplome, Prüfungszeugnisse und sonstige Befähigungsnachweise auch Dokumente aus anderen Mitgliedstaaten zu akzeptieren.529 Gegen das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung verstößt z. B. das Erfordernis einer zusätzlichen Niederlassungsgenehmigung für das Inland des Auftraggebers als Nachweis der Zuverlässigkeit und Fähigkeit.530 Gegen die materiellen Vorgaben der Grundfreiheiten verstoßen auch die folgenden Bewertungskriterien zur Auftragnehmerauswahl: – zum Zeitpunkt der Angebotsabgabe bestehende Geschäftsräume des Bieters vor Ort; – Produktions-, Wartungs- und Abfüllanlagen im Umkreis von 1000 km; – Etablierung auf dem Heimatmarkt des Auftraggebers.531

cc) Fazit Bereits bei der Beschreibung des Auftragsgegenstandes und der Auswahlkriterien für den Auftragnehmer hat die zuständige Stelle auf eine grundfreiheitskonforme Gestaltung zu achten. Die Vergabe öffentlicher Aufträge erweist sich als besonders anfällig für mittelbare Diskriminierungen, da öffentliche Auftraggeber sowohl in Bezug auf den Auftragsgegenstand als auch auf den Auftragnehmer bekannte Größen bevorzugen. Diese lassen sich, wie z. B. berufliche Qualifikationen, besser einschätzen und eine einfachere Abwicklung erwarten (so bei einem nahegelegenen Niederlassungsort). Derartige Kriterien sind indes rechtfertigungsbedürftig.

526

EuGH, Rs. C-225/98 (Kommission/Frankreich), Slg. 2000, I-7445, Rn. 85 ff. EuGH, Rs. C-225/98 (Kommission/Frankreich), Slg. 2000, I-7445, Rn. 76 ff. 528 s. o. Teil 2 A. III. 1. 529 Kommission, Auslegungsmitteilung, S. 6. 530 EuGH, Rs. 76/81 (Transporoute et Travaux), Slg. 1982, 417, Rn. 14 f. M.w.N. auch Egger, Europäisches Vergaberecht, Rn. 271. 531 EuGH, Rs. C-234/03 (Contse u. a.), Slg. 2005, I-9315, Rn. 28 ff. Weitere kritische Gestaltungen s. Egger, Europäisches Vergaberecht, Rn. 265 f. m. w. N. 527

VI. Vergabe öffentlicher Aufträge

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c) Primärrechtliche Vergabegrundsätze aa) Transparenzgrundsatz In nahezu allen bisher ergangenen Leitentscheidungen des EuGH zum primären Vergaberecht hat sich dieser auf den aus den Grundfreiheiten abgeleiteten Grundsatz der Transparenz berufen.532 Das Transparenzgebot wirkt als Kristallisationspunkt der prozeduralen Anforderungen, die der EuGH den Grundfreiheiten für das Vergabewesen entnimmt.533 In jedem Vergabeverfahren – unabhängig von seiner rechtlichen Basis – ist Transparenz die Grundvoraussetzung für dessen Überschaubarkeit und Nachvollziehbarkeit.534 Auch die Allgemeinheit profitiert in einem demokratisch und rechtsstaatlich verfassten Gemeinwesen von transparenten Strukturen.535 Der Zwang zur Offenlegung von Auftragsvergaben wirkt der Verschwendung öffentlicher Gelder entgegen.536 Dies gilt nicht nur für das deutsche Vergaberecht, das schon vor den Änderungen durch die Vergaberichtlinie u. a. mit § 9 Nr. 1 VOB/A sowie § 30 Nr. 1 und 2 VOB/A und VOL/A eine transparente Auftragsvergabe anstrebte. Auch andere Rechtsordnungen kennen den Grundsatz der Transparenz als Leitprinzip der öffentlichen Auftragsvergabe.537 Der EuGH verbindet zwei fundamentale prozedurale Funktionen mit dem Grundsatz der Transparenz. Inhalt dieser Verpflichtung sei es, einen angemessenen Grad an Öffentlichkeit sicherzustellen, damit sich der entsprechende Markt „dem Wettbewerb öffnet und die Nachprüfung ermöglicht, ob die Vergabeverfahren unparteiisch durchgeführt“538 wurden. Im Vergabeverfahren wird dies durch Publizität, Partizipation und Rechtsschutz erreicht. Die Publizität in Gestalt der Auftragsveröffentlichung soll den Auftrag dem Wettbewerb öffnen. Wie schon gesehen,539 hat der Wettbewerbsaspekt bei der Auftragsvergabe zwei Seiten. Einerseits ist Wettbewerb die prozedurale Umsetzung des Wirtschaftlichkeitsgrundsatzes (kompensatorische Prozeduralisierung), 532 U. a. EuGH, Rs. C-275/98 (Unitron Scandinavia und 3-S), Slg. 1999, I-8291, Rn. 31; Rs. C-324/98 (Telaustria und Telefonadress), Slg. 2000, I-10745, Rn. 61; Rs. C-231/03 (Coname), Slg. 2005, I-7287, Rn. 17; Rs. C-458/03 (Parking Brixen), Slg. 2005, I-8612, Rn. 49 ff.; Rs. C-410/04 (ANAV), Slg. 2006, I-3303, Rn. 21; Rs. C-507/03 (Kommission/Irland), Slg. 2007, I-9777, Rn. 30. 533 Braun/Hauswaldt, EuZW 2006, 176 (178). 534 Summann, Vergabegrundsätze, S. 32. 535 Allgemein hierzu Kühling, DVBl. 2008, 1098 ff. 536 Marx, in: Jestaedt u. a., Recht der Auftragsvergabe, S. 12. 537 Summann, Vergabegrundsätze, S. 41 f. zum US-amerikanischen Vergabeverfahren. 538 EuGH, Rs. C-324/98 (Telaustria und Telefonadress), Slg. 2000, I-10745, Rn. 61 f.; Rs. C-458/03 (Parking Brixen), Slg. 2005, I-8612, Rn. 49; Rs. C-410/04 (ANAV), Slg. 2006, I-3303, Rn. 21. 539 s. o. Teil 2 A. VI. 3.

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Teil 2, A. Grundfreiheiten

andererseits ist Wettbewerb die Folge einer transparenten Vergabeweise, in der sich die Teilhabe der Grundfreiheitsträger am Binnenmarkt verwirklicht. Die Öffentlichkeit des Vergabevorgangs stellt sicher, dass dieser unparteiisch, fair und nichtdiskriminierend abläuft. Damit zielt der Gerichtshof primär nicht auf die Herstellung von Wettbewerb, sondern aktiviert die rechtssichernde Funktion des Verwaltungsverfahrens. Die so aus der Transparenz abgeleitete Öffentlichkeit ist aber von jener zu unterscheiden, die sich bspw. aus dem Demokratieprinzip ergibt. Denn insoweit stehen nicht die Interessen des Gemeinwesens im Hintergrund; bestimmend sind vielmehr die Grundfreiheiten als subjektive Rechte der potenziellen Bieter. Hierbei handelt es sich nicht um eine abstrakt-theoretische Differenzierung, denn sie hat unmittelbare Auswirkungen auf die Gestaltung des Verfahrens. Zu denken ist dabei insbesondere an die Form der Publizitätspflichten, der Beteiligungsrechte und die einzuhaltenden Fristen.540 Wie bereits im 1. Teil ausgeführt, haben Verfahren, die der demokratischen Legitimation dienen, eine andere Struktur, gerade weil nicht das Interesse Einzelner oder bestimmter Gruppen im Mittelpunkt steht.541

bb) Grundsatz der Gleichbehandlung der Bieter Schwerer einzuordnen ist der „Grundsatz der Gleichbehandlung der Bieter“, den der EuGH ebenfalls zur Grundlage seiner Rechtsprechung gemacht hat.542 Während die Publizität der Vergabe Mittel zur Herstellung von Transparenz ist, verwirklicht sich die Chancengleichheit der Bieter schwerpunktmäßig in einer entsprechenden Gestaltung des eigentlichen Vergabeverfahrens im Anschluss an eine Bekanntmachung („Vergabeverfahren i. e. S.“)543 sowie in den materiellen Vorgaben der Grundfreiheiten544. Inzwischen hat der EuGH wiederholt entschieden, dieser Grundsatz gelte auch, sofern keine Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit vorliege.545 Mitunter wird hieraus auf ein Ende der Inländerdiskriminierung546 oder eine 540

Hierzu u. Teil 2 A. VI. 4. d). s. o. Teil 1 B. I. 1. 542 EuGH, Rs. C-87/94 (Kommission/Belgien), Slg. 1996, I-2043, Rn. 33; Rs. C-458/03 (Parking Brixen), Slg. 2005, I-8612, Rn. 48; Rs. C-410/04 (ANAV), Slg. 2006, I-3303, Rn. 20. Exemplarisch für den parallelen Einsatz von Transparenz und Gleichbehandlung auch EuGH, Rs. C-331/04 (ATI EAC u. a.), Slg. 2005, I-10109, Rn. 20. 543 Zu diesem u. Teil 2 A. VI. 4. d) cc). 544 Sogleich Teil 2 A. VI. 4. b). 545 EuGH, Rs. C-458/03 (Parking Brixen), Slg. 2005, I-8612, Rn. 48; Rs. C-410/04 (ANAV), Slg. 2006, I-3303, Rn. 20; Rs. C-220/06 (Asociación Profesional de Empresas de Reparto y Manipulado de Correspondencia), Slg. 2007, I-12175, Rn. 72. 546 Braun/Hauswaldt, EuZW 2006, 176 (177); hiergegen deutlich EuGH, Rs. C-380/05 (Centro Europa 7), Slg. 2008, I-349, Rn. 69. 541

VI. Vergabe öffentlicher Aufträge

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v. a. freiheitsrechtliche Funktion der Grundfreiheiten geschlossen547. Bei genauerer Betrachtung der einschlägigen Rechtsprechung kommen an dieser Betrachtungsweise jedoch Zweifel auf. Diese Aussage ist nämlich mit den schon dargestellten Anforderungen an ein grenzüberschreitendes Interesse ins Verhältnis zu setzen. Den Ausgangspunkt dieser Rechtsprechung bildet ein frühes Urteil zu den Vergaberichtlinien. Dort stellte der EuGH fest, dass die Verfahren der Richtlinien auch einzuhalten seien, wenn kein Bieter aus einem anderen Mitgliedstaat daran beteiligt sei.548 Der Gerichtshof unterstrich damit die Bedeutung der gem. Art. 95 EGV a. F. harmonisierten Vergabeverfahren. Diese schützen nicht nur den konkret beteiligten ausländischen Bieter. Erst der verlässliche, staatenübergreifend vergleichbare – eben harmonisierte – Ablauf der Auftragsvergabe bewirkt ein Zusammenwachsen des Binnenmarktes. Denn die Vorhersehbarkeit des Verfahrens macht es für Interessenten attraktiv, auch auf anderen nationalen Märkten aktiv zu werden, d. h. ein grenzüberschreitendes Interesse erst zu entwickeln. Der Grundsatz der Gleichbehandlung der Bieter spricht damit, neben anderen Erwägungen, für eine Einhaltung der Richtlinienvorgaben, auch wenn im konkreten Fall keine Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit vorliegt.549 Diese Rechtsprechung hat das Gericht auf das Primärvergaberecht übertragen. Die Chancengleichheit der Bieter müsse auch hier gewahrt sein.550 Fraglich ist aber, ob sich aus den Grundfreiheiten damit eine – Art. 3 Abs. 1 GG vergleichbare – allgemeine Gleichbehandlungspflicht ergibt. Die Grundfreiheiten sind subjektive Rechte des Einzelnen, dienen aber gleichzeitig der Durchsetzung des Binnenmarktes.551 Sie schützen damit nur vor solchen Ungleichbehandlungen, die sich spezifisch gegen grenzüberschreitende Tätigkeiten richten.552 Dies wird bei der Konkretisierung der prozeduralen Anforderungen an die Auftragsvergabe zu beachten sein.553

547

Wollenschläger, NVwZ 2007, 388 (394). EuGH, Rs. C-87/94 (Kommission/Belgien), Slg. 1996, I-2043, Rn. 33. 549 EuGH, Rs. C-470/99 (Universale-Bau AG), Slg. 2002, I-11617, Rn. 98; Rs. C-331/04 (ATI EAC u. a.), Slg. 2005, I-10109, Rn. 24; Rs. C-532/06 (Lianakis u. a.), Slg. 2008, I-251, Rn. 3 6 ff. 550 EuGH, Rs. C-458/03 (Parking Brixen), Slg. 2005, I-8612, Rn. 48; Rs. C-220/06 (Asociación Profesional de Empresas de Reparto y Manipulado de Correspondencia), Slg. 2007, I-12175, Rn. 74. 551 Hierzu schon o. Teil 2 A. VI. 3. a). 552 Kingreen, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 28–30 EGV, Rn. 69. 553 Für eine allgemeine Geltung des Gleichbehandlungsgrundsatzes aber Kaelble, Vergabeentscheidung, S. 232 ff. 548

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Teil 2, A. Grundfreiheiten

cc) Kein allgemeiner Wettbewerbsgrundsatz im Primärvergaberecht Näherer Betrachtung bedarf, ob sich dem Primärrecht ein Wettbewerbsgrundsatz entnehmen lässt. Schon für das Sekundärvergaberecht lässt sich kein eindeutiger Befund erheben. Art. 10 RL 2004/17/EG nennt als „Grundsätze für die Vergabe von Aufträgen“ lediglich die der Gleichbehandlung, Nichtdiskriminierung und Transparenz. In den Erwägungsgründen der beiden Vergaberichtlinien wird auf die Grundsätze der Gleichbehandlung bzw. Nichtdiskriminierung, Transparenz, Verhältnismäßigkeit und gegenseitigen Anerkennung verwiesen.554 Das Sekundärvergaberecht solle die „Wirksamkeit dieser Grundsätze und die Öffnung des öffentlichen Beschaffungswesens für den Wettbewerb“555 garantieren. Der Wettbewerb wird also als Regelungsziel und nicht als prägender Verfahrensgrundsatz gesehen.556 Nichts Gegenteiliges lässt sich der Rechtsprechung des EuGH entnehmen. Der Gerichtshof stellt insbesondere auf die Grundsätze der Gleichbehandlung und der Transparenz ab, deren Beachtung Wettbewerb zur Folge habe.557 Mit den Worten des Generalanwalts Léger: „Daher koordinieren die gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften über öffentliche Aufträge, insbesondere die Richtlinie, die Verfahren zur Vergabe dieser Aufträge in der Weise, dass die Wirtschaftsteilnehmer zueinander in Wettbewerb treten.“558

In der deutschen Literatur wird dem Wettbewerbsgrundsatz im nationalen Vergaberecht eine tragende Rolle zuerkannt. Er gelte für Auftraggeber und Auftragnehmer gleichermaßen.559 Nach a. A. kommt dem Wettbewerbsgrundsatz keine eigenständige normative Bedeutung zu. Im Wettbewerb verwirkliche sich lediglich die transparente und diskriminierungsfreie Auftragsvergabe.560 Wie gesehen, verfolgen sowohl die Vergaberichtlinien als auch das nationale Vergaberecht den Zweck der kostengünstigen Beschaffung. Dieses Ziel soll über eine Beschaffung im Wettbewerb (§ 97 Abs. 1 GWB) erreicht werden.561 Insoweit ist der Wettbewerb also nicht lediglich Ziel, sondern auch Mittel, um die Auftragsvergabe an den günstigsten Bieter zu erreichen. Dem Wettbewerbsgrundsatz

554

Erwägungsgrund 9 RL 2004/17/EG; Erwägungsgrund 2 RL/2004/18. Erwägungsgrund 2 RL/2004/18. 556 Kaelble, Vergabeentscheidung, S. 242. 557 EuGH, Rs. 31/87 (Beentjes), Slg. 1988, 4635, Rn. 21; Rs. C-399/98 (Ordine degli Architetti delle Province di Milano e Lodi), Slg. 2001, I-5409, Rn. 52; Verb. Rs. C-285/99 und C-286/99 (Impresa Lombardini), Slg. 2001, I-9233, Rn. 34 f.; Rs. C-513/99 (Concordia Bus Finland), Slg. 2002, I-7213, Rn. 81. A. A. GA Stix-Hackl, Schlussantr. zu Rs. C-247/02 (Sintesi), Slg. 2004, I-9215, Ziff. 33 ff. 558 GA Léger, Schlussantr. zu Rs. C-399/98 (Ordine degli Architetti delle Province di Milano e Lodi), Slg. 2001, I-5409, Ziff. 76. 559 Brauer, in: Kulartz/Kus/Portz, GWB, § 97, Rn. 3; Weyand, VergabeR, Rn. 94. 560 Ziekow, VergabeR 2006, 702 (708 f.). Kritisch Burgi, NZBau 2008, 29 (33). 561 Näher zur Funktion des Wettbewerbs bei der Preisbestimmung s. u. Teil 2 B. II. 1. 555

VI. Vergabe öffentlicher Aufträge

203

kommt i. R. d. kompensatorischen Prozeduralisierung eine eigenständige Bedeutung zu, die über Gleichbehandlung und Transparenz hinausgeht.562 Ein unscharfes Bild zeigt sich mit Blick auf das Primärvergaberecht. Nach der Rechtsprechung des EuGH ist der Auftraggeber zur Herstellung eines angemessenen Grades von Öffentlichkeit verpflichtet, welcher den jeweiligen Markt dem Wettbewerb öffnet.563 Diese Verpflichtung leitet der EuGH jedoch ausdrücklich aus dem Transparenzgrundsatz ab.564 Der Gerichtshof sieht den Wettbewerb damit als Folge einer transparenten und diskriminierungsfreien Vergabe und nicht als strukturgebenden Grundsatz.565 Einen Widerspruch zu den Vergaberichtlinien bedeutet dies nicht, gehen diese doch über die Anforderungen der Grundfreiheiten hinaus. So ist der Gleichbehandlungsgrundsatz der Vergaberichtlinien auch zugunsten von Inländern anzuwenden, was sich nicht mit den Grundfreiheiten erklären lässt.566 Die Grundfreiheiten schützen i. R. d. Beschaffungswesens die Marktteilnehmer allein vor einem diskriminierenden Ausschluss von der Auftragsvergabe. Die Entstehung von Wettbewerb setzt dies nicht notwendig voraus. Etwas anderes gilt allerdings für den Bereich des Sekundärvergaberechts. Dieses dient neben dem Binnenmarkt auch der kostengünstigen Beschaffung,567 welche sich durch eine Vergabe im Wettbewerb erreichen lässt. Ein allgemeiner Wettbewerbsgrundsatz lässt sich den Grundfreiheiten, die allein eine komplementäre Prozeduralisierung bewirken, für die Vergabe öffentlicher Aufträge nicht entnehmen.

d) Prozedurale Anforderungen der Grundfreiheiten Die prozeduralen Anforderungen der Grundfreiheiten und des Transparenzgrundsatzes waren Gegenstand einer Reihe von jüngeren Entscheidungen des EuGH. Die Kommission hat in der bereits erwähnten Auslegungsmitteilung die ihrer Ansicht nach zu ziehenden Konsequenzen dargestellt. Dennoch besteht ein hohes Maß an

562 Zu diesem Ziel Boesen, Vergaberecht, § 97, Rn. 7; a. A. Kaelble, Vergabeentscheidung, S. 244. Eine Doppelfunktion sehen Koenig/Kühling, NVwZ 2003, 779 (784 f.). 563 St.Rspr.: EuGH, Rs. C-324/98 (Telaustria und Telefonadress), Slg. 2000, I-10745, Rn. 61 f.; Rs. C-458/03 (Parking Brixen), Slg. 2005, I-8612, Rn. 49; Rs. C-410/04 (ANAV), Slg. 2006, I-3303, Rn. 21; Rs. C-220/06 (Asociación Profesional de Empresas de Reparto y Manipulado de Correspondencia), Slg. 2007, I-12175, Rn. 75. A. A. GA Maduro, Schlussantr. zu Rs. C-347/06 (ASM Brescia), Slg. 2008, I- 5641, Ziff. 37. 564 s. nur EuGH, Rs. C-324/98 (Telaustria und Telefonadress), Slg. 2000, I-10745, Rn. 61 f.; Rs. C-458/03 (Parking Brixen), Slg. 2005, I-8612, Rn. 49. 565 So aber Boesen, Vergaberecht, § 97, Rn. 6. 566 Egger, Europäisches Vergaberecht, Rn. 833 (Fn. 1824). 567 s. o. Teil 2 A. VI. 3. c) bb).

204

Teil 2, A. Grundfreiheiten

Rechtsunsicherheit.568 Diese entsteht aber nicht aus den prozeduralen Anforderungen per se, sondern der Verteilung der Konkretisierungslast und der einzelfallbezogenen Anwendung. Jedoch müssen die öffentlichen Auftraggeber nicht bei jeder Vergabe das Rad neu erfinden. Alle Auftragsvergaben haben eine Reihe prozeduraler Elemente gemeinsam, die sich auch im Primärvergaberecht wiederfinden.

aa) Publizität Zu diesen Elementen gehört das in erster Linie aus dem Transparenzprinzip folgende Publizitätsgebot. Publizität ist die Grundvoraussetzung für die Beteiligungsmöglichkeit ausländischer Bieter am nachfolgenden Vergabeverfahren, d. h. für die Verwirklichung der Grundfreiheiten. Denn ohne Kenntnis von der bevorstehenden Auftragsvergabe ist die Teilnahme am Wettbewerb nicht möglich.569 Daher trifft den öffentlichen Auftraggeber die Pflicht, Unternehmen aus anderen Mitgliedstaaten Informationen zugänglich zu machen, die es diesen ermöglichen, ihr Interesse an dem Auftrag zu bekunden.570 Die Vergaberichtlinien regeln umfassend und detailgenau die Publizitätspflichten des Auftraggebers. In allen Phasen des Vergabeverfahrens muss dieser der Öffentlichkeit bestimmte Informationen zugänglich machen. Die Richtlinien unterscheiden: – Vorinformationen (Art. 35 Abs. 1 UAbs. 1 RL 2004/18/EG, Art. 41 RL 2004/17/ EG); – Vergabebekanntmachung (Art. 35 Abs. 2–3, 36, 58, 64, 69 Abs. 1 RL 2004/18/ EG; Art. 15 Abs. 2–6, 42 RL 2004/17/EG); – Vergabemitteilung bzgl. vergebener Aufträge (Art. 41 f., 69 Abs. 2 RL 2004/18/ EG, Art. 43 RL 2004/17/EG). I. R.d. Vorinformation haben öffentliche Auftraggeber den voraussichtlichen Bedarf des nächsten Jahres in einem „Beschafferprofil“ zu veröffentlichen. Im Unterschied zu den folgenden Bekanntmachungen ist dies jedoch nicht verpflichtend. Nach einer erfolgten Vorinformation kann der Auftraggeber jedoch die Frist zur Angebotsabgabe verkürzen, Art. 35 Abs. 1 UAbs. 5 i. V. m. Art. 38 Abs. 4 RL 2004/18/EG, Art. 41 Abs. 1 UAbs. 5 i. V. m. Art. 45 Abs. 4 RL 2004/17/EG.571 568

Kritisch GA Stix-Hackl, Schlussantr. zu Rs. C-507/03 (Kommission/Irland), Slg. 2007, I-9777, Ziff. 75 sowie GA Sharpston, Schlussantr. zu Rs. C-195/04 (Kommission/Finnland), Slg. 2007, I-3351, Ziff. 89 f. Vgl. auch Egger, Europäisches Vergaberecht, Rn. 249 m. w. N.; Frenz, EWS 2006, 347. 569 Burgi, NZBau 2005, 610 (615). 570 EuGH, Rs. C-231/03 (Coname), Slg. 2005, I-7287, Rn. 21, 28; Kommission, Auslegungsmitteilung, S. 3 f. 571 Gutknecht, in: Grabitz/Hilf, EU, B10, Rn. 26 ff.

VI. Vergabe öffentlicher Aufträge

205

Die verpflichtende Vergabebekanntmachung unterliegt strengen Formvorschriften.572 Die RL 2004/18/EG verlangt eine Veröffentlichung im Amtsblatt der EG, Art. 36. Die Mitteilung über vergebene Aufträge schließlich hat den Zweck, Bietern und Bewerbern das Ergebnis und die Gründe der Entscheidung mitzuteilen, Art. 41 Abs. 1–2 RL 2004/18/EG. Hier kommt insbesondere die Nachprüfbarkeitsfunktion des Transparenzgrundsatzes zum Tragen. Denn ohne diese Mitteilung wäre es unterlegenen Teilnehmern nur schwer möglich, die Vergabe anzugreifen.573 Die Anforderungen des Primärvergaberechts bleiben hinter den gerade angesprochenen zurück. Da das grundfreiheitliche Regime jedoch in weiten Teilen ein Minus zu den Richtlinien darstellt und beide zumindest teilweise deckungsgleiche Ziele verfolgen, können deren Regelungen als Vergleichsmaßstab dienen.574

(1) Vorinformation Die RL 2004/18/EG selbst macht die Vorinformation nicht zur Pflicht und sieht sie bei Liefer- und Dienstleistungsaufträgen erst ab einem Auftragswert von 750.000 _ vor. Sie soll das Auftragsverhalten großer öffentlicher Auftraggeber für interessierte Marktteilnehmer vorhersehbarer machen. Kleinere öffentliche Aufträge im Unterschwellenbereich decken zum einen vielfach spontanen Beschaffungsbedarf und benötigen zum anderen auch auf Seiten der Bieter nicht die gleiche Vorlaufzeit wie bei großen Auftragsvolumina. Eine Vorinformation ist daher i. R. d. Primärvergaberechts nicht erforderlich. Sie wird auch in der Rechtsprechung des EuGH nicht gefordert.

(2) Vergabebekanntmachung Die Vergabebekanntmachung ist eine wesentliche Folgerung aus dem Publizitätsgebot.575 Sie sichert ex ante die Transparenz der Vergabe und ermöglicht dem potenziellen Bieter die Teilnahme am „Markt der öffentlichen Aufträge“. Allein auf der Grundlage der Bekanntmachung kann sich das grenzüberschreitende Interesse realisieren. Daneben bildet sie die Grundlage für die Nachprüfbarkeit einer transparenten und fairen Vergabe. Erst wenn potenziell Interessierte von einem Auftrag Kenntnis erlangen können, haben sie faktisch die Möglichkeit, die Art und Weise der Vergabe (auch gerichtlich) nachprüfen zu lassen. 572

Näher Gutknecht, in: Grabitz/Hilf, EU, B10, Rn. 32. Auch die Verdingungsverordnungen sehen diese drei Elemente vor, vgl. §§ 17, 27 VOB/A, VOL/A. 574 Ähnlich Ruhland, VergabeR 2006, 731 (734). 575 s. auch Kaelble, Vergabeentscheidung, S. 237 ff. 573

206

Teil 2, A. Grundfreiheiten

Ziel der Bekanntmachung ist es, die Auftragsvergabe für den Binnenmarkt zu öffnen. Die Informationen über die Auftragsvergabe müssen daher hinreichend zugänglich sein. Binnenmarktrelevanz vorausgesetzt, hat der öffentliche Auftraggeber zu ermitteln, in welcher Form er den zu vergebenden Auftrag bekanntzumachen hat.576 Weiter ist auch der notwendige Inhalt der Bekanntmachung näher zu bestimmen. Da die Grundfreiheiten nur die Binnenmarktteilnehmer schützen, kann ihnen keine über den Binnenmarkt hinausgehende Ausschreibungspflicht entnommen werden.

(a) Form Nahezu alle Vergabeverfahren der Richtlinien577 erfordern eine vorherige Ausschreibung. Sie ist dem Amt für amtliche Veröffentlichungen zu übermitteln (Anhang VIII RL 2004/18/EG, Anhang XIII RL 2004/17/EG) und erscheint im Amtsblatt der EG. Da die Transparenzanforderungen außerhalb der Richtlinien von der Binnenmarktrelevanz des Auftrags abhängen, besteht keine pauschale Pflicht zur europaweiten Ausschreibung.578 Es ist der angemessene Grad von Öffentlichkeit herzustellen. Eine formalisierte Ausschreibungspraxis, wie sie die Musterformulare der Richtlinien579 vorsehen, gibt es nicht.580 Der Gerichtshof hat sich darauf beschränkt, den „Zugang zu angemessenen Informationen“581 zu fordern. Dies umfasse nicht in jedem Fall eine Verpflichtung zur Vornahme einer Ausschreibung.582 Mitunter wird hieraus geschlossen, dass die Zugänglichkeit auch ohne Veröffentlichung zu erreichen ist.583 Zwar müsse der

576

Kommission, Auslegungsmitteilung, S. 3 f. Eine Ausnahme ist das „Verhandlungsverfahren ohne vorherige Veröffentlichung einer Bekanntmachung“ gem. Art. 31 RL 2004/18/EG; vgl. auch Art. 40 Abs. 3 RL 2004/17/EG. 578 Burgi, NZBau 2005, 610 (615); in diese Richtung aber Frenz, EWS 2006, 347 (348), der in jedem Fall eine Verwendung der Musterformulare empfiehlt. 579 Vgl. Art. 36 Abs. 1, Art. 58 Abs. 2, Art. 64 Abs. 2, Art. 70 Abs. 1 RL 2004/18/EG, Art. 44 Abs. 1, Art. 63 Abs. 1 RL 2004/17/EG i. V. m. Verordnung (EG) Nr. 1564/2005 der Kommission vom 7. September 2005 zur Einführung von Standardformularen für die Veröffentlichung von Vergabebekanntmachungen im Rahmen von Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge gemäß der Richtlinie 2004/17/EG und der Richtlinie 2004/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rates, ABl. EU L 257 vom 1.10.2005, S. 1 ff. 580 Wollenschläger, NVwZ 2007, 388 (393). 581 EuGH, Rs. C-231/03 (Coname), Slg. 2005, I-7287, Rn. 21. 582 EuGH, Rs. C-231/03 (Coname), Slg. 2005, I-7287, Rn. 21. 583 So unter Verweis auf verschiedene Sprachfassungen GA Sharpston, Schlussantr. zu Rs. C-195/04 (Kommission/Finnland), Slg. 2007, I-3351, Ziff. 82; GA Fennelly, Schlussantr. zu Rs. C-324/98 (Telaustria und Telefonadress), Slg. 2000, I-10745, Ziff. 43. 577

VI. Vergabe öffentlicher Aufträge

207

Auftraggeber mehr tun „als lediglich einen einzigen potenziellen Bieter zu kontaktieren“584; eine Veröffentlichung sei aber nicht notwendig. Zwischen diesen beiden Optionen der allgemeinen und der unterlassenen Bekanntmachung liegt die Möglichkeit, eine Mehrzahl von Bietern – nach Dafürhalten des öffentlichen Auftraggebers ggf. auch alle potenziell Interessierten – direkt einzubeziehen.585 Tatsächlich kann die Kontaktierung einer gewissen Zahl von Bietern in einem entsprechend strukturierten Markt für die Herstellung von Wettbewerb ausreichen. Dies würde genügen, um die Kompensationsfunktion des Verfahrens zu realisieren. Eine komplementäre Prozeduralisierung wird jedoch nicht erreicht. Zum Ersten würde die Öffnungsfunktion der Transparenz erheblich geschwächt. Weitere potenzielle Interessenten werden sich nur selten mit hinreichender Sicherheit ausschließen lassen. Eine fehlende Veröffentlichung nähme diesen jede Möglichkeit, an dem Vergabeverfahren teilzunehmen. Zum Zweiten wäre die Vergabe nur beschränkt nachprüfbar, da unberücksichtigte Bieter allenfalls nachträglich von der Auftragsvergabe erfahren würden. Die Bekanntmachung der Vergabe dient gerade der Transparenz ex ante. Besonders solche Interessenten, die bereits „ihre Fühler ausgestreckt“ haben, müssen in die Lage versetzt werden, ein eigenes Angebot zu entwerfen und am Vergabewettbewerb teilzunehmen. Dementsprechend hält auch die Kommission die Kontaktaufnahme mit einer gewissen Menge potenzieller Bieter für nicht ausreichend. Es sei nicht auszuschließen, dass Unternehmen aus anderen Mitgliedstaaten diskriminiert würden. Dies gelte in besonderem Maße für neue Marktteilnehmer.586 Diesen wird mangels echter Publizität die Teilnahme am Vergabeverfahren unmöglich gemacht. Ein angemessener Grad von Öffentlichkeit beinhaltet daher immer auch eine Veröffentlichung in dem Sinne, dass ein unbestimmter Personenkreis Zugang zu den entsprechenden Informationen erhält. Dessen Radius wird durch das potenzielle Interesse an dem Auftrag definiert. Nicht jede Vergabe ist daher europaweit auszuschreiben.587 Für die Veröffentlichung kommt eine Vielzahl von Medien in Frage. Die Kommission führt in der Auslegungsmitteilung folgende Veröffentlichungsmedien auf:588 584 GA Sharpston, Schlussantr. zu Rs. C-195/04 (Kommission/Finnland), Slg. 2007, I-3351, Ziff. 82. 585 Hierfür GA Fennelly, Schlussantr. zu Rs. C-324/98 (Telaustria und Telefonadress), Slg. 2000, I-10745, Ziff. 43. 586 Kommission, Auslegungsmitteilung, S. 4. 587 Für eine europaweite Ausschreibungspflicht für Dienstleistungskonzessionen wohl Burgi, NZBau 2005, 610 (615). 588 Kommission, Auslegungsmitteilung, S. 4. § 17 Abs. 1 VOB/A, VOL/A trifft mit der Veröffentlichung durch Tageszeitungen, amtliche Veröffentlichungsblätter oder Fachzeitschriften eine ähnliche Regelung.

208

Teil 2, A. Grundfreiheiten

– Internet;589 – nationale Amtsblätter, Ausschreibungsblätter, regionale oder überregionale Zeitungen und Fachpublikationen; – lokale Medien; – Amtsblatt der EG, TED-Datenbank.590 Online-Veröffentlichungen eignen sich besonders zur Herstellung eines angemessenen Grades von Öffentlichkeit. Bestehende oder zu schaffende Datenbanken und Portale bieten eine einfache und kostengünstige Möglichkeit, die Informationen einer im Wortsinne unbegrenzten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Unproblematisch ist auch die Veröffentlichung in überregionalen Amtsblättern oder Zeitungen. Eine Sonderstellung nehmen lokale Medien ein. Hierzu zählen Lokalzeitungen, Gemeindeanzeiger oder Anschlagtafeln.591 Sie machen die Vergabeinformationen keiner nennenswerten „europäischen Öffentlichkeit“, sondern nur auf sehr begrenztem Raum zugänglich. Eine Öffnung des Binnenmarktes i. S. e. komplementären Prozeduralisierung der Grundfreiheiten erscheint daher auf den ersten Blick zweifelhaft. Denn es verbessert die Optionen des Binnenmarktteilnehmers zur Erbringung grenzüberschreitender Dienstleistungen592 kaum, wenn er lediglich durch eine regionale Tageszeitung von einem öffentlichen Auftrag Kenntnis nehmen könnte.593 Dies käme allenfalls auf grenznahen Märkten in Betracht. Die ausschließlich lokale Veröffentlichung der Vergabeinformationen ist daher auf solche Aufträge zu beschränken, für die das potenzielle Interesse regional beschränkt ist.594 Dennoch spielt auch in diesen Fällen die Bekanntmachung der Vergabe – im Gegensatz zu einer gezielten Kontaktaufnahme – eine wichtige Rolle für die Verwirklichung der Grundfreiheiten. Denn die freie und damit kaum nachprüfbare Vergabe öffentlicher Aufträge macht es für Unternehmen aus anderen Mitgliedstaaten weniger attraktiv, sich im Ausland niederzulassen.595 Dies gilt umso mehr, je höher die Affinität des Unternehmensbereichs zur öffentlichen Hand ist (bspw. im Straßenbau). Die Niederlassungsfreiheit richtet sich gegen staatliche Maßnahmen oder eben Unterlassungen, die sich stärker auf ausländische als auf inländische Unter589

Vgl. hierzu Drügemöller, NVwZ 2007, 177 ff. TED = Tenders Electronic Daily, Online-Datenbank zum Supplement S des Amtsblatts der EG. 591 Kommission, Auslegungsmitteilung, S. 4. 592 Enchelmaier, Europäisches Wirtschaftsrecht, Rn. 159. 593 Für eine diskriminierende Wirkung bloß nationaler oder regionaler Bekanntmachungen daher Frenz, EWS 2006, 347 (348). 594 So auch Kommission, Auslegungsmitteilung, S. 4. 595 Ebenso GA Bot, Schlussantr. zu Rs. C-220/06 (Asociación Profesional de Empresas de Reparto y Manipulado de Correspondencia), Slg. 2007, I-12175, Ziff. 114 f. 590

VI. Vergabe öffentlicher Aufträge

209

nehmen auswirken.596 De-facto-Vergaben, die weder aus einem offenen Verfahren hervorgehen noch nachprüfbar sind, und es somit an Transparenz fehlen lassen, wirken sich auf niederlassungswillige Unternehmen aus einem anderen Mitgliedstaat in aller Regel wesentlich stärker aus als auf lokal etablierte, einheimische Marktteilnehmer. Ähnliches lässt sich auch für Bekanntmachungen über das Internet feststellen. Dieses Medium weist die wohl größte Zergliederung auf.597 Öffentliche Auftraggeber können auf eigenen, zentralen oder spezialisierten Vergabedatenbanken oder über ihre eigene Homepage über Auftragsvergaben informieren. Technisch sind diese Informationen für alle Interessierten gleichmäßig einsehbar. Intransparenz kann sich jedoch durch die Vielzahl der möglichen Quellen einstellen. Diese haben für die Bieter einen hohen Rechercheaufwand zur Folge. Teilweise wird hieraus gefolgert, dass es insoweit völlig an einer Bekanntmachung fehle.598 Hier ist wiederum auf den Kreis der potenziell Interessierten abzustellen. Ist der Auftrag aller Voraussicht nach nur auf regionaler Ebene von Interesse, so genügt sicherlich eine Bekanntmachung auf der Homepage des Auftraggebers. Den interessierten Bietern fällt dann nämlich nicht die Überwachung einer unbestimmten Vielzahl öffentlicher Auftraggeber zur Last. Muss der öffentliche Auftraggeber hingegen von einem weiter reichenden Interesse ausgehen, hat er auch für die elektronische Bekanntmachung eine entsprechende Verbreitung sicherzustellen. Ein dezenter Hinweis auf den eigenen Seiten wird dem in aller Regel nicht genügen. Hier bieten etablierte Vergabedatenbanken eine Alternative, unabhängig davon, ob sie von staatlicher oder privater Seite betrieben werden. Je größer dabei das potenzielle Interesse ist, desto höher muss die Abdeckung sein, die der Auftraggeber von der elektronischen Bekanntmachung erwarten darf. Die Einrichtung spezieller Foren für Aufträge unterhalb der Schwellenwerte, wie Drügemöller sie fordert,599 ist die wohl effektivste Möglichkeit, Transparenz herzustellen. Die elektronische Bekanntmachung bietet die Chance, Vergaben unterhalb der Schwellenwerte mit geringem Aufwand auf ein solides wettbewerbliches Fundament zu stellen. Allerdings erscheint sehr fraglich, ob und wie eine Verpflichtung zur Schaffung derartiger Strukturen aus dem primären Vergaberecht folgen kann. Den jeweiligen öffentlichen Auftraggeber kann immer nur die Pflicht treffen, in Bezug auf den fraglichen Auftrag für eine hinreichende Publizität zu sorgen. Nichtsdestotrotz wäre die Einrichtung zentraler Datenbanken aus rechtspolitischer Sicht zu befürworten.600

596

Bröhmer, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 43 EGV, Rn. 33. So kritisch Drügemöller, NVwZ 2007, 177. 598 Drügemöller, NVwZ 2007, 177 (179). 599 Drügemöller, NVwZ 2007, 177. 600 Dieser Richtung folgend hat die Union selbst mit mehreren Mitgliedstaaten ein Pilotprojekt für eine staatenübergreifende Beschaffungsplattform zugunsten kleiner und mittlerer Unternehmen ins Leben gerufen, Kommission, Pressemitteilung vom 23.5.2008, IP/08/785. 597

210

Teil 2, A. Grundfreiheiten

Zusammenfassend hat der öffentliche Auftraggeber binnenmarktrelevante Aufträge in jedem Falle bekanntzumachen. Eine europaweite oder nationale Ausschreibung ist jedoch nicht obligatorisch. Vielmehr kann eine lokale oder elektronische Bekanntmachung den Transparenzanforderungen der Grundfreiheiten genügen, wenn die potenziell interessierten Bieter auch so erreicht werden können.

(b) Ausnahmen Die Verpflichtung zur Transparenz umfasst jedoch nicht in allen Fällen eine Bekanntmachung. Auch die Vergaberichtlinien sehen insoweit Ausnahmen vor. Die Vergaberichtlinien wollen für Aufträge, die einen bestimmten Wert übersteigen, die Effektivität der Grundfreiheiten und einen funktionierenden Wettbewerb garantieren. Sie umfassen Sachverhalte, die der Gemeinschaftsgesetzgeber für besonders binnenmarktrelevant hielt. Konstellationen, die Ausnahmen gerade von der Publizitätspflicht oberhalb der Schwellenwerte möglich machen, haben i. d. R. auch außerhalb der Richtlinien ihre Berechtigung.601 Die Kommission hält daher „entsprechende Ausnahmeregelungen“602 außerhalb der Richtlinien für anwendbar.603 Hierin ist jedoch keine analoge Anwendung der Richtlinien zu sehen. Die Ausnahmen lassen sich vielmehr aus zwei allgemeinen Überlegungen ableiten, die sowohl für das Sekundär- als auch für das Primärrecht gelten. Zum einen kann eine Bekanntmachung unterbleiben, wenn dem Auftrag die Binnenmarktrelevanz fehlt. Ein mangelndes Interesse ausländischer Bieter ist in jenen Fällen sicher zu konstatieren, in denen eine erfolgte Bekanntmachung zu keinerlei Angeboten geführt hat (vgl. Art. 31 Nr. 1 lit. a RL 2004/18/EG). Darüber hinaus wäre die Befreiung vom Ausschreibungserfordernis durch die Vergaberichtlinien wirkungslos, wenn die betroffenen Aufträge dann aufgrund primärrechtlicher Erwägungen bekanntzumachen wären.604 Zum anderen liegt auch keine Verletzung der Grundfreiheiten vor, wenn die unterbliebene Bekanntmachung gerechtfertigt ist. Hier ist an dringliche Auftragsvergaben (vgl. Art. 31 Nr. 1 lit. c) zu denken.605 Da im Unterschwellenbereich, wie gesehen, geringere Anforderungen zu stellen sind als oberhalb der Schwellenwerte, gehen die Rechtfertigungsgründe über die in Art. 31 RL 2004/18/ EG und Art. 40 Abs. 3 RL 2004/17/EG genannten hinaus.606 Es finden, wie auch 601

Frenz, VergabeR 2007, 1 (3). Kommission, Auslegungsmitteilung, S. 5. 603 So auch schon GA Stix-Hackl, Schlussantr. zu Rs. C-532/03 (Kommission/Irland), Slg. 2007, I-11353, Ziff. 109 ff.; GA Jacobs, Schlussantr. zu Rs. C-525/03 (Kommission/Italien), Slg. 2005, I-9405, Ziff. 46 ff. 604 GA Sharpston, Schlussantr. zu Rs. C-195/04 (Kommission/Finnland), Slg. 2007, I-3351, Ziff. 76 f. 605 EuGH, Rs. C-6/05 (Medipac – Kazantzidis), Slg. 2007, I-4557, Rn. 60 f. m. w. N. 606 GA Stix-Hackl, Schlussantr. zu Rs. C-231/03 (Coname), Slg. 2005, I-7287, Ziff. 93. 602

VI. Vergabe öffentlicher Aufträge

211

bei den materiellen Vorgaben, die allgemeinen Rechtfertigungsregeln der Grundfreiheiten Anwendung.607 Demnach kann eine Missachtung der Vergabegrundsätze durch objektive Umstände gerechtfertigt sein.608 Auch zwingende Gründe des Allgemeinwohls kommen hier zum Tragen.609 So hielt es der Gerichtshof für denkbar, die unterbliebene Ausschreibung von Glücksspielkonzessionen mit dem Verbraucherschutz, der Bekämpfung von Betrügereien oder der Verhütung von Störungen der sozialen Ordnung im Allgemeinen zu rechtfertigen.610 Die Beweislast trägt insoweit der staatliche Auftraggeber.611

(c) Inhalt I. R.d. sekundären Vergaberechts sind dem öffentlichen Auftraggeber Standardformulare an die Hand gegeben, die den umfangreichen Informationspflichten der Richtlinien genügen. Die ausführlichen Musterformulare gehen über die Mindestanforderungen der Grundfreiheiten an die Vergabetransparenz hinaus.612 Sie bieten zwar eine probate Möglichkeit, alle relevanten Informationen aufzubereiten.613 Dennoch können sie als Produkte des sekundären Gemeinschaftsrechts i. R. d. Primärvergaberechts nicht verpflichtend sein. Eine effektive Bekanntmachung muss diejenigen Informationen zugänglich machen, welche potenzielle Bieter benötigen, um über die Abgabe eines Angebotes zu entscheiden.614 Nur dann wird sie ihrer Funktion, durch Transparenz eine binnenmarktweite Auftragsvergabe zu ermöglichen, gerecht. Der öffentliche Auftraggeber hat daher die Charakteristika der Auftragsvergabe in einer Kurzbeschreibung darzulegen.615 Dazu gehören: – Art des Auftragsgegenstands, – Wert und Umfang des Auftrags, – Dauer (insbes. bei Dienstleistungen und Dienstleistungskonzessionen). 607

Burgi, NZBau 2005, 610(612); Hierzu Kingreen, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 28– 30 EGV, Rn. 74 ff. 608 EuGH, Rs. C-231/03 (Coname), Slg. 2005, I-7287, Rn. 19. Ausführlich Egger, Vergabeund Privatisierungsmaßnahmen, S. 22 ff. 609 Bitterich, EuZW 2008, 14 (16); Wollenschläger, NVwZ 2007, 388 (393). Ob sich insoweit die kommunale Planungshoheit gem. Art. 28 Abs. 2 GG in die Waagschale werfen lässt, ist noch ungeklärt; in diese Richtung Kühling, JZ 2008, 1117 (1123). 610 EuGH, Rs. C-260/04 (Kommission/Italien), Slg. 2007, I-7083, Rn. 26 f. 611 EuGH, Rs. C-260/04 (Kommission/Italien), Slg. 2007, I-7083, Rn. 33. 612 GA Stix-Hackl, Schlussantr. zu Rs. C-231/03 (Coname), Slg. 2005, I-7287, Ziff. 97; Burgi, NZBau 2005, 610 (615). 613 Egger, Vergabe- und Privatisierungsmaßnahmen, S. 33; Frenz, EWS 2006, 347 (348); Hattig/Ruhland, NZBau 2005, 626 (630). Vgl. auch Art. 37 RL 2004/18/EG. 614 GA Stix-Hackl, Schlussantr. zu Rs. C-231/03 (Coname), Slg. 2005, I-7287, Ziff. 97. 615 Kommission, Auslegungsmitteilung, S. 5.

212

Teil 2, A. Grundfreiheiten

Der Umfang der notwendigen Informationen ergibt sich v. a. aus dem Auftrag selbst sowie den bereits genannten Kriterien. Je umfangreicher, komplexer der Auftrag und, eng damit verbunden, je höher der Auftragswert, desto ausführlichere Informationen sind angezeigt. Andererseits hat die Bekanntmachung nicht nur Details zum Auftrag, sondern auch die geplanten Vergabemodalitäten zu benennen. Neben der Bewerbungsfrist616 umfasst dies insbesondere die (materiellen) Vergabekriterien des Auftraggebers.617 Die umfassende Information über die Vergabekriterien und -modalitäten ist auch ein Gebot des Grundsatzes der Chancengleichheit.618 Diesem zufolge muss das Vergabeverfahren so ausgestaltet sein, dass Bieter aus anderen Mitgliedstaaten nicht von einer Teilnahme ausgeschlossen werden. Einerseits geschähe dies bei der Verwendung diskriminierender Anforderungen an den Auftragnehmer;619 andererseits kann auch die Gestaltung der Bekanntmachung auf eine (erfolgreiche) Wettbewerbsteilnahme Einfluss nehmen. Unter Chancengleichheit bei der Vergabe versteht der EuGH, dass „alle Bieter unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit bei der Aufstellung ihrer Angebote über die gleichen Chancen verfügen müssen“620. Dazu benötigen sie alle relevanten Informationen über den Auftrag selbst sowie über die Vergabemodalitäten. Die Richtlinien lassen als Zuschlagskriterium das wirtschaftlich günstigste Angebot (Art. 53 Abs. 1 lit. a RL 2004/18/EG, Art. 55 Abs. 1 lit. a RL 2004/17/EG) oder den niedrigsten Preis (Art. 54 Abs. 1 lit. b RL 2004/18/EG, Art. 55 Abs. 1 lit. b RL 2004/17/EG) zu. Gem. Abs. 2 der jew. einschlägigen Norm hat der Auftraggeber in der Bekanntmachung oder den Verdingungsunterlagen die Unterkriterien, derer er sich bei der Bestimmung des wirtschaftlich günstigsten Angebots bedienen will, mit ihrer Gewichtung oder zumindest in absteigender Relevanz anzugeben. Der Gerichtshof hat die Bedeutung dieser Informationspflicht für das Transparenzgebot und den Grundsatz der Gleichbehandlung der Bieter wiederholt betont.621 Auch hier ist eine analoge Anwendung der Richtlinienvorgaben jedoch ausgeschlossen.622 Allerdings kann eine äquivalente Verpflichtung außerhalb des Anwendungsbereichs der Richtlinien bestehen, wenn die praktische Wirksamkeit der 616 s. auch Burgi, NZBau 2005, 610 (615). Zum Vergabeverfahren i. e. S. sogleich Teil 2 A. VI. 4. d) cc). 617 Vgl. EuGH, Rs. C-458/03 (Parking Brixen), Slg. 2005, I-8612, Rn. 48 unter Verweis auf EuGH, Rs. C-87/94 (Kommission/Belgien), Slg. 1996, I-2043, Rn. 33. 618 EuGH, Verb. Rs. C-21 u. 34/03 (Fabricom), Slg. 2005, I-1559, Rn. 29. 619 Hierzu o. Teil 2 A. VI. 4. b) bb). 620 EuGH, Rs. C-458/03 (Parking Brixen), Slg. 2005, I-8612, Rn. 48 (Hervorhebung durch Verf.). 621 EuGH, Rs. C-470/99 (Universale-Bau AG), Slg. 2002, I-11617, Rn. 98; Rs. C-331/04 (ATI EAC u. a.), Slg. 2005, I-10109, Rn. 24; Rs. C-532/03 (Kommission/Irland), Slg. 2007, I-11353, Rn. 36 ff. 622 Zur analogen Anwendung der Richtlinien o. Teil 2 A. VI. 4. a) dd).

VI. Vergabe öffentlicher Aufträge

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Grundfreiheiten dies erfordert. Die fehlende oder unvollständige Mitteilung der Zuschlags- und Unterkriterien führt zu einem Mangel an Publizität, der geeignet ist, „etwaige Mitbewerber auszuschließen, die sich zu einer Teilnahme entschlossen hätten, wenn sie Zugang zu allen Voraussetzungen gehabt hätten“623. Hierdurch werden sowohl das Transparenzgebot als auch der Gleichbehandlungsgrundsatz berührt. Daher hat der öffentliche Auftraggeber auch i. R. d. Primärvergaberechts sowohl Zuschlags- und Unterkriterien als auch Gewichtungsregeln bekanntzumachen.624

bb) Frist zur Angebotsabgabe Zwischen der Vergabebekanntmachung und dem Beginn des eigentlichen Vergabeverfahrens bzw. der Vergabeentscheidung muss eine angemessene Frist liegen. Eine Vergabe unmittelbar im Anschluss an die Bekanntmachung würde den prozeduralen Schutz der Grundfreiheiten ad absurdum führen. Daher ergibt sich das Gebot zur Gewährung angemessener Fristen direkt aus den einschlägigen Grundfreiheiten.625 Erneut bestehen Konkretisierungsprobleme.626 Die Kommission stellt lediglich fest, diese müssten „so lang sein, dass Unternehmen aus anderen Mitgliedstaaten eine fundierte Einschätzung vornehmen und ein Angebot erstellen“627 könnten. Die Fristen richten sich damit wieder nach dem potenziellen Interessentenkreis und den Auftragscharakteristika. Der Grundsatz der Chancengleichheit der Bieter verlangt insbesondere, mögliche Verzögerungen durch ggf. notwendige Übersetzungen von Angeboten ausländischer Unternehmen oder andere „binnenmarktbedingte“ Faktoren zu berücksichtigen. Denn ansonsten würden Bieter aus anderen Mitgliedstaaten gegenüber inländischen Bietern benachteiligt. Entsprechendes lässt sich dem Sekundärvergaberecht entnehmen. Beide Richtlinien sehen verschiedene Fristen vor, die nach den unterschiedlichen Vergabeverfahren differenzieren. Bei diesen handelt es sich gem. Art. 38 Abs. 1 RL 2004/18/ EG und Art. 45 Abs. 1 RL 2004/17/EG um „Mindestfristen“. Bei der Festlegung der Fristen habe der Auftraggeber „insbesondere die Komplexität des Auftrags und die Zeit, die für die Ausarbeitung der Angebote erforderlich ist“, zu berücksichtigen. Die Frist kann verkürzt werden, wenn der Bekanntmachung eine Vorinformation (Art. 38 Abs. 1 UAbs. 1 RL 2007/18/EG) bzw. eine sog. regelmäßige nichtverbindliche Bekanntmachung (Art. 45 Abs. 4 UAbs. 1 RL 2004/17/EG) vorausging. Auch die Vergaberichtlinien stellen somit die Eigenarten des fraglichen Auftrags in den Mittelpunkt.628 623 624 625 626 627 628

GA Colomer, Schlussantr. zu Rs. C-331/04 (ATI EAC u. a.), Slg. 2005, I-10109, Ziff. 34. Ähnlich Kaelble, Vergabeentscheidung, S. 239 ff. GA Stix-Hackl, Schlussantr. zu Rs. C-231/03 (Coname), Slg. 2005, I-7287, Ziff. 84. Kritisch Egger, Vergabe- und Privatisierungsmaßnahmen, S. 32. Kommission, Auslegungsmitteilung, S. 6. Entsprechend fordern auch § 18 Abs. 1 VOB/A bzw. VOL/A eine „angemessene Frist“.

214

Teil 2, A. Grundfreiheiten

cc) Auftragsvergabeverfahren Die Vergaberichtlinien sehen nicht nur eine obligatorische Bekanntmachung vor, sondern machen auch Vorgaben für das „Vergabeverfahren i. e. S.“. Sie unterscheiden mehrere Verfahrenstypen, die sich teilweise erheblich in der Weite des Bieterkreises unterscheiden. Sie können ein- oder mehrstufig sein. Im Unterschwellenbereich ist der öffentliche Auftraggeber nicht an die Vorgaben der Richtlinien gebunden, sondern muss lediglich einen Mindeststandard einhalten. Diesen gilt es wiederum mithilfe der primärrechtlichen Vergabegrundsätze zu konkretisieren. Prägende Wirkung entfaltet hier insbesondere der Grundsatz der Chancengleichheit der Bieter.629 Im Einzelnen ist noch ungeklärt, wie weit dessen Anforderungen reichen. Die wiederholte Formulierung des Gerichtshofs, der Grundsatz der Gleichbehandlung der Bieter sei auch dann anwendbar, wenn „keine Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit vorliege“,630 lässt auf ein weites Verständnis schließen.631 Die Vergabemodalitäten müssen bereits vor der Bekanntmachung feststehen und entsprechend dem oben Gesagten zugänglich sein. Sie dürfen nicht gegen das Verbot der Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit verstoßen. Darüber hinaus muss das Vergabeverfahren fair und unparteiisch durchgeführt werden.632 Die zu Beginn festgelegten Anforderungen sind tatsächlich einzuhalten und auf alle Bewerber gleichermaßen anzuwenden.633 Über einen Verstoß gegen den Grundsatz der Chancengleichheit in diesem Verfahrensabschnitt hatte der EuGH, soweit ersichtlich, noch nicht zu entscheiden. Er konnte es meist bei einer Feststellung einer Verletzung des Transparenzgrundsatzes aufgrund einer unterbliebenen oder mangelhaften Bekanntmachung bewenden lassen.634

629 Eine Abgrenzung von Transparenz- und Gleichbehandlungsgrundsatz dergestalt, dass erster nur die Publizität und zweiterer nur das Vergabeverfahren i. e. S. beträfe, lässt sich so nicht treffen. Ohne transparentes Vorgehen lassen sich Ungleichbehandlungen durch den Auftraggeber nicht ausschließen. 630 U. a. EuGH, Rs. C-410/04 (ANAV), Slg. 2006, I-3303, Rn. 20; Rs. C-220/06 (Asociación Profesional de Empresas de Reparto y Manipulado de Correspondencia), Slg. 2007, I-12175, Rn. 74. 631 Wollenschläger, NVwZ 2007, 388 (394). Vgl. nunmehr aber EuGH, Rs. C-412/04 (Kommission/Italien), Slg. 2008, I-619, Rn. 106, wonach die Dienstleistungsfreiheit allein ein Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit enthalte. 632 EuGH, Rs. C-458/03 (Parking Brixen), Slg. 2005, I-8612, Rn. 49; Rs. C-410/04 (ANAV), Slg. 2006, I-3303, Rn. 21; Rs. C-220/06 (Asociación Profesional de Empresas de Reparto y Manipulado de Correspondencia), Slg. 2007, I-12175, Rn. 75. Im Anschluss hieran Kommission, Auslegungsmitteilung, S. 5. 633 GA Stix-Hackl, Schlussantr. zu Rs. C-231/03 (Coname), Slg. 2005, I-7287, Ziff. 86; Bitterich, NVwZ 2007, 890 (892). 634 EuGH, Rs. C-458/03 (Parking Brixen), Slg. 2005, I-8612, Rn. 50; Rs. C-410/04 (ANAV), Slg. 2006, I-3303, Rn. 22; Rs. C-220/06 (Asociación Profesional de Empresas de Reparto y Manipulado de Correspondencia), Slg. 2007, I-12175, Rn. 76.

VI. Vergabe öffentlicher Aufträge

215

Von großer Bedeutung für die nationalen Vergaberegime ist die Frage, wer im konkreten Fall als Träger der Grundfreiheiten vom Grundsatz der Chancengleichheit der Bieter geschützt wird. In der Konstellation des Parking-Brixen-Urteils stellte der EuGH eine Verletzung der Dienstleistungsfreiheit fest. Zwar sei kein Unternehmen aus einem anderen Mitgliedstaat an dem Vergabeverfahren beteiligt. Doch es lasse sich nicht ausschließen, dass in anderen als dem betreffenden Mitgliedstaat ansässige Unternehmen an der Erbringung der Dienstleistung interessiert gewesen wären.635 Der prozedurale Schutz der Grundfreiheiten unterliegt demnach einer Abstufung: Die Bekanntmachung schützt eben jene potenziell interessierten Marktteilnehmer, die ansonsten keine Kenntnis von dem Auftrag erlangen würden.636 Daher geht auf der Publizitätsebene von den Grundfreiheiten eine breite Schutzwirkung aus. Der angemessene Grad von Öffentlichkeit ist unabdingbare Voraussetzung für die Wahrnehmung der Grundfreiheiten. Im Gegensatz dazu verengt sich beim Vergabeverfahren i. e. S., d. h. im Anschluss an die ordnungsgemäße Bekanntmachung, der Kreis der betroffenen Grundfreiheitsträger. Denn durch eine diskriminierende Vergabe werden in diesem Stadium nicht mehr alle potenziellen Bieter, sondern nur noch die tatsächlich Beteiligten in ihren Grundfreiheiten verletzt. Verstößt der Auftraggeber in dieser Phase gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz, haben sich jedoch zuvor nur inländische Bieter auf die Bekanntmachung hin beworben oder einen Antrag eingereicht, so liegt in der Schlechterstellung einzelner Bieter keine Beeinträchtigung der Grundfreiheiten. Denn in dieser Situation ist keine grenzüberschreitende Diskriminierung, sondern lediglich eine aus Sicht der Grundfreiheiten hinzunehmende Inländerdiskriminierung zu sehen.637 Damit gilt im Unterschwellenbereich etwas anderes als i. R. d. Vergaberichtlinien. Dort ist das vorgegebene Vergabeverfahren auch ohne Beteiligung ausländischer Bieter einzuhalten.638 Dieses Ergebnis ist dem Unterschied von harmonisiertem Recht und einer unmittelbaren Geltung der Grundfreiheiten geschuldet. Der Gemeinschaftsgesetzgeber kann Regelungen treffen, die abstrakt-generell für den Binnenmarkt förderlich und einer wirtschaftlichen Beschaffung nützlich sind, während die Grundfreiheiten als subjektive Rechte einer individuell-konkreten Betrachtungsweise verhaftet sind.

635

EuGH, Rs. C-458/03 (Parking Brixen), Slg. 2005, I-8612, Rn. 55. EuGH, Rs. C-458/03 (Parking Brixen), Slg. 2005, I-8612, Rn. 55: Werde eine Auftrag weder bekannt gemacht noch ausgeschrieben, so liege darin „eine zumindest potenzielle Diskriminierung zu Lasten der Unternehmen aus anderen Mitgliedstaaten“. 637 Hierfür aber Braun/Hauswaldt, EuZW 2006, 176 (177); wie hier EuGH, Rs. C-380/05 (Centro Europa 7), Slg. 2008, I-349, Rn. 69. Zur Inländerdiskriminierung allgemein Ehlers, in: Ehlers, GuG, § 7, Rn. 20; Kingreen, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 28–30 EGV, Rn. 39 f.; Riese/Noll, NVwZ 2007, 516 (517 ff.). 638 EuGH, Rs. C-87/94 (Kommission/Belgien), Slg. 1996, I-2043, Rn. 33. 636

216

Teil 2, A. Grundfreiheiten

Diesem zweistufigen Ansatz könnte man kritisch entgegenhalten, dass die Beschränkung der Grundfreiheiten auf Vergabeverfahren mit tatsächlichem grenzüberschreitendem Bezug das Ziel des Gemeinsamen Marktes nicht fördert. In der Mehrzahl der Fälle wird ein Vergabeverfahren ohne konkrete Beteiligung von Bietern aus anderen Mitgliedstaaten stattfinden. Kommen damit in aller Regel die Grundfreiheiten nur bei der Bekanntmachung zum Tragen, besteht die Gefahr, dass eine irreguläre Vergabepraxis sich negativ auf das Interesse ausländischer Bieter auswirkt. Als Mindeststandard müssen daher die in der Bekanntmachung spezifizierten Vergabemodalitäten eingehalten werden. Ansonsten würde das Vertrauen der Marktteilnehmer in die Beachtung der Vergabegrundsätze geschwächt.639 Eine tragende Rolle kommt insofern den Rechtsschutzmöglichkeiten zu. Denn Vertrauen in die Vergabeweise sinkt und steigt auch mit deren Nachprüfbarkeit.

dd) Rechtsschutz (1) Bedeutung Die Rechtsschutzmöglichkeiten der Bieter entfalten eine Vorwirkung auf das Vergabeverfahren als Verwaltungsverfahren. Die Gestaltung des Verfahrens darf den Rechtsschutz nicht über Gebühr einengen, muss ihn ggf. sogar fördern oder erst ermöglichen. Entscheidend hierfür ist, auf welcher Grundlage das Verwaltungsverfahren beruht. Das Primärvergaberecht ergibt sich zuvörderst aus den Grundfreiheiten. Als subjektive Rechte dienen sie dem spezifischen Schutz des Einzelnen bei seiner Betätigung auf dem Binnenmarkt und schützen dabei auch den Binnenmarkt als solchen. Der Gemeinschaftsgesetzgeber hat eigenständige Rechtsmittelrichtlinien erlassen, welche einen Mindeststandard an Rechtsschutz in den Mitgliedstaaten sicherstellen. Diese sind insbesondere auf primären Rechtsschutz gerichtet, d. h. auf die Durchsetzung subjektiver Bieterrechte.640 Ob das Primärvergaberecht auch außerhalb des Anwendungsbereichs der Rechtsmittelrichtlinien die Möglichkeit gebietet, primären Rechtsschutz zu erlangen, ist eine der meistdiskutierten Fragen der aktuellen Vergaberechtsdebatte.641 Die Diskussion ist besonders vielschichtig, da sich die Rechtsschutzmöglichkeiten zunächst nach der nationalen Rechtslage richten. Das Fundament für einen solchen gemeinschaftsrechtlichen Rechtsschutzanspruch bilden die Grundfreiheiten.642 Daher kommen, wie schon bei der Euro639

I. E. e benso Wollenschläger, NVwZ 2007, 388 (394 f.). Schneider, Primärrechtsschutz, S. 106 f. Umfassend hierzu auch Noch, Subj. Rechtsschutz, 1998. 641 Statt vieler Bitterich, NVwZ 2007, 890 ff.; Braun, VergabeR 2007, 17 ff.; Burgi, NVwZ 2007, 737 ff.; Freitag, NZBau 2002, 204 ff.; Frenz, VergabeR 2007, 1 (8); Heuvels, NZBau 2005, 570 ff.; Hirschberger, BayVBl. 2007, 741 ff.; Losch, VergabeR 2006, 298 ff. 642 Pietzcker, in: Grabitz/Hilf, EU, B18, Rn. 1 f. 640

VI. Vergabe öffentlicher Aufträge

217

päisierung des Verwaltungsverfahrens, gemeinschaftsrechtliche Grundsätze zum Tragen. Auch das nationale Prozessrecht unterliegt dem Effektivitäts- und Äquivalenzgebot.643 Es muss entsprechend angewendet und ggf. ausgestaltet werden. Spezifische Aussagen des EuGH für das Primärvergaberecht fehlen bislang. Er hat sich, soweit ersichtlich, allein mit dem vorausgehenden Verwaltungsverfahren beschäftigt, insbesondere der Herstellung von Publizität. Jedoch lassen sich bereits hieraus Konsequenzen ableiten. Die herzustellende Öffentlichkeit soll die Vergabe nicht nur dem Wettbewerb öffnen, sondern auch die Nachprüfung ermöglichen, ob die Auftragsvergabe den vorstehend beschriebenen Anforderungen tatsächlich entsprochen hat und unparteiisch durchgeführt wurde.644 Hierin verwirklicht sich die Doppelfunktion des Transparenzgebotes.645

(2) Anforderungen Die aus den Grundfreiheiten abgeleitete Publizitätspflicht soll einen fairen, binnenmarktweiten Wettbewerb zwischen den Bietern ermöglichen. Zur Durchsetzung dieses Zieles bedarf es entsprechender Rechtsschutzmöglichkeiten.646 Dies gehört zu den allgemeinen Rechtsgrundsätzen, die sich aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten ergeben.647 Der Schutz des Einzelnen in der Wahrnehmung seiner Grundfreiheiten muss gerichtlich abgesichert sein.648 Diese Absicherung hat den Anforderungen von Äquivalenz- und Effektivitätsgebot zu genügen. Sie darf mithin nicht schwerer zu erreichen sein, als bei reinen Binnensachverhalten und muss so ausgestaltet sein, dass Rechtsschutz nicht praktisch unmöglich oder übermäßig erschwert ist. Es ist Aufgabe der Mitgliedstaaten, für die Gewährleistung eines derartigen gerichtlichen Rechtsschutzes Sorge zu tragen.649 Dieser Auffassung der Kommission ist i. S. d. Subsidiaritätsprinzips zu folgen. Die primärrechtlichen Anforderungen lassen sich nur mithilfe der nationalen Gerichte wirksam implementieren; gleichzeitig bleibt die Gestaltung der Gerichtsverfahren Sache der Mitgliedstaaten. Aus dem Primärrecht lassen sich lediglich bestimmte Mindestanforderungen ableiten. Diese Gemengelage aus Verfahrensautonomie und „Minimalharmonisierung“ führt zwangsläufig ins Un643

Götz, DVBl. 2002, 1 ff.; Schmidt-Westphal/Sander, EuZW 2006, 242 (243). EuGH, Rs. C-324/98 (Telaustria und Telefonadress), Slg. 2000, I-10745, Rn. 62; Rs. C-458/03 (Parking Brixen), Slg. 2005, I-8612, Rn. 49; Rs. C-410/04 (ANAV), Slg. 2006, I-3303, Rn. 21. In diese Richtung auch schon EuGH, Rs. C-275/98 (Unitron Scandinavia und 3-S), Slg. 1999, I-8291, Rn. 31. 645 s. o. Teil 2 A. VI. 4. c) aa). 646 Frenz, VergabeR 2007, 1 (9). 647 EuGH, Rs. 222/86 (Unectef/Heylens), Slg. 1987, I-4097, Rn. 14; Rs. C-50/00 (Union de Pequeños Agricultores), Slg. 2002, I-6677, Rn. 39. 648 EuGH, Rs. C-340/89 (Vlassopoulou), Slg. 1991, I-2357, Rn. 22; Dreher, NZBau 2002, 419 (423). 649 Kommission, Auslegungsmitteilung, S. 7. 644

218

Teil 2, A. Grundfreiheiten

gefähre. Da das Gemeinschaftsrecht das nationale System als gegeben voraussetzt, können die Anforderungen eines effektiven und äquivalenten Rechtsschutzes nur im konkreten Fall bestimmt werden. Für jeden Mitgliedstaat werden eigene, wenn auch ähnliche Gesichtspunkte in den Vordergrund treten. Zunächst ist daher zu prüfen, ob die vorhandenen Verfahren effektiven Rechtsschutz gewährleisten. Wird dies verneint, ist fraglich, wie sich eine gemeinschaftsrechtskonforme Situation erreichen lässt. Zum einen kann man den nationalen Gesetzgeber berufen sehen, entsprechende Möglichkeiten zu Verfügung zu stellen. Zum anderen ließe sich an eine Verpflichtung der im konkreten Fall zuständigen Gerichte denken, in gemeinschaftsrechtskonformer Auslegung des nationalen Prozessrechts eine Durchsetzung der Grundfreiheiten zu ermöglichen.650 Die Rechtsprechung des Gerichtshofs hilft hier kaum weiter, hat dieser doch eine Pflicht der nationalen Gerichte gem. Art. 4 Abs. 3 EUV festgestellt, „nationale Verfahrensvorschriften über die Einlegung von Rechtsbehelfen möglichst so auszulegen“651, dass eine gerichtliche Prüfung stattfinden kann. Es sei „Sache der Mitgliedstaaten“652, ein solches System an Rechtsbehelfen vorzusehen. Jedoch ist er in der zitierten Entscheidung erkennbar um die Gewährleistung eines lückenlosen Rechtsschutzes bemüht. Auch der Charakter der Grundfreiheiten als subjektive Rechte spricht für eine konkrete Betrachtungsweise. Die abstrakte Verpflichtung des nationalen Gesetzgebers, einen effektiven Rechtsweg zu schaffen, ist für den akut betroffenen, unterlegenen Bieter kaum von Nutzen. Allerdings griffe eine Verpflichtung der Gerichte, über das nationale Prozessrecht hinausgehenden Rechtsschutz zu gewähren, tief in die Kompetenzen der Mitgliedstaaten ein.653 Dieser Weg wäre für die Kläger auch durch große Rechtsunsicherheit belastet.654 Nationale Gerichte können nicht sinnvoll dazu angehalten werden, bindendes nationales Recht unangewendet zu lassen. Auch die Kommission sieht die mitgliedstaatliche Judikative lediglich dazu verpflichtet, „die zur Verfügung stehenden Rechtsbehelfe“655 dem Effektivitäts- und Äquivalenzgebot entsprechend anzuwenden. Unbenommen bleibt die Aufgabe, bestehende Rechtsschutzmöglichkeiten soweit wie möglich gemeinschaftsrechtskonform anzuwenden. Mit dieser Beschränkung der unmittelbaren Durchsetzbarkeit der Grundfreiheiten korrespondiert die Aufgabe der Mitgliedstaaten, Rechtsschutzlücken zu schließen und eine effektive gerichtliche Nachprüfung der Vergabeverfahren zu ermöglichen.656 650

Ausführlich Bitterich, NVwZ 2007, 890 (892 ff.). EuGH, Rs. C-50/00 (Union de Pequeños Agricultores), Slg. 2002, I-6677, Rn. 42 (Hervorhebung durch Verf.). 652 EuGH, Rs. C-50/00 (Union de Pequeños Agricultores), Slg. 2002, I-6677, Rn. 41. 653 Bitterich, NVwZ 2007, 890 (893). 654 Dreher, NZBau 2002, 419 (424). 655 Kommission, Auslegungsmitteilung, S. 7. 656 Zum Rechtsschutz unterhalb der Schwellenwerte in Deutschland de lege ferenda Bitterich, NVwZ 2007, 890 (893 f.); Dreher, NZBau 2002, 419 (428 ff.). 651

VI. Vergabe öffentlicher Aufträge

219

Die Grundfreiheiten schützen den Bieter auch in einer bloßen Umsatzchance. Diese verwirklicht sich jedoch gerade in der Teilnahme an einer fairen, transparenten und nachprüfbaren Auftragsvergabe. Es ist diese Teilnahme, die als „Schutzgut“ der Grundfreiheiten die Öffnung und wachsende Verflechtung eines europäischen Binnenmarktes fördert. Diese Zielrichtung lässt sich mittels sekundären Rechtsschutzes, der allein auf Schadenersatz gerichtet ist, nicht erreichen. Der Marktteilnehmer nimmt in der Erwartung an der Auftragsvergabe teil, eine Umsatzchance in Form eines transparenten und diskriminierungsfreien Vergabeverfahrens zu erhalten. Die Gewährleistung dieser Chance auf gerichtlichem Wege ist daher auch Gegenstand seines grundfreiheitlichen Rechtsschutzbegehrens. Wären die zur Verfügung gestellten Rechtsmittel auf Schadenersatz begrenzt, ohne die Möglichkeit, eine Änderung der Vergabeentscheidung selbst herbeizuführen, bedeutete dies insbesondere eine Hürde für Bieter aus anderen Mitgliedstaaten. Diese sind an einer Ausweitung ihres wirtschaftlichen Aktionsradius interessiert, ein Verhalten das gerade durch die Grundfreiheiten geschützt wird. Der hohe Stellenwert des primären Rechtsschutzes wird erst aus der prozeduralen Perspektive offensichtlich. Jener allein bietet die Möglichkeit, Fehler des Vergabeverfahrens zu korrigieren und nicht lediglich durch Schadenersatzleistungen auszugleichen. Die prozedurale Absicherung der Grundfreiheiten bliebe Fassade, wenn sie nicht gerichtlich durchsetzbar wäre.

5. Fazit Die Grundfreiheiten haben für das öffentliche Beschaffungswesen in der Rechtsprechung des EuGH eine bemerkenswerte Konkretisierung erfahren. Der Gerichtshof hat weniger materielle, als vielmehr prozedurale Vorgaben aus den Grundfreiheiten abgeleitet. Mit diesen Vorgaben vollzieht sich der Paradigmenwechsel im Vergaberecht von der kompensatorischen zur komplementären Prozeduralisierung. Das traditionelle deutsche Haushaltsvergaberecht ist geprägt vom Grundsatz der Wirtschaftlichkeit. Dementsprechend diente das Ausschreibungsverfahren der Kompensation materieller Ungewissheit über das Kosten-Nutzen-Verhältnis in Bezug auf den Beschaffungsgegenstand. Allerdings wird dieser rein kompensatorische Ansatz inzwischen durch eine erhöhte Sensibilität gegenüber der Betroffenheit deutscher Grundrechte ergänzt. Im Gegensatz hierzu bezweckt das Primärvergaberecht den Schutz individueller Rechte. Es schützt die Möglichkeit ausländischer Bieter, an dem Vergabeverfahren teilzunehmen. Dieser Anspruch auf Verfahrensteilnahme tritt an die Seite materiell-rechtlicher Gehalte der Grundfreiheiten. Er nimmt besonders in Gestalt des Transparenzgrundsatzes Form an, aus dem der EuGH prozedurale Anforderungen

Teil 2, A. Grundfreiheiten

220

ableitet.657 Für das EG-primärrechtliche Vergaberecht lässt sich somit eine komplementäre Prozeduralisierung der Auftragsvergabe konstatieren. An dessen Vorgaben sind alle Auftraggeber gebunden, die Adressaten der Grundfreiheiten sind. Wie auch im sekundärrechtlichen Vergaberecht ist eine funktionale Betrachtung angezeigt. Das Primärvergaberecht kommt jedoch nur bei binnenmarktrelevanten Aufträgen zum Tragen. Diese setzen ein potenzielles grenzüberschreitendes Interesse an dem Auftrag voraus. In diesen Fällen kann es zumindest potenziell zu Diskriminierungen zulasten von Unternehmen aus anderen Mitgliedstaaten kommen. Ist nicht einmal von einem potenziellen Interesse von Bietern aus anderen Mitgliedstaaten auszugehen, kommt es hingegen nicht zu Beeinträchtigungen der Grundfreiheiten. Bei der Auslegung der Grundfreiheiten taucht erneut das Problem des Konkretisierungsgrades von Verfassungsrecht auf. Wie spezifisch können und müssen die grundfreiheitlichen Anforderungen an die Auftragsvergabe sein? Die Richtlinien lassen sich zwar zu Anschauungszwecken vergleichend, jedoch nicht als Maßstab heranzuziehen. Ihr Anwendungsbereich ist durch den Gemeinschaftsgesetzgeber begrenzt worden. Für die Prüfung des konkreten Einzelfalles sind die nationalen Gerichte zuständig. Die Regelungskompetenz liegt mangels Totalharmonisierung bei den Mitgliedstaaten. Dem steht ein weiter Spielraum bei der Verfahrensgestaltung gegenüber. Die Grundfreiheiten schreiben kein starres Verfahren vor, sondern dienen allein als Maßstab des mitgliedstaatlichen Handelns. Eine grundfreiheitskonforme gesetzliche Grundlage für derartige Auftragsvergaben ist im Hinblick auf die bestehende Rechtsunsicherheit erstrebenswert. Als Maßstab für die Konkretisierung der grundfreiheitlichen Anforderungen an die Auftragsvergabe dient der angemessene Grad von Öffentlichkeit. Dieser bestimmt sich nach dem potenziellen Markt für den konkreten Auftrag. Neben dem Auftragswert ist der konkrete Auftragsgegenstand von Bedeutung. Die materiellen Vorgaben der Grundfreiheiten für das Beschaffungswesen beziehen sich sowohl auf das Produkt als auch auf die Person des Bieters. Insoweit hat der Auftraggeber auf eine grundfreiheitskonforme Gestaltung zu achten. Die prozeduralen Vorgaben der Grundfreiheiten ergeben sich aus dem Grundsatz der Transparenz und dem Grundsatz der Gleichbehandlung der Bieter. Der Transparenzgrundsatz bezweckt sowohl eine Marktöffnung als auch die Nachprüfbarkeit des Vergabeverfahrens. Er ist stets im Lichte dieser Doppelfunktion auszulegen und bedingt ein Mindestmaß an Publizität.

657

s. u. Teil 2 A. VI. 4. d).

VII. Zusammenfassung

221

Demgegenüber nimmt der Grundsatz der Gleichbehandlung schwerpunktmäßig Einfluss auf das Vergabeverfahren i. e. S., d. h. auf das Vorgehen im Anschluss an eine Bekanntmachung. Ein selbstständiger Wettbewerbsgrundsatz lässt sich für das Primärvergaberecht, im Unterschied zum sekundären Vergaberecht oder dem Beihilfenrecht658, nicht feststellen. Das grundfreiheitskonforme Vergabeverfahren soll Wettbewerb gerade ermöglichen. Ein tatsächlicher Wettbewerb im konkreten Fall ist hingegen i. R. d. komplementären Prozeduralisierung nicht funktionsnotwendig. Die prozeduralen Anforderungen der Grundfreiheiten schlagen sich in einer Publizität schaffenden Bekanntmachung, einer adäquaten Verfahrensgestaltung und effektiven Rechtsschutzmöglichkeiten nieder. Die Bekanntmachung muss so gestaltet sein, dass sie einen angemessenen Grad von Öffentlichkeit gemessen an dem potenziellen grenzüberschreitenden Interesse herstellt. Hieraus ergeben sich Vorgaben sowohl an die Form als auch an den Inhalt. Innerhalb des Vergabeverfahrens i. e. S. ist besonders auf eine Gleichbehandlung der Bieter zu achten. Effektiver Rechtsschutz der Bieter setzt ausreichende Informationen und damit eine Begründung der Vergabeentscheidung voraus.

VII. Zusammenfassung VII. Zusammenfassung

Dieser Abschnitt bietet eine Tour d’Horizon über die verfahrensrechtliche Dimension der Grundfreiheiten. Dazu wurde die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs in vier Bereichen ausgewertet und einer kritischen Betrachtung unterzogen. Ausgehend von der Warenverkehrsfreiheit griff der EuGH auch i. R. d. Personenverkehrs- und Dienstleistungsfreiheiten auf deren prozedurale Gehalte zurück. Die verfahrensrechtliche Dimension der Grundfreiheiten bildet einen weiteren Baustein auf dem Weg zu einer einheitlichen Dogmatik659 derselben. Die Grundfreiheiten kommen nur in Ermangelung einer sekundärrechtlichen Harmonisierung unmittelbar zum Tragen. Über die Rechtsangleichungskompetenz der Art. 114 f. AEUV kann sich ihre Reichweite und Schutzrichtung gleichwohl auf das Sekundärrecht übertragen. Dies ließ sich für den Bereich der Erstattungsfähigkeit von Arzneimitteln nachweisen. Die harmonisierten Regelungen zielen ebenfalls auf die Verhinderung von Maßnahmen gleicher Wirkung i. S. d. Art. 34 AEUV.

658

Hierzu u. Teil 2 B. IV. 4. a). Zu dieser Classen, EWS 1995, 97 ff.; Ehlers, in: Ehlers, GuG, § 7, Rn. 16; Kingreen, Grundfreiheiten, in: Bogdandy (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, S. 631 ff.; kritisch Steinberg, EuGRZ 2002, 13 ff. 659

222

Teil 2, A. Grundfreiheiten

Es zeigte sich, dass der EuGH bislang die Grundfreiheiten vornehmlich in ihrem abwehrrechtlichen Gehalt prozedural zu untermauern sucht. I. R.d. Rechtfertigungsprüfung haben prozedurale Vorkehrungen die Verhältnismäßigkeit eines mitgliedstaatlichen Eingriffs sicherzustellen. Hierin verwirklicht sich die Komplementärfunktion des Verfahrens. Allein dessen Durchführung stellt ein grundfreiheitskonformes Verwaltungshandeln sicher.660 Dies wurde für alle vier Fallgruppen komplementärer Prozeduralisierung nachgewiesen. Gleichzeitig zeigt die Analyse der vier Verfahrensarten, dass sich den Grundfreiheiten – ebenso wenig wie den Grundrechten661 – keine abstrakt-generellen Verfahrensanforderungen entnehmen lassen. Diese müssen auf den jeweiligen Verfahrenszweck zugeschnitten sein. Jedes Verwaltungsverfahren bedarf daher einer Einzelfallbetrachtung. Jedoch kann der Vergleich mit anderen Verfahrensarten662 die Sensibilität für die Reichweite der komplementären Prozeduralisierung durch die Grundfreiheiten steigern. Die Zugänglichkeit des Verwaltungsverfahrens stand bei der Genehmigung von Lebensmitteln ebenso im Vordergrund wie im Homologierungsverfahren. Dies ist dem engen funktionalen Zusammenhang mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz geschuldet. Das Verfahren kann die Wahrnehmung der Grundfreiheiten nur erleichtern und Eingriffe auf ein erforderliches Maß reduzieren, wenn es selbst keine überhöhten Zugangserfordernisse aufstellt. Dabei stellte sich die Frage, ob der Gedanke der Rechtssicherheit eine normative Grundlage für das Verfahren erforderlich macht. Eine derartige Rechtsfolge der Grundfreiheiten war jedoch, entgegen einzelner Anhaltspunkte in der Rechtsprechung, i. E. abzulehnen. Eine mitgliedstaatliche Normierungspflicht im Hinblick auf das Verwaltungsverfahren würde zum einen das kompetenzielle Gleichgewicht zwischen Gemeinschaft und Mitgliedstaaten und zum anderen die Balance der Gewaltenteilung zwischen Gemeinschaftsgesetzgeberund EuGH stören. Die praktische Wirksamkeit der Grundfreiheiten lässt sich mit Hilfe grundfreiheitskonformer Auslegung innerstaatlichen Rechts und des Anwendungsvorrangs des Gemeinschaftsrechts gewährleisten. Mit Blick auf die deutsche Rechtslage zeigte sich ein differenziertes Bild. Während die prozeduralen Anforderungen teilweise Berücksichtigung gefunden haben,663 finden sie sich an anderer Stelle nicht ausreichend wieder664. In diesen Fällen obliegt es den zuständigen nationalen Stellen, eine grundfreiheitskonforme Ausgestaltung des Verwaltungsverfahrens sicherzustellen. Dabei ist zu beachten, dass sich gemeinschaftsrechtliche Anforderungen auch außerhalb der in Deutsch660

Vgl. in Bezug auf die Grundrechte o. Teil 1 B. II. 3. d) bb). s. o. Teil 1 B. II. 3. d). 662 Zur Kategorisierung von Verfahren s. o. Teil 1 B. III. 3. 663 Vgl. o. zu § 54 LFGB Teil 2 A. III. 5. a). 664 So zum Bewertungsverfahren für Arzneimittel o. Teil 2 A. IV. 2. und zum Vergabeverfahren Teil 2 A. VI. 3. b) aa). 661

VII. Zusammenfassung

223

land kodifizierten Verwaltungsverfahren, bspw. des VwVfG oder des SGB X665, ergeben können. Das Publizitätserfordernis bei der Vergabe öffentlicher Aufträge weist starke funktionale Parallelen zur Zugänglichkeit von Verwaltungsverfahren auf. Dem Interesse potentieller Bieter kann nur durch Transparenz ex ante Rechnung getragen werden. Dazu hat der öffentliche Auftraggeber den Auftrag in geeigneter Form bekanntzumachen. Dabei hat er zunächst festzustellen, ob für den fraglichen Auftrag überhaupt ein grenzüberschreitendes Interesse besteht. Als Kriterien kommen neben dem Auftragsgegenstand und dessen geschätztem Wert kommt eine ganze Reihe von Faktoren in Betracht. Dem zu erwartenden grenzüberschreitenden Interesse hat der Grad der herzustellenden Öffentlichkeit zu entsprechen. Weiter hat der Auftraggeber eine angemessene Frist für die Abgabe von Angeboten einzuräumen. Bei der Auswahl des besten Gebotes im Vergabeverfahren i. e. S. ist der Grundsatz der Grundsatz der Chancengleichheit der Bieter zu beachten. Zumindest die Spezifikationen der Bekanntmachung sind dabei einzuhalten. Neben der Transparenz und Fairness des Verfahrens legt der Gerichtshof den Schwerpunkt auf die Begründungs- und Rechtsschutzanforderungen. Erst hierdurch wird der Grundfreiheitsträger in die Lage versetzt, die Verwirklichung seiner subjektiven Rechte effektiv durchzusetzen. Hierzu bedarf es einer transparenten Handhabung vor und nach der Entscheidungsfindung. I. R. d. Ex-ante-Transparenz muss der Betroffene die Möglichkeit haben, von den Entscheidungskriterien Kenntnis zu erlangen. Das Begründungserfordernis stellt die Ex-post-Transparenz sicher.666 Der Adressat kann die Entscheidungsgründe der Verwaltung nachvollziehen und ggf. seine Rechtsschutzmöglichkeiten sowie deren Erfolgsaussichten eruieren. Zusammenfassend lässt sich ein, mit Ausnahme des Vergaberechts, bislang eher wenig beachteter Einfluss der Grundfreiheiten auf das mitgliedstaatliche Verwaltungsverfahren feststellen. Wo diese in die Ausübung der Grundfreiheiten mittelbar oder unmittelbar eingreifen, haben sie nicht nur die materiell-rechtlichen Anforderungen zu beachten, sondern auch auf eine grundfreiheitskonforme Ausgestaltung zu achten. Die indirekte Europäisierung des Verwaltungsrechts erfolgt im Wege komplementärer Prozeduralisierung zur Durchsetzung der Grundfreiheiten. Im nächsten Abschnitt steht die Kompensationsfunktion des Verfahrens im Mittelpunkt.

665

s. o. Teil 2 A. IV. 2. c). Vgl. zur Ex-ante- und Ex-post-Transparenz im Vergabeverfahren u. Teil 2 A. VI. 4. d) aa) und Teil 2 A. VI. 4. d) dd) (2). 666

224

Teil 2, B. Beihilfenrecht

B. Beihilfenrecht Teil 2, B. Beihilfenrecht Für diese Untersuchung ist die Ermittlung marktgerechter Gegenleistungen für staatliche Zuwendungen, der zentrale Aspekt des Beihilfenbegriffs1, von Interesse. Das Ausschreibungsverfahren ist Mittel der Wahl, um Beihilfen von reinen (markt-) wirtschaftlichen Transaktionen zwischen Staat und Privatwirtschaft abzugrenzen. Wie zu zeigen sein wird, handelt es sich hierbei um einen Fall der kompensatorischen Prozeduralisierung. Die materiellen Unsicherheiten bei der Bestimmung von Leistung und Gegenleistung sollen mittels Ausschreibungsverfahren kompensiert werden. Ein solcher Austausch von Leistung und Gegenleistung zwischen der privaten und der öffentlichen Hand ergibt sich insbesondere i. R. v. Privatisierungen. Der materielle und der prozedurale Modus zur Bestimmung der angemessenen Gegenleistung bei Privatisierungsmaßnahmen der öffentlichen Hand werden dazu gegenübergestellt.

I. Primärrechtliche Grundlage I. Primärrechtliche Grundlage

Das Europäische Beihilfenrecht ist – im Gegensatz bspw. zum Vergaberecht – in den Art. 107 ff. AEUV unmittelbar primärrechtlich geregelt. Daneben existiert eine Fülle sekundärrechtlicher Normen. Ein weiterer maßgeblicher Unterschied zum Vergaberecht liegt in der wesentlich stärkeren Rolle der Europäischen Kommission. Diese hat Beihilfen i. d. R. zu genehmigen. Sie übt auf die Entwicklung des Gemeinschaftsrechts durch ihre Entscheidungspraxis besonderen Einfluss aus.

1. Zweck des Beihilfenverbotes Das Beihilfenverbot ist integraler Bestandteil des Binnenmarktkonzeptes des AEUV. Es kann als das staatsgerichtete Pendant zu den Grundfreiheiten betrachtet werden.2 Diese schützen die Binnenmarktteilnehmer vor diskriminierenden staatlichen Maßnahmen, d. h. vor einer Schlechterstellung. Das Verbot wettbewerbsverzerrender Beihilfen verwehrt es den Mitgliedstaaten, die einheimischen Binnenmarktteilnehmer gegenüber anderen besserzustellen. Diesen Gedanken hat die Kommission auch ihrem Aktionsplan staatliche Beihilfen aus dem Jahr 2005 vorangestellt: „Die Beihilfenkontrolle ergibt sich aus der Notwendigkeit, für alle im europäischen Binnenmarkt tätigen Unternehmen – gleich in welchem Mitgliedstaat sie niedergelassen sind – gleiche Bedingungen aufrechtzuerhalten. Daher muss das besondere Augenmerk staatlichen

1 2

Ehricke, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Art. 87 Abs. 1 EGV, Rn. 37. Cremer, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 87 EGV, Rn. 4.

I. Primärrechtliche Grundlage

225

Beihilfemaßnahmen gelten, die bestimmten Unternehmen ungerechtfertigte selektive Vorteile verschaffen und so dazu führen, dass wettbewerbsfähige Unternehmen gar nicht oder erst mit Verzögerung von den Kräften des Markts profitieren, was sich negativ auf die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft insgesamt auswirken kann.“3

Die Ratio des Beihilfenverbotes ist mithin eine kollektive. Während die Grundfreiheiten bei der Vergabe öffentlicher Aufträge den Schutz des Einzelnen als potenziell interessierten Bieter gewährleisten sollen, sichert das Beihilfenrecht die Funktion und die Wettbewerbsfähigkeit des Binnenmarktes insgesamt. Staatliche Beihilfen haben mitunter Wettbewerbsstörungen zur Folge. Ressourcen können nicht effizient genutzt werden, eigentlich konkurrenzstarke Wettbewerber sich gegen den subventionierten Mitbewerber nicht durchsetzen.4

2. Begünstigung i. S. v. Art. 107 Abs. 1 AEUV Der EG-Vertrag verbietet wettbewerbsverfälschende Beihilfen, die den Handel zwischen den Mitgliedstaaten beeinträchtigen können. Ausgangspunkt einer jeden Prüfung ist der Begriff der Beihilfe. Eine positive Definition des Beihilfenbegriffs ist noch nicht gelungen und wird aufgrund der verschiedenartigen Fallkonstellationen auch nicht angestrebt.5 Er umfasst gem. Art. 107 Abs. 1 AEUV die folgenden Tatbestandsmerkmale:6 (1) Gewährung einer Begünstigung. (2) Staatliche oder aus staatlichen Mitteln gewährte Leistung. (3) Begünstigung bestimmter Unternehmen oder Produktionszweige. (4) Wettbewerbsverfälschung. (5) Beeinträchtigung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten. Die Prozeduralisierung des Beihilfenbegriffes findet über das Tatbestandsmerkmal der Begünstigung statt. Eine Leistung stellt eine Begünstigung dar, wenn ihr keine gleichwertige Gegenleistung gegenübersteht.

3 Aktionsplan staatliche Beihilfen – Weniger und besser ausgerichtete staatliche Beihilfen – Roadmap zur Reform des Beihilferechts 2005–2009, KOM (2005) 107 Konsultationspapier (Hervorhebung durch Verf.). 4 Koenig/Kühling/Ritter, EG-Beihilfenrecht,Rn. 2. 5 s. dazu nur Cremer, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 87 EGV, Rn. 9; Heidenhain, in: Heidenhain, EU-Beihilfenrecht, § 3, Rn. 2. 6 Für eine nähere Erläuterung dieser Tatbestandsmerkmale kann auf die gängige Literatur verwiesen werden, s. nur Heidenhain, in: Heidenhain, EU-Beihilfenrecht, § 4, Rn. 1 ff.; Koenig/ Kühling/Ritter, EG-Beihilfenrecht, Rn. 66 ff.

226

Teil 2, B. Beihilfenrecht

a) Leistung Jede Beihilfe setzt eine Begünstigung des Empfängers voraus. Sie ist der Ausgangspunkt der Beihilfenprüfung.7 Der Begriff ist weit zu verstehen und umfasst nicht nur direkte Zahlungen (Subventionen), sondern auch andere Formen der Vorteilsverschaffung.8 Beihilfen umfassen „alle Vorteile, die in verschiedener Form die Belastungen mindern, die ein Unternehmen normalerweise zu tragen hat“9. Dieser geldwerte Vorteil kann auch in Steuererleichterungen, Befreiung von Sozialleistungen, Dienstleistungen oder Darlehensgewährungen bestehen.10 Es kommt allein auf die objektiv belastungsmindernde Wirkung beim Beihilfenempfänger an.11 Die subjektive Seite der Leistungsgewährung, d. h. die Motivationslage der öffentlichen Hand, ist insoweit irrelevant.12 Auch mittelbare Begünstigungen, wie zweckgebundene Verbrauchersubventionen, sind nicht grundsätzlich vom Anwendungsbereich des Art. 107 Abs. 1 AEUV ausgeschlossen.13 Allerdings lassen sich derartige Leistungsverkettungen nur schwer nachweisen und konkretisieren.14 b) Marktgerechte Gegenleistung Steht der Leistung eine marktgerechte Gegenleistung gegenüber, fehlt es an einer Begünstigung des Unternehmens. In diesem Fall handelt es sich nicht um eine Förderung, sondern lediglich um eine marktwirtschaftliche Transaktion. Denn jede Wirtschaftstätigkeit lebt vom Austausch von Leistung und Gegenleistung.15 In einem zweiten Schritt ist daher zu ermitteln, ob tatsächlich eine – tatbestandsausschließende – marktgerechte Gegenleistung vorliegt. Es muss also ausgeschlossen werden, dass „das begünstigte Unternehmen eine wirtschaftliche Vergünstigung erhält, die es unter normalen Marktbedingungen nicht erhalten hätte“16. Eine synallagmatische Verbindung von Leistung und Gegenleistung ist allerdings nicht erforderlich.17 7

Frenz, Handbuch Europarecht III, Rn. 169. Frenz, Handbuch Europarecht III, Rn. 168; Enchelmaier, Europäisches Wirtschaftsrecht, Rn. 242; Koenig, Weichenstellung, in: Koenig/Ehricke (Hrsg.), Aktuelle Fragen, S. 9 (10). 9 EuGH, Rs. C-310/99 (Italien/Kommission), Slg. 2002, I-2289, Rn. 51, st.Rspr. 10 Vgl. Heidenhain, in: Heidenhain, EU-Beihilfenrecht, § 3, Rn. 2; Koenig/Kühling/Ritter, EG-Beihilfenrecht, Rn. 68; s. auch Soltész, EuZW 1998, 747 ff. Eine Gruppierung nach Art der Begünstigung nimmt Frenz, Handbuch Europarecht III, Rn. 166 ff. vor. 11 Heidenhain, in: Heidenhain, EU-Beihilfenrecht, § 4, Rn. 11. 12 Koenig/Kühling/Ritter, EG-Beihilfenrecht, Rn. 69. 13 Koenig/Kühling/Ritter, EG-Beihilfenrecht, Rn. 70. 14 Kritisch daher Heidenhain, in: Heidenhain, EU-Beihilfenrecht, § 4, Rn. 16. 15 Frenz, Handbuch Europarecht III, Rn. 174. 16 St.Rspr.: EuGH, Rs. C-39/94 (SFEI), Slg. 1996, I-3547, Rn. 60; Rs. C-342/96 (Spanien/Kommission), Slg. 1999, I-2459, Rn. 41; Rs. C-256/97 (DM Transport), Slg. 1999, I-3913, Rn. 22; aktuell GA Kokott, Schlussantr. zu Rs. C-525/04 P (Spanien/Lenzing), Slg. 2007, I-9947 Ziff. 57. 17 EuGH, Rs. 240/83 (ADBHU), Slg. 1985, 531, Rn. 18; Rs. C-53/00 (Ferring), Slg. 2001, I-9067, Rn. 27. 8

I. Primärrechtliche Grundlage

227

Lässt sich für die fragliche Leistung ein objektiver Wert in Form eines Marktoder Börsenpreises ermitteln, ist diese Frage einfach zu beantworten. Andernfalls prüft die Kommission im Genehmigungsverfahren nach Art. 108 AEUV, ob ein privater Investor unter marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten ebenso gehandelt hätte. Dies wird als Market-Economy-Investor-Test (MEIT) oder Private-Investor-Test bezeichnet.18 Gab es eine entsprechende Leistung von privater Seite – hat also ein privater Investor dem Empfänger der mutmaßlichen Beihilfe tatsächlich einen vergleichbaren finanziellen Vorteil verschafft – gehen Kommission und Gerichtshof von einer marktgerechten Gegenleistung aus.19 Für Fälle, in denen keine Parallele zu vorliegenden privaten Investitionen gezogen werden kann, hat die Europäische Kommission verschiedene Überprüfungsmethoden entwickelt. Neben dem erwähnten MEIT lässt sich die Äquivalenz auch mithilfe eines Sachverständigengutachtens bestimmen.20 Diese materiellen Methoden zur Ermittlung der angemessenen Gegenleistung sind jedoch fehleranfällig und können zu Rechtsunsicherheit führen.21 Daher ist ein prozeduraler Modus zur Ermittlung der angemessenen Gegenleistung vorzugswürdig. Um Austauschverhältnisse „beihilfenfest“ zu gestalten, kommen daher vermehrt Ausschreibungsverfahren zur Anwendung.22

3. Art. 106 AEUV Art. 106 AEUV behandelt die besondere Gefahr für den Wettbewerb, die von einem unternehmerischen Handeln des Staates ausgeht.23 Art. 106 Abs. 1 AEUV verbietet eine Besserstellung öffentlicher und privilegierter Unternehmen im Wettbewerb. Dazu verweist die Norm auf die jeweils anwendbaren Vertragsvorschriften, insbesondere das allgemeine Diskriminierungsverbot sowie die Wettbewerbsund Beihilfenregeln. Die Bestimmungen des Vertrages finden damit auf öffentliche Unternehmen Anwendung. Der Begriff des öffentlichen Unternehmens wird für das gesamte Europäische Wettbewerbsrecht einheitlich nach funktionellen Gesichtspunkten definiert.24 Auf die Kategorien des mitgliedstaatlichen Rechts kommt es nicht an. Eine Einheit ist als Unternehmen zu qualifizieren, wenn sie eine Tätigkeit wirtschaftlicher Art aus18 s. u. Teil 2 B. III. 1. sowie Koenig/Kühling/Ritter, EG-Beihilfenrecht, Rn. 74 m. umfassenden w.N. in Fn. 25; Quigley/Collins, EC State Aid, S. 29 ff. m. w. N. aus der Rspr. 19 EuG, Rs. T-358/94 (Air France/Kommission), Slg. 1996, II-2109, Rn. 148 f.; Rs. T-296/97 (Alitalia/Kommission), Slg. 2000, II-3871, Rn. 81; 25. WB (1995), Ziff. 159. 20 s. u. Teil 2 B. III. 2. 21 Näher u. Teil 2 B. III. sowie Teil 2 B. V. 3. 22 Näher u. Teil 2 B. IV. und Teil 2 B. VI. 23 Jung, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 86 EGV, Rn. 1. 24 Mestmäcker/Schweitzer, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Art. 86 Abs. 1 EGV, Rn. 1 m. w. N.

228

Teil 2, B. Beihilfenrecht

übt.25 Dies gilt unabhängig von ihrer Rechtsform oder Art der Finanzierung.26 Kein unternehmerisches Handeln liegt bei hoheitlichen Maßnahmen vor.27 Öffentlich ist ein Unternehmen, wenn der Staat einen bestimmenden Einfluss auf die Unternehmensführung ausüben kann.28 Zwar ohne definitorische Wirkung für das Primärrecht, aber als korrekte Ausfüllung des Begriffs i. S. d. Art. 106 Abs. 1 AEUV wird die Definition des öffentlichen Unternehmens gem. Art. 2 Abs. 1 lit. b der Transparenzrichtlinie29 angesehen:30 Öffentliches Unternehmen ist demnach „jedes Unternehmen, auf das die öffentliche Hand aufgrund Eigentums, finanzieller Beteiligung, Satzung oder sonstiger Bestimmungen, die die Tätigkeit des Unternehmens regeln, unmittelbar oder mittelbar einen beherrschenden Einfluß ausüben kann.“

Daneben werden sog. privilegierte Unternehmen von Art. 106 Abs. 1 AEUV erfasst. Die Gefahr einer Wettbewerbsverzerrung, die Art. 106 AEUV zu minimieren sucht, geht hier von der besonderen Rechtsbeziehung zwischen dem Staat und dem Unternehmen aus. Diese Sonderbeziehung kommt in der Verleihung ausschließlicher oder besonderer Rechte zum Ausdruck. Derartige Rechte werden nach Ansicht des EuGH begründet, wenn einer „begrenzten Zahl von Unternehmen durch Rechtsvorschriften ein Schutz verliehen (wird), der die Fähigkeit anderer Unternehmen, die fragliche wirtschaftliche Tätigkeit im selben Gebiet zu im Wesentlichen gleichen Bedingungen auszuüben, wesentlich beeinträchtigen kann.“31

Entscheidend ist, dass privilegierte Unternehmen wie öffentliche vom Staat abhängig sind. Daher müssen die eingeräumten Privilegien auf individualisierte Unternehmen begrenzt sein.32

25 St. Rspr.: EuGH, Rs. C-41/90 (Höfner und Elser), Slg. 1991, I-1979, Rn. 21; Rs. C-218/00 (Cisal), Slg. 2002, I-691, Rn. 22; Verb. Rs. C-264 u. a./01 (AOK-Bundesverband u. a.), Slg. 2004, I-2493, Rn. 46. 26 Koenig/Kühling, in: Streinz, EUV/EGV, Art. 86, Rn. 7. 27 Koenig/Kühling, in: Streinz, EUV/EGV, Art. 86, Rn. 15 ff. 28 Jung, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 86 EGV, Rn. 13; Koenig/Kühling, in: Streinz, EUV/EGV, Art. 86, Rn. 15 ff.; Mestmäcker/Schweitzer, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Art. 86 Abs. 1 EGV, Rn. 33 ff. 29 Richtlinie 1980/195/EWG der Kommission vom 25. Juni 1980 über die Transparenz der finanziellen Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten und den öffentlichen Unternehmen sowie über die finanzielle Transparenz innerhalb bestimmter Unternehmen, zuletzt geändert durch die Richtlinie 2005/81/EG der Kommission vom 28. November 2005, ABl. EWG L 312 vom 29.7.1980, S. 35. 30 Jung, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 86 EGV, Rn. 12; Koenig/Kühling, in: Streinz, EUV/EGV, Art. 86, Rn. 16; Mestmäcker/Schweitzer, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Art. 86 Abs. 1 EGV, Rn. 35; Pernice/Wernicke, in: Grabitz/Hilf, EU, Art. 86 EGV, Rn. 21. 31 EuGH, Rs. C-475/99 (Ambulanz Glöckner), Slg. 2001, I-8089, Rn. 24. 32 Jung, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 86 EGV, Rn. 14 f.

II. Prozeduralisierung des Beihilfentatbestandes

229

Die Mitgliedstaaten haben vertragswidrige Maßnahmen, welche diese Unternehmen besserstellen, zu unterlassen. Hierzu zählt insbesondere das Beihilfenverbot gem. Art. 107 Abs. 1 AEUV.33 Aufgrund des schon dargestellten weiten Beihilfenbegriffs trägt Art. 106 Abs. 1 AEUV materiell wenig zur Ausdehnung der Beihilfenkontrolle bei.34 Zumindest hat die Norm aber klarstellende Funktion. Die Rechtsetzungskompetenz des Art. 106 Abs. 3 AEUV gibt der Kommission ferner die Möglichkeit, beihilfenrechtliche Anforderungen in Bezug auf öffentliche oder privilegierte Unternehmen zu konkretisieren. Das Beihilfenverbot gilt nicht unbeschränkt. Im Falle eines Marktversagens müssen staatliche Eingriffe gerade im Interesse des Wettbewerbs möglich sein. Hier ergänzen sich die beiden Elemente des europäischen Wettbewerbsrechts, das Kartell- und das Beihilfenrecht.

II. Prozeduralisierung des Beihilfentatbestandes II. Prozeduralisierung des Beihilfentatbestandes

1. Marktmechanismus und Staat Der Tatbestand des Art. 107 Abs. 1 AEUV setzt eine Begünstigung des Beihilfenempfängers voraus. Eine solche liegt vor, wenn „das begünstigte Unternehmen eine wirtschaftliche Vergünstigung erhält, die es unter normalen Marktbedingungen nicht erhalten hätte“.35 Der europäische Beihilfenbegriff umfasst eine Vielzahl an Fallgestaltungen.36 Darunter fallen nicht nur klassische Subventionszahlungen als einseitige Leistungen. In vielen Bereichen, die beihilfenverdächtig sind, besteht zwischen Staat und potenziellem Beihilfenempfänger ein Austauschverhältnis. Sowohl der Staat als auch sein Gegenüber37 treten als Geber und Empfänger auf. Unter normalen Marktbedingungen stellt sich ein (jedenfalls angenähertes) Gleichgewicht von Leistung und Gegenleistung wie von „unsichtbarer Hand“ ein.38 Der idealtypische Markt setzt eine vollkommene Konkurrenz zwischen unendlich vielen Marktteilnehmern voraus. Alleiniges Entscheidungskriterium der Marktteilnehmer ist der Preis. Dieser wird durch Angebot und Nachfrage gebildet. Die Nachfrage nach einem Gut richtet sich nach den Präferenzen und dem Einkommen der Konsumenten sowie dem Preis des Gutes und dem Preis anderer

33

Koenig/Kühling, in: Streinz, EUV/EGV, Art. 86, Rn. 32. A. A. Jung, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 86 EGV, Rn. 25. 35 St.Rspr.: EuGH, Rs. C-39/94 (SFEI), Slg. 1996, I-3547, Rn. 60; Rs. C-342/96 (Spanien/ Kommission), Slg. 1999, I-2459, Rn. 41; Rs. C-256/97 (DM Transport), Slg. 1999, I-3913, Rn. 22. 36 Cremer, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 87 EGV, Rn. 9. 37 Hierbei kann es sich auch um ein öffentliches Unternehmen handeln, s. o. Teil 2 B. I. 3. 38 „Invisible hand“: Smith, Wealth of nations, S. 456. 34

230

Teil 2, B. Beihilfenrecht

Güter.39 Der Preis des Gutes und dessen Produktionskosten bestimmen die Angebotsseite.40 Der Wettbewerb vermittelt zwischen dem Interesse der Anbieter, einen möglichst hohen Preis zu erzielen, und dem Interesse der Nachfrager, das Gut möglichst billig zu erwerben.41 Unter diesen Voraussetzungen bildet sich ein Marktgleichgewicht: Jeder Verkäufer findet einen Käufer, der sein Gut zu einem bestimmten Preis abnimmt. Der Marktpreis korreliert mit der angebotenen Menge. Bei steigenden Preisen steigt das Marktangebot, bei sinkenden Preisen nimmt auch die angebotene Menge ab.42 Der Marktpreis bildet sich demnach aus dem Zusammenwirken einer Vielzahl von Anbietern und Nachfragern, die allein nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten entscheiden, nämlich möglichst günstig ein- oder teuer zu verkaufen. Für den Staat als Marktteilnehmer lassen sich diese Bedingungen jedoch nicht ohne Weiteres annehmen. Der Markt als Koordinationsmechanismus verliert seine preisbildende Funktion, wenn der Anbieter sein Gut nicht unter dem Gesichtspunkt des bestmöglichen Preises verkauft, sondern einen Nachfrager anhand anderer Kriterien auswählt. Auf privatwirtschaftlichen Märkten wird dies kaum oder nur sehr eingeschränkt vorkommen, da die Marktteilnehmer auf die Rentabilität ihres Marktverhaltens angewiesen sind. Umgekehrt verliert der Preis seine ausgleichende Wirkung, wenn sich der Nachfrager von alternativen Kriterien leiten lässt. Die öffentliche Hand ist keinem, für den Gleichgewichtspreis konstitutiven, Konkurrenzdruck ausgesetzt, da sie nicht auf die Rentabilität ihres Handelns angewiesen ist. Sie kann aufgrund der Steuerhoheit unabhängig vom Kapitalmarkt an Finanzmittel gelangen.43 Andere Steuerungsinteressen oder sekundäre Einkünfte durch ein erhöhtes Steueraufkommen sowie Einsparungen (z. B. bei Sozialausgaben) können im Vordergrund stehen.44 Dies gilt auch in Zeiten „leerer Kassen“. Die öffentliche Hand ist zwar immer mehr gezwungen, die Effizienz und Effektivität ihrer Ausgaben zu hinterfragen. Ein Wettbewerb erzeugendes Gewinnstreben ist damit jedoch nicht oder nur punktuell verbunden. Tritt der Staat in eine Leistungsbeziehung zu Privaten, die nicht der eigenen Versorgung mit Produkten dient, handelt es sich zumeist um Fälle der Privatisierung. Diese Austauschverhältnisse sollen zunächst typologisiert und anschließend auf ihren prozeduralen Gehalt untersucht werden.

39 40 41 42 43 44

Hanusch/Kuhn, VWL, S. 74. Hanusch/Kuhn, VWL, S. 77. Lachmann, VWL 1, S. 58; Röck, Preisbildung, S. 41. Lachmann, VWL 1, S. 59. Pietzcker, Staatsauftrag, S. 250. Rintelen, Dienstleistungen, S. 123.

II. Prozeduralisierung des Beihilfentatbestandes

231

2. Privatisierung a) Begriff der Privatisierung Der Begriff der Privatisierung ist nach wie vor eher phänomenologischer als definitorischer Natur.45 Er umfasst „jede Form der Abgabe von Rechtsmacht durch den Staat zugunsten von Personen des Privatrechts“46. Personen des Privatrechts können sowohl natürliche Personen als auch juristische Personen des Privatrechts sein, unabhängig davon, ob hinter Letzteren natürliche Personen oder die öffentliche Hand stehen. Das Phänomen der Privatisierung lässt sich nicht nur auf europäischer, sondern auch auf globaler Ebene feststellen.47 Die Vernetzung von Staat und Privaten nimmt in dem Maße zu, in dem die öffentlich wahrgenommenen Aufgaben48 zunehmen, jedoch vom Staat aufgrund fehlender Mittel nicht oder nicht in wirtschaftlich vertretbarer Weise erfüllt werden können. Der Staat erweitert sein Handlungsarsenal in diesen Fällen um die verschiedenen Privatisierungsformen. Herkömmlich werden drei (Haupt-)Formen unterschieden:49 – formelle Privatisierung, – materielle Privatisierung, – funktionale Privatisierung. Bei der formellen Privatisierung bedient sich die öffentliche Hand privatrechtlicher Handlungsformen. Zur Erfüllung ihrer Aufgaben tritt sie als juristische Person des Privatrechts, d. h. als AG oder GmbH auf. Diese Organisationsprivatisierung verschiebt die Grenze zwischen Staat und Privaten nicht, sondern erleichtert lediglich die Interaktion mit der privaten Wirtschaft oder dem privaten Verbraucher. Sie wird daher auch als Scheinprivatisierung bezeichnet.50 Die materielle Privatisierung bezeichnet die vollständige Übertragung vom Staat auf Private. Es ist zwischen Vermögens- und Aufgabenprivatisierung zu unterscheiden. Bei der Vermögensprivatisierung veräußert die öffentliche Hand Eigentum (Grundstücke, öffentliche Unternehmen) an Private, d. h. an nicht-staatliche Rechtssubjekte.51 I. R.d. Aufgabenprivatisierung überträgt der Staat hingegen 45

Herleitung bei Kämmerer, Privatisierung, S. 7 ff. Nach Kämmerer, Privatisierung, S. 37. 47 Helm, Privatisierung, S. 27 f.; Hetzel/Früchtl, BayVBl. 2006, 649 (652 f.). 48 Zum Begriff Di Fabio, JZ 1999, 585 ff.; Theobald/Michaels, in: Koenig/Kühling/Theobald, Infrastrukturförderung, Rn. 3/16 ff. 49 Statt vieler Di Fabio, JZ 1999, 585 ff.; Helm, Privatisierung, S. 29 ff. m. w. N.; Vollmöller, in: Schmidt/Vollmöller (Hrsg.), Öffentliches Wirtschaftsrecht, § 6, Rn. 31; Stober, Allg. WirtschVerwR, S. 278 f. Überblick bei Kämmerer, Privatisierung, S. 17 ff. m. w. N. 50 Stober, Allg. WirtschVerwR, S. 278; Ziekow, Öff. WirtschR¸ § 8, Rn. 3 f. 51 Helm, Privatisierung, S. 29 f. 46

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Teil 2, B. Beihilfenrecht

eine bisher von ihm selbst wahrgenommene Aufgabe auf Private. Der Staat entäußert sich dieser Aufgabe zur Gänze und überlässt sie durch hoheitlichen Verzicht der Gesellschaft.52 Es erscheint zweifelhaft, ob diese reine Form der Privatisierung in Bezug auf alle öffentlichen Aufgaben durchführbar ist. Der Entäußerungskompetenz des Staates sind verfassungsrechtliche Grenzen gesetzt.53 Gleichsam dazwischen ist die sog. funktionale Privatisierung angesiedelt. Schon der Begriff spiegelt die Bestrebungen wider, das komplexer werdende Phänomen der Privatisierung feiner zu kategorisieren als es die Zweiteilung in formell – materiell zulässt.54 Als funktional privatisiert wird eine Aufgabe begriffen, die zwar von privater Seite erfüllt wird, jedoch noch unter staatlicher Aufsicht und Wahrnehmungsverantwortung steht.55 Hierzu sind bspw. die verschiedenen Modelle der Public Private Partnership zu rechnen.56 Ob tatsächlich sinnvoll zwischen der Privatisierung der Aufgabe insgesamt und deren bloßer Durchführung unterschieden werden kann, erscheint zweifelhaft.57 Gerade im Hinblick auf die schillernde Vielfalt öffentlich-privater Kooperationen, die unter dem Schlagwort des Public Private Partnership zusammengefasst werden, wird die Abgrenzung der funktionellen Privatisierung immer schwieriger. Aus der Differenzierung von materieller und funktioneller Privatisierung lässt sich somit nur ein geringer Erkenntniswert ziehen. Konsequenter erscheint daher in Bezug auf das jeweilige Objekt der Privatisierung eine Zweiteilung in – Vermögensprivatisierung und – Aufgabenprivatisierung.58 Die Vermögensprivatisierung umfasst die schon oben bei der materiellen Privatisierung beschriebene Übertragung staatlichen Eigentums auf Personen des Privatrechts. Nähere Betrachtung wird hier die Privatisierung öffentlicher Unternehmen und staatseigener Grundstücke finden. Der Begriff der Aufgabenprivatisierung vereint sowohl die funktionale als auch die umstrittene materielle Privatisierung 52

Di Fabio, JZ 1999, 585 (585 f.). Kritisch auch Kämmerer, Privatisierung, S. 29 ff.; ebenfalls einschränkend Ziekow, Öffentliches Wirtschaftsrecht, § 8, Rn. 10; a. A. wohl Di Fabio, JZ 1999, 585 (586): „freie Entscheidung des Gesetzgebers“. 54 Bauer, VVDStRL 54 (1995), 243 (252); Kämmerer, Privatisierung, S. 24 f. 55 Bauer, VVDStRL 54 (1995), 243 (253); Helm, Privatisierung, S. 32. Lehnt man eine völlige Verantwortungsentäußerung des Staates ab, ist diese Kategorie freilich entbehrlich, vgl. Ziekow, Öffentliches Wirtschaftsrecht, § 8, Rn. 9 f. 56 Theobald/Michaels, in: Koenig/Kühling/Theobald, Infrastrukturförderung, Rn. 3/9 u. 50 f.; Ziekow, Öffentliches Wirtschaftsrecht, § 8, Rn. 6 ff. 57 Ablehnend Kämmerer, Privatisierung, S. 39 f. Jedenfalls für ein Fortwirken der staatlichen Gewährleistungsverantwortung Ziekow, Öffentliches Wirtschaftsrecht, § 8, Rn. 10. 58 Systematik nach Kämmerer, Privatisierung, S. 38 ff., der die Arten der Privatisierung daneben noch nach dem Privatisierungsadressaten differenziert. 53

II. Prozeduralisierung des Beihilfentatbestandes

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staatlicher Aufgaben. Für die vorliegende Darstellung ist die Privatisierung der Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse59 zentral. Einer Differenzierung nach dem Privatisierungsadressaten60 bedarf es wegen Art. 106 Abs. 1 AEUV für die beihilfenrechtliche Perspektive nicht. Öffentliche und private Unternehmen sind als mögliche Empfänger staatlicher Leistungen insoweit gleich zu behandeln.

b) Privatisierung durch Europäisierung aa) Vermögensprivatisierung Privatisierung als wirtschaftlicher und politischer Prozess ist nicht rechtlich verordnet. Er unterliegt aber einer Vielzahl juristischer Determinanten. Nicht nur das Europarecht beeinflusst den Privatisierungsprozess, sondern auch das nationale Verfassungsrecht sowie das Haushalts- und Kommunalrecht.61 Während nationale Vorschriften die Privatisierungsentscheidung teilweise direkt determinieren,62 übt das Gemeinschaftsrecht lediglich einen indirekten Einfluss aus.63 Es darf die Mitgliedstaaten auch nicht unmittelbar zur Privatisierung verpflichten.64 Dies stellt Art. 345 AEUV zumindest für die Vermögensprivatisierung klar, indem er bestimmt, dass der Vertrag „die Eigentumsordnung in den verschiedenen Mitgliedstaaten unberührt“ lässt.65 Art. 345 AEUV befreit die Mitgliedstaaten jedoch nicht von der Bindung an die übrigen Vertragsregelungen.66 Hierzu zählen insbesondere die Grundfreiheiten, das Beihilfenrecht sowie Art. 106 AEUV.67 Die Eigentumszuordnung und damit auch die Privatisierungspolitik der Mitgliedstaaten bleiben in deren Verantwortung.68 Allerdings sind sie bei der Ausgestaltung an das europäische Verfassungsrecht gebunden.69 59 Zum Begriff u. Teil 2 B. V. 1.; zur Einordnung in das „herkömmliche“ Privatisierungsschema Aumont/Kaelble, NZBau 2006, 280 (283 f.). 60 Hierzu Kämmerer, Privatisierung, S. 40 ff. Vgl. auch Tietjen, Europäische Beihilfenkontrolle, S. 130 f. 61 Bauer, VVDStRL 54 (1995), 243 (253) m. w. N.; Kämmerer, Privatisierung, S. 88 ff. 62 Wie z. B. § 7 Abs. 1 S. 2 BHO. Hierzu Bauer, VVDStRL 54 (1995), 243 (258 f.). 63 Bauer, VVDStRL 54 (1995), 243 (259); Kämmerer, Privatisierung, S. 90; 64 Koenig/Kühling, in: Streinz, EUV/EGV, Art. 295, Rn. 13; Weiß, AöR 128 (2003), 91 (95). 65 Dohms, Vorstellungen der Kommission, in: Schwarze (Hrsg.), Daseinsvorsorge, S. 41 (54); Kingreen, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 28–30 EGV, Rn. 10; Koenig/Kühling, in: Streinz, EUV/EGV, Art. 295, Rn. 11 f. 66 EuGH, Rs. C-235/89 (Kommission/Italien), Slg. 1992, I-777, Rn. 14; Verb. Rs. C-92 u. 326/92 (Phil Collins u. a.), Slg. 1993, I-5145, Rn. 22; Rs. C-53/05 (Kommission/Portugal), Slg. 2006, I-6215, Rn. 31. Ausführlich hierzu Böhmann, Privatisierungsdruck, S. 77 ff. 67 Schmidt, Verw 28 (1995), 281 (290). 68 Kingreen, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 28–30 EGV, Rn. 11. 69 Kommission, XXIII. Wettbewerbsbericht (1993), Ziff. 403. Ausführlich Eilmansberger, Privatisierung, in: Hummer (Hrsg.), Markierungen, S. 93 ff.; Weiß, AöR 128 (2003), 91 (92 ff.).

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Verschiedene Normkomplexe des Gemeinschaftsrechts fungieren als „Privatisierungshebel“70, welche die Privatisierungstendenzen in den Mitgliedstaaten fördern. Von grundlegender Bedeutung ist Art. 106 AEUV. Dessen Abs. 1 enthält ein Besserstellungsverbot für öffentliche oder privilegierte Unternehmen.71 Diese unterliegen in vollem Umfang den Regelungen des AEUV.72 Das Gemeinschaftsrecht baut so indirekt einen Privatisierungsdruck auf.73 Öffentliche oder privilegierte Unternehmen mit Ausschließlichkeitsrechten auszustatten, bedarf i. R. v. Art. 106 Abs. 2 AEUV der Rechtfertigung. Haben öffentliche Unternehmen jedoch keine solchen Rechte inne, stehen sie Unternehmen in privater Hand weitgehend gleich. Dann stellt sich jedoch die Frage nach ihrer Existenzberechtigung. Eine wirtschaftssteuernde Funktion kann ihnen nicht mehr zukommen, da sie sich wie ein privates Unternehmen im Wettbewerb verhalten müssen.74 Richtet man nun den Blick auf die Art. 107 ff. AEUV, verstärkt sich dieses Bild. Um eine Besserstellung i. S. v. Art. 106 AEUV handelt es sich gerade auch bei der Subventionierung von Unternehmen. Dies schließt Verlustübernahmen und Kapitalzuflüsse ein. Öffentliche Unternehmen unterliegen somit dem gleichen ökonomischen Druck wie ihre privaten Konkurrenten.75 Verhindert das europäische Beihilfenrecht aber Unterstützungen staatlicherseits, so bleibt den betroffenen Unternehmen nur die Option, sich für privates Kapital zu öffnen, mithin eine (Teil-) Privatisierung anzustreben.76 Greifbarer und direkter zeigt sich der Zusammenhang von europäischem Beihilfenregime und Privatisierungen in der Kommissionspraxis, Umstrukturierungsbeihilfen nur i. V. m. einer Privatisierungsverpflichtung zu genehmigen.77 Während sie sich zunächst noch mit der Forderung nach einer formellen Privatisierung begnügte,78 favorisiert die Kommission nunmehr die materielle, d. h. die Vermögensprivatisierung.79 Die Privatisierung des betroffenen öffentlichen Unterneh70

Schmidt, Verw 28 (1995), 281 (291). Koenig/Kühling, in: Streinz, EUV/EGV, Art. 86, Rn. 2. Nach a. A. handelt es sich um ein Gleichstellungsgebot: Helm, Privatisierung, S. 82; Jung, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 86 EGV, Rn. 3 m. w. N.; Pernice/Wernicke, in: Grabitz/Hilf, EU, Art. 86 EGV, Rn. 5. 72 Weiß, AöR 128 (2003), 91 (95). 73 Schmidt, Verw 28 (1995), 281 (261 f.). 74 Helm, Privatisierung, S. 84 f.; Weiß, AöR 128 (2003), 91 (96 f.). 75 Weiter gehend Montag, in: Heidenhain, EU-Beihilfenrecht, § 29, Rn. 5 ff. 76 Basedow, Deregulierung, in: FS-Helmrich, S. 769 (780); Böhmann, Privatisierungsdruck, S. 157 ff.; Schmidt, Verw 28 (1995), 281 (307 f.). 77 Kommission, Entsch. v. 20.5.1998 (Crédit Lyonnais), ABl. EG L 221/28 vom 8.8.1998, S. 79; Kommission, Entsch. v. 16.4.1997 (Enirisorse), ABl. EG C 80/32 vom 18.3.1998, S. 40; Kommission, Entsch. v. 12.10.1994 (Bull), ABl. EG L 386/1 vom 31.12.1994, S. 12. Vgl. Lübbig, EWS 2001, 517 (518 f.); Soltész/Bielesz, EuZW 2004, 391 f.; Weiß, AöR 128 (2003), 91 (109). Kritisch Kruse, EWS 2005, 66 (74). S. auch die Mitteilung der Kommission: Leitlinien der Gemeinschaft für staatliche Beihilfen zur Rettung und Umstrukturierung von Unternehmen in Schwierigkeiten, ABl. EU C 244 vom 1.10.2004, S. 2 ff. 78 So Kommission, Entsch. v. 29.3.1988 (Renault), ABl. EWG L 220/30 vom 11.8.1988 (39). 79 Böhmann, Privatisierungsdruck, S. 214 f. 71

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mens verhindert effektiv eine wiederholte staatliche Unterstützung („one time last time“-Beihilfe). Sie kappe die unmittelbare finanzielle Verbindung zwischen dem Mitgliedstaat und dem öffentlichen Unternehmen, sodass Letzteres „nicht mehr in den Genuss öffentlicher Finanzierung kommen“80 könne. Somit entsteht durch das europäische Beihilfenrecht und die Kommissionspraxis im Einzelfall ein normativer Privatisierungsdruck,81 der auch mit dem Schlagwort der indirekten Europäisierung bezeichnet werden kann. bb) Aufgabenprivatisierung Für die Aufgabenprivatisierung lässt sich ein solch kausaler Zusammenhang zwar nicht herstellen. Jedoch lässt sich zumindest für Deutschland eine Ausweitung der Aufgabenprivatisierung diagnostizieren.82 Dies zeigt auch ein Blick auf die wachsende Literatur zu diesem Themengebiet.83 Nachdem die Liberalisierungsbestrebungen im europäischen Binnenmarkt zu einer Auflösung vieler staatlicher Monopole auch im Bereich der Daseinsvorsorge geführt haben,84 geht der Staat vermehrt dazu über, diese Aufgaben an Unternehmen zu übertragen.85 Die zur Aufgabenerfüllung herangezogenen Unternehmen unterliegen, unabhängig davon, ob sie als private oder öffentliche Unternehmen zu qualifizieren sind, dem europäischen Wettbewerbsrecht. Dadurch kommt es zu sachlichen und kompetenziellen Reibungen zwischen der Europäischen Union und den Mitgliedstaaten. Die Mitgliedstaaten müssen für eine europarechtskonforme Aufgabenprivatisierung sorgen, sind dabei jedoch bemüht, bei der Festlegung dieser Aufgaben keine Kompetenzen an die Union abzugeben.86 Dieses Spannungsverhältnis wird i. R. v. Ausgleichszahlungen an Unternehmen für Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse besonders augenfällig.87 3. Kompensatorische Prozeduralisierung Sowohl bei der Vermögens- als auch bei der Aufgabenprivatisierung geht der Staat ein Austauschverhältnis mit Privaten ein. Bei der Vermögensprivatisierung tritt der Staat als Anbieter auf. Unter den nachfragenden Interessenten wählt 80

Kommission, Entsch. v. 16.4.1997 (Enirisorse), ABl. EG C 80/32 vom 18.3.1998, S. 39. So auch Frenz, Handbuch Europarecht III, Rn. 288 f. 82 Kube, EuR 2004, 230. 83 Burgi, Funktionale Privatisierung und Verwaltungshilfe, 1999; Kämmerer, Privatisierung, 2001; Weiß, Privatisierung und Staatsaufgaben, 2002. 84 Historischer Überblick bei Ambrosius, Öffentliche Dienstleistungssysteme in Europa, S. 1 ff.; Schwarze, EuZW 2001, 334 ff. 85 Kube, EuR 2004, 230. 86 Näher zum gemeinschaftsrechtlichen Begriff der Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse u. Teil 2 B. V. 1. 87 Kube, EuR 2004, 230 (231) m. w. N. 81

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Teil 2, B. Beihilfenrecht

er nicht notwendig nur nach dem gebotenen Preis aus. Der Erhalt von Arbeitsplätzen oder Know-how im Inland können beim Verkauf eines öffentlichen Unternehmens eine gleichrangige oder überwiegende Rolle spielen. Die Frage der späteren Nutzung eines Grundstücks der öffentlichen Hand kann von entscheidender Bedeutung für die Entscheidung einer Kommune sein. Bei der Aufgabenprivatisierung steht der Staat auf der Nachfragenseite. Er überträgt die Erfüllung von Gemeinwohlverpflichtungen an private Unternehmen. Dabei kann er sich aufgrund ähnlicher marktfremder Erwägungen entschließen, ein über dem Marktpreis liegendes Entgelt zu bezahlen. In beiden Fällen entspricht der tatsächliche Preis nicht mehr demjenigen, der beim freien Spiel von Angebot und Nachfrage entstanden wäre. Dem Leistungsaustausch fehlt die unsichtbare Hand der Preisbildung. Steht auf der jeweils anderen Seite des Austauschverhältnisses ein privater Marktteilnehmer oder ein gem. Art. 106 Abs. 1 AEUV gleichgestelltes öffentliches Unternehmen, kann es zu Verschiebungen auf dem Markt kommen. Der selbst unter Konkurrenzdruck stehende Private erlangt einen Wettbewerbsvorteil, wenn er eine Leistung unter Marktpreis erlangt oder sie über Marktpreis erbringen kann. Er ist gegenüber anderen Marktteilnehmern bessergestellt, die diese Leistung – wenn überhaupt88 – nur zum Marktpreis erlangen bzw. erbringen können. Damit wird er im beihilfenrechtlichen Sinne begünstigt. Zur beihilfenrechtlichen Bewertung eines Leistungsaustausches unter staatlicher Beteiligung ist die Bestimmung eines Marktpreises unabdingbar. Die staatliche Leistung verliert nur ihren begünstigenden Charakter, wenn die Gegenleistung dem Marktüblichen entspricht.89 Allerdings verfehlt der oben beschriebene Marktmechanismus in Folge staatlicher Beteiligung seine Wirkung, da sich der Staat in einer anderen Interessenlage als ein privater Marktteilnehmer befindet. Die vereinbarte Gegenleistung kann somit nicht per se als Gleichgewichtspreis angenommen werden. Kompensationen, die über den Marktpreis hinausgehen, können rechtswidrige Beihilfen beinhalten. Es bedarf daher alternativer Methoden, um eine angemessene Gegenleistung zu spezifizieren. Die Kommission hat hierzu eine Auswahl an „Messinstrumenten“ entwickelt. Die Ermittlung der angemessenen Gegenleistung kann in einem materiellen oder prozeduralen Modus erfolgen. Als materieller Vergleichsmaßstab bei der Vermögensprivatisierung kommt v. a. der MEIT zur Anwendung. Die Bewertung von zu veräußernden Grundstücken oder Unternehmen kann auch mithilfe eines Sach88 Existiert für die nachgefragte Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse außerhalb der Aufgabenprivatisierung gar keine Absatzmöglichkeit für Private, d. h. gibt es keinen Markt für diese Tätigkeit, kann man auch vom „Wettbewerb um den Markt“ statt „Wettbewerb im Markt“ sprechen, Britz, ZHR 169 (2005), 370 (376 f.). 89 Ehricke, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Art. 87 Abs. 1 EGV, Rn. 44; Koenig/Kühling, in: Streinz, EUV/EGV, Art. 87 EGV, Rn. 32; Wallenberg, in: Grabitz/Hilf, EU, Art. 87 EGV, Rn. 15.

II. Prozeduralisierung des Beihilfentatbestandes

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verständigengutachtens erfolgen. Bei der Aufgabenprivatisierung sind nach der Rspr. des EuGH die objektiven Kosten für die Erbringung der Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse zu ermitteln. Die Kommission bevorzugt jedoch den prozeduralen Modus zur Bestimmung der angemessenen Gegenleistung. Dies gilt sowohl für die Vermögensprivatisierung90 als auch für die Aufgabenprivatisierung91. Der Marktpreis wird durch ein Ausschreibungsverfahren bestimmt. Da der herkömmliche Marktmechanismus nicht greift, schafft die staatliche Stelle einen eigenen Markt. Das Verfahren kompensiert dergestalt die Unsicherheit materieller Kriterien. Sowohl der MEIT als auch die Gutachten beauftragter Sachverständiger beruhen zwar auf akzeptierten Methoden. Sie beinhalten jedoch stets ein hypothetisches Element. Ihnen fehlt die Verifikation durch den Markt. Auch eine Kostenanalyse für ein durchschnittlich gut geführtes Unternehmen, wie es für das vierte AltmarkKriterium92 notwendig ist, ist mit erheblichen Unwägbarkeiten belastet.93 Dieser Unsicherheitsfaktor soll durch das beihilfenrechtliche Ausschreibungsverfahren eliminiert werden. An dieser Kompensationsfunktion ist seine Gestaltung auszurichten. Die Privatisierung ist nicht nur selbst „prozedurales Objekt“94. Die wachsenden Privatisierungsbestrebungen führen auf dem beschriebenen indirekten Weg auch zu einer Ausweitung der (kompensatorischen) Prozeduralisierung.95 Privatisierungen haben in der einen oder anderen Form stets ein Austauschverhältnis zwischen der öffentlichen Hand und Unternehmen zum Gegenstand. Sie unterfallen damit potenziell dem Regime der Art. 107 ff. AEUV. Bleibt etwa bei der Vermögensprivatisierung der staatliche Privatisierungserlös hinter dem Marktwert des Privatisierungsgegenstandes zurück, steht eine Begünstigung des „Privatisierungsadressaten“ im Raum. Eine beihilfensicher ausgestaltete Privatisierung hat die Äquivalenz von Leistung und Gegenleistung zu gewährleisten. Das Austauschverhältnis nimmt je nach Art der Privatisierung verschiedene Formen an. Im Falle der Vermögensprivatisierung steht dem Vermögensgegenstand (z. B. öffentliche Grundstücke oder Unternehmen) regelmäßig der gezahlte Preis des Privatisierungspartners entgegen. Anders ist dies bei der Aufgabenprivatisierung. Überträgt der Staat einem Unternehmen die Durchführung einer Aufgabe, die dieses nicht im eigenen wirtschaftlichen Interesse übernehmen würde, so hat er den Mehraufwand für die Aufgabenerfüllung zu kompensieren. Kommt es hierbei zu einer Überkompensation, liegt eine genehmigungspflichtige Beihilfe gem. Art. 107 Abs. 1 AEUV vor. 90 91 92 93 94 95

Kommission, XXIII. Wettbewerbsbericht (1993), Ziff. 402 ff. Kommission, XXIX. Wettbewerbsbericht (1999), Ziff. 235. s. u. Teil 2 B. V. 3. d). Sutter, in: Mayer, EUV/EGV, Art. 87 EGV, Rn. 35. Helm, Privatisierung, S. 254; Kämmerer, Privatisierung, S. 28. Zur doppelten Bedeutung des Prozeduralisierungsbegriffs s. o. Einleitung II.

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Teil 2, B. Beihilfenrecht

In beiden Konstellation erfüllt das Verfahren eine Kompensationsfunktion. I. R.d. Beihilfenrechts lässt sich damit, im Gegensatz zur komplementären Prozeduralisierung durch die Grundfreiheiten, ein Fall der kompensatorischen Prozeduralisierung diagnostizieren.

III. Materieller Vergleichsmaßstab der Vermögensprivatisierung III. Materieller Vergleichsmaßstab der Vermögensprivatisierung

1. Market-Economy-Investor-Test a) Anwendungsbereich Mit Hilfe des Market-Economy-Investor-Tests (MEIT)96 wird das Verhalten der öffentlichen Hand an marktwirtschaftlichen Kriterien gemessen. Es handelt sich um ein ökonomisches Modell, das in vielen Konstellationen staatlicher Interaktion mit dem Markt angewendet werden kann.97 Insbesondere bei der Kapitalbeschaffung kommt der Test zum Einsatz.98 Aber auch in den Bereichen Privatisierung,99 Infrastrukturmaßnahmen100 sowie Grundstücksveräußerungen101 oder Forschungsförderung102 ist der Grundsatz vom „private investor“ zu beachten.103 Die Kommission bewertet, ob die Leistung aus der ex-ante-Sicht104 eines hypothetischen privaten Investors105 sinnvoll gewesen wäre.106 Davon ist auszugehen, wenn die zu erwartende Investitionsrendite marktangemessen ist, d. h. ihrer Vergleichsrendite entspricht.107 Der MEIT unterliegt jedoch einer grundlegenden Ein96 Da hierbei nach dem Verhalten eines vergleichbaren privaten Investors gefragt wird, spricht man auch vom Private-Investor-Test, Cremer, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 87 EGV, Rn. 10. 97 Heidenhain, in: Heidenhain, EU-Beihilfenrecht, § 4, Rn. 4 m. w. N. zur Rspr; Sühnel, EWS 2007, 115. 98 s. Mitteilung der Kommission über die Anwendung der Artikel 87 und 88 EG-Vertrag auf staatliche Beihilfen in Form von Haftungsverpflichtungen und Bürgschaften, ABl. EG C 71 vom 11.3.2000, S. 14. 99 Bspw. Kommission, Entsch. v. 11.4.2000 (Centrale del Latte di Roma), ABl. EG L 265/15 vom 19.10.2000, Rn. 89. 100 s. nur Kommission, XXX. Wettbewerbsbericht (2000), Tz. 316 ff. 101 Vgl. die Mitteilung der Kommission betreffend Elemente staatlicher Beihilfe bei Verkäufen von Bauten oder Grundstücken durch die öffentliche Hand, ABl. EG C 209 vom 10.7.1997, S. 3 ff. Hancher/Otterwanger/Slot, EC State Aids, Rn. 3–074 ff. 102 Gemeinschaftsrahmen für staatliche Forschungs- und Entwicklungsbeihilfen, ABl. EG C 45 vom 17.2.1996, S. 5 (Punkt 2.5). 103 Hierzu Heidenhain, in: Heidenhain, EU-Beihilfenrecht, § 4, Rn. 3 f. 104 Ehricke, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Art. 87 Abs. 1 EGV, Rn. 50; Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 43, Rn. 28. 105 Koenig/Kühling, NJW 2000, 1065 (1066 f.): „prognostisches Element“. 106 Grundlegend EuGH, Rs. C-305/89 (Italien/Kommission – „Alfa Romeo“), Slg. 1991, I-1603, Rn. 19 ff. („Alfa Romeo“). 107 Sühnel, EWS 2007, 115 (116).

III. Materieller Vergleichsmaßstab der Vermögensprivatisierung

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schränkung: Nimmt der Staat auf öffentlich-rechtlichem Wege Einfluss auf den Wettbewerb, kann sein Verhalten nicht mit dem privater Investoren verglichen werden.108 Maßnahmen wie steuerliche Vergünstigungen oder Befreiung von Soziallasten können nicht mithilfe des MEIT bewertet werden, da ein sinnvoller Vergleichsmaßstab fehlt. Der MEIT ist auf solchen Fälle beschränkt, in denen sich der Staat des Handlungskatalogs privater Investoren bedient.109

b) Konkrete Anwendung am Beispiel der staatlichen Kapitalzuführung an Unternehmen Das klassische Einsatzgebiet des MEIT ist die Überprüfung staatlicher Kapitalzuführungen an Unternehmen.110 Bei der staatlichen Kapitalzuführung lassen sich grundsätzlich zwei Arten unterscheiden: Eigen- und Fremdkapitalzuführung.111

aa) Eigenkapitalzuführung Staatliche Stellen können auf vielerlei Art und Weise öffentlichen oder privaten Unternehmen Kapital zur Verfügung stellen: Hierunter fallen Neugründungen von Unternehmen, Übertragungen von Unternehmensanteilen von privater in die öffentliche Hand sowie die Kapitalerhöhung bei öffentlichen und privaten Unternehmen.112 Die Kommission hat diese Sachverhalte schon früh mithilfe des MEIT analysiert. Eine Beteiligung an einem Unternehmen sah sie dabei nicht als Beihilfe an, wenn „neues Kapital für Unternehmen unter Umständen bereitgestellt wird, die für einen privaten Kapitalgeber, der unter normalen marktwirtschaftlichen Bedingungen sein Geld anlegt, annehmbar wären“113. Die Kommission beurteilte eine beihilfenrechtlich möglicherweise relevante Maßnahme also aus der Sicht eines privaten Investors. Dies entspricht dem Neutralitätsgebot aus Art. 106 und 345 AEUV.114 Wenn die Entscheidung der öffentlichen Hand auch die eines solchen Investors gewesen sein könnte – sie also betriebswirtschaftlich sinnvoll erscheint – ist der Tatbestand der Beihilfe nicht erfüllt.

108

Kommission, Entsch. v. 12.2.2004 (Ryanair), ABl. EU L 137/1 vom 30.4.2004, Ziff. 142 ff. Hancher/Otterwanger/Slot, EC State Aids, Rn. 3–065; Koenig/Kühling/Ritter, EG-Beihilfenrecht, Rn. 75, 78. 110 Rintelen, Dienstleistungen, S. 92. 111 Koenig, Weichenstellung, in: Koenig/Ehricke (Hrsg.), Aktuelle Fragen, S. 9 (10 ff.); Koenig, ZIP 2000, 53 ff.; Koenig/Ritter, ZIP 2000, 769 (770 f.). 112 Dreher, Eigenkapitalzufuhr, in: Schön (Hrsg.), GS-Knobbe-Keuk, S. 583 (585). 113 Standpunkt der Kommission zu Beteiligungen der öffentlichen Hand am Kapital von Unternehmen, Bull. EG 9–1984, S. 104 (105). 114 Hierzu o. Teil 2 B. II. 2. b) aa) sowie Montag/Leibenath, in: Heidenhain, EU-Beihilfenrecht, § 6, Rn. 2. 109

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Teil 2, B. Beihilfenrecht

Es fehlt an einer Begünstigung des Empfängers.115 Sinnvoll und zwingend ist dabei die Einnahme einer Ex-ante-Perspektive.116 Ein privater Investor kann ein Geschäft nur anhand der im Zeitpunkt der Investitionsentscheidung vorliegenden Informationen beurteilen. Ebenso muss die betreffende staatliche Stelle vor Durchführung der Maßnahme entscheiden, ob eine Notifizierungspflicht besteht. Eine Ex-postBetrachtung verbietet sich folgerichtig auch im Beihilfenkontrollverfahren.117

bb) MEIT bei Fremdkapitalzufuhr Auch die Vergabe von Darlehen, d. h. die Fremdkapitalzufuhr durch öffentliche Geldgeber, überprüft die Kommission mithilfe des MEIT. Diesen konkretisiert sie diesbezüglich durch die Veröffentlichung von Referenz- und Abzinsungssätzen.118 Der Referenzzinssatz soll die Durchschnittshöhe der geltenden Zinssätze für mittel- bis langfristige und mit den üblichen Sicherheiten versehene Darlehen widerspiegeln. Damit ist der MEIT für die Vergabe von Darlehen in besonderem Maße formalisiert und bietet dem öffentlichen Investor wenig Gestaltungsmöglichkeiten.119

c) Diversifizierung des Investorenbildes Das Ergebnis des Private-Investor-Tests hängt stark vom maßgeblichen Investorenbild ab.120 Dieses hat durch die Entscheidungspraxis der Kommission und die Rechtsprechung der Gemeinschaftsgerichte eine stete Diversifizierung erfahren, welcher die Kommission in einer Mitteilung aus dem Jahr 1993 Rechnung trug.121 Besonders augenfällig ist die Unterscheidung nach den maßgeblichen Zeithorizonten.122 In seinen frühen Entscheidungen lehnte sich der Gerichtshof noch an die sehr allgemeine Formel aus dem Standpunkt von 1984 an. Es sei zu prüfen, 115

Dreher, Eigenkapitalzufuhr, in: Schön (Hrsg.), GS-Knobbe-Keuk, S. 583 (586). Standpunkt der Kommission zu Beteiligungen der öffentlichen Hand am Kapital von Unternehmen, Bull. EG 9–1984, S. 104 (105); Mitteilung der Kommission an die Mitgliedstaaten über die Anwendung der Art. 92 und 93 EWG-Vertrag und des Artikels 5 der Kommissionsrichtlinie 80/723/EWG über öffentliche Unternehmen in der verarbeitenden Industrie, ABl. EG C 307 vom 13.11.1993, S. 3 (12); Sühnel, EWS 2007, 115 (117 f.). 117 EuG, Rs. T-16/96 (Cityflyer Express/Kommission), Slg. 1998, II-757, Rn. 75 f. 118 Vgl. die Mitteilung der Kommission über die Methode zur Festsetzung der Referenz- und Abzinsungssätze, ABl. EG C 273 vom 9.9.1997, S. 3. 119 Koenig, Weichenstellung, in: Koenig/Ehricke (Hrsg.), Aktuelle Fragen, S. 9 (11). Vgl. auch Koenig/Kühling/Ritter, EG-Beihilfenrecht, Rn. 130 ff. 120 Montag/Leibenath, in: Heidenhain, EU-Beihilfenrecht, § 6, Rn. 70. 121 Mitteilung der Kommission an die Mitgliedstaaten über die Anwendung der Art. 92 und 93 EWG-Vertrag und des Artikels 5 der Kommissionsrichtlinie 80/723/EWG über öffentliche Unternehmen in der verarbeitenden Industrie, ABl. EG C 307 vom 13.11.1993, S. 3 ff. 122 Hierzu auch Dreher, Eigenkapitalzufuhr, in: Schön (Hrsg.), GS-Knobbe-Keuk, S. 583 (594 ff.); Koenig, ZIP 2000, 53 (57). 116

III. Materieller Vergleichsmaßstab der Vermögensprivatisierung

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„ob ein privater Gesellschafter in einer vergleichbaren Lage unter Zugrundelegung der Rentabilitätsaussichten und unabhängig von allen sozialen oder regionalpolitischen Überlegungen oder Erwägungen einer sektorbezogenen Politik eine solche Kapitalhilfe gewährt hätte.“123

Der EuGH nahm zum alleinigen Maßstab, ob sich der Empfänger das Kapital auch auf dem freien Markt hätte beschaffen können. Andere Beweggründe als eine marktgerechte Rentabilität kamen in dieser Gleichung nicht vor. Einen Schritt weiter führte das sog. Alfa-Romeo-Urteil.124 Der Gerichtshof modifizierte seine MEIT-Formel um das Kriterium eines „umsichtigen marktwirtschaftlich handelnden Kapitalgebers“125: „Bei dem Verhalten des privaten Investors, mit dem die Intervention des wirtschaftspolitische Ziele verfolgenden öffentlichen Investors verglichen werden muß, muß es sich (…) wenigstens um das Verhalten einer privaten Holding oder einer privaten Unternehmensgruppe (handeln), die eine globale oder sektorale Strukturpolitik verfolgt und sich von längerfristigen Rentabilitätsaussichten leiten lässt.“126

Diesen Vergleichsmaßstab des „long term investors“ wenden die Gemeinschaftsgerichte in st.Rspr. an.127

d) Private Seller Test Der Verkauf von Grundstücken oder Unternehmen muss sich ebenso am Verhalten eines marktwirtschaftlich denkenden Privaten messen lassen (Private Seller Test128).129 In diesen Fällen fehlt es an einer beihilfenrechtlich relevanten Begünstigung, wenn sich der Staat lediglich wie ein wirtschaftlich denkender Marktteilnehmer verhält.130 Ein ökonomisch denkender Unternehmer würde ein Grundstück oder Unternehmen nicht unter Marktwert verkaufen. Die Bestimmung dieses Marktpreises bereitet wegen der Einzigartigkeit der Verkaufsgegenstände allerdings oft erhebliche Probleme. Im Nachhinein lässt sich ein genauer Marktpreis für Unternehmen oder Unternehmensanteile nur schwer bestimmen. Dies 123 EuGH, Rs. 234/84 (Belgien/Kommission), Slg. 1986, 2263, Rn. 14; Rs. 40/85 (Belgien/ Kommission), Slg. 1986, 2321, Rn. 13. 124 EuGH, Rs. C-305/89 (Italien/Kommission – „Alfa Romeo“), Slg. 1991, I-1603. 125 EuGH, Rs. C-482/99 (Frankreich/Kommission), Slg. 2002, I-4397, Rn. 77. 126 EuGH, Rs. C-305/89 (Italien/Kommission – „Alfa Romeo“), Slg. 1991, I-1603, Rn. 19 f. 127 EuGH, Rs. C-303/88 (Italien/Kommission – „ENI/Lanerossi“), Slg. 1991, I-1433, Rn. 21; Rs. 278/92 (Spanien/Kommission), Slg. 1994, I-4103, Rn. 20 ff.; Verb. Rs. C-83, 93 u. 94/01 P (Chronopost/Ufex u. a.), Slg. 2003, I-6993, Rn. 75 f.; EuG, Verb. Rs. T-126-127/96 (Breda Fucine Meridionali/Kommission), Slg. 1998, II-3437, Rn. 79; Verb. Rs. T-125/95 u. a. (Neue Maxhütte Stahlwerke und Lech-Stahlwerke/Kommission), Slg. 1999, II-17, Rn. 109; Rs. T-152/99 (Hijos de Andrés Molina/Kommission), Slg. 2002, II-3049, Rn. 126. 128 Hancher/Otterwanger/Slot, EC State Aids, Rn. 3–074. 129 Koenig/Kühling/Ritter, EG-Beihilfenrecht, Rn. 119. 130 s. auch Rintelen, Dienstleistungen, S. 94.

242

Teil 2, B. Beihilfenrecht

gilt umso mehr, wenn die Privatisierung sich nicht in einem bloßen Verkauf erschöpft, sondern umfangreiche Vereinbarungen zwischen den Beteiligten umfasst.

e) Fazit Der MEIT setzt komplexe wirtschaftliche Erwägungen (vergangene und zukünftige Entwicklungen, Interessen des Investors,131 alternative Verhaltensmöglichkeiten) voraus,132 die zahlreiche Unsicherheitsfaktoren bergen. Auch das Beihilfenkontrollverfahren oder eine unterlassene Notifizierung wird für die leistende staatliche Stelle und den potenziellen Begünstigten unwägbar.

2. Gutachten eines Sachverständigen Eine weitere Möglichkeit, ex ante die Gleichwertigkeit von Leistung und Gegenleistung zu bestimmen, besteht in der Einholung eines Sachverständigengutachtens. Wie bei dem Vergleich mit einem privaten Investor soll durch das Gutachten der Marktpreis bestimmt und dadurch die Äquivalenz von Leistung und Gegenleistung gewährleistet werden. Das Wertgutachten eines Sachverständigen kann insbesondere bei der Vermögensprivatisierung herangezogen werden, d. h. wenn die öffentliche Hand Vermögenswerte auf Private überträgt.133 Solche Maßnahmen stellen Beihilfen dar, wenn keine angemessene Gegenleistung vorliegt. Die Angemessenheit der Gegenleistung kann nach Ansicht der Kommission jedoch durch das Wertgutachten eines unabhängigen Sachverständigen nachgewiesen werden. Auf diese Methode hat die Kommission in besonderem Maße im Bereich der Grundstücksverkäufe zurückgegriffen. So nannte sie diese Möglichkeit in ihrer Grundstücksmitteilung134 als Alternative zu einem Bietverfahren. Die Mitteilung wendet sie auch auf Maßnahmen vor der Veröffentlichung derartiger Verfahren an.135 Der Anwendungsbereich dieser Mitteilung war auf den Verkauf von Bauten oder Grundstücken der öffentlichen Hand beschränkt.136

131

Gross, Europ. BeihilfenR im Wandel, S. 8 m. w. N. Näher zur konkreten Anwendung Sühnel, EWS 2007, 115 ff.; vgl. auch die Erwägungen bei Koenig, Weichenstellung, in: Koenig/Ehricke (Hrsg.), Aktuelle Fragen, S. 9 (12 ff.). 133 Montag/Leibenath, in: Heidenhain, EU-Beihilfenrecht, § 28, Rn. 4. s. o. Teil 2 B. III. 1. d). 134 Mitteilung der Kommission betreffend Elemente staatlicher Beihilfe bei Verkäufen von Bauten oder Grundstücken durch die öffentliche Hand, ABl. EG C 209 vom 10.7.1997, S. 3 ff. 135 Kommission, Entsch. v. 18.7.2001 (Valmont Nederland BV), ABl. EG L 48/20 vom 20.2.2002, Ziff. 15 ff. 136 Die Kommission lässt Wertgutachten jedoch auch für den Kauf von Grundstücken durch die öffentliche Hand zu, Kommission, Entsch. v. 14.12.2004 (Aircraft Services Lemwerder), ABl. EU L 247/32 vom 23.9.2004, Ziff. 19. 132

III. Materieller Vergleichsmaßstab der Vermögensprivatisierung

243

Ein ausgebildeter, erfahrener „Sachverständiger für Wertermittlung“ hat auf der Grundlage allgemein anerkannter Marktindikatoren und Bewertungsstandards den Marktwert des Objekts zu ermitteln. Wird dieses mindestens zu dem ermittelten Preis verkauft, verneint die Kommission grundsätzlich eine Notifizierungspflicht.

a) Methode der Wertermittlung bei Grundstücken Der Gutachter hat die Aufgabe, den Wert des Objekts zu ermitteln und so den Marktpreis festzulegen. Marktwert ist der Preis, „der zum Zeitpunkt der Bewertung aufgrund eines privatrechtlichen Vertrages (…) zwischen einem verkaufswilligen Verkäufer und einem ihm nicht durch persönliche Beziehungen verbundenen Käufer unter den Voraussetzungen zu erzielen ist, dass das Grundstück offen am Markt angeboten wurde, die Marktverhältnisse einer ordnungsgemäßen Veräußerung nicht im Wege stehen und eine der Bedeutung des Objekts angemessene Verhandlungszeit zur Verfügung steht.“137

Der ermittelte Preis muss also sowohl die Grundstücksbeschaffenheit als auch die Verhandlungssituation einbeziehen. Die „allgemein anerkannten Marktindikatoren und Bewertungsstandards“138 sind für jeden Mitgliedstaat getrennt zu beurteilen.139 Für Deutschland sind diese in der Wertermittlungsverordnung (WertV)140 geregelt. Die WertV sieht drei Verfahren zur Wertermittlung durch Sachverständige vor, § 7 Abs. 1 WertV: Vergleichswert-, Ertragswert- und Sachwertverfahren. Im Wege des Vergleichswertverfahrens wird der Wert eines Grundstücks durch einen Vergleich mit dem Kaufpreis vergleichbarer Grundstücke oder geeigneter Bodenrichtwerte bestimmt, § 13 WertV. Hierbei handelt es sich um eine anerkannte Schätzmethode.141 Andererseits ist die Wertermittlung durch Sachverständige auf den Wert des Grundstücks per se beschränkt. Der Einfluss bestimmter Vereinbarungen im Zusammenhang mit dem Verkauf („spezieller Marktwert“) fällt nicht in ihren Kompetenzbereich:142 Sachverständige stellen allein den „normalen Kaufpreis“ fest, der sich unabhängig von vertraglichen Sondervereinbarungen nur nach der Beschaffenheit des Grundstücks richtet. Nicht in der Eigenart des Grundstücks 137

Abschnitt II Nr. 2 lit. a Grundstücksmitteilung. Abschnitt II Nr. 2 lit. a Grundstücksmitteilung. 139 Koenig/Kühling, NZBau 2001, 409 (411). 140 Verordnung über Grundsätze für die Ermittlung der Verkehrswerte von Grundstücken, vom 6. Dezember 1988 (BGBl. I, S. 2209), geändert durch Artikel 3 des Gesetzes vom 18. August 1997 (BGBl. I, S. 2081). 141 Kleiber, in: Ernst u. a., BauGB, § 14 WertV, Rn. 2; Koenig/Kühling, NZBau 2001, 409 (412). 142 Kommission, Entsch. v. 17.7.1996 (Fort Malakoff), ABl. EG L 283/43 vom 5.11.1996, S. 47; a. A. Koenig/Paul, EWS 2008, 113 (117 f.). 138

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Teil 2, B. Beihilfenrecht

begründete Preisbildungsfaktoren sind hingegen nach dem MEIT zu bestimmen. Trotz Einschaltung eines Sachverständigen prüft die Kommission diese Aspekte nach. Gerade gewisse Vertragspflichten und -bedingungen können Einfluss auf den Marktpreis haben.143 Es ist daher zu prüfen, ob ein marktwirtschaftlich denkender und handelnder Verkäufer für diese Klauseln eine Minderung des Kaufpreises akzeptiert hätte. Die Kommission hält u. a. die folgenden Regelungen für marktpreismindernd: Verpflichtung zur Errichtung von bestimmten Gebäuden; ungewöhnlich langer Abstand zwischen dem Zeitpunkt des Vertragsschlusses und der geplanten Eigentumsübertragung.144 Die detaillierte sachliche Nachprüfung von Gutachten, die dem Verkauf in den Mitgliedstaaten zugrundegelegt wurden, bringt eine erhebliche Rechtsunsicherheit für die Beteiligten mit sich. Die Kommission nimmt auch in Entscheidungen zu Grundstücksverkäufen, die nach der Veröffentlichung der Grundstücksmitteilung ergangen sind und auf einem Gutachten beruhen, eine inhaltliche Prüfung vor. In der Entscheidung „SCI Systems“ befand sie, dass der von unabhängigen Sachverständigen ermittelte Quadratmeterpreis „nicht einfach als Marktpreis akzeptiert werden“145 könne. Vielmehr stellte sie eigene sachliche Überlegungen an und kam zu einem stark abweichenden Ergebnis. Durch diese Kommissionspraxis verliert der Verkauf unter Zuhilfenahme eines Gutachtens an Attraktivität. Die Gefahr einer Beihilfenrückforderung wird zwar verringert, jedoch nicht gebannt. Die Kommission setzt mitunter ihre eigene Sachkenntnis an die Stelle der Gutachter.146

b) Ausdehnung auf Unternehmensprivatisierungen Ursprünglich sah allein die Grundstücksmitteilung die Preisermittlung durch ein Sachverständigengutachten vor. Die Anwendbarkeit dieser Methode – und mit ihr die Befreiung von der Notifizierungspflicht durch die Kommission – war damit auf dem Verkauf von Grundstücken beschränkt. Seit der Jahrtausendwende hat die Kommission Sachverständigengutachten jedoch auch als Grundlage für die Privatisierung von Unternehmen für ausreichend erachtet. Der Verkauf von öffentlichen Unternehmen an Private stellt keine Beihilfe i. S. d. Art. 107 Abs. 1 AEUV dar, wenn der Kaufpreis dem tatsächlichen Marktpreis entspricht. Die öffentliche Hand handelt insofern nicht anders als ein gewöhn143 Kommission, Entsch. v. 17.7.1996 (Fort Malakoff), ABl. EG L 283/43 vom 5.11.1996, S. 47. 144 Jew. Kommission, Entsch. v. 17.7.1996 (Fort Malakoff), ABl. EG L 283/43 vom 5.11.1996, S. 47. 145 Kommission, Entsch. v. 13.2.2001 (SCI Systems), ABl. EG L 186/43 vom 7.7.2001, Ziff. 56 ff. 146 Ablehnend Heidenhain, in: Heidenhain, EU-Beihilfenrecht, § 9, Rn. 12 f.

III. Materieller Vergleichsmaßstab der Vermögensprivatisierung

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licher Marktteilnehmer.147 Ausgehend von der Entscheidung „Centrale del Latte di Roma“ beschränkte die Kommission ihre Forderung darauf, „dass der Verkaufspreis dem Marktwert der Vermögensgegenstände entspricht, wie er durch die Bewertung des unabhängigen Sachverständigen ermittelt wurde“148. Ermittelt die staatliche Stelle den Marktwert des in Frage stehenden Unternehmens vor der Aufnahme von Verhandlungen mithilfe eines unabhängigen Gutachters, so hält die Kommission die Maßnahme für nicht notifizierungspflichtig. Die Angemessenheit von Leistung und Gegenleistung sei dadurch gesichert.149 Allerdings lässt die Kommission die Wertbestimmung mittels unabhängiger Sachverständiger nur hilfsweise zu. Mittel der Wahl ist, wie auch in der Grundstücksmitteilung, das offene, bedingungsfreie und nichtdiskriminierende Bietverfahren. Dies zeigt die eingehende Prüfung derartiger Unternehmensprivatisierungen durch die Kommission. In der Entscheidung „GSG“ ließ sich die Kommission genaue Auskunft zu den Methoden der Kaufpreisentwicklung geben und legte ihrer Entscheidung drei unabhängige Gutachten zugrunde.150 Die Schwierigkeiten, mit denen eine gutachterliche Bewertung von zu veräußernden Unternehmen verbunden ist, zeigte sich auch im Falle Preussag Stahl AG151. Bei der Beurteilung des Verkaufspreises unterzog die Kommission die vorliegenden Gutachten einer eingehenden Prüfung. Es lagen zwei von unabhängigen Wirtschaftsprüfern erstellte Gutachten vor, die sich der Methode der Vermögensbewertung bzw. des künftigen Cash-flows bedienten. Diese bewerteten das Preisniveau in Bezug auf ein pessimistisches und ein optimistisches Szenario. Da sich der Kaufpreis innerhalb der sich daraus ergebenden Spanne bewegte, sah ihn die Kommission als marktüblich an. Das Unternehmen erzielte bei der nachfolgenden Börseneinführung eine Wertsteigerung, was die Richtigkeit der gutachterlichen Analyse bestätigte. Dieses nachträgliche Indiz allein wäre nach Ansicht der Kommission jedoch kein ausreichender Nachweis dafür gewesen, dass das Kriterium des privaten Investors erfüllt ist.152

147

Montag/Leibenath, in: Heidenhain, EU-Beihilfenrecht, § 28, Rn. 23. Kommission, Entsch. v. 11.4.2000 (Centrale del Latte di Roma), ABl. EG L 265/15 vom 19.10.2000, Ziff. 89. 149 Ebenso Kommission, Entsch. v. 30.1.2002 (Gothaer Fahrzeugtechnik), ABl. EG L 314/62 vom 18.11.2002, Ziff. 30; Kommission, Entsch. v. 13.6.2000 (Kali und Salz), ABl. EG L 44/39 vom 15.2.2001, Ziff. 26. Vgl. auch Koenig/Kühling/Ritter, EG-Beihilfenrecht, Rn. 127 f. 150 Kommission, Entsch. v. 20.6.2001 (GSG, N 804/2000), ABl. EG C 392/3 vom 16.12.2001. Vgl. auch Eggers/Malmendier, NJW 2003, 780 (782). 151 Kommission, Entsch. v. 14.10.1998 (Preussag Stahl AG), ABl. EG L 392/3 vom 16.12. 1998. 152 Vgl. Kommission, XXVIII. Wettbewerbsbericht (1998), Tz. 203; Bartosch, WuW 2001, 673 (767). 148

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Teil 2, B. Beihilfenrecht

c) Fazit Die Wertermittlung durch einen Sachverständigen kommt beim (Ver-)Kauf von Grundstücken ebenso in Betracht wie bei der Privatisierung öffentlicher Unternehmen. Staatlicherseits bietet diese Möglichkeit mitunter mehr Flexibilität: Auf der Grundlage des Sachverständigengutachtens kann die öffentliche Hand gezielte Verhandlungen führen.153 Es handelt sich jedoch um eine materielle Prüfungsmöglichkeit mit begrenztem Umfang. Das Gutachten ist auf die Wertermittlung bezüglich des Objektes selbst beschränkt. Darüber hinausgehende Faktoren mit Einfluss auf die Angemessenheit der Gegenleistung sind mithilfe des MEIT zu beurteilen. Schließlich lässt sich der Marktpreis nur gutachterlich feststellen, wenn eine gewisse Vergleichbarkeit des Privatisierungsobjektes gegeben ist. Denn die Sachverständigen ermitteln lediglich einen hypothetischen Marktpreis, der auf anerkannten Berechnungsmethoden beruht.154

IV. Prozeduraler Vergleichsmaßstab der Vermögensprivatisierung IV. Prozeduraler Vergleichsmaßstab der Vermögensprivatisierung

Wie die Darstellungen zum MEIT und zu den Sachverständigengutachten gezeigt haben, unterliegt die materielle Ermittlung der angemessenen Gegenleistung erheblichen Unsicherheiten. Diese zu vermeiden, ist Aufgabe des Ausschreibungsverfahrens. Die aus dem Wettbewerb der Bieter entstandene Gegenleistung bildet den erzielbaren Marktpreis ab. Das regulär durchgeführte Ausschreibungsverfahren kann daher als zuverlässigste Methode zur Ermittlung der Gegenleistung gelten.155

1. Ausschreibungsverfahren bei Grundstücksverkauf Seit Beginn der 1990er Jahre ist die Vermögensprivatisierung verstärkt zum Gegenstand der Beihilfenkontrolle geworden.156 Nachdem die Kommission in mehreren Fällen Verkäufe von Bauten und Grundstücken an private Unternehmen auf Beihilfen untersucht hatte, formulierte sie 1997 in der Grundstücksmitteilung allgemeine Anforderungen an solche Transaktionen. Folgt die veräußernde öffentliche Stelle den Vorgaben dieses Leitfadens, ist eine staatliche Beihilfe „grundsätzlich ausgeschlossen“157. 153 Zu dieser Motivation Kommission, Entsch. v. 11.4.2000 (Centrale del Latte di Roma), ABl. EG L 265/15 vom 19.10.2000, Ziff. 33. 154 Koenig, EuZW 2001, 741 f. 155 Bauer, EuZW 2001, 748; Koenig, EuZW 2001, 741 (742 f.). 156 Heidenhain, in: Heidenhain, EU-Beihilfenrecht, § 9, Rn. 1. 157 Abschnitt I Grundstücksmitteilung.

IV. Prozeduraler Vergleichsmaßstab der Vermögensprivatisierung

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Als Mittel der Wahl zur Ermittlung des Marktpreises sieht die Kommission ein hinreichend publiziertes, allgemeines und bedingungsfreies Bietverfahren und die anschließende Veräußerung an den meistbietenden oder den einzigen Bieter.158 Ein Verkauf ohne ein derartiges Verfahren soll nur hilfsweise unter Berufung auf ein Sachverständigengutachten möglich sein.159 Ein Angebot ist hinreichend publiziert, wenn es über einen Zeitraum von zwei Monaten oder mehr wiederholt in der nationalen Presse o.ä. Medien sowie durch Makler, die für eine große Zahl möglicher Käufer tätig sind, bekanntgemacht worden ist und alle potenziellen Käufer Kenntnis erlangen konnten.160 Bei der Wahl des Mediums lässt die Kommission eine große Bandbreite zu: Bauschild, Prospekt, Anzeige im Internet oder Presseanzeige sowie Vorstellung bei regiona len oder überregionalen Messen. Damit habe jeder potenzielle Käufer die Möglichkeit der Kenntnisnahme.161 Weiter soll das Verfahren bedingungsfrei sein. Dies ist der Fall, „wenn grundsätzlich jeder Käufer unabhängig davon, ob und in welcher Branche er gewerblich tätig ist, das Gebäude oder Grundstück erwerben und für seinen wirtschaftlichen Zweck nutzen kann und darf“162. Die Nutzbarkeit des Grundstücks kann jedoch durch nationales Recht (bspw. Nachbar- oder Umweltschutzrechte) eingeschränkt werden. Darüber hinausgehende Bedingungen sind nur zulässig, soweit alle potenziellen Bewerber diese erfüllen müssten und dazu unabhängig von ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit in der Lage wären.163 Unter diesen Umständen ist das Bietverfahren auch allgemein.164 Der neue Eigentümer muss nach dem Kauf im Stande sein, das Grundstück für seine frei gewählten Zwecke zu gebrauchen.165

158

Abschnitt II Nr. 1 Grundstücksmitteilung. Lübbig/Martín-Ehlers, BeihilfenR, Rn. 186. Abschnitt II Nr. 2 lit. a Grundstücksmitteilung; so auch Koenig/Kühling, NZBau 2001, 409 (410). Bartosch, WuW 2001, 673 (676) entnimmt der Mitteilung hingegen eine Gleichwertigkeit von prozeduralem und materiellem Modus. 160 Abschnitt II Nr. 1 lit. a Grundstücksmitteilung. 161 Kommission, Entsch. v. 9.4.2002 (LEG Thüringen), ABl. EU L 66/36 vom 11.3.2003, Ziff. 32. 162 Abschnitt II Nr. 1 lit. b Grundstücksmitteilung. 163 Abschnitt II Nr. 1 lit. c Grundstücksmitteilung. Die deutsche Sprachfassung ist insoweit allerdings misslungen. Sie enthält eine überflüssige Verneinung und gibt nicht das doppelte Erfordernis des Erfüllenmüssens und -könnens wieder („would have to, and be able to, meet“; „deban y estén en condiciones de cumplir“). Kritisch auch Koenig/Kühling, NZBau 2001, 409 (410) in Fn. 8. 164 Koenig/Kühling, NZBau 2001, 409 (410). 165 Hancher/Otterwanger/Slot, EC State Aids, Rn. 3–075. 159

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Teil 2, B. Beihilfenrecht

2. Ausschreibungsverfahren bei Unternehmensprivatisierung Die Veräußerung staatlicher Unternehmen stellt eine wesentlich komplexere Transaktion zwischen der öffentlichen und der privaten Hand dar. Sie ist gerade bei großen staatlichen Unternehmen manipulationsanfällig, da mit ihr ordnungspolitische Interessen verbunden sind. Sie ist schon länger Gegenstand der Kommissionsarbeit.166 Dabei kommt die Präferenz der Kommission für den prozeduralen Modus deutlich zum Ausdruck. Bereits im XXIII. Wettbewerbsbericht aus dem Jahr 1993 sprach sich die Kommission für einen prozeduralen Ansatz aus: Bietverfahren zur Ermittlung des angemessenen Preises seien die sicherste Möglichkeit, ein Beihilfenkontrollverfahren zu vermeiden.167 Sofern die Unternehmensprivatisierung nicht über die Börse abgewickelt werde,168 seien folgende Vorgaben zu beachten: „– Es muss ein Ausschreibungswettbewerb stattfinden, der allen offensteht, transparent ist und an keine weiteren Bedingungen geknüpft, wie den Erwerb anderer Vermögenswerte, für die nicht geboten wird, oder die Weiterführung bestimmter Geschäftstätigkeiten; – das Unternehmen muss an den Meistbietenden veräußert werden und – die Bieter müssen über genügend Zeit und Information verfügen, um eine angemessene Bewertung der Vermögenswerte vornehmen zu können, auf die sich ihr Angebot stützt.“169

Unter diesen Bedingungen hielt die Kommission eine Notifizierung für nicht notwendig. Außerhalb eines Börsenverkaufs oder Ausschreibungswettbewerbs seien Privatisierungen jedoch vorher mitzuteilen; dies gelte insbesondere für „– Verkäufe nach Verhandlungen mit einem einzigen potenziellen Käufer oder einigen ausgewählten Bietern; – Verkäufe, denen eine Schuldentilgung durch den Staat, sonstige öffentliche Unternehmen oder eine öffentliche Körperschaft vorausging; – Verkäufe, denen eine Umwandlung der Schulden in Aktienkapital oder Kapitalaufstockungen vorausging oder – Verkäufe zu Bedingungen, die bei vergleichbaren Transaktionen zwischen Privatparteien nicht üblich sind.“170

166

Jaeger, EuZW 2007, 499 (500). Kommission, XXIII. Wettbewerbsbericht (1993), Ziff. 403. 168 Diese kommt dem idealtypischen Markt noch am nächsten, Lachmann, VWL 1, S. 62. Es ist daher nicht notwendig einen eigenen Markt durch Ausschreibung zu schaffen. 169 Kommission, XXIII. Wettbewerbsbericht (1993), Ziff. 403. 170 Kommission, XXIII. Wettbewerbsbericht (1993), Ziff. 403. 167

IV. Prozeduraler Vergleichsmaßstab der Vermögensprivatisierung

249

3. Keine beihilfenrechtliche Ausschreibungspflicht Zur Beurteilung von Vermögensprivatisierungen stehen den Beteiligten materielle und prozedurale Methoden zur Verfügung, um die Adäquanz von Leistung und Gegenleistung zu gewährleisten bzw. zu überprüfen. Dabei überwiegen die Vorteile des prozeduralen Modus deutlich. Dies findet vor allem im Wegfall der Notifizierungspflicht Ausdruck. Wie die Formenvielfalt des MEIT zeigt, lassen sich jedoch nicht alle derartigen Transaktionen in einem Ausschreibungsverfahren abbilden. So lässt sich der Verkauf von Unternehmensanteilen an einen privaten Mitgesellschafter nicht i. R. e. offenen Ausschreibungsverfahrens bewerkstelligen. In einem ordnungsgemäßen Bietverfahren wird der beste Bieter nach objektiven Kriterien bestimmt. Wäre ein Verkauf im Wege der Ausschreibung verpflichtend, käme dies für den privaten Mitgesellschafter einer „Zwangsehe“ gleich. Ähnliches gilt für den Fall, dass die öffentliche Hand einen Mitgesellschafter für ein gemischt-wirtschaftliches Unternehmen sucht. Hier treten ebenfalls Fragen nach der Person des Käufers in den Vordergrund und lassen eine öffentliche Ausschreibung mit ungewissem Ausgang für den Staat unattraktiv werden.171 Eine Pflicht zur Ausschreibung besteht i. R. d. Vermögensprivatisierung mithin nicht.172 Alternativ kann bspw. ein Sachverständigengutachten zum Einsatz kommen.173 Dieses entkräftet die Beihilfenvermutung, wie gesehen, allerdings nur in einfach gelagerten Fällen.174

4. Gestaltung des qualifizierten Ausschreibungsverfahrens Es stellt sich daher die Frage, wie das Ausschreibungsverfahren gestaltet werden muss, um eine Begünstigung auszuschließen und eine Notifizierung unnötig zu machen. Das Ausschreibungsverfahren stellt einen Fall der kompensatorischen 171

Frenz, Handbuch Europarecht III, Rn. 291. Kommission, Entsch. v. 11.4.2000 (Centrale del Latte di Roma), ABl. EG L 265/15 vom 19.10.2000, Ziff. 88; Kommission, Entsch. v. 13.6.2000 (Kali und Salz), ABl. EG L 44/39 vom 15.2.2001, Ziff. 24; allg.A.: Bauer, EuZW 2001, 748; Eggers/Malmendier, NJW 2003, 780 (782); Frenz, Handbuch Europarecht III, Rn. 292. Koenig/Kühling/Ritter, EG-Beihilfenrecht, Rn. 121; Kristoferitsch, EuZW 2006, 428 (429); Montag/Leibenath, in: Heidenhain, EU-Beihilfenrecht, § 28, Rn. 22; Schubert, WuW 2001, 254. Zu einer (vergaberechtlichen) Ausschreibungspflicht bei Umgehungsgeschäften Braun, VergabeR 2006, 657 (661 ff.). Zur Ausschreibungspflicht bei der Aufgabenprivatisierung s. u. Teil 2 B. VI. 3. 173 So die Praxis der Kommission, vgl. Grundstücksmitteilung, Abschnitt II Nr. 2; Kommission, Entsch. v. 11.4.2000 (Centrale del Latte di Roma), ABl. EG L 265/15 vom 19.10.2000, Ziff. 86 ff.; Kommission, Entsch. v. 30.1.2002 (Gothaer Fahrzeugtechnik), ABl. EG L 314/62 vom 18.11.2002, Ziff. 28 ff. 174 Kommission, XXIII. Wettbewerbsbericht (1993), Ziff. 403; Eggers/Malmendier, NJW 2003, 780 (782); Bartosch, WuW 2001, 673 (676). Insoweit ungenau Schimanek, NZBau 2005, 304 (308). Die Kommission findet es daher mitunter „unverständlich“, eine Unternehmensprivatisierung nicht auszuschreiben, Aufforderung zur Abgabe einer Stellungnahme gemäß Artikel 88 Absatz 2 EGV (Kali und Salz), ABl. EG C 272 vom 25.9.1999, S. 7 (8). 172

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Teil 2, B. Beihilfenrecht

Prozeduralisierung dar, da es die Unsicherheiten des materiellen Modus ausgleichen soll. Anders als die Grundfreiheiten dient es nicht primär der Verwirklichung subjektiver Rechte Einzelner. Das beihilfenrechtliche Ausschreibungsverfahren soll nicht die Bieterauswahl prädeterminieren; dies ließe sich, mangels Ausschreibungspflicht, über den materiellen Modus umgehen. Vielmehr dient es der Verhinderung von Wettbewerbsverzerrungen, indem eine Begünstigung des Empfängers der staatlichen Leistung durch die Schaffung von Wettbewerb verhindert wird. Der Wettbewerb um das Privatisierungsobjekt stellt die Äquivalenz von Leistung und Gegenleistung sicher. Das Verfahren ist daher zunächst am Wettbewerbsgrundsatz auszurichten. Daneben sind die Grundsätze der Transparenz und der Nichtdiskriminierung zu beachten. Die hier gewählte Zuordnung einzelner Verfahrenselemente zu den jeweiligen Grundsätzen ist nicht die einzig denkbare. Insoweit kommt es zu Überschneidungen.

a) Wettbewerbsgrundsatz Das qualifizierte Ausschreibungsverfahren muss, um einen marktähnlichen Wettbewerb erzeugen zu können, möglichst viele Marktteilnehmer einbeziehen.175 Je besser dies gelingt, umso genauer bildet das Ergebnis des Verfahrens den Marktpreis ab. Zu Beginn der Verfahrensgestaltung stellt sich daher die zentrale Frage nach der notwendigen Reichweite. Die Wettbewerbsoffenheit betrifft die rein formale Möglichkeit der Teilnahme am Ausschreibungswettbewerb. Dies setzt zunächst die Möglichkeit voraus, von der Veräußerungsabsicht Kenntnis zu erlangen.176 Die Entscheidungspraxis der Kommission ist stark einzelfallgeprägt.177 Nach einer frühen Entscheidung der Kommission kann ein Verfahren das Fehlen von Elementen staatlicher Beihilfen nur dann hinreichend gewährleisten, wenn nachgewiesen ist, dass jeder potenzielle Käufer zur Abgabe eines Angebotes aufgefordert worden ist.178 An dieser Voraussetzung hat die Kommission grundsätzlich festgehalten,179 sie jedoch in einigen Fällen eingeschränkt.

175

s. o. Teil 2 B. II. 1. Montag/Leibenath, in: Heidenhain, EU-Beihilfenrecht, § 28, Rn. 10. 177 Koenig/Kühling/Ritter, EG-Beihilfenrecht, Rn. 104. 178 Kommission, Entsch. v. 25.3.1992 (Hilaturas y Tejidos Andaluces), ABl. EWG L 171/54 vom 26.6.1992, Teil IV Abs. 6; wohl zustimmend EuGH, Rs. C-278-280/00 (Spanien/Kommission), Slg. 1994, I-4103, Rn. 28 f. 179 Kommission, Entsch. v. 8.9.1999 (Stardust Marine), ABl. EG L 206/6 vom 15.8.2000, Ziff. 63. 176

IV. Prozeduraler Vergleichsmaßstab der Vermögensprivatisierung

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aa) Benachrichtigung ausgewählter potenzieller Bieter (1) Entscheidungspraxis der Kommission Einer genaueren Prüfung bedarf mitunter die Praxis der öffentlichen Hand, selbst oder mittels einer Investmentbank gezielt einen Kreis von Interessenten zu kontaktieren.180 In der Entscheidung „Gothaer Fahrzeugtechnik“181 hielt die staatliche Stelle eine Ausschreibung für unnötig. Durch zahlreiche Presseartikel sei die Branche ausreichend über die Veräußerungsabsicht informiert gewesen. Dies sehe die Grundstücksmitteilung vor.182 Außerdem wurde zu fünf potenziellen Interessenten direkt Kontakt aufgenommen. Die Kommission befand dieses Vorgehen für nicht ausreichend, um einen offenen Wettbewerb zu gewährleisten. Die Kontaktaufnahme zu nur fünf potenziellen Interessenten sei nicht der geeignete Weg, um alle möglichen Bieter zu informieren. Ein nichtoffenes Verkaufsverfahren sei zur Bestimmung des Marktpreises ungeeignet.183 In der Entscheidung „Stardust Marine“ nahm die veräußernde staatliche Bank Kontakt zu 20 potenziellen Interessenten auf, von denen drei ein Angebot innerhalb der gesetzten Frist abgaben. Das Unternehmen FG Marine erhielt als Meistbietender den Zuschlag. Das Gebot eines Unternehmens, welches im Vorfeld nicht kontaktiert worden war, wies die CDR als verspätet zurück.184 Die Kommission kritisierte das Verfahren als nicht ausreichend publiziert und diskriminierend. Das Gebot eines nicht im Vorfeld informierten Interessenten zeige, dass die gewählte Veröffentlichungsfunktion ungenügend gewesen sei. Ein eingeschränktes, nicht öffentliches und freihändiges Verfahren komme nur in Betracht, wenn dadurch alle potenziellen Bewerber erreicht werden könnten.185 Es sei nicht Sache des öffentlichen Verkäufers, den Markt potenzieller Käufer im Vorhinein festzulegen.186 Melde sich wenigstens ein anderer Bieter, sei nachgewiesen, dass das eingeschränkte nicht öffentliche und freihändige Verfahren nicht angemessen gewesen sei. Es habe nämlich zu einer Vorauswahl unter allen potenziellen Bewerbern geführt.187 180

Montag/Leibenath, in: Heidenhain, EU-Beihilfenrecht, § 28, Rn. 11. Kommission, Entsch. v. 30.1.2002 (Gothaer Fahrzeugtechnik), ABl. EG L 314/62 vom 18.11.2002. 182 Abschnitt II Nr. 1 lit. a Grundstücksmitteilung. 183 Kommission, Entsch. v. 30.1.2002 (Gothaer Fahrzeugtechnik), ABl. EG L 314/62 vom 18.11.2002, Ziff. 29. 184 Kommission, Entsch. v. 8.9.1999 (Stardust Marine), ABl. EG L 206/6 vom 15.8.2000, Ziff. 9, 66. 185 Kommission, Entsch. v. 8.9.1999 (Stardust Marine), ABl. EG L 206/6 vom 15.8.2000, Ziff. 66. 186 Kommission, Entsch. v. 8.9.1999 (Stardust Marine), ABl. EG L 206/6 vom 15.8.2000, Ziff. 67. 187 Kommission, Entsch. v. 8.9.1999 (Stardust Marine), ABl. EG L 206/6 vom 15.8.2000, Ziff. 64. 181

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Teil 2, B. Beihilfenrecht

Ähnlich entschied die Kommission im Fall Société de Banque Occidentale (SDBO). Dort hatte die in staatlichem Auftrag handelnde Beraterbank acht französische Institute angesprochen, ob Interesse an der Übernahme der SDBO bestehe. Dies begründete die französische Regierung zum einen mit dem geringen Interesse französischer und europäischer Banken an der Übernahme und zum anderen mit der Gefahr eines Ansehensverlustes für die SDBO. Die Kommission sah hierin eine Verletzung des Transparenz- und Unparteilichkeitsgrundsatzes. Es sei nicht Sache des Verkäufers, für einen potenziellen Erwerber im Vorhinein dessen Interesse an einer Übernahme zu ermitteln. Lediglich eine auf eine größere Anzahl auch ausländischer Banken erweiterte Interessentenliste hätte eine nachträgliche Überprüfung dieser Argumentation ermöglicht. Die Beschränkung des Käuferkreises lasse sich auch nicht mit der Bedeutung der guten Marktkenntnisse einheimischer Bewerber rechtfertigen.188 Allerdings lehnt die Kommission die gezielte Kontaktaufnahme mit potenziellen Interessenten nicht grundsätzlich ab. Zur Privatisierung der österreichischen Head Tyrolia Mares (HTM) startete die beauftragte Investmentbank ein Auswahlverfahren und knüpfte erste Kontakte mit ca. 40 Kandidaten. Von diesen zeigten lediglich drei Interesse, zwei legten schließlich ein Kaufangebot für das Unternehmen vor. Ein anderes Unternehmen erklärte während der Voruntersuchungen der Kommission, selbst am Erwerb der HTM interessiert gewesen zu sein. Es behauptete, keine Informationen über den möglichen Kauf erhalten zu haben. Die Aufnahme in den Wettbewerb sei ihm verwehrt geblieben. Die österreichischen Behörden konnten jedoch nachweisen, dieses Unternehmen zweimal vergeblich informiert zu haben. Die Kommission stellte fest, dass die Privatisierung der HTM „im Rahmen eines breitangelegten Verfahrens erfolgte, das in seiner Wirkung einer normalen öffentlichen Ausschreibung entspricht“189. In diesem Fall akzeptierte die Kommission also eine direkte Kontaktaufnahme mit möglichen Bietern als ausreichend, um das bestmögliche Angebot zu ermitteln. Ebenso befand die Kommission in der Entscheidung „Kali und Salz“: Die deutschen Behörden hätten bei der Privatisierung des fraglichen Unternehmens zwar kein offenes Ausschreibungsverfahren durchgeführt, jedoch sämtliche potenziellen Investoren kontaktiert.190 Auch in der Entscheidung „SKET Walzwerkstechnik“ ging die Kommission von einem offenen und bedingungsfreien Ausschreibungsverfahren aus, obwohl die betraute Investmentbank das Privatisierungsvorhaben nicht öffentlich ausge-

188 Kommission, Entsch. v. 22.7.1998 (Société de Banque Occidentale), ABl. EG L 103/19 vom 20.4.1999, S. 25. 189 Kommission, Entsch. v. 30.7.1996 (Head Tyrolia Mares), ABl. EG L 25/26 vom 28.1.1997, S. 39. 190 Kommission, Entsch. v. 13.6.2000 (Kali und Salz), ABl. EG L 44/39 vom 15.2.2001, Ziff. 18, 24.

IV. Prozeduraler Vergleichsmaßstab der Vermögensprivatisierung

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schrieben, sondern Verbindung zu etwa 350 Interessenten aufgenommen hatte.191 Mit drei Interessenten war sie in Verhandlungen getreten.192 Die Kommission hat in der Entscheidung zwar eine Begünstigung verneint, das genehmigte nichtoffene Verfahren dem offenen Wettbewerb jedoch nicht gleichgestellt. Denn nur Letzterer lässt die Notifizierungspflicht gem. Art. 108 Abs. 3 AEUV entfallen.193 Die freihändige Veräußerung ohne vorhergehende öffentliche Ausschreibung ist somit grundsätzlich bei der Kommission anzumelden.194

(2) Stellungnahme Die Entscheidungspraxis der Kommission zeigt deutlich den Stellenwert des Wettbewerbsgrundsatzes für die kompensatorische Prozeduralisierung. Nur wenn für alle potenziell interessierten Konkurrenten die Möglichkeit besteht, von der Veräußerungsabsicht Kenntnis zu nehmen und ein Angebot zu unterbreiten, kann sich die Wirkung des Wettbewerbs entfalten. Jede Einschränkung des Bieterkreises hindert die Entstehung von Wettbewerb und wirkt sich negativ auf die Funktion des Bietverfahrens aus, die Gleichwertigkeit von Leistung und Gegenleistung sicherzustellen. Gleichwohl hat die Kommission in diversen Entscheidungen die gezielte Kontaktaufnahme mit einer Reihe potenzieller Bieter für ausreichend erachtet, um eine Begünstigung auszuschließen. Allerdings unterliegt die freihändige Vergabe aufgrund ihrer Notifizierungspflichtigkeit einer wesentlichen Rechtsunsicherheit, sowohl für den Veräußerer als auch für den Käufer.

bb) Öffentliche Bekanntmachung Die einzige Möglichkeit, ein offenes Bietverfahren einzuleiten, ist demzufolge die öffentliche Bekanntmachung. Diese muss geeignet sein, alle potenziellen Interessenten zu erreichen. Zwar dient die beihilfenrechtlich motivierte Ausschreibung in erster Linie nicht dem Marktteilnehmer. Jedoch ist die Ausdehnung der Ausschreibung von entscheidender Bedeutung für den Wettbewerb und damit die kompensatorische Wirkung der prozeduralisierten Beihilfenkontrolle. 191 Kommission, Entsch. v. 13.12.2000 (SKET Walzwerkstechnik), ABl. EG L 301/37 vom 17.11.2001, Ziff. 7. 192 Kommission, Entsch. v. 13.12.2000 (SKET Walzwerkstechnik), ABl. EG L 301/37 vom 17.11.2001, Ziff. 12. 193 Kommission, Entsch. v. 3.5.2003 (Kahla Porzellan), ABl. EU L 88/16 vom 25.3.2006, Ziff. 90. I. E. auch Koenig/Kühling, NVwZ 2003, 779 (783 f.). 194 Die Kommission betont insoweit, erst nach „einer eingehenden Würdigung im Rahmen des förmlichen Prüfverfahrens“ zu dem Schluss gekommen zu sein, dass keine Beihilfe vorliege, Kommission, Entsch. v. 13.6.2000 (Kali und Salz), ABl. EG L 44/39 vom 15.2.2001, Ziff. 28.

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Teil 2, B. Beihilfenrecht

Wie schon bei der Bekanntmachungspflicht nach dem Primärvergaberecht gesehen,195 ist der geographische (oder virtuelle) Raum der Bekanntmachung maßgeblich für die Publizitätswirkung.196 Die Bekanntmachung muss allen potenziellen Bietern die Möglichkeit der Kenntnisnahme eröffnen, da es nicht Sache des Verkäufers ist, den Kreis der Interessenten ex ante festzulegen. Daher sieht die Kommission Ausschreibungen, die auf den Herkunftsstaat beschränkt sind, kritisch.197 Im Fall Centrale del Latte di Roma bemängelte die Kommission, die „Bekanntmachung in lediglich zwei überregionalen Tageszeitungen“198. Es sei nicht auszuschließen, dass sich auch andere europäische Unternehmen für die Privatisierung interessiert hätten.199 Art. 107 ff. AEUV sollen Wettbewerbsverzerrungen auf dem Binnenmarkt verhindern. Um dieses Ziel zu verwirklichen, müssen gerade Interessenten aus anderen Mitgliedstaaten die Möglichkeit der Gebotsabgabe erhalten. Zur Bestimmung der notwendigen räumlichen Ausdehnung der Bekanntmachung kann daher auf die Ausführungen zur vergaberechtlichen Bekanntmachung verwiesen werden.200 Auch die beihilfenrechtlich motivierte Bekanntmachung hat nicht immer europaweit zu erfolgen, sondern lediglich die potenziell interessierten Bieter zu erfassen. Da diese Abgrenzung im Einzelfall nur sehr schwer zu treffen sein wird, dürfte es sich bei der europaweiten Ausschreibung (bspw. im Supplement zum Amtsblatt der EG) um die rechtlich sicherste und tatsächlich einfachste Möglichkeit handeln.201 Neben einer adäquaten räumlichen Ausdehnung stellt die Kommission auch in zeitlicher Hinsicht Ansprüche an die Bekanntmachung. Die Grundstücksmitteilung fordert eine wiederholte Bekanntmachung in geeigneten Medien über einen Zeitraum von zwei Monaten.202 In dieser Hinsicht geht die Kommission über vergaberechtliche Ansprüche hinaus. Schließlich dürfen einzelne Bieter nicht willkürlich vom Verfahren ausgeschlossen werden.203 Dies könnte zu einer Verzerrung des Wettbewerbs führen. 195

s. o. Teil 2 A. VI. 4. d) aa) (2). Montag/Leibenath, in: Heidenhain, EU-Beihilfenrecht, § 28, Rn. 12; Soltész/Bielesz, EuZW 2004, 391 (393). 197 Frenz, Handbuch Europarecht III, Rn. 293; Montag/Leibenath, in: Heidenhain, EU-Beihilfenrecht, § 28, Rn. 12. 198 Kommission, Entsch. v. 11.4.2000 (Centrale del Latte di Roma), ABl. EG L 265/15 vom 19.10.2000, Ziff. 33. 199 Kommission, Entsch. v. 11.4.2000 (Centrale del Latte di Roma), ABl. EG L 265/15 vom 19.10.2000, Ziff. 82. 200 s. o. Teil 2 A. VI. 4. d) aa) (2) (a). 201 Vgl. z. B. Kommission, Entsch. v. 13.2.2001 (Viridian Growth Fund), ABl. EG L 144/23 vom 30.5.2001, Ziff. 37 f. Koenig/Kühling/Scholz, in: Koenig/Kühling/Theobald, Infrastrukturförderung, Rn. 1/53; Koenig/Kühling, NVwZ 2003, 779 (783). 202 Abschnitt II Nr. 1 lit. a Grundstücksmitteilung. Koenig/Kühling/Scholz, in: Koenig/Kühling/Theobald, Infrastrukturförderung, Rn. 1/53. 203 Kommission, Entsch. v. 13.6.2000 (Kali und Salz), ABl. EG L 44/39 vom 15.2.2001, Ziff. 27. Vgl. aber zum notwendigen Bieterausschluss u. Teil 2 B. IV. 4. d). 196

IV. Prozeduraler Vergleichsmaßstab der Vermögensprivatisierung

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b) Transparenzgrundsatz aa) Information Der Grundsatz der Transparenz ist mit dem Wettbewerbsgrundsatz eng verbunden. Während die Wettbewerbsoffenheit interessierten Unternehmen von der Veräußerungsabsicht Kenntnis verschaffen soll, stellt die transparente Ausgestaltung des Verfahrens gleiche Bedingungen unter den Bietern her. Diese müssen, über die bloße Kenntnis hinaus, die Möglichkeit haben, ein substantiiertes, konkurrenzfähiges Angebot abzugeben. Dazu müssen die potenziellen Bieter die Informationen erhalten, die es ihnen ermöglichen, das Veräußerungsobjekt einer näheren Prüfung zu unterziehen. So rügte die Kommission in einer Entscheidung die ungenügende Information über einen Grundstücksverkauf: Um den Anforderungen der Grundstücksmitteilung gerecht zu werden, hätte die Bekanntmachung nicht nur Informationen zur Region, sondern gerade zu dem speziellen Grundstück und den vorhandenen Anlagen sowie Werks- und Lagergebäuden enthalten müssen.204 Die Bekanntmachung muss demnach diejenigen Informationen enthalten, die ein möglicher Käufer benötigt, um das Veräußerungsobjekt zu bewerten.205 Daneben muss auch die Verfahrensgestaltung den potenziellen Bietern vorab bekanntgemacht werden. Hierzu gehören der allgemeine Verfahrensablauf, Fristen und Zuschlagskriterien. Das Verfahren muss insgesamt durchschaubar und nachvollziehbar gestaltet sein.206 Andernfalls ist keine effektive Teilnahme am Wettbewerb möglich, sodass dessen Funktion beeinträchtigt würde. Für unzureichend befand die Kommission im Falle Gröditzer Stahlwerke die bloße „Einladung zur Aufnahme individueller Verhandlungen auf der Grundlage von Verpflichtungen, die sowohl Verkäufer als auch Erwerber einzugehen hatten und die in einem Verhandlungsprozeß auf einer nicht klar umrissenen Grundlage zum Abschluß gebracht werden sollten“207. Dies sei kein offener Aufruf zur Abgabe von Angeboten i. S. präziser Vorgaben. Damit sei das Verfahren weder wettbewerbsoffen noch transparent gewesen. Das Transparenzerfordernis steht in einem engen Zusammenhang mit dem Grundsatz der Nichtdiskriminierung.208 Ein ungleicher Informationsfluss zwischen 204 Kommission, Entsch. v. 12.7.2000 (Scott Paper SA/Kimberly-Clark), ABl. EG L 12/1 vom 15.1.2002, Ziff. 146. 205 Koenig/Kühling, NVwZ 2003, 779 (783). 206 Bauer, EuZW 2001, 748 (752). Näher zu diesen Anforderungen sogleich. 207 Kommission, Entsch. v. 8.7.1999 (Gröditzer Stahlwerke GmbH), ABl. EG L 292/27 vom 13.11.1999, Ziff. 88. 208 Vgl. Kommission, Entsch. v. 22.7.1998 (Société de Banque Occidentale), ABl. EG L 103/19 vom 20.4.1999, S. 25 f.; Kommission, Entsch. v. 14.10.1998 (Société Marseillaise de Crédit), ABl. EG L 198/1 vom 30.7.1999, S. 6.

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Teil 2, B. Beihilfenrecht

Veräußerer und verschiedenen Bietern führt immer auch zu einer Diskriminierung. Die Transparenz des Ausschreibungsverfahrens ist nicht mehr gewährleistet, wenn nur ein Bieter über geänderte Grundvoraussetzungen bei der Unternehmensbewertung informiert wird.209 Über geänderte Bedingungen müssen alle betreffenden Unternehmen gleichermaßen informiert werden.210

bb) Frist Weiter muss den Bewerbern ausreichend Zeit zur Verfügung stehen, um ein Angebot unter zumutbaren Bedingungen vorzubereiten und abzugeben.211 Die Bestimmung des notwendigen Zeitraumes entzieht sich einer pauschalen Betrachtung. Sie ist von einer Reihe von Faktoren abhängig, die sich je nach Veräußerungsobjekt unterscheiden. Dazu zählen insbesondere: – Kreis der potenziellen Bieter, – Komplexität des Veräußerungsobjektes, – Umfang der übergebenen Informationen. Ist mit Interessenten aus dem europäischen Ausland zu rechnen, so muss die Frist so bemessen sein, dass diesen keine Nachteile etwa durch notwendige Übersetzungsarbeiten entstehen. Die Veräußerung eines größeren, ggf. insolventen Unternehmens setzt einen weit höheren Planungsaufwand voraus, als der Erwerb kleinerer Grundstücke. Schließlich hat es der Veräußerer auch in der Hand, den Bietern i. R. seiner Informationspflicht Entscheidungshilfen zu geben. So kann er seinen Unterlagen bereits Gutachten unabhängiger Wirtschaftsprüfer beifügen, die den Bietern die Due-diligence-Prüfung erleichtern.212 Die Kommission hat bspw. eine Frist von ca. 10–14 Tagen für die Bewertung eines Unternehmens für zu kurz erachtet.213 Eine Frist, die einem Bieter nicht bekanntgemacht wurde, kann für diesen auch nicht verbindlich sein.214

209 Kommission, Entsch. v. 22.7.1998 (Société de Banque Occidentale), ABl. EG L 103/19 vom 20.4.1999, S. 25 f. Vgl. aber auch Kommission, Entsch. v. 2.10.2002 (Londoner U-Bahn, N 264/2002), ABl. EG C 309/14 vom 12.12.2002; hierzu auch Kommission, XXXIII. Wettbewerbsbericht (2002), S. 278 f. 210 Kommission, Non-Paper, Ziff. 84. 211 Koenig/Kühling/Ritter, EG-Beihilfenrecht, Rn. 100. 212 Hierfür v. a. Bauer, EuZW 2001, 748 (756). 213 Kommission, Entsch. v. 22.7.1998 (Société de Banque Occidentale), ABl. EG L 103/19 vom 20.4.1999, S. 25. 214 Kommission, Entsch. v. 8.9.1999 (Stardust Marine), ABl. EG L 206/6 vom 15.8.2000, Ziff. 66.

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c) Bedingungsfreiheit und Nichtdiskriminierung aa) Kommissionspraxis Schon im XXIII. Wettbewerbsbericht forderte die Kommission einen Ausschreibungswettbewerb, der „an keine weiteren Bedingungen geknüpft ist, wie den Erwerb anderer Vermögenswerte, für die nicht geboten wird, oder die Weiterführung bestimmter Geschäftstätigkeiten“215. Die Entscheidungspraxis der Kommission hierzu ist nach wie vor in Bewegung. Zunächst verfolgte die Kommission einen strengen Ansatz. In dem erwähnten Fall Gröditzer Stahlwerke forderten die staatlicherseits beauftragten Investmentbanken in einer Bekanntmachung zur Angebotsabgabe auf, die zu individuellen Vertragsverhandlungen führen sollte. Die Kommission bemängelte nicht nur die unpräzise formulierte Bekanntmachung der Veräußerungsabsicht. Daneben rügte sie auch, dass von den 23 potenziell interessierten Investoren, die um nähere Auskünfte baten, lediglich drei als geeignet ausgewählt wurden. Allein mit diesen führten die Banken Verkaufsverhandlungen.216 Darüber hinaus wurden die Interessenten in der Bekanntmachung aufgefordert, in ihre Angebote detaillierte Verpflichtungen zur Schaffung und Erhaltung von Arbeitsplätzen, zu künftigen Investitionen und zur Finanzierung aufzunehmen. Die vom letztendlichen Käufer übernommenen, zweiseitig ausgehandelten Verpflichtungen sollten maßgeblichen Einfluss auf den Kaufpreis haben. Hieraus schloss die Kommission, dass die Unternehmensprivatisierung nicht i. R. e. bedingungsfreien Bietwettbewerbs vorgenommen worden sei.217 In der Entscheidung „Centrale del Latte di Roma“ sehen T. d. L. eine Abschwächung der Anforderungen an die Bedingungsfreiheit des Ausschreibungsverfahrens.218 Dort hatten die italienischen Behörden den Erwerber zum Erhalt von 200 der insgesamt 392 Arbeitsplätze, zur Durchführung eines Unternehmensplanes und zum Bezug von min. 80 % der Rohstoffe bei örtlichen Erzeugern verpflichtet sowie eine Verlegung des Produktionsstandortes für einen Zeitraum von fünf Jahren ausgeschlossen. Nach dem Dafürhalten der Kommission wirkten sich diese Bedingungen auf den Marktpreis aus. Allerdings lasse sich dieser Einfluss nicht berechnen. Die Bedingungen seien jedoch nicht zu beanstanden, da sie keine Diskriminierung zwischen den Bietern bewirkten.219 Schon die Grundstücksmittei215

Kommission, XXIII. Wettbewerbsbericht (1993), Ziff. 402. Kommission, Entsch. v. 8.7.1999 (Gröditzer Stahlwerke GmbH), ABl. EG L 292/27 vom 13.11.1999, Ziff. 84. 217 Kommission, Entsch. v. 8.7.1999 (Gröditzer Stahlwerke GmbH), ABl. EG L 292/27 vom 13.11.1999, Ziff. 88. 218 So etwa Frenz, Handbuch Europarecht III, Rn. 294; Montag/Leibenath, in: Heidenhain, EU-Beihilfenrecht, § 28, Rn. 14; Soltész/Bielesz, EuZW 2004, 391 (394 f.); a. A. wohl Koenig/ Kühling/Ritter, EG-Beihilfenrecht, Rn. 94. 219 Kommission, Entsch. v. 11.4.2000 (Centrale del Latte di Roma), ABl. EG L 265/15 vom 19.10.2000, Ziff. 91. 216

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Teil 2, B. Beihilfenrecht

lung lasse den Verkauf i. V. m. besonderen Verpflichtungen im öffentlichen Interesse zu, wenn jeder potenzielle Käufer diese unabhängig davon, ob und in welcher Branche er tätig sei, zu erfüllen hätte und grundsätzlich erfüllen könne.220 Nach Ansicht von Montag/Leibenath überträgt die Kommission damit die Möglichkeit eines eingeschränkt bedingungsfreien Bietverfahrens aus der Grundstücksmitteilung auf den Bereich der Unternehmensverkäufe. Bedingungen seien zulässig, solange sie zwischen den potenziellen Käufern keine Diskriminierung zur Folge hätten.221 Bei näherer Betrachtung zeigt sich jedoch ein anderes Bild. Die Kommission beanstandet die Privatisierung als solche i. E. zwar nicht. Zu dieser Einschätzung gelangt sie aber auf der Grundlage des materiellen Modus. Während die Grundstücksmitteilung die Ermittlung des angemessenen Preises auch bei eingeschränkt bedingungsfreien Bietverfahren auf den prozeduralen Modus stützt, verlangte die Kommission in diesen Fall eine Bewertung durch einen unabhängigen Gutachter.222 Das Vorliegen einer Begünstigung lehnte sie schließlich ab, weil der gezahlte Kaufpreis, trotz der vom Käufer eingegangenen Verpflichtungen, wesentlich oberhalb des gutachterlich ermittelten Betrages lag.223 Eine Lockerung der bedingungsfeindlichen Einstellung der Kommission kann hieraus also nicht geschlossen werden.224 Jedoch zeigen sich Inkonsistenzen in der Kommissionspraxis.225 In der Entscheidung „SKET Walzwerkstechnik“ hielt sie ein bedingungsfreies Ausschreibungsverfahren für gegeben.226 Der Erwerber war i. R. d. Privatisierung jedoch zahlreiche Verpflichtungen eingegangen: So gab er u. a. eine Arbeitsplatzgarantie für 1000 Mitarbeiter der SKET WT für vier Jahre, eine Investitionszusage i. H. v. 12,2 Mio. DM sowie eine Standortzusage für ca. drei Jahre. Schließlich sagte er auch zu, vor dem Jahr 2003 keine Gewinne aus dem privatisierten Unternehmen zu entnehmen.227 In der Tendenz entfernt sich die Kommission wohl vom strengen Verständnis der Bedingungsfreiheit.

220 Kommission, Entsch. v. 11.4.2000 (Centrale del Latte di Roma), ABl. EG L 265/15 vom 19.10.2000, Ziff. 87. Abschnitt II Nr. 2 lit. c Grundstücksmitteilung. 221 Montag/Leibenath, in: Heidenhain, EU-Beihilfenrecht, § 28, Rn. 14. 222 Kommission, Entsch. v. 11.4.2000 (Centrale del Latte di Roma), ABl. EG L 265/15 vom 19.10.2000, Ziff. 87. 223 Kommission, Entsch. v. 11.4.2000 (Centrale del Latte di Roma), ABl. EG L 265/15 vom 19.10.2000, Ziff. 91 a. E. 224 So auch Koenig/Kühling/Ritter, EG-Beihilfenrecht, Rn. 94. 225 Frenz, Handbuch Europarecht III, Rn. 294. 226 Kommission, Entsch. v. 13.12.2000 (SKET Walzwerkstechnik), ABl. EG L 301/37 vom 17.11.2001, Ziff. 7. 227 Kommission, Entsch. v. 13.12.2000 (SKET Walzwerkstechnik), ABl. EG L 301/37 vom 17.11.2001, Ziff. 13.

IV. Prozeduraler Vergleichsmaßstab der Vermögensprivatisierung

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bb) Schrifttum Teile des Schrifttums suchen das Kriterium der Bedingungsfreiheit zu präzisieren, indem sie verkehrs- oder marktübliche Bedingungen ebenso für zulässig halten wie solche, die notwendig sind, um spekulative Gebote zu vermeiden.228 Auch beim Unternehmenskauf zwischen Privaten seien die Verträge nie bedingungsfrei. Marktübliche Bedingungen müssten daher auch beim Verkauf durch die öffentliche Hand zulässig sein.229 Ausgeschlossen seien v. a. Bedingungen, die die unternehmerische Freiheit des Käufers einschränkten und dadurch verhinderten, dass der Marktpreis erzielt werde. Nach a. A. greift eine derartige Differenzierung zu kurz. Die Beurteilung von Bedingungen beim Unternehmenskauf durch die Kommission sei dem MEIT verhaftet. I. R.d. Ausschreibungsverfahrens werde aber gerade nicht das staatliche Verhalten darauf überprüft, ob es mit dem eines privaten Marktteilnehmers vergleichbar ist. Im Zentrum stehe vielmehr die Ermittlung eines angemessenen Leistungs-Gegenleistungs-Verhältnisses. Es sei daher zu fragen, ob die Bedingung geeignet sei, die Ermittlung des Marktpreises zu verhindern. Diesen Effekt bringe nicht jede Bedingung mit sich. Die konkrete, öffentliche Ausschreibung schaffe gerade einen Markt für die dort beschriebene Leistung. Die Angemessenheit der Gegenleistung werde nicht dadurch beeinträchtigt, dass es sich um eine marktfremde Leistung handele. Bedingungen seien nur insoweit abzulehnen, als sie zu einer Begünstigung des Käufers führten.230 cc) Stellungnahme Der letztgenannten Ansicht ist zuzustimmen. Die bloße Differenzierung nach der Marktüblichkeit einer Bedingung würde die Unterschiede des materiellen und prozeduralen Modus außer Acht lassen. Das Kriterium der Bedingungsfreiheit bedarf daher einer funktionellen Betrachtung: Nur solche Bedingungen sind dem prozeduralen Mechanismus abträglich, die zu einer Verzerrung des Marktpreises führen. Dies ist der Fall, wenn durch die Bedingung der Kreis der möglichen Bieter manipuliert, d. h. beschränkt wird. Dann kommt es nur zu einer eingeschränkten Konkurrenz auf dem künstlich geschaffenen Markt, die eine Ermittlung des objektiven Marktpreises verhindert. Das Kriterium der Bedingungsfreiheit geht damit im Grundsatz der Nichtdiskriminierung auf.231 228

Ehricke, ZIP 2001, 489 (494). Vgl. zur zweiten Einschränkung auch Abschnitt II Nr. 2 lit. b Grundstücksmitteilung. 229 Bauer, EuZW 2001, 748 (752); Borchardt, ZIP 2001, 1301 (1304, 1306); Koenig, EuZW 2001, 741 (746). 230 Koenig/Kühling/Ritter, EG-Beihilfenrecht, Rn. 95. Ähnlich auch Montag/Leibenath, in: Heidenhain, EU-Beihilfenrecht, § 28, Rn. 15; Eilmansberger, WuW 2004, 384 (392). 231 Frenz, Handbuch Europarecht III, Rn. 294; Koenig/Kühling/Ritter, EG-Beihilfenrecht, Rn. 93 ff.; a. A. wohl Kristoferitsch, EuZW 2006, 428 (430).

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Teil 2, B. Beihilfenrecht

Eine Einschränkung der unternehmerischen Freiheit durch Verkaufsbedingungen232 kann durch einen niedrigeren Verkaufspreis ausgeglichen werden.233 Die Überlegenheit des prozeduralen Modus zeigt sich auch hier: Fälle, in denen die Auswirkungen von Bedingungen auf den Marktpreis nicht nachvollzogen werden können,234 treten nicht auf. Jede Bedingung ist somit auf ihre diskriminierende Wirkung zu untersuchen, d. h. darauf, ob sie den Kreis der Bieter ohne sachlichen Grund einschränkt.235 Eine klar diskriminierende Bedingung wäre bspw. die Anforderung, der Käufer müsse im Inland seine Hauptniederlassung haben. Weniger eindeutig lässt sich dies für die häufig vorkommenden Arbeitsplatzgarantien erkennen. Hier ist der Einzelfall ausschlaggebend. Es ist nicht auszuschließen, dass jeder Bieter diese Bedingung erfüllen kann, sie also nicht zu einer Beschränkung des Bieterkreises führt.236 Damit erklärt sich die Entscheidungspraxis der Kommission: Einmal hielt sie Arbeitsplatzgarantien im gegebenen Umfang für „angemessen“237. In einem anderen Fall lehnte sie eine derartige Bedingung ab und ließ die Argumentation, es handele sich um eine für den Erwerber wirtschaftlich notwendige Maßnahme, nicht gelten. Dann wäre es nämlich nicht notwendig gewesen, diese Bedingung in den Kaufvertrag aufzunehmen.238

d) Notwendiger Bieterausschluss Die Teilnahme bestimmter Bieter, welche die Schaffung eines künstlichen Marktes verhindern, kann in Konflikt mit dem Diskriminierungsverbot und dem Transparenzgebot geraten. Hierzu gehören Unternehmen, die mit dem zu veräußernden Unternehmen(steil) bereits vor dem Verkauf eng verbunden waren. Zu denken ist hier v. a. an eine übertragende Sanierung innerhalb einer Unternehmensgruppe.239 Vergleichbares gilt für die Fälle des sog. Management-Buy-Out. Erwerben der oder die ehemaligen

232

Hierzu Bauer, EuZW 2001, 748 (752). Montag/Leibenath, in: Heidenhain, EU-Beihilfenrecht, § 28, Rn. 15. 234 So Kommission, Entsch. v. 11.4.2000 (Centrale del Latte di Roma), ABl. EG L 265/15 vom 19.10.2000, Ziff. 91. 235 Ehricke, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Art. 87 Abs. 1 EGV, Rn. 47. 236 Ähnlich Koenig/Kühling/Ritter, EG-Beihilfenrecht, Rn. 95. 237 So in Kommission, Entsch. v. 11.4.2000 (Centrale del Latte di Roma), ABl. EG L 265/15 vom 19.10.2000, Ziff. 91. 238 Kommission, Entsch. v. 30.7.1996 (Head Tyrolia Mares), ABl. EG L 25/26 vom 28.1.1997, S. 39. 239 Ausführlich hierzu Borchardt, ZIP 2001, 1301 (1304 f.) sowie Koenig, EuZW 2001, 741 (747). 233

IV. Prozeduraler Vergleichsmaßstab der Vermögensprivatisierung

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Geschäftsführer das Unternehmen, so befinden sich auch diese in einer besonderen Stellung.240 Aufgrund der operationellen Erfahrung mit dem Verkaufsobjekt haben diese Bieter einen kaum zu kompensierenden Informationsvorsprung. Es ist daher von Seiten des Veräußerers genau zu prüfen, ob eine umfassende Due-diligence-Prüfung der konkurrierenden Interessenten diesen Vorsprung ausgleichen kann.241 Ansonsten kann ein nichtdiskriminierendes Ausschreibungsverfahren nur unter Ausschluss dieses Interessenten stattfinden. Hier zeigt sich wiederum, dass der prozedurale Modus zwar große Vorteile bei der Bestimmung des Marktpreises besitzt, der gänzliche Verzicht auf den materiellen Modus jedoch mit erheblichen Flexibilitätseinbußen verbunden wäre.242 Letzterer ermöglicht nämlich u. U. auch den Erwerb durch einen Insider oder ein verbundenes Unternehmen.

e) Zuschlagskriterium: Veräußerung an den Meistbietenden Schließlich stellt sich die Frage nach den zulässigen Zuschlagskriterien. Die Kommission stellt i. R. d. Vermögensprivatisierung strenge Maßstäbe auf. Sie verlangt eine Veräußerung an den Meistbietenden,243 lässt also nur den höchsten Preis als Kriterium zu. Ansonsten sieht sie zwar den Beihilfentatbestand nicht automatisch als erfüllt, den Vorgang jedoch als notifizierungspflichtig an.244 Alternativ käme der Zuschlag an das wirtschaftlichste Angebot in Betracht. Dadurch könnten auch Zahlungsfristen und -konditionen Beachtung finden.245 Dies würde zu mehr Flexibilität bei der Gestaltung der Veräußerung beitragen. Der Zuschlag an das günstigste Angebot, d. h. das Angebot mit dem höchsten Preis, ist vorzuziehen.246 Eine Vielfalt an Zuschlagskriterien kann zu Intransparenz und versteckter Diskriminierung beitragen.247 Hierdurch wird die bezweckte Ermittlung des angemessenen Marktpreises gefährdet. Der Zuschlagsempfänger gilt nur dann nicht als Nutznießer der vorangegangenen Beihilfen, wenn er das Unternehmen zum höchsten Preis erworben hat, den ein privater Investor unter normalen Wettbewerbsbedingungen für dieses Unternehmen, in der Situation, in der es sich

240 So z. B. Kommission, Entsch. v. 8.7.1999 (Gröditzer Stahlwerke GmbH), ABl. EG L 292/27 vom 13.11.1999, Ziff. 36 ff. 241 Bauer, EuZW 2001, 748 (753 f.); Koenig/Kühling/Ritter, EG-Beihilfenrecht, Rn. 98. 242 s. schon o. Teil 2 B. IV. 3. 243 Kommission, XXIII. Wettbewerbsbericht (1993), Ziff. 402. 244 Kommission, Entsch. v. 8.9.1999 (Stardust Marine), ABl. EG L 206/6 vom 15.8.2000, Ziff. 78 ff.; Montag/Leibenath, in: Heidenhain, EU-Beihilfenrecht, § 28, Rn. 19 f. 245 Hierfür Ehricke, ZIP 2001, 489 (495). 246 So auch Montag/Leibenath, in: Heidenhain, EU-Beihilfenrecht, § 28, Rn. 18, die dieses Erfordernis für „aus sich selbst heraus verständlich“ halten. 247 Bauer, EuZW 2001, 748 (756).

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Teil 2, B. Beihilfenrecht

befand, zu zahlen bereit war.248 Als Zuschlagskriterium bei der Vermögensprivatisierung kommt somit allein der höchste Preis in Betracht.249

5. Fazit Beim Verkauf von Grundstücken und Unternehmen durch die öffentliche Hand weist der prozedurale Modus erhebliche Vorteile gegenüber der materiellen Ermittlung der angemessenen Gegenleistung auf. Eine beihilfenrechtliche Ausschreibungspflicht besteht hingegen nicht. Ein beihilfenrechtskonformes Ausschreibungsverfahren wird geprägt von den Grundsätzen des Wettbewerbs, der Transparenz und der Nichtdiskriminierung. Die Schaffung von Wettbewerb ist für die Funktionsweise des prozeduralen Modus unverzichtbar. Die Benachrichtigung ausgewählter potenzieller Bieter ist daher grundsätzlich nicht geeignet, die Notifizierungspflicht der Mitgliedstaaten entfallen zu lassen. Wettbewerb bedarf eines Mindestmaßes an Publizität. Daher ist eine öffentliche Bekanntmachung unerlässlich, die auch Interessenten aus anderen Mitgliedstaaten die Möglichkeit der Teilnahme eröffnet. Dem Transparenzgebot folgend sind alle Bieter gleichwertig zu informieren. Diese Verpflichtung umfasst alle preisbildenden Faktoren des Privatisierungsobjekts sowie die Verfahrensgestaltung. Schließlich muss eine angemessene Frist gewährt werden, welche die Komplexität des Ausschreibungsgegenstands und den erhöhten Zeitbedarf ausländischer Bieter berücksichtigt. Die von der Kommission zunächst geforderte Bedingungsfreiheit des Ausschreibungsverfahrens ist im Grundsatz der Nichtdiskriminierung aufgegangen. Der prozedurale Modus ist in der Lage, eine angemessene Gegenleistung auch für Verkäufe unter bestimmten Bedingungen zu ermitteln. Dieser Mechanismus wird gestört, wenn die Bedingung den Kreis der potenziellen Bieter einschränkt und somit den Wettbewerb verfälscht. Diskriminierende Bedingungen sind mit der Funktion des Ausschreibungsverfahrens als kompensatorische Prozeduralisierung nicht zu vereinbaren und daher unzulässig. Aufgrund der gleichen Überlegung können Bieter, die gegenüber anderen Bietern strukturelle Vorteile besitzen, vom Verfahren auszuschließen sein. Andernfalls ist ein funktionierender Wettbewerb ebenfalls nicht gewährleistet. Schließlich kommt allein eine Veräußerung an den Meistbietenden in Betracht.

248 EuGH, Rs. C-390/98 (HJ Banks), Slg. 2001, I-6117, Rn. 77; Rs. C-277/00 (Deutschland/ Kommission), Slg. 2004, I-3925, Rn. 80. Zustimmend Quardt, in: Heidenhain, EU-Beihilfenrecht, § 54, Rn. 34. 249 Vgl. aber die etwas andere Situation für die Aufgabenprivatisierung u. Teil 2 B. VI. 4. b).

V. Materieller Vergleichsmaßstab der Aufgabenprivatisierung

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V. Materieller Vergleichsmaßstab der Aufgabenprivatisierung V. Materieller Vergleichsmaßstab der Aufgabenprivatisierung

Neben der Vermögensprivatisierung steht ein weiterer Bereich staatlichen Wirtschaftshandelns im Fokus des Beihilfenrechts: Zur Erfüllung von Gemeinwohlverpflichtungen bedient sich der Staat immer öfter privatrechtlicher Handlungsformen oder überlässt die Aufgabenerfüllung gar ganz Privaten. Dieses Phänomen wird im deutschen Schrifttum unter dem Schlagwort der Aufgabenprivatisierung250 diskutiert.251 Die Finanzierung derartiger Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse (DAWI) durch den Staat ist einer der aktuellen Brennpunkte des Beihilfenrechts. Ihre Finanzierung ist anfällig für direkte oder indirekte Beihilfen. Mit der sog. Altmark-Trans-Rechtsprechung hat der EuGH diesem Bereich nunmehr ein tragfähiges Fundament gegeben. Auf dieser Grundlage setzt sich die Prozeduralisierung des Beihilfenbegriffs fort.252

1. Begriff der „Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse“ Der Begriff der Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse wird im AEUV selbst gebraucht. Er ist als gemeinschaftsrechtlicher Begriff autonom auszulegen.253 Mit dem Begriff der Daseinsvorsorge im Forsthoffschen Sinne254 decken sich die DAWI nur teilweise. Die Begrifflichkeiten von Art. 14 und Art. 106 Abs. 2 AEUV sind synonym zu verstehen.255 Die Kommission definiert die Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse als „marktbezogene Tätigkeiten, die im Interesse der Allgemeinheit erbracht und daher von den Mitgliedstaaten mit besonderen Gemeinwohlverpflichtungen verbunden werden.“256

Die Gemeinschaftsgerichte haben sich bislang einer einheitlichen Definition enthalten. Der Begriff ist ausgehend vom Sinn und Zweck der Vorschriften zu klä250

Zum Begriff der Privatisierung s. o. Teil 2 B. II. 2. a). s. nur Koenig/Kühling, DÖV 2001, 881 (885), auch zur Einordnung in die materielle bzw. funktionelle Privatisierung; ebenso Schimanek, NZBau 2005, 304 (305 f.). Kritisch Kube, Verw 41 (2008), 1 ff. Umfassend zu den Folgen der Aufgabenprivatisierung Kämmerer, Privatisierung, S. 423 ff. 252 Gar für eine vollständige Prozeduralisierung Pöcker, EuZW 2007, 167 ff. durch den EuGH; hierzu eher kritisch Kämmerer, NVwZ 2004, 28 (33). 253 Emmerich, in: Dauses, Hdb. EU-WirtschR, H. II, Rn. 139. 254 Forsthoff, Die Verwaltung als Leistungsträger, 1938. 255 Jung, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 16 EGV, Rn. 8; Koenig/Kühling, in: Streinz, EUV/EGV, Art. 16 EGV, Rn. 4. 256 Mitteilung der Kommission zu Leistungen der Daseinsvorsorge in Europa, ABl. EG C 17 vom 19.1.2001, S. 4 (23). 251

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Teil 2, B. Beihilfenrecht

ren. Art. 14, 106 Abs. 2 AEUV sollen den Konflikt zwischen Dienstleistungen von besonderem Allgemeininteresse und dem europäischen Wettbewerbsgedanken entschärfen.257 Der Begriff der Dienste (Art. 14 AEUV) bzw. Dienstleistung (Art. 106 Abs. 2 AEUV) ist daher weit zu verstehen.258 Er geht über die Dienstleistungen i. S. v. Art. 57 AEUV hinaus und umfasst auch die Herstellung und Verteilung anderer Güter.259 Dienstleistungen sind von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse, wenn sie „in den Augen des Staates auch dann erbracht werden müssen, wenn der Markt unter Umständen nicht genügend Anreize dafür gibt“260. Ein Markversagen ist daher für die DAWI, wenn nicht definitorisch, so doch charakteristisch.261 Sie werden von den Mitgliedstaaten sichergestellt, indem sie Unternehmen besondere Gemeinwohlverpflichtungen auferlegen. Nicht von wirtschaftlichem Interesse sind nur Dienstleistungen, die keine wirtschaftlichen Tätigkeiten darstellen. Hierzu zählen insbesondere solche, die aufgrund ihrer Natur dem Staat selbst vorbehalten sind.262 Die notwendige Marktbezogenheit der Tätigkeit ergibt sich schon aus dem Unternehmensbegriff des Art. 106 AEUV.263 Auf Tätigkeiten nichtwirtschaftlicher Art sind die Wettbewerbsregelungen des AEUV erst gar nicht anwendbar.264 Die Konkretisierung des Allgemeininteresses obliegt den Mitgliedstaaten. Sie haben daher bei der Ausfüllung dieses gemeinschaftsrechtlichen Begriffs eine Einschätzungsprärogative.265 Der Gestaltungsfreiheit der Mitgliedstaaten steht ein begrenztes Kontrollrecht der Kommission gegenüber.266 Eine abstrakte Definition ist

257

Hierzu sogleich. Koenig/Kühling, in: Streinz, EUV/EGV, Art. 86, Rn. 44. 259 Mestmäcker/Schweitzer, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Art. 86 Abs. 2, Rn. 64; Pernice/Wernicke, in: Grabitz/Hilf, EU, Art. 86 EGV, Rn. 32. 260 Mitteilung der Kommission zu Leistungen der Daseinsvorsorge in Europa, ABl. EG C 17 vom 19.1.2001, S. 4 (7). 261 Blankart/Gehrmann, Dritter Sektor in der EU, in: Schmidt-Trenz/Stober (Hrsg.), RÖDS, S. 36 (45). 262 Mitteilung der Kommission zu Leistungen der Daseinsvorsorge in Europa, ABl. EG C 17 vom 19.1.2001, S. 4 (9). Eine umfassende Analyse der Abgrenzungskriterien nimmt Jennert, Daseinsvorsorge, S. 38 ff. vor. 263 s. o. Teil 2 B. I. 3. 264 Jennert, Daseinsvorsorge, S. 28; Koenig/Kühling, in: Streinz, EUV/EGV, Art. 86, Rn. 46. Vgl. auch die Analyse bei Rintelen, Dienstleistungen, S. 28 ff. Wohl weiter gehend Nettesheim, EWS 2002, 253 (255 f.), der eine Marktstruktur voraussetzt. 265 EuG, Rs. T-289/03 (BUPA u. a./Kommission), Slg. 2008, II-81, Rn. 166; Koenig/Kühling, in: Streinz, EUV/EGV, Art. 86, Rn. 47; Nettesheim, EWS 2002, 253 (254 f.). Ausführlich Rintelen, Dienstleistungen, S. 22 ff. 266 Kommission, Entsch. v. 28.11.2005 (Anwendung von Art. 86 Abs. 2 EGV), ABl. EU L 312/67 vom 29.11.2005 (68); Mitteilung der Kommission zu Leistungen der Daseinsvorsorge in Europa, ABl. EG C 17 vom 19.1.2001, S. 4 (8). 258

V. Materieller Vergleichsmaßstab der Aufgabenprivatisierung

265

daher bislang noch nicht gelungen.267 Die Herangehensweise der Gemeinschaftsorgane ist kasuistisch geprägt.268 Jedenfalls sind Dienstleistungen, die allein im Interesse Einzelner erbracht werden, nicht vom Begriff der DAWI erfasst.269 Die partielle Sonderbehandlung dieser Dienste i. R. d. europäischen Wettbewerbsrechts lässt sich nur mit ihrer gesamtgesellschaftlichen oder -wirtschaftlichen Bedeutung rechtfertigen.270 In st.Rspr. anerkannt als DAWI sind beispielsweise die so genannten Universaldienste, welche im gesamten Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates, unabhängig von der Rentabilität des bedienten Gebietes zu erbringen sind.271

2. Spannungsverhältnis zwischen DAWI und europäischem Wettbewerbsprinzip Die DAWI stehen somit in einem besonderen Spannungsverhältnis zwischen Markt und Staat. Das Ziel des unverfälschten Wettbewerbs272 und die wirtschaftspolitische Gestaltungskompetenz der Mitgliedstaaten stoßen hier aufeinander.273

a) Wettbewerb als binnenmarktrechtliches Grundprinzip Ein allgemeines Verbot von Wettbewerbsbeschränkungen beinhaltet der AEUV zwar nicht. Die wettbewerbsschützenden Einzelvorschriften des Vertrages sind jedoch i. S. d. Ziels des unverfälschten Wettbewerbes auszulegen und anzuwenden. Erfasst werden nicht nur wettbewerbswidrige Verhaltensweisen Privater, sondern 267 M.w.N. Mestmäcker/Schweitzer, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Art. 86 Abs. 2, Rn. 68 ff. 268 Koenig/Kühling, in: Streinz, EUV/EGV, Art. 86, Rn. 48 ff. m. w. N. 269 EuGH, Rs. 127/73 (BRT II), Slg. 1974, 313, Rn. 23. Jung, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 86 EGV, Rn. 38. 270 Als Allgemeinheit gelten jedoch auch Bevölkerungsteile oder einzelne Gemeinden, Haratsch/Koenig/Pechstein, Europarecht, Rn. 1099. 271 EuGH, Rs. C-340/99 (TNT Traco), Slg. 2001, I-4109, Rn. 53; Rs. C-220/06 (Asociación Profesional de Empresas de Reparto y Manipulado de Correspondencia), Slg. 2007, I-12175, Rn. 79. Vgl. auch die Richtlinie 97/67/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Dezember 1997 über gemeinsame Vorschriften für die Entwicklung des Binnenmarktes der Postdienste der Gemeinschaft und die Verbesserung der Dienstequalität, ABl. EG L 15 vom 21.1.1998, S. 14 ff., zuletzt geändert durch die Richtlinie 08/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Februar 2008 zur Änderung der Richtlinie 97/67/EG im Hinblick auf die Vollendung des Binnenmarktes der Postdienste der Gemeinschaft, ABl. EU L 52 vom 27.2.2008, S. 3 ff. 272 Früher in Art. 3 Abs. 1 lit. g EGV; nach dem Vertrag von Lissabon ist dieses Ziel in das Protokoll Nr. 27 über den Binnenmarkt und den Wettbewerb verschoben, behält jedoch Primärrechtsrang. 273 Jung, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 86 EGV, Rn. 34; Schwarze, EuZW 2001, 334 ff.

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Teil 2, B. Beihilfenrecht

auch solche von staatlicher Seite.274 Der AEUV unterscheidet daher staatsgerichtete und unternehmensgerichtete Wettbewerbsregeln.275 Der Wettbewerbsbegriff wird im Vertrag nicht abschließend definiert. Als Kern kann jedoch das freie Spiel von Angebot und Nachfrage276 gelten, wobei mindestens auf einer Seite, regelmäßig auch auf beiden Seiten, mehr als eine Person auftreten kann.277 Die Wirtschaftsteilnehmer sollen sich auf dem gesamten Binnenmarkt bewegen und das Marktergebnis durch ungestörte Interaktion selbst bestimmen können.278 Das Wettbewerbsprinzip ist konstitutiv für den europäischen Integrationsprozess. Seine Verwirklichung ermöglicht es den Bürgern, die Wirtschaftsprozesse im Binnenmarkt mitzugestalten.279 Einschränkungen des Wettbewerbsprinzips wirken als Integrationsdämpfer. DAWI, die für sich genommen nicht marktfähig sind, bilden einen Fremdkörper im Binnenmarkt.

b) Sonderstellung der DAWI Diese Interessen miteinander zu versöhnen, ist Anliegen der Art. 14, 106 Abs. 2 AEUV. Die gemeinwohlverpflichteten Dienstleistungen stellen nach Ansicht der Kommission einen „unverzichtbaren Bestandteil des europäischen Gesellschaftsmodells“280 dar. Sie berührten die zentrale Frage, welche Rolle den staatlichen Stellen in einer Marktwirtschaft zukomme. Einerseits hätten sie das reibungslose Funktionieren des Marktes sicherzustellen und andererseits das öffentliche Interesse zu gewährleisten. Dazu zählten insbesondere die Befriedigung von Grundbedürfnissen der Bürger und die Erhaltung von Kollektivgütern in Fällen, in denen der Markt dazu nicht in der Lage sei.281 Bei genauerer Betrachtung berührt Art. 14 AEUV zwei Konfliktfelder. Er hat zum einen Bedeutung, wo die marktwirtschaftliche Wirtschaftsordnung der Union mit den Wirtschaftsordnungen der Mitgliedstaaten in Konflikt gerät, die gemeinwirtschaftlich orientiert sind. Zum anderen wirkt Art. 14 AEUV auch auf kompetenzieller Ebene. Die Mitgliedstaaten sind für die Ausgestaltung der DAWI zuständig, ohne die Union ihrer überwachenden Funktion für die supranationale Wettbewerbsordnung, welche sich in den Art. 93, 106, 129 AEUV niederschlägt, 274

Bogdandy, in: Grabitz/Hilf, EU, Art. 16 EGV, Rn. 15 f. Koenig/Kühling/Ritter, EG-Beihilfenrecht, Rn. 1013. 276 Hierzu schon o. Teil 2 B. II. 1. 277 Müller-Graff, EuR 1997, 433 (436). 278 Koenig/Kühling/Ritter, EG-Beihilfenrecht, Rn. 1010. 279 Drexl, Wettbewerbsverfassung, in: Bogdandy (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, S. 747 (788). 280 Kommission, Grünbuch zu Dienstleistungen von Allgemeininteresse vom 21.5.2003, KOM (2003) 720 endgültig, Ziff. 2. 281 Kommission, Grünbuch zu Dienstleistungen von Allgemeininteresse vom 21.5.2003, KOM (2003) 720 endgültig, Ziff. 4. 275

V. Materieller Vergleichsmaßstab der Aufgabenprivatisierung

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zu berauben.282 Mitgliedstaaten und Union haben in Bezug auf die mitgliedstaatliche Daseinsvorsorge zusammenzuwirken, um die gemeineuropäische Wirtschaftsverfassung zu gestalten.283 Art. 14 AEUV stärkt das Gewicht der Allgemeininteressen bei der Auslegung des primären Wettbewerbsrechts,284 ohne jedoch subjektive Rechte zu begründen.285 Es kann daher kein Zweifel bestehen, dass die Mitgliedstaaten berechtigt sind, derartige Gemeinwohlverpflichtungen zu schaffen.286 Schon in ihrer Daseinsvorsorge-Mitteilung287 ist die Kommission den Fragen nachgegangen, inwieweit Leistungen der Daseinsvorsorge dem freien Wettbewerb zu öffnen sind oder subventioniert werden können.288 Die Ausnahmeregelung des Art. 106 Abs. 2 AEUV sucht den Konflikt zwischen den staatlich beschirmten Allgemeininteressen und dem unverfälschten Wettbewerb zu entschärfen. Dieser Konflikt spiegelt sich auch in den unterschiedlich geprägten Wirtschaftsverfassungen der Mitgliedstaaten wider.289 In Bezug auf Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse sind die Wettbewerbsregeln nur soweit zu beachten, als sie die Erfüllung dieser Dienstleistungen nicht verhindern, Art. 106 Abs. 2 S. 1 AEUV. Damit wird den DAWI ein partieller Vorrang vor dem Ziel des unverfälschten Wettbewerbs eingeräumt.290 Die besondere Aufmerksamkeit, welche die DAWI in der beihilfenrechtlichen Diskussion derzeit erfahren, rührt jedoch in erster Linie nicht von der Ausnahme des Art. 106 Abs. 2 AEUV her. Nach der nunmehr gefestigten Rechtsprechung des EuGH stellt eine staatliche Gegenleistung schon tatbestandlich keine Beihilfe dar, wenn die vier sog. Altmark-Kriterien erfüllt sind.291 Art. 106 Abs. 2 AEUV kommt erst zur Anwendung, wenn ein Verstoß gegen eine Vertragsvorschrift vorliegt, insbesondere wenn der Tatbestand des Art. 107 Abs. 1 AEUV erfüllt ist.292 Eine beihilfen282 Kingreen, Grundfreiheiten, in: Bogdandy (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, S. 631 (651). 283 Kingreen, Sozialstaatsprinzip, S. 429, 431 f. m. w. N. 284 Koenig/Kühling, in: Streinz, EUV/EGV, Art. 16 EGV, Rn. 2. 285 Blankart/Gehrmann, Dritter Sektor in der EU, in: Schmidt-Trenz/Stober (Hrsg.), RÖDS, S. 36 (46); Hatje, Wirtschaftsverfassung, in: Bogdandy (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, S. 683 (736); Kallmeyer/Jung, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 16 EGV, Rn. 12. 286 Nettesheim, EWS 2002, 253 (254). 287 Mitteilung der Kommission zu Leistungen der Daseinsvorsorge in Europa, ABl. EG C 17 vom 19.1.2001, S. 4 ff. 288 Dohms, Vorstellungen der Kommission, in: Schwarze (Hrsg.), Daseinsvorsorge, S. 41 (43 f.). 289 Drexl, Wettbewerbsverfassung, in: Bogdandy (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, S. 747 (704). Vgl. auch den Überblick bei Müller-Graff, EuR 1997, 433 (445 ff.). 290 Mestmäcker/Schweitzer, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Art. 86 Abs. 2, Rn. 1; Kingreen, Sozialstaatsprinzip, S. 431 f. 291 Näher u. Teil 2 B. V. 3. d). 292 Koenig/Haratsch, ZUM 2004, 122 ff. Zur Entscheidungspraxis der Kommission nach dem Altmark-Trans-Urteil s. Bartosch, EuZW 2004, 295 (297 f., 300) m. w. N.

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Teil 2, B. Beihilfenrecht

rechtskonforme Betrauung des Dienstleisters, der im Allgemeininteresse tätig wird, macht den Rückgriff auf Art. 106 Abs. 2 AEUV unnötig. Beihilfensicher ist die Betrauung, wenn der Dienstleister nicht i. S. d. des Art. 107 Abs. 1 AEUV begünstigt wird. Eine Begünstigung liegt wiederum vor, wenn der DAWI eine inadäquate Gegenleistung gegenübersteht, sodass von einer Überkompensation auszugehen ist. Diese, als Tatbestandslösung bezeichnete, beihilfenrechtliche Einordung der DAWI hat einen Gleichlauf der Prozeduralisierung von Vermögens- und Aufgabenprivatisierung möglich gemacht.

3. Materielle Ermittlung der angemessenen Gegenleistung Das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung ist auch bei Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse entscheidend. Eine Beihilfe ist nach nunmehr gefestigter Rspr. des EuGH293 und der Entscheidungspraxis der Kommission294 tatbestandlich ausgeschlossen, wenn keine Überkompensation vorliegt.295

a) Rechtfertigungslösung Das Gericht erster Instanz lehnte es in einer Reihe von Entscheidungen ab, Gegenleistungen für eine Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse i. R. d. Art. 107 Abs. 1 AEUV an einem anderen Maßstab zu messen, als sonstige staatliche Begünstigungen. Art. 107 Abs. 1 AEUV unterscheide nicht nach den Gründen und Zielen von Maßnahmen, sondern beurteile sie aufgrund ihrer Auswirkung auf den Wettbewerb.296 Eine Maßnahme könne jedoch gem. Art. 129 Abs. 1 i. V. m. Art. 106 Abs. 2 AEUV gerechtfertigt sein, wenn „die betreffende Beihilfe nur die Mehrkosten ausgleichen soll, die dem mit einer Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse betrauten Unternehmen durch die Erfüllung der ihm übertragenen besonderen Aufgaben entstehen, und wenn die Gewährung der Beihilfe erforderlich ist, um diesem Unternehmen die Erfüllung seiner Verpflichtungen als öffentlicher Dienstleistungserbringer unter wirtschaftlich tragbaren Bedingungen zu ermöglichen.“297 293 EuGH, Verb. Rs. C-34-38/01 (Enirisorse), Slg. 2003, I-14243, Rn. 30 ff.; Rs. C-280/00 (Altmark Trans und Regierungspräsidium Magdeburg), Slg. 2003, I-7747, Rn. 87 ff. 294 Kommission, Entsch. v. 28.11.2005 (Anwendung von Art. 86 Abs. 2 EGV), ABl. EU L 312/67 vom 29.11.2005, Erwägungsgründe 4 u. 5; Kommission, Entsch. v. 10.12.2003 (France 2 und France 3), ABl. EU L 361/21 vom 8.12.2004, Ziff. 57. 295 Sog. Gegenleistungsansatz; zu alternativen Lösungswegen vgl. Wachinger, ZögU 2004, 56 (58 f.) m. w. N. 296 EuG, Rs. T-106/95 (FFSA), Slg. 1997, II-229, Rn. 195. 297 EuG, Rs. T-106/95 (FFSA), Slg. 1997, II-229, Rn. 178.

V. Materieller Vergleichsmaßstab der Aufgabenprivatisierung

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Diese Richtung behielt das EuG auch in einer späteren Entscheidung bei. Der Umstand, dass „staatliche Stellen einem Unternehmen einen finanziellen Vorteil gewähren, um die Kosten aufgrund der von diesem Unternehmen angeblich übernommenen gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen auszugleichen“298, habe keine Auswirkungen auf die Qualifizierung dieser Maßnahme als Beihilfe. Die Vereinbarkeit mit dem Gemeinsamen Markt könne allein über Art. 106 Abs. 2 AEUV erreicht werden.299 Diesen Ansatz vertrat auch GA Léger in seinen Schlussanträgen in der Rs. Altmark Trans. Er forderte den Gerichtshof auf, sich der Rechtsprechung des EuG anzuschließen.300 b) Tatbestandslösung und subjektive Kosten: Das Urteil Ferring Der Gerichtshof schlug, ohne sich mit der vorstehenden Rechtsprechung des EuG auseinanderzusetzen, einen anderen Weg ein. Er suchte den Ausgleich für Gemeinwohldienste im Tatbestand des Art. 107 Abs. 1 AEUV zu verankern. Gegenstand des Urteils Ferring waren Gemeinwohlpflichten französischer Arzneimittelgroßhändler. In Frankreich existierten zwei Vertriebswege für Arzneimittel, die in direktem Wettbewerb miteinander standen: einerseits über Großhändler, andererseits über Direktverkäufe durch Arzneimittelhersteller. Die Großhändler waren u. a. verpflichtet, einen bestimmten Vorrat an Arzneimitteln vorzuhalten, der für die Versorgung über einen bestimmten Zeitraum ausreichte sowie jedes zu ihrem Sortiment zählende Arzneimittel innerhalb von 24 Stunden nach Eingang der Bestellung zu liefern. Diese Verpflichtung traf die Pharmahersteller nicht. Diese hatten zum Ausgleich jedoch eine Direktverkaufsabgabe i. H. v. 2,5 % zu entrichten. Diese Abgabe wurde zur Finanzierung der nationalen Krankenkasse verwendet.301 Die klagende Ferring SA war ein solcher Pharmahersteller mit Direktvertrieb an Apotheken und wandte sich gegen die Abgabe, die ihrer Ansicht nach eine Beihilfe zugunsten der Großhändler darstellte. Der Gerichtshof lehnte eine Rechtfertigung der unterschiedlichen Behandlung aufgrund bloßer systemimmanenter Gründe ab.302 Der einseitigen Abgabenlast der Pharmahersteller stehe eine Abgabenbefreiung der Großhändler gegenüber. Diese Befreiung stelle einen wirtschaftlichen Vorteil dar. Die Abgabenregelung stärke die Großhändler zulasten der betroffenen Hersteller. Daher könne es sich um eine Begünstigung handeln.303 In einem zweiten Schritt prüfte der EuGH, ob die Ein298

EuG, Rs. T-46/97 (SIC/Kommission), Slg. 2000, II-2125, Rn. 83 f. Zur Rechtsprechung des EuG vgl. auch Jennert, Daseinsvorsorge, S. 74 ff. 300 GA Léger, Schlussantr. zu Rs. C-280/00 vom 19.3.2002 (Altmark Trans und Regierungspräsidium Magdeburg), Slg. 2003, I-7747, Ziff. 98. Näher sogleich Teil 2 B. V. 3. c). 301 GA Tizzano, Schlussantr. zu Rs. C-53/00 (Ferring), Slg. 2001, I-9067, Rn. 5 ff. 302 Hierzu Kube, EuR 2004, 230 (237) m. w. N. 303 EuGH, Rs. C-53/00 (Ferring), Slg. 2001, I-9067, Rn. 17 ff. 299

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Teil 2, B. Beihilfenrecht

stufung der Regelung als Beihilfe wegen der besonderen gemeinwirtschaftlichen Pflichten auszuschließen sei, die das französische System der Versorgung der Apotheken mit Arzneimitteln den Großhändlern auferlegte.304 Die Erfüllung dieser Pflichten verursache den Großhändlern zusätzliche Kosten, welche der Direktverkaufsabgabe der Pharmahersteller entsprächen.305 Der Gerichtshof urteilte, Art. 107 Abs. 1 AEUV sei so auszulegen, dass eine solche Abgabenpflicht, „die nur Direktverkäufe von Arzneimitteln durch Pharmahersteller betrifft, nur insoweit eine staatliche Beihilfe zugunsten der Großhändler darstellt, als der Vorteil, den diese daraus ziehen, dass sie der Abgabe auf Direktverkäufe von Arzneimitteln nicht unterliegen, die zusätzlichen Kosten übersteigt, die ihnen für die Erfüllung der ihnen durch die nationale Regelung auferlegten gemeinwirtschaftlichen Pflichten entstehen.“306

Mithin maß der EuGH in dem Urteil Ferring den Begünstigungscharakter einer Maßnahme an den aufgrund der Gemeinwohlverpflichtung tatsächlich entstandenen Kosten. Ein finanzieller Ausgleich stellt nach diesem Verständnis nur insoweit eine Beihilfe dar, als der Vorteil über die tatsächlich angefallenen Kosten hinausgeht. Zusammenfassend hat der Gerichtshof zwei Weichenstellungen vorgenommen. Zum einen stellte er klar, dass Ausgleichszahlungen für Gemeinwohlverpflichtungen i. R. d. Tatbestandsmerkmals der Begünstigung zu berücksichtigen sind. Zum anderen lehnte er eine Begünstigung des fraglichen Unternehmens ab, wenn die Kompensation nicht über die tatsächlich entstandenen Kosten hinausgeht.

c) Kritik am Urteil Ferring Im Schrifttum fand die Tatbestandslösung größtenteils Zustimmung.307 Kritisiert wurde allerdings, dass der Gerichtshof der Begünstigungsprüfung die Kosten, welche dem Aufgabenerbringer bei der Ausführung tatsächlich entstanden sind, d. h. die subjektiven Kosten, zugrundelegte.308 Eine Überkompensation würde nur vorliegen, wenn der Empfänger mehr erhalten hätte, als er für die Erfüllung der Gemeinwohlverpflichtung aufgewendet hat; dies schließt einen angemessenen Gewinn ein. Diese Betrachtung leiste jedoch einer ineffizienten und verschwenderischen Aufgabenerfüllung Vorschub, da dem Dienstleistungserbringer jeder Anreiz fehle, Kosten zu sparen. Dies könne zu Verzerrungen auf benachbarten Märkten führen, 304

EuGH, Rs. C-53/00 (Ferring), Slg. 2001, I-9067, Rn. 23. EuGH, Rs. C-53/00 (Ferring), Slg. 2001, I-9067, Rn. 27. 306 EuGH, Rs. C-53/00 (Ferring), Slg. 2001, I-9067, Rn. 29. 307 Statt vieler Bartosch, NVwZ 2002, 174 (179); Hancher/Otterwanger/Slot, EC State Aids, Rn. 8–024 f.; Heidenhain, in: Heidenhain, EU-Beihilfenrecht, § 3, Rn. 87 ff.; Nettesheim, EWS 2002, 253 (260 f.); Kritisch allerdings Jennert, Daseinsvorsorge, S. 129. 308 EuGH, Rs. C-53/00 (Ferring), Slg. 2001, I-9067, Rn. 29, relativierend aber Rn. 33. Insofern unkritisch Heidenhain, in: Heidenhain, EU-Beihilfenrecht, § 3, Rn. 95 f. 305

V. Materieller Vergleichsmaßstab der Aufgabenprivatisierung

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da einer der Marktteilnehmer nicht auf eine ökonomische Beschaffung von Artikeln angewiesen sei, welche er für die Aufgabenerfüllung benötige.309 Ohne Not weiche der EuGH von der Dogmatik des Begünstigungsmerkmales ab, bei dem er sonst auf die Marktüblichkeit der Gegenleistung abstelle.310 Dieser Kritik ist zuzustimmen. Die in der Ferring-Entscheidung angedeutete Zugrundelegung der subjektiven Kosten wäre bedenklich. Sie trägt dem Spannungsverhältnis zwischen Markt und Staat, in dem die Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse stehen, nicht Rechnung. Die garantierte Erstattung aller entstandenen Kosten für die übernommene Aufgabe würde ein staatliches Privileg darstellen. Gerade solche Besserstellungen soll das Beihilfenregime jedoch verhindern. Die subjektiven Kosten können daher nicht als Bemessungsgrundlage für eine Überkompensation dienen.

d) Objektive Kosten: Das Urteil Altmark Trans Im Anschluss an das viel diskutierte Ferring-Urteil wurde das Urteil in der Rs. Altmark Trans mit Spannung erwartet.311 Der Entscheidung lag eine Verlängerung von Genehmigungen von Liniendiensten mit Omnibussen im Landkreis Stendal an das Unternehmen Altmark Trans zugrunde. Ein Konkurrent hatte hiergegen Widerspruch mit der Begründung eingelegt, Altmark Trans sei aufgrund der Komplementärfinanzierung durch die öffentliche Hand nicht leistungsfähig i. S. v. § 13 PBefG. Das mit der Revision befasste BVerwG legte dem EuGH u. a. die Frage vor, ob Kostenausgleichszuschüsse für Gemeinwohlverpflichtungen, die einem Unternehmen, das einen öffentlichen Personennahverkehr betreibt, auferlegt werden, staatliche Beihilfen darstellen.312 In seinem Urteil hat der Gerichtshof die in der Ferring-Entscheidung gestellten Anforderungen konkretisiert.313 Vier Kriterien müssten erfüllt sein, damit Ausgleichszahlungen für Gemeinwohldienste nicht unter den Tatbestand des Art. 107 Abs. 1 AEUV fielen:314 309 Nettesheim, EWS 2002, 253 (262). Diesem zustimmend Kühling/Wachinger, NVwZ 2003, 1202 (1203). 310 Koenig/Kühling, DVBl. 2003, 289 (293). Zum Ganzen auch Jennert, Daseinsvorsorge, S. 94 ff. 311 Vgl. den Vorspann des Non-Papers der Kommission „Dienste von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse und staatliche Beihilfen“ vom 12.11.2002 (Non-Paper); Kube, EuR 2004, 230 (234 ff.). 312 GA Léger, Schlussantr. zu Rs. C-280/00 vom 19.3.2002 (Altmark Trans und Regierungspräsidium Magdeburg), Slg. 2003, I-7747, Ziff. 31. 313 Kühling/Wachinger, NVwZ 2003, 1202 (1203) sprechen von angezogenen Daumenschrauben. 314 EuGH, Rs. C-280/00 (Altmark Trans und Regierungspräsidium Magdeburg), Slg. 2003, I-7747, Rn. 89 ff.; zur Weiterentwicklung der Rspr. des EuGH, s. Braun/Kühling, CML Rev. 2008, 465 ff.

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Teil 2, B. Beihilfenrecht

(vi) tatsächliche Betrauung mit klar definierten Gemeinwohlverpflichtungen; (vii) vorhergehende, objektive und transparente Festlegung der Ausgleichsparameter; (viii) Beschränkung des Ausgleichs auf die Nettomehrkosten; (ix) durchschnittliches, gut geführtes Unternehmen als objektiver Kostenmaßstab. Liegt eines dieser Kriterien nicht vor, so ist von einer staatlichen Begünstigung des jeweiligen Unternehmens auszugehen.315 Das dritte und vierte Kriterium sichern die Objektivität des Beihilfenbegriffes. Es wird zu zeigen sein, dass dieses Vorgehen der Prozeduralisierung des Beihilfenrechts weiter Vorschub geleistet hat.

aa) Kriterium des Nettomehrkostenprinzips „Drittens darf der Ausgleich nicht über das hinausgehen, was erforderlich ist, um die Kosten der Erfüllung der gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen unter Berücksichtigung der dabei erzielten Einnahmen und eines angemessenen Gewinns aus der Erfüllung dieser Verpflichtungen ganz oder teilweise zu decken.“316

Das Nettomehrkostenprinzip317 begrenzt die beihilfenrechtlich unbedenklichen Zahlungen auf die erforderlichen Mehrkosten des betrauten Unternehmens. Berücksichtigung finden nur solche, die durch das Angebot und die Erbringung der entsprechenden Dienstleistung entstehen, einschließlich eines angemessenen Gewinns und abzüglich der Einnahmen. D. h. Ausgaben, die dem Unternehmen auch bei seiner eigenen marktwirtschaftlichen Tätigkeit entstanden wären, sind nicht in Anschlag zu bringen. Darüber hinaus müssen alle sonstigen Vorteile des Unternehmens veranschlagt werden, wie bspw. Einnahmen durch die Aufgabenerfüllung, Skalenvorteile und Branding-Effekte durch eine vergrößerte Reichweite des Unternehmens.318

bb) Kriterium des objektiven Kostenmaßstabs Der Berechnung des erforderlichen Ausgleichs ist ein objektiver Kostenmaßstab zugrundezulegen. Es sind demnach nur die Kosten zu erstatten, die einem durch315

Ehricke, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Art. 87 Abs. 1 EGV, Rn. 53; Koenig/Kühling/Ritter, EG-Beihilfenrecht, Rn. 83. 316 EuGH, Rs. C-280/00 (Altmark Trans und Regierungspräsidium Magdeburg), Slg. 2003, I-7747, Rn. 92. 317 Koenig, BB 2003, 2186 (2187); Koenig/Kühling/Ritter, EG-Beihilfenrecht, Rn. 88. Zur Berechnung der Nettomehrkosten vgl. auch Koenig/Kühling, ZHR 166 (2002), 656 (680 ff.). 318 Koenig/Kühling/Ritter, EG-Beihilfenrecht, Rn. 88; Kühling/Wachinger, NVwZ 2003, 1202 (1203).

V. Materieller Vergleichsmaßstab der Aufgabenprivatisierung

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schnittlichen, gut geführten Unternehmen entstanden wären.319 Die tatsächlich entstandenen (subjektiven) Kosten des Betrauten sind für die Berechnung nicht relevant.320 Ansonsten würde das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung durch den Leistungserbringer bestimmt. Auch in Ermangelung eines Marktpreises dürfen die Altmark-Kriterien daher nicht unangewendet bleiben.321 Durch eine ineffiziente Struktur und damit verbundene höhere Kosten könnte der Träger der Gemeinwohlverpflichtung die Kompensationsleistung beeinflussen. Sinn und Zweck der Altmark-Kriterien ist es aber gerade, die Ermittlung der angemessenen Gegenleistung zu objektivieren.322

e) Ermittlung der objektiven Kosten Die Ermittlung des objektiven Kostenmaßstabes anhand materieller Kriterien wird problematisch, wenn ein Marktpreis nicht besteht. Gerade Unternehmen der Daseinsvorsorge, die Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse erbringen, sind nicht oder nur eingeschränkt im Wettbewerb tätig. Erweist es sich als unmöglich, die Situation des Trägers der Gemeinwohlverpflichtung mit der eines privaten Unternehmens zu vergleichen, so hat der EuGH, zumindest in einem Fall, wieder auf die subjektiven, d. h. tatsächlich entstandenen Kosten abgestellt.323 Deren Feststellung kann sich jedoch als äußerst schwierig erweisen, besonders wenn es sich bei dem Aufgabenträger um großes, diversifiziertes Unternehmen handelt.324 Dieses Vorgehen entspricht hingegen nicht dem der Kommission. Sind die Altmark-Kriterien nicht erfüllt, geht diese von einer Beihilfe i. S. v. Art. 107 Abs. 1 AEUV aus. Im Anschluss prüft sie eine Rechtfertigung gem. Art. 106 Abs. 2 AEUV.325 Bei dieser Betrachtungsweise gewinnt wiederum die Notifikationspflicht gem. Art. 108 Abs. 3 AEUV an Bedeutung.326 319 EuGH, Rs. C-280/00 (Altmark Trans und Regierungspräsidium Magdeburg), Slg. 2003, I-7747, Rn. 92. 320 Noch offengelassen in EuGH, Rs. C-53/00 (Ferring), Slg. 2001, I-9067; vgl. Koenig/Kühling, DVBl. 2003, 289 (293); einschränkend dagegen Ehricke, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Art. 87 Abs. 1 EGV, Rn. 60 m. w. N. 321 So aber Bartosch, EuZW 2004, 295 (300). 322 Koenig, BB 2003, 2186; Wachinger, ZögU 2004, 56 (68 f.). 323 EuGH, Verb. Rs. C-83, 93 u. 94/01 P (Chronopost/Ufex u. a.), Slg. 2003, I-6993, Rn. 38 f. Zustimmend Ehricke, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Art. 87 Abs. 1 EGV, Rn. 60 m. w. N. 324 Zur Schwierigkeit, die subjektiven Kosten zzgl. einer angemessenen Vergütung in dem vom EuGH entschiedenen Fall festzustellen, s. EuG, Rs. T-613/97 (UFEX u. a./Kommission), Slg. 2006, II-1531, Ziff. 63 ff. 325 Vgl. Kommission, Entsch. v. 1.10.2003 (BBC Digital Curriculum), ABl. EU C 271/47 vom 12.11.2003. s. auch schon o. zur Stellung der DAWI Teil 2 B. V. 2. b). 326 Bartosch, EuZW 2004, 295. (300 f.); Haratsch/Koenig/Pechstein, Europarecht, Rn. 1101 m. w. N. aus der Entscheidungspraxis der Kommission; Koenig/Haratsch, ZUM 2004, 122 ff.

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Teil 2, B. Beihilfenrecht

Als objektiven Kostenmaßstab hat der Gerichtshof ein „durchschnittliches, gut geführtes Unternehmen“327 benannt. Dabei sind die erzielten Einnahmen und ein angemessener Gewinn zu berücksichtigen. Der regulierende Effekt des Marktpreises fehlt, wenn die am Markt beteiligten Unternehmen nicht in einem funktionierenden Wettbewerb bestehen müssen.328 Die Vermutung einer guten Geschäftsführung und effizienter Strukturen besteht dann nicht. Sind das fragliche Unternehmen oder vergleichbare Konkurrenten nicht im Wettbewerb tätig, können sie nicht als Vergleichsmaßstab herangezogen werden.329 Die Festlegung des objektiven Kostenmaßstabes bedarf daher rechtlicher und ökonomischer Herangehensweisen, die stark einzelfallgeprägt sind.330 Insbesondere ist ein möglicher Monopolfaktor zu eliminieren. Wie schon bei der Bewertung von Grundstücken und Unternehmen, dürften hier Sachverständige zum Einsatz kommen, die nach anerkannten Methoden die objektiven Kosten der Dienstleistung bestimmen.331 Ein aktuelles Beispiel für die Schwierigkeiten bei der Ermittlung der objektiven Kosten ist der Bereich des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV). Subventionen von Verkehrsunternehmen haben eine lange Tradition332 und sind für die Attraktivität des ÖPNV nach wie vor unabdingbar.333 Die intensivierte Beihilfenkontrolle der Kommission führt jedoch auch hier zu einer Stärkung des Wettbewerbsprinzips. Die Sonderrolle der DAWI zeigt sich auch in der Legislativtätigkeit der Union.334 Exemplarisch kann auf das laufende Beihilfenverfahren bzgl. des öffentlichen Dienstleistungsvertrages zwischen Deutsche Bahn Regio und den Ländern Berlin und Brandenburg verwiesen werden.335 Die beiden Bundesländer hatten Dienst327 EuGH, Rs. C-280/00 (Altmark Trans und Regierungspräsidium Magdeburg), Slg. 2003, I-7747, Rn. 93. 328 EuGH, Verb. Rs. C-83, 93 u. 94/01 P (Chronopost/Ufex u. a.), Slg. 2003, I-6993, Rn. 38. 329 Kühling/Wachinger, NVwZ 2003, 1202 (1203 f.). 330 Heidenhain, in: Heidenhain, EU-Beihilfenrecht, § 3, Rn. 103 f. 331 Kube, EuR 2004, 230 (239). Ausführlich zu einer möglichen Kostenrechnung Koenig, BB 2003, 2186 (2187 f.). 332 s. schon die Verordnung (EWG) Nr. 1191/69 des Rates vom 26. Juni 1969 über das Vorgehen der Mitgliedstaaten bei mit dem Begriff des öffentlichen Dienstes verbundenen Verpflichtungen auf dem Gebiet des Eisenbahn-, Straßen- und Binnenschiffsverkehrs, ABl. EWG L 156 vom 28.6.1969, S. 1 ff. sowie Kamp, Subventionierung im öffentlichen Personennahverkehr, 1981. 333 Tödtmann/Schauer, NVwZ 2008, 1 (2). 334 Vgl. einerseits die Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2007 über öffentliche Personenverkehrsdienste auf Schiene und Straße und zur Aufhebung der Verordnungen (EWG) Nr. 1191/69 und (EWG) Nr. 1107/70 des Rates, ABl. EU L 315 vom 3.12.2007, S. 1 ff. und andererseits die Leitlinien zu staatlichen Beihilfen an Eisenbahnunternehmen, Kommission Pressemitteilung vom 30.4.2008, IP/08/674. 335 Die Komplikationen die dieser Konflikt für die geplante Privatisierung der Deutschen Bahn AG mit sich bringt (vgl. Süddeutsche Zeitung vom 31.3.2008, S. 17; Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 9.6.2008, S. 15) zeigen, dass dem Gemeinschaftsrecht eine „Privatisierung um jeden Preis“ fremd ist.

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leistungskonzessionen des Schienenpersonennahverkehrs an die DB Regio vergeben und sich zu Ausgleichszahlungen i. H. v. 6–9 _/Zugkilometer unter Zugrundelegung eines Gewinns i. H. v. 7 % verpflichtet.336 Diese Zahlen beruhten auf der Untersuchung eines Wirtschaftsberatungsunternehmens, welches ausgehend von den Daten des DB-Konzerns die notwendige Finanzierung ermittelt hatte. Die Kommission legte bei der Prüfung, ob diese Ausgleichszahlungen eine Beihilfe i. S. v. Art. 107 Abs. 1 AEUV darstellen, die Altmark-Kriterien zugrunde. Sie hegt Zweifel in Bezug auf die Erfüllung der Kriterien 2–4. Diese Zweifel machen deutlich, mit welchen Unsicherheiten die erforderliche Ex-ante-Bestimmung der objektiven Kosten behaftet sein kann.337 Neben der fehlenden vorhergehenden Aufstellung objektiver und transparenter Parameter kritisiert die Kommission eine fehlerhafte Nettomehraufwand-Deckelung. Verdacht errege, dass die DB Regio als rentabelstes Unternehmen des DB-Konzerns 70 % ihres Umsatzes aus Zahlungen der Länder für die Erbringung öffentlicher Verkehrsdienstleistungen erziele. Auch die Vertragsgestaltung selbst lasse eine Überkompensation möglich erscheinen.338 Schließlich bereite auch die – mangels erfolgter Ausschreibung notwendige – Analyse der Kosten Schwierigkeiten, die ein durchschnittliches, gut geführtes Unternehmen bei der Erfüllung der betreffenden Verpflichtung hätte. Die Kommission kritisierte zunächst, dass die Kostenanalyse nicht für den konkret vorliegenden Vertrag geschlossen worden sei. Insbesondere rügte sie, dass der Untersuchung ausschließlich Daten der Deutschen Bahn zugrundegelegen hätten. Deutschland rechtfertigte dies mit dem Fehlen vergleichbarer Wettbewerber auf dem deutschen Markt. Nach Ansicht der Kommission hätte jedenfalls ein internationaler Vergleich stattfinden müssen.339 Eine verfahrensabschließende Entscheidung steht jedoch noch aus. Die Einhaltung der vier Kriterien stellt die staatlichen Auftraggeber für Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse vor ähnliche Probleme, wie dies bei anderen Methoden zur materiellen Ermittlung der angemessenen Gegenleistung der Fall ist.

336 Kommission, Staatliche Beihilfe C 47/07 (ex NN 22/05), ABl. EU C 35 vom 8.2.2008, S. 13. 337 So wandten sich Konkurrenten der Bahn gegen den ihrer Meinung nach überhöhten „angemessenen Gewinn“ i. H. v. 7 %, vgl. NetzwerkPrivatbahnen, Stellungnahme zu „Staatliche Beihilfe C 47/07“. 338 Kommission, Staatliche Beihilfe C 47/07 (ex NN 22/05), ABl. EU C 35 vom 8.2.2008, S. 13 (14). Zum ökonomischen Druck auf ÖPNV-Unternehmen durch das 3. Kriterium Kühling/Wachinger, NVwZ 2003, 1202 (1205). 339 Kommission, Staatliche Beihilfe C 47/07 (ex NN 22/05), ABl. EU C 35 vom 8.2.2008, S. 13 (14 f.).

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Teil 2, B. Beihilfenrecht

f) Kritik am Altmark-Trans-Urteil Die Entscheidung in der Rs. Altmark Trans hat in der Literatur große Beachtung gefunden und rege Diskussion ausgelöst.340 Die Kommission legte in der Folge dieser Rechtsprechung ebenfalls die Tatbestandslösung zugrunde.341 Insbesondere der gerade erläuterte objektive Kostenmaßstab des EuGH wirft jedoch Fragen auf. Die Kosten eines durchschnittlichen, gut geführten Unternehmens sind zum einen schwer zu ermitteln. Zum anderen werden diese Kosten regelmäßig oberhalb des (insoweit fiktiven) Marktpreises der DAWI liegen.342 Mit der materiellen Bestimmung des 4. Kriteriums entfernt sich der EuGH damit vom Wettbewerbsgedanken. Er setzt nicht voraus, dass der beste, sondern eben nur ein durchschnittlicher Anbieter zum Zuge kommt. Bei diesem Ergebnis würde ein mit Gemeinwohlverpflichtungen betrautes Unternehmen gegenüber anderen Unternehmen privilegiert. Teilweise wird der vom EuGH eröffnete materielle Weg zur Bestimmung der angemessenen Gegenleistung daher grundsätzlich abgelehnt.343 Aus den Unwägbarkeiten bei der materiellen Bestimmung der angemessenen Ausgleichszahlungen resultiert Rechtsunsicherheit. Sollte die Kommission bei der Beihilfenkontrolle zu einem abweichenden Ergebnis kommen, hat der Dienstleister die Überkompensation zu erstatten. Dies bedeutet eine Risikoverlagerung auf den potenziellen Beihilfenempfänger.344 Um dies zu vermeiden, bleibt der betrauenden staatlichen Stelle allein die Möglichkeit, alle derartigen Fälle bei der Kommission zu notifizieren.345

g) Fazit Eine Grundlage für die materielle Ermittlung der angemessenen Gegenleistung bieten die Altmark-Kriterien. Die ersten drei Kriterien des Altmark-Trans-Urteils betreffen die konkrete Betrauung. Das vierte Kriterium (objektiver Kostenmaßstab) lenkt die Aufmerksamkeit auf das Umfeld des Dienstleistungserbringers. Dieser muss sich an vergleichbaren durchschnittlichen Leistungen messen lassen. Damit wird auf dem Gebiet der Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse ein nicht zu unterschätzender Kostendruck erzeugt. Selbst ohne 340 U. a. Bartosch, EuZW 2004, 295 ff.; Becker, NZS 2007, 169 ff.; Braun/Kühling, CML Rev. 2008, 465 ff.; Britz, ZHR 169 (2005), 370 ff.; Franzius, NJW 2003, 3029 ff.; Koenig/Haratsch, ZUM 2003, 804 ff.; Koenig, BB 2003, 2186 ff.; Kühling/Wachinger, NVwZ 2003, 1202 ff.; Wachinger, ZögU 2004, 56 ff.; Werner/Quante, ZEuS 2004, 83 ff. 341 Gemeinschaftsrahmen für staatliche Beihilfen, die als Ausgleich für die Erbringung öffentlicher Dienstleistungen gewährt werden, ABl. EU C 297 vom 29.11.2005, S. 4 f. 342 Britz, ZHR 169 (2005), 370 (391). 343 Britz, ZHR 169 (2005), 370 (393, 398 f.). 344 Kämmerer, NVwZ 2004, 28 (33); van Ysendyck/Zühlke, EWS 2004, 16 (19). 345 Jennert, NVwZ 2003, 425 (127 f.). Allg. zur Rechtsunsicherheit bei unterbliebener Notifizierung Koenig/Kühling, in: Streinz, EUV/EGV, Art. 87 EGV, Rn. 38.

VI. Prozeduraler Vergleichsmaßstab der Aufgabenprivatisierung

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Markt hat das betraute Unternehmen eine marktähnliche Kosteneffizienz zu erreichen.346 Darüber hinausgehende Kosten hat es selbst zu tragen, da die erforderlichen Ausgleichszahlungen aufgrund des zweiten und dritten Kriteriums im Vorhinein festzulegen sind. Das Unternehmen sieht sich damit einem doppelten Kostenrisiko gegenüber: Einerseits hat es nachträglich als zu niedrig erscheinende Kompensationszahlungen selbst zu tragen, andererseits ist es als potenzieller Beihilfenempfänger einem möglichen Rückzahlungsanspruch ausgesetzt. Fehlt es an Vergleichsmöglichkeiten für die Bestimmung eines objektiven Kostenmaßstabs, ist die Angemessenheit der staatlichen Gegenleistung für die Kosten der Dienstleistung nur schwer zu ermitteln. Insofern bedarf es vor der Betrauung aufwändiger Aufklärungen. Die Kostenanalyse wird umso schwerer, je exotischer die nachgefragte Leistung ist. Wird sie von keinem Unternehmen angeboten, ist die Ermittlung der Kosten eines durchschnittlichen, gut geführten Unternehmens nahezu unmöglich.347 Der materielle Ermittlungsmodus kann allenfalls zu einer Annäherung an Marktbedingungen führen.348 Die letzte Gewissheit, ob die ermittelten objektiven Kosten auch tatsächlich dem (fiktiven) Marktpreis entsprechen, kann sich jedoch nie einstellen. Schon der angemessene Gewinn zwingt zu pauschalisierten Betrachtungen. Jedenfalls kann er nicht abstrakt bestimmt werden. In Bezug auf Dienstleistungen, für die kein Markt existiert, lässt sich ex ante nur schwer eine übliche Rendite entwickeln. Diese ist von vielerlei einzelfallbezogenen Faktoren, wie dem Umfang der notwendigen Investitionen, dem Amortisationsrisiko oder der Vertragsdauer abhängig.349 Auch der besten Methodik fehlt die unsichtbare Hand des Marktes, der im Wettbewerb den Preis festlegt.350

VI. Prozeduraler Vergleichsmaßstab der Aufgabenprivatisierung VI. Prozeduraler Vergleichsmaßstab der Aufgabenprivatisierung

Der EuGH hat in der dargestellten Altmark-Trans-Rechtsprechung einen Maßstab für die materielle Ermittlung der angemessenen Gegenleistung für Gemeinwohlverpflichtungen aufgestellt. Damit hat er sich jedoch nicht auf einen materiellen Modus zur Ermittlung der angemessenen Gegenleistung festgelegt. Vielmehr stellt der Gerichtshof diesen Maßstab unter die Prämisse, dass die Betrauung „im konkreten Fall nicht im Rahmen eines Verfahrens zur Vergabe öffentlicher Aufträge erfolgt, das die Auswahl desjenigen Bewerbers ermöglicht, der diese Dienste 346

Koenig/Kühling/Ritter, EG-Beihilfenrecht, Rn. 90. So auch Britz, ZHR 169 (2005), 370 (386); Leibenath, EuR 2003, 1052 (1063 f.); Pöcker, EuZW 2007, 167 (168); van Ysendyck/Zühlke, EWS 2004, 16 (18 f.). 348 So die Formulierung von Wachinger, ZögU 2004, 56 (69). 349 Pöcker, EuZW 2007, 167 (169 f.); Wachinger, ZögU 2004, 56 (67) in Fn. 60. 350 Kritisch auch Rintelen, Dienstleistungen, S. 133. 347

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Teil 2, B. Beihilfenrecht

zu den geringsten Kosten für die Allgemeinheit erbringen kann“351. Liegt der Betrauung ein Vergabeverfahren zugrunde, so geht der Gerichtshof davon aus, dass derjenige Dienstleistungserbringer ausgewählt wurde, welcher für die Gemeinwohlverpflichtung die geringste Kompensation benötigt. Dadurch sei eine Überkompensation ausgeschlossen.

1. Eigenständigkeit des prozeduralen Modus: Kompensatorische Prozeduralisierung Teilweise wird vertreten, mit der Implementierung des prozeduralen Modus in Art. 107 Abs. 1 AEUV sei eine teleologische Reduktion des Beihilfenbegriffes verbunden. Die prozedurale Ermittlung der Kompensation sei nur als unselbstständige Modalität zu verstehen. Statt einer freiwilligen Zuwendung eines wirtschaftlichen Vorteils ohne marktgerechte Gegenleistung wolle der EuGH als Beihilfe nunmehr jede Zuwendung eines wirtschaftlichen Vorteils verstanden wissen, für die zum Zuwendungszeitpunkt keine marktgerechte Gegenleistung nachgewiesen wird.352 Damit werde der Beihilfenbegriff von Verfahrensvorgaben abhängig gemacht, welche die materielle Festlegung des angemessenen Ausgleichs ihrer Funktion beraubten. Hier sieht Kämmerer unter Zugrundelegung des überkommenen Beihilfenbegriffs (d. h. Begünstigung, die ein Unternehmen unter normalen Bedingungen nicht erhalten hätte) einen Bruch in der Argumentation des Gerichtshofs. Werde einem Unternehmen nur die finanzielle Belastung durch Daseinsvorsorgepflichten ausgeglichen und sei dieser Ausgleich bei Einhaltung der Verfahrensbedingungen nicht als Beihilfe zu werten, könne eine Leistung in gleicher Höhe, aber unter Verletzung der Verfahrensvorgaben, ebenso wenig eine Beihilfe darstellen. Beide Beihilfenempfänger seien wirtschaftlich gleichgestellt.353 Kämmerer lässt hierbei den grundlegenden Unterschied der materiellen und prozeduralen Perspektive unberücksichtigt. Die Ermittlung der Gegenleistung nach materiellem Modus verharrt im hypothetischen Konstrukt. Ob der theoretisch ermittelte Ausgleich tatsächlich angemessen ist, wird nie festgestellt, sondern lediglich unterstellt. Die im Ausschreibungsverfahren ermittelte Gegenleistung ist hingegen das Ergebnis eines faktischen Wettbewerbs. Der Bieter, der die Dienstleistung zu den geringsten Kosten für die Allgemeinheit erbringen kann, erhält in keinem Falle eine Überkompensation. Denn kein anderer Anbieter hätte die Dienstleistung zu einer geringeren Gegenleistung erbracht. Ihm bleibt kein Wettbewerbsvorteil, der auf staatlichen Begünstigungen beruht. Er erhält daher nichts, was er unter normalen Marktbedingungen nicht erhalten hätte.

351 EuGH, Rs. C-280/00 (Altmark Trans und Regierungspräsidium Magdeburg), Slg. 2003, I-7747, Rn. 93. 352 So Kämmerer, NVwZ 2004, 28 (33). 353 Kämmerer, NVwZ 2004, 28 (33).

VI. Prozeduraler Vergleichsmaßstab der Aufgabenprivatisierung

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Wie Gerechtigkeit in der Rawlsschen Theorie erst durch Verfahren entstehen und festgelegt werden kann,354 hat auch i. R. d. Beihilfenkontrolle das Verfahren eine eigenständige Funktion. Die Vergabe durch Ausschreibung kompensiert die Unzulänglichkeiten der materiellen Bestimmung der Gegenleistung.355

2. DAWI und Wettbewerbsprinzip Wie gesehen besteht zwischen der Erbringung von DAWI und dem Wettbewerbsprinzip des AEUV ein Spannungsverhältnis. Die in den Art. 14, 106 Abs. 2 AEUV verankerte Sonderrolle der DAWI stellt eine Ausnahme von den Wettbewerbsvorschriften dar.356 Dies führt zu Konflikten zwischen Union und Mitgliedstaaten im Hinblick auf die Ausformung der Wirtschaftsordnung und die Kompetenzverteilung bei der Ausgestaltung dieser Gemeinwohlverpflichtungen.357 Die Prozeduralisierung des Beihilfenbegriffes für den Bereich der DAWI trägt dazu bei, die Spannungen zwischen den finanziellen Direkthilfen i. R. d. Aufgabenprivatisierung und dem Wettbewerbsprinzip aufzulösen. Der materielle Modus kann diesen Beitrag nicht leisten. Eine finanzielle Direkthilfe für die Erfüllung von Gemeinwohlverpflichtungen, die unter Einhaltung der vier Altmark-Kriterien vergeben wird, begünstigt ihren Empfänger nicht. Dieser erhält keinen finanziellen Vorteil gegenüber seinen Konkurrenten und damit auch keine verbesserte Wettbewerbsstellung.358 Die so gestaltete Auftragserteilung verhindert Wettbewerbsverzerrungen über den Bereich der DAWI hinaus. Auf anderen Betätigungsfeldern oder gegenüber anderen Nachfragern erwachsen dem Erbringer keine Vorteile. Dies wird von T. d. L. bestritten: Bereits die Ermöglichung einer gewinnträchtigen oder wenigstens substanzerhaltenden Wirtschaftstätigkeit durch den Staat sei als Vorteil gegenüber ausgeschlossenen Unternehmen anzusehen, welcher die Marktposition des begünstigten Unternehmens verbessere. Dessen Konkurrenten könnten diesen Vorteil nicht kompensieren, da für die DAWI ja gerade kein Markt bestehe. Die staatliche Finanzierung der DAWI bleibe damit wettbewerbspolitisch problematisch.359 Dieser Ansatz nimmt zu Unrecht eine Inkonsistenz in der Rechtsprechung des EuGH an. Die Problemstellung ist vielmehr im AEUV angelegt, in dessen Gefüge 354

s. o. Teil 1 A. II. 2. Kingreen, VSSR 2006, 379 (394). 356 Hatje, Wirtschaftsverfassung, in: Bogdandy (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, S. 683 (704). 357 Kingreen, Sozialstaatsprinzip, S. 428 f. 358 EuGH, Rs. C-280/00 (Altmark Trans und Regierungspräsidium Magdeburg), Slg. 2003, I-7747, Rn. 87. 359 Britz, ZHR 169 (2005), 370 (397 f.). 355

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die DAWI, wie gesehen, eine Sonderstellung einnehmen. Das Wettbewerbsprinzip kann sich aufgrund von Art. 14 AEUV im Bereich der DAWI nur eingeschränkt durchsetzen. Die Ausgestaltungsbefugnis bzgl. staatlicher Daseinsvorsorge steht allein den Mitgliedstaaten zu.360 Der Einfluss der Union auf die mitgliedstaatlichen Systeme ist begrenzt. Eine vollständige Integration der DAWI in den Wettbewerb des Binnenmarktes kann sie nicht erzwingen.361 Das Spannungsverhältnis zwischen Wettbewerbsprinzip und den DAWI ist somit hinzunehmen. Der prozedurale Modus ist jedoch das Mittel der Wahl, diesen Konflikt aufzulösen oder zumindest zu entschärfen. Der Wettbewerb auf dem Binnenmarkt kann gefördert werden, ohne die Kompetenzen der Mitgliedstaaten bei der Ausgestaltung der DAWI zu beschneiden. Ein Ausschreibungsverfahren führt zur Neutralisierung der oben beschriebenen Wettbewerbsbeeinträchtigung.362 Zwar gibt es für DAWI definitionsgemäß mit dem Staat nur einen Nachfrager. Der Wettbewerb wird sich daher nie zu einer annähernd vollkommenen Konkurrenz mit einer Vielzahl Beteiligter auf beiden Seiten ausbauen lassen. Der Marktmechanismus von Angebot und Nachfrage wird im Verfahren aber soweit wie möglich realisiert. Zumindest auf der Anbieterseite entsteht echter Wettbewerb um die Leistungserbringung. Der Staat tritt dann so marktähnlich wie möglich mit den Anbietern in Kontakt.363

3. Beihilfenrechtliche Ausschreibungspflicht? a) Obligatorische Ausschreibung Die Vorteile des prozeduralen Ermittlungsmodus der angemessenen Gegenleistung überwiegen deutlich. Es stellt sich daher die Frage, ob der Beihilfenbegriff nicht insgesamt zu prozeduralisieren ist. Dies würde einen Gewinn für den Wettbewerbsgedanken und für die Rechtssicherheit bedeuten. Teilweise wird für den Bereich der DAWI eine Ausschreibungsverpflichtung de lege lata vertreten. Nur so könne eine begünstigende Wettbewerbsverzerrung durch finanzielle Direkthilfen zulasten unberücksichtigt gebliebener Wettbewerber verhindert werden. Ein Wettbewerb im Markt finde bei der Betrauung mit Gemeinwohlverpflichtungen grundsätzlich nicht statt, da für derartige Dienstleistungen gerade kein Markt bestehe. Der betraute Dienstleister werde allein und ohne Kon360 Grundsatz der Gestaltungsfreiheit, vgl. Mitteilung der Kommission zu Leistungen der Daseinsvorsorge in Europa, ABl. EG C 17 vom 19.1.2001, S. 4 (8). 361 s. o. Teil 2 B. V. 2. b). Mit Blick auf sozialstaatliche Leistungen Kingreen, Sozialstaatsprinzip, S. 431 f. 362 Insoweit ist Britz, ZHR 169 (2005), 370 (398 f.) zuzustimmen. 363 Nettesheim, EWS 2002, 253 (256). Ähnlich auch Rintelen, Dienstleistungen, S. 165 f. Zur Erleichterung des Marktzuganges für DAWI Empfehlung des Rates vom 14. Mai 2008 zu den Grundzügen der Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten und der Gemeinschaft (2008–2010), ABl. EU L 137 vom 27.5.2008, S. 13 (22).

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kurrent, d. h. ohne Markt tätig. Daran könne auch ein vorhergehendes Vergabeverfahren nichts ändern, da kein Markt für die Dienstleistung, sondern nur ein Markt für die Betrauung mit dieser Dienstleistung geschaffen werde. Es entstehe allein ein Wettbewerb um den Markt. Der Wettbewerbsgedanke lasse sich nur sichern, wenn zumindest dieser Wettbewerb um den Markt entstehe. Nicht der korrekt ermittelte Marktpreis als Ergebnis des Vergabeverfahrens mache den Mehrwert des prozeduralen Modus aus, sondern die Schaffung eines realen Wettbewerbs.364 Diese Ansicht differenziert zu Unrecht zwischen der korrekten Ermittlung des Marktpreises und dem realen Wettbewerbsgeschehen. Dies verkennt die spezifische Funktion und Wirkung der kompensatorischen Prozeduralisierung. Das Verfahren an sich und dessen Ergebnis lassen sich nicht trennen. Das Ergebnis – hier der ermittelte Marktpreis als angemessene Gegenleistung – legitimiert sich nur aus der Entstehung im korrekt durchgeführten Verfahren. Außerhalb dieses Verfahrens ist das Ergebnis so nicht feststellbar. Ein T. d. L. hält eine Ausschreibung für obligatorisch, wenn eine materielle Kostenanalyse nicht durchführbar ist.365 Eine derartige Abgrenzung ist freilich schwierig, handelt es sich doch bei der Umsetzbarkeit des materiellen Modus um ein qualitatives Problem. Wie gesehen, kann am Ende dieser Kostenanalyse nie ein unanfechtbares Resultat stehen. Die Belastbarkeit des ermittelten Ergebnisses hängt immer vom Einzelfall und der verwendeten Methode ab. Während sich Fälle des Totalversagens dieser Methoden finden lassen, kann umgekehrt der unanfechtbare Richtigkeitsnachweis nicht gelingen. Die Richtigkeit des Ergebnisses kann immer nur vermutet werden. Allein für Fälle, in denen eine materielle Bestimmung der angemessenen Gegenleistung ausgeschlossen ist, eine Ausschreibungspflicht anzunehmen, brächte erhebliche Rechtsunsicherheit mit sich. Entscheidet sich die staatliche Stelle für Ausgleichszahlungen für Gemeinwohlverpflichtungen ohne vorhergehendes Ausschreibungsverfahren und lassen sich die Kosten eines durchschnittlichen, gut geführten Unternehmens nicht unter Beachtung der Altmark-Kriterien ermitteln, so lässt sich eine Beihilfe immer noch über Art. 129 Abs. 2, 3 oder Art. 106 Abs. 2 AEUV rechtfertigen.366 Eine Ausschreibung ist daher nie der einzige Weg zur gemeinschaftsrechtskonformen Aufgabenprivatisierung. Rintelen leitet eine Ausschreibungspflicht aus dem Transparenzgebot gem. Art. 10 Abs. 1 EGV a. F. (jetzt: Art. 4 Abs. 3 EUV) und der Notwendigkeit zur Organisation des Wettbewerbs ab. Nur ein Ausschreibungsverfahren könne ein Maß an Transparenz erzielen, wie es zur Vermeidung von Diskriminierungen und Wettbewerbsverzerrungen nötig sei. Ermessensentscheidungen der mitgliedstaatlichen 364

Britz, ZHR 169 (2005), 370 (398 ff.). Cremer, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 87 EGV, Rn. 13. 366 A. A. Cremer, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 87 EGV, Rn. 13. Zur Rolle des Art. 106 Abs. 2 AEUV nach der Altmark-Rspr. Koenig/Haratsch, ZUM 2004, 122 ff. 365

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Stellen seien ansonsten nicht nachprüfbar.367 Das Ausschreibungsverfahren sei weiter der einzige Weg, einen echten Wettbewerb zu schaffen und so die Marktdefizite der öffentlichen Hand auszugleichen.368 Dem steht jedoch ebenfalls entgegen, dass der AEUV für tatbestandsmäßige Beihilfen die Möglichkeit der Rechtfertigung enthält. Eine Ausschreibungspflicht, die staatliche Beihilfen im Vorhinein unterbindet, ist mit der Systematik der Art. 106 ff. AEUV nicht in Einklang zu bringen. Andere erwägen eine Prozeduralisierung im Wege richterlicher Rechtsfortbildung. Ein verpflichtendes Ausschreibungsverfahren würde sich in die „allgemeine ‚prozedurale Geneigtheit‘ des Gemeinschaftsrechts einfügen“369. Auch sei der Gerichtshof zu einem solchen Wechsel demokratisch legitimiert. Unabhängig von der Frage, ob der EuGH zu einem derartigen Vorzeichenwechsel legitimiert wäre,370 würde eine Beschränkung auf den prozeduralen Modus den Eigenheiten des Beihilfenrechts nicht gerecht. Nach wohl h. M. lässt sich aus dem europäischen Beihilfenrecht daher keine allgemeine Ausschreibungspflicht ableiten.371 b) Optionale Ausschreibung aa) EuGH In diesem Sinne lassen sich zunächst die Aussagen des Gerichtshofs und der Kommission heranziehen. Die Formulierung des vierten Altmark-Kriteriums bringt die oben dargestellte Dualität der Ermittlung der angemessenen Gegenleistung zum Ausdruck. Demnach „ist die Höhe des erforderlichen Ausgleichs auf der Grundlage einer Analyse der Kosten zu bestimmen, die ein durchschnittliches, gut geführtes Unternehmen bei der Erfüllung der betreffenden Verpflichtungen hätte, wobei die dabei erzielten Einnahmen und ein angemessener Gewinn aus der Erfüllung dieser Verpflichtungen zu berücksichtigen sind.“

Dies gilt jedoch nur, wenn „die Wahl des Unternehmens, das mit der Erfüllung gemeinwirtschaftlicher Verpflichtungen betraut werden soll, im konkreten Fall nicht im Rahmen eines Verfahrens zur Vergabe öffentlicher Aufträge erfolgt, das die Auswahl desjenigen Bewerbers ermöglicht, der diese Dienste zu den geringsten Kosten für die Allgemeinheit erbringen kann.“372

Sowohl der materielle als auch der prozedurale Modus werden ausdrücklich anerkannt. Es lässt sich zwar eine Präferenz für den prozeduralen Modus erken367

Rintelen, Dienstleistungen, S. 159 f. Rintelen, Dienstleistungen, S. 160 ff. 369Pöcker, EuZW 2007, 167 (171). 370 Hierzu ausführlich Pöcker, EuZW 2007, 167 (170 f.). 371 Koenig/Kühling/Ritter, EG-Beihilfenrecht, Rn. 90; Nettesheim, EWS 2002, 253 (256). 372 Jew. EuGH, Rs. C-280/00 (Altmark Trans und Regierungspräsidium Magdeburg), Slg. 2003, I-7747, Rn. 93. 368

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nen; auch mag man von einem Regel-Ausnahme-Verhältnis sprechen. Die Kostenspezifizierung auf materiellem Wege wird jedoch ausdrücklich zugelassen.373 Das Gericht erster Instanz prüft ebenfalls in seiner jüngsten Rechtsprechung i. R. d. vierten Altmark-Kriteriums, ob die Ausgleichszahlungen die objektiven Kosten überstiegen haben.374 Diese Ansicht wird überdies im Kreis der Generalanwälte vertreten: Eine angemessene Leistungsvergütung könne ggf. aufgrund von de facto bestehenden Verhandlungsmöglichkeiten zu erzielen sein. Eine generelle Ausschreibungspflicht sei dem Gemeinschaftsrecht hingegen fremd.375

bb) Kommission Analysiert man die Äußerungen der Kommission zu dieser Frage, ergibt sich ein ähnlicher Befund. Für den Bereich der Vermögensprivatisierung ließ sich zwar eine Diversifizierung des materiellen Modus erkennen.376 An der grundsätzlichen Präferenz der Kommission für ein Ausschreibungsverfahren hat dies jedoch nichts geändert. Die Kommission differenziert nach dem prozeduralen und dem materiellen Modus zur Ermittlung der angemessenen Gegenleistung: Es sei zu unterscheiden, ob der öffentliche Versorgungsauftrag i. R. e. Ausschreibung vergeben werde oder nicht.377 Unterbleibt eine Ausschreibung, so hat sich die Adäquanz des Ausgleichs an den Kosten, den Einnahmen sowie einer angemessenen Rendite zu messen.378 Diese Prüfung wird hingegen unnötig, wenn vor der Betrauung ein Ausschreibungsverfahren stattgefunden hat, das bestimmte Mindestvoraussetzungen erfüllt.379 Für den Bereich der Aufgabenprivatisierung hat sich die Kommission schon im Wettbewerbsbericht 1999 eindeutig für den prozeduralen Modus ausgesprochen. Die Unterstützung von Infrastrukturbetreibern durch die öffentliche Hand, die diese in die Lage versetze, eine bestimmte Dienstleistung anzubieten, stelle keine Beihilfe dar, „wenn diese Betreiber im Rahmen einer nicht diskriminierenden Ausschreibung, die allen bestehenden und potenziellen Bietern offen steht, ausgewählt wurden“380. 373 So i. R. v. Art. 86 Abs. 2 EGV a. F. (jetzt: Art. 106 Abs. 2 AEUV) auch EuG, Rs. T-17/02 (Olsen/Kommission), Slg. 2005, II-2031, Ziff. 238 f. Zustimmend insoweit Mestmäcker/Schweitzer, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Art. 86 Abs. 2, Rn. 211. 374 EuG, Rs. T-289/03 (BUPA u. a./Kommission), Slg. 2008, II-81, Rn. 245 ff. 375 GA Stix-Hackl, Schlussantr. zu Verb. Rs. C-34-38/01 (Enirisorse), Slg. 2003, I-14243, Ziff. 157. 376 s. o. Teil 2 B. III. 377 Vgl. Kommission, Non-Paper, Ziff. 83. 378 So schon Kommission, Non-Paper, Ziff. 90 ff.; präzisiert im Gemeinschaftsrahmen für staatliche Beihilfen, die als Ausgleich für die Erbringung öffentlicher Dienstleistungen gewährt werden, ABl. EG C 297 vom 29.11.2005, S. 4 (5 ff.). 379 Kommission, Non-Paper, Ziff. 84 ff. 380 Kommission, XXIX. Wettbewerbsbericht (1999), Ziff. 235. Kritisch zu dieser Kommissionspraxis schon vor Altmark Trans Bartosch, CML Rev. 39 (2002), 551 (565 f.).

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„Nach Ansicht der Kommission stellt eine solche Vorgehensweise die beste Möglichkeit dar, zu gewährleisten, daß die öffentliche Unterstützung dem Mindestbetrag entspricht, der für die Realisierung des Vorhabens benötigt wird, und auch den Marktpreis für die Durchführung des Projekts widerspiegelt. Liegt keine Ausschreibung vor, so kann die Kommission in Ausnahmefällen entscheiden, daß die Finanzierung durch die öffentliche Hand dem Marktpreis entspricht. Voraussetzung ist, daß die staatliche Unterstützung durch einen unabhängigen Sachverständigen ausgehend von allgemein anerkannten Marktindikatoren und Bewertungsmaßstäben mit dem Ergebnis geprüft wurde, daß sie dem für eine Dienstleistung oder Ware zu zahlenden Mindestpreis entspricht.“381

cc) Stellungnahme Eine allgemeine Pflicht zur Ausschreibung ergibt sich aus dem europäischen Beihilfenrecht nicht. Dagegen sprechen v. a. zwei systematische Argumente. Die Art. 107 ff. AEUV konstituieren zwar ein grundsätzliches,382 jedoch kein absolutes Verbot staatlicher Beihilfen. Sie werden lediglich einer umfassenden Kontrolle durch die Kommission unterstellt.383 Beihilfen i. S. d. Art. 107 Abs. 1 AEUV können gem. Art. 129 Abs. 2, 3 und Art. 106 Abs. 2 AEUV gerechtfertigt werden. Nicht jede tatbestandliche Beihilfe ist gleichzeitig eine verbotene Beihilfe. Die Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse haben insoweit eine Sonderrolle inne. Art. 106 Abs. 2 AEUV nimmt explizit auf sie Bezug und eröffnet eine eigene Rechtfertigungsmöglichkeit, die für andere staatliche Beihilfen nicht zur Verfügung steht. Beihilfen zugunsten von Unternehmen, die mit Gemeinwohlverpflichtungen betraut wurden, können gem. Art. 106 Abs. 2 AEUV gerechtfertigt werden, wenn sie das Beihilfenkontrollverfahren gem. Art. 130 Abs. 3 AEUV durchlaufen haben.384 Dieses Regel-Ausnahme-Verhältnis, welches der AEUV nicht nur für staatliche Beihilfen im Allgemeinen, sondern im Besonderen auch für staatliche Beihilfen zugunsten von DAWI vorsieht, würde durch eine allgemeine Ausschreibungspflicht gestört.385 Eine ordnungsgemäße Ausschreibung der Dienstleistung lässt den Beihilfentatbestand zwar entfallen. Es ist den Mitgliedstaaten aber grundsätzlich unbenommen, tatbestandliche Beihilfen zu vergeben, sofern diese ordnungsgemäß notifiziert und genehmigt sind. Es besteht keine Notwendigkeit, den Mitgliedstaaten diese Möglichkeit für einen Teilbereich zu verschließen. Dem steht nicht entgegen, dass der prozedurale Modus zur Vermeidung einer Überkompensation weitaus geeigneter ist als der materielle. Dank des Stillhalte381

Kommission, XXIX. Wettbewerbsbericht (1999), Ziff. 235. Cremer, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 87 EGV, Rn. 1. 383 Koenig/Kühling, in: Streinz, EUV/EGV, Art. 87 EGV, Rn. 4. 384 Koenig/Kühling, in: Streinz, EUV/EGV, Art. 87 EGV, Rn. 13. 385 Die Inkongruenzen, welche ein Ausschreibungspflicht verursachen würde, zeigt sich bspw. in der Annahme Rintelens, die Ausschreibung sei zwar grundsätzlich verpflichtend, aber unzulässig, wenn dadurch die Erbringung der DAWI effektiv vereitelt werde, Rintelen, Dienstleistungen, S. 167. 382

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gebots gem. Art. 108 Abs. 3 S. 3 AEUV gehen die Ungenauigkeiten zu Lasten von Beihilfengeber und -empfänger. Die Beihilfenmaßnahme darf erst im Anschluss an die Genehmigung wirksam werden. Neben der Regel-Ausnahme-Struktur der Art. 107 ff. AEUV spricht gegen eine allgemeine Ausschreibungspflicht auch ein Vergleich mit dem Vergaberecht. Sowohl das primäre als auch das sekundäre Vergaberecht sehen Ausnahmen bei den Ausschreibungspflichten vor.386 Dies ist einerseits darauf zurückzuführen, dass sich Fallgruppen finden lassen, bei denen eine Ausschreibung kein Mehr an Teilhabe bringen würde. Andererseits hatte besonders der Gemeinschaftsgesetzgeber bei der Festlegung der vergaberechtlichen Verfahrenspflichten die Transaktionskosten im Blick. Diese sollten nicht außer Verhältnis zum Beschaffungsvorgang stehen. Die Reichweite bzw. die Grenzen der vergaberechtlichen Ausschreibungspflichten sind im Bereich des Primärrechts nicht abstrakt-generell bestimmbar. Gerade für den Bereich der DAWI ergibt sich eine große Schnittmenge zwischen Vergabe- und Beihilfenrecht,387 da ein beträchtlicher Teil in Form von Dienstleistungskonzessionen vergeben wird. Insoweit ist es rechtspolitisch zweifelhaft, eine Ausschreibungspflicht durch die „beihilfenrechtliche Hintertür“ einzuführen.388 Bei der Vergabe öffentlicher Aufträge hat das Verfahren eine komplementäre Funktion. Wird ein Auftrag ohne Verfahren vergeben, lassen sich die Grundfreiheiten nicht effektivieren. Die gleiche Teilhabechance aller potenziellen Bieter ist nur auf dem Wege der Ausschreibung zu erreichen. Das beihilfenrechtliche Verfahren zur Vermeidung einer unangemessen hohen staatlichen Gegenleistung kompensiert hingegen lediglich die Unwägbarkeiten der materiellen Kostenanalyse. Dem prozeduralen Modus steht ein systematisch gleichwertiges, wenn auch im Einzelfall methodisch unterlegendes Pendant gegenüber. In Anbetracht der Verbindung von Vergabe- und Beihilfenregime beim Schutz des europäischen Binnenmarktes erscheint es daher unangemessen, dem Beihilfenrecht Ausschreibungspflichten zu entnehmen, die über die vergaberechtlichen hinausgehen. 4. Qualifiziertes Ausschreibungsverfahren in der Aufgabenprivatisierung Das qualifizierte Ausschreibungsverfahren in der Aufgabenprivatisierung dient dem gleichen Zweck wie das bei der Vermögensprivatisierung beschriebene. Es folgt daher grundsätzlich den gleichen Gesetzmäßigkeiten und unterscheidet sich lediglich in einigen Akzenten, auf die im Folgenden einzugehen ist. 386 Zu den Ausnahmen i. R. d. Primärvergaberechts s. o. Teil 2 A. VI. 4. d) aa) (2) (b). Zu den Ausnahmen im Sekundärvergaberecht vgl. bspw. Art. 31 RL 2004/18/EG. 387 Näher zur Konvergenz von Vergabe- und Beihilfenrecht u. Teil 2 B. VII. 388 Insoweit ihre Annahme einer allgemeinen Ausschreibungspflicht relativierend Britz, ZHR 169 (2005), 370 (402).

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a) Altmark-Kriterien und Ausschreibung Der inhaltlichen Ausgestaltung der Ausschreibung kommt bei der Aufgabenprivatisierung ein besonderes Gewicht zu. Bei der Vermögensprivatisierung steht das Privatisierungsobjekt fest. Dort wird i. d. R. allein die Gegenleistung gestaltbar sein. Bei der Aufgabenprivatisierung, insbesondere bei komplexen Infrastrukturprojekten, ist die öffentliche Stelle jedoch im Vorhinein kaum in der Lage, die gewünschte Leistung präzise zu beschreiben. Dies macht Verhandlungen mit den Bietern notwendig.389 Andererseits soll die Ausschreibung jedoch so detailliert sein, dass Marktteilnehmer das eigene Interesse an dem Auftrag einschätzen und ein sinnvolles Angebot abgeben können. Darüber hinaus dient das Ausschreibungsverfahren auch der Erfüllung der ersten drei Altmark-Kriterien.390 Den Anforderungen genügt es nämlich nicht, mithilfe eines Ausschreibungsverfahrens allein die Angemessenheit der Gegenleistung sicherzustellen und so eine Überkompensation auszuschließen (viertes Kriterium). Zum Ausschluss der Beihilfeneigenschaft von Ausgleichszahlungen fordert der EuGH auch eine Betrauung mit klar definierten Gemeinwohlpflichten (erstes Kriterium), die Transparenz und Objektivität der Ausgleichsparameter (zweites Kriterium) sowie die Einhaltung des Nettomehrkosten-Prinzips (drittes Kriterium).391 Die Leistungsbeschreibung in der Bekanntmachung muss daher die mit ihr verbundenen Gemeinwohlpflichten klar definieren und die Ausgleichsparameter enthalten.392 Für deren Objektivität und Transparenz leistet das Ausschreibungsverfahren Gewähr. Mit diesem Kriterium wollte der EuGH eine vorherige Fixierung der Ausgleichszahlungen erreichen und den nachträglichen Verlustausgleich unterbinden.393 Auch zur Erfüllung des Nettomehrkosten-Prinzips als 3. Kriterium trägt der prozedurale Modus entscheidend bei. Durch den offenen und nichtdiskriminierenden Wettbewerb sind die konkurrierenden Bieter nämlich gezwungen, sämtliche Vorteile und Einsparungen, welche die Aufgabenerfüllung für sie mit sich bringt, selbstständig und im eigenen Interesse einzupreisen. Andernfalls könnten sie nicht hoffen, ein konkurrenzfähiges Angebot abzugeben. Auch der angestrebte Gewinn kann so nicht über ein angemessenes, weil marktübliches Maß hinausgehen. Das offene und diskriminierungsfreie Bietverfahren sichert zusammenfassend nicht nur die Einhaltung des 4. Altmark-Kriteriums, indem es die Angemessen389

Koenig/Kühling/Scholz, in: Koenig/Kühling/Theobald, Infrastrukturförderung, Rn. 1/50. Auf diesen Zusammenhang weisen Koenig/Kühling/Scholz, in: Koenig/Kühling/Theobald, Infrastrukturförderung, Rn. 1/44 hin. 391 Rs. C-280/00 (Altmark Trans und Regierungspräsidium Magdeburg), Slg. 2003, I-7747, Rn. 8 8 ff. 392 Diesen Vorteil eines Ausschreibungsverfahrens sieht schon die Kommission, Non-Paper, Ziff. 89 (Spiegelstrich 2). 393 EuGH, Rs. C-280/00 (Altmark Trans und Regierungspräsidium Magdeburg), Slg. 2003, I-7747, Rn. 90. 390

VI. Prozeduraler Vergleichsmaßstab der Aufgabenprivatisierung

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heit der Gegenleistung sicherstellt. Darüber hinaus bietet ein regelkonformes Ausschreibungsverfahren die Möglichkeit, der Altmark-Rechtsprechung insgesamt gerecht zu werden.

b) Zuschlagskriterien Für die Vermögensprivatisierung fordert die Kommission die Veräußerung an den Meistbietenden.394 Nur der Bieter mit dem höchsten Gebot soll den Zuschlag erhalten. Es erscheint fraglich, ob sich dieses Kriterium für den Bereich der Aufgabenprivatisierung konsequent durchhalten lässt. Die Ausschreibungsobjekte können hier wesentlich komplexer sein. Ließe man allein den Preis als Zuschlagskriterium zu, würde dies eine derart detaillierte Leistungsbeschreibung voraussetzen, dass den Bietern keine Gestaltungmöglichkeiten blieben. Alternativ müssten diese unterschiedlichen Ausgestaltungen durch die Bieter bei der Zuschlagsentscheidung außen vor bleiben. Beide Möglichkeiten würden zu einer Rigidität des Ausschreibungsverfahrens führen, welche dem prozeduralen Modus Praktikabilität und damit Akzeptanz kosten würden. Die Komplexität der Ausschreibungsgegenstände kann es daher notwendig machen, den Zuschlag nicht automatisch dem Meistbietenden zuteilwerden zu lassen. Stattdessen ist auf das Kriterium des wirtschaftlichsten Angebots abzustellen.395 Demnach erhält das Angebot mit dem besten Preis-Leistungs-Verhältnis den Zuschlag. Dies gewährleistet auch den Gleichlauf der beihilfenrechtlichen Verfahrensanforderungen mit dem Vergaberecht,396 welches immer von diesem mehrdimensionalen Kriterium ausgeht.397

c) Zeitliche Begrenzung Die Vermögensprivatisierung hat naturgemäß permanenten Charakter. Demgegenüber erfordert die prozeduralisierte Aufgabenprivatisierung eine zeitliche Begrenzung, sofern es sich um eine Daueraufgabe handelt.398 Das öffentliche Ausschreibungsverfahren schafft einen künstlichen Markt nur unter den aktuellen Wettbewerbern und Wettbewerbsbedingungen. Eine zeitlich unbeschränkte Aufgabenprivatisierung würde diese Situation perpetuieren und den momentan besten Bieter dadurch begünstigen, dass er sich nicht auf veränderte Wettbewerbs- und 394 Abschnitt II Nr. 1 Grundstücksmitteilung; Kommission, XXIII. Wettbewerbsbericht (1993), Ziff. 402. 395 Koenig/Kühling/Ritter, EG-Beihilfenrecht, Rn. 103; Koenig/Kühling, NZBau 2003, 126 (129); a. A. wohl die Kommission, Non-Paper, Ziff. 87 f. 396 Hierzu sogleich Teil 2 B. VII. 3. 397 Vgl. nur Erwägungsgrund 46 und bspw. Art. 24 RL 2004/18/EG. 398 Zur zeitlichen Dimension prozeduraler Entscheidungen s. o. Teil 1 B. I. 1.

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Marktbedingungen einstellen muss. Diese Überlegung muss auf einem in Entwicklung begriffenen Binnenmarkt besonderes Gewicht haben. Märkte, auf denen z.Zt. noch kein europaweiter Wettbewerb stattfindet, können sich innerhalb weniger Jahre weiterentwickeln und grundlegend ändern.399 Die öffentliche Hand kann DAWI daher nicht endgültig auf Private übertragen.400

d) Verfahrensgestaltung Ein Verfahren, welches den dargestellten Anforderungen gerecht wird, könnte nach dem folgenden Schema ablaufen: Die Aufgabenprivatisierung wird durch Tageszeitungen oder amtliche Veröffentlichungsblätter so bekanntgemacht, dass alle potenziellen Interessenten davon erfahren können. Lässt sich aufgrund der Art oder des Wertes des Auftrags nicht ausschließen, dass Bieter aus anderen Mitgliedstaaten an der Ausschreibung teilnehmen wollen, ist europaweit bekanntzumachen. Interessenten werden aufgefordert, sich innerhalb einer bestimmten Frist um eine Teilnahme am Bietverfahren zu bewerben.401 Den ernsthaft in Frage kommenden Bietern wird eine ausführliche „Aufforderung zur Abgabe eines Angebotes“ überlassen. Diese enthält genaue Angaben zu Zuschlagsfrist und Zuschlagskriterien. Bei Letzteren muss klar sein, in welcher Reihenfolge und mit welchem Gewicht sie gewertet werden. Auch muss erkennbar sein, welche Angaben das Angebot zu enthalten hat.402 Die fristgemäß eingegangenen Angebote werden nach Ablauf der Angebotsfrist geöffnet und anhand der vorher festgelegten Kriterien bewertet. Das wirtschaftlichste Angebot erhält den Zuschlag.403

5. Fazit Die prozedurale Ermittlung einer angemessenen Gegenleistung für DAWI steht selbstständig neben der materiellen Ermittlung nach den Altmark-Kriterien. Das Ausschreibungsverfahren bietet den Vorteil, das zwischen den DAWI und dem Wettbewerbsprinzip bestehende Spannungsverhältnis aufzulösen. Die künstliche Schaffung eines Marktes führt zumindest auf der Anbieterseite zu Wettbewerb, aus dem sich die marktangemessene Gegenleistung ergibt. Eine Ausschreibungspflicht ist für die Aufgabenprivatisierung, wie schon bei der Vermögensprivatisierung, abzulehnen. Dies würde den Handlungsspielraum 399 Ähnlichen Überlegungen folgt auch die RL 2004/18/EG in Bezug auf die zeitlichen Begrenzungen von Rahmenvereinbarungen, vgl. Art. 32 Abs. 2 UAbs. 4. 400 Ähnlich Lipka, Beihilferechtliche Anforderungen, S. 111 f. 401 Eggers/Malmendier, NJW 2003, 780 (785). 402 Eggers/Malmendier, NJW 2003, 780 (785). 403 Eggers/Malmendier, NJW 2003, 780 (785).

VII. Konvergenz von Beihilfen- und Vergaberecht

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der Mitgliedstaaten erheblich einschränken und die Rechtfertigungsmöglichkeiten des AEUV negieren. Die Ausschreibung i. R. d. Aufgabenprivatisierung ist somit optional. Allerdings lassen sowohl die Rechtsprechung des Gerichtshofs als auch die Kommissionspraxis auf eine Präferenz für den prozeduralen Modus schließen. Ebenfalls der kompensatorischen Prozeduralisierung verpflichtet, folgt das beihilfenrechtskonforme Ausschreibungsverfahren der DAWI den gleichen Grundsätzen wie bei der Vermögensprivatisierung. Die Kompensationsfunktion kommt besonders in Bezug auf die Altmark-Kriterien zur Geltung, welche im Ausschreibungsverfahren aufgehen. Im Gegensatz zur Privatisierung staatlichen Vermögens lassen sich die Zuschlagskriterien bei der Aufgabenprivatisierung aufgrund der komplexen Privatisierungsobjekte nicht auf das höchste Gebot beschränken. Die Dauer der Aufgabenerfüllung ist zu befristen, um den Wettbewerb auf dem geschaffenen Markt nicht „einzufrieren“, sondern für eine Weiterentwicklung offenzuhalten.

VII. Konvergenz von Beihilfen- und Vergaberecht VII. Konvergenz von Beihilfen- und Vergaberecht

Die Ausschreibungsverfahren des Beihilfen- und Vergaberechts stehen nicht isoliert nebeneinander. Vielmehr ergibt sich eine Konvergenz von kompensatorischer und komplementärer Prozeduralisierung gerade für die Aufgabenprivatisierung. Das durchzuführende Verfahren dient einerseits der Einhaltung beihilfenrechtlicher Anforderungen des AEUV, andererseits der Verwirklichung der Grundfreiheiten i. S. e. gleichberechtigten Teilhabechance.

1. Verhältnis von Beihilfenrecht und Vergaberecht im AEUV Das Verhältnis der Art. 107 ff. AEUV zu den Grundfreiheiten und damit auch zum Gemeinschaftsvergaberecht ist noch nicht endgültig geklärt.404 In st.Rspr. geht der Gerichtshof von einer parallelen Anwendbarkeit des Beihilfenrechts und der Grundfreiheiten aus, nimmt also Idealkonkurrenz an.405 Art. 107 AEUV könne keinesfalls dazu dienen, den Vorschriften über den freien Warenverkehr ihre Wirkung zu nehmen. Beide Vorschriftenkomplexe verfolgten das gemeinsame Ziel, den freien Warenverkehr zwischen den Mitgliedstaaten unter unverfälschten Wettbewerbsbedingungen sicherzustellen. Auch wenn eine mit404 Oliver, Free movements of goods, Rn. 6, 31; Kingreen, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 28–30 EGV, Rn. 26. 405 EuGH, Rs. 18/84 (Kommission/Frankreich), Slg. 1985, 1339, Rn. 13; Rs. 103/84 (Kommission/Italien), Slg. 1986, 1759, Rn. 19; Rs. C-21/88 (Du Pont de Nemours Italiana), Slg. 1990, I-889, Rn. 20 f. Zustimmend Eilmansberger, WuW 2004, 384 (385).

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Teil 2, B. Beihilfenrecht

gliedstaatliche Maßnahme möglicherweise als Beihilfe einzuordnen sei, könne sie nicht vom Verbot des Art. 34 AEUV ausgenommen werden.406 Auch rechtmäßige Beihilfen können nach Ansicht des EuGH somit gegen die Grundfreiheiten verstoßen. Teilweise wird aus dieser Rechtsprechung auf einen Vorrang der Grundfreiheiten geschlossen. Durch eine kumulative Anwendung der Beihilfenvorschriften könnten die Grundfreiheiten sonst über Art. 107 Abs. 2 und 3 AEUV ausgehebelt werden.407 Zumeist wird das Beihilfenrecht als lex specialis für vorrangig gehalten.408 Andernfalls fänden die Ausnahmeregelungen der Art. 107 Abs. 2 und 3 AEUV keine Anwendung mehr. Auch würde das Zuständigkeitsgefüge zwischen Union und Mitgliedstaaten gestört.409 Das besondere Prüfverfahren des Beihilfenrechts liefe sonst ins Leere.410 In der Folge nimmt diese Ansicht Differenzierungen vor, um den Anwendungsbereich der Grundfreiheiten und des Beihilfenrechts abzugrenzen. Nach Pünder ist zwischen dem „Ob“ (Beihilfenregelung) und dem „Wie“ (konkrete Beihilfenmaßnahme) der Beihilfe zu unterscheiden. Hierbei soll das „Ob“ dem Beihilfenrecht, das „Wie“ hingegen den Grundfreiheiten unterfallen.411 Müller-Graff möchte die Grundfreiheiten zum Zuge kommen lassen, wenn es sich um „abtrennbare Beihilfemodalitäten“412 oder Maßnahmen handelt, welche nicht eindeutig als Beihilfen zu qualifizieren sind413. Zusammenfassend zeigt sich ein ungewisses Verhältnis von Beihilfen- und Vergaberecht.414 Die vereinzelt gebliebene Rechtsprechung des EuGH ist eher auf Ablehnung gestoßen. Jedoch sind die Abgrenzungsversuche im Schrifttum ebenfalls nur begrenzt geeignet, Rechtssicherheit zu schaffen. Gerade bei komplexen Priva406

EuGH, Rs. C-21/88 (Du Pont de Nemours Italiana), Slg. 1990, I-889, Rn. 20. Seifert, ZfA 2001, 1 (25 f.); a. A. Pünder, NZBau 2003, 530 (536). 408 Cremer, EuR 1996, 225 ff.; Cremer, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 87 EGV, Rn. 64; Leible, in: Grabitz/Hilf, EU, Art. 28–30 EGV, Rn. 49; Lipka, Beihilferechtliche Anforderungen, S. 185 ff.; Mederer, in: Groeben/Schwarze, EUV/EGV – Band 2, Art. 87 EGV, Rn. 10; Müller-Graff, in: Groeben/Schwarze, EUV/EGV – Band 1, Art. 28 EGV, Rn. 341 ff.; Pünder, NZBau 2003, 530 (535 f.) jew. m.w.N und unter Berufung auf EuGH, Rs. 74/76 (Iannelli & Volpi), Slg. 1977, 557. Für eine „Schwerpunktbildung“ Frenz, Handbuch Europarecht III, Rn. 9 ff. 409 Cremer, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 87 EGV, Rn. 64. 410 Pünder, NZBau 2003, 530 (536). 411 Pünder, NZBau 2003, 530 (536). Problematisch ist hierbei, dass für das „Ob“ auf den Zweck der Beihilfe abzustellen sein wird. Nach ganz h. M. ist für den Beihilfencharakter aber lediglich die Wirkung, nicht der Zweck der Maßnahme entscheidend (Koenig/Kühling/Ritter, EG-Beihilfenrecht, Rn. 69 m. w. N.). 412 Müller-Graff, in: Groeben/Schwarze, EUV/EGV – Band 1, Art. 28 EGV, Rn. 343; ähnlich Leible, in: Grabitz/Hilf, EU, Art. 28–30 EGV, Rn. 49; Koenig/Kühling, in: Streinz, EUV/EGV, Art. 87 EGV, Rn. 22. 413 Müller-Graff, in: Groeben/Schwarze, EUV/EGV – Band 1, Art. 28 EGV, Rn. 344. 414 Zum Ganzen auch Lipka, Beihilferechtliche Anforderungen, S. 180 ff. 407

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tisierungsgegenständen dürfte es schwer fallen, abtrennbare Modalitäten zu isolieren und an den Grundfreiheiten oder den Art. 107 ff. AEUV zu messen. In der Praxis müssen öffentliche Auftraggeber daher andere Wege suchen, um Rechtssicherheit zu erreichen. Die dargestellte Normenkonkurrenz wird erst virulent, wenn tatbestandlich eine Beihilfe vorliegt.415 Wo Schnittmengen zwischen dem Beihilfen- und dem Vergaberecht bestehen, stellt die Durchführung eines öffentlichen Ausschreibungsverfahrens sowohl vergabe- wie auch beihilfenrechtlich die sicherste Wahl dar. Jedoch kann nicht in allen Fällen von einer Verpflichtung zur Ausschreibung ausgegangen werden.416

2. Schnittmengen a) Vermögensprivatisierung Die Vermögensprivatisierung weist in der Sache nur geringe Überschneidungen mit dem Vergaberecht auf. Regelmäßig fehlt es hier an einem öffentlichen Auftrag, sodass das Vergaberecht gar nicht einschlägig ist.417 Die Schnittmenge könnte jedoch durch die aktuelle Tendenz in der Rechtsprechung mancher Oberlandesgerichte erheblich erweitert werden. Mehrere Obergerichte haben in jüngster Zeit für Fälle der Vermögensprivatisierung eine vergaberechtliche Ausschreibungspflicht angenommen:418 „Ein Grundstücksveräußerungsvertrag, der eine Bebauungsverpflichtung des Erwerbers nach im notariellen Vertrag verabredeten Erfordernissen des öffentlichen Auftraggebers enthält, ist jedenfalls dann als öffentlicher Bauauftrag zu qualifizieren, wenn die gestellten Erfordernisse über die Festlegungen in einem bestehenden Bebauungsplan hinausgehen. Dabei ist unerheblich, ob vom Auftraggeber wesentliche oder nur nebensächliche Erfordernisse gestellt werden. Ebenso wenig ist darauf abzustellen, ob die Baumaßnahme nach von dem öffentlichen Auftraggeber aufgestellten Plänen verwirklicht werden soll. Es genügt eine Herstellung nach den vom Auftraggeber gebilligten Plänen.“419

Diese Rechtsprechung erscheint bedenklich. Ohne erkennbare Notwendigkeit legt sie den Anwendungsbereich des Sekundärvergaberechts für Baukonzessionen extensiv aus.

415

Eilmansberger, WuW 2004, 384 (385). Zum Vergaberecht o. Teil 2 A. VI. 4. d) aa) (2) (b) und zum Beihilfenrecht o. Teil 2 B. VI. 3. 417 Endler, NZBau 2002, 125 (132 f.); Müller/Brauser-Jung, NVwZ 2007, 884 (885) m. w. N. Zu den Voraussetzungen eines öffentlichen Auftrags für das primäre Vergaberecht vgl. o. Teil 2 A. VI. 4. a) aa). 418 OLG Düsseldorf, NZBau 2007, 530; OLG Düsseldorf, NZBau 2008, 138. Diesem folgend OLG Bremen, IBR 2008, 287; OLG Karlsruhe, NZBau 2008, 537. 419 OLG Düsseldorf, NZBau 2008, 138, Leitsatz 2. 416

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Die Relation von Vergabe- und Beihilfenrecht i. R. d. Vermögensprivatisierung verschwimmt damit. Grundstücksverkäufe, die beihilfenrechtlich einer Ausschreibung zwar zugänglich sind, aber nach hier vertretener Ansicht keiner Ausschreibungspflicht unterliegen, werden vergaberechtlich ausschreibungspflichtig. I. E. sehen die Oberlandesgerichte einen öffentlichen Auftrag schon als gegeben an, wenn die veräußernde staatliche Stelle die Pläne des Erwerbers für die Grundstücksverwendung billigt. Eine einklagbare Bauverpflichtung wird nicht vorausgesetzt.420 Es fragt sich, ob diese Rechtsprechung die komplementäre Prozeduralisierung nicht überdehnt. Sie bewegt sich nämlich nicht i. R. d. oben dargestellten Primärvergaberechts, sondern befasst sich mit der sekundärrechtlich ausgestalteten Baukonzession.421 Die Veräußerung von Grundstücken i. R. e. öffentlichen Ausschreibung steigert zwar die Transparenz und erschwert Diskriminierungen. Ein Grundstücksverkauf, welcher eine – per se diskriminierungsfreie – grundstücksbezogene Bedingung beinhaltet, kann jedoch nicht allein deswegen als Baukonzession betrachtet werden. Der Schwerpunkt des Transaktionsgeschäftes liegt bei der Vermögensprivatisierung.422 Hier ist die Flexibilität und Steuerungswirkung der öffentlichen Hand schon dadurch eingeschränkt, dass das Geschäft nicht wiederholbar ist. Das konkrete Privatisierungsobjekt kann der Staat nur einmal veräußern. Es erscheint daher überzogen, aufgrund von Nebenaspekten der Transaktion eine Ausschreibungspflicht zu konstituieren. Hier wird die weitere Entwicklung in der Rechtsprechung abzuwarten sein.

b) Aufgabenprivatisierung Eine enge Beziehung besteht jedoch zwischen der Aufgabenprivatisierung und dem Vergaberecht. Die Übertragung von DAWI auf Private stellt sich meist als Dienstleistungsauftrag oder Dienstleistungskonzession dar.423 Vergütet der Staat den privaten Aufgabenerbringer direkt, so handelt es sich um einen Liefer-, Dienstleistungs- oder Bauauftrag. Trägt der Private jedoch das wirtschaftliche Nutzungsrisiko und erhält als Gegenleistung das Nutzungsrecht – ggf. zuzüglich notwendiger Ausgleichszahlungen – so handelt es sich um eine Dienstleistungskonzession. Der geldwerte Vorteil ist hier im Recht zur Verwertung der konzessionierten Leistung zu sehen.424 Gleichzeitig bieten sich öffentliche Aufträge als Form der Subventionierung von Unternehmen an.425 Bei jedem öffentlichen Auftrag kommt es zum Transfer eines 420 OLG Düsseldorf, NZBau 2008, 138 (139). Kritisch Kühling, JZ 2008, 1117 ff.; Losch, ZfBR 2008, 341 (344). 421 Vgl. Art. 56 ff. RL 2004/17/EG. 422 Auf die kommunale Planungshoheit abstellend Kühling, JZ 2008, 1117 (1122 ff.). 423 Beispiele bei Endler, NZBau 2002, 125 ff. 424 Schimanek, NZBau 2005, 304 (305). 425 Lipka, Beihilferechtliche Anforderungen, S. 22 f.

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wirtschaftlichen Vorteils.426 Erhält ein Unternehmen für öffentliche Aufträge ein überhöhtes Entgelt, so ist es gegenüber Mitbewerbern begünstigt.

c) Beschaffungsfremde Kriterien In besonderer Weise überschneiden sich die Regelungsbereiche von Vergabeund Beihilfenrecht bei der Kontrolle sog. beschaffungsfremder Kriterien.427 Die Förderung durch beschaffungsfremde Kriterien wird als „Hybrid zwischen Beihilfen- und Auftragsvergabe“428 bezeichnet. Die öffentliche Hand kann bei der Beschaffung eine Vielzahl von Sekundärzwecken verfolgen.429 Regelmäßig wird es sich um soziale Belange430 oder solche des Umweltschutzes431 handeln. Die Einbeziehung derartiger Kriterien in die Leistungsbeschreibung wirft sowohl für das Vergabe- als auch für das Beihilfenrecht Fragen auf.

aa) Vergaberechtliche Zulässigkeit Mit dem Urteil Concordia hat der EuGH die Berücksichtigung politischer Ziele bei der Vergabe öffentlicher Aufträge grundsätzlich anerkannt.432 Jedoch darf der öffentliche Auftraggeber nicht jedes beliebige Zuschlagskriterium heranziehen. Nach den Vorgaben der Concordia-Entscheidung müssen Zuschlagskriterien, die beschaffungsfremde Zwecke verfolgen, bestimmte Voraussetzungen erfüllen: (1) Es kommen nur Kriterien in Betracht, die der Ermittlung des wirtschaftlich günstigsten Angebots dienen. Da die Angebote sich auf den Auftragsgegenstand beziehen, muss dies auch für die Zuschlagskriterien gelten (sog. Konnexität).433 (2) Kein Zuschlagskriterium darf dem Auftraggeber eine uneingeschränkte Entscheidungsfreiheit einräumen.434 (3) Die Kriterien müssen unter Beachtung aller einschlägigen Verfahrensvorschriften, v. a. der Publizitätserfordernisse, angewendet werden.435 426

Kaelble, in: Müller-Wrede, Kompendium, Rn. 32–1. Kritisch zum Begriff Kühling, VerwArch 2004, 337 (153) m. w. N. 428 Bultmann, Beihilfenrecht, S. 95. 429 Eine Klassifikation findet sich bei Schardt, Öffentliche Aufträge, S. 34 ff. 430 Hierzu etwa Frenz, NZBau 2007, 17 ff. Besondere Probleme bereiten derzeit die Tariftreueerklärungen, vgl. EuGH, Rs. C-346/06 (Rüffert), Slg. 2008, I-1989 sowie allg. Beckmann, in: Müller-Wrede, Kompendium, Rn. 12–8 ff. 431 Zu diesen Cremer, ZUR 2003, 265 ff.; Kühling, VerwArch 2004, 337 ff. 432 EuGH, Rs. C-513/99 (Concordia Bus Finland), Slg. 2002, I-7213, Rn. 53 ff. Zur vorhergehenden Rspr. vgl. Bultmann, Beihilfenrecht, S. 97 ff. 433 EuGH, Rs. C-513/99 (Concordia Bus Finland), Slg. 2002, I-7213, Rn. 59. 434 EuGH, Rs. C-513/99 (Concordia Bus Finland), Slg. 2002, I-7213, Rn. 61. 435 EuGH, Rs. C-513/99 (Concordia Bus Finland), Slg. 2002, I-7213, Rn. 62. 427

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(4) Alle wesentlichen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts, v. a. das Diskriminierungsverbot, welches aus den Grundfreiheiten folgt, müssen beachtet werden.436 Bei den ersten beiden Punkten handelt es sich um materiell-rechtliche Voraussetzungen. Zunächst muss das Zuschlagskriterium einen Zusammenhang mit dem Auftragsgegenstand aufweisen.437 Dieses Konnexitätserfordernis hat nunmehr auch Aufnahme in das sekundäre Vergaberecht gefunden, Art. 53 Abs. 1 lit. a RL 2004/18/EG und Art. 55 Abs. 1 lit. a RL 2004/17/EG. Demzufolge hängt die Festlegung der Kriterien insofern vom Auftragsgegenstand ab, als sie es ermöglichen müssen, das Leistungsniveau jedes einzelnen Angebots im Verhältnis zu dem in den technischen Spezifikationen beschriebenen Auftragsgegenstand zu bewerten sowie das Preis-Leistungs-Verhältnis jedes Angebots zu bestimmen.438 Unzulässig ist es demnach, den Zuschlag von der Fähigkeit, Ökostrom auch über die zu beschaffende Menge hinaus zu liefern, abhängig zu machen.439 Denn diese Bedingung weist keine Verbindung mit dem Beschaffungsgegenstand auf. Aus dem Zuschlagskriterium resultiert keine Manipulationsmöglichkeit des Auftraggebers, wenn dieses hinreichend bestimmt ist und die Gewichtung der Kriterien vorher festgelegt wird.440 Die dritte Bedingung verwirklicht die komplementäre Prozeduralisierung des Vergaberechts. Eine Verzerrung des Bieterwettbewerbs durch das beschaffungsfremde Zuschlagskriterium lässt sich durch eine transparente Vergabeweise vermeiden. Insoweit hat der EuGH keine Sonderregelungen für vergabefremde Zuschlagskriterien geschaffen, sondern lediglich den bestehenden Vergaberechtsgrundsatz der Transparenz angewendet. Gleiches gilt für die Anforderungen an die Diskriminierungsfreiheit des Kriteriums. Bei Einhaltung dieser materiellen und prozeduralen Bedingungen ist die Verbindung der Vergabe öffentlicher Aufträge mit politisch motivierten Zusatzkriterien sekundärvergaberechtlich grundsätzlich unbedenklich.441 Nichts anderes kann auch für das Primärvergaberecht gelten, welches in seinen Anforderungen hinter den Vergaberichtlinien zurückbleibt.442

436

EuGH, Rs. C-513/99 (Concordia Bus Finland), Slg. 2002, I-7213, Rn. 63. EuGH, Rs. C-513/99 (Concordia Bus Finland), Slg. 2002, I-7213, Rn. 59; Rs. C-448/01 (EVN und Wienstrom), Slg. 2003, I-14527, Rn. 37 ff. 438 Erwägungsgrund 55 der RL 2004/17EG. 439 EuGH, Rs. C-448/01 (EVN und Wienstrom), Slg. 2003, I-14527, Rn. 67 f. 440 Beckmann, in: Müller-Wrede, Kompendium, Rn. 12–27. 441 I. E. ebenso Eilmansberger, WuW 2004, 384 (386); Frenz, NZBau 2007, 17 ff.; Kühling, VerwArch 2004, 337 (340 ff.); Ziekow, Vergabefremde Kriterien, in: Pitschas/Ziekow (Hrsg.), Vergaberecht im Wandel, S. 151 ff. Umfassend zum Ganzen Benedict, Sekundärzwecke, 2000; Bultmann, Beihilfenrecht, 2004; Steinberg, Vergaberechtliche Steuerung, 2005. 442 s. o. Teil 2 A. VI. 4. a) dd). 437

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bb) Beihilfenrechtliche Zulässigkeit Die beihilfenrechtliche Behandlung beschaffungsfremder Zwecke ist noch mit Unsicherheiten behaftet. Teilweise fürchtet man auf einem „Pulverfass“443 zu sitzen. Diese Überlegungen beruhen auf dem Gedanken, dass der öffentliche Auftraggeber für die mit beschaffungsfremden Zwecken beladene Leistung einen marktunüblichen, überhöhten Preis zahlt. Soziale, kulturelle oder sonstige politische Ziele seien aber i. R. v. Art. 107 Abs. 1 AEUV nicht berücksichtigungsfähig.444 Das beauftragte Unternehmen erhalte nicht für seine Leistung, sondern für die Verwirklichung politischer Ziele eine Gegenleistung.445 Weiter beruft sich dieser T. d. L. auf den MEIT. Ein privater Wirtschaftsteilnehmer würde keinen erhöhten Preis für die Erreichung allgemeinpolitischer Ziele akzeptieren. Dieser Gedanke sei auf die Durchführung eines Bietverfahrens zur Überprüfung der Gleichwertigkeit von Leistung und Gegenleistung zu übertragen. Daher dürften „in der Wertungsstufe lediglich Wirtschaftlichkeitsüberlegungen angestellt werden“446. Diese Ansicht verkennt jedoch die Eigenständigkeit des prozeduralen Modus. MEIT und Ausschreibungsverfahren unterscheiden sich gerade in der eingenommenen Perspektive. Während der MEIT untersucht, ob sich die staatliche Stelle wie ein privater Investor verhalten hat, überprüft der prozedurale Modus die Stellung des privaten Anbieters. Muss er sich auf dem – künstlich geschaffenen – Markt gegenüber seinen Konkurrenten behaupten, schließt der Wettbewerbsdruck eine Überkompensation aus. Dies gilt ohne Abstriche auch für Aufträge, die mit beschaffungsfremden Zielen aufgeladen sind. I.d.R. wird solch eine Leistung nicht nur mit einem höheren Aufwand verbunden sein.447 Auch sonst ergibt sich keine Begünstigung aus der Tatsache, dass ein Bieter die Leistung bspw. sozialverträglicher oder umweltschonender zu erbringen vermag als ein Konkurrent. Eine Gewinnerhöhung ist damit nicht automatisch verbunden. Im Gegenteil wird eine unangemessene Kompensation durch den Ausschreibungswettbewerb gerade ausgeschlossen.448 Daneben dürfte sich eine Überkompensation auch nicht durch ein Sachverständigengutachten ausschließen lassen. Denn die Kosten zur Einhaltung der beschaffungsfremden Vorgaben werden stark von den Voraussetzungen beim jeweiligen Bieter abhängen. Eine Prognose der objektiven Kosten anhand anerkannter Methoden dürfte i. d. R. ausscheiden. Damit hat das Ausschreibungsverfahren hier eine 443 Bartosch, EuZW 2001, 229. Gegen eine Anwendung des Beihilfenrechts jedoch Fischer, EuZW 2004, 492 (495). 444 Bartosch, EuZW 2001, 229 (231); Dreher/Haas/Rintelen, Vergabefremde Regelungen, S. 30 ff. 445 Schardt, Öffentliche Aufträge, S. 193 ff. 446 Dippel/Zeiss, NZBau 2002, 376 (377). 447 Eilmansberger, WuW 2004, 384 (387). 448 So auch Cremer, ZUR 2003, 265 (267); Eilmansberger, WuW 2004, 384 (387 f.); i. E. zustimmend Jennert, NZBau 2003, 417 (419).

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Alleinstellungsfunktion. Weder der MEIT noch ein Sachverständigengutachten können zur Ermittlung der angemessenen Gegenleistung herangezogen werden. Eine Vergabe unter Einbeziehung beschaffungsfremder Zwecke, die den vergaberechtlichen Anforderungen genügt, ist somit auch beihilfenrechtlich unbedenklich.

cc) Ergebnis Die Doppelfunktion des Ausschreibungsverfahrens zeigt sich bei öffentlichen Aufträgen i. V. m. beschaffungsfremden Zwecken in besonderem Maße. Es trägt einerseits zur transparenten und diskriminierungsfreien Auftragsvergabe bei und verhindert andererseits eine Begünstigung des Auftragnehmers. Gerade bei öffentlichen Aufträgen, die gleichzeitig politischen Zwecken dienen sollen, ist eine Ausschreibung daher unumgänglich. Dies ergibt sich nicht nur aus bestehenden vergaberechtlichen Ausschreibungspflichten. Beihilfenrechtlich bleibt das Ausschreibungsverfahren die einzige Möglichkeit, wenn der materielle Modus im jeweiligen Einzelfall nicht durchführbar ist.

3. Konvergenz Abschließend ist auf die hohe Konvergenzleistung des Ausschreibungsverfahrens einzugehen: Die komplementäre Prozeduralisierung im Vergaberecht und die kompensatorische Prozeduralisierung im Beihilfenrecht folgen nahezu identischen Vorgaben. Im Beihilfenrecht ist der prozedurale Modus Mittel zum Zweck, um die Angemessenheit der Gegenleistung zu verifizieren. Das vergaberechtliche Ausschreibungsverfahren hingegen ist für die Verwirklichung der Grundfreiheiten unabdingbar. Die Nähe der Verfahren äußert sich in der weit gehenden Parallelität ihrer bestimmenden Grundsätze.449 Beide werden insbesondere von den Prinzipien der Transparenz und der Gleichbehandlung geprägt. Dies ermöglicht einen integrierten prozeduralen Ansatz im Europäischen Binnenmarktrecht. Der materielle Modus der Beihilfenkontrolle gerät hierdurch noch weiter ins Hintertreffen. Sowohl die öffentliche Auftragsvergabe als auch Privatisierungen müssen diskriminierungsfrei gestaltet sein. Dabei sind auch die Anforderungen des Transparenzgrundsatzes zu beachten. Dieser erfordert eine hinreichende Publizität der Transaktion. Darüber hinaus müssen die Bieter über ausreichende Informationen verfügen, um sinnvoll Angebote abgeben zu können.

449

Koenig/Kühling, NVwZ 2003, 779 (780).

VII. Konvergenz von Beihilfen- und Vergaberecht

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Einer differenzierteren Betrachtung bedarf der Wettbewerbsgrundsatz: Seine grundlegende Bedeutung für die kompensatorische Prozeduralisierung des Beihilfenrechts wurde bereits deutlich gemacht. Nur im Wettbewerb kann sich die Äquivalenz von Leistung und Gegenleistung erweisen. Der Wettbewerb gehört damit zu den bestimmenden Strukturmerkmalen des beihilfenrechtlichen Ausschreibungsverfahrens. Auch das Sekundärvergaberecht kennt den Wettbewerbsgrundsatz. Es dient nicht allein der Verwirklichung des Binnenmarktes, sondern auch der kostengünstigen Beschaffung durch die Mitgliedstaaten. Daher bezweckt auch das sekundärvergaberechtliche Ausschreibungsverfahren – wie es in den §§ 97 ff. GWB und den Verdingungsordnungen umgesetzt ist – einen Wettbewerb, welcher die günstigste Beschaffungsmöglichkeit offenbart. Im Gegensatz dazu wäre es verfehlt, das primärvergaberechtliche Verfahren wettbewerblich aufzuladen. Die Mindestanforderungen, welche den Grundfreiheiten außerhalb der Vergaberichtlinien zu entnehmen sind, sollen den diskriminierenden Ausschluss vom Markt der öffentlichen Auftragsvergabe durch die Mitgliedstaaten verhindern. Die Entstehung echten Wettbewerbs ist hierfür weder faktisch noch normativ notwendig, auch wenn sie i. d. R. die Folge sein wird. Das Primärvergaberecht schützt nicht den Wettbewerb an sich, sondern lediglich den Wettbewerber. Allerdings ist gerade die Schnittmenge zwischen dem Beihilfenrecht und dem Primärvergaberecht besonders groß. Die Privatisierung der Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse findet vielfach in Form von Dienstleistungskonzessionen statt. Diese unterfallen jedoch nicht dem sekundären Vergaberecht. Der öffentliche Auftraggeber ist damit nicht an die Verfahren der Vergaberichtlinien gebunden. Gleichzeitig sind die beihilfenrechtlichen Anforderungen an derartige Privatisierungen hoch, besteht doch hier in besonderem Maße die Gefahr einer Überkompensation. Zu Recht wird daher eine ungenügende einfachrechtliche Durchdringung dieses Bereichs bemängelt.450 De lege lata wird sich diese Differenzierung jedoch kaum auf die Verfahrensgestaltung auswirken. Die transparente Vergabe setzt einen vergleichbaren Grad an Publizität voraus, wie die Ausschreibung zur Herstellung von Wettbewerb. Gerade bei der Vergabe von Dienstleistungskonzessionen wird daher auf eine ausreichende Bekanntmachung zu achten sein. De lege ferenda wäre eine nähere Ausgestaltung der Dienstleistungskonzessionen bzw. der DAWI-Vergabe erstrebenswert. Dies würde nicht nur dogmatische Unschärfen beseitigen helfen, sondern der weiterhin schütteren Rechtssicherheit auf diesem Gebiet einen tragfähigen Boden geben.

450

Vgl. Aumont/Kaelble, NZBau 2006, 280 ff., die sich für die Normierung der DAWI-Vergabe unabhängig von der vergaberechtlichen Form aussprechen. Für eine (zurückhaltende) Normierung auch Kühling, JZ 2008, 1117 (1123 f.).

298

Teil 2, B. Beihilfenrecht

VIII. Zusammenfassung VIII. Zusammenfassung

Die kompensatorische Prozeduralisierung tritt im Beihilfenrecht besonders klar zutage, wo der Staat ein Austauschverhältnis mit Privaten eingeht. Allerdings ist sie, im Gegensatz zur komplementären Prozeduralisierung im vorherigen Abschnitt nicht obligatorisch. Dies ließ sich sowohl für die Vermögens- als auch für die Aufgabeprivatisierung zeigen. Eine Begünstigung des Empfängers ist auszuschließen, wenn das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung angemessen ist. Dies kann mithilfe materieller oder prozeduraler Modi ermittelt werden. Bei der Vermögensprivatisierung kommen die materiellen Methoden des Market Economy Investor Test (MEIT) oder eines Sachverständigengutachtens zum Einsatz. Aufgrund der erforderlichen komplexen wirtschaftlichen Erwägungen weist der MEIT sowohl für die staatliche Stelle als auch für den potenziell Begünstigten eine hohe Rechtsunsicherheit auf. Sachverständigengutachten sind in ihrem Prüfungsumfang begrenzt und setzen eine Vergleichbarkeit des Privatisierungsobjektes voraus. Sie können den Nachweis der Angemessenheit von Leistung und Gegenleistung ebenfalls nicht sicher erbringen. Mittel der Wahl bei der Vermögensprivatisierung ist somit das Ausschreibungsverfahren als prozeduraler Vergleichsmaßstab. Es kommt sowohl bei Grundstücksverkäufen als auch bei Unternehmensprivatisierungen zur Anwendung. Eine beihilfenrechtliche Ausschreibungspflicht besteht hingegen nicht. Das Ausschreibungsverfahren hat den Grundsätzen des Wettbewerbs, der Transparenz sowie der Nichtdiskriminierung zu genügen. Die Veräußerung im Wettbewerb ist öffentlich bekanntzumachen. Eine Veräußerung im Wege der gezielten Kontaktaufnahme mit potenziellen Bietern ist hingegen notifizierungspflichtig. Eine transparente Ausschreibung setzt gleiche Information aller potenziellen Bieter und eine ausreichende Frist zur Angebotsvorbereitung voraus. Die Ausschreibung kann Veräußerungsbedingungen enthalten, sofern diese nicht zu einer Beschränkung des Bieterkreises führen und keine diskriminierende Wirkung entfalten. Potentielle Bieter, die über nicht auszugleichende Informationsvorteile verfügen, sind von der Ausschreibung auszuschließen. Der Zuschlag hat an den Meistbietenden zu erfolgen. Die Aufgabenprivatisierung hat Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse gem. Art. 14, 106 Abs. 2 AEUV zum Gegenstand. Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse nehmen eine Sonderstellung im europäischen Binnenmarkt ein. Die materielle Ermittlung der angemessenen Gegenleistung beruht auf den Altmark-Trans-Kriterien. Ausgleichszahlungen sind auf die erforderlichen Mehrkosten des betrauten Unternehmens, einschließlich eines angemessenen Gewinns und abzüglich der Einnahmen und sonstigen Vorteile, zu begrenzen (Nettomehrkostenprinzip). Es gilt ein objektiver Kostenmaßstab: Nur solche Kosten sind zu erstatten, die einem durchschnittlichen, gut geführten

VIII. Zusammenfassung

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Unternehmen entstanden wären. Die Einhaltung dieser materiellen Kriterien setzt allerdings entsprechende Vergleichswerte voraus. Sind derartige Werte nicht zu ermitteln, geht von der Ermittlung der objektiven Kosten erhebliche Rechtsunsicherheit aus. Die prozedurale Ermittlung der angemessenen Gegenleistung erfolgt in einem Ausschreibungsverfahren. Der prozedurale Modus schließt selbstständig eine Begünstigung des erfolgreichen Bieters aus. Er löst den Konflikt zwischen den DAWI und dem Wettbewerbsprinzip des Binnenmarktes auf, indem er Wettbewerb herstellt und die DAWI für den Binnenmarkt öffnet. Eine beihilfenrechtliche Ausschreibungspflicht besteht hingegen nicht. Das Ausschreibungsverfahren bei der Aufgabenprivatisierung hat den gleichen Anforderungen zu entsprechen wie bei der Vermögensprivatisierung. Es umfasst funktionell alle vier Altmark-TransKriterien. Neben dem höchsten Gebot kommt auch das wirtschaftlichste Angebot als Zuschlagskriterium in Betracht. Das europäische Vergabe- und das Beihilfenrecht weisen eine hohe Konvergenz auf. Schnittmengen ergeben sich sowohl bei der Vermögens- als auch bei der Aufgabenprivatisierung. Komplementäre und kompensatorische Prozeduralisierung stehen in dieser Schnittmenge nebeneinander. Das Verhältnis der beiden Rechtsmaterien im AEUV ist unklar. Die Durchführung eines Ausschreibungsverfahrens verhindert insoweit aber Rechtsunsicherheit. I. R. d. Vermögensprivatisierung fordert ein T. d. deutschen Rspr. erweiterte Ausschreibungspflichten für Grundstücksverkäufe. Dies ist jedoch abzulehnen. Bei der Aufgabenprivatisierung läuft die Ausschreibung von DAWI und öffentlichen Aufträgen parallel. Beschaffungsfremde Kriterien bei der Auftragsvergabe führen, neben der vergaberechtlichen, zu einer beihilfenrechtlichen Ausschreibungspflicht. Die Prozeduralisierung im Vergabe- und im Beihilfenrecht weist eine hohe Konvergenz auf. Sowohl die komplementäre als auch die kompensatorische Prozeduralisierung unterliegen dem Transparenz- und dem Gleichbehandlungsgrundsatz. Der Wettbewerbsgrundsatz ist allein i. R. d. kompensatorischen Prozeduralisierung zu beachten.

Ergebnisse Ergebnisse Teil 1 A. Der Prozeduralisierung im Recht geht die Prozeduralisierung des Rechts voraus. Letzere findet ihren theoretischen Nährboden in den prozeduralen Gerechtigkeitstheorien. Reine Verfahrensgerechtigkeit, die ohne Rückgriff auf materielle Kriterien auskommt, lässt sich nach Rawls’ „Theorie der Gerechtigkeit“ nur auf der hypothetischen Ebene des Urzustandes erreichen. Dort lassen sich (materielle) Gerechtigkeitsprinzipien destillieren. Auf den darunterliegenden Stufen der Verfassung- und Gesetzgebung sowie konkreter Einzelfallentscheidungen ist jeweils auf die inhaltlichen Ergebnisse der höheren Stufe zurückzugreifen. Dergestalt lässt sich unvollkommene Verfahrensgerechtigkeit erreichen. Nach der „Theorie der juristischen Argumentation“ Alexys ist der Entscheidungsspielraum, welchen die einfachgesetzlichen Regeln schaffen, unter Beachtung der verfassungsrechtlichen Prinzipien auszufüllen. Die dabei stattfindenden realen Diskurse sind dem idealen Diskurs weitest gehend anzunähern. Verfahren dienen auch der Steigerung gesellschaftlicher Akzeptanz und hierdurch der Legitimation der Rechtsordnung. Allein damit tragen sie jedoch nicht per se zur Legitimität von Einzelfallentscheidungen bei. Soweit sich das Verwaltungsverfahren nicht im bloßen Gesetzesvollzug erschöpft, sondern finale Rechtssätze ausfüllt, spielen die Grundrechte für die Legitimität des Verfahrens eine eigenständige Rolle. Ausgehend von der autonomen Bedeutung rechtlicher Verfahren für die Ermittlung richtiger Ergebnisse, ist zwischen materiellem und prozeduralem Recht zu differenzieren. Während materielles Recht Vorgaben für das Ergebnis bereithält, regelt das prozedurale Recht die Entscheidungsweise. Der Übergang zwischen diesen beiden Kategorien ist jedoch fließend. Rechtsnormen können gleichzeitig materiellen und prozeduralen Gehalt aufweisen. Prozedurales Recht ist nicht auf formelles Verfahrensrecht beschränkt. Es umfasst alle Kompetenz-, Organisations- und Verfahrensnormen, die dem Auffinden eines gerechten und legitimen Ergebnisses dienen. Prozedurales Recht kann eine komplementäre und eine kompensatorische Funktion erfüllen. Die komplementäre Prozeduralisierung manifestiert sich im Verfahrensgehalt subjektiver Rechte. Die Träger dieser Rechte können sich nicht allein auf deren materielle Abwehr- oder Schutzgehalte,1 sondern auch auf ihre Verfahrensdimension2 berufen. Die kompensatorische Prozeduralisierung kommt zum 1 2

Dazu u.Teil 1 B. II. 1. und 2. sowie Teil 2 A. II. 1. und 2. Bzgl. der Grundrechte s. Teil 1 B. II. 3. und der Grundfreiheiten s. Teil 2 A. II. 3.

Ergebnisse

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Tragen, wenn materielle Maßstäbe fehlen. Diese Funktion des Verfahrens tritt insbesondere in Gestalt des Wettbewerbsgrundsatzes in Erscheinung. Mitunter ergeben sich Konvergenzen der beiden Funktionen.

Teil 1 B. Noch mehr als das Verwaltungsrecht im Allgemeinen zeigt sich das Verwaltungsverfahrensrecht im Besonderen als konkretisiertes Verfassungsrecht. Grundlegende Bedeutung kommt dem Demokratie- und dem Rechtsstaatsprinzip zu. Weiter ist die Verfahrensdimension der Grundrechte zu beachten. Den materiellen Grundrechten wohnt sowohl eine Abwehr- als auch eine Schutzfunktion inne. Beide Funktionen weisen eine Verfahrensdimension auf. Der Staat kann jeweils gehalten sein, seine Eingriffs- oder Schutzhandlung eine grundrechtskonforme prozedurale Gestalt zu geben und Verfahrensanforderungen zu erfüllen. Grundrechte wirken sich unmittelbar auf die Verfahrensgestaltung und die Auslegung von Verfahrensvorschriften aus. Auf der Grundlage eines grundrechtlichen Gesetzesvorbehaltes können sie auch die Normierung eines „Eingriffsverfahrens“ erforderlich machen. Bei der Gestaltung dieser Anforderungen kommt dem Gesetzgeber aufgrund der vielschichtigen Möglichkeiten ein weiter Entscheidungsspielraum zu. Der Konkretisierungsgrad prozeduraler grundrechtlicher Anforderungen lässt sich nicht abstrakt, sondern nur für den Einzelfall bestimmen. Das BVerfG als authentischer Verfassungsinterpret hat daher eine besonders starke Position bei der Auslegung der Grundrechte in Bezug auf ihre prozeduralen Auswirkungen inne. Das kodifizierte Verwaltungsverfahren ist aufgrund des weitreichenden Fehlerfolgenregimes der §§ 45 f. VwVfG weitgehend auf eine dienende Funktion beschränkt. Darüber hinaus ist das Verhältnis von materiellem und formellem Verwaltungsrecht maßgeblich von der Entscheidungsform abhängig. Dem stehen Bestrebungen in der Literatur gegenüber, Verwaltungsverfahren nicht nach der Handlungsform der Verwaltung, sondern anhand ihres Zwecks zu systematisieren und auf Parallelen zu untersuchen. Mit Blick auf die Europäisierung des Verwaltungsrechts zeigen sich die Vorteile dieser Methode. Da das Gemeinschaftsrecht i. d. R. nicht nach der Entscheidungsform des nationalen Rechts differenziert, kann es zu systematischen Brüchen kommen. Die Analyse bestimmter Verwaltungsverfahren muss daher bei den gemeinschaftsrechtlichen Anforderungen beginnen und die nationale Rechtslage an diesen Vorgaben messen. Zwar lässt sich ein europäisches Verwaltungsrecht weder auf der Ebene des Gemeinschaftsrechts noch auf mitgliedstaatlicher Ebene konstatieren. Dennoch nimmt das Gemeinschaftsrecht direkt und indirekt Einfluss auf das Verwaltungs-

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verfahren der Mitgliedstaaten. Während die direkte Europäisierung auf punktuelle Regelungsbereiche begrenzt ist, zeitigt die indirekte Europäisierung breitflächige Auswirkungen. Sie basiert auf den Grundsätzen der Effektivität und der Äquivalenz des Gemeinschaftsrechts sowie den Grundfreiheiten und ist nicht auf bestimmte Sachmaterien begrenzt. Die Mitgliedstaaten haben sowohl bei der Normierung von Verwaltungsverfahren als auch bei deren Gestaltung im konkreten Einzelfall diese gemeinschaftsrechtlichen Grundsätze zu beachten. Insgesamt führen sie zu einer Stärkung des Verfahrensgedankens, wie sich gerade am Beispiel der Grundfreiheiten zeigen lässt.

Teil 2 A. Der EuGH stützt die Verwirklichung der Grundfreiheiten in unterschiedlichen Gebieten maßgeblich auf prozedurale Anforderungen. Die Grundfreiheiten weisen, wie die deutschen Grundrechte, eine abwehr- und eine schutzrechtliche Funktion auf. In der Rechtsprechung des EuGH haben die Grundfreiheiten, soweit ersichtlich, bislang nur als Abwehrrechte eine prozedurale Wirkungsweise entfaltet. Das grundfreiheitskonforme Verfahren stellt die Verhältnismäßigkeit der mitgliedstaatlichen Eingriffshandlung sicher. Der Befund dieser verfahrensrechtlichen Dimension lässt sich ausgehend von der Warenverkehrsfreiheit auch für die Personenverkehrs- und Dienstleistungsfreiheit erheben. Gleichzeitig entschärft die Verfahrensdimension der Grundfreiheiten den Kompetenzkonflikt zwischen der Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten. Die komplementäre prozedurale Wirkung der Grundfreiheiten überlässt den Mitgliedstaaten zugleich einen größeren Entscheidungsspielraum bei den materiellen Entscheidungskriterien. Eine komplementäre Prozeduralisierung ließ sich für alle vier untersuchten Bereiche nachweisen. Am Beispiel des Genehmigungsverfahrens für Lebensmittelzusätze zeigt sich, dass dem Gemeinschaftsrecht im Verwaltungsverfahren auch ohne einschlägige sekundärrechtliche Harmonisierung eine eigenständige Bedeutung zukommt. Die prozedurale Wirkung der Grundfreiheiten kommt zum Tragen, wo eine sekundärrechtliche (Total-)Harmonisierung fehlt. Das grundfreiheitlich geprägte Genehmigungsverfahren verhilft dem Prinzip der gegenseitigen Anerkennung zur Durchsetzung. Die prozedurale Dimension der Warenverkehrsfreiheit vereint damit zwei Vorteile: Einerseits effektiviert sie die Durchsetzung der Grundfreiheit. Andererseits verhilft sie mittels des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nicht nur dem Prinzip der gegenseitigen Anerkennung, sondern ebenso den mitgliedstaatlichen Interessen gem. Art. 36 AEUV zur bestmöglichen Geltung. Nationale Genehmigungsvorbehalte für Lebensmittelzusätze sind als rechtfertigungsbedürftige relative Verkehrsverbote einzuordnen. Die Grundfreiheiten stellen an diese sowohl materielle als auch prozedurale Anforderungen. I. R. d.

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materiellen Anforderungen an die Genehmigungserfordernisse legen die Mitgliedstaaten das Schutzniveau selbst fest. Demgegenüber leitet der Gerichtshof aus den Grundfreiheiten detaillierte Anforderungen an das Genehmigungsverfahren ab. Dabei ist die Zugänglichkeit des Verwaltungsverfahrens für den Binnenmarktteilnehmer eine zentrale prozedurale Forderung. Die Verpflichtung zur Festlegung des Verfahrens in einem „Rechtsakt von allgemeiner Wirkung“ ist jedoch, entgegen einer vereinzelten Rechtsprechung des EuGH, abzulehnen. Lediglich abstrakt-generelle Entscheidungen über bestimmte Zusatzstoffe müssen eine allgemeine Wirkung entfalten. Weiter trägt der Mitgliedstaat die Begründungs- und Beweislast für das Verbot einzelner Zusatzstoffe. Er hat gerichtlichen Rechtsschutz zu gewährleisten. Der deutsche Gesetzgeber hat diese komplementäre Gewährleistung der Grundfreiheiten gesetzlich geregelt. § 54 LFBG entspricht den prozeduralen Anforderungen der Grundfreiheiten. Die grundfreiheitlichen Anforderungen an die Erstattungsfähigkeit von Aufwendungen für Arzneimittel sind über die Rechtsangleichungskompetenzen der Art. 114 f. AEUV in das sekundäre Gemeinschaftsrecht eingeflossen. Wiederum obliegt die Auswahl der materiellen Bewertungskriterien, anhand derer Positivoder Negativlisten erstattungsfähiger Arzneimittel erstellt werden, den Mitgliedstaaten. Der EuGH hat sich in seiner Duphar-Rechtsprechung bereits früh auf prozedurale Elemente bezogen. Dieser folgend, sind der RL 89/105/EWG und der späteren Rechtsprechung des EuGH in erster Linie Anforderungen an das Bewertungsverfahren zu entnehmen. Die Betonung prozeduraler grundfreiheitlicher Anforderungen schont die Regelungs- und Beurteilungskompetenzen der Mitgliedstaaten. In Ermangelung mitgliedstaatlicher Umsetzung ergibt sich direkt aus den Art. 6 f. der RL 89/105/EWG ein subjektives Recht auf eine begründete Entscheidung innerhalb angemessener Frist, gegen die gerichtliche Rechtsmittel gegeben sind. Dabei kommt dem Rechtsschutz gegen Verfahrensfehler eine eigenständige Bedeutung zu. Eine gemeinschaftsrechtskonforme Umsetzung dieser Verfahrenserfordernisse findet sich im deutschen Recht nicht. Die Richtlinie findet daher unmittelbare Anwendung. Sie richtet sich an die staatliche Stelle, welche die endgültige Entscheidung trifft. Folgt der GBA in seiner außenwirksamen Entscheidung der Empfehlung des IQWiG, reicht die Beachtung der vorgesehenen Partizipations- und Informationspflichten durch Letzteres aus. Weicht der GBA von der Empfehlung des IQWiG ab, so hat er diese Verfahrenspflichten selbst zu beachten. Insbesondere sind die betroffenen Arzneimittelhersteller anzuhören. Bei der Anerkennung von Berufsqualifikationen zeigt sich die prozedurale Dimension der Personenverkehrsfreiheiten. Trotz weit fortgeschrittener sekundärrechtlicher Harmonisierung verbleibt den Grundfreiheiten ein direkter Anwendungsbereich. Ausgehend von der grundfreiheitskonformen Anwendung nationalen

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Rechts, hat der EuGH aus den Grundfreiheiten ein Recht auf die Durchführung eines Homologierungsverfahrens abgeleitet. Eine mitgliedstaatliche Pflicht zur Normierung eines solchen Verfahrens besteht hingegen nicht. Der Rechtsprechung des EuGH sind allerdings detaillierte Anforderungen an ein Homologierungsverfahren für Berufsqualifikationen zu entnehmen. Diese muss für alle Betroffenen leicht zugänglich und transparent gestaltet sein sowie von einer neutralen Instanz durchgeführt werden. Nur eine Anhörung des Betroffenen gewährleistet eine ausreichende Informationsbasis für eine Entscheidung. Die Begründung der Entscheidung ist für den effektiven Rechtsschutz funktionsnotwendig. Von besonderer praktischer Bedeutung ist die komplementäre Prozeduralisierung für die Vergabe öffentlicher Aufträge. Auf der Ebene des Gemeinschaftsrechts stehen ein sekundärrechtliches und ein primärrechtliches Vergaberegime nebeneinander. Das Primärvergaberecht findet seine Rechtsgrundlage in den Grundfreiheiten. Der Einfluss der Grundfreiheiten führt zu einem Paradigmenwechsel im nationalen Vergaberecht von der kompensatorischen zur komplementären Prozeduralisierung. Das traditionelle haushaltsrechtliche Vergaberecht, als Fall kompensatorischer Prozeduralisierung, beruht auf dem Wirtschaftlichkeitsgrundsatz. Mittels eines Bieterwettbewerbs soll das beste Kosten-Nutzen-Verhältnis gefunden werden. Das EG-primärrechtliche Vergaberegime hingegen hat die Schaffung eines europäischen Binnenmarktes im Wege der komplementären Prozeduralisierung zum Ziel. Im Vergabeverfahren soll sich die Teilnahmechance der Binnenmarktteilnehmer verwirklichen. Dazu müssen die Grundfreiheiten auf den konkreten Auftrag anwendbar sein. Öffentliche Auftraggeber i. R. d. Primärvergaberechts können alle Adressaten der Grundfreiheiten sein. Die Grundfreiheiten kommen nur bei öffentlichen Aufträgen zur Anwendung, denen eine Binnenmarktrelevanz aufgrund grenzüberschreitenden Interesses zukommt. Nur wenn der fragliche Auftrag für Bieter aus anderen Mitgliedstaaten von Interesse sein kann, sind die primärrechtlichen Verfahrensanforderungen einzuhalten. Bei der Konkretisierung dieser Anforderungen können die Vorgaben der Vergaberichtlinien nicht auf das Primärvergaberecht übertragen werden. Die Konkretisierungslast trägt vielmehr der öffentliche Auftraggeber. Als Maßstab dient die Binnenmarktrelevanz des konkreten Auftrags. Eine Beschränkung grundfreiheitlicher Anforderungen aus Effizienzgesichtspunkten kommt nur i. R. allgemeiner Rechtfertigungsgründe in Betracht. Die prozeduralen Anforderungen der Grundfreiheiten lassen sich auf den Transparenzgrundsatz und den Gleichbehandlungsgrundsatz zurückführen. Ein primärvergaberechtlicher Wettbewerbsgrundsatz besteht hingegen mangels komplementärer Prozeduralisierung nicht. Bei der Auftragsvergabe ist ein ausreichendes Maß an Publizität herzustellen. Insbesondere sind binnenmarktrelevante Aufträge öffentlich bekanntzumachen.

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Form und Inhalt bestimmen sich nach dem potenziellen Interesse. Eine dem potenziellen Interessentenkreis angemessene Frist zu Angebotsabgabe ist zu gewähren. Die Bekanntmachung kann jedoch unterbleiben, wenn dies gerechtfertigt ist oder eine Bekanntmachung sinnlos wäre. Das Auftragsvergabeverfahren i. e. S. unterliegt in erster Linie dem Grundsatz der Gleichbehandlung der Bieter. Das Vergabeverfahren muss fair und unparteiisch durchgeführt werden. Schließlich ist Bietern i. R. d. nationalen Rechtsordnung effektiver Rechtsschutz zu gewähren, um die Nachprüfbarkeit des Vergabeverfahrens sicherzustellen. Eine Beschränkung auf sekundären Rechtsschutz genügt dem grundfreiheitlichen Mindeststandard nicht.

Teil 2 B. Der Beihilfentatbestand weist eine fortschreitende prozedurale Prägung auf. Die Beihilfenkontrolle schützt den Binnenmarkt vor Wettbewerbsverzerrungen durch staatliche Eingriffe. Derartige Eingriffe können v. a. bei staatlich-privaten Interaktionen i. R. v. Privatisierungen auftreten. Insofern sind Vermögens- und Aufgabenprivatisierung zu unterscheiden. Bei der Vermögensprivatisierung kommt entweder der MEIT oder ein Sachverständigengutachten zur Anwendung, um mittels materieller Kriterien eine angemessene Gegenleistung zu ermitteln. Diese bergen jedoch erhebliche Unsicherheiten. Das Sachverständigengutachten hat daneben nur einen beschränkten Prüfungsumfang bzgl. des Privatisierungsobjektes selbst. Mehr Sicherheit bietet dagegen die Durchführung eines qualifizierten Ausschreibungsverfahrens bei Grundstücksverkäufen oder Unternehmensprivatisierungen. Dieses hat den Anforderungen des Wettbewerbs-, Transparenz- und Nichtdiskriminierungsgrundsatzes zu genügen. Daher ist die geplante Privatisierung öffentlich bekanntzumachen. Eine Veräußerung im Wege der gezielten Kontaktaufnahme mit potenziellen Bietern ist hingegen notifizierungspflichtig. Alle Bieter müssen Zugang zu den gleichen Informationen und eine angemessene Frist für die Abgabe eines Angebotes haben. Die Ausschreibung darf keine Bedingungen enthalten, die den Kreis möglicher Bieter derart beschränkt, dass die Ermittlung eines objektiven Marktpreises nicht mehr gewährleistet ist. Umgekehrt kann der Ausschluss bestimmter Bieter notwendig werden. Den Zuschlag darf nur der Meistbietende erhalten. Ein ähnliches Bild bietet sich bei der Aufgabenprivatisierung. Diese betrifft Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse (DAWI), denen eine Sonderrolle im europäischen Binnenmarkt zukommt. Der Rechtfertigungsmöglichkeit aus Art. 106 Abs. 2 S.2 AEUV bedürfen DAWI jedoch nur, wenn eine Überkompensation festzustellen ist. Dazu kann ebenfalls auf einen materiellen oder eine prozeduralen Modus zurückgegriffen werden. Die materiellen Anforderungen sind der Altmark-Trans-Rechtsprechung des EuGH zu entnehmen. Dabei

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kommt ein objektiver Kostenmaßstab zur Anwendung. Dessen Bestimmung richtet sich jedoch stark nach dem jeweiligen Einzelfall. Den Vorzug verdient daher wiederum der prozedurale Modus in Gestalt eines Ausschreibungsverfahrens. Dieses kann das Spannungsverhältnis zwischen DAWI und dem Wettbewerbsprinzip des AEUV auflösen. Eine beihilfenrechtliche Ausschreibungspflicht ist jedoch abzulehnen. Dies würde dem Regel-Ausnahme-Verhältnis der Art. 107 ff. AEUV widersprechen, die eine Genehmigungsmöglichkeit für tatbestandsmäßige Beihilfen vorsehen. Mit der Durchführung des Ausschreibungsverfahrens wird gleichzeitig die Einhaltung der Altmark-Kriterien sichergestellt. Es ergeben sich nur wenige Abweichungen zum Ausschreibungsverfahren i. R. d. Vermögensprivatisierung. So kann der Zuschlag auch nach anderen Kriterien als dem höchsten Gebot erteilt werden. Weiter ist eine zeitlich unbefristete Aufgabenübertragung unzulässig. Das Primärvergaberecht und das Beihilfenrecht stehen im AEUV gleichberechtigt nebeneinander. Die Ausschreibungsverfahren des Beihilfen- und Vergaberechts führen daher zu einer Konvergenz von kompensatorischer und komplementärer Prozeduralisierung. Schnittmengen ergeben sich sowohl für die Vermögens- als auch für die Aufgabenprivatisierung. Beschaffungsfremde Kriterien unterliegen ebenso einer Bewertung durch beide Rechtsregime. Mithilfe eines Ausschreibungsverfahrens lassen sich sowohl vergabe- als auch beihilfenrechtliche Klippen umschiffen. Eine rechtliche Ausgestaltung dieser Verfahren würde die Konvergenzleistung der Prozeduralisierung im europäischen Binnenmarktrecht noch erhöhen.

Fazit und Ausblick Die Verfahrensdimension des europäischen Binnenmarktrechts ließ sich für alle untersuchten Bereiche belegen. Dem Verwaltungsverfahren kommt insoweit ein hoher Stellenwert zu, da es eine Komplementär- bzw. eine Kompensationsfunktion zu erfüllen hat. Damit geht es über eine bloße dienende Funktion hinaus. Die vom EuGH geforderten prozeduralen Elemente sind in die Struktur des nationalen Rechts, an welches die zuständigen Stellen gebunden sind, zu implementieren. Die Prozeduralisierung im Binnenmarktrecht führt daher direkt und indirekt zu einer Prozeduralisierung des nationalen Rechts. Soweit dieses keine ausreichenden Regelungen enthält, steigen die Anforderungen an die zuständigen Behörden, die in eigener Verantwortung ein gemeinschaftsrechtskonformes Verwaltungsverfahren durchzuführen haben. Dabei haben sie dem Zweck des Verfahrens – komplementäre und/oder kompensatorische Prozeduralisierung zu erreichen – ausreichend Beachtung zu schenken. Es bleibt daher abzuwarten, ob und wie sich das deutsche und das europäische Verwaltungsverfahrensrecht annähern. Aufgabe der Rechtswissenschaft in diesem Prozess wird es dabei sein, diese Annäherung nicht nur kritisch zu begleiten, sondern auch dogmatische Konvergenzen aufzuzeigen.

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Sachverzeichnis Altmark-Kriterien 271, 286 Äquivalenz – Diplome 165 – Leistung und Gegenleistung 237, 242, 250, 297 – mitgliedstaatliche Standards 113 Äquivalenzgrundsatz 100, 139, 161, 217 Äquivalenzprüfungspflicht – Berufsqualifikationen 160 – primärrechtliche 153 Aufgabenprivatisierung 235, 263, 292 Ausschreibungspflicht – Beihilfenrecht 249, 280 – Primärvergaberecht 206 Ausschreibungsverfahren – Grundstücksverkäufe 246 – qualifiziertes, in der Aufgabenprivatisierung 285 – Unternehmensprivatisierung 248 – Vergabe öffentlicher Aufträge 173, 185, 214 Bedingungsfreiheit 257 Begründung – Adressat der Begründungspflicht 143 – Anforderungen 161, 223 – Arzneimittel 134 – Arzneimittel-Transparenzrichtlinie 147 – Berufsqualifikationen 159, 169 – Demokratieprinzip 59 – Homologierungsverfahren 169 – Last 125 – Pflicht 52, 59 – Rechtsstaatsprinzip 61 – Vergabeentscheidung 221 – VwVfG 86 Begünstigung – Begriff 225 Berufsqualifikationen – Anerkennung 150 beschaffungsfremde Kriterien 293 Beweislast 125, 211 Bewertungsverfahren für Arzneimittel 137

– Auswirkungen auf das deutsche Recht 142 – begründete Entscheidung 140 – Entscheidungsfrist 138 – Rechtsschutz 140 Binnenmarkt – Abwehrrecht 105 – Arzneimittel 130 – Aufgabenprivatisierung 235 – Auftragsvergabe 184 – Beihilfenverbot 224 – Berufsqualifikationen 150 – Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse 280 – Gleichbehandlungsgrundsatz 201 – Grundfreiheiten 101, 167 – komplementäre Prozeduralisierung 184, 208 – Konvergenz von Vergabe- und Beihilfenrecht 296 – Schutzrecht 107 – Teilhabe 105 – verfahrensrechtliche Dimension 111 – Vergabebekanntmachung 206 – Vergaberecht 172, 173, 178, 201 – Wettbewerbsprinzip 265 Binnenmarktrelevanz 188, 190 Demokratieprinzip 45, 57, 200 Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse 263 Dienstleistungsfreiheit – Auftragsvergabeverfahren 215 – Berufsqualifikationsrichtlinie 152 Diskurs – Begriff 42 – idealer 43 Diskurstheorie 41 – des Rechts 44 Effektivitätsgrundsatz 99, 123, 139, 142, 160, 217

Sachverzeichnis Eingriffsäquivalenz 183 Entscheidungsfrist – Arzneimittel-Transparenzrichtlinie 147 – Bewertungsverfahren für Arzneimittel 138 – Homologierungsverfahren 169 Erstattungsfähigkeit von Arzneimitteln 130 – Bewertungskriterien 136 – Bewertungsverfahren 137 Europäisierung – Begriff 94 – direkte 97 – indirekte 98 – Verwaltungsrecht 84 Gegenleistung, marktgerechte 226 Genehmigung – Beihilfen 285 – Berufsausübung 167 – Liniendienste 271 – Nahrungsergänzungsmittel 142 – Niederlassung 198 Genehmigungsverfahren 68, 85, 90 – Art. 108 AEUV 227 – rechtliche Grundlage 121 – Zugänglichkeit 121 Genehmigungsvorbehalt – Lebensmittelzusätze 114, 121 Gerechtigkeit 31 – prozedurale 28, 32, 38 Gesellschaftstheorien 32 Gesellschaftsvertrag 33,39 Gleichbehandlungsgrundsatz 296 – Primärvergaberecht 174, 185, 200, 212, 214 Grundfreiheiten – Abwehrrecht 105, 112 – Funktionen 105 – Harmonisierung 113 – indirekte Europäisierung 101 – konforme Anwendung nationalen Rechts 155 – Schutzfunktion 107, 110 – verfahrensrechtliche Dimension 110, 118, 130, 135, 158 Grundrechte – Abwehrfunktion 63, 75, 79 – Grenzen der Konkretisierung 79 – Schutz durch Teilhabe 65

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– Schutz vor Gefahren 64 – Schutzfunktion 63, 79 – Verfahrensdimension 53, 62, 65, 74, 183 Grundstücksverkäufe 243, 246 Harmonisierung – Berufsqualifikationen 150 – Grundfreiheiten 113 – Kompetenzen 164 – Lebensmittel 114 – Teilharmonisierung 115, 153, 164 – Totalharmonisierung 115, 153, 194 – Vakuum 150 – versteckte 125 Haushaltsvergaberecht 179 Homologierungsverfahren – Anhörung 168 – Begründung 169 – Entscheidungsfrist 169 – Pflicht zur Normierung 162 – Rechtsschutz 170 – Transparenzgebot 167 – unparteiische Entscheidungsinstanz 168 – Zugänglichkeit 166 Investorenbild 240 Konkretisierungsgrad 78, 220 Konkretisierungsmaßstab 191 Leistung – beihilfenrechtlicher Begriff 226 Market Economy Investor Test 238 – Anwendungsbereich 238 – Eigenkapitalzuführung 239 – Fremdkapitalzuführung 240 Marktmechanismus 229 Nichtdiskriminierungsgrundsatz – Beihilfenrecht 255, 257 – Primärvergaberecht 175, 202 Niederlassungsfreiheit – Anerkennung von Berufsqualifikationen 155 – Berufsqualifikationsrichtlinie 152 – grundfreiheitskonforme Anwendung nationalen Rechts 155 – Vergabeverfahren 208

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Sachverzeichnis

Normierungspflicht – Arzneimittel-Transparenzrichtlinie 135 – Genehmigungsverfahren für Lebensmittelzusätze 123 – Homologierungsverfahren 162 – Verfahrensdimension der Grundfreiheiten 114 – Verfahrensdimension der Grundrechte 73

– Prozeduralisierung 52 – Recht auf effektiven 66 – Richtlinien des GBA 148 – Vergabeverfahren 199, 216 – Verwaltungsrechtsschutz 56, 72 Rechtsstaatsprinzip 57, 58, 61, 164 Richtlinien – horizontale 151 – vertikale 151

öffentlicher Auftraggeber 187 Paradigmenwechsel im Vergaberecht 29, 177 Prinzip der gegenseitigen Anerkennung – Berufsqualifikationen 152 – bieterbezogene Vorgaben 197 – Marktzugang 152 – Lebensmittelrecht 114, 126 – prozedurale Dimension der Grundfreiheiten 113 – Verfahrensaufwand 124 Private Seller Test 241 Privatisierung – Aufgabenprivatisierung 235, 263, 292 – Begriff 231 – Europäisierung 233 – Vermögensprivatisierung 233, 238, 246, 291 Prozedurales Recht 27, 51 Prozeduralisierung 26 – des Beihilfentatbestandes 229, 235 – des Rechts 27, 31, 51 – Europäisierung 94 – im Recht 27, 55 – kompensatorische 29, 52, 177, 179, 185, 199, 224, 235, 253, 278, 289, 296 – komplementäre 29, 52, 70, 129, 149, 154, 159, 177, 181, 184, 203, 207, 289, 292, 296 Rechtsschutz – Bewertungsverfahren für Arzneimittel 140 – Demokratieprinzip 59 – einstweiliger 69 – Europäisierung 97 – Genehmigungsverfahren für Lebensmittelzusätze 126 – Homologierungsverfahren 159, 170

Sachverständigengutachten 242 – Unternehmensprivatisierungen 244 – Wertermittlung von Grundstücken 243 Theorie der juristischen Argumentation 45 Transparenzgebot, -grundsatz – Ausschreibungspflicht im Beihilfenrecht 281 – Beihilfenrecht 255 – Homologierungsverfahren 167 – Vergabebekanntmachung 212 – Vergabegrundsätze 199 Unternehmensprivatisierung 244, 248 Urzustand 34, 39 Verfahrensaufwand 124 Verfahrensgerechtigkeit 31, 53 – (quasi-)reine 39, 41 – (un-)vollkommene 39, 40 Verfassungsrecht – konkretisierende Auslegung 78 Vergabe öffentlicher Aufträge 172 Vergabeverfahren – Grundrechtsschutz 181 – komplementäre Prozeduralisierung 180, 184 – primärrechtliches 173, 187 – sekundärrechtliches 175 – Zweck 177 Vergleichsmaßstab, materieller – Aufgabenprivatisierung 263 – Vermögensprivatisierung 238 Vergleichsmaßstab, prozeduraler – Aufgabenprivatisierung 277 – Vermögensprivatisierung 246 Verkehrsverbote – absolute 117

Sachverzeichnis

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– Rechtfertigung 116 – relative 118 Vermögensprivatisierung 233, 238, 246, 291 Verwaltungsverfahren – Begriff 92 – neue Typen 89 – verfassungsrechtliche Grundlagen 56 – Zugänglichkeit 121, 166, 206 Verwaltungsverfahrensrecht – Entwicklung 83 – Verhältnis zum materiellen Recht 86

– Rechtfertigung von Verkehrsverboten 116, 118 – Schutzrecht 109 Wettbewerbsgrundsatz – Beihilfenrecht 250, 265, 279 – Primärvergaberecht 202 Wirtschaftlichkeitsgrundsatz – Haushaltsvergaberecht 179 – kompensatorische Prozeduralisierung 179 – primärrechtliche Vergabegrundsätze 199 – prozedurale Kompensation 179 – VOL/A, VOB/A

Warenverkehrsfreiheit 104 – Abwehrrecht 106 – Genehmigungserfordernis als Eingriff 121 – Lebensmittelrecht 114 – Primärvergaberecht 187 – prozedurale Dimension 129

Zugänglichkeit von Verfahren 29 – Genehmigung von Lebensmittelzusätzen 121 – Homologierungsverfahren 166 – Vergabeverfahren 206 Zuschlagskriterien 261, 287